De Deo trino et uno. Das Verhältnis von productio und reductio in seiner Bedeutung für die Gotteslehre Bonaventuras. (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Band 38. Herausgegeben von Edmund Schlink). 3525562438, 9783525562437

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De Deo trino et uno. Das Verhältnis von productio und reductio in seiner Bedeutung für die Gotteslehre Bonaventuras. (= Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, Band 38. Herausgegeben von Edmund Schlink).
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Konrad Fischer De Deo trino et uno

KONRAD FISCHER

De Deo trino et uno Das Verhältnis von productio und reductio in seiner Bedeutung für die Gotteslehre Bonaventuras

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 38

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fischer, Konrad D e Deo trino et uno: d. Verhältnis von productio u. reductio in seiner Bedeutung für d. Gotteslehre Bonaventuras. - 1. Aufl. Göttingen: Vandenhoedc und Rupredit, 1978. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 38) I S B N 3-525-56243-8

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck & Rupredit 1978. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Budi oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. - Bindearbeiten: Hubert & Göttingen

Co.,

Vorwort Die nachstehende Arbeit ist im April 1974 abgeschlossen und im November desselben Jahres von der Theologischen Fakultät Heidelberg als Inaugural-Dissertation angenommen worden. Sie erscheint als Buch mit nur einer Änderung: Der jetzige Untertitel war seinerzeit die Überschrift der Dissertation. Einiges an Zeit ist seither ins Land gegangen. Das macht es schwer, sich heute noch einmal zur Sache zu äußern. Eine Anmerkung möchte ich dem Buch dennoch voranstellen: Die Beschäftigung mit Bonaventura ist alles andere als müßiger Zeitvertreib. In der Dichte und dem entschiedenen Ernst seiner trinitarischen Spekulation liegt vielmehr die dringliche Einladung, das Hauptstück aller christlichen Theologie neuerlich und nicht unter dem Niveau des schon vor Jahrhunderten Geleisteten zu bedenken. Und das nicht bloß deshalb, weil die Trinitätslehre gleich einem kulturhistorischen Schatz zu bewahren und zu restaurieren wäre, sondern weil, der Einsicht Bonaventuras folgend, die ausschreitende Erhellung der Dinge Gottes wesentlich zur Sache selbst gehört und der Welt sich in ihr jener Horizont eröffnet, in welchem sie ihrem Grunde nach steht. Viele Hände, gefäustet und nicht gefaltet, greifen heute nach diesem Horizont. Daß Impulse (und vielleicht auch die Würde) einer tief verborgenen theologischen Tradition in ihnen wirksam sind, mag mit ein Ertrag dieses Buches sein. Zuallererst aber möchte es sich der im Denken Bonaventuras liegenden Einladung anschließen und diese, wenn es gelungen sein sollte, in der Durchmusterung des Materials deutlich formuliert haben. Zugleich ist dies auch der Ort, all denen zu danken, die an der Entstehung dieses Buches beteiligt waren. Ich nenne hier an erster Stelle meine Frau Marie-Luise und meinen Sohn Maximilian. Sie haben Bonaventura erlitten und, ihn erleidend, das Kraftfeld für diese Arbeit bereitet. Ich nenne meinen Freund Friedrich Beißer in Mainz, Ordinarius für Systematische Theologie dortselbst. Von ihm kam die Anregung und der Biß zur Sache. Unerbittlich war er, wo Scheinlösungen für Lösungen angeboten wurden; unermüdlich war er im Mutmachen, nachsichtig gegen jede Verranntheit. Ohne ihn wäre diese Arbeit so nicht zustandegekommen. - Ich danke Herrn Prof. em. Peter Brunner in Neckargemünd. In den letzten Semestern seiner Heidelberger Lehrtätigkeit war ich sein Hörer. Daß in der Gegenwart für tot Gesagtes, unter das Verdikt des Mythischen Geratenes theologisch von zentraler Bedeutung und ungebrochener Lebendigkeit ist, das habe ich bei ihm gelernt. - Ich danke auch Herrn Prof. Kurt-Victor Selge in Heidelberg. Seinen kritischen Hinweisen verdanke ich die Einsicht (die ich hier als einen Nachtrag weiter5

geben möchte), daß die spekulative Mühe Bonaventuras auch unmittelbare ketzer- und kirchenpolitische Stoßrichtung hatte. Herr Prof. Edmund Schlink als Herausgeber der Reihe, die DFG und die Theologische Fakultät Heidelberg durch namhafte Zuschüsse haben die Drucklegung der Arbeit ermöglicht. Ihnen allen sei an dieser Stelle gedankt. Neckargemünd, im Januar 1977

6

Konrad Fischer

Inhalt Vorwort

5

Einleitung

9

Erstes Kapitel: Das Itinerarium als Stellung der Aufgabe a) Die Ortsbestimmung des Itinerariums anhand der Hierarchienlehre des Sechstagewerks b) Der Seraph alatus ad instar Crucifixi - der Hinweis auf Weg und Ziel der Aufstiegstheologie c) Das göttliche Sein als Sachgrund des Aufstiegs *

Zweites Kapitel: Das Sein Gottes

23 23 48 58

69

Vorüberlegung

69

1. Abschnitt: Gott ist

70

a) Die Bestimmung des Seins Gottes ex se, secundum se, propter se 70 b) Die Evidenz Gottes 89 c) Das Selbstverhältnis des göttlichen Seins als Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus 109 2. Abschnitt: Gott ist dreifältig

141

a) Die schaffende Trinität als Ziel von Welt - die Trinitas fabricatrix relevans 141 b) Exkurs: Prov. 8,22-25, das argumentum oppositum 164 D r i t t e s Kapitel: D a s göttliche W e s e n in seiner trinitarischen Subsistenz . 173 Vorüberlegung

173

1. Abschnitt: Die essentia communicabilis Dei

174

a) Die Abgrenzung der Begriffe essentia, substantia, subsistentia und persona nach I Sent, d.23 a.l q.3 175 b) Die Einheit Gottes 188 c) Die personale Subsistenz der göttlichen essentia 211 2. Abschnitt: Die göttlichen Personen a) Die Einfachheit Gottes b) Die innergöttlichen Emanationen, Relationen und Notionen c) Der Hervorgang des Geistes aus Vater und Sohn

221 221 258 291

3. Abschnitt: Das Selbstverhältnis Gottes als innergöttlich-personales Verhältnis in der Subsumtion des Glaubens unter den Heiligen Geist — die reductio als Aufgabe der Seele 322

Schlußbemerkung: Von der Gefährdung Gottes

337 7

Schemata a) zu Hex. 1,11-39 b) zu Hex. XXI,19-32 c) zu Hex. XXII, 1-23 d) zu Hex. XXII,24-39

345 346 347 348

Register

349

Literaturverzeichnis

359

Abkürzungen

363

8

Einleitung Ratzingers Arbeit über die Geschichtstheologie Bonaventuras, die vor nunmehr fast 15 Jahren vorgelegt worden ist, markiert einen neuen Abschnitt in der Bonaventura-Forschung der neueren Zeit 1 . Nach der Vollendung der Gesamtausgabe der Werke Bonaventuras 2 war die BonaventuraForschung besonders der Erkenntnislehre3, der Mystik 4 , der Gnadenlehre 5 und Metaphysik 6 Bonaventuras nachgegangen, während dem Problem der Geschichte bei Bonaventura in diesen Arbeiten nahezu gar keine oder letztlich doch nur untergeordnete Bedeutung zukommt 7 . Das hat sich mit Ratzingers Arbeit durchschlagend geändert. Die in ihr vorgelegte Deutung der Geschichtstheologie Bonaventuras, als deren Kernpunkt wohl die Interpretation des sogenannten Egreß-Regreß-Schemas als eines heilsgeschichtlichen Schemas betrachtet werden kann 8 , ist in der Folgezeit auf nachhaltige Kritik gestoßen. Die vorläufig letzte Äußerung dazu bietet Merckers Arbeit zur Schriftlehre Bonaventuras: Das Egreß-Regreß-Schema sei nicht auf das Begriffspaar Schöpfung und Erlösung zu übertragen, sondern sei eine gegenseitige Verhältnisbestimmung zwischen Schöpfer und Geschöpf 9 . In ähnlichem Sinne hatte bereits Guardini, wenngleich mit anderem Bezug und in anderem Zusammenhang, die Formel verstanden: Die Korrespondenz von Egreß und Regreß meine einen komplexen Sachverhalt, nämlich das Verhältnis von Gott und Welt, welches, als eine vollkommene Stufenleiter begriffen, deren beide Endpunkte Gott und das Nichts darstellen, in der Korrespondenz von Ausgang und Rückkehr unter je verschiedenem Blickpunkt als immer „die gleiche Stufenleiter in entgegengesetzter Richtung" betrachtet wird 10 . Von 1 Ratzinger, Geschichtstheologie. - Im folgenden erscheinen in den Literaturverweisen nur der N a m e des Autors und die Seitenzahl. Der vollständige Titel der zitierten Arbeit ist dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. Werden mehrere Arbeiten eines Verfassers zitiert, ist der Arbeitstitel abgekürzt genannt. 2 Der letzte Band der Opera omnia erschien 1902. 3 Vgl. dazu vor allem Luyckx; Rosenmöller; Gilson. 4 Longpre. 5 Bonnefoy; dazu Guardini, Erlösungslehre. 6 Bissen; Guardini, Systembildende Elemente. 7 So hat etwa P. Brunner in seinem Forschungsbericht aus dem Jahre 1 9 3 0 gegenüber dem Werk Gilsons bedauert (260), daß „in dem G e s a m t a u f b a u des Werkes die christliche Geschichtsphilosophie des Bonaventura keinen eigenen Platz erhalten hat, obwohl ihr beherrschender Einfluß klar gesehen ist". Ähnlich äußert sich Ratzinger, Geschichtstheologie 52 Anm. 95.

Ratzinger, Geschichtstheologie 140 ff. 9 Mercker 141. Guardini, Systembildende Elemente 103 ff.; das Zitat 106. - R a t z i n g e r h a t G u a r d i n i s 1923 entstandene Arbeit nicht berücksichtigen können, da sie erst 1964 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. 8

10

9

dem Verständnis Guardinis her ist konsequenterweise eine Interpretation des Egreß-Regreß-Verhältnisses im Sinne eines geschichtstheologischen Schemas abzuweisen, denn: „Der ganze Komplex des Seienden ist als in Bewegung begriffen gedacht. Damit i s t . . . eine metaphysisch-innere Bewegung gemeint, die sich dann in eine solche des sittlich-religiösen Strebens umsetzt. Sie besteht in einer Sinnrichtung des Seins und Geschehens von Gott her und zu Gott hin. Es ,kommt' von Gott und ,geht' zu Gott. Kein physisches, sondern ein genetisches kausales Kommen und ein teleologisches, intentionales Gehen." 1 1 Guardinis Interpretation bestimmt so das Ausgang-Eingang-Verhältnis wesentlich als eine Sinnmanifestation, und dementsprechend muß sie „physisches Gehen" als Inhalt des Heimgangs der Schöpfung abweisen. Als „Sinnrichtung" verstanden, läßt nach Guardini der Heimgang einem heilsgeschichtlichen Verständnis des Schemas keinen Raum 12 ; statt dessen findet er seinen Niederschlag im „sittlich-religiösen Streben", bleibt also lediglich intentional und auf die Einzelseele bezogen, ohne daß sich daraus, auf das Gesamt der Schöpfung gesehen, ein qualitativer Fortschritt von Geschichte ergeben könnte. In der Tradition der hier getroffenen interpretatorischen Entscheidung stehen mehr als vier Jahrzehnte später die Arbeiten von Elsässer, der aufzuzeigen versucht, „welche Bedeutung Christus in der Frage der Erkenntnis des Sittlichen zukommt" 13 , und die schon genannte Arbeit von Mercker, der ganz im Sinne Guardinis Ratzingers Arbeit der Kritik unterzieht: „Es handelt sich (sc. bei dem in Frage stehenden Begriffspaar von Egreß und Regreß) m. E. in erster Linie um eine Verhältnisbeziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf, welche jedesmal, je nachdem sie von oben oder unten betrachtet wird, das Gleiche besagt. Von Gott gehen die Dinge aus, und der Mensch, der diese Dinge als von Gott erschaffene, aus ihm austretende begreift, vollzieht damit erkennend ihre Zurückversetzung in ihren Grund und versteht sie damit als von Gott gewirkt." 14 Damit ist das Verhältnis von Ausgang und Eingang ausdrücklich als eine „Erkenntnisrelation" 15 verstanden, welche ausschließt, daß die „reparatio nur durch einen Weltprozeß in die ursprüngliche Integrität zurückgeführt werden kann" 16 . Zwar räumt Mercker die Möglichkeit ein, „daß das Begriffspaar von egressus und regressus neben seiner eigentlichen Funktion auch zum Modell für die aktive, geschichtliche Rückkehr der Schöpfung zu Gott werden kann, besonders wenn der noetische 11

Guardini ebd. 105. Guardini spricht das selber nicht aus. Es bestand dazu für ihn auch keine Notwendigkeit, da zu der Zeit, in der Guardinis Arbeit entstand, die Diskussion um das Geschichtsverständnis Bonaventuras noch nicht in Gang gekommen war. Aber er würde sich wohl unter anderen Umständen in dieser Weise geäußert haben, da er den Charakter des Heimgangs als eines „physischen Gehens" bestreitet. 13 Elsässer 7. 14 Mercker 145. 15 Ebd. und 149 mit Bezug auf Guardini, Systembildende Elemente 105. 16 Mercker 142. 12

10

Regreß bei Bonaventura auch auf die Willensstrebungen ausgeweitet wird" 17 , aber das dürfe nicht so gehandhabt werden, daß das Modell zur „geschichtstragenden Größe" 18 selber wird. Dann nämlich nähere sich die Sicht des Ausgangs einem neuplatonischen Verständnis, in welchem „der Emanationsbegriff nie gänzlich von einer Nuance der Entfremdung vom Ureinen frei gewesen zu sein" scheint19. Mit dieser letzten Argumentation schließt sich Mercker der Sache nach an Seckler an, der sehr eindringlich darauf verweist, daß im zyklischen Denken des Neuplatonismus in der Korrespondenz von Ausgang und Eingang der Hervorgang notwendig als ein Abfall, eine Entfremdung, ein „Nicht-SeinSollendes" verstanden werden muß 20 . Gegenstand der Untersuchung Secklers ist die Frage, wie Thomas in der Übernahme des neuplatonischen Schemas dasselbe einer Korrektur unterzieht: im Verweis auf die Freiheit des Schöpfers21. Diese thomanische Korrektur, die auf ihre Weise auch für Bonaventura Gültigkeit hat, stellt Mercker, soweit ich sehe, in seiner Beurteilung des Egreß-Regreß-Schemas nicht in Rechnung. Seine Kritik an Ratzingers Interpretation gründet vielmehr in der von Seckler erarbeiteten Darstellung der neuplatonischen Gestalt dieses Schemas: „Die in der egressio grundsätzlich von Gott als gut ausgehende Schöpfung wird durch die Überfremdung mit verfrüht angeführten heilsgeschichtlichen Kategorien ungerechtfertigt deklassiert. Aus der Schöpfung, dem Abbild der Trinität, würde von aller Anfang an, noch ohne den Blick auf den Sündenfall, ein entstelltes Zerrbild. Egressio könnte dann nur noch im pejorativen Sinne einer sich Gott entfremdenden Schöpfung verstanden werden." Es wäre dann die Aufgabe Christi, „die Gegenbewegung der regressio einzuleiten". Wenn aber egressio erst mit Christus in regressio umschlage, „dann dauert die negativ infizierte Schöpfung bis zum Kommen Christi an. Anders gewendet, die Geschichte vor Christus wäre heilsgeschichtlich gesehen eine Unheilszeit gewesen, die sich immer mehr von Gott abwandte" 22 . Und dies, das betont Mercker mit Recht, stünde in Widerspruch zur Lehre Bonaventuras23. Damit ist für Mercker die Entscheidung gefallen: Da egressio nach Bonaventura nicht im „pejorativen Sinne" verstanden werden kann, das Verhältnis von egressio und regressio vielmehr eine bloße Erkenntnisrelation ausdrückt, 17

Ebd. 155 f. Ebd. 156. 19 Ebd. 158. 20 Seckler 59 ff., besonders 6 9 . 1 1 7 . - Freilich ist auch diese Einschätzung Secklers, die ihrerseits in einer bestimmten interpretatorischen Tradition verankert ist, nicht unbestritten. Kremer 2 3 (vgl. auch 518) hat darauf verwiesen, daß die notwendige „ontische Inferiorität" des hervorgebrachten Seins sich im „platonisch-neuplatonischen Kausalitätsprinzip" begründet. „Mit Abfall, Entwertung und Erniedrigung . . . hat dies nichts zu tun." Damit wäre das, was Seckler 117 für Thomas als N o v u m reklamiert, der Sache nach bereits im neuplatonischen Ansatz enthalten. 18

21 22 23

Seckler 72. Alle Zitate Mercker 140. Ebd.

11

die zwar als „Modell" für Geschichte, nicht aber als Geschichtsgröße selbst zum Tragen kommen kann, spielt sich in seinem Bonaventura-Verständnis, da Gott der Welt Heil erweist, eigentlich nicht Geschichte im Sinne eines „Weltprozesses" ab, nicht im eigentlichen Sinne Heilsgeschichte, sondern das Werden von Heil ist reduziert auf Deutlichwerden von Heil 2 4 ; Geschichte reduziert sich auf „die Durchsetzung eines fertig konzipierten Heilsplanes in der Zeit, aber es gibt keine Geschichte des Heils in dem Sinne, daß die Thematisierung und Formulierung dieses H e i l s . . . selber Gegenstand der Geschichte wäre, so daß sich erst durch die Geschichte, nicht bloß/« ihr auszeitigte, wie Heil aussieht" 2 5 . Aus der Kritik Merckers an den Ergebnissen der Arbeit Ratzingers läßt sich eine wichtige Erkenntnis gewinnen: Das Verständnis der Theologie des franziskanischen Lehrers ist eng gebunden an das Verständnis jener Formel, die weithin als Egreß-Regreß-Schema bezeichnet wird. Allerdings liegt bereits in der begrifflichen Argumentation mit Egreß und Regreß in bezug auf Bonaventura eine gewisse Vorentscheidung, die revisionsbedürftig ist. Mag schon das in Frage stehende Schema in dieser verbalen Gestalt auf Bonaventura gekommen sein, so fällt doch auf, daß Bonaventura selber von regressus oder reditus weit seltener spricht als von reductio, also lieber „Heimführung" sagt als „Heimgang" 2 6 , und es scheint, als deute sich in dieser verbalen Umgestaltung bereits an, worum es Bonaventura in der Verwendung des sogenannten Egreß-Regreß-Schemas geht. Indem er reductio, reducere sagt eher als regressus und regredi bzw. redire, ist schon begrifflich eine sachliche Vorentscheidung gegeben: Der Regreß von Schöpfung ist wesentlich als reductio von Schöpfung verstanden; nicht Schöpfung selber geht heim, sondern Schöpfung wird heimgeführt, und erst insofern kann davon gesprochen werden, daß Schöpfung selbst auf dem Heimweg befindlich ist. Und da Bonaventura reductio lieber als regressus sagt, stellt sich seinem Wortgebrauch gegenüber die Frage nach dem Subjekt von reducere; die Frage nach dem sachlichen Subjekt im Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf ist unüberhörbar gestellt, und damit impliziert die Frage nach der sachlichen Bedeutung des sogenannten Egreß-Regreß-Schemas die Frage nach dem, worin es überhaupt Bedeutung gewinnt; sie impliziert die Frage nach Sein und Wesen Gottes. Vgl. die Zwischenüberschrift Mercker 146: „ D a s Werden des Heils als Deutlichwerden." Mercker 135. - In der Sache dem Urteil Merckers nicht unähnlich hatStoevesandt Ratzingers Verknüpfung des Egreß-Regreß-Schemas mit der Geschichtstheologie Bonaventuras kritisiert. Stoevesandt setzt allerdings etwas atiders an, indem er Ratzingers These von der Vergeschichtlichung der Mystik, das meint, die horizontale Dimension in der Mystik Bonaventuras (vgl. Ratzinger, Geschichtstheologie 94) verwirft. N a c h Stoevesandt 5 6 ff. stehen Mystik und (chiliastisches) Endzeitbewußtsein bei Bonaventura zwar dichtestens beieinander, aber es kommt nicht zu einer Verknüpfung. Die literarische Verflechtung beider Bereiche bedeute nicht auch eine inhaltliche In-Beziehung-Setzung. Insofern gehe das Egreß-Regreß-Schema keine Verbindung mit dem Geschichtsdenken Bonaventuras ein und „ s o bleibt die Geschichte, wie Bonaventura sie sieht, trotz ihres Fortgangs eigentümlich statisch" (ebd. 73 Anm. 2). 24

25

26

12

Darauf verweist auch Mercker 1 4 5 ; vgl. auch Guardini, Systembildende Elemente 166.

E n t s p r e c h e n d dieser Ü b e r l e g u n g v e r f ä h r t die v o r l i e g e n d e U n t e r s u c h u n g , u n d ü b e r ihren F o r t g a n g ist d a m i t einiges e n t s c h i e d e n : E s g e h t i m f o l g e n d e n n i c h t d a r u m , das s o g . E g r e ß - R e g r e ß - S c h e m a in seiner spezifischen A n w e n d u n g in der T h e o l o g i e B o n a v e n t u r a s zu einer e x e g e t i s c h ausführlichen D a r stellung zu b r i n g e n ; u n d es geht a u c h n i c h t d a r u m , die G o t t e s l e h r e B o n a v e n t u r a s für sich in ihrer G e s a m t h e i t d a r z u s t e l l e n 2 7 . S o n d e r n es geht d a r u m , die u n ü b e r s e h b a r e D y n a m i k des t h e o l o g i s c h e n D e n k e n s B o n a v e n t u r a s , die in seiner b e s o n d e r e n V e r w e n d u n g des sog. E g r e ß - R e g r e ß - S c h e m a s

ihren

w o h l deutlichsten A u s d r u c k findet, a u f i h r e n letzten S a c h g r u n d hin zu b e f r a gen. D e n n es g e h ö r t zu den E r f a h r u n g e n i m U m g a n g b e s o n d e r s m i t den s o g e n a n n t e n S p ä t s c h r i f t e n B o n a v e n t u r a s 2 8 , d a ß alles einzelne, w e l c h e s der B e t r a c h t e r i n t e r p r e t i e r e n d zu v e r s t e h e n s u c h t , stets ü b e r sich selbst h i n a u s w e i s t a u f einen k o m p l e x e n Z u s a m m e n h a n g , s o d a ß es als eine b e s o n d e r e S c h w i e rigkeit der T h e o l o g i e B o n a v e n t u r a s b e z e i c h n e t w e r d e n k a n n , d a ß kein einzelnes M o m e n t in ihr jenseits seines Z u s a m m e n h a n g e s m i t d e m G a n z e n f a ß b a r i s t 2 9 . V o n d a h e r n i m m t das t h e o l o g i s c h e D e n k e n des f r a n z i s k a n i s c h e n L e h r e r s jene eigenartig kreiselnde u n d s c h w i n g e n d e G e s t a l t a n , in der jeder n e u e G e d a n k e als ein n e u e r A n l a u f z u m je selben u n d i m m e r s c h o n m i t g e m e i n t e n erscheint. U m das, w a s das D e n k e n kreiseln u n d s c h w i n g e n m a c h t , g e h t es in dieser U n t e r s u c h u n g 3 0 . D a r u m ist ihr T h e m a n i c h t die G e s c h i c h t s t h e o l o g i e B o n a v e n t u r a s , n i c h t das V e r h ä l t n i s v o n E g r e ß u n d R e g r e ß o d e r Hier ist besonders auf die Arbeiten von Stohr und Gilson zu verweisen. Es wird gegenüber dem Gesamtwerk Bonaventuras häufig nach Frühschriften oder Schulschriften und Spätschriften geschieden; vgl. Gerken 20; Schalück 19 Anm. 37; der Sache nach Ratzinger, Geschichtstheologie 91 ff.; Rauch V; Hülsbusch 32 f. Dabei bleibt freilich zumeist offen, welche Relevanz diese Einteilung beanspruchen kann. In der vorliegenden Arbeit ist ihr insoweit Rechnung getragen, als die Dichte der Spätschriften zum Anstoß dieser Untersuchung genommen ist. Die Einteilung in Früh- und Spätschriften bewährt sich aber nicht jenseits ihrer formalen Feststellung, d. h. nicht in dem Sinne, daß eine wie auch immer geartete Diskontinuität inhaltlicher Art zwischen dem Frühwerk und dem Spätwerk sichtbar geworden wäre. Dazu s. auch u. S. 130 Anm. 184. 27

28

2 9 Darauf ist in der Literatur schon häufiger verwiesen worden, vgl. etwa Schalück 8; Hülsbusch 100; Mercker 8 f.; Rauch 3 bezeichnet „Ambivalenz" als das Charakteristikum der Theologie Bonaventuras. Ob dieser Begriff die Sache trifft, sei dahingestellt. Aber Rauch beschreibt die kreiselnde Gestalt der Theologie Bonaventuras richtig, wenn er feststellt (ebd. 4), Bonaventura setze bei Gott an; innerhalb Gottes aber dringe „Bonaventura wiederum bis zum,Endstand' vor: bis zum Vater". Rauch hat damit ansatzweise die dichte Klammer zwischen Gottes innerer und Gottes äußerer Dynamik treffend ins Auge gefaßt. 3 0 Hier scheint mir die Schwäche der Arbeit Ratzingers zu liegen. Die Darstellung der Geschichtstheologie Bonaventuras wird leicht zu einer schwer verständlichen Unverbindlichkeit, wenn sie ihrerseits nicht als ein solcher Anlauf begriffen wird. Der Umstand, daß Bonaventura Geschichtstheologie betreibt, daß er mit dem tradierten Schema von Egreß und Regreß Geschichte christlich, und d. h. nach Ratzinger 142 dem „Reich des Zufälligen" enthoben, meint verstehen zu können, stellt überhaupt erst das Problem, die Frage nämlich, warum Bonaventura so verfährt. Es stellt sich darin die Frage, welcher letzten verbindlichen Sachentscheidung sich die Geschichtstheologie Bonaventuras verdanke, und von daher ist zu fragen, ob nicht auch in seiner Geschichtstheologie Bonaventura nichts anderes will, als auf das Zentrum des Wirklichen (und seines Denkens) verweisen.

13

eben: productio und reductio als solches, nicht die Gotteslehre für sich. Sondern ihr Gegenstand ist Bonaventuras Verständnis der Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, über die, da Bonaventura in seiner Weise über sie denkt, in dem primum principium, von dem alles ausgeht und zu dem alles heimgeführt wird, immer schon entschieden ist. Dieser Überlegung folgt die vorliegende Untersuchung. Sie setzt ein mit dem Versuch, das Charakteristische im theologischen Denken des späten Bonaventura, den Gedanken der Aufstiegstheologie, wie er im Itinerarium mentis in Deum vorliegt, seiner Bedeutung nach in der großen Gesamtschau der Hierarchienschemata von Hex. XXI f. zu orten. Dieser Versuch einer Ortsbestimmung der Theologie im Aufstieg bezieht von daher seinen Sinn, daß in ihm die Notwendigkeit deutlich wird, hinter die Faktizität des Weltverhältnisses Gottes zurückzufragen auf den Grund, kraft dessen Gott sich in dieser bestimmten Weise in den Hierarchien der Engel, Kirche und Seele abbildet. In einem zweiten Anlauf wird dann gleichsam der erste äußere Kreis gelegt, in welchem sich erweisen soll, daß Gott im Verständnis Bonaventuras immer schon in einer bestimmten, mit seinem Sein notwendig gesetzten Beziehung zum geschaffenen Sein steht. Es wird darum nach den besonderen Bestimmungen des göttlichen Seins selber gefragt, kraft derer Gott in seinem Sein in einem bestimmten Verhältnis zu Welt notwendig steht. Indem geschaffenes Sein auf göttliches Sein stets und ständig verweist, ist nach der Bestimmtheit des göttlichen Seins selber zu fragen, und es soll sich zeigen, daß das göttliche Sein, da es in sich selber evident ist, in seiner Evidenz und kraft seiner Evidenz als göttliches Sein notwendig Welt hervorbringendes Sein ist. In dieser Überlegung fällt zugleich eine Entscheidung über den christologischen Ansatz Bonaventuras: Angesichts der in Gottes Evidenz gründenden Schöpfung muß, soll Gott als der Schöpfer nicht in einen unaufhebbaren Selbstwiderspruch geraten, die christologische Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus im göttlichen Sein selber verankert sein. Das göttliche Sein ist göttliches Sein als Sein auf Entäußerung hin, und darin ist der die Welt hervorbringende Gott immer schon der, der Welt heimführt zu sich selbst: darin Welt nicht eine Bedingung Gottes. An dieser Stelle, an welcher der in seiner Evidenz Welt hervorbringende Gott kraft der christologischen Spannung seines Seins immer schon der gegenüber Welt freie Gott ist, findet Bonaventuras Trinitätslehre ihren Ort. In ihr erscheint das göttliche Sein, nach innen entfaltet, in trinitarischer Subsistenz dergestalt, daß der Gott, der in das geschaffene Sein hinein sich entäußert, darin in seiner Selbstentäußerung der Heimführer von Welt ist, daß er in sich selber immer schon vollständig Welt überwunden hat. Gott ist der trinitarische Gott, indem sein sein bestimmtes Weltverhältnis konstituierendes Sein dasjenige göttliche Wesen ist, welches sich in vollkommener innerer Selbstmitteilung in dreifältiger Subsistenz vollständig zum Zuge bringt. Die Erörterung dieses Sachverhalts ist der Gegenstand des dritten Kapitels. Es ist 14

dieses letzte zugleich das schwierigste Kapitel dieser Untersuchung, denn in ihm muß sich zeigen, daß der äußere Kreis des Gott-Welt-Verhältnisses in seiner besonderen Gestalt sich darin begründet, daß im göttlichen Wesen selber gleichsam ein innerer Kreis gelegt ist, in welchem das göttliche Wesen in sich dieses eine göttliche, in drei Personen subsistierende Wesen ist, indem es in seinem inneren Leben, in seiner innergöttlichen Dynamik und als diese nach außen aufbricht und den Glauben des Menschen im Heiligen Geist sich selber zur Besiegelung seiner trinitarischen Subsistenz bestimmt. Dieser letzte Punkt, in welchem Gottes innere Dynamik diese innere Dynamik als äußere Dynamik ist, scheint mir der Grundnerv des theologischen Denkens Bonaventuras zu sein. In ihm wird sichtbar, warum dieses Denken durch jene eigenartig schwingende und kreiselnde Bewegung gekennzeichnet ist: es ist der unbedingte Primat der Sache, welche gedacht sein will, der dem Denken - und nicht nur dem, das ihm folgt, sondern dem, welches der Sache als ihr eigenes unabdingbares Seinsmoment zugehört - seine bestimmte Gestalt aufprägt. Darum und darin ist die in Frage stehende res diese res, Gott dieser Gott und Welt in Gott geborgen. Von diesen Überlegungen her versteht sich die folgende Arbeit als Versuch, der Theologie Bonaventuras in aller Konsequenz von seinem Gottesverständnis her nachzudenken. Sie steht damit nicht allein. In erster Linie ist hier die 1963 erschienene Arbeit von Gerken über das Verhältnis von Schöpfung und Inkarnation zu nennen. Diese Arbeit stellt, soweit ich sehe, den ersten umfassenden Versuch dar, die universale Christozentrik des späten Bonaventura31 vom Gottesbegriff Bonaventuras her zu verstehen. „Die Affizierung des Subjektes ,Sohn Gottes' durch das Prädikatsnomen ,Mensch' in der Theologie Bonaventuras ist Gegenstand unserer Untersuchung. Was sagt der Satz: ,Der Sohn Gottes ist Mensch' über den Sohn Gottes in seinem Verhältnis zu Welt und Mensch (und damit über das Verhältnis der Dreifaltigkeit zu Welt und Mensch), was sagt dieser Satz über den Menschen, über das Verhältnis des Menschen zur Welt?" 3 2 Mit dieser Fragestellung dringt Gerken tief in die Sicht Bonaventuras von der Inkarnation ein. Ihr nachgehend, kommt ihm die „Demut Gottes" als der letzte Horizont des Inkarnationsgeschehens in den Blick 33 . Dieselbe Frage31

Gerken 21.

32

Ebd. 22.

Ebd. 193ff.; vgl. 178: „Daß es den Menschen gibt, ist also die letzte Konsequenz der Schöpfung als Schöpfung nach dem Vorbild des Wortes. Dann aber erweist sich die Schwäche und Armut (sc. des Menschen) als bivalent, als ein Mangel, der zugleich auf der höheren Ebene die höhere Möglichkeit ist, ja sie erweist sich als das tiefste Geheimnis der Schöpfung. Dann ist der Mensch arm, damit Gott, der Reiche, in eine Armut steige, arm sei und so jemanden reich mache." - An die hier von Gerken getroffene Aussage schließt sachlich an Schalück, besonders 56. Schalück spricht dort von der Verlagerung der Demut in Gott hinein. Aber er kommt nicht über die ausgezeichnete Vorarbeit Gerkens hinaus, wenn er sich (23) mit der Feststellung begnügt: „Bonaventura ist davon überzeugt, daß die Strukturen des Kreatürlichen und im besonderen die Verfaßtheit des Menschen, der . . . die Heimkehr aus eigenen Kräften nicht bewerkstelligen kann, irgendwie im innergöttlichen Leben grundgelegt sind." Eben dieses „irgendwie" genau zu erfassen, ist die Aufgabe, die sich stellt. 33

15

Stellung markiert aber auch zugleich die Schwierigkeit seiner Untersuchung: Da sie nach dem Sinngehalt der Aussage: „Der Sohn Gottes ist Mensch" fragt, muß sie letztlich im Umkreis des faktischen Heilsplanes Gottes 34 ihre Grenze finden. Es fehlt ihr, aufs Ganze gesehen, der Schritt, der von der Wirklichkeit des Verhältnisses von Schöpfung und Erlösung hinüberschreitet in Gottes innere Wirklichkeit hinein, in welcher der Sache nach über Schöpfung und Erlösung immer schon entschieden ist. Ihren äußeren Niederschlag findet diese Schwierigkeit darin, daß Gerken von der umfassenden christologischen Trias Bonaventuras, der Trias von Verbum increatum, incarnatum und inspiratum lediglich das Verhältnis von Verbum increatum und Verbum incarnatum in seine Untersuchung einbezieht, während er den Begriff des Verbum inspiratum bloß „als Abglanz und Reflex" des Verhältnisses von Verbum increatum und Verbum incarnatum betrachtet35. Nun ist freilich diese christologische Trias auch nicht Gegenstand der hier vorliegenden Untersuchung, und zwar deshalb nicht, weil sie als Entfaltung des Wortes Gottes in dreierlei Hinsicht 36 eher der allerdings notwendige Ausdruck dessen ist, worüber in Gottes Dynamik entschieden wird, als die

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Gerken 41: „Reductio . . . i s t . . . so die Bestimmung der Schöpfung, daß Gott faktisch nur geschaffen hat, um das Geschaffene durch die Gnade zu sich selbst zurückzuführen." Vgl. ebd. Anm. 40. - I n derselben Weise begrenzt sich Schalücks Untersuchung, vgl. ebd. 60: „Die Herrlichkeit Gottes und seine Güte finden Sinn und Grund in sich selber, auch wenn sie - . . . hypotetisch . . . — nicht mitgeteilt und wahrgenommen worden wären. An der tatsächlichen Ordnung der Heilsgeschichte aber ist zu sehen, daß Gottes Güte sich aussagt, und das bis in die Armut Christi am Kreuz hinein." Den Versuch, diese Grenze zu übersteigen, unternimmt Hülsbusch, indem er (99) die „kreuzestheologische Ausrichtung" des Exemplar-Gedankens bei Bonaventura untersucht. „Schöpfung und Erlösung", sagt Hülsbusch 100, „sind unter dem Respekt der faktischen Heilsgeschichte im Exemplarismus verklammert." Aber er formuliert eher das Programm, als daß er es durchführt, wenn er gegen Ende seiner Arbeit sagt: Bonaventura „denkt wie die Schrift und die Väter von der faktischen heilsgeschichtlichen Situation her" (174), er fragt „vom Verbum incarnatum her, das das Verbum crucifixum ist, zurück nach dem Verbum increatum. Er fragt zurück hinein in das Herz Gottes . . . in das Geheimnis des göttlichen Innenlebens" (181 f.). Hier verweist Hülsbusch auf Gerken und fährt (ebd.) fort: „Kreuzestheologie gemäß Bonaventura sieht das Kreuz, man wagt es kaum zu denken, als Ausdruck göttlicher Demut, . . . im Herzen Gottes selbst, damit es nicht ,νοη unten' hamartokausal begründet sei, sondern ,νοη oben' in der souveränen Liebe Gottes, der sich herniederneigt." 35

Gerken 24. - Im selben Zusammenhang weist Gerken darauf hin, daß eine Untersuchung des Begriffs Verbum inspiratum zwar geplant, aber nicht durchgeführt worden sei. Das ist um so bedauerlicher, als gerade dieses letzte Moment in der christologischen Trias Bonaventuras bisher noch nahezu keine Beachtung gefunden hat. Angesichts der konsequenten Arbeitsweise Gerkens läßt sich allerdings vermuten, daß der Umstand, den Plan fallengelassen zu haben, weniger in äußerlichen Hindernissen als vielmehr in seinem sachlichen Ansatz gründet. Die Begrenzung der Analyse auf den faktischen Heilsplan Gottes muß mit innerer Notwendigkeit zu einer Reserve gegenüber solchen Elementen in der Theologie Bonaventuras führen, die diese Faktizität übersteigen. 36 Auf die Triplizität in ihrer Vollständigkeit kommt es an. Wird auch nur eine der drei Hinsichten des Wortes Gottes zugunsten der anderen vernachlässigt, so ist, wie mir scheint, schon das Verständnis Gottes in seinem Wort entstellt.

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Entscheidung selbst. Darum ist diese Untersuchung in ihrem Fortgang so geordnet, daß die Trias von Verbum increatum, Verbum incarnatum und Verbum inspiratum gleichsam als das zusammenfassende Ergebnis der Überlegungen zur trinitarischen Subsistenz des einen Wesens Gottes erscheint. Es gehört zur Intention dieser Arbeit, eine Untersuchung dieser Trias so zu leisten, daß nicht in der Erörterung ihrer selbst, sondern in der Erörterung des Inhalts, den sie aussagt: in der Erörterung des Gottesbegriffs Bonaventuras die Entscheidungen sichtbar werden, welche, jene Erörterungen als richtig vorausgesetzt, im dreifältigen Begriff vom Wort Gottes sich konzentriert zusammenfassen. Das Verhältnis der christologischen Trias zum Gottesbegriff umfassend darzustellen, ist ursprünglich ein viertes Kapitel vorgesehen gewesen. Es ist der Notwendigkeit zum Opfer gefallen, diese Arbeit auf einen lesbaren Umfang zu beschränken. An seine Stelle treten in der Schlußbemerkung einige skizzenhafte Sätze, die das Ergebnis dieser Arbeit auf jene christologische Trias anzuwenden versuchen. Dementsprechend ist hier ein anderer Einstieg als etwa bei Gerken genommen. Wenn richtig ist, daß die christologische Trias Bonaventuras ihrem Inhalt nach sich im Verhältnis von äußerer und innerer Dynamik Gottes begründet, so ist die erste Aufgabe die, diese Dynamik überhaupt erst einmal sichtbar zu machen. Das geschieht hier (im ersten Kapitel) in einer kurzen Skizze der Hierarchienlehre Bonaventuras. Ich bin mir dabei der Unzulänglichkeit dieser Skizze durchaus bewußt: schon die Hierarchienlehre wäre einer eigenen Untersuchung wert. Ihre Funktion besteht hier aber im wesentlichen darin, aus der in horizontaler Erstreckung offenen Bewegung der heiligen Bilder Gottes den Verweis auf die Bewegtheit Gottes selber zu gewinnen. Insofern ist die Hierarchienlehre nicht selber das Problem, sondern sie ist geeignet, das Problem zu stellen: die Frage nach der Bewegung des Urbildes, das seine heiligen Bilder in bestimmter Bewegtheit begriffen erschafft. Dieser Einstieg ist dem Secklers verwandt, der in bezug auf Thomas von Aquin zu einer ähnlichen Fragestellung kommt: „Wenn die Zeit das Abbild der Ewigkeit ist, dann hängt alles davon ab, welche Ewigkeit hier abgebildet wird, oder, um das Problem als Frage zu formulieren: ist die Zeit das bewegte Abbild der Ewigkeit, oder ist sie das Abbild einer bewegten Ewigkeit?... Was hier (sc. im Verhältnis von Urbild und Abbild) verglichen wird, ist nicht das Wesen zweier Wirklichkeiten - es sei denn, man fasse,Wesen' im Sinne eines substantivierten Verbums - , sondern es sind zwei Prozesse, die einander so zugeordnet sind, wie es im Zusammenhang mit der Ursachenlehre entwickelt wurde: als Ähnlichkeit des Gewirkten mit dem Wirkenden, wobei hier hinzukommt, daß die Ähnlichkeit eine Ähnlichkeit des Prozesses ist, nicht nur der den Prozeß tragenden Wesenheiten. Das Geschehen des Weltprozess e s . . . scheint demnach von einem umfassenden Geschehen sich herzuleiten, einem urbildlichen Geschehen, einem Ur-Geschehen, nämlich jener göttlichen ,Ur-Geschichte', die das innertrinitarische Leben Gottes ausmacht. Diese ,Ur-Geschichte' begründet das zeitliche Geschehen; sie ist für das sie 2

Fischer, De Deo trino

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abbildende zeitliche Geschehen origo. Diesem Gedanken soll nun näher nachgegangen werden."37 Infolge dieser Fragestellung wird auch für Seckler das sog. Egreß-RegreßSchema zu einem wichtigen Problem. Er entwickelt für Thomas dazu folgende Sicht: „Egreß und Regreß zusammen bilden das primordiale Geschehen ganzheitlich ab, wobei zunächst nicht daran zu denken ist, daß auf eine Zeit des Egresses eine Zeit des Regresses folgt oder folgen wird. Vielmehr steht bereits der Egreß unter dem Gesetz des Regresses, nicht nur, weil das Ziel die erste aller Ursachen ist38, sondern auch deswegen, weil das Erlösungsgeschehen sich in einem fortdauernden Schöpfungsgeschehen (creatio continua) vollzieht. Es handelt sich . . . um zwei Aspekte eines einzigen Geschehens, denn Egreß und Regreß bezeichnen die beiden Dimensionen der endlichen Existenz, die jedes zeitliche Jetzt bestimmen." So ist die ganze Schöpfung Abbild Gottes. „Was aber abgebildet wird, ist nicht ein unbewegter Beweger..., sondern der, dessen Wesen Leben heißt." 39 Es kann hier nicht entschieden werden, ob Secklers Deutung dem Denken des Thomas von Aquin gerecht wird40. Sie ist hier von Interesse, weil sie in ihrer Fragestellung dem sehr nahe kommt, was in der vorliegenden Untersuchung behandelt werden wird. Freilich muß dieser Einstieg seine Konsequenzen zeitigen: Da Weltgeschehen auf ein innergöttliches Geschehen verweist, ist von ihm aus, mit Bonaventura gesprochen41, der Weg in Gott hinein zu verfolgen bis zu jenem Punkt, an welchem aus Gott heraus Weltgeschehen in seinem bestimmten Ablauf in seiner Dependenz von Gottes Wesen bruchlos deutlich wird, und das heißt: an welchem das Verhältnis von Egreß und Regreß, oder, wie ich meine, daß besser zu sagen wäre, von productio und reductio nicht mehr nur in seiner bloßen Abbildlichkeit, sondern in seiner innergöttlichen Verankerung sichtbar wird. Diesen Weg ist Seckler nicht mit der m. E. notwendigen Konsequenz gegangen42. Es finden sich zwar Andeutungen, die in diese Richtung weisen: „Der gegebene, endliche ontologische Sinn fließt aus einem absoluten ontologischen Sinn, und dieser liegt offenbar nicht in Gott dem Einen, sondern im Dreifaltigen. Er liegt mithin in der konkreten Existenzweise Gottes: in seinem lebendigen Verhalten zu sich selbst" 43 , aber die hier angedeutete Problematik bleibt letztlich verdeckt, wenn es anderseits 37 38

Seckler 82 f. - Die Sperrungen in Zitaten sind, wenn nicht anders vermerkt, original. Dies bezieht sich auf die „Identität von Ursprung und Ziel" bei Thomas von Aquin. Seckler

4 9 ff. Seckler 85 f. Secklers Arbeit macht im ganzen den Eindruck, als sei Thomas in ihr mit franziskanischen Augen gelesen. Das braucht allerdings nicht gegen diese Thomas-Deutung zu sprechen. Vielmehr erklärt sich dieser Umstand von daher, daß Seckler sein besonderes Augenmerk auf die neuplatonischen Traditionen richtet, von denen offensichtlich Thomas sowenig wie Bonaventura unbeeinflußt geblieben ist. 39

40

41 42

re. 43

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Itinerarium mentis in Deum. V,295 ff. (Sperrung von mir). Dabei ist allerdings zu fragen, ob der Gottesbegriff des Thomas selber sich dem nicht sperSeckler 87.

heißt: „Es versteht sich von selbst, daß weder der Begriff des Lebens noch der einer primordialen Ur-Geschichte den Satz von der Unveränderlichkeit und Unbezüglichkeit des ewigen und werdelosen Gottes antasten kann oder will." 44 Daher bleibt für Seckler - und ich vermute: in bezug auf Thomas zu Recht - die göttliche Dynamik doch strengstens innergöttliche, in sich selber ruhende Dynamik; die Dynamik des Abbildes trägt für das Urbild selbst nichts aus. Und dementsprechend kommt Seckler für Thomas zu einem Verständnis von Heilsgeschichte, welches, sieben Jahre später von Mercker für Bonaventura mit der These vom „Werden des Heils als Deutlichwerden" aufgenommen 45 , von Seckler so formuliert wird: „Die ganze Trinität schafft sich im zeitlichen Prozeß ihr ganzheitliches Abbild. Das Heil des Menschen (und damit der Sinn des zeitlichen Geschehens) liegt von vornherein fest — nicht in dem Sinne, daß der Mensch es erlangen müßte, sondern daß es unwandelbar nur dieses eine Heil sein kann, sofern es gewährt wird: das Geschehen des dreifaltigen Gottes. Eine progressiv sich realisierende Heilsgeschichte meint deshalb nichts anderes als die mit Hilfe der Zeit, der guten Erfinderin und Mitarbeiterin, wie Thomas sagt, sich durchsetzende Abbildhaftigkeit des Geschehens. Das übernatürliche, in Christus gewährte Heil ist das Vollmaß dieser Abbildhaftigkeit... Thomas (sc. kennt) also verschiedene Realisationsgrade des Heiles, und er versteht sie als verschiedene Repräsentationsweisen des primordialen Geschehens." 46 Diese kurzen Hinweise möchten genügen, die vorliegende Untersuchung in den Zusammenhang der neueren Forschung einzureihen. Dieser Zusammenhang hat es auch erlaubt, auf einen wesentlichen Arbeitsgang zu verzichten: die traditionsgeschichtliche Untersuchung der Theologie Bonaventuras. Ich meinte darauf verzichten zu können, weil über die Einflüsse, die Bonaventura geprägt haben, in der Literatur vorerst hinlänglich Rechenschaft abgelegt ist 47 ; zu dürfen, weil, die Übernahme bestimmter Überlieferungen durch Bonaventura vorausgesetzt, überhaupt erst die Aufgabe zu lösen ist, Bonaventuras Umgang mit dem Traditionsgut, seine eigene Interpretation, sein eigenes Verständnis zu begreifen; zu müssen, weil dogmengeschichtliche Exkurse der Arbeit einen Umfang würden gegeben haben, der das ihr zur Verfügung stehende Maß an Arbeitszeit hätte übersteigen und auch ihr Maß an Lesbarkeit hätte beeinträchtigen müssen. 44

Ebd. 86. S. o. S. 12 Anm. 24. 46 Seckler 103. Secklers Sicht der Sache bei Thomas wirkt freilich differenzierter als sie bei Mercker in bezug auf Bonaventura erscheint; und zwar deshalb, weil Seckler nicht auf eine bloße Erkenntnisrelation rekurriert, wenn bei ihm Werden von Heil in Korrelation steht zu Gewährt-Werden von Heil und nicht nur, wie bei Mercker, zu Deutlichwerden. 47 Zur Beeinflussung Bonaventuras durch Dionys Areopagita vgl. Ratzinger, Geschichtstheologie 91 f. und passim; Guardini, Systembildende Elemente 178 ff.; Hülsbusch 139ff., 148 ff. Zur theologiegeschichtlichen Stellung Bonaventuras in der Trinitätslehre vgl. Stohr in toto; Gerken 94; Gößmann in toto. 45

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Zu vielem, was zu beachten sicher sinnvoll gewesen wäre, ist hier deshalb nicht Stellung bezogen: Nicht zu Bonaventuras Verhältnis zum Neuplatonismus, nicht zur Kontroverse um den Augustinismus Bonaventuras 48 , nicht zu seinem Verhältnis zu den joachitischen Strömungen seiner Zeit 4 9 . Hier liegt ein Mangel. Aber in der Reihenfolge, in welcher die Probleme zur Erörterung anstehen, scheint mir die Bewältigung der genuinen Theologie Bonaventuras an erster Stelle stehen zu müssen. Von ihr aus wären alsdann die genannten Unterlassungen sinnvoll aufzuholen 50 . Unter Rücksicht darauf ist hier in folgender Weise verfahren: in allen drei Kapiteln ist, ausgehend von je einer Stelle aus Bonaventuras letztem und umfassendstem Werk, den Collationes in Hexaemeron, der Interpretationsbogen auf die früheren Schriften bis hin zum Sentenzenkommentar geschlagen. Dabei ist für das Hexaemeron die in die Opera omnia aufgenommene Reportatio Β zugrunde gelegt. Sowenig als möglich aber tragen diese Stellen aus Hex. Rep. Β die Interpretation selbst; das trägt dem Umstand Rechnung, daß das Hexaemeron lediglich in Form von Mitschriften 51 überliefert ist, die aufgrund ihres letztlich doch nicht gänzlich gesicherten Charakters in der Tat nicht mehr als Interpretationsanstöße geben können. Insofern verlangen die interpretatorisch verwerteten Abschnitte aus dem Hexaemeron ihre Absicherung durch eindeutig originale Schriften Bonaventuras 52 . Dazu sind besonders folgende Schriften hinzugezogen: Das Itinerarium mentis in Deum, das Breviloquium, der Sentenzenkommentar (und daraus wiederum besonders das 1. Buch) und vor allem die Quaestiones disputatae de mysterio Trinitatis; die letzteren vor allem deshalb, weil, da Bonaventura das Geheimnis der Trinität erörtert, hier so deutlich wie in dieser Ausführlichkeit nirgends sonst bei Bonaventura, indem von Gott die Rede ist, sachlich immer von Gottes Weltverhältnis die Rede ist. Diesen Quästionen folgt Vgl. dazu das ausführliche Referat bei Ratzinger, Geschichtstheologie 123—136. Dazu äußert sich Töpfer 139ff., 149f. 5 0 Es sind allerdings ohne weiteren Anspruch verschiedentlich Hinweise auf Thomas und, ganz selten, auf andere theologische Denker gegeben (Tillich, Schleiermacher, Karl Barth). Diese Hinweise verfolgen nicht den Zweck, exakt Gemeinsamkeiten oder Differenzen zwischen Bonaventura und anderen Theologen festzustellen, sondern sie dienen lediglich der Konturierung bonaventurischer Gedanken im Feld der Theologiegeschichte. 5 1 Die von Delorme edierte Rep. Α ist bei allen wichtigen Rep. Β entnommenen Stellen verglichen. Dabei sind die Fundorte aus Rep. Α nicht eigens nach der in dieser Mitschrift vorgenommenen Zählung nach Visio und Collatio zitiert, sondern es wird nur vermerkt Rep. Α ζ. St. Dazu ist die von Delorme XVII gegebene Synopse beizuziehen, anhand welcher sich die fragliche Stelle in Rep. Α leicht finden läßt. Außerdem wird die Seitenzählung der Ausgabe Delormes hinzugefügt. 48

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5 2 Das soll nicht den Eindruck erwecken, als müsse die Authentizität der Collationes in Hexaemeron bezweifelt werden. Von ihnen bzw. von zentralen Abschnitten darin geht vielmehr die Interpretation aus und kehrt zu ihnen zurück mit der Frage, ob sie als authentische Ergebnisse der Gedankengänge Bonaventuras betrachtet werden können. Es ist mir dabei keine gewichtige Stelle untergelaufen, der hinsichtlich ihres Sinngehalts Genuinität abzusprechen wäre. — Dieses Verfahren soll verhindern, daß am Text des Hexaemerons unnötige Konjekturen vorgenommen werden, wie es gelegentlich geschieht. Vgl. etwa Elsässer 51.

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insbesondere das dritte Kapitel der vorliegenden Arbeit in seinem Aufbau, wenn in ihm nicht, wie gewöhnlich zu erwarten, im einen Abschnitt die gemeinsamen göttlichen Wesensmerkmale, im anderen die trinitarischen Proprietäten verhandelt werden, sondern je eine zentrale Eigenschaft Gottes den Einstieg zu je einem besonderen Aspekt der Trinitätslehre eröffnet. Der Sinn dieses Verfahrens wird sich in der Erörterung der entsprechenden Stellen erweisen. Zur äußeren Gestalt dieser Untersuchung bleibt zuzufügen: Das interpretierte Material ist möglichst ausführlich zitiert, und zwar um der besseren Lesbarkeit willen in deutscher Übersetzung im Text, im lateinischen Original in den Anmerkungen 53 . Grundlage der Interpretation ist selbstverständlich der lateinische Text 5 4 . Die Ausführlichkeit der Zitation ist durch die Eigenart Bonaventuras bedingt: seine Begriffswahl ist nicht konstant. Es können, dem Kreiseln und Schwingen seines Denkens entsprechend, verschiedene Termini denselben Sachverhalt bezeichnen. Darum ist je ausführlich der Kontext hinzuzuziehen. Abschnitte, die einen größeren Überblick erfordern, sind durch graphische Schemata dargestellt. Sie sind bei der Einzelexegese im Ganzen zu beachten. Verweise auf verstreute und sporadisch gesammelte Belegstellen bei Bonaventura sind soweit als möglich unterblieben. Es werden nur solche Stellen zur Interpretation herangezogen, die in einem zuvor liegenden Arbeitsgang aus dem Kontext derjenigen Schrift Bonaventuras heraus, der sie entnommen sind (oder, in bezug auf den Sentenzenkommentar aus dem Kontext der übergeordneten distinctio), gewichtet worden sind. Ebenso ist der Umgang mit der sogenannten Sekundärliteratur in Grenzen gehalten. Es wird lediglich auf sie verwiesen, soweit ihr Informationen entnommen sind oder soweit sich auffällige Übereinstimmungen oder deutliche Differenzen in bezug auf die Ergebnisse dieser Arbeit finden. 5 3 In den Übersetzungen sind die zweisprachigen Ausgaben von Nyssen (Hexaemeron) und Kaup (Itinerarium) verglichen worden. 5 4 Dem verdankt es sich, daß identische lateinische Zitate und Begriffe gelegentlich nicht identische Übersetzung erfahren. Wie überhaupt die deutschen Übersetzungen, um Wörtlichkeit zwar bemüht, eher als Interpretationsversuche denn als runde Eindeutschungen zu verstehen sind. Wo eine Übersetzung nicht zwingend geboten oder sinnvoll ist, tritt an ihre Stelle eine freie Zusam menf assung.

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Erstes Kapitel: Das Itinerarium als Stellung der Aufgabe a) Die Ortsbestimmung des Itinerariums anhand der Hierarchienlehre des Sechstagewerks Wir wählen die Verhältnisbestimmung zwischen zweien der nicht nur bekanntesten, sondern auch wichtigsten Spätschriften Bonaventuras zum Aüsgang. Diese Wahl versteht sich nicht als zufällig. Sie ist bedingt durch die Strukturgleichheit beider Werke. Das Itinerarium und das Hexaemeron sind nicht nur äußerlich durch ihre siebenteilige Form miteinander verwandt - die Siebengliedrigkeit ist charakteristisch für fast alle außerhalb der Schultradition stehenden Werke Bonaventuras 1 - , sondern sie stehen auch in einer deutlichen inneren Verwandtschaft. Beide Werke finden ihr Aufbauprinzip im Fortschritt einander ablösender und aufeinander bauender Erleuchtungen (illuminationes) 2 bzw. Schaugesichter (visiones) 3 , deren Abschluß der Überschritt der Seele 4 in Gottes Frieden 5 bzw. die Ablösung der Seele vom Körper zur Gemeinschaft mit Gott 6 bildet. 1

Vgl. etwa die für diese Untersuchung besonders wichtigen Werke in Band V der Opera om-

nia. Itn. Prol. 3 ; V , 2 9 5 b . Hex. 111,24; V , 3 4 7 a . 4 Die Grenze zwischen den Begriffen mens und anima scheint mir bei Bonaventura nicht immer scharf gezogen. Von beiden dürfte aber mens der umfassendere Begriff sein; in ihm ist (communiter dictum) der Mensch insgesamt als imago Gottes nach memoria, intelligentia und voluntas angesprochen (vgl. II Sent, d.25 p . l a.un. q.3 i.e.; 11,596a mit Brevil. 11,12; V , 2 3 0 a b ) , dessen obiectum motivum Gott ist (Brevil. ebd.), und in diesem Sinne benutzt Hex. X , 7 ; V , 3 7 8 a auch den Begriff anima. Anderseits scheint aber der Begriff anima eher die wesenhafte Bezogenheit des Bildseins des Menschen auf seine Körperlichkeit zu betonen, wie Hex. VII,5: anima essentialiter inclinationem habet ad corpus; V , 3 6 6 a vgl. Brevil. VII,5; V , 2 8 6 b und II Sent, d.18 a.2 q.3 ad2; 11,450 b. Die Übersetzung beider Begriffe ist entsprechend schwierig. Im folgenden ist für anima durchgängig Seele gesetzt, während für mens je nach Erfordernis Seele, Gemüt oder Bewußtsein gesagt ist, wenn nicht einfach das entsprechende Personalpronom eintritt, ζ. B. mens nostra: wir. Vor allem die letzten beiden Ubersetzungen sind nicht ohne Skrupel, aber auch nicht ohne Bedacht gewählt. Beides, Skrupel wie Bedacht, rührt von daher, daß die Begriffe Gemüt und Bewußtsein in neuerer Zeit ihren spezifisch theologischen Inhalt bei Schleiermacher erhalten haben, historisch also einer viel späteren Epoche als der Bonaventuras zugehören. Anderseits ist mit dieser Ubersetzung eine mögliche Erstreckung oder jedenfalls Analogie der Theologie Bonaventuras in neuerer Zeit angedeutet, denn wie mir scheint, ist das, was Bonaventura mens nennt, dem durchaus verwandt, was bei Schleiermacher in den Reden „Gemüt" und in der Glaubenslehre „unmittelbares Selbstbewußtsein" heißt. Vgl. etwa in der Ersten Rede: „In die 2

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In beiden Schriften ist der Gegenstand der Betrachtung die menschliche Seele in ihrem Weg zu Gott 7 , und in beiden Schriften erfolgt die Betrachtung im Sieberierschritt des Aufstiegs, der sich im Itinerarium durch die Stufen des Seins hindurch in je verschiedener Betrachtungsweise vollzieht (davon wird noch gesprochen werden) und im Hexaemeron durch die Sichtung der Tage des Schöpfungswerkes bzw. durch das, was in ihnen figuriert ist. Bonaventura hat freilich diesen letzten Aufstiegsbogen nicht mehr vollenden können. Das Hexaemeron ist ein Fragment, es bricht mit der vierten Vision ab; es läßt sich aber der geplante Fortgang aus der in Hex. III, 2 4 - 3 1 (V, 347f.) gegebenen Skizze ersehen. Mit der Beobachtung des Aufstiegsbogens sind wir einer (neben der hinlänglich bekannten und anerkannten Christozentrik des späten Bonaventura zweiten) Auffälligkeit im Spätwerk Bonaventuras konfrontiert: Theologie ist Theologie im Aufstieg. Nicht nur der flüchtige Verweis auf die Ähnlichkeit der Bauweise in den beiden genannten Werken ist geeignet, diesen Sachverhalt einleuchtend zu machen. Bonaventura selbst hat ihn ausdrücklich bestätigt: Theologie, das ist die Heilige Schrift8. Sie beschreibt, wie dieses Universum ans Sein gekommen ist9, und handelt hauptsächlich vom Werk der Wiederherstellung10, und darum ist es das Amt des Theologen zu betrachten, „auf welche Weise die von Gott erschaffene Welt heimgebracht wird in Gott hinein" 11 . Theologie innersten Tiefen (sc. der Religion) möchte ich Euch geleiten, aus denen sie zuerst das Gemüt anspricht" (zitiert nach: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern; Hamburg 1 9 5 8 ; dort Seite 11; nach der 1. Auflage der Reden von 1 7 9 9 Seite 19f.), und Glaubenslehre (Einleitung) den Leitsatz von § 3 : „Die F r ö m m i g k e i t . . . ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins" (zitiert nach: Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt; zweite umgearbeitete Ausgabe, erster Band; Berlin 1 8 3 0 , Seite 7). Selbstverständlich sind, sowenig die Übersetzung dem Original identisch ist, die Begriffe Schleiermachers ihrem Inhalt nach denen Bonaventuras identisch; jedenfalls kann diese Untersuchung das nicht entscheiden. Aber sie können, da sie einem neueren Denkhorizont entstammen, zum Verständnis Bonaventuras beitragen. 5 Itn. VII; V , 3 1 2 f . β Hex. 111,31; V , 3 4 8 b . 7 Itn. Prol. 1; V , 2 9 5 a ; Hex. 111,24; V , 3 4 7 a . 8 Brevil. Prol. (initium): Sacra Scriptura, quae theologia dicitur. V,201a. „Sacra Scriptura" steht dort dem Satzzusammenhang nach im Genitiv. — Daß Bonaventura noch im Sentenzenkommentar theologia dem liber Sententiarum (I Sent, prooem. q . l ; I,6a) gleichsetzt, braucht hier nicht zu interessieren. Ratzinger, Geschichtstheologie 92 Anm. 18 hat darauf aufmerksam gemacht. » Brevil. 11,5; V , 2 2 2 a . 1 0 Hex. X I V , 7 ; V,394bvgl. Hex. X I I I , 1 2 f f . ; V , 3 9 0 . - Z u r Schriftlehre Bonaventuras im ganzen vgl. Mercker und Brümann. 1 1 Hex. 1,37: Theologus . . . considerat, quomodo mundus factus a Deo reducatur in Deum. Licet enim agat de operibus conditionis, principaliter agit tarnen de operibus reconciliationis. V,335b. Das principaliter verdient besondere Beachtung, zumal Bonaventura an anderer Stelle ebenso bündig sagt: Theologia, quae principaliter agit de primo principio, scilicet de Deo trino et uno. Brevil. 1,1; V , 2 1 0 a .

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erscheint damit als Sache derer, „die sich offenhalten für die Betrachtung der Schrift, die nur von reinen Herzen erkannt wird. Denn Du kommst nicht zur Kenntnis der Worte des Paulus, Du habest denn seinen Geist; und deshalb mußt Du mit Moses abgeschieden sein in der Wüste und den Berg besteigen" 1 2 . Schrifterkenntnis, Theologiebetreiben, das ist im Sinne Bonaventuras Aufstieg zu Gott. Theologie ist Theologie im Aufstieg. Man ersieht aus dieser kurzen Überlegung bereits, in einem wie eminenten Sinne das Itinerarium und das Hexaemeron theologische Schriften sind. Das Itinerarium mentis in Deum, dessen Corpus die Überschrift trägt: „Es beginnt die Betrachtung des Armen in der Wüste" 1 3 , ist deshalb nicht nur als dieses bestimmte überlieferte Werk zu betrachten, sondern das in ihm ausgesprochene Verständnis des Aufstiegs ist über die besondere Schrift hinaus das Grundkonzept und das Programm der Theologie des späten Bonaventura, und insofern ist es nicht verwunderlich, daß auch das letzte zusammenfassende Fragment, die Collationes in Hexaemeron, dem Prinzip des Itinerariums folgen, freilich in viel umfassenderen Dimensionen, als es in der Intimität derjenigen Schrift, die das theologische Programm Bonaventuras im Titel trägt, der Fall ist. Nun ist zu fragen: Warum ist die Theologie des späten Bonaventura Aufstiegstheologie? Man kann diese Frage zunächst natürlich mit dem Hinweis auf die durch Franziskus begründete Tradition beantworten 14 : Bonaventura ist darin Franziskaner und der Tradition des Franziskus verhaftet, daß ihm die gesamte Schöpfung ein Spiegel Gottes und Aufstiegsleiter zu Gott 1 5 ist. So schlüssig dieser Hinweis scheinen mag, so unbefriedigend ist er der Sache nach. Denn Bonaventura hat sich vielfältig auch anders als im Aufstiegsrahmen theologisch äußern können. Wie im Sentenzenkommentar hat er noch in seiner „Summe", im Breviloquium, umstandslos mit der Lehre vom dreieinen Gott 1 6 eingesetzt 17 und von dort her seine theologische Gesamtsicht 1 2 H e x . X X I I , 2 1 : . . . qui vacant speculationi Scripturae, quae non intelligitur nisi ab animis mundis. N o n enim potes noscere verba Pauli, nisi habeas spiritum Pauli; et ideo necesse est, ut sis sequestratus in deserto cum Moyse et ascendas in montem. V , 4 4 0 b . 1 3 Incipit speculatio pauperis in deserto. V , 2 9 6 . Über die Authentizität dieser Überschrift besteht keine Klarheit. Doch kann man mit Schalück 4 feststellen, daß sie die Sache genauestens trifft. - Vgl. auch Hex. 11,34; V , 3 4 2 b . 1 4 Vgl. Kaup 2 1 ; Dettloff 115. Einen Abriß der Biographie Bonaventuras gibt Gilson 2 1 - 1 0 4 . 1 5 Itn. 1,9; V,298a. 1 6 I Sent, und Brevil. I. - Es ist hier präziser zu sagen: mit der Lehre v o m Deus trinus et unus. D a s ist der ständige Begriff Bonaventuras. Es ist in ihm sowohl das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität, von Sein und Werk, von Person und Essenz in Gott brennpunktartig zusammengefaßt, und es ist die A u f g a b e dieser Untersuchung, das zu klären. Die Übersetzung von Deus trinus et unus mit „der dreieine G o t t " ist deshalb äußerst unscharf, weil das entscheidende „ e t " zwischen trinus und unus nicht darin enthalten ist (vgl. den Versuch einer Paraphrase u. S. 321). Insofern lehnt sich die Übersetzungeher an T h o m a s an, der die Wendung Deus trinus et unus, soweit ich sehe, gänzlich vermeidet und statt dessen lieber de D e o spricht (S.th.I q.2). Eine deutsche Wendung, die dem Verständnis Bonaventuras näherkommen dürfte, findet sich in dem Lied von Martin Rinckart: „ N u n danket alle G o t t " im dritten Vers: „ L o b , Ehr und Preis sei G o t t , . . . dem dreimal einen G o t t " (zitiert nach: Evangelisches Kirchengesangbuch, Ausgabe für

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entwickelt, so daß man im Blick auf diese Schriften meinen könnte, es habe zumindest keine zwingende Notwendigkeit gegeben, von Gott, Schöpfung, Sünde, Christologie, Gnade, Sakramenten und Eschatologie18 in der Betrachtung des Aufstiegs zu reden. So gesehen hätte sich Bonaventura im Itinerarium und im Hexaemeron weniger verbindlich geäußert als im Sentenzenkommentar und im Breviloquium; er hätte sich gleichsam nur erbaulich geäußert, die Strenge der Lehre und des Gedankens auf seine früheren Schriften verweisend. Das ist aber nicht der Fall. Nicht nur der Theologiebegriff Bonaventuras spricht gegen diese Einschätzung, sondern auch der hohe Anspruch, der in Sonderheit mit dem Hexaemeron verbunden ist. Denn vor allem in diesem Werk geht es um den entscheidenden Punkt, um den das Denken Bonaventuras zunehmend, bedingt durch das Vordringen der Aristotelesrezeption im seinerzeitigen Wissenschaftsbetrieb, kreist 19 : Um die Frage nach der Ewigkeit der Welt 20 . Man kann sich hier dem Urteil der Forschung anschließen, demzufolge Bonaventura in dieser Auseinandersetzung sämtliche Kräfte des mittelalterlichen Augustinismus aufgeboten habe 21 . Dann aber stand für Bonaventura mit dem Hexaemeron einiges auf dem Spiel, und darum dürfte es nicht verfehlt sein, im Hexaemeron die überhaupt verbindlichste Äußerung Bonaventuras zur Frage nach dem Verhältnis von Gott und Welt und darin implizit zur Frage nach dem Gottesverständnis selbst zu erblicken. Und wenn das so ist, so ist offenbar in der Abwehr selbständiger philosophischer Weltweisheit 22 und theologischen Verrats an Christus 23 die Theologie im Aufstieg die verbindliche Form, unter welcher die Verbindlichkeit der Sache zur Sprache die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg, Lied Nr. 228). Sie kommt dem Verständnis Bonaventuras insofern näher, als sie die dem trinus etunus innewohnende Dynamik aufschimmern läßt. Freilich ist auch die Wendung „dreimal ein" aus verschiedenen Gründen nicht unbedenklich. Ich halte mich deshalb im Text trotz ihrer Unschärfe an die Wendung „dreiein" für trinus et unus. 17 Karl Barth, KD 1,1, 316 hebt diesen Umstand rühmend hervor, ohne zu gewärtigen, daß Bonaventura selbst im Itinerarium und im Hexaemeron der Trinitätslehre einen anderen Platz zugewiesen hat. 18 Dies ist die Anordnung in Brevil. I—VII. 19 Gilson 222. 20 Vgl. etwa Hex. IV,8; V,350a. - Man könnte freilich geneigt sein, Bonaventuras zunehmende Konzentration auf dieses Problem nicht allein dem Vordringen des Aristoteles, welches seine extremste Spitze im averroistischen Aristotelismus des Siger von Brabant hatte (vgl. R. Seeberg, DG 111,335 f.) zuzuschreiben. Vielmehr könnte Bonaventuras konzentrierte Auseinandersetzung mit diesem Problem als durch die historische Entwicklung lediglich vermittelt erscheinen, insofern nämlich, als diese Problematik dem Denken Bonaventuras in seinem eigenen Ansatz bereits innewohnt, so daß man vermuten könnte: Bonaventura hat sich nicht zuletzt deshalb mit dieser Frage so scharf auseinandergesetzt, weil sie seit je als eine Anfrage an seine eigene Theologie in seinem Denken verborgen gewesen ist. 21 Gilson passim; Dempf 361; P. Brunner 254. 22 Zu Bonaventuras Stellung zur Philosophie vgl. in neuerer Zeit besonders die Arbeit von Hülsbusch. 23 Hex. 1,9; V,330b.

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kommen will 24 , und dann ist das Itinerarium sowohl als diese bestimmte Schrift als auch als das theologische, auch für das Hexaemeron bestimmende Grundkonzept nicht eine zufällige Form theologischen Sich-Äußerns, sondern direkt durch die Sache bestimmt, um die es geht. Der Umstand, daß die Theologie des späten Bonaventura Aufstiegstheologie ist, braucht dann eine tiefere Erklärung als bloß den Hinweis auf die Tradition. Er braucht eine Erklärung, die so weit in die Sache hineinführt, daß sich die Notwendigkeit, Theologie als ein Itinerarium mentis in Deum zu betreiben, selber deutlich macht. Deshalb legt es sich nahe, das Itinerarium nach dem systematischen Ort zu befragen, der ihm in der Bestimmtheit des Weltverhältnisses Gottes, so wie sie im Hexaemeron ausgeführt ist, zukommt. In beiden Schriften, im Itinerarium mentis in Deum sowohl wie in den Collationes in Hexaemeron, benennt Bonaventura sogleich den Adressaten, an den sich seine Ausführungen richten. Im Itinerarium ist das ein zunächst nicht weiter spezifizierter Leser: „Zuerst nun 2 5 lade ich den Leser ein zum tiefen Gebet (ad gemitum orationis) durch den gekreuzigten Christus, durch dessen Blut wir reingewaschen werden vom Schmutz der Sünde, damit er nicht gar glaube, es genüge ihm die Lesung (lectio) ohne die Salbung (unctio)." Im Hexaemeron ist die gesamte Kirche angesprochen: „ ,Inmitten der Kirche 2 6 wird der Herr ihm den Mund auftun und ihn erfüllen mit dem Geist der Weisheit und der Einsicht, und das Kleid der Herrlichkeit wird ihn kleiden', heißt es Sir. 15,5. In diesen Worten lehrt der Heilige Geist den Klugen, an wen die Rede zu richten ist, wo sie beginnen und wo sie enden muß. Zuerst also, an wen sich die Rede richtet: an die Kirche. Denn das Heilige soll man nicht den Hunden geben und die Perlen nicht vor die Säue werfen." Die Rede richtet sich also einmal an einen nicht näher bestimmten Leser; 2 4 Das bedeutet nicht eine Entwertung des Sentenzenkommentars und der anderen theologischen Äußerungen Bonaventuras, die nicht in der Form der Aufstiegstheologie getroffen sind; sondern diese Überlegung zwingt vielmehr zu der Frage, inwiefern Bonaventuras verbindliche Stellungnahme zum Verständnis Gottes und seines Weltverhältnisses aus seinen früheren theologischen Entscheidungen heraus notwendig zur Prävalenz des Aufstiegsgedankens führen mußte.

. 2 5 Itn. Prol. 4 : Igitur ad gemitum orationis per Christum crucifixum, per cuius sanguinem purgamur a sordibus vitiorum, primum quidem lectorem invito, ne forte credat, quod sibi sufficiat lectio sine unctione, speculatio sine devotione, investigatio sine admiratione, circumspectio sine exsultatione, industria sine pietate, scientia sine caritate, intelligentia sine humilitate, Studium absque divina gratia, speculum absque sapientia divinitus inspirata. V,296a vgl. Itn. VII,5; V,312b. 2 6 Hex. 1,1:,In medio Ecclesiae aperiet os eiusetadimplebiteum' Dominus ,spiritu sapientiae et intellectus et stola gloriae vestiet ilium', Ecclesiastici decimo quinto. In verbis istis docet Spiritus sanctus prudentem, quibus debet sermonem depromere, unde incipere, ubi terminare. Primo, quibus debet loqui; quia Ecclesiae; non enim dandum est sanctum canibus, nec margaritae spargendaesunt ante porcos. V,329a. - D e r , dem der Herr den Mund öffnet, ist nach Sir. 15,1 ff. der Fromme.

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zum andern an die gesamte Kirche. Gleichwohl läßt sich der eine Adressat, der Leser, im anderen, der Kirche, an bestimmtem Ort wiederfinden: „Es gibt 27 in der Kirche drei Stände: den Mönchsstand, er ist nur hervorgebracht; den Laienstand, er bringt hervor (sc. Kleriker und Mönche); und den Klerikerstand, er ist hervorgebracht und bringt auch selbst hervor." Im Mönchsstand wiederum ist dreifach zu unterscheiden: Nach Orden, die sich dem Göttlichen allein im demütigen Gebet öffnen, es sei denn, sie sind zu ihrer Selbsterhaltung zu körperlicher Arbeit gezwungen. Das sind die Zisterzienser, Prämonstratenser usw. Nach Orden, die sich dem Göttlichen auf dem Wege der Schrifterkenntnis in der spekulativen Schau öffnen. Das sind die Prädikanten und Minoriten. Die einen, die Prädikanten, erstreben hauptsächlich die Spekulation und versuchen von daher die Salbung (unctio) zu erlangen; die anderen, die Minoriten, erstreben vor allem die Salbung und betreiben insofern die betrachtende Beschauung28. Schließlich gibt es einen dritten Orden. Er öffnet sich dem Göttlichen auf dem Wege der mystischen Entschreitung29. Hier ist zunächst die zweite Ordensgruppe von Belang: Sie steht unter dem Begriffspaar lectio (bzw. speculatio) - unctio. Ihre Mitglieder betreiben die Theologie im Aufstieg, die speculatio pauperis in deserto 30 , das Itinerarium. Damit ist der Leser, den das Itinerarium anspricht, im Hexaemeron gefunden: er ist im Bereich der Orden zu suchen, die unter dem Aufstiegsmotiv in der Spannung des Begriffspaares von unctio und lectio bzw. speculatio stehen, wobei die Prävalenz der Salbung deutlich auf die Minoriten verweist. Der Leser, den Bonaventura im Prolog zum Itinerarium im Auge hat, ist damit als Minorit oder zumindest als Sympathisant der diesen Orden auszeichnenden geistlichen Haltung gekennzeichnet. Diese Feststellung wäre nicht weiter wichtig, lenkte sie nicht den Blick zugleich hinüber auf das Umfeld, in welchem das Begriffspaar von unctio und lectio beheimatet ist. Da nämlich der Leser des Itinerariums sich anhand der Einteilung der kirchlichen Stände eingrenzen läßt, ist gleichzeitig eine Aussage über Bonaventuras Verständnis der Kirche zu treffen: In der Einteilung ihrer Stände nach „hervorgebracht" (Mönchsstand), „hervorbringend" (Laienstand) und „hervorgebracht und hervorbringend" (Kleriker) ist sie das genaue Abbild des trinitarischen Gottes. Denn die Begriffe, mit denen Bonaventura die kirchlichen Stände belegt, sind eigentlich nicht in der Ecclesiologie beheimatet, sondern in der trinitarischen Distinktion. „Hervorbringend" ist Prädikat der ersten Person der Trinität, „hervorgebracht und her27 Hex. XXII,17: Unde in Ecclesia sunt tres ordines: monasticus, qui est productus tantum; laicus, qui est producens; clericalis, qui est productus et etiam producens. V,440a. 28 Hex. XXII,20f.; V,440b. - Der ganze Abschnitt, dem diese Hinweise entnommen sind, wird gleich noch ausführlich besprochen werden. Die entsprechenden Originalzitate s. u. S. 30 Anm. 42. 29 Hex. XXII,22; V,440b. 30 Hex. XXII,21; V,440b (s. o. S. 25 Anm. 12).

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vorbringend" gilt für die zweite innergöttliche Person, „nur hervorgebracht" gilt für die dritte Person der Trinität 31 . Aber nicht nur die Kirche ist Abbild der Trinität, sondern sie steht ihrerseits im Gesamtzusammenhang der heiligen Bilder Gottes, in welchen der dreieine Gott eine dreifältige hierarchische Abbildung findet: In der himmlischen Hierarchie der Engel32, in der irdischen Hierarchie der Ecclesia militans, der kämpfenden Kirche33, und in der Hierarchie der Seele, der anima hierarchizata 34 . Alle diese drei Hierarchien bilden Gott ab 35 , soweit die göttlichen Personen in gegenseitiger Durchdringung Eines sind in Unterschiedenheit; sie bilden Gott ab in der circumincessio personarum 36 . In der Hierarchie der Engel unterscheidet Bonaventura dreimal drei Stufen: Die Throne; sie entsprechen dem Vater, sofern er in sich selbst ist. Die Cherubim; sie entsprechen dem Vater, sofern er im Sohn ist. Die Seraphim; sie entsprechen dem Vater, sofern er im Heiligen Geist ist. - Die Dominationes entsprechen dem Sohn im Vater; die Virtutes dem Sohn in sich selbst; die Potestates dem Sohn im Heiligen Geist. - Die Principatus entsprechen dem Heiligen Geist im Vater; die Archangeli dem Heiligen Geist im Sohn; die Angeli dem Geist in sich selbst37. Es ist nicht die Aufgabe dieser Untersuchung, Bonaventuras Lehre von den Engeln und ihre offensichtliche Beeinflussung durch Dionys Areopagita zu erläutern 38 . Die Feststellung, die für unseren Zusammenhang von Gewicht ist und mit der wir uns deshalb begnügen können, ist die: Die Hierarchie der Engel ist eine vollständige, in sich geschlossene Abbildung des dreieinen Gottes in seiner circumincessiven Subsistenz. Ihre Aufgabe besteht darin, die ihr nachgeordnete irdische Hierarchie der Kirche zu erleuchten39. 31 Hex. 1,14: si persona est, quae producit et non producitur, et persona, quae producitur et non producit, necessaria est media, quae producitur et producit. V,331bf. vgl. Hex. VIII,12; V,371a. - Rep. Α zu Hex. XXII,17 (Delorme 255) benennt ausdrücklich die Korrespondenz. 32 Hex. XXI, 16ff.; V,434ff. 33 Hex. XXII,2-23; V , 4 3 8 ^ 4 1 a . 34 Hex. XXII,24ff.; V,441ab. - Zum Aufbau der drei Hierarchien vgl. die im Anhang beigefügten Schemata. 35 Vgl. II Sent, d.9 praenotata: Egreditur autem (angelica hierarchia) secundum rationem imaginis et similitudinis, sicut et homo. II,238a. 36 Hex. XXI,2: secundum rationem circumincessionis, quae notat identitatem cum distinctione. V,431b. - Zum Verständnis der circumincessio personarum s. u. S. 301 ff. 37 Hex. XXI,20; V,434b. - Auf eine Übersetzung der Engelsnamen ist hier bis auf die im Deutschen geläufigen Namen „Engel" und „Erzengel", die im folgenden für Archangeli und Angeli eintreten, verzichtet, weil die Eindeutschung der weniger geläufigen Engelsnamen nichts für das Verständnis austrägt. Der Übersetzer der Arbeit von Gilson, Alfred Schlüter, übersetzt (Gilson 295 f.): Throne, Cherubim, Seraphim; Herrschaften, Kräfte, Mächte; Fürstentümer, Erzengel, Engel. Vgl. auch Haubst, Art. Engel, 869. 38 Vgl. dazu Gilson 267ff.; Ratzinger, Geschichtstheologie 94; Guardini, Systembildende Elemente 178. - Die Einteilung der Engel bei Dionys s. De caelest. hierarchia cap. VI § 2; PG 3, 200-202. 39 Hex. XXII,2: Caelestis hierarchia est illustrativa militantis Ecclesiae V,438a vgl. Hex. XXI,16; V,434a.

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In dieser wiederum, der Hierarchie der Kirche40, sofern sie, den dreieinen Gott abbildend, von ihm ihr Licht empfängt wie der Mond von der Sonne 41 , stehen, vermittelt über die Hierarchie der Engel, nicht nur die Zeiten (Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer usw. bis hinein in die zeitgenössische Entwicklung der Kirche) und die Ämter der Kirche (Priester, Bischöfe, Patriarchen und Päpste usw.) im Entsprechungsbild des drei einen Gottes, sondern vor allem auch, und darauf kommt es hier an, die schon erwähnten kirchlichen Stände der Laien, Kleriker und Mönche. Von diesen heißt es: „Im Laienstand42 gibt es eine dreifache Ordnung: die heiligen Volkschaften, die heiligen Räte, die heiligen Fürsten...; die Völker entsprechen den Engeln 43 , 40 Ratzinger, Geschichtstheologie 49 bringt ebenfalls eine graphische Darstellung von Hex. XXII,2 ff. Sie unterscheidet sich von der hier vorgelegten nicht im Inhalt, wohl aber in der äußeren Gestalt und in der Auswertung. Bei Ratzinger sind aus dem Hierarchienschema der Kirche nicht, wie hier, Konsequenzen für Bonaventuras Gottesverständnis gezogen. 41 Hex. XXI, 1: Contemplatio consistit in luculenta consideratione caelestis monarchiae, in luculenta consideratione militantis Ecclesiae, in consideratione luculenta mentis humanae hierarchizatae sive hierarchice ordinatae. Prima intelligitur per solem, secunda per lunam, tertia per stellas. V,43 l a vgl. Hex. XXII,2; V,438a. - Es fällt auf, daß Bonaventura in der Exposition seiner Hierarchienlehre Hex. XXI, 1 auf die Hierarchien der Engel nicht Bezug nimmt, sondern lediglich Sonne, Mond, Sterne; Gott, Kirche, Seele erwähnt. Das bedeutet nicht, daß die Hierarchie der Engel ein funktionsloser Fremdkörper in dieser Hierarchienlehre wäre, sondern weist darauf hin, worum es in ihr entscheidend geht: um das unbedingte Voraus Gottes in seinem Verhältnis zu Kirche und Seele. Das wird im folgenden deutlicher werden. 42

Hex. XXII, 1 8 - 2 2 : In ordine laicorum est triplex ordo, scilicet sacrarum plebium, sacrorum consulum, sacrorum principum . . . Primus ordo, scilicet plebium, respondet Angelis; secundus, scilicet consulum, Archangelis; tertius, scilicet principum, Principatibus . . . Secundus ordo est clericalis, activus et contemplativus, qui et pascere debet et contemplari, ut sint medii inter Deum etplebem. . .Et hi sunttres ordines: ministerialis, sacerdotalis, pontificalis. . .Primus ordo, scilicet ministerialis, respondet Potestatibus; ordo sacerdotalis, in quo est efficacia Sacramenti, est ordo Virtutum; ordo pontificum respondet Dominationibus, quia habet iubere, in quo est efficacia et virtus. In ordine contemplantium sunt tres ordines respondentes supremae hierarchiae, quorum est divinis vacare. Intendunt autem divinis tripliciter: quidam per modum supplicatorium, quidam per modum speculatorium, quidam per modum sursumactivum. — Primo modo sunt illi qui se totos dedicant orationi et devotioni et divinae laudi, nisi aliquando, quando intendunt operi manuali seu labori ad sustentationem suam et aliorum . . . Huic respondent Throni. Secundus est, qui intendit per modum speculatorium vel speculativum, ut illi qui vacant speculation! Scripturae, quae non intelligitur nisi ab animis mundis. Non enim potes noscere verba Pauli, nisi habeas spiritum Pauli; et ideo necesse est, ut sis sequestratus in deserto cum Moyse et ascendas in montem. - Huic respondent Cherubim. Hi sunt Praedicatores et Minores. Alii principaliter intendunt speculationi, a quo etiam nomen acceperunt, et postea unctioni. — Alii principaliter unctioni et postea speculationi. Et utinam iste amor vel unctio non recedat a Cherubim. - Et addebat, quod beatus Franciscus dixerat, quod volebat, quod fratres sui studerent, dummodo facerent prius, quam docerent. Multa enim scire et nihil gustare quid valet? Tertius ordo est vacantium Deo secundum modum sursumactivum, scilicet ecstaticum seu excessivum. - Et dicebat: Quis enim iste est? Iste est ordo seraphicus. De isto videtur fuisse Franciscus. Et dicebat, quod etiam antequam haberet habitum, raptus fuit et inventus iuxta quandam sepem. - Hic enim est maxima difficultas, scilicet in sursumactione, quia totum corpus enervatur, et nisi esset aliqua consolatio Spiritus sancti, non sustineret. Et in his consummabitur Ecclesia. Quis autem ordo iste futurus sit, vel iam sit, non est facile scire. V,440f. 43 Diese bilden den Geist ab, da er in sich selber ist; Hex. XXI,20; V,434b.

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die Räte den Erzengeln 44 , die Fürsten den Principatus 4 5 ... Der zweite, der Klerikerstand, ist tätig und kontemplativ. Die Kleriker sollen weiden und beschauen, daß sie die Mitte seien zwischen Gott und dem V o l k . . . Unter ihnen gibt es eine dreifache Ordnung: die der Diener, der Priester, der Bischöfe... Die Ordnung der Diener entspricht den Potestates 46 ; die der Priester... den Virtutes 47 ; die der Bischöfe den Dominationes 48 . . . Im dritten Stand, dem der kontemplativen Ordensleute, stehen drei Orden in Entsprechung zur höchsten Hierarchie. Sie stehen dem Göttlichen offen, und das auf dreierlei Weise: nach Weise des demütigen Gebets, nach Weise der Spekulation, nach Weise der Ekstase. - Der erste Orden sind jene, die sich ganz dem Gebet, der Demut und dem Lob Gottes w i d m e n . . . Diesem Orden entsprechen die Throne 49 . Der zweite ist der Orden derer, die nach Weise der Spekulation dem Göttlichen nachgehen; sie öffnen sich der Betrachtung der Schrift, die nur reinen Herzens erkannt wird. Denn Du kannst nicht zur Erkenntnis der Worte des Paulus kommen, Du habest denn seinen Geist; und deshalb mußt Du mit Moses abgeschieden sein in der Wüste und den Berg besteigen. - Diesem Orden entsprechen die Cherubim 50 . Das sind die Prädikanten und Minoriten... Der dritte ist der Orden derer, die offen sind für Gott nach Weise der Aufwärtsbewegung, d. h. auf ekstatische oder excessive Weise. - Und er (sc. Bonaventura) sagte: Welcher ist dieser Orden? Es ist der seraphische Orden. Ihm habe allem Anschein nach Franziskus angehört. Und er sagte: Ehe der das Ordenskleid angelegt habe, sei er entrückt worden, und man habe ihn neben einem Zaun gefunden. - Hier nämlich liegt die größte Schwierigkeit, nämlich im ekstatischen Aufstieg; denn der ganze Körper verliert an Kraft; und wäre nicht die Tröstung des Heiligen Geistes, er ertrüge es nicht. Und in diesem Orden wird die Kirche vollendet werden. Welches aber dieser zukünftige Orden sei, oder ob er schon gegenwärtig sei, sei nicht leicht zu wissen." Betrachtet man aufmerksam das Schema der kirchlichen Hierarchie, so wird man rasch zweier ihm anhangender Eigentümlichkeiten gewahr. Deren erste ist die Einordnung der Prädikanten und Minoriten. Sie sind, als Mönchsorden der irdischen Entsprechung des Heiligen Geistes zugehörig, Bild des In-Seins des Vaters im Sohn. Das ergibt sich aus ihrer Korrespondenz zu den Cherubim in der himmlischen Hierarchie 51 . Im Bereich dieser Orden ist, wie wir gesehen haben, das Itinerarium beheimatet, und damit läßt sich Sie bilden den Geist ab im Sohn; ebd. Sie bilden den Geist ab im Vater; ebd. 4 6 Sie bilden den Sohn ab im Heiligen Geist; ebd. 4 7 Sie bilden den Sohn ab in sich selbst; ebd. 4 8 Sie bilden den Sohn im Vater a b ; ebd. 4 9 Sie bilden den Vater ab in sich; ebd. 5 0 Sie bilden den Vater ab im Sohn; ebd. 5 1 Es sind (damit es nicht zu einer Verwirrung komme) gemeint mit der hierarchia supercaelestis oder (gleichbedeutend) der monarchia caelestis: der dreieine Gott; mit der hierarchia caelestis: die Engel; mit der hierarchia terrestris oder subcaelestis: die Ecclesia militans und die anima hierarchizata; vgl. Brevil. Prol. § 3 ; V , 2 0 4 b . 44 45

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anhand der Ortsbestimmung des Itinerariums im Kontext des Hexaemerons eine erste Vermutung äußern: Die unter der Klammer von lectio und unctio begriffene Theologie des Aufstiegs ist in erster Linie auf das Verhältnis Gottes des Vaters zu Gott dem Sohn verwiesen 52 . Und dementsprechend hat Bonaventura im Prolog zum Itinerarium das zentrale Thema seiner Theologie an erster Stelle exponiert: „Im Anfang 53 rufe ich an den ersten Anfang . . ., den ewigen Vater durch seinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus." Dieser Prolog zeichnet sich dadurch aus, daß in ihm, wiewohl er eindeutig trinitarisch bezogen ist, expressis verbis auf den Heiligen Geist nicht Bezug genommen ist. Das ist insofern eigenartig, als Bonaventura an anderer Stelle, im Prolog zum Breviloquim, dem Gefalle nach nahezu gleichlautend den Heiligen Geist ausdrücklich erwähnt: „Demütigen Herzens 54 laßt uns vor den 52 Dies deutet den Sachverhalt an, der allgemein als die Christozentrik des späten Bonaventura bekannt ist; vgl. etwa Stoevesandt 2 f. Wichtig scheint mir daran die tendenzielle Präzisierung, die sich von hier aus in bezug auf die Christozentrik Bonaventuras andeutet: Unter dem irdischen Abbild der dritten innergöttlichen Person ist das In-Sein des Vaters im Sohn der Gegenstand der Aufstiegstheologie, und insofern verbirgt sich hinter der Christozentrik Bonaventuras wesentlich die Konzentration auf den trinitarischen Gott. 53 Itn. Prol. 1: In principio primum principium, a quo cunctae illuminationes descendunt tanquam a Patre luminum, a quo est omne datum optimum et omne donum perfectum (Jak. 1,17), Patrem scilicet aeternum, invoco per Filium eius, dominum nostrum Iesum Christum, ut intercessione sanctissimae Virginis Mariae, genitricis eiusdem Dei et domini nostri Iesu Christi, et beati Francisci, ducis et patris nostri, det illuminatos oculos mentis nostrae ad dirigendos pedes nostros in viam pacis illius, quae exsuperat omnem sensum; quam pacem evangelizavit et dedit dominus noster Iesus Christus; cuius praedicationis repetitor fuit pater noster Franciscus, in omni sua praedicatione pacem in principio et in fine annuntians, in omni salutatione pacem optans, in omni contemplatione ad ecstaticam pacem suspirans, tanquam civis illius Ierusalem, de qua dicit vir ille pacis, qui cum his qui oderunt pacem, erat pacificus: ,Rogate quae ad pacem sunt Ierusalem' (Ps. 121,6). V,295a. - Es liegt, da das Verhältnis von unctio und lectio im Entsprechungsbild der Cherubim steht, von Hex. XXII her gesehen eine innere Folgerichtigkeit in dem Umstand, daß das Itinerarium in der Ausdeutung der beiden den Gnadenstuhl bedeckenden und einander anblickenden Cherubim gipfelt; vgl. Itn. V. VI. - Hans Jorissen hat in seiner Rezension der von Wilhelm Nyssen 1964 vorgelegten Übersetzung der Collationes in Hexaemeron die Übersetzung von „principium" mit „Anfang" gerügt (Theologische Revue 65,1969,52—55; hier: 52). Kaup 157 erhebt in seinen Erläuterungen zum Itinerarium ebenfalls Einwände gegen diese Übersetzung. Selbstverständlich umfaßt „principium" mehr als bloß „Anfang". Jorissen möchte lieber „Prinzip" gesagt wissen; aber das wäre eher eine Verschlechterung als eine Verbesserung, denn den unverkennbar dynamischen und personalen Zügen, die „principium" bei Bonaventura trägt, würde die Übersetzung mit „Prinzip" noch weniger gerecht als „Anfang". „Anfang" kann immerhin noch im Sprachgebrauch Luthers als prädikative Selbstaussage Gottes benutzt werden (vgl. Luthers Übersetzung von Apk. 1,8), „Prinzip" dagegen kaum, und insofern scheint mir die Ubersetzung von „principium" mit „Anfang" immer noch angemessener als „Prinzip". Kaup umgeht die Schwierigkeit mit der Übersetzung: „ Z u Beginn rufe ich den Urgrund an." Diese im Deutschen möglicherweise elegantere Übersetzung verzeichnet die Sache: „in principio" ist für Bonaventura sicherlich mehr als bloß „zu Beginn" (s. u. S. 36). 54 Brevil. Prol. (initium): Cum mera fide ad Patrem luminum accedamus, flectendo genua cordis nostri, ut ipse per Filium suum in Spiritu sancto det nobis veram notitiam Iesu Christi et cum notitia amorem eius, ut sie ipsum cognoscentes et amantes, et tanquam in fide solidati et in caritate radicati, possimus . . . pervenire ad plenissimam notitiam et excessivam amorem beatissimae Trinitatis. V,202b. - Gerken 98 vermutet, daß Bonaventura sich hier (wie auch in Itn.

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Vater der Lichter treten, daß er selbst durch seinen Sohn im Heiligen Geist uns die wahre Erkenntnis Jesu Christi und darin die Liebe zu ihm gebe, damit wir, so ihn erkennend und liebend, gleichsam im Glauben gestärkt und in der Liebe verwurzelt... zur erfüllten Erkenntnis und entrückenden Liebe der seligsten Trinität gelangen können." Vergleicht man die Stelle aus dem Prolog zum Itinerarium mit der aus dem Prolog zum Breviloquium, so ergibt sich eine höchst bemerkenswerte Beobachtung: Itn.: Patrern aeternum invoco per Filium eius, ut intercessione Mariae et Francisci det illuminatos oculos BreviL: ad Patrem luminum accedamus, ut per Filium suum in Spiritu sancto det nobis notitiam Man sieht: Im Prolog zum Itinerarium ist der Hinweis auf die Fürsprache Mariens und Franzens genau an die Stelle getreten, an welcher im Prolog zum Breviloquium die Wendung „in Spiritu sancto" steht 55 ; dem Hinweis auf den Heiligen Geist korrespondiert der Hinweis auf das historische Feld der Kirche. Die zwischen den beiden Namen Maria und Franziskus zu ziehende historische Linie erscheint der Wendung „in Spiritu sancto" stellengleich und insofern als ihr angemessenes Interpretament; und das heißt: die Aufstiegstheologie, welche in den Orden der Prädikanten und Minoriten beheimatet ist, ist, sofern Prädikanten und Minoriten - ihrem Stande nach „productus tantum" — im Rahmen der kirchlichen Hierarchie dem In-Sein des Vaters im Sohn abbildlich korrespondieren, Aufstiegstheologie in der Erstreckung auf einen bestimmten historischen Rahmen. Damit gewinnt die Aufstiegstheologie eine spezifische geschichtliche Dimension: das Itinerarium mentis in Deum ist offenbar kein allen geschichtlichen Daten enthobenes Ereignis der einzelnen Seele, sondern der Aufstieg als Aufstieg der Seele verweist auf einen umgreifenden Zusammenhang, in welchem die Aufstiegstheologie und die kämpfende Kirche in bestimmter Weise zusammengehören 56 . An diese Beobachtung knüpft sich fugenlos die zweite Eigentümlichkeit, Prol. 1) mit der Formel „per Filium in Spiritu sancto" vom griechischen Verständnis der innergöttlichen Hervorgänge beeinflußt zeige. Die inhaltliche Analyse der göttlichen Emanationen (s. u. Kapitel III) spricht gegen diese Vermutung. 55 Der Hinweis auf den Heiligen Geist ist Itn. Prol. 1 freilich bereits in dem Schriftzitat Jak. 1,17 enthalten, denn der Geist ist sachlich gemeint mit dem „donum perfectum", vgl. Brevil. V,l; V,252a. Aber in der Gebetsformel selbst, in der mit Brevil. Prol. zu erwarten wäre „Patrem per Filium in Spiritu sancto invoco", sind statt seiner Maria und Franziskus genannt. 56 Ratzinger, Geschichtstheologie 94: „ . . . die Mystik wird hier vergeschichtlicht; die Mystik ist nicht zeitunabhängige Einzelbegnadigung, sondern bestimmt sich nach der geschichtlichen Entfaltung der göttlichen Offenbarung." 3

Fischer, De Deo trino

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die dem Schema der kirchlichen Hierarchie anhaftet: Während das In-Sein des Vaters in sich selbst in denjenigen Mönchsorden seine Abbildung findet, die durch das demütige Gebet (und notwendige Arbeit) charakterisiert sind; und das In-Sein des Vaters im Sohn sich in den durch die Aufstiegstheologie bestimmten Orden abbildet, harrt das Bild des In-Seins des Vaters im Heiligen Geist seiner zukünftigen Erfüllung. Von der dritten Entfaltung des ordo monasticus, von jenem seraphischen Orden, der sich Gott gänzlich in ekstatischer Weise öffnet, der ganz auf der Gabe des Heiligen Geistes beruht, welchem (wie man aber wohl noch nicht mit letzter Gewißheit sagen kann) Franziskus angehört hat, heißt es: er wird kommen (und sollte er schon da sein, so wird er jedenfalls erst noch offenbar werden), und sein Bestand wird die Vollendung der Kirche sein57. Mit dieser Einordnung und Einschätzung des ordo seraphicus ist die Abbildung des In-Seins des Vaters im Heiligen Geist in die Zukunft verwiesen, und das heißt: Das Verhältnis58 zwischen der ersten und der dritten innergöttlichen Person ist zumindest auf der Seite seiner irdischen Entsprechung nach vorn hin offen. Aber nicht nur das, sondern: Indem das In-Sein des Vaters im Heiligen Geist seiner abbildlich irdischen Entsprechung noch harrt, ist die gesamte Kirche, das irdische Abbild der himmlischen Monarchie, in die Zukunft verwiesen59. In eigenartiger Weise löst sich hier die Bildrede von Gott als der Sonne und der Kirche als dem Mond. Die Entsprechung zwischen beiden ist noch nicht vollständig hergestellt, die Kirche noch nicht vollständig Entsprechung der himmlischen Monarchie. Aus dem Verhältnis der innergöttlichen Personen heraus geht ihre Entwicklung in die Zukunft. Die kämpfende Kirche - dies ist die eine Seite des Sachverhalts - ist kein fertiges Statikum, das in letzter Ausgestaltung bereits in Entsprechung zu Gott stünde, innerhalb dessen nichts Neues mehr zu erwarten wäre, sondern die Kirche, und zwar ausdrücklich f l e x . X X I I , 2 2 ; V , 4 4 0 b f.; s. o. S. 30 Anm. 42. „Verhältnis" meint hier nicht „ R e l a t i o n " . Denn Bonaventura kennt mit dem lateinischen D o g m a keine gesonderte Relation zwischen Vater und Geist (darüber s. u. S. 2 9 9 f . ) ; sondern „Verhältnis" meint hier die circumincessive Identität der Personen unbeschadet ihrer Unterschiedenheit. 5 9 In Rep. Α fehlt der Hinweis auf den ordo futurus wie auch auf die Vollendung der Kirche durch ihn. Dadurch m a g es fraglich erscheinen, auf die Lesart von Rep. Β so weitreichende Folgerungen zu stützen. Rep. Α liest: Primus horum ordinum (sc. Cistercienses etc.) respondet Thronis, secundus (sc. Minores et Praedicatores) Cherubim, tertius Seraphim. Isti autem de tertio hoc ordine sunt prope Ierusalem nec habent nisi evolare; nec florebit iste ordo nisi prius Christus patiatur in suis. Delorme 2 5 6 . D a s „ f l o r e b i t " ist im gesamten Kontext dieses Zitats aus Rep. Α die einzige futurische Verbform. Sie deutet an, daß Bonaventura in seinem Vortrag an dieser Stelle von einer horizontal-futurischen Erstreckung gesprochen hat. Darauf k o m m t es an, und darüber besteht Einigkeit zwischen Rep. Α und Rep. B. - Ratzinger, Geschichtestheologie 9 hat das Verhältnis zwischen Rep. Α und Rep. Β treffend charakterisiert: Rep. Α (Delorme) „glätt e t . . . alle anstößigen Stellen, die in Richtung einer Parteinahme für Spiritualismus und Joachimismus gedeutet werden konnten, und so erscheint grundsätzlich die andere Rezension (sc. Rep. Β in Opera omnia) als die ,lectio difficilior'". - Zur Einschätzung von Rep. Α und Rep. Β vgl. auch Gerken 114 Anm. 6 2 ; Stoevesandt 19 Anm. 10. 57 58

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diese irdische Ecclesia militans, ist nach vorn hin offen. Sie hat ihr Bild, sich als Mond zur Sonne zu verhalten, überhaupt erst noch einzulösen. Das irdische Bild der circumincessio personarum, also jenes innergöttlichen Verhältnisses, in welchem die Personen der Trinität unbeschadet ihrer Unterschiedenheit in Einheit und Identität ineinander sind, wartet noch auf seine Vollendung. Dieser Sachverhalt hat freilich noch eine andere Seite. Wenn gilt, daß die Kirche in Entsprechung zur himmlischen Monarchie steht einerseits, anderseits diese Entsprechung noch nicht ihren Abschluß gefunden hat, jenes letzte Bildnis nämlich, in welchem das In-Sein des Vaters im Heiligen Geist seine irdische Korrespondenz findet, so ist das zumindest ein Zeichen dafür, daß der Grund der futurischen Offenheit von Kirche nicht in ihr selber, sondern in dem sie tragenden Grund zu suchen ist. Mit aller Vorsicht läßt sich deshalb hier bereits die Frage stellen, inwieweit die Offenheit der Kirche auf eine gewisse Offenheit in Gott selbst verweise. In dem künftigen Orden, von dem Bonaventura spricht und dessen prophetischer Künder Franziskus gewesen ist, wird das noch Ausstehende sich einlösen, aber wiederum als Entsprechung, als Bild. Auch der ordo futurus gründet nicht in sich selber. Seine Herstellung als Vervollkommnung der Entsprechung zwischen himmlischer Monarchie und Kirche ruht in dem Grund-Abbild-Verhältnis zwischen Gott und seiner Kirche. Damit ist in dieses Verhältnis selber eine eigentümliche Gespanntheit eingetragen: Sofern die Ecclesia militans sich zur himmlischen Monarchie als der Mond zur Sonne verhält oder auch als Entsprechung zu dem, welchem sie entspricht, ist die Kirche von dem, welchem sie entspricht und entsprechen soll, längst schon überholt. Die Unabgeschlossenheit der Kirche ist zunächst in der Tat die Unabgeschlossenheit der Kirche und nicht die Gottes. Aber gerade darin, daß ihr ihre Vollendung als Entsprechung der himmlischen Monarchie im ordo futurus noch bevorsteht, ist eine Aussage über das Verhältnis zwischen Gott und seiner irdischen Entsprechung enthalten, die nämlich, daß die Ecclesia von Gott, gerade indem Gott ihr Urgrund ist, auf diese ihre Unabgeschlossenheit verwiesen ist 60 . In dieser Verwiesenheit steht die Kirche und an ihrer Spitze 6 0 Z u m ordo futurus in Hex. X X I I , 2 3 vgl. Ratzinger, Geschichtstheologie 48 ff. Mir scheint, Ratzinger verkennt den Sinn der Hierarchienlehre, wenn er ebd. 52, auf die in Hex. X X I I , 2 1 ff. von Bonaventura angesprochene Differenz zwischen Minoritenorden und Franziskus verweisend, sagt: Es ist „gerade die historische Leistung Bonaventuras, den geschichtlichen Stundenschlag im Widerstreit von Schwarmgeisterei und Laxismus erkannt zu haben und sich ihm in demütiger Anerkenntnis der von der Wirklichkeit geforderten Grenzen gebeugt zu h a b e n " . Bonaventura beugt sich hier keiner wie auch immer vorgegebenen Weltwirklichkeit, sondern sagt im Hinweis auf den ordo futurus etwas aus über das Verhältnis Gottes zur Welt: daß nämlich Gott, da er sich heilige Bilder erschafft, dieselben auf ihre Unabgeschlossenheit verweist, damit sie mit ihm und in ihm zum Ziel gelangen. Insofern sagt Bonaventuras Stellung zum ordo futurus nichts aus über eine vorgegebene Wirklichkeit, der sich kraft ihrer selbst zu beugen wäre, sondern sagt etwas aus über Bonaventuras Verständnis vom Handeln Gottes, und darin indirekt etwas über die aufhebbare Vorläufigkeit von vorgegebener Wirklichkeit. - Gilson 101 ff. ver-



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die in ihr gründende Seele61. Das ganze Itinerarium mentis in Deum, das Buch vom Aufstieg der Seele in Gott hinein, ist nichts anderes als der vollständige Ausdruck dieses zwischen Gott, Kirche und Seele bestehenden Verhältnisses. Die ihm eigentümliche Verspannung von Unmittelbarkeit und Vermittlung, von Geschlossenheit und Offenheit hat Bonaventura in seinem Prolog so eindringlich wie sonst kaum formuliert. Wenn er nämlich dort anhebt mit der Wendung „in principio... invoco" 62 , so kann man getrost annehmen, daß hinter dieser Wendung mehr steht als nur die formale Ankündigung des Anfangs dieser Schrift. Es legt sich vielmehr nahe, hier die ganze inhaltliche Fülle beizuziehen, welche für Bonaventura dem Begriff principium innewohnt 63 : Da der Beter das primum principium in principio anruft, steht er bereits in Gott. Das Gebet tritt nicht von außen an Gott, an das primum principium heran, sondern unter der Klammer von Salbung und Lesung, von unctio und lectio, ist der Beter von Gott umgriffen und darin auf den Aufstieg verwiesen. Aber die den Beginn des Aufstiegs setzende Anrufung „in principio" enthält noch eine andere Seite: Niemand ist bereitet zur Beschauung Gottes, er sei denn mit Daniel ein Mann voll Verlangens 64 . Es scheint damit zu der Umgriffenheit des Beters vom „principium" noch ein zweites Moment, eine menschlicherseits zu erfüllende Bedingung hinzuzutreten: die Notwendigkeit der dispositio; und es stellt sich darum die Frage, wie das unbedingte, auf den Aufstieg verweisende Voraus Gottes mit der anscheinend menschlicherseits zu leistenden dispositio zum Aufstieg zusammenkommen könne. steht die ordo-futurus-Stelle eher als Verhältnisbestimmung zwischen spekulativer Wissenschaft und ekstatischer Mystik. Gilson 103: „Wie können aber die Spekulativen zu den Wonnen der Ekstatischen gelangen, wenn doch die Bußstrenge der Ekstatischen ihnen schon durch ihren Beruf als Spekulative versagt ist? Zur Lösung dieses Problems muß die Askese durch die Wissenschaft ersetzt werden." Das Gewicht, welches m. E. der futurischen Offenheit der Kirche, da sie den dreieinen Gott abbildet, zukommt, wird durch Gilsons Verständnis nicht unerheblich gemindert. Nicht eigentlich, wie mir scheint, von einem innerkirchlichen Problem, dem Problem des Verhältnisses von Askese und Wissenschaft, ist hier die Rede, sondern vom Problem des Verhältnisses Gottes zu seinen heiligen Bildern. 61 Hex. XXII,2: Restat ergo dicere de luna. Sicut enim anima contemplative est muher bona, amicta sole, ita luna est sub pedibus eius, non ad conculcandum, sed ad stabiliendum, scilicet militans Ecclesia. V,438a, vgl. Itn. IV,3: Supervestienda est igitur imago mentis nostrae tribus virtutibus theologicis, quibus anima purificatur, illuminatur et perficitur, et sic imago reformatur et conformis supernae Ierusalem efficitur et pars Ecclesiae militantis, quae est,proles, secundum Apostolum (Gal. 4,26), Ierusalem caelestis. V,306b. 62 S. o. S. 32 Anm. 53. 63 Brevil. 1,1; V,210a beginnt ebenfalls mit der Wendung „in principio", und im folgenden sind, nahezu alle Kapitel hindurch, die dogmatischen Begründungen für die getroffenen Lehrentscheidungen aus dem Begriff „principium" mit wechselnd hinzutretenden Attributen (sei's primum, sei's summum, sei's reparativum) entwickelt. 64 Itn. Prot. 3: Non enim dispositus est aliquo modo ad contemplationes divinas, quae ad mentales dueunt excessus, nisi cum Daniele (Dan. 9,23) sit vir desideriorum. V,296a vgl. Hex. XX, 1; V,425a.

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Im Grunde genommen ergibt sich hier, auf der Ebene des Prologs zum Itinerarium, dasselbe Bild, das der erste Überblick über die Hierarchienschemata von Hex. XXI f. vermittelt hat: Der Geschlossenheit der Hierarchie der Engel, welche die circumincessive Trinität vollständig abbildet, steht gegenüber die Offenheit der kirchlichen Hierarchie, der im ordo futurus ihre Vollendung in futurischer Dimension noch bevorsteht. Was freilich dort, in Hex. XXIf., im Gegenüber zweier hierarchischer Ebenen erscheint, ist hier zusammengezogen auf die Person des Beters. In ihm findet das Verhältnis von Geschlossenheit und Offenheit des hierarchischen Bildes einen Ort. Ist diese Beobachtung richtig, so bedeutet das: es muß mit dem Hierarchiengedanken selber eine solche Bewandtnis haben, daß Gott selbst, da er diese seine hierarchischen Entsprechungen hat, sein Verhältnis zur Seele zur Verspannung von Geschlossenheit und Offenheit bestimmt. Wir gehen deshalb noch einmal auf die Hierarchienschemata zurück und fragen nach dem Sinn der Hierarchien. Bonaventura äußert sich dazu folgendermaßen: „Nach 6 5 Dionys 66 wird Hierarchie so definiert: ,Die Hierarchie ist eine göttliche Ordnung, ein Wissen und eine Tätigkeit, soweit als möglich dem Gottförmigen angeähnelt; und zu den ihr göttlich eingepflanzten Erleuchtungen steigt sie in entsprechenden Schritten auf zum Bilde Gottes."' Sie ist eine göttliche Ordnung, die, nach Fähigkeit (potestas), Wissen (scientia) und Tätigkeit (actio) bestimmt, sich als Aufstieg zum Zuge bringt. Ascendere, also die Bewegung auf die Ebenbildlichkeit Gottes hin, ist das prägende Moment dieses ordo divinus; „aufsteigen" aber, sofern die Anähnelung· der göttlich gestifteten Ordnung, also der Hierarchie, an das Gottförmige (deiforme) bereits vollzogen ist. Die eigentümliche Spannung von Abgeschlossenheit und Unabgeschlossenheit, von Fertigkeit und Bewegung charakterisiert damit auch den Hierarchienbegriff Bonaventuras: „Daher 67 meint Hierarchie die Fähigkeit, das Wissen, die 65 Hex. XXI, 17: Unde definitur hierarchia secundum Dionysium: ,Estautemhierarchiaordo divinus, scientia et actio ad deiforme, quantum possibile est, assimilata, et ad inditas ei divinitus illuminationes proportionaliter in Dei similitudinem ascendens.' Ordo potestatis respondet Patri, scientia sacra Filio, operatio Spiritui sancto. Unde hierarchia dicit potentiam, scientiam, actionem. V,434a. 66 De caelest. hierarchia cap. III § 1; PG 3,163. 67 Hex. ebd.: Unde hierarchia dicit potentiam, scientiam, actionem . . . Ex hoc enim, quod appropinquat soli aeterno, oportet, quod sit sacra ordinatio; et per hoc sequitur, quod sit deiformis, quia format earn seu creaturam partim per naturam, partim per gratiam, partim per gloriam: perimaginem, per simulitudinem, per deiformitatem. Et ideoascendit ad inditas ei illuminationes, ascendens per influentiam. V,434a. - Rep. Α weicht vom Wortlaut des in dieser und in Anm. 65 zitierten Abschnitts nicht unerheblich ab: Nota definitionem, quam ponit Dionysios, in libro De angelica hierarchia. Nam tres ibi ponit definitiones, quarum una est:,Hierarchia est ordo divinus, scientia et actio, deiforme quantum possibile est assimilans et ad inditas ei divinitus illuminationes proportionaliter in Dei similitudinem ascendens.' Delorme 241. Die entscheidende Abweichung dieser Lesart liegt in dem Partizip „assimilans". An seiner Stelle liest Rep. Β „assimilata". Für die Lesart von Rep. Α spricht, daß sie der dionysischen Definition eher dekkungsgleich ist, und so ist sie auch von Bonaventura in II Sent d.9 praenotata; II,237b formuliert. Ihre Erläuterung dort deckt sich nahezu wörtlich mit der Erläuterung, die Rep. Α im An-

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Tätigkeit... Und darin, daß sie sich der ewigen Sonne nähert, ist sie notwendig eine heilige Ordnung. Und daraus folgt: sie ist gottförmig, weil sie die Kreatur formt teils durch Natur, teils durch Gnade, teils durch Glorie: durch Abbildlichkeit, Gnadenbildlichkeit, durch Gottförmigkeit. Und deshalb heißt es bei Dionys: ,Sie steigt auf zu den ihr eingegebenen Erleuchtungen', steigt auf durch Influenz." Durch alle Schwierigkeiten dieses Abschnitts hindurch wird eines deutlich: Die Hierarchie ist keine ein für allemal festgelegte geschlossene Ordnung, sondern Ordnung als Ordnung des Aufstiegs. Als Aufstiegsordnung ist sie deiformis, gottförmig, und darin forma creaturae. In ihr erhält die Kreatur die für ihr Verhältnis zur trinitarischen Hierarchie prägende Bestimmtheit als Kreatur per naturam, per gratiam, per gloriam, und insofern ist die Hierarchie ihrem Begriff nach nicht ein Seinsmoment von eigener ontologischer Qualität, sondern verdankt sich einem von Gott ausgehenden Einfluß auf die Kreatur, unter welchem die Kreatur den Aufstieg unternimmt. Damit ist der ordo divinus, die Hierarchie im Sinne des Dionys seines seinsmäßigen Selbststandes entkleidet. Indem das unter den Begriff der Hierarchie Gefaßte sich der Kreatur über göttliche Influenz vermittelt, sagen die Entsprechungen, die zwischen Gott als dem Urbild und den Hierarchien als seinen heiligen Abbildern herrschen, in erster Linie etwas aus über die Beschaffenheit des göttlichen Einflusses auf die Schöpfung: Der Aufstieg der Kreatur erscheint als die Weltseite des göttlichen Einflusses auf Welt 6 8 . Indem der Aufstieg „per influentiam" geschieht als Aufstieg zu den ihr, der Hierarchie bzw. dem unter ihr Begriffenen, eingegebenen Erleuchtungen, ist der Aufstieg selber ein wesenhaftes Moment oder überhaupt das wesenhafte Moment des göttlichen Einflusses auf Kreatur. Die Hierarchie, die göttliche Ordnung, die Influenz ist der Aufstieg der Kreatur selber. Diesen Sachverhalt bekräftigt die weitere Ausführung im Hexaemeron: „Diese Influenz 69 ist nicht einfachhin etwas Ungeschaffenes; und es folgt schluß an die von ihr wiedergegebene Formulierung liefert, so daß, da Bonaventura zwar häufig dasselbe, nie aber oder nur höchst selten dasselbe im Selbstzitat sagt, die Vermutung nicht auszuschließen ist, Rep. Α habe hier weniger den Vortrag Bonaventuras referiert als vielmehr direkt auf II Sent, d.9 praenotata zurückgegriffen (vgl. Delorme 241 Anm. 2). Für diese Vermutung und für die Richtigkeit der Lesart von Rep. Β spricht schließlich der Umstand, daß auch in Rep. Α das Verb „assimilare" nach Ende des Zitats aus II Sent, in seiner passivischen Perfektform gebraucht wird: Ex quo ergo hierarchia angelica est assimilata et reducta . . . (Delorme 241), und so mit dem Befund von Rep. Β zusammenkommt. 6 8 Darum ist es, auf Bonaventura gesehen, jedenfalls problematisch, wenn Seckler 117 angesichts einer ähnlichen Überlegung bei Thomas sagt: „Der .Abstieg' ist für das Geschaffene gegenüber dem Schöpfer eine ontologische Notwendigkeit." Von Bonaventura her wäre vielmehr zu sagen: Für das Geschaffene, das ausgeht vom Schöpfer, ist der Aufstieg ontologische Notwendigkeit. 6 9 Hex. XXI,18: Haec autem influentia non est simpliciter quid increatum; nec ex hoc sequitur, quod influentiae sit influentia, quia haec influentia reducit in Deum; dicit enim continuationem cum primo principio et reductionem in ipsum, non sicut res distans. V,434a. Nyssen 667 übersetzt: „Er (sc. Dionys) nennt es (sc. Influenz) den stetigen Zusammenhang mit dem ersten Anfang und die Rückführung in ihn, nicht wie etwas Entferntes." Diese Übersetzung unterstellt

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daraus auch nicht, daß sie ihrerseits ein Weiteres influiere 70 ; denn diese Influenz führt zurück in Gott hinein; sie benennt nämlich den Zusammenhang mit dem ersten Prinzip und die Rückführung in dieses selbe erste Prinzip." Bonaventura fügt hinzu: non sicut res distans. Diese Anfügung ist einigermaßen problematisch. Dem Satzzusammenhang nach ist sie auf das Subjekt von dicit: „sie, die Influenz, benennt" zu beziehen, so daß sich als Sinn ergibt: Indem die Influenz den Zusammenhang der Schöpfung mit dem ersten Anfang angibt und die Rückführung in ihn, steht sie zu der Beziehung von continuatio und reductio, von Zusammenhang und Rückführung nicht im Verhältnis eines hinzutretenden Dritten, also nicht im Verhältnis einer res distans, sondern die göttliche Influenz, dank welcher die Hierarchie Hierarchie im Aufstieg ist, ist das Verhältnis von continuatio und reductio selber. Und „daher 71 ist wahr diejenige Influenz, welche ausgeht und zurückkehrt, wie der Sohn ausgegangen ist vom Vater und zurückkehrt in ihn". Mit dieser letzten Feststellung ist über den Sinn der Hierarchienlehre einige Klarheit gewonnen. Indem die Hierarchien in Entsprechung zu Gott stehen, sind sie ein Bild der Trinität. Dieses Bild der Trinität ist die Hierarchie als sacra ordinatio, als heilige Ordnung. Die heilige Ordnung empfängt ihr wesentlich prägendes Merkmal darin, daß sie sich im Aufstieg befindet. Im Aufstieg befindlich ist sie deiformis, gottförmig, und darin die Seinsbestimmtheit der Schöpfung (format creaturam), so daß der Aufstieg selber als das Wesen der Schöpfung zutage tritt. Aufstieg, also diese Seinsbestimmtheit, also Hierarchie ist die sacra ordinatio durch göttliche Influenz, so daß Hierarchie letztlich den Einfluß Gottes auf die Schöpfung selber meint. Der von Gott ausgehende Einfluß auf die Kreatur, unter welchem sie aufsteigt, erweist die Kreatur als im Aufstieg befindliche, als Hierarchie. Damit ist Hierarchie ausgewiesen nicht als statische Seinsverfaßtheit, sondern als Bewegung auf Gott hin. Da sie in Gottes Influenz gründet, gilt ihre Abgeschlossenheit: hierarchia als Subjekt von „dicit" Dionys, während im Satzzusammenhang das „dicit" die Erläuterung zu „influentia" einleitet, also im Sinne von „ansagen", „benennen" gebraucht ist. Zudem erscheint in Nyssens Übersetzung die Wendung „nicht wie etwas Entferntes" als Objekt zu dicit, während im Text (Rep. B) „res distans", also Nominativ, steht. Folglich ist res distans prädikativ auf das Subjekt von dicit zu beziehen, ist also Erläuterung zu influentia. 7 0 Die eigenartige Wendung: non est influentiae influentia, zielt auf die Unmittelbarkeit des göttlichen Influenzverhältnisses zu Welt. Die Influenz, durch welche Hierarchie aufsteigt, läßt als Influenz nicht ein Zweites zurück, welches seinerseits zum Aufstieg einer ersten Influenz bedürfte, sondern die Influenz, durch die Hierarchie aufsteigt, ist umfassendem^ Influenz, die alles in die Aufstiegsbewegung einbezieht. Es gibt also nicht ein Influierbares, dem als ein Zweites Influenz hinzuträte (sowenig es ein mobile gibt, dem Gott als ein Zweites den motus hinzuerschafft, oder einen motus, der als ein Zweites ein mobile hervorbringt; sondern, da Gott das mobile erschafft, erschafft er es in motu und ist selbst sein motor; II Sent, d.l p.l a.l q.2 ad.2; II,23a). Gott, da er sich heilige Bilder erschafft, subsumiert sie vollständig seiner einen Influenz; vgl. den Hinweis der Hrsg. auf IlSent. d.l p.l a.3 q.2 ad 5; II,35a in V,434 Anm. 3. 7 1 Hex. X X I , 1 8 : Unde vera est influentia, quae egreditur et regreditur, ut Filius exivit a Patre et revertitur in ipsum (vgl. Joh. 16,28). V,434a. - Eindeutig ist der Wortlaut in Rep. A: Haecest vera influentia, scilicet a Deo egredi et ad Deum reduci, ut a Patre exivit Filius et redivit ad Pattern. Delorme 241.

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assimilata; da sie Bewegung der Kreatur auf G o t t hin ist, gilt ihre Unabgeschlossenheit: der Aufstieg findet präsentisch statt (hierarchia ascendens). Hierarchie und Influenz sind also zwei verschiedene Begriffe, welche einen Sachverhalt bezeichnen: das Verhältnis Gottes zu seiner Kreatur. V o n hier aus erhält der Begriff der Influenz seine Bestimmung. Er bezeichnet das Verhältnis des Z u s a m m e n h a n g s 7 2 des Geschaffenen mit Gott und der Rückführung des Geschaffenen in Gott hinein non sicut res distans. Dieses Verhältnis selber ist der Einstrom Gottes. Jenseits seiner, so kann gefolgert werden, ist weder von hierarchia noch von influentia zu reden 7 3 . Aus diesen Überlegungen (ihre Richtigkeit vorausgesetzt) ergibt sich eine überraschende Einsicht: Indem die Hierarchie in ihren Ordnungen der hierarchia supercaelestis abbildlich entspricht 7 4 , ist die Entsprechung zum trinitarischen Urbild eine Bewegung, die Bewegung des Aufstiegs 7 5 . Diese Bewegung wiederum fußt im göttlichen Einfluß. Der Einfluß ist das Verhältnis von continuatio (bzw. egressus) und reductio. Durch dieses Verhältnis (per influentiam) ist die Hierarchie aufsteigende Hierarchie, so daß die abbildende hierarchische Entsprechung zur Trinität, der Aufstieg, auf diesem Verhältnis von continuatio und reductio beruht. Darin also, daß Kreatur Kreatur ist in continuatio und reductio, steht das Geschaffene in Entsprechung zu Gott. Damit ist das Problem gestellt: Indem das hierarchische Abbild Gottes sich 7 2 Der Begriff continuatio steht nur in Rep. B. In Rep. Α steht an seiner Stelle egressus. Gemeint ist in beiden dasselbe: die continuatio ist nichts anderes als das desursum esse (Rep. A ebd.) bzw. der Ausgang des Kreatürlichen von Gott. 7 3 Diese Auslegung wird bekräftigt im Blick auf II Sent, d.9 praenotata. Bonaventura bringt dort drei den Schriften des Dionys entnommene Definitionen von Hierarchie: Prima haec est: .Hierarchia est divina pulcritudo ut simpla, ut optima, ut consummata vel consummativa.' Secunda est haec:,Hierarchia est ordo divinus, scientia et actio, deiforme quantum possibile similans, et ad inditas ei divinitus illuminationes proportionaliter in Dei similitudinem ascendens.' Tertia est haec: .Hierarchia est ad Deum, quantum possibile est, similitudo et unitas, ipsum habens scientiae sanctae et actionis ducem, et ad suum divinissimum decorem immutabiliter definiens; quantum vero possibile est, reformat suos laudatores.' II,237bf. Die erste Definition bezieht Bonaventura auf die hierarchiae increata, die beiden folgenden auf die hierarchia creatae; und von diesen wiederum betrachtet er die erste unter Hinsicht des Ausgangs von Gott (penes egressum) und die zweite unter Hinsicht der Heimkehr (penes regressum), licet utrobique tangatur utrumque. Ebd.; II,238a. In Hex. XXI,17 hat Bonaventura von der zweiten Definition, von der Hierarchie penes egressum, den Ausgang genommen und dahinein die dritte Definition (penes regressum) verarbeitet, wobei an die Stelle der reformatio laudatorum in der dritten Definition die formatio creaturae (format earn seu creaturam; Hex. ebd.) getreten ist. Die beiden Definitionen der geschaffenen Hierarchie von II Sent, d.9 reflektieren also das Verhältnis von Ausgang und Heimgang, und genau an diese Stelle tritt in Hex. X X I das Verhältnis von influentia und hierarchia, von continuatio und reductio. 7 4 Hex. XXII,2: Oportet ergo, quod Ecclesia militans habeat ordines correspondentes hierarchiae illustranti. V,438a und ebd. XXII,24: Necesse est enim, ut anima, quae est hierarchizata, habeat gradus correspondentes supernae Ierusalem. V,441a. 7 5 Vgl. II Sent, d.9 praenotata: Tangitur ipsa assimilatio (sc. ad deiforme) quantum ad habitum, cum dicitur: Deiforme, in quantum possibile etc., et quantum ad actum, cum subinfertur: Et ad inditas ei illuminationes etc. Similitudinis enim sive gratiae assimilantis actus est sursum ducere, sicut eius origo est desursum descendere. 11,23 8 a.

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bei näherem Hinsehen als die Bewegung des Aufstiegs erweist, welche in dem Verhältnis von continuatio und reductio gründet, scheint dieses Verhältnis auf eine in Gott selber liegende Bewegung zu verweisen, und wiederum auf welche Bewegung, darauf deutet Bonaventuras Analogieschluß in Hex. XXI,18: „Daher 76 ist wahr diejenige Influenz, welche ausgeht und zurückkehrt, wie der Sohn ausgegangen ist vom Vater und zurückkehrt in ihn." Das ist der entscheidende Punkt: Die hierarchischen Entsprechungen der Trinität sind nicht auf Gottes Für-sich-Sein bezogen, also nicht abbildliche Entsprechungen eines in Abgeschlossenheit ruhenden Gottes, sondern sie stehen in Korrespondenz zu Ausgang und Heimgang des Sohnes77. Nicht Gott schlechthin wird abgebildet, sondern Gott als der Inkarnierte und Auferstandene. Um diesem Sachverhalt nähertreten zu können, müssen wir noch bei der bisher vernachlässigenden dritten abbildlichen Entsprechung der hierarchia supercaelaestis, der anima hierarchizata verweilen. Bonaventura spricht von ihr unter drei Hinsichten, in welchen sie zum Bild Jerusalems, d. h. der trinitarischen Hierarchie bereitet wird: unter Hinsicht des Aufstiegs, des Abstiegs und der Rückkehr in Gott 78 . Betrachtet man diese Einteilung im Verhältnis zu der Thematik des Itinerariums, so lassen sich folgende Eingrenzungen treffen: Die in Hex. XXII,24ff. genannten Hinsichten „ascensio" und „descensio" enthalten nicht die Thematik des Itinerariums, welches sein Thema so benennt: „Damit wir 79 zur Betrachtung des ersten Anfanges gelangen, welcher gänzlich geistig und ewig und über uns ist, ist es nötig, daß wir hindurchgehen durch seine Spur, durch das Körperliche und Zeitliche, durch das, was sich außerhalb unserer selbst befindet. Und darin werden wir auf den Weg Gottes geführt. Und es ist nötig, daß wir eintreten in uns selbst, uns konzentrieren auf das ewigwährende Bild Gottes, welches geistig ist und in uns selbst. Und darin treten wir ein in die Wahrheit Gottes. Und es ist nötig, daß wir hinüberschreiten hin auf das Ewige, das ist gänzlich von Geist und 76 Hex. XXI,18: Unde vera estinfluentia, quae egreditur et regreditur, ut Filius exivit a Patre et revertitur in ipsum. V,434a. 77 Hier unterscheidet sich Bonaventura charakteristisch von Dionys. Diesem ist die Hierarchie wesentlich Abbild der jenseitigen Schönheit Gottes (vgl. De caelest. hierarchia cap. III § 2; PG 3,166). So klingt es auch noch bei Bonaventura an (II Sent, d.9 praenotata, vgl. Anm. 73). Anstelle dieser Bestimmung erscheint in Hex. XXI,18; V,434a der Hinweis auf Ausgang und Heimgang des Sohnes. Damit ist die divina pulcritudo wesentlich präzisiert. 78 Hex. XXII,24: Grandis res est anima: in anima potest describi totus orbis. ,Pulcra' dicitur ,sicut Ierusalem' (Cant. 6,3), quia assimilatur Ierusalem per dispositionem graduum hierarchicorum. Disponuntur autem in anima tripliciter: secundum ascensum, secundum descensum et secundum regressum in divina. V,441a. 79 Itn. 1,2: Ad hoc, quod perveniamus ad primum principium considerandum, quod est spiritualissimum et aeternum et supra nos, oportet nos transire per vestigium, quod est corporale et temporale et extra nos, et hoc est deduci in via Dei; oportet, nos intrare ad mentem nostram, quae est imago Dei aeviterna, spiritualis et intra nos, et hoc est ingredi in veritate Dei; oportet, nos transcendere ad aeternum, spiritualissimum, et supra nos, aspiciendo ad primum principium, et hoc est laetari in Dei notitia et reverentia maiestatis. V,297a.

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über uns. Und darin stehen wir im Augenblick des ersten Anfangs und freuen uns in der Erkenntnis Gottes und in der Ehrfurcht vor seiner Majestät." In diesen Sätzen ist die Grundlage des Itinerariums entwickelt. Extra, intra und supra nos bilden die Blickpunkte, welche das Aufstiegsfeld abstekken. Und genau dieses Feld bildet in Hex. XXII den Inhalt der Betrachtung der Seele hinsichtlich ihrer Heimkehr zu Gott: „Die dritte Weise 80 , Unterscheidungen in der Seele zu treffen, ist die, welche unter Hinsicht ihrer Rückkehr zu Gott geschieht. Dabei muß man nach dem dreifachen Grad der Beschauung unterscheiden. Gregor nennt in seiner Auslegung zu Hesekiel die drei Schritte: Entweder ist das, was wir betrachten, außer uns (extra nos), oder in uns (intra nos) oder über uns (supra nos)." Damit ist die Bedeutung des Itinerariums präzisiert: Es ist, eingefaßt in die Ecclesia militans und beheimatet im Minoritenorden, die Entfaltung der Heimkehr der Seele zu Gott. Der Ort, den Bonaventura der Thematik des Itinerariums im Hexaemeron gibt, darf dabei nicht außer Betracht bleiben. Als Entfaltung der Heimkehr der Seele zu Gott setzt es nicht nur die beiden erstgenannten Hinsichten der anima hierarchizata, nämlich secundum ascensum et descensum voraus, sondern ist im Gesamt der hierarchischen Entsprechungen zur Trinität, d. h. in dem, was in der Influenz Gottes auf seine Kreatur gründet, lediglich ein Moment im Ganzen. Freilich nicht ein beliebiges Moment: Indem das Itinerarium (über das Begriffspaar von lectio und unctio) angesiedelt ist nach außen hin an der Stelle, an welcher die Ecclesia militans ihr Bildsein in futurischer Dimension einzulösen hat, und angesiedelt ist nach innen als Heimkehr der Seele in Gott hinein, hängt das Bildsein nicht nur der Ecclesia militans, sondern auch und vor allem das der anima hierarchizata am Vollzug dieses Pilgerweges der Seele in Gott hinein. Im Aufstieg der Seele fällt so die Entscheidung über den Entsprechungscharakter der irdischen Hierarchie 81 . Damit ist einiges über die Bedeutung des Aufstiegsgedankens heraus: Indem die Hierarchie ihrem Begriff nach durch göttlichen Einfluß Hierarchie im Aufstieg ist, hängt das Bildsein der Kreatur wesentlich an der göttlichen Influenz. Diese wiederum, da sie inhaltlich bestimmt ist 8 0 Hex. X X I I , 3 4 : Tertio m o d o modus distinguendi in anima secundum regressum est secunsum triplicem gradum contemplationis. Gregorius super Ezechielem ponit tres gradus: aut enim quod venit in considerationem nostram est extra nos, aut intra nos, aut supra nos. V , 4 4 2 b . Vgl. Gregorius, In Hiezech. II, Homilia V , 8 . 9 ; C C S L 1 4 2 , 2 8 1 f.; vgl. auch Brevil. 11,12; V , 2 3 0 b , wo die Herkunft des Schemas von extra, intra und supra auf H u g o v. S. Victor (I D e Sacramentis p. X cap. II; PL 176, 3 2 9 f . ) zurückgeführt ist. 8 1 Ähnlich betrachtet Lazzarini 4 6 7 f . diesen Sachverhalt: „ D i e Asketen und die Mystiker werden so die Mittler und gleichsam die Instrumente jenes Endzustandes, in dem man den Triumph Gottes feiert." Die deutsche Fassung dieses Zitats ist Stoevesandt 67 entnommen, der ebd. diese These allerdings energisch bestreitet. Nach Stoevesandt entbehrt der mystische Aufstieg einer horizontalen Erstreckung (s. o. S. 12 Anm. 25). - Der Umstand, daß sich das Begriffspaar lectio-unctio im Hierarchienschema der Ecclesia militans, das Aufstiegsfeld von extra, intra und supra nos aber sich in der Erörterung der anima hierarchizata findet, während wiederum beides im Itinerarium engstens zusammengehört, scheint mir ein gewichtiges Argument für Lazzarini (und Ratzinger) und gegen Stoevesandt zu sein. Vgl. u. S. 4 5 Anm. 97.

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durch das Verhältnis von continuatio und reductio, verweist darauf, daß das Abgebildete, die himmlische Monarchie, welches durch Influenz die Hierarchie sich zum bewegten Bild bestimmt, selber wesentlich durch Bewegung gekennzeichnet ist: durch Ausgang und Heimgang des Sohnes. Ist aber nun die Hierarchie wesentlich Hierarchie im Aufstieg, und findet dieser Sachverhalt seine aktuellste Spitze in der Betrachtung der anima hierarchizata, so muß die nächste Frage heißen: Wohin steigt die Seele auf, da sie heimgeht zu Gott, und auf welchem Wege kehrt sie heim? Befragt man die Hierarchienschemata von Hex. XXI f. dazu, so ergibt sich folgendes: Im Bereich der Ecclesia militans hat der Weg der Seele zu Gott seinen Ort in den beschauenden Orden der Prädikanten und Minoriten und dabei wiederum eher bei den letzteren, bei denen die Prävalenz der unctio gilt. An gleicher Stelle 82 steht in der Analyse der anima hierarchizata das Umschauen (circumspicere), diejenige höhere Kraft der Seele, mit welcher sie auf das himmlische Jerusalem schaut. Bonaventura nennt diesen Vorgang digna inspectio, würdiges Prüfen, und sancta perceptio, heiliges Begreifen, und siedelt ihn an in der Mitte zwischen digna admissio, würdigem Zutritt, und digna inductio, würdigem Eintritt 83 . Damit ist gesagt, was begriffen und woraufhin begriffen wird: auf die Einführung in Gott hinein. „Dann wird die Seele 84 in Gott hineingerissen als in ihren Geliebten... Schon spürt sie die Einung; sie ist geworden ein Geist mit Gott; daher heißt es 1. Kor. 6,17: ,Wer Gott anhangt, ist ein Geist mit ihm'; und dies ist das Höchste in der Seele, weil darin die Seele im Himmel ist." Das Ziel des Aufstiegs ist also die mystische Einung der Seele mit Gott 8 5 , und dieses Ziel, die unio, findet seine Entsprechung im Engelsorden der Seraphim, die ihrerseits, das In-Sein des Vaters im Heiligen Geist abbildend, die Liebe und Heiligkeit Gottes und darin ineins das Wissen darstellen (scienta), welches der Hierarchie der Throne, Cherubim und Seraphim entspricht, und zwar das Wissen, soweit es aufwärtsführend und heimbringend ist 86 . Vgl. das Hierarchienschema der Kirche mit dem der anima hierarchizata. Hex. X X I I , 3 9 : Sequitur, q u o m o d o anima hierarchizatur quantum ad virtutes superiores. Q u a n d o enim anima facit quod potest, tunc gratia facile levat animam et Deus ibi operatur, ut sit digna semper admissio, digna inspectio, digna inductio. - Digna admissio divinorum respondet T h r o n i s . . . - Et post, quando elevatur, non debet esse otiosa et debet circumspicere . . . - Post sequitur divina inductio; quando facta est digna admissio et sancta perceptio, tunc rapitur in Deum sive in dilectum. V , 4 4 3 a b . — In zweifacher Weise ist hier wieder der Prolog zum Itinerarium präsent. Z u m ersten ist das Verhältnis von digna admissio (pone ante D e u m preces; H e x . ebd.) und digna inspectio in nichts von der in Itn. Prol. 3 ; V , 2 9 6 a genannten Verspannung von lectio und unctio, speculatio und devotio etc. geschieden; und zum andern ist mit dem meritum de congruo (Hex. ebd.) auch die dispositio von Itn. Prol. 3 ; V , 2 9 6 a angesprochen. 82 83

8 4 H e x . X X I I , 3 9 : tunc rapitur in Deum sive in dilectum . . . iam sensit unionem et factus est unus spiritus cum D e o ; unde: , Q u i adhaeret Deo unus spiritus est' (1. Kor. 6,17); et hoc estsupremum in anima, quod animam facit esse in caelo. V , 4 4 3 b . 8 5 Itn. Prol 1; V , 2 9 5 a erscheint anstelle des Begriffs unio die pax. Sachlich ist je dasselbe gemeint. 86 Hex. XXI,28; V,435b.

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Und so entsprechen die Seraphim der himmlischen Monarchie in Hinsicht der Einung mit ihr 87 . Und nun entsprechen im Bereich der Ecclesia militans den Seraphim: hinsichtlich der Zeiten der Kirche die Zeit der Apostel 88 ; hinsichtlich der Rangordnungen der Kirche die Patriarchen des Ostens und der Papst 89 ; hinsichtlich der Stände der Kirche der ordo seraphicus, jener zukünftige Orden also, in welchem die Kirche ihre Vollendung finden wird 90 . Auf seiten der anima hierarchizata stehen in ihrer Betrachtung nach dem Aufstieg unter dem Bild der Seraphim die unio (ultra quam non procedit mens) 91 ; in ihrer Betrachtung nach dem Ausgang die vivacitas desiderii, das brennende Verlangen 92 ; und in ihrer Betrachtung nach dem Heimgang die divina inductio 93 , also jener letzte raptus in Deum. Die Auffälligkeit dieser Entsprechungen liegt darin, daß die noch ausstehende consummatio Ecclesiae der unio animae et Dei stellengleich ist. Zwischen beiden besteht ein Entsprechungszusammenhang, und das heißt: Die Einung der Seele mit Gott unter Hinsicht ihrer Heimkehr verhält sich als vollendend zum Gesamt der Kirche. Es geht also, wenn es im Itinerarium 94 um den mystischen Aufstieg der Einzelseele geht, in diesem Aufstieg um die Vollendung der gesamten Kirche in futurischer Erstreckung. Die zeitliche Dimension hat hier ein erhebliches Gewicht. Die Unabgeschlossenheit, welche die Hierarchie der Ecclesia militans nach vorn hin öffnet, erscheint so als die Unabgeschlossenheit der tempora. Damit gewinnt der Begriff der Heimkehr eine heilsgeschichtliche Dimension, eine Dimension, die, sofern die hierarchische Bewegung in der göttlichen Influenz gründet, im Zusammenhang mit der göttlichen Influenz selber steht: im Zusammenhang mit dem Verhältnis von continuatio und reductio 95 . Hex. XXI,31; V,436a. Hex. XXII,6; V,438b. 89 Hex. XXII, 15; V,440a. 90 Hex. XXII,22; V,440b f. 9 1 Hex. XXII,27; V,441b. 9 2 Hex. XXII,29; V,442a. 93 Hex. XXII,39; V,443b. 94 Es geht im Itinerarium, wie wir gesehen haben, nicht um den Sachverhalt, der in Hex. XXII in der Betrachtung secunsum ascensum erscheint, und auch nicht um die Betrachtung secundum descensum, sondern eindeutig um das Aufstiegsfeld, in welchem die Seele secundum regressum betrachtet wird. Das hat für diese Überlegung besonderes Gewicht. 95 Hier ist wieder das Problem der Geschichtstheologie Bonaventuras berührt. Ratzingers These, derzufolge der Ausgang der Schöpfung immer schon Heimgang in geschichtlicher Dimension ist, und also das genannte Schema als heilsgeschichtliches Schema zu betrachten sei, hat ihre Kritiker gefunden (vgl. dazu die Einleitung). Von den angesichts der Hierarchienschemata im Hexaemeron sich ergebenden Überlegungen her wäre Ratzinger insoweit zuzustimmen, als dem sog. Egreß-Regreß-Schema gewiß eine geschichtliche Dimension innewohnt. Das heißt nicht, daß es selber ein heilsgeschichtliches Schema sei und nicht mehr als das; das heißt aber auch nicht, daß es ein heilsgeschichtliches Schema (wie Mercker 140 meint) nicht sei; sondern das heißt, daß Gott, da er seine heiligen Bilder zum Aufstieg bestimmt, seine Schöpfung auf die Zeit verweist. 87

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Die Verknüpfung der futurischen Dimension der Kirche mit der Aufstiegsbewegung der Seele spricht Bonaventura in der Betrachtung der anima hierarchizata deutlich aus: „Die Seele 96 hat zwölf Gegenstände gleichsam als zwölf Lichter, um welche sie sich gewissermaßen als in einem Kreise ständig b e w e g t . . . Und die Betrachtung dieser Gegenstände schmückt die Seele, und daher sind sie wie eine Krone aus zwölf Sternen, die sind: die Betrachtung der körperlichen Naturen, der geistigen Substanzen, der verstandesgemäßen Wissenschaften, der Gemütskräfte, der göttlich verordneten Gesetze, der göttlich eingegossenen Gnaden, der untadeligen Gerichte, der unfaßbaren Barmherzigkeiten, der vergeltbaren Verdienste, der belohnenden Gaben, der zeitlichen Abläufe, der ewigen Gründe." In dieser Aufzählung kommt es auf die beiden letztgenannten Gegenstände der Betrachtung an, in welchen sich offenbar alles Vorgenannte zusammenfaßt: Am Ende der Erörterung der anima hierarchizata erscheint das Verhältnis der Zeitläufte zu den ewigen Gründen. „Und weil wir in diesem Leben nicht in Einem stehen können", sagt Bonaventura zu Beginn dieser Aufzählung. Das meint: Unbeschadet der Tendenz der Seele auf die Einung mit Gott, oder besser: gerade angesichts der Heimkehr der Seele zu Gott sind diese Gegenstände der Betrachtung, gipfelnd im Verhältnis von temporalia und aeterna, diejenigen, gegenüber welchen und in welchen die Seele ihren Aufstieg vollzieht 97 . Mit diesen Überlegungen sei die Frage der Ortsbestimmung des Itinerariums vorläufig abgeschlossen. Der Gegenstand des Itinerariums, der Aufstiegstheologie, ist der Regressus nicht als isoliert mystischer Sprung der Seele, sondern als Heimweg der Seele, welche, eingefaßt in die Ecclesia militans, im Aufstieg diese vollendet und zur vollständigen Entsprechung der himmlischen Monarchie überhaupt erst macht. Einbegriffen in die Zeiten, Ränge und Stände der Kirche, führt die Heimkehr der Seele zu Gott die Kirche ihrer 9 6 Hex. X X I I , 4 0 : Et quia in hac vita non possumus stare in uno, ideo anima habet duodecim materias sicut duodecim lumina, circa quae semper moveatur in quodam circulo, sicut sol percurrit duodecim constellationes, scilicet per duodecim signa, et nunquam exit. Haec autem considerationes ornant animam, et ideo sunt sicut corona ex duodecim stellis, quae sunt: consideratio corporalium naturarum, spiritualium substantiarum, intellectualium scientiarum, affectualium virtutum, institutarum divinitus legum, infusarum divinitus gratiarum, irreprehensibilium iudi riorum, incomprehensibilium misericordiarum, remunerabilium meritorum, praemiantium praemiorum, temporalium decursuum, aeternalium rationum. V,443b. 9 7 Vgl. dazu die aufschlußreiche Parallelstelle in De plant. Par, an welcher deckungsgleich bis auf die letzten zwei Glieder dieselbe Aufzählung erscheint. W o Hex. X X I I , 4 0 an 11. und 12. Stelle die temporalia und aeterna nennt, heißt es in De plant. Par 6: undecima (Stella est consideratio) militantium ordinum; duoderima, triumphantium exercituum, tarn Angelorum quam hominum beatorum. Und anstelle der Wendung „quia in hac vita non possumus stare in uno" in Hex. X X I I , 4 0 steht dort (De plant. Par 5): quamdiu tarnen (mens) carni corruptibili iungitur, ratione scilicet alternantium affectionum atque phantasmatum, temporalibus transmutationibus omnino carere non potest. V,576a. Die Verwiesenheit der Seele auf die Gegenstände ihrer Betrachtung entspringt damit ihrem Stand in der Zeit derart, daß die Zeitläufte, oder, wie De plant. Par ebd. sagt, die Entwicklung der Ordensstände auf ihren Triumph in Gott hin zum unabdingbaren Moment des Aufstiegs werden.

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noch ausstehenden Vollendung entgegen. Die Zeiten der Kirche und die Aufstiegsbewegung sind auf diese Weise engstens miteinander verflochten. Aus dieser Sicht der Dinge klärt sich nunmehr auch die Frage, die sich angesichts des Prologs zum Itinerarium gestellt hat: Wie kommen der Stand in principio und die zu erfüllende Voraussetzung, nämlich ein Mann voll Verlangens zu sein 98 , zusammen? Die Antwort liegt unter dem Bild der Seraphim. Entsprechend den drei Hinsichten der anima hierarchizata von Hex. XXII,24 ist die vivacitas desiderii, das brennende Verlangen, eingefaßt zwischen unio und unio, zwischen der Entsprechung der Seraphim unter Hinsicht des ascensus und der Entsprechung der Seraphim unter Hinsicht des regressus. Aufschlußreich ist hier, daß beides, unio sowohl als desiderium, auf den ordo der Seraphim bezogen ist. Das heißt: Die Einigung der Seele mit Gott und das brennende Verlangen sind nicht zwei Momente verschiedener, je gegensätzlich bestimmter Qualität, wie sich nahelegte, wollte man in einem gewissermaßen semipelagianischen Sinne das esse vir desideriorum als eine Gott gegenüber menschlicherseits zu erfüllende Bedingung betrachten". Sondern: Indem sowohl die vivacitas desiderii als auch die inductio in divina ihre Entsprechung in den Seraphim finden, verhalten sie sich als zwei Aspekte ein und desselben Sachverhalts. Indem Bonaventura im Prolog zum Itinerarium einsetzt mit den Worten: in pricipio primum principium invoco, und anderseits als zweites das esse vir desideriorum nennt, spricht er keine hinzuzufügende Bedingung an, sondern führt aus, was unter dem principium, in welchem stehend der Beter das Gebet spricht, zu verstehen ist: der Seraph bzw. das circumincessive InSein des Vaters im Heiligen Geist. „Der transitus 100 in Gott, soll er vollkommen sein, erfordert, daß wir alle intellektuellen Übungen hinter uns lassen und die Spitze unseres Gemüts ganz hinübergetragen und umgestaltet werde in Gott hinein. Das ist ein mystischer und höchst geheimnisvoller Vorgang, den niemand kennt, der nicht empfängt, und niemand empfängt, der nicht brennend danach verlangt, und niemand verlangt danach, es sei denn, das Feuer des Heiligen Geistes entflammt ihn bis ins Herz. Den Geist aber hat Christus zur Erde gesandt." Es gilt also auch von Seiten des Aufstiegsverlangens das unbedingte Voraus Gottes, nun freilich nicht des ewigen Vaters, den der Beter anruft, sondern des Geistes, mit welchem begabt der Beter Gott anruft, so daß, wie im Bild der anima hierarchizata die Lebendigkeit des Verlangens (vivacitas desiderii) umschlossen ist von unio und unio, die Seele im Itinerarium umschlossen ist von Gott dem Vater und Gott dem Geist. Wir stehen hier vor dem eigenartigen Umstand, daß „im Anfang" des ItineraS. o. S. 36 Anm. 64. In diesem Sinne scheinen Gilson 94 und Kaup 28 diese Wendung zu verstehen. 1 0 0 Itn. VII,4: In hoc autem transitu, si sit perfectus, oportet quod relinquantur omnes intellectuales operationes, et apex affectus totus transferatur in Deum. Hoc autem est mysticum et secretissimum, quod memo novit ,nisi qui accipit' (Apk. 2,17), nec accipit nisi qui desiderat, nec desiderat nisi quem ignis Spiritus sancti medullitus inflammat, quem Christus misit in terram. V,312b. 98

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riums die Aufstiegsstrecke, welche die Seele zurücklegt, eigentlich längst aufgehoben ist, wie sich besonders am Beispiel des Franziskus zeigt. Bonaventura bezieht sich auf ihn mit folgenden Worten: „Unser Vater Franziskus 101 war der Nachfolger der Predigt Jesu Christi. In jeder seiner Predigten verkündigte er den Frieden im Anfang und im Ende (in principio et in fine), in jedem Gruß wünschte er den Frieden, in jeder Beschauung ersehnte er den entrückenden Frieden, gleichsam als ein Bürger jenes Jerusalem, von dem jener Mann des Friedens spricht, der ,in Frieden stand mit denen, welche den Frieden haßten'." Für die Person des Franziskus scheint hier die Aufstiegsbewegung aufgehoben. Nun unterscheidet sich allerdings die Predigt des Franziskus von der Bonaventuras in einem wesentlichen Punkt: Franziskus verkündigte den Frieden „in principio et in fine". Sicherlich bezieht sich diese Bemerkung Bonaventuras zunächst auf den stereotypen Eingang und Ende der Predigt des historischen Franziskus. Dahinter aber dürfte für Bonaventura wiederum das ganze Gewicht stehen, welches sich bei ihm mit den Begriffen Anfang und Ende, principium und finis, verbindet. Die Verkündigung des Friedens „in fine" steht im Prolog des Itinerariums jedenfalls noch aus 102 . Um sie geht es: um den Schritt vom Stand in principio zum Stand in fine. In diesem Schritt, dem Schritt der Seele in Gott hinein, vollendet sich die Kirche zum hierarchischen Entsprechungsbild der Trinität. Ihn gilt es zu vollziehen, Franziskus hat ihn vollzogen, wie Hex. XXII,22 ausweist. Man könnte fragen, warum das nicht genug sein kann. Warum genügt nicht die Vollendung des Schrittweges durch die eine Seele des Franziskus, um das Bild der Ecclesia in seiner Vollständigkeit herzustellen? Die Antwort erbringt ein neuerlicher Blick auf die Hierarchienschemata von Hex. XXI f.: Es ist der hierarchischen Entsprechung Gottes nicht genüge getan damit, daß diese oder jene Seele den Aufstieg vollzieht. Die Mystik Bonaventuras isoliert nicht die einzelne Existenz von den weiteren Inhalten der heiligen Bilder Gottes. Damit, daß ein Mann, Franziskus, offenbar (videtur) jenem ordo futurus, dem ordo seraphicus, angehört hat, ist die Existenz dieses Ordens noch längst nicht verbindlich deutlich geworden. Es geht um mehr als um die einzelne Seele. Laien, Kleriker und die beschauenden Mönchsorden stellen in ihrer Gesamtheit das Bild von Geist, Sohn und Vater dar. Unter den Laien wiederum stehen die „plebes", die christlichen Volkschaften, in Korrespondenz zum Orden der Engel, der Angeli, welche dem In-Sein des Geistes in sich selber entsprechen. Damit stehen die plebes, das Schema im Anhang macht es anschaulich, mit den unteren Rängen des Klerikerstandes und schließlich mit jenem vollendenden ordo seraphicus, welcher die Vollendung der Kirche als hierarchischer Entsprechung sein wird, in einer aufsteigenden Reihe. Es kommt hier nicht so sehr darauf an, diese EntspreItn. Prol. 1; V,295a; s. o. S. 3 2 Anm. 53. Bonaventura unterstreicht damit den Unterschied zwischen der Aufstiegsbewegung des Itinerariums, welche im Minoritenorden beheimatet ist, und der Predigt des Franziskus, der „dem seraphischen Orden allem Anschein nach angehört". Vgl. o. S. 3 5 Anm. 60. 101

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chungen im einzelnen auszudeuten103; entscheidend in diesen Zuordnungen ist vielmehr, daß die Vollendung der Ecclesia Relevanz beansprucht für die Gesamtheit all dessen, was unter ihr begriffen ist, auch für die plebes. Es geht damit in der Bewegung des Aufstiegs nicht um einzelnes, sondern um alles, um das ganze irdische Entsprechungsbild der himmlischen Monarchie. Und so ist nun eine erste Antwort auf die Frage erreicht, woraufhin der Aufstieg der Seele zu erfolgen habe. Es geht um den Schritt von der „sancta perceptio" zur „divina inductio", um den Schritt vom „ordo speculativus" zum „ordo sursumactivus", um die Vollendung der ihrer Vollendung harrenden irdischen Kirche. Und es geht damit letztendlich um die Vollendung der Totalität der kreatürlichen Bilder Gottes 104 . Ist aber nun das Feld des Aufstiegs abgesteckt und sein Ziel vorläufig umrissen, so bleibt zu fragen: Da der Aufstiegsbewegung ein solches Gewicht zukommt - was wird eigentlich begriffen in der sancta perceptio, und wie vollzieht sich dieses Begreifen?

b) Der Seraph alatus ad instar Crucifixi - der Hinweis auf Ziel und Weg der Aufstiegstheologie Bonaventura berichtet: „Als ich 1 0 5 nach dem Vorbild des seligsten Vaters Franziskus brennenden Geistes um jenen Frieden bat, ich, der ich ein Sünder 1 0 3 Aus diesen Einordnungen heraus wird ein Verständnis problematisch, welches in der Lehre Bonaventuras die Domestizierung des seinem Ansatz nach tendenziell Sozialrevolutionären Joachimismus erblickt. Töpfer 149 versteht Bonaventura in diesem Sinne: „Bei ihm (sc. Bonaventura) sind zwar deutlich gewisse Nachwirkungen joachimitischer Anschauungen festzustellen, aber zugleich bietet er geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie man eine die bestehende Ordnung gefährdende Lehre, ohne sie völlig zu verneinen, doch jeder bedrohlichen Tendenz berauben kann." Es kann in dieser Untersuchung Bonaventuras Verhältnis zu Joachim und zur joachitischen Bewegung nicht bearbeitet werden, und es kann auch nicht geklärt werden, ob und in welcher Weise Bonaventuras Anschauungen in der kirchen- und sozialpolitischen Entwicklung des Mittelalters in Töpfers Sinne integrierend gewirkt haben. Tatsächlich aber ist mit der Einordnung der plebes und des Papsttums in eine aufsteigende Reihe mit dem ordo futurus ein Kirchenbewußtsein angedeutet, welches sich zum kirchlichen Selbstbewußtsein seiner Zeit durchaus distanziert verhalten dürfte. — Anders und eher in Töpfers Sinne bewertet Ratzinger, Bettelordensstreit, bes. 716f. Bonaventuras Position zum Papsttum. - Z u Joachim vgl. Herbert Grundmann, Studien über Joachim von Fiore; Darmstadt 1966 (unveränderter Nachdruck der 1. Ausgabe Leipzig und Berlin 1927). Zur Beeinflussung des Franziskanertums durch joachitisches Gedankengut vgl. Ernst Benz, Ecclesia Spiritualis, Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation; Darmstadt 1969 (Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1934), dort bes. 175 ff. 104 Vgl. Hex. 111,24: visio sextuplex, quae respondet operibus sex dierum; quibus minor mundus fit perfectus, sicut maior mundus sex diebus. V,347a vgl. auch Itn. 1,5; V,297b. 1 0 5 Itn. Prol. 2: Cum igitur exemplo beatissimi patris Francisci hanc pacem anhelo spiritu quaererem, ego peccator, qui loco ipsius patris beatissimi post eius transitum septimus in generali fratrum ministerio per omnia indignus succedo; contigit, ut nutu divino circa Beati ipsius transitum, anno trigesimo tertio ad montem Alvernae tanquam ad locum quietum amore quaerendi pacem spiritus declinarem, ibique existens, dum mente tractarem aliquas mentales ascen-

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b i n . . . , da geschah es, daß ich auf göttlichen Wink hin im 33. Jahr nach dem Hinscheiden des Seligen auf dem Alvernaberg, welcher ein Ort der Ruhe ist, mich neigte im Gebet. Denn voller Liebe bat ich um den Frieden des Geistes. Und da ich mich dort befand und nachsann über allerlei geistige Aufstiege zu Gott, da trat mir nebst anderem jenes Wunder vor die Seele, welches an diesem Ort dem seligen Franziskus widerfahren ist: Es trat mir vor die Seele die Vision des nach dem Bilde des Gekreuzigten geflügelten Seraphen. Angesichts seiner sah ich mit einem Mal, daß jene Vision aufzeigte die Erhebung des Vaters Franziskus in der Beschauung sowohl als den Weg, auf welchem man zu ihr gelangt." Der Gegenstand der aufsteigenden Erkenntnis ist benannt: der Gekreuzigte im Bild des geflügelten Seraphen. Seine Betrachtung tritt zwischen das Gebet „in principio" und den Schritt in den erfüllenden Frieden. Im Blick auf ihn zeigen sich Ziel und Weg des Aufstiegs. Damit ist gegenüber dem, was sich aus dem Hierarchiebegriff anhand Hex. X X I , 1 7 f . ergeben hat, eine neue Einsicht gewonnen: War dort die göttliche Influenz als Verhältnis von conti nuatio und reductio, in welcher die hierarchische Bewegung fußt, in Analogie zu Ausgang und Heimgang des Sohnes begriffen 106 , so zeigt sich hier dies Analogieverhältnis in inhaltlicher Vermittlung; die Aufstiegsbewegung gründet nicht mehr bloß in der der Geschichte des Gottessohnes analog begriffenen Influenz, sondern der Gekreuzigte selber erscheint als das Ziel und der Weg, auf welchem dahin zu gelangen ist, so daß nunmehr an der Stelle, an der Bonaventura in Hex. XII,17 von der hierarchia ascendens per influentiam spricht, von dem Seraph alatus ad instar Crucifixi zu sprechen ist, durch den sich der Aufstieg vollzieht. Die Analogie zwischen der Influenz und der Geschichte Jesu Christi ist damit aller Zufälligkeit enthoben. Die Influenz verhält sich zu Ausgang und Heimgang des Sohnes als der geflügelte Seraph zum gekreuzigten Christus, und entsprechend dieser inneren Präzisierung erscheint in Itn. Prol 2 anstelle von pax (Prol. 1) bzw. unio oder divina inductio (Hex. X X I I , 3 9 ) ein neuer Begriff: die suspensio 107 , das Aufgehangen-Werden des Beters mit dem Gekreuzigten. Bonaventura beruft sich hier auf Paulus: „Mit Christus bin ich ans Kreuz gehangen, und lebe ich, so doch nicht ich; denn es lebt in mir Christus." 1 0 8 Und entsprechend dann in Hex. X X I I , 2 1 : „Du kannst die Worte des Paulus nicht verstehen, Du habest denn seinen Geist." 1 0 9 siones in Deum, inter alia occurit illud miraculum, quod in praedicto loco contigit ipsi beato Francisco, de visione scilicet Seraph alati ad instar Crucifixi. In cuius consideratione statim visum est mihi, quod visio ilia praetenderet ipsius patris suspensionem in contemplando et viam, per quam pervenitur ad eam. V , 2 9 5 b . - Das 3 3 . Jahr nach dem Tode des Franziskus ( 1 2 2 6 ) ist das Jahr 1 2 5 9 . 106

H e x . X X I , 1 8 ; V , 4 3 4 a ; s. o. S. 4 1 Anm. 7 6 .

In Itn. IV,4 spricht Bonaventura von suspensiones excessuum, (per quas) efficitur spiritus noster hierarchicus, scilicet purgatus, illuminatus et perfectus. V , 3 0 7 a . 107

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Itn. Prol. 3 zit. Gal. 2 , 1 9 f . ; V , 2 9 5 b . Hex. X X I I . 2 1 ; V,440b.

