Vertragswandel und demokratische Legitimation: Auswirkungen moderner völkerrechtlicher Handlungsformen auf das innerstaatliche Recht [1 ed.] 9783428526130, 9783428126132

Der Trend zu Internationalisierung und Europäisierung in den rechtlichen Beziehungen hat zu einer starken Einbindung der

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Vertragswandel und demokratische Legitimation: Auswirkungen moderner völkerrechtlicher Handlungsformen auf das innerstaatliche Recht [1 ed.]
 9783428526130, 9783428126132

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1083

Vertragswandel und demokratische Legitimation Auswirkungen moderner völkerrechtlicher Handlungsformen auf das innerstaatliche Recht Von Martin Baumbach

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN BAUMBACH

Vertragswandel und demokratische Legitimation

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1083

Vertragswandel und demokratische Legitimation Auswirkungen moderner völkerrechtlicher Handlungsformen auf das innerstaatliche Recht

Von Martin Baumbach

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12613-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Arbeit lag dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt im Sommersemester 2007 als Dissertation vor. Das „Tornado“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2007 konnte noch eingearbeitet werden; im Übrigen ist die Arbeit auf dem Stand vom März 2007. Sie entstand in meiner Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl meines Doktorvaters Professor Dr. Dr. Günter Frankenberg. Professor Dr. Michael Bothe hat nicht nur das Zweitgutachten erstellt, sondern auch die Idee zu dem Thema der Arbeit gegeben. Beiden bin ich für die Förderung und Betreuung sehr zu Dank verpflichtet. Ebenfalls danken für wertvolle fachliche Ratschläge möchte ich Dr. Andreas Fischer-Lescano und Henok Tsehaye. Einer guten Tradition folgend, widme ich die Arbeit meinen Eltern, die durch ihre Unterstützung die Entstehung der Arbeit ermöglicht haben. Frankfurt, September 2007

Martin Baumbach

Inhalt Teil 1 Einleitung A. Die problematischen Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Direkter Anwendungsbereich von Art. 59 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erweiternde Auslegung von Art. 59 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 13 13 14

B. Die bisher vertretenen Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Die Lösung des Bundesverfassungsgerichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Gewinnung der Kompetenzverteilung aus dem Gewaltenteilungsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Verhältnis zum Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3. Kontrollfunktion des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Die „traditionelle“ Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Zum ideellen Gewaltenteilungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 a) Kritik an der Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 b) Kritik an den einzelnen Argumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Zur Bedeutung des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Die Defizite der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Faktische Überforderung von Art. 59 II GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Verknüpfung Gewaltenteilung – Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . .

32 32 39

D. Zusammenfassung und weiteres Vorgehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 2 Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

42

A. Kategorisierung der Konflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Einzelne Phänomene I: Verbandskompetenzkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Klassische und neue Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschlüsse internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dynamische Vertragsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einordnungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 48 49 50 51 52

C. Einzelne Phänomene II: Organkompetenzkonflikt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8

Inhalt I. Einseitige Akte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Authentische Vertragsinterpretation vs. Vertragsänderung durch spätere Praxis vs. nichtrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die drei Handlungsformen in den Leitentscheidungen des Zweiten Senats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslandseinsätze-Entscheidung: die Argumentation der die Entscheidung tragenden Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auslandseinsätze-Entscheidung: die Argumentation der dissentierenden Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Argumentation in der Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Tornado-Urteil vom 3. Juli 2007. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rezeption der Entscheidungen in der Literatur und Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Abgrenzung der drei Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Authentische Vertragsinterpretation vs. konkludente Vertragsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche vs. nichtrechtliche Vertragsänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliche kategoriale Unterscheidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Konzept der „Legalization“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unvollkommene Verbindlichkeiten – partiell nichtrechtliche Verträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einordnung der in den Leitentscheidungen in Streit stehenden Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Neue Strategische Konzept der Nato von 1991 und in zeitlichem Zusammenhang damit stehende Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . b) Das Neue Strategische Konzept der Nato von 1999. . . . . . . . . . . . . . c) Die Petersberg-Erklärung der WEU von 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54 54 56 56 64 65 67 68 70 71 80 82 87 91 93 93 93 94 101

D. Zusammenfassung und Ausblick auf die folgenden Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Teil 3 Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz A. Konstellationen der Heranziehung der Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die dahinter stehende Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Inkonsistenzen dieser Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Auflösung der Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Demokratieprinzip als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Das „geschichtsmächtigste“ Gewaltenteilungsmodell Montesquieus und die konkurrierende demokratische Variante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Inhalt 2. Folgerungen für das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aussagen des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die verschiedenen Formen demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . a) Funktionelle demokratische Legitimation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Was bedeutet „funktionelle demokratische Legitimation“? . . . bb) Handelt es sich um eine Form demokratischer Legitimation? b) Personelle und sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Relevanz des Gewaltenteilungsprinzips – Verhältnis der Prinzipien . . . . .

9 125 131 132 133 133 133 134 139 140 141

C. Zusammenfassung zum Stand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Teil 4 Demokratische Legitimation im Bereich des Vertragswandels

146

A. Erfordernis demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Was ist Staatsgewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kein Erfordernis der unmittelbaren Wirksamkeit: Richtlinien, Rahmenbeschlüsse, einseitige Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfordernis der Rechtserheblichkeit: nichtrechtliche Verträge . . . . . . . . 3. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was ist Staatsgewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Verbandskompetenzkonflikt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Möglichkeit originärer europäischer Legitimation . . . . 2. Rechtfertigung bestehender Demokratiedefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonstige Fälle, insbesondere die „Dritte Säule“ der Europäischen Union III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Organkompetenzkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsänderung – das Neue Strategische Konzept von 1999 . . . . . . . . . . II. Einseitige Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichtrechtliche Verträge – Petersberg-Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

176 177 178 180

149 150 154 154

D. Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

182

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194

On nous prépare, en effet, une loi internationale. Mais cette loi est faite ou défaite par des gouvernements, c’est-à-dire par l’exécutif. Nous sommes donc en régime de dictature internationale. Albert Camus

Teil 1

Einleitung „Das Grundgesetz hat in Anknüpfung an die traditionelle Staatsauffassung der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weit bemessenen Spielraum zu eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung überlassen.“ Nur Art. 59 II GG, der für den Abschluss bestimmter völkerrechtlicher Verträge eine parlamentarische Zustimmung verlangt, „durchbricht das Gewaltenteilungssystem insofern, als hier die Legislative in den Bereich der Exekutive übergreift“. Eine Erweiterung seines Anwendungsbereichs würde daher „einen Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive darstellen“. Diese drei Sätze lesen sich „wie aus einem Guss“, gerade so, als handelte es sich um eine fortlaufende Argumentation. Tatsächlich stammen auch alle drei Sätze aus derselben Feder, nämlich aus der des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Dennoch ist das Zusammenpassen der Sätze verblüffend, denn sie sind im Abstand von 32 beziehungsweise 17 Jahren verfasst worden: Der erste Satz stammt aus dem Urteil zum Neuen Strategischen Konzept der Nato vom 22. November 2001,1 der zweite aus dem Urteil zum Petersberg-Abkommen vom 29. Juli 1952,2 der dritte aus dem Urteil zum Nato-Doppelbeschluss vom 18. Dezember 1984.3 Zwar hatte der Senat in allen drei Entscheidungen im Kern die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bundesregierung und Parlament im Bereich der Außenpolitik zu beantworten. Dennoch ist die Identität der Argumentationsstruktur in den drei Entscheidungen überraschend, und zwar deshalb, weil die internationalen Beziehungen selbst sich in dieser Zeit extrem verändert haben:4 1

BVerfGE 104, 151, 207. BVerfGE 1, 351, 369. 3 BVerfGE 68, 1, 87. 4 Allgemein zum Einfluss sozialer Tatsachen auf die Verfassungswirklichkeit Lepsius, JZ 2005, 1, 2 ff.; zur früheren Entwicklung der internationalen Beziehungen s. Menzel, DÖV 1969, 1, 3 ff. 2

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Teil 1: Einleitung

Die immer weiter zunehmenden Verflechtungen der internationalen Beziehungen, der Trend zu Europäisierung und Internationalisierung und die immer häufigere Übertragung von Hoheitsrechten auf supranationale Organisationen haben zu einer starken Einbindung der Staaten in ein dichtes Netz von Verträgen geführt. Die Staaten sind dadurch nicht mehr nur die „Herren der Verträge“, sondern zugleich ihre „Knechte“.5 Mit der (äußeren) Souveränität6 der Staaten und der scharfen Trennung von Innen- und Außenpolitik sind wesentliche Elemente des klassischen Völkerrechts in Frage gestellt.7 Zwar stellt der Nationalstaat weiterhin die Basis der internationalen Beziehungen dar, jedoch ist die souveräne Entscheidungsmacht der Staaten stark eingeschränkt.8 Dies führt dazu, dass die Bedeutung und die Auswirkungen der Außenpolitik für den innerstaatlichen Bereich und damit auch für den Einzelnen stark zugenommen haben, eine Trennung von Außenpolitik und anderen Politikbereichen ist kaum mehr möglich.9 Vielmehr stellt der Bereich des Auswärtigen jenseits seines traditionellen Kerns eine Querschnittsmaterie im Verhältnis zu anderen Politikbereichen dar: Es lässt sich nicht mehr säuberlich trennen zwischen Außen-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts-, Sozial-, Kulturpolitik etc., sondern die diversen, „materiellen“ Politikbereiche werden auf verschiedenen Ebenen geregelt, so dass es beispielsweise eine Innen- und eine Außen-Wirtschafts- oder -Kulturpolitik, aber keine „Innen-Außenpolitik“ gibt. Mit diesen Entwicklungen einher gehen Veränderungen in den völkerrechtlichen Regelungsmechanismen. Soweit das Grundgesetz ausdrückliche Kompetenzverteilungen vorsieht, knüpfen diese Regelungen aber an die bei seinem Erlass existierenden Handlungsformen und damit an die damaligen Strukturen der internationalen Beziehungen an. Dennoch haben sich hinsichtlich der Kompetenzverteilung die Argumentationen in den letzten Jahrzehnten nicht geändert.10 Schlagwortartig ausgedrückt, gehen diese dahin, entweder aus Art. 59 II GG den Umkehrschluss zu ziehen, dass alles nicht 5

So das Bild von Vesting, VVDStRL 62 (2004), 42, 54. Zur Terminologie: Äußere Souveränität bedeutet die Fähigkeit eines Staates, seine Unabhängigkeit (notfalls mit militärischer Gewalt) zu behaupten (Habermas, KJ 1995, 291, 296), zielt also auf das Verhältnis zu anderen Staaten, während die innere Souveränität das Gewaltmonopol im eigenen Lande betrifft (ebenda). 7 Habermas, KJ 1995, 291, 299. 8 Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 64. 9 Habermas, KJ 1995, 291, 299. 10 Und zwar ungeachtet frühzeitiger Forderungen nach einer Berücksichtigung dieser Entwicklungen, s. zum Beispiel Bernhardt, DÖV 1977, 457. In wie eingefahrenen Bahnen die Diskussion verläuft, zeigt sich eindrucksvoll an den Diskussionsbeiträgen zu dem Referat von Cremer in dem Band von Geiger, Neuere Probleme, S. 33 ff., die sehr kontrovers sind, aber alle um die Frage der Auslegung von Art. 59 II GG kreisen. 6

A. Die problematischen Konstellationen

13

unmittelbar von Art. 59 II GG Geregelte in die Kompetenz der Exekutive falle, oder aber für eine analoge Anwendung von Art. 59 II GG auf andere Handlungsformen zu plädieren.11 Ausgangsthese dieser Arbeit ist, dass dieses Vorgehen verfehlt ist, da Art. 59 II GG faktisch überfordert ist. „Ersichtlich ist das Vorstellungsbild des Verfassungsgebers von der herkömmlichen Erscheinungsform des bilateralen Vertrages geprägt gewesen“, wie auch ein prominenter Vertreter der herrschenden Auffassung konstatiert.12 Die widerstreitenden, aber doch vom methodischen Ansatz her gleichen Argumentationen gehen an den fundamentalen tatsächlichen Veränderungen in den internationalen Beziehungen vorbei. Bevor diese beiden Argumentationsansätze genauer dargestellt werden, soll zuvor ein Überblick darüber gegeben werden, in welchen Konstellationen die Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt bisher diskutiert worden ist.

A. Die problematischen Konstellationen Die Fälle, in denen die Kompetenzverteilung in der auswärtigen Gewalt problematisch wurde, haben gemeinsam, dass die Verfassungsmäßigkeit des Handelns eines nationalen Organs, nämlich der Bundesregierung, zweifelhaft war. Es stellte sich jeweils die Frage, ob die Regierung ohne Zustimmung des Bundestags dazu befugt war, und zwar in folgenden Konstellationen:

I. Direkter Anwendungsbereich von Art. 59 II GG In den Anfangsjahren der Bundesrepublik ergaben sich vor allem Fragen nach dem Anwendungsbereich von Art. 59 II GG gemäß den Vorstellungen des Verfassungsgebers. Unumstritten war, dass der Wortlaut von Art. 59 II GG insofern zu eng ist, als er nur von Staaten, nicht aber von internationalen Organisationen als Vertragsparteien spricht.13 Streitig hingegen war, ob der Anwendungsbereich von Art. 59 II GG darüber hinaus auf andere Vertragsparteien auszuweiten ist, namentlich auf Vertreter der Besatzungsmächte, soweit sie nicht ihre Staaten, sondern die Gemeinschaft der Besatzungsmächte repräsentierten.14 Der innere Grund für die Ablehnung der 11 Neuerer Überblick bei Cremer, Verhältnis, S. 11 ff., der seinerseits dieselbe Fragestellung zugrundelegt; Kadelbach, Parlamentarische Kontrolle, S. 44 f. 12 Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 29. 13 BVerfGE 1, 351, 366 f.; Menzel, AöR 79 (1953/54), 326, 327.

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Teil 1: Einleitung

Erweiterung von Art. 59 II GG durch das Bundesverfassungsgericht war die besondere weltpolitische Lage der Bundesrepublik in den 50er Jahren: Denn die „Rechtslage Deutschlands unter der alliierten Besatzung ist in der Völkerrechtsgeschichte ohne Präzedenz“, daher „nimmt [. . .] das höchste Alliierte Kontrollorgan in Deutschland gegenüber der Bundesregierung eine Stellung ein, die es ausschließt, es einem auswärtigen Staat gleichzustellen“.15 Die Einzelheiten der unter dem Einfluss der Besatzungssituation ergangenen Urteile mögen hier dahinstehen.16 Wesentlich ist: Obwohl die – sogleich17 zu rekonstruierende – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Anwendungsbereich von Art. 59 II GG also ursprünglich auf eine historische Ausnahmesituation zurückzuführen war, hat das Gericht seinen Ansatz in den folgenden 50 Jahren niemals in Frage gestellt. Auch hinsichtlich der Merkmale des „politischen Vertrages“ und der „Gegenstände der Bundesgesetzgebung“ herrschte anfangs Unsicherheit.18 Heute ist jedoch unumstritten, dass der Begriff des „politischen Vertrags“ eng, nämlich im Sinne des Erfordernisses eines „hochpolitischen“ Vertrages, auszulegen und der Begriff der „Bundesgesetzgebung“ als Gegensatz zu „Bundesverwaltung“ zu lesen ist,19 also im Grunde nur die Selbstverständlichkeit ausdrückt, dass ein Gesetz erforderlich ist, wenn zur innerstaatlichen Umsetzung ein Gesetz erforderlich ist. Hinsichtlich der direkten Anwendung von Art. 59 II GG ist daher zu diesen Merkmalen nichts weiter zu sagen, jedoch wird noch darauf einzugehen sein, was sich aus dieser Regelung für die parlamentarische Zustimmung im Allgemeinen ableiten lässt.

II. Erweiternde Auslegung von Art. 59 II GG Wenn auch die Entwicklung zu dem dichten Netz an Verträgen, das das heutige internationale System auszeichnet, schleichend war und erst in den letzten Jahren rasant geworden ist, so gab es dennoch schon frühzeitig Streitigkeiten um rechtliche Phänomene, auf die Art. 59 II GG unmittelbar eindeutig nicht anwendbar ist. Diese Diskussionen wurden regelmäßig unter dem Obersatz einer analogen Anwendung von Art. 59 II GG geführt.20 14

BVerfGE 1, 351 ff. – Petersberg-Abkommen. BVerfGE 1, 351, 366 f. 16 Vgl. dazu den Überblick bei Menzel, AöR 79 (1953/54), 326 ff. 17 s. u. B. I. 18 Vgl. BVerfGE 1, 372 ff. – Wirtschaftsabkommen; E 2, 347 ff. – Kehler-HafenAbkommen. 19 s. nur Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 87 ff. 15

A. Die problematischen Konstellationen

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Hauptsächlich traten Zweifelsfälle im Bereich der Sicherheitspolitik auf. Folgende Konstellationen lassen sich unterscheiden: 1. Problematisch wurden zum einen einseitige Akte der Bundesregierung, über deren Zustimmungsbedürftigkeit das Bundesverfassungsgericht namentlich in den Verfahren zum Nato-Doppelbeschluss und zur C-WaffenStationierung zu entscheiden hatte. a) In der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung21 ging es um die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung nuklear bestückter amerikanischer Raketen in der Bundesrepublik. Das Bundesverfassungsgericht erörterte das Erfordernis einer parlamentarischen Zustimmung hinsichtlich zweier Maßstäbe: Erstens erwog es eine analoge Anwendung des Merkmals des Vertrages in Art. 59 II GG auf einseitige Akte.22 Zweitens diskutierte es, ob es sich bei der Zustimmung zur Raketenaufstellung um eine erneute, also über den Nato-Vertrag hinausgehende Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne von Art. 24 I GG handele.23 Nur in diesem Kontext, nicht aber im Zusammenhang mit Art. 59 II GG erörterte es die Reichweite der ursprünglichen Zustimmung, also der zum Nato-Vertrag. Bezogen auf Art. 59 II GG, wurde nicht diskutiert, ob die Zustimmung sich im Rahmen des Integrationsprogramms des Nato-Vertrags bewegt und wie diese einseitigen Akte im Kanon der Völkerrechtsquellen zu kategorisieren sind und welche Rechtswirkungen einseitige Akte überhaupt haben. b) In der C-Waffen-Entscheidung24 war die Verfahrenskonstellation eine andere: Es handelte sich nicht um einen Organstreit, sondern um eine Verfassungsbeschwerde. Daher waren Grundrechte, namentlich Art. 2 II 1 GG, Prüfungsmaßstab, so dass Art. 59 II GG nur inzident herangezogen wurde. Soweit dieses Verfahren die hier interessierenden Probleme betraf, war umstritten, ob die Zustimmung zur Lagerung chemischer Waffen ohne gesetzliche Grundlage grundrechtswidrig ist. Auch dies wurde verneint, und zwar im Grundsatz mit derselben Argumentation wie in der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung.25 2. Nachdem also in einer ersten Phase26 sich vor allem die Frage nach der Auslegung von Art. 59 II GG stellte und in einer zweiten Phase27 Fälle 20

Einzelheiten zu den beiden gegensätzlichen Argumentationen s. u. B. BVerfGE 68, 1 ff. 22 Verneinend die Senatsmehrheit, S. 80 ff., bejahend das Sondervotum von Mahrenholz, S. 111, 127 ff.; zu den Argumentationen s. u. B. 23 s. für die Senatsmehrheit S. 89 ff., für das Sondervotum S. 113 ff. 24 BVerfGE 77, 170 ff. 25 BVerfGE 77, 170, 230 ff. 26 s. o. I. 27 s. o. II. 1. 21

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Teil 1: Einleitung

problematisch wurden, in denen die Bundesregierung im Einzelfall Maßnahmen vornahm, bei denen zweifelhaft war, ob diese vom vertraglichen Integrationsprogramm gedeckt sind und welche Konsequenzen dies gegebenenfalls hat, traten aufgrund der veränderten weltpolitischen Lage ab Beginn der 90er Jahre Konstellationen auf, in denen ein generelles Abweichen vom Integrationsprogramm des – auch hier im Mittelpunkt stehenden – Nato-Vertrags sowie von dem des WEU-Vertrags aktuell wurde. Der Zweck des Bündnisses als reines Verteidigungsbündnis war nicht mehr zeitgemäß, die Nato suchte daher, ihre Aufgaben zu erweitern, ohne dass eine förmliche Vertragsrevision vorgenommen worden wäre. Ein vieldiskutiertes Verfahren ist die meist als Auslandseinsätze-Entscheidung bezeichnete28 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.29 Relativ wenig Aufmerksamkeit hat indessen die Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept der Nato30 gefunden.31 Jüngst ist die Entscheidung zur Riga-Erklärung vom November 2006 hinzugekommen.32 Bei den im Streit stehenden Dokumenten wurde der Wille der Regierungen der Vertragspartner zum generellen Abweichen vom vertraglichen Integrationsprogramm in unterschiedlicher Weise dokumentiert. In diesen Vereinbarungen wurde dieser Wille sukzessive deutlicher und allgemeiner geäußert: Soweit die Auslandseinsätze-Entscheidung Einsätze aufgrund des NatoVertrags betraf, ging es darum, ob durch wiederholte gemeinsame politische Erklärungen der Regierungen der Nato-Vertragspartner in Kombination mit der Teilnahme an Überwachungsmaßnahmen eine Situation entstanden ist, in der eine parlamentarische Zustimmung nach Art. 59 II 1 GG erforderlich ist: Seit 1990 gaben die Vertragspartner wiederholt in Beschlüssen und Erklärungen Auskunft darüber, wie sie den durch den weltpolitischen Umbruch seit 1989 entstandenen sicherheitspolitischen Herausforderungen begegnen wollen.33 In jenen Texten ist wiederholt von einem „Neuen Strategischen Konzept“ die Rede sowie von der Bereitschaft, Streitkräfte für Missionen der Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen. Andererseits 28

Im Streit standen Einsätze in Somalia und an der Adria. BVerfGE 90, 286 ff. 30 BVerfGE 104, 151 ff. 31 s. zur Rezeption unten Teil 2 C. II. 1. d). 32 Entscheidung vom 3. Juli 2007, 2 BvE 2/07. Sie wird meist kurz als „TornadoEntscheidung“ bezeichnet, weil der Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen in Afghanistan der politische Aufhänger für das Verfahren war; entgegen der Antragsschrift, die zuvörderst die Zustimmungsbedürftigkeit der Riga-Erklärung geklärt wissen wollte, legt der Senat denn auch den Schwerpunkt der Urteilsgründe auf diesen Einsatz. 33 Vgl. BVerfGE 90, 286, 298 ff., auch zum Folgenden. 29

A. Die problematischen Konstellationen

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finden sich aber auch Beteuerungen, gerade nicht von der Grundlage des Nato-Vertrages abzuweichen: Das neue strategische Umfeld werde weder den Zweck noch die sicherheitspolitischen Aufgaben des Bündnisses, noch die Rechte und Pflichten aus dem Nato-Vertrag verändern. Die Erklärungen bewegen sich also in einer Grauzone zwischen einer Absage an „Territorialverteidigung“ als alleinigem Zweck des Bündnisses und einer Neudefinition dieses Begriffs. Hier ging es also um eine Mehrzahl von Einzelakten und nichtrechtlichen einzelnen Willensbekundungen. Noch einen Schritt weiter ging die sogenannte Petersberg-Erklärung der WEU, über die in demselben Verfahren entschieden wurde:34 Sie enthält zum einen „Grundsatzaussagen“ über zukünftige Ziele und Vorhaben, insbesondere die Option, an Einsätzen, die über das Ziel der kollektiven Selbstverteidigung hinausgehen, mitzuwirken. In einem zweiten Teil, einer „Erklärung zur Krise in Jugoslawien“, werden die Bereitschaft, die Vereinten Nationen bei ihrer Operation zur Umsetzung der Sicherheitsrats-Resolution 757 zu unterstützen, bekundet und die Absicht zur Unterstützungsleistung „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ bekräftigt. Zur Prüfung dieser Möglichkeiten wurde eine Ad-hoc-Gruppe eingesetzt. Der Senat ging einstimmig davon aus, dass es in beiden Fällen, also sowohl hinsichtlich des Nato- als auch des WEU-Vertrags, nicht zu einer förmlichen Vertragsrevision gekommen sei.35 Trotz dieser Einigkeit in der völkerrechtlichen Analyse kam es zu einer Vier-zu-vier-Entscheidung: Im Gegensatz zu den vier dissentierenden Richter verneinten die die Entscheidung tragenden Richter einen Verstoß gegen Art. 59 II GG. Eine noch weitreichendere Abweichung stellte das Neue Strategische Konzept der Nato vom 24. April 1999 dar, das unter anderem ausdrücklich die „Möglichkeit der Durchführung von nicht unter Art. 5 des Nato-Vertrags fallenden Krisenreaktionseinsätzen“ vorsieht. Es wurde von den Staats- und Regierungschefs der Vertragsparteien „gebilligt“. Auch hier verneinte der Senat eine förmliche Vertragsrevision und – dieses Mal einstimmig – damit einen Verstoß gegen Art. 59 II GG und lehnte auch eine analoge Anwendung dieser Norm ab.36 Noch umstandsloser verneinte der Senat eine Vertragsänderung durch die Riga-Erklärung, obwohl in dieser die Nato sich sogar von einer Beschränkung auf Einsätze im euro-atlantischen Raum löste.

34 35 36

Vgl. BVerfGE 90, 286, 303 f. BVerfGE 90, 286, 358 ff., 372 ff. s. BVerfGE 104, 151, 201 ff.

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B. Die bisher vertretenen Lösungen I. Die Lösung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht verneinte also in allen genannten Konstellationen das Vorliegen eines Vertrages im Sinne von Art. 59 II GG und lehnte auch eine erweiternde Auslegung dieser Norm ab. Entscheidend für die Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt ist der zweite Schritt, der nun erläutert werden soll. Diese Sichtweise ist der Grund dafür, dass in den genannten Konstellationen eine analoge Anwendung von Art. 59 II GG abgelehnt wurde. Bei den folgenden Ausführungen ist also zu unterstellen, dass der erste Schritt, die Ablehnung eines Vertragsschlusses, richtig war. 1. Gewinnung der Kompetenzverteilung aus dem Gewaltenteilungsprinzip Ausgangspunkt der Überlegungen, ob eine parlamentarische Zustimmung in den verschiedenen Konstellationen nötig ist, ist zumeist die Prämisse, die auswärtigen Angelegenheiten seien eine vollziehende Tätigkeit.37 Dieser Aussage liegen ihrerseits zwei Prämissen zugrunde. Erstens impliziert sie nämlich, dass das Grundgesetz an ein Vorverständnis38 von Gewaltenteilung anknüpft, nach dem sich jede staatliche Tätigkeit einer der drei in Art. 20 II GG genannten Gewalten zuordnen lässt. Der Senat entnimmt dem Gewaltenteilungsgrundsatz eine „konkrete Ordnung staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will“.39 Diese Ordnung dürfe nicht „durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden“; aus dem Prinzip der rechtsstaatlichen Demokratie folge zuvörderst das Gebot einer gewaltenteilenden Demokratie.40 Es wird also ausgegangen von einer dem Grundgesetz vorausgehenden Idee der Gewaltenteilung, also einem ideell vorgegebenem Gewaltenteilungsschema. 37

Nachweise zu den einzelnen Begründungen s. sogl.; weitere Nachweise bei Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 68 Fn. 27. 38 So die Bezeichnung von Kokott, Doehring-FS, 503, 508, die allerdings selbst einem solchen Vorverständnis zu erliegen scheint, da sie bei der Frage der analogen Anwendung von Art. 59 II GG des öfteren mit dem Charakter von Art. 59 II GG als Ausnahmevorschrift sowie mit „zentralen Gestaltungsbereichen der Exekutive“ argumentiert, s. zum Beispiel S. 515, 516, 518. 39 BVerfGE 68, 1, 87. 40 BVerfGE 68, 1, 87.

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Zweitens setzt die Aussage, die auswärtigen Angelegenheiten seien eine vollziehende Tätigkeit, eine Vorstellung von „Wesen“ oder „Natur“ der auswärtigen Gewalt voraus. Zum Teil wird diese Vorstellung nicht begründet.41 Diejenigen, die eine Begründung liefern, nehmen zumeist die Beobachtung, dass diese Einordnung europäischer Verfassungstradition entspreche, zum Ausgangspunkt, und nehmen auf einer zweiten Stufe an, das Grundgesetz habe diese Einordnung übernommen.42 Dieser zweite Schritt wird herkömmlich, insbesondere auch in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, mit organisatorischen und funktionellen Aspekten sowie der Organadäquanz und Effizienz begründet.43 Schlagwortartig lassen sich diese Aspekte wie folgt zusammenfassen: (1) Sinn und Zweck des Gewaltenteilungsgrundsatzes sei es (unter anderem), dass staatliche Entscheidungen von den dafür am besten geeigneten Organen und in diesem Sinne „richtig“ getroffen würden.44 (2) Außenpolitik sei gesetzlichen Regelungen grundsätzlich nicht zugänglich.45 (3) Funktionell betrachtet, sei Außenpolitik keine Gesetzgebung. Eine erweiternde Auslegung von Art. 59 II GG berge daher die Gefahr der Aushöhlung zentraler Gestaltungsbefugnisse der Exekutive.46 (4) Einzige positivrechtliche Anknüpfung, auf die rekurriert wird, ist Art. 65 GG. Auch aus der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers folge diese Kompetenzverteilung.47 Aus diesen Gründen sei die Außenpolitik grundsätzlich eine vollziehende Tätigkeit und deshalb im Bereich der Exekutive anzusiedeln. Zwar sei Art. 59 II GG Ausdruck einer Entwicklung hin zur Demokratisierung und Parlamentarisierung der Außenpolitik,48 allerdings handele es sich hierbei um eine (nicht analogiefähige) Ausnahmevorschrift. Den Gesetzgebungsorganen werde hier eine eigene politische Mitwirkungsbefugnis im Bereich der Exekutive eingeräumt;49 Art. 59 II GG durchbreche daher den Gewal41 So zum Beispiel Blumenwitz, BayVBl. 1996, 577, 579, der die Kompetenz der Regierung stillschweigend voraussetzt und allein nach einer Begründung für den weiten politischen Ermessensspielraum der Regierung sucht, also an sich auf das Verhältnis zur Judikative eingeht. 42 BVerfGE 104, 151, 207; Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129, 130 ff.; zurückhaltender aber ders., in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 77 Rn. 40 ff. 43 So die Kategorisierung von Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 73. 44 BVerfGE 68, 1, 86. 45 Vgl. Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 68. 46 BVerfGE 68, 1, 87. 47 Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129, 139. 48 BVerfGE 68, 1, 87 f.; E 90, 286, 357.

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tenteilungsgrundsatz. Da es sich bei dem Gesetz im Sinne von Art. 59 II GG aber „funktionell betrachtet“ um einen Exekutivakt handele, sei die Ausübung dieser Mitwirkungsbefugnis ein „Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes“.50 Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass das Bundesverfassungsgericht von einem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsprinzip ausgeht, nach dem sich sämtliche staatlichen Tätigkeiten einer der drei in Art. 20 II GG genannten Gewalten zuordnen lassen, und in einem zweiten Schritt zur Einordnung der auswärtigen Gewalt in den Bereich der Exekutive gelangt. Es legt also Art. 59 II GG im Lichte von Art. 20 II GG aus. 2. Verhältnis zum Demokratieprinzip Dunkel bleibt, wie das Bundesverfassungsgericht den Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip herstellt. Hier lassen sich zwei verschiedene Argumentationsmuster beobachten: (1) Dasjenige methodische Vorgehen, das unter Zugrundelegung des oben beschriebenen Ausgangspunkts eines ideellen Gewaltenteilungsschemas naheliegend ist, findet sich in der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung: Zunächst wird mit der soeben rekonstruierten Prämisse51 die Zuordnung zur Exekutive begründet. Gleichsam im Wege einer „Überdies“-Argumentation ist sodann die Rede davon, dass die Regierung über eine ausreichende demokratische Legitimation verfüge,52 da sie im gleichen Maße wie das Parlament institutionell und funktionell demokratisch legitimiert sei. Auch das Grundgesetz selbst gehe – zum Beispiel in Art. 65, 68, 81 GG – davon aus, dass die Regierung die Kompetenz zu wesentlichen Entscheidungen habe.53 Jede Abweichung von dieser Einordnung stellt sich sonach als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme dar – so auch das Zustimmungserfordernis nach Art. 59 II GG. 49

BVerfGE 1, 372, 394; E 90, 286, 357. BVerfGE 90, 286, 357. 51 s. o. 1. 52 Auf den ersten Blick ähnlich ist das Vorgehen von Kadelbach, Parlamentarische Kontrolle, S. 52; bei näherer Betrachtung ist sein Gedankengang jedoch in sich konsistent, da Kadelbach die Prinzipien nicht in diffuser Weise vermischt, sondern die Maßstäbe aus dem Demokratieprinzip ableitet, weil die Gewaltenteilung gerade keine Maßstäbe liefert. Damit wird allerdings auch hier konkludent ein Vorrang der Gewaltenteilung vor dem Demokratieprinzip zugestanden, da die Ausführungen die Konnotation enthalten: „Nur weil die Gewaltenteilung keine Maßstäbe liefert, ist das Demokratieprinzip einschlägig“. Offen bleibt indessen wiederum, woraus dieser konkludent zugestandene Vorrang der Gewaltenteilung resultiert. 53 BVerfGE 68, 1, 89. 50

B. Die bisher vertretenen Lösungen

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Wegen dieses Vorgehens wird das Bundesverfassungsgericht zum Teil dahingehend verstanden, dass es Art. 59 II GG nicht als Ausprägung der Wesentlichkeitstheorie verstanden wissen wolle; jedoch liege es nahe, dass der Norm Prinzipien zugrundelägen, die der Wesentlichkeitslehre „verwandt“ seien.54 (2) Methodisch etwas anders geht der Senat in der C-Waffen-Entscheidung55 vor. Die Argumentation des Gerichts nimmt hier ihren Ausgang von der Erkenntnis, dass „die Entscheidung über die Stationierung von C-Waffen [. . .] eine ‚wesentliche Entscheidung‘ im Sinne des Art. 20 [ist], die den Grundrechtsbereich betrifft“.56 Wäre die Argumentation hier zu Ende, hätte die Entscheidung nur vom Gesetzgeber getroffen werden können.57 In einem zweiten Schritt wird dieses Ergebnis jedoch korrigiert: Da die Wesentlichkeitsdoktrin eine hinreichend genaue Bestimmung von für den Grundrechtsbereich wesentlichen Entscheidungen verlangt, eine solche aber bei völkerrechtlichen Verträgen oftmals nicht möglich sei, andererseits aber die Bundesrepublik nicht von Verfassungs wegen gehalten sein könne, andere Verträge, die nicht dieses Maß an Spezifizierung aufweisen, nicht abzuschließen, sei der Wesentlichkeitsgrundsatz bei völkerrechtlichen Verträgen nicht anzuwenden.58 Die C-Waffen-Entscheidung geht also methodisch so vor, dass sie zunächst von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Wesentlichkeitslehre ausgeht und sie dann unter Organadäquanzgesichtspunkten einschränkt. Da die Wesentlichkeitslehre das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes konkretisiert, das seinerseits schwerpunktmäßig aus dem Demokratieprinzip abgeleitet wird, lässt sich also sagen: Das Gewaltenteilungsprinzip schränkt in dieser Argumentation das Demokratieprinzip ein. Das Demokratieprinzip wird also als Ausgangspunkt herangezogen, so dass man auf den ersten Blick meinen möchte, dass es hier stärker in den Mittelpunkt gerückt wird als in der Entscheidung zum Nato-Doppelbeschluss (Konstellation 1). Jedoch dürfte die Argumentation der C-Waffen-Entscheidung nicht auf einer Stärkung des Demokratieprinzips beruhen, sondern auf der abweichenden Verfahrenskonstellation: Da es sich um Verfassungsbeschwerden handelte, mussten Grundrechte Prüfungsmaßstab sein. Im konkreten Fall führte das zu der Frage, ob der Grundrechtseingriff ge54

So Kokott, DVBl. 1996, 937, 939. BVerfGE 77, 170 ff. 56 BVerfGE 77, 170, 231. 57 s. speziell dazu Bothe, Bernhardt-FS, 755, 767. 58 Unklar in der Argumentation des BVerfG (E 77, 170, 231) bleibt, ob das BVerfG die Wesentlichkeitslehre generell unangewendet wissen will. In diesem Sinne wird das BVerfG aber wohl von Bothe, Bernhardt-FS, 755, 767 verstanden. 55

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rade deshalb eine Grundrechtsverletzung darstellte, weil er ohne parlamentarische Zustimmung erfolgte. Ob das Parlament hätte zustimmen müssen, wurde so zum Ausgangspunkt. In der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung hingegen, der ein Organstreit zugrundelag, ging es darum, welches Organ zuständig ist. In der Konstellation 2 war es dem Gericht also schon durch die Verfahrenskonstellation vorgegeben, die parlamentarischen Kompetenzen zum Ausgangspunkt zu nehmen; die Kompetenz der Exekutive und damit die Gewaltenteilung wurde nur inzident relevant. In der Konstellation 1 hingegen hatte das Gericht ein Kompetenzproblem zu lösen, die Einordnung des Demokratieprinzips war also nicht von der Verfahrenskonstellation vorgegeben. Die Argumentation im Beispiel 2 sagt also nichts darüber aus, wie das Bundesverfassungsgericht das Verhältnis von Gewaltenteilung und Demokratie sieht – im Gegensatz zum Beispiel 1. Hinzu kommt ein Weiteres: Die soeben gemachten Ausführungen beruhen auf folgenden (Gleich-)Setzungen: – der Grundsatz des Vorbehalt des Gesetzes, daraus abgeleitet die Wesentlichkeitslehre als Ausprägung des Demokratieprinzips sowie – die Idee der Nichtspezifizierbarkeit, also ein Organadäquanzargument als Ausprägung der Gewaltenteilung. Jedenfalls die erste dieser beiden Setzungen ist zu pauschal. Denn die Herleitung des Vorbehalts des Gesetzes aus dem Demokratieprinzip stellt ja nur eine der beiden Begründungen für diesen Grundsatz dar, darüber hinaus wird der Vorbehalt des Gesetzes auch aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet.59 Zwar wird der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes in der Tat im Schwerpunkt aus dem Demokratieprinzip hergeleitet. Dies gilt jedoch nicht für den spezifisch grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt, der Ausgangspunkt für die Frage der parlamentarischen Zustimmung in der C-Waffen-Entscheidung war: Dieser wird schwerpunktmäßig mit den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips begründet.60 Das bedeutet, dass das Gericht bei den Erwägungen zur parlamentarischen Zustimmung in der C-Waffen-Entscheidung nicht primär die demokratische Legitimation im Blick hatte, sondern spezifisch grundrechtlich-rechtsstaatliche Erfordernisse. (3) Nicht recht ins Bild passt, dass in der Auslandseinsätze-Entscheidung das Demokratieprinzip und die Wesentlichkeitstheorie in der Argumentation 59

Zur Herleitung des Vorbehalts des Gesetzes s. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (R) Rn. 95 ff., insb. 103 f.; Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 20. 60 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (R) Rn. 96; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 45.

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zu Art. 59 II GG gar keine Rolle spielen, obwohl diese an sich die parlamentsfreundlichste Entscheidung ist, da das Demokratieprinzip in anderem Zusammenhang entscheidend ist, nämlich beim spezifisch wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt.61 3. Kontrollfunktion des Parlaments Folge der Einordnung der auswärtigen Gewalt in den Bereich der Exekutive, abgeleitet aus Art. 20 II GG, ist, dass das Parlament grundsätzlich auf eine Kontrollkompetenz reduziert ist und sich Art. 59 II GG als eine ausnahmsweise Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes darstellt. Die in Art. 20 II GG normierte „organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient [. . .] der Kontrolle der Machtträger.“62 Diese Kompetenzvermutung zugunsten der Regierung steht für das Bundesverfassungsgericht mit dem System des Grundgesetzes im Übrigen in Einklang. Denn das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes stelle dem Bundestag ausreichende Instrumente für die politische Kontrolle der Bundesregierung auch im Bereich der Außenpolitik zur Verfügung, wie zum Beispiel Art. 43 I GG oder den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt.63 Umgekehrt ausgedrückt: Nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts ist die auswärtige Gewalt der einzige Bereich, in dem dem Parlament grundsätzlich nicht mehr als diese üblichen Fragen-, Debatten-, Entschließungs- und Kontrollrechte zukommen. Das Zustimmungserfordernis des Art. 59 II GG stellt sich demgegenüber als Ausnahme vom Gewaltenteilungsgrundsatz dar.

II. Die „traditionelle“ Gegenauffassung Dieser vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretene Ansatz hat zum Teil Zustimmung erfahren,64 ist aber auch auf Kritik gestoßen. Genauso wie das Bundesverfassungsgericht seine Argumenta61 BVerfGE 90, 286, 381 ff.; s. zu dieser Beobachtung den Diskussionsbeitrag von Schröder zu dem Referat von Cremer in dem Band von Geiger, Neuere Probleme, S. 33; Kadelbach, Parlamentarische Kontrolle, S. 45 spricht von „zwei verschiedenen Rechtsprechungslinien“. 62 BVerfGE 68, 1, 86; vgl. auch Hailbronner, VVDStRL 56 (1997), 7, 10 sowie das Thema dieser Staatsrechtslehrertagung 1996: „Kontrolle der auswärtigen Gewalt“; weitere Nachweise für diese Vorstellung bei Bothe, Bernhardt-FS, 755, 759. 63 BVerfGE 104, 151, 208; allerdings werden selbst diese Befugnisse für den Bereich der auswärtigen Gewalt z. T. als „unbrauchbar“ eingeschätzt, so Weiß, Auswärtige Gewalt, S. 206.

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tion auch angesichts der Veränderungen in den internationalen Beziehungen seit den Anfangsjahren der Bundesrepublik nicht modifiziert hat, hat auch die Gegenauffassung ihre Argumentation beibehalten. Sie übt berechtigte Kritik an der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, greift jedoch ihrerseits für die Lösung des Problems zu kurz.65 1. Zum ideellen Gewaltenteilungsschema a) Kritik an der Methodik Schon der Ausgangspunkt des Bundesverfassungsgerichts, nämlich von einem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschema auszugehen, ist vielfach auf Kritik gestoßen66 – und zwar auch an prominenter Stelle. Denn beispielhaft für diese Kritik ist das Sondervotum von Mahrenholz zur NatoDoppelbeschluss-Entscheidung.67 Das Vorgehen der Senatsmehrheit sei methodisch nicht haltbar, denn das Gewaltenteilungsprinzip nach Art. 20 II GG sei nicht aus sich selbst heraus auszulegen, sondern erfahre seine Ausgestaltung durch seine positivierten Ausprägungen im Grundgesetz, wozu auch und hier insbesondere Art. 59 II GG gehöre. Deshalb sei nicht Art. 59 II GG im Lichte von Art. 20 II GG auszulegen, sondern umgekehrt: „Die Reichweite des [Gewaltenteilungs-]Prinzips kann daher nicht von einem ideell vorgestellten Gewaltenteilungsschema bestimmt werden. Ist Art. 59 II GG auszulegen, so bleibt [. . .] als maßgebliches Entscheidungskriterium die 64 s. insb. Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129 ff.; ders., Auswärtige Gewalt, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, § 77 Rn. 48 ff. 65 Als Beispiel für die Beliebigkeit der beiden Ansätze können die folgenden beiden Literaturstellen dienen: einerseits Meyring, Entwicklung, S. 306, der Art. 59 II GG für eine „differenzierte Lösung“ und damit als Sonderregelung zum allgemeinen Parlamentsvorbehalt hält und daher mit der h. M. den Umkehrschluss zieht; andererseits Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 185, der aus ebendieser Eigenschaft als Sonderregelung den umgekehrten Schluss zieht, dass im Übrigen die allgemeinen Grundsätze gelten müssten. Eine weitergehende Begründung für die entgegengesetzten Argumentationen bleiben beide schuldig. Gleichsam vereinigt finden sich die unterschiedlichen Positionen bei Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, wo zunächst stillschweigend das Gewaltenteilungsprinzip als Ausgangspunkt genommen wird (S. 16 ff.) und sodann auf dieser Basis eine differenzierte, aber mangels weiterer Begründung gerade deshalb beliebig erscheinende Kompetenzzuordnung vorgenommen wird (allgemein S. 65 ff., konkretisiert für einzelne völkerrechtliche Handlungsformen S. 69 ff.). 66 s. zum Beispiel Kokott, Doehring-FS, 503, 509: „befremdlich“; weitere Nachweise dort in Fn. 24 sowie bei Mahrenholz, Sondervotum zu BVerfGE 68, 1 ff., S. 130; Kadelbach/Guntermann, AöR 126 (2001), 563, 570 ff.; s. auch Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. XXV und passim. 67 BVerfGE 68, 1, 129 f.

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Funktion der Norm. Die Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Grundrechtsbereich jedenfalls hat das Gericht regelmäßig aus der jeweiligen Schutzfunktion heraus definiert, die im Vorbehalt des Gesetzes für den Bürger liegt.“ Das Vorgehen der Senatsmehrheit, aus einem abstrakten Prinzip die Bedeutung einer konkreten Regelung herzuleiten, verstoße demgegenüber gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze.68 Der Ausnahmecharakter von Art. 59 II GG lässt sich auch nicht damit begründen, diese Norm bedeute eine Erweiterung parlamentarischer Befugnisse gegenüber den allgemeinen Regeln. Vielmehr ist jedenfalls die Variante der Zustimmungsbedürftigkeit von Verträgen, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, eine exakte Wiedergabe dieser allgemeinen Regeln, ja bringt eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, nämlich dass im Bereich der Gesetzgebung das Parlament zuständig ist. Dass in den genannten Konstellationen eine parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich war, kann also nicht damit begründet werden, dass eine analoge Anwendung von Art. 59 II GG wegen der von Art. 20 II GG vorgenommenen Kompetenzverteilung abzulehnen sei. Vielmehr ist entscheidend, ob Sinn und Zweck von Art. 59 II GG es gebieten, Art. 20 II GG dahingehend auszulegen, dass auch in von Art. 59 II GG nicht unmittelbar erfassten Konstellationen eine Zustimmung erforderlich ist. Dieser demnach maßgebliche Sinn und Zweck von Art. 59 II GG aber sei es, „die Gefahr zu bannen, dass der Gesetzgeber unversehens mit völkerrechtlichen Pflichten konfrontiert wird, die er durch einen späteren Einspruch nicht mehr aus der Welt schaffen kann“.69 Diese Gefahr bestehe indessen nicht nur bei den von Art. 59 II GG unmittelbar erfassten Konstellationen, sondern zum Beispiel auch in der Konstellation der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung. Bei der von Mahrenholz vorgeschlagenen Methodik hätte also anders entschieden werden müssen. b) Kritik an den einzelnen Argumenten Aber auch, wenn man das Vorgehen der herrschenden Auffassung billigt und von einem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschema ausgeht, vermögen doch die einzelnen Argumente, warum das Gewaltenteilungsprinzip, wie vom Grundgesetz vorausgesetzt, die auswärtige Gewalt der Exekutive zuordnet, nicht zu überzeugen. aa) Dass eine solche Kompetenzzuordnung der europäischen Verfassungstradition entspreche, wäre nur ein tragfähiges Argument, wenn das Grund68

Kokott, Doehring-FS, 503, 509. So die die Entscheidung nicht tragenden Richter in der Adria-Entscheidung, BVerfGE 90, 286, 377. 69

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gesetz ersichtlich daran anknüpfen würde.70 Gerade hinsichtlich der hier maßgeblichen Verfassungsprinzipien der Gewaltenteilung und der Demokratie hat das Grundgesetz aber gerade nicht überkommene Vorstellungen übernommen.71 Insbesondere ist eine Anknüpfung an die Tradition, dass „die großen Maximen der Staatskunst“ nicht „nach dem Geschmack“ der Volksvertretung seien, heutzutage offensichtlich nicht mehr haltbar.72 Zudem ist der Beobachtung, die Einordnung entspreche europäischer Verfassungstradition, als solcher nicht uneingeschränkt zuzustimmen:73 Selbst in dem Vortrag von Grewe auf der Staatsrechtslehrertagung 1953, der neben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die exekutivfreundliche „herrschende“ Auffassung am meisten geprägt hat, wird implizit zugestanden, dass die „europäische Verfassungstradition“ nicht so eindeutig für ein grundsätzliches Primat der Regierung spricht, wie die herrschende Auffassung annimmt. Bezug nehmend auf Benjamin Constant, führt Grewe aus, es seien zwar „nun einmal“ ihre Regierungen, durch die die Staaten miteinander verkehrten; jedoch sei bei „Berührung der innerstaatlichen Ordnung“ durch einen Vertrag schon nach Constant ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren erforderlich, weil sonst die Gefahr bestehe, dass die innerstaatliche Kompetenzverteilung unterlaufen werde.74 Zwar spricht auch Constant nur von Verträgen, die ein Gesetz erforderlich machen könnten. Jedoch kann bei ihm noch weniger als beim Grundgesetzgeber von 1949 vorausgesetzt werden, dass er die neuen Handlungsformen des modernen Völkerrechts im Zeitalter der Internationalisierung im Blick hatte und sie bewusst vom Zustimmungserfordernis ausschließen wollte. Überträgt man die Überlegungen Constants auf Art. 20 II GG, so zeigt sich ein Weiteres: Legt man Art. 20 II GG im Lichte von Art. 59 II GG aus, so muss man sich mit dem „Korrektiv-Argument“ auseinandersetzen, es dürfe nicht in einen „Kernbereich exekutivischer Verantwortung“ eingegriffen werden. Dieses greift indessen nicht durch, wie schon Constant er70 Darauf, dass bei der Heranziehung allgemeiner Verfassungsprinzipien immer an die vom Grundgesetz vorgenommene Ausgestaltung herangezogen werden muss, weist Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 16, 46 f., im Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsprinzip zu Recht hin, ist aber selbst insofern inkonsequent, als er selbst auf einer gleichsam vorgelagerten Ebene nicht thematisiert, ob denn dieses Prinzip überhaupt nach der grundgesetzlichen Systematik Maßstab für die von ihm erörterte Frage ist. 71 s. Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR I, § 22 Rn. 87 und im Einzelnen unten Teil 3 B. I. 72 So aber tatsächlich Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129, 131 in Anknüpfung an Rousseau. 73 Vgl. zu abweichenden früheren Kompetenzverteilungen Kokott, Doehring-FS, S. 508 f. 74 Grewe, VVDStRL 12 (1954), 129, 132 f.

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kannte. Denn durch die Anerkennung eines exekutivischen Kernbereichs, der allein aus der unbestimmten Norm des Art. 20 II GG hergeleitet wird, kann die Regierung auch ihre innerstaatlichen Befugnisse stetig erweitern und so das Parlament sukzessive „ausbooten“.75 bb) Auch das Argument, Außenpolitik sei gesetzgeberischen Regelungen nicht zugänglich, ist nicht zwingend. Art. 59 II GG geht offensichtlich davon aus, dass jedenfalls bei völkerrechtlichen Verträgen solche Regelungen möglich sind. Verträge können aber auf sehr verschiedene Weise zustandekommen, insbesondere konkludent, sofern der Rechtsbindungswille nachgewiesen wird.76 Gerade bei konkludent geschlossenen Verträgen aber ist die gesetzliche Normierbarkeit schwierig. Wenn in diesem Bereich das Grundgesetz also von einer Normierbarkeit ausgeht, obwohl dies auf Schwierigkeiten stößt, so kann dies demnach nicht das vom Grundgesetz vorausgesetzte Abgrenzungskriterium sein. Für die Außenpolitik insgesamt kann dann nichts anderes gelten. cc) Der Hinweis auf die Organadäquanz ist für sich genommen unbrauchbar, da dies keine dem Grundgesetz bekannte Kategorie ist. Das Bundesverfassungsgericht verwendet dieses Argument denn auch gar nicht isoliert, sondern als Konkretisierung des Gewaltenteilungsgrundsatzes: „Die [in Art. 20 II GG] als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten [. . .] zielt auch darauf ab, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen [. . .].“77 Dieser Ansatz ist indessen zirkulär. Welche unter mehreren möglichen Entscheidungen die „richtige“ ist, steht gerade nicht von vornherein fest und kann nicht die Kompetenzverteilung determinieren. Vielmehr ist diejenige Entscheidung die „richtige“, die von den zuständigen Organen im ordnungsgemäßen Verfahren unter Einhaltung der materiellen, vom Grundgesetz gezogenen Grenzen getroffen wird. Die Kompetenzverteilung geht der Entscheidung voraus und nicht umgekehrt. Allerdings ist der dahinter stehende Gedanke, nämlich die legitimationsstiftende Wirkung der Effizienz hoheitlichen Handelns, nicht so leicht von der Hand zu weisen. Dieser Gedanke kann aber dennoch nicht dazu führen, dass die Kompetenzverteilung allein unter diesem Gesichtspunkt vorgenommen wird und andere Wertungen völlig ausgeblendet werden. Vielmehr ist die Effizienz beim Verhältnis von Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip an der dogmatisch richtigen Stelle einzuordnen.78 75 76 77

Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 73 f. BVerfGE 1, 351, 360 ff.; E 104, 151, 200; Verdroß/Simma, Univ. VölR, § 534. BVerfGE 68, 1, 86.

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Teil 1: Einleitung

Dass die Organadäquanz nicht das entscheidende, vom Grundgesetz vorausgesetzte Kriterium sein kann, zeigt auch die schon zur „Nichtnormierbarkeits“-These genannte Überlegung.79 Bei konkludent geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen, zu dem regelmäßig ein Regierungsmitglied80 die die Bundesrepublik bindende konkludente Willenserklärung abgibt, ist der Vertragsschluss oftmals schwer feststellbar und daher schwer „normierbar“. Obwohl man konsequenterweise also auch hier eine „Organinadäquanz“ einer parlamentarischen Zustimmung annehmen müsste, setzt Art. 59 II GG hier aber dennoch bei bestimmten Vertragsmaterien eine Parlamentsbeteiligung voraus. Auch die sich hinter dem Organadäquanzargument wohl verbergende Vorstellung, das Parlament sei Gesetzgeber, die Regierung vollziehende Gewalt, greift zu kurz. Zwar ist typische Handlungsform des Parlaments das Gesetz, jedoch gilt dies für die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes nur im Grundsatz, wie schon der vom Bundesverfassungsgericht kreierte, einen förmlichen Parlamentsbeschluss fordernde spezifisch wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt81 zeigt.82 dd) Eng verknüpft damit ist das weitere Argument, „funktional betrachtet“, sei Außenpolitik nicht Gesetzgebung. Auch dieses führt indessen nicht weiter.83 Denn wenn das Gericht – zu Recht – betont, nur das Parlament besitze die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung,84 typische Handlungsform des Parlaments aber das Gesetz ist, so können diese beiden Aussagen nicht ohne Ausnahme nebeneinander bestehen. Ansonsten könnte die Bundesregierung durch die Wahl der Handlungsform nicht nur über das Zustimmungserfordernis entscheiden,85 sondern hätte auch die Deutungshoheit über die Frage, was politische Leitentscheidungen sind. Eine solche Deutungshoheit folgt insbesondere nicht aus Art. 65 GG. Aus dieser Norm lässt sich nichts für das Kompetenzverhältnis von Regierung und Parlament ableiten, da diese Regelung nur die Kompetenzverteilung innerhalb der Bundesregierung betrifft.86 78

s. u. Teil 3 B. II. 2. s. o. bb). 80 Mit konkludent erteilter, auf den Bundespräsidenten (Art. 59 I GG) zurückgehender Vollmacht, s. dazu nur Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 72. 81 BVerfGE 90, 286, 381 ff. 82 Zur Bedeutung der Handlungsform s. ausführlich u. Teil 3 B. I. 2. 83 s. zum Folgenden auch Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 71 f. 84 BVerfGE 34, 52, 59. 85 Worauf Kokott, Doehring-FS, 503, 506 zutreffend hinweist. 86 s. nur Hermes, in: Dreier, GG II, Art. 65 Rn. 10; Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 123. 79

B. Die bisher vertretenen Lösungen

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ee) Damit in Zusammenhang steht das Argument der herrschenden Meinung, dass eine erweiternde Auslegung von Art. 59 II GG die Gefahr berge, dass zentrale Gestaltungsbefugnisse der Exekutive ausgehöhlt würden. Jedoch weist Hitzel-Cassagnes zutreffend darauf hin, dass das Parlament gar nicht in der Lage sei, der Exekutive die Herrschaft über die auswärtige Gewalt streitig zu machen.87 Denn die auswärtige Gewalt hat „zwei Bestandteile: einen internationalen hinsichtlich der völkerrechtlichen Vertretungsmacht und einen innerstaatlichen hinsichtlich der politischen Willensbildung“.88 Hinsichtlich ersterem liegt die Zuständigkeit in der Tat bei der Exekutive (Art. 59 I GG), und dies entspricht auch europäischer Verfassungstradition. Hinsichtlich dieses Bestandteils ist also nicht zu bestreiten, dass die Kompetenz bei der Exekutive liegt. Dadurch, dass die Bundesregierung die Verhandlungsführung innehat, hat sie die Herrschaft über die auswärtige Gewalt, dem Parlament verbleibt nur die Wahl zwischen Zustimmung und Ablehnung des von der Regierung ausgehandelten Vertrages.89 Von dieser Vormachtstellung der Regierung aufgrund der Kompetenzzuweisung für die völkerrechtliche Vertretungsmacht darauf zu schließen, dass dies auch für den „zweiten Bestandteil“ gelte und Art. 59 II GG nur eine Ausnahmevorschrift darstelle, ist aber unzulässig. Dennoch geschieht dies anscheinend oftmals. Beispielhaft für diesen unzulässigen Schluss ist die folgende Argumentation: Da „die Fülle der Zuständigkeiten für den völkerrechtlichen Verkehr bei der Regierung“ liege und „die Mitentscheidung des Parlaments sich im Wesentlichen auf das Zustimmungsgesetz nach Art. 59 II beschränkt“, könne „nicht ernstlich“ von einem „echten Machtgleichgewicht“ gesprochen werden.90 Hier werden – ohne Begründung – die nicht ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen des zweiten Bestandteils der Regierung zugewiesen. Naheliegender wäre vielmehr auch hier die umgekehrte Argumentation: Für den sogenannten „ersten Bestandteil“ trifft das Grundgesetz – in der Tat aus Gründen der Organadäquanz – eine Spezialregelung und weist diesen der Exekutive zu. Dass es eine solche Spezialregelung für den „zweiten Bestandteil“ nicht gibt, spricht eher dafür, dass 87

Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 81. Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 65; andere Terminologie, aber inhaltlich ebenso Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 63. Diese zwei Bestandteile verkennt Cremer, Verhältnis, S. 31 f. 89 Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 29; daher ist auch die Formulierung von Hailbronner, VVDStRL 56 (1997), 7, 12, „im Zentrum der Ausübung der auswärtigen Gewalt steht die Bundesregierung“, zwar zutreffend, aber doch vage, da sie diese beiden „Bestandteile“ nicht differenziert. 90 Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 26 f. 88

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Teil 1: Einleitung

hier die allgemeinen Regeln gelten sollen, also keine vom „Wesen“ der auswärtigen Gewalt determinierten. 2. Zur Bedeutung des Demokratieprinzips Das Bundesverfassungsgericht wirft die Frage nach dem erforderlichen Grad der demokratischen Legitimation erst auf, nachdem es das Ergebnis, abgeleitet aus der Gewaltenzuordnung, schon gefunden hat, und stützt dann das bereits gefundene Ergebnis mit dem zusätzlichen Hinweis, auch die erforderliche demokratische Legitimation sei gegeben. Welche Maßstäbe dafür im Bereich der auswärtigen Gewalt gelten, wird indessen nicht gesagt: „[. . .] unter dem GG beziehen auch die Organe der vollziehenden Gewalt ihre institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation aus der in Art. 20 II GG getroffenen Grundentscheidung des Verfassungsgebers. Sie besitzen auch die personelle demokratische Legitimation, die über eine Kette individueller, auf die Aktiv-Bürgerschaft zurückgehender Berufungsoder Abberufungsakte, hier insbesondere Art. 38, 63, 64, 67 GG, vermittelt wird. Dies verwehrt es, das Zustimmungserfordernis des Art. 59 II 1 GG unter Berufung auf das Demokratieprinzip des GG auf Akte der hier in Rede stehenden Art zu erstrecken.“91 Diese Ausführungen an dieser Stelle, also nachdem die Einordnung in das Gewaltenteilungsschema bereits vorgenommen wurde, sind nicht recht erklärlich. Denn nach dem zuvor Ausgeführten ist es ja nicht die demokratische Legitimation der Regierung, die die Erstreckung von Art. 59 II GG auf einseitige Akte verwehrt. Wenn man nämlich sagt, die in Rede stehenden Akte fallen per se in den Kompetenzbereich der Exekutive, stellt sich die Frage nach dem erforderlichen Grad der demokratischen Legitimation gar nicht mehr. Wenn aber offenkundig auch die Senatsmehrheit dies für relevant hält, müsste sie jedenfalls das Verhältnis von Gewaltenteilung und Demokratieprinzip klären und den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes genauer untersuchen. Dabei würde sich wohl herausstellen, dass diese Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Bedeutung des Demokratieprinzips in seiner Ausprägung der Wesentlichkeitsdoktrin aus zwei Momenten herrühren – zum einen aus einer Besonderheit der auswärtigen Gewalt (1), zum anderen aus einer Besonderheit der Wesentlichkeitslehre selbst (2): (1) Dadurch, dass nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Besonderheiten der auswärtigen Gewalt dazu nötigen, die Kompetenzverteilung in diesem Bereich nicht nach den allgemeinen Regeln, sondern anhand von „Natur“ und „Wesen“ der auswärtigen Gewalt zu bestimmen, 91

BVerfGE 68, 1, 88 (Hervorhebung nicht im Original).

B. Die bisher vertretenen Lösungen

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ist es auch hinsichtlich der Wesentlichkeitslehre nicht möglich, diese methodisch so zu verorten, wie es üblicherweise (das heißt in anderen Politikbereichen) getan wird. Ein Beispiel dafür bietet der Vergleich zwischen der C-Waffen- und der Kalkar-Entscheidung: Dass der Vorbehalt des Gesetzes nach der Kalkar-Entscheidung92 für die friedliche, nach der C-Waffen-Entscheidung nicht aber für die miltärische Nutzung der Kernenergie gelten soll, ist nur aufgrund des Vorverständnisses der Gewaltenteilung in auswärtigen Angelegenheiten zu verstehen.93 (2) Argumentiert man – wie das Bundesverfassungsgericht – zuvörderst mit „dem Gewaltenteilungsprinzip“, so ist die Zuordnung der Wesentlichkeitslehre aufgrund ihrer Herleitung sowohl aus Rechtsstaats- als auch Demokratieprinzip problematisch. Dies könnte erklären, wieso das Bundesverfassungsgericht überwiegend in der oben beschriebenen Weise94 ohne klare methodische Zuordnung, gleichsam „hilfsweise“ anführt, dass dem gefundenen Ergebnis auch die Wesentlichkeitslehre nicht entgegenstehe. Erklärt werden müsste zumindest, welche Bedeutung die Wesentlichkeitslehre denn überhaupt im Allgemeinen hat.95 Der pauschale Hinweis darauf, dass die Regierung dieselbe institutionelle und funktionelle und immerhin auch eine – wenn auch gegenüber dem Parlament reduzierte – personelle demokratische Legitimation habe96 und dass das Grundgesetz auch der Regierung an manchen Stellen die Kompetenz für wesentliche Entscheidungen einräume, fordert zu der Frage heraus, wieso das Gericht diese Lehre dann nicht insgesamt verabschiedet. Da es dies aber mit guten Gründen nicht tun wird, hätte es zumindest erklären müssen, woraus die reduzierte Bedeutung im Bereich der auswärtigen Gewalt resultiert. Aufgrund der Fixierung auf den Gewaltenteilungsaspekt geht der Aspekt der demokratischen Legitimation aber unter. In den Rezeptionen dieser Passagen aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kommt eine diffuse Irritation zum Ausdruck. Exempla92

BVerfGE 49, 89 ff. Kokott, Doehring-FS, 503, 511 mit Verweis auf BVerfGE 49, 89 ff. 94 s. o. I. 2. 95 Falsch jedenfalls ist die Aussage, die Wesentlichkeitslehre habe allgemein eine Stärkung der Parlamentskompetenzen zur Folge, so aber Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 514. Vorbehalt des Gesetzes und (diesen konkretisierend) Wesentlichkeitslehre sind keine Institute, die eine vorgegebene Kompetenzverteilung zugunsten des Parlaments modifizieren, vielmehr dienen sie zur Bestimmung von Kompetenzen. Zutreffend ist die Aussage nur bezogen auf die auswärtige Gewalt unter Zugrundelegung des Vergleichs mit der tradierten Auffassung. Es geht aber nicht darum, wie man Parlamentsrechte stärken kann, sondern darum, welche Kompetenzverteilung dem Grundgesetz zugrundeliegt. 96 BVerfGE 49, 89, 125: „Auch die unmittelbare personelle demokratische Legitimation führt nicht schlechthin zu einem Entscheidungsmonopol des Parlaments.“ 93

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Teil 1: Einleitung

risch ist folgende Formulierung: „Dabei wird auch auf die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG zurückgegriffen. [. . .] BVerfGE 68, 1 ff. scheint [!] [. . .] davon auszugehen, dass die [. . .] Wesentlichkeitstheorie mit der Natur der auswärtigen Gewalt nicht vereinbar ist bzw. [?] dort keine Bedeutung hat.“97 Die Argumentation des Gerichts wird also so verstanden, als werde sozusagen zufällig, gleichsam nach Gutdünken die Wesentlichkeitslehre herangezogen („zurückgegriffen“).

