Eine Kirche in der Liturgie (Forschungen Zur Systematischen Und Okumenischen Theologie, 129) (German Edition) 9783525563601, 9783647563602, 3525563604

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Eine Kirche in der Liturgie (Forschungen Zur Systematischen Und Okumenischen Theologie, 129) (German Edition)
 9783525563601, 9783647563602, 3525563604

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563601 — ISBN E-Book: 9783647563602

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz

Band 129

Vandenhoeck & Ruprecht

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Florian Ihsen

Eine Kirche in der Liturgie Zur ekklesiologischen Relevanz ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Narionalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56360-1

’ 2010, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu §52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: h Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Vorwort / Doxologia Prima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

A

B

C

Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

1. Bestandsaufnahme von ökumenischen und konfessionellen Gottesdiensten mit sichtbar gemischtkonfessioneller Beteiligung . . . . . . .

17

2. Reflexion der Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

3. Der religiöse und gesellschaftliche Kontext von ökumenischen Gottesdiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

4. Die Bedeutung der religiösen Situation in Deutschland für die kirchliche Ökumene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

5. Bedeutung und Konsequenzen der gesellschaftlichen und religiösen Situation in Deutschland für die Praxis ökumenischer Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

6. Zwei Außenperspektiven auf die Ökumene in Deutschland und die ökumenischen Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

7. Die liturgische Ökumenisierung der konfessionellen Gottesdienste

55

Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft aus der Sicht römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre im Horizont des jeweiligen Verständnisses von Kircheneinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

1. Die römisch-katholische Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

2. Die evangelisch-lutherische Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie in ökumenischer Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Der Ausgangspunkt: Die Faktizität ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft und die trennenden Grenzen kirchlicher Lehre . . . . . . . . 112

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Inhalt

1. Die fundamentaltheologische Bedeutung liturgischer Theologie . . 114 2. Überlegungen zum Verhältnis von Schriftkanon und Liturgie als Prolegomena liturgischer Theologie und Ekklesiologie . . . . . . . . . . . 117 3. Die traditionelle Verdrängung der theologischen Valenz der Liturgie aus der theologischen Lehre, inbesondere aus der Ekklesiologie

123

4. Anknüpfungspunkte liturgischer Theologie in der eucharistischen Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5. Die Konkretion eucharistischer Ekklesiologie als liturgischer Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 6. Grundimplikat der eucharistischen Ekklesiologie und der liturgischen Theologie: Das Mahl des Herrn als konstitutives Element des Gottesdienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 7. Methodisch-hermeneutische Vorbedingungen einer liturgischen Theologie bzw. Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 8. Liturgische Ekklesiologie als Ergänzung, Vertiefung und Konkretion einer begriffsorientierten Lehre im ökumenischen Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 D Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Die Kirche als Versammlung der Getauften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Die Kirche als Transzendenzgemeinschaft in Musik und Gesang . . 160 3. Die Kirche als Gemeinschaft der Hörenden in apostolischer Sukzession: Schriftlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Die Kirche als um Konsens ringende Gemeinschaft in der Predigt

176

5. Die Kirche in der Explikation ihrer Bezogenheit und Abhängigkeit: Beten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6. Die Kirche als Gemeinschaft gegenüber und unter ihrem Herrn: Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 7. Die Kirche in ihrer katholischen Fülle: Segnen und Gesegnetwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8. Die priesterliche Versammlung und der ordinationsgebundene Einheitsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 E

Gemeinsame Liturgie unter den Bedingungen der getrennten Konfessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

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Inhalt

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1. Der ökumenische Gottesdienst und sein theologisches und ekklesiologisches Proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Die Zulassung evangelischer und katholischer Christen zum Abendmahlsempfang der anderen Konfession: Eine reale Möglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 F

Zusammenfassende Vertiefung: Liturgie als theologia prima et summa 270 1. Liturgie ist theologia prima vor Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Liturgie ist dialogische theologia prima zu Gott und von Gott her

272

3. Liturgie ist theologia prima von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 4. Liturgie ist gemeinschaftliche theologia prima der Kirche . . . . . . . . 281 5. Liturgie ist leibliche theologia prima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 6. Liturgie ist theologia prima, denn sie ist theologia summa . . . . . . . 287 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

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Vorwort / Doxologia prima Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2008/09 an der Evangelischtheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Promotionsschrift angenommen und für die Veröffentlichung geringfügig überarbeitet. Am Anfang dieser Arbeit steht mein ausführlicher Dank, oder, wenn man so will: eine Doxologie. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Gunther Wenz, der das Entstehen der Arbeit angeregt und ihren Fortgang mit manch gutem Rat begleitet und das Erstgutachten erstellt hat. Weiterer Dank gebührt Prof. Dr. Christian Albrecht für das Zweitgutachten, Frau Prof. Dr. Christina Axt-Piscalar und Herrn Prof. Dr. Gunther Wenz für die Aufnahme in diese Reihe sowie den Mitarbeitern des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht. Ein besonders herzliches Dankeschön gilt Frau Lydia Mehra, die die Arbeit für die Drucklegung vorbereitet hat. Des weiteren denke ich an dieser Stelle voller Dankbarkeit an einige Gottesdienstgemeinden, die mich als Gemeindeglied, Kirchenmusiker und Liturg maßgeblich geprägt haben: die Emmauskirche in Feldkirchen-Westerham mit meinem Konfirmationspfarrer Harald Höschler, die katholischen Pfarrgemeinden von Otterfing und Steingau (damals mit Pfarrer Johann Baptist Lindermeier und Diakon Hans Daxenberger), die evangelischen Gemeinden Holzkirchen und Sauerlach, die Emmauskirche in München-Harlaching und die Seniorenheimkirche im Harlachinger Münchenstift sowie die Auferstehungsgemeinde in Mainz. Seit Frühjahr 2009 tue ich nun Dienst als Pfarrer an der Erlöserkirche in München-Schwabing. All diese Gottesdienstgemeinden haben Material zu dieser Arbeit geliefert, denn sie haben mich erfahren und feiern lassen: Die Kirche ist, was sie ist, im Gottesdienst. Diese biographisch wie theologisch zentrale Erfahrung konnte ich in der persönlichen und literarischen Begegnung mit Professor Wenz wissenschaftlich reflektieren und vertiefen. Besonders bereichert haben mich dabei die Ökumenischen Oberseminare in München. Eigens und ausdrücklich sei an dieser Stelle auch Frau Prof. Christa Reich genannt, deren Arbeiten mich ebenso inspiriert haben wie die interdisziplinären Seminare zum Kirchenlied in Kloster Kirchberg. Für gute Arbeitsbedingungen zur Fertigstellung der Dissertation während meiner Mainzer Assistentenzeit hat mein dortiger Chef Herr Prof. Dr. Walter Dietz gesorgt.

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Vorwort / Doxologia prima

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Die Bayerische Landeskirche hat mich großzügig und unkompliziert mit Stipendien unterstützt, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin. Meine Mainzer Assistentenkollegen waren mir freundschaftlich-kritische Gesprächspartner und in den letzten Zügen der Arbeit eine verlässliche Stütze: Benedikt Hensel, Tobias Kaspari, Christian Mulia, und Christoph Kiworr verdanke ich wertvolle Hinweise und Anregungen. Freundinnen und Freunde mit ganz unterschiedlichen religiösen und konfessionellen Hintergründen haben mich in Gesprächen angeregt und durch Höhen und Tiefen getragen. Namentlich nennen möchte ich Manfred Rütsche, Gisela und Vitus Schludermann, Dr. Sebastian Degkwitz, Dr. Dr. Anargyros Anapliotis, Andrè Urbanczyk, Agustin Castanedo, Thomas Winderl, Sven Sabary, Holger Laske und Dietmar Herrmann († 27. 2. 2010) und zuletzt insbesondere Ulrich Stange. Große Hilfe habe ich von meiner Mutter erhalten, die mich – nicht nur während des Promotionsstudiums – vielfältig unterstützt und motiviert hat. Gedacht sei auch meines Vaters Jörg Ihsen († 20. 10. 2007) und meiner Großmutter Liselotte Birnkammer († 26. 11. 2005), die beide den Abschluss der Arbeit gerne erlebt hätten. Lux perpetua luceat eis, Domine. Aus der Liturgie meiner Ordination am 20. November 2004 durch Frau Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler sei abschließend aus dem Eingangslied (EG 166,1) und dem Predigttext (Offb 21,3) zitiert, um Den zur Sprache bringen, dem die Arbeit gewidmet ist. Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein. Ach wie wird an diesem Orte meine Seele fröhlich sein. Hier ist Gottes Angesicht. Hier ist lauter Trost und Licht. Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. München, in der Gebetswoche für die Einheit der Christen 2010 Florian Ihsen

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Einleitung Was ist ein ökumenischer Gottesdienst? Aus welchen Gründen können manche Gottesdienste von Christen verschiedener Konfessionen gemeinsam verantwortet werden, andere, meist sakramentale Gottesdienste jedoch nicht? Warum gibt es vielerorts viele ökumenische Gottesdienste, mancherorts aber nur wenige? Ist der ökumenische Gottesdienst etwas anderes als der katholische, und der wieder etwas anderes als der evangelische Gottesdienst? Und das, obwohl in den je getrennten und gemeinsamen Feiern großteils dieselben Lieder gesungen, dieselben Schriftlesungen verlesen werden, mit ähnlichen oder gar identischen Worten gebetet und gesegnet wird? Bereits hier wird deutlich, dass die Themenkreise Gottesdienst und Ökumene je für sich und noch mehr in ihrer Schnittmenge äußerst vielschichtig sind. Diese Schnittmenge besteht keinesfalls nur aus den gelegentlich so genannten ökumenischen Gottesdiensten. Vielmehr hat jeder Gottesdienst mit Ökumene zu tun. Von daher präzisiert sich die Hauptfragestellung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, folgendermaßen: Inwiefern ist jeder Gottesdienst ökumenisch? Und auch umgekehrt: Inwiefern ist Ökumene (zumindest im christlich-kirchlichen Sinn) immer auch gottesdienstlich verfasst? Ziel der Arbeit ist es, theologisch begründet den Bezug eines jeden Gottesdienstes auf die Ökumene bzw. auf die Einheit der zwar konfessionell getrennten und doch auch als eine geglaubten und bekannten Kirche Jesu Christi darzustellen. Der Hinweis auf die Ökumene und die anzustrebende, gegenwärtig nur gebrochen erkennbare Kircheneinheit kann nicht als nachträgliche, gelegentliche Zutat des Gottesdienstes verstanden werden, sondern als Grunddimension eines jeden liturgischen Vollzugs. Dabei ist es wichtig, die Liturgie aus sich selbst heraus zu verstehen, gerade angesichts der Tatsache, dass in gemeinsamen und getrennten Gottesdiensten großteils mit denselben oder ähnlichen liturgischen Elementen Gottesdienst gefeiert wird. Welche theologische und ekklesiologische Bedeutung kommt der Tatsache gemeinsamer liturgischer Vollzüge und Elemente in konfessionell getrennten Feiern zu? Was sagt die Gemeinde, die dieses Lied singt, dieses Gebet spricht, Brot und Wein als Christi Leib und Blut empfängt und diesen Segen empfängt, über sich selbst als Kirche? Diesen Fragen liegt folgende, im Laufe der Arbeit näher zu explizierende, Einsicht zugrunde. Der Gottesdienst ist nicht die nachträgliche, subjektive Gestaltung dessen, was der einzelne Christ, die Gemeinde oder die Kirche zuvor verstanden hat oder verstanden zu haben meint. Der Gottesdienst in seinen Vollzügen und Strukturen gibt selbst zu verstehen, was er ist. Die Liturgie hat ihre

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Einleitung

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eigene Theologie, ihre eigene Sicht von Gott, Mensch und auch von der Kirche. Die (dogmatische) Theologie kann nicht über Liturgie sprechen, ohne auf das theologische und ekklesiologische Selbstzeugnis der Liturgie zu hören. Das Kirchenverständnis trennt die Konfessionen. Die trennende und getrennte Ekklesiologie rechtfertigt es und nötigt dazu, dass die Liturgie im „Normalfall“ konfessionell getrennt gefeiert wird. Aber: Welche Ekklesiologie vertritt die Liturgie selbst? Es wird sich zeigen, dass die liturgischen Vollzüge ärgerlich deutlich und konkret sind. Hier wird eine „kirchliche Gemeinschaft“ realisiert, die es nach der Lehre der Kirchen und „kirchlichen Gemeinschaften“ gar nicht gibt oder nicht geben darf. Es geht im Kern dieser Arbeit darum, die bestehende Liturgiegemeinschaft in gemeinsamen und getrennten Feiern theologisch und ekklesiologisch wertschätzend darzustellen und zu reflektieren. Doch zuvor stellt sich noch die entscheidende Frage, ob die Liturgie (auch) als Erkenntnisquelle der Theologie und der Ekklesiologie fungieren darf. Inwieweit kann und muss die Liturgie es leisten, für die theologische Lehre in irgendeiner Weise erkenntnisleitend zu sein? Inwiefern qualifiziert sich die Liturgie als theologisch ernst zu nehmende Instanz, die der Theologie bzw. der kirchlichen Lehre fundierte Einsichten erschließen kann? Inwiefern könnte die Liturgie helfen, den Lehrdialog der Kirchen auf der Grundlage gemeinsam vollzogener und vollziehbarer Liturgie zu neuen Erkenntnissen zu verhelfen? Diese Fragen schlüssig zu erörtern, macht sich diese Arbeit als Aufgabe zu Eigen. Die Arbeit beruht auf einigen wichtigen begrifflichen Vorentscheidungen. So wird in dieser Arbeit ausschließlich der enge Gottesdienstbegriff im Sinne der liturgischen Versammlung gebraucht und untersucht. Andere Bedeutungsebenen des Gottesdienstbegriffs (etwa in einem allgemeinen oder ethischen Sinn) sind ausdrücklich nicht bedacht. Der Begriff „Gottesdienst“ wird im eigenen Sprachgebrauch des Verfassers meist synonym mit dem Liturgiebegriff verwendet. Jeder der beiden austauschbaren Begriffe hat einen Vorteil. Der Gottesdienstbegriff, der ein besonderes Spezifikum der deutschen Sprache und ein besonderes Erbe der reformatorischen Tradition ist, betont stärker die dogmatische und begriffliche Ebene: Gottesdienst, als genitivus subjectivus und genitivus objectivus, ist Gottes Dienst an uns und unser Dienst an Gott. Der Liturgiebegriff hingegen, der eher der neuzeitlich-katholischen Sprachtradition zugehört und im Protestantismus erst nach und nach (wieder) ein genuines Heimatrecht gewinnt, hat besonders die konkreten Einzelvollzüge und -elemente der Feier im Blick, betont stärker die Praxisebene und steht damit in gewisser Weise der Praktischen Theologie bzw. der Liturgik besonders nahe. Beide Begriffe bezeichnen dieselbe Wirklichkeit, lediglich die primäre Zugangsweise ist verschieden. Indem Gottesdienst und Liturgie als nahezu synonyme Begriffe gebraucht werden, zeigt sich ein wesentliches Anliegen dieser Arbeit, nämlich die kirchlich-liturgische Praxis und die theologische Reflexion in einen intensiven und beidseitig bereichernden Dialog zu bringen.

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Einleitung

Auch der Ökumenebegriff ist in sich vieldeutig und differenzierungsbedürftig, je nachdem, ob man die Sprachlogik der kirchlichen Praxis oder der kirchlichen Lehre im Blick hat. Diese Differenzierungen geschehen an Ort und Stelle in den einzelnen Kapiteln und Begründungszusammenhängen. Im eigenen theologischen Sprachgebrauch des Verfassers gibt es keine rein begrifflich fixierten Differenzen zwischen den Konfessionen, denen zufolge etwa die „Eucharistie“ katholisch und das „Abendmahl“ evangelisch sein soll. Auch „evangelisch“, „katholisch“, „orthodox“ und „ökumenisch“ sind letztlich keine konfessionell patentierten Begriffe, sondern drücken je auf ihre Weise Wesentliches und Grundsätzliches des christlichen Glaubens und der Kirche aus. Die Arbeit befindet sich an einem Schnittpunkt von insgesamt mindestens vier Disziplinen, einmal zwischen katholischer und evangelischer (dogmatischer) Theologie, zum andern zwischen Systematischer und Praktischer Theologie (Liturgik, Liturgiewissenschaft). Es liegt in der Aufgabenstellung der Praktischen und der Systematischen Theologie begründet, wesentlich interdisziplinär zu sein und gelebten Glauben und wissenschaftlich-kritische Reflexion konstitutiv aufeinander zu beziehen, ohne dabei durch die Verschmelzung der Ebenen das jeweilige kritische Potential der einen für die andere Seite einzuziehen. Es liegt ebenso in der Aufgabenstellung evangelischer und katholischer Theologie begründet, wesentlich interdisziplinär im Sinne von interkonfessionell zu arbeiten, da die jeweils andere Fakultät letztlich denselben „Gegenstand“ hat. Die Arbeit ist primär der Dogmatik evangelisch-lutherischer Provenienz verpflichtet. Gerade deshalb aber muss sie im oben genannten Sinn interdisziplinär sein, denn als speziell der (kirchlichen) Gegenwart verpflichtete Disziplin ist die Dogmatik auf andere, ebenfalls der Gegenwart verpflichtete theologische Disziplinen konstitutiv angewiesen. Die Arbeit verknüpft unterschiedliche methodische Schritte und kann sich somit nicht in eine bestimmte Forschungsgeschichte mit derselben Methode einreihen. Die kritische Anknüpfung an schon bestehende Positionen kann daher nur innerhalb der einzelnen Kapitel geschehen. Es liegt ausdrücklich nicht in der Leistungsfähigkeit dieser Arbeit, eine detaillierte Historie ökumenisch-theologischer Entwürfe, Konsenspapiere etc. zu rekonstruieren. Vielmehr sollen die Überlegungen in der gegenwärtigen kirchlichen Lehre und liturgischen Praxis „realpräsente“ Ansätze für eine Einheit der Kirche suchen, freilegen und für das dogmatische und geistliche Miteinander der Kirchen fruchtbar machen. Wenn von Ökumene die Rede ist, sind primär, wenn nicht anders vermerkt, die römisch-katholische und die evangelische Kirche lutherischen Bekenntnisses im Blick. Andere Kirchen und Konfessionen sind dabei stets mitberücksichtigt, aber nicht als dritte, eigens zu thematisierende Dialogpartner. Der Ansatz einer liturgisch fundierten Ekklesiologie könnte sich sicherlich gerade auch im Kontext anglikanischer, orthodoxer, aber auch reformierter Theologie bewähren.

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Einleitung

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Die Konzentration auf die römisch-katholische und die evangelisch-lutherische Konfession hat einerseits biographische Gründe: Der Verfasser ist evangelisch-lutherischer Christ aus Oberbayern und hat stets mit und neben Gliedern der römisch-katholischen Kirche gelebt, gedacht und Liturgie gefeiert. Der sachliche und gewichtigere Grund besteht darin, dass unter deutschsprachigen Bedingungen die römisch-katholische Kirche der zahlenmäßig bedeutsamste ökumenische Partner der evangelischen Kirchen ist, und die lutherische Theologie und Kirche aufgrund ihrer relativ einheitlichen Bekenntnisverbundenheit und ihrer dezidierten Kirchlichkeit unter den EKD-Kirchen eine Sonderrolle innehaben, die sie für den ökumenischen Dialog besonders qualifiziert. Die Arbeit versteht sich nicht als protestantisch, sondern als evangelisch. Sie ist der römisch-katholischen Seite prinzipiell freundschaftlich verbunden und versucht, berechtige Sachanliegen katholischer Theologie zur Geltung zu bringen und zu integrieren. An einer Ökumene der Profile, die das vermeintlich evangelische gegen das vermeintlich katholische Profil oder Prinzip betonen will, ist diese Arbeit ausdrücklich nicht interessiert, obgleich es in der Aufgabenstellung der Arbeit begründet ist, dass Unterschiede oder Gegensätze zur Sprache kommen sollen und müssen. Wenn die Kirche Jesu Christi nach dem Willen ihres Gründers eine zu sein bestimmt ist (Joh 17,21), dann kann das implizite hermeneutische Grundprinzip ökumenischer Arbeit und Forschung jedenfalls nicht darin liegen, dass am Ende doch die Kirchen, Konfessionen und Gottesdienste getrennt bleiben und niemand zu einer echten und spürbaren Entscheidung und Veränderung bereit ist. Dieser Ansatz ist theologisch und geistlich ebenso evident wie er kirchenpolitisch anstößig ist. Wenn gegenwärtig die ökumenische Verständigung in gewisser Entsprechung zum postmodernen differánce-Denken davon gekennzeichnet ist, lehrmäßige und spirituelle Differenzen zu betonen, um den bleibenden Eigenstand zu bewahren, so ist diese Arbeit auch insofern postmodern, als sie sich in gewisser Differenz zum Differenzdenken weiß und eher einer konsensorientierten ökumenischen Hermeneutik verpflichtet ist. Die Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Teil A setzt ein mit einer Bestandsaufnahme der ökumenischen Gottesdienstpraxis. Damit sind zunächst die gelegentlichen Feiern gemeinsamer Gottesdienste von Christen verschiedener Konfessionen gemeint. Damit ist aber auch gemeint, dass sich die konfessionell getrennten Gottesdienste einander phänotypisch immer ähnlicher werden, weil die getrennten Konfessionen intensiv die liturgischen Gaben der anderen Konfession rezipieren, was vor allem in den Teilen C und D dieser Arbeit weiter vertieft wird. Die so genannten ökumenischen Gottesdienste, die gerne als Gradmesser der Ökumene angesehen werden, dürfen dabei nicht nur unter dem Aspekt gemeinsamer und trennender Glaubensaussagen und gemeinsamer liturgischer Vollzüge wahrgenommen werden. Die eigentümliche Praxis ökume-

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Einleitung

nischer Gottesdienste lässt sich nur dann adäquat verstehen, wenn auch ihr spezifischer Ort neben den konfessionellen Gottesdiensten in der gegenwärtigen Religionskultur berücksichtigt wird, die den äußeren Rahmen des gesamten kirchlichen Lebens darstellt. In Teil B wird der aktuelle Lehrstand der Kirchen hinsichtlich ihres eigenen Selbstverständnisses als Kirche und der daraus resultierenden Möglichkeiten, Formen und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft rekonstruiert. Hierbei kommen vor allem die verbindlichen Lehrzeugnisse der evangelisch-lutherischen und der römisch-katholischen Kirche zur Sprache. Die verschiedenen ökumenischen lutherisch/katholischen Dialoge und Lehrgespräche wurden ja kaum verbindlich rezipiert mit der Auflage und Konsequenz konkreter Folgen und Veränderungen für Verständnis und Praxis des Gottesdienstes im Hinblick auf die Glieder dieser anderen Konfessionen. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung als einziges beidseitig ratifiziertes Dokument hat verbindliche gottesdienstliche Konsequenzen weder gefordert noch gefördert (hierin liegt eine particula veri des Protestes evangelischer Hochschullehrer gegen die Gemeinsame Erklärung). Die Orientierung an kirchlich rezipierten und somit verbindlichen Texten bedeutet jedoch auch – und das ist gerade aus lutherischer Sicht wichtig –, dass die im 20. Jahrhundert eingegangenen offiziellen Erklärungen von „mehr“ Kirchen- und Gottesdienstgemeinschaft Teil des lutherischen Lehrstandes und verbindliche Konkretionen der Aussagen des lutherischen Bekenntnisses sind. In den Teilen C und D wird ein konstruktiver ökumenischer Neuansatz versucht. Ausgangspunkt sind die Teile A und B der Arbeit, also die vielfältige und reiche ökumenische Liturgiegemeinschaft in bisweilen gemeinsamen und meist getrennten Gottesdiensten einerseits und die Lehre mit ihren bislang nicht kompatiblen Konzepten von Kircheneinheit und Gottesdienstgemeinschaft andererseits. Es geht nun darum, die liturgischen Vollzüge als theologia prima und somit als Ausgangspunkt und Quelle der Theologie und auch der Ekklesiologie ernst zu nehmen. Die Kirche hat ihr Wesen im (eucharistischen) Gottesdienst, so die bei allen sonstigen Differenzen gemeinsame ekklesiologische Grundthese der beiden kirchlichen Lehrpositionen. Die konkreten liturgischen Vollzüge des Gottesdienstes sind demzufolge ecclesiologia prima, erster Bezugspunkt des theologischen Nachdenkens darüber, was die Kirche ist. Dieser Ansatz ist begründungsbedürftig, aber wie Teil C zeigen wird, auch begründungsfähig. Die Grundlegung der liturgischen Ekklesiologie in Teil C versteht sich als konstruktive Zusammen- und Weiterführung schon bestehender Ansätze, insbesondere der Konzepte einer eucharistischen bzw. gottesdienstlich zentrierten Ekklesiologie und der liturgischen Theologie, die hauptsächlich außerhalb Deutschlands betrieben wird. Was in Teil C grundgelegt ist, wird in Teil D angewendet und durchgeführt. Die Grundelemente und -vollzüge des Gottesdienstes werden daraufhin reflek-

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Einleitung

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tiert, wie an ihnen und in ihnen die eine heilige, katholische und apostolische Kirche Jesu Christi präsent wird. In ihrem Versammelt-Sein im Namen des dreieinen Gottes, in ihrem Singen und Musizieren, im Hören und Verstehen der Schrift, im Beten, in der Feier des Abendmahls und in der Segnung definiert, konstituiert und erhält sich die gottesdienstliche Versammlung als Kirche Christi in Gemeinschaft mit der einen Kirche aller Zeiten, Orte und Konfessionen. Damit die Methode der liturgischen Theologie und Ekklesiologie nicht realitätsfern und damit für die Theologie und die ökumenische Verständigung und Praxis unbrauchbar ist, muss das Faktum des Getrenntseins der Konfessionen berücksichtigt und integriert werden. Wie der Gottesdienst Ort der Einheit der Kirche ist, wie insbesondere Teil D zeigt, so ist der Gottesdienst auch von der Spaltung der Christenheit in seinem theologischen Wesen betroffen. Die gemeinsame Liturgie muss auch unter dem Vorzeichen der Getrenntheit der Konfessionskirchen reflektiert werden. Dies geschieht in Teil E exemplarisch an der Erörterung zweier brisanter Themenbereiche der Praxis, an denen die Getrenntheit der Kirchen in besonderer Weise manifest wird. Zum einen wird das liturgisch-theologische Spezifikum der gelegentlichen ökumenischen Gottesdienste neben den konfessionellen Gottesdiensten und im Horizont jener liturgisch-ekklesiologisch fundierten Einsicht herausgearbeitet, dass in jedem Gottesdienst die eine Kirche Jesu Christi präsent ist. Zum anderen wird die Frage nach der Zulassung von Christen anderer Konfessionen zum je eigenen Abendmahl nochmals aufgegriffen und mittels einer bereits bestehenden und liturgisch-theologisch sinnvollen Übergangslösung beantwortet. Teil F fasst wesentliche Ergebnisse der liturgisch-theologischen Überlegungen zusammen, indem hier ein allgemeiner theologischer Liturgiebegriff (vergleichbar dem Projekt einer allgemeinen Sakramentenlehre) versucht wird, der die liturgisch-theologischen Reflexionen zu systematisieren versucht und nochmals abschließend bestätigt und differenziert, dass und inwiefern die Liturgie dem Verständnis ihrer Vollzüge zufolge als theologia und ecclesiologia prima gelten kann.

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A Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis Im folgenden Abschnitt erfolgt eine Bestandsaufnahme der ökumenischen Gottesdienstpraxis, wobei der Blickwinkel primär auf der Bundesrepublik Deutschland liegt. Diese Bestandsaufnahme bildet den Horizont aller weiteren Überlegungen in dieser Arbeit. Der bewusst mehrdeutige Terminus „Ökumenische Gottesdienstpraxis“ kann sich sowohl auf die Praxis interkonfessionell besuchter, geleiteter und explizit „ökumenisch“ betitelter Gottesdienste als auch auf die liturgische Gestalt und Praxis konfessioneller Gottesdienste beziehen. Diese Doppeldeutigkeit ist absichtlich und hat ihren sachlichen Grund darin, dass die liturgische Ökumenisierung der konfessionellen Gottesdienste und die Praxis ökumenischer Gottesdienste sich gegenseitig ermöglichen, fordern und fördern. Explizit ökumenisch genannte und ökumenisch gestaltete konfessionelle Gottesdienste stehen in einem Verhältnis von wechselseitiger Wirkung zueinander. Im ersten Abschnitt wird die Vielfalt von Gottesdiensten mit gemischtkonfessioneller Beteiligung skizziert und nach ihrer jeweiligen ökumenischen Selbstbezeichnung als „ökumenisch“ oder eben „konfessionell“ klassifiziert. Innerhalb der ökumenischen Gottesdienste wird noch einmal zwischen konfessionell orientierten und postkonfessionellen ökumenischen Gottesdiensten unterschieden – eine Unterscheidung heuristischer Art, die sich nicht strikt durchhalten lässt, sondern zum Ausdruck bringt, dass die konfessionelle und konfessionskirchliche Bindung rückläufig ist, und dass Religion, Christentum und konfessionelle kirchliche Bindung in der gegenwärtigen religiösen Praxis deutlich unterschieden (und teilweise getrennt) werden, was signifikante Auswirkungen auf das Ökumeneverständnis hat. Im Anschluss daran wird rekonstruiert, wann die kirchliche Praxis einen Gottesdienst als ökumenisch definiert und einen ökumenischen Gottesdienst feiert und wann nicht. Sodann wird kurz die Praxis so genannter teil-ökumenischer Gottesdienste und unerlaubter ökumenischer Abendmahlsfeiern beleuchtet. Anschließend zeige ich, wie sich die liturgischen Traditionen der Konfessionen wechselseitig bereichert und beeinflusst haben, sodass auch konfessionelle Gottesdienste in ihrer liturgischen Gestalt wesentlich von der liturgischen Überlieferung anderer Konfessionen leben und insofern als ökumenisch gelten können. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden die ökumenischen Gottesdienste in der gegenwärtigen Kultur kirchlich und nicht kirchlich verfasster Religion verortet, zum kirchlich-ökumenischen „Klima“ in Bezug gesetzt und abschließend aus zwei Außenperspektiven betrachtet.

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Bestandsaufnahme

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1. Bestandsaufnahme von ökumenischen und konfessionellen Gottesdiensten mit sichtbar gemischtkonfessioneller Beteiligung 1.1 Kirchlich-konfessionell orientierte ökumenische Gottesdienste Mit kirchlich-konfessionell orientierten ökumenischen Gottesdiensten sind solche Feiern gemeint, bei denen die Konfessionalität, die Zugehörigkeit der Feiernden und vor allem der leitenden Liturgen zu getrennten Konfessionskirchen und der Gedanke der Kirchlichkeit im Gottesdienst selbst eine repräsentative Funktion hat. Bei der Wahrnehmung ökumenischer Gottesdienste ist es aufschlussreich, die jeweilige räumliche Ebene mitzuberücksichtigen, auf der ein ökumenisch genannter Gottesdienst stattfindet. Auf parochialer Ebene finden ökumenische Gottesdienste statt, die sich dadurch auszeichnen, dass die feiernde Gemeinde im selben Ort oder Stadtteil wohnt, die verschieden konfessionellen Ortsgeistlichen als Liturgen fungieren und als Gottesdienstort eine Kirche (oder ein öffentlicher Platz) im gemeinsam bewohnten Stadtteil oder Ort gewählt wird. Die Anlässe ökumenischer Gottesdienste auf parochialer Ebene sind meist durch den Zyklus des bürgerlichen Jahres, aber auch nicht selten durch das Kirchenjahr vorgegeben und kehren meist jährlich wieder.1 Welche Konfessionen in diesen Gottesdiensten erwartet und repräsentiert werden, hängt in der Regel davon ab, welche Kirchen durch ein Kirchengebäude und eine nennenswerte Zahl von Mitgliedern an diesem Ort vertreten sind. Zu den kirchenjahreszyklischen Anlässen gehören, um nur einige exemplarisch zu nennen, die Vorabende und zweiten Feiertage von gemeinchristlichen Hochfesten, der Jahreswechsel, die Gebetswochen für die Einheit der Christen (18.– 25. Januar und die Woche vor Pfingsten), der Weltgebetstag der Frauen (erster Freitag im Monat März), Bußtage und das Totengedenken im November. Daneben gibt es mancherorts regelmäßige ökumenische Tagzeitengottesdienste, Taizégebete und Andachten. Zu den zivilbürgerlichen Anlässen einer ökumenischen Feier gehören beispielsweise die Einweihung eines öffentlichen Gebäudes, ein örtliches Jubiläum oder auch ein Volksfest. Liturgisch ist in diesen Gottesdiensten alles möglich und erlaubt, was nicht unter den römisch-katholisch definierten Sakramentsbegriff fällt (was theologisch noch eigens zu problematisieren ist).

1 Zum Kirchenjahreszyklus werden hier auch solche Anlässe gezählt, die nicht zum Kirchenbzw. Herrenjahr im engeren heilsgeschichtlichen Sinn gezählt werden und trotzdem im Kirchenjahr einer Gemeinde fest verortet sind (z. B. der Weltgebetstag der Frauen).

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

Einen eigenen Typus stellen die ökumenischen Gottesdienste in den Institutionen Krankenhaus, Altenheim, Militär und Gefängnis2 aber auch ökumenische Schulgottesdienste dar. In diesen Gottesdiensten steht vor allem die gemeinsame, meist als belastend empfundene und zeitlich begrenzte Lebenssituation im Vordergrund, die die Gemeinde verbindet. Konfession und Kirchenzugehörigkeit spielen in den genannten Institutionen zunächst eine untergeordnete Rolle. Häufig bringt die mit dieser Einrichtung verbundene biographische Situation die Menschen durch Gottesdienst und Seelsorge erstmals (wieder) in Kontakt mit der Kirche. Wie in der Ortsgemeinde, so ist auch in Institutionen der ökumenische Gottesdienst häufig in eine enge Zusammenarbeit der Konfessionen eingebunden, die – vor allem in der gemeinsam konzipierten Krankenhausseelsorge und der Zusammenarbeit von Religionslehrern – in ihrer Intensität häufig die ortsgemeindliche interkonfessionelle Zusammenarbeit bei weitem übersteigt.3 Einige ökumenische Gottesdienste finden auf überparochialer Ebene statt. Die erwartete, gemischtkonfessionelle Gemeinde wohnt großteils nicht in derselben Pfarrgemeinde oder in unmittelbarer räumlicher Nähe zu der Kirche, in der der Gottesdienst stattfindet, was daran deutlich wird, dass in verschiedenen kirchengemeindlichen und kommunalen Medien auf diese Gottesdienste hingewiesen und dazu eingeladen wird und die Gottesdienstbesucher auch über weite Entfernung hinweg zu diesen Gottesdiensten anreisen (sollen). Die Anlässe sind selten am Kirchenjahr im engeren Sinn orientiert, dessen Feste – wenn überhaupt – eher auf parochialer Ebene ökumenisch gefeiert werden. Ein typischer Anlass ist die Gebetswoche für die Einheit der Christenheit, die in nahezu allen größeren Orten und Städten in zentralen Gottesdiensten in den Hauptkirchen gefeiert werden. Meist finden ökumenische Gottesdienste auf überparochialer Ebene aus Anlass eines überparochial oder gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Ereignisses statt, das in sich nicht heortologisch definiert ist. Wie auf der parochialen Ebene ist hier zunächst an Stadtjubiläen, Volksfeste, Einweihung von öffentlichen Gebäuden zu denken, aber auch an die punktuellen, unregelmäßigen und oft nicht planbaren ökumenischen Gottesdienste anlässlich international relevanter Großereignisse, die sich oft in fernen Ländern abspielen, aber durch die Medienöffentlichkeit viele Menschen erreichen und bewegen. Bei diesen Gottesdiensten ist oft eine Vielzahl von Konfessionen vertreten, wobei meist die ranghöchsten Amtsträger der einzelnen Kirchen im jeweiligen Einzugsgebiet liturgisch agieren. Auf nationaler Ebene finden ökumenische Gottesdienste zu vergleichsweise einmaligen, die ganze Nation betreffenden Anlässen (Nationalfeiertag, Katastro-

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Vgl. dazu auch Wiggermann, Krankenhausgottesdienst. Vgl. dazu Duesberg, Zusammenarbeit.

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Bestandsaufnahme

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phen wie der 11. September 2001) statt, die meist über das Fernsehen übertragen und in der Regel von den obersten Repräsentanten der Kirchen auf nationaler Ebene (Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Ratsvorsitzender der EKD) liturgisch geleitet und von bekannten Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft mitgefeiert werden.4 Gemeinsam ist den kirchlich-konfessionell orientierten ökumenischen Gottesdiensten aller Ebenen die besondere Bedeutung der Repräsentanz der Konfessionen durch die für den jeweiligen Raum repräsentativen Geistlichen (Ortspfarrer, Bischöfin, Krankenhausseelsorger, Schulpfarrerin etc.). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Gemeindeglieder und Amtsträger unterschiedlicher Konfessionen liturgisch gemeinsam aktiv sind.

1.2 Postkonfessionelle ökumenische Gottesdienste Unter den ökumenisch genannten Gottesdiensten seien eigens diejenigen hervorgehoben, die ein besonderes, zielgruppenorientiertes Profil aufweisen und zu denen Menschen in einer gemeinsamen biographischen Situation oder mit einem gemeinsamen Lebens- oder Glaubensstil in regelmäßigen Abständen (monatlich, zweimonatlich, jährlich) zusammenkommen. Diese Gottesdienste sind zwar in der Regel an eine bestimmte Kirchengemeinde angebunden, ziehen aber Menschen aus einem größeren Einzugsgebiet an und stellen in besonderer Weise ein den traditionellen Sonntagsgottesdienst ergänzendes, relativ regelmäßiges „zweites“ oder „drittes Programm des Gottesdienstes“ dar.5 Es versammelt sich hier – ähnlich wie in den Gottesdiensten in Institutionen – eine Art Alternativgemeinde mit demselben Zielgruppenmerkmal. „Sie richten sich nach dem Lebensgefühl der Menschen, nehmen ihre Fragen und Themen auf und gehen, mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, davon aus, dass Gott nicht mehr selbstverständlich ist – und vor allem nicht mehr: der kirchlich-agendarische Zugang zu ihm.“6 Als ökumenische Repräsentanten fungieren die leitenden Geistlichen nicht durch ihren kirchlich-konfessionell bedeutsamen Amtsstatus, sondern durch eine besondere Beziehung zur Zielgruppe, sei es durch eine innerkirchliche Son-

4 So etwa der ökumenische Gottesdienst am 9. Januar 2005 im Berliner Dom anlässlich der Tsunami-Katastrophe, an dem zahlreiche Politikerinnen und Politiker, darunter Mitglieder der Regierung teilnahmen. Ein weiteres öffentlichkeitswirksames Beispiel ist der Gottesdienst am 9. Juni 2006 im Münchener Dom zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft. Auch der Schlussgottesdienst des Ökumenischen Kirchentages am 1. Juni 2003 auf dem Platz der Republik in Berlin wäre hier zu nennen (vgl. dazu: Ihr sollt ein Segen sein, 66–87; Stuflesser, Gedächtnis, 43–45). 5 Vgl. Herbst, Neue Gottesdienste, 155. 6 Friedrichs, Mit dem Zweiten, 7.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

derfunktion, sei es durch persönliche Betroffenheit, sei es durch ihr besonderes Charisma. Exemplarisch dafür ist der in den meisten deutschen Städten fest etablierte ökumenische Gottesdienst für Schwule und Lesben zum ChristopherStreet-Day. Weiter zu nennen wären ökumenische Motorradgottesdienste, Trauergottesdienste für verstorbene Kinder,7 Frauen- und Jugendgottesdienste, ökumenische Gottesdienste für Landwirte anlässlich der BSE-Krise,8 Gottesdienste der Polizeiseelsorge9 und viele mehr. Auch viele ökumenische Gottesdienste auf Kirchen- und Katholikentagen sind in dieser Weise zielgruppenbezogen.10 Konfessionelle Themen und Differenzen spielen eine deutlich untergeordnete Rolle. Häufig finden diese Gottesdienste im Rahmen eines Treffens von Gleichgesinnten statt. Die Gottesdienstgemeinde ist mit traditioneller Kirchlichkeit oft nicht vertraut oder steht dieser skeptisch gegenüber. Viele dieser Gottesdienste nennen sich ökumenisch und verstehen dieses Attribut in einem postkonfessionellen Sinn, nämlich dass die überkommenen Differenzen zwischen den Konfessionen für diesen Gottesdienst irrelevant sind. Diese Gottesdienste sind Ausdruck und Stärkung einer individualisierten und differenzierten Religion,11 die nicht mit Konfessionsgrenzen zu greifen ist und sich eben als ökumenisch im Sinne von „nicht an eine konfessionelle Tradition gebunden“ versteht. Ökumenisch verbindend wirkt, ähnlich wie bei den Gottesdiensten in Institutionen, die gemeinsame gruppenspezifische Lebenssituation und die gemeinsame Suche nach dichten spirituellen Erfahrungen.12 Die Teilnahme an diesen Gottesdiensten verdankt sich einer bewussten Entscheidung, um hier die eigene gruppenspezifische Identität liturgisch zu inszenieren. Abschließend sei die Thomasmesse genannt, die gewissermaßen ein Mittelstück zwischen ökumenisch-postkonfessionellem Gottesdienst und konfessionellem (nämlich evangelisch verantwortetem) Gottesdienst mit gemischtkonfessioneller Gemeinde darstellt. Auch hier besteht das Zielgruppenmerkmal in der Suche nach spirituellen Erfahrungen, die mit einer prinzipiellen Skepsis gegenüber „Kirchlichkeit“ verbunden ist.13

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Vgl. dazu Eine Zeit zum Suchen, 262–269. Vgl. dazu Eine Zeit zum Suchen, 127–138. 9 Vgl. dazu Eine Zeit zum Suchen, 90–100. 10 Vgl. etwa das geistliche Angebot beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin (Ihr sollt ein Segen sein, 44–55). 11 Vgl. dazu Eine Zeit zum Suchen, 289–291. 12 Vgl. Eine Zeit zum Suchen, 289. 13 Vgl. Haberer, Thomasmesse, 161–163, demzufolge die Thomasmesse „bekenntnisfrei, aber nicht bekenntnislos“ ist. 8

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Bestandsaufnahme

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1.3 Konfessionelle Gottesdienste mit mehrkonfessioneller amtlicher Repräsentanz und/oder Gemeinde In etlichen nur von einer Konfession verantworteten Gottesdiensten werden vereinzelt Amtsträger anderer Konfessionen liturgisch eingebunden, ohne dass diese Gottesdienste ihre konfessionelle Bindung und Eindeutigkeit dadurch verlieren. So findet in manchen Gemeinden gelegentlich ein ökumenischer Predigttausch statt. Das bedeutet, dass die Predigt von einem Geistlichen der anderen Kirche gehalten wird, Liturgie und die Leitung der Eucharistie jedoch von der gastgebenden Konfession übernommen werden, die dem Gottesdienst auch seine konfessionelle Bezeichnung gibt und nach deren liturgischer Ordnung der Gottesdienst gefeiert wird. Ein Beispiel dafür ist der Schlussgottesdienst des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2005 in Hannover, bei dem der niederländische katholische Priester Huub Oosterhuis gepredigt hat. Ein weiteres Beispiel ist die ökumenische Segensfeier am Ende des Schlussgottesdienstes zum Katholikentag 2004 in Ulm, bei der die evangelische Bischöfin Margot Käßmann und Landesbischof Gerhard Maier am feierlichen Schlusssegen mitwirkten.14 Dass faktisch eine Großzahl der konfessionellen Gottesdienste von Menschen unterschiedlicher Konfession und auch von Konfessionslosen besucht werden, ist längst ein alltägliches Faktum im deutschsprachigen Raum. Dabei ist keineswegs nur an gemischtkonfessionelle Ehepaare oder an einzelne Interessierte im Sonntagsgottesdienst zu denken. Vor allem zu Kasualgottesdiensten jeglicher Art versammelt sich eine gemischtkonfessionelle Gemeinde. Neben den klassischen lebenszyklischen Kasualien Taufe, Firmung/Konfirmation/Erstkommunion, Trauung und Beerdigung sind auch die binnenkirchlichen Kasualien wie etwa Priesterweihe, Primizfeiern, Ordinationen und Amtseinführungen von Geistlichen zu nennen, bei denen nicht nur die Angehörigen der Hauptpersonen einer anderen Konfession angehören können, sondern gelegentlich auch repräsentative Amtsträger anderer Kirchen zugegen sind. Exemplarisch dafür seien die zahlreichen katholischen Trauergottesdienste für Papst Johannes Paul II. im April 2005 in Deutschland genannt, an denen vielerorts Repräsentanten anderer Konfessionen und Religionen teilnahmen, so etwa der evangelisch-lutherische Landesbischof Johannes Friedrich, Vertreter der Orthodoxie und der jüdischen Kultusgemeinde bei dem von Friedrich Kardinal Wetter zelebrierten Requiem am 6. April 2005 im Münchener Liebfrauendom. Ein anderes Münchener Beispiel ist der evangelische Gottesdienst zu der medienwirksam insze-

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Vgl. Leben aus Gottes Kraft, 86–89.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

nierten Bestattung des Münchener Modemachers Rudolf Moshammer am 22. Januar 2005, bei dem ein katholischer Priester ein Grußwort sprach.15 Als besonderer Fall eines konfessionellen Gottesdienstes mit ökumenischer Gemeinde, der trotz mehrkonfessioneller amtlich-liturgischer Beteiligung seinem Selbstverständnis nach deutlich konfessionsgebunden blieb, sei das römisch-katholische Requiem für den aus der reformierten Tradition stammenden Prior der Kommunität in Taizé, Frère Roger Schutz, am 23. August 2005 in Taizé angeführt.16 All den genannten Beispielen ist gemeinsam, dass es sich um Kasualgottesdienste handelt, die anlässlich eines individuell-biographischen Kasus einer Person, hier jeweils der Tod einer in der Öffentlichkeit bekannten Persönlichkeit, abgehalten werden. Der Kasualgottesdienst ist sicherlich – auch bei den Kasualien von weniger bekannten Personen – der häufigste Fall eines konfessionell gebundenen Gottesdienstes mit mehrkonfessioneller Gemeinde. Kaum eine Kasualgottesdienstgemeinde dürfte konfessionell homogen sein; vielmehr setzt sie sich aus Menschen unterschiedlicher Kirchenzugehörigkeit mit unterschiedlicher Christentums-, Kirchen- und Konfessionsbindung zusammen, darunter auch Ausgetretene, Konfessionslose sowie Angehörige anderer nichtchristlicher Religionen. 15 Faktisch wurde der Gottesdienst von einem evangelischen Pfarrer geleitet, da Moshammer vor seinem Kirchenaustritt evangelisch war. Ein katholischer Monsignore sprach darin – als Privatperson, wie vom katholischen Ordinariat betont wurde – ein Grußwort. Dass in den Münchener Boulevardblättern bisweilen von einem ökumenischen Gottesdienst die Rede war, was katholischerseits dementiert wurde, unterstreicht, dass im Bewusstsein der säkularen Gesellschaft (ebenso wie in der kirchlichen Praxis) als Kriterium der Ökumenizität eines Gottesdienstes die amtlich-liturgisch repräsentierte Mehrkonfessionalität gilt. Der Tod Rudolf Moshammers, der tagelang die gesamte Öffentlichkeit in Bayern und darüber hinaus beschäftigte, löste in zahlreichen Gesellschaftsschichten eine kollektive Betroffenheit aus. Inwieweit dies Anlass für einen eigenen konfessionellen oder gar ökumenischen Gottesdienst ist, sei dahingestellt, ebenso die Frage, ob die Kirchen sich im Zeitalter der verschiedenen Ritengestalter und Bestattungsredner noch für die Kasualien bei aus der Kirche ausgetretenen Menschen verpflichtet fühlen müssen. 16 Vgl. dazu auch Nientiedt, Spiegel, 620 f. Dieser Gottesdienst wurde auf Wunsch der Brüder von Taizé nach römisch-katholischem Ritus von Walter Kardinal Kasper unter Konzelebration von vier Priester-Brüdern der Kommunität geleitet, unter Mitwirkung von Vertretern der evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen, wobei diese Mitwirkung sich in liturgischen Rollen erschöpfte, die nach der römischen Ordnung der Eucharistie auch Laien übernehmen dürfen. Es war zwar den Vertretern der evangelischen Kirchen gedeutet worden, dass ein Empfang der Kommunion für sie nicht vorgesehen war (so nach einer brieflichen Mitteilung vom damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Wolfgang Huber an Florian Ihsen. Vgl. dazu auch Huber, Geist der Freiheit, 130– 134). Die meisten hielten sich auch daran; die Fernsehübertragung des Gottesdienstes ließ jedoch trotzdem evangelische Talarträger in der Reihe der Kommunikanten erkennen. Dieser Gottesdienst hat verständlicherweise Irritationen ausgelöst, vor allem auf evangelischer Seite. Das Requiem für Frère Roger verkörpert einen Typ von Ökumene, der für Taizé, die Spiritualität von Frère Roger und den einmaligen Anlass stimmig, vielleicht sogar nötig war. Für den theologischen Dialog der Konfessionen und die gemeindliche Praxis ökumenischer Gottesdienste im deutschsprachigen Raum bleibt das Requiem für Frère Roger – im doppelten Sinne des Wortes – merk-würdig.

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Bestandsaufnahme

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Die landläufig so genannte ökumenische Trauung gehört ebenso hierher, denn sie ist ihrem Selbstverständnis nach ein konfessioneller Gottesdienst unter Mitwirkung des Geistlichen einer anderen Konfession. Die Konfessionalität der ökumenischen Trauung richtet sich nach der Kirchenzugehörigkeit desjenigen Liturgen, der das Trauversprechen abnimmt.

1.4 Teil-ökumenische Gottesdienste Als teil-ökumenische Gottesdienste bezeichne ich diejenigen Feiern, bei denen die gemischtkonfessionelle Gemeinde unter gleichberechtigter Leitung durch die Liturgen einzelne Teile gemeinsam (z. B. Eröffnung, Schluss), andere Teile (insbesondere die Mahlfeier, aber auch die Wortverkündigung) nach Konfessionen getrennt feiert. Solche Feiern versuchen, den Respekt vor den römisch-katholischen Regelungen mit dem Wunsch nach einer gemeinsamen liturgischen Feier zu verbinden. Solche Feierformen sind nur dort möglich, wo die Gottesdienstgemeinden auch über die räumlichen Möglichkeiten verfügen, um sich orts- und zeitnah an mindestens zwei verschiedenen Orten zu versammeln, so z. B. in ökumenischen Gemeindezentren, aber auch in Orten und Stadtteilen, wo sich die Gemeindezentren, Kirchen und Gottesdiensträume in fußläufiger Nähe zueinander befinden. Ihr liturgisches Spezifikum haben solche Feiern darin, dass sie nicht zwei in sich geschlossene Gottesdienste nacheinander sind, sondern dass die gemeinsam gefeierten Elemente auch tatsächlich Teil des eigenen Gottesdienstes und der Weg zueinander und voneinander in die Feier hineingehört. Drei Beispiele seien hier genannt: – Im ökumenischen Gemeindezentrum in Meschede-Gartenstadt wird der Gründonnerstagsgottesdienst gemeinsam begonnen und beschlossen, während Wortgottesdienst und Mahlfeier in getrennten Räumen stattfinden.17 – Beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 haben verschiedene Gemeinden verabredet, am Fest Christi Himmelfahrt nach zunächst konfessionell getrennten Gottesdiensten zu einem gemeinsamen ökumenischen Abschluss (Sendung, Segen) zusammenzukommen.18 – Mancherorts beginnen die katholische und die evangelische Kirchengemeinde gemeinsam die Osternacht am gemeinsamen Osterfeuer. Anschließend gehen die Gläubigen mit den brennenden Osterkerzen in die konfessionellen Osternachtsfeiern in ihrer jeweiligen Kirche (so z. B. in Holzkirchen/Oberbayern).

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Vgl. Hagmann, Zusammenarbeit, 129 f. Vgl. Ihr sollt ein Segen sein, 513–516.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

Exkurs: Interreligiöse bzw. multireligiöse Feiern In vielen städtischen Gebieten, in denen hohe Anteile von Migranten mit nichtchristlicher Religionszugehörigkeit leben, finden vereinzelt interreligiöse Feiern statt,19 so etwa der christlich-muslimische Gottesdienst im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg anlässlich des jährlichen „Internationalen Freundschaftsfestes“ im Stadtteil,20 die jährliche „Abrahamische Feier“ am Frankfurter Flughafen21 oder das seit 1996 bestehende Dortmunder Interreligiöse Gebet.22 Weiter zu nennen wären interreligiöse Gebete zu besonderen einmaligen Anlässen, wie die interreligiösen Aktionen zum Millennium in Berlin23 und zum 11. September 2001 in St. Georg, Hamburg oder die christlich-muslimische Himmelfahrtsfeier auf dem Berliner Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin-Kreuzberg.24 Es ist zu vermuten, dass interreligiöse bzw. multireligiöse Feiern angesichts der wachsenden Präsenz des Islams in Deutschland künftig noch an Bedeutung gewinnen werden. Die interreligiösen gottesdienstlichen Veranstaltungen können hier theologisch nicht weiter reflektiert werden. Sofern Ökumene jedoch nicht dezidiert christlich verstanden werden muss, sind sie mit ökumenischen Gottesdiensten punktuell vergleichbar, obgleich sich bei interreligiösen Feiern nochmals andere theologische, vor allem christologische Fragen und Probleme stellen, die in dieser Arbeit nicht weiter erörtert werden können. Bereits die schwierige und umstrittene Nomenklatur solcher „Feiern“ (interreligiös oder multireligiös?, Gottesdienst? Feier? Gebet?) deutet an, wie viel komplizierter hier die theologische Problemlage ist.

1.5 Unerlaubte, halberlaubte und erlaubte ökumenische Eucharistiefeiern Neben von den Kirchen gebilligten und geförderten ökumenischen Gottesdiensten gibt es noch eine Vielzahl von solchen, in denen die Grenzen des Erlaubten mehr oder minder bewusst überschritten werden. An solchen Gottesdiensten sind Glieder und Amtsträger der römisch-katholischen Kirche beteiligt, von der auch die meisten Reglementierungen und Verbote bezüglich interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft stammen.

19 Vgl. die vielen liturgischen Modelle und Erfahrungsberichte im Arbeitsbuch Interreligiöse Gottesdienste. 20 Vgl. Gottesdienst Impulse, 14–19. 21 Vgl. Gottesdienst Impulse, 203. 22 Vgl. dazu Friedrichs, Interreligiöses Gebet, bes. 280–283. 23 Vgl. Arbeitsbuch Interreligiöse Gottesdienste, 20–27. 24 Siehe das Bild von dieser Feier in: Ihr sollt ein Segen sein, 17*.

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Bestandsaufnahme

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Die Formen verbotener oder halberlaubter Gottesdienstgemeinschaft befinden sich in der Regel in Grauzonen abseits öffentlicher Wahrnehmung und kirchenamtlicher Aufsicht. Vor allem in Institutionen wie Krankenhaus, Altenheim oder Gefängnis, aber auch bei geschlossenen Gruppengottesdiensten (etwa anlässlich gemeinsamer Tagungen) wird unerlaubte Interkommunion und Konund Interzelebration eher praktiziert als in den Hauptgottesdiensten der örtlichen Pfarrgemeinden. Die Halb- bzw. Nichtöffentlichkeit solcher Formen unerlaubter Gottesdienstgemeinschaft entzieht diese auch der exakten statistischen Nachprüfbarkeit. Dass es sie gibt und wo es sie gibt, weiß jeder kirchlich Versierte; allerdings werden diese Gottesdienstformen mit Rücksicht auf die Verantwortlichen nur hinter vorgehaltener Hand kommuniziert. Immer wieder jedoch gab und gibt es auch öffentlichkeitswirksame Gottesdienste, in denen die Grenzen erlaubter Gottesdienstgemeinschaft gezielt und provokant überschritten werden. Ein zeitgeschichtlich bezeichnendes Beispiel dokumentiert Christoph Huwyler in seiner Studie zur Interkommunion: „An Pfingsten 1968 feierten 61 katholische Priester, reformierte Pfarrer und Laien dieser beiden Kirchen gemeinsam die Eucharistie. Sie stand unter der Leitung von drei Zelebranten, die gemeinsam mit den teilnehmenden Gläubigen ein eucharistisches Gebet und die Einsetzungsworte sprachen. Kommuniziert wurde unter beiden Gestalten. Bei dieser Feier handelte es sich um eine volle Abendmahlsgemeinschaft einschließlich Interzelebration. Der Hintergrund für diese eucharistische Gemeinschaft liegt in den Mai-Ereignissen in Paris 1968. In dieser Zeit fanden Studentenunruhen und Proteste der Arbeiterschaft in den Straßen von Paris statt. Die an der Feier beteiligten Christen haben während der Revolution auf der Straße zueinander gefunden und Solidarität erlebt, die für sie auf dem gemeinsamen christlichen Glauben basiert. Diese innere Einheit wollten sie nicht nur in einem Wortgottesdienst, sondern auch in der gemeinsamen Feier der Eucharistie an Pfingsten, dem Geburtstag der christlichen Kirche, zum Ausdruck bringen.“25 Huwyler stellt noch einige weitere Ereignisse dar, bei denen öffentlichkeitswirksam und unerlaubt Interkommunion oder ggf. auch Interzelebration praktiziert wurde.26 Die verschiedenen Formen unerlaubter Gottesdienstgemeinschaft haben eines gemeinsam: „Katholiken und Nicht-Katholiken haben nach erfahrener Gemeinschaft in Studium, Gebet und Handeln aus Überzeugung am selben Abendmahl teilgenommen und bewusst die geltenden Regelungen (vor allem was die Katholiken betrifft) übertreten. Da sie auch immer in einem mehr oder weniger öffentlichen Rahmen stattfanden, waren amtliche Stellungnahmen unvermeidlich, wenn nicht gar erwünscht.“27

25 26 27

Huwyler, Problem I, 164. Vgl. Huwyler, Problem I, 167–173. Huwyler, Problem I, 172.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

Als Folge der 1968er Jahre und eines ökumenischen Enthusiasmus nach dem Zweiten Vatikanum wurden vielerorts Gottesdienste mit (unerlaubter) Konzelebration und/oder offener Kommunion gefeiert. Solche Formen der offenen Kommunion wurden von bischöflichen Repräsentanten verschiedener Kirchen, auch von römisch-katholischer Seite, praktiziert und gebilligt.28 Nicht zuletzt Papst Johannes Paul II. hat bekanntlich immer wieder bei Eucharistiefeiern in seiner Privatkapelle nichtkatholischen Christen die Kommunion gereicht.29 Darüber hinaus hat es nicht an liturgischen Experimenten gefehlt, die die Vorgaben der katholischen Kirche unterlaufen wollten. Gerald Hagmann dokumentiert den langjährigen, inzwischen abgeschafften Brauch einer kon- bzw. interzelebrierten Eucharistiefeier an Erntedank in Essen-Kettwig: Eine Eucharistiefeier, bei der evangelische und katholische Liturgen gemeinsam den Wortgottesdienst gestalten, der katholische Priester das Hochgebet spricht und anschließend die Kommunion in zwei Abschnitten stattfindet: zunächst als Kommunionspendung durch katholische Liturgen an katholische Christen; anschließend werden die eucharistischen Gaben aus derselben Feier von evangelischen Liturgen an evangelische Christen ausgeteilt.30 Der katholische Priester sollte bei dieser Form sagen können: „Ich feiere hier eine vollgültige Messe; hier fehlt ja nichts.“31 Diese öffentlichen Formen von Gottesdienstgemeinschaft, die in Spannung zu den römisch-katholischen Vorgaben stehen, haben eine Reihe von kirchenamtlichen Stellungnahmen hervorgebracht, die versuchen, diese Situation theologisch und pastoral adäquat zu bewältigen.32 Die Bandbreite der Empfehlungen ist dabei groß. „Unbestritten ist bei allen, dass heute die volle Abendmahlsgemeinschaft mangels erreichter Kirchengemeinschaft nicht möglich ist, weshalb auch meistens von diesen offiziellen Stellen die allgemeine Zulassung abgelehnt wird.“33 Durch die offiziellen katholischen Stellungnahmen fühlten sich jedoch etliche Verantwortliche und Laien in der Gemeindepraxis über lange Zeit nur begrenzt gebunden. Vielfach herrschte auch Unkenntnis über die kirchenrechtlichen Grenzen seitens der römisch-katholischen Kirche, wie Johannes Rehm bemerkt.34 Dies hat sich jedoch spätestens seit dem Beginn des neuen Jahrtausends geän-

28

Vgl. Hasenhüttl, Gastfreundschaft, 94–96. Vgl. Hasenhüttl, Gastfreundschaft, 96. 30 Vgl. Hagmann, Zusammenarbeit, 214–216. 31 Zitiert nach Hagmann, Zusammenarbeit, 214. Auch Dietrich Stollberg berichtet von eigenen ökumenischen Liturgieerfahrungen, die aus katholischer Sicht unerlaubt sind (vgl. Stollberg, Lex orandi, bes. 132–134). 32 Vgl. Huwyler, Problem I, 186–234. 33 Huwyler, Problem I, 232. 34 Vgl. Rehm, Gottesdienstgemeinschaft, 519–521. 29

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Bestandsaufnahme

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dert. Beim Katholikentag 2000 in Hamburg fand eine ökumenische Eucharistiefeier statt, die öffentlich Konflikte hervorrief und die Suspension eines römischkatholischen Priesters nach sich zog.35 Besonders bekannt wurden die beiden Abendmahlsgottesdienste in der Berliner Gethsemane-Kirche beim Ökumenischen Kirchentag 2003. Mit ihren Konsequenzen für die verantwortlichen römisch-katholischen Priester bilden sie einen Wendepunkt in der Geschichte unerlaubter Gottesdienstgemeinschaft. Peter Neuner referiert die Fakten folgendermaßen: „Die eine (sc. Eucharistiefeier) wurde als evangelischer Abendmahlsgottesdienst gefeiert, bei dem der katholische Amtsträger mitwirkte, ohne dass damit die eindeutig evangelische Prägung in Frage gestellt worden wäre. In Übereinstimmung mit der Praxis der evangelischen Kirchen wurde verlautbart, dass alle zum Abendmahlsempfang willkommen seien, die sich von Christus eingeladen wissen, die getauft sind und in diesem Gottesdienst die Feier des Herrenmahls erkennen können. Außergewöhnlich war an diesem Gottesdienst lediglich, dass ein katholischer Priester gestaltend mitbeteiligt war und das Abendmahl empfing. Mehr Aufsehen erregte der katholische Abendmahlsgottesdienst, dem der katholische Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl vorstand. Es war eine eindeutig katholische Messfeier, bei der nun aber ebenfalls allgemein zur Kommunion eingeladen wurde.“36 Die beiden katholischen Priester wurden suspendiert, „also – mit Ausnahme der Exkommunikation – mit der härtesten Strafe belegt, die das Kirchenrecht kennt“.37 Was diese beiden Gottesdienste in ihrer ökumenischen Relevanz von den vorherigen Formen unerlaubter gottesdienstlicher Gemeinschaft und Interkommunion unterscheidet, ist vor allem der öffentlichkeitswirksame Demonstrationscharakter. Im Vorfeld des Berliner Kirchentages, an dem über 200.000 Dauergäste teilnahmen, waren von römisch-katholischer Seite die Grenzen der Gottesdienstgemeinschaft erneut und nachdrücklich betont worden. Insbesondere die Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ von Johannes Paul II., die wenige Wochen vor dem Kirchentag veröffentlicht wurde, hat die diesbezügliche katholische Position bestätigt. Die beiden genannten Eucharistiefeiern konnten und mussten als bewusste Opposition gegen die kirchenamtlichen Vorgaben verstanden werden. Hätte die römisch-katholische Kirche gerade bei diesem „Ereignis von hoher ökumenischer Symbolkraft“,38 wie Neuner den 1. Ökumenischen Kirchentag zurecht bezeichnet, ihre eigene Position nicht durchgesetzt, wäre ein Dammbruch in der Verbindlichkeit lehramtlicher Vorgaben für das katholische kirchliche Leben zu erwarten gewesen.

35 36 37 38

Vgl. Rehm, Gottesdienstgemeinschaft, 520. Neuner, Fünf Jahre, 231 f. Neuner, Fünf Jahre, 232. Neuner, Fünf Jahre, 230.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

Die Berliner Ereignisse haben die kirchliche Praxis für die Grenzen des Erlaubten neu sensibilisiert. Wo heute noch offiziell verbotene Formen von Gottesdienstgemeinschaft praktiziert werden, geschehen diese abseits der Wahrnehmung einer größeren Öffentlichkeit und damit auch abseits wissenschaftlicher Erfassbarkeit. Es ist fraglich, ob solche gezielten Überschreitungen von kirchenamtlichen Vorgaben überhaupt das Prädikat „ökumenisch“ für sich beanspruchen dürfen. Schließlich handelt es sich ja dabei um Formen gottesdienstlicher Teilnahme, die in der Regel bewusst außerhalb der gültigen Lehre und Tradition der römisch-katholischen Kirche stehen. Was Gerald Hagmann empirisch in den von ihm untersuchten ökumenischen Gemeindezentren feststellte, kann für die Bewertung der halb- und unerlaubten Formen der Abendmahlsgemeinschaft insgesamt gelten: „Versuche in ökumenischen Gemeindezentren, eine Abendmahlsgemeinschaft ohne eine Kirchengemeinschaft in theologischer und kirchlicher Perspektive zu vollziehen, haben in der Geschichte der in ökumenischen Zentren beheimateten Gemeinden – nicht zuletzt aufgrund überhöhter Erwartungen, die wiederum zu enttäuschten Rückzügen geführt haben – eher mehr Distanz als mehr Nähe gebracht.“39 Selbstverständlich gibt es auch erlaubte ökumenische Eucharistiefeiern, auch als amtlich konzelebrierte Abendmahlsfeiern, allerdings ohne Mitwirkung von römisch-katholischen (und orthodoxen) Amtsträgern, insbesondere ohne (erlaubten) Kommunionempfang von Rom-Katholiken und Orthodoxen. Zu nennen wären hier Eucharistiefeiern unter konzelebratorischer Mitwirkung von Anglikanern, Methodisten, Altkatholiken40 und Evangelischen, wie sie in unterschiedlichen Konstellationen je nach gemeindlicher Situation auf ortskirchlicher Ebene oder auf Kirchentagen stattfinden. Diese Eucharistiefeiern werden jedoch meist nicht explizit ökumenisch genannt, sondern heißen dann z. B. „Evangelisch/Altkatholische Eucharistiefeier“ o.ä. Besondere Erwähnung verdienen dabei die evangelisch-altkatholischen Abendmahlsgottesdienste, die unter bischöflicher Leitungsbeteiligung (z. B. Bischof Joachim Vobbe und der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber auf dem Kirchentag in Hannover 2005) stattfinden.

39

Hagmann, Zusammenarbeit, 249. Wird in der vorliegenden Arbeit explizit Bezug genommen auf die alt-katholische Kirche in Deutschland, so hat der Autor die Schreibweise mit Bindestrich (Alt-Katholiken, alt-katholisch etc.) gewählt. 40

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Reflexion

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2. Reflexion der Bestandsaufnahme 2.1 Die Definition und das Vorkommen des ökumenischen Gottesdienstes in der Praxis des kirchlichen Lebens Im gottesdienstlichen Leben der Kirchengemeinden in Deutschland gibt es explizit ökumenische Gottesdienste und solche, die nicht als ökumenisch bezeichnet werden. Der ökumenische Gottesdienst ist offensichtlich eine besondere, gewissermaßen nicht all(sonn-)tägliche Form von Gottesdienst, die sich von anderen, nicht so titulierten Gottesdiensten unterscheidet.41 Die Arbeitshilfe des Deutschen Liturgischen Instituts Trier und des Gottesdienst-Instituts der bayerischen Landeskirche definiert folgendermaßen: „Von ökumenischen Gottesdiensten spricht man dann, wenn zwei oder mehr christliche Konfessionen daran beteiligt sind“.42 Diese Definition drückt einen Basiskonsens aus, lässt aber offen, worin die Beteiligung genau besteht, die diesen Gottesdienst von anderen, nicht als ökumenisch bezeichneten Gottesdiensten unterscheidet. Diese Beteiligung kann sich auf mindestens drei Hauptebenen beziehen: Auf die versammelte Gemeinde, auf die amtierenden Geistlichen und auf den Gottesdienst in Gehalt und Gestalt. Als ökumenischer Gottesdienst gilt in der kirchlichen Praxis derjenige Gottesdienst, der von Liturgen aus mindestens zwei getrennten Konfessionen in gemeinsamer und sichtbar geteilter Verantwortung geleitet wird und sich gezielt auf eine gemischtkonfessionelle Gemeinde bezieht, die alle liturgischen Vollzüge mitvollziehen kann. Die gemeindliche Wahrnehmung des Gottesdienstes als ökumenisch hängt dabei – unabhängig vom eigenen Amts- und Gottesdienstverständnis der vertretenen Konfessionen und der agierenden Liturgen – wesentlich und maßgeblich von der sichtbaren Repräsentanz der Konfessionen durch die agierenden Liturgen ab. Eine nur vom katholischen Priester zelebrierte katholische Messe in Gegenwart einer ausschließlich evangelischen Gemeinde würde nach landläufigem Verständnis ebenso wenig als ökumenischer Gottesdienst empfunden werden wie ein ausschließlich von der evangelischen Pfarrerin geleiteter Gottesdienst mit einer gemischtkonfessionellen Gemeinde, bei der der katholische Priester nur anwesend ist, ohne liturgisch aktiv zu sein. Als Kriterium, das den Gottesdienst als ökumenisch qualifiziert, gilt also die amtlich-liturgisch repräsentierte Mehrkonfessionalität. Amtlich, weil sie sich über die Amtsträger43 konstituiert; liturgisch, weil die Amtsträger als solche erkenn-

41 Dem trägt das Handbuch der Liturgik Rechnung, das den ökumenischen Gottesdienst unter den Sonderformen liturgischer Gestaltung einordnet. 42 Ökumenische Gottesdienste, 9. 43 Bei den hauptverantwortlichen Liturgen handelt es sich dabei meist um repräsentative Inhaber

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

bar gemeinsam liturgisch aktiv sein müssen und die liturgische Gestalt von beiden Konfessionen mitverantwortet werden kann. Es ist jedoch zu beobachten, dass im Zweifelsfall die personale Repräsentanz der Konfessionen durch die liturgisch agierenden Geistlichen die Repräsentanz der Konfessionen durch liturgische Traditionen überwiegt, etwa dass auch derjenige Gottesdienst als ökumenisch betitelt und von der Gemeinde als ökumenisch wahrgenommen wird, dessen repräsentierte Mehrkonfessionalität nur noch in der liturgischen Aktivität der Amtsträger besteht, aber nicht in der Repräsentanz spezifischer gemeinsamer oder konfessionsspezifischer Liturgietraditionen.44 Wichtiger als eine als gemeinsam anerkannte liturgische Gestalt ist die erkennbare Mehrkonfessionalität der verantwortlichen Liturgen.45 Anders gesagt: Die Beziehungsebene (nämlich zu dem Amtsträger als Repräsentanten der Konfession) kommt im Zweifelsfall vor der Sachebene (dem liturgischen Vollzug).46 Welche Konfessionen faktisch als Liturgen oder Gemeinde beteiligt sind, lässt die Bezeichnung „ökumenischer Gottesdienst“ offen. Hieran zeigt sich, dass es sich um eine offene, erweiterbare Kategorie handelt. Worin die Ökumene besteht, ist von Fall zu Fall verschieden und neu zu eruieren.47 Bei der Bezeichdes jeweiligen kirchlichen Amtes der beteiligten Kirchen und seltener um Prädikantinnen, Pastoralreferenten oder andere Personen, die nicht als voll ordininiert gelten. 44 Prominentes Beispiel dafür ist die ökumenisch genannte Vesper, die Papst Benedikt XVI. am 12. 9. 06 im Regensburger Dom gemeinsam mit dem Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (und Vertretern der Orthodoxie) feierte, deren liturgische Gestalt evangelische Liturgietraditionen nicht nur nicht vorkommen ließ, sondern konsequent ausblendete (vgl. dazu Roland Fritsch, Der bayerische Papst in Deutschland. Ein geistlicher Weg trotz Massenspektakel und Provinzfolklore, MD 57, 2006, 101 f). 45 Es sei hier betont, dass die amtlich-liturgisch repräsentierte Mehrkonfessionalität als Kriterium für die Wahrnehmung der Ökumenizität eines Gottesdienstes die Logik der kirchlichen Praxis und nur sehr begrenzt das Selbstverständnis der Lehre der Kirchen verkörpert. Aus deren Perspektive ist diese Fixierung auf die Amtsträger letztlich als zu sehr amtszentriert zu beurteilen, egal ob aus lutherischer, römisch- oder altkatholischer, methodistischer oder sonstiger Sicht. 46 Auch darin zeigt sich die gegenwärtige Schlüsselrolle des Priesters oder der Pfarrerin für das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche und damit auch zur Konfession. Interessanterweise steigt im 20. Jahrhundert das Ansehen der Person des Pfarrers zeitgleich und proportional zur Bedeutung des ökumenischen Gottesdienstes. 47 Aufschlussreich dazu sind die Bemerkungen eines römisch-katholischen Priesters und Feuerwehrseelsorgers. In seinem Erfahrungsbericht zu Jubiläumsfeiern der Feuerwehr kommt er auf die Frage zu sprechen, ob solche Jubiläumsgottesdienste konfessionell oder ökumenisch begangen werden sollten. „Soll der Gottesdienst ökumenisch sein? Bei der Entscheidung dieser Frage spielt das prozentuale konfessionelle Verhältnis eine Rolle, ebenso die örtliche Bedeutung des Festes. In überwiegend katholischen Gegenden wird bei örtlichen Festen in der Regel eine Eucharistie gefeiert und keine ökumenische Feier gestaltet. Die Entscheidung für einen solchen Gottesdienst muss von den beiden Kirchen gefällt werden.“ (Bierbaumer, Jubiläumsfeiern, 6 f). Diese Überlegungen zeigen beispielhaft, dass die Entscheidung für eine ökumenische Feier von zwei Faktoren wesentlich bedingt ist, nämlich dem prozentualen Verhältnis der Konfessionen vor Ort und der örtlichen Bedeutung

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Reflexion

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nung von ökumenischen Gottesdiensten ist das schillernde Attribut „ökumenisch“48 neben seiner neuzeitlichen Fokussierung auf die Kircheneinheit getrennter Konfessionen nahe an seiner säkularen Ursprungsbedeutung: „Die bewohnte Erde betreffend“. Die „bewohnte Erde“ ist hier jedoch konkret der gemeinsam geteilte Lebensraum (oikos), der je und je unterschiedlich konstituiert ist.49 Der Ökumenebegriff wird somit – paradoxerweise – partikular, kontextabhängig und definitionsbedürftig. In der Regel sind im deutschsprachigen Raum die römisch-katholische und die evangelische Kirche als ökumenischer „Grundbestand“ vertreten, der je nach Möglichkeit und Vorhandensein vor Ort um weitere Konfessionen angereichert werden kann. Es gibt also nicht den ökumenischen Gottesdienst, sondern eine bunte, vielfältige Landschaft ökumenischer Gottesdienste in den unterschiedlichsten Konstellationen von Konfessionen, zu verschiedensten einmaligen und wiederholbaren Anlässen und mit unterschiedlicher Periodik. Die Vielfalt ökumenischer Gottesdienste spiegelt die Vielfalt der pluralen Gottesdienstkulturen in den Konfessionen sowie die religiöse Pluralität vor Ort wieder. Sie zeichnen sich durch ihre spezifische (vereinzelt auch einmalige) Anlassgebundenheit aus – wenngleich sie immer wieder stattfinden. Allerdings sind ökumenische Gottdienste nicht verbindlich vorgeschrieben. Es gibt keine kirchlich bindende gemeinsame Agende.50 Kein liturgischer Kalender besagt, dass bestimmte Anlässe mit anderen Konfessionen gemeinsam gefeiert werden sollen und müssen. Sie verdanken sich nicht unwesentlich den außerliturgischen Beziehungen und Lebensumständen, wobei das persönliche Verhältnis der Pfarrer der verschiedenen Konfessionen ein bedeutender Faktor für die Intensität des ökumenischen Lebens ist. Kurzum: Der ökumenische Gottesdienst ist im Zweifelsfall bei aller Hochschätzung in den Gemeinden eine fakultative Veranstaltung im Gottesdienstprogramm der Kirchengemeinden und im Zweifels- oder Streitfall auch entbehrlich. Ökumenische Gottesdienste stellen ein zweites Programm zu den konfessionellen Gottesdiensten dar, was wesentlich durch die römisch-katholische Auffassung bedingt ist, derzufolge ein ökumenischer Gottesdienst die Sonntagspflicht zum Gottesdienst nicht erfüllt. Sie finden daher in regelmäßiger Unregelmäßigkeit zu bestimmten Anlässen statt. des Anlasses. Ebenso zeigen diese Überlegungen, dass es sich bei der Jubiläumsfeier um eine Kasualie im Leben der (u. U. gemischtkonfessionellen) Ortsgemeinschaft handelt. 48 Vgl. die Begriffsgeschichte nach Visser’t Hooft, ökumenisch. 49 Hierbei ist allerdings zu beachten, dass in einer mobilen Gesellschaft der Begriff des Lebensraums nicht auf den Bereich des (ersten) Wohnsitzes verengt werden kann und darf. Menschen, die berufsbedingt regelmäßig zwischen verschiedenen Orten pendeln, sind Angehörige unterschiedlicher Lebensräume. Die Lebensräume von Arbeit, Wohnsitz und Freizeit können dabei erheblich variieren. 50 Auch die hier in dieser Arbeit besprochenen Agenden und Handreichungen stehen kirchenrechtlich deutlich unter den „offiziellen“ Agenden der Sonntagsgottesdienste.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

Interessant ist auch, wann in der Regel keine ökumenischen Gottesdienste stattfinden. Die drei kirchlichen Hochfeste im Jahreslauf Weihnachten, Karfreitag/Ostern und Pfingsten werden hauptsächlich mit konfessionell gebundenen Gottesdiensten begangen,51 wenngleich sich auch vereinzelt die zweiten Feiertage zu Anlässen ökumenischer Gottesdienste entwickelt haben. Vor allem der Heilige Abend und der Karfreitag sind je auf ihre Weise zentrale Anlässe, um die eigene konfessionelle Identität mit besonderen konfessionsspezifischen Liturgien darzustellen (katholische Christmette, evangelische Christvesper, katholische Karfreitagsliturgie mit Kreuzverehrung ohne Eucharistie, evangelischer Festgottesdienst mit Beichte und Abendmahl, orthodoxe Karfreitagsliturgie).52 Somit formuliere ich abschließend drei Gesetzmäßigkeiten, die die Logik des Vorkommens ökumenischer Gottesdienste zusammenfassen: 1. Ökumenische Gottesdienste finden dort statt, wo Menschen unterschiedlicher Konfession in nennenswerter Zahl denselben Lebensraum teilen und dort auch konfessionelle Gottesdienste feiern. 2. Je gesellschaftlich bedeutender ein Anlass ist, umso eher findet ein ökumenischer Gottesdienst statt. 3. Je enger und freundschaftlicher die außerliturgischen Beziehungen zwischen den Gliedern und besonders zwischen den Geistlichen der verschiedenen Konfessionen sind, umso häufiger finden ökumenische Gottesdienste statt.

2.2 Praktisch-theologische Verortung: Ökumenische Gottesdienste als Kasualien? Wolfgang Steck hat eine einschlägige praktisch-theologische Arbeitsdefinition für Kasualien formuliert: „Als Kasualien oder als Amtshandlungen werden die liturgisch geordneten kirchlichen Handlungen mit Ausnahme des sonntäglichen Gottesdienstes bezeichnet. Im Unterschied zum Gottesdienst werden die kasuellen Feiern nicht an regelmäßig wiederkehrenden Daten des Kalender- oder Kirchenjahres, sondern aus bestimmtem Anlass abgehalten. Sie beziehen sich auf 51 Eine erfreuliche und m.E. nachahmenswerte Ausnahme ist die ökumenische Christvesper in Meschede-Gartenstadt (vgl. Hagmann, Zusammenarbeit, 132). 52 Vielerorts tritt an den zweiten Feiertagen der christlichen Hauptfeste eine gewisse liturgische Erschöpfung ein, vor allem nach einer Vielzahl erlebnisintensiver Gottesdienste an Ostern und Weihnachten. Diese Erschöpfung spiegelt sich in geringeren Besucherzahlen. Um dieser Erschöpfung entgegenzuwirken, gibt es zahlreiche Bemühungen und auch ältere Traditionen, die dem Gottesdienst am zweiten Feiertag durch besondere Gestaltung ein eigenes Profil geben (etwa durch Freiluftgottesdienste, Waldweihnacht, Emmausgänge, in Altbayern etwa die Pferdesegnungen am Stephanustag, Wallfahrten am Pfingstmontag). Zu den Bemühungen der liturgischen Attraktivitätssteigerung und Profilierung der zweiten Feiertage gehört auch der vereinzelt geübte Brauch, einen ökumenischen Gottesdienst zu halten.

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Reflexion

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eine einmalige und einzigartige Situation (Kasus) im Leben des einzelnen Christen oder im Lebenszusammenhang der christlichen Gemeinschaft.“53 Mit dieser praktisch-theologischen Definition protestantischer Provenienz konvergiert die lehramtliche Position von katholischer Seite durch die deutschen Bischöfe. Die Bischöfe sprechen von Gottesdiensten, „die bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen und Ereignissen in der Regel in ökumenischer Trägerschaft gefeiert werden“.54 Dem bischöflichen Schreiben zufolge sind ökumenische Gottesdienste „nicht nur ein Dienst an der Gesellschaft, sondern erwachsen auch aus dem Gebetswunsch Jesu, dass alle eins sind“.55 Ökumenische Gottesdienste lassen sich also sowohl aus katholischer als auch aus evangelischer Sicht den Kasualien zuordnen, sofern der Kasualbegriff weit gefasst wird und nicht den Feiern anlässlich der traditionellen Passagen im Lebenszyklus des Einzelnen vorbehalten bleiben soll.56 Die traditionellen Kasualien und die ökumenischen Gottesdienste haben folgende Gemeinsamkeiten: 1. Gemeinsam ist der dezidierte Situationsbezug. Die Handreichung „Ökumenische Segensfeiern“ von 1997 sowie das Modellbuch für Ökumenische Gottesdienste aus dem Jahr 2003 nennen ohne Anspruch auf Vollständigkeit exemplarische Anlässe eines möglichen ökumenischen Gottesdienstes. Diese sind weitgehend unabhängig vom Kirchenjahr. Sie spiegeln eine bi- bzw. multikonfessionelle Gesellschaft (Einführung von Mitarbeitenden in einer ökumenischen Einrichtung, Einweihung eines ökumenisch genutzten Gottesdienstraumes), in der Mobilität (Einweihung von Fahrzeugen), Bildung und Freizeit hoch in Kurs stehen, und die um die Fragilität menschlich-technischer Möglichkeiten weiß. Die ökumenischen Segensfeiern sind vorwiegend von ihrem sozialen Ort her konzipiert und teilen typische Merkmale einer stark individualisierten Kasualpraxis der Gegenwart. Ökumenische Segensfeiern sind funktionale Kasualien anlässlich eines für das Zusammenleben im gemeinsam bewohnten Lebensraum relevanten Kasus innerhalb einer religiös-konfessionell pluralen Gesellschaft.57

53

Steck, Art. Kasualien, 674. Mitte und Höhepunkt, 43 (kursiv von F.I.). 55 Mitte und Höhepunkt, 43. Interessant ist dabei die Reihung der Motive ökumenischer Gottesdienste. Dem scheinbar selbstverständlichen diakonischen Aspekt ökumenischer Gottesdienste („nicht nur“) wird der einheitstheologische Aspekt („sondern auch“) hinzugefügt. 56 Zur Frage der Ausweitung des Kasualienbegriffs über die klassischen Kasualien hinaus vgl. Albrecht, Kasualtheorie, 2 f u. a. 57 Die religiös-konfessionelle Pluralität des jeweiligen Lebensraumes ist insofern von Belang, da in konfessionell noch stärker homogenen Regionen (z. B. das ländliche katholische Oberbayern oder die evangelischen Gebiete in Franken) dieselben Anlässe häufig noch durch konfessionelle Gottes54

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

2. Gemeinsam ist den kasuell gehaltenen ökumenischen Gottesdiensten mit den klassischen Kasualien, dass sich in ihnen Menschen unterschiedlicher kirchlicher und religiöser Bindung versammeln. Kasualien und ökumenische Gottesdienste können keine einheitliche Kirchlichkeit voraussetzen. Der Bezug zu Kirche und Christentum ist primär durch den Anlass motiviert und kann u. U. auch vorübergehend sein. 3. Ökumenische Gottesdienste zeichnen sich ähnlich wie die Kasualien durch das Miteinander von Kasualrede (Predigt) und ritueller Kernszene aus, die „das der Begehung zugrunde liegende Geschehen dramatisch inszeniert und durch eine herausragende Handlung symbolisch dar(stellt)“ (Wolfgang Steck).58 Die rituelle Kernszene in ökumenischen Gottesdiensten kann etwa in einem Ritus der Tauferinnerung, im Entzünden von Gedenkkerzen, einer Einweihungshandlung/ -geste oder anderer für den Anlass passender Riten liegen. Das Drängen ökumenisch gesinnter Christen nach dem gemeinsamen Abendmahl kann als Sehnsucht nach einer rituellen Kernszene interpretiert werden, die die bestehende oder zu erreichende Gemeinsamkeit symbolisch darstellen bzw. bewirken soll. 4. Ebenso wie das Thema Ökumene sind Kasualien „ein spezifisch neuzeitliches Thema der Theologie“59 (Kristian Fechtner). Den Themen Ökumene und Kasualien ist gemeinsam, dass sie die Pluralität von (christlicher) Religion voraussetzen. Ehe die ökumenischen Gottesdienste vorschnell den Kasualien subsumiert werden, müssen auch klar die Differenzen zu den (klassischen) Kasualien benannt werden. 1. Bei ökumenischen Gottesdiensten steht in der Regel nicht das Leben Einzelner in seinen familialen und sozialen Bezügen im Mittelpunkt, sondern ein zu bewältigender Kasus im gemeinsamen sozialen Lebenszusammenhang der versammelten Individuen. 2. Vor Kasualien findet ein Kasualgespräch statt, das der Erkundung der persönlichen Situation und der Vorbereitung auf die Feier dient.60 3. Bei ökumenischen Gottesdiensten ist die rituelle Kernszene möglich, aber nicht per se vordefiniert, bei den klassischen Kasualien ist sie konstitutiv. Es ist nun eine Ermessensfrage, ob ökumenische Gottesdienste als Kasualien gelten sollen oder nicht. In jedem Fall ist die Kasualtheorie aufschlussreich, um in

dienste begangen werden. Dies gilt analog auch für konfessionell gebundene Institutionen, etwa evangelische Altenheime oder katholische Krankenhäuser. 58 Steck, Art. Kasualien, 680. 59 Fechtner, Kirche, 19. 60 Das „Pendant“ zum Kasualgespräch ist beim ökumenischen Gottesdienst der öffentliche Diskurs zu dem zu begehenden Anlass.

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Der religiöse und gesellschaftliche Kontext

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praktisch-theologischer Hinsicht das Phänomen ökumenischer Gottesdienste zu verstehen. Allerdings wird sich an späterer Stelle der Arbeit noch die Frage stellen, inwiefern der Kasualienstatus ökumenischer Gottesdienste auch systematisch-theologisch angemessen ist.

3. Der religiöse und gesellschaftliche Kontext von ökumenischen Gottesdiensten Im folgenden Abschnitt wird skizzenartig der gesellschaftliche und religiöse Kontext der ökumenischen Gottesdienste in Deutschland sowie dessen religions- und konfessionssoziologische Genese nachgezeichnet. Diese Skizze will den Ort ökumenischer (und konfessioneller) Gottesdienste in der gegenwärtigen Gesellschaft und Religionskultur näher bestimmen.

3.1 Die neuzeitliche konfessionelle Durchmischung der deutschen Bevölkerung im 20./21. Jahrhundert Zu den religionssoziologischen Besonderheiten Deutschlands im weltweiten Vergleich gehört die Tatsache, dass hier über Jahrhunderte hinweg protestantische und katholische Christen in etwa gleich großer Zahl nebeneinander lebten. Allerdings war Deutschland – von wenigen gemischtkonfessionellen Gebieten abgesehen – seit dem 16. Jahrhundert bis weit ins 20. Jahrhundert hinein regional konfessionalisiert. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hat die Entscheidungskompetenz über die Konfession den jeweiligen Landesfürsten anheim gestellt („cuius regio, eius religio“), sodass das Reich in Konfessionsstaaten aufgeteilt wurde, die theologisch, politisch und gesellschaftlich wesentlich von je einer Konfession geprägt waren. So standen sich in Deutschland nach der Reformation zunächst zwei (Lutheraner, Katholiken), seit dem Westfälischen Frieden von 1648 mit den Reformierten drei Religionsparteien einander gegenüber, die jedoch weitgehend getrennt voneinander lebten. Im 19. Jahrhundert löste die verfassungsrechtliche Parität der Konfessionen die Idee der religiösen Einheitlichkeit ab. Die lutherisch-reformierten Differenzen wurden vielfach durch Unionen relativiert, während sich der protestantisch-katholische Gegensatz in dieser Zeit neu zuspitzte. Durch die Gebietsreformen entstand in etlichen Territorialgebieten Bikonfessionalität, sodass es innerhalb desselben Staatsgebildes evangelische und katholische Regionen geben konnte. Die Vermischung der konfessionellen Gemeinwesen hielt sich jedoch in Grenzen.61 Der konfessionelle Gegensatz blieb vielmehr „bis ins 20. Jh. ein ge61

Vgl. Daiber, Religion, 84.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

sellschaftlich, kulturell und polit(isch) charakteristisches Element“,62 wie WolfDieter Hauschild feststellt. Eine umfassende konfessionelle Durchmischung Deutschlands erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem durch die Zuwanderung von Vertriebenen nach Deutschland, deren Verteilung nicht nach konfessionellen Gesichtspunkten erfolgte und zu einer weitgehenden Auflösung der konfessionellen Siedlungsgebiete führte, deren konfessionelle Homogenität mindestens bis in die Reformationszeit zurückreichte.63 Erst unter den Bedingungen des Miteinanderlebens bzw. MiteinanderlebenMüssens von Menschen verschiedener christlicher Konfession und Tradition stellt sich die Frage des religiös-kirchlichen Miteinanders der Angehörigen getrennter Konfessionen. Es kam zu einer „zunehmenden interkonfessionellen Verflechtung der ehemals nebeneinander existierenden rein konfessionellen Gemeinwesen“64, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts können mit Karl Gabriel als „Höhepunkt institutioneller Sicherung und Verfestigung (sc. der kirchlich verfassten Religion)“ gelten.65 Diese interkonfessionelle Verflechtung der Lebensbezüge ließ einen Bedarf an Möglichkeiten gemeinsamer geistlicher Aktivitäten entstehen. Hier wurde die Frage nach der Konfessionalität eines gemeinsamen Gottesdienstes unausweichlich. Dies betraf vor allem Eheschließungen und Einweihungshandlungen von kommunalen Einrichtungen, die von Angehörigen beider Konfessionen gleichermaßen genutzt wurden. Das Phänomen interkonfessioneller Gottesdienste erschließt sich damit nicht allein durch theologische Erkenntnisfortschritte der getrennten Konfessionskirchen, sondern auch wesentlich durch die spezifisch deutsche Geschichte des Zusammenlebens getrennter Konfessionen, wobei beide Faktoren untrennbar zusammengehören.

3.2 Die zunehmende Entkonfessionalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft Die gesellschaftliche Durchmischung der Konfessionszugehörigkeiten ist ein Teilphänomen des einen gesamtgesellschaftlichen, weit über Deutschland hinausgehenden Pluralisierungsprozesses. Die konfessionelle Durchmischung hat sich im Zeichen von Migration und Mobilität vor allem ab der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts derart beschleunigt, dass es zu Beginn des 21. Jahrhunderts lediglich in einigen ländlichen Gebieten konfessionell homogene Milieus gibt.66 62 63 64 65 66

Hauschild, Art. Deutschland, 739. Vgl. Gabriel, Christentum, 27–29, Gatz, Art. Deutschland, 151. Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 12. Gabriel, Christentum, 147. Vgl. Grethlein, Grundfragen, 84 f.

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Der religiöse und gesellschaftliche Kontext

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Die Interkonfessionalisierung der Lebensbezüge geht spätestens ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mit der zunehmenden Entkonfessionalisierung der deutschen Gesellschaft einher. Indem durch das Grundgesetz alle Religionsgemeinschaften in Äquidistanz zum Staat gesetzt wurden, wird die Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit nun vollständig zur Privatangelegenheit. Dies neutralisiert die Kirchenmitgliedschaft in außerkirchlichen Zusammenhängen.67 Interkonfessionalisierung und Entkonfessionalisierung der noch kirchenverbundenen Teile der bundesdeutschen Gesellschaft sind dabei als parallele, unterscheidbare, aber nicht voneinander zu trennende Prozesse im 20. Jahrhundert zu betrachten, wobei die Interkonfessionalisierung die Entkonfessionalisierung vorbereitet. Bereits 1989, also vor der deutsch-deutschen Wende, konnte Karl-Fritz Daiber feststellen: „Das konfessionelle Christentum ist in der gegenwärtigen Situation im Prozess eines vielfältigen Wandels begriffen. Wichtigstes Element dieses Wandels ist, dass die Konfessionsbildungen des 16. Jahrhunderts in zunehmend geringerem Maße das Bild bestimmen.“68 Ingrid und Wolfgang Lukatis konstatieren im selben Jahr in einem Vergleich von Lebensorientierungen zwischen (westdeutschen) Katholiken, Protestanten und Konfessionslosen: „Nicht die Tatsache der Einbindung in ein bestimmtes konfessionelles Milieu als solches ist (. . .) als besonders wirksamer Faktor zu betrachten. Viel eher ist es die Stärke kirchlicher Verankerung im allgemeinen – ob im katholischen oder protestantischen Bereich, scheint dabei von eher sekundärer Bedeutung –, die sich als mit zahlreichen Wert- und Einstellungsmerkmalen eng verknüpft erweist. Dass dies für religiöse Überzeugungen in besonderer Weise gilt, überrascht nicht.“69 Ähnliche Entkonfessionalisierungsprozesse lassen sich auch in den europäischen Nachbarländern feststellen. Der Religionsgeograph Edgar Wunder beschreibt in seiner Studie „Religion in der postkonfessionellen Gesellschaft“ erosive Erscheinungen als Output von Säkularisierung. Neben religiöser Indifferenz und der Erosion religiösen Gemeinschaftshandelns kommt er auf die Entkonfessionalisierung zu sprechen, wobei er zwischen expliziter und impliziter Entkonfessionalisierung unterscheidet.70 Explizite Entkonfessionalisierung bezeichnet nach Wunder „die Zunahme der ausdrücklichen Zurückweisung einer Mitgliedschaft in bzw. einer Bindung an irgendeine Konfession. In Ländern, die eine geregelte Konfessionsmitgliedschaft ähnlich der Mitgliedschaft in einem Verein kennen (z. B. Deutschland), ist damit ein Anstieg der Konfessionslosenquote gemeint.“71 Aus soziologischer (und auch aus theologischer) Sicht interessanter ist nach Edgar Wunder die im67 68 69 70 71

Vgl. Geller, Ökumene in Gemeinden, 2. Daiber, Fortdauer oder Ende, 15. Lukatis/Lukatis, Protestanten, 70. Vgl. Wunder, Religion, 116–118. Wunder, Religion, 126.

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plizite Entkonfessionalierung, welche besagt, „dass Konfessionalität kein strukturierendes Merkmal in modernen Gesellschaften mehr darstellt (weder für die religiöse Szenerie noch anderweitig), so dass die in der Moderne neu entstehenden religiösen Phänomene und Sozialformen quer zu den vormodernen Reliktformen der Konfessionen verlaufen“.72 Dem entspricht der Befund des katholischen Religionssoziologen Michael Ebertz: „Den Lebensgeschichten wird schon von Kindheit und Jugend an in den Kindergärten, in den Schulen mit ihrer Fächervielfalt und selbst in den Familien die Erfahrung der ‚Indifferenz‘ des Konfessionellen eingegraben.“73 Die Rede von der Entkonfessionalisierung bezeichnet einen Prozess, der im Gange und noch nicht abgeschlossen ist. Nach wie vor sind die konfessionskulturellen Herkunftsgeschichten prägend,74 aber ihr Einfluss nimmt ab bzw. transformiert sich. Das bedeutet kein baldiges Ende der Religion (und auch nicht notwendig des christlichen Glaubens). Lediglich die bisherige konfessionskirchliche Form der Religion nimmt ab, nämlich die automatische Koppelung von christlichem Glauben, einer bestimmten Konfessionskirche und der Mitgliedschaft in dieser Kirche. Zur Beschreibung und Deutung dieses Sachverhaltes wird vielfach das Säkularierungstheorem zu Hilfe genommen, oft gepaart mit düsteren Zukunftsprognosen für Kirche und Religion. Hilfreich erscheint hier der dezidiert nicht theologische Säkularisierungsbegriff von Edgar Wunder: „Säkularisierung bezeichnet die Transformation von Religion unter den Bedingungen der Moderne und ist deshalb primär makrosoziologisch fundiert, obwohl auch auf der Mikroebene Auswirkungen zu erwarten sind. Gemeint ist weder eine Ausbreitung des Säkularismus, noch ein Untergang der Religion, sondern ein durch Adaption bedingter Wandel der Sozialformen von Religion. Die Transformation verläuft weder linear noch nach einem allgemeingültigen Schema, es sind vielmehr verschiedene Säkularisierungspfade zu erwarten.“75

3.3 Die Deinstitutionalisierung der Religion Die zunehmende Entkonfessionalisierung impliziert ein weiteres wesentliches Merkmal der gegenwärtigen religiösen Situation in Deutschland, nämlich die Deinstitutionalisierung der Religion. Die traditionellen Konfessionskirchen bestehen zwar weiter. Ihre jeweilige individuelle und gesellschaftliche Relevanz ist jedoch im Schwinden begriffen – zumal es kaum mehr konfessionell dominierte 72 73 74 75

Wunder, Religion, 118. Ebertz, Konfessionalisierung, 89. Vgl. auch Graf, Wiederkehr der Götter, 91 f. Wunder, Religion, 85.