Fischer, De Deo trino

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Aber es geht, wie sich gezeigt hat, nicht nur um den Aufstieg des einzelnen Beters; es geht um die Gesamtheit all dessen, was irdische Entsprechung Gottes ist. Es geht um die Vollendung der ganzen Kirche in dem genannten ordo futurus seraphicus, und darum hat auch der Begriff der suspensio einen weitergespannten Bezugsrahmen als nur den individuellen Aufstieg: „Auf das Wort 1 1 0 ist die Kirche gegründet. Im Schöpfungsbericht ist sie figürlich bezeichnet mit dem Wort Erde (terra). Daher sagt Jesaja: ,Wer hat mit der Faust die Wasser gemessen und mit der flachen Hand die Himmel gewogen? Wer trägt mit drei Fingern das Gewicht der Erde?' Das tut das Wort, durch welches ,alles gemacht ist'. Seine Hand, welche alles erschafft und formt und schmückt, diese Hand nimmt die Erde, d. h. die kirchliche Hierarchie, die sie schafft und formt und schmückt, in die Höhe (levat) und hängt sie a u f . . . Es ist die Hand des ewigen Wortes." In die hier genannte suspensio ist der Aufstieg des Beters einzuordnen; das ist der Zusammenhang, in dem er steht. Die Erde, und was sie figuriert: die Kirche in ihrer Gesamtheit ist in der Bewegung auf die suspensio, die divina inductio, die unio mit Gott begriffen. Der Aufstieg der einzelnen Seele bedeutet deshalb noch keineswegs die Vollendung. Er ist eher als ein prophetisches Moment der Gesamtheit der Erde, d. h. der Kirche gegenüber zu betrachten 1 1 1 : Um deren Heimgang geht es. Wenn aber der Aufstieg des einzelnen Beters gleichsam nur ein aufgipfelndes Moment im Heimgang der gesamten Erde ist, welche in der Kirche und ihrer hierarchischen Bewegung zur Wahrheit kommt 1 1 2 , so liegt auf der Hand, daß die Zeiten der Erde, d. h. die Zeiten 1 1 0 Hex. I X , 3 : Super hoc Verbum fundata est Ecclesia, quae terrae nomine figuratur. Unde Isaias (40,12): ,Quis mensus est pugillo aquas et caelos palmo ponderavit? Quis appendit tribus digitis molem terrae?' Hoc facit Verbum, per quod facta sunt omnia. Manus eius, per quam cuncta creantur, formantur seu distinguuntur et omantur, tribus digitis levat et suspendit terrain, scilicet ecclesiasticam hierarchiam, quam creat, distinguit et ornat. Haec manus metitur aquas et omnia tenet in manu, sicut in pugillo res tenetur. Haec est manus Verbi aeterni. V,373a. 1 1 1 Vgl. Hex. 111,30: Ille, inquam, qui ad ilium statum (sc. raptum) pervenit, potest alios ordinäre et regere, ut Paulus fecit, et Dionysius, qui ordinavit Ecclesiam secundum exemplar, quod sibi monstrabatur. V , 3 4 8 a . 1 1 2 Diese Formulierung verdankt sich dem Umstand, daß in Hex. I X , 3 die Erde als figura der Kirche erscheint. Damit ist das Problem der Figuren bei Bonaventura angedeutet, dem eine eigene Untersuchung angemessen wäre. Erich Auerbach hat diesem Problem, freilich nicht in bezug auf Bonaventura, einen wichtigen Aufsatz gewidmet, der das figurale Denken von der Antike bis ins Mittelalter hinein verfolgt. Er kommt darin (80 f.) zu der auch für Bonaventura zutreffenden Feststellung: In der Figuraldeutung weisen Figur und Erfüllung „aufeinander, und beide weisen auf etwas Zukünftiges, welches erst noch bevorsteht und welches erst das Eigendiche . . . und endgültig Geschehene sein wird . . . So bleibt das Geschehen in all seiner sinnlichen Kraft doch immer Gleichnis, verhüllt und deutungsbedürftig, wenn auch die allgemeine Richtung der Deutung durch den Glauben gegeben ist. Auf diese Weise gelangt das jeweilige Weltgeschehen nicht zu der praktischen Endgültigkeit, welche sowohl der naiven wie der modern-wissenschaftlichen Auffassung von der vollzogenen Tatsache innewohnt". Figur und Erfüllung, figura et veritas, verharren nicht in einfacher Bipolarität, sondern die Erfüllung oder Wahrheit der Figur verweist ihrerseits ebenfalls immer schon nach vorn, und insofern enthält auch die Erfüllung eine geschichtliche Dimension. - Zur theologischen Wertung des Figuralverständnisses vgl. auch Gründer, besonders 134 ff. Zu figura bei Bonaventura Rauch 199 ff.

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der Kirche, zum wesentlichen Gegenstand der Aufstiegstheologie werden müssen. Ihr Ziel und Weg zeigen sich in dem nach dem Bilde des Gekreuzigten geflügelten Seraphen. Bonaventuras Aufstiegstheologie und seine Geschichtstheologie stehen aus dieser Sicht der Dinge in einem festgeschlossenen Zusammenhang. Der Gang der Überlegung drängt hier aber auf eine andere Frage als auf die nach der Geschichtstheologie Bonaventuras. Indem nach Itn. Prol. 2 der nach dem Bilde des Gekreuzigten geflügelte Seraph als Ziel sowohl wie als Weg des Aufstiegs erscheint, ist der Seraph Bild (instar) des Crucifixus selber. Nach Hex. XXI,20 wiederum entspricht der himmlische ordo der Seraphim dem innertrinitarischen In-Sein des Vaters im Heiligen Geist. Der Orden der Seraphim bildet jene innergöttliche Beziehung in vollständiger Entsprechung ab. Hier indes, in Itn. Prol. 2, ist der geflügelte Seraph Bild des gekreuzigten Gottessohnes. Damit figuriert der Seraph zwei Verhältnisse: zum ersten das InSein der ersten in der dritten Person der Trinität; zum andern das Verhältnis der gottmenschlichen Einung im gekreuzigten Christus. Es lohnt, auf diese doppelte Entsprechung hinzuweisen 113 : Der Christus Crucifixus, der ans Kreuz geschlagene Sohn Gottes, der ins Leiden sich entäußernde Gottessohn steht im Blick auf diese Entsprechungsverhältnisse in nahtlos dichter Beziehung zum innergöttlichen In-Sein der ersten in der dritten Person der Trinität. In dieses Verhältnis scheint der Gekreuzigte eingegründet, so daß, im Blick auf die hierarchischen Entsprechungsverhältnisse zumindest, der Kreuzweg des Gottessohnes in den innergöttlichen Beziehungen zu gründen 113 Methodisch ist das legitim, sofern Bonaventura in der Beziehung seiner Entsprechungsbilder kaum Zufälligkeit unterstellt werden darf. Mit welcher Sorgfalt er diese Bilder zu bestimmen suchte, zeigen verschiedene Bemerkungen in Hex. XXI. So etwa XXI,32: Et dixit, quod non bene posuerat in alio loco Potestates aut Virtutes, nec bene tunc viderat - nämlich in II Sent, d.9 praenotata; II,240b, wo die Potestates vor den Virtutes rangieren (der Wechsel verdankt sich offenbar einer Unstimmigkeit in der Tradition; vgl. Guardini, Systembildende Elemente 181); und XXI,30: Unde de Seraph misso ad Iesaiam movet quaestionem Dionysius et non solvit eam; magis tarnen videtur sentire, quod fuit Angelus alius, accipiens inflammationem ab Angelo illius oridinis, et sie denominabatur ab illo. V,436a. — Diese solutio des Dionys übernimmt Bonaventura nicht (die Stelle bei Dionys vgl. De caelest. hierarchia cap. XIII § 2; PG 3,299. Dionys bietet dort - ebd. § 3 - noch eine zweite Lösung, die hier nicht weiter von Belang ist). - Worum es bei dieser Frage geht, zeigt II Sent, d.10 a . l q.2, welche lautet: Utrum omnium Angelorum sit mitti. Bonaventuras conclusio: Exteriore missione inferiores tantum Angeli ad nos mittuntur, sed interiore missione superiores ad inferiores mittuntur, et quidem propter nos. Und ebd. i.e.: Distingui enim oportet in missione. Est enim missio exterior, quae est ad nos; et est missio interior, quae est ad Angelos, sed propter nos. Si de missione exteriori loquemur; sie non competit omnibus Angelis . . . Si autem intelligamus de missione interiori, quae est ad Angelos propter nos; sie mitti competit omnibus. II,262ab. Der springende Punkt an dieser Unterscheidung liegt darin, daß für Bonaventura die Frage nach dem „ad nos" der gesandten Engel relativ unerheblich erscheint gegenüber dem „propter nos" der Sendung. Es kommt ihm also weniger darauf an zu sagen, welcher Engel zu wem geht, als vielmehr darauf, welcher Sachverhalt um weswillen zur Rede steht. Darin ist der Seraph gesandt um unseretwillen; der in ihm figurierte Sachverhalt ist ein Sachverhalt propter nos, und darum ist der Seraph die angemessene Zuordnung. - Dazu auch die Diskussion über die Zuordnung des Engels Gabriel Hex. XXI,20; V,434b.

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scheint. Indem der Engelsorden der Seraphim der innergöttlichen Beziehung von Vater und Geist entspricht, und der Seraph alatus den Crucifixus abbildet, deutet sich der Crucifixus als das Wesen dieser innertrinitarischen Beziehung an. Damit erscheint, jedenfalls von diesem Bild her gesehen, die innertrinitarische Beziehung der göttlichen Personen vermittels der Seraphim nicht als Verhältnis einer bloß immanenten Trinitas von Vater, Sohn und Geist, sondern in diesem Entsprechungsbild bricht die innere Trinität gleichsam nach außen auf, und als innergöttliche Beziehung der drei Personen der Trinität erscheint die Beziehung von Vater — Crucifixus — Heiliger Geist. Damit impliziert das innergöttliche Verhältnis - immer im Blick auf sein Entsprechungsbild in den Seraphim - ein außergöttliches Verhältnis, das Verhältnis Gottes zur Welt im Kreuz. Der Beter, der nach dem Frieden Gottes fragt, hat es darum wesentlich mit dem Gekreuzigten zu tun, und im Gebet ist er in der Frage nach Gott auf Gottes Weltverhältnis in seiner offenbarten Bestimmtheit im gekreuzigten Gottessohn verwiesen: auf Jesus Christus, der als die Aufstiegsleiter 114 heimführt hin zu Gott und in Gott hinein. Das ist der Inhalt der Erkenntnis, die Bonaventura auf dem Alvernaberg widerfuhr, und nachdem sie heraus ist, wiederholt Bonaventura seine Gebetsworte von Itn. Prol. 1 in Itn. Prol. 4 in charakteristisch anderer Weise. Hieß es zunächst: „Im Anfang 1 1 5 rufe ich a n . . . den ewigen Vater durch seinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus", so ist nach Zwischenschaltung des Wunders von Itn. Prol. 2 in Itn. Prol. 4 das „per Filium eius", der Hinweis auf die zweite Person der Trinität, deutlich anders akzentuiert: „So lade ich 1 1 6 denn zuerst den Leser ein, aus ganzem Herzen Gott im Gebet anzurufen durch den gekreuzigten Christus, durch dessen Blut wir reingewaschen werden von den Malen der Sünde." Die Anrufung per Filium ist nunmehr die per Christum crucifixum. Worauf das doppelte Entsprechungsverhältnis der Seraphim ein Hinweis war, ist hier zu Wort gekommen: Der Beter, der Gott durch den Sohn, unseren erhöhten Herrn, anruft, ruft ihn an durch den Gekreuzigten. Die innergöttlichen Beziehungen der Trinität sind aus der Sicht des Beters unabsehbar von den Beziehungen Gottes zu seiner Kreatur, welche im Crucifixus offenbar sind. Um diese Beziehungen geht es, wenn Bonaventura vom Gekreuzigten spricht: „Das Bild 1 1 7 der sechs seraphischen Flügel stellt vor sechs Erkennt1 1 4 H e x . X X I I , 2 4 : (Gradus hierarchici) disponuntur autem in anima tripliciter: secundum ascensum, secundum descensum et secundum regressum in divina; et tunc anima videt,Angelos Dei ascendentes et descendentes per scalam', ut vidit Iacob in mente sua (Gen. 2 8 , 1 2 ) . V , 4 4 1 a . Itn. I V , 2 : Et quoniam, ubi quis ceciderit, necesse habet ibidem recumbere, nisi apponat quis et ,adiiciat, ut resurgat' (Jes. 2 4 , 2 0 ) ; non potuit anima nostra perfecte ab his sensibilibus relevari ad contuitum sui et aeternae Veritatis in se ipsa, nisi Veritas, assumta forma humana in Christo, fieret sibi scala reparans priorem scalam, quae fracta fuerat in Adam. V , 3 0 6 a . 1 1 5 Itn. Prol. 1: In principio primum principium . . . patrem scilicet aeternum, invoco per Filium eius. V , 2 9 5 a . 1 1 6 Itn. Prol. 4 : Igitur ad gemitum orationis per Christum crucifixum, per cuius sanguinem purgamur a sordibus vitorum, primum quidem lectorem invito. V , 2 9 6 a . 117

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Itn. Prol. 3 : Effigies igitur sex alarum seraphicarum insinuat sex illuminationes scalares,

nisstufen, die bei den Geschöpfen beginnen und hinaufführen bis zu Gott, zu welchem niemand wirklich eintritt, es sei denn durch den Gekreuzigten." Damit tritt zu den beiden bereits genannten Entsprechungsverhältnissen, welche in der Figur des seraphischen Engels erkennbar waren, ein weiteres hinzu. Indem der Seraph (sofern er dem ordo der Seraphim zugehört) das innergöttliche In-Sein des Vaters im Geist, anderseits den gekreuzigten Christus abbildet, wird das Verhältnis zwischen jener innergöttlichen Beziehung von Vater und Geist und dem Gekreuzigten zum Grundmoment der bei den Geschöpfen ansetzenden Aufstiegsleiter selber. In engster Verklammerung kommen darin Ziel und Weg des Aufstiegs zusammen: Das Bild des seraphischen Engels zeigt das Ziel, die suspensio, als den Weg. Aber nun, ganz ähnlich dem oben besprochenen Verweis auf den „vir desideriorum", nennt Bonaventura nicht den Crucifixus selber den Weg, sondern die Liebe zu ihm 1 1 8 , und in der Verbindung beider, des Crucifixus und der Liebe zu ihm 1 1 9 , erscheinen Kreatur und Gott als Einsatz und Ende der einen Aufstiegsleiter 120 . Und sofern nun über die seraphische Figur die innergöttliche Beziehung von Vater und Geist, der Crucifixus und die Liebe zu ihm als Weg zu Gott zusammenkommen, erfährt die innergöttliche Beziehung eine derartige Dynamisierung, daß ihrer Entfaltung das Verhältnis der Seele zu Gott (in der Liebe zum Gekreuzigten) und darin wiederum die gesamte Kreatur zugehörig scheint. Und wenn richtig ist, daß der Crucifixus wie auch die Liebe zu ihm der Entfaltung der inneren Beziehung zwischen Vater und Geist innerlich verbunden sind, so nimmt die Reflexion der Seele auf Gottes Kreatur den Charakter einer Erstreckung jener innergöttlichen Beziehung selber an, und es entsteht der Eindruck, als wäre der Eintritt der Seele in den Frieden Gottes die Entfaltung eines mit der innergöttlichen Beziehung gegebenen Sachverhalts, der alsdann durch das Verhältnis zweier ineinandergreifender Hinsichten zu kennzeichnen wäre: Einer Hinsicht ex parte Dei, von seiten Gottes, unter welcher Gott im Gekreuzigten erscheint, dem die Schlüsselgewalt zum Eintritt in die Schau des göttlichen Wesens gegeben ist: Niemand tritt ein zu quae a creaturis incipiunt et perducunt usque in Deum, ad quem nemo intrat rette nisi per Crucifixum. V , 2 9 5 b . - Vgl. die hierarchia ascendens per influentiam H e x . X X I , 1 7 . 118

Itn. Prol. 3 : Via autem non est nisi per ardentissimum amorem Crucifixi. V , 2 9 5 b .

Ähnlich der in der Wendung „vir desideriorum" angedeuteten Problematik ist auch der amor Crucifixi kein hinzutretendes M o m e n t . Vielmehr ist zu fragen: W e r liebt den Gekreuzigten ? Und wenn im Blick auf die Hierarchienschemata des Hexaemerons etwas Richtiges gesehen ist, so ist zu vermuten: Da Gott der Vater den Sohn im Heiligen Geist liebt (dazu s. u.), ist der amor Crucifixi nichts anderes als die nach außen tretende Liebe Gottes zu sich selbst, da er sich ins Fleisch entäußert hat; es ist die Liebe zum Gekreuzigten im Heiligen Geist. 119

1 2 0 Brevil. Prol. § 3 : Theologia, tanquam scientia supra fidem fundata et per Spiritum sanctum revelata, agit et de eis quae spectant ad gratiam et gloriam et etiam ad Sapientiam aeternam. Unde ipsa, substernens sibi philosophicam cognitionem . . . quasi scalam erigit, quae in sui infimo tangit terram, sed in suo cacumine tangit caelum; et hoc totum per illum unum hierarcham, Iesum Christum, qui non tantum ratione naturae humanae assumtae est hierarcha in ecclesiastica hierarchia, verum etiam in angelica et media persona in illa supercaelesti hierarchia beatissimae Trinitatis. V , 2 0 5 a .

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Gott, als wer durch den Gekreuzigten eintritt 1 2 1 . Und einer Hinsicht ex parte animae, von seiten der Seele, unter welcher die gottheitliche Beziehung als affektuöse Verfaßtheit der Seele erscheint, welche, kraft Gottes nach Gott fragend, von Gott auf Gott im Gekreuzigten, auf Gottes Weltverhältnis in seiner offenbaren Gestalt verwiesen ist: Der Weg zu Gott liegt in der Liebe zum Christus Crucifixus 1 2 2 . Indem beides, der Crucifixus ex parte Dei, der amor Crucifixi ex parte animae, als Entfaltung ein und desselben Sachverhalts scheint verstanden werden zu müssen, als gleichsam nach außen tretende Entfaltung der innergöttlichen Beziehung von Vater und Geist, erscheint der bei der Kreatur ansetzende Aufstieg der Seele als von Gott in seiner eigenen Hinsicht, seiner Offenbarung im Crucifixus nicht nur schon überholt (und insofern betet der Anrufende „in principio"), sondern zugleich auch kraft seiner Verankerung in jenem göttlichen Selbstverhältnis als zu vollziehender. In der Liebe zum Gekreuzigten ist die Seele, da Gott ihr unbedingt voraus ist, auf den Vollzug des Aufstiegs und darin in bestimmter Weise auf die Kreatur verwiesen. Und so liegt es am Ineinander beider Hinsichten des einen Sachverhalts, daßBonaventura den Gebetsruf vor die Schau setzt, die Salbung vor die Lesung 1 2 3 : Er trifft damit nicht eine beliebige Frömmigkeitsentscheidung, sondern akzentuiert auf diese Weise den unbedingten Primat Gottes. Und nun, dies vorausgesetzt, erläutert Bonaventura die Aufstiegsleiter im einzelnen: „Da wir beten 1 2 4 , werden wir erleuchtet zur Erkenntnis der Schritte, welche den göttlichen Aufstieg ausmachen. Weil nämlich unserem Schöpfungsstande gemäß die Gesamtheit der Dinge eine Aufstiegsleiter ist in Gott hinein; und weil in den Dingen einiges Spur (vestigium) ist, anderes Bild Itn. Prol. 3 ; V , 2 9 5 a , vgl. Hex. 111,15; V , 3 4 6 a und XVIII,10; V,416a. Itn. Prol. 3. - Mit Mercker 169 ist hier via „geradezu mit Methode zu übersetzen". 1 2 3 Itn. Prol. 3 f.: Desideria autem in nobis inflammantur dupliciter, scilicet per clamorem orationis, quae rugire facit a gemitu cordis, et per fulgorem speculationis, qua mens ad radios lucis directissime et intensissime se convert«. Igitur . . . lectorem invito, ne forte credat, quod sibi sufficiat lectio sine unctione, speculatio sine devotione . . . V , 2 9 6 a . — Die Anordnung unctio-lectio; oratio-speculatio ist damit alles andere als zufällig: Sofern sie in die inneren Beziehungen Gottes verweist, legitimiert sie sich am bestimmten Wesen Gottes selbst. Von hier aus wird anrißweise sichtbar, wie scharf der Sache nach Bonaventura den Graben zwischen Dominikanern und Franziskanern aufgerissen sieht, wenn er die Theologie jener als durch lectio dominiert, die seines Ordens dagegen durch den Primat der unctio ausgezeichnet sieht (Hex. X X I I , 2 1 ) . Hinter der scheinbar so ausgleichenden Einordnung beider Orden an einen hierarchischen Ort deutet sich die Kritik der dominikanischen Theologie an, die Verwerfung ihres Gottesbegriffs. 121

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1 2 4 Itn. 1,2: In hac oratione orando illuminamur ad cognoscendum divinae ascensionis gradus. Cum enim secundum statum conditionis nostrae ipsa rerum universitas sit scala ad ascendendum in Deum; et in rebus quaedam sint vestigium, quaedam imago, quaedam corporalia, quaedam spiritualia, quaedam temporalia, quaedam aeviterna, ac per hoc quaedam extra nos, quaedam intra nos: ad hoc, quod perveniamus ad primum principium considerandum, quod est spiritualissimum et aetemum et supra nos, oportet nos transire per vestigium, quod est corporale et temporale et extra nos, et hoc est deduci in via Dei; oportet, nos intrare ad mentem nostram, quae est imago Dei aeviterna, spiritualis et intra nos, et hoc est ingredi in veritate Dei; oportet, nos transcendere ad aetemum, spiritualissimum, et supra nos, aspiciendo ad primum principium, et hoc est laetari in Dei notitia et reverentia maiestatis. V,297a.

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(imago), einiges körperlich, anderes geistig, einiges zeitlich, anderes von endloser Dauer (aeviterna), und deshalb einiges außer uns (extra nos), anderes in uns (intra nos): deshalb ist es, damit wir zur Betrachtung des ersten Anfangs gelangen, welcher zuhöchst geistig, ewig und über uns (supra nos) ist, nötig, daß wir hinübergehen durch die Spur, durch das Körperliche und Zeitliche, durch das, was außer uns ist; und darin werden wir auf den Weg Gottes geführt. Und es ist nötig, daß wir eintreten in uns selbst, uns konzentrieren auf das ewigwährende Bild Gottes, welches geistig und in uns selbst ist; und darin treten wir ein in die Wahrheit Gottes. Und es ist nötig, daß wir hinüberschreiten auf das Ewige hin, das ist zuhöchst geistig und über uns, und darin schauen wir den ersten Anfang und freuen uns in der Erkenntnis Gottes und in der Ehrfurcht vor seiner Majestät." Die Gesamtheit des geschaffenen Seins ist diesem Abschnitt zufolge in einer steten Doppelung zu begreifen. Auf der einen Seite stehen vestigium corporalia - temporalia, auf der anderen Seite imago - spiritualia - aeviterna. Bonaventura resümiert diese Doppelung in der Aufteilung der gesamten Schöpfung in die Momente extra nos und intra nos. Das Verhältnis beider drängt auf ein Drittes hin, auf supra nos, auf das primum principium, so daß wir es schließlich mit drei Momenten zu tun haben: extra nos, intra nos und supra nos. Dabei liegen die ersten beiden Momente extra und intra nicht auf derselben Ebene wie das letztgenannte supra nos. Unter der Dreiteilung des Aufstiegsfeldes ist sachlich eine Zweiteilung enthalten, die Zweiteilung von Gott und Welt. Betrachten wir die Weltseite. Auf ihr stehen extra nos und intra nos in derartig dichter Verspannung, daß das Geschaffene in sich aus sich selbst die Dynamik auf das supra nos hin zu entlassen scheint, welche mit der Wendung „ad hoc quod perveniamus oportet" ausgewiesen ist. Die drei anschließend genannten Erkenntnisschritte: Hinübergehen durch die Spur, eintreten in die mens, hinüberschreiten auf das Ewige hin sind ebenfalls so eng miteinander verklammert, daß keiner vom anderen ohne Willkür gelöst werden kann 1 2 5 . Sprachlich hat Bonaventura sie durch ein dreimaliges „oportet" 1 2 5 Die Erkenntnis der äußeren Dinge, der vestigia, corporalia, temporalia ist daher im Gesamtzusammenhang des Aufstiegs zu betrachten. Ihr zuvor sind wir noch nicht auf dem Wege Gottes: transire per vestigium . . . hoc est deduci in via Dei. Diese Feststellung hätte ihr Gewicht besonders in einer Untersuchung über die Erkenntnislehre Bonaventuras zu bewähren (Hülsbusch 122ff. hat dazu einige treffende Überlegungen angestellt, besonders 132f.). „Hinübergehen durch die Spur" - das ist ein wesentlicher Schritt auf dem Wege Gottes. Es ist kaum denkbar, daß Bonaventura mehr als einen Weg Gottes kennt; und es ist genausowenig denkbar, daß Bonaventura einen anderen Weg als den Gottes kennt, so daß also alle Erkenntnis, da sie sich der äußeren Dinge annimmt, den einen Weg Gottes betritt und überhaupt nur darin Erkenntnis der äußeren Dinge ist. Wenn demgegenüber in manchen älteren Arbeiten zur Erkenntnislehre Bonaventuras zwischen natürlicher und übernatürlicher Erkenntnis (Rosenmöller, vgl. die Gliederung) oder Erkenntnis durch die niedere und durch die höhere Vernunft (Luyckx I X - X I ) getrennt wird, so ist das zumindest insoweit ein fragwürdiges Verfahren, als unterstellt wird, Erkenntnis, soweit sie sich natürlich oder durch die niedere Vernunft vollzieht, könne jenseits ihrer Bezogenheit auf den Weg Gottes, also losgelöst vom Aufstiegsbogen, für sich irgendeiner Wahr-

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verbunden, welches in seiner Unpersönlichkeit mit solchem Nachdruck gesetzt ist, daß es seinerseits selbst wiederum auf eine übergreifende Einheit zu verweisen scheint, welcher die drei Hinsichten extra, intra und supra nos unterzuordnen sind. Nach dieser Einheit ist zu fragen. Bonaventura schließt der Benennung der das Gesamtfeld des Aufstiegs absteckenden Momente zur Erläuterung vier Figuren an. „Dies 1 2 6 - also der Aufstieg aus extra und intra zu supra nos - dies ist der Dreitageweg in der Einöde; dies ist die dreifache Erleuchtung eines Tages, und deren erste ist die abendliche, deren zweite die morgendliche, deren dritte die mittägliche; dies nimmt Bezug auf den dreifachen Bestand der Dinge, nämlich in ihrem körperlichen Bestand 1 2 7 , in der Erkenntnis und in der ewigen Kunst Gottes, wie es in der Schrift heißt: Es werde gemacht, Gott macht und es ist gemacht worden. Und dies nimmt Bezug auf die dreifache Substanz in Christus, welcher unsere Aufstiegsleiter ist, nämlich auf die körperliche, die geistige und die göttliche Substanz in ihm." Bonaventura sagt viermal haec est bzw. respicit. Das Verhältnis von extra, intra und supra nos, von Welt, Seele und Gott ist ein Weg, ist ein Tag, ist eine dreifältige Existenz, ist eine Person: Christus. Ihrem Charakter nach drücken die vier Figuren das Verhältnis von extra, intra und supra nos in je verschiedener Weise aus. Der Aufstieg ist ein dreitägiger Weg in der Wüste 1 2 8 . Er hebt an bei der Offenbarung Gottes und endet in der Anbetung Gottes. Der Aufstieg ist die Erleuchtung eines Tages. Sie fiheit oder irgendeiner Wirklichkeit neben derjenigen, auf welche die übernatürliche Erkenntnis bzw. die höhere Vernunft sich bezieht, innewerden. Ein solches Verfahren liest Bonaventura, wie mir scheint, mit gleichsam thomistischen Augen und kommt von daher nicht nur in der Erkenntnislehre, sondern vor allem auch in der Gottes- und Schöpfungslehre zu Divergenzen zwischen Thomas und Bonaventura, die am Kern der tatsächlich bestehenden Differenz (von der noch gesprochen werden wird) vorbeizielen. 1 2 6 Itn. 1,3: Haec est igitur via trium dierum in solitudine; haec est triplex illuminatio unius diei, et prima est sicut vespera, secunda sicut mane, tertia sicut meridies; haec respicit triplicem rerum existentiam, scilicet in materia, in intelligentia et in arte aeterna, secundum quam dictum est: ,fiat, fecit et factum est' (Gen. 1); haec etiam respicit triplicem substantiam in Christo, qui est scala nostra, scilicet corporalem, spiritualem et divinam. V , 2 9 7 a . - Die Rede von der triplex substantia in Christo ist Bonaventura geläufig; vgl. Itn. VI,7; V , 3 1 1 b ; Hex. VIII,9; V , 3 7 0 b ; De myst. Trin. q.2 a.2 f.5; V,64b. Die Hrsgb. verweisen auf Bernhard als auf ihre Herkunft. Backes 928 ordnet sie unter Verweis auf die Sentenzen des Petrus Lombardus (III Sent, d.6 cap.2; III, 143b) einem breiten, auf Augustin sich berufenden Traditionsstrom ein, der auch bei Thomas (III Sent, d.6 q . l a.3 - die Stelle ist nach Backes ebd. Anm. 2 7 genannt) noch nicht gänzlich verschwunden ist. Bei Bonaventura soll sie die Zwei-Naturen-Lehre keinesfalls ersetzen, sondern sie ist als deren Ausdeutung zu verstehen: In Christus, da in ihm Gott und Mensch zusammenkommen, verbindet sich Gott seinem gesamten Schöpfungswerk (vgl. Brevil. 11,11; V,229a). Damit zielt die Rede von den drei Naturen Christi auf die kosmologische Dimension der Christologie (vgl. Gerken 2 3 9 ) und darüberhinaus auf die Korrespondenz von Inkarnation und Trinität, die unten ausführlich dargestellt werden wird. 1 2 7 Materia meint hier nicht materia in Korrelation zu forma (so versteht Kaup 168 die Stelle), sondern den Bestand der res in natura propria, vgl. Brevil. 11,12; V,230b. 1 2 8 Ex. 3,18 lautet nach Vg.: „Der Herr, der Gott der Hebräer, hat uns gerufen; und jetzt werden wir einen Weg von drei Tagen gehen durch die Wüste, um zu opfern dem Herrn, unse-

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guriert die Erkenntnis der Dinge in sich, in der menschlichen Seele und in Gottes ewiger Kunst 129 , und entsprechend bezieht sich der Aufstieg auf den dreifachen Bestand der Dinge, auf ihr Selbstsein, ihr Erkanntsein und ihr Sein in Gott. Darin wiederum bezieht sich der Aufstieg auf die eine Person Christus in ihrer dreifachen Substanz. Die Komplexität der Aufstiegstheologie Bonaventuras ist hier in ungeheurer Dichte zusammengefaßt. Indem der Weg, die Erkenntnis, das Sein der Dinge und der Inkarnierte je Figur des einen Verhältnisses von extra, intra und supra nos sind, hängen alle drei Aufstiegsmomente so eng zusammen, daß eines im anderen erscheint, so daß wir die vier Figuren in dem Satz zusammenfassen können: Der Weg, dessen Ausgang und Ende Gott ist, realisiert sich als die Erkenntnis des Verhältnisses von Gott und Welt im Bezug auf den gekreuzigten Christus. Die Einheit, die wir hinter dem nachdrücklich gesetzten, das Aufstiegsfeld umspannenden dreifältigen oportet vermutet haben, ist der Sache nach die Einheit des Gekreuzigten, der das Körperliche, Geistige und Göttliche zur Einheit seiner Person verbindet. Wenn also Bonaventura sagt: rerum universitas est scala nostra 1 3 0 , und daraus das dreifache oportet des Aufstiegs folgert, so findet das seinen Sachgrund darin, daß das Feld des Aufstiegs seine Einheit im gekreuzigten Sohn Gottes hat. Der aber erscheint dem Beter im Bild des seraphischen Engels, welcher die Entsprechung der innergöttlichen Beziehung von Vater und Geist ist, und so erscheint letztlich das oportet, die Notwendigkeit des Aufstiegs, in jener innergöttlichen Beziehung, welche im Crucifixus nach außen tritt, begründet. Der Grund für Bonaventuras Aufstiegstheologie siedelt im Wesen Gottes selber. Sofern der Gott, an den sich der Beter „in principio" anrufend wendet, der trinitarische Gott ist, welcher im Crucifixus aus der Immanenz seiner innergöttlichen Beziehung heraustritt, sofern er dieser Gott ist, vollzieht sich der Schritt auf ihn hin im Durchschnitt durch die Kreatur. Die Aufstiegstheologie Bonaventuras verweist damit auf das Sein Gottes als auf ihren Nerv.

rem Gott." Dieser Vers trifft den in Frage stehenden Sachverhalt mit äußerster Präzision. Darin, daß Gott uns gerufen hat, Gott sich offenbart hat als Gott für uns, liegt der Weg zu Gott beschlossen. Die zeitliche Dimension des Aufstiegs, an dessen Ende wiederum Gott steht, aber nun nicht mehr bloß als der, der uns gerufen hat, sondern als der, dem wir opfern, verdankt sich der Eigenart des göttlichen Anrufs. Der dreitägige Weg durch die Wüste erscheint somit als ein Erfordernis der Offenbarung Gottes selbst. 129 Vgl. dazu II Sent, d.4 a.3 q.2 i.e.: cognitio ipsius Dei in se dies dicitur. II, 14lb. Der Blickpunkt ist dort allerdings gegenüber Itn. ein wenig verschoben, sofern in II Sent, d.4 von der Erkenntnis der Engel gesprochen wird, welche abendlich die Dinge in sich und morgendlich die Dinge in ihrem Bezug auf Gott erkennen; vgl. II Sent, d.4 a.3 q.l i.e.; II,140b. 130 Itn. 1,2; V,297a.

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c) Das göttliche Sein als Sachgrund des Aufstiegs „Gott nämlich131 ist zu betrachten als alpha und omega, bzw. man muß ihn betrachten in jeder der vorgenannten Weisen durch einen Spiegel und in einem Spiegel; oder auch: weil jede dieser Betrachtungsweisen mit der anderen vermischt ist und anderseits betrachtet werden muß in ihrer Reinheit, deshalb ist es nötig, daß die anfänglichen drei Schritte sich ausweiten zu einer Sechszahl, so daß, wie Gott die ganze Welt in sechs Tagen vollendet hat, und am siebenten Tage ruhte, auch die Seele in sechs aufeinanderfolgenden Erleuchtungsschritten geordnet zur Ruhe der Beschauung gelange." Contingit, sagt Bonaventura, considerare Deum ut alpha et omega. Diese Aussage, hier zur Entwicklung der Zahl der Aufstiegsgrade genommen, hat ihren Sitz eigentlich an anderer Stelle: in der Erörterung des göttlichen Seins132. Daraus ist zu folgern: Wenn der Aufstieg sich in sechs Schritten analog dem sechstägigen Schöpfungswerk Gottes vollzieht, so hat das seinen Grund im Sein Gottes selber. Weil es zutreffend ist, Gott als alpha und omega, als principium und finis zu betrachten, und das heißt: weil es zutreffend ist, Gott in der Bestimmtheit seines Seins zu betrachten, stehen mundus maior und mundus minor, Welt und Mensch, in einem in Gott sich begründenden Analogieverhältnis. Freilich kommt es hier nicht sosehr auf diese Analogie von Welt und Mensch an, sondern die entscheidende Aussage von Itn. 1,5 liegt, soweit ich sehe, in dem unscheinbaren „seu", mit welchem Bonaventura den Hinweis auf Gottes Sein verbindet. Indem es zutrifft (contingit), Gott als alpha und omega zu betrachten, trifft es zu, ihn per speculum und in speculo, durch einen Spiegel und in einem Spiegel, zu betrachten; trifft es zu, die Momente des Aufstiegs in ihrer gegenseitigen Verschachtelung und in ihrer Reinheit zu betrachten. Die Doppelung der Gottesbetrachtung per speculum und in speculo liegt damit auf einer Ebene mit der Betrachtung Gottes als alpha und omega. Dieser Spiegel wiederum, durch welchen und in welchem Gott betrachtet wird, ist nun nicht nur das geschaffene Sein. Vielmehr sind vestigium, imago und nomen Dei, Spur, Bild und Name Gottes, die Inhalte des Spiegels133, und so ist es, da es zutrifft, Gott als Anfang und Ende zu betrachten, keineswegs hinreichend, nur das Schöpfungswerk Gottes zu betrachten; und auch nicht hinreichend, nur das für sich gefaßte Sein Gottes zu betrachten. Sondern sofern es zutrifft, Gott als alpha und omega zu betrachten, trifft es, weil Gott alpha und omega ist, in einem Atem zu, ihn in 1 3 1 Itn. 1,5: Contingit considerare Deum ut alpha et omega, seu in quantum contingit videre Deum in unoquoque praedictorum modorum ut per speculum et ut in speculo, seu quia una istarum considerationum habet commisceri alteri sibi coniunctae et habet considerari in sua puritate: hinc est, quod necesse est, hos tres gradus principales ascendere ad senarium, ut, sicut Deus sex diebus perfecit universum mundum et in septimo requievit; sie minor mundus sex gradibus illuminationum sibi succedentium ad quietem contemplationis ordinatissime perducatur. V,297b vgl. Hex. 111,23 f.; V,347a. 132 133

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Vgl. Itn. V,7; V,309b. Näheres dazu s. u. Vgl. die Überschriften der Kapitel Itn. I bis VI.

seinem Weltverhältnis zu betrachten. Die Betrachtung des Seins Gottes erweist sich so als die Betrachtung seines Verhältnisses zur Welt. Damit ist die Erörterung der Aufstiegstheologie Bonaventuras wieder sehr nahe an ihr Problem herangetreten. Die Frage lautet nunmehr: Welchem Umstand verdankt es sich, daß die Betrachtung Gottes als alpha und omega sich in dieser Weise ineins setzt mit der Betrachtung Gottes durch den Spiegel und im Spiegel? Inwiefern wird Gottes Sein so auf die Ebene seiner Betrachtbarkeit per speculum und in speculo gebracht, daß wir folgern müssen: sofern es zutrifft, Gott in seinem Sein als alpha und omega zu betrachten, trifft es zu, Gott in seinem Weltverhältnis zu betrachten? Von den Aussagen Bonaventuras in Itn. I her zumindest läßt sich diese Frage kaum mit dem faktischen Schöpfungsstand des Menschen beantworten, also etwa in dem Sinne: Sofern der Mensch seinen Stand in der Kreatur Gottes faktisch hat, wird ihm Gott nicht anders als in dieser Weise sichtbar. Der geschöpfliche Stand des Menschen 1 3 4 ist nur ein wenn auch gewichtiges Moment in der Entfaltung des Gesamtaufstiegs, welcher im Crucifixus seine Einheit findet. Und erst nachdem der Schöpfungsstand des Menschen, demgemäß die Gesamtheit der Dinge Aufstiegsleiter zu Gott ist, durch die Figuren von Itn. 1,3 auf den inkarnierten Christus bezogen ist, erst danach folgt in Itn. 1,5 der Verweis auf Gottes esse alpha et omega, so daß dem Gefälle von Itn. I nach erst insofern, als der Aufstieg im Inkarnierten figuriert ist, der das Feld von extra, intra und supra nos zur Einheit verbindet, von einer consideratio Dei ut alpha et omega gesprochen werden kann. Der geschöpfliche Stand des Menschen wird auf diese Weise über seine Fakzizität hinaus auf den Crucifixus verwiesen. In dieser Verwiesenheit hebt die Betrachtung Gottes als alpha und omega bzw. per speculum und in speculo an. Zwischen dem geschöpflichen Stand des Menschen und dem Hinweis auf die Betrachtung Gottes in seinem Weltverhältnis steht der Christus Crucifixus als scala nostra (Itn. 1,3). Wenn das aber so ist, dann kann nicht die faktische Geschöpflichkeit des Menschen der Grund dafür sein, daß Gott als Gott in seinem Weltverhältnis zur Betrachtung gelangt. Vielmehr ist der Schöpfungsstand des Menschen hingespannt auf den Christus Crucifixus; in ihm erst kommt Gottes esse alpha et omega zu Gesicht. Das Sein Gottes und die den Aufstieg figurierende .Einheit der Person Christi treten so in einen außerordentlich festgefügten Zusammenhang. Von ihm, vom Crucifixus her trifft es zu, Gott als alpha und omega zu betrachten, und es scheint, als gewönne erst in der Offenbarung Gottes im Gekreuzigten das esse Dei seine Dimension als fine creaturae. Dieser Sachverhalt wird später noch ausführlich zur Sprache kommen. Festzuhalten ist inzwischen an dieser Stelle folgendes: Der Beter ist im Aufstieg secundum statum conditionis suae auf den Gekreuzigten bezogen und von dort her auf die Betrachtung Gottes als alpha und omega; darin erweist sich Gott als in einem Weltverhältnis stehend, jenseits dessen der Beter Gott 134

Itn. 1,2: status conditionis nostrae. V,297a.

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nicht ausmachen kann. Gott in Jesus Christus verweist auf sich selbst als auf sein Weltverhältnis, auf seine Betrachtung in doppelter Spiegelschau. Dem doppelten Spiegel entsprechend teilt Bonaventura die Aufstiegskräfte der Seele ein: „Gemäß 1 3 5 den sechs Aufstiegsschritten in Gott hinein gibt es sechs Stufen in den Kräften der Seele, durch welche wir aufsteigen vom Untersten zum Höchsten (ab imis ad summa), vom Äußeren zum Innersten (ab exterioribus ad intima), vom Zeitlichen zum Ewigen (ab temporalibus ad externa). Diese Kräfte sind: die sinnliche Wahrnehmung, die Vorstellung, die Vernunft (ratio), der Glaubensverstand (intellectus) 136 , die Einsicht (intelligentia) und die Spitze des Gemüts bzw. der Funke der Synderesis." 137 Ausdrücklich ist hier einem jeden Aufstiegsschritt eine bestimmte Erkenntnishinsicht der Seele beigegeben 138 , während die jeweiligen Gegenstände der Erkenntnis in drei Doppelschritten benannt sind: ab imis ad summa; ab exterioribus ad intima; ab temporalibus ad externa. Ordnet man nun die jeweiligen Erkenntnishinsichten der Seele der Reihung der Gegenstände zu, so beziehen sich die sinnliche Wahrnehmung und die Vorstellung auf den Schritt vom Untersten zum Höchsten; Vernunft und Glaubensverstand auf den vom Äußeren zum Innersten; Einsicht und Gemüt auf den vom Zeitlichen zum Ewigen. Diese Zuordnungen sind getroffen, nachdem Bonaventura unter Hinweis auf die Betrachtung Gottes als alpha und omega dieDoppelung der Aufstiegsmomente extra, intra und supra nos von Itn. 1,2 vorgenommen hat. Jenem ersten dreifältig gespannten Aufstiegsfeld waren ebenfalls drei Hinsichten der Erkenntnis zugeordnet: „Gemäß 1 3 9 diesem dreifachen Vorgang haben wir drei hauptsächliche Hinsichten der Erkenntnis. Die eine bezieht sich auf die äußeren körperlichen Dinge. Die entsprechende Erkenntnishinsicht heißt sinnliche Wahrnehmung (animalitas seu sensualitas). Die andere bezieht sich auf sich selbst und heißt Geist (spiritus). Die dritte bezieht sich auf das, was über uns steht und heißt Gemüt (mens)." In diesen Zuordnungen sind extra, intra und supra nos explizit bestimmten Erkenntnishinsichten zugesprochen. Insofern ist es legitim, die neuerlich (in 1,6) genannten Erkenntnisinhalte, welche nach der Verdoppelung der Aufstiegsschritte an die Stelle von extra, intra und supra nos treten, in gleicher Weise der Sechszahl 1 3 5 Itn. 1,6: Iuxta igitur sex gradus ascensionis in Deum sex sunt gradus potentiarum animae, per quos ascendimus ab imis ad summa, ab exterioribus ad intima, a temporalibus conscendimus ad aeterna, scilicet sensus, imaginatio, ratio, intellectus, intelligentia et apex mentis seu synderesis scintilla. V , 2 9 7 b . 1 3 6 Die Ubersetzung von intellectus mit „ G l a u b e n s v e r s t a n d " wird in den weiteren Erläuterungen einsichtig werden. 1 3 7 Z u Synderesis vgl. Kaup 1 7 1 ; Gilson 4 5 0 f . ; Guardini, Systembildende Elemente 37. 1 3 8 Mit Gilson 4 1 1 f. ist hier nicht von getrennten Seelenvermögen, sondern von Erkenntnishinsichten zu sprechen. 1 3 9 Itn. 1,4: Secundum hunc triplicem progressum mens nostra tres habet aspectus principales. Unus est ad corporalia exteriora, secundum quem vocatur animalitas seu sensualitas; alius intra se et in se, secundum quem dicitur spiritus; tertius supra se, secundum quem dicitur mens. V,297ab.

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der aspectus mentis bzw. potentiae animae zuzuordnen, so daß die eben benannten Bezüge herzustellen sind. Dazu das folgende Schema: Schema zu Itn. 1,2-6 Itn. 1,2

vestigium

imago

primum p r i n a p i u m

temporalia corporalia extra nos

imago spiritualia intra nos

aeternum spiritualissimum supra nos

transire = deduci in via

intrare = ingredi in veritatem

transcendere = laetari in Deo

Itn. 1,3

via trium dierum in solitudine unius diei illuminatio vespera

mane

meridies

existentia.rerum

in materia

in intclligcntin

in arte aeterna

triplex substantia in Christo corporalis

spiritualis

Itn. 1,4

aspectus mentis sensualitas

Itn. 1,5

Itn. 1,6

divina

spiritus

consideratio Dei ut alpha et omega

ima — s u m m a sensus - imaginatio

exteriora — intima ratio - intellectus

temporalia — aeterna intelligentia - apex mentis

natura - culpa

gratia - iustitia

scientia - sapientia

Zunächst nun scheint es so, als böte Itn. 1,6 im Verhältnis zu Itn. 1,2 nichts als eine durch die getroffene Verdoppelung erweiterte Wiederholung der Aufstiegsleiter von Itn. 1,2, also der Skala von extra, intra und supra nos. In Wirklichkeit aber weist das Aufstiegsschema von Itn. 1,6 gegenüber dem von Itn. 1,2 eine entscheidende Verschiebung auf. Waren in jenem ersten Dreierschema die vestigia und das unter ihnen Enthaltene, nämlich corporalia und

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temporalia, also das, was unter dem Begriff extra nos resümiert war, Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung, und das innere Bild in uns (spiritualia und aeviterna) Gegenstand des Geistes und der erste Anfang über uns (aeternum und spiritualissimum) Gegenstand des Gemüts (mens), so tritt jetzt, nach dem Hinweis auf das esse Dei alpha et omega in Itn. 1,5 an die Stelle von extra nos bzw. des Gegenstandes der sinnlichen Wahrnehmung und der Vorstellung (sensus und imaginatio) der Schritt vom Untersten zum Höchsten, von ima auf summa. An der Stelle von intra nos bzw. des Gegenstandes von Vernunft und Glaubensverstand (ratio und intellectus) steht der Schritt vom Äußeren auf das Innerste, von exteriora auf intima; und an der Stelle von supra nos bzw. des Gegenstandes von Einsicht und Gemüt (intelligentia und apex mentis) der vom Zeitlichen auf das Ewige, von den temporalia auf die aeterna. Die Einordnung der tempora hat sich also nach dem Verweis auf die Einheit des Aufstiegs in Jesus Christus und nach dem daraus resultierenden Verweis auf die Betrachtung Gottes als Anfang und Ende entscheidend verändert. Was im Schema der hierarchischen Entsprechungen von Hex. X X I f. bereits sichtbar geworden ist, wird hier noch einmal unterstrichen: Indem die in die Ecclesia militans eingeordnete Seele den Aufstieg unternimmt, gehört das Verhältnis der Zeiten zum Ewigen, eben sofern Gott der Gegenstand des Gebets und der Schau ist, in das Zentrum des Aufstiegs. Im Verweis auf den Crucifixus und das esse Dei alpha et omega ist das Aufstiegsfeld von Itn. 1,2 gleichsam zeitlich dynamisiert und aufgebrochen. Die Liebe zum Gekreuzigten, welche nach Itn. Prol. 3 von seiten der Seele den Einsatz des Aufstiegs brachte 140 , ist nicht Liebe außer der Zeit, sondern ist wesentlich auf die Zeiten verwiesen. Das theologische Problem des Aufstiegs stellt so zugleich das Problem der Geschichte. Gerade darin, daß der Aufstieg von Gott überholt, im Crucifixus zusammengefaßt, im esse Dei alpha et omega verankert ist, ist das Itinerarium mentis in Deo ein Aufstieg durch die Zeiten, ein heilsgeschichtlicher Prozeß von wirklich geschichtshaftem Charakter. Denn „wir haben 1 4 1 alle diese Aufstiegsschritte in uns. Sie sind uns eingepflanzt durch die Natur, sie sind entstellt durch die Sünde, sie sind wiederhergestellt durch die Gnade; sie müssen nun gereinigt werden durch Gerechtigkeit, geübt werden durch Wissen, vollendet werden durch Weisheit." Diese heilsgeschichtliche Reihe von vollendeter Gegenwart und nach vorn hin offener Gegenwart, in deren Zentrum gleichsam als im Schnittpunkt von bereits Vollendetem und noch zu Vollendendem die aufsteigende Seele steht, ist die Summe der Aufstiegsschritte. Der Sechszahl von ima und summa, exteriora und intima, temporalia und aeterna nebst den entsprechenden Erkenntnishinsichten korrespondiert so die sechsfältige Aufgliederung der heilsgeschichtlichen Reihe. Die Gesamtheit der hier getroffenen EntspreS. o. S. 53 Anm. 118. Itn. 1,6: H o s gradus in nobis habemus plantatos per naturam, deformatos per culpam, reformatos per gratiam; purgandos per iustitiam, exercendos per scientiam, perficiendos per sapientiam. V,297b. 140

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chungen stellt also das doppelte speculum dar, von dem Bonaventura im Absatz vorher unter Berufung auf Gottes esse alpha et omega sprach. Es legt sich von daher nahe, den in der Durchführung des Itinerariums vollzogenen Schritten der Erkenntnis per speculum und in speculo diese Reihe beizuordnen. Das ergibt folgendes Bild: In einer Reihe stehen natura, sensus, ima. In diesem Bereich geschieht die Schau Gottes per vestigia eius in universo 142 . Sofern es sich bei diesem ersten Spiegel um die Schau Gottes handelt, drängt die Betrachtung des Untersten notwendig auf die Betrachtung des Höchsten. Die Dinge wollen nicht bloß in ihrem Eigensein betrachtet werden - sie müssen freilich zunächst so betrachtet werden, sofern das Eigensein der Dinge in die Totalität des Aufstiegs gehört 143 - , sondern sie wollen wesentlich und richtig betrachtet sein, sofern Gott in ihnen präsent ist 1 4 4 . D. h. die Betrachtung des Eigenseins der Dinge ist überhaupt nur richtige Betrachtung, wenn der zweite Schritt sich anschließt. Die Schau des Untersten, die Schau per naturam unter der Erkenntnishinsicht der sinnlichen Wahrnehmung geschieht notwendig im Verhältnis von ima und summa, also als speculatio Dei in vestigiis suis in hoc sensibili mundo. Dieser Schritt geschieht unter der Sündenschuld mit Hilfe der vorstellenden Erkenntniskraft 145 . Wenn diese Zuordnungen richtig sind, führt uns das einen wichtigen Schritt weiter: Das Verhältnis von ima und summa, welches letztendlich die dem Dreierschema von Itn. 1,2 zugrunde liegende Doppelung aufnimmt, die Doppelung von Gott und Welt, wird auf der nächsten Erkenntnisebene, der Ebene von ratio und intellectus, zu einem äußeren Verhältnis. Wenn nämlich Bonaventura den Schritt ima-summa ablöst durch den Schritt exteriora-intima und jenem zweiten Doppelschritt das Verhältnis von widerherstellender Gnade und reinigender Gerechtigkeit (gratia reformans und iustitia purgans) zuordnet, so verhalten sich die exteriora zum Schritt ima-summa offensichtlich wie die Gnade zu Natur und Schuld, wie gratia zu natura und culpa. Das heißt: Indem Gott durch den nächsten Spiegel geschaut wird, durch die imago, die nach ihren natürlichen Kräften Bild Gottes ist 1 4 6 , ist einerseits die imago Dei immer schon auf die gratia reformans naturam et culpam bezogen, anderseits erscheint durch den Spiegel des natürlichen Bildes Gottes das Verhältnis von ima zu summa als ein Verhältnis, welches über sich selbst hin1 4 2 Itn. 1,9: Priraum gradum ascensionis collocemus in imo, ponendo totum istum mundum sensibilem nobis t a n q u a m speculum, per quod transeamus ad Deum, opificem summum. V,298a. 1 4 3 Itn. 1,2: opportet nos transire per vestigium . . . et hoc est deduci in via Dei. V , 2 9 7 a ; s. o. S. 55 Anm. 125. 1 4 4 Itn. 11,1: Circa speculum sensibilium non solum contingit contemplari Deum per ipsa tanquam per vestigia, verum etiam in ipsis, in quantum est in eis per essentiam, potentiam et praesentiam. V , 2 9 9 b . 1 4 5 Itn. 11,4; V , 3 0 0 b . 1 4 6 Itn. 111,4: Vide igitur, q u o m o d o anima Deo est propinqua, et q u o m o d o memoria in aeternitatem, intelligentia in veritatem, electiva potentia ducit in bonitatem s u m m a m secundum operationes suas. V , 3 0 5 a .

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ausdrängt auf das, was Bonaventura intima nennt: auf die Reinigung, Erleuchtung und Vollendung der durch Christus reformierten imago147. Damit gerät unter den Erkenntnishinsichten von ratio und intellectus, die ihrerseits auf Gnade und Gerechtigkeit bezogen sind, das intra nos von Itn. 1,2 bereits auf die göttliche Seite des Verhältnisses. Die Doppelung von Gott und Welt im Dreierschema aus extra, intra und supra nos wird in Hinsicht auf das Korrespondenzverhältnis von Gnade und Gerechtigkeit, welche den Umschlag vom Perfekt auf die noch offene Gegenwart markieren, insofern aufgebrochen, als unter dem Vorrang des Schrittes von ima auf summa die Spitze des zweiten Schrittes in den intima bzw. in der reformatio imaginis liegt. Indem die aufsteigende Seele sich mit Hilfe sinnlicher Wahrnehmung und Vorstellung und geprägt von Natur und Schuld von dem Untersten zum Höchsten bewegt, nämlich von der Schau Gottes durch seine Spur zur Schau Gottes in seiner Spur, bewegt sie sich darin unter Hinsicht von Vernunft und Glaubensverstand und geprägt von Gnade und Gerechtigkeit vom Äußeren auf das Innerste, also von der Schau Gottes durch seine imago148 zur Schau Gottes in seiner imago149; und wenn die heilsgeschichtliche Reihe von Itn. 1,6 im ersten Schritt Gott an die Spitze setzt, so setzt sie im zweiten die menschliche Seele an die Spitze. Das Verhältnis von Gott und Welt erweist sich darin insofern als ein äußeres, als aus ihm das Verhältnis Gott-Welt-Seele entspringt150. Die Betrachtung Gottes in der geschaffenen Welt, in seiner Spur, drängt so als Äußeres, als Schau per imaginem, auf das Innere; als Schau mit dem Auge der ratio 151 auf die Schau der durch Christus erlösten Erkenntnis152; und das wiederum sagt etwas über die Bedeutung des Gekreuzigten: Mit der Inkarnation des Gottessohnes hängt es offenbar aufs festeste zusammen, daß das Verhältnis von Gott und Welt, von ima und summa zum Verhältnis Gott-Welt-Seele wird. Die Sichtbarkeit Gottes in seinem durch die Inkarnation des Sohnes wiederhergestellten Bild deutet auf einen Zu147

Itn. IV,2f.; V,306ab. Itn. III die Kapitelüberschrift; V,303a. 149 Itn. IV; V,306a. 150 So Brevil. 11,11: Quia primum principium fecit mundum istum sensibilem ad declarandum se ipsum, videlicet ad hoc, quod per ilium tanquam per speculum et vestigium reduceretur h o m o in Deum artificem amandum et laudandum. V,229a. 151 Itn. 111,1:. . . advertis, animam tuam triplicem habere potentiam, non oculo carnis, sed oculo rationis. V , 3 0 3 b . 148

152 Itn. IV, 1 f.: Mirum autem videtur . . ., quod Deus sit ita propinquus mentibus nostris, quod tam paucorum est in se ipsis primum principium speculari. Sed ratio est in promptu, quia mens humana, sollicitudinibus distracta, non intrat ad se per memoriam; phantasmatibus obnubilata, non redit ad se per intelligentiam; concupiscentiis illecta, ad se ipsam nequaquam revertitur per desiderium suavitatis internae et laetitiae spiritualis. Ideo totaliter in his sensibilibus iacens, non potest ad se tanquam ad Dei imaginem reintrare.

Et quoniam, ubi quis ceciderit, necesse habet ibidem recumbere, nisi apponat quis et adiiciat, ut resurgat; non potuit anima nostra perfecte ab his sensibilibus relevari ad contuitum sui et aeternae Veritatis in se ipsa, nisi Veritas, assumta forma humana in Christo, fieret sibi scala reparans priorem scalam, quae fracta fuerat in Adam. V,306a.

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sammenhang derart, daß im Gekreuzigten das Verhältnis Gottes zur Welt als seinen Gipfel das Verhältnis Gottes zur Seele erweist. Die Spannung von extra und intra nos, nach Itn. 1,2 in ihrer Tendenz ad supra die Leiter des Aufstiegs, setzt angesichts des inkarnierten Gottessohnes das, wohin sie sich spannt, supra, bereits voraus. Die Gesamtheit der Dinge ist so die Aufstiegsleiter (1,2), indem Christus unsere Leiter, scala nostra 153 ist. Im Blick auf ihn ist intra, der Mensch in seinem Bildsein, der Schöpfungsgesamtheit der Dinge nicht einfach bei- und untergeordnet, wie sich aus Itn. 1,2 nahelegte; sondern vom Crucifixus her gesehen ist der Mensch diejenige Instanz in der Gesamtheit der Dinge, welche dieselbe auf Gott hin übersteigt. Die Gesamtheit der Schöpfung, damit auch die Gesamtheit ihrer Bezüge und Beziehungen, ist vom Crucifixus her gesehen auf die imago Dei in Christo reformata hin geordnet. Im gekreuzigten Sohn Gottes erscheint die Seele, der Schöpfung beiund eingeordnet, zugleich als Transzendens des Geschaffenen 154 . Denkt man von hier aus zurück auf jene erste Ortsbestimmung des Itinerariums aus dem Kontext des Sechstagewerks, so sieht man den Schritt exteriora-intima von Itn. 1,6 stehen an der Stelle, an der die hierarchische Entsprechung Gottes auf Erden ihrer Vollendung noch entgegensieht 155 . Die Offenheit der Seele auf die Einung mit Gott hin ist so die Offenheit von Welt auf Gott hin. Im Anblick des gekreuzigten Gottessohnes bedeutet die in ihm vollzogene Wiederherstellung des menschlichen Bildseins die Unabgeschlossenheit von Welt. Darauf deutet der letzte Doppelschritt des Aufstiegsschemas von Itn. 1,6, 153

Itn. 1,3; V,297a; Itn. IV,2; V,306a. Das Gewicht dieser Überlegung liegt darauf, daß die Zentralstellung des Menschen in der Gesamtheit der Schöpfung im Ansatz bereits vom Christus crucifixus her bestimmt ist. Die Eigenart dieser Sicht verdeutlicht sich gegenüber einem Satz wie dem folgenden, den ich dem Aufsatz P. Brunners, Gott, das Nichts und die Kreatur. Pro Ecclesia; Gesammelte Aufsätze zur dogmatischen Theologie, Band II, Berlin und Hamburg 1966, 31—49, entnehme (das Zitat ebd. 36 f.): „Das Gemeinschaftsverhältnis, das Gott zwischen sich und der Kreatur stiftet, hat seine Mitte im Menschen . . . Er ist durch die Erschaffung als die Ikone Gottes unter die Kreaturen gestellt. Er repräsentiert f ü r die irdischen Kreaturen Gott den Herren. An und für sich ist er nur ein Klumpen lehmiger Erde in der Hand des Töpfers, die ihn formt, Staub und Asche, fast ein Nichts. Aber kraft des über ihn gesprochenen Schöpferwortes ist er nichts Geringeres als der bevollmächtigte Statthalter Gottes im Reiche der außermenschlichen irdischen Kreaturen." Hinter der verblüffenden Parallelität, die den Gedanken P. Brunners mit Bonaventura zu verbinden scheint, verbirgt sich eine tiefgreifende und ins Zentrum aller Theologie ragende Differenz. Das Schöpferwort, das diesen Menschen in der Sicht Bonaventuras in die Mitte zwischen Gott und seiner Kreatur ruft, ist das Wort dessen, der den Menschen auf sein im Gekreuzigten wiederhergestellten Bildsein hin beruft. Der Mensch ist so die Mitte des Alls, daß er die Mitte ist auf Christus den Inkarnierten hin. Es ist für Bonaventura nicht (wie für P. Brunner) so und ohne weiteres das Schöpferwort für sich, welchem Menschsein seine Zentralstellung in der Kreatur verdankt, sondern es ist das Schöpferwort, welches, da es hinausfährt ins Nichts, den Menschen immer schon auf den Crucifixus hinordnet und ihn so ins Zentrum der Kreatur setzt. Und insofern hat das Gemeinschaftsverhältnis zwischen Gott und Kreatur für Bonaventura nicht so und für sich seine Mitte im Menschen, sondern seine Mitte im Menschen, da Christus, die ins Fleisch entäußerte Frucht der Gerechtigkeit Gottes (Hex. XVIII,8 f.; V,415bf.), die „Mitte in allem" hält (Hex. 1,10; V,330b; dazu s. u.). 154

155

5

Itn. IV,3 f.; V,306b; s. o. S. 36 Anm. 61.

Fischer, De Deo trino

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der Schritt von den temporalia zu den aeterna. Ihm entsprechen die Einsicht und die Spitze des Gemüts (intelligentia und apex mentis) in der Reihe der Erkenntnisschritte und Wissen und Weisheit (scientia und sapientia) in der heilsgeschichtlichen Reihe. Seinen besonderen Charakter gewinnt dieser letzte Doppelschritt des Aufstiegs durch den Spiegel, das speculum, im Blick auf welches er sich vollzieht. Die Schau der Einsicht, die sich im Wissen übt und darin das Zeitliche zum Gegenstand hat, ist die Schau der Einheit Gottes durch sein nomen primarium, den Namen seiner Erstlingsschaft: die Schau Gottes in der Einheit seines Seins156. Tempora, intelligentia, scientia exercenda stehen jetzt in einer Linie mit der Betrachtung der Einheit des göttlichen Seins. Nachdem Gott vom Crucifixus her im Verhältnis von ima zu summa und darin von exteriora zu intima sichtbar geworden ist, nachdem sich in diesem zweifachen Doppelschritt der Erkenntnis die aufsteigende Seele auf ihre Wiederherstellung in Jesus Christus konzentriert hat, nachdem das Verhältnis Gott-Welt sich im Crucifixus zum Verhältnis Gott-Welt— Seele ausgeweitet hat, so daß das Verhältnis Gottes zur Welt eigentlich als ein dem Verhältnis Gottes zur Seele untergeordnetes Verhältnis deutlich wurde, nach all diesen Schritten kommt nunmehr das Sein Gottes selber zu Gesicht. Freilich nicht zum ersten Mal: Aus einer Aussage über das Sein Gottes hat Bonaventura in Itn. 1,5 die Doppelung der Erkenntnisschritte (und die Analogie zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos) gewonnen. Im letzten Doppelschritt des Aufstiegs steht nun wieder der Hinweis auf Gottes Sein. In ihm als einem speculum per quod ist die Seele über die temporalia auf die Einheit des göttlichen Seins verwiesen. Das Verhältnis Gott—Welt, das in der Wiederherstellung des menschlichen Bildseins als Verhältnis Gott—Welt-Seele in Bewegung geriet, wird neuerlich vorwärts- (und zurück-) verwiesen auf Gottes Sein. Der Aufstieg der Seele in Gott hinein nimmt seinen Gang von Gott her auf Gott hin. Die Schritte ima-summa, exterioraintima sind jetzt, indem sie auf die Betrachtung der Einheit Gottes ausgehen, Schritte in der Zeit. Sie vorausgesetzt, kommt Gott in der Einheit seines Seins zu Gesicht, und von dort aus weitet sich der Blick auf das Verhältnis von tempora und aeterna, von Einheit und Dreiheit Gottes 157 . Die Entfaltung der Einheit des göttlichen Seins in trinitarischer Subsistenz, das Verhältnis von unitas und Trinitas Dei bildet den unmittelbar letzten Grad des Aufstiegs vor dem abschließenden Überschritt der Seele in Gott hinein 158 . Hier hat die Aussage: Deus est trinus et unus ihren Ort. Damit hat Bonaventura im Aufriß des Itinerariums einen eigenartigen Sachverhalt ausgesprochen: Nicht nur, daß die hierarchische Bewegung der Kirche ihrer Vollendung in der Zeit entgegensieht (s. o.), nicht nur, daß die 156 Itn. V handelt De speculatione divinae unitatis per eius nomen primarium, quod est esse. V,308a. 157 Itn. VI handelt De speculatione beatissimae Trinitatis in eius nomine, quod est bonum. V,310b. 158 Itn. VII handelt De excessu mentali et mystico, in quo requies datur intellectui, affectu totaliter in Deum per excessum transeunte. V,312a.

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Seele in ihrem Aufstieg an der Spitze dieser Bewegung steht, nicht nur, daß die Hierarchie als abbildliche Entsprechung ihres Urbildes auf eine Bewegung im Urbild selber verweist, sondern, indem im Aufstieg der Seele im letzten Schritt von den tempora zu den aeterna das Verhältnis von Einheit und Dreiheit Gottes ins Blickfeld kommt, scheint es, als setze das Sein Gottes in seiner trinitarischen Entfaltung die Gesamtheit der Aufstiegsstrecke voraus. Es scheint, als setze dieses göttliche Sein darin nicht nur das sich zum Verhältnis Gott-Seele ausweitende Verhältnis Gott-Welt voraus, sondern als gewinne es sich selbst in seiner Bestimmtheit überhaupt erst, indem das Verhältnis Gottes zur Seele im Aufstieg der Seele sich zum Verhältnis der Seele zu Gott umkehrt; als habe das Verhältnis Gottes zur Welt und darin das Verhältnis Gottes zur Seele einen solchen Zusammenhang mit dem göttlichen Sein selbst, daß die Entfaltung der Einheit des esse Dei jenseits dieses Zusammenhanges nicht ausgemacht werden kann. Das Problem des Aufstiegs gewinnt auf diese Weise seinen Fluchtpunkt in der Frage nach dem Verhältnis von unitas und Trinitas Dei. Das Problem der Aufstiegstheologie 159 Bonaventuras ist sachlich das Problem des göttlichen Seins selber. Indem der Aufstieg umschlossen ist von Gott, in principio einsetzend mit der Anrufung des primum principium und ausmündend in der Betrachtung seines Seins in trinitarischer Entfaltung, wird die Frage nach dem Gottesbegriff Bonaventuras zum Zentralproblem seiner Theologie.

159 M a n könnte hier angesichts der Koordinaten des Aufstiegs getrost hinzufügen: wie darin ineins das Problem der Geschichtstheologie Bonaventuras auch. - Es muß zu dieser Gelegenheit noch zu einem denkbaren Einwand Stellung bezogen werden, der etwa so lauten könnte: Da doch Bonaventura in Hex. XXII,24; V,441a zwischen der Betrachtung der Seele secundum ascensum und secundum regressum differenziert - warum ist in den Überlegungen dieses 1. Kapitels darauf nicht eingegangen, zumal gerade in dieser Differenzierung doch ein Argument zu liegen scheint, das in bezug auf das Verhältnis von Mystik und Geschichtstheologie für eine Auffassung wie die Stoevesandts spräche (s. o. S. 12 Anm. 25) ? Darauf ist folgendes zu antworten: Die Funktion dieses 1. Kapitels besteht vor allem darin, von der Eigenart der Aufstiegstheologie zu dem dahinter sich verbergenden Problem vorzudringen. Aufstiegstheologie ist aber Theologie im Aufstieg erst im Blick auf das vollständige Entsprechungsbild, in welchem die anima hierarchizata ihrem Bildner entspricht. Diese Vollständigkeit stellt sich her penes regressum, unter Hinsicht der Heimkehr der in horizontaler Erstreckung in das Gesamt der Kirche eingeordneten Seele. Erst in ihr, der Horizontalen, in welcher die anima eins ist mit der Ecclesia (vgl. Hex. XXIII,4; V,445b) erweist die Vertikale, die erste Hinsicht secundum ascensum, ihr Gewicht. Und insofern scheint es, unbeschadet dessen, daß in einer umfassenden Untersuchung der Aufstiegstheologie selber das Verhältnis von ascensus animae und reductio creaturae stärker zu differenzieren wäre, legitim, das Itinerarium und die kosmische Dimension des regressus in der hier geschehenen Weise ineins zu sct/cn.



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Zweites Kapitel: Das Sein Gottes Vorüberlegung Auf mehrfache Weise haben die Überlegungen zum Aufstieg der Seele an die Frage nach dem Gottesbegriff Bonaventuras herangeführt. Zunächst in der Ortsbestimmung des Itinerariums im Gesamtzusammenhang des Sechstagewerks: Der Aufstieg der Seele, eingebettet in die Gesamtheit der hierarchischen Entsprechungen Gottes, hat seinen Ort an der Stelle, an welcher die Ecclesia militans der Einlösung ihres Bildseins harrt. Der Aufstieg der Seele als Heimkehr zu Gott bezeichnete von seiner Ortsbestimmung im Feld der Kirche her die Offenheit der irdischen Entsprechungen Gottes in futurischer Dimension. Hierarchisch der innergöttlichen Beziehung von GottVater und Gott Geist entsprechend, erschien der Aufstieg der Seele als eine Bewegung, welche ihrerseits auf eine in Gott liegende Bewegung verweist. Die Frage nach der Ortsbestimmung des Itinerariums zog so die Fragestellung hinüber auf die nach Gott selbst. Als Antwort auf die Frage nach dem Gegenstand der aufsteigenden Erkenntnis der Seele trat dann der gekreuzigte Gottessohn zutage. In dem nach seinem Bild geflügelten Seraphen erschien das Gesamtfeld des Aufstiegs nicht nur, sondern auch der Beter in seinem eigenen Unterfangen geprägt vom Christus Crucifixus. Die Ortsbestimmung des Itinerariums und die dem Beter in seiner Bitte um Gottes Frieden zuteil werdende Antwort im „miraculum" des Gekreuzigten gab einen ersten Hinweis auf das Ineinander von innergöttlichen und außergöttlichen Beziehungen, kraft derer das Verhältnis Gottes zur Welt zum Zentralproblem der Aufstiegstheologie wurde. Der an die Zusammenfassung des Aufstiegs in Christus angeschlossene Hinweis auf das Sein Gottes wiederum, welches als esse alpha et omega zu betrachten war, indem es auf zweifache Weise im dreifachen Spiegel des Verhältnisses Gottes zu seiner Kreatur zu betrachten ist, zeigte als das Zentrum des Verhältnisses von Gott und Welt die Beziehung Gottes zur Seele. In dieser Beziehung endlich erfuhr die Seele im Begriffspaar von temporalia und aeterna als die Spitze der Aufstiegsbewegung die Einheit des Seins Gottes in seiner trinitarischen Entfaltung. Das Verhältnis von unitas und Trinitas Dei erwies sich auf diese Weise als der Fluchtpunkt des auf den Crucifixus bezogenen Aufstiegs.

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1. Abschnitt: a) Die Bestimmung

Gott ist

des Seins Gottes ex se, secundum

se, propter se

Die eben genannten Hinweise auf das Sein Gottes als das Zentralproblem der Theologie Bonaventuras finden sich in kürzerer Form auch im Prolog zum Hexaemeron. „Sprechen muß man zur Kirche" 1 , „beginnen muß man mit Christus" 2 , „enden muß man in der Fülle des Geistes der Weisheit und der Einsicht". Alle diese drei Bestimmungen, die des Adressaten, des Einsatzes und des Ziels, verweisen auf Gott selbst. Unmittelbar deutlich wird dieser Sachverhalt im Hinweis auf Christus: „Was 3 das zweite, nämlich den Beginn angeht, so ist darauf zu merken, daß man von der Mitte her ansetzen muß. Die Mitte ist Christus. Er selbst nämlich ist der Mittler zwischen Gott und Mensch, und darin hält er die Mitte in allem, wie sich zeigen wird." Mediator und medium sind hier die ausschlaggebenden Begriffe. Medium und mediator sind nicht dasselbe4. Das erste ist vielmehr die Voraussetzung Dieses und die beiden folgenden Zitate Hex. 1,1; V , 3 2 9 a . Christus meint bei Bonaventura immer den Inkarnierten bzw. das Verbüm incarnatum. Sehr schön zeigt das der christologische Grundsatz Hex. XVIII,8 f.: Sapientia vel fructus sapientiae . . . est in contemplatione aeternarum rationum et in consideratione caelestium spirituum sublimatorum . . . iste fructus est a Christo tripliciter, quia Iesus Christus est Filius Dei: quia Iesus, ab ipso fructus gratiae; quia Christus, fructus iustitiae; quia Filius Dei, fructus sapentiae. V , 4 1 5 b f . In diesem christologischen Credo sind Gnade und Gerechtigkeit Gottes strikt dem göttlichen Heilshandeln im Inkarnierten verklammert. Vgl. Brevil. V , 1 0 ; V , 2 6 3 b ; V I , 1 1 ; V , 2 7 7 a ; so auch Gerken 4 6 . Anders urteilt Dempf 3 6 6 : „Bei Bonaventura taucht schon der Schatten Wilhelm Ockhams auf, der fideistische Positivismus, für den nur die Offenbarung positive Wahrheit ist und der Gotteswille nicht mehr wesensmäßig gebunden ist." 1

2

3 Hex. 1,10: Circa secundum nota, quod inripiendum est a medio, quod est Christus. Ipse enim mediator Dei et hominum est, tenens medium in omnibus, ut patebit. V,330b. 4 III Sent. d. 19 a.2 q.2 i.e.: Christus est medium inter humanam naturam et divinam, in quantum est una persona in duabus naturis, non ratione humanae naturae tantum, nec ratione divinae, sed ratione utriusque . . . (et alio modo) Christus est medium inter Deum et homines secundum humanitatem, in quantum habet mortalitatem simul et beatitudinem: mortalitatem, inquam, in qua communicat cum hominibus; beatitudinem, inquam, in qua communicat cum Deo. III,410b. Ebd. ad 1: Non enim est idem dicere esse mediatorem et esse medium; verumtamen mediator esse non posset, nisi esset medius. Quod enim simul et semel sit beatus et mortalis, hoc habet, quia homo et Deus; utraque tarnen istarum duarum proprietatum convenit ei secundum humanam naturam, ita quod mortalitas convenit humanae naturae in se, et beatitudo competit ei, in quantum est unita divinae. 111,41 l a . Brevil. IV,8: Cum prineipium reparativum in reconciliando necessario habeat mediatoris officium; ideo necesse est, quod habeat convenientiam cum utroque extremorum non solum quantum ad naturam, verum quantum ad ea quae sunt circa naturam. Quoniam ergo Deus est iustus et beatus, impassibilis et immortalis; homo vero lapsus est peccator et miser, passibilis et mortalis: necesse fuit, mediatorem Dei et hominum, ut hominem posset reducere ad Deum, cum Deo communicare in iustitia et beatitudine, cum homine vero in passibilitate et mortalitate; ut sie habendo mortalitatem transeuntem et beatitudinem permanentem, hominem reduceret de praesenti miseria ad vitam beatam. V,248b. - Zum Problem der gottmenschlichen Einigung in Christus vgl. Guardini, Erlösungslehre 5 4 f f . ; Kaiser 12ff.

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des zweiten. Medium ist Christus per definitionem auf zweifache Weise: Einmal in der Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in der Einheit der Person; zum andern und insonderheit in bezug auf seine menschliche Natur, sofern in ihr die Sterblichkeit und Leidensfähigkeit des Menschen und die Glückseligkeit Gottes zusammenkommen 5 . Christus als medium verbindet also nicht nur die göttliche und menschliche Natur in der Einheit der Person, sondern in dieser Verbindung hat die menschliche Natur teil an den Wesenseigenschaften von Gott und Mensch. In dieser in Christus vollzogenen unio von Gott und Mensch, in der unio von mortalitas und beatitudo, liegt das eigentliche Gewicht der Aussage von Christus als der Mitte: Die Inkarnation wird so von vornherein als auf die endzeitliche unio angelegt betrachtet. Daß Christus in Itn. 1,3 (s. o. S. 56) als figura des Aufstiegs der Seele zu Gott aufgeführt ist, hat in dieser Rede von Christus als der Mitte seinen Grund. In ihr hat die Person des Inkarnierten ihre Erstreckung auf die Einung Gottes mit der Seele. Insofern erst ist Christus der mediator Dei et hominum: nicht bloß kraft der Vereinigung von göttlicher und menschlicher Natur, sondern darin vor allem kraft dessen, daß nach der Seite der menschlichen Natur Christi die im Aufstieg der Seele noch ausstehende unio Dei et animae vollzogen ist. In der Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in der Person Christi ist Christus die Mitte von allem als Anteilhabe der menschlichen Natur an der Glückseligkeit Gottes. Er ist darin viator und comprehensor in einem6, oder, mit den Worten von Itn. Prol. 2 zu sprechen, suspensio und via. Davon, daß Christus in dieser Weise der viator und comprehensor simul ist, hängt es ab, daß Christus mit dem Amt der Versöhnung betraut ist. Das officium reconcilitationis ist also wesentlich an die natura humana Christi gebunden, genauer gesagt daran, daß in ihm die natura humana als diese leidende und sterbliche Natur teilhat an Gottes Glückseligkeit7. An die Überwindung der Sterblichkeit ist das Mittesein Christi wesentlich gebunden. 5 Guardini ebd. 54 f. stellt fest, die Beschränkung der Mittlerschaft auf die menschliche Natur Christi finde sich nur im Sentenzenkommentar. Hex. VII,9; V,367a wenigstens vollzieht diese Beschränkung ebenso und insofern ist Guardinis Feststellung nicht ganz exakt. 6 Brevil. IV,8; V,249a. 7 III Sent, d.19 a.2 q.2 i.e.: Si ergo quaeritur, qualiter et secundum quam naturam Christus sit mediator, cum mediator dicat officium reconcilationis, et mediator debeat differre ab illis quos reconciliat, et Christus secundum divinam naturam sit ille cui fit reconciliatio, dicendum, quod non potest esse mediator secundum divinam naturam, sed secundum humanam, in qua potest reconciliare secundum diversas proprietates, in quibus communicat cum Deo et cum homine. Habebat enim iustitiam et innocentiam, in quo communicat cum Deo, et mortalitatem, in qua communicat cum homine. III,410b f. - Man kann natürlich fragen, worin eigentlich das Besondere an Bonaventuras medium-Begriff liege. Daß Christus der mediator ist secundum humanam naturam und medius ist in der Teilhabe der menschlichen Natur an Eigenheiten Gottes und Eigenheiten des Menschen, scheint dogmengeschichtliches Gemeingut gegen einen arianischen Ansatz (vgl. das Scholion zu III Sent, d.19 a.2 q.2; 111,412). So äußert sich auch der Lombarde III Sent. d. 19 cap. 7: Mediat ergo inter homines et Deum-Trinitatem secundum hominis naturam, in qua suseepit ilia, per quae reconciliamur Deo-Trinitati; et secundum eandem habet aliquid simile Deo et aliquid simile hominibus . . . Verus igitur mediator Christus inter mortales peccatores et immortalem iustum apparuit mortalis cum hominibus, iustus cum Deo . . . ipse veniens

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Als dieser mediator, als der also, der das Amt der Versöhnung innehat, hält Christus die Mitte in allem. Dieses medium in omnibus von Hex. 1,10 ist wörtlich zu nehmen: Christus ist die Mitte nicht nur alles Geschaffenen, die Mitte nicht nur im Verhältnis von Gott und Welt, sondern dieser mediator Christus, dessen Mittesein wesentlich an seiner menschlichen Natur hängt, ist auch die Mitte Gottes selber8. „Es ist 9 also unser Vornehmen zu zeigen, daß in Christus alle Schätze der Weisheit und des Wissens Gottes verborgen sind, und er selbst ist die Mitte aller Wissenschaften. Er ist aber in siebenfacher Weise die Mitte, und zwar so: Er ist die Mitte des Seins (essentiä), der Natur (natura), der Entfernung (distantia), der Lehre (doctrina), der Bescheidung (modestia), der Gerechtigkeit (iustitia), der Eintracht (concordia)." Im Grunde stellt der ganze folgende Abschnitt Hex. 1,11 bis 3 9 ein Summarium der Wissenschaftslehre Bonaventuras dar. Jede Einzelwissenschaft hat einen, bestimmten Bezug zu Person und Werk des inkarnierten Gottessohnes10. Als Grundlage dieser siebenfachen Entfaltung ist det meprius in se humana sociavit divinis per utriusque naturae coniunctionem in una persona; deinde omnes fideles per mortem reconciliavit Deo. III,398b. Der entscheidende Schritt, den Bonaventura über die Position des Lombarden (der mit dem „deinde" im letzten Satz eigentlich mehr ausläßt als klärt) hinaus tut, liegt m. E. in der Dynamisierung des Verhältnisses der beiden Naturen in Christus. Nicht bloß, daß Christus nach seiner menschlichen Natur teilhat an Sterblichkeit des Menschen und Seligkeit Gottes, macht sein esse medium aus, sondern daß in ihm die Sterblichkeit des Menschen überführt wird in die Unsterblichkeit Gottes; III Sent, d.19 ebd.: dum mors coniungitur iustitiae, in eodem confoederatur homo peccator et mortalis Deo iusto et immortali. In dieser confoederatio (oder, wie Brevil. IV,8 sagt, im transitus mortalitatis und permanentia beatitudinis) liegt das Werk der Versöhnung; Reconciliati enim sumus Deo per mortem hominis innocentis (cit. Rom. 5,10). III,411a. Entsprechend heißt es Hex. 1,27: Necesse ergo fuit, ut homo transiret amortalitateadimmortalitatem, a defectu ad opulentiam, de passibilitate ad coronam. V,334a. Deutlicher noch hebt auf die confoederatio in morte und die aus ihr resultierende reconciliatio Rep. Α ab: In morte unitur impassibilitas passibilitati, sed non omnino patitur; immortalitas mortalitati, sed non omnino moritur; indeficientia deficientiae, sed non absumitur. Et quia haec in eo ibi fuerunt in summo et vere unita; scilicet impassibilitas passibilitati, immortalitas mortalitati, indeficientia deficientiae, nec superaverunt, sed superata sunt, ideo in resurrectione quasi concludens tam se quam credentes passibiles facit impassibiles, mortales immortales, deficientes aeternos. Delorme 15. - I n Differenz zu Bonaventura bestimmt Thomas den medium-Begriff. Bonaventuras Meinung, Christus sei medium sowohl als die eine Person unter Hinsicht beider Naturen als auch unter Hinsicht der Anteilhabe seiner menschlichen Natur „simul" an Eigenheiten Gottes und des Menschen (s. o. Anm. 4), lehnt Thomas in der ersten Hinsicht eindeutig ab. S.th. III q.26 a.2 i.e.: Est autem de ratione medii quod distet ab utroque extremorum. Coniungit autem mediator per hoc quod ea quae unius sunt, defert ad alterum. Neutrum autem potest convenire Christo, secundum quod Deus, sed solum secundum quod homo. Also auch esse medium kommt Christus nur nach der menschlichen Natur zu. Man ahnt, worauf diese Differenz zwischen Bonaventura und Thomas zielt: Ein Christus medius, wie Bonaventura ihn bestimmt, kann auch die Mitte Gottes selber werden, und das geht nach Thomas unter keinen Umständen. Es zeigt sich hier im Ansatz, was im folgenden deutlicher werden wird, die tiefe Kluft zwischen dem Gottes Verständnis des Thomas und dem Bonaventuras. Gerken 21. Hex. 1,11: Propositum igitur nostrum est ostendere, quod in Christo sunt omnes thesauri sapientiae et scientiae Dei absconditi, et ipse est medium omnium scientiarum. Est autem septiforme medium, scilicet essentiae, naturae, distantiae, doctrinae, modestiae, iustitiae, concordiae. V,331a. 8

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dium-Begriff unterlegt, von dem eben die Rede war. Christus ist die Mitte der Wissenschaften in der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur und als die Überwindung des Todes zur Einung mit Gott nach seiner menschlichen Natur. In diesem Verstand ist er auch 1 1 die Mitte des Gegenstandes, der uns hier am ehesten interessiert. „Die 1 2 erste Mitte ist Christus in der ewigen Zeugung gewesen." Wohlgemerkt: Christus, also der Inkarnierte, der Mittler selber ist die Mitte der ewigen Zeugung. Bonaventura führt das so aus: „Sein 1 3 nämlich ist nicht anders denn in doppelter Weise: Sein aus sich heraus und sich gemäß und um seiner selbst willen (esse ex se, secundum se et propter se) und Sein, das aus einem anderen ist und einem anderen gemäß und um eines anderen willen (esse ex alio, secundum aliud, propter aliud)." Diese Aussage führt mitten ins Problem hinein; denn es erhebt sich angesichts des Satzes: Esse non est nisi dupliciter die Frage, von wo aus er gilt. Genauer gefragt: Gilt diese Aussage nur aus der positiven Verfaßtheit der Schöpfung, also von der Faktizität von Welt her, oder versteht sie sich als eine Bestimmung des Seins selber, als Bestimmung von Sein überhaupt, welches aller geschöpflichen Faktizität zuvor in sich als non nisi dupliciter gefaßt werden muß ? Und gälte sie nur von der Faktizität von Welt her: wäre darin diese Faktizität nicht eo ipso transzendiert derart, daß die von der Faktizität von Welt her getroffene Aussage über Sein überhaupt umschlägt in eine Aussage, die sich von der kategorischen Bestimmung des Seins selber her erbringt, so daß, indem vom geschöpflichen Sein her gedacht wird, notwendig zugleich vom Sein in sich her gedacht wird, und also die Aussage: esse non est nisi dupliciter, gerade indem sie von Welt her getroffen wird, eine Aussage über das allem ex alio zuvorliegende Sein in sich impliziert? Wenn Bonaventura sagt: esse non est nisi dupliciter, so scheinen jedenfalls das esse ex se, um das es hier und in den folgenden Abschnitten des Hexaemerons wesentlich geht, und das esse, quod non est nisi dupliciter, in einem außerordentlich engen und inneren Zusammenhang zu stehen; esse ex se erscheint als ein esse, welches als dieses esse und in sich selber das esse ex alio zu sich in Relation setzt. Sofern, so scheint diese Wendung verstanden werden zu müssen, Sein Sein ist in der zweifachen Dimension von esse ex se, secundum se, propter se und esse ex alio, secundum aliud et propter aliud, kann von Sein jenseits dieser Relation offenbar gar nicht gesprochen werden, und es scheint, als könne die Aussage: esse non est nisi dupliciter auch mit dem Satz paraphrasiert werden: Esse aut est dupliciter aut non est. Das esse ex alio, secundum aliud et propter aliud erscheint in den Sätzen von Hex. 1,12 dergestalt als notwendig mit Sein überhaupt gesetzt, und so 1 1 Vgl. D o m III Adv. S.II; IX,60a. Vgl. Schema zu H e x . 1,1 I f f . im Anhang. H e x . 1,11: Primum medium Christus fuit in aeterna generatione. V , 3 3 1 a . 1 3 H e x . 1,12: Primum ergo medium est essentiae aeternali generatione primarium. Esse enim non est nisi dupliciter: vel esse, quod est ex se et secundum se et propter se, vel esse, quod est ex alio et secundum aliud et propter aliud. V , 3 3 1 a . — Rep. Α notiert: sciendum quod esse duplex est. Delorme 5. 10

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wiederum scheint es, als könne von Sein jenseits dieser Aussage nicht nur nicht gesprochen werden, sondern als wäre es selbst nicht Sein, stünde es nicht in dem mit non nisi dupliciter benannten Bezugsfeld. Das damit markierte Problem verschärft sich im Blick auf die Ausführung, die Bonaventura seinem kategorischen Satz vom Sein gibt. Erst nachdem er in der genannten Weise die Bezogenheit von esse ex se etc. und esse ex alio etc. herausgestrichen hat, kommt er zur Näherbestimmung des esse ex se: „Es ist 14 auch notwendig, daß Sein, welches aus sich selber ist, seiner selbst gemäß und um seiner selbst willen ist." Hierbei kommt es auf die Notwendigkeit an: Esse ist einerseits nicht anders denn in doppelter Weise. Das ist in aller Allgemeinheit die Aussage über die in esse vorfindliche Beziehung von esse ex se etc. und esse ex alio etc. Wenn Bonaventura nunmehr im Anschluß an die Feststellung der Duplizität von esse auf die Notwendigkeit abhebt, daß Sein aus sich selber zugleich sich selbst gemäß und um seiner selbst willen sei, so hat das offenbar wesentlich damit zu tun, daß esse überhaupt im Bezugsfeld von esse ex se etc. und esse ex alio etc. steht. Die Notwendigkeit in der Dreispannung des esse ex se scheint in dieser Anordnung nicht dem für sich genommenen esse ex se innezuwohnen, sondern ihm innezuwohnen kraft der Oberbestimmung, derzufolge Sein nicht anders ist denn in doppelter Weise. Sollte die hier vorgelegte Sicht des Satzes vom Sein ansatzweise richtig sein, so ist zunächst einmal zu fragen: Welche Beziehung ist mit der Duplizität von esse überhaupt gemeint 15 ? Auf wen oder was, das näher bestimmbar ist als die Abstraktion esse, so kann man auch fragen, treffen die Aussagen ex se, secundum se und propter se zu? Geht man dieser Frage nach, so trifft man auf einen Begriff, der im Itinerarium bereits zur Sprache gekommen ist: das primum principium, Gott selbst. „Der 1 6 erste Anfang, gerade indem (hoc ipso) er der erste ist, ist aus sich selbst, sich selbst gemäß und um seiner selbst wil1 4 Hex. 1,12: Necesse etiam est, utesse, q u o d e s t ex se, sit secundum se et propter se. V , 3 3 1 a . — In derselben Anordnung verfährt Rep. A ; Delorme 5. 1 5 Diese Frage impliziert zugleich eine andere, die nämlich, inwieweit diese Beziehung notwendig auf die Entfaltung des esse ex se in dreierlei Hinsicht dränge; und eine weitere: Welcher Bestimmung in esse selber verdankt es sich, daß es notwendig in der genannten Duplizität steht? Beide Fragen werden jener ersten hintangestellt, denn erst die Klärung der allgemeinen Aussage über Sein wird es ermöglichen, zu den einzelnen Bestimmungen des in Rede stehenden Seins sachgemäß vorzudringen. 1 6 Brevil. VII, 1: cum primum principium, hoc ipso quod primum, sit a se ipso, secundum se ipsum et propter se ipsum, hoc ipso ipsum est efficiens, forma et finis, universa producens, regens et perficiens. V,28 l a . - Die Übersetzung solch kreiselnder Sätze ist außerordendich schwierig. Eine gewisse Unausgewogenheit im Deutschen läßt sich oft nicht vermeiden, da unsere Sprache den eigentümlichen Satzbau nur schwer nachvollziehen kann, mit welchem Bonaventura, wie hier, den Sachverhalt eigentlich in mehreren Anläufen zu fassen sucht. Im ersten bezieht er sich ganz auf das primum principium: a se, secundum se, propter se. Im zweiten dynamisiert er das prjmum principium, indem er ihm Bestimmungen zufügt, die ein Objekt (bzw. einen Gen. obj.) erwarten lassen, die nun aber von Bonaventura absolut benutzt werden: efficiens, forma, finis. Im dritten schließlich nennt er das Objekt: universa producens, regens, perficiens. Diese Eigenart hängt, wie sich zeigen soll, an der Eigenart der Sache; sie ist bedingt dadurch, daß sich die primitas Gottes so und nicht anders entfaltet.

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len; und eben darin (hoc ipso) ist er hervorbringend, seinsbestimmend und zielgebend (efficiens, forma et finis), bringt er alles hervor, leitet und vollendet es." Die Verknüpfung von esse ex se etc. und esse ex alio etc., die Hex. 1,12 zunächst bloß eine Beziehung in den Begriff von Sein eintrug, wird hier faßbar als die Verknüpfung Gottes mit seiner Schöpfung. Das non nisi dupliciter von Hex. I,12 1 7 findet seine sachliche Entsprechung im hoc ipso von Brevil. VII, 1: Weil auf Gott, den ersten Anfang, zutrifft, daß er aus sich selber, sich selbst gemäß und um seiner selbst willen ist, trifft es darin, daß er primum ist, zu, daß er efficiens, forma und finis ist, und das meint: daß er die Gesamtheit der Dinge hervorbringt, leitet und vollendet. Indem also Gott seinem Sein nach als der erste bestimmbar ist, ist unter dieser Seinsbestimmung Gottes die Schöpfung enthalten. Mit dem Sein Gottes ist Welt gesetzt. Der Sache nach ist hier nichts anderes ausgesprochen als das, was in Itn. 1,5 (s. o.) sich in Andeutungen bereits fand: Daß Gott in der Weise des Aufstiegs zu betrachten ist in der Doppelung der Spiegelschau, liegt in der Bestimmung des Seins Gottes selber begründet. Der Begriff, auf den es hier insonderheit ankommt, ist der des esse primum. Sofern das esse ex se sich ausweist als das primum principium oder das esse primum Dei, ist mit ihm seine tathafte Entfaltung gegeben. Die Duplizität von esse, welche für Bonaventura im Hexaemeron den Einstieg in die Seinsspekulation bildet, ist also im näheren zu begreifen als das Verhältnis von esse primum zu dem ihm untergeordneten und darin nach der Weise der Hervorbringung, Leitung und Vollendung abhängigen Sein. Diese zweite Seinsebene ist die der Schöpfung in ihrer Gesamtheit. Erstlingsschaft Gottes und Wirken Gottes ad extra stehen von daher in einem dichtgeschlossenen Zusammenhang derart, daß zwischen dem esse primum Dei und dem bestimmten Weltverhältnis Gottes eine innere Beziehung besteht. Denn „weil18 das Sein Gottes das erste ist, wirkt er alles um seiner selbst willen; und deswegen ist es nötig, daß er das letzte Ziel sei, der Anfang und die Vollendung, alpha und omega". Hier tritt zwischen das ex se und das propter se des göttlichen Seins vermittelnd die operatio omnium. Bonaventura sagt nicht: weil Gott der erste ist bzw. das erste Sein ist, ist sein Sein notwendig auch ein Sein um seiner selbst willen, sondern ausdrücklich: weil Gottes Sein das erste ist, wirkt er alles um seiner selbst willen. Vergleicht man diese Aussage aus dem Itinerarium mit jener aus dem Hexaemeron, so steht die operatio omnium in Itn. V,7 genau an der Stelle, an welcher in Hex. 1,12 das esse secundum se steht, und die operatio propter se an der Stelle, an wel1 7 M a n könnte diese Wendung immerhin noch der Unaufmerksamkeit des mitschreibenden Hörers anlasten und insofern in ihrer Tragfähigkeit bezweifeln, zumal Rep. Α der sprachlichen Gestalt nach weniger rigoros ist (s. o. S. 7 3 Anm. 13). Es wird sich indes zeigen, daß Rep. Β hier Originalität beanspruchen kann (s. u. S. 7 9 Anm. 2 8 ) . 1 8 Itn. V , 7 : quia enim est primum, omnia operatur propter se ipsum; et ideo necesse est, quod sit finis ultimus, initium et consummatio, alpha et omega. V , 3 0 9 b . - Aufschlußreich ist der Hinweis, daß Bonaventura in bezug auf die Bestimmung Gottes a se, secundum se, propter se statt esse, wie in H e x . 1,12 und Brevil. VII,1, auch agere einsetzen kann, wie in S.S. 11,43: Deus autem omne, quod agit, agit a se, secundum se e t p r o p t e r se. V , 5 5 1 b und Brevil. 11,1; V , 2 1 9 b .

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eher im Hexaemeron das esse propter se steht. Von hier aus läßt sich dann der Satz von Hex. 1,12: es ist auch notwendig, daß das esse, welches aus sich selbst ist, sich gemäß und um seiner selbst willen sei, paraphrasieren mit der Aussage: Sofern Gottes Sein das erste Sein schlechthin ist, steht es um seiner selbst willen in einem bestimmten Wirkungsverhältnis zu Welt. Nun ist das ja keine Kleinigkeit: wenn hier etwas Richtiges gesehen ist, wenn von esse also überhaupt nur in diesem Verhältnis von esse ex se etc. und esse ex alio etc. gesprochen werden kann, wenn also von Gott nur in seinem Weltverhältnis gesprochen werden kann, dann könnte das im letzten darauf hinauslaufen, Gott und Welt derart aneinander zu binden, daß Schöpfung oder Welt zur notwendigen Voraussetzung Gottes würde. Das hätte zwei Konsequenzen, genauer gesagt, zwei Aspekte einer Konsequenz: Man könnte meinen, das Gottsein Gottes müsse von diesem Begriff von esse her notwendig an den Bestand von Welt gebunden sein. Der Bestand von Welt wäre so die Voraussetzung Gottes, daß jenseits von Welt Gott weder denkbar noch existent wäre. Auf der anderen Seite erschiene Welt, sofern mit Gott gesetzt, von der Ewigkeit der Ewigkeit Gottes. Gott und Welt, in diesem Begriff von esse der Duplizität von esse subsumiert, wären im letzten als ein ewig widersprüchliches Verhältnis identisch derart, daß der Bestand von Welt nichts weiter wäre als eine bestimmte Hinsicht des esse Dei, in welcher Gott, zu sich selber in Widerspruch tretend, das Nicht-Göttliche als Verwirklichung seiner Gottheit ewig wirkte 19 . Daß Bonaventura derlei Folgerungen angesichts seiner Seinsspekulation als Gefahr am Horizont sah, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß er gerade (und sicher nicht ohne Absicht) im Anschluß an die Seinsspekulation von Hex. 1,12 (die uns noch weiter beschäftigen wird) auf die Lehre von der Ewigkeit der Welt zu sprechen kommt. Es gibt Leute 20 , so sagt er, die glauben - wobei sie insoweit etwas richtiges sehen, als wir in unserem Innersten in einem Zusammenhang mit dem ewigen Licht stehen —, 1 9 Es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß der systematische Ansatz Paul Tillichs letztlich einer solchen Widersprüchlichkeit ausgesetzt ist, etwa, wenn Tillich Gott beschreibt als den, der, „Gott über G o t t " , „weder Objekt noch Subjekt. . . i s t , . . . nicht selbst ein Teil ist, sondern der Grund des Ganzen". Der Negation non est pars korrespondiert hier eine für das Denken Bonaventuras zumindest unvermittelte und oblique Position: Gott der Schöpfer, und es fragt sich, ob das Sein, Gott als Grund von Welt, nicht lediglich darin Gott ist, daß es Gott von Welt ist, der Welt als seines Widerspruchs bedürftigund darin im M u t zu sich selber begriffen; in einem Mut, den Gott im Kreuz aufweist und dem Menschen mitteilt als den absoluten Glauben, „der J a sagt zum Sein, ohne etwas Konkretes zu sehen, was das Nichtsein in Schicksal und T o d besiegen könnte", und der darum ein M u t ist, „der den Zweifel und die Sinnlosigkeit in sich hineinn i m m t " . Ob nicht auf diesem Wege die Sinnlosigkeit in Gott selbst eingetragen sei, scheint mir als Frage durchaus erwägenswert zu sein. — Die Zitate nach Paul Tillich, Der M u t zum Sein, 4 . Aufl., Stuttgart 1 9 6 2 (Englisch: The courage to be, Yale 1 9 5 2 ) , Seite 1 3 4 f f . - D i e s e s Problem bei Paul Tillich hat auf seine Weise Eckehart Stove in seiner Dissertation: Das Unbedingte und das Bedingte, Z u r Problematik ihrer Vermittlung bei Paul Tillich; Heidelberg 1 9 7 1 , behandelt. 2 0 H e x . 1,16: Et hoc est contra errores eorum, qui credunt mundum ab aeterno creatum. Quia enim mentes nostrae cognatae sunt aeternis luminibus, putant, quod sicut res produetae sunt seu descriptae in arte aeterna ab aeterno, sie ab aeterno in isto mundo creatae sint; et sicut mundus ab aeterno descriptus est in arte aeterna, sie descriptum putant in materia. V , 3 3 2 a .

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weil in Gottes ewiger Kunst die Schöpfung vorentworfen ist, deshalb habe sie auch von Ewigkeit her materielle Existenz. Mit dem philosophischen Grundirrtum einer als ewig angenommenen Welt hat demnach die Seinsspekulation von Hex. 1,12 wesentlich zu tun. Ja geradezu: Bonaventura bringt diese Seinsspekulation als Abwehr des Irrtums bezüglich der Ewigkeit der Welt. Von daher erhält sie ihre Stoßrichtung. Der eigenartige Satz: esse non est nisi dupliciter und die sich für Bonaventura aus ihm ergebenden Folgerungen, von denen gleich noch zu sprechen sein wird, liefert geradezu die Basis der Argumentation gegen die Lehre von der Ewigkeit der Welt, so daß nun also zu sagen wäre: Gerade indem das esse Dei als esse Dei in einem bestimmten Weltverhältnis steht, gerade indem mit dem Sein Gottes Welt gegeben ist, gerade darin liegt das Argument gegen den Irrtum von der Ewigkeit der Welt. Es muß also mit dem Verhältnis Gottes zur Welt eine besondere Bewandtnis haben dergestalt, daß das Sein Gottes, sofern in ihm Welt mitgesetzt ist, gerade unbeschadet dieses seines Weltverhältnisses, vielmehr in ihm und unter seiner Form das Sein Gottes ist. Vergleicht man nun Bonaventuras Seinsspekulation mit der Position derer, die den Irrtum von der materiellen Ewigkeit der Welt vertreten, so wird die Richtung deutlich, in welcher der Unterschied zwischen der Aussage Bonaventuras und der seiner hier angesprochenen Gegner sich zu klären beginnt. Indem für Bonaventura aus dem festgestellten Verhältnis in esse überhaupt der Satz folgt: es ist auch nötig, daß Sein aus sich selbst sich selbst gemäß und um seiner selbst willen sei, und indem anderseits das secundum se nach Itn. V,7 in der operatio omnium seine Erläuterung erfährt, liegt in diesem secundum se von esse offenbar das entscheidende Argument. Die operatio Dei, welche das secundum se des göttlichen Seins erläutert, erschöpft sich nicht in der Hervorbringung von Welt. Vielmehr beschreibt die operatio Dei, wie aus Brevil. VII, 1 ersichtlich ist, den Bogen von Hervorbringung, Leitung und Vollendung, von productio, rectio 21 und perfectio der Schöpfung. Indem Sein überhaupt im Verhältnis von esse ex se und esse ex alio erscheint und sich dieses Verhältnis aus dem Umstand ergibt, daß das erste Sein um seiner selbst willen alles wirkt, erfährt die in Hex. 1,12 scheinbar festgefügte Beziehung zwischen esse ex se etc. und esse ex alio etc. eine tiefgreifende Dynamisierung. Die Beziehung zwischen dem esse ex se und dem esse ex alio, zwischen dem ersten Sein, welches Gott ist, und dem aus anderem hervorgegangenen Sein, welches die Schöpfung ist, wird, indem das Verhältnis zwischen beiden als eine Wirkbeziehung des ersten Seins um seiner selbst willen erscheint, im näheren bestimmt als ein aufzuhebendes Verhältnis. Das Itinerarium findet dafür die Aussage: „Das reinste Sein22 begegnet nicht anders als in der vollständigen Vermeidung (plena fuga) von Nichtsein, sowie auch das Nichts in der vollständigen Vermeidung von 21 Bonaventura sagt häufiger gubernatio, vgl. Hex. XXI,6; V,432a; De dec. praec. 1,3; V,507b u. ö. 22 Itn. V,3: ipsum esse purissimum non occurrit nisi in plena fuga non-esse, sicut et nihil in plena fuga esse. V,308b.

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Sein." Die Wendung von Itn. V,3: non occurrit nisi erinnert stark an die von Hex. 1,12: esse non est nisi dupliciter. Ihr äußeres Gemeinsames liegt zunächst darin, daß die eine Aussage ebenso kategorisch ist wie die andere. Aber es lassen sich auch innere Gemeinsamkeiten zwischen beiden Wendungen finden. Zwar sind non-esse und esse ex alio nicht unmittelbar identisch; aber sie sind identisch hinsichtlich der Schöpfung bzw. des esse ex alio de se, sofern die Schöpfung, wenn schon nicht materialiter, so doch originaliter ex nihilo ist 23 : „Der erste Anfang 24 hat ja in seiner allmächtigen Kraft und schenkenden Güte alle Kreatur aus dem Nichts ins Sein geführt; und deshalb kommt der Kreatur von sich aus Nichtsein zu, und deshalb bezieht sie ihr ganzes Sein von woanders her." Die Gnade, mit der Gott seine Schöpfung trägt, fährt hinaus ins Nichts. Jenseits dieses Gnadenbezuges und abgesehen von ihm sind esse ex alio und non-esse tatsächlich dasselbe25. Wenn also die Aussage heißt: esse non est nisi dupliciter und in gleicher Art gesagt ist: esse purissimum non occurrit nisi in plena fuga non esse, so liegt der Seinscharakter des geschaffenen Seins deutlich in der mit Gottes Sein gesetzten Beziehung. Dann ist aber zugleich Gottes Sein, sofern Welt mit ihm gesetzt ist, dem Nichtsein konfrontiert. Mit derselben Bestimmung, in welcher das erste Sein in seinem Wirken um seiner selbst willen ist und darin in einem bestimmten Weltverhältnis steht, ist es in bestimmter Weise auf Nichtsein bezogen: „Weil also 26 das primum principium, sofern es der status 27 ist, nicht sein kann, es sei denn Eines in Einheit: da es die Welt hervorbringt, kann es sie nicht aus sich selbst (de se ipso) hervorbringen; und wenn das so ist, dann ist es nötig, daß das primum principium aus dem Nichts heraus hervorbringe. Und weil die Hervorbringung aus dem Nichts von seiten des Hervorgebrach23 II Sent, d.l p.l a.l q.2 f.6: mundus totaliter habet esse a Deo: ergo mundus ex nihilo; sed non ex nihilo materialiter: ergo originaliter. II,22a. 24 Brevil. V,2: cum primum principium sua omnipotenti virtute et benignissima largitate creaturam omnem de nihilo produxerit ad esse; ac per hoc creatura de se habeat non-esse, to tum autem esse habeat aliunde: sic facta fuit, ut ipsa pro sua defectibilitate semper suo principio indigeret et primum principium pro sua benignitate influere non cessaret. V,253b. 25 Ebd.: De gratia igitur Dei, in quantum est adiutorium ad merendum, haec tenenda sunt, quod cum gratia dicatur generaliter, specialiter et proprie; generaliter dicitur adiutorium divinum craturae liberaliter et gratis impensum et indifferenter ad quemcumque actum; et sine huiusmodi adiutorio gratiae nec possumus aliquid efficere nec durare in esse. I Sent, proem.: profundum creationis est vanitas esse creati. I,3b. 26 Brevil. 11,1: Quoniam igitur primum principium, in quo est status, non potest esse nisi unum solum; si mundum producit, cum non possit ipsum producere de se ipso, necesse est, quod producat ex nihilo. Et quia productio ex nihilo ponit esse post non-esse ex parte producti, et immensitatem in virtute producente ex parte principii, cum hoc sit solius Dei; necesse est, quod creatura mundi sit producta ex tempore ab ipsa virtute immensa, agente per se et immediate. V,219b vgl. De myst. Trin. q.5 a.2 ad 7.8; V,96a. 27 Die Übersetzung von status ist schwierig. Gemeint ist die letzte Seinsbestimmung, über die weder der Sache nach noch im Erkenntnisvorgang hinauszukommen ist. Vgl. II Sent, praelocutio: est ibi status, ultra quem non contingit quaerere. 11,3 a. Dem Zusammenhang nach gehört diese Aussage über status zum Problem der innascibilitas Dei, die in der Analyse der Trinität erörtert werden wird.

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ten Sein nach Nichtsein setzt, und von Seiten des Ursprungs Unermeßlichkeit in der hervorbringenden Kraft - und diese kommt Gott allein zu - : deshalb ist es nötig, daß die Kreatur hervorgebracht sei aus der Zeit von der unermeßlichen Kraft selbst, die durch sich selbst und unmittelbar handelt." Dieser außerordentlich problematische Text 28 ist in diesem Zusammenhang vor allem interessant für die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Nichtsein. Bonaventura reklamiert zunächst ein solches für das geschaffene Sein (ex parte producta) in der Weise, daß die Zeit, sofern das geschaffene Sein von Gott aus Nichtsein in Sein überführt wird, zum Grundmerkmal alles geschaffenen Seins wird. Hierbei handelt es sich um einen realen Vorgang. Die Aussage: productio ex nihilo ponit esse post non-esse ex parte producti ist nicht nur im Sinne einer gedanklichen Setzung zu verstehen, sondern als die Realisierung eines Tatbestands 29 . Das Phänomen der Zeit verdankt sich diesem mit der Schöpfung vollzogenen Übergang von non-esse in esse30. Höchst bemerkenswert ist nun, daß dem Satze von Brevil. 11,1 nach unter dieses selbe Prädikat „ponit", welches für das Verhältnis von non-esse zu esse die Setzung eines realen Tatbestands als Zeit von Seiten des Geschaffenen meint, die Unermeßlichkeit, die immensitas Gottes gefaßt ist. Immensitas - der Begriff wird später in anderem Zusammenhang noch ausführlich zu erläutern sein 31 - , und zwar diese immensitas, die für die hervorbringende Kraft Gottes ex parte principii gilt, gehört als Begriff in die Erörterung der Eigenschaften der göttlichen Essenz32. Hier indessen ist Gottes immensitas unter dieses eine selbe Prädikat „ponit" gefaßt, welches für das geschaffene Sein das Verhältnis von non-esse zu esse setzt. Damit ist zumindest diese Eigenschaft des göttlichen Wesens eingeklammert in den einen selben Vorgang, mit welchem ex parte producti das Zeitverhältnis auf den Plan tritt. Das Verhältnis von primum principium und immensitas eius steht damit in genauester Entsprechung zum Verhältnis von non-esse und esse ex parte producti. Das Verhältnis von non-esse zu esse ex parte producti und die immensitas ex 28 Die Aussage: primum principium non potest esse nisi unum solum wird uns bald noch interessieren. Vorweg sei hier bereits darauf hingewiesen, daß die unitas Dei hier in derselben Aussageform zur Sprache kommt wie das esse in den Wendungen: non est nisi dupliciter und non occurrit nisi plena fuga non-esse. Dies ist zumindest ein Hinweis darauf, daß zwischen Gottes unitas und der Duplizität von esse und jener „plena fuga" ein fester Sachzusammenhang bestehen dürfte; und das ist auch ein Grund dafür, derjenigen Lesart von Hex. 1,12, die Rep. Β bietet, Echtheit zuzuschreiben (s. o. S. 75 Anm. 17). 29

II Sent, d.l p . l a.l q.2 ad 3; II,23a. Darin wird nicht nur die Zeit zu einer Grundkonstituanten der Schöpfung, sondern wenn Welt „Geschichte" hat, ist das ein Ausdruck und ein Ergebnis der productio ex nihilo. Das Verhältnis von non-esse und esse ist in den tempora immer präsent. Wenn aber jenes Verhältnis, das ein Verhältnis in der Zeit ist, Bestand hat nur unter der Gnade Gottes, so ist Geschichte wesentlich auf Gnade bezogene Geschichte. 3] Vgl. dazu De myst. Trin. q.4; V,79ff. (Erläuterung s. u. S. 246ff.). 32 Brevil. 1,2: Trinitas personarum non excludit ab essentia divina unitatem, simplicitatem, immensitatem, aeternitatem, incommutabilitatem, necessitatem et etiam trinitatem; quin potius includit summam fecunditatem, caritatem, liberalitatem, aequalitatem, germanitatem, conformitatem et inseparabilitatem. V,211a. 30

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parte prindpii erscheinen auf diese Weise als Hinsichten des einen Vorgangs von productio, in welchem das Sein Gottes produktiv ist. Angewandt auf die Seinsspekulation von Hex. 1,12 heißt das: Sofern Sein nicht ist, es sei denn zweifach, impliziert das Verhältnis von esse ex se etc. und esse ex alio etc. eine Erweiterung, die im Verhältnis von esse ex se etc. und esse ex alio etc. auf der Seite von esse ex alio eine Beziehung von non-esse und esse beinhaltet. Von hier aus wird man unmittelbar der Problematik inne, welche dem Seinsbegriff Bonaventuras anhaftet: Indem mit dem Sein Gottes Welt gesetzt scheint, unterliegen beide diesem Verhältnis von Gott und Welt subsumierten Momente ungeachtet des zwischen ihnen bestehenden Gefälles von ex se und ex alio einer gewissen Offenheit. Wäre tatsächlich die dem Seinsbegriff von Hex. 1,12 innewohnende Beziehung von esse ex se und esse ex alio nichts weiter als diese Beziehung, das Verhältnis von Gott und Welt diese Beziehung eines Seins, so läge in der Lehre von der Ewigkeit der Welt nicht das mindeste Problem. Welt, sofern sie alles, was sie an Sein hat, von Gott bezieht, stünde, wäre sie nur dieses esse ex alio 33 , keineswegs in Widerspruch zu Gott. Zwischen ihr und den ewigen, mit Gott in Einheit stehenden rationes aeternae34 läge, stünde die Schöpfung als esse ex alio etc. nicht ihrerseits im Verhältnis von non-esse und esse, nicht der mindeste Unterschied. Denn Sein, welches der Schöpfung zukommt, ist nicht eigenes Sein der Schöpfung, sondern Sein, das sie von Gott her bezieht, und das sie trägt. Insofern ist im letzten Sinne das Sein der Schöpfung gar kein Sein, sondern eine Beziehung35: „Die 36 Schöpfung hängt wesentlich vom ersten Sein ab, sowohl was die geschaffene Materie angeht als auch was die geschaffene forma angeht; und auch das Akzidenz hängt eher von Gott ab als von der Substanz, welche es trägt; denn Gott kann wohl machen, daß das Akzidenz ohne Träger sei, wie im Sakrament des Altars, aber Gott kann nicht machen, daß es nicht von ihm abhängt." Von daher kommt der Kreatur Sein zu, soweit sie am Sein Gottes partizipiert37 oder soweit sie in Beziehung zu Gott als dem ersten Sein steht. Wenn irgend in der Schöpfung von Sein gesprochen werden kann, meint das 3 3 Die Aussage ab bzw. ex alio kommt nicht nur auf geschaffenes Sein in Anwendung; De myst. Trin. q.5 a.2 ad 8 : dicendum, quod esse ab alio dupliciter dicitur: vel ab alio essentialiter, vel ab alio personaliter. V,96a. D. h., ab alio kann ebensogut in bezug auf die Schöpfung wie in bezug auf die göttlichen Personen angewandt werden (I Sent, d.4 a.un. q . l f.3: quidquid habet Filius, aut habet a se, aut ab alio; sed habet deitatem, et non a se, quia sic esset ingenitus: ergo habet ab alio. I,97a), die nicht der Vater sind, welchem allein das a nullo zukommt (I Sent, d.2 a.un. q.2 ad 4 ; I,54b und II Sent, praelocutio; II,2bf.). 3 4 De sc. Chr. q.2 concl.: Deus congnoscit res per rationes aeternas, quae sunt. . . idem essentialiter, quod est ipse Deus. V,8b. 3 5 Vgl. Ratzinger, Der Wortgebrauch von natura, besonders 4 9 5 . 3 6 Hex. X , 17: creatura essentialiter dependet a primo, et materia et forma, et etiam accidens magis dependet a Deo quam a suo subiecto; quia Deus potest facere, ut sit sine subiecto, ut in Sacramento altaris, sed non, quod non dependeat ab eo. V , 3 7 9 b vgl. Hex. IV,8; V , 3 5 0 a . 3 7 Hex. X , 1 5 f.: si est ens creatum, est ens increatum; et si est ens per participationem, est ens per essentiam . . . ens per participationem ab eo habet esse, quod est ens per essentiam, quia fluit ab eo. V,379a.

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diese G o t t e s b e z i e h u n g 3 8 . Als eine solche relatio essentialis r u h t die Schöpfung nicht in sich selbst 3 9 , sie k a n n es nicht, weil jenseits ihrer Seinsbestimmtheit als relatio essentialis ein esse ü b e r h a u p t nicht m e h r a u s g e m a c h t w e r d e n k a n n : „ D e r 4 0 M a g i s t e r s a g t 4 1 : es gibt die K a t e g o r i e accidens in der Schöpfung, sofern die S c h ö p f u n g eine R e l a t i o n a u f den Schöpfer h a t . D a w i r d gefragt, wie das zu verstehen sei. E s scheint nämlich die M e i n u n g des M a g i s t e r s falsch zu sein, da es d o c h zutrifft, eine S a c h e unter A b s e h u n g ihrer Akzidenzien zu b e t r a c h t e n : w e n n d a n n also die R e l a t i o n auf den Schöpfer der K r e a t u r akzidentiell ist, d a n n ist es zutreffend, die geschaffene res als ein Sein zu betrachten, abgesehen v o n jenem Akzidenz der Relation, auch also abgesehen v o n ihrem Bezug auf den S c h ö p f e r . . . D a r a u f a n t w o r t e ich: Die K r e a t u r ist, w a s angeht, d a ß sie ü b e r h a u p t ist, w e s e n h a f t a b h ä n g i g ; und eine solche Beziehung, w e l c h e jene Abhängigkeit a u s d r ü c k t , ist der K r e a t u r nicht akzidentiell, s o n d e r n w e s e n t l i c h . " W e n n also B o n a v e n t u r a s a g t : esse n o n est nisi dupliciter, s o ist das nicht mißzuverstehen i m Sinne einer Aussage w i e : esse n o n est nisi duplex. D a ß esse in doppelter W e i s e ist (und nicht ein doppeltes Sein 4 2 ), t r ä g t d a m i t keinesfalls einen W i d e r s p r u c h in das Sein selber ein, s o n d e r n b e s t i m m t es w e 3 8 Brevil. 11,12: quia, cum omnes creaturae respectum habeant et dependentiam ad suum Creatorem, tripliciter ad ipsum comparari possunt, scilicet aut sicut ad principium creativum, aut sicut ad obiectum motivum, aut sicut ad donum inhabitativum. Primo modo comparator ad ipsum omnis eius effectus, secundo modo omnis intellectus, tertio modo omnis spiritus iustus et Deo acceptus. Omnis enim effectus, quantumcumque parum habens de esse, habet Deum sicut principium. V,230a. 3 9 I Sent, d.8 p.2 a.un. q.2: Nihil autem, quod dependet, est sua dependentia. I,169b. 4 0 I Sent, d.30 dub.4: Item quaeritur de hoc quod dicit, quod accidens est in creatura, cum relatio est creaturae ad Creatorem. Videtur enim falsum, quia contingit rem intelligj, accidente remoto: ergo si relatio ad Creatorem accidit creaturae, ergo illo remoto, contingit rem creatam esse intelligi etiam circumscripto respectu ad Creatorem . . . Respondeo: Dicendum, quod creatura quantum ad esse primum essentialiter dependet; et talis relatio, quae exprimit illam dependentiam, non est creaturae accidentalis, sed magis essentialis. I,528.ab. - Das esse primum, von dem Bonaventura hier spricht, ist nicht das Erste göttliche Sein von Itn. V, sondern die Abstraktion des geschaffenen Seins, das esse analogum (Itn. V,3; V,309a), ein Sein, das als Sein der geschaffenen Natur immer schon in Beziehung zu seinem Ursprung steht. Von ihm ist zu unterscheiden das secundum esse bzw. bene esse, als welches das geschaffene Sein nicht nur in Beziehung auf seinen Ursprung, sondern auch in Beziehung auf sein Ziel steht. Darin liegt, in sich jedenfalls, keine essentielle Notwendigkeit; vgl. I Sent, d.30 ebd. und II Sent, d.41 a.l q.3 ad 5; II,945b. 4 1 I Sent, d.30 cap.l; I,520a. 4 2 So liest Rep. A Hex. 1,12: sciendum quod esse duplex est. Delorme 5. Nebst der oben S. 79 Anm. 28 angeführten sprachlichen Gründen ist dies der inhaltliche Grund, die Lesart von Rep. Β vorzuziehen, welche das Prädikat des Satzes vom Sein mit dem Adverb „dupliciter" versieht und damit das Prädikat „est" nicht mehr bloß als ein Hilfsverb, sondern als ein volles Tätigkeitswort betrachtet, welches die Handlung eines grammatischen Subjekts (esse) in zweierlei Weise aussagt. Wenn Rep. A. demgegenüber sagt: esse est duplex, so entfällt dem Referenten nicht nur der dynamische Akzent dieses Satzes (sofern ihm „duplex" grammatisch Prädikatsnomen zum Hilfsverb „est" ist), sondern er eröffnet zugleich die Möglichkeit eines Verständnisses, welches, da es das Sein selbst als ein doppeltes verstehen kann, dem esse ex alio eine ungleich größere Eigenständigkeit zuschreiben könnte, als es bei Bonaventura der Fall ist.

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Fischer, De Dco trino

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senhaft als dynamisches Sein. Indem Sein überhaupt, in dieser Weise bestimmt als non nisi dupliciter, wesentlich das Verhältnis von Gott und Welt impliziert, ist dem esse ex alio grundsätzlich Eigenständigkeit abgesprochen, und gerade darin liegt das Argument gegen die Lehre von der Ewigkeit der Welt; denn diese müßte ein esse duplex unterstellen, sie müßte das Verhältnis, in welchem geschaffenes Sein im Schritt von non-esse auf esse realisiert wird, als einen ontologischen Schritt eigenen Wesens postulieren, der als eine zweite, selbständige Seinsmöglichkeit neben jenes erste göttliche Sein treten könnte 43 , wie es in der Wendung vom esse duplex angedeutet ist. Im letzten Horizont wäre dann das Verhältnis von non-esse und esse als ein Gott gleichwertiges Verhältnis die Bestreitung des Seins von Gott und Welt, sofern nämlich Nichtsein als ewige Möglichkeit zur Bedingung von Sein selber würde44. Damit beginnt nun die Richtung, in welcher sich Bonaventuras Überlegungen zum Sein bewegen, deutlich zu werden: Wenn für Sein überhaupt die Aussage gilt, daß es nicht ist, es sei denn in doppelter Weise, so impliziert das augenscheinlich eine Aussage über das göttliche Sein selber. Darum ist es nunmehr nötig, der Eigenart dieses Seins weiter nachzugehen. Die Einsicht, daß der Satz vom Sein das bestimmte Weltverhältnis Gottes zum Inhalt hat, sagt noch nichts darüber, warum Sein nicht anders als in doppelter Weise ist. 43 Das ist der Punkt, an welchem Bonaventura gegen Thomas protestiert. Nicht darin, daß in Gott die Entscheidung über die Geschichte der Welt fällt, sind beide uneins (wiewohl dann auch dieses „in G o t t " eine unterschiedliche Interpretation erfährt), sondern darin, daß Thomas aus der Ursprungsrelation ein eigenständiges Philosophem meint ableiten zu können, welches, die Ursprungsrelation der Begrenztheit der Zeit enthebend, diese als eine eigene ontologische Qualität neben das Werk Gottes setzend und der Verbindlichkeit des göttlichen Handelns, werde sie nur gedacht, entreißen könnte. Vielleicht ungewollt, ist Secklers Darstellung des Sachverhalts bei Thomas ein deutlicher Hinweis: „Das Geschaffensein der Welt, die Relation der Abhängigkeit der Dinge von ihrem Ursprung und die Freiheit des Schöpfers im Akt des Entspringenlassens ist rational erweisbar, nicht aber der zeitliche Anfang der Welt und die zeitlichen Endpunkte dieser Relation." Soweit gehen in gewisser Weise Bonaventura und Thomas noch zusammen. Aber Seckler fährt fort: „Zum Wesen der Zeit gehört es nicht, daß sie anfängt oder endigt." (Seckler 73 unter Hinweis auf den Sentenzenkommentar des Thomas, II Sent, d . l q.l.) Das h e i ß t - v o r ausgesetzt, Thomas sei richtig interpretiert - : Aus der rationalen Unerweislichkeit von Anfang und Ende der Zeit kommt Thomas zu einer Aussage über das „Wesen der Zeit", so daß Gott, bestimmt er die Zeit zu Anfang und Ende, etwas gegen das rational erschließbare Wesen der Zeit, und wenn nicht gegen, so doch ein dem vorfindlichen Wesen Hinzuzufügendes zu wirken hätte, und also erscheint die Zeit, die Ursprungsrelation, in ihrem Wesen als nicht von Gott bestimmt, und Gott, da er der Zeit Anfang und Ende setzt, als der, der herrscherlich bestimmt über eine Seinsebene eigenen Standes, die ihrem Wesen nach sich ihm entzieht. Wenn darum Bonaventura, wie Seckler 74 berichtet, die These des Thomas „als ein unvernünftiges und falsches Philosop h e m " ablehnt, so nicht deshalb, weil die Anfangs- und Endlosigkeit von Zeit nicht denkbar wäre (im weitesten Sinne; im Sinne Bonaventuras ist sie in der Tat nicht denkbar), sondern weil es etwas über Gott aussagt, dies nämlich, daß Gott, wenn auch als der Herr, einer eigenen Seinsebene neben sich konfrontiert wäre, über deren Wesen er nicht der Herr ist. Dazu auch unten S. 136 Anm. 206. 44 Vgl. die scharfe Formulierung von Tillich, Der Mut zum Sein (s. o. S. 76 Anm. 19), 130: „Das Nichtsein macht Gott zum lebendigen Gott."

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Es ist nötig, sagt Bonaventura, daß das Sein, welches nur in doppelter Weise sein kann, nach der Seite, nach welcher es aus sich selbst, sich selbst gemäß und um seiner selbst willen ist, notwendig, da es aus sich selber ist, sich selbst gemäß und um seiner selbst willen sei. Die Notwendigkeit dieser dreifachen Entfaltung des esse ex se scheint der Textanordnung nach damit zusammenzuhängen, daß esse nicht anders als in doppelter Weise ist45. Das, was inhaltlich dieser Notwendigkeit unterliegt, steht so in einer Notwendigkeitsbeziehung zu dem Verhältnis, welches mit den beiden grundsätzlichen Hinsichten von esse gegeben ist. Die Frage heißt jetzt: Woher diese Notwendigkeit? Bonaventura führt aus: „Sein46 ist Sein aus sich selber, sofern es Ursprung gibt; Sein ist sich selber gemäß, sofern es urbildlich wirkt; und Sein ist um seiner selbst willen, sofern es das Ziel oder das Ende setzt; es hat also die Hinsichten des Anfangs, der Mitte und des Ziels. Es ist der Vater als ursprunggebender Anfang; es ist der Sohn als urbildlich wirkende Mitte; es ist der Heilige Geist als endende Erfüllung. Das Sein subsistiert also in drei Personen. Sie sind gleich und gleich edel, denn wenn der Heilige Geist den Abschluß der göttlichen Personen bildet, der Vater den Ursprung gibt und der Sohn alles repräsentiert, so ist das alles von gleichem Adel." Bonaventura spricht hier von demjenigen esse ex se, in bezug auf welches wir einen tiefinneren Zusammenhang mit dem dupliciter des Obersatzes vermuten müssen. In seiner Ausführung erscheint es, darin es ex se etc. ist, als originans, exemplans et finiens bzw. als principium, medium und finis. Und der engen Verknüpfung eingedenk, welche zwischen dem esse quod non est nisi dupliciter und dem esse ex se augenscheinlich besteht, ist zu vermuten, daß das Sein, soweit es nicht ex alio ist, sich unter Rücksicht auf seinen inneren Zusammenhang mit der Bestimmung, derzufolge esse non est nisi dupliciter, notwendig unter den drei genannten Hinsichten entfaltet. Daraus ergibt sich vor allem, daß die Bestimmungen originans, exemplans und finiens seu terminans, principium, medium et finis, oder, wie Bonaventura deutlicher werdend präzisiert, die göttlichen Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist von der Beziehung, die mit Sein überhaupt gesetzt ist, nicht abzulösen sind. Kraft der inneren Verknüpfung von esse quod non est nisi dupliciter und esse ex se subsistiert das göttliche Sein notwendig in drei Personen gleichen Adels. Damit sind die innertrinitarischen Beziehungen Gottes mit der Bestimmtheit des Seins, mit welchem ein bestimmtes Weltverhältnis gesetzt ist, zusammengenommen. S. o. S. 74. Hex. 1,12: Esse enim non est nisi dupliciter: vel esse quod est ex se et secundum se et propter se, vel esse quod est ex alio et secundum aliud et propter aliud. Necesse etiam est, ut esse, quod est ex se, sit secundum se et propter se. Esse ex se est in ratione originantis; esse secundum se in ratione exemplantis, et esse propter se in ratione finientis vel terminantis; id est in ratione principii, medii et finis seu termini. Pater in ratione originantis principii; Filius in ratione exemplantis medii; Spiritus sanctus in ratione terminantis complementi. Hae tres personae sunt aequales et aeque nobiles, quia aequae nobilitaos est Spiritui sancto divinas personas terminare, sicut Patri originäre, vel Filio omnia repraesentare. V , 3 3 l a b . 45 46



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Das Verhältnis von Gott und Welt, welches im Einsatz dieser Seinsspekulation steht und das nach der Seite von Welt ein Verhältnis von non-esse zu esse wesentlich zum Inhalt hat, erweitert sich so nach der Seite Gottes als Verhältnis der drei göttlichen Personen untereinander. Die eingehende Analyse dieses innergöttlichen Verhältnisses braucht hier noch nicht weiter zu interessieren. Wichtig an dieser Weiterung ist vielmehr zunächst ein anderer Aspekt: Wenn es richtig ist, daß mit dem Sein Gottes selber Gottes Weltverhältnis gesetzt ist, wenn damit auch richtig ist, daß Gott in diesem seinem Weltverhältnis eine (noch näher zu bestimmende) Beziehung zu non-esse hat, so taucht dabei die Frage auf, ob nicht gerade in der Sicht Bonaventuras letztlich Gott selbst auf das Nichts als auf eine eigene metaphysische Größe angewiesen sei. Die Erstlingsschaft des göttlichen Seins, welcher Welt sich verdankt, könnte leicht dahingehend verstanden werden, als sei Gott, um in seinem Weltverhältnis zum Zuge zu kommen, des Nichts bedürftig, als sei das Verhältnis von non-esse und esse selber im letzten eine Bedingung Gottes. Zwar versichert Bonaventura: „Das reinste Sein begegnet nicht anders als in vollständiger Vermeidung von Nichtsein" 47 , aber diese Aussage kann, nimmt man den lateinischen Text, den Charakter einer gewissen Uneindeutigkeit nicht vermeiden. „Plena fuga" - die plastische Wortwahl unterstellt (nebst daß Gottes Sein selber erstaunenerregenderweise in wilder Flucht 48 erscheint) non-esse nahezu als ein Etwas, als ein Prinzip, welches, dem göttlichen Sein diametral entgegengesetzt, mit Gott selber im Kampfe liegt. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, daß in den Äußerungen von Itn. V esse und non-esse auf einer sprachlichen Ebene liegen: „Das reinste Sein befindet sich in voller Flucht vor dem Nichtsein, sowie auch das Nichts sich in voller Flucht vor dem Sein befindet. So wie also das, was gänzlich nichts ist, nichts vom Sein hat noch von dessen Bedingungen, so hat ganz im Gegensatz dazu das Sein nichts vom Nichtsein." Die zweimalige Verknüpfung der Aussagen über das Sein und das Nichts durch „sicut" und beider Subsumtion unter je das eine Prädikat „occurit" bzw. „habet" setzt zumindest im Sprachduktus beides auf eine Ebene derart, daß Sein und Nichts gegeneinander verselbständigt scheinen. Wenn das göttliche Sein „plena fuga non-esse" ist, scheint gar dem Nichts eine Macht zuzukommen, welche das Sein Gottes selber noch gefährden könnte. Zwar gibt Bonaventura im selben Zusammenhang eine Bestimmung von non-esse, welche zunächst diese Sicht entschärft: denn non-esse ist nichts als eine privatio essendi, eine Wegnahme von Sein49, aber es kann sich dennoch die Frage stellen, ob nicht, wenn richtig gesehen ist, daß Gott und Welt im Begriff des göttlichen Seins in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen, der Schöpfungsakt, mit welchem Gott aus sich 47 Itn. V,3: ipsum esse purissimum non occurrit nisi in plena fuga non-esse, sicut et nihil in plena fuga esse. Sicut igitur omnino nihil nihil habet de esse nec de eius conditionibus; sie econtra ipsum esse nihil habet de non-esse. V,308b. 48 Das ist die lexikalische Übersetzung von „plena fuga"; vgl. Georges, Stichwort fuga. 49 Itn. V,3.

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heraustritt, gerade indem er ein Verhältnis von non-esse und esse ex parte producti setzt, zugleich eine Gefährdung Gottes selber bedeute. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen, scheint mir, sind die Erläuterungen zum esse ex se etc. zu verstehen. Und nun heißt meine These: Gerade weil das Sein Gottes in einem Weltverhältnis steht, gerade weil damit auf selten der Welt ein Verhältnis nicht nur zu Gott, sondern auch zu Nichtsein gesetzt ist, gerade deshalb steht Gott in keiner Beziehung zum Nichts. Indem das göttliche Sein unter Rücksicht auf sein Weltverhältnis sich notwendig secundum se und propter se entfaltet, notwendig als Vater, Sohn und Heiliger Geist, gerade darin ist mit Gottes Weltverhältnis ein göttliches Selbstverhältnis gegeben, in welchem das Nichts nicht präsent ist 50 . Die Notwendigkeit der trinitarischen Entfaltung Gottes, die sich nach Hex. 1,12 aus dem esse dupliciter ergibt, muß - im näheren wird sich das noch zeigen - so begriffen werden, daß in ihr, der trinitarischen Entfaltung Gottes selbst, Gott das Nichts bereits hinter sich gelassen hat, oder exakter gesagt: Es soll sich zeigen, daß Gott, gerade indem er in einem bestimmten Weltverhältnis steht und darin in gewisser Weise dem Nichts konfrontiert ist, in sich notwendig in keiner (weder bedingenden noch bedingten) Beziehung zum Nichts steht. Sofern Sein nicht anders als in doppelter Weise ist, ist das Verhältnis, das nach der Seite des esse ex alio als Verhältnis von non-esse und esse erschien, in der Duplizität von esse überholt und eingeholt darin, daß nach der Seite des esse ex se Gott zu sich selber und zu nichts sonst in Beziehung steht 51 . Die Betrachtung eines wesentlichen Moments des göttlichen Selbstverhältnisses ist das Geschäft des Metaphysikers. „Der Metaphysiker 52 aber, 50 Bonaventura bringt das in einem etwas anderen Zusammenhang auf den Satz: Non ergo oportet, quod relatio semper inducat mutationem in utroque extremorum propter sui corruptionem vel inceptionem; sed sufficit, quod in altero. I Sent, d.30 dub.3; I,528a. 51 Man kann und darf auch nicht, wie angesichts eines Textes wie Brevil. 11,1 (productio ex nihilo ponit esse post non-esse ex parte producti) wohl denkbar wäre, einwenden: Da Gott die Welt hervorbringt, bringt er damit zugleich notwendig Nichts hervor. Sondern Gott bringt, da er Welt erschafft, nicht Nichts hervor und hat insofern auch und gerade als der Schöpfer das Nichts immer schon hinter sich gelassen. Vgl. II Sent, d.12 dub.2: Quia ergo tenebra privationem dicit, ideo non dicitur esse facta; quia vero aliquid ponit in obliquo, ideo non est aeterna. II,307b f. Diese Überlegung verweist auf das Verhältnis von Trinität und Schöpfung, über das noch ausführlich gesprochen werden wird. 52 Hex. 1,13: Metaphysicus autem, licet assurgat ex consideratione principiorum substantiae cretae et particularis ad universalem et increatam et ad illud esse, ut habet rationem principii, medii et finis ultimi, non tarnen in ratione Patris et Filii et Spiritus sancti. Metaphysicus enim assurgit ad illud esse considerandum in ratione principii omnia originantis; et in hoc convenit cum physico, qui origines rerum considerat. Assurgit etiam ad considerandum illud esse in ratione Ultimi finis; et in hoc convenit cum morali sive ethico, qui reducit omnia ad unum summum bonum ut ad finem ultimum, considerando felicitatem sive practicam, sive speculativam. Sed ut considerat illud esse in ratione omnia exemplantis, cum nullo communicat et verus est metaphysicus. Pater enim ab aeterno genuit Filium similem sibi et dixit se et similitudinem suam similem sibi et cum hoc totum posse suum; dixit quae posset facere, et maxime quae voluit facere, et omnia in eo expressit, scilicet in Filio seu in isto medio tanquam in sua arte. Unde illud medium Veritas est. V,331b.

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obwohl er sich von der Betrachtung der geschaffenen Substanz zur Betrachtung der umfassenden und ungeschaffenen Substanz erhebt, also zu jenem Sein, das in den Hinsichten des Anfangs, der Mitte und des letzten Ziels steht, erfaßt dieses Sein dennoch nicht unter Hinsicht des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der Metaphysiker nämlich erhebt sich zur Betrachtung jenes Seins, soweit es allem den Ursprung gibt; und darin kommt er mit dem Physiker überein, der nach den Ursprüngen der Dinge forscht. Er erhebt sich auch zur Betrachtung jenes Seins, soweit es das letzte Ziel ist; und darin trifft er sich mit dem Ethiker, der alles zurückführt auf ein höchstes Gut als das letzte Ziel; da rückt in den Blick die Glückseligkeit, sie werde geübt, sie werde betrachtet. Aber darin, daß er jenes Sein betrachtet in der Hinsicht, in welcher es alles urbildlich wirkt, steht er mit niemandem im Austausch und ist wahrhaftig ein Metaphysiker. Denn der Vater hat von Ewigkeit her den Sohn sich zum wesensgleichen Bild gezeugt. Er hat sich selbst ausgesprochen und sein Bild, das ihm wesensgleich ist; darin hat er sein ganzes Vermögen (posse) ausgesprochen; er hat ausgesprochen, was er machen könnte, und besonders, was er hat machen wollen. Und alles hat er in ihm ausgedrückt: im Sohn bzw. in dieser Mitte als in seiner Kunst. Und jene Mitte ist die Wahrheit." Die metaphysische Betrachtung des Seins hängt diesem Abschnitt zufolge an der Betrachtung des Seins nach der Seite Gottes, soweit es secundum se ist. Dabei kommt es hier vor allem darauf an, daß diese Hinsicht des Seins Gottes diejenige ist, mit welcher Bonaventuras gesamte Seinsspekulation steht und fällt. Wenn es nötig ist, daß das esse ex se sich selbst gemäß und um seiner selbst willen ist, so ist in gleicher Weise nötig, daß in Gott diese Mitte sei, als welche das esse secundum se erläutert wird. In diesem esse secundum se liegt also die Mitte des göttlichen Seins selber. Worin sie besteht, sagt Bonaventura in der Wendung: considerat (sc. metaphysicus) illud esse in ratione omnia exemplantis, und wenig später in der Wendung: illud medium es Veritas. Die Mitte im Sein Gottes selber ist also diejenige Hinsicht des Seins, in welcher Gott alles, was er kann und will, urbildlich wirkt. Dabei ist es von Bedeutung, daß diese Mitte nicht nur der Ausdruck von allem ist in gleichsam bloß passiver Abbildlichkeit; nicht nur also, in der trinitarischen Distinktion gesprochen, die expressio des Vaters, sondern diese Mitte ist zugleich in bezug auf dieses selbe „omnia" exemplans, also aktiv urbildlich wirkend. Damit ist für die Mitte des göttlichen Seins selber eine doppelte Erstreckung gegeben: eine, in welcher sie zum Ausdruck bringt, und eine, in welcher sie selber ausdrückt bzw. wirkend ist 53 . Dabei ist auf die Ordnung beider Erstrekkungen zu achten. Der innere Grund dafür, daß der Metaphysiker das ungeschaffene Sein in der Hinsicht betrachtet, in welcher es alles urbildlich wirkt, liegt darin, daß in der zweiten Person der Trinität Können und Wollen des Vaters vollständig ausgedrückt sind. Die Betrachtung des Seins hinsichtlich seines urbildlichen Wirkens, also jener Erstreckung, welche gleichsam ein schöpferisch-aktives Moment in esse secundum se bildet, ist damit abhängig 53

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Vgl. Hex. X I I , 3 ; V , 3 8 5 a . - Dazu Guardini, Systembildende Elemente 43.

von jener anderen Erstreckung, in welcher das esse secundum se als Sohn oder die zweite Person der Trinität der Ausdruck von Können und Wollen des Vaters ist. Die Mitte des Seins nach der Seite Gottes ist so das esse secundum se in beiderlei Erstreckung: nach innen als vollständiges innergöttliches Bild göttlichen Könnens und Wollens, nach außen als vollständiges urbildliches Wirken desselben göttlichen Könnens und Wollens. In dieser Verklammerung von Ausdruck und ausdrücken, von Bildsein und bilden ist die Mitte des göttlichen Seins die Wahrheit. Nun ist das freilich ein sonderbarer Tatbestand: Der Vorgang, um den es hier geht, ist die Entfaltung göttlichen Seins in ewiger Zeugung. In der Mitte und als Mitte und darin als die Wahrheit dieses Vorgangs steht das esse secundum se, von Bonaventura der zweiten Person der Trinität appropriiert, in den beiden genannten Erstreckungen. Wenig zuvor aber ist eigentlich von einer scheinbar anderen Mitte die Rede gewesen. Christus, so war zu hören, die Mitte und darin der Mittler zwischen Gott und Mensch, hält die Mitte in allem, zuvörderst als Erstling in ewiger Zeugung. Christus, der inkarnierte und ans Kreuz geschlagene, der, der wesentlich nach seiner menschlichen Natur die Mitte und als diese Mitte die Mitte der ewigen Zeugung ist (Hex. 1,12) dieser selbe Christus steht jetzt im Blick auf das göttliche Sein im Zentrum der Trinitas Gottes: nun nicht mehr als Christus, sondern als Filius, als die Mitte der göttlichen Personen, der die Wahrheit zu appropriieren ist. Zwischen der Mitte, welche der Mittler zwischen Gott und Mensch ist, dem mit esse überhaupt gesetzten Verhältnis von Gott und Welt und der Mitte des göttlichen Seins selber scheint von daher ein Zusammenhang zu bestehen, der erklärt sein will54. In das Verhältnis, in welchem das esse secundum se die Mitte der Entfaltung des göttlichen Seins ist als der Sohn, als Ergebnis des Sagens Gottes und als Wahrheit, muß der Mittler zwischen Gott und Mensch und darin das Verhältnis Gottes zur Welt wesentlich einbezogen sein, wenn anders Bonaventuras Ausführungen über die Entfaltung des göttlichen Seins nicht letztlich doch durch zweierlei Begriff von Mitte, zweierlei Begriff von Wahrheit und zweierlei Begriff von Sein gekennzeichnet sein sollen. Davon kann aber keine Rede sein. Auch wenn der Sohn als die Mitte der Trinität bezeichnet wird, der Sohn, der sich als Wort dem Sagen des Vaters verdankt: auch dann ist der Sache nach von derselben Mitte die Rede, die Jesus den Christus zum Mittler macht im Amt der Versöhnung: „Das Wort 55 also 5 4 Vgl. den Hinweis bei Gerken 2 1 : Bonaventura „geht. . . soweit, daß er den Begriff des ,medium' bei Christus nicht nur insofern findet, als dieser durch die Inkarnation die Mitte der Schöpfung ist, sondern darüber hinaus, insofern er die zweite (mittlere) Person in der Trinität ist. Dies verweist darauf, daß bei Bonaventura - wie bei den griechischen Vätern - der Sohn als solcher schon eine deutliche Beziehung zur Schöpfung und damit zur Inkarnation haben muß. In der Inkarnation ist also eine göttliche Funktion des Sohnes in der Schöpfung — Mitte für die Schöpfung zu sein, wenn auch über ihr - wirksam und sichtbar geworden." 5 5 Hex. 1,17: Verbum ergo exprimitPatrem et res, quae per ipsum factaesunt, etprincipaliter ducit nos ad Patris congregantis unitatem; et secundum hoc est lignum vitae, quia per hoc medium redimus et vivificamur in ipso fonte vitae . . . - Istud est medium faciens scire, scilicet ver-

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drückt den Vater aus und die Dinge, die durch es gemacht sind; und in erster Linie führt es uns zu der Einheit des versammelnden Vaters; und demgemäß ist es das Holz des Lebens, denn durch diese Mitte kehren wir heim und werden lebendig im Quell des L e b e n s . . . Dies ist die Mitte, welche wissen macht, die Wahrheit und das Holz des L e b e n s . . . Durch diese Wahrheit 56 müssen alle heimkehren; und wie der Sohn gesagt hat: ,Ich bin ausgegangen vom Vater und in die Welt gekommen; und wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater', so soll jedermann sprechen: ,Herr, ausgegangen bin ich von dir, der du der Höchste bist; ich komme zu dir und komme zu dir durch dich. Denn da ich zu dir komme, bist du der Höchste, und daß ich durch dich komme, macht, daß du der Höchste bist.' - Dies ist die metaphysische Mitte, welche heimführt, und das ist all unsere Metaphysik: die Emanation, die Urbildlichkeit, die Vollendung; erleuchtet werden durch geistliches Strahlen und heimgeführt werden zum Höchsten. Und so wirst du ein wahrer Metaphysiker sein." Mit diesen die Ausführungen zur Metaphysik zunächst abschließenden Bemerkungen ist der Bogen gezogen, den Bonaventuras Erörterung unternimmt. Ausgehend von der Mitte Jesus Christus und von da her das Sein in doppelter Weise in den Blick nehmend, macht sie das Hauptamt Christi aus der trinitarischen Entfaltung Gottes heraus neuerlich zum Thema: die Heimführung zur Einheit des Vaters. Die Mitte des göttlichen Seins und der Mittler zwischen Gott und Mensch, der Sohn und der Inkarnierte erfahren von daher eine Verknüpfung, in welcher der Sohn, die zweite Person der Trinität und innere Mitte Gottes, das Exemplar und die Wahrheit, wesentlich der ist, der uns heimführt. Das officium reconciliationis hängt so nicht erst am Vollzug der Inkarnation, sondern an den Bestimmungen des Seins nach der Seite Gottes hin selber. Uns zu des Vaters Einheit zu führen, ist die bestimmende Aufgabe dieser einen Mitte. Unschwer ist zu erkennen, daß es hier um einen Sachverhalt geht, der in der Frage nach der Aufstiegsbewegung bereits angeklungen ist. Das Schriftzitat von Ausgang und Heimkehr des Sohnes, das hier gleichsam das Resümee der Erörterung der Metaphysik darstellt, ist uns in der Frage nach der Bestimmung der Hierarchie schon einmal begegnet (s. o. S. 39): dort zur Bestimmung der göttlichen Influenz, welche das Verhältnis von Zusammenhang mit dem ersten Anfang und die Heimkehr zu ihm ist 57 , während Bonaventura mit demselben Zitat hier die Wahrheit und die umfasitas, et haec est lignum vitae; alia Veritas est occasio mortis, cum quis ceciderit in amorem pulcritudinis creaturae. Per primariam veritatem omnes redire debent, ut, sicut Filius dixit (Joh. 1 6 , 2 8 ) : Exivi a Patre et veni in mundum; iterum relinquo mundum et vado ad Patrem; sie dicat quilibet: Domine, exivi a te summo, venio ad te summum et per te summum. — Hoc est medium metaphysicum reducens, et haec esttota nostra metaphysica: de emanatione, de exemplaritate, de consummatione, scilicet illuminari per radios spirituales et reduci ad summum. Et sie eris verus metaphysicus. V,332ab. 5 6 „Primaria Veritas" meint hier wohl gegen die „alia veritas", die Falschwahrheit des Todes, die „erstgenannte" Wahrheit, nicht die „Urwahrheit" (wie Nyssen 81 übersetzt). 57

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Hex. X X I , 1 8 ; V,434a.

sende Mitte deutet. Wie dort sich aus der Frage nach der Hierarchie ein Hinweis auf das Sein Gottes ergab, ergibt sich hier aus der Seinsspekulation ein Hinweis auf den Aufstieg. Dieser ist damit über Christus, den Sohn Gottes und die Wahrheit hineingenommen in Gott selbst. Uns heimzuführen ist das Hauptamt der Wahrheit, und so scheint es, als gehörten wir und unsere Heimführung nicht bloß in der Weise der Entsprechung, sondern im Zuge der Erörterung des Seins Gottes selber unmittelbar zur Seinsbestimmung der Wahrheit hinzu.

b) Die Evidenz Gottes Die Überlegungen zu der Seinsspekulation von Hex. 1,12 haben bisher folgendes Bild ergeben: Mit dem Satz „Sein ist nicht anders denn in doppelter Weise" kreist die Seinsspekulation Bonaventuras um das Verhältnis von Gott und Welt. Das Sein Gottes steht als Sein in einer bestimmten Beziehung zu Welt. Darin erweitert sich das in esse überhaupt gesetzte Verhältnis nach der Seite des ex alio etc. zu einem Verhältnis von non-esse zu esse und nach der anderen Seite, nach der des esse ex se etc. zu einem Sein in trinitarischer Entfaltung. Das Verhältnis von non-esse und esse nach der Seite der Welt ist kontrapunktiert von der Selbstbezogenheit des esse ex se, darin es in drei Personen subsistiert. In der Mitte und als Mitte dieser Beziehungen, sowohl der Selbstbeziehung des esse ex se als auch seiner Beziehung zum esse ex alio steht Christus. Damit sind zunächst erste und vorläufige Bestimmungen zu Sein und trinitarischem Wesen Gottes getroffen, ohne daß indessen bereits klar wäre, inwiefern nun eigentlich Gott einerseits Welt notwendig setzt, anderseits darin nicht dem Nichts als seiner Bedingung unterliegt 58 . Nach der Argumentation von Hex. 1,12 f. muß der Umstand, demzufolge Gottes Sein als Sein in einem bestimmten Weltverhältnis begriffen ist derart, daß damit nicht die Ewigkeit der Welt gegeben ist, sondern vielmehr der Beweis für die Endlichkeit von Welt und so letztlich für die Einheit des Seins, in Zusammenhang stehen mit dem Begriff der Mitte, der die Erörterung prägt, bzw. mit dem Begriff der Wahrheit, in dem die Entfaltung des Seins Gottes ihren Scheitelpunkt hat. Es ist deshalb wiederum nach dem Sein Gottes zu fragen, diesmal unter Absehung der das esse ex se, secundum se und propter se überschreitenden Hinsichten und demgemäß, was als Kern das esse ex se zutage trat: Es ist zu fragen nach der Wahrheit des göttlichen Seins. Außerhalb des Sechstagewerks behandelt Bonaventura diese Frage an zwei 58

Wir könnten an dieser Stelle gemäß der These, daß Gott gerade deshalb dem Nichts nicht unterliegt, weil er in seinem Weltverhältnis in trinitarischer Entfaltung Gott ist (s. o. S. 85), auch fragen, warum Gott notwendig trinjtarisch ist. Aber nach der von Bonaventura in Hex. 1,12 vorgegebenen Ordnung der Dinge ist der Erläuterung dieser These der richtige Ort zuzuweisen: die Hinsicht der trinitarischen Entfaltung auf Gottes Weltverhältnis; und darum ist erst weiter der Frage nachzugehen, wie Gott zu diesem seinem bestimmten Weltverhältnis komme.

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Stellen mit Nachdruck. Im ersten Buch des Sentenzenkommentars handelt der erste Artikel des ersten Teils der achten Distinktion von der Wahrheit Gottes. Dieser Artikel traktiert zwei Quästionen, deren erste lautet: Ob die Wahrheit eine Eigenschaft des göttlichen Seins sei? 5 9 ; deren zweite: Ob das göttliche Sein sosehr wahr sei, daß es nicht als nicht seiend gedacht werden kann? 6 0 Bereits die Anordnung dieser beiden Quästionen läßt aufhorchen: d.8 p . l a . l q.2 ist so nahe an die Frage nach der Wahrheit des göttlichen Seins herangezogen, daß die Frage, ob die Wahrheit eine Eigenschaft des göttlichen Seins sei, in direktem Sachzusammenhang mit der Frage nach der Undenkbarkeit göttlichen Nichtseins zu stehen scheint. Dieser Eindruck verstärkt sich, zieht man die zweite Stelle hinzu, an welcher Bonaventura die Frage nach dem esse verum Gottes stellt. In den Qq. disputatae de mysterio Trinitatis 6 1 , in denen Bonaventura anders als im Sentenzenkommentar an keine Vorlage gebunden ist, heißt es denn auch direkt und zusammenfassend: Utrum Deum esse sit verum indubitabile 62 . Diese Frage versteht sich als die erste Voraussetzung, welche in einem Unternehmen, das das Geheimnis der Trinität - soweit das geht — erforschen will, zu klären ist. Als zweite zu klärende Voraussetzung schließt Bonaventura der ersten Frage sofort an: Utrum Deum esse trinum sit verum credibile. Zunächst bedeutungsvoll ist hier die erste Frage: Ob Gottes Sein unbezweifelbar wahr sei 63 . Es läßt sich ja als Einstieg in die Entfaltung der Gotteslehre auch eine andere Frage denken, etwa die nach Grund und Möglichkeit der Gotteserkenntnis 64 oder einfach die Frage: an Deus sit 65 . Das ist nicht I Sent, d.8 p.l a.l q . l : Utrum Veritas sit proprietas divini esse. 1,150. Ebd. q.2: Utrum divinum esse sit adeo verum, quod non possit cogitari non esse. 1,153. - Es ist hier zu beachten, daß Bonaventura hier ausdrücklich die Sentenzen des Lombarden kommentiert, soweit der Magister hier im ersten Teil von den essentiellen Proprietäten Gottes handelt, nämlich von Wahrheit und Unveränderlichkeit Gottes (ebd. divisio textus; I,149ab), wobei er die eine Wesenseigenschaft Gottes, die Wahrheit in den zwei genannten Fragen traktiert (vgl. ebd. tractatio; I,150ab). 6 1 Diese Quästionen traktieren ausdrücklich das Mysterium der Trinität, sie handeln nicht bloß de Trinitate. Die Trinitätslehre hat also mit dem tiefsten Geheimnis Gottes, von welchem noch die Rede sein wird, aufs innigste zu tun. 6 2 De myst. Trin. praeamb.: Volentes circa mysterium Trinitatis aliquid indagare, divina praevia gratia, duo praemittimus tanquam praeambula; quorum primum est fundamentum omnis cognitionis certitudinalis; secundum est fundamentum omnis cognitionis fidelis. Primum est, utrum Deum esse, sit verum indubitabile. Secundum est, utrum Deum esse trinum sit verum credibile. V,45ab. 6 3 De myst. Trin. q.l a . l : Utrum Deum esse sit verum indubitabile. V,45. 6 4 Vgl. etwa Johann Friedrich König, Theologia positiva acroamatica, 1664, der p.l § 1 ff. zunächst einmal von Gott als dem finis theologiae spricht, um dann in p.l § 4 eine Distinktion von natürlicher (ausgeführt §§ 5ff.) und geoffenbarter (§§ 23ff.) Gotteserkenntnis vorzunehmen, ehe er zur Betrachtung des göttlichen Wesens (§§ 33 ff.) vorstößt. Zitiert nach Carl Heinz Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung, Teil II, Gütersloh 1966, Seite 15 ff. 6 5 So fragt Thomas S.th. I q.2 und ebd. a.3, nachdem er ebd. q. 1 De sacra doctrina, qualis sit gehandelt hat. 59 60

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Bonaventuras Frage. Seine Sicht umschließt vielmehr, indem er die Frage nach dem Sein Gottes stellt, eine bestimmte Hinsicht dieses Seins, welche zu ihm unmittelbar hinzugehört. Die Frage nach der Wahrheit des göttlichen Seins ist allein richtig gestellt als Frage nach der Unbezweifelbarkeit des göttlichen Seins, so daß eigentlich dieses selber überhaupt nicht zur Frage kommt. Das ist ein eigentümlicher Sachverhalt, nach dessen Begründung zu suchen ist; denn es muß mit der bestimmten Eigenart des göttlichen Seins in seiner Wahrheit zu tun haben, daß Bonaventura die Frage nach der Existenz Gottes grundsätzlich nicht stellt. Zwar kennt er diese Frage 66 , aber wenn sie gestellt wird, so wird von ihr aus nicht die Existenz Gottes bewiesen, sondern lediglich die Defektibilität der menschlichen Vernunft und sonst nichts. Das Sein Gottes selber läßt der grundsätzlichen Frage nach seiner Existenz keinen Raum. Warum das so ist, erhellt aus dem, was Bonaventura die Evidenz Gottes nennt. In den Überlegungen Bonaventuras zur Evidenz Gottes muß man sehr genau hinsehen. Bonaventuras Argumentation zielt, soweit ich sehe, nirgends auf die Aussage: „Gott kann nicht nicht sein" 6 7 , sondern das entscheidende Argument lautet: Gott kann nicht nicht-seiend gedacht werden. Die Differenz zwischen beiden Folgerungen liegt darin, daß, wenn es heißt: Gott kann nicht nicht sein, das Sein Gottes selbst jenseits aller Bestimmungen Sein ist, sich selber setzendes, sich selbst genügendes Sein und menschlicherseits deshalb des Beweises bedürftig, sofern zwischen dem Sein, welches nicht nicht sein kann, und dem (geschaffenen) Sein, welches das nicht nicht-seiend sein könnende Sein erkennen will, eine direkte Beziehung nicht besteht 68 . Der Erkenntnisakt, mit dem das Sein als nicht nicht sein könnend erkannt wird, muß, so gesehen, als ein Moment von außen hinzutreten, um sich das nicht Nicht-sein-Können des Seins zu beweisen. Wenn aber, wie bei Bonaventura, die Folgerung lautet: das Sein Gottes kann nicht nicht-seiend gedacht werden, so hat das mit einer besonderen Beschaffenheit des Seins Gottes zu tun dergestalt, daß das Nicht-gedacht-werden-Können des Seins nicht als ein äu6 6 De myst. Trin. q . l a . l i.e.: concedi potest, quod propter defectum hominum dubitari ab aliquo potest, an Deus sit. V,49b. 6 7 So folgert Gilson 1 4 8 : „ G o t t oder die höchste Wahrheit ist das Sein selbst, und zwar derart, daß sich kein vollkommeneres Sein denken läßt; folglich kann er nicht nicht-sein, und die innere Notwendigkeit seines Seins ist so stark, daß sie gewissermaßen auch auf unser Denken zurückstrahlt." Gilson (149 Anm. 22) bezieht sich in diesem Zusammenhang auf I Sent, d.8 p . l a . l q.2 i.e.: N a m Deus sive s u m m a Veritas est ipsum esse, quo nihil melius cogitari potest: ergo non potest non esse nee cogitari non esse. I,155a. Diese Stelle erscheint, aufs ganze gesehen, vereinzelt gegenüber den weit zahlreicheren Stellen, in denen Bonaventura folgert: ergo non potest cogitari non esse; vgl. I Sent, d.8 p . l a . l q.2 f. 1 et 2 ; 1,153a; ebd. i . c . ; I , 1 5 4 b ; I t n . V I , 2 ; V , 3 1 0 b ; der Sache nach D e myst. Trin. q . l a . l f. 1—10; V , 4 5 f . und ebd. concl.; V , 4 9 a u. ö. 6 8 Gilson illustriert diesen Sachverhalt in seinem in Anm. 6 7 genannten Satz, indem er die koordinierende Konjunktion „ n e c " zwischen non esse und cogitari in der angeführten Stelle aus I Sent, d.8 auflöst in eine sachliche Subordination (grammatisch ausgedrückt durch die subordinierende Konjunktion „ d a ß " ) von cogitari unter esse. Dabei verfehlt, wie mir scheint, die Paraphrase Gilsons den inneren Zusammenhang, der zwischen Sein und Denken besteht.

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ßeres Moment zu dem ersten des Seins hinzutritt, sondern diesem selber verknüpft ist. Daß Gott unbezweifelbar wahr ist, bezeichnet nicht eine vorfindliche Möglichkeit der Gotteserkenntnis, liegt also nicht auf Seiten des Menschen, sondern ist eine Bestimmung des Seins Gottes selber 69 . Darauf verweisen auch die drei Wege, anhand welcher Bonaventura die Unbezweifelbarkeit des Seins Gottes darstellt. „Der erste 7 0 : Jedes Wahre, das allen bewußten Wesen eingedrückt ist, ist unbezweifelbar wahr. - Der zweite: Jedes Wahre, das alle Kreatur laut bezeugt, ist unbezweifelbar wahr. - Der dritte: Jedes Wahre, das in sich selbst vollständig gesichert ist und vollständig evident ist, ist unbezweifelbar wahr." Die Folgerung, die Bonaventura aus jedem dieser drei Wege zieht, lautet nicht: also ist Gott 7 1 , sondern: ergo Deum esse verum indubitabile. Und von Gewicht ist die Ordnung der drei Wege: der letzte, die Evidenz Gottes in sich selber, steht gleichsam als ein Resümee am Ende der Erörterung, so daß der Eindruck entsteht, als sei die Evidenz Gottes das aufgipfelnde Ergebnis dessen, was sich aus den anderen zwei Wegen ergibt. Diese Anordnung versteht sich nicht von selbst. Denkbar wäre auch, daß ein scholastischer Theologe mit der via tertia begonnen haben würde, um, ausgehend von der Evidenz Gottes in sich, deren Widerspiegelung in der Kreatur aufzusuchen. Daß Bonaventura nicht so verfährt, will zumindest bedacht sein 72 . Es deutet sich darin an, daß die Wege, auf denen Bonaventura der Evidenz Gottes gewärtig wird, in Gottes Evidenz selber beschlossen liegen. Darauf zielt das corpus articuli, das mit der folgenden conclusio anhebt: „Unter 7 3 ,bezweifelbar' versteht man ein Wahres, dem die Evidenz fehlt, sei's in sich selbst, sei's im Verhältnis zum beweisenden Mittel, sei's im Verhältnis 6 9 Das ergibt auch ein Überblick über den äußeren Aufbau der Qq. De myst. Trin. Denn in diesen Quästionen handelt Bonaventura von den Eigenschaften des göttlichen Seins in ihrem jeweiligen Verhältnis zur Trinität. Der Quästionen erster Artikel behandelt dabei je die Eigenschaft, ihr zweiter setzt dazu Gottes Dreiheit in Beziehung. Dieses eigenartige und, wie die Hrsgb. in ihren Anmerkungen zu den Schriften Bonaventuras (X,10a) bemerken, in der gesamten Scholastik einmalige Verfahren reiht die indubitabilitas des göttlichen Seins nahtlos ein in die weiteren Eigenschaften Gottes, wie unitas, simplicitas etc. 7 0 De myst. Trin. q. 1 a. 1 (initium): Quaeritur ergo primo, i^trum Deum esse sit verum indubitabile? Et quod sic, ostenditur triplici via. Prima est ista: omne verum omnibus mentibus impressum est verum indubitabile. —Secunda est ista: omne verum, quod omnis creatura proclamat, est verum indubitabile. - Tertia est ista: omne verum in se ipso certissimum et evidentissimum est verum indubitabile. V,45a. - Der erste Weg ist ausgeführt ebd. f. 1 - 1 0 ; V,45a—46b; der zweite f. 11—20; V , 4 6 b - 4 7 a ; der dritte f . 2 1 - 2 9 ; V , 4 7 b - 4 8 a . 7 1 So folgert Hugo von S. Victor, I DeSacramentisp.III cap. I; PL 1 7 6 , 2 1 7 , den Bonaventura zitiert: ,Deus sie notitiam suam in homine temperavit, ut sicut nunquam quid esset totum poterat comprehendi, ita nunquam quia esset prorsus posset ignorari; ebd. f.2; V,45a. 7 2 Die Anordnung der drei Wege erinnert an den Aufbau des Itinerariums. Sie ist nicht zufällig, sondern gründet, wie sich weiter unten eher verdeutlichen wird, im bestimmten Gottesverständnis Bonaventuras, welches Gilson 146 verfehlt, wenn er sagt: „Dem heiligen Bonaventura ist die Wahl des Ausgangspunktes für seine Beweise aus der Sinnenwelt deshalb ,scheinbar' so gleichgültig, weil sie ihm tatsächlich vollkommen gleichgültig ist." 7 3 De myst. Trin. q . l a . l concl.: Dubitabile intelligitur aliquod verum, cui deficit ratio evidentiae sive in se, sive in comparatione ad medium probans, sive in comparatione ad intellectum apprehensivum. V,49a.