C. Die Defizite der Diskussion Die Auseinandersetzung mit den Argumenten, die gegen die herrschende Konzeption angeführt werden, hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits zeigt sich, dass die Kritik berechtigt ist, da die Gegenargumente im Ansatz überzeugend sind. Andererseits aber hat schon diese kurze Darstellung gezeigt, dass auch diese Gegenargumente – bei aller Berechtigung – keine befriedigende Antwort geben. Beide Ansätze greifen also zu kurz. Es ist daher zu untersuchen, woran das liegt. An dieser Stelle ist die Ausgangsthese98 in Erinnerung zu rufen und zu konkretisieren. Es ist verfehlt, die Lösung in den positivierten Ausprägungen von Verfassungsprinzipien im Grundgesetz, namentlich Art. 59 II, zu suchen, weil Art. 59 II GG faktisch überfordert ist. Die beiden Argumentationen befriedigen deshalb nicht, weil sie auf eine Norm rekurrieren, die die tatsächlichen Gegebenheiten nicht erfasst. „Herrschende Meinung“ und „andere Ansicht“ gehen an den Veränderungen in den internationalen Beziehungen vorbei. Diese These, dass Art. 59 II GG gleichsam überfordert ist und dass stattdessen auf allgemeine Verfassungsprinzipien zurückzugreifen ist, soll nunmehr untermauert werden (unten I.). Auch diese Verfassungsprinzipien sind indessen noch nicht in adäquater Weise erfasst worden (unten II.).

I. Faktische Überforderung von Art. 59 II GG Die derzeit in Rechtsprechung und Literatur angebotenen Lösungen sind zwar kontrovers, gehen aber doch alle von derselben Fragestellung aus. Vergleicht man die Art der Argumente für oder gegen die eine oder die andere 97 Kokott, Doehring-FS, 503, 510 (Hervorhebung nicht im Original); offensichtlich zu pauschal Weiß, Auswärtige Gewalt, S. 212: „Die Grundrechte haben die Demokratie in normalen Zeiten, das Gewaltenteilungsprinzip hat die Demokratie für und in Zeiten des Notstands zu sichern.“ 98 s. o. vor A.

C. Die Defizite der Diskussion

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Position, so ist festzustellen, dass diese sich in den letzten Jahrzehnten kaum geändert haben. Das bedeutet, die Veränderung der internationalen Beziehungen hin zu Europäisierung und Internationalisierung wird in der Diskussion kaum berücksichtigt. Diese tradierte Sichtweise führte dazu, dass noch auf der Staatsrechtslehrertagung 1996 die Problematik unter dem Aspekt, welche Einflüsse parlamentarische Kompetenzen auf die Handlungsfähigkeit der Regierung haben, diskutiert wurde.99 Dies war derselbe Blickwinkel, der schon auf der Staatsrechtslehrertagung 1953 bei der berühmten Kontroverse Menzel – Grewe eingenommen wurde.100 Als Erklärung für diese verengte Sichtweise wird zum Teil vorgebracht, dass staatsorganisationsrechtliche Fragen, die sich auf internationale Zusammenhänge beziehen, zu Unrecht immer noch unter dem Gesichtspunkt der „auswärtigen Gewalt“ diskutiert würden und die Diskussion deswegen mit der Prämisse eines Primats der Regierung geführt werde, was eine Verengung der Fragestellung auf das Verhältnis Parlament – Regierung zur Folge habe.101 Dabei werde die Bedeutung, die der internationalen Rechtsetzung mittlerweile zukomme, verkannt. Auch und gerade der „Normalfall“ sei Gegenstand internationaler Rechtsetzung, nicht nur „die pathologische Ausnahmesituation von staatsexistentieller Bedeutung“ mit der Folge einer intensiven internationalen Verwaltungskooperation, exekutiver Rechtsetzungsstrukturen und zunehmender Eigenständigkeit der Verwaltung.102 Die verengte Sichtweise auf die Kompetenzverteilung im Bereich der „klassischen“ auswärtigen Gewalt führe also zu einer Vernachlässigung des Verhältnisses Parlament – Verwaltung. Dem ist insofern zu widersprechen, als gerade im Bereich des Verwaltungshandelns die Veränderungen sehr wohl gesehen werden und dieser Bereich auch Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist.103 Weil aber die weitergehende Beobachtung von Tietje, dass staatsorganisationsrechtliche Fragen zu Unrecht immer noch unter dem Gesichtspunkt der auswärtigen Gewalt betrachtet würden, zutreffend ist, kommt es im Bereich des Regierungshandelns dazu, dass die neuen Entwicklungen kaum berücksichtigt werden. Wenn es also bei Tietje um den Einfluss des Parlaments „als Kontroll- und Mitwirkungsorgan“ über die Befugnisse von Art. 59 II 99 Vgl. die Referate von Hailbronner und Wolfrum zum Thema „Kontrolle der auswärtigen Gewalt“, VVDStRL 56 (1997), 7 ff. und 38 ff. 100 VVDStRL 12 (1954), 129 ff.; bei diesen Positionen „ist es bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt geblieben“ (so – insoweit zu Recht – Grewe, AöR 112 (1987), 521, 523, der ebenda, passim, diese gegensätzlichen Auffassungen noch einmal referiert). 101 So Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1090. 102 Möllers, ZaöRV 65 (2003), 351, 352 f.; Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1090. 103 Vgl. Möllers, ZaöRV 65 (2003), 351, 373 ff.; Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, passim.

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Teil 1: Einleitung

GG hinaus im Bereich der Verwaltung geht,104 so soll dies hier für den Bereich des Regierungshandelns erörtert werden. Es soll also in dieser Arbeit zwar um den Problembereich der alten Menzel-Grewe-Friesenhahn105-Wolfrum-Debatte gehen, aber ausdrücklich nicht um eine Fortschreibung dieser Debatte dergestalt, dass dieser Kontroverse eine weitere Auffassung hinzugefügt wird. Vielmehr soll dieser Bereich unter Berücksichtigung der veränderten tatsächlichen Bedingungen behandelt werden, unter denen Art. 59 II GG die Komplexität der internationalen Beziehungen offensichtlich nicht mehr erfasst. Diese These, dass Art. 59 II GG heute gleichsam „überfordert“ ist, lässt sich anschaulich untermauern anhand von den Literaturstellen, in denen die Relevanz dieser Entwicklungen für die Kompetenzverteilung durchaus gesehen wird, denn auch diese Autoren behandeln das Problem unter dem bekannten Gesichtspunkt der Auslegung von Art. 59 II GG. Beispielhaft hierfür sind folgende Ausführungen Tomuschats:106 Nachdem zunächst die prinzipielle Kompetenzzuordnung zur Exekutive festgestellt worden ist, schließt sich die Beobachtung an, dass die „Intensivierung der internationalen Verflechtung [. . .] verfassungsstrukturell zu einem Übergewicht der Exekutive [führt], zumal gegenüber dem Vertragsschluss das Sekundärrecht der internationalen Organisationen steigende Bedeutung gewinnt.“ Es folgen Ausführungen dazu, dass die von Art. 59 II GG dem Parlament eingeräumten Kompetenzen ohnehin gering seien, so dass sich an der grundsätzlichen Rollenverteilung durch die weitere Schwächung des Parlaments gar nichts ändere. Diese „Dynamik der völkerrechtlichen Entwicklung“ lasse sich vom Boden des Verfassungsrechts aus nicht korrigieren, insbesondere nicht dadurch, dass man die Parlamentsbefugnisse über Art. 59 II GG hinaus ausweite, vielmehr müsse sich das Parlament „verstärkt auf seine Kontroll- und Artikulationsbefugnisse besinnen“.107 Wie das Bundesverfassungsgericht geht also auch Tomuschat von einem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschema aus, sieht jedoch – im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht – die Auswirkungen durch die Veränderungen der internationalen Beziehungen. Zu Recht konstatiert Tomuschat eine faktische Kompetenzverschiebung. Den nächsten Schritt, der an dieser Stelle konsequent wäre, geht er indessen nicht, nämlich zu diskutieren, ob sich durch diese Veränderungen andere Einordnungen innerhalb des ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschemas ergeben. Diese Frage stellt sich für 104 105 106 107

Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 185. Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9, 37 ff. und 70. Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 26 ff. Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 34; s. schon oben Fn. 12.

C. Die Defizite der Diskussion

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ihn deshalb nicht, weil durch die Zugrundelegung eines ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschemas der Ausnahmecharakter von Art. 59 II GG bereits feststeht. Eine rechtliche Relevanz der zunehmenden internationalen Verflechtungen ist nach Tomuschats Ansatz also von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr bleibt er bei dem Befund stehen, dass es diese Verflechtungen gibt und diese zu einem tatsächlichen Kompetenzzuwachs der Exekutive führen. Eine rechtliche Relevanz dieser Entwicklung ist indessen sehr wohl gegeben. Denn die Grenze zwischen Innen- und Außenpolitik ist für souveräne Staaten konstitutiv.108 Das bedeutet, dass die (äußere) Souveränität der Staaten unmittelbar in Frage gestellt ist. „Soft power verdrängt hard power und entzieht [. . .] [den Staaten] die Basis ihrer Unabhängigkeit.“109 Dieser Zustand aber – starke internationale Einbindung, schwindende Bedeutung von hard power und damit von Art. 59 II GG, aber keine Parlamentsbeteiligung darüber hinaus – war bei Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht beabsichtigt: Denn „ersichtlich ist das Vorstellungsbild des Verfassungsgebers von der herkömmlichen Erscheinungsform des bilateralen Vertrages geprägt gewesen“.110 Will man hingegen nicht bei der Beobachtung der Veränderungen stehenbleiben, sondern auch ihre rechtliche Relevanz berücksichtigen, so wäre auf den ersten Blick das folgende Vorgehen naheliegend: Zunächst würden die neuen völkerrechtlichen Phänomene genauer analysiert und systematisiert werden. Rückt man auf diese Weise die Veränderungen in den internationalen Beziehungen stärker in den Blick, so würden sich sowohl nach dem Ansatz der „herrschenden Meinung“ als auch nach dem der „anderen Ansicht“ andere Fragen stellen als in der bisherigen Diskussion. Insbesondere wäre dann die tatsächliche sowie die verfassungsrechtlich zulässige Reichweite des ursprünglichen Vertrages, also des jeweils einschlägigen Integrationsprogramms von Interesse. Nur beispielhaft soll hier aufgeführt werden, in welchen Bahnen die Diskussion verlaufen würde: Bedarf ein einseitiger Akt auf der Grundlage eines Vertrages im Sinne von Art. 59 II GG seinerseits der Zustimmung nach dieser Norm? Hängt dies davon ab, ob der Akt noch vom Integrationsprogramm des Vertrags gedeckt ist, oder ist unabhängig davon Art. 59 II GG analog auf jeden einseitigen Akt anzuwenden, der Materien im Sinne dieser Norm betrifft? Müssen bestimmte Anforderungen an die Bestimmtheit des Vertrags gestellt werden, damit Einzelakte auf seiner Grundlage ohne parlamentarische Zustimmung bleiben können, oder sind Einzelakte generell zustimmungsfrei? Wenn es solche Anforderungen gibt: 108 109 110

Habermas, KJ 1995, 291, 299. Ebenda. Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 29.

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Teil 1: Einleitung

Welche sind das?111 Auch die Wesentlichkeitstheorie bliebe von Interesse: Dass eine hinreichende Bestimmtheit, die diese Lehre bei Gesetzen verlangt, bei völkerrechtlichen Verträgen oftmals nicht erreicht werden kann,112 bedeutet noch nicht, dass sie gänzlich unanwendbar ist. Wenn man aber einen geringeren Grad an Bestimmtheit akzeptiert, ist zweifelhaft, ob daraus eine weitergehende Zustimmungspflichtigkeit bei Einzelakten auf Grundlage dieses Vertrages folgt. An dieser Stelle könnte man daran denken, den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt allgemeiner zu begründen, so dass auch der konstitutive Parlamentsbeschluss bei Auslandseinsätzen nicht mehr auf die in dieser Hinsicht wenig konkreten Normen der Wehrverfassung gestützt werden müsste.113 Ähnlich sähe die Diskussion im Bereich der nichtrechtlichen Verträge aus: Zweifelhaft ist hier zunächst, ob die Bundesregierung unter Umgehung eines förmlichen Vertragsschlusses wirklich machen können soll, was sie will (also erst einen nichtrechtlichen Vertrag schließen, sodann aufgrund desselben Einzelakte vornehmen, endlich diesen nichtrechtlichen Vertrag sich zu Gewohnheitsrecht verfestigen lassen). Wenn man dies verneint und daher eine Parlamentsbeteiligung fordert, wäre weiterhin zu untersuchen, wann und auf welcher Stufe dieses Prozesses diese Parlamentsbeteiligung zu fordern ist. Diese knappen Hinweise, wie die bisher vertretenen Ansätze auf die neuen Entwicklungen reagieren würden, sollen hier genügen. Wesentlich ist: Gegenüber der dargestellten Kontroverse neu an diesem Vorgehen wäre nur der erste Schritt, nämlich die alten Fragen im neuen Lichte zu stellen, das heißt die Übertragung der alten Argumente auf die neuen Phänomene. Zu befürchten ist dabei allerdings, dass mit den hergebrachten Auslegungstopoi sich auch für die durch die Internationalisierung gewandelten Verhältnisse keine konkreten Maßstäbe gewinnen lassen, die weniger beliebig erscheinen als diejenigen, die das Bundesverfassungsgericht aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz für die tradierten Handlungsformen ableitet. Das bedeutet: Erörtert man die Auswirkungen der veränderten Gegebenheiten unter dem Gesichtspunkt der Auslegung von Art. 59 II GG, so wird man mit den überkommenen Argumenten keine überzeugende, das heißt weniger beliebig erscheinende Lösung finden als die bisher bekannten. Dies hängt damit zusammen, dass das Grundgesetz in bestimmten Bereichen, wozu auch und gerade die Gewaltenteilung gehört, bewusst Freiräume der politischen Gestaltung zur Verfügung stellt. Schon 1981 ist in diesem 111 Beispiel für die Differenz dieser beiden Fragen (Akt überhaupt vom Integrationsprogramm umfasst? vs.: Akt zwar vom Integrationsprogramm umfasst, dessen Bestimmtheit ist aber fraglich) bei Bothe, Bernhardt-FS, 755, 775. 112 s. o. B. I. 2. 113 Auf diese Idee wird auf anderem Wege zurückzukommen sein.

C. Die Defizite der Diskussion

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Zusammenhang konstatiert worden, dass die Gewaltenteilung insbesondere durch internationale Einwirkungen besonders stark betroffen sei und daher „Umfang und Funktion der auswärtigen Gewalt“ neu zu problematisieren seien.114 Wie dargelegt, ist diese von Fiedler geforderte Diskussion weitgehend ausgeblieben. Wenn diese Diskussion aber – wie Fiedler zu Recht konstatiert – unter dem Aspekt der Konkretisierung eines in besonderer Weise offenen und inhaltlich veränderbaren Prinzips geführt werden muss, so werden die bekannten, auf der Auslegung positivierter Ausprägungen von Verfassungsprinzipien beruhenden Argumentationen zur Lösung des Problems wenig beitragen können – dies umso mehr, als der von Fiedler schon vor 25 Jahren getroffene Befund heute verschärft gilt. Es erscheint daher die Erkenntnis zwingend, dass sich aus den positivierten Ausprägungen von Gewaltenteilung und Demokratieprinzip im Grundgesetz keine Maßstäbe für das Erfordernis der parlamentarischen Beteiligung im Globalisierungszeitalter finden lassen. Denn „angesichts zunehmender ‚Internationalisierung‘ der Verfassung [. . .] ist die Exekutive [. . .] in eine Rolle hineingewachsen, die mit dem traditionellen Verständnis der Gewaltenteilung in Konflikt geraten und alte Abgrenzungsprobleme hinter sich lassen muss“.115 Wenn sich also die Kompetenzverteilung offenkundig nicht anhand der positivierten Ausprägungen von Verfassungsprinzipien finden lässt, so darf dies andererseits aber auch nicht zu der Annahme verleiten, internationale und völkerrechtliche Einflüsse auf das innerstaatliche Recht seien als „äußere Zwänge“ wegen des „Primats der Außenpolitik“ in jedem Falle hinzunehmen, so dass die faktischen Veränderungen gar nicht zu einem normativ relevanten Problem führten.116 Vielmehr werden diese Maßstäbe („also doch“) aus allgemeinen Prinzipien abzuleiten sein – allerdings nicht in der Weise, in der das Bundesverfassungsgericht dies in der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung tut, sondern erst auf der dritten Stufe eines (gedanklichen) „dreistufigen“ Vorgehens.117 114

Fiedler, Schlochauer-FS, 57, 58. Fiedler, Schlochauer-FS, 57, 59. 116 Nachweise bei Tomuschat, VVDStRL 36 (1978), 7, 49 f. 117 Im Ansatz stimmt dieses Vorgehen wohl mit dem Tietjes überein, der ebenfalls von Art. 59 II GG ausgeht und diesen mit Hilfe allgemeiner Verfassungsprinzipien konkretisieren will, s. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 513. Im Ergebnis zutreffend ist bei Tietjes Ansatz des Weiteren, dass er zur Auslegung von Art. 59 II GG den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes heranzieht (S. 513 ff.). Dabei unterliegt er jedoch dem schon oben (Fn. 95) erwähnten Missverständnis: Die Diskussion dreht sich nicht darum, ob mit Hilfe des Vorbehalts des Gesetzes die Zuständigkeiten der Exekutive a priori zu begrenzen sind (S. 515 f.), sondern die Anwendung des Grundsatzes führt zu einer solchen Begrenzung; gerade diese Anwendbarkeit im Bereich der auswärtigen Gewalt aber ist es, die nach tradierter Auffassung bestritten wird. Diese Frage aber stellt Tietje nicht, sondern setzt 115

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Teil 1: Einleitung

(1) Erster Schritt ist die Erkenntnis, dass die allgemeinen Verfassungsprinzipien der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips im Lichte ihrer positivierten Ausprägungen im Grundgesetz auszulegen sind, für den Bereich der auswärtigen Gewalt also insbesondere im Lichte von Art. 59 II GG. Dies entspricht der Forderung Mahrenholz’ im Sondervotum zur NatoDoppelbeschluss-Entscheidung.118 (2) Es schließt sich der Befund an, dass sich aus diesen positivierten Ausprägungen für die auswärtige Gewalt nur sehr wenig ableiten lässt, weil Art. 59 II GG nur einen sehr kleinen Ausschnitt regelt, der bei Erlass des Grundgesetzes als der wichtigste erschien, der aufgrund der rasanten Veränderungen der internationalen Beziehungen aber nur noch wenige Konstellationen erfasst und der gerade aufgrund dieser Veränderung weder per se analogie- noch umkehrschlussfähig ist. (3) Folglich müssen im Mittelpunkt daher doch die Anforderungen der allgemeinen Verfassungsprinzipien stehen. Dabei dürfen aber zwei Fehler nicht gemacht werden. (a) Ein aus „der europäischen Verfassungstradition“ übernommenes ideelles Gewaltenteilungsschema darf nicht unreflektiert auf das Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes übertragen werden, da die Gewaltenteilung unter dem Grundgesetz – insbesondere aufgrund der Anforderungen des Demokratieprinzips – eine andere Bedeutung hat. (b) Aufgrund der Veränderungen der internationalen Beziehungen darf nicht eine überkommene statische Vorstellung von „Natur“ oder „Wesen“ der auswärtigen Beziehungen zugrundegelegt werden. Zusammengefasst lässt sich das zentrale Problem also so formulieren: Welche Anforderungen ergeben sich aus den bekannten Prinzipien der Demokratie und der Gewaltenteilung in Anbetracht der neuen Phänomene der Europäisierung und Globalisierung, die auf der einen Seite ein hohes Maß an rechtlicher Steuerung im internationalen Bereich verlangen, auf der anderen Seite119 aber auch immer größeren Einfluss auf den innerstaatlichen Bereich gewinnen? die Anwendbarkeit stillschweigend voraus. Im Ergebnis wirkt sich dies indessen nicht aus, da er im Folgenden (S. 521 ff.) ohne argumentative Verknüpfung die Gewaltenteilung in ihrer Ausprägung des Prinzips der Funktionengerechtigkeit – ebenfalls ohne Begründung – als einschlägigen Maßstab erörtert und der Vorbehalt des Gesetzes schlicht keine Rolle mehr spielt, sieht man einmal von einem kryptischen Hinweis auf die gebotene „Gesamtschau beider Prinzipien“ (S. 527) und deren „Spannungsverhältnis“ (S. 541) ab. 118 BVerfGE 68, 1, 111 ff., insbes. S. 129 f. 119 Zur Beschreibung dieses Widerstreits s. Bothe, in: Corten/Klein, Conventions de Vienne, Art. 46 WVRK Rn. 1 f.

C. Die Defizite der Diskussion

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II. Zur Verknüpfung Gewaltenteilung – Demokratieprinzip Das Problem scheint damit beschrieben: Welche Modifikationen erfahren die bekannten Prinzipien der Gewaltenteilung und der Demokratie im Bereich der auswärtigen Gewalt aufgrund deren Besonderheiten und Veränderungen? Auch wenn das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen zur auswärtigen Gewalt konkrete Aussagen zur Bedeutung von Wesentlichkeitstheorie und Demokratieprinzip vermeidet, erscheint jedenfalls dieser Ausgangspunkt unproblematisch. Auch diese Einschätzung erweist sich jedoch in zweierlei Hinsicht als Irrtum. Denn erstens stehen die Ausführungen zum Demokratieprinzip in den Entscheidungen zur auswärtigen Gewalt, so vage sie auch sind, in offenbarem Widerspruch zur allgemeinen Konzeption des Verhältnisses dieser beiden Prinzipien. In den Entscheidungen zur auswärtigen Gewalt findet das demokratische Prinzip seine Grenze an der von der Gewaltenteilung vorgenommenen Kompetenzverteilung. Nach der allgemeinen Konzeption Böckenfördes, auf den das Demokratiemodell des Zweiten Senats zurückgeht und der auch an den Entscheidungen zum Nato-Doppelbeschluss und zu den Auslandseinsätzen beteiligt war, ist es hingegen umgekehrt. Danach findet die Relativierung staatlicher Herrschaftsgewalt durch das Gewaltenteilungsprinzip ihre Grenze am demokratischen Prinzip.120 Das Gewaltenteilungsprinzip tritt dem Demokratieprinzip nicht als eigener, unabhängiger Legitimationsgrund gegenüber, so dass nicht beide Prinzipien miteinander in Ausgleich zu bringen sind, sondern die Gewaltengliederung ihre Wirkung erst auf dem Boden des Demokratieprinzips entfaltet.121 Über Ungereimtheiten im Detail, welche Relevanz einzelne Ausprägungen des Demokratieprinzips, insbesondere die Wesentlichkeitslehre, im Bereich der auswärtigen Gewalt haben, widerspricht also auch die Konzeption des Demokratieprinzips insgesamt in diesen Entscheidungen der ansonsten zugrundegelegten Konzeption. Weiterhin ist aber auch diese allgemeine Konzeption unklar und in sich widersprüchlich: Was bedeutet „Entfaltung“ des Gewaltenteilungsprinzips „auf dem Boden“ des demokratischen Prinzips? An welcher Stelle des Prozesses der Stiftung demokratischer Legitimation greift das Gewaltenteilungsprinzip ein? Wenn dies – wie es in diesen Formulierungen anklingt – erst nach der vollständigen Konstituierung demokratischer Legitimation der Fall ist, welche Bedeutung bleibt dann dem Gewaltenteilungsprinzip noch? Im Kern geht es hierbei darum, ob die grundgesetzliche Kompetenzvertei120 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR I, § 22 Rn. 87; ders., Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 368. 121 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR I, § 22 Rn. 87.

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Teil 1: Einleitung

lung nach funktionalen oder nach legitimatorischen Kriterien vorzunehmen ist, also anhand der von der Gewaltenteilung errichteten Ordnung der Staatsfunktionen oder nach Maßgabe der vom demokratischen Prinzip geforderten demokratischen Legitimation.122 Bevor die Besonderheiten von Demokratieprinzip und Gewaltenteilung in der auswärtigen Gewalt erörtert werden können,123 werden also zunächst diese Prinzipien sowie das Verhältnis von Funktion und Legitimation allgemein zu untersuchen sein.124

D. Zusammenfassung und weiteres Vorgehen Es hat sich also gezeigt, dass die herrschende Auffassung125 zur Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt mit guten Gründen angegriffen wird, diese Gegenargumente aber ihrerseits unterkomplex sind126 und die Diskussion insgesamt zu sehr in eingefahrenen Bahnen verläuft.127 Die weiteren Überlegungen sollen daher wie folgt aufgebaut werden: Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Fragen sollen in den nächsten beiden Teilen analytisch getrennt werden. Denn es wird sich zeigen, dass ein häufiger Fehler darin besteht, dass Phänomene, die von der Völkerrechtslehre mit einem bestimmten Schlagwort bezeichnet werden, unter verfassungsrechtlichem Gesichtspunkt so betrachtet werden, wie es das Etikett, das die Völkerrechtslehre liefert, vorgibt. Dabei gerät aus verfassungsrechtlicher Perspektive oftmals zweierlei aus dem Blick: Erstens wird nicht hinterfragt, ob denn die Kriterien, unter denen das völkerechtliche Etikett seine Aufschrift erhalten hat, auch für die verfassungsrechtliche Fragestellung adäquat sind. Zweitens muss die Verfassungsrechtslehre im Auge haben, ob denn von ihr verwendete Begrifflichkeiten, die auch die Völkerrechtslehre verwendet, von dieser in derselben Bedeutung verwendet werden. 122

Diese Verwendung des Begriffs der Legitimation folgt der üblichen Bedeutung in der deutschen verfassungsrechtlichen Dogmatik, s. dazu Möllers, Gewaltengliederung, S. 34, der indessen selbst eine Erweiterung des Legitimationsbegriffs auf demokratische und individuelle Selbstbestimmung vornimmt. Da Möllers sich aber ausdrücklich auf verfassungstheoretischer Ebene bewegt (ebenda, S. 35), kann hier dahinstehen, ob er diese sich ergänzenden Legitimationsmodi ausreichend begründet und inwieweit dies plausibel ist. Zum Zusammenhang von Legitimation und Legitimität s. die Nachw. bei Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat, S. 98 mit Fn. 453. 123 s. u. Teil 4. 124 s. u. Teil 3. 125 s. o. B. I. 126 s. o. B. II. 127 s. o. C.

D. Zusammenfassung und weiteres Vorgehen

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Zu Beginn von Teil 2 sollen daher zunächst die Konflikte mit Blick auf die verfassungsrechtliche Problemstellung kategorisiert werden.128 Im Übrigen aber wird in Teil 2 allein die völkerrechtliche Perspektive eingenommen werden.129 Es soll also darum gehen, was in den internationalen Beziehungen eigentlich bei Vorgängen, die beispielsweise als „authentische Vertragsauslegung“, „gemischtes Rechtsetzungsverfahren“ oder „vereinfachte Vertragsänderung“ mit Schlagwörtern versehen werden, genau passiert. Teil 3 wird den verfassungsrechtlichen Maßstab klären: Wie ist das Verhältnis von Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip zu bestimmen?130 Erst in Teil 4 sollen die verfassungs- und die völkerrechtliche Betrachtung zusammengeführt werden, also untersucht werden, was aus dem in Teil 3 erarbeiteten Maßstab für die in Teil 2 analysierten Phänomene folgt.

128 129 130

s. u. Teil 2 A. Teil 2 B., C. s. o. C. II.

Teil 2

Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung A. Kategorisierung der Konflikte Wenn in diesem Teil die fraglichen Phänomene aus rein völkerrechtlicher Perspektive analysiert werden sollen,1 so ist es dennoch sinnvoll, diese Analyse im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung dieser Arbeit zu gliedern. Zu diesem Zweck soll zunächst eine grundsätzliche Kategorisierung der problematischen Phänomene mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Konfliktkonstellationen erfolgen. Die Steuerungsmechanismen, die jedenfalls auf den ersten Blick von den tradierten Rechtsquellen des Art. 38 I IGH-Statut abweichen, lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten ordnen, beispielsweise danach, ob es sich um einen Rechtsverbindlichkeit erzeugenden Mechanismus handelt oder um sogenanntes soft law, oder aber danach, ob es sich bei dem fraglichen Akt um eine Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne von Art. 24 I GG handelt. In der Tat werden sich beide genannten Differenzierungen als relevant erweisen. Als Ausgangspunkt für die hier zu bestimmende Kompetenzverteilung müssen aber die verschiedenen sich ergebenden Kompetenzkonflikte in den Blick gerückt werden, und diese Konflikte treten in zwei Konstellationen auf. Zum einen kann es um die Reduktion der einzelstaatlichen Entscheidungsfreiheit gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten (regelmäßig gegenüber internationalen Organisationen) gehen. Zum anderen kann konsensuales Handeln einzelstaatlicher Vertreter von Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages zu einem Kompetenzkonflikt mit anderen innerstaatlichen Organen führen. Die erste Konstellation soll im Folgenden als Verbandskompetenzkonflikt, die zweite als Organkompetenzkonflikt bezeichnet werden.2 Der Unterschied zwischen diesen beiden Kategorien von Kompetenzkonflikten lässt sich gut anhand eines Aspekts der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung illustrieren. Es geht dabei darum, an welchen Stellen seiner Rechtsprechung der Senat ein bestimmtes Argu1 2

Unten B. und C. Ähnliche Differenzierung bei Kadelbach, Parlamentarische Kontrolle, S. 43.

A. Kategorisierung der Konflikte

43

ment verwendet, nämlich das der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. In den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die man als „integrationsfreundlich“ bezeichnen kann, wird die Völkerrechts- und Europafreundlichkeit des Grundgesetzes zum zentralen Auslegungsgrundsatz3 mit der Konsequenz, dass das Gericht einen weiten Ermessensspielraum „der für die Außenpolitik zuständigen Organe des Bundes“4 anerkennt. Zwingende Folge dessen ist an sich nur eine Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte gegenüber Akten der auswärtigen Gewalt; dafür, welche Organe für die Ausfüllung dieses Ermessensspielraumes kompetent sind, folgt aus der Anerkennung dieses Spielraums an sich noch nichts. Dementsprechend ist in den entsprechenden Passagen zum Teil auch von „den zuständigen Bundesorganen,5 insbesondere der Bundesregierung“6 oder dem „Willen der Bundesrepublik“7 die Rede. Dennoch geht diese Reduzierung der richterlichen Kontrolldichte einher mit einer schwachen Stellung des Parlaments. Den entsprechenden Entscheidungen scheint die Vorstellung zugrundezuliegen, dass die Reduzierung der eigenen Kontrolldichte gegenüber der Bundesregierung geschieht. Mit dieser Stärkung der Regierung wird die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik insgesamt betont. Damit wird der Gesichtspunkt der Effizienz angesprochen. Verknüpft man den Effizienzgesichtspunkt mit dem Auslegungsgrundsatz der Völkerrechts- und Europafreundlichkeit, so kommt man über diesem Umweg dazu, aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine starke Position der Exekutive im Bereich der auswärtigen Gewalt ableiten zu können.8 Das Bundesverfassungsgericht selbst sagt das so explizit aber nicht.9 Auffallend ist nun, dass das Gericht diese Argumentation nicht in allen Entscheidungen verwendet, sondern nur in denen, denen die Konstellation des Organkompetenzkonflikts zugrundeliegt. Denn im Maastricht-Urteil10 geht das Bundesverfassungsgericht den umgekehrten Weg, aber derselbe Zusammenhang wird sichtbar: Hier wird der Gedanke der Völkerrechtsund Europafreundlichkeit des Grundgesetzes nicht stark gemacht,11 und dies geht einher mit einer Stärkung der Parlamentsrechte. 3

Bothe, Bernhardt-FS, 755, 763. BVerfGE 66, 39, 61. 5 BVerfGE 66, 39, 61. 6 BVerfGE 55, 349, 364. 7 BVerfGE 55, 349, 365. 8 s. Steinberger, ZaöRV 48 (1988), 1 ff. 9 Wenigstens angedeutet findet sich der Gedanke in BVerfGE 90, 286, 372. 10 BVerfGE 89, 155 ff. 4

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

Es lassen sich also zwei verschiedene argumentative Ansätze beobachten: einerseits eine Betonung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes mit der mittelbaren Folge einer Stärkung der Exekutivrechte, andererseits eine Nichtbetonung der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes mit der Folge einer Stärkung der Parlamentsrechte. Der zweite der beiden Ansätze nimmt nun nicht nur insofern eine Sonderstellung ein, als er zu einer Stärkung der Parlamentsrechte führt, sondern auch von der zugrundeliegenden Konfliktkonstellation her. Ging es in Teil 1 allein um die Konstellation des konsensualen Handelns mitgliedstaatlicher Organe auf Grund des Gründungsvertrags einer internationalen Organisation, so ging es im Maastricht-Urteil nicht um die Anforderungen an Regierungshandeln im internationalen Bereich, sondern um die Anforderungen an das Handeln der Organe der Organisation (hier der EU) selbst. Es lässt sich also beobachten, dass im Bereich des Handelns mitgliedstaatlicher Organe das Bundesverfassungsgericht den Gedanken der Völkerrechtsfreundlichkeit stark macht, was zu einer Schwächung der Parlamentsrechte führt, und dass es im Bereich des Handelns von Organisationsorganen genau umgekehrt ist. Dies hat zur Folge, dass gegenüber internationalen Organisationen die Stellung des Parlaments eine starke ist, gegenüber der Bundesregierung aber eine schwache. Für dieses Argumentationsmuster kommen mehrere Erklärungen in Betracht. Die erste Erklärung hat mit dem Vorverständnis vom „Wesen“ der internationalen Beziehungen zu tun: Im klassischen internationalen System gab es eine selbstverständliche Trennung von Innen- und Außenpolitik12 mit der selbstverständlichen Folge einer Prärogative der Regierung im Bereich der Außenpolitik.13 Die Staatsrechtslehre ist seit je her introvertiertetatistisch ausgerichtet und geht von der These der strikten Trennung von innerstaatlichem und internationalem Recht aus.14 Folge ist, dass staatsorganisationrechtliche Fragen – in unserem Zusammenhang also: solche im Zusammenhang mit Regierungshandeln – mit internationalem Bezug noch immer mit dem Stichwort der auswärtigen Gewalt assoziiert werden. Dadurch gerät in diesem Bereich die Relevanz der Veränderungen der internationalen Beziehungen nicht in den Blick, die Bedeutung für den innerstaatlichen Bereich wird verkannt. Folge ist, dass das Legitimationsproblem verkannt wird und das Problem allein als solches der Kompetenzverteilung, das heißt der Gewaltenzuordnung, verstanden wird. 11 Bothe, Bernhardt-FS, 755, 771 spricht davon, dass „gegenüber der europäischen Integration wird die deutsche Souveränität wiederentdeckt“ werde. 12 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 182. 13 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 183. 14 So die Formulierung von Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1084.

A. Kategorisierung der Konflikte

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Anders im Bereich des Organisationshandelns, wo der Verbandskompetenzkonflikt aktuell wird: Hier ist die Überwindung des klassischen internationalen Systems evident,15 die Bedeutung der internationalen Rechtsetzung für den Einzelnen wird so deutlicher gesehen, und damit tritt auch das Legitimationsproblem deutlicher zutage. Der methodische Ansatz des Bundesverfassungsgerichts im Bereich des Organisationshandelns nimmt also die veränderten Bedingungen mehr in den Blick. Die zweite Erklärung hängt mit der ersten eng zusammen und setzt auf der Ebene des Prüfungsmaßstabs an. In der Konstellation des Handelns von Organisationsorganen scheidet das Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes als Maßstab aus. Dies liegt daran, dass die Gewaltenteilung eine Funktionenordnung etabliert.16 Verteilt man die Zuständigkeiten nach Maßgabe des Gewaltenteilungsprinzips, so bedeutet dies also eine Zuordnung nach Staatsfunktionen.17 Daran anzuknüpfen ist aber nur möglich, wenn ein innerstaatlicher Kompetenzkonflikt gegeben ist, der jedoch im Bereich des Organisationshandelns gerade nicht vorliegt. Dadurch rückt in dieser Konstellation das Demokratieproblem stärker in den Blick: Indem eine funktionale Zuordnung nicht möglich ist, wird der legitimatorische Aspekt nicht verdeckt. Auch diese Beobachtung deutet darauf hin, dass der Ansatz beim Gewaltenteilungsprinzip in der Konstellation des Regierungshandelns zu einer zu starken Fixierung auf die Funktionenzuordnung und damit zu einer Vernachlässigung der Legitimation führt. Auch die dritte Erklärung hängt mit einer Vernachlässigung des Legitimationsproblems zusammen, rührt jedoch nicht aus der Eigenart der internationalen Beziehungen, sondern aus der Demokratiekonzeption des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts her. Diese ist holistisch geprägt und daher fixiert auf das Staatsvolk als Legitimationssubjekt.18 Da beim Handeln von Organen supranationaler Organisationen, namentlich der EU, die Legitimation vom Staatsvolk partiell abgelöst wird,19 ist für den Zweiten Senat die EU unter legitimatorischen Gesichtspunkten tendentiell suspekt. Auch dies lässt das Demokratieprinzip stärker in den Blick rücken, allerdings hätte es dann konsequenterweise auch in der anderen Konstellation, also der des Regierungshandelns, stärker beachtet werden müssen. Denn auch das Handeln von Exekutivorganen ist unter Demokratiegesichtspunkten problematisch,20 da – nach der herrschenden Demokratiekonzep15

Zu Einzelheiten der neuen Phänomene s. sogleich B. s. nur Hesse, Grundzüge, Rn. 475. 17 s. o. Teil 1 C. II. 18 Zu Einzelheiten s. u. Teil 4 B. I. 1. 19 Zu Einzelheiten der Begründung der demokratischen Legitimation der EU s. u. Teil 4 B. und die Nachw. in Fn. 43 ff. 16

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

tion21 – diese Organe eine im Vergleich zum Parlament reduzierte personelle demokratische Legitimation haben. Die drei Erklärungen zeigen, dass mit dem Ansatz, den das Gericht in der Konstellation des Organisationshandelns wählt, also bei der Frage nach dem erforderlichen Grad der demokratischen Legitimation anzusetzen, den Veränderungen in den internationalen Beziehungen besser Rechnung getragen wird (und die Analyse des Verhältnisses von Gewaltenteilung und Demokratieprinzip wird diesen Ansatz bestätigen). Das heißt zwar nicht, dass dem Gericht darin zuzustimmen ist, wie es nach der Wahl dieses richtigen methodischen Ansatzes weiter verfährt. Vielmehr müsste die Konsequenz genau die gegenteilige sein, das heißt, dass eine im Vergleich zu rein nationalen Sachverhalten schwache Stellung des Parlaments sich allein im Bereich des Organisationshandelns begründen lässt.22 An dieser Stelle wichtig festzuhalten ist vor allem, dass die verschiedenen Handlungsformen zu zwei verschiedenen Situationen von Kompetenzkonflikten führen: Verbands- und Organkompetenzkonflikt, wobei an ersterem regelmäßig eine internationale Organisation beteiligt ist. Diese Differenz soll daher zugrundegelegt werden, wenn in Teil 2 die fraglichen Handlungsformen systematisiert und analysiert werden. Es gilt nun also zunächst, sich bewusst zu machen, was auf völkerrechtlicher Ebene eigentlich genau geschieht: Was für Regelungsmechanismen verursachen die beiden Arten von Kompetenzkonflikten, und was genau steckt hinter oftmals schlagwortartig mit bestimmten Bezeichnungen versehenen Phänomenen? Erst wenn die einzelnen Handlungsformen phänomenologisch untersucht (und nicht schlagwortartig beschrieben) sind, lässt sich (in Teil 4) die Frage beantworten, was daraus für die Kompetenzverteilung in den genannten Konfliktsituationen folgt. Zunächst sollen die Phänomene, die zu Verbandskompetenzkonflikten führen können, untersucht werden,23 anschließend die für die Konstellation des Organkompetenzkonflikts bedeutsamen Phänomene.24 Dabei wird sich zeigen, dass an Phänomenen, die zu einem Verbandskompetenzkonflikt führen, regelmäßig, aber nicht immer Organe internationaler Organisationen beteiligt sind, während der Organkompetenzkonflikt typischer-, aber nicht notwendigerweise bei konsensualen Maßnahmen einzelstaatlicher Vertreter auftritt. 20 21 22 23 24

s. o. Teil 1 B. II. 2. die Ausführungen zur Wesentlichkeitslehre. s. dazu unten Teil 3 B. II. s. u. Teil 4 D. s. sogl. B. s. u. C.

B. Einzelne Phänomene I: Verbandskompetenzkonflikt

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B. Einzelne Phänomene I: Verbandskompetenzkonflikt I. Klassische und neue Phänomene Dass Art. 38 I IGH-Statut kein numerus clausus der Völkerrechtsquellen sein kann, ist weitgehend unumstritten.25 „Lebhaft umstritten“26 ist hingegen die Frage, ob von Art. 38 I IGH-Statut nicht erfasste Rechtsquellen nur theoretisch denkbar sind oder tatsächlich existieren. In neuem Lichte erscheint diese Problematik nun durch die Veränderungen der internationalen Beziehungen. Diese haben neue Erscheinungsformen rechtlicher Steuerungsmechanismen hervorgebracht. Diese Entwicklung wird zum Teil dahingehend beschrieben, dass die klassische Rechtsquellentrias einer „komplexen rechtlichen Steuerungssystematik“ gewichen sei.27 In den Darstellungen des Völkerrechts, die man als „konservativ“ bezeichnen kann, geschieht die Einordnung hingegen weiterhin regelmäßig innerhalb der klassischen Völkerrechtsquellen.28 Allenfalls einseitige Akte, die man mit zivilrechtlichen Gestaltungsrechten vergleichen kann, wie Verzicht und Widerruf, werden als nicht unter die Rechtsquellen des Art. 38 I IGH-Statut fallend genannt,29 also solche Phänomene, deren Existenz nicht mit den Veränderungen in den internationalen Beziehungen in Zusammenhang stehen. Die hier interessierenden neuen Phänomene hingegen werden, soweit sie in Zusammenhang mit Vertragsregimen stehen, gar nicht als Besonderheit erörtert,30 oder aber diesen Phänomenen wird der Rechtscharakter abgesprochen.31 25 s. nur Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 148; Stein/von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 24. 26 So Herdegen, Völkerrecht, § 14 Rn. 4; zusammenfassend Tietje, ZfRSoz 24 (2003), 27, 30 f. 27 So die Formulierung von Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 242 f. 28 Vgl. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 III.; von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 3. und 4. Kapitel; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, 4. Teil. 29 s. zum Beispiel Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, 1. Abschn. Rn. 149; Geiger, Völkerrecht und Grundgesetz, S. 73, ordnet diese bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Vertrauensschutz) ein. 30 Vgl. für die sogleich zu erörternden „dynamischen“ Vertragsregime Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 113 ff.; Herdegen, Völkerrecht, § 20 und Geiger, Völkerrecht und Grundgesetz, § 16 behandeln die Rechtsetzung durch internationale Organisationen immerhin separat. 31 Vgl. für das soft law und die Beschlüsse der Generalversammlung Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 150, 152.

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

Zuzugeben ist, dass diese Besonderheiten generell von der Völkerrechtslehre zu wenig beachtet werden. Das heißt indessen noch nicht, dass diese veränderten Steuerungsmechanismen sich nicht in die klassische Rechtsquellentrias einordnen ließen. Vielmehr lassen sich die in Rede stehenden Regelungsmechanismen letztlich alle auf die Handlungsform des Vertrages im Sinne von Art. 38 I lit. a) IGH-Statut zurückführen, so dass diese Mechanismen zwar große Veränderungen für die internationalen Beziehungen mit sich bringen, es sich bei den phänomenologischen Veränderungen aber nicht um kategoriale, sondern nur graduelle handelt. Diese These ist im Folgenden zu begründen. Dafür soll zunächst ein Überblick über einige dieser Phänomene, die auf den ersten Blick keinen Vertrag im Sinne von Art. 38 I lit a) IGH-Statut darstellen, gegeben werden. 1. Beschlüsse internationaler Organisationen Ein dem klassischen Völkerrecht bekanntes Phänomen stellen die Beschlüsse internationaler Organisationen dar. Bei diesen handelt es sich um Normen, die von ihren Organen aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen gesetzt werden. Da die rechtserzeugende Wirkung des Entstehungsvorgangs auf der primären Rechtsquelle des (Gründungs-)Vertrags beruht, handelt es sich also um abgeleitetes – sekundäres – Völkervertragsrecht.32 Zu differenzieren ist zwischen Beschlüssen mit und solchen ohne Bindungswirkung. Die Konstellation, dass der Gründungsvertrag außengerichtete Beschlüsse mit Bindungswirkung vorsieht, ist eher selten,33 jedoch sind gerade diese Fälle von besonderer praktischer Relevanz. Zu nennen sind hier insbesondere Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sowie die Rechtsetzung auf der Basis von EU- und EG-Vertrag. Auch wenn dieser Regelungsmechanismus erst in den letzten Jahren häufiger geworden ist, so ist er im Gegensatz zu den unten erörterten Mechanismen dennoch dem klassischen Völkerrecht nicht unbekannt. Trotzdem ist seine zunehmende Häufigkeit Ausdruck einer Gewichtsverlagerung zugunsten der internationalen Organisationen und zu Lasten der Nationalstaaten.34 Von den Beschlüssen mit Bindungswirkung sind solche mit bloßer Empfehlungswirkung zu differenzieren. Sieht der Gründungsvertrag bindende Beschlüsse nicht vor, so kann die Organisation dennoch mit rechtlich unverbindlichen Beschlüssen versuchen, auf das Verhalten der Mitgliedstaaten Einfluss zu nehmen.35 Rechtliche Unverbindlichkeit bedeutet jedoch keine 32 33 34 35

Verdroß/Simma, Univ. VölR, § 517. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 85 f. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 85. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 84.

B. Einzelne Phänomene I: Verbandskompetenzkonflikt

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völlige rechtliche Irrelevanz; dies wird in Zusammenhang mit dem Phänomen des nichtrechtlichen Vertrages noch zu erörtern sein.36 2. Dynamische Vertragsregime Darüber hinaus haben sich einige Phänomene herausgebildet, die Tietje als „dynamische Vertragsregime“ bezeichnet und in vier Kategorien unterteilt.37 Den dynamischen Vertragsregimen ist gemeinsam, dass es sich bei ihnen um Gestaltungsformen mit Strukturen regulatorischer Flexibiltät handelt.38 In der Literatur finden sich zum Teil im Detail abweichende Kategorisierungen,39 die nicht mehr oder weniger plausibel sind als die von Tietje vorgeschlagene. In dem hier interessierenden Zusammenhang kommt es jedoch nicht auf Einzelheiten der verschiedenen Mechanismen an, sondern allein auf das grundsätzliche Prinzip der Reduktion einzelstaatlichen Einflusses auf die inhaltliche Änderung von Verträgen. Der Überblick zu diesen Phänomenen soll daher auf der Basis der Tietjeschen Kategorienbildung erfolgen.40 Typischerweise wird dabei Regelungsbefugnis auf internationale Organisationen übertragen, jedoch ist eine solche Beteiligung von Organisationen nicht zwingend. a) In die Gruppe der dynamischen Vertragsregime fallen zunächst Regelungen, die die Möglichkeit einer autoritativen Vertragsinterpretation durch die durch das Vertragsregime geschaffenen Exekutivorgane sowie die Inkorporation unverbindlicher Entscheidungen bestimmter Gremien in einen Vertrag vorsehen. b) Des Weiteren sind Verfahren der vereinfachten Vertragsänderung zu nennen. Unabhängig von unterschiedlichen Ausgestaltungen, weichen diese von dem im allgemeinen Vertragsrecht nach Art. 39 ff. WVRK vorgesehenen Erfordernis der einzelstaatlichen Zustimmung bei Vertragsmodifikationen ab und schalten zugleich das nationale Zustimmungsverfahren aus.41 c) Zum Teil gleichgesetzt mit den Beschlüssen internationaler Organisationen,42 jedoch streng genommen nicht in diese Kategorie gehören gemischte Rechtsetzungsverfahren. Diese Verfahren sind zweistufig ausgestaltet: Zunächst wird von der Organisation ein Regelungsvorschlag beschlos36

s. u. C. II. 2. b). Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 245 ff. Dies darf nicht verwechselt werden mit dem Fall der „dynamischen Interpretation“ eines Vertrages, von dem noch ausführlich die Rede sein soll (s. u. C. II. 2. a)). 38 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 246. 39 s. zum Beispiel Hingst, Globalisierung, S. 163 ff. 40 Knapper Überblick zum Folgenden bei Tietje, ZfRSoz 24 (2003), 27, 35 ff. 41 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 250 f. 37

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

sen, sodann wird dieser Vorschlag von den Mitgliedstaaten angenommen, oder aber der Organisationsbeschluss wird automatisch bindend, sofern die Mitgliedstaaten nicht von der Möglichkeit des opting out Gebrauch machen. Auch hier wird Rechtsetzungsmacht auf eine internationale Organisation übertragen. Allerdings liegt wegen der Möglichkeit des opting out ein Sonderfall vor: Da die Bindung davon abhängt, dass der Mitgliedstaat nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist ihr Zustandekommen nicht völlig unabhängig vom einzelstaatlichen Willen. d) Auch Rahmenkonventionen betreffen den Verbandskompetenzkonflikt. Sie stellen aber insofern einen Sonderfall dar, als es hier nicht um den Kompetenzkonflikt zwischen internationaler Organisation und Einzelstaat, sondern zwischen verschiedenen einzelstaatlichen Vertragsparteien geht. Obwohl bei Rahmenkonventionen eine internationale Organisation gar nicht beteiligt ist, ist bei der die Rahmenkonvention konkretisierenden Konvention die einzelstaatliche Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Rahmenkonventionen enthalten nur wenige materielle Rechtsgrundsätze und im Übrigen Verfahrensvorgaben.43 Aus ihnen folgt die Verpflichtung zu Vertragsverhandlungen mit dem Bemühen, den angestrebten Verhandlungserfolg zu erzielen.44 Rahmenregelungen stellen sich sonach – in der Terminologie der Prinzipienlehre Alexys45 – als „prozedural angereicherte Prinzipienvereinbarungen im Sinne von Optimierungsgeboten“ dar.46

II. Einordnungen in der Literatur Die rechtliche Bewertung dieser Mechanismen liest sich widersprüchlich: Einerseits wird konzediert, dass sich diese Phänomene durchaus in die tradierte Rechtsquellentrias einordnen lassen,47 weil diese Akte von der Regelung im Gründungsvertrag abhingen.48 Andererseits werden die Folgen zum Teil drastisch beschrieben: „Der Rechtsetzungsprozess wird [bei den Rahmenkonventionen] auf eigene Beine gestellt, die einzelstaatliche Einflussmöglichkeit zurückgedrängt.“49 Das Verfahren der vereinfachten Vertrags42

Vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 85, der die gemischten Rechtsetzungsverfahren unter der Überschrift „Rechtsetzung durch internationale Organisationen“ behandelt. 43 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 248. 44 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 249. 45 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. 46 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 249. 47 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 255. 48 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 83.

B. Einzelne Phänomene I: Verbandskompetenzkonflikt

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änderung lasse „dem partikularen Staatsinteresse kaum noch Raum“, beispielsweise das Montreal-Protokoll bedeute eine „nahezu vollständige Absage an souveräne Entscheidungsrechte eines einzelnen Staates“, zumal der Weg des opting out aufgrund des „kooperativen Rechtsbefolgungsdrucks“ versperrt sei.50 Auch das gemischte Rechtsetzungsverfahren habe sich so weit vom üblichen Verfahren entfernt, dass es als eigenständiges Rechtsetzungsverfahren der Organisation erscheine.51 Und die Inkorporation rechtlich unverbindlicher Entscheidungen bedeute eine „Vertragsanpassung ohne Konsens der Parteien“, das Bild der WVRK einer ausschließlich vom einzelstaatlichen Willen abhängigen Rechtsetzung werde durch den bewussten Ausschluss der von der WVRK vorgesehenen Verfahren in Frage gestellt.52

III. Bewertung So zutreffend diese Beobachtungen sind, können sie dennoch nicht die These von der Auflösung der tradierten Rechtsquellentrias stützen. Denn bei näherer Betrachtung wird der Kern dessen, was einen Vertrag im Sinne von Art. 38 I lit. a) IGH-Statut und der WVRK ausmacht, nicht berührt, nämlich die „Übereinkunft“ zwischen Staaten als Basis einer rechtlichen Bindung. Auch Tietje als vehementer Verfechter der These von der Ablösung der Rechtsquellentrias geht vom einzelstaatlichen Konsens53 als „maßgeblicher Bedingung“ für einen Vertrag im Sinne von Art. 38 I IGH-Statut aus.54 An dieser Basis aber ändert sich auch hinsichtlich der neuartigen Phänomene nichts Prinzipielles. Unverzichtbar ist in allen genannten Konstellationen immer die Rückführbarkeit auf den ursprünglichen Konsens der Vertragsparteien. So sind etwaige rechtliche Zwänge bei der Konkretisierung von Rahmenkonventionen Folge der ursprünglichen – konsensualen – Bindung in der Rahmenkonvention. Die aus der „Konkretisierungskonven49

Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 249. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 251 f. 51 Geiger, Völkerrecht und Grundgesetz, S. 85. 52 Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 254 f. 53 Dabei ist „Konsens“ nicht in dem Sinne der insbesondere von Verdroß/Simma, Univ. VölR, §§ 75, 519, vertretenen Konsenstheorie zu verstehen. Diese Lehre sieht den Konsens als ursprüngliche Völkerrechtsquelle und betrachtet die Rechtsquellentrias des Art. 38 I IGH-Statut als Ausprägungen dieser Quelle. Diese Lehre wird insbesondere in den Konstellationen relevant, in denen deshalb kein Vertrag vorliegt, weil es an einer für ein Rechtsgeschäft erforderlichen Willenserklärung fehlt. In den hier zu behandelnden Konstellationen aber liegt immer eine jedenfalls konkludente Willenserklärung vor. Zur Bedeutung des Konsenses Ress, BDGVR 23 (1982), 7, 9; zur Konsenstheorie s. auch Bleckmann, Aufgaben, S. 29 f. 54 Vgl. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 242. 50

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

tion“ folgende Bindung ist also vollständig auf den Willen der Vertragsparteien rückführbar: Soweit die konkretisierenden Regelungen durch die Rahmenkonvention vorgegeben waren, ist die Bindung auf den mit dem Abschluss der Rahmenkonvention geäußerten Willen rückführbar, darüber hinaus auf den mit Abschluss der Konkretisierungskonvention geäußerten Willen. Dasselbe gilt für die Inkorporation von Gremienentscheidungen: Der Konsens zwischen den Parteien, dass diese Entscheidungen Vertragsbestandteil werden, ist sehr wohl gegeben, es fehlt allein an der Kenntnis vom Inhalt dieser zu inkorporierenden Entscheidungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Und auch bei der vereinfachten Vertragsänderung fehlt der Konsens der Parteien nicht. Er bezieht sich zwar nicht zwingend auf jede einzelne Vertragsänderung. Dies ist aber wiederum nur die Folge des ursprünglichen Konsenses, der darüber bestand, dass der Vertrag mittels dieses vereinfachten Verfahrens geändert werden kann. Erst recht gilt dies für die Vertragsänderung im gemischten Rechtsetzungsverfahren: Hier besteht nicht nur der Konsens bezogen auf die Verfahrensregelung zur Änderung des ursprünglichen Vertrags, sondern darüber hinaus der Konsens hinsichtlich der materiellen Vertragsänderung, der durch die Zustimmung oder das Nichtgebrauchmachen von der opting out-Möglichkeit zum Ausdruck kommt. Zwar kann es vorkommen, dass ein Staat von einer opting outMöglichkeit allein aufgrund eines „kooperativen Rechtsbefolgungsdrucks“ keinen Gebrauch macht. Dies hat indes nicht unmittelbar mit der Frage des Vertragscharakters zu tun, vielmehr handelt es sich bei diesem Rechtsbefolgungsdruck um eine nichtrechtliche Bindung.55 Der Einwand, bei den vorgestellten Mechanismen würden von der WVRK vorgegebene Verfahren zwecks Flexibilisierung bewusst ausgeschlossen, ist zwar zutreffend, aber nicht geeignet, die These eines vom klassischen völkerrechtlichen Vertrag wesensverschiedenen Regelungsinstruments zu stützen. Nach dem System der WVRK sind die in dieser enthaltenen Verfahrensregelungen ja gerade dispositive Regelungen, die durch Vertragsparteivereinbarung abdingbar sind. Wenn dies zwecks Erlangung einer größeren Flexibilität immer häufiger geschieht, ändert dies nichts an dem Vertragscharakter dieser Rechtsetzungswerke.

IV. Ergebnis Zwar sind die neuen Rechtsetzungsphänomene also Ausdruck eines grundlegenden Wandels der internationalen Beziehungen und bringen auch 55

Zum soft law s. u. C. II. 2. b).

B. Einzelne Phänomene I: Verbandskompetenzkonflikt

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erhebliche Veränderungen für die Vertragspraxis mit sich. Dies ändert aber nichts an der Zugehörigkeit dieser Phänomene zur Kategorie des völkerrechtlichen Vertrags. Anders ausgedrückt: Es handelt sich um graduelle, nicht um kategoriale Veränderungen. Diese graduelle Veränderung lässt sich genauer so beschreiben: Betrachtet man ein Vertragsverhältnis als prozesshaftes Geschehen, so ist im Moment der Abgabe der Willenserklärung, also im Zeitpunkt des Konsenses, auf den sich letztlich die gesamte weitere Vertragsentwicklung zurückführen lässt, die Kenntnis der Vertragsparteien davon, wie sich der Prozess „Vertragsverhältnis“ weiterentwickelt, gegenüber der überkommenen Praxis reduziert. Im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung sind die materiellen Regelungen des Vertrags weniger bestimmt. Stattdessen lässt sich eine höhere Dichte an Verfahrensregeln beobachten. Die Parteien gehen mit der Abgabe ihrer Willenserklärung also eine materiell weiter reichende Bindung ein, die durch eine stärkere Prozeduralisierung kompensiert werden soll. Dadurch ändert sich nichts an der völkerrechtlichen Einordnung, wohl aber an der faktischen Struktur der internationalen Beziehungen, also im Bereich des Tatsächlichen. In rechtlicher Hinsicht problematisch sind diese Veränderungen in erster Linie aus innerstaatlicher Sicht. Zur Veranschaulichung der problematischen innerstaatlichen Perspektive sei an dieser Stelle die von Tietje genannte Konstellation herausgegriffen, dass durch die Handlungsform der (konkretisierungsbedürftigen) Rahmenkonvention der Rechtsetzungsprozess auf die administrative Ebene verlagert wird.56 Dies bedeutet für sich genommen keine Loslösung vom einzelstaatlichen Willen und auch, betrachtet man den Einzelstaat insgesamt, gar keine Einschränkung der Maßgeblichkeit des Willens. Vielmehr wird dieser Wille nur von anderen, nämlich administrativen statt gubernativen Organen geäußert. Aus völkerrechtlicher Perspektive ergibt sich daraus kein Unterschied, jedoch bedeutet es aus nationalrechtlicher Perspektive eine Reduktion der demokratischen Legitimation. Das eigentliche rechtliche Problem stellt sich also aus innerstaatlicher Sicht. Diese verfassungsrechtliche Frage soll in Teil 4 erörtert werden.57

56 57

So Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, S. 249 f. Dort A., B.

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

C. Einzelne Phänomene II: Organkompetenzkonflikt I. Einseitige Akte In der Nato-Doppelbeschluss- und der C-Waffen-Entscheidung, die beispielhaft für die einseitigen Akte herangezogen werden sollen,58 problematisierte der Zweite Senat gar nicht, ob ein Vertragsschluss gegeben sei. Vielmehr beließ er es bei der Feststellung, dass keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass die Zustimmungserklärung der Bundesregierung auf den Abschluss eines Vertrages gerichtet gewesen sei.59 Dass diese Einordnung Zweifeln begegnet, hat Schweisfurth überzeugend dargelegt.60 Da es aber in dieser Arbeit nicht darum gehen soll, dem Markt der Meinungen eine weitere Meinung hinzuzufügen, die mehr oder weniger gut vertretbar ist als die bekannten, sondern ausgehend von den überkommenen Prämissen eine konsistente Konzeption zu finden, soll hier der Zweite Senat „beim Wort genommen werden“. Das heißt, es soll unterstellt werden, dass die Einordnung des Nato-Doppelbeschlusses und des Beschlusses zur C-Waffen-Stationierung als einseitige Akte zutreffend ist.