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Der religiöse und gesellschaftliche Kontext

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Kulturräume gibt.76 Die kirchlich verfasste Religion und die individuelle Religiosität treten zunehmend auseinander77 – und das auch innerhalb der Konfessionen. Karl Gabriel prognostiziert im Jahr 1992: „Man wird davon ausgehen müssen, dass eine kirchlich-religiöse Sozialisation im Sinne einer Vermittlung kirchlicher Wissensbestände, Normen und Überzeugungen nur noch innerhalb einer Minderheit von deutlich unter 10 Prozent gelingt.“78 Martin Lätzel beschreibt im Jahr 2004 die gegenwärtige religiöse Situation der Gesellschaft in Deutschland mit der These „Dem Religiösen gegenüber offen – den Kirchen abgewandt: Distanzierung von der Kirche und Individualisierung des Lebens als Phänomene der Gegenwart“.79 Die Kirchen in Deutschland leiden langfristig an zunehmendem Mitgliederschwund, wovon insbesondere die evangelischen Landeskirchen betroffen sind.80 Auch jene Auswertungen der EKD-Mitgliedschaftsstudien, die stets die Stabilität der evangelischen Kirche beschwören, können langfristig nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Prozentsatz evangelischer Kirchenglieder an der Gesamtbevölkerung kleiner wird. Der zunächst negativ anmutende kirchen- bzw. religionssoziologische Befund bedeutet nicht, dass Religion aufhört. Vielmehr etablieren sich neue Formen von Religion abseits traditionell verfasster Kirchlichkeit, die sich einer bewussten Entscheidung und Wahl des einzelnen religiösen Subjektes verdanken. Mit Friedrich Wilhelm Graf ist festzustellen, „dass in modernen Gesellschaften sehr viel mehr Götter und Götzen verehrt werden, als man im verengten Blick auf die Erosionsprozesse in den Kirchen und anderen religiösen Großorganisationen zu sehen vermag“.81 Ähnlich bemerkt auch Ingolf U. Dalferth: „Wir leben in der Endphase eines kulturgestützten Christentums, keineswegs aber in einer säkularen Welt. Die christlichen Kirchen verlieren an Bedeutung, aber die Nachfrage nach Religion ist stark. (. . .) Nicht die Religion hat ihre Faszination verloren, sondern die Kirchen ihre Bindungskraft.“82 Somit lassen sich – je nach der Weite des jeweils vorausgesetzten Religionsbegriffs – in der gegenwärtigen Gesellschaft zahlreiche, im weitesten Sinne religiöse Phänomene in der Gesellschaft finden, etwa in den liturgieartigen Ritualisierungen der Gesellschaft (z. B. auch Sport, die Musikund Medienszene, die Disco-Kultur, die Kunstszene etc.83). Das bedeutet, dass sich die christlichen Kirchen in einer – durchaus auch untereinander konkurrierenden – Anbieterrolle auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten befin76 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. Ebertz, Konfessionalisierung, 95–97. Vgl. Ebertz, Konfessionalisierung, 99. Gabriel, Christentum, 149. Lätzel, Den Fernen nahe sein, 17–19. Vgl. Lukatis/Lukatis, Protestanten, 23. Graf, Wiederkehr der Götter, 53. Dalferth, Cafeteria-Religion, 415. Vgl. Lätzel, Den Fernen nahe sein, 34–36.

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den84 – nicht nur neben anderen religiösen Anbietern, sondern auch neben den quasi-religiösen Möglichkeiten der Kultur und des Freizeitbereiches. Langfristig dürfte die Entwicklung von Religion, Konfessionskirchen und Ökumene in der Bundesrepublik Deutschland dahin gehen, dass eine kleinere Zahl von Kirchengliedern beider Konfessionen (mit katholischem Überhang) einer größeren Zahl Konfessionsloser und Angehöriger nichtchristlicher Religionen (z. B. Islam) gegenüber stehen werden.85 Interessant ist dabei die spezielle Situation in Ostdeutschland, die Eberhard Tiefensee als „Areligiosität“86 bezeichnet. Deutschland, das Land, das international einzigartig von quantitativ-paritätischer protestantisch-katholischer Bikonfessionalität geprägt ist, stellt zugleich, insbesondere im Osten, im weltweiten Vergleich das Zentrum der Religionslosigkeit dar. Während global der Anteil der Religionslosen rückläufig ist, bilden sich in westeuropäischen Großstädten zunehmend Inseln der Religionslosigkeit, insbesondere in den neuen Bundesländern. „Die neuen Bundesländer stehen bezüglich der Verbreitung der Areligiosität weltweit einmalig da“,87 bemerkt Eberhard Tiefensee. Festzuhalten an Tiefensees Untersuchung ist die besondere Minderheitenposition des christlichen Glaubens und der Kirchen in einem bis 1945 deutlich christlich geprägten Land sowie die dort verbreitete Selbstverständlichkeit, dass Menschen weder mit Religion noch mit Kirche etwas zu tun haben.

4. Die Bedeutung der religiösen Situation in Deutschland für die kirchliche Ökumene Die Transformation der Religion in Deutschland hat auch Auswirkungen auf das Miteinander und Zueinander der getrennten Konfessionen. Der ökumenische Aufbruch der Kirchen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet interessanterweise in einer Zeit statt, in der in Deutschland die konfessionellen Differenzen und die kirchlichen Formen der Religion zunehmend an Bedeutung verlieren.

84

Vgl. auch Lätzel, Den Fernen nahe sein, 28 f. Vgl. Gabriel, Christentum, 60–63; Ebertz, Erosion, 46–68; Daiber, Religion, 90; dass dies kein völlig neuartiger Prozess ist, zeigt Graf, Wiederkehr der Götter, 47. 86 Vgl. Tiefensee, Homo areligiosus. 87 Tiefensee, Homo areligiosus, 189. Ökumenisch und besonders für evangelische Kirchen bedenkenswert ist folgende dezent formulierte Beobachtung Tiefensees: „Auffällig ist, dass sich eine verbreitete Areligiosität eigentlich nur in ehemals christlichen Religionen vorfindet und dort wiederum relativ wenig in ehemals katholischen und orthodoxen Milieus.“ (Homo areligiosus, 189) Zur besonderen Situation der Konfessionslosen in Ostdeutschland vgl. auch Wunder, Religion, 316. 85

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4.1 Ökumene als generationenspezifisches Thema In den Kirchengemeinden hat sich in den letzten 40 Jahren in mehrfacher Hinsicht ein ökumenischer Generationswechsel vollzogen.88 Ökumene, die sich mit der Einheit getrennter Kirchen befasst, hat vor allem diejenigen bewegt, die das kirchlich-ökumenische Klima vor dem Zweiten Vatikanum und die ersten Jahre danach selbst erlebt haben.89 Inzwischen sind Gemeindeglieder und Theologen – je jünger, umso mehr – mit der Ökumene wie selbstverständlich aufgewachsen.90 Interkonfessionelle Begegnung und Verständigung sind weitgehend zur Normalität geworden und haben dadurch den Charakter des Außerordentlichen und Besonderen, aber auch des Notwendigen verloren.91 Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und den 68er-Zeiten ist eine neue Generation katholischer Pfarrer und evangelischer Geistlicher nachgewachsen. War die Ökumene vor Ort in den 70er und frühen 80er Jahren vor allem eine „Ökumene von unten“, unter Umständen auch als konstruktiver Ungehorsam, so ist die nachgewachsene Generation römisch-katholischer Verantwortungsträger darum bemüht, den kirchenrechtlich vorgegebenen Rahmen nicht zu verlassen.92 Seit der Änderung der kirchlichen Mischehengesetzgebung 1970 hat das Nebeneinander und Gegeneinander der beiden großen Konfessionen an ökumenischer Dynamik verloren, die im Umfeld des Zweiten Vatikanums und der 68erGeneration noch spürbar war.93 Heinrich Döring merkt bereits 1994 an, dass die theologischen Debatten der Ökumene in den Ortsgemeinden und Familien kaum mehr eine Rolle spielen.94 So scheint das römisch-katholische Verbot der Interkommunion der letzte allgemein bekannte interkonfessionelle Wissensbestand zu sein. Obgleich allenthalben die Religion boomt und in gewisser Hinsicht mit Friedrich Wilhelm Graf von einer „Wiederkehr der Götter“95 die Rede sein kann, ist das Interesse an der dezidiert kirchlichen, konfessionsspezifischen, auf 88 Zur Bedeutung des Generationenwechsels in ökumenischen Gemeindezentren vgl. Hagmann, Zusammenarbeit, bes. 244–246. 89 Vgl. Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 96 90 Joseph Ratzinger (Prinzipienlehre, 327) stellt bereits 1982 fest, dass die Ökumene in den Gemeinden bereits zum „Allgemeingut“ und zur Routine geworden ist, und nun neue Pioniere für ökumenische Fortschritte nötig sind. 91 Vgl. Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 369. 92 Ebd. 93 „Mischehen setzen keine Impulse mehr frei, durch Fortschritte in der Ökumene Leiderfahrungen zu überwinden. Sie kommen aber auch nicht als ökumenischer Impuls einer vorweggenommenen Kircheneinheit im Sinne des Motivs der Familie als ‚Ekklesiola‘ ins Spiel. Anders als Religiosität scheinen Sinngehalte von Konfessionalität und Kirchlichkeit insgesamt aus dem Innenraum von Partnerschaft und Familie bei den Jüngeren weitgehend zurückgetreten zu sein.“, Geller/Pankoke/ Gabriel, Ökumene, 370. 94 Vgl. Döring, Ökumene, 32 f. 95 Vgl. dazu das gleichnamige Werk: Graf, Wiederkehr der Götter.

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die Einheit der Christen bezogenen Ökumene geschrumpft. Lediglich dort, wo ein religiös motivierter Wunsch nach gemeinsamem Abendmahlsempfang besteht und gleichzeitig seitens der römisch-katholischen Kirche die Zulassungsbedingungen und -verbote zum Kommunionempfang restriktiv ausgelegt und gehandhabt werden, wird noch die Wunde der Kirchentrennung spürbar. Die soziologische Studie zum ökumenischen Alltag in deutschen Kirchengemeinden aus dem Jahr 2002 belegt das: „Ökumene als spezielles Anliegen scheint sich zu einem Generationenthema der heute über 50-Jährigen zu entwickeln. Für ökumenische Interessen, Motive und Aktivitäten fehlen der jüngeren Generation offensichtlich die generativen Themen und Herausforderungen.“96 Zugespitzt kann von einer zunehmenden Vergreisung der traditionellen interkonfessionellen Ökumene gesprochen werden, die mit einer zunehmenden Vergreisung eines dezidiert konfessionellen Christseins in Deutschland einhergeht. Die Notwendigkeit interkonfessioneller Verständigung interessiert neben den Fachtheologen lediglich diejenigen, deren eigene Biographie direkt von Spannungen der Kirchentrennung geprägt ist – und die Zahl derer nimmt ab. Das bedeutet nicht notwendig ein Ende der Ökumene, wohl aber, dass sich die Praxis der Ökumene und die Erwartungen an die Kirchen unter dem Einfluss des Wandels der Religion entscheidend geändert haben. In der ökumenischen Mentalität hat sich gegenüber den Anfangsphasen ein Generationenwechsel vollzogen.

4.2 Die Erosion der Voraussetzungen der bisherigen Ökumene Die Deinstitutionalisierung und Entkirchlichung der Religion in Deutschland hat auch für den ökumenischen Dialog im deutschen Kontext eine wichtige Bedeutung. Die konfessionellen Plausibilitäten und Bindungen schwinden zunehmend. Die individuelle Identifikation mit Lehre und Leben einer bestimmten Konfession verdankt sich weniger der Frage nach theologischer Wahrheit als vielmehr der jeweiligen Sozialisation sowie der Funktionalität einzelner Elemente einer Konfessionskirche für die Sinnstiftung im eigenen Lebensentwurf,97 die mit anderen religiösen Elementen kombiniert werden. Jeder einzelne ist diesbezüglich sein eigener „Ökumeniker“. Die Teilnahme an einem Gottesdienst verdankt sich – auch bei Kirchengliedern – nicht der Zugehörigkeit zu einer Konfessionskirche, die bestimmte Teilnahmeformen erwartet, sondern der relativen Autonomie des Einzelnen, der den Gottesdienstbesuch als persönliche Freiheitsentscheidung deutet.98 Wolfgang Steck bringt die Logik der Religions- und Kon-

96 97 98

Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 370. Vgl. auch Döring, Ökumene, 45. Vgl. Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 375.

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fessionskulturen der Gegenwart folgendermaßen auf den Punkt: „Indem die Religion ihrer allgemeinen Verbindlichkeit entkleidet und der Logik des pluralistischen Kulturmarktes unterstellt wird, mutiert die in sich kohärente Religionskultur zu einem disparaten Sortiment von Optionen, die von den Konsumenten nach ihrem Wert taxiert und angeeignet werden.“99 Karl-Fritz Daiber prognostizierte 1989, dass das Schwinden gesamtgesellschaftlicher Plausibilität christlicher Deutungsmuster die Konfessionen näher zusammenrücken lassen und die Gegensätze reduzieren würde.100 Daibers Vorhersage bewahrheitet sich gegenwärtig nur begrenzt. Etwa seit dem Jahr 2000 sind in den beiden Großkonfessionen neue Profilierungsbestrebungen bemerkbar, die auch als Antwort auf das Zusammenbrechen konfessioneller Plausibilitäten zu verstehen sind. Die relativ geringe Identifikation und Aneignung eines konfessionell bestimmten christlich-kirchlichen Sinnsystems unterläuft natürlich die ökumenisch-theologischen Verständigungsbemühungen, die ja konfessionell bestimmte Subjekte (und Kirchen) voraussetzen. Der evangelisch-katholische Dialog hat aus deutscher Perspektive gerade darin seine sachlichen Wurzeln und Voraussetzungen, dass sich zwei institutionell verfasste und theologisch mehr oder minder profilierte Großkonfessionen begegnen, die in ihrer Summe weitgehend mit der Bevölkerung des gemeinsam bewohnten Lebensraumes deckungsgleich sind. Diese Bedingungen sind in Folge der gesellschaftlichen Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts so nicht mehr gegeben. Wohl existieren noch die institutionell verfassten Kirchen, die auch – in unterschiedlichem Maß – Verbindlichkeiten für ihre Glieder formulieren und einfordern. Die Auflösung kirchlich-konfessionell geprägter Lebensmilieus und -muster sowie die zu Synkretismus tendierende Individualisierung der (christlichen) Religion in Deutschland unterlaufen jedoch die Grundbedingungen ökumenisch-theologischer Verständigung, die wesentlich von der Wahrheitsfrage bestimmt ist. Der Deinstitutionalisierung von Religion entspricht, dass das Gelingen von Ökumene in den Gemeinden wesentlich von persönlichen Beziehungen abhängt, vor allem zwischen den Geistlichen. Hinter diese Beziehungen treten theologische Sachaspekte und kontroverstheologische Fragen zurück. Die ökumenischen Beziehungen vor Ort sind in hohem Maße personenbezogen.101 Dem Selbstverständnis der Menschen folgend, ist Religion, auch als christliche, nicht mehr notwendig mit der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder Konfession verknüpft. Die Kirchen und Gemeinden sind damit in ihrem Bestand existenziell gefährdet. Die damit verbundenen finanziellen und personellen Engpässe der Kirchengemeinden veranlassen die Verantwortlichen,

99

Steck, Praktische Theologie I, 157. Vgl. Daiber, Fortdauer oder Ende, 16. 101 Vgl. Geller, Ökumene in Gemeinden, 6 f. 100

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die Priorität kirchlichen Handelns eher auf die Sicherung des eigenen Bestandes als auf die Ökumene setzen, gleichzeitig aber zu diesem Zweck ggf. die ökumenische Zusammenarbeit zu nutzen.102 Die „Krise der Ökumene“, wenn man so sagen will, ist nicht nur eine ökumenisch-theologische Krise, sondern spiegelt vor allem auch die je eigene kirchensoziologische Krise der Großkonfessionen.103

4.3 Die gemeinsame Aufgabe der Kirchen in der veränderten religiösen Situation in Deutschland Die beiden großen Kirchen stehen in der Gegenwart gemeinsam vor einer wachsenden missionarischen Herausforderung, die die bisher vorrangigen ökumenischen Aufgaben bezüglich einer theologisch fundierten Lehr-, Abendmahlsund Kirchengemeinschaft der getrennten Christen und Konfessionen vorübergehend ablöst (oder zumindest in die zweite Reihe der dringlichen Aufgaben der Kirchen setzt). Die Arbeit der bisherigen ökumenisch-theologischen Bemühungen ist damit nicht überflüssig oder überholt. Die gegenwärtig noch existenten trennenden Lehrdifferenzen begleiten das Miteinander der Kirchen weiterhin. Die gegenwärtige Ökumene in Deutschland kann außerdem bereits erste theologische Früchte ihrer eigenen Arbeit und Geschichte ernten. Protestantismus und Katholizismus kennen und vertrauen sich gut genug, um vieles gemeinsam zu tun, was vor 50 oder 100 Jahren in dieser Selbstverständlichkeit noch undenkbar war. In der Gegenwart jedoch geht es den Kirchen je für sich und gemeinsam darum, dem Christlichen überhaupt noch einen Ort, eine Stimme und einen Stellenwert in der Gesellschaft zu sichern. Und diese elementare Aufgabe können die getrennten Kirchen gemeinsam angehen, nämlich ein gemeinsames, elementarisiertes christliches Zeugnis in einer als spätchristlich-postkonfessionell zu bezeichnenden Gesellschaft zu geben, die die Kirchen braucht, um die Wurzeln ihrer selbst zu bewahren und um in ihrer unhintergehbaren Pluralität überlebensund lebensfähig zu bleiben.

5. Bedeutung und Konsequenzen der gesellschaftlichen und religiösen Situation in Deutschland für die Praxis ökumenischer Gottesdienste Die Veränderung der religiösen Landschaft in Deutschland wirkt auf den ersten Blick als negative Zukunftsprognose für das kirchlich verfasste Christentum in Deutschland sowie für die theologisch-interkonfessionelle Ökumene. Die bishe102 103

Vgl. dazu Hagmann, Zusammenarbeit, 256–260. Vgl. dazu auch Scherle, Fragliche Kirche, 15–17.

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rige Voraussetzung theologischer Ökumene, nämlich dass sich verschiedene selbstbewusste Konfessionen auf die gemeinsame kirchliche Einheit beziehen, entfällt unter den Bedingungen zunehmender Entkonfessionalisierung. Was bedeutet das für Praxis und Verständnis ökumenischer Gottesdienste? Sind auch ökumenische Gottesdienste in der Krise? Wenn ja: Worin genau besteht die Krise?

5.1 Krise der Praxis ökumenischer Gottesdienste? Unter dem Pontifikat Johannes Paul II. und seit der Ernennung von Josef Kardinal Ratzinger zum Vorsitzenden der Glaubenskongregation in Rom hat die römisch-katholische Kirche verstärkt die Identifizierung und Konformität der konfessionellen und ökumenischen Gottesdienstpraxis mit den kirchenrechtlichen Vorgaben eingefordert und kontrolliert. Dies wirkte und wirkt sich auf die Praxis ökumenischer Gottesdienste in den Ortsgemeinden meist bremsend und lähmend aus.104 „Da (. . .) gerade die gemeinsame Feier sakramentaler Gottesdienste in den Gemeinden als Indikator für eine ökumenische Haltung betrachtet wird, geht das Interesse an Ökumene deutlich zurück“, stellt Helmut Geller bezüglich einer umstrittenen Essener Eucharistiefeier für die dortigen ökumenischen Beziehungen fest.105 Ob sich eine offizielle Erlaubnis eucharistischer Gottesdienstgemeinschaft seitens der katholischen Kirche langfristig in wachsender Beteiligung an konfessionellen und ökumenischen Gottesdiensten niedergeschlagen hätte, erscheint mehr als fraglich. Die Prozesse der Entkonfessionalisierung und der Deinstitutionalisierung von Religion im spätchristlichen Deutschland106 könnten nun den Schluss nahe legen, dass auch die Praxis ökumenisch genannter interkonfessioneller Gottesdienste zunehmend hinfällig würde, wie ja auch die konfessionellen Gottesdienste sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Besucherzahl zurückgehen. Reinhard Thöle diagnostiziert eine Krise der Praxis ökumenischer Gottesdienste. Der ökumenische Gottesdienst sei zur zeitweise pflichtgemäß durchgeführten ungeliebten Kasualie erstarrt.107 Allerdings ist das Interesse an (ökumenischen) Gottesdiensten zu bestimmten 104 In Hagen-Helfe existiert ein ökumenisches Gemeindezentrum in einer zur Konzilszeit neu erbauten Trabantenstadt, in der eine lange und intensive Tradition ökumenischer Beziehungen besteht, nicht zuletzt auf liturgischem Gebiet. Dort wurde angesichts der unterschiedlichen Bewertung ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft in den beiden Kirchen als Kompromiss Interkommunion praktiziert, bis diese 1996 durch einen neuen (katholischen) Pfarrer aufgekündigt wurde, der die offiziellen römisch-katholischen Richtlinien wieder durchsetzte (Vgl. Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 85–88, 108, 365). 105 Geller/Pankoke/Gabriel, Ökumene, 161. 106 Zur „spätchristlichen“ Situation in Deutschland vgl. Friedrichs, Interreligiöses Gebet, 277 f. 107 Vgl. Thöle, Pflichtübung, 632 f.

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einmaligen oder auch sich wiederholenden gesellschaftlichen Anlässen geblieben, wenn nicht sogar gestiegen.108 Nicht nur die nach wie vor große Resonanz der konfessionellen Weihnachtsgottesdienste belegt dies.109 Als Beispiele seien die zahlreichen ökumenischen Gottesdienste in Deutschland rund um den 11. September 2001 und zur Tsunami-Katastrophe in Südostasien an Weihnachten 2004, aber auch der Gottesdienst zur Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft 2006 in München oder die Gottesdienste zum Tag der deutschen Einheit genannt. Es handelt sich hierbei hauptsächlich um besondere Anlässe, die nicht vom Kirchenjahr oder vom liturgischen Wochenrhythmus, sondern vom zivilbürgerlich-gesellschaftlichen Zusammenleben von Menschen vorgegeben sind. Ökumenische Gottesdienste sind keineswegs von den Entkirchlichungsprozessen überholt oder gar von den römisch-katholischen und anderen kritischen Positionen zur Ökumene zum Erliegen gebracht. Sie finden jedoch im Rahmen einer deutlich veränderten Kirchen-, Gottesdienst- und Religionskultur statt, in der eine dezidiert konfessionelle Kirchlichkeit seitens der Kirchenglieder im Schwinden begriffen ist und sich eine hochgradigst individualisierte und privatisierte Religiosität etabliert. Zuzustimmen ist Reinhard Thöle in jedem Fall darin, dass die Praxis ökumenischer Gottesdienste seit den 60er Jahren in ein neues Stadium getreten ist. Ökumenische Gottesdienste haben ihren ehemaligen Sensationscharakter verloren; sie haben sich, wo sie stattfinden, zur Routine in den Jahres- und Lebenszyklen der Kirchengemeinden entwickelt. Die Besucherzahlen ökumenischer Gottesdienste stagnieren dort, wo die Praxis, gemeinsam Gottesdienst zu feiern, stärker binnenkirchlich institutionalisiert ist, etwa beim Weltgebetstag der Frauen und in der Gebetswoche zur Einheit der Christen. Die Beliebtheit ökumenischer Gottesdienste in Form von hohen Besucherzahlen zeigt sich dort, wo, wie eben ausgeführt, einmalige Anlässe mit allgemeingesellschaftlichem Bezug begangen werden, die vor allem durch die medialen Inszenierungen emotionale Betroffenheit auslösen. Von einer „Erstarrung“ der Praxis ökumenischer Gottesdienste zu reden, wie Thöle dies tut,110 ist nur bedingt zutreffend. Vielmehr partizipieren die ökumenischen Gottesdienste an der gegenwärtigen Situation der Gottesdienstkultur der Kirchengemeinden überhaupt und spiegeln die spezifische Rolle von kirchlich verfasster Religion in der Gesellschaft wider. Dass sich die neueren kirchen-

108

Vgl. auch Huber, Ökumene der Profile, 403. Man wird überlegen müssen, inwiefern der Heilige Abend tatsächlich primär ein kirchliches Fest ist und ob etwa die Heiligabendgottesdienste nicht auch als zivilbürgerliche Kasualien gelten können. Weihnachten wird heute nicht primär von der Kirche, sondern von der Gesellschaft inszeniert. 110 Vgl. Thöle, Pflichtübung, 632. 109

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offiziellen Verlautbarungen zur Ökumene sicherlich nicht belebend und motivierend auf die Praxis auswirken, ist von Thöle zweifellos richtig gesehen. Auf die regelmäßigen ökumenischen Gottesdienste wirkt sich darüber hinaus aus, dass das Kirchgangsverhalten bei den konfessionellen Gottesdiensten im Großen und Ganzen rückläufige Tendenzen hat. Ökumenische Gottesdienste mit dezidiertem Kasualiencharakter (zu öffentlich relevanten Ereignissen) füllen jedoch große Kirchen mit Menschen unterschiedlich ausgeprägter Kirchlichkeit und Religiosität. Jede Krisenrhetorik hat dies zu berücksichtigen und entsprechend zu differenzieren.

5.2 Ökumenische Gottesdienste als gemeinsame Kontingenzbewältigung der religiös pluralen Gesellschaft Die Anlässe für ökumenische Gottesdienste lassen sich mit Hermann Lübbe auch als Kontingenzerfahrungen einer Gesellschaft umschreiben, die nach Bewältigung im Sinne von Anerkennung verlangen.111 Die Religion hört im Zeichen der Entkonfessionalisierung und Deinstitutionalisierung nicht auf, zu existieren, sondern sie sucht sich autonom neue individuelle Formen. Lübbe zeigt, dass Religion als anthropologische Universale prinzipiell aufklärungsresistent ist und durch nichts anderes als durch Religion ersetzt werden kann. Analog dazu kann auch über den für die theologische Ökumene bedeutsamen Entkonfessionalierungsprozess gesagt werden, dass sich dieser „zu den Bedingungen der Nötigkeit religiöser Kultur prinzipiell indifferent verhält“.112 Religion, so Lübbe, hat es mit denjenigen Kontingenzen zu tun, die sich unter keinen Umständen in Handlungssinn transformieren lassen.113 „In der die Daseinskontingenz vergegenwärtigenden Frage, wieso wir überhaupt sind und nicht vielmehr nicht sind, ist selbstverständlich die ganze Fülle der Lebenstatsachen einzuschließen, die, statt Resultat selbstverantworteter Sinnstiftungsakte zu sein, ganz unabhängig von unseren Stiftungsverfügungen unhintergehbare Elemente unserer Identität bereits festgelegt haben.“114 Ökumenische Gottesdienste finden vielfach zu solchen Anlässen statt, an denen sich die religiös plurale Gesellschaft der Kontingenz ihres eigenen Seins und des Seins ihrer einzelnen Mitglieder bewusst wird. So sind in der Gegenwart neben dem Abbruch konfessioneller Traditionen die religionsproduktiven Tendenzen unübersehbar.115 Ist der ökumenische Gottesdienst ein adäquates Korrelat zu einer religiös ak111 112 113 114 115

Vgl. dazu Lübbe, Religion, 144–178. Lübbe, Religion, 131. Vgl. Lübbe, Religion, 154. Lübbe, Religion, 159. Vgl. z. B. Gabriel, Christentum, 157–163.

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tiven pluralen und vielspältigen Gesellschaft? Mit dem katholischen Systematiker Hans-Joachim Höhn müssen „theologische Beobachter einer Wiederkehr des Religiösen diesseits und jenseits der Kirchen (. . .) zugeben, dass es sich bei den verschiedenen Formen disperser Religiosität vielfach um eine dogmatisch ‚entkernte‘ Spiritualität und um die ‚Light-Versionen‘ eines religiösen Ethos handelt. Für das Christentum ist die dogmatisch ‚deregulierte‘ diakonisch passive, politisch enthaltsame und ethisch weitgehend anspruchslose ‚Individualreligion‘ nur in sehr engen Grenzen ein mögliches Vorbild.“116 Der ökumenische Gottesdienst als Korrelat zur religiös pluralistischen Gesellschaft birgt offensichtlich eine spezifische Gefahr, die das nächste Beispiel gut veranschaulicht. Als zum Absturz der Concorde im Jahr 2000 auf Anregung staatlicher Stellen im Kölner Dom ein ökumenischer Gottesdienst stattfand, wurde, so Höhn, von den Vertretern der Kirchen „beim Reden über Leiden und Tod dogmatische Diskretion verlangt. Es wurde stärker auf den Trost menschlicher Nähe und Solidarität gesetzt als die christliche Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod genährt.“117 Die gesellschaftliche Erwartung, dass der ökumenische Gottesdienst niederschwellig bei der Kontingenzbewältigung helfen soll, illustriert ein drittes Beispiel, dokumentiert von Winfried Haunerland: „Nach dem schweren Seilbahnunglück von Kaprun im November 2000 entzündete sich bekanntlich eine große Kontroverse, was denn in dieser Stunde gefeiert werden soll. Als der damalige Erzbischof von Salzburg sich für eine Messfeier entschied, nahm er faktisch nicht genug ernst, dass die Bitte aus Politik und Gesellschaft auf einen Trauergottesdienst zielte, der einer zutiefst getroffenen Öffentlichkeit einen Ort der Klage und des Trostes geben sollte. In einer Stunde, in der gerade das Verbindende hätte betont werden müssen, wurde der Gottesdienst zu einem Ort der Unterscheidung und der Ausgrenzung. Viele hatten seinerzeit den Eindruck, dass ein ökumenischer Gottesdienst die angemessene Form gottesdienstlichen Feierns gewesen wäre. Vermutlich müssen wir in Zukunft davon ausgehen, dass sich häufiger noch die Frage nach einer multireligiösen Feier stellen wird.“118 Der ökumenische Gottesdienst in der Perspektive der gegenwärtigen Gesellschaft hat die Aufgabe, das religiöse Vakuum der Gesellschaft, das zu bestimmten Anlässen nach einer gemeinsamen und verbindenden Religion verlangt, vorübergehend119 dezidiert christlich-liturgisch zu füllen. In der Kontingenzbewältigung liegt auch die Gestaltungsaufgabe des ökumenischen Gottesdienstes.

116

Höhn, Postsäkular, 52. Höhn, Postsäkular, 146. 118 Haunerland, Erwartungen, 57 f. 119 Der ökumenische Gottesdienst hat aus zweierlei Gründen den Charakter des Vorübergehenden: Erstens gibt es nicht die christliche, „ökumenische“ Religion, sondern nur verschiedene Konfessionskirchen, die den ökumenischen Gottesdienst verantworten und gestalten. Zweitens ist der öku117

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Bedeutung und Konsequenzen der gesellschaftlichen und religiösen Situation

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Ökumenische Gottesdienste haben offensichtlich eine besondere Affinität zur gegenwärtigen Religionskultur. Darin liegt ihre besondere missionarische Chance, nämlich Menschen verschiedenster konfessioneller und religiöser Prägung mit pastoralem Gespür für die Atmosphäre und den Anlass in den Dialog des dreieinen Gottes mit seinem Volk hineinzunehmen und dadurch Menschen an den christlichen Glauben heranzuführen und für das Christentum zu gewinnen bzw. sie in ihrem Glauben zu stärken. In dieser Affinität zur gegenwärtigen Religiosität liegt jedoch auch die Gefahr, dass ökumenische Gottesdienste zum Exponenten und Vehikel einer religiös diffusen und unbestimmten Gesellschaft werden. Die Gestaltung ökumenischer Gottesdienste wird damit zu einer liturgischen und homiletischen Gratwanderung zwischen den religiösen Voraussetzungen und Anknüpfungspunkten seitens der Teilnehmenden einerseits und dem dezidiert christlich-kirchlichen Charakter des Gottesdienstes andererseits.

5.3 Ökumenische Gottesdienste als typische Phänomene gegenwärtiger Religionskultur Die Praxis ökumenischer Gottesdienste setzt voraus, dass in einem bestimmten Lebensraum (oikoumene ge, die bewohnte Erde) Menschen unterschiedlicher Konfession zusammenleben, sodass von einem religiös-konfessionellen Pluralismus als „Konkurrenz unterschiedlicher Religionen in einer Gesellschaft“ zu sprechen ist.120 Die Praxis der ökumenischen Gottesdienste ist somit Spiegel einer religiös-konfessionell und kulturell pluralistischen Gesellschaft und zugleich deren Protest gegen Segmentierung und Verabsolutierung einzelner konfessioneller und sozialer Milieus. Ökumenische Gottesdienste sind damit auch Kennzeichen der Verstädterung eines Lebensraumes. „Weltweit werden in der zweiten Hälfte des 20. Jh. die Großstadtkulturen zunehmend durch eine multikulturelle und multireligiöse Situation geprägt. In der multikulturellen und multireligiösen Situation wird Kulturkontakt und Religionsbegegnung zur Erfahrung innerhalb der eigenen Gesellschaft“.121 Die soziale Relevanz wird deutlich, wenn die kulturelle und ethnische Vielfalt eines Lebensraumes in einer ökumenischen Feier personal und liturgisch sichtbar repräsentiert wird und die liturgische Feier in alltagsweltliche ökumenische Kontakte eingebettet ist. Die religiös-konfessionelle Pluralität kommt wesentlich darin zum Ausdruck,

menische Gottesdienst in der Regel nicht auf Wiederholung angelegt. Mit dem Vorübergehen des Anlasses wird auch das Vakuum einer gemeinsamen Religion nicht mehr als Mangel empfunden und so erledigt sich auch der ökumenische Gottesdienst. Man kann im ökumenischen Gottesdienst praktizierender Kirchenchrist auf Zeit und bei Bedarf sein. 120 Schwöbel, Art. Pluralismus, 730. 121 Schwöbel, Art. Pluralismus, 730.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

dass Amtsträger verschiedener Konfession – und in ihrer Verschiedenheit auch an den liturgischen Gewändern erkennbar – diesen Gottesdienst verantworten. Der konfessionelle Plural begrenzt die Alleinvertretungsansprüche der vertretenen Traditionen, womit dem postmodernen Verdacht gegen alle umfassenden Theoriegebäude und Metaerzählungen nolens volens Rechnung getragen wird.122 Der Kasualienstatus des ökumenischen Gottesdienstes verlangt von den Mitfeiernden keine dauerhafte institutionelle Bindung über den konkreten Anlass hinaus, zumal der ekklesiologische Status des ökumenischen Gottesdienstes ohnehin dogmatisch strittig ist. Der ökumenische Gottesdienst ist das Angebot eines religiösen Konsenses in einer religiös pluralen Gesellschaft zu einem besonderen Anlass, der den Einzelnen bewegt und zugleich überindividuell-gesellschaftlich bedeutend ist. Somit ist der ökumenische Gottesdienst Hilfestellung zur Bewältigung und Verarbeitung von gemeinsam erlebten Kontingenzen. Die Kirchen in ihrer wechselseitigen Selbstbegrenzung treten damit vorübergehend in das Vakuum ein, das diejenige christliche Konfession hinterlassen hat, die einst das christlich-konfessionelle Deutemonopol vor Ort hatte. Dies drückt sich darin aus, dass ökumenische Gottesdienste meist in den repräsentativen Kirchen der ehemals führenden Konfession stattfinden.

6. Zwei Außenperspektiven auf die Ökumene in Deutschland und die ökumenischen Gottesdienste 6.1 Ökumenische Gottesdienste als Koinzidenz der konfessionsspezifischen Sozialformen (Edgar Wunder) Der Religionsgeograph Edgar Wunder geht für seine Analyse der Religion von der Säkularisierungsthese aus, ohne jedoch die – bei Theologen verbreiteten – tendenziell negativen Untertöne zu übernehmen. Säkularisierung bedeutet nach Wunder lediglich „die Transformation von Religion unter den Bedingungen der Moderne“.123 Nach Wunder entstehen unter den sozialen und religiösen Bedingungen in einer postkonfessionellen, aber eben nicht postreligiösen Gesellschaft neue Sozialformen von Religion als „Output von Säkularisierung“,124 die er in die vier Typen Sozialreligion, Fundamentalismus, Weber-Troeltsch-Gesellschaft und nichtinstitutionalisierte Religion125 untergliedert: „Mit dem Begriff ‚Sozialreligion‘ 122 123 124 125

Vgl. hierzu Grözinger, Kirche, 23–29. Wunder, Religion, 85. Vgl. Wunder, Religion, 128–130. Wunder benutzt diesen von ihm konstruierten Begriff, um das auszusagen, was Weber und

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Zwei Außenperspektiven

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wird die Umfunktionierung der religiös entkernten kirchlichen Bürokratien zu karitativ-diakonischen Fürsorgeunternehmen (mittels staatlicher Unterstützung) sowie Dienstleistungsanbietern für Familienfeste und Passageriten verstanden. ‚Fundamentalismus‘ bezeichnet einen reflexiv gewordenen, also bewusst gewählten religiösen Traditionalismus, der in seinem ambivalenten Verhältnis zur Moderne insofern steht, als er sie einerseits zur Voraussetzung hat, sie andererseits gerne überwinden würde. Der Begriff der ‚Weber-Troeltsch-Gemeinschaft‘ bezieht sich auf den von Max Weber und Ernst Troeltsch eingeführten Idealtypus der ‚Sekte‘. Als vermutlich bedeutsamster religiöser Output von Säkularisierung dürften allerdings diffuse Formen der Religion unterhalb der Institutionenschwelle zu gelten haben.“126 Die von Edgar Wunder für die postkonfessionelle Gesellschaft prognostizierten Sozialformen der Religion sind für das gegenwärtige Selbstverständnis der Konfessionen sowie das ökumenische Miteinander, Zueinander und oft auch Gegeneinander in Lehre und Praxis sehr aufschlussreich. Nimmt man aus Wunders Sozialformen die vierte, nämlich die der nicht institutionalisierten Religion heraus, so lassen sich die drei anderen zu je einer der drei klassischen Funktionen der Kirche in Beziehung setzen. Der diakonia entspricht die Sozialreligion, der martyria entspricht der Fundamentalismus, der liturgia entspricht (am ehesten) die Weber-Troeltsch-Gemeinschaft als einem Idealtypus einer religiösen Gemeinschaft, auf den ich später noch weiter eingehe. Es zeigt sich, dass die drei klassischen Funktionen der Kirche in Wunders Modell in der postkonfessionellen Epoche in unterschiedliche Formen diffundiert sind. Sicherlich kann man diese Sozialformen ebenso wenig klar voneinander abtrennen, wie sich matyria, liturgia und diakonia völlig voneinander separieren lassen. Es gibt jedoch Schwerpunktbildungen und Aufgabenverteilungen innerhalb der bundesdeutschen Ökumene: Der deutsche landeskirchliche Protestantismus feiert natürlich auch Gottesdienste, stellt sich aber gegenwärtig vor allem als Sozialreligion dar, die für diakonische karitative Fürsorge und Passageriten zuständig ist. Dieses sozialreligiöse Verständnis wird wissenschaftlich von denjenigen Zweigen der Theologie unterfüttert, die kulturhermeneutische Einsichten zum leitenden Maßstab von Theologie und Praxis erheben und den Protestantismus als Bildungs- und Wertereligion profilieren. Der Katholizismus erfüllt auch die volkskirchlichen Erwartungen einer Sozialreligion. Allerdings bemüht er sich gegenwärtig, vor allem sein martyrologisches und liturgisches Profil zur Geltung zu bringen, wie die Erklärung „Dominus Iesus“ (2000) oder die Eucharistie-Enzyklika (2003) zeigen, die durchaus

Troeltsch mit dem Sektenbegriff meinten, ohne jedoch die pejorativen Konnotationen beizubehalten, die der Sektenbegriff im deutschen Sprachgebrauch in der Zeit nach Weber und Troeltsch an sich gezogen hat (vgl. Wunder, Religion, 134). 126 Wunder, Religion, 188 f; ausführlich: 128–144.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

auch im Sinne Wunders als antimoderne, fundamentalistische Dokumente gelesen werden können. Damit steht in Deutschland ein eher sozialreligiös orientierter Protestantismus neben einem eher theologisch-liturgisch orientierten Katholizismus. Hierin bestehen – außenperspektivisch! – die spezifischen Profile der Konfessionen. Das Anliegen eines (gemeinsamen) Gottesdienstes betrifft damit vor allem zunächst den Katholizismus in seinem spezifischen Kernprofil,127 während der Protestantismus sein Profil in der diakonia an der Lebensdeutungsarbeit der Einzelnen sieht. Ein gemeinsamer Gottesdienst ist in dieser (nichttheologischen) Sichtweise dann ein gemeinsames Anliegen, wenn die – außenperspektivisch erhobenen – konfessionellen Profile zusammenfallen.128 Das heißt: Ökumenischer Gottesdienst ist wirklich dann ein gemeinsames Anliegen, wenn er diakonischer Kasualgottesdienst ist.129

127 Dies ist auch der Grund, warum der Katholizismus hinsichtlich ökumenischer Gottesdienste deutliche strengere Auflagen hat als der Protestantismus. Hier geht es um seine Identität, während sich der herkömmliche deutsche landeskirchliche Protestantismus bislang nicht unbedingt primär über sein liturgisches Leben verstanden hat. 128 Es sei zu den Profilen kurz angemerkt, dass sie Schwerpunkte des gegenwärtigen kirchlichen Ist-Zustandes spiegeln, der der Dogmatik wie dem kirchlichen Handeln als Hinweis auf die je defizitär verwirklichte Katholizität zu gelten hat. 129 Zunächst ist zu den Postkonfessionalisierungsthesen zu bemerken, dass es sich um eine soziologische Perspektive handelt, die die Wirklichkeit der Kirche außenperspektivisch wahrnimmt unter Anwendung eines dezidiert nichttheologischen Religionsbegriffs, der unter (systematisch- oder praktisch-)theologischen Bedingungen lediglich einen (Unter-)Aspekt von Religion im eigentlichen Sinn darstellen kann. Sosehr Wunders Thesen zur Transformation von Religion unter den Bedingungen von Entkonfessionalisierung und Säkularisierung interessant sind und als außenperspektivische, nichttheologische Einsichten überzeugen können, bleiben sie eben doch außenperspektivisch und übersehen, dass auch die Konfessionskirchen selbst Gegenstand einer Transformation sind und keineswegs – außen- wie binnenperspektivisch – mit dem Bild übereinstimmen, das Wunder von ihnen zeichnet. Das zeigt sich eklatant im empirischen Teil von Wunders Untersuchung. In seiner Fragebogenstudie meint Wunder, das eschatologische Proprium der Kirchen mit folgender Aussage erfassen zu können: „Dieses (sc. Leben nach dem Tod) besteht aus Himmel, Hölle und der Sündenvergebung, weil Jesus Christus für uns gestorben ist.“ (Wunder, Religion, 306) Dass hierin wesentliche Elemente der christlich-kirchlichen Eschatologie angesprochen sind, ist richtig. Dass dies die einzige und vollständige Weise ist, wie die eschatologische Dimension des Glaubens der Kirchen formuliert werden kann und muss, wird niemand aus den konfessionellen Traditionen behaupten.

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Zwei Außenperspektiven

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6.2 Ökumenische Gottesdienste als gemeinsames Produkt der Kirchen im Wettbewerb auf dem religiösen Markt (Friedrich Wilhelm Graf) Die Situation der Religion in der Gegenwart lässt sich gut mit Metaphern des Marktes erschließen. Edgar Wunder spricht von der „Nundinorisierung“130 der Religion, die aus der Pluralisierung der Religion resultiert. Der Marktcharakter der Religion wurde und wird v. a. von amerikanischen Soziologen betont. Friedrich Wilhelm Graf macht sich in einem Aufsatz die Rational-ChoiceTheorie zu eigen und untersucht aus diesem Blickwinkel die Situation von Religion und Ökumene in der Gegenwart.131 Er bezieht sich dabei vor allem auf Peter L. Bergers Analyse der religiösen Situation in den USA aus dem Jahr 1963.132 Die Kirchen, so Graf, sind Agenten auf dem Markt der Religion und bieten vielfältige Produkte und Dienstleistungen an. Die verschiedenen Anbieter konkurrieren miteinander auf dem Religionsmarkt. Dadurch entsteht ein erhöhter Bedarf an Identitätsrepräsentation und corporate identity. Die römische Kirche, insbesondere in Gestalt von Joseph Ratzinger, setzt der Vielfalt von religiösen Anbietern den Monopolanspruch der – ohnehin ökonomisch unvergleichlich stärkeren – römischen Kirche auf dem Religionsmarkt entgegen. Nur die römischen Produkte sind die wahren Produkte. Dem gegenwärtigen Protestantismus hingegen gelingt es kaum noch, eine spezifische corporate identity deutlich zu machen. Die beiden Kirchen verhalten sich asymmetrisch zueinander, weil Rom ein global player mit einer starken Marktstrategie ist. Interkonfessionelle Ökumene ist in dieser Sichtweise ein insgesamt un-, ja für den eigenen Fortbestand kontraproduktives Verhalten. Soweit Grafs Skizze der Ökumene aus religionsökonomischer Perspektive. Das Programm einer „Ökumene der Profile“ (Wolfgang Huber) nimmt der Sache nach den religionsökonomischen Ansatz auf.133

130 Wunder, Religion, 109–111. Wunder führt diesen neuen Begriff ein, um den Prozesscharakter der zunehmenden Marktförmigwerdung der Religion zu betonen. 131 Vgl. Graf, Ökumenische Selbstaufhebung. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diesen Aufsatz von Graf. Zur fundierten Kritik am religionsökonomischen Ansatz vgl. Wunder, Religion, 167–169, 272–274. 132 Vgl. Peter L. Berger, A Market Model for the Analysis of Ecumenicity, Social Research. An International Quaterly of Political and Social Science 30, 1963, 77–93. 133 „Es gibt nach meiner Wahrnehmung keine Kirche, keine Konfession, kein kirchliches Werk und keine Gemeinde, die nicht aufgrund einer schwieriger gewordenen kirchlichen Situation in unserer Gesellschaft mit einer Profilierung des je Eigenen antwortet. Das ist theologisch und ekklesiologisch eine außerordentlich sinnvolle Reaktion. Denn der Verlust an selbstverständlicher gesellschaftlicher Relevanz, die finanziellen Einbrüche und die neuen missionarischen Herausforderungen führen unvermeidlich und Gott sei Dank dazu, dass wir das je Spezifische, das je eigene Profil, das sog. Alleinstellungsmerkmal betonen. Unsere Kirchen müssen sich in unserer Zeit erkennbarer, sichtbarer und damit wählbarer machen, sie müssen mit der Herausarbeitung ihres Profils das Licht auf den Scheffel stellen.“ (Huber, Ökumene der Profile, 405 f) Bischof Huber hat diesen Begriff in einer Rede vor Papst Benedikt XVI. beim Weltjugendtag in Köln 2005 bekannt gemacht. Die Rede von der

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

Der ökumenische Gottesdienst auf dem religiösen Markt der Gegenwart ist damit ein Produkt von Konkurrenten, die vorübergehend ein Arbeitsbündnis eingehen und eine einzelne Ware gemeinsam herstellen. Wie kommt es dazu? Warum bietet hier nicht die römische Kirche allein ein gottesdienstliches Angebot an unter dezidiertem Ausschluss der nicht römischkatholischen Gemeinschaften? Offensichtlich deshalb, weil die Marktperspektive ein Element integrieren muss, welches das herkömmliche Marktbild – teilweise – sprengt: Wie exemplarisch an Edgar Wunders Analyse der Religion in der postkonfessionellen Gesellschaft deutlich wird, findet die Religion im Rahmen ihrer neuzeitlichen Individualisierung und Privatisierung ihre neue Basis im Subjekt und ist nicht mehr ausschließlich und primär im Gemeinschaftshandeln verankert.134 Das bedeutet religionsökonomisch, dass zwar die gewünschten religiösen Produkte nicht mehr notwendig mit bestimmten konkreten Anbietern, nämlich religiösen Organisationen und Institutionen korrelieren müssen. Das wiederum heißt, dass die Konkurrenten auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten nicht mehr in jedem Fall eindeutig identifizierbar sind (z. B. im Fall der Astrologie). Ökumene bzw. ökumenischer Gottesdienst bedeutet dann, dass diejenigen Konkurrenten, die ein ähnliches (oder gleiches) Produkt anbieten und sich nur in Namen und Verpackung unterscheiden, dieses gleiche Produkt punktuell gemeinsam anbieten, um auf dem Markt gemeinsam auf ihr Produkt aufmerksam zu machen und so die Kunden über das Produkt auch wieder an ihre jeweilige Firma heranführen. Gemeinsame Gottesdienste als punktuelle und kasuelle Veranstaltungen drücken die Verlegenheit der eigentlich miteinander konkurrierenden Anbieter aus, dass sie sich neuen Konkurrenten gegenübersehen, mit denen sie nicht konkurrieren können (nämlich die Religion ohne institutionalisierten Gemeinschaftsbezug). Worin besteht die Gemeinsamkeit der Konkurrenten bzw. ihres Produktes? Offensichtlich im Festhalten an der prinzipiell gemeinschaftlichen Verfassung ihres Produktes im Gegensatz zur nicht institutionell greifbaren Religiosität. Die religionsökonomische Sicht erschließt gut den gegenwärtigen Stand der Ökumene und das Ringen der Kirchen miteinander und umeinander. Wichtig ist, wie Graf selbst deutlich macht,135 dass es sich auch hierbei um eine nichttheologische Außenperspektive handelt, die die Theologie eben nur soviel orientieren kann, wie Außenansichten dies überhaupt können.

„Ökumene der Profile“ war aber schon lange vor Huber vorbereitet. Schon seit Beginn der 90er Jahre sind neue Profilierungsbestrebungen in den Konfessionen zu verzeichnen (vgl. Döring, Ökumene, 38; Raiser, Profil, 90–92). 134 Vgl. Wunder, Religion, 117. 135 Vgl. Graf, Ökumenische Selbstaufhebung, 187.

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Die liturgische Ökumenisierung

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7. Die liturgische Ökumenisierung der konfessionellen Gottesdienste Stand bisher bei der Bestandsaufnahme vor allem die Frage nach der Konfessionszugehörigkeit der mitfeiernden Personen im Vordergrund, so wird jetzt die liturgische Gestalt der konfessionellen und ökumenischen Gottesdienste fokussiert.

7.1 Liturgischer Austausch zwischen den getrennten Konfessionen Neben den vielfältigen ökumenischen Gottesdiensten, die sich vor allem im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts institutionalisiert haben, ist im selben Zeitraum auch ein verstärkter liturgischer Ökumenisierungsprozess innerhalb der konfessionellen Gottesdienste zu beobachten, der sich zahlreicher wechselseitiger liturgischer Austauschbeziehungen verdankt. Liturgische Ökumenisierung bedeutet, dass in den konfessionellen Gottesdiensten bewusst (manchmal auch unbewusst) liturgische Elemente anderer liturgischer Traditionen rezipiert werden, die für die gegenwärtige eigene Gottesdienstpraxis als ggf. zunächst fremdartiger, aber sachlich dem eigenen Bekenntnis gemäßer Ausdruck des Evangeliums gelten können. Frieder Schulz hat 1997 der evangelischen Gottesdienstpraxis und -reform eine „vielschichtige simultane Rezeption“136 von Elementen der katholischen Liturgie, teils durch die primäre und sekundäre Aneignung, teils durch den ökumenischen Austausch mit den englischsprachigen Kirchen, teils durch Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln im Judentum und der Alten Kirche attestiert.137 Schulz schließt mit den Worten: „So ist also im deutschen Sprachraum durchaus ein ökumenisches Geben und Nehmen in Gang gekommen“.138 Die in jüngster Zeit eingeführten Agenden bestätigen dies. Das „Evangelische Gottesdienstbuch“ (EGb) aus dem Jahr 2000 etwa sieht den evangelischen Gottesdienst „in einem lebendigen Zusammenhang mit den Gottesdiensten der anderen Kirchen in der Ökumene“139 und bringt dies in der vielfältigen Aufnahme liturgischer Texte und Elemente aus der Ökumene zum Ausdruck. Ein ähnliches Bewusstsein ist im 1995 in Kraft gesetzten altkatholischen Eucharistiebuch zu beobachten. Am deutlichsten lässt sich diese liturgische Osmose an den offiziellen Gesang-

136

Schulz, Gottesdienstreform, 217. Vgl. Schulz, Gottesdienstreform, bes. 216–218. Zum Einfluss der Ökumene auf den Entstehungsprozess des Evangelischen Gottesdienstbuches hinsichtlich der Rezeption von Eucharistiegebeten vgl. Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Der Beitrag der Ökumene zur Erneuerten Agende in Deutschland. Dargestellt am Eucharistiegebet, LJ 47, 1997, 89–98. 138 Schulz, Gottesdienstreform, 219; dazu insgesamt auch Bürki, Bedeutung. 139 EGb, 15. 137

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

büchern der deutschsprachigen Kirchen zeigen, die die gottesdienstliche Singpraxis maßgeblich bestimmen.

7.2 Die ö-Lieder Bereits seit Beginn der Konfessionalisierung von römischem Katholizismus und den Kirchen der Reformation wurden Lieder ausgetauscht. Bisweilen „kleideten die konfessionellen Lieddichter die eigene Botschaft in beliebte Melodien des religiösen Gegners“.140 Immer wieder überschritten einzelne Lieder ihre konfessionellen Ursprungsgrenzen, sodass sich in einer Art „geheimen Ökumene“ im Laufe der Jahrhunderte ein überraschend umfangreicher Bestand gemeinsam gesungener Lieder entwickelte.141 Die „Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut“ (AÖL), die 1969 von den christlichen Kirchen des deutschen Sprachraums ins Leben gerufen wurde, schuf einen ersten Kanon von 102 ökumenischen Liedern, die 1973 in dem Liederheft „Gemeinsame Kirchenlieder. Gesänge der deutschsprachigen Christenheit“142 (GKL) veröffentlicht wurden.143 Dieses Liederheft stellt, wie der Hymnologe Heinrich Riehm feststellt, „ein kirchengeschichtliches Ereignis von hohem Rang“ dar, „ist es doch das erste offizielle Dokument seit der Reformationszeit, das die Unterschriften der Repräsentanten der christlichen Kirchen im deutschen Sprachraum trägt“.144 1978 kamen die „Gesänge zur Bestattung“ mit 52 Liedern und Gebeten dazu und 1983 das Kinderliederbuch „Leuchte, bunter Regenbogen“ mit 301 Nummern.145 So waren Sammlungen von insgesamt 530 ö-Liedern entstanden, die in zahlreiche konfessionelle Gesangbücher aufgenommen wurden.146

140

Kneitschel, Hoffnungszeichen, 16. Vgl. Kneitschel, Hoffnungszeichen, 15–24. 142 Gemeinsame Kirchenlieder. Gesänge der deutschsprachigen Christenheit, hg. im Auftrag der christlichen Kirchen des deutschen Sprachbereichs von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut, Berlin/Wien/Graz/Zürich/Solothurn 1973. 143 Zur Geschichte und Arbeit der AÖL vgl. Riehm, Lieder, 157–159; Klöckener, Bericht. 144 Riehm, Lieder, 158. 145 Gesänge zur Bestattung. Gemeinsame Kirchenlieder und Gebete der deutschsprachigen Christenheit, hg. im Auftrag der christlichen Kirchen des deutschen Sprachbereichs von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut, Berlin/Regensburg/Wien/Graz/Zürich/Solothurn 1978. Leuchte, bunter Regenbogen. Gemeinsame geistliche Kinderlieder der deutschsprachigen Christenheit, hg. im Auftrag der christlichen Kirchen des deutschen Sprachbereichs von der Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut, Berlin/Regensburg/Wien/Graz/Zürich/Solothurn 1973. 146 Zur Sammlung und Rezeption dieser Lieder in den Gesangbüchern bis 1995 vgl. Kneitschel, Hoffnungszeichen, 139–141, bes. 169–182. 141

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Die liturgische Ökumenisierung

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7.3 Die Gesangbücher seit 1975 Nahezu jede Konfessionskirche im deutschsprachigen Raum hat im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ein neues Gesangbuch herausgegeben, das je auf seine Weise die Singpraxis ökumenischer Lieder in der eigenen Konfession sowohl zu bezeugen als auch zu fördern versucht. Am Anfang der gezielt ökumenisch ausgerichteten Kirchengesangbücher steht das 1975 entstandene römisch-katholische „Gotteslob“ (GL). Das GL hat 87 ö-Lieder übernommen, ebenso das 1986 veröffentlichte altkatholische Gesangbuch „Lobt Gott, ihr Christen“. Als erstes konfessionell-kirchliches Gesangbuch deutscher Sprache mit bewusst ökumenischer Ausrichtung sah sich das GL vor allem der evangelischen Christenheit gegenüber und nahm nicht nur zahlreiche Lieder, sondern auch theologische Impulse der reformatorischen Kirchen in der Bearbeitung der eigenen Lieder konstruktiv auf.147 Die Eigentraditionen der Ostkirchen, der Anglikaner und der freikirchlich-charismatischen Milieus blieben damals noch unberücksichtigt. Obgleich sich das GL bei seiner Wahrnehmung interkonfessioneller Bezüge vor allem auf die evangelische Christenheit beschränkte, konnte es zu seiner Erscheinungszeit mit Recht als konfessionelles Gesangbuch mit ökumenisch verantwortetem Profil gelten. Mit der Einführung des neuen Evangelischen Gesangbuches (EG) 1993 ist die Gesangbuchökumenizität im deutschsprachigen Raum in ein neues Stadium getreten. Liturgisch gestaltete Ökumenizität im evangelischen Gottesdienst kann sich im EG nicht nur der ö-Lieder,148 sondern auch vieler Lieder und Gesänge bedienen, die nach Text und/oder Melodie aus anderen Ländern und Konfessionen – etwa der ostkirchlichen und anglikanischen Tradition und auch aus dem Judentum – adaptiert wurden.149 Die Existenz einer Rubrik „Ökumene“ dokumentiert das ökumenische Grundanliegen des EG. Die freudige Rezeption der Gesänge aus Taizé und außereuropäischen Liedguts wie etwa die beliebten Lieder „Bewahre uns, Gott“ (EG 171) oder „Kommt mit Gaben und Lobgesang“ (EG 229) lassen die evangelischen Gottesdienstgemeinden in ökumenischer Verbundenheit mit den Christinnen und Christen anderer Kulturen singen. Das EG zeigt, dass liturgisch gestaltete Ökumenizität fortan keineswegs auf die ö-Lieder und die Gemeinsamkeiten mit dem römischen Katholizismus beschränkt werden kann, sodass dem EG eine neue ökumenische Weite eigen ist, die das Gotteslob diesbezüglich überholt. Am 1. 11. 1998 wurden in der Schweiz das Evangelisch-reformierte Gesangbuch und das Katholische Gesangbuch eingeführt, die ebenfalls eine große Zahl von ö-Liedern oder mit Klammern gekennzeichneten ö-Liedern übernommen

147 148 149

Vgl. Jenny, Gotteslob, 77–79. Vgl. dazu Riehm, Lieder, 168–172. Vgl. Krummacher, Gesangbuch, 769 f; Haunerland, Museum, 313 f.

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

haben. Gemeinsam mit dem 2004 fertig gestelltem Gebet- und Gesangbuch der christkatholischen Kirche150 machen derzeit in der Schweiz drei Gesangbücher mit jeweils gut 200 nochmals eigens gekennzeichneten gemeinsamen Kirchenliedern und Gesängen eine innerschweizerische Ökumene sichtbar bzw. hörbar, die sich vielleicht bald in einem gemeinsamen christlichen Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz darstellen könnte. Das 2002 neu erschienene Gesangbuch der deutschsprachigen Evangelischmethodistischen Kirche (EmG) führt die vom EG vorgelegte neue Weite der Ökumenizität eines konfessionellen Gesangbuches fort.151 Unter den 681 Liedern und Gesängen, von denen gut die Hälfte auch im EG abgedruckt ist, finden sich 160 ö-Lieder. 44 Titel, etwa doppelt so viele wie im EG, haben Texte in mehreren Sprachen. Außerdem hat das methodistische Gesangbuch mit freikirchlichen, charismatischen und evangelikalen Singtraditionen zahlreiche Gesänge und Lieder gemeinsam, ebenso das 2004 erschienene Mennonitische Gesangbuch, das mit dem methodistischen Gesangbuch auffällig viele Ähnlichkeiten hat. Die Liederbücher aus dem freikirchlichen Kontext und deren gemeinsame Traditionen untereinander,152 die in Theologie und Musikstil zum Teil erheblich von den ö-Liedern abweichen, bilden nochmals eine eigene Art von Ökumene, die sich ihrerseits durch Vermittlung von geistlichen Erneuerungsbewegungen charismatischer und evangelikaler Art auf die Singpraxis der großen Konfessionen auswirken wird und schon ausgewirkt hat Neben den vielfältigen ökumenischen Liederbüchern, die nicht im Rang eines offiziellen Gesangbuchs einer Konfessionskirche stehen, sei das Liederheft zum Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin erwähnt. Dieses Liederheft weist ein weit gefasstes konfessionen-, nationen- und kulturenübergreifendes Ökumeneverständnis auf und stellt unter Berücksichtigung der besonderen liturgischen Situation der Kirchentagsgottesdienste und ihrer notwendigen heortologischen Beschränktheit (Osterzeit, Christi Himmelfahrt) in der theologischen und musikalischen Vielfalt seiner Lieder, Gesänge und Texte eine Zeitansage gegenwärtig gesungener Ökumene dar. Bemerkenswert ist neben der Abteilung „feiern – Eucharistie – Abendmahl“ das plurale Nebeneinander des zahlreich vertretenen Neuen Geistlichen Liedguts und traditioneller Kirchenlieder sowie zahlreicher fremdsprachiger Stücke, darunter neben Taizégesängen und Gospels auch das „Salve Regina“ (Nr. 113). Künftige Ökumenische Kirchentage und deren Liederhefte werden das ökumenische Singen sowohl bei den Kirchentagsgottesdiens-

150 Die christ-katholische Kirche in der Schweiz entspricht der alt-katholischen Kirche in Deutschland. 151 Vgl dazu Hartmut Handt, ‚Zum Lob befreit‘. Das neue Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, US 60, 2005, 71–80. 152 Vgl. dazu Gunter Balders, „(. . .) zusammen in Jesu Namen, um dich zu loben, o Herr. Ein Überblick über neue Gesangbücher von vier Freikirchen“, US 60, 2005, 55–70.

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Die liturgische Ökumenisierung

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ten als auch in den folgenden konfessionellen Gottesdiensten verstärken und weisen auf das Fernziel eines ökumenischen Gesangbuches für den deutschen Sprachraum hin.153 So lassen sich als gemeinsame, für die jeweilige Gottesdienstpraxis ökumenisch relevante Grundzüge der Gesangbücher seit dem Gotteslob bündeln: Die Zahl von konfessionen- und kulturenverbindenen Liedern und Gesängen ist stetig im Wachsen begriffen; sie werden breit in den Gesangbüchern rezipiert. Die Gesangbücher nehmen dabei zunehmend liturgische Traditionen außerhalb des deutschsprachigen Raumes auf, etwa Gesänge aus Taizé oder der Ostkirche. Die Rubrik „Gottesdienst“ und die im engeren Sinn liturgischen Gesänge, etwa die Ordinariumsstücke der Messe, gewinnen in den nichtkatholischen Gesangbüchern an Bedeutung, wie umgekehrt im römischen Katholizismus eine zunehmende Wertschätzung des strophischen Kirchenliedes festzustellen ist, das sich insbesondere in den Diözesananhängen und in den ihnen folgenden Zweitanhängen der 90er Jahre dokumentiert.154 Ökumenisch bedeutsam ist die Offenheit für unterschiedliche musikalische und geistliche Stilrichtungen und Zeitepochen (z. B. das Neue Geistliche Liedgut in den katholischen Diözesananhängen, die Aufnahme freikirchlicher und evangelikaler Lieder, oder die im EKG disqualifizierten Lieder des 19. Jahrhunderts im neuen EG155).

7.4 Die Bedeutung der neuen Gesangbücher für die konfessionelle Gottesdienstkultur Nun ist das bloße Vorkommen von Liedern fremder Traditionen oder als ökumenisch ausgewiesenen Liedern in den neueren Gesangbüchern als solches noch kein Indiz für eine wachsende liturgische Ökumenisierung der konfessionellen Gottesdienste. Jede Gemeinde, jeder Liturg und jede Kirchenmusikerin haben bei der Gestaltung ihrer Gottesdienste stets einen bestimmten Blickwinkel, unter dem bestimmte Lieder als tauglich erscheinen und andere für den gottesdienstlichen Gebrauch ausscheiden. Ein Gesangbuch ist eine Sammlung. Weder kann noch soll es die Auswahl seiner Lieder im Gottesdienst vor Ort diktieren. Trotzdem steuert ein Gesangbuch die liturgische Rezeption, indem es bestimmte Lieder aufnimmt und andere ausscheidet, Texte angleicht oder bestimmte Textpassagen neu formuliert.156 Es ist nun einer Konfession auf Dauer nahezu

153

Darauf zielen schon 1976 die Gedanken von Markus Jenny (Gotteslob, 74 f). Vgl. Riehm, Kirchenlied, 16 f. 155 Vgl. Riehm, Kirchenlied, 17. 156 Vgl. etwa im Gotteslob die Lieder „Ein Haus voll Glorie schauet“ (639) oder „Maria, dich lieben ist allzeit mein Sinn“ (594). Beide Lieder, die zum Identitätskern römisch-katholischer Singpraxis gehören, wurden im Gotteslob textlich umgestaltet. „In beiden Fällen wurde eine bekannte und 154

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Bestandsaufnahme der gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienstpraxis

unmöglich, ökumenische Lieder und damit die Sprache und vielleicht auch einen bevorzugten Musikstil einer anderen Konfession zu vermeiden. Vielmehr lässt das vielfältige ökumenische Liedgut gemeinsame Singtraditionen in noch getrennten Gottesdiensten entstehen. Deren theologische und ekklesiologische Relevanz wird in dieser Arbeit an späterer Stelle im Rahmen der liturgischen Ekklesiologie vertieft (vgl. dazu D 2.).

verbreitete Melodie belassen, aber das, was der zugehörige Text sagte, neu und biblischer gesagt.“ (Jenny, Gotteslob, 87)

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B Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft aus der Sicht römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre im Horizont des jeweiligen Verständnisses von Kircheneinheit

In diesem Kapitel geht es darum, den aktuellen, gültigen Lehrstand der römischkatholischen und der evangelisch-lutherischen Kirche hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft zu rekonstruieren. Dies geschieht aufgrund des jeweiligen Lehrkonzeptes von kirchlicher Einheit, wie es aus den verbindlichen Lehrtexten der Kirchen hervorgeht. Theologische Einzelmeinungen und -interpretationen werden nur marginal berücksichtigt, um die kirchliche Lehre authentisch und in ihrer jeweiligen Binnenlogik präziser zu begreifen. Kritik an den Lehrkonzepten ist hier nicht vorgesehen.

1. Die römisch-katholische Sicht Für die römisch-katholische Sicht der Kirche und ihrer Einheit sowie die daraus resultierenden „interkonfessionellen“1 Gottesdienstmöglichkeiten sind vorwiegend die einschlägigen Dokumente des Zweiten Vatikanums, die ökumenischen Direktorien sowie die Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ maßgeblich.

1.1 Der zeit- und theologiegeschichtliche Kontext der Erneuerung der katholischen Ekklesiologie im 20. Jahrhundert Etwa mit Beginn des 20. Jahrhunderts ist eine Erneuerung der ekklesialen Orientierung des katholischen Glaubensbewusstseins und der katholischen Theologie zu verzeichnen.2 „Das apologetisch-juridische Verständnis von Kirche wird auf

1 Die Begriffe „interkonfessionell“ und „ökumenisch“ lassen sich streng genommen gar nicht sachgerecht auf die katholische Ekklesiologie anwenden, da sich die katholische Kirche nicht als Konfession neben anderen versteht. Katholisch gedacht kann es keinen Plural von Konfessionen geben und damit auch nichts, was als „interkonfessionell“ bezeichnet werden könnte oder müsste. 2 Zum ekklesiologischen Aufbruch im 20. Jahrhundert, der quer durch die Konfessionen ging, vgl. auch Frisque, Ekklesiologie; Hünermann, Kommentar, 277–291; Jankowiak, Volk Gottes, 15–21; Figura, Kirche, 574–576.

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Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft

eine geistige Tiefe hin geöffnet“ (Peter Hünermann).3 Nach Jean Frisque fand vor allem in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Wiederentdeckung der Kirche als Mysterium bzw. als mystischer Leib Christi statt, die in der Enzyklika „Mystici Corporis“ von 1943 lehramtlich bestätigt wurde.4 Die Liturgie-Ezyklika „Mediator Dei“ von 1947 spiegelt bereits ein erneuertes fundiertes Verständnis der Kirche und ihrer Liturgie.5 Die Umwälzungen des Zweiten Weltkrieges führten zu einem neuen Interesse an der Theologie des Bischofsamtes. Zeitgleich wurde die Kirche in ihrer historischen Wirklichkeit in der modernen Welt neu entdeckt und mit der biblischen Volk-Gottes-Metapher zum Ausdruck gebracht.6 Die beiden ekklesiologischen Leitbegriffe „Volk Gottes“ und „Leib Christi“, die den kirchlichen Aufbruch kennzeichnen und noch „bis in die 50er Jahre des XX. Jahrhunderts ziemlich unverbunden nebeneinander“ standen,7 verdichten sich in den katholischen Dogmatiken zunehmend in den Kategorien der Sakramentalität und der Katholizität,8 wobei vor allem die Sakramentalität der Kirche und die Communio-Ekklesiologie zu den entscheidenden ekklesiologischen Denkmodellen und Wegbereitern des Zweiten Vatikanums wurden.9

1.2 Kirche und Eucharistie nach der Lehre des Zweiten Vatikanums Eucharistie und Kirche gründen nach der Lehre des Konzils in der Communio des dreieinen Gottes und sind trinitarisch konzipiert.10 Beide sind in besonderer Weise durch ihren gemeinsamen geschichtlichen Ursprung im Passamysterium Jesu miteinander verbunden. Die Kirche ist aus der Seitenwunde Christi hervorgegangen (SC 5). In der Eucharistie als memoriale von Tod und Auferstehung Christi (SC 47) dauert das Kreuzesgeschehen fort, sodass sich in der Eucharistie das ursprüngliche und eigentliche Wesen der Kirche sichtbar verwirklicht. Eucharistie und Kirche sind somit gleichursprünglich. So kann das Konzil von Kirche und Eucharistie funktionsidentische Aussagen machen. Beide, Eucharistie und Kirche, gelten als Sakrament. Beide unterscheiden sich aber in ihrem Wesen als Sakrament von den anderen sechs Sakramente. Die grundlegende Darstellung der Kirche als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) ist von der Eucharistie bestimmt. In LG 3 heißt es: „Zugleich wird durch das

3

Hünermann, Kommentar, 278. Vgl. Frisque, Ekklesiologie, 194–207; Ratzinger, Ekklesiologie, 41–43. 5 Vgl. dazu auch Wendel, Liturgie-Enzyklika. 6 Vgl. Frisque, Ekklesiologie 208–215; Ratzinger, Ekklesiologie, 48–51. 7 Jankowiak, Volk Gottes, 44. 8 Vgl. Frisque, Ekklesiologie 216 f. 9 Zur Communio-Ekklesiologie des II. Vatikanums vgl. Jankowiak, Volk Gottes, 105–120. 10 Vgl. Jankowiak, Volk Gottes, 121–125. 4

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Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht (1 Kor 10,17). Alle Menschen werden zu dieser Einheit mit Christus gerufen (. . .)“ Die Gemeinschaft der Gläubigen mit und in Gott bzw. Christus wird durch die Eucharistie bewirkt (efficitur) und bezeichnet (significatur), so die entscheidende Verhältnisbestimmung, die auch im Ökumenismusdekret in UR 2 aufgenommen wird. Die spannungsvolle Bestimmung der Eucharistie als Wirkmacht und Zeichen der Einheit mit Gott und den Menschen entspricht der Funktionsbestimmung der Kirche als Zeichen und Werkzeug („signum et instrumentum“) der Vereinigung mit Gott und der Einheit des Menschengeschlechts in LG 1. Im Volk-Gottes-Kapitel der Kirchenkonstitution kehrt dieser Gedanke wieder: „Durch den Leib Christi in der heiligen Eucharistiefeier gestärkt, stellen sie sodann die Einheit des Volkes Gottes, die durch dieses hocherhabene Sakrament sinnvoll bezeichnet und wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche Weise dar.“ (LG 11) Die Gläubigen werden somit „in wahrhaftigerer Weise Kirche“ (Gregory Baum).11 So heißt es auch in LG 7: „Beim Brechen des eucharistischen Brotes erhalten wir wirklich Anteil am Leib des Herrn und werden zur Gemeinschaft mit ihm und untereinander erhoben.“ Besonders konzentrierte Aussagen über den Zusammenhang von Eucharistie und Kirche finden sich in LG 26, wo hauptsächlich vom Bischofsamt die Rede ist. „Qua (sc. Eucharistia) continuo vivit et crescit Ecclesia“. Durch die Eucharistie lebt und wächst die Kirche beständig.12 Die Teilhabe an Leib und Blut Christi bewirkt, „dass wir in das übergehen, was wir empfangen“ (LG 26; nach Leo dem Großen). Die Eucharistie baut also die Kirche auf. Gegenüber der Taufe und anderen liturgischen und nichtliturgischen Aktivitäten, die ebenfalls am Aufbau der Kirche mitwirken, baut die Eucharistie die Kirche in vollendeter Weise auf, wie LG 17 zum Ausdruck bringt. Die Eucharistie ist dabei an die Kirche als universales Heilssakrament gebunden, deren Sinn darin besteht, die Menschen mit Gott zu verbinden (LG 48). „Damit ist der sakramentale Charakter der Kirche deutlich gekennzeichnet. Kirche ist nicht primär sakraler Herrschaftsverband. In der Eucharistiefeier kommt ihr tiefstes Wesen zum Ausdruck“ (Peter Hünermann).13 Die Eucharistie stellt somit „einen Knotenpunkt dar zwischen den Aussagen der Christologie und der Ekklesiologie, eine Verdichtung heilsgeschichtlicher Daten, und kann mit Recht als Zentralsakrament bezeichnet werden“ (Reinhild Ahlers),14 wobei ebenso gesagt werden kann, dass die Kirche den Knotenpunkt zwischen der Christologie und der Eucharistie darstellt. Anders gesagt: Kirche

11

Baum, Wirklichkeit, 300. Die Verben leben und wachsen entsprechen dabei den Verben bezeichnen und bewirken in LG 3 und 11 bzw. dem Zeichen- und Werkzeugcharakter der Kirche (LG 1). 13 Hünermann, Kommentar, 359. 14 Ahlers, Communio, 35 (zitiert auch bei Jankowiak, Volk Gottes, 121). 12

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Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft

ist Kommunioneinheit und somit primär Gottesdienstgemeinschaft und in ihrer Höchst- und Vollform Eucharistiekirche. Die Communio-Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils kann damit schon in Ansätzen als eucharistische Ekklesiologie gelten.15 Was das Konzil als „eine auf weitere Entwicklung angelegte Ekklesiologie“ eher vorsichtig angedeutet hat,16 vertieft die Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ von Johannes Paul II. aus dem Jahr 2003.17 Der für eine eucharistische Ekklesiologie naturgemäß enge Zusammenhang zwischen Eucharistie und Kirche, den bereits der Titel der Enzyklika anzeigt, ist zwar, wie O.H. Pesch bemerkt, „in der katholischen Theologie der Gegenwart inzwischen ein Standardthema“, nichtsdestotrotz jedoch insgesamt „eine junge Frage. Ins allgemeine Bewusstsein trat sie erst mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums. Unverkennbar wirken auch Impulse aus den Begegnungen mit der ‚eucharistischen Ekklesiologie‘ der Ostkirchen mit. (. . .) Zu diesem Thema gilt es also nicht, die Verbindlichkeit einer alten Tradition einzuschärfen, sondern in einer aktuellen Diskussionslage Stellung zu beziehen“.18

1.3 Das Bischofsamt als Vollgestalt des Amtes und Konstitutivum der Eucharistiekirche Das Zweite Vatikanum hat die vom Bischof zelebrierte, vom Presbyterium assistierte und von den Gläubigen tätig mitgefeierte Eucharistie als höchste Sichtbarwerdung der Kirche („praecipua manifestatio ecclesia“, SC 41) bezeichnet. Der Bischof ist nach LG 26 mit der Fülle des Weihesakraments ausgezeichnet 15

Vgl. dazu die Arbeit von Jankowiak, Volk Gottes. Riedlinger, Eucharistie, 81. 17 Aufschlussreich für das Verständnis der Eucharistie-Enzyklika, gerade auch in ihrer ökumenischen Bedeutung, ist, welche Dokumente der katholische Lehrüberlieferung zitiert werden. LG ist in EdE das am häufigsten zitierte Konzilsdokument, während die Liturgiekonstitution nur einmal zitiert wird, dafür jedoch viermal das Dekret über Dienst und Leben der Priester „Presbyterorum ordinis“ und dreimal das Tridentinum. Etwa ebenso oft wie auf LG (ca. 15x) rekurriert EdE auf Schreiben von Johannes Paul II. sowie auf die Orthodoxie. Eucharistietheologische und ekklesiologische Ergebnisse und Fortschritte des Dialogs mit den Reformationskirchen, etwa die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ werden weder genannt noch zitiert. Auffällig an EdE ist der Wechsel zwischen meditativ-spirituellen und biographisch-erzählenden Textpassagen und dogmatischen Aussagen mit z. T. juristisch restriktivem Tonfall (vgl. auch Hoff, Passagen, 246). Die an EdE am deutlichsten wahrnehmbare Weiterentwicklung besteht in der starken Ekklesialisierung der Eucharistie und der stärkeren eucharistischen Ausrichtung ursprünglich primär ekklesiologischer Themen, nicht zuletzt der Mariologie, die seit der Kirchenkonstitution ebenfalls primär zur Ekklesiologie gehört und von Johannes Paul II. in EdE zu einer eucharistischen Mariologie weitergedacht bzw. -meditiert wird. 18 Pesch, Enzyklika, 513; vgl. auch Freitag, Art. Eucharistische Ekklesiologie; Lehmann, Einheit, 143–147. Das Stichwort „Eucharistische Ekklesiologie“ erscheint in der 3. Auflage des LThK von 1995 erstmalig und ist als eigenes Stichwort in der 4. Auflage der RGG noch nicht zu finden. 16

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(„plenitudine sacramenti Ordinis insignitus“)19 und gilt als Verwalter der Gnade des höchsten Priestertums („oeconomus gratiae supremi sacerdotii“). Dies ist er besonders in der Eucharistie, die er darbringt oder darbringen lässt („praesertim in Eucharistia, quam ipse offert vel offerri curat“). Die Zelebration der Eucharistie ist ein wesentlich und konstitutiv bischöflicher Akt, den, wenn der Bischof nicht selbst anwesend ist, der Priester für den Bischof stellvertretend vollzieht. Insofern steht jede Eucharistie unter der Leitung des Bischofs, der die Liebe und die Einheit des mystischen Leibes symbolisiert und garantiert. Ohne diese Einheit des mystischen Leibes, die der Bischof symbolisiert und der von ihm geweihte bzw. beauftragte Priester repräsentiert, kann es kein Heil geben, denn die Einheit des mystischen Leibes, die der Bischof symbolisiert, ist heilsnotwendig, wie es in LG 26 unter Berufung auf Thomas von Aquin heißt.20 Dem Bischof kommt eine Art Mittelstellung zu, zwischen seiner Diözesankirche und ihren Eucharistiefeiern einerseits und der Universalkirche, zu deren Episkopat er mit und unter dem Papst dazugehört, andererseits. Der Kirchenbegriff wird in LG 23 auch den Partikularkirchen zugesprochen, in denen die Bischöfe als Prinzip und Fundament der Einheit fungieren, wie der Papst immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Gesamtkirche ist. Der Hinweis dazu auf das Cyprianzitat „Episcopus in Ecclesia et Ecclesia in Episcopo“21 lässt den Bischof als Konstituens der Kirche und damit der Eucharistie erscheinen. Bei den Konzilsdiskussionen wurde beanstandet, dass die Kirche in LG zu sehr von der Gesamtkirche her gedacht werde und das kirchliche Leben vor Ort zu wenig in den Blick komme.22 So wurde in LG 26 aufgenommen, dass auch in den kleinsten und ärmsten Gottesdienstgemeinschaften in der Diaspora Christus zugegen ist, durch dessen Kraft die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche geeint wird. Karl Rahner sieht hier die „Möglichkeit einer (ökumenisch höchst bedeutsamen) Ekklesiologie von der Wort und Altargemeinde her in diesem Abschnitt eröffnet und als legitim anerkannt“.23 Die Wort- und Altargemeinde als Ausgangspunkt der Ekklesiologie muss jedoch, um nach LG 26 als rechtmäßig („legitima“) gelten zu können, „sub Episcopo ministerio“, also unter dem Vorsitz des Bischofs (oder des von ihm beauftragten Priesters) stehen und ihm anhängen („adhaerentes“).24 Die tatsächliche oder ideell-virtuell durch den

19 Vgl. auch LG 21, wo die Bischofsweihe als „sacri ministerii summa“ bezeichnet und die Sakramentalität der Bischofsweihe gelehrt wird. 20 „In jedweder Gemeinschaft des Altars unter dem heiligen Dienst des Bischofs zeigt sich das Symbol jener Liebe und ‚Einheit des mystischen Leibes, ohne die es kein Heil geben kann‘.“ (LG 26) 21 LG 23, Fußnote 68 (Cyprian, Epist 55,24). 22 Vgl. Rahner, Kommentar, 242–245. 23 Rahner, Kommentar, 243 f. 24 Vgl. auch Ratzinger, Ekklesiologie, 45 f; zu dem für Ratzinger besonders wichtigen Aspekt der Rechtmäßigkeit der Eucharistie vgl. Heim, Joseph Ratzinger, 252–258.

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Presbyter repräsentierte bischöfliche Vorsteherschaft gehört nach LG 26 zu jeder Eucharistiefeier dazu.25 Das sakramental verstandene (Bischofs-)Amt hängt also eng mit dem sakramentalen Wesen der Kirche zusammen. Nach Markus Eham gründet die konziliare Amtstheologie in der Sakramentalität der als Communio strukturierten Kirche. Das bischöfliche Amt als Vollverwirklichung des kirchlichen Amtes ist somit formales Konstitutionselement der Kirche, demgegenüber die Sakramente als materiale Konstitutionselemente der Kirche zu gelten haben.26 Die amtlich-sichtbare Verfassung redupliziert und expliziert gewissermaßen die in der Sakramentalitätsidee grundierte Sichtbarkeit der Kirche. Die reziproke Bezogenheit von (sakramental verstandener) Kirche, (wesentlich bischöflichem) Amt und Eucharistie stellt „sicherlich einen wenn auch nicht in dieser Weise explizierten Gravitationspunkt der konziliaren Ekklesiologie“ dar.27

1.4 Universale Einheit der Kirche als Vorgabe und Wesenszug der Eucharistie Das Konzil hat die genaue Verhältnisbestimmung von Universalkirche und Ortskirche nicht abschließend geklärt. Gab es auch durchaus Interpretationen des Konzils im Sinne einer eucharistischen Basis-Ekklesiologie,28 so ging der Mainstream der nachkonziliaren Interpretation einen Mittelweg, wie ihn Medard Kehl formuliert: „Beide Größen (Universal- und Einzelkirchen) sind darum auch nur in ihrer wechselseitigen Verbundenheit (‚Gleichursprünglichkeit‘) im theologischen Sinn als ‚Kirche‘ zu verstehen (vgl. LG 26); sie brauchen einander konstitutiv in dieser sakramental-strukturellen Einheit, um im vollen, d. h. sakramentalen Sinn Kirche zu sein“.29 In der lehramtlichen Theologie des späten 20. Jahrhunderts zeigt sich der Trend, die Einheit gegenüber der Vielheit und die Universalkirche gegenüber 25 LG 26 lässt damit etliche Fragen offen und ungeklärt, die die nachkonziliaren Diskussionen um das rechte Verhältnis von Ortskirche und Gesamtkirche, ministeriellem und gemeinsamen Priestertum, Presbyterat und Episkopat eröffnen und bestimmen und auch ökumenisch von hoher Relevanz sind. Etliche Einsichten anderer Konzilsdokumente, etwa der Volk-Gottes-Gedanke oder die aktive Teilnahme der Gläubigen an der Eucharistie sind zugunsten eines episkopal zentrierten Kirchenverständnisses nicht berücksichtigt, wie Peter Hünermann feststellt (vgl. Hünermann, Kommentar, 446). 26 Vgl. Eham, Gemeinschaft, 321–349. 27 Eham, Gemeinschaft, 349. 28 Diese Sicht liegt etwa bei Anton Thaler vor, der Elemente einer universalen Ekklesiologie denen einer von der Basisgemeinde ausgehenden eucharistischen Ekklesiologie gegenüber stellt und die eucharistische Ekklesiologie auch als Basis der universalen Sicht der Kirche sieht. „Nicht die universalen Selbstvollzüge der Kirche bilden also die Basis für die universale Ekklesiologie, sondern nur die gemeinde- und eucharistiebezogene Basis-Ekklesiologie.“ (Thaler, Gemeinde und Eucharistie, 460). 29 Kehl, Disput, 84.

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der Lokalkirche zu stärken,30 ein Ansatz, der sich mit Joseph Ratzinger auf das Konzil berufen kann.31 So betont das von Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation unterzeichnete Schreiben von 1992 „Über einige Aspekte der Kirche als Communio“ den Vorrang der Gesamtkirche vor den Teilkirchen. „Sie (sc. die Gesamtkirche) ist nicht das ‚Ergebnis‘ von deren Gemeinschaft; sie ist vielmehr im Eigentlichen ihres Geheimnisses eine jeder einzelnen Teilkirche ontologisch und zeitlich vorausliegende Wirklichkeit“.32 Gesamtkirche und Teilkirche verhalten sich zueinander wie die Mutter und ihre Töchter.33 Die konkrete Eucharistie der Teilkirche, so das Schreiben, ist innerlich notwendig mit dem Episkopat mit und unter dem Papst verbunden.34 Jede eucharistische Ekklesiologie, die sich nur von unten konstituiert, gilt als Irrtum, da „gerade die Eucharistie (. . .) jede Selbstgenügsamkeit der Teilkirche unmöglich macht. . .. Aus der eucharistischen Mitte kommt die notwendige Offenheit jeder feiernden Gemeinde, jeder Teilkirche: aus dem Sich-in-die-offenen-Arme-des Herrn-Ziehenlassen folgt die Eingliederung in seinen einzigen unteilbaren Leib. Auch aus diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die Existenz des Petrusamtes, das das Fundament der Einheit der Bischöfe und der Universalkirche ist, der eucharistischen Gestalt der Kirche zutiefst entspricht“.35 Neu gegenüber dem Konzil ist hier der direkte Bezug zwischen der Eucharistie und dem Papstamt, der in LG so noch nicht hergestellt wurde,36 aber durch den 30 Vgl. Schulte-Herbrüggen, der feststellt, „dass eine katholische communio-Ekklesiologie stets das Element der Einheit mehr betonen wird als die Vielheit, da die katholische Kirche in der sichtbaren Einheit mit dem Papst und dem Gesamtkollegium der Bischöfe Mitte, Fundament und Prinzip der Einheit der Kirche Christi erblickt, während die communio-Ekklesiologie der anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften eher die gottgewollte und geistbewirkte Vielheit der eigenständigen und sich von der Eucharistie aufbauenden Teil- und Ortskirchen betonen wird“ (Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie, 51). 31 So hat Helmut Riedlinger bereits 1970 festgestellt: „ Die Ekklesiologie des Konzils ist wesentlich vom Gedanken der eucharistischen Gesamtkirche und nur beiläufig vom Gedanken der lokalen Eucharistiegemeinschaft bestimmt.“ (Riedlinger, Eucharistie, 79) Auch Christoph Huwyler stellt fest: „Die Eucharistie bewirkt also immer neu nur die Einheit und Gemeinschaft, die bereits vorgegeben ist: die Einheit im gleichen Glauben und in der hierarchischen Verfassung, an deren Spitze der Papst steht.“ (Huwyler, Problem II, 408) 32 Communio 9. Vgl. dazu LG 2, wo die Kirche als „ab origine mundi praefigurata“ beschrieben wird. 33 Vgl. Communio 9. 34 Vgl. Communio 14. 35 Communio, 11. An anderer Stelle begründet Ratzinger den universalkirchlichen Vorrang mit der Begegnungs- und Empfangsstruktur des Glaubens, weswegen man (Teil-/Orts-)Kirche „nicht machen (kann), (sondern) nur empfangen, und zwar empfangen von dorther, wo sie schon ist und wo sie wirklich ist: aus der sakramentalen Gemeinschaft seines die Geschichte hindurchgehenden Leibes“ (Ratzinger, Ekklesiologie, 46). So zieht Ratzinger das Fazit: „Darum ist Einheit der Eucharistie feiernden Gemeinden untereinander nicht eine äußere Zutat zur eucharistischen Ekklesiologie, sondern ihre innere Bedingung“ (ebd.). Zur Kritik an Ratzinger vgl. Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie, 101–103. 36 Vgl. auch Huwyler, Problem II, 409.

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engen Bezug zwischen Bischof und Eucharistie einerseits, dem Episkopat und dem Papstamt andrerseits bereits vorbereitet war und greifbar nahe liegt, nämlich dass „jede Eucharistiefeier in Einheit nicht nur mit dem eigenen Bischof, sondern auch mit dem Papst, mit der Gemeinschaft der Bischöfe, mit dem gesamten Klerus und mit dem ganzen Volk vollzogen wird“.37 Damit wird auch das Amt des Bischofs von Rom in seiner Primatsfunktion eucharistisch bestimmt und so in die hierarchisch geordnete kirchlich-eucharistische Communio eingebunden. Wurde bisweilen der Kirchenkonstitution das Nebeneinander einer juridischen und einer kommunionalen Ekklesiologie kritisch attestiert, so versucht die nachkonziliare lehramtliche Ekklesiologie – nicht ohne spürbaren Einfluss der Theologie Joseph Ratzingers –, diese beiden Stränge in einer eucharistischen Ekklesiologie zu verbinden, und zwar dergestalt, dass die juridischekklesiologischen Aussagen zur Verfassung der Kirche nun eucharistisch grundgelegt und gewissermaßen sakramentalisiert werden. Der römisch-katholische Typus einer eucharistischen Ekklesiologie38 schließt von vornherein ein primär konkret-kongregational gedachtes Verständnis von Kirche und Eucharistie, ausgehend von der konkreten Gottesdienstgemeinde, aus. Römisch-katholisch eucharistische Ekklesiologie hat ihren Ausgangspunkt in der Gesamtkirche, der die Teilkirche ihr eucharistisches Kirche-Sein verdankt.

1.5 Die Apostolizität als äußere Bedingung und innerer Wesenszug der Eucharistie nach EdE Hat die Eucharistie als wesentlicher Selbstvollzug der Kirche zu gelten, so werden auch die Aussagen des Nizänums über das Wesen der Kirche auf die Eucharistie übertragbar, die ebenfalls als eine, heilig, katholisch und apostolisch zu gelten hat, wie die Eucharistie-Enzyklika deutlich macht, wobei dem Wesensattribut der Apostolizität in EdE besondere Aufmerksamkeit zukommt. Die Eucharistie hat in einem dreifachen Sinn als apostolisch zu gelten. Zum Ersten, „weil Jesus es den Aposteln anvertraut hat und weil es von ihnen bis zu uns weitergegeben wurde“ (EdE 27). Zum Zweiten, „weil sie in Übereinstimmung mit dem Glauben der Apostel gefeiert wird“, der unter dem Schutz des kirchlichen Lehramtes in der zweitausendjährigen Geschichte unverändert geblieben ist und dessen Unverändert-Sein wesentlich ist für die Kirche (EdE 27). Zum Dritten, weil Apostolizität auch die durch das Weihesakrament gegebene apostolische Sukzession als „die ununterbrochene, auf die Anfänge zurückge37

Communio, 14. Ich spreche hier von einem „Typus eucharistischer Ekklesiologie“, weil sich später zeigen wird, dass „eucharistische Ekklesiologie“ ein überkonfessionelles ekklesiologisches Denk- und Lebensmodell ist, das gerade nicht auf den römischen Katholizismus und die Orthodoxie beschränkt ist. 38

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hende Reihe gültiger Bischofsweihen“ bedeutet (EdE 28), und der Bischof – dieser Gedanke fehlt an entsprechender Stelle in der Enzyklika – als der eigentliche Vorsteher der Eucharistie zu gelten hat und durch den Priester nur vertreten wird. Als Nachfolger der Apostel gelten „jene, die ihnen in ihrem Hirtenamt nachfolgen: das Bischofskollegium, dem die Priester zur Seite stehen, in Einheit mit dem Nachfolger des Petrus, dem obersten Hirten der Kirche“ (EdE 28). Durch die apostolische Sukzession der Bischöfe empfangen die gottesdienstlichen Versammlungen den geweihten Amtsträger, dem vom Bischof die Vollmacht übertragen wurde, in der Eucharistie „in persona Christi“ zu handeln, das bedeutet „in der spezifischen sakramentalen Identifizierung mit dem ewigen Hohenpriester, der Urheber und hauptsächliches Subjekt dieses seines eigenen Opfers ist, bei dem er in Wahrheit von niemandem ersetzt werden kann“ (EdE 29). Die Notwendigkeit des geweihten Amtes für die Eucharistie unterstreicht, dass die „Eucharistie eine Gabe ist, die auf radikale Weise die Vollmacht der Gemeinde überragt. Das priesterliche Dienstamt ist unersetzlich, um die eucharistische Konsekration gültig an das Kreuzesopfer und an das Letzte Abendmahl zu binden“ (EdE 29). Daher kann ohne den vom Bischof rechtmäßig geweihten Priester keine Eucharistie gefeiert werden.39 Die Notwendigkeit des gültig geweihten Amtes verzahnt Eucharistieverständnis und -feier unlöslich mit der apostolischen Sukzession. Die gültige Weihe des Priesters durch den in apostolischer Sukzession stehenden Bischof bedingt, so EdE 29, die Anbindung der Eucharistiefeier an das Kreuzesopfer und das Geschehen im Abendmahlssaal. Die Anbindung der heute gefeierten Eucharistie an die einmal-einmalige, in Raum und Zeit geschehene Heilstat Jesu Christi, erfordert somit die geschichtlich in Raum und Zeit verifizierbare Kontinuität, die die apostolische Sukzession zu verbürgen beansprucht. Die apostolische Sukzession wird somit eucharistisch gefasst als notwendiger Ermöglichungsgrund der in der Eucharistie bezeichneten und bewirkten Einheit. Die Pointe der römischkatholischen Sukzessionslehre liegt darin, dass äußere und innere, formale und materiale Kontinuität der Kirche untrennbar zusammengehören, wobei die Unverzichtbarkeit der äußerlich sichtbaren Ebene, sprich: der ununterbrochenen Kette von Handauflegungen, dem sakramentalen Wesen der Kirche entspricht, demzufolge der mystische Leib Christi in einer konkret geschichtlichen Gestalt subsistiert, ohne mit dieser voll identisch zu sein. Die unsichtbare Ebene eucharistisch-ekklesialer Communio hängt mit der sichtbaren Ebene der Communio in der Lehre der Apostel, den Sakramenten und der hierarchischen Ordnung notwendig zusammen. Die enge Beziehung beider Ebenen „ist ein konstitutives Merkmal der Kirche als Sakrament des Heils“ (EdE 35) und nur innerhalb dieser Beziehung, die die verfasste römisch-

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Vgl. auch Sauren, Sukzession, bes. 201.

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katholische Kirche mit einschließt, kann die Eucharistie rechtmäßig gefeiert werden. Die apostolische Sukzession „schließt notwendig das Sakrament der Weihe ein, also die ununterbrochene, auf die Anfänge zurückgehende Reihe gültiger Bischofsweihen. Diese Sukzession ist wesentlich, damit von Kirche im eigentlichen und vollen Sinn gesprochen werden kann“ (EdE 28). Dieser Passus ist interkonfessionell insofern wichtig, als hier die Gültigkeit der Weihen betont wird, ein Aspekt, der implizit auch die (Un-)Gültigkeit der altkatholischen und anglikanischen Weihen anspricht, denen die römisch-katholische Anerkennung bis heute versagt geblieben ist.40 Die so verstandene Sukzession und das auf ihr fußende Weihesakrament gehören zum esse der Kirche und zur ursprünglichen und vollständigen Wirklichkeit der Eucharistie. EdE 30 bekräftigt daher die bleibende Gültigkeit des Passus aus dem Ökumenismusdekret (UR 22), wonach „die kirchlichen Gemeinschaften, die im Abendland im 16. Jahrhundert und danach entstanden und von der katholischen Kirche getrennt sind“ (EdE 30),41 aufgrund ihres defectus ordinis die ursprüngliche und vollständige Substanz des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben. Die Apostolizität kann als Ausdruck und Garant der Einheit gelten, als deren sichtbarer Repräsentant der Bischof in der Gemeinschaft mit und unter dem Bischof von Rom und mit den anderen Bischöfen gilt. Insofern ist die wesentlich bischofskirchlich strukturierte Eucharistie apostolisch – oder sie ist nicht Eucharistie in der Fülle des eucharistischen Mysteriums.42 40 Wurde in den Diskussionen der Konzilsväter den Anglikanern und den Altkatholiken im Vergleich mit den anderen Reformationskirchen noch ein Mehr an Communio mit der römisch-katholischen Kirche zugestanden, so ist dies in EdE nicht mehr zu verzeichnen, worin sich die bleibende, vielleicht heute sogar größere Kluft zwischen Anglikanern und Altkatholiken einerseits und dem römischen Katholizismus andererseits zeigt. Die heute größere Kluft mag u. a. auch daher rühren, dass sich die Altkatholiken und Anglikaner trotz ihrer weitgehenden Übernahme der nachkonziliaren Liturgiereform in vielen Bereichen mit protestantischen Kirchen (etwa im Meissen- und Porvoo-Dokument) verständigen konnten, in denen zwischen Protestantismus und römischem Katholizismus bis heute kirchentrennende Differenzen liegen. Amtstheologisch gehört dazu auch die Zulassung von Frauen zum ordinierten Amt. Vgl. dazu auch Riedel-Spangenberger, Verhältnis, v. a. 310 f. 41 Diese Formulierung verdient insofern Beachtung, als die Aussagen des Ökumenismusdekrets nicht nur die in der Reformationszeit entstandenen Kirchen im Auge haben, sondern auch Gemeinschaften, die sich erst später als von Rom getrennte Kirchen konstituiert haben, etwa die Kirchen der Utrechter Union, darunter die Altkatholiken. 42 Die eucharistischen Hochgebete bringen diesen Aspekt durch die konstitutive Namensnennung von Papst und Ortsbischof sowie die Erwähnung der Gemeinschaft der Bischöfe zum Ausdruck, aber auch durch die Nennung der Apostel im Heiligengedenken der Hochgebete. Als besonders eindrucksvolles Zeugnis der Apostolizität der Eucharistie im eben skizzierten Sinn kann das Erste Hochgebet gelten, wo es heißt: „Wir bringen sie (die ‚Opfergaben‘) dar vor allem für deine heilige katholische und apostolische Kirche in Gemeinschaft mit deinem Diener, unserem Papst N., mit unserem Bischof N. und mit allen, die Sorge tragen für den rechten, katholischen und apostolischen Glauben.“ (Pustet-Taschenmessbuch, 24*).