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zum Verstand, der es erfaßt." Das Auffällige an dieser conclusio ist ihre negative Formulierung, mit welcher Bonaventura die drei Wege, auf denen er zu seiner Folgerung gelangt, gleichsam neuerlich und rückwärts liest: aus der Wahrheit in sich selbst hin auf Welt und Intellekt. Hinter dieser Eigentümlichkeitverbirgt sich ein Problem, welches, als Frage formuliert, lautet: Kann man diese Konklusion auch positiv wenden, so daß die Bestimmung heißen würde: Unbezweifelbar ist ein Wahres, welches evident ist sowohl in sich als auch im Verhältnis zum Beweismittel als auch im Verhältnis zum erfassenden Verstand? Und wenn man diese Wendung vollzöge, was ergäbe sich daraus? Und warum schließlich hat Bonaventura nicht positiv formuliert? Diese Frage gleichwohl im Auge behaltend, müssen wir zuvor noch etwas anderes klären, nämlich dies: Was will Bonaventura in seinen Ausführungen zur Evidenz Gottes überhaupt zeigen 74 ? Sicher nicht die Beweisbarkeit der Existenz Gottes; denn diese ist eines Beweises nicht bedürftig. Vielmehr: der erste und der zweite Weg, auf denen Bonaventura in De myst. Trin. q . l a . l die Evidenz Gottes erläutert, ergeben eigentlich nichts anderes, als daß es eine notwendige Voraussetzung der mens und der Kreatur ganz allgemein gibt. Damit ist aber bloß gezeigt, daß die Betrachtung der menschlichen Seele und die Betrachtung der geschaffenen Kreatur allgemein ein solches Notwendiges voraussetzt. Noch nicht gezeigt ist damit, daß es tatsächlich in allen drei in der conclusio von De myst. Trin. q. 1 a. 1 genannten Hinsichten der in seinem Sein evidente Gott ist, der hier betrachtet wird. Wenn sich aus der Faktizität der Verfaßtheit der menschlichen Verstandeskraft und der Faktizität der Beschaffenheit der Schöpfung allgemein die Existenz einer notwendigen Voraussetzung ergibt, so heißt das noch lange nicht, daß mit dieser notwendigen Voraussetzung tatsächlich Gott gemeint ist, und zwar deshalb nicht, weil so gesehen Gott als notwendige Funktion von Kreatur erscheint. Eine solche Sicht sagt noch nichts über die Gottheit Gottes. Sie entwirft vielmehr Gott aus der Sicht von Welt und kann so zu allerlei Folgerungen kommen, die ihrerseits im weitesten Sinne denkbar sein mögen, aber mit Gott nichts zu tun haben. Deswegen zielt Bonaventura nicht auf einen Gottesbeweis, sondern darauf, Klarheit zu schaffen über das, was die Aussage: „Gott ist" wirklich meint. „Was 7 5 den Vorgang des Erfassens angeht, so entsteht ein Zweifel in 7 4 Gilson 146: „Man sieht ohne weiteres, daß die der Sinnenwelt entlehnten Beweise Bonaventuras sich fast wie nachlässig hingeworfen ausnehmen." Abgesehen von der „Nachlässigkeit" ist richtig, daß Bonaventuras Ausführungen zur Evidenz Gottes dem entsprechen, was in anderen theologischen Entwürfen Gottesbeweis genannt wird. 7 5 De myst. Trin. q.l a . l i.e.: Quantum ad actum apprehendendi incidit dubitatio, quando non recte et plene aeeipitur significatum huius nominis Deus, sed solum secundum aliquam sui conditionem . . . - Quantum ad actum conferendi dubitatio incidit, quando ex parte fit collatio, utpote cum ineipiens videt, non manifestam fieri iustitiam de impio; infert ex hoc, quod non est regimen in universo, ac per hoc, quod in ipso non sit rector primus et summus, qui est Deus excelsus et gloriosus. - Similiter quantum ad defectum in actu resolvendi incidit dubitatio, quando intellectus carnalis nescit resolvere nisi usque ad ea quae patent sensibus, sicut sunt ista corporalia; ex qua ratione putaverunt aliqui, solem istum visibilem, qui obtinet prineipatum inter crea-

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bezug auf Gott, wenn nicht richtig und vollständig der Inhalt des Begriffs ,Gott' klar w i r d . . . Ebenso kann ein Zweifel im Akt des Folgerns entstehen . . . Und schließlich und genauso erhebt sich ein Zweifel in der begrifflichen Abstraktion, wenn der sinnliche Verstand nur bis zu dem gelangt, was unmittelbar anschaulich ist, wie die körperlichen Gegenstände. Deshalb haben einige Leute gemeint, diese eine sichtbare Sonne, die ausgezeichnet ist unter den körperlichen Gegenständen, die sei Gott. Denn diese Leute sind in der Analyse nicht bis zur immateriellen Substanz vorgedrungen und nicht bis zu den allerersten Urgründen der Dinge." Gerade Bonaventuras letztes Beispiel ist gut geeignet, die Unzulänglichkeit des bloßen Rekurses auf die ersten beiden Wege aufzuweisen. Denn niemand kann leugnen, daß (bis heute jedenfalls) die Sonne und ihre Wärmeeinstrahlung eine notwendige Voraussetzung sowohl des Menschen als auch der Natur zumindest dieses Planetensystems ist. Deshalb ist die Sonne noch lange nicht Gott. Der entscheidende Ausweis der Gottheit Gottes liegt vielmehr in Gott selbst beschlossen bzw. in dem Inhalt des Wortes „Gott". „Alle 7 6 Unterschiede des Seienden bzw. alle seine Teile erheben den Tatbestand und tun kund, daß Gott ist. Wenn also all solch Wahres von unbezweifelbarer Wahrheit ist: so ist es notwendig, daß Gottes Sein unbezweifelbar wahr sei." Wiederum heißt die Folgerung nicht: es ist notwendig, daß Gott ist; sondern: daß Gott von unbezweifelbarer Wahrheit ist. Darumgeht es auf dem dritten Weg. Denn „jedes Wahre, das so sehr sicher ist, daß sein Nichtsein nicht gedacht werden kann, ist ein unbezweifelbar Wahres; daß Gott ist, ist ein Wahres dieser Art. Der erste Satz, daß nämlich dasjenige Wahre, welches Nichtsein nicht gedacht werden kann, ein ,verum indubitabile' ist, versteht sich von selbst; der zweite Satz, daß nämlich Gott ein Wahres dieser Art sei, läßt sich vielfältig belegen." Hier ist ausgesprochen, worauf Bonaventuras Gottesbeweis überhaupt zielt: Nicht darauf, daß Gott ist, sondern darauf, daß das unbezweifelbar Wahre und Gott identisch sind. Das heißt für unseren Zusammenhang: Aus dem, wie Bonaventura die Wahrheit bestimmt, ergibt sich zentral, was über das Sein Gottes zu sagen ist. Das methodische Verfahren, mit welchem Bonaventura diesen Beweis führt, belegt er mit einem Anselm-Zitat, mit dem er zugleich seine Übernahme des Anselmschen Gottesbeweises einleitet: „Gütiger Herr 7 7 , ich danke dir; denn was ich zuvor durch deine Gabe geglaubt habe, erkenne ich nunmehr durch deine Erturas corporales, esse Deum, quia nescierunt resolvere usque ad substantiam incorpoream nec usque ad rerum prima principia. V,49b. 7 6 D e m y s t . Trin. q . l a . l concl. viaesecundae: omnes entis differentiae sivepartes inferunt et clamant, Deum esse. Si ergo omne tale verum est verum indubitabile: ergo necesse est, quod Deum esse sit indubitabile verum. H o c i d e m monstratur tertia via sie. Omne verum, q u o d est adeo certum, quod non potest cogitari non esse, est verum indubitabile; sed Deum esse est huiusmodi: ergo etc. Prima per se nota est, secunda ostenditur multipliciter. V,47ab. 7 7 D e myst. Trin. q. 1 a. 1 f.21: N a m Anselmus, Proslogii capitulo quarto: ,BoneDomine, gratias tibi, quia q u o d credidi prius, te donante, iam sic intelligo, te illustrante, ut si nolim te esse credere, non possim non intelligere.' Vgl. Anselm, Proslogion cap. IV; PL 158, 229.

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leuchtung, und so, wollte ich schon nicht glauben, daß du bist, muß ich doch notwendig dich erkennen." Gott, da er gibt und Gott, da er erleuchtet, in diesen beiden direkt zusammengehörigen Hinsichten ist er der Gott, auf welchen sich das Beweisverfahren bezieht. Nicht in der Sprache des Gebets, sondern in der der begrifflichen Distinktion finden sich beide Hinsichten wieder in der Bestimmung der Wahrheit: „Die Wahrheit 78 kann man betrachten im Verhältnis zu dem, darin sie ist; und anderseits im Verhältnis zu dem Verstand, den sie bewegt." Unschwer ist in dieser Bestimmung der Wahrheit auf anderer sprachlicher Ebene das Anselm-Zitat von De myst. Trin. q.l a.l wiederzuerkennen. Der Aussage: Wahrheit ist zu betrachten im Verhältnis zu dem, darin sie ist, entspricht dort das Geben Gottes, dieses also der ersten Hinsicht der Veritas; der Aussage: Wahrheit ist zu betrachten im Verhältnis zu dem Verstand, den sie bewegt, entspricht dort der Sache nach das Erleuchten Gottes. Indem Wahrheit in beiden Hinsichten Wahrheit ist, ist sie dem Sein Gottes identisch. Die Bestimmung der Wahrheit wird so zur Bestimmung des göttlichen Seins. Gott ist nicht nur verum indubitabile, sofern ausgehend von der faktischen Verfaßtheit der Kreatur Gottes Sein nicht bezweifelt werden kann - die Unbezweifelbarkeit Gottes ist also nicht in erster Linie ein Erfordernis, das sich aus dem Erkenntnisstand der Kreatur, d. h. der anima ergibt - , sondern der Satz: „Gott ist unbezweifelbar" ist eine Aussage über das Sein Gottes selber; er ist nicht in erster Linie ein erkenntnislogischer Satz, sondern er ist ein solcher Satz, sofern es sich bei dieser Aussage im letzten um eine Seinsbestimmung Gottes selber handelt. Daß Gottes Sein tatsächlich ist, ist nur die eine Seite des Sachverhalts. Die andere, von Gott her notwendig und konstitutiv der ersten zugehörig, ist die, daß Gottes Sein als Sein in sich unbezweifelbar, oder, wie Bonaventura im ersten Sentenzenbuch sagt 79 , aufs höchste erkennbar ist. Insofern ist er seinem Sein nach sowohl die Erkenntniswahrheit als die Seinswahrheit80, oder, wie Bonaventura zusammenfassend sagen kann, das eine ungeschaffene Licht 81 . Als dieses höchste und ungeschaffene Licht ist Gott und ist er höchst erkennbar in sich. Was diese Verklammerung von Sein und Erkennbar-Sein bedeutet, erhellt aus den Stellen im Sentenzenkommentar, in denen Bonaventura parallel zu De Myst. Trin. q. 1 a. 1 die Frage nach der Unbezweifelbarkeit Gottes stellt. Dort heißt die Frage ganz entschieden: „Ob Gott von der Kreatur erkennbar sei?" 8 2 ; und in eigenartiger Deckungsungleichheit lautet die Antwort: 7 8 I Sent, d.3 p . l dub.4: Veritas potest considerari in comparatione ad id, in quo est; et sie verum est id quod est; alio modo per comparationem ad intellectum, quem m o v e t . . . Secundum primum modum dicit Anselmus: .Veritas Patris est essentia Patris.' Quantum ad secundum modum dicit Hilarius, quod ,Veritas est declarativum esse'. I,79b.

I Sent d.3 p . l a.un. q.l concl.: Deus in se summe cognoscibilis. I,69a. Hex. 1,13: nam idem est prineipium essendi et cognoscendi. V , 3 3 l b vgl. I Sent, d.36 a.2 q.2 ad 2 ; I,626b. 79

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8 1 I Sent, d.8 p. 1 a. 1 q. 1 f.3: Veritas est ratio cognoscendi, et sola lux increata est Veritas: ergo Veritas est proprietas solius Dei. I,150a. 82

I Sent, d.3 p . l a.un. q . l : Uttum Deus sit cognoscibilis a creatura. 1,67.

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„Gott 83 ist in sich als das höchste Licht in höchstem Maße erkennbar", und wird ausgeführt: „Er wäre auch uns in höchstem Maße erkennbar, läge nicht auf der Seite der Erkenntniskraft ein bestimmter Mangel, der freilich nur durch die Gottförmigkeit der Glorie vollständig behoben wird." Worin dieser Defekt liegt, wird sich noch zeigen. Von Belang ist für unseren Zusammenhang, daß Gottes seinsmäßiger Erkennbarkeit in bestimmter Weise eine Erkenntnisfähigkeit der Seele korrespondiert, die Fähigkeit zur apprehensio: „Für die Erkenntnis 84 nach Weise des Erfassens ist ein Verhältnis der Angemessenheit erfordert; und ein solches gibt es in der Seele hinsichtlich Gottes, denn in gewisser Weise ist die Seele alles, durch Anähnelung an alles, weil sie hervorgebracht ist, alles zu erkennen, und besonders fähig ist zur Erkenntnis Gottes (capax Dei) durch Anähnelung, weil sie Bild und Gleichbild Gottes ist." Hier angesprochen ist das Erkenntnisproblem, und insofern sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. Angesprochen ist auch das Analogieproblem, das ebenfalls hier nicht zur Entscheidung ansteht 85 . In bezug auf das letztere aber läßt sich hier eine Aussage treffen, die mit unserem Problem in direktem Zusammenhang steht: Bonaventura kommt von der Feststellung der seinsmäßigen Erkennbarkeit Gottes her auf das kreatürliche Bild Gottes zu sprechen. Verwunderlich daran ist der Umstand, daß im gesamten Kontext dieser Quästion an keiner Stelle vom Werk Gottes die Rede ist. Das Verhältnis der Angemessenheit der Erkenntnisfähigkeit der Seele erscheint als eingegründet in die Hinsicht des Seins Gottes, mit welcher er in sich selber in höchstem Maße erkennbar ist. Das Bildsein der Seele, in dem sie definiert ist als capax Dei, hängt so allen Taten Gottes zuvor am Sein als Erkennbar-Sein Gottes selber. Die Bestimmung des Seins Gottes als Licht von höchster Erkennbarkeit verlangt deshalb aus dem Sein Gottes heraus, daß das kreatürliche Bild Gottes sei. „Da Gott 86 die höchste Macht und Majestät ist, hat er al83

Ebd. i.e.: Deus in setanquam summa lux est summe cognoscibilis,. . . et quantum est de se, esset summe cognoscibilis etiam nobis, nisi esset aliquis defectus a parte viritutis cognoscentis; qui quidem non tollitur perfecte nisi per deiformitatem gloriae. I,69a. 84 Ebd. ad 1: est cognitio per comprehensionem et per apprehensionem. Cognitio per apprehensionem consistit in manifestatione veritatis rei cognitae; cognitio vero comprehensionis consist» in inclusione totalitatis. Ad primam cognitionem requiritur proportio convenientiae; et talis est in anima respectu Dei, quia quodam modo est anima omnia, per assimilationem, quia est imago et similitudo Dei. I,69a. 85 Zur Erkenntnislehre Bonaventuras vgl. besonders Luyckx; Rosenmöller. - Einen Überblick über die Literatur zu diesem Problem gibt Hülsbusch 122 Anm. 135. - Zum Analogieproblem vgl. Söhngen 657. 660 ff. 86 II Sent, d.16 a.l q.l i.e.: Deus enimuniversapropter semetipsum operatus est (Prov. 16,4), ita quod, cum sit summa potestas et maiestas, fecit omnia ad sui laudem; cum sit summa lux, fecit omnia ad sui manifestationem; cum sit summa bonitas, fecit omnia ad sui communicationem. Non est autem perfecta laus, nisi adsit qui approbet; nee est perfecta manifestatio, nisi adsit qui intelligat; nec perfecta communicatio bonorum, nisi adsit qui eis uti valeat. 11,394b. - Man beachte das Gefalle dieses Satzes: Das Subjekt von loben, erkennen und anteilhaben an Gottes Güte ist gleichsam umschlossen von dem zwischen Gottes esse und Gottes facere bestehenden Verhältnis, so daß es eigentlich nicht das Ergebnis des göttlichen Tuns, sondern eher als im Verhältnis von Sein und Tun Gottes bereits vorausgesetzt erscheint.

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les zum Lobe seiner selbst gemacht; da er das höchste Licht ist, hat er alles zum Aufweis seiner selbst gemacht; da er die höchste Güte ist, hat er alles zur Mitteilung seiner selbst gemacht. Es gibt aber kein vollkommenes Lob, wenn nicht jemand ist, der es ausspricht; noch gibt es einen vollkommenen Aufweis, wenn niemand ihn wahrnimmt; noch gibt es eine vollkommene Mitteilung der Güter, wenn niemand wert ist, sie zu nutzen." Gott ist nicht das höchste, in sich erkennbare Licht, er werde denn erkannt. Der Bestand des kreatürlichen Bildes Gottes erscheint von da her ebenso dem Sein Gottes verknüpft, wie wir es oben von der Welt allgemein gesehen haben. Von hier aus wäre eine Deutung der imago-Dei-Lehre Bonaventuras anzusetzen 87 . Für das esse Dei aber besagt dieser Umstand, daß es nicht nur, wie Hex. 1,12 ff. gezeigt hat, allgemein als von sich selbst her in einem bestimmten Weltverhältnis stehend zu betrachten ist, sondern vor allem als in einem Verhältnis zur Seele stehend 88 . Kürzer und lapidarer drückt Bonaventura diesen Sachverhalt aus in seinen Spätschriften: „Das Sein89 folglich ist es, was zunächst dem Verstände beifällt", sagt er im Itinerarium, und in unmittelbarem Anschluß: „und jenes (dem Intellekt zunächst beifallende) Sein ist es, welches die reine Selbstverwirklichung ist". Und anderswo: „Das göttliche Sein90 nämlich ist das erste, welches zu Bewußtsein kommt." Sätze dieser Art haben die Diskussion über den sog. Ontologismus Bonaventuras ausgelöst91. Diese Frage gehört zum Problem der Erkenntnislehre und ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Festzuhalten aber bleibt, daß es sich hier in erster Linie um Aussagen über das Sein Gottes handelt und erst von da her und insofern um Aussagen über die Möglichkeit der menschlichen Gotteserkenntnis 92 . Ist nun Gottes Erkennbarkeit in sein Sein hineingebunden, und hängt daran wiederum der Bestand der imago Dei, ist damit Gottes Sein nicht nur in einem bestimmten Weltverhältnis, sondern ebenso und besonders in einem Verhältnis zur Seele begriffen, so ist die Frage, wie sich der seinem Sein nach erkennbare Gott dem Erkenntnisvollzug vermittelt. Es entsteht die Frage nach dem Erkenntnismittel, die Frage, „ob Gott durch die Kreaturen erkennbar sei" 93 . 87 I Sent, d.l a.3 q.2 i.e.: nata est anima ad pereipiendum bonum infinitum. I,41a. So ohne weiteres problemlos scheinen mir auch solche Sätze nicht zu sein. Zumindest gehen sie weit über den augustinischen Satz ,anima est capax Dei' hinaus. 88 I Sent, d.l a.l q.2 i.e.: (Deus) secundum veritatem est in anima et intimior animae quam ipsa sibi. I,41a. 89 Itn. V,3: esse igitur est quod primo cadit in intellectu, et illud esse est quod est actus purus. V,308b. 90 Hex. X,6: Esse enim divinum primum est, quod venit in mente. V,378a. 91 Vgl. dazu Luyckx 243 ff.; Rosenmöller 26 f. Beide Autoren haben recht, wenn sie Ontologismus, wie Luyckx ebd. ihn bestimmt, nämlich als Schau des göttlichen Wesens in unmittelbarer Intuition durch den natürlichen Menschengeist und diese Gottesschau als Quelle aller Vernunfterkenntnisse, für Bonaventura ablehnen. Das wird im folgenden deutlicher werden. 92 Vgl. dazu etwa Guardini, Systembildende Elemente 147 Anm. 2. Guardini weist darauf hin, daß die „besondere erkenntnis-theoretische Stellung" des summum ens nicht in seiner erkenntnistheoretischen Bedeutung liegt, sondern in dem Verhältnis Gottes zur Hierarchie. 93 I Sent, d.3 p . l a.un. q.2: Utrum Deus sit cognoscibilis per creaturas. 1,71.

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Fischer, De Deo trino

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Die Bedeutung dieser Frage erhellt aus dem Verhältnis der Angemessenheit (proportio convenientiae), welches der imago Gott gegenüber zukommt. Daß ein solches Verhältnis besteht 94 , bedeutet keine Seinsvergleichbarkeit zwischen Seele und Gott. Die Analogie oder proportio zwischen Gott und seiner geschaffenen imago ist nicht die des Seins, sondern die der Intelligibilität 95 , sofern sowohl Gott als die anima in die Sphäre des Intelligiblen gehören. Insofern kann das Erkenntnismittel, kraft dessen die Seele Gott erkennt, nicht Gott selber sein, „denn Gott 9 6 als das höchste geistige Licht kann in seiner Geistigkeit nicht von einem gleichsam materiellen Verstand erkannt werden. Deshalb bedarf die Seele zu seiner Erkenntnis der Kreatur." Der Sachverhalt, auf den es hier ankommt, ist der, daß Gott in der Frage nach dem Erkenntnismittel, anhand dessen seine seinsmäßige Erkennbarkeit sich in die Tat umsetzt, nun nicht mehr bloß hinsichtlich seines Seins, sondern in erster Linie hinsichtlich seines Werkes in den Blick kommt. Von der grundsätzlichen Erkennbarkeit des Seins Gottes her, von der darin gegebenen Beziehung Gottes auf die Seele her ist damit gesetzt, daß Gott näherhin als wirkender Grund zu bestimmen ist 97 , so daß gefolgert werden muß: Wenn Gott seinem Sein nach zuhöchst erkennbar ist, so kann dieses sein Sein nicht anders sein als so, daß Gott die ihn erkennende Seele und das Mittel, durch welches die Seele ihn erkennt, als Kreatur hervorbringt. Der Bestand der gesamten Schöpfung gründet damit in der anfänglichen Bestimmung des Seins Gottes, derzufolge es in sich zuhöchst erkennbar ist. Diesen Sachverhalt, die Eingründung der Kreatur in die Erkennbarkeit Gottes, meint Bonaventuras Rede von der Analogie. In ihr geht es in keinem Sinne um eine Seinsanalogie zwischen Gott und Welt, sondern um die Sicherung jener ersten Bestimmung des göttlichen Seins, mit welcher es erkennbar ist. Dem Einwand, die Erkenntnis Gottes durch die Kreatur setze eine Seinsgemeinschaft zwischen Gott und Welt voraus 98 , begegnet Bonaventura in diesem Sinne: „Es gibt 99 kein Gemeinsames zwischen Gott und Kreatur nach Weise der Arteinheit (univocatio), aber es gibt ein Gemeinsames nach Weise der Analogie, welche S. o. S. 96 Anm. 84. I Sent, d.3 p . l a.un. q.l ad 2 : est distantia secundum rationem entis et secundum rationem cognoscibilis. Primo modo est maior distantia; secundo modo non, quia utrumque est intelligibile, scilicet Deus et anima. I,69ab. 9 6 I Sent, d.3 p . l a.un. q.2 i.e.: cum Deus tanquam lux summe spiritualis non possit cognosci in sua spiritualitate ab intellectu quasi materiali, indiget anima cognoscere ipsum per creaturam. I,72a. 9 7 Ebd. f.2: si Deus est causa operans secundum suam nobilitatem, et creatura effectus, potent Deus cognosci per creaturam. I,72a. 9 8 Ebd. opp. 3 : medium, per quod cognoscitur aliquid vel probatur de extremo, debet communicare in aliquo cum eo ad quod cognoscendum est; sed Creator et creatura nihil habent commune: ergo Deus non cognoscitur per creaturas. I,17ab. 9 9 Ebd. ad 3: Ad illud quod obiieitur de defectu communitatis, dicendum, quod non est commune secundum univocationem, tarnen est commune per analogiam, quae dicit habitudinem duorum ad duo, sicut in nauta et doctore, vel unius ad unum, ut exemplaris ad exemplatum. I,72b. 94

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das Verhältnis zweier zu zweien benennt, wie im Beispiel vom Seemann und dem Lehrer 100 , oder das Verhältnis des einen zum anderen (unius ad unum), wie im Verhältnis von Urbild und Abgebildetem." Um dieses letztgenannte Verhältnis geht es in der Beziehung von Gott und Welt: Indem Gott in höchstem Maße erkennbar ist und darin die imago als Subjekt der Gotteserkenntnis gesetzt ist, wird das Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung beschreibbar als Verhältnis zwischen exemplar und exemplatum. Diese als ein Analogieverhältnis bestimmte Korrespondenz hat, sofern sie ihrem Inhalt nach in der grundsätzlichen Erkennbarkeit Gottes angesiedelt ist, zum Ursprung nicht eine wie auch immer beschaffene Seinsanalogie, sondern ist im Verhältnis von Gott und Welt der Ausdruck des Tatbestands, daß Gott seinem Sein nach erkennbar ist und darin die Wahrheit. Das heißt aber auch: Wenn Gott sich dank seiner grundsätzlichen Erkennbarkeit zu Welt als exemplar zu exemplatum verhält und anderseits unter die Erkennbarkeit Gottes die imago subsumiert ist, so sind einerseits exemplar und exemplatum nicht zu trennen in der Weise, daß Gott jenseits des exemplatum exemplar wäre, und anderseits scheint das Verhältnis von Urbild und Abbild überhaupt der Einlösung noch zu bedürfen, sofern dieses Verhältnis selber in der lebendigen Beziehung zwischen Gott und Seele angesiedelt ist. Indem die Analogie von exemplar und exemplatum die Erkennbarkeit des Seins Gottes sichert, stellt sie sich nicht jenseits seines Erkanntwerdens her. Die Einheit, die zwischen Gottes esse verum und Gottes esse causa exemplaris besteht, verlangt, daß Gott exemplar exemplans sei, das Sein Gottes also von schöpferischer Dynamik: ,„Wahr' besagt 1 0 1 seiner Selbstsetzung nach eine Beziehung zur abbildenden Formalursache (causa formalis exemplaris), so wie ,gut' zur Zielursache (causa finalis). So wie nämlich ,gut' ausgesagt wird hinsichtlich der Ordnung, so wird ,wahr' ausgesagt hinsichtlich des Ausdrucks; und der Grund des Ausdrückens (ratio exprimendi) liegt beim Urbild selber . . . Wenn man nun sagt, alle Dinge sind wahr aufgrund der ungeschaffenen Wahrheit, so benennt dies (sc. dieser Ablativ: veritate incretata) die Formalursache. Alle Dinge aber sind wahr und vorhanden, zum Ausdruck zu kommen durch den Vorgang, in welchem jenes höchste Licht sich ausdrückt; hörte dieses auf einzuströmen, verlöre alles übrige an Wahrheit." Gott, sofern er wahr ist, und Gott, sofern er Urbild ist, fallen zusammen. In beidem ist dasselbe gemeint. Insofern aber ist Gott wiederum nicht bloß statisch und in sich das Urbild, sondern er ist dieses Urbild in Hinsicht auf sein Ausdrük1 0 0 D. h., der Seemann verhält sich zum Schiff wie der Lehrer zur Klasse; vgl. I Sent, d.25 a.2 q . l i.e.; I,443a. 1 0 1 I Sent, d.8 p. 1 a. 1 q. 1 ad 4 et 7: dicendum, quod verum de sui impositione dicit comparationem ad causam exemplarem, sicut b o n u m ad causam finalem. Sicut enim dicitur bonum ratione ordinis, sie verum ratione expressionis; et ratio exprimendi est ipsius exemplaris . . . cum dicitur, q u o d omnia sunt vera veritate increata, ablativus dicit causam formalem exemplarem. Omnia enim vera sunt et nata sunt se exprimere per expressionem illius summi luminis; quod si cessaret influere, cetera desinerent esse vera. I,151b.



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ken 102 . Darin wieder ist sein Verhältnis zu den geschaffenen Dingen das der Influenz, so daß das Verhältnis von exemplar zu exemplatum qua Influenz der Sache nach keinen anderen Sachverhalt meint als den, der uns in Bonaventuras Einstieg in die Seinsspekulation von Hex. I begegnet ist. Der dort so problematische Satz: esse non est nisi dupliciter, unter dem, wie sich gezeigt hat, ein bestimmtes Weltverhältnis Gottes begriffen ist, erfährt von diesen letzten Überlegungen her seine Erläuterung als Verhältnis von exemplar und exemplatum 103 . Schaut man jetzt zurück auf die drei Wege, mit Hilfe derer Bonaventura in De myst. Trin. q. 1 a. 1 die Evidenz Gottes aufzeigt, so kann man von hier aus das Verhältnis dieser drei Wege untereinander so bestimmen, daß Gott, sofern er in der Erstbestimmung seines Seins erkennbar ist, notwendig als exemplar exemplans verstanden werden muß. Der erste jener drei Wege (intra) erscheint als Erstreckung der erstgültigen Erkennbarkeit Gottes, angesichts welcher mit Gottes Sein nicht nur die imago als Subjekt der Gotteserkenntnis, sondern durch Gottes Schöpfungstat die Kreatur allgemein als medium probans mitgesetzt ist. In diesem Verhältnis von seinsmäßiger Erkennbarkeit Gottes und darin gegebener schaffender Wirksamkeit Gottes ist Gott exemplar exemplans, sich ausdrückend nach Schatten, Spur und Bild104 und darin in sich selber evident. Mit diesen Überlegungen ist freilich der Kern dessen, was mit der Evidenz Gottes gemeint ist, noch längst nicht berührt. Vielmehr liegt hier jetzt erst das Problem, dem sich die negative Formulierung der conclusio von De myst. Trin. q. 1 a. 1 verdankt 105 . Begründete sich nämlich Gottes Evidenz, die Evidenz seines Seins positiv in dem mit dem Sein Gottes gegebenen Verhältnis Gottes zu Welt und Seele, ließe sich also positiv formulieren: Gott ist seinshaft ein verum indubitabile von der Art, wie das esse secundum se in Hex. 1,12 eine notwendige Seinsbestimmung Gottes ist 106 , dem Evidenz in sich sowohl als im Beweismittel als im erfassenden Verstand zukommt, so wäre das Verhältnis von non-esse und esse auf Seiten der Kreatur, also der unaufhebbare Bestand von Welt im Verhältnis von imago und vestigium oder, wie De myst. Trin. q. 1 a. 1 concl. sagt, von intellectus apprehensivus und medium probans der hinreichende Grund der Evidenz Gottes. Der positive Selbsterweis Gottes im Verhältnis zu Welt müßte auf einem Selbstwiderspruch Gottes beruhen, sofern seine Evidenz, gründend in seiner seinsmäßigen Erkennbarkeit und darin Welt als imago und vestigium setzend, sich im steten Be102

Brevil. 1,8: (Deus est) exemplar (respectu rerum), ut exeuntium. V,216b. Hex. 1,13 (Metaphysicus) considerat illud esse in ratione omnia exemplantis. V,331b. 104 I Sent, d.3 p.l a.un. q.2 ad 4: Intelligendum, quod cum creatura ducatin cognitionem Dei per modum umbrae, per modum vestigii et per modum imaginis, differentia eorum notior, a qua etiam denominatur, accipitur penes modum repraesentandi. Nam umbra dicitur in quantum repraesentat in quadam elongatione et confusione; vestigium, in quantum in elongatione, sed distinctione; imago vero, in quantum in propinquitate et distinctione. I,73ab. 105 S. o. S. 93. 106 De myst. Trin. q.l a.l i.e.: est etiam illud verum certissimum secundum se. V, 49b. 103

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stand tendenziellen Nichtseins realisierte 107 . Angesichts dieses Bestandes, angesichts der Tatsache, daß (geschaffenes) Sein aus Nichtsein hervorgebracht ist, läßt sich bloß „nicht bezweifeln, daß Gott ist", wie die conclusio sagt. Es läßt sich daraus im weitesten Sinne nichts weiter entnehmen, als daß die Welt einen Schöpfer hat 1 0 8 . Nicht entnehmen läßt sich daraus das besondere Verhältnis, in welchem Gott der Schöpfer zu seiner Schöpfung steht. Daß Gott ist und daß er unbezweifelbar ist bzw. in höchstem Maße erkennbar, bedarf also, soll Gottes Sein als grundsätzlich evidentes und erkennbares Sein nicht an den Bestand von Nichtsein gebunden sein, einer weiteren Dimension im Sein Gottes selber, kraft derer die Evidenz Gottes nicht nur negativ als Hinweis auf die notwendige Voraussetzung eines Schöpfers, sondern positiv als tatsächliche Evidenz Gottes in dem mit Gott gegebenen Verhältnis sichtbar wird. Zwar will und muß Gott seinem Sein nach erkannt werden, sofern sein Sein evident und zuhöchst erkennbar ist, zwar ist in dieser Seinsbestimmung Gottes sein Verhältnis zur Seele im besonderen und zur Kreatur im allgemeinen mitgesetzt, doch können weder das Erkenntnissubjekt, die Seele, noch das Erkenntnismittel, die Kreatur, der in sich ruhende Grund der Wahrheitserkenntnis sein. Wäre der Bestand des Erkenntnissubjekts, d. h. der Seele, und der Bestand des Erkenntnismittels, d. h. der Kreatur allgemein, der hinreichende Grund der Erkenntnis von Wahrheit bzw. der Erkenntnis Gottes, so ergäbe sich eine unendliche Reihe, sofern zur Erkenntnis von Wahrheit je eine weitere Wahrheit hinzutreten müßte, um die erste Wahrheit zu fassen. Das Verhältnis von Nichtsein und Sein als Wahrheitsgrund der Wahrheitserkenntnis bedürfte, um als Wahrheitsgrund erkannt zu werden, wiederum einer anderen Wahrheit und so weiter bis ins Unendliche. Der Widerspruch von Nichtsein und Sein wäre nicht aufhebbar, Gott selber endlich im Widerspruch, da seine Wahrheit als wirkende Wahrheit sich selber aufhöbe. Deshalb wird Wahrheit nur durch sich selbst erkannt 109 . Ist diese Überlegung richtig, so kann mit dem intellectus apprehensivus und dem medium probans die Evidenz Gottes noch nicht hinreichend erwiesen sein. Erforderlich ist vielmehr, daß beide dem sie auszeichnenden Verhältnis von Nichtsein und Sein entrissen werden, um, hineingetragen in Gott, das zu sein, was sie ihrem Grund nach sind. Die grundsätzliche Evidenz des Seins Gottes muß das mit ihr gegebene Tun und sein Ergebnis, die creatio passiva ex nihilo 1 1 0 , bereits im Ansatz überholen, soll nicht unter der Aussage: Gott ist in S. o. S. 77 ff. Schöpfer ist hier gemeint im Sinne einer vorauszusetzenden Wirkursache, nicht im Sinne dessen, was Bonaventura unter Deus-Creator versteht; Hex. IX,24: Plato commendavit animam suam factori; sed Petrus commendavit animam suam Creatori. V,376a; vgl. o. S. 94. 1 0 9 I Sent, d.8 p . l a . l q . l f.7: Veritas est, qua aliquid est verum; sed Veritas est vera, cum sit cognoscibilis, sed constat quod n o n alio q u a m se, quia alias esset abire in infinitum; sed quod est verum se ipso, est verum per essentiam; ergo omnis Veritas est vera per essentiam; sed sola Veritas increata est vera per essentiam: ergo Veritas est proprietas Dei solius. I,150b. 1 1 0 Vgl. II Sent, d . l p . l a.3 q.2 i.e.; II,34ab. 107

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höchstem Maße erkennbare Wahrheit, ein Widerspruch in Gott selbst eingetragen werden. Bonaventura führt deshalb in die Überlegungen zur Evidenz Gottes einen Gedanken ein, der weit über das Bisherige hinausgeht: „Es ist 1 1 1 jenes Wahre (sc. daß Gott sei) mit höchster Sicherheit wahr sich selbst gemäß, darum, daß es das erste und allerunmittelbarste Wahre ist, bei welchem nicht nur im Satzsubjekt der Grund des Prädikats beschlossen liegt, sondern das Sein, welches im Prädikat ausgesagt wird, und das Subjekt, welches dem Prädikat unterlegt wird, sind überhaupt dasselbe: das Sein selbst." Diese Formulierung kann noch als blanke Tautologie verstanden werden. Sein ist - diese Aussage für sich genommen scheint tautolog und insofern von nicht ausmachbarem Inhalt. Was aber der Sache nach diese scheinbar tautologe Aussage enthält, erläutert Bonaventura in direktem Anschluß. Die Identität von Subjekt und Prädikat in der Aussage „Sein ist" ergibt die folgende Dimension: „So wie daher die Einung (unio) von höchst Gegensätzlichem gänzlich unserem Verstände widerspricht, weil kein Intellekt denken kann, daß irgend etwas zugleich sei und nicht sei; so widerspricht ihm auch die Teilung eines gänzlich Einheitlichen und Ungeteilten, und deshalb ist, wie die Selbigkeit von Sein und Nichtsein, zugleich in höchstem Maße Sein und auf gar keine Weise Sein äußerst evident ist in ihrer Falschheit, die Tatsache, daß das erste und höchste Seiende ist, äußerst evident in ihrer Wahrheit. - Und daher, wenn man den Begriff ,unbezweifelbar' annimmt, soweit er der Entwicklung des Begriffs nach den Zweifel aufhebt: so ist, daß Gott ist, ein unbezweifelbar Wahres; denn der Intellekt betrachte sich selbst, gehe aus sich heraus (auf die äußeren Dinge) oder schaue über sich — wenn er vernünftig verfährt, erkennt er gewißlich und ohne Zweifel, daß Gott ist." Hier handelt es sich, wenn ich recht sehe, um einen Analogieschluß von höchster Eigentümlichkeit. D. h. genau genommen handelt es sich um einen doppelten Analogieschluß. Der erste lautet: Ebenso wie die Einung des höchst Gegensätzlichen unserem Verstände widerspricht, so widerspricht ihm die Teilung des Einheitlich-Ungeteilten. Das ist die erste Analogie. Ihr Fluchtpunkt liegt darin, daß beide Ebenen der Analogie unserem Intellekt widersprechen. Aus dieser doppelten repugnatio gewinnt Bonaventura die zweite Analogie: Darin daß (per hoc) jene beiden ersten Analoga unserem Verstand widersprechen, darin ist das Sein 1 1 1 De myst. Trin. q . l a . l i.e.: Est etiam illud verum certissimum secundum se, pro eo quod est verum primum et immediatissimum, in quo non tantum causa praedicati clauditur in subiecto, sed id ipsum est omnino esse, quod praedicatur, et subiectum, quod subiieitur. Unde sicut unio summe distantium est omnino repugnans nostro intellectui, quia nullus intellectus potest cogitare, aliquid unum simul esse et non esse; sie divisio omnino unius et indivisi est omnino repugnans eidem, ac per hoc sicut idem esse et non esse, simul summe esse et nullo m o d o esse est evidentissimum in sua falsitate; sie primum et s u m m u m ens esse est evidentissimum in sua veritate. - Et ideo, si aeeipitur indubitabile, prout privat dubitationem per rationis decursum; Deum esse est verum indubitabile, quia sive intellectus ingrediatur intra se, sive egrediatur extra se, sive aspiciat supra se; si rationabiliter decurrit, certitudinaliter et indubitanter Deum esse cognoscit. V,49b.

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des ersten und höchsten Seins sosehr evident in seiner Wahrheit, wie die Selbigkeit von Sein und Nichtsein und gleichzeitig zuhöchst Sein und gar nicht Sein evident ist in ihrer Falschheit. Die Eigentümtlichkeit dieser Folgerungen liegt darin, daß aus einem doppelten analogen Widerspruch zu unserem Verstände, also nicht bloß aus der Analogie der beiden ersten Analoga, sondern aus ihrem als Widerspruch bezeichneten Verhältnis zu unserem Verstände die zweite Analogie von evidenter falsitas und evidenter Veritas gefolgert wird. Jene zweite Analogie, die von falsitas und veritas, hebt damit den Widerspruch zu unserem Verstände gar nicht auf, sondern behauptet, daß, wie die evidente falsitas unserem Verstand widerspricht (und in eben diesem Widersprechen ist sie evidente falsitas), so auch die veritas demselben widerspricht (und in eben diesem Widersprechen ist sie evidente veritas). Das Widerspruchsverhältnis, in welchem die Einung von höchst Gegensätzlichem, d. h. die Einheit von zugleich Sein und Nichtsein, unserem Verstände widerspricht, und das Widerspruchsverhältnis, in welchem die Teilung des Einen Ungeteilten unserem Verstände widerspricht, ergibt die Analogie von evidenter Falschheit und evidenter Wahrheit. Unter dieser letzten zusammenfassenden Analogie von Falschheit und Wahrheit ist einheitlich der Widerspruch zu unserem Verstand enthalten. Daraus ergibt sich eine Reihe höchst eigenartiger und wichtiger Einsichten: Unser Verstand, unbeschadet dessen, daß er mit der seinsmäßigen Erkennbarkeit Gottes gegeben ist, steht in Widerspruch zur Evidenz Gottes. Gerade darin, daß Gott von höchster Evidenz ist, liegt ein Widerspruch zu unserem Verstand; und so ist der paradoxe Sachverhalt gegeben, daß Gott, gerade indem er in höchstem Maße erkennbar ist, von unserem Verstand als Widerspruch gegen denselben begriffen, oder besser gesagt, insofern nicht begriffen wird. Der intellectus apprehensivus kann deshalb nicht die Fülle dessen bezeichnen, was Bonaventura unter dem Subjekt der Gotteserkenntnis versteht. Und nun fällt ein Licht auf die vorsichtige negative Formulierung, die Bonaventura seiner conclusio gegeben hat: Sie deutet an, daß der Verstand, der das Dasein Gottes nicht bezweifeln kann, gleichwohl, sofern er Gott nicht in seiner Totalität erfaßt, Gott als seinen Widerspruch erfährt. Damit ist der erste Schritt getan, der die grundsätzliche Unbezweifelbarkeit Gottes zum Argument gegen ein wie auch immer geartetes Verständnis der Ewigkeit der Welt macht. Das Sein Gottes muß nämlich, indem es weder in sich noch im Verhältnis zu unserem Verstand noch im Verhältnis zum beweisenden Mittel bezweifelt werden kann und darin die Wahrheit ist, zugleich diesen Verstand, der mit ihm gesetzt ist, von seiner eigenen Bestimmung her übersteigen. Wenn die Evidenz der Wahrheit Gottes dem mit ihm gegebenen intellectus apprehensivus widerspricht, so muß im Sein Gottes, damit es in seiner Erkennbarkeit sich zum Zuge bringe, eine weitere Hinsicht enthalten sein, die diesen Widerspruch aufhebt. In der Betrachtung des zweiten Glieds des vorliegenden Analogieschlusses wird diese Hinsicht einsichtig. Bonaventura bestimmt die Evidenz des Seins des ersten und höchsten Seienden in seiner Wahrheit analog der evidenten Falsch103

heit einer Selbigkeit von Sein und Nichtsein bzw. einer Gleichzeitigkeit von zuhöchst Sein und gar nicht Sein. Die Analogie von falsitas und Veritas, von der hier die Rede ist, ist ihrem Charakter nach eine Analogie, „die das Verhältnis . . . des einen zum anderen benennt, wie das von Urbild zu Abbild" 1 1 2 . In diesem Falle ist das eine die genannte evidente falsitas, das andere die evidente Veritas. In Entsprechung zu dieser Analogie von falsitas und Veritas steht die vorhergehende erste Analogie der doppelten repugnatio. In ihr wird die falsitas erläutert als die Einung des höchst Auseinanderliegenden bzw. Gegensätzlichen (unio summe distantium). Ihr analog erscheint im ersten Schritt die Teilung des Einen Ungeteilten in ihrem Widerspruch zu unserem Verstand. Setzt man nunmehr beide Analogien parallel, wie es sich aus dem Gleichlaut zumindest des jeweils ersten Gliedes nahelegt, so ist die falsitas als falsitas darin evident, daß die unio summe distantium unserem Verstand widerspricht. Dann ist aber auch die Veritas als veritas darin evident, daß die Teilung des Einen Ungeteilten unserem Verstand widerspricht. Das heißt: die unio summe distantium und die falsitas kommen zusammen; und die divisio omnino unius et indivisi und die veritas kommen zusammen. Wenn also die Eigenart der evidenten Wahrheit Gottes darin liegt, daß sie unserem mit ihr gesetzten Verstand widerspricht, so liegt das daran, daß im Zuge dieses Schlußverfahrens das Sein des ersten und höchsten Seienden sich als Teilung des Einen Ungeteilten und darin als evidente Wahrheit erweist in Analogie zur Einung des höchst Widersprüchlichen. Falsitas und veritas korrespondieren der Sache nach in ihrem Widerspruch gegen unseren Verstand. Die unio summe distantium einerseits und die divisio unius et indivisi anderseits führen von da her in ihrem Korrespondenzverhältnis auf die Evidenz der Wahrheit Gottes. Es bedarf nunmehr keiner großen Mühe, des Kerns der Lehre Bonaventuras von der Evidenz Gottes angesichtig zu werden. Sowohl, was es mit dieser falsitas auf sich hat, als auch, was mit der Teilung des Einen Ungeteilten gemeint ist, läßt sich deutlich machen. Das Sein des ersten und höchsten Seienden ist evident in seiner Wahrheit in der Korrespondenz von unio summe distantium und divisio unius et indivisi. Unio und unum: die Korrespondenz beider bietet den Schlüssel zur Gotteslehre Bonaventuras. In welchem Bereich wir die divisio unius et indivisi finden, zeigt sich an der Frage nach der Dreiheit Gottes: „Je mehr 113 irgend etwas Eines ist, um so mehr ist es ungeteilt. So lautet die Definition von Ein. Ist also in dem zuhöchst Einen in jeder Hinsicht Ungeteiltheit, so ist auch in jeder Hinsicht Ununterschiedenheit, also auch keine Vielheit: also ist dort entweder keine Dreiheit, oder es ist dort keine Einheit." So spricht der intellectus apprehensivus, dem die evidente Wahrheit widerspricht. Denn die Teilung des Einen Ungeteilten I Sent, d.3 p . l a.un. q.2 ad 3; I, 7 2 b ; s. o. S. 98 Anm. 99. De myst. Trin. q.2 a.2 o p p . 3 : tanto magis est aliquid unum, quanto magis est indivisum, per definitionem unius: ergo in summe uno est omnimoda indivisio, ergo et omnimoda indistinctio, ergo nulla pluralitas: ergo aut non est ibi trinitas, aut non est ibi s u m m a unitas. V , 6 3 a . 112

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steht nicht in seinem Einsichtsvermögen: „Daß in Gott 114 Dreiheit und höchste Einheit nicht im Widerspruch stehen, sondern wunderbare Eintracht und Harmonie haben, ist eine Einsicht des allerheilsamsten Glaubens; das kann die Seele auch fassen, wenn sie durch den Glauben hinlänglich gereinigt und erhoben ist; andernfalls ist es schwer und unmöglich, das einzusehen, es sei denn, sie stimmt zuvor z u . . . Den Ungläubigen scheint dieser Sachverhalt unmöglich, den Gläubigen aber ist er kein Widerspruch (non repugnat), sondern klingende Harmonie." Deshalb antwortet Bonaventura auf den erhobenen Einwand: „Was 1 1 5 das angeht, daß das Eine, je mehr es Eines ist, um so mehr ungeteilt ist, so antworte ich: Ungeteiltheit in der Definition von Ein schließt eine solche Teilung aus, welche zum Verhältnis eines Ganzen zu seinen Teilen führt; die Einheit der Trinität aber verhält sich zur Vielheit der Personen nicht wie ein Ganzes zu seinen Teilen, weil die ganze Gottheit in den einzelnen Personen höchst vollständig und vollkommen ist; und deswegen widerspricht die Unterscheidung der Personen nicht der Ungeteiltheit, welche das zuhöchst Eine auszeichnet." Das Verhältnis von unitas und Trinitas Dei kann hier seinem Inhalt und Sinn nach noch nicht erläutert werden (dazu s. u.). Worauf es hier zunächst ankommt, ist, die Richtung zu bestimmen, welche die Erörterung der Evidenz der Wahrheit Gottes nimmt. Indem diese als Teilung des Einen Ungeteilten erscheint (und darin unserem Verstände widersprechend), ist die Evidenz Gottes nicht mit der Vorfindlichkeit von Welt gegeben, sondern in dem Verhältnis, in dem das Sein Gottes sich trinitarisch entfaltet. Davon wird noch zu reden sein. Zuvor aber ist noch eine andere Beobachtung von Gewicht: Das Entsprechungsverhältnis von falsitas und Veritas, von unio summe distantium und divisio unius et indivisi begründet sich als dieses Entsprechungsverhältnis. Die falsitas im Analogieverhältnis unius ad unum erscheint gleichsam als der Logos der zu ihr analog gebildeten Evidenz der Wahrheit. Von der unio summe distantium her geht der Schluß auf die evidente Wahrheit des Seins des ersten und höchsten Seienden. Es ist deshalb zu fragen, was die evidente falsitas, von der her der Schluß auf die evidente Veritas gewonnen ist, inhaltlich meint. In der hier erörterten Stelle ist die falsitas die Einung des höchst Auseinanderliegenden (unio summe distantium). Die extremen Pole dieser unio sind 1 1 4 Ebd. i.e.: dicendum, quod in divinis trinitas et s u m m a unitas non habent repugnantiam, sed miram coneordiam et harmoniam, secundum quod dicit fides saluberrima; et hoc etiam potest capere anima aliquatenus per fidem purgata et elevata; alioquin difficile et impossibile est, quod intelligat, nisi prius a s s e n t i a t . . . H a e c autem videntur infidelibus incompossibilia, fidelibus autem videntur non repugnare, sed consonare. V , 6 5 a . 1 1 5 Ebd. ad 3: Ad illud quod obiicitur, quod quanto aliquid est magis unum, tanto magis est indivisum; dicendum, quod indivisio in definitione unius excludit divisionem illam, quae est totius in partes; unitas autem trinitatis non comparatur ad pluralitatem personarum, sicut totum ad partes, quia tota deitas est in singulis personis plenissime et perfectissime; et ideo personalis distinctio non repugnat indivisioni, quae reperiri habet in summo uno. V,66a. - Zur Sache vgl. auch D e myst. Trin. q.7 a.2 ad 6; V,112a.

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Sein und Nichtsein, zuhöchst Sein und gar nicht Sein. An anderer Stelle weiß sich Bonaventura anders über die summe distantia zu äußern: „Da Gott 116 alles gemacht hat nach Weise seiner Macht, seiner Weisheit und seiner höchsten Güte; so war es angemessen (decuit), daß er so sein Werk wiederherstellte, daß er seine Macht, Weisheit und Güte zeigte. Was aber ist mächtiger als die Verbindung des zuhöchst Gegensätzlichen und Auseinanderliegenden in eine Person ? Was ist weiser und Gott angemessener, als daß zur Vollendung des Ganzen (totius universi) die Verbindung des Ersten mit dem Letzten geschah, nämlich des Wortes Gottes, welches das principium von allem ist, und der menschlichen Natur, welche die letzte aller Geschöpfe ist? Was hat höhere Güte, als daß der Herr um des Heils des Knechtes willen Knechtsgestalt annahm?" Die hier konstatierte Entsprechung von facere und reparare wird uns an gegebener Stelle noch beschäftigen. Für den derzeitigen Zusammenhang liegt alles Gewicht auf der coniunctio extremorum summe distantium in unam personam. In den Überlegungen zur Evidenz Gottes waren die summe distantia Sein und Nichtsein, zuhöchst Sein und gar nicht Sein. Hier nun erfahren die extrema summe distantia ihre Erläuterung als das Erste und das Letzte, als Verbum Dei bzw. principium und humana natura. Hält man beide Aussagen nebeneinander, die von De myst. Trin. q.l a.l einerseits und die von Brevil. IV, 1 anderseits, so erscheint auf der Seite vom Sein das Wort Gottes und auf der Seite von Nichtsein die humana natura 117 . Die Einung von beiden schließlich bestimmt sich als die coniunctio extremorum in unam personam, also in der Person des inkarnierten Herrn 118 . Freilich könnte man einwenden, es gehe dort, in De myst. Trin. q.l a.l, um einen anderen Sachverhalt, nämlich um die Evidenz Gottes, als hier, in Brevil. IV,1, wo es um die reparatio geht 119 . Und man könnte einwenden, daß im Breviloquium die coniunctio extremorum die potentia Gottes ausweist, die coniunctio primi et ultimi aber die sapientia, während in De myst. Trin. q.l a.l weder von potentia noch von sapientia die Rede ist, sondern bloß von 116 Brevil. IV, 1: Quoniam ergo Deus omnia fecit potenter, sapienter etoptime seu benevolenter; decuit, ut sic repararet, quod suam potentiam, sapientiam et benevolentiam ostenderet. Quid autem potentius quam coniungere extrema summe distantia in unam personam? Quid sapientius et congruentius, quam quod ad perfectionem totius universi fieret coniunctio primi et ultimi, Verbi scilicet Dei, quod est omnium principium, et humanae naturae, quae fuit ultima omnium creaturarum? Quid benevolentius, quam quod Dominus propter servi salutem aeeipiat formam servi (Phil. 2,7)? V,241a; vgl. I Sent, prooem.; I,2a. 117

Brevil. V,2: quia (spiritus rationalis) defectivus est, de se tendit in non esse. V,253b. Lazzarini 5 1 hat darum Bonaventura mißverstanden, wenn er in der genannten Stelle aus De myst. Trin. q . l lediglich „den üblichen Gottesbeweis a priori in neuer Form" (in una nuova forma la solita prova a priori) erblickt. Es handelt sich hier nicht um einen Gottesbeweis, sondern um eine christologische Argumentation zum Sein Gottes. Darüber hinaus wird hier auch klar, warum Bonaventura einen Gottesbeweis weder führen kann noch will: Er kann es nicht, selbst wenn er es wollte, da in seiner Sicht das göttliche Sein evident wahr ist im Widerspruch zum menschlichen Intellekt. An diesem Widerspruch muß jeder Gottesbeweis scheitern. 118

119 Der Sache nach enthält ein solcher Einwand die Frage nach dem Verhältnis von Evidenz Gottes und reparatio. Es wird sich zeigen, daß jene wesentlich diese impliziert.

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evidenter falsitas. Derlei Einwendungen träfen aber nicht die Sache, um die es geht: Bonaventura sieht die Verbindung des höchst Widersprüchlichen in einer Person in der Inkarnation vollzogen. Das ist der springende Punkt. Ein „summius" als „summe" kennt Bonaventura nicht; es ist vielmehr davon auszugehen, daß mit summe distantia je dasselbe !gemeint ist, so daß, was in Brevil. IV, 1 der höchste Aufweis der Macht Gottes heißt, dem identisch ist, was in der Frage nach der Evidenz des Seins Gottes die evidente falsitas heißt, von der aus analog auf Gottes evidente veritas geschlossen wird, so daß schließlich die Inkarnation als der Logos der evidenten Wahrheit Gottes erscheint. Nun nennt Bonaventura jene unio summe distantium eine evidente falsitas. Wenn die hier gegebene Deutung dieser Stelle richtig ist, so liegt darin kein geringes Problem. Denn „eine Falschheit 120 ist nichts anderes als ein Mangel an Wahrheit in der Sache, welche dazu da ist, wahrgemacht zu werden". Diese Definition zugrunde gelegt, wäre die hier vorgelegte Deutung ad absurdum geführt, sofern in der genannten Analogie ein Mangel gleichsam zum Logos der Evidenz des Seins Gottes würde. Es muß also mit der falsitas, von der Bonaventura redet, seine besondere Bewandtnis haben, wenn anders hier nicht eine Fehldeutung vorliegen soll. Was, so fragen wir jetzt, ist an dieser falsitas eigentlich das falsum, und wem ist es zuzuschreiben ? Bonaventura spricht davon, daß die unio summe distantium unserem Verstände widerspricht und insofern evident falsch ist 1 2 1 . Damit aber ist die falsitas weniger die falsitas der Sache, als vielmehr falsitas in Hinsicht auf unseren Verstand. Es handelt sich also um eine falsitas, in welcher die Äußerung unseres Verstandes mit der bezeichneten Sache nicht übereinkommt: „Dann nämlich 1 2 2 ist ein Satz oder eine Rede falsch, wenn der Begriff die Sache nicht so darstellt, wie sie ist, oder wenn die Sache nicht so ist, wie das Zeichen sie darstellt." Die falsitas, von der Bonaventura spricht, bezieht sich also wesentlich auf das Verhältnis von Sache und Begriff oder Bezeichnetem und Bezeichnung. Entsprechend dem, wie „Wahrheit" per definitionem bestimmt ist als Übereinstimmung von Sache und Begriff 123 , ist „Falschheit" durch NichtÜbereinstimmung charakterisiert 124 . Damit ist für die evidente falsitas einer unio summe distantium lediglich die repugnantia zu unserem Verstände bezeichnet, nicht aber ein Mangel der Sache selbst. Denn so wenig Gott Urheber einer ungerechten Handlung sein kann (sofern die Handlung hinsichtlich ihres Ungerechtseins einen Mangel impliziert und Gott nicht Urheber von Mangel ist), so wenig ist ihm die Falschheit einer Rede (falsitas orationis) an1 2 0 II Sent, d.37 a.2 q.3 i.e.: falsitas nihil aliud est quam defectus veritatis in re, quae nata est verificari. II,874a. 121

De myst. Trin. q . l a . l i.e.; V , 4 9 b .

II Sent, d.37 a.2 q.3 i.e.: Tunc enim estpropositio velenuntiatio falsa, q u a n d o s i g n u m n o n repraesentat rem, sicut est, vel res non est, sicut repraesentatur per signum. II,874b. 122

1 2 3 I Sent, d . 4 0 a . 2 q.2 ad 1 . 2 . 3 : Est enim veritas adaequatio rei et intellectus. I,707b. Bonaventura interpretiert diese Definition H e x . 111,8; V , 3 4 4 b . 124

II Sent, d . 3 7 a . 2 q.3 i.e.: falsitas est defectus adaequationis. II,874b.

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zulasten 1 2 5 . Dennoch behebt diese Überlegung nicht, daß falsitas auf einem Mangel beruht. Sei sie auch zurückgezogen auf die Nicht-Ubereinstimmung des intellectus apprehensivus, so muß doch gefragt werden, ob diese falsitas, liege sie auch auf seiten des Intellekts, nicht doch notwendig zu Lasten Gottes gehe, sofern es außerhalb der Möglichkeit des Intellekts liegt, die gemeinte Sache zu fassen. Nun unterscheidet Bonaventura zwischen zweierlei Art von Mangel. Einerseits gibt es den Mangel 1 2 6 , der die Aufhebung eines Gegebenen (positio) und einer Ordnung ist. Ein solcher Mangel ist die Sünde, die keinem wie auch immer gearteten Tun Gottes entspringt, sondern der Übertretung Adams. Anderseits gibt es den Mangel, der die Aufhebung eines Gegebenen ist, aber nicht die Aufhebung der Ordnung. Ein solcher Mangel, nicht soweit er Mangel ist, sondern soweit er dem göttlichen ordo unterliegt, kann Gott zugesprochen werden. Denn es handelt sich bei einer solchen Aufhebung eines Gegebenen (privatio positionis) eigentlich um die Aufhebung einer Aufhebung. In diesem Falle tut Gott etwas, angesichts dessen notwendig jene Art von Mangel, d. h. die privatio positionis, sed non ordinis, vorliegt. Bei einem solchen Mangel redet man von Falschheit, Unkenntnis, Blindheit und ähnlichem, denen unterworfen der Mensch den göttlichen ordo nicht sieht. Gott macht also nicht die Falschheit der Rede, soweit sie falsch ist, d. h. er macht nicht, daß sie sich (inadäquat) auf die im ordo liegende Aufhebung der positio als positio nach wie vor bezieht, aber er macht etwas, angesichts dessen, da er es macht, die Rede notwendig falsch ist. Bonaventuras Beispiel für diese zweite Art von Mangel lautet: „Wenn Gott den Gottlosen rechtfertigt (und dies ist die privatio positionis, sed non ordinis), so tut er etwas, angesichts dessen eine Rede wie diese: ,Der dort ist ein Gottloser' notwendig falsch ist."127 1 2 5 Ebd.: sicut Deo ut auctori non attribuitur iniustitia actionis, sic non debet ei attribui falsitas orationis. Utroque enim m o d o defectus est, et nullus defectus D e o attribuendus est. II,874b. 1 2 6 Est enim quidam defectus, qui dicit privationem alieuius positionis et ordinis, sicut est defectus culpabilis; et iste est defectus vituperabilis et vituperabilem reddit actorem; et talem defectum Deus non facit, nec etiam facit aliquid, quo facto creatura tali defectu deficiat necessario. Unde Deus nec facit peccatum, nec facit aliquem peccare, nec facit aliquid, quo facto necessario sequatur peccatum ratione illius quod Deus facit. H o c dico propter animae infusionem, in qua necessario contrahitur culpa originalis; sed hoc non est ex actu Dei, sed ex praevaricatione primi parentis. - Est et alius defectus, qui est privatio alieuius positionis, non tarnen est privatio ordinis; contingit enim, aliquos defectus ordinari. Et talis defectus, licet non possit Deo attribui secundum quod defectus, potest tarnen ei attribui secundum q u o d ordinatus; et de tali defectu licet non possit dici quod Deus eum faciat, quia defectum facere est deficere; potest tarnen dici, quod facit aliquid, quo facto necessario consequitur ille defectus; et talis defectus est falsitas et ignorantia et caecitas et consimiles. Unde quamvis non possit concedi, quod Deus faciat falsitatem orationis sive orationem falsam, secundum quod falsa est; potest tarnen concedi, quod Deus faciat aliquid, quo facto aliqua oratio est falsa necessario; sicut, cum iustificat impium, facit aliquid, quo facto haec enuntiatio est falsa: iste est impius. II,874bf. 1 2 7 D a s Zitat s. Anm. 126. - Aus diesem Beispiel erhellt, daß die privatio positionis, sed non ordinis eigentlich eine privatio privationis ist, denn die iustificatio impii ist die privatio einer positio, die sich ihrerseits einer privatio, nämlich einer privatio rectitudinis verdankt, und insofern unterliegt gerade diese privatio positionis dem göttlichen ordo.

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Damit sind wir bei dem angelangt, was für unseren Zusammenhang das Wichtigste ist: Die falsitas, von der Bonaventura in der Erörterung der Evidenz Gottes spricht, ist ganz offensichtlich eine falsitas dieser Art; ein Tun Gottes, das die Rede des intellectus apprehensivus angemessen nicht faßt, ein Tun, demgegenüber seinem Vollzug nach die menschliche Rede notwendig falsch ist. Wenn also Bonaventuras Folgerung lautet: So wie die Selbigkeit von Sein und Nichtsein, das Zugleich von zuhöchst Sein und gar nicht Sein evident ist in seiner Falschheit, so ist das Sein des ersten und höchsten Seienden evident in seiner Wahrheit, so ist der Sache nach das Tun Gottes, in welchem er die unio summe distantium vollzieht, der Logos der analog gefolgerten Evidenz der Wahrheit Gottes. Damit ist in dem Schlußv erfahren, durch das Bonaventura die Evidenz des göttlichen Seins in sich belegt, implizit eine doppelte Aussage enthalten: Die erste Aussage ist die: Die evidente Wahrheit des Seins des ersten und höchsten Seienden ist evident in der Korrespondenz von unio summe distantium und divisio omnino unius et indivisi. Die Evidenz Gottes, sofern sie sich der grundsätzlichen Erkennbarkeit Gottes verdankt, und insofern eine Seinsbestimmung Gottes ist, hat damit wesentlich zum Inhalt das Entsprechungsverhältnis von unio und unum; oder deutlicher gesagt: von Inkarnation und Trinität. Die zweite Aussage ist die: Sofern die falsitas, welche im Schlußv erfahren von De myst. Trin. q. 1 a. 1 den Logos der analog geschlossenen Veritas Gottes darstellt, eine falsitas ist im Verhältnis zum intellectus apprehensivus und dieses Verhältnis der Nicht-Adäquanz sich einem Tun Gottes verdankt, ist die evidente Wahrheit des Seins des ersten und höchsten Seienden nicht jenseits des Tuns Gottes auszumachen, dem gegenüber die Rede notwendig falsch ist. Damit aber ist die Evidenz des Seins Gottes nicht allein als Evidenz des für sich genommenen Seins bestimmbar, sondern das evidente Sein Gottes vermittelt sich über das bestimmte Tun Gottes. Daß Gottes evidentes Sein also nicht jenseits seines Tuns zu bestimmen und auszumachen ist, vielmehr von diesem her in seiner Evidenz begriffen, ja begründet wird, weist deshalb wiederum in sein Sein zurück mit der Frage: Welcher Seinsbestimmung Gottes verdankt es sich, daß das evidente Sein Gottes evident ist in dieser Korrespondenz von falsitas und Veritas, von unio und unum, von Inkarnation und Trinität? c) Das Selbstverhältnis des göttlichen Seins als Verhältnis von Deus aeternus und Detis humanatus Wenn wir die Überlegungen zur Evidenz Gottes in einem Satz zusammenfassen wollten, so wäre das etwa so zu tun: Indem das Sein Gottes evident ist, sind aufgrund der grundsätzlichen Erkennbarkeit Gottes mit ihm die imago Dei als Subjekt der Gotteserkenntnis und die Kreatur als Mittel der Gotteser109

kenntnis mitgesetzt, so aber, daß der der imago mitgeteilte natürliche Intellekt die Evidenz Gottes als in einem ihm widerstreitenden Verhältnis von unio und unum begriffen erfährt. Von daher ist jetzt in einem dritten Anlauf die Frage nach dem Sein Gottes zu stellen; einem dritten, nachdem der erste Anlauf das Sein Gottes als in einem bestimmten Weltverhältnis stehend gezeigt hat, und nachdem der zweite den Grund dieses Weltverhältnisses in der seinsmäßigen Erkennbarkeit Gottes begründet gefunden hat. Es ist nun zum dritten Mal nach dem Sein Gottes zu fragen, weil das Verhältnis, in welchem Gottes Sein erkennbar und insofern Welt und Mensch setzend ist, als Verhältnis von unio und unum das Verhältnis Gottes zu seiner Kreatur soweit überschreitet, daß es mit den Mitteln der Kreatur nicht ausgesagt werden kann. Es ist in das Sein Gottes hineinzufragen in der Hinsicht, in welcher es als grundsätzlich erkennbares den Widerstreit des menschlichen Intellekts gegen sich behebt. Es ist zu fragen nach Gott aus der Sicht des Glaubens. Dabei soll allerdings nicht unterstellt werden, als sei alles, was die bisherige Untersuchung ergab, mit den bloßen Mitteln der natürlichen Vernunft zu belegen. Zwar ist die Entfaltung der Aussage: Gott ist, im wesentlichen eine Aussage der natürlichen ratio, einer ratio aber, die kraft des Bezuges auf diesen ihren Gegenstand, das Sein Gottes, von ihrer Hinspannung auf den Glauben unter keinen Umständen abgehoben werden kann. Es ist nicht die Aufgabe dieser Untersuchung, den Glaubensbegriff Bonaventuras und sein Verhältnis zur natürlichen Vernunft darzustellen. Als Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie im Denken Bonaventuras und als Frage nach seiner Erkenntnislehre ist diese Problematik bereits mehrfach bearbeitet worden 128 . Diese Untersuchung kann dazu keinen weiteren Beitrag liefern. Aber wir stoßen notwendig auf dieses Problem in der Untersuchung des Seins Gottes. Denn es zeigt sich, daß dieses Sein, das von keinem Verstand, er stehe im Glauben oder nicht, als nicht seiend gedacht werden kann, in seiner Evidenz den Glauben erfordert. Indem die Frage, ob Gottes Sein unbezweifelbar wahr sei, beantwortet wird mit der unserem Verstand widersprechenden Korrespondenz von unio und unum, wird sichtbar, daß die grundlegenden Bestimmungen Gottes, auch wenn sie, soweit sie sein Sein betreffen, von der natürlichen Vernunft nicht bezweifelt werden können, Bestimmungen sind, die im Glauben getroffen werden. Die Aussagen der natürlichen ratio sind richtige Aussagen der natürlichen ratio, sofern sie vom Glauben umgriffen sind 129 . Insofern ist die dem unbezweifelbaren Sein GotZuletzt Hülsbusch 73 ff., 122 ff. Vgl. Hex. X , 4 : N o t a enim, quod quaedam sunt credibilia, non tarnen intelligibilia per rationera, ut Abraham genuit Isaac, sive facta particularia; q u a e d a m autem credibilia sunt intelligibilia; et quando intelliguntur, rationes solidas habent. V , 3 7 7 b f. - Diese kurze Bemerkung klärt im Grunde den gesamten Sachverhalt. Z u fragen ist nicht nach dem Verhältnis von ratio und fides (Bonaventura sagt also nicht: Einiges kann man einsehen, und hier bedarf's des Glaubens nicht; anderes kann man nicht einsehen, da bedarPs des Glaubens), sondern nach dem Verhältnis fides-ratio. Jene hält den unbedingten Primat, von dem aus dann nach der rationalen Intelligibilität gefragt werden kann und muß. 128

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tes entsprechende Erkenntnishaltung im Ansatz bereits die des Glaubens: „Gott 130 nannte das Firmament Himmel; und zwischen Abend und Morgen war dies der zweite T a g . . . Durch das Firmament aber ist ersichtlich die Schau des Glaubens. Der Glaube nämlich macht die Seele bzw. die Einsicht der Seele hoch, denn er überschreitet alle Vernunft und alles Forschen der Vernunft; er macht sie fest, denn er schließt Zweifel und Unsicherheit aus; er macht sie prächtig, denn er zeigt die vielfältige Klarheit. Es heißt also die Festigkeit des Glaubens Himmel, weil er die Einsicht hoch macht durch das Forschen des Glaubens; fest macht durch Gründung in der Wahrheit; prächtig macht, indem er die Seele mit vielfältigem Licht erfüllt." Mit dieser dreifachen Bestimmung des Glaubens nach Höhe, Festigkeit und Prächtigkeit beginnt Bonaventura die Erläuterung der zweiten Vision des Sechstagewerks. Es wird sich später zeigen, welche Inhalte den jeweiligen Hinsichten des Glaubens zuzuordnen sind. An erster Stelle in unserem Belang steht die Feststellung, daß der Glaube, sofern er das Forschen der (natürlichen) Vernunft übersteigt, Zweifel und Unsicherheit ausschließt. Wir haben in den Überlegungen zur Evidenz Gottes gesehen, daß es dort zentral um die Unbezweifelbarkeit des göttlichen Seins ging. Es hat sich dabei aber auch gezeigt, daß Gottes Unbezweifelbarkeit ex parte Dei gilt, während das seinem Ursprung nach aus nichts hervorgebrachte medium probans und der kreatürliche Intellekt aufgrund ihrer schöpfungsbedingten Defizienz sehr wohl in Zweifel fallen können. Die Frage, die in De myst. Trin. q.l a.l gestellt war: Utrum Deum esse sit verum indubitabile, ist darum der Sache nach in den Ausführungen zur Schau des Glaubens Hex. VIII ff. insofern enthalten, als das Problem, das dort behandelt wurde, hier unter Hinsicht des Glaubens zur Sprache kommt. Es geht, sofern der Glaube Zweifel und Unsicherheit, die ratio übersteigend, ausschließt, hier wie dort inhaltlich um die Unbezweifelbarkeit des Glaubensgegenstandes. Vom Gegenstand des Glaubens als seinem Urheber spricht Hex. VIII: „Niemand 131 wird zum Glauben gebracht als allein durch Gott." Von der Unbezweifelbarkeit des Glaubensgegenstandes spricht Hex. IX: „Da 132 von der Höhe des Glaubens gesprochen ist, muß jetzt von seiner Festigkeit gesprochen werden. Aber wenn er so hoch ist, wie 130 Hex. VIII,1 f.: Vocavit Deus firmamentum caelum; factum est vespere et mane, dies secundus (Gen. 1,8). . . . Per firmamentum autem intelligitur visio fidei. Fides enim reddit sublimem animam vel intelligentiam, quia transcendit omnem rationem et investigationem rationis; reddit stabilem, quia excludit dubitationem et vacillationem; reddit etiam spectabilem, quia multiformem ostendit claritatem. Vocatur fidei firmitas caelum, quia facit intelligentiam sublimem per investigationem; stabilem, dum stabilit in veritate; spectabilem, dum replet eam multiformi lumine. V,369a. 131 Hex. VIII,2: ad fidem nullus docetur nisi per Deum. V,369ab. 132 Hex. IX,1: De altitudine fidei dictum est, sed nunc dicendum est de eius firmitate. Sed si alta, quomodo certa? Quia res, quanto altior, tanto minus nota; et quanto minus nota, tanto magis dubitabilis. - Et ideo intelligendum quod huius fidei firmitas est triplex. Prima est ex testimonio veritatis expressae per Verbum increatum; secunda, ex testimonio veritatis expressae per Verbum incarnatum; tertia, ex testimonio veritatis expressae per Verbum inspiratum. V,372ab.

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kann er sicher sein? Denn eine Sache ist je höher, je weniger bekannt; und je weniger bekannt, um so mehr bezweifelbar. - Und deshalb muß man sehen, daß des Glaubens Festigkeit dreifach ist: Seine erste Festigkeit liegt in dem Zeugnis der durch das ungeschaffene Wort ausgedrückten Wahrheit; seine zweite im Zeugnis der durch das fleischgewordene Wort ausgedrückten Wahrheit; seine dritte im Zeugnis der durch das eingehauchte Wort ausgedrückten Wahrheit." Das Argument, das hier gegen die Festigkeit des Glaubens angeführt wird, begegnet ganz ähnlich als Argument gegen die Evidenz Gottes: „Was 133 besonders verborgen ist, läßt besonders großen Zweifel zu; aber Gott ist besonders verborgen, da er in unzugänglichem Lichte wohnt: also kann man über ihn und in bezug auf ihn sehr wohl im Zweifel sein." Die Antwort, die Bonaventura dort dem argumentum oppositum gibt, beruft sich auf die indubitabilitas des göttlichen Seins 134 . Die Antwort in Hex. IX liegt in der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes. Zwar ist dies nicht der Ort, Unbezweifelbarkeit Gottes und Verbum Dei in seiner Dreigespanntheit unmittelbar in Beziehung zu setzen, aber wir sind von hier aus zu der Vermutung berechtigt, daß die Erörterung der unbezweifelbaren Wahrheit Gottes in De myst. Trin. q. 1 a. 1 sich mit der Schau des Glaubens im Sechstagewerk dem Gegenstand nach deckt. „Die Höhe des Glaubens 135 liegt in zweien: in der Höhe der Hocherhabenheit und in der Tiefe des Abgrunds. Von der ersten Höhe spricht Jesus Sirach (1,2): ,Die Höhe des Himmels und die Breite der Erde und die Tiefe des 133 De myst. Trin. q . l a . l opp.9: Item, quod maxime latet maxime admittit dubitationem; sed Deus est maxime latens, cum ,habitet lucem inacessibilem' (1. Tim. 6,16): ergo de ipso et circa ipsum maxime contingit dubitare. V,48b. 134 Ebd. ad 9; V,51a. 135 Hex. VIII,4 f.: Altitudo enim fidei in duobus est: in altitudine sublimitatis et in altitudine profunditatis. De prima altitudine Ecclesiasticus dicit: .Altitudinem caeli et latitudinem terrae et profundum abyssi quis dimensus est' ? Quasi diceret, super omnem humanam rationem est nosse sublimitatem fidei, dilatationem caritatis, venerationem divini timoris. - De secunda, in Ecclesiaste: ,Alta profunditas; quis inveniet earn'? silicet per rationem; transcendit enim investigationem nostram. Et licet altitudo et profunditas in corporibus idem sint, distinguuntur tarnen secundum rationem; et Apostolus distinguit, cum dicit: ,Ut possitis comprehendere, quae sit longitudo, latitudo, sublimitas et profundum.' De his duobus Ecclesiasticus: ,Ego in altissimis habito, et thronus meus in columna nubis.' Altitudo fidei consistit in cognitione Dei aeterni, profunditas autem in cognitione Dei humanati. D e p r i m o scriptum est:,Excelsior caelo est, et quid f a d e s ? ' D e secundo subiungitur: ,Profundior inferno, et unde cognosces?' Profunditas Dei humanati, scilicet humilitas, tanta est, quod ratio deficit. - Altitudo Dei investigabilis est; unde, ,mirabilis facta est scientia tua ex me; confortata est, et non potero ad eam'. - Item, ,in altissimis' dicit, in quantum fides docet Deum aeternum; ,thronus meus in columna nubis' dicit, in quantum docet Deum humanatum. De his duobus Apostolus ad Romanos: ,Ο altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei, quam incomprehensibilia sunt iudicia eius et investigabiles viae eius!' ,Sapientia' quantum ad notitiam Dei aeterni, ,scientia' quantum ad notitiam Dei humanati. Unde firmamentum factum est, ,in medio aquarum', hoc est fides, ut cognoscat anima ea quae sunt super firmamentum, et quae sub firmamento sunt. Et haec sapientia est divinarum rerum, et scientia humanarum. V,369b f. - Diesen selben Abschnitt bringt Rep. A; Delorme 111 f. mit nur geringfügigen Abweichungen. Von den Schriftzitaten (auf die kommt es hier an) fehlt Eph. 3,18 und mit ihm der Satz, in den es gefügt ist.

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Abyssos — wer hat sie durchmessen?'; so als wollte er sagen, es gehe über jeden menschlichen Verstand, die Hocherhabenheit des Glaubens zu kennen, die Ausbreitung der Liebe, die ehrfürchtige Gottesfurcht. - Von der zweiten, der Tiefe, spricht der Prediger (7,25): , 0 tiefe Abgründigkeit, wer wird sie erforschen?', nämlich durch die Vernunft; denn sie übersteigt unser forschendes Vermögen. Und sind auch Höhe und Tiefe als Eigenschaft von Körpern dasselbe, werden sie dennoch dem Begriff nach geschieden, wie auch der Apostel unterscheidet, da er (Eph. 3,18) sagt: ,Auf daß ihr begreifen könnt, was die Länge sei, die Breite, die Hocherhabenheit und die abgründige Tiefe.' Von beiden (sc. von Höhe und Tiefe) spricht Jesus Sirach (24,7): ,Ich wohne in den Höhen, und mein Thron ist in einer Wolkensäule.' Die Höhe des Glaubens besteht in der Erkenntnis des ewigen Gottes, seine Tiefe aber in der Erkenntnis des menschgewordenen Gottes. Vom ersten, dem Deus aeternus, steht (Hiob 11,8) geschrieben: ,Höher ist er als der Himmel, was willst du verrichten?'; über den zweiten wird (ebd.) hinzugefügt:,Tiefer ist er als der Tiefen tiefste; woher willst du ihn erkennen?' Die Tiefe des menschgewordenen Gottes, seine Niedrigkeit, ist so groß, daß die Vernunft ihrer nicht innewird. - Die Höhe Gottes ist unerforschlich; daher heißt es in der Schrift (Ps. 138,6):,Wunderbar ist dein Wissen gemacht vor mir; hoch errichtet ist es, und ich kann nicht dazu kommen.' - Desgleichen: ,In den Höhen', sagt Jesus Sirach (24,7), und das bezieht sich darauf, daß der Glaube den Deus aeternus lehrt; und er sagt: ,Mein Thron ist in einer Wolkensäule', und darin lehrt der Glaube den Deus humanatus. Von beiden spricht der Apostel zu den Römern (11,33): ,Wie hoch sind die Reichtümer der Weisheit und Wissenschaft Gottes, wie unbegreiflich sind seine Urteile und unerforschlich seine Wege!' ,Weisheit' sagt er in bezug auf die Kenntnis des Deus aeternus;,Wissenschaft' in bezug auf den Deus humanatus. Deshalb ist das Firmament gemacht worden ,inmitten der Wasser' (Gen. 1,6f.), d. h. der Glaube, damit die Seele erkenne, was über dem Firmament ist und was darunter ist. Und dies ist die Weisheit der göttlichen Dinge und das Wissen der menschlichen." Dieser Abschnitt muß in seiner ganzen Länge referiert werden, weil er ausDafür bringt Rep. Α einen in Rep. Β nicht angesprochenen Gedanken zwischen dem Zitat Ps. 138,6 und der Auslegung des Zitats Sir. 2 4 , 7 : . . . quia ,mirabilis facta est scientia' eius et non potest homo ad earn attingere. Si enim quae in promptu et ,in prospectu sunt invenimus cum labore, quae in caelis sunt' et circa Dei deitatem et humanitatem ,quis' poterit investigare (Sap. 9,16)? Unde Eccl. 1,8: ,Cunctae res difficiles, non potest eas homo explicare sermone.' Minus ergo quae circa Christum sunt sermo explicat, si fides non credat. Dicit autem: ,In altissimis hab i t o ' . . . Die Schlüsse, die aus diesem „minus" zu ziehen wären, wären besonders in einer Untersuchung über das Verhältnis von ratio und fides interessant, denn „minus" ist nicht „non". Solche Uneindeutigkeit muß nicht unbedingt zu Lasten des Referenten von Rep. Α gehen, denn Bonaventura bedient sich ihrer gelegentlich; vgl. Hex. IV,5; V,349b; I Sent, d.22 a.un. q.l i.e.; I,391a; vgl. auch das „difficile" De myst. Trin. q.2 a.2 i.e. (s. o. S. 105 Anm. 114). Allerdings ist diese Stelle aus Rep. A, soweit ich sehe, die einzige, die ein solches „minus" auf den Deus humanatus in Ansatz bringt, während es sich sonst immer um die defiziente Erkenntnis Gottes handelt. Von daher könnte, wenn nicht das Zitat Pred. 1,8, so doch seine Exegese in Rep. Α auf einem Mißverständnis des Reportators beruhen. 8

Fischer, De Deo trino

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gezeichnet geeignet ist, die D i c h t e u n d den letzten H o r i z o n t des b o n a v e n t u r i s c h e n G o t t e s v e r s t ä n d n i s s e s aufzuzeigen. W a s sich a n h a n d der Ü b e r l e g u n g e n zur E v i d e n z G o t t e s in der K o r r e s p o n d e n z v o n falsitas u n d Veritas eigentlich erst nahelegte, ist hier zur k o n z e n t r i e r t e n A u s f ü h r u n g g e k o m m e n 1 3 6 . D a b e i ergibt ein erster Ü b e r b l i c k f o l g e n d e s B i l d : B o n a v e n t u r a b e s t i m m t den G l a u b e n hinsichtlich seiner H ö h e in zwei E r streckungen: nach Hocherhabenheit

(sublimitas) u n d a b g r ü n d i g e r

Tiefe

(profunditas). D i e H ö h e des G l a u b e n s liegt in seiner H o c h e r h a b e n h e i t u n d der a b g r ü n d i g e n Tiefe. D a m i t sind die beiden E r s t r e c k u n g e n des G l a u b e n s z u n ä c h s t E r s t r e c k u n g e n des G l a u b e n s u n d s o n s t nichts. E s k o m m t deshalb d a r a u f a n , inhaltlich zu p r ä z i s i e r e n , w a s die H ö h e des G l a u b e n s in beiderlei E r s t r e c k u n g a u s m a c h t b z w . w o r i n er in dieser W e i s e f a ß b a r w i r d . E s g e h t d a 1 3 6 Zum jetzt Folgenden scheint mir eine Bemerkung angebracht: Nach meinem Eindruck handelt es sich bei dem ersten Teil der Collatio VIII im Hexaemeron, das ist der Abschnitt Hex. VIII,1-11, um das Herzstück des ganzen Werkes. In ihm ist, da von der Schau des Glaubens die Rede ist, sachlich immer von Gott die Rede, und da von Gott die Rede ist, ist immer von Gottes Verhältnis zur Seele die Rede und darin von Gottes Verhältnis zu Welt und Seele und darin wiederum vom Verhältnis der Seele zu Gott. Insofern kann dieser Abschnitt als konzentrierte Ausführung und Problematisierung der über Sein Gottes und Evidenz Gottes bisher getroffenen Aussagen betrachtet werden. Entsprechend dieser Einschätzung verstehen sich die nachfolgenden Ausführungen, dabei notwendig ein wenig irrlichternd und scheinbar von der Systematik der Darstellung abweichend, als Versuch, die Problematik der Gotteslehre Bonaventuras über das bisher geleistete Maß hinaus auszuschärfen bis zu dem Punkt, an welchem die gestellte Frage nach dem Verhältnis von productio und reductio in seiner Bedeutung für die Gotteslehre lösbar und beantwortbar wird. Das unterstellt freilich, daß in den bisherigen Ausführungen jener Punkt noch nicht erreicht ist, und man kann fragen, warum, wenn Hex. VIII ein solches Gewicht trägt, damit nicht der Einstieg genommen sei. Dieser Einwand erhält Antwort in der Durchsicht des in Frage stehenden Abschnitts: Hex. VIII, 1—11, einstiegsweise betrachtet für sich und losgelöst vom Rahmen der Aufstiegstheologie, in welchem er steht, ist ein zutiefst aporetischer Anschnitt, aporetisch, sofern, den Bezugsrahmen der Aufstiegstheologie und damit den unübersteigbaren Primat des primum principium nicht vorausgesetzt, die in ihm anzutreffenden Bestimmungen Gottes als Bestimmungen Gottes überhaupt nicht faßbar sind. In der dynamischen Bewegung aller in bezug auf Gott ausgesprochenen Bestimmungen scheint, Hex. VIII,1—11 isoliert betrachtet, nicht Gott, sondern einzig die im Glauben begriffene Seele festzustehen als derjenige Fixpunkt, von dem her Gott in seiner Ewigkeit überhaupt erst sich entwirft. Diesen Sachverhalt nenne ich aporetisch, weil, damit den Einstieg genommen, von ihm aus nicht würde sichtbar werden können, inwiefern, da Gott gänzlich um die Achse der Glaubensschau zu schwingen scheint, revera und nicht nur als anthropologische Abstraktion Gott das esse primum: ex se, secundum se et propter se ist, und nicht an seiner Statt die Vorfindlichkeit des menschlichen Denkens über sich selbst. Aber nun, Hex. VIII,1—11 in den Rahmen der Aufstiegstheologie gestellt, kann die Ausweglosigkeit dieses Abschnitts die Möglichkeit und Grundlegung seiner Lösung erbringen: Denn da, wie wir wissen, Bonaventura von Gott aus denkt, trägt er, wenn in Hex. VIII die anima gleichsam als Achspunkt der göttlichen Dynamik erscheint, von Gott aus die Seele in ein so dichtes Verhältnis zu Gott und in Gott hinein, daß sublimitas, stabilitas und speciositas des Glaubens als Glanz Gottes selber deutlich werden können und von dort aus sachgemäß die Frage nach Gottes eigener seinshaften Dynamik gestellt werden kann. - Dieser Betrachtung des genannten Abschnitts entsprechend, ist hier darum gleichsam kommentierend verfahren. Der Text Bonaventuras wird je zitiert und einzeln erläutert. Auf diese Weise, scheint mir, ist es möglich, die Schwierigkeiten, die der Abschnitt bietet, in ihrem ganzen Umfang deutlich zu machen.

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bei um den Gegenstand des Glaubens, von dem her der Glaube in diesen seinen Erstreckungen zu bestimmen ist. Bonaventura nennt deshalb den Glauben eine Erkenntnis: Die Höhe des Glaubens besteht in der Erkenntnis 137 des Deus aeternus, seine Tiefe aber in der Erkenntnis des Deus humanatus. Das heißt, beide Erstreckungen des Glaubens sind Erstreckungen von Glaubenserkenntnis. Dabei verschieben sich die Erstreckungen des Glaubens auf den Erkenntnisgegenstand: Die altitudo des Glaubens entspricht dem Deus aeternus, seine profunditas dem Deus humanatus; und so erscheinen die Erkenntniserstreckungen des Glaubens als Erstreckungen des Glaubensgegenstandes. Bonaventura spricht, nachdem er mit altitudo und profunditas fidei eingesetzt hat, nunmehr von altitudo und profunditas Dei: Die Tiefe des Deus humanatus ist so groß, daß die Vernunft ihrer nicht innewird. - Die Höhe Gottes ist unerforschlich 138 . Jetzt erscheinen die Erstreckungen des Glaubens als Erstreckungen Gottes selber. Die sublimitas fidei ist, sofern die fides in der Erkenntnis Gottes besteht, sublimitas Dei. Das bedeutet: Daß dem Glauben in seiner Erhabenheit Höhe und Tiefe zukommen, entspringt der Begründung des Glaubens in seinem Gegenstand: Gott. Wenn also von der Erhabenheit des Glaubens zu reden ist, so ist der Sache nach von der Erhabenheit Gottes zu reden. Der Glaube ist hocherhaben nicht anders als darin, daß Gott hocherhaben ist. Diese Feststellung scheint mir nicht ohne Bedeutung zu sein: Das Verhältnis, welches auf diese Weise zwischen dem Glauben und seinem Gegenstand hergestellt ist, ist damit ein Verhältnis, das nicht vom Glaubenssubjekt, dem Menschen, her entworfen ist, sondern von seinem Gegenstand her. Der Sache nach läßt sich dieser Tatbestand in dem lapidaren Satz festhalten: Gott erfordert den Glauben. Dieser Satz ist freilich nicht so banal, wie es zunächst den Anschein hat. Wenn nämlich die Aussage richtig ist: Gott erfordert den Glauben, so liegt darin eo ipso die Frage, welcher besonderen Beschaffenheit Gottes es sich verdanke, daß er den Glauben, und zwar diesen Glauben nach Höhe und Tiefe, erfordert. Denkbar wäre ja auch eine Verhältnisbestimmung, die den Glauben zu Gott in ein Verhältnis setzt derart, daß Glaube lediglich die Anerkenntnis von die Vernunft überschreitenden Tatsachen wäre. Denkbar wäre eine Bestimmung von Glauben, die, ausgehend von der Verderbnis der Sünde, Glauben gleichsam als ein aufhebendes Pendant zur Sünde sieht und denselben insofern weniger von seinem Gegenstand her als vielmehr aus der Verfaßtheit menschlicher Schuldhaftigkeit vor Gott bestimmt. Hier aber, in den Worten Bonaventuras, liegt eine andere Sicht vor: Der Glaube ist in seiner Erhabenheit dieser Glaube in zweierlei Erstreckung, weil beide Erstreckungen, altitudo und profunditas, Erstreckungen Gottes sind. Damit ist die Frage nach der Bestimmtheit des Glaubens hinübergezogen auf die Frage nach der Bestimmtheit Gottes. Wie ist das Verhältnis von altitudo und profunditas, von Deus aeternus und Deus humanatus zu verstehen? Bonaventura spricht von der ersten Erstreckung, 137 138

8*

Rep. Α sagt hier fides (statt cognitio wie Rep. B). Hex. VIII,5; V,370a.

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der Hocherhabenheit des Glaubens, mit einem Zitat aus dem Buch Sirach (1,2): „Die Höhe des Himmels und die Breite der Erde und die Tiefe des Abyssos - wer hat sie durchmessen?" 139 Wohlgemerkt: das Zitat bezieht sich auf die sublimitas fidei, in welcher Gott in seiner Hocherhabenheit der Sache nach präsent ist. Nun spricht aber dieses Zitat überraschenderweise gar nicht von der Höhe Gottes für sich, sondern, und darin finden wir uns an das erinnert, was anhand der Seinsspekulation von Hex. 1,12 und anhand der Überlegungen zur Evidenz Gottes deutlich geworden ist, es betrachtet Gott in seiner Höhe von vornherein und im ersten Ansatz in seinem Verhältnis zu Bereichen außer sich: zu Höhe des Himmels, Breite der Erde 140 und Tiefe des Abyssos 141 ; und dieses Verhältnis ist als ein dimetiri, als ein Durchmessen, gekennzeichnet. Gott, der der ewige und der hocherhabene Gott ist, erscheint so wesentlich als tätiger Gott: Im Durchmessen von Himmel, Erde und Abyssos ist er Gott in seiner Höhe. Und davor versagt die menschliche Vernunft. An jene repugnantia zu denken, die uns in der Betrachtung der Evidenz des göttlichen Seins begegnet ist, liegt nahe. Aber nicht nur das, sondern: der Deus aeternus in seiner Höhe, auf den sich der Glaube bezieht, erscheint als ein Gott von wesenhafter Dynamik, dynamisch hingespannt auf Himmel, Erde und Abyssos hin. Und nun stellt Bonaventura mit einem zweiten Schriftzitat eine zweite Frage: „Die tiefe Tiefe, wer wird sie erkunden?" Zweimal fragt Bonaventura „Wer?", und unter der Identität des Fragepronomens quis stellt er damit ein Verhältnis her, welches den, den das Fragepronomen bezeichnet, durch das Verhältnis zweier Tätigkeitswörter bestimmt: wortkundlich ausgedrückt, durch das Verhältnis von dimetiri und invenire, von Durchmessen und Erkunden; grammatisch ausgedrückt, durch das Verhältnis von vollendeter Gegenwart und Zukunft. Unterlegt man nun als denjenigen, den das Fragepronomen quis meint, Gott selbst in Höhe und Tiefe (und dazu berechtigt Bonaventuras Kommentierung der Schriftzitate, welche „Mensch" als Antwort auf die Frage „quis?" ausschließt), so heißt das: Das Gottsein Gottes ist nicht nur ein Sein im Verhältnis bestimmter Tathinsichten, sondern es umschließt im Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus ein bestimmtes Zeitverhältnis, das von Perfekt und Futur, so daß Gott, hingespannt auf sich selber als auf den Menschgewordenen, schon in der Bestimmung, nach 135

Hex. VIII,4; s. o. Anm. 135. Himmel ist figura des Glaubens (Hex. VIII,1; V,369a); terra ist figura der Kirche (Hex. IX,3; V,373a) und der Schrift (Hex. XIII,1; V,388a). 141 Zum Verständnis von abyssus vgl. II Sent, d.12 dub.l: ipsa enim materia dat formae fixionem, et propter hoc appelatur nomine terrae, quae inter cetera elementa plus habet de stabili täte (vgl. Hex. XIII,1; V,388a). Ipsa etiam materia a forma recipit speciositatem et completionem, et per se est quasi tenebra; et ideo significatur nomine abyssi tenebrosae. Ipsa etiam materia ad formam habet aptitudinem et inclinationem, et ita quandam fluxibilitatem, quae Signatur nomine aquae. Damit ist als abyssus die materia per se tenebrosa bezeichnet; diese aber ist das Nichts. Ebd. dub.2; II,307b. 140

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der er der Höchste und darin der ewige Gott ist, in diesem Zeitverhältnis seine Gottheit zum Zuge bringt 142 . Bonaventura zieht ein weiteres Zitat bei: ,„Ich wohne 143 in den Höhen, und mein Thron ist in einer Wolkensäule'... ,In den Höhen' heißt es, soweit der Glaube den Deus aeternus lehrt; ,mein Thron ist in einer Wolkensäule', sofern er den Deus humanatus lehrt." Setzt man dieses Zitat jenen ersten zwei Zitaten parallel, mit denen Bonaventura sich dem Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus nähert, so sind die Aussagen: „Wer hat Himmel, Erde und Abyssos durchmessen" und die Aussage: „Ich wohne in den Höhen" einerseits und die Aussage: „Wer wird die tiefe Tiefe ergründen" und die Aussage: „Mein Thron ist in einer Wolkensäule" anderseits zusammenzunehmen. Das Verhältnis von Durchmessen und Erkunden, von Perfekt und Futur, ist nunmehr das Verhältnis von Wohnen Gottes und Thron Gottes. Und davon wiederum spricht der Apostel 144 : „Wie hoch sind die Reichtümer der Weisheit und Wissenschaft Gottes, wie unbegreiflich sind seine Urteile und unerforschlich seine Wege." Jetzt ist das Verhältnis von Durchmessen und Erkunden, von Perfekt und Futur, von Wohnen Gottes und Thron Gottes das von Weisheit und Wissenschaft, von Gericht und Wegen Gottes. Bonaventura fährt fort 144 : „Daher ist das Firmament gemacht inmitten der Wasser, d. h. der Glaube, daß die Seele erkenne, was über dem Firmament und was darunter ist." Was über dem Firmament ist, ist die Weisheit der göttlichen Dinge, was unter dem Firmament ist, ist das Wissen der menschlichen Dinge. Die bisher festgestellten Verhältnisse lassen sich schematisch so darstellen: Deus aeternus Deus humanatus altitudo profundi tas dimetiri invenire Perfekt Futur habitare Thronus sapientia scientia iudicia viae super firmamentum sub firmamento divinae res humanae res cognitio animae fide Vielleicht besser als die satzweise Erläuterung zeigt dieses Schema, wohin die Fülle der Verhältnisse, die Bonaventura in bezug auf Gott aussagt, tendiert. 142 Einmal mehr deutet sich hier an, in einem wie innigen Verhältnis Gott zu Zeit und Geschichte steht. Nach Lage der Dinge in Hex. VIII ist das von Gottes Gottheit umschlossene Verhältnis von vollendeter Gegenwart und Zukunft, das wir in ganz ähnlicher Weise im Itinerarium auf der Seite des Aufstiegs angetroffen haben (s. o. S. 62 f.), kein Gott bloß äußerliches Verhältnis, sondern ihm selbst in bestimmter Weise verbunden. 143 Hex. VIII,5. 144 Ebd.

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Gleichsam an den Gipfelpunkt der im Verhältnis Deus aeternus - Deus humanatus gegebenen Spannungsverhältnisse tritt die Seele, welcher der Glaube gemacht ist, die Verhältnisse zu erkennen. Indem der Erkenntnis des Glaubens die Erkenntnis Gottes im Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus anheimgestellt ist, laufen die für Gott getroffenen Bestimmungen gleichsam auf die Seele zu, um von der Seele im Glauben erfaßt zu werden. Wenden wir von hier aus auf die Argumentation zurück, derzufolge Gottes Sein in seiner Unbezweifelbarkeit der Grund von Welt und Seele war, so zeigt sich hier, daß dieses esse indubitabile alles andere als ein statisch unbewegliches Sein ist; vielmehr: es läuft als dieses esse indubitabile auf sein Erkanntwerden durch die Seele hin deshalb, weil es als Sein Gottes das Sein dieses Gottes im Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus ist. Die Seele ist damit in dem Akt, in dem sie die in und mit Gott gesetzten Verhältnisse erkennt, hineingezogen in ihren Gegenstand, in das Grundverhältnis, das Bonaventura unter der Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus bezeichnet. Und jetzt, nachdem derart die in und mit Gott gesetzten Verhältnisse in ihrem Bezug auf die Seele benannt sind, vollzieht Bonaventuras Argumentation eine überraschende Wende. „Unbegreiflich" 145 , sagt er, „ist die Weisheit (also die dem Deus aeternus zugeordnete Weisheit der göttlichen Dinge), durch die er (sc. Gott) alles richtet. Aber besonders unbegreiflich sind ihre unerforschlichen Wege, von denen in den Sprüchen (Prov. 30,18f.) gesagt ist:,Dreierlei macht mir zu schaffen, aber ein Viertes ist, das ich zutiefst nicht verstehe: Der Weg des Adlers am Himmel, der Weg der Schlange überm Stein; der Weg des Schiffes mitten im Meer und der Weg des Mannes in einer Jungfrau.' Der Weg des Adlers am Himmel: das ist Christus, da er zum Himmel auffährt; der Weg der Schlange überm Stein ist Christus in der Auferstehung, denn im Fels erneuert sich die Schlange und läßt dort ihre alte Haut; der Weg des Schiffes im Meer: das ist Christus in der Passion; der Weg des Mannes in der Jungfrau aber ist Christus in der Inkarnation; und davon heißt es: Es ist das Vierte, das ich zutiefst nicht verstehe." Das Verhältnis Deus aeternus — Deus humanatus kehrt sich nunmehr, da der Bezug auf die anima hergestellt ist, in eigenartiger Weise um. Lautete bisher die Verhältnisbestimmung Deus aeternus-Deus humanatus, dimitiri-invenire, habitare-Thronus meus, spientia-scientia, iudicium-viae, so greift jetzt die sapientia Dei (und mit ihr alles ihr Subsumierte) über die mit ihr gegebene Bezie1 4 5 H e x . VIII,6: Incomprehensibilis est sapienta, per quam iudicat omnia; sed maxime incomprehensibilis, quae vadit per vias investigabiles. De quo in Proverbiis: ,Tria sunt difficilia mihi, et quartum penitus ignoro: viam aquilae in caelo, viam colubri super petram, viam navis in medio mari, et viam viri in adulescentula.' ,Via aquilae in caelo' fuit in Christi ascensione; ,via colubri', in resurrectione, quia coluber in petra innovatur, ubi dimittit vetustam pellum; ,via navis in mari', in passione; ,via viri in adulescentula', in incarnatione, quam penitus se dicit ignorare. V , 3 7 0 a . - Rep. A : . . . ,via viri in adolescentia', vel secundum Hebraeos et melius ,via viri in adulescentula', et secundum Bedam (in Prov. Sal. allegor. interpret, fragmenta; PL 9 1 , 1 0 5 4 f.), id est Christi in incarnatione. Delorme 1 1 2 .

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hung auf die scientia (und was in ihre Reihe gehört) hinaus und steht am Ende der Beziehungen, so daß jetzt der Schritt nicht mehr heißt sapientia-scientia, sondern viae—iudicium. Den Weg, den Bonaventura, ausgehend von den beiden Erstreckungen des Glaubens, in welchen sich das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus spiegelt, bis hin zu der Aussage: „Der Glaube ist gemacht, damit die Seele erkenne" 146 , genommen hat, beschreitet er nunmehr in gegenläufiger Bewegung von den vier Wegen aus bis zur Weisheit Gottes im Gericht. Damit ist von dem Gegenstand des Glaubens her, indem er als das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus gekennzeichnet ist, unter Hineinnahme der Seele in die mit Gott gesetzte Beziehung von aeternus und humanatus ein Bogen geschlagen, an dessen Beginn und an dessen Ende der Deus aeternus steht. Die Unbegreiflichkeit des ewigen Gottes erweist sich in diesem Bogen als die Unbegreiflichkeit seiner Weisheit im Gericht. Die bisher angetroffenen Verhältnisse von dimetiri-invenire, habitare—Thronus meus etc. erweitern sich auf diese Weise zum Verhältnis von dimetiri-invenire, bzw. habitare-Thronus meus und iudicare 147 . In dieser Erweiterung, in der Öffnung der in und mit Gott als dem Glaubensgegenstand gesetzten Beziehungen gleichsam nach vorn auf das eschatologische Gericht hin liegt, soweit ich sehe, der springende Punkt dieses Abschnitts. Denn es stellt sich hier die entscheidende Frage, welchem der in Hex. VIII,4-6 exponierten Momente es sich verdanke, daß aus dem Verhältnis Deus aeternus-Deus humanatus diese letzte und weit nach vorn greifende Dimension gewonnen wird. Welchem Umstand ist es zuzuschreiben, daß in den beiden Erstreckungen des Glaubens die Weisheit des ewigen Gottes gleichsam als finis der genannten Verhältnisse erscheint? Um das Problem in aller Schärfe auszusprechen: Ist die eigenartige Drehung, welche unter Rücksicht auf die anima das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus umkehrt zum Verhältnis viae-iudicium per sapientiam darin begründet, daß Gott im Glauben der Seele kenntlich ist? Ist Gottes Weisheit Weisheit Gottes im Gericht nur unter Maßgabe der Gott erkennenden Seele? Ist also, pointiert gesagt, die Glaubenserkenntnis der Seele auf diese Weise die Bedingung Gottes des Richters, der im Gericht richtet? Und wäre Gott von da her also auf die Seele verwiesen, um in seiner Gottheit zum Zuge zu kommen? Wir stehen hier m. E. vor dem Kernproblem der Gotteslehre Bonaventuras. Ohne daß im Kontext von Hex. VIII die Begriffe productio und (oder) reductio oder Egreß und Regreß irgend auftauchten, ist hier doch die Sache präsent, um die es geht. Denn da Bonaventura, nachdem er den Bezug der dem Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus subsumierten Beziehungen auf die Glaubenserkenntnis der Seele hergestellt hat, das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus gleichsam in Umkehrung erblickt, da er von der Seele aus das Verhältnis von Deus aeternus und Deus 146

Hex. VIII,5. . Dieses „iudicare" ist nicht das Urteilen der abstrahierenden Erkenntnis im Sinne Augustinus, sondern das Richten Gottes im Gericht, vgl. De myst. Trin. q . l a.2 i.e.; V,56a; s. u. S. 151. 147

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humanatus nach vorn hin geöffnet sieht auf «die unbegreiflich richtende Weisheit Gottes hin - da er das tut: handelt es sich darin bei der Bewegung, die von oben nach unten herniedersteigt, und der, die von unten nach oben blickt, wirklich nur um die Doppelsicht eines selben, immer schon feststehenden Sachverhalts? Ist in Niederstieg und Aufstieg tatsächlich je dasselbe betrachtet, nur aus je anderer Perspektive, wie Guardini und in seiner Folge zuletzt Mercker meinen148? Oder verweist nicht der Schritt, mit dem Bonaventura von der Glaubenserkenntnis der Seele her den Horizont aufreißt auf die richterliche Weisheit Gottes hin, auf eine Bewegung in Gott selbst, in welcher Gott, da er im Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus der Seele sich kenntlich macht, in diesem seinem Verhältnis zur Seele sich als den Deus aeternus in der Durchführung seiner Heilsgeschichte in unbegreiflicher Weisheit überhaupt selber erst gewinnt? Und ist dann das Verhältnis von Hervorbringung und Heimführung, von Ausgang und Heimgang nicht auch wiederum viel mehr als nur ein heilsgeschichtliches Schema, in welchem Gott seinen Heilsplan verwirklicht, wie Ratzinger meint 149 ? Steht nicht, von Hex. VIII her gesehen, die Bewegung, die ausgeht vom Deus aeternus und, über den Deus humanatus auf die Glaubenserkenntnis der Seele zielend, fortläuft auf Gottes unbegreiflich-richterliche Weisheit hin, in einer noch viel engeren Beziehung zu Gott selbst als bisher angenommen? Ist — letztlich — in seinem Verhältnis zur Seele Gott selber in heilsgeschichtlicher Dimension sich geöffnet? Wir stehen hier am Problem, noch lange nicht an der Antwort; aber wir können ihr näherkommen, wenn wir sehen, wie Bonaventura fortfährt. Unbegreiflicher noch als die unbegreifliche Weisheit Gottes, mit der er alles richtet, sind die Wege, die sie nimmt. Leiden, Auferstehung und Himmelfahrt Christi sind die Abschnitte des Weges. Im tiefsten aber unerforschlich ist die Inkarnation 150 . In ihr, so muß diese Bemerkung gedeutet werden, liegt der Schlüssel, welcher tief in das Geheimnis Gottes hineinführt. Denn die Dimension nach vorn, welche, nachdem der Bezug auf die Seele gewonnen ist, die zuvor gesetzten Verhältnisse von Deus aeternus und Deus humanatus überschreitet und umkehrt, ist damit inhaltlich in der Inkarnation gewonnen. Daß Bonaventura überhaupt den Weg von der Seele hin zu Gott beschreiten kann, wie er tut, indem er vom iudicium her die heilsgeschichtlichen Faktoren Himmelfahrt, Auferstehung und Passion rückwärts liest, hat seinen Grund, dem Textduktus nach, offensichtlich in diesem tiefsten Geheimnis, im Faktum der Inkarnation. Uber die Seele kehrt sich in der Inkarnation das von Gott aus gelesene Verhältnis Deus aeternus-Deus humanatus um zum Verhältnis incarnatio—incomprehensibilis sapentia; es verhält sich die Inkarnation zur Weisheit Gottes als via per quam. Dieses Verhältnis ist uns der Sache nach schon einmal begegnet. Als Bo148 149 150

S. o. Einleitung. S. o. Einleitung. Hex. VIII,6; s. o. Anm. 145.

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naventura auf dem Alvernaberg um den Frieden betet, wird ihm Antwort zuteil in der Vision des nach dem Bilde des Gekreuzigten geflügelten Seraphen. „Angesichts seiner", sagt er dort 151 , „sah ich mit einem Mal, daß jene Vision anzeigte die Erhebung unseres Vaters Franziskus in der Beschauung und den Weg, auf welchem man dahin gelangt." Es ist nicht unsachgemäß, diese Stelle aus dem Prolog zum Itinerarium hier beizuziehen. Durch mehr als das Stichwort „via" ist dies Verfahren legitimiert. Nicht nur, daß das tiefe Geheimnis der Inkarnation hier (als Deus humanatus) wie dort (als Crucifixus) präsent ist, sondern hier wie dort, in Hex. VIII wie in Itn. Prol. erscheint die seraphische Figur, und zwar in Hex. VIII so: „Von beiden 152 - Deus aeternus und Deus humanatus -spricht Jesaja im 6. Kapitel (Jes. 6,1-3) in der Vision, die die Wurzel all seiner Visionen geworden ist: ,Ich sah den Herrn sitzen' etc. bis dort: ,Voll sind alle Lande seines Ruhms.' Und sofort erfolgt die Erblindung der Juden und die Erleuchtung der Heiden (Jes. 6,10). Johannes spricht (12,39): ,So hat Jesajas gesprochen, da er den Herrn sah'; und er bezieht sich auf Jesaja (6,10), der sagt:,Mache blind das Herz dieses Volkes und ihre Ohren laß ertauben.' Daher ist die Erleuchtung der Heiden die Erblindung der Juden gewesen. Und davon ruft der Apostel aus: ,Ο Größe göttlichen Reichtums ! etc.'" Wenn hier der Reportator nicht verschrieben hat 153 , drängt jetzt der Gang der Dinge ins schier Unentwirrbare. Denn wenig zuvor 154 hat Bonaventura das Paulus-Zitat als Auslegung des Verhältnisses von Deus aeternus und Deus humanatus gebracht: De his duobus Apostolus ad Romanos. Jetzt aber bringt er es als Auslegung der Jesaja-Stelle und ihrer Zitierung bei Johannes. Das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus, von sapientia und scientia wird vermittels der Paulus-Zitats angesichts der JesajaStelle erläutert als Verhältnis von illuminatio gentium und excaecatio Iudaeorum. Davon, sagt Bonaventura, spricht Paulus in Rom. 11,33. Stellt man die in Hex. VIII,6 erfolgte Ausweitung und Drehung des Verhältnisses von Sapientia und scientia zum Verhältnis viae—iudicium in Rechnung, so ist es angemessen, die illuminatio gentium dem Deus humanatus und die excaecatio Iudaeorum dem Deus aeternus zuzuordnen. Dann aber ergibt sich nicht nur die Eigenartigkeit, daß der Deus aeternus als eine bestimmte Tat an einem bestimmten Volk ausgesagt ist, sondern das Hilfsverb „fuit" in dem Satz, mit dem Bonaventura Jes. 6,10 erklärt, gewinnt überraschendes Ge151

Itn. Prol. 2; s. o. S. 48 Anm. 105. Hex. VIII,7: Est ergo duplex altitudo firmamenti: una, per quam suprema respicit; altera, per quam infima; una, per quam docet cognoscere Deum aeternum; altera, Deum incarnatum. De his duobus dicitur Isaiae sexto in visione, quae omnium suarum visionum fuit radix: ,Vidi Dominum sedentem' etc., usque ibi:,Plena est omnis terra gloria eius.' Et statim sequitur exaecatio Iudaeorum et illuminatio gentium. Unde dick Ioannes: ,Haec dixit Isaias, quando vidi Dominum'; et sequitur: ,Excaeca cor populi huius et aures eius aggrava.' Unde illuminatio gentium fuit excaecatio Iudaeorum. Et de hoc exclamat Apostolus: ,Ο altitudo divitiarum' etc. V,370ab. 153 Rep. A; Delorme 112 bringt den Abschnitt mit demselben Zitatenbestand und ohne sachliche Abweichung. 154 Hex. VIII,5. 152

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wicht: „Daher ist die Erleuchtung der Heiden die Erblindung der Juden gewesen", und davon spricht der Apostel in Rom. 11,33. Der Deus aeternus und der Deus humanatus kommen in diesem kleinen Hilfsverb „fuit" in vollständiger Identität und vollständiger Unterschiedenheit zusammen, und zwar so, daß der Deus aeternus ganz und der Deus humanatus ganz in diesem fuit enthalten sind. Und nun, angesichts des Bogens, in welchem die sapientia hinausschwingt über sich selbst und ihr Verhältnis zur scientia sich umkehrt zum Verhältnis scientia-sapientia, via-Judicium, nun die Frage: Kann man — und an dieser Frage entscheidet sich einiges — kann man diese Aussage: illuminatio gentium fuit excaecatio Iudaeorum, gewendet auf die zuvor festgestellten Beziehungen, übernehmen mit dem Satz: Daher ist der Deus aeternus im Deus humanatus der Deus aeternus? Ist Gott nicht anders der ewige Gott als im Menschgewordenen? Entspricht der Glaube, da er zwei Hinsichten Gottes entspricht, Gott überhaupt nur, indem er dem, der in sich selber von Ewigkeit her sich selbst als dem Deus humanatus gegenübersteht, entspricht? Und steht damit nicht das Nichtsein, welches der Inkarnierte als seine zweite Natur in der Einheit der Person sich eint, nicht in Identität zu Gott und wäre also Gott als der ewig Inkarnierte darin nicht nur verwiesen auf Nichtsein, sondern darin Gottes Ewigkeit geradezu der Garant des auf Seiten von Nichtsein Stehenden: Der ewige Gott als seinen Widerspruch die ewige Welt und Seele setzend? Mir scheint, daß in dieser Fragenreihe das schwere Problem dieses Abschnitts aus dem Hexaemeron einigermaßen ans Licht tritt. Denn müßten diese Fragen positiv beantwortet werden, so wäre, was im Rekurs auf die anima sich anzudeuten schien, die Wahrheit: Gott wäre Gott nicht anders als im Gegenüber zu der auf Seiten von Nichtsein stehenden, ihn im Widerspruch erfahrenden und erkennenden Seele. Aber jetzt: Das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus erscheint in dem Jesaja-Zitat unter der Gestalt der den Thron Gottes deckenden Seraphim. „Denn Jesajas sagt 155 : ,Ich sah', nämlich in der Schau der durch den Glauben erhobenen und in der Erhabenheit der ewigen Wahrheit gefestigten Einsicht, durch welche ein doppeltes Licht ist, entbrennend und seraphisch; das seraphische Licht aber macht dreifach rufen; und es macht der Glaube die Seele seraphisch in zweifacher Salbung 156 und macht das Gemüt geflügelt mit sechs Flügeln." Deutlich ist hier das miraculum vom Alvernaberg wiederzuerkennen. Die betende mens, der geflügelte Seraph und die via ad pacem — all das ist auch in diesem Zusammenhang, in welchem der Glaube in beiderlei Erstreckung auf den Deus aeternus und Deus humanatus bezogen ist, dem Inhalt nach präsent; und vergleichen wie jene Stelle aus dem Prolog zum Itinerarium mit dieser hier, so 155

Hex. VIII,8: Dicit ergo Isaias: ,Vidi' scilicet visione intelligentiae per fidem sublevatae et stabilitatae in sublimitate sapientiae aeternae, per quam est duplex lumen inflammativum et seraphicum; quod quidem seraphicum facit clamare tripliciter; et facit fides duplici seraphicatione animam seraphicam et facit mentes alatas senis alis. V,370b. 156 Bonaventura sagt nicht unctio. Aber in der Sache dürfte seraphicatio von unctio kaum geschieden sein.

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sehen wir dort, wo Bonaventura in Hex. VIII Gott in gegenläufiger, die sapientia iudicans ans Ende setzender Bewegung sieht, im Prolog zum Itinerarium das seraphische Bild des Gekreuzigten stehen. Damit könnte allerdings die Vergleichbarkeit beider Stellen auch schon erschöpft sein. Denn während Bonaventura im Prolog zum Itinerarium von dem seraphischen Bild her der Aufstiegsschritte, die in Gott hineinführen, gewahr wird 1 5 7 , wird er in Hex. VIII angesichts der Seraphim eines scheinbar anderen Sachverhalts inne: „Unser 1 5 8 durch den Glauben erleuchteter Verstand ruft dreifach: heilig, heilig, heilig. Denn es sind in uns zwei Seraphim durch den Glauben gefestigt, und jeder von ihnen ruft's aus in dreifachem Ausrufen und ruft doch nur einmal aus: Gott der Herr." Und während der Prolog zum Itinerarium nur einen Seraphen nennt (der geflügelt ist nach dem Bilde des Gekreuzigten), spricht Hex. VIII (mit der Jesaja-Vision) von zwei Seraphim. Wollen wir Bonaventura nicht Planlosigkeit in der Wahl seiner Figuren unterstellen (und nichts berechtigt dazu), so ist zu fragen: Wie verhält sich Seraph zu Seraph? Oder genauer gefragt: Wie verhält sich der eine Seraph von Itn. Prol. 2 zu den zwei Seraphim, von denen Hex. VIII spricht? Jener eine Seraph aus dem Prolog des Itinerariums ist das Bild des Crucifixus. Angesichts seiner erschien der Aufstieg der Seele zu Gott im Verhältnis von Weg und Erhebung, von via und suspensio, welch beide in dem einen Seraphen figuriert waren 1 5 9 . Die zwei Seraphim von Hex. VIII stellen zunächst ein anderes Bild her; der Lobruf: Gott der Herr, gründet in der Korrespondenz beider Seraphim und dessen, was sie figurieren: „Die Kenntnis Gottes 1 6 0 ist nämlich die Kenntnis der drei Personen in der Einheit der Essenz; denn ,drei sind, die Zeugnis geben im Himmel, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und diese drei sind Eines'. Der seraphische Verstand also, d. h. der, der erleuchtet ist und entbrannt durch den Glauben, ruft dreimal: heilig. Der andere Seraph antwortet: heilig, heilig, heilig;weil, wie im Deus aeternus vorliegt eine Dreiheit der Personen in der Einheit der Essenz, so sind auch in dem Deus humanatus drei Naturen in der Einheit der Person." Damit ist das Verhältnis der beiden Seraphim von Hex. VIII untereinander bestimmt als das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus und dieses wiederum als Verhältnis von Trinität und Inkarnation. 1 5 7 Itn. Prol. 3 : N a m per senas alas illas recte intelligi possunt sex illuminationum suspensiones, quibus anima quasi quibusdam gradibus vel itineribus disponitur, ut transeat ad pacem per ecstaticos excessus Sapientiae christianae. V , 2 9 5 b . 1 5 8 H e x . VIII,9: Intellectus enim noster per fidem illuminatus clamat tripliciter: ,Sanctus, sanctus, sanctus.' Sunt enim duo Seraphim stabiliti in nobis per fidem, et quilibet clamat triplici exclamatione, tarnen non nisi semel, ,Dominus Deus'. V , 3 7 0 b .

' 5 * S. o. S. 5 1 . H e x . VIII,9: Notitia enim Dei est notitia trium personarum cum unitate essentiae; unde ,tres sunt, qui testimonium dant in caelo, Pater Verbum et Spiritus sanctus, et hi tres unum sunt' (1. Joh. 5 , 7 ) . Intellectus ergo seraphicatus, id est illuminatus et inflammatus per fidem, clamat ter sanctus. Alter Seraph respondet: Sanctus, sanctus, sanctus: quia sicut in Deo aeterno est trinitas personarum cum unitate essentiae, ita etiam in Deo h u m a n a t o sunt tres naturae cum unitate personae. V , 3 7 0 b . 160

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Wie aber verhält sich nun der eine Seraph von Itn. Prol. 2 zu den zwei Seraphim von Hex. VIII? Nehmen wir zuerst den ersten Seraph aus Hex. VIII. Er figuriert das Verhältnis der drei göttlichen Personen zu der einen göttlichen Essenz. Diesem selben Verhältnis hat Bonaventura im Itinerarium (Itn. V.VI) folgende Darstellung gegeben: Auf der letzten Doppelstufe der Aufstiegsbewegung treten wir ein ins Allerheiligste; „dort 161 befinden sich über der Bundeslade die zwei Cherubim der Herrlichkeit und bedecken den Gnadenstuhl (propitiatorium); in ihnen erkennen wir zwei Weisen bzw. Schritte, das Unsichtbare und Ewige Gottes zu beschauen. Der eine Cherub bezieht sich auf die Wesenseigenschaften Gottes, der andere auf die Eigentümlichkeiten der Personen." Der erste schaut auf Gott, sofern Sein (esse) der erste Name Gottes ist; der zweite schaut auf Gott, sofern Gutsein (bonum) der erste Name Gottes ist. Im ersten Cherub wird die Einheit der göttlichen Essenz im Blick auf sein in sich höchst evidentes Sein betrachtet (und darin werden die invisibilia Dei geschaut)162, im zweiten Cherub wird die allerseligste Trinität geschaut163. Das heißt: Der erste Seraph, unter welchem nach Hex. VIII Gott in der Dreiheit der Personen bei Einheit der Essenz erscheint, ist in Itn. Vf. seinerseits aufgeteilt in zwei Cherubim, deren erster diesem Seraphen entspricht, sofern Gott Einer ist in seinem Wesen; deren zweiter diesem Seraphen entspricht, sofern Gottes essentia in drei Personen subsistiert. Der Sache nach sind also die den Gnadenstuhl bedeckenden Cherubim in dem, was unter ihnen enthalten ist, dem Deus aeternus identisch, von dem Jesus Sirach sagt: Die Höhe des Himmels, die Breite der Erde und die Tiefe des Abyssos, wer hat sie durchmessen; und von dem er wiederum sagt: Ich wohne in den Höhen164. 161 Itn. V, 1 f.: Quoniam autem contingit contemplari Deum non solum extra nos et intra nos, verum etiam supra nos: extra per vestigium, intra per imaginem et supra per lumen, quod est signatum supra mentem nostram (Ps. 4,7), quod est lumen Veritatis aeternae, cum ipsa mens nostra immediate ab ipsa Veritate formetur; qui exercitati sunt in primo modo intraverunt iam in atrium ante tabernaculum; qui vero in secundo, intraverunt in sancta; qui autem in tertio, intrant cum summo Pontifice in sancta sanctorum; ubi supra arcam sunt Cherubim gloriae obumbrantia propitiatorium (Ex. 25,28); per quae intelligimus duos modos seu gradus contemplandi Dei invisibilia et aeterna, quorum unus versatur circa essentialia Dei, alius vero circa propria personarum.

Primus modus primo et principaliter defigit aspectum in ipsum esse, dicens quod qui est est primum nomen Dei. Secundus modus defigit aspectum in ipsum bonum, dicens, hoc esse primum nomen Dei. V,308ab. 162 Itn. V,3: Volens igitur contemplari Dei invisibilia quoad essentiae unitatem primo defigat aspectum in ipsum esse et videat, ipsum esse adeo in se certissimum, quod non potest cogitari non esse. V,308b. 163 Itn. VI,1: Post considerationem essentialium elevandus est oculus intelligentiae ad contuitionem beatissimae Trinitatis, ut alter Cherub iuxta alterum statuatur. V,310b. 164 Es bleibt hier noch eine die bisherigen Beobachtungen zum Sein Gottes stützende Bemerkung: Wenn richtig gesehen ist, daß die zwei Cherubim von Itn. V der Sache nach dasselbe darstellen, was in Hex. VIII der erste, das Verhältnis von Einheit und Dreiheit Gottes figurierende Seraph darstellt, so findet sich einmal mehr belegt, daß Bonaventura das Sein Gottes, da er seine

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Aber das eigentliche Geheimnis dieser zwei Cherubim, also des Deus aeternus, da er in drei Personen subsistierend Einer ist, liegt darin, daß beide Cherubim ihr Antlitz auf den Gnadenstuhl gerichtet halten. Das Sein Gottes, diese eine göttliche Essenz, ist, da der erste Cherub auf den Gnadenstuhl blickt, auf die gottmenschliche Einung in Christus bezogen: „ W e n n 1 6 5 du nämlich ein Cherub bist in der Betrachtung der Wesenseigenschaften Gottes und dich wunderst, daß das göttliche Sein das Erste ist und das Jüngste, das Ewige und das Allergegenwärtigste, das Allereinfachste und das Größte bzw. Unumschriebene, das gänzlich und allenthalben Anwesende und niemals Begriffene, das in höchster Verwirklichung Stehende und niemals Bewegte, das höchst Vollkommene, ohne Überfluß und Minderung und dennoch das Unermeßliche und grenzenlos Unendliche, das höchst Eine und dennoch Jedweisliche, alles in sich enthaltend, alle Kraft, alle Wahrheit, alles Gute; so schau auf das Propitiatorium und bewundere, daß in ihm der erste Anfang verbunden ist mit dem Letzten, Gott mit dem am sechsten Tage ins Dasein Gerufenen, das Ewige mit dem zeitlichen, in der Fülle der Zeiten von einer Jungfrau geborenen Menschen, das Allereinfachste mit dem zuhöchst Zusammengesetzten, das Allerwirklichste mit dem zuhöchst Leidenden und Toten, das Vollkommenste und Unermeßliche mit dem Geringen, das höchst Eine und Jedweisliche mit dem zusammengesetzten Einzelnen und von anderem Geschiedenen, mit dem Menschen Jesus Christus." Die einzelnen hier dem Sein zugeordneten Bestimmungen werden im Laufe dieser Untersuchung noch zur Sprache kommen. Für diesen Zusammenhang liegt die Eigenart dieser Passage darin, daß dem esse Dei als esse Dei in seinen besonderen Bestimmungen eine Beziehung zur Inkarnation zugesprochen ist. Der eressentialia (Itn. V) betrachtet, immer schon in seinem bestimmten Weltverhältnis betrachtet. Denn an der Stelle, an der Bonaventura im ersten Cherub von den essentialia Dei spricht, spricht er in Hex. VIII,12 f. von Gottes Taten: Fides in Deum aeternum est una illustratio senarum alarum; et hoc dupliciter: aut quantum ad distinctionem personarum, aut quantum ad diffusionem Trinitatis in creaturam secundum essentiam, virtutem et operationem. - Primo modo sunt tres articuli, scilicet Patris ingeniti, Filii unigeniti a solo Patre, Spiritus sancti ab utroque spirati. Isti sunt tres alae in latere dextero, scilicet in aeternitate . . . Similiter in sinistro sunt tres alae, in quantum ab una essentia, virtute et operatione est diffusio in creaturam. V,371a. Das Verhältnis von essentialia Dei und propria personarum, welches in Itn. V f . die zwei Cherubim figurieren, erscheint hier als Verhältnis von Trinitas und diffusio in creaturam, so daß essentialia bzw. unitas Dei und diffusio in creaturam sehr dicht zusammenrücken. Davon wird noch ausführlich gesprochen werden. 1 6 5 Itn. VI,5: Si enim Cherub es essentialia Dei contemplando, et miraris, quia simul est divinum esse primum et novissimum, aeternum et praesentissimum, simplicissimum et maximum seu incircumscriptum, totum ubique et nusquam comprehensum, actualissimum et nunquam motum, perfectissimum et nihil habens superfluum nec diminutum, et tarnen immensum et sine termino infinitum, summe unum, et tarnen omnimodum, ut omnia in se habens, ut omnis virtus, omnis Veritas, omne bonum; respice ad propriatorium et mirare, quod in ipso principium primum iunctum est cum postremo, Deus cum homine sexto die formato, aeternum iunctum est cum homine temporali, in plenitudine temporum de Virgine nato, simplicissimum cum summe composito, actualissimum cum summe passo et mortuo, perfectissimum et immensum cum modico, summe unum et omnimodum cum individuo composito et a ceteris distincto, homine scilicet Jesu Christo. V , 3 1 1 b .

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ste Cherub, welcher eine Hinsicht des den Deus aeternus figurierenden Seraphen von Hex. VIII darstellt, die Hinsicht, darin das Sein Gottes Eines ist, steht in Beziehung zur Inkarnation: Da er das Propitiatorium betrachtet, zeigt sich das eine höchst einfache Sein Gottes als das umfassende Eine in seinem Respekt auf die Verbindung mit dem höchst zusammengesetzten, leidenden und sterblichen menschlichen Sein Jesu. Kehren wir von hier aus wieder zurück zu Hex. VIII, so zeigt sich die ganze Eigenart dieses Sachverhalts. Der erste Cherub von Itn. 6 nämlich, soweit er die Hinsicht des einen Seins Gottes auf den Gnadenstuhl aussagt, also das esse unum des Deus aeternus, soweit es im Hinblick auf die Verbindung Gottes mit dem Menschen Jesus Christus das eine umfassende Sein Gottes ist, der erste Seraph von Hex. VIII also, soweit er Gottes wesenhafte Einheit unter sich enthält, ist von hier aus zugleich der zweite Seraph von Hex. VIII: „Höchst 1 6 6 zu bewundern ist es (sc. nicht nur, daß drei Personen in der Einheit der Essenz subsistieren, wie das der erste Seraph von Hex. VIII figuriert, sondern ebenso), daß drei Naturen verbunden sind: das Höchste mit dem Niedersten, ohne Druck zu erleiden; das Erste mit dem Letzten, ohne Erneuerung zu leiden; das Einfache mit dem Zusammengesetzten, ohne Zusammensetzung zu leiden." Damit ist der erste Cherub, das Sein Gottes in seiner Hinsicht auf das Propitiatorium der zweite Seraph von Hex. VIII. Wenn also der Deus aeternus sich zum Deus humanatus verhält als ein Seraph zum anderen, als die Trinität zur Inkarnation, so ist die Subsistenz der einen göttlichen essentia in drei Personen, welche in dem ersten Seraphen von Hex. VIII figuriert ist, diese Subsistenz in drei Personen in der Subsumtion der einen essentia unter den zweiten Seraphen. Es findet gleichsam ein Wechsel statt, in welchem der Deus aeternus seine Figuration in dem ersten Seraphen findet, sofern er hinsichtlich der sich dem Letzten einenden Einheit seines Seins im zweiten Seraphen figuriert ist. Das Verhältnis des ersten Seraphen zum zweiten Seraphen, von Deus aeternus zu Deus humanatus, oder, wie wir oben geseh.f .1 haben, von Veritas und falsitas in der Evidenz Gottes, ist jetzt nicht mehr ein bloß korrespondierendes Verhältnis, sondern ein inneres dergestalt, daß die Subsistenzen der göttlichen Person darin Subsistenzen göttlicher Personen sind, daß Gott oder der Deus aeternus in der Hinsicht seines esse unum im zweiten Seraphen bzw. im Deus humanatus als dem Nicht-Göttlichen verbunden erscheint. Stellt man also die Frage, wie der eine Seraph von Itn. Prol. sich zu den zwei Seraphim von Hex. VIII verhalte, so muß die Antwort in den Figuren Bonaventuras lauten: Er verhält sich zu den zwei Seraphim als die Einheit beider, welche Einheit ist in der Hingewandtheit der Cherubim auf das Propitiato1 6 6 Hex. VIII, 10: Et vere admirabile nomen (Dei) quantum ad D e u m aeternum, quia ibi est vera distinctio personarum cum unitate essentiae, per quam sunt summe conformes, summe concordes, summe coaequales, coaeterni, consubstantiales, coessentiales.—Item, est admirabile, quoniam tres naturae coniunctae sunt: supremum cum infimo sine depressione, primum cum ultimo sine innovatione, simplex cum composite sine compositione. V , 3 7 0 b f.

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rium; und das heißt ausgeführt: Der Deus humanatus ist der Deus aeternus, sofern Gott als der, der sich inkarniert, der trinitarische Gott ist. Worauf es hierbei ankommt, ist dies, daß Sein Gottes, Trinität und Inkarnation unter keinen Umständen auseinanderdividiert werden, und zwar deshalb, weil die göttlichen Personen als Subsistenzen der einen göttlichen Essenz subsistieren in der Hinspannung des göttlichen Seins auf seine Entäußerung hin. Die Korrespondenz von Trinität und Inkarnation ist deshalb keine äußere, sondern zutiefst innerlich vermittelt, sofern es der in der Einheit seines Wesens trinitarisch subsistierende Gott ist, der sich inkarniert. Von diesem äußerst dichten Zusammenhang spricht Bonaventura in seiner die Deutung der Jesaja-Vision abschließenden Bemerkung: „Verbunden 167 sind die Erkenntnis der Gottheit 1 6 7 Hex. VIII, 11: sunt iuncta cognitio Divinitatis et humanitatis, quia incarnatio non cognoscitur, nisi cognoscatur distinctio personarum. Sie enim non cognoscas Trinitatem, ita bene Pater incarnatus est vel passus, ut Filius; et es Sabellianus et Patripassianus. - Item si ponas Trinitatem et non incarnationem, testimonium habes in caelo, et non accipis in terra; cum tarnen tres sint, qui testimonium dant in terra,spiritus, aqua et sanguis'. In spiritu Divinitas, in aqua corpus, in sanguine, ubi est vita animae, anima. Per sanguinem enim Christi spiritus aquae iungitur, quia mediante anima Divinitas coniungitur corpori. V,371a. - Rep. Α liest diese Stelle mit einer kleinen, aber entscheidenden Abweichung: Non enim cognoscitur incarnatio nisi praecognita discretione personarum. Delorme 114. Könnte man diese Lesart als authentisch zugrunde legen, verlöre der Abschnitt Hex. VIII, 1 - 1 1 weitgehend an Schwierigkeit, und zwar deshalb, weil die trinitarische Entfaltung der göttlichen Essenz sich dann von ihrer Zentrierung um die Inkarnation lösen ließe und gleichsam jenseits oder abgesehen von der Hinsicht des göttlichen Seins auf seine Entäußerung durchzuführen wäre. Nach Rep. Β liegt aber die Schwierigkeit dieses Abschnitts gerade darin, daß das nicht der Fall ist; denn dieser Lesart zufolge (und dem folgt auch Rep. A) ist von der trinitarischen Entfaltung Gottes zunächst gar nicht die Rede, sondern lediglich vom Verhältnis Deus aeternus-Deus humanatus. Und erst nachdem unter Bezug des Verhältnisses von Deus aeternus und Deus humanatus auf die cognitio fidei jene eigentümliche Achsdrehung erfolgt ist, in welcher der Deus aeternus als richtend im Gericht erscheint, rückt im Bild der Seraphim das göttliche Wesen in trinitarischer Subsistenz in den Blick, so daß also für Bonaventura jenseits oder abgesehen von der Inkarnation in irgendeinem „prae-" von der Trinität überhaupt nicht die Rede sein kann, sondern nur von einem äußerst dichten und ausgewogenen Verhältnis von Trinität und Inkarnation. Und gerade diese Dichte und Ausgewogenheit ist es, welche den genannten Abschnitt so schwierig macht. Denn es stellt sich, seinem Duktus nach Rep. Β folgend, notwendig die Frage, ob Gott nicht überhaupt erst am Ende seiner im Verhältnis von Perfekt und Futur, seiner durch die Zeiten hindurchgehenden Entfaltung der trinitarische Gott sei, so daß letztendlich die Kategorien der Trinitätslehre lediglich als Kategorien der Gotteserkenntnis erscheinen könnten, einer Erkenntnis, die, darin der Grundstruktur der Trinitätslehre Joachims folgend (vgl. Denzinger 803-807), des einen Gottes in den Abschnitten der geschichtlichen Verwirklichung seines Gottseins angesichtig wird. Daß dem bei Bonaventura nicht so ist (wiewohl dieses Problem seiner Trinitätslehre immer anhaftet-den Grund dafür wird man am Ende dieser Untersuchung sehen), darum wird es im folgenden gehen. Der Reportator von Rep. Α freilich scheint sich, da er das „prae-" setzt, dieser Problematik, die geeignet sein könnte, den orthodoxen Charakter der Trinitätslehre Bonaventuras in Zweifel zu stellen, durchaus bewußt, aber er steht nicht in Einklang mit der Theologie seines Lehrers, wenn er die Schwierigkeit von Hex. VIII durch ein „prae-" meint beheben zu können, das zudem durch keine Parallelstelle von Bonaventuras eigener Hand gedeckt ist. Vgl. etwa De myst. Trin. q.l a.2 f.4: necessarium est ad salutem credere Mediatorem; sed Mediator cognosci non potest, nisi cognoscatur distinctio personarum; und ebd. f.5: nullus salvari potest, nisi in eo quod credit beatissimam Trinitatem; und ebd. f.6: nullus potest salvari sine fide Christi. V,52a.

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und der Menschheit, denn die Inkarnation wird nicht erkannt ohne die Unterscheidung der Personen. Wenn du nämlich die Trinität nicht erkennst, so ist so gut der Vater inkarniert und hat gelitten, wie der Sohn; und dann bist du ein Sabellianer oder Patripassianer. - Ebenso aber: Setzt du die Trinität und nicht die Inkarnation, so hast du ein Zeugnis im Himmel, aber nimmst es nicht an auf Erden. Denn drei sind, die Zeugnis geben auf Erden,,Geist, Wasser und Blut' (1. Joh. 5,8). Im Geiste die Gottheit, im Wasser der Leib, im Blut die Seele, denn dort ist der Seele Leben. Durch das Blut nämlich wird der Geist Christi dem Wasser verbunden, weil mittels der Seele sich die Gottheit dem Körper verbindet." Der hier erläuterte Sachverhalt erhärtet sich, wenn wir zu den Erörterungen in Hex. VIII diejenigen Stellen zuziehen, in denen Bonaventura sich ebenfalls mit Hocherhabenheit und Tiefe, mit sublimitas und profunditas, Gottes beschäftigt. In Hex. VIII haben wir den Deus aeternus ausgesagt gefunden mit dem Zitat: „Höhe des Himmels und Breite der Erde und Tiefe des Abyssos — wer hat sie durchmessen?" und den Deus humanatus mit dem Zitat: „ O tiefe Tiefe, wer wird sie erkunden?". Dieses selbe Schriftmaterial findet sich auch an zunächst entscheidend anderer Stelle: im Prooemium zum Ersten Buch des Sentenzkommentars. Dieses Buch handelt von „Gottes Einheit und Dreiheit" 1 6 8 . Darauf ist sinnvollerweise aufmerksam zu machen, denn es muß daran erinnert werden, wovon thematisch die Rede ist, damit einsehbar wird, welche Erstreckungen dem Einssein und Dreisein Gottes zukommen. Als Motto zum Ersten Buch der Sentenzen hat Bonaventura ein Zitat aus Hiob gewählt: „Die Tiefen der Flüsse hat er erforscht, und das Verborgene hat er ans Licht gebracht." 1 6 9 Die Wahl eines solchen Mottos ist charakteristisch für Bonaventuras Verständnis von dem, wovon er in diesem Ersten Buch handelt. Mit den Tiefen der Flüsse ist einzusetzen, denn unter dem Bild der Flüsse ist der Gegenstand des Sentenzkommentars vierfältig bezeichnet: Fluß, sofern er unaufhörlich fließt 170 , weist auf die Emanation der göttlichen Personen 171 ; sofern er weit sich ausdehnt, weist auf die Schöpfung 1 7 2 ; sofern er zirkuliert, weist auf die Inkarnation 173 ; sofern er reinigt, weist auf die Spendung der Sakramente 174 . Diese vier Bestimmungen von „Fluß", und worauf sie verweisen, findet Bonaventura in den vier Strömen des Paradieses nach Gen. 2,10-14 1 7 S . Den vier Liber primus Sententiarum. D e Dei Unitate et Trinitate. 1,26. Profunda fluviorum scrutatus est, et absocondita produxit in lucem (Hiob 28,11)· 1,1. 1 7 0 I Sent, prooem.: Considero n a m q u e fluvium materialem quoad durationem, et invenio perennitatem. I , l a . 1 7 1 Ebd.: Primo, propter perennitatem dicitur fluvius personarum emanatio, quoniam illa emanatio sola est sine principio, sine fine. I , l b . 1 7 2 Ebd.: Secundo, propter spatiositatem dicitur fluvius rerum mundanarum productio. I,2a. 1 7 3 Ebd.: Tertio, propter circulationem dicitur fluvius Filii Dei incarnatio. I,2a. 1 7 4 Ebd.: Q u a r t o , propter emundationem dicitur fluvius Sacramentorum dispensatio. I,2b. 1 7 5 Ebd.: De omnibus istis fluviis simul et per ordinem habetur Genesis secundo. I,3a. 168

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Strömen entsprechen vier Tiefen 176 : Die Tiefe der innergöttlichen Emanation ist ihre Erhabenheit 177 , die Tiefe der Schöpfung die Leere des geschaffenen Seins178, die Tiefe der Inkarnation das Verdienst der Menschheit Christi 179 , die Tiefe der Sakramentsspendung ihre Wirksamkeit 180 . Für unseren Zusammenhang ist vor allem die erste Tiefe von Bedeutung, die Erhabenheit der innergöttlichen Emanation. „Die Tiefe 181 der ewigen Emanation ist die Erhabenheit des göttlichen Seins. Darüber erhält man Einsicht aus jenem Wort im 7. Kapitel des Predigers 182 (7,25): ,Die tiefe Tiefe, wer wird sie erkunden?' In der Tat ist hier hohe Tiefe und tiefe Höhe, so daß der Apostel in Rom. 11,33 ausruft und spricht: ,Ο Höhe des Reichtums der Weisheit und Wissenschaft Gottes, wie unbegreiflich sind seine Urteile und unerforschlich seine Wege!' In der Tat sind Gottes Urteile unbegreiflich, denn sie sind tief. ,Ein tiefer Abgrund nämlich sind die Urteile Gottes' (heißt es inPs. 35,7) und Jesus Sirach sprichtim 1. Kapitel (1,2):,Die Tiefe des Abgrunds - wer hat sie durchmessen ?' Diese Tiefe deutet Hiob an im 11. Kapitel (11,7f.):,Vielleicht, daß du die Spuren Gottes begreifst und bis zur Vollendung den Allmächtigen erkundest? Höher als der Himmel ist er, was willst du verrichten? Tiefer als der Tiefen tiefste ist er, und woher willst du ihn erkennen?', als wollte er sagen: Von dir aus kannst du das nicht; und also rät der Apostel im 3. Kapitel an die Epheser (3,17f.): ,In der Liebe seid ihr verwurzelt und gegründet, daß ihr erkennen könnt' etc. (sc. was die Länge sei, die Breite, die Hocherhabenheit und die abgründige Tiefe). Und diese Tiefe (sc. die Tiefe der ewigen Emanation, darin die Erhabenheit des göttlichen Seins besteht) erörtert der Magister im Ersten Buch. Die Erhabenheit des göttlichen Seins nämlich besteht in zweien, nämlich in den alleredelsten Emanationen, die sind Zeugung (sc. des Sohnes) und Hervorgang (sc. des Geistes) 176

Ebd.: Cum igitur quantuor sunt fluvii, quatuor sunt fluviorum profunda praedictis fluviis correspondentia. 1,3 b. 177 Ebd.: profundum aeternae emantionis est sublimitas esse divini. I,3b. 178 Ebd.: profundum creationis est vanitas esse creati. I,3b. 179 Ebd.: profundum incarnationis est meritum humanitatis Christi. I,4a. 180 Ebd.: profundum sacramentalis dispensationis est efficacia perfecti medicamenti. I,4b. 181 Ebd.: Profundum aeternae emanationis est sublimitas esse divini, de quo potestintelligi illud Ecclesiastic! septimo: ,Alta profundi tas, quis inveniet eam ?' Vere profun ditas alta et altitudo profunda, ita ut exclamet Apostolus ad Romanos undecimo et dicat: ,Ο altitudo divitiarum sapientiae et scientiae Dei, quam incomprehensibilia sunt iudicia eius, et investigabiles viae eius!' Vere iudicia incomprehensibilia, quia profunda.,Iudicia enim Dei abyssus multa', et Ecclesiastici primo: ,Profundum abyssi, quis dimensus est?' Haec profunditas innuitur lob undecimo: ,Forsitan vestigia Dei comprehendes et usque ad perfectum Omnipotentem reperies? Excelsior coelo est, et quid facies? profundior inferno, et unde cognosces?' quasi dicat: ex te non potes; ideo consul» Apostolus ad Ephesios tertio: ,In caritate radicati et fundati, ut possitis comprehendere' etc. Et hoc profundum perscrutatur Magister in primo libro. Sublimitas enim divini esse consistit in duobus, scilicet in nobilissimis emanationibus, quae sunt generatio et processio, et in nobilissimis conditionibus quae sunt summa sapientia, omnipotentia et perfecta voluntas, de quibus est primus liber. 1,3b. 182 „Ecclesiastici" im lateinischen Text ist offenbar verschrieben. Das Zitat steht Ecclesiastis septimo. So ist es auch angegeben im Indexband zu I—IV, dort Sc.

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Fischer, De Deo trino

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u n d in d e n alleredelsten W e s e n s e i g e n s c h a f t e n ( c o n d i t i o n e s ) , die sind die höchste Weisheit, Allmacht und vollkommener Wille. D a v o n handelt das Erste B u c h . " W i e m a n sieht, a r b e i t e t B o n a v e n t u r a i m V o r w o r t seines K o m m e n t a r s z u m E r s t e n B u c h der Sentenzen m i t d e m s e l b e n S c h r i f t m a t e r i a l , das er in H e x . VIII b e n u t z t . E h e wir d a r a u s Schlüsse ziehen, ist eine V o r b e m e r k u n g a n g e b r a c h t . D e n n es l ä ß t sich n a t ü r l i c h f r a g e n , o b n i c h t eine E n t w i c k l u n g i m D e n k e n B o n a v e n t u r a s a n z u n e h m e n sei, die e t w a in der z u n e h m e n d e n C h r i s t o z e n t r i k seines S p ä t w e r k s ihren N i e d e r s c h l a g findet. E i n e s o l c h e E n t w i c k l u n g w i r d vielfach a n g e n o m m e n , w i e die geläufige Einteilung der Schriften B o n a v e n t u r a s in F r ü h s c h r i f t e n u n d S p ä t s c h r i f t e n z e i g t 1 8 3 . D a s V o r l i e g e n einer s o l c h e n E n t w i c k l u n g aufzuzeigen, ist n i c h t A u f g a b e dieser U n t e r s u c h u n g . D a ß m a n m i t ihr zu r e c h n e n h a t , s t e h t m . E . a u ß e r F r a g e 1 8 4 . D o c h d a r f m a n sie n i c h t s o v e r a n s c h l a g e n , als füge die c h r i s t o l o g i s c h e K o n z e n t r a t i o n der S p ä t s c h r i f t e n den F r ü h s c h r i f t e n in b e z u g a u f das G o t t e s v e r s t ä n d n i s B o n a v e n t u r a s e t w a s S. o. S. 13 Anm. 28. Gilson 54 stellt m. E. treffend fest: „Der Sentenzkommentar enthält bereits keimhaft oder wirklich alle späteren Bahnen, auf denen sich das Denken Bonaventuras weiterentwickelt hat. Die Stetigkeit seiner Entwicklung ist somit unbestreitbar, die Tatsächlichkeit dieser Entwicklung jedoch nicht minder. Im selben Maße, wie Bonaventura unter seinen Augen die neue alb er to-thomistische Lehre sich entwickeln sah, gewann er selbst auch ein stets tieferes Bewußtsein von dem Besonderen der von ihm vertretenen Tradition." - Den deutlichsten Hinweis auf eine im theologischen Denken Bonaventuras vorliegende Entwicklung zeigt die Verschiebung der Trinitätslehre im Aufriß der Theologie Bonaventuras: Während sie im Ersten Buch des Sentenzkommentars und auch noch im Breviloquium (das von hier aus nicht zu den Spätschriften gezählt werden dürfte), scheinbar in sich ruhend, am Beginn der Erörterung steht, ist sie in den sog. Spätschriften immer mehr ans Ende zurückgezogen. Im Itinerarium wird die Trinität erst im 6. Kapitel zum expliziten Thema. Im Hexaemeron thematisiert Bonaventura die Trinitätslehre erst, nachdem er zuvor ausführlich das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus, das dreigespannte Verständnis des Wortes Gottes und die Wahrheit Gottes (Hex. VIII-X) erörtert hat, um sie nach Zwischenschaltung seiner Schriftlehre (Hex. XIII-XIX) in der Erörterung der Hierarchien wieder aufzunehmen. Worauf sich diese Ortsverschiebung gründet, läßt sich vorab dem Prolog des Breviloquiums entnehmen. Von der Schrift bzw. der Theologie (vgl. Brevil. Prol.; V,201a) heißt es Brevil. Prol. § 4 : est doctrina, quae est de Deo, de Christo, de operibus reparationis et de credibili. Subiectum enim illius quoad substantiam Deus est; quoad virtutem, Christus; quoad operationem, reparationis opus; quoad omnia haec est ipsum credibile. Deus autem est trinus et unus: in essentia unus etinpersonis trinus. V,205a. Interessant an dieser Aufzählung der Gegenstände der Schrift bzw. der Theologie ist ihr Gefälle: Sie müdet aus in dem Hinweis auf das credibile als den Gegenstand der Theologie, der alles: Gott, Christus und opus reparationis umfaßt. Im Anschluß daran erst (es hätte ja auch heißen können: de Deo trino et uno, de Christo etc.) erfolgt in chiastischer Formulierung der Hinweis auf Dreiheit und Einheit Gottes. Das legt nahe, die Aussage: Deus est trinus et unus gleichsam als Zusammenfassung der vorhergehenden Aufzählung zu begreifen, so daß das ipsum credibile, welches omnia haec umfaßt, mit der Aussage: Deus est trinus et unus deckungsgleich wird. Diese Vermutung wird gestützt durch die Frage von De myst. Trin. q. 1 a.2: Uttum Deum esse trinum sit verum credibile. V,51. Die credibilitas ist hier im Verhältnis zur indubitabilitas des göttlichen Seins das Charakteristikum der Trinität, so daß, wo vom credibile die Rede ist, sachlich die Trinität gemeint scheint. Ist diese Überlegung richtig, so ist es nur konsequent, die Entfaltung der Trinitätslehre hinter die Entfaltung von „omnia haec" zurückzuziehen, wobei allerdings „omnia haec" schon im Gottesbegriff des Sentenzkommentars enthalten ist. 183

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Neues hinzu. Angemessen dagegen scheint mir, in der Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Philosophie bzw. nach der Stellung Bonaventuras gegenüber dem Aristotelismus die Zäsur zwischen Früh- und Spätwerk höher zu bewerten; denn Bonaventuras Position klärt sich hier offensichtlich zunehmend unter dem Einfluß der Lehrstreitigkeiten an der Pariser Universität 1 8 5 . Dabei handelt es sich aber meiner Einschätzung nach tatsächlich um nichts als eine Klärung, welche sich auf der Grundlage des sich durchhaltenden Kerns der Theologie Bonaventuras, auf der Grundlage seines dynamischen Gottesbegriffs fortschreitend entwickelt 186 . Um eben diesen Gottesbegriff geht es in der Vorrede zum Ersten Buch der Sentenzen. Es ist kaum anzunehmen, daß Bonaventura im Hexaemeron nicht bewußt auf das im Sentenzenkommentar verarbeitete Material zurückgegriffen hätte; vielmehr: dadurch, daß er es tut, gibt er uns eine sachbezogene Ausdeutung seiner eigenen Position 187 . Eine solche Kontinuität vorausgesetzt, ist es ein durch und durch verwunderlicher Tatbestand, daß Bonaventura mit demselben Schriftmaterial, mit dem er — ohne sich gegenüber I Sent, prooem. expressis verbis zu korrigieren - in Hex. VIII den Deus humanatus ausgesagt sieht, im Vorwort zum Sentenzenkommentar die ewige Emanation betrachtet. Will man nicht unterstellen, Bonaventura habe sich hier eine folgenschwere Gedankenlosigkeit zuschulden kommen lassen, so liegt in diesem Tatbestand ein kaum absehbares Gewicht: Wenn dort, wo Bonaventura in Hex. VIII von der Tiefe des Glaubens in seiner Beziehung auf den Deus humanatus spricht, dasselbe Zitatenmaterial zur Anwendung kommt, mit welchem Bonaventura in I Sent, prooem. die emanatio aeterna faßt, so kann das nichts anderes bedeuten, als daß die Erhabenheit des göttlichen Seins, indem sie in der Tiefe der ewigen Emanation besteht, der Sache nach im Deus humanatus gründet. Der Befund, daß der erste Seraph in Hex. VIII der erste Seraph ist in dem zweiten und als der zweite Seraph, erhält von hier aus eine prägnante Stütze. Die ewige innergöttliche Emanation, auf die Bonaventura in I Sent, prooem. sein Schriftmaterial bezieht, ist diese innergöttliche ewige Emanation als Emanation des sich inkarnierenden göttlichen Seins. Der Satz von Hex. 1,11 1 8 8 , von welchem Bonaventura in seiner oben (S. 54ff.) besprochenen Seinsspekulation ausgeht, der Satz: primum medium Christus fuit in generatione aeterna, findet hier seine Vgl. Hülsbusch 3 8 ; Gilson 44ff. Dabei bleibt es selbstverständlich nicht aus, daß auch Bonaventuras Gottesbegriff selber diesem Klärungsprozeß unterliegt. Worin Bonaventura Gottes esse unum et trinum entfaltet sieht, muß sich angesichts der zur Zeit des Hexaemerons gegebenen Fronten unmißverständlicher dartun als zu einer Zeit, da Bonaventura die Konsequenzen der Aristotelesrezeption noch nicht in dem Maße überblickt noch überblicken kann, wie es in späterer Zeit der Fall ist. 187 bewußt Bonaventura im Hexaemeron mit dem Material des Sentenzenkommentars arbeitet, zeigt sich nicht zuletzt an jener schon oben S. 51 Anm. 113 angeführten Stelle Hex. X X I , 3 2 , in welcher er seine im Sentenzenkommentar getroffene Entscheidung in bezug auf die Einordnung von Virtutes und Potestates in die Hierarchie der Engel korrigiert. 185

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9*

V,331a.

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inhaltliche Bestätigung. Das ewig emanierende Sein Gottes ist, darin es als ewig emanierendes Sein Sein Gottes ist, Sein auf Inkarnation hin 189 . In seinem Ersten Buch, so sagt Bonaventura, spricht der Magister von dieser Tiefe, die er in der Schrift ausgesprochen findet. Es ist dieses Erste Buch, das von Einheit und Dreiheit Gottes handelt. Das Verhältnis von dimetiri und invenire, von Perfekt und Futur, unter welchem Hex. VIII das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus faßt, erscheint auf diese Weise als ein Verhältnis, welches die Transzendenz des dreieinen Gottes ausmacht. Diese Feststellung verbietet jede andere Deutung als diese: Das Verhältnis von unitas und Trinitas Gottes impliziert wesenhaft das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus. Wenn sich in De myst. Trin. q.l a.l fand, wie wir gesehen haben, daß Gottes evidente Wahrheit (als divisio unius et indivisi) evidente (und unserem Intellekt widerstreitende) Wahrheit ist in der Analogie zur falsitas einer unio summe distantium, i. e. esse et non-esse, so zeigt sich im Vergleich von Hex. VIII mit I Sent, prooem., daß dieses Korrespondenzverhältnis von falsitas und Veritas, von, wie wir nunmehr sagen können, Deus humanatus und Deus aeternus, nicht nur in unserem Verhältnis zu Gott gründet, also nicht nur von der Schöpfung her ausgesagt ist, „wie sie nun einmal ist", sondern daß der innere Grund für dieses Verhältnis in dem Selbstverhältnis Gottes zu suchen ist, in welchem er in der Einheit seines Wesens in drei Personen subsistiert. Indem die Hocherhabenheit des göttlichen Seins die Tiefe der ewigen Emanation ist und also in dem Verhältnis von Eigenschaften des göttlichen Seins und inneren Emanationen Gottes die Erhabenheit Gottes besteht und dies das Thema des dogmatischen Locus „De Deo uno et trino" ist, gründet das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus, von dem in Hex. VIII die Rede ist, in diesem die Transzendenz Gottes bestimmenden Verhältnis. Damit aber nicht genug. Im Hinblick auf die Kapitel V und VI des Itinerariums kann der Satz von I Sent. Prooem.: Die Hocherhabenheit des göttlichen Seins besteht in zweien, in den edelsten Emanationen nämlich und den edelsten Eigenschaften, als Aussage über die zwei vorletzten Stufen der Aufstiegserkenntnis betrachtet werden. Der Sache nach besteht dann die Hocherhabenheit des göttlichen Seins in den zwei das Propitiatorium bedeckenden Cherubim der Herrlichkeit 190 , die das Verhältnis von essentialia und propria Dei oder auch von unitas und Trinitas Dei figurieren. Nimmt man dieses Bild 189 Dem scheint zu widersprechen Hex. XI,17; V,382b, wo es von der substantialitas der innergöttlichen Hypostasen heißt: Quarto pone substantialitatem. Conceptus enim mentis aeternae est hypostasis, et iste conceptus mentis est nobilissimus, perfectissimus. Unde in Proverbiis (8,24): Nondum erant abyssi, et egoiam conceptus eram. Der dichte Zusammenhang zwischen Gott und Welt, den diese Untersuchung herauszuarbeiten sucht, scheint hier, sofern die substantialitas der subsistierenden Hypostasen an dieser Stelle offenbar gänzlich jenseits des bestimmten Weltverhältnisses Gottes gefaßt scheint, nicht gegeben. Damit ist die Stelle Hex. XI,17 ein gewichtiges Argument gegen den Grundansatz der hier vorgelegten Bonaventura-Deutung. Vgl. dazu u. S. 164 ff. 190 Itn. V,l; V,308b.

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nach dem Vergleich von Hex. VIII und I Sent, prooem. noch einmal auf, so zeigt sich, daß die geheimnisvolle Hinsicht der Cherubim auf das Propitiatorium 191 eine wesentliche, wesenhafte Bedeutung für die Korrespondenz der Cherubim untereinander trägt. Die Cherubim korrespondieren einander nicht abgesehen von ihrer Hinsicht auf das Propitiatorium. Gottes Sein ist schon im Ansatz, da es die Tiefe der Hocherhabenheit Gottes trägt, sich entäußerndes Sein. Kehren wir von hier aus zum Ausgangspunkt dieses Kapitels zurück, zu jener Seinsspekulation von Hex. 1,1 Iff., deren Skopus darin zu liegen schien, daß das Sein Gottes nicht anders Sein Gottes ist als in einer bestimmten Beziehung zu Welt, und tasten wir weiter den Gang der Argumentation ab, die in der grundsätzlichen Erkennbarkeit des göttlichen Seins den Grund für Gottes bestimmtes Weltverhältnis suchte, und nehmen wir schließlich die Frage wieder auf, worauf im letzten die seinshafte Erkennbarkeit Gottes und damit sein bestimmtes Weltverhältnis gründe, so ergibt sich von hier aus eine erste Antwort: Das Sein Gottes ist seinshaft erkennbar und darin Welt und Seele setzend, weil seine Erkennbarkeit in dem Verhältnis gründet, in welchem Gott in sich selber dem Verhältnis von unitas und Trinitas unterliegt, einem Verhältnis, das das Verhältnis von unitas und Trinitas ist, sofern die Tiefe des göttlichen Seins die Tiefe sich entäußernden Seins ist, des Seins, das in sich selber im Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus steht. Der Bestand von Welt gründet damit in einem innergöttlichen Selbstverständnis, welches zugleich die Bestimmtheit des göttlichen Weltverhältnisses ausmacht. Nun endlich ist die Hauptthese dieser Untersuchung heraus: Das Verhältnis Gottes zur Welt in seiner bestimmten Besonderheit gründet in einem Selbstverhältnis Gottes, in welchem Gott darin, daß er unus et trinus ist, nicht anders Gott ist, als daß er im ersten Ansatz bereits der Deus humanatus ist. Die seinshafte Erkennbarkeit Gottes ist die seinshafte Erkennbarkeit dieses sich von seiner ersten Bestimmung her entäußernden Seins. Nicht nur, daß Gott nicht erkannt würde, brächte er nicht das Subjekt der Gotteserkenntnis, die Seele, und das medium probans, Welt, hervor; er wäre nicht der zutiefst erkennbare Gott, wäre er nicht schon im Ansatz in seinem Selbstverhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus begriffen. Gottes Erkennbarkeit und damit sein bestimmtes Weltverhältnis hängt an dieser ersten ansatzweisen Bestimmung seines Seins, und das heißt: Das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus, das den Grundgegenstand der Glaubenserkenntnis ausmacht, ist nicht aus der Sicht und dem Bestand von Welt heraus entworfen, sondern ist allen weiteren Bestimmungen Gottes zuvor ein inneres Verhältnis Gottes selber, ein inneres Verhältnis aber, das sich von Gottes Weltverhältnis eben darin, daß es ein inneres Verhältnis Gottes ist, nicht ablösen läßt. In ihm ist das Weltverhältnis Gottes in seiner bestimmten Eigenart immer schon mitenthalten und mitgeschaut. Wenn es angesichts der Theolo1,1

Itn. VI,4; V,311b.

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gie Bonaventuras so eminent schwerfällt, die Sicht ex parte Dei von der Sicht ex parte animae sauber zu trennen, so ist dies der Grund: Gott, in sich betrachtet, wird kraft des mit seinem Sein gegebenen Selbstverhältnisses immer auch in seinem bestimmten Weltverhältnis betrachtet. Nicht nur, daß eine Trennung der Blickpunkte von dem Erkenntnisstand der Seele her nicht möglich ist, vielmehr: Es liegt im Sein Gottes selber diese tiefe Beziehung zu Welt und Seele begründet, denn dieses Sein ist als Sein Gottes immer schon Sein im Gegenüber zu Welt und an Welt in bestimmter Weise wirkend 1 9 2 . Nicht anders stellen sich die Dinge dar, wenn wir Ausschau halten nach jener einen Schriftstelle, welche in I Sent, prooem. im Unterschied zu Hex. VIII nicht enthalten ist. „Von beiden, von Höhe und Tiefe spricht Jesus Sirach (24,7)", heißt es in Hex. VIII, „wenn er sagt: ,Ich wohne in den Höhen, und mein Thron ist in einer Wolkensäule.'" Bonaventura deutet dieses Zitat zunächst so: „,In den Höhen' sagt er, soweit der Glaube den Deus aeternus lehrt; ,Mein Thron ist in einer Wolkensäule', sagt er, soweit er den Deus humanatus lehrt." 1 9 3 Dieses selbe Zitat nimmt Bonaventura in der Entfaltung seiner Schriftlehre auf 1 9 4 : DieSchriftist zu betrachten hinsichtlich der geistlichen Einsichten 1 9 5 , der sakramentalen Figuren und der sich daraus ergebenden vielfältigen Theorien 1 9 6 . Die Schriftlehre selber gehört nicht in unseren Zusammenhang 1 9 7 . Hinein gehört allerdings das, was sich aus ihr für Bona1 9 2 Als ein wie ich glaube nicht untypisches Beispiel, die hier entstehenden Schwierigkeiten zu umgehen, m a g ein Satz aus Guardinis großer Arbeit: Systembildende Elemente in der Theologie Bonaventuras dienen. Im Z u g e der Interpretation von Itn. V f. findet sich dort (97) der Satz: „Einen neuen Z u g erhält der Begriff (sc. des Seins), wenn es heißt: ,. . . bonum dicitur diffusivum sui; summum igitur bonum summe diffusivum sui est' (Itn. VI,2; V , 3 1 0 b ) . " Guardini folgert: „ A l s o kann und muß das höchste Seiende sich trotz seiner absoluten Transzendenz (est extra omne genus) mitteilen. D a s geschieht in vollkommener Weise im trinitarischen Leben; in unvollkommener Weise durch Schöpfung und Gnade.