II. Authentische Vertragsinterpretation vs. Vertragsänderung durch spätere Praxis vs. nichtrechtliche Verträge Es bleiben diejenigen Fälle genauer zu kategorisieren, in denen sich das Problem des Vertragswandels aktuell mit der größten Schärfe stellt und die den Schwerpunkt dieser Arbeit bilden, nämlich die Konstellationen, in denen Regierungsvertreter von Vertragsparteien Verträge ohne förmliche Vertragsänderung inhaltlich modifizieren. Üblicherweise werden die dabei in Betracht kommenden Handlungsformen mit den Schlagwörtern des nichtrechtlichen Vertrages, der authentischen Vertragsinterpretation und der konkludenten Vertragsänderung bezeichnet.61 Dabei soll nach der herrschenden Auffassung nur die letztgenannte Handlungsform, die konkludente Vertragsänderung, eine parlamentarische Zustimmungspflicht auslösen, da es sich nur bei dieser um einen Fall von Art. 59 II GG handele.62 58

s. o. Teil 1 A. II. 1. und B. I. 2. BVerfGE 68, 1, 82. 60 Schweisfurth, ArchVölR 22, 195, 196 ff., insb. 198. 61 Dabei wird diese Handlungsform-Trias, dem Bundesverfassungsgericht folgend, oftmals unreflektiert übernommen, ohne die verschiedenen Ebenen (s. sogleich) zu differenzieren, s. zum Beispiel Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 666. 62 s. o. Teil 1 B. 59

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Die hierzu allein unter dem Gesichtspunkt der Reichweite von Art. 59 II GG geführte Diskussion wird dem Problem nicht gerecht.63 Dies liegt unter anderem daran, dass eine Orientierung an den spezifisch völkerrechtlichen Begrifflichkeiten im Rahmen von Art. 59 II GG in die Irre führt.64 Denn erstens verkennt diese Orientierung an den völkerrechtlichen Begrifflichkeiten, dass zwei verschiedene Perspektiven nicht vermengt werden dürfen65 – nämlich einerseits die völkerrechtliche, aus der heraus die Handlungsformen auf der Grundlage einer für das Völkerrecht sachgerechten Kategorienbildung beschrieben werden, sowie andererseits die verfassungsrechtliche Perspektive, aus der heraus unabhängig von völkerrechtlichen Kategorisierungen die innerstaatliche Kompetenverteilung zu beurteilen ist. Denn es wird sich zeigen, dass es sich bei authentischer Vertragsinterpretation und konkludenter Vertragsänderung nicht um verschiedene Kategorien völkerrechtlicher Handlungsformen handelt, sondern um Beschreibungen gradueller Unterschiede der Modifizierung des völkerrechtlich relevanten Konsenses. Auch wenn diese Differenzierung für die völkerrechtliche Perspektive nützlich ist, so stellt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht die ganz andere Frage nach der Kompetenzverteilung. Die völkerrechtliche Kategorisierung kann für die verfassungsrechtliche Problemstellung zwar Anhaltspunkte liefern, dennoch folgen die Lösungen nicht denselben Maßstäben. Deshalb sind völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Perspektive im Folgenden zunächst strikt zu trennen.66 Eine Nebeneinanderstellung der drei Handlungsformen ist aus einem zweiten Grund inadäquat: Die drei genannten Handlungsformen betreffen nicht dieselbe Ebene, vielmehr ist die Differenzierung in zwei getrennten gedanklichen Schritten vorzunehmen.67 Die Abgrenzung von authentischer Vertragsinterpretation zu konkludenter Vertragsänderung ist die zwischen zwei rechtlich erheblichen Handlungsformen, während es bei der Differenzierung zwischen „nichtrechtlichen“ Verträgen und den anderen beiden Handlungsformen um die – logisch vorrangige – Frage geht, ob überhaupt rechtliche Bindungen erzeugt wurden. Drittens wird zu zeigen sein, dass sich die Abgrenzung von rechtlichen und nichtrechtlichen Verträgen nicht so trennscharf durchführen lässt, wie es aufgrund des Kriteriums des Rechtsbindungswillens erscheint.68 Zwar ist am 63 64 65

Teil 1 C. Teil 1 D. Beispielhaft für diese Vermengung der Perspektiven Wengler, JZ 1976, 193,

197. 66

Teil 1 D. Beispielhaft für die Vermengung dieser beiden Ebenen Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 666: „Grenzbereich zwischen politischer Absichtserklärung, konkretisierender Vertragsauslegung und selbständiger Vertragserweiterung“. 67

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

Rechtsbindungswillen als maßgeblichem Abgrenzungskriterium festzuhalten, jedoch erlaubt dieses Kriterium nur scheinbar eindeutige Zuordnungen. Es soll nun untersucht werden, wie der Zweite Senat die Handlungsformen in den Entscheidungen zu den Bundeswehr-Auslandseinsätzen,69 zum Neuen Strategischen Konzept70 und zur Riga-Erklärung71 voneinander abgrenzt (unten 1.). Da sich dabei herausstellen wird, dass der Senat die genannten Fragen nicht sauber differenziert, soll sodann das Verhältnis der Handlungsformen abstrakt untersucht werden (unten 2.), um anschließend diese Erkenntnisse auf die den beiden „Nato-Entscheidungen“ zugrundeliegenden Dokumente zu übertragen (unten 3.). 1. Die drei Handlungsformen in den Leitentscheidungen des Zweiten Senats Der Senat diskutiert die Anwendbarkeit von Art. 59 II GG unter dem Aspekt, ob der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags vorliegt. Sein (problematischer) Maßstab für die verfassungsrechtliche Zustimmungspflichtigkeit stützt sich also auf die Qualifizierung der völkerrechtlichen Handlungsformen. Hier soll es zunächst allein um die Analyse gehen, was diese verschiedenen Handlungsformen aus völkerrechtlicher Perspektive ausmacht. Dabei soll es nicht in erster Linie darum gehen, der konkreten Einordnung des Senats eine „andere Ansicht“ entgegenzusetzen, die genauso beliebig wäre wie das „Subsumtionsergebnis“ des Senats. Vielmehr sollen die Widersprüchlichkeiten in der Vorgehensweise des Senats aufgedeckt werden, um später in sich konsistente Maßstäbe zu entwickeln. a) Auslandseinsätze-Entscheidung: die Argumentation der die Entscheidung tragenden Richter72 Ohne dies ausdrücklich zu sagen, wird das Vorliegen eines Vertragsschlusses gleichgesetzt damit, ob die Parteien den Willen zum Vertragsabschluss hatten: „[. . .] ein Vertragsabschlusswille wird von den in Betracht 68 Diese Aussage geht über die Feststellung Bothes (NYIL XI (1980), 65, 69), dass die Grenze zwischen rechtlicher und nichtrechtlicher Vereinbarung verwaschen sei, hinaus: Diese Feststellung bezieht sich auf die Schwierigkeit der Feststellung des Rechtsbindungswillens, jedoch kann auch dieser Wille – gleichsam darüber hinaus gehend – verschieden geartet sein und die Zuordnung erschweren, s. u. 2. b) cc). 69 BVerfGE 90, 286 ff. 70 BVerfGE 104, 151 ff. 71 2 BvE 2/07 – „Tornado-Urteil“. 72 BVerfGE 90, 286, 344 ff.; s. hierzu Nolte, ZaöRV 54 (1994), 654, 666 ff.

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kommenden Vertragsparteien regelmäßig deutlich zum Ausdruck gebracht.“73 Maßstab für das Vorliegen eines (Änderungs-)Vertrages ist also die scheinbar eindeutige Frage: Wollten die Parteien einen Vertragsabschluss herbeiführen? Diese Eindeutigkeit ist indessen nur eine scheinbare, da verschiedene Lesarten möglich sind: Erstens kann der Akzent auf den Abschluss eines neuen Vertrages gelegt werden, also darauf, ob neue Rechte und Pflichten begründet werden – im Folgenden bezeichnet als „Frage 1“. Sie betrifft die Auslegung des ursprünglichen Vertrages und des möglichen Änderungsvertrages und damit die Abgrenzung von authentischer Vertragsinterpretation zu konkludenter Vertragsänderung. Zweitens kann der Akzent aber auch darauf gelegt werden, ob die Parteien mit dem Willen zum Abschluss eines rechtlich bindenden Vertrages gehandelt haben – im Folgenden „Frage 2“. Dies betrifft die Auslegung des möglichen Änderungsvertrages nicht in Hinsicht auf die Reichweite des Regelungsgegenstandes im Vergleich zum ursprünglichen Vertrag, sondern im Hinblick auf die beabsichtigten Rechtsfolgen. Eine dritte mögliche Lesart lautet: In welcher Handlungsform wollten die Parteien handeln, und zwar unabhängig davon, ob über den Ursprungsvertrag hinausgehende Bindungen tatsächlich geschaffen werden – im Folgenden „Frage 3“. Dieser Aspekt wäre dann relevant, wenn die Parteien als Herren der Verträge jedes einstimmige Verhalten unter den Vertrag fallen lassen können, das heißt also der Vertragswortlaut keine Grenzen setzt, bei deren Überschreitung der Vertrag verletzt wird.74 Welche dieser drei Lesarten den Ausführungen des Senats zugrundeliegt, wird in der Argumentation nicht deutlich. aa) Zunächst deuten einzelne Formulierungen in der Argumentation darauf hin, dass diese auf das Entstehen neuer rechtlich erheblicher Pflichten abzielt, der Senat also die Fragen 1 und 2 zugrundelegt. Denn noch bevor die Entscheidungsgründe in die Argumentation der die Entscheidung tragenden Richter und die der dissentierenden Richter aufgespalten wird, wird ein beiden Argumentationen gemeinsamer Maßstab formuliert: Ein Vertrag liege vor, wenn die zwischen den Parteien bestehende Rechtslage verändert werden soll.75 Es wird also nicht auf das Bewusstsein, einen Vertrag zu schließen, sondern auf den Willen, die Merkmale eines Vertrages zu erfüllen, abgestellt. Dies impliziert zum einen den Willen zu einer rechtlichen Bindung, zum anderen zu einer neuen Bindung. 73 74 75

S. 360 unter C III 3 a bb der Entscheidungsgründe. Vgl. Warg, Von Verteidigung zu kollektiver Sicherheit, S. 214. S. 359 unter C III 2.

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Fast wortgleich wiederholt wird dieser Maßstab zu Beginn der Argumentation der die Entscheidung tragenden Richter.76 Maßstab der folgenden Ausführungen scheinen also die Fragen 1 und 2 zu sein, und zunächst kann man diese Ausführungen auch tatsächlich als Präzisierung jedenfalls von Frage 2 verstehen, also ob rechtliche Bindungen eingegangen werden sollten. Dort ist die Rede davon, dass der Bundesregierung ein politischer Spielraum zustehe, ob sie vertragliche Bindungen eingehen wolle oder aber andere Handlungsformen wähle. Für sich genommen, können diese Ausführungen sich sowohl auf die Abgrenzung rechtliche – nichtrechtliche Bindungen als auch auf die Abgrenzung vertragliche – andere rechtliche Bindungen beziehen. Im Kontext des eingangs formulierten Maßstabs scheint indessen eindeutig, dass der Dualismus rechtlich/nichtrechtlich gemeint ist. Gleiches gilt für den folgenden Abschnitt.77 Als maßgebliches Kriterium für einen Vertragsschluss wird ohne nähere Begründung der „Vertragsabschlusswille“ vorausgesetzt. Als ein mögliches Indiz für diesen Willen wird sodann genannt, ob die Parteien selbst ihre Vereinbarung als Vertrag bezeichnen. Jedoch wird sehr deutlich gesagt, dass es sich hierbei um nicht mehr als ein Indiz handelt. Denn die „Anhaltspunkte müssen nach ihrem Gesamtinhalt ergeben, dass die Parteien den Willen haben, neue Vertragsbindungen eintreten zu lassen [. . .]“.78 Dass das Bewusstsein, einen Vertrag schließen zu wollen (also „Frage 3“), nicht das Hauptkriterium, sondern nur ein Hilfskriterium zur Beantwortung der Fragen 1 und 2 ist, wird gleich darauf sogar ausdrücklich gesagt. Wenn die Gesamtumstände für einen konkludenten Vertragsschluss sprechen, so soll die Einlassung der Parteien, ein Vertragsschluss liege nicht vor, grundsätzlich irrelevant sein. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass in dieser einleitenden Passage die die Entscheidung tragenden Richter ihren Maßstab wie folgt formulieren: (1) Voraussetzung für die Zustimmungsbedürftigkeit ist das Vorliegen eines Vertrages im Sinne von Art. 59 II GG, hier also einer konkludenten Vertragsänderung.79 (2) Ein solcher Vertrag im Sinne der verfassungsrechtlichen Terminologie liegt dann vor, wenn eine konkludente Vertragsänderung im Sinne der völkerrechtlichen Dogmatik vorliegt. 76 77 78 79

S. 360 unter C III 3 a aa. S. 360 f. unter C III 3 a bb. s. S. 361, auch zum Folgenden. Dies wird auf S. 361 f. unter C III 3 a cc noch einmal ausdrücklich gesagt.

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(3) Kriterium für eine konkludente Vertragsänderung ist, ob durch die fragliche Vereinbarung neue, rechtlich erhebliche Rechte und Pflichten begründet wurden, also (a) ob sich die Parteien rechtlich und nicht nur politisch binden wollten und (b) ob dieser Wille zur rechtlichen Bindung auf gegenüber dem ursprünglichen Vertrag neue Rechte und Pflichten gerichtet ist. Ob die Parteien den Willen oder das Bewusstsein hatten, in der Handlungsform des (Änderungs-)Vertrages zu handeln, ist für das Vorliegen einer Vertragsänderung für sich genommen irrelevant. Allerdings kann dieser Aspekt zur Auslegung des Parteiwillens (Punkte 3a und 3b) dienen. bb) Auch wenn schon der Ansatz, nämlich die Übertragung der völkerrechtlichen Handlungsformendogmatik auf die verfassungsrechtliche Perspektive, fehlerhaft ist,80 so ist es nach der Festlegung auf diesen Ansatz doch zunächst konsequent, dass die Argumentation mit der Abgrenzung von konkludenter Vertragsänderung zu authentischer Vertragsinterpretation fortfährt.81 So konsequent die Fragestellung für sich genommen ist, so diametral laufen die im Folgenden genannten Kriterien dafür den vorherigen Ausführungen aber zuwider: Für diese Abgrenzung irrelevant sei, ob sich die Vereinbarung „auf den bestehenden Vertrag wie eine Vertragsänderung“ auswirke.82 Maßgeblich sei vielmehr der Wille, neue Rechte und Pflichten entstehen zu lassen.83 Dass dieses Kriterium im Einklang mit dem zuvor84 entwickelten Maßstab steht, soll untermauert werden durch einen Verweis auf ebendiesen Abschnitt: „vgl. oben bb)“.85 Dieser Verweis ist indessen nur insofern zutreffend, als auch in dem Absatz, auf den verwiesen wird, das Wort „Anhaltspunkte“ vorkommt. Inhaltlich aber widersprechen sich die beiden Absätze: Tenor des Absatzes bb) ist, wie dargelegt, dass Voraussetzung für einen Änderungsvertrag die Begründung neuer Rechte und Pflichten ist. In dem hier in Rede stehenden Absatz hingegen wird die Begründung neuer Rechte und Pflichten für irrelevant erklärt, vielmehr soll nun entscheidend sein, ob die Parteien neue Rechte und Pflichten auch begründen wollen. Ist dies nicht der Fall, so soll ein konkludenter Änderungsvertrag auch dann nicht vorliegen, wenn tatsächlich neue Rechte und Pflichten begründet werden. Vielmehr handele es sich um ein „faktisches, 80 81 82 83 84 85

s. o. vor 1. S. 362 ff. unter C III 3 a dd. S. 362 unten. S. 363 oben. Unter C III 3 a aa und bb, s. soeben. S. 363 oben.

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prozesshaftes Geschehen im Zusammenwirken der beteiligten Völkerrechtssubjekte“.86 cc) Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht widersprüchlich. Erstens bleibt dunkel, welcher Anwendungsbereich der Kategorie des konkludent geschlossenen völkerrechtlichen Vertrages noch verbleiben soll. Davon, dass es die Möglichkeit des konkludenten Vertragsschlusses gibt, gehen auch die Richter aus.87 In der Passage, in der es um die Abgrenzung von Vertragsauslegung und -änderung geht,88 wird hingegen jede Erklärung, die nicht auf eine ausdrückliche Vertragsänderung gerichtet ist, als „faktisches, prozesshaftes Geschehen“, als möglicherweise vertragsmodifizierende Vertragspraxis eingestuft.89 Zwar wird die Kategorie der konkludenten Vertragsänderung hier noch einmal definiert: Bei ihr fehle es lediglich an ausdrücklichen Willenserklärungen, nicht jedoch am Willen, vertragliche Bindungen einzugehen.90 Jedoch ist ein Unterschied zur Kategorie des „faktischen, prozesshaften Geschehens“ nicht erkennbar. Wie soll eine konkludente Willenserklärung überhaupt denkbar sein, wenn eine solche immer schon dann ausscheidet, wenn ein Vertragsabschlusswille nicht ausdrücklich erklärt ist? Zweitens wird in Abschnitt dd) der Entscheidung offenbar, dass die zunächst konstatierte Eindeutigkeit in der Fragestellung sich auflöst. Die Richter formulieren ihren Maßstab zunächst91 so, als stellten sie die Fragen 1 und 2.92 In der Passage, in der es um die Abgrenzung von Auslegung und Änderung geht, wird hingegen eindeutig Frage 3 gestellt: Welche Handlungsform wollten die Parteien wählen? Das heißt also, der zunächst formulierte allgemeine Maßstab wird in dem Abschnitt über die Abgrenzung Vertragsänderung – Vertragsauslegung nicht, wie vorgegeben wird, konkretisiert, sondern kaum merklich, aber erheblich modifiziert. Auch wenn eine Begründung für die Änderung des Maßstabes fehlt, so geben die Richter doch eine Begründung dafür, warum auf den Willen, in einer bestimmten Handlungsform zu handeln, abzustellen ist. In dieser Begründung liegt eine dritte Unstimmigkeit: Das als rein faktisch, prozesshaft erkannte Geschehen könne schon deshalb aus innerstaatlicher Perspektive einem Vertragsschluss nicht gleichgesetzt werden, weil ansonsten die „gebotene klare Kompetenzverteilung“ verwischt würde.93 Das heißt, bei ihrer 86 87 88 89 90 91 92

S. 363 Mitte, auch zum Folgenden. Vgl. S. 361 oben. S. 362 ff. unter C III 3 a dd. S. 363 Mitte. Ebenda. In den Abschnitten aa und bb. s. o. aa).

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Suche nach der Kompetenzverteilung legen die Richter von vornherein eine bestimmte Kompetenzverteilung als einzig mögliche zugrunde. Damit schließt sich die zirkuläre Argumentation. Bis zu dieser Stelle verläuft die Argumentation zusammengefasst also wie folgt: Die Richter beginnen mit der Bildung des Maßstabes dafür, ob ein Vertrag im Sinne von Art. 59 II GG vorliegt (Punkte aa, bb). Dieser Maßstab wird sodann konkretisiert für die Abgrenzung zur authentischen Vertragsinterpretation (Punkt dd). Beide Abschnitte sind in sich stimmig,94 widersprechen jedoch einander. dd) Die Argumentation der die Entscheidung tragenden Richter fährt fort mit der Subsumtion der im Streit stehenden Vereinbarungen unter die zuvor entwickelten Maßstäbe. Waren die beiden Abschnitte bei der Maßstabsbildung noch wenigstens jeder für sich widerspruchsfrei, so bleibt in dem folgenden „Subsumtionsabschnitt“95 von Beginn an die konkrete Fragestellung undeutlich. Da die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit seit 1989 die Ursache für die im Streit stehenden Vereinbarungen ist, beginnt die Subsumtion mit einer allgemeinen Zusammenfassung dieser Entwicklung.96 Einzelne Formulierungen („Erst allmählich gewinnt die neue Sicherheitsarchitektur Gestalt.“97) deuten darauf hin, dass die Einordnung der Geschehnisse als rein faktisches, prozesshaftes Geschehen vorbereitet werden soll. Sodann erfolgt die Einordnung der Petersberg-Erklärung der WEU.98 Diese bekunde, so wird einleitend gesagt, politische Handlungsabsichten, nicht aber schon vertragliche Erklärungen. Das bedeutet, es wird zunächst auf die Differenz rechtliche – nichtrechtliche Verpflichtung und nicht auf die Differenz Vertragsänderung – Vertragsauslegung abgestellt. In der Passage, in der danach der Inhalt der Petersberg-Erklärung wiedergegeben wird,99 finden sich Formulierungen, die auf dieselbe Abgrenzung abzustellen scheinen: Die Richter heben hervor, dass die Erklärung „Grundsatzaussagen“, „Absichten“ und „Vorhaben“ enthalte und dass die „Bereitschaft“ zur Unterstützung von VN-Aktionen erklärt werde.100 Auch hierbei handelt es sich um Formulierungen, die auf die Einordnung als nur politisch, nicht rechtlich bindender Vertrag hindeuten. 93

S. 363 und 364. Wenngleich inhaltlich angreifbar, s. u. 2. 95 S. 365 ff. unter C III 3 b. 96 S. 365 f. unter C III 3 b aa. 97 Ebenda. 98 S. 366 ff. unter C III 3 b bb. 99 S. 367 f. 100 Ebenda. 94

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Auch die Formulierungen in dem Abschnitt, in dem sodann die konkrete Einordnung erfolgt, knüpfen an diese Fragestellung an.101 Es wird betont, dass die Partner sich neue „Aufgaben“ vornehmen wollen, die indessen noch im Stadium der „Planung“ seien. Dieser Umstand wird von den Richtern dahingehend eingestuft, dass man sich in einer Phase der „Prüfung und Entwicklung“ befinde, in der die Konzeptionen nicht ausgereift genug für rechtsverbindliche Vereinbarungen sein könnten.102 Damit ist erneut der Gegensatz rechtliche – nichtrechtliche Vereinbarung angesprochen. Dem gesamten Subsumtionsabschnitt zur Petersberg-Erklärung liegt also Frage 2 zugrunde. Auch hier ist inkonsequent, dass dieser Abschnitt damit wiederum eine andere Fragestellung zugrundelegt als die vorherigen Abschnitte: Nachdem die beiden Abschnitte, in denen der Maßstab für die folgende Prüfung festgelegt wurde, von Frage 1 beziehungsweise Frage 3 ausgingen,103 erfolgt die Subsumtion unter Zugrundelegung von Frage 2. Nicht nur die Bestimmung des Maßstabs für sich genommen ist also widersprüchlich, sondern diese Maßstabsbestimmung steht auch im Widerspruch zur sich anschließenden, sich auf den zuvor entwickelten Maßstab beziehenden Subsumtion. Hinzu kommt, dass auch innerhalb dieses Subsumtionsabschnitts eine Ungereimtheit steckt. Der Hinweis auf das Fehlen eines Vertragsabschluss-/-änderungswillens deutet nämlich nicht auf die Abgrenzung rechtliche – nichtrechtliche Vereinbarung hin. Dieser Hinweis kann zwar auch dahingehend verstanden werden, dass er auf die Abgrenzung zur nichtrechtlichen Vereinbarung zielt, jedoch ist die sich anschließende Begründung für diese Behauptung des Fehlens dieses Willens nur verständlich, wenn die Behauptung dahingehend verstanden wird, dass sie sich auf die Abgrenzung zwischen Vertragsänderung und anderem rechtserheblichem Handeln bezieht:104 Dafür, dass die Parteien keinen Vertrag schließen wollten, spreche nämlich, dass die nach den nationalen Verfassungen in diesem Falle notwendigen Verfahren nicht eingeleitet worden seien.105 Dieses Argument ist nur dann nicht zirkulär, wenn auf den Willen, in der Handlungsform des Änderungsvertrages zu handeln, das heißt auf das Bewusstsein, einen Vertrag zu schließen, abgestellt wird. Nachdem also in der „Subsumtionspassage“ ganz überwiegend die Abgrenzung rechtlicher – nichtrechtlicher Vertrag behandelt wird, also die Frage 2, muss man die Richter an 101 102 103 104 105

S. 368 ff. S. 369. s. o. aa)–cc). S. 368. S. 368.

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dieser Stelle so verstehen, als werde wieder auf die Frage 3 abgestellt, will man ihnen nicht einen Zirkelschluss unterstellen. ee) Es folgt die Subsumtion der Beschlüsse des Nato-Rates und des NatoAußenministerrates unter die entwickelten Maßstäbe.106 Diese Ausführungen wiederum entsprechen dem eingangs bei den allgemeinen Ausführungen zur Abgrenzung von Vertragsänderung und –auslegung entwickelten Maßstab. Hier wird auf den Willen zur Handlungsform des Vertrages abgestellt. Maßgeblich sei, dass die Parteien erklärt hätten, im Rahmen der bisherigen Verträge bleiben zu wollen und dass das neue Konzept auf der Grundlage der vertraglich bereits bereitgestellten Instrumente beruhe.107 Aus dem fehlenden Willen, neue vertragliche Verpflichtungen zu begründen, folge, dass der Nato-Vertrag nicht geändert worden sei.108 ff) Zusammenfassend lässt sich also folgendes festhalten: Die Prämisse der die Entscheidung tragenden Richter, entscheidend für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit sei, ob ein (Änderungs-)Vertrag im Sinne der völkerrechtlichen Handlungsformenlehre geschlossen worden sei, wurde hier zunächst als zutreffend unterstellt.109 Auch wenn man diese Prämisse zum Ausgangspunkt der Argumentation nimmt, ist damit der Maßstab aber noch nicht eindeutig geklärt, da die Prämisse in verschiedenerlei Weise verstanden werden kann: Auf einer logisch vorrangigen Ebene muss unterschieden werden zwischen rechtlichen und nichtrechtlichen, nur politisch bindenden Vertragsänderungen. Auf einer zweiten Ebene kommt hinzu, dass für die Gruppe der rechtlich bindenden Vereinbarungen das Vorliegen einer Änderung des Vertrages – in Abgrenzung zur authentischen Interpretation – aus zwei verschiedenen Perspektiven beurteilt werden kann: zum einen objektiv, nämlich danach, ob die in Frage stehende Vereinbarung neue Rechte und Pflichten begründet; zum anderen subjektiv danach, ob die Parteien in der Handlungsform des Vertrages handeln wollten, ob sie also das Bewusstsein hatten, neue Rechte und Pflichten zu begründen. Sowohl diese beiden Ebenen als auch die beiden möglichen Perspektiven auf der zweiten Ebene werden von den Richtern nicht sauber getrennt. Vielmehr finden sich Ausführungen zu allen genannten möglichen Verständnissen der Fragestellung an verschiedenen Einzelpunkten ihrer Argumentation, jedoch ohne in der Fragestellung entsprechend zu differenzieren.

106 107 108 109

S. 370 f. unter C III 3 b cc. S. 370 f. S. 371. Zur Angreifbarkeit dieser Prämisse s. u. 2.

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b) Auslandseinsätze-Entscheidung: die Argumentation der dissentierenden Richter110 Demgegenüber ist die Argumentation der die Entscheidung nicht tragenden Richter in sich konsistent. Allerdings verläuft die Argumentation in den gewohnten Bahnen, geht nämlich von Art. 59 II GG als alleinigem Maßstab aus, sucht nach den in diesem enthaltenen Wertungen und gelangt so zur Problematik der analogen Anwendbarkeit dieser Norm. Im Gegensatz zu der Argumentation der die Entscheidung tragenden Richter trennen die dissentierenden Richter schon im Ansatz deutlich zwischen den beiden Fragen, ob die in den Vereinbarungen avisierten Aufgaben des Bündnisses sich innerhalb des ursprünglichen Vertrags bewegen111 und ob die Vereinbarung rechtlich bindend ist112. Bei dem ersten dieser beiden Schritte wird zutreffend zwischen den Fragen 1 und 3 unterschieden. Der Auffassung, dass nicht auf den Willen zur Vertragsänderung abzustellen sei, also nicht auf Frage 3, sondern auf die Begründung neuer Rechte und Pflichten, also auf Frage 1, wird der Vorzug gegeben; jedenfalls aber müsse selbst dann, wenn aus völkerrechtlicher Perspektive Frage 3 maßgeblich sei, aus verfassungsrechtlicher Perspektive Frage 1 zugrundegelegt werden.113 In diesem Punkt aa) wird ein Überschreiten des ursprünglichen Vertrages angenommen, so dass konsequenterweise im Anschluss die rechtliche Verbindlichkeit problematisiert wird.114 Dies wird am Ende offengelassen: Es könne nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, über das Vorliegen eines „Rechtsvertrages“ im völkerrechtlichen Sinne zu entscheiden.115 Dieser Aussage ist im Ergebnis zuzustimmen. Dennoch ist sie in diesem Kontext angreifbar. Denn die Formulierung suggeriert, dass das Bundesverfassungsgericht aus kompetentiellen Gründen nicht zur Entscheidung darüber befugt sei. Diese Begründung ist erstens zumindest missverständlich, da der Grund darin liegt, dass aus verfassungsrechtlicher Perspektive die völkerrechtlichen Begrifflichkeiten prinzipiell irrelevant sind. Zweitens – und das ist in dem hier interessierenden Zusammenhang entscheidend – ist die Aussage, wenn man den Ansatz der Argumentation zu110

BVerfGE 90, 286, 374 ff.; s. hierzu Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 670 f. Punkt III 4 b aa der Entscheidungsgründe, S. 374 f. 112 Punkt 4 b bb, S. 375. 113 Punkt 4 b aa. 114 Punkt 4 b bb, c, S. 375 f. 115 An sich im Widerspruch dazu steht, dass zu Beginn der Argumentation (Punkt b), S. 373 als Ergebnis vorweggenommen worden war, dass es zu einer Vertragsänderung noch nicht gekommen sei. 111

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grundelegt, widersprüchlich. Denn nach der Argumentation auch der dissentierenden Richter ist Ausgangspunkt gerade die Auslegung von Art. 59 II GG, und da dieser ja auf die völkerrechtlichen Begrifflichkeiten Bezug nimmt, ist von diesem Ansatzpunkt aus verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab das Vorliegen eines Vertrages im völkerrechtlichen Sinne. Auch die analoge Anwendbarkeit, die in einem zweiten Zugriff erwogen (und im Gegensatz zu den die Entscheidung tragenden Richtern von den dissentierenden Richtern bejaht) wird, kann sinnvoll nur beantwortet werden, wenn zuvor über die direkte Anwendung und damit über das Vorliegen eines Vertrages entschieden wurde.116 Im Anschluss117 wird begründet, dass Art. 59 II GG analogiefähig ist. Dem ist nicht zu widersprechen, jedoch ist kritikwürdig, dass dieses Ergebnis auf dem bekannten Wege gewonnen wird. c) Die Argumentation in der Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept118 Verwirrend ist die Argumentation in der Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept von 1999. Wiederum folgt der Zweite Senat der Spur der oben dargestellten Argumentation: Ein Zustimmungserfordernis bestehe gemäß Art. 59 II GG dann, wenn ein Vertrag im Sinne der völkerrechtlichen Begriffsbildung zustandegekommen sei.119 Ein solcher liege nicht vor, da das Neue Strategische Konzept seine Rechtsgrundlage im Nato-Vertrag finde.120 Dies wird in zwei Schritten begründet, die vorab dahingehend zusammengefasst werden, dass weder ein Wille zur förmlichen Vertragsänderung erkennbar sei noch eine objektive Vertragsänderung vorliege.121 Diese Gegenüberstellung der Kriterien „Wille zur förmlichen Vertragsänderung“ (also gleichsam ein förmlicher Vertrag nach subjektiven Kriterien) und objektiver (nichtförmlicher?) Vertragsänderung ist überraschend und wird auch im Folgenden nicht aufgeklärt. 116 Das bedeutet nicht, dass es in der konkreten Urteilssituation nicht möglich sein kann, die Frage offenzulassen (wie es die dissentierenden Richter ja vorliegend auch tun), weil jedenfalls eine analoge Anwendung im konkreten Fall zu bejahen sei. Allerdings wäre auch ein solches Vorgehen logisch nicht denkbar, wenn es dem Gericht an der Kompetenz zur Beantwortung dieser Fragen mangeln würde. 117 Punkte d, e, S. 377 f. 118 BVerfGE 104, 151, 199 ff. 119 Anschließend, S. 206 ff., wird die an dieser Stelle nicht interessierende Frage einer analogen Anwendung von Art. 59 II GG erwogen und verworfen (Gliederungspunkt II der Ausführungen zur Begründetheit). 120 S. 199, zu Beginn des Punktes I der Ausführungen zur Begründetheit. 121 Ebenda.

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aa) Erstaunlicherweise wird in dem Abschnitt, in dem es nach den einleitenden Sätzen um den Willen zur förmlichen Vertragsänderung gehen sollte,122 in keiner Weise speziell auf förmliche Vertragsänderungen eingegangen. Vielmehr werden allgemein das Vorliegen einer Vertragsänderung erörtert und dabei ausdrücklich auch ein konkludenter Vertragsschluss in Betracht gezogen.123 Es folgt das schon bekannte zirkuläre Argument,124 dass angesichts des hochpolitischen Charakters eine etwaige Vertragsänderung nach wohl allen Verfassungen der Vertragsparteien der parlamentarischen Zustimmung bedurft hätte und daher das Fehlen eines Vorbehalts der parlamentarischen Ratifikation gegen einen Vertragsschluss spreche.125 Erstaunlich ist der Beginn des nächsten Gedankens: „Strengere [. . .] Anforderungen können sich [. . .] aus nationalem Verfassungsrecht ergeben, wie dies etwa für die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 59 II 1 GG der Fall ist.“126 Indem der Senat aber zuvor Art. 59 II GG dahingehend ausgelegt hat, dass das Vorliegen eines Vertrages im völkerrechtlichen Sinne entscheidend sei, legt er jedoch gerade einen völkerrechtlichen Maßstab an. Wie dieser verfassungsrechtlich modifiziert werden soll, ist unverständlich. Unklar bleibt des Weiteren, wieso der Senat diese Frage nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen aufwirft, im Folgenden aber kein Wort dazu verliert. Im nächsten Argumentationsschritt unterliegt der Senat einem Missverständnis. Das Argument lautet, dass allein aus dem hochpolitischen Charakter des Neuen Strategischen Konzepts nicht auf einen Vertragsänderungswillen geschlossen werden könne; dies aber täten Klein/Schmahl.127 Dies ist zwar offensichtlich zutreffend, verkennt aber den Kern des Klein/Schmahlschen Arguments: Dieses schließt nicht von dem hochpolitischen Charakter auf die rechtliche Relevanz kurz, sondern geht weiter: Erster Schritt ist die Erkenntnis, dass das Neue Strategische Konzept jedenfalls insoweit, als es „nicht unter Art. 5 fallende Krisenreaktionseinsätze“ vorsieht, über den Nato-Vertrag hinausgeht.128 Daher fehle es an einer Ermächtigung für derartige Einsätze, es sei denn, sie finde sich im Neuen Strategischen Konzept. Ob daraus tatsächlich auf einen Rechtsbindungswillen geschlossen werden 122

Punkt I 1, S. 199 ff. S. 200 vor a. 124 s. o. a) bei Fn. 235. 125 Punkt I 1 a, S. 200 f.; gemeint ist wohl: parlamentarische Zustimmung zur Ratifikation. 126 Punkt I 1 b, S. 201 f. 127 S. 201. 128 Klein/Schmahl, Recht und Politik 35 (1999), 198, 205, auch zum Folgenden. 123

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kann, soll später erörtert werden.129 Entscheidend ist hier, dass der Senat sich mit dem Klein/Schmahlschen Argument nicht auseinandersetzt. Auch das nächste Argument ist nicht recht einleuchtend. Das Neue Strategische Konzept bestehe jedenfalls überwiegend aus rechtlich nicht bindenden Teilen; daraus könne auf die rechtliche Unverbindlichkeit auch der Bekundung der Absicht geschlossen werden, nicht unter Art. 5 fallende Einsätze durchzuführen.130 Richtig daran ist zwar offensichtlich, dass völkerrechtliche Verträge nicht in allen ihren Passagen Rechte und Pflichten enthalten; daraus kann aber nicht auf die rechtliche Unverbindlichkeit der gesamten Vereinbarung geschlossen werden.131 bb) Im Folgenden wirft der Senat die Frage auf, ob ein konkludenter Vertragsschluss vorliege.132 Nach dem einleitend vorgestellten Aufbau der Entscheidung, wonach zunächst eine förmliche und sodann eine konkludente Vertragsänderung diskutiert werden soll, ist das konsequent. Es passt indessen nicht zu dem vorigen Abschnitt, in dem diese Differenzierung zwischen förmlicher und konkludenter Vertragsänderung gerade nicht vorgenommen wurde. Ein konkludenter Vertragsschluss wird verneint. Zur Begründung wird insbesondere auf Formulierungen abgestellt, die auf einen fehlenden Willen zum Vertragsschluss hindeuten, also auf Frage 3. Maßgeblich ist für den Senat, dass Absichtserklärungen dominieren133 und der Wirkungsbereich sowie Zweck und Wesen des Bündnisses für unverändert erklärt werden.134 Eine rechtlich bindende inhaltliche Änderung des Nato-Vertrags wird also an dieser Stelle weder bestritten noch deutlich ausgesprochen. Nach dem Maßstab von Frage 3 stellte sich allerdings diese Frage auch nicht. Danach war es ausreichend festzustellen, dass ein Vertrag im Sinne von Art. 59 II GG nicht geschlossen werden sollte. Eine Begründung, warum er diesen Maßstab wählt, liefert der Senat indessen nicht. d) Das Tornado-Urteil vom 3. Juli 2007 Unergiebig für unsere Problematik ist die in der Öffentlichkeit als „Tornado-Urteil“ bekannte Entscheidung. Politischer Anlass für das Verfahren war der Beschluss des Bundestages, im Rahmen des erweiterten Isaf-Man129

s. u. C. II. 3. b). Punkt C I 1 b am Ende, S. 202. 131 Das heißt nicht, dass ein solches Überwiegen der unverbindlichen Teile keine Auswirkungen auf die Zustimmungsbedürftigkeit hat, s. u. 2. b) cc). 132 Punkt C I 2, S. 202 ff. 133 S. 204. 134 S. 205. 130

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dates Tornado-Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan zu entsenden. In rechtlicher Hinsicht stand jedoch die Frage im Mittelpunkt, ob die Riga-Erklärung der Nato-Staats- und -Regierungschefs vom 28./29. November 2006 der parlamentarischen Zustimmung nach Art. 59 II GG bedurft hätte. So bezog sich auch nur der Antrag zu 2. auf den konkreten Tornado-Einsatz, der Antrag zu 1. hingegen allein auf die Frage einer Änderung des Nato-Vertrages. Erstaunlich ist daher, dass der Senat sich auch bei seinen Ausführungen zum Antrag zu 1. überwiegend mit dem konkreten Einsatz auseinandersetzt und sich zum eigentlichen Antragsgegenstand in ganzen 21 Zeilen auseinandersetzt.135 Nach dem im Urteil zum Neuen Strategischen Konzept aufgestellten Maßstab hätte eine Vertragsänderung im Sinne von Art. 59 II GG bejaht werden müssen, da die Riga-Erklärung ausdrücklich über Einsätze im euro-atlantischen Raum hinausgeht. Genau diese Beschränkung der NichtArtikel-5-Einsätze auf den euro-atlantischen Raum aber hatte der Senat in der Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept als entscheidende Erwägung angeführt, warum das Integrationsprogramm nicht überschritten sei.136 Der Senat entledigt sich dieser Frage recht umstandslos: Da der konkret im Streit stehende Einsatz im Einklang mit dem Ursprungsvertrag stehe, könne eine politische Erklärung wie die Riga-Erklärung nicht über das Integrationsprogramm hinaus gehen. Daher könne die völkerrechtliche Relevanz dahinstehen.137 Zugespitzt formuliert, lautet das Argument also: Weil es sich um eine politische Erklärung handelt, auf deren Basis kein den Ursprungsvertrag überschreitender Einsatz erfolgt ist, kann die Einordnung dahinstehen, kurz: Es ist eine (rein) politische Erklärung, weil es eine politische Erklärung ist. e) Rezeption der Entscheidungen in der Literatur und Zusammenfassung In den Leitentscheidungen zu den Dokumenten, mit denen Nato und WEU fortentwickelt wurden, wurde also im Ausgangspunkt einheitlich Art. 59 II GG zum Maßstab genommen und anschließend jeweils problematisiert, ob ein Vertrag im völkerrechtlichen Sinne vorliege. Ein uneinheitliches Vorgehen lässt sich indessen zum einen bei der Konkretisierung dieser Frage beobachten: 135

Rn. 69–71 unter C. I. 3. d) der Urteilsgründe. s. die Antragsschrift der Fraktion PDS/Die Linke im Deutschen Bundestag zum Verfahren 2 BvE 2/07. 137 Rn. 70 der Urteilsgründe. 136

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Dies gilt erstens für die Abgrenzung von rechtlichen und nichtrechtlichen Verpflichtungen, die oftmals nicht sauber davon differenziert getrennt wurde, ob die Schwelle zur Vertragsänderung bereits überschritten ist. Zweitens bleibt der Maßstab dafür unklar, ob ein rechtlich erhebliches Handeln vorliegt. Zum anderen besteht Uneinigkeit zwischen den die Entscheidungen tragenden Voten und dem dissentierenden Votum in der Auslandseinsätze-Entscheidung hinsichtlich einer analogen Anwendbarkeit von Art. 59 II GG. Der Forderung, verfassungs- und völkerrechtliche Perspektive nicht zu vermengen sowie die verschiedenen Ebenen des Dualismus Recht – NichtRecht und (erst) innerhalb der Kategorie des Rechts die Handlungsformen zu differenzieren,138 werden diese Entscheidungen nicht gerecht. Erstaunlicherweise wird dieses Defizit in der Literatur – bei aller ansonsten zutreffenden Kritik – nicht erkannt. Auf die Erwägungen Noltes wurde schon hingewiesen,139 auf die Monographien Wargs und Bauer-Savages wird noch einzugehen sein. Im Übrigen lassen sich die Kommentare zu den Leitentscheidungen wie folgt zusammenfassen: Dem hier interessierenden Teil des Urteils von 1994 wird wenig Aufmerksamkeit geschenkt, meist werden die gegensätzlichen Auffassungen nur referiert140 oder kurz erwähnt,141 oder aber die Frage wird als „Nebenkriegsschauplatz“ bezeichnet.142 Und auch tiefer gehende Erörterungen konzentrieren sich auf andere Aspekte des Urteils.143 Auch die Ausführungen zum Neuen Strategischen Konzept von 1999 verlaufen in den bekannten Bahnen: Der Inhalt des Konzepts wird beschrieben und ohne nähere Begründung als „politisches Dokument“144 oder „aktuelle Auslegung“145 oder sogar als „Absichtserklärung und Auslegungsvereinbarung“146 eingestuft, oder aber die Nicht-Artikel-5-Klausel wird als vom Ursprungsvertrag gedeckt bezeichnet.147 138

s. o. vor 1. s. o. Fn. 61. 140 s. Schroeder, JuS 1995, 398, 403 f. 141 s. Arndt, NJW 1994, 2197, 2199. 142 Stein/Kröninger, Jura 1995, 254, 261; wenig überraschend ist daher, dass sich hier die fehlerhafte Vorgehensweise der Senatsmehrheit gleichsam in Kurzfassung findet: Es sei von vornherein „unmissverständlich klar“ gewesen, dass hinter den Erklärungen „kein deutlich zum Ausdruck gebrachter Vertragswille stand“ – dies genügt als Begründung. 143 s. Denninger, Sicherheitsarchitektur, passim. 144 Carpenter, Nato, S. 13. 145 Rühle, Das Neue Strategische Konzept, S. 639. 146 Zivier, RuP 35 (1999), 210, 211. 147 Schneider, Nato, S. 90. 139

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Diese Stimmen kommen im Ergebnis also zu einem Plädoyer „für die Fortführung der bisherigen Rechtsprechung“.148 Die Kritik setzt, wenn sie denn geübt wird, auf verfassungsrechtlicher Ebene an.149 Zum Tornado-Urteil liegen bislang nur Stellungnahmen aus der Tagespresse vor, in denen die politische Bewertung im Vordergrund steht.150 Soweit eine juristische Stellungnahme erfolgt, finden sich aber bemerkenswert deutliche Formulierungen. So wird dem Senat zu Recht bescheinigt, dass er seine eigenen Bedenken aus dem Jahre 1994 schlicht ignoriert; das Urteil zeige einen beklagenswerten methodischen Unernst.151 Da dies zutrifft, soll das „Tornado“-Urteil daher bei den weiteren Erwägungen außer Betracht bleiben. Wie sich die drei Handlungsformen zueinander verhalten, bleibt also weitgehend ungeklärt. Darauf ist nunmehr einzugehen. 2. Zur Abgrenzung der drei Handlungsformen Bei der Analyse der drei Handlungsformen soll wie folgt vorgegangen werden: Logisch vorrangig wäre an sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen „Recht“ und „Nicht-Recht“. Dennoch soll zu Beginn die Abgrenzung zwischen den beiden rechtlichen Phänomenen, also konkludenter Vertragsänderung und authentischer Vertragsauslegung, stehen.152 Denn es ist für die Frage, was rechtliche oder nichtrechtliche Verträge sind,153 hilfreich, zuvor geklärt zu haben, in welchen Weisen sich rechtsverbindliche konkludente inhaltliche Änderungen vollziehen können. Bei der sogleich folgenden Abgrenzung von authentischer Vertragsinterpretation zur konkludenten Vertragsänderung ist also gedanklich zugrundezulegen, dass es sich bei den 148

s. Cremer, Verhältnis, S. 31. s. Kadelbach, Parlamentarische Kontrolle, der auf S. 51 ff. die Frage der demokratischen Legitimation stellt und die Auffassung des Senats zutreffend kritisiert, bei der Frage der Handlungsformen indessen auf der Ebene der Reproduktion verharrt (S. 46). 150 So kann es nicht verwundern, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Misserfolg der Linksfraktion begrüsst, s. Müller, FAZ vom 4.7.07, S. 1. Die Frankfurter Rundschau sieht in dem Urteil die Chance, dass das Parlament sich aufgerufen fühlt, seiner Kontrollfunktion verstärkt nachzukommen, Hebestreit, FR vom 4.7.07, S. 8. 151 Prantl, SZ vom 4.7.07, S. 4; weiter heißt es dort, zu beklagen sei die Indifferenz, ja Wurstigkeit, mit der sich der Senat des Problems entledige. Das Urteil sei floskelhaft und die Begründung von einer frivolen Substanzlosigkeit: „Es windet sich wie ein Aal, um nichts Kritisches über die Kriegsaktionen in Afghanistan sagen zu müssen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. 152 s. sogleich a). 153 s. dazu unten b) aa), bb). 149

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fraglichen Phänomenen um rechtlich erhebliche handelt. Abschließend soll der nichtrechtliche Vertrag genauer untersucht werden.154 a) Authentische Vertragsinterpretation vs. konkludente Vertragsänderung Die Bezeichnung „authentische Vertragsinterpretation“ suggeriert, dass es sich hier um einen Sonderfall der „einfachen“ Interpretation handele. Um später155 klären zu können, ob dies zutrifft, ist daher zunächst156 das Verhältnis von Vertragsänderung und „normaler“ Interpretation zu untersuchen. aa) Eine Vertragsänderung setzt einen neuen Vertrag zwischen den Vertragsparteien voraus; maßgeblich ist der völkerrechtliche Bindungswille der Parteien.157 Demgegenüber ist durch Auslegung nicht die „einzig richtige“ Lösung ermittelbar, vielmehr zielt die Vertragsauslegung auf die Wahl zwischen (in der Regel mehreren) möglichen Lösungen in einem konkreten Fall.158 Ziel der Auslegung ist mithin die Auswahl zwischen „mehreren richtigen“ Anwendungen. Sie dient der Konkretisierung, während die Vertragsänderung eine Ergänzung nach außerrechtlichen Gesichtspunkten darstellt.159 Da die Auslegung also notwendiger Bestandteil jeder konkretisierenden Normanwendung ist, hat sie mithin zunächst einen rechtsanwendenden Aspekt.160 Des Weiteren aber folgt daraus, dass die Normanwendung die Wahl zwischen mehreren möglichen Auslegungen ist,161 dass Auslegung daneben auch einen rechtsschöpfenden Aspekt hat. Je nach dem, auf welchen Aspekt der Akzent gelegt wird, werden in der Diskussion Auslegung und Änderung als kategorial verschiedene Phänomene eingeordnet oder nicht: Betont man das rechtsanwendende Moment, so stellt man einen kategorialen Unterschied zur Vertragsänderung, also zur Rechtsetzung, fest. Betont man hingegen das rechtsschöpferische Moment, so verschwindet dieser kategoriale Unterschied.162 Diese beiden Sichtweisen werden allerdings als zu kurz greifend angegriffen mit der Begründung, die Diskussion vermenge zwei verschiedene 154

s. u. b) cc). Unten bb). 156 Sogleich aa). 157 Meyring, Entwicklung, S. 31. 158 Meyring, Entwicklung, S. 83. 159 Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 35. 160 Meyring, Entwicklung, S. 173. 161 Umfassend v. Arnim/Brink, Methodik der Rechtsbildung, S. 230 f. mit zahlr. Nachw. 162 Vgl. Meyring, Entwicklung, S. 174 m. w. N. 155

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Begriffsbedeutungen in unzulässiger Weise.163 Vielmehr müsse unterschieden werden zwischen der Tätigkeit des Umgangs mit dem Recht und dem Ergebnis dieser Tätigkeit. In der ersten Bedeutung gehe es um die Art und Weise des Umgangs mit dem Rechtsstoff, nämlich um die Differenz von Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Ein Abgrenzungsproblem zwischen Auslegung und Anwendung stelle sich bei dieser Bedeutung nicht, vielmehr lasse sich die Abgrenzung anhand sicherer Kriterien treffen. In der zweiten Bedeutung gehe es hingegen um einen Vergleich der Rechtslage vor und nach „dem Umgang mit dem Recht“.164 Nur in dieser zweiten Bedeutung stelle sich das Abgrenzungsproblem. Wenn man deutlicher in den Blick rücke, dass es dabei um das Ergebnis der Auslegung gehe, werde offenbar, dass die Aussage ungenau sei, bei der Anwendung des Rechts handele es sich um dessen fortlaufende Änderung. Richtigerweise müsse davon die Rede sein, dass die Tätigkeit der Anwendung im Ergebnis zu einer Änderung führe. Auch wenn sich also in dieser zweiten Bedeutung Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Rechtsanwendung und -änderung ergeben, so sei dennoch theoretisch an der kategorialen Unterscheidbarkeit festzuhalten. Zwar wohne jeder Rechtsanwendung ein Teil an Rechtsschöpfung inne. Dennoch bestünden bei der Rechtsanwendung rechtliche Bindungen, von denen die rechtsetzende Tätigkeit hingegen frei sei.165 Eine Abgrenzung ist demnach erforderlich. Dafür seien „die [herkömmlichen] Interpretationsmethoden“ heranzuziehen.166 Wenn der Interpret überzeugend darlegen könne, dass sich seine Lösung aus dem vorhandenen Rechtsstoff „erhebt“, so handele es sich um eine Auslegung, andernfalls um eine „Fortentwicklung“.167 Demgegenüber komme der Parteiwille, also die Frage, ob eine Vertragsentwicklung in dem Bewusstsein, den Vertrag zu ändern, vorgenommen wird,168 nur als Hilfskriterium in Betracht.169 Und die Frage, ob eine Entscheidung für künftige Fälle bindend sein solle, sei als Abgrenzungskriterium vollends untauglich, da die Einordnung als Auslegung oder Änderung gerade den Schluss auf die Rechtsfolgen ermöglichen solle,170 so dass dieses Kriterium in einen Zirkel führe. Gegen diese Konzeption Meyrings erheben sich beachtliche Einwände. Das von ihm bevorzugte Abgrenzungskriterium, nämlich – zugespitzt for163 164 165 166 167 168 169 170

So Meyring, Entwicklung, S. 175 f., auch zum Folgenden. Meyring, Entwicklung, S. 176. Meyring, Entwicklung, S. 180. Meyring, Entwicklung, S. 208. Meyring, Entwicklung, S. 209. Also oben 1. a) vor aa) genannte „Frage 3“. Meyring, Entwicklung, S. 206. Meyring, Entwicklung, S. 206 f.

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muliert – die Frage: Verstößt eine Auslegung gegen die Regeln der juristischen Kunst?, geht fehl. Die Antwort gibt nämlich keine Auskunft darüber, ob derjenige, der im konkreten Fall mit dem Recht „umgeht“, dieses auslegt oder ändert, sondern nur darüber, ob er, wenn er es nur auslegt, dies vertretbar tut oder es sich um einen ultra vires-Akt handelt. Denn offensichtlich ist nicht jede unvertretbare Rechtsanwendung eine Rechtsänderung. Beispielsweise der Verwaltungsbeamte, der eine Rechtsfortbildung praeter legem oder contra legem vornimmt, muss diese zwar gegebenenfalls vor der Widerspruchsbehörde oder dem Verwaltungsgericht rechtfertigen. Ist seine Entscheidung unvertretbar, so ändert dies aber nichts daran, dass es sich um Rechtsanwendung handelt. Ein Verstoß gegen die „juristische Kunst“ macht die Rechtsanwendung nicht zur Rechtsetzung. Zutreffend stuft Meyring hingegen die Relevanz des Parteiwillens für die Abgrenzung ein, wenngleich sich gerade hierin ein Widerspruch in seiner grundlegenden Differenzierung zwischen den beiden möglichen Begriffsbedeutungen zeigt. Meyring nennt als eine erste mögliche Bedeutung die Frage nach der Tätigkeit: Handelt es sich um einen Rechtsanwender oder einen Rechtsetzer? Dass dies, wie Meyring behauptet, nach „sicheren Kriterien“ beantwortet werden kann, mag für ein subordinationsrechtliches, gewaltenteilendes System zutreffend sein. Denn die Antwort ergibt sich aus höherrangigem Recht: Ob ein Bundesgesetz geändert oder angewendet wird, folgt daraus, ob die Staatsfunktion der Gesetzgebung nach Art. 70 ff. GG oder die der Verwaltung nach Art. 83 ff. GG tätig geworden ist. In einem koordinationsrechtlichen System wie der Völkerrechtsordnung gilt an sich nichts anderes. „Das höherrangige Recht“, aus dem sich ergibt, welche Tätigkeit ausgeübt wird, ist der Konsens der Parteien.171 Daraus folgt: Die von Meyring so genannte „erste Bedeutung“ ist nichts anderes als die Frage nach dem Parteiwillen, das heißt nach dem Bewusstsein, in einer bestimmten Handlungsform zu handeln. Dass dies aber im Völkerrecht – jedenfalls allein – gerade keine „Abgrenzung nach sicheren Kriterien“ erlaubt, legt Meyring selbst überzeugend dar. Mehr noch: Er stellt dies in den Kontext der Abgrenzungskriterien, die bei der zweiten Bedeutung des Dualismus Rechtsanwendung/-setzung benötigt werden, also der 171 Bleckmann, Aufgaben, S. 46 spricht davon, dass es im Völkerrecht keine Gesetzgebung „im engeren Sinne“ gebe, der Konsens jedoch die „Funktion“ der Gesetzgebung übernehmen könne; zum Vergleich der Funktion des Parteikonsenses im Völkerrecht mit der des nationalen Parlamentsrechts aus anderer Perspektive s. Bleckmann, Aufgaben, S. 11 f. Inwieweit eine Entwicklung der Konstitutionalisierung des Völkerrechts diese Aussage zukünftig in Frage stellen wird (s. dazu Bryde, Der Staat 42 (2003), 61, 63 ff.), soll hier auf sich beruhen, da jedenfalls für die hier in Rede stehenden Konstellationen der Konsens Maßstab bleiben wird (ebenda, S. 66 zur Normenhierarchie).

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Lesart, die das Ergebnis des „Umgangs mit dem Recht“ betrachtet. Die beiden möglichen Bedeutungen Meyrings erweisen sich sonach als interdependent, da die erste Lesart zu einer Unterfrage der zweiten führt. Denn gefragt wird, ob die Parteien den Vertrag geändert haben – dies entspricht Meyrings „zweiter Begriffsbedeutung“. Nur ein Hilfskriterium dabei ist die Frage, die Meyrings „erster Begriffsbedeutung“ entspricht: Wollten sie ihn ändern? Die Meyringsche Differenzierung entspricht also der oben eingeführten Differenzierung zwischen den Fragen 1 und 3. Wenn Meyring weiter ausführt, der Parteiwille sei als alleiniges Kriterium untauglich,172 so ist zunächst zu klären, wozu es nicht taugt, also zu welchem Zweck die Abgrenzung vorgenommen wird. Nicht befriedigen kann der Hinweis auf die verfassungsrechtliche Relevanz,173 da die völkerrechtliche Handlungsformenlehre nicht auf das nationale Verfassungsrecht Bezug nimmt (und dies auch nicht kann). Vielmehr ist in einem ersten gedanklichen Schritt die völkerrechtliche Einordnung vorzunehmen und erst im zweiten zu fragen, inwieweit das nationale Recht auf diese Einordnung Bezug nimmt. Warum aber ist die Abgrenzung aus völkerrechtlicher Perspektive relevant? Nach Meyring soll die Einordnung Auskunft über die Rechtsfolgen geben; daher sei auch genau diese Frage, welche Rechtsfolgen ein bestimmter „Umgang mit dem Recht“ habe, also ob rückwirkende Bindung oder Bindung für künftige Fälle eingetreten sei, zur Abgrenzung untauglich, da sie in einen Zirkel führe.174 Dass es sich hier um einen Zirkel handelt, ist nicht zu bestreiten; es stellt sich aber die Frage, ob Meyring ihn an der richtigen Stelle durchbricht. Nicht überzeugen kann jedenfalls der Hinweis, die jeweiligen Rechtsfolgen seien schon deshalb nicht zur Abgrenzung geeignet, weil dieses Kriterium identisch sei mit dem des Parteiwillens.175 Dies ist unzutreffend. Mit dem Parteiwillen wird auf das „Handlungsformbewusstsein“ abgestellt.176 Hingegen ist es möglich, dass die Frage nach den Rechtsfolgen im Widerspruch dazu beantwortet werden muss. So ist es beispielsweise denkbar, dass der Handlungsformwille auf Auslegung gerichtet ist, der Rechtsfolgewille hingegen auf Bindung für künftige Fälle. Gerade in derartigen Fällen von Widersprüchlichkeiten aber stellt sich die Abgrenzungsproblematik in ihrer vollen Schärfe. Hier insbesondere kommt es also auf das richtige Kriterium an. 172 173 174 175 176

Meyring, Entwicklung, S. 206. So aber Meyring, Entwicklung, S. 207. Meyring, Entwicklung, S. 206 f. So aber Meyring, Entwicklung, S. 207. s. o. bei Fn. 168.

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Von der Handlungsform kann folglich nicht auf die Rechtsfolgen geschlossen werden. Im Gegenteil erweist sich die Bestimmung der Handlungsform gerade in den Fällen als schwierig, in denen die gewollte Rechtsfolge unklar ist. Augenfälliges Beispiel dafür ist Neue Strategische Konzept von 1999:177 Grundsätzlich in Betracht kommen vier Handlungsformen, nämlich nichtrechtliche Vereinbarung, Vertragsänderung, authentische Interpretation, „normale“ Interpretation. Davon kann man nur die letztgenannte offensichtlich ausschließen, und zwar deshalb, weil sich die Vereinbarung eben nicht auf einen Einzelfall bezieht, sondern – rechtliche Bindung hier einmal unterstellt – jedenfalls auch künftige Fälle erfasst werden sollen. Das entscheidende Argument, mit dem die Kategorie „Einzelfallinterpretation“ ausgeschieden werden kann, ist also die Bezugnahme auf künftige Fälle. Der von Meyring zutreffend konstatierte Zirkel ist also nicht an der von ihm vorgeschlagenen Stelle zu durchbrechen, sondern gleichsam auf der gegenüberliegenden Seite: Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Auslegung und Änderung ist die Frage, ob der „Umgang mit dem Recht“ – konkret: „der Umgang mit dem Nato-Vertrag“ – den Rechtsstoff für künftige Anwender geändert hat. Ist dies der Fall, so liegt eine Vertragsänderung vor, und der mit dem Recht Umgehende ist als Rechtsetzer tätig geworden. Ist dies nicht der Fall, so liegt eine die Anwendung im Einzelfall determinierende Auslegung vor. Als Hilfskriterium kommt dabei der Parteiwille ins Spiel: Das Bewusstsein, keine Vertragsänderung vorzunehmen, fungiert als Indiz gegen eine Bindung für künftige Fälle und damit gegen eine Vertragsänderung. Indem der Zirkel nicht so zu durchbrechen ist, wie Meyring vorschlägt, hilft die Abgrenzung zwischen Auslegung und Änderung nicht mehr dazu, die beabsichtigten Rechtsfolgen zu erkennen. Damit fällt aber auch nach Meyring die Relevanz der Abgrenzung überhaupt weg. Der verbleibende Sinn der Abgrenzung mag daher aus völkerrechtlicher Perspektive womöglich unbefriedigend sein: Typisierung des Rechtsstoffes. Diesen Zweck sollte man allerdings nicht unterschätzen. Erstens leistet auch die Konzeption Meyrings nicht mehr. Nach ihr sind die beabsichtigten Rechtsfolgen zu ergründen. Mithin schließt sich auch hier notwendigerweise die Frage nach dem Parteikonsens an. Bei Meyring ist die Suche nach dem Parteikonsens zwar nur Inzidentfrage, das ändert aber nichts an den Schwierigkeiten, ihn festzustellen. Zweitens ist auch die Typisierungsfunktion durchaus hilfreich,178 wie ein einfaches Beispiel aus dem nationalen Recht veranschaulicht: Ein förm177

s. zur Einordnung genauer unten 3. Überblick über diese Typisierungen im Bereich der Vertragsauslegung bei Ress, BDGVR 23 (1982), 7, 20. 178

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liches Gesetz hat nicht etwa deshalb Geltungsvorrang gegenüber einer Rechtsverordnung, weil das Gesetz „Gesetz“ heißt und die Verordnung „Verordnung“. Vielmehr ist es gerade umgekehrt: Weil die beiden Rechtstexte in den vom höherrangigen Recht vorgesehenen Verfahren zustandegekommen sind und sich aus dem höherrangigen Recht (hier: dem Grundgesetz) ergibt, dass der eine Rechtstext Geltungs- und der andere Anwendungsvorrang haben soll, ist das Verhältnis der beiden Texte dergestalt. Um sich über diesen Umstand einfacher verständigen zu können als in dem letzten Satz, greift man zu einer sehr nützlichen Typisierung: Man nennt den vom Gesetzgeber erlassenen, mit Geltungsvorrang ausgestatteten Text „Gesetz“ und den von der vollziehenden Gewalt erlassenen, mit Anwendungsvorrang ausgestatteten Text „Verordnung“. Dieselbe Funktion der Typisierung zum Zwecke einer einfacheren Verständigung aber kann auch im Völkerrecht hilfreich sein; davon, dass es an einem praktischen Unterscheidungszweck fehlt,179 kann also keine Rede sein. bb) Bisher konnte also festgestellt werden, dass es sich bei Vertragsauslegung und -änderung auch im Völkerrecht um zwei verschiedene Kategorien handelt, deren Differenzierung indessen nur anhand des vagen Kriteriums vorgenommen werden kann, ob ein Vergleich des Rechtsstoffs vor und nach dem Umgang mit demselben eine veränderte Bindung für den künftigen Rechtsanwender ergibt. Ausgeblendet wurde hingegen bislang das Phänomen der authentischen Vertragsinterpretation. In der Literatur findet sich oft der Hinweis, dass die Übergänge zwischen authentischer Vertragsinterpretation und Vertragsänderung „fließend“ seien.180 Damit ist aber nicht gemeint, dass es sich um in dem Sinne fließende Übergänge handelt, dass die Differenzierung keine kategoriale, sondern nur eine graduelle ist. Vielmehr bleibe ein „konzeptueller“ Unterschied bestehen.181 Gemeint ist demnach nur, dass die Zuordnung im Einzelfall schwierig sein kann, auch wenn es sich um kategorial verschiedene Phänomene handelt.182 Verneint wird also nur die praktische, nicht die theoretische Unterscheidbarkeit.183 Diese Aussage wird sich freilich als falsch erweisen. Es lässt sich zeigen, dass es sich bei der Differenzierung nicht um zwei verschiedene Kategorien von Phänomenen handelt. Vielmehr handelt es sich bei der Folge: authentische Vertragsinterpretation – konkludente Vertragsänderung – ausdrückliche („schriftliche“, aber nicht förmliche) Vertragsänderung – förmliche 179 180 181 182 183

So aber Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 204. So Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 43. Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 43. Vgl. Meyring, Entwicklung, S. 201. Vgl. Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 44.