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1.6 Die eucharistische Kommunion für Nichtkatholiken in Einzelfällen Die eucharistische Kommunion in der römisch-katholischen Messfeier setzt nach römisch-katholischem Verständnis die ekklesiale communio plena voraus. Unter besonderen Umständen und eng umgrenzten Bedingungen kann jedoch einzelnen getauften Personen, die einer christlichen Gemeinschaft angehören, die nicht in voller Gemeinschaft mit der römisch-katholischen Kirche steht, die Kommunion gereicht werden, um so „einem schwerwiegenden geistlichen Bedürfnis einzelner Gläubiger im Hinblick auf das ewige Heil entgegenzukommen“. Hierbei handelt es sich um Einzelfälle, die letztlich die Regel bestätigen, dass die Praxis der Interkommunion „nicht möglich ist, solange die sichtbaren Bande der kirchlichen Gemeinschaft nicht vollständig geknüpft sind“ (EdE 45).43 Die Taufe begründet als solche noch keine für den Kommunionempfang hinreichende Communio. Zwar schafft die Taufe, wie etwa auch LG 15 und das Ökumenismusdekret ausführen, ein Band der Einheit zwischen allen Getauften („vinculum unitatis sacramentale“, UR 22). „Dennoch ist die Taufe nur ein Anfang und Ausgangspunkt (‚initium et exordium‘), da sie ihrem ganzen Wesen nach hinzielt auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus. Daher ist die Taufe hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, auf die völlige Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeinschaft.“ (UR 22) Das bloße Faktum rechtmäßigen Getauft-Seins, das nach Ansicht des Konzils auch außerhalb der katholischen Kirche zu finden ist, begründet Gemeinschaft mit der katholischen Kirche, aber noch nicht in dem Maß, wie es die eucharistische Kommunion fordert.44 Der Kommunionempfang steht somit unter der Bedingung innerer und äußerer, sichtbarer und unsichtbarer communio plena mit der katholischen Kirche, wobei entsprechend dem spezifisch römischen heilssakramentalen Verständnis der Kirche die sichtbare und unsichtbare Ebene konstitutiv zusammenhängen, bzw. die unsichtbare Ebene in der sichtbaren subsistiert, also im Wesentlichen da ist. Die communio plena ist dabei, streng genommen, nur für den Akt des Kommunionempfanges erforderlich, wohingegen die bloße Mitfeier der Eucharistie und das Geschehen-Lassen des Wirkens Christi in seinen anderen Gegenwartsweisen (vgl. SC 7) nicht der Bedingung der communio plena unterliegt. Umgekehrt untersagt die römisch-katholische Lehre auch nicht generell die Teilnahme an den Gottesdiensten der getrennten Kirchen, sondern verlangt, dass „die katholischen Gläubigen bei allem Respekt vor den religiösen Überzeugungen ih-

43 44

Vgl. auch Wenz, Teilnahme, 290–295. Vgl. dazu auch Huwyler, Problem II, 398–403.

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rer getrennten Brüder und Schwestern der Kommunion fernbleiben (müssen), die bei ihren Feiern ausgeteilt wird, damit sie nicht einer zweideutigen Auffassung über das Wesen der Eucharistie Vorschub leisten“ (EdE 30, kursiv von F.I.). Grund dafür ist, wie in EdE 46 mit Verweis auf UR 22 präzisierend wiederholt wird, der defectus ordinis, also der Mangel bzw. das Fehlen des gültigen Weihesakraments. Gnadentheologisch fundiert die Enzyklika die Bedingungen für den rechten Kommunionempfang folgendermaßen: „Die unsichtbare Gemeinschaft (. . .) setzt das Leben der Gnade (. . .) sowie die Übung der Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe voraus. Nur so hat man wahrhaft Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Der Glaube genügt nicht; es ist vielmehr nötig, in der heiligmachenden Gnade und in der Liebe zu verharren und mit dem ‚Leib‘ und dem ‚Herzen‘ im Schoß der Kirche zu bleiben“ (EdE 36). Es zeigt sich, dass die kirchenrechtlich differenzierten Bedingungen der communio plena auf einer spezifisch römisch-katholischen Variante der Rechtfertigungslehre basieren. Das katholische Konzept der geschlossenen Eucharistiegemeinschaft, das in der kirchlichen Praxis bisweilen auf Unverständnis und Ablehnung stößt, nimmt dabei die Kirchenzugehörigkeit der nichtkatholischen Christen sehr ernst. Wer einer anderen kirchlichen Gemeinschaft angehört, kennt und bekennt auch automatisch deren Lehrmeinung und ist somit vollgültiger Repräsentant dieser kirchlichen Gemeinschaft. Das neuzeitliche Phänomen einer nur partiellen Identifikation mit Lehre und Leben der eigenen Herkunftskirche ist im lehramtlichen Konzept von Kirchengemeinschaft nicht vorgesehen.

1.7 Der ekklesiale Charakter der nicht römisch-katholischen Kirchen Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil beginnt eine neue Epoche der Selbstpositionierung der römisch-katholischen Kirche gegenüber den nichtkatholischen Christen und deren Kirchen. Die ökumenische Wende, die das Konzil vollzieht, wird besonders auf dem Hintergrund der lehramtlichen Äußerungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich.45 Entscheidend für das erneuerte

45 Vgl. auch Huwyler, Problem I, 256–270; Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie 16–18. Die Enzyklika „Mortalium animos“ von 1928 reagiert auf die Ökumenische Bewegung mit der Betonung des bis dahin vorherrschenden katholischen Einheitsmodells, das den mystischen Leib Christi mit der juridisch-gesellschaftlich verfassten römisch-katholischen Kirche identifiziert, außerhalb derer es kein Heil geben kann. Folgerichtig kann Pius XI. daher die Nichtkatholiken nur zur Rückkehr in den Schoß der alleine und ausschließlich heilsnotwendigen römisch-katholischen Kirche aufrufen und das Bemühen der „Panchristen“, wie die Christen der Ökumenischen Bewegung abschätzig tituliert werden, ablehnen. Die Ökumenische Bewegung stellt in den Augen dieser Enzyklika eine Gefahr für

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Selbstverständnis der katholischen Kirche ist LG 8, demzufolge die Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche subsistiert („subsistit in“),46 womit die traditionelle faktische Selbstidentifizierung der katholischen Kirche mit der Kirche Jesu Christi aufgehoben wird, sodass erstmals eine Existenz eines zwar nichtkatholischen, aber doch irgendwie kirchlichen Christentums nicht nur empirisch wahrgenommen, sondern dogmatisch überhaupt erst denkmöglich geworden ist. Nach LG 15 gibt es zwischen der katholischen Kirche und den getrennten Gemeinschaften eine wahre Verbindung im Heiligen Geist, dessen Gaben und Gnaden auch in den getrennten Kirchen wirksam sind. Die nichtkatholischen Christen gehören durch ihre Eingliederung in ihre Kirchen bzw. kirchlichen Gemeinschaften zur Kirche Jesu Christi insofern und in der Weise, als ihre Kirchen und Gemeinschaften mit der einen Kirche Christi verbunden sind. Die nichtkatholischen Gemeinschaften sind somit auch insofern heilssakramental entsprechend dem Modus ihrer äußeren und inneren Verbundenheit mit der Kirche Jesu Christi. „Die nichtkatholischen Christen werden erstmals ausdrücklich in ihrem eigenen ekklesialen Zusammenhang gesehen und gewürdigt und nicht mehr nur als einzelne rechtlich behinderte Katholiken vereinnahmt“,47 bemerkt Markus Eham. Die katholische Kirche unterscheidet sich von nichtkatholischen Gemeinschaften dadurch, dass nur durch sie als „generale auxilium salutis“ (UR 3) die ganze Fülle der Heilsmittel (nicht des Heils selbst) erlangt werden kann. Außerhalb des römisch-katholischen Kirchengefüges erkennt die römisch-katholische Kirche Elemente des Christ- oder Kircheseins, die zwar nicht zum „esse“, aber doch zum „bene esse“ der Kirche gehören, ja die sogar außerhalb der katholischen Kirche deutlicher vorhanden sein können. Geistliches Ziel der katholischen Kirche – und ein geistliches Ziel des katholischen Ökumenismus – ist es, diese weiteren Elemente im Prozess ständiger Bekehrung und Erneuerung mehr und besser, ja bestmöglich zu verwirklichen, gegebenenfalls auch durch die Begegnung mit denjenigen kirchlichen Gemeinschaften, die diese Elemente geschichtlich besser verwirklicht haben. Das Konzil

die römisch-katholische Kirche dar, da die bloße Existenz der Bewegung den Alleinanspruch der römischen Kirche als societas perfecta in Frage stellt und somit eine Irrlehre darstellt. Erst auf dem Hintergrund von „Mortalium animos“ wird die neue Sichtweise des nichtkatholischen Christentums in den vatikanischen Konzilsdokumenten deutlich. 46 Zum Verständnis des „subsistit“ vgl. Lehmann, Selbstverständnis, 9–16. 47 Eham, Gemeinschaft, 358. Dabei ist festzuhalten, dass die Neuheit der konziliaren Ekklesiologie genau genommen in der Dimension der Vereinnahmung besteht, nämlich dass die nichtkatholischen Christen nicht mehr als Individuen, sondern als Glieder ihrer Kirchen „vereinnahmt“ oder besser gesagt: beschrieben werden. Dass die Konzilsdokumente jedoch die Ökumene primär aus ihrer eigenen Sicht sehen und keine korrekten ekklesiologischen Selbstbeschreibungen der anderen präsentieren wollen, liegt in der Natur jedweder kirchenamtlichen Verlautbarung egal welcher Konfession.

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nennt in UR 3 als Beispiele „das geschriebene Wort Gottes, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes und sichtbare Elemente: all dieses, das von Christus ausgeht und zu ihm hinführt, gehört rechtens zu der einzigen Kirche Christi“. Auch diese Elemente sind Kirche bildend; zur Begründung dessen, was „Kirche“ im katholischen Vollsinn bedeutet, genügen sie nicht. Kirche bauend im streng ekklesiologischen Sinn können diese Elemente nur auf der Basis der drei essentiellen Kirchenkonstitutiva (Glaubensbekenntnis, Sakramente, Amtsstruktur) und nur innerhalb dieser drei vincula sein.

1.8 Die terminologischen Konsequenzen der katholischen Ekklesiologie im Blick auf die nichtkatholischen kirchlichen Gemeinschaften und Vollzüge Die römisch-katholische Sichtweise des Verhältnisses der katholischen Kirche zu den nichtkatholischen Christen und ihren Kirchen hat bedeutsame terminologische Konsequenzen. Statt der traditionellen Bezeichnung der nichtkatholischen Gemeinschaften als „secta haeretica seu schismatica“ spricht das Zweite Vatikanum bevorzugt von den „fratres seiuncti“.48 Diese neue Sprechweise besagt, dass die nichtkatholischen Christen (noch) irgendwie mit der katholischen Kirche verbunden sind, was vor allem der Wortstamm des Verbums „iungere“ ausdrückt, eine Nuance, die im Deutschen sprachlich nicht leicht nachzuvollziehen ist. Zugleich will das „seiuncti“ die Gegenseitigkeit der Trennung und damit auch die Beidseitigkeit der Schuld an der Trennung betonen.49 In den Diskussionen zum Ökumenismusdekret erhob sich die Frage, wie die ekklesiale Wertigkeit der nichtkatholischen Gemeinschaften terminologisch ausgedrückt werden kann. Klar war, dass sie nicht in derselben Weise „Kirche“ oder „Kirchen“ genannt werden konnten, wie die katholische Kirche bzw. ihre Teilkirchen „Kirche“ zu sein beanspruchen, zumal einige Gruppierungen den Kirchentitel für sich ablehnten.50 War in der ersten Fassung des Ökumenismusdekrets nur von „Gemeinschaften“ die Rede, so taucht ab der zweiten Sitzungsperiode die von Kardinal Franz König vorgeschlagene Bezeichnung „communitates ecclesiales“ auf,51 die den Begriff der Communio aus Bibel und Patristik und den Kirchenbegriff zu einer Neubildung verschmilzt. Die Doppelformulierung „Kirchen und kirchliche Gemeinschaften“ oder die bloße Rede von „kirchlichen Gemeinschaften“ ersetzt die traditionelle Bezeichnung als „Schismatiker

48

Z. B. in LG 67,1; 69,1; UR 3,2; 4,6 u. ö.; vgl. dazu auch Eham, Gemeinschaft, 262–264. Markus Eham spricht von einem Bewusstsein des „nichtgetrennten Getrenntseins“ (vgl. Eham, Gemeinschaft, 264). Hier wäre nachzufragen, ob die Bezeichnung „seiuncti“ nicht eher ein „getrenntes Nichtgetrenntsein“ ausdrücken kann und will. 50 Vgl. auch Völler, Einheit, 120. 51 Vgl. Feiner, Kommentar, 55 f; Hilberath, Kommentar, 126 f. 49

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und Häretiker“52 und wird somit zur offiziellen, konziliar-nachkonziliaren Bezeichnung der nichtkatholischen Gemeinschaften. Die Bezeichnung „communitates ecclesiales“ bringt mehrerlei zum Ausdruck: Sie ist im strengen Sinn eine ekklesiologische Bezeichnung, die etwas über die Ekklesialität der so bezeichneten Gemeinschaften in ihrem Verhältnis zur katholischen Kirche aussagen soll und unterscheidet sich von einem rein soziologischen oder auch alltagssprachlichen Gebrauch, der Kirchen als Institutionen unter anderen versteht.53 Sie lässt offen, wie viel Ekklesialität in jeder Gemeinschaft vorhanden ist, wobei gerade der Doppelterminus „Kirchen und kirchliche Gemeinschaften“ die ekklesiale Wertigkeit solcher Gemeinschaften als Teil-Kirchen nicht ausschließt. Zugleich aber besagt diese Bezeichnung auch, dass die „Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften“ nicht im selben Sinn, vor allem nicht auf die selbe universalkirchliche Weise „Kirche“ (im Singular!) sind, wie dies die katholische Kirche für sich in Anspruch nimmt. Das Konzil war bemüht, die Ekklesialität der nichtkatholischen Gemeinschaften positiv hervorzuheben, ohne über den Grad der Ekklesialität der einzelnen Gemeinschaften konkrete und differenziertere Aussagen zu treffen oder diese gar als „Kirche“ oder „Kirchen“ anzuerkennen. Die umstrittene Erklärung „Dominus Iesus“ aus dem Jahr 2000 tut dasselbe, allerdings auf umgekehrte Weise: Sie stellt den Defekt der Gemeinschaften ohne gültigen Episkopat in den Vordergrund, ohne diesen Gemeinschaften ihr noch vorhandenes Maß an Ekklesialität völlig abzusprechen.54 Wohl weiß das Konzil, dass auch in zahlreichen anderen kirchlichen Gemeinschaften diejenigen gottesdienstlichen Zeichenhandlungen begangen werden, die innerhalb der katholischen Kirche als „Sakrament“ gelten. Mehrfach erwähnt das Ökumenismusdekret die die Konfessionen verbindende Taufe; UR 22 würdigt sogar die nichtkatholischen Abendmahlsfeiern („Sancta Coena“). Nirgends jedoch werden die Zeichenhandlungen der reformatorischen Gemeinschaften „Sakrament“ genannt55 – „als wenn die Protestanten wenigstens teil-

52

Vgl. Schlink, Ergebnis, 184. Die katholische Sprachregel der Unterscheidung von „Kirche“ und „kirchlichen Gemeinschaften“ entspricht strukturell der evangelischen Rede von „Kirchen“ im Plural (die evangelische eingeschlossen). Beide Male subsummiert eine Konfession die andere unter den eigenen Kirchenbegriff. Es widerspricht evangelischer Ekklesiologie, wenn die katholische Kirche die evangelische Kirche nur als „kirchliche Gemeinschaft“ bezeichnet. Es widerspricht aber ebenso katholischer Ekklesiologie, wenn die evangelische Kirche von „Kirchen“ im Plural spricht und sich damit neben die katholische Kirche setzt. 54 „Die kirchlichen Gemeinschaften hingegen, die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ (Dominus Iesus 17). Dass die Bezeichnung der Reformationskirchen als „kirchliche Gemeinschaften“ bereits vor Dominus Iesus dogmatisch angemessen ist, zeigt Thomas Weilers Analyse der Ratzingerschen Ekklesiologie aus dem Jahr 1997 (vgl. Weiler, Volk Gottes, 329). 53

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weise dasselbe Sakrament hätten“,56 wurde in der Konzilsdiskussion gehämt –, ebenso wenig wie die reformatorischen Gemeinschaften selbst „Kirche“ oder „Kirchen“ genannt werden. Dies mag einer gewissen nomenklatorischen Uneinheitlichkeit im weltweiten nicht römisch-katholischen Christentum entsprechen. Vor allem drückt sich darin aber das ekklesiologische Selbstverständnis der katholischen Kirche aus: Sakramentale Kirche und kirchliche Sakramente sind nur dort gegeben, wo alle wesentlichen Elemente des Kircheseins vorhanden sind,57 nämlich die Sakramente, das Glaubensbekenntnis und die hierarchische Ordnung der Kirche. Erst wenn die wesentlichen Kirche bildenden Elemente – Glaubensbekenntnis, Sakramente, sakramentale Amtstruktur – vorhanden sind, die sich gegenseitig bedingen, durchdringen und stützen, ist die Qualität von Kirche im römisch-katholischen Sinn erreicht.58 Dem entsprechend sind auch die Begriffe „Eucharistie“, „Liturgie“ und „Bischof“ im römisch-katholischen Sprachgebrauch nicht auf die analogen Sachverhalte im nichtkatholischen Bereich anwendbar. Ein lutherischer oder anglikanischer Abendmahlsgottesdienst, selbst wenn er sich selbst als Eucharistie bezeichnet und versteht, kann in römisch-lehramtlicher Sprachregelung nicht als „Eucharistie“ bezeichnet werden. Wenn das Konzil katholisch definierte Begriffe (Kirchen, Sakrament, Bischof, Eucharistie, Liturgie) auf das nichtkatholische Christentum anwendet, dann ist aus dem jeweiligen Kontext ersichtlich, dass hier immer die Ostkirchen mitgemeint sind. Seine letzte Konsequenz und Präzision findet der katholische Sprachgebrauch darin, dass das katholische Lehramt nicht von „Ökumene“, sondern vom „Ökumenismus“ als der römisch-katholisch definierten Fassung von Ökumene spricht, die mit dem katholischen Kirchenbegriff kompatibel ist.

55 Auch Eham bemerkt, dass trotz der positiven Würdigung des reformatorischen Abendmahles in UR 22 „die eucharistische Vollzugswirklichkeit in diesen Gemeinschaften nicht als ‚Sakrament‘ im katholischen Verständnis qualifiziert (wird)“, (Eham, Gemeinschaft, 438). 56 Zitiert nach Hilberath, Kommentar, 187. 57 Jerome Hamer, der Sekretär des Sekretariats für die Einheit der Christen, erklärt zu diesem umstrittenen Thema im Jahr 1970: „Das Vatikanische Konzil hat den ekklesialen Charakter der protestantischen Gemeinschaften hervorgehoben, aber in keiner Weise hat es sie als Kirchen anerkannt.“ (Hamer, Terminologie, 152) 58 Von daher ist es nicht wahrscheinlich, dass Schulte-Herbrüggens Interpretation zutrifft, dass nach dem Ökumenismusdekret „auch in den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zumindest grundsätzlich die Kirche Christi mit ihrer Heilssendung subsistiert“, (Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie, 354).

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1.9 Die Unterscheidung der communicatio in sacris und in spiritualibus Das Ökumenismusdekret unterscheidet zwischen einer communicatio in sacris und einer communicatio in spiritualibus. „Communicatio in sacris“ (UR 8) ist zunächst vieldeutig59. „Sacra“ in dieser Wortverbindung kann alle religiösen Handlungen vom Glaubensgespräch über Katechese bis hin zur Sakramentsfeier meinen.60 Die Wortverbindung zielt dabei auf die Gemeinsamkeit des Handelns. „Communicatio“ umfasst nahezu alle möglichen, wechselseitigen Formen der gottesdienstlichen Gemeinschaft, von der bloßen Teilnahme einzelner Christen bei den Gottesdiensten einer anderen Konfession bis hin zur eucharistischen Konzelebration oder Interzelebration. „Man darf jedoch die Gemeinschaft beim Gottesdienst (communicatio in sacris) nicht als ein allgemein und ohne Unterscheidung gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit der Christen ansehen. Hier sind hauptsächlich zwei Prinzipien maßgebend: Die Bezeugung der Einheit verbietet in den meisten Fällen die Gottesdienstgemeinschaft, die Sorge um die Gnade empfiehlt sie indessen in manchen Fällen.“ (UR 8) Die communicatio in sacris ist demzufolge kein generelles, wohl aber ein fallweise gültiges Mittel zur Wiederherstellung der Einheit. Das Dekret nennt hier die beiden gottesdienstlichen Prinzipien, das der Einheitsbezeugung, also die Bezeugung schon vorhandener Einheit, und das der Gnadenvermittlung, allerdings ohne die beiden Prinzipien näher zueinander in Beziehung zu setzen. Diese Prinzipien beziehen sich auf die konkrete Praxis und wollen dort von Fall zu Fall angewendet werden. Weder stellen sie ein allgemeines Gebot dar, noch ein grundsätzliches Verbot, vielmehr eröffnen sie einen Raum, innerhalb dessen sie in konkreten rechtlichen Regelungen Anwendung finden sollen. Die beiden Prinzipien stellen keine Alternativen dar, sondern sind vielmehr sachlich aufeinander bezogen.61 Denn prinzipiell ist der katholische Gottesdienst Einheitsbezeugung und Gnadenvermittlung zugleich, ja mehr noch: Einheitsbezeugung und Gnadenvermittlung hängen miteinander zusammen und bedingen und durchdringen sich gegenseitig, ist doch die Fülle der Gnadengaben und Gnadenmittel gerade mit der einen Kirche Jesu Christi gegeben, die in der einen katholischen Kirche subsistiert. Gnade und Einheit der Kirche können gemäß dem sakramentalen Kirchenverständnis nicht auseinander dividiert oder gar zueinander in Gegensatz gebracht werden.62 Das Ökumenische Direktorium von 1967 präzisiert und modifiziert den Bedeutungsgehalt der communicatio in sacris. Der Begriff der „communicatio in spiritualibus“ umfasst „alle gemeinsam verrichteten Gebete, der gemeinsame 59 60 61 62

Zur Geschichte des Begriffs vgl. Völler, Einheit, 5–8. Vgl. Völler, Einheit, 6. Vgl. auch Hilberath, Kommentar, 141 f. Vgl. auch Völler, Einheit, 196–204.

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Gebrauch von heiligen Dingen oder Orten“, während „jede liturgische Gemeinschaft (. . .) (als) communicatio in sacris im eigentlichen und wahren Sinn verstanden“ wird.63 Und weiter heißt es im Direktorium: „Communicatio in sacris findet statt, wenn jemand an irgendeinem liturgischen Gottesdienst oder gar an den Sakramenten einer Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft teilnimmt. Unter ‚liturgischem Gottesdienst‘ (cultus liturgicus) wird der nach Büchern, Vorschriften oder Gebräuchen irgendeiner Kirche oder Gemeinschaft geordnete Gottesdienst verstanden, der von einem Amtsträger oder Beauftragten dieser Kirche oder Gemeinschaft gehalten wird, sofern dieser dabei sein Amt ausübt.“64 Festzuhalten ist hier, dass eine gemeinsam von unterschiedlichen Konfessionen verantwortete Feier nicht unter die communicatio in sacris fällt.65 An eine aktive Übernahme von liturgischen Diensten im Gottesdienst einer anderen Konfession ist nicht gedacht. Eucharistische Konzelebration ist nach dem CIC von 1983 nur unter Amtsträgern erlaubt, die in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen und schließt somit auch solche Amtsträger aus, die nach römischem Verständnis gültig geweiht sind.66 Denn die Eucharistie steht „unter dem unabdingbaren Anspruch der vollen Gemeinschaft durch die Bande des Glaubenbekenntnisses, der Sakramente und des kirchlichen Leitungsamtes“, sodass es „nicht möglich (ist), die eucharistische Liturgie gemeinsam zu feiern, bevor diese Bande in ihrer Unversehrtheit wiederhergestellt sind. Eine derartige Konzelebration wäre kein gültiges Mittel, sondern könnte sich sogar als ein Hindernis für das Erreichen der vollen Gemeinschaft erweisen“ (EdE 44).

1.10 Die Unterscheidung der communicatio in sacris hinsichtlich der Ostchristen und der reformatorischen Christen Nach UR 13 sind zwei Weisen der Trennung von der katholischen Kirche zu unterscheiden, nämlich zum einen die Trennung der Ostkirchen von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche, zum anderen die Spaltungen im Umfeld des Reformationsjahrhunderts (UR 13). Entsprechend der unterschiedlichen Tiefe des Bruchs zwischen Ost- und Westkirche einerseits und zwischen der römischen Kirche und den reformatorischen Gemeinschaften andrerseits, variieren auch die Begründungen und die Begründungspflicht hinsichtlich einer communicatio in sacris. Zwar müssen

63

Ökumenisches Direktorium 1967, 29. Ökumenisches Direktorium 1967, 30 f. 65 Vgl. auch Hintzen, Art. Communicatio, 1278 66 Vgl. Eham, Gemeinschaft, 438 f. Auch eine Konzelebration mit Amtsträgern der Piusbruderschaft ist somit nicht erlaubt, sofern diese überhaupt aus römisch-katholischer Sicht als gültig geweiht gelten können. 64

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gültige Gründe für eine communicatio in sacris mit den getrennten Orientalen vorliegen; doch gilt hier, dass „(o)hne rechtmäßigen Grund (. . .) ein Gläubiger nicht der geistlichen Frucht der Sakramente beraubt werden (soll)“.67 Zugrunde liegen hier die Bestimmungen des Ostkirchendekrets, in dem es heißt: „Unter Wahrung der erwähnten Grundsätze, können Ostchristen, die guten Glaubens von der katholischen Kirche getrennt sind, wenn sie von sich aus darum bitten und recht vorbereitet sind, zu den Sakramenten der Buße, der Eucharistie und der Krankensalbung zugelassen werden. Ebenso ist es Katholiken erlaubt, dieselben Sakramente von nichtkatholischen Geistlichen zu erbitten, in deren Kirchen die Sakramente gültig gespendet werden, sooft dazu ein ernstes Bedürfnis oder ein wirklicher geistlicher Nutzen rät und der Zugang zu einem katholischen Priester sich als physisch oder moralisch unmöglich herausstellt.“ (OE 27) Die großzügige Öffnung der communicatio in sacris für orthodoxe Christen gründet im Vorhandensein wahrer Sakramente in den Ostkirchen, vor allem des wahren Weihepriestertums und der Eucharistie, die sich der Kraft der apostolischen Sukzession verdanken,68 wobei der formale Bezug der Sukzession zum Nachfolger Petri nicht näher präzisiert wird.69 Bei der communicatio in sacris mit den „anderen getrennten Brüdern“ hält das Direktorium zunächst das Einheitszeugnis des gemeinsamen Glaubens im Gottesdienst einer kirchlichen Gemeinschaft fest, das eine Mitfeier der getrennten Brüder mit den Katholiken untersagt. Da aber die Sakramente nicht nur Zeichen der Einheit, sondern auch Quelle der Gnade – nicht Quelle der Einheit! – sind, kann die katholische Kirche in einigen Notfällen den nichtkatholischen Christen den Zutritt zu ihren Sakramenten gestatten. Die sacra bleiben auch dann Zeichen der katholischen Glaubenseinheit, fordern damit das katholische Glaubensbekenntnis des Nichtkatholiken und spenden in und aus dieser Einheit des katholischen Glaubens die Gnade. Wo die notwendige katholische Glaubenseinheit nicht im ausreichenden Maß vorhanden ist, sind die dortigen liturgischen Vollzüge auch nicht Zeichen und Ausdruck dieser katholischen Glaubenseinheit, sodass eine communicatio in sacris zur Bezeugung einer nichtkatholischen Auffassung würde und zum katholischen Glauben in Widerspruch stünde. Daher können die notbedingten Konzessionen für Nichtkatholiken den Katholiken in derselben Notsituation nicht zugestanden werden. „Ein Katholik aber, der sich in derselben Lage befindet, darf diese Sakramente nur von einem Amtsträger, der die Priesterweihe gültig empfangen hat, verlangen.“70 Das darin implizierte Verbot des Sakramentsempfangs in nichtkatholischen Gottesdiensten bezieht sich auf den leiblichen Empfang der Eucharistie (sowie auf Buße und Krankensalbung), während alle anderen Partizipationsformen am 67 68 69 70

Ökumenisches Direktorium 1967, 44. Vgl. UR 15; Ökumenisches Direktorium 1967, 40. Vgl. dazu die Diskussion um UR 15 bei Hilberath, Kommentar, 170 f. Ökumenisches Direktorium 1967, 56.

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Möglichkeiten und Grenzen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft

Gottesdienst einer nichtkatholischen Kirche, sofern sie nicht in der Übernahme eines liturgischen Amtes (Lektor, Predigt) im Hauptgottesdienst besteht,71 offensichtlich das Einheitszeugnis des katholischen Glaubens nicht gefährden oder beeinträchtigen. Die communicatio in sacris als gelegentliche von Einzelpersonen vollzogene Mitfeier des Gottesdienstes der getrennten Gemeinschaft/Kirche wird fallweise erlaubt und in gewisser Weise gut geheißen, solange der Empfang der Kommunion ausgeschlossen ist. Das Ökumenische Direktorium vollzieht damit eine implizite Aufwertung der nichtkatholischen gottesdienstlichen Vollzüge, ohne jedoch konkreter etwas über die Gnadenwirklichkeit bzw. die Ekklesialität der Gottesdienste und der sie vollziehenden Gemeinschaften auszusagen.

1.11 Römisch-katholisch gewährte reziproke communicatio in sacris für syrisch-orthodoxe Christen und Glieder der Polnish National Catholic Church Das Ökumenische Direktorium fordert für die communicatio in sacris Reziprozität zwischen den beteiligten Konfessionen. Lediglich in einem Fall steht die römisch-katholische Kirche tatsächlich in einem reziproken Verhältnis, das eine begrenzte communicatio in sacris unter gleichen Bedingungen auf beiden Seiten ermöglicht. Hier handelt es sich um die vorchalkedonischen orientalisch-orthodoxen Kirchen, mit denen in der sogenannten „Wiener christologischen Formel“ ein Konsens in der Christologie gefunden und auch kirchenamtlich ratifiziert wurde. Der Hauptdissens mit den orientalisch-orthodoxen Kirchen besteht im universalen Primatsanspruch Roms bzw. der Konziliarität der Kirche. Obgleich sich die Kirchen gegenseitig als Kirchen anerkennen können, bleiben sie aufgrund der verbleibenden ekklesiologischen Differenzen getrennt. Bei der Begegnung zwischen Papst Johannes Paul II. und dem syrisch-orthodoxen Patriarchen Ignatius Zakka I. im Jahr 1984 wurde gemeinsam von beiden Kirchenfürsten festgestellt, dass die Eucharistie zwar noch nicht gemeinsam gefeiert werden kann, da die dafür nötige Voraussetzung völliger Glaubensidentität noch nicht gegeben ist, dass aber in pastoralen Notsituationen die Gläubigen die Sakramente der Beichte, der Eucharistie und der Krankensalbung von einem Priester der jeweiligen Schwesterkirche erbitten dürfen.72 Dies ist insofern bemerkenswert, als dieses gemeinsame Dokument feststellen kann: „Die anderen Sakramente (sc. außer der Eucharistie), die die Katholische Kirche und die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien gemeinsam in ein und derselben Suk-

71 72

Vgl. Ökumenisches Direktorium 1967, 56. Vgl. Schuegraf, Gestalt, 332–334.

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zession des apostolischen Dienstes haben, nämlich die heiligen Weihen, das Ehesakrament, die Versöhnung der Büßenden und die Salbung der Kranken, sind hingeordnet auf die Feier der heiligen Eucharistie, die das Zentrum des sakramentalen Lebens und der wichtigste sichtbare Ausdruck der kirchlichen Gemeinschaft ist. Diese Gemeinschaft der Christen untereinander und der örtlichen Kirchen, die vereint sind um ihre rechtmäßigen Bischöfe, ist verwirklicht in der versammelten Gemeinde (. . .)“.73 Diese Erklärung erkennt das KircheSein, das Vorhandensein wahrer Sakramente sowie ein und dieselbe Sukzession des apostolischen Dienstes der anderen Kirche an. Aussagen über das unterschiedliche Primatsverständnis und die Bedeutung der Konzilien fehlen. An diesen Punkten besteht offensichtlich weiterhin Dissens. Darum fährt der gemeinsame Text fort: „Da die heilige Eucharistie der eigentliche Ausdruck der kirchlichen Einheit unter den Gläubigen und unter den Bischöfen und Priestern ist, kann sie von uns noch nicht gemeinsam gefeiert werden. Solch eine Feier setzt eine völlige Identität des Glaubens voraus, wie sie zwischen uns noch nicht existiert. (. . .) Obgleich noch nicht vollständig, berechtigt uns unsere Identität im Glauben jedoch, eine Zusammenarbeit zwischen unseren Kirchen in der Pastoral ins Auge zu fassen. . . In der Sorge, diesen (sc. pastoralen) Nöten entgegenzukommen, und mit dem Gedanken an ihr geistliches Wohlergehen autorisieren wir die Gläubigen, in diesen Fällen die Sakramente der Beichte, der Eucharistie und der Krankensalbung von einem rechtmäßigen Priester einer unserer beiden Schwesterkirchen zu erbitten, wenn sie diese benötigen.“74 Die Erklärung der beiden Kirchenfürsten ist insofern aufschlussreich, da sie zeigt, dass die eucharistische Kon- oder Interzelebration sowie die grundsätzliche Öffnung der (Inter-)Kommunion nach römisch-katholischem Verständnis letztlich durch die völlige Einheit des Glaubens bedingt ist, die das Primatsverständnis einschließt. Es ist das einzige lehramtlich ratifizierte römisch-katholische Dokument, das eine begrenzte communicatio in sacris gestattet, die auch unter denselben Bedingungen erwidert wird. Das heißt konkret: Syrisch-orthodoxe Christen dürfen in bestimmten Fällen römisch-katholische Sakramente empfangen. Römisch-katholische Christen dürfen in bestimmten Fällen syrisch-orthodoxe Sakramente empfangen. Grundlage sind der gemeinsame Glaube, ein und dieselbe Dienstsukzession und die gemeinsamen Sakramente. Es handelt sich auch hier um eine fallweise, nicht um eine generelle Zulassung zu den Sakramenten. Die gottesdienstliche Bedeutung der Primatslehre zeigt sich daran, dass die gemeinsame Zelebration der Eucharistie eben (auch) aufgrund des verschiedenen Verständnisses von Kircheneinheit und ihrer verbindlichen Repräsentanz nicht möglich ist. Voraussetzung einer Konzelebration oder Inter73 Erklärung von Papst Johannes Paul II. und dem syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien und dem Ganzen Osten, Ignatius Zakka I. Iwas, zu gegenseitigen pastoralen Hilfen, 23. Juni 1984, § 7, DwÜ II, 573. 74 DwÜ II, 573.

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zelebration ist die völlige Glaubensidentität einschließlich des Verständnisses des Papstamtes. Zum Schluss sei noch auf eine andere von Rom genehmigte Sakramentengemeinschaft hingewiesen: Eine offizielle Anerkennung als Kirche, die nach römischem Urteil in der gleichen Lage wie die getrennten orientalischen Kirchen ist, fand die konservativ ausgerichtete Polish National Catholic Church (PNCC) in den USA, was eine Zulassung deren Glieder zu den römisch-katholischen Sakramenten mit sich zog, womit erstmals die entsprechenden Bestimmungen des Ökumenismusdekrets und des Kirchenrechts, die für die orthodoxen Christen gelten, auf Glieder einer nichtorthodoxen Kirche angewandt wurden.75 Allerdings handelt es sich auch hier um eine einseitige Zulassung zu den römisch-katholischen Sakramenten.

1.12 Zur Gestalt interkonfessioneller Gottesdienste unter Beteiligung von Nichtkatholiken Dem Konzil liegt, wie schon erwähnt, vor allem an einem „geistlichen Ökumenismus“ (UR 8). Dieser Begriff versucht, „gegenüber der Gefahr einer einseitigen Bewertung theologisch-wissenschaftlicher Bemühungen und organisatorischer Tätigkeit den religiösen Geist zur Geltung zu bringen, der alle ökumenischen Bemühungen tragen und durchdringen muss“ (Josef Feiner).76 Welche ökumenische Wende das Konzil mit der Empfehlung des gemeinsamen Gebetes vollzogen hat, wird daran deutlich, dass erst 1949 eine Instruktion den Katholiken das gemeinsame Beten des Vaterunsers mit Protestanten erlaubt hat und noch auf dem Konzil Zweifel gehegt wurden, ob man mit Nichtkatholiken wegen der unterschiedlichen Interpretation der Kirchenattribute das Glaubensbekenntnis gemeinsam sprechen dürfte.77 Der Codex Iuris Canonici von 1917 sah für die Teilnahme an nichtkatholischen Kulthandlungen allenfalls eine „praesentia passiva“ in bestimmten Fällen (z. B. Trauung oder Beerdigung) zur Vermeidung öffentlichen Anstoßes vor. Andere Formen gemeinsamen gottesdienstlichen Tuns waren entweder verboten oder, da völlig unmöglich, gar nicht bedacht.78

75

Vgl. Schuegraf, Gestalt, 158–160. Feiner, Kommentar, 76. 77 Vgl. Feiner, Kommentar, 79; Hilberath, Kommentar, 140. 78 „Die bis zum II. Vaticanum geltende Praxis der katholischen Kirche war sehr streng: wer nicht den vollen Glauben der katholischen Kirche teilte und nicht mit dem Papst und dem Episkopat der katholischen Kirche Gemeinschaft hatte, durfte nicht aktiv am katholischen Gottesdienst teilnehmen und wurde nicht zur Kommunion und zu den anderen Sakramenten zugelassen, wie anderseits auch die Katholiken nicht am Gottesdienst anderer Konfessionen teilnehmen und in anderen Gemein76

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In Folge der katholischen Ekklesiologie sind wirklich gemeinsame, also im strengen Sinn konzelebrierte Eucharistiefeiern nicht möglich, nicht einmal mit den aus katholischer Sicht gültig geweihten Amtsträgern der Ostkirchen. Das in UR 8 erwünschte gemeinsame Gebet von Katholiken und den getrennten Brüdern wird im Ökumenischen Direktorium als eine eigene Gottesdienstform konkretisiert, die zwar nicht unter den theologisch-rechtlichen Liturgiebegriff fällt, wohl aber deutliche Parallelen zur Liturgie aufweist. Die Gemeinsamkeit solcher Gebete besteht darin, „dass Mitglieder – auch Amtsträger – verschiedener Gemeinschaften aktiv daran teilnehmen“.79 Weiter heißt es: „Solche gemeinsamen Gebete sind ein höchst wirksames Mittel, um die Gnade der Einheit zu erflehen, und ein echter Ausdruck der Gemeinsamkeit, in der die Katholiken mit den getrennten Brüdern immer noch verbunden sind: ‚Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mt 18,20).“ (UR 8) Zur liturgischen Form heißt es dazu im Ökumenischen Direktorium: „Bestandteil einer solchen Feier kann jedwede Lesung, jedes Gebet und Lied sein, die etwas allen Christen im Glauben Gemeinsames zum Ausdruck bringen. Überdies darf eine Ermahnung, eine Ansprache oder eine biblische Betrachtung gehalten werden, die im Rahmen des gemeinsamen angenommenen Erbes stehen, zur gegenseitigen Liebe führen und die Einheit unter den Christen fördern sollen.“80 Während das Direktorium von 1967 sich noch scheut, die Predigt als möglichen Bestandteil zu nennen, führt sie das Direktorium von 1993 gleich an erster Stelle an.81 Als wünschenswertes Gestaltungsprinzip gilt der Gemeinschaftscharakter des Gebetsgottesdienstes, wie ihn auch die Liturgiekonstitution (SC 30.34 f.) beschrieben hat,82 womit die gemeinsame Feier der liturgia verbi der Eucharistiefeier gewissermaßen gleichgestellt wird, ohne allerdings dafür den ekklesiologisch qualifizierten Liturgiebegriff anzuwenden, der der Liturgie der Kirche vorbehalten bleibt, die ja hier in ihrer kirchlichen Einheit so nicht in Erscheinung tritt.83 Der gemeinsame Wortgottesdienst der Getrennten ist somit aus römisch-

schaften die Sakramente empfangen durften.“ (Feiner, Kommentar, 79 f) Vgl. dazu auch Eham, Gemeinschaft, 235–261 sowie die ältere Studie von Wolfgang Zürcher, Die Teilnahme von Katholiken an akatholischen christlichen Kulthandlungen, Basler Studien zur Rechtswissenschaft 73, Basel 1965. 79 Ökumenisches Direktorium 1967, 32. 80 Ökumenisches Direktorium 1967, 35b. 81 Vgl. Ökumenisches Direktorium 1993, 111a. 82 Vgl. Ökumenisches Direktorium 1967, 35c. 83 Auf dem Hintergrund der Lehre von den Gaben und Gütern des Heiligen Geistes auch in den getrennten Kirchen und der somit schon gegebenen Einheit kommt Gerhard Voss zu der These: „Auch ökumenische Wortgottesdienste sind darum – das muss deutlich gesagt werden – in einem wahren Sinn kirchliche Gottesdienste.“ (Voss, Gemeinschaft, 218) Diese These verschleiert, dass der Begriff der „Kirchlichkeit“ aus katholischer Sicht differenzierungsfähig und differenzierungsbedürftig ist und dass es unterschiedliche Grade der Kirchlichkeit gibt. Präziser ist es, zu sagen, ökumeni-

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katholischer Sicht quasi-liturgisches und vorliturgisches Gebet, während der katholische Wortgottesdienst Liturgie der Kirche ist. Die Anlässe möglicher gemeinsamer Gebete sind vorwiegend kasueller Art und thematisieren die „gemeinsamen Nöte und Sorgen“84 im gemeinsam geteilten Alltag bzw. in der gemeinsamen Weltverantwortung. Vor allem soll jedoch das Gebet um die Einheit der Christen im Vordergrund stehen, für das Themenvorschläge gemacht werden.85 Die gemeinsamen Gebete bleiben also vom liturgischen Jahr unberührt. An einzelnen Tagen oder Festen im Kirchenjahr sollen von Katholiken Gebete für die Einheit der Christen verrichtet werden, wobei aus Gründen, die den jeweils gefeierten Festgeheimnissen innewohnen, explizit auch das Epiphaniasfest und das Triduum paschale in Betracht kommen.86 Für das gemeinsame Gebet hingegen nennen die ökumenischen Ausführungsbestimmungen keine Anlässe des (gemeinsamen) liturgischen Jahres. Im Hintergrund steht das in der Liturgiekonstitution dokumentierte ekklesiologisch bestimmte Verständnis des liturgischen Jahres, in dem die Kirche das ganze Mysterium Christi entfaltet. „Indem sie (sc. die Kirche) so die Mysterien der Erlösung feiert, erschließt sie die Reichtümer der Machterweise und der Verdienste ihres Herrn, so dass sie jederzeit gewissermaßen gegenwärtig gemacht werden und die Gläubigen mit ihnen in Berührung kommen und mit der Gnade des Heils erfüllt werden.“ (SC 102) Diese ekklesial bestimmte Sicht des Kirchenjahres und des in ihm explizierten und applizierten Gnadengeschehens verdeutlicht in doppelter Hinsicht, warum die Feste des Kirchenjahres – einschließlich des Sonntags – nicht oder nicht nur mit einem ökumenischen Gebetsgottesdienst begangen werden können: Einerseits ist der gemeinsame Wortgottesdienst nicht Liturgie, sondern als Gebet bzw. Gebetsgottesdienst liturgieanalog, während die Fülle der Mysteriengegenwart Christi an die Liturgie als „Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist“ (SC 7), gebunden bleibt.

sche Gottesdienste sind aus katholischer Sicht in derselben Weise kirchliche Gottesdienste, in der die jeweils andere Gemeinschaft kirchliche Gemeinschaft ist. 84 Ökumenisches Direktorium 1993, 109; vgl. Ökumenisches Direktorium 1967, 33. 85 Vgl. Ökumenisches Direktorium 1967, 34; Ökumenisches Direktorium 1993, 110. 86 Ökumenisches Direktorium 1967, 22.

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2. Die evangelisch-lutherische Sicht Hermeneutische Vorverständigung: Was darf als „lutherisch“ gelten? Es ist in der Theologie und besonders in der ökumenischen Verständigung präzise zu unterscheiden, ob man ein lutherisches Verständnis eines Sachverhalts als Position einer an bestimmte Bekenntnisse gebundenen Kirche darstellen will oder die Position Luthers. Im ersten Fall eines (evangelisch-)lutherischen Verständnisses sind diejenigen Texte maßgeblich, die als lutherisch gelten und somit als Lehrgrundlage der Kirche fungieren und durch kirchlichen Konsensentscheid von anderen Texten abgegrenzt sind. Im zweiten Fall geht es um die Position oder Theologie Martin Luthers, welche zu rekonstruieren prinzipiell und notwendig jede Luther-Schrift erlaubt. Diesen Unterschied präzise zu beachten und hermeneutisch anzuwenden, ist für die Binnenkommunikation und das Selbstverständnis einer bekenntnisgebundenen Kirche ebenso wichtig wie für das Verhältnis dieser Kirche zu anderen Kirchen.87 Es ist daher methodisch unsachgemäß, für ein evangelisch-lutherisches Verständnis eines Themas solche Luther-Schriften heranzuziehen, die nicht den Rang eines kirchlichen Bekenntnisses haben. Die reformatorischen Hauptschriften von 1520 waren sicherlich theologisch einflussreich und kirchenpolitisch entscheidend für den Durchbruch der reformatorischen Erkenntnisse. Sie haben allerdings nie den formalen Rang kirchlicher Bekenntnisse erreicht, was sicherlich nicht zuletzt in manchen sachlichen Einseitigkeiten begründet ist.88 87 Es ist darum widersprüchlich, zu meinen, man könnte nach innen (innerhalb der eigenen Kirche) anders reden als nach außen (gegenüber anderen Kirchen). So werden in der gegenwärtigen Situation Dokumente verteidigt, die ökumenisch kritisiert werden. Wer ein „Innen“ der eigenen Kirche von einem „Außen“ anderer Konfessionen unterscheidet, macht dadurch deutlich, dass die Ökumene diesem Kirchenverständnis nach letztlich äußerlich bleibt. 88 Wo eine lutherische Position sich anstatt auf die kirchlich anerkannten Bekenntnisse auf Luther beruft, der ja eine Fülle von unterschiedlichen, teils widersprüchlichen theologischen Phasen und Positionen im Laufe seines Lebens aufweisen kann, liegt der Verdacht nahe, dass sich die gegenwärtige Position dasjenige aus Luthers Theologie herauspickt, das ihr am meisten entgegen kommt, weil eigentlich nicht eine wie auch immer verstandene Luther-Position maßgeblich ist für die Gegenwart, sondern weil umgekehrt die Gegenwart legitimiert werden soll, indem sie irgendwo und selektiv in der Tradition verankert wird. Eine vergleichbare, nicht minder wichtige lehrhermeneutische Unterscheidung im römischen Katholizismus wäre diejenige zwischen Privatmeinungen und -veröffentlichungen von Joseph Ratzinger (z. B. sein Jesusbuch aus dem Jahr 2007) und lehramtlichen Äußerungen. In lehrhermeneutischer Sicht problematisch ist an Papst Benedikt XVI., dass er einerseits Inhaber des römisch definierten Petrusdienstes ist, aber nach wie vor auch am nicht-lehramtlichen, freien theologischen Diskurs teilnimmt (z. B. in Form von Gastvorlesungen). Analog zur Differenzierung von Luther-Schriften und lutherischen Bekenntnisschriften, bedarf es auch bei Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. der sorg-

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Daher werde ich mich in der Darstellung einer lutherischen Position auf die lutherischen Bekenntnisschriften konzentrieren sowie auf diejenigen Positionen, die beanspruchen, das lutherische Bekenntnis auszulegen bzw. auf die gegenwärtige (ökumenische) Situation hin zu aktualisieren und anzuwenden. Auch die lutherischen Bekenntnisschriften sind dabei keine Sammlung von unterschiedlichen Schriften mit verschiedenen Theologien, die nebeneinander stehen, sondern haben historisch und theologisch in der Confessio Augustana ihre innere Mitte.89 Die CA verdient für ökumenische Fragestellungen in zweifacher Hinsicht besondere Beachtung, da sie einerseits als grundlegende Bekenntnisschrift des Luthertums gelten kann und andrerseits von ihrer Entstehungssituation her auf Verständigung mit den Altgläubigen auf dem Augsburger Reichstag zielt. Sowohl in dieser verständigungsorientierten Perspektive, als auch aufgrund ihres Selbstverständnisses und Anspruchs, den einen Glauben der einen Kirche Jesu Christi zu formulieren, kann die CA als katholisch und ökumenisch bezeichnet werden.90 „In historischer Hinsicht ist die CA mit dem Modus vivendi einer konfessionellen Spaltung Deutschlands verbunden; in dogmatischer Perspektive muss ihr Anspruch auf evangelische Katholizität beachtet werden.“ (Wolf-Dieter Hauschild)91 Darüber hinaus kann die CA historisch und offensichtlich von ihrer Geltungsgeschichte im deutschen Protestantismus her auch theologisch als bekenntnismäßiges Fundament und Integral aller Landeskirchen (also auch der reformierten und unierten) gelten.92 Selbst die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland geschah auf dem Boden der (allerdings überar-

fältigen Differenzierung zwischen einer Äußerung von Papst Benedikt XVI. (z. B. seine Enzykliken) und einer Lehrmeinung des Professors Joseph Ratzinger (z. B. die Vorlesung zu Glaube und Vernunft in Regensburg 2006 sowie die wegen Protest abgesagte Gastvorlesung in der Sapienza in Rom). 89 Die Frage nach dem Umfang der Bekenntnisschriften (bzw. nach dem Bekenntnisrang der Konkordienformel, die in vielen lutherischen Kirchen Bekenntnisrang hat) rückt damit in die zweite Reihe, denn die Konkordienformel will ja letztlich kein neues und anderes Bekenntnis als die CA sein, sondern diese auslegen. 90 Diese doppelte Ausrichtung hat ihren Ausdruck in der formalen Zweiteiligkeit (Art. 1–21 als Artikel des Glaubens und der Lehre, Art. 22–28 als Artikel von den Missbräuchen bei den Altgläubigen). Die CA versteht sich in Kontinuität zur Schrift und zur kirchlichen Tradition als Bekenntnis des einen katholischen Glaubens, demgegenüber die römische Kirche etliche kritikwürdige Neuerungen eingeführt und den einen Glauben somit verdunkelt hat. Damit wird in Aufbau und Inhalt der CA bereits ein zentrales Anliegen lutherischer Bekenntnishermeneutik sichtbar, demzufolge konfessionelle Identität und Ökumenizität gleichursprünglich zusammengehören, sodass „eine Kirche, die als evangelisch-lutherisch gelten will, ihrer Wesensbestimmung nach ökumenisch ist“, ja „dass Ökumenizität nach Maßgabe biblischen Zeugnisses vom Wesen der Kirche kein ekklesiologisches Beiwerk darstellt, sondern konstitutiv zum Kirchesein der Kirche hinzugehört“ (Wenz, Evangelium, 41). Vgl. dazu auch Lohff, Bedeutung, 17 f; zur Doppelpoligkeit der CA vgl. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 1, 430–442. 91 Hauschild, Geltung, 174. 92 Vgl. dazu Hauschild, Geltung, bes. 205 f.

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beiteten) CA, wie Jan Rohls bemerkt.93 Die CA ist dabei nicht die subjektive Lehrmeinung des Philipp Melanchthon. Hier spricht nicht „ein einzelner Lehrer, sondern eine Gemeinschaft“ (Georg Kretschmar),94 was bereits an CA 1 deutlich wird: „Ecclesiae magno consensu apud nos docent.“95 Bezugspunkt der folgenden Ausführungen ist die CA invariata von 1530.96

2.1 Evangelisch-lutherisches Kirchenverständnis 2.1.1 Das gottesdienstliche Wesen der Kirche nach CA 7 Das Selbstverständnis der Kirchen lutherischen Bekenntnisses kommt im siebten Artikel der CA zur Sprache, der im Wesentlichen auf Luthers Bekenntnis von 1528 und darüber hinaus auf den dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses (credo unam sanctam ecclesiam) zurückgeht. Dort heißt es: „Es wird auch gelehret, daß alle Zeit musse eine heilige christliche Kirche sein und bleiben, welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden.“ Und in der lateinischen Fassung: „Item docent, quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit. Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta“.97 Diese Definition verdient besonderes Interesse. Zum einen liegt in diesem Artikel die erste dogmatisch-ekklesiologische Definition dessen vor, was Kirche ist („est“), nämlich die „Versammlung aller Glaubigen“ bzw. im lateinischen Text als „congregatio sanctorum“, wobei der Versammlungs- bzw. congregatio-Begriff mit besonderem Nachdruck auf den Gottesdienst verweist, in dem sich diese Versammlung real und konkret ereignet. Der gottesdienstliche Bezug wird auch in der Bezeichnung der versammelten Personen als „Glaubige“ und „sancti“ deutlich. Damit wird nicht die Realität des Bösen in der Kirche geleugnet, wie CA 7 etwa von den altgläubigen Konfutatoren missverstanden wurde.98 Vielmehr sind die Glaubenden sancti ausschließlich in einem relationalen Sinn, nämlich in ihrer Bezogenheit auf das Rechtfertigungsevangelium, wie es die gottesdienstlichen sancta leiblich in Wort und Sakrament darreichen, von denen im Nebensatz explizit die Rede ist.99 In congregatio sanctorum klingt die Wen-

93

Vgl. Rohls, Confessio Augustana, hier 226. Kretschmar, Bedeutung, 35. 95 BSLK 50,3 f. Um der besseren Lesbarkeit willen werden die römischen Ziffern der CA-Artikel mit arabischen Ziffern wiedergegeben. 96 Zur Bedeutung der Differenz zwischen der CA Invariata und der CA Variata vgl. Hauschild, Geltung, 180–192. 97 CA 7,1 (BSLK 61,1–7). 98 Vgl. Grane, CA, 75. Der Kirche als Corpus permixtum trägt CA 8 Rechnung. 99 „Die sancti sind die von Gott zu eigen Angenommenen, die Ausgesonderten (das besagt das 94

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dung der communio sanctorum an, die in ihrem altkirchlichen und ursprünglichen Sinn besagt, dass die Teilhabe an den sancta die Teilhabenden zu sancti (und sanctae) macht. Beim Verständnis von CA 7 stellt sich die Frage, wie sich der Hauptsatz und der mit „in qua“ eingeleitete Nebensatz zueinander verhalten, genauer gesagt: ob sich durch das gottesdienstliche Heilswirken des Geistes die Kirche als congregatio sanctorum ursächlich konstituiert oder ob der Gottesdienst als Lebensäußerung des neuen Menschen anzusehen ist. Gunther Wenz verbindet die scheinbaren Alternativen zu der Erkenntnis, dass CA 7 „in einer allerdings differenzierten Weise beides zugleich“ meint.100 „Wort und Sakrament sind ohne Zweifel auch Lebensäußerung der Kirche, aber sie sind es auf rechte Weise nur dann, wenn in ihrem Vollzug die Kirche ihrem christologisch-pneumatologischem Bestimmungsgrund entspricht. Ihrem christologisch-pneumatologischen Bestimmungsgrund entspricht die Kirche in ihren Lebensäußerungen nur dann, wenn sie diese Lebensäußerungen selbst als Explikationsgestalt ihres Grundes versteht und sich mithin nicht selbst als unmittelbares Subjekt ihres Vollzugs behauptet.“101 2.1.2 Die Sichtbarkeit, Universalität und Einheit der Kirche Das Wesen der Kirche ist nach CA 7 im je konkreten Gottesdienst ansichtig. ApCA 7 bestreitet, dass die wahre Kirche mit einem bestimmten geschichtlich kontingentem verfassten Kirchentum identifiziert werden könnte, etwa mit der päpstlichen Kirche. Äußerliches Kirchentum umfasst immer beides, Gute und Böse. Christi Reich hingegen ist geistlich, „darinne Christus inwendig die Herzen regieret, stärket, tröstet, den heiligen Geist und mancherlei geistliche Gaben austeilet“.102 Die rechte Kirche ist jedoch keine civitas Platonica, keine „erdichtete Kirche“,103 sondern als Gemeinschaft der wahren Gläubigen existiert sie zerstreut über den Erdkreis. Und diese Kirche wird am Vollzug der rechten Evangeliumsverkündigung und der stiftungsgemäßen Sakramentfeier erkannt. Wort und Sakrament zeichnen die wahre Kirche in ihrer geschichtlichen Konkretheit aus. Wo Gottesdienst gemäß dem Evangelium stattfindet, da wird die Existenz der wahren Kirche geschichtlich konkret. Die wahre Kirche Jesu Christi nach

Wort), die dem Tode und der Sünde und der Gewalt des Teufels, dem regnum diaboli Entnommenen, Gott Zugeeigneten. Zugeeignet werden wir Gott durch die Taufe. Man kann sancti daher auch wiedergeben mit baptizati und sagen congregatio baptizatorum.“ (Brunstäd, Theologie, 118) Gegen ein ethisches Verständnis ist mit Brunstäd der tauftheologische Grund von Heiligkeit zu betonen. 100 Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 2, 252. In diese Richtung tendiert auch Friedemann Merkel, demzufolge der Heilige Geist in Wort und Sakrament zugleich „kirchengründend und kirchenerhaltend“ wirkt. (Merkel, Liturgie, 39) 101 Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 2, 252. 102 ApCA 7,14 (BSLK 236,46–48). 103 Vgl. ApCA 7, 20 f (BSLK 238,17 f,40 f).

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Name und Werk ist eine universale Größe „per totum orbem“,104 die in den rechten gottesdienstlichen Vollzügen sich als irdisch existent manifestiert. ApCA 7 wehrt hier zwei ekklesiologischen Extremen: Einmal dem römischen Extrem, dass wahre Kirche und wahrer Gottesdienst mit einer bestimmten geschichtlich kontingenten Verfassungsgestalt notwendig identisch seien. Zum anderem dem spiritualistischen Extrem, dass Kirche und Gottesdienst rein innerlich und zeit- und raumlos sind. Kirche und Gottesdienst sind in ihrer wahren Gestalt überall dort zu finden, wo das Evangelium rein verkündigt und die Sakramente recht gefeiert werden. Insofern sind Kirche und Gottesdienst grundsätzlich ökumenisch, als sich ihre Gestalt nicht auf eine raum-zeitliche Gestalt von Kirche begrenzen lässt. Mehrfach hebt ApCA 7 den dritten Glaubensartikel und die Katholizität der Kirche hervor. Das Bekenntnis zur Katholizität der Kirche trotzt der Gottlosigkeit und dem Anschein, die Kirche Christi sei untergegangen. Die Kirche Christi ist katholisch; dies besagt, „daß der Hauf und die Menschen die rechte Kirche sein, welche hin und wieder in der Welt, von Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, an Christum wahrlich gläuben, welche denn ein Evangelium, einen Christum, einerlei Tauf und Sakrament haben, durch einen heiligen Geist regieret werden, ob sie wohl ungleiche Ceremonien haben“.105 Die sichtbare Katholizität der Kirche besteht demzufolge – nicht ausschließlich, aber primär – in den rechten, nämlich evangeliumsgemäßen gottesdienstlichen Vollzügen. Das heißt umgekehrt: In jedem evangeliumsgemäß gefeiertem Gottesdienst manifestiert sich die Einheit und Katholizität der Kirche. Sosehr die Bekenntniseinheit wünschens- und erstrebenswert ist, wie „doch auch die Augsburgische Konfession selbst auf die Übereinstimmung mit den Bekenntnissen der alten Kirche großen Wert“ legt,106 ja selbst eine Übereinstimmung im Bekenntnis des Glaubens der einen katholischen Kirche beschreiben will, so ist nach CA 7 über das „pure et recte“ hinaus gerade keine vollständige Bekenntnisgemeinschaft für die sich im Gottesdienst realisierende Einheit der Kirche nötig. Beim Konsens über die „pura doctrina evangelii“ geht es, wie Friedemann Merkel zutreffend formuliert, eben „nicht um die Aussprache richtiger dogmatischer Lehrsätze, sondern um die viva vox evangelii, die die Menschen um Christi willen jeweils jetzt zu ihrem Heil zu hören haben – ‚ubi et quando visum est Deo‘ (CA V)“.107 Ebenso ist nicht die Lehreinheit im Sakramentsverständnis, sondern der stiftungsgemäße Vollzug Grund der Einheit der Kirche im Gottesdienst. Das „consentire“ in CA 7 bezieht sich also (noch) nicht auf einen

104 105 106 107

ApCA VII, 20 (BSLK 238,21 f). ApCA VII, 11 (BSLK 236, 18–22). Schlink, Theologie, 275. Vgl. auch ders., Kriterien, 109–111. Merkel, Liturgie, 39.

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Lehrkonsens im Sinne eines Bekenntnisstandes, wie es ihn zur Zeit der Abfassung der CA ohnehin noch nicht gab. Nicht die Lehreinheit, sondern das pure et recte des gottesdienstlichen Vollzugs konstituiert das Wesen der Kirche als evangeliumsgemäß und ökumenisch. Lehre und gottesdienstlicher Bezug stehen zwar in einem untrennbaren Verhältnis zueinander. Die Lehre wird auch immer den gottesdienstlichen Vollzug notwendig prägen, wie auch „Wort und Sakrament nicht nur an die Vollmacht und Souveränität des Heiligen Geistes, sondern auch an einen bestimmten apostolischen Lehrgehalt gebunden“ sind,108 der die Evangeliumsverkündigung und die Sakramentsverwaltung als „pure et recte“ und damit als apostolisch qualifiziert.109 Allerdings zieht die CA daraus gerade nicht den Schluss, dass Lehr- und Bekenntnisdifferenzen automatisch die gottesdienstliche Einheit im pure et recte schlechthin unmöglich machen, wie überhaupt kirchliche Lehre nach evangelischem Verständnis den media salutis zu dienen und sich nicht als heilsnotwendige Größe an deren Stelle zu setzen hat.110 Weiter heißt es in CA 7: „Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden.“ Die CA und die ApCA vertreten mit diesem „Satis est“ ein Kirchenverständnis, das vom Prinzip her nicht auf eine bestimmte Kirchenverfassung festgelegt ist und auch nicht darauf festgelegt werden will. „Das Verständnis von Kircheneinheit in Confessio Augustana 7 ist gegenüber der ganzen Tradition neu, sofern diese Einheit allein von Wort und Sakrament her gedacht ist.“111 2.1.3 Die Bedeutung des kirchlichen Amtes als Gnadenmittelamt Um den Rechtfertigungsglauben zu erlangen („ut. . . consequamur“), bedarf es nach CA 5 der leiblichen Mittel („instrumenta“) des Evangeliums und der Sakramente, zu deren Darreichung das Amt („ministerium“) von Gott eingesetzt ist.112 Dabei darf die Frage nach dem gottesdienstlichen Vorsteheramt in CA 5 nicht überbetont werden, da das eigentliche Thema dieses Artikels Gottes in den gottesdienstlichen Vollzügen vermitteltes Geistwirken ist, dem das Amt als eine dem göttlichen Wirken untergeordnete Größe zu dienen hat.113 Die leiblichen Mittel („instrumenta“) des Heiligen Geistes sind das Wort bzw. das Evangelium und die Sakramente. Die Leiblichkeit der Heilsvermittlung wird beson-

108 109 110 111 112 113

Arnold, Theologie, 150. Vgl. auch Meyer/Schütte, Auffassung, 176 f. Vgl. Wenz, Kirche, 69–71. Lohse, Art. Augsburger Bekenntnis, 622. Dass das Amt von Gott eingesetzt ist, steht so nur in der deutschen Fassung. Vgl. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 1, 585–588.

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ders gegen die Spiritualisten und deren unvermittelte Gottunmittelbarkeit betont, wie CA 5 auch mit einer ausdrücklichen Damnation der Wiedertäufer schließt.114 Das Amt bestimmt sich nach der CA ausschließlich von den gottesdienstlichen Vollzügen her, die als „leiblich Wort des Evangelii“115 den Heiligen Geist geben und somit den rechten Glauben wirken und stärken. Nach der CA ist die Heilsvermittlung ausschließlich durch die äußerliche Vermittlungsgestalt des ministerium verbum divini möglich, die jedoch keine den Heilsmitteln voroder übergeordnete Instanz bildet, sondern ihrerseits in der Austeilung der Heilsgüter Christi als empfangende Instanz überhaupt erst ereignishaft zur Darstellung ihres bestimmungsgemäßen Wesens kommt. Das kirchliche Amt kann für sich genommen die Einheit der Kirche weder verbürgen noch garantieren, obgleich das Amt von Gott eingesetzt ist und es für den öffentlichen Gottesdienst notwendig ist, dass der Prediger bzw. Sakramentsspender „rite vocatus“ ist, was im ursprünglichen Sinne der CA als „rite ordinatus“ zu verstehen ist.116 Kirche und Amt werden nach dem Zeugnis der CA strikt gottesdienstlich verstanden. Das kirchliche Amt ist somit Gnadenmittelamt117 und für die Ordinierten also weder Gnadenmittel noch bloßes Lebensmittel.118 114

CA 5,4 (BSLK 58,11–15). CA 5,3 (BSLK 58,12 f). 116 Vgl. dazu Wenz, Rite vocatus/a. 117 Zur Begrifflichkeit und zum Verständnis des „Gnadenmittelamtes“ vgl. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 2, 316–318. 118 Die neueren Überlegungen innerhalb des deutschen Protestantismus zur Auslegung des „rite vocatus“ haben in all ihren Positionen eindrücklich untermauert, dass das Amt kein medium salutis ist (vgl. Ordnungsgemäß berufen, 14). Die Erklärung der VELKD-Bischöfe „Ordnungsgemäß berufen“ macht jedoch aus dem Gnadenmittelamt tendenziell ein Lebensmittelamt. Die Grundposition des bischöflichen Papiers besteht darin, dass das „rite vocatus“ in CA 14 als Oberbegriff für unterschiedliche Weisen der Ausübung ordinationsgebundener, traditionell pfarramtlicher Aufgaben fungieren soll. Die Ordination ist eine Weise der „Beauftragung“ neben anderen, vom Umfang her die umfassendste, da sie zeitlich unbeschränkt ist. Daneben gibt es beauftragte Personen mit einem ggf. befristeten Auftrag, die die Aufgaben des öffentlichen Amtes nur „in Abstimmung mit dem/der zuständigen Ordinierten wahrnimmt“ (Ordnungsgemäß berufen, 19). Das Verhältnis von Ordinierten und Beauftragten entspricht grob der Logik des Verhältnisses von Bischof und Priester im römischen Katholizismus. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass das eigentliche Anliegen der bischöflichen Erklärung darin besteht, all die vielfältigen nichtordinierten Gottesdienst- und Abendmahlsleiter und -leiterinnen theologisch zu legitimieren, ohne sie jedoch ordinieren zu wollen. Im Hintergrund steht die Tatsache, dass die Ordination in der Regel mit dem Beamtenstatus verknüpft ist, und darum zwar für niemanden ein Gnadenmittel, für die Ordinandinnen und Ordinanden jedoch ein Lebensmittel darstellt, das das kirchliche Finanzbudget eben nicht allen gewähren kann und will, die ordinationsgebundene Aufgaben im Gottesdienst ausüben. Diese Erklärung zementiert letztlich einen Zwei-Klassen-Klerus von ordinierten Pfarrerinnen und Pfarrern einerseits und „beauftragten“ Gottesdienstleitern andererseits. Die ökumenische Problematik des gesamten neueren Ansatzes der VELKD habe ich anderenorts diskutiert (vgl. Florian Ihsen, Ökumenische Brücken niedergerissen?! Zur Problematik der Empfeh115

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Der CA und der ApCA ist daran gelegen, in der bisherigen bischöflich verfassten Kirche und der kanonischen Ordnung der Ordination zu verbleiben.119 Das kirchliche Amt ist dabei jedoch kein eigener Faktor kirchlicher Einheit in derselben Weise, wie das von Wort und Sakrament auszusagen ist. Das Amt ist strikt der Evangeliumsverkündigung als dem eigentlichen Konstituens der Kirche zugeordnet – und im Zweifelsfall Wort und Sakrament untergeordnet. Die Reformation verdankt sich diesem besonderen Zweifelsfall, dass zwischen konkreter Amtsgestalt und der im Evangelium gründenden Kirche Christi unterschieden werden muss. Um es anders zu sagen: Gerade um in der apostolischen Sukzession zu bleiben, mussten die Reformatoren diejenigen kritisieren und in Frage stellen, die beanspruchten, die apostolische Sukzession formal zu garantieren, aber zugleich den apostolischen Gehalt des Evangeliums und der Kirche verdunkelten. 2.1.4 Die ökumenische Offenheit des evangelisch-lutherischen Kirchenverständnisses Die CA hat einen offenen Kirchenbegriff formuliert. Die Offenheit gründet in der radikalen Konzentration auf das, was die Kirche zur Kirche macht, nämlich die media salutis, woraus folgt, dass die Kirche Jesu Christi nicht mit einer geschichtlich verfassten Kirche identisch sein kann und muss, sondern ihre Einheit im pure docere und im recte administrare sacramenta hat. Die Sichtbarkeit der Kirche wird betont, bleibt aber auf die externa signa von Wort und Sakrament beschränkt.120 Damit ist keiner kirchenverfassungstheoretischen Beliebigkeit das Wort geredet. Die Kirche wird auch nicht überall dort gesehen, wo Predigt und Sakrament überhaupt und irgendwie stattfinden, was gewissermaßen ein außenperspektivisches Pendant zum institutionstheoretischen Kirchenbegriff wäre, der von der Wahrheitsfrage absieht. Die gottesdienstlichen Vollzüge sind nicht per se die Kennzeichen der Kirche, sondern insofern, als sie pure et recte vollzogen werden. Ihre Bestimmung haben Evangeliumsverkündigung und Sakrament darin, „ut hanc fidem consequamur“ (CA 5), um den rechtfertigenden Glauben zu erlangen, von dem CA 4 und ApCA 4 sprechen.121

lung der Bischöfe der VELKD zu Allgemeinem Priestertum, Ordination und Beauftragung, DtPfrBl 106, 8/2006, 405–408). 119 Die Weigerung der altgläubigen Bischöfe, reformatorisch gesinnte Männer zu ordinieren, sowie die daraus resultierende Notwendigkeit der presbyteralen Ordination wurde im 16. Jahrhundert als Notlösung empfunden, die die prinzipielle Bereitschaft, innerhalb der bisherigen Amtskontinuität zu verbleiben, nicht in Frage stellen sollte. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist Georg III. von Anhalt, der erste evangelische Bischof von Merseburg. Vgl. dazu ausführlich Sander, Ordinatio Apostolica, bes. 233–235. 120 Vgl. Meyer/Schütte, Auffassung, 182 f. 121 Aus lutherischer Sicht kann die Kirche Jesu Christi damit durchaus auch in den Gottesdiensten getrennter Konfessionen erkannt werden.

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Es wird sich später zeigen, dass der gottesdienstliche Ursinn der CA, das pure docere, einseitig im Sinne der rechten Lehre rezipiert wurde. Die trennende Lehre hat somit über lange Zeit hinweg die Teilnahme anderer Christen am lutherischen Abendmahl und umgekehrt verhindert. Die Konzentration auf das Wesentliche, das die Kirche zur Kirche macht, hat die CA im 20. Jahrhundert zum Ausgangspunkt vielfältiger ökumenischer Verständigungen gemacht.

2.2 Kirchen-, Gottesdienst- und Sakramentsgemeinschaft aus lutherischer Sicht im Spiegel ausgewählter verbindlicher Erklärungen des 20. Jahrhunderts Auf der ekklesiologischen Basis der CA sind die evangelisch-lutherischen Kirchen im 20. Jahrhundert vielfältige Formen von Kirchen-, Gottesdienst-, Abendmahls- und Amtsgemeinschaft eingegangen. Einige davon seien nun kurz auf dem Hintergrund der CA dargestellt. Die verschiedenen verbindlich eingegangenen Erklärungen und Formen von Kirchen- und Gottesdienstgemeinschaft haben dabei ihrem Selbstverständnis nach dezidiert als evangelisch-lutherische Ekklesiologie und als Auslegung und Anwendung von CA 7 zu gelten. Man würde das Selbstverständnis der Verständigungstexte sowie die Redlichkeit dieser Vereinbarungen in Frage stellen, würde man diese nicht auch als authentische Zeugnisse evangelisch-lutherischer Ekklesiologie verstehen. 2.2.1 Die geschlossene Kommunion als traditionelle lutherische Grundoption Innerprotestantische Einigungsbestrebungen hat es seit den Trennungen von Lutheranern und Reformierten immer wieder gegeben. Prominente Belege dafür sind die Unionen des 19. Jahrhunderts und hier besonders die Altpreußische Union unter Friedrich Wilhelm III.122 Als sich 1948 die dreizehn lutherischen, zwei reformierten und zwölf unierten Landeskirchen zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter einer endgültigen Grundordnung zusammenschlossen, sollte die neu gegründete Gemeinschaft die evangelische Christenheit in Deutschland deutlicher sichtbar werden lassen.123 Es bestand jedoch noch keine volle Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen den zusammengeschlossenen Kirchen. Vielmehr schlossen sich bekenntnisgleiche bzw. bekenntnisähnliche Kirchen innerhalb der EKD zu konfessionellen Kirchenbünden zusammen. So entstand 1948 die „Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands“ sowie 1967 die „Arnoldshainer Konferenz“, in der sich die reformierten und unierten Kirchen organisiert haben. Die Kirchen der Arnoldshainer Konferenz praktizierten untereinander, also unter nicht bekenntnisgleichen Kirchen Kanzel- und Abend122 123

Vgl. Wenz, Kirche, 201 f. Vgl. dazu Neuner/Kleinschwärzer-Meister, Kleines Handbuch der Ökumene, 50 f.

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mahlsgemeinschaft und luden dazu auch die übrigen, der EKD angehörigen Kirchen, also vor allem die lutherischen Kirchen ein. Die lutherischen Kirchen haben diese Einladung jedoch zunächst nicht angenommen. Als Beispiel für den offiziellen Standpunkt einer lutherischen Kirche soll die Ordnung des kirchlichen Lebens in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern aus dem Jahr 1948, also nach der Gründung der EKD gelten. Dort heißt es zur Abendmahlsgemeinschaft von Christen verschiedenen Bekenntnisses: „Da aber die Abendmahlsgemeinschaft zugleich Ausdruck engster Kirchengemeinschaft ist, ist es nicht gut, die unserem Glauben und Erkennen gesetzten Grenzen voreilig zu überspringen. Unsere ökumenische Verantwortung zeigt sich gerade in unserer Treue zu dem Verständnis des Wortes, das Gott der evangelisch-lutherischen Kirche gegeben hat. Volle Abendmahlsgemeinschaft ist nur möglich, wo Kirchen sich in den Grundlagen ihres Glaubens so nahe gekommen sind, dass sich in der Abendmahlsgemeinschaft auch die Glaubens- und Kirchengemeinschaft verwirklicht. Innerhalb der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands besteht daher volle Abendmahlsgemeinschaft.“124 Während Glieder anderer evangelischer Bekenntnisse am (evangelisch-lutherischen) Abendmahl teilnehmen können, „wo seelsorgerliche Verantwortung oder gemeindliche Verhältnisse die Zulassung nahe legen“,125 ist die Kirchenordnung gegenüber dem römischen Katholizismus deutlich restriktiver. „Ob römisch-katholische Christen, die in einer evangelisch getrauten Ehe vom Sakrament ihrer Kirche ausgeschlossen sind, in einer evangelisch-lutherischen Gemeinde zum Heiligen Abendmahl zugelassen werden können, muss der Seelsorger nach gewissenhafter Prüfung entscheiden. Sie müssen sich jedoch darüber im Klaren sein, dass die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche und die Teilnahme am Abendmahl in der evangelisch-lutherischen Kirche auf Dauer nicht vereinbar sind.“126 Zum umgekehrten Fall bemerkt die Kirchenordnung knapp und ohne Begründung: „Evangelisch-lutherische Christen können an der Kommunion in der römisch-katholischen Messfeier nicht teilnehmen.“127 Seit der Konfessionalisierung der westlichen Christenheit galt als Grundregel, dass Abendmahlsgemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft nicht möglich ist und die Kirchengemeinschaft wiederum Bekenntnisgemeinschaft voraussetzt.128 So wurde lutherischerseits die konfessionskirchlich geschlossene Abendmahlsfeier als die von den Bekenntnisschriften her geforderte angemessene Praxis erachtet, wobei die ausnahmsweise Zulassung anderskonfessioneller Getaufter 124 125 126 127 128

Zitiert nach Mumm, Gastfreundschaft, 57 f. Zitiert nach Mumm, Gastfreundschaft, 58. Zitiert nach Mumm, Gastfreundschaft, 58. Zitiert nach Mumm, Gastfreundschaft, 58. Vgl. Wenz, Sanctorum Communio, 320. 326–331.

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zum Abendmahl die Regel der geschlossenen Kommunion nicht aufzuheben, sondern zu bestätigen hatte.129 Werner Elert untermauerte diese Praxis durch seine Untersuchungen zur Abendmahlskoinonia in der Alten Kirche, die sich inmitten der Heterodoxien und Häresien als geschlossene Kommunion vollzog, die Glaubens- und Bekenntniseinheit voraussetzte.130 Das altkirchliche Koinoniaverständnis sah Elert auch bei Luther gegeben.131 Auf dieser Grundlage betonte er, dass lutherischerseits Abendmahlsgemeinschaft als Ausdruck der Kirchengemeinschaft und damit als Übereinstimmung in Lehre und Bekenntnis zu gelten habe. Elert sah die bis dato übliche geschlossene Kommunion der lutherischen Kirchen somit in rechtgläubiger Kontinuität zur Alten Kirche.132 Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer interkonfessionellen Gottesdienstgemeinschaft wurde in den traditionellen Bekenntnisschriften nicht behandelt. Es galt im Bereich der lutherischen Kirchen des 20. Jahrhunderts nun, die theologischen Grundlagen des Bekenntnisses innerhalb eines gewandelten Kontextes zur Geltung zu bringen, der im 16. Jahrhundert und im Gefolge der jahrhundertelangen territorialen Konfessionalisierung so nicht gegeben war. Während die reformierten und unierten Gliedkirchen der EKD die Angehörigen anderer evangelischer Bekenntnisse zum Heiligen Abendmahl grundsätzlich zuließen, hielten die lutherischen Kirchen an der untrennbaren Zusammengehörigkeit von Abendmahls- und Kirchen- bzw. Bekenntnisgemeinschaft fest.133 Die Zulassung nichtlutherischer evangelischer Christen zum evangelisch-lutherischen Abendmahl war begründungsbedürftig, aber mit seelsorgerlichen Argumenten auch hinreichend begründungsfähig. Die unterschiedliche Zuordnung von Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft wurde zur Differenz zwischen den reformierten und unierten EKD-Kirchen einerseits und den lutherischen Kirchen andrerseits, die wiederum in einer unterschiedlichen Zuordnung von kirchlicher Lehre und kirchlichem Gottesdienst begründet sind.134 Die lutherischen Kirchen wollten ihre Abendmahlspraxis als offene Kommunion, nicht aber als Interkommunion verstehen und gestalten. So entwickelte sich im Bereich der lutherischen Kirchen nach und nach die begründete Praxis der kasuell bedingten offenen Kommunion.135 Diese Entwicklung ist in gewisser Weise tatsächlich ein „Positionswechsel“ (Gunther Wenz);136 allerdings stehen evangelisch-lutherische Lehre und Kirche vor einer gegenüber den traditionellen Bekenntnissen neuen Situation, in der es gilt, die gültigen

129 130 131 132 133 134 135 136

Vgl. Wenz, Kirche, 146 f. Vgl. Elert, Abendmahl, bes. 39–54, 64–70. Vgl. Elert, Abendmahl, 8–10. Vgl. Wenz, Sanctorum Communio, 320 f. Vgl. dazu Brunner, Grundordnung, 172–175. Vgl. Brunner, Grundordnung, 181–184. Die Formulierung geht auf Brunner zurück (vgl. Brunner, Grundordnung, 176). Wenz, Sanctorum Communio, 321.

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dogmatischen Grundlagen neu zu explizieren und applizieren. „Die evangelisch-lutherische Kirche sieht sich selbst durch ihre ökumenische Bewegung mit Situationen und Erfahrungen konfrontiert, die neu für sie sind. Sie besitzt dafür noch keine festen Verständnismuster und Reaktionsformen.“ (Eilert Herms)137 Ich werde im späteren Verlauf der Arbeit zeigen, dass dieser Positionswechsel noch auf andere Weise als sachgemäß anzusehen ist. Denn die traditionelle lutherische Grundregel von lehrmäßiger Bekenntnisgemeinschaft als Voraussetzung von Abendmahlsgemeinschaft ignoriert den liturgischen Vollzug als Bekenntnissituation und Vollzug der Bekenntnisgemeinschaft. Dazu mehr in den Teilen C, D und E dieser Arbeit. 2.2.2 Maximale Möglichkeiten von Abendmahls- und Kirchengemeinschaft auf minimalem Konsens: Die Leuenberger Konkordie Die „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“, besser bekannt als „Leuenberger Konkordie“, hat zwischen den Signatarkirchen, darunter alle Gliedkirchen der EKD, Kirchengemeinschaft und somit volle Abendmahlsgemeinschaft ermöglicht.138 Im Vorfeld der Konkordie wurde in den lutherischreformierten Gesprächen in den Jahren 1968–70 die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und der rechten Feier der Sakramente als zur Einheit genügend erachtet.139 Als gemeinsame Grundlage formuliert LK 2 in Anlehnung an CA 7: „Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet. Nach reformatorischer Einsicht ist darum zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend. Von diesen reformatorischen Kriterien leiten die beteiligten Kirchen ihr Verständnis von Kirchengemeinschaft her.“ So formuliert die Konkordie im II. Kapitel ein gemeinsames Verständnis des Evangeliums (LK 6–16). Analog zur Themenabfolge in CA 4 und 5 folgt auch in LK auf die Darstellung der Rechtfertigung (LK 6–12) ihre geistgewirkte Vermittlung durch den Gottesdienst der Kirche. Die Kirche hat die Aufgabe, das in der Schrift bezeugte Evangelium „weiterzugeben durch das mündliche Wort der Predigt, durch den Zuspruch an den einzelnen und durch Taufe und Abendmahl. In Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus im Heiligen Geist gegenwärtig.“ (LK 13) Abendmahlslehre, Christologie und Prädestinationslehre bildeten jahrhundertelang die Hauptkontroversen zwischen lutherischer und reformierter Theologie und Kirche. Ausgehend vom gemeinsamen Verständnis des Evangeliums kann

137 138 139

Herms, Abendmahl, 506. Zitiert werden die Artikelnummern der Leuenberger Konkordie (LK). Vgl. Lohffs, Art. Leuenberger Konkordie, 34.

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LK auch zu diesen drei Loci gemeinsame Aussagen machen. Zur Gegenwart Christi im Abendmahl formuliert die Konkordie als Übereinstimmung: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus in seinem Leib und Blut können wir nicht vom Akt des Essens und Trinkens trennen. Ein Interesse an der Art der Gegenwart Christi im Abendmahl, das von dieser Handlung absieht, läuft Gefahr, den Sinn des Abendmahls zu verdunkeln.“ (LK 18 f) Offensichtlich wurde hier ein Konsens formuliert, der sowohl für die traditionelle reformierte als auch für die lutherische Position tragbar erschien. Ekklesiologische Fragen wurden dem weiteren Dialog zwischen den Konfessionen überlassen, zumal ein hinreichender Basiskonsens über Aufgabe und Funktion der Kirche im Zusammenhang des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums (LK 12 f) formuliert wurde. So konnte die Konkordie feststellen: „Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, dass Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren.“ (LK 29) Die unterzeichnenden Kirchen „gewähren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Das schließt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein.“ (LK 33) Die „beträchtliche(n) Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen“, so LK 28, können nicht als kirchentrennende Faktoren angesehen werden. Der Leuenberger Konkordie ist es gelungen, wesentliche abendmahlstheologische Differenzen zwischen traditionellen reformierten Positionen und den lutherischen Bekenntnisschriften zu vermitteln und auf eine gemeinsame Basis zu stellen. Nichtsdestotrotz war und ist die Konkordie deutlicher Kritik ausgesetzt, besonders von konservativ-lutherischer Seite,140 wie Wenzel Lohff bemerkt. Dies liegt vor allem an ihrem Grundmodell des differenzierten Konsenses, welches besagt, „dass die Bekenntnisverschiedenheit der Signatarkirchen nach erfolgter Verständigung, welche die Erklärung der Kirchengemeinschaft ermöglichte, nicht mehr dieselbe ist wie ehedem. Im Unterschied zu einer trennenden Verschiedenheit kann sie als eine versöhnte Verschiedenheit beschrieben werden, die der Einigkeit dienlich ist, statt sie aufzuheben.“ (Gunther Wenz)141 Offen bleibt, wie sich die differierende liturgische Praxis zum Konsens in der

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Vgl. Lohff, Art. Leuenberger Konkordie, 34. Wenz, Kirche, 210.

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Lehre verhält bzw. ob der Konsens in der Lehre tatsächlich liturgisch so vielfältig realisiert werden kann. Zwar hat LK die Grundlage für ein Höchstmaß ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft gelegt. In der kirchlichen Praxis in Deutschland wird jedoch wenig davon sichtbar, was mit der Union von 1817 und den Verschleifungen der innerprotestantischen Differenzen zusammenhängt.142 Unabhängig davon, wie der Leuenberger Konsens lutherischerseits nun zu bewerten ist, haben die lutherischen Signatarkirchen an dem Grundsatz festgehalten, dass Formen interkonfessioneller Gottesdienstgemeinschaft eines begründenden Konsenses bedürfen, der auf der Grundlage von CA 7 basiert, wobei allerdings in LK der Lehre der eindeutige Primat vor dem Gottesdienst selbst zukommt, was vom ursprünglichen Sinn der CA her als problematisch zu erachten ist. In dieser Hinsicht kann die ausschließlich lehrmäßige und liturgievergessene Orientierung von LK als Minimalkonsens – aber eben so auch als Konsens – gelten. 2.2.3 Die lutherische Sichtweise römisch-katholischer Christen und Gottesdienste: Die Handreichung der VELKD aus dem Jahr 1975 Am 10. Oktober 1975 verabschiedete die Generalsynode der VELKD eine pastoraltheologische Handreichung zur Frage der Teilnahme von evangelisch-lutherischen und römisch-katholischen Christen an der Mahlfeier der jeweils anderen Konfession.143 Die Handreichung hält grundsätzlich an der Verknüpfung von Abendmahlsgemeinschaft und Kirchen- bzw. Bekenntnisgemeinschaft fest. „Im Gottesdienst, insbesondere beim Abendmahl, entfaltet jede christliche Gemeinschaft ihr Verständnis des Evangeliums, der Stiftung Christi und des geistlichen Amtes.“ (II) „Dennoch“, so die Handreichung weiter, „ist die heilige christliche Kirche unseres gemeinsamen Glaubensbekenntnisses, der letztlich auch die Abendmahlsgemeinschaft zugehört, umfassender als die Grenzen unserer Konfessionskirchen; unser Herr Jesus Christus selbst ist es, der zu seinem Tisch einlädt.“ (II) Die Handreichung beginnt mit einer doppelten Differenzierung: Zum einen zwischen der Kirche des Glaubensbekenntnisses und den Konfessionskirchen; zum andern zwischen Jesus Christus als einladenden Herrn des Mahles und der Kirche. Somit kann aus lutherischer Sicht auch im römisch-katholischen Gottesdienst die Gegenwart Christi erkannt werden, „wenn in der Eucharistiefeier

142 „Eine größere Bedeutung haben die Vereinbarungen zwischen reformatorisch geprägten Kirchen in Ländern wie Irland, Polen, Ungarn oder den USA, wo die lutherischen und reformierten Kirchen ihre organisatorische Selbstständigkeit behalten haben. Insgesamt stimmt es jedoch nachdenklich, dass die Abendmahlsgemeinschaften innerhalb der reformatorischen Kirchen keine stärkeren liturgischen, ökumenischen und praktischen Impulse freigesetzt haben.“ (Link, Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, 116) 143 Zitiert werden die römischen Ziffern der Erklärung.

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Brot und Wein mit den Stiftungsworten Christi gesegnet und so bei der Kommunion durch die Gabe von Leib und Blut Christi in Seinem Namen und auf Seinen Befehl die ‚Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit‘ den glaubenden Sündern zugeeignet wird“ (III). Auch die römisch-katholischen Amtsträger handeln im Gottesdienst „an Christi statt“, wie unter Rekurs auf ApCA 7,28 ausgesagt wird. Evangelisch-lutherische Christen können bei der Kommunion in der römisch-katholischen Eucharistiefeier darauf vertrauen, „dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus sich ihnen kraft der Zusage seiner Worte bei der Einsetzung des Abendmahles leibhaft schenkt. Wer in solchem Glauben zum Tisch des Herrn tritt, der bekennt Christus, bereut seine Sünden und preist die Barmherzigkeit Gottes in seinem Sohn durch den Heiligen Geist. Anderes als Vorbedingung zu fordern, kann nach unserer Überzeugung Christen nicht verpflichten.“ (III) Die Teilnahme eines evangelisch-lutherischen Christen an der römischen Messe einschließlich Kommunionempfang wird damit aus lutherischer Sicht theologisch der Gottesdienstmitfeier eines lutherischen Gottesdienstes gleichgesetzt. Die verbleibenden Differenzen haben „nur in geschichtlichen Traditionen oder menschlicher kirchlicher Rechtssetzung ihren Grund“ (III), sodass sie „die Vermittlung des Heils im Gottesdienst nicht einschränken“ (III). Aus evangelisch-lutherischer Sicht gilt, „dass der Zugang zum Tisch des Herrn im Grundsatz jedem Getauften offen steht, der im Vertrauen auf Christi verheißendes Wort hinzutritt, wie es in den Worten seiner Stiftung laut wird.“ (IV) Dies gilt auch für Glieder der römisch-katholischen Kirche. Allerdings wird erwartet, dass alle Kommunikanten „das Heilige Abendmahl in unserem Gottesdienst als der Stiftung Christi gemäß anerkennen“ (IV). Die Handreichung betont mehrfach, dass aus evangelisch-lutherischer Sicht mit der Teilnahme am Abendmahl der anderen Konfession zwar eine geistliche, nicht aber eine rechtliche Kirchengemeinschaft entsteht. Die evangelisch-lutherische Sicht des Abendmahlsempfangs unterscheidet damit die geistlich-unsichtbare Ebene der Kirchengemeinschaft von ihrer sichtbaren Konkretion und gibt der unsichtbaren Ebene einen gewissen Vorzug, ohne diese freilich von der sichtbaren Ebene zu lösen. Die Handreichung ist sich dabei bewusst, dass sich die evangelisch-lutherische Bewertung des Kommunionempfangs in der jeweils anderen Kirche von der entsprechend römisch-katholischen Bewertung unterscheidet. Auch sollen Abendmahls- und Kirchengemeinschaft nicht auseinander gerissen werden. Wohl aber darf die konfessionelle Eigentradition keine eigenen Teilnahmebedingungen für das Altarsakrament aufstellen, die über die Stiftung Christi hinaus gehen. Die Handreichung basiert damit auf einer Ekklesiologie, die die eine Kirche Jesu Christi in verschiedenen konfessionellen Verfassungen verwirklicht glaubt, sodass auch Gottesdienste verschiedener Konfessionskirchen in einer theologisch dem Gottesdienst der eigenen Kirche prinzipiell gleichrangigen Weise anerkannt werden können. Die ekklesiologischen Differenzierungen zwi-

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schen der geglaubten und der verfassten Kirche bzw. zwischen Christus und der Kirche erlauben, ja fordern die Anerkennung der römisch-katholischen Kirche als eine geschichtliche Gestalt der Kirche Jesu Christi neben anderen geschichtlichen Gestalten der Kirche Christi. Über deren spezifischen, ekklesiologischen Wert und die theologische Angemessenheit ihrer geschichtlichen Gestalt ist damit noch nichts gesagt. Die Orientierungshilfe der EKD zum Abendmahl aus dem Jahr 2003 stimmt in der theologischen Bewertung anderskonfessioneller Gottesdienste und Kirchen grundsätzlich und sachlich mit der VELKD-Handreichung von 1975 überein.144 2.2.4 Einladung zur Teilnahme an der Eucharistie auf der Grundlage eines Bekenntnisses ohne vollen Konsens: Die Vereinbarung zwischen der EKD und dem Bistum der deutschen Alt-Katholiken Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den deutschen Alt-Katholiken und den evangelischen Kirchen in Deutschland führten 1985 zur „Vereinbarung über die gegenseitige Einladung zur Teilnahme an der Feier der Eucharistie“145 zwischen dem Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland und den Gliedkirchen der EKD, also auch den lutherischen Landeskirchen. Bedeutsam ist diese Erklärung deshalb, da in ihr die erste auf beiden Seiten verbindliche Abendmahlsvereinbarung zwischen deutschen evangelischen Kirchen und einer katholisch strukturierten Kirche besteht.146 Im Vergleich mit der Leuenberger Konkordie fällt auf, dass die Vereinbarung insgesamt stärker auf den Gottesdienst konzentriert und weniger auf Dogmen, Bekenntnisschriften und Lehrverurteilungen bezogen ist. Dies hängt wesentlich mit dem vergleichsweise geringen Alter und der Eigenart altkatholischer Theologie zusammen, die „nie konfessionelle Theologie war und auch nicht sein kann, sondern sich stets als in der Einheit der Katholischen Kirche stehend und ihr verpflichtet ansah. Das musste bedeuten: Festhalten am Vincentinischen Kanon der Katholizität im Sinne der necessaria oder Dogmen im Sinne rezitierter Lehraussagen der Alten Kirche und besonders der Glaubensentscheidungen der sieben ersten ökumenischen Synoden.“147 Zwischen Alt-Katholizismus und den evangelischen Kirchen waren darüber hinaus auch keine Anatheme aufzuarbeiten.

144 Problematisch an der EKD-Orientierungshilfe ist, dass sie in einem deutlich fortgeschrittenerem Stadium des ökumenischen Dialoges ökumenische Dialogergebnisse negiert und viele Vereinbarungen und Absprachen mit anderen Konfessionen (z. B. Alt-Katholiken, Anglikaner) nicht angemessen berücksichtigt. 145 Die Erklärung wird nach Artikelziffern zitiert. 146 Vgl. auch Link, Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, 116. 147 Küppers, Art. Altkatholizismus, 340.