Hier liegt der Anknüpfungspunkt für die Lösung des Problems (sc. wie aus Gottes Einheit die Vielheit der Dinge hervorgehe). D a s höchste Seiende teilt sich an die endlichen Dinge m i t . " - D a s Problem der Folgerung Guardinis liegt in dem Wörtchen „ m u ß " . Die Frage ist: Wie weit erstreckt sich dieses „ m u ß " ? Erstreckt es sich auch auf die Schöpfung, oder genauer gefragt: Erstreckt es sich, indem es sich auf die innertrinitarische Mitteilung bezieht, notwendig auch auf die Schöpfung, oder gilt das „ m u ß " nur für die Trinität? Guardini umgeht diese Frage, indem er sich auf die indikativische Feststellung zurückzieht: „ D a s höchste Seiende teilt sich an die endlichen Dinge m i t . " Damit ist der Blickpunkt verschoben. Die Aussage ist a posteriori von dem Bestand von Welt her getroffen, ohne daß klar würde, wie sie sich zum obigen „ m u ß " verhält. Mir scheint, und das soll sich unten im näheren noch zeigen, von der Erstbestimmung Gottes her gilt dieses „ m u ß " auch für die Schöpfung, freilich in bestimmter und präzise zu erläuternder Weise. Hex. VIII,5; V , 3 7 0 a . Dazu vgl. H e x . XIII ff. 1 9 5 H e x . XIII,3 ff. - D a s meint den vierfachen Schriftsinn. 1 9 6 H e x . XIII,2: Consistit autem haec visio (sc. tertiae diei, i.e. Scripturae) circa tria, scilicet circa spirituales intelligentias sensuum sive sensus, circa sacramentales figuras, circa multiformes theorias inde elicitas. V , 3 8 8 a . 193

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1 9 7 Vgl. dazu die Arbeit von Mercker, die aus ihrer Sicht weit an die Problematik dieser Untersuchung heranreicht. Leider hat Mercker sich lediglich auf die Untersuchung des vierfachen Schriftsinnes beschränkt und die zwei weiteren in Hex. XIII ff. ausgearbeiteten Hinsichten außer acht gelassen. Die problematische Kernthese des Buches von Mercker, die sich in der Kapitel-

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venturas Gottesverständnis ergibt: „Die 198 geistlichen Einsichten der Schrift aber werden den im Schlauche versammelten Wassern (Ps. 32,7) verglichen aus drei Gründen: zunächst wegen der ursprünglichen Hervorbringung der geistlichen Einsichten, dann wegen ihrer tiefsten Tiefe, dann wegen ihrer höchst ausströmenden Vielfältigkeit." Über den zweiten Grund, die tiefste Tiefe, äußert sich Bonaventura folgendermaßen: „Der Psalm (106,23) sagt 199 : ,Die da auf Schiffen das Meer befahren, verrichten ihr Werk auf vielen Wassern.' Jener,befährt auf Schiffen das Meer', der mit dem Geiste höchster Ehrerbietung an die Auslegung der Schriften herantritt. Auf ,Schiffen fährt', der sich führen läßt vom Holz des Kreuzes; denn wer ohne dieses Holz das Meer der Schrift befahren will, geht unter; den größten Irrtümern muß er verfallen. Er sei denn Petrus, so geht er unter. Daher heißt es (Pred. 7,25): ,Die tiefe Tiefe, wer wird sie erkunden ?' Es rühmt sich die Weisheit, da sie die Tiefe des Abgrunds durchdrungen hat und sieht die Wunderwerke Gottes in der Tiefe. Jesus Sirach (24,7 f.): ,Ich wohne in den Höhen, und mein Thron ist in einer Wolkensäule. Allein habe ich den Kreis des Himmels Umschriften und die Tiefe des Abgrunds durchdrungen, in Strömen des Meeres ging ich umher.' So spricht die fleischgewordene Weisheit 200 : ,Ich wohne in den Höhen', nämlich in der Schöpfung, ,mein Thron ist in einer Wolkensäule', in der Inkarnation, ,in Strömen des Meeres ging ich umher', in der Passion, ,die Tiefe des Abgrunds habe ich durchdrungen' in der Durchdringung der Schriften, ,denn sie (sc. die Weisheit) öffnet jenen den Sinn' nach der Auferstehung, ,daß sie die Schriften erkennen' (Lk. 24,45). Petrus aber schritt auf dem Meere einher um des Kreuzesglaubens willen." Von den Erstreckungen der Schrift her ist generell zu sagen, was angesichts Hex. VIII für den Glauben festzustellen war: Ihre Erstreckungen sind Erüberschrift: „Das Werden des Heils als Deutlichwerden" niederschlägt (s. o. S. 9 ff.) konnte eigentlich nur auf dem Hintergrund dieser Auslassung entstehen. - Zu den Theorien der Schrift vgl. Ratzinger, Geschichtstheologie 11; Brümann 3 7 f f . Ebd. 6 5 f f . auch zur Figuraldeutung. 198 Hex. XIII,3: Assimilantur autem intelligentiae aquis congregatis in utre propter tres rationes: scilicet propter ipsam spiritualium intelligentiarum primitivam originationem, propter intelligentiarum spiritualium profundissimam altitudinem, propter intelligentiarum spiritualium profluentissimam multiformitatem. V,388ab. 199 Hex. XIII,5: Secunda ratio, propter profundissimam altitudinem; in Psalmo: ,Qui descendunt mare in navibus, facientes operationem in aquis multis.' Ille ,descendit cum navibus' in mare, qui cum spiritu summae reverentiae accedit ad exponendum Scripturas. ,Cum navibus descendit' qui habet manuductionem lignum crucis; quia qui sine isto ligno vult intrare mare Scripturae submergitur, in maximos errores cadens; nisi enim sit Petrus, demergitur. Unde, ,alta profunditas, quis inveniet earn?' Sapientia gloriatur, quae profundum abyssi penetravit et vidit mirabilia Dei in profundo; Ecclesiastic! vigesimo quarto: ,Ego in altissimis habitavi, et thronus meus in columna nubis. Gyrum caeli circumivi sola et profundum abyssi penetravi, in fluctibus maris ambulavi.' Haec dicit Sapientia incarnata: ,Ego in altissimis habitavi', in creatione;,thronus meus in columna nubis', in incarnatione; ,in fluctibus maris ambulavi', in passione;,profundum abyssi penetravi', in penetratione Scripturarum, quia ,aperuit Ulis sensum' post resurrectionem, ,ut intelligerent Scripturas'. Propter fidem crucis Petrus super mare ambulavit. V , 3 8 8 b . - Rep. Α weicht sachlich nicht ab; die Zitate und ihre Auslegung sind identisch. Delmore 1 4 7 f. 200 Rep. A: H o c dicit Sapientia incarnata Crucifixi. Delmore 148.

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Streckungen der Schrift, sofern sie Erstreckungen ihres Gegenstandes sind. Ein Zusammenhang zwischen allen dreien - Gott, Glaube, Schrift - wird sichtbar in Bonaventuras Nutzung von Eph. 3,17. Er bringt diese Schriftstelle in Hex. VIII,4 auf altitudo und profunditas des Glaubens 2 0 1 , in I Sent, prooem. auf die Hocherhabenheit des göttlichen Seins 2 0 2 , in Brevil. Prol. auf die Schrift in Anwendung 203 . Ihr innerer Zusammenhang kann hier nicht erörtert werden. Hilfsweise sei darauf verwiesen, daß die Schrift, sofern sie Stimme Gottes ist, die Erstreckungen Gottes ausdrückt und sie faßt 2 0 4 , und das setzt instand, zu sehen, wovon Hex. XIII,5 die Rede ist: Dort so gut wie in Hex. VIII,5 ist das redende Subjekt des Zitats Sir. 24,7 Gott. Auf die Verschiebung, die zwischen Hex. VIII und Hex. XIII stattfindet, kommt es nun freilich an. War dort die Aussage: „Ich wohne in den Höhen" auf den Deus aeternus gedeutet und die Aussage: „Mein Thron ist in einer Wolkensäule" auf den Deus humanatus, so erscheint hier als das eine Subjekt die Sapientia incarnata. Aber nicht nur das, sondern der Deus aeternus, den nach Hex. VIII,5 der Glaube in dem Wort „Ich wohne in den Höhen" lehrt und der als dieser Deus aeternus der Deus humanatus ist, steht als Deus aeternus in einer festgefügten Beziehung zur Schöpfung. Was in den Aussagen über das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus erst implizit enthalten war, erhält hier ausdrücklich sprachliche Gestalt. Die auf den Deus aeternus bezogene Aussage „Ich wohne in den Höhen" erweist denselben, da er der Deus aeternus ist, in seiner Hinspannung auf den Deus humanatus hin als den Schöpfer. Das Selbstverhältnis Gottes nach der Seite, nach welcher Gott der Deus aeternus ist, bestimmt ihn darin zugleich als den Schöpfer der Welt, der, in seinem Sein ewig, ein und einfach 205 , deshalb eines ist mit seiner Schöpfungstätigkeit: „Wenn 2 0 6 wir von der Schöpfung als einer Tätigkeit Gottes Hex. VIII,4; V,370a. I Sent, prooem.; I,3b. 2 0 3 Brevil. Prol.: mera fide ad ,Patrem luminum' accedamus . . ., ut sie ipsum cognoscentes et amantes et tanquam in fide solidati et in caritate radicati, possimus ipsius sacrae Scripturae noscere ,latitudinem, longitudinem, altitudinem et profundum'. V,202b. 2 0 4 Hex. ΧΙΙΙ,ΙΟ: Habet autem Scriptura multos intellectus, quia talis debet esse vox Dei, ut sit sublimis. V,389b. 2 0 5 Um des flüssigen Zusammenhangs willen sind diese Prädikate des göttlichen Seins hier einfach nebeneinander gestellt. Tatsächlich sind sie untereinander vermittelt, sofern sie je einen spezifischen Bedeutungsgehalt haben. Darüber kann hier noch nicht verhandelt werden. Der Sache nach aber gehören sie zusammen als je vollständige Bestimmung des göttlichen Seins. Vgl. De myst. Trin. q.2—q.8 je den ersten Artikel und Brevil. 1,2; V,211a. 201 202

2 0 6 II Sent, d.l p . l a.3 q.2 i.e.: Si de creatione-actione loquamur, sic dico, quod non est medium secundum rem, sed solum secundum rationem intelligendi, pro eo quod Deus, cum sit summe simplex, est sua actio. II,34a; vgl. dazu auch De myst. Trin. q.3 a . l ad 12; V,73a. — Es ist dies der Punkt, an welchem sich die tiefe Differenz zwischen Bonaventura und Thomas schlagartig erhellt. Zunächst ist zwischen beiden strittig, ob Schöpfung notwendig als creatio passiva eine Veränderung, eine mutatio, sei und also im Begriff der Schöpfung notwendig ein (zeitliches) Anfangen von Welt gegeben sei. Bonaventura sagt auf die Frage: Utrum creatio mutationem dicat (II Sent, d.l p . l a.3 q . l ; 11,30): Creatio est mutatio, sed distineta a mutatione naturali (ebd. concl.; II,32a). Eben dies, daß die Schöpfung eine mutatio sei, bestreitet Thomas S.th. I q.45 a.2

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reden, so sage ich, daß Schöpfung nicht der Sache nach ein Mittleres ist zwischen Schöpfer und Geschöpf, sondern lediglich unter Hinsicht unserer Erkenntnis (secundum rationem intelligendi), und zwar deshalb, weil Gott, da ad 2 : creatio non est mutatio nisi secundum modum intelligendi tan tum. Und er führt das ebd. so aus: Nam de ratione mutationis est quod aliquid idem se habet aliter nunc et prius. Nam quandoque quidem est idem ens actu, aliter se habens nunc et prius; sicut in motibus secundum quantitatem et qualitatem; quandoque vero est idem ens in potentia tantum, sicut in mutatione secundum substantiam, cuius subiectum est materia. Sed in creatione, per quam producitur tota substantia rei, non potest accipi aliquid idem aliter se habens nunc et prius, nisi secundum intellectual tantum; sicut si intelligatur aliqua res prius non fuisse totaliter, et postea esse. Sed cum actio et passio conveniant in una substantia motus, et differant solum secundum habitudines diversas, ut dicitur (sc. Philosopho), oportet, quod substracto motu non remaneant nisi diversae habitudines in creante et creato. Mit diesem letzten Satz ist die Hauptsache heraus: Im Verhältnis zwischen Hervorbringendem und Hervorgebrachtem (creans et creatum) läßt sich von der Bewegung abstrahieren. Denn daß das Verhältnis zwischen creans und creatum als eines der Bewegung erscheint, in welchem das creatum als creatum einer Veränderung unterliegt, liegt nicht im Vorgang des Hervorgehens begründet, sondern im Intellekt, der notwendig, da eine Sache, die vorher nicht gewesen ist, nun ist, diesen Schritt als eine mutatio begreift. Der Sache nach handelt es sich dabei aber keineswegs um eine Bewegung, sondern lediglich um Relationen, und zwar eine aktive von seiten des Hervorbringenden auf das Hervorgebrachte, und um eine passive von seiten des Hervorgebrachten auf das Hervorbringende. Weil aber der Intellekt dieses Verhältnis notwendig als Veränderung begreift, nennt er Schöpfung eine Veränderung. Ebd.: Sed quia modus significandi sequitur modum intelligendi. . . creatio significatur per modum mutationis. Et propter hoc dicitur quod creare est ex nihilo aliquid facere. Daß Gott aus dem Nichts hervorbringt, erscheint so bloß als eine intellektuelle Chiffre dafür, daß Gott überhaupt erschaffend hervorbringt, d. h. in einem Verhältnis des Hervorbringenden zum Hervorgebrachten steht. Und darum geht es; ebd.: quamvis facere et fieri magis in hoc conveniant quam mutare et mutari; quia facere et fieri important habitudinem causae ad effectum, et effectus ad causam, sed mutationem ex consequenti. Das heißt: Daß das Verhältnis des Hervorbringenden zum Hervorgebrachten als Verhältnis eines Verändernden zum Veränderten erscheint, liegt nicht an dem Verhältnis selber, sondern an dem Intellekt, der in dieses Verhältnis die Kategorie des Nichts einführt, ohne daß es der Sache nach vorgegeben wäre. Mit dieser Argumentation will Thomas, wenn ich es recht verstehe, keineswegs die creatio ex nihilo bestreiten, sondern gerade das Gegenteil: Thomas scheint die Sache so zu sehen, daß, wenn creatio passiva (fieri) dem mutari gleichgesetzt wird, in Wirklichkeit die creatio ex nihilo bestritten wird, sofern der Schöpfungsakt Gottes, mit dem er die Welt aus dem Nichts erschafft, gleichgesetzt wird mit jener Kategorie des Nichts, welche der Intellekt in das Verhältnis von facere und fieri, creans und creatum einführt. - Die Gleichsetzung von fieri und mutari vollzieht Bonaventura II Sent. d. 1 p. 1 a.3 q. 1 ad 7 : creatio est ex nihilo. Sed ex non potest dicere identitatem nec causalitatem, ergo ordinem: ergo fieri ex nihilo habet esse post nihil, et ita post non-esse: ergo aliquo modo se habet nunc, quo non se habebat prius ret ideo necessario mutatio ponitur per productionem de nihilo, vel inceptio. II,33ab. Eben diese solutio Bonaventuras benutzt Thomas q.45 a.2 als argumentum oppositum, dem er seine oben zitierte solutio entgegenstellt; er sagt ebd. opp.2: si creare est aliquid ex nihilo facere, ergo creari est aliquid fieri. Sed omne fieri est mutari. Ergo creatio est mutatio. Soweit deckt sich die oppositio mit Bonaventuras Position. Aber Thomas fährt fort: Sed omnis mutatio est in subiecto aliquo, ut patet per definitionem motus: nam motus est .actus existentis in potentia'; und er folgert aus dem Argument Bonaventuras: Ergo est impossibile aliquid a Deo ex nihilo fieri. Diese Wendung, die Thomas dem Argument Bonaventuras gibt, scheint so verstanden werden zu müssen: Wenn creatio als mutatio von non-esse auf esse verstanden wird, so erscheint tatsächlich non-esse als der Bereich, in welchem die Dinge dem Vermögen nach bereits enthalten sind, und insofern erscheint non-esse nicht als Nichts, sondern als Was, und damit erschafft Gott nicht ex nihilo, sondern ex aliquo in potentia, und auf diese Weise, so scheint es,

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er zuhöchst einfach ist, seine Tätigkeit selber ist." Der Zusammenhang, der zwischen der Einfachheit des göttlichen Seins und dem Wirken Gottes besteht, wird uns in der Analyse der simplicitas Dei unten noch beschäftigen. sieht Thomas im Horizont der Position Bonaventuras einen Dualismus, der, hineinragend in die Schöpfungslehre, die Gottheit Gottes in Frage stellen könnte. Nun scheinen sich die Dinge zu verwirren: Der Seinsdualismus, den wir aus Bonaventuras Sicht meinten als thomistisches Problem skizzieren zu können (s. o. S. 82 sowie S. 82 Anm. 43), nimmt, wenn hier einigermaßen richtig interpretiert ist, in der Sicht des Thomas die Gestalt eines auf Bonaventura selbst zurückfallenden Vorwurfs an. Und hier genau kommen wir dem nahe, worin Thomas und Bonaventura sich unterscheiden: Das nihil, von dem beide reden, hat bei beiden ein grundsätzlich anderes Gewicht; die creatio ex nihilo ist für Thomas im Grunde genommen nicht im Wortsinn verstanden, sondern eigentlich der Ausdruck der allmächtigen Schöpferherrlichkeit des in sich ruhenden, in sich vollendeten transzendenten Gottes. Auf diese Spur führt das fundamentum, auf das Thomas im genannten Artikel der zitierten Quästion seine conclusio baut: Sed contra est, quod dicitur (Gen. 1,1): ,In principio creavit Deus coelum et terram.' Und er fügt hinzu: ubi dicit glossa quod creare est aliquid ex nihilo facere. Und er folgert ebd. concl.: Cum nihil in universitate entium sit non causatum ab ipso, non solum possibile, sed necessarium est omnia a Deo creata esse - „Da nichts in der Gesamtheit der Dinge nicht von ihm gewirkt ist, ist es nicht nur möglich, sondern notwendig, daß alles von Gott geschaffen ist." Dies ist, wie es scheint, für Thomas der Sinn der Lehre von der creatio ex nihilo. Ihr Akzent liegt nicht, wie bei Bonaventura, darauf, daß Gott aus dem Nichts geschaffen habe ohne Vermittlung eines anderen, sondern darauf, daß Gott Alles geschaffen hat; und das bedeutet: Auf der Seite des Geschaffenen ist das Nichts als relevante Größe überhaupt nicht präsent, Welt als Schöpfung dieses Schöpfers ist in sich nicht notwendig defizient. Jenes Verhältnis von non-esse und esse, welches, wie wir gesehen haben, für Bonaventuras Verständnis der Welt von zentraler Bedeutung ist, spielt nach meinem Eindruck im Verständnis des Thomas, da für ihn die Lehre von der creatio ex nihilo wesentlich besagt, daß Gott Alles geschaffen hat, in bezug auf Welt nicht nur keine Rolle, sondern ist lediglich eine Erkenntniskategorie, die mit dem natürlichen Intellekt des sündigen Menschen in Zusammenhang zu bringen ist. In dieser metaphysischen Entscheidung ist im Grunde genommen über die theologische Differenz zwischen Thomas und Bonaventura grundsätzlich entschieden. Von ihr aus werden nicht nur Gnadenlehre und Christologie, sondern das ganze Verständnis von Sein und Trinität Gottes verschieden angesetzt werden. Denn da nach Thomas Gott der Schöpfer Alles erschafft und darin bereits im Schöpfungsakt das Nichts als eine für Welt relevante Größe nicht präsent ist, steht die geschaffene Welt kraft ihrer Ursprungsrelation grundsätzlich und ursprünglich nicht im Widerspruch. Aber das ist noch nicht der springende Punkt. Der liegt vielmehr darin, daß, da in Gottes Schöpfung als Schöpfung bereits Nichts nicht präsent ist, Gott selber schon in seinem Sein (und nicht erst, wie bei Bonaventura, in der trinitarischen Subsistenz seines Seins — davon ist schon oben S. 85 gesprochen worden, und darüber wird Näheres noch gesagt werden) in keiner wie auch immer gearteten Beziehung zum Nichts steht. Und das bedeutet: Gott ist in sich selber, in seinem Sein, soweit der in sich selber ruhende Gott, daß, da er erschafft, er nicht nur der Schöpfung nicht bedürftig ist (diese Aussage trifft auch auf Bonaventura zu, und man wird sehen, in welcher Weise), sondern der Akt der Schöpfung, mit dem er Welt hervorbringt, jenseits aller Bewegung, mit der Welt aktiv hervorgebracht wird, als reine Verhältnisbestimmung erscheint, welche, der göttlichen Essenz hinzutretend, in keinerlei wesenhafter Beziehung zu ihr steht. Von daher stehen für Thomas creatio activa und essentia Dei in einem weit weniger dichten Verhältnis als es bei Bonaventura angesichts der Stelle, der diese Anmerkung angefügt ist, der Fall ist. Bonaventuras Satz: Deus quo est summe simplex est sua actio, i.e. creatio-actio wird von Thomas, scheinbar nur erweitert, in Wahrheit aufs schärfste negiert. Q.45 a.3 ad 1: dicendum, quod creatio active accepta significat actionem divinam, quae est eius essentia, cum relatione ad creaturam. Sed relatio in Deo ad creaturam non est realis, sed secundum rationem tantum. Relatio vero creaturae ad Deum est relatio realis (vgl. S. th. I q. 13 a.7 i.e.). Das heißt: Creatio-actio ist nicht in der Einheit von Gott zu sei-

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Hier indessen halten wir, die Aussage, daß die Schöpfungstätigkeit Gottes deshalb dem göttlichen Sein sachlich identisch ist, weil dieses Sein zuhöchst einfach ist 2 0 7 , im A u g e behaltend, fest: W e n n dem Glauben in beiderlei E r streckung G o t t hinsichtlich seiner Hocherhabenheit und hinsichtlich seiner abgründigen Tiefe als Deus aeternus und Deus humanatus zum Gegenstand wird, und w e n n der Glaube dies in H e x . V I I I in dem Z i t a t : „ I c h w o h n e in den H ö h e n , und mein T h r o n ist in einer W o l k e n s ä u l e " ausgesprochen findet; wenn anderseits das Subjekt dieses Z i t a t s nach H e x . X I I I , 5 die Sapientia innem Werk zu fassen, sondern im Verhältnis der göttlichen Essenz zu ihrer der Kreatur ursprunggebenden Relation auf dieselbe. Und da diese Relation nicht Gott wesenhaft ist (non est realis), können creatio active accepta und ipse Deus für Thomas gar nicht zusammenkommen, da nach seiner Meinung die von Bonaventura vollzogene sachliche Ineinssetzung von creatio-actio und ipse Deus (secundum rem) nur möglich ist, wenn man rationem und rem, Begriff und Sache ineinssetzt. Wir können hier nicht zwischen Thomas und Bonaventura rechten, und ob und inwieweit Thomas hier mit höchster Sensibilität den Nerv der Theologie Bonaventuras getroffen hat, das sei vorläufig dahingestellt. In der Schlußbemerkung wird dazu Stellung bezogen werden. Auf der anderen Seite, scheint mir, ist, wiewohl dies nicht eine Untersuchung über Thomas von Aquin ist, an Thomas die Frage zu richten, ob er in letzter Konsequenz den Begriff der creatio activa, oder, wie er selbst sagt, active accepta, nicht würde fallen lassen müssen. Denn wenn der Begriff der creatio-actio das Verhältnis von actio divina, quae est eius essentia, cum relatione ad creaturam zum Inhalt hat und wiederum diese relatio nicht der Sache nach, sondern secundum rationem tantum gilt, so ist zu fragen, ob mit der Aussage: in Deo non est relatio realis ad creaturam, die auf seine Weise auch Bonaventura trifft, nicht auch die gesamte creatio activa fällt, sofern, was secundum rationem tantum gilt, für sie begrifflich konstitutiv ist, und ob nicht auf diese Weise Gott, menschlicherseits unangreifbar zwar, soweit in seiner selbstsuffizienten Transzendenz verschwindet, daß er nicht einmal mehr als der Schöpfer sich ausmachen läßt. Nun behauptet Thomas freilich nicht, der relatio Dei ad creaturam, quae non est realis, sed ratione tantum, entpsreche in Wahrheit nichts. Sondern es entspricht durchaus etwas: die relatio realis creaturae ad Deum, und insofern, so wäre von Thomas aus zu argumentieren, besteht kein Anlaß, den Begriff der creatio activa fallen zu lassen. Denn es entspricht ihm, daß Gott in Schöpferherrlichkeit Alles erschaffen hat und Alles insofern in einer relatio realis ad Creatorem steht. Aber nun: Meint der Begriff der creatio activa die actio divina, quae est eius essentia, cum relatione ad creaturam, und ist diese relatio non realis, sed ratione tantum und entspricht wiederum dem Umstand, daß sie ratione tantum gilt, revera etwas, worauf die ratio bezogen ist, nämlich die relatio realis creaturae ad Creatorem, so setzt der Begriff der Creatio activa den Bestand der Schöpfung eigentlich immer schon voraus, sofern die relatio, die ratione tantum (und zwar der ratio, quae respicit relationem realem creaturae) gilt, gleichwohl dem Begriff der creatio activa konstitutiv ist. Und so ist zu fragen, ob nicht der Begriff der creatio activa für Thomas nicht nur würde fallen müssen, sondern ob er nicht gar sich gegen sich selber aufhebt, sofern die Beziehung, die er als creatio activa beschreibt, nicht nur in dem Begriff, sondern in der Sache, die in ihm begriffen werden soll, immer schon vorausgesetzt ist. 207 Hier steht im Hintergrund die Lehre von Gott als dem actus purus. Der Satz: „Gott ist aktuales Sein" ist für Bonaventura nicht allein auf die innertrinitarische Entfaltung Gottes zu beziehen, sondern umfaßt mit wesentlich Gottes bestimmte Beziehung zu Welt, Gottes Wirken extrinsece. Wenn in dieser Arbeit richtig gesehen ist, daß Gottes (dem natürlichen Intellekt widerstreitende) seinshafte Erkennbarkeit, welche Erkennbarkeit im göttlichen Spannungsverhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus ist, das bestimmte Weltverhältnis Gottes begründet, so ist auch dort, wo Bonaventura vom göttlichen Sein als dem actus purus redet, immer Gottes bestimmte Weltbeziehung impliziert; vgl. etwa Itn. V,3: esse igitur est quod primo cadit in intellectu, et illud esse est, quod est actus purus.

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carnata ist und diese die Aussage „Ich wohne in den Höhen" auf die Schöpfung bezieht und die Aussage „Mein Thron ist in einer Wolkensäule" auf die Inkarnation, so ist das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus der Sache nach immer schon das Verhältnis von Schöpfung und Inkarnation. Damit ist, wie es scheint, eine Seite des Sachverhalts aufgedeckt, der in jenem eigenartigen Satz vom Sein in Hex. 1,12 verborgen liegt. Der Satz: Esse non est nisi dupliciter ist nun insoweit erläutert, als das esse ex se, secundum se et propter se überhaupt in einer bestimmten Beziehung zum esse ex alio steht, und wir können diese Erläuterung zusammenfassen in dem Satz: Weil Gott seiner ersten Bestimmung nach in dem Selbstverhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus steht und weil in diesem Selbstverhältnis Gott der ist, der seinshaft erkennbar oder evident wahr ist, deshalb steht Gott in einem "bestimmten Verhältnis zu Welt. Aber eben: Dies ist erst die eine Seite des Sachverhalts. Denn es liegt, sollte die vorgelegte Zusammenfassung richtig sein, darin das Problem, ob nicht die Verankerung des Hervorgangs von Welt im esse cognoscibile Dei, welches wesentlich der Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus verbunden ist, geradewegs zum Satz von der Ewigkeit der Welt führen müsse, zu jenem Irrtum also, dem Bonaventuras Satz vom Sein als argumentum oppositum gilt und ob wir es hier nicht also eigentlich mit einer höchst widersprüchlichen Beweisführung zu tun haben. Denn mag auch Welt sich dem göttlichen Selbstverhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus verdanken - es könnte dies immer noch als ein Argument für die Ewigkeit der Welt verstanden werden, und zwar deshalb, weil, wenn in diesem Selbstverhältnis das göttliche Sein sich erschöpfte, Gott, darin er dieses Selbstverhältnis ist, immer noch an Welt gebunden wäre, sofern diese in jenem göttlichen Selbstverhältnis notwendig immer mitenthalten ist. Der Deus humanatus wäre so geradezu der Garant eines für Gott nicht übersteigbaren Verhältnisses zum Nichts, da der Deus humanatus nicht anders Deus humanatus ist als in seiner Entäußerung in das aus Nichts erschaffene Sein. Die Einbindung des göttlichen Seins in das Selbstverhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus würde so gleichsam zu einer christologischen Begründung für die Ewigkeit der Welt. Anderseits aber sind wir schon mehrfältig darauf gestoßen, daß Bonaventura an allen Stellen, in denen uns Gottes bestimmtes Weltverhältnis auf die Hingespanntheit des evidenten göttlichen Seins auf seine Entäußerung hin verwiesen hat, in irgendeiner Weise zugleich auch immer auf Gottes Trinität verweist. Wir haben diesen Umstand bisher weitgehend außer acht gelassen, und das nicht ohne Grund. Denn mehr als die Vermutung, daß die Bestimmtheit des göttlichen Weltverhältnisses, da sie mit der dem göttlichen Sein selber verknüpften Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus in engstem Zusammenhang steht, erst in der trinitarischen Entfaltung des göttlichen Seins klar ans Licht treten würde, war daraus bisher kaum zu ge-

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winnen. Und darum ist nunmehr zu fragen, ob und inwiefern sich diese Vermutung erhärten lasse, nicht aber, ohne noch eine Bemerkung voranzuschikken. Es kann zweifellos gefragt werden, ob es nicht angemessener gewesen wäre, eine Untersuchung zur Gotteslehre Bonaventuras mit einer Analyse seiner Trinitätslehre zu beginnen, zumal ja, wie wir gesehen haben, Gottes Trinitas in allen bisherigen Überlegungen im Hintergrund sichtbar geworden ist. Wenn diese Untersuchung nicht so verfährt, so hat das seinen Grund darin, daß auch die Trinitätslehre Bonaventuras auf ihren Ort hin befragt werden muß, ehe sie selber zur Erläuterung kommt. Denn gerade dies, daß wir an all den Stellen, in denen das Sein Gottes auf sein bestimmtes Weltverhältnis verweist, zugleich auch auf Gottes Dreiheit verwiesen werden, spricht dafür, daß auch die Trinitätslehre Bonaventuras von seinem Grundansatz her betrachtet werden will und muß. Das, was bisher über das Weltverhältnis Gottes im Blick auf sein in sich evidentes Sein deutlich geworden ist, bildet gleichsam den Hintergrund, auf welchem Bonaventuras Aussagen zur trinitarischen Entfaltung Gottes in ihrer Verbindlichkeit angemessen bearbeitet werden können. Das wird uns nicht der Aufgabe entledigen, soweit in Gottes immanente Trinität (wenn man bei Bonaventura davon überhaupt sprechen kann) hineinzufragen, daß der Zusammenhang zwischen den innergöttlichen Emanationen und Gottes äußerem Werk scheinbar gänzlich aus dem Blickfeld gerät. Aber dieser Schritt läßt sich sachgemäß erst tun, wenn wir wissen, welche Grundbestimmung Gott in seinem Weltverhältnis zukommt und wie dieses sein Weltverhältnis von ihm, da er der Deus trinus ist, bestimmt wird.

2. Abschnitt: Gott ist dreifältig a) Die schaffende Trinität als Ziel von Welt - die Trinitas fabricatrix relevans Der Sachverhalt, um den es hier geht, wird deutlich, wenn wir noch einmal auf die zwei Erstreckungen des Glaubens zurückgreifen, von denen aus das göttliche Selbstverhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus sichtbar wurde: Höhe und Tiefe kommen dem Glauben zu, sofern er sich auf den Deus aeternus und den Deus humanatus bezieht. Dem entspricht eine andere, gelegendich von Bonaventura gebrauchte Wendung: De Deo sentiendum est altissime et piissime 1 , und ebenso wie bei den beiden Erstreckungen des Glaubens ist nun angesichts der Formel von der doppelten Weise, in der über Gott zu denken ist, die Frage zu stellen, welchem Sachverhalt auf seiten Gottes sie sich verdanke. Oder anders gefragt: Inwiefern sind altissime und piis1 Die Wendung findet sich in De myst. Trin. q.l a.2 i.e.; V,55bf.; Brevil. 1,2; V,211a; Hex. I X , 2 4 ; V,376a.

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sime, zuhöchst und frömmstens, die Gott angemessenen Formen des Denkens? Betrachten wir zuerst die Stelle De myst. Trin. q.l a.2i.c.: „Durch das 2 dem Menschen nämlich von Gott natürlich eingegebene Licht 3 , ,das ausge2 De myst. Trin. q.l a.2 i.e.: Per lumen enim naturaliter homini a Deo inditum et signatum tanquam lumen divini vultus unieuique dictat ratio propria, quod de primo prineipio sentiendum est altissime et piissime: altissime, quia a nullo; piissime, quia cetera ab ipso. Et in hoc concordant Christiani, Iudaei et Saraceni et etiam haeretici. V,55bf. 3 Es ist zu beachten, daß dieses Licht nicht ein lumen naturale, sondern ein lumen naturaliter inditum heißt. Die biblische Belegstelle für dieses lumen naturaliter inditum ist der genannte Vers aus Ps. 4. Es ist hier nicht der Ort, Bonaventuras Lehre vom lumen naturaliter inditum zu entfalten. Wir können deshalb auf eine ausführliche Analyse der Belegstellen verzichten und uns mit dem Hinweis auf die Stelle beschränken, die diesem lumen eindeutig seinen Ort zuweist. Bonaventura zitiert Ps. 4,7 im Itinerarium auf der vorletzten Stufe des Aufstiegs; Itn. V,1: Quoniam autem contingit contemplari Deum non solum extra nos et intra nos, verum etiam supra nos: extra per vestigium, intra per imaginem et supra per lumen, quod est signatum supra mentem nostram, quod est lumen Veritatis aeternae, cum ipsa mens nostra immediate ab ipsa Veritate formetur; qui exercitati sunt in primo modo intraverunt iam in atrium ante tabernaculum; qui vero in secundo, intraverunt in saneta; qui autem in tertio, intrant cum summo Pontifice in saneta sanctorum; ubi supra arcam sunt Cherubim gloriae obumbrantia propitiatorii^m. V,308ab. Nun mag man fragen: Wes ist das Licht, von dem der Psalm spricht? Und da mit seiner Hilfe erkannt wird - was wird durch dasselbe erhellt? Von Itn. V,1 her ist die Antwort eindeutig: Es ist nicht ein lumen naturale, ein dem natürlichen Menschen verfügbares und beliebig anwendbares Licht, sondern es ist das Licht der ewigen Wahrheit selber, mit welchem die Wahrheit selbst sich dem Menschen erhellt. Denn nicht von zweierlei Licht spricht Bonaventura in Itn. V, sondern von dem einen Licht, welches die vorletzte und letzte Stufe des Aufstiegs erleuchtet; und als dieses eine Licht, kraft dessen Gott per eius nomen primarium, quod est esse in seiner Einheit (Itn. V) und in eius nomine, quod est bonum in seiner Dreiheit (Itn. VI) unter dem Bild der das Propitiatorium bedeckenden Cherubim betrachtet wird, ist es in De myst. Trin. q.l a.2 aufgeteilt in zwei Hinsichten seiner selbst: in die Hinsicht, da es als Licht der seinshaft erkennbaren Wahrheit eingeborenes Licht dessen ist, dem Gott in seiner seinshaften Evidenz als dem intellectus apprehensivus sich in widerstreitende Beziehung setzt (und als solches bezeichnet das lumen naturaliter inditum nicht ein donum naturale, sondern das Ursprungsverhältnis der mens zu Gott, sofern sie in ihrem Geschaffensein sich der Bestimmtheit des göttlichen Seins verdankt); und in die Hinsicht, da es als Licht der seinshaft erkennbaren Wahrheit eingegossenes Licht ist für den, den Gott selbst, ihn dem Widerstreit gegen sich entreißend, heimführt zu sich selbst und in sich hinein (und als solches bezeichnet das lumen infusum das Zielverhältnis der mens zu Gott, sofern die mens in ihrem Geschaffensein erschaffen ist, durch Gott selbst heimzukehren zu ihm), so daß, da es ein Licht ist, kraft dessen Gott in Einheit seines Seins und Dreiheit der Personen geschaut wird, das lumen naturaliter inditum um nichts vom lumen infusum gelöst werden kann als Eines vom zweiten Hinzugefügten, sondern das lumen naturaliter inditum, der Sache nach ein Seinsverhältnis bezeichnend, ist überhaupt nur ein lumen cognitionis als eine Hinsicht des sich in zwei Hinsichten entfaltenden Lichts Gottes und bedarf, soll kraft seiner erkannt werden, von der Sache her notwendig der Entfaltung seiner zweiten Hinsicht. Insofern ist die ratio propria, von der Bonaventura in De myst. Trin. q. 1 a.2 spricht, genau besehen immer schon die ratio unter dem Glauben. Das ist an dieser Stelle implizit darin enthalten, daß, was die ratio propria Christen, Juden, Sarazenen und Ketzern sagt, überhaupt erst eine inhaltliche Aussage ist, wenn im Glauben begriffen ist, was die ratio eigentlich sagt. Die ökumenische Konkordanz ist in Wirklichkeit klare Abgrenzung. Denn die ratio propria, die sich nicht ins Verhältnis setzt zur fides, ist gar nicht ratio, sondern ratio in se, und das ist: nichts (vgl. Brevil. V , l ; V,252b; V,2; V,253b). Klarer nennt Bonaventura darum in Brevil. 1,2 als grammatisches Subjekt der Aussage: De Deo sentiendum est altissime et piissime die fides (V,211a) und in Hex. IX,23 die ratio illustrata (V,376a).

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breitet ist als das Licht des göttlichen Angesichts' (Ps. 4,7), sagt einem jeden die eigene Vernunft, daß über den ersten Anfang in höchster und in frömmster Weise gedacht werden müsse: In höchster Weise muß über ihn gedacht werden, weil er keinem entspringt (quia a nullo), in frömmster Weise, weil alles übrige von ihm ist (quia cetera ab ipso). Und darin sind sich Christen, Juden, Sarazenen und sogar Ketzer einig." Dies ist die erste Begründung dafür, daß über Gott in höchster und frömmster Weise zu denken ist. Dabei bezieht sich das Denken hinsichtlich seiner Höhe auf Gott, sofern er nicht aus anderem entspringt 4 , und hinsichtlich seiner Frömmigkeit auf Gott, sofern alles andere von ihm herkommt. Auf diese cetera ab ipso kommt es an. Was ist mit ihm gemeint? Ist gemeint: Von Gott ist in frömmster Weise zu denken, weil die Schöpfung ihm entspringt? Das könnte man vermuten, weil Bonaventura hier die Christen mit Juden, Sarazenen und Häretikern einig weiß, die zwar nicht in der Annahme dreier göttlicher Personen, wohl aber in der Annahme eines Schöpfergottes übereinkommen. Oder ist gemeint: Weil aus Gott dem Vater die anderen Personen hervorgehen? Bonaventura scheint zunächst die zweite Antwort im Sinn zu haben, denn er fährt unmittelbar fort: „Gott aber 5 kann und will den sich Gleichen und Wesensseiben hervorbringen, auf daß er einen ewig Geliebten und Mitgeliebten habe; so von Gott zu denken, heißt, in höchster und frömmster Weise von ihm denken. Denn meint man, er könne dies nicht, so denkt man nicht zuhöchst über Gott; und meint man, er könne es, wolle aber nicht, so denkt man nicht frömmstens über Gott. - Nun sage ich: Daß es mit Gott sich so verhält, und daß also höchstens und frömmstens von ihm gedacht wird, das sagt das natürlich eingegebene Licht nicht von sich aus, sondern das sagt das eingegossene Licht. Aus ihm wird zusammen mit dem eingegebenen Licht ersehen, daß man über Gott so denken muß: Er 4 Q u i a a nullo ist eigentlich ein Terminus, der in den Bereich der trinitarischen Distinktion gehört; vgl. I Sent, d.2 a.un. q.2 f.4: persona Patris, cum sitprima, quia a nullo, estprincipium et habet fecunditatem respectu personarum. I,53b. 5 D e m y s t . Trin. q . l a . 2 i . c . : Q u o d autem D e u s p o s s i t e t v e l i t s i b i p r o d u c e r e a e q u a l e m et consubstantialem, ut aeternalem habeat dilectum et condilectum; et quod hoc quidem de ipso D e o sentire sit sentire altissime et pissime - quia, si sentitur, quod hoc non possit, non sentitur de Deo altissime; si sentitur, quod possit et non velit, non sentitur de D e o piissime - quod, inquam, ita sit et ita sentiatur, hoc non dictat lumen inditum per se, sed lumen infusum, ex quo cum lumine indito colligitur, quod de D e o sentiendum est, quod generet et spiret sibi coaequalem et consubstantialem, ut sentiatur de Deo altissime et piissime; et hoc de Deo sentire est Deum maxime honorificare, venerari et colere. V , 5 6 a . - Schwierig ist der Anschluß des finalen ut-Satzes an den Satz, der die innergöttliche Zeugung und Hauchung aussagt. Sachlich dürfte der ut-Satz zwar an das „sentiendum e s t " anzuschließen sein, also den Sinn haben: so und so muß gedacht werden, damit man richtig über Gott denke. Dem Satzgefälle nach ist aber auch nicht auszuschließen, daß der ut-Satz innerlich von dem zweiten quod-Satz abhängt, so daß der Sinn wäre: Gott zeugt und haucht, damit höchstens und frömmstens von ihm gedacht werde. So gedeutet, hätten wir in diesem Finalsatz eine ähnliche Bewegung vor uns, wie sie sich in Hex. VIII ergab: Im Scheitelpunkt der mit Gott gesetzten Verhältnisse steht die anima. Uber Möglichkeit oder Unmöglichkeit dieser Deutung zu entscheiden, ist hier noch nicht der Ort. M a n kann aber zunächst festhalten, daß der grammatische Schwebezustand dieses ut-Satzes den Hinweis auf ein inhaltliches Problem enthält.

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zeugt und haucht den sich Gleichen und Wesensseiben. Denn es muß von Gott in höchster und frömmster Weise gedacht werden. Und so von Gott denken heißt, Gott über alle Maßen Ehre, Ehrfurcht und Andacht schenken." Hier scheint mit dem cetera ab ipso der Hervorgang der göttlichen Personen gemeint. Gleichwohl findet sogleich eine gewisse Verschiebung gegenüber der ersten Bestimmung von sentire altissime et piissime statt: altissime, welches zunächst der Ursprungslosigkeit Gottes entspricht, ist jetzt, da unter cetera ab ipso die innergöttlichen Emanationen gefaßt sind, nicht mehr durch quia a nullo, sondern durch Gottes Können bestimmt, und piissime ist, nachdem es zunächst inhaltlich durch cetera ab ipso bestimmt war, nunmehr auf Gottes Wollen bezogen, so daß also in dieser Sicht Gottes Ursprungslosigkeit und seine Mitteilungsfähigkeit auf der einen, und der Hervorgang von allem aus Gott mit dem Willen, mit welchem Gott seine Mitteilungsfähigkeit zum Zuge bringt, auf der anderen Seite zusammenkommen. Und nachdem Bonaventura so Gottes Ursprungslosigkeit und sein Können und den Hervorgang von allem übrigen aus Gott und Gottes Willen zusammengenommen hat, faßt er noch einmal zusammen, was er unter sentire altissime et piissime versteht: „Dies aber 6 ist die Wurzel, aus welcher heraus wir glauben, daß man über Gott höchstens und frömmstens denken müsse, denken also, daß er dreifältig und Einer sei. Aus ihr ergibt sich folglich die Notwendigkeit zu glauben, daß Gott der Schöpfer von allem sei, der sei, der die Bösen richtet, den Guten vergilt und die Elenden erhebt. Denn da er der Höchste ist, ziemt es seiner Würde, Großes und Gerechtes zu tun. Da er aber der Frömmste ist, ziemt es seiner Würde, das Niedere gnädig anzublicken und das Gefallene zu erheben. Und von daher kommt unser Glaube, daß er ins Fleisch sich entäußert habe und gelitten habe; denn er ist von höchster Frömmigkeit; und daß er den Erdkreis schließlich richten werde; denn er ist von höchster Höhe und Billigkeit." Quia a nullo und cetera ab ipso sind jetzt ersetzt durch die Aussage: Deus est trinus et unus, und so muß man vermuten, daß sich, indem die Wendung „sentiendum est altissime et piissime" nunmehr durch die Wendung „per hoc ipsum esse trinum et unum" erklärt wird, dem esse trinum das sentire altissime und dem esse unum das sentire piissime fügt, und so stehen jetzt in einer Reihe unter altissime: quia a nullo, posse producere und esse trinum; unter piissime: quia cetera ab ipso, velle producere und esse unum. Wenn Bonaventura hier nicht chiastisch formuliert hat (so daß die Zuordnungen von esse 6 Ebd.: fides Trinitatis et fundamentum et radix est divini cultus et totius christianae religionis. Ex hac autem radice, qua credimus, de Deo esse sentiendum altissime et piissime, ac per hoc ipsum esse trinum et unum, consequentter elicitur, quod credendum est, Deum esse creatorem omnium, punitorem malorum, retributorem bonorum et relevatorem miserorum. Quia enim altissimus, ideo decet eius digitatem facere magna et iusta. Quia vero piissimus, decet eius dignitatem respicere humilia et relevare prolapsa. Et hinc est quod credimus eum incarnatum et passum pro summa pietate, iudicaturum tandem orbem terrarum pro summa altitudine et aequitate. V,56a.

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trinum und esse unum genau umzukehren wären 7 ), so bedeutet das: Gottes esse unum enthält unter sich wesentlich das unter piissime Ausgesagte, also cetera ab ipso und posse et velle producere, und Gottes esse trinum ist wesentlich durch seine Ursprungslosigkeit und sein Können bestimmt. Das heißt: Nicht darin schon, daß Gott ursprungslos ist, ist er Einer, sondern darin, daß er als dieser Ursprungslose sich mitteilen kann und will. Man kann auch sagen: Gott ist dreifältig, sofern er ursprungslos ist; und darin, daß er als der Ursprungslose dreifältig ist, sich mitteilen kann und will, ist Einer. Schon hier wird deutlich, daß der für Bonaventura so außerordentlich wichtige Begriff der Einheit Gottes ein zutiefst dynamischer Begriff ist. Die Einheit Gottes setzt das unter piissime Gefaßte, also cetera ab ipso und posse et velle producere offenbar voraus. Und jetzt, nachdem als Inhalt von altissime und piissime Trinitas und unitas Gottes deutlich geworden sind, sagt Bonaventura noch einmal, inwiefern von Gott in höchster und frömmster Weise gedacht werden muß. Wie in Hex. VIII zeigen sich die Weisen des Denkens über Gott in Gott selbst begründet. Sentire altissime heißt nunmehr glauben, daß Gott der Schöpfer aller Dinge und der Strafrichter über alle Bösen sei, denn er ist der Höchste (altissimus), und darum ziemt es seiner Würde, Großes und Gerechtes zu tun; sentire piissime heißt nunmehr glauben, daß er den Guten vergelte und die Elenden erhebe, denn er ist der Frömmste (piissimus), und darum ziemt es seiner Würde, das Niedere gnädig anzublicken und das Gefallene zu erheben. Damit erscheint, nachdem zunächst unter altissime die Ursprungslosigkeit Gottes gefaßt war und unter piissime der Hervorgang von allem übrigen aus Gott, Gott jetzt unter altissime als Schöpfer und Strafrichter, unter piissime als retributor und relevator. Oder auch: Gott erscheint als altissimus und piissimus. Beide Bestimmungen werden Seinsbestimmungen Gottes. Altissimus ist er als der Ursprungslose, piissimus als der, von dem alles übrige kommt. Altissimus ist 8 er als creator und punitor, als Schöpfer und Strafrichter, piissimus als retributor und relevator, als lohnender Vergelter und gnädig Erhebender. Damit haben wir im ganzen zwei Aussagereihen, die sich schematisch so darstellen lassen: altissime piissime quia a nullo cetera ab ipso posse posse et velle esse trinum esse unum creator et punitor retributor et relevator altissimus piissimus facere magna et iusta respicere et relevare secundum dignitatem 7

Es wäre möglich, das „esse trinum et unum" chiastisch angeschlossen zu verstehen, zumal Bonaventura gerne chiastisch formuliert. Es wird aber die Analyse der unitas zeigen, daß hier parallelistisch formuliert ist. 8 Allerdings sagt Bonaventura: decet eius dignitatem. Seckler 92 weist darauf hin, daß zur 10

Fischer, De Deo trino

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Die erste und die zweite Reihe sind untereinander vermittelt durch die Würde Gottes. Als altissimus und piissimus tut Gott Großes und Gerechtes und beschaut er und erhebt er das Elende nach Maßgabe seiner Würde. Aus beiden Aussagereihen lassen sich jetzt zwei wichtige Folgerungen ableiten: 1. Das esse trinum Gottes steht in dem Bogen, der sich von der Aussage quia a nullo bis zur Schöpfer- und Richtertätigkeit Gottes spannt. Das heißt: Die Lehre von Gottes Dreiheit, sofern sie die Dreiheit des ursprungslosen Gottes bezeichnet, ist nicht abzuheben von der Lehre von Gott dem Schöpfer. Indem Gottes Sein Dreisein ist, kommen Gottes Ursprungslosigkeit und Gottes Schöpfertätigkeit zusammen. Oder anders gesagt: Der Deus primus ist der Deus creator als Deus trinus 9 . Das esse ex se, secundum se et propter se (Hex. 1,12) steht darin in einer Beziehung zum esse ex alio, daß es ein esse trinum ist; Gott steht in einem bestimmten Weltverhältnis, da er und indem er in einem innergöttlichen Selbstverhältnis göttlicher Personen untereinander steht. 2. Damit ist zunächst festgestellt, daß Schöpfungslehre und Trinitätslehre einen äußerst dichten Zusammenhang haben. Das scheint aber dem Ergebnis der Überlegungen zu Hex. VIII zu widersprechen, demzufolge Gottes Sein insofern als Schöpfersein zu begreifen war, als es seinem ersten Ansatz nach sich entäußerndes Sein ist. Es erhebt sich also das Problem, wie das Verhältnis von Schöpfung und Inkarnation einerseits und Schöpfung und Trinität anderseits zu betrachten ist. Die beiden Aussagenreihen müssen darum genauer untersucht werden. De Deo sentiendum est altissime et piissime. Das gab den Ausgangspunkt. Unter altissime steht quia a nullo, posse, esse trinum; unter piissime steht cetera ab ipso, velle, esse unum. Stellt man jetzt die Frage nach dem Verhältnis von altissime und piissime, so zeigt sich der Nervpunkt dieser Unterscheidung. Indem unter piissime cetera ab ipso, velle, esse unum etc. gefaßt ist, ist darin nicht bloß velle gefaßt, sondern posse et velle; und das heißt: unter piissime ist altissime et piissime enthalten. Altissime (und das ihm Subsumierte) verhält sich also gegenüber piissime nicht als Eines zum Zweiten, als quia a nullo zu cetera ab ipso, als trinum zu unum, als posse zu velle, sondern als Eines im Andern, als quia a nullo in cetera ab ipso, als posse in posse et velle, als esse trinum in esse unum. Damit ist die Strecke, die sich zunächst im Schritt von altissime auf piissime zu ergeben schien, der Sache nach aufgehoben. Das Verhältnis von altissime zu piissime ist in piissime als posse et velle enthalten, so daß man sagen könnte: De Deo sentiendum est altissime et piissime, quia Bewältigung der Inkarnation auch T h o m a s mit einer solchen Dezenz arbeitet (III Sent, d . l q . l a.3 o p p . l et ad 1 - Stelle nach Seckler), wobei T h o m a s , vielleicht im Blick auf Bonaventura, nachdrücklich feststellt, es dürfe aus einem „ d e c e t " kein „ o p o r t e t " werden. N u n kann man aber, zumindest in bezug auf Bonaventura, fragen, ob Gott überhaupt etwas anderes als das ihm Angemessene tun kann bzw. ob er es gar unterlassen könne, zumal das Geziemende hier das seiner Würde, d. h. einer Wesensbestimmung Gottes ist, über die noch nähere Klarheit gewonnen werden wird. 9 Vgl. dieTrinitas fabricatrixBrevil. 11,12; V , 2 3 0 a und der Sache n a c h D e m y s t . Trin. q . l a . 2 f.7; V,52b.

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piissime, id est altissime et piissime sentiendum est 1 0 . Indem auf diese Weise in piissime altissime et piissime enthalten ist, posse in posse et velle, quia a nullo in cetera ab ipso, ergibt sich von hier aus die Eigenart des Verhältnisses von Deus altissimus et piissimus. Von Gott ist in höchster und frömmster Weise zu denken, weil das Höchste unter dem Frömmsten enthalten ist, und so bezeichnet das Verhältnis von altissime zu piissime, sofern es nicht den Schritt vom Einen zum Zweiten, sondern das Verhältnis des Einen im Andern bezeichnet, wiederum ein göttliches Selbstverständnis. Gott ist darin ursprungslos, darin alles übrige von ihm ist; Gottes Sein ist Dreisein 11 , darin es Einssein ist. Das Verhältnis Gottes zur Welt ist umgriffen von dem Selbstverhältnis Gottes, in welchem er in seiner Einheit dreifältig ist 1 2 . Und nun hängt es an diesem Ineinander von altissime und piissime, von quia a nullo und cetera ab ipso, daß Gott, indem er ursprungslos ist, Großes und Gerechtes tut. Unter dem sentire piissime, welchem zunächst („cetera ab ipso") die innergöttlichen Emanationen zugeordnet scheinen, ist der ursprungslose Gott, sofern piissime posse et velle und damit altissime unter sich enthält, Gott der Schöpfer und Strafrichter. Die Deutung von cetera ab ipso ist damit wiederum verschoben. Es handelt sich nunmehr nicht um ein innergöttliches Geschehen, sondern um ein Wirken Gottes nach außen, um das Wirken, kraft dessen Großes und Gerechtes von Gott ist. Wenn aber nun, da piissime altissime unter sich enthält, cetera ab ipso auf Gottes äußeres Wirken bezogen ist und anderseits das Tun, mit dem Gott Großes und Gerechtes tut, zum Gegenstand von sentire altissime wird, so ist, eben weil altissime sachlich in piis1 0 Hier ist natürlich zu fragen, warum, wenn diese Überlegung richtig ist, Bonaventura sich nicht mit der Feststellung: de Deo sentiendum est piissime begnügt. Dazu s. u. S. 2 6 7 . 1 1 „Dreisein" ist sicher ein problematischer Begriff. Er meint nicht drei verschiedene Seinsebenen, sondern die dreifältige Subsistenz des Einen Seins. Er ist hier trotz seiner Mißverständlichkeit zur Wiedergabe dessen benutzt, was Bonaventura esse trinum nennt. 1 2 Der Begriff des göttlichen Selbstverhältnisses mag, da er mehrfach in verschiedener Nutzung auftaucht, verwirrend sein. Das liegt an der bei Bonaventura immer vorgegebenen Klammer zwischen Gott und Welt: von ihr läßt sich nur um den Preis absehen, daß die begriffliche Entfaltung von Sein und Dreisein Gottes in ihrer Verbindlichkeit nicht mehr erkennbar ist, und bloß noch als beliebiger spekulativer Akt begriffen wird. Darum ist hier die begriffliche Entfaltung der Aussage: Deus est trinus et unus einstweilen hintangestellt bis zu jenem Punkt, an welchem von der Betrachtung des bestimmten Weltverhältnisses Gottes her aus der trinitarischen Spekulation heraus wiederum auf das göttliche Weltverhältnis hin gefragt werden kann. Das soll das dritte Kapitel leisten, in dem sich in der Analyse der Eigenschaften Gottes und der Eigenheiten der göttlichen Personen die hier getroffenen Feststellungen werden bewahrheiten müssen. In dieser Analyse wird sich genau der Sachverhalt wiederfinden lassen, der hier mit dem Begriff „göttliches Selbstverhältnis" umschrieben ist. Dreierlei Weise götdichen Selbstverhältnisses läßt sich nämlich bislang unterscheiden: dasjenige, welches wir in Hex. VIII als Selbstverhältnis des göttlichen Seins in der Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus gefunden haben; dasjenige, in welchem sich die drei göttlichen Personen untereinander ins Verhältnis setzen; und schließlich dasjenige, mit welchem in Gott ein Verhältnis von Trinitas personarum und unitas essentiae beschrieben ist. Alle drei bezeichnen das Verhältnis Gottes zu sich selber, und alle drei werden sich, wie man sehen wird, in der begrifflichen Distinktion wiederfinden: das erste als modus absolutus essendi, das zweite als modus essendi respectivus, das dritte als modus se habendi; vgl. De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; Dazu s. u. S. 2 7 5 .

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sime enthalten ist, das cetera ab ipso, sofern darunter jetzt das Große und Gerechte zu verstehen ist, das Gott tut, zugleich auch durch die zweite Hinsicht des göttlichen Tuns bestimmt, durch dasjenige Tun nämlich, mit dem Gott das Niedere gnädig ansieht und das Gefallene erhebt. Und das heißt: Das Tun Gottes, mit dem er Großes und Gerechtes tut, ist ein Tun, das im Ansatz bereits auf Begnadung des Niederen und Erhebung des Elenden aus ist. Und damit ist die Wendung von der doppelten Weise des Denkens über Gott bis zu einem gewissen Grade entschlüsselt. Es ist von Gott in höchster und frömmster Weise zu denken, weil der ursprungslose Gott, da sein Wesen dreifältig subsistiert, im Erschaffen von Welt auf Begnadung und Aufhebung von Welt aus ist. Gottes Schöpfertätigkeit als Schöpfertätigkeit des dreieinen Gottes ist als diese Schöpfertätigkeit mit der Hervorbringung von Welt nicht am Ende, sondern bringt Welt auf relevatio, auf Aufhebung hin hervor 13 . Dieser Sachverhalt wird bekräftigt durch die zweite Stelle, an welcher Bonaventura die Wendung von sentire altissime et piissime erläutert. In Brevil. I heißt es: „Der Glaube nämlich 14 , da er das Prinzip der Verehrung Gottes ist und ihr Fundament, denn ,er ist eine Lehre gemäß der Frömmigkeit' (1. Tim. 6,3), dieser Glaube spricht: Von Gott ist in höchster und frömmster Weise zu denken. Er dächte aber nicht höchstens von Gott, glaubte er nicht, daß Gott sich in höchster Weise mitteilen kann; er dächte nicht frömmstens, glaubte er, Gott könnte, wolle aber nicht; und deshalb, auf daß er höchstens und frömmstens denke, sagt er: Gott teilt sich in höchster Weise mit, indem er von Ewigkeit her einen Geliebten und Mitgeliebten hat, und dadurch ist er der dreieine Gott." Dieser Satz bestätigt zunächst, was die Überlegungen zu den entsprechenden Ausführungen Bonaventuras in De myst. Trin. q.l a.2 ergeben haben. War dort in erster Linie quia a nullo dem altissime zugeordnet und diesem wiederum Gottes Können, so ist hier dem altissime Gottes Selbstmitteilungsfähigkeit (posse se summe communicare) und dem piissime der Vollzug der Mitteilungsfähigkeit Gottes (also wieder posse et velle) zugeordnet. De myst. Trin. q.l a.2 bringt dafür zuerst quia cetere ab ipso und 13 Dies ist außerordentlich wichtig für die Frage nach dem Verhältnis von productio und reductio. Facere magna et iusta und respicere et relevare sind zwei Hinsichten göttlicher Dynamik, deren eines und identisches Subjekt Gott ist. Dieser Sachverhalt widerspricht der mehrfach erwähnten These, reductio sei im Grunde nichts anderes als das Verhältnis Gott-Welt gleichsam von unten betrachtet. Kann man sich darüber verständigen, daß facere magna et iusta die Hinsicht der productio von Welt bezeichnet und respicere et relevare die Hinsicht der reductio andeutet, so wird sichtbar, daß der Akt, in dem Gott Welt hervorbringt, eingeklammert ist von dem Akt, mit dem Gott selbst Welt heimführt. Als zwei Wirkhinsichten des einen Gottes sind facere und respicere dabei in jedem Fall real unterschiedene Tätigkeiten des einen identischen Gottes. Aufstieg, schließlich das ganze Itinerarium, erscheint so letztlich als Inhalt von respicere und relevare, also als Tätigkeit Gottes. 14 Brevil. 1,2: quia fides, cum sit principium cultus Dei et fundamentum eius quae secundum pietatem est doctrinae, dictat, de Deo esse sentiendum altissime et piissime. Non autem sentiret altissime, si non crederet, quod Deus posset se summe communicare; non sentiret piissime, si crederet, quod posset et nollet; et ideo, ut altissime et piissime sentiat, dicit, Deum se summe communicare, aeternaliter habendo dilectum et condilectum, ac per hoc Deum unum et trinum.

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dann den innergöttlichen Hervorgang der Personen. Im nächsten Schritt nahm De myst. Trin. q. 1 a.2 die Wendung von der doppelten Weise des Denkens über Gott auf mit der Erläuterung: Gott ist trinus und unus, und also muß man glauben, daß Gott der Schöpfer und Strafrichter ist, der vergilt und der erhebt, daß er Großes und Gerechtes tut und gnädig anblickt das Niedere und das Gefallene erhebt. Im Breviloquium faßt Bonaventura die Wendung altissime et piissime zusammen mit dem Satz: „Gott teilt sich in höchster Weise mit, indem er von Ewigkeit her einen Geliebten und Mitgeliebten hat, und dadurch ist er der dreieine Gott." Mit dieser Zusammenfassung bestimmt er Gottes höchste Selbstmitteilung durch das Haben des Geliebten und des Mitgeliebten. In diesem Haben sind Können und Wollen Gottes, darauf altissime et piissime bezogen sind, ihrem Inhalt nach ausgewiesen. Das bedeutet: Im Vollzug der Selbstmitteilung Gottes, in welchem er seinem Wesen gemäß mitteilen will, was er kann, letztendlich also mit dem Willen, mit dem Gott sein Können zum Zuge bringt, ist das Können als Können Gottes erwiesen. Und das heißt wiederum: Die Höhe, die altitudo, das Können Gottes ist bestimmt nach Maßgabe seines Willens, Gott ist der Höchste als der Frömmste. Altissime ist durch Piissime bestimmt und, wenden wir zurück auf De myst. Trin. q. 1 a.2, quia a nullo durch cetera ab ipso. Wenn das aber so ist, so setzt das instand, die Momente, welche De myst. Trin. q.l a.2 dem sentire altissime zuordnet, dem Akt der Selbstmitteilung Gottes zuzuordnen, also dem summe communicare, sofern es das Können Gottes ausweist, und dann enthält Gottes Selbstmitteilung in dieser Hinsicht Gott als den Schöpfer und Strafrichter. Und es müssen die Momente, welche De myst. Trin. q.l a.2 dem sentire piissime zuordnet, dem Akt der Selbstmitteilung Gottes zugeordnet werden, sofern er das Wollen Gottes ausweist. In dieser Hinsicht enthält dann Gottes Selbstmitteilung Gott als den, der den Guten vergilt und die Elenden erhebt. In seiner höchsten Selbstmitteilung, in der Gott den Geliebtön (Sohn) und den Mitgeliebten (Geist) hervorbringt und hat, verhält sich also Gott zu sich selber als Gott der Schöpfer zu Gott dem Erlöser. Das heißt: Indem die Erschaffung der Welt dem Akt der Selbstmitteilung Gottes zugeordnet ist, sofern sie Gottes Können ausweist, ist die Aufhebung der Welt der Selbstmitteilung Gottes zugeordnet, sofern sie Gottes Willen ausweist. Das Ergebnis dieses Aktes sind nach der Seite Gottes der Sohn und der Geist und nach der anderen Seite Hervorbringung und Heimführung von Welt. Wenn diese Überlegungen richtig sind, so ist die Trinität nicht nur auf Schöpfung von vornherein bezögen als Wirken Gottes ad extra, sondern sie ist in bestimmter Weise auf Schöpfung bezogen, so nämlich, daß Gott der Schöpfer, sofern er der dreieine Gott ist, Welt auf Aufhebung (relevatio) von Welt hin hervorbringt. Indem die inhaltliche Füllung oder auch das Ergebnis von summe communicare die Subsistenz innergöttlicher Personen ist, ist die Aufhebung von Welt die inhaltliche Füllung oder auch das Ergebnis der Schöpfung. Das Weltverhältnis Gottes ist auf diese Weise eingespannt in das 149

Selbstverhältnis Gottes, demzufolge er trinus et unus ist. Damit ist aber auch die Entscheidung über die besondere Eigenart des göttlichen Weltverhältnisses gefallen: Gott, Welt eingründend in sein göttliches Selbstverhältnis von Trinitas und unitas, ist in diesem seinem inneren Selbstverhältnis der Relevator von Welt. Von daher ist die vorhin getroffene Feststellung über den Zusammenhang von Trinität und Schöpfung zu erweitern. Die Trinität steht nicht nur in einer inneren Beziehung zur Schöpfung, sondern darin vor allem (als Trinitas des Einen Gottes) in einer inneren Beziehung zur Erlösung. Indem Gott in seiner Einheit dreifältig subsistiert, ist Gott der Schöpfer Gott der Erlöser. - S o ist denn also das Verhältnis des Deus trinus zu seiner Schöpfung beschrieben und ein Einstieg in die Trinitätslehre Bonaventuras gewonnen: Der drei eine Gott, der die Welt erschafft, ist derselbe drei eine Gott, der die Welt erlöst, und so läßt sich das Verhältnis von Trinität und Schöpfung vorläufig umreißen mit dem Satz: Die Welt erschaffende Trinitas ist die Welt heimholende Trinitas. Aber wie, so ist jetzt zu fragen, verhält sich dazu jener oben genannte Sachverhalt, demgemäß der ewige Gott, da er in seinem Sein hingespannt ist auf den Deus humanatus, wesentlich in Beziehung zur Schöpfung steht? Oder anders gefragt: Wie ist das hier beschriebene Verhältnis von Trinität und Schöpfung einerseits und das oben beschriebene Verhältnis von Inkarnation und Schöpfung anderseits zu vermitteln? Oder es läßt sich auf eine dritte, scheinbar abweichende, aber sachlich auf dasselbe Problem zielende Weise fragen: Inwiefern ist der Deus trinus, da er, Welt erschaffend, dieselbe auf Erhebung und Aufhebung hin hervorbringt, der Eine, in seinem Sein dreifältig subsistierende Gott? Wir haben in De myst. Trin. q . l a.2 gesehen, daß beide Aussagereihen, sowohl die dem sentire altissime als auch die dem sentire piissime zugeordnete, untereinander vermittelt sind über die Würde Gottes. Der Würde des Deus altissimus ziemt es, Großes und Gerechtes zu tun; und derselben Würde des Deus piissimus ziemt es, das Niedere gnädig anzublicken und das Gefallene zu erheben. An diese Feststellung knüpft Bonaventura den Satz: „Und von daher kommt unser Glaube, daß Gott sich ins Fleisch entäußert habe und gelitten habe aus höchster Frömmigkeit; und endlich den Erdkreis richten werde aus höchster Erhabenheit und Billigkeit." 15 Die Würde Gottes bildet also offenbar dasjenige Moment, welches Erhabenheit und Frömmigkeit Gottes vermittelt. Die Würde seiner Erhabenheit, sofern sie die Würde des höchsten Gottes ist, entläßt als das ihr Geziemende aus sich Gottes Tun nach Größe und Gerechtigkeit. Die Würde seiner Frömmigkeit, sofern sie die Würde des frömmsten Gottes ist, entläßt als das ihr Geziemende aus sich Gottes Tun als Begnadung des Niederen und Erhebung des Gefallenen. An diesen Hinweis auf die Würde Gottes schließt Bonaventura den eben zitierten Satz an mit der Wendung: et hinc est. Dieses hinc meint offensichtlich die dignitas Dei, aber nun nicht die Würde Gottes für sich, sondern diese Würde, 15

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De myst. Trin. q.l a.2 i.e.: s. o. S. 144 Anm. 6.

sofern es das ihr Geziemende ist, daß Gott als der Höchste schafft und richtet und Gott als der Frömmste gnädig anblickt und erhebt. Es ist also der Bezug der dignitas Dei auf Gottes Schaffen einerseits und auf Gottes Erheben anderseits, von dem her sich das hinc inhaltlich legitimiert. Wenn aber der Bezug von Höhe und Würde Gottes einerseits und Frömmigkeit und Würde Gottes anderseits den Grund für dieses hinc abgibt, so spricht der folgende Satz den Inhalt dieses hinc als den Gegenstand des Glaubens aus 1 6 . Dann ist die Aussage: „Wir glauben, daß Gott sich ins Fleisch entäußert hat und gelitten hat aus höchster Frömmigkeit" nichts anderes als die Wiederholung des Bezuges von pietas und dignitas Dei. Jene pietas aber, der das sentire piissime entspricht, sofern es von Gott denkt, daß alles übrige von ihm sei und also denkt, daß Gott hervorbringen könne und wolle den sich Gleichen und Wesensselben, den Sohn und den Geist, jene also zunächst innere Bestimmung Gottes erweist sich hier in ihrem Bezug auf Gottes Würde als der Akt von Inkarnation und Leiden Gottes 1 7 . Dann ist aber auch die Aussage, daß Gott aus höchster Erhabenheit und Billigkeit den Erdkreis richten werde, nichts als eine Wiederholung des Bezuges von Erhabenheit und Würde Gottes. Jene altitudo aber, der das sentire altissime entspricht, sofern es von Gott denkt, daß Gott der Erste-Ursprungslose ist, jene zunächst also auch innere Bestimmung 1 6 Es wird sich gelegentlich die Frage stellen, ob Bonaventura hypothetisch seine Sicht Gottes auch jenseits der Schrift würde entwickelt haben können, etwa im Sinne einer Dialektik der Geschichte. Ich meine, in Anbetracht dieser Wendung „et hinc est" könnte man (mit aller Vorsicht gesprochen) diese Frage bejahen. Denn was dem „hinc" zuvorsteht, heißt nicht: weil Gott sich da und dort in Jesus Christus offenbart hat, deshalb glauben wir etc., sondern es steht diesem „hinc" zuvor die Aussage: Gott ist der Höchste und Frömmste, der Schöpfer und Erlöser, und weil Gott, dreifältig sich entfaltend, seinshaft dieser Gott ist, darum glauben wir an seine Inkarnation. Damit wird „unser Glaube" an die Inkarnation von den Bestimmungen Gottes her geglaubt, mit denen Gott nach Sein und Dreisein bestimmt ist; und bis ins letzte überspitzt, so scheint es, könnte man sagen: Auch wenn die Schrift von Gottes Offenbarung in Jesus Christus nicht berichtete, so müßten wir doch, da von Gott höchstens und frömmstens gedacht werden muß, an seine Entäußerung glauben (vgl. De myst. Trin. q . l a.2 opp.13; V,54a und ebd. i.e.; V,56b). Anderseits ist eine solche Frage in bezug auf Bonaventura durchaus irrelevant. Denn sie unterstellt die Möglichkeit einer Trennung zwischen faktischer Heilsgeschichte einerseits und einem Gottesbegriff, der jenseits der großen Taten Gottes ausmachbar wäre, anderseits, so daß die Faktizität des göttlichen Handelns, von dem die Schrift berichtet, lediglich noch die Verifikation dessen wäre, was von Gott kraft Begriffs immer schon begriffen wäre. Eine solche Trennung ist für Bonaventura unmöglich: Es ist dieser Gott, der sich offenbart, von dem altissime und piissime gedacht werden muß, und darum ist unter der Prävalenz Gottes in der Bewegung des Aufstiegs von seiner Offenbarung her in Gott hineingedacht, und in dieser selben Bewegung wiederum aus Gott heraus gedacht, so daß die Vermutung, es müsse auch ohne das Zeugnis der Schrift an Gottes Leiden und Auferstehung geglaubt werden, schon insofern unmöglich ist, als das Zeugnis der Schrift nicht in einem zufälligen, von den Bestimmungen Gottes abzuhebenden Verhältnis zu Gott steht, sondern mit in die Dynamik gehört, in welcher Gott mit seiner Welt zum Ziele kommt. Das wird in kurzem (S. 159 ff.) noch deutlicher w e r d e n . - Z u dieser Frage vgl. auch Mercker 35. 4 1 f. 85. 1 7 Vgl. Sermo de Trin. p. II: ostendit etiam (Deus) suam dignitatem per hoc, quod condescend s ad terram nostrae infirmitatis, in qua stat sicut in scabello pedum, (et) per hoc, quod etiam ipsam suis legibus subiieit et divinae naturae in Christo univit. I X , 3 5 5 b . — Das „et" zwischen Klammern im Original. - Vgl. zur dignitas auch De dec. praec. 1,2f.; V,507ab.

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Gottes erweist sich im Bezug auf die Würde Gottes als der Akt, in welchem Gott zum Gericht kommen wird. Die Wendungen „pro summa pietate" und „pro summa altitudine" in dem hinc-Satz meinen dann nichts anderes als die Würde von Frömmigkeit und Erhabenheit Gottes. Auf diese Weise kommen schließlich die Akte, in denen Gott Großes und Gerechtes tut und sein Gericht auf der einen, und die, in denen er gnädig anblickt und erhebt und Gottes Selbstentäußerung und Leiden auf der anderen Seite zusammen. Je eine innere Bestimmung Gottes ist so seinem Wirken ad extra nahtlos verbunden. Und nun stehen wir hier vor demselben Problem, das wir bereits in der Analyse von Hex. VIII angetroffen haben: das Verhältnis von altitudo und pietas kehrt sich um. Gottes Würde, der es nach seiner Höhe geziemend ist, Großes und Gerechtes zu tun, ist sachlich, da das Verhältnis von pietas und digitas als Erheben von Niederem und Gefallenem in der Inkarnation und im Leiden Gottes faßbar wird, Gottes Würde im Gericht. Das Verhältnis von Deus altissimus und Deus piissimus wird angesichts der Selbstentäußerung Gottes zum Verhältnis von Deus incarnatus und Deus iudicaturus 18 . Auch an der anderen schon erwähnten Stelle, an der Bonaventura von Gott in den Hinsichten des sentire altissime et piissime spricht, findet sich diese Drehung: „Diesen Glauben 19 aber, soweit er sagt, man müsse in frömmster Weise über Gott denken, bezeugt die ganze Heilige Schrift, die eine ,Lehre gemäß der Frömmigkeit' (1. Tim. 6,3) heißt. Denn sie sagt: Gott hat einen Sohn, den er aufs höchste liebt, das ihm wesensgleiche Wort, das er von Ewigkeit her gezeugt hat, indem er alles grundgelegt (disposuit) hat; durch das er alles hervorgebracht hat und alles leitet; durch das er auch, da es fleischgeworden ist aus höchster Güte, den Menschen mit seinem teuersten Blut losgekauft und den Losgekauften gespeist hat; durch das er endlich am Ende der Welt in Ansehung seines größten Erbarmens von allem Elend erlösen wird, damit durch Christus alle Erwählten die Söhne des höchsten Vaters 18 Ein freilich charakteristisch unterschiedener Anklang an die Ausführungen Bonaventuras in De myst. Trin. q.l a.2 i.e. findet sich in Luthers Erklärung zum Dritten Artikel im Großen Katechismus 111,64: „wir künnden . . . nimmermehr dazu kommen, daß wir des Vaters Hulde und Gnade erkenneten ohne durch den HERRN Christum, der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens, außer welchem wir nichts sehen denn einen zornigen und schrecklichen Richter." Zitiert nach: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche; 5. Auflage Göttingen 1963; Seite 660. Wie bei Bonaventura erscheint auch bei Luther in diesem Zitat Gott im Verhältnis von Huld und Strafgericht, wobei aber bei Bonaventura Gott der Richter in anderer Weise an Christus geknüpft ist: Gott ist der Deus iudicaturus nicht, wie bei Luther, „außer" Christus, sondern von der Inkarnation her ist Gott selber in sich der Richter in seiner Hinspannung auf die Inkarnation hin. 19 Brevil. 1,2: Huic autem fidei, in quantum dictat, de Deo piissime sentiendum esse, attestatur tota sacra Scriptura, quae dicitur doctrina secundum pietatem: quia Deum fatetur habere prolem, quam summe diligit, Verbum sibi coaequale, quod ab aeterno genuit, in quo cuncta disposuit; per quod cuncta produxit et gubernat; per quod etiam carnem factum pro summa benignitate hominem redemit pretiosissimo eius sanguine redemptumque eibavit; per quod etiam in fine mundi, summam misericordiam impertiendo, ab omnia miseria liberabit, ut per Christum omnes electi sint filii summi Patris, in quo erit omnis pietatis consummatio et Dei ad nos, et e converso. V,211a.

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sind. Darin wird die Frömmigkeit sowohl Gottes uns gegenüber als unsere gegenüber Gott ihre vollkommene Vollendung finden." Dieser Satz - es ist ein Satz der Gotteslehre - steht im Breviloquium genau an der Stelle, an welcher in De myst. Trin. q. 1 a.2 die Sprache auf die Würde Gottes kommt. An die Stelle des Bezuges von Frömmigkeit und Würde Gottes tritt hier das Zeugnis der Schrift. Was sentire piissime zum Inhalt habe, wird noch einmal eingeschärft, aber in wiederum erweiterter Weise. Wenn Bonaventura mit der Schrift sagt: „Gott hat einen Sohn, den er zuhöchst liebt, das ihm wesensgleiche Wort", so ist diese Aussage gleichbedeutend der, daß Gott der Vater den Sohn im Heiligen Geist liebt 20 . Dieser Feststellung schließt Bonaventura unmittelbar eine heilsgeschichtliche Reihe an, welche sich von der Zeugung des Sohnes und der Grundlegung der Schöpfung in ihm bis zur Endvollendung erstreckt. Das, was diese Reihe aussagt, steht damit dem ineins, was unter dem sentire piissime enthalten ist. Sentire piissime, sofern es der Sache nach altissime und piissime enthält, glaubt deshalb Gottes höchste Selbstmitteilung als diesen heilsgeschichtlichen Prozeß. Die Vollkommenheit, in welche/Gott in drei Personen subsistiert, und die Vollkommenheit, welche das Verhältnis Gottes zu uns in Inkarnation, Leiden und Auferstehung des Sohnes erfährt, sind daher voneinander nicht abzuheben. Gott subsistiert in drei Personen, indem er über Inkarnation, Leiden, Tod und Auferstehung seine Erwählten zu seinen Söhnen macht. Im Anschluß an die dem Inneren Gottes verknüpfte heilsgeschichtliche Reihe verweist Bonaventura dann noch einmal auf den Inhalt von altissime: „Soweit aber der Glaube 2 1 sagt, von Gott müsse höchstens gedacht werden, bezeugt ihn nicht nur die Heilige Schrift, sondern jegliche Kreatur, wie Augustin im 15. Buch über die Trinität, Kapitel 4, sagt:,Nicht nur die Autorität der göttlichen Bücher verkündet, daß Gott sei, sondern alles, was uns umgibt, auf das wir uns beziehen, die gesamte Natur der Dinge ruft laut, sie habe 2 0 I Sent, d.10 a . l q.2 ad 2: Spiritus sanctus est amor, quo Pater amat Filium. I,198a, vgl. I Sent, d.32 a . l q . l i.e.; I,558a. 2 1 Brevil. 1,2: In quantum autem fides dictat, de Deo sentiendum altissime, non tantum attestatur ei sacra Scriptura, verum etiam omnis creatura, iuxta quod dicit Augustinus deeimo quinto de Trinitate, capitulo quarto: ,Neque enim divinorum librorum tantummodo auetoritas praedicat, esse Deum, sed omnis quae nos circumstat, ad quam nos etiam pertinemus, universa ipsa rerum natura proclamat, se habere praestantissimum Conditorem, qui nobis mentem rationemque naturalem d e d i t . . . Ac per hoc, quoniam rebus creatis Creatorem sine dubitatione praeponimus, oportet, ut eum et summe vivere et cuncta sentire atque intelligere, et mori et corrumpi mutarique non posse, nec corpus esse, sed spiritum omnipotentissimum, iustissimum, speciosissimum, optimum beatissimumque fateamur.' - Ecce, in his duodeeim includuntur altissimae nobilitates divini esse. Sed post, ut ipse ostendit, haec duodeeim redueunter ad tria, scilicet aeternitatem, sapientiam et beatitudinem; et haec tria ad unum, scilicet ad sapientiam, in qua includuntur mens generans, Verbum proles et amor nectens utrumque, in quibus fides dictat beatissimam consistere Trinitatem. Et quoniam summa sapientia ponit Trinitatem, ponit etiam nihilominus omnes prius habitas nobilissimas conditiones, videlicet unitatem, simplicitatem et ceteras consequentes; necesse est, omnes praedictas nobilitates divini esse simul stare cum beatissima Trinitate. V,21 l a b ; vgl. Hex. X I , 2 - 4 ; V,380ab.

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einen vortrefflichen Schöpfer, der uns Bewußtsein (mens) und natürliche Vernunft gegeben h a t . . . Und deshalb, weil wir den geschaffenen Dingen ohne Zweifel den Schöpfer voranstellen, müssen wir ihn nennen den, der zuhöchst lebendig ist, alles denkt und erkennt, weder sterben noch verderben noch sich ändern kann, nicht körperlich ist, sondern der allmächtigste Geist, äußerst gerecht, der Schönste, der Beste und Seligste.'—Siehe, in diesen zwölf Eigenschaften sind die edelsten Merkmale des göttlichen Seins enthalten. Aber dann, wie Augustin selbst zeigt, werden diese zwölf Eigenschaften auf drei zurückgeführt, nämlich die Ewigkeit, die Weisheit und die Glückseligkeit; und diese drei auf eines, nämlich auf die Weisheit, die umschließt den zeugenden Geist, das Wort als den Sproß und die Liebe, die beide bindet. Darin, sagt der Glaube, besteht die allerseligste Trinität. Und da die höchste Weisheit die Trinität setzt, setzt sie auch ebensogut alle vorhergenannten edelsten Eigenschaften, die Einheit, die Einfachheit und alle folgenden; notwendig nämlich haben alle genannten edlen Eigenschaften des göttlichen Seins zugleich mit der seligsten Trinität Bestand." Die Eigenart dieses neuerlichen Verweises liegt darin, daß, nachdem unter piissime der höchsten Selbstmitteilung Gottes die heilsgeschichtliche Reihe verknüpft ist, Bonaventura mit diesem Augustin-Zitat noch einmal auf die Erhabenheit Gottes verweist, die sich nunmehr im Verhältnis der Eigenschaften des göttlichen Seins zur trinitarischen Entfaltung dieses Seins darstellt, wie sie in De myst. Trin. in toto ausgeführt ist. Die ausführliche Entwicklung der Trinitätslehre ergibt sich also erst, nachdem das Verhältnis von altitudo und pietas sich angesichts der Geschichte des Wortes zum Verhältnis altitudo—pietas—altitudo erweitert hat. Und erst an diese Stelle tritt der Hinweis, daß die gesamte Kreatur Sein und Dreisein Gottes bezeugt. Ähnlich den Überlegungen zu Hex. VIII erscheint Gott im Verhältnis von Trinitas und unitas erst auf dem Hintergrund von Inkarnation, Leiden, Tod und Auferstehung des Sohnes. Der Deus trinus umschließt so, gleichsam elliptisch ausschwingend auf sich selbst, sein Weltverhältnis als ein Verhältnis von creare einerseits und relevare anderseits dergestalt, daß die trinitarische Entfaltung des göttlichen Seins jenseits seiner Weltgeschichte nicht scheint ausgemacht werden zu können. Sein Gottes und Dreisein Gottes bestimmen Gott als den Deus trinus et unus in diesem seinem Verhältnis zur Welt. Die essentia Gottes in ihrer dreipersönlichen Subsistenz ist Gottes essentia im elliptisch ausschwingenden Kreisel 22 . 2 2 Ich benutze das Bild der Ellipse, obwohl nahe läge, auf das Kreisbild zurückzugreifen, dessen Bonaventura selber sich häufiger bedient; vgl. etwa D e myst. Trin. q.3 a . l i.e.; V , 7 0 b und ebd. q . 8 a d 7 ; V , 1 1 5 b . - I c h meine, das Kreisbild unserer Vorstellung entspricht in seiner Statik nicht dem Kreis, den Bonaventura meint. Ihm kommt es auf die Bewegtheit des Kreises zum einen und auf den Kreismittelpunkt zum andern entscheidend an. Denn die Geschlossenheit des Kreisumfangs ist nichts, wenn der Mittelpunkt verlorengeht. „ H a t man den Mittelpunkt aber verloren, so kann er nur durch zwei sich rechtwinklig schneidende Geraden wiedergefunden w e r d e n " (Hex. 1,24; V,333b). Der Kreisumfang wiederum hat bei Bonaventura im Grunde genommen zwei Brennpunkte: Ausgang und Heimgang, über die, um das Mittelkreuz (vgl. Brevil.

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Betrachten wir noch die dritte Stelle, an der Bonaventura die Wendung vom sentire altissime und piissime traktiert. Sie steht Hex. IX,24. Die Formel ist dort um einiges erweitert, und zwar zu den Wendungen: De Deo sentiendum est altissime et piissime, altissime et verissime, altissime et optime 23 . Wie sich an dem sich durchhaltenden altissime zeigt, unterliegt nur die Hinsicht des Denkens über Gott, nach der es frömmstens denkt, der Aufgliederung. Was bisher einheitlich unter sentire piissime erschien, ist jetzt aufgeteilt in piissime, verissime und optime. Das wird so durchgeführt: „Vom höchsten Gott 24 muß man höchstens und frömmstens denken, denn Gottes Wesen ist auf edelste Weise." Dieser Satz ist eine präzise Zusammenfassung der Wendung vom sentire altissime et piissime. Gott, kraft seiner essentia die höchste Weise des Denkens einfordernd, will eben kraft des edlen Seinsmodus' dieser seiner essentia, in welcher sie dreipersönlich subsistierend essentia Gottes ist, in frömmster Weise bedacht sein, so daß hier (wie schon oben), da die essentia Gottes in ihrem bestimmten Seinsmodus essentia Gottes ist 25 , altissime von Gott denken immer schon piissime von Gott denken heißt. Aber nun, da sentire altissime auf Gott kraft seiner essentia und piissime auf Gott kraft des edelsten Seinsmodus', darin die essentia subsistiert, d. h. die Trinität, bezogen ist, setzt Bonaventura die Hinsicht piissime, die also, die sich auf den modus essendi Gottes bezieht, ab und liefert für sie eine scheinbar weitere Begründung: „Man muß 26 auch frömmstens über Gott denken, denn GottesWesen ist der Ursprung aller Dinge. Es bringt alle Dinge hervor; sie gehen unmittelbar von ihm aus. Wenn du nicht meinst, daß die Gesamtheit der Dinge von ihm ausgeht, so denkst du nicht frömmstens von Gott." Sentire piissime findet hier jetzt seine Erläuterung in Gottes Schöpfertum. Die Wendung: quia cetera ab ipso, mit der Bonaventura das piissime in De myst. Trin. q.l a.2 begründet, wäre demnach von hier aus wiederum auf die Schöpfung zu deuten. Es ist aber nicht nur von Gott höchstens und frömmstens zu denken aufgrund der edelsten Seinsweise seines Wesens und frömmstens aufProl. § 6; V,208a) schwingend, er sich schließt. Deshalb scheint mir die geometrische Figur, deren beide Brennpunkte durch die Entfernung von einem Mittelpunkt bestimmt und durch einen Umfang verbunden sind, die Figur der Ellipse, am ehesten auszudrücken, was Bonaventuras Kreisbild meint. Dazu s. u. S. 234ff. 23 Hex. IX,23: Iudicium enim rationis illustratae est, quod de Deo summe est sentiendum et altissime. Hoc autem tripliciter: de Deo sentiendum est altissime et piissime, altissime et verissime, altissime et optime. V,376a. Etwas anders Rep. A: Iudicium autem rationis illuminatae est quod de Deo sentiendum est piissime, verissime, optime. Delorme 123. — Die Lesart von Rep. Β ist durch die genannten Stellen De myst. Trin. q. 1 a.2 und Brevil. 1,2 gut belegt, und auch Rep. A spricht in der Sache von dem, worauf Bonaventura das sentire altissime bezieht. 24 Hex. IX,24: de Deo altissimo est sentiendum altissime et piissime, quod ilia essentia est nobilissimo modo . . . essentia divina habere debet, quod nobilitatis est in creatura, ut sit una in multis non numerata. V,376a. 25 Zu den modi essendi s. u. S. 277. 26 Hex. IX,24: Sentiendum est etiam piissime, quod ilia essentia est origo omnium, creans omnes res, et quod immediate ab ipsa omnes res procedunt. Nisi tu sentias, quod totalitas rerum ab ipsa procedit; non sentis de Deo piissime.

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grund des Hervorgangs der Schöpfung; sondern es ist von ihm auch höchstens und zuhöchst wahr (verissime) zu denken, sofern Gott die Wahrheit ist, die alles leitet, erleuchtet, rechtmacht und grundlegt27. In das piissime, zunächst auf den edelsten Seinsmodus des göttlichen Wesens, dann auf den Hervorgang der Schöpfung bezogen, wird jetzt über verissime das Verhältnis von Schöpfung und Erhaltung eingetragen. Darüber hinaus aber ist von Gott höchstens und bestens zu denken. Er ist nämlich vollständig gut in sich (optimus), und dem verdankt es sich, daß er sich aufs höchste mitteilt und liebt 28 . In diesem letzten Schritt ist jetzt ausdrücklich die trinitarische Entfaltung des göttlichen Seins ins Auge gefaßt, denn die höchste Gutheit Gottes besteht darin, daß er sich vollständig mitteilt und darin als der Vater den Sohn und mit dem Sohn den Geist hervorbringt29. Überblicken wir jetzt den Weg, den die Entfaltung der Wendung: De Deo sentiendum est altissime et piissime in Hex. IX nimmt, so sehen wir Gottes Verhältnis zur Welt eingeklammert in den Bogen, der sich von der edelsten Seinsweise der essentia über Schöpfung und Erhaltung hinneigt zur Betrachtung der Trinität. Die essentia Gottes, auf edelste Weise subsistierend, streckt sich gleichsam auf ihre trinitarische Subsistenz hin, indem ihr Schöpfung und Erhaltung von Welt ein- und untergeordnet sind. Am Ende dieses Bogens aber steht nicht nur die Trinität, sondern im selben Atemzug die Entäußerung des Sohnes. „Daher 30 - unde 31 - " , sagt Bonaventura im Anschluß an 27 Hex. IX,25: Secundo sentiendum est etiam de Deo altissime et verissime, quia ipse est Veritas omnia gubernans, omnia illustrans, omnia rectificans, omnia disponens. V,376a. 28 Hex. IX,26: Tertio sentiendum est de Deo altissime et optime, quod sit optimus, ex quo se summe diffundit et diligit. 29 Hex. XI, 11: in Deo est ratio productivae diffusionis sic. Illud esse est summe bonum, ergo summe diffundit se triplici diffusione: actualissima, integerrima, ultimata sive ultimatissima. Quia actualissima semper est, semper fuit, semper erit; semper generat, semper generavit, semper generabit. H o c non potest habere creatura, quod semper sit, semper fuerit et semper futura sit: ergo necesse est, ut emanet aeternus. - Item integerrima non est haec diffusio in creatura, quia Deus non dat totum decorem exemplaritatis creaturae, immo non dat nisi generando Filium, qui dicere potest: Omnia quae habet Pater, mea sunt; hoc non dicit aliqua creatura. - Item haec diffusio est ultimata, ut det producens, quidquid potest; creatura autem reeipere non potest, quidquid Deus dare p o t e s t . . . Ergo necesse est, ut haec diffusio secundum totum posse sit in aliquo, quo maius cogitari non potest; omni autem creatura aliquid maius cogitari potest, et etiam ipsa creatura maior se cogitari potest. Sed in Filio est produetio sicut in Patre. Si ergo Patre nihil maius cogitari potest: ergo nec Filio. Si Pater etiam ultimata diffusione non se diffunderet, perfectus non esset. V,38 l b f. — Auf den an Dionys anklingenden Begriff des „bonum summe diffusivum sui" baut auch Itn. VI; V,310bf. seinen Abriß der Trinitätslehre auf. 30 Hex. IX,26: Tertio sentiendum est de Deo altissime et optime, quod sit optimus, ex quo se summe diffundit et diligit. Unde proprio Filio suo non pepercit, et donando ilium nobis dedit quidquid seivit, quidquid potuit. Omnia, inquit Filius, quaecumque habet Pater, mea sunt. Dedit autem Pater nobis Filium natum de nobis, dedit nobis passum pro nobis, resuscitatum propter nos, quia propter nimiam caritatem, qua dilexit nos etc. Unde bene dicitur: Per viscera misericordiae Dei nostri; intima Dei bonitas facit, quod summe diligat, summe misereatur. — Haec omnia apparebunt in resurrectione, quia per summam pietatem, qua omnia creavit, omnia restaurabit; per summam veritatem omnia iudicabit; per summam benignitatem omnia glorificabit. V,376a. 31 Das entscheidende „Unde" steht Rep. A; Delorme 124 nicht. Statt dessen stellt Rep. Α ein

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die W e n d u n g v o n altissime et optime, , „ h a t G o t t seinen eigenen S o h n nicht g e s c h o n t ' ( R o m . 8 , 3 2 ) , u n d da er ihn uns gab, g a b er uns alles, w a s er weiß u n d alles, was er k a n n . , A l l e s ' , spricht der S o h n (Joh. 1 6 , 1 5 ) , , w a s der V a t e r h a t , h a b e a u c h ich'. Es gab uns aber der V a t e r den S o h n ; er w u r d e v o n unserer A r t g e b o r e n ; er g a b ihn uns, für uns zu leiden, u m unseretwillen aufzuerstehen, nämlich u m der ü b e r g r o ß e n Liebe willen, mit der er uns liebt (vgl. E p h . 2 , 4 ) ; und d a h e r heißt es r i c h t i g : , D u r c h die innerste Barmherzigkeit unseres G o t t e s ' (Lk. 1 , 7 8 ) ; die innerste G ü t e G o t t e s m a c h t , d a ß er aufs h ö c h s t e liebt, aufs h ö c h s t e sich e r b a r m t . - All das wird klar zutage treten in unserer A u f e r s t e h u n g ; denn durch die h ö c h s t e F r ö m m i g k e i t , durch die er alles geschaffen hat, wird er alles e r n e u e r n ; durch die h ö c h s t e W a h r h e i t w i r d er alles richten, durch die h ö c h s t e G ü t e w i r d er alles v e r h e r r l i c h e n . " 3 2 In dem unde, mit d e m dieses Z i t a t anhebt, liegt alles G e w i c h t begründet: G o t t h a t seinen S o h n nicht geschont, weil er der h ö c h s t e und v o l l k o m m e n gute, der dreifältig subsistierende G o t t ist. Die h ö c h s t e Liebe G o t t e s -

wenn Bonaventura

s u m m e sagt, ist s u m m e gemeint — ist sein höchstes E r b a r m e n . W i r erkennen o h n e weiteres, wie das cetera a b ipso, welches in D e myst. T r i n . q . l a . 2 inhaltlich z u n ä c h s t durch die innergöttlichen E m a n a t i o n e n b e s t i m m t w a r , in der E n t ä u ß e r u n g des Sohnes u m s c h l ä g t in die relevatio, v o n der in D e myst. Kongruenzverhältnis zwischen Gottes diffusio ad intra und Gottes diffusio ad extra her, welches den festen Zusammenhang zwischen Gottes innerer und Gottes äußerer Dynamik einigermaßen lockert: Tertio, de illa summa essentia sentiendum est optime. Optime sentis, si diffusionem suam accipis, Rom. 8,32: Qui etiam proprio Filiosuononpepercit, quomodononetiam cumillo nobis omnia donavit ? Ex quo patet diffusio tanta quanta potest esse; nec esset vere summus si intus et extra non se quantum posset diffunderet, servata congruitate quantum ad exterius diffusionem. Es folgt Eph. 2,4-6. —Nebst einer gewissen Unausgewogenheit im Text von Rep. Α (wie ist das zu verstehen: Ex quo patet diffusio tanta quanta potest esse? Ist diese diffusio summe oder bloß summe ad extra?) spricht auch der Rep. Β deckungsgleiche Duktus von De myst. Trin. q.l a.2 i.e. und Brevil. 1,2 m. E. für die Lesart von Rep. B. So deutlich wie in Rep. Α notiert ist in den Parallelstellen die Trennung von ad intra und ad extra nirgends greifbar. 3 2 An dieser Stelle liegt eine außerordentlich tiefe Divergenz zwischen Rep. Α und Rep. B: Während Rep. Β die Entfaltung der Wendung sentiendum est altissime et piissime hier mit einem eschatologischen Ausblick beschließt, verweist Rep. Α auf Leiden und Auferstehung Jesu: Apparet (statt apparebunt Rep. B) hoc in incarnatione, in redemtione, in resurrectione, in ascensione. Delorme 124. Hier hat der Reportator von Rep. Α mit Sicherheit verschrieben. Denn Bonaventuras Reihe heißt incarnatio, passio, resurrectio, ascensio (vgl. Hex. VIII,6, wo Rep. Α und Rep. Β übereinstimmen). Da Rep. Α hier redemtio statt passio sagt, liegt nahe anzunehmen, daß Bonaventura sich wie in Brevil. 1,2, wo dieses Stich wort ebenfalls auftaucht, geäußert hat, also im Bogen von Perfekt (redemit) auf Futur (erit consummatio). Mag deshalb auch die Formulierung von Rep. B, in welcher einfach futurisch „apparebunt" an die Stelle des Bogens von Perfekt und Futur getreten ist, mit einem Fragezeichen versehen werden müssen, so entspricht doch im ganzen die Lesart von Rep. Β weit eher den Parallelstellen von Bonaventuras eigener Hand als Rep. A, in deren Formulierung die futurische Dimension gar nicht genannt ist. Damit ist aber die Lesart von Rep. Α eine ausgezeichnete Bestätigung dafür, daß diese Untersuchung, indem sie jener eigentümlichen, zuerst in Hex. VIII, dann in De myst. Trin. q. 1 a.2 und Brevil. 1,2 begegnenden Achsdrehung nachgeht, keinem Scheinproblem nachjagt; denn offensichtlich hat schon der Hörer Bonaventuras, der Rep. Α verfertigt hat, hier ein in seinem Verständnis unlösbares Problem gesehen, das er auf seine Weise zu glätten sucht.

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Trin. q.l a.2 unter piissime die Rede war. Die höchste Selbstmitteilung und Selbstliebe Gottes, mit der er sich selber liebt, in welcher seine Dreiheit zum Ausweis seiner Güte wird, ist unmittelbar die Liebe, mit der er sich des Elenden annimmt. Indem unter der pietas Gottes Gott als der Ursprung von allem, der Schöpfung wie der göttlichen Personen 33 , erscheint, ist Gottes Weltverhältnis als Verhältnis von creatio und restauratio der Dreiheit Gottes unlöslich verknüpft. Die essentia des höchsten Gottes, welche in der Aufschlüsselung des piissime nach Frömmigkeit, Wahrheit und Güte stets präsent ist, befindet sich von daher in einer dynamischen Selbstbewegung dergestalt, daß ihre dreifältige Subsistenz nicht jenseits des Verhältnisses von creatio und restauratio, von iudicium und glorificatio anzusiedeln ist. Eingespannt in die trinitarische Subsistenz der göttlichen essentia — und das ist der Scheitelpunkt dieser Überlegung —, ist das Verhältnis von cratio und restauratio ein Verhältnis, welches die Entäußerung des Sohnes zum Schnittpunkt hat. Und hier haben wir nun den ersten Hinweis darauf, warum das Verhältnis von altitudo und pietas, oder, mit Hex. VIII zu sprechen, von Deus aeternus und Deus humanatus jener eigenartigen Drehung unterliegt: Indem die göttliche essentia diese trinitarisch subsistierende essentia ist, gleichsam einklammernd das Verhältnis von creatio und restauratio, von productio und reductio, erscheint der Deus trinus nicht nur als der, der die Welt heimholt, sondern überhaupt nur, indem Welt eingebettet ist in das Selbstverhältnis Gottes, eingebettet nicht nur als geschaffene, sondern auch als heimzuholende, und indem darin der dreieine Gott der ist, der in seiner Selbstentäußerung Welt heimholt, kann Welt, wie das Breviloquium (1,2) sagt, den dreieinen Gott im Verein mit der Schrift bezeugen. Daß also Welt oder die Kreatur die Höhe Gottes laut bezeugt, liegt daran, daß sie als Werk des auf Entäußerung hingespannten Deus trinus immer schon Welt ist auf Heimholung hin, immer schon Welt, die in ihrem Geschaffensein nicht am Ende ist, sondern in ihrem Schöpfer schon heimgeholt ist. Und insofern ist die schaffende Trinität 34 in der Jem göttlichen Sein innewohnenden Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus immer schon die Heimat und das Ziel von Welt. Und wiederum: Indem das Verhältnis von Schöpfung und Heimholung von Welt in der Mitte der Beziehungen steht, in denen das Wesen Gottes sich dreipersönlich entfaltet, muß sich angesichts der Inkarnation das in und mit Gott gesetzte Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus, von sublimitas und profunditas, von altitudo und pietas Dei umkehren. Welt verweist auf den Deus trinus Creator und hat den Deus trinus Relevator zu Ziel und Heimat, sofern Gott in Welt hinein sich entäußert. Und darum ist die Defizienz der Welt immer schon die Bezeugung des trinitarischen Gottes. Sie ist diese Bezeugung des trinitarischen Gottes aber nicht aus sich, sondern sie ist es, sofern Gott sich im Inkarnierten selber als den Deus reducens bezeugt. Indem Gott aus dem Nichts die Welt erschafft, bezeugt er sich in ihrer Heimholung 33 34

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Vgl. auch Hex. XI,6; V,381a. Vgl. Brevil. 11,12; V,230ab.

als den trinitarischen Gott. Die Erhebung der Trinitätslehre aus dem Spiegel der Welt, wie sie etwa Hex. XI,13 ff. unternimmt, ist deshalb überhaupt nur möglich, weil die Defizienz der Welt in Gott behoben ist. Sie ist behoben, weil der dreifältig subsistierende Gott in seiner Selbstliebe als sich entäußernder Gott das Elende anblickt und heimholt. Das Amt des Wortes, da Gott es in seiner Selbstliebe zeugt, ist in der Klammer, in welcher Trinitas Welt umgreift, wesenhaft die Heimführung der Kreatur 35 . Gottes unüberbietbare Selbstmitteilung und der Akt, in welchem das Wort uns heimholt, sind so letztlich nichts als zwei verschiedene Hinsichten des einen vollkommenen Gottes. Prägnant hat Bonaventura diesen Sachverhalt in der Frage nach der Bezeugung der Trinität ausgesprochen. Die Trinität hat ein dreifaches Zeugnis, durch welches wir an sie zu glauben an die Hand genommen, ihr verbunden und zu ihr erhoben werden. Dieses dreifache Zeugnis stellt sich dar in einem dreifachen Buch: im Buch der Kreatur, im Buch der Schrift, im Buch des Lebens. Das erste Buch gibt ein wirksames Zeugnis, das zweite ein wirksameres, das dritte das wirksamste Zeugnis 36 . Alle drei Bücher bezeugen die Trinität. Das erste bezeugt die Trinität nach Spur und Bild Gottes 37 ; das zweite bezieht sich nach Altem Testament und Neuem Testament implizit und explizit auf die Trinität 38 ; das dritte Zeugnis schließlich ist das Buch des Lebens. Es ist gegeben, weil (mit Rom. 10,16) nicht alle dem Evangelium Gehorsam leisten, und weil die Wahrheit der Trinität über die Vernunft geht 39 . Gemäß dem ersten Buch, dem der Kreatur, an die Trinität zu glauben, ist angemessen. Dieser Angemessenheit Folge leistend, werden wir an die Hand genommen. Gemäß dem zweiten Buch zu glauben, ist eine Schuldigkeit; in ihm werden wir dem Trinitätsglauben verbunden (astringimur). Gemäß dem dritten Buch an die Trinität zu glauben, verlangt die Würde Gottes. In dem auf Gottes Würde bezogenen Glauben werden wir erhoben (levamur)40. 35

Hex. 1,17; V,332a. De myst. Trin. q.l a.2 i.e.: Dicendum, quod Deum esse trinum est verum credibile tanquam congruum et debitum et dignum credi. Ad cuius intelligentiam notandum, quod cum illud verum credibile sit fundamentum totius fidei christianae, ad hoc, ut illud fundamentum maneat inconcussum, triplex habet testimonium, per quod ad istud credendum manudueimur, astringimur et levamur. Hoc autem triplex textimonium attenditur secundum triplicem librum, qui est liber creaturae, liber Scripturae et liber vitae. Primus liber dat testimonium efficax, secundus dat testimonium efficacius, tertio vero efficacissimum. V,54b. — Es ist zu beachten, daß zwischen den drei Büchern, zumindest von der Sprache her gesehen, auf der gemeinsamen qualitativen Basis der efficacia ein lediglich quantitatives Gefalle besteht. 36

37 Ebd.: liber creaturae . . . dat testimonium duplex . . . Omnis enim creatura vel est ad Dei vestigum tantum, sicut est natura corporalis, vel est ad Dei imaginem, sicut est creatura intellectualis. V,54b. 38 Ebd.: Hic autem liber (Scripturae) testaturdupliciter, Trinitatem esse, secundum duplicem sui partem: in veteri qui dem testamento testatur implicite, sed in novo testamento testatur explicite. V,55a. 39 Ebd.: Sed quia ,ηοη omnes obediunt Evangelio', et verum illud supra rationem est; ideo providit divina sapientia aetemum testimonium, quod quidem est liber vitae. V,55b. 40 S. o. Anm. 36 und ebd. V,56a (Corollarium).

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Im Grunde genommen bildet das dreifache Zeugnis der Trinität wieder eine kreiselnde Bewegung, indem es, ausgehend von der Trinität, diese selbe Trinität als ein Zeugnis im Verhältnis von Angemessenheit, Schuldigkeit und Würdigkeit bezeugt. Und jetzt die Frage: Wodurch wird jene Aufstiegsbewegung von manuduci, astringj und levari (denn um eine solche handelt es sich) überhaupt in Gang gesetzt? Bonaventura stellt diese Frage als Frage nach dem movens des Glaubens. „So frage ich denn41: Was bewegt eigentlich den Christen, an die Trinität zu glauben? Wenn du sagst: die Schrift, so wäre zu folgern: lehrte es die Schrift nicht, glaubtest du nicht; da muß man gegenhalten: Sollte auch die ganze Schrift verbrennen, so wiche doch die Kirche und mit ihr die christliche Seele nicht vom Glauben an die Trinität. Also liegt nicht auf seiten der Schrift der Beweggrund unserer Gläubigkeit. - Und wenn du sagst: die Wunder, so spricht dagegen: Wunderglauben ist eher erzwungen als gewollt. Ein solcher Glaube wäre nicht verdienstlich. - Und sagst du: die Gnade, so weiß doch niemand, ob er die Gnade habe, weiß also auch niemand, ob er jene Wahrheit glauben solle. Wir sind aber unseres Glaubens gewiß. Also ist nicht die Gnade der Beweggrund des Glaubens. Sagst du nun, die ewige Wahrheit selber führe zum Glauben, so führt doch nur die Wahrheit zum Glauben, die man sieht: Also, da die Seele diese Wahrheit nicht sieht, scheint es, daß sie von woanders her als von der ewigen Wahrheit selbst zum Glauben gebracht werde. Es ist also die Frage: Wenn das Dreisein Gottes wirklich glaubbar wahr ist, wodurch werden wir veranlaßt, an Gottes Trinität zu glauben, und wodurch werden wir ihr verbunden, so daß wir an sie glauben?" Diese letzte Frage, die questio incidens, birgt den Schlüssel für unser Problem. Vergleichen wir sie mit dem corpus des Artikels, so fällt auf, daß in ihr nur zwei Akte genannt sind, die auf den Glauben zielen, nämlich bewegt werden (moveri) und verbunden werden (astringi), während das corpus drei Akte nennt, nämlich an der Hand geführt werden (manuduci), verbunden werden (astringi) und erhoben werden (levari). Die Würde, der gemäß wir zum credibile credendum, zu Gottes Trinität erhoben werden und der das Buch des Lebens entspricht, ist in der Frage nicht erwähnt. An41

De myst. Trin. q. 1 a.2 opp. 13: Item, quaero, quid moveat Christianum ad credendum illud verum ? Si tu dicas, quodmovette divina Scriptura: ergosi divina Scriptura hoc non doceret, hoc tu non crederes; sed contra: esto quod tota Scriptura esset combusta, adhuc a fide Trinitatis non recederet Ecclesia nec anima christiana: ergo ex parte Scripturae non residet principalis ratio movens nos ad istam credulitatem. — Item, si tu dicas, quod miracula; contra: Fides non habet meritum, cui humana ratio praebet experimentum; et talis fides, quae est ex miraculis, potius est extorta quam voluntaria: ergo huiusmodi credulitas non esset meritoria. - S i dicas, quod gratia; contra: nemo seit, utrum habeat gratiam, ergo nemo seit, utrum illud verum credere debeat; sed de credibili, ad quod credendum astringimur, certi sumus, quod debemus illud credere: ergo ad hoc credendum non movemur ratione gratiae. — Si dicas, quod ad hoc credendum moveat ipsa Veritas aeterna;sed contra: Veritas ad nihil credendum movet, nisi quia est Veritas visa: ergo cum haec Veritas non sit visa ab anima, videtur, quod aliunde moveatur ad credendum quam ab ipsa veritate aeterna. Est ergo quaestio: si illud est verum credibile, per quid movemur ad istud credendum, et per quid astringimur, ut illud credamus? V,54ab.

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derseits kann man aus dem Gebrauch von astringi, welches im corpus eindeutig auf das Zeugnis der Schrift bezogen ist, ersehen, daß Bonaventuras quaestio incidens ebensogut lauten könnte: Was ist der Grund dafür, daß die Schrift die Trinität bezeugt? Und wenn hinter dem astringi der quaestio incidens die Frage nach dem Zeugnis der Schrift steht, so steht der Sache nach hinter dem ersten Glied dieser quaestio offenbar das manuduci aus dem corpus articuli, also die Frage, warum und inwiefern die Kreatur die Trinität bezeuge. Und wenn diese Vermutung richtig ist, so ist sachlich in dem „per quid" der quaestio incidens, jener zusammenfassenden Frage nach dem Grund des Glaubens also, der dritte Schritt der Aufstiegsstrecke enthalten, welche das corpus ausführt. Dieser dritte Schritt heißt levari, erhoben werden. Er geschieht gemäß der Würde Gottes, die sich im wirksamsten Zeugnis der Trinität, im Buch des Lebens, ausspricht. Und so müßte die Antwort auf die quaestio incidens: „Wodurch werden wir zum Glauben bewegt und wodurch dahineingebunden" (die wir paraphrasieren wollen mit der Frage: Wodurch ist die Schöpfung ein wirksames, an den Trinitätsglauben bindendes Zeugnis), diese Antwort also müßte lauten: Wir werden durch das Zeugnis der Kreatur an der Hand genommen und durch das Zeugnis der Schrift dem Trinitätsglauben verbunden durch das wirksamste, das ewige Zeugnis: durch das Buch des Lebens, das uns erhebt. Und so heißt denn auch Bonaventuras Antwort: „Fragt man 42 also, was zu jenem Glauben bewege, die Schrift oder Wunder oder die ewige Wahrheit selbst?, so heißt die Antwort: Hauptsächlich bewegt dazu die Erleuchtung selbst, welche einsetzt mit dem natürlich eingegebenen Licht und sich vollendet im eingegossenen Licht. Die Erleuchtung selber macht, daß wir nicht nur hoch, sondern auch fromm über Gott denken; und dies, weil die Erleuchtung ausgeht vom ewigen Licht seiter. In dessen Gehorsam nimmt sie unseren Verstand, und darin unterwirft sie ihn Gott, achtet seiner in Ehre und Ehrfurcht und macht den Verstand fähig zu glauben, was sich auf Ehre Gottes und Gottesdienst bezieht, auch wenn es über unseren Verstand geht." Mit dieser Antwort ist die illuminatio a lumine aeterno procedens das „per quid" oder auch der innerste Grund des Glaubens. Die illuminatio aber, welche einsetzt mit dem natürlich eingegebenen Licht, und deren Vollendung das eingegossene Licht ist, ist letztlich nichts anderes als der liber vitae selber. Denn „das Buch des Lebens43 gibt 42

Ebd. i.e. (solutio quaestionis incidentis): Si ergo quaeritur: quid movet ad illud credendum, utrum videlicet Scriptura, vel miracula, vel gratia, sive ipsa Veritas aeterna? dicendum, quod principaliter movens ad hoc est ipsa illuminatio, quae inchoatur in lumine indito et consummatur in lumine infuso, quae quidem facit nos non solum alte, verum etiam pie sentire de Deo;· et hoc, quia illuminatio procedit ab ipso lumine aeterno, in cuius obsequium nostrum captivat intellectum, et captivando, dum ipsum subiieit Deo, colit et veneratur et reddit habilem ad credendum quaecumque ad divinam honorem et cultum spectant, etsi sunt supra rationem nostram. V,56b. 43 Ebd.: Hic autem liber vitae per se et in se explicite et expresse testimonium dat irrefragabile Trinitati aeternae his qui revelata facie in patria Deum vident, in via autem testimonium secundum influentiam lucis, cuius capax est anima in statu viae; ut enim dicitur Ioannis primo: ,Vita erat lux hominum', quia liber iste vitae est ,lux vera, quae illuminat omnen hominem venientem 11

Fischer, De Deo trino

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durch sich und in sich selbst (per se et in se) ausdrücklich und nachdrücklich ein unverbrüchliches Zeugnis der Trinität denen, die enthüllten Angesichts in der Heimat Gott schauen, denen unterwegs aber gibt es Zeugnis nach Maßgabe der Lichtinfluenz, deren die Seele im Pilgerstande fähig ist; davon spricht Johannes (Joh. 1,4.9): ,Das Leben war das Licht der Menschen', denn dieses Buch des Lebens ist ,das wahre Licht, welches jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt'. Es erleuchtet aber zweifach, nämlich durch das eingegebene Licht und durch das eingegossene Licht. Aus dem Zusammenkommen beider erwächst der Habitus des Glaubens als das entscheidende Argument dafür, an Gottes Dreisein zu glauben und folglich an jedes Wahre, das mit dem Gottesdienst der christlichen Religion in Beziehung steht." Das, was Bonaventura in seiner Antwort auf die quaestio incidens die Erleuchtung nennt, erscheint in diesem Zitat als das wahre Licht, welches erleuchtet. Dieses wahre Licht, welches erleuchtet, ist im Buch des Lebens identisch: Liber iste vitae est lux vera, quae illuminat. Die Erleuchtung, welche erleuchtet, das wahre Licht, welches erleuchtet, und das Buch des Lebens als das wirksamste Zeugnis der Trinität fallen zusammen. Der von ihm ausgehenden Influenz verdankt sich das sentire alte et pie de Deo. Nun mag man sich zurückerinnern: Sentire piissime ist De myst. Trin. q. 1 a.2 zunächst begründet mit quia cetera ab ipso, mit der unüberbietbaren Selbstmitteilung Gottes, und als deren Präzisierung, ihr innerlich verknüpft, fanden wir die Hinsicht, in welcher Gott das Niedere anblickt und das Elende erhebt (relevat). Der Akt des levare aber ist der, der der Würde Gottes angemessen ist, in welcher wir ad istud credendum, nämlich zum credibile, zur Trinität, erhoben werden. Damit ist für den liber vitae illuminans eine ganz bestimmte Aussage getroffen: Er ist die Frömmigkeit Gottes, in der Gott nach Maßgabe seiner Würde das Elende erhebt und heimführt 44 . Von hier aus ist der Weg nicht weit zu der Einsicht, daß das erleuchtende Buch des Lebens Gott in der Hinspannung auf seine Entäußerung selber ist 4 5 : „Denn 4 6 in hunc mundum'. Illuminat autem dupliciter, scilicet per lumen inditum et per lumen infusum, ex quorum luminum concursu habitus fidei tanquam argumentum elicitur ad credendum, Deum esse trinum, et consequenter omne verum, quod pertinet ad christianae religionis cultum. V,55b. 4 4 Entsprechend ordnet Bonaventura an anderer Stelle den liber vitae der sapientia Dei zu. V o n ihr heißt es Brevil. 1,8: Sapientia . . . non tantum est cognoscitiva, sed etiam ratio cognosc e n d i . . . in quantum vero est ratio cognoscendi praedestinata et reprobata, dicitur liber vitae. Est igitur liber vitae respectu rerum, ut redeuntium. V , 2 1 6 b . 4 5 Das führt zu der Gleichsetzung von liber vitae und Jesus Christus (vgl. auch Mercker 82ff.). Bonaventura spricht sie eindeutig aus in Lignum vitae 4 6 : sapientia scripta est in Christo Iesu tanquam in libro vitae, in q u o omnes thesauros sapientiae et scientiae recondidit Deus Pater. VIII,84b (den Hinweis auf diese Stelle habe ich Mercker 87 entnommen). Z u m Buchbegriff bei Bonaventura im ganzen vgl. die ausführliche Darstellung von Rauch, in welcher 2 3 9 ff. „ d a s Buch des L e b e n s " analysiert ist. - Z u einer anderen Sicht des liber vitae an dieser Stelle kommt Forster. Ihm ist der liber vitae angesichts des von ihm ausgehenden zweifältigen Lichts (s. o. S. 142 Anm. 3) „ d a s innere Buch der der Seele von N a t u r gegebenen oder gnadenhaft verliehenen regulae des Erkennens" (ebd. 4 0 8 ) . Dabei ist allerdings zu fragen: Wer oder was sind diese „regul a e " ; oder besser würde im Singular gefragt: Wer oder was ist die „ r e g u l a " des Erkennens ? Hätte

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bist du der in der Betrachtung der Eigenheiten der göttlichen Personen versunkene Cherub und wunderst dich, daß die höchste Selbstmitteilungsfähigkeit zugleich besteht mit subsistierender Eigenheit... so schau auf das Propitiatorium und bewundere, daß in Christus die Einheit der Person zugleich steht mit der Dreiheit der Substanzen und Zweiheit der N a t u r e n . . . In dieser Betrachtung aber liegt die vollkommene Erleuchtung unseres Gemüts; denn da sieht es gleichsam den am sechsten Tage zum Bilde Gottes geschaffenen Menschen... Solange unser Gemüt in der Beschauung Christi, des Sohnes Gottes versunken i s t . . . und in ihm sieht zugleich in Einem das Erste und das Letzte, das Höchste und das Niederste, den Umfang und das Zentrum, alpha und omega, Begründetes und Grund, den Schöpfer und das Geschöpf, das innen und außen geschriebene Buch; so ist es schon zu einer bestimmten Vollkommenheit gelangt." Nicht von ungefähr erscheint auch hier die Buchrede, und nicht von ungefähr liegt in der Betrachtung des Propitiatoriums bzw. des Crucifixus 47 die vollkommene Erleuchtung. Der liber vitae illuminans, von dem Bonaventura in De myst. Trin. q.l a.2 spricht, ist sachlich nicht geschieden von dem Propitiatorium, auf das Itn. VI sich bezieht. Ihm obliegt die levatio als Erleuchtung der Menschen. Damit aber ist Bonaventuras Frage, wodurch wir zum Glauben an die Trinität gelangen, beantwortet. Wir gelangen zum Glauben an die Trinität durch das Buch des Lebens, dessen Hauptamt die levatio, die Erhebung und Heimführung des Elenden ist 48 . Wir gelangen zum Glauben an die Trinität durch Gott, da er als der trinitarische in sich hingespannt ist auf seine Entäußerung. Im Buch des Lebens erst sind Kreatur und Schrift wirksame Zeugnisse Gottes. Und damit sind wir wieder auf den Grund verwiesen, warum sich in der Rede von altitudo und pietas Gottes jene eigenartige Achsdrehung vollzieht: Indem die Trinität sich im Buch des Lebens selber bezeugt, bezeugt sie sich in Schöpfung und Schrift. In das Selbstzeugnis der Trinität ist Welt einbegriffen, einbegriffen in der Weise, daß sie im Selbstzeugnis Gottes immer schon heimgeholte, ihrer Defizienz enthobene Welt ist. Damit gehört das Selbstzeugnis Gottes nicht auf die Seite der Welt, sondern ist ein Akt Gottes, in welchem Gottes Dreiheit sich als den Forster diese Frage gestellt, so wäre er vermutlich zu einem der hier vorgelegten These deckungsgleichen Ergebnis gelangt. 46 Itn. VI,6f.: Si autem alter Cherub es personarum propria contemplando, et miraris, communicabilitatem esse cum proprietate . . . , respice ad propitiatorium et mirare, quia in Christo stat personalis unio cum trinitate substantiarum et naturarum dualitate . . . In hac autem consideratione est perfectio illuminationis mentis, dum quasi in sexta die videt hominem factum ad imaginem Dei. Si enim imago est similitudo expressiva, dum mens nostra contemplatur in Christo Filio Dei, qui est imago Dei invisibilis per naturam, humanitatem nostram tarn mirabiliter exaltatam, tam ineffabiliter unitam, videndo simul in unum primum et ultimum, summum et imum, circumferentiam et centrum, alpha et omega, causatum et causam, Creatorem et creaturam, librum scilicet scriptum intus et extra; iam pervenit ad quandam rem perfectam, ut cum Deo ad perfectionem suarum illuminationum in sexto gradu quasi in secta die perveniat. V,311bf. 47 48

11·

Itn. Prol. 3; V,295b. Vgl. Hex. 1,17; V,332a; IV Sent, d.43 a.2 q.2 i.e.; IV,898ab.

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Gegenstand des Zeugnisses nach vorn hin streckt49. Gott der Schöpfer, indem er Welt auf Erhebung und Heimführung hin hervorbringt, ist der trinitarische Gott.

b) Exkurs: Prov. 8,22-25

- Das argumentum

oppositum

Ich sehe im Kontext des Hexamerons vor allem eine Stelle, die der hier vorgelegten These vom dichten Zusammenhang zwischen Inkarnation und Schöpfung einerseits und Trinität und Schöpfung anderseits zu widersprechen scheint. Die Stelle (Hex. XI, 17 - sie wird gleich zitiert werden; s. o. S. 132 Anm. 189) steht im Zusammenhang der Erhellung der Trinität im Spiegel der Welt. Hex. XI, 13: Omnis autem creatura clamat generationem aeternam, et hanc exprimunt et repraesentant duodecim generationes, quas reperimus in creaturis. Est enim primus modus generationis per diffusionem, secundus per 49

Bonaventura handelt vom liber vitae IV Sent, d.43 a.2 q.l, nachdem er ebd. a.l De resurrectione gehandelt und diesen Artikel a.l q.6 mit der conclusio beschlossen hat: Resurrectio et vox Christi aliquo modo sunt causa tum exemplaris tum Instrumentalis resurrectionis nostrae. IV,895a. Er folgert auf die Frage, was der liber vitae sei, ebd. a.2 q.l concl.: Liber vitae diciter Dei notitia et vis secundum duplicem eius proprietatem; und er führt das ebd. i.e. so durch: Dicendum, quod libri duplex est proprietas: una in se, scilicet scientiae retentio in simultate et uniformitate; et ratione huius proprietatis nomen libri transfertur ad Dei notitiam. Alia proprietas est ad nos, quia per librum est in nobis oblitorum recordatio; et ratione huius transfertur ad vim illam, per quam fit recordatio praeteritorum. Humanitas autem sive visio eius non dicitur liber; et quod dicit Gregorius et Glossa (welch beide den liber vitae auf die humanitas Christi beziehen; ebd. 3. et 4. argumentum pro parte prima; IV,896ab)intelligitur per quandam concomitantiam. IV,897ab. Diese Überlegung deckt den Befund von De myst. Trin. q.l a.2 insoweit, als Gott, da er der liber vitae heißt, Buch ist in sich (und darin alles erkennend und wissend), Buch ist aber in sich, sofern er als dieses Buch in einer Beziehung ad nos steht. Darauf kommt es an. Denn in dieser Doppelbeziehung, in der er in seiner umfassenden Selbsterkenntnis und in seiner vis ad nos liber vitae ist, ist Gott in sich der Grund des Lebens; ebd. ad 3: dicendum, quod liber et vis Dei causa vitae in se est. Auf diese Weise erscheint die Beziehung der vis Dei ad nos nicht nur als Voraussetzung dafür, daß der Begriff des liber vitae auf Gott in Anwendung kommt, sondern zugleich als Konstituens dessen, daß Gott in sich der Grund des Lebens ist; Grund aber nun nicht nur als causa efficiens, sondern wesentlich als causa exemplaris und reficiens; ebd.: dicendum, quod non dicitur liber vitae, quia det vitam; sed notitia Dei dicitur liber vitae, quia omnia ibi sunt vita; similiter, vis ilia liber dicitur, quia recolit; sed vita dicitur, quia hoc non facit per creaturae defectibilitatem et fallibilitatem, sed secundum divinae notitiae viväm veritatem. IV,897. Und so ist klar, daß nicht die humanitas Gott als dem liber vitae konstitutiv ist, sondern Gott in seiner (seiner notitia im Wort, d. h. seiner Trinitas; vgl. Hex. 111,4; V,343b, korrespondierenden) Hinspannung ad humanitatem, Gott in der Hinspannung auf seine Entäußerung hin, welcher die humanitas - in ihrer Defektibilität nicht das Mittel, sondern der Gegenstand von recolere — „concomitans" ist, begleitend anhangend, und welche humanitas alsdann Leser des Buches ist: Mensch kraft des Crucifixus in der Erkenntnis des trinitarischen Gottes. Denn wer oder was die causa reficiens oder der liber recolens sei, als welcher Gott der Grund des Lebens in sich ist, ist Hex. X,8 präzise gesagt: Si autem claritas veritatis consideratur ut reficiens, similiter tripliciter claritas refulget in anima: aut quantum ad humanae et angelicae reparationis prineipium, vel quantum ad pretium, vel quantum ad effectum. Primo est speculari Deum carni unitum, quod est credibile et intelligibile; si ut pretium, sie cruci affixum; si ut effectus, sie Deus mediana est animae. Ergo est prineipium nostrae creationis, reparationis, praemiationis. V,378a.

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expressionem, tertius per propagationem (V,382a). Über den zweiten der genannten modi, den modus generationis per expressionem, stellt Bonaventura ebd. XI, 16 folgendes fest: Secundus modus est per modum expressionis: ut speciei ab obiecto, ut imaginis a sigillo, ut sermonis a loquente, ut conceptus sive cogitatus a mente. Im Bereich der Kreatur mangelt dem ersten Ausdrucksmodus die Wahrheit, dem zweiten die Einfachheit (simplicitas), dem dritten die Festigkeit (stabilitas), dem vierten die wesenhafte Subsistenz (substantialitas). Bonaventura fährt fort: Auferas hos defectus et pone expressionem, quae sit ut speciei ab obiecto habentis veritatem, ut imaginis a sigillo habentis simplicitatem, ut sermonis a loquente habentis stabilitatem, ut conceptus a mente habentis substantialitatem: et tunc habebis alteram partem speculi. Jedem dieser modi expressionis unterlegt Bonaventura ein Schriftwort. Für den vierten, die substantialitas conceptus, bringt er XI,17 Prov. 8,24: Quarto pone substantialitatem. Conceptus enim mentis aeternae est hypostasis, et iste conceptus mentis est nobilissimus, perfectissimus. Unde in Proverbiis: ,Nondum erant abyssi, et ego iam concepta eram.' (V,382b das Zitat steht im selben Zusammenhang auch in Rep. A, Delorme 139). Dieses Zitat ist insofern ein gewichtiges Argument gegen die hier vorgetragene Bonaventura-Deutung, als die Subsistenz der zweiten Hypostase hinsichtlich ihrer substantialitas offenbar unabhängig von der Erstreckung Gottes auf den Abyssos hin, also unabhängig von der ansatzweisen Selbstentäußerung des göttlichen Seins gefaßt ist. Es stellt sich die Frage, ob eine BonaventuraDeutung nicht von hier aus ihren Ansatz gewinnen müßte. Die Interpretationsergebnisse sähen dann gewiß entsprechend anders aus. Im Rekurs auf die Kontingenz der Schöpfung nähme das Gott-Welt-Verhältnis und damit auch der Gottesbegriff selber eine völlig andere Gestalt an, sofern Gottes sich trinitarisch entfaltende essentia nicht mehr in sich als in einem bestimmten Weltverhältnis stehend zu bestimmen wäre, sondern in ihrer absoluten Transzendenz: In sich zunächst und dann erst in ihrem auf Gottes Liebe zu seiner Schöpfung beruhenden Weltverhältnis. Daß dies eine der bisher in dieser Untersuchung vorgelegten Interpretation diametral entgegengesetzte, sozusagen thomistische Bonaventura-Deutung wäre, liegt auf der Hand. Insofern ist die Verwendung dieses Schriftzitats in seinem Argumentationscharakter äußerst ernst zu nehmen. Welches Gewicht ihm beigemessen werden muß, ergibt sich am ehesten aus einer Durchsicht derjenigen Stellen, in denen Bonaventura dieses Schriftzitat (und die im Kontext aussagekonformen Verse, also die erste Hälfte der Perikope Prov. 8,22-31 - ich setze den Einschnitt nach Vs. 26, der bei Bonaventura nirgends zitiert ist) verwendet und deutet. Das ist außerhalb des Hexamerons insgesamt sechsmal der Fall 50 . Die wichtigste der in Frage kommenden Stellen findet sich in De ann. B. Virg. Mariae, S. II, p. 2 (IX,664a). Der erste Teil dieser Predigt (zu Jes. 7,14: Ecce virgo concipiet) 5 0 Sermo de Trin.; IX,355a; De ann. B. Virg. Mariae, Sermo II; IX,664a; I Sent, prooem.; 1,5a; I Sent, d.2 dub.7; I,61b; De red. art. 16; V,323b; Comm. in Joh. 1,2, cap. 1,5; VI,247a.

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handelt von der Angemessenheit der Jungfräulichkeit, der zweite Teil von ihrer Fruchtbarkeit. Bonaventura teilt die Fruchtbarkeit in zwei Aspekte: den der Wunderbarkeit (admirabilitas) in Hinsicht der Jungfräulichkeit; den der Unvergleichlichkeit (incomparabilitas) in bezug auf den Nutzen, den wir davon haben. Den ersten Aspekt führt Bonaventura aus zuerst im Hinblick auf die Wunderbarkeit der Empfangenden: simul virgo et concipiens (IX,663b); dann im Hinblick auf den Empfangenen: Secundo fuit admirabilis (sc. fecunditas virginitatis) propter Concept! aeternitatem; Conceptus enim erat Deus, Dei Filius et Sapientia, quae de se dicit Proverbiorum octavo (Prov. 8,23f.): ,Ab aeterno ordinata sum et ex antiquis, antequam terra fieret. Nondum erant abyssi, et ego iam concepta eram.' (IX,664a). Ebenso wie in Hex. XI, 17 und allen anderen Stellen ist dieses Schriftzitat auf die innergöttliche Zeugung des Wortes gedeutet. Im Anschluß daran faßt Bonaventura das Problem ins Auge: Si ab aeterno fuit concepta, quomodo concipi potuit in fine saeculorum a Virgine Maria? Si enim aeterna erat, ergo immutabilis, ergo incomprehensibilis, ergo interminabilis. Quomodo ergo Interminabilis concipi potuit a iuvencula? Quomodo Incomprehensibilis a parvula? Quomodo Immutabilis a fragili et tenella? Damit stellt Bonaventura die christologische Frage: Wie ist es zu verstehen, daß Gott Mensch geworden ist? Aufschlußreich ist jetzt die Antwort: Et tarnen talem et tantum concepit, secundum testimonium angelicum; Lucaeprimo (1,3Iff.) inquit Angelus ad Virginem: ,Ecce, concipies in utero et paries Filium' etc.; et post describit eum: ,Hic erit magnus', scilicet incomprehensione; ,et Filius Altissimi vocabitur', suae essentiae immutabilitate;, et regni eius non erit finis', sua interminabilitate. Unde in hoc conceptu est divina Maiestas mirabiliter humiliata, et virginalis humilitas mirabiliter exaltata (alle Zitate IX,664a). Das Interessante an Bonaventuras Lösung liegt in den Schriftzitaten, mit denen er die christologische Frage erläutert. Jedem Zitat ordnet er eine Eigenschaft des göttlichen Wesens zu, und auf diese Weise ist in der Beschreibung, die der Engel für den Sohn Marias abgibt, Gottes incomprehensibilitas seiner Größe, Gottes immutabilitas der Aus- und Anrufung des Sohnes des Höchsten und seine interminabilitas seiner endlosen Herrschaft zugeordnet, so daß das jeweilige Schriftzitat als Interpretament der zugeordneten Eigenschaft Gottes verstanden werden muß. Und darin nun gewinnen, sofern die christologischen Aussagen, in Wesenseigenschaften Gottes sich begründend, alle in futurischen Verbformen ausgesagt sind, die Eigenschaften Gottes selber eine tiefgreifende Dynamik, die vor allem dort sichtbar wird, wo sich in der essentia immutabilis Dei die vocatio Filii Altissimi begründet. Darin liegt in der Tat eine Eigentümlichkeit: Wenn die essentia immutabilis Dei begründet, daß man den Sohn Marias den Sohn des Höchsten nennen wird, so liegt in dieser essentia nicht nur der Grund für den innergöttlichen Selbststand der zweiten Person, sondern vor allem der Grund für seine Anrufung und Benennung. Greift man von hier aus zurück auf die grundsätzliche Erkennbarkeit des göttlichen Seins, so zeigt sich der Zusammenhang: Die essentia immutabilis Dei als essentia des seins166

haft erkennbaren Gottes subsistiert in der zweiten innergöttlichen Hypostase auf die Anrufung des Sohnes und das heißt der Sache nach: auf die Entäußerung des Sohnes hin. Damit ist auf dem Wege dieser Schriftzitate einmal mehr in das Wesen Gottes die Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus eingetragen. Die Aussage: „Empfangen war ich, ehe denn die Abgründe waren", gehört in diesen Zusammenhang. Sie reflektiert nicht Gottes Für-sichSein, sondern ist ausgesagt in bezug auf die substantialitas der zweiten Hypostase, sofern der Deus trinus in der Hinspannung auf seine Entäußerung hin Welt immer schon überwunden hat. Insofern wird diese Aussage nicht zum Prinzip der Gotteslehre, sondern gehört in den Zusammenhang, in welchem das erkennbare Sein Gottes in trinitarischer Subsistenz in einer Beziehung zum Nichts nicht steht. Die Aussage: „Ehe die Abgründe waren, bin ich empfangen worden" ist daher für Bonaventura überhaupt nur verständlich und sinnvoll in dieser Sicht. Gerade darin, daß Gott der Deus trinus ist in Schöpfung und Erlösung von Welt, ist die substantialitas der zweiten Hypostase dem Bestand der abyssi vor- und übergeordnet. Ähnlich verfährt I Sent, prooem.: Das Ziel der Theologie 51 ist die Enthüllung von Viererlei, das verborgen ist. Zunächst ist verborgen die Größe der göttlichen Substanz, die sich aussagen läßt mit dem Wort Jes. 45,15: ,In der Tat bist du verborgen, Gott, du Erretter Israels.' Zum zweiten ist verborgen die Ordnung der göttlichen Weisheit. Vere abscondita, quia, sicut dicitur ibidem (sc. Hiob 28,18) ,sapientia trahitur de occultis'; ita, ut cognoscatur, indiget perscrutatione profunditatis non in se, sed in operibus, in quibus ipsa relucet (I,5a). Von der Sapientia also, die eine Bestimmung des Wesens Gottes ist, sofern alle Eigenschaften Gottes mit Augustin auf sie zurückzuführen sind (Brevil. 1,2; V,211b, Hex. XI,4; V,380b), heißt es, sie bedürfe zu ihrer Erkenntnis der Erforschung der Tiefe ihrer Werke. Bonaventura begründet diese Feststellung (ebd.) mit dem Satz: Nam viso ordine bonorum et malorum, patet nobis, quomodo ab aeterno sapientia Dei ,odinata' est ,et ex antiquis, antequam terra fieret' (Prov. 8,23). Das heißt: In der Ordnung der Schöpfung, und wir können inzwischen sagen, in ihrer Hinordnung auf Heimholung hin, werden Aussagen wie die von Prov. 8,23 überhaupt erst verständlich. Folgerichtig bringt Bonaventura deshalb an anderer Stelle das Schriftzitat Prov. 8,24 im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die unio animae et Dei und darin wieder unter Hinweis auf die Inkarnation. De red. art. 11: In der reductio der mechanischen Kunst auf die Theologie (sive scriptura) erweist sich dieselbe als ein Bild der Kunst, mit der Gott die Welt aus dem Nichts erschafft (vgl. Hex. XII,3; V,385a). Insofern kann man dreierlei in ihr betrachten: scilicet Verbi generationem et incarnationem, vivendi ordinem et Dei et animae foederationem (V,322b). Im Anschluß daran (De red. art. 15ff.) führt Bonaventura die reductio des vernünftigen Denkens (philosophia rationalis) auf die Theologie durch. In ihr geht es um Rede (sermo), und dabei wiederum kann man dreierlei betrachten: scilicet respectu proferentis, ratione prolationis et 51

I Sent, prooem. q . l ; I,6a faßt theologia und hie liber Sententiarum ineins.

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respectu audientis sive ratione finis. Wiederum entspricht diese Trias dem dreifachen Inhalt der Schrift: der Zeugung und Inkarnation des Wortes (ebd. 16), dem ordo vivendi (17)undderunio animae et Dei (18; V,323bf.). Generatio und incarnatio des Wortes bestimmt Bonaventura in De red. art. 16 so: Sie sermonem consideremus in respectu ad loquentem, sic videmus, quod omnis sermo significat mentis conceptum, et ille conceptus interior est verbum mentis et eius proles, quae nota est etiam ipsi concipienti. Sed ad hoc, quod fiat nota audienti, induit formam vocis, et verbum intelligibile mediante illo indumento fit sensibile et auditur exterius et suseipitur in aure cordis audientis, et tarnen non recedit a mente proferentis. - Iuxta hunc modum videmus in Verbo aeterno, quod Pater aeternaliter ipsum concepit generando, secundum illud Proverbiorum octavo (8,24): ,Nondum erant abyssi, et ego iam concepta eram.' Sed ad hoc, quod homini sensuali fieret cognoscibile, induit formam carnis, ,et Verbum caro factum est et habitavit in nobis', et tarnen remansit,in sinu Patris' (Joh. l,Vs. 14 und 18). Mit diesem Satz hat Bonaventura den Knoten geschürzt. Generatio und incarnatio Verbi, welche eng an- und ineinander den ersten Inhalt der Trias bilden, auf die die philosophia rationalis zurückgeführt wird, sind nach zwei Seiten hin erläutert. Nach der Seite der Zeugung verhält sich das Wort zum Vater als proles in consubstantialitas. In dieser Beziehung liegt der Selbstand der zweiten trinitarischen Person allen Abgründen zuvor. Aber das esse Dei ist von dieser vor allen Abgründen subsistierenden Person nicht zu trennen, und das esse Dei ist seiner innersten Bestimmung nach cognoscibile. Die Erkennbarkeit des göttlichen Wesens aber stellt sich nicht anders her, als daß das Wort Fleisch wird. Ad hoc, quod homini sensuali fieret cognoscibile, sagt Bonaventura, wird Gott Mensch (vgl. Comm. in Joh. 1,9 cap. 1,24; VI,251b). Von Gott aber gilt, daß er verum indubitabile bzw. cognoscibile ist in se. Das heißt: Das esse cognoscibile Dei, das Bonaventura voraussetzt, ist als esse cognoscibile auf Inkarnation hin, und dann ist die zweite Hypostase insofern vor allen Abgründen, als das esse cognoscibile Dei als dieses esse cognoscibile in seiner Spannung auf den Deus humanatus hin dreifältig subsistiert. Und nun läßt sich Bonaventuras Deutung von Prov. 8,22ff. so paraphrasieren: Die zweite innergöttliche Person liegt in ihrer substantialitas allen Abgründen zuvor, sofern das dreifältig subsistierende Sein Gottes in seiner Spannung auf den Deus humanatus hin das Nichts überwindet. Sie ist den Abgründen enthoben, weil Gottes dreifältiges Sein im Verhältnis von Schöpfung und Erlösung, damit das Nichts immer schon hinter sich lassend, in der Überwindung des Nichts dreifältiges Sein ist. Das Sein Gottes ist in der zweiten Person vor allen Abgründen subsistent, weil in dieser seiner Bestimmung Gott in einer Beziehung zum Nichts nicht steht. Und dieser Umstand, daß der dreieine Gott in einer Beziehung zum Nichts nicht steht, daß er in seiner Substantialität vor und über allen Abgründen ist, setzt allerdings damit ineins das bestimmte Weltverhältnis des trinitarischen Gottes. Wir betrachten dazu noch die letzte Stelle, die hier zur Klärung beizuziehen 168

ist. Sie findet sich im Sermo de Trinitate gegen Ende des ersten Teils (IX,355a). Dieser Sermo ist eine Auslegung der für die Trinitätslehre grundlegenden Stelle 1. Joh. 5,7f.: ,Tres sunt qui testimonium dant' in caelo: Pater, Verbum et Spiritus sanctus, et hi ,tres unum sunt'. Et ,tres sunt, qui testimonium dant' in terra:,spiritus, aqua et sanguis' (IX,35la vgl. Hex. VIII,9.11; V,370b f.). Bonaventura legt das Wort nach seinen zwei Seiten aus: nach dem Zeugnis in caelo und nach dem Zeugnis in terra. Caelum wird dabei auf vier Ebenen gefaßt, die in sich je triadisch entfaltet werden: Dicitur enim caelum natura luminosa, tota mundialis machina, formalis speciositas; et in his tribus relucet beata Trinitas sicut in vestigo. - Dicitur etiam caelum vis cognoscitiva, mens praeventa gratia et militans Ecclesia; et in his cognoscitur sicut in imagine. - Dicitur etiam caelum sacra Scriptura, hierarchia angelica, humana natura assumta; et in his apparet sicut in signaculo. — Dicitur etiam caelum aeterna Sapientia, orginans omnium causa et tota Trinitas ipsa; et in his apparet sicut in propria specie (IX,352ab). Auf der vierten Ebene, im Selbstbildnis der Trinität, steht Gottes Weltbezug als causa originans omnium in der Mitte zwischen der Sapientia aeterna und der Trinität selber. Dieses Selbstbildnis der Trinität erläutert Bonaventura folgendermaßen: Et quidem aeterna Sapientia est clara, placida et iucunda et est caelum, iuxta illud Ecclesiastici quadragesimo tertio (Sir. 43,10): ,Species caeli, gloria stellarum, mundum illuminans in excelsis Dominus' (IX,355a). Dieses Zitat, wohlgemerkt, zieht Bonaventura bei, um die Trinität in ihrem eigenen Selbstbildnis, in ihrem eigenen Wesen, das die ewige Weisheit ist, zu erläutern; und mit diesem Zitat ist die Trinität in ihrem Selbstbildnis wesentlich mundum illuminans, also Welt nicht bloß der Möglichkeit nach, sondern der Sache nach erleuchtend. Bonaventura fährt fort: In cuius claritate est considerare tria, scilicet veritatis conceptionem, elocutionem et auditionem, ita quod veritatis conceptio attribuitur Patri; elocutio, Filio; auditio, Spiritui sancto. Nam de Patre dicitur ad Hebraeos primo (1,2): ,Locutus est nobis in filio'; Ecclesiastici vigesimo quarto (24,5) de Filio: ,Ego ex ore Altissimi prodivi'; et Proverbiorum octavo: ,Nondum erant abyssi, et ego iam concepta eram'; de Spiritu sancto, Ioannis decimo sexto (16,13): ,Quaecumque audiet, loquetur' (IX,355a). Das Wesentliche an dieser Aussage liegt wiederum im Gefälle der Schriftzitate. Von der dem Vater zugeeigneten conceptio veritatis heißt es: Zu uns hat er im Sohn gesprochen. Die Erstellung der Wahrheit, welcher sich der Sohn verdankt, also die generatio, von der De red. art. 16 spricht, steht in unmittelbarer Beziehung zu der Rede Gottes an uns. Dabei ist nicht zu vergessen, daß hier von der Trinität in propria specie, von der Trinität in ihrem Selbstbildnis, die Rede ist. In diesem ihrem Selbstbildnis ist, da der Vater den Sohn zeugt, im Sohn die Beziehung ad nos wesenhaft enthalten. Das „in Filio" wiederum erfährt auf dem Wege der Schriftzitate eine doppelte Füllung: zum ersten hinsichtlich seines Hervorgangs aus dem Höchsten, zum andern hinsichtlich seines Selbstandes als zweite trinitarische Person vor allen Abgründen. Die zwei Schriftstellen, die Bonaventura zum Beleg der Zueignung 169

der Wahrheit an den Sohn unter der Hinsicht, da sie ausgesprochen wird, zitiert, sind nicht deckungsgleich. Vielmehr dürfte das erste Zitat (Ego ex ore Altissimi prodivi), gerade indem es Gott als den Höchsten benennt, in den Zusammenhang zu stellen sein, in welchem von der altitudo Dei in ihrer Beziehung auf die profunditas bzw. pietas Dei gesprochen wird (s. o.). Diese Vermutung kann sich darauf stützen, daß bei Bonaventura in der Erörterung der innergöttlichen Emanationen von der altitudo Gottes bzw. vom Deus altissimus, soweit ich sehe, nie die Rede ist. Altissimus ist vielmehr ein Gottesprädikat, mit welchem Bonaventura Gott in seinem Weltverhältnis benennt. Dann aber bezeichnet das prodire, welches vom Sohn in bezug auf den Höchsten ausgesagt ist, den Hervorgang, in welchem Gott als der Deus humanatus sich als den Deus trinus relevans bezeugt. In dieses Verhältnis ist das Zitat Prov. 8,24 einzuordnen, so daß, wenn es vom Sohn heißt: Vor allen Abgründen bin ich empfangen, diese auf die vor allen Abgründen subsistierende zweite Person bezogene Aussage nicht jenseits der Beziehung anzusiedeln ist, in welcher Gott uns im Sohn anspricht, und das heißt der Sache nach: erkennbar ist. Wenn Bonaventura diese Beziehung in der Erörterung des Selbstbildnisses der Trinität andeutet, so kann das nur so verstanden werden, daß Gottes grundsätzliche und seinshafte Erkennbarkeit nicht jenseits des Vorganges steht, in welchem er sich dem homo sensualis in seiner Inkarnation erkennbar macht als den, der immer schon weltüberhoben ist. Allerdings deutet sich in der Durchführung der Predigt, der die eben interpretierte Stelle entnommen ist, noch eine entscheidend weitere Dimension der Trinitätslehre an, die bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist. Während auf allen Abbildebenen die Trinität ein dreifaches Zeugnis hat und Bonaventura zunächst davon ausgeht, daß sie auch in ihrem Selbstbildnis dreifach zu betrachten ist (nach Sapientia aeterna, origo causans omnia und Trinitas ipsa), wird das Selbstbildnis der Trinität in der Erläuterung dieser Trias nur in den zwei erstgenannten Hinsichten deutlich entfaltet. Die Entfaltung der Sapientia aeterna ist eben ausgeführt worden. In bezug auf die origo causans omnia bezieht sich Bonaventura auf Joh. 3,31: ,Qui desursum venit super omnes est', und folgert: Nam effectus potissimus, descendens ab origine causante omnia, fuit incarnatio Christi (vgl. Brevil. IV,1; V,241a); et in hoc caelo dat testimonium beata Trinitas secundum triplicem considerationem, quia est fontalissima, sublimissima, diffusissima vel perfectissima (ebd. 355a). Die Trinität in sich, darin sie origo causans omnia ist, findet in der Inkarnation Christi ihren machtvollsten Ausweis; fontalissima, sublimissima, diffusissima vel perfectissima ist sie im Bezug auf das Inkarnationsgeschehen: in der Gott eigenen Dynamik. Damit ist die Trinität in ihrem Selbstbildnis unter der nach Sapientia aeterna und origo causans omnia als drittes genannten Hinsicht ipsa Trinitas höchstens angedeutet, aber nicht ausgeführt. Statt dessen schließt sich sofort der zweite Teil des Sermons, die Auslegung des Wortes 1. Joh. 5,7f. nach der Seite des Zeugnisses in terra an: In hac terra dat beata Trinitas testimonium per tria, scilicet fluminis, flaminis, sanguinis,

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per baptismum, qui intelligitur per aquam, spiritum et sanguinem, cum dicitur: ,Tres sunt qui testimonium dant in terra: Spiritus, aqua et sanguis' (ebd. IX,355b). Das Taufzeugnis tritt so zumindest im formalen Aufriß an die Stelle der eigentlich zu erwartenden Betrachtung der Trinität in Hinsicht auf die ipsa Trinitas, so daß zu fragen ist, ob nicht das Selbstbildnis der Trinität überhaupt erst im Taufzeugnis, in der Hineinnahme der Seele in die Trinität, sich vollende. Diese Frage ist hier noch nicht lösbar. Wie die Trinität in ihrem Selbstbildnis „ipsa Trinitas" zu betrachten sei, das muß zuvor noch erörtert werden. Inzwischen ist ein gewisser Einschnitt erreicht. Der Satz „Esse non est nisi dupliciter" hat nunmehr eine erste abrundende Ausdeutung gefunden. Das zutiefst erkennbare Sein Gottes, welches dieses erkennbare Sein Gottes in seiner Hinspannung auf den Deus humanatus ist, ist insofern nicht anders Sein denn in doppelter Weise, als es als Sein des Deus trinus Welt auf Heimholung hin hervorbringt. In diesem Akt der Heimholung von Welt bezeugt Gott in Inkarnation, in Leiden, Tod und Auferstehung sich selber als den trinitarischen Gott. Die Aussage: Gott ist, und die Aussage: Gott ist trinus sind Aussagen, die im Bezug auf dieses bestimmte Weltverhältnis Gottes, auf das Verhältnis von productio und reductio, getroffen werden. Wenn aber nun diese Überlegungen und Folgerungen richtig sind, so ist zu fragen: Wenn das Sein Gottes insofern als notwendig in einem bestimmten Weltverhältnis stehend erscheint, als es das Sein dessen ist, der als Deus trinus Welt immer schon heimholt, und zwar dergestalt, daß im Verhältnis von Hervorbringung und Heimholung von Welt die Aussage „Deus est trinus" gleichsam überhaupt erst ihren Inhalt preisgibt - wie sind dann die Bestimmungen des Seins Gottes, denen zufolge es ein esse primarium, aeternum, simplicissimum, actualissimum, perfectissimum et summe unum ist 52 , zu verstehen? Und weiter gefragt: Was ist dann sachlich unter den innergöttlichen Bestimmungen, in denen das Wesen Gottes dreifältig subsistiert, zu verstehen? Und noch weiter gefragt: Wenn der Deus trinus, da er Welt hervorbringt, wesentlich der Deus reducens ist - warum ist er es? In welchen Eigenschaften der göttlichen essentia und in welchem Verhältnis der göttlichen Personen untereinander liegt der Grund dafür, daß die Aussage „Deus est trinus" wesentlich das Verhältnis von productio und reductio von Welt impliziert? Es entsteht also die Notwendigkeit, noch einmal und in einem letzten Anlauf in Gott hineinzufragen bis in die innersten Bestimmungen Gottes hinein, in denen und kraft derer die Gottheit Gottes so und nicht anders Gottes Gottheit ist.

52

Das ist die Reihenfolge der Eigenschaften Gottes in Itn. V,5; V,309ab.

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Drittes Kapitel: Das göttliche Wesen in seiner trinitarischen Subsistenz Vorüberlegung Greifen wir noch einmal auf Hex. VIII zurück: „Dies sind 1 die zwei Erkenntnisse des Glaubens. Sie erleuchten und brennen, und dreiförmig sind sie auf die Einheit zurückgeführt. Die Seraphim rufen (dreimal heilig), aber heißt es um der Bewunderung willen, denn beides ist wunderbar; daher heißt es im Psalm (8,2.6): ,Herr unser Gott, wie wunderbar ist dein Name auf der ganzen Erde. Um ein kleines hast du ihn geringer gemacht als die Engel; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn bekränzt.' Und in der Tat wunderbar ist der Name Gottes, soweit er den Deus aeternus aussagt, denn dort ist wahre Unterscheidung der Personen bei Einheit der Essenz, durch welche sie sind gänzlich ein Gott, einmütig, einander gleich, gleich ewig, gleicher Substanz und gleichen Wesens. - Ebenso wunderbar ist es, daß drei Naturen verbunden sind: das Höchste mit dem Niedersten ohne Unterdrückung, das Erste mit dem Letzten ohne Erneuerung, das Einfache mit dem Zusammengesetzten ohne Zusammensetzung." 2 Genaugenommen ist in dieser Namensspekula1 Hex. VIII,10: Hae (sc. Seraphim) sunt duae cognitiones fidei illuminantes et ardentes triformiter ad unitatem reductae. Clamare autem dicuntur propter admirationem, quia utrumque est admirabile; unde in Psalmo:,Domine Dominus noster, quam admirabile est nomen tuum in universa terra! Minuisti eum paulo minus ab Angelis; gloria et honore coronasti eum.' Et vere admirabile nomen quantum ad Deum aeternum, quia ibi est vera distinctio personarum cum unitate essentiae, per quam sunt summe conformes, summe concordes, summe coaequales, coaeterni, consubstantiales, coessentiales. - Item, est admirabile, quoniam tres naturae coniunctae sunt: supremum cum infimo sine depressione, primum cum ultimo sine innovatione, simplex cum composito sine compositione. V,370b f. 2 Eigenartig (und den Befund des 2. Kapitels bestätigend) ist die Verknüpfung, die Bonaventura in Hex. VIII, 10 zwischen Vs. 2 und Vs. 6 des zitierten Psalms herstellt. Er deutet damit, während der Psalm selbst Vs. 6 auf den Menschen bzw. des Menschen Kind bezieht, Vs. 2 durch Vs. 6, den wunderbaren Namen Gottes durch den Akt von minuere und coronare, und so erscheinen in Bonaventuras Auslegung von Ps. 8 der Name Gottes und Mensch in Einheit. Der erste Name Gottes aber ist Sein (Hex. 11,25; V,340b; Hex. X,6; V,378a; Itn. V,2; V,308b). Diese Auslegung ist nur möglich, wenn man mit Bonaventura und einer breiten, Hebr. 2,9 einsetzenden Auslegungstradition den Vs. 5 von Ps. 8 (quid est homo, quod memor eseius) auf Christus deutet. Hex. XVI,21: dicit Psalmus: ,Quid est homo, quod memor es eius; aut filius hominis, quoniam visitas eum ? Minuisti eum paulo minus ab Angelis . . .'Et quod intelligatur de Christo, Apostolus dicit (sc. Hebr. 2,6-9). V,406b. Bonaventuras Auslegung geht damit über die Auslegung von „Mensch" durch „Christus" weit hinaus: Christus legt nicht Mensch, sondern das Sein Gottes aus, ist der Name, das Sein Gottes selber. - Rep. Α liest, anders als Rep. B, zwischen

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tion in der Korrespondenz von Trinität und Inkarnation auf zwei Seiten verteilt, was eigentlich auf eine Seite, auf die Seite der essentia divina gehört. Denn an anderer Stelle bestimmt Bonaventura die essentia divina folgendermaßen: „Die Dreiheit der Personen 3 schließt vom göttlichen Wesen nicht aus die höchste Einheit, Einfachheit, Unermeßlichkeit, Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Notwendigkeit und alles in allem4 Erstlingsschaft." Die unitas erscheint hier als diejenige Eigenschaft Gottes, welche die Reihe der göttlichen Attribute anführt. Entsprechend nimmt die distinctio personarum in Hex. VIII, 10 auf die unitas essentiae bezug. Dagegen sind zwei weitere Eigenschaften der göttlichen Essenz, nämlich simplicitas und primitas, nicht auf seiten des Verhältnisses von distinctio personarum und unitas essentiae angesiedelt, sondern bezogen auf die gottmenschliche Einung in Christus. Von daher läßt sich vermuten, daß auch den göttlichen Eigenschaften in sich eine wesentliche Hinordnung auf die Inkarnation zukommt. Während der Frage nach der unitas essentiae wesentlich das Problem der distinctio personarum korrespondiert, scheinen Gottes simplicitas und primitas von vornherein in einer inneren Beziehung zum Inkarnationsgeschehen zu stehen. Aus dieser Beobachtung ergibt sich die methodische Konsequenz, daß auch die inneren Bestimmungen der dreifältig subsistierenden essentia Dei nicht abgesehen von Gottes besonderem Weltverhältnis begriffen und erläutert werden können. Es ist deshalb nötig, nachdem gleichsam der erste, äußere Kreis um das Thema der vorliegenden Untersuchung geschlossen ist, auf diesem Hintergrund in die essentia Dei hineinzufragen.

1. Abschnitt: Die essentia communicabilis Dei Dazu eine Vorbemerkung: Bonaventura unterscheidet sowenig wie Thomas 1 zwischen esse und essentia Dei2. Der Name Gottes, mit dem er sich selber benennt als den, der ist, und die essentia Gottes fallen für Bonaventura Ps. 8 Vs. 2 und Vs. 6 Vs. 5: Psalm 8,2—6:,Domine Deus noster, quam admirabile' etc.; quid est homo, quod memor es eius? minuisti eum paulo minus' etc. Delorme 113. Dadurch kommen Name Gottes (Sein) und Mensch (Christus) bei weitem nicht so dicht zusammen, wie es in der Lesart von Rep. Β der Fall ist. 3 Brevil. 1,2: trinitas personarum non excludit ab essentia divina summam unitatem, simplicitatem, immensitatem, aeternitatem, incommutabilitatem, necessitatem et etiam primitatem. V,211a. 4 Mit diesem „etiam" faßt Bonaventura gerne seine Ausführungen zusammen, wenn sie ihren inhaltlichen Höhepunkt erreicht haben. Es ist nicht zu verstehen im Sinne einer beiläufigen Hinzufügung, sondern im Sinne einer emphatischen Zusammenfassung und ist darum an solchen Stellen mit „vor allem" oder „alles in allem" übersetzt. Vgl. etwa De myst. Trin. q.8 i.e.; V,114ab; ebd. q.3 a.l i.e.; V,70b. - Dazu Georges, Stichwort: etiam. 1 S.th. I q.3 a.4 tragt: Utrum m Deo sit idem essentia et esse, und antwortet ebd. concl.: Deus, cum sit primum effidens, ac actus purus, et ens simpliciter primum, essentiam indistinetam ab esse habet. - Dabei ist zu beachten, daß Thomas die Frage „in Deo" stellt. 2 Vgl. Hex. X,6; V,378a; auch I Sent, d.23 a.l q.3 f.2; I,408a.

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unmittelbar zusammen 3 . Aber nun kann Gott von uns ja nur in den und durch die Kreaturen erkannt werden, und darum ist es fraglich, ob man Gott überhaupt mit einem nomen absolutum belegen könnte 4 . Bonaventura löst diesen Einwand mit dem Hinweis, daß wir, wiewohl wir Gott durch die Kreaturen benennen, also vom Standpunkt und der Begrenztheit der Kreatur her, dennoch auch durch die Kreaturen erkennen, daß ihm absolutes Sein zukomme 5 . In diesem kurzen Hinweis ist mehr enthalten, als es zunächst scheinen will. In den Kreaturen und durch die Kreaturen erkennen wir Gottes essentia nicht nur, soweit die Kreatur sich zu Gott als Abbild verhält, ihn also repräsentiert6, sondern wir erkennen, daß Gott ein esse absolutum zukomme. Das heißt im Grunde nichts anderes, als daß wir in der Kreatur und durch die Kreatur einer Seinsbestimmung Gottes selber innewerden 7 . Wir erkennen also durch die Kreatur und in ihr nicht bloß, daß Gott ist, sondern darin bereits eine bestimmte Beschaffenheit seines Seins, nämlich sein esse absolutum 8 . Dem gilt es nachzugehen.

a) Die Abgrenzung der Begriffe essentia, substantia, und persona nach I Sent, d.23 a. 1 q.3

subsistentia

Bonaventura befaßt sich mit der Bestimmung der essentia Dei ausführlich in I Sent, d.23 a.l q.3; 1,408 ff. Die Frage lautet: „Ob der Begriff essentia angemessen auf Gott angewendet werde; danach wird gefragt nach dem Unterschied der Begriffe essentia, subsistentia, substantia und persona" 9 . Die 3 Bonaventura unterscheidet allerdings verschiedene Betrachtungsweisen der essentia Dei. In der einen wird die essentia in sich betrachtet, d. h. soweit sie sich im Gegensatz zur Kreatur befindet; in der andern wird sie betrachtet, soweit sie in der Person subsistiert; in der dritten wird sie betrachtet als das principium actionis, ut esse potentem, sapientem, volentem, ut creare. I Sent, d.33 a.un. q.2 ad 5; I,576b. 4 ISent.d.23 a . l q.3 o p p . l : Non intelUgimus Deum nisi in creaturis et per creaturas; sed nominatio Dei est per nostrum intelligere: ergo nullum nomen absolutum omnino debet poni in Deo. I,408b. 5 Ebd. ad 1: quamvis nominemus Deum per creaturas, tarnen etiam per creaturas cognoscimus, eum habere esse absolutum. I,410b. 6 So beantwortet Thomas S.th. I q. 13 a.2 ad 3 einen ähnlichen Einwand: dicendum quod essentiam Dei in hac vita cognoscere non possumus secundum quod in se est: sed cognoscimus earn secundum quod repraesentatur in perfectionibus creaturarum. 7 Vgl. etwa De myst. Trin. q.3 a. 1 ic. c.: Dort behandelt Bonaventura die Einfachheit des göttlichen Seins, soweit sie sich aus der Betrachtung der göttlichen Eigenschaften in ihrer Evidenz erweist. In diesem Zusammenhang heißt es: et ita ipsum (sc. esse divinum) est absolutissimum . . . et sic esse simplicissimum convenit Deo vere et proprie. V,70b. Damit hat die Aussage: Gott wird in der Kreatur und durch die Kreatur in seinem esse absolutum erkannt, die Erkenntnis einer gewichtigen Seinsbestimmung Gottes in sich zur Voraussetzung: die Erkenntnis seiner evidenten Einfachheit. Dazu s. u. S. 221 ff. 8 Das hat mit der grundsätzlichen Erkennbarkeit Gottes zu tun. Darüber ist im Abschnitt über die Evidenz Gottes ausführlich gehandelt worden. 9 Utrum nomen essentiae in divinis convenienter adhibeatur; insuper quaeritur de differentia nominum essentia, subsistentia, substantia et persona. 1,408. - Es ist nicht zuletzt deshalb wich-

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Frage bereits deutet an, welchen Weg die Lösung geht; sie ist deswegen aufschlußreich, weil Bonaventura den Begriff der essentia offenbar nicht jenseits seines Zusammenhanges mit den anderen Begriffen ausmachen kann. Gottes essentia steht nie für sich, sondern immer schon in Beziehung zu substantia, subsistentia und persona 10 . Zunächst referiert Bonaventura drei Auffassungen von essentia und ihres Verhältnisses zu den anderen Begriffen, denen er nicht zustimmt. Auf ihrem Hintergrund bietet er dann seine eigene Lösung. Die erste Auffassung 11 bezieht sich darauf, daß in Gott ein Verhältnis von Mitteilbarem und Nicht-Mitteilbarem (communicabile et incommunicabile) anzunehmen sei 12 . Auf der Seite des Mitteilbaren ist analog der Weise, wie im kreatürlichen Bereich zu unterscheiden ist die konkrete Existenz (quod est) von dem allgemeinen Wesen, darin etwas konkret existiert (quo est), also zu unterscheiden ist nach Konkretion und Abstraktion, auch in Gott eine Unterscheidung zu treffen. Methodisch beruht diese Lösung auf dem auch von Bonaventura benutzten 13 Postulat, daß, was an edlen Bestimmungen in der Kreatur sichtbar sei, auch in höchstem Adel und indefizient in Gott anzutreffen sein müsse. Insofern muß man in Gott unterscheiden nach Gottes Gottheit (deitas) als der abstrakten allgemeinen Bestimmung, und insofern ist ihm essentia als das, in quo est, zuzusprechen, und nach der konkreten Existenz Gottes, in welcher Gott real existierend und also ihm der Begriff „Gott" antig, den Begriffsklärangen Bonaventuras nachzugehen, weil, wie das Scholion zu dieser Quästion (1,410) zeigt, in der scholastischen Theologie unter diesen Begriffen äußerst verschiedene Sachverhalte begriffen werden. 10 Vgl. auch I Sent, d.4 a.un. q.4 concl. et i.e.; I,103ab. 11 I Sent, d.23 a.l q.3 i.e. (explicatio 1): Ratio autem et sufficientiam horum quatuor nominum ab aliquibus aeeipitur sie. In divinis est aeeipere communicabile et incommunicabile, et hoc ex veritate et necessitate fidei, quae dicit Deum trinum et unum. Et cum nos debeamus intelligere in Deo, quod vere est, per id quod videmus in his inferioribus, maxime secundum nobiles et primas et praeeipuas conditiones; cum in communi in inferioribus inveniatur, quod est et quo est, ratione cuius significatur in concretione et in abstractione, ut dicatur homo et humanitas: sie in divinis intelligimus, quamvis non intelligamus in differentia ilia duo. Ideo et in abstractione significamus per hoc nomen deitas, et in concretione per hoc nomen Deus. Et ideo imposuimus ei nomen, quo significaretur ipsum quo est, et hoc est essentia; et ipsum quod est, et hoc est substantia; et ita haec duo nomina accipiuntur ex parte communis. Est etiam in divinis aeeipere, quod est incommunicabile, et hoc est quid distinetum, sive quis distinetus. Et hoc quidem contingit dupliciter intelligi sive significari: vel in quantum distinguibile, et hoc per nomen subsistentiae sive hypostasis; vel in quantum distinetum, et hoc per nomen personae. Et licet in Deo nihil differant distinguibile et distinetum, quia potentia in eo semper actui est coniuncta, tarnen contingit duplici nomine significari. Unde differant ista quator nomina secundum modum intelligendi, sicut quo est, quod est, qui est, quis est. Et quoniam in Deo idem est quo est et quod est ex parte una, et distinguibile et distinetum ex alia secundum rem, Sancti aeeipiunt et substantiam et essentiam pro eodem; similiter et hypostasis nomine utuntur Graeci pro supposito actu distineto. Unde distinetio per quo et quod est, et per distinguibile et distinetum in nominibus divinis non facit diversitatem nisi secundum rationem intelligendi. I,409ab. 12 Diesem innergöttlichen Grundverhältnis stimmt Bonaventura selbstverständlich zu. Wie er es interpretiert, wird sich zeigen. 13 Hex. IX,24; V,376a.