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Vertragsänderung um ein Kontinuum unterschiedlicher Ausprägungen desselben Phänomens, dessen Unterscheidung in die genannten Handlungsformen aus völkerrechtlicher Perspektive sinnvoll für die Handlungsformenlehre ist, die aber jedenfalls aus innerstaatlicher Perspektive keine Relevanz hat, soweit nicht die nationale Rechtsordnung gerade auf diese Unterscheidung Bezug nimmt. Nach der herkömmlichen Definition ist die authentische Interpretation die Feststellung des Vertragsinhalts durch die Vertragsparteien selbst.184 Sie ist in diesem Sinne nicht darauf gerichtet, den „wahren“ Inhalt zu erforschen, sondern eine von mehreren möglichen Auslegungen bindend vorzuschreiben.185 Die Einordnung der authentischen Vertragsinterpretation als Sonderfall der Auslegung, die man dementsprechend auf den ersten Blick vorzunehmen geneigt ist, stellt sich bei näherer Betrachtung als fragwürdig dar. Dies wird deutlich, wenn man diese Zuordnung der authentischen Vertragsinterpretation als Unterfall der „normalen“ Auslegung zunächst ausblendet und stattdessen drei Stufen unterscheidet:186 Die „normale“ Auslegung („erste Stufe“) führt zu einer Entscheidung zwischen mehreren möglichen Auslegungen. Demgegenüber stellt die authentische Interpretation („zweite Stufe“) eine Auslegung mit bindender Wirkung dar, der Vertragstext wird also für spätere Anwendungen konkretisiert. Die damit einhergehende Verringerung des interpretativen Spielraums für spätere Interpreten stellt auf der einen Seite eine Fortentwicklung des Vertrages dar, auf der anderen Seite aber verlässt diese Entwicklung nicht den Rahmen der möglichen Auslegungen, der von Anfang an durch den Vertrag gesteckt war. Bei der Vertragsänderung („dritte Stufe“) schließlich liegt ein „bewusstes“187 Sich-Hinwegsetzen über diesen Rahmen vor. Diese Betrachtung in drei Stufen zeigt also: Die authentische Interpretation hat mit der Vertragsänderung gemein, dass sie zukünftige Interpreten bindet; das heißt aber auch, dass für künftige Interpreten bestimmte, für vorherige Interpreten mögliche Auslegungen wegfallen. Demgegenüber hat die authentische Interpretation mit der „normalen“ Auslegung gemein, dass 184 Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 40; s. auch Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, S. 635, wo die authentische Auslegung auch als accord interprétatif bezeichnet wird. 185 Meyring, Entwicklung, S. 88. 186 Zum Folgenden nicht so deutlich in der Differenzierung, aber in der Sache ähnlich Meyring, Entwicklung, S. 182. 187 So die Formulierung von Meyring, Entwicklung, S. 182; zur Bedeutung dieses „Bewusstseins“ s. sogleich.

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sich die gewählte Auslegung im Gegensatz zur Vertragsänderung „im Rahmen“ des Vertrages hält. Die methodische Operation der authentischen Vertragsauslegung weist also sowohl mit der „normalen“ Auslegung als auch mit der Vertragsänderung je eine Gemeinsamkeit und eine Divergenz auf. Es stellt sich also die Frage, ob diese Gemeinsamkeiten beziehungweise Divergenzen die Zuordnung zu dem einen oder dem anderen Phänomen rechtfertigen. Bei der authentischen Vertragsauslegung handelt es sich um eine Rechtsfortbildung intra legem, bei der Vertragsänderung hingegen um ein „bewusstes“ Sich-Hinwegsetzen über den vom Vertrag gesteckten Rahmen. Diese Differenz ist nach Meyring für die Zuordnung entscheidend für die kategoriale Unterscheidbarkeit von Vertragsänderung und authentischer Interpretation.188 Seine Begründung für diese Unterscheidbarkeit ist jedoch aus mehreren Gründen angreifbar. Erstens ist die Kennzeichnung als Rechtsfortbildung intra legem nichts anderes als der Hinweis darauf, dass die gewählte Auslegung eine nach dem Vertrag mögliche ist, also dass diese sich im Rahmen des Vertrages hält. Dieses Argument enthält also nicht mehr, als der oben gemachte Befund, an den sich die Abgrenzungsfrage gerade anschloss, selbst enthält, nämlich dass eine Gemeinsamkeit von normaler und authentischer Interpretation ist, dass beide sich im Rahmen des Vertrages halten. Zweitens ist die methodologische Bezugnahme Meyrings unzutreffend. Seiner Terminologie zugrunde liegt die Methodenlehre Höhns,189 jedoch durchbricht Meyring dessen Systematik: Der Kern der „Rechtsfortbildung intra legem“ liegt für Meyring darin, dass bei der authentischen Interpretation eine (nach dem Vertrag mögliche) künftige Interpreten bindende Auslegung vorgenommen wird,190 das heißt: dass der vorhandene Rechtsstoff für den nächsten Interpreten folglich ein anderer ist. Nur die authentische, nicht aber die „normale“ Auslegung ist also nach Meyringscher Systematik Rechtsfortbildung. Höhns Systematik dagegen ist eine andere.191 Er betont das jeder Rechtsanwendung notwendigerweise innewohnende rechtsschöpferische Moment und stuft jede Auslegung (also auch und insbesondere die „normale“) als Rechtsfortbildung ein.192 Für Höhn ergeben sich daraus drei Stufen der Rechtsfortbildung: die Rechtsfortbildung intra legem (also jede 188

Meyring, Entwicklung, S. 182. Vgl. den Verweis bei Meyring, Entwicklung, S. 182 Fn. 690. 190 Meyring, Entwicklung, S. 182: „Hat eine [. . .] Interpretation bindende Wirkung, so führt sie zu einer Konkretisierung des Vertrages für spätere Anwendungen, [also!] einer Rechtsfortbildung intra legem.“ 191 s. zum Folgenden Höhn, Methodik, S. 312 ff. 192 Höhn, Methodik, S. 313 f. 189

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Form der Auslegung), die Rechtsfortbildung praeter legem (also die Gesetzesergänzung) sowie die Rechtsfortbildung contra legem (also die Gesetzeskorrektur).193 Wenn Meyring nun speziell die authentische Interpretation als Rechtsfortbildung bezeichnet und dem die „normale“ Auslegung als Fall der Rechtsanwendung gegenüberstellt, kann er sich schwerlich auf die Systematik Höhns berufen. Führt man sich – drittens – den jeweiligen Zusammenhang vor Augen, in dem Höhn und Meyring die Auslegung intra legem erörtern, so wird umso deutlicher, dass die Übertragung der Systematik Höhns auf die hier interessierende Frage untauglich ist. Bei Höhn geht es um die Anwendung nationaler Gesetze durch Verwaltung und Justiz; die Frage der Wechselwirkung zwischen der Bindung künftiger Interpreten und einer Gesetzesänderung (und damit auch die hier interessierende Abgrenzungsfrage) stellt sich in diesem Zusammenhang also nicht. Zugespitzt formuliert: Meyring stellt die Frage, welches Kriterium für die Einordnung der authentischen Interpretation als Vertragsauslegung oder -änderung relevant ist, und beantwortet diese unter Bezugnahme auf eine völlig andere Fragestellung Höhns. Gerade diese unterschiedlichen Fragestellungen aber zeigen, dass die beiden in Betracht kommenden Kriterien (die Überschreitung des Rahmens des Vertrages oder die Bindung künftiger Interpreten) für die Einordnung der authentischen Interpretation auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Denn ob eine Lösung sich „im Rahmen“ des vorhandenen Rechtsstoffs bewegt, also ob die Ableitung derselben sich nach den „Regeln der Kunst“ begründen lässt, ist eine Frage der richtigen Rechtsanwendung. Oben haben wir aber gesehen, dass dieses Kriterium zur Abgrenzung von Auslegung und Änderung untauglich ist.194 Wenn dies für das Verhältnis von normaler Auslegung zur Vertragsänderung gilt, kann man dieses Kriterium aber erst recht nicht fruchtbar machen, um zu begründen, dass die authentische Vertragsinterpretation ein Sonderfall nicht der Vertragsänderung, sondern der Auslegung ist. cc) Auslegung und Änderung sind also kategorial zu unterscheiden. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die Bindungswirkung für künftige Interpreten. Die authentische Vertragsinterpretation gehört aufgrund ihrer Bindungswirkung zur Kategorie der Vertragsänderungen, mit der Besonderheit, dass die Vertragsparteien diesem Vertragsschluss gleichsam den „Namen“ der authentischen Vertragsinterpretation geben. Dies kann verschiedene Gründe haben: Die Parteien können zum Ausdruck bringen wollen, dass eine von mehreren bisher möglichen Auslegungen bindend festgeschrieben wird.195 Sie können zum Ausdruck bringen wollen, dass auf 193 194

Höhn, Methodik, S. 314 f. s. o. aa).

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den Parteiwillen zum Zeitpunkt des ursprünglichen Vertragsschlusses abgestellt werden soll. Sie können aufwendige Vertragsschlussverfahren oder aber innerstaatliche Zustimmungserfordernisse umgehen wollen.196 In all diesen Konstellationen ist irrelevant, ob das, was die Parteien mit ihrer Namensgebung zum Ausdruck bringen wollen, tatsächlich zutrifft. Wesentlich ist, dass der Akt, den sie „authentische Interpretation“ nennen, bindende Wirkung hat. Keine andere Wirkung läge vor, wenn sie den Akt „Notenwechsel“, „Konvention“, „Protokoll“ oder aber einfach „Vertrag“ genannt hätten. Die Bezeichnung als authentische Interpretation gibt nur einen Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien der Auffassung waren, dass das, was sie nunmehr bindend festlegen, schon nach dem alten Vertrag möglich war. Wesentlich ist also allein, dass der Spielraum an möglichen Lösungen für künftige Anwender ein anderer ist als zuvor. Das bedeutet bei den Akten, die als authentische Interpretation bezeichnet werden, in der Regel ein Wegfallen bestimmter bisher möglicher Auslegungen. b) Rechtliche vs. nichtrechtliche Vertragsänderung Die Einordnung eines Aktes in die völkerrechtliche Handlungsformenlehre ist strikt zu trennen von den Anforderungen, die aus verfassungsrechtlicher Perspektive zu stellen sind; die Zuordnung zu einer völkerrechtlichen Handlungsform kann dabei nur insoweit verfassungsrechtliche Folgen haben, als die nationale Verfassung auf diese völkerrechtliche Einordnung Bezug nimmt. In diesem Teil geht es zunächst nur um die völkerrechtliche Perspektive. Dabei hat sich gezeigt, dass die drei Phänomene, die im Zusammenhang mit den in Frage stehenden Konstellationen diskutiert werden, nicht so zwanglos nebeneinander gestellt werden dürfen, wie dies oftmals geschieht. Vielmehr ist auf einer oberen Ebene zu differenzieren zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Handlungsformen, also der Differenzierung, von der sogleich die Rede sein soll. Aus Gründen der Darstellung wurde die Abgrenzung zwischen den in Rede stehenden rechtlich erheblichen Handlungsformen vorgezogen.197 Zu klären bleibt, was es mit den „nichtrechtlichen“ Vereinbarungen198 auf sich hat. Teilweise wird die Unterscheidbarkeit von Recht und NichtRecht ausdrücklich bestritten,199 teilweise die Unmöglichkeit dieser Unter195

Vgl. Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 40 f. s. Karl, Vertrag und spätere Praxis, S. 44 f. 197 s. zur Begründung oben vor a). 198 Auf sich beruhen soll dabei die Kontroverse, welche Terminologie für dieses Phänomen adäquat ist; s. dazu nur Rotter, Verdroß-FS, 413, 414; Verdroß/Simma, 196

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scheidung aber auch nur angedeutet: Diese Autoren, die eine kategoriale Gleichsetzung nur andeuten, trennen dabei zwei Problemkreise oftmals nicht genau genug: nämlich erstens, ob es einen Unterschied zwischen rechtlichten und nichtrechtlichen Normen gibt, und zweitens, nach welchen Kriterien die Differenzierung vorzunehmen ist. Setzt man die Unterscheidung als existent voraus und erörtert zunächst die Kriterien für die Abgrenzung, dann führt dies zu dem Ergebnis, dass eine scharfe Trennung kaum möglich ist.200 Die grundsätzliche kategoriale Unterscheidbarkeit wird dabei also andeutungsweise in Zweifel gezogen, jedoch nicht explizit verworfen.201 Diese Vorgehensweise ist methodisch ungenau. Die Frage der theoretischen Unterscheidbarkeit kann nicht danach beantwortet werden, wie schwierig diese Abgrenzung praktisch ist. Die theoretische kategoriale Unterscheidbarkeit ist also logisch vorrangig vor den in der Praxis heranzuziehenden Kriterien. Im Folgenden soll wie folgt vorgegangen werden: Zunächst ist zu begründen, warum an der grundsätzlichen Differenzierung von rechtlichen und nichtrechtlichen Verträgen festzuhalten ist.202 Sodann ist zu untersuchen, wieso bestimmte Phänomene, deren Existenz oftmals zu einer Infragestellung der Unterscheidbarkeit von Recht und Nicht-Recht führen, in der Tat eine Rolle spielen, allerdings nicht die grundsätzliche Unterscheidbarkeit in Frage stellen, sondern innerhalb der Kategorie des rechtlich Erheblichen relevant werden.203 Nicht vertieft erörtert werden sollen die genauen Abgrenzungskriterien; sie werden indessen zur Sprache kommen im Zusammenhang mit den hier Universelles Völkerrecht, Rn. 543 ff.; Bothe, NYIL XI (1980), 65, 68; weitere Nachweise bei Ipsen,Völkerrecht, S. 250. 199 Wengler, JZ 1976, 193, 197; weitere Nachweise bei Kokott, Doehring-FS, 503, 517, Fn. 46; vgl. auch Bothe, NYIL XI (1980), 65 ff. s. des Weiteren sogl. aa) die Nachweise im Text und insb. die Ausführungen zum Konzept der Legalization unten bb). 200 Beispielhaft für dieses Vorgehen Wengler, JZ 1976, 193 ff., wo zunächst von der „Problematik der Grenzziehung“ die Rede ist (S. 193), sodann nach Abgrenzungskriterien gesucht wird (S. 196), um schließlich „die Frage auf[zu]werfen, ob nicht die scharfe Trennung von Rechtlichem und Nichtrechtlichem in einer Geschäftslehre des Völkerrechts [. . .] überholt oder falsch sein könnte“. 201 So spricht auch Wengler, JZ 1976, 193, 197 nur von einer „Abschwächung des Gegensatzes von Recht und Nichtrecht“. Was damit genau gemeint ist, bleibt unklar. Noch unklarer ders., JZ 1995, 21, 26, wo davon die Rede ist, dass das „Fehlen von festen Maßstäben zur Gewichtung von Symptomen für die Völkerrechtlichkeit oder ‚Nichtrechtlichkeit‘ “ – also schlicht das praktische Abgrenzungsproblem – Zweifel an der „Nützlichkeit“ der Unterscheidung wach werden ließen. 202 s. u. aa), bb). 203 s. u. cc).

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beispielhaft heranzuziehenden Vereinbarungen, die im folgenden Abschnitt in die in Frage stehenden Handlungsformen eingeordnet werden.204 aa) Grundsätzliche kategoriale Unterscheidbarkeit Eine typische Lehrbuchdarstellung zu den nichtrechtlichen Verträgen liest sich wie folgt: „Sie haben rechtliche Relevanz, ohne unmittelbar Rechte und Pflichten zu begründen. Für solche Instrumente in der Grauzone zwischen unverbindlicher Proklamation und rechtsverbindlicher Festlegung ist der Begriff soft law geprägt worden. Er bezieht sich heute vor allem auf Verhaltensstandards, die nach den Vorstellungen internationaler Organisationen oder Staatenkonferenzen einer „guten“ Übung [. . .] entsprechen. [. . .] Der Begriff des soft law ist lediglich Ausdruck juristischer Verlegenheit in der Zuordnung solcher Instrumente, hinter denen kein klar erkennbarer Rechtsbindungswille steht. Hier geht es um Stufen eines Entwicklungsprozesses, der zur Entstehung von Gewohnheitsrecht oder zur Konkretisierung allgemeiner Grundsätze des Gewohnheitsrechts führen kann.“205 Diese „juristische Verlegenheit“ und der Umgang mit derselben aber ist es, die dazu führt, dass der Unterschied zwischen Recht und Nicht-Recht aus dem Blick gerät. Denn mit dem Begriff des soft law werden zwei verschiedene Phänomene bezeichnet, die in ihren Wirkungen Gemeinsamkeiten aufweisen mögen, aber grundsätzlich zu differenzierende Dinge sind:206 Wenn Herdegen aus „Verlegenheit“ von soft law spricht, so meint er damit Vereinbarungen, die ohne Rechtsbindungswillen getroffen werden, bei deren Abschluss die Parteien also nicht den Willen haben, sie dem Rechtssystem zu unterstellen. Diese als „weiches Recht“ bezeichneten Vereinbarungen sind kein Recht. Daneben werden noch andere, nicht unter die Kategorie der nichtrechtlichen Vereinbarung fallende, sondern rechtlich relevante Normen als soft law, als „weiches“ Völkerrecht bezeichnet:207 Ein Vertrag büßt nicht deshalb seine Rechtsnormativität ein, weil er dem Verpflichteten die Konkretisierung seiner Rechtspflicht überlässt, solange ein „rechtlicher Pflichtenkern“ besteht.208 204 205 206

s. u. 3. Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rn. 4. Zu diesen beiden unterschiedlichen Bedeutungen Weil, RGDIP 1982, 5, 8,

Fn. 6. 207 Vgl. den Titel der Monographie Heusels: Mit „weichem“ Völkerrecht sind sowohl „außerrechtliche Normen“ (vgl. S. 275) als auch „weiche Rechtsnormen“ (vgl. S. 280) gemeint; zur Vermeidung von Missverständnissen empfehlen Fischer-Lescano/Liste, ZIB 2005, 209, 226, nicht zwischen hard und soft law, sondern ausschließlich zwischen Recht und Nicht-Recht zu unterscheiden.

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Macht man sich diese beiden unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs des „weichen Rechts“ klar, so erscheint die kategoriale Unterscheidbarkeit von nichtrechtlichen Vereinbarungen und rechtserheblichen Verträgen evident: Eine nichtrechtliche Vereinbarung liegt vor, wenn keinerlei „rechtlicher Pflichtenkern“ besteht, wenn also kein Rechtsbindungswille besteht, das heißt, wenn die Parteien ihre Vereinbarung nicht dem Rechtssystem unterstellen wollen. Diese theoretisch an sich klare Unterscheidung scheint auf den ersten Blick mit zwei Argumenten angreifbar: Als erstes Argument gegen die kategoriale Unterscheidbarkeit wird vorgebracht, die nichtrechtlichen Verträge hätten in den internationalen Beziehungen oftmals eine jedenfalls nicht geringere Relevanz als die rechtlichen; das Festhalten an der überkommenen Dichotomie von Recht und Nicht-Recht werde der Komplexität der internationalen Wirklichkeit nicht gerecht und sei daher als überholtes mystisches Konzept aufzugeben.209 Dieser soziologisch oder „realistisch“ orientierten Rechtsschule ist entgegenzuhalten, dass sie einem Fehlschluss unterliegt.210 Denn es kann nicht von der Relevanz einer Vereinbarung für die internationalen Beziehungen auf deren Rechtserheblichkeit geschlossen werden; dies stellte einen unzulässigen Schluss von einem Sein auf ein Sollen dar. Vielmehr können viele Vereinbarungen ihre große Wirkung erst aufgrund ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit entfalten oder wären mit Rechtsverbindlichkeit niemals abgeschlossen worden.211 Demgegenüber blendet die soziologische Rechtsschule von der Definition des Völkerrechts einen Aspekt aus. Denn das Völkerrecht lässt sich durch seine „Natur“ und seine Funktion definieren: Seiner Natur nach handelt es sich um eine Vielzahl von Rechtsnormen, seine Funktion ist die Ordnung der internationalen Beziehungen.212 Das Völkerrecht stellt also sowohl eine normative Ordnung als auch einen Faktor sozialer Organisation dar.213 Die soziologische Rechtsschule, die allein von der Relevanz des soft law für die internationalen Beziehungen auf dessen Zugehörigkeit zum Völkerrecht schließt, begeht daher den Fehler, den Aspekt der normativen Erheblichkeit völlig auszublenden. 208

Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 280. McDougal, AIDI 1985, 256, 257; Schachter, VJIL 1968, 300, 321. 210 Zu den unterschiedlichen Fragestellungen von Rechtssoziologie und Rechtsdogmatik s. Tietje, ZfRSoz 24 (2003), 27, 28 f.; Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 288. 211 s. die Ausführungen von Bothe, NYIL XI (1980), 65 ff. zur Relevanz der KSZE-Schlussakte; Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 289. 212 Weil, RGDIP 1982, 5, 6 (Rn. 2). 213 Weil, RGDIP 1982, 5, 6 (Rn. 2). 209

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Von der tatsächlichen Relevanz kann also nicht ohne weiteres auf die rechtliche Relevanz geschlossen werden. Niemand bestreitet, dass nichtrechtliche Vereinbarungen großen Einfluss auf die Entwicklung der internationalen Beziehungen haben können.214 Dieser Befund erlaubt aber für sich genommen keine Aussage über die Art und Weise des Einflusses, sagt also noch nichts darüber aus, ob die mit der Vereinbarung konforme Verhaltensweise die Erfüllung einer Rechtspflicht darstellt und ob eine vereinbarungswidrige Verhaltensweise eine Rechtsverletzung mit der Folge der Möglichkeit von Repressalien ist. Ein einfaches Beispiel aus dem nationalen Recht mag dies veranschaulichen, nämlich der jedem Studenten im ersten Semester bekannte Edelmannsfall:215 Das Versprechen eines „Herrn von Z.“, einem langjährigen Angestellten zum Dank für seine Dienste ein Grundstück zu überlassen, verbunden mit der Beteuerung, eine notarielle Beurkundung sei aufgrund der Gleichwertigkeit seines Edelmannswortes überflüssig, ist wegen § 311b I 1 BGB gemäß § 125 BGB nichtig. Es besteht keine Rechtspflicht zur Auflassung. Die aufgrund des Edelmannswortes bestehende moralische Pflicht zur Übereignung mag zwar tatsächlich genauso binden. Dennoch würde für das nationale Recht offensichtlich niemand vertreten, dass die Differenz zwischen Recht und Nicht-Recht als „überholtes mystisches Konzept“ aufzugeben sei. Erstes Argument dafür, warum die im nationalen Recht offensichtliche kategoriale Trennung nicht auf das Völkerrecht übertragen werden kann, ist, dass es im Völkerrecht an zentralen Rechtsetzungs- und Streitschlichtungsorganen fehle,216 nach deren Kompetenzen und Tätigwerden sich die Zuordnung beurteilen ließe: Die Nichtigkeit des Edelmannswortes ist von § 125 I 1 BGB angeordnet, die Möglichkeit der gerichtlichen Streitschlichtung hängt davon ab, ob es sich um eine rechtlich oder nur moralisch erhebliche Vereinbarung handelt. Die Unterwerfung der Vereinbarung unter das Rechtssystem hängt also von den Vorgaben im höherrangigen Recht ab. Eine solche klare Trennung von dem Rechtssystem unterworfenen Vereinbarungen und anderen gibt es nun im Völkerrecht auf den ersten Blick nicht. Es gibt keine konkreten Vorgaben im höherrangigen Recht, welche Vereinbarungen rechtliche und welche nichtrechtliche sein sollen; die Wirkungen sowohl der rechtlichen als auch der nichtrechtlichen Verträge wer214 s. nur Bothe, NYIL XI (1980), 65, 65 f. m. w. N.; Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 287 f. 215 RGZ 117, 121 ff.; vgl. Köhler, BGB AT, Rn. 1. 216 Zur (oft überbewerteten) Bedeutung dieser Unterscheidung s. Fischer-Lescano/Liste, ZIB 2005, 209, 213 ff.; zu diesem Umstand aus soziologischer Perspektive Tietje, ZfRSoz 24 (2003), 27, 30.

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den allein von den Parteien bestimmt. Es gibt also kein „äußerlich sichtbares“ Unterscheidungskriterium. Dieses Argument ist allerdings wiederum nur geeignet zu begründen, wieso die Abgrenzung im Völkerrecht in der Praxis schwieriger ist als im nationalen Recht. Auch im Völkerrecht existieren indessen theoretisch eindeutige Maßstäbe für die Unterscheidung,217 denn auch im Völkerrecht gibt es einen „höherrangigen“ Maßstab, nämlich: Was wollten die Parteien?,218 genauer: Wollten sie ihre Vereinbarung dem Regime des Rechts unterwerfen? Diese Frage nach dem rechtlichen Bindungswillen ist nichts anderes als die Frage, die auch im nationalen Recht gestellt werden muss, wenn die (Nicht-)Unterwerfung unter das Regime des Rechts nicht wie in oben genanntem Beispiel gesetzlich angeordnet ist, sondern das höherrangige Recht dies dem Willen der Parteien überlässt: Auch hier ist entscheidend, ob die Parteien mit Rechtsbindungswillen gehandelt haben.219 Zuzugeben ist, dass dieser Rechtsbindungswille ganz verschieden geartet sein kann. An dieser Stelle setzt das zweite Argument gegen die Differenz Recht – Nicht-Recht an: Es bezieht sich im Gegensatz zum ersten Argument nicht auf die tatsächlichen Wirkungen, sondern auf den Vertragstext selbst. Zwischen den rechtlich erheblichen, aber „weichen“ Vereinbarungen, so wird argumentiert, und den „nichtrechtlichen“ bestehe ein nicht feststellbarer Unterschied. Mehr noch: innerhalb der Gruppe der weichen Rechtsnormen gebe es wiederum unterschiedliche Härtegrade, die ihrerseits nicht scharf von „harten“ Rechtsnormen zu trennen sind. Wenn aber die Übergänge von „weichen“ über weniger weiche zu „harten“ Normen keine kategorialen seien und zudem beim Übergang von weichen, aber rechtserheblichen zu nichtrechtlichen Normen kein Unterschied in der Wirkung feststellbar sei, dann, so könnte man argumentieren, müsse es sich doch bei diesen Abstufungen insgesamt um ein Kontinuum handeln. Auch dieses Argument geht im Ergebnis fehl, nötigt indessen dazu, das Abgrenzungskriterium genauer zu fassen: Dass keine scharfe Trennung zwischen „weichen“, weniger weichen und „harten“ Normen vorgenommen werden kann, ist ebenfalls aus dem nationalen Recht wohlbekannt, und zwar unter der Bezeichnung des unbestimmten Rechtsbegriffs. Genau wie 217 Umgekehrt stellt sich auch im nationalen Recht das Abgrenzungsproblem, aufgrund des subordinationsrechtlichen Charakters des nationalen Rechts indessen nicht in derselben Schärfe, worauf Weil, RGDIP 1982, 5, 9 f. (Rn. 6) zutreffend hinweist: Die größeren Schwierigkeiten bei der Abgrenzung ändern nichts daran, dass der Unterschied besteht (ebenda, S. 13, Rn. 8). 218 s. o. B. II. 219 Vgl. zur Abgrenzung Vertrag – Gefälligkeitsverhältnis nur Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 365 ff.; speziell bezogen auf den Vergleich mit dem Völkerrecht Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 48 f.

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die hier in Rede stehenden weichen, aber rechtserheblichen Völkerrechtsnormen zeichnen sich unbestimmte Rechtsbegriffe durch eine mehr oder weniger große Vagheit aus.220 Das heißt, zwischen dem Bereich positiver und dem negativer Kandidaten gibt es einen Bereich neutraler Kandidaten.221 Die Bedeutung eines unbestimmten Rechtsbegriffs ist also durch hinreichende Bedingungen des Zu- und Absprechens festgelegt, aber die Absprechensbedingungen sind nicht zugleich die Negation der Zusprechensbedingung.222 Je größer der Bereich der neutralen Kandidaten, das heißt je größer die Vagheit eines Rechtsbegriffs, desto unbestimmter ist der Rechtsbegriff, oder anders ausgedrückt: desto „weicher“ ist der Begriff. Dieser Vagheitsbereich, also der Bereich neutraler Kandidaten, aber kann ganz unterschiedlich groß sein, und bei der denkbaren Größe dieses Vagheitsbereichs handelt es sich in der Tat um ein Kontinuum: von „bestimmten“ Rechtsbegriffen, bei denen es gar keinen neutralen Kandidaten gibt, über solche, die überwiegend eindeutige Zuordnungen erlauben und nur wenige neutrale Kandidaten haben, bis hin zu solchen, bei denen es überwiegend oder gar ausschließlich neutrale Kandidaten gibt – eine kategoriale Unterscheidung zwischen diesen Stufen scheidet aus, und insbesondere auch ein Begriff, der nur neutrale Kandidaten hat, bleibt ein Rechtsbegriff. Umgekehrt ist aber dennoch evident, dass trotz dieser Möglichkeit, dass eine (rechtserhebliche) Norm eine „größte denkbare Unbestimmtheit“ aufweist, nicht der Unterschied zwischen Recht und Nicht-Recht aufzugeben ist. Es lässt sich aus diesen Überlegungen also die Erkenntnis gewinnen, dass die Abgrenzung zwischen Recht und Nicht-Recht sich nicht anhand der Bestimmtheit einer Norm vornehmen lässt.223 Weder ist der Schluss richtig, dass aufgrund der Nichtunterscheidbarkeit nichtrechtliche Normen unbestimmten rechtlichen Normen gleichzusetzen seien, noch kann umgekehrt geschlossen werden, dass bei Normen mit „größter denkbarer Unbestimmtheit“ mangels rechtlichen Pflichtenkerns die Rechtserheblichkeit entfalle.224 220

Koch/Rubel/Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 70. Koch/Rubel/Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 61 m. w. N. in Fn. 95. 222 Koch/Rubel/Heselhaus, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 5 Rn. 63. 223 Weil, RGDIP 1982, 5, 11 (Rn. 7) setzt sich in diesem Zusammenhang mit der These auseinander, nichtrechtliche Normen hätten eine valeur permissive, das heißt, sie könnten zwar nicht verpflichten, aber andere Normen außer Kraft setzen. Zutreffend bezeichnet Weil dies als „Spiel mit Worten“; da nur eine Norm eine andere Norm außer Kraft setzen könne, stelle die Anerkennung einer valeur permissive tatsächlich die Anerkennung einer valeur entière dar. In diese Richtung aber andeutungsweise Schachter, AJIL 71 (1977), 296, 300, der aber zutreffend darauf hinweist, dass auch der umgekehrte Schluss von einer großen Bestimmtheit einer Norm auf deren Rechtserheblichkeit nicht trägt (S. 299). 221

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Zwar ist hinsichtlich der Abgrenzung zum Nicht-Recht am Rechtsbindungswillen als maßgeblichem Kriterium festzuhalten, und dafür bleibt relevant das Bestehen eines „rechtlichen Pflichtenkerns“. Offenbar wird der Umstand, dass diese Formulierung des Abgrenzungskriteriums nicht dahingehend missverstanden werden darf, dass es auf die Bestimmtheit der Norm ankomme, wenn man die weitere oben bereits vorgenommene Konkretisierung schärfer in den Blick rückt: Ein „rechtlicher Pflichtenkern“ besteht dann, wenn die Norm dem Regime des Rechts unterworfen ist.225 Genauso, wie dies für das nationale Recht offensichtlich gilt, gilt dies auch für das Völkerrecht. Die größeren Abgrenzungsschwierigkeiten sind rein praktischer Art aufgrund der Identität der Autoren von rechtlichen und nichtrechtlichen Normen. Theoretisch lässt sich die Unterscheidung im Völkerrecht indessen genauso trennscharf durchführen wie im nationalen Recht, da die maßgeblichen Vorgaben des höherrangigen Rechts auch im Völkerrecht existieren, nämlich in Gestalt des Konsenses der Parteien.226 Ausschnittsweise, nämlich für schriftliche Verträge zwischen Staaten, kodifiziert ist dieses Kriterium in Art. 2 I lit. a) WVRK: Die Wendung „vom Völkerrecht bestimmt“ stellt nämlich nicht nur einen Ausschluss privatrechtlicher Übereinkünfte dar, sondern auch einen Ausschluss nichtrechtlicher Übereinkünfte.227 Maßgeblich ist also das Unterstellen einer Vereinbarung unter das Regime des (Völker-)Rechts. bb) Das Konzept der „Legalization“ Beispielhaft verdeutlichen lassen sich diese Argumente für eine kategoriale Unterscheidbarkeit von Recht und Nicht-Recht anhand des derzeit vieldiskutierten Concept of Legalization.228 Diese Konzeption betrifft zwar nicht allein die an dieser Stelle interessierende Konstellation des Kompetenzkonflikts zwischen nationalen Organen, sondern auch und gerade die 224 Ebenso, wenngleich bezogen auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit Bleckmann, DVBl. 1984, 6, 7. 225 Ähnlich möglicherweise Schweisfurth, ZaöRV 36 (1976), 681, 704 ff., der aber sehr unklar bleibt, da er davon spricht, nichtrechtliche Vereinbarungen seien Teil eines „normativen Teppichs“, zu dem auch das Recht, die Moral und die Courtoisie gehörten, die allesamt „unterschiedliche Wirkungsweisen“ hätten. 226 An dem, wie dargelegt, als Kriterium für das Zustandekommen einer Norm festzuhalten ist. Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob die Funktion des Rechts die Konsensherstellung ist, kritisch dazu Fischer-Lescano/Liste, ZIB 2005, 209, 212. 227 Rotter, Verdroß-FS, 413, 432. 228 Siehe zum Folgenden auch Fischer-Lescano/Liste, ZIB 2005, 209, 223 ff., die insbesondere die hinter der Idee der Legalization stehende politische Absicht analysieren. Ausführlich zu Versuchen, den juristischen Diskurs der Logik des politischen Systems unterzuordnen, Fischer-Lescano, Redefining Sovereignity, S. 336 ff.

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des Verbandskompetenzkonflikts. Der Grund dafür, dieses Konzept dennoch an dieser Stelle zu behandeln, liegt darin, dass eine seiner zentralen Thesen das soeben erörterte Problem betrifft. Die für den hier interessierenden Zusammenhang wesentliche These der Legalization-Doktrin ist „the rejection of a rigid dichotomy between ‚legalization‘ and ‚world politics‘ “229. „[. . .] the hard/soft law distinction is incorrectly taken as binary“230. Den Vertretern dieser Konzeption unterlaufen bei der Begründung dafür, dass die Unterscheidung zwischen hard law und soft law nur eine graduelle sei, eine Fülle der soeben erörterten Missverständnisse. Ausgangspunkt ist die Aufhebung der Differenz zwischen Funktion und „Natur“ des Völkerrechts: Die Beeinflussung des Verhaltens der Akteure folge aus zwei (gleichrangigen) Aspekten, den legal and political considerations.231 Übersehen wird bei diesem Ansatz zweierlei: Erstens wird der Gegenauffassung zu Unrecht eine beträchtliche Naivität unterstellt, nämlich dass sie die Bedeutung des soft law als Faktor in den internationalen Beziehungen verkenne.232 Übersehen wird dabei, dass die Gegenauffassung233 sehr wohl diese Bedeutung sieht, allerdings die political considerations nicht ebenso umstandslos neben die legal considerations stellt, sondern – und dies ist der zweite übersehene Aspekt – die beiden Bedeutungen auf zwei verschiedenen Ebenen ansiedelt: Weil differenziert zwischen Funktion und „Natur“ des Völkerrechts,234 erkennt also sehr wohl sowohl political als auch legal considerations, stellt diese indessen nicht als zwei gleichberechtigte Faktoren nebeneinander, sondern geht von einer interdépendance zwischen diesen aus. Mit der Nebeneinanderstellung von politischer und rechtlicher Dimension aber öffnet das Legalization-Konzept das Tor zu einer Graduierbarkeit völkerrechtlicher Normen. Der jeweils erreichte Grad zwischen den beiden Extremen soft und hard bestimmt sich nach diesem Konzept anhand von drei verschiedenen Kategorien: obligation, precision und delegation.235 Durch die oben dargelegte Nebeneinanderreihung – Völkerrecht nicht als normative Ordnung zur Regelung der internationalen Beziehungen, sondern 229

Abbott/Keohane/Moravcsik/Slaughter/Snidal, IO 54 (2000), 401, 419. Abbott/Snidal, IO 54 (2000), 421, 424 (Hervorhebung nicht im Original). 231 Abbott/Keohane/Moravscik/Slaughter/Snidal, IO 54 (2000), 401, 419. 232 Abbott/Snidal, IO 54 (2000), 421, 422. 233 Namentlich der Ansatz Weils, auf den auch an soeben genannter Stelle Bezug genommen wird, s. dazu sogleich. 234 Weil, RGDIP LXXXVI (1982), 5, 6 f. (Rn. 2). 235 Überblicksmäßig Goldstein/Kahler/Keohane/Slaughter, IO 54 (2000), 385, 387 f.; Nachweise zu Einzelheiten s. sogleich. 230

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als normative und politische Ordnung – kommt es zu einer Gleichsetzung auch hinsichtlich dieser Kategorien: Das erreichte Niveau in dem Kontinuum von soft über „medium“ hin zu hard ergibt sich aus der Gesamtschau des hard/soft-Grades in den einzelnen Kategorien.236 Legt man diese Kategorien zugrunde, so ist die These einer Graduierbarkeit der Völkerrechtsordnung in der Tat plausibel: Die erste Kategorie fragt nach dem Grad der Bindung einer Verpflichtung.237 Der Begriff der binding obligation ist nach dieser Konzeption der Oberbegriff. Diese obligation kann indessen verschieden geartet sein. Der Unterfall der legal obligation steht nämlich gleichberechtigt neben coercion, comity und morality.238 Auf die Frage, ob der Grad der obligation hoch ist, haben also neben der rechtlichen Bindung ebenso Aspekte der „moralischen“ Verpflichtung, der „Höflichkeit“ und der „Verpflichtung“ durch Zwang Einfluss. Betrachtet man den Aspekt der obligation in dieser Weise, ergibt sich in der Tat eine Graduierung der Verpflichtungen. Denn eine moralische Verpflichtung kann unterschiedlich stark sein, ein Verstoß gegen das Gebot der Höflichkeit kann unterschiedlich grob sein, und Zwang kann in verschiedenem Ausmaß ausgeübt werden. Die zweite Kategorie fragt nach der Bestimmtheit einer Verpflichtung.239 Je größer der Faktor precision ist, umso höher ist der Grad der legalization.240 Dasselbe gilt für die dritte Kategorie,241 nach der die delegation von Entscheidungen und Rechtsetzung auf besondere Streitschlichtungsund Rechtsetzungsorgane eine „erhärtende“ Wirkung hat.242 Ohne die Einbeziehung aller dieser drei Dimensionen könne das soft international law aufgrund der einseitig normativen Perspektive nicht adäquat erfasst werden; namentlich Weil verkenne die Bedeutung des soft law für die internationalen Beziehungen.243 Die Implikation, dass Regeln, bei denen in einer der drei Dimensionen das Prädikat hard nicht erreicht werde, kein Recht seien, gehe fehl;244 denn „the choice between hard and soft law is not a binary one“245. 236

s. insb. die Übersicht bei Abbott/Keohane/Moravscik/Slaughter/Snidal, IO 54 (2000), 401, 406 und die Ausführungen zur variability ebenda, S. 404 ff. 237 s. dazu Abbott/Keohane/Moravcsik/Slaughter/Snidal, IO 54 (2000), 401, 408 ff. 238 Ebenda, S. 408. 239 s. zu dieser Kategorie Abbott/Keohane/Slaughter/Snidal, IO 54 (2000), 401, 412 ff. 240 s. insbesondere das Tableau auf S. 415. 241 Ebenda, S. 415 ff. 242 s. auch hier das Tableau, S. 416. 243 Abbott/Snidal, IO 54 (2000), 421, 422. 244 Abbott/Snidal, IO 54 (2000), 421, 423.

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Diese Ausführungen missverstehen Weil in mehrerlei Hinsicht: Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Terminus soft law zur Beschreibung von zwei verschiedenen Phänomenen verwendet wird,246 und wenn sich die Vertreter des Legalization-Konzepts gegen Weil wenden, übersehen sie, dass dieser gerade nicht denselben soft law-Begriff zugrundelegt. Weil bezeichnet als soft law Regeln ohne rechtlichen Pflichtenkern, also außerrechtliche Vereinbarungen. Nach der Terminologie des Legalization-Konzepts hingegen liegt soft law dann vor, wenn in einer der drei Dimensionen nicht der höchste Legalization-Grad erreicht wird, unabhängig davon, ob ein rechtlicher Pflichtenkern besteht. Die Aussage, Weil verneine eine rechtliche Erheblichkeit, wenn eine Regelung in einer der drei Kategorien nicht das Prädikat hard erhält, ist daher schlicht falsch. Zutreffend ist zwar, dass Weil einer soft law-Regelung die rechtliche Erheblichkeit abspricht. Soft law in der Terminologie Weils ist aber nicht schon dann gegeben, wenn eine Regelung unbestimmte, konkretisierungsbedürftige Begriffe enthält, also die Kategorie precision defizitär ist, oder aber es an Streitschlichtungsinstanzen fehlt und daher ein delegation-Defizit gegeben ist. Ob soft law in der Terminologie Weils vorliegt, bestimmt sich – übersetzt in die Sprache der Legalization-Konzeption – allein danach, ob eine legal obligation vorliegt, ob also innerhalb der Kategorie obligation das Kriterium legal gegeben ist. Dass diese Unterscheidung zwischen legal und non-legal obligations eine binäre ist, wird aber auch von den Vertretern der Legalization-Konzeption nicht bestritten. Der Dissens liegt vielmehr darin darin, ob die Frage, was Recht ist und was nicht, allein nach normativen Kriterien beantwortet wird oder gleichberechtigt die politische Relevanz danebentritt. Das Problem so zu beschreiben impliziert schon die Antwort. Überspitzt ausgedrückt, wird das Vorliegen von Recht nach dem Legalization-Konzept nach mehreren Kriterien beurteilt, von denen eines identisch ist mit der Ausgangsfrage, was Recht ist. Schon dieser Widerspruch in der Fragestellung macht deutlich, worin der Fehler des Legalization-Konzepts liegt: in der Gleichsetzung von politischer und normativer Bedeutung des Rechts. Dass politische und normative Erwägungen bei der Auslegung des Rechts gleichberechtigt nebeneinander gestellt werden, statt das Recht als normative Ordnung zur Ordnung politischer Dinge zu betrachten, stellt das Grundmissverständnis dar, von dem aus die Argumentation zwingend von der hier befürworteten Auffassung Weils abweichend verlaufen muss. Niemand behauptet, dass nichtrechtliche Verträge keinen Einfluss auf die internationalen Beziehungen hätten.247 Ferner ist unbestritten, dass die 245

Abbott/Snidal, IO 54 (2000), 421, 422. s. o. aa) a. A.; im Gegensatz zu den Vertretern des Legalization-Konzepts deckt Weil (Fn. 6) dies auf. 246

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Abgrenzung zwischen rechtlich bindenden und nichtrechtlichen Normen schwierig und umstritten sein kann.248 All dies ändert aber nichts daran, dass das Konzept der Legalization nur als Beschreibung von Strukturen moderner Handlungsformen tauglich ist, nicht aber eine Graduierbarkeit rechtlicher Bindung begründen kann. cc) Unvollkommene Verbindlichkeiten – partiell nichtrechtliche Verträge? Die Feststellung Heusels, es bleibe kein Raum, einer „nichtrechtlichen“ Norm Rechtswirkungen „eigener“ oder „abgeschwächter“ Art zuzuschreiben, ist also zutreffend.249 Eine „Graduierbarkeit der Rechtsordnung“ ist abzulehnen.250 Allerdings führt dies zu Folgeproblemen. Denn damit ist nur gesagt, dass eine (zumindest theoretisch) eindeutige Zuordnung zwischen Recht und Nicht-Recht nach dem Kriterium des rechtlichen Bindungswillens immer möglich ist. Dennoch verdeckt die Formulierung, soft law habe keine Rechtswirkungen eigener, abgeschwächter Art, einen wesentlichen Aspekt. Denn auch wenn soft law keine „besondere“ Art von Rechtswirkungen hat (sondern gar keine), so gibt es dennoch innerhalb der Kategorie des rechtlich Erheblichen verschiedene Arten möglicher rechtlicher Wirkungen: Zwar ist in der Tat immer maßgeblich, ob die Parteien sich rechtlich binden wollten; dies können sie aber in unterschiedlicher Art und Weise. Denn auch wenn die Parteien nur vor der Wahl zwischen zwei sich ausschließenden Alternativen stehen, steht damit noch nicht fest, wie die Parteien sich binden wollen. Ein Rechtsbindungswille kann nämlich ganz verschiedenartige Rechtswirkungen haben: Einklagbarkeit eines Verhaltens (im Völkerrecht selten) – Pflicht zu einem bestimmten Verhalten ohne korrespondierende Einklagbarkeit, aber mit der Möglichkeit der Repressalie bei Verstoß – Pflicht zu einem „un“-bestimmten Verhalten.251 Auch kann ein Vertragsdokument verschiedene dieser Arten von Regelungen enthalten und auch rechtliche und nichtrechtliche Normen kombinieren.252 247 So aber missverstehen Abbott/Snidal, IO 54 (2000), 421, 422 f. die Ausführungen Weils, der indessen gleich zu Beginn seiner Ausführungen (S. 7 f.) die Bedeutung der nichtrechtlichen Verträge für die internationalen Beziehungen deutlich herausstellt. 248 Weil, RGDIP LXXXVI (1982), 5, 12 f., insb. Rn. 8. 249 Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 275. 250 Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 287. 251 Wengler, JZ 1976, 193, 194 bringt das Beispiel eines Rechtsvertrags, in dem dessen Anwendbarkeit durch Gerichte ausdrücklich ausgeschlossen ist; zur Irrelevanz der Frage der Durchsetzbarkeit für die Recht-Nichtrecht-Zuordnung s. FischerLescano/Liste, ZIB 2005, 209, 214; Bleckmann, DVBl. 1984, 6, 7. 252 Wengler, JZ 1976, 193, 194 f.; als typisches Beispiel wird sich das Neue Strategische Konzept der Nato von 1999 erweisen, s. u. 3. b).

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Zwei Beispiele mögen diese unterschiedlichen möglichen Rechtswirkungen verdeutlichen:253 Weil bringt das Beispiel einer Norm, die nicht berechtigt oder verpflichtet, aber eine andere Norm außer Kraft setze.254 Zutreffend konstatiert er, dass dieses Beispiel nicht geeignet sei, eine Graduierbarkeit von Normen zu begründen, da man ihre rechtliche Erheblichkeit anerkennt, wenn man sie als geeignet erkennt, eine andere aufzuheben. Es handelt sich also um eine Rechtsnorm, die allerdings die Besonderheit aufweist, keine Rechte und Pflichten zu begründen, sondern nur auf solche einzuwirken. Das zweite, ebenso einfache Beispiel entstammt dem nationalen Recht: Nach § 1297 I BGB begründet ein Verlöbnis kein einklagbares Recht auf Erfüllung des „Primäranspruchs“ Eheschließung. Nur weil dem Primäranspruch die Klagbarkeit fehlt, heißt das indessen noch nicht, dass es sich bei der Verpflichtung zur Eheschließung um eine nichtrechtliche („nur moralische“) handelt. Voraussetzung für eine rechtliche Bindung ist nicht die prozessuale Durchsetzbarkeit. Die Existenz eines „rechtlichen Pflichtenkerns“ zeigt sich vielmehr anschaulich an §§ 1298 ff. BGB. Dies stellt das wesentliche Argument der die Auslandseinsätze-Entscheidung tragenden Richter der Effizienz und der klaren Abgrenzbarkeit in Frage.255 Ob es sich um soft law handelt, lässt sich nicht mittels einer „Gesamtschau“ des gesamten Dokuments ermitteln, in die die Bestimmtheit, die Klagbarkeit, die Rechtserheblichkeit einzelner Regelungen einfließen. Vielmehr führt die soft law-Eigenschaft einer Regelung noch nicht dazu, dass es sich bei dem Dokument insgesamt um soft law handelt, genauso wie umgekehrt eine rechtserhebliche Regelung nicht auch die anderen Regelungen zu rechtserheblichen macht. Dieses Erfordernis der genauen Untersuchung einer Regelung lässt außer acht, wer mit Blick auf eine „klare Abgrenzbarkeit“ aus dem Überwiegen von (nichtrechtlichen) Absichtserklärungen die soft law-Eigenschaft der gesamten Vereinbarung folgert. Den Vorteil der Effizienz und der klaren Abgrenzbarkeit, den die die Entscheidung tragenden Richter in ihrer Konzeption einer Gesamtschau sehen, bekommt man also nur um den Preis, verschiedene Arten von Rechtswirkungen sowie verschiedenartige Regelungen nicht differenziert würdigen zu können. Die von den vier Richtern behauptete „klare Kompetenzabgrenzung“ als Folge ihrer Konzeption ist also nur eine scheinbare.

253 Zu weiteren Beispielen s. Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 47 ff.; Bothe, NYIL XI (1980), 65, 66. 254 Weil, RGDIP LXXXVI (1982), 5, 11 (Rn. 7). 255 BVerfGE 90, 286, 364.

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c) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass auf einer logisch vorrangigen Ebene zwischen rechtlich bindenden und nicht rechtlich, sondern nur politisch („moralisch“) bindenden Übereinkünften zu differenzieren ist. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist der Wille der Parteien, die Übereinkunft dem Regime des Rechts zu unterwerfen. Innerhalb der Gruppe der rechtserheblichen Übereinkünfte ist indessen eine Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Wirkungen denkbar. Auf einer zweiten Ebene ist im Bereich des Rechtserheblichen bei der Abgrenzung von Vertragsauslegung und –änderung nicht darauf abzustellen, welche Bezeichnung die Parteien einem Akt geben; vielmehr ist maßgebliches Abgrenzungskriterium das der Bindung künftiger Vertragsinterpreten an den fraglichen Akt. Handlungen, die als „authentische Interpretation“ bezeichnet werden, haben regelmäßig bindende Wirkung und gehören daher zur Kategorie der Vertragsänderung. Dass authentische Interpretationen regelmäßig weniger weit reichende Änderungen vorsehen als als „Änderungsvertrag“ bezeichnete Akte, ändert nichts an dieser grundsätzlichen Kategorisierung. 3. Einordnung der in den Leitentscheidungen in Streit stehenden Dokumente Auf dieser Basis sollen nun die Leitentscheidungen in Streit stehenden Übereinkünfte eingeordnet werden, um Anschauungsmaterial für die verfassungsrechtliche Problematik zu haben. a) Das Neue Strategische Konzept der Nato von 1991 und in zeitlichem Zusammenhang damit stehende Erklärungen Recht eindeutig einzuordnen sind das Neue Strategische Konzept der Nato vom 6. November 1991 und die im Zeitraum von Juni 1990 bis November 1991 gemachten Erklärungen der Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedstaaten: Hier ist die Schwelle des rechtlich Erheblichen nicht erreicht, die Frage nach dem Vorliegen eines völkerrechtlichen Vertrages ist also auf der ersten Ebene zu verneinen. Allerdings ist das zentrale Argument, das für dieses – anscheinend unumstrittene256 – Ergebnis meist angeführt wird, nach der oben entwickelten 256 Zur Einordnung der fraglichen Dokumente als nichtrechtlich s. die Nachweise oben 1. d). Auch die in der oben analysierten Entscheidung dissentierenden Richter

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Konzeption nur modifiziert tragfähig: In den einschlägigen Ausführungen wird zumeist darauf abgestellt, dass „die Nato-Partner [. . .] deutlich [machten], dass sie in den neuartigen Sicherheitsbedrohungen und deren Bewältigung keine Erweiterung des vertraglichen Aufgabenprogramms sehen“.257 Dass die Parteien „dies so sehen“, dass sie also der Auffassung sind, eine Erweiterung der Aufgaben sei nicht eingetreten, ist nach dem oben Gesagten für sich genommen irrelevant. Erforderlich ist daher die Ergänzung des Arguments um den Hinweis, dass es sich bei den fraglichen Erklärungen um eine Bestandsaufnahme der bestehenden Aufgaben im Kontext der neuen tatsächlichen Gegebenheiten handelt, dass also gerade auf den bisherigen Vertrag Bezug genommen wird. Wesentlich sei, so wird zutreffend ausgeführt, dass „als Fazit aus der Bewertung des strategischen Kontexts [. . .] festgestellt [wird], dass das neue Umfeld weder den Zweck noch die sicherheitspolitischen Aufgaben des Bündnisses verändert haben, sondern deren fortdauernde Gültigkeit vielmehr unterstreiche“.258 Entscheidend ist also bei der interessierenden Abgrenzung von rechtlichem und nichtrechtlichem Vertrag nicht, dass die Parteien der Auffassung sind, dass sie durch ihre Übereinkunft keine neuen Rechte und Pflichten geschaffen haben, sondern dass ihre Erklärung gar nicht rechtlich erheblich ist; dies kommt bei dem Neuen Strategischen Konzept von 1991 dadurch zum Ausdruck, dass wiederholt darauf hingewiesen wird, dass es sich nur um eine Beschreibung der neuen strategischen Lage handelt. Es handelt sich also um rein politische Absichtserklärungen. b) Das Neue Strategische Konzept der Nato von 1999 Größere Schwierigkeiten macht die Einordnung des Neuen Strategischen Konzepts der Nato vom 24. April 1999. Bei den Erörterungen in der Literatur259 wie auch in der oben analysierten Entscheidung vom 22. November 2001260 findet sich regelmäßig die gleiche Ungenauigkeit wie in den Ausführungen zu den Vereinbarungen von 1991. Hinsichtlich des Neuen Strategischen Konzepts von 1999 ist diese argumentative Unsauberkeit indessen zentral, führt zu einem gänzlich anderen Argumentationsgang und wirkt sich auch im Ergebnis aus. gingen nicht von einer Vertragsänderung aus (BVerfGE 90, 286, 373), wenngleich dort (S. 374) davon die Rede ist, die Rechtsverbindlichkeit bleibe im dunkeln. 257 So beispielhaft die Formulierung von Warg, Von Verteidigung zu kollektiver Sicherheit, S. 179 (Hervorhebung nicht im Original); ähnlich BVerfGE 90, 286, 370 f. 258 Warg, Von Verteidigung zu kollektiver Sicherheit, S. 180. 259 s. o. 1. d). 260 BVerfGE 104, 151 ff., vgl. o. 1. c).

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Dass die Entscheidung des Zweiten Senats insbesondere hinsichtlich der Maßstabsbildung unklar ist, wurde oben dargelegt. Aus diesem Grund ist die Entscheidung eher ungeeignet, diesen typischen Fehlschluss aufzudecken. Er soll daher anhand zweier jüngerer Literaturstellen illustriert werden. Die erste dieser Literaturstellen gelangt zu dem Ergebnis, dass das Neue Strategische Konzept von 1999 den Nato-Vertrag geändert habe.261 Beim „Versuch einer eigenen rechtlichen Einordnung“ wird dazu wie folgt vorgegangen:262 Mit der Formulierung der „eigenen rechtlichen Einordnung“ ist die Frage gemeint, ob das Neue Strategische Konzept einen Änderungsvertrag zum Nato-Vertrag darstellt.263 Als Maßstab dafür wird zugrundegelegt, ob das Neue Strategische Konzept vom Nato-Vertrag gedeckt ist.264 Im Folgenden werden einzelne Punkte aus dem Neuen Strategischen Konzept herausgegriffen und darauf hin untersucht, ob diese „über den Wortlaut des Nato-Vertrages hinausgehen“.265 Für einzelne Punkte wird dies im Ergebnis verneint, für andere sei dies zweifelhaft.266 Jedenfalls aber dafür, dass sich die Nato über Art. 5 hinausgehende Krisenreaktionseinsätze vorbehält, sei dies zu bejahen.267 Allein aus dieser Erkenntnis wird das Vorliegen eines Änderungsvertrages bejaht. Maßstab für das Vorliegen eines Änderungsvertrages ist also die Frage: Geht die in Rede stehende Vereinbarung über den ursprünglichen Vertrag hinaus? Auch wenn man der Annahme eines Änderungsvertrags zustimmt, ist dieses Vorgehen nach dem oben Gesagten methodisch nicht haltbar. Die logisch erste Frage nach dem rechtlichen Bindungswillen wird völlig ausgeblendet, also ob die Parteien die Vereinbarung dem Regime des Völkerrechts unterwerfen wollten. Bejaht man dies, so ist zweitens in der Tat zu erörtern, ob dieser rechtlich erhebliche Akt eine Vertragsänderung darstellt. Allerdings wählt Bauer-Savage dafür als Maßstab, ob die Verein261

Bauer-Savage, Verwandlung der Nato, S. 71. Bauer-Savage, Verwandlung der Nato, S. 68 ff. 263 So ausdrücklich wird das zu Beginn der Ausführungen (S. 68) nicht gesagt, jedoch ergibt sich das sowohl aus dem Zusammenhang, in dem dieser Teil des Kapitels im Gesamtkapitel steht – zuvor wurde der Unterschied zwischen Vertragsänderung und authentischer Auslegung erörtert – als auch aus dem am Ende des Abschnitts gefundenen „Zwischenergebnis“ (S. 71): Das Strategische Konzept müsse „zumindest in Teilen“ als Änderungsvertrag qualifiziert werden. 264 „Ob die dort [im Neuen Strategischen Konzept] vorgesehenen Aufgaben vom Nato-Vertrag abgedeckt sind, soll nun eingehend erörtert werden“ (S. 68). 265 Ebenda, S. 69. 266 Ebenda, S. 69. 267 Ebenda, S. 70; ähnlich umstandslos auch Klein/Schmahl, RuP 35 (1999), 198, 200. 262

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barung vom Ursprungsvertrag gedeckt ist.268 Dieses Kriterium ist unzutreffend; vielmehr haben wir oben gesehen, dass die Bindung künftiger Interpreten durch die fragliche Handlung entscheidend ist. Das allerdings lässt sich bejahen. Nimmt man die Rechtserheblichkeit der Vereinbarung an, so stellt das Neue Strategische Konzept jedenfalls keine Einzelfallauslegung dar, sondern hat Wirkung für alle künftigen Anwendungen des Nato-Vertrags. Beide Ebenen betritt Bauer-Savage nicht. Er erörtert sofort die dritte Ebene, ob die Vereinbarung vom Ursprungsvertrag gedeckt ist. Dies hat indessen für die völkerrechtliche Problematik keine Relevanz. Darauf wird zurückzukommen sein, wenn die verfassungsrechtliche Perspektive eingenommen wird.269 Offen ist also noch die logisch erste Frage: Hat das Neue Strategische Konzept rechtliche Relevanz, oder stellt es einen „nichtrechtlichen“ Vertrag dar? Methodisch im Ansatz zutreffend gehen also die Autoren vor, die dies zum Ausgangspunkt nehmen. Ein rechtlich erheblicher Vertrag wird überwiegend verneint. Typisch ist dabei folgende Argumentation: Im Ergebnis sei es durch das Neue Strategische Konzept „nur zu einer konzeptuellen Erweiterung, nicht aber zu einer rechtlich verbindlichen Ergänzung des Nato-Vertrags gekommen“.270 Das Konzeptuelle, das heißt das (nur) Programmatische, Politische wird also dem Rechtlichen gegenübergestellt: Wesentlich sei, dass Rechte und Pflichten aus dem Nato-Vertrag unverändert blieben und dass jede Wahrnehmung der neuen Aufgaben Einzelfallcharakter habe.271 Das Konzept enthalte die „bloße Erklärung der Absicht, bestimmte Handlungen vorzunehmen oder zu unterlassen“; dies reiche für die Begründung neuer Pflichten „bzw. zur Erweiterung des Kompetenzrahmens“ nicht aus.272 Da die Parteien sich nicht zur Teilnahme an Einsätzen zur kollektiven Friedenssicherung verpflichtet fühlten, müsse „eine entsprechende Erweiterung der Vertragspflichten verneint“ werden.273 Hier geschieht folgendes: Zutreffend wird der Wille zur rechtlichen Bindung zum Ausgangspunkt der Argumentation gemacht. Dieser Wille zur 268 Dieser Maßstab ist identisch mit der Frage, ob eine authentische Vertragsinterpretation vorliegt, vgl. den Beginn des fraglichen Abschnitts bei Bauer-Savage, Verwandlung der Nato, S. 59 ff.: „Abgrenzung von Änderungsverträgen und (authentischen) Auslegungsvereinbarungen“. 269 s. u. Teil 4 C. I. 270 So Warg, Von Verteidigung zu kollektiver Sicherheit, S. 198. 271 Ebenda. 272 Warg, Von Verteidigung zu kollektiver Sicherheit, S. 202. 273 Ebenda.

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rechtlichen Bindung wird gleichgesetzt mit einer „rechtlich verbindlichen Ergänzung“. Diese rechtliche Verbindlichkeit wird sodann weiter dahingehend konkretisiert, dass es darum gehe, ob sich Rechte und Pflichten aus dem Nato-Vertrag geändert hätten. Im Ergebnis wird also die rechtliche Erheblichkeit gleichgesetzt mit einer konkreten Verpflichtung. Eine konkrete rechtliche Verpflichtung der Nato-Partner aus dem Neuen Strategischen Konzept ist in der Tat nicht gegeben; jedoch ist dies nicht entscheidend dafür, ob Rechtsverbindlichkeit gegeben ist. Denn wie wir gesehen haben, hängt die Rechtsverbindlichkeit nicht davon ab, ob eine Norm einen bestimmten Grad an Bestimmtheit erreicht. Zwar ist eine nur politisch, nicht aber rechtlich bindende Norm typischerweise recht unbestimmt; daraus lässt sich aber nicht umgekehrt schließen, dass jede unbestimmte Norm eine nichtrechtliche sei. Insbesondere hängt die Rechtsverbindlichkeit einer Norm nicht davon ab, ob sie konkrete Rechte und Pflichten begründet.274 Das Fehlen einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus dem Neuen Strategischen Konzept ist daher nicht geeignet, die Rechtsverbindlichkeit des Konzepts zu begründen. Unzutreffend ist daher auch die Gleichsetzung der Begründung einer neuen völkerrechtlichen Verpflichtung mit einer Erweiterung des Kompetenzrahmens. Vielmehr liegt gerade in dieser Möglichkeit des Auseinanderfallens der Begründung von Rechten und Pflichten einerseits und der Erweiterung des Kompetenzrahmens andererseits der Schlüssel für die Begründung der Rechtsverbindlichkeit des Neuen Strategischen Konzepts von 1999: Im Gegensatz zum Strategischen Konzept von 1991 und den mit diesem in Zusammenhang stehenden Erklärungen handelt es sich bei diesem nicht nur um eine Beschreibung des politischen Kontextes, sondern schafft mit der ausdrücklichen Möglichkeit der „nicht unter Art. 5 fallenden Krisenreaktionseinsätze“ eine Rechtsgrundlage, die über den Ursprungsvertrag hinausgeht.275 Denn im Konzept von 1999 findet sich im Gegensatz zur Petersberg-Erklärung276 weder ein Hinweis, dass die Einsätze mit dem 274

s. Rotter, Verdroß-FS, 413, 433. Sonst wäre übrigens auch der Nato-Vertrag selbst ein nichtrechtlicher Vertrag, da Art. 12 ebensowenig eine konkrete Beistandspflicht postuliert; s. dazu nur Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 667 f. 275 Aus dem Ursprungsvertrag ergibt sich eine Kompetenz zu derartigen Einsätzen auch nicht aus den implied powers der Nato, s. Holstein, Verhältnis, S. 191. Missverständnis dieser Stelle bei Warg, Von Verteidigung zu kollektiver Sicherheit, S. 202, der (im Rahmen der Erörterung des Konzepts von 1999, obwohl die zitierte Stelle von Holstein sich gar nicht auf dieses bezieht) daraus, dass die Mitgliedstaaten sich nicht zur Teilnahme an Nicht-Art.-5-Aktionen verpflichtet fühlen, die rechtliche Unverbindlichkeit der Klausel folgert. Hier handelt es sich um den dargestellten typischen Fehlschluss der Gleichsetzung von Rechtserheblichkeit mit der Begründung von Rechten und Pflichten.