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So können die beteiligten Kirchen ein gemeinsames Bekenntnis ablegen, das die Grundlage für die gegenseitige Einladung bildet. Die Kirchen bekennen sich zum dreieinen Gott (1), zum Schriftkanon und den Entscheidungen der vier altkirchlichen Konzilien (2), zur Rechtfertigung „allein aus Gnade durch den Glauben“ (3) und zu Sendung und Auftrag der Kirche, Gottes Heil den Menschen zu bringen, was durch die Taufe und die Teilhabe am Priestertum Christi geschieht (4). Während die ersten vier Artikel im Bekenntnisstil verfasst sind, wechselt der Redegenus im 5. und 6. Artikel, die das geistliche Amt sowie die Theologie und die liturgische Gestalt der Eucharistie behandeln. Alt-Katholiken und evangelische Kirchen „bewahren den aus der Sendung der Apostel hervorgehenden Dienst des besonderen Amtes“ (5), aber je auf ihre Weise und nach ihrem eigenen Selbstverständnis, wie wohl hinzugefügt werden könnte und müsste. Die apostolische Sukzession wird personal („Kontinuität mit den Aposteln“) und material („und ihrer Verkündigung“) verstanden. Die Kirchen „feiern die Eucharistie, das von Jesus Christus eingesetzte Mahl des neuen Bundes, in dem er seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein der Gemeinde schenkt. In dieser Feier erfährt die Gemeinde Gottes Liebe in Jesus Christus, verkündet den Tod des Herrn und preist seine Auferstehung, bis er wieder kommt und sein Reich zur Vollendung bringt.“ (6) Über den Zusammenhang von ordiniertem Amt und Leitungsdienst in der Eucharistie sagt die Vereinbarung: „Gemäß der Lehre der beteiligten Kirchen wird die Eucharistiefeier von Ordinierten geleitet. Gemeinschaft im Herrenmahl verpflichtet die beteiligten Kirchen darauf zu achten, dass die Praxis dieser Lehre entspricht.“ (6) Die Vereinbarung hat hier offensichtlich die ordinationstheologisch bisweilen ordnungsbedürftige Praxis in manchen evangelischen Landeskirchen vor Augen und mahnt somit die lehrmäßigen Grundlagen der Amtstheologie an, wobei allerdings unklar bleibt, welche Lehrgrundlagen in den beteiligten Kirchen hier gemeint sind.148 Die Aussagen im 5. und 6. Artikel sind so gehalten, dass die Kirchen die unterschiedlichen Gestalten des Amtes und der Eucharistie in der jeweils anderen Kirche weder grundsätzlich anerkennen noch grundsätzlich in Frage stellen.149 Anerkannt wird vielmehr der Selbstanspruch und das Bemühen des Partners, auf seine Weise das Wesentliche des Amtes und der Eucharistie zu verwirklichen.150 Die apostolische Sukzession, auf die die Alt-Katholiken besonderen Wert legen, wird dabei als „Kontinuität mit den Aposteln und ihrer Verkündi-

148 Dies gilt für die bekenntnismäßig inhomogenen Gliedkirchen der EKD ebenso wie für den lehr- und bekenntnismäßig schwer greifbaren Alt-Katholizismus. 149 Vgl. dazu auch Schuegraf, Gestalt, 139–143. 150 „Auf die Amtsfrage angewendet hieße dies, dass für die alt-katholische Seite das evangelische Amt zwar einen Mangel, jedoch kirchliche Wirklichkeit besitzt und nicht als völlig ungültig angesehen werden kann.“ (Schuegraf, Gestalt, 140)

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gung“ (5) interpretiert. Die Vereinbarung spricht dabei auch die angemessene Feiergestalt an. Der gemeinsam ausgesagte Sinngehalt der Eucharistie – Erfahrung von Gottes Liebe, Verkündigung von Tod und Auferstehung Jesu Christi bis zu seiner Wiederkunft – „findet seinen Ausdruck im Eucharistiegebet, in dem der Einsetzungsbericht mit dem Dank an den Vater, dem Gedächtnis des Heilswerkes Christi (Anamnese) und der Anrufung des Heiligen Geistes (Epiklese) verbunden ist“ (6). Der Hinweis auf das Eucharistiegebet, der vor allem einem alt-katholischen Anliegen entspricht, zeigt noch einmal die Eigenart des Textes. Die Vereinbarung formuliert tastend und vorsichtig, gerade dort, wo gegensätzliche Positionen aufeinander treffen. Denn während für die alt-katholische Seite das Eucharistiegebet in seiner altkirchlich-trinitarischen Struktur zum unverzichtbaren konstitutiven Bestand einer jeglichen Eucharistiefeier gehört, erlebt es im deutschen Protestantismus erst im 20. Jahrhundert eine Renaissance, wobei die liturgische Gestalt der Feier – zumindest nach traditioneller Vorstellung – zu den menschlichen Kirchenordnungen und nicht zu den lehrmäßigen Einheitsfaktoren der Kirche zählt.151 Daher bleibt offen, ob das Eucharistiegebet ein notwendiger oder lediglich ein wünschenswerter, da sinnvoller Ausdruck des gemeinsamen Abendmahlsverständnisses ist. Hier bleibt die Vereinbarung undeutlich, was sich in unterschiedlichen Interpretationen und Feierformen auf beiden Seiten äußert. Das Evangelische Gottesdienstbuch (EGb) von 1999 sieht jedenfalls im altkirchlich strukturierten Eucharistiegebet eine (allerdings bevorzugte und zu bevorzugende) Gestaltungsmöglichkeit der Abendmahlsliturgie neben anderen, etwa der Konzentration auf Einsetzungsworte, Vaterunser und Austeilung.152 Die Vereinbarung zeigt, dass in den eucharistietheologischen und amtstheologisch-ekklesiologischen Fragen (noch) kein gemeinsames Bekenntnis möglich ist. Trotzdem kommt die Vereinbarung zu dem Ergebnis: „Die bisher festgestellten grundlegenden Übereinstimmungen erlauben uns, die Glieder unserer Kirchen gegenseitig zur Teilnahme an der Eucharistie einzuladen.“ Die evangelische Seite macht sich damit ein Modell des stufenweisen gottesdienstlichen Zusammenwachsens zu Eigen. Die Übereinstimmungen erlauben eben nur die Teilnahme an der Eucharistie der anderen Kirche, ohne damit andere gottesdienstliche Partizipationsformen, etwa die eucharistische Konzelebration, auszuschließen. Auch ist keine gegenseitige Anerkennung als Kirche Jesu Christi ausgesprochen. Mit dieser Vereinbarung lassen sich die evangelischen Kirchen auf eine bis-

151 Nichtsdestotrotz ist die Frage nach der Gestalt des Gottesdienstes und ihrer dogmatischen Angemessenheit für jede Konfession unabweisbar, wie aus lutherischer Sicht v. a. Peter Brunner ausführlich und überzeugend dargelegt hat (vgl. Brunner, Lehre, 268–270). Nach Brunner stellt das evangelische Abendmahlsgebet nach dem Messtypus die dogmatisch angemessenste Gestalt der Abendmahlsliturgie dar (vgl. Brunner, Lehre, 340–342). 152 Vgl. EGb 33 f; vgl. dazu auch Hering, Gottesdienst, 366–368.

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lang neue, eher katholisch bestimmte ökumenische Kriteriologie ein, die über CA 7 hinausgeht, ohne CA 7 zu widersprechen. Der Lehrkonsens über das Evangelium als solcher begründet noch keine volle Kirchengemeinschaft. Vielmehr werden offene Fragen in der Ekklesiologie und der Lehre und Gestalt der Eucharistie auf einen gemeinsamen altkirchlichen Grund gestellt und einander angenähert, ohne dass damit schon ein gemeinsames Bekenntnis möglich wäre; vielmehr muss auf und trotz der gemeinsamen altkirchlichen Grundlage mit erheblichen Differenzen gerechnet werden, die der Text allerdings nicht offen ausspricht. Anders als die Leuenberger Konkordie basiert die Einladung auf einem gemeinsamen Bekenntnisgrund, in dem das gemeinsame Verständnis des (Rechtfertigungs)Evangeliums (Art. 3) für sich genommen noch nicht für Abendmahls- und Kirchengemeinschaft ausreicht. Offensichtlich sind sich die beiden unterzeichnenden Seiten, also deutsche AltKatholiken und EKD, darüber uneinig, was als Grundoption für Kirchengemeinschaft bzw. zur Einladung zur Eucharistie in der Partnerkirche nötig ist. Die Grundlage der Einladung besteht demnach in einer Aneinanderreihung von Übereinstimmungen, deren Verhältnis zueinander ebenso unklar bleibt wie deren Verhältnis zu den verbleibenden lehrmäßigen Differenzen und worin diese überhaupt bestehen. Entsprechend vorsichtig ist auch die gottesdienstpraktische Konsequenz: Die Glieder der jeweils anderen Kirche werden zur Eucharistie eingeladen. Die klassischen Begriffe der ökumenischen Dialoge wie „offene Kommunion“, „Interkommunion“ oder „eucharistische Gastfreundschaft“ werden vermieden. Nach Sigisbert Kraft, dem verstorbenen alt-katholischen Bischof, stellt die Vereinbarung „nicht – wie man irrtümlich meinen könnte – bereits ‚die Vereinbarung‘ dar, sondern soll zu einer solchen verhelfen“153 – wobei Krafts Interpretation nicht am Wortlaut der Vereinbarung festgemacht werden kann, die eben „Vereinbarung“ heißt. Die beteiligten Kirchen wollen mit ihrem Schritt dem Gebot des Herrn gerecht werden, „dass seine Kirche einig und eine sei“ (6). Als tragende gemeinsame ekklesiologische Grundentscheidung lässt sich somit in der Vereinbarung die Selbstrelativierung der beteiligten Kirchen gegenüber dem Willen des Herrn und seiner Kirche erkennen, wie dies auch CA 7 („satis est“) exemplarisch formuliert. Die Konzelebration von Eucharistiefeiern unter Beteiligung alt-katholischer und evangelischer Amtsträger, wie sie beispielsweise zu Kirchentagen regelmäßig stattfindet, geht weit über die Vereinbarung von 1985 hinaus und dürfte auch innerhalb der Utrechter Union nicht unumstritten sein. Sie kann sich aber indirekt durch die evangelisch-anglikanischen Dialogergebnisse theologisch le-

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Kraft, Einladung, 312.

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gitimieren, bei denen ein theologisch weitaus differenzierterer Konsens als Grundlage der Kirchengemeinschaft erarbeitet wurde, zumal zwischen Alt-Katholiken und Anglikanern seit dem Bonner Interkommunionsabkommen von 1931 „full communion“ besteht.154 2.2.5 Fast volle Kirchengemeinschaft auf der Grundlage einer sakramentalen Ekklesiologie: Die Meissener Erklärung 1988 fand der theologische Dialog zwischen der Church of England und der EKD seinen vorläufigen Abschluss mit dem Meissener Dokument.155 Auf der Basis einer gemeinsamen theologischen Feststellung baut die Meissener Erklärung auf. Die Church of England und die deutschen evangelischen Landeskirchen nahmen dieses Dokument an, sodass die Meissener Erklärung 1991 mit einem feierlichen gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst in Kraft trat. Es handelt sich also hierbei um ein ökumenisches Konsenspapier, das für die Kirchen beider Seiten verbindlich ist. Die gemeinsame Feststellung erfolgt in einem dezidiert ekklesiologischen Rahmen und beginnt mit der Entfaltung eines sakramentalen Kirchenverständnisses, das an die vatikanische Kirchenkonstitution erinnert: Die Kirche als gottmenschliche Wirklichkeit ist Zeichen, Werkzeug und Vorgeschmack des Reiches Gottes (I,3). Als Koinonia der Versöhnten hat sie Anteil an der Koinonia der Trinität. Das gemeinsame Verständnis der Rechtfertigung wird ekklesiologisch verortet. „Die Kirche ist die Gemeinschaft (koinonia) derer, die mit Gott und miteinander versöhnt sind. Sie ist die Gemeinschaft derer, die in der Kraft des Heiligen Geistes an Jesus Christus glauben und durch Gottes Gnade gerechtfertigt sind.“ (II,5) Die ökumenische Vision der Kirche besteht in der sichtbaren Einheit der Kirche, an deren Verwirklichung und Darstellung die beteiligten Kirchen arbeiten. Die sichtbare Einheit muss das gemeinsame Glaubensbekenntnis, die Gemeinschaft in Taufe, Herrenmahl und einem „versöhnten“, gemeinsamen Amt sowie weitere äußere sichtbare Bande der Gemeinschaft einschließen (III,8). Die Gemeinschaft zwischen Anglikanern und den Evangelischen Kirchen hat bereits ein hohes Maß an Gemeinschaft erreicht. „Wir sind bereits in der Lage, einander zum Empfang des Heiligen Abendmahls in unseren Kirchen gegenseitig einzuladen.“ (IV,11) Und weiter: „Wir erkennen an, dass es in unseren Kirchen die Treue gibt zum apostolischen Glauben und zur apostolischen Sendung, zur Feier von Taufe und Herrenmahl und zu der Ausübung der ordinierten Ämter als von Gott gegeben und als Werkzeuge seiner Gnade.“ (IV,12) Die beteilig154 155

Vgl. dazu Schuegraf, Gestalt, 66–75. Zitiert werden die Artikelnummern des Textes nach DwÜ 3, 732–734.

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ten Kirchen erkennen sich gegenseitig als Kirchen der einen Kirche Jesu Christi an, in denen das Wort Gottes authentisch gepredigt und Taufe und Abendmahl recht verwaltet werden. Sie erkennen gegenseitig auch die ordinationsgebundenen Ämter und die Vielfalt der Formen der Episkopé an. Die evangelischen Kirchen und die Anglikaner können in vielen Punkten Übereinstimmungen feststellen, darunter im Tauf-, Abendmahls- und Rechtfertigungsverständnis (V,15). Das Amt wird zwar gegenseitig anerkannt, aber noch nicht als versöhnt erachtet. Als noch verbliebene Differenz wird das Verständnis des Bischofsamtes genannt: Während für die Anglikaner der historische Episkopat für die volle sichtbare Einheit der Kirche notwendig ist, können die evangelischen Kirchen die historische Sukzession der Bischöfe nur als „ein Zeichen der Apostolizität des Lebens der ganzen Kirche“ (V,16) würdigen und ihr keine Notwendigkeit zuschreiben, da die Kirchen der Reformation auch andere Formen der Wahrnehmung der Episkopé kennen und praktizieren. „Wegen dieses bleibenden Unterschiedes führt unsere gegenseitige Anerkennung der beiderseitigen Ämter noch nicht zur vollen Austauschbarkeit der Pfarrer.“ (V,16) Die gegenseitige Teilnahme an den Gottesdiensten sowie die gemeinsame Eucharistiefeier werden ausdrücklich vereinbart und empfohlen, wobei diese gemeinsamen Gottesdienste zugleich auch die verbliebene amtstheologische Differenz in der Wertung des historischen Episkopats zum Ausdruck bringen sollen. Der anglikanische Konsekrationsvorbehalt, nämlich dass nur in historischer Sukzession gültig Geweihte der anglikanischen Eucharistie vorstehen dürfen, hat Konsequenzen für die Gottesdienstgemeinschaft und die konkrete Gestaltung und Rollenverteilung in einem gemeinsamen Gottesdienst. Dass noch keine volle Austauschbarkeit der Geistlichen besteht, schließt jedoch ein, dass eine gastweise Austauschbarkeit und bedingte Interzelebration möglich ist, ja empfohlen wird. Der Grad der Gemeinschaft steht damit zwischen Interkommunion und voller Interzelebration. Dies soll auch bei gemeinsamen Abendmahlsgottesdiensten deutlich werden, in denen eine volle eucharistische Konzelebration im Sinne einer gemeinsamen Konsekration in Wort und/oder Geste nicht vorgesehen ist. Die kirchenrechtlichen Rahmenbedingungen gastweiser Interzelebration zeigen vielmehr, dass etwa ein Geistlicher einer Gliedkirche der EKD auch im Fall eines Austausches nicht einer anglikanischen Eucharistiefeier vorstehen kann und einem in historischer Sukzession geweihten Priester nicht gleichgestellt ist, während umgekehrt auf evangelischer Seite der anglikanische Priester die nötige theologische Kompetenz nachweisen muss, um die Aufgaben des ordinierten Amtes wahrnehmen zu können.156 Während also

156 Vgl. dazu das Ergebnisprotokoll der 2. Theologischen Konferenz der neuen Reihe zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England vom 17. bis 22. März 1996 in West Wickham, England, in: Visible Unity and the Ministry of Oversight. The Second Theological

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auf anglikanischer Seite die Rechtmäßigkeit und sakramentale Vollmächtigkeit der evangelischen Ordination außerhalb der historischen Sukzession angezweifelt wird, kann umgekehrt die anglikanische Weihe von evangelischer Seite her noch nicht als Ausweis hinreichender theologischer Kompetenz anerkannt werden. In gemeinsam gefeierten Gottesdiensten gelten die Traditionen und Ordnungen des leitenden Zelebranten, womit der Vorsteher und Leiter des eucharistischen Teiles des Gottesdienstes gemeint ist. Darüber hinaus gilt für eine solche gemeinsame Feier: „Der Abendmahlsgottesdienst wird von einem ordinierten Geistlichen geleitet. Nur diese Person darf das eucharistische Gebet sprechen. In dem eucharistischen Gebet sind die Einsetzungsworte verbunden mit der Danksagung an den Vater, der Erinnerung an das Heilswerk Christi (Anamnese) und der Anrufung des Heiligen Geistes (Epiklese).“ (VI,6) Die beteiligten Kirchen verpflichten sich damit auf eine bestimmte liturgische Form der gemeinsamen Eucharistiefeier, nämlich auf die altkirchlich-trinitarische Struktur des Eucharistiegebetes. Ferner wird die Notwendigkeit der Ordination für die Eucharistiefeier hervorgehoben. Beides, die altkirchliche Struktur der Feiergestalt und die Betonung des ordinierten Amtes nehmen – ähnlich wie die Vereinbarung mit den Alt-Katholiken – besonders die evangelische Seite in die Pflicht.157 Amtsträger (und Gemeindeglieder) der Partnerkonfession können Teile des Gottesdienstes übernehmen (z. B. Predigt, Lesungen, Fürbitten), nicht jedoch Teile des eucharistischen Gebetes. Das Ordo-Verständnis der Anglikaner fordert, dass immer ein anglikanischer Geistlicher der gemeinsamen evangelischanglikanischen Eucharistiefeier präsidiert. Die eucharistische Konzelebration sowie die volle Interzelebration bleiben noch offene Themen und Ziele, die eine vertiefte Beschäftigung mit dem bischöflichen Amt erfordern. Nichtsdestotrotz haben die EKD-Kirchen und die Anglikaner mit der Meissener Erklärung eine sehr weit reichende gottesdienstliche Gemeinschaft erreicht – trotz bestehender amtstheologischer Differenzen und Unklarheiten. Grundlage von Meissen ist ein hohes Maß an theologischen Übereinstimmungen, die bereits vorangehende Dialogdokumente erarbeitet hatten. Auch hier haben sich die evangelischen Kirchen gegenüber CA 7 und der Leuenberger Konkordie auf eine modifizierte Kriteriologie der Kirchengemeinschaft eingelassen. Der notwendige Konsens in der Verkündigung des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente ist gegeben. Allerdings zählen im

Conference held under the Meissen Agreement between the Church of England and the Evangelical Church in Germany, London 1997, 221–230, bes. 226–228. 157 Aus anglikanischer Sicht wird unausgesprochen erwartet, dass die in den Gliedkirchen der EKD gefeierten Gottesdienste sich den genannten Formbedingungen des anglikanisch-evangelischen Gottesdienstes (Leitung durch Ordinierte, Abendmahlsliturgie in Gestalt des altkirchlich-trinitarisch strukturierten Eucharistiegebetes) annähern.

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anglikanisch-evangelischem Dialog noch weitere Themen zu den Konstituentien der Kirchengemeinschaft, da nach anglikanischem Verständnis auch das dreigegliederte Amt und der historische Episkopat zum esse der Kirche gehören. Am Meissen-Dokument zeigt sich, wenn auch nur indirekt ausgesprochen, dass es „nach anglikanischer Auffassung ohne das dreifache Amt kein gemeinsames Amt, ohne bischöfliche Ordination – also ohne Ordination durch einen Bischof in historischer Sukzession – keine volle Austauschbarkeit der Geistlichen und ohne ‚a single episcopate‘ keine ‚visible unity of the Church‘ gibt“ (Ingolf U. Dalferth).158 Die gegenseitige Anerkennung als Kirchen der einen Kirche Christi, in denen das Evangelium authentisch gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden, wie es ausdrücklich formuliert wird (VI,17) sowie die gegenseitige Anerkennung der ordinierten Ämter „als von Gott gegeben und als Werkzeuge seiner Gnade“ (VI,17), reichen hier für volle sichtbare Kircheneinheit noch nicht aus. Die unterschiedliche Bewertung des historischen Episkopats stellt somit einen letzten Vorbehalt dar, der sich auch liturgisch zeigen soll. Man könnte mit Werner Führer in der anglikanischen Notwendigkeit des historischen Episkopats ein „Extra Anglicanisticum“ sehen, das seiner Meinung nach in reformatorischer Sicht als „unsachgerechter Zusatz“ zu verstehen ist.159 Es ist jedoch mit Oliver Schuegraf zu fragen, ob das reformatorische „nec necesse est“ in CA 7 nicht gerade auch die Freiheit eröffnet, den historischen Episkopat „um der Einheit willen als einen Dienst an dieser Einheit anerkennen zu können“.160 In jedem Fall hat die Inkraftsetzung der Meissener Erklärung gezeigt, dass die lutherischen Kirchen bereit und theologisch fähig sind, die Grundlage für Kirchen- und Gottesdienstgemeinschaft unter Berücksichtigung von Grundzügen eines gemeinsamen Amtsverständnisses zu fassen. CA 7 bleibt maßgeblich für die Einheit der Kirche, aber nicht in einem exklusiven Sinn. Die notae ecclesiae von CA 7 werden im Meissener Dokument vielmehr eingebettet in eine sakramentale Ekklesiologie. „Der Konsens im Wort- und Sakramentsverständnis bedeutet nicht, dass alle anderen Fragen Ort eines grenzenlosen Pluralismus sind“,161 bemerkt André Birmelé zum Verhältnis der Leuenberger Konkordie zur Meissen- und zur Porvoo-Erklärung; vielmehr hat, so Birmelé weiter, dieser Konsens „deutliche Konsequenzen für alle anderen Bereiche der Theologie und des kirchlichen Lebens“.162 Es geht hierbei nicht darum, die in CA 7 genannten Kriterien für Kircheneinheit umgehen oder ergänzen zu wollen, sondern um die Freiheit, um der Liebe

158

Dalferth, Amt 241. Vgl. Führer, Amt, 410 f; denselben Vorwurf erhebt Führer gegen das Porvoo-Dokument (Führer, Amt, 417–419). 160 Schuegraf, Gestalt, 91. 161 Birmelé, Leuenberg – Meissen – Porvoo, 42. 162 Birmelé, Leuenberg – Meissen – Porvoo, 42. 159

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und der Einheit willen auch die Kriterien der Einheit des Gesprächspartners zu respektieren, hier die Struktur und Theologie des Amtes, zu den beiden reformatorischen notae ecclesiae hinzuzunehmen, solange diese weiteren Kriterien den reformatorischen notae zu- und untergeordnet bleiben. Die evangelische Seite hat sich damit bereit gezeigt, die Kriterien für Kircheneinheit nach CA 7, die für die Leuenberger Konkordie wegweisend waren, nicht notwendig eng verstehen zu müssen und somit auch mit anderen Kirchen, die für Kirchengemeinschaft einen breiteren ekklesiologischen Boden fordern, Fortschritte in der sichtbaren Einheit zu erzielen. Es wäre hilfreich und sachgemäß, wenn Meissen (und Porvoo) auch für den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche fruchtbar gemacht werden könnte. 2.2.6 Lutherische Kirchen in der apostolischen Sukzession des historischen Episkopats: Das Porvoo-Dokument Im Zusammenhang mit den evangelisch-anglikanischen Beziehungen sei ein exemplarischer Blick auf das außerdeutsche Luthertum geworfen. 1992 wurde das „Porvoo Common Statement“ unterzeichnet, das auf dem Meissen-Dokument aufbaut, über dieses jedoch noch weiter hinausgeht.163 Die Porvoo-Erklärung begründet Gemeinschaft zwischen den anglikanischen Kirchen in England, Schottland, Wales und Irland sowie den lutherischen Kirchen in den nordischen und baltischen Ländern. Die lutherischen Partner repräsentieren dabei drei unterschiedliche Typen bischöflicher Kirchenverfassung, nämlich solche mit bewahrter historischer Sukzession, mit wieder aufgenommener historischer Sukzession und solche ohne historische Sukzession.164 Noch pointierter als im Meissen-Dokument versteht das Porvoo-Dokument die Kirche eschatologischsakramental: „Die Kirche ist eine göttliche, heilige und die gegenwärtige Endlichkeit transzendierende Realität; als eine menschliche Institution hat sie aber zugleich an der Gebrochenheit der menschlichen Gemeinschaft in ihrer Mehrdeutigkeit und Gebrechlichkeit teil.“ (20) Das Porvoo-Dokument lehnt sich inhaltlich und formal deutlich an Meissen an. Über Meissen hinaus gehen dabei die Überlegungen zum Bischofsamt und zur apostolischen Sukzession. Das Bischofsamt steht im Dienst der apostolischen Sukzession und wird damit in die apostolische Kontinuität der ganzen Kirche eingeordnet. Die Handauflegung bei der Bischofsweihe wird als vierfach wirksames Zeichen verstanden (IV,48), allerdings nicht als quasi-automatische Garantie für die apostolische Treue des Bischofs (IV,51). „Die genaue Bedeutung oder Intention der Handauflegung als eines Zeichens wird durch das begleitende Gebet und die Erklärung bestimmt.“ (VI,47) Die historische bischöfliche Sukzession als Zeichen ist 163 164

Zitiert werden die Artikelnummern des Textes nach DwÜ 3, 749–751. Vgl. Gaßmann, Porvoo, 180.

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ein Zeichen neben anderen Zeichen für die Apostolizität der ganzen Kirche. Das Zeichen der historischen Sukzession wird dabei immer als Auftrag und Anspruch an den bischöflichen Amtsträger und die Kirche betont (IV, 51). Die Verständigung der am Porvoo-Dokument beteiligten Kirchen über die historische Sukzession im Bischofsamt geschieht also über die Kategorie des Zeichens, wobei gerade der Zeichenbegriff Kritik auf sich zog. Ingolf U. Dalferth sieht hinter ihm „Bruchstücke einer nicht erklärten und nicht ausgeführten Sakramententheologie“ stehen,165 die „einer sakramentalen Auffassung der Ordination in das kirchliche Amt und der Konsekration ins Bischofsamt das Wort (redet)“.166 Tatsächlich wird auch der Antrittsgottesdienst eines Bischofs in der schwedischen Kirche als konsekrationsähnliche Ordination gefeiert, in deutschen evangelisch-lutherischen Kirchen hingegen, z. B. in Bayern, als Einführungshandlung gehalten, wie Oliver Schuegraf anmerkt.167 Dalferths Kritik am sakramentalen Zeichen-, Amts- und Konsekrationsverständnis ist allerdings dahingehend zu entschärfen, dass der Sakramentsbegriff als nachträglicher und prinzipiell offener Interpretationsbegriff nicht unbedingt geeignet ist, um Abgrenzungen im Sinne von „sakramental – nichtsakramental“ vorzunehmen. Außerdem sagt das Porvoo-Dokument gerade nicht, dass das Zeichen des historischen Episkopats die apostolische Sukzession garantiert. Die dahinter stehende Sachfrage lautet ja eigentlich, wie sich der Dienst des Bischofs zum Dienst des Ortspfarrers bzw. wie sich der bischöfliche Dienstantritt zur Ordination verhält und wie sich die zeichenhafte Handauflegung bei der Bischofseinführung zu derjenigen bei der Ordination verhält. Aus lutherischer Sicht kann die Handauflegung bei der Bischofsweihe durchaus als wirksames Zeichen verstanden werden, da sie ja nicht als stummer Ritus für sich steht, sondern unter Wort und Gebet geschieht. Was das Verständnis des bischöflichen Amtes in historischer Sukzession im Porvoo-Dokument angeht, ist Lorenz Grönvik zuzustimmen: „Was in dem Dokument gesagt wird, geht aber nicht über das hinaus, was man eine ‚bene-esseAuffassung‘ nennen könnte.“168 Die beteiligten Kirchen befinden, „dass die Zeit gekommen ist, dass alle unsere Kirchen zusammen den Wert und Gebrauch des Zeichens der historischen bischöflichen Ordination bejahen können (IV D). Dies bedeutet erstens, dass es denjenigen Kirchen, in denen das Zeichen zu irgendeiner Zeit nicht gebraucht worden ist, frei steht, den Wert des Zeichens anzuerkennen, und zweitens, dass sie es sich zu Eigen machen sollten, ohne ihre eigene apostolische Kontinuität zu leugnen. Dies bedeutet ferner, dass es denjenigen Kirchen, in denen das Zeichen gebraucht worden ist, frei steht, die Realität des bischöflichen Amtes in 165 166 167 168

Dalferth, Amt, 257. Dalferth, Amt, 258. Schuegraf, Gestalt, 91, Anm. 52. Grönvik, Lutherisch-Anglikanische Gemeinschaft, 373.

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denjenigen Kirchen, in denen das Zeichen der bischöflichen Sukzession zu irgendeiner Zeit nicht gebraucht worden ist, anzuerkennen, und dass sie die apostolische Kontinuität in diesen Kirchen anerkennen sollten.“ (IV,57) Das bedeutet faktisch, dass nach und nach diejenigen lutherischen Kirchen, deren historische Bischofssukzession unterbrochen, nicht vorhanden oder unsicher war, künftig durch die Mitwirkung anglikanischer Bischöfe in deren historische Sukzession eingegliedert werden.169 Alle über das Porvoo-Dokument verbundenen Kirchen werden in absehbarer Zeit in der historischen Sukzessionslinie der entsprechenden anglikanischen Bischöfe stehen, wobei der Wert dieses Zeichens nach wie vor konfessionell verschieden gedeutet wird. In Konsequenz dazu verpflichten sich die unterzeichnenden Kirchen des Porvoo-Dokuments dazu, „Bischöfe unserer Kirchen zur routinemäßigen Teilnahme an der Handauflegung bei der Ordination von Bischöfen gegenseitig einzuladen als ein Zeichen der Einheit und Kontinuität der Kirche“ (V,58b,vi). Die zentralen Gottesdienste bei denen die Porvoo-Erklärung in kraft gesetzt werden soll, schließen „eine gemeinsam gefeierte Eucharistie“ (V,59), also eine Konzelebration auch im eucharistischen Teil der Liturgie ein, was nach der MeissenErklärung aufgrund der unterschiedlichen Bewertung des historischen Episkopats noch nicht geschehen sollte. Die Möglichkeit eucharistischer Konzelebration ist also nach Porvoo auf einer gemeinsamen Basis im Verständnis der historischen Bischofssukzession möglich, demzufolge die beteiligten Kirchen untereinander in absehbarer Zeit durch das Zeichen der historischen Bischofssukzession miteinander verbunden sind. Dass die lutherischen Kirchen Nordeuropas zu diesem Schritt bereit waren, hat nicht nur mit der vom lutherischen Bekenntnis gewährten Freiheit für menschliche Ordnungen zu tun, die zum bene esse der Kirche beitragen können. Die skandinavischen lutherischen Kirchen haben, beim Porvoo-Dokument ist das zu berücksichtigen, eine anders geartete Geschichte und liturgisch-spirituelle Prägung als die lutherischen Kirchen in Deutschland. Die lutherische Kirche in Schweden konnte im 16. Jahrhundert die apostolische Sukzession im Sinne der direkten Weitergabe des bischöflichen Amtes beibehalten und im 20. Jahrhundert auch an andere lutherische Kirchen ‚weitergeben‘, die die bischöfliche Struktur einführen wollten.170 So bemerkt Günther Gassmann zu-

169 An dieser Stelle ist anzumerken, dass es von Konfession zu Konfession verschiedene Konstrukte historischer Sukzession gibt. Die anglikanischen Sukzessionslinien können von den römischkatholischen abweichen und werden von römischer Seite auch nicht anerkannt. Daneben gibt es in hochkirchlichen Gemeinschaften oder aber auch in der Freikatholischen Kirche Bischöfe, die ohne kirchlichen Verband apostolische Sukzessionen weitergeben. Dies alles zeigt, dass die angeblich historische Sukzession isoliert und ohne einen ekklesialen Konsens und Kontext höchst fragwürdig ist. 170 Vgl. Gassmann, Amt und Kirchenordnung, 216 f. Zu den Bischofsweihen in Schweden in der Reformationszeit vgl. auch Sven Kjöllerström, Gustav Vasa und die Bischofsweihe (1523–1531), in: S. Grundmann (Hg.), Für Kirche und Recht (FS J. Heckel), Köln/Graz 1959, 164–183.

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Die evangelisch-lutherische Sicht

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recht, „dass die viel zitierte lutherische Freiheit im Blick auf Amtstruktur und Kirchenordnung auch für diese Ausdrucksform der apostolischen Sukzession offen sein kann“171 – solange die historische Sukzession nicht zum esse der Kirche gerechnet wird, sondern als ein dem kirchlichen bene esse dienliches Zeichen verstanden wird. Die Porvoo-Erklärung ist damit eine Anfrage an die kontinentaleuropäischen lutherischen Kirchen, ob diese nicht auch dieses Zeichen übernehmen können und wollen, um somit die innerlutherische und ökumenische Vernetzung der zu apostolischer Ursprungstreue verpflichteten Kirche durch ein weiteres Zeichen neben anderen Zeichen sichtbar zu machen, ohne dabei einem formalistischen Pipeline-Denken zu erliegen, das die apostolische Intention und Verpflichtung des Zeichens letztlich entstellen würde.172 In der Geschichte des modernen Protestantismus hat es immer wieder Versuche gegeben, bischöfliche Verfassungen mit Hilfe von solchen Kirchen aufzurichten, die das Zeichen der historischen Sukzession bewahrt haben.173 In heutige Überlegungen zu einer Übernahme dieses Zeichens wären neben den strikt ökumenisch-ekklesiologischen Gesichtspunkten auch psychologische Aspekte zu bedenken, etwa inwiefern sich die Empfängerkirche des Sukzessionszeichens damit in den Status des Noch-unvollkommen-Seins begibt und wie ihr bisheriges Kirche-Sein zu beurteilen ist.174 Dieses psychologische Problem kann aus lutherischer Sicht sinnvoll und theologisch sachgemäß nur dadurch gelöst werden, dass die Übernahme des Zeichens der historischen Sukzession im Dienst des „bene esse“ der Kirche nur die Folge, aber nicht die Bedingung der Anerkennung als Kirche Jesu Christi sein darf. Anders gesagt: Der Sachaspekt apostolischer Sukzession muss dem Aspekt personal bezeugter Kontinuität im Amt zeitlich und sachlich vorgeordnet sein.175

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Gassmann, Amt und Kirchenordnung, 217. Es verdient, erwähnt zu werden, dass solche Sukzessionsbeziehungen zwischen den nordischen lutherischen Kirchen und den deutschen Lutheranern ansatzweise bereits bestehen. So nahm Erzbischof Dr. Georg Kretschmar von der ELCRAS, einer der Porvoo-Kirchen, in Form von Handauflegung und Zuspruch eines biblischen Segenswortes an der Einführung des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Dr. Johannes Friedrich am 21. November 1999 in der Nürnberger Lorenzkirche teil. Allerdings gilt: Wo der zeichenhafte Sinn der personal bezeugten apostolischen Sukzession in Form des historischen Episkopats noch nicht als solcher erkannt ist, hat das Zeichen noch nicht den ekklesiologischen Wert erreicht, den es beansprucht. 173 Vgl. dazu insgesamt Benz, Bischofsamt. 174 Vgl. Benz, Bischofsamt, 226 f. 175 Rolf Sauren hat Recht, wenn er feststellt: „Für je bedeutsamer und für ihre eigene Identität wesentlicher eine Kirche die personal bezeugte Kontinuität vom Ursprung bis zum jetzigen Amtsträger hält, desto schwieriger ist der Zugang zu einem Amtsverständnis, in dem die Treue zur apostolischen Überlieferung insgesamt als bestimmendes Kriterium benannt wird. Der umgekehrte Weg scheint einfacher.“ (Sauren, Sukzession, 202) 172

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C Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie in ökumenischer Absicht Der Ausgangspunkt: Die Faktizität ökumenischer Gottesdienstgemeinschaft und die trennenden Grenzen der kirchlichen Lehre Wie sind die vielfältige ökumenische Gottesdienstpraxis (Teil A) und die Positionen kirchlicher Lehre (Teil B) theologisch zu bewerten? Dazu könnte man sich nun auf eine bestimmte Position begeben, etwa auf die Position der Lehrtraditionen oder auf die schon erreichten Ergebnisse in ökumenischen Dialogpapieren. Oder aber man würde sich an der Praxis und den konkreten, je örtlichen Gegebenheiten sowie an den Bedürfnissen der Gemeinden und Gemeindeglieder orientieren. Eine jede dieser Vorgehensweisen hat ihr Recht und macht, jede auf ihre Weise, ein wichtiges theologisches Anliegen geltend. Der Gottesdienst ist eine theologische Realität, die zunächst binnenperspektivisch, aus seinem Vollzug heraus, verstanden und erfasst sein will. Es kann nicht verkannt werden, dass sowohl die Lehre als auch die Theorie der Praxis eine dem gottesdienstlichen Geschehen gegenüber eher externe Position einnehmen. Es ist wichtig, dass die vordergründig oder tatsächlich sich ausschließenden dogmatischen Lehrpositionen der Konfessionen Ergebnisse der externen Reflexion sind. Wir stehen vor folgendem Befund: Während sich in der Praxis liturgische Konvergenzen zunehmend etablieren und verfestigen, sodass die ökumenische Liturgiegemeinschaft in ihrer Vielfalt selbst schon Tradition geworden ist und weiter wächst, scheinen die kirchlichen Lehrpositionen nicht miteinander vereinbar zu sein, ja es gibt auf der Ebene kirchlicher Lehre neuerdings verstärkt Profilierungsbestrebungen der konfessionellen Identität gegenüber anderen Konfessionen. Um es anders zu sagen: Die Praxis orandi et celebrandi konvergiert zunehmend, während die lex credendi dies theologisch nicht hinreichend einholt. Daraus folgt: Kirchliche Lehre und liturgisches Leben driften zugunsten abgrenzender Selbstbehauptung auseinander, was die paradoxe Rede von der „Ökumene der Profile“ (Wolfgang Huber) auf den Begriff bringt.1 Ihren kirch-

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Vgl. dazu den gleichnamigen Aufsatz.

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Ausgangspunkt

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lich-lehrhaften Ausdruck finden diese Profilierungsbestrebungen in den vatikanischen Repetitionen des Nicht-Kirche-im-eigentlichen-Sinn-Seins der nichtrömischen Gemeinschaften. Auf evangelischer Seite sind analoge Profilierungsvorgänge zu beobachten. Die gegenwärtige Situation entspricht damit immer noch – oder wieder – dem Befund von Edmund Schlink aus dem Jahr 1957: „Die Glieder der einen Kirche können in weit größerem Umfang das Beten der anderen als eigenes Beten mitvollziehen und die Verkündigung der anderen als sie selbst treffende, stärkende und mahnende Verkündigung vernehmen, als dass sie dogmatische Aussagen der anderen als verpflichtende Aussagen anzunehmen vermögen.“2 Die Lehre ist eine, aber nicht die einzige Form einer theologischen Aussage, so Schlink. Ihre Gefahr liegt darin, aus der Situation der Begegnung mit Gott und der Betroffenheit durch das Evangelium herauszutreten, und somit einen Standpunkt einzunehmen, der meint, das Verhältnis von Gott und Mensch überblicken zu können.3 Damit verschiebt sich entscheidend die Struktur der theologischen Aussage, vor allem wenn sich die Lehre gegenüber den anderen theologischen Aussagen verabsolutiert. Die verschiedenartigen Weisen theologischer Aussagen bleiben jedoch aufeinander angewiesen, um die Fülle des Glaubens inhaltlich aussagen zu können.4 Schlinks Feststellung entspricht grob der Erfahrung, auf die bei Einschätzungen der ökumenischen Lage immer wieder verwiesen wird, nämlich dass die Gemeinden „schon viel weiter sind als die Kirchenoberen und Theologen“,5 dass also Gemeinde und kirchliche Lehre, Liturgie und Theologie, ökumenische Gottesdienstgemeinschaft und kirchliche Verlautbarungen weitgehend ohne einander, wenn nicht gar gegeneinander existieren. Ein Herzstück dieser Arbeit liegt darin, die liturgischen Grundelemente und -vollzüge als theologia prima bzw. als ecclesiologia prima zu reflektieren (Teil D). Der Vollzug der Liturgie im Gottesdienst soll als primäre Quelle der reflektierenden dogmatischen Theologie und Ekklesiologie fruchtbar gemacht werden. Damit soll genau jener Gefahr entgegengewirkt werden, dass Liturgie und Theologie sich weiter voneinander lösen. Dies ist für die herkömmliche westkirchliche evangelische oder katholische Dogmatik ein erläuterungsbedürftiges Verfahren. Die hier vertretene These, dass die liturgischen Vollzüge theologia prima sind und einen gewissen erkenntnistheoretischen Vorrang vor der Lehr-

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Schlink, Struktur, 251. Vgl. Schlink, Struktur, 270 f. 4 Vgl. Schlink, Struktur, 301. 5 Inwieweit eine solche Einschätzung prinzipiell und überall der Realität entspricht, kann hier offen bleiben. Die soziologische Studie von Geller/Pankoke/Gabriel sowie die praktisch-theologische Studie zu Ökumenischen Kirchenzentren von Gerald Hagmann zeigen, dass die ökumenische Praxis auch hier wesentlich differenzierter zu beurteilen ist. 3

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

aussage haben, hat entscheidende Konsequenzen für die Dogmatik, für die ökumenische Verständigung, aber auch für die Liturgik bzw. die Liturgiewissenschaft. Deshalb ist zunächst zu zeigen, inwiefern ein solches Vorgehen berechtigt ist und ob bzw. inwiefern sich ein solches Vorgehen organisch mit dem bisherigen theologischen (und ökumenischen) Diskurs und mit der bestehenden liturgischen Praxis verbinden lässt.

1. Die fundamentaltheologische Bedeutung liturgischer Theologie Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist das Implikat des Gottesdienstes, dass der dreieine Gott hier und jetzt gegenwärtig ist, und zwar in einer Weise, die andere Weisen seiner Gegenwart nicht ausschließt, aber an Dichte der Erfahrbarkeit unter menschlich-irdischen Bedingungen übertrifft. Der Gottesdienst ist reales Begegnungsgeschehen mit dem dreieinen Gott. Hier wird nicht (nur) über Gott und seine Taten und seine Geschichte gesprochen und nachgedacht, sondern mit ihm kommuniziert, und zwar in der Perspektive derer, an die Gottes heilsgeschichtliches Handeln gerichtet ist und die in dieser Gottesgeschichte stehen. Wird der Gottesdienst als theologia prima, als zentraler gegenwärtiger Zugang zur Heilswirklichkeit Gottes verstanden, muss die Dogmatik ihm als fundamentalontologischer Bedingung ihrer selbst einen wichtigen Raum in der Fundamentaltheologie zugestehen, etwa im Sinne „gottesdienstlicher Prolegomena“ (Jochen Arnold).6 Die Ekklesiologie, die sinnvollerweise an den Anfang der Dogmatik gehört,7 hat ja im Gottesdienst als Wesenszentrum der Kirche ihren maßgeblichen Bezugspunkt. Weiter gedacht bedeutet das, dass dem Gottesdienst als liturgisch vermitteltem Begegnungsgeschehen zwischen Gott und Menschen Offenbarungsqualität eignet. Im Gottesdienst geschieht eine „Offenbarung der Offenbarung“ (Jochen Arnold)8: Die einmalige und abgeschlossene

6 Vgl. Arnold (Theologie, 106–109), der „gottesdienstliche Prolegomena“ als gemeinsames Integral von Systematischer Theologie und Liturgiewissenschaft diskutiert. Arnold vergleicht das Verhältnis der liturgischen Prolegomena zur Liturgiewissenschaft und zur Systematischen Theologie mit dem Verhältnis von Konzert, Musikologen (sc. Liturgiewissenschaft) und Musikpsychologen oder -soziologen (Systematische Theologie), wobei der Systematischen Theologie die Aufgabe zukommt, zu reflektieren, was die Liturgie „mit einem Menschen ‚macht‘“ (108) und inwiefern der Gottesdienst somit als wahr und authentisch gelten kann. Der grundsätzlich schöne und musik- und liturgietheologisch auch sehr angemessene Vergleich von Liturgie und Konzert, den Arnold hier anstellt, müsste jedoch deutlicher integrieren, dass der Gottesdienst nicht nachträglich als wahr und authentisch von der Systematischen Theologie erwiesen werden muss, sondern zunächst einmal zum authentischen Fundament gehört, von dem aus die Systematische Theologie ihre Arbeit beginnt. Müssen die „Spielregeln“ für die nächste „Aufführung“ tatsächlich immer wieder neu bestimmt werden, wie Arnold meint? 7 Vgl. dazu auch Scherle, Fragliche Kirche, 80–82.

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Die fundamentaltheologische Bedeutung liturgischer Theologie

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Heilsoffenbarung, die die Schrift bezeugt, ist lebendig und gegenwärtig im Vollzug des auf Wiederholung angelegten und zu Wiederholung fähigen gemeinsamen liturgischen Gedächtnisses als der Selbstvergegenwärtigung des dreieinen Gottes in, mit und unter dem Feiervollzug der versammelten Kirchengemeinde. „Die Tatsache, dass es im wirklich geschichtlichen Sinn keine christliche Offenbarung ohne ihre rituelle Feier gibt, bleibt im gewissen Sinn das Ungedachte, das dringend zum Thema fundamentaltheologischer Reflexion gemacht werden muss“, bemerkt zu Recht der Liturgiewissenschaftler Andrea Grillo.9 Es geht also hierbei um nichts Geringeres als um die Frage nach der Erkenntnisgrundlage der Theologie. Dass der Gottesdienst bislang kaum zum fundamentaltheologischen Thema geworden ist, mag sicher daran liegen, dass die scheinbar allzu menschliche und fehlbare liturgische Praxis auf den ersten Blick dem hohen fundamentaltheologischem Anspruch nur schwer standhalten kann. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die fundamentaltheologischen Alternativen („Schrift“, „Lehramt“, „Tradition“ etc.) nicht ähnlich ambivalent sind, vor allem, wenn man sie historisch-kritisch sieht: Die Schrift bedarf in ihrer Pluralität und historischen Abständigkeit der Auslegung, und kirchliche Lehre, Lehramt und Tradition haben sich in der Geschichte der Christenheit immer wieder durch Selbstkorrekturen und Neuakzentuierungen als durchaus fehlbare Interpretationsinstanzen der Offenbarung erwiesen. Der liturgische Theologe Aidan Kavanagh hat in seiner Liturgischen Theologie die Frage nach den Grundlagen der lex credendi und nach „absolute certainty“ zurecht als riskant bezeichnet.10 Wenngleich unter kontinentaleuropäisch-protestantischen Bedingungen die Verortung des Gottesdienstes im Erkenntnisfundament der Theologie zunächst als ungewohnt, fremd und riskant erscheinen dürfte, ist jedoch zu sagen, dass die Frage nach dem erkenntnistheoretischem Fundament und der Methode der (dogmatischen) Theologie und ihrer Erkenntnis immer riskant ist,11 was nicht zuletzt in einem (sachgemäßen) Risiko des christlichen Glaubens begründet ist, dessen Wesen in der certitudo und nicht in der securitas besteht. Mit dem Namen Aidan Kavanagh ist bereits ein Vertreter derjenigen Richtung genannt, die die Liturgie als theologia prima versteht, nämlich die „Liturgical 8 Arnold, Theologie, 26. Der Gottesdienst ist nach Arnold Lebens- und Erkenntnisquelle der Theologie und Erkenntnisgrund der Dogmatik (ebd., 34 f). 9 Grillo, Intellectus, 151. 10 Vgl. Kavanagh, On Liturgical Theology, 125 f; auch Saliers, Worship as Theology, 166. 11 „A people’s liturgy, like the people themselves, does not wait upon absolute certainty. It, like them, takes risks, even faith risks, because plausibility, unlike absolute certainty, is rife with risk. Standing before the living God is a risky business. People dare to do so not, because they are irrational but because they have found it plausible, that they, like others before them (even Moses), might do so without actually being incinerated, and that the advantages of doing so outweigh the disadvantages of not doing so, the deity remaining all the while alarmingly unpredictable.“ (Kavanagh, On Liturgical Theology, 125 f)

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

Theology“ bzw. die liturgische Theologie, die vorwiegend in Nordamerika beheimatet ist, aber zunehmend auch in Europa rezipiert wird. Die liturgische Theologie „geht vom Glaubensgeschehen und den Glaubenserfahrungen aus, die in der Liturgie gemacht werden und aus denen der Glaube lebt“.12 Die bedeutendsten Vertreter liturgischer Theologie der jüngeren Gegenwart stammen vorwiegend aus dem außerdeutschen Raum. Namentlich wären hier vor allem Alexander Schmemann (orthodox), David W. Fagerberg, Aidan Kavanagh, Andrea Grillo (römisch-katholisch) sowie der Lutheraner Gordon W. Lathrop und der Methodist Don E. Saliers zu nennen. Auch aus der Sicht pfingstlich-charismatischer Theologie und Spiritualität liegt inzwischen ein Entwurf einer „Liturgical Theology“ vor, nämlich von dem Systematiker Simon Chan aus Singapur. Anders als die Theologie der Liturgie (z. B. Peter Brunner, Geoffrey Wainwright) reflektiert und argumentiert die liturgische Theologie „ganz aus der Liturgie heraus, während die Theologie der Liturgie Vorgaben folgt, die nicht der Liturgie entlehnt sind“.13 Beiden, der liturgischen Theologie und der Theologie der Liturgie ist jedoch auch Wesentliches gemeinsam: „Beide Formen der Theologie greifen den besonderen Charakter und die Geschehensdichte der Liturgie auf. Die Brennpunkte, zwischen denen sie sich bewegen, sind zum einen die Praxis der Liturgie, der gegenüber sie eine reflektierende Haltung einnehmen, und zum anderen die theologische Theorie, deren Grenzen sie mit Blick auf die Doxologie bewusst wahren. Das reflektierende Erschließen der Feier und der Verweis auf das gegenüber aller Reflexion je größere Mysterium kennzeichnet eine solche Theologie als mystagogische Theologie (. . .).“14 Der liturgischen Theologie geht es weniger darum, wie Liturgie (von einem liturgieexternen Standpunkt aus, z. B. Schrift, Tradition, Kenntnis/Lehramt, pastorale Bedürfnisse etc.) sein soll, sondern was und wie sie (binnenperspektivisch, theologisch und ihrem Vollzug entsprechend) ist. Im deutschen Sprachraum versteht sich der katholische Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Reinhard Meßner als Vertreter einer vor allem systematisch orientierten Liturgiewissenschaft, „die man auch liturgische Theologie nennen könnte“.15 Die liturgische Theologie geht davon aus, dass der Gottesdienst (eine, wenn nicht gar die entscheidende) Quelle theologischer Erkenntnis ist und damit in den Bereich der Fundamentaltheologie bzw. der Prolegomena der Dogmatik gehört. Dies erfordert somit eine Klärung des Verhältnisses von Gottesdienst und

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Gerhards/Kranemann, Einführung, 49. Gerhards/Kranemann, Einführung, 50. Dies gilt auch für Jochen Arnold, der zwar einerseits den Gottesdienst in den Prolegomena der Dogmatik verorten will, andererseits den Gottesdienst auch als Gegenstand der Dogmatik der Kritik im Sinne einer ecclesia semper reformanda ausliefern will. 14 Gerhards/Kranemann, Einführung, 51. Zur Kritik der Theologie der Liturgie aus der Sicht der Liturgical Theology vgl. Fagerberg, Theologia prima, 54–62. 15 Meßner, Einführung, 29. 13

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Überlegungen zum Verhältnis von Schriftkanon und Liturgie

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Schriftkanon, da letzterer nach traditioneller Auffassung diejenige Größe darstellt, die für die Sachgemäßheit jeglicher theologischer Erkenntnis maßgeblich ist.

2. Überlegungen zum Verhältnis von Schriftkanon und Liturgie als Prolegomena liturgischer Theologie und Ekklesiologie 2.1 Die Entstehung der biblischen Schriften und des Kanons aus dem Gottesdienst Gottes einmaliges, in Raum und Zeit konkretes Handeln am Volk Israel und an und durch Jesus Christus ist mit der Auferweckung des Gekreuzigten und der Sendung des Heiligen Geistes zeitlich und soteriologisch abgeschlossen und zugleich aufgeschlossen.16 Gottes Heilshandeln kann weder ergänzt noch übertroffen werden. Zugleich drängt es auf universale Ausweitung. Die Einmaligkeit der biblischen Gottesgeschichte ist in die partikulare Gebundenheit der geschichtlichen Ereignisse an einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit eingeschlossen und somit historisch vergangen, aber geschichtlich offen für die Zukunft der Menschheit, denn sie antizipiert zugleich an und in Jesus Christus als definitiver Offenbarung Gottes die Vollendung von Mensch und Welt.17 Die universale Zielbestimmung der zunächst historisch-partikularen Ereignisse des Volkes Israel und der Jüngergemeinschaft und der frühen Christenheit auf alle Welt, wie sie sich exemplarisch im Taufbefehl durch den Auferstandenen artikuliert (Mt 28,18–20), realisiert sich in der Tradition, nämlich der mündlichen und schriftlichen Weitergabe der Gottesworte und -erfahrungen, die zur Schriftwerdung, Kanonisierung und Selektion der Tradition geführt hat. Hierbei hat der Gottesdienst, zu dem die christliche Gemeinde seit Beginn ihres Bestehens zusammengekommen ist, die entscheidende Rolle gespielt. Der christliche Gottesdienst ist die unter den österlich-pfingstlich veränderten Bedingungen in der Kraft des Heiligen Geistes geschehende Communio mit Jesus Christus und dem von ihm verkündigten und in ihm offenbaren Gott. Die gottesdienstliche Communio mit Jesus Christus geschieht unter nachösterlichen Bedingungen in der dialektischen Spannung von Anwesenheit und Abwesenheit Jesu Christi, wie sie etwa die Emmausgeschichte (Lk 24,13–35) reflektiert. Der urchristliche Gottesdienst wurde so „zum Ort der Lektüre, der Tradierung und Kommentierung der einschlägigen Texte“.18 Der kontinuierliche Voll16

Vgl. Wenz, Sakramentenlehre, 248 f. Vgl. auch Meßner, Einführung, 182 f, der hier Grundgedanken von Wolfhart Pannenberg aufnimmt. 18 Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 241 (bei Cornehl kursiv); vgl. auch Niebergall, Geschichte, 204–206; Lathrop, Holy Things, 175 f; ders., Art. Bibel, 1432 f. 17

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

zug der Liturgie hat den Kanon als eine Sammlung primär gottesdienstlich zu verwendender Zeugnisse entstehen lassen. Dem Gottesdienst verdankt der Kanon seine Form, seine Existenz, sein Gesammelt- und Anerkanntsein als Kanon. So tragen auch viele Einzeltexte im Alten und Neuen Testament Spuren des liturgischen Gebrauchs und der Formung durch den Gottesdienst an sich.19 Die „Funktionssituation“ (Eilert Herms)20 des Kanons ist der Gottesdienst. Die Universalität des gottesdienstlichen Gebrauchs wurde zum Kriterium für die Kanonizität der biblischen Schriften. Etliche der biblischen Schriften richten sich gezielt an ein pluralisches Gegenüber und meinen damit nicht nur eine konkrete Einzelgemeinde,21 woran die Bestimmung einerseits zum gottesdienstlichen, andrerseits zum übergemeindlichen, letztlich auf Universalität angelegten Gebrauch manifest wird. Die biblischen Schriften verdanken sich im Einzelnen wie im Ganzen der Tradition, verstanden als mündlichem, gemeinschaftlichem und in der geistgewirkten Gegenwart Gottes geschehenden Überlieferungsvorgang, welcher im Gottesdienst seine zentrale, maßgebliche und exemplarische Gestalt hat. Die Gottesdienstpraxis der ersten nachchristlichen Jahrzehnte und Jahrhunderte hat relativ rasch einen Kernbestand (v. a. Evangelien, Paulinen) von Schriften etabliert, der die sachliche Mitte des Handelns Gottes und damit auch der Liturgie (und des künftigen Schriftkanons) zur Sprache bringt. Die Ränder des Kanons, die zunächst Randfragen waren, wurden definitiv dann diskutiert und festgelegt, als Randfragen begannen, die christologisch bestimmte Mitte des christlichen Glaubens in Frage zu stellen. Historisch ist die christliche Liturgie in jedem Fall ursprünglicher und älter als die Schrift und der Kanon,22 denn der Kanon ist „a liturgical fact“ (Gordon Lathrop).23

2.2 Schrift und Liturgie als einander bedürfende Traditionsgestalten der Offenbarung Die biblischen Schriften des Neuen Testaments und auch des Alten Testaments verdanken sich, wie gerade gezeigt, wesentlich dem Gottesdienst. Obgleich das Herrenmahl der zentrale Gottesdienst der jungen Christenheit und damit der zentrale Traditionsort des christlichen Glaubens ist, gibt es in den frühchristlichen Schriften des ersten Jahrhunderts keine klare einheitliche Ordnung für den Gottesdienst. Zwar spiegeln die eucharistischen Liturgien bei Justin und in der Didache selbst schon eine liturgische Tradition; sie können jedoch, gerade ange19 20 21 22 23

Vgl. Wainwright, Doxology, 151–163. Herms, Überlegungen, 222. Vgl. etwa 1Thess 5,27; Kol 4,16. Vgl. auch Arnold, Theologie, 560. Lathrop, Holy People, 25.

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Überlegungen zum Verhältnis von Schriftkanon und Liturgie

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sichts der liturgischen Vielfalt in den neutestamentlichen Schriften nicht im Detail als normativ gelten, was nicht ausschließt, dass sich in ihnen bereits theologische Grundkonstanten abbilden, die für Praxis und Reflexion des christlichen Gottesdienstes verpflichtend werden (und bleiben sollten). Jürgen Roloff nennt als solche Konstanten das Dankgebet, die Anamnese der Heilsgeschichte, den Gemeinschaftsbezug und die eschatologische Ausrichtung.24 Die Gestalt der christlichen Liturgien ist in 2000 Jahren Liturgiegeschichte mehr oder minder organisch gewachsen und hat sich darin auch verändert und reformiert. Die Liturgiegeschichte ist eine Geschichte der Liturgiewandlung und der Vielfalt, allerdings keiner blinden und unkontrollierten Vielfalt, sondern einer Vielfalt unter Wahrung bestimmter liturgischer Grundkonstanten als Konkretionen des theologisch Wesentlichen, nämlich der Selbstvergegenwärtigung des dreieinen Gottes in, mit und unter den verschiedenen, mal mehr, mal weniger angemessenen Liturgiegestalten. Die Liturgie und die Geschichte ihrer Entwicklung und Wandlung stellt angesichts der Vielfalt der Räume, Zeiten, Konfessionen und Veränderungen von sich aus die Frage nach der inneren und nach einer äußerlich verifizierbaren Einheit der Liturgie in der Vielfalt ihrer Gestalten. Mit der Begrifflichkeit von Prosper von Aquitanien ist damit nach der lex credendi gefragt, die nicht unmittelbar, permanent, prinzipiell und automatisch mit der lex bzw. praxis orandi identisch ist, aber in der Regel (die Ausnahmen nicht aus-, sondern einschließt) sich wesentlich in der lex orandi abbildet.25 Wer nach Grund und Einheit (nicht nur) der Liturgie fragt, stößt notwendig auf die Norm aller Theologie, nämlich auf den Schriftkanon. Die liturgische Praxis des frühen Christentums hat aus sich heraus und über sich hinaus den Schriftkanon als verschriftete Normierung der gottesdienstlichen Überlieferung freigesetzt.26 Das Überlieferungswürdige wird in der Verschriftung und der kanonischen Schriftensammlung verobjektiviert. Damit hat sich die Liturgie selbst einen bleibenden Maßstab ihres eigenen rechten Vollzuges gegeben und zugleich der Geschichtlichkeit und historischen Abgeschlossenheit der Offenbarung als Heilsoffenbarung Ausdruck verliehen. Das Heil ist in Christus erschlossen und zeitlich und sachlich abgeschlossen, was die buchstäblich bewahrte christliche Traditionsgestalt der christlichen Heilsgeschichte in Form der biblischen Schriften und des Kanons als einem festen materialen Bestand dokumentiert. Damit ist auch die liturgische Anamnese, im weiten Sinn verstanden als gott-

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Vgl. Roloff, Gottesdienst, 58–61. Diese Sicht resultiert aus einer liturgischen Hermeneutik des Vertrauens, die wiederum ihren Grund hat in der verheißenen, zu glaubenden und geglaubten Treue Christi zu seiner Kirche (Mt 16, 16–19; 18,20; 28,20) sowie in der Selbstvergegenwärtigungsfähigkeit und -willigkeit des dreieinen Gottes auch in, mit und unter defizitären Liturgiegestalten. 26 Vgl. auch Körtner, Gestalten, 710. 25

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

gewirkte Vergegenwärtigung bzw. Vergleichzeitigung der Feiergemeinde mit dem Heilsgeschehen, in ihr formales Recht gesetzt, denn die Anamnese in ihrer biblisch-jüdischen Struktur27 lebt wesentlich von der raumzeitlichen Differenz zwischen gedenkender Feiergemeinde und dem erinnerten einmaligen Heilsgeschehen und ist konstitutiv für das Christentum als historisch-geschichtlich begründeter Offenbarungsreligion.28 Die Anamnese als vergegenwärtigendes Gedenken der vergangenen, aber dank göttlicher Kraft gegenwärtig wirksamen und erfahrbaren Gottesgeschichte macht umso mehr Sinn, je deutlicher die raumzeitliche Differenz zur Gegenwart markiert ist. Schriftwerdung der tradierten Gotteserfahrungen und gottesdienstliche Anamnese, Kanon und Liturgie fordern und bedingen einander. Der Gottesdienst ist „the Bible alive“,29 die Bibel wiederum ist „Kultbuch“.30 Die Liturgie ist die Tradition und Vergegenwärtigung des im Kanon Bezeugten. Als anamnetische Anteilhabe und -gabe an der biblisch bezeugten Geschichte Gottes ist der Gottesdienst das Ziel der biblischen Schriften. Der Gottesdienst hat im Kanon sein Identitätszentrum, wie Eilert Herms zu Recht bemerkt.31 Doch gilt dies auch umgekehrt: Der Kanon hat im Gottesdienst sein Identitätszentrum, denn erst hier, in der Gegenwart und unter Anrufung des dreieinen Gottes, unter Proklamation und Auslegung von Schriftlesungen und im Vollzug von Taufe und Herrenmahl erweist sich der Kanon als jene Größe, die sich fundamental und qualitativ von anderen antiken Schriftsammlungen unterscheidet: nämlich als „viva vox evangelii“, „Wort des lebendigen Gottes“. Das Verhältnis von Kanon und Liturgie entspricht auch präzise dem materialen biblischen Zeugnis, dass Gottes Heilsoffenbarung in Jesus Christus definitiv, vollständig und vollgültig abgeschlossen (vor allem in Hebr) und zugleich für alle Welt und alle Zeit aufgeschlossen (v. a. in den Paulinen und auch Mt 28,16–20) ist. Der Abgeschlossenheit der Offenbarung korreliert die buchstäbliche Bewahrung des Offenbarungszeugnisses im Kanon als Schrift. Was Gott zum Heil der Menschen getan hat und noch tun wird, ist vollständig dokumentiert in den kanonischen Schriften des Alten und Neuen Testamentes. Der Aufgeschlossenheit korreliert die geistgewirkte liturgische Selbstvergegenwärtigung des Bezeugten im Akt der Bezeugung, worin die Sinnbestimmung des Gottesdienstes zu erkennen ist. Sinn und Ziel des schriftgewordenen Wortes bestehen also darin, wieder vollmächtige mündliche Anrede an die versammelte Gemeinde zu werden, was im plurimedialen liturgischen Vollzug geschieht.32 27 Vgl. auch Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, bes. 96–98; umfassend auch Wahle, GottesGedenken. 28 Vgl. dazu auch Schilson, Art. Anamnese. 29 Lathrop, Holy Things, 15. 30 Vgl. Nicol, Weg, 144–146. 31 Vgl. Herms, Überlegungen, 222. 32 Der Begriff der Plurimedialität soll besagen, dass der Gottesdienst phänomenologisch eine

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Überlegungen zum Verhältnis von Schriftkanon und Liturgie

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Das Verhältnis von Schrift und Tradition (als aktuelles gottesdienstliches Vergegenwärtigungsgeschehen) kann damit nicht im Sinne eines einseitigen „sola scriptura“ oder einer römischen Zwei-Quellen-Theorie der Offenbarung verstanden werden. Schrift und Liturgie stehen in einem stetigen Wechselverhältnis und gehören ebenso unvermischt wie ungetrennt als lex orandi und lex credendi zusammen. „From the beginning of the spread of Christianity, the liturgy carried the theology“. (Don E. Saliers).33 „Der Kanon verhält sich zum Gottesdienst wie die Grammatik zur Lebensform. Jeweils ist das Telos des Ersten im Zweiten zu Hause.“ (Bernd Wannenwetsch)34 Jan Assmanns These, an die Stelle der Liturgie träte mit der Kanonbildung die Hermeneutik, wird von Peter Cornehl mit Blick auf die alttestamentliche Kanonbildung überzeugend präzisiert und korrigiert: „Es geht nicht um das Entweder-Oder von Liturgie oder Hermeneutik, sondern um einen neuen Typus von Liturgie, dem eine hermeneutische Dimension zuwächst.“35 Die Liturgie ist selbst, um mit Geoffrey Wainwright zu sprechen, das „hermeneutical continuum“ der Schrift.36 Die Mitte der Schrift, die jede Schrifthermeneutik implizit oder explizit voraussetzt, lässt sich von daher auch am adäquatesten liturgisch, nämlich vom realen Begegnungsgeschehen mit dem dreieinen Gott her bestimmen. Im liturgischen Kontext, in der Gegenwart des dreieinen Gottes, haben sich biblische Texte und Schriften in gestufter Weise als mehr oder minder authentische und dichte Zeugnisse des Gottes bewahrheitet, der selbst im Gottesdienst gegenwärtig ist, spricht und handelt. In ihrer (ursprünglich mündlichen, später) literarischen Gestalt sind die biblischen Texte dazu bestimmt, im Gottesdienst Wort des lebendigen Gottes, nämlich des hier und jetzt gegenwärtigen und handelnden Gottes zu sein. Die gemeinsame Sachmitte der Liturgie und des Schriftkanons besteht in Gottes Handeln, das seine Einheit in der Identität Gottes hat,37 der sich abschließend und definitiv in Jesus Christus offenbart hat. Die Aufgeschlossenheit des Verhältnisses vom Vater zum Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist als der „Aufgeschlossenheit in Person“38 (Gunther Wenz) wird von der Schrift bezeugt und im gottesdienstlichen Vollzug realisiert. Die reformatorischen particulae exclusivae „sola scriptura“, „solus Christus“, „sola gratia“, „sola fide“ sind kein

Vielzahl von Medien in Gebrauch nimmt, um sich als theologia und ecclesiologia prima zu erweisen. Dies wird in Teil D und F weiter vertieft. Den Begriff der Plurimedialität verdanke ich den ausführlichen liturgietheologischen Diskussionen mit meinem ehemaligen Mainzer Kollegen Tobias Kaspari. 33 Saliers, Worship as Theology, 169. 34 Wannenwetsch, Gottesdienst, 39; vgl. auch Lathrop, Art. Bibel, 1432 f; Schwöbel, Art. Bibel, 1427 f. 35 Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 97. Bei Cornehl kursiv. 36 Wainwright, Doxology, 175–177; vgl. auch Lathrop, Holy Things, 16. 37 So in Anlehnung an Christoph Schwöbels Umschreibung der Einheit der Schrift. Vgl. dazu Schwöbel, Art. Bibel, 1428. 38 Wenz, Sakramentenlehre, 249.

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Widerspruch gegen die so verstandene fundamentale Bedeutung des Gottesdienstes; das Gegenteil ist der Fall: die recht vollzogene und verstandene Liturgie realisiert, konkretisiert und verdichtet, was die particulae exclusivae besagen und fordern. Christus, scriptura, fides und gratia haben im Gottesdienst ihr aktuelles Lebenszentrum.39 Denn die Liturgie ist Eintritt in die in der Schrift offenbarte Ursprungssituation des Glaubens.40 „(I)t is the canon of holy scripture, which keeps the assembly locked into the fundamental relationship that gives it its unique character among all other human gatherings, namely, its relationship to the presence in the midst of the living God.“41 Als gewissermaßen objektive Größe hat der Kanon auch eine kritische Funktion, auch gegenüber der Liturgie, denn er repräsentiert die Vorgegebenheit des Offenbarungsgehaltes vor der aktuellen Bezeugungsgestalt im Gottesdienst. Diese kritische Funktion ist jedoch sekundär gegenüber seiner primären Funktion, im Gottesdienst aktuell verkündet zu werden. Umgekehrt kann auch, in abgestuftem Maß, von einer kritischen Funktion der Liturgie gegenüber dem Kanon gesprochen werden. Im liturgischen Gebrauch können „sperrige“ biblischeTexte transparent werden für den Gott, in dessen Gegenwart sie verlesen werden. Die biblischen Schriften haben die Liturgie seit jeher zur Entwicklung einer ihr eigenen Hermeneutik genötigt, die in der Auswahl und Abgrenzung von Perikopen, in der Zuordnung zu anderen Perikopen, in der Einordnung in die Liturgie und in der Zuordnung zu bestimmten Tagen, Festen und Anlässen besteht.42

39 Die reformatorische Hervorhebung der Schriftautorität verdankt sich – nicht nur, aber auch – einem nichttheologischen Faktor des 16. Jahrhunderts, nämlich der Erfindung des Buchdrucks. Das Offenbarungszeugnis Bibel wurde aus einem liturgisch-öffentlichen Buch zum Haus- und Privatbuch, das nun jedermann auch ohne den kirchlich-liturgischen Kontext zugänglich sein konnte. Dadurch ist jedoch der liturgische Grundcharakter der Bibel verdeckt worden (vgl. auch Kavanagh, On Liturgical Theology, 103–105). Die Bibel ist aus einem (grundsätzlich auf Gemeinschaft ausgerichteten) Vorlese- und Hörbuch zu einem (privaten) Lesebuch geworden. 40 Vgl. Herms, Überlegungen, 221 f. 41 Kavanagh, On Liturgical Theology, 140. 42 Selbst die Praxis der lectio continua im Gottesdienst entlässt die gottesdienstliche Versammlung nicht aus ihrer hermeneutischen Aufgabe, solange sie nicht auf jegliches andere gottesdienstliche Element verzichtet, das neben der Schriftlesung zu stehen käme und bereits implizit eine Auslegung vornimmt. Wird aber auf Predigt, Gebet und Lied verzichtet, die ja je auf ihre Weise die verlesene Schrift in einem weiten Sinne auslegen, dann kann von Gottesdienst nur schwer noch die Rede sein.

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Die traditionelle Verdrängung der theologischen Valenz der Liturgie

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3. Die traditionelle Verdrängung der theologischen Valenz der Liturgie aus der theologischen Lehre, insbesondere aus der Ekklesiologie 3.1 Das Modell von Andrea Grillo Dass die Liturgie zum Fundament der (dogmatischen) Theologie und Ekklesiologie gehört und erkenntnisfördernd oder -leitend sein soll, erscheint aufgrund der neuzeitlichen Geschichte des Verhältnisses von theologischer Lehre und Liturgie zunächst als ungewohnt. Dies liegt daran, dass die Theologie – katholisch wie protestantisch – eine lange Tradition hat, in der Gottesdienst und theologische Lehre weithin nebeneinander und ohne einander existieren konnten. Der römische Liturgiewissenschaftler Andrea Grillo ist dem Verhältnis von Theologie und Ritus nachgegangen und stellt es in einem dreiphasigen Theoriemodell dar.43 War in der Antike über das Mittelalter bis hin zur Französischen Revolution der Ritus die selbstverständliche Voraussetzung des Menschen und der Theologie (erste Phase), so ist die Neuzeit bis in die Gegenwart hinein durch die Verdrängung des Ritus aus der Theologie gekennzeichnet (zweite Phase). Als Beispiel für die Ritusverdrängung nennt Grillo die Sakramententheologie Karl Rahners und seiner Schüler.44 In der Gegenwart (dritte Phase), so Grillo, ist es geboten, der Liturgie wieder ihre eigene theologische Würde zu geben. Dies kann jedoch nach Grillo nicht geschehen, indem man nostalgisch in das vergangene Stadium der Selbstverständlichkeit des Ritus zurückkehrt, wie dies etwa die Liturgischen Bewegungen durch ihren Rückgriff auf die Alte Kirche meinten. Vielmehr geht es Grillo um eine Reintegration des Ritus in die Theologie.45 Grillo versteht sein Modell nicht in einem strikt chronologischen Sinn, sondern als Typologie. Es können auch alle drei Modelle bzw. Stile gleichzeitig auftreten.46 Das Programm einer liturgischen Theologie nach Grillo versucht, den Ritus als (fundamental-)theologisches Datum zu werten und damit auch in die Lehre von der Kirche zu integrieren. Dies ist insofern bedeutsam und aufschlussreich, als die Ekklesiologie als Funktion des Konfessionalisierungsprozesses ein spezifisch neuzeitliches Lehrstück der Dogmatik darstellt47 und damit Grillos Modell der Verdrängung des Ritus aus der Theologie mit dem Aufkommen der Neuzeit partiell bestätigt. Auch der orthodoxe Theologe Alexander Schmemann hat den Zusammenhang zwischen der Etablierung der dogmatischen Ekklesiologie und 43 44 45 46 47

Vgl. Grillo, Einführung, 45–47. Vgl. Grillo, Einführung, 84–100; vgl. auch ders., Intellectus, 148–150. Vgl. Grillo, Einführung, 101–103. Vgl. Grillo, Einführung, 52. Vgl. Wenz, Kirche, 50.

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der gleichzeitigen Nivellierung der theologischen Dimension der Liturgie gesehen.48 So kann gesagt werden: Je mehr sich die dogmatische Lehre von der Kirche profilierte, umso mehr verlor die Gestalt der Kirche, nämlich die Liturgie, an theologischem Gewicht. Die dogmatische Ekklesiologie wurde tendenziell abstrakt, die Liturgik wurde tendenziell rubrizistisch und anwendungsorientiert.

3.2 Der Übergang vom liturgiegebundenen zum abstrakten Gottesdienstund Kirchenbegriff in der Rezeption von CA 7 Man kann bei Grillo nachfragen, ob seine Chronologie zutreffend ist. Das müsste eine eigene theologiegeschichtliche Studie prüfen. Aus reformatorischer Sicht jedenfalls kann der Beginn der Verdrängung der Liturgie aus der Theologie zeitlich noch früher angesetzt werden, nämlich mit der reformatorischen Bekenntnisbildung. Mit CA 7 liegt die erste systematisch-reflexive Definition des Wesens der Kirche vor, das dezidiert gottesdienstlich bestimmt wird. Zugleich lässt sich an der (evangelischen) Rezeption von CA 7 (nicht an der CA selbst!) der Übergang von einem liturgiegebundenen zu einem abstrakten Kirchen- und Gottesdienstbegriff zeigen. Gerhard Scheidhauer, Schüler des Mainzer Liturgikers Stephan WeyerMenkhoff, hat gezeigt, dass die (frühen) lutherischen Bekenntnisschriften noch wesentlich stärker von einem gestaltgebundenen Glaubens- und Gottesdienstbegriff ausgehen, als die dogmatische Rezeption der Lehrartikel dies tut. „Dass diese Lehrartikel bisher aber noch nicht als liturgische Ordnungsprinzipien (. . .) erörtert worden sind, hat seinen Grund darin, dass die Bekenntnisschriften allein im dogmatischen Modus rezipiert werden. Für die angeführten Lehraussagen bedeutet das: Sie sind im dogmatischen Rezeptionsmodus nur insofern Gegenstand der Reflexion, als sie der Glaubenslehre wesentlich sind. Liturgische Gestalt- und Ordnungsprinzipien sind kein Gegenstand der Dogmatik. Wenn die Bekenntnisschriften den Glauben aussagen, so geschieht dies jedoch in der Form eines liturgie- und damit gestaltgebundenen Glaubens- und Gottesdienstbegriffs.“49 Die frühen lutherischen Bekenntnisschriften im zeitlichen Umfeld des Augsburger Reichstags sind zwar von einem durchaus ritenkritischen Grundzug gekennzeichnet, der theologisch in der Rechtfertigungslehre und der Auseinandersetzung mit der römischen Messe begründet ist.50 Allerdings gilt hierbei mit Scheidhauer: „CA und Apol geht es nicht um eine generelle Verwerfung der Riten, sondern um ihren rechten Gebrauch.“51 Der Verdrängungspro48 49 50 51

Vgl. Schmemann, Introduction, 11. Scheidhauer, Recht, 96. Vgl. Scheidhauer, Recht, 123–126. Scheidhauer, Recht, 123.

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zess von Ritus und Liturgie aus der (dogmatischen) Theologie lässt sich nach Scheidhauer bereits innerhalb der lutherischen Bekenntnisbildung beobachten, etwa am Verhältnis vom Lehre, konfessionellem Bekenntnis und liturgischer Ordnung im Vergleich der CA mit der Konkordienformel.52 Bereits Edmund Schlink hat dies an der lutherischen Bekenntnisbildung festgestellt: Zwar sind Lehre und Predigt in der CA austauschbare Begriffe; die Bekenntnisse richten sich jedoch nicht an Gott, sondern an die Mitmenschen (bei der CA: an den Kaiser) und entbehren damit jenes dem Bekenntnis ursprünglich eigenen doxologischen Moments.53 Die Adiaphoralehre in FC 10 forciert bereits die trennende Unterscheidung von cultus divinus und liturgischen Riten, nämlich dass die Adiaphora „an ihnen und für sich selbst kein Gottesdienst, auch kein Teil desselbigen (sind), sondern von solchen gebührlich unterschieden werden sollen“.54 Indem Liturgie und Riten in FC 10 nachdrücklich als menschlichen Rechtes herausgestellt werden, legitimiert die Konkordienformel die weltliche Rechtsgewalt, liturgische Ordnungen aufzustellen. Indem FC einen Gegensatz zwischen liturgischen Riten menschlichen Rechts und dem wahren Gottesdienst konstruiert, verbannt die FC „auch die Gestalt des Gottesdienstes aus dem Kultus und vertritt einen gestaltlosen ‚Verus-cultus-Begriff‘“55 – und damit einen gestaltlosen Begriff der ecclesia vera, auf deren notwendige Gestalthaftigkeit die CA und ApCA nachdrücklich insistieren. Die Kirche ist nach der CA am pure et recte zu erkennen, die Berufung ins Gnadenmittelamt (CA 14) soll rite erfolgen, was wohl mit Blick auf den Ritus formuliert wurde. Die Tendenz zur Hyperdoktrinalisierung, Entliturgisierung und Entritualisierung von Gottesdienst und Kirche ist damit bereits in den späten lutherischen Bekenntnisschriften erkennbar, allerdings als eine, an der CA als bekenntnismäßigem Maßstab gemessene sekundäre und den Ursinn der CA tendenziell verfremdende Auslegung. CA und ApCA spiegeln noch sehr deutlich die Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit von Ritus, Liturgie und konkret gefeiertem Gottesdienst für den Glauben einerseits und für die Ekklesiologie andrerseits. Wenngleich bestimmte partikulare Traditionen und Riten nach CA 7 nicht heilsnotwendig sind, so wird damit die Frage nach der rechten rituellen Gestalt des Gottesdienstes keineswegs dispensiert und dem individuellen Belieben anheim gestellt. CA 7 eröffnet also einen gewissen Rahmen liturgischer Vielfalt, der seine Grenze am „pure et recte“ findet. In Anlehnung an die CA und ApCA lässt sich sagen: Die Medien des Evangeliums, die traditionell mit dem Dual

52 53 54 55

Vgl. Scheidhauer, Recht, 301–312. Vgl. Schlink, Struktur, 266 f. BSLK 1056, 19–22. Scheidhauer, Recht, 300.

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Wort und Sakrament bezeichnet werden, sind prinzipiell immer unhintergehbar rituell und liturgisch. Der Ritus muss stattfinden, denn ohne den Ritus der Kirche als der Gottesdienstgemeinschaft ist das rechtfertigende Heil in Christus ordentlich nicht zugänglich.56 An der unhintergehbar rituellen Taufe als Begründung des je individuellen Christenlebens ist dies deutlich erkennbar. Der Ritus muss pure et recte sein, um als Austeilung der einen Heilstat Christi erkennbar zu sein. Der Glaube ist angewiesen auf das Evangelium, dem er im verbum externum als mündlichem Wort begegnet. Die Mündlichkeit des Wortes wiederum verweist bereits auf einen liturgischen Kontext und somit auf die rituelle Gestalt des Wortes. Dasselbe gilt für die als Sakramente geltenden Zeichenhandlungen Taufe, Abendmahl und ggf. Absolution. CA 7 als ekklesiologische Magna Charta der Reformationskirchen in katholisch-ökumenischer Verständigungsabsicht kann in Anlehnung an Gerhard Scheidhauer und Andrea Grillo als Übergang vom Modell der Voraussetzung (Kirche ist Liturgie- bzw. Gottesdienstgemeinschaft) zu dem der Verdrängung (Kirche ist Gemeinschaft in der doctrina evangelii) gelten. CA 7 bietet sich damit aus evangelischer Sicht als bekenntnismäßiger Ausgangspunkt der Reintegration des (theologisch notwendigen) Ritus in die Theologie an. Die Bekenntnisschriften, insbesondere ApCA 7, unterscheiden Zeremonien de iure divino und solche de iure humano, wobei ausschließlich erstere als strikt theologisch notwendig und für die Einheit der Kirche notwendig und hinreichend gelten, da sie von Gott bzw. Christus selbst eingesetzt worden sind. Über die Menschensatzungen hingegen muss keine Einigkeit bestehen. Es stellt sich nun die Frage, ob die Liturgie mit der in den Bekenntnisschriften aufgestellten Unterscheidung angemessen erfassbar ist. Ist die gefeierte Liturgie ein Ritus iure divino oder iure humano? Die Frage so zu formulieren, führt letztlich in Sackgassen, falsche Alternativen und Aporien. Vielmehr hat die gegenwärtige Liturgie als unter den gegenwärtigen Erkenntnisbedingungen vorerst beste Möglichkeit zu gelten, wie das iure divino gebotene und verheißene, in Wort und Sakrament erfahrbare Evangelium angemessen (wenn man so will: iure humano) in Erscheinung tritt – was liturgische Reformen als theologische Reflexion auf die Gottesdienste und zwischen den Gottesdiensten nicht aus-, sondern einschließt.

56

Vgl. auch Scheidhauer, Recht, 102 f.

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3.3 Interkonfessionelle Parallelen der Marginalisierung der Liturgie Die ausführliche Darstellung der tendenziellen Liturgieverdrängung aus dem Fundament der Theologie durch die Reformation darf nun nicht als spezifisch protestantisches Phänomen verstanden werden. Die Liturgischen Bewegungen im 20. Jahrhundert sind – nicht nur, aber hauptsächlich – im katholischen Bereich entstanden und einflussreich gewesen und haben versucht, die Liturgie wieder als eigenständigen Locus theologicus zu würdigen. Der nachreformatorische Katholizismus zeichnet sich durch Vorgänge aus, die Parallelen zum Protestantismus aufweisen: Die Liturgie wird im Messbuch Pius V. vereinheitlicht, dem Papst unterstellt und damit dem Lehramt untergeordnet. Die Vielfalt regionaler liturgischer Traditionen wird weitgehend eingeebnet. Gemeinsam ist diesem katholischen Vorgang mit der Entritualisierung des reformatorischen Gottesdienstbegriffes, dass dem Gottesdienst selbst nicht mehr zugetraut wird, Kirche zu sein; dass die Kirche zunehmend von der liturgisch gelebten zur gelehrten Größe wird. Dem entspricht auf katholischer wie auf protestantischer Seite eine zunehmende Individualisierung des gottesdienstlichen Partizipationsverhaltens. War den protestantischen Kirchenbesuchern der Glaube zunehmend zu einer gelehrten und gewussten Wirklichkeit geworden, der des Kirchgangs nur bedarfsweise bedurfte, so war den katholischen Gottesdienstbesuchern die Messe eine Kumulation heiliger Momente und Dinge, deren sich der Einzelne bedarfsweise selektiv (zentral war die Wandlung) bedienen konnte oder musste – eine Haltung, die sich bis heute in der Orthodoxie finden lässt. Erst die Liturgischen Bewegungen und die umfassende Liturgiereform durch das Zweite Vatikanum haben den Gottesdienst wieder zur Feier aller gemacht, indem das Konzil die actuosa participatio fidelium gefordert hat (wenngleich nicht stringent fundiert, was an der bleibenden Berechtigung von Privatmessen zu sehen ist).

3.4 Die Wiederentdeckung der theologischen Bedeutung der Liturgie im 20. Jahrhundert und das bleibende Recht der reformatorischen Liturgiekritik Bereits im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss der Romantik hat es erste Bestrebungen gegeben, die Liturgie aufzuwerten. Verstärkt und einflussreich beginnen erst im 20. Jahrhundert evangelische Theologen, den Gottesdienst als Gegenstand, Paradigma und Quelle der Theologie wiederzuentdecken. Jochen Arnold hat dies in seiner „Theologie des Gottesdienstes“ ausführlich dargestellt.57

57 Martin Stuflesser hat den Ursprung und das neuzeitliche Verständnis des Axioms „legem credendi lex statuat supplicandi“ ausführlich untersucht. Stuflesser hat herausgearbeitet, dass es sich

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Im Jahr 1986 resümiert Theresa Berger: „Der liturgische Bereich ist für viele systematische Theologen terra incognita (. . .) Manche Theologen erreichen sogar eine gewisse Meisterschaft darin, das Thema Liturgie aus ihren ekklesiologischen Entwürfen auszuklammern – und das nicht nur in evangelischen Kreisen.“58 Zwar hat sich das Verhältnis zwischen Dogmatik und Liturgie seit dem Diktum Theresa Bergers deutlich verbessert. Die Arbeiten von Jochen Arnold und Bernd Wannenwetsch dokumentieren exemplarisch, dass der Gottesdienst zunehmend auch zum Thema systematisch-theogischer Reflexion wird. Die älteren Arbeiten von Peter Brunner und Geoffrey Wainwright sind für den evangelischen Bereich diesbezüglich maßstäbliche systematisch-theologische Standardwerke, die allerdings auch nur ein neues Thema, aber keineswegs eine neue Methode in der Dogmatik stark machen. Theresa Berger sei daher noch mal das Wort gegeben, um die bleibende Aufgabe des Miteinanders von Liturgie und dogmatischer Ekklesiologie auf den Punkt zu bringen. Nach Berger ist die „theologisch-liturgische Perspektive eine lohnende Betrachtungsweise, besonders auf dem Gebiet der ekklesiologischen Fragestellungen (. . .) Liturgie als Spiegel der Kirche muss für den Theologen immer auch heißen: Liturgie als Spiegel einer bestimmten Ekklesiologie. Andererseits muss die Ekklesiologie, will sie nicht am Kern des Lebens der Kirche vorbeigehen, Raum haben für die Liturgie und deren Fragen und Aussagen.“59 Man wird sich jedoch hüten müssen, die Geschichte der theologischen Bedeutung der Liturgie einseitig negativ als Verfall und Verdrängung zu beschreiben. Für evangelische Theologie war die Frage nach einer lex orandi aus guten, nachvollziehbaren Gründen noch bis ins 20. Jahrhundert suspekt. Die Reformation nahm ihren Ausgang im gottesdienstlichen Leben, anders gesagt: in einer verdorbenen lex orandi, die aus theologischen Gründen eben nicht lex sein durfte und sollte. Es war das Anliegen von Luther und den Reformatoren, die Heilige Schrift als primäres, alleingültiges und vollwertiges Zeugnis von der Offenbarung der Gnade Gottes in Christus der Liturgie als liturgieexternen kritischen Maßstab anzulegen und den Gottesdienst auf diese Weise auf das Wesentliche, nämlich auf Christus und seine Gnade hin zu konzentrieren. Die Schrift mit ihrer christologisch-soteriologisch bestimmten inneren Mitte wurde somit zur lex credendi, die die lex orandi zu bestimmen, zu reinigen und ggf. neu zu gestalten hatte.

bei der Frage nach dem Verhältnis von lex orandi und lex credendi um eine in der westkirchlichen Christenheit relativ junge (relevant etwa seit dem 19. Jahrhundert) und zunächst konfessionell begrenzte, nämlich römisch-katholische Fragestellung und Methodik handelt. Siehe Stuflesser, Memoria Passionis, 18–115. Vgl. auch Schulz, Evangelische Rezeption, 182. 58 Theresa Berger, Liturgie, 299. Vgl auch dies., Theologie in Hymnen, 25. 59 Theresa Berger, Liturgie, 300.

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Anknüpfungspunkte liturgischer Theologie in der eucharistischen Ekklesiologie

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4. Anknüpfungspunkte liturgischer Theologie in der eucharistischen Ekklesiologie Die Grundoption einer liturgischen Theologie, die die Liturgie als Primärquelle der Theologie betrachtet, ist sachlich hervorragend kompatibel mit den Ansätzen der so genannten eucharistischen Ekklesiologie, die das Wesen der Kirche in ihrem Sakramentsgottesdienst erkennt. In Teil B wurde deutlich, dass sowohl das römisch-katholische als auch das evangelisch-lutherische Kirchenverständnis wesentlich gottesdienstlich bestimmt ist. Ausgehend von der orthodoxen Theologie,60 etwa von Nikolaj Avanasieff, Georgij Florovskij und insbesondere von der Studie „Being as Communion“ von Joannes Zizioulas und den Werken von Alexander Schmemann hat sich im 20. Jahrhundert über Konfessionsgrenzen hinweg der Ansatz etabliert, das Wesen der Kirche von ihrem eucharistischen Gottesdienst aus zu bestimmen.61 Mattijs Ploeger hat eine Vielzahl bekannter und weniger bekannter eucharistischer bzw. liturgischer Ekklesiologien aus unterschiedlichen konfessionellen Traditionen dargestellt und analysiert.62 Eucharistische Ekklesiologie kann inzwischen nicht mehr als orthodoxes Proprium angesehen werden, wiewohl sie im ost- bzw. altkirchlichen Denken und Leben ursprünglich beheimatet ist; sie wurde ökumenisch breit rezipiert und findet sich auch im römischen Katholizismus, im Protestantismus und noch in anderen konfessionellen Traditionen. Die Lima-Erklärung formuliert die anzustrebende eucharistisch-ekklesiologische Konvergenz folgendermaßen: „Die Eucharistische Gemeinschaft mit dem gegenwärtigen Christus, der das Leben der Kirche stärkt, ist zugleich auch die Gemeinschaft im Leibe Christi, der Kirche. Das Teilhaben am einen Brot und gemeinsamen Kelch an einem bestimmten Ort macht deutlich und bewirkt das Einssein der hier Teilhabenden mit Christus und mit den anderen mit ihnen Teilhabenden zu allen Zeiten und an allen Orten. In der Eucharistie findet die Gemeinschaft des Volkes Gottes ihre volle Darstellung. Eucharistische Feiern haben es immer mit der ganzen Kirche zu tun, wie auch die ganze Kirche an jeder Feier beteiligt ist. Insofern als eine Kirche eine Verkörperung der ganzen Kirche zu sein beansprucht, wird sie Sorge tragen, ihr eigenes Leben so zu gestalten, dass dabei die Interessen und Anliegen von Schwesterkirchen ernst genommen werden.“63

60

Vgl. auch Thaler, Gemeinde und Eucharistie, 272–299; Ocoleanu, Tradition der Auflärung,

326. 61 Bernd Wannenwetsch vermutet andeutungsweise eine gewisse Affinität des erfahrungsbezogenen Theologiebegriffs Luthers zur Orthodoxie und zu Alexander Schmemann (vgl. Wannenwetsch, Gottesdienst, 98). 62 Vgl. Ploeger, Celebrating Church. Zur ausführlichen Darstellung der eucharistischen und liturgischen Ekklesiologien und ihrer Vertreter sei auf dieses wichtige Werk zum Thema verwiesen. 63 Lima E 19.

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

4.1 Eucharistische Ekklesiologie im römischen Katholizismus Als Schlüsselfigur und Wegbereiter eucharistischer Ekklesiologie im römischen Katholizismus kann der Laacher Benediktiner Don Odo Casel gelten, auf den sich die Sakramentenlehre (nicht nur katholischer Prägung) bis heute immer wieder in Zustimmung und Abgrenzung bezieht.64 Bei und gerade in aller Umstrittenheit hat Odo Casel wesentlich zur (Wieder-)Entdeckung des theologischen Mysteriumsbegriffes beigetragen, der im Liturgie- und Kirchenverständnis des Zweiten Vatikanums eine tragende Rolle spielt65 und gleichermaßen auf die liturgischen Vollzüge bzw. die Eucharistie und die Kirche angewendet wurde.66 Damit war die Spur bereitet, dass sich eine sakramentale Ekklesiologie ausbilden konnte, die sich in der Rezeptionsgeschichte des Konzils zur eucharistischen Ekklesiologie hin präzisiert hat. Als zentraler nachkonziliarer Vertreter einer sakramentalen bzw. eucharistischen Ekklesiologie römisch-katholischen Typs kann Joseph Ratzinger gelten, dessen Denken im Wesentlichen mit der römisch-katholischen Lehramtsekklesiologie seit dem Zweiten Vatikanum kongruiert und für die Betonung bzw. tendenzielle Vorordnung der Universalkirche und der hierarchischen Amtstruktur vor die gottesdienstliche Versammlung charakteristisch ist.67 Die Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ von Johannes Paul 64 Zum Werk Odo Casels vgl. Arno Schilson, Theologie als Sakramententheologie. Die Mysterientheologie von Odo Casel, TThSt 8, Mainz 1982; Krahe, Der Herr ist der Geist; Olaf Richter, Anamnesis, 145–183. 65 SC 2; 3; 5; 6; 16; 17; 19; 35; 48; 52; 61; 102; 103; 104; 106; 107; 108; 109; 111. In LG kommt der Mysteriumsbegriff 19x vor (3; 5; 7; 8; 11; 21, 26; 28; 32; 39; 41; 44; 52; 54; 55; 56, 63; 65; 66) sowie nach „Gaudium et Spes“ mit 11 Belegen im Ökumenismusdekret UR mit 8 Belegen (2; 3; 4; 11; 17, 20; 21; 22) am vierthäufigsten. Bereits dieser rein statistische Befund zeigt, dass Mysterium einerseits im liturgischen Kontext ursprünglich verortet ist, zugleich aber ein Grundterminus der Ekklesiologie des Konzils ist. So bemerkt auch Jungmann in seinem Kommentar zur Liturgiekonstitution: „Die Erneuerung der Liturgie geht von Anfang an Hand in Hand mit der Erneuerung des Kirchenbegriffs.“ (Jungmann, Kommentar, 16) 66 Vgl. unter seinen Werken exemplarisch: Casel, Kultmysterium; vgl. dazu auch Eisenbach, Gegenwart, 38–57 und Krahe, Der Herr ist der Geist. „Mysterium“ hat für Casel einen dreifachen Sinn: Zunächst Gott selbst als der unendlich Ferne, Heilige; sodann als persönliches Christusmysterium, der den ewigen Gott im Fleisch offenbart sowie als Kultmysterium, in dem die Heilstat Gottes real und objektiv und nicht nur im Sinne subjektiver Erinnerung gegenwärtig ist. Zentrum des Kultmysteriums ist das Pascha als Übergang Jesu zum Vater (Vgl. auch Eisenbach, Gegenwart, 41 f; Krahe, Der Herr ist der Geist, 51–60). Unbeachtet der Kritikpunkte an Casels Theorie hat die Mysterienlehre das katholische Gottesdienstverständnis an die Realpräsenz bzw. Aktualpräsenz der Heilstaten Christi in der Liturgie erinnert und damit eine Theologie überwunden, „die Gottesdienst und Sakramente nur oder doch vorwiegend im Blick auf den Effekt des sakramentalen Geschehens im Empfänger sah und die ursprüngliche Feier der Gegenwart des Herrn nicht mehr zu kennen schien“ (Eisenbach, Gegenwart, 49 f). 67 Ratzingers eucharistisches Kirchenbild ist gut und komprimiert greifbar in: Joseph Kardinal Ratzinger, Zur Gemeinschaft gerufen. Kirche heute verstehen, Freiburg/Basel/Wien 1991, sowie in: ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio, Festgabe zum 75. Geburtstag, herausgegeben vom Schülerkreis. Redaktion: Stephan Otto Horn und Vinzenz Pfnür, Augsburg 2002, v. a.