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gemessen ist. In dieser Hinsicht ist von Gott zu sagen, daß er ist (quod est), d. h. es ist der Begriff der substantia auf ihn in Anwendung zu bringen. Nach der Seite des Nicht-Mitteilbaren nimmt diese Auffassung ein quid distinctum bzw. ein quis distinctus an. Dabei wird, das Verhältnis von Abstraktion und Konkretion auf Seiten des Mitteilbaren in gewisser Weise wiederholend, nach zwei Hinsichten unterschieden: Die erste Hinsicht wird als das distinguibile, also als das jenseits seiner bestimmten Besonderheit Unterscheidbare, bezeichnet und mit dem Begriff subsistentia bzw. hypostasis belegt; die zweite Hinsicht ist das distinctum, also das bestimmt Unterschiedene, und wird mit dem Begriff persona bezeichnet. Freilich sind in Gott realiter so gut essentia und substantia auf der Seite des communicabile wie subsistentia und persona auf der Seite des incommunicabile vollständig identisch, weil in Gott das Mögliche immer der Verwirklichung unterliegt, also actu realisiert ist. Die getroffenen Unterscheidungen, zusammengefaßt in den Chiffren quo est (essentia), quod est (substantia), qui est (subsistentia distinguibilis) und quis est (persona distincta), sind aber vom kreatürlichen Erkenntnisstand her zu treffen, sofern der kreatürliche Intellekt die Identität von quo est und quod est auf der einen und qui est und quis est auf der anderen Seite nicht wiedergeben kann. Die zweite Auffassung 1 4 , die Bonaventura referiert, sucht auf der Seite des Gemeinsamen (ex parte communis) eine Unterscheidung zu treffen zwischen essentia und substantia, sofern Gott hinsichtlich seiner essentia wesentlich das meint, dessen alle Dinge bedürfen, und hinsichtlich seiner substantia in seiner Transzendenz über allen Dingen gefaßt wird. Auf der Seite des Besonderen (ex parte incommunicabilis) unterscheidet diese Meinung subsistentia bzw. hypostasis als den unterschiedenen Selbstand der Substanz (also im Gegensatz zur ersten Auffassung nicht als das distinguibile, sondern schon als das actu distinctum), wobei unter dem Begriff der persona das unterschiedene suppositum hinsichtlich seiner bestimmten Eigenart (proprietate nobili) begriffen wird. Diese Meinung beruft sich also nicht wie die erste auf das Verhältnis von abstractio und concretio und entsprechend nicht auf das Verhältnis von potentia und actus, sondern geht von vornherein aus auf die Aktualität Gottes und scheidet nur nach Maßgabe seines je vorausgesetzten oder nicht vorausgesetzten Verhältnisses zur Kreatur. Die dritte Auffassung 1 5 ist der ersten in gewisser Weise verwandt: Sie ver14 I Sent, d.23 a . l q.3 i.e. (explicatio 2): Fueruntetiam alii volentes dicere, quod substantia et essentia accipiuntur ex parte communis, sed differuntur, quia illud commune contingit intelligi sub duplici ratione: una est, quod omnia indigent eo, ut sint; alia est, quod ipsum non eget aliis. Primo modo dicitur essentia, a qua et per quam omnia sunt; secundo modo substantia, quoniam per se stat, omnibus aliis circumscriptis. Subsistentia vero sive hypostasis et persona accipiuntur ex parte incommunicabilis et differunt. Quamvis enim utrumque nomen dicat quid distinctum, tarnen hypostasis dicit suppositum substantiae distinctum, sed persona dicit distinctum proprietate nobili. I,409b. 1 5 Ebd. (explicatio 3): Fuerunt alii, qui voluerunt dicere, quod ista quator nomina distinguuntur per communicabile et incommunicabile, secundum quod potest unumquodque dupliciter

12

Fischer, De Deo trino

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läßt sich ganz auf das Verhältnis von abstractio und concretio (wandelt dasselbe also auf seiten des incommunicabile nicht wie die erste Lösung um in das Verhältnis von distinguibile und distinctum), wobei als abstractio auf Seiten des communicabile die essentia, auf Seiten des incommunicabile die subsistentia bzw. hypostasis und als concretio auf der einen Seite die substantia, auf der anderen die persona erscheint. Alle drei vorgetragenen Auffassungen und Verhältnisbestimmungen unterliegen der Kritik Bonaventuras. Gegen die erste Meinung führt Bonaventura einen ökumenischen Grund an: Die Griechen benutzen das Wort Hypostase, wo die Lateiner persona sagen, so daß von diesem Sprachgebrauch her das distinguibile (qui est) vom actu distinctum (quis est) nicht unterschieden werden kann 16 . Hinter dieser Argumentation verbirgt sich Bonaventuras eigener Begriff von persona, den er mit einem Zitat des Damascenus andeutet: ,hypostasis est substantia cum proprietatibus'. Damit bezieht Bonaventura Position gegen eine Meinung, die in Gott die Personen jenseits ihrer Proprietäten meint ausmachen zu können 17 . Denn für Bonaventura ist der Begriff der proprietas konstitutiv für den Begriff der Person. Das zeigt sich an der Weise, wie er selber den Person-Begriff bestimmt: „Der Begriff18 persona wird angemessen und eigentlich (convenienter et proprie) auf Gott angewandt, um die Unterscheidung und die edelste Eigenart der supposita 19 zu bezeichnen." In dieser Bestimmung erscheinen distinctio und proprietas nobilissima als Charakteristikum des Personen-Begriffs. Für die proprietas nobilissima kann Bonaventura auch von einer dignitas notabilis reden: „Person 20 nennt eine Würdigkeit. Daher heißen im Bereich der Kirche solche Persignificari: vel in abstractione, vel in concretione. Nam communicabile potest significari in abs t r a c t i o n , et sic dicitur essentia; vel in concretione ad suppositum, et sic dicitur substantia. Similiter incommunicabile potest significari in abstractione, et sie dicitur subsistentia sive hypostasis; vel in concretione, et sie dicitur persona. I,409b. 1 6 Ebd.: Sed tarnen omnes isti modi habent calumniam. Primus quidem, qui sumitur per distinguibile et distinctum, quia Graeci utuntur vocabulo hypostasis, ubi nos utimur persona, et ita pro supposito distineto. Et Damascenus dicit, quod ,hypostasis est substantia cum proprietatibus'; et ita significat actu distinctum. I,410a. — Die Stelle bei Damascenus vgl. Expositio accurata Fidei orthodoxae III, cap. 6 ; PG 94, 1 0 0 2 - 1 0 0 3 . 1 7 Vgl. I Sent, d.33 a.un. q . l i.e.: Prima positio fuit, quod proprietates non sunt personae nec in personis, sed assistunt personis. I,572b. Diese Ansicht des Gilbertus Porretanus verwirft Bonaventura nicht, soweit sie von der Notwendigkeit einer Unterscheidung von proprietas und persona ausgeht, sondern weil sie die Person jenseits der Relation setzt. — Zu der Lehre des Porretanus (Bischof zu Poitiers, gest. 1154) vgl. das Scholion 1,574 und Denzinger 7 4 5 . 1 8 I Sent, d.23 a . l q . l concl.: Nomen personae convenienter et proprie in divinis dicitur ad significandam distinetionem et proprietatem nobilissimam suppositorum. I,405b. 1 9 Die Übersetzung von suppositum ist allemal schwierig. Der Begriff bezeichnet denjenigen Selbstand eines Seins, in welchem eine Sache ihrer Substanz nach vollständig präsent ist. Vgl. III Sent, d.6 a . l q . l i.e.: est suppositum, quod dicitur illud, in quo substantificatur totum esse rei. III,149b. - Man könnte von daher die obenstehende concl. übersetzen: „. . . um die Unterscheidung und edelste Eigenart der innergöttlichen Weisen zu zeigen, in denen sich Gott vollständig realisiert." 2 0 I Sent, d.23 a . l q . l f.4: persona dicit dignitatem. Unde in ecclesiasticis personae dicuntur habentes dignitatem aliquam notabilem: ergo cum dignitas propriissime sit in Deo, nomen per-

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son, die eine bestimmte einsehbare Würde haben: Also da Würde im eigentlichsten Sinne in Gott liegt, ist der Begriff der Person im eigentlichsten Sinne auf Gott anzuwenden." Die Klammer von proprietas nobilis und dignitas notabilis, die Bonaventura hier herstellt, ist nicht ohne Bedeutung: Indem beide Begriffe austauschbar sind 21 , hängt die proprietas der persona an ihrer dignitas notabilis, oder, wie Bonaventura Brevil. 1,4 sagt: die proprietas erscheint als notio 2 2 . Auf diese Weise wiederholt sich auf der Ebene des Person-Begriffs der Grundansatz beim esse cognoscibile Dei. Welche Konsequenzen das hat, wird sich in der inhaltlichen Analyse der hier zur Rede stehenden Begriffe zeigen. Hier geht es vorerst um ihre formale Bestimmung. Jenseits ihrer Proprietäten lassen sich die göttlichen Personen nicht bestimmen, denn indem sie unterschieden werden, werden sie in ihren bestimmten erkennbaren Proprietäten unterschieden: „Wenn wir erkennen 23 , daß Gott dreifältig ist, ist es nötig, daß wir erkennen den, der unterschieden wird, und das, darin er unterschieden wird. Darin er unterschieden wird, ist die proprietas; der aber, der unterschieden wird, wird immer schon als Unterschiedener bezeichnet", und zwar nicht in einer beliebigen Proprietät, sondern durch eine proprietas notabilis. Insofern ist das Urteil Stohrs, Bonaventura scheine die Personen nicht jenseits ihrer Proprietäten ausmachen zu können 2 4 , richtig. Damit ist aber noch nicht gesagt, worin eigentlich die personale Dignität oder die proprietas personae zu suchen ist, bzw. warum Bonaventura die göttlichen Personen so dicht an ihre Proprietäten bindet. Die Antwort darauf liegt in der Bestimmung des göttlichen Seins. Denn sofern Gott der, wie wir gesehen haben, seinshaft erkennbare Deus primus ist, bestimmen sich die göttlichen Personen nicht für sich, sondern sie sind bestimmt nach ihrem Verhältnis zum innergöttlichen Hervorgang: „In Gott 2 5 ist eine Mehrzahl von Personen anzunehmen, wie der Glaube s a g t . . . Denn sofern Gottes Wesen Einfachheit zukommt, ist es mitteilbar und fähig, in mehreren zu sein. Sofern ihm Erstlingsschaft zukommt, ist die persona da, aus sich heraus eine andere hervorzubringen." Das heißt: Die göttlichen Personen, sofern sie unterscheidbar und unterschieden sind, beziehen ihre Unterscheidbarkeit und ihre Unterschie-

sonae propriissime in Deo ponendum est. I , 4 0 5 b ; vgl. C o m m . in J o h . 1 , 2 3 cap. 1,50; V I , 2 7 5 b . 21

Ebd. i.e.: persona dicitur suppositum distinetum habens dignitatem. 1,405b.

Darüber wird noch ausführlich gesprochen werden. Ebd. q.3 i.e. Si intellgimus trinum, necesse est, quod intelligamus eum qui distinguitur, et quo distinguitur. Q u o distinguitur est proprietas; ille autem qui distinguitur semper significatur ut distinetus. Et hoc potest esse dupliciter: vel ut distinetus proprietate quacumque, vel ut distinetus proprietate nobili sive notabili. Primum significatur nomine subsistentiae, quae dicitur prima substantia, et convenit non tantum individuo hominis, sed etiam asini (vgl. I Sent, d . 2 5 a. 1 q.3 ad 3 ; I , 4 4 1 a und ebd. Anm. 2 der Hrsgb.). Secundum significatur per hoc nomen persona, quod importat nobilem proprietatem et non convenit nisi supposito rationalis creaturae. I , 4 1 0 b . 22

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Stohr 1 1 7 . I Sent d.2 a.un. q.2 i.e.: In divinis est ponere personarum pluralitatem, sicut fides d i c i t . . . N a m ratione simplicitatis essentia est communicabilis et potens esse in pluribus. Ratione primitatis persona nata est ex se aliam producere. I,54a. 24

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denheit daher, daß in Gott productio stattfindet: „ D a es nämlich 26 Sache des suppositum ist durch die forma tätig zu sein, ist es Sache der persona, hervorzubringen und hervorgebracht zu werden." Das Verhältnis der persona zur innergöttlichen pruductio, in welchem sich persona begründet, ist aber immer zugleich ihr proprium, so daß persona und proprietas zusammenfallen: „Und da jegliche Person 27 eine Proprietät hat, durch die sie vor allem sich kundtut; deshalb gibt es nur drei personale Proprietäten, die in folgenden Namen eigentlich und hauptsächlich ausgedrückt werden; nämlich in den Namen Vater, Sohn und Heiliger Geist." An dieser Stelle wird unmittelbar faßbar, was in I Sent, d.23 a.l q.3 eher nur angedeutet ist 2 8 : Die göttlichen Personen sind ihre Proprietäten. Von diesen abzusehen, hieße unmittelbar auch von den Personen absehen, sofern von der innergöttlichen productio abgesehen wäre. Wenn Bonaventura also jenes erste Verständnis des Verhältnisses von subsistentia und persona unter Hinweis auf den griechischen Sprachgebrauch von hypostasis kritisiert, so ist darin mehr enthalten als die Sorge um ökumenische Sprachbarrieren. Es ist darin enthalten, daß persona über ihre formale Bestimmung als ,rationalis naturae individua substantia' 29 hinaus wesentlich von ihrem Verhältnis zu der zutiefst dynamischen essentia Dei her zu bestimmen ist. Damit aber verweist Bonaventuras Begriff von persona in seiner Ablehnung eines für sich zu betrachtenden Subsistenzbegriffs 30 auf sein Verständnis der essentia Dei: Sofern persona wesentlich ein Verhältnis zur innergöttlichen productio bezeichnet und anderseits die essentia Dei in der persona tota

2 6 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Q u o n i a m enim suppositi est agere per f o r m a m , personae est producere et produci. V,65b. 2 7 Brevil. 1,3: Et quia quaelibet p'ersonarum u n a m habet proprietatem, per quam principaliter innotescit; ideo tres tantum sunt proprietates personales, quae his nominibus exprimuntur proprie et principaliter, scilicet Pater et Filius et Spiritus sanetus. V , 2 1 2 a . 2 8 I Sent, d.23 a. 1 q.3 i.e. spricht von einem dubium: dubium est, utrum sit intelligere hypostases, abstractis proprietatibus; et ideo si non est intelligere, q u o m o d o contingit significare? I,410a. 2 9 D a s ist die auch von Bonaventura benutzte Definition des Boethius; vgl. D e myst. Trin. q.2 a.2 i.e.; V,65b. - Die Definition bei Boethius vgl. Liber de persona et duabus naturis cap. 3 ; PL 64, 1343. 3 0 Bonaventura verweist in der S. 179 Anm. 23 zitierten Stelle ironisch darauf, daß, wenn man die bestimmte Proprietät (proprietas nobilis) aus dem persona-Begriff zugunsten einer für sich zu betrachtenden Subsistenz streicht, der Begriff der persona so gut dem Esel wie dem einzelnen Menschen zukäme. Dann aber wäre persona auf G o t t nicht mehr anwendbar, denn der Begriff ist für Gott nur aussagbar, weil er in der Kreatur Adel hat. I Sent, d.23 a . l q . l i.e.: Dicendum, q u o d persona de sui ratione dicit suppositum distinetum proprietate ad dignitatem pertinente. I,405b. Persona gehört darum zu denjenigen Begriffen, die auf Gott angewandt werden können, denn sie bezeichnen eine Sache, cuius Veritas est in Deo et similitudo eius in creatura, ut potentia, sapientia et voluntas; et talia nomina transferuntur a creaturis ad Deum, non secundum rem, sed secundum impositionem, quia prius imposita sunt creaturis quam Deo, licet prius sint in Deo. I Sent, d.22 a.un. q.3 i.e.; I,396a.

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subsistdert31, enthält seine Kritik an der zuerst referierten Auffassung zugleich auch eine Kritik des ihr zugrunde liegenden Begriffs von essentia und substantia. Bonaventura selbst hat diese Kritik nicht durchgeführt, wohl deshalb, weil sie implizit in seiner Kritik am persona-Begriff enthalten ist. Sie ergibt sich aber, wenn man zusieht, wie Bonaventura den Begriff substantia bestimmt. Er baut seine Bestimmung auf vier affirmative Argumente. Das erste ist ein Rückgriff auf Augustin: Es unterliegt keinem Zweifel, daß Gott Substanz oder, besser noch, Essenz geheißen werde 32 . Dieses erste Argument weist sofort die Richtung: Es läßt anklingen den Gedankenkomplex der indubitabilitas bzw. cognoscibilitas Dei und unterstellt von daher zwischen substantia und essentia ein inneres Verhältnis der Nicht-Differenzierbarkeit. Das zweite Argument beruht wesentlich darauf, daß die substantia keiner Wesensveränderung unterliegt (non transit in aliud) 33 . Der Sache nach ist hier angesprochen die Unveränderlichkeit Gottes 34 , und darauf zielt auch das dritte Argument, demzufolge Substanz insofern Substanz ist, als sie per se besteht 35 . Mit dem vierten Argument trägt Bonaventura unter Berufung auf Augustin die wichtigste Bestimmung in den substantia-Begriff ein: Substanz realisiert sich nicht in bezug auf irgend etwas anderes, sondern steht in einem Selbstverhältnis und unterliegt insofern keinerlei Abhängigkeit 36 . Aus diesen vier affirmativen Argumenten ergibt sich Bonaventuras Bestimmung von substantia: „Substanz 37 , soweit sie benennt, was durch sich 31

De myst. Trin. q.2 a.2 ad 3: tota deitas est in singulis personis plenissime et perfectissime. V,66a. 32 ISent. d.23 a.l q.2 f. 1: Augustinus libroquinto de Trinitate: ,Deus absque ulla dubitatione dicitur substantia, vel melius appellator, essentia.' I,406ab. 33 Ebd. f.2: substantia non transit in aliud. I,407a. 34 De myst. Trin. q.6 a.l f.9: omnis mutatio vel est ad esse, vel ab esse, vel in esse, quia omne, quod mutatur, vel esse accipit, vel esse perdit, vel ab uno esse in aliud transit, sive ab uno modo essendi in alium; sed Deus est ipsum purum esse, cum sit se ipso et actus purus: ergo nullo modo praedictorum modorum mutari p o t e s t . . . Ebd. £.10: Item, omnis mutatio vel est secundum substantiam, vel secundum accidens; sed Deus non mutatur secundum substantiam, cum sit incorruptibilis, necsecundum accidens, cum ei nihilomnino accidat. V,97b; vgl. ISent. d.8 p.l a.2q.l f.l; I,156a. 35 I Sent d.23 a. 1 q.2 £.3: ratio substantiae secundum Philosophum est quod est ens per se; sed solus Deus propriissime est ens per se: ergo nomen substantiae propriissime est in Deo. I,407a. Vgl. dazu I Sent, d.8 p. 1 a.2 q.2 i.e.: Invertibile (id est immutabile respectu mutationis ab ente in simpliciter non ens; ebd. I,160a) enim per naturam est, quod ex se ipso habet, ut possit stare. I,160b. 36 I Sent, d.23 a.l q.2 f.4: ratio substantiae secundum Augustinum est dici ad se et absolute; sed ibi est proprie dici ad se, ubi nulla est dependentia: ergo si hoc est in Deo, ergo etc. I,407a. — Dieses Argument umschließt eigentlich schon den Sachverhalt, den Ratzinger i\i seinem Aufsatz zum Wortgebrauch von natura 495 feststellt: Sofern substantia ad se ist und absolute, kommt im eigentlichen Sinne nur Gott substantielles Sein zu, während die Kreatur Sein nur als Beziehung ad aliud haben kann. 37 Ebd. concl.: Substantia, quatenus dicit stare per se, non per aliud, proprie dicitur in divinis; quatenus dicit substare accidenti inhaerenti, non admittitur; quatenus dicit substare sive alii distinguenti sive alii perficienti, reeipitur, sed magis propter imperfectionem nostri intellectus quam secundum proprietatem divini esse. 1,407b.

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selber Bestand hat und nicht durch ein anderes, ist im eigentlichen Sinne auf Gott zu beziehen. Soweit mit dem Begriff der Träger eines accidens inhaerens gemeint ist, ist er auf Gott nicht anwendbar; soweit mit dem Begriff das Verhältnis zu einem von der Substanz zu Unterscheidenden, welches eine Unterscheidung vollzieht, oder auch zu einem von der Substanz zu Unterscheidenden, welche die Vollendung ausmacht, gemeint ist, kann man den Begriff benutzen; das entspringt aber eher der Unvollkommenheit unseres Verstandes, als daß es der Eigenart des göttlichen Seins gemäß ist." Wir werden auf die inhaltlichen Konsequenzen der hier gegebenen Bestimmungen im Zuge der Erörterung der personalen Distinktion noch zu sprechen kommen. Hier kommt es zunächst darauf an, festzuhalten, welche Momente die Eigenart des Substanzbegriffs Bonaventuras ausmachen. Das Wesentliche des substantia-Begriffs liegt dieser conclusio zufolge darin, daß Gott Substanz zuzusprechen ist, sofern der Begriff substantia ein bestimmtes doppelseitiges Verhältnis impliziert 38 . In diesem Verhältnis unterliegt die substantia nach der einen Seite darin, daß sie durch sich selber Bestand hat, in vollkommener Identität einer Unterscheidung; das heißt, es ist mit substantia eine persona distinguens gesetzt. Auf die vollkommene Identität kommt es dabei an 3 9 : Indem mit der Substanz eine persona distinguens gesetzt ist, verhält sich diese, die persona, zu jener, der substantia, nicht als ein Zweites zu einem Ersten, sondern als der Vollzug oder besser: die Wirklichkeit von Substanz. Die durch sich selber bestehende Substanz Gottes steht damit zu sich selber im Verhältnis von stare per se und esse ab alio oder auch im Selbstverhältnis als actu existens. Nach der anderen Seite hat Substanz Bestand nicht bloß im Selbstverhältnis von distinguibilis und distinguens 4 0 , sondern in diesem Selbstverhältnis, 3 8 Ebd. i.e.: Dicendum, quod nomen substantiae a duplici proprietate potest did, videlidet a per se stando, non per aliud; et sie proprie est in divinis, et magis etiam proprie quam in creaturis; vel a substando alii vel aliis, et hoc est tripliciter: vel alii inhaerenti, et sie falso et improprie dicitur.. .; vel alii distinguenti, et sie dicitur in divinis non omnino improprie nee omnino proprie, quia proprietas illa non inhaeret, sed distinguit, et ideo non facit subsistere sive substare, quasi sub alio stare, sed existere, quasi ab alio esse — et hinc est, quod Richardus dicit in libro de Trinitate, quod .melius dicitur existentia quam substantia' - vel quia substat alii ut perficienti, et sie dicitur res naturae substare respectu essentiae. I,407b. — Die Stelle bei Richard IV De Trinitate cap. 20; PL 196, 944. 3 9 Vgl. I Sent, d.33 a.un. q.2 i.e.; I,572ab. 4 0 So sagt Bonaventura nicht. Das distinguibile wird von ihm nicht genannt. Wohl aber setzt das distinguens das distinguibile voraus. Dieses aber ist eigendich nicht substantia, sondern substantia als persona distineta (s. o. zum persona-Begriff). Insofern sagt Bonaventura, daß das Selbstverhältnis von substantia und distinguens auf Gott angewandt wird non omnino improprie nee omnino proprie, quia proprietas illa (sc. distinguens) non inhaeret, sed distinguit, et ideo non facit subsistere sive substare, quasi sub alio stare, sed existere, quasi ab alio esse (ebd. i.e.; I,407b). „Ab alio esse" aber ist eigentlich im Zusammenhang der trinitarischen Erörterung eine Bezeichnung derjenigen göttlichen Personen, die nicht der Vater sind, und insofern verhält sich substantia nicht zu sich selber als distinguens zu sub alio stare, sondern als distinguens zu distinetum, also als Verhältnis innergöttlicher Personen: respectus et relationes, proprie loquendo, sunt in personis, non in essentia; quia personae secundum eos referuntur et distinguuntur, in essentia autem non, quia nee refertur nec distinguitur. I Sent, d.33 a.un. q.2 i.e.; I,575b.

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darin sie actu existens ist, enthält sie das perficiens, das heißt, im Verhältnis von distinguibilis zu distinguens, also in ihrer Existenz, ist substantia actu perfecta oder auch die vollkommene Essenz. Indem mit der durch sich selbst seienden Substanz ein Verhältnis zum distinguens, also eine Beziehung auf persona gesetzt ist, ist darin zugleich ein Verhältnis zum perficiens enthalten, sofern substantia erst in dieser Beziehung eine Sache ist, die wesentlich Bestand hat 41 , also invertibilis ist 42 . Damit ist gleichsam der äußere Rand von Bonaventuras substantia-Begriff gelegt. Worauf es ankommt, ist dies, daß gemäß dem Augustin-Zitat die substantia, sofern sie per se ein Verhältnis zum distinguens und zum perficiens impliziert und darin substantia ist, inhaltlich essentia meint: Sofern sie actu existens ist, ist sie dies in Hinsicht auf ihre Vollkommenheit, ist substantia wesentlich in ihrem Bezug auf und als essentia. Wenn hier etwas Richtiges an Bonaventuras substantia-Begriff gesehen ist43, so wäre zu erwarten, daß er jene erste Problemlösung, die er referiert (s. o. S. 176), nicht nur unter Hinsicht des persona-Begriffs, sondern auch unter Hinsicht des substantia-Begriffs hätte kritisieren müssen 44 . Denn die Bestimmung der substantia als quod est oder concretio und der essentia als quo est oder abstractio läßt den Zusammenhang, in dem substantia in ihrem doppelseitigen Verhältnis zum distinguens und perficiens überhaupt erst substantia und darin essentia ist, außer acht, sofern jene erste Auffassung die Identität von substantia und essentia nicht in einer spezifischen Wesensbestimmung sucht, also nicht in einer angebbaren einheitlichen Wesensauszeichnung von substantia, letztlich also nicht in Gott selbst, sondern lediglich in einem je unterschiedlichen Betrachtungsmodus, so daß die Begriffsunterscheidung nur von diesem modus her zu bestimmen ist, nicht aber vom Wesen Gottes her. So gesehen, wäre in dieser Auffassung zumindest tendenziell ins Auge gefaßt, daß Gott hinsichtlich seines quod est oder auch seiner concretio oder bloßen Existenz betrachtet werden kann, ohne daß diese Betrachtung der Existenz Gottes notwendig auf die Betrachtung seines Wesens hinübergeführt würde, und man muß fragen, ob eine solche Sicht nicht das nomen Gott für allerlei Einträge öffnen würde dergestalt, daß, sofern der Aussage „Gott ist" nicht eine Näherbestimmung seines Seins angeschlossen ist, 41 I Sent, d.23 a.l q.2 i.e.: nomen substantiae . . . potest did . . . quia substat alii ut perficienti, et sie dicitur res naturae substare respectu essentiae. I,407b. 42 I Sent, d.8 p.l a.2 q.2 i.e.; I,160b. 43 Das ist nicht rhetorisch gemeint. Denn ich bin mir darüber im klaren, daß der Umgang mit bloßen begrifflichen Abstraktionen leicht in die Irre führen kann (zumal der Umgang mit diesen Begriffen uns heute nicht besonders geläufig ist) und zum andern durchaus geeignet sein mag, Verständnisbarrieren zu errichten, die diese Untersuchung eigentlich abbauen soll. Nun ist es gleichwohl aber nötig, zuerst einmal wie von außen an das Begriffsmaterial heranzutreten, welches die trinitarische Erörterung durchgängig trägt, um es vorläufigen Aus- und Abgrenzungen zu unterziehen, weil wir sonst dort, w o die Begriffe ihrem Inhalt nach allmählich beginnen, sich zu füllen, ständigen Definitionsschwankungen ausgesetzt sein werden. 44 Bonaventura deutet das nur an im Zusammenhang seiner Kritik an der dritten Auffassung. Dazu s. u. S. 185 f.

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Gott jenseits der Entfaltung seines Wesens als „Gott der Philosophen" gefaßt werden könnte. In seiner Kritik an der zweiten Auffassung 45 bezieht sich Bonaventura lediglich auf den hier unterlegten essentia-Begriff. Er führt das so aus: „Die zweite Betrachtungsweise des Problems 46 hat ebenfalls einen Fehler; denn die essentia, sofern sie ein nomen absolutissimum ist, kann offenbar nicht bezeichnet werden unter dem Begriff des Grundes in Hinsicht auf anderes." Diese Kritik wirkt auf den ersten Blick außerordentlich einleuchtend, aber sie ist es weniger, als es scheint. Denn zunächst scheint es durchaus denkbar, zumindest vom Kenntnisstand dieser Untersuchung aus, von Bonaventuras Ansatz beim esse cognoscibile Dei her eine solche Auffassung von essentia zu entwerfen. Schaut man genauer hin, so zeigt sich, worauf Bonaventuras Kritik zielt: Die essentia Dei ist hier eingeschränkt auf ihr esse causa causans. In dieser Einschränkung tritt sie zu sich selbst als einem nomen absolutissimum in Widerspruch, denn es bleibt, wird die essentia bloß als causa causans oder — von der anderen Seite betrachtet — als ratio essendi rerum creatarum begriffen, zumindest dunkel, inwiefern diese essentia über ihr esse causa causans hinaus auch als finis rerum creatarum betrachtet werden kann. Um diese finale Dimension aber geht es Bonaventura an entscheidender Stelle. Eine essentia nämlich, die als absolute lediglich causa causans ist, also essentia in ihrem Kausalverhältnis zur Kreatur, müßte in Gott eine notwendige und unauflösliche Beziehung nach außen eintragen, wenn Gott überhaupt eine essentia zukommen soll. Damit wäre auf diesem Wege eine Bindung Gottes an Welt überhaupt postuliert. Gottes essentia wäre so wesentlich relatio auf Welt. Nun läßt sich zwar der Begriff der relatio auf Gott anwenden, aber nur, sofern er das Verhältnis der göttlichen Personen zueinander meint. Er läßt sich auf Gotinicht anwenden, soweit er darüber hinaus ein Gott wesenhaftes Verhältnis zu der zu Nichtsein in Beziehung stehenden Kreatur meint 47 . Worauf es hier ankommt, ist dies, daß Gott ein Verhältnis zur Kreatur nicht wesenhaft ist, seiner essentia der Bestand der aus dem Nichts erschaffenen Welt nicht wesenhaft angehört. Dabei muß freilich scharf unterschieden werden zwischen dem Verständnis von essentia, von welchem die zweite Auffassung ausgeht, und dem Verständnis vom Sein Gottes, welches sich nach dem bisherigen Gang der Untersuchung als Bonaventuras Verständnis gezeigt hat. Eines ist, ob Gott essentiell in einem Verhältnis zur Kreatur steht, seine essentia also an dieses Verhältnis gebunden ist, wie die zweite Auffassung unterstellt; und ein anderes ist, daß Gott in einem bestimmten Weltverhältnis steht, welches kraft des auf den Deus humanatus hingespannten Seins S. o. S. 177. I Sent, d.23 a. 1 q.3 i.e.: Secundus modus similiter habet calumniam, quia essentia non videtur aliquo modo significari ut in ratione causae respectu aliorum, cum sit nomen absolutissimum. I,410a. - Vgl. oben S. 76 Anm. 19. 4 7 I Sent, d.30 a.un. q.3 i.e.: (in divinis) relatio est in persona respectu personae, sed non respectu creaturae. Nam Deus ad creaturam non habet ordinem nee habet aliam et aliam habitudinem. Et ideo nullo modo est realiter in Deo relatio respectu creaturae. 1,525b f. 45

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Gottes immer schon ein überwundenes Weltverhältnis ist. Das erste trägt eine Defizienz in Gott ein, das andere ist der höchste Ausweis der Macht Gottes 48 . Bonaventuras Kritik an der dritten Problemlösung ist gleichsam eine Zusammenfassung seiner Kritik an allen drei Meinungen. Seinen substantia-Begriff resümiert Bonaventura mit der Bemerkung: „Die dritte Lösung 49 hat ebenfalls einen Fehler, denn substantia ist ebenso als Abstraktion zu verstehen wie essentia." Über dieses Argument bemerkt das Scholion der Herausgeber, es habe mit dieser Begründung eine gewisse Schwierigkeit, denn Bonaventura scheine abzulehnen, daß man substantia im Sinne einer Konkretion verwenden könne, obwohl er I Sent, d.23 a.2 q.2 mit Thomas lehre, persona könne substantia genannt werden 50 . Die Sachlage ist hier in der Tat äußerst verwickelt. Zunächst einmal ist davon auszugehen, daß die Unterscheidung von abstractio und concretio in bezug auf Gott insofern nicht zutrifft, als von concretio auf Seiten Gottes nicht gesprochen werden kann. Denn die Unterscheidung von abstractio und concretio unterstellt der Sache nach ein Differenzverhältnis von forma und suppositum, und das wäre auf Gott angewandt: eine Wesensunterscheidung von essentia und persona. In Gott aber sind der Sache nach (secundum rem) essentia und persona identisch. Von daher ist von concretio in bezug auf Gott nur ex parte nostri zu reden 51 . Betrachtet man dazu die Stelle, auf die das Scholion verweist, so wird zumindest ein Moment der Argumentation Bonaventuras deutlich. Denn aus dieser Stelle geht hervor, daß in der oben (S. 182) erläuterten Weise substantia wesentlich ein Verhältnisbegriff ist, unter den das Verhältnis von essentia und persona subsumiert ist: „In jeder Substanz 52 , deren Merkmal es ist zu sein und zu wirken, erkennen wir notwendig die natura und den, der die natura hat. Weil also dieses Verhältnis in Gott statthaft, erkennen wir in Gott Natur und den, der Natur hat. Und die natura nennen wir substantia oder auch Essenz; und den, der die Natur hat, nennen wir Person." Mit dieser Bestimmung ist für den substantia-Begriff wiederum eine doppelte Hinsicht gewonnen: Sofern substantia der Sache nach das Verhältnis von esse und operari oder auch natura und persona 53 bezeichnet, bezeichnet sie als dieses Verhält48

Vgl. etwa Brevil. IV,1; V,241a. I Sent, d.23 a.l q.3 i.e.: Tertius modus habet calumniam similiter, quia substantia significat in abstractione, sicut essentia. I,410a. 50 Ebd. Scholion; I,411b. - Vgl. auch I Sent. d.5a.l q.l i.e.; I,112b. 51 Demyst. Trin. q.3 a.2opp.l; V,73aundebd. ad 1: Adilludquodprimoobiiciturincontrarium, quod simpücius est ens abstractum quam concretum; dicendum quod illud veritatem habet in eo, in quo differt forma et suppositum, in quo quidem est abstractio et concretio ex parte rei; in divinis autem proprie non ponitur concretio nisi ex parte nostri. V,76b; vgl. ebd. q.3 a. 1 ad 2; V,71b. 52 ISent. d.23 a.2 q.2 i.e.: in omni substantia, cuius est esse et operari, necessario intelligimus naturam et habentem naturam. Cum ergo hoc sit in Deo, intelligimus in Deo naturam et habentem naturam. Et naturam dieimus substantiam vel essentiam, habentem naturam dieimus personam. I,413b. 53 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Quoniam enim suppositi est agere per formam, personae est 49

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nis sowohl Gottes Sein in seiner Identität zu seinem operari, also die sachliche Identität von essentia und personaler Proprietät, als auch deren Distinktion. Das heißt, daß Gott substantia als dieses Verhältnis von essentia und persona hat, bedeutet unmittelbar, daß Gottes essentia nicht jenseits dieses ihres Verhältnisses zu persona zu suchen ist. Dann aber ist die essentia überhaupt nur essentia im Blick auf Gottes operationes (intrinsece), d. h. sie ist überhaupt nur personal subsistierende essentia bzw. substantia. Wenn nun von dieser essentia, die nicht anders denn in personaler Subsistenz oder in ihrem Verhältnis zu operari essentia ist, gesagt ist, sie sei abstractio, so ist diese abstractio immer schon abstractio als die substantia Gottes selbst, und das bedeutet: Der Einwand der Scholiasten, demzufolge Bonaventura, da er substantia auf die persona in Anwendung bringe und also substantia im Sinne einer concretio gebrauche 54 , möglicherweise in Selbstwiderspruch stehe, geht insofern an der Sache vorbei, als die Unterscheidung von abstractio und concretio in der Frage der Verhältnisbestimmung von essentia und substantia eine für Bonaventura höchst irrelevante Unterscheidung ist. Diese Auslegung wird bekräftigt durch das zweite Argument, welches Bonaventura gegen die dritte Auffassung anführt: „Es ist zudem zweifelhaft, ob man Hypostasen ausmachen könne jenseits ihrer Proprietäten; und daher, wenn man das nicht kann, wie kann es zutreffen, sie so zu bezeichnen?" 55 Der innere Zusammenhang zwischen beiden Argumenten liegt offenbar darin, daß, wenn essentia überhaupt nur essentia im Verhältnis zu persona ist, die Personen (wie oben S. 178 zum Person-Begriff gezeigt) hinsichtlich ihres gegenseitigen Verhältnisses im innergöttlichen Wirkungsfeld Personen als Proprietäten sind. Sie sind modi essendi der göttlichen essentia (und darin ihr identisch) und als diese modi essendi je zu unterscheiden (und darin der essentia nicht unmittelbar identisch)56. Aus diesem Verhältnis der Identität ist zu folgern, daß substantia, sofern unter sie esse und operari oder essentia und persona gefaßt sind, als modus essendi immer der essentia identisch und also ebenfalls abstractio ist und anderseits, in ihrer Anwendung auf persona 57 als den bestimmten modus essendi und also von essentia unterschieden, nichts anderes bezeichnet als das bestimmte Verhältnis, in welchem die essentia ihrem Wesen nach subsistiert. Insofern geht dann Bonaventuras eigene Lösung nicht darauf aus, mit Hilfe der Unterscheidung von abstractio und concretio essentia und substantia voneinander abzusetzen, sondern in beiden Begriffen geht es um die eine zentrale Bestimmung des göttlichen Wesens: „Und deshalb S8 muß man auf eine vierte Weise das Problem lösen. Denn producere et produci, non naturae, sed naturae est per productionem communicari. V,65b. 54 Vgl. I Sent, d.23 a.2 q.l concl.; I,412a; auch Brevil. 1,4; V,213a. 55 I Sent, d.23 a.l q.3 i.e.; I,410a; s. o. S. 180 Anm. 28. 56 De myst. Trin. q.3 a.2 ad 13; V,78a. - Im einzelnen wird dieser Sachverhalt noch im Abschnitt über die Relationen zur Sprache kommen. 57 Ebd. q.2 a.2 ad 8; V,66b. se I Sent, d.23 a.l q.3 i.e.: Et propterea quartus modus dicendi est, quod cum fides dicat,

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da der Glaube sagt, Gott sei der dreieine, soweit er ihn Einen nennt, können wir nicht wahrnehmen, daß er Einer ist, ohne daß wir einsehen, daß er und worin er Einer ist; und worin das göttliche Sein Eines ist, ist das, darin es ist; und daß es Eines ist, ist das, daß es ist. Das erste ist die essentia, das zweite die substantia." Das Entscheidende dieser Verhältnisbestimmung, die Bonaventura den anderen Meinungen entgegensetzt, liegt darin, daß essentia und substantia nicht im Verhältnis von abstractio und concretio gegeneinander abgegrenzt werden, sondern daß dieses Verhältnis umgriffen ist von einer bestimmten Eigenart Gottes: von seiner unitas. Das heißt, Gottes essentia bestimmt sich als essentia nicht in der bloßen Abstraktion quo est und seine substantia nicht in der bloßen Konkretion quod est, sondern quo est und quod est bestimmen sich von der Einheit Gottes her. Wenn das, worin Gott ist (also seine essentia) das ist, worin er Einer ist, und das, daß Gott ist (also seine substantia) das ist, daß er Einer ist, so ist das Verhältnis von essentia und substantia nicht in sich im Verhältnis von abstractio und concretio zu bestimmen, sondern in seiner Beziehung zur unitas Dei59. In ihr sind abstractio und concretio oder quo est und quod est oder essentia und substantia identisch. Dann aber beinhaltet, worin Gott ist, immer zugleich, daß er ist. Denn wenn das, was Gottes Einheit ausmacht (quo est unum), seine essentia ist, dann ist zugleich das, was seine Einheit ausmacht, das, dem es sich verdankt, daß Gott ist. Der Umstand, daß Gott Einer ist (und also daß er ist, ihm also substantia zukommt), verdankt sich also dem, daß Gott in seiner Einheit Gott ist. Die substantia Gottes verdankt sich auf diese Weise seiner essentia, sofern das seine essentia bestimmende Moment, die unitas, zugleich macht, daß Gott Einer ist. Und wenn wiederum die Aussage, daß Gott ist, sich dem verdankt, daß Gott Einer ist, und dies wiederum dem, worin Gott Einer ist, so liegt im Begriff der unitas Dei der inhaltliche Knotenpunkt, von dem her die Essenz Gottes ihre inhaltliche Bestimmung erfährt 60 . Darum geht es nunmehr um die Einheit Gottes.

Deum esse trinum et unum, in quantum dicit unum, non possumus intelligere unum, quin intelligamus quod est et quo est unum; et quo est unum est illud quo est, et quod est unum est illud quod est. Primum est essentia, secundum substantia. 1,410a. 59 Darauf kommt es hier entscheidend an. Wenn Stohr 81 unter Berufung auf diese Stelle sagt: „Die beiden ersten (sc. Begriffe essentia und substantia) fallen ins Gebiet der Wesenseinheit, und zwar versteht man unter essentia das abstrakte Wesen, ,quo Deus est unus', unter substantia das konkrete Wesen, ,quod est u n u m ' " , so geht das daran vorbei, daß es für Bonaventura überhaupt nicht um abstractio und concretio geht, sondern um die unitas Dei, welche, die essentia Gottes bestimmend, Gottes Existenz setzt. 60 Dies dürfte zugleich der innerste Grund dafür sein, daß Bonaventura auf Gottesbeweise im eigentlichen Sinne verzichtet. Denn wenn die Aussage, daß Gott ist, immer schon die Aussage, daß Gott Einer ist, impliziert, so ist sofort mit der Frage nach der Existenz Gottes und in ihr die Frage nach dem Wesen Gottes gestellt. Eine Fragestellung, die fragt: an Deus sit (wie Thomas S.th. I q.2) und dann erst quid Deus sit, ist für Bonaventura von daher schon deshalb unmöglich, weil sie, sofern sie nicht im Ansatz schon auf die unitas Dei, also auf das, worin Gott ist, rekurriert, notwendig auch an seinem quod est oder seiner Existenz vorbeigeht.

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b) Die Einheit Gottes „Daß Gott 61 Einer ist, ist nicht nur eine glaubbare Wahrheit, sondern auch eine wahrnehmbare." Mit diesem Satz beantwortet Bonaventura die Frage, ob das göttliche Sein zuhöchst Eines sei, und damit ist sofort eine maßgebliche Feststellung getroffen: Die Einheit Gottes gehört grundsätzlich in den Zusammenhang der credibilitas Dei, und von daher und insofern erst ist sie intelligibel. Diese Voraberwägung erhält ihr Gewicht von dem Zusammenhang her, in welchem Bonaventura von der credibilitas redet. Denn das Bestimmende für die intelligibilia, die durch Vernunftgründe belegt werden können, ist allemal das credibile62. Wenn es darum von der unitas Dei heißt, sie sei nicht nur credibilis, sondern auch intelligibilis, so handelt es sich bei dieser unitas offenbar nicht um einen Sachverhalt, der der vernünftigen Einsicht in sich bereits zugänglich ist, sondern um einen solchen, der das credibile in Gott voraussetzt, um der vernünftigen Einsicht zugänglich zu sein. Von dem credibile aber ist bereits die Rede gewesen: Dort, wo Bonaventura credibile sagt, ist sachlich immer Gottes Dreiheit gemeint. Denn credibilis ist Gott, sofern er der Deus trinus ist63. Für die Frage nach der Einheit Gottes bedeutet das, daß das esse unum nicht jenseits des Zusammenhanges betrachtet werden kann, in welchem Gott der Deus trinus ist. Die Lehre von der Einheit Gottes und die Möglichkeit, Einsicht dahinein zu gewinnen, hängt also wesentlich am credibile oder auch an der Dreiheit Gottes. Gottes Einheit setzt Gottes Sein in dreifältiger Subsistenz voraus. Das ist freilich bereits ein Umstand von höchster Gewichtigkeit. Denn das credible oder die Dreiheit Gottes ist, wie sich oben (S. 158) gezeigt hat, nicht jenseits des Verhältnisses von Inkarnation und Trinität auszumachen. Das credibile, von dem Bonaventura spricht, ist immer auch schon dasjenige credibile, auf welches sich der Glaube an den Deus humanatus bezieht64. Denn „niemand wird gerettet65, er sei denn ein Glied Christi; ein Glied Christi aber ist nur, wer ihm verbunden i s t . . . durch Glauben, Hoffnung und Liebe: also kann niemand gerettet werden ohne den Glauben an Christus. Aber der Glaube an Christus schließt ein den Glauben an die ewige Zeugung, und dementsprechend geht es um die Unterscheidung der Trinität: also ist es ohne den Glauben an die Trinität unmöglich, gerettet zu werden." Wenn also von der unitas Dei gesagt ist, sie sei nicht nur credibilis, sondern auch intelligibi61 De myst. Trin. q.2 a. 1 concl.: Deum esse unum est verum non tantum credibile, sed etiam intelligibile. V,61a. 62 Hex. X,4; V,377bf. 63 De myst. Trin. q.l a.2 concl.; V,54b. 64 Vgl. Brevil. Prol. § 4; V,205b. 65 De myst. Trin. q.l a.2 f.6: impossibile est, aliquem salvari, qui non sit membrum Christi; sed membrum esse non potest, nisi sit connexum; connexum autem esse non potest nisi per fidem, spem et caritatem: ergo nullus potest salvari sine fide Christi. Sed fides Christi includit fidem aeternae generationis, et secundum illam attenditur distinctio Trinitatis: ergo sine fide Trinitatis impossibile est, aliquem salvari. Vgl. ebd. f.4 et 5; V,52a und Hex. VIII,11; V,371a.

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lis, so heißt das der Sache nach: sie setzt das Verhältnis von Inkarnation und Trinität voraus und kann insofern auch mit „soliden Vernunftgründen" 66 erkannt werden. So gesehen nimmt die Argumentation Bonaventuras in der Frage der unitas Dei einen ähnlichen Verlauf wie jene in der Evidenz Gottes: War jene faßbar in der Korrespondenz von falsitas und Veritas (s. o. S. 102 ff.), so ist diese nicht anders zu belegen als von dem vorauszusetzenden credibile oder auch dem Verhältnis von Inkarnation und Trinität her. Sind diese Erwägungen richtig, so steht zu vermuten: Der Begriff der Einheit Gottes nimmt wie schon das Sein Gottes selber Bezug auf Gottes Handeln an Welt 6 7 . Daß Gott Einer ist, belegt nicht nur das Zeugnis der Schrift und die Erleuchtung der Gnade (dazu gleich), sondern Gott gibt aus sich selber das Zeugnis seiner unitas sowohl, wie die Kreatur diese bezeugt 68 . Das Selbstzeugnis Gottes von seiner Einheit sieht folgendermaßen aus: „Gott bezeugt seine Einheit 69 , denn das göttliche Sein hat jedweisliche 70 Einheit um seiner einzigartigen Erhabenheit und seiner erhabenen Einzigartigkeit willen. Denn da Gott alle Vollendung in sich hat, und dies im höchsten und hervorragendsten Sinne, bezeugt er sich als den Einen nicht nur aus der Erhabenheit seiner Natur und Weisheit, Macht und Güte, Influenz und Kausalität, sondern aus allen seinen Wesenszügen (conditiones) und edlen Eigenschaften, welche ihm im höchsten Maße zugeschrieben werden. Daher bezeugen alle Wesenszüge Gottes die Einheit der höchsten Essenz." Diese zwei Sätze wollen genauestens abgewogen werden. Im ersten Satz trägt Bonaventura eine Beziehung in die unitas Gottes ein: Dem göttlichen Sein kommt Einheit zu „propter", also um - willen. Es ist ein doppelter Beziehungspunkt, um deswillen Gottes Sein Hex. X , 4 : rationes solidae . . . V,378a. Hier läßt sich sie Frage aufwerfen, ob nicht die Einheit Gottes mit in dem Zusammenhang hätte abgehandelt werden können, in welchem die Aussage „Gott ist" (2. Kap. 1. Abschnitt) erörtert worden ist. Daß hier nicht so verfahren ist, liegt an der besonderen theologischen Weise Bonaventuras. Die Aussage „Gott ist Einer" hat zum Ort (wie der in dieses Kapitel einführende Absatz hat zeigen sollen) das innere Wesen Gottes. Ihr systematischer Ort liegt darum nicht auf jenem äußeren Kreis, in welchem, ausgehend von der Seinsspekulation Bonaventuras in Hex. 1,12, das Sein Gottes in seinem bestimmten Weltverhältnis aus diesem seinem Weltverhältnis heraus zu befragen war, sondern in dem zweiten, inneren Kreis, in welchem aus den innersten Bestimmungen Gottes heraus auf sein Weltverhältnis zurückreflektiert wird. 66

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6 8 De myst. Trin. q.2 a . l i.e.: Dicendum, quod hoc verum, Deum esse unum, est verum non tantum credibile, verum etiam intelligibile; quoniam est necessarium et certum non solum ex testimonio Scripturae et illustratione gratiae, quod reperitur in fide; sed etiam certum est ex se et ex testimonio creaturae. V,61a. 6 9 Ebd.: E x se ergo: quoniam divinum esse propter singularem sublimitatem etsublimemsingularitatem omnimodam habet unitatem. Cum enim Deus omnem perfectionem in se habeat, et hoc in summo termino et excellentissimo, non solum ex sublimitate naturae et sapientiae, potestatis et bonitatis et influentiae et causalitatis convincitur esse unus, immo ex omnibus suis conditionibus et proprietatibus nobilibus, quae sibi attribuuntur in summo. Unde omnes conditiones attestantur unitati essentiae summae. V,61a. 7 0 Das Wort „jedweislich" ist für omnimodus bzw. omnimode gewählt, um im deutschen Text diesen besonderen Terminus sichtbar zu machen.

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Einheit zukommt: Zunächst um seiner einzigartigen Erhabenheit willen, zum andern um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen. Es handelt sich hier nicht um wohlfeile Wortspielerei. Denn von der einzigartigen Erhabenheit, um deretwillen Gott Einheit zukommt, ist schon mehrfach die Rede gewesen. Es ist die Erhabenheit, die Bonaventura in Hex. VIII im Deus aeternus findet 71 , die Erhabenheit, in der das esse sublime Dei, in seiner tiefinneren Erkennbarkeit auf den Deus humanatus hingespannt, Welt hervorbringt 72 . Das ist freilich nur die eine Hinsicht, um deretwillen Gott Einheit zukommt; die andere ist seine erhabene Einzigartigkeit. Diese ist von jener zu unterscheiden in der Weise, in der der Deus aeternus in seiner Hinspannung auf den Deus humanatus hin der Deus trinus ist. Denn darum geht es bei der erhabenen Einzigartigkeit Gottes: „Weil also 73 weder die Vielheit (der Personen) die Einheit teilt, noch die Einheit die Vielheit verwischt, deshalb erscheint das göttliche Sein einzigartig wunderbar und in wunderbarer Einzigartigkeit... Also Eines in mehreren zu sein ohne jegliche Vervielfältigung und Aufteilung der Essenz ist im eigentlichen Sinne das Proprium der göttlichen Natur und ihr einzigartiges Privileg." Entsprechend diesen beiden Bezugshinsichten erläutert Bonaventura im zweiten Satz die Einheit Gottes. In beiden Hinsichten ist Gott vollkommen. Nach der Hinsicht, nach welcher ihm Einheit zukommt um seiner einzigartigen Erhabenheit willen, bezeugt er sich selber in der Erhabenheit seiner Natur und Weisheit etc. bis hin zur Erhabenheit seiner Kausalität. Nach der Hinsicht, nach welcher ihm Einheit zukommt um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen, bezeugt er sich selber aus allen seinen Wesenszügen und edlen Eigenschaften. Unter diesen sind die conditiones essentiales Dei in se 74 , also all jene Eigenschaften Gottes verstanden, die in den Qq. De myst. Trin. im jeweils ersten Artikel in der in Brevil. 1,2 genannten Reihenfolge 75 abgehandelt sind. Betrachten wir nun die erste Erstreckung der Einheit Gottes: Da Gott in sich Einheit zukommt um seiner einzigartigen Erhabenheit willen, bezeugt er diese Erhabenheit aus der Erhabenheit seiner Natur und Weisheit, Macht und Güte, Influenz und Kausalität. Mit diesen dreimal zwei Begriffen belegt Bonaventura, daß nur ein Gott und Gott nur Einer sein kann 7 6 . Da in ihnen 71

Zu Hex. VIII,4 f. s. o. S. 109 ff. Daß dieser Sachverhalt im Hintergrund der Erwägungen steht, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß Bonaventura im Anfang des Artikels zur Einheit Gottes (V,59a) diese aus dem Anselmschen Beweis, aus der Unmöglichkeit, Gott nicht zu denken, herleitet. Wie Bonaventura diesen Beweis im Sinne der seinshaften Erkennbarkeit des göttlichen Seins interpretiert, haben die Überlegungen zur Evidenz Gottes ergeben. 73 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Cum igitur nec pluralitas dividit unitatem, nec unitas confundit pluralitatem;apparet divinum esse singulariteradmirabile, et mirabiliter singulare . . .Esse ergo unum in pluribus absque omni multiplicatione et diversificatione essentiae proprie proprium est divinae naturae et eius Privilegium singulare. V,65b. 74 Itn. VI,4; V,311b. 75 Brevil. 1,2; V,211a; s. o. S. 174 Anm. 3. 76 De myst. Trin. q.2 a. 1 f.7: Ex his arguitur, quod divinum esse non potest multiplicari nec re nec aestimatione. V,60a. - Dieser Satz resümiert das Ergebnis der Untersuchung, die Bonaventura ebd. f. 1 - 6 jedem dieser Begriffe gewidmet hat. 72

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Gottes höchste Vortrefflichkeit (excellentia)77 vollständig gefaßtist, sind alle sechs für das Selbstzeugnis der Einheit Gottes um seiner Erhabenheit willen konstitutiv. Denn wenn nur ein Begriff fehlte, so wäre Gott schon nicht mehr der Höchste und also nicht Gott 78 . Damit ist die Einheit Gottes nach der einen Seite im Gesamtzusammenhang dieses Begriffsfeldes zu betrachten. Im Bogen von natura bis causalitas ist Gott um seiner Erhabenheit willen Einer. Nun kommt es darauf an, wie diese Begriffe sich untereinander verhalten. In den Fundamenten 79 leitet Bonaventura aus jedem dieser Attribute Gottes die Unmöglichkeit ab, daß mehr als ein Gott sei oder gedacht werden könne und daß dieser Gott Einer und einfach 80 sein müsse. Aber nicht allein in diesen Einzelableitungen liegt der Sinn dieser Begriffsreihe. Ihr Sinn liegt vielmehr darin, daß sie in ihrer Vollständigkeit die Einheit Gottes begründet, und so ist Gottes erhabene Natur gekennzeichnet durch Weisheit; seine Weisheit durch Macht; seine Macht durch Güte; seine Güte durch Influenz; seine Influenz durch Kausalität; und in diesem Bogen begründet sich das Selbstzeugnis von Gottes Einheit um seiner Erhabenheit willen, begründet sich die erste Hinsicht des Zeugnisses Gottes ex se. Das ist überraschend, denn nicht nur der Begriff, in welchem die Reihe gipfelt, der Begriff der causalitas, sondern auch excellentia und influentia sind, auf Gott angewandt, Begriffe, welche in der Sicht der Kreatur beheimatet sind, Schöpfung also voraussetzen. Von selten Gottes nämlich gibt es nur einen Namen, durch den er sich zur Kenntnis bringt, und dieser Name ist „Groß" (magnus). Deshalb sagt Jer. 10,6: „Groß bist du und groß ist dein Name." 8 1 Betrachtet man dagegen den Grund, kraft dessen Gott sich zur Kenntnis bringt, unter Hinsicht der Wirkungen Gottes, also unter Hinsicht der Kreatur, so gibt es verschiedene Namen. Denn Gott wird uns dreifältig bekannt, und zwar durch Kausalität, durch Aufhebung (ablatio) und durch höchste Vortrefflichkeit (excellentia)82. Von diesen drei Begriffen, die auf Gott von 77

Esse excellentissimum nennt Bonaventura ebd. praenotata; V,59a das göttliche Sein. De myst. Trin. q.2 a.l praenotata: Si enim in aliquo horum pateretur defectum, iam non esset summus, ac per hoc non esset Deus. V,59a. 79 Ebd. f. 1 - 6 ; V,59 f. 80 Ebd. f.7: si plures dii essent, aut omnino convenirent in omnibus conditionibus praedictis, aut omnino different, aut partim convenirent et partim differrent. Si omnino convenirent: ergo non essent plures dii; si omnino differrent: ergo si unus esset Deus, alter non esset Deus; si vero partim sie et partim non: ergo in quolibet esset aliquid et aliquid: ergo neuter simplex, ac per hoc neuter Deus. V,60a. - Es folgt der in Anm. 76 zitierte Satz. 81 I Sent, d.22 a.un. q.2 i.e.: Si enim aeeipiatur ratio innotescendi ex parte Dei, sic innotescit pervirtutem, quae una et magna est; etsicunum nomenDei est et magnum sive maximum. Unde Ieremiae decimo:,Magnus es tu, et magnum nomen tuum', quantum ad rationem innotescendi sive virtutem, per quam innotescit, secundum quod dicitur in Psalmo: ,Notus in Iudaea Deus, in Israel magnum nomen eius.' 1,393b. 82 Ebd.: Si autem accipiatur ratio innotescendi rati one effectuum sive creaturarum, sic diverse sunt nomina. Nam Deus innotescit nobis tripliciter, scilicet per causalitatem, per ablationem et per excellentiam; et secundum hoc est multitudo nominum. Si enim nominetur per causalitatem multa sunt nomina, quia mukös habet effectus; si per ablationem, multa sunt nomina, quia multa removentur, scilicet omnia creata; si per excellentiam, multa, quia in multis, in om78

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seiten der Kreatur Anwendung finden, sofern sich Gott in ihnen bekannt macht, benutzt Bonaventura zwei in der Erörterung der unitas Dei in De myst. Trin. q.2 a . l : den der excellentia und den der causalitas 83 , und so besteht schon von der Begriffswahl her ein Zusammenhang zwischen der Einheit Gottes und seinem bestimmten Weltverhältnis. Denn wenn Bonaventura nomina, die ex parte creaturae auf Gott Anwendung finden, zur Erläuterung der unitas Dei nutzt, und zwar so, daß keiner der in der Reihe von natura bis causalitas genannten Begriffe und Begriffsinhalte ausfallen darf, wenn anders Gott seines Gottseins nicht verlustig gehen soll, so bedeutet das nichts anderes, als daß Gottes Einheit ein bestimmtes Weltverhältnis impliziert. Auch der Begriff der Influenz weist in diese Richtung. Hätte Gott etwa einen Mangel an Influenz, so wäre er nicht der Höchste und also nicht Gott 84 . In dem der Influenz gewidmeten Fundament wird das auf folgende Weise ausgeführt: „Von seiten der Influenz 85 muß man so argumentieren: Gott strömt auf vollkommenste Weise in alle Dinge ein: Also gibt er ihnen ihr ganzes Sein, nicht nur einen Teil davon." Bonaventura zieht daraus die Folgerung, daß die Schöpfung nur einen Gott zum Schöpfer haben kann; denn gäbe es mehrere Götter, so gerieten sie in der Schöpfung in Widerspruch untereinander, da entweder nur Einem oder aber gar keinem die höchste Influenz zukommen kann 86 . Der wichtigste Punkt dieser Argumentation liegt darin, daß der Begriff der Influenz, der für die unitas Gottes unabdingbar konstitutiv ist, auf Gott den Schöpfer abhebt, der die Schöpfung realiter hervorbringt. Bonaventura sagt in dem genannten Fundament nicht: Deus habet (oder convenit ei) rationem influendi perfectissime, sondern er sagt so und indikativisch und von einem realen Tatbestand ausgehend: Deus influit in omnes res perfectissime. D. h., daß Gott vollkommen in die Dinge einströmt, ist der Ausweis der ihm zukommenden höchsten Influenz. Diese Influenz aber gehört zum unabdingbaren Selbstzeugnis von Gottes Einheit, so daß also die Aussage: Gottinfluiert die Dinge - und darin haben die Dinge Bestand - , der Sache nach ein Selbstzeugnis Gottes ist, jenseits dessen von Gottes Einheit nicht gesprochen werden kann. Wenn diese Überlegungen richtig sind, so liegt auf der Hand, daß der Begriff der Einheit Gottes ein zutiefst dynamischer Begriff ist; ein dynamischer Begriff, der über die innergöttlich-trinitarische Dynamik hinaus bereits auf der Seite der essentia Dei dieses Wesen im Blick auf Gottes Weltverhältnis nibus scilicet conditionibus nobilitatis, excedit creaturis. I,393b. - Zur excellentia vgl. auch Hex. X,6; V,378a. 83 De myst. Trin. q.2 a.l praenotata; V,59a. 84 Ebd. 85 Ebd. f.5: Ex parte influenzae arguitur sie. Deus influit in omnes res perfectissime: ergo dat totum esse, non partem; sed si essent plures dii, aut unus nihil daret, et ita non esset Deus; aut uterque partem, aut nihil daret, et ita neuter esset Deus; aut uterque idem daret, et tunc uterque simul esset in eodem per essentiam et potentiam et praesentiam; et quia hoc sequitur ad summam influentiam: ergo vel unus esset in altero, vel uterque circumscriptus, et ita neuter esset Deus. V,60a. 86 Vgl. Anm. 85.

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konstituiert. Wenn Gott Einheit zukommt, sofern er von erhabener Natur und Weisheit, und darin von erhabener Macht und Güte, und darin wiederum von erhabener Influenz und Kausalität ist, und wenn weiter in dieser dynamischen Reihe Gottes eigenes Zeugnis von seiner Einheit liegt87, und wenn nächstens Gottes essentia nicht das ist, quo est, sondern das, quo est unus, und Gott Einer ist in der Vollständigkeit dieser Begriffsreihe und dessen, was sie der Sache nach enthält, so liegt in dieser Reihe zugleich Gottes essentia beschlossen. Darin, daß Gott von erhabener Natur und Weisheit ist, von Macht und Güte, Influenz und Kausalität, darin ist er Einer und darin wird sichtbar, quo Deus est unus, wird sichtbar die essentia Dei. Allerdings ist damit die Bestimmung der essentia Dei noch nicht am Ende. Das corpus des Artikels, um das es hier geht, erklärt ausdrücklich, Gott habe Einheit „propter", um willen seiner einzigartigen Erhabenheit und erhabenen Einzigartigkeit. Dabei hat diese Interpretation die Reihe von natura bis causalitas auf die einzigartige Erhabenheit Gottes bezogen: Um ihretwillen ist Gott Einer in diesem Bogen. Gott hat aber Einheit noch in einer zweiten Hinsicht: um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen. Diese zweite Hinsicht umfaßt alle Wesenszüge oder auch edlen Eigenschaften Gottes 88 , also Gottes unitas, simplicitas, immensitas, aeternitas, incommutabilitas, necessitas et etiam primitas 89 . In ihnen kommt Gott Einheit zu um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen. Die im Bogen von natura bis causalitas konstituierte Einheit Gottes ist hier eingereiht als Erstling einer neuen Begriffsreihe, welche in der primitas Gottes gipfelt. Von ihr heißt es De myst. Trin. q.8: „Die primitas 90 setzt also in bezug auf das primum principium die vollkommenste Trinität unter Hinsicht der Ordnung (ordo), des Ursprungs (origo) und der Unterscheidung (distinctio), der Gleichheit, der Gleichewigkeit, der Gleichweslichkeit; sie setzt alles in allem (etiam) Einheit, Einfachheit, Unermeßlichkeit, Ewigkeit, Unveränderlichkeit und Aktualität: Sie setzt also die Dreiheit des ersten Anfangs zusammen mit den oben genannten Wesenseigenschaften." Die Eigenart dieser zweiten Bezugshinsicht gründet darauf, daß in ihr, ausgehend von der unitas Dei, die Gott um seiner Erhabenheit willen hat, diese selbe unitas sich bezeugt, die Gott um seiner Einzigartigkeit willen hat, indem sie über sich selbst hinausgreift auf alle anderen Eigenschaften Gottes, und zwar so, daß die unitas (und darin sie sich konstituiert, also die Reihe von natura bis causalitas) ihrerseits der das Sein Gottes zusammenfassenden primitas Gottes subsumiert wird 91 . Gottes primitas aber beinhaltet sowohl die 87

Ebd. i.e.; V,61a; s. o. S. 189 Anm. 69. Ebd.; V,61a. 89 De myst. Trin. q.2-q.7, je a.l, und q.8; vgl. Brevil. 1,2; V,211a. 90 De myst. Trin. q.8 i.e.: Ponit igitur primitas circa primum principium trinitatem perfectissimam secundum rationem ordinis, originis et distinetionis, coaequalitatis et coaeternitatis et consubstantialitatis; ponit etiam unitatem, simplicitatem, immensitatem, aeternitatem, immutabilitatem et actualitatem: ponit igitur primi prineipii trinitatem cum essentialibus conditionibus supradictis. V,114ab. 91 Ebd.: primum principium hoc ipso quod primum, est summe unum. V,114b. 88

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Fischer, De Deo trino

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Trinität als auch alle genannten Eigenschaften Gottes von unitas bis necessitas bzw. actualitas, so daß, wenn Gott nicht bloß Einheit hat um seiner Erhabenheit willen, sondern auch um seiner Einzigartigkeit willen, seine Einzigartigkeit aber darin besteht, daß er „Einer ist in mehreren" 92 , und damit in seiner primitas, welche das Verhältnis von Einheit und Dreiheit Gottes oder auch von essentia una und tres personae in divinis bezeichnet, Gott der Sache nach Einheit um seiner primitas willen zukommt. Dann aber ist das Selbsterzeugnis Gottes von seiner Einheit, da sich Gott in ihm als den Einen um seiner Erhabenheit willen bezeugt, mit Gottes Kausalität nicht am Ende. Gottes Selbstzeugnis in natura, sapientia, potestas, bonitas, influentia und causalitas gewinnt eine Erstreckung auf Gottes primitas, also auf Gottes erhabene Einzigartigkeit hin. Das heißt, das gesamte Feld von natura bis causalitas, das der Erhabenheit Gottes zuzuordnen ist, ist ein Feld „propter", es ist also neuerlich und rückwärts zu lesen, so daß die Kausalität, in welcher Gott in seiner sich dynamisch entfaltenden natura Welt hervorbringt, Kausalität ist um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen. Das Ergebnis des progressiv gelesenen Bogens von natura bis causalitas, Gott in seinem Schöpferverhältnis zu Welt, ist damit nur eine Seite des Selbsterzeugnisses von Gottes Einheit. Es gewinnt erst Vollständigkeit darin, daß diese eine und erste Seite seines Selbstzeugnisses als eine Seite propter sublimitatem zugleich die andere propter singularitatem ist, in der sich Gott um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen bezeugt, also um seiner primitas willen, und das heißt: als den Deus trinus et unus. Darin erst erscheint Gottes einzigartige Erhabenheit als erhabene Einzigartigkeit. Zwischen Gott, da er einzigartig erhaben ist, und Gott, da er erhaben einzigartig ist, steht damit eine Reihe von zweimal sechs Begriffen, die, einsetzend mit der Erhabenheit seiner natura, mit seiner Einzigartigkeit endet: mit der nach Dreiheit und Einheit entfalteten primitas des göttlichen Wesens. Von daher sind sämtliche Begriffe, mit denen Bonaventura Gottes Eigenschaften ausgedrückt sieht, eingefaßt in die komplexe Dynamik, in welcher und als welche sich Gottes Wesen bestimmt. Mit diesen Überlegungen sind wir dem Begriff der Einheit Gottes einigermaßen nähergekommen. Wenn richtig ist, daß Gott in seiner Einheit sich bezeugt in doppelter Hinsicht: um seiner Erhabenheit willen in einem Bogen, der von natura bis causalitas reicht; und um seiner Einzigartigkeit willen darin, daß dieser Bogen rückwärts gelesen wird auf das primum principium hin, so ergibt sich daraus, daß Gottes Einheit nicht nur zutiefst dynamisch verstanden ist, sondern daß diese Einheit sich in einer ganz bestimmten Dynamik konstituiert: im Ausschwingen Gottes aus sich heraus und darin im Zurückschwingen auf sich selber. Hierin ist der innerste Nerv der Einheit Gottes zu suchen: Indem Gott Einer ist, ist er es im Verhältnis von sublimitas und singularitas, und wir werden diesen Sachverhalt in Erwartung des Zeugnisses der Kreatur so formulieren können: Gott ist Einer und es kommt ihm Einheit 92

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S. o. S. 190 Anm. 73.

zu in dem Verhältnis, in welchem er, ausgehend von seiner Natur, als Kausalität Schöpfung hervorbringt und in diesem Hervorbringen von Schöpfung in ihrer Rückführung auf sein esse primum hin das Ziel seiner Schöpfung ist. Der Begriff der unitas Dei in der Gotteslehre Bonaventuras gewinnt auf diese Weise seinen spezifischen Inhalt dergestalt, daß es in ihm nie um die bloße Aseität Gottes geht, sondern immer um Gottes bestimmtes Verhältnis zur Welt. Es geht darum, daß Gott in pro-ducere und re-ducere von Welt Einer ist. Insofern hängt Gottes primitas wesentlich an dem Verhältnis, welches unter seiner unitas begriffen ist. In ihm ist nicht nur die Hinsicht enthalten, in der Gott Welt hervorbringt, sondern in diesem Hervorbringen von Welt geht es zugleich um die Bezeugung der wesenhaften Erstlingsschaft Gottes und damit um Gott als den finis von Welt. So ist es nun zu verstehen, daß Bonaventura im Zuge der Erörterung der Einheit Gottes, der Einheit, die seine essentia ausmacht, ein doppeltes Zeugnis beizieht: das Zeugnis Gottes aus sich selber (von dem eben die Rede war) und das Zeugnis der Kreatur 93 . Mir scheint, es ist keineswegs selbstverständlich, in diesem Zusammenhang das Zeugnis der Kreatur anzuführen 94 ; vielmehr ist die Frage zu stellen, inwiefern und als was die Kreatur die Einheit Gottes bezeugt. In De myst. Trin. q.2 a. 1 praenotata und ebd. concl. spricht Bonaventura 95 von dem Zeugnis der Kreatur nicht. Er verweist dort lediglich auf die Notwendigkeit, die Einheit Gottes in dem vollständigen Begriffsfeld zu fassen, das im corpus articuli als Gottes Selbstzeugnis von seiner Einheit erscheint96, und das legt nahe, das zweite Zeugnis, das der Kreatur, als so dicht in das erste Zeugnis, das der Einheit Gottes von sich selber, hineingeschoben zu verstehen, daß beide Zeugnisse letztendlich als zwei Hinsichten eines Aktes der Selbstbezeugung Gottes verstanden werden müssen. Wir wollen das untersuchen. Soweit der Kreatur Einheit zukommt, bezeugt sie, daß sie einen Grund habe. Soweit aber unter der Einheit der Welt eine Vielheit von Dingen enthalten ist, bezeugt sie Gott als das letzte Ziel und darin als den einen ersten An93 Ebd. q.2 a. 1 i.e.: Deum esse unum . . . est necessarium et certum . . . ex se et ex testimonio creaturae. V,61a. 94 Thomas führt ebenfalls das Zeugnis der Kreatur an. S.th. I q. 11 a.3 i.e. belegt er, daß Gott Einer (und nur ein Gott) sei, dreifach: aus Gottes Einfachheit, aus Gottes unendlicher Vollkommenheit und aus der Einheit der Welt. Dieses letzte Zeugnis ist im wesentlichen darauf abgestellt, daß die Dinge der Welt in ihrer gegenseitigen Ordnung nur einem ordnenden Prinzip unterliegen können: Melius enim multa redueuntur in unum ordinem per unum, quam per muita . . . Cum igitur illud quod est primum, sit perfectissimum et per se, non per accidens, oportet, quod primum reducens omnia in unum ordinem, sit unum tantum. Et hoc est Deus. - Wie charakteristisch sich dieses testimonium ex creatura von dem, wie Bonaventura es versteht, unterscheidet, wird sich zeigen (s. u. Anm. 97). 95 Anders als Thomas, dessen concl. auf die Frage: Utrum Deus sit unus S.th. Iq. 11 a.3 lautet: Deus, cum sit omnino simplex, et infinitae perfectionis, est simpliciter unus; a quo est totius universi ordo. 96 De myst. Trin. q.2 a.l praenotata: Omnium enim mens ratione utentium supponit, Deum esse, quo maius et melius nihil exeogitari possit, ac per hoc excellentissimum natura et potestate, sapientia et bonitate, influentia et causalitate. V,59a.

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fang von Welt 9 7 . In diesem in ihr anzutreffenden Verhältnis von Einheit und Vielheit ist die Kreatur ein Zeugnis für die Einheit Gottes. Dieses Verhältnis läßt sich auch anders ausdrücken: als Verhältnis von habere unam causam und reduci ad finem ultimum. Darin ist Welt als Welt bestimmt. Würde sie nicht auf den finis ultimus zurückgeführt, fände also ein reduci an Welt nicht statt, so wäre, wie sich in Umkehrung sagen läßt, Welt nicht Welt, sie wäre nicht endlich, nicht begrenzt, nicht vollkommen. Damit Welt Welt sei, also endlich, begrenzt, vollkommen, wirklich Welt und Zeugnis von Gottes Einheit, muß sie auf den finis ultimus und darin auf den ersten Anfang zurückgeführt werden. Erst in dieser ihrer Heimführung bezeugt die Kreatur den einen Gott 9 8 , und so bezeugt die Kreatur Gottes Einheit ebenfalls in zwei Hinsichten, die man jetzt mit dem ersten Zeugnis, dem der Einheit Gottes von sich selbst, so zusammenordnen kann: Indem die Kreatur in ihrer Einheit auf einen Grund verweist, entspricht sie dem Selbstzeugnis Gottes in sich, in welchem ihm Einheit zukommt um seiner Erhabenheit willen, also dem Bogen von natura bis causalitas; indem die Verschiedenheit und Vielheit der kreatürlichen Dinge notwendig auf ein letztes Ziel zurückgeführt werden muß, entspricht die Kreatur dem Selbstzeugnis Gottes, in welchem ihm Einheit zukommt um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen, also dem rückwärts gelesenen Bogen von causalitas bis natura. Insofern bezeugt die Kreatur im Verhältnis von kreatürlicher unitas und diversitas bzw. im Verhältnis von habere unam causam und reduci ad finem ultimum die Einheit Gottes als das Verhältnis von pro-ducere und re-ducere oder auch als Verhältnis von Hervorbringen von Schöpfung und Heimführen von Schöpfung. Dies ist, scheint mir, der Skopus der Lehre Bonaventuras von der Bezeugung der Einheit Gottes durch das Zeugnis der Welt. Denn stellt man jetzt noch einmal die Frage, warum und inwiefern die Kreatur die Einheit Gottes in diesem ihrem Verhältnis von habere unam causam und reduci ad finem ultimum bezeugt, so ist zu antworten: Die Kreatur bezeugt die Einheit Gottes, indem sie Zeugnis davon gibt, daß sie hervorgebracht wird und daß sie heimgeführt wird. Und soll man nun nicht folgern, daß die Kreatur damit eigentlich etwas ganz anderes bezeugt als die Einheit Gottes (und dann wäre es in der Tat nicht mehr sinnvoll, dieses Zeugnis überhaupt beizuziehen), so müssen Hervorbringung und Heimführung von Welt als Zeugnis der Einheit Gottes zusammenkommen; 9 7 De myst. Trin. q.2 a . l i.e.: Ex testimonio autem creaturae: quoniam omnis creatura, sicut habet naturalem bonitatem, sie et convincitur habere unitatem . . . Sicut ergo omnis creatura per suam bonitatem clamat, in Deo esse veram bonitatem et summam; sie per suam unitatem clamat, omnium causam esse in se unam. - Nec huic testimonio obviat rerum diversitas. Omnis enim rerum diversitas intra unam universitatem est comprehensa, quae in se quidem est finita et limitata et perfecta. Hoc autem non esset, nisi ilia pluralitas reduceretur ad aliquid, in quo esset status; ac per hoc necessarium est, omnia reduci ad unum finem ultimum et unum prineipium primum, alioquin esset abire in infinitum. V,61ab. - Bonitas kommt der Kreatur zu, sofern sie von Gott erschaffen ist, und insofern bezeugt ihre natürliche Gutheit ihr Geschaffen-Sein; vgl. ζ. Β. II Sent, d.l p . 2 dub.2; II,51bf. 9 8 De myst. Trin. q.2 a . l i.e.: Testificator igitor ipsa rerum universitas, Deum esse unum. V,61b.

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und da sie zusammenkommen, kommen in Gott selbst seine Einheit und sein Hervorbringen und Heimführen von Welt zusammen. Und so ist der Grund dafür, daß die Kreatur Gott in seiner Einheit bezeugt, der, daß Gottes Einheit dieses Verhältnis von Hervorbringen und Heimführen selber ist. Wir stehen hier wiederum dicht am innersten Lebensnerv der Gotteslehre Bonaventuras. Dreht man nämlich seine Argumentation um und fragt: was also geschieht, wenn Welt nicht heimgeführt wird, so ist zu folgern: Welt, die nicht heimgeführt wird zu ihrem letzten Ziel und ihrer Ruhe, wäre nicht finit, nicht begrenzt, nicht vollkommen. Sie wäre in Ableugnung des sie erfüllenden Zieles ein Unvollkommenes und Infinites von der Gestalt des Bösen", sie wäre Nichts, nicht Welt noch Zeugnis Gottes. Das freilich sagt scheinbar zunächst nur etwas aus über Welt. Tatsächlich aber wäre das vor allem eine Aussage über Gott: Der Gott, der Welt erschafft, wäre, die reductio gestrichen, ein Gott, der im Akt der Schöpfung das Unendliche, das Unbegrenzte, das vollkommen Unvollkommene: das Nichts hervorbrächte. Aber nun könnte man immer noch sagen: Ja nun, Gott muß nicht erschaffen; sondern die Dinge liegen so, daß, da Gott in seinem unergründlichen Ratschluß faktisch erschaffen hat, er das Erschaffene auch heimbringt. Und darauf ist zu antworten: Wenn die Sicht, die hier von Bonaventura entwickelt ist, irgend richtig ist, so muß Gott in sich notwendig Heimbringer von Welt sein. Wir brauchen hier noch nicht einmal darauf zurückzugreifen, daß Bonaventura mit dem Sein Gottes nach allem, was sich bisher ergeben hat, immer das bestimmte Weltverhältnis Gottes gegeben sieht; sondern ich behaupte: Nach Bonaventuras Ansatz führt sich jede Hypothese, die Welt aus Gott herausstreicht, ad absurdum. Denn Gott, wäre er nicht in seinem Wesen reducens von Welt, könnte Welt überhaupt nicht erschaffen. Nicht nur, daß er Welt als Nichts hervorbrächte - er wäre selber in seinem ersten Ansatz bereits vom Nichts verschlungen. Wenn Gott Gott der Schöpfer sein soll, so muß er in sich der Deus reducens sein. Die Heimführung von Welt erscheint so gleichsam als die Bedingung der Schöpfung von Welt. Richtig ist gleichwohl, daß Gott nicht erschaffen muß. Aber da er erschaffen kann, ist sein bestimmtes Weltverhältnis, Gott als reducens von Welt, immer schon vorausgesetzt, so daß wir zu der scheinbar paradoxen Folgerung kommen: Erschüfe Gott Welt auch nicht, so stünde er doch als Gott notwendig in einem bestimmten Weltverhältnis. Und insofern erweist sich die Frage nach der Notwendigkeit der Schöpfung für Gott als eine unsinnige Frage: Nicht von der Faktizität der Schöpfung her ist sie zu stellen, sondern aus der Vollkommenheit Gottes, in welcher Gott in sich immer schon in einem bestimmten Weltverhältnis steht 100 . 99 Vgl. De myst. Trin. q.4 a.l i.e.; V,81a. - Davon wird noch gesprochen werden: s. u. S. 247 f. 100 In einem nur scheinbar anderen Zusammenhang sagt Bonaventura dazu: talis quaestio das bezieht sich auf die Frage, ob Gott eine bessere Welt hätte schaffen können - est irrationalis, et solutio non potest dari nisi haec, quia voluit, et rationem ipse novit. I Sent, d.44 q. 1 a. 1 ad 4; I,783b. - Das ist der Ort, an welchem eine etwas ausführlichere Stellungnahme zu der m. E.

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Ich finde mich in dieser Überlegung unterstützt durch die Schriftzitate, die Bonaventura beizieht, um die Einheit Gottes zu belegen. Denn daß das göttliche Sein Eines sei, findet sein übergeordnetes und hinreichendes Zeugnis in der Schrift. Dort heißt es Ex. 20,2f.: „,Dein Gott ist Ein Gott'; und Dtn. 32,39: ,Seht also, daß ich allein Gott bin und kein anderer Gott ist neben mir'; und David sagt im Psalm (80,10): ,Es wird dir kein neuer Gott erstehen, und keinen fremden Gott wirst du anbeten.'" 101 Alle drei Schriftzitate gehören in den Sachzusammenhang der unitas Dei, und mit ihnen ist das Verhältnis von Hervorbringung und Heimführung im ersten Ansatz bereits in die Lehre von der Einheit Gottes eingetragen. Gott ist Einer zunächst im Verhältnis von ,Deus unus, Deus tuus' und ,Videte ergo', und das heißt: Gott, da gründlichsten Arbeit zum Werk Bonaventuras, zu der Arbeit Gerkens über das Verhältnis von Schöpfung und Inkarnation, angebracht ist. In nicht wenigen Punkten nämlich decken sich die Ergebnisse Gerkens präzise mit den hier vorgelegten Überlegungen, so, wenn Gerken 45 Anm. 53 im Blick auf das Verhältnis von innerer und äußerer Dynamik Gottes von einem „quasiformalursächlichen Verhältnis Gottes zum Menschen" spricht, welches sich „durch die Inkarnation des Sohnes und die Sendung des Geistes" herstellt, und in welchem, „sobald Gott die Welt zu sich selbst heranholt, also in Beziehung zu seinem Innen s e t z t , . . . der vorher trotz aller exemplarischen Beziehung doch in sich geschlossene Kreise der Dreifaltigkeit in Übersteigerung des exemplarischen Verhältnisses zur Welt hin" aufbricht (vgl. auch ebd. 143 f.); und ebenso, wenn er einerseits zu dem Satz kommt: „Die Möglichkeit der Schöpfung ruht in der Wirklichkeit der Dreifaltigkeit" (81 mit Bezug auf Hex. 111,8 in der Lesart von Rep. A; Delorme 37), und anderseits die Frage stellt: „Ist nicht dieses Wunder der Inkarnation von Gott selbst her vielleicht der heimliche Grund auch der Möglichkeit der Schöpfung?" (ebd. 163), und damit im Zusammenhang beider Sätze das Grundverhältnis der Gotteslehre Bonaventuras, das Verhältnis von Inkarnation und Trinität, im Begriff ist aufzunehmen. Aber eben dies, daß von beiden Sätzen der zweite als Frage formuliert ist, kennzeichnet die Unsicherheit, die an diesem Punkt die Arbeit Gerkens durchzieht. Denn es ist dies der Punkt, an welchem Gerken, auf seine selbst gestellte Frage antwortend, zurückschreckt, wenn er sagt: „Gewiß ist damit nicht gesagt, daß es nicht eine Schöpfung ohne Inkarnation geben könnte", und ausführt: „Gott kann schaffen, ohne die Gnade zu wollen" (Zitate 163 f.). Genau in diesem Satz liegt ein Bruch in Gerkens Arbeit; denn Gerken kann „Gewiß" sagen und kann Gott eine Schöpfermacht zusprechen, die sich nicht an Gottes Gnadenwillen binden muß, obwohl er ansetzt mit der richtien Einsicht: „Es kommt (sc. B o n a v e n t u r a ) . . . in der Christologie darauf an, zu zeigen, daß Gottes Wirken nicht in willkürlich-positivistischer Manier vorgeht" (46); er kann zwischen Möglichkeiten in Gott und faktischen Taten Gottes unterscheiden in der Art, daß nach ihm (Gerken) im Denken Bonaventuras auch jenseits der großen Taten Gottes das Wesen Gottes Platz hätte für Möglichkeiten, die nicht nur im Widerspruch zu den tatsächlichen Taten Gottes stünden, sondern die als Möglichkeiten schon das Wesen Gottes selbst in Widerspruch brächten, sofern der Gott, der sich selber im Erschaffen von Welt als den Deus reducens bezeugt, da er sich als den Deus reducens bezeugt, nicht immer schon wesentlich in seiner Einheit der Deus reducens wäre, sondern, in sich die Möglichkeit einer die Welt dem Nichts überantwortenden, gnadenlosen Schöpfung enthaltend, jenseits seines Wesens sich als den Deus reducens in reductio von Welt erst gewönne. Dann aber zerfiele das infinite Wesen Gottes: Da er eine dem Nichts zu überantwortende Welt erschaffen könnte, müßte er in sich selber das Nichts wollen können, auf diese Weise nicht nur sich selber in Widerspruch bringend, sondern sich seines Gottseins begebend. 101 De myst. Trin. q.2 a.l praenotata: Circa primum sie proceditur et ostenditur, quod divinum esse sit summe unum. Et quod ita sit, satis intonat fides et Scriptura divina, Exodi vigesimo: ,Deus tuus, Deus unus est'; et Deuteronomii trigesimo secundo: ,Videte ergo, quod ego sim solus, et non sit alius Deus praeter me'; et David in Psalmo: ,Νοη erit in te Deus recens, neque adorabis Deum alienum'; et hoc satis praedicat Scriptura divina. V,59a.

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er wesenhaft Einer ist, ist meiner, unserer, und ich, wir sind auf ihn hin. Und darin, daß Gott, da er Einer ist, hin ist auf seine Kreatur und seine Kreatur kraft der Einheit Gottes hin ist auf Gott, öffnet sich das in den beiden ersten Zitaten namhaft gemachte Verhältnis zu einer Erstreckung nach vorn, in welcher, was die Einheit Gottes impliziert, aus derselben heraustritt als das lebendige Verhältnis von Gott und Mensch. Das zeigt das dritte Schriftzitat, in welchem Bonaventura indirekt die beiden ersten Zitate noch einmal zitiert: ,Es wird dir kein neuer Gott erstehen', ist der Sache nach der Aussage: ,Dein Gott ist Ein Gott' identisch, mit dem Unterschied freilich, daß von der Einheit Gottes her in die Zukunft verwiesen ist; ,und du wirst keinen fremden Gott anbeten', unterscheidet sich von dem zweiten Zitat sachlich in nichts außer ebenfalls in der futurischen Dimension, in welcher der Erkenntnisakt (videte) in den Akt der Anbetung umschlägt (adorabis). Nimmt man alle drei Zitate zusammen, so liegt in ihnen ein nachdrücklicher Ausweis für die der Einheit Gottes innewohnende Dynamik: Gott ist Einer in seinem Verhältnis zur Kreatur, und darin ist in der Einheit Gottes nicht nur der Kreatur ihre Aufgabe vor Gott zugewiesen, sondern zugleich versichert sich Gott in seiner Einheit seiner selbst als desjenigen, den die Seele anbeten wird 1 0 2 . Wenn also Bonaventura die Einheit Gottes in der Kreatur bezeugt sieht, so ist dieses Zeugnis Gott nicht nur äußerlich. Es ist kein zweites, zu dem Selbstzeugnis Gottes hinzutretendes, sondern es ist darin enthalten, daß Gott der Eine ist und sich als den Einen bezeugt. Gott ist in seinem Selbstzeugnis unum principium primum, indem er Welt gegenüber der finis ultimus oder auch der Deus reducens ist. In kürzerer, aber der Sache nach gleicher Weise ist dieser Sachverhalt aus dem Itinerarium zu belegen. Dort handelt Bonaventura im 5. Kapitel von der Schau der Einheit des göttlichen Seins durch den Namen seiner Erstlingsschaft (nomenprimarium), der heißt: Sein 1 0 3 . Es geht in diesem 5. Kapitel des Itinerariums um die essentia Dei entsprechend der Bestimmung von I Sent. d.23 a . l q.3, derzufolge die essentia Gottes darin als essentia Gottes bestimmt ist, quo Deus est unus 1 0 4 . Bonaventura sagt Itn. V: Um die Einheit des göttlichen Wesens zu betrachten, ist es nötig, das göttliche Sein in seiner Reinheit zu betrachten, das reinste Sein, dem keinerlei Nichtsein beigegeben ist 1 0 5 . Die Frage ist nun: Wie ergibt sich aus dem reinsten Sein die Einheit des 102

Einige Bemerkungen dazu s. u. S. 2 0 8 f.

So lautet die Überschrift von Itn. V: De speculatione divinae unitatis per eius nomen primarium, quod est esse. V , 3 0 8 a . 103

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S. o. S. 1 8 7 .

Itn. V , 3 : Volens igitur contemplari Dei invisibilia quoad essentiae unitatem primo defigat aspectum in ipsum esse et videat, ipsum esse adeo in se certissimum, quod non potest cogitari non esse, quia ipsum esse purissimum non occurrit nisi in plena fuga non-esse, sicut et nihil in plena fuga esse. V , 3 0 8 b . - Es handelt sich hier (vgl. auch ebd. Anm. 7 der Hrsgb.) nicht um geschöpfliches Sein, auch nicht um das von allen Akzidentien abstrahierte allgemeine Sein, sondern um das göttliche Sein, dessen Evidenz dem natürlichen Intellekt widerspricht (dazu s. o. 2 . Kap 1. Abschnitt b.): Sed h o c (sc. esse purissimum) non est esse particulare, quod est esse arcta105

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göttlichen Wesens, und inwiefern ist dieses reinste göttliche Sein Ein Sein? Die Antwort lautet zunächst: Weil das göttliche Sein sich nicht in Verschiedenes aufsplittert, deswegen ist das esse purissimum das zuhöchst Eine Sein 1 0 6 . Aber zwischen beiden Bestimmungen, derjenigen, nach der das Sein Gottes ein esse purum ist, und derjenigen, nach der Gottes Sein ein esse summe unum ist, liegt eine ganze Reihe weiterer Bestimmungen des esse purissimum, angesichts derer das esse purum überhaupt erst als esse unum in den Blick kommt. Denn „das Sein also 1 0 7 , welches reines Sein ist und einfach Sein und absolutes Sein, dieses Sein ist das Erste Sein, ewiges, einfachstes, aktualstes, vollkommenstes und zuhöchst Ein Sein." Aus dieser Reihe wird deutlich, daß zwischen dem esse purum Dei und seiner Bestimmung als esse unum eine Reihe weiterer Bestimmungen liegt, die die Einheit des göttlichen Seins vermitteln. Daß Gottes Sein Eines ist, steht dem Gefalle dieser Reihe nach als zusammenfassende Aussage erst am Ende dieser Kette, so daß von Gottes unitas jenseits dieser die Einheit seines Seins vermittelnden Begriffe nicht gesprochen werden kann 1 0 8 . Es würde zu weit führen, jeden einzelnen dieser Begriffe seinem besonderen Inhalt nach zu untersuchen. Deshalb muß die Feststellung genügen, daß zwischen dem esse purissimum Gottes und seiner unitas eine Vermittlung stattfindet, die in Itn. V über die Reihe der genannten Eigenschaften des göttlichen Seins geleistet ist. Brennpunktartig lassen sich alle diese Eigenschaften Gottes zusammenfassen in der einen Eigenschaft, die eine ähnlich zentrale Stellung einnimmt wie Gottes Einheit: in der simplicitas Dei 1 0 9 . Diese Eigenschaft werden wir unten noch im näheren untersuchen. Zuvor aber ist zu fragen, worin all die in der unitas Gottes kulminierenden Bestimmungen des göttlichen Seins ihre Relevanz erhalten. Auf diese Frage gibt Itn. V,6 in einer verblüffenden Wendung Antwort. Nachdem tum, quia permixtum est cum potentia, nec esse analogum, quia minime habet de actu, eo quod minime est. Restat igitur, quod illud esse est esse divinum. V,308bf. 1 0 6 Itn. V,5: Occurritpostremo (sc. esse purum )ut nihil habens diversificationis, ac per hoc ut summe unum. V,309a. 1 0 7 Ebd.: Esse igitur, quod est esse purum et esse simpliciter et esse absolutum, est esse primarium, aeternum, simplicissimum, actualissimum, perfectissimum et summe unum. V,309ab. 1 0 8 Itn. V,6: Quia primum, aeternum, simplicissimum, actualissimum, perfectissimum; ideo summe unum. V,309b. 1 0 9 Hex. X X , 6 : E s t . . . esse . . . purissimum autem, quia simplicissimum, simplicissimum autem, quia summe unum. Rep. A; Delorme 2 2 5 belegt diese Stelle nicht. - Vergleicht man die Stelle Hex. X X , 6 (Rep. B) mit jener aus Itn. V,6, so fällt zunächst auf, daß in beiden Stellen die Begründungsrichtung eine andere ist. Hier, in Hex. X X , 6 , begründet das esse unum, daß Gottes Sein simplicissimum ist; und daß es simplicissimum ist, begründet, daß es esse purissimum ist. Dort, in Itn. V, scheint der Begründungszusammenhang einen anderen Verlauf zu nehmen: Weil Gottes Sein einfachstes Sein ist, ist es Eines. Diese Differenz braucht aber nicht zu verwirren. Hier wie dort geht es darum, daß die unitas Gottes das göttliche Wesen bestimmt; denn die Folgerung: quia summe unum, ideo esse purissimum, ist der Sache nach in beiden Stellen enthalten. Verschoben ist lediglich der Blickpunkt. Während Itn. V die unitas Gottes aus dem esse purissimum ableitet, führt Hex. X X von der unitas her in das esse purissimum hinein. Beides, Ableitung und Hineinführung, schneidet sich im Zentralbegriff der simplicitas Dei. Darüber wird noch gesondert gesprochen werden.

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Bonaventura dort darauf verwiesen hat, daß das evidente Sein Gottes 110 nicht anders als in der genannten Begriffsreihe Ein Sein sein kann, schließt er völlig überraschend das Zitat Dtn. 6,4 an: ,Höre Israel, dein Gott ist Ein Gott.' 111 Und jetzt, nach dem Verweis auf Israel, erhält das göttliche Sein eine Reihe weiterer hinzutretender Bestimmungen: „Du aber 112 (sc. der Leser von Itn.) siehst vor dir, was dich zur Bewunderung Gottes erhebt. Denn dieses Sein selbst ist das erste und das jüngste (novissimum), ist ewig und höchst gegenwärtig, ist das einfachste Und größte, ist höchst vollkommen und unermeßlich, ist zuhöchst Eines und dennoch jedweislich." 113 In dieser zweiten Reihe kommt es auf die korrespondierenden Bestimmungen an: Gottes Sein ist novissimum, praesentissimum, maximum, immutabilissimum, immensum et omnimodum. All das sind Bestimmungen Gottes, die eigentlich nicht Gottes Weltverhältnis reflektieren, sondern in der Lehre von den Wesenszügen Gottes ihren Ort haben. Am deutlichsten zeigt sich das an der immutabilitas und der immensitas Gottes. Beides sind Bestimmungen, die Bonaventura an anderer Stelle 114 im Zusammenhang der Eigenschaften des göttlichen Seins abhandelt. Hier aber gewinnt Bonaventura sie über das Werk Gottes: „Wenn 115 du dies mit reinem Gemüt bewunderst, wird dir ein noch größeres Licht eingegossen; denn über das Bisherige hinaus (nämlich daß Gottes Sein primum et novissimum ist) siehst du: Gottes Sein ist deswegen das jüngste, weil es das erste ist. Weil es nämlich das erste ist, wirkt es alles um seiner 110

Die Evidenz Gottes ist am deutlichsten angesprochen Itn. V,3: ipsum esse adeo in se certissimum . . . V,308b. 111 Itn. V,6: E t s u n t h a e c (sc. conditiones Dei essentiales in se)itacerta, q u o d n o n potest ab intelligente ipsum esse cogitari horum oppositum, et unum horum necessario infert aliud. Nam quia simpliciter est esse, ideo simpliciter primum; quia simpliciter primum, ideo non est ab alio factum, nec a se ipso potuit, ergo aeternum. Item, quia primum et aeternum; ideo non ex aliis, ergo simplicissimum. Item, quia primum, aeternum et simplicissimum; ideo nihil est in eo possibilitatis cum actu permixtum, et ideo actualissimum. Item, quia primum, aeternum, simplicissimum, actualissimum, ideo perfectissimum; tali omnino nihil deficit, neque aliqua potest fieri additio. Quia primum, aeternum, simplicissimum, actualissimum, perfectissimum; ideo summe unum. Quod enim per omnimodam superabundantiam dicitur dicitur respectu omnium. ,Quod etiam simpliciter per superabundantiam dicitur, impossibile est, ut conveniat nisi uni soli' (secundum Philosophum). Unde si Deus nominat esse primarium, aeternum, simplicissimum, actualissimum, perfectissimum; impossibile est, ipsum cogitari non esse, nec esse nisi unum solum. Audi igitur, Israel, Deus tuus Deus unus est. - Si hoc vides in pura mentis simplicitate, aliqualiter perfunderis aeternae lucis illustratione. V,309b. 112 Itn. V,7: Sed habes unde subleveris in admirationem. Nam ipsum esse est primum et novissimum, est aeternum et praesentissimum, est simplicissimum et maximum, est actualissimum et immutabilissimum, est perfectissimum et immensum, est summe unum et tarnen omnimodum. V,309b. 113 Auch „ o m n i m o d u m " gehört De myst. Trin. q.2 a . l i.e. ausdrücklich zum Selbstzeugnis Gottes ex se: ex se . . . omnimodam habet unitatem. V,61a. 114 I Sent, d.8 p . l a.2: Deimmutabilitate Dei. 1,156ff.; De myst. Trin. q.6 a . l : Utrum esse divinum sit immutabile. V,97; und ebd. q.4 a. 1: Utrum divinum esse sit infinitissimum. V,79 (von der infinitas divinae potentiae handelt I Sent, d.43 a.un.; 1,764ff.). 115 Itn. V,7: Si haec pura mente miraris, maiore luce perfunderis, dum ulterius vides, quia ideo est novissimum, quia primum. Quia enim est primum, omnia operatur propter se ipsum; et ideo necesse est, quod sit finis ultimus, initium et consummatio, alpha et omega. V,309b.

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selbst willen; und deswegen ist es nötig, daß es das letzte Ziel sei, der Anfang und die Vollendung, alpha und omega." Durch diese Erläuterung sind diejenigen Eigenschaften Gottes, die in der zweiten Reihung den Eigenschaften der ersten Reihung korrespondieren, als Eigenschaften des göttlichen Seins ausgewiesen. Gott ist primum et novissimum, aeternum et praesentissimum, simplicissimum et maximum, actualissimum et immutabilissimum, perfectissimum et immensum, summe unum et omnimodum kraft seiner operatio propter se. Und wieder können wir die Argumentation umkehren und sagen: Wirkte Gott nicht um seiner selbst willen, so wäre er nicht der Letzte, nicht der Allgegenwärtige, nicht der Größte 116 , nicht der Unveränderlichste, nicht der Unermeßliche, nicht der Jedweisliche; und dann wäre er allerdings auch nicht der Erste, Ewige, Einfache, Aktualste, Vollkommenste und zuhöchst Eine. Sachlich liegt in dieser Umdrehung kein Unterschied zu jenem Argument, das uns im Zusammenhang der Erörterung der Evidenz Gottes in II Sent, d.16 a.l q.l bereits begegnet ist: Gott ist nicht das höchste Licht, er werde denn erkannt 117 . An dieser Stelle freilich vollzieht Bonaventura diese Umkehrung nicht. Er vollzieht sie deshalb nicht, weil die Nichtexistenz Gottes nicht bloß aus der Faktizität der Welt, sondern aus dem Begriff Gottes heraus undenkbar ist. Indem aber aus Gott heraus das Nichtsein Gottes undenkbar ist, kann ebenfalls aus Gott heraus das bestimmte Weltverhältnis Gottes nicht gestrichen werden. Über die Einheit des göttlichen Seins reden, heißt darum von seiner operatio propter se ausgehen. Das Zeugnis, das Gott von seiner Einheit gibt und welches Gott als den Schöpfer von Welt bestimmt, ist damit als dieses Zeugnis der Einheit Gottes konstitutiv. Indem (mit De myst. Trin. q.2 a.l) Gott Einer ist in der Vollständigkeit der Reihe von natura und potestas, von sapientia und bonitas, von influentia und causalitas 118 , ist er dieser Eine im von natura bis causalitas gegebenen Zeugnis seiner Einheit. Gottes Sein, Gottes Einssein und Gottes Zeugnisgeben sind von daher ein identischer Akt Gottes. Insofern sind die Eigenschaften des göttlichen Seins eingebunden in und angeschlossen an das göttliche Werk. So gut der Zusammenhang zwischen dem esse Dei primum und dem esse Dei novissimum durch die operatio Dei propter se hergestellt ist, so gut ist Gott Einer in dieser operatio und nicht abgesehen von ihr 119 . Darum ist der Begriff der unitas Dei, in welchem sich die essentia Gottes bestimmt, wesentlich zu verstehen als ein Begriff, welcher das bestimmte Verhältnis Gottes zur Welt zum Inhalt hat. Dieses Verhältnis selber ist es, in welchem Gottes Wesen sich 116 Maximum ist Superlativ von magnus, des Namens also, der ratione innotescendi als einziger ex parte Dei gilt; s. o. S. 191 Anm. 81. 117 S. o. S. 96. 118 De myst. Trin. q.2 a . l praenotata; V,59a. 119 Itn. V,7: Q u o d enim summe unum est est omnis multitudinis universale principium; ac per hoc ipsum est universalis omnium causa efficiens, exemplans et terminans . . . Est igitur omnimodum non sicut omnium essentia, sed sicut cunctarum essentiarum superexcellentissima et universalissima et sufficientissima causa; cuius virtus, quia summe unita in essentia, ideo summe infinitissima et multiplicissima in efficacia. V,310a.

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konstituiert. Erst von diesem bestimmten Weltverhältnis her fällt der Blick auf alle weiteren Eigenschaften des göttlichen Seins: Es ist immensum, immutabile etc. als dieses bestimmte Weltverhältnis Gottes. Damit erfahren nicht nur die einzelnen Eigenschaften Gottes selber eine tiefgreifende Dynamisierung, sondern die göttliche essentia selbst, sofern sie essentia ist, quo Deus est unus, ist wesentlich und zutiefst dynamisch verstanden. Gott ist Einer wesentlich als Deus producens, als Schöpfer von Welt. Indem dieser Eine aber Gott ist in der Einheit seines Seins, ist er als der Eine Schöpfer von Welt zugleich der finis von Welt. Daß Gott Welt notwendig hervorbringt, wäre von daher ein falscher Satz. Richtig ist: Gott bringt Welt notwendig als ein reducendum hervor 120 . Im Akt der Schöpfung von Welt ist Gott als finis von Welt 121 der Deus unus. Producere und reducere von Welt erscheinen von daher als die innere Wirklichkeit des Einen göttlichen Wesens. Wird also die Frage nach der essentia Gottes gestellt als Frage nach dem, quo Deus est unus, also als Frage nach seiner unitas, so ergibt sich: Gottes unitas gründet in den Bestimmungen, denen zufolge dem göttlichen Sein Natur und Weisheit, Macht und Güte, Influenz und Kausalität zukommt. Der Bogen von natura bis causalitas aber begründet nicht nur in seiner Vollständigkeit die Einheit Gottes; zugleich bezeugt sich Gott in ihm als den Einen Gott. Damit kommen Sein Gottes und Selbstzeugnis Gottes zusammen. Gottes Einheit begründet sich darin, daß er von ihr Zeugnis ablegt, und das heißt, in seiner Kausalität in dem genannten Feld Welt hervorbringt. Insofern begründet das Selbstzeugnis Gottes von seiner Einheit den Umstand, daß Welt Gott als den Einen bezeugt. Dieses Zeugnis der Kreatur kann aber nur dann Zeugnis der Kreatur von Gottes Einheit sein, wenn Welt wirklich Welt ist, also nicht unendlich, nicht schrankenlos, nicht unvollkommen. Daraus folgt: Gott bringt in der Bezeugung seiner Einheit Welt als heimzuführende hervor, Welt als ein reducendum. Erst darin erlangt das Selbstzeugnis Gottes von seiner Einheit seine Vollständigkeit: Im Hervorbringen von Welt bezeugt sich 120 I Sent, d.2 a.un. q. 1 ad 4: De alio vel de nihilo (Deus) non potest producere summum simpliciter, sed in genere, non propter defectum potentiae agentis, sed propter defectum creaturae, quam necesse est esse limitatem. I,52b. - Auf das letzte „necesse" kommt es an. Wenn Bonaventura sagt, Gott bringe Welt notwendig als „limitata" hervor, meint das nichts anderes, als daß er sie notwendig als ein reducendum hervorbringt; denn finita et limitata et perfecta . . . non esset, nisi ilia pluralitas reduceretur ad aliquid, in quo esset status. De myst. Trin. q.2 a.l i.e.; V,61b. 121 Es ist von höchster Wichtigkeit, daß in Itn. V, an der Stelle also, an der Bonaventura das göttliche Sein in sich betrachtet, der Verweis auf Gottes esse finis ultimus, quia primus und Gottes esse omnimodum, quia unum gleichsam als eine Klammer die innergöttlichen Eigenschaftsbestimmungen umschließt. Dieser Sachverhalt muß so verstanden werden, daß die Eigenschaften Gottes selbst nicht nur im Erkenntnisakt, sondern in ihrer sachlichen Entwicklung auf Gottes bestimmtes Weltverhältnis Bezug nehmen. Daß ein solches Weltverhältnis in der Bestimmung des göttlichen Seins gegeben ist, wenn es als initium und consummatio, als alpha und omega, primum et novissimum bestimmt wird, liegt auf der Hand: Zwar kann innergöttlich ein initium in bezug auf die origo personarum ausgesagt werden, aber finis ist Gott non nisi creaturae. I Sent. d.29 a.l q.l ad 4; I,509b; vgl. auch De myst. Trin. q.4 a.l ad 3; V,82a, wo Gott, da er seinem Wesen nach infinit ist, als finis finiens erscheint.

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Gott als den, der Welt heimholt, und darin als den Einen Gott. Damit sind unter der Einheit des Selbstzeugnisses Gottes zwei göttliche Akte enthalten, die ineinander und voneinander geschieden Gottes vollständiges Selbstzeugnis darstellen. In productio und reductio von Welt ist Gott der Eine Gott in der Einheit seines Seins. Gottes unitas und damit seine essentia setzt Gottes operatio als sein einheitliches Selbstzeugnis in zweierlei Akten voraus. Von hier ergibt sich nunmehr die erste Andeutung für das Problem der inneren trinitarischen Entfaltung des göttlichen Seins. Legte die Formulierung der conclusio von De myst. Trin. q.2 a.l - Deum esse unum est verum non tantum credibile, sed etiam intelligibile - die Folgerung nahe: Gottes Einheit setzt Gottes Dreiheit voraus 122 , so deutet sich hier bereits an, daß auch Gottes Dreiheit nicht jenseits der tiefen Dynamik wird auszumachen sein, von welcher das göttliche Wesen in seiner Einheit geprägt ist. Es stellt sich hier alsdann die Frage, ob zwischen den Momenten, welche die Analyse der unitas Dei gezeitigt hat, nämlich dem Einen Selbstzeugnis Gottes in seinen Hinsichten von productio und reductio, ein Appropriationszusammenhang zu den göttlichen Personen hergestellt werden kann. Dieser Frage treten wir näher, wenn wir nunmehr, die Erörterung der Einheit Gottes beschließend, zwei Stellen aus dem Hexaemeron vergleichend heranziehen, die sowohl als Verweis auf den Zusammenhang zwischen Gottes trinitarischer Dynamik und Gottes äußerem Wirken als auch als eine Zusammenfassung des Sachverhalts betrachtet werden können, der unter der Einheit Gottes deutlich geworden ist. „Die Klarheit des Glaubens 123 ist vierfältig zu betrachten: nämlich als 122

S. o. S. 188. Hex. X , 5 - 9 : claritas fidei speculanda est ut veritatis praeexistentis, ut veritatis efficientis, u t veritatis reficientis, ut veritatis perficientis. Ut veritatis praeexistentis tripliciter: vel q u a n t u m ad essentiam, vel q u a n t u m ad excellentiam, vel q u a n t u m ad refulgentiam. Esse enim divinum p r i m u m est, q u o d venit in mente. Unde Moysi quaerenti, quod esset n o m e n Dei; respondit Deus: Ego sum qui sum; et in h o c comprehendit quidquid est sive b o n u m , sive potens. —Secundo, q u a n t u m ad excellentiam, ut Deus unus, trinus et verus. - Tertio, q u a n t u m ad refulgentiam, ut exemplar rerum. Si autem claritas consideratur u t Veritas efficiens, hoc est tripliciter: aut in q u a n t u m inchoat n a t u r a m ; aut in q u a n t u m illustrat intelligentiam; aut in q u a n t u m inspirat gratiam. Inchoat nat u r a m sive m u n d u m , quod non solum est credibile, sed etiam intelligibile. Ut illustrat intelligent i a m ; et sic f o r m a t animam, scilicet intellectum h u m a n u n i et angelicum, ut sit Deus obiectum intellectus; et hinc est, quod habet rationem perpetui q u a n t u m ad imaginem creationis, reparationis, similitudinis; quia imago est essentialis dependentia et relatio. Ut inspirat gratiam; hic est consummatio, et hoc est credibile et intelligibile. Voluntas enim n o n perficitur nisi per d o n u m Spiritus saneti infusum. 123

Si autem claritas veritatis consideratur ut reficiens, similiter tripliciter claritas refulget in anim a : aut q u a n t u m ad h u m a n a e et angelicae reparationis prineipium, vel q u a n t u m ad pretium, vel quantum ad effectum. Primo est speculari D e u m carni unitum, quod est credibile et intelligibile; si ut pretium, sie cruci affixum; si ut effectus, sie Deus medicina est animae. Est ergo prineipium nostrae creationis, reparationis, praemiationis. Si autem consideratur ut consummans sive perficiens, sie tripliciter: ut vitale pabulum Ecclesiae militantis et triumphantis, ut ultor sclerum, u t finale praemium. Oportet, Deum esse prim u m . V,378a. - Rep. A (Delorme 128 f.) ist dem Inhalt nach identisch.

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Klarheit der präexistenten Wahrheit, als Klarheit der wirkenden Wahrheit, als Klarheit der wiederherstellenden Wahrheit, als Klarheit der vollendenden Wahrheit. Die Klarheit der präexistenten Wahrheit ist dreifältig zu betrachten: nach der essentia, nach der excellentia, nach der refulgentia. Denn das göttliche Sein ist das erste, das zu Bewußtsein kommt. Daher antwortet Gott dem Moses, da er nach dem Namen Gottes fragt: ,Ich bin der ich bin'; und darin umgreift er vollständig, was er ist: gut und mächtig. Zum zweiten, was die excellentia angeht, so ist Gott Einer, dreifältig und wahr. In der dritten Hinsicht, in bezug auf sein Aufleuchten (refulgentia) ist Gott das Urbild aller Dinge. Wenn man aber diese Klarheit betrachtet als die wirkende Wahrheit, so muß man das dreifältig tun: soweit sie der (geschaffenen) Natur den Anfang gibt, soweit sie die Einsicht erleuchtet und soweit sie die Gnade einhaucht. Sie setzt den Anfang der Natur bzw. Welt; das ist nicht nur glaubbar, sondern auch wahrnehmbar. Sie erleuchtet die Einsicht; und so ruft sie die Seele ins Leben, nämlich menschlichen und englischen Intellekt, damit Gott der Gegenstand der Einsicht s e i . . . Sie haucht die Gnade ein; hier ist die Vollendung, und das ist glaubbar und wahrnehmbar. Der Wille nämlich gelangt nicht zur Vollendung, es sei denn durch die eingeschossene Gabe des Heiligen Geistes. Wird aber die Klarheit der Wahrheit betrachtet als eine wiederherstellende, so hat ebenfalls diese Klarheit ihren dreifältigen Widerschein in der Seele: zum einen als Prinzip der englischen und menschlichen Wiederherstellung; zum andern in bezug auf den Preis; zum dritten in bezug auf die Wirkung. In der ersten Hinsicht ist zu betrachten der dem Fleisch geeinte Gott; und das ist glaubbar und wahrnehmbar; in der zweiten, dem Preis, ist zu betrachten der Gott am Kreuz; in der dritten, der Wirkung, Gott als Labung der Seele. Er ist also das Prinzip unserer Schöpfung, Wiederherstellung und Lohnung 124 . Betrachtet man die Wahrheit aber als vollendende, so ebenfalls dreifältig: als Lebensspeise der kämpfenden und (endzeitlich) triumphierenden Kirche, als Rächer des Unrechts, als endlichen Lohn. Es ist nötig, daß Gott der Erste „ • ti

sei. Dieser Absatz ist so etwas wie ein Kompendium der gesamten Theologie Bonaventuras. Der Übersicht halber sei er im Schema dargestellt: Veritas praeexistens

essentia Deus primus

excellentia unus, trinus, verus

refulgentia exemplar rerum

Veritas efficiens

inchoat naturam

illustrat intelligentiam

inspirat gratiam

veritas reficiens

princ. reparationis Deus carni unitus

pretium cruci affixus

effectus medicina animae

veritas perficiens

pabulum Ecclesiae

ultor scelerum

finale praemium

124

Mit neuerem Begriffsmaterial wäre eventuell zu sagen: Schöpfung, Versöhnung, Erlö·

sung.

205

Dieses Schema, die Aufgliederung der vierfach begriffenen Wahrheit in je drei Schritten, beinhaltet die Summe der Gegenstände des Glaubens. Es entspricht darin einem anderen Schema, das wir Hex. VIII entnehmen, wo Bonaventura anhand der Summe der Flügel der das Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus figurierenden zwei Seraphim 125 ebenfalls die zwölf Artikel des Glaubens nennt 126 . Dort heißt die Aufteilung: 1. Seraph (rechte Flügel) distinctio personarum Pater ingenitus Filius unigentus Spiritus sanctus ab utroque

(linke Flügel) diffusio Trinitatis essentia - creator virtus - praemiator operatio - sanctificator 2. Seraph

(rechte Flügel) Christi ascensus resurrectio ascensio in caelum adventus in iudicium

(linke Flügel) Christi descensus incarnatio crucifixio descensus ad inferos 127

Beide Schemata decken sich dem Inhalt nach und sind doch gewichtig verschieden: In der Entfaltung der Wahrheit erscheint die gesamte Reihe von Hex. VIII in tiefgreifender Dynamisierung. An die Stelle der distinctio personarum in Hex. VIII tritt hier, in Hex. X, die veritas praeexistens, so daß essentia (Deus primus) und Pater ingenitus, excellentia (Deus unus, trinus et verus) und Filius unigenitus und schließlich refulgentia (exemplar rerum) und Spiritus sanctus ab utroque spiratus zur Deckung kommen. Damit sagt 125

S. o. S. 123 ff. Hex. VIII, 12-16: Habemus ergo duos Seraphim clamantes et admirantes; restat dicere, quare sex alas habent, et tunc videbuntur ea quae fidei sunt. Fides enim est in Deum aeternum et Deum humanatum. - Fides ifl Deum aeternum est una illustratio senarum alarum; et hoc dupliciter: aut quantum ad distinctionem personarum, aut quantum ad diffusionem Trinitatis in creaturam secundum essentiam, virtutem et operationem. - Primo modo sunt tres articuli, scilicet Patris ingeniti, Filii unigeniti a solo Patre, Spiritus sancti ab utroque spirati. Isti sunt tres alae in latere dextero, scilicet in aeternitate . . . Similiter in sinistro sunt tres alae, in quantum ab una essentia, virtute et operatione est diffusio in creaturam. Et secundum hoc est triplex operatio, in quantum unus Deus est creator, sanctificator et praemiator . . . creatio attribuitur Patri, quia potens; sanctificatio Spiritui sancto, quia bonus; praemiatio Filio, quia iudicabit et rex apparebit. . . Alter Seraph propinquior est nobis et habet similiter sex alas: tres secundum descensum, et tres secundum ascensum: secundum descensum, veniendo ab ala super caput per medium ad alam super pedes. Hi sunt tres articuli secundum incarnationem, crucifixionem, descensum ad inferos secundum animam. Incepit enim a summo, quia necesse fuit, ut uniret sibi naturam, in qua appareret et per quam descenderet, quia ipse de se immutabilis est; deinde venit ad crucem, demum ad infernum. Hae alae in sinistro. Tres similiter ascendendo: resurrectio de inferis in mundum, ascensio de mundo in caelum, de caelo adventus ad iudicium, ut sit ascensio ab Ecclesia militante in triumphantem. V,371ab. 126

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der Vergleich beider Schemata etwas aus über die nach außen greifende Dynamik der innergöttlichen Beziehungen, die noch Gegenstand der Untersuchung werden wird. Zugleich ist hier eine andere Einsicht von Bedeutung: Die Dynamisierung, wie sie Hex. X gegenüber Hex. VIII vollzieht, beruht offensichtlich darauf, daß Gottes Einheit, die im Schema zu Hex. X unter der Veritas praeexistens und darin wieder unter Hinsicht der excellentia Gottes in ihrem Verhältnis zur Trinitas gefaßt ist, sachlich die Entfaltung der präexistenten Wahrheit nach efficiens, reficiens und perficiens meint. Denn wie wir gesehen haben, hat Gott/'« sich jedweisliche Einheit 128 , und darin ist sein Sein unum et omnimodum 129 . Unum et omnimodum aber ist Gottes Sein kraft seiner operatio propter se, so daß es keinen Unterschied macht, ob Gottes unitas omnimoda wie in De myst. Trin. q.2 a.l im doppelt (vorwärts und räckwärts) gelesenen Bogen von natura bis causalitas oder wie in Itn. V,7 1 3 0 als aller Dinge wirkender, Urbild und Ziel gebender Grund ausgesagt wird. Die Tatsache, daß Gott wirkt, Urbild und Ziel gibt, und die jedweisliche Einheit Gottes in sich stehen ineinander. Dies nun bezogen auf das Schema von Hex. X bedeutet nichts anderes, als daß der Entfaltung der Veritas praeexistens nach efficiens, reficiens131 und perficiens eine innere Notwendigkeit 1 2 7 Wir brauchen dieses in sich höchst interessante Schema von Hex. VIII hier nicht noch eigens zu kommentieren. Es ist im Grunde nichts anderes als die graphische Darstellung des im 2. Kapitel, Abschnitt lc. und Abschnitt 2 erläuterten Sachverhalts. - Die beiden Seraphim sind einer vor dem andern stehend vorzustellen, wie aus der doppelsinnigen Bemerkung Hex. VIII, 15: Alter Seraph propinquior est nobis (V,371b vgl. Rep. A; Delorme 115) hervorgeht. Vgl. dazu Jes. 6,3; nach Otto Kaiser, Der Prophet Jesaja, Kapitel 1 - 1 2 ; 2. verbesserte Auflage, Göttingen 1963 (ATD 17), Seite 59 (zu Jes. 6,2) sind es mehr als zwei Seraphim. Indessen ist Bonaventura mit Sicherheit davon ausgegangen, daß es sich in Jes. 6 um nicht mehr als zwei Seraphim handelt, die er so aufeinander bezieht, daß spiegelbildlich die rechten Flügel des ersten mit den rechten des zweiten und die linken Flügel des ersten mit den linken Flügeln des zweiten Seraphen zur Deckung kommen, ebenso wie die drei Flügelpaare jedes einzelnen Seraphen untereinander sich decken. So korrespondieren im ersten Seraphen Pater und essentia, Filius und virtus, Spiritus sanctus und operatio; im zweiten incarnatio und resurrectio, crucifixio und ascensio in caelum, descensus ad inferos und adventus ad iudicium. Und es korrespondieren die zwei Seraphim untereinander dergestalt, daß essentia und incarnatio, virtus und crucifixio, operatio und descensus ad inferos zum einen, und zum andern resurrectio und Pater, ascensio und Filius, adventus ad iudicium und Spiritus sanctus zur Deckung kommen. Auf diese Weise erhält die wesenhafte Hinspannung Gottes auf die Inkarnation einerseits und die Bestimmung der Trinitas fabricatrix als relevans anderseits bildhaften Ausdruck (unklar freilich bleibt dem, der das Schema aufmerksam betrachtet, die Stellung des Heiligen Geistes. Wir werden darauf zu sprechen kommen).

De myst. Trin. q.2 a.l i.e.; V,61a. Itn. V,7; V,309b. 1 3 0 V,310a. 1 3 1 Hier findet sich freilich eine Differenz in den Begriffen. Während die unitas Gottes in Itn. V,7 als efficiens, exemplans und terminans erscheint, spricht Bonaventura in Hex. X von der Veritas efficiens, reficiens und perficiens. Diese Verschiebung ist nicht zufällig: Gott ist das exemplar rerum wesentlich als Deus reficiens. Der Gedanke des Exemplarismus läßt sich im Zusammenhang der Theologie Bonaventuras nicht aus seiner Verbindung mit dem Glauben an Gott als alpha und omega lösen. Gott ist exemplar immer, sofern er efficiens und finiens ist. Insofern hat der exemplar-Gedanke seinen Skopus im reductio-Gedanken bzw. in der sursumactio: Ad hos splendores exemplares ratio ducit et fides. Sed ulterius triplex est adiutorium ad surgen128

129

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zukommt. Daß die Wahrheit als präexistente wirkt, wiederherstellt und vollendet, ist ihr keineswegs zufällig; es tritt ihr nicht als ein äußeres Zweites hinzu, daß sie wirkend und also Welt hervorbringend, Seele erleuchtend und Gnade einhauchend ist; daß sie wiederherstellend und also sich inkarnierend und ans Kreuz gehend und der Seele Labsal ist; daß sie am Ende vollendend und also die Speise der Kirche, die Rächerin des Unrechts und der endzeitliche Lohn ist. Vielmehr: Indem Gottes Sein unum et omnimodum ist, weil Gott in seiner Einheit der wirkende, Urbild und Ziel gebende Grund ist, sind die unter der Veritas in ihrer Entfaltung nach efficiens, reficiens und perficiens gefaßten Akte Gottes das Selbstzeugnis Gottes von seiner Einheit, in welchem sich diese, die Einheit Gottes, begründet; welches diese seine Einheit«*. Wir müssen nun allerdings diesen Ausführungen zur Einheit Gottes noch einen letzten, oben S. 199 schon angedeuteten Punkt hinzufügen, nicht zuletzt, um die Verbindung zu den Sachverhalten, die im zweiten Kapitel dieser Untersuchung erörtert worden sind, noch ein wenig fester zu machen. Es handelt sich dabei um die folgende Überlegung: Das göttliche Wesen, welches Wesen ist kraft der ihm zukommenden Einheit, für welche wir das Verhältnis von productio und reductio von Welt bestimmend gefunden haben, ist eben dieses Wesen Gottes, der seinem Sein nach zuhöchst erkennbar ist in sich und darin, wie wir gesehen haben (s. o. S. 89ff.), Welt als das medium probans und Mensch als den ihn erkennenden, gleichwohl an der Evidenz Gottes scheiternden Intellekt hervorbringt. Dieser Hinweis ist hier deshalb sinnvoll, weil bei Bonaventura überall, wo er von der Einheit Gottes spricht, immer auch der Gedanke der Evidenz Gottes gegenwärtig ist 1 3 2 . Den Zusammenhang zwischen Evidenz Gottes und Einheit Gottes findet Bonaventura in Dtn. 6,4, in dem Wort: ,Höre, Israel, dein Gott ist Ein Gott' 1 3 3 . Das ist am deutlichsten in Hex. X X zu sehen: „Gottes Sein ist das reinste Sein 1 3 4 , denn es ist das einfachste Sein; es ist aber das einfachste, weil es zuhöchst Ein Sein ist. Deshalb wird Israel, dem Mann der Beschauung, gesagt: ,Höre, Israel, der Herr dein Gott ist Ein Gott.'" Gott in seiner Einheit ist der Gott Israels, und Israel ist die figura des vir contemplativus bzw. der im Aufstieg befindlidum ad exemplares rationes, creaturae scilicet sensibilis, creaturae spiritualis, Scripturae sacramentalis, quae continet mysteria . . . Item (mundus sensibilis) est via ducens in exemplar . . . Quando ergo anima videt haec, videtur sibi, quod deberet transire ab umbra ad lucem, a via ad terminum, a vestigio ad veritatem. Hex. XII, 14 f. ; V , 3 8 6 b ; vgl. Brevil. 1,8; V,216b. Dazu Hülsbusch 1 0 0 ; 117 f. 1 3 2 Vgl. De myst. Trin. q.2 a . l i.e.: in uno universo non estponere nec intelligere nisi unum Deum et solum. Est igitur hoc necessarium et notum, et adeo notum, quod nullus dubitat de hoc habens rationis usum. V,61b. Itn. V,3: ipsum esse adeo in se certissimum, quod non potest cogitari non esse. V,308b. Ebd. V,7: impossibile est, ipsum cogitari non esse, nec esse nisi unum solum. V,309b. Hex. X , 6 : Esse enim divinum primum est, quod venit in mente. V,378a. 1 3 3 De myst. Trin. q.2 a . l praenotata (Ex. 2 0 , 2 ) ; V,59a; Itn. V , 7 ; V,309b. 1 3 4 Hex. X X , 6 : esse . . . purissimum autem, quia simplicissimum, simplicissimum autem, quia summe unum. Ideo dicitur Israel, viro contemplativo: Audi, Israel, Dominus Deus tuus unus est. V,426a.

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chen Seele135. Da nun Bonaventura den Gedanken der Evidenz Gottes hineinwebt in sein Verständnis der Einheit Gottes, und diese wiederum das nach productio und reductio bestimmte Weltverhältnis Gottes impliziert, so muß die Einheit Gottes seiner Evidenz, und das heißt, dem besonderen Verhältnis Gottes zur Seele verknüpft sein. Die Einheit Gottes in seinem bestimmten Weltverhältnis ist Gottes Einheit in seinem besonderen Verhältnis zur Seele. In seiner Einheit macht sich das Sein Gottes kraft seiner tiefinneren Erkennbarkeit der Seele zum Gegenstand 136 ; und das heißt: Gott, da er im Selbstzeugnis seiner Einheit Welt als ein reducendum hervorbringt, bezeugt sich in seiner Evidenz dem Menschen gegenüber. Insofern ist der Aufweis der Einheit Gottes der Vollzug seiner Evidenz: Der erste Anfang 137 hat diese sichtbare Welt erschaffen, um sich selber kundzutun - ad declarandum se ipsum bzw. dazu — videlicet ad hoc —, daß durch die Welt als durch einen Spiegel und eine Spur der Mensch in Gott den Schöpfer heimgeführt werde, auf daß er ihn liebe und lobe." Gottes Schöpfertätigkeit hat ihren Skopus in seiner Selbstkundgabe oder, was dem identisch ist, in der Heimführung des Menschen durch die Welt zu Gott und in Gott hinein. Damit ist der reductio-Gedanke wesentlich auf „Mensch" abgestellt: Indem die Kreatur im Verhältnis von (kreatürlicher) unitas und diversitas die Einheit Gottes als Verhältnis von productio und reductio bezeugt und anderseits die Vollkommenheit von Welt am Vollzug der reductio bzw. an ihrem reduci hängt 138 , steht Gott in seiner Einheit, in der er Welt als ein reducendum hervorbringt, nicht nur allgemein in einem bestimmten Weltverhältnis, sondern in diesem seinem mit seiner Einheit begründeten Weltverhältnis in einer besonderen Beziehung zur Seele139. Wenn Reduzibilität von Welt und Vollkommenheit von Welt zusammenkommen, so ist danach zu fragen, inwiefern der Umstand, daß Welt heimgeführt wird, die Vollkommenheit von Welt ausmacht. Es ist die Frage, worin eigentlich der Akt von reducere besteht. Bonaventuras Antwort verweist auf den Menschen: Er ist die Vollendung der Kreatur, sofern in ihm die Selbstdeklaration Gottes zum Ziele kommt 140 . „Und demgemäß 141 (sc. daß 135

Dazu s. ο. 1. Kapitel über den vir desideriorum. Hex. X,7; V,378a; Brevil. 11,12; V,230a. 137 Brevil. 11,11: primum principium fecit mundum istum sensibilem ad declarandum se ipsum, videlicet ad hoc, quod per ilium tanquam per speculum et vestigium reduceretur homo in Deum artificem, amandum et laudandum. Et secundum hoc duplex est liber, unus scilicet scriptus intus, qui est aeterna Dei ars et sapientia; et alius scriptus foris, mundus scilicet sensibilis. Cum igitur esset una creatura, quae sensum habebat intus ad cognitionem libri interioris, ut Angelus; et alia, quae totum sensum habebat foris, ut quodlibet animal brutum: ad perfectionem universitatis debuit fieri creatura, quae hoc sensu duplici esset praedita ad cognitionem libri scripti intus et foris, id est Sapientiae et sui opens. Et quia in Christo simul concurrit aeterna Sapientia et eius opus in una persona: ideo dicitur liber scriptus intus et foris ad reparationem mundi. V,229a. - Vgl. den wichtigen Text Hex. XIII,12; V,390a; s. u. S. 333. 136

138

Non e s s e t . . . perfecta, nisi reduceretur. De myst. Trin. q.2 a.l i.e.; V,61b. Wir stehen damit in der Erörterung der Einheit Gottes vor demselben Ergebnis wie in den Überlegungen zum Aufstiegsgedanken; s. o. S. 58 ff. 140 Vgl. Mercker 27. 141 Brevil. 11,11; s. o. Anm. 137. 139

14

Fischer, De Deo trino

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Gott sich in der Erschaffung der Welt selbst zur Kenntnis bringt, bzw. daß der Mensch durch sie als durch Spiegel und Spur in Gott hineingeführt werde) gibt es ein zweifaches Buch; ein innerlich geschriebenes, das ist die ewige Kunst und Weisheit Gottes; und ein anderes, das ist nach draußen geschrieben, nämlich die sichtbare Welt. Und da eine Kreatur war, der ein Sinn eingegeben war zur Erkenntnis des inneren Buches, nämlich der Engel; und eine andere Kreatur war, deren ganzer Sinn nach außen gerichtet war, nämlich jedwedes bewußtlose Lebewesen: deshalb mußte zur Vollendung der Gesamtheit der Schöpfung eine Kreatur erschaffen werden, die mit einem doppelten Sinn begabt war zur Erkenntnis sowohl des inneren als des außen geschriebenen Buches, zur Erkenntnis also der Weisheit und ihres Werks." Es ist hier noch nicht der Ort, die Bedeutung der reductio der Seele für die Gottheit Gottes im letzten Horizont zu erhellen. Doch es ergibt sich aus dieser Stelle im Breviloquium, worauf die Erörterung der Einheit Gottes im letzten zielt: Indem ihr Welt im Verhältnis von produci und reduci untergeordnet ist und Welt darin vollkommen Welt und die Einheit Gottes bezeugend ist, bringt Gott Welt auf die Heimführung der Seele hin hervor. Die jedweisliche Einheit Gottes, in welcher Gott in einem bestimmten Weltverhältnis steht, umschließt so unter der Form des Gott-Welt-Verhältnisses im besonderen das Verhältnis Gottes zum Menschen. Wenn richtig ist, daß Welt die Einheit Gottes als Verhältnis von productio und reductio bezeugt und darin vollkommen Welt ist, so deutet sich hier bereits an, wo im tiefsten Sinn der Ort des kreatürlichen Zeugnisses der Einheit Gottes zu suchen ist: im Heimgang der Seele. Insofern drängt die Erörterung der unitas Dei hinüber auf die Analyse derjenigen Bestimmungen Gottes, in denen er als der, der Welt heimführt, der ist, der den Menschen zu sich bringt. Die Erörterung der Einheit Gottes bedarf demnach der Ergänzung durch die Erläuterung derjenigen Bestimmungen Gottes, kraft derer Gott nicht bloß auf Welt allgemein, sondern auf die perfectio von Welt oder auch auf den Menschen im Heimweg zu Gott bezogen ist. Welche Dimension sich damit der Einheit Gottes erschließt und welches der Mensch ist, in dessen Heimgang das kreatürliche Zeugnis von Gottes Einheit sich vollzieht, ist im Rahmen der Stelle aus dem Breviloquium angedeutet, in der die Selbstdeklaration Gottes und die Heimführung des Menschen, dem Inhalt nach also Gottes Selbstzeugnis von seiner Einheit und die reductio hominis, zusammenkommen: „Und weil in Christus die ewige Weisheit und ihr Werk in einer Person zusammenkommen, deswegen heißt er das außen und innen geschriebene Buch zur Wiederherstellung der Welt." 142 Bonaventura spricht an dieser Stelle nicht von der gefallenen Welt 143 , sondern von Welt und Mensch im Urständ. Wenn es zutrifft, daß 142

Ebd. Brevil. II in toto handelt „de creatura mundi". Erst Brevil. III bringt die Sündenlehre: „de curruptela peccati". Insofern sind die Überlegungen in Brevil. II als Überlegungen zum Urständ zu begreifen. - Die zentrale Bedeutung, die Brevil. 11,11 (vgl. Hex. XIII,12) dem Menschen zuspricht, bringt es mit sich, daß durch die Sünde nicht nur der Mensch, sondern der ganze Kosmos 143

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mit Gottes Einheit Gottes bestimmtes Weltverhältnis gegeben ist, und wenn es zutrifft, daß Welt Gott in seiner Einheit im Verhältnis von produci und reduci bezeugt, dann hat das Wesen Gottes, sofern es Wesen Gottes ist in der Einheit seines Seins, bereits ansatzweise eine christologjsche und eine anthropologische Dimension: Gottes Selbstkundgabe oder auch das Zeugnis Gottes von seiner Einheit, indem es als Werk Gottes propter se wesentlich die Heimführung des Menschen unter sich enthält, erstreckt sich als Wesen Gottes auf die Heimführung des Menschen als auf Christus den Gekreuzigten. Die anthropologische Dimension in der Einheit Gottes ist, da von der ursprunghaften Schöpfung noch gänzlich jenseits der Sünde die Rede ist, ihre christologische Dimension. Damit führt die Frage nach der inneren Wesensbestimmung Gottes, von der Frage nach der essentia Gottes her gestellt, auf dasselbe Ergebnis, welches die Überlegungen zum Sein Gottes gezeitigt haben, soweit sie anhand des Satzes: esse non est nisi dupliciter Gottes Verhältnis zur Welt explizit zum Gegenstand hatten. Das reine göttliche Sein, soweit es, in Gott selbst als sein Wesen betrachtet, in der Einheit Gottes gründet, erscheint als ein Verhältnis, in welchem das göttliche Sein qua innergöttliches Wesen in seiner Einheit die Spannung von Deus aeternus und Deus humanatus umfaßt. Indem Gott der Eine ist in producere und reducere von Welt, bringt er Welt um der Heimführung des Menschen willen hervor. Darin ist er der Eine in der Hinspannung seines Seins auf den Deus humanatus hin.

c) Die personale Subsistenz der göttlichen essentia

Wenn die vorstehenden Überlegungen zur Einheit Gottes zutreffend sind, wenn also richtig ist, daß Gott, indem seine Essenz darin als Essenz bestimmt werden muß, worin sie Eine ist, Einer ist als der, der kraft der seine Einheit konstituierenden Bestimmungen sich selbst als den Einen bezeugt und darin Welt als ein reducendum hervorbringt - wenn also dies richtig ist, dann ist der Eine Gott in seiner Erstreckung auf Welt wesentlich als der Ursprunggebende und, da er der Ursprunggebende ist, als der Heimführende zu begreifen. Hier allerdings liegt ein Problem: Wenn Gott in diesem Verstände Einer ist, wie kann er Gott sein? Denn wenn Gottes Wesen in seiner Einheit bestimmt ist durch das Verhältnis von productio und reductio, durch mehrfältiges Wirken also, wie kann Gott Einer sein, ohne sich in die Vielheit seiner Wirkungen aufzulösen einerseits und ohne mit dem Ergebnis seines Wirkens am Ende zu sein und also in einen Widerspruch zu geraten anderseits ? Dieses Argument findet sich bei Bonaventura ausgesprochen im Zusammenhang der Erörterung der Einfachheit Gottes 144 : Gott ist, weil er der Eine vollständig verderbt ist: da er dem Menschen nicht mehr zum Zeugnis Gottes gereicht, verliert er seinen Sinn. — Vgl. dazu die Schlußbemerkung. 144 De myst. Trin. q.3 a.l opp.12: nihil omnino simplex est habens multiformem operatio14·

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in Einheit ist, einfach 145 . Nichts, was völlig einfach ist, aber hat eine mehrfache Wirkung, denn, wie Aristoteles sagt,,dasselbe, stets dasselbe, ist dazu da, immer dasselbe zu tun'; und nun, die vielförmige Tätigkeit ist entweder das Wirkende selber (est ipsum agens)' und dann ist es (als vielfältige Tätigkeit) nicht einfach; oder es ist nicht das Wirkende selber; dann aber ist das agens von seiner operatio geschieden und also ebenfalls nicht einfach; Gott aber wirkt in vielfältiger Weise, denn er erschafft, erhält und lohnt. Also ist er nicht einfach. - Und wenn du dagegenhältst, daß Gottes operationes sich unterscheiden bloß unter Hinsicht der Ergebnisse, so ist zu sagen: Nicht die Tätigkeit ist von ihrem Ergebnis bestimmt, sondern das Gegenteil ist der Fall: Also findet eine Vervielfältigung der Tätigkeit statt eher nach Maßgabe der Vielfältigkeit der Tätigkeiten als nach Maßgabe der Verschiedenheit der Ergebnisse. Das Problem, das in dieser oppositio exponiert ist, ist, wie es scheint, überhaupt nur ein Problem, wenn man essentia Gottes und operatio Gottes so dicht zusammenfaßt, wie es bei Bonaventura der Fall ist. Denn es steht in der Tat in Frage, inwieweit sich das Wesen Gottes dabei nicht in die Vielfältigkeit seiner Handlungen auflöst dergestalt, daß von Einem und einem einfachen Wesen Gottes gar nicht mehr gesprochen werden kann. Denn wenn, wie die oppositio sagt, creatio, gubernatio und remuneratio der essentia Gottes wesentlich zugeordnet sind, so kann das mehrere Konsequenzen haben, die alle in die Irre führen. Zum ersten können alle drei Akte Gottes unmittelbar identisch und also untereinander identisch sein, so daß Gottes Hervorbringen und Gottes Heimführen von Welt in gegenseitiger Identität die identische Einheit und Einfachheit Gottes wären und der eine und einfache Gott in der unmittelbaren Identität seiner Aktionen Hervorbringen von Welt und Heimführen von Welt zu seiner ewigen Voraussetzung hätte. Die Ewigkeit Gottes wäre dann die Ewigkeit der Identität von productio und reductio und implizierte auf diese Weise die Ewigkeit von Welt als den ewigen Widerspruch Gottes. In einer solchen Sicht des göttlichen Wesens wäre Welt sachlich die Grenze Gottes. Denn sofern Gottes Einheit notwendig auf der Vollständigkeit der Bogens von natura bis causalitas beruht (s. o.), müßte der Einheit seines Wesens ein identisches Handeln korrespondieren: Gott könnte nur Eines, und dieses Eine wäre der ewige Kreislauf des Hervorgangs und Heimgangs von Welt 146 . nem, quia, ,idem manens idem, semper est natum facere idem'; et iterum, actio multiformis aut est ipsum agens, et sic non est simplex; aut non, et sic ad hue non est simplex; sed Deus habet operationem multiformem, scilicet creare et gubernare et remunerare: ergo etc. - Si dicas, quod differunt ratione effectuum; contra: non est actio ab effectu, sedpotius econverso: ergo diversificatur ilia potius secundum diversitatem actionum quam secundum varietatem effectuum. V,70a. 145 Hex. XX,6; V,426a. - Über die Einfachheit Gottes ausführlich s. u. S. 221 ff. 146 Demyst.Trin. q . 4 a . l ad 9: Ad illud quod obiieitur, quod si Deus posset unum solum, ita quod non alia, divinum posse diceretur finitum; dicendum quod non est simile: quia potentia est ad extra et ad effectus creatos, qui finiti sunt; unde si non posset nisi in unum solum, sequeretur, quod potentia eius non extenderetur nisi ad finitum, ac per hoc, quod esset finita. V,82bf.

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Zum andern könnte Gott in seinem Wesen der Sache nach von seinen Akten geschieden sein. Dann wären diese jenem zufällig; Gottes operationes verhielten sich seinem Wesen gegenüber akzidentell, so daß in Gott eine compositio von accidens inhaerens und substantia angenommen werden müßte 1 4 7 . Eine solche Zusammensetzung von substantia und accidens in Gott aber würde die Einheit und Einfachheit Gottes sprengen, sofern das Verhältnis von Substanz und Akzidenz nicht nur eine Zusammensetzung in Gott eintrüge, sondern Gottes substantia subsistierte dann überhaupt nur in ihren operationes derart, daß die Subsistenzen untereinander keinerlei Vermittlung unterlägen und so Gottes Einheit sich auflöste in die Vielheit seiner Aktivitäten. Das esse unum, welches in einer solchen Sicht als Einheit Gottes übrigbliebe, wäre nichts als ein esse particulare, das ein begrenztes Sein ist, da es zusammengesetzt ist aus actio und potentia, oder ein esse analogum, welches selber nichts hat an Verwirklichung, weil es nur in blassester Weise Sein ist 1 4 8 . Eine solche Sicht ist die des heidnischen Verstandes, der meint, sich damit begnügen zu können, ein erstes Eines Sein auszumachen, welchem Substanz, Macht und Tätigkeit zugesprochen werden könne. Ein solcher defekter Verstand aber wird der Einheit des Seins überhaupt nicht inne, denn er löst in Vieles auf, was in Gott Eines ist 1 4 9 . Dieses von Bonaventura nur in aller Kürze angedeutete Argument scheint in diesem Sinne verstanden werden zu müssen: Die Auflösung der Einheit Gottes in eine Vielheit findet dort statt, wo das Verhältnis von productio und reductio, welches der Einheit Gottes wesentlich subsumiert ist, als ein reales Verhältnis zweier realer Akte Gottes unter der Einheit seiner operatio sei's nicht unterschieden wird in der Nichtidentität seiner Akte, sei's in seiner Identität zur Einheit Gottes nicht erkannt wird. In beiden Fällen ist Gott als der Schöpfer von Welt mit seiner Schöpfung am Ende: im ersten, sofern Gottes Ewigkeit die Ewigkeit seines Weltverhältnisses wäre; im andern, sofern Gottes Heimführen von Welt ein mit dem Hervorbringen von Welt nicht vermittelter Akt wäre. Das Heimzuführende wäre nicht das Hervorgebrachte, sondern ein beliebiges Anderes. Gott, da er hervorbringt, und Gott, da er heimführt, wäre nicht Ein Gott in Einheit, sondern es wären verschiedene Götter, die nichts miteinander zu tun hätten. Dann aber höbe der eine den anderen auf; Welt wäre einmal mehr die Grenze Gottes. Vgl. ebd. q.2 a.2 f.8; V , 6 2 a ; q.2 a.2 ad 7; V , 6 6 b ; I Sent, d.23 a . l q.2 i.e.; I,407b. Itn. V , 3 ; V , 3 0 8 b f . 1 4 9 Hex. X I , 1 0 : Sed quid? dices, nunquid intelligendo, primum esse unum esse suppositum, ut gentiles, adhuc intelligunt substantiam, virtutem et operationem? Ergo, non intellecta trinitate vel emantione, estintelligere produetionem. Respondeo: intellectus duplex est: perfectus et plenus et plene resolvens; et tali intellectu non est intelligere sic; intelligere autem semiplene potest intellectus defectivus sic, quod resolvat in plura, quae in Deo sunt unum, aliter non. V,38 l b . - Klarer an dieser Stelle Rep. A: Sed numquid, non intellecta Trinitate, intelligetur primum esse habens substantiam, virtutem et operationem? Ergo Deus potest facere operationem, non intellecta emantione intrinseca. Ad quod dicendum quod est intellectus defectivus qui hoc apprehendit, et est intellectus plenus resolvens quae in Deo concurrunt, et hic non intelligit operationem extrinsecam sine intrinseca. Delorme 136. 147

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Bonaventura antwortet deshalb auf die genannte oppositio 1 5 0 : „Was den Einwand angeht 151 , nichts gänzlich Einfaches könne eine vielfältige Wirkung haben, so ist dazu zu sagen: Wirkung (operatio) hat eine zweifache Bedeutung. Einmal meint sie das wirkende Werk selber (opus operans), zum andern das gewirkte Werk (opus operatum). Man kann auch sagen: den tätigen Akt und das bewirkte Ergebnis. In der ersten Weise ist das Wirken Gottes Gott selbst, und deshalb wird es unter Hinsicht seiner selbst in sich nicht vervielfältigt, wohl aber unter Hinsicht des bewirkten Ergebnisses von selten der Kreatur. Im ersten Sinne kommt dem Satz (sc. daß das gänzlich Einfache nicht vielfältige Wirkung habe) Wahrheit zu. Im zweiten Sinne nicht; denn je einfacher etwas ist, desto mächtiger ist es und darin um so mehr der Anfang vielfältiger Wirkungen." Der Nerv dieser Entgegnung Bonaventuras liegt in der Herstellung der unmittelbaren Identität von opus operans und ipse Deus. In diesem Sinne unterliegt Gott in der Tat keiner Vervielfältigung, sondern, so wäre hinzuzufügen, gerade als opus operans ist Gott Einer und einfach. Die Bedeutung dieser Entgegnung liegt in diesem Sachverhalt: Gott ist wesentlich wirkendes Werk. Wenn darum der intellectus plene resolvens 152 der Einheit Gottes gewahr wird, so muß er der Dreiheit Gottes gewahr werden. Denn wenn der Eine Gott in seiner Einfachheit in Einheit steht mit seinem Werk, so bedeutet das, daß Gott essentia zukommt nicht anders als in personaler Subsistenz. Indem Gottes Wesen das Verhältnis von productio und reductio wesentlich umfaßt und darin Gott seiner operatio identisch ist, ist darin ein innergöttlich-personales Verhältnis impliziert, es ist impliziert, daß in Gott ein Verhältnis von essentia (bzw. natura) und persona vorliegt: „Wir wollen bekennen 153 , daß Gott der erste ursprunggebende Anfang ist nicht nur als der Wirkgrund der Schöpfung, sondern auch als der Anfang der Wiederherstellung in der Erlösung und als der Vollendende in der Verherrlichung. Und das wird nicht vollkommen bekannt, wenn wir nicht glauben, er sei der, der aus der Zeit den Anfang setzt als der, der von Ewigkeit her der ursprunggebende Anfang ist; und es wird auch nicht vollkommen bekannt, wenn wir nicht glauben, daß er als der, der den Anfang gibt, dem ewig anDe myst. Trin. q.3 a . l opp.12; s. o. Anm. 144. Ebd. ad 12: Ad illud quod obiicitur, quod nihil omnino simplex habet multiformem operationem; dicendum, quod operatio dicitur et ipsum opus operans et opus operatum, sive actus activus et effectus productus. Primo igitur modo operatio Dei est idem quod ipse Deus, et ideo non multiplicatur ratione sui in se, sed ratione effectus producti ex parte creaturae. Primo igitur modo habet propositio veritatem, secundo vero non: quia quanto aliquid simplicius, tanto potentius, ac per hoc tanto magis est principium effectuum multiformium. V,73ab. 150

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Vgl. Anm. 149. De myst. Trin. q. 1 a.2 ad 11: confiteamur, ipsum (sc. Deum) esse principium principians non tantum effectivum in creatione, sed etiam refectivum in redemtione et perfectivum in glorificatione; nec adhuc perfecte, si credatur esse principium ex tempore, nisi credatur principium principians ex aeternitate; nec adhuc, nisi credatur principium principians aeternaliter principiantem; quod credimus, dum credimus, Patrem aeternaliter generare Filium, spirantem cum ipso Spiritum sanctum, ut aeternaliter in Deo sit principium de principio, et principium non de principio. V,58ab. 152

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fanggebenden den Anfang gebe. Und das glauben wir, wenn wir bekennen, daß der Vater ewig den Sohn zeuge, der mit ihm zusammen den Heiligen Geist haucht, auf daß ewig in Gott sei ein Anfang, der selber Anfang ist, und ein Anfang, der nicht selber Anfang ist (ut aeternaliter sit in Deo principium de principio, et principium non de principio)." 154 Dieses Zitat bedeutet so gut die Zusammenfassung der Überlegungen zur Einheit Gottes wie ihre Weiterführung. Denn schaut man genau hin, so zeigt sich hier, warum Gott trinitarisch verstanden werden muß. Den Ausgangspunkt bildet wieder das Zitat Dtn. 6,4: „Höre, Israel, der Herr, dein Gott ist Ein Gott." Bonaventura schließt dem an Dtn. 6,13: „Gott, deinen Herrn, wirst du anbeten, und ihm allein wirst du dienen." 155 Die folgenden Ausführungen sind nichts anderes als eine Auslegung dieser beiden Schriftzitate. Beide zusammen (beide: darauf kommt es an) enthalten implizit die Verhältnisbestimmung von Einheit und Dreiheit Gottes: „In diesem Gebot 156 sind wir gehalten zu glauben, daß Gott Einer ist, und zwar ausdrücklich; implizit aber zu glauben, daß Gott dreifältig ist." Mit dieser Deutung ist das Verhältnis zwischen beiden Schriftzitaten gekennzeichnet. Dtn. 6,4 verhält sich zu Dtn. 6,13 als Deus unus zu Deus trinus oder auch als expresse zu implicite. Damit ist zunächst gesagt, daß das Zitat Dtn. 6,4, welches sich auf Gottes Einheit bezieht, implicite das Zitat Dtn. 6,13 enthält: Daß Gottes Einheit sich auf den Menschen erstreckt 157 , impliziert, daß der Mensch ihn anbeten und ihm dienen wird. Das Eigenartige der Deutung Bonaventuras liegt darin, daß in der weiteren Erläuterung das Verhältnis von Dtn. 6,4 zu Dtn. 6,13 bzw. das Verhältnis von expresse zu implicite nicht als ein Verhältnis von Anruf und Antwort erscheint, wie die Zusammenordnung beider Zitate eigentlich nahelegt, sondern als Verhältnis von Deus unus und Deus trinus. Der Anruf Gottes und seine Anbetung durch den Menschen erscheinen dergestalt als dem innergöttlichen Verhältnis von unitas und Trinitas Gottes engstens verknüpft. Damit ist ein wesentliches Moment der Trinitätslehre Bonaventuras angedeutet: Auch das innergöttliche Verhältnis von unitas und Trinitas steht nicht jenseits der Erstreckung Gottes auf die anima. Der Eine Gott ist in seiner trinitarischen Entfaltung vielmehr der, den der Mensch anbeten wird. Damit reiht sich diese Stelle ein in den Zusammenhang der schon früher s. o. S. 153 ff.) festgestellten Beobachtung, daß die Trinitas Gottes in enger Beziehung zur Aufstiegsbewegung steht. Daß die Seele den Einen Gott anbeten wird, ist eine der Aussage: Gott subsistiert dreifältig nahezu identische Aussage. Damit sind wir nicht 154 Principium non de principio meint hier nicht, die dritte Person sei ihrerseits nicht aus dem Anfang hervorgegangen (so könnte man die Stelle mißverstehen), sondern meint, die dritte Person gereicht ihrerseits nicht einer weiteren Person zum Anfang. Der Ablativ principio hinter der Präposition de ist nicht separativ, sondern limitativ zu verstehen; vgl. Hex. XI,6; V,381a. 155 De myst. Trin. q.l a.2 ad 11: Audi, Israel, Dominus Deus tuus Deus unus est. Dominum Deum tuum adorabis et illi soli servies. V,58a. - Vg. liest in Dtn. 6,13 das Prädikat „timebis". 156 Ebd.: In hoc quidem praecepto obligamur expresse ad credendum, Deum esse unum, sed implicite ad credendum, Deum esse trinum. V,58a. 157 S. o. S.209.