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Ursprungsvertrag übereinstimmen sollten, noch eine (auch nur konkludente) Beschränkung auf VN-Einsätze. Geht man (wie hier) davon aus, dass maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung von Recht und Nicht-Recht der Wille ist, eine Übereinkunft dem Regime des Völkerrechts zu unterstellen, so wird das Neue Strategische Konzept mit dieser Rechtsgrundlage – insoweit – zu einer rechtlich erheblichen Übereinkunft. Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage genügt allein zwar nicht, um auf den Willen zu schließen, dass eine solche geschaffen werden soll.277 Jedoch zeigt ein Vergleich mit der Petersberg-Erklärung, dass das Bewusstsein, eine Rechtsgrundlage zu benötigen, beim Strategischen Konzept 1999 vorhanden war: Wie sogleich zu erörtern sein wird, ist es bei der Petersberg-Erklärung die Beschränkung auf Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen, aufgrund derer die Parteien vom Mangel des Erfordernisses einer Rechtsgrundlage ausgingen; an dieser Beschränkung fehlt es im Neuen Strategischen Konzept von 1999. Weder die Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages noch der Abschluss eines zusätzlichen Vertrages sollte ohne gewichtige Anhaltspunkte unterstellt werden.278 Die Anhaltspunkte, dass sich die Parteien des Erfordernisses einer Rechtsgrundlage bewusst waren, sind indessen so stark, dass ein Rechtsbindungswille zu bejahen ist.279 Gegen diese Begründung für eine Rechtserheblichkeit des Neuen Strategischen Konzepts von 1999 liegen zwei Einwände nahe. Der erste setzt an dem Argument an, dass von der Unbestimmtheit einer Norm nicht auf deren rechtliche Unerheblichkeit geschlossen werden könne.280 Dies scheint auf den ersten Blick einer Erwägung zu widersprechen, an die man als Kriterium für die Abgrenzung zwischen Recht und Nicht-Recht denken könnte: ob als Reaktion auf den Verstoß gegen eine Norm ein Verstoß gegen eine andere Norm als Repressalie gerechtfertigt wäre. Falls auf den Normverstoß, so wird vertreten, rechtmäßigerweise mit einem anderen Normverstoß als Repressalie reagiert werden darf, so handele es sich um eine rechtsverbindliche Norm. Wäre ein Rechtsbruch als Reaktion hingegen nicht als Repressalie gerechtfertigt, sondern darf rechtmäßigerweise nur mit einer Retorsion reagiert werden, so handele es sich um eine nichtrechtliche Norm.281 Mit dieser Überlegung scheint nun die soeben getroffene Aussage in Widerspruch zu stehen, dass rechtserhebliche Normen nicht zwingend 276

Zu dieser i. e. sogl. Ein Beispiel dafür liefert die Petersberg-Erklärung, s. sogl. 278 So die plakative, aber zutreffende Formulierung von Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 670. 279 Dieselbe „Faustregel“ wird bei der Petersberg-Erklärung zum gegenteiligen Ergebnis führen. 280 Vgl. oben II. 2. b) aa). 277

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bestimmte Rechte oder Pflichten postulieren müssen. Denn wo keine rechtlich erhebliche Pflicht besteht, kann auch gegen keine solche verstoßen werden, eine Repressalie dagegen ist folglich tatbestandlich ausgeschlossen. Bezogen auf die hier in Rede stehende Übereinkunft, hieße das: Das Neue Strategische Konzept, wiewohl es „Nicht-Artikel-5-Einsätze“ vorsieht, begründet keine Pflicht für die Mitgliedstaaten zur Teilnahme an derartigen Einsätzen. Eine Nichtteilnahme stellt daher kein völkerrechtliches Delikt dar, folglich wäre ein (tatbestandliches) völkerrechtliches Delikt als Reaktion auf die Nichtteilnahme nicht als Repressalie gerechtfertigt. Dieser Einwand verkennt jedoch zweierlei: Erstens ist die Aussage, dass gegen einen Verstoß gegen die „Nicht-Artikel-5-Klausel“ keine Repressalie zulässig sei, unzutreffend. Zutreffend ist allein die Aussage, dass aufgrund des großen Maßes an Unbestimmtheit ein Verstoß regelmäßig nicht vorliegen wird. Konkrete Rechte und Pflichten, gegen die verstoßen werden müsste, damit die Möglichkeit für Repressalien eröffnet ist, postuliert die Vereinbarung gerade nicht. Nur weil die Konstellation, in der Repressalien in Betracht kommen, nicht282 denkbar ist, heißt dies noch nicht, dass diese Norm keine rechtliche ist. Vielmehr zeigt diese Überlegung, dass das Argument, das wie gesagt oftmals zur Abgrenzung herangezogen wird, grundsätzlich unbrauchbar ist, weil es einen Zirkelschluss darstellt. Es kann nicht von der Zulässigkeit einer Repressalie auf die Rechtserheblichkeit der verletzten Norm geschlossen werden; vielmehr ist für die Frage, ob auf den Verstoß gegen eine Norm rechtmäßigerweise mit einem völkerrechtlichen Delikt reagiert werden darf, die Kenntnis darüber vonnöten, ob gegen eine rechtlich erhebliche Norm verstoßen wurde.283 Die Frage, ob eine Repressalie oder allein eine Retorsion in Betracht kommt, hängt also von der Einordnung der verletzten Norm ab; das hier vorgestellte Argument, dass umgekehrt die Reaktionsmöglichkeit Auskunft über die Einordnung der verletzten Norm gibt, stellt hingegen einen klassischen Zirkelschluss dar.284 281 So zum Beispiel Wengler, JZ 1976, 193, 195. Die Zirkularität des Ansatzes (s. dazu sogl. im Text) kommt gut dadurch zum Ausdruck, dass Wengler an anderer Stelle (JZ 1995, 21, 24) genau das umgekehrte Argument bringt. 282 Oder genauer: nur schwer denkbar. Denn ob sich aus der fraglichen Klausel tatsächlich überhaupt keine Pflichten ableiten lassen, müsste noch untersucht werden; denkbar wäre immerhin, aus der Klausel im Falle einer Nicht-Artikel-5-Operation für die sich nicht beteiligenden Partner Sekundärpflichten abzuleiten. Ob dies der Fall ist, muss und kann hier dahinstehen; wesentlich ist, dass im Falle eines Verstoßes Repressalien grundsätzlich möglich wären. Dass eine solche Konstellation selten sein wird, ändert nichts an der grundsätzlichen Einordnung. 283 Heusel, „Weiches“ Völkerrecht, S. 290. 284 Zuzugeben ist zwar, dass das Argument in der Praxis durchaus hilfreich sein kann, also die Frage: wie dürfte man auf einen Verstoß reagieren? Aufschluss über die Rechtserheblichkeit geben kann. Dies stellt jedoch nur eine Hilfserwägung zur

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Zweitens stellt die Gleichsetzung von völkerrechtlichem Vertrag mit dem Erfordernis, dass in einem solchen Vertrag Rechte und Pflichten enthalten sein müssten, einen Kurzschluss dar. Denn die Frage der Abgrenzung zwischen völkerrechtlichem Vertrag und außerrechtlicher Abmachung ist ein logisch der Auslegung vorausgehendes Problem; primär ist die Frage: Liegt ein völkerrechtlicher Vertrag vor, sekundär dagegen: Welche Rechte und Pflichten ergeben sich daraus?285 Der zweite denkbare Einwand gegen die Begründung, das Neue Strategische Konzept von 1999 sei deswegen ein rechtlicher Vertrag, weil er eine Rechtsgrundlage für nicht von Artikel 5 Nato-Vertrag gedeckte Einsätze liefere, setzt an den konkreten völkerrechtlichen Folgen an. Der Einwand könnte wie folgt formuliert werden: Das Neue Strategische Konzept kann schon deshalb keine Rechtsgrundlage für Einsätze nach dem Muster des Kosovo-Präzedenzfalles sein, weil unabhängig von der daraus folgenden Vereinbarkeit mit dem Nato-Vertrag der Einsatz jedenfalls wegen Verstoßes gegen Art. 2 Nr. 4 SVN völkerrechtswidrig ist, kurz: Das Neue Strategische Konzept ist als Rechtsgrundlage nicht tauglich. Dieser Einwand verkennt jedoch die Relevanz des Parteikonsenses für die Fragestellung. Maßgeblich ist nicht, welche völkerrechtlichen Folgen eine Norm hat, sondern welche Folgen sie nach dem Willen der Vertragspartner haben soll: Dass auch mit der Grundlage im Neuen Strategischen Konzept nach überwiegender und zutreffender Auffassung der Einsatz beispielsweise im Kosovo rechtswidrig war,286 ist unerheblich. Maßgeblich ist, dass die Parteien jedenfalls für die Rechtmäßigkeit nach dem Nato-Vertrag eine Rechtsgrundlage schaffen wollten.287 Die Einwände gegen die Rechtserheblichkeit des Neuen Strategischen Konzepts greifen also nicht durch. Widersprüchlicherweise scheint nunmehr auch der Zweite Senat dieser Auffassung zu sein, dass das Neue Strategische Konzept rechtserheblich Beantwortung der Ausgangsfrage dar, kann jedoch nicht selbst zur Ausgangsfrage gemacht werden. 285 So zutr. Rotter, Verdroß-FS, 413, 433. 286 Zur völkerrechtlichen Beurteilung des Kosovo-Krieges s. nur Bothe/Martenczuk, VN 1999, 125, 129 ff. 287 Ebenfalls dahinstehen kann, ob die Nato-Partner damit von der Völkerrechtmäßigkeit des Einsatzes insgesamt ausgingen. Für die Petersberg-Erklärung findet sich dieser Gedanke – allerdings in anderer Argumentationslinie, Einzelheiten dazu sogl. u. c) – auch bei den die Entscheidung BVerfGE 90, 286 ff. tragenden Richtern (S. 369): [. . .] die Mitglieder der WEU [gehen] offensichtlich von der Rechtsauffassung aus [. . .], zur Umsetzung von VN-Resolutionen bedürfe es keiner Grundlage im Brüsseler Vertrag.“ Die Kritik Noltes (ZaöRV 54 (1994), 652, 667) an dieser Rechtsauffassung ist zwar berechtigt, ändert aber nichts daran, dass bei der Suche nach dem Rechtsbindungswillen der Wille der Parteien zu erforschen ist und dabei auch irrige Rechtsansichten derselben zu berücksichtigen sind.

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sei. Denn im Tornado-Urteil vom 3. Juli 2007 geht er stillschweigend davon aus, dass das Neue Strategische Konzept geeignet sei, eine Rechtsgrundlage für Nicht-Artikel-5-Einsätze zu liefern. Denn für den Isaf-Einsatz in Afghanistan sei zwar eine Rechtsgrundlage erforderlich; daraus könne aber nicht die Rechtserheblichkeit der Riga-Erklärung, die Einsätze außerhalb des euro-atlantischen Raumes vorsieht, gefolgert werden, denn die Riga-Erklärung sei als Rechtsgrundlage nicht vonnöten: Da der Afghanistan-Einsatz einen Bezug zum euro-atlantischen Raum habe, sei das Neue Strategische Konzept als Rechtsgrundlage ausreichend.288 c) Die Petersberg-Erklärung der WEU von 1991 Die sogenannte Petersberg-Erklärung der WEU von 1991 liegt hinsichtlich der Deutlichkeit des Bindungswillens gleichsam zwischen dem Neuen Strategischen Konzept der Nato von 1991 und dem von 1999. Im Ergebnis wird hier indessen ein Rechtsbindungswille zu verneinen sein, da auch hier politische Absichtserklärungen dominieren. Zwar findet sich in der Petersberg-Erklärung eine Klausel, die der Klausel betreffend die „Nicht-Artikel5-Einsätze“ im Nato-Konzept von 1999 ähnelt, nämlich unter Punkt II. 4., wo die Möglichkeit des Einsatzes für „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze; friedenserhaltende Aufgaben; Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich Maßnahmen zur Herbeiführung des Friedens“ vorgesehen ist. Auf den ersten Blick geht auch dies – wie die „Nicht-Artikel5-Klausel“ – über das rein defensive Konzept des Bündnisses hinaus. Dennoch kann hier der Wille zur Schaffung einer Rechtsgrundlage nicht nachgewiesen werden. Dies liegt daran, dass hier nicht ausdrücklich gesagt wird, dass die fraglichen Einsätze über die im Ursprungsvertrag angelegten hinausgehen sollen. Vielmehr sollen diese Einsätze auf solche beschränkt bleiben, die von den Vereinten Nationen legitimiert sind.289 Irrelevant ist dabei, ob solche Einsätze tatsächlich keiner Rechtsgrundlage im WEU-Vertrag bedürfen.290 Entscheidend ist allein, auf der Basis welcher Rechtsauffassung die Parteien ihren Willen gebildet haben. Damit stimmt auch über288

So 2 BvE 2/07 unter C. I. 2., 3. a) (Rn. 57–59) der Urteilsgründe. So jedenfalls versteht dies die die Entscheidung tragende Richtergruppe, vgl. BVerfGE 90, 286, 369. 290 Was zweifelhaft ist, s. nur Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 666 f. und allgemein Verdroß/Simma, Universelles Völkerrecht, § 780; unterschieden werden muss zwischen der Rechtmäßigkeit aus Sicht des Rechts der VN und der des Rechts der regionalen Organisation: ein Nato-/WEU-Einsatz auf Ersuchen der VN verstößt gegen das Recht der Nato/WEU, sofern es in deren Gründungsvertrag keine Rechtsgrundlage gibt, nicht aber gegen das Recht der VN; s. dazu Wolfrum, ZaöRV 53 (1993), 576, 593 f. 289

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Teil 2: Vertragswandel ohne förmliche Vertragsänderung

ein, dass im selben Punkt darauf hingewiesen wird, dass die in Rede stehenden Einsätze in Übereinstimmung mit Art. 5 Nato-Vertrag und Art. V WEU-Vertrag stehen sollen. Der Wille zur Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage lässt sich hier also nicht fruchtbar machen. Entscheidender Unterschied zwischen dem Neuen Strategischen Konzept der Nato 1999 und der Petersberg-Erklärung, der zur Qualifizierung des einen als rechtlicher und der anderen als nichtrechtlicher Vertrag führen, ist also, dass mit dem Neuen Strategischen Konzept eine neue Rechtsgrundlage, auch über VN-Einsätze hinaus,291 geschaffen werden soll.

D. Zusammenfassung und Ausblick auf die folgenden Teile Aus verfassungsrechtlicher Perspektive lassen sich also zwei Problemkonstellationen des inhaltlichen Wandels völkerrechtlicher Verträge differenzieren: – Erstens die Konstellation des Verbandskompetenzkonflikts, in der der einzelstaatliche Entscheidungsspielraum reduziert ist, sei es durch die Möglichkeit einer vereinfachten Vertragsänderung, sei es durch die Bindung an eine Rahmenkonvention, sei es durch die Übertragung von Kompetenzen auf internationale Organisationen. Exemplarisch herangezogen werden für diese Konstellation soll das Recht der Europäischen Union. Zum einen handelt es sich bei der EU um das augenfälligste Beispiel einer Kompetenzübertragung mit der Folge des größten einzelstaatlichen Kompetenzverlustes. Zum anderen ist am Beispiel der EU die größte Kontroverse um den Verbandskompetenzkonflikt entstanden, nämlich anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Union.292 – Zweitens die Konstellation des Organkompetenzkonflikts, bei der die einzelstaatliche Kompetenz nicht tangiert ist, vielmehr der Kompetenzkonflikt zwischen innerstaatlichen Organen besteht. Die Veränderungen in den internationalen Beziehungen haben hier vor allem zu einer Informalisierung geführt, das heißt zu einer Häufung der Phänomene der authentischen Vertragsinterpretation, der konkludenten Vertragsänderung und des Abschlusses nichtrechtlicher Verträge. Diese Phänomene sind zum einen deshalb problematisch, weil sie sich nicht genau voneinander differenzie291

So deutlich Klein/Schmahl, RuP 35 (1999), 198, 205; Kadelbach, Parlamentarische Kontrolle, S. 47 spricht davon, dass mit dem Konzept von 1991 neue Dimensionen „ins Auge gefasst“, aber „noch nicht konturiert“ worden seien. 292 BVerfGE 89, 1 ff. – Maastricht.

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ren lassen, zum anderen aber auch deshalb, weil eine innerstaatliche Kompetenzregelung mangels Erwähnung in Art. 59 II GG für die nichtrechtlichen Verträge und die authentische Vertragsinterpretation fehlt. Letzteres gilt auch für einseitige Akte. Sie sind zwar kein für die Veränderungen in den internationalen Beziehungen typisches Phänomen, da aber gerade an ihrem Beispiel das Bundesverfassungsgericht wesentliche Grundsätze seiner Konzeption zur auswärtigen Gewalt erörtert hat,293 soll auch auf diese Konstellation eingegangen werden. Die Relevanz von Art. 59 II GG für die folgenden Überlegungen lässt sich weiter konkretisieren: Da es in der Staatengemeinschaft an einem zentralen Rechtsetzungsorgan fehlt, kann es sich bei den in Art. 38 I IGH-Statut genannten Rechtsquellen nicht um einen numerus clausus der denkbaren Rechtsquellen handeln.294 Allerdings war der Rechtswille der Völkergemeinschaft bisher im Wesentlichen darauf beschränkt, was sich empirisch als Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht beschreiben lässt.295 Da also rein empirisch bei Erlass des Grundgesetzes die Rechtsquellentrias des Art. 38 I IGH-Statut eine weitgehend abschließende Beschreibung der Rechtsquellen auf internationaler Ebene war, konnte sich das Grundgesetz darauf beschränken, in Art. 25 und 59 II sein Verhältnis zu diesen Rechtsquellen zu regeln. Unumstritten ist, dass über diese Rechtsquellen hinaus unter der Voraussetzung weitere entwickelt werden können, dass über sie „Einvernehmen“ besteht,296 also diese Weiterentwicklung vom Konsens der gebundenen Völkerrechtssubjekte gedeckt ist. Nicht zu entscheiden ist hier, ob dieses „Einvernehmen“ über die Weiterentwicklung identisch ist mit dem, was insbesondere Verdroß/Simma mit dem Konsens als „ursprünglicher“ Völkerrechtsquelle297 meinen. Wesentlich ist, dass bei jedem völkerrechtlichen Rechtssatz Voraussetzung für dessen Geltung die Rückführbarkeit auf den Konsens der Parteien ist. Zu diesem subjektiven Element des Einvernehmens kommt bei den klassischen Rechtsquellen jeweils ein objektives hinzu: Bei den Verträgen ist dies die rechtsgeschäftliche Herstellung des Konsenses, also der Austausch von – jedenfalls konkludenten – Willens293

BVerfGE 68, 1 ff. – Nato-Doppelbeschluss. s. nur Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 148; Verdroß/ Simma, Univ. VölR, § 518; s. auch schon oben B. 295 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht, S. 111 f.; Verdroß/Simma, Univ. VölR, § 518. 296 Vgl. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 148; ähnliche Formulierung bei v. Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, Kap. 3 vor § 9 Rn. 3; s. auch Bleckmann, Aufgaben, S. 43 ff. 297 Verdroß/Simma, Univ. VölR, § 519; ähnlich Weil, RGDIP 1982, 5, 16 (Rn. 11); s. auch Bothe, NYIL XI (1980), 65, 67. 294

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erklärungen (im Unterschied zu rein passivem Verhalten, durch das zwar ein Konsens hergestellt werden kann, aber kein Vertrag zustandekommen kann)298.299 Die Erzeugung einer Rechtsquelle bedarf eines für Dritte erkennbaren Verhaltens:300 Beim Völkergewohnheitsrecht wird das subjektive Element der Rechtsüberzeugung301 – also des Konsenses über das geltende Recht – ergänzt durch das objektive Element der gemeinsamen Übung.302 Wenn nun – wie ausgeführt – sich der Wille der Staatengemeinschaft bislang im Wesentlichen auf diese beiden Ausdrucksformen beschränkt hat, so ist diese Beschränkung der Grund dafür, dass auch das Grundgesetz sich auf die Regelung seines Verhältnisses zu diesen beiden Rechtsquellen beschränkt. Eine Abweichung von diesen Ausdrucksformen bedeutet daher nicht, dass das Schweigen des Grundgesetzes dazu ein beredtes ist. Insbesondere haben wir gesehen, dass oftmals gar nicht unzweifelhaft feststellbar ist, ob ein Verhalten eines Völkerrechtssubjekts auf die Erzeugung einer der tradierten Rechtsquellen oder auf die Erzeugung einer nicht unter Art. 38 I IGH-Statut fallenden Rechtsquelle gerichtet ist oder aber gar keine neue Rechtsquelle erzeugt: Ein Beispiel dafür ist die oben erörterte Gemengelage von konkludenter Vertragsänderung durch Vertragsanwendung oder authentischer Interpretation gegenüber der Anwendung im Rahmen des bestehenden Vertrags. Ein weiteres Beispiel stellt die Abgrenzung zwischen einem Vertrag und dem, was Verdroß/Simma als allgemeinen Konsens als Völkerrechtsquelle bezeichnen, dar: Hier geht es hauptsächlich um die Abgrenzung zwischen konkludenter Willenserklärung und passivem Verhalten, und zwischen diesen beiden Formen ist die Grenze ebenfalls fließend.303 Dass Art. 25, 59 II GG nicht per se abschließende Regelungen betreffend das Verhältnis des deutschen Rechts zum Völkerrecht sein können, zeigt eine weitere einfache Überlegung: Nach ganz überwiegender Ansicht regelt Art. 25 GG jedenfalls nicht das Verhältnis des Grundgesetzes zum regionalen und bilateralen Völkergewohnheitsrecht,304 sondern nur das zum (zumindest quasi-305)universellen Gewohnheitsrecht. Dass das Grundgesetz 298

Verdroß/Simma, Univ. VölR, § 519. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, Abschn. 1 Rn. 115; Bleckmann, Methoden, S. 88; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 78, 93. 300 Wengler, JZ 1995, 21, 22. 301 Vgl. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 77; v. Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 12 ff. 302 V. Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 4; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 75; auf Einzelheiten des Geltungsgrundes des Völkergewohnheitsrechts einzugehen würde den Rahmen sprengen, s. dazu den Überblick bei Bleckmann, Aufgaben, S. 19 ff. 303 Verdroß/Simma, Univ. VölR, § 519. 299

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aber gleichsam „gar kein“ Verhältnis zum regionalen Gewohnheitsrecht hat, kann nicht sein (sonst wäre es aus innerstaatlicher Perspektive nicht verbindlich).306 Schon deshalb kann das Grundgesetz gar keine abschließende Regelung hinsichtlich seines Verhältnisses zum Völkerrecht getroffen haben.307 Aus diesen Überlegungen folgt: Bei der Erwähnung des Vertrags in Art. 59 II GG handelt es sich – plakativ ausgedrückt: – um eine historische Zufälligkeit.308 Das Grundgesetz spiegelt den Entwicklungsstand des Völkerrechts zur Zeit seines Erlasses wider.309 Daher kann weder aus der Nichterwähnung anderer Rechtsquellen geschlossen werden, dass es sich bei Art. 59 II GG um eine abschließende Regelung handelt, noch kann der Anwendungsbereich von Art. 59 II GG unreflektiert erweitert werden. Vielmehr werden die Kompetenzverteilungen in den einzelnen Konstellationen anhand allgemeiner Grundsätze zu bestimmen sein. Welche Aussagen sich diesen Grundsätzen entnehmen lassen, soll im Folgenden310 erörtert werden. Abschließend311 sollen diese Erkenntnisse auf die in diesem Teil untersuchten Konstellationen übertragen werden, nämlich – die Konstellation des Kompetenzkonflikts zwischen Einzelstaat und internationaler Organisation am Beispiel der Europäischen Union, insbesondere des Maastricht-Urteils und des Urteils zum Europäischen Haftbefehl; – die Konstellationen des innerstaatlichen Kompetenzkonflikts aufgrund von „Informalisierung“ am Beispiel der Entscheidungen zu den Aus304 Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 25 Rn. 7; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 32 f.; Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 2 Rn. 140; a. A. Pernice, in: Dreier, GG II, Art. 25 Rn. 20. 305 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 163. 306 Beispielhaft die Ausführungen von Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 32, 34: Zwar wird zunächst die geringe Relevanz von regionalem Gewohnheitsrecht festgestellt, sodann jedoch stillschweigend vorausgesetzt, dass es eine Regelung des Verhältnisses geben muss: „Die Inkorporation [. . .] lässt sich – ohne besonderen Geltungsvorrang – am ehesten durch eine analoge Anwendung von Art. 25 Satz 1 GG“ erreichen. Anders wohl Rojahn, in: v. Münch/Kunig, GG II, Art. 25 Rn. 9, freilich ohne Begründung: „[. . .] er ist abschließend.“ 307 So wird denn auch für das regionale Gewohnheitsrecht verbreitet eine analoge Anwendung von Art. 25 vertreten, vgl. die Nachweise bei Pernice, in: Dreier, GG II, Rn. 20. 308 Wengler, JZ 1995, 21, 22 spricht davon, dass beispielsweise die Rechtserheblichkeit von einseitigen Akten dem Grundgesetzgeber unbekannt gewesen sei, ohne aber eine korrigierende Auslegung von Art. 59 II GG zu erwägen. 309 Ebenso Denninger, FR 140/2005, 7, Spalte 2, bezogen auf das Gewaltverbot. 310 s. sogleich Teil 3. 311 Teil 4.

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landseinsätzen und dem Neuen Strategischen Konzept der Nato; ergänzend herangezogen werden soll die Konstellation der einseitigen Akte am Beispiel der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung.

Teil 3

Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz Es soll im Folgenden also zunächst ohne spezifische Bezugnahme auf die auswärtige Gewalt der Inhalt von Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip des Grundgesetzes erörtert werden, genauer: das Verhältnis dieser beiden Prinzipien zueinander. Dabei wird sich zeigen, dass die Verbindung der beiden Prinzipien miteinander noch nicht recht erkannt worden ist, dass vielmehr jeweils allein mit demjenigen der beiden Prinzipien argumentiert wird, das intuitiv im konkreten Fall näher liegt.1 Theoretische Ausführungen zum Verhältnis der Prinzipien bleiben oftmals vage. Dies gilt beispielsweise für das Diktum, das Gewaltenteilungsprinzip trete dem demokratischen Prinzip nicht als eigener, von diesem unabhängiger Legitimationsgrund gegenüber, sondern entfalte seine Wirkung innerhalb und auf dem Boden des demokratischen Prinzips.2 Daher soll zunächst eine Bestandsaufnahme erfolgen, wie mit dem Zusammenhang der Prinzipien bisher umgegangen wird,3 und dargelegt werden, inwiefern dieser Umgang in sich widersprüchlich ist.4 Danach5 sollen die dabei auftretenden Widersprüche aufgelöst werden und auf dem Boden der überkommenen Prämissen6 ein konsistentes System entworfen werden. 1 Dieses „intuitive“, nur eines der Prinzipien heranziehende Vorgehen findet sich überraschenderweise auch in ausführlicheren Darstellungen; die Erörterung unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten führt häufig, aber keineswegs immer zu der herrschenden Auffassung des Primats der Exekutive. Beispielhaft dafür Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. XXV, 3 ff., 114 ff., 173 ff., der, obwohl allein vom Gewaltenteilungsprinzip ausgehend, zu einer „Staatsleitung zur gesamten Hand“ (so ausdrücklich S. 125) gelangt. 2 Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 368; ders., in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 22 Rn. 87. 3 Unten A. I., II. 4 Unten A. III. 5 Unten B. 6 Sich von diesen Prämissen zu lösen würde dazu führen, dass die hier zu entwickelnde Systematik nicht mehr oder weniger plausibel wäre als die überkommene und daher beliebig erscheinen müsste. Ein solcher Entwurf müsste daher gleichsam eine Abstraktionsebene höher ansetzen, also nach Legitimation allgemein, losgelöst von der vorgefundenen grundgesetzlichen Ordnung, fragen, so wie dies jüngst bei-

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

A. Konstellationen der Heranziehung der Prinzipien I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht legte seinen Entscheidungen zur Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt ein ideell vorgegebenes Gewaltenteilungsschema zugrunde.7 Diese Beobachtung lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass das Gericht auch in nicht die auswärtige Gewalt betreffenden Entscheidungen im Grundsatz von einer ideell vorgegebenen Trennung der Gewalten ausgeht: Zwar erkennt es an, dass das Grundgesetz „zahlreiche Gewaltenverschränkungen und -balancierungen“ enthalte8 und dass nicht absolute Trennung, sondern gegenseitige Kontrolle und Mäßigung der Gewalten Sinn des Prinzips sei.9 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass „gegenseitige Kontrolle und Mäßigung“ noch keine Verschränkung der Gewalten impliziert, sondern ganz im Gegenteil die Möglichkeit eindeutiger Zuordnung: Die Gewalten sind getrennt und kontrollieren und mäßigen sich gegenseitig. Wo es sodann tatsächlich zu einer Verschränkung der Gewalten kommt, wird dies nicht mehr als dem Gewaltenteilungsprinzip immanent angesehen, sondern als Einschränkung desselben: Denn wo solche Verschränkungen vorzufinden seien, sei das Prinzip an dieser Stelle nicht mehr „rein verwirklicht“,10 und dies dürfe nicht so weit gehen, dass eine Gewalt ein „von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt“ erhält.11 Das heißt, dass das Gericht dem Grundgesetz theoretisch eine grundsätzlich eindeutige Zuordnung aller staatlichen Tätigkeiten zu einer der drei Gewalten entnimmt: Denn „keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden“.12 Das Gericht geht also auch hier von der grundsätzlichen Möglichkeit der Zuordnung aller staatlichen Tätigkeit zu je einer Gewalt aus; die „Verschränkungen“ der Gewalten sind nach diesem Ansatz eine – wenn auch oftmals leicht zu rechtfertigende – Ausnahme vom Gewaltenteilungsgrundsatz. spielsweise Möllers, Gewaltengliederung, passim getan hat (zur hier erwähnten Frage der Abstraktionsebene s. S. 11 ff.). 7 s. o. Teil 1 B. I. 1. 8 St. Rspr., s. nur BVerfGE 7, 183, 188; E 34, 52, 59. 9 St. Rspr. seit BVerfGE 3, 225, 247; s. auch BVerfGE 22, 106, 111; E 30, 1, 28; E 95, 1, 15. 10 BVerfGE 3, 225, 247. 11 BVerfGE 9, 268, 279; E 22, 106, 111; E 34, 52, 59. 12 BVerfGE 9, 268, 280; E 22, 106, 111; E 34, 52, 59; vom Ansatz her genauso, aber weniger deutlich BVerfGE 3, 225, 248.

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Die Delegationsbefugnis der Legislative im Bereich der Rechtsetzung stellt sich demnach als Problem der Gewaltenteilung dar: „Eine pauschale Übertragung normsetzender Gewalt auf die Exekutive ist mit dem Prinzip der Gewaltenteilung unvereinbar“.13 Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Übertragung von Gesetzgebungsmacht sei, dass das Parlament die Grenzen dieser Übertragung genau bedenke und bestimme.14 Begründet wird diese Ableitung aus dem Gewaltenteilungsprinzip mit einem nur scheinbar konsistenten Argument: „Im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes fällt dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zu. [Denn] nur das Parlament besitzt die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung.“15 Hier wird also – kaum merklich – eine Gewaltenzuordnung mit dem demokratischen Prinzip begründet. Inwieweit dieses Argument, so formuliert, einerseits fehlgeht, andererseits aber auch den Weg zu einem konsistenten Verständnis des Verhältnisses der Prinzipien weist, wird noch zu erörtern sein.16 Parallel dazu liegt das folgende, aus anderer, nämlich exekutivischer Perspektive formulierte Argument: Zu den exekutivischen Aufgaben gehört die Vollziehung der Gesetze im Einzelfall.17 Voraussetzung für „Gesetzesvollzug“ sei jedoch, dass tatsächlich „näher das Gesetz ausgeführt“ werde und die Verwaltung nach den Richtlinien des Gesetzgebers handele, also eine hinreichende Bestimmtheit. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist sonach zugleich eine Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung.18 Auch dieses Argument wird bei der Auflösung der Widersprüche noch von Bedeutung sein. Auffällig – und insbesondere hinsichtlich des Vergleichs mit den auf das Demokratieprinzip gestützten Entscheidungen19 auch aufschlussreich – sind die Sachverhalte, die den Entscheidungen zugrundelagen, in denen mit dem Gewaltenteilungsprinzip argumentiert wurde: Jedes Mal ging es um Konflikte zwischen dem Parlament und Organen der unmittelbaren Staatsverwaltung20 oder um die verfassungsmäßigen Kompetenzen der Justiz.21 Wo 13

BVerfGE 34, 52, 60. BVerfGE 1, 14, 60; E 34, 52, 60. 15 BVerfGE 34, 52, 59. 16 Unten B. I. 2. 17 BVerfGE 95, 1, 16. 18 So deutlich BVerfGE 8, 274, 325 mit falschem Verweis auf BVerfGE 6, 32, 42 und E 8, 71, 76. 19 s. dazu sogleich. 20 Vgl. BVerfGE 8, 274, 325; E 22, 106, 111; E 34, 52, 57 f.; E 67, 100, 139; E 68, 1, 86. 14

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es gerade nicht um das Verhältnis des Parlaments zur unmittelbaren Staatsverwaltung geht, sondern um die Zulässigkeit der Übertragung von Kompetenzen hoheitlichen Handelns auf nicht in den hierarchischen Behördenaufbau eingegliederte Stellen, so wird demgegenüber die Einschlägigkeit des Gewaltenteilungsprinzips explizit verneint.22 Diese Beobachtung führt zu den Konstellationen, in denen das Gericht mit dem demokratischen Prinzip argumentiert. Dies tut es regelmäßig in der soeben erwähnten Konstellation der Ausgliederung der Trägerschaft hoheitlicher Gewalt aus dem hierarchischen Behördenaufbau, also wenn ein Träger hoheitlicher Gewalt nicht der Regierung verantwortlich ist. Wie ausgeführt, sieht das Gericht das Gewaltenteilungsprinzip in diesen Fällen nicht als tauglichen Prüfungsmaßstab an. Das Problem betreffe nicht dieses Prinzip, da die fraglichen Träger hoheitlicher Gewalt trotz ihrer mangelnden Verantwortlichkeit gegenüber der Exekutivspitze nicht „außerhalb der Verwaltung“ stünden.23 Vielmehr handelt es sich hier auch nach der Rechtsprechung um ein Problem der demokratischen Legitimation, nämlich inwieweit vom grundsätzlichen Erfordernis einer ununterbrochenen Legitimationskette vom Legitimationssubjekt24 zum Träger hoheitlicher Gewalt abgewichen werden kann.25 Der Senat zieht also in bestimmten Konstellationen das Demokratie-, in anderen Konstellationen das Gewaltenteilungsprinzip als Maßstab heran. Diese Konstellationen lassen sich wie folgt systematisieren: – Das Demokratieprinzip nimmt der Senat zum Ausgangspunkt seiner Argumentation bei Kompetenzkonflikten innerhalb einer Staatsfunktion. Diese Konflikte entstehen, wenn hoheitliche Gewalt auf nicht in die hierarchische Behördenorganisation eingegliederte Stellen übertragen werden, wenn also Träger hoheitlicher Gewalt nicht der Regierung als Spitze der Exekutive verantwortlich sind. Diese Konfliktkonstellation hat in letzter Zeit ein größeres Anwendungsfeld durch die Ausweitung der Übertragung von hoheitlicher Gewalt auf Träger der funktionellen Selbstverwaltung bekommen. So lässt sich auch erklären, dass das Demokratie21

Vgl. BVerfGE 3, 225, 248; E 7, 183, 188; E 30, 1, 28; E 34, 269, 288. BVerfGE 9, 268, 280 – Bremisches Personalvertretungsgesetz. 23 BVerfGE 9, 268, 280. 24 Wer dies sein kann, wird unten Teil 4 B. I. 1. zu erörtern sein. 25 Vgl. BVerfGE 93, 37, 67 f. – MitbestimmungG Schleswig-Holstein. Nicht zu verwechseln ist dies mit der Frage, inwieweit im Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung Legitimationsketten von anderen Legitimationssubjekten als dem Staatsvolk unter dem Gesichtspunkt der Selbstverwaltung durch „die Betroffenen“ denkbar ist, vgl. dazu BVerfG, NVwZ 2003, 974, 976 f. und unten Teil 4 B. I. 1. 22

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prinzip lange Zeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht so sehr im Blickpunkt stand.26 – Mit der Gewaltenteilung argumentiert der Senat demgegenüber bei Kompetenzkonflikten zwischen verschiedenen Staatsfunktionen. Soweit bei diesen Argumentationen legitimatorische Erwägungen herangezogen werden, werden diese als dem Gewaltenteilungsprinzip geschuldet dargestellt und unter der Fragestellung der Anforderungen dieses Prinzips behandelt.

II. Die dahinter stehende Konzeption Bei genauerer Betrachtung betreffen diese Konstellationen unterschiedliche (gedankliche) Zeitpunkte: Die erste Konstellation betrifft die Frage nach der Konstituierung der Staatsgewalten, während die zweite eine gedanklich dahinter liegende Frage betrifft, nämlich die der Kompetenzverteilung zwischen bereits konstituierten Gewalten. So betrachtet, steht auch die Formulierung, Gewaltenteilung entfalte sich erst „auf dem Boden“ des demokratischen Prinzips,27 mit den Argumentationsmustern des Senats in Einklang. Denn hinter der Vorgehensweise des Senats verbirgt sich folgende Konzeption: 1. In einem ersten Schritt werden die Gewalten konstituiert, und bei diesem ersten Schritt ist es das Demokratieprinzip, das die Maßstäbe liefert. Denn wenn der Senat, wie dargelegt, das Demokratieprinzip bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Schaffung von Trägern hoheitlicher Gewalt ohne Verantwortlichkeit gegenüber der Exekutivspitze heranzieht, so berührt dies die Frage, welche Träger hoheitlicher Gewalt von Verfassungs wegen existieren dürfen, also die Konstituierung dieser Träger hoheitlicher Gewalt. Das demokratische Prinzip liefert dafür nun insofern Maßstäbe, als der Senat aus ihm das (grundsätzliche) Erfordernis eines unmittelbaren Legitimations- und Verantwortlichkeitsstranges vom Parlament über die Spitze der Exekutive hin zu jedem Amtswalter und dessen Entscheidungen fordert.28 Angesprochen ist hier also zum einen die nach der Rechtsprechung des Se26 So unterscheidet beispielsweise die Kommentierung von Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 20 Rn. 46 ff. zwar zwischen „materieller“ und „persönlicher“ Legitimation, die Konzeption der drei sich ergänzenden Legitimationsformen Böckenfördes entwickelte sich in dieser Klarheit allerdings erst im Zuge der Rechtsprechung zum Ausländerwahlrecht und zur Mitbestimmung (s. dazu unten Teil 4 B. I. 1.) zu Beginn der 90er Jahre. 27 s. o. vor A. 28 s. nur BVerfGE 47, 253, 275; E 93, 37, 66; Dreier, in: ders., GG I, Art. 20 (D) Rn. 77.

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

nats erforderliche personelle demokratische Legitimation, die auf die Einbindung des einzelnen Amtswalters in den hierarchischen Behördenaufbau abstellt.29 Des Weiteren ist hier aber auch ein Aspekt der sachlich-inhaltlichen Legitimation maßstabsbildend. Diese besteht aus zwei sich ergänzenden Komponenten. Für unser Problem nicht weiterführend ist dabei die inhaltliche Steuerung des Verwaltungshandelns durch das Parlamentsgesetz. Jedoch ist der weitere Aspekt der sachlich-inhaltlichen Legitimation einschlägig, nämlich das Erfordernis eines ununterbrochenen Weisungsstranges.30 Das Erfordernis einer ununterbrochenen Legitimationskette besteht also zum einen in personeller Hinsicht, zum anderen in sachlich-inhaltlicher. Hinsichtlich dieser beiden Aspekte liefert das Demokratieprinzip also Antworten auf die Frage nach der zulässigen Konstituierung staatlicher Gewalt. Die weiteren Legitimationsformen, die es nach der Rechtsprechung des Senats gibt, spielen bei dieser Frage der Konstituierung von Staatsgewalt indessen keine Rolle. Dies gilt erstens für den schon erwähnten zweiten Aspekt der sachlich-inhaltlichen Legitimation, der verlangt, dass eine hinreichend konkrete Steuerung der Verwaltungstätigkeit durch das Parlamentsgesetz gegeben ist. Für die Konstituierung von Hoheitsträgern ergibt sich daraus indessen nichts. Zweitens gilt dies weitgehend auch für die funktionelle demokratische Legitimation,31 aus der sich für die Konstituierung der Staatsgewalten nicht mehr ableiten lässt, als dass es die drei in Art. 20 II GG genannten Staatsfunktionen gibt.32 Nicht anders liegt es mit der institutionellen demokratischen Legitimation,33 aus der sich auf der Ebene der Konstituierung der Hoheitsträger nur ergibt, dass neben den drei in Art. 20 II GG genannten Staatsgewalten besondere Institutionen, die Träger hoheitlicher Gewalt sind, existieren können.34 Eine Relevanz der sachlich-inhaltlichen und funktionell-institutionellen demokratischen Legitimation für die Herstellung effektiver Legitimation scheint demnach dem „zweiten Schritt“ vorbehalten zu sein, also bei der Verteilung der Staatsgewalt auf die im ersten Schritt konstituierten Gewalten. 2. Bei diesem zweiten Schritt, der Kompetenzverteilung zwischen den demokratisch konstituierten Gewalten, muss indessen wiederum zwischen zwei Konstellationen unterschieden werden. 29

s. die vorige Fn. und im Einzelnen unten B. II. Dieser Unterschied wird oftmals nicht deutlich bezeichnet; knapp und klar Maurer, Staatsrecht I, Rn. 28. 31 Zu dieser im Einzelnen unten B. II. 2. a). 32 Vgl. allgemein Dreier, GG II, Art. 20 (D) Rn. 105; Böckenförde, in: Isensee/ Kirchhof, HStR II, § 24 Rn. 15. 33 Vgl. dazu Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24 Rn. 15. 34 „Klassisches“ Beispiel ist die Bundesbank, vgl. Art. 88 GG. 30

A. Konstellationen der Heranziehung der Prinzipien

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a) Im innerstaatsorganisatorischen Bereich lassen sich aus dem Demokratieprinzip mangels Entscheidungscharakters35 der Maßnahmen keine Maßstäbe gewinnen, hier geht es tatsächlich um das Verhältnis verschiedener Organe zueinander. Inwieweit hier das Gewaltenteilungsprinzip als solches, losgelöst von seinen positivierten Ausprägungen, wirklich Maßstäbe liefert,36 gehört nicht zur Fragestellung dieser Arbeit. Aufschlussreich hinsichtlich der Abgrenzungskriterien im Allgemeinen und damit auch hinsichtlich der sogleich zu erörternden anderen, hier interessierenden Konstellation ist indessen die Erkenntnis, dass in diesem innerstaatsorganisatorischen Bereich die Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsbereichen jedenfalls nicht handlungsformbezogen sein kann: Die Zuordnung dergestalt, dass für Gesetze das Parlament, für Einzelakte indessen die Exekutive zuständig ist, funktioniert hier schon deshalb nicht, weil Regierung und Parlament ihre Beziehungen nicht mit Gesetzen, Verwaltungsakten und Realakten gestalten. b) Problematisch ist vor allem der für die vorliegende Fragestellung relevante Bereich, das Staat-Bürger-Verhältnis. Hier bedürfen staatliche Maßnahmen jedenfalls einer irgendwie gearteten demokratischen Legitimation; dies ist jedoch schon aufgrund des ersten Schritts, in dem demokratisch legitimierte Gewalten konstituiert wurden, gewährleistet. Auf dieser Grundlage, also „auf dem Boden des demokratischen Prinzips“, kommt nun in den oben37 dargestellten Entscheidungen das Gewaltenteilungsprinzip ins Spiel: Welche der demokratisch legitimierten Gewalten nun für eine Handlung zuständig ist, richtet sich nach der in den genannten Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Konzeption nach ihrer Funktion. Dies ist die Konsequenz aus dem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsmodell: Nach diesem ist die „gesetzgebende Gewalt“ für die Rechtsetzung, die „vollziehende Gewalt“ für Einzelakte zuständig. Zentrales Abgrenzungskriterium ist hier also das, was im innerstaatsorganisatorischen Bereich gerade nicht passt,38 nämlich das der Handlungsform: Das Parlament ist für die Gesetzgebung im Sinne von Art. 70 ff. GG zuständig, alles andere fällt in die Kompetenz der Exekutive. Soweit die Kompetenzverteilung nicht diesem Muster folgt, wie beispielsweise die Verordnungsgebung nach Art. 80 GG, die Vertragszustimmung nach Art. 59 II GG oder die Zustimmung zu Bundeswehreinsätzen aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvor35

Zu diesem Erfordernis für die Legitimationsbedürftigkeit näher unten B. II. 1. Beispielsweise ob sich ein Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung aus dem Gewaltenteilungsprinzip ableiten lässt, so BVerfGE 49, 70 ff. – Untersuchungsausschuss. 37 s. o. I. 38 s. o. a). 36

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

behalts,39 stellt dies eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme vom Grundsatz der Gewaltenteilung dar.

III. Die Inkonsistenzen dieser Konzeption Die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation in ihrer Ausprägung des Erfordernisses der Steuerung durch Parlamentsgesetz, die funktionelle und die institutionelle demokratische Legitimation haben also nach der dargestellten Konzeption weder für die Gewaltenkonstituierung noch für die Kompetenzzuweisung zu konstituierten Gewalten eine Bedeutung. Daher erhebt sich die Frage, wie denn die genannten Formen demokratischer Legitimation überhaupt in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Eingang gefunden haben, wenn sie doch scheinbar gar keine Rolle spielen, genauer: In welchen Konstellationen argumentiert der Senat mit den genannten Legitimationsformen? Überraschenderweise sind es genau dieselben Problemstellungen, in denen mit diesen Formen argumentiert wird. Obwohl diese Legitimationsformen Bestandteil des Demokratiemodells des Zweiten Senats sind, tauchten sie aber dennoch nicht oben in der Wiedergabe der auf das Demokratieprinzip gestützten Entscheidungen auf. Der Grund dafür liegt darin, dass der Senat mit ihnen nicht unter der Fragestellung der Anforderungen des Demokratieprinzips, sondern unter der des Gehalts des Gewaltenteilungsprinzips argumentiert.40 Beispielhaft herausgegriffen dafür seien drei Entscheidungen: Typisch ist das Vorgehen – erstens – in der Entscheidung zur Südumfahrung Stendal.41 Hier ging es um die Zuständigkeit für eine staatliche Planungsentscheidung. Zwar argumentierte der Senat hier auch mit legitimatorischen Erwägungen,42 jedoch nicht im Ausgangspunkt. Dafür wählte er vielmehr die Frage, ob staatliche Planung nach dem System der Gewaltenteilung in die Kompetenz der Exekutive oder der Legislative falle.43 Zu den legitimatorischen Erwägungen gelangte der Senat nur, weil das Gewaltenteilungssystem keine eindeutige Zuordnung erlaube. Auch hier zeigt sich wieder die Konzeption des Senats eines ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschemas und die Relevanz des Demokratieprinzips erst im zweiten Zugriff. 39

BVerfGE 90, 286, 381 ff. Vage und gerade deshalb treffend die Formulierung von Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 179: „unter Bezugnahme auf das Rechtsstaats-, weniger das Demokratieprinzip“. 41 BVerfGE 95, 1 ff. 42 BVerfGE 95, 1, 18 f. 43 BVerfGE 95, 1, 15 f. 40

A. Konstellationen der Heranziehung der Prinzipien

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Noch deutlicher wird dies – zweitens – in der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:44 Sie gilt als Leitentscheidung zur Wesentlichkeitslehre.45 Obwohl diese eine Ausprägung des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes ist,46 der seinerseits schwerpunktmäßig aus dem Demokratieprinzip hergeleitet wird,47 wird die Entscheidung im Allgemeinen nicht als Entscheidung zum Demokratieprinzip, sondern zur Gewaltenteilung angesehen.48 Dies ist in gewisser Hinsicht auch konsequent. Denn obgleich in der Entscheidung Ausführungen zu den Anforderungen an die demokratische Legitimation gemacht werden, nimmt der Senat das Gewaltenteilungsprinzip zum Ausgangspunkt seiner Argumentation: „Grenzen der Befugnisse des Parlaments“, so der Beginn der Begründung, warum der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gehalten war, in § 7 I, II AtomG, der die Genehmigung von Anlagen betrifft, explizit über die Genehmigungsfähigkeit von sogenannten Schnellen Brütern zu entscheiden, sei „die gewaltenteilende Kompetenzzuordnung“.49 Den Ausführungen liegt also dieselbe Fragestellung wie in den oben I. dargestellten Entscheidungen zugrunde, nämlich welches der bereits konstituierten Organe für eine Entscheidung zuständig ist. Und auch die Begründung folgt im Ausgangspunkt den oben dargestellten Argumentationen: Die Zuständigkeitsverteilung richtet sich nach der „gewaltenteilenden Kompetenzordnung“, also nach der Funktion. Wenn man, wie der Senat, von einem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungsschema ausgeht, so kann diese Zuordnung nach Funktionen an sich nur dahingehend vorgenommen werden, dass rechtsetzende Tätigkeit der Legislative und Gesetzesvollzug der Exekutive zukommt.50 Nicht tauglich zur Funktionenzuordnung ist nach dieser Konzeption hingegen das Kriterium, das der Senat im Folgenden heranzieht: das der Legitimation. Hier enden also die Parallelen zwischen den Argumentationen in den oben dargestellten Entscheidungen einerseits und der Kalkar-Entscheidung andererseits. 44

BVerfGE 49, 89 ff. Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 26 Rn. 62; Leibholz/ Rinck/Hesselberger, GG, Art. 20 Rn. 1026; Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn. 20. 46 Und nicht der spezifisch grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte, die schwerpunktmäßig mit dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden, s. nur Stein/Frank, Staatsrecht, S. 157 f. zur Differenz der Institute und Maurer, Staatsrecht I, § 8 Rn 20 zur Herleitung; s. auch Cornils, in: Menzel, Verfassungsrechtsprechung, S. 295. 47 s. dazu die vorige Fn. 48 Vgl. die Nennung unter „Leitentscheidungen“ bei Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG II, Art. 20 (Rechtsstaat); des Weiteren die Erörterung im Abschnitt „Gewaltenteilung“ bei Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, § 26 Rn. 49. 49 BVerfGE 49, 89, 124. 50 Konsequent insoweit die o. I. zitierten Entscheidungen. 45

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Verteilt man die Kompetenzen nach Maßgabe der Funktionenzuordnung, wie es der Senat grundsätzlich tut, so hätte er im konkreten Fall zur Kompetenz der Legislative gelangen müssen, da es um eine Frage der Rechtsetzung ging. Unter legitimatorischen Gesichtspunkten fällt dieses Ergebnis anders aus: Aus Art. 20 II GG bezögen die Organe der vollziehenden Gewalt dieselbe institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation wie die der gesetzgebenden Gewalt, zudem hätten sie eine mittelbare personelle demokratische Legitimation.51 Aus der unmittelbaren personellen Legitimation des Parlaments dessen Kompetenz herzuleiten hieße demgegenüber, „die konkrete Ordnung staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will“, durch einen „aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts“ zu unterlaufen.52 Im Prinzip geschieht hier nichts anderes als in den oben I. angeführten Leitentscheidungen zur Gewaltenteilung, mit dem Unterschied, dass die Vermengung der Prinzipien in obigen Entscheidungen kaum merklich ist: Wenn der Senat dort davon spricht, dass sich die Kompetenz des Parlaments zur Rechtsetzung aus dessen alleiniger Legitimation zur politischen Leitentscheidung ergebe, setzt er Legitimation und Funktion an sich genauso gleich wie in der Kalkar-Entscheidung, nur dass er keine explizite „Nachprüfung“ vornimmt. In diesem Zusammenhang soll – drittens – kurz die Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung53 in Erinnerung gerufen werden:54 Hier nahm der Senat zunächst eine Kompetenzzuordnung zur Exekutive unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten vor55 und erwog in einem zweiten Schritt, ob dieses Ergebnis unter Legitimationsgesichtspunkten zu korrigieren sei, was es mit denselben56 Erwägungen wie in der Kalkar-Entscheidung verneinte.57 In den genannten Fällen werden legitimatorische Erwägungen also unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Korrektur des unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten gefundenen Ergebnisses angestellt. Dabei ergaben sich verschiedene Ausgangssituationen: In der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung gelangte der Senat (schon) im ersten Zugriff zur Zuständigkeit der Exekutive und hatte daher anschließend zu prüfen, ob dieses Ergebnis deshalb zu korrigieren sei, weil im Einzelfall eine höhere demokratische Legitima51 52 53 54 55 56 57

BVerfGE 49, 89, 125. Ebenda. BVerfGE 68, 1 ff. s. o. Teil 1 B. I. 1. BVerfGE 68, 1, 86. Teilweise wortgleichen, vgl. BVerfGE 49, 89, 125 und E 68, 1, 87. Ebenda.

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tion erforderlich sei. Demgegenüber zielte die korrigierende „Nachprüfung“ in der Kalkar-Entscheidung in die umgekehrte Richtung: Obwohl nach Maßgabe des ideellen Gewaltenteilungsschemas in die Kompetenz des Parlaments fallend, wird hier unter Legitimationsgesichtspunkten das Ergebnis zu Ungunsten des Parlaments korrigiert. Nicht deutlich wird dabei, ob das Parlament das Gesetz gar nicht hätte bestimmter fassen dürfen, ihm also für derart detaillierte Regelungen die Kompetenz fehlt, oder ob die Delegation an die Exekutive zwar nicht zu beanstanden, aber auch nicht geboten war. Für die erstgenannte Interpretation spricht der zu Beginn der Ausführungen mitgeteilte Maßstab: Gesucht werden die „Grenzen“ der parlamentarischen Befugnisse. Ohne dies so deutlich auszusprechen, erkennt nach dieser Lesart der Ausführungen des Senats dieser also einen Verwaltungsvorbehalt an: Dieser Verwaltungsvorbehalt58 besagt, dass ebenso, wie die Regelung bestimmter („wesentlicher“) Materien dem Parlament vorbehalten ist, es auch für den Bereich der Exekutive einen solchen Vorbehaltsbereich gebe. Zugespitzt formuliert, darf nach dieser Lehre die demokratische Legitimation nicht nur einen gewissen Grad nicht unter-, sondern auch nicht überschreiten. Aus dem Demokratieprinzip wird also eine Begrenzung des Niveaus der demokratischen Legitimation hergeleitet. Die zweite Interpretation entspricht der Lehre vom gesetzgeberischen Zugriffsrecht:59 Der erforderliche Grad an demokratischer Legitimation ist nicht so hoch, dass das Parlament die Entscheidung treffen muss, jedoch hat es ein „Zugriffsrecht“, sie dennoch selbst zu treffen. Welche der beiden Lesarten man auch zugrundelegt, in beiden Fällen zeigt sich, dass der Ausgangspunkt der Prüfung, nämlich die Zuordnung nach Funktionen, für das Ergebnis keine Rolle mehr spielt. Für sich genommen konsistent (wenngleich in diesem Fall sachlich falsch) wäre es allein, wenn der Senat die Legitimationsfrage unter dem Gesichtspunkt einer rechtfertigungsbedürftigen Einschränkung des Gewaltenteilungsprinzips aufwerfen würde. Dieses Vorgehen aber wählt er gerade nicht, da er den Gesichtspunkt der Einschränkung nicht aufgreift und auch keine Anforderungen für die Rechtfertigung aufstellt. Indem der Senat, nachdem er die Zuordnung zu einer Gewalt vorgenommen hat, den Aspekt der Legitimation nachschiebt, betreibt er also nicht etwa eine Modifikation oder Ergänzung seines Prüfungsmaßstabs, sondern vollzieht einen totalen Schwenk. Das bedeutet, dass man nicht von einem Zusammenspiel der beiden Argumentationsfiguren sprechen kann, sondern von einer widersprüchlichen Begründung. Im 58

s. dazu i. e. unten B. IV. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 125, der sich konsequenterweise auch für diese Lesart der Kalkar-Entscheidung entscheidet (S. 20 Fn. 65). 59

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Ansatz kann nur eines der beiden Prinzipien den Maßstab geben. Für die Heranziehung des anderen Prinzips bleibt dann möglicherweise Raum im Rahmen der Rechtfertigung einer Einschränkung des den Maßstab bildenden Prinzips. An diese Erkenntnis schließen sich zwei Fragen an: – Welches der beiden Prinzipien ist nach der Konzeption des Grundgesetzes der zutreffende Prüfungsmaßstab? – Welche konkreten Anforderungen lassen sich aus diesem allgemeinen Maßstab ableiten?

B. Auflösung der Widersprüche I. Demokratieprinzip als Ausgangspunkt Zu untersuchen ist also, welcher der beiden vom Senat in unzulässiger Weise parallel gebrauchten Ansätze der nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zutreffende ist. Dabei gilt es zunächst, eine Begriffsverwirrung zu vermeiden: Es kann im Folgenden nicht um die Frage gehen, ob der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung „das Gewaltenteilungs-“ oder „das Demokratieprinzip“ zugrundeliegt. Denn dass das grundgesetzliche System ein gewaltenteilendes ist, kann nicht bestritten werden. Zu klären ist vielmehr, ob sich die Kompetenzverteilung zwischen den Gewalten nach der Funktion oder nach der Legitimation richtet, also ob sich aus dem Gewaltenteilungsprinzip selbst Maßstäbe ergeben oder diese aus dem demokratischen Prinzip zu gewinnen sind. 1. Das „geschichtsmächtigste“ Gewaltenteilungsmodell Montesquieus und die konkurrierende demokratische Variante Auf den ersten Blick erscheint dies einfach zu beantworten, da heutige Vorstellungen von Gewaltenteilung sich auf ein sehr spezielles Modell verengt haben.60 Nach diesen Vorstellungen knüpfen gewaltenteilende Systeme, also auch das Grundgesetz, in ihrer Struktur an das mutmaßliche Gewaltenteilungsmodell Montesquieus an.61 Dies führt zu einer Zuordnung der 60

So die Beobachtung von Maus, Abromeit-FS, S. 226; Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 17 spricht von einer mystischen, rational nicht begründbaren Dreiteilung. 61 Zur Bedeutung, die das Montesquieusche Modell in der Literatur zum Grundgesetz spielt, s. nur Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rn. 79; Maurer, Staatsrecht I, § 12 Rn. 8; Überblick auch zum historischen Kontext bei Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 20 ff., insb. 29 ff.

B. Auflösung der Widersprüche

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Kompetenzen nach Maßgabe eines ideellen Gewaltenteilungsmodells,62 entspricht also insoweit dem Ausgangspunkt des Zweiten Senats. Dieser Reflex ist wohl darauf zurückzuführen, dass von den konkurrierenden Modellen der Gewaltenteilung das Montesquieusche das einzige ist, mit dem man auch tatsächlich einen Entwurf der Gewaltenteilung assoziiert. Mit den konkurrierenden Modellen, von denen hier beispielhaft das Kants herangezogen werden soll, verbindet man eher demokratietheoretische Modelle. Dennoch liefert auch Kant einen Entwurf der Gewaltenteilung, nämlich einen, in dem die Gewaltenteilung demokratietheoretisch begründet wird und bei dem die Aufgabenverteilung auf die Gewalten nach Gesichtspunkten des Demokratieprinzips verknüpft wird.63 Montesquieus Modell ist also nicht „das“ Gewaltenteilungsmodell schlechthin, sondern auch das Modell Kants ist eines der Gewaltenteilung. Für die Anknüpfung des grundgesetzlichen Gewaltenteilungsprinzips kommt also nicht per se nur die Montesquieusche Vorstellung in Betracht. Vielmehr stehen sich zwei konkurrierende Entwürfe gegenüber: der Montesquieusche, den man wohl eher als Gewaltentrennung bezeichnen sollte, einerseits und die demokratische Version der Gewaltenteilung andererseits, wie sie insbesondere von Kant entwickelt wurde. Dabei ist das Modell Montesquieus zwar bis heute das „geschichtsmächtigste“,64 und die unreflektierte Identifizierung dieses Modells mit „der“ Gewaltenteilung lässt sich auch heute noch beobachten.65 Beispielhaft für diesen Reflex ist das Vorgehen von Kuhl: Ausgehend von der „Vermutung“, dass sich aus dem Gewaltenteilungsprinzip ein Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung ableiten lassen müsse,66 begibt er sich auf die Suche nach diesem Kernbereich und nimmt Aspekte, die gegen diese Relevanz des Gewaltenteilungsprinzips sprechen, nicht zur Kenntnis.67 Diese Ausblendung wesentlicher Argumente beginnt damit, dass die „Eignung“ eines Organs für eine Aufgabe, also die Organadäquanz, zum 62

Zu Einzelheiten des Montesquieuschen Modells s. sogleich. Zu den demokratischen Determinierungen der Gewaltenteilung im Modell Kants s. Eberl/Fischer-Lescano, Grenzen, S. 4 f. 64 So die Formulierung von Maus, Abromeit-FS, S. 228. 65 Zur Begründung für diese starke Orientierung am Montesquieu-Modell s. Maus, Abromeit-FS, S. 227. 66 Kuhl, Kernbereich, S. 6, der nach „einer Beschränkung des Kompetenzbereichs des Gesetzgebers [fragt]. Dabei wird von der Vermutung ausgegangen, dass es in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes aus Gründen der Gewaltenteilung einen gegen den parlamentarischen Zugriff geschützten Eigenbereich der Exekutive geben muss.“ 67 „Ziel der Arbeit“ ist nicht etwa die Frage, ob es einen Kernbereich der Exekutive gibt, sondern „der Nachweis der Existenz“ desselben (ebenda S. 6). Ganz offen bekennt er sich dazu, nach Referenzautoren zu suchen, die für das von ihm „verfolgte Verteilungsmuster in Anspruch nehmen lassen“ (S. 112). 63

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„Leitgesichtspunkt“ erklärt wird, ohne deren Relevanz auch nur ansatzweise normativ zu begründen.68 Ähnliche Einwände erheben sich gegen die Prämisse, zur Konkretisierung des „offenen Verfassungstextes“ komme nur das Gewaltenteilungsprinzip in Frage, da es eine „in Jahrhunderten gewachsene Tradition“ habe.69 Andere Verfassungsprinzipien werden ignoriert, und dem Demokratieprinzip wird sogar die Relevanz für die Auslegung des Grundgesetzes abgesprochen, wenn Modelle, die auf Volkssouveränität70 basieren, aus genau diesem Grunde als irrelevant abgetan werden.71 Hier zeigt sich, dass die Verengung der Vorstellungen von Gewaltenteilung auf dieses Modell in der Tat eine „dramatische Komplexitätsreduktion auf seiten der normativen Demokratietheorie“ darstellt.72 Bedeutsam für die Theoriegeschichte der Gewaltenteilung ist das Modell Montesquieus zwar in der Hinsicht, dass ihm die auch heute noch gültige Grundidee des Prinzips zugrundeliegt, dass „die Macht der Macht Schranken setzen“ solle.73 Sinn des Prinzips ist also schon hier die Mäßigung der Staatsgewalt. Und auch der Ausgangspunkt seiner Konstruktion, dass das Volk das, was es selbst nicht zu leisten imstande ist, durch Repräsentanten tut,74 entspricht dem Repräsentationsmodell moderner Verfassungen, auf deren Basis Gewaltenteilung erst möglich und erforderlich wird. Ein erster deutlicher Hinweis darauf, dass es sich bei Montesquieus Modell nicht um ein solches demokratischer Gewaltenteilung handelt, ist hingegen seine folgende Erwägung, dass das gemeine Volk nicht in der Lage 68

Kuhl, Kernbereich, S. 15. Kuhl, Kernbereich, S. 101. 70 Wenn im Folgenden von (Volks-)Souveränität die Rede ist, so betrifft dies die innere Souveränität i. S. d. oben Teil 1 Fn. 6 genannten Terminologie. 71 Ebenda, S. 113; erstaunlich ist auch, dass zum Beweis dafür, dass das Grundgesetz an Montesquieu anknüpft, auf dessen Rezeption in der US-Verfassung abgestellt wird, also an die Verfassung einer Präsidialdemokratie, die das Grundgesetz gerade nicht konstituiert. Zum Begriff der Souveränität im (hier interessierenden) verfassungsrechtlichen Sinne s. Hillgruber, JZ 2002, 1072, 1073 f., zum Begriff im völkerrechtlichen Sinne ebenda, S. 1074 f. 72 So Maus, Abromeit-FS, S. 226; ähnlich drastische Formulierung, allerdings nicht speziell bezogen auf das Montesquieusche Modell, sondern allgemein auf die Anknüpfung an ein überkommenes Gewaltenteilungsprinzip bei Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 197. 73 Zur Übernahme dieser Idee durch das Grundgesetz s. BVerfGE 3, 225, 247, seitdem st. Rspr., s. nur BVerfGE 7, 183, 188; E 22, 106, 111; aus der älteren Literatur Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 46 m. w. N.; neuere Zusammenfassung bei Weber-Fas, JuS 2005, 882 ff., der die Teilung der Souveränität bei Montesquieu zwar beschreibt, aber nicht als solche versteht und ganz im Gegenteil die ungeteilte Souveränität unter dem Grundgesetz als freiheitshemmend ansieht (S. 884). 74 Montesquieu, De l’esprit des lois I, Livre XI, chapitre VI (S. 297). 69

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sei „de discuter les affaires“; dies wird ausdrücklich als großer Nachteil der Demokratie bezeichnet.75 Diese Nachteile der Demokratie vermeidet Montesquieu, indem er die geforderte Mäßigung der Staatsgewalt auf eine ganz spezielle Art der Trennung der Staatsgewalt erreicht.76 Denn seinem Modell zugrunde liegt nicht eine Teilung der Staatsgewalt nach Funktionen, sondern eine Teilung der innerstaatlichen Souveränität.77 Diese sei erforderlich, weil es in jedem Staat sich vom Volk abhebende Personen gebe; deren Anteil an der Gesetzgebung müsse ihrer Bedeutung im Staate im Übrigen entsprechen.78 Das bedeutet, nicht nur die despotische Entartung der Monarchie, sondern auch die Ungebundenheit des Volkes soll verhindert werden.79 Dies erreicht Montesquieu, indem das institutionelle Design seiner Gewaltenteilung zwei Besonderheiten erhält: – Erstens unterscheidet er zwischen der faculté de statuer und der faculté d’empêcher. Das bedeutet, dass die Spitze der Exekutive mit einem Vetorecht gegen Gesetze der Legislative ausgestattet80 und damit gleichsam zu einer Art negativem Gesetzgeber wird.81 – Zweitens wird auch die Gewalt der „positiven Gesetzgebung“, also die faculté de statuer, geteilt. Die gesetzgeberische Gewalt sei sowohl dem corps des nobles als auch dem corps du peuple anzuvertrauen, die jeder für sich ihre Repräsentativversammlungen haben.82 Diese beiden Besonderheiten führen einerseits zu einer strikten Trennung der personellen Besetzung der Gewalten, andererseits aber gerade nicht zu einer Trennung der Funktionen.83 75 Ebenda; zu den oftmals verkannten historischen Implikationen des Montesquieuschen Entwurfs s. Riklin, Ancilla Iuris 2006, 20, 21 ff. 76 Zur historischen Begründung für die Unterschiede in den Modellen s. Maus, Abromeit-FS, S. 228. 77 Zum Folgenden s. Montesquieu, De l’esprit des lois I, Livre XI, chapitre VI (S. 298 f.). 78 Ebenda, S. 298. 79 So pointiert Maus, Abromeit-FS, S. 232. 80 Montesquieu, De l’esprit des lois I, Livre XI, chapitre VI (S. 298 f.) ; s. dazu Riklin, Ancilla Iuris 2006, 20. 81 Formulierung von Maus, Abromeit-FS, S. 233. 82 Montesquieu, De l’esprit des lois, Livre XI, chapitre VI (S. 298). 83 s. Maus, Abromeit-FS, S. 233; andeutungsweise ebenso Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 52, der aber nicht den Schluss zieht, dass dies nicht primär auf einer Funktionenverschränkung beruht (die in der Tat, wie zu zeigen sein wird, auch das Grundgesetz vorsieht, obwohl diesem im Ausgangspunkt gerade eine Teilung nach Funktionen zugrundeliegt, wie auch Weiß zutreffend ausführt (S. 47)), sondern Folge der Souveränitätsteilung ist.