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Anknüpfungspunkte liturgischer Theologie in der eucharistischen Ekklesiologie

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II. trägt dabei die Signatur der Ratzingerschen Ekklesiologie. Man wird fragen müssen, inwieweit die Ekklesiologie von Joseph Ratzinger und den neueren lehramtlichen Verlautbarungen tatsächlich mit Recht als „eucharistisch“ gelten kann. Denn je dezidierter der Primat der Universalkirche und der Amtsstruktur vor der eucharistischen Versammlung betont wird, umso näher liegt die Gefahr eines abstrakten und letztlich platonisierenden Kirchenbildes, von dem sich die eucharistische Ekklesiologie ja gerade absetzen will.68 Die Gesamtkirche ist in eucharistisch-ekklesiologischer Perspektive eben nur gegenwärtig als konkreter ortskirchlicher Gottesdienst. Ungeachtet der angedeuteten Inkongruenzen innerhalb der lehramtlichen Ekklesiologie birgt die Etablierung eines eucharistischen Kirchenbildes im römischen Katholizismus enorme Potenziale für die interkonfessionelle Verständigung. Anders akzentuiert ist das Verhältnis von Amt und Eucharistie, Orts- und Universalkirche in den Überlegungen des katholischen Liturgiesystematikers Reinhard Meßner: „Die Grundaussage der eucharistischen Ekklesiologie ist ganz einfach: Die Kirche ist die eucharistische Gemeinschaft – die eucharistische Gemeinschaft ist die Kirche. (. . .) Das Konzept einer Kirche, die in der Eucharistie konstituiert wird, hat weit reichende Konsequenzen für die Ekklesiologie und das Kirchenbild: Die Kirche als eucharistische Gemeinschaft existiert konkret nur als Ortskirche, welche die Realisierung der ganzen (katholischen) Kirche an einem konkreten Ort darstellt; die Gesamtkirche besteht nicht aus, sondern in den Ortskirchen. In der Ortskirche, konkreter: in der zur Eucharistie versammelten Ortskirche ist die ganze Kirche da; jede eucharistische Versammlung ist die katholische Kirche (d. h. die Kirche in der Fülle ihres Seins), da sie in communio steht mit der Gemeinde der Apostel und den Gemeinden vor ihr (Katholizität in der Zeit) und mit den eucharistischen Versammlungen der übrigen Ortskirchen (Katholizität im Raum).“69 Als systematischer Liturgiewissenschaftler versteht Meßner sein Fach als Disziplin, die an dem gottesdienstlichen Vollzug entlanggeht und die darin selbst vermittelten Glaubenserfahrungen im Modus des Kommentars reflektiert.70 Statt vorab Begriffe zu klären, geht Meßner phänomenologisch vor. „Was Liturgie ist, ist strikt je aus dem konkreten Vollzug zu erheben. Ja, letztlich ist nicht 53–105. Vgl. zur lehramtlichen Ekklesiologie dazu Teil B 1 in dieser Arbeit; zu Ratzingers Ekklesiologie ausführlich die Arbeiten von Thomas Weiler, Grzegorz Jankowiak und Maximilian Heinrich Heim. Zur Kongruenz der Ratzingerschen und der Vatikanischen Ekklesiologie vgl. bes. Jankowiak, Volk Gottes, 240. 68 Vgl. auch Scherle, Fragliche Kirche, 19, Anm. 22: „Römisch-katholische Theologie tendiert eher dazu, die Organisationsstrukturen mit der wahren Kirche zu identifizieren. Typisch wäre also der Versuch einer sakramentalen Begründung in einer statischen Sakramentenlehre, die den sakramentalen Handlungen eben keine konstitutive Bedeutung für die Ekklesiologie gibt.“ 69 Meßner, Einführung, 151. 70 Meßner, Einführung, 32

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von Bedeutung, was ‚Liturgie‘ ist, sondern wie sich im gottesdienstlichen Vollzug, den es eben nur als einzelnen und je konkreten und nicht allgemein gibt, das Glaubensgeschehen verleiblicht.“71 In seiner Einführung in die Liturgiewissenschaft kommentiert Meßner den Meßritus in großer ökumenischer Offenheit und in der dezidierten Perspektive einer eucharistischen Ekklesiologie, die im Ritus selbst den Glauben und das Wesen der Kirche erkennt. Auffällig ist bei Meßner – vor allem gegenüber der Theologie Ratzingers und des römischen Lehramts – die strikte Einordnung der Spezifik des Amtes in das Wesen der Eucharistie, sowie die (gerade aus evangelischer und orthodoxer Sicht sachgemäße und begrüßenswerte) Betonung der Gleichursprünglichkeit von lokaler Gottesdienstgemeinde und Universalkirche. „Die Einheit des eucharistischen Mysteriums, und nichts anderes, begründet die Einheit der Kirche als communio gleichberechtigter Ortskirchen. (. . .) Diese kirchliche Einheit gibt es freilich nur in der Differenzierung der verschiedenen Charismen und Dienste. Das kirchliche Amt steht nicht über, sondern innerhalb dieser charismatischen Struktur als Dienst, die Ortskirche bei dem einen Mysterium Christi, anders gesagt: in der apostolischen Tradition und in Gemeinschaft mit den übrigen Ortskirchen zu halten.“72

4.2 „Eucharistische Ekklesiologie“ nach Gunther Wenz und Wolfhart Pannenberg Die eucharistische Ekklesiologie, wie sie Meßner formuliert und beschreibt, entspricht in besonderer Weise dem Kirchenverständnis von CA 7 als der ekklesiologischen Grunddefinition eines lutherischen Kirchenverständnisses. CA 7 ist letztlich eine äußerst präzise und elementare lehrmäßige Formulierung eines eucharistischen Kirchenverständnisses, das der Liturgie eine theologische Valenz zukommen lässt. Von daher lassen sich gerade im lutherischen Kontext Ansätze einer eucharistischen Ekklesiologie finden. Als zentrales Beispiel sei hier Gunther Wenz aufgeführt, dessen ekklesiologische Ausführungen stets auf CA 7 als bekenntnismäßiger Grundlage rekurrieren. Der konkrete ortskirchliche und gleichzeitig in universalkirchlicher Gemeinschaft gefeierte Gottesdienst, dessen stiftungsgemäße Vollgestalt das Abendmahl prinzipiell einschließt, ist der stetige Bezugspunkt in Wenz’ Ekklesiologie.73 In seinen vielfältigen sakramententheologischen Veröffentlichungen ist der ekklesiologische Horizont der gottesdienstlichen Handlungen stets kon71

Meßner, Einführung, 32. Meßner, Einführung, 152. 73 Programmatisch formuliert z. B. in Wenz, Kirche, 12,50 u. ö.; zur Durchführung vgl. die materialekklesiologischen Kapitel im Kirchenband oder auch die Aufsätze zu ekklesiologischen Themen in Gunther Wenz, Lutherische Identität. Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation, Bd. 2, 72

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stitutiv mitberücksichtigt. Dabei achtet Wenz konsequent auf die stetige sachliche Vorordnung der christologisch-soteriologischen Dimension der Sakramente vor deren ekklesiologischer Bedeutung und erteilt damit allen triumphalen Tendenzen ekklesialer Selbstgefälligkeit eine kategorische Absage.74 Mit Blick auf den römisch-katholischen Typus eucharistischer Ekklesiologie mahnt Wenz die Stringenz einer Ekklesiologie an, die einerseits beansprucht, vom ortskirchlichen eucharistischen Gottesdienst auszugehen, de facto aber den Kirchenbegriff an den Bischof bindet: „Warum, mit Verlaub, soll eigentlich die auf den Bischof konzentrierte Diözese die prototypische Gestalt eucharistischer communio sein? Sind die Diözesen in ihren höchst unterschiedlichen räumlichen und sonstigen Formationen tatsächlich ekklesiologische Einheiten erster Ordnung? Liegt es nicht viel näher, die konkret versammelte Eucharistiegemeinde vor Ort als primäre Ordnungseinheit der Ekklesiologie in Betracht zu ziehen?“75 In dieser kritischen Fragestellung meldet sich das für Wenz typische und für evangelische gottesdienstliche Ekklesiologie notwendige Anliegen zu Wort, den christologisch-soteriologischen Primat zu betonen und die Externität und Vorordnung Christi vor alles kirchliche Handeln konsequent – und nicht nur nominell wie im römisch-katholischen Denken – durchzuführen und damit einer faktischen Identifikation der Gegenwart Christi mit einer verfassten Kirchenstruktur vorzubeugen, sosehr gleichzeitig – gerade mit Wenz – zu sagen ist, dass die Kirche, primär gottesdienstlich verstanden und realisiert, auch exemplarischer Ort und Medium der wirksamen Gegenwart Christi ist. Begründet mit der Faktizität und dem Perfekt der Auferstehung Jesu Christi konstatiert Wenz: „So richtig es ist zu sagen, Christus lebe in seiner Kirche, so falsch wäre es doch, daraus zu folgern, Christus sei in die Kirche auferstanden, die versammelte Gemeinde sei die einzige Realpräsenz seines Leibes.“76 Wie Wenz beim Sakramentsbegriff Wert darauf legt, dass dieser ein nachträglicher Reflexionsbegriff ist, um das Gemeinsame bestimmter Zeichenhandlungen auszudrücken,77 so darf man auch, als nachträglichen Reflexionsbegriff, den der „Eucharistischen Ekklesiologie“ mit vollem Recht auf das Kirchenverständnis von Gunther Wenz anwenden, um den konfessionenübergreifenden Grundansatz bei der gottesdienstlich-eucharistischen Versammlung hervorzuheben. Wenz selbst verwendet den Begriff „Eucharistische Ekklesiologie“, soweit ich sehe, nicht ausdrücklich für sein eigenes Konzept.78

Hannover 2002; vgl. auch die kritische Darstellung bei Neumann, Sakrament und Ökumene, 187– 250, sowie die Erwiderung von Wenz in: ThLZ 122, 1997, 1169–1173. 74 Vgl. Wenz, Sakramentenlehre, 257 f; ders. Art. Sakramente II, 689. 75 Wenz, Herrenmahl, 238. 76 Wenz, Sakramentenlehre, 257. 77 Vgl. Sakramentenlehre, 25 f, 226–229; auch ders., Art. Sakramente II, 689–691. 78 Ähnlich verhält es sich auch mit den anderen evangelischen „eucharistisch-ekklesiologischen“ Entwürfen im deutschsprachigen Protestantismus. Offensichtlich ist der Begriff – noch – zu sehr

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Wenz stimmt in seinem gottesdienstlich-eucharistischen Kirchenverständnis mit seinem Lehrer Wolfhart Pannenberg überein, der wiederum in seinem Ökumeneverständnis maßgeblich von seinem Lehrer Edmund Schlink geprägt ist. In seiner Systematischen Theologie kommt Pannenberg der Sache nach zum selben Ergebnis wie Wenz: „Die reformatorische Auffassung von der Kirche als communio (. . .) steht in einer bis auf die patristische Tradition zurückreichenden Tradition, derzufolge die Kirche primär realisiert ist in der Feier des Gottesdienstes durch die dazu am jeweiligen Ort versammelte Gemeinde. Dabei handelt es sich niemals nur um eine in ihrer Partikularität isolierte Gemeinde, sondern in jeder lokalen, gottesdienstlichen Feier, in der Jesus Christus selbst gegenwärtig ist, da ist auch die ganze (‚katholische‘) Kirche.“79 Besonders in seiner Abendmahlslehre betont Pannenberg den ekklesiologischen Horizont. „Wo immer die Feier des Herrenmahles stattfindet, da ist christliche Kirche. Darum hat die Kirche ihre Gestalt in erster Linie im gottesdienstlichen Leben der Ortsgemeinden, die ihrerseits als Ortsgemeinden definiert sind durch den Ort des Gottesdienstes, und in diesem ortsgebundenen gottesdienstlichen Leben wurzelt die weltweite Gemeinschaft der dasselbe Herrenmahl feiernden und dadurch miteinander verbundenen Ortskirchen.“80 Nach Gunther Wenz und Wolfhart Pannenberg kann somit der örtliche Wortund Sakramentsgottesdienst als primäre Gestalt der Kirche Jesu Christi und Realisierungsort ihrer universalen Einheit gelten. Die Ansätze von Wenz und Pannenberg sind keine liturgisch-theologischen Ansätze im engeren Sinn. Sie sind aber implizit in besonderer Weise für die Anliegen einer theologischen Methode offen und gesprächsfähig, die den liturgischen Vollzug als theologia prima und vorrangigen Bezugspunkt theologischer Erkenntnis ernst nimmt. Ist der eucharistische Gottesdienst primäre Verwirklichung der Kirche, wie Wenz und Pannenberg überzeugend darlegen, dann muss und wird sich diese These darin bewahrheiten, dass den konkreten liturgischen Vollzügen des eucharistischen Gottesdienstes eine ekklesiologische Erkenntnisfunktion zukommt – womit die liturgischen Vollzüge selbst zur ecclesiologia prima werden.

von Fremdheit und theologischen Missverständnissen in den anderen Konfessionen geprägt, als dass man ihn für geeignet hielte, das eigene Kirchen- und Gottesdienstverständnis darin angemessen ausgedrückt zu wissen. Ich werde diesen Begriff trotzdem auch für den evangelischen Bereich verwenden, um die Gemeinsamkeit in der Grundstruktur ekklesiologischen Denkens deutlich zu machen. Der Dissens zwischen den Konfessionen liegt nicht in der Frage, ob ein eucharistisches Kirchenbild überhaupt angemessen ist, sondern darin, wie die eucharistische Kirche in anderen konfessionellen Bindungen zu bewerten ist und welche Eucharistie aufgrund welcher und in welchem Maß alleinverbindlichen Amtsstruktur als gültig angesehen werden kann. 79 Pannenberg, ST 3, 121; vgl. ebd. 117–128; ders., Bedeutung, bes. 84 f. 80 Pannenberg, ST 3, 324; vgl. auch Ploeger, Celebrating Church, 318.

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4.3 Weitere Spuren eucharistischer Ekklesiologie in Theologien lutherischer Konfession Dass das Wesen der Kirche primär in ihrem Abendmahlsgottesdienst besteht, findet sich ansatzweise auch in etlichen anderen Entwürfen lutherischer Dogmatiker. Es geht hier nicht darum, jeweils die ganzen ekklesiologischen oder sakramententheologischen Entwürfe im Einzelnen zu rekonstruieren, sondern Ansätze aufzuzeigen, denen zufolge das Wesen der Kirche im (Abendmahls-) Gottesdienst besteht. An erster Stelle ist hier Peter Brunner mit seiner bislang unüberholten dogmatischen Gottesdienstlehre zu nennen. Anklänge einer Ekklesiologie, die aus dem als Heilsgeschehen verstandenen Gottesdienst kommt, lassen sich insbesondere in seiner Abendmahlslehre finden.81 Gerhard Ebeling kann als Beispiel einer in nuce angelegten aber nicht voll und stringent durchgeführten gottesdienstlichen Ekklesiologie angeführt werden: „Das Wort, das den Menschen in seinem Personsein trifft und das darum Gottes Wort heißt, weil es ihn letztgültig angeht und freispricht, steht nicht beliebig zur Verfügung. Es ist überliefertes Wort, doch nicht im Sinne einer starren fixierten Größe, sondern als ein lebendiges Überlieferungsgeschehen, das sich in der Existenz der Kirche fortpflanzt. Als Christuszeugnis wird es weitergegeben durch den Leib Christi. Das ist der primäre Lebensvollzug des Leibes Christi, innerhalb der Menschheit dieses Wort durch ständig erneuerte Erfahrung und Bezeugung weiterzugeben und so im Vollzug von Gottesdienst zu existieren.“82 Oswald Bayer vertritt die Thesen, dass einerseits das Herrenmahl als Mitte des Glaubens und kurzer Begriff des ganzen Evangeliums zu gelten hat,83 andrerseits Theologie vom Gottesdienst her und auf ihn hin zu verstehen ist.84 Jochen Arnold hat die paradigmatische und axiomatische Bedeutung des Gottesdienstes, seiner liturgischen Formen und besonders des Abendmahles in Bayers Theologie deutlich herausgearbeitet.85 Der Kirchengedanke könnte bei Bayer, analog zu seinem Theologieverständnis, auch dezidiert gottesdienstlich-liturgisch fundiert sein. Dies ist in seinem Ansatz angelegt, wird von Bayer selbst aber so nicht durchgeführt. Besonders deutlich lassen sich bei Ulrich Kühn eucharistisch-ekklesiologische Denkstrukturen feststellen.86 Nach Bernd Wannenwetsch „ist die Kirche, um

81 Zu Brunners Verständnis des Gottesdienst als Paradigma der Ekklesiologie vgl. Arnold, Theologie, 348–363; Eißler, Pro ecclesia, 63–89 u. ö. 82 Vgl. Ebeling, Notwendigkeit, 248. 83 Vgl. Bayer, Leibliches Wort, 306–313. 84 Vgl. Bayer, Theologie, 403. 85 Vgl. Arnold, Theologie, 203–220. 86 Vgl. Kühn, Kirche, 173–178 („Kirche als Bruderschaft, versammelt um Wort, Sakrament und Gebet“); vgl. auch ders., Sakramente, 212 f, 306–309; vgl. auch Neumann, Sakrament, 251–315.

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Kirche zu sein, um Kirche zu werden und zu bleiben, elementar auf dieses Geschehen des Gottesdienstes angewiesen“.87 Nach Karl-Hermann Kandler „kann Kirche nie anders verstanden werden als vom Gottesdienst her und auch auf ihn hin, weil hier Gottes Gnadenabsicht in Jesus Christus konkret wird“.88 Inspiriert von der intensiven Rezeption orthodoxer Theologie haben auch die Erlanger Theologen Werner Elert und Fairy von Lilienfeld die Kirche eucharistisch begriffen.89 All diese Theologen, die sich als lutherisch verstehen, haben teils implizite und nur angedeutete, teils explizite Strukturen einer eucharistischen Ekklesiologie. Denn gerade von CA 7 her ist es, wie schon gezeigt, geboten, die Kirche gottesdienstlich, genauer: sakramentsgottesdienstlich zu begreifen.

4.4 Eucharistisch-ekklesiologische und liturgisch-theologische Spuren im reformierten Kontext Ehe man protestantischerseits der eucharistischen Ekklesiologie bzw. der liturgischen Theologie unberechtigterweise vorwirft, rein lutherisch („katholisierend“) zu sein, wird sich zeigen, dass sich auch im reformierten Kontext Spuren einer gottesdienstlich begründeten und fokussierten Ekklesiologie finden lassen. Für die liturgisch-theologische Spurenlese sei auf Karl Barth verwiesen. In seinen Vorlesungen zum Schottischen Bekenntnis zeigt Barth, dass Kirche primär die (gottesdienstliche) Versammlung ist.90 Barths Überlegungen erinnern an die eucharistische Ekklesiologie der Lima-Erklärung, wenn er – ohne den Katholizitätsbegriff zu nennen – zur Kirche bemerkt: „Die Versammlung selbst und als solche aber ist damals wie heute, dort wie hier, eine einzige und ungeteilte, ja dieselbe und immer die ganze damals und heute, dort wie hier.“91 Barths Ansatz von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes (Christus, Schrift, Predigt) hat eine deutliche innere Affinität zu einer liturgisch fundierten Theologie, in der dem Gottesdienst (Barth hat hier allerdings nur die Predigt vor Augen) offenbarungstheologisch relevante Qualitäten zukommen, sodass der Gottesdienst (bzw. die Predigt) dogmatisch im Umfeld des Offenbarungsthemas verhandelt werden muss. Peter Scherle hat die konstitutive Bedeutung liturgischer Handlungen für die Institution Kirche bei Karl Barth herausgearbeitet und damit die

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Wannenwetsch, Gottesdienst, 129. Kandler, Kirche, 64. 89 Vgl. Ocoleanu, Tradition der Aufklärung, 326. 90 Vgl. Barth, Gotteserkenntnis, bes. 163–166. In seinen weiteren Ausführungen zeigt sich, insbesondere bei der Unterscheidung von wahrer und falscher Kirche (ebd., 167–169), dass Barth einen eher abstrakten Kirchenbegriff postuliert, hinter dem die gottesdienstliche Konkretion desselben zurücktritt. 91 Barth, Gotteserkenntnis, 165. 88

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bisherige deutsche Barthrezeption korrigiert.92 Dass Karl Barth eine spezifische Nähe zur Liturgical Theology hat, zeigt auch Don E. Saliers auf.93 Als eucharistische Ekklesiologie, die den Gottesdienst mit Abendmahl als Inbegriff der Kirche versteht, ist das biblisch, liturgisch und patristisch fundierte Werk Ökumene im Herrenmahl des reformierten Liturgikers Jean-Jacques von Allmen zu lesen. Nach von Allmen ist die Eucharistie die „Offenbarung der Grenze und der Fülle der Kirche“.94 Auch das Eucharistiebuch von dem (ursprünglich reformierten, später konvertierten) Taize-Bruder Max Thurian gehört hierher.95 In neuerer Zeit hat der reformierte Systematiker Matthias Zeindler (geb. 1958) den engen, unlöslichen Zusammenhang von Gotteserfahrung und deren Konstitution einerseits und der gottesdienstlichen Gemeinde andererseits herausgearbeitet. Der Gottesdienst der Gemeinde ist nach Zeindler der paradigmatische Ort der Gotteserfahrung.96 „Innerhalb des Gottesdienstes ist in besonderem Maße das Abendmahl der Ort, wo sich das gemeinschaftsstiftende Handeln Gottes vollzieht. Ist der Gottesdienst die konkrete Mitte des kirchlichen Lebens, dann ist deshalb wiederum das Abendmahl die konkrete Mitte des Gottesdienstes.“97

4.5 Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, dass sich in der evangelischen Theologie vielfältige Strukturen, Spuren und Andeutungen dessen finden lassen, was andere Konfessionen „eucharistische Ekklesiologie“ nennen.98 Meist bezeichnen sich diese Entwürfe nicht selbst so; dazu ist offensichtlich der Begriff zu sehr einseitig konfessionell vorgeprägt. Die gottesdienstliche Wesensbestimmung der Kirche fällt bei den genannten Theologen unterschiedlich dicht und stringent aus. Oft bleibt es eher bei Behauptungen und Andeutungen, statt Ausgangspunkt für eine ekklesiologische Durchführung vom Gottesdienst her zu sein. Nichtsdestotrotz zeigt sich im neueren Protestantismus eine doch unverkennbare Sensibilität für die Notwendigkeit und Sachgemäßheit eines Kirchenverständnisses, demzufolge die Kirche

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Vgl. Scherle, Fragliche Kirche, 107–109. Vgl. Saliers, Worship as Theology, 69–81. 94 Vgl. von Allmen, Ökumene im Herrenmahl, 40–59. 95 Vgl. Thurian, Eucharistie, Mainz/Stuttgart 1963. 96 Vgl. Zeindler, Gotteserfahrung, 226–228. 97 Zeindler, Gotteserfahrung, 233. 98 Zu den eucharistischen Ekklesiologien der reformatorischen Tradition vgl. auch Thaler, Gemeinde und Eucharistie, 299–361; Ploeger, Celebrating Church, 317–387. 93

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im (Abendmahls-)Gottesdienst ihre höchste Verwirklichungsgestalt hat. Ihr praktisch-theologisches Pendant hat die gottesdienstzentrierte Ekklesiologie dort, wo trotz aller Vervielfältigung und Pluralisierung der kirchlichen Praxis der Gottesdienst als Mitte der Gemeinde anerkannt und reflektiert wird.99

5. Die Konkretion eucharistischer Ekklesiologie als liturgischer Ekklesiologie Das Wesen der Kirche besteht wesentlich in der gottesdienstlichen Versammlung um Wort und Sakrament. Kirche ist Abendmahlsgottesdienstgemeinde, so die schlagwortartige Grundthese der eucharistischen Ekklesiologie. Berücksichtigt man, dass der eucharistische Gottesdienst kein Abstraktum ist, sondern eine konkrete liturgische Feier meint, könnte man auch sagen: Die Kirche ist die eucharistische Liturgiegemeinde. Die These von der Wesensidentität von Kirche (im theologischen Sinn) und eucharistischer Versammlung impliziert also, dass Kirche in ihrer prototypischen Gestalt wesentlich darin existiert, dass eine gottesdienstliche Gemeinde bestimmte liturgische Handlungen vollzieht. Eucharistische Ekklesiologie ist somit immer auch liturgische, d. h.: sich in der Liturgie wesentlich verwirklichende und erscheinende Ekklesiologie. Liturgie ist „Kirche in Bewegung“.100 Die konkrete Liturgie des eucharistischen Gottesdienstes ist die ecclesiologia prima. Was wesentlich zum Sein der Kirche gehört, ist präsent im liturgischen Vollzug des Gottesdienstes der Gemeinde mit Wortverkündigung und Eucharistie. Kirche und Liturgie sind sachlich wesensverwandt, denn sie bezeichnen in ihrem eigentlichen theologischen Sinn dieselbe Wirklichkeit.101 Eucharistische Ekklesiologie und liturgische Theologie entsprechen und fordern einander. Beiden geht es – zumindest dem Anspruch nach – darum, den Gottesdienst im Fundament der Theologie bzw. der Ekklesiologie zu verankern. Wo ernst gemacht wird mit der These, dass der Gottesdienst zum Fundament der Lehre von der Kirche gehört, bekommt die konkrete Liturgie eine zentrale theologische Bedeutung.102 Eucharistische Ekklesiologie bzw. liturgische Theologie entsprechen in gewisser Weise auch dem postmodernen Denken, wie der pfingstkirchliche Systematiker Simon Chan bemerkt.103 Was Kirche ist und sein soll und kann, ist nicht 99

Vgl. dazu etwa Pohl-Patalong, Gemeindegottesdienst. Olaf Richter, Anamnesis, 26. 101 „I mean that ecclesia and leitourgia are coterminous in origin and very nearly convertible as terms.“ (Kavanagh, On Liturgical Theology, 97) Vgl. auch Chan, Liturgical Theology, 85–98. 102 Vgl. auch Scherle, Fragliche Kirche, 55 f. 103 Vgl. Chan, Liturgical Theology, 85 f. 100

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Die Konkretion eucharistischer Ekklesiologie

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(mehr) im Sinne der „großen Erzählungen“ eines universalen oder unsichtbaren Kirchenbildes zu begreifen, sondern Kirche ist, ausgehend von ihrer konkreten, gewissermaßen partikularen liturgischen Realität, nämlich ihrer Primärexistenzform Gottesdienst her zu denken, wobei allerdings – typisch für Ekklesiologie im Zeichen der Globalisierung – das Vernetzt-Sein mit den anderen Gottesdienstgemeinschaften stets mitbedacht wird. Der Begriff der eucharistischen Ekklesiologie kann auch nicht ausschließlich einer bestimmten konfessionellen Tradition (v. a. orthodox oder römisch-katholisch) zugerechnet werden. Der Anglikanismus, der Altkatholizismus und die Orthodoxie sind lebende Beispiele einer eucharistischen Ekklesiologie. Diese konfessionellen Traditionen haben gemeinsam, dass sie, verglichen mit dem römischen Lehramt und den reformatorischen Bekenntnisschriften, einen relativ wenig ausgeprägten Lehrstand haben. Umso wichtiger und ekklesiologisch verbindend-verbindlicher ist die Liturgie als Spiegel des kirchlichen Selbstverständnisses (exemplarisch im Book of Common Prayer im Anglikanismus). Die (meist nordamerikanischen) Konzepte einer „Liturgical Theology“, als deren Prototyp Alexander Schmemann gelten kann, basieren allesamt auf der Logik eines eucharistischen Kirchenbildes – bzw. sie begründen es aus der Liturgie selbst. Sogar aus einer traditionell „unliturgischen“ und „uneucharistischen“ Tradition wie dem Bereich der charismatischen und pfingstlichen Kirchen wird die Kirche als „worshipping Community“ begriffen, wie der Untertitel der Liturgical Theology von Simon Chan (Singapur) lautet. Der schwedische Lutheraner Sven-Erik Brodd weitet dem deutschen Protestantismus und Luthertum den Blick dafür, wie vielfältig – und auch wie selbstverständlich – im außerdeutschen Luthertum eucharistische (sic!) Theologie gedacht und praktiziert wird.104 Die interkonfessionell trennende Frage besteht also nicht darin, die grundsätzliche Angemessenheit eines gottesdienstlich fundierten und zentrierten Kirchenverständnisses anzuzweifeln, sondern darin, welche (Amts-)Strukturen das eucharistische Kirchenverständnis notwendig impliziert.

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Vgl. Brodd, Eucharistische Theologien.

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

6. Grundimplikat der eucharistischen Ekklesiologie und der liturgischen Theologie: Das Mahl des Herrn als konstitutives Element des Gottesdienstes Was bisher schon immer vorausgesetzt und thetisch angeführt wurde, bedarf hier noch einmal einer ausführlicheren Reflexion, gerade vor dem Hintergrund der evangelischen Abendmahlspraxis im deutschen Kontext. Die Vertreter einer eucharistischen Ekklesiologie oder der Liturgical Theology gehen von der Grundannahme aus, dass das Abendmahl konstitutiv zum regulären christlichen Sonntagsgottesdienst dazu gehört und dass sich gerade im Abendmahl in besonderer Weise das Wesen der Kirche verdichtet. Liturgisch-theologisch bedeutet das, dass die Eucharistiefeier, also der gesamte Gottesdienst mit Wortverkündigung, Predigt, Feier des Herrenmahles, Gebet und Gesang als ein gegliedertes Ganzes, diejenige primäre Ekklesiologie ist, in der sich das Wesen der Kirche liturgisch-rituell am dichtesten und umfassendsten darstellt. Das schließt die Berechtigung anderer Gottesdienstformen ohne Abendmahl nicht aus, sondern ein.105 Das schließt selbstverständlich auch nicht aus, sondern ein, dass auch in Gottesdiensten, in denen das Mahl des Herrn nicht gehalten wird, Jesus Christus und die Wirklichkeit seiner Heilstat realpräsent sind und heilschaffende Communio mit Christus und unter den Gläubigen ermöglichen, und jeder Gottesdienst eine spezifische soteriologische und ekklesiologische Dignität besitzt. Aber wie verhält sich der Abendmahlsgottesdienst zu den anderen Liturgiegestalten? Es kann schwer behauptet werden, dass alle liturgischen Feierformen dieselbe ekklesiologische Aussage- und Wirkkraft haben.106 Damit würden die liturgischen Einzelvollzüge um ihre jeweilige soteriologische, anthropologische und ekklesiologische Spezifik gebracht. Es wäre absurd, zu behaupten, dass es im

105 Dies betont insbesondere Ploeger, der sich damit von solchen eucharistischen Ekklesiologien absetzt, die die Liturgie als ganze bzw. andere, nichteucharistische Gottesdienstformen ausblenden (vgl. Celebrating Church, 20). 106 Diesen Eindruck vermitteln verschiedene evangelische Liturgiker, deren Denken sich wesentlich von der gegenwärtigen liturgischen Partizipationslogik der Kirchenglieder bestimmen lässt. In jedem Fall ist auch aus systematisch-theologischer Sicht zur Kenntnis zu nehmen, dass die überwältigende Mehrzahl der Kirchenglieder nur kasuell den Gottesdienst mitfeiert und sich das Teilnahmeverhalten am evangelischen Gottesdienst bestimmten Lebensstilmustern und milieuspezifischen Vorlieben und Vorprägungen verdankt. Aus systematisch-theologischer Sicht wäre es jedoch irreführend, wenn die gegenwärtige Teilnahmepraxis der Kirchenglieder zum alleinigen Maßstab für ein theologisches Gottesdienstverständnis gemacht würde. Was Gottesdienst theologisch ist, ist zunächst an ihm selbst und am ihn begründenden und bestätigenden Zeugnis von Schrift und Bekenntnis abzulesen und nicht an der Lebenspraxis derjenigen Menschen, die den Gottesdienst in der Regel gerade nicht besuchen.

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Das Mahl des Herrn als konstitutives Element des Gottesdienstes

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Grunde egal wäre, ein Tagzeitengebet, eine Abendmahlsfeier, eine Andacht oder einen Predigtgottesdienst zu halten. Der Gottesdienst als Eucharistiefeier mit Predigt und Herrenmahl am wöchentlichen Fest der Auferstehung Christi ist vielmehr nach neutestamentlichurchristlichem Zeugnis der christliche Haupt- und Gemeindegottesdienst,107 auf den alle anderen Gottesdienstformen bezogen bleiben.108 Diese These entspricht dem biblisch-urchristlichen Befund, wie ihn Jürgen Roloff darstellt109 und kann auch als Konsens der neueren Systematischen Theologie (Eilert Herms, Eberhard Jüngel, Wolfhart Pannenberg) auf evangelischer Seite gelten, zu dem jedoch bisweilen die kirchliche Praxis sowie, ihr folgend, etliche gegenwärtige Liturgiker (z. B. Christoph Dinkel) in Spannung stehen.110 Es ist daher nicht richtig, wenn behauptet wird: „Der evangelische Gottesdienst wird reformatorisch vom Wort des Evangeliums aus konzipiert und nicht von der Eucharistie.“111 Die Entgegensetzung von Wort und Eucharistie/Abendmahl drückt bereits ein verkürztes Verständnis beider aus,112 als ob die einzelnen Elemente gleichgültig, gleichwertig und gewissermaßen untereinander verrechenbar sind.

107 Vgl. aus neutestamentlicher Sicht Ferdinand Hahn: „Urchristliche Gottesdienste sind Feiern gewesen, in denen das Herrenmahl im Zentrum stand.“ (Hahn, Theologie II, 561) 108 „Für das Neue Testament ist das Herrenmahl konstitutiver Teil des Gottesdienstes. Mag daneben missionarische Wortverkündigung unerlässlich gewesen sein, der Gemeindegottesdienst sollte auf die Mahlfeier nicht verzichten.“ (Hahn, Theologie II, 563) 109 Vgl. Roloff, Gottesdienst, 49–51. 110 Eine prominente Ausnahme, allerdings aus der älteren Liturgikergeneration stammend, bildet der inzwischen verstorbene Liturgiker Frieder Schulz: „Ein vorläufig ohne Abendmahl gefeierter Gottesdienst ruft und bereitet zur nächsten Teilnahme am Herrenmahl, ist aber darauf aus, jeden Tag des Herrn als Tag des Herrenmahles zu begehen. Wie Wochentags-Gottesdienste zum Sonntagsgottesdienst und wie die Reihe gewöhnlicher Sonntage zum Hochfest, so sind abendmahlslose Sonntage ‚Unterwegs-Sonntage‘, aber kraft der Verheißung Christi vollwertige Gottesdienste: Christi Gegenwart ist immer vollwertig, gleichviel, auf welche Weise sie sich erfahrbar macht.“ (Schulz, Hauptgottesdienst, 132). 111 Dinkel, Gottesdienst, 239. 112 Dinkel gibt zu, dass das Abendmahl den Teilnehmenden eine „wesentlich intensivere Form der Beteiligung (anbietet), indem diese nicht nur hören und sehen, sondern auch schmecken und fühlen. Die Wahrnehmungspotentiale der Interaktion werden besser genutzt, vor allem dann, wenn das Abendmahl durch Friedensgruß und andere Beteiligungsformen angereichert wird.“ (Dinkel, Gottesdienst, 239) Dinkel relativiert dies jedoch dadurch, dass das Abendmahl auch eine Schwelle darstellt, die Scheu auslöst (ebd.). Wenn Dinkel gegen den Konsens der Systematiker das Wort des Evangeliums gegen die Eucharistie ausspielt, so zeigt sich daran nicht nur die Sorge um ein konfessionelles Profil, sondern vor allem die theologische Aporie eines an den Bedürfnissen von Kirchenklienten orientierten funktionalen Verständnisses von Gottesdienst. Dass die Verlängerung des Gottesdienstes für Langweile sorgen kann und das Abendmahl Scheu auslöst, und diese beiden Aspekte offensichtlich gravierend genug sind, um das dichte Interaktionselement Abendmahl zur Akzidenz des „allein vom Wort des Evangeliums“ her konzipierten Gottesdienstes zu degradieren, zeigt, dass hier offensichtlich die soziologischen Bedenken stärker gewichtet werden als theologische Vorgaben und Vorgegebenheiten.

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

Das Verhältnis von Abendmahlsgottesdienst und anderen Gottesdiensten ohne Mahlfeier lässt sich in folgende drei Thesen fassen: 1. Drückt die Kirche im nichteucharistischen Gottesdienst viel von ihrem Wesen aus, drückt sie jedoch weder alles noch alles ihr auszudrücken Mögliche aus. 2. Während die Kirche unter irdischen Bedingungen nie alles ihres Wesens ausdrücken kann, drückt sie alles ihr liturgisch auszudrücken Mögliche und Gebotene ihres Wesens im Gottesdienst mit Wortverkündigung, Predigt, Gesang und Gebet und der Feier des Herrenmahles aus. Insofern ist dem Anspruch nach die Gesamtliturgie des Gottesdienstes mit Abendmahl ecclesiologia prima et plena. 3. Nichteucharistische Gottesdienste sind Formen der ecclesiologia prima, weil und sofern sie von der das Abendmahl einschließenden Gesamtliturgie als ecclesiologia prima et plena herkommen und zu ihm hinführen. Dies kann sowohl für die evangelisch-lutherische als auch für die katholische Tradition gesagt werden. Insofern sind alle Gottesdienste ohne Mahlfeier in beiden Kirchen in ekklesiologischer (nicht in soteriologischer) Hinsicht hingeordnet auf den eucharistischen Gottesdienst, in dem die Kirche, dem Gebot Christi folgend, in höchstmöglicher Weise als die zum Herrn Gehörige (kyriake) erscheint. Historisch und theologisch lassen sich nichteucharistische Gottesdienste in Anlehnung an Hans-Christoph Schmidt-Lauber und Peter Brunner als spezifische Ausgliederungen aus der eucharistischen Haupt- und Vollgestalt der christlichen Liturgie verstehen.113 Dies gilt übrigens auch für die Kasualien sowie die häusliche Frömmigkeitspraxis.114 113 „In der evangelischen Kirche sind Stundengebet, Andachten, Beichte, Kindergottesdienst und weitere Gottesdienstformen bekannt. Das Problem ist hier vor allem das Verhältnis von Eucharistie und Predigtgottesdienst, die nach dem Ergebnis unserer bisherigen Überlegungen nicht mehr einfach als gleichberechtigte Alternativen betrachtet werden können, wobei es sicher ein Fehlgriff wäre, irgendeine Gottesdienstform als höher- oder minderwertig zu bezeichnen. Doch die von Christus als neuer zentraler Gottesdienst seiner Gemeinde gestiftete Mahlgemeinschaft kann bei der Verhältnisbestimmung nicht außer Acht gelassen werden. Es ist nicht ins Belieben der Gemeinde gestellt, diese durch andere Gottesdienstformen zu ersetzen. Der Predigtgottesdienst und die anderen Gottesdienstformen gewinnen ihre Legitimation dadurch, dass sie als Ausgliederung von Elementen der einen Grundgestalt des Gottesdienstes verstanden werden und somit in enger Beziehung zu dieser verbleiben.“ (Schmidt-Lauber, Eucharistie, 214) Schmidt-Lauber führt hier Gedanken seines Lehrers Peter Brunner fort (Vgl. Brunner, Lehre, 284). Schmidt-Laubers Ansatz ist insofern für ein theologisches Gottesdienstverständnis geeignet, als gerade so die Vielfalt der praktizierten liturgischen Formen in ihrem jeweiligen Eigenwert auch theologisch gewürdigt werden kann. Ein Ansatz, der von einem eher abstrakten Begriff (z. B. Kommunikation des Evangeliums, so etwa bei Christian Grethlein, Messe) ausgeht, „vergleichgültigt“ letztlich die Vielheit der liturgischen Formen, ohne die jeweilige theologische Dichte angemessen zu würdigen. 114 So bemerkt Frieder Schulz, dass „die evangelische Segenspraxis stets kontextual war, d. h. der Segen und die Segnung ist grundsätzlich eingebunden in das Gesamt eines Gemeindegottesdienstes.

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Das Mahl des Herrn als konstitutives Element des Gottesdienstes

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Gegen den gelegentlich vorgebrachten Einwand, der reformatorische Predigtgottesdienst würde neben dem Abendmahlsgottesdienst einen eigenständigen, womöglich gleichwertigen Typus von Liturgie darstellen,115 der auf den vorreformatorischen Pronaus zurückgeht, ist liturgiegeschichtlich und dogmatisch geltend zu machen, dass gerade der mittelalterliche Prädikantengottesdienst in der unsachgemäßen Ausgliederung der Predigt aus der durch die Kultsprache verzerrten Wortverkündigung der mittelalterlichen Messliturgie wurzelt.116 Pointiert formuliert der evangelische Theologe Martin Nicol: „In eucharistischer Perspektive stellt sich der evangelische Predigtgottesdienst als ein Provisorium mit eigener Würde dar.“117 Auch das Stundengebet steht in enger Verbindung mit der eucharistischen Liturgie und kann als besonders akzentuierte Ausgliederung von Elementen (Psalmen, Hymnen, Fürbitten) verstanden werden, die ihren Ort (auch und primär) in der Messe haben. Kurzum: Die verschiedenen Formen nichteucharistischer Gottesdienste leiten sich, obgleich sie auch je für sich theologisch vollwertige Gestalten der einen und unteilbaren Gegenwart des dreieinen Gottes zu sein bestimmt sind, von der eucharistischen Liturgie ab und bleiben auf sie hingeordnet. Auch der abendmahlslose Predigtgottesdienst, die Vesper oder die katholische Wort-Gottes-Feier sind ganz Gottesdienst, aber eben nicht der ganze Gottesdienst. Das bedeutet nicht, dass nichteucharistische Gottesdienste (z. B. Tagzeitengebete, Predigtgottesdienste, interkonfessionelle Wortgottesdienste) keinen theologischen und ekklesiologischen Stellenwert hätten. Im Gegenteil: Jedes Element des Gottesdienstes hat seinen theologischen und ekklesiologischen Eigenwert. Wie Christus und sein Heilswerk auch in nichteucharistischen Gottesdiensten wirksam realpräsent ist, so sind auch diese Feiern ekklesiologisch bedeutsame Realgestalten der einen Kirche Jesu Christi. Sie vollziehen jedoch nicht den spezifischen Anamneseauftrag Jesu an seine Jünger: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, also die Mahlfeier, die seit dem Neuen Testament die Mitte der Zusammenkunft der Christen am „ersten Tag der Woche“ (vgl. Lk 24,13–35; Apg 20,7 u. ö.) ausmacht118 und die durch die Teilhabe an Leib und Blut Christi die versam-

Auch die als Benediktionshandlungen bezeichneten Kasualgottesdienste sind öffentliche Gemeindegottesdienste. Die scheinbar privaten Akte des Morgen-, Tisch- und Abendsegens (nach Luthers Kleinem Katechismus mit Selbstbekreuzigung) sind nur extrapolierte Akte, die auf den Kontext der Taufe und des Abendmahls verweisen.“ (Schulz, Segnende Kirche, 55) 115 So etwa Eberhard Weismann (vgl. Weismann, Predigtgottesdienst, 2–5) und Eberhard Winkler (vgl. Winkler, Predigtgottesdienst, 247–249). 116 Gegenüber der älteren protestantischen These, der christliche Gottesdienst gehe auf zwei urchristliche Versammlungstypen zurück, nämlich den Wortgottesdienst und den eucharistischen Gottesdienst, ist mit Roloff zu präzisieren, dass es im Urchristentum wohl Wortgottesdienste gab, nicht aber als Ersatz für den Sabbatgottesdienst in der Synagoge (vgl. Roloff, Gottesdienst, 61 f). 117 Nicol, Weg, 97. 118 Vgl. Lathrop, Holy People, 108 f.

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

melte Gemeinde in höchster Weise zum Leib Christi verbindet, sodass dieser Gottesdienst mit einem gewissen Recht als „Haupt“-Gottesdienst119 gelten kann. Liturgischer Ekklesiologie, wie sie hier verstanden werden will, geht es, mit Ploeger (in Anschluss an Lathrop) gesprochen, darum, „to see the eucharist as the kernel of the liturgy, but not as all of it“.120

7. Methodisch-hermeneutische Vorbedingungen einer liturgischen Theologie bzw. Ekklesiologie 7.1 Zur Methode der liturgischen Theologie und Ekklesiologie Ausgehend von der den Konfessionen gemeinsamen – zumindest theoretisch formulierten – Grundüberzeugung, dass Kirche Abendmahlsgottesdienst ist und diese sich in der konkreten eucharistischen Liturgie realisiert, sollen in Teil D dieser Arbeit zentrale Elemente, Vollzüge und Strukturen der Liturgie als ecclesiologia prima reflektiert werden. Wie geschieht das methodisch? Eine liturgische Theologie versucht im Modus des Kommentars zum gottesdienstlichen Vollzug diesen als die ursprüngliche Theologie, die theologia prima, bzw. als die ecclesiologia prima zu erschließen.121 Diese Vorgangsweise ist phänomenologisch orientiert.122 Sie setzt nicht bei der Schrift oder bei der kirchlichen Lehre ein, sondern beim Gottesdienst selbst, wobei auch die Reflexion der theologia prima selbst schon ein Akt der theologia secunda ist. Der Gottesdienst gibt zu denken. An und in den liturgischen Grundvollzügen ist das Kirche-Sein der versammelten Gemeinde und ihre ökumenisch-universalkirchliche Verbundenheit ablesbar und wahrnehmbar.

7.2 Liturgische Verbindlichkeit als Grundoption Eine liturgische Theologie bzw. Ekklesiologie muss von einem bestimmten Maß an liturgischer Verbindlichkeit ausgehen bzw. ein solches postulieren, denn wenn es keine verbindlichen und in jedem Gottesdienst erwartbare Strukturen

119 Die Rede vom „Hauptgottesdienst“, die für sich genommen problematisch ist (vgl. Schulz, Hauptgottesdienst; Grethlein, Messe), gewinnt ein Stück inhaltliche Plausibilität, wenn man den Begriff eucharistisch-ekklesiologisch profiliert: Die Kommunikanten des Abendmahles haben Anteil am Leib Christi, der das Haupt des Leibes ist und dessen Glieder sie sind. 120 Ploeger, Celebrating Church, 20. 121 Vgl. Meßner, Liturgiewissenschaft, 263–267. 122 Zur Kritik an einer präjudizierten begriffsorientierten Reflexion statt einer phänomenologischen Zugangsweise vgl. auch Wannenwetsch, Gottesdienst, 64–71.

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Methodisch-hermeneutische Vorbedingungen

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und Riten gibt, die als theologia prima Grundlage und Bezugspunkt einer liturgischen Theologie gelten können, wird das Projekt einer liturgischen Ekklesiologie hinfällig.123 Die liturgische Verbindlichkeit ist im Bereich der evangelischen (und auch der ökumenischen) Gottesdienste sicherlich anders akzentuiert und begründet als etwa im römischen Katholizismus oder in der Orthodoxie. Die Verbindlichkeit des Missale ist auch auf römisch-katholischer Seite noch keine Garantie dafür, dass die Gottesdienste tatsächlich nach dem Missale gefeiert werden. Das Wesen einer Agende und insbesondere des Evangelischen Gottesdienstbuches würde grundsätzlich verkannt, wenn man diese liturgischen Bücher als detailgenau auszuführende Vorschriften verstünde. Entgegen dem antiautoritärem Verdacht, liturgische Bücher wären Vorschriften, mit denen einzelne Liturgiker die Freiheit der feiernden Gemeinden mit eigenmächtig diktierten liturgischen Formen beschneiden wollten, ist vielmehr – konfessionenübergreifend – zu sagen, dass liturgische Bücher einen zu gestaltenden Rahmen abstecken, in dem die Gemeinden in der einen Überlieferungsgeschichte des gottesdienstlich realisierten Glaubens bleiben, wie auch die liturgischen Formulare und Texte in der Regel keine Neuerfindungen sind, sondern spiegeln, was sich vielen Gemeinden als wahre, da evangeliumsgemäße Liturgie „imponiert“ hat und was durch die liturgischen Bücher weiter bewahrt und verbreitet werden soll. Die Grundorientierung an der Agende verdeutlicht die ökumenische Ausrichtung des Gottesdienstes und den konkreten Integrationswillen der feiernden Gemeinde in die Gesamtkirche. Der Gebrauch der agendarischen Gebete integriert die Einzelnen in die Gemeinde, und Einzelne und Ortsgemeinde in die Gesamtkirche.124

7.3 Liturgie: Theologia prima oder Konstrukt einer theologia secunda? Bei der liturgischen Theologie stellen Albert Gerhards und Benedikt Kranemann zurecht die kritische Frage, „ob und wieweit nicht auch die theologia prima Konstruktion einer theologia secunda ist, folglich die liturgische Theologie unter nicht reflektierten Voraussetzungen steht“.125 Anders gesagt: Kann die Liturgie als immer auch „gemachte“ und von Menschen gedachte, gewählte, ausgeführte und gestaltete Liturgie wirklich theologia prima sein? Dieser kritische Einwand ist völlig berechtigt. Natürlich ist die Liturgie immer (auch) menschliches Produkt und Konstrukt. Liturgieausschüsse und Arbeitskreise für Agendenreformen haben die überkommene Liturgie geprüft und 123 „We need to urge each other to continual renewal so that the central characteristics of the ordo may stand forth in clarity in each assembly.“ (Lathrop, Holy People, 155) 124 Vgl. auch Thilo, Funktion, 86. 125 Gerhards/Kranemann, Einführung, 50.

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überarbeitet, und die liturgischen Akteure vor Ort lassen ebenfalls in der Ausgestaltung eigene theologische Akzente einfließen. Liturgie ist immer historisch geworden und aktuell von Menschen gestaltet. Hilfreich erscheint hier eine Unterscheidung, die David Fagerberg getroffen hat. Fagerberg unterscheidet Liturgie „in its thick sense“ und „in its thin sense“.126 Liturgie „in its thin sense“ beschreibt die Ebene des von Menschen Machbaren und zu Machenden. Liturgie „in its thick sense“ geht vom Handeln Christi in der Liturgie aus. „Christ is the premier liturgist, head of a body animated by the Holy Spirit, and so it’s Christ’s work that the Church performs – which is to say the thick liturgy done by the Church must always and only by Christ’s liturgy, never it’s own.“ (David W. Fagerberg)127 Liturgie „in its thick sense“ erfordert seitens der gestaltenden und feiernden Menschen eine Haltung, die darauf vertraut, dass das unverfügbare Handeln Gottes hier und heute konkret erfahrbar ist und wird. Das schließt nicht aus, dass Liturgie auch „in its thin sense“ verstanden und gestaltet (und ggf. kritisiert) werden muss, dass aber Ziel und Sinnbestimmung der Liturgie darin bestehen, „in its thick sense“ als Ort der Gegenwart Gottes erfahren zu werden. Liturgie als theologia prima erfordert eine binnenperspektivische Sicht des Gottesdienstes, aus dem Inneren des christlichen Glaubens heraus, der um seiner selbst willen auf den Gottesdienst und die liturgische Gemeinschaft der Kirche angewiesen ist und nicht meint, sich seine Liturgie aussuchen bzw. ggf. darauf verzichten zu können.128 Hierin unterscheidet sich die liturgische Theologie von der kontinentaleuropäischen Liturgik, die stärker den volkskirchlichen (und damit auch kirchenfernen) Kontext berücksichtigt, der dazu tendiert, die Subjektivität des Gläubigen der Einbindung in die kirchliche Gemeinschaft vorzuordnen. Bei der Frage, ob die „von Menschen gemachte“ Liturgie theologia prima sein kann, wiederholen sich letztlich dieselben Fragen wie bei der Schriftautorität und der Frage, wie sich Gotteswort und Menschenwort im Bibelwort zueinander verhalten. Menschliches Handeln ist einerseits unverzichtbar, damit Liturgie sein kann. Allerdings wird das menschlich-liturgische Handeln im liturgischen Vollzug „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ zum Medium der Gott-Mensch-Begegnung, die sich in, mit und unter den liturgischen Vollzügen als freie Selbstgabe Gottes ereignet.129 Vordergründig handelt im Gottesdienst die Kirche, präziser: Menschen tun etwas. Doch eigentliches Subjekt des liturgischen Handelns sind nicht sie selbst, sondern der dreieine Gott. 126

Vgl. Fagerberg, Theologia Prima, 9–12. Fagerberg, Theologia Prima, 11. 128 Vgl. dazu Fagerberg, Theologia Prima, bes. 117–121. 129 Zur „In-mit-und-unter-Struktur“ der Gotteserfahrung vgl. auch Zeindler, Gotteserfahrung, 226–228. 127

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Methodisch-hermeneutische Vorbedingungen

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7.4 Askese und Hermeneutik des Vertrauens in die Liturgie als Grundhaltungen liturgischer Theologie Liturgie ist nicht immun gegenüber externer Kritik; schließlich ist aus ihr, durch sie und über sie hinaus der Schriftkanon, auch als Maßstab ihrer eigenen bleibenden Sachgemäßheit, entstanden. Die Liturgie setzt aber bei allen Partizipanten eine Hermeneutik des Vertrauens in die Liturgie voraus, die die Bestimmung des Gottesdienstes darin sieht, höchstmöglicher Ort der Selbstvergegenwärtigung desjenigen Gottes zu sein, den Schrift und Bekenntnis (und kirchliche Lehre) bezeugen, die sich wiederum selbst in ihrem jeweiligen Geworden- und Autorisiert-Sein dem Gottesdienst verdanken. Menschliches Handeln im Gottesdienst ist daher prinzipiell von Askese und Verzicht auf jegliche Form von persönlicher Selbstdarstellung geprägt.130 Liturgische Theologie ist nicht primär am Gestalten und Kritisieren von Liturgie interessiert, sondern daran, sich zunächst in die gegebene Liturgie einzufügen. Das bedeutet keineswegs Kritiklosigkeit oder ein Defizit an Rationalität. Wohl aber fordert es einen Standpunkt des spirituellen Respektes und der Achtung der Liturgie in der eigenen oder fremden Konfessionsgemeinschaft. Liturgiekritik ist dann angebracht, wenn die Selbstvergegenwärtigung Gottes im Gottesdienst durch liturgisches Handeln drastisch verdunkelt wird und die Liturgie nicht klar für Gottes Präsenz transparent ist.131 Am Anfang liturgischen Gestaltens steht das Vertrauen, dass die gegenwärtig gefeierte Liturgie als überlieferte und von der feiernden Gemeinschaft aktuell bestätigte Liturgie nach wie vor eine sinnvolle Gestalt des Gottesdienstes darstellt und prinzipiell weitergeführt werden sollte. „(D)er Heilige Geist hat Spuren in der Geschichte des Gottesdienstes hinterlassen.“ (Hans-Christoph Schmidt-Lauber).132 Geoffrey Wainwright spricht hier von „a minimal belief in God’s providential guidance of the Church“.133 Dieses Vertrauen ist theologisch und ekklesiologisch begründet in der raum- und zeitübergreifenden Katholizität der Kirche. Kirche als (eucharistische) Gottesdienstgemeinschaft ist, mit Gunther Wenz zu reden, „keine bloß heutige Gestalt. Die gegenwärtige kirchliche Gemeinschaft weiß sich vielmehr in zwar kritischer, immer aber solidarischer Gemeinschaft mit den Vätern und Müttern des Glaubens, so wie sie andererseits 130 Unter Bezug auf altkirchliche Theologen fordert der Pfingstler Simon Chan zutreffend: „(H)umility is simply the stance of the church at worship before the uncomprehensible God. It is the foundational virtue as worship is the foundational practice.“ (Chan, Liturgical Theology, 95) 131 Als Beispiel für solche Verdunklungen seien der durch Benedikt XVI. wieder zu neuen Ehren gekommene tridentinische Ritus sowie etliche gruppengemeinschaftliche Gottesdienste im protestantischen Bereich genannt. Beide Male tendiert das menschlich-gottesdienstliche Handeln dazu, zum Selbstzweck und zur Selbstbefriedigung von Gruppeninteressen zu werden. 132 Schmidt-Lauber, Zukunft, 103. 133 Wainwright, Doxology, 438. Vgl. dazu auch Kistenbrügge, Gebet, 317; Ploeger, Celebrating Church, 2.

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

niemals der Devise folgen wird: nach mir die Sintflut.“134 Insofern trägt zwar jede konkrete Liturgie, jede Liturgiereform und jede Agende immer auch Spuren ihrer „Macher“, bleibt dabei (oder sollte zumindest) im Wesentlichen in der Tradition und Katholizität des Evangeliums, das in den gewachsenen und bewährten Strukturen der Liturgie weitergegeben wird. Dass Liturgie und Ritus sein müssen, damit das Evangelium Gestalt annehmen und erfahrbar werden kann, ist ein unhintergehbares Faktum. Dass sich bestimmte Formen über Zeiten und Räume (und ggf. auch über Konfessionsgrenzen) hinweg bewährt haben, rechtfertigt ihnen gegenüber einen Vertrauensschuss; sie sind also von einer großen Anzahl von Gläubigen als der Liturgie angemessen und somit schrift- und bekenntnisgemäß befunden worden. Agenden dienen der Katholizität der Kirche und spiegeln sie. Das muss erst widerlegt werden.

8. Liturgische Ekklesiologie als Ergänzung, Vertiefung und Konkretion der begriffsorientierten Lehre im ökumenischen Dialog 8.1 Die notwendig interdisziplinäre Ausrichtung der dogmatischen Ekklesiologie Wenn der Gottesdienst als primäre Theologie und, eucharistisch-ekklesiologisch begriffen, als „prototypische Realisierungsgestalt von Kirche“ (Gunther Wenz) zu gelten hat,135 dann ist der Gottesdienst immer „ecclesiologia prima“,136 zu der sich die dogmatisch-reflexive Ekklesiologie sekundär, nach-denkend verhält. Und das kann letztlich nicht nur für den Abendmahlsgottesdienst gelten, sondern für alle kirchlich anerkannten und praktizierten Formen der Liturgie und somit auch für gemeinsame interkonfessionelle ökumenisch genannte Feiern. Das erfordert jedoch (getrennt und gemeinsam gefeierte) Liturgie tatsächlich theologisch ernst zunehmen, d. h. als theologische Erkenntnisquelle im Blick auf die dogmatische Ekklesiologie und im Blick auf eine Konfessionen versöhnende Kircheneinheit.137 „Die konvergierende Liturgie ruft nach gegenseitiger ekklesialer Anerkennung“, fordert der Schweizer Liturgiker Bruno Bürki. Die dogmatische Ekklesiologie hat es von daher grundlegend – nicht nur, aber auch, elementar und primär – mit liturgischen Vollzügen zu tun.

134 135 136 137

Wenz, Herrenmahl und Amt, 229. Wenz, Herrenmahl und Amt, 228. Vgl. auch Lathrop, Holy People, 9 f; Meßner, Liturgiewissenschaft, 266 f. Bürki, Bedeutung, 31.

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Liturgische Ekklesiologie als Ergänzung, Vertiefung und Konkretion

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„Es kommt in der theologischen Lehre wie in der liturgischen Gestaltung darauf an, am – gewiss spannungsvollen – Zusammenhang zwischen Vollzug und Deutung festzuhalten und dem Auseinanderdriften zu widerstehen.“ (Peter Cornehl)138 Dem ist hinzuzufügen, dass der Vollzug zeitlich und sachlich der Deutung vorangeht. Daher muss sich die (dogmatische) Ekklesiologie um ihrer eigenen Sachgemäßheit willen Gesprächspartner aus dem Bereich der Liturgiewissenschaft suchen und selbst fähig werden, liturgische Vollzüge als primäre Selbstexplikation der Kirche zu verstehen und zu reflektieren. Methodisch ist die Systematische Theologie ohnehin immer interdisziplinär ausgerichtet, da sie biblisch-theologische, exegetische, historische und empirische Einsichten zu berücksichtigen hat, um die Wahrheit des christlichen Glaubens gegenwartsbezogen und für das gegenwärtige Wahrheitsbewusstsein möglichst überzeugend darzustellen. Wenn nun das Wesen der Kirche wesentlich in ihrem Gottesdienst besteht, wird die reflektierende Ekklesiologie dann sachgerecht verfahren, wenn sie zunächst nicht über, sondern aus dem Gottesdienst heraus über das Wesen der Kirche nachdenkt. Hier hat eine liturgische Theologie bzw. eine liturgische Ekklesiologie ihren Beitrag zu leisten und den traditionellen Graben zwischen Lehre, Lehramt und liturgischer Praxis zu überwinden.139 Theresa Berger ist somit zuzustimmen, „dass das ökumenische Ringen sich nicht ausschließlich und vorrangig an den Lehrbüchern der getrennten Kirchen orientieren sollte, sondern verstärkt auch den Gebets- und Gesangbüchern, mehr noch: dem doxologischen Vollzug des Gottesvolkes durch die Jahrhunderte, der in diesen Texten seinen Niederschlag findet, nachzuspüren hat.“140 Der Beitrag einer liturgischen Ekklesiologie könnte den getrennten Kirchen langfristig dazu helfen, den eigenen und den fremden liturgischen Vollzug in seiner theologischen und ekklesiologischen Dimension tiefer zu erfassen. Voraussetzung ist auch hier, bei der Wahrnehmung des liturgischen Vollzugs anderer Konfessionen, zunächst eine Hermeneutik des Vertrauens in die Liturgie und in die Selbstvergegenwärtigungsfähigkeit und -willigkeit Christi auch in den anderen, zunächst noch fremden liturgischen Vollzügen.

138 Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 220. Cornehls These bezieht sich zwar speziell auf das Abendmahl, ist jedoch – auch aus Cornehls eigenem Ansatz heraus – mühelos auf den ganzen Gottesdienst zu beziehen. 139 Es geht hierbei im weiteren Sinn um das Verhältnis von wissenschaftlicher Theologie als denkend verantwortetem Glauben und der Spiritualität als gestaltetem und gelebten Glauben in Gemeinschaft, die einander wechselseitig bedürfen, um sachgerecht sein zu können. 140 Theresa Berger, Theologie in Hymnen, 213. Dass die Fragestellung liturgischer Ekklesiologie „non-exclusive“ ist, betont auch Ploeger (vgl. Celebrating Church, 3–5).

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

8.2 Liturgische Theologie als Ergänzung des begriffsorientierten Denkens im ökumenischen Dialog Der bisherige ökumenische Dialog war stark von der Diskussion um präjudizierte Begriffe geprägt und ist darin teilweise stagniert. Der begriffsorientierte Diskurs orientiert sich wesentlich an Lehrtexten, kann die konfessionell vorgefertigten Allgemeinbegriffe „Kirche“, „Eucharistie“, „Liturgie“, „Sakrament“, „ordo“ oder „Bischof“ nur für den eigenen konfessionellen Kontext im eigentlichen Sinn verwenden und muss es streng genommen dem anderen verweigern. Aus dem Bemühen um korrekte Begrifflichkeiten entstehen degradierende Hilfsbegriffe wie „kirchliche Gemeinschaften“, „nicht Kirche im eigentlichen Sinn“, oder, fast schon humoristisch, „konfessionelle Körper der Reformation“.141 Der begriffsorientierte Diskurs geht letztlich auch von der impliziten Grundannahme aus, dass der evangelische, der katholische, der anglikanische und der ökumenische Gottesdienst voneinander verschiedene Realitäten sind. Die Arbeit von Christian Maria Löhr zur katholisch-lutherischen Kircheneinheit, die die ekklesiologischen Aussagen des Katholizismus und der VELKD sowie diverser ökumenischer Theologen darstellt, ist – gegen ihre implizite Intention – ein Beispiel für ein einseitiges, nämlich rein lehrtext- und diskursorientiertes Verständnis von Kircheneinheit.142 Löhrs Arbeit spiegelt damit eine Tendenz der bisherigen Dialogökumene, nämlich die eher marginale Rezeption der Liturgie als Quelle der Theologie. Aus meiner Sicht könnte ein nicht unrealistisches Ziel liturgischer Ekklesiologie darin bestehen, Allgemeinbegriffe an das Ende der Reflexion zu stellen und die systematisch-theologische Reflexion phänomenologisch am vollzogenen Ritus zu beginnen. Bevor über Liturgie gesprochen wird, muss die Liturgie selbst sagen können, wer oder was sie ist.

141 Löhr, Credo, 392, Anm. 142. Die Arbeit von Christian Maria Löhr ist von einem tiefen Engagement für die kirchliche Einheit zwischen Lutheranern und Katholiken geprägt. Es mutet bei Löhr allerdings bisweilen erheiternd bis komisch an, wie versucht wird, der römisch-lehramtlichen Begriffsbildung gerecht zu werden, indem die Lutheraner mit allem möglichen benannt werden, nur um den Begriff „Kirche“ der katholischen Gemeinschaft vorzubehalten. 142 Löhrs Anliegen besteht in einer Ökumene des überzeugten und gelebten Christseins, wie er es in den neuen geistlichen Gemeinschaften vorfindet (vgl. Löhr, Credo, 23). Trotz dieses dezidiert spirituellen Anliegens, das ja einen liturgischen Horizont impliziert, arbeitet Löhr ausschließlich mit Lehrtexten, kirchlichen Stellungnahmen u. ä. Das Missale Romanum, das Evangelische Gottesdienstbuch, Gesangbücher oder sonstiges liturgisches Quellenmaterial sucht man bei Löhr vergeblich. Man muss sich hier fragen, ob Liturgie und Spiritualität etwas letztlich theologisch „Uneigentliches“ sind und ob die dargestellten und analysierten Lehrtexte für sich genommen überhaupt genügen, um Chancen der „katholisch/lutherischen Kircheneinheit“ zu diskutieren, wie Löhr das im Untertitel beansprucht. Es spricht für sich, dass Löhr beim Vergleich von katholischer Eucharistie und lutherischem Abendmahl die jeweilige Liturgie mit keinem Wort erwähnt (vgl. Löhr, Credo, 116–118).

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Liturgische Ekklesiologie als Ergänzung, Vertiefung und Konkretion

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Es geht also nicht darum, analytisch-begriffliche und diskursive systematisch-theologische Arbeit zu ersetzen. Es geht vielmehr darum, die gottesdienstliche Wirklichkeit, aus der die Theologie kommt und auf deren volle gemeinsame Erfahrung jeder interkonfessionelle Dialog zielt, für den theologischen Diskurs fruchtbar zu machen. Der kontroverse Diskurs darf nicht nur über liturgische Wirklichkeiten gehen, sondern muss wesentlich aus der (gemeinsamen) liturgischen Erfahrung kommen. Auf den interkonfessionellen Dialog bezogen heißt das, die strittigen Themen (Kirche, Abendmahl, Opfer, Realpräsenz, Amt) auf ihre gottesdienstliche Grundstruktur hin transparent zu machen. Differenzen in der Abendmahlstheologie lassen sich nicht aufklären, ohne die kirchentrennenden Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts aufzuarbeiten. Primäre Zeugnisse der Abendmahlstheologie sind jedoch nicht die Schriften des „Denzinger“, die BSLK oder Verlautbarungen irgendwelcher Bischofskonferenzen – so notwendig solche Lehräußerungen als nachfolgende Reflexionen zweifellos sind. Primäres Zeugnis einer aktuellen Abendsmahlstheologie ist die aktuelle Abendmahlsliturgie, der zuzutrauen ist, den Sinn des Abendmahls mindestens ebenso umfassend erschließen zu können wie eine theologische Handreichung oder eine lehramtliche Deutung dies vermögen. Was geschieht eigentlich im gottesdienstlichen Vollzug? Im Gottesdienst der eigenen Konfessionskirche und der getrennten Konfession? Wie ist zu bewerten, dass hüben wie drüben ähnliche bis gleiche Riten existieren und zum Teil mit genau denselben Worten gebetet, gesungen und verkündigt wird? Worin bestehen die Unterschiede und wie sind sie zu gewichten?

8.3 „Erfolgsbeispiele“ liturgisch-theologischer Verständigung Das Verfahren, im Zweifelsfall der Liturgie den theologischen Vorrang zu geben vor einer lehrmäßig-begriffsmäßigen Verständigung, ist nicht neu; es hat sich vielmehr in entscheidenden Momenten der interkonfessionellen Verständigung als weiterführend erwiesen. Die gegenseitigen Anerkennungen der Taufe in einer anderen Kirche als rechtmäßige christliche Taufe zwischen den Konfessionen basieren genau auf einer liturgisch-theologischen Logik, nämlich dass ein bestimmter Ritus (Wasser und trinitarische Taufformel) richtig vollzogen sein muss. Die pastoraltheologische Erklärung der VELKD von 1975 hat evangelisch-lutherischen Christen den Kommunionempfang in der römischen Messe zugestanden unter der Bedingung, dass die Einsetzungsworte vernehmbar gesprochen werden, was z. B. nicht für den tridentinischen Ritus von 1962 gilt. Die (ursprünglich römisch-katholische) Amen-Regel als Zulassungsbedingung zur Kommunion bzw. zum Abendmahl basiert ebenfalls auf der Methode liturgischer Theologie, nämlich dass in der Abendmahlsliturgie der anderen Konfes-

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Vorüberlegungen für eine evangelisch verantwortete liturgische Ekklesiologie

sion deren Abendmahlsglaube und deren Ekklesiologie hinreichend in der Liturgie ausgedrückt ist. Auch die Erklärung zwischen der EKD und dem Bistum der deutschen Alt-Katholiken sowie die Meissener Erklärung tendieren dahin, die jeweils vereinbarte Form der eucharistischen Gemeinschaft (wechselseitiges Abendmahl mit den Alt-Katholiken, Interkommunion und begrenzte Interzelebration ohne Konzelebration mit den Anglikanern) mit einer liturgischen Bedingung, nämlich dem Gebrauch des Eucharistiegebetes zu verknüpfen.

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D Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz Im Folgenden wird nun durchgeführt, was im vorangegangen Teil C grundgelegt wurde: Entlang des gottesdienstlichen Vollzugs wird das Wesen der Kirche reflektiert. Ich gehe, wie schon ausgearbeitet, von der Annahme aus, dass sich das Wesen der Kirche im Abendmahlsgottesdienst darstellt und deshalb die liturgischen Einzelvollzüge das Kirche-Sein der versammelten Gemeinde ausdrücken und vollziehen. In den Blick kommen solche liturgischen Elemente und Vollzüge, die sowohl in der römischen Messe als auch im evangelischen Abendmahlsgottesdienst relativ verbindlich sind und die gewöhnlich auch in interkonfessionellen Gottesdiensten vorkommen.1 Die ausgewählten Elemente gehören etwa in der Handreichung „Ökumenische Segensfeiern“ zu den Grundelementen.2 Darüber hinaus wird auch die ekklesiologische Spezifik des Abendmahls und die Bedeutung des ordinationsgebundenen Amtes für den Gottesdienst thematisiert. Primärquellen für die Textgestalt der Vollzüge sind die verbindlichen liturgischen Quellen, insbesondere das EG und das Evangelische Gottesdienstbuch (EGb). Diese Grundvollzüge sind unterschiedlich gestaltbar und kombinierbar; ihr je und je neuer Vollzug bildet jedoch die Einheit der Liturgie in der Vielfalt der Liturgien, Konfessionen und Kulturen.3 Dass die erörterten liturgischen Elemente und Vollzüge auch noch in anderen Liturgietraditionen vorkommen, unterstreicht deren ekklesiologische Dignität, was allerdings hier in dieser Arbeit aufgrund der Beschränkung auf die römisch-katholisch/evangelisch-lutherische Ökumene nur punktuell berücksichtigt werden kann. Das Ziel der folgenden

1 Interkonfessionelle Gottesdienste werden im Folgenden mit der in der Praxis geläufigen Bezeichnung „ökumenische Gottesdienste“ bezeichnet. 2 Vgl. Ökumenische Segensfeiern, 12–14; vgl. auch Ökumenische Gottesdienste, 10. 3 Angesichts der radikalen Pluralisierung von „Liturgie“ einerseits und „Gemeinde“ andererseits plädiert auch Uta Pohl-Patalong dafür, die Einheit von Gemeinde und Gottesdienst in den liturgischen Grundvollzügen selbst zu suchen: „Liturgisch müsste – sicher in einem längeren Prozess – genau geprüft werden, welche Elemente als unverzichtbare Basiselemente in jedem protestantischem Gottesdienst an welcher Stelle verbindlich sind. Ohne dass ich Details vorwegnehmen möchte, umfassen diese sicherlich Gebet, Vaterunser und Segen, sinnvollerweise auch eine Form von Eingangsliturgie, vermutlich Kyrie und Gloria. Dabei ist theologisch und liturgisch auch der Zusammenhang mit der weltweiten Kirche von Bedeutung, so dass die allen Konfessionen gemeinsamen Elemente zu den unverzichtbaren gehören sollten. (. . .) Die Chance dieses Weges sehe ich darin, einerseits eine gemeinsame gottesdienstliche Grundlage zu schaffen, die die Erkennbarkeit des protestantischen Gottesdienstes sichert und als Symbol der Einheit der Kirche dienen kann.“ (Pohl-Patalong, Gemeindegottesdienst, 117)

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

Überlegungen besteht darin, positiv den ekklesiologischen Wert der gemeinsamen Liturgie zu erheben und ihn dogmatisch fruchtbar zu machen. Die Leitfragen werden dabei lauten: Was geschieht ekklesiologisch durch den Vollzug dieses Ritus? Was sagt die gottesdienstliche Versammlung über ihr Kirche-Sein, wenn sie dies sagt und tut? Inwiefern kann genau dieser liturgische Vollzug die Konfessionen transzendierende Katholizität und Ökumenizität des Gottesdienstes und der Kirche bewirken und bezeichnen? Methodisch lehne ich mich dabei an Reinhard Meßners Konzept einer systematischen Liturgiewissenschaft bzw. einer liturgischen Theologie an, die im Modus des Kommentars zum gottesdienstlichen Vollzug diesen als die theologia prima bzw. als die ecclesiologia prima zu erschließen sucht.4 Ähnlich hat bereits 1976 der katholische Liturgiewissenschaftler Hans-Joachim Schulz versucht, ökumenische Glaubenseinheit aus eucharistischer Überlieferung zu begründen,5 wobei sich Schulz auf die Textebene der altkirchlichen Eucharistiegebete und auf die katholisch-orthodoxe Ökumene konzentriert. Das von mir angestrebte Vorgehen des Kommentierens ähnelt in mancher Hinsicht auch der Methode des Eucharistiebuches von Alexander Schmemann.6 Die Kommentierung jedes Vollzugs (außer der Predigt) endet damit, dass als Zusammenfassung der Überlegungen paradigmatisch ein liturgischer Vollzug meist kommentarlos zitiert wird, der beispielhaft seinen ekklesialen Sinn erschließen soll.

1. Die Kirche als Versammlung der Getauften 1.1 Die Versammlung als ekklesialer Grundakt Menschen versammeln sich zum Gottesdienst. Das Zusammenkommen bereits stellt das geistliche und ekklesiologisch fundamentale Grundgeschehen der Liturgie dar. Damit Kirche als Gottesdienstgemeinschaft überhaupt sein kann, müssen sich Menschen versammeln, und sei es eine noch so kleine Gruppe.7

4

Vgl. Meßner, Liturgiewissenschaft, 263–267. Vgl. H.-J. Schulz, Glaubenseinheit. 6 Vgl. Schmemann, Eucharistie, 25–27. Schmemanns Überlegungen entstammen, wie er schreibt, „nicht einer wissenschaftlichen Analyse, sondern meinen eigenen Erfahrungen, so begrenzt diese auch sein mögen“ (Schmemann, Eucharistie, 25). Dieser Alternative Schmemanns schließe ich mich nicht an, da die gottesdienstlichen Vollzüge und Erfahrungen, gerade weil sie empirisch und konkret sind, auch prinzipiell für die wissenschaftliche Reflexion offen sind und sein müssen. Wichtig ist allerdings, und darin dürfte das eigentliche Anliegen Schmemanns liegen, dass die wissenschaftliche (systematische) Theologie wesentlich binnenperspektivisch (vorgeht), nämlich von der Position des christlichen Glaubens aus. 7 Vgl. Meßner, Einführung, 172 f. 5

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Versammlung der Getauften

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Für den Gottesdienst ist das Versammelt-Sein von Menschen zur Liturgie nicht nur eine rein praktische Notwendigkeit. Vielmehr ist der Versammlungscharakter auch theologisch zentral und wesentlich, denn die Versammlung hat ekklesiologisch ihren Zweck in sich selbst. Die Versammlung ist versammelt, um versammelt zu sein. Gordon Lathrop hat in seiner liturgischen Ekklesiologie ausführlich die ekklesiologische Bedeutung der Liturgie als Versammlung herausgearbeitet.8 Der Gottesdienst als „assembly, a gathering together of participating persons“ ist, so Lathrop, „the most basic symbol of Christian worship“.9 Die Versammlung ist, wie auch Alexander Schmemann hervorhebt, „der erste und grundlegende Akt der Eucharistie“.10 „Der eigentliche Existenzort der Kirche ist nicht irgendeine Bürokratie, auch nicht die Aktivität einer Gruppe, die sich zur ‚Basis‘ erklärt, sondern die ‚Versammlung‘.“ (Joseph Ratzinger)11 Das Neue Testament hat die überkommenen Kultbezeichnungen gerade nicht für seinen liturgischen Gottesdienst im Namen Jesu übernommen.12 Vielmehr sind es vor allem die Verben des Zusammenkommens in der oder als ekklesia, die zur Bezeichnung des Gottesdienstes verwendet werden.13 Dem entspricht, dass die Begriffsgeschichte des griechischen ekklesia mit der Bezeichnung einer Versammlung beginnt.14 Der Begriff der ekklesia ist schon innerhalb der Bibel zur Bezeichnung einer festen Gruppe geworden, die ihre Gruppenidentität aus der kontinuierlichen Versammlung ihrer Glieder als der eschatologischen Heilsgemeinde bezieht.15 Die Gruppe der ekklesia nennt sich nach ihrer Versammlung, „weil alles, was ihre Identität ausmacht, in der Versammlung sichtbar wird“ (Klaus Berger).16 Wenn sich Menschen zur Liturgie und damit im Angesicht Gottes versammeln bzw. sich vom dreieinen Gott heraus-rufen (ek-kalein) lassen, realisiert sich das Grundgeschehen der Kirche als der Versammlung der Herausgerufenen und trotz bleibender Verhaftung in den sündhaften Strukturen endgültig Geheiligten. Dabei baut sich über die liturgische Versammlung nicht nur die ortsgemeindliche Kirche, sondern auch die Universalkirche als Versammlung von Versammlungen auf.17 Das Subjekt des Sammelns und Rufens in die Versammlung ist der dreieine Gott, wodurch sich die Versammlung zum Gottesdienst im Namen Jesu spezi8

Vgl. Lathrop, Holy People, 19–48; ders., Holy Things, 113–115. Lathrop, Holy People, 21. 10 Schmemann, Eucharistie, 34. 11 Ratzinger, Prinzipienlehre, 151. 12 Vgl. Brunner, Lehre, 99–105, der den Versammlungsbegriff programmatisch in den Titel seiner Gottesdienstlehre aufnimmt. 13 Vgl. Brunner, Lehre, 105. 14 Vgl. Lathrop, Holy People, 30–32; Meßner, Einführung, 172–174. 15 Vgl. Klaus Berger, Volksversammlung, 187–189. 16 Klaus Berger, Volksversammlung, 198. 17 Vgl. auch Gerhards/Kranemann, Einführung, 116. 9

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

fisch von anderen (auch kirchlichen) Versammlungen, etwa einer Kirchenvorstandssitzung, unterscheidet. Das bloße Faktum des Versammelt-Seins von Menschen zur Liturgie ist bereits Antwort und Reaktion auf das einmalige Heilshandeln Gottes in Christus, wie es sich einmalig in Raum und Zeit ereignet hat und in welches die Versammelten einmalig, unwiederholbar und unwiderruflich eingegliedert sind, nämlich durch die Taufe. Die Taufe sammelt die Menschen zur Versammlung, sie ist, zusammen mit Firmung/Konfirmation, deputatio ad cultum18: „It (sc. Christian Baptism) led to the assembly.“ (Gordon Lathrop)19 Das Eingegliedert-Sein in Christus und das daraus resultierende Ekklesia-Sein der einzelnen Versammelten ist somit nicht auf die einzelne liturgische Versammlung beschränkt,20 führt aber zu ihr hin und findet in ihr ihren dichtesten Ausdruck und ihre sinnfälligste Verwirklichung. Die lutherischen Bekenntnisschriften, z. B. CA 7 und Luthers Großer Katechismus haben in besonderer Weise den Versammlungscharakter des Gottesdienstes und der Kirche betont.21 CA 7 und 8 sprechen ausdrücklich von der Kirche als einer „congregatio“. Und auch die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils werten den Versammlungscharakter – und damit die actuosa participatio – des Gottesdienstes theologisch auf.22 Gerufen- und Versammelt-Sein zur Liturgie ist ein ekklesiologisches Grunddatum, das die ekklesia, die Kirche, bis in ihren Namen hinein prägt. Zum Wesen der Kirche gehört, dass sie zum Gottesdienst zusammenkommt.

1.2 Die trinitarische Eröffnung als Grundidentifikation der gottesdienstlichen Versammlung Der agendarische (Abendmahls-)Gottesdienst der mit ihrem Vorsteher versammelten Gemeinde beginnt heute in den meisten Konfessionen „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen“ (oder mit einer ähnlich lautenden trinitarischen Formel). Der Beginn mit dieser Formel ist historisch keineswegs selbstverständlich. Vielmehr war die trinitarische Eröffnungsformel über lange Zeit in der privaten Vorbereitung des Zelebranten verortet und damit der versammelten Gemeinde entzogen.23 Das liturgiegeschichtlich relativ junge Phänomen der gemeinsamen 18

Vgl. Wainwright, Grundlegung, 87; ders., Art. Gottesdienst, 88. Lathrop, Holy People, 144; vgl. auch ebd., 182. Ploeger spricht von der „ordination“ aller zum gottesdienstlichen ordo (Celebrating Church, 478). 20 Klaus Berger spricht mit Blick auf Hebr 12,23 von der „Perpetuität“ des Versammelt-Seins vor Gott, das die Ekklesia über ihre je und je konkret stattfindenden Versammlungen hinaus zur festen Gruppe macht (vgl. Berger, Volksversammlung, 198). 21 Vgl. BSLK 655,44–656,26. 22 Vgl. dazu auch Schlemmer, Populo congregato, 535–537. 23 Vgl. Neijenhuis, Gottesdienst, 213–215. 19

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Versammlung der Getauften

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Eröffnung der Liturgie mit der trinitarischen Formel spiegelt dabei jedoch einen fundamentalen theologischen und ekklesiologischen Zusammenhang.24 Die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde markiert durch das trinitarische Votum den Übergang vom Gottesdienst im Alltag zum liturgischen Gottesdienst, von der Privatheit der Einzelnen in die kirchliche Communio und damit ihren Eintritt in die spezifisch liturgische Communio mit dem dreifaltigen Gott. Sie wird hier des Grundes ihres Zusammenseins und damit auch ihrer Einheit inne. Das trinitarische Votum bringt den dreieinigen Gott als Ursprung und Ziel des christlichen Gottesdienstes zur Sprache, wie der Gottesdienst auch selbst trinitarisch geprägt ist. „Der Zugang, den die Christen nun in Lobpreis und Gebet zu Gott durch Christus im Geist haben, ist das Gegenstück zu jener Bewegung, in der Gott sich zuerst der Menschheit näherte durch die Sendung des Sohnes und die Gabe des Heiligen Geistes.“25 Christen haben Zugang zu Gott im Geist durch den Sohn. Alles liturgische Geschehen ist als realer Dialog zwischen Gott und Mensch nur trinitarisch möglich, also als das Hineingezogen-Werden in die Beziehung des Sohnes zum Vater durch den Geist. Wie der Gottesdienst trinitarisch beginnt, so ist er überhaupt nur trinitarisch realisierbar und denkbar.26 „Für den Gottesdienst geht es in fundamentaler Weise um die Identität des dreieinen Gottes als Subjekt der gottesdienstlichen Vollzüge. Denn mit Gottes Identität geht es um die Wirklichkeit Gottes und der christlichen Gemeinde und ihres Gottesdienstes.“27 Genau das bringt die christliche Gemeinde nun mit der trinitarischen Formel zu Beginn der Liturgie zur Sprache, nämlich ihre Identität als Kirche, die allein in dem dreieinen Gott gegründet und diesem verdankt ist. Der Gottesdienst geschieht nicht im Namen der Konfession, einer Kirchengemeinde, im Namen einzelner Personen oder einer Gruppe, die die Feier verantwortet. Indem am Anfang des Gottesdienstes das trinitarische Votum steht, wird die nun folgende Feier als Handeln im Namen des dreieinigen Gottes kenntlich gemacht. Indem die Gemeinde sich dem Namen und Anspruch Gottes unterstellt, gibt sie sich als Kirche zu erkennen, als kyriake, als die, die dem Herrn gehört und auf ihn verweist. Das trinitarische Votum verweist auf den Primat des Handelns Gottes im Gottesdienst und ist zugleich kritischer Maßstab für alles nun folgende Reden und Handeln innerhalb der versammelten Gemeinde. Es bezeugt zugleich das Vertrauen der Kirche in die Selbstvergegenwärtigungsfähigkeit und Selbstvergegenwärtigungswilligkeit des dreieinen Gottes. Es ist nicht die Kirche, die örtliche Gemeinde oder der ordinierte Amtsträger, die aus

24 Es ist sicherlich nicht zufällig, dass gerade im 20. Jahrhundert, in dem die Dogmatik die Ekklesiologie und die Trinitätslehre verstärkt beachtet hat, die trinitarische Formel zum selbstverständlichen Anfang der christlichen Liturgie wurde. 25 Wainwright, Grundlegung, 73. 26 Vgl. auch Mayr, Gottesdienst, 47: „Eine Andacht, die nicht im Namen des Einen Dreifaltigen Gottes geschieht, ist keine christliche Andacht.“ 27 Hering, Gottesdienst, 125.

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

sich selbst heraus Gott vergegenwärtigen könnten oder müssten. Der dreieine Gott ist auch hier und heute fähig und willig, seiner versammelten Gemeinde Anteil an sich selbst zu geben. Er erfüllt die Verheißung Jesu, gegenwärtig zu sein wo zwei oder drei oder mehr Menschen „in meinem Namen“ (Mt 18,20), das heißt: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ versammelt sind.

1.3 Die trinitarische Eröffnung als Brücke zwischen der einen Taufe der Vielen und der aktuellen liturgischen Versammlung Das trinitarische Votum hat seine biblische Wurzel im Taufbefehl (Mt 28,19) des Auferstandenen und erinnert damit an die liturgische Taufformel, die ebenfalls in den meisten christlichen Konfessionen gleich lautet. Wenn der Gottesdienst mit dem an die Taufformel anklingenden trinitarischen Votum beginnt, wird die versammelte Gemeinde hier ihrer christlichen Identität inne, die in der Taufe wurzelt. Zum Gottesdienst versammeln sich Menschen, die bereits durch die Taufe Christen sind. Der Gottesdienst ist keine Neubegründung der christlichen Existenz der Einzelnen. Vielmehr ist er Versammlung von Christen, die die schon ein für alle Mal gültig erfolgte Eingliederung der versammelten Einzelnen in den Leib Christi voraussetzt. Der ganze Gottesdienst – und jeder Gottesdienst – ist in dieser Hinsicht Feier des Taufgedächtnisses.28 Die trinitarische Eingangsformel ist somit „eine Brücke zwischen den beiden großen Sakramenten, der Taufe und der Eucharistie“ (Josef A. Jungmann).29 Der Brückencharakter gilt auch dann, wenn das Abendmahl nicht gefeiert wird bzw. gefeiert werden kann, weil auch der Wort- bzw. Predigtgottesdienst Liturgiefeier der Getauften ist, aber hingeordnet bleibt auf den Abendmahlsgottesdienst als Fülle der Präsenz der Kirche. Dies ist auch interkonfessionell bedeutsam, weil die christlichen Kirchen gegenseitig die rechtmäßig mit Wasser und der trinitarischen Taufformel gespendeten Taufen voll anerkennen.30 Mit der Eröffnung des Gottesdienstes durch die trinitarische Formel, die zugleich Taufgedächtnis ist, gibt sich die gottesdienstliche Versammlung als Versammlung der Getauften zu erkennen und realisiert damit ihre Gemeinschaft mit den Getauften aller Zeiten und Orte, auch mit den Getauften aus den getrennten Konfessionen, die mit derselben Formel ihrer Herkunft aus der einen Taufe gedenken. Damit realisiert die Liturgie gleich zu Beginn ihre ökumenische Ausrichtung, nämlich dass „jede Gottesdienstgemeinde ihrem Wesen nach universalkirchlich ausgerichtet (ist)“.31 28 29 30 31

Vgl. auch Hering, Gottesdienst, 239–241; Brunner, Theologie, 114. Jungmann, Missarum Solemnia I, 384. Vgl. die Magdeburger Erklärung vom 29. 4. 2007. Wenz, Herrenmahl und Amt, 228.

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Versammlung der Getauften

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Die trinitarische Eröffnungsformel wird in der katholischen Eucharistiefeier vom Kreuzzeichen begleitet. Dies ist zwar im gegenwärtigen Protestantismus nicht mehr bzw. noch nicht allgemein üblich. Es gibt aber aus evangelischer Sicht keine Gründe, die gegen, sondern nur Gründe, die für die Selbstbekreuzigung der Gemeinde zu Beginn des Gottesdienstes sprechen. Das Bekreuzigen ist „als genuin christliches Zeichen Ausdruck des Glaubens an die rettende und erlösende Macht des Kreuzestodes Christi“32 und insofern – ebenso wie die trinitarische Formel – ein unverwechselbar christlicher und gleichzeitig Konfessionen verbindender Ausdruck des Glaubens. Nach Jörg Neijenhuis wird die trinitarische Formel in ihrer taufanamnetischen Bedeutung durch das Kreuzzeichen sogar verstärkt, sicher nicht im soteriologischen Sinn, sondern vielmehr so, „dass der Glaubende, der diese Bewegung vollzieht, sich damit über den Grund des Glaubens, der ihm in der Taufe zugeeignet wurde nach Röm 6, vergewissert“.33 Die gemeinsame Selbstbekreuzigung zur trinitarischen Eröffnungsformel verdichtet den ökumenischen Taufbezug, vor allem auch deshalb, weil die Bezeichnung der Täuflinge mit dem Kreuzzeichen in den meisten Taufliturgien, auch in der lutherischen und der römischen vorgesehen ist.34

1.4 Liturgische Bündelung: „Gott ruft sein Volk zusammen“ – „Ich bin getauft auf deinen Namen“ Nicht als Ersatz, wohl aber als Erschließung des Eröffnungsgeschehens können folgende Liedverse gelten. „Gott ruft sein Volk zusammen rings auf dem Erdenrund, eint uns in Christi Namen zu einem neuen Bund. Wir sind des Herrn Gemeinde und feiern seinen Tod. In uns lebt, der uns einte; er bricht mit uns das Brot.“ (GL 640,1) „Ich bin getauft auf deinen Namen, Gott Vater, Sohn und Heilger Geist; ich bin gezählt zu deinem Samen, zum Volk, das dir geheiligt heißt. ich bin in Christus eingesenkt, ich bin mit seinem Geist beschenkt.“ (EG 200,1)

32

Jordahn, Zeremoniale, 442. Neijenhuis, Gottesdienst, 217. Bei Neijenhuis z. T. anders kursiv. 34 Zur Bedeutung des Kreuzzeichens als Ritus der Tauferinnerung vgl. auch Stuflesser, Gedächtnis, 235–237. 33

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

2. Die Kirche als Transzendenzgemeinschaft in Musik und Gesang Die hermeneutische Bedeutung von Musik und Gesang für die Ekklesiologie Ehe auf die theologischen und ekklesiologischen Implikate gottesdienstlichen Singens und Musizierens eingegangen werden kann, sind einige hermeneutische, gewissermaßen fundamentaltheologische Vorüberlegungen zu Musik und Gesang nötig. „Jedes Singen enthält eine Transzendierungstendenz.“35 (Manfred Josuttis) Musik hat überhaupt mit Transzendenz zu tun.36 Nach Philipp Harnoncourt werden Musik und Gesang „primär nicht mit dem Verstand rezipiert – auch wenn Musik viel rational Verständliches enthält –, sondern emotional erfasst“.37 Musik vermag demnach Erfahrungen und Zustände mitzuteilen, die sich dem ausschließlich rationalen Verstehen entziehen und durch Worte und Gedanken alleine nicht beschrieben oder mitgeteilt werden können. Der Wirkung der Musik kann sich der Mensch schwerer entziehen als der bloß gesprochenen Mitteilung, weil sich die Wirkung der Musik rational schwerer steuern lässt.38 Martin Luther bezeichnet die Musik als „domina et gubernatrix affectuum humanorum“,39 die das jeweilige Ausgerichtet- und Bezogensein des Menschen bestimmt, der in seiner Kreatürlichkeit im ‚affectus carnis‘ am tiefsten auf sich selbst bezogen ist, wohingegen er im ‚affectus fidei‘ als inniges vertrauensvolles Bezogensein auf den in Christus offenbaren gnädigen Gott seine wahre Bestimmung findet.40 Weil die Musik den Menschen über sich selbst, seine rationale und sonstige Begrenztheit hinauszuführen vermag, transzendiert auch die gottesdienstliche Musik die versammelte Gemeinde, indem sie in Gesang und Klang eine neue Wirklichkeit schafft, die rational verstanden werden will und soll, aber rein rational-analytisch weder begründet noch beschrieben werden kann. Die Kirche ist Transzendenzgemeinschaft am Übergang in die Wirklichkeit des dreieinen Gottes, was die Musik zur Grunddimension allen liturgischen Handelns macht. 35

Josuttis, Weg, 204. Zum Transzendenzbegriff vgl. Schüßler, Art. Transzendenz; Harbeck-Pingel, Art. Transzendenz. Der Transzendenzbegriff wird hier vorwiegend im erkenntnistheoretischen Sinn verwendet (vgl. Schüßler, Art. Transzendenz, 768), was aber keineswegs heißen soll, dass der zu erkennende Gegenstand der Erkenntnis (die Kirche als Gottesdienstgemeinschaft) entzogen ist, sondern lediglich, dass die Möglichkeit methodisch geleiteter und sachgemäßer Erkenntnis begrenzt ist. 37 Harnoncourt, Singen, 135. 38 Vgl. Harnoncourt, Singen, 136. 39 WA 50,371,2. 40 Vgl. Block, Verstehen, 133–137. Das Affektgeschehen ist dabei nicht im neuzeitlichen Sinn auf emotionale oder psychologische Regungen des Menschen zu beschränken, sondern führt in einem existentialen Sinn „das menschliche Wesen als relationales Wesen vor Augen“ (Block, Verstehen, 135). 36

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Transzendenzgemeinschaft in Musik und Gesang

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Johannes Block hat in seiner Studie Verstehen durch Musik die besondere hermeneutische und fundamentaltheologische Bedeutung der Musik und des gesungenen Wortes herausgearbeitet. Ausgehend von Luthers Schrift- und Musikhermeneutik kritisiert Block eine einseitige, ausschließlich historisch-kritische Subjekt-Objekt-Hermeneutik, derzufolge Musik und Lied Erklärungsgegenstand und der Ausleger das Subjekt des Verstehens darstellen.41 Stattdessen ist Verstehen als Kreativität am Menschen zu begreifen. In der Musik und im gesungenen Wort wird dem Menschen sein „Außerhalb-seiner-selbst-Sein (esse nos extra nos)“ gegenwärtig.42 In Musik und Gesang ist die gottesdienstliche Gemeinde schon immer über sich selbst hinaus. Auch wenn die Gemeinde musizierendes oder rezipierendes Subjekt der gottesdienstlichen Musik ist und im Klangraum von Musik und Gesang immer schon (nicht nur, aber auch) extra se ist, ist sie doch auch transzendierende und transzendierte Gemeinde. Der Begriff der Kirche als Transzendenzgemeinschaft respektiert die Grenzen analytisch-theologischer Erkenntnis, nämlich dass das Wesen der gottesdienstlichen Gemeinde das übersteigt, was an ihr erkannt werden kann und über sie in einem liturgisch-theologischen Kommentar wie diesem sagbar (bzw. schreibbar und lesbar) ist. Das schließt nicht aus, sondern notwendig ein, dass das theologisch Wesentliche der Ekklesiologie sagbar ist, zu denken gibt und nachgedacht, überdacht und neu gesagt werden muss. Um der inneren Sachgemäßheit willen muss die nachdenkende Ekklesiologie selbst (gelegentlich oder regelmäßig) auch eine (mit-)singende Ekklesiologie sein, wenn sie ihrem Gegenstand, nämlich der Kirche, die sich im Singen selbst verwirklicht, aus seiner Binnenlogik möglichst umfassend gerecht werden will.

2.1 Der theologische Mehrwert des Singens Das Singen ist eine Grundform der Kommunikation, die in besonderer Weise auf Öffentlichkeit bezogen und in Gemeinschaft vollzogen wird.43 Gegenüber dem „nur“ gesprochenen Wort ist das gesungene Wort eine besonders gestaltete und insofern gesteigerte Weise des Sprechens. Simon Chan spricht von der „additional dimension“ des gesungenen Gotteswortes gegenüber dem gesprochenen.44 Diese „additional dimension“ besteht nicht zuletzt in ihrer spezifischen gemeinschaftsbildenden Weise. Am neutestamentlichen Befund zeigt Oskar Söhngen, dass „Singen eine wesentliche und notwendige Äußerung des christlichen Glaubens und der Christen-

41 42 43 44

Vgl. Block, Verstehen, 159–161, bes. 167–170. Block, Verstehen, 169. Vgl. Harnoncourt, Singen, 136. Chan, Liturgical Theology, 157.

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

gemeinde“ ist.45 Luther zählt in der Torgauer Kirchweihpredigt den Lobgesang zu den beiden Antworten auf das göttliche Wort und bestätigt, dass der Gesang zu den Konstitutiva des christlichen Gottesdienstes gehört. In neuerer Zeit hat vor allem die Hymnologin Christa Reich (geb. 1937) die theologische Bedeutung des Singens herausgearbeitet. Reich zeigt die theologischen Konsequenzen aus der formgeschichlichen Einsicht, dass der Hymnus die älteste Gattung der Bibel ist: „Im Hymnus wird nicht über etwas geredet, z. B. ‚über‘ die Taten Gottes oder ‚über‘ die Geschichte von Menschen, sondern Handeln Gottes und Erfahrung von Geschichte werden im Singen und Sagen gegenwärtig gesetzt, nachvollzogen und mitvollzogen in einem Klanggeschehen. Die Anfänge der Theologie haben sich nicht als Gedanken nur und nicht als Buch geformt: ‚Gott ist mein Lied‘ hat Israel gesungen, als es durch das Schilfmeer hindurchgerettet war“.46 Musik und Gesang als unverzichtbare Sprachen der Glaubenskommunikation haben damit eine besondere Affinität zur Theologie und in ihrer gemeinschaftsbildenden Dimension eben auch zur Ekklesiologie.47 Grund und Inhalt des gottesdienstlichen Singens ist das Christusgeschehen und dessen Kommunikation und Kommunion im Modus der Singhandlung. Das Singen vom Christusgeschehen ist dabei nicht nur in der Dimension der Liturgie als Antworthandlung auf den göttlichen Anspruch, also dem anabatischen Aspekt des Gottesdienstes, zu sehen. Vielmehr drängt das Evangelium selbst dazu, im Gesang als spezifisch gestalteter menschlicher Sprechweise ihre angemessene liturgische Verleiblichung zu finden. „Weil das Evangelium im primären Sinn ein Klangphänomen ist, und nicht etwa ein Informationsgehalt, der erst sekundär auf klangliche Übertragung angewiesen wäre, deshalb sind Christen aus innerer Notwendigkeit heraus singende Lebewesen.“ (Bernd Wannenwetsch)48 Nach Peter Brunner ist die Musik im Gottesdienst notwendig, denn sie ist „eine dem Evangelium auf den Leib geschnittene Erscheinungsweise“.49

2.2 Die Kirche als una sancta catholica cantans Singen und Sagen sind nach Christa Reich Ur-Äußerungen des Glaubens, der Theologie und, so möchte ich hinzufügen, der Kirche und der Ekklesiologie.50 Im gottesdienstlichen Singen fallen Verkündigung, Bekenntnis, Lehre und An45 Söhngen, Grundlagen, 12. Es ist erstaunlich, dass Reinhard Meßner in seiner systematischen Liturgiewissenschaft Musik und Gesang nicht eigens thematisiert. 46 Reich, Evangelium, 22. 47 Vgl. auch Klek, Art. Liturgische Musik, bes. 468 f. 48 Wannenwetsch, Glauben, 212; vgl. auch ders., Singen, 330–334. 49 Brunner, Lehre, 323; vgl. ebd., 321–327; auch Block, KuD, 163. 50 Vgl. Reich, Evangelium, 22–23; auch Wannenwetsch, Glauben, 212–214; Westerfield Tucker, Lex Credendi, 53.