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nur in der Frage der Heimkehr in die innergöttlichen Beziehungen hineinverwiesen, sondern darüber hinaus scheint der Umstand, daß Gott unus et trinus ist, aus sich heraus die Anbetung Gottes zu erfordern und zu begründen. Insoweit deckt diese Stelle den bisherigen Gang dieser Untersuchung. Indem Gott in seiner Einheit als principium effectivum, refectivum und perfectivum erläutert wird, erscheint Gottes Einheit wiederum hineingespannt in das Verhältnis von productio und reductio von Welt. Der weiterführende Aspekt der oben zitierten Stelle liegt in der Erläuterung, die Bonaventura dem Dreisein Gottes gibt. Da Gott Einer ist, ist er durchgängig das eine Prinzip von Hervorbringung, Wiederherstellung und Vollendung 158 . Dieses eine und einheitliche Prinzip aber ist er als der den Sohn zeugende Vater und als der zusammen mit dem Sohn den Geist hauchende Vater. Das heißt: Sofern Gott in seiner Einheit das principium effectivum, refectivum und perfectivum ist, ist er Gott im Verhältnis von persona und natura. Gott ist Einer im Verhältnis von productio und reductio so, daß in Gott selber productio statthat 159 . Das göttliche Ursprunggeben, Wiederherstellen und Vollenden ist umgriffen von dem Akt, in welchem Gott in sich ursprunggebend ist 1 6 0 . Den Hauptton hierbei trägt die Aussage, daß Gott principium principians oder auch ursprunggebender Anfang ist. Denn da Gott wesentlich ursprunggebend ist, ist in Gott eine Unterscheidung zu treffen zwischen dem, der gibt, und dem, was gegeben wird 1 6 1 , der Sache also eine Unterscheidung zwischen einem incommunicabile und einem communicabile in Gott. Um dieses innergöttliche Verhältnis geht es in der trinitarischen Distinktion: „Es sagt also der christliche Glaube 1 6 2 , daß die göttliche Natur Eine und zuhöchst Eine ist; und dennoch sind dort drei Personen, deren eine von der Natur der anderen ist und von der anderen ihren Ursprung nimmt; und deshalb haben sie Gemeinschaft im Wesen und in der Form, sind aber unterschieden durch ihre Proprietät." Bonaventura nähert sich dem Verhältnis von natura bzw. essentia und persona in Gott auf zwei Wegen, die je ihre besondere Funktion erfüllen: „Damit wir aber 1 6 3 dies einsehen können, ist hier zweierlei festzuhalten: zunächst, wie die Begriffe Person und Natur zu bestimmen sind; zum andern, wie sie sich zur productio verhalten. Das Vgl. Anm. 153. Hex. XI,5: intelligentia per fidem elevata dicit, Deum esse trinum et unum, propter quatuor, quae sunt in divino esse, scilicet propter conditionem perfectionis, propter conditionem perfectae productionis, productivae diffusionis, diffusivae dilectionis; et unum sequitur ex altero. V,381a; vgl. I Sent, d.2 a.un. q.2 f . l ; I,53a. 1 6 0 Hex. XI,6; V,381a. 1 6 1 De myst. Trin. q.3 a. 1 ad 2 : Est enim in divinis vere natura et vere suppositum, id est deitas et habens deitatem. V,71b. 1 6 2 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Dicit igitur fides Christiana, quod divina natura est una et summe una; et tarnen sunt ibi tres personae, quarum una est de alia et ab alia, et ideo communicant in essentia et forma, distineta vero proprietate sua. V,65a. 1 6 3 Ebd.: Ut autem hoc possimus intelligere, duo opportet hie notare: primum est, qualiter persona et natura notificantur; secundum est, qualiter ad produetionem comparantur; primum tollit repugnantiam, secundum vero inducit consonantiam. V,65a. 158

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erste hebt den Widerspruch auf, das zweite aber verleiht dem Verhältnis von unitas und Trinitas klingende Harmonie." Im ersten Weg, in der notificatio nominum, die den Widerspruch behebt, nimmt Bonaventura in aller Kürze auf, was er im Ersten Buch der Sentenzen ausführlich erläutert hat 164 : „Dies also ist die Unterscheidung 165 zwischen natura und persona: natura nennt die forma selbst, kraft derer ein jedes das ist, was es ist; persona aber bezeichnet das einzelne suppositum oder auch das incommunicabile." Fragt man nun, inwiefern mit der notificatio nominum ein Widerspruch (repugnantia) und welcher Widerspruch hier behoben ist, so muß die Antwort lauten: Es ist angemessen, zwischen natura und persona in Gott eine Unterscheidung zu treffen, sofern das communicabile in Gott, das also, worin er Einer ist, communicabile nicht wäre, käme ihm im Selbstreflex nicht der Akt der Verwirklichung zu 166 . Nun kann man freilich entgegnen: Warum ist das communicabile, also Gottes essentia, nicht selbst das actu communicans? Oder, mit 164

S. o. S. 175 ff. zu I Sent. d.23. De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Haec est ergo differentia, quod natura dicit ipsam formam, qua unumquodque est id quod est; persona vero dicit suppositum Individuum sive incommunicabile. V,65b. - Es liegt hier eine gewisse begriffliche Schwierigkeit darin, daß Bonaventura in De myst. Trin. q.2 a.2 mit dem Begriff der natura arbeitet und zu seinen Gunsten den der essentia weitgehend fahrenläßt. Eine Differenz zwischen beiden Begriffen ist kaum sichtbar zu machen, und ich sehe mich von daher berechtigt, beide ineins zu setzen. Das dürfte unter Ansehung des folgenden Textes auch die Billigung Bonaventuras gefunden haben. III Sent, d.5 a.2 q.l ad 4: In hoc enim differt essentia a natura; quia essentia nominat rei formam in quandam abstractione, natura eam nominat entern in motu et materia ut naturalium operationum prineipium. Bonaventura bringt diese Differenzierung im Zuge der Erörterung der natura humana a Deo assumta, und deshalb ist sie nicht so ohne weiteres auf Gottes natura zu beziehen, denn in Gott sind weder motus noch materia. Aber Bonaventura billigt ebd. ausdrücklich, daß man ohne Wahrheitsverlust ebenso von essentia wie von natura sprechen könne: Et ideo doctores catholici magis isto verbo uti voluerunt: Deus assumsit humanam naturam, quam hoc: Deus assumsit humanam essentiam, quamvis utraque sit vera; ista (sc. natura) enim est magis propria. III, 13 l b . Ergibt sich von hier aus schon die Berechtigung, essentia et natura ineins zu setzen (und wenn das in bezug auf menschliches Sein gilt, um wieviel mehr dann in bezug auf Gott), so enthält darüber hinaus angesichts dieser Stelle der Vorzug, den Bonaventura in De myst. Trin. q.2 a.2 dem Begriff der natura gibt, doch einen dem Gesamtduktus seines Denkens sich gut fügenden Hinweis. Kann man schon nicht sagen, natura benennt die forma deitatis in motu et materia (wie III Sent, d.5), so dürfte doch Bonaventura diese seine eigene Bestimmung von natura in De myst. Trin. q.2 a.2 präsent gewesen sein ebenso wie die seines Lehrers Alexander, der, eine Ineinssetzung von essentia und natura ablehnend, so definiert (S. th. p. III q.4 m.3): Quamvis sint idem re natura et essentia, tarnen differunt ratione. Natura enim respicit rem in fieri, essentia vero respicit rem secundum esse (Stelle nachScholion zu III Sent, d.5 a.2 q . l ; III, 131b f. - Die Summe des Alexander ist mir leider nicht zugänglich gewesen). Auf diese Weise ist der Begriff natura akzentuiert durch motus und fieri, aber gewiß in bezug auf Gott nicht durch motus a non-esse in esse oder ab esse in non-esse oder ab sic esse in aliter esse, sondern durch den „motus immutabilis", der die wesenhafte Dynamik Gottes ist und der gerade deshalb zwischen einer essentia und einer natura Gottes in Gott zu differenzieren nicht erlaubt. 166 I Sent, d.5 a.2 q.2 i.e.: quemadmodum forma universalis, quantum est de se, est communicabilis; sed tarnen actu communicatur per propagationem plurium, sie natura divina de se quidem communicabilis est, sed quod actu communicetur non est nisi per illud, quod multiplicat vel plurificat ei supposita. I,119a. 165

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Bonaventuras Worten: Warum ist der Satz: essentia generat falsch 167 ? Bonaventura löst diese Frage im Sentenzenkommentar mit dem Hinweis auf den Glaubensgrundsatz: Deus est trinus et unus, ohne allerdings, wie mir scheint, eine schlüssige Antwort geben zu können, und zwar deshalb nicht schlüssig, weil er den Satz: essentia generat unter Hinweis auf das positive Credendum des christlichen Glaubens verwirft; der Satz: essentia generat wäre eine confusio trinitatis, sofern generare eine proprietas personae ist, während nur der essentia communicabilitas zukommt 168 . Eine solche Lösung scheint mir deshalb nicht überzeugend, weil sie nicht von innen her, von der Bestimmung der essentia Dei, quo est unus, gewonnen ist, sondern lediglich aus dem vorfindlichen Begriffsmaterial, demzufolge von der incommunicabilitas personae und der communicabilitas essentiae axiomatisch auszugehen ist 169 . Mir scheint, mit Rücksicht auf De myst. Trin. ist der Grund für die Notwendigkeit, Gott im Verhältnis von essentia und persona zu fassen, inhaltlich woanders zu suchen 170 . Wenn richtig ist, daß Bonaventura die essentia Dei 167 Vgl. I Sent, d.5 a . l q . l ; 1,111 f. - Diese Quästion zielt auf die Trinitätslehre Joachims (vgl. auch Thomas, S.th. I q.39 a.5), die leider nur in der Gestalt ihrer Verurteilung auf dem 4. Laterankonzil (1215) überliefert ist (die Schrift Joachims, auf welche sich diese Verurteilung bezieht, ist verloren). Dieser Überlieferung zufolge verwarf Joachim die Trinitätslehre des Lombarden deshalb, weil dieser statt einer Trinitas eine Quaternitas von essentia und drei Personen lehre. Demgegenüber wollte Joachim die Einheit Gottes kollektiv verstanden wissen, wie viele Menschen ein Volk und viele Gläubige eine Kirche sind (vgl. Denzinger 803). - Bonaventuras Stellung zu dieser Sicht der Trinität läßt sich mehr vermuten als exakt belegen. Daß er Joachims Lehre so fern nicht stand, legt sich aus den bisherigen Überlegungen zur Einheit Gottes nahe. Anderseits ist Joachims Ansatz nicht seiner: Ein kollektives Verständnis der göttlichen Essenz hätte für Gottes Entfaltung den Durchgang durch die Zeiten zur unabdingbaren Voraussetzung dergestalt, daß Gott erst am Ende der Zeiten zu seiner essentia käme. Für Bonaventura dagegen ist Welt insofern nicht Voraussetzung Gottes, als sie in Gottes dreifältig subsistierender Essenz immer schon überwunden ist. - Eine exakte Sicht der Trinitätslehre Joachims wäre aus seinen überlieferten Schriften zu erschließen. Dazu liegt aber, soweit ich sehe, keine Arbeit vor. 168 I Sent, d.5 a . l q . l i.e.: fides vera dicit quasi fundamentum, Deum esse trinum et unum, et ita trinum, quod trinitas non confunditur, et ita unum, quod unitas non multiplicatur. 1,112b. Vgl. ebd. f.4: generare est proprietas personae, communicabilitas est essentiae: ergo sicut se habet communicabilitas ad personam, ita proprietas personalis ad essentiam; sed communicabilitas nunquam est personae, quia haec est falsa: Pater est communicabilis; ergo nec proprietas personalis erit essentiae: ergo nec generare, cum sit personae. I,112a. 169 Daß Bonaventura in der genannten Quästion I Sent, d.5 seiner Sache tatsächlich nicht vollständig sicher ist, deutet seine concl. q . l a . l an: Haec locutio: divina essentia generat, est omnino impropria et neganda, vel saltern pie exponenda. I,112b. 170 In der Tat ist es eine Frage, warum überhaupt ein persona-Begriff auf Gott in Ansatz zu bringen ist. Stohr 28: „Es hieße also die Kraft der göttlichen Einheit unterschätzen und ihren Ruhm vermindern, wollte man ihr nicht die Personenmehrheit zugestehen" (mit Bezug auf De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.; V,65a). So gesehen hinge die dreipersönliche Subsistenz der göttlichen essentia nicht an ihrer inhaltlichen Bestimmtheit, sondern an der Hochschätzung der göttlichen Einheit derart, daß die göttliche Einheit als vis unitiva (Stohr ebd.) nur deshalb mehrpersönlich ist, um ihre Einheitskraft zu beweisen. Betrachtet man die Dinge so, dann ist die dreifältige Subsistenz des göttlichen Wesens nicht eine innere Notwendigkeit Gottes, sondern bloß eine Frage der „Deutlichkeit", wie Stohr 29 mit Blick auf Alexander (S.th. p.I q.5 m.2 ad 1) vermerkt:

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von seiner unitas her bestimmt, wenn weiter richtig ist, daß Gottes unitas inhaltlich das Verhältnis von productio und reductio meint, so müßte die essentia communicabilis Dei, wäre sie selber actu communicans, zu einem progressus ad infinitum führen. Die unmittelbare Identität von communicabile und communicans könnte immer nur als communicatum wiederum die Identität von communicans und communicabile zur Folge haben und also wiederum ein communicatum dieser Art. Dies ist der formallogisch infinite Progreß 171 , in welchem die communicabilitas der essentia nicht zuletzt insofern in Widerspruch geriete, als sie tatsächlich nicht communicabilis wäre; denn in einem infiniten Progreß wäre sie nie vollständig communicatum, sondern bedürfte immer neuer und unendlich fortlaufender communicatio, ohne je vollständig mitgeteilt zu sein. Gottes hervorbringendes Ausströmen muß daher einer persona producta vollständig mitgeteilt sein, wenn anders die communicatio in Gott nicht infinit und auf diese Weise unvollkommen sein soll172. Seine Relevanz aber erhält die Abwehr eines solchen infiniten Progresses von der inhaltlichen Bestimmung der essentia communicabilis Gottes her: von der unitas Gottes. Ist diese das Bestimmende für die essentia Gottes und als dieses Bestimmende das Verhältnis von productio und reductio, so müßte, wie schon oben angedeutet, der formallogische infinite Progreß sachlich die Ewigkeit von Welt implizieren: productio und reductio müßten in Einheit immer wieder zu productio und reductio von Welt führen, so daß der qualitativ invariable und konstante Faktor dieser unendlichen Reihe Welt wäre oder die Unfähigkeit Gottes, seine Schöpfung der Tendenz auf das Nichts hin zu entreißen (s. o. S. 81 ff.). Der Widerspruch, der in der Unterscheidung von persona und natura in divinis behoben ist, ist so gesehen die Auflösung dieses infiniten Progresses: Sofern die essentia communicabilis actu mitgeteilt wird, subsistiert sie notwendig in einer persona incommunicabilis, welche ihrerseits die essentia vollständig an eine weitere persona incommunicabilis weitergibt. Erst insofern ist die essentia communicabilis wirklich essentia communicata. Damit aber gibt der Akt der communicatio dem Verhältnis von natura und persona in divinis seine inhaltliche Füllung: „Persona und natura 173 sind nicht nur im „Wenn nun Wesenseinheit und Personeneinheit zusammentrifft, dann tritt die Kraft der Einheit nicht so deutlich hervor, als wenn das eine Wesen in mehreren Personen, ohne multipliziert zu werden, sich findet." So gesehen wäre Gott, in nur einer Person subsistent, immer noch Gott, nur etwas weniger deutlich. Daß dies Bonaventuras Meinung nicht ist, zeigt klar Hex. XI,10; V,381b. 171 Vgl. I Sent, d.2 a.un. q.3 f . l : ubi est infinitas, ibi est confusio. I,55a; vgl. Hex. VIII,12; V,371a. 172 Hex. XI, 11: Si Pater etiam ultimata diffusione non se diffunderet, perfectus non esset. V,382a; vgl. I Sent, d.29 a.l q.l i.e.; I,509a. 173 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Non solum autem habent diversam notificationem, sed diversimode comparantur ad produetionem. Quoniam enim suppositi est agere per formam, personae estproducere etproduci, non naturae, sed naturae est per produetionem communicari; quia igitur divina natura est impartibilis et sine omni materia, ideo non multiplicatur nec numeratur divisione nec partitione: est ergo omnino una in produeto et producente. Quoniam autem nullus

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Begriff zu unterscheiden, sondern sie verhalten sich unterschiedlich zur Hervorbringung. Weil es nämlich Sache des suppositum ist, durch die forma tätig zu sein, ist es Sache der Person hervorzubringen und hervorgebracht zu werden, nicht aber Sache der natura; sondern Sache der natura ist es, durch die Hervorbringung mitgeteilt zu werden; weil also die göttliche Natur unteilbar ist und ohne jede Materie, deshalb wird sie nicht vervielfältigt noch gezählt nach Aufteilung oder Abtrennung. Da aber keiner sich selbst hervorbringen kann, ist es notwendig, daß auf seiten der Person eine Vielheit vorliege. Weil im Ausströmen der Personen die natura das Mitteilbare ist, die persona aber das Hervorbringende, gibt es notwendig wegen ein und derselben Emanation eine Vielheit von Personen und die Einheit der Natur dergestalt, daß darin kein Widerspruch liegt, sondern höchste Eintracht. - Weil also die Vielheit die Einheit nicht teilt und die Einheit die Vielheit nicht verwirrt, deshalb erscheint das göttliche Sein einzigartig wunderbar und wunderbar einzigartig. Dies nämlich kommt ihm allein zu um seiner höchsten Einfachheit willen, die nicht duldet, daß das göttliche Wesen in Teile zerfalle noch mit Materie vermischt werde; und deshalb kommt es ihm allein zu, und darin in wunderbarer Weise, denn es läßt sich nichts Gleichgeartetes finden. Eines zu sein in mehreren ohne jede Vervielfältigung und Aufteilung der Essenz ist im eigentlichen Sinne das Eigentliche der göttlichen Natur und ihr einzigartiges Privileg." Mit diesen Überlegungen ist der erste Schritt in die Analyse der inneren Trinität getan. Es zeigt sich, daß Gottes essentia, sofern sie durch die Einheit Gottes bestimmt ist, deshalb notwendig personal subsistiert, weil in Gott Hervorbringung stattfindet. Hervorbringung (productio) in Gott aber kann nur im Verhältnis von persona und essentia bzw. natura gedacht werden, wenn anders Gott selbst nicht als ein unerfüllter und unerfüllbarer infiniter Progreß und damit in ewigem Selbstwiderspruch stehend gedacht werden soll174. Freilich ist damit zunächst nur gesagt, daß Gott, da er Einer ist, in mehreren Personen subsistiert und daß die Zahl der Personen nicht unendlich ist. Worauf es hier ankam, war zunächst nur, aus dem Begriff der essentia Dei in ihrer Bestimmtheit durch Gottes unitas heraus inhaltlich nachzuweisen, daß überhaupt in Gott ein personales Verhältnis vorliegt bzw. daß die essentia Gottes notwendig personal subsistiert. Warum aber nun Gott in drei Persopotest se ipsum producere, necesse est, esse pluralitatem a parte personae. Quoniam in emanatione personarum natura se habet in ratione communicabilis, persona se habet in ratione producentis; propter eandem emanationem necesse est, pluralitatem esse in personis et unitatem in natura, ita quod non est ibi repugnantia, sed summa concordia. - Cum igitur nec pluralitas dividit unitatem, nec unitas confundit pluralitatem; apparet divinum esse singulariter admirabile, et mirabiliter singulare. Hoc enim sibi soli competit propter summam simplicitatem, quae non patitur naturam habere partem nec cum materia aggregari; et ideo competit sibi soli, ac per hoc admirabiliter, quia nihil potest omnino simile reperiri. Esse ergo unum in pluribus absque omni multiplicatione et diversificatione essentiae proprie proprium est divinae naturae et eius Privilegium singulare. V,65b. 174

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Vgl. Itn. VI,2f.; V,310f.

nen der Eine Gott ist und in welchem Verhältnis der Hervorgang der innergöttlichen Personen zu dem steht, was als Einheit Gottes deutlich wurde, ist damit noch nicht gesagt. Es kann noch nicht gesagt werden, weil auf der Seite der in mehreren Personen subsistierenden Einen essentia Dei noch eine weitere Bestimmung hinzutreten muß, in welcher das Verhältnis von unitas und Trinitas in seiner inhaltlichen Stringenz verdeutlicht wird. Deshalb ist zunächst noch von der Einfachheit Gottes zu reden.

2. Abschnitt: Die göttlichen a) Die Einfachheit

Personen

Gottes1

Einheit und Einfachheit Gottes stehen sehr dicht beieinander. Das führt gelegentlich dazu, beide ohne weiteres ineins zu setzen2. Dennoch müssen beide Bestimmungen in der Erörterung des göttlichen Wesens unterschieden werden. Denn daß Gott Einer ist in Einheit und sich darin sein Wesen bestimmt, 1 M a n kann hier natürlich fragen, warum diese nach der Einheit Gottes zweite zentrale Bestimmung des göttlichen Wesens nicht in unmittelbarem Zusammenhang des Abschnitts über die Einheit Gottes analysiert worden ist, so daß die Wesenszüge Gottes auf der einen Seite und die göttlichen Personen auf der anderen Seite in je geschlossener Abhandlung zur Sprache gekommen wären. Daß hier nicht so verfahren ist, sondern, gleichsam hin- und widerhüpfend (und aller traditionellen Darstellung von Gotteslehre entgegen) zunächst eine Wesensbestimmung Gottes erörtert, alsdann die personale Subsistenz des göttlichen Wesens besprochen, und dann wieder eine Wesensbestimmung Gottes aufgenommen und dann wiederum von der trinitarischen Distinktion gesprochen wird, dürfte ungewohnt, wenn nicht gar befremdlich sein. Gleichwohl halte ich das angesichts der Theologie Bonaventuras nicht nur für ein legitimes, sondern sogar für ein zwingend notwendiges Verfahren. Dafür sind zwei Gründe zu nennen: Z u m einen der wunderliche Umstand, daß Bonaventura (einzig in der gesamten Scholastik) in De myst. Trin. selber so verfährt. Das ist zunächst ein äußerlicher Grund. Welch innerer Entscheidung der wiederum sich verdankt, hat sich bereits angedeutet: Die Reihe der Eigenschaften des göttlichen Seins in seiner Erstlingsschaft und Reinheit faßt sich, wie wir gesehen haben (s. o. S. 200), zusammen in den beiden umfassenden Bestimmungen der Einheit und Einfachheit Gottes, und diese beiden Bestimmungen, da sie beide Bestimmungen der göttlichen Essenz sind, stehen in dem Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus auf verschiedener Seite: Die Einheit Gottes im Verhältnis zur Trinitas auf der Seite des Deus aeternus, die Einfachheit Gottes in ihrer Verbindung mit dem Zusammengesetzten auf der Seite des Deus humanatus. Mit der Feststellung dieses Umstandes haben wir oben S. 173 die Erörterung dieses Kapitels begonnen, und daraus leitet sich die von Bonaventura in De myst. Trin. selbst gezogene methodische Konsequenz ab, daß, dem Charakter der Aufstiegstheologie entsprechend, je ein Sachverhalt erst dann hinreichend zur Klärung kommt, wenn er in seiner Verspannung mit der anderen Seite derselben Sache gesehen und erläutert ist, so daß, wenn die Einheit Gottes zur Diskussion steht, da geklärt werden soll, was die Einheit Gottes zum Inhalt habe, von Gottes trinitarischer Entfaltung angesichts dessen, was als Inhalt der Einheit Gottes zutage tritt, zu reden ist, ehe von seiner Einfachheit gesprochen werden kann; und wiederum, da im Verhältnis von Einheit und personaler Subsistenz in Gott die christologische und anthropologische Dimension sich im letzten Horizont der Einheit Gottes eröffnet hat (s. o. S. 211), ist nunmehr, da Gott in productio und reductio Einer ist und doch nicht im Widerspruch, sofern im Begriff der innergöttlichen productio der infinite Progreß

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hatte, wie sich gezeigt hat, zwei Implikate: Zum einen erwies sich die Einheit Gottes als das bestimmte Weltverhältnis Gottes; zum andern impliziert die Einheit des göttlichen Wesens notwendig eine Mehrheit göttlicher Personen, sofern die Einheit Gottes in ihrem innersten Kern von Gottes Hervorbringen bestimmt ist. Gottes bestimmtes Weltverhältnis ist der inntergöttlichen productio verklammert, in welcher sich Gott unüberbietbar mitteilt; darin ist er der Eine Gott in seiner Einzigartigkeit3. Und nun haben die Überlegungen zur Einheit Gottes gezeigt, daß Gott, da er Welt hervorbringt um seiner einzigartigen Erhabenheit willen, Welt heimführt um seiner erhabenen Einzigartigkeit willen. Gottes Einheit, die Einheit im Verhältnis von productio und reductio als unitas et pluralitas sine diversificatione, ist demnach unitas „propter" 4 , also nicht ohne weiteres aus sich selber bestimmte und in sich selber ruhende Einheit, sondern Einheit um einer umgreifenden Bestimmung Gottes willen: um willen der Erhabenheit und Einzigartigkeit Gottes. Das muß hier noch einmal festgehalten werden, ehe wir uns der Frage nach der Einfachheit Gottes zuwenden. Denn daß Gott im Verhältnis von Wesenseinheit und Personenmehrheit Gott ist, erfordert eine weitere Näherbestimmung des göttlichen Seins: „Gottes Sein 5 ist (apparet) in einzigartiger Weise wunderbar und in wunderbarer Weise einzigartig. Und das kommt Gott allein zu um seiner höchsten Einfachheit willen." Das Verhältnis von Erhabenheit und Einzigartigkeit Gottes, das gleichsam die Klammer der Einheit Gottes bildet, erscheint hier als Verhältnis von admirabilitas und singularitas Dei, und die Verklammerung beider als seine Einfachheit. Damit ist für die Einfachheit Gottes bereits eine bestimmte Aussage getroffen: Die Eigenschaft Gottes, nach der ihm Einfachheit zukommt, umfaßt als Begriff ebenso wie seine unitas und seine essentia ein Verhältnis, das Verhältnis von admirabilitas und singularitas. In diesem Verhältnis kommt abgewiesen ist, die Frage zu stellen, in welcher Weise jener letzte Horizont der Einheit Gottes faßbar wird: als Frage nach der Einfachheit Gottes. Und wenn wir das wissen, werden wir, alle vorläufigen Anmerkungen zur Trinitätslehre komplettierend, sachgemäß die Frage nach dem innersten Kern der trinitarischen Distinktion stellen können: als Frage nach dem innersten innergöttlichen Grund für das Verhältnis von Trinität und Inkarnation, auf welches uns die Überlegungen zum ersten äußeren Kreis dieser Untersuchung geführt haben. - Ich fürchte allerdings, daß dieses Verfahren nicht ohne Ermüdung zur Kenntnis genommen werden wird, nicht zuletzt deshalb, weil Wiederholungen oft unumgänglich sind. Auf vieles, w a s schon einmal ausgeführt worden ist, muß immer noch einmal zurückgegriffen werden: es ist nicht (es hat nicht werden können) vollständig dargestellt und ist hier gleichwohl zur Grundlage zu nehmen; der Einzelaspekt, den wir oben benutzt haben, ist hier wieder und neu wichtig und erscheint in anderem Licht. 2

Charakteristisch dafür Schalück 10. D e myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Esse ergo unum in pluribus absque omni multiplicatione et diversificatione essentiae proprie proprium est divinae naturae et eius Privilegium singulare. V,65b. 4 De myst. Trin. q.2 a . l i.e.; V,61a; s. o. S. 189. 5 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.: Cum igitur nec pluralitas dividit unitatem, nec unitas confundit pluralitatem; apperet divinum esse singulariter admirabile, et mirabiliter singulare. H o c enim sibi soli competit propter summam simplicitatem, quae non patitur, naturam habere partem nec cum materia aggregari. V,65b. 3

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Gott Einfachheit zu, und in dieser seiner Einfachheit ist er einzigartig wunderbar und von wunderbarer Einzigartigkeit. Diese Feststellung bedeutet: Gottes Wunderbarkeit und Gottes Einzigartigkeit werden noch nicht in seiner Einheit sichtbar. Diese bestimmt vielmehr Gott zunächst nur als sublimis, als hocherhaben gegenüber der abgründigen Tiefe und darin in erhabener Einzigartigkeit. Jene aber, die Einfachheit Gottes, erweist die sublimitas Dei zugleich als admirabilitas und darin seine Einzigartigkeit nicht nur als erhabene, sondern als wunderbar erhabene Einzigartigkeit. Auf diese Nuancen ist sehr wohl zu achten: Gott, da er erhaben ist, ist erhaben gegenüber dem Niederen, der abgründigen Tiefe „nahe dem Nichts" 6 und bezeugt sich selber in seiner Einheit der Tiefe gegenüber als den einzigartig Erhabenen, und ihm antwortet das Zeugnis der Kreatur, indem sie ihn als den erhabenen Einzigartigen und als ihr Ziel bezeugt: Gottes Einheit hat ein Zeugnis aus sich und ein Zeugnis aus der Kreatur 7 . Gott aber, da er wunderbar ist, ist wunderbar gegenüber dem Menschen, der Vollendung seiner Schöpfung 8 und dem Subjekt der Bewunderung Gottes. In seiner einzigartigen Wunderbarkeit bezeugt sich Gott in seiner Einfachheit dem gegenüber, das ihn bewundert; und ihm antwortet das Zeugnis des kreatürlichen Intellekts, der in der Betrachtung Gottes Gott als den einzigartig Wunderbaren und wunderbar Einzigartigen bezeugt. Denn „das göttliche Sein9 ist allereinfachstes Sein. - Die Evidenz dieses Sachverhalts bedarf einer doppelten Betrachtung, nämlich der Betrachtung der Vollkommenheit der göttlichen Wesenszüge und der Betrachtung unserer Betrachtungsweisen." Das heißt: an die Stelle des Zeugnisses der Kreatur ganz allgemein, welche die Einheit Gottes bezeugt, tritt in der Betrachtung der Einfachheit Gottes das Zeugnis der kreatürlichen ratio; ihr gegenüber erweist sich die Erhabenheit Gottes als Wunderbarkeit und seine erhabene Einzigartigkeit als wunderbare Einzigartigkeit. Fragt man nun nach dem, was die Betrachtung der Einfachheit Gottes inhaltlich der Betrachtung seiner Einheit hinzufüge 10 , so zeigt sich, daß, indem unter der unitas Gottes aus dem Wesen Gottes heraus sein bestimmtes Weltverhältnis in den Blick kommt, Gottes Einfachheit eine bestimmte Beziehung Gottes zur creatura rationalis impliziert. Damit verweist Gottes Einfachheit gegenüber seiner Einheit, in welcher das mehrpersönlich subsistierende Wesen Gottes in Hervorbringung und Heimführung von Welt erscheint, auf den modus, in welchem das mehrpersönlich subsistierende Wesen mehrpersön6

II Sent, d.l p . l a.l q.l ad 2; II,17b. De myst. Trin. q.2 a.l i.e.; V,61ab. 8 Vgl. Brevil. 11,11; V,229a. 9 De myst. Trin. q.3 a.l i.e.: divinum esse est simplicissimum. - Ad cuius rei evidentiam duo oportet intueri, scilicet perfectionem conditionum divinarum et modos considerationum nostrarum. V,70a. 10 Hinzufügen ist hier natürlich „translative" gebraucht, nicht im Sinne einer realen Hinzufügung (denn der intellectus fügt Gott der Sache nach nichts hinzu; ebd. ad 4; V,72a), sondern im Sinne der Erhellung eines weiteren wesenhaften Aspekts der Fülle des göttlichen Seins. 7

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lieh subsistiert und Welt hervorbringt und heimführt. Denn um die modi essendi des göttlichen Wesens geht es in der Frage nach dem Verhältnis von Trinitas und simplicitas Dei 1 1 , und um den modus reduetionis sive participartionis geht es angesichts der Einfachheit göttlichen Seins, wenn die modi „unserer Betrachtung" der Evidenz der göttlichen Einfachheit zugeordnet sind 1 2 . Und da uns Bonaventura inzwischen nicht mehr so vollständig fremd ist, nenne ich gleich zu Anfang meine These zu dem, was sich daraus als Inhalt der Einfachheit Gottes erahnen läßt: Das Verhältnis von unitas und Trinitas Dei verdichtet sich im Begriff der Einfachheit Gottes zum Verhältnis von Inkarnation und Trinität. Implizierte Gott in der Einheit, darin sein Wesen im Verhältnis von produetio und reduetio Eines ist, Gott in mehrpersönlicher Subsistenz, so scheint hier, im Begriff der simplicitas Dei, der auf den Deus humanatus hingespannte Gott in seiner bestimmten dreipersönlichen Entfaltung begriffen zu sein. Der erste Hinweis auf die Richtigkeit dieser Vermutung ist aus der Verknüpfung von admirabilitas und simplicitas Dei zu gewinnen. Denn überall dort, wo Bonaventura von der Wunderbarkeit Gottes spricht, liegt der Bezug auf den Inkarnierten nicht fern. Admiratio, admirabilitas, mirari, das sind zentrale Begriffe in der konzentrierten Spekulation von Itn. V und VI, und in ihrer Nähe und ihnen engstens verbunden ist immer auch von suspensio, sublevatio, via ad pacem und verwandtem Begriffsmaterial die Rede, so daß als Heimat des um admirabilitas gezogenen Feldes der Aufstiegsgedanke sichtbar wird, in welchem Gott wesentlich in der Hinsicht erscheint, in der er als das primum prineipium das Ziel des Heimwegs und Aufstiegs ist 1 3 . Wir haben oben bereits anhand Itn. V,6 f. geEbd. a.2 in toto; V,73ff.; im einzelnen dazu s. u. Nur so, scheint mir, ist es zu verstehen, daß Bonaventura im Zuge der Erörterung der simplicitas Dei eine obiectio bringt, die Gottes simplicitas aus eschatologischen Gründen bezweifelt. Ebd. q.3 a.l o p p . l l : nihil omnino simplex partieipatur secundum maius et minus; sed divinum esse partieipatur secundum maius et minus et a viatoribus et a Beatis, qui participant et vident ipsum in se: ergo impossibile est, quod sit omnino simplex. V,70a. Bonaventuras solutio stellt demgegenüber den Sachverhalt, daß die Frage nach Gottes Einfachheit die Frage nach der Teilhabe an Gott berührt, überhaupt nicht zur Debatte: darin ist er mit dem argumentum oppositum einig; ebd. ad 11: dicendum, quod dupliciter dicitur aliquid partieipari, scilicet secundum formam, sicut genus partieipatur a speciebus; vel secundum influentiam, sicut causa partieipatur a suis effectibus. Primo modo habet propositio veritatem; hoc autem modo non dicitur divinum esse partieipari secundum plus et minus, sed solum secundo modo; et hoc non ponit diversitatem in ipso partieipato, sed in eo, per quod fit ilia partieipatio, scilicet in aliquo dono creato. V,73a. Daß gegenüber dem esse simplex die Frage nach der partieipatio zu stellen ist, ist nachdrücklich unterstrichen. Der Streitpunkt liegt vielmehr im modus partieipationis: partieipatio geschieht per influentiam . . . in aliquo dono creato. Damit ist von der Einfachheit Gottes her über die Influenz eine Brücke zur Gnadenlehre geschlagen: Sofern es angesichts der Einfachheit Gottes um partieipatio geht, geht es um das Verhältnis Gottes zum Menschen als um ein Gnadenverhältnis; und in diesem Gnadenverhältnis wiederum geht es um die Gottheit Gottes in erster Linie. 11

12

1 3 Itn. Prol. 3 f.: Nam per senas alas illas (sc. Seraph alati ad instar Crucifixi) recte intelligi possunt sex illuminationum suspensiones, quibus anima quasi quibusdam gradibus vel itineribus disponitur, ut transeat ad pacem . . . Via autem non est nisi per ardentissimum amorem Crucifixi. . . primum quidem lectorem invito, ne forte credat, quod sibi sufficiat lectio sine unc-

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sehen, daß Gottes Sein primum et novissimum in der Vermittlung über seine operatio propter se ist 14 . Angesichts dieser operatio Dei propter se ipsum, so ist jetzt fortzufahren, in der Gott deswegen novissimus ist, weil er primus ist, schlägt die spekulative Schau um in sublevatio und admiratio 15 , und anhand Itn. VI läßt sich jetzt auch zeigen, auf welche operatio Dei sich die Bewunderung der Seele bezieht und in welcher operatio Gott wunderbar ist. „Weil aber 16 (sc. die göttlichen Personen) wesenhaft Eines sind, deshalb ist es nötig, daß Einheit in Gott sei im Wesen und in der forma 17 und in der Würde und in Ewigkeit und Existenz und Unumschreibbarkeit. - Betrachtest du nun diese Bestimmungen für sich, so liegt vor dir, von woher du die Wahrheit betrachtest; setzt du aber diese Einzelbestimmungen untereinander in Beziehung, so liegt vor dir, was dich zur höchsten Bewunderung erhebt: und daher, daß dein Gemüt durch Bewunderung in wunderbare Betrachtung aufsteige, mußt du diese Bestimmungen alle zugleich betrachten. Denn - nam, sagt Bonaventura; er bietet also im folgenden den Grund dafür, daß alle Einzelbestimtione, speculatio sine devotione, investigatio sine admiratione, circumspectio sine exsultatione, industria sine pietate, scientia sine caritate, intelligentia sine humilitate, Studium absque divina gratia, speculum absque sapientia divinitus inspirata. - Praeventis igitur divina gratia, humilibus et piis, compunctis et devotis, unctis oleo laetitiae et amatoribus divinae sapientiae et eius desiderio inflammatis, vacare volentibus ad Deum magnificandum, admirandum et etiam degustandum, speculationes subiectas propono. V,295b f. 14 S. o. S. 201. 15 Itn. V,7: Sed habes unde subleveris in admirationem. Nam ipsum esse est primum et novissimum . . . Si haec pura mente miraris, maiore luce perfunderis, dum ulterius vides, quia ideo est novissimum, quia primum. Quia enim est primum, omnia operatur propter se ipsum; et ideo necesse est, quod sit finis ultimus, initium et consummatio, alpha et omega. V,309b. - Vgl. die beiden Stichworte admirabilitas und levari in Dom. III Adv. S.II; IX,60a. 16 Itn. VI,3-5: Quia vero sunt unum substantial!ter, ideo oportet, quod sit unitas in essentia et forma et dignitate et aeternitate et existentia et incircumscriptibilitate. - Dum ergo haec per se singillatim consideras, habes unde veritatem contempleris; dum haec ad invicem confers, habes unde in admirationem altissimam suspendaris: et ideo, ut mens tua per admirationem in admirabilem ascendat contemplationem, haec simul sunt consideranda. Nam et Cherubim hoc designant, quae se mutuo aspiciebant. Nec hoc vacat a mysterio, quod respiciebant se versis vultibus in propitiatorium ut verificetur illud quod dicit Dominus in Ioanne: Haec est vita aeterna, ut cognoscant te solum verum Deum, et quem misisti Iesum Christum. Nam admirari debemus non solum conditiones Dei essentiales et personales in se, verum etiam per comparationem ad supermirabilem unionem Dei et hominis in unitate personae Christi. Si enim Cherub es essentialia Dei contemplando, et miraris, quia simul est divinum esse primum et novissimum, aeternum et praesentissimum, simplicissimum et maximum seu incircumscriptum, totum ubique et nusquam comprehensum, actualissimum et nunquam motum, perfectissimum et nihil habens superfluum nec diminutum, et tarnen immensum et sine termino infinitum, summe unum, et tarnen omnimodum, ut omnia in se habens, ut omnis virtus, omnis Veritas, omne bonum; respice ad propitiatorium et mirare, quod in ipso principium primum iunctum est cum postremo, Deus cum homine sexto die formato, aeternum iunctum est cum homine temporali, in plenitudine temporum de Virgine nato, simplicissimum cum summe composito, actualissimum cum summe passo et mortuo, perfectissimum et immensum cum modico, summe unum et omnimodum cum individuo composito et a certeris distincto, homine scilicet Iesu Christo. V,311ab. 17 Forma ist hier natura ineins zu setzen; De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.; V,65b; s. o. S. 217 Anm. 165. 15

Fischer, De Deo trino

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mungen Gottes untereinander in Beziehung zu setzen sind und so zur höchsten Bewunderung erheben — denn auch die Cherubim 18 bezeichnen dies (nämlich die Beziehung der Einzelbestimmungen Gottes untereinander), da sie sich gegenseitig betrachten. Und darin liegt das tiefste Geheimnis 19 , daß sie mit auf das Propitiatorium hingewandten Antlitzen einander betrachten, auf daß wahr werde, was der Herr spricht im Evangelium des Johannes (Joh. 17,3): ,Dies ist das ewige Leben, auf daß sie erkennen Dich, der Du allein in Wahrheit Gott bist, und erkennen den, den Du gesandt hast: Jesus Christus'. Denn wir müssen nicht nur die Wesensgründungen und personalen Gründungen Gottes in sich bewundern, sondern sie vor allem bewundern in ihrem Verhältnis zur gottmenschlichen Einung in der Einheit der Person Christi, welche die Erfüllung aller Wunderbarkeit ist (ad supermirabilem 20 unionem Dei et hominis in unitate personae Christi). Wenn du nämlich ein Cherub bist in der Betrachtung der Wesenseigenschaften Gottes und dich wunderst, daß das göttliche Sein zugleich ist das Erste und das Letztfe..., so schau auf den Gnadenstuhl und bewundere 21 , daß in ihm selbst der erste Anfang verbunden ist mit dem Letzten, Gott mit dem M e n s c h e n . . . , die höchste Wirklichkeit mit dem zuhöchst Leidenden und T o t e n . . . , das höchst Eine und Jedweisliche mit dem zusammengesetzten Einzelnen und von allem anderen Unterschiedenen: mit dem Menschen Jesus Christus." Die operatio Dei propter se ipsum, kraft derer Gott deshalb der novissimus ist, weil er der Erste ist, erweist sich hier als die Verbindung (iunctio) des Ersten mit dem Letzten, als die coniunctio summe distantium 22 , als die unio Dei et hominis in Jesus Christus. Dieser Gegenstand der Bewunderung gibt den Tatsachengrund 23 ab für den im quia-Satz zuvor genannten Gegenstand der Verwunderung: für das simul von primum et novissimum im esse divinum. Nicht nur also, daß je die zweiten Glieder in der Aufzählung der Eigenschaften des göttlichen Seins (praesentissimum, maximum, nunquam motum), wie sich oben in der Erörterung der Einheit Gottes gezeigt hat, kraft der operatio Dei propter se in productio und reductio von Welt Seinsbestimmungen Gottes sind; sondern 1 8 Die Cherubim figurieren das Verhältnis von esse et Trinitas Dei. Itn. V , l ; V , 3 0 8 b ; vgl. o. S. 1 2 4 ff. 1 9 N e c hoc vacat a mysterio. Sachlich ist dies eine doppelte Verneinung, die sich als verstärkte Bejahung verstehen läßt. - W e n n Kaup 1 4 3 übersetzt: „Auch darin . . . verbirgt sich ein Geheimnis", so ist der scharfe Akzent, der durch „nec v a c e t " gesetzt ist, zumindest heruntergespielt. 2 0 Auf das supermirabile ist zu achten; Bonaventura nutzt nirgends unbedachte W o r t e . Sowenig es ein simplex gibt, das simplicius ist als das simplicissimum, sowenig es ein summum gibt, das summius als summum ist, sowenig gibt es ein mirabile, das mirabilius ist als das supermirabile. Admirabilis aber ist Gott in seiner Einfachheit, supermirabilis ist die unio Dei et hominis in Christus. In ihrer Unüberbietbarkeit zumindest kommen so simplicitas Dei und Christus zusammen. 21

Mirari ist hier in seiner Doppelbedeutung von „bewundern" und „sich wundern" zu neh-

men. 22

Brevil. I V , 1 ; V , 2 4 1 a .

Der Verweis auf die unio geschieht in einem durch quod eingeleiteten Objektsatz. G r a m matisch handelt es sich hierbei um ein faktisches quod bzw. quod des objektiven Grundes. 23

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sie sind es in dieser ganz bestimmten operatio Dei propter se ipsum: in der unio Dei et hominis in Christus. Das Verhältnis von admirabilitas und singularitas, in der am Wesen Gottes haftenden Einfachheit zusammengefaßt, verweist damit auf den Crucifixus als die inhaltliche Füllung der Einfachheit Gottes. Die In-Beziehung-Setzung der verschiedenen Hinsichten der Einen Essenz Gottes, welche zur höchsten Bewunderung erhebt 24 , ist sachlich der Hinspannung Gottes auf die superadmirabilis unio identisch. Damit ist nicht nur belegt, daß das Verhältnis der göttlichen Eigenschaften untereinander von tiefer Dynamik ist, sondern zugleich ist diese Dynamik, kraft derer Gott diese Eigenschaften zukommen, die bestimmte Dynamik der Entäußerung des göttlichen Wesens. Gott, da er seinem Wesen nach einfach ist und darin einzigartig wunderbar und von wunderbarer Einzigartigkeit, ist Gott in Jesus Christus. Entsprechend dem nun, wie Bonaventura dem Wesen Gottes admirabilitas zuspricht, angesichts seiner tiefinneren Dynamik auf den Crucifixus hin, steht auch die Entfaltung der Trinität, sofern sie die Entfaltung dieses Wesens ist, in innerer Hinordnung auf den Deus humanatus. Denn ganz analog seiner Argumentation im Blick auf die admirabilitas des göttlichen Wesens verfährt Bonaventura in bezug auf die Trinität: „Bist du aber 25 der andere Cherub und versunken in der Betrachtung der Eigentümlichkeiten der göttlichen Personen und wunderst dich, daß da zusammenkommen Mitteilbarkeit und Eigentümlichkeit, Wesenseinheit und Mehrheit, Gleichgestaltung und Personalität, Gleichheit und Ordnung, Gleichewigkeit und Hervorbringung, Gleichinnerlichkeit und Aussendung — denn der Sohn ist gesandt vom Vater, und der Heilige Geist von beiden, und dennoch ist er immer bei ihnen und weicht niemals von ihnen —; so schau auf das Propitiatorium und bewundere, daß in Christus zusammenkommen die Einheit der Person mit der Dreiheit der Substanzen 26 und Zweiheit der Naturen." Auf die exakte Entsprechung beider in den Cherubim figurierter Argumentationsgänge kommt es hier an: Wenn richtig ist, daß Gottes Sein primum et novissimum ist, aeternum et praesentissimum, simplicissimum et maximum, actualissimum et immutabilissimum, summe unum et omnimodum kraft seiner operatio propter se, die heißt: unio Dei et hominis in Christus, so bedeutet die exakte Parallelisierung der Argumentation in bezug auf Gottes 24

Itn. VI,3; V,311ab. Itn. VI,6: Si autem alter Cherub es personarum propria contemplando, et miraris, communicabilitatem esse cum proprietate, consubstantialitatem cum pluralitate, configurabilitatem cum personalitete, coaequalitatem cum ordine, coaeternitatem cum productione, cointimitatem cum emissione, quia Filius missus est a Patre, et Spiritus sanctus ab utroque, qui tarnen semper est cum eis et nunquam recedit ab eis; respice in propitiatorium et mirare, quia in Christo stat personalis unio cum trinitate substantiarum et naturarum dualitate; stat omnimoda consensio cum personalitate, coaequalitatem cum ordine, coaeternitatem cum productione, cointimitatem stat coadoratio cum pluralitate nobilitatum, stat coexaltatio super omnia cum pluralitate dignitatum, stat condominatio cum pluralitate potestatum. V,311bf. 25

26

Sc. natura corporalis, spiritualis et divina; vgl. Hex. VIII,10; V,371a und s. o. S. 56 Anm.

126. IS*

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Dreiheit, daß auch dort die korrespondierenden Glieder, also proprietas personarum, pluralitas, personalitas etc., im ganzen also der Sachgrund der trinitarischen Distinktion 27 ebenfalls in der operatio Dei in Jesus Christus zu suchen ist 28 . Die Dynamik des göttlichen Wesens ist damit nicht nur Dynamik des Wesens, sondern wesentlich trinitarische Dynamik. Wenn diese Einsicht richtig ist, so wird hier klar, warum Bonaventura in De myst. Trin. q.3 angesichts und gegenüber der Einfachheit Gottes die Frage nach den bestimmten modi essendi des göttlichen Wesens und nach der bestimmten Unterscheidung der göttlichen Personen stellt: Die propria personarum werden offenbar gegeneinander abgehoben werden können nicht bloß in Hinsicht auf das innergöttliche Ursprunggeben, sondern müssen wesentlich auch verstanden werden in Hinsicht auf das außergöttliche Hervorbringen und Heimführen in Gottes eigentlichem Werk der Inkarnation. Das Verhältnis von einfachem Wesen und Dreiheit Gottes also ist es, welches seine Wunderbarkeit ausmacht. In diesem Verhältnis wiederum ist Gott wunderbar in seiner Erstreckung auf den Crucifixus hin. Die admirabilitas Dei hängt damit zuinnerst an der innergöttlichen Verankerung der Inkarnation. Die beiden Cherubim, die nach Itn. Vf. Gott in seiner Einen Essenz und in seiner dreipersönlichen Subsistenz figurieren, sind von daher in ihrer gegenseitigen Beziehung von der Inkarnation her zu lesen; denn darin ist Gott wunderbar. „Da27 De myst. Trin. q.3 a.l i.e.: Vere enim est in Deo essentia et suppositum, sed tarnen sunt unum. V,71a. 28 In De myst. Trin. q.2 a.2 i.e. benutzt Bonaventura in der Frage nach der mehrpersönlichen Subsistenz der Einen essentia das folgende Argument: Si ergo non repugnant quantum est de se, pluralitas naturae et unitas personae; pari ratione versa vice non repugnat pluralitas personae et unitas naturae: si non repugnant: ergo possunt circa Deum esse. V,65b. - Stohr 158 f. versteht dieses Argument im Wortsinn: „Als Analogie (sc. zur Dreiheit der Personen in einer Essenz) wird angenommen, daß im Menschen eine Mehrheit von NaturSn (Körper und Geist als zwei Naturen gefaßt) zur Personeneinheit verbunden ist." Und in der Tat argumentiert Bonaventura hier zunächst mit einer solchen äußeren, innerlich nicht weiter vermittelten Analogie (vgl. auch ebd. f.4; V,64b und De dec. praec. 111,10; V,517a). Im Blick auf Itn. VI,6 aberzeigt sich, welch innerer Zusammenhang in der äußeren Analogie verborgen ist: Es geht Bonaventura gar nicht um „den Menschen", sondern „Mensch" kann als Analogie zur Trinität betrachtet werden, sofern in Christus zwei Naturen den drei göttlichen Personen korrespondieren. Entsprechend sagt Bonaventura De myst. Trin. ebd. i.e.: dixerunt haeretici, quod in Christo essent duae personae, sicut duae naturae; alii, quod una natura, sicut una persona; quia non videbant harum differentiam, quam si cognovissent; vidissent, quomodo posset stare pluralitas naturarum cum unitate personae, sicut patet in quolibet homine. V,65b. Verlagert man (mit Stohr) den Hauptakzent dieses Satzes auf die Nebenaussage, so verschiebt sich der Sinn ganz entscheidend; Trinität steht dann in Analogie zu einem beliebigen Menschen, während der Sache nach der beliebige Mensch kraft der coniunctio extremorum in Christo in Analogie zur Trinität steht. Richtig haben m. E. dieHrsgb. das Argument verstanden, wenn sie in einer Anmerkung (V,65b Anm. 4) auf III Sent. d.5 a.2 q.2; III,132bf. verweisen. Dort führt Bonaventura unter den Namen Nestorius und Eutyches die Namen der Häretiker an, die die Mehrheit der Naturen bei Einheit der Person»« Christus nicht haben begreifen können. Die anthropologische Analogie beruht darum ihrem Grunde nach auf einem christologischen Argument (wie auch De myst. Trin. q.2 a.2 f.5; V,64b; ebd. q.3 a.2 f.2; V,74a), und zwar, wie Itn. VI,6 zeigt, dergestalt, daß die äußere Analogie in einem inhaltlichen Zusammenhang zwischen zwei Naturen in Christus und dem Verhältnis von Essenz und Mehrpersönlichkeit in Gott zu suchen ist.

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her sagt der Apostel 29 in Rom. 10,4: ,Das Ende des Gesetzes ist Christus zur Gerechtigkeit einem jeden, der glaubt.' Zur Bezeichnung dieses Sachverhalts betrachten die Cherubim einander mit auf das Propitiatorium hingewandten Antlitzen. Die zwei Cherubim sind die beiden Testamente 30 , die auf Christus hinblicken. (Deshalb heißt es Lk. 24,45:) ,Da öffnete er ihnen den Sinn', nämlich als sie die Schriften auslegten; das heißt, durch diesen Schlüssel des inkarnierten Wortes muß das Buch der Schrift gelesen werden darum, daß es hauptsächlich 31 von den Werken der Wiederherstellung handelt. Wenn du nämlich keine Einsicht hast in Ordnung und Ursprung der Wiederherstellung, kannst du die Schrift nicht verstehen. Der Name dessen aber, der wiederherstellt, heißt Wort Gottes 32 . So heißt es Apk. 19,13:,Bekleidet war er mit einem bitteren Kleide Bluts, und sein Name hieß: Wort Gottes.' - Wollte 29

Hex. 111,10f.: unde ad Romanos:,Finis Legis est Christus ad iustitiam omni credenti.' In designationem huius duo Cherubim, versis vultibus in propritiatorium, mutuo se respiciebant. Duo Cherubim duo testamenta sunt, quorum aspectus in Christum. ,Tunc aperuit illis sensum', quando intellexerunt Scripturas, id est, per hanc clavem Verbi incarnati Uber Scripturae habet intelligi, eo quod est principaliter de operibus reparationis. Nisi enim intelligas ordinem et originem reparationis, Scripturam intelligere non potest. Nomen autem reparatoris est Verbum Dei; in Apocalypsi: ,Vestitus erat veste aspera sanguine, et vocabatur nomen eius Verbum Dei.' - Sed vellem scire, quomodo Verbum Dei ut Reparator sit. De hoc Iesaias: ,Parvulus natus est nobis, et filius datus est nobis, cuius imperium super humerum eius, et vocabitur nomen eius: admirabilis, consiliarius, Deus, fortis, pater futuri saeculi, princeps pacis.' V,345a. 30 Vgl. Hex. XV,11; V,400a. 31 Anders Thomas, der (sicherlich auch mit Bezug auf Bonaventura) S.th. I q . l a.7 auf die Frage: Uttum Deus sit subiectum huius scientiae (sc. theologiae) ebd. concl. antwortet: Cum omnia quae tractantur in sacra doctrina, considerantur sub ratione deitatis per revelationem cognoscibilis, Deus est illius subiectum. - Wie groß der Unterschied zwischen Bonaventura und Thomas ist, zeigt sich, wenn man Bonaventuras Bestimmung des Gegenstandes (subiectum de quo; Brevil. 1,1; V,210b; dazu I Sent, prooem. q . l ; 1,6 f.) der Theologie betrachtet. Er sagt I Sent, prooem. q. 1 concl.: Deus est subiectum theologiae radicale, Christus est subiectum integrale, res et signa sunt subiectum universale sive etiam credibile, prout transit in rationem intelligibilis. I,7a. Dazu stellt Thomas an der genannten Stelle fest (ebd. i.e.): Quidam vero attendentes ad ea quae in ista scientia tractantur, et non ad rationem secundum quam considerantur, assignaverunt aliter subiectum huius scientiae; vel res et signa, vel opera reparationis, vel totum Christum, id est caput et membra. De omnibus enim istis tractatur in ista scientia, sed secundum ordinem ad Deum. Auf diese letzte Bemerkung kommt es an. Mit den Worten Bonaventuras müßte im Sinne des Thomas gesagt werden: theologia principaliter de Deo et de aliis solummodo in ordine ad Deum. Betrachtet man nunmehr die Vertiefung, die Bonaventura seinem Theologiebegriff im Breviloquium gibt (theologia vel Scriptura sacra; Brevil. Prol.; V,201a), d. h. die Ineinssetzung von Theologie und Schrift in den dem Sentenzenkommentar folgenden Werken, so wird die Unfruchtbarkeit der Harmonisierungsversuche, welche die Hrsgb. im Scholion zu I Sent, prooem. q . l (I,9b) unternommen haben, deutlich. Denn für Bonaventura ist theologia sive Scriptura sacra principaliter de Christo vel de opere reparationis (vgl. auch Hex. XIII,12f.; V,389b). Der Springpunkt dieser Differenz ist freilich inhaltlicher Art: denn, daß Gott subiectum a quo der Theologie ist, steht für Bonaventura wie für Thomas außer Frage. Nur ist eben, da Gott dieser Gegenstand ist, dies der Gegenstand für Bonaventura hauptsächlich unter Hinsicht des opus reparationis, so daß die Differenz eigentlich erst sekundär eine der Gegenstandsbestimmung der Theologie ist, primär vielmehr eine der inhaltlichen Bestimmung dieses Gegenstandes, also eine Differenz des Gottesbegriffs. 32 Bonaventura sagt Verbum Dei, ohne ein Attribut (incarnatum) hinzuzufügen.

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ich aber wissen, wie das Wort Gottes die Wiederherstellung zuwege brächte, so lese ich Jes. 9,6: ,Ein Kind ist uns geboren, und ein Sohn ist uns gegeben, des Herrschaft auf seiner Schulter ruht; und seinen Namen wird man heißen: Wunderbar, Ratgeber, Gott, Stark, Vater der Zukunft, Friedensfürst.'" Freilich: Wie verhalten sich die zwei die Testamente figurierenden Cherubim aus dem Hexaemeron zu den das Verhältnis von essentia und Trinitas figurierenden Cherubim im Itinerarium? Das Gemeinsame beider Bilder liegt darin, daß hier wie dort die Cherubim die Testamente figurieren 33 . Aber Itn. V gibt den Hinweis, daß die Cherubim die Testamente figurieren, sofern und indem sie auf das Verhältnis von esse und Trinitas Dei ausgerichtet sind. Es handelt sich also sachlich um die Implikation der Trinitas in der unitas Dei 3 4 , um die Implikation des Neuen Testaments im Alten Testament und damit, wenn Gott das subiectum de quo der Theologie ist 3 5 , um das Verhältnis des göttlichen Wesens zu seinem eigentlichen Werk propter se. Dann aber bedeutet die Aussage, der Uber Scripturae müsse vom Werk der Wiederherstellung her gelesen werden 36 , nichts anderes als der Befund von Itn. V f . : Das Verhältnis von esse und Trinitas Dei ist von Christus her zu lesen. Dann aber steht auch der Verweis auf Jes. 9,6 in Hex. 111,11 in einem inneren Zusammenhang mit der Korrespondenz der Cherubim: Gott ist wunderbar als der für uns geborene Sohn, wunderbar in seiner Entäußerung. Als dieser wunderbare Gott ist er der Reparator in kosmischer Erstreckung 37 , zeigt er unüberbietbar seine Macht 3 8 , macht er das Tote lebendig. Denn das ist gemeint, da er admirabilis heißt 39 , und darin ist der Name Gottes wunderbar auf der ganzen Erde 40 . Wenn also Gott einzigartig wunderbar und wunderbar einzigartig ist um seiner Einfachheit willen 41 , so legt sich zumindest aus der engen Verknüpfung, die Bonaventura zwischen der admirabilitas und der simplicitas Gottes herstellt, die Vermutung nahe, daß unter der Eigenschaft des göttlichen Wesens, in welcher es einfach ist, wesentlich die auf die Selbstentäußerung Gottes hinzielende Dynamik der göttlichen Essenz gefaßt sein muß. Und in der Tat bestätigt sich das, wenn man jetzt das corpus jenes Artikels in De myst. Trin. untersucht, in welchem Bonaventura die Einfachheit Gottes erörtert: „Wenn wir 4 2 die Weisen (modi) der göttlichen Wesenszüge betrachItn. V , 2 ; V,308b. Vgl. dazu oben S. 2 1 4 zu De myst. Trin. q.l a.2 ad 11; V,58a. 3 5 Brevil. 1,1; V,210b. 3 6 Dies tangiert das Problem der Schriftlehre Bonaventuras. Dazu vgl. Mercker 5 1 u. ö. 3 7 Hex. 111,12; V , 3 4 5 a . 3 8 Brevil. IV,1; V,241a. 3 9 Hex. 111,13: Ut ergo possit de mortuis facere vivos, de hominibus filios Dei; necesse est, ut sit praecelsus; et hoc est quod dicit admirabilis. V,345b. 4 0 Hex." VIII,10; vgl. oben S. 173. 4 1 De myst. Trin. q.2 a.2 i.e.; V,65b. 4 2 Ebd. q.3 a . l i.e.: Si consideramus modos divinarum conditionum, divinum esse, eo ipso quo est primum, est simplicissimum. Nam eo ipso quo est primum, omnia ab ipso fluunt, et eo ipso quo fluunt ab ipso, ad ipsum recurrunt et redueuntur tanquam ad finem ultimum; et ex hoc 33 34

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ten, so ist das göttliche Sein eben darin, worin es das erste ist, das allereinfachste. Denn eben darin, worin es das erste ist, fließt alles von ihm her, und darin es von ihm her fließt, läuft alles zu ihm zurück und wird zu ihm zurückgeführt als auf sein letztes Ziel. Und darum verhält es sich so, daß Gott alpha und omega ist43, der Erste und Jüngste, Anfang und Ende. Weil also das, was zuhöchst voneinander entfernt scheint, in jedweislich Eines zusammenkommt, (deshalb) ist es nötig, daß das göttliche Sein selbst das vollkommenste Sein sei, gleichsam als ein wahrnehmbarer Kreisel; alles in allem ist es nötig, daß es allereinfachstes Sein sei." Dieses Zitat ist als ein Schlüsselzitat der gesamten Gotteslehre Bonaventuras zu betrachten. Denn alles, worauf diese Untersuchung sich bisher zubewegt hat, ist in ihm enthalten. Das zeigt die genauere Betrachtung. Der Satz, der hier erläutert wird, lautet: Das göttliche Sein ist eben darin, daß es das Erste Sein ist, das allereinfachste Sein. Esse primum und esse simplicissimum sind durch „eo ipso" zunächst unmittelbar ineins gesetzt: das, was Gottes primitas ausmacht, ist sachlich dasselbe, was seine simplicitas ausmacht. Es muß also das Identitätsverhältnis von primitas und simplicitas Dei durch den Inhalt dessen bestimmt sein, was unter dem „eo ipso" enthalten ist. Der Sache nach ist dies die essentia una Gottes, wenn gilt, daß Gott essentia zukommt darin, worin er Einer ist. Freilich spricht Bonaventura in der Erläuterung des Satzes: eo ipso quo est primum, est simplicissimum dem Begriff nach nicht von der essentia Gottes; aber das, was oben als inhaltliche Bestimmung des göttlichen Wesens zutage getreten ist, erscheint hier als Inhalt von „eo ipso". Das zeigt die Begründung der Identität von esse primum und esse simplex. Das göttliche Sein, sofern und darin es das erste ist, ist wesentlich ausströmendes Sein: eo ipso quo est primum, omnia ab ipso fluunt. An die Stelle des simplicissimum im übergeordneten Satz tritt im Begründungssatz die Aussage: omnia ab ipso fluunt, so daß zunächst Gottes esse simplex und Gottes ausströmende Aktivität zusammenkommen. Damit ist die Identität von esse primum und esse simplicissimum durch Gottes Hervorbringen vermittelt 44 . Das ist aber erst eine erste Hinsicht im Identitätsverhältnis von habet, quod sit alpha et omega, primus et novissimus, principium et finis. Quia ergo haec, quae maxime videntur distantia, concurrunt in omnimode unum; necesse est, ipsum divinum esse esse perfectissimum, quasi quendam intelligibilem circulum; necesse est etiam, esse simplicissimum. V,70ab. 43 et hoc habet, quod sit alpha et omega. Unter Ansehung des „sit" könnte auch übersetzt werden: „und aus dem heraus verhält es sich so, weil Gott alpha und omega ist. 44 M a n könnte in gewisser Weise auch sagen: durch Gottes Influenz. Das würde sich aus der Sechszahl der Begriffe nahelegen, aus welcher Bonaventura die Einheit Gottes bestimmt. Denn die Influenz erscheint dort als der Begriff, welcher, liest man die Reihe von D e myst. Trin. q.2 a. 1 (s. o. S. 194) rückwärts, dem der Kausalität folgt. Die dreifache Kausalität Gottes aber steht in dichter N ä h e zu seiner Einheit, sofern sie Gott nicht nur als die causa efficiens, sondern auch als die causa terminans belegt (Itn. V,7; V,310a). Es wäre dann, entsprechend der Zusammenordnung von causalitas (in ihrer Erstreckung propter naturam) und unitas (in ihrer Erstreckung propter singularitatem) die Sechszahl des Begriffsfeldes, in der Gottes Einheit zu bestimmen ist, der Sechszahl der Eigenschaften der göttlichen Essenz zuzuordnen, also die Influenz der simplici-

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esse primum und esse simplex. Im selben Atemzug, in welchem der Hervorgang der Dinge aus Gott das esse simplex Gottes paraphrasiert, ist die Heimführung 45 der Kreatur zu Gott das Interpretament der Einfachheit Gottes, so daß in dem Begründungssatz, mit dem Bonaventura den übergeordneten Satz: eo ipso quo primum, est simplicissimum erläutert, das Verhältnis von fluere a bzw. produci und recurrere bzw. reduci ad finem ultimum an die Stelle der simplicitas Gottes tritt. In der inneren Bestimmung des göttlichen Seins ist Gott in diesem Verhältnis alpha und omega, der Erste und Letzte, Anfang und Ziel. Bis hierher unterscheidet sich dieser Befund noch nicht von dem Ergebnis der Überlegungen zur Einheit Gottes. Vielmehr erscheinen bislang Einheit und Einfachheit Gottes in unterschiedslos selber Bestimmung: fluere a und reduci ad sind die beiden die Eine einfache essentia Gottes bestimmenden Akte. Die Frage ist jetzt: Inwiefern ist dann eigentlich noch von Gottes Einfachheit neben seiner Einheit zu sprechen? Zeigte sich diese bestimmt durch das Verhältnis von producere und reducere (und darin das Wesen Gottes bestimmend), so ist offensichtlich auch jene, die Einfachheit Gottes, nicht anders als in dem genannten Verhältnis zu fassen. Wenn das aber so ist, wo liegt dann die Notwendigkeit dafür, unter der Einfachheit Gottes sachlich noch einmal seine Einheit zu behandeln? Diese Fragen müssen gestellt werden, um die ganze Eigenart der hier erörterten Stelle zu fassen. Denn Bonaventura ist sich sehr wohl bewußt, daß er hier, da er die evidente Einfachheit Gottes erläutert, inhaltlich von Gottes Einheit spricht. Dieser Sachverhalt macht noch nicht die Eigentümlichkeit dieser Stelle aus; denn es versteht sich von selbst, daß, wo von der Einfachheit des göttlichen Wesens die Rede ist, inhaltlich die Einheit Gottes präsent ist, wenn richtig ist, daß Gottes essentia das ist, quo est unus. Insofern steht hier, da die Einfachheit des göttlichen Wesens thematisch ist, die Einfachheit der göttlichen Einheit zur Debatte: Da in productio und reductio der mehrpersönlich subsistierende Gott Gott ist in der Einheit seines Wesens—wie ist er in tas, die bonitas der immensitas (vgl. De myst. Trin. q.4 a.l i.e.; V,8 lb) etc. Es spräche einiges für eine solche Zusammenordnung, doch ist hier darauf verzichtet, sie durchzuführen, weil, wie die unitas Gottes dem Inhalt nach präsent ist, wenn Bonaventura von Gottes simplicitas spricht, so auch das gesamte sechsgliedrige Begriffsfeld immer mitgemeint ist, nur unter je anderem Blickpunkt und mit anderer Akzentuierung. 4 5 An dieser Stelle ist auf eine nicht unwesentliche Nuance zu verweisen: Dem Akt der reductio, in welchem die Kreatur passivisch als der Gegenstand, an welchem die Handlung ausgeführt wird, erscheint, entspricht auf der Seite der Welt ein intransitives Aktivum, der Akt von recurrere nämlich. Dies letztere, Heimgehen von Welt auf ihr Ziel hin, kommt ebenfalls zur Sprache in dem Zusammenhang, in dem Bonaventura das esse simplex Gottes aus den modi divinarum conditionum erläutert. Damit ist der dem göttlichen Handeln (reducere) auf der Weltseite entsprechende Akt (recurrenre) hineingenommen in Gottes eigene, seinem Sein verknüpfte Aktivität. Der aktive Heimgang von Welt erscheint so nicht bloß als eine dem göttlichen Handeln hinzutretende äußere Entsprechung, sondern, sofern recurrere von Welt an dieser Stelle (nahezu als Synonym von reduci) erscheint, ist die Bewegung von Welt, mit der sie selber und aktiv hinläuft auf ihr Ziel, ihrer Heimführung nicht nur entsprechend, sondern in bestimmter Weise ineins gesetzt, so daß Welt, da sie heimgeht, in Einheit mit Gott selber zu stehen scheint.

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dieser seiner nach zwei Hinsichten sich entfaltenden operatio propter se einfach, also nicht aus anderem zusammengesetzt, noch der Zusammensetzung sei's actu, sei's der Möglichkeit nach unterlegen 46 ? Diese Frage beantwortet Bonaventura mit dem Hinweis auf die bestimmte Eigenart der Einheit Gottes: Gottes Sein ist, darin es das Erste ist, das zuhöchst einfache, weil Gott im Verhältnis von producere und reducere Einer ist. Das ist der Skopus des ersten Begründungssatzes für die Aussage: eo ipso quo primum, est simplicissimum. Bonaventura nimmt diesen Skopus auf, indem er dem ersten Begründungssatz einen zweiten hinzufügt: „Weil also das 4 7 , was zuhöchst auseinanderliegend erscheint, in jedweislich Eines zusammenkommt, deshalb ist es nötig, daß das göttliche Sein vollkommenstes Sein sei, gleichsam als ein gewisser wahrnehmbarer Kreisel; es ist alles in allem nötig, daß es allereinfachstes Sein sei." Der zweite Begründungssatz nimmt mit der Wendung „omnimode unum" inhaltlich den ersten auf: Gott ist Einer im Zusammenkommen von fluere a und reduci ad, von alpha und omega, von primum et novissimum, von principium und finis. Die dergestalt inhaltlich gefüllte Einheit Gottes aber - und das ist der wesentliche neue Aspekt, den der zweite Begründungssatz dem ersten hinzufügt - ist die Einheit der maxime distantia; an ihrem concursus in omnimode unum hängt die Notwendigkeit der Vollkommenheit und der die Vollkommenheit Gottes gleichsam erfüllenden Einfachheit Gottes. Damit aber hängt die Einfachheit Gottes nicht mehr bloß an der im Verhältnis von productio und reductio bestimmten Einheit Gottes, sondern an der Einheit, welche der concursus oder die unio summe distantium ist. Sie hängt damit sachlich an der unio, welche im Christus mediator, im inkarnierten Sohn Gottes statthat. Von daher erfährt der Satz: das göttliche Sein ist eo ipso primum, quo simplicissimum, im letzten Horizont seine Begründung in der unio summe distantium oder auch in der Einen Person des entäußerten Sohnes. Denn dies, die Inkarnation des Wortes, ist der Ort der Rede vom concursus maxime distantium 48 , und damit ist der Nerv der Rede von der simplicitas Dei bloßgelegt: Die jedweisliche Einheit des göttlichen Seins, welche als das Verhältnis von producere und reducere bzw. (von der anderen Seite her) von fluere ab und recurrere erscheint, ist notwendig einfache Einheit als Einung der höchst auseinanderliegenden Extreme; Gott ist in seinem Wesen einfach, weil in ihm diese Einung vollzogen ist. Die Einung (oder der concursus) summe bzw. maxime distantium aber findet statt in der 46

De myst. Trin. q.3 a . l i.e.: Tripliciter enim aliquid deficit a summa simplicitate: aut quia

compositum ex aliis, aut quia compositum alii, aut quia componibile in aptitudine. Divinum autem esse ex hoc, quod est primum, non est compositum ex aliis, nihil enim habetprius ante se; ex hoc, quod perfectissimum, non est compositum alii, perfectum enim non venit ad constitutionem tertii; ex hoc autem, quod ultimum, cetera ad ipsum ordinantur sicut ad terminum quietativum; et ita ipsum est absolutissimum, ac per hoc non solum caret compositione actuali, verum etiam possibili; et sic esse simplicissimum convenit Deo vere et proprie, non enim est haec tria in aliquo alio reperire. V , 7 0 b . 47

Ebd.; s. o. S. 2 3 0 Anm. 4 2 .

48

Brevil. IV, 1; V , 2 4 1 a ; s. o. S. 1 0 6 Anm. 1 1 6 .

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Inkarnation. Damit läßt sich die Begründung, die Bonaventura für die Einfachheit Gottes gibt, zusammenfassen in dem Satz: Gottes Sein ist deshalb einfaches Sein, weil es in seiner Einheit Sein ist auf die Entäußerung, auf die Inkarnation hin; und so konstituiert sich die Einheit Gottes nicht bloß in jenem sein Wesen bestimmenden Verhältnis von pruducere und reducere, sondern dieses Verhältnis bestimmt Gottes Einheit zugleich als einfache Einheit, sofern es als dieses Verhältnis die unio summe distantium oder auch die Inkarnation impliziert. Damit nimmt im Begriff der Einfachheit Gottes die Dynamik seines Seins ihre ganz spezifische Gestalt an: Das Eine Wesen Gottes, indem es hervorbringend und heimführend Eines ist, schwingt, hinausdrängend auf die Einheit des höchst Auseinanderliegenden, zurück auf sich selbst und ist als dieses Eine Wesen Gottes in seiner Einfachheit wahrhaft Ein Wesen reinen Seins. Insofern kann das göttliche Sein in seiner Vollkommenheit als ein circulus intelligibilis beschrieben werden, denn in ihm findet die Bewegung des göttlichen Seins ihren unüberbietbaren Ausdruck 49 , und in dieser Bewegung ist es der Materialgrund der Theologie. Der nämlich 50 findet sich ausgesprochen im Bild des Flusses, wie es angedeutet ist in Hiob 2 8 , 1 1 : „Die Tiefen der Flüsse hat er erforscht, und das Verborgene hat er ans Licht gebracht" 5 1 : „Der Materialgrund 52 (sc. der Theologie) ist mehrfältig angedeutet mit dem W o r t , F l ü s s e ' . . . Betrachte ich nämlich den Fluß, der den Materialgrund figuriert, nach seiner Dauer, so finde ich unaufhörliches Strömen (perennitas)... Betrachte ich ihn nach der Ausbreitung, so finde ich Weiträumigkeit (spatiositas)... Betrachte ich ihn nach der Bewegung (quantum ad motum), so finde ich Zirkulation (circulatio). Wie nämlich in Pred. 1,7 gesagt ist: ,Zum Ort, von dem die Flüsse ausgehen, kehren sie zurück' etc. Betrachte ich ihn nach seiner Wirkung, so finde ich Reinigung (emundatio)." In dieser vierfachen Bestimmung des Flusses sind vier Hinsichten Gottes figuriert: in der perennitas Gottes innergöttliches Ausströmen; in der spatiositas sein Schöpfertum; in der circulatio seine Entäußerung; in der emundatio die Gabe der Sakramente 53 . 49

S. o. S. 1 5 4 .

Vgl. I Sent, prooem. q . l et concl.; 1,6 f. I. Sent, das M o t t o : Profunda fluviorum scrutatus est, et abscondita produxit in lucem. — Vgl. auch oben S. 1 2 8 f. 5 2 I Sent, prooem.: Innuitur causa materialis nomine fluviorum pluraliter . . . Considero namque fluvium materialem quoad durationem, et invenio perennitatem . . . Considero quantum ad extensionem, et invenio s p a t i o s i t a t e m . . . Considero quantum ad motum, et invenio circulationem. Sicut enim dicitur Ecclesiastis primo: ,Ad locum, unde exeunt flumina, revertuntur' etc. Considero effectum, et invenio emundationem. 1,1 ab. 50

51

5 3 Ebd.: Primo, propter perennitatem dicitur fluvius personarum emanatio . . . Secundo, propter spatiositatem dicitur fluvius rerum mundanarum p r o d u c t i o . . . Tertio, propter circulationem dicitur fluvius Filii Dei incarnatio . . . Quarto, propter emundationem dicitur fluvius Sacramentorum dispensatio. I , l b - 2 b . - Es ist charakteristisch für die Theologie Bonaventuras, daß im Bild des Flusses quoad effectum Gott, da er die Sakramente gibt, begriffen ist (also nicht Gott der Schöpfer). Das deckt sich mit dem Befund, demgemäß Gottes Schöpfungswerk im Ansatz bereits auf Heimführung, productio auf reductio angelegt ist.

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Das Bild des Flusses in seiner Zirkulation führt Bonaventura an dieser Stelle folgendermaßen aus: „Um der Zirkulation willen 54 heißt der Fluß die Inkarnation des Gottessohnes, denn, wie im Kreisel das Ende dem Anfang verbunden ist, so ist in der Inkarnation das Höchste dem Untersten verbunden, Gott dem Schlamm und das Erste dem Letzten, der ewige Sohn Gottes dem am sechsten Tage erschaffenen Menschen. Von diesem Fluß heißt es Sir. 2 4 , 4 1 : ,Ich bin wie der Fluß Dorix, und wie ein Wasserlauf gehe ich aus vom Paradies'... Und das ist in der Tat Christus selber, der von sich sagt: ,Ich bin wie der Fluß Dorix', d. h. ein heilsamer Fluß, ,und wie ein Wasserlauf gehe ich aus vom Paradies.' Dies ist die Natur des Wassers, daß es soweit aufsteigt, als es gefallen ist 55 . Solcherart ist auch der Ausgang der Inkarnation gewesen, wie es im Psalm (18,7) heißt: ,Vom höchsten Himmel nimmt er seinen Ausgang und läuft seiner höchsten Höhe entgegen.' Und Joh. 16,28:,Ausgegangen bin ich vom Vater und in die Welt gekommen. Und ich verlasse wieder die Welt und gehe zum Vater'; und so hat Christus den Kreisel vollendet." Dem Inhalt nach finden sich in diesem Absatz aus dem Prooemium zum Ersten Buch des Sentenzenkommentars vollständig die in De myst. Trin. q.3 a. 1 für die simplicitas Gottes gegebenen Erläuterungen wieder: Wo von Gott im Bilde des Kreisels die Rede ist, ist inhaltlich die unio summe distantium bzw. das Inkarnationsgeschehen gemeint. Denn in ihm ist, sofern, wie De myst. Trin. q.3 a. 1 sagt, darin Gottes Einheit in ihrer Vollkommenheit begriffen ist, das vollkommene Weltverhältnis Gottes begriffen, jenes Verhältnis, in welchem Gott in producere und reducere von Welt principium und finis, alpha und omega, primum und novissimum ist. Die im Kreisel figurierte Vollkommenheit Gottes aber, welche die Vollkommenheit seines Weltverhältnisses ist, ist nichts anderes als die als unio summe distantium vollzogene Inkarnation. Das bedeutet: Indem Bonaventura die Identität von esse primum und esse simplicissimum nach der Seite der göttlichen Eigenschaften (also nach der Seite des göttlichen Seins in sich) durch das Verhältnis von fluere ab und s4

Ebd.: Tertio, propter circulationem dicitur fluvius Filii Dei incarnatio, quoniam, sicut in

circulo ultimum coniungitur principio, sie in incarnatione supremum coniungitur imo, ut Deus limo, et primum postremo, ut Filius Dei aeternus homini condito die sexto. De hoc fluvio Ecclesiastici vigesimo quarto: ,Ego quasi fluvius Dorix, et sicut aquaeduetus exivi de p a r a d i s o ' . . . Et ipse Christus de se vere dicit: , E g o quasi fluvius Dorix', id est, medicinalis fluvius, ,et sicut aquaeduetus exivi de paradiso'. N a t u r a aquae haec est, quod tan tum ascendit, quantum descendit. Talis fuit exitus incarnationis, secundum quod dicitur in Psalmo: ,A summo coelo egressio eius, et occursus eius usque ad summum eius.' Et Ioannis deeimo s e x t o : , E x i v i a Patre et veni in mundum: iterum relinquo mundum et vado ad Patrem', et ita fecit circulum. I,2ab. — Die Wendung „Deus cum l i m o " erscheint auch Brevil. I V , 4 ; V , 2 4 5 a . Sie ist dort als ein Bernhard-Zitat ausgewiesen (ebd. Anm. 1 der Hrsgb.). 55

Nebst der Eigentümlichkeit, daß Bonaventura, die dionysische lex divinitatis (lex Divinita-

tis estinfima per media ad suprema reducere; vgl. H e x . 111,32; V , 3 4 8 b ) variierend, hier mit Hilfe eines physikalischen Gesetzes Ausgang und Heimgang des Sohnes beschreibt, ist diese Bemerkung ein Hinweis darauf, wie fest Bonaventura die Inkarnation im Wesen Gottes selber verankert sieht: Die Entsprechung von ascensio und descensio verdankt sich in diesem Bild der Eigengesetzlichkeit der ausströmenden Natur. Sie verdankt sich also nicht einer außerhalb dieses immanenten Gesetzes liegenden ratio.

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recurrere ad, sachlich also durch die Einheit des göttlichen Wesens vermittelt sieht, ist unter der Einheit von primitas und simplicitas der Sache nach das bestimmte Weltverhältnis Gottes im Ansatz bereits mitgefaßt, ein Weltverhältnis, das in der Inkarnation zu seiner Vollendung gelangt und in welchem sich, sofern es wesentlich in der Einfachheit Gottes gründet, die Vollkommenheit des göttlichen Seins selber zum Zuge bringt. Denn die geschaffenen Dinge 56 können in ihrer Beziehung zu Gott betrachtet werden in der Weise, in der sie von ihm ausgehen, und diesem Verhältnis entspricht die Figur der geraden Linie. Oder sie können betrachtet werden in dem Verhältnis, in welchem sie zu ihm zurückkehren; dem entspricht die Kurve. Oder sie können betrachtet werden in dem Verhältnis, da sie in Gott zum Ziele kommen; „und dies ist die Wirkung der Einung, in der geeint werden in der Einheit der Person die Schöpfung und der Schöpfer, Gott und Mensch... Und diese dritte Wirkung (sc. der Präsenz Gottes gegenüber dem Geschaffenen), sofern sie sich auf die Vollendung erstreckt, ist einem Kreise gleich... Und das drückt der Apostel genauestens aus, da er im Brief an die Kolosser im 2. Kapitel (Kol. 2,9) sagt): ,In Christus wohnt körperlich die ganze Gottheit'; d. h. auf vollkommenste Weise, denn es ist nach Weise eines Zirkels, was eine vollkommene Natur ist, und nach Weise der Höhe, was eine vollkommene Fülle ist." Mit diesem letzten Hinweis, dem, daß der Kreisel die Vollkommenheit des Gott-Welt-Verhältnisses ausdrücke 57 , stehen wir mitten im Geheimnis der Einfachheit des göttlichen Seins. Die Aussage, daß das göttliche Sein in sich notwendig zuhöchst einfaches Sein ist, sofern es nach Weise eines intelligiblen Kreisels höchst vollkommenes Sein ist, indem in seiner Einheit und kraft seiner Einheit die Einung des höchst Auseinanderliegenden statthat 58 , ist nicht nur über die Figur des Kreises, sondern aufgrund der Gottes Weltverhältnis voraussetzenden Momente der Erläuterung in De myst. Trin. zutiefst innerlich jener anderen Aussage59 identisch, derzufolge der Kreisel als Figur der Inkarnation die Vollkommenheit des Verhältnisses Gottes zur Welt ausdrückt. Sofern das göttliche Sein in sich zuhöchst vollkommenes Sein ist, ist es vollkommen in seinem Weltverhältnis: ist vollkommen als sich entäußerndes Sein und darin einfach. 56 I Sent, d.37 p. 1 a.3 q.2 i.e.: Quidam enim est effectus, secundum quem comparator res ad Deum per modum exeuntis . . . Quidam per modum redeuntis . . . Quidam est effectus, secundum quem comparator creatora ad Deum ut perveniens, et hic est effectus unionis, in qua uniuntur in unitate personae creatora et Creator, ut homo-Deus . . . Et primus, qui attenditor quantum ad exitom, assimilator lineae rectae; secundus, quantum ad reditum, lineae reflexae; tertius, quantum ad perfectionem, assimilator circulo. Et primus quidem modus similis est lineae; secundus, quia includit primum, similis est superficiei; tertius, quia utrumque, similis est soliditati. Et ideo optime dicit Apostolus ad Colossenses secundo, quod in Christo tota divinitas habitat corporaliter: est enim perfectissime, quia est ad modum circuli, quae est natura perfecta, et per modum altitudinis, quae est quantitas perfecta. 1,648b. - Welch große Bedeutung die Kreisfigur auch für Thomas hat, darauf macht Seckler 26 ff., besonders 29 f., aufmerksam. 57 58 59

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Vgl. auch III Sent, d . l a.2 q . l i.e.; III,20b. De myst. Trin. q.3 a.l i.e.; V,70b (s. o. S. 230 Anm. 42).. Vgl. Anm. 56.

Jetzt aber: Warum ist das in productio und reductio von Welt Eine Sein Gottes einfach in seiner und kraft seiner Entäußerung, und warum ist es in dieser seiner Entäußerung einfach und darin in sich und in seinem Weltverhältnis vollkommen? Ziehen wir noch einmal die oben zitierte Stelle aus I Sent, prooem. heran: In jenem Kreisel dort sieht Bonaventura den Kreisel gezogen in der Verknüpfung des Höchsten mit dem Untersten und des Ersten mit dem Letzten 60 . Für diese beiden sich im Kreis im rechten Winkel schneidenden Geraden 61 gibt Bonaventura eine Erläuterung: In der ersten ist Gott dem Schlamm (limus), in der zweiten der Sohn dem Menschen verbunden 62 . In De myst. Trin. q.3 a.l sind die extrema anders bestimmt: Dort verknüpft der Kreisel Gott mit Gott, alpha mit omega, den Ersten mit dem Letzten, den Anfang und das Ziel 63 . Nun fragt sich: Wie verhält sich ein Kreis zum andern? Wie jener Kreis, der die Inkarnation figuriert, zu dem, der auf der Seite der Eigenschaften Gottes die Vollkommenheit Gottes ausdrückt? Die Antwort darauf ergibt sich im Rückverweis auf den Sachverhalt, der uns im Kapitel über die Evidenz Gottes beschäftigt hat. Der Kreisel, der die Vollkommenheit Gottes figuriert, ist - das darf nicht übersehen werden - ein circulus intelligibilis entsprechend der seinshaften Evidenz des göttlichen Seins, die in der Erörterung der Einfachheit Gottes neuerlich als evidentia simplicitatis zum Stichwort wird 64 . Das bedeutet: Im Begriff der Einfachheit Gottes ist nicht nur (wie in seiner Einheit) Gottes Verhältnis zur Welt als productio und reductio begriffen, sondern dieses Verhältnis von productio und reductio unterliegt seinerseits der Gottes Vollkommenheit erfüllenden Erkennbarkeit Gottes. Die Einheit des mehrpersönlich subsistierenden Gottes ist vollkommene und einfache Einheit erst in bezug auf das kreatürliche Subjekt der Gotteserkenntnis, in bezug auf die creatura rationalis. Wenn demnach Gott als der Eine einfach ist, so impliziert das, daß Gott seinem Wesen nach nicht nur Hervorbringer und Heimführer von Welt ist, sondern daß er dies ist um der seinem Wesen anhaftenden Selbstmanifestation willen. Damit ist, so gut zwischen der Einheit Gottes und dem Hervorgang und Heimgang der Welt allgemein ein innerer Zusammenhang besteht, zwischen der Einfachheit Gottes und dem Aufstieg der Seele ein innerer Zusammenhang hergestellt. Wenn im einen Kreisel Gott mit Gott verbunden ist und im anderen Gott mit der geschaffenen Materie 65 einerseits und mit Mensch anderseits, so liegt das Gemeinsame beider Kreise darin, daß Gott mit Gott zu einem vollkommen intelligiblen Zirkel Vgl. Anm. 5 4 . H e x . 1,24; V , 3 3 3 b . 6 2 Vgl. Itn. VI,5; V , 3 1 1 b . 6 3 S. o. S. 2 3 0 Anm. 42. 6 4 D e myst. Trin. q.3 a. 1 i.e.: Dicendum, quod divinum esse est simplicissimus. — Ad cuius rei evidentiam duo oportet intueri, scilicet perfectionem conditionum divinarum et m o d o s considerationum nostrarum. V , 7 0 a . 6 5 Der limus muß in diesem Sinne verstanden werden; vgl. II Sent, d . l p . l a . l q . l ad 2 ; II,17ab. 60

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sich verbindet, indem Gott sich mit dem Menschen verbindet. Gott löst sich in seiner einfachen Einheit selber ein in der Inkarnation. Von hier aus wird ersichtlich, welche Dimensionen dem Begriff der Einfachheit Gottes innewohnen: Gott ist in der Einheit seines Wesens einfach gegenüber dem Geschöpf, welchem Gott sich um seiner Intelligibilität willen anheimstellen will; er ist einfach in der Verbindung seiner selbst mit seinem letzten Werk, dem Menschen, und darum einfach in der Inkarnation. Am eindeutigsten hat Bonaventura diesen Sachverhalt in jener oben (S. 209) bereits zitierten Stelle aus dem Breviloquium ausgesprochen: „Der erste Anfang66 hat diese sichbare Welt gemacht, um sich selber kundzutun, bzw. dazu, daß durch sie als durch einen Spiegel und eine Spur der Mensch in Gott hinein und heimgeführt werde, ihn als den Schöpfer zu lieben und zu loben. Und demgemäß gibt es ein zweifaches Buch, ein inwendig geschriebenes; das ist Gottes ewige Kunst und Weisheit, und ein äußerlich geschriebenes; das ist die sichtbare Welt. Da es nun eine Kreatur gab, die einen inwendigen Sinn hatte zur Erkenntnis des inneren Buches, den Engel; und eine Kreatur, die einen äußeren Sinn hatte, das seellose Tier: deshalb mußte zur Vollendung des Ganzen eine Kreatur geschaffen werden, die mit einem doppelten Sinn begabt war zur Erkenntnis des inwendig und des äußerlich geschriebenen Buches, das heißt, der Weisheit und ihres Werkes67. Und weil in Christus ineins zusammenkommen die ewige Weisheit und ihr Werk in eine Person: deshalb heißt er das inwendig und äußerlich geschriebene Buch zur Wiederherstellung der Welt." Die inkarnatorische Innervation der Einfachheit Gottes fügt sich damit nahtlos in den Zusammenhang, der zwischen der admirabilitas und der simplicitas Gottes besteht: Gott ist einfach um seiner Wunderbarkeit willen in der in der Inkarnation vollzogenen coniunctio extremorum, in welcher Gott der geschaffenen Seele sich erkennbar macht. Wenn diese Einsicht in das theologische Denken Bonaventuras richtig ist, so muß im Begriff der simplicitas Gottes selber und ihm anhangend nicht nur der Hinweis auf die Inkarnation, sondern ebenso auf die Erschaffung der anima rationalis als das letzte Schöpfungswerk Gottes enthalten sein. Was der Blick auf die verschiedentlich auftretende Rede vom Kreisel ergeben hat, muß sich auch jenseits dieser Bildrede zeigen lassen. Und daß dem tatsächlich so ist, dafür gibt es in De myst. Trin. q.3 a.l einen doppelten Hinweis. Der erste Hinweis auf das der simplicitas Gottes verknüpfte besondere Verhältnis Gottes zu seinem letzten Schöpfungswerk, dem Menschen, liegt in dem, was Bonaventura die Evidenz der göttlichen simplicitas nennt. Der zweite liegt im Verweis auf die Unermeßlichkeit Gottes. Betrachten wir zuerst die Evidenz der göttlichen Einfachheit. Diese umfaßt gleichgeordnet neben der Vollkommenheit der göttlichen Wesenszüge in gradliniger Parallelisierung dazu die Erkenntnisweisen der geschaffenen ra66

Brevil. 11,11; V , 2 2 9 a .

67

Z u m Ursprung dieses Arguments bei Albertus vgl. Haubst, Cur Deus h o m o 3 0 5 .

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tio68. Das ist im Grunde bereits ein eigenartiger Sachverhalt 69 , denn es legt sich von daher zumindest nahe, die Betrachtungsweisen der kreatürlichen ratio wenn schon nicht der simplicitas Gottes selber, so aber doch deren Evidenz zuzuordnen. Offenbar erschöpft sich nämlich die Evidenz des Sachverhalts, der unter dem Begriff der Einfachheit Gottes gefaßt ist, nicht in den Bestimmungen, die sich aus dem esse simplex Gottes selber unmittelbar ergeben - d a n n nämlich hätte Bonaventura es mit dem Hinweis auf die Vollkommenheit der göttlichen Eigenschaften sein Bewenden haben lassen können - , sondern gerade indem das göttliche Sein in seiner Einfachheit evident ist, erfordert dies die Betrachtung „unserer Betrachtungsmodi". D. h. die Art und Weise, wie die ratio der Einfachheit des göttlichen Seins innewird, ist integraler Bestandteil der der Einfachheit Gottes anhaftenden Evidenz. Damit ist angedeutet, daß die Einfachheit Gottes, sofern sie evident ist, entsprechend der grundsätzlich für das göttliche Sein geltenden Evidenz in einer bestimmten Beziehung zur creatura rationalis steht. Auf diese Weise schiebt sich die Zugehörigkeit der Betrachtungsmodi unserer Erkenntnis zur Evidenz der Einfachheit Gottes, da diese wiederum ihre inhaltliche Begründung von der coniunctio maxime distantium her erhält, in die Bestimmung dieser Einfachheit selber hinein. Die Bestimmung der Einfachheit Gottes von der Inkarnation her steht von daher mit der Zugehörigkeit unserer Erkenntnismodi zur Evidenz der göttlichen Einfachheit in einem inneren Zusammenhang derart, daß die Einvernahmung der natürlichen ratio unter die evidente Einfachheit Gottes in der inhaltlichen Bestimmung der Einfachheit Gottes von der Inkarnation her verankert ist: Gott ist einfach in Jesus Christus, weil und sofern er als dieser Inkarnierte evident einfach ist. Angesichts unserer Betrachtungsmodi kann Gott in seiner Einfachheit nicht anders evident einfach sein als in der Inkarnation. Denn da der menschliche Intellekt etwas betrachtet, kommt dreierlei zuDe myst. Trin. q.3 a.l i.e.; s. o. Anm. 64. Thomas bestimmt S.th. I q.3 a.7 die Einfachheit Gottes mit der folgenden concl.: Cum Deus sit primum ens, prima causa, actus purus, et ipsum esse, omni prorsus simplicitate gaudet. Er begründet diese Folgerung fünffach: Zum ersten gibt es in Gott keinerlei Zusammensetzung; zum zweiten ist Gott als das primum ens von keinem abhängig, welches, es zusammensetzend, ihn ins Leben gerufen hätte; zum dritten hat Gott selbst keinen Grund, er ist vielmehr selber die prima causa efficiens; zum vierten gibt es in Gott nicht das Verhältnis von Potenz und Akt; zum fünften ist, was Gottes ist, immer Gott selbst (während in jedem Zusammengesetzten sich immer etwas ihm Subsumiertes findet, das dem Zusammengesetzten selber in seiner Zusammensetzung nicht identisch ist, so etwa, wie ein Teil des Menschen nie der Mensch selber ist). - Ich sehe mich nicht imstande, diese Konklusion des Thomas kontrovers zu Bonaventura zu erläutern. Denn obzwar, wie man sieht, Gottes Einfachheit für Thomas vor allem mit seinem esse primum in Zusammenhang steht (während Bonaventura Gottes Einfachheit über sein esse primum prineipium et finis ultimus bestimmt), so bedürfte doch besonders das fünfte Argument des Thomas einer genauen Analyse. Es wäre zu fragen, ob hinter diesem letzten Argument nicht ebenfalls ein circulus intelligibilis sichtbar gemacht werden könnte. Darüber ist hier nicht zu entscheiden. Für unseren Zusammenhang aber läßt sich feststellen, daß Thomas in der Begründung der Einfachheit Gottes auf unsere Erkenntnismodi nicht Bezug nimmt. 68 69

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sammen 7 0 : das erkennende Subjekt 71 , die zur Erkenntnis stehende Sache und das Erkenntnismittel bzw. die ratio intelligendi. Dabei verfährt der Erkennende auf dreierlei Weise: Er bezieht den Erkenntnismodus auf die Sache; und alsdann ist die Betrachtungsweise wahr, wenn sie eine Übereinstimmung von Sache und Begriff erzielt 72 ; oder er bezieht die Betrachtungsweise auf sich selbst, so, wenn er vom zusammengesetzten Einzelnen auf seine allgemeinen Bestimmungen abstrahiert; oder er bezieht die Betrachtungsweise auf ihren Ermöglichungsgrund, kraft dessen er erkennt. Um die ratio intelligendi oder auch den Sachgrund der Erkenntnis geht es, wenn der Erkennende das Eine durch das Viele 73 in vielfältiger Weise erkennt. - Der entscheidende Punkt dieser Differenzierung unserer Erkenntnis 74 liegt in der Frage nach der ratio intelligendi. Diese, der Erkenntnisgrund, ist die Ermöglichung dessen, was Bonaventura die resolutio, die Trennung von Abstraktem und Konkretem im Erkenntnisakt 75 nennt: „ M a n muß also wissen 76 , daß unser Intellekt 7 0 Die hier folgenden Ausführungen verweisen auf das Problem der Erkenntnislehre Bonaventuras. Diese ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Es wird hier deshalb nicht auf einen Beitrag zur Erkenntnislehre Bonaventuras Anspruch erhoben, sondern nur, sofern Bonaventura an dieser Stelle von Gottes Einfachheit spricht, nach dem Ertrag dieser Distinktionen für die Gotteslehre gefragt. 7 1 De myst. Trin. q.3 a. 1 i.e.: Cum enim ad considerationem necessario concurrent tria, scilicet intelligens, res intellecta et medium sive ratio intelligendi; aliquis modus potest tripliciter attribui nostro intellectui: aut ita, quod illum modum ponat circa rem, et tunc est verus, si in re illa reperitur, ut spiritualiter intelligit spiritualia; aut ita, quod ponat illum modum circa se, ut cum abstracte intelligit coniuncta, et tarnen non est mendax, quia, sicut dicit Philosophus, „abstrahentium non est mendacium'; aut eum ponit circa rationem, per quam intelligit, ut cum multipliciter intelligit unum per multa. -

Sciendum est igitur, quod intellectus noster omnem intellectum rei complete resolvit in intellectum eius, quo est et quod est, et quando intelligit rem compositam, tunc illam resolutionem ponit circa se et circa rem; quando vero rem simplicem omnino, tunc ponit illam non circa rem, sed circa se, quia aliter non potest intelligere. Unde intellectus noster, cum Deum intelligit, omnino intelligit, quod in ipso est omnis simplicitas et nulla compositio, nulla concretio, tarnen intelligit per modum quo est et quod est; nec tarnen est falsus, quia non ponit modum illum circa rem, nec vanus, quia revera aliquid respondet ex parte Dei, licet non diversum. Vere enim est in Deo essentia et suppositum, sed tarnen sunt unum; vere voluntas et potentia, tarnen non sunt, sed cognoscuntur per plura. V , 7 0 b f . Der erste Absatz dieses Zitats ist oben im Text frei zusammengefaßt, da mir eine wörtliche Übersetzung ausgeschlossen scheint. Vgl. dazu oben zur falsitas (s. o. S. 107). Vgl. Hex. 111,6; V,344a. 7 4 Sie entspricht in gewisser Weise der Existenz der Dinge in materia, in intelligentia et in arte aeterna. Itn. 1,3; V , 2 9 7 a ; Brevil. Prol. § 3 ; V , 2 0 5 a . 7 5 Vgl. I Sent, d.28 dub. 1: Sed quod possit intelligi aliquid praeter alterum, hoc potest esse multipliciter: aut quantum ad intellectum apprehendentem, aut quantum ad intellectum resolventem. Si primo modo, sic non potest intelligi aliquid sine aliquo, quod est ei ratio intelligendi, sicut Deus praeter deitatem, et homo praeter humanitatem; potest tarnen intelligi effectus, non intellecta causa, et inferius, non intellecto superiori, quia potest quis apprehendere hominem, non intellecto aliquo superiorum . . . Alio modo contingit aliquid intelligere praeter alterum, intellectu resolvente; et iste intellectus considerat ea quae sunt rei e s s e n t i a l i a . . . Et hoc potest esse dupliciter: aut intellectu resolvente plene et perfecte, aut intellectu deficiente et resolvente semiplene. Intellectu resolvente semiplene, potest intelligi aliquid esse, non intellecto primo ente. In72

73

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jedes Erfassen der Sache vollständig auflöst insofern, als er sie erfaßt darin, worin bzw. wodurch sie ist (quo est — also in ihrer forma) und darin, daß sie konkret existent ist (quod est). Und wenn unser Verstand eine zusammengesetzte Sache erfaßt, so vollzieht er diese resolutio in bezug auf sich selbst und in bezug auf die Sache; betrachtet er aber das gänzlich Einfache (rem simplicem omnio), dann vollzieht er diese resolutio nicht in bezug auf die Sache, sondern lediglich in bezug auf sich selber, weil er anders nicht erkennen kann. Daher erfaßt unser Intellekt, wenn er Gott wahrnimmt, auf jeden Fall, daß in ihm ganze Einfachheit ist und keine Zusammensetzung, keine Konkretion; und dennoch erkennt er ihn auf die Weise der Trennung von Abstraktion und Konkretion (per modum quo est et quod est); und diese Betrachtungsweise ist nicht falsch, weil der Verstand sie nicht in bezug auf die Sache in Ansatz bringt, noch ist sie bedeutungslos (vanus), entspricht doch dieser solutio etwas auf Seiten Gottes, das freilich in sich nicht unterschieden ist. Denn in der Tat sind in Gott essentia und suppositum, aber in Einheit; wirklich Wille und Macht, aber sie bilden keine Vielheit, sondern werden durch eine Vielheit (plura) erkannt." Versucht man, bis zu dieser Stelle den zitierten Absatz zu erläutern, so ergibt sich folgendes Bild: Der natürliche Intellekt (denn von diesem ist zunächst die Rede) findet seinen Erkenntnisgrund, indem er, sowohl in bezug auf den Gegenstand als auch in bezug auf sich selber, den konkreten Gegenstand wie sich selbst nach seiner forma oder auch nach seinem Seinsgrund gefragt bzw. eine resolutio nach Abstraktion und Konkretion vollzieht. Eine solche resolutio ist aber nur solange zutreffend, als der (selber zusammengesetzte) Intellekt es mit zusammengesetzten Dingen zu tun hat. Für die Erkenntnis des Gegenstandes, dem vollständig Einfachheit zukommt, trifft diese ratio intelligendi nicht zu; denn in Gott ist eine Unterscheidung nach Abstraktion und Konkretion nicht zulässig 77 . Anderseits kann der Intellekt überhaupt und grundsätzlich einen Erkenntnisakt gar nicht vollziehen, wenn er die resolutio nach quo est und quod est als seine ratio intelligendi nicht vollzieht. In dieser letzten Aussage nun liegt der Hinweis, der den Knoten schürzt: Denn ist Gott grundsätzlich intelligibel in der Evidenz seines Seins, und läßt sich anderseits kraft der evident einfachen Einheit Gottes in Gott eine Unterscheidung von Abstraktion und Konkretion nicht treffen, so muß die ratio intelligendi, anhand derer der Intellekt Gott erkennt, einen anderen Ort als die (selbstbestimmte) kreatürliche Vernunft haben. Das heißt, wenn der Intellekt die Unterscheidung quo est und quod est in der Erkenntnis Gottes trifft, so ist das nicht deshalb nicht falsch, weil es eine Adäquanz zwischen Gott und der kreatürlichen ratio kraft der Beschaffenheit der ratio gibt, sondern es ist deshalb nicht falsch, weil in Gott selber der Sache nach (revera) dieser Unterscheidung etwas entspricht: die Distinktellectu autem resolvente perfecte, non potest intelligi aliquid, primo ente non intellecto. I , 5 0 4 a b ; vgl. Itn. 111,3; V , 3 0 4 a ; H e x . X I , 1 0 ; V , 3 8 1 b . 7 6 Vgl. Anm. 7 1 . 7 7 S. o. S. 185 f. 16

Fischer, De Deo trino

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tion von essentia und suppositum bzw. persona. Hier drängt sich allerdings sofort ein Problem auf: Wenn in Gott 78 tatsächlich ein Verhältnis von essentia und suppositum vorliegt, so ist das göttliche Sein nicht ein Abstraktum, sondern ein Konkretum, also nicht einfaches, sondern zusammengesetztes Sein. Sagt man nun, daß die in der Gotteserkenntnis zu treffende Differenzierung lediglich ein Akt des erkennenden Intellekts ist (also bloß geschieht per modum circa se), dann entspricht dieser Differenzierung entweder ein realer Sachverhalt auf Seiten Gottes, oder es entspricht ihm nichts. Entspricht ihm etwas, so ist Gott nicht einfach; entspricht ihm nichts, so ist alles (!) eitel und falsch. Das in dieser oppositio angedeutete Dilemma kann man als einen Grundnerv der Theologie Bonaventuras betrachten; denn die Alternative, die in ihr geboten wird, ist tatsächlich gar keine Alternative, sondern bietet in beiden Möglichkeiten im Grunde nur einen Aspekt: die Verfallenheit von Gott und Kreatur an das Nichts. Denn stünde Gott, wie die oppositio als die eine Möglichkeit ausspricht, in direkter Adäquanz zum natürlichen Intellekt, so wäre Gott Kreatur, zusammengesetzt nicht nur, sondern wie alles Kreatürliche mit einer Tendenz auf das Nichtsein behaftet. Entspräche anderseits, wie die zweite Möglichkeit andeutet, der ratio in Wahrheit Nichts auf seiten des Erkenntnisgegenstandes, so verlöre sich nicht nur die kreatürliche Vernunft in vom Nichts umschlossener monadischer Einsamkeit, sondern darüber und darin würde zugleich Gott jener seiner zentralen Bestimmung beraubt, nach der sein Sein darin göttliches Sein ist, als es als esse ex ist, secundum se und propter se grundsätzlich erkennbares Sein ist. Der in der zweiten Möglichkeit angedeutete Riß jedweden Zusammenhanges zwischen Welt und Gott überlieferte nicht nur Welt der Sinnlosigkeit, sondern auch Gott der Ohnmacht: Welt, da sie heimgeht, könnte nicht mehr der unüberbietbare Ausdruck der göttlichen Selbstdeklaration sein79. Von daher faßt Bonaventura in seiner Lösung dieser oppositio die Gesamtheit seines theologischen Entwurfs brennpunktartig zusammen: Es entspricht dem Erkenntnisakt der ratio etwas auf seiten Gottes, nämlich das Verhältnis von natura und suppositum, von deitas und habens deitatem, von essentia und persona, aber in einfacher Einheit80. Fragt man nun, wie sich 78

De myst. Trin. q.3 a.l opp.2: Item, simplicius est esse omnino abstractum a supposito quam concretum; sed divinum esse non est abstractum, sed concretum cum supposito, quia in divino esse est vera deitas et vera hypostasis deitatem habens: ergo etc. - Si dicas, quod differunt sola ratione; aut rationi illi respodet aliquidrei, aut nihil: si aliquid, habeopropositum; si nihil: ergo totum vanum et falsum. V,69ab. 79 Brevil. 11,11; V,229a. 80 De myst. Trin. q.3 a.l i.e.: revera aliquid respodet ex parte Dei, licet non diversum. V,71a. Ebd. ad 2: Ad illud quod obiieitur, quod simplicius est esse omnino abstractum a supposito quam concretum; dicendum duplex est suppositum: unum, quod addit supra naturam, alterum vero quod non addit. De primo supposito . . . veritatem habet; sed hoc modo non ponimus suppositum esse in divinis, quia non est ibi distinetio per additionem aliquam factam circa naturam, sed per originem unius personae ab alia; unde non estibi concretio secundum realem inhaerentiam, sed solum secundum nostram intelligentiam. - Et si obiieiat, quod aut illi intelligentiae res-

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diese Einheit dem Erkenntnisakt gegenüber wahre, so ist auf den Erkenntnismodus circa se vel (auf dieses vel kommt es an) rationem intelligendi zu verweisen: im Bezug auf diese ist in Gott eine Realdifferenz 81 von Essenz und Person auszumachen, welche nicht zum Begriff eines zusammengesetzten göttlichen Seins führt. Diese ratio intelligendi (oder der Erkenntnisgrund) ist nun aber nicht die, welche der natürlichen Vernunft per se zu Gebote steht 82 , sondern die, kraft welcher der intellectus fidelis83 Gottes innewird. Es ist der Erkenntnisgrund, kraft dessen der gläubige Verstand das Eine vielfältig, das Abstrakte konkret, das Einfache umgriffen (complexe), das Unermeßliche endlich, das Ewige zeitlich erkennt. Und diese Enthaltenheit des Abstrakten unter dem Konkreten etc. wiederum ist nicht eine Eigenschaft des intelligiblen göttlichen Seins, sondern steht als ratio intelligendi des Erkenntnissubjekts dem intelligiblen Sein Gottes gegenüber: modos istos (sc. intellectus fidelis) non attribuitipsi intelligibili, sed sibi intelligenti vel rationi intelligendi. Hier ist nun zu fragen: Wer ist eigentlich der intelligens vel ratio intelligendi, der der Einfachheit des göttlichen Seins innewird? Jedenfalls ist es nicht so von vornherein und aus sich heraus der kreatürliche Intellekt. Es ist vielmehr der intellectus fidelis, und dieser wiederum in Einheit mit seinem Erkenntnisgrund, dem Grund, in welchem das Ewige mit dem Zeitlichen, das Einfache mit dem Zusammengesetzten, das Unermeßliche mit dem Bemessenen zur Einheit der Person sich verbindet 84 und darin die Menschheit zur Schau Gottes erhebt 85 . Es ist, kurzum, die ratio intelligendi in den drei Erstreckungen des Wortes Gottes oder auch das Wort Gottes selbst. „Darum gibt es keinerlei Erkennen, es sei denn durch das Wort" 8 6 , denn „das Wort 87 ist der Schlüssel der Beschauung in dreierlei Verstand, nämlich im Begriff des ungeschafpondet aliquid ex parte rei, aut nihil; iam patet responsio, quod aliquid respondet. Est enim in divinis vere natura et vere suppositum, id est deitas et habens deitatem; unde licet intellectus hoc intelligat per modum cuiusdam differentiae, non tarnen est falsus, quia modum illum ponit circa se vel circa rationem intelligendi, non autem circa rem, quam intelligit; aut si ponatur, ponitur aliqua differentia realis inter suppositum et naturam, et talis est, quod compositionem nullam inducit, sicut melius in sequenti quaestione patebit. V,71b. 81 Ebd.: differentia realis. 82 Hex. 11,8: Quid est Veritas secundum definitionem? Adaequatio intellectus et rei intellectae, illius intellectus, dico, qui est causa rei, non intellectus mei, qui non est causa rei. V,344b. 83 De myst. Trin. q.3 a.l i.e.: Propterea a divino esseintelligendo deficit omnisintellectus, et tarnen nihilominus intellectus fidelis circa ipsum non intelligit nisi unum, cum unum intelligit multiformiter, abstractum concrete, simplex complexe, immensum finite, aeternum temporaliter, quia, ut dictum est, istos non attribuit ipsi intelligibili, sed sibi intelligenti vel rationi intelligendi. V,71a. 84 Itn. VI,5; V,311b. 85 Itn. VI,7; V,312a. 86 Hex. 111,9: non contingit intelligere nisi per Verbum. - Et haec est clavis nobilissima animae purgatae per fidem, quae est necessaria . . . Unde omnes, qui non habent hanc fidem, manum habent amputatam. V,345a. 87 Hex. 11,2: Clavis ergo contemplationis est intellectus triplex, scilicet intellectus Verbi increati, per quod omnia produeuntur; intellectus Verbi incarnati, per quod omnia reparantur; intellectus Verbi inspirati, per quod omnia revelantur. V,343a. - Die Stelle fehlt in Rep. A; Deolorme 33 f. Für ihre Echtheit spricht aber Hex. ΠΙ,ΙΟ. Beide Reportationen setzen hier ein mit: Ii·

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fenen Wortes, durch welches alles hervorgebracht wird; im Begriff des inkarnierten Wortes, durch welches alles wiederhergestellt wird; im Begriff des eingehauchten Wortes, durch welches alles zur Offenbarung gelangt". Die Entfaltung des Wortes Gottes in diesen drei Hinsichten wird uns resümierend am Ende dieser Untersuchung noch näher beschäftigen. In diesem Zusammenhang belegt der Hinweis darauf, daß wir es bei der Subsumtion der Erkenntnismodi der ratio unter die evidente Einfachheit Gottes mit einem bereits bekannten Befund zu tun haben: Gott ist in seiner Einheit evident einfach keineswegs gegenüber dem kreatürlichen Verstände in sich, sondern gegenüber dem Verstand, dessen Erkenntnisgrund in der Einhauchung des Wortes der Inkarnierte 88 ist, die eine gottmenschliche Person, in der der Glaube das Göttliche im Zeitlichen erkennt. Im Bezug auf diesen Erkenntnisgrund schaut der intellectus fidelis Gott im Verhältnis von persona und essentia in zusammensetzungsloser Einheit 89 . Mit diesen Überlegungen sind wir in der Erörterung des Begriffs der Einfachheit des göttlichen Seins, also in der Erörterung gleichsam aus Gott heraus, zu demselben Ergebnis gelangt, das sich in der ersten Annäherung an die Evidenz des göttlichen Seins ergab: Das göttliche Sein, indem es in seiner Einheit evident einfach ist, ist einfach von der unio summe distantium her und von daher in seiner Einfachheit erkennbar. Damit ist unter dem Begriff der Einfachheit Gottes sowohl die Inkarnation als auch der Schritt des kreatürlichen Intellekts in den Glauben enthalten. Gott ist einfach in seinem den Menschen heimführenden Werk 9 0 . Wenn also Bonaventura sagt: der Unterscheidung quo est und quod est circa se vel rationem intelligendi im Vollzug der Gotteserkenntnis entspricht etwas auf selten Gottes, und zwar eine nicht als Zusammengesetztheit zu begreifende Realdifferenz von suppositum und natura oder persona und essentia, und weil diese Entsprechung vorliegt, ist Gott einerseits nicht zusammengesetzt, sondern einfach; und ist das Ganze nicht Nichts 91 , sondern nach der Seite Gottes Gott Gott und nach der Seite der Welt Welt eine perfecta universitas 92 , so verbirgt sich dahinter offenbar wieder jene die gesamte Theologie Bonaventuras durchziehende Spannung von Inkarnation und Trinität, in welcher Gott darin der Eine mehrpersönlich subsistierende Gott ist, daß er sich entäußert und sich selber als Entäußerter gegenüber seinem letzten Schöpfungswerk in seiner grundsätzlichen Erkennbarkeit einlöst 93 . Secunda clavis est intellectus Verbi incarnati (V,345a und Delorme 38), so daß anzunehmen ist, daß Bonaventura im Beginn der collatio die triplex clavis exponiert hat. 8 8 Vgl. Brevil. VI,8; V,272b f. 8 9 De myst. Trin. q.3 a.l ad 2 ; V,71b (s. o. Anm. 80). Bündig dazu Brevil. 1,4: cum primum principium sit perfectissimum simul et simplicissimum, omnia, quae perfectionis sunt, de ipso dicuntur proprie et vere; quae autem imperfectionis sunt aut non dicuntur, aut si dicuntur, secundum assumtionem humanae naturae dicuntur, vel translative. V,212b. 90 Vgl. De myst. Trin. q.3 a.l ad 12; V,73a; Brevil. 11,11; V,229a. 9 1 De myst. Trin. ebd. opp.2; V,69b (s. o. Anm. 78). 9 2 Brevil. 11,11. 9 3 Die hier vorgelegte Interpretation des corpus von De myst. Trin. q.3 a . l kann allerdings

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Nun ist allerdings zu fragen: Wenn richtig ist, daß dem Begriff der Einfachheit Gottes das besondere Verhältnis Gottes zur Seele verknüpft ist, indem er seine innere Bestimmung von der Inkarnation her erhält, welcher Seinsbestimmung Gottes wiederum verdankt es sich, daß Gott in seiner Einfachheit diese göttliche Hinneigung zu seinem letzten Schöpfungswerk hat? Warum ist Gott einfach gerade in der Subsumtion unserer Erkenntnismodi unter die Evidenz dieser seiner Einfachheit? Bonaventura gibt dazu im corpus von De myst. Trin. q.3 a . l am Ende der Ausführungen, die er der Betrachtung der göttlichen Einfachheit nach der Seite der Vollkommenheit der göttlichen Wesenszüge widmet, gleichsam als Überleitung zur Betrachtung unserer Erkenntnismodi den folgenden Hinweis: „Da es nämlich das vollkommenste Sein ist 9 4 , eignen ihm alle edlen Eigenschaften; weil es aber das Letzte durchaus als spekulativ betrachtet werden. Man kann sich gegenüber dem aus De myst. Trin. q.3 a. 1 vorliegenden Material dem Eindruck einer gewissen Uneindeutigkeit nicht verschließen. Denn obwohl der Sache nach von Christus ständig die Rede ist, wird der Inkarnierte nirgends wördich genannt. Mir scheint, das hat seinen Grund darin, daß für Bonaventura selber zu dieser Zeit (die Qq. De myst. Trin. sind vermutlich vor 1 2 5 7 entstanden; vgl. die Erläuterungen der Hrsgb. X , 1 0 a ) die Dialektik, die der Einfachheit Gottes innewohnt, noch nicht zum Namen Jesus Christus gereift ist. Das bedeutet nicht, daß wir es in den Qq. De myst. Trin. der Sache nach mit einer anderen Position als in den christozentrischen Spätschriften zu tun hätten, sondern nur dies, daß die verbale Christozentrik des späten Bonaventura ihren Sachgrund in seiner anfänglichen Einsicht in die Beschaffenheit des götdichen Seins hat. Der Ansatz bei der grundsätzlichen Evidenz und der damit verbundenen tiefen Dynamik des göttlichen Seins, durch den Bonaventura sich auszeichnet, reift in der Christozentrik der Spätschriften zur vollständigen Faßbarkeit: Bonaventuras Denken wird auch seiner sprachlichen Gestalt nach eindeutig christozentrisch, weil es von Anfang an auf die inkarnatorische Dynamik des göttlichen Seins zielt. - Daß wir es in dem gesamten interpretierten Abschnitt wieder mit der für Bonaventura typischen Denkbewegung zu tun haben, die hinter der äußeren Sprachgestalt den Kern seiner Theologie immer schon mit meint und zentral meint, zeigt sich in jenem, dem corpus articuli angefügten Corollarium, in welchem Bonaventura auf Augustin verweist: Et hinc est, quod verius est (sc. Deus) quam intelligatur, et verius intelligitur quam dicatur. V,71a. Dieses Zitat stellt ein Wahrheitsgefälle her zwischen dem Erkenntnisgegenstand (Gott), der Erkenntnis und dem Erkenntnisausdruck, also zwischen res, intellectus und sermo. Ein solches Gefalle aber gibt es nur, solange über Christus als die ratio intelligendi Unklarheit besteht, und gilt insofern für den defektiven Verstand. W o aber der intellectus fidelis erkennt (und auf ihn verweist Bonaventura im Anschluß an die zitierte Stelle; s. o. S. 243 Anm. 83), ist Christus die ratio intelligendi, in der unter dem Konkreten das Abstrakte, unter dem Zusammengesetzten das Einfache etc. erkannt wird. In ihm und kraft seiner hebt sich das Gefälle auf. De red. art. 18: Sicut ergo nihil cognoscitur per sermonem perfecte, nisi mediante virtute, lumine et specie unitis animae; sic ad hoc, quod anima erudiatur ad Dei cognitionem per ipsius internam locutionem, necesse est, quod uniatur ei qui est splendor gloriae et figura substantiae eius, portans omnia verbo virtutis suae (Hebr. 1,3). V,324a. - D i e figura substantiae Patris, von der Hebr. 1,3 spricht, ist Christus selbst, das ewige Wort (vgl. Apol. pauperum 11,12; VIII,242b). Von daher, so läßt sich die Stelle De red. art. 18 aufnehmen, wird Gott per sermonem perfecte erkannt, besteht also in der Erkenntnis der Wahrheit kein Gefälle, wo der mit der Seele eins ist, der die figura Patris ist, der Inkarnierte als das ewige Wort. 9 4 De myst. Trin. q.3 a . l i.e.: Quia enim (sc. divinum esse) est perfectissimum, habet omnes conditiones nobilitatis; quia vero ultimum et optimum, propter quod sunt omnia, omnes illas conditiones habet in summo; quia primum, in quo nulla diversitas, necesse est, quod omnes sint in ipso unum et sie simplicissimum per exclusionem omnis compositionis et inclusionem omnis perfectionis . . . Quod clare non videt, nisi qui similiter intelligit circa divinum esse summam simplicitatem cum summa immensitate. V,70b.

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und zuhöchst Gute ist, um deswillen alles ist, eignen ihm jene edelsten Eigenschaften im höchsten Maße; weil es das Erste ist, in welchem keine Zusammengesetztheit ist, ist es nötig, daß alle Eigenschaften in ihm in Einheit sind und so zuhöchst einfach durch Ausschluß aller Zusammengesetztheit und Einschluß aller Vollkommenheit... Das aber erkennt niemand in Klarheit, er erkenne denn in bezug auf das göttliche Sein die höchste Einfachheit zusammen mit der höchsten Unermeßlichkeit." Mit Rücksicht auf diesen Hinweis ist die Brücke, kraft welcher Gottes Einfachheit in ihrer Evidenz unsere Betrachtungsweisen unter sich enthält, in der Bestimmung Gottes zu suchen, in der er als der Einfach-Eine unermeßlich ist. Damit ist der Unermeßlichkeit Gottes ein erheblicher Stellenwert zuzuordnen. Unter ihr ist dasjenige begriffen, was die Einfachheit Gottes absichert dergestalt, daß Gottes simplicitas tatsächlich als simplicitas und also frei von compositio gewahrt bleibt. Aber nicht nur das, sondern erst unter dem Begriff der Unendlichkeit bzw. Unermeßlichkeit 95 sichert sich die Ewigkeit Gottes: „Das göttliche Sein 9 6 ist ewig, weil es zugleich einfach und unendlich ist"; und schärfer gesagt: „Das göttliche Sein ist eben darin (eo ipso) ewig, darin es einfach und unendlich ist. Weil es nämlich unendlich ist, hat es weder Anfang noch E n d e . . . Weil es aber einfach ist, gibt es weder etwas ihm zuvor noch etwas ihm Nachfolgendes . . . So setzt also die Einfachheit gänzliche Gleichzeitigkeit (simultas); die höchste Unermeßlichkeit aber gänzliche Unbegrenztheit (interminabilitas); beide in eins verbunden konstituieren die Ewigkeit des göttlichen Seins." Dieser letzte Satz impliziert eine Aussage von höchster Gewichtigkeit. Wenn nämlich richtig ist, daß dem Sein Gottes Einfachheit zukommt in seiner Entäußerung, sofern es im Verhältnis von producere und reducere in seiner Entäußerung Eines ist, so bedeutet die hier getroffene Aussage: simplicitas et immensitas constituunt aeternitatem nichts anderes, als daß die Ewigkeit Gottes oder auch der Deus aeternus, von welchem Hex. VIII spricht, sich als Deus aeternus konstituiert, sofern das Inkarnationsgeschehen, welches die Einfachheit Gottes füllt, in einem inneren Zusammenhang steht mit dem Sachverhalt, den die Unendlichkeit Gottes meint. Auf dem Wege, auf dem wir versuchen, gleichsam aus den inneren Bestimmungen des göttlichen Seins heraus das bestimmte Weltverhältnis Gottes zu begreifen, spielt deshalb der Begriff der Einfachheit Gottes seine dominierende Rolle nicht abgesehen von jenem unter der Unermeßlichkeit Gottes begriffenen Sachverhalt. Es ist deshalb in Kürze zu skizzieren, was die Unendlichkeit Gottes meint. 9 5 Bonaventura sagt abwechselnd infinitas und immensitas. Die Grenze zwischen beiden Begriffen ist nicht scharf gezogen, aber es läßt sich vermuten, daß infinitas eher die unbegrenzte Macht Gottes von Seiten Gottes akzentuiert, während immensitas eher den Ton auf die Macht Gottes in Einheit mit seinem Sein als optimum setzt. 9 6 De myst. Trin. q.5 a. 1 concl.: Divinum esse est aeternum, quia est simplex simul et infinitum. V,89b. Ebd. i.e.: divinum esse est aeternum, eo ipso quod simplex et infinitum. — Quia enim infinitum est, ideo caret prineipio et f i n e . . . Quia vero simplex est, caret priori et posteriori. . . Summa igitur simplicitas ponit omnimodam simultatem; summa vero immensitas omnimodam interminabilitatem; quae duo simul iuneta constituunt aeternitatem. V,89b.

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Zunächst in der Tat, wie in der eben zitierten Stelle ausgewiesen, die gänzliche Unbegrenztheit Gottes. Wie diese zu verstehen ist, zeigt De myst. Trin. q.4 a. 1: Gottes Sein in seiner Einfachheit ist unendlich, aber darin und darum bezieht sich der von Gottes Einfachheit her gewonnene Begriff der Unendlichkeit nicht nur auf Gottes Sein, sondern zugleich auch auf sein Können 97 . Was das bedeutet, zeigt Bonaventura zunächst anhand einer formalen Begriffsbestimmung. Man kann nämlich 98 „unendlich" in einem doppelten Sinn benutzen, einmal im privativen Sinne, ein andermal im verneinenden Sinne. Im privativen Sinne benutzt, entkleidet der Begriff „infinit" den mit ihm belegten Gegenstand der Aktualität und benennt ihn nur im Sinne der Fähigkeit, sich zu aktualisieren. So gesehen ist der mit der Eigenschaft „infinit" versehene Gegenstand etwas, was dazu da ist, finit zu werden, also in seiner Realisierung bestimmten Begrenzungen zu unterliegen. Damit ist das Infinitum selber nicht finit, aber als Infinites ein Unvollkommenes. In diesem privativen Sinne ist das Sein Gottes nicht infinit, denn Gottes Sein ist Sein in höchster Aktualität 99 . - Zum andern aber wird der Begriff „infinit" negative gebraucht, d. h. er weist die Endlichkeit der Sache ab (removet finem sive finitatem). Um das zu verstehen, muß man sehen, daß auch der Begriff „Ende" oder „Ziel" (finis) doppelt angewandt wird. Finis meint einmal das Ende als den Zielpunkt bzw. die Grenze (finis-terminus) oder das Ende als die vollendende Erfüllung. Entsprechend wird „infinit" im verneinenden Sinne doppelt benutzt: als Verneinung des Endes, welches die Erfüllung ist, und da diese Verneinung die Bestimmung des Bösen ist 100 , kann sie auf Gott nicht zutreffen. Da Gottes Sein infinit genannt wird, negiert das nicht sein esse finis-complementum. Und „infinit" wird gebraucht als Verneinung des Endes, welches Ziel oder Endpunkt ist (per abnegationem finis-termini). Dabei kann 97 C o n d . : Divinum esse et posse, quia est summe simplex, est infinitum, quatenus infinitum abnegat terminum circa quantitatem virtutis. V,80b. 98 Z u m folgenden vgl. ebd. i.e.: Intelligendum igitur, quod infinitum dicitur dupliciter, scilicet privative et negative. Secundum quod dicitur privative sie privat actum et relinquit aptitudinem; et hoc modo dicitur infinitum quod est natum finiri, non tarnen est finitum, et sie sonat in incompletionem. - Secundum autem quod dicitur negative, sie simpliciter removet finem sive finitatem; sed hoc dupliciter habet intelligi secundum duplicem aeeeptionem finis. Dicitur einim finis-terminus, finis-complementum; et ideo infinitum dicitur dupliciter: vel per abnegationem finis-complementi, et sic malum dicitur infinitum; vel per abnegationem finis-termini, et hoc dupliciter potest esse secundum duplicem terminum. Est enim terminus secundum quantitatem materialem, et est terminus secundum quantitatem spiritualem; prima dicitur quantitas molis, secunda quantitas virtutis. Infinitum igitur per abnegationem termini circa quantitatem molis semper dicit aliquam incompletionem aliquo modo, vel actu, vel potentia, quia dicit recessum a simplicitate. Talis enim quantitas non simul stat cum simplicitate in eodem et secundum idem, et tale infinitum nunquam est actu, sed solum potentia, actu autem finitum. Infinitum vero per abnegationem termini circa quantitatem virtutis non dicit aliquam imperfectionem, sed summam perfectionem, quia non repugnat simplicitati, immo non potest esse nisi in summe simplici; et tali modo Scripturae auctoritas et fidei confessio ponunt infinitatem sive immensitatem in ipso Deo simplicissimo. V,80bf. 99

Vgl. Itn. V,6; V,309b. Et sic malum dicitur infinitum, setzt Bonaventura hinzu. Mit dieser Bestimmung beruft sich Bonaventura auf Dionys Areopagita; vgl. II Sent, d.34 a.2 q . l i.e.; 11,8IIb. 100

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Ziel oder Grenze (terminus) wiederum doppelt verstanden werden: als Grenze der materialen quantitas und als Grenze der spiritualen quantitas. Die erste heißt die Quantität der Masse, die zweite die Quantität der Kraft (virtus). Wird nun „infinit" benutzt im Sinne einer Verneinung des Ziel- oder Endpunktes (per abnegationem finis-termini) der Quantität der Masse, so impliziert das (daß also die Masse in ihrer Quantität infinit sei) immer eine Unerfülltheit (incompletio), sei's actu, sei's der Möglichkeit nach; denn eine unendliche Masse kann nicht einfach sein, da sie unendlich ist nur in ihrer Potenz, in ihrer Verwirklichung aber finit, d. h. der Zusammensetzung mit einer forma unterliegt 101 . Infinit aber, benutzt als Verneinung eines Endpunktes der Menge der Kraft (per abnegationem termini circa quantitatem virtutis), bedeutet nicht eine Unvollkommenheit, sondern höchste Vollendung. Denn sie widerspricht nicht nur nicht der Einfachheit, sondern kann überhaupt in diesem Sinne nur im zuhöchst Einfachen vorhanden sein. Betrachtet man diesen Absatz unter der Frage, in welchem Sinne „infinit" auf Gottnicht angewandt werden kann, so ergibt sich folgendes Bild: Gottist nicht infinit im Sinne bloßer Potenz; Gott ist nicht infinit in dem Sinne, daß er nicht die vollendende Erfüllung wäre; Gott ist nicht infinit als unendliche Masse. Bonaventuras positive Folgerung lautet: Gott ist infinit als unendliche Kraft. Der Kern dieser formallogischen Ableitung scheint nun in folgendem zu liegen: Indem Bonaventura positiv folgert, „Gott ist infinit als unendliche Kraft", enthält das zugleich, daß Gott infinit ist im Sinne vollkommener Aktualität, infinit im Sinne vollendender Erfüllung, infinit als unendlicher Geist. Das heißt: Nicht anders als in den anderen Eigenschaften Gottes, in denen er Einer ist und einfach, ist Gott, indem er in der Fülle seiner Kraft unendlich ist, darin und darunter als vollkommen aktuales Sein das erfüllende Ziel von Welt. Die über das Sein Gottes in sich getroffene Aussage, derzüfolge es infinit ist in der Fülle seiner Kraft, enthält also auch hier eine Aussage über Gottes Verhältnis zur Welt. Daß Bonaventura es ablehnt, den Begriff infinitum per abnegationem finis-complementi zu betrachten, ist selbstverständlich. Daß er aber diese Ablehnung an dieser Stelle bringt, da er das göttliche Sein in sich erörtert, bedeutet, daß Gott nicht nur aus der Sicht der Kreatur der finis-complementum ist, sondern aus der Sicht der Kreatur in diesem Sinne finis ist, weil und sofern er in der Bestimmung seines Seins, darin er infinit ist als unendliche Kraft, in sich selber als finis-complementum von Welt zu verstehen ist 102 . Die Aussage: Gott ist finis finiens ist damit erst 101

Dieser Gebrauch von infinit als abnegatio termini circa quantitatem molis deckt sich letztlich mit dem privativen Gebrauch von infinitum; vgl. I Sent, d.43 a.un. q.2 i.e.; 1,769bf. 102 Thomas S.th. I q.7 a. 1 bringt die Reflexion auf Gott als finis-complementum in der Erörterung der Unendlichkeit Gottes nicht. Der Kern seiner Argumentation lautet ebd. i.e.: Cum igitur esse divinum non sit esse reeeptum in aliquo, sed ipse sit suum esse subsistens . . . manifestum est quod ipse Deus sit infinitus et perfectus. Allerdings findet sich bei Thomas eine derjenigen Bonaventuras vergleichbare Überlegung in der Summa contra gentiles, 1,43: spiritualis magnitude quantum ad duo attenditur, scilicet quantum ad potentiam et quantum ad propriae naturae bonitatem, sive completionem. Aber auch diese Überlegung ist tatsächlich nur ein Anklang an

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insofern eine Aussage über Gott aus dem kreatürlichen Bestand von Welt, als sie in Gott unter formaler Absehung von seinem Weltverhältnis getroffen werden kann 1 0 3 . Wenn Bonaventura deshalb, die Unermeßlichkeit des Einen Seins Gottes begründend, sagt: Es ist Ein unermeßliches Sein, einmal, weil es in sich keiner Bewegung unterliegt, zum andern, weil es der Quell allen Seins ist, zum dritten, weil nichts ohne das göttliche Sein sein kann 1 0 4 ; so verhalten sich diese drei Begründungen gegeneinander nicht zufällig, sondern sind ineinandergesetzt derart, daß die negative Aussage: „Gott ist grenzenlos in sich" die positive Aussage: „Gott ist Quell und Lebensprinzip allen Seins" als von der ersten, negativen, geschiedene, aber dennoch ihr identische Aussage in der Argumentation vom Sein Gottes her enthält. Daß also Gott finis finiens der res beatificabilis, der Seele 105 , ist, ergibt sich nicht erst aus dem faktischen Schöpfungsverhältnis, sondern ist ein dem Sein Gottes in seiner eigenen Bestimmung anhaftendes Wesensmerkmal seines Seins 1 0 6 . Damit enthält die Bestimmung Gottes, derzufolge ihm Unendlichkeit zukommt, in der Einheit dieser einen Bestimmung zwei Dimensionen: Auf Gottes „Innen" gesehen, kommt ihm Unendlichkeit zu als unbegrenzte Kraft; auf Gottes „Außen" gesehen, bestimmt die Unendlichkeit Gott als das vollendende Ziel von Kreatur. Beide Dimensionen stehen zueinander nicht in einem äußerlichen Verhältnis, sondern sind zwei Aspekte der einen Seinsbestimmung Gottes, in welcher Gott unendlich ist. Entsprechend diesen beiden Aspekten des einen selben Sachverhalts führt Bonaventura nunmehr die inhaltliche Füllung des Begriffs der Unendlichkeit Gottes durch: „Das göttliche Sein ist also darin infinit, darin es zuhöchst einfach und in einfacher Weise das höchste i s t . " 1 0 7 Bonaventuras Argumentation. Denn da bei Thomas die spiritualis magnitudo auf die Güte oder Erfülltheit der göttlichen Natur bezogen ist, ist diese Aussage im Grunde deckungsgleich jener aus S.th. I q.7 a.l, derzufolge Gott sein esse subsistens selber ist. Dagegen ist bei Bonaventura Gott an der genannten Stelle, wenn er infinit heißt als finis-complementum, nicht nur in seiner selbstsuffizienten Erfülltheit gemeint, sondern als der, der in dieser seiner Fülle die beschließende Erfüllung von dem ist, das auf ihn hin ist. 1 0 3 De myst. Trin. q.4 a. 1 ad 3 : Ad illud quod obiicitur, quod Deus est finis, ergo non est infinitus, dicendum, quod Deus est finis finiens, non finis finitus, quia finis est non ut terminus rei intra, sed ut omnem appetitum rei beatificabilis terminans: non ergo opponitur infinitas fini finienti, sed fini finito ut termino intrinseco. V,82a. 1 0 4 Ebd. ad9: (divinum esse) absolutum est et quasi ad intra; et licet sit unum solum, illud tarnen unum immensum est, tum quia illud esse nullam habet intra se limitationem, tum quia est fons omnis esse, tum quia nihil potest esse sine divino esse. V,83a. - Man ist, der Spur des Gebrauchs folgend, die Bonaventura von dem Wörtchen „nihil" macht, nahezu geneigt, hier so etwas wie einen bonaventurischen Gottesbeweis zu formulieren. Die Aussage: Nichts von dem was ist, kann sein ohne das göttliche Sein, läßt sich auch mit einem anderen Akzent wiedergeben und heißt dann: Das Nichts kann sein, wenn Gott nicht ist. Und das hieße: Die Existenz Gottes gestrichen, ist Nichts nicht nichts, sondern ist Nichts nicht nichts, ist, ist Etwas, die vollständige Absurdität. Da aber nicht Nichts ist, sondern etwas, Gegenstände, Dinge, Menschen, ist Gott. Brevil. 11,9; V,227a. Das Wesensmerkmal Gottes, in welchem er finis-complementum ist, ist Hex. 1,12; V,331b dem Heiligen Geist appropriiert. Darüber ist noch zu reden. 1 0 7 De myst. Trin. q.4 a. 1 i.e.: Divinum igitur esse eo ipso est infinitum, quo est summe simplex et simpliciter summum. V,81a. 105 106

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Hier ist jetzt der Begriff der Unendlichkeit Gottes deutlich von zwei Seiten geiaßt: von seiner Einfachheit und von seiner Höhe. Dazu ist zuerst eine negative Feststellung zu treffen: Gott ist offenbar noch nicht darin infinit, daß er für sich genommen zuhöchst einfach ist; und er ist noch nicht darin infinit, daß er in einfacher Weise der Höchste ist. Sondern er ist infinit im Ineinander von Einfachheit und Höhe, ist infinit, indem er als der Einfache der Höchste ist. Fragen wir danach, was unter dem summe simplex einerseits und unter dem simpliciter summum anderseits enthalten sei, so legen sich dem TextductusvonDemyst. Trin. q.4a.l nach die folgenden Zuordnungen nahe:Sofern Gott zuhöchst einfach ist, ist Gott infinit als unendliche Kraft; sofern Gott in einfacher Weise der Höchste ist, ist Gott infinit als die vollendende Erfüllung von Welt. Im Verhältnis von summe simplex zu simpliciter summum scheint so unter seiner Unendlichkeit Gott in der Hinsicht begriffen zu sein, in der er als der einfache in seiner Selbstentäußerung das mit seinem Sein gesetzte Weltverhältnis als Ziel und Erfüllung von Welt hinter sich gelassen hat 108 . Die Berechtigung dieser Zusammenordnungen (also die Setzung der virtus infinita unter das summe simplex und des finis finiens unter das simpliciter summum) ergibt sich daraus, daß Bonaventura, indem er „unendlich" in bezug auf Gott benutzt als Verneinung einer Grenze in bezug auf die Fülle der Kraft, damit zugleich die höchste Vollendung des göttlichen Seins anspricht109. In der Erörterung seiner Einfachheit aber ist die Vollkommenheit Gottes mit dem concursus maxime distantium in omnimode unum begründet worden110. Dort (q.3 a. 1) wie hier (q.4 a. 1) steht die Vollkommenheit des göttlichen Sein nahezu synonym für die Einfachheit Gottes, so daß, wenn Gott von der unio summe distantium her notwendig vollkommen ist, er der Sache nach in dieser unio (bzw. im concursus) notwendig vollkommen ist als unbegrenzte Fülle der Kraft. Wenn nunmehr Bonaventura folgert: Gott ist darin unendlich, darin er einfach ist, so meint das: Gott kommt unbegrenzte Kraft zu, indem er der zuhöchst Einfache ist. Über die Vollkommenheit Gottes ergibt sich so die Zusammenordnung von infinitas qua virtus infinita und summe simplex (qua unio) 111 . los Vgl. Brevil. 11,1: necesse est, quod omnia reducantur ad unum principium, quod quidem sit primum, ut det ceteris statum; et perfectissimum, ut det ceteris omnibus complementum. V,219a. 1 0 9 De myst. Trin. q.4 a. 1 i.e.: Infinitum vero per abnegationem termini circa quantitatem virtutis non dicit aliquam imperfectionem, sed summam perfectionem. V,81a. 1 1 0 Ebd. q.3 a . l i.e.; V,70b. 1 1 1 Wir befinden uns im Bereich dieser Erörterung implizit schon ständig im Umkreis der Frage nach dem Verhältnis von Verbum incarnatum und Verbum increatum, denn dieses Verhältnis ist mit der virtus infinita Gottes angesprochen; vgl. Itn. 1,7; V,298a; Brevil. VI,4; V,268ab; Brevil VI,3; V , 2 6 7 a ; Hex. 111,4; V,343b. Dennoch verzichte ich hier darauf, die zu erörternden Probleme mit Hilfe dieser christologischen Terminologie zu bearbeiten, sofern das Verhältnis von Verbum incarnatum und Verbum increatum nicht jenseits der dritten Erstrek-

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Nach der anderen Seite ergibt sich die Zusammenordnung von simpliciter summum und infinitum, welches der finis Aniens ist, aus der Erläuterung, welche die Begründung im simpliciter summum erfährt: „Weil das göttliche Sein112 in einfacher Weise das höchste ist, ist es notwendig gänzlich unermeßlich. Darin kann ihm nichts als gleich erachtet werden, es spanne sich, so weit es will, es dopple sich, so viel es will, wie Augustin sagt; und es ist nötig, daß es in sich unbegrenzten Adel und unendliche Güte habe; während das endliche Gute, so groß es sei, durch beliebige Verdoppelung des Endlichen immer in Vergleichbarkeit und gegenseitige Adäquanz gebracht werden kann, wie Augustin sagt." Diese Begründung der Unermeßlichkeit Gottes aus seiner Höhe ist dadurch ausgezeichnet, daß sie, wenn auch negativ, auf Gottes Weltverhältnis rekurriert: Gott, da er als der Höchste unermeßlich ist, begründet seine Unermeßlichkeit in seiner Höhe als in einem Verhältnis der Nicht-Adäquanz, der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit. Damit erscheint Gott in dieser Hinsicht als unbegrenzter Adel und unermeßliche Güte, und das bedeutet der Sache nach: als unübersteigbarer finis finiens von Welt. Mit diesen Zusammenordnungen ist aber die Rede von Gottes infinitas noch nicht vollständig erfaßt. Von beiden Seiten bleiben noch Fragen; deren erste lautet: Inwiefern begründet sich Gottes unendliche Kraft in seiner Einfachheit? Und deren zweite lautet: Inwiefern ist Gott als der Höchste in seiner unermeßlichen Kraft der erfüllende Zielpunkt von Welt? Zur ersten Frage gibt Bonaventura diese Auskunft: Da Gottes Sein in höchster Weise einfach ist, ist es vollkommen widerspruchsfrei, und das bedeutet: Sein und Können (esse und posse) Gottes stehen im Verhältnis unmittelbarer Identität. In dieser in der Einfachheit Gottes begründeten Identität von Sein und Können ist Gottes Sein vollkommen einheitliches Sein, und zwar einheitlich in seinem Sein und einheitlich in seinem Können 113 . Das Bemerkenswerte hieran ist dies, daß die Einfachheit Gottes vollständig die Beweislast trägt: Weil Gott in seinem Sein einfach ist, gilt die vollkommene Identität von Sein und Können. Insofern kann man keinen Widerspruch zwischen Gottes Wesen und Gottes Macht konstruieren 114 . Die in Gottes Einfachheit ruhende Widerspruchsfreiheit gilt deshalb nicht nur für Gottes Sein, sondern auch für Gottes Können: Sein Sein ist Zentrum, Ursprung und Quell kung in der Entfaltung des Wortes Gottes, nicht jenseits des Verbum inspiratum verhandelt werden kann. 112 De myst. Trin. q . 4 a . l i.e.: quia simpliciter summum, necesse est esse omnino immensum. Hoc ipso nihil potest ei aequari, nec intensione nec duplicatione, sicut dicit Augustinus in libro octavo de Trinitate; et necesse est, ipsum habere in se infinitam nobilitatem et bonitatem; cum bonum finitum, quantumque sit, per duplicationem finitorum aliquoties contingat et reddi et aequari, ut dicit. V,81b. 113 Ebd.: Quia enim est summe simplex, ideo unitum est summe in se et in suo posse; et quia summe in se unitissimum, ideo nihil habet contrahens, nihil limitans, nihil determinans et nihil claudens in genere, ac per hoc extra omnia et supra omnia. V,81a. 114 Vgl. I Sent, d.43 a.un. q.2 i.e.; I,769ab.

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seines Könnens 115 . Damit ist jetzt das dem Sein Gottes identische Können 1 1 6 in seiner Widerspruchslosigkeit als ein solches zu betrachten, das keiner Begrenzung und keiner Bestimmtheit durch hinzutretende Bestimmungen unterliegt (est extra omne genus). So gesehen wiederum begründet sich in der Einfachheit Gottes nicht nur die Widerspruchsfreiheit, und das heißt, die Unbegrenztheit und Unendlichkeit seiner Kraft, sondern im Rückverweis und kraft der bestehenden Identität ist vom unendlichen Können Gottes her auch sein Sein unbegrenzt 117 . Und das ist der entscheidende Schritt: In der Argumentation von der Einfachheit des göttlichen Seins her, die zum Begriff der unendlichen Kraft Gottes führt, erscheint in einem Rückschluß das einfache Sein Gottes in Unendlichkeit. Damit beginnt sich der Inhalt der Rede von der virtus infinita Dei zu lichten. Die in ihr angesprochene unendliche Kraft Gottes stellt sicher, daß das göttliche Sein in seiner Einfachheit, indem diese von der unio summe distantium her bestimmt ist, an dieser unio nicht seine Grenze findet. Das einfache Sein ist einfach in der unio summe distantium, sofern es als das widerspruchsfreie Sein in Einheit mit seinem Können steht und darin sich selber in seiner unbegrenzten Kraft als unbegrenztes Sein erweist. Es geht also, indem die Einfachheit des göttlichen Seins die unendliche Kraft Gottes (und darin die Unendlichkeit seines Seins) begründet, in der virtus infinita sachlich um den Ausweis dessen, daß die unio summe distantium, d. h. die Inkarnation, die Einung des vollkommenen Seins mit dem tendenziellen Nichtsein, nicht die Grenze Gottes bedeutet, sondern gerade im Gegenteil die das tendenzielle Nichtsein überwindende Kraft Gottes belegt. Das ist die eine Seite der Unendlichkeit Gottes. Die andere Seite, die also, in der Gott infinit ist als der in einfacher Weise Höchste, findet ihre inhaltliche Füllung in dem Zusammenhang, in dem Gottes unendliches Sein als finis-complementum erscheint. Dies ist, wie wir oben (S. 248) gesehen haben, eine Bestimmung des Seins Gottes in sich, eine Bestimmung, die, gerade nicht von dem Weltverhältnis Gottes her getroffen, für das Sein Gottes selber ein bestimmtes Weltverhältnis impliziert. Denn anders als die Bestimmung, nach der Gott der Anfang ist, bezieht sich die Rede vom finis-complementum nicht auf ein innergöttliches Verhältnis, sondern ist nur möglich in bezug auf das Gott inadäquate Sein, also in bezug auf die Kreatur 1 1 8 . Nun freilich nicht nur in bezug auf die Kreatur allgemein, sondern im 1 1 5 De myst. Trin. q.4 a. 1 i.e.: Quia rursus unitissimum est respectu posse, ideo idem est in eo omnino esse et posse, et ideo, ubicumque est suum esse, est suum posse; et ubi est esse, est centrum et origo et fons ipsius posse; et ubi est fons et origo et centrum ipsius posse, semper ultra potest; est ideo, ubicumque potest, semper amplius et ultra potest, ac per hoc posse et simul esse necesse est infinitatem habere. Cui concordat illud de Causis: ,Omnis virtus unita plus est infinita' etc. Non ergo haec infinitas simplicitati repugnat, immo est ei consona mirabili et inseparabili concordia. V,81ab.

Vgl. ebd. q.3 a . l ad 5 ; V,72a. Ebd. q.4 a . l i.e.: ac per hoc posse et simul esse necesse est infinitatem habere. V,81b. 1 1 8 I Sent, d.29 a.l q.l ad 4 : finis, quantum est de se, dicit excessum bonitatis respectu eius quod est ad finem, non sie prineipium respectu eius quod est ex illo; et ideo Deus non potest esse 116 117

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besonderen in bezug auf diejenige Kreatur, die in Gott den finis-complementum als ihre Beseligung erfährt. Denn indem Bonaventura die Unendlichkeit Gottes damit begründet, daß das göttliche Sein „in einfacher Weise das höchste Sein" ist 1 1 9 , kommt der unendlichen Kraft Gottes in ihrer Unendlichkeit Hocherhabenheit zu gegenüber dem, was nahezu nichts ist. Diesen Sachverhalt spricht Bonaventura an am Ende des corpus von q.4 a. 1: „Aus dem Satz Augustins, daß 1 2 0 in geistlichen Dingen ,größer' und ,besser' dasselbe sind, können wir zu der Einsicht geführt werden, auf welche Weise die Einfachheit Gottes seiner Unermeßlichkeit nicht widerspricht." Die jetzt folgende Begründung der Widerspruchsfreiheit von Einfachheit und Unermeßlichkeit geht direkt auf Gottes Weltverhältnis zu: Gottes Sein ist das einfachste und zuhöchst unendliches Sein als das zuhöchst gute Sein und größte Vermögen. Und als das zuhöchst gute und größte, das einfachste und ganz unbegrenzte Sein ist es allen Dingen gegenwärtig nach Kraft und Wesen. „Und so wie alles, verglichen mit Gottes Können, gleichsam nichts kann, so ist auch alles im Vergleich zu Gottes Wesen gleichsam nahezu nichts. - Daher ist im Hinblick auf das göttliche Sein die ganze Welt ein äußerst Blasses, nahezu nichts." Das heißt: Die Art und Weise, in welcher Einfachheit und Unermeßlichkeit des göttlichen Seins nicht in Widerspruch zueinander stehen, liegt in der Vergleichung des beinahe Nichts, das Welt ist, mit der umfassenden Güte und Macht, die Gottes ist, so daß in Gottes bestimmtem Weltverhältnis die nonrepugnantia von simplicitas und immensitas überhaupt erst einsehbar scheint. Dieser Umstand führt auf die Frage, welcher Stellenwert der Einsicht in die Art und Weise der Nichtwidersprüchlichkeit von Einfachheit und Unermeßlichkeit Gottes hier zuzusprechen ist. Bonaventura sagt nicht: Dies ist die Art und Weise, in welcher wir einsehen, daß sich Einfachheit und Unermeßlichkeit Gottes nicht widersprechen (das würde lateinisch etwa lauten müssen: Ex hoc verbo manuducimur ad hoc, quomodo intelligamus simplicitatem non repugnare immensitati), sondern er sagt: Auf diese Weise widersprechen sich beide Eigenschaften Gottes nicht, und diesen Sachverhalt sehen wir in Augustins Wort ausgesprochen. Wenn nun aber Gottes bestimmtes Weltverhältnis nicht bloß die Art und Weise ist, auf welche wir Gottes Widerspruchsfreiheit einsehen, sondern die Art und Weise, auf welche Einfachheit und Unermeßlichkeit Gottes selber sich nicht widersprechen, so fragt finis nisi creaturae inaequalis, potest tarnen esse et est principium personae omnino aequalis. I,509b. 1 1 9 Quia simpliciter summum; De myst. Trin. q.4 a . l i.e.; V , 8 1 b . 1 2 0 Ebd. i.e.: rursus, cum in spiritualibus idem sit maius et melius; cum aequalis bonitatis sit essentia et potentia, necessario et aequalis erit infinitatis.

E x h o c verbo possumus manduci ad intelligendum, quomodo simplicitas non repugnat immensitati. Si enim, ut dicit Augustinus, ,idem est ibi maius et melius'; sicut potest intelligi, quod summe simplex sit optimum, ita potest et m a x i m u m ; sicut etiam intelligi potest, quod summe simplex sit summe potens, sic intelligi potest, quod sit simplicissimum et infinitissimum; sicut intelligi potest, quod sit omnibus praesens per potentiam, sic et per essentiam; et sicut omnia comparata ad divinam potentiam quasi nihil possunt, sic omnia c o m p a r a t a ad essentiam quasi minimum sunt. - Unde respectu divini esse mundus iste totus est sicut quid minimum. V , 8 1 b f .

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sich, ob die zitierte Stelle nicht in dem Sinne zu verstehen ist, daß jenseits des göttlichen Weltverhältnisses, an welches der Intellekt sich wendet, die nonrepugnantia von simplicitas und immensitas gar nicht auszumachen ist, und ob sie, wäre sie jenseits dieses Verhältnisses nicht ausmachbar, nicht überhaupt als non-repugnantia gar keinen Bestand hätte, so daß abgesehen von jener in Gottes Weltverhältnis die Art und Weise der Widerspruchsfreiheit Gottes ausmachenden Tätigkeit der intelligentia von einer Widerspruchsfreiheit in Gott selbst nicht die Rede sein könnte. Es ist, kurzum, die Frage, ob hier die Einsicht in die Widerspruchsfreiheit Gottes nicht der seinshaften Widerspruchsfreiheit Gottes in sich wesentlich zugehörig sei? Wir können diese Frage hier noch nicht entscheiden, aber wir lesen andernorts, daß Bonaventura, da er in den Überlegungen zur Unendlichkeit Gottes implizit auf Gottes Weltverhältnis Bezug nimmt, positiv von einem Erfordernis der virtus infinita sprechen kann: „Denn die Hocherhabenheit der höchsten Kraft 1 2 1 erforderte, daß nicht nur stattfand die Hervorbringung einer Kreatur als Spur Gottes, sondern auch die Hervorbringung einer Kreatur als Bild Gottes; nicht nur einer unvernünftigen Kreatur, sondern auch einer vernünftigen Kreatur; nicht nur einer Kreatur, die ihren natürlichen Gesetzen folgt, sondern auch einer Kreatur, die der Freiheit des Willens folgt; und die Kreatur, die Gott zum Bilde hervorgebracht wurde, ist, weil sie Gottes fähig ist (capax Dei), eine res beatificabilis." Damit ist ein klarer Zusammenhang zwischen der Höhe der unendlichen Kraft Gottes und der Erschaffung der Seele geknüpft, und zwar ein derartig dichter, daß Bonaventura in bezug auf die Erschaffung der Seele von einem „Erfordernis" der Höhe der höchsten Kraft sprechen kann. Und jetzt machen wir einen Rückgriff auf die Überlegungen zur Einheit Gottes. Diese fanden wir bestimmt durch das Verhältnis von Hervorbringung und Heimführung, in welches als ein Gott wesenhaftes Verhältnis Schöpfung eingegründet ist, und zwar die Schöpfung, die kraft dieser ihrer Eingründung in das göttliche Wesen als erschaffene, da sie heimgeht, nach Grund und Ziel das Zeugnis des Einen Gottes ist. Dieses Zeugnis nennt Bonaventura an anderer Stelle den ordo der Dinge: „Dazu, daß 1 2 2 eine vollkommene Ordnung und ein Zielgefalle 123 in den Dingen herrsche, ist es nötig, daß alles auf einen Anfang zurückgeführt werde, wel121 Brevil. VII,1: altitudo summae virtutis requirebat, ut non tantum esset productio creaturae ad vestigium, verum etiam ad imaginem; non solum creaturae irrationalis, verum etiam rationalis; non solum creaturae, quae movetur secundum impetum naturalem, verum etiam secundum libertatem voluntatis; et creatura, quae est ad imaginem, quia Dei capax, est beatificabilis. V,281a. 122 Brevil. 11,1: ad hoc, quod sit ordo perfectus et status in rebus, necesse est, quod omnia reducantur ad unum principium, quod quidem sit primum, ut det ceteris statum; et perfectissimum, ut det ceteris omnibus complementum. - An dieser Stelle taucht (ich habe oben S. 79 darauf als auf eifi Problem hingewiesen) in höchst eigenartiger Weise der Begriff der immensitas Gottes auf: Et quia productio ex nihilo ponit esse post non-esse ex parte producti, et immensitatem in virtute producente ex parte principii, cum hoc sit solius Dei; necesse est, quod creatura mundi sit producta ex tempore ab ipsa virtute immensa, agente per se et immediate. V,219ab. 123

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Zu status s. o. S. 78 Anm. 27; vgl. auch De myst. Trin. q.4 a.l ad 7; dort ist mit status ge-

eher freilich der erste sein muß, damit er den übrigen Dingen ihr Ziel ausweise; und der der vollkommenste sein muß, damit er allen übrigen Dingen ihre Erfüllung gebe." Was Bonaventura hier den ordo der Kreatur nennt, ist sachlich dem identisch, was im Zusammenhang der Erörterung der Einheit Gottes das Zeugnis der Kreatur von Gottes Einheit heißt 1 2 4 . Ebenso wie dieses, das Zeugnis, ist jener, der ordo, im Akt der Heimführung von Welt begründet 1 2 5 . Damit kommen der ordo der Schöpfung und das Zeugnis der Schöpfung von Gottes Einheit dem Inhalt nach zusammen 126 . Was aber wiederum der ordo der Welt bzw. das Zeugnis der Welt, die sich in der Heimführung begründen, meint, belegt eine andere Stelle aus dem Breviloquium, die wir nun noch einmal zitieren müssen: „Der erste Anfang hat diese sichtbare Welt gemacht, um sich selber kundzutun, das heißt dazu, daß durch sie als durch einen Spiegel und eine Spur der Mensch heimgeführt werde in Gott hinein, ihn als den Schöpfer zu lieben und zu loben." 1 2 7 In diesem Zitat erscheint als Gegenstand der Heimführung der Mensch, als das Mittel die Welt, als das Ziel ein Verhältnis zwischen Gott und Mensch, welches seine Bestimmung in Lieben und Löben Gottes erfährt. Hält man nunmehr alle drei zitierten Stellen nebeneinander, so zeigen sich dem Akt der reduetio drei Hinsichten verknüpft: das Zeugnis der Welt, mit dem sie die Einheit Gottes bezeugt; der ordo der Welt, mit dem sie auf ihren status hingeht; und das Lob Gottes durch den Menschen. Alle drei Hinsichten zusammengenommen besagen, daß das Zeugnis und der ordo der Welt ihren Zielpunkt im Lob Gottes haben. Wenn darum Gott kraft seiner Einfachheit in seiner unendlichen Kraft der Höchste ist als der finis-complementum, der der Schöpfung ihren ordo gibt, und wenn weiterhin der ordo der Welt sich in der endzeitlich personalen Beziehung zwischen Gott und Mensch erfüllt, so verlangt die Bestimmung Gottes, in der er in seiner virtus infinita und darin wiederum in der Konsonanz von Einfachheit und Unermeßlichkeit seines Seins der finis-complementum ist, notwendig die Erschaffung der Seele als desjenigen Schöpfungswermeint die res, quae habet bonitatem immensam, ubi nihil potest (sc. anima) appetere ultra. V,82b. 1 2 4 De myst. Trin. q.2 a.l i.e.; V,61ab. 1 2 5 Ebd.: Omnis enim rerum diversitas intra unam universitatem est comprehensa, quae in se quidem est finita et limitata et perfecta. H o c autem non esset, nisi ilia pluralitas reduceretur ad aliquid, in quo esset status; ac per hoc necessarium est, omnia reduci ad unum finem ultimum et unum prineipium primum, alioquin esset abire in infinitum. V,61b. 1 2 6 Diese Überlegung hat Konsequenzen für den ordo-Begriff Bonaventuras. Es handelt sich auch dabei um einen dynamisch geprägten Begriff, sofern unter dem ordo nicht nur der passivische Zustand von Welt, sondern darin und darunter zugleich die aktive Bezeugung Gottes enthalten ist. - Charakteristisch anders Thomas S.th. I q . l l a.3 i.e.: Quae autem diversa sunt, in unum ordinem non convenirent, nisi ab aliquo uno ordinarentur . . . oportet quod primum reducens omnia in unum ordinem, sit unum tantum. Et hoc est Deus. Für Thomas ist das Ziel der reduetio der eine ordo der einen in der Unterschiedlichkeit ihrer Teile geordneten Welt; für Bonaventura dagegen ist das Ziel der reduetio nicht der ordo der Dinge, sondern das unum prineipium primum, und nach Maßgabe dieser Heimführung kommt der Schöpfung ein ordo zu: nicht als Ziel und Ergebnis, sondern als Gestalt und Ausdruck ihrer reduetio. 127

Brevil. 11,11; V,229a.

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kes, in welchem Gott in seinem Sein sich umfassend zur Geltung bringt. Insofern erscheint Gott in seiner Unermeßlichkeit nicht bloß als Ziel und Erfüllung von Welt, sondern wesentlich als der Beseligende128 und darin erst als der, der den Dingen ihren ordo verleiht. Das Verhältnis von Hervorbringung und Heimführung von Welt, welches der Einheit Gottes innerlich verknüpft ist, erweist sich so in der Einfachheit des göttlichen Seins als ein Verhältnis, welches wesentlich die Heimführung des Menschen zum Ziel hat. Um dessen Heimführung geht es, wenn Bonaventura Gottes Einfachheit von der unio summe distantium her begründet: Gott ist evident einfach in sich als die Verbindung der äußersten Extreme 129 und darin evident einfach in der Subsumtion unserer Erkenntnismodi unter die Einfachheit des göttlichen Seins 130 , indem Gott kraft der Einfachheit seines Seins in Einheit mit seiner unendlichen Kraft steht 131 und als diese unendliche Kraft die Erfüllung von Welt als das Ziel des Menschen ist. Wenn also Gottes Einheit sich innerlich bestimmt in jenem Verhältnis der productio und reductio von Welt, so ist Gottes Sein in seiner Einheit einfach und unermeßlich, indem die Hervorbringung von Welt sachlich auf die Heimführung des Menschen zielt. Da Gott Ewer ist, bringt er Welt als ein reducendum hervor; da er einfach ist, erscheint Gott als der Heimführende in der Inkarnation; da er undermeßlich ist, erscheint Gott als der, der den Menschen heimführt. Wenn darum Bonaventura sagt, es sehe niemand deutlich, was es mit der Einfachheit Gottes auf sich habe, er betrachte denn die höchste Einfachheit zusammen mit der höchsten Unermeßlichkeit 132 , so ist der Sache nach damit gemeint: Es versteht niemand die in der Inkarnation sich gründende Einfachheit Gottes, er verstehe denn, daß Gott in dieser Weise einfach ist als der, der in seiner unendlichen Kraft die res beatificabilis hervorbringt, um sie zu sich heimzuführen. - Damit ist, wie mir scheint, der Begriff der Einfachheit Gottes, soweit er eine Eigenschaft des göttlichen Seins bezeichnet, in seinen wesentlichsten Aspekten umrissen. Nicht nur, daß in ihm die Einheit des göttlichen Seins an die unio summe distantium in Christus geknüpft ist, daß also das Verhältnis von productio und reductio, sofern es in der Inkarnation seinen Schnittpunkt hat, das Eine göttVgl. De myst. Trin. q.4 a.l ad 3 et ad 7; V,82ab. Ebd. q.3 a.l i.e.; V,70b; s. o. S. 231. 1 3 0 Ebd.; s. o. S. 238. 1 3 1 Das Gewicht dieser Einsicht muß hoch veranschlagt werden. Denn wenn die hier vorgelegte Sicht der Einfachheit Gottes richtig ist, so heißt das, umgesetzt auf die christologische Trias des Spätwerks, daß in den Hinsichten des Wortes Gottes dem Verbum increatum gegenüber, da dem göttlichen Sein kraft seiner Einfachheit unermeßliche Kraft und darin unermeßliches Sein zukommt, dem Verbum incarnatum in Gott das Prius zukommt, ein Prius freilich, welches nicht zeitlich noch logisch, sondern von Gottes innerer Entfaltung her zu denken ist: Es ist dieses einfache Sein Gottes, welches, in trinitarischer Subsistenz sich entfaltend, das Sein des dreieinen Gottes ist. Problematisch sind darum Interpretationen, die zwischen Gott und seiner faktischen Heilsordnung meinen trennen zu können, wie Mercker 5 5 : „Wenn auch in der Erlösungsordnung Christus als Verbum incarnatum die Weise ist, wie man zum Verbum increatum vordringen muß, so ist es doch ontologisch gesehen umgekehrt." 128

129

132

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De myst. Trin. q.3 a . l i.e.; V,70b; s. o. S. 2 4 6 .

liehe Sein in seiner Einfachheit erweist, sondern gerade und sofern Gottes Eines Wesen in der unio summe distantium notwendig einfach ist, ist es evident einfaches Sein gegenüber der Seele, der res beatificabilis, welche Gott, der Einer ist in Einfachheit, in der Unermeßlichkeit seines Seins und seiner Kraft hervorbringt. Von diesen Überlegungen her öffnet sich die Einsicht in die Art und Weise, wie Bonaventura das Sein Gottes in seinen zentralen Eigenschaften sieht. Das Sein Gottes ist Eines in Hervorbringung und Heimführung von Welt und als dieses Eine Sein einfaches Sein in der Inkarnation, in der es das außergöttliche Produkt der unermeßlichen Kraft Gottes, die Seele, und mit ihr die gesamte Schöpfung heim- und zurückführt zu sich selber als dem erfüllenden Ziel. Die Begriffe der Einheit, Einfachheit und Unermeßlichkeit Gottes gehören von daher in den Zusammenhang der tiefinneren Dynamik des göttlichen Seins, in welcher Gott als dieser inhaltlich bestimmte Gott Gott ist in der Vollkommenheit seiner Wesenszüge. Die Betrachtung des göttlichen Seins in seiner Reinheit ist damit nicht bloß vom kontingenten Stand des geschöpflichen Menschen her, sondern indem es für sich selbst betrachtet und insofern vom Stand des Menschen aus betrachtet wird, Ein Sein, das sich um seines letzten Schöpfungswerkes willen entäußert. Eine bündige Zusammenfassung dieses Sachverhalts gibt Bonaventura selber im Hexaemeron: So wenig Gott sein kann, er sei denn Einer 133 , so wenig kann Gott sein, ohne den Menschen zu lieben; „denn da 134 die göttliche Weisheit von Ewigkeit her die Gründe der Prädestination empfangen hat, ist es unmöglich, daß Gott uns nicht liebt; und so, wie sie (sc. die Weisheit) von Ewigkeit her empfangen hat, so hat sie in der Zeit hervorgebracht bzw. geboren und später, da sie im Fleische litt, in den Wehen gelegen (parturivit). Und das kann der Intellekt wahrnehmen, und dann hat er die höchste Beschauung 135 . — Es ist also dies die Betrachtung jenes allerreinsten Seins; es ist aber das reinste Sein, weil es das einfachste ist, und ist das einfachste, weil es zuhöchst Ein Sein ist. Daher heißt es zu Israel, das den vir contemplativus figuriert: ,Höre 133 Brevil. 11,1: non potest esse nisi unum solum. V,219a. 134

Hex. XXI,5 f.: Omnes enim rationes exemplares concipiuntur ab arterno in vulva aeternae sapientiae seu utero, et maxime praedestinationis. Unde quia ab aeterno rationes praedestinationis concepit, non potest nos non diligere; et sicut ab aeterno concepit, sie in tempore produxit sive peperit, et postea in carne patiendo parturivit. Et potest hoc intelligere intellectus et habet altissimam contemplationem. Est ergo haec consideratio illius esse purissimi; purissimum autem, quia simplicissimum, simplicissimum autem, quia summe unum. Ideo dicitur Israel, viro contemplativo: Audi, Israel, Dominus Deus tuus unus est. V,426a. - Rep. Α gibt die Stelle im ganzen gleichlautend, aber an entscheidender Stelle abweichend wieder: Et certe haec est ratio quare nos sic amat Deus, quia ab aeterno concepit et quantum in se est ad bonum ordinavit, quodammodo post in Incarnatione parturiit... - Haec consideratio conceptionis primae, quae est actualissima, simplicissima, purissima, summa, una dicitur Israeli contemplanti: Audi Israel (etc.). Delorme 224 f. Da Rep. Α statt consideratio esse purissimi (wie Rep. B) von der consideratio conceptionis primae spricht, ist die Geschlossenheit im Verhältnis von conceptio aeterna, produetio, incarnatio, passio, die Rep. Β aussagt, aufgehoben. Ich meine, die Analyse der Seinsbestimmungen Gottes spricht für die Lesart von Rep. B. - Vgl. De dec. praec. 1,4f.; V,507bf. 135 Dieser Satz ist ebenfalls nur Rep. Β tradiert. So wie er dort steht, könnte er mißverständlich sein, sofern auf die purgatio intellectus per fidem nicht Bezug genommen ist. 17

Fischer, De Deo trino

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Israel, der Herr dein Gott ist Ein Gott.'" Prädestination des Menschen, Erschaffung des Menschen, Leiden Gottes im Fleisch - dies ist die Betrachtung des reinen göttlichen Seins, desjenigen Seins, welches das reinste ist, weil es das einfachste, welches das einfachste, weil es das zuhöchst Eine Sein ist. Die Betrachtung der Heilsgeschichte ist damit von der Betrachtung des göttlichen Seins in seinen Eigenschaften nicht nur nicht abzuheben, sondern jene steht dieser ineins: Da Gott den Menschen sich zum Lobe bestimmt, ihn erschafft und leidend errettet, ist Gottes Sein in Einheit und Einfachheit reines Sein. b) Die innergöttlichen Emanationen,

Relationen und Notionen

Nun haben ja all diese Überlegungen ein zentrales Problem in der Sicht der Einfachheit Gottes noch nicht behoben: Wenn richtig ist, daß Gott einfach ist, indem er der Erste ist, also ausströmend und heimführend im Zusammenlauf des höchst Auseinanderliegenden - inwiefern ist darin Gottes Einfachheit nicht gerade aufgehoben? Legt eine so verstandene Sicht der Einfachheit des göttlichen Seins nicht gerade das Gegenteil von dem nahe, was unter „Einfachheit" zu denken wäre? Ist nicht diese Einfachheit Gottes in Wirklichkeit der Beweis seiner Zusammengesetztheit? Ist nicht im Grunde doch durchaus etwas denkbar, das einfacher ist als dieses in der unio summe distantium seine Einfachheit begründende Sein? Bonaventura behauptet das genaue Gegenteil: Gott wahrt gerade seine Ungeteiltheit darin, daß er der Allereinfachste ist 136 . Der Begriff der Einfachheit Gottes, wie er sich aus den Überlegungen zu De myst. Trin. q.3 a. 1 ergeben hat, also das Verhältnis von fluere ab und reduci ad im concursus summe distantium — gerade diesen Begriff der Einfachheit des göttlichen Seins führt Bonaventura an, um die Ungeteiltheit Gottes zu belegen. Wäre Gott, so läßt sich dieser Satz umkehren, nicht in jenem dort ausgeführten Verstände einfach, so könnte von Ungeteiltheit in Gott nicht die Rede sein. Damit ist es gerade dieser Begriff der Einfachheit Gottes in seinem bestimmten Inhalt, der nach Meinung Bonaventuras die Ungeteiltheit des göttlichen Seins sichert. Würde von Gottes Einfachheit nicht in diesem Sinne gesprochen, so wäre Gottes Ungeteiltheit nicht zu wahren, letztlich die Gottheit Gottes nicht. Das Stichwort, das hier relevant ist, heißt indivisio. Es hat seinen Ort nicht so sehr in der Erörterung des göttlichen Seins als vielmehr in der Erörterung der Trinität. Wo von indivisio (oder verwandten Termini) gesprochen wird, ist immer die essentia Gottes gemeint, sofern sie in ihrer Einheit mehrpersönlich subsistiert137. Darum geht es auch an der zitierten Stelle Brevil. 1,3: „Weil Gott 138 , darin er der Erste ist, der Einfachste ist; und darin er der Höchste ist, Brevil. 1,3; V,211b (zitiert unten Anm. 138). De myst. Trin·. q.2 a.2 ad 3 ; V,66a. 1 3 8 Brevil. 1,3: quia, cum primum et summum principium, hoc ipso quod primum, sit simplicissimum, hoc ipso quod summum, sitperfectissimum: ideo perfectissime se communicat, quia 136

137

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der Vollkommenste ist: deshalb teilt er sich aufs vollkommenste mit, denn er ist der Vollkommenste; und er wahrt seine gänzliche Ungeteiltheit, eben darin er der Einfachste ist. Und darum gibt es in Gott bei Unversehrtheit seiner Natur Weisen, in denen er sich vollkommen erströmt. Es gibt aber nur zwei Weisen vollkommenen Erströmens, nämlich nach Weise der Natur und nach Weise des Willens." Die Eigenart dieser Argumentation wird deutlich, wenn man paraphrasierend nach dem Grund vollkommenen Erströmens fragt; denn nicht mit diesem, dem Erströmen, begründet Bonaventura seine Sicht des göttlichen Wesens139, sondern mit dem letzteren das innergöttliche Erströmen: Weil Gott der Erste und Einfachste ist, der Höchste und Vollkommenste, deshalb teilt er sich vollkommen mit, denn er ist vollkommen; und deshalb erströmt er sich in vollendeter Weise, denn er ist einfach. Damit sind die Bestimmungen, denen sich nach De myst. Trin. q.3 a.l Gottes Einfachheit und Vollkommenheit verdanken, zugleich diejenigen, welche den Sachgrund für das vollkommene Erströmen Gottes bilden. Setzen wir De myst. Trin. q.3 a.l und Brevil. 1,3 in Beziehung, so läßt sich folgern: Weil Gott, darin er der Erste ist, der Einfachste ist, und das heißt nach De myst. Trin., weil alles von ihm ausgeht und zurückkehrt zu ihm im concursus summe distantium, und weil Gott darin also notwendig vollkommen und einfach ist, deshalb gibt es in Gott die Weisen vollkommenen Erströmens. Die trinitarische Subsistenz des göttlichen Wesens ist damit einmal mehr dem äußeren Wirken Gottes derart eng verknüpft, daß von der Trinität jenseits des unter der Einfachheit Gottes Begriffenen offenbar nicht nur nicht gesprochen werden könnte, sondern vielmehr die Einfachheit des göttlichen Seins die gesamte Beweislast der trinitarischen Erörterung trägt. Gott erströmt sich deshalb auf vollkommene Weise, weil sein Sein das einfachste ist; und so trägt der Begriff der Einfachheit Gottes nicht nur in der Erörterung des göttliperfectissimum; et indivisionem omnimodam servat, hoc ipso quod simplicissimum: et ideo, salva unitate naturae, sunt ibi modi emanandi perfecte. Modi autem emanandi perfecte sunt duo tantum, scilicet per modum naturae et voluntatis. V,211a. 1 3 9 An dieser Stelle ließe sich auch eine Argumentation denken, die zuerst genau den anderen Weg wählt; eine Argumentation, die beim innergöttlichen Erströmen ansetzt und von der Vollkommenheit der innergöttlichen Emanationen her Gottes Einfachheit gewinnt. Das geschähe etwa in einem Satz wie diesem: Quia in divinis sunt modi emanandi perfecte, ideo divinum esse simplicitatem servat. So könnte man Thomas verstehen, wenn er S.th. I q.27 a . l ad 2 sagt: id quod procedit ad intra processu intelligibili, non oportet esse diversum; imo, quanto perfectius procedit, tanto magis est unum eo a quo procedit. Da nach Thomas Gott Einer ist kraft seiner Einfachheit und infiniten Vollkommenheit (ebd. q . l l a.3 concl.), Einfach ist als primum ens, prima causa, actus purus, et ipsum esse (ebd. q.3 a.7 concl.), Vollkommen ist als activum principium (ebd. q.4 a . l concl.), unter welchem die perfecta communicatio ad intra begriffen ist, ist Gottes Einheit und Ungeteiltheit auf die Vollkommenheit des innergöttlichen Hervorgehens zurückgeführt. Und das setzt Thomas (wenn ich ihn richtig verstehe) in Gegensatz zu Bonaventura, der (soweit mit Thomas) die perfecta communicatio der perfectio Gottes zuordnet, anderseits aber (hier gegen Thomas) Gottes Ungeteiltheit auf die Einfachheit Gottes (und nicht, wie Thomas, zuerst auf die Vollkommenheit der innergöttlichen Selbstmitteilung) zurückführt. Auf diese Weise führt Bonaventura letztendlich die Selbstmitteilung Gottes in ihrer Vollkommenheit, und das ist: Gott in seiner Ungeteiltheit, auf die Einfachheit Gottes zurück. 17*

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chen Seins den Hauptton, sondern darin ineins steht er auch im Zentrum der trinitarischen Distinktion: Diese wird von der Einfachheit des göttlichen Seins her gewonnen 140 . Aber nicht nur diesen Argumentationsweg wählt Bonaventura. Genauso, wie das vollkommene innergöttliche Erströmen seinen Grund in Gottes vollkommener Einfachheit findet, sichert sich auch die höchste Einfachheit Gottes im Gegenzug in der trinitarischen Subsistenz des göttlichen Wesens: „Man kann 1 4 1 ein Einfaches finden, das Eines in Einem ist 142 , und ein Einfacheres, das Eines ist in seiner Vervielfältigung in Mehreren. Dieses ist einfacher, weil es Eines ist in mehreren, wie das Universale, und dennoch ist es nicht im höchsten einfach, denn es wird gezählt: Wäre also Eines in Mehreren und würde nicht vervielfältigt, so wäre es das Allereinfachste. Das aber muß man dem göttlichen Sein zusprechen, welches das einfachste Sein ist. Also hebt die Trinität die Einfachheit des göttlichen Wesens nicht auf." Nicht nur also, daß Gott sich vollkommen erströmt, weil sein Sein das einfachste Sein ist, sondern weil Gott in der Einheit seines Wesens in mehreren Personen subsistiert, darum kommt ihm allereinfachstes Sein zu. Bonaventura faßt damit das Verhältnis von Trinität und Einfachheit von zwei Seiten: von selten des göttlichen Wesens, und darin erscheint Gottes Einfachheit in ihrer Erstreckung auf die trinitarische Subsistenz; und von Seiten der Trinität, und darin erscheint die Trinität in Erstreckung auf die höchste Einfachheit Gottes. Daraus ergibt sich ein eigenartig schwingender Kreisel, der in der conclusio von De myst. Trin. q.3 a.2 folgende sprachliche Gestalt annimmt: „Die Dreiheit der Personen hebt nicht auf die höchste Einfachheit, und die höchste Einfachheit schließt nicht aus die Dreiheit der Personen." 143 Untersuchen wir zunächst diese conclusio selber. Ihr auffälligstes Merkmal besteht darin, daß sie (im Unterschied etwa zu der conclusio, die 140 Vgl. D e m y S t_ T r in. q.3 a.2 f.7: Item, summa simplicitas non excludit, sed includit summam potentiam et virtutem, quia, sicut supra (sc. q.3 a. 1 f.6) probatum est, quanto aliqua virtus magis est unita, tanto magis est infinita; sed summa virtus et actualissima ponit summam et perfectissimam communicationem et productionem, et hoc ponit trinitatem: ergo simul stat necessario trinitas et summa simplicitas. V,75a; vgl. I Sent, d.6 a.un. q.l f.3; I,125a; Hex. XII, 10; V,386a. 141 De myst. Trin. q.3 a.2 f. 1: Contingit reperire aliquid simplex, quia est unum in uno, et aliquid amplius simplex, quia est unum in pluribus multiplicatum; quod est simplicius, quia unum in pluribus, sicut universale, sed tarnen non summe, quia numeratur: ergo si aliquid esset unum in pluribus non multiplicatum, illud esset simplicissimum; sed hoc attribuendum est divino esse, quod est simplicissimum: ergo trinitas non tollit simplicitatem divinae essentiae. V,75a. 142 Wie der Punkt gegenüber der Linie und die Eins gegenüber der Zahl; vgl. ebd. opp.7et 15; V,74ab. 143 Ebd. concl. Trinitas personarum non tollit summam simplicitatem, nec summa simplicitas excludit trinitatem. V,75a. — Sprachliche Kreisel dieser Art finden sich bei Bonaventura häufiger. Sie sind der verbale Ausdruck jener Sicht Gottes als eines circulus intelligibilis, von dem im Zusammenhang der Einfachheit Gottes bereits die Rede war. Von ähnlich schwingender Sprachstruktur sind vor allem - und das ist gewiß kein Zufall - Bonaventuras Aussagen über das Verhältnis von Trinität und Inkarnation (Hex. VIII, 11; V,371a; De myst. Trin. q.l a.2 f.4 et 5; V,52a) und über das Selbstzeugnis der Trinität (De myst. Trin. q.l a.2 i.e.; V,55b).