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

Von dieser Konzeption wesentlich ist für die Bedeutung Montesquieus für das Grundgesetz zweierlei: Zum einen ist der Modus hervorzuheben, mit dem er erreicht, dass die Macht der Macht Schranken setzt: Er teilt nicht die Gewalten,84 sondern die Souveränität. Das Prinzip der Volkssouveränität erfordert die Rückführbarkeit allen hoheitlichen Handelns auf den Souverän, muss also zwingend vorsehen, dass die Exekutive vom demokratisch unmittelbar legitimierten Parlament eingesetzt und diesem verantwortlich ist.85 Gerade dies verwirft er aber zugunsten einer strikten Trennung der personellen Besetzung der Gewalten, wenn er fordert, dass die exekutive Gewalt nicht einer bestimmten Anzahl von „personnes tirées du corps législatif“ anvertraut werden dürfe.86 Die Grundlage des demokratischen Prinzips, die Volkssouveränität,87 ist also in Montesquieus Modell nicht gewahrt. Es blendet die Frage der demokratischen Legitimation also nicht nur aus (so dass Anforderungen des demokratischen Prinzips ergänzend oder modifizierend eingreifen könnten), sondern es basiert vielmehr auf vordemokratischen Vorstellungen, mit denen das demokratische Prinzip schlechterdings unvereinbar ist. Zum anderen ist hervorzuheben, dass die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts zwar mit diesem Modell im Ausgangspunkt übereinstimmt, soweit es ein ideell vorgegebenes Gewaltenteilungsschema zugrundelegt. Die Aufteilung der Zuständigkeiten nach Funktionen, die der Senat vornimmt, findet sich indessen bei Montesquieu gerade nicht, da sein Modell auf einer Gewaltentrennung durch Souveränitätsteilung basiert. Argumentationen, die sich auf ein ideell vorgegebenes Gewaltenteilungsschema stützen und in diesem die Kompetenzen nach Funktionen verteilen, können sich also nur hinsichtlich des ersten Schrittes redlicherweise auf dieses „geschichtsmächtigste“ Gewaltenteilungsmodell berufen. Die Argumentation mit den Funktionen von Legislative und Exekutive hingegen führt direkt zu konkurrierenden Modellen von Gewaltenteilung, nämlich zu ihrer demokra84

Zur historischen Einordnung der Idee der Gewaltenteilung gegenüber Montesquieus „Gewaltenhemmung und -ausbalancierung“ s. Ogorek, Rechtshistorisches Journal 2 (1983), 277, 280. 85 Maus, Abromeit-FS, S. 235 spricht vom Parlament als Ausschuss des Volkes und der Regierung als Ausschuss des Parlaments. 86 Montesquieu, De l’esprit des lois, Livre XI, chapitre VI (S. 299). 87 Wenn in diesem Teil dieser überkommene Begriff verwendet wird, bedeutet dies noch keine Festlegung darauf, dass das Staatsvolk das einzige in Betracht kommende Legitimationssubjekt wäre; zur stillschweigenden Zugrundelegung der Gleichsetzung von Verfassung mit deren einziger Realisierbarkeit im nationalstaatlichen Rahmen durch die deutsche Staatsrechtslehre und zum Ausdruck dessen bis in die Terminologie hinein s. Bryde, Der Staat 42 (2003), 61, 62 f.; zu den möglichen Legitimationssubjekten s. u. Teil 4 B.

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tischen88 Variante, deren Vertreter in der europäischen Staatstheorie insbesondere Kant, Locke und Rousseau89 sind. In diesen Modellen geht es im Gegensatz zum Modell Montesquieus (und ihm folgend die modernen Präsidialdemokratien) nicht um die Sicherung der Freiheit der Bürger gegen von ihnen getrennte staatliche Machtapparate, sondern es wird die Kontrolle aller staatlichen Gewalt an der Basis der Gesellschaft lokalisiert.90 Die Unterwerfung aller Bürger unter das staatliche Gewaltmonopol geht einher mit der Unterwerfung der Staatsgewalt unter die rechtsetzende Souveränität des Volkes,91 „die politische Selbstorganisation der bürgerlichen Gesellschaft“.92 Das Gewaltenteilungsmodell, das Kant und Locke präsentieren, ist ein hierarchisches dahingehend,93 dass die Einordnung der Gewalten in Bezug auf ihre Nähe zur 88 Dieser Aussage widerspricht nicht, dass nach Kant „Demokratie“ und „Gewaltenteilung“ sich gegenseitig ausschließen, vielmehr handelt es sich hier nur um eine terminologische Differenz: Als Demokratie (mit der Folge des Despotismus) bezeichnet Kant ein Modell der Volkssouveränität mit Identität von Regierenden und Regierten, wo also „Auftrag“ und „Ausführung“ und damit die Gewalten gerade nicht getrennt sind; „Demokratie“ im hier und im vom Grundgesetz verstandenen Sinne bezeichnet Kant als Republik (s. Kant, Metaphysik der Sitten, § 52 (S. 464), dazu Maus, Aufklärung, S. 193 ff.). 89 Der fundamentale Unterschied von Rousseaus Modell des contrat social zum grundgesetzlichen System liegt darin, dass Rousseau eine Identität von Regierenden und Regierten voraussetzt (s. Rousseau, Du contrat social, Livre II, chapitre I, S. 61), nicht aber, dass er keine auf Gewaltenteilung basierende Volkssouveränität vorsehen würde; daher basiert die Aussage von Kuhl, Kernbereich, S. 113, Rousseau sei ein Gegner der Gewaltenteilung, weil er die „Souveränität mit der Staatsgewalt in der Institution des Gesetzgebers [identifiziert]“, auf einem grundlegenden Missverständnis der Beziehung von Volkssouveränität, Repräsentation und Gewaltenteilung. Vielmehr entspricht die von Kuhl zitierte Bezeichnung Rousseaus (Livre III, chapitre 1, S. 88) der Regierung als corps intermédiaire insoweit voll und ganz dem Ansatz des Grundgesetzes. Besonders deutlich wird dieses Missverständnis, wenn Rousseau die Verteilung der Staatsgewalt auf mehrere Träger der Macht als Fehler bezeichnet (Livre II, chapitre II, S. 62) und Kuhl diesen Fehler per Klammerzusatz als „die Gewaltenteilung“ erläutert, obwohl Rousseau die Teilung der Souveränität meint. 90 Maus, Abromeit-FS, S. 239; erstaunlicherweise gehen die demokratischen Implikationen der mit Montesquieu konkurrierenden Gewaltenteilungsmodelle sogar in solchen Überlegungen unter, die sich konkret mit der Bedeutung dieser ideengeschichtlichen Grundlagen für die auswärtige Gewalt befassen, s. Cremer, Verhältnis, S. 24 ff., der sich nur mit der Funktionenzuordnung bei Montesquieu, Locke und Kant befasst. 91 Maus, Abromeit-FS, S. 243; Legitimation für die Gültigkeit ist allein die „partizipative Allgemeinheit auf der Eingabeseite des Gesetzgebungsprozesses“ (so Brunkhorst, Leviathan 2003, 362, 370, bezogen auf die WRV). 92 Groß, Grundlinien, S. 96 mit falschem Verweis auf Kersting, Gesellschaftsvertrag, S. 59.

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höchsten Gewalt, dem demokratisch unmittelbar legitimierten Gesetzgeber, erfolgt. Die Unterschiede der beiden Ansätze lassen sich gut an folgendem Beispiel verdeutlichen: Weiß führt aus, eine Funktionentrennung ohne Verschränkung der Funktionen, vielmehr Beschränkung auf gegenseitige Kontrolle, könne in „Grenzsituationen“ bei der Freiheitssicherung versagen. Denn die bloße Kontrollmöglichkeit zwinge nicht unbedingt zur Zusammenarbeit, sondern bei einer „Meinungsdivergenz zwischen den Gewalten“ könne die eine Gewalt eine bestimmte politische Richtung einschlagen und vollendete Tatsachen schaffen, bevor Kontrolle und Sanktion möglich seien.94 Diese Vorstellung folgt dem an Montesquieu anknüpfenden Präsidialsystem. Eine „Meinungsdivergenz über eine bestimmte politische Richtung“ zwischen „den Gewalten“ setzt denknotwendigerweise verschiedene politische Willensbildungen und –äußerungen, also verschiedene Souveräne voraus. Denn nur im Präsidialsystem ist neben der Legislative auch die Exekutive an der Gesetzgebung über das Initiativrecht hinaus beteiligt.95 Im Modell der Volkssouveränität nach Kant hingegen lässt sich jede hoheitliche Handlung auf den Willen des Legitimationssubjekts zurückführen.96 In die93 Aber auch nur dahingehend; zu beachten ist nämlich, dass der Begriff des hierarchischen Demokratiemodells in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet wird: Wenn Maus das Kantische Modell als hierarchisches bezeichnet, so meint sie damit eine Hierarchie der Gewalten, nämlich dergestalt, dass der Legislative ein Primat gegenüber der Exekutive zukommt (Differenz Auftrag – Ausführung, dazu s. sogleich). Damit ist aber noch keine Aussage über die Organisation der Exekutive getroffen. Soweit das Demokratiemodell des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (dazu s. u. II.) ebenfalls als hierarchisches bezeichnet wird (s. Fisahn, Besonderung, S. 71 m. w. N. in Fn. 1), so sind damit die Folgerungen gemeint, die aus diesem Demokratiemodell gerade für die Organisation der Exekutive abgeleitet werden. Diese unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs der Hierarchie verkennt wohl Schefold, Alternative Modelle, S. 149, wenn er das Präsidialsystem als „Gegenmodell“ zur Gewaltenteilung bezeichnet; zu Folgeproblemen des Schefoldschen Ansatzes s. u. Fn. 731. Zur Bedeutung der Hierarchie in der herrschenden Konzeption s. kritisch Mehde, Prämissen, passim. 94 Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung, S. 52 f. 95 Vgl. Maus, Abromeit-FS, S. 233 f., zum Vergleich der Bedeutung der Gewaltenteilung in der US-Verfassung und dem Grundgesetz s. Krause, ZParl 1999, 534, 545. 96 Das bedeutet nicht, dass dieses eine Legitmationssubjekt für jede Entscheidung immer dasselbe sein müsste, s. u. Teil 4 B. Praktisch relevant wird dies in Mehrebenensystemen und bei funktioneller Selbstverwaltung: Die Verteilung von Hoheitsgewalt auf verschiedene Ebenen stellt keine Souveränitätsteilung im Montesquieuschen Sinne dar; so aber wohl Schefold, Alternative Modelle, S. 150 f., der aus Art. 28 II GG ableitet, dass das Grundgesetz sich nicht für oder gegen das parlamentarische oder präsidentielle System entscheidet, und dabei übersieht, dass es

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sem Modell geht es nicht um Kontrolle und Sanktion zwischen den Gewalten im Sinne einer Abstimmung verschiedener politischer Willensbildungen, sondern um die korrekte Umsetzung des Willens des Legitimationssubjekts. Die von Weiß beschriebenen Gefahren, die im Präsidialsystem auftreten, sind keine Folge der Funktions-, sondern der Souveränitätsteilung, und die Funktionsverschränkungen im System des Grundgesetzes dienen nicht „Kontrolle und Sanktion“ zwischen verschiedenen Souveränen. 2. Folgerungen für das Grundgesetz Beiden Grundmodellen ist also gemein, dass sie gewaltenteilende Systeme vorsehen. Ziel der Gewaltenteilung ist in beiden Modellen die Mäßigung der Staatsgewalt. Nach dem Konzept Montesquieus herrscht indessen keine Volkssouveränität, da er diese Mäßigung durch eine Teilung der Souveränität erreicht. Dass dies der grundgesetzlichen Konzeption widerspricht, ist evident (Art. 20 II 1 GG).97 Das Grundgesetz knüpft also nur insofern an die Montesquieusche Konzeption an, als die Kompetenzverteilung zwischen den pouvoirs constitués dergestalt sein muss, dass „die Macht der Macht Schranken setzt“. Die Art und Weise der Kompetenzaufteilung (und schon einen Schritt zuvor: der Gewaltenkonstituierung) erfolgt bei Montesquieu indessen völlig anders als nach dem System des Grundgesetzes. Da die Identifizierung des grundgesetzlichen Gewaltenteilungsprinzips mit diesem Modell als „dem“ Gewaltenteilungsmodell also nicht haltbar ist, lassen sich aus den Vorstellungen Montesquieus demnach keine Erkenntnisse für das Grundgesetz gewinnen.98 Vielmehr knüpft das Grundgesetz mit dem Prinzip der Volkssouveränität an die konkurrierende demokratische Variante der Gewaltenteilung nach Kant an: Sie liefert eine Konzeption gewaltenteilender Demokratie. Im Gegensatz zur Souveränitätsteilung im präsidialdemokratischen Modell kann nach Kant „nur der übereinstimmende und vereinigte Wille aller, so[-]fern ein jeder über alle und alle über einen jeden ebendasselbe beschließen, mithin nur der allgemein vereinigte Volkswille gesetzgebend sein“.99 Volkssousich bei Art. 28 II GG (wie bei Art. 28 I und 23 GG, dazu s. u. Teil 4 B.) nicht um eine Souveränitätsteilung, sondern um eine Verteilung der Hoheitsgewalt auf verschiedene Ebenen, die indessen alle der Volkssouveränität verpflichtet sind, handelt. 97 Vgl. Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 16: „[. . .] nicht Teilung der ursprünglich als einheitlich gedachten Staatsgewalt, sondern ein Prinzip der Konstituierung und Zuordnung der staatlichen Grundfunktionen.“ 98 Andere Fragestellung, aber inhaltlich ähnlich Leisner, Die undefinierbare Verwaltung, S. 17 ff. und passim, der die Zweite Gewalt als „historisches Missverständnis“ bezeichnet (ebenda, S. 21). 99 Kant, Metaphysik der Sitten, § 46 (S. 432), Hervorhebung nicht im Original.

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veränität bedeutet die Unteilbarkeit des Volkswillens, Souveränität ist identisch mit der Funktion der Rechtsetzung.100 Aufgehoben ist damit die Montesquieusche Souveränitätsteilung, nicht aber die Gewaltenteilung. Ganz im Gegenteil führt gerade diese Identifizierung der Souveränität mit der Rechtsetzung zur Gewährleistung der Gewaltenteilung. Diese liegt darin, dass aus der Lokalisierung der Rechtsetzung an der Basis der Gesellschaft „die Unterwerfung der Staatsapparate unter die gesetzgebende Gewalt des Volkes“ gleichzeitig die „Unterwerfung aller Bürger unter das staatliche Gewaltmonopol“ folgt:101 Das Gewaltmonopol verbleibt bei der Exekutive.102 Allerdings darf aus dieser Erkenntnis, dass das Grundgesetz die Grundgedanken von Kant aufgegriffen hat, nicht blind aus diesem Modell auf Zuständigkeitsverteilungen unter dem Grundgesetz geschlossen werden.103 Insbesondere würde eine solche Vorgehensweise zu dem folgendem Fehlschluss führen: Auf der Basis eines ideellen Gewaltenteilungsschemas ist es an sich konsequent, die Zuständigkeitszuordnung nach Funktionen vorzunehmen. Dieses Vorgehen knüpft indessen nicht an Montesquieu an, sondern steht scheinbar in der Tradition Kants – jedoch nur scheinbar. Denn bei Kant ist die Anknüpfung an die Funktion nicht die Konsequenz aus der Zugrundelegung eines ideellen Gewaltenteilungsschemas, sondern Folge dessen, dass schon im Ausgangspunkt die Frage nach der Legitimation gestellt wird. Nach dieser Vorstellung ist das, was modern ausgedrückt eine „politische Leitentscheidung“ darstellt, gleichzusetzen mit Rechtsetzung, der die Rechtsanwendung gegenüberzustellen ist. Die Zuständigkeitszuordnung nach Funktionen konkretisiert also die jeweils erforderliche Legitimation.104 Diese beiden unterschiedlichen Stoßrichtungen der Funktionenzuordnung führen nun zu einer irrigen Gleichsetzung durch den Senat: Er setzt „Rechtsetzung“ mit „Gesetzgebung“ und „Rechtsanwendung“ mit 100 Entgegen Maus, Abromeit-FS, S. 243 wird hier der Begriff der „Gesetzgebung“ vermieden, um Assoziationen mit handlungsformbezogenen Konzeptionen zu vermeiden. Typische Handlungsform des Parlaments ist zwar das Gesetz, wesentlich ist aber, wie zu zeigen sein wird, nicht die Differenzierung nach Handlungsformen (Gesetz/Einzelakt), sondern die Differenzierung zwischen grundsätzlicher Entscheidung (Rechtsetzung, „Auftrag“) und deren Ausführung. 101 So wörtlich Maus, Abromeit-FS, S. 243; zur Bedeutung des Begriffs „gesetzgebende Gewalt“ siehe die vorige Fußnote. 102 Ebenda. 103 Ähnlich – wenngleich in allgemeinerem Zusammenhang – Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 198. 104 Der – zutreffende – Gedanke, dass das Grundgesetz nicht an ein ideell vorgegebenes Gewaltenteilungsschema anknüpft, findet sich in der Literatur durchaus des öfteren, der notwendige nächste Schritt, die Kompetenz- als Legitimationsfrage zu sehen, unterbleibt allerdings regelmäßig; beispielhaft Kewenig, DÖV 1973, 23, 28, wo die demokratische Dimension indessen wenigstens angedeutet wird (ebenda, S. 29 f.).

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„Einzelakt“ gleich und gelangt so zu einer handlungsformbezogenen Differenzierung der Zuständigkeiten. Genau dies folgt einem ideellen Gewaltenteilungsschema, das die Frage nach der demokratischen Legitimation gerade ausblendet. Wesentlicher Fehler der Konzeption des Zweiten Senats ist also, dass ihr eine handlungsformbezogene Kompetenzzuordnung105 zugrundeliegt.106 Die Funktionen „Gesetzgebung“ und „Einzelakt“ haben eine andere Bedeutung als „Rechtsetzung“ und „Rechtsanwendung“ in der Konzeption Kants. Denn während die Zuordnung nach Handlungsformen Konsequenz eines das Demokratieprinzip in unzulässiger Weise ausblendenden ideellen Gewaltenteilungsprinzips ist, stellt der Dualismus „Rechtsetzung“ versus „Rechtsanwendung“107 bei Kant eine Zuordnung dar, die in idealtypischer Weise die Anforderungen, die das demokratische Prinzip stellt, modellhaft konkretisiert. Jedoch funktioniert diese modellhafte Zuordnung nur als ge105 Die sich auch im innerstaatsorganisatorischen Bereich als nicht weiterführend erwiesen hat, s. o. A. II. 106 Nach Kewenig, DÖV 1973, 23, 27, bestehe „weitgehende Einigkeit“ hinsichtlich der Gleichsetzung von „abstrakt-generell“ mit „Gesetzgebung und Gesetz“ einerseits sowie „konkret-speziell“ mit Exekutivhandeln andererseits; dem ist nur insoweit zuzustimmen, als diese Gleichsetzung als typische Folge der Kompetenzverteilung zu verstehen ist, nicht aber, soweit dies als Prämisse, aus der sich Folgerungen ergeben können, zu verstehen sein soll. Dass die Gleichsetzung „abstrakt“ mit „Rechtsetzung“ nicht ausnahmslos passt und daher keinen Grundsatz darstellen kann, hat Böckenförde (Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 339 f.) schon vor langer Zeit dargelegt. Insbesondere gebietet Art. 19 I 1 GG diese Gleichsetzung nicht, da diese Norm keine Einzelfallregelungen, insbesondere keine Maßnahmegesetze ausschließen will, sondern eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes darstellt (s. BVerfGE 25, 371, 399; Dreier, in: ders., GG I, Art. 19 I Rn. 12 ff., insb. 15; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 308; Brunkhorst, Leviathan 2003, 362, 370 spricht – wenn auch bezogen auf die WRV – von der Differenz zwischen – zulässigen – Einzelfallgesetzen und – unzulässigen – Einzelpersonengesetzen; andeutungsweise auch Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 340). Andernfalls wäre der konstitutive Parlamentsbeschluss für Entsendeentscheidungen (BVerfGE 90, 286, 381 ff.) ein allzu durchsichtiger Trick, Art. 19 I 1 GG zu umgehen; vielmehr müsste dann konsequenterweise gefolgert werden, dass das Parlament nur für abstrakt-generelle Regeln zuständig ist. Gerade das Beispiel der Entsendeentscheidungen zeigt indessen, dass nicht der Gegensatz abstrakt – konkret zur Abgrenzung tauglich ist, sondern allein (und auch dies nur im Grundsatz, s. sogleich und unten Teil 4 C. III.) der Gegensatz Rechtsetzung – Vollzug. Für die WRV sind diese Grundsätze schon vor langer Zeit ausgesprochen worden: Nicht die inhaltlichsemantische Allgemeinheit mache das Gesetz zum Gesetz, sondern die Bindungskraft des Parlamentsbeschlusses (Heller, Begriff des Gesetzes, S. 226 f.). 107 Im Zusammenhang mit Entsendeentscheidungen wählen Eberl/Fischer-Lescano, Grenzen, S. 7 die Formulierung „Auftrag und Ausführung“. Wesentlich in einem demokratischen Gewaltenteilungsmodell ist also nicht die Kompetenzzuordnung nach Handlungsformen, sondern die Differenzierung zwischen rechtlicher Vorgabe und Vollzug derselben. Unklar zum Verhältnis Handlungsform – Charakter der Regelung Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005), 5, 22.

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danklicher Ausgangspunkt; konkrete Folgerungen für die grundgesetzliche Kompetenzverteilung können aus ihr gerade nicht gezogen werden. Das demokratische Prinzip verlangt für jede hoheitliche Entscheidung108 ein bestimmtes Legitimationsniveau.109 Wer tätig werden muss, um das erforderliche Legitimationsniveau herzustellen, ist von diesem gedanklichen Ausgangspunkt aus einfach zu beantworten: Grundlegende Entscheidungen müssen vom Parlament getroffen werden. Das sind (grundsätzlich) diejenigen, die abstrakt-generell formuliert werden können. Daraus folgt, dass das Parlament zuständig ist für Rechtsetzung, die Exekutive für die Rechtsanwendung. Dies entspricht im Wesentlichen der aus dem Prinzip der Volkssouveränität abgeleiteten Zuständigkeitsverteilung Kants. Die Unterscheidung Rechtsetzung versus Rechtsanwendung aber entspricht der Unterscheidung zwischen Legislative und Exekutive. So gewendet, ist die Gewaltenteilung also kein Prinzip, aus dem Zuständigkeiten deduziert werden können, sondern eine Beschreibung dessen, welche grundsätzliche Kompetenzverteilung sich aus dem Demokratieprinzip ergibt – und für diese Zwecke ist die Gewalteneilung auch nützlich, weil sich Erkenntnisse aus ihr gewinnen lassen, wie die Zuständigkeitsverteilung im gedanklichen Ausgangspunkt ist. Dies aber leistet die Gewaltenteilung nicht als eigenes Prinzip, sondern im Rahmen des Demokratieprinzips, nämlich als Konkretisierung der legitimatorischen Anforderungen. Da Ausgangspunkt die Gleichsetzung von „grundlegender Entscheidung“ mit „abstraktgenereller Regelung“ war, kann man also im Grundsatz von einem Rechtsatzvorbehalt sprechen.110 Gegen die Auffassung des Zweiten Senats ist also festzustellen: Nicht weil das Parlament für Rechtsetzung zuständig ist, ist es für politische Leitentscheidungen zuständig, sondern umgekehrt folgt aus seiner alleinigen demokratischen Legitimation zur politischen Leitentscheidung die grundsätzliche Zuständigkeit des Parlaments zur Rechtsetzung.111 108 Genauer zu der Frage, welche hoheitlichen Handlungen der demokratischen Legitimation bedürfen, unten Teil 4 A. 109 Genauer zum „Legitimationsniveau“ sogleich unten B. II. Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat, S. 102 bezeichnet die Frage: „Wer entscheidet?“ als grundlegende bundesstaatliche und demokratische Frage, die für die bundesstaatlichen Aspekte bisher kaum aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet worden sei; dem ist auch für die demokratischen Aspekte beizupflichten. 110 Einen ähnlichen Ansatz, allerdings bezogen auf Organisationsmaßnahmen und daher in dieser Allgemeinheit weniger deutlich, vertritt Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung, S. 32 f. Auch Burmeister scheint indessen von einem ideell vorgegebenen Gewaltenteilungssystem auszugehen, da er im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Zugriffsrecht von „grundsätzlich der Exekutive zustehende[n] Kompetenz[en]“ spricht (S. 92).

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Hält man sich vor Augen, in welchem Ausmaß diese Gleichsetzung durchlöchert ist, zeigt sich aber, dass für konkrete Ableitungen aus dem Gewaltenteilungsprinzip auch in dieser demokratisch gewendeten Variante kein Raum bleibt. Denn wenn man an dieser Vorstellung eines ideellen Gewaltenteilungsschemas festhält, sind die dem Demokratieprinzip geschuldeten Ausnahmen mannigfach. Beispielsweise stellt sich nach dieser Betrachtung die gesamte Verordnungsgebung nach Art. 80 I GG als verfassungsrechtlich vorgesehene Ausnahme vom Gewaltenteilungsprinzip dar. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Beschreibung, die die Gewaltenteilung liefert, in diesem Bereich nicht tauglich ist. Denn es ist eben nicht so, dass das Parlament für die Rechtsetzung und die Exekutive für Einzelakte zuständig ist, sondern das Parlament ist für die grundlegenden Entscheidungen zuständig, und dies sind regelmäßig die durch Rechtsetzung getroffenen – aber eben nicht immer, wie zum Beispiel im Bereich der von Art. 80 I GG zugelassenen Ausnahmen. Art. 80 I GG zeigt, dass die Gleichsetzung von „Rechtsetzung“ mit „grundlegender Entscheidung“ und daraus folgend der Parlamentskompetenz nur grundsätzlich, aber nicht einmal regelmäßig gilt, da die Quantität des Verordnungsrechts größer ist als die des Gesetzesrechts.112 Freilich ist auch die spiegelbildliche Konstellation denkbar: Einzelakte können grundlegende Bedeutung haben, insbesondere in der auswärtigen Gewalt. Ein weiteres Beispiel sind Maßnahmegesetze, bei denen Einzelfallmaßnahmen aufgrund ihrer Wesentlichkeit in Gesetzesform ergehen. In diesen Fällen nimmt nicht das Gewaltenteilungsprinzip dem Parlament die Kompetenz weg, sondern die (grundsätzliche113) Kompetenz des Parlaments folgt aus dem Demokratieprinzip.114 Da die Gewaltenteilung nur eine Beschreibung der sich regelmäßig ergebenden Kompetenzverteilung ist, hat sie an dieser Stelle keine Bedeutung mehr. Nun können einige Aussagen aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, deren Relevanz zuvor offengelassen wurde, eingeordnet werden:115 111

Ähnlich, aber etwas vage Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 19 ff., insb. 21: „über den durch ‚Gesetz‘ normierbaren Bereich hinaus“. 112 s. nur Maurer, Staatsrecht I, § 17 Rn. 141. 113 Gerade in den hier interessierenden Konstellationen kommen Ausnahmen in Betracht, s. dazu unten Teil 4. 114 Das unten Teil 4 zu erörternde, hier am meisten interessierende Beispiel, der Entsendebeschluss, soll hier vorweggenommen werden: Die Parlamentskompetenz folgt aus dem Demokratieprinzip im allgemeinen, nicht aus der Wehrverfassung; allerdings ist das Parlament nur für die Beschlussfassung, nicht für dessen Vollzug zuständig; dass der Vollzug Exekutivkompetenz ist, wird sich wohl generell sagen lassen.

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Zu Beginn wurden zwei Aussagen nebeneinandergestellt: „Nur das Parlament besitzt die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung. Typische Handlungsform des Parlaments ist das Gesetz.“116 Diese beiden Aussagen stehen nicht nebeneinander oder im Widerstreit zueinander, sondern die zweite Aussage ist Folge der ersten, und der Akzent liegt auf „typische Handlungsform“. Wenn politische Leitentscheidungen in anderen Handlungsformen zu treffen sind, so ändert dies nichts an der Zuständigkeit des Parlaments, sondern führt dazu, dass das Parlament seine Zuständigkeit mittels einer anderen Handlungsform117 wahrnimmt. Des Weiteren kann nun folgende Aussage des Senats eingeordnet werden: „Im freiheitlich-demokratischen System des Grundgesetzes fällt dem Parlament als Legislative die verfassungsrechtliche Aufgabe der Normsetzung zu. [Denn] nur das Parlament besitzt die demokratische Legitimation zur politischen Leitentscheidung.“118 Diese Aussage ist für sich genommen zutreffend, wenn auch verkürzt. Richtigerweise müsste ergänzt werden, dass politische Leitentscheidungen regelmäßig (das heißt nicht ausnahmslos mit der Folge, dass im Einzelfall poltische Leitentscheidungen in anderen Handlungsformen, aber dennoch vom Parlament getroffen werden) solche sind, die in der Form des Gesetzes getroffen werden. Unzutreffend ist daher der Kontext, in dem der Senat diese Aussage trifft, nämlich dass aufgrund der Zuordnung zur Handlungsform „Normsetzung“ das Parlament zuständig ist. Unpräzise ist auch die oben119 wiedergegebene Aussage, zu den exekutivischen Aufgaben gehöre die Vollziehung der Gesetze im Einzelfall, Voraussetzung für „Gesetzesvollzug“ sei jedoch, dass tatsächlich „näher das Gesetz ausgeführt“ werde und die Verwaltung nach den Richtlinien des Ge115 Der Gedanke, dass es nicht auf die Frage Gesetzgebung vs. Gesetzesvollzug ankommt, sondern auf die Frage Gesetzgeber (= das Organ, das typischerweise Recht setzt) vs. Exekutive, zeigt sich auch an folgenden Beispielen außerhalb der hier interessierenden Thematik: – BVerfGE 25, 371, 398 – Lex Rheinstahl: Das Verbot des Einzelfallgesetzes ist keine Ausprägung der Gewaltenteilung, sonden von Art. 3 I GG, s. schon oben Fn. 106. – Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium in Nordrhein-Westfalen: nach VerfGH NRW, NJW 1999, 1243 ff. (s. dazu Anm. Böckenförde, NJW 1999, 1235 f.) war hier das Parlament zuständig, obwohl es sich nicht um eine generelle Regelung handelt. Dies stimmt mit dem hier entwickelten Maßstab überein (zu fragen wäre allerdings, ob innerstaatsorganisatorische Fragen überhaupt ein Demokratieproblem sind, vgl. BVerfGE 67, 100, 139 – UA, und ob es sich im konkreten Fall überhaupt um eine wesentliche Entscheidung handelte). 116 s. o. Teil 1 B. II. 1. b). 117 Regelmäßig mittels eines förmlichen Parlamentsbeschlusses. 118 s. o. A. I. 119 s. o. A. I.

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setzgebers handele, so dass sich eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes als Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung darstelle. Nach dem soeben Erörterten handelt es sich nur insofern um eine „Verletzung“ des Gewaltenteilungsprinzips, als die Legitimationsanforderungen, die es beschreibt, nicht eingehalten werden; unmittelbar ist also das demokratische Prinzip verletzt.120 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass in der gewaltenteilenden Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich gilt, dass Volkssouveränität herrscht. Wenn zur Interpretation des Grundgesetzes an staatstheoretische Modelle angeknüpft wird, können also Anforderungen aus dem demokratischen Prinzip nicht mit Hinweis auf Anforderungen, die die Gewaltenteilung stellt, verdrängt werden.121 Vielmehr ist an dem Böckenfördeschen Diktum, das Gewaltenteilungsprinzip „entfalte“ sich „auf dem Boden“ des Demokratieprinzips,122 festzuhalten. Das Gewaltenteilungsprinzip kann hilfreich sein, eine grundsätzliche Kompetenzverteilung zu beschreiben, die allerdings nur nach Maßgabe des demokratischen Prinzips vorgenommen werden kann.123 Ausgangspunkt für die Frage der Kompetenzverteilung bleibt also immer das demokratische Prinzip.

II. Aussagen des Demokratieprinzips Welche Maßstäbe sich dem demokratischen Prinzip entnehmen lassen, soll im Folgenden erörtert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass kein mehr oder minder beliebiges Demokratiemodell „erfunden“ wird, sondern 120 Jedenfalls was diesen Blickwinkel betrifft; damit soll nicht in Zweifel gezogen werden, dass der Bestimmtheitsgrundsatz zugleich rechtsstaatliche Anforderungen konkretisiert, s. dazu nur Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 349 ff. Hinsichtlich der hier interessierenden Kompetenzfrage ist es indessen unmittelbar allein das demokratische Prinzip, das verletzt ist. 121 Das heißt indessen noch nicht, dass das Demokratieprinzip nicht aus Gründen der Gewaltenteilung rechtmäßigerweise eingeschränkt werden könnte, s. dazu unten IV. Der Unterschied zwischen beiden Konstruktionen ist der folgende: Wenn an dieser Stelle gesagt wird, dass die Gewaltenteilung das Demokratieprinzip nicht verdrängen könne, so heißt das, dass Maßstab für die Kompetenzverteilung immer die Herstellung von Volkssouveränität, m. a. W. das Demokratieprinzip sein muss. Als Ausgangspunkt kann also das Demokratieprinzip nicht von der Gewaltenteilung verdängt werden. Das heißt aber noch nicht, dass nicht Gehalte des Gewaltenteilungsprinzips geeignet sein können, eine Einschränkung des Demokratieprinzips zu rechtfertigen. Diese Frage wird, wie gesagt, später zu erörtern sein. 122 s. o. vor A. 123 Die Heranziehung des Demokratieprinzips für die Frage der Kompetenzverteilung wird durchaus auch andernorts vertreten, s. zum Beispiel Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung, S. 40 ff., allerdings wird auch an diesen Stellen nicht der Konflikt mit der Gewaltengliederung thematisiert.

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die von der herrschenden Konzeption getroffenen einzelnen Aussagen sollen ernst genommen und in ein konsistentes System eingeordnet werden. Die zum Demokratieprinzip (oftmals nicht unter scharfer Trennung vom Gewaltenteilungsprinzip) getroffenen Aussagen sind also zu „sortieren“. Dabei werden sich auch weitere Erkenntnisse zur Struktur des Gewaltenteilungsprinzips ergeben. Welche Relevanz diesem für die Kompetenzverteilung verbleibt, ist am Ende zu klären.124 1. Grundsätzliches Was meint Art. 20 II 1 GG damit, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht? Regelmäßig wird dieses Erfordernis dahingehend umschrieben, dass die Äußerungen der Staatsgewalt ihren Ausgangspunkt im Volk haben müssen. Dies wird oftmals zusammengefasst in dem Diktum, die Staatsgewalt müsse „effektiv“ vom Volk ausgehen.125 Es besteht demnach das Erfordernis effektiver demokratischer Legitimation. Unter Effektivität der demokratischen Legitimation ist also die vom demokratischen Prinzip aufgestellte Forderung zu verstehen, dass die Staatsgewalt „wirklich“ – „tatsächlich“ – vom Volk ausgehen muss. Erörterungen dazu finden sich vor allem in Entscheidungen, die innerstaatliche Sachverhalte betreffen.126 Gemeint ist damit eine Art Kompensationsgedanke, nämlich in dem Sinne, dass, wenn zum Beispiel – in den Termini des Modells des Zweiten Senats gesprochen – die personelle demokratische Legitimation defizitär ist, dies kompensiert werden kann (zum Beispiel) durch eine besonders stark ausgeprägte sachlich-inhaltliche Legitimation, solange die Staatsgewalt nur im Ergebnis „effektiv“ vom Volk ausgeht.127 Auf einer ersten Konkretisierungsstufe fordert das demokratische Prinzip des Grundgesetzes also, dass für jedes hoheitliche Handeln ein bestimmtes Legitimationsniveau erreicht werden muss. In der Summe müssen die verschiedenen Legitimationsformen eine effektive Rückbindung an den Willen des Legitimationssubjekts ergeben. Auf einer nächsten Konkretisie124

s. u. IV. s. nur Maurer, Staatsrecht, § 7 Rn. 26; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24 Rn. 11. 126 Insbesondere in solchen zur demokratischen Legitimation von Körperschaften der kommunalen und funktionalen Selbstverwaltung, vgl. zum Beispiel BVerfGE 83, 60, 72; E 93, 37, 67. 127 Auffällig ist, dass in der Nato-Doppelbeschluss-Entscheidung dieser Kompensationsgedanke gerade nicht angeführt wird: Hier wird nur darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung „auch“ – wenn auch reduziert – demokratisch legitimiert ist. Die „Kompensation“ erfolgt hier nicht im Rahmen demokratischer Legitimation, sondern unter Funktions-, das heißt Gewaltenteilungsgesichtspunkten. 125

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rungsstufe ist nun zu klären, welche Formen demokratischer Legitimation es gibt. 2. Die verschiedenen Formen demokratischer Legitimation a) Funktionelle demokratische Legitimation aa) Was bedeutet „funktionelle demokratische Legitimation“? Ohne dies kenntlich zu machen, zieht der Senat in den oben dargestellten Argumentationsgängen die funktionelle demokratische Legitimation an zwei verschiedenen Stellen heran, so dass er an diesen Stellen nur scheinbar zwei verschiedene Argumente verwendet. Denn Argumentationen, die auf „funktionelle demokratische Legitimation“ rekurrieren, meinen nichts anderes als Gewaltenteilung. Das bedeutet, wenn der Senat in den oben angeführten Entscheidungen im ersten Zugriff, gestützt auf das Gewaltenteilungsprinzip, mit der Organadäquanz argumentiert, im zweiten Zugriff, gestützt auf das Demokratieprinzip, aber mit der funktionellen demokratischen Legitimation, verwendet er dieselbe Erwägung doppelt. Auch dies zeigt den Mangel an eigenständiger Bedeutung des Gewaltenteilungsprinzips. Dass die beiden Argumente im Kern identisch sind, ergibt sich aus folgender Überlegung: Nach dem Gewaltenteilungsmodell des Bundesverfassungsgerichts ist Sinn und Zweck des Prinzips, dass staatliche Entscheidungen richtig, das heißt: von den geeigneten Organen getroffen werden.128 Je besser ein Organ für eine Handlung geeignet ist, also je effizienter das Hoheitshandeln ist, umso mehr sprechen die aus dem Gewaltenteilungsprinzip abgeleiteten Kriterien dafür, dass dieses Organ zuständig ist. Des Weiteren aber erhöht sich mit zunehmender Effizienz des Hoheitshandelns auch die funktionelle demokratische Legitimation. Da es Forderung des demokratischen Prinzips ist, dass die verschiedenen Legitimationsformen sich zu einem Niveau von „effektiver“ demokratischer Legitimation summieren, erhöht sich mit der funktionellen Legitimation die Effektivität der Legitimation insgesamt. Mithin erhöht die Effizienz des Hoheitshandelns die demokratische Legitimation. Ob dies zutreffend ist, ob also materielle Aspekte wie die Effizienz des Hoheitshandelns eigene legitimationsstiftende Wirkung haben können, wird noch zu erörtern sein. Festzuhalten ist hier zunächst: Da die funktionelle Legitimation Defizite der beiden anderen Komponenten kompensieren kann, die funktionelle Legitimation aber an sich aus der Einhaltung der von der Gewaltenteilung vorgenommenen Zustän128

s. o. Teil 1 B. I.

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digkeitsverteilung folgt, ist mit funktioneller demokratischer Legitimation nichts anderes gemeint als eine aus dem Gewaltenteilungsprinzip folgende Zuständigkeitszuschreibung.129 Wenn also ein Organ aus Adäquanzgesichtspunkten zuständig und aus demselben Grund aber auch demokratisch legitimiert ist, sind die beiden Prinzipien eins. Mit der funktionellen Legitimation wird also das Gewaltenteilungsprinzip gleichsam zum Bestandteil des demokratischen Prinzips. bb) Handelt es sich um eine Form demokratischer Legitimation? Nachdem die vom Senat so genannte funktionelle demokratische Legitimation in dieser Weise130 identifiziert ist, schließt sich die Frage an, ob es sich dabei tatsächlich um eine Form demokratischer Legitimation handelt. Zugespitzt formuliert: Hat die Effizienz hoheitlichen Handelns eigene legitimationsstiftende Wirkung? Damit stellt sich die Frage, ob das Demokratieprinzip ein rein formales und inhaltsoffenes Prinzip ist oder ob auch materielle Aspekte – im hier interessierenden Zusammenhang also die Effizienz des Hoheitshandelns – die Effektivität der Legitimation erhöhen. Das Argument, dass die demokratische Legitimation hoheitlichen Handelns umso höher ist, je effizienter dieses Hoheitshandeln ist, stellt einen Ausschnitt aus der Diskussion um die sogenannte output-Legitimation dar: Die Unterscheidung zwischen input- und output-orientierter Legitimation 129 Für die instituitionelle demokratische Legitimation, die für die vorliegende Fragestellung keine Relevanz hat, gilt im Prinzip nichts anderes, nur dass sich bei der institutionellen Legitimation konkretere Zuständigkeiten aus dem Grundgesetz ableiten lassen. Die folgenden Ausführungen zu der Frage, ob die funktionelle Legitimation tatsächlich eine Legitimationsform darstellt, gelten daher für die institutionelle Legitimation sinngemäß. Zur institutionellen Legitimation s. di Fabio, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 27 Rn. 33. 130 Nur kurz erwähnt werden soll hier ein etwas anderer Ansatz der Begründung funktionell-institutioneller demokratischer Legitimation, mit dem aus der schlichten Etablierung der Exekutive durch die Verfassung eine Legitimation des Handelns dieser Organe abgeleitet wird (s. den Überblick bei Burmeister, Inhalt, Herkunft und Stellung, S. 77 ff.). Inwieweit dies als Legitimationsform anzuerkennen ist, soll hier nicht vertieft werden. Jedenfalls daraus keine höhere Legitimation der Exekutive abgeleitet werden, die die unmittelbarere Legitimation des Parlaments kompensieren könnte (so aber Schwan, Zuständigkeitsregelungen, S. 53; ähnlich Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172, 181). Insbesondere lässt sich aus der Entwicklung von Bundestagswahlen hin zu „faktischen Kanzlerwahlen“ keine solche höhere Legitimation ableiten (so aber Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 81; in allgemeinerem Zusammenhang, aber inhaltlich wohl ebenso v. Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, S. 150 und passim; dagegen insoweit überzeugend Burmeister, Inhalt, Herkunft und Stellung, S. 80 f.).

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betrifft die Frage, welche Momente in der Lage sind, demokratische Legitimation zu stiften. Input-orientierte Momente sind solche, die darauf abstellen, wie Entscheidungen möglichst unverfälscht den Willen des Legitimationssubjekts abbilden.131 Ob Hoheitshandeln demokratisch legitimiert ist, richtet sich bei rein input-orientierten Demokratiekonzeptionen also allein nach der Rückführbarkeit auf den Willen des Legitimationssubjekts. Demgegenüber stellt die Konzeption der output-Legitimation (auch) auf materielle Aspekte ab: Hoheitliche Handlungen seien dann demokratisch legitimiert, wenn sie „auf wirksame Weise das allgemeine Wohl im jeweiligen Gemeinwesen fördern“.132 Die Verfechter der output-Legitimation berufen sich darauf, dass „Legitimität durch Leistung“ eine „allgemein anerkannte Legitimitätskategorie“ sei.133 Namentlich Peters zitiert eine Reihe von Autoren, die „Effektivität“, die Erfüllung oder „Bewältigung“ bestimmter „Aufgaben“, „Erledigung von Herausforderungen“ oder „effiziente Funktionserfüllung“ als Voraussetzung legitimer Herrschaftsausübung bezeichnen.134 Gerade diese Gleichsetzung von Legitimität der Herrschaftsausübung und demokratischer Legitimation des (einzelnen) hoheitlichen Handelns zeigt, dass für demokratische Legitimation stiftende Umstände gerade nicht auf materielle, also output-orientierte Momente abgestellt werden darf. Denn Peters vermengt an dieser Stelle zwei Ebenen: Auf einer obersten (hier außer acht zu lassenden) Ebene ist die Legitimität der Ausübung von Hoheitsgewalt überhaupt zu begründen.135 Diese wird sodann auf einer zweiten Ebene konkretisiert in allgemeinen Verfassungsprinzipien,136 auf einer nächsten in positivierten Ausprägungen in der Verfassung,137 sodann folgt 131 Peters, Elemente, S. 522; vgl. auch Scharpf, Regieren in Europa, S. 17 f.; Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1094 f.; Überblick aus älterer Sicht bei Lenk, Parlamentarismus, S. 40 ff. 132 So wörtlich Peters, Elemente, S. 522, mit Verweis auf Scharpf, Regieren in Europa, S. 16 ff. Dieser Gedanke spielt auf den Charakter der Demokratie als Herrschaft nicht nur durch, sondern auch für das Volk an; allerdings wird dieses Diktum dabei in sein Gegenteil verkehrt: Herrschaft „für das Volk“ bedeutet nicht etwa, dass materielle Kriterien legitimationsstiftend sind, sondern gleichsam Herrschaft „für das ganze Volk“, also auch für Minderheiten, deren Interessen daher Berücksichtigung zu finden haben, s. Hohmann-Dennhardt, Schranken, S. 105. 133 Peters, Elemente, S. 577. 134 s. Peters, Elemente, S. 577. 135 Dies ist die Ebene, auf der die Fragestellung Möllers’ angesiedelt ist. 136 Auf dieser Ebene, die auch vorliegend von Interesse ist, bewegt sich Peters. 137 Also die Ebene, auf der die überkommene Diskussion geführt wird, nämlich die Frage: Welche Bedeutung hat Art. 59 II GG?

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

die Ebene des einfachen Gesetzesrechts – und so fort. Mit ihrer Gleichsetzung von Legitimität von Herrschaftsausübung und demokratischer Legitimation des Hoheitshandelns identifiziert Peters demnach die ersten beiden Ebenen in unzulässiger Weise. Denn wenn man sagt, dass Herrschaftsausübung im Allgemeinen dem Gemeinwohl zu dienen hat, man auf dieser obersten Ebene also materielle Kriterien heranzieht, so sagt dies noch nichts darüber aus, welche Kriterien für die Prinzipien, die dies auf der darunter liegenden Ebene konkretisieren, heranzuziehen sind, konkret: Das demokratische Prinzip ist eines der Prinzipien, mit denen die auf der „obersten Ebene“ gestellten Forderungen gewährleistet werden sollen. Daneben treten andere Prinzipien, von denen das Rechtstaatsprinzip das augenfälligste Beispiel für ein (auch) materielle Anforderungen stellendes Prinzip ist. Für die Frage, welche Momente dem Hoheitshandeln demokratische Legitimation verleihen, kann also nicht darauf rekurriert werden, welche Voraussetzungen für die Legitimität der Herrschaftsausübung erfüllt sein müssen. Vielmehr ist diese Frage nur unter Zugrundelegung der hinter dem demokratischen Prinzip selbst stehenden Ideen zu beantworten. Nach dieser Perspektive können output-orientierte Momente nicht als demokratische Legitimation stiftend anerkannt werden. Denn Idee des demokratischen Prinzips ist es ja gerade, dass das „Gemeinwohl“ nicht a priori feststeht und erkannt werden kann, sondern konkretisiert wird durch den Willen des Souveräns.138 Positives Recht erhält seine Legitimität nicht dadurch, dass es überlieferten inhaltlichen Gerechtigkeitsprinzipien entspricht, sondern dadurch, dass es in Verfahren gesetzt wird, die ihrer Struktur nach „gerecht“, das heißt demokratisch sind.139 Das Prinzip der Volkssouveränität ernst nehmen bedeutet also, dass die Äußerung der Staatsgewalt auf den Willen des Legitimationssubjekts rückführbar sein muss.140 Es zeigt sich, dass materielle Anforderungen an die Effektivität demokratischer Legitimation nicht gestellt werden können. Zugespitzt formuliert, handelt es sich bei der output-Legitimation141 um einen „Trick, ein Demokratiedefizit wegzudefinieren“.142 Denn derartige Anforderungen aufzustellen hieße, der einen Willensäußerung des Legitimationssubjekts eine 138 Vgl. Frankenberg, in: Denninger u. a., AK-GG, Art. 20 Abs. 1–3 I (Republik) Rn. 36, der diese Idee der Verfassungsentscheidung für die Republik zuordnet. 139 Maus, Vom Nationalstaat zum Globalstaat, S. 232. 140 Zur Relevanz des Willens des Souveräns im Kontext der Zustimmung zu Entsendeentscheidungen s. Eberl/Fischer-Lescano, Grenzen, S. 4 f. 141 Mit der i. ü. auch andere Momente als die Effizienz des Hoheitshandelns als legitimationsstiftend in Frage kommen, vgl. den Überblick und die Nachweise bei v. Bogdandy, ZaöRV 63 (2003), 853, 866 mit Fn. 46 ff. 142 v. Bogdandy, ZaöRV 63 (2003), 853, 866.

B. Auflösung der Widersprüche

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größere Legitimation zu verleihen als einer anderen; dies aber würde die Volkssouveränität gerade entwerten.143 Dagegen wird eingewandt, die „Zustimmung“ als Legitimitätskriterium dürfe nicht verabsolutiert werden.144 Der Einzelne könne selbst nicht beurteilen, was gut für ihn sei, und erst recht fehle ihm die notwendige Sachkenntnis, wie sein Wohlergehen zu verwirklichen sei.145 Dies verkennt das Prinzip der Volkssouveränität in grundlegender Weise; Selbstbestimmung des Volkes heißt gerade, dass die Konkretisierung des Gerechtigkeitsbegriffs vom Legitimationssubjekt vorzunehmen ist. Wo Montesquieu noch offen für eine Souveränitätsteilung plädierte, damit nicht „die Macht des Volkes mit der Freiheit des Volkes verwechselt“ werde,146 geschieht hier in versteckter Form nichts anderes: Um das Volk von unvernünftigen Entscheidungen abzuhalten, wird unter dem Gesichtspunkt der output-Legitimation seine „Macht“ nicht dergestalt begrenzt, dass – wie bei Montesquieu – offen seine Souveränität eingeschränkt wird. Vielmehr geschieht diese Souveränitätsbeschränkung gleichsam durch die Hintertür, indem diese Einschränkung nicht als solche bezeichnet wird, sondern ganz im Gegenteil als legitimationsstiftend und damit souveränitätsstärkend dargestellt wird. Die output-Legitimation schert aus dem Prinzip der Volkssouveränität aus und kann daher nicht als demokratische Legitimation stiftend anerkannt werden. Kollidierende Verfassungsprinzipien sorgen dafür, dass trotz dieser „Verabsolutierung“ des Volkswillens der Rahmen dessen überschritten wird, was noch als Konkretisierung der Gerechtigkeit bezeichnet werden kann, insbesondere das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte. Im Rahmen des demokratischen Prinzips aber sind nur input-orientierte Momente zur Legitimationsstiftung fähig. Materielle Anforderungen können daher nur hinsichtlich der Art und Weise der Willensbildung,147 beispielsweise durch das Erfordernis der Gewährleistung politischer Grundrechte, nicht aber hinsichtlich des Willens selbst gestellt werden. Natürlich lassen sich dem Grundgesetz auch materielle Anforderungen an hoheitliches Handeln entnehmen. Diese folgen aber nicht aus dem demokratischen Prinzip, sondern aus anderen Verfassungsprinzipien, so dass das demokratische Prinzip unter derartigen Aspekten 143 Vgl. auch die ähnliche Argumentation von Abromeit, Wozu braucht man Demokratie?, S. 18 f. 144 Albert, Rationalität, S. 66 f. 145 Peters, Elemente, S. 555. 146 s. o. I. 1.; s. hierzu Maus, Abromeit-FS, S. 239. 147 Zu den Anforderungen an die Art und Weise der Willensbildung s. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S. 392.

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einschränkbar sein kann.148 Im Rahmen des Demokratieprinzips spielen materielle Voraussetzungen wie die Effizienz des Hoheitshandelns hingegen keine Rolle. Es handelt sich um ein rein formales, also prozedurales und inhaltsoffenes Prinzip. Diese Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der output-Legitimation veranschaulicht noch einmal den Zusammenhang zwischen den beiden Erwägungen des Senats. Denn dessen Argumentation, effizientes hoheitliches Handeln stifte demokratische Legitimation, ist inhaltlich nichts anderes als das, was der Senat auch unter dem Stichwort der Funktionengerechtigkeit im Rahmen seiner Erörterungen zum Gewaltenteilungsprinzip anführt: Die Formulierung, staatliche Entscheidungen müssten „richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür [. . .] über die besten Voraussetzungen verfügen“,149 bedeutet übersetzt in die Sprache der Legitimation nichts anderes als die Orientierung an einer an Effektivitäts- und Leistungskriterien ausgerichteten Legitimitätsbegründung.150 Damit wird aber auch deutlich, dass diese für die Argumentation des Senats zentrale Erwägung nicht zur Konkretisierung der Maßstäbe dienen kann, sondern allenfalls im Rahmen einer etwaigen Rechtfertigung der Einschränkung der grundsätzlichen Anforderungen des demokratischen Prinzips.151 Die Verknüpfung des Gedankens der Funktionengerechtigkeit mit dem der Legitimation zeigt also nicht, dass Effizienz des Hoheitshandelns Legitimation stiftet,152 sondern ganz im Gegenteil, dass derartige Erwägungen für die Legitimation keine Rolle spielen können. Die „funktionelle demokratische Legitimation“ ist nach alledem keine Legitimationsform, sondern ein Muster zur Begründung, warum das Legitimationsniveau, das das Demokratieprinzip – isoliert betrachtet – fordert, im konkreten Fall rechtmäßigerweise nicht erreicht wird.153

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Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, S. 325; inkonsequent ist Böckenförde indessen insoweit, als er mit der Legitimationsform der funktionellen demokratischen Legitimation doch derartigen Momenten legitimationsstiftende Wirkung beimisst. 149 Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1095, Fn. 199 mit Verweis auf BVerfGE 68, 1, 86; s. schon oben Teil 1 B. I. 1. 150 Implizit findet sich dieser Zusammenhang bei Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1095, wo er die beiden Argumentationsmuster in demselben Zusammenhang nennt: einerseits: BVerfGE 68, 1, 86; E 95, 1, 15; des Weiteren der kaum nachvollziehbare Verweis auf Badura, Staatsrecht, S. 7; andererseits: Peters, Elemente, S. 577 ff.; Scharpf, Demokratietheorie, S. 21 ff. 151 Dazu s. u. Teil 4. 152 So andeutungsweise Tietje, DVBl. 2003, 1081, 1095. 153 Zur Tragfähigkeit dieses Begründungsmusters s. u. Teil 4.

B. Auflösung der Widersprüche

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b) Personelle und sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation Auf alle Einzelheiten der personellen und der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation muss hier nicht eingegangen werden, da nicht alle für die vorliegende Fragestellung relevant sind. Unterstellt man, dass die legitimationsstiftenden Umstände mit diesen beiden Legitimationsformen zutreffend beschrieben sind,154 so ist jedenfalls fraglich, ob die Aufspaltung in zwei verschiedene Formen der Legitimation haltbar ist. Denn beide Formen knüpfen an die Idee eines mehr oder weniger hohen Legitimationsniveaus an, und das Niveau der einen Legitimationsform ist abhängig von dem Niveau der anderen: Wenn die sachlich-inhaltliche Steuerung (durch das parlamentarische Gesetz) besonders hoch ist, ist es automatisch auch die personelle, weil der unmittelbar legitimierte Gesetzgeber ein hohes Maß an inhaltlicher Programmierung vorgenommen hat. Sachlich-inhaltliche und personelle Legitimation knüpfen nur an verschiedene Aspekte des Hoheitshandelns an, nicht aber ist es bei diesen beiden Formen möglich, dass Defizite der einen durch die andere kompensiert werden. Vielmehr erhöht sich mit dem Niveau der durch die eine Form gestifteten Legitimation auch das der anderen.155

154 Bedenken ergeben sich hinsichtlich der folgenden Aspekte: Erstens erscheint zweifelhaft, ob man im Bereich der Verwaltung in der Tat auch für die personelle demokratische Legitimation von einem ununterbrochenen Legitimationsstrang sprechen kann. Mit der Bekundung des Willens des Souveräns durch die periodisch wiederkehrende Wahl ist der bis dahin bestehende Legitimationsstrang an sich abgeschnitten, so dass nur die neu bestellten Amtswalter – die Spitze der Regierung – personell demokratisch legitimiert sind. Naheliegender erscheint, die demokratische Legitimation der Handlungen der nicht nach Wahlen neu bestellten Amtswalter allein über die sachlich-inhaltliche Legitimation (Legitimationskette durch Weisungsrecht sowie inhaltliche Steuerung durch parlamentarische Vorgaben) zu begründen, s. dazu Blanke, Demokratieprinzip, S. 48, der aus ebendiesem Grund von einer Fiktion der personalen Beziehung zum Volk spricht. Ausführlicher Überblick m. w. N. zur personellen demokratischen Legitimation bei Burmeister, Herkunft, Inhalt und Stellung, S. 81 ff. Allerdings erscheint die sachlich-inhaltliche Weisungskette auch problematisch; in der Tat besteht hier zwar ein ununterbrochenes Weisungsrecht, eine vollständige, ununterbrochene Programmierung des Verwaltungshandelns erscheint aber sehr fraglich; kritisch zur Steuerungsfähigkeit über die Legitimationskette auch HohmannDennhardt, Schranken, S. 108. 155 Dies zeigt sich auch in dem – hier irrelevanten – Aspekt der Legitimationskette (s. schon vorige Fn.): Diese hat sowohl eine sachlich-inhaltliche Komponente (Weisungsstrang) als auch eine personelle; auch hier ergänzen sich die beiden Formen nicht, sondern hängen voneinander ab.

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

III. Zusammenfassung Es hat sich also gezeigt, dass das Erfordernis effektiver demokratischer Legitimation durchaus zutreffend dahingehend konkretisiert werden kann, dass im Ergebnis ein gewisses Legitimationsniveau bestehen muss. Das Bild, nach dem dieses Niveau durch die „Summe“ der einzelnen Legitimationsformen erreicht werden muss, ist indessen insofern schief, als eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Legitimationsformen nicht getroffen werden kann: Bei der funktionell-institutionellen Legitimation handelt es sich nicht um einen Modus zur Stiftung demokratischer Legitimation, und die personelle demokratische Legitimation kann, soweit sie überhaupt anzuerkennen ist,156 nicht von der sachlich-inhaltlichen geschieden werden. Das erforderliche Legitimationsniveau muss demnach jeweils mittels des als sachlich-inhaltliche Legitimation bekannten Modus erreicht werden. Erforderlich ist also eine hinreichend bestimmte Steuerung durch das Parlament – regelmäßig durch Gesetz –, möglicherweise157 ergänzt für den (hier nicht primär interessierenden) Bereich der Verwaltung durch den sachlich-inhaltlichen hierarchischen Weisungsstrang, der im Parlamentsgesetz seinen Ausgang nimmt. Maßgeblich für die Frage des Legitimationsniveaus ist nach Maßgabe des Grundgesetzes die Nähe zum parlamentarischen Gesetzgeber. Es handelt sich um eine (einheitliche) Form demokratischer Legitimation, die identisch ist mit der, die in der bundesverfassungsgerichtlichen Konzeption als sachlich-inhaltliche bezeichnet wird. Vermieden wird somit das Erfordernis der Bildung einer „Summe“ aus verschiedenen Legitimationsformen, ein Vorgang, der derart unpräzise ist, dass sich jedes Ergebnis begründen lässt.158 Dieser Grundsatz des Erfordernisses eines bestimmten Legitimationsniveaus, das umso höher sein muss, je grundlegender eine Entscheidung ist, und das umso höher ist, je näher der Entscheidungsträger dem Souverän ist, findet sich in der Kant-Rezeption Maus’: „Die [. . .] Teilung und Anordnung der Gewalten enthält [. . .] eine Hierarchisierung nach ihrer jeweiligen Nähe 156 Was aus den o. II. 2. b) genannten Gründen zweifelhaft, für unsere Fragestellung indessen irrelevant ist. 157 Die Frage kann aus demselben Grund hier offen bleiben, wie sie für die personelle Legitimation offen bleiben kann, wenngleich eine gewisse Sympathie für die Auffassung Blankes (Demokratieprinzip, S. 50) nicht verhehlt werden soll, dass „das Konzept einer inhaltlichen Detailprogrammierung aller relevanten Verwaltungsentscheidungen per fachlicher Einzelweisung [. . .] in das Reich juristischer Fabelwesen [gehört]“. Zuzugeben ist immerhin, dass für die Weisungsbefugnis durchaus das Bild eines Stranges oder einer Kette taugt; s. schon o. Fn. 154. 158 So zu Recht Blanke, Demokratieprinzip, S. 45.