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betung als Grundformen kirchlichen Sich-Äußerns ineinander. Singen ist die natürliche Form gemeinsamen gottesdienstlichen Sprechens: „Auch noch so unvollkommenes Singen fügt viele Stimmen immer noch besser zusammen als gemeinsames Sprechen.“ (Walter Blankenburg)51 Das Singen weist dabei die theologische Grundstruktur von Kirche und Gottesdienst auf: In, mit und unter menschlich handelnder Aktivität ereignet sich ein In-Anspruch-genommenWerden, nämlich die Passivität gegenüber Gott als dem eigentlich Handelnden. Gesang und Musik ermöglichen der liturgischen Versammlung ein „Sich-Verstehen durch Gesang“, um nochmals an Johannes Block anzuknüpfen.52 Dem Singen des Einzelnen wie dem Singen der Gemeinschaft wohnt ein ekstatisches Moment inne.53 Im Singen ist der Mensch aktiv und zugleich sich selbst entzogen;54 es geschieht ein „merkwürdiges Ineinander von Tun und Erfasstwerden“ (Christa Reich)55. Das gilt nicht nur für das Verhältnis des Einzelnen zur Singgemeinschaft, in der er sich befindet. Das gilt auch für die singende Gottesdienstgemeinde und die universale Kirche Christi, mit der die Gemeinde singend verbunden ist, ohne darüber die raumzeitliche Differenz zu negieren. Das ekstatische Moment des Singens entspricht dem Gedanken der Anamnese als theologischer Grundkategorie zum Verständnis dessen, was Liturgie ist und tut. Im Singen geschieht Vergegenwärtigung in Überwindung des Zeitflusses.56 Die im Singen zur Sprache gebrachten Inhalte der Heilsgeschichte werden der Gemeinde im Vollzug des Singens gegenwärtig und als die je eigene Heilsgeschichte angeeignet. Ein Beispiel für singende Anamnese ist Luthers Lied: „Nun freut euch, liebe Christen g’mein“ (EG 341), bei der der Gemeinde singend gegenwärtig ist, wie Luther die Barmherzigkeit Gottes in Christus gegenwärtig wurde; ja mehr noch: „Im Singen reißt die Sprache den Singenden in die Geschichte ‚des Sohnes‘ hinein.“57 Hier geschieht Anamnese, Zeitenverschränkung im Singen.58 Die Gemeinde eignet sich mit Luther und durch Luthers Worte die Rechtfertigung sola gratia an, sodass sich im Singen dieses Liedes sowohl die Gleichzeitigkeit mit dem einmaligen Christusgeschehen als auch die Gemeinschaft mit der una sancta, die eben auch die Vergangenheit umfasst (hier Luther), vollzieht. „Nun freut euch, lieben Christen g’mein“ ist dabei ein eindrückliches Beispiel, dass die sicherlich immer persönlich anzueignende Gnade letztlich im Horizont derer steht, die „getrost und all in ein“ sind und in der Wir-Form singen. 51 52 53 54 55 56 57 58

Blankenburg, Liedgesang, 573. Vgl. Block, KuD, bes. 163–165; vgl. auch ders., Verstehen durch Musik. Vgl. auch Block, Verstehen, 169. Vgl. Block, Verstehen, 65. Reich, Evangelium, 19. Vgl. Gerhards/Kranemann, Einführung, 197–199. Reich, Nun freut euch, 121. Vgl. dazu Reich, Nun freut euch, bes. 121.

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Ein weiteres, historisch, musikalisch und theologisch zentrales Beispiel für gesungene Anamnese des Schriftwortes ist die Gregorianik; sie nimmt im Gottesdienst eine zentrale Repräsentationsfunktion für die Kontinuität und die Raum und Zeit übergreifende communio sanctorum ein.59 Was geschieht also ekklesiologisch im gottesdienstlichen Gesang? Im gemeinsam gesungenen Wort tritt die singende Gemeinschaft in eine Wort und Klang verbindende Gestalt ein. Ihre Bestimmung, Leib Christi zu sein, realisiert die gottesdienstliche Gemeinde, indem sie singend ein Klangleib wird. Die gottesdienstliche Gemeinde ist im aktiven Vollzug des Singens rezeptiv, sie wird über sich hinaus- und hineingezogen in eine universale Sprach- und Singgemeinschaft mit letztlich eschatologischer Dimension, in die una sancta catholica cantans. Medium dieses Ziehens ist der Heilige Geist, der letztlich das Singen der Gemeinde erst ermöglicht und zu einem theologischen Geschehen im eigentlichen Sinn qualifiziert. Der jeweilige Gesang streift dabei seine raum-zeitliche Konkretheit und Besonderheit (und auch Begrenztheit) nicht ab. Die Lieder und Gesänge sind, wie auch die Psalmen und die biblischen Cantica, in und trotz ihres Anspruches, vor aller Welt zu singen, hymnische Zeugnisse einer spezifischen, partikularen Kultur. Als ein in einem bestimmten Kontext entstandenes Lied hat es sich jedoch verbreitet und ist durch das Singen der Gemeinden zu einem überge-

59 Vgl. insgesamt Höcker, Gregorianik, der der ekklesiologischen Begründung des gregorianischen Chorals im lutherischen Gottesdienst erfreulicherweise einen eigenen Abschnitt widmet. Hierin bemerkt er zu Recht: „Um (. . .) die Kontinuität mit denen zu versinnbildlichen, die sich vor den jetzt Lebenden an Wort und Sakrament gehalten haben, müssen in der Liturgie Elemente zum Tragen kommen, die unverwechselbare Repräsentationsfunktion für die communio sanctorum besitzen. Als musikalisches Kontinuum und entsprechendes Symbol bietet sich hier der Gregorianische Choral an, weil er die größte musikalische Nähe zum Wort Gottes aufweist. Seine Texte sind in der Regel der Heiligen Schrift entnommen, seine Melodien ihren Worten nachgezeugt, und er war über 1000 Jahre lang die alleinige musikalische Ausdrucksform des Schriftwortes im Gottesdienst. Als älteste aufgezeichnete Kirchenmusik stellt er mit seinen Wurzeln in der Synagoge die Beziehung zu den Anfängen im Alten Testament dar und verbindet uns auf diese Weise mit dem Urgrund des Christentums.“ (Höcker, Gregorianik, 203) Zu bemerken ist ferner, dass sich Höcker vor allem um die Stärkung der Gregorianik im evangelischen Gottesdienst bemüht. Sosehr Höcker in der ekklesiologischen Begründung der Sinnhaftigkeit des gregorianischen Chorals Recht hat, darf es – gerade aus ekklesiologischen Gründen – kein Stilmonopol im Gottesdienst geben. Das Schriftwort hat sich in einer Vielfalt musikalischer Ausdrucksformen klanglich verleiblicht und schafft sich laufend neue Ausdrucksformen, die die Gottesdienstgemeinden durch ihren Vollzug als rechtmäßig beglaubigen und nach und nach zur wechselseitigen Rezeption in die universale Liturgiecommunio einbringen. Die Gregorianik hat einen altersmäßigen Vorsprung und Vertrauensvorschuss vor anderen Formen des gesungenen Wortes, ist daber damit nicht dispensiert davon, ihre jeweilige Sachgemäßheit als Medium des Dialoges zwischen Gott und seiner Kirche sowie als ekklesiologisches Ausdrucksmittel neben anderen Formen anderer Jahrhunderte, Kulturen und Traditionen zu bewähren. Mit Recht weisen Albert Gerhards und Benedikt Kranemann auf die Gleichzeitigkeit verschiedener kirchenmusikalischer Stile hin und sehen darin einen „Erweis der diachronen Identität der Kirche“ (Gerhards/ Kranemann, Einführung, 194).

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meindlich gültigen und überzeugenden Ausdruck der Christusbotschaft geworden mit der Autorität der Tradition, nämlich der singenden Kirche durch die Zeiten. Lied und Gesang, die die Gemeinde sich in der Regel nicht selbst geben, sondern aus der übergemeindlichen Tradition empfangen, bleiben damit ein theologisch-ekklesiologisches Korrektiv gegenüber lokaler Selbstgenügsamkeit.60 Somit erklingt im gottesdienstlichen Liedgesang die eine Kirche der Zeiten und Orte, der Sprachen und Konfessionen. Dem Singen eignet eine spezifisch katholische und ökumenische Qualität, wie Reich aufzeigt: „‚Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden‘ singen die Christen. Sie benutzen dieselben Worte und Weisen und singen, wenn sie bei der Sache sind, mit derselben Wahrhaftigkeit und Hingabe. Und wer da singt, (. . .) stellt sich damit mit allen, die dieses Lied je gesungen haben und noch singen werden, vor den Thron Dessen, den er ehrt. Gott wohnt über den Lobgesängen seines Volkes, so singt der Psalmist. Das heißt doch, dass im Lobgesang eine Wirklichkeit erschlossen wird, zu der Menschen gemeinsam Zugang haben. Wenn Theologie das ernst nähme und dem Hymnus, dem Lobgesang, methodisch Vorrang ließe vor dem gemeinsamen ‚richtigen‘ Denken, nähme sie dann nicht vielleicht eher wahr, wie nah Menschen, die den Lobgesang singen, beieinander sind – gemeinsam ‚herausgerufen‘ – als ekklesia? Gibt es eine größere Nähe unter Menschen?“61

2.3 Das fremde Lied als Bezugsmedium zur je größeren ecclesia universalis Christa Reich macht noch auf einen anderen ekklesiologisch relevanten Aspekt des Singens aufmerksam, nämlich auf die Fremdheit: „Im Singen und durch das Singen eines Kirchenliedes wird Gemeinsamkeit konstituiert, d. h. Kirche wird präsent. Ihr Erscheinen ist nicht abhängig vom gemeinsamen Denken und Empfinden der Beteiligten. Selbst wenn dieses vorhanden sein sollte, so hängt doch das klingende Präsent-Werden von Kirche wesentlich davon ab, dass die Anwesenden einstimmen in ein gegebenes Lied, dass sie sich also auf einen äußeren Prägevorgang einlassen (. . .) Singen hat mit Sich-Überlassen, Sich-Hingeben zu tun. Das klingende Lied ist der Raum, in dem die Kirche als Kirche erscheint, leibhaft fassbare Realität wird. Dabei wird die Fremdheit des neben und mit mir singenden Menschen nicht überspielt, aber wir werden in eine Gemeinsamkeit hineingezogen, die wir nicht selbst hergestellt haben: eine Gemeinsamkeit des Angeredet-Werdens und des möglichen Hörens.“62 60 Selbstverständlich gibt es auch einzelne Lieder bzw. Liedtexte, die theologisch fragwürdig oder anstößig sind und daher ihre konfessionellen Grenzen nicht überschreiten können (etwa das in manchen Milieus des römischen Katholizismus beliebte „Segne du, Maria, segne mich, dein Kind“). 61 Reich, Evangelium, 25. 62 Reich, Kirchenlied, 771.

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Neben der Fremdheit des Menschen neben mir ist auch die Fremdheit des gesungenen Liedes, seines Textes und seiner musikalischen Gestalt ein ekklesiologisch relevanter und letztlich unverzichtbarer Faktor.63 Denn in der Fremdheit des erst anzueignenden Kirchenliedes begegnen den Singenden letztlich die Fremdheit und Externität des Glaubens, der angeeignet und durchdrungen werden will. Das fremde Kirchenlied ist das Lied einer Gemeinde der una sancta einer anderen Zeit oder eines anderen Ortes, das auch unser Lied sein will und soll, weil wir zur selben una sancta gehören.64 Es ist eine ekklesiologische Hybris, bestimmte Lieder und Singstile gezielt ausschalten zu wollen. „Nicht die alten und neuen Lieder sind unserer Pflege wert, sondern wir, die jeweils gegenwärtig singende Gemeinde, sind ihrer Pflege wert. Sie pflegen uns, sie kultivieren uns als Christen, indem sie uns mit dem Glauben der Kirche durch die Zeit und über den Erdkreis verbinden.“ (Bernd Wannenwetsch)65 Die Fremdheit von Glaubensaussagen in konfessions- oder kulturfremden Kirchenliedern trägt nicht nur zu wachsender Gemeinsamkeit, sondern zugleich zu einer Infragestellung, Besinnung und Vertiefung des eigenen Standpunkts bei. Es ist heute einer Konfession auf Dauer nahezu unmöglich, ökumenische Lieder und damit die Sprache und vielleicht auch einen bevorzugten Musikstil einer anderen Konfession völlig zu vermeiden. Vielmehr lässt das vielfältige ökumenische Liedgut gemeinsame Singtraditionen in noch getrennten Gottesdiensten entstehen. Die in Christus vorgegebene Einheit im Glauben und im Gottesdienst wird gerade in den konfessionellen Gottesdiensten zunehmend deutlicher hörbar, wobei „im konfessionsfremden Lied das eigene und im Vertrauten das fremde entdeckt (wird)“.66 So bemerkt auch der Hymnologe Ernst-Ulrich Kneitschel: „Das Ernstnehmen anderer, einem zunächst mehr oder weniger fremder Glaubensaussagen im Gesang hilft gegen die im Keime schismatische Überschätzung der eigenen Tradition, hilft aber auch, deren Besonderheit und Wert neu wahrzunehmen. Voraussetzung dafür ist, dass ein solches fremdes Stück auch wirklich ‚gebraucht‘ wird; 63 „In jedem Fall ist die Erfahrung der Fremdheit allerdings unausweichlich, und ich wage zu sagen, sie ist es, welche das gemeinsame Singen im Gottesdienst erst authentisch christlich macht. So richtig es ist, zu sagen: Persönlicher Glaube ist Teilhabe am Glauben der Kirche, so wird nicht zuletzt im Problem des Gemeindegesangs deutlich, dass dies stets auch Konflikt bedeutet. Ohne die Absage an den Kult individueller Authentizität wird diese Teilhabe nicht zu haben sein. Der Glaube der Kirche kommt zum Klingen gerade darin, dass ich mich nicht auf den Ausdruck meines individuellen Glaubensbewusstseins beschränke noch beschränken lasse, sondern diesen Ausdruck hineinstelle in die Artikulation der fides ecclesiae.“ (Wannenwetsch, Glauben, 215) „So bürgt ästhetisch ferner stehende und darin anspruchsvolle l.M. (sc. liturgische Musik, F.I) für den ekklesiologischen Horizont des Gottesdienstes. Dieser impliziert bei l.M. ein stilistisches ‚crossover‘.“ (Klek, Art. Liturgische Musik, 468 f) 64 Zu bedenken ist hierbei auch, dass wir nicht nur mit der una sancta, sondern auch in Gemeinschaft mit Israel singen (vgl. etwa Nicol, Weg, 186 f). 65 Wannenwetsch, Glauben, 224. 66 Kneitschel, Hoffnungszeichen, 135.

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die singende Gemeinde muss Gelegenheit bekommen, es sich anzueignen.“67 Und nochmals Kneitschel: „Ökumenisches Lied ist kein Gegensatz zur konfessionellen Identität, aber in ihm wird das eigene konfessionelle Selbstverständnis hoffnungsvoll transzendiert.“68 Die Fremdheit eines Liedes, in das der einzelne und die einzelne Gemeinde einstimmt, präsentiert, dass die universale Kirche immer auch eine in Christus verbundene und geeinte, aber auch fremde Gemeinschaft ist, die es kennen zu lernen und als Glaubensgeschwister anzueignen gilt wie auch letztlich die Wirklichkeit Gottes notwendig fremde und herausfordernde Züge an sich hat, und die Gerechtigkeit Christi eine iustitia aliena ist.

2.4 Die universalkirchlichliche Verbundenheit der singenden Gemeinde in den Liedtexten War bisher stärker der musikalische Aspekt und das Phänomen des Singens in seiner ekklesiologischen Dimension im Blick, so muss auch der Textebene der Lieder Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn hier wird das Verständnis von Kirche und Ökumene in Worte gefasst. Ein Paradebeispiel, das eindrücklich die universalkirchliche Verbundenheit der singenden Gemeinde artikuliert, ist das Te Deum bzw. das bekannte TeDeum-Lied „Großer Gott, wir loben dich“ (EG 331; GL 257), das schon lange die konfessionellen Grenzen überschritten hat und in den deutschsprachigen Gesangbüchern der Gegenwart zum Standardrepertoir gehört. Der Text des Te-Deum, die Vorlage von „Großer Gott, wir loben dich“, besitzt eine kosmisch-ekklesiale Struktur und Weite: „Der ganze Erdkreis wird in den Blick genommen („per orbem terrarum“), er bezeichnet die ökumenische Weite der Gott lobenden ecclesia militans et triumphans. Ethnische und konfessionelle Grenzen sind aufgehoben.“69 Im Singen des Te-Deum wird die raum-zeitliche Begrenztheit der singenden Kirche geöffnet. Sie lobt den, der „vor aller Zeit“ war und in Ewigkeit bleibt (1. Str.), sie macht sich den Gesang der Cherubim und Seraphim zu eigen (Str. 2 und 3), sie weiß sich in Gemeinschaft mit den Aposteln, Propheten und Blutzeugen (Str. 4), den Großen und Kleinen (Str. 5). Sie verdankt Jesus Christus ihre Heilsgewissheit und hofft und bittet, alle Tage und zu allen Zeiten im Lobpreis zu bleiben (Str. 10). In diesem Lied werden die konfessionellen Grenzen hoffnungsvoll und energisch transzendiert. Ein anderes Beispiel für gesungene Ekklesiologie ist das aus der anglikanischen Tradition stammende „Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen“ (EG

67 68 69

Jenny, Gotteslob, 1974. Kneitschel, Hoffnungszeichen, 136. Arnold, Theologie, 500.

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266),70 das vom immer währenden universalen Lobgesang und Gebet der Kirche spricht, welche auch dann nicht aufhören, wenn die jetzt Singenden ruhen. „Die Erde rollt dem Tag entgegen; wir ruhen aus in dieser Nacht und danken dir, wenn wir uns legen, dass deine Kirche immer wacht. Denn unermüdlich wie der Schimmer des Morgens um die Erde geht, ist immer ein Gebet und immer ein Loblied wach, das vor dir steht. Die Sonne, die uns sinkt, bringt drüben den Menschen überm Meer das Licht; und immer wird ein Mund sich üben, der Dank für deine Taten spricht.“ (Str. 2–4) Dieses Lied steht im EG zu Recht unter der Rubrik „Ökumene“, denn es bringt die Verbundenheit der Christen der oikoumene ge in dem einen Lobgesang zum Ausdruck. Die Beispiele lassen sich fortsetzen. Die Psalmen aber auch die Texte etlicher Strophenlieder und sonstiger liturgischer Gesänge bringen diesen Aspekt zum Ausdruck: „Nun danket alle Gott, . . . der große Dinge tut an uns und allen Enden“ (EG 321; GL 266) heißt es, oder etwa der Taizé-Gesang: „Laudate omnes gentes“ (EG 181.6). Beispiele für Lieder, die sich an alle richten, gibt es zuhauf. Darin spricht sich der biblisch bezeugte Anspruch Gottes aus, als der Gott Israels und Vater Jesu Christi Gott für alle Menschen und alle Völker zu sein. Daher kann der Lobpreis als Reaktion auf Gottes Heilshandeln nie privat, sondern immer in Gemeinschaft mit allen Glaubenden, im Angesicht aller Welt und als Verkündigungsdienst an diese geschehen, nämlich als „Erfüllung des nie zu Ende gehenden Auftrages, Gottes Wort ‚zu treiben und in Schwang zu bringen‘ (Martin Luther)“.71 Lieder wie die genannten, die in ökumenischen wie in konfessionellen katholischen, evangelischen, anglikanischen und anderen Gottesdiensten gesungen werden, lassen eine ökumenisch-katholische reale Verbundenheit entstehen. Was die Dogmatik und die kirchliche Lehre als universalkirchlichen Bezug eines jeden Gottesdienstes formuliert, kündet die Wirklichkeit, die diese Lieder setzen.

2.5 Die brisante ecclesiologia prima der Kirchenlieder Die ecclesiologia prima der Liturgie kann, etwa in etlichen Kirchenliedern, ganz unbefangen von „der Kirche“ sprechen, während sich „die Kirchen“ in der Dogmatik und in kirchlichen Verlautbarungen gegenseitig ihren ekklesialen Selbstanspruch bestreiten. Gerade an den in getrennten und gemeinsamen Gottesdiensten gesungenen gemeinsamen Kirchenliedern wird deutlich, dass der me-

70 71

Vgl. auch EmG 640; Eingestimmt 704 sowie etliche Diözesananhänge des GL. Söhngen, Grundlagen, 14 f.

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thodische Vorrang des Lehrdiskurses vor der geistlichen Erfahrung und ohne Berücksichtigung der gemeinsamen Liturgie, wie etwa in der römischen Erklärung Dominus Iesus aus dem Jahr 2000, theologisch und ekklesiologisch fragwürdig und revisionsbedürftig ist.72 Wer ist Kirche im eigentlichen Sinn? Dies wird deutlich an jenen gemeinsamen Liedern der Gesangbücher, in denen sich die Gemeinde als Kirche bezeichnet. Exemplarisch sei das Lied EG 265 („Nun singe Lob, du Christenheit“) angeführt, das auch im Gotteslob (GL 638) sowie in den aktuellen Gesangbüchern der alt-katholischen und der methodistischen Kirche zu finden ist.73 „Nun singe Lob, du Christenheit, dem Vater, Sohn und Geist, der allerort und allezeit sich gütig uns erweist, der Frieden uns und Freude gibt, den Geist der Heiligkeit, der uns als seine Kirche liebt, ihr Einigkeit verleiht.“ (V. 1–2) Das Lied beginnt mit einem ökumenischen Lobaufruf an die Christenheit und einer ekklesiologisch und ökumenisch kühnen Prädikation Gottes. Gott erweist sich zu allen Zeiten und an allen Orten uns als gütig. Die Gemeinde weiß sich eins mit der Christenheit aller Zeiten und Orte in den Erweisen der Güte Gottes. Gott wird auch prädiziert als der, der uns (!), die Singenden in Gemeinschaft mit der ganzen Christenheit, als seine Kirche liebt. Diesen Liedtext hat der Münchener Katholik Georg Thurmair zu einer Melodie von Johann Crüger gedichtet, und so hat sich das Lied in den deutschsprachigen Gottesdiensten der verschiedensten Konfessionen beheimatet. Die singende Gemeinde bekennt sich als vom dreieinen Gott geliebte Kirche, weiß aber, dass sie die Treue im Glauben und die Freiheit in der Wahrheit immer neu von Gott erbitten muss (Str. 5). Auch die dritte und vierte Strophe sind ekklesiologisch und ökumenisch brisant: Die singende Gemeinde bittet, dass Gott uns, also die Singenden, als Widerschein der Liebe Gottes die Christenheit erneuern (reformieren?) lassen möge (Str. 3) und sie bittet Christus um Beistand für seine Kirche (sic!), „dass über allem, was da ist, ein Herr, ein Glaube sei“ (Str. 4, vgl. CA 7). Ein anderes Beispiel ist das Abendmahlslied „Dank sei dir, Vater, für das ewge Leben“ (EG 227; GL 634; Eingestimmt 231),74 ein Musterbeispiel gesungener eucharistischer Ekklesiologie. Ohne dass es kirchenamtlichen Protest gegeben hätte, singen evangelische, römisch-katholische und alt-katholische Christen in ihren jeweiligen Abendmahlsfeiern:

72 73 74

Vgl. auch Reich, „ö“?, 7 f. Eingestimmt 544; EmG 414. Vgl. dazu Reich, „ö“?, 9.

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„Wir, die wir alle essen von dem Mahle und die wir trinken aus der heilgen Schale, sind Christi Leib, sind seines Leibes Glieder, Schwestern und Brüder.“ (V. 3) In der vierten Strophe kommt in Anlehnung an die Motivik der Didache der universalkirchliche Bezug jeder Abendmahlsgemeinde zur Sprache: „Aus vielen Körnern ist ein Brot geworden. So führ auch uns, o Herr, aus allen Orten zu einer Kirche durch dein Wort zusammen in Jesu Namen.“ Nach der fünften Strophe, die um die Einheit bittet, bekennt die sechste Strophe implizit, dass die Kirche noch unter der Macht des Bösen steht: „Gedenke, Herr, die Kirche zu erlösen, sie zu befreien aus der Macht des Bösen, als Zeugen deiner Liebe uns zu senden und zu vollenden.“ Diese Strophe steht in Spannung zur römisch-katholischen Auffassung, die Kirche als ganze könne nicht sündigen und thematisiert damit eine der lehrmäßigen Hauptdifferenzen zwischen protestantischer und katholischer Theologie. Die Beispiele ekklesiologisch und ökumenisch brisanter gemeinsamer Lieder ließen sich vermehren (vgl. auch „Sonne der Gerechtigkeit“, EG 262; GL 644). In jedem Fall bringt sich hier in den getrennten und kasuell gemeinsamen Gottesdiensten eine Kirche zu Gehör, die der üblich gewordenen Profilökumene nicht nur nicht entspricht, sondern teilweise sogar widerspricht, indem sie durch die Rede von einer Kirche die als „versöhnte Verschiedenheit“ verkleidete konfessionelle Selbstgenügsamkeit einer Vielzahl von angeblichen Kirchen Jesu Christi widerspricht.75 Getrennte Gottesdienstgemeinschaften bezeichnen sich mit in Wortlaut und

75 Es sei kurz auf zwei konfessionelle Profillieder hingewiesen: Das im Gefolge des Ersten Vatikanums entstandene Lied „Ein Haus voll Glorie schauet“ hat im Gotteslob (GL 639) einen neuen „evangelischen“ Text bekommen (vgl. Jenny, Gotteslob, 88), mit dem es auch im Gesangbuch derer zu finden ist, die sich durch das Erste Vatikanum von Rom getrennt haben, nämlich bei den Alt-Katholiken (Eingestimmt 547), die das Lied unter dem Stichwort „Gemeinschaft der Heiligen: Ökumene“ einreihen. Vielleicht wird „Ein Haus voll Glorie“ auch einmal den Eingang in ein evangelisches Gesangbuch finden. Vielleicht könnte auch das lutherische „Ein feste Burg ist unser Gott“ (EG 362) Strophen (hinzu-)bekommen, die es für ökumenische und katholische Gesangbücher öffnen würde.

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Gemeinschaft der Hörenden in apostolischer Sukzession

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Melodie identischen Liedern als Kirche und loben Gott gemeinsam – und bestreiten sich dennoch gegenseitig ihren ekklesialen Anspruch. Ist dies schlüssig? Wenn die Kirchen und Konfessionen trotzdem nach wie vor getrennt bleiben, ist dies bei allen beteiligten Konfessionen auf die Überordnung diskursiv-akademisch-amtlicher Theologie über die liturgisch-doxologische Realität zurückzuführen. Mit Christa Reich ist daher abschließend zu fragen: „Wenn man verantwortete, was man selbst singt und ernst nähme, dass man es gemeinsam mit den getrennten Anderen singt: Was bedeutete es für das ökumenische Miteinander?“76

2.6 Liturgische Bündelung: „Gloria sei dir gesungen“ „Gloria sei dir gesungen mit Menschen- und mit Engelszungen Mit Harfen und mit Zimbeln schön. Von zwölf Perlen sind die Tore an deiner Stadt; wir stehn im Chore der Engel hoch um deinen Thron. Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat je gehört solche Freude. Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für.“ (EG 147,3; GL 110,3)

3. Die Kirche als Gemeinschaft der Hörenden in apostolischer Sukzession: Schriftlesung77 Die folgenden Überlegungen fokussieren die gottesdienstliche Schriftlesung.

3.1 Die Schriftlesung als anamnetische Identifikation des gegenwärtigen Gottes mit dem Gott der Schrift Die gottesdienstliche Schriftlesung ist die aktuelle Proklamation des im Schriftkanon bezeugte Wortes Gottes an die versammelte Gemeinde. Im vom Heiligen Geist durchwirkten Geschehen der Schriftlesung identifiziert sich Gott mit dem Gott der Schrift. In der gottesdienstlichen Schriftlesung ereignet sich somit die Selbstidentifikation des im Gottesdienst gegenwärtigen Gottes mit dem Gott der Väter und Mütter, dem Gott der Bibel. Dass der heute hier gegenwärtige Gott der Gott Abrahams, Jakobs und Jesu ist, dass der im Gottesdienst hier und

76

Reich, „ö?“, 11. Wesentliches zur ekklesiologischen Bedeutung der Schriftlesung ist schon im Abschnitt zu Kanon und Liturgie gesagt worden. 77

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heute gegenwärtige Christus der Jesus von Nazareth ist, der die Jünger gerufen, Menschen geheilt, Wunder getan, gekreuzigt wurde und auferstanden ist und dass der gegenwärtige Geist der Pfingstgeist ist, der nicht nur Jesus und die Gemeinde des Neuen Testamentes, sondern auch David und andere Frauen und Männer des Alten Testaments erfüllt hat – all das wird durch die Schriftlesung epiphan. In ihrem Gottesdienst führt die Gemeinde keinen Dialog mit Gott, der im Sinne des religionskritischen Projektionsverdachtes auch ein Selbstgespräch sein könnte. Sie lässt sich von Gott ansprechen, indem sie auf die Worte desjenigen Buches hört, das die Urkunde ihres eigenen Seins darstellt: Die Bibel, die dazu existiert, dass der biblisch bezeugte Gott auch durch die Zeiten und Räume hindurch und unter der menschlichen Gefahr von Vergessen, Veränderung oder Verfälschung der Tradition derselbe ist und bleibt. Die Anamnese (verstanden im weiten theologischen Sinn), welche der ganze Gottesdienst zu sein hat, ist der formale Sinn der Schrift78, nämlich dass die Texte im Gottesdienst als gegenwärtiges „Wort des lebendigen Gottes“ verkündet werden und dass sich in diesem liturgischen Gedenken das Gedachte und der Gedachte selbst vergegenwärtigen. Die anamnetische Struktur der Schrift, die darauf abzielt, mündlich verkündet zu werden, lässt sich auch an etlichen Einzeltexten aufzeigen.79 Wenn es Sinn und Ziel des Kanons ist, die in ihm bezeugten Gottesbegegnungen des Volkes Israel und der jungen Christenheit als bleibend aktuell und relevant über den partikularhistorischen Kontext hinaus literarisch festzuhalten, dann setzt die Schriftlesung in der Liturgie als Geschehen der zugesagten Selbstvergegenwärtigung Gottes die Geschehnisse der Schrift gegenwärtig. „Die Schriftlesung entbindet das seinem Wesen nach mündliche lebendige Wort der Apostel aus seiner notgedrungen schriftlichen Gestalt und verleiht ihm wieder seinen Charakter als mündliches Zeugnis mit messianischer, proklamatorischer Vollzugsgewalt.“80 Die gottesdienstlichen Schriftlesungen sind somit ein Wirklichkeit setzendes Geschehen, was nicht zuletzt an der spezifischen Inszenierung der liturgischen Lesungen deutlich wird (z. B. durch Akklamationen, die besondere Gestalt des Buches, Prozessionen mit dem Evangeliar, Weihrauch, eine besondere Weise des Vortrags, Stehen der Gemeinde etc.).81

78 79 80 81

Vgl. Steins, Gedächtnis, 237. Vgl. Lathrop, Holy Things, 16–19; Meßner, Einführung, 187 f; Steins, Gedächtnis, 241 f. Brunner, Lehre, 196. Vgl. Meßner, Einführung, 183 f.

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Gemeinschaft der Hörenden in apostolischer Sukzession

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3.2 Die Schriftlesung als Konstitution einer universalen Hörgemeinschaft Wenn nun die anamnetische Struktur der Schrift darin besteht, die einmalige Heilsgeschichte zu öffnen, dann sicher zwar auch und primär für uns gegenwärtig Hörende, aber sicher nicht nur für uns gegenwärtig Hörende. Wo immer die Schrift im Gottesdienst gelesen wird und die Gottesdienstgemeinde hörend eintritt in den Raum des biblisch bezeugten Geschehens, steht sie dort nicht allein. Wenn prinzipiell jede Gegenwart im Modus der Anamnese dem kanonisch bezeugten Ursprungsereignis gleichzeitig sein kann, dann ist damit nicht nur unsere je eigene Gegenwart, sondern auch die unserer Vorfahren und die der anderen in Raum, Zeit und Konfessionen verstreuten Liturgiegemeinschaften eingeschlossen. Somit entsteht in der und durch die Schriftlesung eine universale Hör- und Erzählgemeinschaft, in der sich das Wort Gottes die eine, heilige, katholische und apostolische Gemeinschaft schafft, die auf das evangelische Wort hört. Die ekklesiologische und ökumenische Bedeutung der Schrift als liturgisch gelesener Schrift liegt in zweierlei: Zum einen darin, dass christlicher Gottesdienst ohne Hören auf das Schriftwort schlicht nicht existieren kann und dass die Bibel somit im Gottesdienst aller Konfessionen wesentlich und primär als liturgisches Buch vorkommt, worin ja auch die zentrale Funktionsbestimmung des Kanons besteht; zum zweiten darin, dass im Akt der Schriftlesung ein- und derselbe Gott spricht, der auch in den anderen (räumlich, zeitlich und konfessionell getrennten) Gottesdienstgemeinschaften so spricht. Wir begegnen somit im Medium der Schriftlesung indirekt auch den anderen Gottesdienstgemeinschaften, die mit uns - wenn auch raum-zeitlich vor uns, neben uns und nach uns – in dasselbe Geschehen eintreten, das die Schriftlesung in actu vergegenwärtigt.82

3. Das Hören der Schriftlesung als Primärgestalt der apostolischen Sukzession Peter Brunner betont in seinen Überlegungen zur Schriftlesung immer wieder, dass es sich bei der Schrift um das Wort der Apostel handelt (das mit dem prophetischen Zeugnis des Alten Bundes stets in Beziehung steht).83 Als dezidiert apostolisches Wort verstanden ruft die Schriftlesung die hörende Kirche in die apostolische Sukzession. Dass die Kirche und ihr Gottesdienst apostolisch sind

82 Dieser universalkirchliche Horizont der Schriftlesung ist heute deswegen undeutlich geworden, weil die Bibel in Folge der Erfindung des Buchdrucks im 16. Jahrundert für die meisten ein privat besitzbares und lesbares Buch ist. Dazu Gordon Lathrop: „When I take a Bible in my hands, even I am alone, I take up the whole community of voices that adresses me there as well as all the people with.“ (Holy People, 25) 83 Vgl. Brunner, Lehre, 195 f.

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und dem Zeugnis der Apostel folgen, findet seinen zentralen Ausdruck in der Verlesung der apostolischen Schriften, der Episteln und der Evangelien. Die Apostolizität einer sich gottesdienstlich realisierenden und verstehenden Kirche besteht primär darin, dass die als apostolisch geltenden und Apostolizität verbürgenden Schriften im Gottesdienst gelesen, gehört und gemeinsam angeeignet und im Lebenszeugnis verwirklicht werden. Die interkonfessionell strittige Frage, wie sich Schrift und Amt zueinander verhalten, ist demgegenüber sekundär (ohne deshalb unwichtig zu sein). Es dürfte keine konfessionelle Ekklesiologie geben, die die Apostolizität der Kirche und ihres Amtes ohne das apostolische Wort der Schriftlesung erklären könnte. Apostolische Sukzession realisiert sich primär im Gottesdienst, nämlich im Hören auf das apostolische Wort. Alle konkreten Gestalten apostolischer Sukzession (ob nun die Amtsstruktur, der Schriftkanon oder auch das Lebenszeugnis als Nachfolger/in Jesu und der Apostel im Alltag) müssen als sekundäre Gestalten erkennbar auf den Akt des Hörens auf das apostolische Urzeugnis als Primärverwirklichung apostolischer Sukzession zugeordnet sein.84

3.4 Die ökumenisch-ekklesiologische Bedeutung der Perikopenordnungen Die gottesdienstliche Schriftlesung hat in den beiden großen Konfessionen Deutschlands eigentlich erst (wieder) im späten 19. und 20. Jahrhundert ihren sachgemäßen theologischen Eigenwert erhalten. Im deutschen Protestantismus war die Schriftlesung lange Zeit vor allem auf die Predigt hingeordnet, so dass der liturgischen Schriftlesung wenig Eigengewicht zukam. Im römischen Katholizismus vor der vatikanischen Liturgiereform war die Schriftlesung den Prinzipien der tridentinischen Liturgie untergeordnet, so dass die Lesung an der lateinischen Kultsprache partizipierte und somit auch ihr aktueller Offenbarungscharakter verdeckt war. Erst die für den deutschen Protestantismus bedeutsame Eisenacher Perikopenrevision und die nachkonziliare katholische Leseordnung haben die eigenständige Würde der gottesdienstlichen Schriftlesung in ihr theologisches und ekklesiologisches Recht gesetzt und verwirklicht, was Peter Brunner in seiner Gottesdienstlehre fordert: „Die Gemeinde hat ein Recht darauf, dem prophetischen und apostolischen Wort der Schrift auch unmittelbar ohne nachfolgende Auslegung zu begegnen.“85

84 Der Dissens zwischen den Konfessionen bezüglich der apostolischen Sukzession besteht präzise darin, welche (konkret erfahrbare) Instanz die Apostolizität der Kirche verbindlich verbürgt und garantiert. Eine liturgische Ekklesiologie vermag in diesem Dissens deutlich zu machen, dass die primäre und letztgültige „Instanz“ apostolischen Bleibens in der Wahrheit allein im Modus des Hörens auf das apostolische Wort liegt, welches vornehmlich im Gottesdienst geschieht. 85 Brunner, Lehre, 195.

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Gemeinschaft der Hörenden in apostolischer Sukzession

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Das Grundprinzip der drei- bzw. vierfachen Schriftlesung (alttestamentliche, epistolische, evangelische Lesung, Psalmengesang, ggf. eigener Predigttext), das sich in der römischen Leseordnung und mit Variationen auch in den evangelischen Perikopenordnungen niederschlägt, bringt die innere Einheit der beiden Testamente und die Verbundenheit der Kirche mit der Synagoge zum Ausdruck. Die Vielfalt der zur Verlesung kommenden biblischen Texte bewahrt vor einem vereinseitigenden und funktionalisierten Gebrauch. Allerdings ist umgekehrt bereits die Perikopenordnung (insbesondere die Auswahl und Zuordnung der Lesungen sowie die Wahl der Übersetzung) Ausdruck einer zugrunde liegenden Hermeneutik, die stets der kritischen Reflexion (und ggf. auch der Revision) bedarf. Die Notwendigkeit des Perikopierens ist jedoch dabei nicht als bloße Willkür, sondern als formgeschichtlich legitimer und liturgiepraktisch notwendiger Eingriff anzusehen.86 Der Perikopenordnung kommt dabei auch eine zweifache ekklesiologische Bedeutung zu: Zum einen bindet die Ordnung die örtliche Gottesdienstgemeinschaft deutlicher (oder besser: hörbarer) in eine größere kirchliche Gemeinschaft ein, nämlich in den gesamten Einzugsbereich der Leseordnung ein. Zum anderen verpflichtet sie die für die Liturgie Verantwortlichen und bewahrt die Gemeinde davor, den Einfällen, Vorlieben und auch Verengungen der Liturgen ausgeliefert zu sein und in subtil-klerikaler Weise entmündigt zu werden. Auch Liturginnen und Prediger müssen sich der Ordnung stellen und die Vorgegebenheit und Unverfügbarkeit des Wortes Gottes anerkennen, dem sie zu dienen haben. Als ökumenischer Impuls sei angesichts der Vielfalt von Leseordnungen die Frage von Gordon Lathrop aufgenommen: „(W)ie können die Kirchen, die eine große Vielfalt von Lektionaren gebrauchen, hinsichtlich ihres öffentlichen Schriftgebrauchs ein gewisses Maß an gegenseitiger Übereinstimmung finden?“87

3.5 Liturgische Bündelung: „Heute ist dieses Wort erfüllt“

„Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen. Da wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und als er das Buch auftat, fand er die Stelle wo geschrieben steht: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt zu predigen 86 Bei aller Vielfalt der exegetischen Ansätze kann doch als Konsens gelten, dass viele biblische Bücher (insbesondere die Evangelien) Sammlungen von kleineren Texteinheiten und Perikopen sind, die redaktionell zu einem literarischen Ganzen verarbeitet wurden. 87 Lathrop, Art. Bibel, 1433.

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den Gefangen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn. Und als er das Buch zutat, gab er’s dem Diener und setzte sich. Und aller Augen in der Synagoge sahen auf ihn. Und er fing an, zu ihnen zu reden: Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ (Lk 4,16–21, Evangelium an Neujahr nach evangelischer Ordnung)

4. Die Kirche als um Konsens ringende Gemeinschaft in der Predigt Im Folgenden geht es um die ekklesiologische Dimension der gottesdienstlichen Predigt im Kontext eines Liturgieverständnisses, das Liturgie als theologia prima begreift.

4.1 Die Predigt als prinzipiell liturgisches Geschehen Die gottesdienstliche Predigt lässt sich in einem weiten und in einem engen Sinn verstehen. Im weiten Sinn ist der ganze Gottesdienst in all seinen pluriformen Medien und Vollzügen Predigt. Insbesondere die Rezeption der Semiotik hat die Liturgiewissenschaft auf die Vielschichtigkeit der Signifikations- und Kommunikationsprozesse im Gottesdienst hingewiesen. Unter den sprachlichen Vollzügen der Liturgie predigt auch das Lied, das Gebet und die Schriftlesung, die als kanonisch-liturgischer Text selbst apostolische Predigt ist und sich historisch-theologisch der Verkündigungspraxis des ersten christlichen Jahrhunderts verdankt. Darüber hinaus predigen auch der Kirchbau, die Paramentik, das Gestühl und andere nonverbale gottesdienstliche Sprachen. Die Predigt im engeren Sinn, um die es im Folgenden gehen soll, ist eine spezifisch gottesdienstliche Schriftauslegung, nämlich in Form einer freien Rede in gemeinde- und gegenwartsbezogener Sprache durch eine dazu geeignete und berufene Person. An und in der Predigt wird der Gegenwartsbezug der in der Heiligen Schrift dokumentierten Gottesgeschichte in höchstmöglicher Weise verdichtet und plausibilisiert. Zu betonen ist gegenüber Missverständnissen, die aus der Unterscheidung von Liturgie und Predigt sowie der gottesdienstlichen Disziplinen Homiletik und Liturgik resultierenden könnten,88 dass die Predigt in der Regel Predigt in 88 Das terminologische Gegenüber von Predigt und Liturgie geht im evangelischen Bereich auf Schleiermacher zurück (vgl. Kalb, Art. Liturgie, 367). Es ist erstaunlich, dass viele liturgiewissenschaftliche Publikationen, gerade aus aus dem Umfeld der Liturgischen Theologie (z. B. Reinhard Meßner, Aidan Kavanagh) der Predigt kaum Aufmerksamkeit schenken und damit in der Trennung von Liturgie und Predigt verhaftet bleiben. Umso erfreulicher und m.E. sachgerechter ist es, dass sich

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einem Gottesdienst ist und nicht mit den übrigen liturgischen Elementen und Vollzügen im Sinne einer höheren oder geringeren Wertigkeit „verrechnet“ werden kann und darf.89 Vielmehr ist die Besonderheit der Predigt als zentraler Form der Evangeliumsverkündigung durch den Zusammenhang des Gottesdienstes bestimmt.90 Sie hat eine „gliedhafte Funktion im Ganzen des Gottesdienstes“.91 Das ist für den lange Zeit liturgievergessenen Predigt-Protestantismus ebenso wichtig wie für den lange Zeit predigt- und kommunionvergessenen Zelebrations-Katholizismus. Gegenüber einer Überschätzung der Predigt als Erschließung des Schriftwortes ist zu betonen, dass die Schriftlesung als aktuelle viva vox Dei der Predigt nicht notwendig bedarf, wie umgekehrt die Predigt als freie und je neue Rede die Erfüllung ihrer theologischen Aufgabe, nämlich die authentische Auslegung der Schrift, nicht garantieren kann. Der Zusammenhang von Predigt und Liturgie erweist sich damit als theologisch sinnvoll, denn die Predigt und die anderen liturgischen Vollzüge beziehen sich aufeinander und können sich somit auch wechselseitig begrenzen und korrigieren. 4.2 Die Individualität der Predigt als freie Rede und ihre ekklesiologische Problematik Während die übrigen liturgischen Stücke bei aller möglichen Varianz im Konkreten relativ beständig und damit kontinuierlich rezitierbar, wiederholbar und tradierbar sind, gehört zur Predigt wesentlich ihre Aktualität, ihre Einmaligkeit, ja ihre radikale Individualität: Die Predigt spricht nur an diesem Tag in diesem Gottesdienst aufgrund dieses Schriftwortes zu genau diesen versammelten Menschen.92 Das macht die „homiletische Situation“ (Ernst Lange) aus. Jede Predigt ist daher wesentlich einmalig und unwiederholbar.93 Eine mehrfach im gleichen Wortlaut gehaltene Predigt droht, die homiletische Situation einer je einzelnen Predigt zu vernachlässigen; sie tritt in einen Kanonisierungsprozess ein und Peter Cornehl in seinem neuesten Werk zum evangelischen Gottesdienst programmatisch darum bemüht, Homiletik und Liturgik zusammenzuführen. (vgl. bes. Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 12 f). 89 Vgl. auch Niebergall, Geschichte, 348 f. 90 Vgl. Pannenberg, ST 3, 366. 91 Brunner, Lehre, 197, (bei Brunner teilweise gesperrt). 92 Vgl. auch Wainwright, Grundlegung, 85: „Die Predigt ist der Ort, an dem das immerwährende und eschatologische Evangelium am deutlichsten diese Zeit und diese Situation betrifft.“ 93 In der Praxis müssen Predigten oft mehrmals in verschiedenen Gottesdiensten gehalten werden. Außerdem gibt es Lesepredigten und vorgefertigte Predigten aus Predigthilfen oder Predigtdatenbanken, aus denen sich etliche Predigende bedienen. Zu fragen wäre hier, wie weit solche Predigten fähig sind, die jeweils konkrete homiletische Situation angemessen zu berücksichtigen. Allerdings werden in der Praxis Mehrfachpredigten oft auch nicht im völlig identischen Wortlaut vorgetragen, sodass sich in den Abweichungen durchaus die homiletische Situation spiegeln kann.

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konkurriert mit den kanonischen Texten der Bibel.94 Unter allen gottesdienstlichen Stücken kommt damit der Predigt durch ihre jeweilige Gebundenheit an die homiletische Situation das höchste Maß an Individualität zu. Doch was bedeutet die Individualität der Predigt ekklesiologisch? Dass die Individualität der Predigt ekklesiologisch bedenklich und gefährlich ist (oder zumindest sein kann), betont und beklagt Alexander Schmemann.95 Der Grund für die gegenwärtige Krise der Predigt liegt nach Schmemann darin, dass die Predigt zur persönlichen Angelegenheit des Predigers geworden ist; der kirchliche Charakter der Predigt, nämlich dass „die kirchliche Versammlung eine Versammlung im Heiligen Geist ist, der dem Prediger die Lippen zur Verkündigung öffnet und die Ohren der Hörer auftut, um das aufzunehmen, was verkündigt wird“,96 ist verloren gegangen. Schmemann fordert daher vom Prediger „völlige(r) Selbstverleugnung“ und „Absage an alles bloß Persönliche“.97 Was zunächst fremd klingt, nicht nur für evangelische Ohren, bewahrheitet sich jedoch an einer theologischen Wahrnehmung der Predigtpraxis, in der in etlichen Predigten das Ich des Predigers in durchaus problematischer Weise im Vordergrund steht, sodass die Predigt zur – durchaus von der Gemeinde auch gewünschten und geforderten – Selbstdarstellung der predigenden Person wird.98 Schmemann beobachtet richtig, dass die Predigt in der Versammlung der Kirche stattfindet. Dies muss aber ekklesiologisch nicht notwendig gegen die Individualität von Predigt und Prediger sprechen. Als freie konkrete, gegenwartsbezogene und einmalige Schrifterschließung hat die Predigt die einzigartige Chance und Last, die spezifischen Hör-, Denk-, Versteh- und Lebensbedingungen der versammelten Gemeinde zu berücksichtigen. Gerade in ihrer Individualität liegt auch die ekklesiologische Bedeutung der Predigt: Die Kirche ist keine civitas platonica, sondern die Versammlung der konkret in Raum und Zeit lebenden getauften congregati, die in Gemeinschaft stehen mit den congregati aller Zeiten und Orte. Sofern die Predigt das Evangelium Jesu Christi authentisch als hier und jetzt gültig und verbindlich für die versammelte Gemeinde unter diesen besonderen Lebensbedingungen bezeugt, realisiert sie die Ökumenizität und Katholizität der Kirche. Schmemanns Kritik am Individualismus der Predigtkultur bleibt insofern berechtigt, als sie die Gefahr markiert, dass die Predigt im „bloß Persönliche(n)“ stehen bleibt und ihren kirchlichen Horizont verliert.99 Weil der Gottesdienst 94 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn PredigerInnen nach einigen Jahren zum selben Text eine schon einmal gehaltene Predigt noch einmal halten. 95 Vgl. Schmemann, Eucharistie, 111–115. 96 Schmemann, Eucharistie, 111. 97 Schmemann, Eucharistie, 112. 98 Diese Verengung findet ihren Ausdruck in der Bekanntmachung der jeweiligen Prediger in Gemeindebriefen und Gottesdienstordnungen. 99 Schmemann, Eucharistie, 111.

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als Versammlung der Getauften eine Grundentscheidung für den Glauben und die Kirche voraussetzt, ist auch die Predigt „anamnetische Vergewisserung des Glaubens, den die Hörer schon angenommen haben“.100 Im Sprechen und Hören der Predigt ereignet sich die Kirche insofern, als der Heilige Geist die Versammelten verbindet. „Der in der Verkündigung wirksame Geist schließt Hörer und Prediger zur Gemeinde, zum Leib Christi, zur Kirche zusammen.“101

4.3 Die Predigt als auf kirchlichen Konsens zielender Vollzug Systematischer Theologie 4.3.1 Die Predigt als systematisch-theologischer Vollzug (nach Christoph Schwöbel) Der Predigt als freier und je und je neuer Rede eignet als einzigem liturgischem Stück die Möglichkeit zu rational-diskursiver und vor allem gegenwartsbezogener Auseinandersetzung, obgleich sie ihrer Form und ihrem Wesen nach kein Lehrvortrag, sondern ein spezifisches Medium der Liturgie als Anamnese des Heilsgeschehens ist.102 Die Predigt hat dabei methodisch eine spezifische Nähe zur Systematischen Theologie wie sie Christoph Schwöbel beschreibt, nämlich als „Selbstexplikation des christlichen Glaubens“.103 Die Möglichkeit und Notwendigkeit solcher Selbstexplikation des christlichen Glaubens als rationale Rekonstruktion der Formen und Inhalte des christlichen Glaubens ist, so Schwöbel, im gemeinschaftlichen und missionarischen Charakter des Glaubens begründet.104 „Die Existenz einer christlichen Gemeinschaft setzt voraus, dass die sprachliche Kommunikation der Inhalte des Glaubens möglich (und wirklich) ist.“105 Das Bedürfnis nach Selbstexplikation entspringt der Erfahrung von Dissens in der Kirche,106 welcher zum Ausgangspunkt Systematischer Theologie wird. „In dieser Situation des Dissenses besteht die Aufgabe der Systematischen Theologie darin, einen neuen Konsens in der Gemeinschaft der Glaubenden vorzuschlagen, der die Grundlagen dieser Gemeinschaft so zur Geltung bringt, dass die Schwierigkeiten, die den alten Konsens infrage gestellt haben, bewältigt werden können. Bei ihrem Versuch, einen neuen Konsens vorzuschlagen, muss die Systematische Theologie eine angemessene Interpretation des christlichen Glau100 101 102 103 104 105 106

Pannenberg, ST 3, 368. Niebergall, Geschichte, 208 f. Vgl. auch Pannenberg, ST 3, 366. Schwöbel, Doing, 3 u. ö. Vgl. Schwöbel, Doing, 6. Schwöbel, Doing, 6 Vgl. Schwöbel, Doing, 7.

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bens formulieren, die innerhalb der christlichen Gemeinschaft akzeptiert werden kann und die ihr Verhältnis zu denen außerhalb der Gemeinschaft bestimmt und so die Identität der christlichen Gemeinschaft neu bestätigt.“107 Schwöbels Beschreibung der Systematischen Theologie trifft auch auf die Aufgabe der Predigt zu. Interpretatorischer Dissens ist ja gewissermaßen auch die Wurzel der Predigtaufgabe. Der Dissens muss sich dabei nicht nur auf unterschiedliche Auslegungen der religiösen Überlieferungen beziehen. (Nicht erst) unter spätmodernen Bedingungen klafft der Dissens zwischen aktueller Wirklichkeitserfahrung sowie der Wirklichkeit Gottes und der religiösen Überlieferung auseinander. Schwöbels Formulierung aufnehmend, muss die Predigt hier eine angemessene Interpretation des christlichen Glaubens formulieren, die innerhalb der christlichen Gemeinschaft, also der Kirche vor Ort und weltweit, akzeptiert werden kann und so die Identität der christlichen Gemeinschaft neu bestätigt. Die Predigt reflektiert das Kirche-Sein der versammelten Glieder der Kirche unter den Bedingungen des Dissenses, den diejenigen Wirklichkeitserfahrungen produzieren, die den Gliedern der Kirche ihr je individuelles und gemeinschaftlichkirchliches Sein in Christus bestreiten. Die Predigt ist kirchliche und liturgische, also auf alle Getauften gerichtete Systematische Theologie, die sich von der universitären Systematischen Theologie durch zwei Aspekte unterscheidet: Erstens durch ihren dezidiert liturgischen Kontext, der die Predigt als spezifische Schriftauslegung am theologischen Charakter der Liturgie partizipieren lässt, innerhalb derer sie gehalten wird;108 zweitens ist sie öffentliche, für alle offene (Aidan Kavanagh würde sagen: „proletarische“109) Theologie, da sie sich nicht nur an eine bestimmte Bildungselite richtet, sondern an alle Menschen mit örtlich je verschiedenen (und je von den Predigenden konstitutiv zu berücksichtigenden) intellektuellen Begabungen und Dissenserfahrungen.110 Ziel der Predigt ist es, die Schrift so auszulegen und zu verstehen, dass Dissenserfahrungen bewältigt und der bisher bewährte und zwischenzeitlich infragegestellte Konsens und Grund des Glaubens weiterhin als tragfähig und verlässlich plausibilisiert wird. Insofern erhält und bestärkt die Predigt die Kirche, indem sie die durch Dissenserfahrungen irritierten Gläubigen in den universalen Glaubenskonsens reintegriert.

107

Schwöbel, Doing, 7 f. Die Predigt ist, mit Don E. Saliers gesprochen, „the most discursive form of speech in the liturgical context“, (Saliers, Worship as Theology, 161). 109 Vgl. Kavanagh, On Liturgical Theology, 89. 110 Die so verstandene Dissensbewältigung als Aufgabe der Predigt berührt sich mit dem von Luther beeinflussten Verständnis der Predigt bei Peter Brunner: „Eine Waffe der Christenheit in dem Kampf um das, was im Lichte der das Menschsein begründenden Vernunft wirklich das Gute ist, ist auch das Wort, insbesondere das gottesdienstliche Wort, die Predigt.“ (Brunner, Theologie, 120) 108

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4.3.2 Die Predigt als dogmatischer Text in wissenssoziologischrezeptionsästhetischer Perspektive (Ursula Roth) Dass die Predigt ein systematisch-theologischer Akt ist, belegt auf ihre Weise auch die rezeptionsästhetisch orientierte Homiletik, hier vertreten durch die Münchener Praktische Theologin Ursula Roth. Seit der „ästhetischen Wende“ der Homiletik in den 80er Jahren haben Einsichten der Rezeptionsästhetik und Semiotik an praktisch-theologischer Bedeutung gewonnen. Insbesondere der Hörer wurde dabei in den Blick genommen.111 Ursula Roth zeigt, dass jeder Hörer seine eigenen Verstehensbedingungen und seine je eigene Dogmatik mitbringt, die sich in den verschiedenen Diskursen der Lebenswirklichkeit der Hörenden konstruiert. „Jede Predigt wird von der Absicht getragen, christlich-religiöse Sinn-Deutungen so zur Geltung zu bringen, dass sich die lebensweltlichen Erfahrungen der Hörer und Hörerinnen auf spezifische Weise in ein Gesamtverständnis von Wirklichkeit einfügen, sei es, dass bekannte Deutungsmuster angesichts neuer Erfahrungen verstärkt oder vertieft werden, sei es, dass sich auf die eigene Lebenswelt neue Perspektiven öffnen, dass bisherige Sichtweisen aufbrechen und sich verändern.“112 Predigten sind, so Roth, „dogmatische Texte, da sie auf einem je eigenen Verständnis lebensweltlicher Wirklichkeit, auf einer je eigenen ‚Dogmatik‘ aufruhen. Sie sind persuasive Texte, da sie diese Deutung von Wirklichkeit in Geltung setzen und die Hörerinnen und Hörer von diesem überzeugen wollen. Sie sind diskursive Texte, da sie sich in den gesellschaftlichen Diskurs über die Bedeutung und die Gestaltung der Lebenswelt, der die Grundlage für die Entstehung und Entwicklung der je eigenen Lebensphilosophie der einzelnen ist, einfügen.“113 Als dogmatische, persuasive und diskursive Texte haben Predigten auch eine zentrale ekklesiale Funktion. Sie bringen die Dogmatik des christlichen Glaubens und den Glauben der Kirche persuasiv zur Sprache und treten damit in den allgemeinen Streit und Diskurs der Sinndeutungen ein. Eben indem die Predigt dogmatisch, persuasiv und diskursiv ist, erweist sich auch ihre ekklesiale Dimension. In der Predigt wird die kirchliche Identität der Gemeinde gestärkt. Gerade die in der Vielzahl homiletischer Situationen begründete radikale Individualität der Predigt dient dem Kirche-Sein und Kirche-Bleiben der zur Liturgie Versammelten. Indem die „Dogmatiken“ und Dissenserfahrungen der Predigthörenden konstruktiv aufgenommen und bearbeitet werden, um schließlich in den kirchlichen Konsens reintegriert zu werden, vollzieht die Individualität der Predigt deren Ekklesialität. 111 112 113

Vgl. Roth, Predigten hören, v. a. 270–277. Roth, Predigten hören, 284 f. Roth, Predigten hören, 286 f.

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4.3.3 Die universalkirchliche Integrationsfunktion der Predigt (Wolfhart Pannenberg) Von der ekklesialen Integrationsaufgabe und -funktion der Predigt war schon mehrfach die Rede. Abschließend sei Wolfhart Pannenberg genannt, der ebenfalls die Integrationsfunktion der Predigt betont und dabei vor allem den ökumenischen Horizont im Blick hat: „Durch die Auslegung des Evangeliums integriert sie die Glieder dieser besonderen Gemeinde, an die sie sich richtet, in die Einheit des Glaubens der Kirche, der im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens von jedem einzelnen für sich wiederholend angeeignet wird. An der Predigt hängt es, dass dieses gottesdienstliche Bekennen kein äußerlicher Ritus bleibt. Dadurch bewahrt sie auch die Feier des Herrenmahles davor, zu einer Konventikelangelegenheit zu werden, bei der die dazu versammelte Gemeinde ihre eigene Gemeinschaft feiert statt der weltweiten Verbundenheit aller Christen durch den einen Glauben an den einen Herrn, der ihnen allen in seinem Mahl gegenwärtig ist.“114 Predigt und Liturgie erschließen sich wechselseitig, wie Pannenberg betont. Die Aneignung und Verinnerlichung des gottesdienstlichen Bekennens, das die Predigt fördern soll, indem sie die bestehenden innerlichen und äußerlichen Dissenserfahrungen bearbeitet, vertieft den Bezug der ortskirchlichen Gottesdienstgemeinschaft zu den Christen aller Zeiten und Orte. Die zentrale ekklesiologische Dimension der so verstandenen Predigt dürfte damit evident sein. Es geht in der Predigt nicht um die Rechtfertigung und Bestätigung der je individuellen Glaubens- und Lebenssicht; wissenssoziologisch gedacht dürfte dies angesichts der Vielfalt der „privaten Dogmatiken“ der Predigthörenden ohnehin kaum möglich sein. Es geht der Predigt darum, eine Wirklichkeitsdeutung persuasiv und diskursiv zu präsentieren und somit der Kontinuität des Glaubens angesichts gegenwärtiger Dissenserfahrungen zu dienen. Die Kontinuität des Glaubens impliziert die Kontinuität der Glaubensgemeinschaft und somit die Katholizität der Kirche. Insofern ist die Predigtaufgabe in höchstem Maße ökumenisch brisant, denn die Predigt steht als freie Rede eines Einzelnen in der besonderen Gefahr, entweder individualistische oder konfessionalistische Engführungen der Katholizität der christlichen Kirche zu präsentieren. In Geschichte und Gegenwart war die Predigt oft genug der Ort für antikonfessionelle Profilierung und Polemik. Die Predigt als freie Rede ist potentiell und faktisch derjenige Ort, an dem sich eine konfessionell verengte Ekklesiologie zu Wort meldet, die ansonsten in der Regel durch die Strukturen der Liturgie korrigiert wird.

114

Pannenberg, ST 3, 369.

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Um daraus eine positive Forderung für die Predigtpraxis zu formulieren: Es müsste am Reformationstag oder an Mariä Himmelfahrt so gepredigt werden, dass die gottesdienstliche Gemeinde in eine kirchliche Kontinuität integriert wird, die nicht auf die eigene konfessionelle Partikulartradition verengt bleibt. Kurzum: Die Reformationstagspredigt müsste katholisch, die Mariä-Himmelfahrt-Predigt evangelisch sein.

4.4 Der konkrete Maßstab des kirchlichen Konsenses: das Credo Worin besteht der konkrete Maßstab für die Sachgemäßheit der Predigt als Auslegung eines Schriftwortes, das für sich genommen partikular und einseitig ist bzw. sein kann? Worin besteht der konkrete materiale Maßstab des Glaubenskonsenses der einen Kirche aller Zeiten und Orte, in den die Predigt die örtliche Gemeinde integrieren soll? Worin besteht der Maßstab, um die Predigt als evangeliumsgemäß („pure“, CA 7) anerkennen bzw. ggf. kritisieren zu können? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen führt zu den Glaubensbekenntnissen. Im Gottesdienst der meisten konfessionellen Traditionen wird das Glaubensbekenntnis in Form des Apostolikums oder des Nizänums gesprochen oder gesungen. Auch andere gottesdienstliche Stücke, wie etwa der Liedgesang und auch das Gebet haben Bekenntnischarakter. Die Eigenart des Credos besteht nun darin, trinitarisch strukturiert zu sein und das Ganze der biblischen Botschaft, wie es sich von seiner christologischen Mitte her erschließt, summarisch zu bekennen. Obgleich das Bekennen selbst wesentlich und notwendig zum christlichen Gottesdienst dazu gehört, sind das apostolische und das nizänische Glaubensbekenntnis erst relativ spät in den Gottesdienst aufgenommen worden (in Rom erst seit 1014).115 Dies mag damit zusammenhängen, dass das Credo als Summe der christlichen Glaubensantwort im Eucharistiegebet, das in seiner klassischen Form ebenfalls summarischen Charakter hat, eine gebetsförmige Parallele hat.116 Das Apostolikum war ursprünglich in der Taufvorbereitung beheimatet und war in besonderer Weise das Bekenntnis der Taufbewerber.117 Bemerkenswert am Apostolikum ist die Tatsache, dass der Text allmählich gewachsen ist und sich – analog zum Schriftkanon – selbst kanonisiert hat, zumin-

115

Vgl. Meßner, Einführung, 192. Vgl. auch H.-J. Schulz, Glaubenseinheit, 35–43. 117 Der Palmsamstag galt in der Alten Kirche als der Tag der traditio Symboli, an dem das Apostolicum den Taufbewerbern (mündlich) übergeben, das diese dann bei ihrer Taufe in der Osternacht durch ihr Bekenntnis an die Kirche in der redditio Symboli zurückgegeben. Vgl. Tettamanzi, Unser Credo, 7–13; auch H.-J. Schulz, Glaubenseinheit, 27 f. 116

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dest im westkirchlichen Bereich. Keine Synode oder sonstige kirchliche Autorität hat das Apostolikum je kanonisiert; das Apostolikum wurde immer als bestehende, überlieferte und anerkannte Autorität rezipiert. So gehört es neben dem Nizänum und dem Athanasianum zu den drei altkirchlichen Symbolen, die das Konkordienbuch ausdrücklich an den Anfang gestellt hat. Die lutherische Bekenntnistradition zeigt auf ihre Weise, dass das Bekenntnis auslegungsbedürftig und auslegungsfähig ist, aber nicht ersetzt werden muss. Das Apostolikum ist bei Luther und anderen zum Gegenstand der Auslegung, Aktualisierung und Erklärung geworden – immer unter der Voraussetzung, dass es sich um ein autorisiertes gottesdienstliches Bekenntnis der einen Kirche handelt, dessen Wahrheit und Gültigkeit zwar erschlossen werden soll, nicht aber erst begründet oder prinzipiell in Frage gestellt werden muss. Wenn im evangelischen oder katholischen Gottesdienst das Credo im Umfeld von Schriftlesungen und Predigt gesprochen (oder besser: gesungen bzw. kantilliert118) wird, erschließt sich hier sein theologischer und ekklesiologischer Sinn. Das Credo ist das sachliche Scharnier zwischen Schriftlesungen und Predigt (ohne dass sich eine bestimmte liturgische Reihenfolge aufdrängt). Es artikuliert die Summe der biblischen Botschaft in der Gestalt eines festen Bekenntnisses der Kirche, in das der Einzelne seit seiner Taufe und durch seine Taufe einstimmt. Das Credo formuliert den diachronen und synchronen Glaubenskonsens der Kirche und damit den inhaltlichen Maßstab für die Auslegung des Schriftwortes in der Predigt. Der Kanon muss perikopiert werden und die einzelnen Perikopen eines Gottesdienstes bleiben für sich genommen theologisch partikular, was sich in der Auslegung dieser Texte in der Predigt fortsetzen kann. Im Bekennen des Credo ist summarisch das Ganze des christlichen Glaubens und der Theologie ausgesprochen. In einem Gottesdienst und einer Predigt aufgrund einer bzw. einzelner Perikopen kann material nie das Ganze des biblischen Zeugnisses zur Sprache kommen. Jeder Gottesdienst, jede Schriftlesung und jede Predigt bleiben diesbezüglich immer partikular. Indem das Credo summarisch das Ganze des christlichen Glaubens bekennt, orientiert es die Auslegung der – für sich genommen partikularen – einzelnen Schriftworte auf das Ganze und Zentrale der christlichen Glaubensüberlieferung. Die Predigt muss sich somit als credogemäß erweisen. Die Predigt verfehlt dann ihre theologische und ekklesiale Bestimmung, wenn sie in Widerspruch zum Credo gerät (etwa bei der Bestreitung der Auferweckung Jesu).

118

Vgl. dazu auch Westerfield Tucker, Lex Credendi, 41–43.

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4.5 Thetische Bündelung: Liturgische Predigt als ecclesiologia prima Um der Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Predigt Rechnung zu tragen, wird hier keine typische Predigt als liturgische Bündelung zitiert; die abschließende Zusammenfassung erfolgt in Thesenform. Die Predigt ist ecclesiologia prima in vierfacher Hinsicht: 1. Die Predigt ist ecclesiologia prima, weil und wenn sie schriftgemäß und textgebunden ist; sie erweist sich damit als der Kirche zugehörig, welche die Überlieferungsgemeinschaft des Wortes Gottes ist.119 2. Die Predigt ist ecclesiologia prima, weil und indem sie ihren primären Ort im Gottesdienst als der prototypischen Lebens- und Vollgestalt der Kirche hat und damit unter derselben Verheißung der Gegenwart und Wirksamkeit des dreieinen Gottes wie die Liturgie als Ganze (vgl. Mt 18,20) steht. 3. Die Predigt ist ecclesiologia prima, weil sie das (Sprech- und Hör-) Handeln aller Versammelten ist, in dessen Vollzug die örtliche Gemeinde in den Glaubenskonsens der einen Kirche aller Zeiten und Orte reintegriert wird, der angesichts aktueller Wirklichkeitserfahrungen von außen in Frage gestellt ist. 4. Die Predigt ist ecclesiologia prima „ubi et quando visum est Deo“ (CA 5), weil auch sie theologisch wesentlich ein Geschöpf des Heiligen Geistes ist; die verheißene Selbstbindung des Geistes an die kirchliche Verkündigung ist immer auch mit der Unverfügbarkeit und Nicht-Garantierbarkeit des Geistes zusammenzusehen. Dem entspricht, dass die Predigt von einer eigenen Predigtliturgie (Kanzelgruß, Gebet um rechtes Reden und Hören; Predigtepiklese, z. B. ein Heilig-Geist-Lied) gerahmt sein kann.

5. Die Kirche in der Explikation ihrer Bezogenheit und Abhängigkeit: Beten Im Folgenden wird das gottesdienstliche Gebet in der Vielfalt seine Formen reflektiert.

5.1 Lex orandi – lex credendi – lex ecclesiae Mit Gesang, Schriftlesung und Predigt gehört auch das Gebet seit Beginn der christlichen Liturgiegeschichte zu den konstitutiven Elementen des Gottesdiens-

119 Niebergall konstatiert für das 20. Jahrhundert eine Verkirchlichung der Predigt (vgl. Geschichte, 348 f), die aus der Sicht einer liturgischen Ekklesiologie als sachgemäßer Vorgang zu bezeichnen ist.

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tes. Das Gebet hat nach breitgestreutem biblischem Zeugnis Gebotscharakter. Martin Luther und Karl Barth haben nachdrücklich darauf hingewiesen.120 Im gottesdienstlichen Beten verwirklicht die Liturgie in besonderer Weise, dass sie theologia prima ist. Das Axiom „lex orandi-lex credendi“ hat sich aus und an dem gottesdienstlichen Fürbittgebet entwickelt. Die Verhältnisbestimmung von lex orandi und lex credendi hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten neue Aufmerksamkeit bekommen, zum einen durch Arbeiten wie die von Martin Stuflesser und Jochen Arnold, zum anderen durch die Vertreter der Liturgischen Theologie (Alexander Schmemann, Aidan Kavanagh, Gordon W. Lathrop), die den Vorrang von Gebet und Liturgie vor der akademischen Theologie betonen.121 Das Gebet sagt selbst in seiner Struktur und in seinem Inhalt Wesentliches über Gott und den Beter aus. Es ist Maßstab unseres Redens von Gott,122 aber auch des theologischen Redens vom Menschen und von der betenden Kirche als der aktuellen Gebetsgemeinschaft. Auf evangelischer Seite hat insbesondere Gerhard Ebeling auf den Zusammenhang von Gebet und Gotteserkenntnis hingewiesen.123 Das Gebet ist, so Ebeling, der hermeneutische Schlüssel zur Gotteslehre – und damit auch zur Lehre von denen, die betend die Gotteslehre artikulieren: die Kirche.124 Dabei handelt es sich beim gottesdienstlichen Gebet nicht nur um ein einzelnes liturgisches Element. Vielmehr steht die ganze Liturgie in der Dimension des Gebetes;125 „im Gebet und durch das Gebet konstituiert Gott seine neue Schöpfung, sein neues Volk. Ohne Gebet träten weder diese neue Schöpfung, noch die Gemeinde des neuen Bundes noch der Glaube des einzelnen Christen 120

Vgl. Martin Luther, GK III (v. a. BSLK 662,17–666,34); zu Karl Barth vgl. KD III/4, 102–104. Einen eigenen Vermittlungsversuch zwischen lex orandi und lex credendi hat Gunther Wenz in seinem Münchener Habilitationsvortrag vorgenommen (vgl. Wenz, Andacht und Zuversicht). Seine dogmatischen Überlegungen zum Gebet gehen in eine Richtung, die der Sache nach mit dem Grundanliegen der Liturgical Theology konvergiert. Ausgehend vom Religionsbegriff bei Schleiermacher und Hegel erschließt Wenz das Wesen des Gebetes und stellt fest, „dass sich im Akte des Betens eben dies vollzieht, was in der Religion, wie Schleiermacher und Hegel sie bestimmen, überhaupt statthat.“ (Andacht und Zuversicht, 466) Gerade an Ausrufen wie „Mein Gott“, „Um Gottes willen“ oder „Gott sei Dank“ zeigt sich, „(d)ass es im Gebet ums Ganze der Wirklichkeit geht“ (ebd.). Ebenso sind Anamnese und Epiklese nach Wenz nicht nur bestimmte Gebetsformen der Abendmahlsliturgie; sie sind vielmehr „die grundlegenden Momente jedes christlichen Gebetes (. . .), die, wenn auch nicht immer ausdrücklich, doch stets dessen stillschweigenden Sinnhorizont bilden“ (ebd., 471). „So erschließt sich in Anamnese und Epiklese nicht weniger als die Wirklichkeit des dreieinen Gottes.“ (ebd., 472) 122 Vgl. auch Eibach, Gebet, 228–230. 123 Vgl. Ebeling, Dogmatik I, 192–244. 124 Allerdings bleibt gerade in der Ekklesiologie die Bedeutung des Gebetes etwas blass. Dies ist umso erstaunlicher, als auch Ebeling, zumindest thetisch, eine gottesdienstliche Ekklesiologie vertritt, die er allerdings material kaum durchführt. Vgl. dazu auch die Kritik von Armin Kistenbrügge (Gebet, 173 f). 125 Vgl. Brunner, Lehre, 256–259; auch Müller, Art. Gebet, 90. 121

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je in Erscheinung. Ohne Gebet gäbe und gibt es keine Kirche. Das Gebet ist darum zusammen mit Wort und Sakrament die primäre nota ecclesiae.“ (Gotthold Müller)126 Oder mit Karl-Friedrich Wiggermann gesprochen: „Der Gottesdienst ist nicht nur, aber immer auch Gebet.“127

5.2 Das liturgische Gebet als Grundvollzug des Seins der Kirche vor Gott Das gottesdienstliche Gebet realisiert das Sein der Kirche, indem es das Miteinander und Gegenüber der Kirche zum dreieinen Gott versprachlicht. Das Gebet ist Antwort auf die Zuwendung Gottes, die erst darin zum Ziel kommt, dass der Mensch bzw. die Kirche sich Gottes Zuwendung gefallen lässt und darauf antwortet. Zuwendung Gottes und menschlich-kirchliche Antwort korrelieren dialogisch miteinander, ohne das einseitige Gefälle zwischen Gott und der Kirche zu negieren. Das Gebet ist konstitutiv für den Gottesdienst und für das Sein der Kirche überhaupt. „Im personalen Dialog der Kirche mit Gott sind Hören und Antworten auf das Engste verbunden, sie durchdringen einander förmlich, ohne sich dadurch aber umgekehrt zu vermischen.“ (Anno Schulte-Herbrüggen)128 Insofern das Beten der Kirche mit dem Hören und Empfangen aufs engste verbunden ist, ist der Dialog zwischen Gott und Kirche im tiefsten Sinne immer wieder ein Erschließungsgeschehen. Die Kirche hört und empfängt, wer Gott ist, und erfährt, wer sie selbst vor Gott ist.129 Im Gebet, insbesondere in der Doxologie, dem selbstlosen anbetenden Lobpreis Gottes, ist die Kirche selbstvergessen, sie ist ausgerichtet auf Gott und findet ihre Identität außerhalb ihrer selbst.130 Das liturgische Gebet geht in seiner Struktur vom Gegenübersein Gottes und der betenden Kirche aus. Dies besagt zweierlei: Erstens ist die betende Kirche von Gott unterschieden, zweitens ist sie mit ihm verbunden. Beides, ihre Unterschiedenheit von und ihre Verbundenheit mit Gott artikuliert und realisiert die Kirche primär im Gebet. Sofern Selbstunterscheidung von Gott und Verbundenheit mit Gott wesentlich das Sein der Kirche ausmacht, ist die Kirche dann wesentlich Kirche, wenn sie betet. 126

Müller, Art. Gebet, 90. Wiggermann, Fürbitte, 80. 128 Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie, 314. 129 Vgl. dazu die Gedanken von Schulte-Herbrügge, der sicher nicht im Feuerbachschen Sinne verstanden werden will, aber so verstanden werden könnte, wenn er schreibt, dass der Dialog der sichtbaren Kirche mit Gott zugleich ein Dialog der sichtbaren Kirche ist, also „mit ihrer eigenen gottgewollten Sendung und ihrem eigenen Wesen als sichtbare Verwirklichung der Kirche Jesu Christi“, (Ekklesiologie, 315). 130 Vgl. Kistenbrügge, Gebet, 326 (mit Bezug auf Geoffrey Wainwright und Jean-Jacques von Allmen); zur wesentlichen Selbstvergessenheit der Kirche vgl. auch Wenz, Sakramentenlehre, 257. 127

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Im Beten der Kirche scheint dabei zweierlei auf: einerseits ihre besondere Würdenstellung vor Gott, nämlich zu Gott sprechen und ihn bitten zu können, und ebenso ihre radikale Abhängigkeit von Gott, nämlich ihn um alles bitten zu müssen. Die betende Kirche (als Gemeinschaft von Ordinierten und Nichtordinierten) löst ihre königliche und priesterliche Würde ein, indem sie vor Gott tritt und zu ihm zu sprechen wagt („audemus dicere“ – „wagen wir zu sprechen“, heißt es in der Einleitung des Vaterunsers in der römischen Messe). Die betende Kirche artikuliert sich in Klage, Bitte, Lob und Dank als den vier Grundformen des Gebetes, wobei – in Anlehnung an Wilfried Härle131 – Klage und Lob eher expressive, Bitte und Dank eher kommunikative Formen des Betens sind. Diese vier Gebetsformen lassen sich näher bestimmen und analysieren durch die jeweilige (Nicht-)Übereinstimmung zwischen dem Anliegen der Betenden und der erfahrenen Wirklichkeit. Die vier Grundformen sind dabei eng aufeinander bezogen, was sich daran zeigt, dass die Klage zur Bitte und der Dank zum Lob tendiert.132 Das Spezifikum gottesdienstlichen Betens ist, dass es Beten im anamnetischen Kontext und somit innerhalb einer doppelten Welterfahrung ist.133 Anamnese und Epiklese prägen den Gottesdienst im Ganzen und das Gebet im Besonderen.134 Die Gemeinde steht zwischen der Wirklichkeit Gottes, die im Gottesdienst als der gottgewirkten Heilsanamnese höchstmöglich gegenwärtig wirksam ist, und der Wirklichkeit der noch unerlösten Welt. Die gottesdienstliche Wirklichkeit ist wesentlich durch die Heilsgegenwart des dreieinen Gottes bestimmt, auf die sich die liturgische Versammlung im Gebet ausrichtet. Klage, Bitte, Lob und Dank beziehen sich daher primär auf die erfahrene oder zu erfahrende Übereinstimmung der Anliegen der Beter mit der Heilswirklichkeit Gottes. Die Gemeinde erinnert Gott im Modus der Bitte und der Klage angesichts der noch unvollendeten Welt an seine Verheißung und bittet um das Kommen seines Reiches. Zum Gebet gehören auch wesentlich die Anaklese, die Anrufung des Namens Gottes, sowie die Anamnese, hier verstanden als die dankende Prädikation des göttlichen Handelns. Die Anrufung des göttlichen Namens setzt das BekanntSein Gottes voraus. Gott hat sich zuvor offenbart als der, der er ist und sein wird und hat damit die Beziehung zwischen sich und den Betenden in Kraft gesetzt. Die betende Kirche beginnt ihre Beziehung zu Gott nicht erst im Akt des Gebetes; sie aktualisiert und realisiert den bereits bestehenden Bund durch das Gebet. „Das Anreden Gottes ist also nicht spätantiker Rest, sondern Ausdruck der geglaub-

131

Vgl. Härle, Den Mantel weit ausbreiten, 232 f. Vgl. Härle, Den Mantel weit ausbreiten, 233 f. Die innere Bewegung von der Klage über Bitte und Dank zum Lob lässt sich beispielhaft an den Klagepsalmen ablesen, etwa Psalm 22. 133 Vgl. Meßner, Einführung, 192. 134 Vgl. dazu auch Wenz, Andacht und Zuversicht, 470–473. 132

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ten Beziehung des Ortes der eigenen Existenz zum anamnetisch bestimmten Gott des Alten und Neuen Testaments.“ (Peter C. Bloth)135 Richard Schaeffler hat in seinen sprachphilosophischen Überlegungen zum Gebet den Zusammenhang von Namensnennung und Identitätsfindung herausgearbeitet. In der acclamatio nominis Dei begegnet der Anrufende jenem Gott, dem er schön früher begegnet ist. „Bei dem, der so begegnet, ist deswegen auch die Vergangenheit des Anrufenden nicht ganz verloren; und indem der Anrufende versucht, den, den er begrüßt, an die gemeinsam erlebte Vergangenheit zu erinnern, erprobt er, ob er dem Gedenken des Gegrüßten seine eigene teils vergessene, teils verdrängte, teils verfälschte, weitgehend einfach verlorene Vergangenheit anvertrauen kann.“136 In der Begegnung, in die der Betende durch die Namensanrufung eintritt, gewinnen die Taten Gottes „blitzartig“137 neue Gegenwart – und damit, sekundär, auch die Vergangenheit des Beters. Dies expliziert sich innerhalb des Gebetes dann in der Anamnese, bzw. – in Schaefflers Worten – in der Erzählung.

5.3 Das gottesdienstliche Gebet als Beten der Ortsgemeinde mit der weltweiten Kirche Wenn die örtliche Gottesdienstgemeinde betet, betet sie weder erstmalig noch allein für sich. Sie realisiert ihre Zugehörigkeit zur betenden Kirche aller Zeiten und Orte, mit der sie in der Anrede des einen Gottes und im Hineingenommen-Sein in die eine Geschichte Gottes verbunden ist. In der Anrede Gottes gewinnt auch die Kirche ihre diachrone Identität als die von Gott durch die Zeiten hindurch Gerufene und Angeredete. Insbesondere das Dankgebet und die anamnetischen Anteile der Gebete, die auf die Ereignisse der Gottesgeschichte blicken bzw. diese betend vergegenwärtigen, zeigen, dass das Gebet immer eine Beziehung voraussetzt, sodass im Gebet in besonderer Weise der diachrone Charakter der Kirche aufscheint. Vergleichbar dem Singen besteht auch das gottesdienstliche Beten der versammelten Getauften wesentlich im Einstimmen. Die Beter beten somit als ein Subjekt, nämlich als die eine congregatio sanctorum. Ausgehend vom Vaterunser hat Karl Barth betont, dass das Beten immer in Gemeinschaft geschieht. „Wer betet? ‚Wir‘, von denen Ich einer bin, oder: Ich als Einer in der Gemeinschaft, in der Einheit der ‚Wir‘!“.138 Das Beten der Kirche ist immer das Beten der „Wir“ und ist verbunden mit all denen, die auch zu dem dreieinen Gott als die „Wir“ sprechen. Auch das persönliche Beten „in secret“ ist, wie Gordon 135 136 137 138

Bloth, Aspekte, 65. Schaeffler, Gebet, 216 f. Schaeffler, Gebet, 218. Barth, KD III/4, 112.

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Lathrop anhand des Vaterunsers betont, ein Beten mit „essentially communal context“: „The God encountered here is the God of the community.“139 Somit hat jedes christliche Gebet prinzipiell immer schon einen kirchlichen und somit auch einen ökumenischen Horizont.140 Darüber hinaus betet die Kirche in vielen Gebeten so, dass die Empfänger der erbetenen Gaben sowohl die örtlich versammelte Gemeinde als auch alle anderen Betenden oder Gebetsgemeinschaften sind.141 Beispielhaft kommt dies zum Ausdruck in den Orationen des Messbuches und des Evangelischen Gottesdienstbuches zur Osternacht, die beide auf demselben Vorbild aus dem Sakramentarium Gelasianum basieren. So heißt es in der römisch-katholischen Version: „Gott, du hast diese Nacht hell gemacht durch den Glanz der Auferstehung unseres Herrn. Erwecke in deiner Kirche den Geist der Kindschaft, den du uns durch die Taufe geschenkt hast“.142 Im Evangelischen Gottesdienstbuch heißt es: „Schöpfer des Lebens, du lässt diese heilige Nacht erstrahlen im Licht der Auferstehung unseres Herrn: Erwecke alle Getauften zu neuem Leben und bewahre sie in deinem Geist“.143

139 Lathrop, Holy People, 24. Lathrop vertieft diesen Gedanken an der Vergebungsbitte des Vaterunsers: „Furthermore, mutual forgiveness within the community is the constant context of prayer (Matth. 6: 14; cf. Mark 11: 25). When one prays in secret, that ‚room‘ becomes crowded with many other people: all the people one is called upon for forgive as well as all the people with whom one shares God’s gift of bread and the hope of God’s rescue.“ (Ebd.) 140 Wird damit nicht dem Beten des Einzelnen seine Berechtigung genommen? Wird der einzelne betende Mensch damit nicht kirchlich vereinnahmt? Ja und nein. Wie Gunther Wenz zeigt, entspricht es doch dem Selbstverständnis des Beters, dass er sich im Gebet auf eine überindividuelle Wahrheit bezieht. „Dies impliziert schließlich auch, dass er (sc. der Beter; F.I.) die Beziehung, in die er betend eintritt, nicht als ein bloßes Privatverhältnis wird ausgeben können. Will er die Universalität seines Gottes nicht vorweg leugnen, wird er sich nicht aus der ihrem Wesen nach öffentlichen, d. h. jedem Menschen zugänglichen Gemeinschaft der Kirche zurückziehen dürfen, durch deren Überlieferung er allererst um den Grund seines Betens weiß und auf deren Vermittlungsleistung er stets angewiesen bleibt.“ (Wenz, Andacht und Zuversicht, 478). 141 Mit Blick auf das Subjekt der römischen Kollektengebete bemerkt J.A. Jungmann: „(E)s ist die Kirche, die betet: Ecclesia tua, populus tuus, familia tua, famuli tui, fideles tui – so bezeichnet die Oration den Träger des Gebetswortes und den Empfänger der göttlichen Gaben“ (Jungmann, Missarum Solemnia I, 491). Die ekklesialen Selbstbezeichnungen der römischen Kollekten sind, wie bei Jungmann ersichtlich, z. T. indirekt formuliert. Wenn nicht „wir“ für „uns“ beten, sondern für „deine Kirche“, so kommt darin gut zum Ausdruck, dass die Kirche zwar auch und wesentlich, aber nicht nur die örtliche Gebetsgemeinde umfasst. 142 Zitiert nach Gerhards/Kranemann, Einführung, 173. 143 EGb 317.

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In beiden Textvarianten wird deutlich, dass die örtliche Gottesdienstgemeinde in universalkirchlicher Gemeinschaft betet. Man wird der römischen Textvariante nicht unterstellen dürfen, dass mit „deiner Kirche“ notwendig die nicht römisch-katholischen Christen entsprechend der römisch-lehramtlichen Redeweise ausgeschlossen sein sollen; ekklesiologisch klarer ist hier jedoch die evangelische Variante, die unmissverständlich ökumenisch für „alle Getauften“ bittet. Die drei Tagesgebete des Evangelischen Gottesdienstbuches zum Gedenktag der Heiligen (1. November) sind weitere eindrückliche Beispiele dafür, dass die örtliche Gebetsgemeinschaft in einem universalkirchlichen Zusammenhang steht: „Heiliger ewiger Gott, durch die Taufe hast du uns eingefügt in den vielstimmigen Chor deiner Heiligen, die dich rühmen im Himmel und auf der Erde. Ihre Gemeinschaft stärke uns in den Wirren der Welt und wecke in uns die Freude auf den Tag, an dem wir zusammen mit allen Erlösten dich preisen ohne Ende. Dir sei Ehre in Ewigkeit.“144 Die Gemeinschaft der in der Taufe Geheiligten stärkt sich also wechselseitig und weckt die Freude auf den eschatologischen Tag des ewigen Lobpreises der Erlösten. Im zweiten Tagesgebet des Gottesdienstbuches heißt es: „Ewiger, treuer Gott, du rufst uns in die Gemeinschaft der Heiligen, die zu allen Zeiten und an allen Orten deinen Namen verherrliche: Wir danken dir, dass wir in einer langen Kette von Glaubenden stehen.“145 Und im dritten Tagesgebet wird gebetet: „Heiliger Gott, du vereinst uns mit allen, die an dich glauben und mit unseren Müttern und Vätern im Glauben, die uns vorausgegangen sind.“146 Deutlicher lässt sich die katholische und ökumenische Dimension des gottesdienstlichen Betens als Stiftung und Vergewisserung der kirchlichen Identität der betenden Gottesdienstgemeinschaft kaum ausdrücken. Sie ist aber implizit auch in allen anderen gottesdienstlichen Gebeten der Agenden enthalten, sofern 144 145 146

EGb 439. EGb 439. EGb 439.

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zum Gebet wesentlich die Anrede und die anamnetische Prädikation des Gegenübers (also Gott) gehört, der der Gott der ganzen Christenheit ist. Peter C. Bloth zeigt, dass dieser Grundzug des gottesdienstlichen Betens, der auf das biblische Beten zurückgeht und eine ununterbrochene liturgiegeschichtliche Tradition hat, auch in den neueren (sozusagen nebenagendarischen) Gebeten zu finden ist.147 Bloth spricht gerade mit Blick auf neuere Gebete von einer doppelten Anamnese, da sich der Beter nicht nur Gottes vergewissert, sondern auch seinen eigenen Ort vor Gott und der Welt expliziert.148 Dabei ist mit Bloth zu bemerken, dass die Ortsbestimmung des Beters und der betenden Kirche in den neueren Gebeten immer umfangreicher und detaillierter wird, während die Gottesprädikationen eher schrumpfen und blasser werden.149 Damit zeigen auch die im Geist der 1960er Jahre verfassten Gebetstexte, die Bloth untersucht, wie sich darin ekklesiale Identität zu konstituieren versucht, wenngleich das darin implizierte Kirchenverständnis erst ökumenisch-katholisch aufgebrochen werden muss, um nicht ausschließlich in der Artikulation der eigenen Befindlichkeit der betenden Gemeinschaft zu verharren, sondern sich betend in die ecclesia una sancta orans zu stellen.

5.4 Das Fürbittgebet – Ort ökumenischer Verbundenheit, Solidarität und Verantwortung Unter den vielfältigen Gebeten des Gottesdienstes sei hier noch das Fürbittgebet genannt. Es trägt traditionell auch den Namen „Allgemeines Kirchengebet“, der auf Augustins Begriff communis oratio zurückgeht.150 Im Allgemeinen Kirchengebet bringt die Gemeinde die „‚allgemeinen‘, d. h. alle Gläubigen auf Grund ihrer communio am Leib Christi betreffenden Anliegen der Kirche vor Gott“.151 Nach Otto Dietz umfasst das Allgemeine Kirchengebet drei Fürbitte-Gruppen: die Fürbitte für die Kirche und ihre Diener, für die Reiche der Welt und ihre Obrigkeit und als dritte die Fürbitte für die Notleidenden und Notstände aller Art.152 An den Fürbitten zeigt sich die lokale und universale Verbundenheit, Solidarität und Verantwortung der betenden Kirche. In der Fürbitte artikuliert die Kirche explizit ihre Ökumenizität, ihre Verbundenheit mit den Christen und allen Menschen der bewohnten Erde, nicht nur mit den Christen oder den Ange-

147

Vgl. Bloth, Aspekte, v. a. 58–65. Vgl. Bloth, Art. Gebet, 99; vgl. auch ders., Aspekte, 53–55. 149 Vgl. Bloth, Aspekte, 54 f. Bloths Beobachtung lässt sich auch guten am Vergleich alter und neuer Gebete des Evangelischen Gottesdienstbuches bestätigen. 150 Vgl. Dietz, Kirchengebet, 420. 151 Dietz, Kirchengebet, 420. 152 Vgl. Dietz, Kirchengebet, 421. 148

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hörigen der eigenen kirchlichen Tradition. Das Fürbittgebet ist – wie Schmemann mit Blick auf die Große Fürbittlitanei der orthodoxen Liturgie bemerkt – „die Kirche als Gebet, genau als den ‚gemeinsamen Auftrag‘ in seinem ganzen kosmischen und universalen Umfang“.153 Das Beten für andere, die nicht in der Liturgiefeier anwesend sind, gehört wesentlich zur Liturgie als Primärgestalt der Kirche dazu, da der Gottesdienst zwar immer in Raum und Zeit existiert, die Grenzen von Raum und Zeit immer zu transzendieren beansprucht, nicht nur in vertikaler (zu Gott hin), sondern auch in horizontaler Hinsicht (zu den anderen Gemeinden und zu den jetzt abwesenden Menschen). Der im Gottesdienst gegenwärtige dreieine Gott ist immer auch der Gott der anderen. Darauf weist Don E. Saliers in seinen Überlegungen zur „Primary Theology of Interceeding“ hin: „A basic theological truth resides in the bodily, ritual practice of interceeding. Without prayers for others, our worship cannot possibly discern the fullness of how God is to be remembered. Whatever we say about the ‘presence’ of God in the liturgy of word and sacrament cannot be dissociated from the neighbour in need and the social disfigurements of our age.“154 Die Fürbitte gehört, so Saliers, zur „truthfullness“ des Gebetes: „Remembering others before God is part of remembering God.” Zugleich sind die Fürbitten auch der liturgische Ort, an dem die diakonische und politische Dimension der Kirche präsent wird. Denn im Fürbittgebet kommen die Not leidenden Menschen in den Blick, auf deren Seite sich Gott in Christus in besonderer Weise stellt (vgl. Mt 25,31–46) und die Adressaten der Solidarität der Gemeinde sind. Diese Solidarität findet ihren Ausdruck in der Fürbitte, aber auch in der konkreten Hilfeleistung (etwa in Kollekten, Spenden oder anderen konkreten Zuwendungen). Fürbitte und Handeln dürfen sich dabei weder ersetzen noch ausschließen.155 Dass die Kirche in weltlichen Belangen und Anliegen betet, zeigt, dass sie in der Welt und für die Welt, wie sie ist, lebt und diese als ihren Lebensraum wahrnimmt und um ihre Verantwortung für diesen Lebensraum und dessen Gestaltung weiß. Im Fürbittgebet wird die synchrone Dimension der Kirche in besonderer Weise deutlich. Wo Menschen miteinander und füreinander beten, besteht, entsteht und wächst die ökumenische Verbundenheit und Einheit der Kirche.156 Das Vaterunser hat gewiss als paradigmatisches christliches Gebet zu gelten, das in allen Konfessionen eine exklusive Vorrangstellung unter allen Texten und Formen genießt und insofern das ökumenische, in allen Kirchen des Erdkreises verbreitete Gebet par excellence ist. Dies kann von keinem anderen liturgischen Element in derselben Weise gesagt werden. Jochen Arnold begründet das Vater153 154 155 156

Schmemann, Eucharistie, 119. Saliers, Worship as Theology, 131 f. Vgl. auch Wainwright, Doxology, 429. Vgl. auch Wiggermann, Fürbitte, 84–86.

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unser als Quelle theologischer Lehre und bestätigt damit das cyprianische Verständnis des Vaterunsers als breviarium totius Evangelii.157 Die Bitten drücken die Weltverbundenheit (das tägliche Brot nach Luther als pars pro toto für den Brotkorb), die Möglichkeit und Tatsächlichkeit des Schuldig-Werdens und der Versuchung nicht nur des Einzelnen, sondern der „Wir“, der versammelten Beter aus. Die Bereitschaft zur Vergebung den Schuldigern gegenüber hat – gerade unter den Bedingungen der Kirchenspaltung – eine eminente ekklesiologische Brisanz: Zu der im Vaterunser erkannten und bekannten Schuld gehören auch, die Kirchenspaltungen sowie die bleibende Getrenntheit der Konfessionskirchen.

5.5 Liturgische Bündelung: „Lass Frieden sein überall auf der Erde“ „Barmherziger Gott und Vater, du hast bei der Geburt deines Sohnes allen Menschen deinen Frieden verkündigen lassen. Darum preisen wir dich in dieser heiligen Nacht und bitten dich: Lass Frieden sein überall auf der Erde. Lass uns einstimmen in den Lobgesang der Engel im Himmel und mit deiner ganzen Kirche dich anbeten, rühmen und preisen. Durch ihn, Jesus Christus, unseren Herrn, der unser Bruder geworden ist.“158 (Kollektengebet der Christnacht)

6. Die Kirche als Gemeinschaft gegenüber und unter ihrem Herrn: Das Abendmahl Die folgenden Überlegungen wollen zum einen die Spezifik des Abendmahls gegenüber den anderen liturgischen Vollzügen herausarbeiten und zugleich plausibilisieren, warum das Abendmahl und seine Liturgie der ekklesiologisch und ökumenisch heikelste Punkt des Gottesdienstes ist.

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Vgl. Arnold, Theologie, 422–433, hier 431. EGb 255 (Der Gebetstext stammt von O. Dietz).

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6.1 Die Spezifik des Abendmahls: Brot und Wein als spezifisch nichtpersonale Medien der Gegenwart Christi innerhalb der plurimedialen Liturgie Das Mahl des Herrn ist höchster Inbegriff dessen, was Kirche ist. Dies hat biblische Gründe (vgl. exemplarisch 1Kor 10,16 f) und wird von der Überlieferung der Gesamtkirche in Praxis, Lehre und Bekenntnis bestätigt. Die Besonderheit des Abendmahles liegt darin, dass als Medien der Kommunion mit Jesus Christus Brot und Wein fungieren. Die folgenden Überlegungen gehen gemäß evangelisch-lutherischer Lehre von der Realpräsenz des wahren Leibes und Blutes Christi in, mit und unter Brot und Wein aus.159 Konfessionsübergreifend kann gesagt werden, dass die Gegenwart Christi im Abendmahl mit Brot und Wein zu tun hat und dass der Sinn des Mahles auf den Verzehr dieser Gaben durch die versammelte Gemeinde ausgerichtet ist. Sosehr die Abendmahlsgaben (ausschließlich) auf den Verzehr durch die Gemeinde hingeordnet sind, sowenig darf die Eigenart der Medien Brot und Wein verkannt werden. Gleichzeitig darf der Gottesdienst nicht so missverstanden werden, dass die Gegenwart Jesu Christi nur in Brot und Wein zu suchen und zu finden wäre. Im Beten, Singen und Hören wird ja auch die Gegenwart des dreieinen Gottes vorausgesetzt und bekannt. Die Gegenwart des dreieinen Gottes im Gottesdienst wird plurimedial vermittelt und erfahrbar, und das trifft auch und besonders auf die Abendmahlsliturgie in der Vielfalt ihrer Vollzüge zu. Unter allen liturgischen Vollzügen sind Brot und Wein die einzigen liturgischen Medien, die nichtpersonal verfasst sind. Diese nichtpersonalen Medien der Gegenwart Christi bilden das organisierende Zentrum des gesamten Abendmahlsvollzuges wenn nicht gar des ganzen Gottesdienstes. Diese für sich genommen nichtpersonalen Medien können allerdings ihren Sinn ausschließlich innerhalb personaler Vollzüge kommunizieren (verdichtet etwa im Spendewort „Christi Leib für dich gegeben“ o.ä.). Der liturgische Vollzug selbst zeigt, dass die Gesamtheit der personalen Vollzüge der Abendmahlsliturgie (beten, singen, loben, zum Ort des Mahlempfangs hintreten, Gesten der Ehrerbietung, nehmen, empfangen, essen, trinken) auf Brot und Wein bezogen sind, die der Leib und das Blut Christi sind und als solche ausgeteilt werden und zu essen und zu trinken geboten und bestimmt sind. Dass die gnädige Gegenwart Jesu Christi „für uns“ darauf abzielt, auch tatsächlich uns zu begegnen, von uns empfangen zu werden, mit uns tatsächliche Kommunion zu haben, zeigt sich daran, dass die eucharistischen Gaben nicht bloß vorhanden, sondern zum Verzehr bestimmt sind. Unter den (liturgischen) Aktionsmöglichkeiten des Menschen und der Kirche sind das Essen und Trin-

159

Vgl. umfassend dazu: Wenz, Für uns gegeben.