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sich auf das Verhältnis von Einheit und Dreiheit Gottes bezieht 1 4 4 ) negativ formuliert ist. Bonaventura sagt nicht: Die Trinität setzt die Einfachheit, und die Einfachheit setzt die Trinität; sondern: Die Trinität hebt nicht auf und die Einfachheit schließt nicht aus. Auf diese Eigenart ist sehr wohl zu achten. Denn die Identität von göttlicher Dreiheit und Einfachheit des Wesens stellt sich unter Berücksichtigung der vorliegenden Formulierung offensichtlich nicht so ohne weiteres her. Wenn die Dreiheit der Personen die Einfachheit Gottes nicht aufhebt und die Einfachheit Gottes seine Dreiheit nicht ausschließt, so ist das Verhältnis von Trinitas und simplicitas unbeschadet der Einheit Gottes lediglich ein Verhältnis negativ vermittelter Identität, ein Verhältnis, in welchem Trinität und Einfachheit als Bestimmungen Gottes in sachlicher Unterschiedenheit verharren 1 4 5 . Um welchen Sachverhalt es hier geht, zeigt sich, wenn wir einen weiteren Satz hinzuziehen, der, was die in1 4 4 De myst. Trin. q.2 a.2 concl.: Summa unitas et trinitas in Deo non habent repugnantiam, sed miram concordiam et harmoniam. V,65a. 1 4 5 Es ist dieses nur negativ beschriebene Verhältnis, das in Gottes Einheit liegende Gegenüber von Trinitas und simplicitas, welches Bonaventura gelegentlich den Vorwurf mangelnder Geschlossenheit eingetragen hat. Bei Stohr 122 f. liest sich das, allerdings nicht mit Bezug auf Gottes simplicitas, sondern mit Bezug auf Gottes primitas, jene Eigenschaft also, die nach De myst. Trin. q.8 und Brevil. 1,2 die Gottheit Gottes in sich zusammenfaßt, so: „Dieser Mangel an Einheitlichkeit offenbart sich gerade auch im Zentralpunkt seines trinitarischen Systems, beim Begriff der primitas", und zwar darin, daß Bonaventura nicht in der Lageist, „endgültig paternitas und innascibilitas zusammen (zu)schweißen. Die Möglichkeit davon gibt er zwar zu, und wenn er einräumt, daß man in das Wort Vater die fecunditas einbegreifen könne, so ist er dem glücklichen Augenblick der Vermählung ganz nahe. Aber zur feierlichen Einsegnung des Bündnisses kommt es nicht, wohl um deswillen, weil er sich nicht entschließen kann, den Paternitätsbegriff zum höheren zu machen, dem die primitas sich unterordnen müßte." Dieser Vorwurf verdankt sich, wie mir scheint, einem gründlichen Mißverständnis der Trinitätslehre Bonaventuras. Nebst dem, daß Stohr Begriffe zusammenordnet, die einen verschiedenen systematischen Ort haben - primitas faßt das Verhältnis von unitas und Trinitas Gottes zusammen, innascibilitas ist in der trinitarischen Distinktion allein der ersten Person zukommende Notion ist vor allem das Grundverhältnis der Gotteslehre Bonaventuras, das Verhältnis von Trinität und Inkarnation verkannt. Sofern nämlich Gottes primitas die Zusammenfassung der Gottheit Gottes ist, unterliegt sie derselben christologischen Innervation wie alle anderen Attribute des göttlichen Seins. Indem Gott, darin er der Erste ist, einfach ist, ist in der Einfachheit Gottes das esse primum Gottes als sich entäußerndes bestimmt. Dann aber ist es schlechterdings unmöglich, das Attribut der primitas der Proprietät des Vater zu „vermählen". Es hätte dann nämlich „der Vater sich inkarniert und hätte gelitten wie der Sohn, und dann bist du ein Sabellianer oder Patripassianer" (Hex. VIII,11; V,371a). Möglich und nötig ist allerdings, die primitas Gottes auf die personale Subsistenz des göttlichen Wesens in Ansatz zu bringen: Gottes esse primum ist esse primum, da es sich aktualisiert, und so ist von Gottes primitas her von göttlichen Personan zu reden. Wenn aber Gottes primitas in der ersten Person subsistiert, so heißt sie nicht mehr primitas, sondern innascibilitas Patris, und die wieder ist nicht ein proprium, sondern, wie man sehen wird, eine Notion. I Sent, d.2 a.un. q.2 i.e.: in divinis est ponere personarum pluralitatem. . . Nam ratione simplicitatis essentia est communicabilis et potens esse in pluribus. Ratione primitatis persona nata est, ex se aliam producere; et voco hic primitatem innascibilitatem, rationecuius, ut dicit antiqua opinio, est fontalis plenitudo in Patre ad omnem emanationem. I,54a; vgl. I Sent, d.27 p. 1 a.un. q.2 ad 3 : ubi est ordo personarum, primitas in prima persona est ratio producendi alias; et quia innascibilis dicit primitatem, hinc est quod dicit fontalem plenitudinem respectu produetionis personalis. I,471a.

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haltliche und sprachliche Struktur angeht, exakt den gleichen Duktus zeigt wie die conclusio von De myst. Trin. q.3 a.2: „Die Dreiheit 1 4 6 der Personen schließt hinsichtlich des göttlichen Wesens nicht aus: die höchste Einheit, Einfachheit, Unermeßlichkeit, Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Notwendigkeit und alles in allem Erstlingsschaft; vielmehr schließt sie ein: höchste Fruchtbarkeit, Liebe, Hingabe, Gleichheit, Verwandtschaft, Gleichweslichkeit und Untrennbarkeit." In diesem Satz, der für das Breviloquium die Erörterung der Gotteslehre einleitet, bezieht sich Bonaventura eindeutig auf die Qq. De myst. Trin. und darin wiederum insonderheit auf den 2. Artikel der dritten Quästion. Das wird nicht nur dadurch belegt, daß die Eigenschaften des göttlichen Wesens beide Male in genau gleicher Reihung erscheinen 1 4 7 , sondern vor allem auch dadurch, daß in allen Konklusionen von De myst. Trin. die von q.3 a.2 die einzige ist 1 4 8 , die in dieser Weise kreiselnd und schwingend formuliert ist. Freilich besteht eine gewisse Akzentverschiebung zwischen beiden Formulierungen: Während die conclusio von De myst. Trin. q.3 a.2 in dem aus zwei Hauptsätzen bestehenden Satzgefüge zwei (grammatische und sachliche) Subjekte benutzt, wobei im ersten Hauptsatz die Trinitas als Subjekt, die simplicitas als (grammatisches) Objekt, und im zweiten Hauptsatz die simplicitas als Subjekt und die Trinitas als (grammatisches) Objekt erscheint, kennt der Satz von Brevil. 1,2 nur ein Subjekt: die Trinitas. Sie tritt an die Stelle, an die in der conclusio von De myst. Trin. q.3 a.2 im zweiten Hauptsatz die Einfachheit Gottes als grammatisches Subjekt, die Trinität nicht ausschließend, gesetzt ist. Zunächst erweckt diese Akzentverschiebung den Anschein, als sei die vorsichtig negative Formulierung von De myst. Trin. q.3 a.2 einer blanken Tautologie gewichen. Denn fecunditas, Caritas, liberalitas, aequalitas, germanitas, conformitas, inseparabilitas sind Begriffe, die nicht in der Erörterung des göttlichen Seins, sondern in der trinitarischen Distinktion beheimatet sind 1 4 9 ; es sind Begriffe, die das Verhältnis der göttlichen Personen untereinander kennzeichnen. Das heißt: Indem die Dreiheit der Personen fecunditas etc. einschließt, läuft das auf eine scheinbar tautologe Aussage hinaus, derzufolge die Dreiheit der Personen die Dreiheit 1 4 6 Brevil. 1,2: trinitas personarum non excludit ab essentia divina summam unitatem, simplicitatem, immensitatem, aeternitatem, incommutabilitatem, necessitatem et etiam primitatem; quin potius includit summam fecunditatem, caritatem, liberalitatem, aequalitatem, germanitatem, conformitatem et inseparabilitatem; quae omnia sana fides intelligit esse in beatissima Trinitate. V , 2 1 1 a . 1 4 7 Das ist nicht selbstverständlich, denn andernorts kann Bonaventura auch eine andere Anordnung treffen. 148 Ähnlich ist auch die concl. von De myst. Trin. q.8 formuliert: Primitas non solum non excludit trinitatem, verum etiam eam includit. V , 1 1 4 a . Aber diese concl. unterscheidet sich (denn Bonaventura ist in ihr am Ziel) von der in q.3 a . 2 dadurch, daß hier positiv formuliert wird: primitas includit Trinitatem, während es in bezug auf die simplicitas heißt: summa simplicitas non excludit Trinitatem. V , 7 5 b . 1 4 9 Aequalitas vgl. I Sent, d.31 p . 2 a . 2 q.3 concl.; I , 5 4 8 b ; germanitas vgl. etwa I Sent, d . l l a.un. q . l f.5; I , 2 1 0 b ; fecunditas vgl. etwa I Sent, d.2 a.un. q.2 i.e.; I , 5 4 a ; inseparabilitas vgl. etwa S.S.I,lf. (De Trinitate); V , 5 3 5 a .

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der Personen einschließt. Aus dieser scheinbaren Tautologie aber ergibt sich die Notwendigkeit, die beiden hier beigezogenen Zitate als gegenseitige Interpretamente aufeinander zu beziehen. Denn die tautologe Aussage: Die Dreiheit der Person schließt die Dreiheit der Personen ein, also die Aussage: Die Trinität ist die Trinität, ist offensichtlich über das Verhältnis von Trinität uftd göttlichen Eigenschaften und unter diesen wiederum insonderheit über das Verhältnis von Trinität und Einfachheit Gottes vermittelt. Das heißt, die Trinität ist die Trinität erst und insofern, als sie die Einfachheit Gottes nicht ausschließt und diese jene nicht aufhebt. Von hier aus ergibt sich eine erste Einsicht in die Bedeutung der eigenartig negativen Formulierung von De myst. Trin. q.3 a.2: Erst insofern die Trinität die höchste Einfachheit Gottes nicht aufhebt und die simplicitas jene nicht ausschließt, ist die Trinität wahrhaft die Dreiheit der Personen. Es bedarf also in Gott notwendig des Verhältnisses negativer Identität von Trinitas und simplicitas, wenn Gott wahrhaft der trinitarische Gott sein soll. Über den Satz: „Die Einfachheit Gottes wahrt die Ungeteiltheit Gottes" 1 5 0 hinaus, der nach der einen Seite hin den Sachgrund des innergöttlichen Erströmens bildet, und also die Einfachheit Gottes als sachliches und grammatisches Subjekt der trinitarischen Dynamik erscheinen läßt, gilt auch die entgegengesetzte Aussage, in welcher darin, daß die Trinität der Einfachheit des göttlichen Wesens gegenüber als Subjekt erscheint, welches „nicht aufhebt" bzw. „ausschließt", der Sachgrund der Einfachheit Gottes anzutreffen ist. Gott in der Einfachheit seines Seins emaniert vollkommen, und in der vollkommenen innergöttlichen Emanation ist Gott zuhöchst einfach. Es ist dieses Verhältnis gegenseitiger Verklammerung und Bedingtheit von Trinitas und simplicitas, in dem Gott als Gott der ist, der in seiner Gottheit im unterschiedenen Gegenüber von Trinitas und simplicitas verharrend Ein Gott ist oder, wie wir mit neuerem Begriffsmaterial sagen könnten: in welchem Gott darin der sich selber identische Gott ist, daß in seiner Identität Nichtidentisches zur Identität Gottes verbunden ist 151 , welches die trinitarische Distinktion erforderlich macht: „Damit wir aber 152 , soweit es geht, diesen Sachverhalt (nämlich daß Trinitas simplicitas nicht aufhebt und simplicitas Trinitas nicht ausschließt) einsehen, ist hier zweierlei zu bemerken: erstens die verschiedenen Weisen der personalen Distinktion, zweitens die verschiedenen Weisen der göttlichen Attributionen." Wie schon des öfteren im Umgang mit den Qq. De myst. Trin. ist auch diese Doppelung des Betrachtungsgegenstandes auf das Gefälle der conclusio zu beziehen, das heißt: In der Feststellung der modi der personalen Distinktion hat sich zu erweisen, inwiefern die Trinitas die sim150

Brevil. 1,3; V , 2 1 1 b .

151

Ein gutes Beispiel dafür bietet De myst. Trin. q.3 a . 2 f . l : si aliquid esset unum in pluribus

multiplicatum, illud esset simplicissimum; sed hoc attribuendum est divino esse, quod est simplicissimum. V , 7 5 a . 152

Ebd. i.e.: Ut autem aliquatenus intelügamus, duo oportet hiepraenotare: primo, diversos

modos distinetionum personalium, secundo, diversos modos attributionum divinarum. V , 7 5 b .

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plicitas nicht aufhebt, und in der Feststellung der modi attributionum wird sich zeigen, inwiefern die Einfachheit Gottes die Dreiheit der Personen nicht ausschließt. Das erste erläutert Bonaventura so: Mit Richard 1 5 3 ist auf dreierlei Art Person von Person zu unterscheiden 154 : einmal durch den Ursprung (origo), zum andern durch die individuelle Beschaffenheit (qualitas), zum dritten durch Ursprung und individuelle Beschaffenheit gleichzeitig. Auf die letztgenannte Weise unterscheidet sich ein Mensch vom andern. Auf die zweite Weise unterscheiden sich die Engel voneinander. Auf die erstgenannte Weise unterscheiden sich die göttlichen Personen: lediglich durch den Ursprung. Darauf kommt es entscheidend an 1 5 5 . Indem die göttlichen Personen lediglich durch ihren Ursprung unterschieden werden, wird deutlich, inwiefern der Personenbegriff in Gott nicht zu einer Zusammengesetztheit (compositio) führt. Denn hinter dem Begriff der origo verbirgt sich der Sache nach das Verhältnis, in welchem die essentia Dei communicabilis notwendig, wenn anders sie nicht einer falschen Unendlichkeit unterliegen soll 1 5 6 , im Verhältnis von persona und essentia subsistiert. Daß in Gott ein Ursprung vorliegt, ist unmittelbar mit dem Begriff der göttlichen essentia communicabilis gegeben. Nun trägt auch hier wieder der Begriff der Einfachheit Gottes die Hauptlast der Argumentation: Da Gott in der Erstlingsschaft seines Seins einfach ist, ist er, indem er ausströmt und heimführt, indefizient einfach. Soll aber nun nicht doch eine Defizienz in Gott hineingetragen werden, so ist unter dem Gottes Einfachheit verknüpften Ausströmen vollkommenes und aktuales Ausströmen verlangt 157 , oder auch: indem Gott zuhöchst einfach ist, setzt seine Einfachheit als Einfachheit Gottes seine höchste und vollkommenste Aktualität. Mit ihr wiederum ist in Gott eine origo anzunehmen. Die Aktualität Gottes erheischt, daß seine essentia communicabilis vollständig mitgeteilt wird, daß also ein Ursprunggebendes bzw. eines, das die essentia mitteilt, in Gott sei 1 5 8 . Damit ist über den Begriff der Einfachheit der essentia Richard von St. Victor. De Trinitate IV, cap. X I H f . ; PL 1 9 6 , 9 3 8 . De myst. Trin. q.3 a . 2 i.e.: sicut dicit Richardus de Trinitate, tribus modis distinguitur persona a persona, scilicet origine tantum, qualitate tantum, origine et qualitate simul. Primus modus est in divinis, secundus in angelicas spiritibus, tertius in hominibus. - Homines enim distinguuntur ab invicem qualitate propter diversitatem accidentium et proprietatum, quibus unum Individuum ab altero discernitur; origine vero, quia unus h o m o ab alio nascitur. — Angeli autem, quia differunt substantiis et proprietatibus formalibus, distinguuntur qualitate; sed quia unus ab alio non procedit, non distinguuntur origine. — Personae autem divinae, quia omnino unum sunt in substantia et forma et nulla habent accidentia, non distinguuntur qualitate, sed sola origine; illa autem origo est ipsius personae non per aliquid aliud, sed per se ipsam,ita quod, sicut Deus se ipso intelligit et est suus intellectus, ita Pater se ipso generat et est ipsa generatio, similiter Filius sua filiatio: si ergo est ibi verissima origo, verissima est personalis distinetio. V,75bf.. 153

154

155

S. o. S. 1 7 9 .

156

S. o. S. 2 1 9 .

I Sent, d.8 p . 2 a.un. q . l ad 1: Q u o n i a m ubi summa simplicitas intelligitur, oportet summ a m actualitatem intelligi, si summe nobilis est. E t ubi est summa actualitas, summa diffusio et communicatio debet poni; et ista non potest esse nisi in sempiterna produetione rei omnino infinitae et aequalis in virtute. I , 1 6 6 a ; vgl. I Sent, d . 2 a.un. q.2 i.e.; I , 5 4 a . 157

158

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H e x . X I , 6 ; V , 3 8 1 a ; s. o. S. 2 1 6 .

communicabilis in Gott der Begriff der origo gewonnen und mit ihm der Begriff der Person. Sofern in Gott kraft seiner mitteilbaren Wesenheit Ursprung notwendig gesetzt ist, liegt in ihm ein Verhältnis von Personen vor. Dieses Verhältnis, sofern es sich der essentia communicabilis Gottes verdankt, kann nicht eines qualitativ unterschiedener Personen sein, denn führte es zu einer Differenz in der Substanz und im Wesen der Personen, so müßte die mitteilbare Wesenheit Gottes in einen Selbstwiderspruch geraten: Gottes essentia communicabilis wäre tatsächlich nicht mitteilbar, würde im Akt der communicatio eine von der essentia communicabilis unterschiedene essentia (und das könnte nur ein defizientes Wesen sein) hervorgebracht. Folglich muß die essentia communicabilis im Akt ihrer Mitteilung notwendig ganz mitgeteilt werden. Wird sie aber ganz mitgeteilt, so subsistiert sie in ihrer ganzen Einfachheit als mitgeteilte ebensogut und in wesenhafter Ununterschiedenheit wie als mitteilende. Das heißt: Eben darin, daß Gottes essentia mitteilbar ist, setzt ihre vollkommene Mitteilung in Gott ein Verhältnis von Personen bei Einheit der Essenz, ein Verhältnis, das sich dem Umstand verdankt, daß Gottes Wesen in seiner Mitteilbarkeit sich überhaupt nur im Verhältnis von persona und essentia realisiert. Dieses Verhältnis faßt Bonaventura unter dem Begriff der origo. In ihr erscheint der übergreifende Begriff, dem beide Momente, essentia sowohl als persona, unter- und eingeordnet sind. Damit aber ist die origo die Person selber, in welcher die essentia Gottes subsistiert. Es fallen also letztlich in Gott der Begriff der Person und der Begriff der origo zusammen, weil unter beiden die vollständige Subsistenz der göttlichen Essenz enthalten ist. „Jener Ursprung aber 159 (sc. durch den die göttlichen Personen unterschieden werden) ist der der Person selbst. Er verdankt sich nicht irgendeinem Dritten, sondern sich selber, so daß, wie Gott sich durch sich selber erkennt und seine Erkenntnis ist 160 , so der Vater durch sich selber zeugt und die Zeugung selbst ist, ebenso der Sohn seine Sohnschaft: wenn also dort in Wahrheit origo ist, ist dort auch in Wahrheit personale Distinktion." Der Sachverhalt, auf den es hier ankommt, ist die Gleichung, die zwischen origo und persona hergestellt wird. Nur unter Herstellung dieser Gleichung läßt sich die Einfachheit Gottes wahren: „Wenn die Person 161 ihr Ursprung ist, gibt es in der Person keinerlei Zusammengesetztheit, und dadurch ist sie ebenso einfach wie die Essenz." Versucht man jetzt eine bündige Antwort auf die Frage, inwiefern die Trinitas die simplicitas nicht aufhebt, so ist zu sagen: Die Trinitas hebt die simplicitas deshalb nicht auf, weil die Dreiheit der Personen sich dem Akt verdankt, in welchem Gott in sich selber seine mitteilbare Wesenheit vollständig mitteilt. Diese vollständige Mitteilung ihrerseits verlangt ein innergöttliches 159

De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76a; zitiert oben S. 264 Anm. 154. Vgl. ebd. f.4; V,75a. 161 Ebd. i.e.: Rursus, si persona est sua origo, nulla est omnino in persona compositio, ac per hoc ita simplex est, sicut essentia. V,76a; vgl. ebd. ad 2; V,76bf.; I Sent, d.8 p.2 a.un. q.l ad 2; I,166b. 160

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Ursprunggeben nach der einen Seite, also den Personenbegriff, und die sich durchhaltende Einfachheit des göttlichen Wesens nach der anderen Seite. Die Dreiheit der Personen hebt also insofern die Einfachheit Gottes nicht auf, als im Akt seiner Selbstmitteilung Gott sich selber nicht aufhebt. Nun sind wir freilich mit dieser Erläuterung nicht sonderlich weit über das hinausgekommen, was oben (S. 211 ff.) bereits angesprochen war, bis auf eine kleine, aber bedeutsame Akzentverschiebung: der Umstand, daß Gott in seiner essentia communicabilis im Verhältnis von essentia und persona zu begreifen ist und wiederum kraft der Einfachheit Gottes die Personen Eines Wesens sein müssen, wenn anders Gott nicht in Selbstwiderspruch geraten soll, stellt hier den Begriff der origo in den Mittelpunkt des Interesses. Nach der besonderen Beschaffenheit des göttlichen Ursprunggebens ist darum zu fragen, und wir tun das, indem wir vorerst die begonnene Interpretation von De myst. Trin. q.3 a.2 verlassen, um auf eigentlich schon Bekanntes, aber dennoch hier neu Aufzunehmendes zurückzugreifen. Wir haben bereits gesehen (oben S. 262), daß der Satz, mit dem Bonaventura im Breviloquium die Erörterung der Gotteslehre einleitet, in ziemlich exakter Entsprechung zu der conclusio von De myst. Trin. q.3 a.2 steht. Es handelt sich um den Satz, der unter Vermittlung der Eigenschaften des göttlichen Seins zu der Aussage: Die Dreiheit ist die Dreiheit führt. Bonaventura begründet diesen Satz mit einer Wendung, die uns ebenfalls schon ausführlich beschäftigt hat, mit der Wendung: De Deo sentiendum est altissime etpiissime 162 . Ich habe diese Wendung im zweiten Kapitel untersucht unter der Frage, in welcher Weise das Weltverhältnis Gottes von der Dreiheit Gottes umschlossen sei. Dabei ist die eingehende Analyse der innergöttlichen Kommunikation an jener Stelle bewußt außer acht geblieben, denn es ging dort zunächst einmal darum, den Ort der Trinitätslehre zu finden. Das Versäumte ist jetzt nachzuholen. Nachdem auch die für sich betrachteten zentralen Eigenschaften des göttlichen Seins, Gottes Einheit und Gottes Einfachheit, aus Gott heraus auf das bestimmte Weltverhältnis Gottes verwiesen haben, ist es jetzt möglich und angemessen, die Gott und Welt auf so eigenartige Weise verklammernde Wendung von alte et pie neuerlich aufzunehmen, und zwar unter Hinsicht dessen, was sich aus ihr für die inneren Bestimmungen der Trinität ergibt. „Der Glaube spricht 1 6 3 : Man muß aufs höchste und frömmste über Gott denken. Er dächte aber nicht aufs höchste, glaubte er nicht, daß Gott sich zuhöchst mitteilen könne; und er dächte nicht frömmstens, glaubte 162

S. o. S. 1 4 1 ff.

163 Brevil. 1,2: Ratio autera huius veritatis (sc. quod trinitas personarum non excludit ab essentia divina summam unitatem, simplicitatem etc.; quin potius includit summam fecunditatem, caritatem etc.) haec est: quia fides, cum sit principium cultus Dei et fundamentum eius quae secundum pietatem est doctrinae, dictat, de Deo esse sentiendum altissime etpiissime. N o n autem sentiret altissime, si non crederet, quod Deus posset se summe communicare; non sentiret piissime, si crederet, quod posset et nollet; et ideo, ut altissime et piissime sentiat, dicit, Deum se summe communicare, aeternaliter habendo dilectum et condilectum, ac per hoc Deum unum et trinum. V , 2 1 1 a .

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er, Gott könne, wolle aber nicht; und deshalb, auf daß der Glaube aufs höchste und frömmste denke, spricht er: Gott teilt sich aufs höchste mit, darin er ewig einen Geliebten und Mitgeliebten hat, und dadurch ist Gott Einer und dreifältig." Was also betrachtet der Glaube, da er altissime et piissime von Gott denkt? Er betrachtet Gott in seiner Fähigkeit, sich mitzuteilen, indem er zuhöchst von ihm denkt; und er betrachtet ihn im bewußten und gewollten Vollzug dieser Fähigkeit, indem er frömmstens von ihm denkt. Beide Bezüge gehen offenbar nicht so ohne weiteres ineinander auf. Die grundsätzliche Fähigkeit der höchsten Selbstmitteilung, die der Glaube Gott zuschreibt, da er zuhöchst von ihm denkt, bleibt, da es dasselbe Können ist, das Gott wollend zum Zuge bringt, gleichwohl abgehoben von dem Akt, in welchem Gott sein Können wollend realisiert. Denn dieser letzte Akt, mit dem Gott sich zuhöchst mitteilen kann und will, bildet den Gegenstand der allerfrömmsten Betrachtung Gottes, ohne daß das Können, das im Zusammenhang von Können und Wollen Gottes steht, jenes erstgenannte Können, mit welchem Gott sich zuhöchst und grundsätzlich mitteilen kann und welches kraft dei Einen Einfachheit Gottes dasselbe ist, welches Gott zukommt, da er sich mitteilen kann und will, in vollkommener positiver Identität abdeckt. Denn es bleibt ja die Frage, warum Bonaventura, da der Glaube in seiner frommen Betrachtung Gottes Können und Wollen zum Gegenstand hat, dennoch die Betrachtung der Höhe, in der lediglich Gottes Selbstmitteilungsfähigkeit den Gegenstand bildet, noch als eigenen Gesichtspunkt gegenüber dem sentire pie anführt164. Gottes Können, mit dem er sich zuhöchst mitteilen kann einerseits, und Gottes Können, mit dem er sich tatsächlich mitteilt, da er kann und will, erscheint so gesehen in der Einheit Gottes in zweierlei Erstreckung: Unter ein und demselben Können Gottes sind (bei Identität des Könnens Gottes) Hinsichten enthalten, die innerhalb dieses Könnens eine Unterscheidung erforderlich machen. Welches diese Unterscheidung sei, erhellt aus dem, was Gottes grundsätzliches posse se communicare der Sache nach meint. Ersetzen wir die Wendung posse se summe communicare durch einen anderen Begriff, so wird die Sachlage schlagartig deutlich: Gottes posse se communicare ist nichts anderes als seine communicabilitas, also die nach Einheit und Einfachheit Gottes bestimmte essentia Dei 165 . Damit aber ist der Gegenstand des sentire altissime, das sich auf Gottes Selbstmitteilungsfähigkeit bezieht, die essentia communicabilis Dei. Es dächte nicht zuhöchst von Gott, wer ihm nicht die essentia communicabilis zuschreiben wollte. Demgegenüber handelt es sich bei dem Akt, mit dem der Glaube Gott piissime bedenkt, offensichtlich um einen anderen Sachverhalt. Denn in diesem Akt betrachtet der Glaube nicht nur Gottes essentia communicabilis, sondern er betrachtet Gott in seiner Aktualität, darin nämlich, daß er Gott die Fähigkeit und den Willen zur Selbstmitteilung zuschreibt. Und so betrachtet 164

S. o. S. 1 4 7 Anm. 1 0 .

165

I Sent, d.2 a.un. q.2 i.e.: N a m ratione simplicitatis essentia est communicabilis et potens

esse in pluribus. I , 5 4 a ; vgl. De myst. Trin. q.3 a . 2 f . 7 ; V , 7 5 a .

267

der Glaube Gott altissime et piissime, sofern Gottes Wesen communicabilis ist und sofern sich Gott actu mitteilt. Das bedeutet: Indem der Glaube Gott piissime bedenkt, bedenkt er ihn im Verhältnis von einer Essenz und drei Personen oder auch als trinus et unus. Denn in dem Moment, in welchem der Glaube des göttlichen Willens, mit dem Gott seine Selbstmitteilung vollzieht, angesichtig wird, wird er nicht mehr nur der göttlichen Essenz inne, sondern notwendig der personalen Subsistenz dieses Wesens. „Denn da es Sache des suppositum ist, durch die forma tätig zu sein, liegt es an der Person, hervorzubringen und hervorgebracht zu werden, nicht an der Natur; sondern Sache der Natur ist es, durch Hervorbringung mitgeteilt zu werden." 166 Der Glaube also, da er Gott altissime bedenkt, betrachtet die essentia communicabilis Gottes; da er Gott piissime bedenkt, betrachtet die essentia in ihrer mehrpersönlichen Subsistenz. Indem der Glaube aber wiederum unter piissime die mehrpersönliche Subsistenz Gottes betrachtet, betrachtet er nun nicht bloß die Trinität in sich, sondern die Trinität in ihrer Beziehung zu Gottes Werk 167 . Und auf diesem Hintergrund, auf dem Hintergrund der Beziehung der Trinität zur Heilsgeschichte, hebt noch einmal die Betrachtung von altissime, die Betrachtung der essentia communicabilis Dei an, nunmehr aber nicht bloß als Betrachtung der Kommunikationsfähigkeit Gottes, sondern als Betrachtung der Bezeugung des göttlichen Seins in Schrift ««cf Kreatur 168 . Und diese Betrachtung wiederum mündet aus in der Betrachtung des göttlichen Seins, soweit es die innergöttlichen Prozessionen einschließt169. So entspricht in seiner textlichen Anordnung das Verhältnis von altissime und piissime aufs genaueste jener eigenartig schwingenden und kreiselnden Formulierung von De myst. Trin. q.3 a.2 concl., derzufolge die Trinität die Einfachheit nicht aufhebt und die Einfachheit die Trinität nicht ausschließt. Ebenso wie dort Trinitas und simplicitas nicht so ohne weiteres unmittelbar ineinander aufgehen, gehen hier altissime und piissime, da eines im anderen ist, nicht ineinander auf. Gott in höchster Weise bedenken, heißt am Ende des 166

De myst. Trin. q.2 a.2 i.e. V.65b.. Brevil. 1,2: Huic autem fidei, in quantum dictat, de D e o piissime sentiendum esse, attestatur tota sacra Scriptura . . .: quia Deum fatetur habere prolem, quam summe diligit Verbum sibi coaequale, quod ab aeterno genuit, in quo cuncta disposuit; per quod cuncta produxit et gubernat; per quod etiam carnem factum pro summa benignitate hominem redemit pretiosissimo eius sanguine redemtumque eibavit; per quod etiam in fine mundi, summam misericordiam impertiendo, ab omni miseria liberabit, ut per Christum omnes electi sint filii summi Patris, in quo erit omnis pietas consummatio et Dei ad nos, et e converso. V,211a; s. o. S. 152 f. 167

168 Ebd.: In quantum autem fides dictat, de Deo sentiendum altissime, non tarnen attestatur ei sacra Scriptura, vero etiam omnis creatura. V,211a. 169 Ebd.: Ecce, in . . . duodeeim (conditionibus secundum Augustinum) includuntur altissimae nobilitates divini esse. Sed p o s t . . . haec duodeeim redueuntur ad tria, scilicet aeternitatem, sapientiam et beatitudinem; et haec tria ad unum, scilicet ad sapientiam, in qua includuntur mens generans, Verbum proles et amor nectens utrumque, in quibus fides dictat consistere Trinitatem. Et quoniam summa sapientia ponit Trinitatem, ponit etiam nihilominus omnes prius habitas nobilissimas conditiones, videlicet unitatem, simplicitatem et ceteras consequentes; necesse est, omnes praedictas nobilitates divini esse simul stare cum beatissima Trinitate. V,21 l b .

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Bogens, die trinitarische Subsistenz seines Seins bedenken in der Beziehung von Trinität und Heilsgeschichte; das heißt auch: Gott wird nicht altissime bedacht, also bedacht in der Hinsicht, da seine Einheit die Dreiheit einschließt, er werde denn piissime bedacht, bedacht also in der Hinsicht, da im trinitarischen Prozeß das Weltverhältnis Gottes grundgelegt ist. Aus diesem Sachverhalt ergeben sich folgende Einsichten: Nicht nur, daß die Bezeugung des dreieinen Gottes durch die Kreatur das Verhältnis von Trinität und Inkarnation zur Voraussetzung hat, sondern die Aussage, auf die im letzten die Betrachtung Gottes „altissime" zielt, nämlich die Aussage: Das göttliche Sein schließt die trinitarische Subsistenz ein, gewinnt sich überhaupt erst im Horizont der Aussage, derzufolge Gott in seiner Dreiheit im Wort die Heilsgeschichte vollzieht. Damit ist die essentia communicabilis Gottes bzw. das Können, mit dem er sich zuhöchst mitteilen kann, insofern unermeßliches Können, als es sich in dem Zusammenhang von Können und Wollen zum Zuge bringt, in welchem der trinitarische Gott der Gott der Heilsgeschichte ist. Die Aussage: Gottes essentia communicabilis subsistiert dreifach, oder auch die Aussage: Gott ist trinus et unus, oder auch die Aussage: Die Trinität ist die Trinität, setzt damit ein innergöttliches Können und Wollen voraus, welches als innergöttliches Können und Wollen ein außergöttliches Wirken zum Inhalt hat. Erst in der Verspannung innergöttlichen Könnens und Wollens mit dem außergöttlichen Wirken belegt das höchste Können Gottes in seiner Vollkommenheit die trinitarische Subsistenz des göttlichen Seins170. Nun ist zu überlegen: Wenn das Denken des Glaubens, mit dem er Gott zuhöchst bedenkt, die dreifache Subsistenz des göttlichen Seins bedenkt erst auf dem Hintergrund und im Horizont des Denkens, mit dem er, der Glaube, Gott aufs frömmste bedenkt - was ergibt sich daraus für die Sicht der innergöttlichen Hervorgänge? Diese Frage ist so zu verstehen, daß es in der Tat einen eigenartigen Sachverhalt ausmacht, daß von dem göttlichen Willen, mit dem Gott sich zuhöchst nicht nur mitteilen kann, sondern auch will, im Zusammenhang des sentire altissime dort, wo es die communicabilitas Dei bedenkt, und dort, wo es zu der Aussage kommt: Das göttliche Sein schließt die Dreiheit ein, mit keinem Wort die Rede ist. Dieser Umstand muß wohl so verstanden werden, daß für die positive Aussage: Die trinitas ist die trinitas, bzw. das Sein Gottes setzt die Trinität 171 , dem Willen Gottes, mit dem Gott 170

Ich bin mir bewußt, all das oben schon einmal erwogen zu haben (vgl. besonders S. 152 f.). Dennoch sind diese Überlegungen hier noch einmal aufzunehmen. Denn was wir oben, als wir die Wendung von sentire piissime und altissime im äußeren Kreis interpretiert haben, noch nicht haben sehen können: daß nämlich die Aussage sapientia ponit Trinitatem in ihrer Unmittelbarkeit angesichts der Überlegungen Bonaventuras zur Einfachheit Gottes so selbstverständlich nicht ist, wie es scheint; daß vielmehr in Gott selbst Gottes Einheit und Einfachheit erst in vermittelnden Schritten zu dieser Aussage führen und also in diesem „ponit" ein Problem enthalten ist, das kann erst hier deutlich werden. 171 Vgl. De myst. Trin. q.8 concl.; V,114a; Brevil. 1,2: summa sapientia ponit Trinitatem. V,211b.

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sich mitteilen will, konstitutive Bedeutung zukommt. Das göttliche Wollen aber erscheint nicht am Ende und nicht am Anfang des Bogens, den die Wendung vom sentire altissime et piissime beschreibt, sondern es erscheint unter piissime, in der Beziehung von Trinität und Heilsgeschichte, und das führt zu der Vermutung: Das Wollen, mit dem Gott sich zuhöchst mitteilen will, ist diejenige Größe in Gott, in welcher das innergöttliche Leben Gottes als Gottes äußeres Wirken aus Gott heraustritt. Unter ihm ist eine Rücksicht auf Gottes inneres Können wie auch auf Gottes äußeres Können enthalten derart, daß in Gott, indem er sich zuhöchst mitteilen will, Gottes innere Dynamik in Gottes äußere Dynamik umschlägt und er auf diese Weise der Deus unus et trinus ist. Ob sich in der Selbstmitteilung Gottes per voluntatem diese doppelte Rücksicht wird finden lassen, darauf wird es im folgenden entscheidend ankommen, wenn wir jetzt die innergöttlichen Emanationsweisen betrachten. „Mit Bezug172 auf die Wahrheit dieser Glaubenseinsicht (die weiß, daß von Gott in höchster und frömmster Weise zu denken ist) lehrt die heilige Lehre: Es gibt in Gott zwei Emanationen, drei Hypostasen, vier Relationen, fünf Notionen und aus alledem gleichwohl nur drei personale Proprietäten . . . Es gibt aber nur zwei Weisen vollkommenen Erströmens, nämlich nach Weise der Natur und nach Weise des Willens. Die erste Weise ist die Zeugung, die zweite ist die Hauchung bzw. der Hervorgang." Es handelt sich, dem Gefälle von Brevil. 1,2 auf Brevil. 1,3 nach zu urteilen, bei dieser Lehre um die Einsicht in den Sachverhalt, der in Brevil. 1,2 als Verhältnis von Trinitas und unitas Gottes173 bzw. sentire altissime et piissime exponiert ist. Man muß also, wenn man das Verhältnis von Trinitas und essentia communicabilis Dei richtig verstehen will, von diesen beiden Emanationen ausgehen. Den Unterschied zwischen beiden bezeichnet Bonaventura als einen zwischen Erströmen durch die Natur und Erströmen durch den Willen. Die Zweiheit der innergöttlichen Emanationen, von der nunmehr auszugehen ist, aber fordert geradezu heraus, einen Zusammenhang mit der in Brevil. 1,2 getroffenen Feststellung zu suchen, dergemäß von Gott altissime zu denken ist, sofern er sich zuhöchst mitteilen kann, und piissime, sofern er sich zuhöchst mitteilen kann und will. Die Akzentuierung von piissime durch Gottes Wollen legt nahe, den Hervorgang per modum voluntatis jenem innergöttlichen Akt gleichzusetzen, mit dem Gott actu sich selber zuhöchst mitteilt; und es fragt sich dann, ob sich in derselben Weise ein Zusammenhang zwischen der göttlichen Selbstmitteilungsfähigkeit und der generatio per naturam174 herstellen lasse. Und das ist der Fall. Denn da Gott sich selber zuhöchst mitteilen 1 7 2 Brevil. 1,3: Ad istius autem fidei intelligentiam sanam docet doctrina sacra, quod in divinis sunt duae emanationes, tres hypostases, quatuor relationes, quinque notiones, et ex his tantum tres proprietates personales . . . Modi autem emanandi perfecte sunt duo tantum, scilicet per modum naturae et voluntatis. Primus est generatio, secundus spiratio sive processio, et ideo hi sunt ibi. V,211b. 173 Vgl. die Überschrift von Brevil. 1,2: Quid tenendum est de trinitate personarum et unitate essentiae. V,210b. 1 7 4 Zum Begriff der generatio im einzelnen vgl. Stohr 3 6 ff.

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kann, teilt er in der innergöttlichen Zeugung 175 vollständig sein Können mit und darin, sofern Gottes Können ratione simplicitatis seinem Sein identisch ist 176 , sein Sein. „Es ist aber unmöglich 177 , daß der höchste Geist sich selber nicht erkenne; und da das Erkannte gleich ist (aequetur) dem Erkennenden, erkennt er (sc. der Geist), was er ist und was er kann: also steht auch der Erkenntnisgrund in Einheit zum erkennenden Intellekt, denn er (der Erkenntnisgrund) ist dessen Bild. Dieses Bild aber ist das W o r t . . . Wenn also dieses Bild (seinem Erzeuger) gleich ist, so ist es Gott, und von Gott hervorgebracht stellt es den Hervorbringenden dar sowohl als das Können des Vaters: also stellt es das Viele (multa) dar." Überlegt man angesichts dieser Stelle, wodurch nun eigentlich die emanatio per naturam inhaltlich bestimmt ist, so zeigt sich: Sie ist bestimmt durch das Verhältnis von Sein und Können Gottes. Indem das Wort Sein und Können Gottes repräsentiert, repräsentiert es die Einheit von Können und Sein Gottes bzw. das göttliche Wesen in seiner Einfachheit und Unermeßlichkeit. Das bedeutet: Die essentia communicabilis Dei, da sie einfach und unermeßlich ist, meint als essentia Dei immer schon das Verhältnis des höchsten Geistes zu seinem Wort oder auch das Verhältnis von Vater und Sohn. Denn indem Gott im Sohn sein ganzes Sein und sein ganzes Können ausspricht, sich also in der Einheit von Sein und Können ausspricht, ist das zuhöchst mitteilbare Wesen Gottes Wesen Gottes immer schon in diesem Verhältnis. Was das bedeutet, erhellt aus dem Zusammenhang, in den sowohl Brevil. 1,2 f. als auch an der eben zitierten Stelle Hex. 111,4 die Erläuterung der innergöttlichen Emanationen gestellt ist. Brevil. 1,2 nimmt seinen Ausgang, wie wir wissen, von der Wendung: De Deo altissime 175 I Sent, d.6 a.un. q . l f.3: ab omnipotente detrahere maximum posse est impossibile; sed Deus Pater est omnipotens, cuius maximum posse est generare Filium. I,125a. Demyst. Trin. q.5 a.2 £.8: In persona Patrisidetn est posse generare et generare. V , 9 4 a b . - A u f die Gleichung von posse und generare kommt es hier an. Distinktive ist dafür velle nicht bzw. nur concomitans in Ansatz zu bringen: I Sent, d.6 a.un. q.2 concl. et i.e.; 1,127bf.; vgl. De myst. Trin. q.7 a.2 i.e.; V,110b und ebd. a.l i.e.; V, 107b f., wo das göttliche Sein in seiner necessitas als in se ipso und a se ipso, aber in für Bonaventura eigentümlicher Weise nicht propter se ipsum beschrieben ist. 176 De myst. Trin. q.4 a.l f. 10: Idem est Deo posse et esse propter summam simplicitatem. V,79b. 177 Hex. 111,4: Summum autem spiritum impossibile est se non intelligere; et cum intellectum aequetur intelligenti, intelligit quidquid est et quidquid potest: ergo et ratio intelligendi aequatur intellectui, quae similitudo eius est. Haec autem similitudo Verbum e s t . . . Si ergo haec similitudo aequalis est, ergo Deus est, et a Deo originata repraesentat originantem et quidquid Pater potest: ergo repraesentat multa. V,343b; vgl. ebd. XI,11; V,382a; I Sent, d.29 a . l q . l i.e.; I,509a. — Hier ist auf eine gewisse Spannung in der Begrifflichkeit Bonaventuras hinzuweisen. Die Zurückführung der personalen Subsistenz in Gott auf den Akt der Selbsterkenntnis Gottes gehört einem anderen Traditionsstrang an als jene, die sich auf Gottes emanatives Wesen beruft. Die erste beruht auf augustinischer Tradition. Sie ist überall dort präsent, wo die erste Hypostase als mens generans erscheint. Die zweite schließt (über den dionysischen Begriff des summum diffusivum sui) an Richard v. St. Victor an. Vgl. dazu Gößmann 256. Gleichwohl sind beide Stränge bei Bonaventura verbunden und treten wechselweise füreinander ein zur Bezeichnung je desselben Inhalts, nämlich der emanativen Dynamik Gottes. Auch verbal verbunden erscheinen beide Stränge gelegentlich ineins, wie Hex. XI,4; V,380b (nur Rep. B).

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et piissime sentiendum est; und wir haben gesehen, daß der Gegenstand von sentire altissime Gottes Selbstmitteilungsfähigkeit ist und der Gegenstand von piissime Gottes Selbstmitteilungsfähigkeit und Selbstmitteilungswille, und darum haben wir das sentire piissime durch die emanatio per voluntatem akzentuiert, das sentire altissime durch die emanatio per naturam. Anhand dieser Zusammenordnung zeigt sich, daß der Emanation per naturam als der innergöttlichen Mitteilung von Sein und Können Gottes eine Erstreckung innewohnt, die auf Gott den Schöpfer verweist; denn in dem Maße, als die Selbstmitteilungsfähigkeit Gottes Gegenstand des Denkens ist, welches zuhöchst von Gott denkt, reiht sich der Glaube, da er altissime von Gott denkt, ein in das Zeugnis der Kreatur: „Soweit aber der Glaube sagt 178 , über Gott müsse zuhöchst gedacht werden, stimmt ihm nicht nur die Heilige Schrift zu, sondern auch jegliche Kreatur, gemäß dem, was Augustin im 15. Buch über die Trinität, im 4. Kapitel sagt:,Nicht nur die Autorität der göttlichen Bücher verkündet das Sein Gottes, sondern der gesamte Bestand der Dinge selbst, darauf wir uns beziehen, verkündet, er (sc. der Bestand der Dinge) habe einen höchsten Schöpfer, der uns Bewußtsein und natürliche Vernunft gegeben h a t . . . ' " Auf diese Weise kommt in die Bezeugung Gottes, mit der der Glaube zuhöchst von Gott denkt, eine doppelte Blickrichtung: Indem unter altissime Gottes grundsätzliche Selbstmitteilungsfähigkeit begriffen ist, ist darunter zugleich Gottes Schöpfersein in bezug auf Welt und Seele begriffen. Damit erscheint Gott, indem er sein höchstes Können zum Zuge bringt, d. h. innergöttlich per naturam emaniert, als der Schöpfer von Welt. Die essentia communicabilis Gottes ist insofern, da in ihr eine emanatio per naturam statthat, wesentlich essentia creatrix 179 . Aber Gott ist die essentia creatrix bzw. der Schöpfer von Welt nicht anders als so, daß in ihm selber sein Wesen nach Sein und Können mitgeteilt wird 180 . Das heißt: Diejenige Emanation, mit welcher Gott der Schöpfer die Welt aus dem Nichts hervorbringt, ist nichts anderes als die außergöttliche Erstreckung derjenigen Emanation, in der Gott in sich per naturam emaniert und darin im Sohn sein Können zum Zuge bringt 181 . 1 7 8 Brevil. 1,2: in quantum autem fides dictat, de Deo sentiendum altissime, non tantum attestatur ei sacra Scriptura, verum etiam omnis creatura, iuxta quod dicit Augustinus decimo quinto de Trinitate, capitulo quarto: ,Neque enim divinorum librorum tantummodo auctoritas praedicat, esse Deum, sed omnis quae nos circumstat, ad quam nos etiam pertinemus, universa ipsa rerum natura proclamat, se habere praestantissimum Conditorem, qui nobis mentem rationemque dedit.' V , 2 1 1 a . 1 7 9 Diesen anselmschen Terminus nimmt Bonaventura gelegentlich auf; ζ. B. De myst. Trin. q.7 a . l i.e.; V , 1 0 7 b ; ebd. q.5 a . l f . l l ; V,88b. 1 8 0 Hex. X I , 1 1 ; V , 3 8 1 b . 1 8 1 Hex. 111,6f.: ab aeterno sunt omnia temporalia. Quae enim a Patre procedunt ordinate procedunt, et unum est causa alterius, ordine naturae et ordine temporis: Ergo Verbum sie repraesentat res, ut in esse produeuntur . . . Item, ab actualissimo fiunt possibilia sive materialia. Pater enim intelligitur prineipium prineipians de se, prineipium prineipians de nihilo, principium prineipians de aliquo materiali. Et Verbum exprimit Patrem ut prineipium prineipians de se, et sie est explieans et repraesentans produetionem Spiritus saneti et suam sive aeternorum. —

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Hier stehen wir an einem Punkt, der uns erlaubt, aus der Betrachtung der innergöttlichen emanatio per naturam hinauszugreifen auf das, was wir oben in bezug auf das Sein Gottes aus der Betrachtung seines bestimmten Weltverhältnisses heraus festgestellt haben: In der gleichen Weise, in welcher das Sein Gottes in seinem Weltverhältnis seine Bestimmung als Verhältnis von Deus aeternus und Deus humanatus erfährt182, erscheint das Wesen Gottes hier, also gleichsam nach innen, als Verhältnis von Vater und Sohn. In diesem inneren Verhältnis ist das Sein Gottes nach außen wesentlich als schöpferisches Sein verstanden; und wenn wir oben 183 den Umstand, daß mit dem Sein Gottes Welt gesetzt ist, mit seiner grundsätzlichen Evidenz in Zusammenhang gebracht haben, so müssen wir jetzt diesen selben Umstand und mit ihm die Evidenz Gottes selbst im Bereich des inneren Lebens Gottes damit in Zusammenhang bringen, daß die essentia communicabilis Gottes diese Essenz als Verhältnis von Vater und Sohn ist. Erst insofern Gott (wie man mit einer gewissen Vorsicht sagen kann 184 ) wesentlich generans ist, also per naturam emaniert und Gott ist im Verhältnis von Vater und Sohn, ist das Sein Gottes Schöpfersein und darin erkennbares, evidentes Sein. Und genau auf diesen Zusammenhang bezieht sich Bonaventura an der zweiten, neben Brevil. 1,2 hier genannten Stelle: „Die ewige Kraft und Gottheit 185 werden durch ihre Exprimit etiam Patrem ut principiantem aliquid de nihilo, et sie repraesentat produetionem aeviternorum, ut Angelorum et animarum. — Repraesentat etiam ut principiantem aliquid de aliquo ut materiali. . . Necessario ergo ab actualissimo fiunt possibilia. V,344ab. — Aufschlußreich ist auch in diesem Zusammenhang Brevil. 1,8: Et quia ipsa (sc. sapientia Dei) non tantum est cognoscitiva, sed est etiam ratio cognoscendi; ideo, in quantum est ratio cognoscendi omnia cognita, dicitur lux; in quantum est ratio cognoscendi visa et approbate, dicitur speculum; in quantum est ratio cognoscendi praevisa et disposita, dicitur exemplar; in quantum vero est ratio cognoscendi praedestinata et reprobata, dicitur liber vitae. - Est igitur liber vitae respectu rerum, ut redeuntimum; exemplar, ut exeuntium; speculum, ut euntium; lux vero respectu omnium. — Ad exemplar autem spectat idea, verbum, ars et ratio: idea secundum actum praevidendi; verbum, secundum actum proponendi; ars, secundum actum prosequendi; ratio, secundum actum perficiendi, quia superaddit intentionem finis. V,216b; vgl. dazu das ganze Kapitel Brevil. 1,8; V,216a bis 217b. 182

S. o. S. 109 ff. S. o. S. 89 ff. 184 Vgl. I Sent, d.4 a.un. q . l concl.; I,98a. 185 Hex. 111,3 f.: ,Invisibilia Dei a creatura mundi per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur, sempiterna quoque Virtus eius et Divinitas.' Sempiterna Virtus et Divinitas per effectum intelliguntur, quia Deus est causa omnium, et per virtutem eius omnia sunt facta . . . Quomodo autem haec intelligantur, dicitur ad Hebraeos: ,Fide intelligimus, aptata esse saecula Verbo Dei, ut ex invisibilibus visibilia fierent.' V,343b. - Rep. A; Delorme 35 bringt das Paulus-Zitat nicht. - Hebr. 11,3 ist von Bonaventura nur an dieser Stelle (und nur in Rep. B) vollständig zitiert. Im Gesamtwerk ist sonst nur noch in Itn. 1,12; V,298b Hebr. 11,3 unvollständig zitiert; in Comm. in Sap. VII; VI,156a findet sich ein allgemeiner Hinweis darauf, demzufolge in Hebr. 11,3 von Gott als dem Schöpfer (artifex) aller Dinge gesprochen ist. Hier, in Hex. 111,4, hat Bonaventura (wenn die Lesart von Rep. Β richtig ist) die invisibilia von Hebr. 11,3 offenbar den invisibilia Dei aus Rom. 1,20 ineins gesetzt. Luther hat Hebr. 11,3 die invisibilia auf die creatio ex nihilo bezogen; er übersetzt: „aus Nichts", während Bonaventuras Exegese auch in der neueren Zeit aktuell ist; vgl. Fr. Delitsch, Commentar zum Briefe an die Hebräer; Leipzig 1857, zu Hebr. 11,3, Seite 524 ff. 183

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Fischer, De Deo trino

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Wirkungen wahrgenommen, denn Gott ist der Grund aller Dinge, und durch seine Kraft ist alles gemacht (vgl. Rom. 1,20)... Wie aber das zu verstehen ist, sagt Hebr. 11,3: ,1m Glauben erkennen wir, daß die Äonen dem Wort Gottes bereitet sind, daß aus Unsichtbarem Sichtbares werde.'" Unschwer ist in diesem Zitat der Gedankenkomplex der Evidenz des göttlichen Seins zu erkennen. Es ist hier mit einem Schriftzitat derselbe Sachverhalt wiedergegeben, der in Bonaventuras Schöpfungslehre eine so dominierende Rolle spielt: Gott hat die Welt gemacht, um sich selber kundzutun. Hier aber hebt dieser Sachverhalt nicht unmittelbar ab auf Gottes Weltverhältnis, sondern auf das innergöttliche Verhältnis von Vater und Sohn, denn in genauem Anschluß an das Schriftzitat Hebr. 11,3 folgt die Aussage über die innergöttliche Mitteilung von Sein und Können Gottes 186 . Der Zusammenhang, der sich zwischen außergöttlicher und innergöttlicher productio an dieser Stelle herstellt, verdankt sich um keinen Preis einer zufälligen Materialzusammenstellung. Vielmehr, da die innergöttliche Zeugung des Sohnes zur Erläuterung dieses Schriftzitats gereicht, fallen beide ineins in der Weise, daß Gottes Selbstdeklaration nach außen nicht nur seiner Selbsterkenntnis entspricht, sondern die erstere der zweiten ineins gesetzt ist: Gott, da er das Wort hervorbringt, ist Gott, der die Welt hervorbringt. Nicht nur also, daß die Hervorbringung von Welt in der Zeugung des Sohnes grundgelegt ist; vielmehr: die innergöttliche Zeugung des Sohnes in der Identität von Sein und Können Gottes umschließt den Akt 187 der Schöpfung von Welt. Jetzt aber die entscheidende Frage: Warum kann sich die Gotteslehre, da sie die essentia als communicabilis bestimmt, nicht mit dieser einen Emanation, der emanatio per naturam, zufriedengeben? Welches Moment fügt die emanatio per voluntatem, welcher sich die dritte Person verdankt, dem durch die natürliche Emanation gegebenen Sachverhalt noch hinzu? Warum sind mit dem emanativen Wesen Gottes drei Personen gegeben und nicht nur zwei oder beliebig (freilich nicht unendlich 188 ) viele? Oder es ist eigentlich noch schärfer zu fragen: Wenn in seiner Einfachheit und Unermeßlichkeit das göttliche Wesen selber das Verhältnis von Vater und Sohn ist 189 , wo liegt die Notwendigkeit einerseits und die Möglichkeit anderseits 190 , eine Dreizahl von Hypostasen zu unterscheiden? 186

Summum autem spiritum impossibile est se non intelligere. S. o. S. 271 Anm. 177. - Rep. Α bringt diesen unmittelbaren Anschluß nicht. 187 Vgl. Brevil. 1,8: Unde sicut Deus una virtute omnia producit ex tempore secundum omnimodam rerum integritatem, sic una veritate omnia exprimit sempiternaliter. Et sicut una est in Deo altissimo, omnipotente operatio activa secundum rem, dicuntur tarnen plures rerum produetiones ratione pluralitatis produetorum. V,217ab. 188 S. o. S. 219. 189 Es ist nicht untypisch, daß die distinetio per orginem De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76a (s. o. S. 264) zunächst nur auf die generatio bezogen ist, nicht expressis verbis auch auf den Geist. Das deutet darauf hin, daß es mit dem Hervorgang des Geistes noch seine besondere Bewandtnis hat. 190 Wenn ich hier nach Notwendigkeit einerseits und Möglichkeit anderseits frage, so sind das eigentlich nicht zwei verschiedene Fragen, sondern die Entfaltung einer sich angesichts von

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Hier können wir jetzt wieder auf De myst. Trin. q.3 a.2 zurückgehen. Wir haben die conclusio dieses Artikels bisher insoweit erläutert, als die Trinitas die Einfachheit Gottes nicht aufhebt, und zwar, sofern die göttlichen Personen durch das innergöttliche Ursprunggeben unterschieden werden 191 . Diese Erläuterung ist noch nicht zu Ende gebracht, denn bisher ist erst deutlich geworden, daß die innergöttlichen origines zwei Emanationen sind, deren erste per naturam geschieht und deren zweite per voluntatem. Von der ersten Emanation, der per naturam, kann jetzt gesagt werden, daß sie das göttliche Wesen im Kern als das Verhältnis von Vater und Sohn bestimmt, sofern in diesem Verhältnis die Einheit von Sein und Können Gottes gegeben ist. Es ist aber noch nichts darüber ausgesagt, was die zweite Emanation, die emanatio per voluntatem beiträgt. Dazu wollen wir zuerst noch einen Umweg machen und nach der Möglichkeit fragen, kraft welcher die göttlichen Emanationen die Distinktion ermöglichen. Bonaventura behandelt diese Frage im zweiten Teil des corpus von De myst. Trin. q.3 a.2, also in dem Teil, der dieser Interpretation zufolge den zweiten Teil der concl. ebd. zu belegen hat, die Aussage nämlich: „Die Einfachheit Gottes schließt die Trinität nicht aus." 192 Dazu sind, sagt Bonaventura, „die verschiedenen Weisen 193 der göttlichen Attributionen in Obacht zu nehmen. Denn es besteht ein Unterschied zwischen den Seinsweisen und den Verhaltensweisen und den Erkenntnisgründen." Sucht man den Ertrag, den die verschiedenen Weisen der göttlichen Attributionen für die trinitarische Distinktion erbringen, so ergibt sich das folgende Bild: Unter den Seinsweisen (modi essendi) wird untersucht, wie die Personen sich gegenseitig verhalten 194 ; unter den Verhaltensweisen (modi se habendi) steht das VerTrinität und Sein Gottes stellenden Frage, der Frage nämlich, inwiefern das in sich erkennbare Sein in sich dreifach subsistiert. Diese Frage geht freilich, wenn die hier vorgelegte Einsicht in die Evidenz des göttlichen Seins richtig ist, in zwei Hinsichten auseinander. Denn aus der Sicht Gottes ist zu fragen, inwiefern sein Sein notwendig im Verhältnis von Trinität und Einer Essenz gefaßt werden muß, und darin reflektiert die Frage den Umstand, daß Gottes Sein ein esse communicabile ist. Einbegriffen ist aber auch, inwiefern das Sein Gottes, das von der Spitze seines Schöpfungswerkes her, vom Menschen, erkannt sein will, in sich selber als Sein den Ermöglichungsgrund seiner Erkenntnis bietet. Das ist nicht die Frage nach dem anthropologischen Instrumentarium Bonaventuras, sondern, wenn richtig ist, daß Gottes Wesen das Verhältnis von productio und reductio wesentlich umschließt, die Frage danach, wo im innergöttlichen Prozeß grundgelegt ist, daß der Mensch auf den Weg der Heimkehr überhaupt gehen kann. 191

192 S. o. S. 264. Ebd. De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.: Rursus, attendendi sunt diversi modi attributionum divinarum. Est enim differentia quantum ad modos essendi et quantum ad modos se habendi et quantum ad rationes intelligendi. - Es macht ein wenig Mühe, für den hier gebrauchten Begriff der attributiones divinae eine angemessene Übersetzung zu finden. Gemeint ist, daß in Gott, sofern in ihm die Personen nach ihrem Ursprung zu unterscheiden sind, die genannten drei Weisen des Unterscheidens in Ansatz zu bringen sind. In Brevil. 1,4 treten an die Stelle der attributiones divinae inhaltsgleich die modi differendi: in divinis s u n t . . . tres modi differendi, scilicet secundum differentem modum existendi, secundum differentem modum se habendi et secundum differentem modum intelligendi. V,212b. 193

194 De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.: Differentia namque quantum ad modos essendi est in personis ad invicem. V,76ab.

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hältnis der Personen zum Wesen Gottes zur Diskussion 195 , unter den Erkenntnisgründen (rationes intelligendi) die Wesenseigentümlichkeiten Gottes, soweit sie den einzelnen Personen insonderheit appropriiert werden 196 . Das höchste Gewicht tragen in diesen drei Unterscheidungsweisen die modi essendi, denn an ihnen liegt es, daß die göttlichen Personen nicht untereinander verwechselt werden. Weniger gewichtig sind die modi se habendi; sie sagen aus, was von Person und Wesen gemeinsam gesagt werden kann (etwa: non compositum) einerseits, und was anderseits nur von der Person, nicht aber vom Wesen gesagt werden kann, wie etwa dies: die Person wird unterschieden und hat eine Beziehung auf eine andere Person. Das kann von der essentia nicht gesagt werden. Am wenigsten (das heißt aber nicht: nicht) aussagekräftig sind die verschiedenen modi intelligendi; denn sie sagen lediglich, wie durch eine Person insonderheit eine Wesenseigentümlichkeit Gottes zur Kenntnis kommt, die freilich als Wesenseigentümlichkeit allen Personen gemeinsam ist 197 . Zwischen den modi differendi bzw. den attributiones divinae besteht also ein Gefalle, an dessen Spitze die modi essendi stehen. Ihnen kommt innerhalb der modi differendi das höchste Gewicht zu, sofern das Verhältnis der Personen untereinander sich in ihnen klärt. Über dieses Verhältnis sagt Bonaventura: „Aus dem ersten Unterscheidungsmodus (sc. den modi essendi) entsteht die Mehrheit der Personen." 1 9 8 Damit ist für die modi essendi eine wesentliche Aussage getroffen: Wenn nämlich die göttlichen Personen nach ihrem Ursprung aus den innergöttlichen Emanationen unterschieden werden einerseits und anderseits aus dem ersten modus differendi, d. h. den Seinsweisen, die Mehrheit der Personen entsteht, so sind die innergöttlichen origines und die modi essendi, sofern beide als Grund der Mehrzahl der göttlichen Personen fungieren, zwei Aspekte ein und derselben Sache. Von daher sind die modi essendi inhaltsgleich den modi emanadi 1 9 9 , die innergöttlichen Personen sind das Erströmen Gottes selber. Die supposita verhalten sich also zum innergöttlichen Akt des Erströmens nicht als ein Ergebnis zur Handlung, sondern sie sind das fortwährende Erströmen Gottes selber 200 . Diese Feststellung verdient festgehalten zu werden. Sie wird ihre 195

Ebd.: Differentia verum quantum ad modos se habendi est in personis ad essentiam relatis. V,76b. 196 Ebd.: Differentia vero quantum ad rationes intelligendi est in proprietatibus essentialibus, quae omnino idem sunt, sicut Veritas et bonitas. V,76b. 197 Brevil. 1,4: Prima differentia est maior, quae possit reperiri in divinis; est enim in suppositis, ita quod unum non diciturde altero. - S e c u n d a differentia est minor, quia est in attributis; licet enim unum possit dici de alio, ut persona de essentia, aliquid tarnen dicitur de uno, quod non de altero, ut: persona distinguitur et refertur, essentia vero non. — Tertia differentia vero est minima, quia est in connotatis. Licet enim unum de altero dicatur ad invicem, et idem possit dici de utrisque; non tarnen idem connotatur utrobique, nec per idem intelligi daturutrumque. V,213b; ebenso De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76b. 198

Brevil. 1,4: Ex primo modo differendi oritur pluralitas personarum. V,213b. Brevil. 1,4: sunt ibi tantum tres modi differendi, scilicet secundum modos essendi sive emanandi. V,213b. 200 Vgl. I Sent, d.9 a.un. q.4 i.e.; 1,186bf.; so auch Stohr 43. 199

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Konsequenzen in der Frage nach den Relationen noch erweisen. Wenn aber nun die origines und die modi essendi der Sache nach dasselbe meinen, was, so fragt sich dann, ist unter der Unterscheidung der modi essendi enthalten, was so unter den origines nicht enthalten ist? Betrachten wir die modi essendi201: Es gibt, innerhalb des göttlichen Wesens keine Unterschiedenheit, denn das göttliche Sein ist Eines und zuhöchst einfach; und so gibt es auch keine Unterschiedenheit in bezug auf den absoluten Seinsmodus Gottes, denn, wie in Gott Wesen und Sein nicht zweierlei Dinge sind, so gibt es in ihm auch keine Differenz zwischen seinem Sein und der Bestimmtheit seines Seins. Daß aber wiederum zwischen dem Sein Gottes und der Bestimmtheit seines Seins keine Differenz besteht, gründet in der Einfachheit und Unermeßlichkeit des göttlichen Seins. Denn kraft dieser Eigenschaften des göttlichen Seins läßt sich eine Differenz zwischen dem Sein Gottes und dem Können Gottes nicht herstellen202. Und weil sich eine Differenz zwischen Sein Gottes und Können Gottes nicht herstellen läßt, beinhaltet das Sein Gottes zugleich die Bestimmtheit seines Seins: Gott ist Gott nach Maßgabe dessen, was sein Wesen ausmacht; er kann nicht Gott sein in anderer Weise als in der, in der er Gott ist. Wir finden uns hier an die oben diskutierte Frage nach dem Verhältnis von essentia und substantia erinnert (s. o. S. 187). So wie dort das entscheidende Kriterium zwischen beiden die Einheit Gottes war, die unitas also diejenige Bestimmung, welche dem Wesen Gottes seinen Inhalt gab (quo est unus) und damit zugleich bestimmte Existenz (quod est unus), so erscheint hier das Können Gottes als das Moment, welches das Sein Gottes und die Bestimmtheit seines Seins zur Einheit bringt. Und da nunmehr Gottes Können als das bestimmende Moment erscheint, welches Sein Gottes und Bestimmtheit des göttlichen Seins zur Einheit verbindet, so ist das Können Gottes, welches er innergöttlich in der Zeugung des Sohnes ausweist, nichts als die innergöttliche Hinsicht desselben Könnens, mit dem Gott im Sohn sich entäußert. Beide Hinsichten sind das eine, Sein und Sosein Gottes zur Identität verbindende selbe Können der im Verhältnis von Vater und Sohn subsistierenden essentia communicabilis Dei. Das innergöttliche Erströmen, in welchem sich Gott per naturam erströmt, und das außergöttliche Erströmen, mit welchem Gott seine Schöpfung auf Heimführung hin hervorbringt, sind damit grundgelegt in der einen Bestimmung Gottes, in der Gott so und nicht anders Gott ist in der Unermeßlichkeit seiner Kraft. Von daher ergeben sich, aufs ganze der theologischen Aussagen Bonaventuras gesehen, zwei Aussagereihen, deren erste Gottes Macht, Weisheit und Güte im innergöttlichen Erströmen ausgewiesen findet203; und eine zweite Aussagenreihe, 2 0 1 De myst. Trin. q.3 a . 2 i.e.: In divinis igitur quantum ad esse vel essentiam non potest reperiri diversitas sive differentia, quia illud esse est unum et simplicissimum; nec etiam quantum ad modum essendi absolutum, quia sicut in Deo non est aliud ens essentia et esse, sie non est differens esse et sic esse. Et ratio huius est, quia in Deo idem est posse et esse, et non est dicere, quod possit sie et aliter esse. V , 7 6 a . 202

S. o. S. 2 5 1 und De myst. Trin. q.3 a . l ad 5 ; V , 7 2 a ; H e x . 11,25; V , 3 4 0 b .

203

Vgl. I Sent, d.6 a.un. q . l f.3: ab omnipotente detrahere m a x i m u m posse est impossibile;

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welche diese selben Eigenschaften Gottes in der Inkarnation ausgewiesen sieht: „Da also Gott 204 alles mächtig, weise und in höchster Güte gemacht hat, deshalb ziemte es sich, daß er so seine Schöpfung wiederherstellte, daß er seine Macht, Weisheit und Güte zeigte. Was aber ist mächtiger, als die höchst auseinanderliegenden Extreme in eine Person zu verbinden? Was ist weiser und angemessener, als daß zur Vollendung des gesamten Universums die Verbindung des Ersten und Letzten vollzogen würde, nämlich des Wortes Gottes, welches aller Dinge Anfang ist, und der menschlichen Natur, welche die letzte aller Geschöpfe gewesen ist? Was ist gütiger, als daß der Herr um des Knechtes willen Knechtsgestalt annahm?" Ich habe schon mehrfach auf diesen Text verwiesen; aber jetzt erst sind wir, wie mir scheint, imstande, den in ihm verborgenen entscheidenden Hinweis zu erkennen. Im Fragesatz (quid autem) geht es nicht mehr nur um das Zeigen von Macht, Weisheit und Güte, sondern um das Sein von Macht, Weisheit und Güte 20s . Und wäre auf die Frage: Was ist mächtiger als die coniunctio extremorum summe distantium in unam personam zu antworten: Mächtiger ist Gottes maximum posse, da er den Sohn erzeugt, so gäbe es in Gott ein Einfacheres als die sich in der coniunctio summe distantium begründende Einfachheit Gottes — in Gott also zweierlei Einfachheit, zweierlei Können, zweierlei Weisheit, zweierlei Güte. Und das wäre dann allerdings die Aufhebung Gottes. Soll also nicht über den Begriff des Könnens Gottes ein Widerspruch in Gott eingetragen werden, so kann das das Sein und das Sosein Gottes zur widerspruchsfreien Einheit verbindende Können Gottes nur immer schon dasjenige höchste Können Gottes sein, mit dem er im innergöttsed Deus Pater est omnipotens, cuius maximum posse est generare Filium. I,125a. Brevil. 1,2: (in sapientia) includuntur mens generans, Verbum proles et amor nectens utrumque.V,211b; vgl. Hex. XXI,5: origo originans . . . si haberet potentiam et sapientiam, et nollet; tunc aut nihil produceret, aut invitus esset, et sie esset miser. V,432a. 204 Brevil. IV,1: decentissimum fuit, rerum prineipium reparativum esse Deum summum, ut, sicut omnia creaverat Deus per Verbum increatum, sic omnia curaret per Verbum incarnatum. Quoniam ergo Deus omnia fecit potenter, sapienter et optime seu benevolenter; deeuit, ut sie repararet, quod suam potentiam, sapientiam et benevolentiam ostenderet. Quid autem potentius quam coniungere extrema summe distantia in unam personam? Quid sapientius et eongruentius, quam quod ad perfectionem totius universi fieret coniunctio primi et ultimi, Verbi scilicet Dei, quod est omnium prineipium, et humanae naturae, quae fuit ultima omnium creaturarum? Quid benevolentius, quam quod Dominus propter servi salutem aeeipiat formam servi? V,241a. 205 Man könnte hier einwenden, in dem Fragesatz seien potentius, sapientius und benevolentius als Adverben eines als fortgesetzt zu betrachtenden Prädikats „ostendit" zu verstehen. Das wäre richtig und nicht richtig zugleich. Denn für Bonaventura gehen Gottes ostendere und Gottes esse kraft seiner seinshaften Evidenz nicht auseinander, so daß Bonaventura nahtlos von ostendere auf ein zu unterstellendes Hilfsverb esse, zu welchem potentius, sapientius und benevolentius Prädikatsnomina sind, übergehen kann, und so, da er von Gottes Zeigen spricht, immer schon von Gottes Sein spricht. Das belegt vorzüglich die Fortsetzung des in Anm. 204 genannten Zitats, die lautet: Immo hoc tantae benignitatis est, ut nihil clementius, nihil benignius, nihil amicabilius cogitari possit. V,241b. Hier ist eindeutig von Gottes Sein die Rede. —Vgl. ganz ähnlich den Umschlag von Sein Gottes De myst. Trin. q.2 a.l praenotata; V,59a (dort ist in der Reihe von natura bis causalitas „est" das Prädikat) auf Gottes Selbstzeugnis ebd. q.2 a.l i.e.; V,61a.

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liehen Erströmen das ungeschaffene Wort als das fleischgewordene Wort hervorbringt. Mit den Worten Bonaventuras wäre zu sagen: Indem Gottes essentia communicabilis als das innergöttliche natürliche Erströmen im Verhältnis von Vater und Sohn subsistiert, subsistiert sie, präzise gefaßt, aus Gott heraus im Verhältnis von mens generans zu Verbum increatum et incarnatum206. Kehren wir zurück zu der Frage nach den modi essendi Gottes: Der modus absolutus Gottes ist, wie sich gezeigt hat207, frei von diversitas, also Einer in Einfachheit kraft der Ununterschiedenheit von Sein Gottes und Bestimmtheit seines Seins, sofern Sein und Können Gottes identisch sind. Was ist also, so läßt sich nach diesen Überlegungen zum Können Gottes fragen, dem Inhalt nach der modus absolutus Dei ? Er ist, da das Können Gottes als dieses eine höchste Können die beiden Erstreckungen von generatio und incarnatio in sich trägt, das eben genannte Verhältnis von Vater und Sohn in dieser Bestimmtheit selber, das Verhältnis von mens generans zu Verbum increatum et incarnatum. Weil aber der modus essendi absolutus in seiner Identität zur Einen und einfachen essentia Gottes dieses Verhältnis ist, ist vom modus essendi in der Mehrzahl zu reden. Wir stehen hier, wie ich glaube, vor dem schwierigsten und entscheidensten Punkt der Trinitätslehre Bonaventuras. Darin, daß der modus essendi absolutus kraft des Könnens Gottes in Identität mit dem Wesen Gottes steht, gerade darin enthält er in sich das von ihm Unterschiedene. Der modus essendi absolutus ist in seiner Einheit mit der essentia immer schon im Plural zu fassen: Gerade in seiner Identität mit ihr, die wesentlich als das Verhältnis von Vater und Sohn bzw. mens generans und Verbum sub206 Von hier aus wird verständlich, warum Bonaventura in der reduetio artium ad theologiam, in welcher die verschiedenen artes auf Gott verweisen, immer generatio und incarnatio Verbi zusammennimmt (De red. art. 5.8.12.16.20.23; V,321b-325b). Nicht aus der Sicht von Welt ist beides zusammenzunehmen, sondern aus der Sicht von Welt, weil aus Gott heraus beides zusammengehört. — Es gibt hier nichts zu relativieren. Wenn Gerken 34 sagt: „Die angeführten Gründe (sc. der Inkarnation) hätten ihre Gültigkeit auch in einer nicht gefallenen Schöpfung, falls in dieser eine Inkarnation geschehen wäre", so führt er, aufs Ganze gesehen, für Bonaventura irrelevante Voraussetzungen ein; denn erstens ist für Bonaventura Schöpfung immer Schöpfung auf Heimführung hin, und so ist es konsequent, daß er sich Spekulationen über die Möglichkeit einer nicht gefallenen Schöpfung im Sentenzenkommentar nur ungern - vgl. seine distanzierte Erläuterung III Sent, d.l a.2 q.2 concl. et i.e.; III,23b ff., in der bereits ebd. ad 3; 111,26 das Motiv der Evidenz Gottes als ratio incarnationis deutlich anklingt — und sonst, soweit ich sehe, gar nicht stellt. Und zweitens läßt sich aus demselben Grund das Nicht-Geschehen der Inkarnation schwerlich denken (wobei ich vermuten möchte, daß für Bonaventura selbst diese ganze Frage an der genannten Stelle in III Sent, noch nicht zur Klarheit gekommen ist, sondern er gibt ihr dort erst die Stoßrichtung, indem er sich wesentlich auf derf Begriff der pietas Gottes zurückzieht, über den wir oben S. 141 ff. einige Überlegungen angestellt haben). Darüber hinaus unterliegt Gerken auch einem Irrtum über Bonaventuras Verständnis der creatio ex nihilo, wenn er, Schöpfung ebd. 33 zurecht als nach außen tretende Hinsicht des nach innen gesprochenen Wortes verstehend, meint, Inkarnation auch nur hypothetisch daraus wegdenken zu können, ohne die Gottheit Gottes zu tangieren. 207

S. o. S. 277 Anm. 201.

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sistiert, steht der modus essendi absolutus zu sich selber im Verhältnis von modus absolutus zu modi essendi respectivi. Denn eben indem der modus absolutus der essentia Gottes identisch ist, diese aber im Verhältnis göttlicher Personen subsistiert, sind unter dem modus absolutus verschiedene modi essendi enthalten. Diese wiederum, sofern sie die Entfaltung des modus absolutus sind, stehen nach einer Seite in einem Verhältnis der Identität zum göttlichen Wesen (insofern nämlich, als in ihnen die essentia tota subsistiert), zum andern ist damit für die modi essendi untereinander eine Beziehung gegeben. Jeder innergöttliche modus essendi ist damit zugleich modus essendi absolutus und modus essendi respectivus, wobei der modus absolutus die Identität von persona und essentia enthält 208 , der modus respectivus die Unterschiedenheit der Personen untereinander 209 . Das heißt: Soweit der modus essendi betrachtet wird hinsichtlich seines Trägers (subiectum), wird in ihm der modus absolutus Gottes angesehen, und insofern steht die Beziehung (relatio) des einen modus essendi auf den anderen hinsichtlich ihrer Gründung in dem sie tragenden suppositum kraft der Einfachheit Gottes in Einheit mit dem göttlichen Wesen. Die Unterscheidung, gleichsam der wesentliche „Rest", der nicht unmittelbar in der essentia aufgeht 210 , liegt in dem Selbstand der Beziehung des einen modus essendi auf den anderen hin. Insofern gilt für die modi essendi die Identität mit der essentia Gottes mit Ausnahme der ihnen anhangenden relatio ad. Und so reflektiert der Begriff der relatio diese doppelseitige Beziehung: Hinsichtlich ihres Subjekts, also ihres Trägers, gilt für sie Identität mit der essentia; sie ist der modus essendi absolutus. Hinsichtlich des modus essendi, auf den sie bezogen ist, gilt diese Identität nicht. Sie bleibt für sich, damit die Distinktion gewahrt bleibe. Und so kommt der Begriff der relatio mit dem modus essendi zur Deckung: Nach der einen Seite (in quo) enthält er die Identität von modus essendi und essentia, nach der anderen 208 De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.: Rursus, si persona est sua origo, nulla est omnino in persona compositio, ac per hoc ita simplex est, sicut essentia: est igitur omnimoda secundum rem indifferentia inter personam et essentiam, et personam et proprietatem et essentiam. Unde vere persona est essentia et proprietas, et essentia proprietas et persona, et proprietas persona et essentia. V,76a. 209 Ebd.: Et ideo, quia modi essendi sunt idem quod essentia, omnia praedicata dicentia modum absolutum transeunt in substantiam, relatione excepta, quae dicit modum essendi respectivum; qui modus dicendi in comparatione ad subiectum transit in substantiam, ut hypostasis sit sua proprietas, ne inducatur compositio; sed manet in comparatione ad terminum, ut vera salvetur distinctio. Differentia enim relationis a subiecto in quo inducit compositionem; sed differentia a termino ad quem non inducit nisi solam distinctionem. V,76a. 210 Natürlich ist es gefährlich und äußerst unscharf, von einem „Rest", von einem „NichtAufgehen" des modus respectivus in der essentia zu sprechen. Aber soweit ich sehe, gibt es in der neueren deutschsprachigen Theologiegeschichte keine Begriffsentwicklung, die dem hier gemeinten Sachverhalt angemessen wäre. Die Sache, um die es hier geht, ist in der scholastischen Spekulation in dem Grundsatz festgehalten: natura caditin definitione personae in obliquo; vgl. De myst. Trin. q.2 a.2 ad 8; V,66b. Dieser Grundsatz meint: Die essentia ist darin die essentia communicabilis Dei, darin sie nicht in einer Person subsistiert (und darin einer falschen Unendlichkeit ausgesetzt ist), sondern wirklich in einem Verhältnis von producens zu produetum; vgl. ebd. q.3 a.2 ad 14; V,78b.

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Seite (terminus ad quem) enthält er die Distinktion der verschiedenen modi essendi. Nach der einen Seite ist er als Identität von modus essendi und essentia die mit dem Wesen Gottes in Einheit stehende proprietas der Person, nach der anderen Seite ist er als diese proprietas der Grund der trinitarischen Distinktion. Von hier aus kommt es zu einer Gleichung von relatio, proprietas und modus essendi. Ihr Gemeinsames liegt darin, daß in allen drei Begriffen das Verhältnis von Identität und Nichtidentität, von „transire in substantiam" und „manere in comparatione ad terminum" grundlegend ist. Es liegt an diesem, im Begriff der Relation anzutreffenden Verhältnis, daß in ihm nicht nur der Erkenntnisgrund, sondern zugleich der reale Seinsgrund der trinitarischen Distinktion anzutreffen ist. Wenn nun aber die Relation, soweit sie als relatio ad für sich bleibt, nicht nur der Aufweis der trinitarischen Distinktion, sondern ihr Realgrund ist 211 , so meinen die Aussagen: Die göttlichen Personen werden sola origine unterschieden 212 , und die Aussage: Relatio als relatio ad inducit distinctionem 213 , zwei Hinsichten ein und desselben Sachverhalts. Daraus ist zu folgern: Indem der Begriff der relatio der für die distinctio personarum entscheidende Begriff ist 214 , er anderseits die Proprietät der Person in doppelter Erstreckung ansieht (nämlich in quo in ihrer Identität zur essentia, ne inducatur compositio, und ad quem, ut vera salvetur distinctio), und wiederum die göttlichen Personen sola origine geschieden werden, kommen letztlich der Begriff der relatio und der Begriff der innergöttlichen origo dem Inhalt nach, soweit sie nämlich den Realgrund der Distinktion bilden, ineins. Das aber heißt: Das innergöttliche Erströmen ist innergöttliches Erströmen, sofern in ihm eine relatio ad enthalten ist. Wenn nun richtig ist, daß Gottes Erströmen als modus essendi absolutus der essentia in ihrer Einheit und Einfachheit identisch ist, so bedeutet das, wenn die göttlichen Personen per originem zum einen, per relationem ad zum andern geschieden werden, daß Gottes Erströmen, also der modus absolutus Dei, in sich notwendig differenziert werden muß nach zwei modi emandi, wenn in Gott wirklich vollkommenes Erströmen sein soll 215 . Diese Notwendigkeit zeigt sich am deutlichsten, wenn man die Argumentation umkehrt und aus Gott zwar nicht den Begriff der origo, wohl aber den der relatio streicht: Es wäre mit dem Begriff der Relation der Begriff der Person zu streichen, und mit dem Begriff der Person der der Proprietät und damit der Begriff der productio. Die essentia Dei communicabilis wäre tatsächlich eine essentia communicabilis, ohne daß actu communicatio stattfinden könnte. Der Begriff der essentia 211

I Sent, d.26 a.un. q.3 concl.: Proprietates personales sunt rationes non tantum manifestandi distinctionem, verum etiam distinguendi. I,457b; vgl. ebd. q.2 concl.: Proprietates personarum sunt relationes. I,455b. 212 De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76a. 213 Ebd. 214 Vgl. dazu Stohr 120 ff. 215 Vgl. I Sent, d.29 a.l q.l i.e.: Dicendum, quod in divinis est vera origo sive emanatio, et non tantum vera, sed etiam completissima. I,509a; vgl. I Sent, d.2 q.3 f.3; I,55a.

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Gottes wäre damit destruiert und eine origo in Gott, sofern eine relatio ad in ihr nicht stattfände, praktisch aufgehoben. Die Unermeßlichkeit des göttlichen Seins wäre nicht mehr die quantitas virtutis, sondern nur noch eine unvollkommene quantitas molis. Im letzten also, entbehrte Gott des Begriffs der relatio (bzw. des unter ihm enthaltenen Sachverhalts), wäre der modus absolutus Dei nicht modus absolutus, denn es fehlte ihm die aktuelle und wahrhaftige Mitteilung der mitteilbaren Essenz. Wenn daher der Begriff der origo und der Begriff der relatio in Gott dem Inhalt nach zusammenkommen dergestalt, daß eine distinctio personarum in Gott sola origine vel relatione ad stattfinden kann, so kann es in Gott nicht nur eine Emanation geben, denn nur eine Emanation könnte die für den Selbstand der relatio konstitutive Erstreckung ad nicht einlösen. Die für die Relation bestimmende Doppelhinsicht in quo und ad quem wäre zugunsten von in quo vereinseitigt und damit wiederum der Begriff der Relation aufgehoben. Von dem für die distinctio personarum entscheidenden Begriff der Relation her ist es also nötig, mehr als eine Emanation in Gott anzunehmen, mehr allerdings nicht als zwei. Denn 216 wären mehr als zwei innergöttliche Emanationen anzunehmen, so müßte das bedeuten, daß nur zwei (intransitiv) emanierende Personen nicht ausreichten, die ganze Fülle des göttlichen Wesens aufzunehmen, sofern dazu mehr als zwei emanierende Personen nötig wären. Das aber würde in bezug auf die emanierenden Personen eine Unvollkommenheit beinhalten, sofern von nur zwei emanierenden göttlichen Personen eine Defizienz angenommen werden müßte 217 . Auf die (transitiv) emanierende Person gesehen, bestünde dieselbe Defizienz: Müßte sie mehr als einen Sohn emanieren und mehr als einen Geist, so wäre das ihre Unfähigkeit, in bloß zwei Personen ihr Wesen vollständig mitzuteilen. Es bedürfte neben des ersten Vaters eines weiteren (und letztlich unendlich vieler Vater), damit die Proprietät der ersten Person sich erfülle. Das schließlich würde ebenfalls die communicabilitas des göttlichen Wesens in Widerspruch führen. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen wird deutlich, in welcher Weise dem Begriff der relatio die Schlüsselfunktion in der Trinitätslehre Bonaventuras zukommt: Kraft seiner für den Akt der Distinktion konstitutiven Bedeutung verlangt er, daß mehr als eine Emanation in Gott stattfinde einerseits, kraft seiner Inhaltsgleichheit mit dem Begriff des göttlichen, und das 216 De myst. Trin. q.4 a.2 i.e.: Infinitas ponitur in Deo non per defectum, sed per excessum, excessum inquam, non superfluitatis, sed perfectionis et nobilitatis. Quia igitur infinitas in Deo non ponit superfluitatem vel diminutionem, sed summam perfectionem; ideo in emanatione divinarum personarum est ponere immensitatem quantum ad producentem et produetum et producendi modum, non autem infinitatem quantum ad numerum. Si enim infinitae secundum numerum essent personae in divinis, haec infinitas necessario induceret defectum, aut superfluitatem. Cum enim sint duo modi nobiles emanandi, per modum naturae et per modum liberalitatis; aut duae personae his modis emanantes non perfecte caperent totam producentis virtutis immensitatem, et ita essent imperfectae; aut si caperent, aliae superabundarent. Quodsi in divino esse, eo ipso quod immensum est, impossibile est, aliquid esse superfluum aut diminutum: necesse est ponere Deum trinum et immensum. V,85b. 217

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Vgl. ebd. ad 4; V,86b.

heißt vollkommenen und erfüllenden Sich-Erströmens Gottes grenzt er die Zahl der emanativen Akte in Gott auf zwei und die Zahl der göttlichen Personen auf drei ein. Es wird aber jetzt auch der Grund der von Bonaventura in der conclusio De myst. Trin. q.3 a.2 gewählten Formulierung der negativen Identität von simplicitas und Trinitas nach der Seite, nach der die simplicitas die Trinitas nicht ausschließt, deutlich. Denn wenn der modus essendi absolutus in seiner Identität zur Einfachheit Gottes in sich selber das Verhältnis von modus absolutus und modus respectivus ist, der modus absolutus kraft des emanativen Wesens Gottes also immer schon eine Mehrzahl von modi essendi beinhaltet, so gilt die Identität von simplicitas Gottes und modus essendi absolutus nur unter Vermittlung des Schlüsselbegriffs der relatio. Dieser enthält als relatio ad das nicht Austauschbare und für sich Verbleibende in Gott gegenüber dem in sich nicht differenzierbaren Einen und einfachen Sein Gottes. Von daher läßt sich eine unvermittelte Identität von simplicitas und Trinitas nicht herstellen. Nur indem Gottes Einfachheit und die innergöttlichen Relationen in ihrer Hinsicht ad terminum nicht ineinander aufgehen, die Einfachheit Gottes den Begriff der Relation in ihrer Hinsicht ad quem nicht aufhebt, kann sich Gottes emanatives Wesen in Vollendung erfüllen. Ihre Relevanz erhält diese Feststellung, wenn man sich die inhaltliche Bestimmung der Einfachheit Gottes präsent hält. Von ihrer inkarnatorischen Innervation her reflektiert das Identitätsverhältnis von Einfachheit und modus essendi absolutus Gottes das Verhältnis von Inkarnation und Trinität. Jene, die Inkarnation, ist von dieser, der Trinität, zu unterscheiden in der Weise, in der das göttliche Wesen in seiner Selbstentäußerung das sich entäußernde göttliche Wesen ist, ein Wesen, das in seiner wesenhaften Entäußerung als emanatives Wesen immer schon Gott in seiner Vollkommenheit ist. Aus dieser Sicht der göttlichen Relationen, in denen sich die Dialektik Gottes ausspricht dergestalt, daß der modus essendi der göttlichen Personen, sofern er den Selbstand der Person in quo bezeichnet, immer schon der modus absolutus Gottes ist, und darin das in quo notwendig eine Beziehung ad quem als ein göttliches Selbstverhältnis in Unterschiedenheit setzt, ergibt sich der Sinn der Rede von den modi se habendi: Sie sind im Grunde genommen nichts anderes als die modi essendi bzw. die Relationen, freilich nun nicht betrachtet nach ihrer Seite in quo und ad quem, sondern lediglich noch nach ihrer Seite ad quem. Insofern sagen die modi se habendi etwas aus über das Verhältnis von persona und essentia: nämlich, da sie lediglich die Seite der relatio ad benennen, die Unverwechselbarkeit von Person und Essenz in Gott 218 . So gesehen sind die modi se habendi in der Tat von geringerem Ge2 1 8 De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.: Differentia vero quantum ad modos se habendi est in personis ad essentiam relatis. Quoniam enim oriri est ipsius personae, non essentiae; ideo persona refertur et se habet ad alteram, essentia non; et hinc est, quod una distinguitur, scilicet persona, et non altera, scilicet essentia. Et ex hac differentia non fit, quod una removeatur ab altera, fit tarnen, ut possit aliquid dici de persona, quod non dicitur de essentia, et e converso. Et ex hac differentia nascitur triplex modus dicendi in divinis, scilicet in quid et in quis et in quae, scilicet notio, per-

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wicht als die modi essendi219, aber alles andere als bedeutungslos. Denn da sie (in Unterordnung unter die innergöttlichen Relationen) gleichsam die eine Seite, die Seite „ad" im Begriff der Relation für sich nehmen und darin das Differenzverhältnis von Essenz und Person begründen, liegt in ihnen der Grund dafür, daß in Gott überhaupt zu unterscheiden ist nach essentia, persona und notio. So, wie der Schlüsselbegriff der Relation gegenüber dem kommunikativen Wesen Gottes notwendig zwei Emanationen erfordert, gewährleisten die modi se habendi die Möglichkeit, die Unterscheidung der Personen von der essentia Gottes zu vollziehen. Das heißt, daß überhaupt angesichts Gottes von essentia und relationes kategorial gesprochen werden kann 220 , liegt darin beschlossen, daß in den innergöttlichen Emanationen jene Seite, mit der die Personen in ihrem realen Selbstand aufeinander bezogen sind, als modus se habendi, also als die vollkommene Unterschiedenheit von persona und essentia, enthalten ist und kraft dieser Seite die real geschiedenen Personen unterscheidbar (distinguibiles) werden. Es handelt sich also nicht um ein Hilfsinstrumentarium des menschlichen Intellekts, wenn in Gott die Kategorien von Substanz und Relation in Ansatz gebracht werden, sondern der Grund der Möglichkeit, daß in Gott die real unterschiedenen Personen für uns unterscheidbar sind, liegt in den innergöttlichen Hervorgängen selber, kraft derer die Personen nicht nur distinctae, sondern auch distinguibiles sind221. Nun ist zu fragen: Wenn in den modi essendi, Ua sie die relationes in ihren beiden Hinsichten in quo und ad quem bezeichnen, der Grund der trinitarischen Subsistenz des göttlichen Wesens liegt, und in den modi se habendi (als der für sich genommenen Hinsicht ad der Relation) der Grund der Unterscheidbarkeit von Wesen und Person in Gott — in welcher Weise haben dann die modi se habendi (sofern sie die vollkommene Unterschiedenheit in der zusammensetzungslosen Einheit und Einfachheit Gottes bezeichnen), dennoch teil an der Einheit des göttlichen Wesens? Es geht in dieser Frage darum, in welcher Weise die modi se habendi, da sie die strikte Unterscheidung von sona et essentia; et inde est, quod, supposita persona, non supponitur notio nec e converso, et similiter de essentia. V,76b. 2 1 9 Mit Brevil. 1,4; V,213b. 2 2 0 Brevil. 1,4: Ex primo modo differendi (sc. secundum modos essendi sive emanandi) oritur pluralitas personarum; ex secundo modo (sc. differendi secundum modos se habendi) pluralitas praedicationum substantialium et relativarum. V,213b. 2 2 1 Ebd.: In divinis sunt duo modi praedicandi, scilicet per modum substantiae et relationis; tres modi supponendi, scilicet essentiae, personae et notionis; quantuor modi significandi substantiam, scilicet nomine essentiae, substantiae, personae et hypostasis; quinque modi dicendi, scilicet quis, qui, quae, quod et quid; et tres modi differendi, scilicet secundum differentem modum existendi, secundum differentem modum se habendi et secundum differentem modum intelligendi. V,212b, und ebd.: Et quoniam vera distinctio est in suppositis substantiae, manente essentia una; ideo necesse est, ibi multipliciter significari substantiam, scilicet ut communicabilem et incommunicabilem. Ut communicabilem per modum abstractionis per nomen essentiae, et per modum concretionis per nomen substantiae; ut incommunicabilem vero, vel ut distinguibilem per nomen hypostasis, vel ut distinctam per nomen personae. V,213a. Vgl. auch I Sent. d.26 a.un. q.l i.e.; I,452ab.

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Person und Essenz ermöglichen, gleichwohl im Unterscheidungsvollzug nicht die Sicht auf die Einheit von Person und Essenz verstellen. Es geht darum, daß in der kraft der modi se habendi getroffenen Unterscheidung von essentia und persona gleichwohl die personale Subsistenz der essentia bzw. der modus absolutus, also die Identität von essentia und persona sichtbar wird. Dieser Intention dient der dritte modus dicendi in divinis, der modus nämlich, in welchem die Erkenntnisgründe für den Selbstand der Personen (als Subsistenzen der essentia) deutlich werden. Dieser dritte modus dicendi liegt in der Einsicht in die Notionen der göttlichen Personen. Was meint dieser Begriff 222 ? Zunächst ist festzuhalten, was sich aus dem Bisherigen für den Begriff der notio ergibt: Aus der Differenz von Person und Essenz, so hieß es oben, also aus den modi se habendi, d. h. der Hinsicht der relatio, in der sie relatio ad ist, entsteht ein dreifältiger modus dicendi in bezug auf Gott: nach quid, nach quis und nach quae 223 . Dabei meint quid die essentia, quis die persona, quae die notio. Das heißt: Der modus se habendi, also die relatio, betrachtet nach ihrer Seite ad, bietet nicht nur den Ermöglichungsgrund, in Gott essentia und persona zu unterscheiden, sondern indem der modus se habendi zu dieser Unterscheidung führt, setzt er die göttlichen Notionen frei. Diese wiederum sind von der essentia sowohl als der persona zu unterscheiden : Wenn man von der persona ausgeht, geht man von der persona aus und nicht von der notio etc.224. Hier entsteht nun die Frage: Trägt die notio gegenüber der Person auf der einen Seite und der Essenz auf der anderen noch ein drittes Moment ein, oder wie anders ist das Verhältnis zu deuten? Die Antwort auf diese Frage liegt m. E. in folgendem: Während der Begriff der Relation in seiner Doppelhinsicht von in quo und ad quem die Dreizahl der göttlichen Personen bei Einheit und Selbigkeit der essentia konstituiert und dabei in der Hinsicht ad quem die vollständige Unterscheidung von essentia und persona ausmacht, führt der Begriff der Notion die Eigenart der Person, das nämlich, was sie von den anderen Personen und der Essenz unterscheidet und darin sie unverwechselbar diese bestimmte und nicht austauschbare Person ist, also die proprietas 225 , in die grundsätzliche Erkennbarkeit des göttlichen Wesens zurück. Der Begriff der Notion enthält damit keineswegs das für das Einzelsein der Person Eigentümliche (wie Stohr meint), sondern er 222 Stohr 124 definiert: „Von den Notionen charakterisiert je eine die Einzelperson besonders treffend und eigentümlich." Diesem Verständnis nach sind, wie auch bei Seeberg, DG III, Seite 4 1 2 , die Notionen nichts weiter als die Summe der göttlichen Personen zusammen mit der dem Vater allein zukommenden Eigenart der innascibilitas. Vgl. dagegen das Scholion zu I Sent. d.26 a.un. q. 1: M o d u s (sc. dicendi) notionalis est, quando praedicatum non convenit nec uni nec tribus, sed duabus personis, v.g.,Pater et Filius spirant'; sed quando dicitur,Pater generat', tunc est mojjus loquendi personalis. I,454a. 223

De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76b; vgl. I Sent, d.26 a.un. q.4 ad 6; I,461b. Supposita persona, non supponitur notio nec e converso, et similiter de essentia. De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76b; vgl. Brevil. 1,4; V,213a (vgl. auch oben S. 2 8 3 Anm. 218). 225 I Sent, d.26 a.un. q . l i.e.: Cum enim sunt plures personae et distinetae, necesse est, quod sit ibi distinguens; hoc autem proprietatem appellamus. I,452a; vgl. De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.: et haec est tanta diversitas, ut non permittat, unam personam dici de alia. V,76b. 224

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sagt aus, daß die real unterschiedene und in ihrer Unterschiedenheit zur essentia distingui erbare Person als tatsächlich göttliche, mit dem Wesen Gottes vollkommen in Einheit stehende Person selber der Grund dafür ist, daß in ihr Gott seinem Wesen nach erkannt wird. Insofern schießt der Begriff der notio über den der relatio (und der proprietas) hinaus: „Es pflegt ein Bedeutungsunterschied226 gemacht zu werden unter diesen drei Begriffen proprietas, relatio und notio. Von proprietas spricht man, sofern sie einer Person allein zukommt; von relatio, soweit ihre Beziehung auf eine andere Person gemeint ist; von notio spricht man, sofern es sich bei ihr um den Erkenntnisgrund handelt. Und weil jede proprietas ebenso wie die relatio Erkenntnisgrund ist, deshalb bezieht sich der Begriff notio auf mehr als jene beiden. Eine proprietas, wie ζ. B. paternitas, ist Relation; eine andere, wie ζ. B. innascibilitas, ist nicht Relation; denn sie sagt nicht eine Hinsicht aus, sondern hebt die Hinsicht auf (privat); ebenso ist eine Relation proprietas, wie etwa die Sohnschaft; eine andere nicht, wie etwa die tätige Hauchung (spiratio activa) — und zwar deshalb ist sie nicht proprietas, weil sie mehreren Personen zukommt — und daher kommt es, daß im Verhältnis von proprietas und relatio die letztere die erstere überschreitet (nach der Zahl). Der Begriff der notio aber gilt für Mehreres (est in plus). Daher sind mehr notiones als proprietates und mehr auch als relationes." Hier kommt es auf die Aussage an: notio privat relationem. Zunächst könnte man diesen Satz als Aufhebung oder Verneinung jedweder Relation verstehen; dann wären aber die notiones nicht mehr notiones göttlicher Personen, sondern sie wären für die essentia in Ansatz zu bringen227. Es muß also die Aussage: notio privat relationem in einem anderen Sinn als dem reiner Verneinung der Relation 228 genommen werden. Sofern die notiones Notionen der Personen bleiben, ist in ihnen relative gesprochen, freilich unter bestimmter Aufhebung der Relation. Wie das gemeint ist, zeigt sich an der dem Vater zukommenden notio der innascibilitas sive ingenitus. Diese notio ist eine privatio relationis, aber eben darin, daß diese notio „privative" die Relation benennt, ist in ihr notwendig 2 2 6 I Sent, d . 2 6 a.un. q.4 i.e.: vis consuevit fieri inter ista tria nomina: proprietas, relatio et notio. N a m proprietas dicitur, in quantum convenit uni soli; relatio, in quantum dicithabitudinem ad alium; notio, in quantum est prineipium cognoscendi. Et quia omnis proprietas est ratio cognoscendi, similiter et omnis relatio; ideo nomen notionis est in plus quam ilia duo. Quia quaed a m proprietas est relatio, ut paternitas, quaedam non, ut innascibilitas, quae non dicit respectum, sed privat; similiter quaedam relatio est proprietas, ut filiatio, quaedam non, ut activa spiratio —ideo quia convenit pluribus, non uni soli — et hinc est, quod nomen proprietatis et relationis sehabent utexcendentia etexcessa. N o m e n vero notionis est in plus. Undeplures sunt notiones quam proprietates, plures etiam quam relationes. I , 4 6 0 b . 227 I Sent, d . 2 8 a.un. q. 1 i.e.: pura negatio nee distinguit nec dicit nobilitatem: non distinguit, nam negatio relationis dicitur de essentia; non dicit nobilitatem, n a m omnis nobilitas ponit aliquid per modum positionis. I , 4 9 7 a . 2 2 8 I Sent, d . 2 2 a.un. q.4 ad 5 : quaedam significant relationem et dicuntur relative, ut Pater; quaedam significant relationem, ut paternitas, quae non dicitur ad alterum, sed est ipsum quo alterum refertur; quaedam dicuntur relative, quia privant relationem, ut ingenitus, improcessibilis; tarnen ista non est privatio pura. I , 3 9 9 a .

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in positiver Weise eine Relation gegeben; und zwar so: Einfach 229 nur nicht gezeugt werden kommt nämlich dem Vater so gut wie dem Geist und der essentia zu. Soweit ingenitus aber auf den Vater bezogen ist, ist darin nicht nur Nicht-gezeugt-Sein, was auch auf den Geist und die essentia zutrifft, enthalten, sondern zugleich, daß der Vater sein Wesen nicht durch Gezeugt-Werden empfängt noch einer Zeugung (im ordo originis) nachfolgt. Ingenitus also, soweit es meint: der Vater wird nicht gezeugt, schließt die Anwendung dieser notio auf den Sohn aus (denn dieser wird gezeugt); soweit es meint: der Vater empfängt sein Wesen nicht durch Zeugung, schließt die Anwendung dieser notio auf die essentia aus (denn diese wird in der Zeugung des Sohnes durch Zeugung empfangen); soweit es meint: der Vater folgt einer generatio nicht nach, schließt die Anwendung auf den Heiligen Geist aus (denn dessen Hervorgang setzt nach dem ordo der innergöttlichen Hervorgänge den Hervorgang des Sohnes voraus). Von daher bezeichnet ingenitus die Relation des Vaters als ihre Aufhebung (privative), aber darin und darum aus der Sicht des Nachfolgens im weitesten Sinne (ex consequenti), also nicht bloß aus der Sicht, die sich logisch-folglich aus der privatio relationis ergibt, sondern aus der Sicht, die der innergöttliche Folgeordo setzt: Es geht dem Vater nichts voraus, und er folgt keinem nach. Und deshalb ist in dreifältiger Weise der Vater ingenitus (und nur er ingenitus): Weil er durch Zeugung nicht hervorgebracht wird noch durch Zeugung empfangen wird (wie die Essenz beim Sohn) noch dem innergöttlichen Zeugen im ordo originandi nachfolgt. Auf 229

I Sent, d.28 a.un. q. 1 i.e.: Sed quoniam ingenitus de ratione sui nominis non videtur dicere nisi privationem vel negationem generalis, propter hoc dicendum e s t . . . , quod hoc nomen ingenitus, secundum quod convenit Patri proprie, dicit relationem privative, sed ex hoc ipso dicit ex consequenti relationem positive. Quod patet sie. Non generari enim dicitur qui simpliciter non generatur; et sie convenit non tantum Patri, sed essentiae et Spiritui saneto. Sed ultra hunc intellectum, prout proprie convenit Patri, addit, quia Pater non generatur, nec per generationem aceipitur; et sic excluditur essentia, quae per generationem aeeipitur, sed adhuc convenit Spiritui saneto. Prout autem convenit soli Patri, sie dicitur ingenitus, quia non generatur, nec per generationem aeeipitur, nec generationem consequitur. Per primum membrum excluditur Filius, per secundum essentia, per tertium Spiritus sanetus, cuius processio praesupponit generationem secundum ordinem originalem, quia procedit ut nexus a Patre et Filio . . . Sic ergo large aeeepto verbo consequendi, cum ibi proprie non sitpraecedere et sequi, tripliciter dicitur aliquis esse ingenitus: aut quia non producitur per generationem, aut quia non producitur per generationem nec per generationem habetur sive aeeipitur, aut quia nec producitur, nec aeeipitur, nec consequitur. Hoc igitur modo ingenitus importat nullo modo esse ab alio, et ita primitatem ac per hoc fontalem plenitudinem. I,498a. - Bonaventura bringt ebd. i.e.; I,497ab noch drei weitere Meinungen zur Frage der notio ingenitus. Zwei davon verwirft er eindeutig als mangelhaft; die dritte, welche mit der Unterscheidung von negatio in genere und negatio extra genus den Vater privative als ingenitus und positive als habens ordinem, sed non ad prineipium, ergo primum prineipium zu fassen sucht, findet dem Inhalt nach seine Zustimmung: Per hunc modum intelligendum est in proposito. I,497b. (Es leuchtet mir darum nicht so recht ein, warum die Hrsgb. im Scholion zu dieser Quästion sagen (1,499), Bonaventura habe diese Lösung ebenso wie die andere verworfen.) Er bietet eine eigene Lösung, weil ihm die dritte, welche mit der Unterscheidung von extra genus und in genere arbeitet, insofern nicht ausreicht, als sie im modus dicendi privative selbst bereits positive meint sprechen zu können.

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diese Weise zeigt die notio „ingenitus", daß der Vater in keiner Weise von einem anderen her ist (nullo modo esse ab alio), und anderseits, daß ihm innerhalb des Folgeordo in Gott die Erstlingsschaft oder Quellfülle zukommt. Damit sind wir, wie mir scheint, beim Nerv des Notionen-Begriffs angekommen. Indem unter der notio „ingenitus", also der ratio cognoscendi der ersten Person der Trinität, die erste Person im Verhältnis von quia a nullo und primitas erscheint, ist in ihr, im Begriff der notio, das Verhältnis von essentia und persona in Gott begriffen in der Weise, daß aufgrund des innergöttlichen Verhältnisses der Personen untereinander und des Verhältnisses der Unterschiedenheit und Unterscheidbarkeit von Person und Essenz in Gott den Personen notiones zukommen, in welchen die Wesenseigenschaften Gottes, die allen drei Personen gemeinsam sind, über je eine bestimmte göttliche Person der Erkenntnis vermittelt sind. Damit sind in den notiones nicht nur die propria der Personen angesprochen, sondern die Wesenseigenschaften Gottes, sofern sie als diese Wesenseigenschaften notwendig zur trinitarischen Subsistenz des göttlichen Wesens führen230. Dank der Unterscheidung der Notionen, die möglich wird aufgrund der Distinguibilität der Personen und der Person von der Essenz in den Relationen, können die Wesenseigentümlichkeiten Gottes (wie unitas, Veritas und bonitas) unbeschadet ihrer Einheit im göttlichen Wesen in ihrer unterschiedlichen Bedeutung erkannt und den Personen der Trinität appropriiert werden231. Damit schließt sich im Begriff der notiones der Kreis. Indem in Gottes emanativem Wesen origines statthaben und mit ihnen die modi essendi im Verhältnis von in quo und ad quem, also die relativen Subsistenzen der Personen gegeben sind, und darin wiederum im Begriff der relatio als relatio ad die modi se habendi, in welchen Person und Essenz in Gott unterschieden werden, führt das innergöttliche Verhältnis von persona und essentia zur Erkenntnis der Wesenseigenschaften Gottes auf dem Wege ihrer Appropriation an die göttlichen Personen. Wenn also die innascibilitas die keiner anderen Person zukommende notio der ersten Person ist, so wird in ihr Gott als das primum principium erkannt; dies freilich ist nicht innergöttliches proprium des Vaters, sondern esse primum principium ist eine gemeinsame proprietas essentialis aller drei göttlichen Personen; aber da Gott in der notio des Vaters in seiner primitas als primum principium erkannt wird, führt sie, die notio, Vgl. Brevil. 1,6; V , 2 1 4 b f . De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.: Differentia vero quantum ad rationes intelligendi est in proprietatibus essentialibus, quae omnino idem sunt, sicut Veritas et bonitas; tarnen noster intellectus intelligit per diversa et sub alia ratione et alia, et ideo aliter nominat; et haec est minima differentia, quae possit inveniri circa divina, quia magis est ex parte nostri quam Dei. V , 7 6 b . 230

231

Brevil. 1,4: Tertia differentia (sc. secundum modos intelligendi) est minima, quia est in connotatis. Licet enim unum de altero dicatur ad invicem, et idem possit dici de utrisque (sc. Pater mens, Filius mens, Spiritus sanetus mens; vgl. H e x . X I , 4 ; V , 3 8 0 b ) ; non tarnen idem cönnotatur utrobique, nec per idem intelligi datur utrumque . . . ex tertio (sc. isto m o d o differendi) pluralitas proprietatum essentialium et notionum (oritur), sive ab aeterno, sive ex tempore; sive proprie, sive transsumtive; sive communiter, sive appropriate. V , 2 1 3 b .

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zu der Appropriation des esse primum principium an den Vater 232 und darin wiederum auf das proprium 233 der ersten Person, welches nach innen gewendet im principiare principiantem bzw. im Akt der Zeugung des Sohnes besteht. Ebenso führt die Bestimmung des Sohnes als Verbum, da sie die notio des Sohnes ist, zur Appropriation der Exemplarität und der Wahrheit Gottes, welch beides proprietates essentiales communes sind, an die zweite Person der Trinität, und die Bestimmung der dritten Person als nexus amborum sive donum zur Appropriation der ratio finiendi und des Willens Gottes an die dritte Person, so daß also die notiones in Gott gleichsam die Brücke bilden, auf welcher die propria der göttlichen Personen zu Appropriationen führen, in denen das Eine göttliche Wesen vermittels der göttlichen Personen je verschieden erkannt wird. Wenn diese Sicht der Funktion der göttlichen Notionen richtig ist, so liegt in ihnen, unbeschadet dessen, daß Bonaventura diese modi differendi secundum rationes intelligendi im Vergleich zu den modi essendi und den modi se habendi „minime" nennt 234 , eine über das ihnen sonst zugesprochene Gewicht weit hinausgreifende Bedeutung. Denn nicht nur, daß in den Notionen vermittels der Personen die Wesenseigentümlichkeiten Gottes erkannt werden, sondern da die Relationen die Notionen der Personen als innergöttlich-innertrinitarische Besonderheiten der Personen in dieser Funktion freisetzen, eröffnen sie, die Relationen, über die Notionen die Möglichkeit, die Trinität heilsökonomisch zu verstehen dergestalt, daß im Begriff der Notionen, wie er sich insonderheit an der dem Vater zukommenden notio der innascibilitas klärt, die Heilsgeschichte ihren Eintrag in das Innenleben Gottes findet. Am deutlichsten zeigt sich dieser Sachverhalt in der allein dem Vater vorbehaltenen notio der innascibilitas. Diese nämlich, da in ihr der Vater als die erste Person der Trinität erkannt wird im Verhältnis von quia a nullo (privative) und primitatem ac per hoc fontalem plenitudinem habens (ex consequenti positive) 235 , enthält als innertrinitarische Bestimmung deckungsgleich jene Bestimmungen, welche Gott, da der Glaube altissime et piissime von ihm denkt, communiter zukommen 236 . Denn die notio, in der die erste Person der Trinität in ihrem esse nullo modo ab alio einerseits und in ihrer fontalis plenitudo anderseits zur Kenntnis kommt, ist zugleich der Grund dafür, daß von Gott altissime et piissime gedacht werden muß 237 , in jenem Ver232 Vgl. Itn. Prol. 1: In principio primum principium . . ., Pattern scilicet aeternum, invoco per Filium eius. V,295a. 233 Brevil. 1,6: Haec autem dicuntur appropriari, non quia fiant propria, cum semper sint communia; sed quia ducunt ad intelligentiam et notitiam propriorum, videlicet trium personarum. V,215a. 234 Brevil. 1,4; V,213b; De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76b. 235 I Sent, d.28 a.un. q.4 i.e.; I,498a. 236 Yg] j s e n t J 27 p.l a.un. q.2 ad 3: generat quia Deus innascibilis. I,470a. 237 De myst. Trin. q.l a.2 i.e.; V,56a; Brevil. 1,2; V,211a; Hex. IX,23f.; V,376a.

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Fischer, De Deo trino

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hältnis also, das sich, wie sich oben 238 gezeigt hat, darin begründet, daß der ursprungslose Gott Welt auf relevatio, auf Aufhebung hin als Deus producens et reducens hervorbringt 239 . 238

S. o. S. 141 ff.

Es liegt wohl im Horizont dieser Konsequenz, daß Thomas gegen den Notionen-Begriff Bonaventuras Protest erhebt. S.th. I q.33 a.4 ad 1: quidam dicunt quod innascibilitas quam significat hoc nomen, ingenitus, secundum quod est proprietas Patris, non dicitur tantum negative; sed importat vel utrumque simul, scilicet quod Pater a nullo est, et quod est principium aliorum, vel importat universalem auctoritatem, vel etiam fontalem plenitudinem. Sed hoc non videtur verum; quia sic innascibilitas non esset alia proprietas a paternitate et spiratione; sed includeret eas, sicut includitur proprium in communi. Nam fontalitas et auctoritas nihil aliud significant in divinis, quam principium originis. - Die Folgerung, die Thomas dem Innascibilitätsbegriff Bonaventuras anhangen sieht, daß nämlich die innascibilitas nicht zu unterscheiden wäre von paternitas und spiratio und also sich zu ihnen verhielte als das Gemeinsame zum (subsistenten) Eigentümlichen, hat Bonaventura ausdrücklich bestätigt. De myst. Trin. q.8 concl.: Primitas non solum non excludit trinitatem, verum etiam eam includit. V,114a. Der in dieser conclusio aufgenommene Begriff der primitas ist inhaltlich der, der sich aus I Sent, d.28 a.un. q . l in Ableitung aus der notio der innascibilitas ergibt. Er faßt hier (De myst. Trin. q.8) das Verhältnis von esse Dei und Trinitas in ihrer gegenseitigen Durchdringung zusammen. Wenn demgegenüber Thomas feststellt, daß die notio innascibilitatis den Vater lediglich bezeichnet, soweit er von keiner anderen Person her ist (S.th. I q.33 a.4 concl.) und, ohne ein aktives Moment zu setzen, bloß die generatio passiva negiert, so liegt in dieser Kontroverse weit mehr als nur ein Streit um Irrelevantes. Denn indem Thomas den Weg von der innascibilitas Patris zur primitas Dei nicht so ohne weiteres gelegt sieht, kann er Sein Gottes und trinitarische Entfaltung Gottes in weit größerer Selbständigkeit voneinander entfalten, als dies bei Bonaventura auch nur im entferntesten denkbar wäre. Die relative Selbständigkeit (nicht Getrenntheit) beider Loci bei Thomas zeigt vorzüglich der Aufbau seiner Summe, die im ersten Teil q . 2 - q . 2 6 „de D e o " handelt, einsetzend mit der Frage „an sit" (q.2) und endend mit der Frage nach der beatitudo Dei (q.26); während Bonaventura im Sentenzenkommentar grundsätzlich „de Deo trino et u n o " handelt, einsetzend mit der Frage nach dem Verhältnis von unitas Dei und pluralitas personarum, fortfahrend mit der cognoscibilitas Dei und der imago-Lehre und endend mit der Frage nach dem Verhältnis von göttlichem und menschlichem Willen (I Sent, d.2 a.un.; I Sent, d.3 p . l et p.2; I Sent, d.47 et d.48), bzw. in der Gotteslehre überhaupt nur „de Trinitate D e i " (Brevil. I) handelt. Es wäre - etwas unscharf mit den Worten Bonaventuras gesagt - für Thomas möglich, altissime de Deo zu denken, ohne altissime et piissime von ihm zu denken. Wir stoßen so in der Analyse des Notionen-Begriffs im Bereich der Trinitätslehre auf denselben Kontroverspunkt, wie er in der Frage nach der Erkennbarkeit Gottes zwischen Bonaventura und Thomas besteht. Die hier sichtbar werdende Differenz zwischen beiden dürfte, im näheren gesehen, außerordentlich weitreichende Konsequenzen haben, denn die Differenz in der Gotteslehre führt der Sache nach auf eine Differenz im Wissenschaftsbegriff dergestalt, daß mit der relativen Emanzipation des dogmatischen Locus de Deo vom Locus de Trinitate die Emanzipation des sentire altissime vom sentire altissime et piissime, die Emanzipation der ratio propria von der fides, die Emanzipation der profanen Wissenschaften von der Theologie initiiert scheint. Anderseits aber - und das ist ein wesentlicher Punkt - sichert die bei Thomas angedeutete Emanzipation der natürlichen Vernunft paradoxerweise in weit stärkerem Maße die Schriftbezogenheit und Offenbarungsbezogenheit der entscheidenden Loci christlicher Dogmatik: der Trinitätslehre und der Christologie (S.th. I q.32 a. 1 ad 3). Ich sage: paradoxerweise; denn indem Thomas mit dem relativ selbständigen Locus de Deo der Emanzipation der Vernunft unter dem Glauben den Weg zu bereiten scheint, schützt er das christliche Dogma an der entscheidenden Stelle von dem Zugriff der Profaneität: Eine Säkularisierung der Trinitätslehre auf dem Hintergrund einer emanzipierten Vernunft scheint weder möglich noch sinnvoll. Die geschlossene Dialektik Bonaventuras dagegen setzt sich in weit stärkerem Maße diesem Zugriff aus. Ungeachtet der durchgängigen Schriftbe239

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Und damit ist diese Untersuchung nicht mehr allzu weit von ihrem Ziel entfernt. Denn wenn richtig ist, daß die sich aus den innergöttlichen Relationen ergebenden Notionen die Vermittlung zwischen den propria der Personen und den gemeinsamen Eigenschaften des göttlichen Wesens bilden, begrifflich also den Grund der Möglichkeit von Appropriationen darstellen, so ist unter dem Begriff der notio nicht nur enthalten die Einbezogenheit des nach außen unteilbaren Heilswerks der Trinität in Gottes inneres Leben, sondern es scheint auch im Notionen-Begriff aus Gott heraus ein Hinweis zu liegen auf den, der die Appropriationen vollzieht: die gläubige Seele, welche in der Erkenntnis der göttlichen Personen die essentiellen Eigenschaften des göttlichen Wesens erkennt. Dieser Hinweis wird sich bekräftigen, wenn wir versuchen, das gleichsam begriffliche Gerüst seinem Inhalt nach zu füllen.

c) Der Hervorgang des Geistes aus Vater und Sohn „Es sind", so haben wir gelesen 240 , „in Gott zwei Emanationen, drei Hypostasen, vier Relationen, fünf Notionen und aus alledem nur drei personale Proprietäten... Vollkommene Emanationsweisen gibt es nur zwei: nach Weise der Natur und nach Weise des Willens." Es hat sich in der Korrespondenz der zwei innergöttlichen Emanationsweisen zu den zwei Weisen, in denen von Gott im Glauben zu denken ist, gezeigt, daß die erste Emanation in Gott, die per naturam, wesentlich durch die Identität von esse und posse Gottes bestimmt ist und darin die essentia Dei bereits ansatzweise als im Verhältnis von Vater und Sohn subsistierend begriffen ist. Die essentia Dei ist, so gesehen, immer schon das Verhältnis von Vater und Sohn. In der Korrespondenz der emanatio per naturam zum Inhalt von sentire altissime wiederum erschien der nach innen den Sohn zeugende Vater nach außen als der, der Welt auf Heimführung hin hervorbringt, so daß Hervorbringen des Sohnes zogenheit seiner Aufstiegstheologie ist die Totalität des Denkens bei Bonaventura kraft der dichten Verknüpfung von Gott und Welt weit eher fähig, vom Boden der Schriftoffenbarung genommen und als idealistische Spekulation verselbständigt zu werden, so daß am Ende verschwimmen könnte, was die Dialektik Gottes und was die Dialektik der Weltgeschichte sei (einen deutlichen Ansatz dazu bieten Bemerkungen wie diese: Lex naturae est lex pietatis. Pietas videtur inesseomni naturae, etiam insensibili. Hex. XXI,6; V,432a). — Es könnte auch an dieser hier in ihren Konsequenzen angedeuteten Kontroverse liegen, daß in der historischen Entwicklung die Dominikanerschule die Lehrtradition der Franziskaner in der Trinitätslehre eindeutig dominiert hat und daß anderseits in unserem Jahrhundert, im Gefolge der Herausforderung durch die idealistische Dialektik Hegels und den dialektischen Materialismus der Klassiker des Sozialismus, die Beschäftigung mit der Lehre Bonaventuras in Form einschlägiger Fragestellungen deutlich zugenommen hat. Typisch dafür ist die durch Ratzinger eingeleitete Diskussion der Geschichtstheologie Bonaventuras, und typisch ist auch eine Bemerkung wie die Karl Rahners (Art. Dreifaltigkeit, IV, dogmengeschichtlich, LThK, 2. Auflage, Band 3, 1959, 553), es seien bedauerlicherweise die von den Viktorinern und Franziskanern entwickelten Ansätze in der Trinitätslehre dogmengeschichtlich zu kurz gekommen. 240

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Brevil. 1,3; V,211b; s. o. S. 270 Anm. 172.

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und Schöpfung von Welt als zwei Aspekte eines göttlichen Handelns zu betrachten sind. Den Beleg dafür bildet nicht nur der hohe Stellenwert, der dem Können Gottes in diesem Zusammenhang zukommt, sondern auch die Betrachtung der innergöttlichen Notionen, insonderheit der innascibilitas des Vaters: In dieser, der ratio cognoscendi der ersten Person, erscheint der Sache nach Gott im Verhältnis von quia a nullo und fontalis plenitudo als der, von dem der Glaube altissime et piissime denkt. Nebst dem ist deutlich geworden, daß das innergöttliche Ursprunggeben als Ursprung der Unterscheidung der Personen mit dem Begriff der Relation zusammenkommt und also, soll nicht ein Überschießendes oder eine Defizienz in Gott eingetragen werden, mit dem Begriff der Relation ein zweifältiges Erströmen in Gott anzunehmen ist. All das ist jetzt beieinander zu halten, wenn es nunmehr um die inhaltliche Erläuterung der zweiten Emanation in Gott geht, um die emanatio per voluntatem. „Und weil 241 in zwei substantiellen Emanationen notwendig zwei Hypostasen erströmen, deshalb ist es nötig, vor allem und zunächst (etiamprimo) eine Hypostase zu setzen, die hervorbringt, ohne ihrerseits aus einer anderen zu erströmen, auf daß in Gott nicht ein Abirren ins Unendliche sei: Deswegen sind in Gott drei Hypostasen." Dieser letzte Satz liefert zunächst der Sache nach den Grund für die Dreizahl der innergöttlichen Hypostasen, wie er oben deutlich geworden ist: Da Gott seinem Wesen nach wesentlich emanativ ist, ursprunggebend, ist mehr als eine Emanation in Gott anzunehmen, wenn anders der Begriff der göttlichen origo sich nicht selber aufheben soll (s. o. S. 282). Freilich: ergab sich oben die Zweizahl der innergöttlichen Emanationen aus der Übereinkunft von origo und relatio in bezug auf den Ermöglichungsgrund der Unterscheidung göttlicher Personen, also der Grund für den ersten Kausalsatz dieses Zitats (quia duabus emanationibus substantificis necesse est emanare duas hypostases), so ist hier die Argumentation hauptsächlich auf die erste Hypostase abgestellt. Die Notwendigkeit der Annahme einer ersten nicht emanierenden Hypostase diente oben der Abwehr einer Defizienz in Gott (das emanative Wesen Gottes käme nicht zu sich selber, wenn es mehr als eines Vaters bedürfte, die essentia tota zu kommunizieren242), und dieses selbe Argument ist hier zusammengefaßt in dem Satz: ne sit in infinitum abire. Es hängt am Begriff der Vollkommenheit der essentia communicabilis Dei, daß sie in ihrer Ganzheit in einem producens und in einem productum subsistiere. Wäre dies nicht der Fall, so ergäbe sich ein abire in infinitum nach zwei Seiten: nach der Seite des productum, sofern unendlich viele producta nötig wären, damit die essentia communicabilis als communicata subsistiere; und nach der Seite des producens, sofern unendlich viele Väter vonnöten wären, die essentia communicabilis mitzuteilen. In241 Brevil. 1,3: Et quia duabus emanationibus substantificis necesse est emanare duas hypostases, necesse est etiam ponere, hypostasim primo producentem ab alio non emanare, ne sit in infinitum abire: ideo sunt ibi tres hypostases. V , 2 1 1 b f . 242

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Vgl. De myst. Trin. q.4 a . l i.e.; V , 8 5 b f .

sofern subsistiert die Essenz nur im producens, im productum und im nexus amborum 243 . Es können also, damit sich nicht ein infiniter Prozeß und damit die Aufhebung der essentia communicabilis ergebe, nur drei Hypostasen in Gott sein. Dieses Argument: Ein infiniter Prozeß wäre sachlich die Aufhebung der essentia communicabilis Gottes, ist uns an anderer Stelle und in anderem Zusammenhang bereits einmal begegnet, und zwar an der Stelle, an der es um die Bezeugung der Einheit Gottes durch die Kreatur ging: „Die Verschiedenheit aller Dinge nämlich ist von einer Gesamtheit umgriffen, welche freilich in sich bestimmt, begrenzt und vollkommen ist. Das wäre sie aber nicht, wenn nicht jene Vielheit auf etwas zurückgeführt würde, darin sie ihre Heimat findet; und deshalb ist es nötig, daß alles auf ein letztes Ziel und einen ersten Anfang zurück- und heimgeführt werde; andernfalls ergäbe sich ein infinitiver Prozeß. Es bezeugt also die Gesamtheit der Dinge, daß Gott Einer ist." 244 Diese Stelle ist oben in der Diskussion der Einheit Gottes erörtert worden. Die These hieß: In productio und reductio von Welt bezeugt sich nicht nur Gottes Einheit, sondern dieses Zeugnis ist zugleich die innere Bestimmung des göttlichen Wesens; die Essenz Gottes ist, so haben wir gesagt, bestimmt in ihrer Einheit im Verhältnis von productio und reductio von Welt. Die Frage, die uns jetzt beschäftigen muß, heißt: Wie verhält sich diese Abwehr des abire in infinitium, mit dem Bonaventura die kreatürliche Bezeugung der Einheit Gottes belegt, zu jener Abwehr des abire in infinitum, mit der Bonaventura die Dreizahl der innergöttlichen Hypostasen wahrt? Zunächst muß man sich hier in Erinnerung rufen, warum eine nicht-reduzible Welt einen infiniten Prozeß darstellt: Da Gott Welt hervorbringt, kann er sie nicht aus sich selber hervorbringen; also muß er sie aus dem Nichts erschaffen. Insofern ist Welt originaliter de nihilo. Dieser Sachverhalt ist hinreichend deutlich 245 . Das mit der Schöpfung gegebene Verhältnis von nonesse und esse auf Seiten der Welt wäre, wäre Welt nicht reduzibel, ein unlösbarer Widerspruch, nicht nur von Welt, sondern auch Gottes. Non-esse würde gleichsam zu einem Prinzip, welches die notwendige Bedingung von Welt sowohl als von Gott wäre. Ein solches neben Gott tretendes zweites primum principium bedeutete sachlich die Aufhebung der Gottheit Gottes, und zwar deshalb, weil Gottes Macht darin eine Einschränkung erführe, die das Nicht-Göttliche zu seiner Grenze machte 246 . Der infinite Prozeß, von 243

Vgl. Hex. VIII,12; V,371a. De myst. Trin. q.2 a.l; V,61b; s. o. S. 196 Anm. 97. 245 Vgl. Brevil. 11,1; V,219a; I Sent, d.2 a.un. q.l ad 4; I,52b; s. o. S. 70 ff. 246 II Sent. d. 1 p. 1 a.2 q. 1 i.e.: Caput autem et principium erroris damnat omnis philosophia, quod duo sunt rerum prineipia prima: tum quia ordo universi destruitur, hoc posito, tum etiam quia divina potentia limitatur ex hoc, ut non possit corporalia (sc. prope nihil) producere, tum etiam quia ex hoc divina essentia circumscriptibilis ponitur, ut tantum sit in regione lucis; et si haec vera sunt, nec Deus est Deus, nec aliquid est bonum. II,26b. — Diese Widerlegung gehört in die Auseinandersetzung mit dem Manichäismus. Dennoch gibt es eine Berechtigung, die Argumentation in bezug auf das manichäische Prinzip des Bösen mit der Frage nach dem Nichtsein zusammenzubringen. Denn es liegt gerade der Widersinn des manichäischen Dualismus darin, daß das allen Gutseins schlechthin entblößte Böse Nichts ist und als dieses Nichts zu einem 244

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dem Bonaventura spricht, wäre dann gegeben. Es bedürfte, diesen Widerspruch zu beheben, eines weiteren Gottes neben dem Schöpfer, und es wäre der Schöpfer nicht der, der heimführt; und der heimführt, nicht der Schöpfer. Der hier angedeutete Widerspruch bedürfte unendlicher Vermittlung, oder genauer: Er wäre als ein unendlicher Widerspruch von Gott und Welt, von non-esse und esse die Destruktion Gottes. Man muß aber noch ein Zweites hinzuziehen, um die hier zur Debatte stehende Stelle aus Brevil. 1,3 richtig zu verstehen. Es hat sich oben (S. 277) gezeigt, welch hoher Stellenwert dem Können Gottes in der Frage nach dem Verhältnis von Sein Gottes und Bestimmtheit seines Seins zuzusprechen ist. Das Können, mit dem Gott notwendig den Sohn hervorbringt, erstreckt sich nach außen als die Erschaffung der Welt aus dem Nichts. Beides, productio ad intra als Zeugung und productio ad extra als creatio activa, sind zwei Hinsichten des einen und selben Sachverhalts, in welchem Gott dieser bestimmte Gott ist in der Einheit von Sein und Können. Hält man sich dies gegenwärtig, so wird deutlich, daß das hier (Brevil. 1,3) genannte abire in infinitum dem in De myst. Trin. q.2 a.l genannten nicht unverbunden gegenübersteht, sondern dieses zu jenem im selben Verhältnis steht wie die beiden Hinsichten des Könnens Gottes. Darin nämlich, scheint mir, liegt der eigentliche und inhaltliche Schlüssel zum Verständnis dessen, daß die erste Hypostase nicht emaSeinsprinzip erklärt wird. Dann nämlich müßte für das Böse in Ansatz gebracht werden, daß es sei und zugleich nicht sei; II Sent, d.34 a.2 q. 1 i.e.: Implicat enim, quod illud, scilicet summe malum, sit et non sit. 11,8IIa. Uber die formallogische Unmöglichkeit dieser Position hinaus steht hinter diesem Argument eine weitere und tiefere Dimension: Die Reklamation der unio summe distantium, nämlich das simul von esse et non-esse (De myst. Trin. q.l a.l i.e.; V,49b; s. o. S. 102) für das Böse ist für Bonaventura die Gotteslästerung überhaupt. Denn für Bonaventura kann, dem ganzen Duktus seines Denkens nach, die Unmöglichkeit von simul esse und non-esse, wie es seiner Ansicht nach die Manichäer für das Böse behaupten, als evidente Falschheit nicht der Grund dafür sein, daß er mit angesichts seiner üblichen Zurückhaltung außergewöhnlicher und unüberbietbarer Schärfe die manichäische Bestimmung des Bösen verwirft: Einen „einfältigen und blinden Irrtum" nennt er das; sein Urheber ist vollständig erblindet und gotdos, in äußerste Finsternis gestoßen; Knechte finsterer Mächte sind die Vertreter dieses schlechtesten, unvernünftigsten Irrtums; keinem Argument zugänglich, durch keine Folter zur Umkehr zu bewegen, durch kein Fürbittengebet zu erheben - es sei denn durch eine ganz besondere Gnade. (Zu dieser Zusammenfassung vgl. die angegebene Stelle II Sent, d.34.) - Angesichts dieser Schärfe (die, soweit ich sehe, auf keine andere Ketzerei in Anwendung kommt, nicht einmal auf die Vertreter der Lehre von der Ewigkeit der Welt in den Spätschriften) läßt sich vermuten, daß Bonaventura im Manichäismus — seinerzeit in der Sekte der Katharer präsent - in der Tat den zentralen Angriff auf Gott überhaupt sieht. Eine bloße logische Unmöglichkeit des natürlichen Intellekts kann nicht der Grund dafür sein und ist auch nicht der Grund dafür; vielmehr: Indem der Manichäismus das simul esse und non-esse für das Prinzip des Bösen reklamiert, pervertiert er das tiefste Geheimnis Gottes. Deshalb ist diese „häretische, allerdümmste und blasphemische" Lehre nicht nur ein Angriff auf die rechte Lehre der Kirche und die Vernunft, sondern eine Beleidigung Gottes selbst: Das Geheimnis der Inkarnation wird zum Prinzip des Bösen. Und deshalb faßt Bonaventura seine Verurteilung des Manichäismus zusammen mit Jes. 5,20: „Wehe, ihr nennt das Böse gut und das Gute böse, da ihr das Licht für die Finsternis setzt und die Finsternis für das Licht" (II Sent, d.34 a.2 q.l i.e.; vgl. das corpus in toto; 11,81 lab. - Das Zitat Jes. 5,20 steht in ähnlichem Zusammenhang auch bei Thomas, S.th. I q.48 a.3 ad 4, freilich mit sehr viel weniger Emphase).

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niert: Die Einheit von Sein und Können, welche die Bestimmtheit Gottes ausmacht, erfordert, daß Gott diese Welt hervorbringt, einmal und einmalig247. Das verdankt sich den Erstreckungen des göttlichen Könnens. Ein innertrinitarischer Vater, der nicht a nullo wäre, sondern ebenfalls (intransitiv) emanierte, also die Annahme mehr als eines Vaters in Gott, müßte in diesem Verständnis des Könnens Gottes, welches nach innen die generative Kraft Gottes ist, nach außen mehr als eine Welt hervorbringen. Der infinite Progreß, dem bei Annahme mehr als eines Vaters die essentia communicabilis unterläge, also die infinitas ex parte ante 248 , und welche der Sache nach die communicabilitas des göttlichen Wesens aufhöbe, sofern sie sie in einen Selbstwiderspruch führte (weil, wäre der Vater ebenfalls gezeugt, er selber Sohn wäre, also zwei Söhne anzunehmen wären, in deren keinem die essentia tota subsistierte, und also auch keiner der Väter die generative Kraft hätte, an nur einen Sohn die ganze Gottheit mitzuteilen) - dieser infinite Progreß oder 2 4 7 Die Nagelprobe hierfür liefern die Erörterungen Bonaventuras in I Sent, d.43 a.un. q.3 et d.44 in toto. Es handelt sich hier einmal um die Frage, ob Gott nach außen ein aktual Infinites (wie eine infinite Welt oder eine infinite Anzahl von Welten) hervorbringen könne. Bonaventuras Antwort erkennt eindeutig auf Nein (d.43 a.un. q.3 concl.; I,772a). Das ist nach allem, was wir inzwischen gesehen haben, unmittelbar einleuchtend. Wichtiger aber als diese Frage ist die, ob Gott eine andere als diese bestimmte Welt hätte machen können, sei's eine bessere (I Sent. d.44 a.l q. 1—3), sei's eine frühere (ebd. q.4). Es ist nicht im mindesten verwunderlich, daß Bonaventura zumal der Frage nach der Möglichkeit einer besseren Welt allergrößte Sorgfalt widmet (vgl. das Urteil Gilsons 198: „Wir stehen hier vor dem Problem des metaphysischen Optimismus, und Bonaventuras Lösung gehört zu den klarsten und durchdachtesten in der Geschichte der Philosophie"). Seine Sicht dieses Problems kann hier nicht mehr ausführlich erörtert werden; vgl. dazu Gilsons Darstellung 196 ff. Bemerkenswert ist, daß Bonaventura die Frage nach der Möglichkeit einer besseren Welt im Kern zurückweist (I Sent, d.44 a.l q.l ad 4; I,783ab): Sie wäre in jeder denkbaren Welt stellbar und ist insofern irrelevant. Bonaventuras ganze Behandlung dieser Frage (wie auch der Frage nach einer früheren Welt) macht deutlich, daß es bei Welt gar nicht um Welt geht, sondern um Gott: Welt als Bezeugung des Einen Gottes (und darauf kommt es an) ist so beschaffen, daß sie Zeugnis Gottes ist. Daher ist die Welt hinsichtlich ihres ordo (und ordo ist gleichbedeutend mit dem testimonium, und insofern ist die Frage nach der Möglichkeit eines besseren ordo der Welt die entscheidende Frage; dazu vgl. oben S. 254 f.) sowohl der Teile in der Gesamtheit von Welt (denn diese universitas bezeugt den Einen Gott als ihren Grund; De myst. Trin. q.2 a.l i.e.; V,61ab) als auch der Dinge auf ihr Ziel hin (denn in der reduetio plura'litatis ad finem ultimum et primum prineipium bezeugt sich Gott in seinem esse finis; ebd. V,61b) bestens geordnet: I Sent, d.44 a.l q.4 concl. et i.e.; I,786ab. Das ist das Entscheidende: Der ordo der Welt ist der bestmögliche. Und wenn in dieser Untersuchung richtig gesehen ist, daß Gottes Schöpfungszeugnis in Hervorbringung und Heimführung der Einheit Gottes innerlich verbunden ist, so kann auch die Antwort gar nicht anders lauten. Denn die Annahme der Möglichkeit eines besseren ordo der Welt müßte unmittelbar das bestimmte Wesen Gottes selber in Frage stellen. Und wenn also der ordo der Welt im Kern der bestmögliche ist, so ist auch die Frage, ob Gott, was er einmal kraft seines Könnens getan hat, immer wieder und noch einmal tun könne, sinnlos: Eine Wiederholung seines Selbstzeugnisses wäre tatsächlich die Aufhebung seines Selbstzeugnisses: vgl. I Sent, d.44 a.2 q.un. in toto. Wo all diese Überlegungen ihren Zielpunkt haben, zeigt I Sent, d.44 dub.3: Kraft seiner dignitas (zu diesem Begriff s. o. S. 150) kann Gott nicht über die gottmenschliche Einung in Christus hinaus: quantum ad unionem, nec Deus potest plus dare, nec creatura reeipere, quia unionis gratia eix parte alterius extremi est dignitatis infinitae, scilicet quod homo sit Deus. I,793ab. 2 4 8 Hex. VIII,12; V,371a.

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die falsche Unendlichkeit der göttlichen Essenz müßte angesichts des Könnens Gottes notwendig zur Annahme unendlich vieler Schöpfungshervorgänge führen. Damit aber wäre die Reduzibilität der Welt aufgehoben. Der Prozeß der reductio von Welt, selbst wenn formal an ihm festgehalten würde, wäre sachlich gänzlich unbedeutend; der Bestand von Welt einmal mehr die Bedingung Gottes. So gesehen handelt es sich nicht um zwei verschiedene Denkansätze, wenn Bonaventura einmal in bezug auf die Welt, soweit sie die Einheit Gottes bezeugt, und zum andern in bezug auf die innergöttlichen Hypostasen mit dem infiniten Progreß argumentiert. In beiden Fällen ist der Gedanke einer der Gottheit Gottes wesenhaft innewohnenden Erstreckung auf Hervorbringung und Heimführung von Welt präsent. Von daher handelt es sich nicht bloß um formallogische Argumentationen, wenn Bonaventura auf das esse a nullo (als Abwehr eines infiniten Progresses) den Hauptton 249 der innertrinitarischen Erörterung legt. Vielmehr: Nur darin, daß die erste Hypostase nicht emaniert, ist Gott dieser bestimmte Gott, Gottes Wesen die essentia communicabilis, Gottes Weltverhältnis das Weltverhältnis Gottes und diese Welt diese Welt: finit, limitiert, perfekt - Welt auf Heimführung hin. Daß also die erste Hypostase nicht emaniert, hat mit Gottes Weltverhältnis zu tun ebenso wie der Umstand, daß nur zwei Emanationen in Gott anzunehmen sind. Beides, ein abire in infinitum ex parte ante und ex parte post (welch beides nur zwei Hinsichten eines Selben sind, da ein infinit ex parte post emanierender Gott notwendig auch infinit ex parte ante wäre), führte begrifflich die essentia communicabilis Gottes in einen Widerspruch und sachlich das Verhältnis Gottes zur Welt ad absurdum 250 . Es sind deshalb in Gott nicht mehr als zwei Emanationen und drei Hypostasen. Aus dem Verhältnis von zwei innergöttlichen Emanationen und drei Hypostasen gewinnt Bonaventura vier innergöttliche Relationen: „Und weil 251 jeder Emanation eine doppelte Relation entspricht, deshalb sind dort vier Relationen, nämlich Vaterschaft, Sohnschaft, Hauchung und Hervorgang." Bei diesen vier Relationen müssen wir einen Augenblick verweilen: Es sind in Gott zwei Emanationen anzunehmen, eine nach der Natur, eine nach dem Willen. Mit diesen beiden Emanationen ist in Gott eine Dreizahl von Momenten gesetzt, Sein, Können, Wollen. Darin, daß Gott sich mitteilen kann, erströmt er per naturam. Wir haben oben daraus gefolgert, daß von der Einheit von Sein und Können in Gott her sein Wesen notwendig im Verhältnis von Vater und Sohn (und darin Welt hervorbringend) zu begreifen ist. Jetzt geht es vor allem um die emantio per voluntatem, und über diese ist hier bereits eine wesentliche Aussage getroffen: Daß Gott sich mitteilen kann und 249 „Hauptton" kann man sagen, weil der konzentrierte Charakter von Brevil. lediglich die Grundzüge und Hauptakzente des Trinitätsverständnisses Bonaventuras freisetzt. 250 Diese Konsequenz ist angedeutet De myst. Trin. q.4 a.2 opp.3 et 7; V,84a und I Sent, d.2 a.un. q.3 opp.3; I,55a. 251 Brevil. 1,3: Et quia cuilibet emanationi respondet duplex habitudo relativa, ideo sunt ibi quantuor relationes, scilicet paternitas, filiatio, spiratio et processio. V,212a.

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will, und das bedeutet, daß er dreifältig subsistiert, hängt offenbar wesentlich ab von dieser zweiten emanatio, der per voluntatem. Es ist also zu fragen, wie diese zweite Emanation dem Inhalt nach zu bestimmen ist und welches Gewicht ihr zukommt. Den ersten Hinweis darauf bietet der zitierte Satz aus Brevil. 1,3: „Jeder Emanation entspricht eine doppelte Relation." Dabei entsprechen der ersten Emanation (per naturam) die beiden Relationen paternitas und filiatio, wobei paternitas die Beziehung der ersten Hypostase zur zweiten und filiatio die Beziehung der zweiten zur ersten Hypostase benennt; und der zweiten Emanation (per voluntatem) entsprechen die beiden Relationen spiratio und processio, wobei die spiratio die Beziehung der ersten beiden Hypostasen zur dritten 252 und die processio die Beziehung der dritten zu den ersten beiden 253 bezeichnet. Nun steht Bonaventura mit der Benennung der vier Relationen durchaus im Einklang mit der sententia communis seiner Zeit; aber dennoch enthält der zitierte Satz eine bemerkenswerte Besonderheit: Die Relationen markieren nicht, wie man zunächst erwarten sollte, die Beziehung der Hypostasen untereinander, sondern sie korrespondieren den Emanationen. Das heißt: Die Relationen sind nicht bestimmt durch das Verhältnis der Hypostasen, die ihrerseits durch die beiden Emanationen konstituiert wären; sondern sie sind bestimmt durch das Verhältnis der beiden Emanationen zueinander und bestimmen ihrerseits die Hypostasen 254 . Diesen Umstand verstehe 252

I Sent, d.26 a.un. q.4 i.e.: activa spiratio . . . convenit pluribus, non uni soli. I,460b. Es liegt im Begriff der processio selber, daß sie das Verhältnis des Geistes zu Vater und Sohn bezeichnet. Bonaventura gibt dafür eine durchaus eigenartige Begründung; I Sent, d.13 a.un. q.2 ad 4: processio proprie de eo dicitur, in quo est omnino ratio procedendi; et talis est Spiritus sanetus, quia procedit et est a procedente, non sie autem Filius. I,234ab. Damit ist der Begriff der processio als Begriff bereits inhaltlich-positiv gefüllt durch die Bezogenheit des Geistes aufVater und S o h n . - T h o m a s faßt die Sache formaler. S.th. Iq.27 a.4i.c.: Processio. . . quaeattenditur secundum rationem voluntatis non consideratur secundum rationem similitudinis, sed magis secundum rationem impellentis et moventis in aliquid; et ideo quod procedit in divinis per modum amoris, non procedit ut genitum, vel ut Filius, sed magis procedit ut Spiritus. Von daher findet Thomas auch keine eigene inhaltliche Bestimmung von processio, sondern füllt den Begriff durch spiratio; ebd. ad 3: processio, quae non est generatio, remansit sine speciali nomine, sed potest nominari spiratio, quia est processio Spiritus. Diese Lösung lehnt Bonaventura an der genannten Stelle I Sent. 13 ab: Der Hervorgang des Geistes hat ein speciale nomen, nämlich spiratio, und deshalb - so verstehe ich diese Ablehnung - kann der auf den Geist angewandte Begriff der processio nicht bloß commune gebraucht sein. I,234a. 253

254 Thomas, S.th. I q.28 a.4 i.e.: Secundum quamlibet autem processionem opportet duas aceipere relationes oppositas, quarum una sit procedentis a prineipio, et alia ipsius principii. So kommt Thomas zu vier Relationen und auch zu der Ausage: relationes distinguunt et constituunt hypostases in divinis. Ebd. q.40 a.4 i.e. Aber dennoch liegt hier eine kaum wahrnehmbare, aber gewichtige Differenz zu Bonaventura. Thomas nimmt den Begriff der Relation auf secundum processionem als respectus principii ad procedentem et procedentis ad prineipium und sieht in dieser Doppelrelation die Hypostasen konstituiert (vgl. auch ebd. q.28 a.l i.e.). Für Bonaventura dagegen gilt der Satz: relationes constituunt hypostases noch nicht im einfachen Verhältnis von procedens und id a quo procedit, sondern erst im Verhältnis von producens, productum und modus producendi (vgl. De myst. Trin. q.4 a.2 i.e.; V,85b) bzw. erst unter Maßgabe des Verhältnisses der beiden Emanationen untereinander.

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ich so, daß, indem die Relationen Relationen sind in Korrespondenz zu den Emanationen, die beiden ersten Relationen paternitas und filiatio, sofern sie mit der emanatio per naturam gegeben sind, für sich genommen im strengen Sinne noch gar nicht Relationen bezeichnen, sondern das emanative Wesen Gottes bzw. den oben herausgestellten Sachverhalt, daß die essentia Dei in der Identität von Sein und Können notwendig und ansatzweise im Verhältnis von Vater und Sohn subsistiert 255 . Insofern stehen die beiden ersten Relationen paternitas und filiatio in Einheit zu dem, was De myst. Trin. q.3 a.2 als modus essendi absolutus erschien 256 . Wenn diese Beobachtung richtig ist, so folgt daraus: Angesichts der emanatio per naturam kann von innergöttlichen Relationen eigentlich noch gar nicht die Rede sein. Die Identität von Sein und Können in Gott, welche zum Begriff der emanatio per naturam führt, und also zum Verhältnis von producens und productum in Gott 257 , setzt, wenn die Relationen den beiden Emanationen entsprechen, in Gott noch nicht Relation in der Doppelhinsicht von in quo und ad quem, welche für die Relation konstitutiv ist. Es braucht, wenn die Relationen als Relationen den göttlichen Emanationen korrespondieren, notwendig der emanatio per voluntatem in Gott, damit von innergöttlichen Relationen überhaupt gesprochen werden kann. Wenn es nämlich vier Relationen in Gott gibt, weil jeder emanatio eine duplex habitudo relativa entspricht, und wenn weiter die erste duplex habitudo relativa der ersten emanatio per naturam entspricht, in welcher die essentia Dei in der Einheit von Sein und Können Gottes ansatzweise als Verhältnis von producens zu productum subsistiert, und wenn wiederum dieses Verhältnis sachlich dem entspricht, was oben als modus essendi absolutus erschien, so muß in derselben Weise, in welcher der modus essendi absolutus in seiner Identität zur essentia Dei notwendig den von der essentia zu unterscheidenden modus respectivus in sich enthält, kraft dessen die Realdifferenz der Personen untereinander und der Person von der essentia gegeben und auszumachen ist, in eben dieser selben Weise die emanatio per naturam die emanatio per voluntatem in sich enthalten als dasjenige Moment in Gott, kraft dessen in der emanatio per naturam ein Verhältnis von Hypostasen überhaupt erst gegeben ist. Es muß also mit der emanatio per naturam, mit dem Verhältnis von producens zu productum, dem Verhältnis von esse und posse in Gott eine weitere Emanation gegeben sein, welche, mit Gottes Wesen in Einheit stehend, in der emanatio prima nicht aufgeht bzw. dieser nicht identisch ist, sondern für die emanatio prima eine relatio ad quem überhaupt erst setzt und darin die innergöttlichen Subsistenzen zu einem innergöttlich-personalen Verhältnis 255

Das ist der Sinn der von Bonaventura gegen seinen Lehrer Alexander und gegen Thomas festgehaltenen Entscheidung: Pater generat quia Deus innascibilis (I Sent, d.27 p . l a.un. q.2 ad 3; I,470b), und klarer noch: Pater ideo est pater, quia generat, e t n o n i d e o generat, quia pater (II Sent, prooem.; II,3a). Vgl. dagegen Thomas, S.th. I q.40 a.4 ad 1: quia Pater est generat. 256 V,76a; s. o. S. 279. 257 Vgl. De myst. Trin. q.4 a.2 i.e.; V,85b.