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zu der in der gesellschaftlichen Basis lokalisierten ‚höchsten Gewalt‘, das heißt der Volkssouveränität.“159

IV. Relevanz des Gewaltenteilungsprinzips – Verhältnis der Prinzipien Die Frage, ob – spiegelbildlich zum Parlamentsvorbehalt – auch für den Bereich der Exekutive ein dieser Gewalt zukommender Vorbehaltsbereich anzuerkennen ist,160 stellt sich nunmehr in einem anderen Licht, und dies weist schon den Weg zur Antwort. Da sich aus dem Prinzip der Gewaltenteilung keine konkreten Zuständigkeitszuordnungen gewinnen lassen,161 müssen auch hier die Anforderungen des Demokratieprinzips in den Blick gerückt werden. Der Hinweis in der Kalkar-Entscheidung auf die „Grenzen der Befugnisse des Parlaments“ kann als Hinweis auf einen solchen Exekutivvorbehalt verstanden werden kann.162 Auch in der Literatur ist vereinzelt gefordert worden, dass die eigenständige administrative Entfaltung nicht zugunsten des Parlaments minimiert werden dürfe.163 Zum Teil wird auch ohne weitere Begründung ein Exekutivvorbehalt daraus gefolgert, dass der Gesetzgeber nichtwesentliche Regelungen nicht selber treffen muss.164 Nicht überzeugen kann jedenfalls der Hinweis, ein Exekutivvorbehalt sei zur Eindämmung der Gesetzesflut erforderlich.165 Abgesehen davon, dass es sich hierbei nicht um ein normatives Argument handelt, ist die da hinter stehende Vorstellung, das Parlament nehme der Exekutive Kompetenzen weg, ja klemme die Verwaltung ein,166 unzutreffend. Denn zu beobachten ist nicht nur eine Flut parlamentarischer Regelungstätigkeit, sondern die Entwicklung zum kooperativen Staat führt zu einer Ausweitung auch und 159

Maus, Abromeit-FS, S. 245. A. III. 161 So speziell für die sich hier stellende Frage nach dem Verwaltungsvorbehalt Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135, 150; Schnapp, VVDStRL 43 (1985), 172, 189 f. 162 So wird das oben A. III. erwähnte Diktum wohl verstanden von Stettner, DÖV 1984, 611; anders Ehrenzeller, Legislative Gewalt, S. 125. 163 So wörtlich Stettner, DÖV 1984, 611. 164 So tatsächlich Kuhl, Kernbereich, S. 63, der an anderer Stelle (S. 99) eine Begründung zwar andeutet, die indessen nicht weniger überraschend ist: Denn wieso die Exekutive für „zweitrangige“ Regelungen eine „überlegene Leistungsfähigkeit“ besitzen soll, bleibt dunkel. Ähnlich Janssen, Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, S. 64. 165 So aber Janssen, Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, passim. 166 Formulierung von Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 2 Rn. 3 mit inhaltlich unzutreffendem Verweis auf Häberle. 160

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

gerade der exekutivischen Tätigkeit.167 „Der Sozialstaat ist seiner Tendenz nach exekutivischer Staat, [also] Verwaltungsstaat. Die Gewaltenteilung wird von ihm unmittelbar in Frage gestellt. Die entscheidenden Staatsfunktionen häufen sich bei ihm so sehr in der Exekutive an, dass das Gleichgewicht der überlieferten Gewaltenteilung verlorengeht. Gerade weil der Sozialstaat Verwaltungsstaat ist, konzentriert sich alles politische Interesse im exekutivischen Bereich.“168 Von einer Tendenz zu einer Ausweitung parlamentarischer Regelungstätigkeit zu Lasten der Exekutive, die mittels eines Exekutivvorbehalts gestoppt werden müsste, kann also keine Rede sein. Ob ein ein Exekutivvorbehalt besteht, lässt sich konkreter wie folgt formulieren – und mit dieser Reformulierung wird die Antwort evident: Fordert das demokratische Prinzip nur ein Mindestmaß an Legitimation (dergestalt, dass das Parlament „wesentliche“ Materien selbst regeln muss), so dass in den Fällen, in denen dieses Mindestmaß erfüllt ist, dem Parlament aber dennoch ein „Zugriffsrecht“ auf nicht wesentliche Materien verbleibt? Oder aber gibt das demokratische Prinzip nicht nur ein Mindestmaß, sondern auch ein Maximum an Legitimation vor mit der Folge, dass für „nicht wesentliche“ Fragen entsprechend dem Parlamentsvorbehalt ein solches Zugriffsrecht dem Parlament verwehrt ist?169 Es handelt sich also nicht um eine Zuordnung von Zuständigkeiten nach Funktionsbereichen, die sich gegenseitig ausschließen könnten, sondern es geht darum, ob nach dem demokratischen Prinzip ein bestimmtes Legitimationsniveau nicht überschritten werden darf. Eine solche Begrenzung des Legitimationsniveaus würde indessen den Sinn des Demokratieprinzips in sein Gegenteil verkehren; das Prinzip fordert effektive Legitimation, verbietet aber nicht zu hohe Effektivität.170 Das – nicht „gebotene“, sondern „erlaubte“ – Legitimationsniveau mit Blick auf Kompetenzen der Exekutive zu begrenzen hieße, doch wieder, gleichsam durch die Hintertür, die Zuständigkeiten nach Funktionen abzugrenzen und das Demokratieprinzip durch das der Gewaltenteilung zu verdrängen.171 167

s. die Beispiele bei Herdegen, VVDStRL 62 (2003), 7, 11 ff. Weber, Spannungen, S. 128 f.; vgl. auch Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 51 f. 169 So deutlich i. E. tatsächlich Kisker, NJW 1977, 1313, 1318 Fn. 36. 170 Unter anderer Fragestellung, aber inhaltlich genauso Zimmer, Funktion – Kompetenz – Legitimation, S. 221. 171 Daran ändert nicht, dass das Parlament natürlich auch Kontrollkompetenzen gegenüber der Regierung hat; daraus folgt aber nicht, dass dies seine wesentliche Aufgabe ist und es nicht selbst gestaltendes Organ ist, in diesem Sinne aber offenbar Stettner, DÖV 1984, 611, 613, der offenbar ein skeptisches Demokratiemodell zugrundelegt (s. dazu nur v. Bogdandy, ZaöRV 63 (2003), 853, 858), das mit dem GG aber nicht vereinbar ist: Denn „nur das Parlament hat die Legitimation zur politischen Leitentscheidung“ (s. o. I. 2.). 168

B. Auflösung der Widersprüche

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Es besteht also kein (normativer172) Exekutivvorbehalt; vielmehr hat das Parlament ein grundsätzliches Zugriffsrecht auf alle Materien. Der dagegen naheliegende Vorwurf eines „allumfassenden Parlamentsvorbehalts“, der die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht zu unterlaufen drohe,173 greift nicht durch. Diesem Vorwurf ist seinerseits entgegenzuhalten, dass ihm eine Betrachtung zugrundeliegt, die mit dem Prinzip der Volkssouveränität nicht vereinbar ist. Die Koexistenz von Volkssouveränität und Gewaltenteilung im System gewaltenteilender Demokratie führt im gedanklichen Ausgangspunkt zu einer Differenzierung zwischen Auftrag und Ausführung.174 Wird nun dem Parlament die (grundsätzliche) Befugnis zum „Auftrag“, also zur Rechtsetzung175 (partiell) genommen, so bedeutete dies eine Teilung der Souveränität im Sinne des Montesquieuschen Modells.176 Die Annahme eines Exekutivvorbehalts im Bereich der Rechtsetzung widerspräche also dem Prinzip der Volkssouveränität. Das gesetzgeberische Zugriffsrecht bedeutet nicht, dass eine vollständige Entmachtung der Exekutive möglich wäre, denn dieses Recht bezieht sich nur auf Handlungen mit Regelungsgehalt. Die Differenzierung zwischen Auftrag und Ausführung, die aus dem Prinzip gewaltenteilender Demokratie folgt, hat zwar ein Zugriffsrecht des Parlaments im Bereich der Rechtsetzung zur Folge. Daraus folgt aber zugleich, dass außerhalb der Rechtsetzung – also bei der Vorbereitung von Gesetzen und auch Verträgen177 sowie bei deren Vollzug – Bereiche verbleiben, in denen der Exekutive notwendigerweise substantielle Kompetenzen verbleiben.178 Eine Reduktion der Anforderungen des Demokratieprinzips auf Tatbestandsebene dergestalt, dass das Demokratieprinzip nicht nur ein minima172

Wohl aber ein faktischer, s. dazu sogleich im Text. Vgl. BVerfGE 68, 1, 87; E 95, 1, 15. 174 So die Formulierung von Eberl/Fischer-Lescano, Grenzen, S. 7. 175 Wenn Maus, Abromeit-FS, S. 243 an dieser Stelle von „Gesetzgebung“ spricht, so meint sie nichts anderes als Rechtsetzung oder, in der Eberl/Fischer-Lescanoschen Terminologie, „Auftrag“. Das Wort „Gesetzgebung“ wird hier vermieden, um keine Assoziationen mit handlungsformbezogenen Erwägungen zu wecken. 176 Vgl. o. I. 1. 177 Also das, was Hitzel-Cassagnes, KJ 2000, 63, 65 als „ersten Bestandteil“ bezeichnet; s. o. Teil 1 B. II. 178 Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135, 140 f. und 155, bezeichnet dies als „faktischen“ Verwaltungsvorbehalt; dort auch zur rechtsstaatlichen Dimension des Exekutivvorbehalts für den Vollzug; andeutungsweise ebenso Böckenförde, Der Staat 11 (1972), 429, 443. Dahinstehen kann hier, inwieweit ein faktischer Verwaltungsvorbehalt darüber hinaus aus „Grenzen der Normierbarkeit“ folgt, s. dazu Degenhart, NJW 1984, 2184, 2190. Die hier vertretene Differenzierung nimmt auch Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), 9, 37, wenn auch ohne nähere Begründung, an. 173

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Teil 3: Gewaltenteilung und Demokratie im Grundgesetz

les, sondern auch ein maximales Legitimationsniveau vorgibt, ist also abzulehnen.179 Nach alledem ist ein Zurückbleiben des „an sich“ erforderlichen Legitimationsniveaus180 also eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des demokratischen Prinzips. Eine Kompetenzzuordnung mit der Gewaltenteilung zu begründen heißt also, diese als Rechtfertigung für eine Einschränkung des demokratischen Prinzips heranzuziehen.

C. Zusammenfassung zum Stand der Untersuchung Die überkommene Methodik, nach der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit bei Phänomenen des Vertragswandels ohne förmliche Vertragsänderung mit Umkehrschluss aus oder Analogie zu Art. 59 II GG beurteilt wird, greift zu kurz. Daher wurden in Teil 2 zunächst die in Rede stehenden Phänomene analysiert und kategorisiert. Dies geschah strikt aus völkerrechtlicher Perspektive unter bewusster Ausblendung jeder verfassungsrechtlichen Fragestellung. Dieses Vorgehen war der Einsicht geschuldet, dass zwischen völkerrechtlichen Phänomenen und verfassungsrechtlicher Regelung keine Wechselwirkung besteht, sondern die Verfassungslage nur an den Bestand völkerrechtlicher Phänomene anknüpfen kann und muss. Nach dieser Bestandsaufnahme der völkerrechtlichen Phänomene folgte in Teil 3 eine allgemeine Analyse der Verfassungslage. Da sich für die in Rede stehenden Phänomene keine positivierten Regelungen im Grundgesetz finden, namentlich nicht in Art. 59 II GG, wurde dabei auf die einschlägigen Verfassungsprinzipien der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips abgestellt. Das Verhältnis dieser beiden Prinzipien erwies sich als äußerst unklar. Es ließ sich feststellen, dass dem Grundgesetz zwar ein gewaltenteilendes System zugrunde liegt. Die Gewaltenteilung findet aber insbesondere in positivierten Ausprägungen im Grundgesetz Niederschlag; aus dem allgemeinen Prinzip lässt sich nur ableiten, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen den Staatsgewalten gewährleistet sein muss. Jedenfalls für die hier in Rede stehenden Konstellationen sind aus ihm aber keine Maßstäbe zu gewinnen. Vielmehr muss Maßstab für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit zu den Vertragswandel-Phänomenen das demokratische 179 Ob eine Ausnahme für den innerstaatsorganisatorischen Bereich zu machen ist und insofern ein Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung – beispielsweise für die Organisation der Regierung (s. Böckenförde, Organisationsgewalt, passim, insb. S. 129 ff.) – anzunehmen ist, kann hier dahinstehen, ist aber sehr zweifelhaft (überzeugend Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135, 149 f.; ähnlich Degenhart, NJW 2184, 2186 f.; anders wiederum Stettner, DÖV 1984, 611, 616 und 620). 180 Betrachtet man die Frage des Exekutivvorbehalts als Legitimationsfrage, wird auch deutlich, dass der Vorwurf Stettners, DÖV 1984, 611, die Bestimmung der Exekutivbefugnisse erfolge nach dem Prinzip der Ausgrenzung, fehl geht.

C. Zusammenfassung zum Stand der Untersuchung

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Prinzip sein. Abweichungen von den Anforderungen, die das demokratische Prinzip stellt, bedürfen sonach der Rechtfertigung. Was dies für die in Teil 2 kategorisierten Phänomene aus innerstaatlicher Perspektive bedeutet, soll in dem folgenden abschließenden Teil beleuchtet werden.

Teil 4

Demokratische Legitimation im Bereich des Vertragswandels Dass Maßstab für die Kompetenzverteilung das demokratische Prinzip ist, wurde in Teil 3 – insbesondere im Anschluss an Maus – damit begründet, dass der Demokratie des Grundgesetzes das Prinzip der Volkssouveränität zugrundeliegt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Überlegungen Maus’ theoretische sind, die die Frage verfolgen: Welches institutionelle und verfahrensmäßige Design verwirklicht das Demokratieprinzip in idealtypischer Weise? Wenn also im vorigen Teil gesagt wurde, dass das demokratische Prinzip des Grundgesetzes Volkssouveränität voraussetzt, so kann aus diesem Befund dennoch nur die grundsätzliche Konstruktion des Demokratieprinzips abgeleitet werden. Konkretisiert wird das Prinzip durch die Ausgestaltung im Grundgesetz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Grundgesetz weitere Verfassungsprinzipien zugrundeliegen, die das demokratische Prinzip ergänzen, modifizieren und einschränken. Nach Maßgabe der Volkssouveränität ist „nur das demokratische Verfahren der Gesetzgebung selbst unverfügbar“;1 das Demokratieprinzip ist rein formal und inhaltsoffen,2 es impliziert Verfahrensgerechtigkeit, ihm liegt aber keine positive Anthropologie zugrunde.3 Deshalb müssen die materiellen Anforderungen, die das Grundgesetz enthält, aus anderen Verfassungsnormen/-prinzipien gewonnen werden. Diese können mit dem Demokratieprinzip in Konflikt geraten. Aus den Ausführungen Maus’ sei das Beispiel der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle herausgegriffen: Aus der Mausschen, rein demokratietheoretischen Perspektive stellt sich diese im Präsidialsystem als diesem immanentes Element der Souveränitätsteilung dar, hat im Modell der Volkssouveränität hingegen keinen Platz. Obwohl sie also nicht ohne weiteres mit dem demokratischen Prinzip des Grundgesetzes kompatibel ist, ist die Normenkontrolle aber dennoch ein selbstverständlicher Bestandteil des Grundgesetzes. Dieses einfache Beispiel zeigt, dass das demokratische Prinzip im Grundgesetz nicht rein verwirklicht ist, 1

Maus, Abromeit-FS, S. 244. s. o. Teil 3 B. II. 2. a) bb). 3 Maus, Abromeit-FS, S. 247: Es „unterstellt [. . .] keineswegs, dass das Volk ‚gut‘ sei.“ 2

Teil 4: Demokratische Legitimation im Bereich des Vertragswandels

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vielmehr mit anderen Prinzipien in Konflikt tritt und mit diesen in Ausgleich gebracht werden muss,4 grundrechtsdogmatisch gesprochen: Ein Eingriff in das demokratische Prinzip kann durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden.5 Nicht erörtert werden soll dabei, nach welchem Modus die kollidierenden Prinzipien auszugleichen sind. Sind das demokratische Prinzip und die kollidierenden Prinzipien gleichrangig und daher im Wege praktischer Konkordanz gegeneinander abzuwägen, oder besteht eine „Vermutung für die Freiheit des Souveräns“? Diese Formulierung, die sich an die grundrechtliche Dogmatik im Rahmen der Eingriffsabwehrdimension anlehnt, impliziert zwar einen grundsätzlichen Vorrang des demokratischen Prinzips. Sie resultiert indessen allein daraus, dass zuvor in Teil 3 das demokratische Prinzip als maßstabsgebend herausgearbeitet wurde und folglich nunmehr nach der Einschränkbarkeit dieses Prinzips zu fragen ist. Eine Entscheidung zugunsten einer Vermutung für die Freiheit des Souveräns bedeutet dies aber nicht. Dahinter verbirgt sich das allgemeine Problem, wie sich das Prinzip der Volkssouveränität zu den mit ihm in Konflikt stehenden Prinzipien verhält. Handelt es sich bei der Volkssouveränität um ein allen anderen Prinzipien vorrangiges Prinzip, so dass diese anderen Prinzipien sämtlich zur Disposition des Souveräns stehen? Für die übergeordnete Ebene der Herrschaftskonstituierung wird diskutiert, ob die Menschenrechte oder die Volkssouveränität eine Vorrangstellung einnähmen oder aber gleichursprünglich seien.6 Dieser Konflikt stellt sich auch hier, und die Verteilung von Maßstabsgebung und Rechtfertigungsstrategie ist für viele Kollisionskonstellationen umstritten. Wenn beispielsweise im Zivilprozess der Richter bei der Auslegung zivilrechtlicher Normen Grundrechte zu berücksichtigen hat,7 hängt dies wie in den hier in Rede stehenden Fällen von der Verfahrenskonstellation ab.8 Wenn daher im Folgenden die Rechtfertigung von Einschränkungen des vom Demokratieprinzips „an sich“ geforderten Legitimationsniveaus thematisiert wird, so bringt dies keinen allgemeinen „Vorrang“ des demokratischen Prinzips vor den kollidierenden Prinzipien zum Ausdruck. Diese Konstruktion folgt vielmehr daraus, dass in den fraglichen Fällen das demokratische Prinzip am Ausgangspunkt der Argumentation steht. Zu klären, ob es sich dabei um einen (nur ausnahmsweise zu rechtfertigenden) 4

Vgl. dazu allgemein Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 62. Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat, S. 352 f. spricht in ähnlichem, wenngleich etwas allgemeinerem Zusammenhang von „Abwägung“. 6 s. Frankenberg, Verfassung der Republik, S. 127 ff. m. w. N. 7 Bester Überblick bei Epping, Grundrechte, Rn. 276 ff. 8 s. o. Teil 1 B. I. 2. 5

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Eingriff in das Demokratieprinzip oder aber um eine Kollision von im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringenden, gleichrangigen Verfassungsprinzipien handelt, würde indessen den Rahmen dieser Arbeit sprengen.9 Dies vorausgeschickt, soll im Folgenden zunächst untersucht werden, welche der Phänomene des Vertragswandels denn überhaupt grundsätzlich der demokratischen Legitimation bedürfen.10 Im Anschluss daran ist jeweils zu erörtern, ob sie ausreichend demokratisch legitimiert sind11 und ob etwaige Defizite gerechtfertigt werden können.12

A. Erfordernis demokratischer Legitimation Welche Verhaltensweisen demokratischer Legitimation bedürfen, lässt sich auf den ersten Blick einfach beantworten: Nach Art. 20 II 1 GG ist entscheidend, ob es sich um die Ausübung von Staatsgewalt handelt. Die Konkretisierung dieses Begriffs der Staatsgewalt erfolgt regelmäßig mittels einer einfachen Formel: Ausübung von Staatsgewalt sei „jedenfalls alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter“.13 Nicht näher erklärt wird hingegen regelmäßig, was genau unter Handeln mit Entscheidungscharakter zu verstehen ist. Denn auch das Merkmal des „Entscheidungscharakters“ ist nicht geeignet, die nicht eindeutigen Fälle zu entscheiden. Insbesondere suggeriert der Begriff das Erfordernis unmittelbarer Wirksamkeit für den einzelnen, was, wie zu zeigen sein wird, gerade nicht notwendiges Merkmal für das Erfordernis demokratischer Legitimation ist. Zu klären ist also nicht, welche Maßnahmen Entscheidungscharakter haben, sondern welche Erwägungen zum Begriff der Staatsgewalt der 9 Grundlegend zur praktischen Konkordanz immer noch Hesse, Grundzüge, Rn. 317 ff., zu den Unterschieden der Formen der Begrenzung Rn. 310 ff. Zu den verschiedenen Konstellationen ausführlich Schlink, Abwägung, 192 ff. und passim; für die konfliktträchtigste, hier aber nicht weiter interessierende Grundrechts-Drittwirkungskonstellation Böckenförde, Grundsatznormen, S. 185 ff. Zur Frage der praktischen Konkordanz auf der oben erwähnten übergeordneten Ebene s. Frankenberg, Verfassung der Republik, S. 128. 10 s. sogleich A. 11 B. I. 1., B. II. 1., C. I. 1., C. II. 1., C. III. 1. 12 B. I. 2., B. II. 2., C. I. 2., C. II. 2., C. III. 2. 13 So die immer wieder anzutreffende Formulierung, s. nur aus jüngerer Zeit BVerfG, NVwZ 2003, 974, 975; ferner BVerfGE 93, 37, 68 mit Verweis auf E 83, 60, 73, dort mit Verweis auf E 47, 253, 273; auch die Standarddarstellungen zum Demokratieprinzip in der Literatur verweisen pauschal auf diese bundesverfassungsgerichtlichen Fundstellen, s. nur Maurer, Staatsrecht I, § 7 Rn. 25; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, § 24 Rn. 12 f.

A. Erfordernis demokratischer Legitimation

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Umschreibung als „Maßnahme mit Entscheidungscharakter“ zugrundeliegen.14 Der Begriff der Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG hat zwei Aspekte. Erstens geht es darum, welche Merkmale die Ausübung von Staatsgewalt losgelöst vom Autor der Handlung ausmachen, also „welche Intensität [. . .] [oder] Qualität die Wahrnehmung einer Staatsaufgabe aufweisen muss, um als Ausübung von Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 II GG gelten zu können“.15 Hier liegt der Akzent auf Gewalt. Der zweite Aspekt zielt hingegen nicht auf die Qualität des Handelns, sondern auf die Urheberschaft desselben; der Akzent liegt also auf Staat.

I. Was ist Staatsgewalt? Eine allgemeine, weithin konsensfähige Definition von Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG liest sich wie folgt: „Tendentiell ist [. . .] jede Wirkungs- oder Äußerungsweise des Staates in Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe16 als Ausübung von Staatsgewalt [. . .] zu betrachten.“17 1. Kein Erfordernis der unmittelbaren Wirksamkeit: Richtlinien, Rahmenbeschlüsse, einseitige Akte Staatsgewalt liegt „nicht nur im Hinblick auf das [außenwirksame] Endprodukt eines Staatswillensbildungsprozesses, sondern auch hinsichtlich einzelner [interner] Willensbildungsakte vor“.18 Der Begriff kann also nicht reduziert werden auf Maßnahmen, die unmittelbar in Rechte des Einzelnen eingreifen.19 Die Differenzierung zwischen Innen- und Außenwirkung einer 14 Diese Vorgehensweise liegt auch den Ausführungen von Jestaedt, Kondominialverwaltung, zugrunde, der zunächst (S. 225 ff.) die Frage nach dem Inhalt des Begriffs stellt und erst zusammenfassend auf den Begriff des Entscheidungscharakters abstellt (S. 257 f.). 15 So die Fragestellung von Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 255, der diesen Aspekt als Staatsgewalt im formellen Sinne bezeichnet. Gegen diese Terminologie ist sachlich nichts einzuwenden, sie führt für unsere Fragestellung indessen nicht weiter, da die „Staatsgewalt im materiellen Sinne“, die Jestaedt dieser gegenüberstellt, also die Frage: was sind hoheitliche Aufgaben?, im hier interessierenden Zusammenhang keine Rolle spielt. 16 Was eine öffentliche Aufgabe ist, ist nach Jestaedt eine Frage der Staatsgewalt im materiellen Sinne; für die hier interessierenden Fälle ist diese Frage nicht relevant, da das Vorliegen von Staatsgewalt im materiellen Sinne in keinem Falle zweifelhaft ist, vgl. dazu Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 226 ff. 17 Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 255. 18 Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 257, auch zum Folgenden. 19 Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 256.

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staatlichen Maßnahme ist für rechtsstaatliche Grundsätze bedeutsam, da diese Unterscheidung auf die Beeinträchtigung der Freiheitssphäre des Einzelnen zielt. Für die demokratische Legitimation aber hat sie keine Relevanz. Eine Beschränkung auf außenwirksame Akte wäre für die Fragestellung des demokratischen Prinzips zu eng, da nicht nur die Ausübung, sondern auch die Konstituierung von Hoheitsgewalt legitimationsbedürftig ist.20 Der gesamte Bereich innerstaatsorganisatorischen und verwaltungsinternen Handelns bedarf also grundsätzlich ebenso der demokratischen Legitimation wie solches staatliches Handeln, das unmittelbare Wirkung für den Einzelnen hat. Voraussetzung sei allerdings, dass diese „einzelnen“, also nicht unmittelbar (außen-)wirksamen „Willensbildungsakte“ rechtliche Bindungswirkung für den „weiteren Verlauf des Entscheidungsprozesses“ haben. Diese Bindungswirkung aber ist bei einigen der hier in Rede stehenden Phänomene gegeben. Beim Erlass von Richtlinien nach Art. 249 III EG oder Rahmenbeschlüssen unter dem EU-Vertrag handelt es sich aufgrund der Pflicht zur Umsetzung in nationales Recht genau um solche „Vorab-Teilfestlegungen“,21 die – obwohl ohne unmittelbare (Außen-)Wirkung – demokratischer Legitimation bedürfen. Nichts anderes gilt für einseitige Akte wie den Nato-Doppelbeschluss. Die Zustimmung zur Raketenaufstellung auf dem Gebiet der Bundesrepublik greift noch nicht in Grundrechte ein, gleichwohl stellt diese Zustimmung eine demokratische Legitimation erfordernde Ausübung von Hoheitsgewalt dar. 2. Erfordernis der Rechtserheblichkeit: nichtrechtliche Verträge Zwar kann Staatsgewalt also auch vorliegen, wenn keine unmittelbare Außenwirkung gegeben ist. Dennoch müsse eine bestimmte „GewaltSchwelle“ erreicht werden. Aus diesem Merkmal wird nun eine einschränkende Voraussetzung abgeleitet, die in der genannten Definition von Staatsgewalt schon anklang, nämlich das Erfordernis der Rechtsverbindlichkeit: „Damit reduziert sich der demokratierelevante Kreis staatlicher Wirkungsweisen auf die rechtserheblichen.“22 Bei den soeben angesprochenen Handlungsformen spielte dieses einschränkende Merkmal keine Rolle, da bei ihnen zwar die unmittelbare Außenwirkung fehlt, nicht aber die Rechtserheblichkeit. Schwierigkeiten bereitet dieses einschränkende Merkmal indessen für das Phänomen des nichtrechtlichen Vertrages. Problematisch ist, ob der fehlende Wille zur 20 21 22

Teil 3 A. II. 1. So der Ausdruck von Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 257. So Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 256.

A. Erfordernis demokratischer Legitimation

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rechtlichen Bindung an einen solchen „Vertrag“ gleichzusetzen ist mit dem Fehlen an rechtlicher Erheblichkeit im Sinne der Merkmale der Staatsgewalt, wie sie Art. 20 II GG zugrundeliegt. Problematisch ist also, ob auch rechtlich unverbindliche Akte die Ausübung von Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG darstellen können. In der Entscheidung zur parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit der Petersberg-Erklärung23 wird das Legitimationserfordernis nicht problematisiert. Für die die Entscheidung tragenden Richter24 stellt sich die Frage nicht, weil sie das Demokratieprinzip nicht zum Maßstab erheben.25 Hingegen setzen die die Entscheidung nicht tragenden Richter26 mit dem bloßen Hinweis auf die Schwierigkeiten bei der Einordnung das grundsätzliche Legitimationserfordernis ohne weitere Begründung voraus. Beide Ansätze greifen zu kurz. Sieht man sich näher an, welche Handlungen mit dem einschränkenden Merkmal der Rechtserheblichkeit aus dem Begriff der Staatsgewalt ausgeschieden werden sollen, so scheint der Abschluss eines nichtrechtlichen Vertrages in diese Reihe nicht recht zu passen: Es gehe um die „Ausscheidung“ rein vorbereitender oder konsultativer Tätigkeiten.27 Demgegenüber stellt der Abschluss eines nichtrechtlichen Vertrages auf den ersten Blick keine vorbereitende Tätigkeit dar, sondern das Ergebnis (vorbereitender) Verhandlungen, das seinerseits genauso wie der Abschluss eines rechtlich erheblichen Vertrages beträchtliche Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen haben kann. Diese Betrachtung wird der Eigenart eines nichtrechtlichen Vertrages indessen nicht gerecht. Denn der Abschluss eines solchen zeitigt eben im Gegensatz zum Rechtsvertrag noch keine unmittelbare rechtliche Wirkung. Nichtrechtliche Verträge mögen „rechtliche Relevanz“ haben, aber eben „ohne unmittelbar Rechte und Pflichten zu erzeugen“.28 Zwar kann der Abschluss eines nichtrechtlichen Vertrages dazu führen, dass rechtserhebliche Handlungen vorgenommen werden. Insofern besteht eine Parallele zu dem Beispiel der verwaltungsinternen oder innerstaatsorganisatorischen Entscheidungen. Der entscheidende Unterschied der nichtrechtlichen Verträge zu 23 Die nach dem oben Teil 2 C. II. 3. c) Gesagten einen nichtrechtlichen Vertrag darstellt. 24 BVerfGE 90, 286, 359 ff. 25 s. o. Teil 2 C. II. 1. 26 BVerfGE 90, 286, 372 ff. 27 So deutlich BVerfGE 83, 60, 74; Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 215; Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 261; vgl. auch BVerfGE 47, 253, 273. 28 s. nochmals Herdegen, Völkerrecht, § 20 Rn. 4 (Hervorhebung nicht im Original).

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derartigen nicht außenwirksamen, aber dennoch verbindlichen Akten liegt aber darin, dass diese die Endentscheidung rechtlich determinieren, während jene zwar gleichsam condicio sine qua non für die Folgeentscheidung sind, aber nicht rechtlich binden. Die Situation ist strukturell nicht anders als bei Akten, die Verwaltungsentscheidungen vorbereiten und von demokratisch nicht legitimierten Organen oder Organisationen29 vorgenommen werden oder bei denen umgekehrt die Verwaltung privates Verhalten nur anregt oder vermittelt, also Formen mittelbaren Bewirkens.30 Dagegen wird eingewandt, diese Grundsätze ließen sich nicht auf das Handeln von Verfassungsorganen übertragen.31 Dieser Einwand greift nicht durch, da er einem Fehlschluss unterliegt. Denn Verfassungsorgane sind ja ohnehin demokratisch legitimiert (wenn auch in unterschiedlichem Maße), so dass nicht von dem handelnden Organ auf die Legitimationsbedürftigkeit geschlossen werden kann. Denn wer Träger hoheitlicher Gewalt ist, kann nicht danach beantwortet werden, ob er demokratisch legitimiert ist, sondern umgekehrt führt die Trägerschaft hoheitlicher Gewalt zum Erfordernis demokratischer Legitimation. Genauso wie im Verwaltungsrecht sich das Legitimationserfordernis nicht danach richtet, ob das fragliche Verhalten einem staatlichen oder gesellschaftlichen Akteur zuzurechnen ist, sondern umgekehrt diese Zuordnung sich danach richtet, welche Wirkung das Verhalten hat, kann nicht allein daraus, dass ein Verfassungsorgan handelt, auf die Legitimationsbedürftigkeit dieses Handelns geschlossen werden. Es mutet auf den ersten Blick eigentümlich an, dass in die Beziehungen zu anderen Völkerrechtssubjekten in gleichem Umfang wie im Bereich der Verwaltung „Private“ eingeschaltet werden können sollen. Dies ist indessen auch nicht der Fall. Zwar stellt das demokratische Prinzip selbst im Bereich von Vertragsverhandlungen und dem Abschluss nichtrechtlicher Verträge in der Tat keine Anforderungen. Das bedeutet aber nicht, dass das Grundgesetz in diesem Bereich keine Vorgaben macht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Frage der demokratischen Legitimation, sondern der Vertretung der Bundesrepublik auf völkerrechtlicher Ebene, die von Art. 59 I GG – wenn auch sehr lückenhaft – geregelt wird. Die politische Bindung aus einem nichtrechtlichen Vertrag führt also nicht unmittelbar zum Erfordernis demokratischer Legitimation. Das bedeu29 Wie Beiräte oder Expertengremien, vgl. Emde, Funktionale Selbstverwaltung, S. 215. 30 So die Formulierung von Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 338. 31 So Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 260, mit fragwürdigem Verweis auf BVerfGE 8, 104, 114 f., der die Frage aber nicht entscheidet und dies auch nicht muss, da es ihm gerade um die umgekehrte Konstellation der demokratischen Legitimation von Verwaltungsentscheidungen mit Beteiligung Privater geht.

A. Erfordernis demokratischer Legitimation

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tet indessen nicht, dass durch die politische Bindungswirkung nichtrechtlicher Verträge das Parlament bei Maßnahmen auf der Basis solcher Vereinbarungen ausgeschaltet wäre. Denn erfahren nichtrechtliche Verträge später rechtliche Relevanz, indem auf ihrer Grundlage Einzelakte ergehen, so sind diese Akte selbst sehr wohl legitimationsbedürftig. Größere Schwierigkeiten bereitet indessen ein anderer Bereich, in dem ein nichtrechtlicher Vertrag rechtliche Relevanz erlangen kann, nämlich wenn er zu Gewohnheitsrecht erstarkt. Bei der Bildung von Gewohnheitsrecht vollzieht sich außerhalb des verfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahrens eine „Umformung des innerstaatlichen Rechts“.32 Im Gegensatz zu Einzelakten (wie zum Beispiel Entsendebeschlüssen) fehlt es hier aber an einem formellen Bezugspunkt für die Legitimation. Legt man die vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Neuen Strategischen Konzept der Nato von 1999 entwickelten Maßstäbe allgemein auf nichtrechtliche Verträge an,33 eröffnet diese Entscheidung der Bundesregierung also die Möglichkeit, unter Umgehung von Art. 59 II GG (gewohnheits-)rechtliche Bindungen zu erzeugen, und zwar Bindungen, die in zeitlicher und normativer Hinsicht stärker sind, als wenn das von Art. 59 II GG vorausgesetzte Verfahren eingehalten worden wäre. Ob die Einordnung der nichtrechtlichen Verträge als nicht legitimationsbedürftig unter diesem Gesichtspunkt in Frage zu stellen ist, muss hier offen bleiben, da das Gewohnheitsrecht den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.34 32

Zuleeg, DÖV 1977, 462, 464. Unabhängig davon, dass es sich nach der hier vertretenen Auffassung nicht um einen nichtrechtlichen Vertrag handelt. 34 Die folgenden Beispiele mögen immerhin die möglichen Bindungen wie auch die Unmöglichkeit, einen formellen Bezugspunkt für eine Legitimation der Gewohnheitsrechtsbildung selbst zu finden, illustrieren. (a) Eine bestehende Regel des (universellen) Völkergewohnheitsrechts wird in einem Vertrag i. S. v. Art. 59 II GG kodifiziert. Dann soll diese Kodifizierung der gesteigerten demokratischen Legitimation (nach Art. 59 II GG) bedürfen, die Herbeiführung der zuvor schon bestehenden Bindung, die nach Art. 25 GG im nationalen Recht sogar höherrangig ist (und an der Organe der BRD zwingend beteiligt waren!), konnte hingegen gleichsam en passant geschehen? (b) Umgekehrt: Zunächst wird ein Vertrag nach Art. 59 II GG geschlossen, die daraus folgende Staatspraxis verfestigt sich zu Gewohnheitsrecht. Wiederum stellt sich die Frage: Kann es richtig sein, dass beim Abschluss des (grundsätzlich kündbaren, Art. 54 ff. WVRK) Vertrages der Bundestag zustimmen muss, bei der sich anschließenden Produktion von Gewohnheitsrecht die Regierung aber machen darf, was sie will? Neben der schon genannten Problematik der Höherrangigkeit nach Art. 25 GG stellt sich auch die Frage, wie man von der Bindung an Gewohnheitsrecht wieder loskommt: Widersetzt man sich von Anfang an, ist man als persistent objector nicht gebunden; ist man aber erst einmal gebunden, was dann (dazu Nachweise bei Herdegen, Völkerrecht, S. 135 f.)? 33

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3. Zusammenfassung Noch nicht erörtert wurde das Legitimationserfordernis für rechtserhebliche Verträge; dieses ist indessen in Art. 59 II GG speziell geregelt. Es kann daher zusammenfassend festgestellt werden, dass abgesehen von den „nichtrechtlichen Verträgen“ alle hier in Rede stehenden Phänomene in ihrer Wirkung grundsätzlich Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG darstellen und daher der demokratischen Legitimation bedürfen: Staatsgewalt liegt in diesen Fällen also vor. Es bleibt die Frage, ob in allen Fällen auch (deutsche) Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG gegeben ist.

II. Was ist Staatsgewalt? „Art. 20 II GG verlangt eine demokratische Legitimation deutscher Staatsgewalt. [. . .] Entscheidend ist, ob das jeweilige Handeln einem Organ zugerechnet werden kann, das in der Kompetenzordnung des deutschen Verwaltungsgefüges verortet ist.“35 Danach sind zwar das Abstimmungsverhalten deutscher Vertreter in internationalen und supranationalen Organisationen,36 nicht aber Akte dieser Organisationen selbst legitimationsbedürftig. Obwohl es sich bei Richtlinien, EU-Rahmenbeschlüssen und erst recht Verordnungen um Akte handelt, die wie Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG wirken, handelt es sich nach diesem Maßstab dennoch nicht um Staatsgewalt in diesem Sinne. Art. 20 II GG habe in diesem Bereich vielmehr nur eine „mittelbare“ Bedeutung.37 Das erforderliche „effektive“ Legitimationsniveau setze sich nämlich hier aus drei Komponenten zusammen: Zwei dieser Komponenten stellten dabei Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG dar, nämlich zum einen der gesetzgeberische Übertragungsakt der Hoheitsgewalt, zum anderen die Beteiligung nationaler Organe an Organisationsentscheidungen. Soweit das erforderliche Legitimationsniveau dadurch nicht erreicht werde, werde indessen auch keine weitere Legitimation im Sinne von Art. 20 II GG gestiftet, vielmehr kommt als dritte Komponente ein „kompensatorisches“ Element ins Spiel, nämlich die „Verfassungsent(c) Vollends dunkel wird die Situation, wenn man die Konstellationen (a) und (b) mit dem Fall verbindet, dass der Inhalt eines Vertrages i. S. v. Art. 59 II GG sich zu partikularem Gewohnheitsrecht verfestigt bzw. wenn partikulares Gewohnheitsrecht in einem solchen Vertrag kodifiziert wird. Dazu Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Abschn. 2 Rn. 142: „Art. 25 GG regelt das Verhältnis des deutschen Rechts zum Völkergewohnheitsrecht abschließend.“ Hat das deutsche Recht also gar kein Verhältnis zum partikularen Gewohnheitsrecht? 35 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 339 (Hervorhebung im Original). 36 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 339. 37 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 340, auch zum Folgenden.

A. Erfordernis demokratischer Legitimation

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scheidung für eine offene Staatlichkeit (Art. 24 GG)“. Die Konstruktion stellt sich also wie folgt dar: Soweit effektive demokratische Legitimation mit der Summe aus nationalem Zustimmungsgesetz plus Beteiligung deutscher Vertreter an Organisationsakten nicht erreicht wird, kann dieses Defizit – grundrechtsdogmatisch gesprochen – mit einem kollidierenden Rechtsgut von Verfassungsrang gerechtfertigt („kompensiert“) werden, nämlich der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes.38 An dieser Stelle kommt nun die oben angesprochene „mittelbare“ Bedeutung von Art. 20 II GG ins Spiel. Voraussetzung für die „kompensatorische“ Wirkung von Art. 24 GG ist, dass „bestimmte verfahrensmäßige und inhaltliche Qualitäten“ zum Schutz „elementarer Verfassungsgüter“ eingehalten werden.39 Die Konsequenz ist, dass das an die EU gerichtete Demokratiegebot (Art. 23 I 1 GG) einem anderen Begriff von Demokratie folgt als Art. 20 I, II GG. Das Grundgesetz erkennt nach dieser Konzeption an, dass die Europäische Union Hoheitsgewalt ausübt (Art. 23 I 1, 24 I). Es erkennt diese Hoheitsgewalt aber nicht als Staatsgewalt im Sinne von Art. 20 II GG an. Folglich ist diese Staatsgewalt über Art. 23 GG hinaus weder legitimationsbedürftig noch legitimationsfähig. Wenn aber „an sich“ kein Erfordernis der Legitimation besteht, stellt es einen Widerspruch dar, dennoch eine „Kompensation“ für den Mangel an Legitimation auf Rechtfertigungsebene zu fordern. Als Paradoxie formuliert: Der Tatbestand der Legitimationsbedürftigkeit ist nach dieser Konzeption nicht gegeben; da aber selbst dann, wenn die Legitimationsbedürftigkeit (Tatbestand) gegeben wäre, die Legitimationsfähigkeit fehlen würde, soll dieser legitimatorische Mangel rechtfertigungsbedürftig sein. Dieser Widerspruch lässt sich nur so erklären, dass zwar die Staatsgewalts-Wirkung der Akte der Organe der Europäischen Union anerkannt wird, nicht aber die Fähigkeit dieser Organe, Staatsgewalt im Sinne des Grundgesetzes auszuüben. Die Konzeption vermengt daher das Vorliegen von Staatsgewalt mit der Fähigkeit, diese legitimerweise auszuüben. Dabei bezieht sich nur der erste Aspekt auf unser Problem. Ob Hoheitsgewalt überhaupt gegeben ist, hängt aber allein von der Wirkung des fraglichen Handelns ab. Dies bezeichnet Jestaedt als Staatsgewalt im formellen 38 s. dazu allgemein nur Kunig, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 2. Abschn. Rn. 18 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 474. Ähnliches meint möglicherweise Bernhardt, DÖV 1977, 457, 462, wenn er davon spricht, dass es „legitim und geboten“ sei, internationale Fragen bei der Verfassungsauslegung „in Betracht zu ziehen“; ähnlich Zuleeg, DÖV 1977, 462, 467. 39 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 340. Ob diese Konstruktion zutreffend ist, ist an dieser Stelle noch nicht zu erörtern; hier geht es zunächst nur darum, ob die Auffassung zutrifft, dass es sich beim Erlass von EU-Rechtsakten nicht um legitimationsbedürftige Akte im Sinne des Grundgesetzes handelt.

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Sinne.40 Bei der Legitimationsfähigkeit hingegen geht es darum, wer dazu in der Lage ist, legitimerweise Hoheitsgewalt auszuüben. Genauso wie bei der Übertragung von Kompetenzen hoheitlichen Handelns auf Selbstverwaltungskörperschaften oder Private nicht das Erfordernis der Legitimationsstiftung, sondern die Fähigkeit dazu fraglich ist, kann auch bei Akten von Unionsorganen nicht die Ausübung von Hoheitsgewalt, sondern nur deren Legitimität zweifelhaft sein. Und genauso wie dies in den genannten Fällen im Bereich der Verwaltung von den zulässigen Legitimationssubjekten abhängt, hängt dies auch auf supranationaler Ebene davon ab, wer zur Legitimationsstiftung in der Lage ist. Das Vorliegen von Hoheitsgewalt aber wird dadurch nicht in Frage gestellt.41

B. Verbandskompetenzkonflikt Die Kompetenzverteilung in der Konstellation des „Verbandskompetenzkonflikts“ soll am Beispiel der Europäischen Union erörtert werden. Zwar handelt es sich dabei insofern um einen Sonderfall, als für die EU mit Art. 23 GG eine Spezialregelung besteht. Die Problematik exemplarisch anhand der EU zu erörtern liegt gleichwohl nahe. Denn es handelt sich bei der EU um das augenfälligste und praktisch relevanteste Beispiel für den Verbandskompetenzkonflikt. Zudem zieht die Sonderregelung des Art. 23 GG zwar Besonderheiten im Detail nach sich, jedoch folgen daraus keine grundsätzlichen Abweichungen in der Argumentationsstruktur gegenüber den sonstigen Fällen. Diese werden im Anschluss kurz behandelt.42

I. Die Europäische Union Der Versuch, zum Thema der Stiftung demokratischer Legitimation durch Organe der Europäischen Gemeinschaften/der Europäischen Union etwas Neues hinzuzufügen, wäre zum Scheitern verurteilt.43 Die folgenden Ausführungen dazu beschränken sich daher darauf, die Diskussion so zu ordnen, dass die hier relevanten Aspekte deutlich werden.

40

Jestaedt, Kondominialverwaltung, S. 255 ff. Etwas andere Fragestellung, aber inhaltlich ebenso Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 249 f.; s. auch Pernice, VVDStRL 60 (2001), 148, 160. 42 s. u. II. 43 s. zur umfangreichen Literatur neben den Nachweisen in den folgenden Fn. nur Hölscheidt/Schotten, VerwRundschau 1994, 183, 184 ff.; Ress, Geck-GS, S. 628; Hansmeyer, Mitwirkung, S. 32 ff.; neuere Übersichten und Akzente bei Korioth, VVDStRL 62 (2003), 117 ff. und v. Bogdandy, VVDStRL 62 (2003), 156 ff. 41

B. Verbandskompetenzkonflikt

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1. Grundsätzliche Möglichkeit originärer europäischer Legitimation Ausgangspunkt ist das Erfordernis demokratischer Legitimation nach Maßgabe des Grundgesetzes, nicht aber das Prinzip der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes,44 also: Ist die Stiftung demokratischer Legitimation im Sinne von Art. 20 II GG durch Organe der EU grundsätzlich möglich? Die gegensätzlichen Grundpositionen zur Fähigkeit der Unionsorgane zur Legitimationsstiftung seien an folgendem illustriert: Aus einem (von diesen Autoren angenommenen, hier zu unterstellenden) Demokratiedefizit der EU werden zwei diametral entgegengesetzte Folgerungen gezogen: entweder die Forderung einer Stärkung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments oder aber die Ablehnung ebendieser Stärkung parlamentarischer Kompetenzen. Die eine Stärkung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments ablehnende Meinung beruht dabei auf der Prämisse, dass demokratische Legitimation der Rückkoppelung an das Staatsvolk als Legitimationssubjekt bedarf. Da es kein europäisches Volk gebe, das das Europäische Parlament repräsentieren könnte, trage eine Stärkung des Parlaments nicht zur Stärkung der Legitimation bei; vielmehr müsse diese allein über die Brücke zu den einzelstaatlichen Parlamenten vermittelt werden.45 Demgegenüber geht die Gegenauffassung davon aus, dass die mitgliedstaatliche Brücke zwar ergänzend Legitimation stiftet (und diese Legitimation zur Erreichung eines ausreichenden Legitimationsniveaus auch erforderlich ist), jedoch daneben auch die Unionsorgane selbst originär demokratisch legitimiert sind.46 Bei diesen beiden gegensätzlichen Auffassungen handelt es sich indessen nur um die beiden extremen Gegenpositionen; vermittelnde Auffassungen existieren ebenso, wie viele andere Fragen im Bereich der Demokratietheorie umstritten sind.47 Bei all diesen Kontroversen zur „Idee der Demokratie“ kann nicht gesagt werden, dass die eine Vorstellung von Demokratie richtiger wäre als die andere.48 Die hier skizzierten Auffassungen zur richti44

So aber Hansmeyer, Mitwirkung, S. 34. So zum Beispiel Kirchhof, JZ 2004, 981, 981 f.; di Fabio, Der Staat 32 (1993), 191, 203; Bieber, NJ 1993, 241, 243; Ossenbühl, DVBl. 1993, 629, 634; Murswiek, Der Staat 32 (1993), 161, 177; Huber, StWP 1992, 349, 360. 46 s. zum Beispiel Hänsch, Europa-Archiv 1986, 191, 199; Schwarze, NJ 1994, 1, 4; Zuleeg, JZ 1993, 1069, 1073; Ferdinand, Bliscke-FS, S. 163; Graf Stauffenberg/ Langenfeld, ZRP 1992, 252, 258. 47 Vgl. nur den Überblick von v. Bogdandy, ZaöRV 63 (2003), 853 ff. 48 Dazu allgemein Frankenberg, Vorsicht Demokratie!, S. 177; Überblick bei Volkmann, AöR 127 (2002), 575 ff., der selbst ein differenziertes Konzept entwirft und sich den unten referierten typisierten Auffassungen nicht eindeutig zuordnen lässt. 45

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gen Idee der Demokratie sind daher geeignet, einen Rahmen abzustecken, was vertretbarerweise unter Demokratie verstanden werden kann. Genau diese Bandbreite an Demokratieverständnissen aber zeigt, dass die Frage nach der „Idee der Demokratie“ zu allgemein gestellt ist. Relevanz hat vielmehr allein, welche Vorgaben für das demokratische Prinzip sich aus der jeweils einschlägigen Verfassung ergeben. So ist offensichtlich, dass der EGV davon ausgeht, dass das Europäische Parlament eigene demokratische Legitimation besitzt. Damit ist aber noch nicht beantwortet, ob aus der Perspektive des Grundgesetzes die Stiftung demokratischer Legitimation durch Unionsorgane denkbar ist. Konkret: Welcher Begriff des „Volkes“ liegt dem in Art. 20 II GG postulierten Prinzip der Volkssouveränität zugrunde? Geht das Grundgesetz davon aus, dass Volkssouveränität nur im nationalstaatlichen Rahmen verwirklicht werden kann, also das „Volk“ als Legitimationssubjekt zwingend identisch ist mit dem „Staatsvolk“? Argumente für eine Bindung des Legitimationssubjekts an das Staatsvolk lesen sich beispielhaft wie folgt:49 (1) Das „formale Partizipationsargument“, nämlich dass jeder, der einer Entscheidung unterworfen ist, an dieser mitgewirkt habe, reiche nicht aus, um zu begründen, dass die Minderheit das Mehrheitsvotum respektieren müsse.50 Vielmehr bedürfe es zusätzlicher, nicht rein formaler Argumente zur Begründung des Vertrauens der Minderheit in die Mehrheit. Soziopsychische Grundlage dieses Vertrauens sei, mit Max Weber gesprochen, ein „Gemeinsamkeitsglauben“, der sich auf präexistente Gemeinsamkeiten gründe.51 Da diese Vorbedingungen kollektiver Identität innerhalb „etablierter Nationalstaaten“, nicht aber auf der Ebene der Europäischen Union gesichert seien, sei (rein input-orientierte) Demokratie auf europäischer Ebene nicht organisierbar.52 Erforderlich für das „Entstehen“ originärer europäischer Legitimation sei vielmehr, dass europaweite politische Kommunikations- und Meinungsbildungsprozesse durch europäische Parteien, Verbände und Medien erleichtert würden.53 „Gegenwärtig existiere“ Demokratie jedoch „tatsächlich“ nur auf nationaler Ebene.54 49 Überblick bei Hanebeck, DÖV 2004, 901, 901 ff. (zu den Grundpositionen), S. 904 f. (zur alten Rechtsprechung), S. 905 ff. (zur – noch? – herrschenden Auffassung); ausführlich ders., Der demokratische Bundesstaat, S. 76 ff. 50 Scharpf, Regieren in Europa, S. 17 ff. 51 Ebenda, S. 18.; Hervorhebung nicht im Original. 52 Ebenda, S. 18 f. 53 Ebenda, S. 19 f. mit Verweis auf BVerfGE 89, 155 ff. – Maastricht. 54 Ebenda, S. 20 mit Verweis auf BVerfGE 89, 155 ff. Im Ergebnis gelangt Scharpf dennoch dazu, dass Demokratie auf europäischer Ebene organisierbar sei, jedoch auf der Basis der nicht haltbaren Konzeption der output-Legitimation (s. o.

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(2) „Gegensätze, Feindseligkeiten, Aggressions- und Gewaltbereitschaft unter Menschen“ entstünden auch und vor allem „aus dem Denken und den geistigen Vorstellungen und Überzeugungen der Menschen, aus dem, was in ihren Köpfen steckt und sie mental bewegt“.55 Zur Etablierung und Erhaltung von „Demokratie und Staatlichkeit“56 bedürfe es folglich einer „Kraft, die [. . .] soweit zusammenbindet [. . .], dass die öffentliche Friedensordnung nicht aufgebrochen wird“. Neben und vor der staatlichen Zwangsgewalt sei daher ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit notwendig, das indessen auch eine Abgrenzung gegenüber anderen Menschen und Menschengruppen impliziere.57 Diese Abgrenzung ziehe nicht per se Feindseligkeit nach sich, bringe jedoch jedenfalls Fremdheit und Unvertrautheit mit sich. Diese einerseits positiv bestimmende, andererseits negativ abgrenzende Gemeinsamkeit, diese „relative Homogenität“, die die politische Ordnung und das soziale Miteinander trage, beruhe auf vor-rationalen Einstellungen und Auffassungen.58 All dies aber sei durch den Prozess der Transnationalisierung, insbesondere der Europäisierung bedroht. Da die Europäische Union weder auf einem europäischen Volk noch einer Nation der Europäer basiere, könne das Europäische Parlament ein solches bzw. eine solche auch nicht repräsentieren.59 Zwar könne sich Derartiges durchaus herausbilden, so lange sei aber zur Aufrechterhaltung von Demokratie und Staatlichkeit eine Re-Etablierung des Primats der Politik in beherrschbaren Räumen, sprich dem Nationalstaat vonnöten.60 (3) Ein anderes, die originäre demokratische Legitimation der Unionsorgane bejahendes Ergebnis kann sich nur ergeben, wenn man als Voraussetzung für Demokratie nicht diese relative Homogenität fordert, sondern Teil 3 B. II. 2. a) bb)): Diese erfordere zwar ein gemeinsames Interesse, nicht aber eine gemeinsame Identität (S. 20 ff., insb. S. 21). 55 Böckenförde, Zukunft politischer Autonomie, S. 110; knappe (aber nicht zustimmende) Zusammenfassung bei Groß, Grundlinien, S. 97. 56 Zur Abhängigkeit von Demokratie und Staatlichkeit voneinander s. Böckenförde, Zukunft politischer Autonomie, S. 107 ff. 57 Ebenda, S. 110; Hervorhebung nicht im Original. Dieses Demokratieverständnis Böckenfördes ist Folge seiner Anknüpfung an die Staatslehre Carl Schmitts, nach der eine Verfassung einen Staat nicht konstituiert, sondern der Staat einer Verfassung vorausgeht, also „etwas Seinsmäßiges, und zwar zunächst als Machtkonzentration Gegebenes“ ist (so Böckenförde, Begriff des Politischen, S. 351 f.). Dieses Verhältnis von Verfassung und Staatlichkeit setzt Homogenität voraus (ebenda, S. 352) und führt zu dem dargelegten Demokratieverständnis. Weitere Folge dieses Verhältnisses von Staat und Verfassung ist die Absage an Vertragstheorien von Verfassung (ebenda, S. 352 f.). 58 Ebenda, S. 111. 59 Ebenda, S. 125 f. 60 Ebenda, S. 123.

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die Selbstbestimmung des Individuums in den Mittelpunkt rückt.61 Diese Legitimation werde getragen von der Achtung der Individualität und des Andersseins und – der Idee des Gesellschaftsvertrags folgend – der Anerkennung der von Verfassungs wegen anerkannten Rechte.62 Grundlage dieser Identifizierung von Souveränität mit dem Gedanken der Selbstbestimmung ist die Ersetzung der (vorrechtlichen) Idee des Mythos „Volk“ durch die Menschenwürde,63 die Ablösung der Vorstellung vom Staat als „Naturgebilde“ durch den Staat als Zweckverband.64 Folge dessen ist, dass das Fehlen eines europäischen Volkes der grundsätzlichen Legitimationsfähigkeit der EU keinen Abbruch tut.65 Die europäische und die nationale Verfassung stellen sich sonach als einheitliches Mehrebenen-Verfassungssystem dar, europäisches und nationales Verfassungsrecht bilden materiellrechtlich eine Einheit.66 Dies führt auch nicht zu einer – vom Grundgesetz gerade nicht gewollten – Teilung der Souveränität im Montesquieuschen Sinne,67 sondern stellt eine auf mehrere Ebenen verteilte gemeinsame Souveränität dar.68 (4) Skeptisch hinsichtlich der Realisierbarkeit und insofern auf den ersten Blick ähnlich wie die Positionen (1) und (2), aber vom Grundgedanken her bei genauerer Betrachtung eher der Position (3) folgend, stellt sich der letzte hier exemplarisch zu präsentierende Ansatz dar. Dieser Ansatz identifiziert das Prinzip der Volkssouveränität mit der Gesetzgebungsfunktion und diese wiederum mit der innerstaatlichen Souveränität des demokratischen Nationalstaats.69 Wesentliches Element der Begründung für die Geltung des demokratischen Gesetzes ist dabei, dass dieses den Staatsbürgern legitimerweise auferlegt werden darf, wenn und weil sie zuvor als Akteure des Gesetzgebungsprozesses aufgetreten sind.70 Diese 61

Abgesehen von der bereits kritisierten output-orientierten Begründung. Pernice, VVDStRL 60 (2001), 148, 160 f.; ähnlich, allerdings stärker auf die Pluralität moderner Gesellschaften abstellend Frankenberg, Verfassung der Republik, S. 94 ff. 63 Nach Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 136 ist verfassungsrechtliche Grundlage des demokratischen Prinzips nicht nur Art. 20 II GG, sondern ebenso Art. 1 I GG: Demokratie als „organisatorische Konsequenz der Menschenwürde“ (so Blanke, Demokratieprinzip, S. 40 f.); ausführlich zum Zusammenhang von Demokratie und Grundrechten Sterzel, Einheit, 164 ff.; der Zusammenhang findet sich schon frühzeitig bei Häberle, JZ 1975, 297, 302; s. auch Frankenberg, Der lernende Souverän, S. 47. 64 Pernice, VVDStRL 60 (2001), 148, 161 f. 65 Ebenda, S. 163, bezogen auf den Verfassungscharakter. 66 Ebenda, S. 173 f. 67 Vgl. o. Teil 3 B. I. 1. 68 Vgl. Pernice, VVDStRL 60 (2001), 148, 175. 69 Maus, Vom Nationalstaat zum Globalstaat, S. 226 f. 62

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Beteiligung der vom Gesetz Betroffenen an dessen Zustandekommen ist es, was Legitimation vermittelt, nicht aber, dass diese Beteiligten sich durch „Sesshaftigkeit, Abstammung oder Teilhabe an historischem Schicksal oder Kultur einer Gesellschaft“ auszeichnen.71 Die Anforderungen an diese „Beteiligung“ am Gesetzgebungsprozess sind zwar hoch,72 jedoch hat dies keine prinzipielle Einschränkung hinsichtlich der möglichen Legitimationssubjekte zur Folge.73 (a) Aus dem Erfordernis der Beteiligung am Gesetzgebungsprozess leitet Maus weitreichende materielle Anforderungen an die demokratische Willensbildung ab. Bei diesen wird wiederum – wenn auch nicht so pointiert wie in Position (3) – der Zusammenhang des demokratischen Prinzips mit den Grundrechten und die Bedeutung der „demokratischen“ Grundrechte zur Verwirklichung von Selbstbestimmung deutlich: Ein „Weltparlament“ könne die Anforderungen an die demokratische Willensbildung nicht erfüllen, weil beispielsweise der notwendige Einfluss einer Massendemonstration auf dessen Willensbildung nicht gegeben sei, da diese Demonstration nur per Fernsehübertragung zur Kenntnis des Weltparlaments gelangen könne.74 Wesentliche materielle Anforderung an die demokratische Willensbildung ist also die Herstellung der Öffentlichkeit des Meinungsbildungsprozesses, ein Erfordernis, das indessen nicht isoliert gesehen werden darf, sondern „die wechselseitige Optimierung von Volkssouveränität“ voraussetze, und zwar dergestalt, dass einerseits der demokratische Souverän durch öffentlichen Diskurs aufgeklärt entscheide, andererseits aber die Ergebnisse dieses Diskurses tatsächlich Eingang in die Gesetzgebung erhielten.75 Bei dem fiktiven Weltparlament hingegen sei der öffentliche Diskurs nur als Selbstgespräch möglich, was zur Eliminierung der Öffentlichkeit führe.76 (b) Diese materiellen Anforderungen führen dazu, dass Maus hinsichtlich der Realisierbarkeit von Demokratie auf europäischer Ebene skeptisch ist; dennoch bejaht sie die prinzipielle Organisierbarkeit von europäischer Demokratie.77 Insbesondere führt Maus’ grundsätzliche Identifizierung von Volkssouveränität und Nationalstaat nicht dazu, dass als denkbares Legitimationssubjekt allein das (homogene) Staatsvolk in Frage kommt. Zwar findet Maus im Rahmen des überkommenen Nationalstaats die besten Voraus70 71 72 73 74 75 76 77

Maus, Vom Nationalstaat zum Maus, Vom Nationalstaat zum Dazu sogleich (a). Dazu sogleich (b). Maus, Vom Nationalstaat zum Maus, Vom Nationalstaat zum Maus, Vom Nationalstaat zum Maus, Abromeit-FS, S. 224.

Globalstaat, S. 230. Globalstaat, S. 231.

Globalstaat, S. 242. Globalstaat, S. 249. Globalstaat, S. 250.