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ken diejenigen gottesdienstlichen Vollzüge, die am klarsten und irreversibel realisieren, was auch in den anderen gottesdienstlichen Vollzügen geschieht, aber in dieser Dichte160 nirgends die Letztgültigkeit, Einmaligkeit und Irreversibilität des Kommunionempfangs einholt, nämlich die wechselseitige Inkorporation von Christus und seinen Gläubigen, welche seinen Leib zu empfangen und sein Leib zu sein bestimmt sind. Das Schrift- und Predigtwort kann Menschen wie ein Blitz treffen – oder auch überhört werden. Das Wort ist wirkkräftig – und verklingt doch wieder. Andere nichtpersonale Zeichen der Liturgie wie das Lektionar, der Altar oder das Kreuz werden im Gottesdienst verschiedentlich geehrt und mit hohem Respekt behandelt, weil sie je auf ihre Weise die Gegenwart Christi versinnbildlichen – Medium im strengen Sinn sind sie nicht, und gegessen und getrunken werden sie auch nicht.161 Dass die nichtpersonalen Elemente Brot und Wein inmitten anderer personaler Vollzüge zu Medien der Gegenwart Christi werden, die auf Verzehr, also auf vollständige und (zumindest innerhalb der liturgischen Feier) irreversible Inkorporation zielen, macht das Spezifikum des Abendmahls gegenüber allen anderen liturgischen Vollzügen aus. In keinem liturgischen Vollzug geschieht eine solche Einverleibung der Gläubigen in Christus, indem sich Christus den Gläubigen einverleibt. Von daher ist es plausibel, dass gerade das Abendmahl der Inbegriff und das Herzstück der Kirche ist. Im Empfang von Leib und Blut Christi ist die Gemeinde Leib Christi, ist sie Kirche in dichtest wahrnehmbarer Weise. Das Verhältnis von Christus und seiner Kirche ist im Abendmahlsvollzug paradigmatisch und einzigartig dargestellt und präsent: einerseits in den personalen liturgischen Vollzügen, die das Ineinander-Sein Christi und seiner Kirche darin 160 Mit der Betonung der „Dichte“ des Abendmahlsgeschehens schließe ich mich Ulrich Kühn an. Der Gedanke der „Dichte“ beinhaltet, dass dem Abendmahl gegenüber den anderen liturgischen Vollzügen ein Spezifikum und ein gewisses Mehr zukommt, ein Gedanke, der von evangelischer Seite meist pauschal mit dem Hinweis auf die Gleichwertigkeit von Wortverkündigung und Abendmahl oder gar mit der Mehrwertigkeit des Wortes abgelehnt wird und von traditionell katholischer Seite begrüßt wird, insofern in der Eucharistie das Eigentliche der Liturgie liegt. Wichtig ist hier, wie Kühn das „Mehr“ des Sakraments begründet, womit er sowohl der evangelischen Nivellierung der Besonderheit des Sakraments als auch der katholischen Nivellierung der sakramentalen Wirklichkeit der Wortverkündigung widerspricht: Nach Kühn ist es „der soteriologische und ekklesiologische Verbindlichkeitsgrad für den Einzelnen und die Gemeinde, der das ‚Mehr‘ des Sakraments gegenüber dem verkündigten Wort ausmacht. Dieses ‚Mehr‘ ist also nicht ein ‚Mehr‘ der Gnade als solcher, sondern, wenn man so will, ein anthropologisch-pneumatologisches ‚Mehr‘.“ (Kühn, Wortgottesdienst, 342) Der ekklesiale Verbindlichkeits- und Bekenntnischarakter des Abendmahls ist jedoch um den oben genannten Aspekt zu ergänzen, nämlich den des spezifischen Mediums. 161 Verschiedentlich werden in bestimmten Frömmigkeitsrichtungen auch – absurderweise – Amtsträger in oder nach einem Gottesdienst verehrt, z. B. durch Berühren, Küssen der Hand oder des Ringes, Verneigung, Applaus oder ähnliches. Selbst wenn man meint, solche Formen der Verehrung noch dadurch legitimiert zu sehen, dass der Amtsträger „in persona Christi“ handelt, geschieht hier keine „Einverleibung“ des Amtsträgers. Der Amtsträger bleibt dem Gläubigen letztlich immer extern.

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spiegeln, dass die Gegenwart Christi an personale Vollzüge gebunden ist; andererseits im Gegenüber der feiernden Personen zu den nichtpersonalen Medien Brot und Wein, in denen sich das bleibende Gegenüber-Sein Christi zu seiner Kirche abbildet. Indem im Abendmahl die personal verfasste Gemeinde nichtpersonal verfassten Medien der Gegenwart Christi gegenüber steht, sind das Abendmahl und seine Liturgie die exemplarische Probe dafür, ob die feiernde Gemeinde Kirche im eigentlichen Sinn ist, nämlich ob sie ihr Leib-Christi-Sein in der Letztkonkretion des Abendmahls ausschließlich empfängt oder ob sie der Versuchung erliegt, über diese spezifische Gegenwartsgestalt Christi zu verfügen. Anders gesagt: Im rechten (liturgischen) Verhältnis der Eucharistie feiernden Kirche zu Brot und Wein als Realmedien der Gegenwart Christi bewahrheitet sich, dass die Gegenwart Christi letztlich ausschließlich geistgewirkte und geistgeschenkte Selbstvergegenwärtigung in, mit und unter dem Feiervollzug ist, dergegenüber sich die Kirche ausschließlich in dankender Empfangshaltung verhalten kann. Dass Christus seiner Gemeinde extra nos gegenüber steht, dass die Gegenwart Christi nicht mit der personal verfassten Kirche identisch ist, dass er als der Auferstandene frei und souverän als der Andere und Ungekannte (vgl. Lk 24,13– 35) der Gemeinde gegenüber steht, erfährt im Abendmahl die höchstmögliche liturgische Konkretion. Wenn das Abendmahl aufgrund seiner besonderen eigentümlichen Plurimedialität die dichteste Weise der Kommunion Christi mit seiner Gemeinde ist, dann ist die Kommunion, in und durch Christus vermittelt, zugleich die dichteste und sinnenfälligste Kommunion mit der einen Kirche aller Zeiten und Orte (und Konfessionen), die an demselben Christus in derselben dichten eucharistischen Medialität Anteil haben. Impliziert nicht diese herausragende Bedeutung von Brot und Wein einen Dinglichkeitsfetischismus? Impliziert dies nicht auch eine theologische und ekklesiologische Abwertung der anderen liturgischen Vollzüge? Die eucharistische Kommunion wird nur dann einseitig dinglich missverstanden, wenn Brot und Wein aus der Dynamik des Feiervollzuges herausgenommen werden (wie z. B. im Tabernakel oder in den Formen der eucharistischen Frömmigkeit, der Fronleichnamsprozession, der Anbetung der Hostie oder Segnung mit der Monstranz). Die Realpräsenz Christi in Brot und Wein ist, wie gesagt, überhaupt nur im Kontext der personalen worthaften liturgischen Vollzüge erkennbar und sinnvoll. Sie ist, um in ihrem Wesen wahrgenommen und als heilsame Gabe empfangen zu werden, konstitutiv auf die anderen liturgischen, insbesondere auf die worthaften Vollzüge angewiesen, in denen sich derselbe Christus so erschließt, dass seine Realpräsenz in Brot und Wein erkannt werden kann. Die im Tabernakel aufbewahrte Hostie kündet von sich aus ohne das Stiftungs-, Spende- und Gebetswort gerade nicht, was sie nach römisch-katholischem Transsubstantiationsverständnis zu sein beansprucht.

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Die Besonderheit, dass sich Christus greifbarer, ess- und trinkbarer, einverleibbarer Medien bedient, macht das Abendmahl zu einem ekklesiologisch hochgradigst heiklen und sensiblen Punkt. Denn nirgends sonst ist die Gefahr größer, dass die Kirche sich der Gegenwart Christi ermächtigt und über diese verfügt. Anders gesagt: Es muss genau und präzise differenziert werden, wer sich im Abendmahl wen wie einverleibt. Hieran zeigt sich die Notwendigkeit, theologisch präzise und verbindlich zu reden und zu beten. Unter der Bedingung, dass im Abendmahl, als der aufgrund der besonderen Präsenz Christi letztverbindlichen liturgischen Handlung einer Kirche auch sakramententheologisch verbindlich geredet (besser: gebetet) wird bzw. werden muss, wird man auch die Abendmahlsliturgie, insbesondere die Eucharistiegebete als Summen der Ekklesiologie ansehen dürfen und im interkonfessionellen Dialog als Referenzpunkt eines angemessenen Kirchenverständnisses zu Rate ziehen dürfen. Hierzu sind philologisch orientierte Einzelanalysen der Eucharistiegebete nötig, die in dieser Arbeit nur grob und nicht in der nötigen Detailanalyse erfolgen können. Dazu sei auf die Arbeit von Jörg Neijenhuis zum Eucharistiegebet verwiesen.162 Die zentralen Fragen für eine ekklesiologische Analyse der Eucharistiegebete seien jedoch hier formuliert: (a) Wie bezeichnet das Eucharistiegebet die Gaben Brot und Wein zu welchem Zeitpunkt? (b) Mit welchen Verben bezeichnet die feiernde Gemeinschaft ihr eigenes Tun und mit welchen Verben bezeichnet sie ihr Verhältnis zu den Gaben? (c) Welche Funktion haben die verba testamenti und welches Amtsverständnis kommt dadurch zum Ausdruck? (d) Wie formuliert die eucharistische Epiklese die Rolle der Kirche?

6.2 Das Eucharistiegebet als Empfangshandlung und -haltung der Kirche Das Abendmahl verlangt nach einer liturgischen Gestalt, die die ekklesiologische Brisanz des Abendmahls bewältigt. Die klassische und am meisten verbreitete liturgische Gestalt ist das Eucharistiegebet.163 Seine Grundstruktur geht auf die Zeit des Neuen Testamentes und auf die Grundhandlungsvollzüge der Einsetzungsberichte zurück. Die Einsetzungsworte sind der Ursprung des Abendmahls und in Anlehnung an Martin Luther die Summe des Evangeliums.164 Daher müssen sie auch das

162 Neijenhuis, Das Eucharistiegebet – Struktur und Opferverständnis. Untersucht am Projekt der Erneuerten Agende, AprTh 15, Leipzig 1999. 163 Vgl. dazu Schmidt-Lauber, Eucharistie; Neijenhuis, Eucharistiegebet. 164 Hans-Christoph Schmidt-Lauber bezeichnet das Eucharistiegebet des Evangelischen Gottesdienstbuchs m.E. mit Recht als „Kompendium der heutigen Gottesdiensttheologie“ (Eucharistie,

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konstituierende und ausstrahlende Zentrum, also Kern und Stern165 des evangelisch verstandenen und formulierten Eucharistiegebetes sein. Dieses ist Entfaltung der verba testamenti (Hans-Christoph Schmidt-Lauber),166 jene wiederum sind die summa evangelii, die zugleich die Identität der Abendmahlsfeier zum Ursprung des Herrenmahles herausstellen und Jesus als Geber und Gabe des Mahles proklamieren. Der innerprotestantische Streit um die angebliche „Eucharistisierung“ des Abendmahls, der durch die Tübinger Antrittsvorlesung von Dorothea Wendebourg anlässlich der evangelischen Agendenreform ausgelöst wurde,167 zeigt, dass das Verhältnis der Einsetzungsworte zum Eucharistiegebet einer theologisch begründeten Verhältnisbestimmung bedarf.168 Die theologischen Kernfragen dabei lauten: (a)Wie verhält sich beim Abendmahl das Handeln Christi zum Handeln der Kirche? (b)Welche liturgische Gestalt entspricht diesem Verhältnis am besten? Das Anliegen, das Abendmahl radikal als Gabe Christi zur Geltung zu bringen, entspricht einem unhintergehbaren abendmahlstheologischen Grundsatz der Reformatoren. Daher ist die erste Frage (a) aus evangelischer Sicht relativ schnell und einmütig zu beantworten: Das wesentliche „Handeln“ der Kirche im Abendmahl liegt im reinen dankbaren Empfangen „sola gratia, sola fide“. Deutlich schwieriger ist die Frage nach der entsprechenden liturgischen Gestalt. Diese Frage (b) muss noch weiter präzisiert werden: Ist es überhaupt möglich, und wenn ja: Wie ist das Handeln Christi gegenüber der Kirche, die trennende Unterscheidung von katabatischer und anabatischer Dimension des Abendmahls liturgisch angemessen darzustellen? Die Eucharistiegebete werden auf protestantischer Seite gerne mit dem Argument kritisiert, dass sie das Handeln Christi, das in der Rezitation der verba testamenti erblickt wird, durch das betende Handeln der Kirche verdunkeln. Die Absicht, das allem menschlichen

243). Frieder Schulz spricht von einer „Summe des christlichen Glaubens“ (Schulz, Eucharistiegebet, 215). 165 Vgl. Arnold, Theologie, 541. 166 Vgl. Schmidt-Lauber, Die Eucharistie als Entfaltung der Verba testamenti. 167 Vgl. Wendebourg, Den falschen Weg; zur Diskussion insgesamt vgl. Raschzok, Streit. 168 Hier sind aus liturgischer Sicht die Überlegungen von Michael Meyer-Blanck hilfreich, der sich zum Verhältnis von Soteriologie und Liturgie angesichts der innerprotestantischen Diskussionen zum Eucharistiegebet folgendermaßen geäußert hat: „Es kommt darauf an, die Einsicht in den soteriologischen Vorrang des Christushandelns in Wort und Sakrament nicht kurzzuschließen. Den alleinigen Vorrang des lebendigen und rettenden Christuswortes erfährt die Gemeinde nicht darin, dass sie liturgisch allein auf die Rolle des Adressaten festgelegt wird, sondern indem sie mit ihrem lieben Herrn selbst in Dialog kommt. Ein Dialog aber kennt keine ‚Adressaten‘, sondern sich miteinander im Gespräch Verbindende. Darum hat sich evangelischer Gottesdienst zu Recht immer wieder als Wort-Antwort-Geschehen von der Torgauer Formel her verstanden.“ (Meyer-Blanck, „dass unser lieber Herr“, 502) Meyer-Blanck macht hier darauf aufmerksam, wie sehr Systematische und Praktische Theologie aufeinander angewiesen sind, um ein liturgisches Phänomen adäquat reflektieren zu können, ohne in einer fachspezifischen Einseitigkeit zu landen.

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Tun zuvorkommende Handeln Christi hervorzuheben, ist in jeder Hinsicht zu begrüßen. Es erscheint jedoch fragwürdig, ob die liturgische Isolierung und dezidierte Absetzung der Einsetzungsworte vom Gebetskontext die einzig angemessene Form ist, das Handeln Christi herauszustellen. Die Annahme, das bloße Aussprechen der Herrenworte ohne jeglichen epikletisch-gebetshaften Kontext würde genügen, worauf Dorothea Wendebourg der Sache nach abzielt, impliziert einen unevangelischen konsekratorischen Automatismus. Die immer wieder bemühte Schein-Entgegensetzung „Mahl der Kirche oder Mahl des Herrn“ lässt außer acht, dass das Mahl des Herrn immer auch Mahl der Kirche ist.169 Denn mag zwar die soteriologische Rolle der Kirche zurecht in völliger Passivität bestehen, so muss im Blick auf die liturgische Feier festgestellt werden, dass hier Menschen in einem geordneten Ritengefüge Handlungen vollziehen, ja vollziehen müssen, damit das Mahl Christi ist. Daher ist es unverzichtbar, die Rolle der Kirche vor Gott genau zu bestimmen. Genau dies geschieht im Eucharistiegebet. Wenn die Kirche sich gegenüber Christus grundsätzlich und insbesondere im Abendmahl nur empfangend verhalten kann und soll, sodass das Abendmahl wesentlich Empfangshandlung ist, so verdeutlicht eben gerade das Eucharistiegebet, wer das Subjekt des Abendmahles ist. Das evangelisch verstandene und formulierte Eucharistiegebet ist der angemessene Ort, an dem das „sola fide“ der Gemeinde, die kirchliche Selbstbegrenzung gegenüber Christus als alleinigem und eigentlichen Subjekt des Abendmahls zur Sprache kommt. Von daher ist das Eucharistiegebet in ekklesiologischer Hinsicht durchaus als notwendig zu erachten, um nicht der Gefahr eines Subjektwechsels zu verfallen, als ob nun doch der Liturg oder die Gemeinde die Agenten des eigentlichen Abendmahls- oder Konsekrationsgeschehens seien. 6.3 Die Ekklesiologie des an Lima angelehnten Eucharistiegebetes Das an die Lima-Liturgie angelehnte Eucharistiegebet des EGb ist ein gutes Beispiel für eine angemessene Positionierung der Gemeinde gegenüber dem eucharistischen Geschehen. Nach der Präfation, die thematisch von der Schöpfung und über den Sündenfall zu Christus führt, folgt das Sanctus. Anschließend fährt das Gebet folgendermaßen fort: „Heilig bist du, Schöpfer der Welt, dein Ruhm überschreitet alle Grenzen. Wir feiern das Mahl der Danksagung und bitten dich: Sende herab den Geist, der lebendig macht (. . .) gib, dass wir in diesem Mahl Christi Leib und Blut im Glauben empfangen.“ (es folgen ein epikletisches Heiliggeistlied, die Einsetzungsworte und die Gemeindeakklamation) 169

Vgl. dazu beispielhaft Volk, Mahl des Herrn.

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„So danken wir dir, barmherziger Gott, für die Erlösung, die du uns schenkst: Wir denken an die Geburt und das Leben deines Sohnes unter uns, an seine Taufe und das letzte Mahl mit den Seinen, seinen Tod und den Abstieg in das Reich des Todes. Wir verkünden seine Auferstehung und seine Erhöhung zu dir, wo er für uns Menschen eintritt, und wir warten auf seine Wiederkunft in Herrlichkeit.“ (Gemeindeakklamation: Maranatha. Unser Herr kommt.) „Nimm unsern Dank gnädig an für alles, was du uns schenkst. Erfülle uns mit dem Heiligen Geist, wenn wir jetzt dies Mahl feiern, dass wir ein Geist und ein Leib sind in Christus. Lass uns ein lebendiges Opfer sein zum Lob deiner Herrlichkeit. Wir singen dir das Lob in der Gemeinschaft der Heiligen und erwarten das herrliche Kommen deines Reiches, wo wir mit der ganzen Schöpfung, erlöst von Sünde und Tod, dich rühmen und preisen werden ohne Ende.“ (Gemeindeakklamation: Maranatha. Unser Herr kommt) „Durch Christus, mit ihm und in ihm gebührt dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre, jetzt und in Ewigkeit.“ 170 An diesem Eucharistiegebet wird deutlich, worin die Rolle der Gemeinde im Abendmahl besteht und wie das Handeln Gottes dazu in Verhältnis steht. Folgendes sagt die betende Gemeinde über ihr eigenes „Tun“: Sie feiert, bittet, dankt, (ge)denkt, verkündet, wartet, singt, erwartet. Von Gott erbittet sie folgendes: den Geist; dass sie Christi Leib und Blut im Glauben empfängt; dass Gott der Hingabe Christi gedenke; dass allen zugute komme, was Christus für uns vollbracht hat; dass Gott den Dank der Gemeinde für alle seine Taten annehme usw. Vom Handeln Gottes wird zweimal ausgesagt, dass Gott schenkt, dass also die Erlösung in Christus freie Gabe Gottes ist. Was allen zugute kommen möge, muss nicht erst noch erwirkt werden; es ist vielmehr das, „was er für uns vollbracht hat“. Der erhöhte Sohn ist es – und niemand anders –, der „für uns Menschen eintritt“. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus im Abendmahl wird durch die zweifache Epiklese als ausschließlich von Gott selbst in seinem Geist gewirkt verstanden. Selbst das Empfangen ist von Gott kraft seines Geistes gegeben:

170

EGb, 656–658.

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„Gib, dass wir (. . .) empfangen.“ Das Lima-Gebet nimmt sogar den Hingabeund Opfergedanken auf, wobei präzise auf die Formulierung der Bitte zu achten ist. Gott wird gebeten („lass [. . .] sein“), dass die Gemeinde ein lebendiges Opfer wird, nicht zum Selbstzweck oder um Gnade für sich oder andere zu erwirken, sondern „zum Lob deiner Herrlichkeit“. Dass die Gemeinde sich im Abendmahl in besonderer Weise mit der Gemeinschaft der einen Kirche aller Zeiten und Orte verbunden weiß, zeigt das LimaGebet ebenso wie den grundsätzlich anamnetisch-eschatologischen Charakter des Abendmahls. Die Abendmahlsgemeinde ist ganz auf das Reich Jesu Christi und auf den kommenden Herrn ausgerichtet. Das Abendmahl nimmt ansatzweise bereits die eschatologische Vollendung vorweg. Was am Lima-Gebet in besonderer Weise deutlich geworden sein dürfte, betrifft letztlich alle klassisch strukturierten Eucharistiegebete, wie sie das Evangelische Gottesdienstbuch enthält. In Anamnese und Epiklese artikuliert die Gottesdienstgemeinde, was sie angesichts des zuvorkommenden und ebenso gewissen wie unverfügbaren Handelns Christi im Abendmahl tut: Lobpreisendes und bittendes Gedenken, das im Vollzug – ausschließlich kraft des heilserschließenden Wirkens des Heiligen Geistes! – Ort und Gefäß der Gegenwart des Gedachten wird.171 Der Gabecharakter des Abendmahles drückt sich exemplarisch in der Kommunikanten bezogenen Epiklese aus, die die Kirche als Empfängerin des Abendmahls beschreibt und damit die ekklesiologisch notwendige Selbstunterscheidung der Kirche von Christus ausdrückt.172 Von großer dogmatischer Bedeutung ist, was genau die Kirche über ihr Handeln eigentlich aussagt bzw. worum die Kirche Gott bittet. Hierin etwa unterscheiden sich die Eucharistiegebete des Evangelischen Gottesdienstbuches markant von den aktuellen römischen Hochgebeten,173 was sich besonders an den Verben des Wir-Subjekts und dem Inhalt der Bitten zeigt. Während die Eucharistiegebete des EGb durchweg doxologisch-anamnetisch formuliert sind (danken, preisen, feiern, gedenken, bitten), formulieren die aktuellen römischen Hochgebete opfertheologisch mehrdeutige und daher missverständliche Darbringungsaussagen und Annahmebitten (v. a. „darbringen“ und andere opfertheologisch problematische Aussagen). Es wäre unsinnig, die Gattung des Eucharistiegebetes deswegen zu diskreditieren, weil eine Konfessionskirche eine unangemessene Beziehung gegenüber Christi exklusivem Heilshandeln darin laut werden lässt. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil es die kirchliche Selbstbegrenzung artikuliert, lässt sich am Eucharistiegebet ablesen, ob das Verhältnis der feiernden Gemeinde zu ihrem 171

Zur ekklesiologischen Bedeutung der Epiklese vgl. auch H.-J. Schulz, Glaubenseinheit, 42 f. Vgl. Arnold, Theologie, 543–551. 173 Zur Theologie der römischen Hochgebete des Missale Romanum vgl. ausführlich Witt, Repraesentatio, sowie auch Stuflesser, Memoria Passionis. 172

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Herrn als „pure et recte“ (vgl. CA 7) gelten kann. Wo das Eucharistiegebet unterbleibt, unterbleibt die liturgische Selbstrelativierung der Kirche gegenüber ihrem Herrn. Das Eucharistiegebet, insbesondere das zitierte Limagebet, verdeutlicht zudem, dass das Abendmahl Handeln der ganzen versammelten Gemeinde in Gemeinschaft mit der weltweiten, Abendmahl feiernden Communio der Christen ist. Das Eucharistiegebet ist im Wir-Stil formuliert und wird also nicht vom Zelebranten (etwa „in persona Christi“ in einem exklusiven Sinn) solipsistisch, sondern „in nomine ecclesiae“ vollzogen,174 die Gemeinde betet innerlich und gestisch-leiblich (z. B. durch das Stehen) mit, sie stimmt in das Sanctus ein, sie akklamiert an verschiedenen Stellen, betet singend die Epiklese175 und – besonders gewichtig – sie konfirmiert das Gebet des liturgischen Vorstehers als ihr eigenes mit dem „Amen“ am Schluss.176

6.4 Die Abwehr eines fixen Konsekrationsmoments Die Spezifik und ekklesiologische Brisanz des Abendmahls, so wurde herausgearbeitet, ist wesentlich damit begründet, dass Brot und Wein nichtpersonale Medien der Realpräsenz Christi sind. Daran gekoppelt ist die Frage nach dem Konsekrationsmoment, also dem „Zeitpunkt“ innerhalb des liturgischen Vollzugs, ab dem Brot und Wein Leib und Blut Christi sind bzw. werden. Nach dem EGb müssen die Grundaspekte des Eucharistiegebetes – Lobpreis, Anamnese, Epiklese, eschatologischer Ausblick – nicht in einer bestimmten Reihenfolge auftreten. Dies geht bereits aus dem erklärenden Hinweis des EGb hervor, dass diese vier Aspekte „jeweils das gesamte Geschehen der Abendmahlsfeier (betreffen) und das ‚Geheimnis des Glaubens‘ (vgl. 1Tim 5,16) nicht an einem bestimmten Punkt festmachen (wollen)“.177 Obgleich die Einsetzungsworte im Verständnis des EGb „Evangeliumsverkündigung, Proklamation gültiger Gegenwart dessen, was sie besagen“ sind,178 geht es dem EGb darum, die Fi-

174 Vgl. auch Schulz, Eucharistiegebet, 212 f, der daher eine forma dialogata des Eucharistiegebetes vorschlägt. 175 Diese Form der Beteiligung sieht das EGb vor. Das bedeutet, dass die Gemeinde hier am zentralen konsekratorischen Geschehen, das der Heilige Geist vollzieht und welches von der Kirche nur bittend nach- und mitvollzogen werden kann, mitwirkt. Ähnliches gilt übrigens für die Bittlieder um den Heiligen Geist bei Ordinationen und Einführungshandlungen. 176 Selbst die römische präkonsekratorische Wandlungsepiklese ist, wenngleich sie auch nur vom Priester gesprochen werden darf, Bitte der Gemeinde, sodass genau genommen auch aus römischer Sicht die potestas consecrandi allein dem Heiligen Geist zukommt, während der Priester lediglich über eine potestas dicendi verfügt. 177 EGb, 633. 178 EGb, 27.

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xierung auf einen Konsekrationsmoment abzuwehren, die dem nahe käme, was Peter Brunner als „ungeistlichen Mechanismus“ bezeichnet.179 Zur Entwicklung des Konsekrationsverständnisses stellt Hans-Christian Seraphim fest: „Die liturgiegeschichtliche Forschung hat ans Licht gebracht, wie die Idee vom Konsekrationsmoment um die Wende des 12. zum 13. Jahrhundert das Messeverständnis verändert hat. Setzte man in der Frühzeit die Konsekration mit dem Eucharistiegebet gleich, so wird sie jetzt zeitlich genau eingegrenzt.“180 Allerdings ist die Gleichsetzung der Konsekration mit dem Eucharistiegebet im Ganzen nicht minder problematisch als die Gleichsetzung mit dem Vollzug der Einsetzungsworte, da die Gefahr des Mechanismus nicht dadurch beseitigt ist, dass einem anderen umfassenderen liturgischen Element (oder z. B. auch der Epiklese oder dem Amen) der Konsekrationsmoment zugeschrieben wird, worin ja letztlich der Versuch liegt, des Handeln Christi bzw. des Geistes habhaft zu werden. Aus den Eucharistiegebeten des EGb lässt sich jedenfalls kein expliziter Wesenswandel der eucharistischen Gaben nach den verba testamenti gegenüber vorher feststellen, wie das etwa bei den römischen Hochgebeten der Fall ist. Zwar sprechen einige Eucharistiegebete des EGb nach den Stiftungsworten explizit vom Leib und Blut Christi,181 aber eher distanziert und nicht so, dass die auf dem Altar „konsekrierten“ Gaben notwendig damit identifiziert werden. Wenn es im Lima-Gebet heißt „lass alle, die den Leib und das Blut Christi empfangen, eins werden“, dann wird hier gerade nicht das gewandelte Wesen dieser hier befindlichen Gaben angesprochen, sondern der universalkirchlich-ökumenische Horizont des Kommunionempfangs. Im betenden Teil nach der Konsekration zeigt sich vielmehr eine eigentümliche theologische Zurückhaltung in der Bezeichnung der Gaben: Es ist gelegentlich von „diesem Brot – diesem Kelch“,182 „diesem Mahl“183 die Rede. Keines der Eucharistiegebete jedoch lässt eine Wesensveränderung der eucharistischen Gaben nach den Einsetzungsworten innerhalb des Eucharistiegebetes erkennen. Das bestätigt, dass jedes fixe Verständnis eines Konsekrationsmomentes berechtigterweise als unangemessen ausscheidet. Der eigentliche Ort, die Realpräsenz Christi in den Abendmahlsgaben dezidiert auszusagen, ist die Austeilung, die unter Zuspruch der Spendeformeln erfolgt,184 wobei die Formeln, die von „Leib Christi“ und „Blut Christi“ handeln, die Real-, Personal- und Aktualpräsenz Christi klarer aussagen als „Brot des Lebens“ oder „Kelch des Heils“. Ekklesiologisch bedeutet das, dass die Kirche zwar handelt, in gewisser Weise

179 180 181 182 183 184

Brunner, Lehre, 352; vgl auch Nicol, Weg, 97–102. Seraphim, Messopfer, 252. Vgl. EGb 634 (Brunners Gebet); 646 (das Hippolytische Gebet). EGb, 642.644. EGb, 646.658. Vgl. EGb, 670.

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Segnen und Gesegnetwerden

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auch konsekrierende liturgische Akte verrichtet. Dies tut sie auch, jedoch in völliger Unselbständigkeit, denn ihre eigentliche Bestimmung im Abendmahl liegt darin, den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Dem entspricht, dass der Ort der Epiklese, vor und/oder nach den Einsetzungsworten in den evangelischen Eucharistiegebeten variieren kann. Dem entspricht auch, dass die Epiklesen des EGb durchgängig kommunikantenbezogen sind. Eine reine Gabenepiklese, in der das Geistwirken auf die Wandlung der Gaben ohne Bezug auf die Kommunikanten erbeten wird, kennt das EGb nicht. Dass das EGb es konsequent vermeidet, vor der Kommunionausteilung die auf dem Altar befindlichen Gaben Brot und Wein eindeutig als Leib und Blut Christi zu identifizieren, sondern dies erst in der Austeilung der Gaben in den Spendeworten geschieht, zeigt mustergültig, dass die im evangelischen Eucharistiegebet explizierte Haltung der Kirche Christi im reinen Empfangen besteht.

6.5 Liturgische Bündelung: „Lass alle, die den Leib und das Blut Christi empfangen, eins werden in ihm.“ „So gedenken wir vor dir, unser Gott, des Todes und der Auferstehung deines Sohnes. Wir danken dir, dass du uns berufen hast, dir zu dienen. Wir bitten dich: Sende uns deinen Geist und segne uns dieses Mahl. Lass alle, die den Leib und das Blut Christi empfangen, eins werden in ihm und stärke unseren Glauben. Wir loben und preisen dich durch Jesus Christus, deinen geliebten Sohn. Durch ihn sei dir Ehre und Ruhm in deiner heiligen Kirche jetzt und in Ewigkeit.“ 185 (aus dem Eucharistiegebet nach Hippolyt)

7. Die Kirche in ihrer katholischen Fülle: Segnen und Gesegnetwerden Im Folgenden geht es um den gottesdienstlichen Segen, der am Schluss des Gottesdienstes steht.186 Auch die gottesdienstliche Segnung der Gemeinde ist ein ekklesiologisch bedeutsamer liturgischer Akt, der wesentlich ist für das Sein der Kirche Christi als ecclesia catholica und in dem sich auf eigene Weise die spezifischen Grundzüge der Kirche darstellen und verdichten.

185

EGb, 646. Es geht also nicht um die einzelnen „kleineren“ Segnungen innerhalb der Liturgie (z. B. die Salutationen o.ä.) und auch weniger um die spezifische Segnung einzelner Personen innerhalb eines Gemeindegottesdienstes (z. B. bei den Kasualien). 186

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

Nach einer kurzen Reflexion des liturgischen Orts des Segens werde ich über die spezifische Priesterlichkeit des Segens sowie, daran anschließend, über das sich im Segen ausdrückende Verständnis von Amt und Priestertum reflektieren. Abschließend wird der Bezug des Segens zur Katholizität und Ökumenizität (auch im interkonfessionellen Bezug) von Kirche und Gottesdienst herausgearbeitet.

7.1 Der Segen am Übergang der Kirche von ihrem Sein als leiturgia zu ihrer diakonia und martyria Dass der Segen den klaren Abschluss der Liturgie bildet, ist mit Blick auf die Liturgiegeschichte eine wesentlich der Reformation zu verdankene Entwicklung.187 Durch die (Wieder-)Entdeckung des aaronitischen Segens und die Abschaffung anderer Schlussriten (z. B. das Schlussevangelium) hat Martin Luther den Schluss des Gottesdienstes auf den Segen konzentriert.188 Wenn die Liturgie mit dem Segen endet, wird die Gemeinde in die Welt als den Raum außerhalb der Liturgie entlassen mit der Zusage des Mit-Seins Gottes auch in den außerliturgischen Lebens- und Weltbezügen, die eben nicht dieselbe Dichte der Gegenwart Gottes aufweisen wie der Gottesdienst der Kirche. Zwar ist die Kirche ganz, was sie ist, im Gottesdienst. Aber die Kirche ist nicht nur liturgischer Gottesdienst. Sie hat auch außerliturgische Gestalten (nämlich martyria und diakonia) sowie der Gottesdienst im Alltag der Welt. Liturgie und Alltag, allgemeiner und besonderer Gottesdienst bedingen sich wechselseitig und gegenseitig und gehören zu einander, weil sie sich gegenseitig bewahrheiten. Der gottesdienstliche Schlusssegen steht damit am Übergang der Kirche von ihrem Sein als leiturgia zu ihrer diakonia und martyria. „Weil Gott sich im Segen dem Menschen heilvoll und heilsam zuwendet, zum Menschen kommt und bei ihm bleibt, ist der Segen in christlichen Gottesdiensten das Telos des Gottesdienstes in der zweifachen Bedeutung des griechischen Wortes: Er ist Ende und Ziel.“ (Dorothea Greiner)189 Das Spezifische des Segens am Schluss des Gottesdienstes besteht nun allerdings – hier ist Greiner zu präzisieren – darin, dass das Kommen, Mit-Sein und Bleiben Gottes im Blick auf das Auseinandergehen der Gemeinde zugesprochen wird, während die ganze Liturgie bereits unter dem Vorzeichen der heilvollen Zuwendung Gottes steht und inso-

187 Zu den vielfältigen, teils konfusen Schlussriten der römischen Messe vgl. Jungmann, Missarum Solemnia II, 529–531. 188 Vgl. dazu Frettlöh, Theologie, 119–125. 189 Greiner, Segen, 357.

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fern auch Segen in einem weiten Sinne ist. Das Mit-Sein Gottes bezieht sich also auf die Zukunft.190 Der Segen ist ein Schwellenritus.191 An der Schwelle zum außergottesdienstlichen Raum außerhalb der Liturgie empfängt die Gemeinde den Segen als Zuspruch der bleibenden Weltimmanenz Gottes192 angesichts einer nicht (immer und überall und in der gleichen dichten Weise wie in der Liturgie) von Gottes Gegenwart zeugenden Welt. Von daher lässt sich (auch) der Segen als liturgische und theologische Summe des Gottesdienstes bezeichnen193 – und damit auch als ekklesiologische Summe. Auch und gerade der liturgische Segen ist ein Ritus, in dem das Kirche-Sein der Kirche zum Ausdruck kommt. Dies gilt umso mehr, wenn man vom biblischen Befund her bedenkt, dass Segnen (brk, eulogein) ein wechselseitiges Geschehen ist und der Mensch auch Gott segnet;194 ekklesiologisch gewendet: Auch die Kirche ist dazu berufen, Gott zu segnen.

7.2 Die Priesterlichkeit des Segens Der Segen ist in einem weiten Sinn ein wesentlich priesterlicher Akt.195 „Die segnende Person bringt Gott sprachlich mit der Segen empfangenden Person in persönliche Beziehung. Darin – in ihrer in-Beziehung-setzenden Funktion – ist die segnende Person unersetzbar und wichtig. Diese Aufgabe fordert von der segnenden Person nicht mehr und nicht weniger als gerade dies: Präsenz im Zurückziehen hinter die – durch den Segenszuspruch – vollzogene Beziehung zwischen dem als gegenwärtig geglaubten, segnenden Gott und dem Segen empfangenden Menschen.“196 Der Segen als „Ort höchster Passivität“ (Fulbert Steffensky)197 setzt eine Spender-Empfänger-Relation und damit ein gewisses Gefälle voraus. Wo in der Praxis an die Stelle des priesterlich-exhibitiven Segens eine Segensbitte tritt, weil der/die Liturg/in die priesterliche Rolle scheut, wird die zu segnende Gemeinde letztlich um den Segen betrogen. Die Argumentationsfigur, durch die Formulierung „Der Herr segne uns“ werde der Liturg mit eingeschlossen, verkennt eklatant das Wesen des liturgischen Amtes, das gerade nicht primär im Empfangen, sondern im Dienst am Austeilen liegt.

190 191 192 193 194 195 196 197

Vgl. Arnold, Theologie, 437. Vgl. Arnold, Theologie, 458. Vgl. Frettlöh, Theologie, 352–354. Vgl. Arnold, Theologie, 433–435. Vgl. auch Arnold, Theologie, 458 f. Vgl. Greiner, Segen, 171 f. Greiner, Segen, 47. Steffensky, Segen, 2.

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

Das Spezifikum des Segens liegt nun darin, dass der Spender „wohl Subjekt des Sprechaktes, nicht aber Subjekt des gesprochenen Satzes ist“.198 Im Akt des Segens sind ausdrücklich zwei Subjekte wirksam, die als „sprechendes und wirkendes Subjekt“ (Matthias Zeindler)199 voneinander unterscheidbar und gleichzeitig aufeinander verwiesen sind. Magdalene Frettlöh zeigt, dass der Segen nicht von sich aus und aus der Autorität der segnenden Person wirksam ist, sondern dadurch, dass Gott sich an den Wortlaut des (aaronitischen) Segens bindet (v. a. Num 6,27) und seine Erfüllung zusagt.200 In der Sprachform des Modalis im Deutschen, dem der hebräische Jussiv entspricht, gehen die Momente der Unverfügbarkeit und Souveränität Gottes einerseits und der unbedingten Zusage seines Segenshandeln andererseits zusammen.201 Darin besteht auch die ekklesiologische Pointe des (aaronitischen) Segens. Die Form und Formel des aaronitischen Segens sagt seinem Sprecher, „dass ich nicht Garant des Segens bin“,202 wie Fulbert Steffensky bemerkt. Die segnende Person bekundet im Gebrauch der Segensformel, dass sie nicht Voraussetzung dieser Handlung ist; sie bedient sich der Formel, „die uns die Toten hinterlassen haben und die uns unsere lebenden Geschwister geben“.203 Das menschlich-kirchliche Segenshandeln entspricht (nicht mehr und nicht weniger) dem göttlichen Segenshandeln, sodass in, mit und unter dem liturgischen Segen durch die priesterlich-segnende Person Gott selbst segnet. Hierbei ist festzuhalten, dass die segnende Person aus sich heraus den Segen Gottes ebenso wenig garantieren, wie die segnende oder die gesegnete Person ihn eindeutig feststellen und verifizieren kann.204 198

Greiner, Segen, 45. Zeindler, Wer segnet?, 498. 200 Vgl. Frettlöh, Theologie, 377 f; auch Zeindler, Wer segnet?, 500. Frettlöh versucht, die Freiheit Gottes zur Geltung zu bringen und Gottes Handeln nicht magisch mit jeder von Menschen gesprochen Segensformel zu identifizieren. Dies ist ein dogmatisch wichtiger Einwand, der allerdings auch und gerade christologisch bedacht werden müsste – eine Dimension, die bei Frettlöh insgesamt zu kurz kommt. 201 Vgl. Arnold, Theologie, 437 f. 202 Steffensky, Segen, 4. 203 Steffensky, Segen, 7. 204 Nach Christian Albrecht ist der Segen „in Wahrheit die vom Pfarrer stellvertretend vorgetragene menschliche Bitte um Gottes Segen“, die die Wunscherfüllung derer, die Kasualien begehren, „selbst so wenig garantiert wie die Sicherheit, dass der Segen sich auch in der vom Menschen erhofften und erbetenen Weise einstellen wird“ (Albrecht, Kasualtheorie, 164). Albrecht bezieht sich dabei auf Ernst Christian Achelis. Dieses Verständnis des Segens als Fürbitte resultiert aus Albrechts praktisch-theologischen Ansatz, der sich wesentlich (auch) an dem Segensverständnis und am KasualienErleben der Kirchenglieder orientiert. Albrechts Segensverständnis unterscheidet sich zwar auf den ersten Blick nicht unwesentlich vom hier entwickelten Segensverständnis. An Albrechts Differenzierung wird aber ein Proprium des christlichen Segensverständnisses deutlich, das analog auch für das theologische Verständnis der Gebetserhörung gilt, nämlich dass grundsätzlich zu differenzieren ist zwischen dem erhofften bzw. erbetenen Segen einerseits und dem faktisch gewährten Segen anderer199

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Die Segensspendung ist der dichteste priesterliche Akt der Liturgie,205 in dem das katabatische Handeln Gottes an der Gemeinde im Vordergrund steht und jegliche menschlich-kirchliche Aktivität, die zur liturgischen Vergegenwärtigung Gottes erforderlich ist, auf ein Minimum reduziert wird.206 Die Formelhaftigkeit des Segens, seine Prägnanz und Kürze tragen zur Konzentration auf das primäre Handeln Gottes im kirchlich-priesterlichen Segenshandeln bei.207

7.3 Das ministerium der Segensspendung und das sacerdotium der Kirche und ihrer Glieder Wer ist befugt, diesen priesterlichen Akt der Segensspendung am Ende des Gottesdienstes zu vollziehen? Der Segen als ein priesterlicher Akt erfordert vom segnenden Menschen einerseits eine besondere Beziehung zum segnenden Gott, andererseits die Einset-

seits. Der Segen ist, ebenso wie das Gebet, kein Medium menschlicher Wunscherfüllung, ebenso wenig die betende und segnende Kirche. Dass Gott segnet (und Gebete erhört), darf aufgrund des Schriftzeugnisses und der entsprechenden liturgischen Praxis vorausgesetzt werden. Wie sich jedoch der Segen als Mit-Sein Gottes in der Lebenserfahrung der Menschen konkret realisiert, das lässt der Segen offen. Ebenso offen bleibt, ob der Mensch immer und überall fähig ist, das im Segen effektiv zugesprochene Mit-Sein Gottes angemessen wahrzunehmen. Man wird mit Blick auf die Scheidung einer kirchlich geschlossenen Ehe nicht sagen können, der Trausegen sei nicht wirksam gewesen, ebenso wenig wie man sagen kann, dass die kirchliche Trauung durch die weltliche Scheidung faktisch annulliert worden ist. Der Trausegen hat das Scheitern der Rechtsform Ehe nicht verhindert und kann es auch nicht verhindern. Nur wenn das wirksam zugesprochene Mit-Sein Gottes im Trausegen mit dem Bestand der rechtlichen Lebensform Ehe gleichgesetzt würde, wäre jeder Trausegen zweifelhaft. Wenn Gott und seinem Segen zugestanden wird, dass seine Wege und Gedanken anders sein können, als Menschen sich das denken, wünschen und vorstellen, und dass die – aus menschlicher Sicht oft erschreckende – Fremdheit seiner Segens-Wege und Segens-Gedanken kein Widerspruch zum Segen sind, dann ist es schlüssig, dass die Kirche den Segen nicht nur zu erbitten, sondern vollmächtig zuzusprechen berechtigt ist. In Jes 55,8–11 wird der Zusammenhang der Andersartigkeit von Gottes Wegen und Gedanken zusammengedacht mit der Vollmacht des göttlichen Wortes, dem gelingen wird, wozu Gott es sendet. Gerade mit Blick auf die Praxis der Kasualien ist Albrecht aus systematisch-theologischer Sicht voll und ganz zuzustimmen, dass zwischen Segensspendung und Erfüllung eines aktuellen Wunsches (Wünsche und Bedürfnisse können sich ändern, wie die Trennungs- und Scheidungsquoten belegen) genau unterschieden werden muss, was seinen sinnvollen Ort im Kasualgespräch und in der Predigt hat. Unter der Bedingung dieser Unterscheidung kann dann aber auch ein effektives Segensverständnis ausgesagt werden, das die Liturgie ohnehin immer voraussetzt und vollzieht. Liturgisch-theologisch muss – gerade bei den Kasualien – gesagt werden, dass die Kirche und nicht der einzelne Amtsträger segnet. Auch die versammelte Kasualgemeinde ist singend und betend an der gottesdienstlichen Feier und damit auch an der Segenshandlung als gegliedertes Ganzes wesentlich beteiligt. 205 Vgl. auch Steffensky, der den Segen als „die dichteste und dramatischste Stelle der christlichjüdischen Glaubensäußerung“ bezeichnet (Segen, 5). 206 Auch die Abendmahlsliturgie artikuliert das „wir“ stärker als der Segen. 207 Vgl. Arnold, Theologie, 440 (unter Bezug auf Fulbert Steffensky).

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zung in das priesterliche Segensamt. Beides, die besondere Beziehung und die Einsetzung in das Segensamt, geschehen durch die Taufe. Im Gottesdienst als der Versammlung der Getauften sind prinzipiell alle Getauften zur priesterlichen Segensspendung fähig. Aber eben weil die Gemeinde gottunmittelbare, gesegnete, zum Segnen berufene und fähige priesterliche Gemeinde ist, stellt sich die Frage, wer denn nun den Segen über die priesterliche Gemeinde spricht. Es legt sich nahe, die gottesdienstliche Segnung der Gemeinde an das ordinationsgebundene Amt zu binden, denn die Ordinierten sind durch eine eigene Segnung, nämlich die Ordination, zum Dienst an der Kirche, ihren priesterlichen Gliedern und ihrem Gottesdienst gesegnet und ordiniert. Die Ordinierten dienen der Gemeinde, insofern sie im Gottesdienst selbst darauf verzichten (!), in dieser Segnung, die sie vornehmen, den Segen zu empfangen. In diesem Verzicht, den die Segensspendung von den Ordinierten fordert, drückt sich der amtstheologisch bedeutsame Unterschied zwischen minister und sacerdos aus: Der Ordinierte handelt hier als minister, wenngleich auch er, wie jeder und jede Getaufte als Glied der Gemeinde sacerdos ist. In der gottesdienstlichen Praxis und in den Agenden fällt auf, dass manche Gottesdienste mit der Segensbitte, andere mit der Segensspendung enden. Mit der Segensbitte enden beispielsweise Tagzeiten- und Kindergottesdienste,208 während die Segensspendung eher auf „Haupt“-Gottesdienste beschränkt ist. Hieran bestätigt sich noch einmal, dass unterschiedliche Gottesdienstformen unterschiedliche Grade der Ekklesialität haben. Die Segensspendung für die Gemeinde ist damit jenen Gottesdiensten zugedacht, denen auch in ihren anderen Elementen eine spezifische Ekklesialität eignet, verdeutlicht durch die liturgische Gegenwart eines ordinierten minister unitatis ecclesiae, z. B. in den Gottesdiensten, in denen sich die Gemeinde durch die spezifischen Elemente der Predigt und des Abendmahls als Kirche erweist.

7.4 Die Katholizität der Gemeinde als Gesegnete und zum Segnen Berufene Im aaronitischen Segen wird die Gemeinde singularisch als „Du“ angesprochen. „Für das ‚Du‘ spricht neben dem biblischen Wortlaut in Num 6,24 f, dass es ‚die ganze Gemeinde wie jedes einzelne Gemeindeglied‘ im Blick hat. Das ‚Du‘ in diesem Segen ist keine plumpe Vertraulichkeit, es ist mit Bedacht gewählt: darin steckt die Einheit der Gemeinde und zugleich die persönliche Anrede an jede und jeden.“209 208

Vgl. etwa die Tagzeitengebete EG 727–730, oder das Formular für den Kindergottesdienst EG

681. 209 Arnold, Theologie, 438 (unter Aufnahme von Gedanken von H.J. Hermisson). Vgl. auch Steffensky, Segen. Peter Brunner, der ebenfalls die ekklesiale Bedeutung der zu segnenden „Wir“ heraus-

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In der biblisch grundgelegten Du-Anrede im aaronitischen Segen erscheinen die Gesegneten in einer Doppelrolle. Zum einen ist jede und jeder persönlich angesprochen und gesegnet. Die einzelnen Christen, die in der Taufe den grundlegenden Segen Gottes empfangen haben, sind aufgerufen, zu potentiellen Segensmittlern und Multiplikatoren des Segens in ihren jeweiligen Lebensbezügen zu werden.210 Dies geschieht, indem die Christen aktiv zum Schalom als dem umfassenden Inhalt des Segens beitragen und wirken, was auch durch das Segnen anderer im Alltag geschehen kann und soll, wozu die Christen kraft ihres aus der Taufe kommenden Priestertums befähigt und berufen sind. Zum zweiten wird die Gemeinde als Gemeinde, als Kirche gesegnet. Das heißt: Die Kirche erscheint als segnende und zugleich gesegnete Kirche. Wenn das Segenshandeln Gottes geistliche und leibliche Güter umfasst („Der ganze Gott kommt zum ganzen Menschen“211), so verwirklicht der Segen nochmals spezifisch die Katholizität der Kirche in dem Sinn, dass die Ganzheit der Gaben Gottes der Gemeinde in ihrer leibgeistig-ekklesialen Dimension im Segen wirksam zugesprochen werden. Man kann daher sagen: Wo eine gottesdienstliche Gemeinde im Namen Gottes mit der aaronitischen Segensformel gesegnet wird, wird die Gemeinde als katholische Kirche signiert.212 Die Wirksamkeit des Segens hängt nicht am amtstheologischen Status der segnenden Person. Die segnende Person repräsentiert die priesterlich-segnende Kirche („in nomine Ecclesiae“). Insofern legt es sich nahe, dass das Segensamt von denjenigen ausgeübt wird, die in umfassender Weise als Repräsentanten der Kirche gelten und dazu ordiniert und gesegnet sind. Dabei ist die Segensvollmacht nicht in der Ordination begründet zu denken, wohl aber die Vollmacht, innerhalb des Gottesdienstes die priesterliche Gemeinde als katholische Kirche im Namen der Kirche zu segnen. Die Katholizität der Kirche wird somit in actu realpräsent in der Segnung der gottesdienstlichen Gemeinde. Als zum Segen in der und für die Welt zu sein bestimmte ist die Segen empfangende Gemeinde ökumenisch. heben möchte, argumentiert hingegen folgendermaßen: „Die Umwandlung des alttestamentlichen ‚dich‘ des aaronitischen Segens (sc. das Gottesvolk in seiner Gesamtheit) in ‚euch‘ entspricht der apostolischen Weise zu segnen und ist durchaus angemessen, zumal die Einzahl heute nicht mehr auf die eine Gemeinde, deren Glied ich bin, bezogen wird, sondern auf den einzelnen, der durch die Einzahl sich als solcher angesprochen fühlt. Dieses individualisierende Missverständnis sollte durch den Gebrauch des ‚euch‘ vermieden werden.“ (Brunner, Segen, 351) Brunner ist recht zu geben, dass das ausschließlich individuell persönliche Verständnis des „dich“ nicht im Sinn des aaronitischen Segens ist; allerdings votiert Brunner für ein ausschließlich ekklesial-gemeinschaftliches Verständnis des Segens, das an der aaronitischen Segensformel selbst nicht unmittelbar ablesbar ist. 210 Vgl. Arnold, Theologie, 444. 211 Arnold, Theologie, 449. 212 Auf die Verbundenheit mit der universalen Kirche in der Realität des Segens weist Helmut Echternach in seinen – teilweise theologisch nicht unproblematischen – Überlegungen zum Segen hin (vgl. Echternach, Segnende Kirche, 80).

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

7.5 Die interkonfessionelle Unstrittigkeit des Segens Der ekklesiologische Dissens zwischen den Kirchen bezieht sich wesentlich auf den Fragenkomplex von Kirche, kirchlichen Ämtern und deren Vollmacht zur Eucharistie. Interkonfessionell ist jedoch der Segen (bezogen auf Menschen), insbesondere der gottesdienstliche Schlusssegen, bislang kein Kontroversthema gewesen. Es zeigt sich vielmehr die Tendenz, dass die römisch-katholische und die evangelische Kirche über den Segen eine neue Brücke zueinander finden, nachdem interkonfessionelle Abendmahlsgemeinschaft und wechselseitige Ämter- und Kirchenanerkennung noch nicht möglich sind. Das Motto des Ersten Ökumenischen Kirchentages 2003 „Ihr sollt ein Segen sein“213 belegt dies ebenso eindrücklich wie das Erscheinen des gemeinsamen Liturgiebuches „Ökumenische Segensfeiern“. Sowohl in der römisch-katholischen als auch in der evangelischen kirchlichen Praxis ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Sensibilität für Segen und Segnungen entstanden, die sich wissenschaftlich in der Wiederentdeckung des Segens in der Systematischen Theologie (v. a. Magdalene L. Frettlöh und Dorothea Greiner) und der praktisch-theologischen Profilierung der Kasualien (v. a. Christian Albrecht und Ulrike Wagner-Rau) spiegelt. Es spricht auch für sich, dass die römisch-katholische Kirche während der Kommunion solche Personen, die Leib und Blut Christi nach den Bestimmungen des Kirchenrechtes nicht empfangen können, segnet (obgleich dieser Ersatzritus abendmahlstheologisch fragwürdig ist).214 Es gibt auch, so weit ich sehe, keine römischen Verbote für katholische Christen, sich von nichtkatholischen Amtsträger/innen oder nichtordinierten Christen segnen zu lassen. Die Frage nach ordinationsgebundener, in apostolischer Sukzession stehender Vollmacht zur Erteilung des Segens wurde nie gestellt. Dabei ist der Segen ein liturgisches Element, in dem sich die segnende und gesegnete Gemeinde als katholisch im Sinne der Fülle des Heils und der Heilsmittel erweist. Es wäre zu vermuten, dass das traditionelle Segensschweigen der Dogmatik und der kirchlichen Lehre eine Chance für den ökumenischen Dialog darstellen könnte, die über den Umweg über den Segen und dessen ekklesiologische Bedeutung neue Bewegung in den Diskurs über Kirche, Amt und Eucharistie bringen kann.

213

Zum Segensgestus als Taufgedächtnis beim Schlussgottesdienst vgl. Stuflesser, Gedächtnis,

43-45. 214

Vgl. die Praxis beim Kölner Weltjugendtag 2005 (in dieser Arbeit E 2.12.1).

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Die priesterliche Versammlung

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7.6 Liturgische Bündelung: „Der Herr segne dich und behüte dich“ „Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ (4. Mose 6,22–27)

8. Die priesterliche Versammlung und der ordinationsgebundene Einheitsdienst 8.1 Die Priesterlichkeit der Gemeinde Der Gottesdienst lebt wesentlich vom Versammelt-Sein der Getauften, die gemeinsam und nur gemeinsam den Gottesdienst vollziehen können. Wie schon an der Reflexion des Segens deutlich wurde, ist die Kirche eine priesterliche Versammlung, deren Priesterlichkeit in der gemeinsamen Gottunmittelbarkeit und Gnadenstandsparität besteht, die in der einen Taufe aller begründet ist. Wie ebenfalls schon deutlich wurde, ist der Glaube in seiner gottesdienstlichen Vollzugsgestalt auf Medien, also auf Vermittlung angewiesen. Wiewohl jeder einzeln vor Gott hintreten und zu ihm (z. B. für andere) beten kann und somit seine priesterliche Gottunmittelbarkeit individuell und privat realisieren kann, kann der einzelne Mensch in der Regel nicht von Gott unmittelbar und ohne mittelnde Medien angesprochen werden. Weil der Glaube sich aber nicht primär im aktiven Sprechen und Handeln zu Gott, sondern im passiven Ansich-geschehen-lassen des Handelns Gottes besteht, ist die Primärdimension des Glaubens nicht priesterlich-aktiv, sondern empfangend und passiv gegenüber dem dreieinen Gott, der das eigentliche aktive Subjekt des gottesdienstlichen Handelns ist. Der Glaube als Beziehung richtet sich auf Gott und damit auf ein Extra-Se, das allem menschlichen Handeln zuvorkommt und auf das sich der Mensch nur mittels Medien beziehen kann. Der gottesdienstlichen Versammlung, also dem bestimmten liturgischen Tun der Gemeinde, ist in herausragender Weise die Gegenwart Christi verheißen. Hier realisiert sich das Priestertum aller Getauften, nämlich im gemeinsamen liturgischen Vollzug. Nicht einzelne Priester mitteln dem Volk das Heil, sondern die priesterliche Versammlung mittelt als Liturgieversammlung dem Einzelnen das Heil. Nicht aus mehreren Einzelnen werden Viele, sondern aus und in der priesterlichen Gemeinschaft aller Getauften empfängt der Einzelne sein (Christ-)Sein unmittelbar von Gott. Im Gottesdienst ist nicht jeder Einzelne ein Priester und die gottesdienstliche

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

Versammlung eine Addition und Aneinanderreihung von mal mehr, mal weniger Priesterinnen und Priestern. Im Gottesdienst versammelt sich ein priesterliches Volk, das im Gottesdienst priesterlich auch nur als Volk agiert. Wo das Neue Testament den Priestergedanken aufnimmt und fortführt, ist dieser stets auf eine Gemeinschaft bezogen (z. B. 1Petr 2,9), denn mit dem einmaligen Hohepriestertum Jesu Christi ist jedes personale exklusive Priestertum in Christus an sein Ende gekommen. Die Priestermetapher zur Bezeichnung von Menschen innerhalb der christlichen Gemeinde ist im Neuen Testament nur auf die Gemeinde bezogen, aber nicht auf Einzelne.215 Wenn das Allgemeine Priestertum nach Wilfried Härle und Harald Goertz besagt, dass alle in gleicher Weise direkten Zugang zu Gott haben und „alle Christen durch Jesus Christus in gleicher Weise bevollmächtigt und beauftragt sind, einander das Evangelium durch Worte, sakramentale Zeichen und Taten zu bezeugen, in der Fürbitte füreinander einzutreten und so ‚einander Priester (zu) sein‘“,216 dann ist damit bereits wesentlich der gottesdienstliche Realisierungskontext des Priestergedankens ausgesagt, der nach neutestamentlicher Auffassung der Gemeinde vorbehalten ist. Der Christenmensch als Einzelner lebt von der Priesterlichkeit der Versammlung. Was im Vollzug des Gottesdienstes gegenwärtig wird, nämlich die gnädige Gegenwart Gottes, hat eine Empfangsstruktur, die sich der Einzelne gerade nicht selbst geben bzw. nehmen kann. Die priesterliche Gemeinde mittelt die Gegenwart und Gnade Gottes, indem sie gemeinsam die Liturgie vollzieht. Das aber kann und tut sie nur als Gemeinde. Das heißt eben gerade nicht, dass jeder Einzelne alles kann und darf, sondern jeder Einzelne zunächst auf die priesterliche Gottesdienstgemeinde als Gegenwartsgestalt des einzigen hohepriesterlichen Heilsmittlers Jesu Christi angewiesen ist, um in die heilsame Communio des dreieinen Gottes hineingezogen zu werden. Die Gottunmittelbarkeit des Einzelnen vollzieht und erfährt sich in der priesterlichen Gemeinde in deren plurimedialem liturgischen Vollzug. Niemand ist Priester für sich. Die Kategorie der Priesterlichkeit kommt vielmehr nur der Gemeinde als der einen und geeinten Gemeinde zu.

215

Vgl. Sänger, Art. Priester/Priestertum, 399 f. Goertz/Härle, Art. Priester/Priestertum, 409.(?) Problematisch bei Goertz und Härle ist die Individualisierung der Priestermetapher auf den einzelnen Christen und die daraus folgende Verallgemeinerung des Priesterbegriffs, sodass das Lebenszeugnis für Jesus Christus bereits bedeutet, „‚Priester‘, also Christ zu sein“ (ebd., 409), wodurch der gemeinschaftlich-liturgische Primärort der Kategorie des Priestertums, nämlich der Gottesdienst, verloren geht. 216

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Die priesterliche Versammlung

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8.2 Der Einheitsdienst an der priesterlichen Gemeinde: Das ordinationsgebundene Amt Ist die gottesdienstliche Gemeinde nur als eine und geeinte Gemeinde die priesterliche Gemeinde, bedarf sie bestimmter Dienste, die der Einheit der Versammelten dienen. Neben anderen zentralen liturgischen Ämtern (z. B. dem Kirchenmusiker, der Lektorin, dem Chor, der Abendmahlshelferin etc.) kommt dem ordinationsgebundenen Amt eine besondere Bedeutung zu. Denn als Amt der Einheit dient das ordinationsgebundene Amt nicht nur der Einheit der Ortsgemeinde und ihres Gottesdienstes, sondern auch der Vernetzung der Ortsgemeinde mit der übergemeindlichen Kirche. Das Verhältnis von ordinierten und nichtordinierten Gemeindegliedern im Gottesdienst ist als Miteinander (auf der Basis der gemeinsamen Taufe und Gnadenstandsparität vor Gott) und Gegenüber (auf der Basis der Ordination als Bevollmächtigung zum Dienst an der unitas ecclesiae) zu bestimmen. Das Verhältnis von ordinationsgebundenem Dienst und Priestertum aller Getauften konstitutiv als gleichursprüngliches Miteinander und Gegenüber zu bestimmen, ist ekklesiologisch und gottesdiensttheologisch notwendig, wenn die Kirche sich nicht ihres Herrn und seiner Gegenwart entweder monarchisch (durch die Vorordnung des Amtes) oder demokratisch (durch die Vorordnung des Priestertums aller Gläubigen) ermächtigen will. Der/die Ordinierte ist ohne Gottesdienstgemeinde ebenso wenig Kirche im gefüllten Sinn wie die Gemeinde ohne das ordinationsgebundene Amt. Das Gegenüber von priesterlicher Gemeinde und ordinationsgebundenem Dienst repräsentiert auch das Gegenüber von Universalkirche und örtlicher Gottesdienstgemeinde. Die Möglichkeit zur wechselseitigen Konzelebration und Interzelebration, also die übergemeindliche Austauschbarkeit der Geistlichen in der Leitung des örtlichen Abendmahlsgottesdienstes als höchster Verwirklichungsform von Kirche aufgrund gegenseitig anerkannter Ordination ist somit – ebenso wie die wechselseitige Kommuniongemeinschaft – ein zentraler Ausdruck personal-konkreter Verbundenheit der Ortsgemeinde mit den Gottesdienstgemeinden der una sancta und damit anzustrebendes und aufrechtzuerhaltendes Ziel aller interkonfessionellen Bemühungen. Gemeinsam ist den getrennten Konfessionen die Auffassung, dass das ordinationsgebundene Amt wesentlich und zentral ein gottesdienstliches Amt ist. Dies schließt nicht aus, dass der/die Amtsträger/in auch andere Aufgaben zu erfüllen hat (Seelsorge, Unterricht, Verwaltung etc.), besagt aber, worin der Dienst des ordinationsgebundenen Amtes ein Zentrum hat, zu dem alle sonstigen Aktivitäten in Beziehung stehen, nämlich im (Abendmahls-)Gottesdienst der Gemeinde. Ist nun das ordinationsgebundene Amt wesentlich ein liturgisches Amt, so stellt sich die Frage, was denn eigentlich – insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Gottesdienst immer und in all seinen Vollzügen Gottesdienst der Kirche und der ganzen versammelten Gemeinde ist – das liturgisch-theologische

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

Spezifikum des Amtes ist. Was kann, darf und sollte im Gottesdienst ausschließlich von Trägern des ordinationsgebundenen Amtes aktiv und solitär vollzogen werden? Die Argumentationsfigur, das Amt handle „in persona Christi“, ist im römischen Katholizismus geläufig, aber auch in Anschluss an die Apologie Melanchthons im Luthertum, etwa bei Walter Dietz.217 Dies ist in gewisser Hinsicht zutreffend, bleibt aber für sich genommen eher verwirrend als erhellend; denn es vermag gerade nicht das Spezifikum des ordinationsgebundenen Amtes in der Liturgie deutlich zu machen. Es war die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums, die die Gegenwart Christi in der Liturgie als plurimedial erkannt hat (vgl. SC 7), sodass das Spezifikum des ordinationsgebundenen Amtes über die Christusrepräsentanz gerade nicht hinreichend bestimmt ist. Der Dialog zwischen Gott und seiner Kirche vollzieht sich auf vielfache Weise und gerade auch in solchen Akten, die von der ganzen Liturgieversammlung gemeinsam vollzogen werden (z. B. im Singen, Beten, Bekennen, Schriftlesung, aktiven Hören). Dem theologischen Selbstverständnis des Gottesdienstes und der einzelnen liturgischen Vollzüge zufolge gibt es keinen Akt, bei dem nur der ordinierte Liturg handeln würde. Die Gemeinde ist kein Publikum, sondern die congregatio actuosa participans.218 Und selbstverständlich handelt auch der evangelische Lektor des Evangeliums, die Kirchenmusikerin und die katholische Kommunionhelferin in gewisser Weise „in persona Christi“, ja die ganze Gemeinde handelt in persona Christi, insofern sie Liturgie feiert. In wessen Namen handelt der Amtsträger dann? Seine Handlungsbefugnis beruht theologisch sicherlich nicht ausschließlich und primär auf seinen persönlich-individuell-privaten Qualitäten. Der/die Ordinierte handelt also auch nicht im eigenen Namen. Sowohl von der liturgischen Wirklichkeit her als auch aus ekklesiologischen Gründen legt es sich nahe, das gottesdienstliche Spezifikum des Amtes darin zu sehen, in persona ecclesiae zu handeln, sowohl im Namen der örtlichen Liturgiegemeinde als auch im Namen der Gesamtkirche, wobei sich beim Bezug auf die Gesamtkirche ähnliche Probleme stellen wie beim gesamtkirchlichen Bezug der Liturgie überhaupt. 217 Vgl. Walter Dietz, Ordination, bes. 101 f. Dietz hat zwar durchaus den gottesdienstlichen Kontext vor Augen, der aber offensichtlich nur aus dem verkündigenden minister und der hörenden Gemeinde besteht. Die Plurimedialität des gottesdienstlichen Geschehens ist bei Dietz nicht im Blick. Der Repräsentationsgedanke, wie ihn Dietz vertritt, ist ja nur dann stimmig, wenn ausschließlich der minister verkündigende Akte vollzöge. Dass dies nicht der Fall ist, bestätigt nicht nur die theologisch-ekklesiologische Analyse der liturgischen Grundformen, sondern auch die Liturgietheologie des Zweiten Vatikanums (v. a. SC 7) und der Reformatoren, die – wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten – die aktive Subjektrolle der Gottesdienst feiernden Gemeinde betonen. 218 Vgl. dazu auch Roth, Theatralität, 222–237.

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Angesichts der Tatsache, dass die ganze Liturgie ecclesiologia prima ist, also jedes liturgische Element (nicht nur, aber wesentlich auch) Selbstausdruck der Kirche ist, stellen sich folgende Fragen: Wer darf eigentlich in nomine ecclesiae sprechen? Wenn jeder liturgische Vollzug ekklesiologisch zentral ist, wie herausgearbeitet wurde: Ist dann nicht die Konsequenz die, dass das Amt in nomine ecclesiae entweder alles vollziehen muss oder aber vollständig entbehrlich ist? Gibt es liturgische Vollzüge, denen eine spezifische Affinität zum ordinationsgebundenen Amt eignet?

8.3 Der ordinationsgebundene Einheitsdienst an den ekklesiologisch brisantesten Stellen des Gottesdienstes Das ordinationsgebundene Amt als Dienst an der Einheit der Kirche ist an denjenigen Stellen des Gottesdienstes in besonderer Weise angemessen und notwendig, an denen die Einheit der Gemeinde(n) als Kirche Jesu Christi nach innen und außen der besonderen Erkennbarkeit und Klarheit bedarf. Als exemplarische Stellen nenne ich die Predigt, die eucharistische Liturgie und den gottesdienstlichen Rahmen mit Eröffnung und Segnung/Sendung, die sich aus ekklesiologischen und ökumenischen Gründen nahe legen und deren Bindung an das ordinationsgebundene Amt es nun zu reflektieren gilt. Die Bindung der Predigt an das ordinationsgebundene Amt kann die Erfüllung der ekklesiologischen Predigtaufgabe sicher nicht garantieren. Als freie und je und je neue Rede ist die Predigt theologisch und ekklesiologisch ebenso notwendig und geboten wie ekklesiologisch sensibel und gefährdet. In keinem anderen Element des Gottesdienstes außer der Predigt ist das biblisch bezeugte Wort Gottes so radikal auf die Individualität einer Person (nämlich des Predigers/der Predigerin) angewiesen, um Menschen heute und hier mit ihren jeweiligen Lebenserfahrungen in ihrem Glauben zu stärken und in den Glauben der Kirche zu integrieren. Die besondere theologische Bildung und Eignung, die die Ordination voraussetzt und epikletisch bestätigt, trägt – idealiter – zum Gelingen der Predigtaufgabe bei, kann diese aber nicht garantieren. Hat das ordinationsgebundene Amt wesentlich der unitas ecclesiae vor Ort und im universalen Kontext zu dienen, dann legt es sich nahe, die Predigt den Inhaberinnen und Inhabern dieses Amtes zuzugestehen. Die Predigt besteht ja, wie schon gesagt, gerade nicht im ZurSchau-Stellen persönlicher (auch theologischer) Originalität und Individualität. Die ekklesiologische Predigtaufgabe besteht, wie dargestellt, darin, den Einzelnen und die Gemeinde mittels einer biblisch orientierten freien gegenwartsbezogenen Rede angesichts von Dissenserfahrungen in einen ekklesialen ökumenischen Konsens zu integrieren. Vor dem Hintergrund der so verstandenen Predigtaufgabe schärft sich das Profil der Ordination und ihrer Liturgie, nämlich dass die Ordinandinnen und Ordinanden zum Dienst an und in der Kirche Jesu

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Christi bestellt werden. Dienst an der Einheit der Kirche ist wesentlich Predigtdienst. Als zweites nenne ich die Liturgie des Abendmahles. Das Eucharistiegebet, das auf der phänomenalen Ebene das Abendmahl konstituiert, ist in seiner klassischen Form, die der Grundstruktur nach auf Hippolyt zurückgeht, Summe des Evangeliums und zugleich Summe der Ekklesiologie.219 Das Eucharistiegebet expliziert in direkter Weise die Verbundenheit der örtlichen Liturgiegemeinde mit der universalen Kirche, die zusammen gehalten werden durch den Empfang von Leib und Blut Christi. Die ökumenische identitätsstiftende Funktion des Eucharistiegebetes äußert sich formal nicht zuletzt darin, dass in den gegenwärtigen Agenden, die mehrere Eucharistiegebete zur Auswahl anbieten, mindestens eines dabei ist, das auch in anderen (getrennten) Konfessionen verwendet wird.220 Als Spezifikum des Abendmahls wurde die Eigenart von Brot und Wein als nichtpersonalen Medien der Gegenwart Christi herausgearbeitet, die die anderen personalen Medien (Singen, Mit-Beten, etc.) weder ausschließt noch überflüssig macht, aber ordnet und konzentriert. Die Gefahr, den Bezug und die Spannung der personalen und der nichtpersonalen Medien zueinander einseitig aufzulösen, ist groß.221 Indem Brot und Wein Medien der Präsenz Christi sind, gerät die Kirche in die Versuchung, dieser Gegenwartsgestalt habhaft zu werden und zu meinen, Christus „in Händen“ halten oder gar „darbringen“, „Gott vor Augen stellen“ zu können und über die Gestalt seiner Gegenwart eigenmächtig verfügen zu dürfen (z. B. durch den Kelchentzug). Die Rolle der Kirche mutiert dann von der Empfangshaltung zum vermeintlichen Besitzstand; der Weg zum soteriologisch relevanten Messopfer ist nicht weit. Das Eucharistiegebet artikuliert betend die Empfangshaltung der Kirche in Bezug auf die ausschließlich zu empfangenden und zu essenden/trinkenden eucharistischen Gaben und damit die Einheit der Kirche unter ihrem Herrn. Das ordinationsgebundene Amt als Amt der Einheit hat hier eine Schlüsselrolle inne,

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Zur Theologie des Eucharistiegebets des Hippolyt vgl. H.-J. Schulz, Glaubenseinheit, 35–45. Vgl. Schulz, Eucharistiegebet, 211. 221 Ich sehe vor allem zwei Auflösungsgefahren, die sich relativ leicht konfessionell zuordnen lassen. Die römisch-katholische Variante löst die Spannung zugunsten der nichtpersonalen Medien auf. Brot und Wein sind Leib und Blut Christi. Das Hochgebet, der sonstige liturgische Vollzug und die Gegenwart des geweihten Priesters haben die Funktion, diese substantiale Realpräsenz „herzustellen“. Die protestantische Variante löst die Spannung zugunsten der personalen Medien, sprich zugunsten der feiernden Gemeinde auf. Von scheinbar „aufklärerisch“-spiritualistischen Absichten beeinflusst, tendieren Brot und Wein dazu, eher uneigentliche Medien der Kommunion zu sein, was sich an den bedürfnisorientierten Debatten um die Austauschbarkeit von Brot und Wein ebenso zeigt wie an der Praxis, dass das Abendmahl immer noch nicht überall zum konstitutiven Bestandteil des ordentlichen Sonntagsgottesdienstes geworden ist. 220

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wenngleich es in nomine ecclesiae, aber sicher nicht allein, sondern una cum ecclesia handelt. Die Einheit der Gemeinde und der Kirche ist primär Einheit vor Gott und Einheit unter Jesus Christus und damit Einheit, die den Grund ihrer selbst supra et extra se hat. Genau diese Einheit personalisiert das ordinationsgebundene Amt in der Leitung der Abendmahlsliturgie vor der Gemeinde und vor der Gesamtkirche. Das Amt ist ein besonderer kirchlicher Dienst an Jesus Christus, indem es die Gemeinde konsequent und permanent auf Christus ausrichtet und gerade so die Unterschiedenheit der Kirche von Jesus Christus, die Einheit der Gemeinde vor Gott unter Gott und die Einheit der Gemeinde mit den Gemeinden aller Zeiten und Orte wahrt. Dem Amt ist mit der Leitung des Abendmahls derjenige Teil der Liturgie aufgegeben, bei dem am dringlichsten die Kirche, Ordinierte und Nichtordinierte, zu Selbstunterscheidung von Christus, Demut, Unterordnung und Empfangshaltung gerufen ist, um Kirche im eigentlichen Sinn zu sein. Dieser empfangenden Haltung entspricht es, dass die Gemeinde den Ordinierten aus der Gesamtkirche, sprich: aus der übergemeindlich-bischöflichen Ordination (und nicht aus den eigenen Reihen durch selbstgemachte Vokationen, Delegationen o.ä.) empfängt, wie es umgekehrt zum Lebensstil des Ordinierten gehört, auf eine dauerhafte stabilitas loci verzichten zu müssen, um der translokalen Einheit der Kirche zu dienen. Drittens legt es sich nahe, dass der Liturg, der zum Handeln in nomine ecclesiae bestellt und ordiniert ist, den Gottesdienst beginnt und beschließt und damit den Gesamtraum umgrenzt, in dem die versammelte Gemeinde in höchstmöglicher Weise in die communio sanctorum eintritt und somit Kirche ist. An den liturgischen Scharnieren zwischen Einheit und Vielheit zu Beginn und zu Ende des Gottesdienstes fungiert das ordinationsgebundene Amt als Integrationsfaktor der Vielheit der Lebens-, Missions- und Sendungsbezüge der Gläubigen in die Einheit der priesterlichen Versammlung und des Gottesdienstes und als Sendungsfaktor in die Mannigfaltigkeit der Lebensentwürfe und -aufgaben.

8.4 Amtstheologisch und ekklesiologisch fragwürdige Gestalten des Gottesdienstes Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, also gleichzeitig zu den intensiven ökumenischen Verständigungsbemühungen, hat sich im deutschen Protestantismus vereinzelt die Abendmahlsfeier auch durch Nichtordinierte etabliert, was spätestens durch die umstrittenen Erklärungen der VELKD zum Allgemeinen Priestertum (2004/06) breiter diskutiert, geordnet und ins kirchenöffentliche Bewusstsein gebracht wurde. Parallel dazu hat die römisch-katholische Kirche immer wieder deutlich gemacht, dass die vom Priester privat zelebrierte Messe eine legitime Form der Eucharistie ist. Beiden, der Abendmahlsfeier ohne Ordinierte ebenso wie der Privatmesse oh-

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ne Gemeinde, ist gemeinsam, dass das für die Liturgie konstitutive Miteinander und Gegenüber von Ordinierten und Gemeinde, von Ortskirche und Universalkirche einseitig aufgelöst ist. Beide Gottesdienstformen sind ein Problem für kirchenoffizielle ökumenische Annäherungen der getrennten Konfessionen.

8.4.1 Das protestantische Problem: Zur ekklesiologischen Qualität von (Abendmahls-)Gottesdiensten unter der Leitung von nicht – oder nicht rechtmäßig ordinierten Personen Zuerst sei das Problem eingegrenzt: Es handelt sich Gottesdienste mit Liturginnen und Liturgen, die – erlaubt oder unerlaubt – liturgische Aufgaben (speziell: die Abendmahlsliturgie) durchführen, die normalerweise oder notwendigerweise dem ordinationsgebundenen Amt vorbehalten sind. Diese Liturgen können Vikarinnen, Theologieprofessoren, Diakoninnen und andere kirchlich engagierte Menschen sein. Es handelt sich hierbei um ein fast ausschließlich protestantisches Problem. Wie sind solche liturgischen Akte zu bewerten? Die katholische Lehrposition ist klar und eindeutig: Katholiken dürfen aufgrund des protestantischen defectus ordinis unter keinen Umständen das Abendmahl aus einer von einem evangelischen Ordinierten oder Nichtordinierten geleiteten Feier empfangen.222 Ebenso kann eine nicht geweihte katholische Person nicht die Eucharistie vollziehen. Das katholisch gültige weihegebundene Amt ist derart konstitutiv für die Eucharistie, dass letztlich alle anderen Medien der liturgischen Christuspräsenz daneben sekundär werden. Die evangelische Position ist ähnlich einseitig wie die katholische Position. Es macht letztlich keinen Unterschied, ob ein Beauftragter, ein Ordinierter oder ein römisch-katholischer Priester die Feier des Abendmahls leitet. So lautet zumindest das implizite und explizite Fazit der Erklärung der VELKD-Bischöfe „Ordnungsgemäß berufen“ aus dem Jahr 2006. Es gilt nun, die Wahrheitsmomente beider Positionen herauszuarbeiten und miteinander zu verbinden. Die evangelische Gleich-Gültigkeit resultiert mit einem gewissen Recht aus dem christologischen Primat im Gottesdienst, nämlich dass Christus das primäre Subjekt des gottesdienstlichen Handelns ist. Dies konvergiert auch mit der hier erfolgten Reflexion des Gottesdienstes. Die Ge222 Das ist in ökumenischer Hinsicht wichtig: Eine evangelische Abendmahlsfeier leidet aus römischer Sicht immer – ob nun von einem in apostolischer Sukzession stehenden lutherischen Bischof (z. B. in Schweden) oder einer nichtordinierten Vikarin oder Prädikantin geleitet – unter einem solchen defectus ordinis, der es römisch-katholischen Christen verbietet, in dieser Feier die Kommunion zu empfangen.

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genwart Christi in der Liturgie kann und darf nicht von der Form der Beauftragung und Ordination ihres Vorstehers abhängig sein. Wie Gott auch durch „unwürdige“ Amtsträger wirken kann, so wird man dies analog auch für nichtordinierte Personen annehmen können und dürfen. Die katholische Denkfigur des supplet fides Ecclesiae hat gerade im Kontext des Gottesdienstes einen guten Sinn und begrenzt jede einseitige Verabsolutierung des liturgischen Leitungsamtes. Außerdem ist der Gottesdienst Christuspräsenz in der Gestalt der plurimedialen Feier der ganzen Gemeinde. In der Liturgie ist der ordinationsgebundene Vorsitz zwar ein wichtiges, aber weder einziges noch einzig konstitutives personales Medium der Christuspräsenz. Der rechte theologische und liturgische Mitvollzug der ganzen Gemeinde, die ja als Gemeinde ebenso in persona Christi handelt („Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward“), gehört ebenso zur Abendmahlsfeier wie der ordinationsgebundene Vorsitz. Gehört der universalkirchliche Aspekt wesentlich zu jeder Gottesdienstfeier, insbesondere zur Abendmahlsfeier dazu, so steht ein Abendmahl unter Leitung eines Nichtordinierten zwar aus christologischen Gründen selbstverständlich immer noch in der Communio Christi und der universalkirchlichen Gemeinschaft mit den in Christus verbundenen Gottesdienstgemeinden aller Zeiten und Orte – die universalkirchliche Gemeinschaft realisiert sich ja ganz wesentlich an und in den liturgischen Vollzügen; ihm fehlt jedoch ein wichtiger personaler verbindlicher Ausdruck dieser übergemeindlich-universalkirchlichen Verbundenheit. Hier liegt das Wahrheitsmoment der katholischen Position und ihrer Betonung der Unverzichtbarkeit des rechtmäßig ordinierten Amtsträgers für die Feier der Eucharistie. Mit Ulrich Kühn lässt sich zusammenfassen: „Dort, wo eine Eucharistiefeier ohne ordinierten Amtsträger stattfindet, erfolgt gewiss der persönliche Zuspruch des in dieser Feier gegenwärtigen Christus für den einzelnen. Aber es besteht ein ‚Mangel‘ an symbolischem Vollzug der ekklesialen Dimension der Eucharistie.“223 Dabei stellt sich allerdings die Frage, welches Amt auf welche „Gesamt“- oder „Universal“-Kirche bezogen ist, die es unter der Bedingung der konfessionellen Gespaltenheit streng genommen nicht gibt. Welches Amt darf unter den Bedingungen der Getrenntheit der Christenheit welche „Gesamtkirche“ legitim repräsentieren und ihrer „Einheit“ dienen, so dass die Repräsentationsansprüche der jeweiligen Ämter von den Repräsentierten auch anerkannt und bejaht werden? Das römisch-katholische Amt beispielsweise kann und will nur jene Kirche repräsentieren, die nach LG 8 in der römisch-katholischen Kirche unter der Führung des Petrusdieners subsistiert. Der Anspruch des lutherischen Amtes, auf

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Kühn, Amt, 22.

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die ganze Kirche hingeordnet zu sein, wird von römischer Seite implizit und explizit bestritten. Man muss zugespitzt sagen: Analog zur Tatsache, dass jeder Gottesdienst nicht nur die Einheit, sondern auch die Gespaltenheit der Kirche präsent macht,224 ist auch das Amt nicht nur auf die Einheit der Kirche bezogen, sondern auch Zeichen (und Werkzeug!) ihrer Gespaltenheit. So präzisiere ich: Die Leitung einer Abendmahlsfeier durch nichtordinierte Personen beeinträchtigt die christologisch-soteriologische Dimension des Gottesdienstes (nur) insofern, als ekklesiale und liturgische Fehlformen das konkrete Handeln Gottes in der Liturgie überhaupt beeinträchtigen können.

8.4.2 Das römisch-katholische Problem: Zur ekklesiologischen Qualität der Privatmesse der Ordinierten Ein ähnliches Problem wie die Leitung von Abendmahlsfeiern durch nichtordinierte Personen stellt die Privatmesse dar, die auf katholischer Seite nicht nur geduldet, sondern in gewisser Weise sogar gefördert wird. Auch hier wird das Miteinander und Gegenüber von Liturg und Gemeinde aufgelöst – hier zugunsten des Liturgen. Seit dem 19. Jahrhundert gehört die tägliche Zelebration zur priesterlichen Spiritualität dazu, wobei das Phänomen der Messe ohne Gemeinde alt ist und bekanntlich von den Reformatoren heftigst kritisiert wurde. Dass hier ein gravierender Verstoß und eklatanter Widerspruch gegen die Bestimmung des Gottesdienstes vorliegt, ist bereits am liturgischen Vollzug, insbesondere an den Texten abzulesen, die allesamt eine tatsächliche Gemeinde voraussetzen und vor Augen haben. Es gehörte zu den wichtigen theologischen Entscheidungen der nachvatikanischen Liturgiereform, die Gemeindemesse zum Grundmodell des Gottesdienstes zu machen.225 In der Zuordnung der möglichst täglichen Messzelebration zur spezifischen Spiritualität des römisch-katholischen Priesters ist zwar noch das Wahrheitsmoment erkennbar, dass das Spezifikum das ordinationsgebundenen Dienstes wesentlich von der Eucharistie her bestimmt ist. Die Eucharistie hingegen ist wesentlich ekklesial bestimmt – und auch der römisch-katholische Kirchengedanke inkludiert das Priestertum aller Getauften. Das Volk Gottes ist es, worauf die Eucharistie und der priesterliche Zelebrationsdienst hingeordnet sind. Wo die private Zelebration der Eucharistie nur der persönlichen Erbauung des Priesters dient, ist das Wesen der Eucharistie als Feier der universalen Communio erheblich tangiert und pervertiert. Wo der gemeinsame liturgische Voll224

Dazu mehr und vertieft unter E 1.4. „Die Stillmessen bzw. das gesprochen vollzogene Stundengebet sind im Grunde nichts anderes als institutionalisierte Ausnahmen.“ (Gerhards/Kranemann, Einführung, 192) 225

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zug durch die versammelte Gemeinde weder vorgesehen noch liturgisch möglich ist (z. B. durch die Stillrezitation des Messkanons oder die Feier in der nicht öffentlichen Privatwohnung des Priesters), dort kann nicht mehr von einem Gottesdienst der Kirche die Rede sein, ja schlimmer: die höchste Darstellungsund Verwirklichungsform der Kirche wird entstellt, indem der Priester die eucharistische Gegenwart Christi für seinen persönlichen Zweck und Bedarf vereinnahmt.226 Gerade der Dienstcharakter des ordinationsgebundenen Amtes erfordert es, der Eucharistie und der Kirche zu dienen und nicht die Liturgie der ganzen Kirche für die eigene priesterliche Befindlichkeit zu missbrauchen. Hier stellt sich auch die Frage, ob nicht gewisse Formen in der Praxis des (evangelischen und katholischen) Krankenabendmahls ekklesiologisch fragwürdig sind227 und ob nicht, gerade aus pastoral-seelsorglichen Gründen, der Gemeindegottesdienst stärker mit der Krankenkommunion verknüpft werden sollte. Ähnlich fragwürdig sind Gruppenabendmahlsfeiern (egal welcher Konfession), die gewissermaßen hinter verschlossenen Türen stattfinden und ebenso die universalkirchliche Bestimmung des Abendmahls verkürzen.

Exkurs: Zur ekklesiologischen Bedeutung sonstiger liturgischer „Fragwürdigkeiten“ Bisher sind amtstheologische Defekte der Gottesdienste in den Blick gekommen, die zwischen den Konfessionen in besonderer Weise für Verstimmung und Misstrauen gesorgt haben. M.E. wird jedoch die Bedeutung des ordinationsgebundenen Amtes dann überschätzt, wenn die ekklesiologischen Defekte ausschließlich am rechten Miteinander und Gegenüber von Amt und Gemeinde festgemacht werden. Das rechte Miteinander und Gegenüber von Amt und Gemeinde ist jedoch keineswegs der einzige ekklesiologisch relevante Faktor. Innerhalb des Gottesdienstes gibt es noch etliche andere Gestaltungsfragen, die nicht nur ästhetisch, sondern theologisch oder ekklesiologisch relevant sind. 226 Vgl. auch Lies, Eucharistie, 127. Besonders eklatantes Beispiel dafür ist die Erzählung eines befreundeten Priesters, demzufolge in Rom vor Öffnung des Petersdoms Priester dort an Nebenaltären ihre Privatmesse zelebrieren könnten. Dies werde als „besonderes Erlebnis“ empfunden. 227 Die evangelische Feier am Krankenbett, an der die Pfarrerin und die Kranke unter sich sind und bei der die Einsetzungsworte als liturgische Kurz-Konsekrationsformel gesprochen werden, hat deutliche Analogien zur katholischen Tabernakelkommunion und zur Privatmesse: Beide Male wird der kirchlich-gemeinschaftliche Horizont der eucharistischen Liturgie und Kommunion ausgeblendet. Sinnvoll erscheint mir entweder die unmittelbare Verknüpfung von Gottesdienst und Krankenkommunion, wobei die Gemeinde den kranken Menschen zumindest namentlich in ihrer Mitte hat (in der Fürbitte) und der Kranke betend bei der Gemeinde ist, in deren Kommunion er durch Leib und Blut Christi, wenngleich zeitlich etwas verschoben, hineingenommen wird. Oder aber statt des Einzelabendmahls findet ein „kleiner“ Gemeindegottesdienst am Krankenbett statt, an dem auch Glieder der Gemeinde teilnehmen.

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Zu nennen wäre hier etwa die gottesdienstliche Musikpraxis (und die Vielzahl bloß gelesener römischer Messen), die Abendmahlspraxis und -häufigkeit (nicht nur im Protestantismus), die Predigtpraxis und vor allem die oft vernachlässigte bewusste Gestaltung ökumenischer Offenheit der konfessionellen Gottesdienste. 8.5 Lehre und Liturgie der Ordination 8.5.1 Die Amtsverständnisse als kirchliche Profilierungsfaktoren und die Ordinationsriten als übersehene ecclesiologia prima Am Ende der liturgisch-theologischen Reflexion des Gottesdienstes sollen theoretische und methodische Überlegungen stehen, welche die Hauptgedanken aus der liturgisch-theologischen Grundlegung in Teil C nochmals mit dem Blick auf das ordinationsgebundene Amt und dessen interkonfessionelle Strittigkeit aufnehmen, bündeln und vertiefen. Im gegenwärtigen ökumenischen Dialog erweist sich die Frage nach der Bedeutung des ordinationsgebundenen Amtes zunehmend als Hauptdifferenz zwischen den getrennten Konfessionen. Das Verständnis des ordinationsgebundenen Amtes wird zunehmend zum ekklesiologischen Profilierungsfaktor. Die neueren und aktuellen amtstheologischen Debatten müssen hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet, diskutiert und bewertet werden. Gemeinsam ist der katholischen und der protestantischen Diskussion und Selbstprofilierung die Fokussierung auf das ordinationsgebundene Amt, abstrakt von seinem konkreten Sitz im Leben. Dies fällt vor allem daran auf, dass die Konfessionen, insbesondere die römisch-katholische Kirche, die kirchliche Wirklichkeit des anderen wesentlich am Amt messen und bewerten. Die typische römisch-katholische Argumentationsfigur ist die des Ökumenismusdekretes: Es ist der defectus ordinis, der dazu führt, dass in den nichtkatholischen Gemeinschaften nicht die Fülle des eucharistischen Mysteriums bewahrt wurde, sodass diese Gemeinschaften nicht als Kirche im römischen Sinn bezeichnet werden können. Die Argumentation besagt dass sich die gottesdienstliche Wirklichkeit primär (wenn nicht gar ausschließlich, je nachdem, ob defectus ordinis „Mangel“ oder „Fehlen“ des ordo bedeutet) über die Rechtmäßigkeit des Amtes konstituiert. Das wiederum bedeutet, dass den Ordinationsgottesdiensten anderer Konfessionen keine theologische und geistliche Wirklichkeit zugesprochen wird – und die Beurteilung von nichtkatholischen Ordinationen abstrakt von deren Vollzug erfolgt.228 Das evangelische Verständnis von Amt und allgemeinem Priestertum operiert 228 Daraus folgt die theologisch, geistlich und ökumenisch höchst ärgerliche und fragwürdige Praxis, dass konvertierende Geistliche (z. B. anglikanische Bischöfe) sub conditione (also unter der Voraussetzung, dass die bisherige Ordination nichtig war) voll re-ordiniert werden.

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ebenfalls mit Abstraktionen und Theorien, etwa der Delegationstheorie (Wilfried Härle, Harald Goertz, Ulrich H.J. Körtner) als Alternative zur sog. Stiftungstheorie (Ulrich Wilkens, Gunther Wenz, Walter Dietz). In der Regel werden dazu reformatorische Schriften und Bekenntnisaussagen herangezogen, wobei oft ein und derselbe Artikel (z. B. CA 5 und 14) als Beleg für gegensätzliche Auffassungen fungieren muss.229 Auch diesen Argumentationen ist gemeinsam, dass sie in der Regel vom gottesdienstlichen Vollzug als Primärverwirklichung von Kirche, Amt und Allgemeinem Priestertum abstrahieren; der Stiftungstheorie als dezidiert theologischer Amtslehre, die dem historisch-theologischen Ursinn der CA deutlicher entsprechen dürfte, ist dabei eine größere Offenheit für den Vollzug des Ordinationsgottesdienstes zu attestieren ist, während die Delegationstheorie sich stärker soziologisch-demokratischen Denkprinzipien verpflichtet weiß, die naturgemäß eine geringere Affinität zum Gottesdienst als Ort der Gegenwart Gottes haben. Binnen- und interkonfessionell hilfreich und weiterführend könnte eine vertiefte Reflexion der eigenen und fremden Ordinationsvollzüge sein. Was tut diese und jene Kirche und unsere eigene Kirche konkret, wenn sie ordiniert? Wie ist aus evangelischer Sicht eine römisch-katholische Priester-/Bischofsweihe zu beurteilen? Und umgekehrt: Wie beurteilt die römisch-katholische Kirche die Ordination in den nichtkatholischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften? Anders gewendet: Was sagt die Ordinationsfeier, die ja als Liturgie ecclesiologia prima et summa ist, über sich selbst und das spezifisch in sie integrierte Moment der Ordination? Auch hier kann ein beim konkreten liturgischen Vollzug einsetzender Ansatz helfen, die Wirklichkeit der Ämter besser und theologisch angemessener und geistlich umfassender zu verstehen und ökumenisch zu würdigen als die formale Feststellung von „Gültigkeit“, „Rechtmäßigkeit“ oder „rite vocatus“. 8.5.2 Drei ökumenische Perspektiven für eine amtstheologische Reflexion aus der Ordinationsliturgie Ohne dies nun konkret am liturgischen Vollzug genauer ausführen zu können, könnte sich durch eine Wahrnehmung der Ordination als theologia prima der Amtstheologie auch in dreierlei Hinsicht ein Weg der konfessionellen Selbstvergewisserung (und -korrektur) und der interkonfessionellen Verständigung auftun.

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Zusammenfassend vgl. Neijenhuis, Ordinationsdebatte.