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verbindet. Dies leistet die emanatio per voluntatem, das Erströmen Gottes, welches als Heiliger Geist subsistiert. Es kommt also, wenn von innergöttlichen Hervorgängen gesprochen werden soll und innergöttliche Relationen angenommen werden sollen, entscheidend darauf an, daß das Verhältnis von esse und posse in Gott dem Wollen Gottes verbunden ist; daß der modus essendi absolutus den ihn bestimmenden Momenten von esse und posse gegenüber ein drittes, esse und posse nicht unmittelbar identisches Moment (velle) enthalte, damit sich die Identität von modus absolutus und essentia in Gott herstelle. Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: Das Verhältnis von esse und posse in Gott, welches der Sache nach den Inhalt der emanatio per naturam bezeichnet, braucht notwendig das dieses Verhältnis überschreitende Verhältnis von esse, posse und velle, um sich als Verhältnis von esse und posse zum Zuge zu bringen. Daß Gott der Vater den Sohn zeugt und dieser den Vater seinem Sein und Können nach repräsentiert und damit selber Gott ist 258 , hängt wesentlich daran, daß Gott per voluntatem emaniert, hängt an dem Vater und Sohn nicht identischen Hervorgang des Geistes. Erst angesichts dieses zweiten Hervorgangs per voluntatem kann man von innergöttlichen Hypostasen sprechen. Wenn also Bonaventura die Relationen ansiedelt nicht als Relationen zwischen Hypostasen in erster Linie, sondern als Relationen zwischen Hypostasen, sofern die Relationen den innergöttlichen Emanationen verbunden sind, so meint das der Sache nach, daß personale Subsistenz in Gott überhaupt erst mit der emanatio per voluntatem, also mit dem Hervorgang des Geistes gegeben ist 259 . Diese Überlegung beantwortet alsdann auch sogleich die Frage, warum von einer gesonderten Relation zwischen der ersten Hypostase und der dritten Hypostase oder der zweiten und der dritten Hypostase nicht gesprochen werden kann: Da die Relationen in Entsprechung zu den innergöttlichen Emanationen stehen und insofern die emanatio per voluntatem personale Subsistenz in Gott konstituiert, ist die entscheidende relatio ad des Geistes die der Bezogenheit auf die erste Emanation (per naturam) und insofern die processio aus Vater und Sohn 260 . Aufgrund der 258

Vgl. Hex. 111,4; V,343b. Wir haben oben (S. 281) die Überlegung durchgeführt unter der Frage, inwiefern in Gott mehr als eine Emanation, aber nicht mehr als zwei Emanationen anzunehmen sind, und uns darauf bezogen, daß eine distinctio personarum in Gott sola origine vel relatione stattfinden kann, woraus sich notwendig ein zweifaches Ursprunggeben in Gott ergibt. Wir müssen diese Überlegung hier noch einmal nachvollziehen, weil es jetzt darum geht, nicht mehr nur die Anzahl der innergöttlichen Emanationen festzustellen, sondern festzustellen, wie Gottes Wesen, da in ihm eine zweifache Emanation statthat, zu seiner personalen Subsistenz überhaupt kommt. Und diese Frage kann jetzt die Antwort erhalten: im Heiligen Geist. 260 Zu diesem Zusammenhang vgl. Stohr 56ff.; ebd. 60 weist Stohr darauf hin, daß „Vater und Sohn . . . des Heiligen Geistes einheitliches Prinzip" sind (mit I. Sent, d . l l a.un. q.2 ad 4; I,216b). Er sieht freilich die „Schwierigkeit, wie denn zwei Personen nur ein Prinzip sein können, da doch das bekannte Axiom gilt: actus sunt suppositorum". Bonaventuras Lösungen (bei Stohr 61 referiert) bekräftigen die hier vorgelegte Deutung: Vater und Sohn hauchen den Geist nicht als Vater und Sohn, sondern als unum principium bzw. in una fecunditate voluntatis (ebd. ad 3; 259

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Einheit von Sein und Können Gottes (als dem Inhalt der emanatio per naturam) ist der Geist niemals nur auf Gottes Sein oder nur auf Gottes Können zu beziehen, sondern er ist der Wille Gottes, mit welchem Gott, die Einheit von Sein und Können zum Zuge bringend, Gott der Geist ist im Hervorgang aus Vater und Sohn. Der als Geist subsistierende Selbstmitteilungswille Gottes ist auf diese Weise an die Natur Gottes gebunden; daß Gott sich mitteilen kann und will, hat die Unendlichkeit seines Seins und seines Könnens in ihrer Einheit zur Voraussetzung. Und insofern setzt dem ordo der innergöttlichen Hervorgänge nach die processio des Geistes die Zeugung des Sohnes voraus 2 6 1 . Anderseits aber gewinnen Sein und Können Gottes ihre Aktualität und damit Gott seine personale Subsistenz erst im Hervorgang des Geistes, so daß der Heilige Geist als die innergöttliche Hypostase erscheint, in welcher die Gottheit Gottes sich erfüllt. Wir wollen versuchen, das zu verdeutlichen: Im Anschluß an den zitierten Satz aus Brevil. 1,3 2 6 2 summiert Bonaventura die Notionen: „Weil also durch diese Bezüge (per has habitudines) uns die göttlichen Hypostasen kenntlich werden; und außerdem auch jene Hypostase, in welcher der erste ursprunggebende Grund ist (prima ratio principiandi), weil sie nicht hervorgebracht wird, zur Kenntnis kommt — denn daß sie nicht hervorgebracht wird, ist ihr besonderer Adel —, deswegen gibt es fünf Notionen, nämlich die vier genannten Relationen und die Innascibilität des Vaters." Über die göttlichen Notionen ist ihrer Bedeutung nach oben bereits einiges gesagt worden. Und entsprechend dem, was sich dort ergeben hat, nämlich, daß in ihnen die essentia Gottes in den propria personarum erkannt wird, schließt Bonaventura hier von den Notionen her auf die personalen Eigentümlichkeiten Gottes: „Und weil jede Person eine Proprietät hat, durch die sie in der Hauptsache (principaliter) kenntlich wird; deshalb gibt es nur drei personale Proprietäten in Gott, die in folgenden Namen eigentlich und hauptsächlich ausgedrückt werden: Vater, Sohn und Heiliger Geist." Und I,216ab). Darin liegt m. E. die entscheidende Aussage: Vater und Sohn sind die Hypostasen Vater und Sohn erst darunter und darin, daß sie als unum principiura den Geist hauchen. Bonaventura sagt zwar I Sent, d.27 p . l a.un. q.2 ad 3, wir können die Hypostasen Vater und Sohn ausmachen ohne Erkenntnis der Hypostase des Heiligen Geistes, aber dann betrachten wir Gott wie die Heiden (I,471b), und das heißt: wir meinen dann vielleicht Vater und Sohn zu erkennen, in Wahrheit aber sehen wir nichts. I Sent, d . l l a.un. q.2 i.e.; I,215b. Brevil. 1,3: quia cuilibet emanationi respodet duplex habitudo relativa, ideo sunt ibi quatuor relationes, scilicet paternitas, filiatio, spiratio et processio. Q u i a vero per has habitudines innotescunt nobis divinae hypostases; et praeter hoc etiam hypostasis ilia, in qua est prima ratio prineipiandi, innotescit, quia non producitur - nam hoc est nobilitatis in ipsa—ideo quinque sunt notiones, scilicet quatuor relationes praedictae cum innascibilitate. Et quia quaelibet personarum u n a m habet proprietatem, per quam principaliter innotescit; ideo tres tantum sunt proprietates personales, quae his nominibus exprimuntur proprie et principaliter, scilicet Pater et Filius et Spiritus sanetus. V , 2 1 2 a . 261 262

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nun geschieht etwas durchaus Merkwürdiges: Nachdem Bonaventura, ausgehend von der vollkommenen Selbstmitteilung Gottes, über die zwei Emanationsweisen, drei Hypostasen, vier Relationen und fünf Notionen zu den drei eigentlichen personalen Proprietäten, d. h. zu den göttlichen Personen vorgedrungen ist, entfaltet er aus der einen notio des Vaters, aus seiner innascibilitas, noch einmal die gesamte distinctio personarum. Dieser Umstand belegt nicht nur den hohen Stellenwert, der dieser Notion in der Trinitätslehre zukommt dergestalt, daß in ihr die denkbar dichteste Verbindung zwischen der Einen Essenz und den drei göttlichen Personen hergestellt ist, sondern er führt über zu jenem Teil der Trinitätslehre, der m. E. zum Wichtigsten in Bonaventuras Gotteslehre zählt: zur circumincessio personarum. Und das sieht so aus: Bonaventura bestimmt die propria personarum in dreimal drei Hinsichten 263 : Dem Vater ist eigen, daß er innascibilis ist; daß er der ursprungslose Anfang ist und daß er der Vater ist. Innascibilis bestimmt ihn negativ und im Folgeordo (ex consequenti) 264 als fontalis plenitudo; „ursprungsloser Anfang" bestimmt ihn ineins positiv (Anfang) und negativ (ursprungslos); „Vater" bestimmt ihn positiv und relational und darum im eigentlichen Sinne, vollständig und korrekt (proprie, complete et determinate). Desgleichen ist dem Sohn eigen265, daß er Bild, Wort und Sohn ist (imago, verbum, Filius). „Bild" ist er als Ausdruck der Einheit von Sein und Können Gottes 266 , und darin ist er eines Wesens mit dem Vater (similitudo conformis). „Wort" ist er als ausdrucksfähiges Bild (similitudo expressiva) und darin das Erkenntnisbild des Vaters 267 (similitudo intellectualis); Sohn ist er als Bild in Seinsidentität zum Vater (similitudo connaturalis) 268 . Als propria des Geistes ergeben sich die folgenden Bestimmungen 269 : Er ist Gabe, Band bzw. Liebe zwischen Vater und Sohn, er ist darin der Heilige 263 Ebd.: Cum enim proprium sit Patris esse innascibilem sive ingenitum, esse principium non de principio et esse Patrem; innascibilitas notificat ipsum per modum negationis, licet ex consequenti per modum positionis, quia innascibilitas in Patre ponit fontalem plenitudinem; principium non de principio, per modum positionis cum negatione; esse Patrem, per modum positionis et habitudinis, proprie, complete et determinate. V,212a. 264 Dazu s. o. S. 287. 265 Brevil. 1,3: Similiter cum Filius sit imago, verbum et filius; imago nominat illam personam ut similitudinem expressam; verbum, ut similitudinem expressivam; filius, ut similitudinem hypostaticam; rursus imago, ut similitudinem conformem; verbum, ut similitudinem intellectualem; filius, ut similitudinem connaturalem. V,212a. 266 Hex. 111,4; V,343b. 267 I Sent, d.32 a.2 q.l ad 4; I,563a; dazu Gerken 55f. 268 I Sent, d.27 p.2 a.un. q.2 i.e.: Verbum divinum dicit respectum ad Patrem dicentem ipsum, a quo generatur, per omnia consimilem. Dicit etiam respectum ad creaturam per modum exemplaritatis dispositivae et operativae. Et quia ista non dicunt respectum in actu, sed solum in habitu, dico, quod, sicut exemplar dicit respectum in habitu, et potentia similiter — quia multa seit Deus et potest, quae non facit - sie et Verbum aetemum. I,485b; vgl. Hex. XII,10; V,386a. 269 Brevil. 1,3: Per hunc modum, cum proprium sit Spiritus saneti esse donum, esse nexum seu caritatem amborum, esse etiam Spiritum sanctum; donum nominat ipsum ut datum voluntarium; Caritas sive nexus, ut datum voluntarium et praeeipuum; Spiritus sanetus, ut datum volun-

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Geist. „Gabe" benennt ihn seinem Hervorgang nach als durch den Willen gegeben. „Band" bzw. „Liebe" benennt seine Außerordentlichkeit. „Heiliger Geist" benennt ihn als gewollte und vorzügliche Gabe in hypostatischer Subsistenz. Wenn Bonaventura hier, von der innascibilitas des Vaters bzw. der primitas Gottes den Ausgang nehmend, die propria personarum entfaltet, so entspricht dieses Verfahren, wenn richtig gesehen ist, daß der Begriff der innascibilitas Patris sachlich die Zusammenfassung des Verhältnisses von essentia una und Trinitas in Gott ist, dem, was Bonaventura die circumincessio perfecta nennt. Diese betrachtet das Verhältnis der Person zur essentia, aber nun nicht bloß der Person zur essentia, sondern der Person zur dreifältigen Subsistenz des göttlichen Wesens, also in einem den Unterschied der Person von der Person, den Unterschied der Person von der Essenz und die Einheit der Personen. Das heißt, die circumincessio personarum belegt den Sachverhalt, daß, sofern die Relationen in ihrer Doppelhinsicht von in quo und ad quem die Personen konstituieren, die Seite in quo, welche den modus absolutus essendi ausmacht, als Identität von relatio bzw. persona und essentia, immer schon das In-Sein der einen Person in der anderen impliziert. Insofern beschreibt die circumincessio personarum die Einheit des göttlichen Wesens als Einheit der göttlichen Personen bei Unterschiedenheit der Personen 270 . Diese Überlegung setzt instand, die Ableitung der propria personarum aus der dem Vater zukommenden notio der innascibilitas bzw. primitas, sofern diese als notio die ratio cognoscendi ist, in welcher das göttliche esse a nullo als fontalis plenitudo das Verhältnis von Einheit und Dreiheit in Gott setzt 271 , der circumincessio ineins zu setzen, welche in vollkommener Weise das Verhältnis von Identität und Unterschiedenheit in Gott kenntlich macht 272 . tarium, praecipuum et hypostaticum. V,212a. - Eine Einzeldarstellung der propria personarum gibt Stohr 124—157. Vom proprium des Heiligen Geistes wird unten noch gesprochen werden. 270 ISent. d.19 p.l a.un. q.4i.c.: Ethaec vocatur circumincessio, quadicitur, quodunusestin alio et e converso; et hoc proprie et perfecte in solo Deo est, quia circumincessio in essendo ponit distinctionem simul et unitatem. Et quoniam in solo Deo est summa unitas cum distinctione, ita quod distinctio est inconfusa et unitas indistincta: Hinc est quod in solo Deo est circumincessio perfecta. I,349a. 271 De myst. Trin. q.8 i.e.; V,114ab. 272 Hex. XXI,2: Pater est in se et in Filio et in Spiritu saneto; et Filius est in Patre et in se et in Spiritu saneto, et Spiritus sanetus est in Patre et in Filio et in se secundum rationem circumincessionis, quae notat identitatem cum distinctione. V,431b. - Hier ist die Frage nach dem Verhältnis von primitas und circumincessio zu stellen. Da beide dem Inhalt nach zusammenkommen: sind sie austauschbar? Könnte Bonaventura, wo er innascibilitas und primitas sagt, ebenso circumincessio sagen, und wo er circumincessio sagt, primitas ? Daß beide Begriffe dem Inhalt nach zusammenkommen, bedeutet nicht ihre Austauschbarkeit. Vielmehr: Indem Bonaventura von der fontalis plenitudo hinführt zu den propria personarum und also zum Verhältnis von essentia una und tres personae in Gott, ist die circumincessio personarum die Zusammenfassung des dynamischen Prozesses, welcher mit dem Verständnis Gottes als der Quellfülle gegeben ist. Sachlich kommen beide Begriffe zusammen; denn die Dynamik Gottes ist im Begriff der primitas vollständig enthalten; da sie entfaltete Dynamik ist, ist sie im Begriff der circumincessio wieder

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Bonaventura hat die circumincessio personarum in Hex. X X I in aller Breite durchgeführt. Er nimmt seinen Ausgangspunkt beim Bild der Sonne: „So wie die Sonne 2 7 3 alles lebendig macht, alles erleuchtet, alles erwärmt; und wie jene drei: Kraft (vigor), Glanz, Wärme Eine Sonne sind und dennoch unterschieden, ohne drei Sonnen zu sein; so sind Vater, Sohn und Heiliger Geist Ein Gott. Und wie die Stärke glänzt und wärmt, der Glanz stark ist und wärmt, die Wärme stärkt und glänzt in jener sichtbaren Sonne", so sind die Personen ineinander. Und nun heißt es: „In dieser Betrachtung 2 7 4 der circumincessiven Subsistenz des göttlichen Wesens liegt der Grund der göttlichen Urbildlichkeit in Hinsicht auf alle Erleuchtungen." Diesen schwierigen und eigentlich nicht übersetzbaren Satz verstehe ich so: Darin, daß Gott circumincessive subsistiert, ist die gesamte Trinität das exemplar 2 7 5 . Das heißt, daß Gott das Urbild aller Dinge ist, hängt nicht an einer bestimmten göttliaufgenommen. Der Unterschied der Begriffe ist daher ein Unterschied der Fragestellung, welche einmal fragt: Wie ergibt sich die Trinität aus der anfangslosen und ursprungslosen Einheit Gottes, aus der primitas?; und welche zum andern fragt: Wie versteht sich aus der trinitarischen Subsistenz heraus das Verhältnis von Einheit und Unterschiedenheit? Und nun ist wiederum nach dem sachlichen Grund der Unterschiedenheit der Fragestellung zu fragen, und wieder ist auf die göttliche Dynamik zu verweisen. Aus Gott heraus, der der Deus primus, trinus et unus ist, ist die göttliche Dynamik von ihrem Ursprung her, von der primitas her akzentuiert (und insofern ist unter dem Begriff der primitas Gott ex parte Dei betrachtet). Da aber Gott der Deus primus, trinus et unus ist, ist ex parte animae die Sicht der göttlichen Dynamik durch den Ansatz bei seiner trinitarischen Subsistenz akzentuiert und also zu fragen, wie sich Einheit und Dreiheit von der Trinität her verhalten. Beide, primitas wie circumincessio, betrachten damit die eine selbe Dynamik Gottes, aber sie betrachten sie in je verschiedener Weise und Hinsicht, sofern der Entfaltung Gottes beide Hinsichten zugehörig sind. 2 7 3 Hex. X X I , 2 : S i c u t . . . sol cuncta vivificat, cuncta illustrat, cuncta calefacit; et sicut ista tria: vigor, splendor, calor sunt unus sol, et tarnen habent distinctionem nec sunt tres soles; sic Pater et Filius et Spiritus sanctus unus Deus. Et sicut vigor est splendens et calens, splendor est vigens et calens, calor vigens et splendens in isto sole visibili; sie Pater est in se et in Filio et in Spiritu saneto, et Filius est in Patre et in se et in Spiritu saneto, et Spiritus sanctus est in Patre et in Filio et in se secundum rationem circumincessionis, quae notat idenditatem cum distinetione. V,431b. 2 7 4 Hex. X X I , 3 : In hac consideratione est quaedam ratio exemplaritatis divinae respectu omnium illuminationum; sed quaedam illuminatio respondet Patri, secundum quod est in se ipso; et alia, secundum quod est in Filio; et alia, secundum quod est in Spiritu saneto. - Et alia est Filii, ut est in se ipso; alia, ut est in Patre; et alia, ut est in Spiritu saneto. - Et alia est Spiritus saneti, ut est in se; et alia, ut est in Patre; et alia, ut est in Filio. - Et secundum hunc numerum novenarium habent illuminationes esse. Hae illuminationes habent esse in consideratione Patris et Filii et Spiritus saneti in se ipsis, et sunt tres; et aliae, in ipsis ut ad invicem relatis, et sunt sex; et ita sunt novem. Et propter illas sex sexies dicit Deus: Fiat; et factum est, in operibus sex dierum. V,432a. Der Begriff exemplaritas steht nicht in Rep. A, welche liest: Huic circumincessioni in divinis personis respondent illuminationes novem. Nam tres sunt absolutae aeeeptionis: quia Pater aeeipitur in se, Filius in se, Spiritus sanctus in se. Sex autem sunt comparationes: quia Pater in Filio et est in Spiritu Saneto, item Filius est in Patre et Spiritu Saneto, Spiritus Sanctus est in Patre et in Filio. Secundum has sex comparationes personarum ad invicem dictum est sex viribus Gen. 1: Dixit Deus: fiat, et factum est. Delorme 2 3 4 f . 2 7 5 „Quaedam" in der Wendung „quaedam ratio exemplaritatis" ist hier nichtim Sinne eines indefiniten Pronomens zu übersetzen, sondern dürfte dem deutschen Wort „gewissermaßen", „in bestimmter Weise" entsprechen.

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chen Person, sondern in der vollständigen trinitarischen Entfaltung seines Wesens ist Gott das Urbild. Nun wessen Urbild bzw. Urbild wofür? Die Antwort heißt: Urbild unter Hinsicht (respectu) aller Erleuchtungen (omnium illuminationum). Der Begriff „illuminationes" an dieser Stelle ist einigermaßen schwierig. Was damit gemeint ist, zeigt sich im weiteren Verlauf des Abschnitts: „Es entspricht aber eine bestimmte Erleuchtung dem Vater, demgemäß er in sich selber ist; und eine andere, demgemäß er im Sohn ist; und eine dritte, demgemäß er im Heiligen Geist ist." Und wiederum eine andere dem Sohn in sich selbst, eine andere dem Sohn im Vater etc., so daß sich insgesamt eine Neunzahl von illuminationes ergibt. Die „omnes illuminationes" aus dem Satz Hex. XXI,3 sind also der Zahl nach neun. So verstanden heißt jetzt der erste Satz: In der Betrachtung der circumincessiven Subsistenz des göttlichen Wesens zeigt sich die göttliche Exemplarität oder Urbildlichkeit in neun Erleuchtungen. Diese neun Erleuchtungen haben ihren Ort in der Betrachtung des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes in sich, und so hat man drei Erleuchtungen; und die anderen haben ihren Ort in der circumincessiven Bezogenheit der Personen, also des Vaters im Sohn und im Geist, des Sohnes im Vater und im Geist, des Geistes im Vater und im Sohn, und daraus ergeben sich noch einmal sechs Erleuchtungen. Es ergeben sich also neun illuminationes und unter Hinsicht oder in diesen neun ist Gott das exemplar. Der einleitende Satz heißt also nicht: In der Betrachtung der circumincessio liegt der Grund dafür, daß Gott das Urbild aller Erleuchtungen ist; sondern gemeint ist: In der Betrachtung der circumincessio zeigen sich den Personen, da sie in sich sind, drei, und da sie einander circumincedieren, sechs, insgesamt also neun Erleuchtungen anhangend, und im Blick auf diese neun Erleuchtungen ist Gott das Urbild 276 . Damit zeitigt die Erläuterung dieses etwas queren Satzes von Hex. XXI,3 ein erstes Ergebnis: Die neun illuminationes, sofern sie sich aufteilen in drei, welche am In-sich-Sein der Personen hangen, und sechs, welche am Ineinandersein der Personen hangen, diese neun illuminationes, da sie an der circumincessio als dem Verhältnis von identitas cum distinctione hangen, bezeichnen offensichtlich in ihrer Dreizahl die propria personarum — denn wenn man den Vater betrachtet und den Sohn und den Geist, und es sind drei, so sind dies personale Proprietäten oder drei Personen, und darum hat man drei - und in ihrer Sechszahl die essentialen Proprietäten Gottes, welche allen drei Personen gemeinsam zukommen, so daß also in der Betrachtung der circumincessio über die propria personarum Appropriationen gemeinsamer Wesensmerkmale Gottes an die einzelnen Personen stattfinden. Dies ist der Skopus des ebenfalls etwas schwierigen Satzes, mit dem Bonaventura diese Überlegung zusammenfaßt: Intelligendum ergo, quod de Deo trino et uno fiunt appropriationes proprietatum essentialium appropriatarum secundum hunc numerum novenarium 277 . 2 7 6 Nyssen 6 5 1 läßt die Sache im unklaren, wenn er übersetzt: „In diesem Anblick liegt ein Grund für die göttliche Urbildung hinsichtlich aller Erleuchtungen." 2 7 7 Ich halte diesen Satz für unübersetzbar und zitiere deshalb aus dem Original. In freier

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Damit sind wir ein gutes Stück voran: Wenn ich den Abschnitt richtig verstehe, so liegt ihm zufolge der Grund der Möglichkeit, Appropriationen zu erzielen, also gemeinsame göttliche Wesensmerkmale zu den einzelnen göttlichen Personen in besondere Beziehung zu setzen, an dem circumincessiven Verhältnis der göttlichen Personen untereinander. Daß also appropriiert wird, liegt an der besonderen Beschaffenheit der innergöttlichen Beziehungen 278 ; und appropriiert wird gemäß der Neunzahl an Erleuchtungen. „Einige" 279 , fährt Bonaventura fort, und es ist zunächst unklar, ob proprietates essentiales oder der Sache nach illuminationes das Subjekt des folgenden Satzes sind, „einige betrachten (respiciunt) die Trinität als ursprunggebenden Anfang, einige als leitende Mitte, einige als endliche Fülle, die alles beseligt, nämlich, was selig gemacht werden kann. Daher ist die Trinität die ursprunggebende, leitende und vollendende bzw. beseligende Sonne aller Dinge." Diese letzte Dreizahl ergibt sich aus der Appropriation von gemeinsamen Proprietäten an die göttlichen Personen nach der Neunzahl der illuminationes. Fragen wir nun, was diese illuminationes sind, so heißt die Antwort: Die Erleuchtungen sind das Verhältnis von propria personarum und proprietates essentiales, und als dieses, das Verhältnis von persona und essentia in Gott zusammenfassende Verhältnis sind sie der Ermöglichungsgrund der Appropriationen. Damit stehen wir vor einer Aussage, die uns der Sache nach seit dem zweiten Kapitel längst geläufig ist: Gott ist die Wahrheit und das exemplar wesentlich als erleuchtender Gott. Er ist der erleuchtende Gott, indem er dreifältig subsistiert; und indem er dreifältig subsistierend der erleuchtende Gott ist, sind seine Wesenseigenschaften immer schon Personeneigentümlichkeiten; und seine Wesenseigenschaften sind immer schon Personeneigentümlichkeiten in dem Verhältnis, in welchem Gott im Verhältnis von essentia und persona in einem bestimmten Weltverhältnis steht: als originans principium, gubernans medium und finale complementum. Gott, da er in sich circumincessive betrachtet wird, ist nicht nur in sich betrachtet, sondern in seinem bestimmten Verhältnis zur Welt 280 . Und nun erWiedergabe müßte er etwa heißen: „Wenn man die circumincessio betrachtet, so muß man sehen, daß, sofern Gott der dreieine ist, an die einzelnen Personen Zueignungen getroffen werden; und zwar werden nach der Weise, wie die Neunzahl der Illuminationen gewonnen ist, Wesenseigentümlichkeiten Gottes den einzelnen Personen appropriiert." Hex. XXI,4; V,432a. - Rep. A: Intelligendum est ergo, quod Deo trino et uno secundum hunc novenarium fiunt appropriationes appropriabilium essentialium. Delorme 235. 2 7 8 Daß nunmehr hier, in der circumincessio personarum, der Grund von Appropriationen liegt, widerspricht keineswegs der oben (S. 288) getroffenen Feststellung, derzufolge in den Notionen, insonderheit in der innascibilitas, die Möglichkeit von Appropriationen beschlossen liegt. Vielmehr bestätigt dies den Sachverhalt, daß Gottes primitas und die circumincessio der Sache nach denselben Gegenstand, wenn auch in anderem Denkanlauf, meinen (s. o. Anm. 272). 2 7 9 Hex. XXI,4: Quaedam respiciunt Trinitatem ut originans principium, quaedam ut gubernans medium, quaedam ut finale complementum, ut beatificans omnia, scilicet beatificabilia. Unde Trinitas est sol universorum principativus, gubernativus, consummativus vel beatificativus. V,432a. 2 8 0 Hex. XXI, 11: Haec appropriata respiciunt Deum non solum in se, sed ut est principium et origo originans, gubernans, beatificans. V,433a. - R e p . A; Delorme 2 3 9 deckt diesen Satz nicht. 20

Fischer, De Deo trino

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scheint, auf diesem Hintergrund, in dichtester Verklammerung noch einmal die Betrachtung Gottes in sich und in seinem Weltverhältnis. Gott ist origo originans nach Kraft, Weisheit und Willen und darin aktual dreifältig in sich 281 . Er ist medium gubernans, und darin wird dreierlei ihm zugeeignet: Frömmigkeit, Wahrheit, Heiligkeit; und darin fließen von ihm das Gesetz der Natur, die Schrift und die Gnade 282 . In dieser göttlichen emanatio ad extra ist Gott der fromme Verehrer seiner selbst, der wahre Bekenner seiner selbst, liebt er sich selbst aufs heiligste 283 . Er ist das beseligende Ziel, und darin wird ihm zugeeignet Ewigkeit, Schönheit (formositas), Lieblichkeit (iucunditas)284. Es ist, wie mir scheint, überhaupt kein Wunder, daß in dieser breit angelegten Entfaltung der circumincessio personarum vollkommen die Sichtgrenze verschwindet, welche trennt, wo Gott in sich und wo er in seinem Weltverhältnis betrachtet wird 285 . Denn so eindeutig die neun illuminationes ad extra verweisen 286 , so eindeutig verweisen die vom Werk Gottes ad extra getroffenen Appropriationen wiederum ad intra: „Aus den ersten Lichtern der Ewigkeit 287 (sc. aus neun illuminationes und daraus sich ergebenden appropiationes) werden demgemäß, wie Gott in sich bestimmt ist und wie das Ver281 Hex. XXI,5: Secundum quod est origo originans, sie sunt tria appropriata, silicet potentia, sapientia, voluntas. Haec tria sunt necessaria prineipio originanti. Sapientia enim fundatur in aliqua potentia. Si enim potentiam non haberet, nihil posset producere. Si haberet potentiam, et sapientiam non haberet; non produceret sapienter, quia potentia sine sapientia praeeeps est. Item, si haberet potentiam et sapientiam, et nollet; tunc aut nihil produceret, aut invitus esset, et sie esset miser. Et sic patet, quod voluntas reducit prineipium in actum. - Et quia in his etiam est ratio prineipationis aeternae, ideo appropriantur haec tria ipsis, non solum ut prineipium originans aliorum, sed etiam respectu personarum. V,432a. 282

Hex. XXI,6: Secunda appropriatio est soli aeterno, secundum quod est medium cuncta gubernans; et secundum hoc sunt tria appropriata, scilicet pietas, Veritas, sanetitas; quia omnis gubernatio et omnis legislatio est pia, vera, saneta. . . Ab his enim tribus manant tres leges, nec possunt esse plures, silicet naturae, legis scriptae et gratiae. V,432a. 283 Hex. XXI,7: Et secundum haec tria Deus est pius cultor sui, verus professor sui, sanetus amator sui. V,432b. 284 Hex. XXI,11: Tertia appropriatio convenit Deo, ut est in ratione beatificantis; et secundum hoc sunt tria: aeternitas, formositas, iucunditas. V,433a. 285 Die Hrsgb. bemühen sich, in ihren Randbemerkungen und in ihrem Scholion zum Hexaemeron (V,454) eine solche Trennlinie sichtbar zu machen. Sie teilen Hex. X X I , 2 - 1 5 auf wie folgt: In der göttlichen Sonne selbst werden neun Illuminationen unterschieden (2.3); neun Appropriationen werden getroffen in bezug auf die opera ad extra (4-11); neun Eigentümlichkeiten sind in Gott selbst (12-15). 286 Hex. XXI,3: Et propter illas sex (illuminationes in personis ut ad invicem relatis) sexies dixit Deus: Fiat, et factum est. V,432a. 287 Hex. XXI,12-15: Ex primis luminibus aeternitatis, secundum quod est in se ipsa et ad alias personas, accipiuntur novem considerationes, quae sunt in primo monarcha, et in nullo alio inveniuntur omnes. Iste ergo, qui est summe vigens, summe fulgens, summe calens, iste solus est prineeps, qui est prineipium in producendo, medium in gubernando, finis in beatificando, in omnibus primatum tenens. Ad hoc autem, quod sit verus monarcha, debet esse summa celsitudine pollens, summa fortitudine praesidens, summa dulcedine pascens: primum Patri, secundum Filio, tertium Spiritui saneto; summa celsitudine pollens Pater in se, summa celsitudine pol-

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hältnis der Personen zueinander zu bestimmen ist 288 , neun Betrachtungen aufgenommen, die in Gott sind und nur in ihm 289 . Der also, der zuhöchst kräftig ist, strahlend und wärmend, der allein ist der Erste (princeps), der der Ursprung ist im Hervorbringen, die Mitte im Lenken, das Ziel in der Beseligung. Er allein ist der Erste, der in allem den Primat innehat (Kol. 1,18). Damit er aber der wahre Herr sei, muß er mächtig sein in Hoheit, schirmend in Stärke, weidend in Milde: das erste ist dem Vater, das zweite dem Sohn, das dritte dem Heiligen Geist zu eigen; in höchster Hoheit mächtig ist der Vater in sich, in höchster Hoheit mächtig ist er im Sohn, in höchster Hoheit mächtig ist er im Heiligen Geist. Und so ist auch mit den anderen Personen zu verfahren. Wir haben also einen Herrn, zuhöchst mächtig, zuhöchst schirmend, aufs mildeste weidend. Damit er aber zuhöchst mächtig sei, muß er höchst heilig sein, höchst weise, höchst fest: höchst heilig, da er das Gute liebt, höchst weise, da er das Wahre erkennt, von höchster Festigkeit, da er gerecht richtet (in decernendo iusta). Die höchste Festigkeit kommt dem Vater zu, da er in sich ist; die höchste Weisheit ihm im Sohn; die höchste Heiligkeit ihm im Heiligen Geist. lens in Filio, summa celsitudine pollens in Spiritu sancto; et sie de aliis personis. Habemus igitur monarcham summe pollentem, summe praesidentem et dulcissime pascentem. Ad hoc autem, quod sit summe pollens, necesse est, ut sit summe sanetus, summe sapiens, summe stabilis: summe sanetus in diligendo bona, summe sapiens in discernendo vera, summe stabilis in decernendo iusta. Summa stabilitas convenit Patri, secundum quod est in se; summa sapientia, secundum quod est in Filio; summa sanetitas, secundum quod est in Spiritu sancto. Ad hoc autem, quod sit summa fortitudine praesidens, necesse est, quod sit monarcha summe authenticus, summe praevalidus, summe invictus; authenticus in praeeipiendo, praevalidus in prosequendo, invictus in triumphando: authenticus in statuendo leges, praevalidus vel virilis in ministrando vires, invictus in superando hostes, ut appareat victoriosus. Auctoritas convenit Filio, secundum quod Filius est in Patre; virilitas, ut est in se ipso; triumphus, ut est in Spiritu s a n c t o . . . Tertio ad hoc, quod sit summa dulcedine pascens, necesse est, ut sit summe strenuus in deducendo vel praeeundo vel manuducendo, summe sagax in erudiendo, summe sedulus in custodiendo; ut strenue praecedat, sagaciter doceat, sollicite custodiat; deducat per exempla, erudiat per documenta, custodiat per adiutoria. Et sie Spiritus sanetus deducit, secundum quod est in Patre; erudit, secundum quod est in Filio; custodit, secundum quod est in se ipso. V,433ab. - Rep. A; Delorme 23 9 f. liest im wesentlichen ebenso. 288 Rep. Β ist hier offensichtlich ein wenig verzogen. Eine wörtliche Übersetzung müßte heißen: „Aus den ersten Lichtern der Ewigkeit, wie sie in sich selber und zu den anderen Personen hin i s t . . . " (so übersetzt Nyssen 661). Die Klippe dieser Formulierung liegt darin, daß die Ewigkeit offenbar als ein proprium personae verstanden ist, wenn der Referent sagt: ad alias personas. Anderseits ist ein proprium personae nie in se, sondern in quo, der essentia nämlich, und darin proprium ad. „In se" dagegen ist Gott, und „in se" betrachtet werden die Eigenschaften der essentia, und dann wiederum nicht ad alias personas, sondern ad personas bzw. ad Trinitatem; vgl. De myst. Trin. q.5 a.2 i.e.; V,94b. - Rep. Α bringt diesen Satz nicht. 289 Für die considerationes gilt dasselbe wie für die illuminationes: Diese sind Erleuchtungen, jene sind Betrachtungen von Erleuchtungs- und Betrachtungsinhalten (Rep. A; Delorme 239 spricht von conditiones, nicht von considerationes). Es geht um je dieselben wesenhaften und persönlichen Bestimmungen Gottes. - M a n darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß Bonaventura die circumincessio personarum in der vierten Vision, der der durch Beschauung erhobenen Seele, erörtert. In ihr sind Gott, Kirche und Seele einander so nahe, daß sie eigentlich nur noch als verschiedene Hinsichten einer Sache erscheinen. Und es wäre durchaus sachgemäß

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Damit er aber in höchster Stärke schirmend sei, muß der Herr von höchstem Adel sein, von höchster Stärke (praevalidus), ganz unbesiegt: von Adel, da er seine Gesetze gibt, stark, da er kräftig wirkt (in prosequendo vel ministrando vires), unbesiegt im T r i u m p h . . . Der Adel kommt dem Sohn zu, wie er im Vater ist; die Kraft ihm in sich selbst; der Sieg ihm im Heiligen Geist. Zum dritten, daß er in höchster Milde weidend sei, muß er höchst entschlossen sein, da er hinabführt bzw. vorangeht bzw. an der Hand führt: höchst weise (sagax) im Erziehen, höchst aufmerksam (sedulus) im Bewahren, damit er entschlossen vorangehe, weise unterrichte, achtsam wache; damit er hinabführe durch Vorbilder, erziehe durch Lehrbeispiele (documenta), bewahre durch Hilfe. Und so führt der Heilige Geist hinab, da er im Vater ist; erzieht er im Sohn; wacht er in sich selbst." Dieser Abschnitt muß in seiner Gesamtheit wiedergegeben werden, damit man sieht, worum es geht. Denn die neun Betrachtungen, die Bonaventura hier anführt, sind, wie die Hrsg. anmerken, Betrachtungen Gottes in sich: Wie Gott in sich ist und die Personen sich untereinander verhalten 290 . Was aber in der Ausführung erscheint, ist nicht Betrachtung Gottes in sich, sondern Betrachtung Gottes in seinem Werk, so daß, nachdem Hex. XXI,3—11 aus dem Werk Gottes die Appropriationen göttlicher Wesensmerkmale an die einzelnen Personen getroffen sind, diese selben Appropriationen aus dem Werk als Eigentümlichkeiten der Personen in Gott selbst erscheinen und also das proprium des Vaters, nämlich der Vater zu sein, und ebenso die propria der anderen Personen in ihrer Erstreckung auf Welt sichtbar werden. Das bestimmte Verhältnis Gottes zur Welt, Schöpfung, Erhaltung und Beseligung, sind auf diese Weise in den propria der göttlichen Personen grundgelegt und sind insofern wesenhafte Bestimmungen Gottes selber. Für den Zusammenhang, in dem hier die circumincessio erörtert wird, ist allerdings noch etwas anderes von Belang, und das zeigt sich, wenn wir diesen ganzen Komplex im Schmea darstellen. Pater vigor

Filius splendor

Spiritus sanctus calor

unus Deus origo ortgtnans potentia sapientia voluntas

medium pietas Veritas sanctitas

gubernans

finale complementum aeternitas formositas iucunditas

pollens Pater santus in diligendo bona (Pater in Sp. s.)

praesidens Filius authenticus in statuendo leges (Filius in Patre)

pascens Spiritus santus strenuus in deducendo (Spiritus in Patre)

die Frage zu stellen, was Bonaventura nach dieser vierten Vision noch hätte traktieren wollen und können. 2 9 0 Hex. X X I , 1 2 ; V , 4 3 3 a .

308

sapiens in discernendo vera (Pater in Filio) stabilis in decernendo iusta (Pater in se)

praevalidus in ministrando vires (Filius in se) invictus superando hostes (Filius in Sp. s.)

sagax erudiendo per documenta (Spiritus in Filio) sedulus in custodiendo per adiutorium (Spiritus in se)

Diesem Schema stellen wir jetzt einen schematischen Aufriß der dreifachen Bestimmung der drei propria personarum von Brevil. 1,3 gegenüber 1. Person

2. Person

3. Person

per modum negationis et ex consequent!

similitudo expressa conformis

datum voluntarium

innascibilis et fontalis plenitudo

tmago

donum

per modum positionis cum negatione

similitudo expressiva intellectualis

datum voluntarium et praecipuum

principium non de principio

Verbum

Caritas swe nexus

per modum postionis et habitudinis

similitudo hypostatica connaturalis

datum voluntarium, praecipuum et hypostaticum

Pater

Filius

Spiritus

sanctus

und um die Vergleichbarkeit beider Schemata herzustellen, ziehen wir eine dritte Stelle im Werk Bonaventura hinzu, in der die Ausführungen zur circumincessio personarum aus Hex. XXI und zu den propria personarum aus Brevil. 1,3 zusammengefaßt sind. In De triplici via 291 benennt Bonaventura in dreimal drei Bestimmungen die gemeinsamen Wesenseigenschaften Gottes: Gott ist das erste Wesen (essentia prima), vollkommene Natur, seliges Leben; und wiederum: gegenwär291 De tripl. via 111,11: intelligimus, in divinis esse quaedam ut communia, quaedam ut propria, quaedam ut appropriata, quae quidem sunt media inter haec et illa. Intellige igitur et contemplare, si potes, communia circa Deum et vide, quoniam Deus est essentia prima, natura perfecta, vita beata; quae necessariam habent consequentiam. - Rursus attende et vide, si potes, quoniam Deus est aeternitas praesens, simplicitas replens, stabilitas movens; quae similiter consequentiam et connexionem naturalem habent. - Postremo attende, quoniam Deus est lux inaccessibilis, mens invariabilis, pax incomprehensibilis; quae non tantum essentiae unitatem, sed etiam includunt perfectissimam Trinitatem. Lux quidem tanquam parens generat splendorem, splendor autem et lux producunt calorem, ita quod calor procedit ab utroque, licet non per modum prolis. Si ergo Deus vere lux est inaccessibilis, ubi splendor et calor est substantia et hypostasis, vere in Deo est Pater et Filius et Spiritus sanctus, quae sunt propria divinarum personarum. — Mens etiam tanquam principium concipit et producit ex se verbum, a quibus emanat amoris donum; et hoc est in omni mente perfecta reperire. Si ergo Deus est mens invariabilis, planum est, quod in divino esse est Principium primum, Verbum aeternum, Donum perfectum, quae sunt propria divinarum personarum. - Pax etiam includit nexum plurium; perfecte autem necti

309

tige Ewigkeit, erfüllende Einfachheit 292 , bewegende Festigkeit; und schließlich: unzugängliches Licht (lux inaccessibilis), unveränderlicher Sinn, unbegreiflicher Friede. Aus dem letzten Ternar entwickelt Bonaventura dreifach die Trinität: Das Licht erzeugt den Glanz; Glanz und Licht bringen Wärme hervor - also sind in Gott drei Personen: Vater, Sohn und Geist. Der Sinn entwirft das Wort; aus Sinn und Wort erströmt die Gabe der Liebe—also sind in Gott das primum principium, das ewige Wort, die vollkommene Gabe; und das sind die Eigenheiten der göttlichen Personen. Frieden schließlich umfaßt die Verbindung mehrerer; vollkommen verbunden aber sind nur solche, die sich ähnlich sind; ähnlich sind sich untereinander nur zwei, die gemeinsam von einem Dritten sind, oder einer, der aus einem anderen ist. In Gott können aber nicht zwei von einem Dritten sein auf dieselbe Weise - also setzt der Begriff des wahren Friedens notwendig den ersten Ursprung, dessen Bild und beider Verbindung. Es ergeben sich hier also wieder für jede göttliche Person drei Bestimmungen: In der Ableitung aus dem Licht Pater

Filius

Spiritus sanctus

In der Ableitung aus der mens primum principium

Verbum aeternum

donum perfectum

In der Ableitung aus dem Frieden origo

imago

connexio

Hält man neben dieses Schema die je dreifältige Bestimmung der propria personarum aus Brevil. 1,3, so wird deutlich, daß beide Stellen vom selben Sachverhalt handeln. Bis auf eine einzige Verschiebung im Bereich der propria des Geistes 293 sind beide Schemata genau deckungsgleich 294 , mit dem non possunt nisi similes; similes autem non sunt, nisi ambo a tertio, vel unus ab altero. Sed in divinis non possunt ambo esse a tertio eodem modo: necesse est ergo, quod si in divinis est vera pax, quod ibi sit prima origo, eius imago, utriusque connexio. VIII, 16b f. - Entgegen dem sonstigen Gebrauch ist „mens" hier mit „Sinn" wiedergegeben, weil, da mens auf Gott angewandt wird, weder „Gemüt" noch „Seele" noch „Bewußtsein" sachgemäß eintreten können. Die Übersetzung mit „Sinn" soll an dieser Stelle verdeutlichen, daß Gott in seiner Unveränderlichkeit in bestimmter Weise sein Wort hervorbringt. 2 9 2 Die Bezeichnung der simplicitas Dei durch das Beiwort replens belegt, daß die Einfachheit Gottes hier in dem oben erörterten Sinne verstanden werden muß. 2 9 3 In De triplici via haben gegenüber Brevil. 1,3 in der Bestimmung des Heiligen Geistes donum und nexus die Plätze getauscht: nexus ist nicht mittlere, sondern abschließende Bestimmung, während donum jetzt in der Mitte steht. 2 9 4 Ich sehe in der Sache keinen Unterschied, wenn die notio des Vaters ex consequenti fontalis plenitudo oder origo originans originantem (XI,6; V,38 la) oder principium non de principio oder primum principium heißt.

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Unterschied freilich, daß die Ableitung der propria personarum von Brevil. 1,3 aus der innascibilitas Patris die Ableitungen von De triplici via rückwärts liest, so daß also die Ableitung, die dort an dritter Stelle erfolgt, die aus dem Frieden, in Brevil. 1,3 an erster Stelle steht 295 . Dieser Unterschied hat sein Gewicht, denn da beide Schemata denselben Sachverhalt unter je verschiedenem Blickwinkel betrachten, erhebt sich die Frage, wer oder was gleichsam im Scharnier dieser spiegelbildlich aufeinander bezogenen und zu beziehenden Aussagereihen stehe. Wir lösen diese Frage noch nicht, sondern versuchen zunächst, aus der Inhaltsgleichheit beider Schemata Nutzen für die Erörterung der circumincessio personarum aus Hex. XXI zu ziehen. Und dieser Nutzen liegt darin, daß wir über De triplici via legitimiert sind, die propria personarum von Brevil. 1,3 circumincessive zu verstehen, also den dort, im Breviloquium, entfalteten Sachverhalt im Hexaemeron aufzusuchen. Denn die erste Ableitung der propria personarum in De triplici via, die aus dem Verständnis Gottes als eines unzulänglichen Lichts, die der Sache nach dem Verständnis in Brevil. 1,3 entspricht, in welchem die erste Person per modum positionis et habitudinis der Vater, die zweite Person hypostatisch der Sohn und die dritte Person hypostatisch der Geist ist, nimmt wörtlich denselben Weg wie die Erörterung der circumincessio personarum in Hex. XXI: Hier (im Hexaemeron) wie dort (in De triplici via) sind die Subsistenzen des Einen göttlichen Wesens zunächst im Ternar von vigor, splenor und calor begriffen und darin als Vater, Sohn und Geist. Und hier wie dort wird ein dreifacher Appropriationszusammenhang hergestellt: Im ersten Ternar - unitas, Veritas, bonitas - wird die Einheit dem Vater als dem Ursprung, die Wahrheit dem Sohn als dem Bild, die Güte dem Geist als dem Liebesband (connexio) beider zugeeignet296. Diese erste Appropriation geschieht also gemäß der Entfaltung der Dreiheit aus dem Frieden, in welcher die Personen als origo, imago und connexio erscheinen. Im zweiten Ternar - potestas, sapientia, voluntas - wird die Macht dem Vater als dem principium, die Weisheit dem Sohn als dem Wort, der Wille dem Geist als der Gabe appropriiert. Hier ist die Entfaltung der Personen aus der mens leitend 297 . Im dritten Ternar - altitudo, pulchritudo, dulcedo - wird die Höhe dem Vater appropriiert um der Einheit und Macht willen, also um des ihm als der 295 Diese Differenz ist nicht eine der Sache, sondern des Blickpunkts. Brevil. 1,3 denkt von Gott aus und setzt insofern bei der Quellfülle Gottes an. De triplici via denkt wie das Itinerarium vom Aufstieg her und hat ex parte animae das primum principium als seinen Frieden vor sich. Vgl. Itn. Prol. 1: In principio primum principium . . . invoco . . . u t . . . det illuminatos oculos mentis nostrae ad dirigendos pedes nostros in viam pads illius, quae exsuperat omnem sensum. V,295a. 296 De tripl. via 111,12: Deinde in divinis sunt appropriata secundum triplicem differentiam. — Prima appropriata sunt unitas, Veritas, bonitas. Attribuitur unitas Patri, quia origo; Veritas Filio, quia imago; bonitas Spiritui sancto, quia connexio. VIII,17a. 297 Ebd.: Secunda appropriata sunt potestas, sapientia et voluntas: potestas Patri, quia Principium; sapientia Filio, quia Verbum; voluntas Spiritui sancto, quia Donum. VIII,17a.

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origo (Einheit) und ihm als dem principium (Macht) Appropriierten willen; die Schönheit dem Sohn um der Wahrheit und Weisheit, also um des ihm als der imago (Wahrheit) und ihm als dem Verbum (Weisheit) Appropriierten willen 298 ; die Milde wird dem Geist appropriiert um des Willens und der Güte, also um des ihm als dem Liebesband (Güte) und ihm als der Gabe (Wille) Appropriierten willen 299 . Und hier führt die Ableitung der Personen aus dem Licht. Blickt man von diesen Appropriationen aus wieder auf Hex. XXI, so zeigt sich zunächst eine eigenartige Verschiebung. Die in De triplici via den göttlichen Personen unmittelbar appropriierten proprietates essentiales, also die genannten drei Ternare, werden in Hex. XXI nicht den göttlichen Personen für sich appropriiert, sondern den göttlichen Personen, sofern sie circumincessive subsistierend Ein Gott sind in einem bestimmten Selbst- und Weltverhältnis: als origo originans, medium gubernans und finale complementum. Und zwar wird in Hex. XXI der Ternar potentia, sapientia, voluntas, der in De triplici via den göttlichen Personen appropriiert wird, soweit sie aus der mens als principium, Verbum und donum abgeleitet sind, Gott zugeeignet, sofern er die origo originans ist 300 , so daß also über diese Appropriationen der als principium, Verbum und donum subsistierende Gott in seinem inneren personalen Selbstverhältnis als Gott der Schöpfer erscheint 301 . Der Ternar unitas, Veritas, bonitas, der in De triplici via den göttlichen Personen appropriiert wird, soweit sie aus dem Frieden als Ursprung, Bild und Liebesband abgeleitet sind, wird Gott zugeeignet, sofern er das medium gubernans ist 302 , so daß also über diese Appropriationen der als Ursprung, Bild und Liebesband subsistierende Gott in seinem inneren personalen Selbstverhältnis als die erhaltende Mitte von Welt erscheint. Der dritte Ternar aus De triplici via, altitudo, pulchritudo, dulcedo, der dort der Ableitung der Personen aus dem Licht als vigor, splendor, calor, als 298 Ebd.: Tertia appropriata sunt altitudo, pulcritudo et dulcedo: altitudo Patri, propter unitatem et potestatem! Nihil enira aliud est altitudo quam singularis et unica potestas. Pulcritudo Filio, propter veritatem et sapientiam. Nam sapientia multitudinem idearum, Veritas autem aequalitatem includit;,pulcritudo autem nihil aliud est quam aequalitas numerosa' (secundum Augustinum). Dulcedo Spiritui sancto, propter voluntatem et bonitatem. Ubi est summa bonitas iuncta cum voluntate, ibi est summa Caritas et summa dulcedo. - Est igitur in Deo altitudo terribilis, pulcritudo mirabilis, dulcedo desiderabilis, et hie est status. VIII,17b. 299 Vgl. Anm. 296-298. 300 Hex. XXI,5. Insofern wird dieser Ternar im Grunde dem Verhältnis von Vater und Sohn appropriiert, denn in bezug auf den Geist sind beide origo originans (vgl. Hex. XI,6; V,381a). 301 Hex. XXI,5: appropriantur haec tria ipsis, non solum ut principium originans aliorum, sed etiam respectu personarum. 302 Hex. XXI,6; V,432 a. Der Ternar heißt hier freilich pietas, veritas, sanctitas. Das bedeutet keine inhaltliche Verschiebung, sondern nimmt den Sachverhalt auf, daß der Eine Gott in seiner trinitarischen Entfaltung der fromme Gott ist, von welchem der Glaube altissime et piissime denkt. Diese Verschiebung bietet so einen Beleg für das oben (S. 188 ff.) vorgelegte Verständnis der unitas Gottes, sofern Gottes pietas, in ihrem Bezug auf veritas an die Stelle der unitas tretend, ein Interpretament zu dieser ist. Pius aber ist Gott, quia cetera ab ipso und darin als der Deus relevans (s. o. S. 141 ff. zu De myst. Trin. q.l a.2).

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Vater, Sohn und Geist appropriiert ist, weil die anderen Appropriationen vollzogen sind, erscheint in Hex. XXI als die alle vorhergehenden Zueignungen zusammenfassende Appropriation: Gott der Vater ist celsitudine pollens als das principium in producendo 303 , und das heißt nichts anderes, als daß er der Deus altus ist, weil (mit De triplici via) ihm Einheit und Macht zu appropriieren sind. Gott der Sohn ist fortitudine praesidens als das medium in gubernando, und das heißt nichts anderes, als daß er der Deus praesidens ist, weil (mit De triplici via) ihm Wahrheit und Weisheit zu appropriieren sind. Gott der Geist ist dulcedine pascens als finale complementum, und das heißt nichts anderes, als daß er der Deus perficiens ist, weil ihm Güte und Wille zu appropriieren sind. Sofern die letzte Appropriation von Hex. XXI, 12 ff. der dritten von De triplici via entspricht, in welcher (nach der Ableitung aus dem Licht) dem Vater altitudo propter unitatem et potestatem zugeeignet wird, und sofern hinter der Appropriation von unitas und potestas wiederum der Vater als origo (in der Ableitung aus dem Frieden) und primum principium (in der Ableitung aus der mens) begriffen ist bzw. (mit Brevil. 1,3) als fontalis plenitudo und principium non de principio, sind die drei propria des Vaters aus De triplici via bzw. Brevil. 1,3, nämlich orgio (fontalis plenitudo), primum principium (principium non de principio) und Pater in der circumincessiven Entfaltung von Hex. XXI,12, in welcher der vigor (Pater) als celsitudine pollens dreifach begriffen ist, nämlich nach sanctus, sapiens und stabilis, offenbar präsent. Es kommt nun alles darauf an, welche Bestimmung des Vaters welcher Appropriation unter celsitudine pollens zuzuordnen ist. Geht man nun davon aus, daß dem Vater (in De triplici via) unitas zugeeignet wird als der origo und potestas ihm als dem principium, so ist in der Bestimmung, in welcher der vigor celsitudine pollens ist, das proprium „Pater" proprie, complete et determinate 304 begriffen. Und schaut man dann auf die Auffächerung von pollens nach stabilis, sapiens und sanctus, so ist die Person, welche celsitudine pollens ist, offenbar darin stabilis, daß sie innascibilis ist 305 ; sie ist stabilis, sofern sie (mit Brevil. 1,3) per modum negationis et ex consequenti positionis begriffen ist. Und sie ist darin sapiens, darin sie als mens das Verbum bzw. als primum principium das Verbum aeternum hervorbringt; sie ist sapiens, sofern sie per modum positionis cum negatione als principium non de principio begriffen ist. Und ist dies richtig, so ist die erste Person, celsitudine pollens, darin sanctus, daß in ihr als lux und vigor splendor und calor mitgesetzt sind. Sie ist sanctus per modum positionis et habitudinis als der Vater. Und betrachtet man jetzt anhand der ersten Person, da sie summe pollens 303

Hex. XXI,12; V,433b. Mit Brevil. 1,3. 305 Vgl. wie in De myst. Trin. q. 1 a.2 i.e.; V,56a quia a nullo und facere magna et iusta ineins kommen; s. o. S. 145. 304

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ist, die circumincessio personarum, so ist der Vater die origo bzw. die fontalis plenitudo (stabilis) in sich; das primum principium (sapiens) im Sohn; der Vater (sanctus) im Heiligen Geist. Entsprechend ist mit der zweiten Person zu verfahren. Da sie der fulgor bzw. splendor ist, wird ihr zugeeignet, daß sie summa fortitudine praesidens sei in der Auffächerung von authenticus, praevalidus und invictus306. De triplici via ordnet an dieser Stelle307 der zweiten Person die pulchritudo zu um willen der veritas und sapientia, also soweit sie imago und Verbum ist. Und sucht man nun die Entsprechung in der dreifachen Auffächerung von fortitudine praesidens nach authenticus, praevalidus und invictus, so entspricht der zweiten Person, da sie authenticus ist, ihr Begriff als imago expressa (denn daß der Sohn authenticus ist „statuendo leges" entspricht der Sache nach dem, daß der Vater stabilis ist „decernendo iusta", und so erscheint das Verhältnis von Vater und Sohn als Verhältnis von fontalis plenitudo und imago expressa). Und es entspricht der zweiten Person, da sie praevalidus ist, ihr Begriff als imago expressiva bzw., da sie praevalidus ist „in prosequendo", ihr Begriff als Verbum, in quo omnia disponuntur, welches vom Vater, da er das principium ist „in discernendo vera", gesprochen wird. Dann aber entspricht der zweiten Person, da sie invictus ist, ihr Begriff als similitudo hypostatica bzw. als Filius, der vom Vater gezeugt ist. Und jetzt ergibt die circumincessio personarum, daß die zweite Person imago expressa (authenticus) ist im Vater; similitudo expressiva seu Verbum (praevalidus) in sich; hypostatisch der Sohn (invictus) im Heiligen Geist. Der dritten Person ist in De triplici via wie in Hex. XXI zugeeignet, daß sie summa dulcedine pascens ist: strenuus, sagax, sedulus 308 . Um der Zuordnung von voluntas und bonitas willen eignet De triplici via dem Geist die dulcedo zu. Sucht man hier jetzt die Entsprechungen, so ist offensichtlich der Geist strenuus als connexio originis et imaginis begriffen; sagax als donum perfectum im Verhältnis von principium und Verbum; er ist sedulus begriffen als hypostatischer Geist. Er ist connexio (strenuus) im Vater; er ist donum (sagax) im Sohn; er ist hypostatisch der Geist in sich selber. Ich mache mir bei weitem nicht anheischig, in dieser kurzen Gegenüberstellung von Hex. XXI, Brevil. 1,3 und De tripl. via ΙΙΙ,11 f. den großartigen, aber äußerst schwierigen Abschnitt Hex. XXI, 1 - 1 5 vollständig interpretiert zu haben 309 . Dazu bedürfte es noch einiger weiterer Anstrengungen, vor al306

Hex. XXI,14; V,433b. Mit Brevil. 1,6; V,215ab. 308 Hex. XXI,15; V,433b. 309 Es darf hier nicht verschwiegen werden, daß in der erläuternden Gegenüberstellung von Brevil. 1,3, De tripl. via III, 11 f. und Hex. XXI ein Appropriationszusammenhang ausgefallen ist, der gleichwohl einige Gewichtigkeit beanspruchen kann. Es ist die Appropriation des Ternars aeternitas, formositas, iucunditas an die göttlichen Personen, soweit Gott in seinem Werk finale complementum ist (Hex. XXI,11; V,433a; vgl. Brevil. 1,6; V,214b f.). Hier könnte der Verdacht entstehen, als drücke die vorliegende Interpretation beiseite, was nicht paßt, um ihr Schema zu retten. - Dazu ist folgendes zu sagen: Der äußere Grund dieser Unterlassung liegt darin, daß sich 307

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lern der, die überhimmlische Hierarchie des summus monarcha zu den folgenden Hierarchien der Engel, Kirche und Seele (Hex. XXI,16ff.; XXII) genauestens in Beziehung zu setzen. Vergleicht man nämlich die circumincessio personarum von Hex. XXI,1-15 mit den folgenden Schemata (s. o. S. 28 ff. und Anhang), so stehen das In-Sein von Vater und Sohn im Geist und das Insich-Sein des Geistes genau in jener Reihe, in der, da der Vater im Geist seine Entsprechung im Engelsorden der Seraphim und, in der kirchlichen Hierarchie, im ordo futurus findet, das geschöpfliche Bild Gottes nach vorn hin geöffnet ist (s. o. S. 33); und so findet die Offenheit von Zeit ihre innergöttliche Grundlegung darin, daß Vater und Sohn als Vater und Sohn im Geist, der Geist aber in sich selbst vollkommen und hypostatisch subsistieren. Aus dieser Einsicht wären Konsequenzen für die Geschichtstheologie Bonaventuras zu ziehen. Das ist nicht die Aufgabe dieser Untersuchung; sondern hier sind die folgenden Feststellungen zu treffen: Die erste innergöttliche Person ist, da sie nach Brevil. 1,3 per modum negationis et ex consequent! positionis innascibilis sive fontalis plenitudo ist und per modum positionis cum negatione das principium non de principio, Gott der Vater im eigentlichen Sinne, vollständig und korrekt gesprochen (proprie, complete et determinate) per modum positionis et habitudinis als Gott vom hier angenommenen Interpretationsschlüssel her, in welchem die Ausführungen von Brevil. 1,3 und Hex. XXI zusammenkommen, also von De triplici via her, eine deckungsgleiche und interpretationsfähige Einordnung des den göttlichen Personen in Gottes dritter Hinsicht appropriierten Ternars nicht ergibt. Der Appropriation von potestas, sapientia, voluntas an Gott als die origo originans (Hex. XXI,5), bzw. an die göttlichen Personen in ihrer Ableitung aus der mens (De tripl. via), und von unitas (bzw. pietas), veritas, bonitas (sanctitas) an Gott als das medium gubernans (Hex. XXI,6) bzw. an die göttlichen Personen in ihrer Ableitung aus dem Frieden (De tripl. via) folgt in De triplici via unmittelbar die Appropriation von altitudo, pulcritudo und dulcedo an die Entfaltung des Lichts nach lux, splendor, calor, welcher der Sache nach die Ausführungen von Hex. XXI,12ff. folgen. Nun kann man fragen: W o bleibt die Appropriation von Hex. XXI,11, die sich aus De triplici via nicht erläutern läßt? M a n könnte sagen: Es handelt sich bei der Appropriation von Hex. XXI,11 um einen Achtungserweis Bonaventuras an die Tradition, auf die er sich hier ebenso wie in Brevil. 1,6 bezieht (an beiden Stellen bezieht sich Bonaventura mit dieser Appropriation auf Hilarius). Das wäre allerdings mager. Vielmehr liegt in der äußeren Deckungsungleichheit zugleich der innere Grund dafür, daß dieser Appropriationsternar einerseits hier eigens nicht erläutert, zum anderen aber der Sache nach sehr wohl präsent ist. Denn da aeternitas, formositas und iucunditas den göttlichen Personen zugeordnet werden, soweit sie in Einheit Gott sind als finale complementum, liegt die inhaltliche Füllung dieses Appropriationszusammenhangs in der Erläuterung der Hex. XXI,12 ff. getroffenen Appropriationen, so daß der Ternar von Hex. XXI, 11 sachlich als die Überleitung oder Nahtlinie erscheint, welche von den Appropriationen aus dem Werk Gottes überführt zur Betrachtung Gottes in sich (wie die Hrsgb. bemerken), welche aber tatsächlich wiederum Betrachtung Gottes in seinem Weltverhältnis ist. Wenn das richtig ist, so beinhaltet die äußere Deckungsungleichheit von De triplici via und Hex. XXI sehr wohl ein inneres Deckungsverhältnis. Die Appropriation von altitudo, pulcritudo, dulcedo in De tripl. via III an die aus dem Licht abgeleiteten Personen Vater, Sohn und Geist setzt sachlich dann bereits mit Hex. XXI,11 (und nicht erst XXI,12) ein; und das bedeutet: Die inneren Appropriationen sind innere Appropriatiorien, sofern in Gott als dem finale complementum die äußeren Appropriationen sich zusammenfassen. Gott ist, in sich betrachtet, immer schon der vollendende Gott, der Deus reducens von Welt.

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der Vater im Heiligen Geist. Im In-Sein der ersten Person im Heiligen Geist ist der Vater der Vater. Darin bestätigt sich die oben vorgelegte Interpretation des Verhältnisses von Emanationen und Relationen in Gott; denn da die Relationen wesentlich Relationen in Entsprechung zu den Emanationen sind, kann der Vater per modum habitudinis nicht anders der Vater sein als in der habitudo relativa, welche zwischen der emanatio per naturam und der emanatio per voluntatem besteht. Von der Erläuterung der circumincessio personarum her bestätigt sich so, daß die innergöttlichen Relationen Relationen zwischen den beiden Emanationen sind und von daher überhaupt erst ein Verhältnis zwischen Hypostasen bezeichnen. Denn wenn die erste Person im eigentlichen Sinne (proprie) der Vater ist per modum positionis et habitudinis, so ist in der Korrespondenz von zwei Emanationen und der zwischen ihnen bestehenden duplex habitudo relativa her der Vater eigentlich erst der Vater in der Beziehung zwischen der ersten und der zweiten Emanation; der Vater ist der Vater im Heiligen Geist. Und nun sind wir fast am Ende. Denn wenn diese Überlegung für den Vater zutrifft, so gilt sie in gleicher Weise (und wird durch die circumincessio personarum belegt) für den Sohn: Dieser, der emanatio per naturam sich verdankend und darin in seinem Verhältnis zum Vater den modus essendi absolutus bezeichnend, ist hypostatisch der Sohn in der habitudo relativa der ersten Emanation auf die zweite: der Sohn im Geist 310 . Es ist darum keine bloß am Dogma fixierte Lehrentscheidung, wenn der Geist notwendig von Vater und Sohn ausgeht, sondern das Filioque erfüllt seinen inneren Sinn darin, daß der modus essendi absolutus Gottes immer schon das Verhältnis von Vater und Sohn ist, immer schon die emanatio per naturam. Dann aber läßt sich eine gesonderte Relation zwischen der ersten und der dritten Person oder der zweiten und der dritten Person nicht herstellen. Der Heilige Geist ist immer schon von Vater und Sohn gehaucht, und in der gemeinsamen Hauchung des Geistes, in der emanatio per voluntatem, subsistieren die beiden ersten Personen hypostatisch als Vater und Sohn. Auf diese Weise zeitigt das Filioque seinen Sinn im Begriff des zutiefst emanativen Wesens Gottes. Und fragt man jetzt noch einmal nach dem Grund der Möglichkeit der trinitarischen Distinktion und zieht die beiden bisher gewonnenen Antworten bei, deren erste hieß: distinctio per originem 311 ; und deren zweite hieß: distinctio per attributiones divinas 312 ; und zieht man weiter die Feststellung bei, beides, origo wie relatio sind als Ermöglichungsgrund der inntertrinitarischen Distinktion zwei Hinsichten eines innergöttlichen Vorgangs, kraft dessen die innergöttlichen Personen unterschieden, unterscheidbar und in ihrer Unterschiedenheit kenntlich sind 313 , so erweist sich jetzt als der Sachgrund 310 Dieser Umstand wäre insbesondere für eine exakte Verhältnisbestimmung von Verbum inspiratum und Heiligem Geist in Ansatz zu bringen. 311 De myst. Trin. q.3 a.2 i.e.; V,76a; s. o. S. 264. 312 Ebd.; s. o. S. 2 7 5 . 313 Vgl. Brevil. 1,4; V,213a.

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der trinitarischen Distinktion per originem und per attributiones divinas der Hervorgang des Geistes aus Vater und Sohn. Mit dieser Überlegung sind wir, wie mir scheint, bis zu dem hier erforderlichen M a ß in die Trinitätslehre eingedrungen. Denn aus der Einsicht in die Bedeutung der Prozession des Geistes aus Vater und Sohn ergeben sich Folgerungen, die das in dieser Untersuchung gezeichnete Bild abrunden und zum Ziele führen. Denn wenn richtig ist, daß der Hervorgang der dritten Person, in welchem Vater und Sohn personal-hypostatisch subsistieren, auf Seiten Gottes den Sachgrund der innergöttlichen Distinktion bietet; und wenn weiter richtig ist, daß das Verhältnis der ersten innergöttlichen Person zur zweiten innergöttlichen Person als das Verhältnis von Sein und Können Gottes in Identität beider die Bestimmtheit Gottes bzw. den modus absolutus essendi ausmacht; und wenn zum dritten richtig ist, daß dieser modus essendi Dei in Einheit zur essentia Dei steht, sofern er die relatio (nach der Seite ad quem) als von der essentia Dei unterschiedene in sich enthält und darin die essentia in ihrer Einheit bei Unterschiedenheit der Personen bestimmt; und wenn letztens richtig ist, daß im den modus absolutus Dei bezeichnenden Verhältnis von esse und posse Dei die Hervorbringung von Welt grundgelegt ist, also im innergöttlichen Verhältnis von producens zu productum das außergöttliche Verhältnis von producens zu productum grundgelegt ist; wenn all das richtig ist, dann bezeichnet der Heilige Geist in seinem Hervorgang aus Vater und Sohn jene Seite in Gott, welche, als modus respectivus in der essentia nicht unmittelbar aufgehend, die Personen in ihrer Unterschiedenheit überhaupt erst konstituiert; und er bezeichnet dann der Sache nach im Verhältnis von esse und posse Dei bzw. im Verhältnis von producens und productum jene Seite, welche, als velle auf esse und posse bezogen und mit diesen in Einheit stehend, bzw. auf das Verhältnis von producens zu productum bezogen und mit ihm (in quo) in Einheit stehend, im Verhältnis von esse und posse bzw. von producens und productum, auf Gottes Innen und Außen gesehen, nicht aufgeht: velle als Konstituens der göttlichen Personen und als Akt der reductio von Welt. Von daher muß die abschließende Folgerung lauten: Gott, da er, im Verhältnis von Vater und Sohn den Geist hauchend, bei Einheit der Essenz dreifältig subsistiert, ist, sofern die Eine essentia communicabilis Dei in der Vater und Sohn gemeinsamen Hauchung des Geistes in drei unterschiedenen und unterscheidbaren Personen subsistiert, in seiner trinitarischen Entfaltung, als der Deus trinus et unus, wesenhaft Gott der Hervorbringer und Heimführer von Welt. Das Verhältnis von reductio und reductio von Welt, welches nach den oben (S. 188 ff.) vorgelegten Überlegungen als dieses Verhältnis der Einheit Gottes wesentlich verbunden ist, erweist sich von hier aus insofern als der Einheit Gottes wesentlich, als diese Einheit notwendig in drei Personen subsistiert. Der Wille Gottes, mit dem er, in der Zeugung des Sohnes Welt hervorbringend, Welt heimführt, ist so gesehen um keinen Preis beliebiger Wille. Er 317

ist, an den Seinsvollzug Gottes gebunden, als Wille Gottes göttliche Person und als göttliche Person das Verhältnis Gottes zur Welt zum Ziele führend. Damit ist Gott im Geist aus dem inneren Wesen Gottes heraus Gott der Heimführer von Welt. Die zweite Folgerung, die sich hier ergibt, führt zurück zum Itinerarium und zur Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Aufstiegs für die Theologie Bonaventuras. Denn wiederum: Wenn richtig gesehen ist, daß Gottes Hervorbringen von Welt in der emanatio prima bzw. im innergöttlichen Verhältnis von esse und posse grundgelegt ist 314 ; wenn richtig ist, daß der Geist, da er von Vater und Sohn ausgeht, in keiner gesonderten Relation zum Vater und in keiner gesonderten Relation zum Sohn steht, sondern in einer Relation zu Vater und Sohn und so zu der Grundlegung von Welt, so ist, da Gott im Geist als der Deus reducens erscheint, der Akt von reductio immer schon auf Gottes Verhältnis zur gesamten Kreatur bezogen. Es kann deshalb für Bonaventura keinen Aufstieg der Innerlichkeit geben, keinen Aufstieg der Seele, welche, von Gottes Weltverhältnis sich abschirmend, Gottes jenseits seines Weltverhältnisses habhaft würde; vielmehr: Da der Geist ausgeht von Vater und Sohn, ist die Seele im Aufstieg immer schon auf Gottes Weltverhältnis verwiesen; ist der Aufstieg der Seele ein Aufstieg durch die Abbildlichkeitsgrade der Kreatur und Zeiten der Welt. Diese Folgerung, gesetzt, sie sei richtig, birgt einen Aspekt, der in der Arbeit am Werk Bonaventuras, soweit ich sehe, allenthalben zu kurz gekommen ist. Denn indem Gott im Geist mit sich und der Welt zum Ziele kommt, ist bereits die Schöpfung von Welt auf Gott zu beziehen, da er im Geist dreifältig subsistiert. Es liegt nicht im Verhältnis von Vater und Sohn als solchem, daß Gott Welt hervorbringend Gott ist; sondern es liegt am In-Sein von Vater und Sohn im Geist, daß Gott Welt hervorbringend der Deus reducens ist. Schöpfung von Welt, im Sohn disponiert und durch ihn als den Schöpfungsmittler vollzogen, ist im Sohn disponiert und durch ihn vollzogen, sofern er der Sohn ist im Geist. So ist es zu verstehen, wenn Bonaventura sagt, Gott bringe die Kreatur hervor nicht durch Natur, sondern durch die Kunst bzw. aus seinem Willen heraus315. Gewiß ist es insonderheit der Sohn, welchen Bonaventura als die Kunst Gottes bezeichnet316, aber der ist der Sohn hypostatisch im Hei3 1 4 Vgl. Hex. 111,4: Verbum genuit, in quo ,omnia disposuit' et disponendo omnia facit. V,344a. Hex. ΧΙΙ,ΙΟ: (Causaprima) non autem est actualissima secundum efficientiam sivesecundum actum extrinsecum, quia non facit statim, quidquid potest: ergo est actualissima secundum actum intrinsecum, qui est dicere. Unde ab aeterno dixit hoc fiendum, et hoc in tempore. V,386a. 3 1 5 Hex. XII,3: Creatura egreditur a Creatore, sed non per naturam, quia alterius naturae est: ergo per artem, cum non sit alius modus emanandi nobilis quam per naturam, vel per artem sive ex voluntate; et ars illa non est extra ipsum: ergo est agens per artem et volens. V,385a. 3 1 6 Hex. 1,13: Pater enim ab aeterno genuit Filium similem sibi et dixit se et similitudinem suam similem sibi et cum hoc totum posse suum; dixit quae posset facere, et maxime quae voluit facere, et omnis in eo expressit, scilicet in Filio seu in isto medio tanquam in sua arte. V,33 lb. — Vgl. IV Sent, d.43 a.2 q.2 i.e.; IV,898a.

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ligen Geist, und von daher, da Gott durch ihn die Welt erschafft, erschafft er sie nach seinem Willen: Welt auf reductio hin, so daß, wenn es heißt, Gott bringe die Welt per artem hervor, gesagt ist: Er bringt sie hervor nach Maßgabe seines Liebeswillens, welcher das Band ist zwischen Vater und Sohn, und da er in der Bindung dieses Bandes durch den Sohn die Welt hervorbringt, bringt er sie in der Bindung der innergöttlichen Liebe hervor 317 und auf dem Heimweg zu sich selbst 318 . Und noch eine Überlegung ist hier angebracht: Da Gott im Sohn die Welt grundgelegt und hervorgebracht hat einerseits, und der Sohn der Sohn des Vaters ist im Heiligen Geist anderseits, hängt es an der Gottheit Gottes, daß Gott Welt auf Heimführung hin hervorgebracht hat als wesentlich seinem Wesen identisches Zeugnis von sich selbst. Und da Gott in seinem wesenhaften Selbstzeugnis sein dreifältig subsistierendes Eines mitteilbares Wesen aussagt, sagt er sich in seinem Selbstzeugnis aus als der den Sohn zeugende Vater, als der vom Vater gezeugte Sohn und als der von Vater und Sohn gemeinsam gehauchte Geist. Und da Gott der Geist von Vater und Sohn gemeinsam als das hypostatische Liebesband zwischen beiden gehaucht ist und in dieser Hauchung der Vater proprie der Vater, der Sohn der Sohn und der Geist der Geist ist, hieße es, das innergöttliche Liebesband zwischen Vater und Sohn, den von beiden gehauchten Geist leugnen, wollte man der Person, 317 Vgl. Brevil. 1,1: subiectum (theologiae). . . circa quod omnia, unicum caritatis vinculum, quo caelestia et terrestria connectuntur. V,210b. - I m Ganzen ist es nicht ohne Interesse zu sehen, daß Karl Barth, KD 1,1, Seite 500 ff., in seinen Überlegungen zum Filioque von den hier aus Bonaventuras Überlegungen gezogenen Folgerungen nicht allzu weit entfernt scheint, sowohl was die Bedeutung des Hervorganges des Geistes aus Vater und Sohn für die hypostatische Subsistenz von Vater und Sohn als Vater und Sohn angeht (ebd. 507: „So ist er der Vater des Sohnes, daß er mit dem Sohne den Geist, die Liebe, hervorbringt und so in sich selber der Geist, die Liebe, ist"), als auch hinsichtlich der Bedeutung des Filioque für Gottes Weltverhältnis; ebd. 504: „Das Filioque ist der Ausdruck der Erkenntnis der Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn .. . Und die Erkenntnis dieser Gemeinschaft ist nichts anderes als die Erkenntnis des Grundes und der Bestätigung der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch als einer göttlichen, ewigen Wahrheit, wie sie in der Offenbarung durch den Heiligen Geist geschaffen wird." - Vgl. auch zur Frage des Aufstiegs in Verwiesenheit auf die Welt ebd. 505: „ M a n w i r d . . . fragen, ob es,. . . wenn das exklusive ex Patre als ewige Wahrheit gilt, vermeidlich sein kann, einmal: daß die Beziehung des Menschen zu Gott entscheidend unter dem Gesichtspunkt Schöpfer und Geschöpf verstanden wird und dann einen mehr oder weniger ausgeprägt naturalistischen, unethischen Charakter bekommt; sodann: daß diese Beziehung nach Beiseitestellung des Offenbarungsmittlers, des Sohnes oder Wortes als des Grundes, von dem sie her ist, die Art einer unmittelbaren, direkten Beziehung, eines mystischen Einswerdens mit demprincipium etfons Deitatis annehmen wird." - Angesichts der verblüffenden Parallelität dieser Sätze zu den hier gezogenen Folgerungen muß betont werden, daß in dieser Untersuchung Bonaventura weder ausdrücklich noch stillschweigend von Karl Barth her gelesen ist. Daß sich vielerlei Parallelen (aber auch Divergenzen) zwischen dem Denken Bonaventuras und dem Karl Barths herstellen lassen, steht außer Frage. Ihre Relevanz zu erarbeiten, wäre eine Untersuchung eigener Art. 318 Hex. XII,7: Loquitur autem Scriptura de ipso (sc. Christo), ut est exemplar, quo omnis creatura vivit in formis aeternis; Ioannis primo (1,3 f.): ,Quod factum est in ipso vita erat.' Vivit autem per Cognitionen! et amorem; et qui hoc negat negatpraedestinationem aeternam. N a m ab aeterno novit Deus creaturam et amat earn, quia praeparavit eam gloriae et gratiae. V,385b. Der Satz über die Prädestination steht nicht Rep. A; Delorme 142.

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welche, von beiden ausgehend, Vater und Sohn als innergöttliche Personen überhaupt erst konstituiert, eine Beziehung auf das im innergöttlichen Hervorbringen gesetzte außergöttliche Hervorbringen von Welt absprechen. Welt, da sie hervorgebracht ist vom Deus trinus et unus, ist notwendig begrenzte, finite, vollkommene Welt, Welt auf Heimführung hin, weil Gott im von Vater und Sohn gehauchten Geist Welt vollendet. Es ist darum für Bonaventura vor allem eine theologische Entscheidung, eine Entscheidung in der Erkenntnis des Glaubens, daß Welt nicht ewig ist. Die Abwehr der These von der Ewigkeit der Welt beruht nicht auf philosophischen Axiomen in bezug auf die Erkenntnis der Welt als Welt, sondern sie hat ihren letzten Grund in der Einsicht in das innere Leben Gottes, und von dieser Einsicht her bestimmt sich die Richtigkeit oder Falschheit richtigen oder falschen Philosophierens über Welt. Die Ewigkeit der Welt annehmen, heißt für Bonaventura die Heimführung von Welt bestreiten, heißt, den Heiligen Geist hinausstreichen aus dem Weltverhältnis Gottes, heißt im letzten: die Sünde wider den Heiligen Geist 3 1 9 und Bestreitung der Gnadenherrschaft Gottes 3 2 0 . Nun scheint es so, als hätten wir nach dem äußeren Kreis 3 2 1 auch den inneren Kreis gezogen dergestalt, daß die Analyse der Wesenseigenschaften Gottes in ihrem Verhältnis zum dreipersönlichen Selbstand des göttlichen Wesens jenem ersten Kreis nicht nur nicht widerspricht, sondern daß gerade in der Betrachtung des inneren Lebens Gottes alles auf die das bestimmte Weltverhältnis Gottes umgreifende Dynamik Gottes hinausläuft, eine Dynamik, die Gott als den bestimmten, mit diesen bestimmten göttlichen Eigenschaften versehenen und darin dreifältig subsistierenden Gott ausweist, ihn darin wesentlich ausweist als den Deus producens et reducens von Welt. Und es scheint, als wären wir nunmehr in der Lage, die Grundaussage der Gotteslehre Bonaventuras zu verstehen, die heißt: Deus est primus, trinus et unus. Es scheint, als könnten wir nunmehr diese Aussage paraphrasieren mit dem 3 1 9 Im Kommentar zu J o h . 1 0 , 3 6 hat Bonaventura die Stelle aus M t . 1 2 , 3 1 ausdrücklich auf die Inkarnation bezogen; C o m m . in Joh. X , 4 7 (zu 1 0 , 3 6 ) : ,Quem Pater sanctificavit', id est, ,sanctum genuit', et ,misit in mundum', non vocavit de mundo et tenebris mundi, ut alios sanctos . . . N o n Dominus blasphemat (sc. dicens se esse Filium Dei), sed ipsi qui de Deo dicebant, non esse Deum. Unde Dominus dixit Matthaei duodecimo: ,Omne peccatum et blasphemia remittetur hominibus; spiritus autem blasphemia non remittetur, neque in h o c saeculo neque in futuro.' V I , 3 9 2 a b . - Z w a r ist die Kontroverse um die Ewigkeit der Welt zur Zeit der Abfassung des Johanneskommentars noch nicht zu der späteren Schärfe gelangt, doch ist der Sache nach die Entscheidung hier bereits ausgesprochen: Den Inkarnierten, sein officium reductionis (vgl. H e x . 1,17; V , 3 3 2 a ) leugnen, die reductio von Welt leugnen: das ist die Lästerung wider den Geist. Bonaventura liest allerdings (mit seiner Zeit) spiritus blasphemiae: Nicht vergeben wird der Geist der Lästerung. Aber er bezieht das auf den Heiligen Geist: der Geist der Lästerung ist L ä sterung des Heiligen Geistes. Vgl. II Sent, d.43 dub.2; I I , 9 9 7 a . 320

II Sent, d.43 a.2 q . l ad 2 : (Peccatum in Spiritum sanctum) ex hoc gravius est, quia in ipso

amplius contemnitur trium personarum maiestas quam in aliis generibus peccatorum. Magis enim impugnat gratiam, quae est totius Trinitatis effectus. I I , 9 8 7 b f . 321

320

S. o. S. 1 7 4 .

Satz: Gott ist der Erste, indem er, in seiner quellhaften Fülle sich vollkommen erströmend, hinausfährt ins Nichts, um aus ihm, es erfüllend und gänzlich besiegend, sich zum Lobe den Menschen zu erschaffen als das letzte seiner Schöpfungswerke, in welchem er, ihm sich in Jesus Christus verbindend, Alles, bis hin zur untersten Stufe des Geschaffenen, da es dem Nichts aufs äußerste nahe ist, im Heiligen Geist heimführt zu sich selbst, damit er, Gott, in seiner wesenhaften Erkennbarkeit erkannt werde und Gott sei alles in allem, der die Herrschaft innehat 322 . Als könnten wir sagen: Gott ist der Erste in seinem Sein, indem er wirkend in sich selbst, hinauswirkt aus sich selbst und kraft seiner Einheit und als seine Einheit sein äußeres Werk wieder zurückweist in sich selbst: darin in sich selber seinshaft der Erste. Betrachten wir aber diese zusammenfassende Paraphrase, so zeigt sich: sie ist nicht ohne Problem. Denn ihre Geschlossenheit scheint eine geschlossene Dynamik Gottes zu reflektieren, die der im ersten Kapitel dieser Untersuchung festgestellten Offenheit der geschöpflichen Abbilder Gottes eigentlich widersprechen muß. Welt, da sie heimgeht, wäre eigentlich, als von Gott her immer schon heimgeholte, ihrerseits selber längst heimgegangen, längst schon in Gottes Fülle eingeborgene Welt, und die Offenheit ihrer Zeiten wäre nichts als der je und je zu leistende Durchblick durch das in Gott längst zum Ziel gekommene Verhältnis Gottes zur Welt, so daß die Offenheit der geschöpflichen Abbilder Gottes in ihrer Gesamtheit im letzten nicht die Offenheit von Welt und ihrer Zeiten, sondern bloß die Offenheit der Einzelseele für den in ihrem Lebenskreis zu leistenden mystischen Sprung bedeutete. Und wäre das in der Tat so, so läge entweder in der hier vorgelegten Deutung oder im Denken Bonaventuras selbst ein Widerspruch, sofern jenes eigentümliche Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung, welches die Eigenart des Verhältnisses zwischen Gott und Seele wie die Eigenart des Verhältnisses Gottes zu seiner Kirche bestimmt 323 , eigentlich nicht weiter gewichtig wäre. Die Spannung von Vollendung und Offenheit wäre der Sache nach eigentlich schon Vollendung, sie wäre im Grunde längst aufgehoben, und die eingangs ausgesprochene These, daß die Offenheit der geschöpflichen Abbilder auf eine gewisse Offenheit des Urbilds selbst verweise, wäre abgeschlagen, und damit wäre eine wesentliche Voraussetzung dieser Untersuchung ad absurdum geführt, eben die, daß der Realgrund für die bestimmte Offenheit von Welt in Gott selber aufzusuchen sei. Es muß darum das Denken Bonaventuras nach einem letzten Horizont befragt werden, nach einem Horizont, in welchem Gott in seiner Dreieinheit, da er Welt immer schon heimgeholt hat, Welt tatsächlich heimholt so, daß sie selber heimgeht. Es muß die Stelle gefunden werden, an welcher die von Gott her gültige Vollkommenheit seines Weltverhältnisses324 von Welt aus den Schritt auf wahre Vollkommenheit hin bedeutet. Darum fragen wir noch einmal nach Gott dem Heiligen Geist. 322 323

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Kol. 1,18: In omnibus primatum tenens; vgl. Hex. XXI,12; V,433b. 324 S. o. S. 34 f. Brevil. 1,2; V,211a.

Fischer, De Deo trino

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3. Abschnitt: Das Selbstverhältnis Gottes als innergöttlich-personales Verhältnis in der Subsumtion des Glaubens unter den Heiligen Geist-die reductio als Aufgabe der Seele Wenn die vorgenannte Überlegung richtig ist, daß Gott, als die fontalis plenitudo sein ausgedrücktes Selbstbildnis und als primum principium sein ausdrückendes Selbstbildnis hervorbringend, als der Vater den Sohn im Geist als der gewollten, vorzüglichen und hypostatischen Gabe (Brevil. 1,3) hervorbringt, so kommt jetzt alles darauf an, wie die personale Eigentümlichkeit des Geistes, in der er diese Person ist und als diese Person kenntlich ist, ihrem Inhalt nach verstanden wird. Denn daß der Vater der Vater des Sohnes ist, da er mit ihm zusammen den Geist haucht, gewinnt seinen sachlichen Gehalt noch nicht in der Feststellung dieses Sachverhalts in seiner formalen Eigenart und begrifflichen Selbstdarstellung, sondern erst in der Beantwortung der Frage, worin diese konstituierend wichtige dritte innergöttliche Person ihr unterscheidendes Merkmal und ihre inhaltliche Bedeutung gewinnt. Die Eigentümlichkeit der dritten Person, sagt Bonaventura in Brevil. 1,3, liegt in ihrem Charakter als Gabe (esse donum). Worin und inwiefern ist der Geist donum? Bonaventura antwortet 1 : „Gabe zu sein ist die unterscheidende Eigenheit (proprietas distinctiva2) des Heiligen Geistes in seinem Bezug auf den Geber, ohne daß damit seine Mitteilbarkeit ausgeschlossen wäre bzw. seine Hinsicht auf denjenigen, dem er der Zurüstung nach (secundum aptitudinem) gegeben wird." Bonaventura führt das auf folgende Weise aus: Einige sagen unter Beru1 I Sent, d.18 a.un. q.5 concl.: Donum est proprietas distinctiva Spiritus sancti secundum respectum ad dantem, quin tarnen excludatur ratio donabilitatis sive respectus secundum aptitudinem ad eum cui datur. Ebd. i.e.: Dicendum, quod ad hoc dixerunt aliqui, quod donum dupliciter est in divinis considerare: uno modo, prout dicit respectum solum ad donatorem; et hoc modo dicit Augustinus, quod ,eo dicitur donum, quo procedit'; et sie dicunt, quod donum est proprietas distinctiva Spiritus sancti. Alio modo aeeipitur donum, prout dicit respectum ad eum cui datur; et sie non dicit proprietatem distinetivam, sed consequens ad proprietatem distinetivam.

Sed illud non videtur posse stare. Nam donum semper aliquam comparationem dicit ad eum cui datur; intellecto enim, quod non sit donabilis alicui, impossibile est intelligere, quod sit donum. Et propter hoc aliter dicendum . . ., quod donum praeter respectum, quem importat ad dantem, importat respectum ad eum cui datur. Sed hoc potest esse tripliciter: vel secundum actum, ut quia datus; vel secundum habitum, ut quia dandus; vel secundum aptitudinem, ut quia donabilis. Et iste respectus adeo coniunctus est primo, ut primus sine hoc non possit esse nec intelligi, immo de necessitate sequitur, si procedit per modum doni, quod sit donabilis: et ideo sequens respectus non aufert primo, quin sit proprietas distinctiva. Dicendum ergo, quod est proprietas distinctiva ratione primi respectus, secundo respectu non repugnante, sed consonante. 1,330b. 2 Es ist darauf zu achten, daß für Bonaventura die proprietas distinctiva nicht abzuheben ist von der proprietas constitutive als ein Zweites von einem Ersten (wie das bei Scotus der Fall zu sein scheint), sondern daß, indem die persona nobilitate distineta ist, sie immer auch proprietate distinguibilis ist, und so proprietas distinctiva und proprietas constitutive (dieser letzte Begriff taucht meines Wissens bei Bonaventura überhaupt nicht auf; er sagt dafür relatio) immer schon zusammenfallen. Vgl. das Scholion I,331ab.

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fung auf Augustin, der Geist sei darin Gabe, daß er aus Vater und Sohn hervorgeht. Und insofern ist der Umstand, daß er Gabe ist, seine unterscheidende Eigenheit lediglich in Hinsicht auf den Geber, also auf Vater und Sohn. Und wenn man „Gabe" anders versteht, nämlich in bezug auf den Empfänger (respectus ad eum cui datur), so benennt das nicht eine unterscheidende Eigenheit, sondern eine Folge seiner proprietas distinctiva, welche im alleinigen Bezug auf den Geber liegt. Bonaventura weist diese Meinung zurück mit der Begründung: „Gabe" sagt immer ein bestimmtes Verhältnis aus zu dem, welchem sie gegeben wird; angenommen nämlich, der Geist wäre nicht mitteilbar, so könnte sein Charakter als Gabe nicht eingesehen werden. Der Kern dieser Zurückweisung liegt nicht sosehr in der Betrachtung des Vorganges von Geben, ob er also actu, habitu oder aptitudine zu betrachten sei (diese Unterscheidung wird in Bonaventuras eigener Lösung eine wichtige Rolle spielen,) sondern in der Feststellung, daß Gabe immer schon ein Verhältnis bezeichnet zwischen dem Geber und dem Begabten. In diesem Feld ist donum als die proprietas distinctiva des Geistes zu bestimmen 3 . Auf dem Hintergrund dieser Zurückweisung entwickelt Bonaventura seine eigene Lösung 4 : Donum als unterscheidende Eigentümlichkeit des Heiligen Geistes enthält sowohl die Hinsicht auf den Geber als auf den Empfän3 Das Scholion der Hrsgb. (1,332) merkt an, daß der Summenkommentar des Caietan (zu S.th. I q.38 a.2) die Meinung des Thomas im Sinne dieser ersten, von Bonaventura zurückgewiesenen Lösung interpretiert. Damit ist zunächst ausgewiesen, daß Bonaventuras Stellung zu dieser Frage im Gegensatz zur Lehrtradition der Dominikaner steht. Allerdings deuten die Hrsgb. an, Caietan habe Thomas mißverstanden, der seinerseits in seiner Meinung kaum (parum) von der des Bonaventura abweiche, wenn er sagt S.th. I, q.38 a . l ad 4 : dicendum, quod donum non dicitur ex eo quod actu datur; sed inquantum habet aptitudinem ut possit dari. Unde ab aeterno divina persona dicitur donum, licet ex tempore detur. - Ich wage nicht zu entscheiden, ob Caietan Thomas hier besser verstanden habe als die Hrsgb. von Quaracchi, aber zumindest der Anschein spricht für Caietan. Denn Thomas begründet den Satz, donum sei proprium nomen des Geistes, ausdrücklich nur mit dem respectus ad dantem bzw. mit der origo oder processio der dritten Person (vgl. S.th. I q.38 a.2 concl. et a . l ad 3). Darauf liegt alles Gewicht, und darin unterscheidet sich Thomas nicht von Bonaventura (von dessen Lösung wir gleich sprechen werden). Aber zwischen beiden, Thomas und Bonaventura, scheint der Akzent anders gesetzt. Thomas, da er die proprietas distinctiva in ihrem a quo bestimmt, spricht ihr dementsprechend eine aptitudo zu auf den, der empfängt. S.th. I q.38 a . l i.e.: Quod autem donatur, habet aptitudinem vel habitudinem et ad id a quo datur, et ad id cui datur. - Nach Bonaventura dagegen hat der Geist eine aptitudo auf den Empfänger, sofern er einen respectus dieser seiner Zurüstung gemäß auf den Empfänger hat; und wir müssen fragen, ob die Aussage: Donum habet aptitudinem ad id cui datur (Thomas, S.th. ebd.) nicht eine andere sei als die: Donum secundum aptitudinem habet respectum ad eum, cui datur (so Bonaventura; vgl. Anm. 1), so daß bei Bonaventura der Akzent nicht sosehr auf der aptitudo liegt, sondern vielmehr auf dem respectus, welcher dieser aptitudo gemäß ist und in welchem die dritte Person überhaupt erst donum ist. I Sent, d. 18 a.un. q.5 ad 4 : spiritus diciteam (sc. proprietatem)principaliterpercomparationem ad vim producentem, quae est vis spirativa; amor principaliter quantum ad modum emanandi, quia ut nexus; donum vero quantum ad respectum consequentem. 1,33 l b . Was auf den ersten Blick wie ein Zugeständnis Bonaventuras an die von ihm verworfene Meinung aussieht (respectus consequens), ist in Wirklichkeit die schärfste Antithese: Der Geist ist donum überhaupt erst respectu consequenti. Und dies scheint des Thomas Meinung jedenfalls nicht zu sein. 4

21*

S. o. Anm. 1.

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ger. „Aber das kann dreifältig sein: einmal gemäß dem vollzogenen Akt (actu), und so ist der Geist gegebener Geist (ut quia datus); zum andern gemäß der Möglichkeit (habitu), und so betrachtet ist der Geist dazu bestimmt, gegeben zu werden (ut quia dandus); zum dritten gemäß der Zurüstung, und so betrachtet ist der Geist mitteilbar (ut quia donabilis)." Die beiden folgenden Sätze zitiere ich hier noch einmal im Original, denn sie sind so voller versteckter Hinweise und Ausdeutbarkeiten, daß die Übersetzung ihnen nicht gerecht werden kann: Et iste respectus adeo coniunctus est primo (sc. ad dantem), ut primus sine hoc non possit esse nec intelligi, immo de necessitate sequi tur, si procedit per modum doni, quod sit donabilis: et ideo sequens respectus non aufert primo, quin sit proprietas distinctiva. Dicendum ergo, quod est proprietas distinctiva rati one primi respectus, secundo respectu non repugnante, sed consonante 5 . Es kommt hier m. E. alles darauf an, was Bonaventura mit „iste respectus" meint. Die Hrsg. fügen in einer Fußnote erklärend hinzu: die dritte Betrachtungsweise der zweiten Hinsicht 6 . Und dem ist insofern zuzustimmen, als Bonaventura in der Fortsetzung wie schon in der conclusio im wesentlichen auf die donabilitas des Geistes abzielt: de necessitate sequitur..., quod sit donabilis. Dem gesamten Textduktus nach könnte sich „iste respectus" aber ebensogut und eigentlich eher nicht nur auf den tertius modus considerandi, sondern auf die ganze zweite Hinsicht beziehen, die dreifältig betrachtet werden kann. Denn zumindest ist es fraglich, ob sich die Betrachtung secundum aptitudinem von der Betrachtung secundum habitum, ob sich also die Bestimmung, nach welcher der Geist donabilis ist, von jener, nach der er dandus ist, lösen läßt; denn da der Geist von Ewigkeit her Gabe ist, ist er dandus secundum habitum und donabilis secundum aptitudinem 7 , so daß es nicht im Sinne Bonaventuras liegen dürfte, die zweite Hinsicht auf die aptitudo zu beschränken in der Weise, daß die aptitudo jenseits ihrer weiteren Entfaltung gedacht werden könnte. 5 „ U n d diese Hinsicht ist der ersten so verbunden, daß die erste ohne sie weder sein noch erkannt werden kann; ja es folgt geradezu notwendig, daß der Geist, wenn er nach Weise der G a b e hervorgeht, mitteilbar ist: und daher hindert die zweite Hinsicht die erste nicht, unterscheidende Eigentümlichkeit zu sein. M a n muß also sagen, daß G a b e zu sein die unterscheidende Eigentümlichkeit des Geistes ist unter der ersten Hinsicht, wobei die zweite Hinsicht der ersten nicht nur nicht widerspricht, sondern im Einklang mit ihr steht." 6 1,330 Anm 12. 7 ISent. d.18 a.un. q.2 fragt Bonaventura: Utrum Spiritus sanctus sit donum ab aeterno, an ex tempore. Er folgert ebd. concl.: D o n u m ut datum dicitur temporaliter; d o n u m vero ut aliquando donandum vel ut donabile dicitur aeternaliter; und führt das ebd. i.e. so aus: Dicendum, q u o d cum donum dicat respectum ad eum cui datur, hoc potest esse tripliciter: vel secundum actum, vel secundum habitum, vel secundum aptitudinem. Si secundum actum, hoc m o d o dicitur donum, quia datur; si secundum habitum, hoc m o d o dicitur donum, quia donandum aliquando; si secundum aptitudinem, hoc m o d o dicitur donum, quia donabile. Secundum primam aeeeptionem dicitur temporaliter; sed secundum secundam et tertiam dicitur aeternaliter. Et in his tribus sensibus aeeipit Augustinus. Concedendum est ergo, quod secundum aliquam aeeeptionem donum dicitur aeternaliter, sicut probant rationes induetae ad secundam partem. I,325b.

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Der Geist hat jedenfalls eine relatio habitualis ad recipientem ebenso wesentlich, wie Gott eine relatio habitualis auf die Kreatur hat, da er von Ewigkeit her das exemplar ist8. Diese Überlegung bestärkt dazu, den respectus ad recipientem nicht bloß auf die aptitudo, sondern wenigstens auch auf den habitus zu beziehen9. Dann aber ist es aufs höchste fraglich, ob nicht die Hinsicht des Geistes (iste respectus), die sosehr seiner ersten Hinsicht (ad dantem) verknüpft ist, daß die erste (ad dantem) ohne die zweite weder sein noch erkannt werden kann, indem sie, obzwar nicht als proprietas distinctiva, wohl aber als respectus consequens der donabilitas des Geistes gemäß ist, mit innerer Notwendigkeit alle drei Erstreckungen des Respekts erheischt, die Bonaventura nennt, so daß der sprachliche Schwebezustand der Wendung „iste respectus", der die Hrsg. zu ihrer Fußnote veranlaßt hat, als Ausdruck der sachlichen Spannung zu verstehen wäre, die dem erörterten Gegenstand zu eigen ist. Aktual nämlich wird der Geist nicht aeternaliter, sondern temporaliter gegeben10, und das würde bedeuten: Indem das esse donum die innerste Eigentümlichkeit der dritten Person ist, welcher gerade wegen ihrer inneren Emanationsweise der respectus ad recipientem gemäß ihrer Zurüstung unabdingbar ist 11 , ist im Geist Gottes Verhältnis zur Zeit und zu der in der Zeit mit dem Geist begabten Seele nicht nur vorentworfen, sondern die dritte Person ist überhaupt nur die dritte Person, indem sie in ihrem respectus ad dantem, also in ihrer Beziehung auf Vater und Sohn aktual und in der Zeit erkannt wird. Nun steht aber in doppelsinniger Weise die Bestimmung des Geistes in von Bonaventura selbst bekräftigter Analogie12 zur Bestimmung der zweiten Person, da sie als Verbum einen respectus ad creaturas hat. Und in diesem Zusammenhang weist Bonaventura ausdrücklich darauf hin, daß dieser respectus bloß habitu verstanden werden dürfe 13 . Doppelsinnig nenne ich diesen 8 Ebd. ad 3: Ad illud quod obiicitur, quod (sc. donum) dicit relationem ad extrema; dicendum, quod relatio actualis ponit utrumque extremum in actu, non autem relatio habitualis, sicut patet, quod Deus aeternaliter dicitur exemplar creaturae temporalis. I,326a. 9 Hier muß ein denkbares Mißverständnis vermieden werden: Weder secundum habitum noch secundum aptitudinem ist donum proprietas distinctiva des Heiligen Geistes; sondern donum ist proprietas distinctiva secundum originem bzw. secundum respectum ad dantem (ebd. q.5 ad 2; 1,33 la). Wenn gesagt ist, der Geist habe eine relatio habitualis adcreaturam aeternaliter, so liegt darin nicht das Konstituens seiner personalen Subsistenz. Aber es kommt Bonaventura darauf an, daß, indem nur der respectus ad dantem die proprietas distinctiva der dritten Person ist, dieser respectus ad dantem in einem nicht ablösbaren, harmonischen Verhältnis zum respectus consequens (ad eum cui datur) steht, daß also in der dritten Person Gott in seiner Widerspruchsfreiheit subsistent ist derart, daß das, was den personalen Selbstand des Geistes ausmacht, notwendig in einem widerspruchsfrei-harmonischen Verhältnis zu dem steht, was ihm von Ewigkeit her zukommt: die relatio habitualis ad eum cui datur. 10

S. o. Anm. 7. I Sent, d.18 a.un. q.5 ad 1: ille respectus talis est, quod non potest circumscribi secundum aptitudinem ob emanationem per modum liberalitatis. I,329a. 12 Ebd. ad 3: sicut donum respectum dicit ad creaturas, ita et haec proprietas, quae est verbum, ut infra patebit. I,331b; vgl. die folgende Anm. 13. 13 I Sent, d.27 p.2 a.un. q.2 i.e.: Verbum . . . tenet quasi medium, et dicitur Pater operari per 11

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V e r w e i s insofern, als das V e r b u m a e t e r n u m in seiner h a b i t u a l e n R e l a t i o n a u f die S c h ö p f u n g a u s G o t t h e r a u s i m m e r s c h o n das V e r b u m i n c a r n a t u m ist, w i e sich o b e n (insbesondere i m z w e i t e n K a p i t e l ) h a t zeigen sollen u n d w i e sich e i n m a l m e h r n a h e l e g t , w e n n B o n a v e n t u r a m i t d e m Z i t a t 1. K o r . 1 , 2 4 s o w o h l das V e r b u m a e t e r n u m als vis dispositiva u n d virtus o p e r a t i v a Patris w i e a u c h d a s V e r b u m i n c a r n a t u m a u s g e s a g t s i e h t 1 4 . A b e r selbst w e n n m a n den s e c u n dus r e s p e c t u s a d r e c i p i e n t e m des Geistes i m strengsten Sinne lediglich a u f die donabilitas des Geistes bezieht, so m u ß d o c h in b e z u g a u f die K o n s e q u e n z e n dieses G e d a n k e n s w e i t e r g e d a c h t w e r d e n . D e n n es w i d e r s p r ä c h e d e m D e n k e n B o n a v e n t u r a s , w ü r d e die d o n a b i l i t a s des Heiligen Geistes n i c h t in A k t u a l i t ä t ü b e r f ü h r t 1 5 , s o w i e es ein W i d e r s p r u c h w ä r e , w ü r d e die essentia c o m m u n i cabilis nicht a c t u mitgeteilt u n d d a s g r u n d s ä t z l i c h evidente Sein G o t t e s n i c h t a c t u e r k a n n t . Diese V e r b i n d u n g d a r f m a n hier herstellen, d e n n es ist nicht o h n e inneren G r u n d , d a ß die c o n c l u s i o v o n I Sent. d. 1 8 a . u n . q . 5 wie a u c h die d a s c o r p u s articuli z u s a m m e n f a s s e n d e F o l g e r u n g in i h r e r S p r a c h g e s t a l t in auffälliger N ä h e zu den z e n t r a l e n K o n k l u s i o n e n der Q q . D e m y s t e r i o T r i n i tatis stehen, in d e n e n das V e r h ä l t n i s v o n E i n h e i t u n d D r e i h e i t u n d E i n f a c h heit u n d Dreiheit G o t t e s a u s g e s a g t i s t 1 6 . Verbum; et ulterius ipsi Verbo attribuitur, quod sit ,Dei virtus et Dei sapientia' (1. Kor. 1,24). Et ita patet quod Verbum divinum dicit respectum ad Patrem dicentem ipsum . . . Dicit etiam respectum ad creaturam per modum exemplaritatis dispositivae et virtutis operativae. Et quia ista non dicunt respectum in actu, sed solum in habitu, dico, quod sicut exemplar dicit respectum in habitu, et potentia similiter — quia multa seit Deus et potest, quae non facit - sie et Verbum aeternum. Unde sicut supra dictum est de Dono, ita etiam nunc intelligendum de Verbo. I,485b. - I m Verweis auf diese Stelle sagen die Hrsgb. im Scholion zu I Sent, d.18 a.un. q.5; 1,332, Bonaventura habe dort clarius gesprochen. 1 4 Itn. 1,7: Jesus Christus . . . qui cum sit ,Dei virtus et Dei sapentia', sit Verbum incarnatum plenum gratiae et veritatis, gratiam et veritatem fecit. V,298a. - Es handelt sich hier um zwei gleichgeordnete Sätze, die, beide grammatisch von der Konjunktion „cum" abhängend, einander explikativ zuzuordnen sind. Vgl. eindeutig Brevil. VI,3: prineipium nostrum reparativum, Christus Dominus, Verbum incarnatum, cum sit ,Dei virtus et sapientia' et misericordia nostra . . . V,267a. 1 5 Hier dürfte der Grund dafür liegen, daß Bonaventura sich I Sent, d.27 p.2 a.un. q.2 i.e. in bezug auf das Verbum „clarius" äußert als in bezug auf den Geist als donum. Denn es besteht für Gott keine Notwendigkeit, alles zu aktualisieren, was er, das Wort in seiner virtus infinita hervorbringend, erkennt: quia multa seit Deus et potest, quae non facit (s. o. das Zitat Anm. 13 und Hex. XI,11; V,38 lb f.; XII,10; V,386a). Den es liegt nicht an Gott, Vieles zu tun, sondern Großes zu tun (vgl. Brevil. IV,1; V,241a), und insofern besteht keine Notwendigkeit, Alles, was im Verbum aeternum habitual vorhanden ist, zu aktualisieren, wohl aber das Große, das in ihm disponiert ist. Und an dieser Stelle, letztlich in der unterschiedlichen Stellung von Sohn und Geist im trinitarischen Leben Gottes, verliert die Analogie zwischen dem Verbum aeternum als der Vis operativa Patris und dem Geist als donum donabile ihre Tragfähigkeit. Denn indem der Geist aus Vater und Sohn hervorgeht, gilt für ihn nicht die analoge Aussage: non omnia dat, quae concepta sunt in sua donabilitate, sondern gerade die entgegengesetzte Aussage: (Spiritus sanetus) est donum, in quo omnia alia dona donantur. I Sent, d.10 a.l q.2 i.e.; 1,198a. 1 6 Vgl. I Sent. d. 18 a.un. q.5 concl.: Donum est proprietas distinctiva Spiritus sancti secundum respectum ad dantem, quin tamen excludatur ratio donabilitatis sive respectus secundum aptitudinem ad eum cui datur mit: De myst. Trin. q.3 a.2 concl.: Trinitas personarum non tollit simplicitatem, nec summa simpli-

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Hier wie dort handelt es sich um schwingende Sprachfiguren, die sich offenbar aus der Identität des ausgesagten Gegenstandes her nahelegen. Hier wie dort geht es um den Sachverhalt, daß die äußere Dynamik Gottes seiner inneren Dynamik nicht nur nicht widerspricht, sondern beides im Verhältnis negativer Identität ineins zu sehen ist. Um dieses Verhältnis geht es, wenn die unterscheidende Eigentümlichkeit des Geistes wesentlich die Hinsicht auf den Empfänger impliziert; und von hier aus kommt Bonaventura zu der eben erwähnten höchst erstaunlichen Aussage: Ohne die zweite Hinsicht, die ad recipientem, kann die erste weder sein noch erkannt werden17. Das heißt: Ohne die mit dem Heiligen Geist seiner Zurüstung gemäß wesentlich gegebene Hinsicht auf den Empfänger des Geistes, also ohne die Beziehung auf den spiritus rationalis als das kreatürliche Subjekt der Gotteserkenntnis, kann der Relation des Heiligen Geistes weder ein Sein noch ein Erkanntwerden zugesprochen werden. Verfolgt man diese Aussage zurück bis hin auf die Bedeutung des Hervorgangs des Heiligen Geistes für den Bestand der innergöttlichen Personen, so heißt das nichts anderes, als daß ohne die Beziehung catas exclüdit trinitatem. V,75b. Und: I Sent. d. 18 a.un. q.5 i.e.: Dicendum ergo, quod estproprietas distinetiva (sc. donum) ratione primi respectus, secundo respectu non repugnante, sed conconante mit: De myst. Trin. q.2 a.2 concl.: Summa unitas et trinitas in Deo non habent repugnantiam, sed miram concordiam et harmoniam. V,65a. — Mit am deutlichsten ist dieser Sachverhalt ausgesprochen in De myst. Trin. q.7 a.2, wo Bonaventura das Verhältnis von necessitas divini esse et trinitas personarum behandelt. Die voluntas aeeeptans in Gott, von der dort i.e.; V,1 lObf. die Rede ist, ist der Sache nach nichts anderes als die proprietas des Geistes, nach der er donum ist im Verhältnis ad dantem, non repugnante, sed consonante respectu ad eum cui datur. Jene voluntas aeeeptans, welche in Gott ist respectu sui et respectu creati (und darin vollständig voluntas aeeeptans ist; vgl. ebd.), ist geradezu der Garant der independentia und immutabilitas Gottes in sich, und zwar auf so entscheidende Weise, daß Bonaventura aus dem Verhältnis von necessitas immutabilitatis und voluntas aeeeptans heraus ebd. i.e. (Corollarium) zu der Folgerung gelangt: Quoniam igitur in Deo trino simul est necessitas cum voluntate, et voluntas cum necessitate; hinc est, quod ipsum est summe bonum per essentiam. Quia in eo est summa iueunditas per voluntatem et summa securitas per necessitatem et summa felicitas per utrumque; hinc etiam est, quod ipsum est summe beatificativum per influentiam. Nach allem, was wir wissen, können wir diese letzte Aussage ohne weiteres eindeutschen mit dem Satz: „Deshalb gibt Gott den Heiligen Geist nach Maßgabe von Ausgang und Heimgang des Sohnes" (vgl. Hex. XXI,18;V,434a); und daß wir zu Recht so eindeutschen, bestätigt Bonaventuras Grundmotiv, welches dem eben zitierten Satz in ungewöhnlich scharfer Formulierung wenig später angefügt ist: in eo solo beatificari possumus, quod simul est necessarium et voluntarium, quod solum natum est sapidissime amari, certissime cognosci et securissime possideri, „welches allein dazu da ist, feinstens geliebt, aufs sicherste erkannt, aufs fröhlichste zum Bund genommen zu werden". Und Bonaventura fährt fort, in deutlichem Anklang an I Sent. d. 18 a.un. q.5 i.e.: Quoniam igitur beatissima Trinitas non tantum est beata, verum etiam beatificativa; hinc est, quod ipsa necessitati nobilissimae summe consonat et in nullo repugnat; similiter et voluntati liberalissimae. - Alle Zitate V , l l l a . 17 Ebd. - Daß es sich hier in der Tat um eine brisante Feststellung handelt, beweist das Scholion zu dieser quaestio. DieHrsgb. erläutern (1,33lb): Sanctus . . . putat, hunc respectum (sc. ad eum cui datur) esse ita coniunctum alteri ad dantem, ut donum sine donabilitate nequeat intelligi, sive aliis verbis, esse quidem consequens, sed ut aliquid intrinsece proprium, simili modo ut ratio risibilis propria est homini. - Das Entscheidende an Bonaventuras Aussage, die Klammer von esse und intelligi, bleibt in dieser Erläuterung unerwähnt.

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auf die Seele weder Vater noch Sohn sind, weder essentia communicata noch essentia communicabilis; es heißt: Ohne das Verhältnis der Gabe zum Empfänger kann Gott selbst in seinen innergöttlichen Beziehungen weder sein noch erkannt werden 1 8 . Damit stehen wir im Grunde genommen aus der Analyse der innertrinitarischen Beziehungen Gottes heraus dicht am Ergebnis der Überlegungen zur Evidenz Gottes: Da die Entfaltung des mitteilbaren Wesens Gottes ad intra in dem Hervorgang des Geistes aus Vater und Sohn gipfelt und der Geist hypostatisch in seiner inneren proprietas distinctiva notwendig die Hinsicht auf den Empfänger enthält, ist dieses sich entfaltende Wesen weder noch wird es erkannt jenseits dieser Hinsicht. Wir finden uns angesichts dieses Sachverhalts vielfältig an jenen eigenartigen Satz von Hex. 1 , 1 2 1 9 erinnert, der am Ausgang dieser Untersuchung steht. Mochte allen vorgelegten Überlegungen entgegen dieser Satz immer noch in dem Sinne verstanden werden können, als handele es sich dabei um eine Aussage aus dem Status quo des Gott-Welt-Verhältnisses heraus, so zeigt sich jetzt, nachdem wir, soweit die Kräfte es erlaubt haben, in das Wesen Gottes selber eingedrungen sind, dieser selbe Satz als aussagbar und ausgesagt aus Gottes innerem Wesen heraus. Und so wäre man nunmehr versucht, zusammenfassend zu sagen: Das göttliche Sein ist darin göttliches Sein, daß es unter der Gabe des Heiligen Geistes in der Inkarnation erkannt wird. Aber das ist es nicht. Denn wenn der Geist „darin Gabe heißt 2 0 , daß Gott ihn geben wird, wie Augustin im Fünften Buch über die Trinität sagt, und 1 8 Vgl. De sept. Don. 1,7. Dort handelt Bonaventura vom ortus gratiae, und er nennt als diesen ortus, da er in uns liegt, das Verbum inspiratum, kraft dessen wir den Glauben an das Verbum crucifixum und darin die Gnade haben: Tertio oritur gratia in nobis per Verbum inspiratum. Quantumcumque Deus misit Filium suum in carnem, nisi credas ipsum crucifixum, non habebis gratiam. Unde Apostolus ad Titum (3,5—7): ,Νοη ex operibus iustitiae, quae fecimus nos, sed secundum misericordiam suam salvos nos fecit per lavacrum regenerationis et renovationis Spiritus sancti, quem effudit abunde in nos per Iesum Christum, Salvatorem nostrum.' Haben wir nicht den Glauben im eingehauchten Wort, so haben wir nicht die Gnade der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist. - Dieser Aussage über uns verbindet Bonaventura eine grundsätzliche Erläuterung zum Heiligen Geist: Carissimi! Spiritus sanctus est, qui est dator gratiarum et amor procedens a Patre et Filio. — Und an diese Grundsatzaussage über den Heiligen Geist schließt sich jetzt direkt eine Wendung von überraschender Wucht, ähnlich jener Formulierung in De myst. Trin. q.7 a.2 i.e. (s. Anm. 16), an: Quidquid igitur agat Pater et patiatur Filius, sine Spiritu saneto nihil est. — Der Blickpunkt wird völlig verschoben: Aus der Vergeblichkeit unseres, des menschlichen, Werkes vor Gott entwickelt sich im Verweis auf den Heiligen Geist eine Aussage über die Vergeblichkeit des göttlichen Werkes: Nichts ist es mit Gottes Werk, kommt Gott nicht im Geist mit uns zum Ziel. Was aber nicht Nichts ist, und worauf des Vaters Wirken und des Sohnes Leiden zielt, ist so gesagt: Ipse enim iungit nos Patri et Filio. - Damit ist der Geist nicht nur die Vollendung des innergöttlichen Lebens, sondern an ihm liegt, da er der Geist ist als von Vater und Sohn hervorgehende subsistente Liebe, die Vollendung des göttlichen Lebens überhaupt: die coniunctio Dei et animae. (Alle Zitate V,458b.)

Esse non est nisi dupliciter. V , 3 3 1 a ; s. o. S. 73 ff. I Sent, d.18 a.un. q.2 opp.2: Agustinus . . . quinto ι daturus ipsum erat Deus'; sed constat, quod daturus erat num, temporale est causa aeterni. I,325a. 19

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doch feststeht, daß er in der Zeit (ex tempore) würde gegeben werden, so wäre also, wenn der Geist die ewige Gabe heißt, das Zeitliche der Grund des Ewigen". Das ist nun eigentlich die letzte große Anfrage an die Theologie Bonaventuras: Ist von der dichten Klammer her, die zwischen Gottes innerer und Gottes äußerer Dynamik besteht, wie sie in Gott selbst am deutlichsten und konsequentesten in der proprietas distinctiva des Heiligen Geistes ausgesprochen ist, am Ende zu folgern, daß der zeitliche Erkenntnisakt der Seele, daß Gottes äußere Dynamik der Grund seiner inneren Dynamik ist? Ist zu folgern, daß Gottes Wesen überhaupt nur darin dreifältig subsistiert, daß es von der Seele in einem zeitlichen Akt erkannt wird? Ist damit letztlich die Trinität, Gott selbst, lediglich eine Kategorie der Gotteserkenntnis und die Ewigkeit Gottes, im menschlichen Erkenntnisakt sich begründend, des Zeitlichen als seines Grundes zu seiner Ewigkeit bedürftig? Wir stehen hier, wie mir scheint, vor dem letzten Geheimnis der Gottheit Gottes. Bonaventura beantwortet die genannte Anfrage aus Gott heraus 21 : Wenn der Geist darin Gabe heißt, daß er würde gegeben werden, „so enthält diese Aussage zweierlei: nämlich die Hinordnung des Geistes auf sein Gegebenwerden und den Akt der Begabung, der in der Hinordnung angelegt ist. Und diese Hinordnung ist ewig, wiewohl der Akt zeitlich ist; und dann sagt der Ablativ, darin Gabe, daß er würde gegeben werden' nicht eine Kausalität aus in bezug auf den Akt, sondern in bezug auf die Hinordnung. Man könnte aber dennoch sagen, daß der Ablativ den Grund für die Folgerung benennt (daß nämlich, da der Geist actu mitgeteilt wird, er zur Begabung hingeordnet ist), aber er benennt nicht den Grund des Folgegegenstandes (daß nämlich, da der Geist actu mitgeteilt wird, er immer schon actu mitgeteilt ist)." 22 In dieser Lösung kommen zusammen die causa consequentiae 21 Ebd. ad 2: Ad illud quod secundo obiicitur, quod eo dicitur donum, quo daturus etc.; dicendum, quod secundum istam acceptionem dicitur aeternaliter, quia non dicit respectum ad creaturam secundum actum, sed secundum habitum, sicut et praedestinatio. Quod ergo obiicitur, quod tunc temporale est causa aeterni; dicendum, quod illud participium daturus duo importat, videlicet ordinationem ad dandum et actum ordinationis; et ordinatio est aeterna, licet actus sit temporalis; et tunc ablativus non dicit causalitatem ratione actus, sed ratione ordinationis. Posset tarnen dici, quod dicit causam consequentiae, non consequentis. I,325bf. 22 Diese Argumentation (die ihrerseits in einer von Boethius begründeten Tradition fußt; vgl. dazu dasScholion der Hrsgb. zu I Sent, d.38 a.2 q . l ; 1,676) ist Anselm entlehnt (Cur Deus homo 11,17). Anselm veranschaulicht den Sachverhalt dort folgendermaßen: Es gibt eine necessitas praecedens (Bonaventura nennt das I Sent, d.38 a.2 q.l i.e.; I,675b eine causa consequentiae bzw. necessitas relativa) und eine necessitas sequens (Bonaventura ebd.: causa consequentis bzw. necessitas absoluta). Um eine necessitas praecedens (Bonaventura: causa consequentiae) handelt es sich, wenn ein Sachverhalt auf seinen notwendigen Grund verweist. Anselms Beispiel lautet: Da der Himmel sich bewegt, muß es ein ihn Bewegendes geben bzw. wird er notwendig bewegt. Parallel dazu heißt es bei Bonaventura I Sent, d.38 ebd.: necessitas consequentiae . . . non opponitur contingenti. Nam aliquod contingens necessario sequi tur, ut si ambulet, necessario sequitur, quod movetur (I,675b), und entsprechend müßte es heißen in I Sent. d. 18 a.un. q.2 ad 2: Da einer mit dem Geist begabt wird (actu), ist der Geist auf Begabung hingeordnet. - U m

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und die ordinatio ad dandum und die causa consequentis und der actus ordinationis. Das Aufschlußreiche hierbei liegt darin, daß die äußere Dynamik Gottes nicht immer schon actu die äußere Dynamik Gottes ist, also die äußere Dynamik Gottes nicht überhaupt die Dynamik Gottes und damit Gott selbst begründet, also das Zeitliche nicht der Grund des Ewigen ist; sondern die Folgerung heißt: Die äußere Dynamik Gottes verweist immer schon auf Gottes innere Dynamik, so daß Gottes innere Dynamik immer schon Gottes innere Dynamik ist und somit das Ewige der Grund seiner selbst. Damit aber ist die Eigenart dieser solutio freigelegt: Indem Bonaventura aus Gottes ewiger inneren Dynamik her argumentiert, weist er Gottes äußere Dynamik als den Grund seiner inneren Dynamik ab, aber er nimmt, von Gottes innerer Dynamik her argumentierend, Gottes äußere Dynamik in den Blick: diese nicht als jene begründend, sondern jene sich selber begründend in dieser. Das heißt: Gottes äußere Dynamik ist nicht der Grund seiner ewigen inneren Dynamik; sondern: indem die ewige innere Dynamik Gottes sich selbst begründet, verweist sie wesentlich auf Gottes äußere Dynamik, so, daß der Geist nicht deshalb von Ewigkeit her Gabe ist, weil er actu mitgeteilt wird, sondern er wird actu mitgeteilt, weil er von Ewigkeit her Gabe ist. Und dann ist Gott in seiner inneren Dynamik ewig, weil und insofern seine innere Dynamik, sich in sich selber begründend, auf seine äußere Dynamik hingeordnet ist: ihrem Wesen nach als deren erster Grund und letztes Ziel. Und so liegt die Eigenart dieser Lösung darin, daß Bonaventura, indem er aus Gott heraus argumentiert, von der aktualen Geistbegabung her argumentiert, daß also in der Erörterung der innergöttlichen Vorgänge der Blickpunkt umschlägt zur Erörterung von den außergöttlichen Vorgängen her, so daß die außergöttlichen Vorgänge nicht als Grund der innergöttlichen Vorgänge erscheinen, wohl aber der Umschlag des Blickpunktes durch die innergöttlichen Vorgänge erforderlich ist: Gott wird, indem er in sich selbst betrachtet wird, eo ipso und notwendig in seinem äußeren Wirken betrachtet, und so ist die Betrachtung der vollkommenen inneren Dynamik Gottes imeine necessitas sequens (Bonaventura: causa consequentis) handelt es sich bei der Posivität eines Sachverhalts. Anselms Beispiel: Wenn du sprichst, sprichst du notwendig; nichts kann bewirken, daß du, da du sprichst, nicht sprichst. Dazu wäre parallel bei Bonaventura: Wenn einer mit dem Geist actu begabt ist, kann nichts bewirken, daß er nicht mit dem Geist begabt ist. - Die necessitas sequens bzw. causa consequentis sagt aber nichts über den vorausliegenden Grund an, der dich zwingt zu sprechen, und nichts über den Grund, der notwendig macht, daß einer actu mit dem Geist begabt ist. Die Folgerung, die Anselm zieht, heißt: W o es eine necessitas praecedens gibt, gibt es immer auch eine necessitas sequens, also: notwendig wird der Himmel bewegt, da er sich bewegt. Aber es gibt, wo es eine necessitas sequens gibt, nicht auch notwendig eine necessitas praecedens, also: da du sprichst, muß es nicht einen notwendigen Grund dafür geben, daß du sprichst. Für Bonaventura würde das heißen: wo es eine causa consequentiae gibt, gibt es eine causa consequens, also: da der Geist actu mitgeteilt wird, ist der Geist notwendig auf Mitteilung hingeordnet. W o es aber eine causa consequentis gibt, muß nicht eine causa consequentiae sein, also: da einer mit dem Geist begabt ist, ist der Geist nicht notwendig immer schon mitgeteilt. Vgl. Bonaventuras Nutzung des Anselmschen Arguments I Sent, d . 3 8 a . 2 q . l i.e.: divina praescienta est, et tarnen non imponit rebus necessitatem. I , 6 7 5 b . — Die Stelle bei Anselm vgl. PL 158, 424f.

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mer schon Betrachtung von seiner äußeren Dynamik her 2 3 . Und wenn das so ist, so erfordert das zwingend die Betrachtung des Heiligen Geistes in seiner proprietas distinctiva unter beiderlei respectus (ad dantem et ad eum cui datur), und zwar ad eum cui datur nicht actu, denn es wäre sonst die Zeit Gott selbst und Gott im Widerspruch, wohl aber habitu, denn darin ist das Zeitliche in das Ewige eingeborgen: von ihm überholt, da es grundsätzlich und kraft Gottes überholbar ist. Damit ist das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit seiner Ordnung nach in Gott selbst hineinverwiesen: Da der Heilige Geist wesenhaft die Hinsicht ad eum cui datur hat, ist Gottes Ewigkeit darin sich selbst begründende Ewigkeit, daß Gott im Empfänger des Geistes durch die Zeit hindurch sich zum Zuge bringt. Er ist so der ewige Gott, daß er in seiner Ewigkeit und kraft seiner Ewigkeit und darin seine Ewigkeit in sich selber begründend ex tempore den Geist gibt, um als der Ewige erkannt zu werden. Und so ist zu sagen: Um keinen Preis sind Welt, Zeit, Mensch der Grund Gottes, weder dem Sein noch dem Erkenntnisakt nach; wohl aber ist das von Welt und ihrem im Verhältnis zu Nichtsein stehenden Sein unterschiedene innere Weltverhältnis Gottes, der in seinem inneren Leben sich selber begründende Gott Grund Gottes. Und darum, da Gottes Sein wesentlich sein erfülltes und sich erfüllendes Weltverhältnis umgreift, entäußert sich Gott nicht nur in das geschaffene Sein prope nihil 24 im Sohn, sondern darin ineins in die intelligentia creata prope se im Geist, damit, was Gott wesentlich ist, dem Wesen nach erkannt werde und so sein evidentes Sein zum Zuge komme. Von hier aus endlich sind wir der Antwort auf die Frage, mit welcher diese Arbeit ihren Einstieg genommen hat, der Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Aufstiegsgedankens für die Theologie Bonaventuras nahe: Indem Gott im Hervorgang des Geistes wesentlich die Beziehung auf den Empfänger des Geistes in sich trägt, will er als der, der das Nichts in sich immer schon überwunden hat, erkannt, verehrt und gelobt werden 25 . Dieser Wille ist seinem Wesen gegenüber nicht ein Zweites, welches zu seinem Wesen als dem Ersten hinzutreten kann, aber auch wegfallen kann, sondern dieser Wille ist seinem Wesen, das das Nichts immer schon überwunden hat, identisch als die dritte Person der Trinität dem Einen, einfachen, unermeßlichen, 23 M a n könnte hier freilich entgegnen, daß, wie die Frage nach dem Verhältnis der kontingenten Dinge zu Gottes praescientia immer schon den Bestand der Dinge in ihrer Kontingenz voraussetzt, so auch in der Erörterung hier notwendig immer schon die aktuale Geistbegabung vorausgesetzt ist, so daß es falsch wäre zu sagen, Bonaventura argumentiere hier aus Gott heraus. Er argumentiere vielmehr aus der Zeit heraus, zumal I Sent, d.18 die Uberschrift trägt: De proprietate Spiritus sancti, secundum quam ei convenit temporaliter procedere (1,322). N u n liegt aber gerade in dieser Überschrift ein Argument für die hier vorgelegte Überlegung. Denn es wird nicht nach dem Heraustritt des Geistes in die Zeit gefragt, sondern nach einer inneren Bestimmung der Trinität, nach der proprietas des Heiligen Geistes, der gemäß von einer konven i e r e n processio temporalis gesprochen werden kann; es wird aus der innertrinitarischen Bestimmung des Geistes her argumentiert auf sein temporaliter procedere hin. 24 25

Vgl. II Sent, d.l p . l a . l q . l ad 2; II,17b. Itn. 1,2; V , 2 9 7 a ; Brevil. 11,11; V,229a.

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unveränderlichen, wirklichen, ewigen Wesen Gottes, dem Wesen seiner Erstlingsschaft. Und so verhält sich denn, da Gott im Geist Gott in seiner Vollendung ist, Gottes innere Dynamik zu Gottes äußerer Dynamik als Gottes inhaltliche Bestimmung zu ihrem notwendigen Ausdruck 26 , als die Sache zum Begriff, als die Wahrheit zu ihrer Selbsterkenntnis; und darin schließt die Ewigkeit Gottes den Empfänger der Geistbegabung, die anima fidelis, in das göttliche Selbstverhältnis ein. 26

Diese Formulierung verdankt sich der Beobachtung, daß Bonaventura als ein Verhältnis von intelligentia und expressio ausdrückt, was einheitlich zum inneren Selbstverhältnis Gottes gehört. In De myst. Trin. q.3 a.2 nämlich konstatiert Bonaventura, wie dargelegt, das simul von simplicitas und Trinitas auf zweierlei Weise: auf dem Wege der distinctio personalis per originem und auf dem Wege der attributiones divinae, in welchen er die Differenz von modi essendi, modi se habendi und rationes intelligendi erläutert (vgl. V,75bf.). Die Verspannung beider, die Verspannung von distinctio per originem und attributiones divinae, ist nötig, um die concl. von De myst. Trin. q.3 a.2 zu belegen, derzufolge die Trinität die höchste Einfachheit nicht aufhebt und die höchste Einfachheit die Trinität nicht ausschließt. Nun hat Bonaventura, was er in De myst. Trin. q.3 a.2 in einem corpus ausführt, um seine conclusio zu belegen, im Breviloquium in zwei Kapitel aufgeteilt, die in ihrem Zusammenhang den Inhalt von De myst. Trin. q.3 a.2 abdecken; und zwar in ein Kapitel (Brevil. 1,3), in welchem er die göttlichen Emanationen erörtert, und in ein anderes Kapitel (Brevil. 1,4), in welchem er die attributiones divinae ihrem Inhalt nach erörtert. Dabei trägt das eine Kapitel, Brevil. 1,3, die Überschrift: De istius fidei (sc. in trinitatem personarum et unitatem essentiae) intelligentia sana (V,211b), und das andere, Brevil. 1,4, die Überschrift: De istius fidei expressione catholica (V,212b). Beide Kapitel sind exakt parallel gebaut. Brevil. 1,3 entwickelt seinen Gegenstand über zwei Emanationen: per naturam

per

voluntatem

drei Hypostasen: 1. Hypostase

2. Hypostase vier Relationen:

paternitas

filiatio

3. Hypostase spiratio

processio

fünf Notionen: paternitas filiatio spiratio processio auf drei personale Proprietäten: Vater Sohn Heiliger Geist hin. Brevil. 1,4 führt

innascibilitas

zwei modi praedicandi: per modum substantiae

essentia

per modum

drei modi supponendi: persona

relationis

notio

vier modi significandi substantiam: essentia

substantia

persona

hypostasis

fünf modi dicendi: quis

qui

quae

quod

auf drei modi differendi secundum: modum existendi

332

modum se habendi

modum

intelligendi

quid

Man kann hier natürlich fragen: Ist damit im letzten nicht doch das Zeitliche, Welt, Mensch der Grund der Gottheit Gottes ? Und man muß diese Frage ebenso entschieden verneinen: Sie trifft nicht Bonaventuras Denken und nicht die Sache, um die es geht. Denn Bonaventura denkt in allen Punkten, die wir in dieser Untersuchung berührt haben, von Gott aus, auch dort, w o die Frage von der Faktizität des Schöpfungsstandes her gestellt ist. Er denkt so von Gott aus, daß nur deshalb vom Menschen, von der Schöpfung aus gedacht wird, weil von Gott aus gedacht ist; Bonaventura denkt actu von der Geistbegabung her, weil von Gott her, da der Geist aptitudine und habitu ad recipientem ist, actu von der Geistbegabung her gedacht werden muß. Und hier nun sind wir wiederum und ein letztes Mal auf die Bedeutung des Filioque für den Hervorgang des Heiligen Geistes verwiesen. Da der Geist, ausgehend von Vater und Sohn, in seiner wesenhaften donabilitas dieses sein proprium hat im respectus ad dantem, und das meint der Sache nach: im respectus auf die emanatio prima in Gott, und da weiter unter dieser emanatio prima (per naturam) nach außen das Hervorbringen von Welt einbegriffen ist, ist der Akt, mit welchem Gott im Geist sich der intelligentia creata mitteilt, nicht nur der Grund für die Gotteserkenntnis des Glaubens, sondern im Akt der Geistbegabung ist der gläubigen Seele die Heimführung von Welt wesentlich anheimgestellt: „Denn man muß festhalten 27 , daß die Welt, wiewohl sie dem Menschen zu seiner Körperlichkeit dient, besonders seiner Seele zu Diensten ist; und da sie ihm zum Leben dient, dient sie ihm besonders zur Weisheit. Sicher ist, daß der Mensch vor dem Sündenfall (homo stans) die hin, so daß unter dem unbedingten Primat der Sache von Brevil. 1,3 die expressio der Sache in Brevil. 1,4 der Sache selbst innerlich als deren notwendiges Interpretament zugehörig ist. Die genaue Parallelisierung von Brevil. 1,3 und Brevil. 1,4 führt nicht nur zu einer Bestätigung der hier vorgelegten Interpretation des trinitarischen Lebens, sondern darüber hinaus auf die Folgerung, daß, indem das Verhältnis von Brevil. 1,3 auf Brevil. 1,4 der Beleg des widerspruchsfreien Verhältnisses vonTrinitas und simplicitas Gottes ist (vgl. De myst. Trin. q.3 a.2 concl. eti.c.), dieses widerspruchsfreie Verhältnis die expressio fidei umschließt. Dabei ist auf die Ordnung zu achten: Nicht, weil die expressio fidei so und so lautet, deshalb ist der Gegenstand so und so zu bestimmen, sondern weil dies, Gott in seiner Dreieinheit, der Gegenstand ist, muß die expressio fidei so lauten: Weil und sofern es zwei Emanationen gibt, gibt es zwei modi praedicandi; weil es drei Hypostasen gibt, gibt es drei modi supponendi; weil es vier Relationen gibt, gibt es vier modi significandi substantiam; weil es fünf Notionen gibt, gibt es fünf modi dicendi; weil es drei Personen gibt, gibt es drei modi differendi - weil und sofern es diese Sache gibt, gibt es diesen Ausdruck, und im Verhältnis beider, im Verhältnis von intelligentia sana und expressio catholica fidei, hebt die Trinitas die simplicitas nicht auf, und schließt die simplicitas die Trinitas nicht aus. 27

Hex. XIII,12: Notandum autem, quod mundus, etsi servit homini quantum ad corpus, potissime tarnen quantum ad animam; et si servit quantum ad vitam, potissime quantum ad sapientiam. Certum est, quod h o m o stans habebat cognitionem rerum creatarum et per illarum repraesentationem ferebatur in Deum ad ipsum laudandum, venerandum, amandum; et ad hoc sunt creaturae et sie redueuntur in Deum. Cadente autem homine, cum amisisset cognitionem, non erat qui reduceret eas in Deum. Unde iste liber, scilicet mundus, quasi emortuus et deletus erat, necessarius autem fuit alius über, per quem iste illuminaretur, ut aeeiperet metaphoras rerum. Hic autem est liber Scripturae, qui ponit simulitudines, proprietates metaphoras rerum in libro mundi scriptarum. Liber ergo Scripturae reparativus est totius mundi ad Deum cognoscendum, laudandum, amandum. V,389bf.

333

geschaffenen Dinge erkannte und durch sie, sofern sie Gott abbilden, in Gott hineingetragen wurde, ihn zu loben, zu verehren und zu lieben; und dazu sind die Kreaturen gemacht, und so werden sie heimgeführt in Gott hinein. Da der Mensch aber fiel — denn er hatte die Erkenntnis verloren — war niemand mehr, der die Dinge heimbrächte zu Gott. Daher ist dieses Buch, die Welt, gleichsam erstorben und war zerstört; aber nötig war ein anderes Buch, durch welches das Buch der Welt erleuchtet würde, damit es den Sinngehalt seiner Dinge empfange28. Das aber leistet das Buch der Schrift, welches die Abbildlichkeiten, Eigenheiten und Sinngehalte der Dinge setzt (ponit29), die in das Buch der Welt geschrieben sind. Das Buch der Schrift also erstreckt sich seinem Wesen nach auf die Wiederherstellung der ganzen Welt zur Erkenntnis, zum Lob und zur Liebe Gottes." Gewiß bezieht sich diese Aussage in erster Linie auf das Schriftverständnis Bonaventuras; und unter diesem Blickpunkt ist sie interpretiert und verstanden worden30. Ihr zentrales Interesse aber bezieht sie von daher, daß der Akt der Heimführung von Welt als die erste Aufgabe des Menschen erscheint und als das Gesetz seines geschöpflichen Wesens. Und zieht man hier nun die oben (S. 209 f.) bereits besprochene Stelle aus Brevil. II, 11 bei 31 , derzufolge Gott um seiner Selbstkundgabe willen die Welt erschaffen hat, damit der Mensch durch sie zu seinem Lobe heimgeführt werde, so ergibt sich der überraschende Sachverhalt, daß der Mensch, da er durch Gottes Schöpfung heimgeführt wird, selber erschaffen ist, Gottes Schöpfung heimzuführen. Damit ist vor allem gesagt, daß Gottes Verhältnis zur Seele, welches innergöttlich in der Eigenheit der dritten Person grundgelegt ist, immer schon das Verhältnis des Menschen zur Welt impliziert. Da Gott in der Schöpfung sich dem Menschen kenntlich macht, liegt es am Menschen, Welt heimzuführen zu Gott, so daß der Akt der Heimführung von Welt durch den Menschen letztlich in jenem innergöttlichen Verhältnis gründet, in welchem der wesenhaft Eine Gott der trinitarische Gott ist im Selbstand der dritten Person. Und das heißt: Wenn richtig ist, daß die Selbstkundgabe Gottes in der Schöpfung ein Ausdruck des göttlichen Wesens ist, da es nach innen vollständig per naturam emaniert, so ist die Heimführung der Schöpfung durch den Menschen ein Ausdruck des göttlichen Wesens, da es nach innen vollständig (complete, determinate et perfecte; Brevil. 1,3) per voluntatem emaniert. Die Bedeutung der reductio von Welt durch den Menschen erscheint so als die Kehrseite der Bedeutung, die der emanatio secunda für die trinitarische Subsistenz des göttlichen Wesens zukommt. 2 8 Die Wendung „per quem iste illuminaretur" ist eindeutig auf den liber mundi zu beziehen (vgl. Rep. A ; Delorme 1 5 0 ) : Es ist die erstorbene und zerstörte Welt, deren Seinsgesetz unter der Sünde des Menschen ihre Defizienz und Nichtigkeit ist, welcher die neuerschaffende Erleuchtung gilt. 29

Vgl. das „ p o n i t " in Brevil. 11,1; V , 2 1 9 b .

30

Vgl. die Interpretation von H e x . X I I I , 1 2 bei Mercker 1 4 3 .

3 1 Primum principium fecit mundum istum sensibilem ad declarandum se ipsum, videlicet ad hoc, quod per ilium tanquam per speculum et vestigium reduceretur h o m o in Deum artificem, amandum et laudandum. V , 2 2 9 a .

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Von dieser Überlegung aus wird das enorme Gewicht, welches der Aufstiegsgedanke in der Theologie Bonaventuras zu tragen hat, deutlich: Da Gott gemäß seinem Wesen die von ihm aus dem Nichts erschaffene Welt heimführen will, hängt es im letzten am Aufstieg der Seele selbst, am Itinerarium mentis in Deum, daß Gott mit seiner Welt zum Ziele kommt. Die Ewigkeit Gottes, die, in Gottes innerer Dynamik sich selber begründend, Gottes Ewigkeit in seiner äußeren Dynamik ist, ist die Ewigkeit Gottes nicht anders als so, daß der Mensch, mit dem Glauben begabt, in seinem Weltverhältnis in die in Gottes Wesen beschlossenen Spuren tritt. Das geschöpfliche Abbild, welches in seiner Entsprechung zum schöpferischen Urbild an der Stelle, da es das circumincessive In-Sein von Vater und Sohn abbildet, in futurischer Dimension geöffnet ist32, zeigt damit im letzten an, daß Gott in seiner Vollkommenheit im Verhältnis des Glaubens zur Welt unterwegs ist zu sich selbst. Gott ist so das vollkommene Urbild und so vollkommen Gott. Weiter kann man, wie ich glaube, mit und gegenüber dem Werk Bonaventuras nicht gehen. Wir stehen hier an dem Scheitelpunkt seines Denkens, an welchem die Spitze des spekulativen Sinnes umschlägt in die ekstatische Schau; an dem Punkt, an welchem die Denkkraft zurückbleibt hinter dem sich gänzlich der Liebe Gottes vereinenden Affekt; dem Punkt, an welchem, wenn man fragt, ob für Bonaventura eine Schau Gottes hier und heute möglich sei, klar eine Verneinung ausgesprochen werden muß: Das Itinerarium viatoris löst nicht das Geheimnis der Trinität, aber es kommt ihm soweit nahe, daß der Glaube, ergriffen vom Heiligen Geist 33 , nicht schauend aber liebend Eines ist mit Gott 34 ; dem Punkt aber auch, an welchem die ungeheure Bedeutung der im ordo seraphicus futurus organisierten Seelen deutlich wird, an welchem die Grenze zwischen Chiliasmus und futurischer Eschatologie ins Wanken kommt und die noch offene Zeit in ihrer noch ausstehenden Erfüllung hinübergetragen wird ins Ewige35: gänzlich von Gottes Geist erfüllt und ihrer Nichtigkeit ledig.

32

S. o. S. 33 ff. zum ordo futurus. Im. VII,4; V,312b. 34 Zu dieser Frage, die seinerzeit die Bonaventura-Forschung bewegt hat, vgl. das Referat bei Brunner 274. - Das obenstehende Urteil versteht sich nicht als selbständig begründet (dazu wäre eine Untersuchung der Weltseite in der Theologie Bonaventuras nötig), sondern als Konsequenz der Überlegungen zum Gottesbegriff: die futurische Erstreckung, welche der Aufstieg gewinnt, da in der Geistbegabung Heimführung von Welt stattindet, läßt es nicht zu, daß die Einzelseele außerhalb ihres Zusammenhanges mit der endgültig als Bild des Schöpfers ans Ziel gekommenen Welt Gott schaue. Sie läßt wohl zu, daß die Einzelseele im mystischen Aufstieg je und je ekstastisch ans Ziel gelange (Hex. 111,30; V,348a), aber das ist noch nicht die reiteratio primae diei (Hex. 111,31; V,348b), in welcher Leib und Seele, ihrer Tendenz auf das Nichts vollständig enthoben, in Klarheit mit Gott Gemeinschaft haben. 33

35

Hex. XX,30: Etdicebat (sc. Bonaventura), quoninm imilto a trocessimusastatu nostro, et ideo permittit nos Deus affligi, ut per hoc reducamur ad statum, qui debet habere terram promissionis. V,430b.

335

Schlußbemerkung: Von der Gefährdung Gottes Wir sind am Ende unserer Überlegungen, und in dem Versuch, den Gang dieser Untersuchung noch einmal zusammenfassend abzutasten, kommen wir zu der folgenden Formulierung: Gott, in der tiefinneren Erkennbarkeit seines Seins, ist darin der Schöpfer von Welt, daß er, im Akt der Erschaffung von Welt diese selbe Welt zum Zeugnis seiner selbst erhebend, sie heimführt zu seiner Einheit. Es ist aber dieser Gott Schöpfer und Heimführer von Welt deshalb, weil er, in seinem innersten Wesen sich hinspannend auf seine Entäußerung hin, immer schon der ist, dessen Mitte Jesus Christus heißt. In dieser Mitte ist Gott in sich der Heimbringer von Welt so, daß Gott selber sich in ihr als den Ersten und den Letzten, als das primum principium und den finis finiens erweist: als den, der in sich selber, da er, in seiner Evidenz auf den Crucifixus sich hinspannend, Welt aus dem Nichts hervorbringt, als der Deus trinus et unus das Nichts immer schon hinter sich gelassen hat. So aber ist Gott der trinitarische Gott, daß er im subsistenten Liebesband zwischen Vater und Sohn sich der Seele anheimstellen will, um in ihr und mit ihr sein nach außen tretendes Selbstzeugnis heimzubringen zu sich selbst; und darum ist Gott in sich der trinitarische Gott nicht anders als so, daß die Seele, im Heiligen Geist die gesamte Kreatur und sich selber der Tendenz auf das Nichts entreißend, in Gott zum Ziel gelangt. Darin ist der Deus primus der Deus trinus et unus, Gott in seiner Erstlingsschaft gänzlich entfaltet. Nun liegt allerdings in dieser Sicht, von der ich meine, in ihr sei Bonaventuras Gottesverständnis in seinen wesentlichsten Punkten zusammengefaßt, ein nicht unbedeutendes theologisches Problem, das wir im Gang der Untersuchung scheinbar gänzlich unterdrückt haben und das deshalb hier noch in aller Kürze angesprochen werden soll. Wie, so ist zu fragen, wie verhält es sich mit dem Problem der Sünde? Sollte in Bonaventuras Verstand von Gott die Sünde in der Gottheit Gottes selber enthalten sein, so daß, da Gott im Verhältnis von Inkarnation und Trinität der Eine Gott wesentlich im Verhältnis von productio und reductio von Welt, darin seine Erstlingsschaft entfaltend, ist, Adams Übertretung gleichsam eine notwendige Durchgangsstufe Gottes selber wäre, ein in Gottes Heilsweg eingeschlossenes Wegstück der göttlichen Dynamik? Wir können dieser Frage hier keine eingehende eigene Untersuchung mehr widmen. Aber wie wir gesehen haben, läßt sich Bonaventuras Verständnis von Gott entwickeln, ohne daß dem Anschein nach von der Sünde eigens gehandelt werden muß. Das bedeutet aber nicht - und deshalb ist dieser Umstand hier zu erwähnen - , daß der Sündenfall als Durch22

Fischer, De Deo trino

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gangsstufe sozusagen stillschweigend in die göttliche Dynamik einbegriffen ist; vielmehr das Gegenteil ist der Fall. Denn die Sünde ist sowenig wie das Nichts irgend etwas, sondern die Sünde ist ihrem Ursprung nach anzusiedeln in dem Verhältnis, in welchem das geschaffene Sein, aus dem Nichts ins Sein gebracht, in sich selber im Verhältnis von non-esse auf esse steht. Das macht, auf die Kreatur in sich gesehen, ihre wesenhafte Tendenz auf Nichtsein aus, und in dieser Tendenz liegt auf Seiten der Kreatur, oder genauer, des spiritus rationales, der Ermöglichungsgrund der Sünde, welche zu einer tatsächlichen causa deficiens wird, wenn der Mensch, dem sich zuwendend, was ihm ursprungshaft (und nicht per participationem) zu eigen ist 1 , dem Nichts verfällt und zum Beleidiger Gottes wird. Denn was der Mensch, Gottes uneingedenk, von sich aus und um seiner selbst willen tut, ist nichts 2 , und da er der Sünde verfällt, stärkt er das Nichts auf, welches eigentlich, den Menschen in sich hineinschlingend und denselben zum Beleidiger Gottes bestimmend, selber die eine Beleidigung Gottes ist: „Denn Gott hat 3 nichts zum Widersacher, zum Unrechtsträger und Beleidiger außer der Sünde" - und des Wortgebrauchs von nihil bei Bonaventura eingedenk, sind wir imstande zu übersetzen: „Das Nichts nämlich in der Gestalt der Sünde ist es, welches Gott widerstreitet, ins Unrecht führt und Gott beleidigt, derart, daß die Sünde, da sie in Verachtung des göttlichen Gesetzes uns vom unveränderlichen Gut wegreißt, Gott selbst beleidigt, den freien Willen knechtet, der Gnade beraubt und zum ewigen Tode bindet. Weil also die Entstellung des menschlichen Bildseins und die Wegnahme der Gnade gleichsam ein ins Nichts zielender Stoß gegen das Sein des Gott gehorsamen und in der erhaltenden Gnade stehenden Lebens ist; weil die Beleidigung Gottes so hoch zu wichten ist, wie Gott selbst ist 4 ; weil die Schuldverfallenheit an ewige Strafe unermeßlichen Ausmaßes ist: deshalb ist es unmöglich, daß der Mensch von seiner Schuld sich erhebe, er werde denn neu erschaffen ins gnadenhaft geschenkte Leben, es werde denn die Beleidigung vergeben und die ewige Strafe erlassen. Der allein aber, der der erschaffende Anfang gewesen ist, der allein ist auch der neuerschaf1

Brevil. V,2: amans proprium bonum. V,253b; vgl. Brevil. 111,1; V,231ab. Brevil. V,2: nihil potest facere (homo) de se et propria virtute, per quod Deum sibi constituat debitorem. V,253bf. 3 Brevil. V,3: primum principium . . . nihil habet sibi rebelle, iniuriosum et offensivum nisi peccatum, quod, contemnendo Dei praeceptum et avertendo nos a bono incommutabili, offendit Deum, deformat liberum arbitrium, perimit donum gratuitum et obligat ad supplicium aeternum. Cum igitur deformatio imaginis et peremtio gratiae sit quasi annihilatio in esse moris et vitae gratuitae; cum offensa Dei sit tantum ponderanda, quantus est ipse; cum reatus poenae aeternae rationem teneat infiniti: impossibile est, quod homo resurgat a culpa, nisi recreetur in vita gratuita, nisi remittatur offensa, et poena relaxatur aeterna. Solus igitur, qui fuit principium creativum, est et principium recreativum, Verbum scilicet Patris aeternum, quod est Christus Iesus, mediator Dei et hominum, quod quia omnia de nihilo creat, ideo creat se ipso solo sine aliquo intermedio. V,254b f. 4 Die Wendung: „quantus est ipse" ist schwierig (vgl. die abweichenden Lesarten V,255a Anm. 2 der Hrsgb.). Gemeint ist: Das Maß der Beleidigung richtet sich nach der Größe Gottes; und da sie Beleidigung Gottes ist, ist sie unermeßlichen Gewichts. 2

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fende Anfang: Das ewige Wort des Vaters nämlich, das heißt Jesus Christus, der Mittler zwischen Gott und Mensch, der, da er alles aus dem Nichts erschafft, allein und durch sich selber unmittelbar alles erschafft." - Wir können diesen Text nicht mehr ausführlich interpretieren, sondern brauchen sein Gewicht nur andeutend zu skizzieren: Das Subjekt der Beleidigung Gottes ist nicht sosehr der Mensch als vielmehr das Nichts selbst in der Gestalt der den Menschen dem Nichts überantwortenden Sünde. Und sollten wir von hier aus sagen, die Sünde sei nicht weiter gewichtig, von Gott gleichsam vorentworfen und in seinem Heilsweg verankert, so hätten wir Bonaventuras Sicht bei weitem verfehlt. Vielmehr: Da Gott, das Erschaffene vom Nichts ins Sein überführend, die Welt sich zum Zeugnis erschafft, ist der Akt, mit welchem Gott Welt auf Heimholung hin hervorbringt, dem innersten Willen Gottes gemäß der erste und entscheidende Schlag Gottes gegen das Nichts. Gott bringt die Welt auf Heimholung hin hervor, weil er, darin Gott, das Nichts nicht will5. Er bringt Welt auf Heimholung hin hervor als seinen, Gottes, ersten und entscheidenden Akt, in dem er die Sünde im Ansatz bereits abweist dergestalt, daß sie in der Schöpfung selbst schon nicht nur in den Bereich des Nichts verwiesen ist, sondern daß darin kraft Gottes das Nichts selber überwunden, erledigt, vollständig ausgeschlossen ist. Gott, da er die Schöpfung hervorbringt, will die Sünde nicht; er will sie nicht, indem er den Menschen wider die Sünde erschafft, auf daß in ihm, im Menschen kraft Gottes, Welt dem Nichts gänzlich entrissen und in Gott hineingetragen werde. So sind wir am Ziel: Am Ziel des Weges, da alles eingeborgen ist in Gott und Gottes Dynamik selbst ihr in Gott immer schon erfülltes Ziel gefunden hat; und auch am Ziel dieser Untersuchung. Denn was die höchste und schärfste Anfrage an die Theologie Bonaventuras ist6, ob nämlich in seiner Konzeption das Nichts selber zu einer eigenen metaphysischen Größe sich ausweite bis hin zur Gefährdung Gottes - diese Anfrage kann jetzt beantwortet werden: In der Tat hat Gottes unfaßbares und unumschreibbares Wesen Dimensionen, die so weit an den innersten Lebenskern Gottes selber rühren, daß Bonaventura mit so exzessiven Formulierungen wie jener aus dem Itinerarium von Gott sprechen kann: „Das reinste Sein begegnet nicht anders als in voller Flucht vor dem Nichtsein, wie auch das Nichts nicht anders als in voller Flucht vor dem Sein begegnet."7 Und in der Tat läßt sich diese exzessive Formulierung ebenso exzessiv ausführen: Die Dynamik, in welcher Gott in der Vollkommenheit seines Weltverhältnisses mit der Welt zum Ziele 5 Der Unterschied des menschlichen Standes vor Gott ist darum vor und nach dem Sündenfall gradueller, nicht grundsätzlich andere Art. Vgl. Brevil. V , 2 : (homo), cum sit defectivus, indiget semper adiutorio divinae praesentiae, manutenentiae et influentiae, per quam manuteneatur in esse; quae, quamvis sit universalis in creaturas omnes, nominatur tarnen nomine gratiae, quia non ex debito procedit, sed ex liberalitate bonitatis divinae. - Hinc est etiam, quod ad hoc, ut se praeparet ad donum supernae gratiae, cum sit recurvus, indiget dono alterius gratiae gratis datae, maxime post naturam lapsam. V , 2 5 4 a . - Auf das letzte maxime k o m m t es an.

" Vgl. oben S. 1 3 6 Anm. 2 0 6 . 7 Itn. V , 3 ; V , 3 0 8 b ; s. o. S. 8 4 Anm. 4 7 . 22*

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kommt, erscheint nach der einen Seite als der lange Fluchtweg des Seins vor dem Nichts; und erscheint nach der anderen Seite als der lange Fluchtweg des Nichts vor dem reinsten Sein. Und da die Formulierung von Itn. V,3 eine solche Ausführung möglich macht, stellt sich in ihr zugleich die Frage, wer oder was zurückbleibe, da eines von beiden, Sein oder Nichts, gänzlich geflohen sein wird, und wo und woran es sich entscheide, wer als letzter auf dem Plan bleibt. Diese Frage gestellt und alle vorgelegten Überlegungen beigezogen, heißt die Antwort: Entschieden wird darüber in Gottes letztem Schöpfungswerk. Entschieden wird im Menschen, sofern in ihm, dem letzten Werk Gottes, Gott sein Werk zum Ziele führen will; sofern der Mensch erschaffen ist, kraft Gottes die Kreatur zum Zeugnis Gottes erhebend, Welt heimzuführen in Gott hinein. So ist der Mensch, da in seinem Itinerarium die Entscheidung fällt, zugleich das höchste Zeugnis und zugleich die höchste Gefährdung Gottes 8 . Denn Gott, in seinem Sein zutiefst erkennbar, ist nicht nur in seiner auf selten des Menschen anzusiedelnden erkenntnismäßigen Präsenz in den Abläufen der Weltgeschichte gefährdet dergestalt, daß in einer gottvergessenen Welt Gottes Anwesenheit in Glauben und Gottesdienst gefährdet wäre; sondern Gott, da er in der Erkennbarkeit seines Seins zum Zuge kommen will, ist in den Abläufen der Weltgeschichte in seinem Sein selber gefährdet, sofern in einer Welt, die durch menschliche Defizienz ihrer Eingeborgenheit in Gott verlustig gegangen sein würde, Gott selbst die Erkennbarkeit seines Seins nicht würde einlösen können. Und so muß dort, wo Gott zuletzt am herrlichsten erschaffen hat, in seinem letzten Schöpfungswerk nämlich, im Menschen, zugleich von Gottes höchster Gefährdung gesprochen werden. Indem wir das aber tun, indem wir jetzt von der Gefährdung Gottes sprechen, ist zugleich auch und darin ineins zu sagen: Gerade darin, daß Gott in seinem letzten Schöpfungswerk sich der Gefährdung durch das Nichts übergibt, gerade darin ist Gott Gott in seiner Gottheit 9 . Denn Gott ist der, der, in seinem Wesen auf den Crucifixus sich hinspannend, dreifältig subsistiert; er ist der Gott, der, das ungeschaffene Wort nach innen sprechend, die im fleischgewordenen Wort aufgehobene Welt nach außen setzt; er ist der Gott, der, das ungeschaffene Wort nach innen sich im Band der Liebe bindend, dieses selbe ungeschaffene Wort, das in seiner Entäußerung die Schöpfung heimholt, nach außen einhaucht als das Wort, welches, da es das Wort des Vaters im Heiligen Geist ist, die Seele in ein Verhält8 Gerken 178 spricht im Zusammenhang einer ähnlichen Überlegung diesen Sachverhalt, um den entscheidenden Schritt vermindert, aus: „Weil der Mensch die Stelle ist, auf die die Welt als auf ihre Seinsmitte konzentriert ist, trägt er die ganze Welt in seinem Bezug auf sie mit sich. Gerade so ist er ein vorzügliches Bild des Wortes, das im Voraus zur Welt deren Mannigfaltigkeit in seiner Einheit besitzt. Was beim Wort Souveränität und Unabhängigkeit... ist, wird beim Menschen als einem Nachher, als dem Beschluß der Welt und dem Werk des sechsten Tages größte Abhängigkeit... So ist gerade die Würde des Menschen seine höchste Gefährdung und Schwäche." 9 Vgl. Söhngen 662: „Gott der Schöpfer muß, menschlich gesprochen, über sein eigenes Wesen springen in den Abgrund des Nichts und ihn erfüllen."

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nis zu Gottes Spur setzt derart, daß kraft des eingehauchten Wortes die einzelne Seele, hier und heute durch die Seinsgrade und Zeiten der Kreatur aufsteigend und so die irdische Entsprechung der himmlischen Monarchie je und je beschließend, im rechten usus der Welt 10 zum prophetischen Moment 11 der kosmischen reductio wird, welche erfüllt ist, wenn von Christus her, der im Zeugnis des Heiligen Geistes die Wahrheit heißt 12 , unter dem Heiligen Geist 13 die Kirche, welche die figura terrae ist 14 , zu Gott und in Gott hinein heimgebracht ist und das In-Sein des Vaters im Heiligen Geist sein vollkommenes kreatürliches Abbild findet. Denn dies, daß der in seinem Wesen dreifältig subsistierende Gott der ist, der selber in seiner Vollkommenheit die von ihm erschaffene Welt im Menschen heimführt zu sich selbst - dieser Sachverhalt findet seinen Ausdruck in der christologischen Trias von Verbum increatum, Verbum incarnatum, Verbum inspiratum. In ihr drückt sich worthaft aus, was der Sache nach die Dynamik Gottes ist. Es drückt sich aus, daß Gott, in seinem Wesen hingespannt auf Entäußerung hin, eben darin nicht der Garant von Nichtsein ist noch der Möglichkeit nach dem Nichts unterlegen; es drückt sich aus, daß Gott der ist, der als der Vater sein Wort nach innen spricht und dasselbe, da er den Sohn im nach außen hingeordneten Geist liebt, als Verbum inspiratum dem Menschen zum Glauben einhaucht, um so dem Heimgang der Kreatur unter dem Heiligen Geist den Weg zu bereiten. Und so ist die dreifältige Entfaltung des einen Wortes Gottes der Ausdruck dafür, daß Gott umfassend die Wahrheit ist 15 : in sich, da er das ungeschaffene Wort spricht, in welchem er alles grundlegt und schafft; außer sich, da er im Verbum incarnatum herniedersteigt; in sich und außer sich, da er kraft seines Niederstiegs im Verbum inspiratum unter dem Heiligen Geist sich den Menschen und seine Welt zum 10

Itn. 1,7: excaecatus homo et incurvatus in tenebris sedet et caeli lumen non videt, nisi succurrat gratia cum iustitia contra concupiscentiam, et scientia cum sapientia contra ignorantiam. Quod totum fit per Iesum Christum, ,qui factus est nobis a Deo sapientia et iustitia et sanctificatio et redemtio' (1. Kor. 1,30). Qui cum sit Dei virtus et Dei sapientia, sit Verbum incarnatum plenum gratiae et veritatis, gratiam et veritatem fecit, gratiam scilicet caritatis infudit, quae, cum sit de corde puro et conscientia bona et fide non ficta, totam animam rectificat secundum triplicem ipsius aspectum supradictum; scientiam veritatis edocuit secundum triplicem modum theologiae, scilicet symbolicae, propriae et mysticae, ut per symbolicam recte utamur sensibilibus, per propriam recte utamus intelligibilibus, per mysticam rapiamur ad supermentales excessus. V,298a. 11 Hex. IX,6: Tertia firmitas (sc. fidei) est ex testimonio veritatis ut expressae per Verbum inspiratum; et hoc fuit in omnibus Prophetis. V,373b. 12 Ebd.: ,Spiritus sanctus testificatur, quoniam Christus est Veritas' (1. Joh. 5,6). V,373b. 13 Hex. IX,8: Hic Spiritus sanctus in mentibus electorum facit scripturas et dat firmitatem fidei christianae. V,373b. Gemeint ist das Buch der Schrift, welcher der Uber reparativus totius mundi heißt (Hex. XIII, 12; V,390a); und so hat der Geist eine Hinordnung auf die Kirche in ihrer Gesamtheit; vgl. Hex. IX,8 ff. und Itn. Prot. 1; V,295a. Vgl. oben S. 33. 14 Hex. IX,3: Ecclesia, quae terrae nomine figuratur. V,373a. 15 Hex. IX,1 spricht von der firmitas fidei (in welcher wir den Deus primus, trinus et unus in seinem Verhältnis zum Glauben erkennen) ex testimonio veritatis expressae per Verbum increatum . . . , per Verbum incarnatum . . . , per Verbum inspiratum. V,372ab.

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Heimgang bereitet. Insofern ist das Verbum inspiratum weit mehr als bloß Abglanz und Reflex des Verhältnisses von Verbum increatum und Verbum incarnatum 16 . Es ist die Klammer, welche Gott und Seele in Gott hält, und welche bezeugt wird durch das Liebesband, mit dem Gott Himmlisches und Irdisches bindet 17 . Aber nun bleibt dennoch zu fragen: Läßt sich ein Ansatz wie der Bonaventuras wirklich durchhalten, ohne daß Gottes Gottheit Schaden leidet? Ist es nicht am Ende doch rundherum falsch und gefährlich, Gott und Welt, Trinitätslehre und Christologie, Gotteslehre und Anthropologie so dicht ineins zu setzen, daß, wo über Welt zu reden wäre, immer schon von Gott geredet wird, und wo von Gott gesprochen wird, immer in bestimmter Weise Welt und Mensch mitgemeint sind? Es könnte darin, daß es im Horizont der Theologie Bonaventuras möglich wird, von der Gefährdung Gottes zu sprechen, eine viel größere Gefahr vermutet werden, die nämlich, daß, da Gott in sich gänzlich ungefährdet ist, eigentlich immer schon gar nicht von Gott die Rede ist, sondern vom Menschen, von seinem begrenzten Weltverständnis, so daß wir es bei Bonaventura, wenn die hier vorgelegten Überlegungen zutreffend sind, mit einer Theologie zu tun hätten, die, ohne es zu wissen, Mensch meint, wo Gott gesagt ist, und die, da es in ihrem Horizont möglich und nötig ist, von der Gefährdung Gottes zu sprechen, im Grunde eine Gefährdung des Menschen ist, der, in die Begrenztheit seiner Sicht sich blind verrennend, dieselbe zur Unbegrenztheit Gottes erklärt und sich auf diesem Wege der Hilflosigkeit seiner menschlichen Subjektivität ausliefert. So kann man fragen, aber wenn so gefragt wird, ist Gott anders verstanden, als Bonaventura ihn versteht. Er ist verstanden als Gott, der so Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit und so Gott ist in sich selbst und unbezüglich, so Gott in seiner Gottheit, daß es schlechterdings blasphemisch ist, von einer plena fuga des Seins vor dem Nichts zu sprechen. Die Kontroverse, die von einem solchen Gottesverständnis her gegen Bonaventura zu führen wäre, kann an dieser Stelle nicht ausformuliert und erst recht nicht geklärt werden. Aber das Problem läßt sich skizzieren. Seine Lösung führt gewiß weiter als nur bis in eine speziell theologische Auseinandersetzung. Denn Christus, der Sohn Gottes, der dem Vater im Liebesband des 16 Gerken 24. - Zum Problem der christologischen Trias vgl. neuestens Winfried Schachten, Intellectus Verbi — Die Erkenntnis im Mitvollzug des Wortes nach Bonaventura. Symposion 44, Freiburg/München 1973. - Diese Arbeit ist mir leider erst nach Abschluß meiner Untersuchung zur Kenntnis gekommen, so daß ich sie nicht mehr habe verwenden können. 17 Brevil. 1,1; V,210b. — Die Schwierigkeit einer genauen Bestimmung des Verhältnisses von Verbum inspiratum zu Spiritus sanctus steht der anderen Schwierigkeit parallel, welche die Frage nach dem Verhältnis von Einzelaufstieg und Geschichtstheologie bestimmt. Beide Fragen zu lösen, übersteigt den Rahmen dieser Untersuchung, aber thetisch läßt sich so skizzieren: Das Verbum inspiratum, in welchem der Heilige Geist den Christus als die Wahrheit bezeugt (Hex. IX,6), hebt den Menschen in Gott hinein, indem es ihn, da in ihm der Geist die Wahrheit bezeugt, in das rechte Verhältnis zu den Dingen der Welt setzt und so ihn einfaßt in das gesamte irdische Bild Gottes, in welchem die Kirche zum Ziele kommt.

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von beiden gemeinsam gehauchten Geistes verbunden ist, ist für Bonaventura die Mitte aller Wissenschaften, und so führt, von Bonaventura her gesehen, die Auseinandersetzung in alle Bereiche der Wissenschaft und ist über alle Bereiche zu führen. Das ist hier nicht zu bewerkstelligen. Aber festzuhalten bleibt, daß Bonaventura gegenüber einem anderen, seinem eigenen Gottesverständnis sich schwerlich fügenden Ansatz, dem die vollständige Absolutheit und Unbezüglichkeit Gottes der Springpunkt des Glaubens ist, mit unvergleichlich scharfer Radikalität die Hand auf die Wunde der Welt legt, einer Radikalität, welche der biblischen Überlieferung nach in der Radikalität der großen Taten Gottes ein unüberbietbares Vorbild hat. Vorbehaltlich dessen, daß ungeklärt ist, in welcher Weise das Nichts als relevante Größe überhaupt aussagekräftig ist - denn diese Frage wäre selbstverständlich noch zu stellen — und vorbehaltlich dessen, daß Verständigung darüber zu erzielen ist, daß im Verstände Bonaventuras das geschaffene Sein, da es in sich zu Nichtsein im Verhältnis steht, in sich selber Sein im Widerspruch ist, steht gegenüber Bonaventura eine gleichsam thomistische Theologie, welche die absolute und unbezügliche Transzendenz Gottes meint denken zu können, auf ganz andere Weise in Gefahr, ihren Gegenstand zu verlieren: auf die nämlich, daß Welt, als eigene, kraft Schöpfung in sich widerspruchsfreie Seinsebene neben Gott begriffen, in sich als eigentlich immer schon in ihrer jeweiligen Zuständlichkeit und Faktizität versöhnte, widerspruchsfreie Welt verstanden werden muß; als Welt, deren Widerspruch nicht in ihrem Sein, sondern im Denken ihrer Menschen liegt, und die, als widerspruchsfreie zweite Seinsebene neben Gott, letztendlich Gottes gar nicht mehr bedarf. Ob nicht Welt von Gott allein gelassen werden kann und ob nicht Gott in seiner Unbezüglichkeit, obzwar Gott, in Unverbindlichkeit geraten könnte: nicht Gott von Welt, sondern Gott gegenüber der existentialen Geschichtlichkeit meines je verlorenen Ichs; und ob nicht alsdann Gott zum beliebigen Gedankenspiel eines Gottes und der Welt vergessenden, sich gänzlich auf sich selber zurückziehenden Glaubens zu werden in Gefahr steht das ist als Gegenfrage an den Ansatz einer in der angedeuteten Weise sich formulierenden Bonaventura-Kritik im Sinn zu halten und zu bedenken.

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