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setzungen für die Realisierung der von ihr aufgestellten materiellen Voraussetzungen vor,78 jedoch zieht dies keine weiteren Anforderungen an das Legitimationssubjekt nach sich. Das „Volk“ der Volkssouveränität stellt eine Rechtsgemeinschaft dar, der demokratische Souverän bestimmt sich nicht aus Aspekten wie Abstammung, Boden oder anderer soziologischer Konnotationen, sondern wird in einem juristischen – also gerade nicht vorrechtlichen – Akt hergestellt.79 Das „Volk der Volkssouveränität“ ist also nicht an die Idee des „Volkes“ geknüpft, vielmehr ist das Volk „ein höchst künstlicher Sachverhalt“.80 Die Identität des Volkes wird also aus dem gewonnen, was das Volk normativ sein soll.81 Die Beispiele (1), (2) und (4) sind also skeptisch hinsichtlich der Realisierbarkeit europäischer Demokratie. Insbesondere könnte Böckenfördes Hauptforderung, nämlich die „Re-Etablierung des Primats der Politik in beherrschbaren Räumen“,82 genauso aus der Feder von Maus stammen. Bei dieser Gemeinsamkeit handelt es sich indessen nur um eine Ähnlichkeit im Ergebnis; vom Ansatz her sind die Positionen (2) und (4) grundverschieden, während Position (1) auf den ersten Blick denselben Ansatz wie Position (2) verfolgt, allerdings widersprüchlicherweise Elemente des Ansatzes (4) einstreut. Wesentlicher Unterschied zwischen den Ansätzen (2) und (4) ist, dass (2) vor-rechtliche Voraussetzungen für Demokratie aufstellt: Relative Homogenität kann nicht vom Recht organisiert werden; vielmehr muss nach dem Ansatz Böckenfördes eine Rechtsordnung diese Homogenität bereits vorfinden, um Demokratie organisieren zu können. Das Legitimationssubjekt wird also nach diesem Ansatz nicht von der Rechtsordnung bestimmt, sondern von ihr vorgefunden: Das Staatsvolk wird nicht dadurch zum Legitimationssubjekt, dass die Verfassung es dazu bestimmt. Vielmehr kann eine Rechtsordnung, die Demokratie organisieren will, nach dem Böckenfördeschen Ansatz nur eine relativ homogene Gruppe und damit das Staatsvolk zum Legitimationssubjekt machen. Der Rechtsordnung selbst bleiben nur 78

So deutlich Maus, Vom Nationalstaat zum Globalstaat, S. 257. Maus, Vom Nationalstaat zum Globalstaat, S. 247. 80 Maus, Aufklärung, S. 208. 81 Maus, Aufklärung, S. 210; für den Nationalstaat führt das zu einer Identifizierung des Legitimationssubjekts mit den Angehörigen der Nation (s. Maus, Aufklärung, S. 208), was mit dem Volk identisch sein kann, aber jedenfalls nicht auf die Idee des vorrechtlichen Volkes, sondern die „Idee der freien Gemeinschaft“ (so wörtlich Maus, Aufklärung, S. 210) zu stützen ist: „Nicht eine vorausgesetzte Einheit der Nation bestimmt darüber, wer ihr zugehören soll, sondern umgekehrt bestimmen die Menschen, welcher Nation sie sich anschließen wollen“ (Ebenda, S. 205). 82 s. die Ausführungen zu Position (2) a. E. 79

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begrenzte Möglichkeiten der Ausgestaltung, denn bei der Frage, wer zum Staatsvolk gehört, also bei der Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts, ist dem Verfassungs- und Gesetzgeber das Erfordernis der relativen Homogenität der als Staatsvolk zu definierenden Gruppe vorgegeben. Im Gegensatz dazu unterstellt der Ansatz (4) keine vor-rechtlichen Voraussetzungen für die Organisierbarkeit von Demokratie. Maus’ Anforderungen an das demokratische Prinzip sind zwar anspruchsvoll, jedoch vom Verfassungs- und Gesetzgeber erfüllbar. Folglich geht Maus davon aus, dass eine Demokratie auf europäischer Ebene „organisierbar“, wenngleich nach derzeitigem Stand der Integration nicht erreicht ist.83 Die Ansätze des Bundesverfassungsgerichts sowie von Scharpf und Böckenförde einerseits sowie von Maus und Pernice andererseits sind insofern grundverschieden, als erstere einem holistischen Demokratieverständnis folgen, also „relative Homogenität“ innerhalb des Legitimationssubjekts fordern, während letztere ein menschenrechtliches Demokratieverständnis zugrundelegen, also die Selbstbestimmung des einzelnen zum Maßstab für die Legitimation machen. Dabei zeigt sich, dass bestimmte Umstände – namentlich die Existenz eines öffentlichen politischen Diskurses, der Einfluss auf die Gesetzgebung hat – sowohl nach holistischem als auch nach menschenrechtlichem Verständnis zur Legitimität beitragen können. Diese Parallelen in einzelnen Aspekten ändern aber nichts daran, dass wir es mit zwei grundverschiedenen Ansätzen zu tun haben. „Die Erkenntnis, dass eine Demokratisierung transnationaler Politikprozesse ein schwieriges Projekt ist, ist etwas ganz anderes als die Behauptung, dass sie ausgeschlossen ist, weil ‚Demokratie ein ‚Volk voraussetzt“.84 Auch wenn hinsichtlich des Vorhandenseins „europäischer Demokratie“ Maus zu einem Ergebnis gelangt, das eher dem von Böckenförde und Scharpf85 ähnelt als dem Ansatz von Pernice, verfolgen also dennoch hinsichtlich der hier interessierenden Frage des möglichen Legitimationssubjekts Maus und Pernice denselben (menschenrechtlichen) Ansatz. Der Vergleich der beiden Modelle zeigt ein Weiteres: Eine häufig geäußerte Kritik am holistischen Modell, nämlich dass dieses zu sehr der Idee der Legitimationskette verhaftet sei,86 trifft nicht den Kern. Denn auch das menschenrechtliche Modell beruht darauf, dass zwischen dem Legitimationssubjekt und dem Träger der Hoheitsgewalt ein Legitimations- und Verantwortungszusammenhang besteht, m. a. W. dass die Entscheidungen des Hoheitsträgers auf den Willen des Legitimationssubjekts rückführbar sind 83 84 85 86

Maus, Abromeit-FS, S. 224. Bryde, StWStP 5 (1994), 305, 308; s. auch ders., Optimierungsaufgabe, S. 65. Soweit man bei seinem Ansatz das output-Korrektiv ausblendet. Statt aller Blanke, Demokratieprinzip, S. 48 m. w. N.

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und jener diesem verantwortlich ist. Das Erfordernis einer Legitimationskette ist zwingende Folge aus der Erkenntnis, dass das demokratische Prinzip rein formal und inhaltsoffen ist, also allein den Willen des Legitimationssubjekts abzubilden hat und output-Momente abzulehnen sind.87 Eine Legitimationskette, die nicht unterbrochen sein darf, besteht also auch nach dem menschenrechtlichen Demokratieverständnis. Die wesentliche Kritik betrifft daher nicht die Vorstellung einer Kette als solcher, sondern die Art und Weise, wie das holistische Modell diese konstruiert. Der entscheidende Unterschied zwischen den verschiedenen input-orientierten Modellen ist nämlich ein anderer: Die Legitimationsketten enden nach dem menschenrechtlichen Modell nicht nur bei einem anderen Subjekt – eben den Betroffenen statt dem Staatsvolk –, sondern divergieren auch in der Länge. Gegenüber dem holistischen Modell, in dem der Legitimationsstrang immer vom Parlament über den Regierungschef, die von ihm ernannten Minister und die weisungsgebundenen Amtswalter bis hin zum die außenwirksame Entscheidung treffenden Amtswalter verläuft, enthält das menschenrechtliche Modell zwei Arten von Abweichungen, von denen eine ihrerseits in zwei verschiedene Richtungen denkbar ist: Ausgangspunkt des Legitimationsverlaufs ist auch im menschenrechtlichen Modell regelmäßig das Parlament. Dass dieses der Idee nach nicht vom homogenen Staatsvolk, sondern von „den Betroffenen“ legitimiert wird, wirkt sich jedenfalls auf Bundesebene nicht oder nur marginal aus. Von großer praktischer Relevanz ist hingegen die zweite Divergenz. Die Idee der „Betroffenendemokratie“ erlaubt es, den Ausgangspunkt des Legitimationsstranges zu variieren, was sich praktisch gleichsam in zwei Richtungen auswirkt:88 Die Verlagerung von Hoheitsgewalt auf Körperschaften der funktionalen Selbstverwaltung stellt eine Verkürzung der Legitimationskette im Vergleich zum oben dargestellten Regelfall dar,89 während der Legitimationsstrang sich in der hier interessierenden Konstellation der Aus87 Eine andere Frage ist, inwieweit die von der herrschenden Auffassung konstruierten Ketten haltbar sind, s. dazu o. Teil 3 B. II. 2. b); wesentlich ist die Programmierung des Verwaltungshandelns durch Parlamentsgesetz, ergänzt durch das Weisungsrecht, das in der Tat auf einem Kettenmodell beruht. 88 Blanke, Demokratieprinzip, S. 43 spricht von einer Öffnung „nach unten“ und „nach oben“; ähnliche Formulierung bei Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 65. 89 Bei genauerer Betrachtung handelt es sich um zwei Legitimationsketten: Da Art. 20 II GG die funktionale Selbstverwaltung zwar zulässt, jedoch von Verfassungs wegen keine konkreten Ausprägungen derselben vorgesehen sind, bedarf es eines Gesetzes zur Etablierung einer solchen Körperschaft. Dann bezieht die Körperschaft ihre Legitimation aus dem Gesetz, also rückgekoppelt ans Parlament (= erster Legitimationsstrang), und die Entscheidungen der Körperschaft selbst werden legitimiert durch den Willen des „Selbstverwaltungsvolks“, also der Betroffenen (= zweiter Legitimationsstrang).

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übung von Hoheitsgewalt durch supranationale Organisationen, namentlich durch die EU, verlängert. Allerdings ist der Ansatz (1) aus folgendem Grund widersprüchlich: Scharpf geht vom Erfordernis „soziopsychischer Grundlagen“, also vorrechtlicher Voraussetzungen aus. Er stellt also dieselben Anforderungen auf, die Böckenförde als relative Homogenität bezeichnet. Bei der Konkretisierung dieser Voraussetzungen lässt er dann aber die Ebene des VorRechtlichen hinter sich: Wenn er als Voraussetzung für „originäre europäische Legitimation“ die Erleichterung europaweiter politischer Kommunikations- und Meinungsbildungsprozesse durch europäische Parteien, Verbände und Medien fordert, so verlässt er das Feld des Vor-Rechtlichen und fordert wie Maus die Herstellung einer europäischen Öffentlichkeit zur Verwirklichung politischer Grundrechte als Ausfluss der Idee der Selbstbestimmung. Auffallend ist, dass Scharpf diese unterschiedlichen Maßstäbe im Anschluss an das Maastricht-Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts90 entwickelt. Und tatsächlich findet sich derselbe Widerspruch auch dort: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage des Legitimationssubjekts war seit den Urteilen zum Kommunalwahlrecht für Ausländer zunächst holistisch – mit den Worten der Kritik Brydes: „volksdemokratisch“ – geprägt.91 Auch das Maastricht-Urteil geht vom Erfordernis relativer Homogenität aus:92 Insoweit auf die EU Hoheitsrechte übertragen sind, könne „demokratische Legitimation nicht in gleicher Weise hergestellt werden wie innerhalb einer [. . .] Staatsordnung“.93 Übt sie „hoheitliche Befugnisse aus, so sind es zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben“.94 Demokratische Legitimation müsse demnach notwendigerweise über die nationalen Parlamente erfolgen.95 Ebenso wie bei Scharpf wird bei näherer Betrachtung auch hier der holistische Ansatz nicht ganz konsequent durchgehalten: Ein erster Anhaltspunkt dafür ist die eben wiedergegebene Formulierung, dass die Legitimation „zuvörderst“, also nicht ausschließlich von den nationalen Parlamenten vermittelt werden müsse. Deutlich ausgesprochen wird dies sodann in folgender Weise: Zu der über die einzelstaatlichen Parlamente vermittelten Legitimation tritt „im Maße des Zusammenwachsens der europäischen Nationen 90 91 92 93 94 95

BVerfGE 89, 155 ff. Bryde, StWStP 5 (1994), 305 ff. zu BVerfGE 83, 37 ff. und 60 ff. BVerfGE 83, 37 ff. BVerfGE 89, 155, 182. Ebenda, S. 184 (Hervorhebung nicht im Original). Ebenda, S. 185 f.

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zunehmend“ durch das Europäische Parlament vermittelte Legitimation hinzu.96 Wesentliches Element dieses Zusammenwachsens sind dieselben Aspekte, die auch Scharpf97 als Voraussetzung für originäre europäische Legitimation nennt, zusammenfassend ausgedrückt: die Herstellung einer europäischen Öffentlichkeit.98 Hinsichtlich der Frage, welcher dieser Ansätze dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes zugrundeliegt, hat sich also eine kaum merkliche Annäherung zugunsten des menschenrechtlichen Modells ergeben. Einwände gegen das holistische Modell, die schon immer galten,99 führten noch nicht dazu, dass die Vertreter dieses zunächst herrschenden Demokratieverständnisses ihren Ansatz in Frage stellten. Im Zuge der vermehrten Übertragung von Hoheitsgewalt auf supranationale Organisationen und Selbstverwaltungskörperschaften lässt sich aber eine schrittweise Abkehr von dieser rigiden Position feststellen. Die „beherrschbaren Räume“, in denen Böckenförde das Primat der Politik re-etablieren will,100 sind heutzutage andere als im Zeitalter des klassischen Nationalstaats; die politische Willensbildung mag im nationalstaatlichen Rahmen demokratische Anforderungen weiterhin am besten erfüllen, die Durchsetzung dieser Politik allein in diesem Rahmen ist indessen nicht mehr möglich.101 Wenn „immer mehr Entscheidungen wegen ihrer transnationalen Auswirkungen transnational getroffen werden müssen, [sind] transnationale demokratische Entscheidungseinheiten kein Defizit, sondern demokratischer Gewinn“.102 Umgekehrt ist es demokratisches Gebot, dass jede Entscheidung auf der untersten möglichen 96

Ebenda, S. 185 (Hervorhebung nicht im Original). Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Maastricht-Entscheidung, s. Scharpf, Regieren in Europa, S. 19 Fn. 5. 98 Vgl. BVerfGE 89, 155, 185 f. (43). 99 Die Frage wird derzeit überwiegend mit Blick auf die Internationalisierung diskutiert; differenzierter Überblick über die „zeitlosen“ Einwände gegen das Erfordernis der Homogenität bei Tohidipur, Homogenität contra Pluralismus, S. 4 ff. und Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 60 f. 100 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass schon die Gleichsetzung von der Anknüpfung an das Staatsvolk mit dem Erfordernis beherrschbarer Räume nicht recht zueinander passt und daher das Rekurrieren auf die beherrschbaren Räume ein Indiz für die Abkehr vom holistischen Modell war. Denn je kleiner die Räume, desto beherrschbarer sind sie, desto größer die Möglichkeit der Einflussnahme; diese Betrachtung müsste demgemäß jedenfalls dazu führen, dass kleinere Entscheidungseinheiten als das Staatsvolk als Legitimationssubjekt in Frage kommen. „Staatsvolk“ und „beherrschbare Räume“ knüpfen daher an zwei verschiedene Aspekte an, die nicht zueinander passen. 101 Anschauliche Beschreibung bei Hohmann-Dennhardt, Schranken, S.106.; Bryde, Der Staat 42 (2003), 61, 62; knapper Überblick zum Ganzen bei Groß, Grundlinien, S. 97. 102 Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 65. 97

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Ebene getroffen wird; so betrachtet, gewinnt das Subsidiaritätsprinzip eine demokratische Dimension.103 Im Zuge der Tendenz der Übertragung von hoheitlichen Befugnissen auf supranationale Organisationen und Selbstverwaltungskörperschaften rückte somit ein Fehler der herrschenden Auffassung ins Blickfeld: Das Modell ist nicht nur ein Legitimationsmodell, sondern auch ein Steuerungsmodell,104 was dazu führt, dass aus dem demokratischen Prinzip ein spezifisches Steuerungs- und Organisationsmodell der Verwaltung abgeleitet wird.105 Dieses Organisationsmodell aber wird den veränderten Gegebenheiten nicht gerecht. Indem es sowohl transnationale Demokratie als auch Partizipation von Einwanderern,106 als auch Arbeitnehmermitbestimmung107 und funktionale Selbstverwaltung per se verbietet, verletzt es zugleich die Offenheit des demokratischen Prinzips,108 weil es verkennt, dass diese Entscheidungen gerade nicht vom Grundgesetz vorgegeben sind, sondern das Prinzip der Volkssouveränität ganz im Gegenteil eine Auseinandersetzung darüber ermöglichen will, so dass diese Fragen eine Sache politischer (gesetzgeberischer) Entscheidung sein müssen.109 103

Vgl. Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 65. Zuzugeben ist also, dass zwei Aspekte demokratischer Legitimation in der Konstellation der „Öffnung nach oben“ in einem Spannungsverhältnis stehen, nämlich der Aspekt der Betroffenheit und der der Partizipation: Wie ausgeführt, wird bei bestimmten Entscheidungen der Kreis der Betroffenen nur mit einer solchen Öffnung adäquat erreicht; dies gilt für die Partizipation indessen nicht: Diese wird immer umso besser gewährleistet, je kleiner die Legitimationseinheit ist. Der Mangel an Partizipation wird in diesen Fällen durch den Betroffenheitsaspekt also kompensiert. Bei der anderen Konstellation, der „Öffnung nach unten“, gibt es dieses Spannungsverhältnis nicht, s. Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 66. Zusammenfassend für beide Konstellationen Groß, Grundlinien, S. 97. 104 Blanke, Demokratieprinzip, S. 46 spricht von einer irrigen Gleichsetzung von Rechtfertigungs- und Machtfragen. 105 Blanke, Demokratieprinzip, S. 34; nach Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 67 ist die deutsche Verwaltung durch die herrschende Lehre zur Unbeweglichkeit verdammt. 106 s. BVerfGE 83, 37 ff. und 60 ff. 107 s. BVerfGE 93, 37 ff.; kritisch dazu Plander, Mitbestimmung, passim; Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 127 ff. 108 Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 60; zur Bedeutung der Offenheit der Verfassungsprinzipien für ihre Verwirklichung s. ebenda, S. 61 f. Widersprüchlicherweise bekennt sich das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich durchaus zur Offenheit des Demokratieprinzips und zum Primat gesetzgeberischer Konkretisierung, vgl. zum Wahlrecht BVerfGE 95, 335, 349 und die Nachweise bei Groß, Grundlinien, S. 94 Fn. 9. 109 Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 61; Groß, Grundlinien, S. 100 f. spricht von einer „Gestaltungsprärogative des Gesetzgebers“; Rinken, Demokratie und Hierarchie, S. 144 sieht in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Gefahr der „Versteinerung“, zusammenfassend Frankenberg, Vorsicht Demokratie, S. 180.

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Gerade weil also das Primat der Gesetzgebung verletzt wird, wenn die „Theorie der Judikative der Praxis der Legislative vorschreibt, wie das Einmaleins demokratischer Grundsätze zu buchstabieren und bis in die letzte Stelle nach dem Komma hin auszuleuchten sei“,110 kommt es unter den Vertretern des holistischen Demokratieverständnisses nach und nach zu einer Aufgabe der Fixierung auf das Staatsvolk als Legitimationssubjekt: Die Zugeständnisse Scharpfs, Böckenfördes und des Bundesverfassungsgerichts im Maastricht-Urteil (1993) deuteten an, dass am Staatsvolk als einzigem denkbaren Legitimationssubjekt nicht mehr mit derselben Konsequenz festgehalten würde, wie das in den Urteilen zum Ausländerwahlrecht (1990)111 postuliert worden war, bedeuteten jedoch noch keine Abkehr vom holistischen Ansatz, da die Konstituierung der möglichen Legitimationssubjekte weiterhin von vor-rechtlichen Voraussetzungen abhing. Auch das Mitbestimmungsurteil (1995)112 bestätigte einmal mehr den holistischen Ansatz. Der entscheidende Schritt hin zum menschenrechtlichen Demokratieverständnis könnte indessen nunmehr die Rechtsprechung zur funktionalen Selbstverwaltung darstellen, wo ausdrücklich auf das Betroffensein als entscheidendes Kriterium für die Fähigkeit, demokratische Legitimation zu stiften, abgestellt wird.113 Auch im Urteil zum Europäischen Haftbefehl 110 Blanke, Demokratieprinzip, S. 34; Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 61 spricht von einem „Pluralismus von erlaubten Demokratietheorien“. Zu beachten ist indessen, dass die Offenheit der Verfassungsprinzipien und das Primat der Gesetzgebung bei der Konkretisierung des Demokratieprinzips nicht zur Beliebigkeit führt; insbesondere enthält das Grundgesetz eine Entscheidung für die parlamentarische Demokratie und gegen das Präsidialsystem, für die Volkssouveränität und gegen die Souveränitätsteilung, s. o. Teil 3 B. I. 1.; dies verkennt Schefold, Alternative Modelle, passim: Art. 28 I und II GG teilen nicht die Souveränität im Sinne des Präsidialsystems (so aber wohl Schefold, Alternative Modelle, S. 150), sondern sehen verschiedene Ebenen der Ausübung von Volkssouveränität vor; dasselbe gilt für die funktionale Selbstverwaltung, bei der durch Gesetz, also rückgebunden an den Souverän, die Ausübung von Hoheitsgewalt auf weiteren Ebenen (nicht aber eine Souveränitätsteilung, so aber wohl Schefold, Alternative Modelle, S. 155) ermöglicht wird. Der Fehler Schefolds liegt wohl in der Vermengung der beiden Bedeutungen des „hierarchischen Demokratiemodells“ (s. o. bei und in Teil 3 Fn. 93): Aus der richtigen Beobachtung, dass das Grundgesetz (entgegen der herrschenden Konzeption) kein hierarchisches Demokratiemodell innerhalb der Exekutive vorschreibt, folgt bei Schefold unausgesprochen die irrige Folgerung, dass auch zwischen den Gewalten keine Hierarchie bestehen müsse; diese Vorgabe aber macht das Grundgesetz in der Tat (s. o. Teil 3 B. I.). 111 BVerfGE 83, 37 ff.; E 83, 60 ff. 112 BVerfGE 93, 37 ff. 113 BVerfG, NVwZ 2003, 974, 976 f.; ähnliche Bewertung der Rechtsprechung bei Hanebeck, DÖV 2004, 901, 907 f. und – allerdings vor allem bezogen auf die Legitimationsstiftung durch das Landesvolk – ders., Der demokratische Bundesstaat, S. 112 f.

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findet sich ein obiter dictum, das mit dieser Betrachtung in Einklang steht, indem das Europäische Parlament als „eigenständige Legitimationsquelle des europäischen Rechts“ bezeichnet wird.114 Es scheint sich also die Erkenntnis durchzusetzen, dass der Gesetzgeber durch das Demokratieprinzip ermächtigt ist, weitgehend frei auch über Fragen der Verwaltungsorganisation zu entscheiden.115 In dieser Freiheit der Legislative liegt der Kern des hierarchischen Modells der Volkssouveränität Maus’.116 Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass selbst dann, wenn man117 dem Grundgesetz ursprünglich ein holistisches Demokratieverständnis unterstellt, sich eine Entwicklung hin zum menschenrechtlichen Verständnis beobachten lässt. Auch wenn diese Abkehr vom holistischen Ansatz noch nicht deutlich ausgesprochen ist, stellen sich die divergierenden Auffassungen zur Organisierbarkeit „europäischer Demokratie“ mittlerweile nicht mehr als kategoriale, sondern graduelle Divergenzen dar. Nach alledem können die nach dem Grundgesetz möglichen Legitimationssubjekte wie folgt systematisiert werden: Dass der Deutsche Bundestag für den Bund das Hauptrechtsetzungsorgan ist, kann und soll nicht bestritten werden. Dies ergibt sich allerdings nicht schon aus Art. 20 II GG. Die Auslegung dieser Norm ergibt vielmehr, dass eine hoheitliche Maßnahme grundsätzlich – also näherer Ausgestaltung vorbehalten – auf den Willen der von der Maßnahme betroffenen Individuen rückführbar sein muss. Von diesem Grundsatz ausgehend, sind verschiedene Legitimationssubjekte denkbar: – Dass Bundestag und Bundesrat zusammen Hauptrechsetzungsorgane sind, ergibt sich aus Art. 38 ff., 50 ff., 70 ff. GG.118 Wer zur Wahl des Bundestags berechtigt ist, gibt das Grundgesetz nicht konkreter vor, als sich aus den obigen Ausführungen zum Demokratieprinzip ergibt. Wenn der einfache Gesetzgeber das Wahlrecht an die Staatsangehörigkeit knüpft, so ist dagegen von Verfassungs wegen nichts einzuwenden. Dies ergibt sich jedoch nicht aus dem Homogenitätsgedanken, sondern aus dem des Betroffenseins: Wer von den Entscheidungen des Bundestags betroffen sein wird, lässt sich nur pauschalisiert bestimmen; dabei ist die Anknüp114

BVerfG, NJW 2005, 2289, 2292. Blanke, Demokratieprinzip, S. 39; stärker auf die Entwicklungsoffenheit von Verfassungsprinzipien abstellend Bryde, Optimierungsaufgabe, S. 60. 116 Ähnlich Blanke, Demokratieprinzip, S. 39 f. 117 Entgegen den überzeugenden Argumenten Brydes (Optimierungsaufgabe, S. 60 f.) und Tohidipurs (Homogenität, S. 4 ff.). 118 Etwas andere Fragestellung, aber inhaltlich ebenso Bryde, Optimierungsgebot, S. 65. 115

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fung an die Staatsangehörigkeit ein plausibles und damit von Verfassungs wegen mögliches Kriterium. Ebenfalls kann aus der Relevanz, die das Grundgesetz dem Bundestag für die Rechtsetzung beimisst, gefolgert werden, dass diesem „Aufgaben von substantiellem Gewicht verbleiben müssen“, wie es das Maastricht-Urteil formuliert;119 nicht hingegen kann dies aus dem Erfordernis eines relativ homogenen Staatsvolks als Legitimationssubjekt abgeleitet werden. – Entsprechendes folgt aus Art. 28 I GG für die Länder und aus Art. 28 II GG für die Kommunen. Auch hier gilt indessen: Das „Landesvolk“ bzw. das „Gemeindevolk“ sind nicht deshalb taugliche Legitimationssubjekte, weil sie Teilvölker des homogenen deutschen Volkes wären, sondern weil sie Betroffene der Hoheitsgewalt sind. – Andere Legitimationssubjekte sieht das Grundgesetz nicht vor. Für sie ist daher eine gesetzliche Grundlage erforderlich, aber auch möglich, und zwar im Rahmen und nicht etwa als rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des demokratischen Prinzips. Dies gilt sowohl auf der Ebene der funktionalen Selbstverwaltung als auch auf supranationaler Ebene: Die verschiedenen Legitimationsstränge ergänzen120 sich dann zu einer einheitlichen demokratischen Legitimation der Ausübung von Hoheitsgewalt. Dabei ist in allen Konstellationen das Prinzip der Volkssouveränität gewahrt, da immer das parlamentarische Gesetz den Anknüpfungspunkt bildet, mehr noch: Im Gegensatz zum holistischen Modell hat das Parlament politischen Gestaltungsspielraum zur Ausfüllung des offenen Verfassungsprinzips der Demokratie. Wenn also nach alledem originäre europäische Legitimation grundsätzlich möglich ist, so heißt das noch nicht, dass die EU nach derzeitigem Stand der Integration auch diesen Anforderungen genügt. Dazu, ob nun tatsächlich ein „europäisches Demokratiedefizit“ besteht, sollen hier nur einige Hinweise gegeben werden.121 Ein erstes Problem ist das Erfordernis ungeteilter Souveränität.122 Dieses resultiert zwar noch nicht aus dem Mehrebenensystem als solchem. Denn in 119 BVerfGE 89, 155, 186; auch im Urteil zum Europäischen Haftbefehl wird diese Anforderung wiederholt, BVerfG, NJW 2005, 2289, 2291. 120 Zuleeg, DÖV 1977, 462, 465 spricht von einem „Ausgleich für den Funktionsverlust des nationalen Parlaments“. 121 Neuere Zusammenfassung bei Karpen, Defizite, S. 241 ff.; Geiger, Reformvorschläge, S. 251 ff.; s. auch Steinberger, VVDStRL 50 (1991), 9, 43 ff.; des Weiteren die Nachweise oben Fn. 43. 122 s. o. Teil 3 B. I.

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diesem ist nicht per se die Souveränität geteilt, sondern wie im Bundesstaat auf verschiedene Ebenen aufgeteilt. Wesentlich ist, dass das Recht zur Gesetzgebung ausschließlich beim (jeweiligen) Souverän liegt.123 Problematisch ist indessen, dass die Entscheidungsfindung innerhalb der Ebene der EU ihrerseits verschachtelt und gleichsam auf mehrere Ebenen aufgeteilt ist. Wesentliche Komponente der Gesamtlegitimation ist die über den Rat, also über eine schwache und lückenhafte Legitimationskette.124 Dadurch werden die Legitimationsstränge nicht nur besonders lang, sondern führen auch zu einem nicht unerheblichen Teil am Parlament vorbei.125 Daraus folgt aber, dass auch diese ergänzende Legitimation über das Parlament defizitär ist. Die Konstruktion, über zwei defizitäre Legitimationsbasen eine insgesamt ausreichende Legitimation zu erreichen, aber muss scheitern. Zwar können sich grundsätzlich verschiedene Legitimationsformen ergänzen,126 also beispielsweise ein Defizit an effektiver Legitimation aufgrund zu langer Legitimationskette ausgeglichen werden. Dies ändert aber nichts daran, dass der notwendige Legitimationszusammenhang gewahrt sein muss, die Kette also nicht unterbrochen sein darf.127 Dies aber ist nicht gewährleistet. Es lässt sich also festhalten: Organe der Europäischen Union sind grundsätzlich zur Stiftung demokratischer Legitimation im Sinne von Art. 20 II GG geeignet, allerdings ist nach gegenwärtigem Stand der Integration ein den Anforderungen des Art. 20 II GG genügendes Legitimationsniveau nicht gewährleistet. Dies führt zu der Frage, ob dieses Zurückbleiben hinter dem von Art. 20 II GG „an sich“ geforderten Legitimationsniveau gerechtfertigt ist. 2. Rechtfertigung bestehender Demokratiedefizite Zur Einführung in die Frage, wie Demokratiedefizite gerechtfertigt werden können, soll folgendes Beispiel dienen: Nach Scharpf setze sich das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil in Widerspruch zu seinem eigenen Ansatz, wenn es der Unabhängigkeit 123 s. Maus, Abromeit-FS, S. 261; wenn Abromeit, Volkssouveränität, S. 36 von einer Souveränitätsteilung in komplexen Gesellschaften spricht sowie davon, dass von der Idee eines einheitlichen Demos Abschied zu nehmen sei, meint sie wohl im Grunde nichts anderes, denn auch nach ihrer Konzeption „wird nicht die Volkssouveränität als solche ‚obsolet‘ “. 124 Formulierung von Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 257 f. 125 Grande, Multi-Level Governance, S. 22 f. 126 s. o. Teil 3 B. II. 1. 127 Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 258 f.

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der Bundesbank legitimationsstiftende Wirkung zuerkenne. Denn damit rekurriere es auf einen output-orientierten Aspekt.128 Diese Kritik Scharpfs geht sowohl nach der Demokratiekonzeption des Zweiten Senats als auch nach der hier vertretenen Auffassung fehl. Nach der Konzeption des Zweiten Senats müssen sich die drei Elemente der sachlich-inhaltlichen, der personellen und der funktionell-institutionellen Legitimation zu einem bestimmten Legitimationsniveau ergänzen.129 Die Kompetenz der Bundesbank aber ist vom Grundgesetz vorgesehen (Art. 88 GG), so dass sie nach dieser Konzeption verfassungsunmittelbare institutionelle demokratische Legitimation hat. Diese Form der Legitimation ist also im Grundgesetz speziell angelegt, so dass es sich nicht um eine outputorientierte Erwägung im Sinne Scharpfs handelt. Allerdings haben wir gesehen, dass diese Konzeption, darin, was der Zweite Senat „funktionelle“ und „institutionelle“ Legitimation nennt, Formen demokratischer Legitimation zu sehen, nicht tragfähig ist, und den Grund dafür nennt Scharpf selbst: Es handelt sich um materielle Erwägungen. Nach Scharpfs output-Konzeption hat dieses materielle Moment legitimationsstiftende Wirkung, richtigerweise aber ist das demokratische Prinzip rein formal und inhaltsoffen. Gerade diese Erkenntnis, dass derartige output-Momente demokratischer Legitimation abzulehnen sind, öffnet aber nun den Blick darauf, was materielle Momente in der hier zu entwickelnden Argumentation leisten können: Es handelt sich bei ihnen um ein Muster zur Begründung, warum das „an sich“ erforderliche Legitimationsniveau im Einzelfall rechtmäßigerweise nicht erreicht wird, m. a. W. um Rechtfertigungsgründe für die Einschränkung des demokratischen Prinzips. Dies führt zu der Frage, auf welche materiellen Momente dabei zurückgegriffen werden kann. Wäre jede beliebige, nur „zweckmäßige“ Erwägung geeignet, ein Demokratiedefizit zu rechtfertigen, so bedeutete dies die Anerkennung von output-Legitimation gleichsam „durch die Hintertür“. Vielmehr ist die grundgesetzliche Wertung zu beachten, dass die Volkssouveränität eines unter mehreren Verfassungsprinzipien ist. Folglich kann diese nur durch andere Verfassungsprinzipien begrenzt werden, grundrechtsdogmatisch gesprochen: Eine Einschränkung des demokratischen Prinzips kann nur unter Berufung auf andere Rechtsgüter von Verfassungsrang gerechtfertigt werden, also mit kollidierendem Verfassungsrecht130.131 Ins Auge fal128

Scharpf, Regieren in Europa, S. 19 Fn. 5. s. o. Teil 3 B. II. 130 s. dazu oben vor A. 131 Art. 79 III GG steht der Rechtfertigungsfähigkeit einer solchen Einschränkung des demokratischen Prinzips nicht generell entgegen. 79 III GG entzieht das demokratische Prinzip nur der grundsätzlichen Disposition des verfassungsändernden Ge129

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lende Beispiele sind die Bundesbank oder aber die Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 I GG), die den Ausschluss der üblichen Weisungsgebundenheit rechtfertigt. In dem hier interessierenden Zusammenhang stehen Art. 23, 24 I GG als Ansatz für die Einschränkbarkeit des demokratischen Prinzips im Mittelpunkt. Mit der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten in Art. 24 I GG, speziell für die EU konkretisiert und erweitert in Art. 23 GG, sind Einschränkungen gegenüber dem auf nationaler Ebene geforderten Legitimationsniveau auf zwei Ebenen möglich: – Für den vom Bundestag ausgehenden und über die Bundesregierung zum Rat verlaufenden Legitimationsstrang ergibt sich die Möglichkeit, im Zustimmungsgesetz zum Gründungsvertrag von dem vom Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes geforderten Bestimmtheitsanforderungen nach unten abzuweichen. Denn wie sich die sekundärrechtliche Rechtsetzung auf der Grundlage des Gründungsvertrags entwickelt, lässt sich naturgemäß nicht absehen, so dass der Abschluss eines Gründungsvertrages und damit auch das nationale Zustimmungsgesetz zu diesem zwingend hinter den im nationalen Rahmen anzulegenden Bestimmtheitsanforderungen zurückbleiben muss. Dieses Zurückbleiben hinter dem „an sich“ zu fordernden Legitimationsniveau kann durch Art. 23, 24 I GG gerechtfertigt werden. Auf diesem Weg ergibt sich also eine Stärkung an Kompetenz der Regierung. So betrachtet, ist also für diese Konstellation der Kompetenzübertragung auf supranationale Organisationen das obengenannte Diktum, dass aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes eine Exekutivfreundlichkeit folge,132 zwar zu pauschal, jedoch für die hier in Rede stehende Konstellation ausschnittsweise zutreffend: Eine solche Exekutivfreundlichkeit folgt in gewissem Maße aus einem Aspekt der Völkerrechtsfreundlichkeit, nämlich der Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes. – Auch für den anderen Legitimationsstrang, also den über das Europäische Parlament, lassen sich über Art. 23, 24 I GG Defizite rechtfertigen. Dies bedeutet keinen Freibrief für die Akzeptanz von Legitimationsdefiziten, sondern nimmt diese auf dem Weg zu einer europäischen Demokratie gleichsam hin: Auch wenn man die bestehenden Demokratiedefizite auf diesem Weg rechtertigt,133 muss dabei „Problembewusstsein“134 für die bestehenden Defizite bestehen. Denn die Offenheit für Integration versetzgebers, jedoch sind andere Prinzipien von Verfassungsrang geeignet, Einschränkungen zu rechtfertigen. So setzen beispielsweise spezifisch grundrechtliche Gesetzesvorbehalte dem Gesetzgeber auch in materieller Hinsicht rechtmäßigerweise Schranken und schränken damit das demokratische Prinzip ein. 132 s. o. Teil 2 A.

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bunden mit der Verpflichtung zu „demokratischen Grundsätzen“ (Art. 23 GG) bedeutet eben eine grundgesetzliche Ermächtigung zu fortschreitender Integration, verbunden mit der Verpflichtung zur sukzessiven Herstellung europäischer Demokratie.135

II. Sonstige Fälle, insbesondere die „Dritte Säule“ der Europäischen Union Bei den bisherigen Ausführungen wurde die Existenz des Legitimationsstranges über das Europäische Parlament stillschweigend vorausgesetzt. Im Bereich der Dritten Säule hat dieses jedoch nur ein Anhörungsrecht (Art. 21, 39 EU), so dass dieser Legitimationsstrang wegfällt und die demokratische Legitimation in dieser Konstellation in einem anderen Licht zu betrachten ist. Dies ist zugleich die Konstellation, die außerhalb des Bereichs der EU für den Verbandskompetenzkonflikt regelmäßig gegeben ist: Die Legitimation im Sinne von Art. 20 II GG kann hier allein über die Rückbindung an das nationale Parlament hergestellt werden. Auf die Besonderheiten dieser Konstellation soll am Beispiel des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl hingewiesen werden. In seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des nationalen Umsetzungsgesetzes zu diesem Rahmenbeschluss hatte der Zweite Senat sich zwar schwerpunktmäßig mit der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung von Art. 16 II 1 GG zu befassen,136 nahm jedoch auch kurz zur demokratischen Legitimation Stellung:137 Zutreffend konstatiert der Senat, dass gegenüber der supranationalen Konstellation hier der über das Europäische Parlament verlaufende Legitimationsstrang wegfalle.138 Dies entspreche dem Demokratieprinzip deshalb, weil die Parlamente der Mitgliedstaaten schon durch die Möglichkeit der Nichtumsetzung des Rahmenbeschlusses die politische Gestaltungsmacht 133 Nicht anzuerkennen ist indessen eine Art Grauzone, dass sich die Demokratie auf europäischer Ebene derzeit gleichsam „zwischen verfassungsgemäß und verfassungswidrig“ bewegt; so aber Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 260 f. 134 So Lübbe-Wolff, VVDStRL 60 (2001), 246, 260. 135 Ähnliches findet sich auf holistischer Basis auch im Maastricht-Urteil, wenn es für die Zukunft fordert, dass der Ausbau der demokratischen Grundlagen mit der Integration Schritt hält, BVerfGE 89, 155, 186; s. auch Lübbe-Wolff, Sondervotum BVerfG, NJW 2005, 2289, 2301 (Europäischer Haftbefehl), die von einem „experimentellen und prozesshaften Charakter der Europäischen Integration“ spricht. 136 BVerfG, NJW 2005, 2289, 2291 ff.; s. v. Unger, NVwZ 2005, 1266 ff. 137 Dazu allgemein v. Unger, NVwZ 2005, 1266, 1271 f. 138 BVerfG, NJW 2005, 2289, 2292; zur Bedeutung dieser Erwägung für das Demokratieverständnis des Senats s. schon oben I. 1.

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behielten.139 Wert gelegt wird von der Senatsmehrheit also auf die Gestaltungsmacht nicht der mitgliedstaatlichen Organe im Allgemeinen, sondern speziell der einzelstaatlichen Parlamente: (Nur) weil diese die Umsetzung verweigern könnten, sei das demokratische Prinzip gewahrt. Hier geschieht ein doppelter Fehler, der die Struktur, in der die Argumentation verlaufen müsste, noch einmal deutlich macht: Keiner vertieften Begründung bedarf zunächst, dass das Argument, die mitgliedstaatlichen Parlamente könnten die Umsetzung des Rahmenbeschlusses verweigern, nicht trägt: Nur weil es die Verweigerung der Umsetzung wegen Art. 34 II 2 lit. b) S. 3 EU keine unmittelbaren Folgen hat, ändert das nichts daran, dass die Nichtumsetzung unionsrechtswidrig ist. Plakativ ausgedrückt: Die demokratische Legitimation wird begründet mit der Freiheit zum Verstoß gegen Unionsrecht.140 Gerade dies aber verdeutlicht noch einmal die Einschränkung des demokratischen Prinzips: Aufgrund der Pflicht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses ist die parlamentarische Gestaltungsmacht reduziert, und analog dem zur Ersten Säule der EU Ausgeführten kann dieses Demokratiedefizit mit der Wertung von Art. 23 GG gerechtfertigt werden. Dies führt zu den sonstigen supranationalen und internationalen Organisationen. Wie im Bereich der Dritten Säule der EU, muss auch hier der Legitimationsstrang allein über die nationalen Regierungen verlaufen. Art. 23 GG als Rechtfertigung für die hier bestehenden Demokratiedefizite scheidet indessen aus. Vielmehr rückt Art. 24 I GG in den Mittelpunkt.

III. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass bei der Übertragung von Hoheitsgewalt auf internationale Organisationen folgende Konstellationen denkbar sind: Grundsätzlich möglich ist die Vermittlung demokratischer Legitimation über zwei Legitimationsstränge: Erstens sind Entscheidungen der Organisationsorgane jedenfalls über die Zustimmung zum Gründungsvertrag immer auf das nationale Parlament rückführbar. Notwendigerweise ist diese parlamentarische Zustimmung weniger bestimmt, als Art. 20 II GG es verlangt. Zwar ist auch – zweitens – ein vom „Volk der Organisation“ gewähltes Parlament grundsätzlich zur Stiftung „ergänzender“ demokratischer Legitimation im Sinne von Art. 20 II GG in der Lage. Selbst wenn dieser zweite Legitimationsstrang wie im Falle des Europäischen Parlaments existiert, 139 140

BVerfG, NJW 2005, 2289, 2292. s. Lübbe-Wolff, Sondervotum BVerfG, NJW 2005, 2289, 2301.

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werden sich dennoch häufig Defizite gegenüber dem von Art. 20 II GG geforderten Legitimationsniveau nicht leugnen lassen. Diese Defizite können unter Berufung auf die kollidierenden Verfassungsprinzipien der Völkerrechts-, Europa- und Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes (Art. 23, 24 I GG) gerechtfertigt werden.

C. Organkompetenzkonflikt Es bleibt zu klären, wie sich die in Teil 2 und 3 erarbeiteten Grundlagen auf die Legitimationsanforderungen im Bereich des innerstaatlichen Organkompetenzkonflikts auswirken. Im Gegensatz zum Verbandskompetenzkonflikt sind hier die möglichen Legitimationssubjekte nicht zweifelhaft, da es um das Verhältnis zweier bereits konstituierter, offensichtlich zur Vermittlung demokratischer Legitimation fähiger Organe, nämlich Bundestag und Bundesregierung, geht. Ausgangspunkt für die Kompetenzverteilung ist der anhand der Wesentlichkeitslehre zu ermittelnde Grad der erforderlichen demokratischen Legitimation. Irrelevant ist hingegen – und zwar schon aus völkerrechtlicher Perspektive – die Bezeichnung, die die Parteien für ihre Maßnahme wählen. Denn ob ein völkerrechtlicher Vertrag vorliegt, bestimmt sich beispielsweise nicht danach, ob die Parteien die Maßnahme als Vertrag oder Auslegungsvereinbarung bezeichnen. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob sich aus der Vereinbarung rechtlich erhebliche Rechte und Pflichten ergeben.141 Von dieser völkerrechtlichen Perspektive streng zu trennen ist die verfassungsrechtliche: Notwendige Bedingung für das Erfordernis demokratischer Legitimation ist die rechtliche Relevanz der Maßnahme; insofern ist die völkerrechtliche Perspektive also auch hier noch relevant. Hinreichende Bedingung ist aber – darüber hinausgehend – das Entstehen neuer Rechte und Pflichten, und selbst damit ist nur das grundsätzliche Erfordernis demokratischer Legitimation festgestellt. Für die Frage, welchen Grad diese Legitimation haben muss, ist die völkerrechtliche Perspektive vollends irrelevant, das heißt: Die Frage der Kompetenzverteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung bestimmt sich nach den grundgesetzlichen Anforderungen an die demokratische Legitimation. An dieser Stelle wird nun die Wesentlichkeitslehre relevant. Davon wiederum zu differenzieren ist die abschließende Frage, ob trotz grundsätzlicher Zuständigkeit des Bundestags ausnahmsweise doch die Bundesregierung zuständig sein kann, also ob ein Zurückbleiben hinter dem „an sich“ erforderlichen Legitimationsgrad gerechtfertigt werden kann. 141

s. o. Teil 2 C. II. 2. a).

C. Organkompetenzkonflikt

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Wenn im Folgenden die einzelnen Handlungsformen exemplarisch anhand der in Teil 2 erörterten Leitentscheidungen untersucht werden, ergibt sich also dafür folgendes Prüfprogramm: (1) Ist demokratische Legitimation erforderlich? (a) Völkerrechtliche Perspektive: Handelt es sich um eine rechtlich erhebliche Maßnahme? (b) Sind neue Rechte und Pflichten entstanden? (2) Welches Organ ist dafür zuständig? (a) Fallen diese Rechte und Pflichten unter den Wesentlichkeitsvorbehalt? (b) Kann eine Einschränkung des nach (a) „an sich“ erforderlichen Legitimationsniveaus gerechtferigt werden?

I. Vertragsänderung – das Neue Strategische Konzept von 1999 Nach der hier vertretenen Auffassung142 handelt es sich beim Neuen Strategischen Konzept um eine rechtlich erhebliche Vereinbarung, die folglich demokratischer Legitimation bedarf. Da die Vereinbarung über den Ursprungsvertag hinausgeht, reicht die ursprüngliche parlamentarische Zustimmung zum Nato-Vertrag nicht aus, vielmehr bedarf es auch „neuer“ Legitimation (im Sinne der Frage 1b). Hier wirkt sich also der völkerrechtliche Befund aus Teil 2 auf das Verfassungsrecht aus: Es handelt sich – unabhängig von der von den Parteien gewählten Bezeichnung – um einen neuen Vertrag, und da diese neuen Regelungen unter den Wesentlichkeitsvorbehalt fallen, ist der neue Vertrag nicht von der ursprünglichen Zustimmung gedeckt (Frage 2a). Eine Rechtfertigung (Frage 2b) des Zurückbleibens der Legitimationsanforderungen, also ob eine parlamentarische Zustimmung unter Einschränkung des demokratischen Prinzips entbehrlich war, kommt im Bereich der Vertragsänderung nicht in Betracht: Dies ist von Art. 59 II GG, der hier unmittelbar einschlägig ist, ausgeschlossen. Der Senat hat also in seiner Entscheidung die einzige Möglichkeit, eine Zustimmungspflicht zu vermeiden, genutzt, indem er auf der ersten Ebene die rechtliche Erheblichkeit verneint hat. Hätte er diese Frage anders entschieden, hätte er zur Begründetheit des Antrags kommen müssen.

142

s. o. Teil 2 C. II. 3. b).

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Teil 4: Demokratische Legitimation im Bereich des Vertragswandels

II. Einseitige Akte Anders gelagert sind die Probleme beim Nato-Doppelbeschlusses und der C-Waffen-Stationierung.143 Die rechtliche Erheblichkeit ist hier evident (Frage 1a). Frage 1b stellt sich hier dahingehend, ob die Akte vom NatoVertrag gedeckt sind. Maßgeblich ist also die Reichweite des Integrationsprogramms. Dabei ist der Zusammenhang von verfassungs- und völkerrechtlicher Perspektive zu beachten: Da es um die Legitimationsbedürftigkeit aus nationaler Sicht geht, sind schon hier – wie noch sogleich bei Frage 2a – die Legitimationsanforderungen des Grundgesetzes heranzuziehen. Problematisch ist dabei das Bestimmtheitsgebot. Selbst wenn man den Nato-Vertrag dahingehend auslegt, dass dieser grundsätzlich Raketen- und Waffenstationierungen vorsehe, so dass der Nato-Doppelbeschluss und der Beschluss zur C-Waffen-Stationierung vom Integrationsprogramm erfasst sind und den Nato-Vertrag nur konkretisieren, so ist die Vorgabe dennoch nicht bestimmt genug. Nach Maßgabe des grundgesetzlichen Demokratieprinzips ist also eine erneute Legitimation erforderlich. Frage 1b ist daher zu bejahen. Dasselbe gilt für Frage 2a: Auch die Wesentlichkeit der Maßnahme ist sowohl beim Nato-Doppelbeschluss als auch bei der C-Waffen-Stationierung aufgrund der Grundrechtsrelevanz gegeben. Das Ergebnis des Senats, eine Zustimmung sei entbehrlich, lässt sich also nur auf der letzten Ebene (Frage 2b) begründen. Der Senat gewann dieses Ergebnis indessen aus Art. 59 II GG, den es als umkehrschlussfähige Ausnahmevorschrift auslegte.144 Nach der hier vorgestellten Konzeption müsste hingegen geprüft werden, ob nicht wegen, sondern trotz Art. 59 II (als das demokratische Prinzip ausgestaltende Vorschrift) keine Zustimmungspflicht besteht, ob also vom an sich erforderlichen Legitimationsniveau abgewichen werden kann. Ein Beispiel für diesen Argumentationsgang bietet die C-Waffen-Entscheidung, in der ja das zunächst gefundene Ergebnis der parlamentarischen Zustimmungsbedürftigkeit im zweiten Zugriff zugunsten der Regierung korrigiert wird.145 Ein zwar im Ergebnis immer noch zweifelhafter, aber doch konsistenter Argumentationsgang hätte diese korrigierenden Erwägungen an eben dieser Stelle, der Rechtfertigung einer Einschränkung der Legitimationsanforderungen, erörtern müssen. 143 s. o. Teil 1 A. II. 1. und B. I. 2., Teil 2 C. I.; s. BVerfGE 68, 1 ff.; E 77, 170 ff. 144 s. o. Teil 1 A. II. und B. I. 2. 145 s. o. Teil 1 A. II. 1. b). und B. I. 2.

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Diese Rechtfertigungsmöglichkeiten sind im Vergleich zu den Konstellationen des Verbandskompetenzkonflikts, wo Art. 23, 24 I GG recht konkrete Vorgaben für kollidierende Verfassungsprinzipien liefern, bei Regierungshandeln viel vager. Als Ansatz kommt nämlich allein der allgemeine Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und der Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit in Betracht.146 Auf diesen Grundsatz lässt sich ein Zurückbleiben der Bestimmtheit eines völkerrechtlichen Vertrages gegenüber den demokratischen Anforderungen des Grundgesetzes zur Bestimmtheit147 stützen: Soweit eine vertragliche Regelung sich nicht bestimmt genug fassen lässt, um diesen Anforderungen zu genügen, gestattet die Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit, den Vertrag dennoch zu schließen.148 Einzelakte aufgrund dieses Vertrages sind dann zulässig, auch wenn eine entsprechende Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht dem Vorbehalt des Gesetzes nicht genügen würde. Die Grenze dafür lässt sich nur vage bestimmen, nämlich dahingehend, ob der Akt noch vom ursprünglichen Integrationsprogramm gedeckt ist. Ein evidentes Beispiel für ein Überschreiten des Integrationsprogramms stellt der „Nicht-Artikel-5-Einsatz“149 dar.150 Als Indiz mag folgende Frage dienen: Handelt es sich wirklich um einen einseitigen Akt auf Grundlage des Ursprungsvertrags, also um abgeleitetes, sekundäres Völkervertragsrecht, oder haben die Parteien in Wahrheit einen neuen Vertrag geschlossen, so wie dies für den Nato-Doppelbeschluss Schweisfurth überzeugend dargelegt hat?151 Zweifelhaft ist der Rechtfertigungsgrund der „Effizienz“, hinter dem im Grunde ein Organadäquanzargument steckt. Wie dieser Gesichtspunkt die herausgearbeitete Kompetenzverteilung überspielen können soll, ist nicht ersichtlich, zumal mit dem Rechtfertigungsgrund der Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit und der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes genügend Handlungsspielräume eröffnet sind. Zu betonen ist aber noch einmal, dass, wenn man überhaupt auf Organadäquanz-, 146 s. dazu Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, Teil 4 B. III. 1. (S. 213 ff.); ausführlich Stern, Staatsrecht 1, S. 350 ff. 147 s. zu diesem Vorgehen oben Teil 1 B. I. 2.; aus völkerrechtlicher Perspektive s. zur Reichweite des Integrationsprogramms Bothe, in: Corten/Klein, Conventions de Vienne, Art. 46 WVRK Rn. 19. 148 Dies ist gleichsam die verfassungsrechtliche Entsprechung der Formulierung Bothes, in: Corten/Klein, Conventions de Vienne, Art. 46 WVRK Rn. 18, der aus völkerrechtlicher Perspektive von einer „entrave à l’efficacité du système international“ spricht. 149 Für den nach hier vertretener Auffassung indessen im Neuen Strategischen Konzept eine Rechtsgrundlage geschaffen wurde, s. o. Teil 2 C. II. 3. b). 150 s. dazu oben Teil 2 C. II. 1. c). 151 s. o. Teil 2 C. I.

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also Gewaltenteilungsgesichtspunkte abstellen will, man dies allenfalls im Rahmen der Rechtfertigung tun kann, im Ausgangspunkt das Gewaltenteilungsprinzip aber keinen Maßstab liefert.

III. Nichtrechtliche Verträge – Petersberg-Erklärung Nichtrechtliche Verträge sind nicht legitimationsbedürftig.152 Dass sie dennoch „rechtliche Relevanz“ haben, bleibt jedoch nicht ohne Folgen, nämlich wenn auf ihrer Grundlage Einzelakte ergehen: Ein Entsendebeschluss auf der Grundlage der Petersberg-Erklärung ergeht ohne demokratische Rückbindung durch die Petersberg-Erklärung, da diese weder legitimationsfähig noch -bedürftig ist. Hier lässt sich der Legitimationszusammenhang nur mittels einer parlamentarischen Zustimmung zum Entsendebeschluss selbst herstellen. Im Ergebnis (allerdings auch nur insoweit) stimmt dies mit der Entscheidung zu den Bundeswehreinsätzen überein. Allerdings wäre die dort vertretene Entbehrlichkeit der parlamentarischen Zustimmung nicht auf Organadäquanzerwägungen, sondern auf den nichtrechtlichen Charakter zu stützen gewesen.153 Des Weiteren folgt die Zustimmungsbedürftigkeit von Entsendebeschlüssen nicht aus der Wehrverfassung,154 sondern aus dem allgemeinen Grundsatz des Parlamentsvorbehalts. Hier zeigt sich noch einmal, dass die grundsätzliche Differenzierung nach Funktionen in „Auftrag“ und „Ausführung“ regelmäßig, aber nicht zwingend eine Differenzierung in „Gesetzgebung“ und „Einzelakt“ nach sich zieht. Wesentlich ist nicht die Kompetenzzuordnung nach Handlungsformen, sondern die Kompetenzverteilung zieht typische Handlungsformen der einzelnen Organe nach sich. Im Fall des Entsendebeschlusses ist diese Typik durchbrochen: Der „Auftrag“ erfolgt durch das Parlament, die „Ausführung“, der Entsendebeschluss selbst, durch die Exekutive, und der Auftrag ergeht ausnahmsweise nicht in Gesetzesform, sondern durch konstitutiven Parlamentsbeschluss. An der Kompetenzverteilung indessen ändert diese Abweichung von den typischen Handlungsformen nichts.

152

s. o. A. I. 2. Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die fehlende Legitimationsbedürftigkeit von nichtrechtlichen Verträgen mit Blick auf eine mögliche Gewohnheitsrechtsbildung zu überprüfen wäre, vgl. o. Teil 4 A. I. 2. 154 So aber BVerfGE 90, 286, 381 ff.; s. dazu Nolte, ZaöRV 54 (1994), 652, 674 f. 153

D. Conclusio

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D. Conclusio Die Auseinandersetzung mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hat gezeigt, dass das Gericht aus der Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit im Bereich des Organkompetenzkonfliktes eine starke Stellung der Exekutive ableitet, was Steinberger mit dem Diktum der Parallele zwischen Völkerrechts- und Exekutivfreundlichkeit zusammenfasst. Demgegenüber wird im Bereich des Verbandskompetenzkonflikts „die nationale Souveränität wiederentdeckt“, indem das Gericht die Parlamentskompetenzen stärkt. Die Untersuchung hat gezeigt, dass diese Zuordnung umzukehren ist. In allen Konstellationen sind die Anforderungen des demokratischen Prinzips nach Art. 20 II GG der Ausgangspunkt. Schon im Rahmen des Demokratieprinzips ist dabei eine Kompensation von Legitimationsdefiziten des Legitimationsstranges über das nationale Parlament durch das Europäische Parlament möglich. Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes führt sodann aufgrund ihrer Konkretisierung zur Integrationsfreundlichkeit in Art. 23, 24 I GG zu einer Einschränkbarkeit des demokratischen Prinzips im Bereich der Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Organisationen. Eine solch konkrete Rechtfertigungsstrategie ist im Bereich des Organkompetenzkonflikts nicht gegeben, hier ist die Einschränkbarkeit nur der Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit zu begründen. Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes führt also nicht zur Exekutivfreundlichkeit, sondern zur Integrationsfreundlichkeit. Der naheliegende Vorwurf an die hier entwickelte Konzeption, dass sie in der Praxis zu unüberwindlichen Abgrenzungsproblemen führe, geht fehl. Im Kern handelt es sich dabei nämlich um dieselben Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich auch in rein nationalen Sachverhalten bei der Bestimmung der Wesentlichkeitsschwelle ergeben. Demgegenüber führt die tradierte Auffassung zu nicht minder großen Abgrenzungsschwierigkeiten und ist überdies in vielen Fragen dem Vorwurf der Beliebigkeit ausgesetzt.

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Sachwortverzeichnis Ausländerwahlrecht 168 Auslandseinsätze 16, 56 ff., 69, 93 f. Authentische Vertragsinterpretation 54 ff., 71 ff. Autoritative Vertragsinterpretation 49 Beschlüsse internationaler Organisationen 48 f. Bestimmtheitsgebot 21, 35 f., 109, 131 Betroffenheitsdemokratie 164 ff. Constant, Benjamin 26 f. C-Waffen 15, 21 f., 31, 54, 179 ff. Delegation 89 Demokratieprinzip 20 f., 26, 27, 30 ff., 38 f., 109 ff., 118 ff., 148 ff. Dynamische Vertragsregime 49 ff. Effektivität 132, 140, 154 Effizienz 19, 27, 134 ff. Einseitige Akte 15, 35 f., 47, 54, 149 f., 178 ff. Europäische Verfassungstradition 26, 38 Europäischer Haftbefehl 168 f., 174 f. Europäisierung 11 f., 33 Europafreundlichkeit 43, 173

Gewaltenkonstituierung 111 f. Gewaltenteilung 18 f., 22 f., 25 f., 27 f., 30 f., 38 f., 108 ff., 118 ff. Gewohnheitsrecht 104 f., 153 Graduierbarkeit der Rechtsordnung 90 ff. Handlungsform 28, 74 f., 113, 127, 130, 180 Homogenität 158 f. Ideelles Gewaltenteilungsschema 18, 20, 24 ff., 34 f., 108, 113, 119 ff. Inkorporation unverbindlicher Gremienentscheidungen 49, 52 Input-Legitimation 134 ff., 164 Institutionelle demokratische Legitimation 20, 30, 112, 114 f. Integrationsfreundlichkeit 43, 155, 173 Integrationsprogramm 15 f., 35 Internationalisierung 11 f., 26, 33

Förmliche Vertragsänderung 76 f. Förmlicher Parlamentsbeschluss 28, 180 Funktionelle demokratische Legitimation 20, 30, 112, 114 f., 133 ff.

Kalkar 31, 115, 141 Kant 119 ff., 140 f. Kernbereich der Exekutive 26 f., 119 ff. Kollision (von Verfassungsprinzipien) 146 ff., 171 ff. Konkludente Vertragsänderung 27, 54 ff., 71 ff., 177 Konsensuale Maßnahmen 46 Konstitutiver Parlamentsbeschluss 36 Kontrolle (der Exekutive) 23, 33, 108 Kooperativer Staat 141 f.

Gemischte Rechtsetzungsverfahren 49 Gesetzesvorbehalt 25, 115

Legalization-Doktrin 87 ff. Legitimationserfordernis 148 ff.

Sachwortverzeichnis Legitimationsformen 132 ff. Legitimationsniveau 132 ff., 140, 154, 172 Legitimationsstrang/-kette 111 f., 169 ff., 173 ff. Legitimationssubjekt 45, 124 f., 132, 135, 157 ff. Locke 123 Maastricht 43 f., 168 Menschenrechtliches Demokratieverständnis 164 ff. Mitbestimmungsurteil 168 Montesquieu 118 ff. Nato-Doppelbeschluss 11, 15, 20 f., 24, 25, 37 f., 54, 116, 179 ff. Nato-Vertrag 17 Neues Strategisches Konzept 11, 16, 17, 65 ff., 69 f., 94 ff., 153, 177 Nicht-Art.-5-Einsätze 95 ff., 179 Nichtrechtlicher Vertrag 36, 54 ff., 80 ff., 150 ff., 180 Obligation 89 Offenheit von Verfassungsprinzipien 120 Opting out 50 f. Organadäquanz 19, 21 f., 27 f., 29, 119, 133 Organkompetenzkonflikt 42, 102, 105 f., 176 ff. Output-Legitimation 134 ff., 164, 172 Parlamentarische Zustimmung 20, 22, 24, 25, 28 f., 35 f. Parlamentsvorbehalt 18, 28, 36, 115, 141 Partielle Nichtrechtlichkeit 91 ff. Personelle demokratische Legitimation 112, 115, 139 f. Petersberg-Erklärung 17, 101 f., 180

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Pflichtenkern, rechtlicher 87 Politische Leitentscheidung 28, 109, 126, 130 Precision 89 Rahmenbeschlüsse 149 f., 174 f. Rahmenkonventionen 50 f. Rechtsanwendung 71 f. Rechtsbindungswille 27, 70 ff. Rechtsquellentrias, völkerrechtliche 47, 48 Rechtsschöpfung 71 f. Rechtsstaatsprinzip 22 Repressalie 98 Retorsion 98 Richtlinien 149 f. Riga-Erklärung 16, 17, 68 Rousseau 123 Sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation 112, 114 f., 139 f. Soft law 82 ff., 88 ff., 91 f. Souveränität 12, 35, 121 f. Souveränitätsteilung 122, 124 ff. Soziologische Rechtsschule 83 Staatsgewalt (Begriff) 149 ff. Staatsvolk 45 Südumfahrung Stendal 114 Tornado-Urteil 67 f., 70 Ultra vires-Akt 73 Unbestimmter Rechtsbegriff 85 f. Unvollkommene Verbindlichkeiten 91 ff. Verantwortlichkeitsstrang 111 Verbandskompetenzkonflikt 42, 45, 102, 105 f., 156 ff. Vereinfachte Vertragsänderung 49 Verfassungsprinzipien 13, 32, 37 f., 135, 137

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Sachwortverzeichnis

Vertragsänderung durch spätere Praxis 54 ff. Vertragsauslegung 71 ff. Verwaltungsvorbehalt 116, 141 ff. Vetorecht 121 Völkerrechtsfreundlichkeit (des Grundgesetzes) 43 Volk (Begriff) 158 ff. Volksdemokratie 164 ff. Volkssouveränität 120, 122, 124, 128, 131, 135 ff., 141, 160 ff.

Vorbehalt des Gesetzes 21 f., 25, 30 f., 115 Vorverständnis 18 Wehrverfassung 23, 28, 36, 180 Weisungsstrang 112 Wesentlichkeit 21 f., 31 f., 36, 39, 116, 128 f. WEU-Vertrag 17 Zugriffsrecht des Gesetzgebers 117, 142 f.