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8.5.2.1 Die innerevangelische Verständigung über Ordination und „Beauftragung“ Die innerevangelische Verständigung über Amt und Ordination könnte und sollte sich am liturgischen Vollzug orientieren. Aus lutherischer Sicht ist die Ordination „eine gewichtige gottesdienstliche Sprachhandlung“ (Oswald Bayer).230 Nach Bayer ist „die Bitte um das Kommen des Heiligen Geistes und dessen mit der Handauflegung verbundene Zusage, Gabe und Mitteilung (Joh 20,22) ein Hauptmoment der Ordination – wenn nicht das Hauptmoment schlechthin“.231 Auch Michael Meyer-Blanck hat mit Nachdruck die Performativität der Ordination betont.232 Meyer-Blanck kritisiert die Liturgievergessenheit des evangelischen Ordinationsverständnisses und dessen „performativen Selbstwiderspruch (. . .), der das, was man tut, nicht wissen will und dies darum auch nicht richtig tut, sondern in der Vollzugsform der inneren Distanzierung von der liturgischen Zeichengestalt agiert“.233 Stattdessen ist das Verständnis von Amt und Ordination wesentlich am liturgischen Zeichengeschehen der Ordination selbst abzulesen. Wenn eine Auslegung der einschlägigen amtstheologischen Aussagen der Bekenntnisschriften aktuell Autorität beanspruchen darf, dann doch wohl die liturgische Konkretion des Amtsverständnisses im Spiegel der Agende, die in actu von Ordinierten und Nichtordinierten als gültig anerkannt und tradiert wird. Was Ordination ist, definieren nicht primär ein ökumenischer Arbeitskreis oder eine bischöfliche Empfehlung zum Thema, sondern der Ordinationsgottesdienst selbst als ecclesiologia prima.234 Bevor andere Instanzen meinen, die Bekenntnisaussagen besser, moderner oder demokratischer auslegen zu müssen, muss erst der gegenwärtigen Liturgie, die von Gemeinde und Amtsträgern glei-

230

Bayer, Amt, 23. Bayer, Amt, 25. 232 Auffällig ist an Meyer-Blancks Überlegungen dessen starke Abgrenzung des Performativen vom Sakramentalen (v. a. Ordination, 32–34). Das berechtigte Anliegen Meyer-Blancks besteht darin, dass „der soteriologische Irrtum zurückgewiesen werden soll, es gäbe eine durch menschliches Handeln festzustellende oder gar herzustellende größere Nähe zu Gott. An dieser Stelle liegt die Falle einer Operationalisierbarkeit der Gnade, die aus soteriologischen Gründen zu Recht den bleibenden Widerspruch evangelischen Glaubens finden muss.“ (Meyer-Blanck, Ordination, 35). Sosehr MeyerBlanck in seinem wichtigen Anliegen zuzustimmen ist, wäre doch zu fragen, ob und wie an der evangelischen Ordinationsliturgie der Unterschied von performativ und sakramental ablesbar ist, oder ob es sich hierbei nicht um eine dogmatische Unterscheidung handelt, die sich liturgisch nicht umsetzen lässt. 233 Meyer-Blanck, Ordination, 38. 234 Auf den spezifisch gottesdienstlichen Charakter der Ordination weist auch Walter Dietz mehrfach hin (vgl. Walter Dietz, Ordination, 104–106). 231

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chermaßen im Vollzug bestätigt und anerkannt wird, auf der Grundlage von Schrift und Bekenntnis nachgewiesen werden, dass sie grob missverständlich ist. Über das Verhältnis von „Beauftragung“ und „Ordination“ kann letztlich auch nur die gefeierte Liturgie Auskunft geben. Ist der liturgische Handlungskern identisch, ist auch das Amt und die Aufgabe von Beauftragten und Ordinierten identisch. Dann aber sollten auch nomenklatorische Unterschiede wegfallen, die letztlich nur auf eine Unterscheidung hinsichtlich der Ausbildung und der beamtenrechtlichen Versorgung abzielen. Der so Beauftragte ist ordiniert – und umgekehrt. Lediglich eine Beauftragung zum ordinationsgebundenen Einheitsdienst an Wort und Sakrament pro tempore et loco wäre ein kontradiktorischer Widerspruch zum Zeit und Raum übergreifenden Wesen des Gottesdienstes und dessen, was im Gottesdienst „Einheit“ im universalkirchlichen diachronen und synchronen Sinn bedeutet.235 8.5.2.2 Die Frage der möglichen wechselseitigen Anerkennung der Ämter Die Verständigung zwischen den Konfessionen müsste sich im Horizont der Frage, inwieweit der Gottesdienst des jeweils anderen tatsächlich Gottesdienst als reales Begegnungsgeschehen zwischen Christus und seiner Gemeinde gelten kann, auch die Frage stellen, inwieweit Christus selbst im ordinierenden Vollzug der getrennten Gemeinschaft als eigentlicher Ordinator anwesend und handelnd erkannt werden kann. Das Urteil Leos XIII. aus dem Jahr 1896 über die Nichtigkeit der anglikanischen Weihen impliziert ja letztlich, dass im anglikanischen Weihegottesdienst nichts geschieht, ja dass Christus selbst nicht als gegenwärtig wirksam und handelnd erkannt werden kann. Selbst wenn die eigene Ordinationsliturgie als Fülle der Wahrheit gilt, kann doch von anderen Gestalten der Liturgie schwerlich gesagt werden, dass dort nichts geschieht, zumal wenn sich dort ähnliche und gleiche Liturgieelemente finden lassen.236 Es würde übrigens auch der evangelischen Seite gut anstehen, das römischkatholische Amtsverständnis nicht nur als Zerrbild seiner selbst zu verstehen, sondern aus seinem liturgischen Vollzug der Weiheliturgie heraus. Die Frage nach der wechselseitigen (Nicht-)Anerkennung der Ämter müsste grundsätzlich das liturgische Geschehen als theologisches, Wirklichkeit setzendes Geschehen mitberücksichtigen. Nach der Durchsicht verschieden konfessioneller Ordinationsliturgien, die in einem auch aus systematisch-theologischer Sicht höchst lesenswertem Aufsatz235 Für die evangelische Praxis schlage ich daher vor: 1. Die amtstheologische Gleichstellung von Ordinierten und Prädikanten sollte durch eine einheitliche Nomenklatur und gemeinsame, liturgisch identische Ordinationsfeiern zum Ausdruck kommen. 2. Vikarinnen und Vikare werden gemeinsam in der Mitte ihres Vikariates (etwa nach dem ersten Jahr) zentral ordiniert und leiten danach, als Neu-Ordinierte in ihren Vikariatsgemeinden die erste Abendmahlsfeier. In dieser Zeit sind sie in ihre spezifische Aufgabe gemeinsam hineingewachsen – auch geistlich. 236 Vgl. dazu auch H.-J. Schulz, Glaubenseinheit, 87–90.

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Das Wesen der Kirche in ihrer liturgischen Existenz

band zusammengetragen wurden,237 stellt die Herausgeberin Irene Mildenberger abschließend das ebenso nüchterne wie ökumenisch brisante Ergebnis fest: „Handauflegung und Gebet mit der Bitte um den Heiligen Geist stehen überall in der Mitte. Dabei ist übrigens auch die Gemeinde an diesem Gebet bzw. der Bitte um den Heiligen Geist beteiligt, durch ein Bittlied – meist der Hymnus ‚Veni Creator Spiritus‘-, durch ein Litaneigebet oder durch beides.“238 Angesichts dieses Befundes hätte beispielsweise das katholische Lehramt argumentativ darzulegen, warum der Heilige Geist innerhalb der römischen Liturgie dieselbe Ordinationsepiklese erfüllt, die er in der anglikanischen oder lutherischen Ordinationsliturgie nach römischer Lehrmeinung angeblich nicht erfüllt. 8.5.2.3 Die innerkatholische Verständigung über das dreigestufte Amt Auch innerkatholisch kann der Rekurs auf die gültigen Weiheliturgien zur Klärung der Theologie des Amtes beitragen. Es ist ja keineswegs so, dass die katholische Amtstheologie keine Fragen offen lässt. Nicht nur das Verhältnis der Dienste von Laien und ordinierten Amtsträgern ist eine offene theoretische und praktische Frage, sondern auch das präzise Verhältnis der drei Weihestufen zueinander, das das Zweite Vatikanische Konzil in den Blick genommen, aber noch keineswegs überzeugend gelöst hat (insbesondere die Frage nach der Diakonenweihe als Durchgangsstation zur Priesterweihe). Dem entspricht, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von neuen Vorschlägen zu einer theologischen und kirchenrechtlichen Reform des römischen ordinationsgebundenen Amtes vorgelegt wurden, denen der katholische Liturgiewissenschaftler Stefan Böntert „dramatische Liturgievergessenheit im Blick auf die Ordination“ attestiert.239 Böntert weiter: „Ist die schwache Interaktion von theologischer Systematik und liturgischer Realität ein Symptom für ein latentes Liturgiemoratorium in den gegenwärtigen amtstheologischen Diskursen?“240 Was Böntert abschließend angesichts der römisch-katholischen Amtstheologie formuliert, gilt in gewisser Weise auch für die evangelische Theologie sowie für die interkonfessionelle Annäherung in der Amtsfrage: „Das Amt hängt konstitutiv an einer liturgisch vollzogenen Ordination, unbeschadet aller damit verbundenen rechtlichen Bestimmungen. Die Liturgie zeigt an – entsprechend des prosperschen Axioms – was die Kirche glaubt. Analog müsste als Kern der Amtstheologie rekonstruiert werden: Was das kirchliche Amt bedeutet und worin

237 Irene Mildenberger (Hg.), Ordinationsverständnis und Ordinationsliturgien. Ökumenische Einblicke, Beiträge zu Liturgie und Spiritualität 18, Leipzig 2007. 238 Mildenberger, Ordinationsverständnis, 208. 239 Böntert, Katholische Ordination, 175. 240 Böntert, Katholische Ordination, 175.

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die Kirche seine Ursprünge, seine Hinordnung und seinen Existenzvollzug glaubt, wird dadurch offenkundig, wie ihre Amtsträger ordiniert werden. Spitzt man diese Analogie zu, dann ist die Ordination kein Subsystem der Amtstheologie und Ekklesiologie mehr. Die Ordinationsliturgie zollt nicht einer a priori erstellten Amtstheologie Tribut. Das Gegenteil ist richtig: Das Amt ist durch seine liturgische Bestellung theologisch determiniert! Die theologische und funktionale Authentizität des Amtes steht und fällt mit der Ordination.“241 Völlig zu Recht fordert Böntert eine „Relecture anderer Ordinationstraditionen, um den theologischen Sinngehalt des Amtes dort zu erheben und zu verstehen, Konvergenzen aufzudecken und die Vielfalt der Gestalten und Traditionen wertzuschätzen“.242

241 242

Böntert, Katholische Ordination, 176. Böntert, Katholische Ordination, 177.

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E Gemeinsame Liturgie unter den Bedingungen der getrennten Konfessionen Die liturgisch-theologische Reflexion zentraler Elemente und Vollzüge des Gottesdienstes hat sich als sehr ertragreich erwiesen und bestätigt die These, dass die Kirche im Gottesdienst ihr Wesenszentrum hat. Viele Trennungen der kirchlichen Lehre können vor der ekklesialen Wirklichkeit des Gottesdienstes nicht bestehen. Allerdings tendiert diese Methode dazu, die Faktizität der Getrenntheit der Konfessionen auszublenden. Das ist einerseits sachgerecht. Offensichtlich sind sich die getrennten Kirchen in ihrer theologia prima wesentlich näher, als sie dies in der Reflexion artikulieren können. Die getrennten Gottesdienste sind schon eine Kirche in ihrem liturgischen Vollzug. Andererseits wird man die Trennungen und Spaltungen der Kirche und Christenheit als aus Überzeugung und um der theologischen Wahrheit und Redlichkeit notwendige Vorgänge ansehen müssen. Im 16. Jahrhundert ist die kirchlich-konfessionelle Einheit des westkirchlichen Christentums deshalb zerfallen, weil die entstehenden Konfessionen nur so ihre Treue zum Evangelium und ihre Einheit mit der Kirche zu wahren meinten. Im folgenden Kapitel wird das Faktum der Getrenntheit der Kirchen und Gottesdienste und der punktuell gemeinsamen Gottesdienste auf ihre jeweiligen theologischen Spezifika hin reflektiert. Abschließend wird eine liturgisch-theologisch begründete Antwort auf die Frage nach der Zulassung von Gliedern anderer Kirchen zum je eigenen Abendmahl gegeben.

1. Der ökumenische Gottesdienst und sein theologisches und ekklesiologisches Proprium Worin besteht die theologische Eigenart ökumenischer Gottesdienste? Zur Beantwortung dieser Frage werden der Bezug ökumenischer und konfessioneller Gottesdienste zur Einheit der Kirche, die Frage nach der liturgischen Form sowie der Kasualiencharakter des ökumenischen Gottesdienstes diskutiert. Abschließend wird erörtert, wie aus der Sicht der getrennten Ekklesiologien der ekklesiologische Status des ökumenischen Gottesdienstes konvergent bestimmt werden kann.

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1.1 Der Ökumenebegriff und seine Anwendung zur Bezeichnung bestimmter Gottesdienste Willem Visser’t Hooft hat in bis heute maßgeblicher Weise die Begriffs- und Erfolgsgeschichte des Wortes „ökumenisch/Ökumene“ untersucht und dabei folgende Bedeutungsebenen herausgearbeitet:1 1. Die ganze (bewohnte) Erde. 2. Zum ganzen (Römischen) Reich gehörend oder es vertretend. 3. Zur Kirche als ganzer gehörend oder sie vertretend. 4. Allgemeine kirchliche Gültigkeit besitzend. 5. Die weltweite missionarische Aufgabe der Kirche betreffend. 6. Die Beziehungen zwischen mehreren Kirchen oder zwischen Christen verschiedener Konfessionen betreffend. 7. Das Wissen um die Zugehörigkeit zur weltweiten christlichen Gemeinschaft der Kirchen und die Bereitschaft der Kirchen, für die Einheit der Kirche Christi zu arbeiten. Interessant ist, dass der Ökumenebegriff ursprünglich nicht theologisch oder kirchlich assoziiert war, sondern einen geographischen, soziokulturellen bzw. politisch definierten Raum bezeichnete. Erst mit der zunehmenden Ausbreitung des Christentums wurden die bewohnte Erde bzw. das Römische Reich nach und nach christianisiert, die Ökumene wurde sozusagen verkirchlicht. Wird das Adjektiv „ökumenisch“ auf bestimmte liturgische Feiern bezogen, so wird der Ökumenebegriff in der Regel im Sinne von „verschiedene Konfessionen verbindend“ verstanden. Im Vordergrund stehen also die sechste und siebte Bedeutungsebene des Ökumenebegriffs nach Visser’t Hooft. Die Bedeutungsebenen 1 und 2 treffen modifiziert auch für den ökumenisch genannten Gottesdienst zu, denn die Feierpraxis ökumenischer Gottesdienste spiegelt auf ihre Weise den spezifischen soziokulturellen (und multikonfessionellen) gesellschaftlichen Kontext, also die jeweilige „bewohnte Erde vor Ort“ (oikoumene ge), in dem ökumenisch genannte Gottesdienste stattfinden. Die Bedeutungsebenen 3 und 4 sind aufgrund der divergierenden Kirchenverständnisse am schwierigsten. Nach römisch-katholischem Verständnis beispielsweise kann der ökumenische Gottesdienst streng genommen nicht als Liturgie im eigentlichen Sinn, und die nicht römisch-katholischen Gemeinschaften nicht als Kirche im eigentlichen Sinn gelten. Unklar bleibt hierbei auch, wer die „Kirche als ganze“ sein soll und wie sich der konkrete ökumenische Gottesdienst vor Ort, der immer nur von einzelnen

1 Vgl. Visser’t Hooft, ökumenisch. In seinen verschiedenen Veröffentlichungen systematisiert Visser’t Hooft die Bedeutungsebenen von „ökumenisch“ nicht immer einheitlich. Ich beziehe mich hier auf die Zusammenfassung der Visser’t Hooftschen Analysen bei Bernd Jaspert (vgl. Jaspert, Ökumene, 27).

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Gemeinsame Liturgie

Angehörigen einzelner Konfessionen gefeiert wird zur Vielheit der Konfessionsfamilien und deren jeweiligen ekklesialen Ansprüchen verhält. Ähnlich verhält es sich bei der Bedeutungsebene 5 (die weltweite missionarische Aufgabe der Kirche betreffend). Allerdings gewinnt der im Ökumenebegriff implizierte Missionsgedanke in Bezug auf den Gottesdienst dort an Relevanz, wo der ökumenisch genannte Gottesdienst in einer religiös pluralen oder mehrheitlich nichtchristlichen oder nachchristlichen Gesellschaft stattfindet. Wird ein Gottesdienst ökumenisch genannt, so stehen bei der Bezeichnung „ökumenisch“ in der Regel der Bezug auf einen gemeinsam bewohnten Lebensraum sowie das Konfessionen verbindende und das auf die Einheit der Kirche gerichtete Bedeutungsmoment im Vordergrund.

1.2 Die prinzipielle Ökumenizität und Katholizität des christlichen Gottesdienstes Der christliche Glaube beansprucht, universal gültig, für alle Menschen aller Zeiten und Orte unverzichtbar, heilsrelevant, wertvoll und insofern ökumenisch, nämlich auf die Menschheit und Kirche des ganzen bewohnten Erdkreises gerichtet zu sein. Dies wurzelt in der biblischen Christologie, besonders in der universalen Bedeutung von Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. „Die Christen verstehen sich als Glieder des durch Jesus gesammelten und erneuerten Gottesvolkes Israel. Über die Christen und ihre Gemeinden (ekklesia) gelangt das Heil zu allen Völkern. Ihre Heilssendung hat ‚allgemein gültigen‘, ‚das Ganze betreffenden‘, ‚universalen‘ Charakter. Das Adjektiv ‚katholisch‘ hat eine doppelte Bedeutung: Es bezeichnet einerseits die Kirche in ihrer geographischen und ökumenischen und Grenzen zwischen Völkern und Kulturen überwindenden Weite und andererseits die Kirche, insofern sie im rechten und wahren Glauben verharrt und sich (von Anfang an) gegen Irrlehren schützt. Beides ist im Neuen Testament verankert.“2 Es ist nicht leicht, die Begriffe „ökumenisch“ und „katholisch“ voneinander abzugrenzen. Beiden Begriffen wohnt der Aspekt der Universalität inne, der in der Universalität des Heilswillen Gottes und der Sendung Christi begründet ist. Allerdings steht – das hat auch die Begriffsgeschichte gezeigt – beim Ökumenebegriff die räumliche Universalität im Vordergrund. Wenn bestimmte, von mehreren Konfessionen verantwortete Aktivitäten vor Ort als „ökumenisch“ bezeichnet werden, hat das darin seinen Sinn, dass die örtlichen Kirchen ihre jeweilige partikulare oikoumene ge als einen konfessionell pluralen Lebensraum wahrnehmen. Der Begriff des Katholischen hat auch die räumliche Universalität im

2

Hasitschka, Katholizität, 15.

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Der ökumenische Gottesdienst

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Blick, inkludiert aber auch die zeitliche Universalität und hat eine Affinität dazu, die Fülle des Heils mitklingen zu lassen. Insofern kann man sagen, dass Ökumenizität eine Teilmenge der Katholizität ist, nämlich die räumliche Universalität und Öffentlichkeit, die einschließt, dass die bewohnte Erde bzw. der bewohnte Lebensraum von Christen und Kirchen mit konkurrierenden kirchlichen Geltungs- und Alleinvertretungsansprüchen bewohnt ist. Die Katholizität des Gottesdienstes, welche dessen Ökumenizität umfasst, ist keine nachträgliche Zugabe zum Gottesdienst, sondern ist in dessen theologisch-christologischem Wesen begründet. Sie gründet in der realen Gegenwart Christi im Gottesdienst, wie Gordon Lathrop ausführt: „Because of God’s presence, our local meeting becomes the whole catholic church dwelling here. Because of God’s acting, not because of out ability at intuiting the universal in the partikular, each local meeting becomes a sign of the dawning of the day of God. Anyone who comes into this meeting encounters the whole assembly of God.“3 Die Katholizität und Ökumenizität der Kirche bestehen nach Lathrop darin, dass sie die grundlegenden liturgischen Vollzüge in immer neuen kulturellen Situationen unter Wahrung der Würde der je lokalen Kultur vollzieht und so die Vielfalt von Land und Leuten in die Einheit der Gottesdienstgemeinschaften aller Zeiten und Orte einbringt.4 Somit gibt es im theologischen Sinn niemals einen evangelischen Gottesdienst neben einem katholischen, orthodoxen oder ökumenischen Gottesdienst. Vielmehr ist jeder Gottesdienst katholisch und ökumenisch, weil und wenn er evangelisch ist, also die universale Heilsbotschaft von Jesus Christus vergegenwärtigt.5 Nur in diesem Sinne ist der evangelische Gottesdienst der Gottesdienst der einen, heiligen katholischen und apostolischen Kirche6 und darf den Anspruch erheben, in einem theologischen Sinn ökumenisch und orthodox, rechter Lobpreis in Verbundenheit mit den Christen vor Ort und weltweit zu sein. Orthodox, katholisch, evangelisch und auch ökumenisch: „das sind in erster Linie 3

Lathrop, Holy People, 53. Vgl. Lathrop, Holy People, 56. 5 Vgl. auch Kornemann, Gottesdienst 917 f; Schmidt-Lauber, Zukunft, 16. Für den Gottesdienst trifft zu, was Anno Schulte-Herbrüggen mit Recht zur Katholizität der Kirche (auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche) bemerkt: „Die notwendige Katholizität jeder sichtbaren Verwirklichung von Kirche Jesu Christi bedeutet von daher, dass in ihr die einheitsstiftende Universalität des Heilswillens Gottes, die Universalität der Heilssendung des Sohnes und die Universalität deren Sieges durch das Pneuma sichtbar werden muss. Die Universalität einer sichtbaren Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft ist so gesehen anfanghaftes Abbild der Universalität der in Jesus Christus zu einem siegreichen Ende geführten Heilssendung Gottes. Wo eine sichtbare Kirche sich nur als Resultat eines freien Zusammenschlusses der Menschen versteht, die sich selbst genügt und die meint, sie hätte das Heil in ihrem Besitz, wo sie also ihrer inneren Verwiesenheit auf die universale und katholische Heilssendung Jesu Christi, die sie sakramental abzubilden hat, nicht nachkommt, da wird man nicht davon ausgehen können, dass in dieser Gemeinschaft die Kirche Christi subsistiert“ (SchulteHerbrüggen, Ekklesiologie, 358). 6 Vgl. dazu auch Jüngel, Gottesdienst, 285 f, 305; Meyer-Blanck, „dass unser lieber Herr“, 500 f. 4

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nicht Denominationsbezeichnungen, sondern Wesensbestimmungen und elementare Charakteristika, die für das Kirchesein von Kirche überhaupt bestimmend sind“ (Gunther Wenz).7 Richtig ist aber auch, dass jeder Gottesdienst gegenwärtig in einem konfessionellen Kontext und in einem konfessionell geprägten rechtlichen Rahmen steht. Dies muss jedoch theologisch, gerade vom Selbstverständnis des liturgischen Vollzugs, als äußere Hülle (oder mit David Fagerberg gesprochen: als „liturgy in its thin sense“) gelten, durch die es zum katholisch-ökumenischen Wesen des Gottesdienstes in der Gegenwart des dreieinen Gottes durchzudringen gilt – primär feiernd, sekundär nachdenkend. Wo noch ein evangelischer Gottesdienst neben dem katholischen Gottesdienst – gewissermaßen als „etwas anderes“ – gedacht und gefeiert wird, zeigt sich, dass hier der Primärsinn der Liturgie als Communio mit dem dreieinen Gott nicht voll erfasst ist.8 Die Ökumenizität als ein Aspekt der umfassenderen Katholizität des Gottesdienstes besagt, dass der christliche Gottesdienst stets innerhalb der gegenwärtigen oikoumene ge steht und zu stehen hat. Dazu gehört zum einen der weltweite kirchlich-konfessionelle Aspekt. Dazu gehört zum anderen auch der jeweilige soziokulturelle Horizont vor Ort. Die Erkundung der ökumenischen Gottesdienstpraxis hat gezeigt, dass die örtliche oikoumene ge je Gottesdienst verschieden ist. Die Ökumenizität des Gottesdienstes besteht nun darin, dass die konkrete Liturgiefeier in Christus, der im Gottesdienst gegenwärtig ist, verbunden ist mit allen anderen gottesdienstlichen Gemeinden. Wer im Gottesdienst in die Communio des dreieinen Gottes eintritt und hineingezogen wird, steht – nolens volens – auch in Gemeinschaft mit jeder anderen liturgischen Christus-Communio der bewohnten Erde.

1.3 Der ekklesiologische defectus unitatis als liturgisch gestaltetes „Spezifikum“ ökumenischer Gottesdienste Ökumenizität und Katholizität gehören zum theologischen Wesen des christlichen Gottesdienstes und der christlichen Kirche und werden konkret an den einzelnen liturgischen Grundvollzügen. Dementsprechend beansprucht jeder (konfessionelle) Gottesdienst sowohl nach evangelisch-lutherischem als auch nach römisch-katholischem Verständnis, ökumenisch und katholisch zu sein. Die von beiden konfessionellen Traditionen behauptete und beanspruchte Katholizität und Ökumenizität ihrer jeweiligen Gottesdienste macht die so 7

Wenz, Es weiß gottlob, 136. Dieser Eindruck legt sich nahe bei Theodor Hering, dem es unter dem Stichwort „Konfessionalität des christlichen Gottesdienstes“ „um den evangelischen Gottesdienst im Kontext der evangelischen Kirche“ geht (Hering, Gottesdienst, 18). 8

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genannten „ökumenischen“ Gottesdienste zunächst einmal fragwürdig, ja entbehrlich (was sie ja in der Praxis auch sind). Der katholisch verstandene und gefeierte Gottesdienst der eigenen Konfession und Ritusgemeinschaft ist sich selbst genug. Dies gilt für die römische, für die lutherische, ja für jede konfessionelle Liturgie. Nun gibt es aber in der Praxis Gottesdienste, die ökumenisch genannt werden. Daneben gibt es Gottesdienste, die nicht ökumenisch genannt werden, sondern als „evangelischer Gottesdienst“, „katholischer Gottesdienst“ und „orthodoxe Liturgie“ bezeichnet werden – und somit entgegen ihrer Selbstbezeichnung und ihrem theologischen Selbstverständnis – als „nicht ökumenisch“ gelten. Es ist offensichtlich, dass die kirchliche Praxis an dieser Stelle besonders eklatant die Gespaltenheit der Kirche Jesu Christi und ihrer Gottesdienste spiegelt, da, wie schon gesagt, Evangelizität, Katholizität, Ökumenizität und Orthodoxie keine Konfessionsbezeichnungen sein wollen, sondern elementare Charakteristika christlicher Kirche und christlicher Liturgie umschreiben.9 Gibt es eine theologische und/oder ekklesiologische differentia specifica des ökumenischen Gottesdienstes gegenüber den konfessionellen Gottesdiensten? Theologisch geschieht im ökumenischen Gottesdienst zunächst nichts anderes als in einem konfessionellen Gottesdienst, nämlich das geistgewirkte Hineingenommen-Werden der versammelten Gemeinde in die Communio des dreieinen Gottes in der Gestalt der Liturgie als geistgewirkter theologia prima der kirchlichen Versammlung. Bedeutsam ist die Tatsache, dass im ökumenischen Gottesdienst Repräsentanten10 getrennter Konfessionskirchen einen Gottesdienst – bewusst, sichtbar und trotz der noch bestehenden Getrenntheit gemeinsam – feiern, ohne dass eine Konfession einen „Gaststatus“ hätte. Die Kirche, deren prototypische Gestalt der eucharistische Gottesdienst ist, wird durch die gemeinsame Feier von Gliedern getrennter Kirchen und Traditionen ihrer gegenwärtigen Situation ansichtig: Die Christenheit ist gespalten. Die Kirche Jesu Christi existiert wohl, auch konkret und sichtbar – aber in, mit und unter der Vielfalt von Kirchen, die sich selbst als wahre Kirche verstehen und das kirchliche Selbstverständnis anderer bestreiten. Die meisten ökumenisch genannten Gottesdienste in Deutschland geschehen unter Beteiligung der römisch-katholischen Kirche, etliche auch mit Orthodoxen, sodass die gemeinsame Feier der Eucharistie, die von Christus selbst einge-

9 Gordon Lathrop formuliert hierzu folgende Fragen: „How does this local church, intended to be the fullness of catholic church in this place, recognize the practice of the local church ‚over there‘ as also the practice of the catholic church in that place? How does one local church recognize another local church in the same place?” (Holy People, 121) 10 Zur Rede von „Repräsentanten“ ist zu sagen, dass Nichtordinierte nicht weniger Repräsentanten einer kirchlichen Konfession und Tradition sind als Ordinierte.

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setzte gottesdienstliche Handlung, als Mitte des christlichen Gottesdienstes (Ferdinand Hahn)11 nicht gemeinsam vollzogen werden kann/darf. Hierin besteht ein Spezifikum der ökumenisch genannten Gottesdiensten gegenüber den konfessionellen Gottesdiensten: nämlich das Fehlen eines „gemeinsamen“ Abendmahles, das sacramentum unitatis zu sein bestimmt ist, sodass von einem defectus unitatis zu reden ist. Das Fehlen und die Unmöglichkeit des „gemeinsamen Abendmahles“ ist ein schweres Manko, ja ein Skandal. Dieser Skandal spiegelt jedoch den größeren Skandal, dass es gegenwärtig eine Vielzahl einander ausschließender und einander ihr Kirchesein strittig machender Gottesdienstgemeinschaften und Kirchen nebeneinander und durcheinander gibt, der der Situation, die Paulus in 1Kor 3, 5–10 schildert, ähnlich ist. Das Fehlen des Abendmahles im interkonfessionellen Gottesdienst hat eine dreifache Funktion und Bedeutung: Erstens erinnert es den ökumenischen Gottesdienst an die übergemeindlichen Bekenntnisverpflichtungen der beteiligten Konfessionen und bewahrt den konkreten gemeinsam gefeierten Gottesdienst davor, in unökumenische Selbstverschlossenheit und Separatismus gegenüber den eigenen Bekenntnisgeschwistern abzugleiten.12 Auch wenn sich die miteinander Feiernden theologisch gut verstehen, bleiben sie doch Angehörige größerer, bislang leider noch nicht versöhnter Traditionen. Zweitens ist das Fehlen der Eucharistie auch ein Ausdruck der Verbundenheit der Gottesdienstgemeinde mit den Vorfahren im Glauben, die sich an dieser Frage aus theologischer Überzeugung und Treue zur jeweils erkannten Wahrheit getrennt haben, auch wenn aus heutiger Sicht solche Trennungen theologisch nicht mehr unmittelbar einsichtig sein müssen. Drittens ist das Fehlen der Eucharistie auch Ausdruck der Sehnsucht und der Bußbereitschaft, sich neu auf Christus zu besinnen, im Dialog mit den anderen sich in Frage stellen zu lassen und zu erkennen, dass das gemeinsame Mahl erst dann redlich gefeiert werden kann, wenn alle konkurrierenden Parallelstrukturen der christlichen Kirchen in ihrer wechselseitigen Ausgrenzung abgebaut sind. Ökumenisch genannte interkonfessionelle Gottesdienste vergegenwärtigen damit etwas, was implizit auch jedem konfessionellen Gottesdienst innewohnt; sofern defectus nicht nur „Fehlen“, sondern auch „Mangel“ bedeuten kann, leidet jeder christliche Abendmahlsgottesdienst unter einem Mangel an voller Gemeinschaft und unitas mit den Abendmahlsgemeinden der getrennten Kirchen. 11

Vgl. Hahn, Theologie II, 561. Die in der Praxis bisweilen kursierende Aussage „Wir sind hier schon weiter als Rom“ o.ä. stellt genau genommen keine Fortschrittlichkeit, sondern einen Bruch der Solidarität mit der römischen Kirche dar, wie immer man ihr Verbot von Formen der Eucharistiegemeinschaft theologisch und geistlich beurteilen mag. 12

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Dieser Mangel wird in den konfessionellen Gottesdiensten in der Regel verdrängt, da man hier „unter sich“ am eigenen Altar feiert.13 Der defectus unitatis betrifft dabei nicht nur ökumenische Wortgottesdienste mit römisch-katholischer oder orthodoxer Beteiligung, in denen jede eucharistische Form, sei es die Kon- oder Interzelebration oder offene Kommunion, ausdrücklich untersagt ist. Er betrifft auch die Konzelebrationskonstellationen von „erlaubten“ interkonfessionellen Eucharistiefeiern (z. B. evangelisch-anglikanisch), denn diese sind ja keineswegs offen für und anerkannt und anerkennbar von anderen nicht beteiligten Konfessionen (z. B. aus römisch-katholischer und orthodoxer Sicht, aber auch nicht innerhalb der ganzen anglikanischen Gemeinschaft oder der Kirchen der Utrechter Union).14

1.4 Gottesdienst – Ort der Einheit und der Gespaltenheit der einen Kirche Christi Gegenwärtig ist jeder Gottesdienst – ob nun lutherisch oder römisch-katholisch oder sonst welcher Konfession oder auch interkonfessionell – immer trotz und gerade in seinem universalkirchlichem Anspruch, konkreter Ort der Einheit der Kirche zu sein, auch konkreter Ort ihrer Gespaltenheit. Der Lutheraner Gordon Lathrop nennt in seiner Liste der „signs of communion“, die die Gottesdienstgemeinden weltweit austauschen und empfangen, „as an especially important gift to each other, the truth about our own local neediness“.15 Die „local neediness“, die Angewiesenheit auf Einbindung und Anerkennung der lokalen Gottesdienstgemeinde in die universale Communio der Gottesdienstgemeinden macht darauf aufmerksam, dass kein Gottesdienst an und in sich selbst Ort der Einheit der Kirche in Christus sein kann ohne die Anerkennung als wahrer Ort der Gegenwart Christi durch die anderen Kirchen und die Verbundenheit mit der weltweiten Christenheit.16 Auch Theresa Berger hat dies herausgearbeitet. Berger erkennt im (konfessio-

13 Auch die Lima-Erklärung gibt zu, dass unter den Bedingungen der Kirchenspaltung „die Katholizität der Eucharistie“ weniger deutlich ist (Lima, E19). 14 Darüber hinaus muss eine mögliche oder erlaubte Konzelebration (z. B. evangelisch/anglikanisch) noch lange nicht die volle wechselseitige Anerkennung der feiernden Konfessionen implizieren, wie etwa bei Konzelebrationen von Amtsträgern mit historischer Bischofssukzession und solchen ohne Sukzession deutlich wird. 15 Lathrop, Holy People, 58. 16 Angesichts der zunehmenden Medienpräsenz von Gottesdiensten mit Päpsten sei angemerkt, dass natürlich auch der im Petersdom oder der in einer großen Arena mit 100.000 Gläubigen gefeierte Gottesdienst unter der liturgischen Leitung des Bischofs von Rom in derselben Weise ein ortsund partikularkirchlicher Gottesdienst ist, mit derselben ekklesiologischen Valenz wie eine Messe in einem Altenpflegeheim, und der zudem von einem Teil der gegenwärtigen Christenheit nicht als wahre Kirche im eigentlichen Sinn anerkannt wird.

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nellen) Gottesdienst einen Ort der Einheit und der Spaltung der einen Kirche.17 Die Präsenz der ecclesia universalis im ortsgemeindlichen Gottesdienst als Selbstdarstellung der Kirche bedeutet zugleich die Epiphanie der Spaltungen des Leibes Christi. „Durchdringung von ecclesia universalis und Ortsgemeinde muss (. . .) heißen, dass in jedem teilkirchlichen Gottesdienst – sei er römischkatholisch, pfingstkirchlich, anglikanisch, baptistisch, reformiert, orthodox, lutherisch, altkatholisch, methodistisch, mennonitisch usw. – immer auch die ganze Ökumene, d. h. aber (zur Zeit noch) alle gespaltenen Kirchen mit ihren Trennungen präsent sind. Der eigentlich schöne Gedanke, dass jeder noch so unbesuchte Gottesdienst in jedem noch so abgeschiedenen Winkel dieser Erde etwas mit der Kirche aller Zeiten und Orte zu tun hat, wird unter diesem Gesichtspunkt zur unentrinnbaren Anklage gegen das allgegenwärtige Skandalon der Trennungen im Leib Christi, dem kein noch so unbesuchter Gottesdienst in keinem noch so abgeschiedenen Winkel dieser Erde entgehen kann.“18 Die universalkirchliche Ausrichtung und Eingebundenheit eines jeden ortskirchlichen Gottesdienstes bedeutet somit auch, dass die Universalität der Versehrtheit und Gespaltenheit des Leibes Christi jeden ortskirchlichen Gottesdienst egal welcher Konfession wesentlich tangiert. Wie die Gottesdienste in der liturgisch vollzogenen Communio des dreieinen Gottes einerseits schon miteinander perichoretisch geeint sind,19 wie mit Schulte-Herbrüggen gesagt werden kann, so durchdringt und betrifft andererseits die Spaltung der Christenheit auch jeden Gottesdienst. Natürlich hat Schulte-Herbrüggen primär die römisch-katholische Kirche vor Augen. Allerdings ist beispielsweise der evangelisch-lutherische oder der anglikanische Gottesdienst nicht minder davon betroffen, Ort der Spaltung des Leibes Christi zu sein, da ja etliche Konfessionen im lutherischen oder anglikanischen Gottesdienst – entgegen dem jeweiligen Selbstverständnis von Lutheranern und Anglikanern – gerade nicht das volle Wirklich-Sein der einen Kirche Christi erkennen können bzw. wollen. Ausgehend von der These, dass die Kirche Christi sich wesentlich in der gottesdienstlichen Feier von Wort und Sakrament verwirklicht, ist der Gottesdienst die konkrete Gestalt der una sancta catholica et apostolica ecclesia – und zugleich eben immer auch die strittige Gestalt der Kirche, da sich die weltweit existenten Gottesdienstgemeinden eben nicht wechselseitig als Kirche Christi anerkennen können und somit Altar gegen Altar steht. Solange sich nicht alle Kirchen und Gottesdienstgemeinschaften, die sich auf Christus berufen und seine volle Präsenz in ihren Gottesdiensten bekennen, wechselseitig als Kirchen im eigentlichen Sinn anerkennen können, leidet jeder Gottesdienst – konfessionell oder ökumenisch – unter einem Mangel an Öku-

17 18 19

Theresa Berger, Gottesdienst, bes. 79–81. Theresa Berger, Gottesdienst, 80. Vgl. Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie, 362 f.

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menizität und somit auch unter einem Katholizitätsdefizit.20 Es ist ein gravierender theologischer Irrtum, zu denken, nur im interkonfessionellen Gottesdienst würde entweder die Einheit oder die Gespaltenheit der Christenheit manifest. Auch der binnenkonfessionelle Gottesdienst ist ein Epiphan-Sein der Spaltung der Kirche Christi, und zwar gerade darin, dass er sich selbst genug ist und die Spaltung in der Regel verdrängt.21 Als Beispiel dafür seien die Papstmessen aus Rom genannt, die eindrücklich die Einheit der römisch-katholischen Kirche und gerade darin ihren defectus inszenieren; denn das hier gefeierte kirchliche Selbstverständnis, demzufolge die Kirche notwendig dem Primat des Papstes unterstellt sein muss, um Kirche im eigentlichen Sinn zu sein, kann weder von den orthodoxen, noch von reformatorischen, altkatholischen und anglikanischen Kirchen anerkannt werden. Nicht zuletzt die Tatsache, dass gemeinsame Gottesdienste – ob mit oder ohne gemeinsame Mahlfeier – nur kasuell stattfinden und die Gläubigen sich danach (sozusagen: normalerweise) weiterhin an getrennten Kanzeln und Altären getrennt versammeln und in verschiedenen Kirchen und Kirchengemeinden nebeneinander leben, macht deutlich, dass gerade das Nebeneinander von kasuell gemeinsamen und „normalerweise“ getrennten Gottesdiensten in besonderer Weise die Trennung der Christenheit erfahrbar macht.22 Die getrennten Konfessionen brauchen daher den – auch litur-

20 Vgl. auch Wannenwetsch, Gottesdienst, 71–73. Einzelne interkonfessionelle Fortschritte und einzelne Vereinbarungen eucharistischen Miteinanders oder Kirchenunionen sind Schritte hin auf das Ziel einer vollen Einheit der Kirche Jesu Christi, die erst gegeben ist, wenn sich alle christlichen Gottesdienstgemeinschaften als Kirche Jesu Christi anerkennen. Solche Schritte sind wichtig, um der geglaubten Einheit der Kirche sichtbarer zu entsprechen; sie können die geistliche Gemeinschaft der Christen dieser Konfessionen bereichern. Sie dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass es noch zahlreiche andere Kirchen gibt, die nicht einmal unbedingt vor Ort präsent sein müssen. Eine evangelisch-anglikanische Eucharistiegemeinschaft leidet ebenso unter einem Mangel an ökumenischer Gemeinschaft wie eine (bislang noch fiktive) römisch-katholisch/orthodoxe. Die Meissen-Erklärung schafft noch keine Eucharistiegemeinschaft mit den Romkatholiken und die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre keine Eucharistiegemeinschaft mit der Orthodoxie, ja nicht einmal eine Gemeinschaft im Beichtsakrament zwischen den Lutheranern und der römischen Kirche. 21 Martin Stuflesser hat dies beim Vergleich von binnenkonfessionellen und ökumenischen Formen des Taufgedächtnisses zutreffend festgestellt: „Wenn Taufgedächtnis innerhalb einer Konfession gefeiert wird, handelt es sich um eine andere Feierform, als wenn dieses zwischen den Konfessionen gefeiert wird. So ließe sich vielleicht sagen: Weil sich die Feiergestalt ändert, erhält auch der Sinngehalt einen ekklesiologisch neuen Akzent, denn bei (binnen-)konfessionellen Formen des Taufgedächtnisses ist die ekklesiale Frage (nach der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche) unterrepräsentiert und ebenfalls theologisch unterbestimmt.“ (Stuflesser, Gedächtnis, 272 f; kursiv von F.I.) Wenn nun Stuflesser in der Fußnote dazu anmerkt, dass im konfessionellen Taufgedächtnis dafür der anthropologische und soteriologisch-christologische Aspekt stärker gewichtet ist, so stellt sich die für Praxis und Theorie wichtige Frage, ob Anthropologie, Soteriologie und Ekklesiologie liturgisch gegeneinander „aufgerechnet“ werden können. 22 Vgl. auch Mayr, Gottesdienst, 47.

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gisch erlebten – Schmerz des defectus unitatis, um produktiv der Einheit der Kirche Christi dienen zu können.23 Ist es theologisch sachgemäß, dass der ökumenisch genannte Gottesdienst den Status einer kontingenten und im Zweifelsfall auch entbehrlichen Kasualie, eines „Sonderfalls“ von Gottesdienst24 hat und letztlich nur „Kirche von Fall zu Fall“25 ist? Der ökumenisch genannte Gottesdienst ist, theologisch gesehen, nicht „ökumenischer“, „evangelischer“ oder „katholischer“ als der konfessionelle Gottesdienst. Sobald klar ist, dass Ökumenizität theologisch kein akzidentielles Sonderthema besonderer ökumenisch genannter Gottesdienste ist, sondern jeden christlichen Gottesdienst existentiell betrifft, stellt der Kasualienstatus des ökumenischen Gottesdienstes kein eigenes theologisches Problem dar; vielmehr ist die Kasualie „ökumenischer Gottesdienst“ ein Reflex der Situation, dass sich verschiedene Konfessionskirchen als wahre katholische Kirche Jesu Christi am selben Ort verstehen, ohne sich gegenseitig als Kirche Christi anzuerkennen.26 Ökumenische Kasualgottesdienste sind insofern nötig, als sie die Gefahr einseitiger Selbstgenügsamkeit konfessioneller Gottesdienste, die in der Katholizität konfessioneller Gottesdienste tendenziell droht, explizit machen, indem die Gebrochenheit und Segmentiertheit der empirischen Ökumene partiell konkret wird. Ökumenische Gottesdienste sind jedoch nur dann theologisch und spirituell stimmig, wenn die feiernden Christen und Kirchen(gemeinden) verschiedener Tradition auch sonst ihre Gottesdienste ökumenisch verstehen und immer in der potentiellen Gegenwart der getrennten Konfession feiern.27

23 Vielen (besonders ranghohen römisch-katholischen) Kirchenvertretern fehlen solche liturgischen Schmerzerfahrungen. Es wäre zu fragen, ob nicht auch die Verantwortlichen der römisch-katholischen Lehre häufiger solche liturgischen Schmerzerfahrung machen müssten, nämlich zur liturgisch-eucharistischen Communio der anderen nicht zugelassen zu sein. Dies geschieht, wenn der Papst an einer orthodoxen Göttlichen Liturgie teilnimmt (wie etwa beim jährlichen Andreasfest in Konstantinopel) und sollte um solche Erfahrungen vermehrt werden, wo der Papst oder katholische Bischöfe lutherische, altkatholische oder anglikanische Messen mitfeiern. Der entscheidende Aspekt liegt darin, die Liturgie eines anderen mitvollziehen zu können, die Kommunion aber – trotzdem und widersinnigerweise – nicht empfangen zu dürfen. 24 So Thöle, Gottesfurcht, 15 f. 25 Diese Wendung lehnt sich an das gleichnamige Kasualienbuch von Kristian Fechtner an. 26 Vgl. dazu Lathrop, Holy People, 120 f; Ploeger, Celebrating Church, 485–488. 27 Ein praktisches Beispiel: Eine katholische Pfarrei, die sich der Pflege des tridentinischen Ritus verpflichtet fühlt, und eine evangelische Gemeinde, die mit der Liturgie und den Gaben des Abendmahls achtlos umgeht, werden kaum authentisch einen ökumenischen Gottesdienst feiern können.

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1.5 Ein ekklesiologisch aussagekräftiges Beispiel: Die teil-ökumenische Feier des Gründonnerstags in Meschede Die teil-ökumenischen Gottesdienste,28 bei denen die gemischtkonfessionelle Gemeinde Teile des Gottesdienstes (z. B. Eröffnung und/oder Sendung/Segen) gemeinsam und Wortverkündigung und Abendmahl getrennt feiert, machen in besonderer Weise deutlich, was jeder Gottesdienst – konfessionell oder gemeinsam – ist, nämlich Ort der Einheit und der Gespaltenheit der Kirche. Als überzeugendes liturgisches Beispiel sei hier die Gründonnerstagspraxis im Ökumenischen Gemeindezentrum in Meschede-Gartenstadt als eindrückliches Beispiel dokumentiert: „Ein gemeinsamer Gottesdienstbeginn findet im Foyer des Kirchenzentrums statt. Dort wird die Feier liturgisch eröffnet. Die nicht konsekrierten Elemente sowie das Abendmahlsgerät für die Mahlfeier werden den evangelischen Christen von Vertretern der katholischen Gemeinde mitgegeben und umgekehrt. Die Fortsetzung der Feier erfolgt konfessionell: die Katholiken feiern eine Messe in der Kirche und die evangelische Gemeinde den Gottesdienst in der Begegnungsstätte. Nach den konfessionell getrennten Gottesdienstelementen mit Abendmahls- und Eucharistiefeier treffen sich die Gemeinden anschließend zu einem Agapemahl im verbindenden Gebäudeteil, dem Foyer. Dann wird ‚ein, ja, ein Komplet in der vereinfachten Form in der Kirche noch mal zusammen gefeiert‘.“29 Eine solche Feier, die nicht nur das Zusammenkommen der Getrennten, sondern auch das Sich-trennen-Müssen und das Sich-Wiederbegegnen integriert, verdeutlicht am eindrücklichsten, dass jeder Gottesdienst Ort der Einheit und der Spaltung der Christen ist. Diese liturgisch gestaltete Trennung wird von den dortigen Gemeindegliedern sehr tief (und auch ambivalent) empfunden30 – was m.E. nicht gegen, sondern für diese Form spricht. Nicht die liturgische Gestalt ist anstößig, sondern vor allem die Situation der getrennten Christenheit, die weder in gemeinsamer noch in getrennter Liturgie „wegharmonisiert“ werden darf.

28 29 30

Vgl. Teil A 1.4. Hagmann, Zusammenarbeit, 129; Hagmann zitiert hier ein Gemeindeglied aus Meschede. Vgl. Hagmann, Zusammenarbeit, 130.

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1.6 Die Suche nach einer ökumenischen Gottesdienstform Sowohl in der Lehre als auch in der kirchlich-gemeindlichen Praxis stellt sich anlässlich interkonfessionell gefeierter Anlässe die Frage nach der Form des Gottesdienstes. Gibt es eine Konfessionen verbindende Gottesdienstform, die alle Mitfeiernden in gleicher Weise mitverantworten können? Die nächstliegende Antwort scheint zu sein: Wir können alles gemeinsam feiern, nur unter römisch-katholischer und orthodoxer Beteiligung keine Sakrament genannten Handlungen. So stellt das Modellbuch „Ökumenische Gottesdienste“ in seiner Einführung fest: „Ökumenische Gottesdienste beschränken sich naturgemäß auf solche gottesdienstliche Formen, die von den beteiligten Konfessionen ohne Bedenken mitgefeiert werden können.“31 Offensichtlich gibt es bedenkenlose und bedenkliche Formen der gemeinsamen Feier, wobei zu letzteren die Sakrament genannten Feiern gehören. Das Wahrheitsmoment dieser Aussage liegt darin, dass gerade in der Sakramentenlehre die ekklesiologischen Differenzen der Konfessionen am deutlichsten ans Tageslicht treten.32 Der Tatsache, dass jeder Gottesdienst Ort der Einheit und der Spaltung der Kirche ist, entspricht im ökumenischen Gottesdienst das Fehlen der gemeinsamen Eucharistie als Feier, die nicht ohne Bedenken gemeinsam gefeiert werden kann. Die dogmatischen Bedenken können dabei liturgisch unterstrichen werden durch spezifische Symbole (leerer Kelch) oder andere Zeichenhandlungen.33 Aber: Sind die anderen Gottesdienstformen wirklich „ökumenischer“? Können Gottesdienste ohne Sakramente wirklich „ohne Bedenken“ gefeiert werden? Gibt es eine gemeinsame Gottesdienstform, die nicht von den Bedenken tangiert wird, die die dogmatische Trennung der Konfessionen aufgibt?

31

Ökumenische Gottesdienste, 9 (kursiv von F.I.). Es ist fraglich, ob der traditionelle Sakramentsbegriff bei der theologischen Reflexion liturgischer Formen hilfreich ist, zumal es sich hierbei theologie- und begriffgeschichtlich um einen nachträglichen Reflexionsbegriff handelt. Der Sakramentsbegriff mag bestimmte Zeichenhandlungen zusammenfassen und ordnen; er ist jedoch nicht fähig, das liturgische Geschehen theologisch adäquat zu erfassen. Schriftlesung, Lied, Bekenntnis und Gebet können beispielsweise mit dem traditionellen Sakramentsbegriff nicht angemessen erfasst werden. Von daher ist es wenig weiterführend, im Umfeld von ökumenischen Gottesdiensten mit Begriffen wie „Sakramentgottesdienst“ oder „nichtsakramentaler Liturgie“ zu operieren. 33 Hier sei einem eindrücklichen Beispiel das Wort gegeben, das Tilmann Haberer erlebt hat: „Auf einem ökumenischen Studientag in Kärnten im Mai 2000, bei dem unter anderem über die Thomasmesse gesprochen wurde, feierten die Anwesenden zum Abschluss einen Gottesdienst. Im Verlauf dieses Gottesdienstes ging der katholische Priester zum Altar, auf dem die Abendmahlsgeräte aufgebaut waren, begann mit den eucharistischen Gebeten, brach dann aber ab und zeigte der Gemeinde ein mehr als hundert Jahre altes kostbares Spitzendeckchen, das zum Abdecken des Kelches gedient hatte, und zerriss es vor aller Augen, legte die Fetzen auf den Altar und setzte sich.“ (Haberer, Thomasmesse, 122) 32

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Helmut Kornemann nennt zwei Formprinzipien für die Gestaltung ökumenischer Gottesdienste,34 nämlich das der Minimierung und das der Addition: Liturgische Minimierung, so Kornemann, repräsentiert einen Minimalkonsens, der darauf achtet, „alles zu vermeiden, das irgendeinen Beteiligten in seinem Gewissen vergewaltigen könnte, gleichzeitig aber so viel von dem Glaubensbewusstsein der Beteiligten einzubringen, dass sich niemand ausgeschlossen vorkommen muss“.35 Die liturgische Addition ist von zwei Gedanken bestimmt: „(a) Jede beteiligte Konfession bringt ein, was ihr unumgänglich erscheint, wobei sie sich bemüht, die Grenzen der Verletzlichkeit der anderen zu achten. (b) Aus dem Reichtum der Gaben, die die beteiligten Konfessionen mitbringen, wird zusammengefügt, was der gemeinsamen Feier dienlich ist und das Wirken des Heiligen Geistes in den beteiligten Konfessionen bezeugt.“36 Kornemann konstatiert in der liturgischen Praxis ein Repräsentanzdenken, demzufolge im ökumenischen Gottesdienst verschiedene liturgische Elemente „zusammen kommen“ und dadurch die konfessionellen Liturgietraditionen „repräsentiert“ werden. Er selbst plädiert für die „Abkehr vom Repräsentanzdenken hin zur Wahrnehmung der jeweiligen Geistesgaben“.37 Ähnlich äußerst sich auch der Schweizer Liturgiker Alfred Ehrensperger zur Vielfalt ökumenischer Feierformen. Die bisher in der gemeindlichen Praxis ad hoc konzipierten Mischformen sind häufig vom Prinzip diplomatischer Ausgewogenheit bestimmt und somit „weder Fisch noch Vogel“.38 Von den verschiedenen schon in den Konfessionen bestehenden Gottesdiensttypen ist nach Ehrensperger am ehesten der Tagzeitengottesdienst als Formtyp für den ökumenischen Gottesdienst geeignet.39 Ehrensperger begründet dies theologisch mit der unterschiedlichen Wertigkeit und Vollständigkeit von Wort- und Predigtgottesdiensten in den Konfessionen und vor allem mit dem verschieden verstandenen Bezug von Wortgottesdienst zu Abendmahlsfeier. Ehrensperger überzeugt dadurch, dass er die Fixierung von Ökumene auf einzelne kasuelle Gottesdienste aufbrechen will, da das Tagzeitengebet auf Regelmäßigkeit und Vertrautheit mit der liturgischen Form ausgerichtet ist.40 Allerdings ist die ökumenische Frage nach der liturgischen Form noch nicht dadurch gelöst, dass man eine theologisch scheinbar harmlose Form wählt. Der Protest einzelner Orthodoxer gegen das Gebet mit Schismatikern und Häretikern auf der Ebene des ÖRK zeigt, dass es letztlich keinen „dogmatisch unbelasteten“ in-

34 Vgl. Kornemann, Gottesdienst, 915 f. Der dritte Weg der ökumenischen Gastfreundschaft fällt hier aus, da er einen konfessionellen Gottesdienst voraussetzt. 35 Kornemann, 915. 36 Kornemann, 916. 37 Kornemann, 919. 38 Ehrensperger, Gottesdienst, 281. 39 Vgl. Ehrensperger, , 283 f; ders., Ökumene, 166–171. 40 Vgl. Ehrensperger, 284.

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terkonfessionellen Gottesdienst gibt.41 Mit Recht kritisieren Ehrensperger und Kornemann das in der kirchlichen Praxis verbreitete Repräsentanzdenken, demzufolge jede Konfession im gemeinsamen Gottesdienst „vorkommen“ muss und sich „die Angehörigen verschiedener Traditionen darin wieder finden“ müssen.42 Es ist in liturgisch-theologischer Sicht ohnehin wenig überzeugend, zu behaupten oder zu suggerieren, es gäbe liturgische Elemente, die bestimmten Konfessionen angehören und die in der gemeinsamen Feier addiert, harmonisiert oder auf einen Nenner gebracht werden müssten. Nicht einmal Weihrauch, Salbungen und liturgische Gewänder können letztlich als Proprium von nur einer einzelnen konfessionellen Partikulartradition gelten. Es ist richtig, dass sich die für die liturgische Gestaltung Verantwortlichen in der Praxis entscheiden müssen. Die Pluralität an liturgischen Elementen ist allerdings in Geschichte und Gegenwart der Konfessionen derart breit, dass es sich in den meisten Fällen nicht um „evangelische“, „orthodoxe“ oder „katholische“, sondern um „bekannte“ bzw. „fremde“ liturgische Elemente handelt. Bei aller Vielfalt der liturgischen Geistesgaben in der Ökumene muss doch theologisch klar sein, worin sie ihre Einheit haben, nämlich darin, spezifische Ausformungen der Grundelemente des christlichen Gottesdienstes – Taufgedächtnis, Schriftverkündigung, Gebet, Gesang, Bekenntnis – zu sein. Die vielfältigen Ausprägungen der liturgischen Elemente lassen sich doch letztlich auf die tradierten Grundvollzüge christlicher Liturgie elementarisieren. Es kann im gemeinsamen Gottesdienst getrennter Konfessionen nicht darum gehen, verschiedene liturgische Traditionen nebeneinander zu stellen oder eine neue Form zu kreieren, sondern in den eigenen und in den fremden Elementen und Vollzügen den theologischen Hinweis auf die Einheit der Kirche in Christus zu erkennen.43

1.7 Liturgische Fremdheit als theologisch sachgemäßer Ausdruck der Ökumenizität und Katholizität des Gottesdienstes Die Gegenwart der anderen getrennten Christen und ihrer liturgischen Traditionen trägt den Aspekt der Fremdheit in die gemeinsame liturgische Feier.44 Die Dimension der Fremdheit einzelner liturgischer Vollzüge und die bleibende Spannung zwischen Vertrautheit und Fremdheit, zwischen Kontinuität und 41

Vgl. Storch, Hoffnungszeichen 55–68. Heller, Taufe, 205. 43 Ähnlich auch Kornemann, Gottesdienst, 918 f; Mayr, Gottesdienst, 49. 44 „Ecumenical worship is risky, because most of the time we do not feel at home. Nothing we do is in its pure form. Even if we do exactly what we do at home, the kontext has been changed by the 42

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Wandel bewahrt die gottesdienstliche Gemeinde vor der Gefahr der Selbstgenügsamkeit im stets Vertrauten, Gewohnten und in der eigenen Partikularität. Liturgische Fremdheit ist insofern theologisch angemessen, da die Fremdheit der Liturgie die prinzipielle Andersartigkeit und Verborgenheit Gottes spiegelt, die im Gottesdienst als dem zentralen Ort gemeinschaftlicher Begegnung mit und in dem dreieinen Gott nicht zugunsten eines „Dienst(es) am gezähmten Gott“45 verloren gehen darf. Von daher ist eine „verständliche Fremdheit“46 (Martin Nicol) in der Liturgie geboten. In der Wahrnehmung bestimmter liturgischer Vollzüge als fremd spricht sich die Grundwahrheit aus, dass sich Gott weder mit einer bestimmten Liturgiegestalt, noch mit der Summe aller möglichen und tatsächlichen Liturgiegestalten voll identifiziert, was nicht aus-, sondern einschließt, dass bestimmten Vollzügen der Liturgie seine besondere Gegenwart zugesagt ist. Die Erfahrung von Fremdheit in der Liturgie kann darüber hinaus den Gottesdienst als Ort der Einheit und der Spaltung erscheinen lassen. „Fremde“ liturgische Stile verdeutlichen, dass die Kirche eine ökumenische Empfangsstruktur hat und nicht im Vertrauten, Bekannten und Eigenen aufgeht. Die Gottesdienstgemeinschaften nehmen und geben ökumenisch weiter, was sie empfangen. Insofern hat das Repräsentanzdenken bei der Gestaltung interkonfessioneller Gottesdienste doch ein bleibendes Recht. Allerdings nun umgekehrt: Nicht in dem Sinn, dass nun die eigene liturgische Tradition hinreichend repräsentiert sein muss, sondern dass in der Repräsentanz fremder liturgischer Elemente aus anderen Traditionen und Konfessionen Gott als der andere und fremde, damit aber als der eine Gott aller und der je und je größere und andere liturgisch präsent wird.

1.8 Gottesdienst zwischen ökumenischer Weite und Milieuverhaftung Der Gottesdienst ist Ort der Einheit und der Gespaltenheit der Kirche. Der Gottesdienst ist Mitte der ganzen Gemeinde und doch Feier einer bestimmten Gruppe. Nicht erst heute, aber gerade heute unter den Bedingungen der spät- bzw. postmodernen Gesellschaft,47 deren Mitglieder eben auch die Glieder der Kirchen und die Gottesdienstbesuchenden sind, erweist sich die Frage nach dem theologischen Anspruch der Ökumenizität des Gottesdienstes noch in einer anderen Hinsicht als dringlich: Die gegenwärtige Erlebnisgesellschaft ist gegliedert presence of an ecumenical congregation where what we normally do will be surely new for somebody and usually new for large numbers of those present.“ (Castro, Ecumenical Worship, 104) 45 Nicol, Weg, 22 f. 46 Vgl. Nicol, Weg, 59 f. 47 Zu den Konturen der Postmoderne vgl. Grözinger, Kirche, 11–49.

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in verschiedene Milieus. Gesellschaft und Volkskirche sind in „Zielgruppen“48 segmentiert. Die Milieustrukturiertheit der Gesellschaft produziert, so der Praktische Theologe Eberhard Hauschildt, eine Vielzahl milieuspezifischer Gottesdienste.49 Ausgehend von einem kultursoziologischem Ansatz kommt Hauschildt zu folgendem Ergebnis: „Das Dilemma eines einheitlichen Gottesdienstes heute ist weitgehend milieubedingt (. . .) Es ist so gut wie unmöglich, einen Gottesdienst zu veranstalten, der allen Milieus mit ihren Milieuvorlieben und Milieuerwartungen zugleich gerecht wird (. . .) De facto sind unsere Gottesdienste milieuspezifische Gottesdienste.“50 Hauschildt konstatiert die faktische Vielheit milieuspezifischer Gottesdienste; dies stellt die Ökumenizität eines jeden Gottesdienstes in Frage. Der ökumenisch genannte Gottesdienst als Sonderform von Gottesdienst steht ebenso wie jeder konfessionelle Gottesdienst in der Gefahr, sich selbst zu verengen und zur milieuspezifischen Gruppenveranstaltung zu werden. Die theologische Ökumenizität und Katholizität des Gottesdienstes besteht hingegen darin, alle in die Gemeinschaft mit Christus eintreten zu lassen, nicht aber darin, alle Bedürfnisse zu befriedigen und alle möglichen außerliturgischen Lebensstile und ästhetischen Geschmacksrichtungen zu repräsentieren. Die christliche Botschaft will zwar Menschen aller Lebensstile und Milieus erreichen. Allerdings sind nicht alle Lebensstile und Milieus dem christlichen Glauben gleich nahe, sodass die Begegnung mit dem Evangelium eine mal mehr, mal minder starke Brechung und Konfrontation mit der eigenen Kulturverhaftung bedeutet. Ein Selbstverwirklichungsmilieu etwa, bei dem, wie Hauschildt beschreibt, „die Ansprüche an den Gottesdienst (. . .) besonders hoch und kompromisslos sind“,51 entspricht nur dann einem theologischen Gottesdienstverständnis, wenn die kompromisslos zu erreichende Selbstverwirklichung in der spezifisch liturgischen Christusbegegnung besteht. Hauschildt formuliert die ökumenisch-theologisch bedeutsame These, die für konfessionelle wie für ökumenische Gottesdienste gleichermaßen gilt: „Die milieuübergreifende Botschaft des christlichen Glaubens konkretisiert sich in milieuverknüpfenden Gottesdiensten“.52 Anders gesagt: Um seiner theologisch ver48 Zur Kritik am zielgruppenorientierten Denken und Handeln vgl. auch Vorländer, „dann wird meine Seele gesund“, 21. 49 Vgl. Hauschildt, Gottesdienst, bes. 12–14. 50 Hauschildt, Gottesdienst, 15 (bei Hauschildt teils in Fettdruck). 51 Hauschildt, Gottesdienst, 15. 52 Hauschildt, Gottesdienst, 18 (bei Hauschildt in Fettdruck). Als Beispiele nennt Hauschildt Familiengottesdienste und Kasualien. Es ist offensichtlich, dass diese Beispiele zwar die liturgiepraktische Aufgabe milieuverknüpfender Gottesdienstgestaltung gut darstellen können, aber in ihrer je eigenen Milieuverhaftung („Familie“, „Kasualgemeinde“) den ökumenisch-milieuübergreifenden Charakter des Gottesdienst gerade nicht überzeugend repräsentieren können. Bei Hauschildt dürfte jedoch auch ein von der Logik volkskirchlicher Gottesdienstgewohnheit beeinflusster Gottesdienst-

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standenen Katholizität und Ökumenizität willen, bedarf der (ökumenische und konfessionelle) Gottesdienst einer milieuverknüpfenden liturgischen Praxis und Gestaltung. Auch ökumenische Gottesdienste unterliegen, genauso wie konfessionelle Gottesdienste, der Gefahr der Milieuverengung, was sich insbesondere an den postkonfessionellen ökumenischen Gottesdiensten zeigt.53 Wenn der Gottesdienst eine gruppenspezifische Identität der gottesdienstlichen congregatio pflegt, tut er dies in der gemeinsamen Christusbegegnung, die immer intentional im Verbund mit der Christenheit weltweit geschieht, da Christus bzw. der dreieine Gott nie ohne die anderen Christen gedacht und gefeiert werden kann. Gottesdienst ist keine rechtfertigende Feier des je Eigenen, sondern das SichEinfügen der versammelten Gemeinde in die Begegnung mit Jesus Christus. Sichtbares Kriterium dafür ist, dass die ökumenisch-katholischen und insofern unverzichtbaren Grundelemente der christlichen Liturgie zur Geltung kommen, wodurch sich die feiernde Gemeinschaft in die eine universale Communio Communionum stellt.

1.9 Gottesdienst zwischen ökumenischer Verbindlichkeit und faktischer Optionalität Die Ökumene hat es mit Verbindlichkeit zu tun. Somit steht die Ökumenizität des Gottesdienstes auch angesichts des optionalen Status des Gottesdienstes in der gegenwärtigen Volkskirche in Frage. Zutreffend diagnostiziert Kristian Fechtner den Status des Gottesdienstes als wählbare Veranstaltung in der Wahrnehmung der gegenwärtigen Gesellschaft: „In der Gegenwart ist der Gottesdienst zu einer kirchlichen Veranstaltung geworden, das heißt zu etwas, dessen Besuch individuell familiär, sozial oder wie auch immer veranlasst und damit jeweils persönlich motiviert ist.“54 Fechtner stellt fest, dass die Rede vom Sonntagsgottesdienst als „Normalfall“ des Gottesdienstes und „Mitte der Gemeinde“55 an der Wirklichkeit der Gemeinden vorbei geht. Ähnlich argumentiert Christian Grethlein, der die Frage nach dem „Hauptgottesdienst“ angesichts der gegenwärtig gültigen gesellschaftlichen Lebensmuster als „binnenkirchliche bzw. -theologische Überlegungen“ abtut und stattdessen Liturgie zur Funktion einer „Kommunikation des Evangeliums“ mit konstitutivem Alltagsbezug und Orientierung an der Logik gegenwärtiger liturgischer Partizipation versteht.56

begriff im Hintergrund stehen, demzufolge der Gottesdienst eine wählbare, für den eigenen Glauben im Zweifelsfall auch entbehrliche „Veranstaltung“ der Organisation Kirche ist. 53 Vgl. A 1.2. 54 Fechtner, Kirche, 25 f. 55 Vgl. Fechtner, Kirche, 25 f. 56 Vgl. dazu Grethlein, Messe.

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Soweit sich die Systematische Theologie damit beschäftigt, kommt sie zu einem anderen Ergebnis. Nach Eilert Herms präsentiert der Schriftkanon den Gottesdienst „als zum Wesen des Glaubens, zu seiner konkreten Lebenswirklichkeit, ursprünglich und unverzichtbar hinzugehörig“.57 Herms weiter: „Aus der spezifischen Funktion des Gottesdienstes als Identitätszentrum des christlichen Gesamtlebens ergibt sich eine wesentliche Differenz zu allen sonstigen Institutionen des christlichen Lebens, einschließlich aller sonstigen Institutionen der expliziten Glaubenskommunikation.“58 Bezüglich der traditionellen Kasualien und deren neuerlicher Hochschätzung in Theologie und Kirche betont Herms: „Das christliche Leben kann seine Identität nicht aus Kasualien gewinnen (was nicht heißt, dass sie ohne Kasualien bestehen kann).“59 Der Gottesdienst ist nach Herms die durch die Ursprungssituation des Glaubens ermöglichte und verlangte regelmäßige leibhafte Einkehr in die Ursprungssituation des Glaubens, nämlich in die Mahlgemeinschaft mit dem auferweckten Gekreuzigten.60 Die Regelmäßigkeit der (Mit-)Feier des Gottesdienstes „am ersten Tag der Woche“ gehört nach Herms wesentlich und unverzichtbar zur christlichen Identität. Der Sache nach ähnlich hat dies auch Gerhard Ebeling gesehen, der die Notwendigkeit des Gottesdienstes in Bezug auf Gott und auf die Welt herausarbeitet.61 Ausgehend vom Verständnis des Gottesdienstes als einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden Lebensform betont Bernd Wannenwetsch die politische Dimension des Gottesdienstes, der eben nicht zu den Privatangelegenheiten gehört: „Gottesdienst ‚gehört‘ nicht zur christlichen Lebensform (‚man muss als Christ in die Kirche gehen‘), sondern ist sie; diese scheint gar nicht anders auf denn als gottesdienstliche; die christliche Lebensform ist nicht in einer theoretischen Perspektive (‚Definition‘) zu erfassen, die dann aposteriorisch etwa die Verbindlichkeit postulieren würde. Gottesdienst als Lebensform versteht diesen selbst regulativ, so dass in ihm diejenige Formung erkannt wird, die es als christlich ausweist. Wenn der Gottesdienst, wie es in einer kirchen-soziologischen Beschreibungsform üblich geworden ist, als ‚Angebot‘ im Sinn einer ZielgruppenVeranstaltung (etwa für diejenigen, die ihr Christsein vorzugsweise kultisch definieren) verstanden wird, zeugt das von der Vergessenheit des lebensförmig-politischen Charakters des Gottesdienstes.“62 Solange das gegenwärtige Partizipationsverhalten hauptmaßgeblich für das Verständnis und die Feier des Gottesdienstes ist und der Gottesdienst ein wählbares Angebot auf dem kirchlichen Markt der Möglichkeiten ist, das für Entste-

57 58 59 60 61 62

Herms, Überlegungen, 220. Herms, Überlegungen, 234. Herms, Überlegungen, 243. Vgl. Herms, Überlegungen, 221–223. Vgl. Ebeling, Notwendigkeit, bes. 238–248. Wannenwetsch, Gottesdienst, 37.

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hung und Erhaltung des Glaubens nicht konstitutiv ist, ist es logisch, dass der Gottesdienst je nach Geschmack und Gefallen als wählbares und (ab)zuwählendes Angebot erscheint, das entfallen kann, wenn es den milieuspezifischen Anforderungen des wählenden Subjekts nicht entspricht. Die prinzipielle Vorordnung des Subjekts vor die kirchlich-ökumenische Gemeinschaft und die implizite Funktionalisierung der Kirche zur Erfüllungsgehilfin der religiösen Bedürfnisse der Einzelnen entspricht allerdings nicht nur dem Ökumenegedanken nicht. Sie widerspricht der prinzipiell gemeinschaftlichen und exzentrischen Verfasstheit des christlichen Glaubens, welcher als persönlicher Glaube des Einzelnen auf das Extra-se verwiesen ist, das wiederum in seiner Unmittelbarkeit nur medial gegenwärtig erfahrbar sein kann. Wenn der Gottesdienst als Medium der besonderen Gegenwart des dreieinen Gottes und daher als Quelle (Taufe), Nahrung und Ziel des Glaubenslebens, nämlich als für den Glauben konstitutive und unverzichtbare leibliche Christusbegegnung in Wort und Sakrament, gedacht wird, wird auch seine Ökumenizität evident, die sich erst in der Unverzichtbarkeit der gottesdienstlichen Christusbegegnung als wahrhaft milieuüberschreitend und -verknüpfend erweist. Die Gemeinschaftserfahrung des Gottesdienstes ist die Erfahrung der Gemeinschaft in der Gegenwart des dreieinen Gottes und ist als solche ökumenische Gemeinschaft.

1.10 Der ekklesiologische Status interkonfessioneller Gottesdienste Welchen ekklesiologischen Status haben ökumenische Gottesdienste gemäß geltender kirchlicher Lehre? Diese Frage wird im Kontext der ökumenischen Gottesdienstpraxis im deutschsprachigen Kontext, soweit ich sehe, kaum gestellt. Sie bricht aber immer wieder in der Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) auf.63 Doch stellt sich letztlich auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens die Frage: „Wer aber ist ‚die Kirche‘, die einen ‚ökumenischen Gottesdienst‘ (. . .) feiert?“64 Aus römisch-katholischer Sicht fällt der ökumenische Gottesdienst nicht unter den theologischen Liturgiebegriff, sodass hier nicht die römisch-katholische Kirche in ihrem dogmatischen Selbstverständnis als Subjekt des Gottesdienstes in Frage kommt. Vielmehr ist der ökumenische Gottesdienst Gebet der fratres seiuncti, also einzelner – auch römisch-katholischer – Christenmenschen, aber nicht Feier der Kirche. Ähnlich ist auch die orthodoxe Position, wie an den Konflikten im ÖRK zu sehen ist, die sich ebenfalls in der Frage nach der angemessenen Nomenklatur gemeinsamer Feiern spiegeln.65 Aus lutherischer Sicht (und

63 64 65

Vgl. Storch, Hoffnungszeichen; Thöle, Pflichtübung. Storch, Hoffnungszeichen, 62. Vgl. Storch, Hoffnungszeichen, 61–68.

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auch aus der Sicht liturgischer Theologie) ist die Frage anders zu beantworten. Wenn nach CA 7 die Kirche Christi wesentlich in der pure et recte feiernden Gottesdienstgemeinschaft präsent ist, so kann dies prinzipiell auch von der Gottesdienstfeier unter der Beteiligung Anhöriger mehrerer Konfessionen gesagt werden. Der ökumenische Wortgottesdienst hat dieselbe ekklesiale Dignität wie der evangelische Predigtgottesdienst. Das Fehlen des Abendmahles ist in derselben Weise ein Defekt an ekklesialem Einheitsausdruck wie es ein Defekt im (konfessionellen) evangelischen Gottesdienst ist. Kann es trotz der unterschiedlichen Ekklesiologien ein gemeinsames Verständnis des ekklesiologischen Status eines ökumenischen Gottesdienstes geben? Ich meine: Ja! Es ist zunächst einmal davon auszugehen, dass diejenigen Kirchen, die sich ernsthaft auf den ökumenischen Dialog mit den anderen getrennten Kirchen eingelassen haben, implizit einen Einheitsdefekt der Christenheit bekennen, der sie selbst in ihrem Kirchesein tangiert. Der gegenwärtige Status des GetrenntSeins ist ein zu behebender – in welcher Weise auch immer. Und die getrennten Kirchen und Dialogpartner sind letztlich diejenigen, mit denen man in der Zukunft kirchlich voll geeint sein möchte. Die elementare Grundlage der interkonfessionellen theologischen und geistlichen Ökumene besteht in der Zukunftshoffnung, einmal voll geeint zu sein. Eine Christenheit, die sich mit dem Status quo des konfessionellen Getrennt-Seins abfindet oder sich darin gar profiliert, widerspricht offensichtlich dem Gebot Christi und disqualifiziert sich damit selbst. Das Wissen um das Einheitsdefizit unter den Christen und die aktive Hoffnung auf künftige volle kirchliche Einheit im Glauben und im Gottesdienst dürfte alle Vertreter der Ökumene verbinden. Insofern lässt sich der ökumenische Gottesdienst nur unzureichend mit dem begrifflichen Instrumentarium der konfessionell getrennten Ekklesiologien erfassen. Der ökumenische Gottesdienst macht eine Kirche der Zukunft sichtbar, die jetzt nur gebrochen und anfanghaft gegenwärtig ist, in die die beteiligten Konfessionen jedoch hineinwachsen und hineinzuwachsen hoffen. Die geeinte Kirche ist eine Kirche der Zukunft, auf die die getrennten Konfessionen zugehen und auf die sie in Hoffnung bezogen sind. Der universalkirchliche Bezug eines jeden Gottesdienstes, der uns immer mit den Gottesdienstgemeinschaften aller Zeiten und Orte („ecclesia perpetuo mansura sit“, CA 7), somit auch mit unseren Vorfahren verbindet, macht den gegenwärtigen ökumenischen Gottesdienst zum Vorfahren einer in Zukunft geeinten Kirche, mit der wir in Christus im Medium der Liturgie schon verbunden sind. Das schließt nicht aus, sondern ein, dass die Konfessionen auf dem Weg in diese Kirche sich selbst neu verstehen lernen müssen. Das schließt nicht aus, sondern ein, dass sich bestimmte, sich gegenwärtig ausschließende Lehrpositionen und liturgische Feierformen auf dem Weg in die Zukunft korrigieren werden.

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Der ökumenische Gottesdienst

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Wie gesagt: Die konkrete Lehr- und Liturgiegestalt der in Christus geeinten Kirche können wir gegenwärtig noch nicht voll erkennen. Der heutige ökumenische Gottesdienst ist – wie letztlich auch der konfessionelle Gottesdienst – Feier der in Christus geeinten Kirche der Zukunft. Die Kirche Jesu Christi, zu der sich jeder aufgrund seines konfessionellen Selbstverständnisses zugehörig glaubt, gibt im gemeinsamen, ökumenisch genannten Gottesdienst ein vorläufiges Zeugnis ihrer in der Zukunft erwarteten Einheit. Diese Einheit ist keine Utopie und auch nicht unsichtbar, sondern sie ist heute schon gebrochen, aber konkret erfahrbar in den gemeinsam von getrennten Christen vollzogenen gottesdienstlichen Vollzügen. Diese geeinte Kirche der Zukunft ist heute schon so konkret erfahrbar und sichtbar, wie überhaupt die Kirche als raum-zeitlich konkrete und raum-zeitliche Grenzen transzendierende Größe erfahrbar und sichtbar sein kann: nämlich als Gottesdienst feiernde Gemeinde. Johannes Rehm beschreibt die gegenwärtige evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft daher zutreffend als „ökumenische Realutopie“.66 Auch wenn gegenwärtig noch keine auf Wechselseitigkeit basierende Möglichkeit zur Kommunions- und Zelebrationsgemeinschaft in der Eucharistie existiert, so stehen doch auch die gegenwärtig noch getrennt feiernden Eucharistiegemeinschaften in einem ökumenischen, christologisch-pneumatologisch grundierten Zusammenhang. Unter der gemeinsam geteilten Voraussetzung der plurimedialen Präsenz Christi, die die Kirche als Leib Christi begründet und bezeichnet, existiert auch in beiden Konfessionen wahre Eucharistie und wahre Kirche. Die gegenwärtig getrennt gefeierten Eucharistiefeiern gehören zum katholisch-diachronen Communio-Bezug der künftigen ökumenischen Eucharistiegemeinschaft, in der die trennenden Schranken der Konfessionen gefallen sind. Die gegenwärtigen getrennten Gottesdienste gehören in die Genese der sichtbaren Gestalt der einen Kirche, wie sie für die Zukunft erhofft, erbeten, erdacht und auch erkämpft wird. Wenn die Kirchen gemeinsam der Überzeugung sind, dass die sichtbare Einheit und Gemeinschaft im Amt und im Gottesdienst in der Zukunft der Geschichte und damit voreschatologisch verwirklicht sein soll und wird, dann gehört die gegenwärtige, wenn auch noch getrennte Gottesdienstgemeinschaft in den katholisch-diachronen Bezug der künftigen Eucharistiegemeinschaft hinein. Dies gilt umso mehr, als bereits jetzt die wachsenden Konvergenzen in der liturgischen Gestaltung den Prozess des sichtbaren Zusammenwachsens der einen, sich je und je im Gottesdienst darstellenden und verwirklichenden Kirche anzeigen.

66

Rehm, Gottesdienstgemeinschaft, 519.

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2. Die Zulassung evangelischer und römisch-katholischer Christen zum Abendmahlsempfang der anderen Konfession: Eine reale Möglichkeit 2.1 Die Vieldeutigkeit der Rede vom „gemeinsamen“ Abendmahl Umgangssprachlich, aber auch im Redejargon von Fachtheologen findet sich vielfach die vereinfachende und tendenziell ungenaue Rede vom „gemeinsamen Abendmahl“ oder „ökumenischen Abendmahl“, das – so meist der Unterton – bedauerlicherweise von der römisch-katholischen Seite behindert wird.67 Allerdings bleiben diese und ähnliche Wendungen vieldeutig. So stellt sich die Frage, was genau mit der ungenauen Bezeichnung des Abendmahles als „gemeinsames“ oder „ökumenisches“ Abendmahl gemeint ist. Sofern unter „gemeinsamem Abendmahl“ die Inter- oder Konzelebration einer gemeinsamen Eucharistie unter Mitwirkung eines römisch-katholischen Amtsträgers als Zelebranten gemeint ist, ist ein kon- oder interzelebriertes Abendmahl tatsächlich aus römisch-katholischer Sicht ausdrücklich verboten und mit Sanktionen belegt und aus evangelischer Sicht theologisch und lehrmäßig wenig reflektiert. Der Begriff der interkonfessionellen (eucharistischen) Konzelebration beinhaltet zum einen die Mitwirkung eines römisch-katholischen Zelebranten, zum anderen die Übernahme liturgischer Aufgaben und Rollen durch einen nicht römisch-katholischen Amtsträger, die ansonsten ausschließlich dem römisch-katholischen Priester vorenthalten sind (z. B. das Sprechen des Hochgebetes). Sofern „gemeinsames“ Abendmahl die Einladung von Christen anderer Konfession zur Kommunion in der eigenen Konfessionskirche meint, sind sich beide Kirchen im Grundsatz einig: Sowohl die evangelisch-lutherische als auch die römisch-katholische Lehre sieht für einzelne Getaufte anderer Konfession Möglichkeiten vor, in bestimmten Fällen den Leib und das Blut Christi in der je eigenen Kirche zu empfangen. Gemeinsam ist dabei die Bewertung, dass es sich hierbei um einen besonderen Fall handelt, wobei die römisch-katholische Sichtweise stärker den Ausnahmecharakter des Kommunionempfangs, die evangelische Sichtweise die grundsätzliche, tauftheologisch begründete Berechtigung betont.68 Der entscheidende ekklesiologische Dissens zwischen römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Kirche besteht in der Einschätzung des jeweils anderen als „Kirche“. Daraus resultiert auch die asymmetrische Differenz der Kir-

67 Häufig z. B. in dem Abendmahlsbuch von Johannes Rehm, der die Frage, was denn „gemeinsames“ Abendmahl konkret heißt, offen lässt; ebenso auch Stuflesser, Gedächtnis, 291–293. 68 Vgl. dazu insgesamt Wenz, Teilnahme.

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chen am Tisch des Herrn. Die Asymmetrie am Tisch des Herrn besteht präzise in der differenten Beantwortung der Frage, wie eine Konfession den Abendmahlsempfang eines Gliedes der eigenen Kirche im Gottesdienst der getrennten Konfessionskirche bewertet.69 Angesichts der Geschichte der jahrhundertelangen Trennung evangelischer und katholischer Kirche in Deutschland muss es als großer Erkenntnisfortschritt gelten, dass die Kirchen ihren jeweiligen Gottesdienst ökumenisch-universalkirchlich ausgerichtet verstehen und feiern und dass dies nicht nur ein abstraktes Postulat ist, sondern konkreten Ausdruck darin finden kann, dass im Einzelfall Christen anderer Konfession die jeweilige Eucharistie nicht nur mitfeiern können, sondern auch die eucharistischen Gaben empfangen können. Dass es sich hierbei um Einzel- bzw. Notfälle handelt, wie insbesondere von römischkatholischer Seite immer wieder betont wird, erscheint unter den gegenwärtigen kirchen- und religionssoziologischen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt und sinnvoll. In einer mobilen Gesellschaft, in der die beiden christlichen Konfessionen insgesamt gleich stark nebeneinander präsent sind, ist die Unerreichbarkeit des Gottesdienstes bzw. der Kommunion der eigenen Konfessionskirche tatsächlich nur in Notfällen begründet und begründbar.

2.2 Defizite der bisherigen Diskussion über das „gemeinsame“ Abendmahl Die kirchliche und wissenschaftliche Diskussion hat inzwischen eine Fülle an positiven und ablehnenden Vorschlägen zu gemeinsamen Abendmahlsfeiern und Interkommunion hervorgebracht.70 All diese Erwägungen sind grundsätzlich positiv zu würdigen als Versuche, dem Einheitsgebot Christi auch und gerade bei der Eucharistie und durch eine gemeinsame Eucharistie gerecht zu werden. Nach wie vor ist – trotz der vielen Vorschläge von Theologen und ökumenischen Gremien – die wechselseitige Zulassung zum Eucharistieempfang einseitig, nämlich seitens der römisch-katholischen Kirche aus theologischen Gründen verhindert.71 Der bislang nicht gelungene Durchbruch zu einer wechselseitigen Abendmahlsgemeinschaft darf dabei nicht vorschnell ausschließlich auf Sturheit der römisch-katholischen Kirchenleitung zurückgeführt werden. Vielmehr zeigt sich im noch nicht gelungenen Durchbruch zur Wechselseitigkeit ein zweifaches Defizit bisheriger Überlegungen zur interkonfessionellen Abendmahlzulassung.

69 70 71

Zum Begriff der Asymmetrie vgl. auch Huber, Geist der Freiheit, 130. Zur Übersicht der Hauptargumente vgl. Pesch, Gemeinschaft, 160–162. Vgl. dazu Wenz, Teilnahme.

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Zum einen ist ein Ekklesiologiedefizit zu verzeichnen. Es ist sicher zutreffend, dass über die klassischen abendmahlstheologischen Kontroversthemen (Opfer, Transsubstantiation, communio sub una/utraque) weitgehende Verständigung möglich war. Der Zusammenhang von Abendmahl und Kirche (und ihren Ämtern) wurde bislang dabei oft noch nicht ausreichend genug berücksichtigt. Ein solches Ekklesiologiedefizit blendet reformatorische Grundeinsichten, aber insbesondere auch die Realität der katholischen Ekklesiologie aus. Exemplarisch dafür steht das Abendmahlsbuch von Johannes Rehm, welches zwar sorgfältig die klassischen Kontroversthemen zwischen den Konfessionen aufarbeitet, aber die Ekklesiologie als Rahmen der Eucharistielehre dabei außer Acht lässt.72 Zum anderen wird die Zulassung zur Eucharistie der anderen Konfession weitestgehend lehrmäßig und damit ohne hinreichende Berücksichtigung des liturgischen Vollzuges diskutiert, sodass von einem Liturgiedefizit zu reden ist. Viele ökumenische Dokumente und theologische Entwürfe sprechen über Gottesdienst und Abendmahl und übersehen dabei, dass der liturgische Vollzug des Abendmahls selbst (auch) sagt, was er ist und sein will. Exemplarisch dafür steht die Studie von Christian Maria Löhr „Credo unam Ecclesiam“. Die theologischen Aussagen der Liturgie sind, wie schon mehrfach betont, als theologia prima ernst zu nehmen. An und in der Liturgie soll und wird sich das eine Mahl der einen Kirche Jesu Christi realisieren. Im Folgenden soll eine im bisherigen Diskurs nur wenig bedachte Zulassungsbedingung reflektiert werden, die einerseits die beiden Defizite vermeidet und andererseits, so meine These, als theologisch akzeptabel für die römisch-katholische Kirche und die nichtrömischen Kirchen erscheinen dürfte, nämlich die sogenannte Amen-Regel.

2.3 Die Amen-Regel nach Christoph Kardinal Schönborn Christoph Kardinal Schönborns Amen-Regel wird erstmals im Jahr 1999 in der Veröffentlichung eines persönlichen Schreibens bekannt. Die Überlegungen des Wiener Erzbischofs sind später auch in sein Eucharistiebuch eingegangen, das zwar eher katechetisch-meditativen als klassisch dogmatischen Stil hat, trotzdem jedoch von hoher dogmatischer Relevanz ist. Schönborn führt seine Regel folgendermaßen aus: „Wer bei der Kommunion das Amen zum Leib Christi sagen will, der muss auch das Amen zum Hochgebet sprechen können, auch als nichtkatholischer Christ. Mit dem Hochgebet ge72 Indirekt meint Rehm jedoch die Ekklesiologie, wenn er feststellt: „Die Grunddifferenz zwischen den Konfessionen wird im allgemeinen in der unterschiedlichen Verhältnisbestimmung von Handeln Gottes und Handeln des Menschen gesehen. Hier liegt wohl tatsächlich eine deutliche Lehrdifferenz.“ (Rehm, Abendmahl, 317, dort kursiv)

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schieht die Wandlung, Brot und Wein werden Leib und Blut Christi. Die Kommunion kann nicht vom Hochgebet in seiner ganzen Gestalt getrennt werden. Wer das Amen sagen kann zum Hochgebet, der kann auch das Amen sagen zur Kommunion. Das ist zumindest als persönliche Regel der Orientierung eine Hilfe.“73 Schönborn kennzeichnet also den Status seiner Regel als „persönlich“ und grenzt sie damit von einer dogmatischen bzw. kirchenoffiziellen Aussage ab. Sodann führt er Passagen des Dritten Hochgebetes an, zu denen ein evangelischer Christ Amen sagen können müsste, will er die Kommunion empfangen. Gegen die Gefahr, ohne innere Beteiligung und Auseinandersetzung einfach „Ja und Amen“ zum Hochgebet zu sagen, formuliert Schönborn andernorts: „Wer das Amen zum Hochgebet ehrlichen Herzens sprechen kann, der kann auch die Frucht dieses Hochgebets, die Kommunion ehrlichen Herzens empfangen, der kann auf das Wort des Kommunionspenders ‚der Leib Christi‘ mit einem ehrlichen und gläubigen ‚Amen‘ antworten.“74 Die Kategorie des ehrlichen Herzens konfrontiert das Kommunionsbegehren des nichtkatholischen Christen mit dessen sonstigem Lebens- und Glaubensvollzug und wehrt damit einem eucharistischen Indifferentismus. Es wäre nun zu fragen, ob ausgerechnet das Amen zum Dritten Hochgebet geeignet ist, als authentische Zulassungsbedingung zur römischen Kommunion zu fungieren. Der katholische Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser zeigt dazu aus liturgiewissenschaftlicher Sicht die theologische Problematik dieses Gebetstextes auf.75 Nichtsdestotrotz bleibt die Regel Schönborns von ihrem Grundansatz her beachtlich. Schönborns Argumentation geht vom Vollzug des Gottesdienstes selbst aus, in dem sich die eucharistisch-ekklesiologische Sinngestalt abbildet und realisiert. Die Gründe für oder gegen eine individuelle Teilnahme an der eucharistischen Kommunion sind an der konkreten Feiergestalt selbst erkennbar. „Die Kommunion kann nicht vom Hochgebet in seiner ganzen Gestalt abgetrennt werden.“76 Wer Amen zum Hochgebet einschließlich der darin im Namen der Kommunikanten in Gebetsform vorgetragenen Ekklesiologie sagen kann, kann auch Amen zur Kommunion sagen. Schönborn geht damit über eine rein formale und kirchenrechtliche Sichtweise der Kommunionteilhabe für Nichtkatholiken hinaus, ohne diese damit für irrelevant zu erklären. Vielmehr legt er den Akzent auf das für den Kommunionempfang nötige Bekenntnis zum katholischen Eucharistieglauben, den er hinreichend im Dritten Hochgebet ausgedrückt findet. Schönborns Regel ruft hier in Erinnerung, was „über weite Strecken der Li73 74 75 76

Schönborn, Wovon wir leben können, 152 f. Zitiert in: Stuflesser, Gebete, 57. Vgl. Stuflesser, Gebete, 56–60. Schönborn, Wovon wir leben können, 153.

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turgiegeschichte ‚opinio communis‘ war: Dass nämlich der getaufte (und gefirmte) Christ durch sein ‚Amen‘ das Eucharistische Hochgebet ratifiziert.“77

2.4 Die Amen-Regel nach Walter Kasper Auch Kardinal Walter Kasper, der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, vertritt die Amen-Regel als Zulassungsbedingung für nichtkatholische Christen zur römisch-katholischen Kommunion. In seinem Werk mit dem bewusst eucharistisch-ekklesiologisch doppeldeutigen Titel „Sakrament der Einheit“ (2004) trägt Kasper Überlegungen zur Eucharistiegemeinschaft zusammen, die sich bereits ansatzweise in früheren Veröffentlichungen von ihm finden lassen.78 Ausgangspunkt bei Kasper ist das doppelte Amen: einmal das gemeinsam gesprochene am Ende des Hochgebets, sodann das einzeln gesprochene Amen beim Empfang des Leibes Christi. Kasper führt dazu aus: „Dieses ‚Amen‘ bedeutet selbstverständlich mehr als eine rein intellektuelle Zustimmung zu einem Dogma; es geht um ein Ja, das mit dem Leben gegeben werden und durch ein christliches Leben gedeckt sein muss. Deshalb kann es für uns keine allgemeine offene Einladung zur Kommunion geben, auch nicht für Katholiken.“79 Das Amen zum Hochgebet und zum Leib Christi bei der Kommunion ist dabei in der Kasperschen Argumentation nicht, wie bei Schönborn, der eher persönliche Gebrauch der bischöflichen Kompetenz, die das Kirchenrecht dem Ortsordinarius zugesteht.80 Das Amen bei Kasper ist vielmehr theologischer Ausgangspunkt, aus dem sich die pastoralen und kirchenrechtlichen Konsequenzen erst ergeben, die Kasper in zwei Regeln bündelt. Die erste Regel ist die grundsätzlich geschlossene Kommunion. Luther und Calvin hätten, so Kasper, „ein solches ‚Amen‘ nicht sprechen können und wollen“.81 Es sind primär dogmatische Gründe, die einen nichtkatholischen Christen am Amen zum Hochge77 Stuflesser, Gebete, 57. Zur Bedeutung des Amen bemerkt Angelus Häußling: „Mit Amen (. . .) bestätigt im Gottesdienst des Judentums ein Hörender, dass der Spruch eines anderen auch für ihn gilt, und er ihn, sich selbst dadurch bindend ratifiziert, seien es Fluchformeln, Verpflichtungsformeln, Worte der Verkündigung oder, am häufigsten, Eulogien und Doxologien (. . .) Bruchlos übernimmt die junge Kirche diese Formel bekennender Akklamation und belässt sie unübersetzt (. . .), so dass sie in den christlichen Gottesdiensten schließlich häufiger und gewichtiger (das Amen des Volkes auf das Hochgebet, des Gläubigen beim Sakramentsempfang) erklingt als in der Synagoge.“ (Angelus A. Häußling, Akklamationen, 223) 78 Vgl. Walter Kasper, Kirchengemeinschaft als ökumenischer Leitbegriff, ThR 98, 2002, 3–12, bes. 5 f. (mit Bezug auf Schönborn); ders., Herausforderung zum Dialog. Gegenwärtige ökumenische Situation und künftige Perspektiven der Ökumene, KNA-ÖKI 22/23, 3. Juni 2003, Dokumentation, 1–12. 79 Kasper, Sakrament, 68. 80 Vgl. Stuflesser, Gebete, 57. 81 Kasper, Sakrament, 68.

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bet hindern. Daraus folgt die geschlossene Kommunion als „Faustregel“, für die es „gute biblische Gründe (1Kor 10,17) und eine lange gemeinsame Tradition (gibt), die bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts reicht“.82 Als zweite Regel nennt Kasper unter Bezug auf UR 8 und CIC can. 1752 das Seelenheil der Gläubigen, sodass in außerordentlichen Fällen ein nichtkatholischer Christ die katholische Eucharistie empfangen kann. Beide Regeln für die Praxis sind Resultate der Grundvoraussetzung des ehrlichen ganzheitlichen Amen-Sagen-Könnens zum Hochgebet und zum Leib Christi in der Kommunion. Die besondere Leistung von Kasper besteht darin, das je individuell-persönliche Amen-Sagen-Können als theologischen Ausgangspunkt der Frage nach der Eucharistiegemeinschaft ernst zu nehmen und dem liturgischen Amen noch deutlicher eine dogmatische Valenz zuzuschreiben.

2.5 Evangelisch-lutherische Rezeption der Amen-Regel: Hans-Christian Seraphim Auf evangelisch-lutherischer Seite wurde die Amen-Regel von Hans-Christian Seraphim aufgenommen. Seraphim eröffnet seine „Thesen zur Gastbereitschaft“ programmatisch mit der Rezeption der Amen-Regel: Die von Schönborn formulierte Handregel „geht von dem richtigen Grundsatz aus, dass ein Christ, der Amen zum Eucharistiegebet sprechen kann, zur Kommunion willkommen ist. Das beruht auf der Einsicht, dass die Eucharistie Bekenntnischarakter hat.“83 Allerdings, so Seraphim, enthalten die römisch-katholischen Eucharistiegebete nach wie vor theologisch problematische Aussagen, die das Messopfer im Sinne eines religionsgeschichtlichen Opferverständnisses missverstehen, etwa in der konstitutiven Darbringung der consecrata.84 Daher fordert Seraphim: „Um den katholischen und apostolischen Charakter der römischen Hochgebete zu wahren, ist es notwendig, dass sie neu formuliert werden.“85 Auf ein in Anlehnung an die altkirchliche Struktur formuliertes Hochgebet ohne römische Wandlungsepiklese und postkonsekratorische Darbringung „kann die Christenheit hoffentlich ohne Vorbehalte Amen sagen und sich gemeinsam am Tisch des Herrn versammeln“.86 Seraphim problematisiert einen Aspekt, der bislang auf evangelischer Seite viel zu wenig beachtet wurde: „(D)er ‚Abendmahlsglaube‘ kommt in den Eucharistiegebeten zum Vorschein. Er drückt sich in ihnen aus und wird von den Teilnehmern bekannt. Wenn das aber so ist, können, wollen dann evangelische 82 83 84 85 86

Kasper, Sakrament, 68 f. Seraphim, Thesen, 201. Vgl. Seraphim, Thesen, 203–205; vgl. auch Wenz, Opfer, 16–19. Seraphim, Thesen, 205. Seraphim, Thesen, 206 f.

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Christen überhaupt ‚Leib und Blut Christi‘ Gott darbringen?“87 Was Seraphim bezüglich der Darbringungsaussagen anmerkt, lässt sich ohne weiteres auf andere, aus reformatorischer Sicht problematische Aussagen der römischen Hochgebete ausdehnen. Ist das Abendmahl nicht nur Gabe Gottes, sondern immer auch Bekenntnis, „so ist ohne das AMEN dazu keine Teilnahme an der Kommunion möglich. Das scheint der Wahrheitsgehalt der röm.-kath. Haltung zu sein, deren Hochgebete in reformatorischer Sicht leider kaum mit AMEN beantwortbar sind, sofern man theologisch und nicht nur kirchenpolitisch oder vom seelsorgerlichen Einzelfall her denkt. Dann aber wäre es nicht richtig, den Gedanken des ‚Herrn Abendmahl‘ so darzustellen, als gäbe es evangelischerseits keine Hindernisse für eine Teilnahme an der röm.-kath. Kommunion.“88 Seraphim betont den Zusammenhang von Eucharistie-, Kirchen- und Bekenntnisgemeinschaft und zeigt an den römischen Hochgebeten auf, dass lutherischerseits ein kirchenoffizielles dogmatisches Amen zu den römischen Hochgebeten noch nicht möglich ist, dass aber die Amen-Regel als Zulassungsbedingung zur Kommunion auch aus reformatorischer Sicht prinzipiell zu bejahen ist.

2.6 Die Amen-Regel als Abendmahlszulassung aus der Sicht der Handreichung der Generalsynode der VELKD von 1975 Die Forderung des Amens zu Hochgebet und Kommunion entspricht dabei präzise der evangelisch-lutherischen Sicht, wie sie 1975 in der Handreichung der Generalsynode der VELKD dargelegt wurde. Denn man wird auch aus evangelisch-lutherischer Sicht sagen und fordern müssen, dass das Amen zum Eucharistiegebet für einen getauften Christen einer anderen Konfessionskirche notwendig und hinreichend ist, um zum Empfang des Abendmahls zu berechtigen. Zwar ist es richtig, dass die Taufe aus evangelischer Sicht hinreichende Zulassungskriterium für getaufte Christen anderer Konfession darstellt. Allerdings darf dies nicht so verstanden werden, dass damit der innere Zusammenhang von Abendmahlsgemeinschaft, Kirchengemeinschaft und Kirchenzugehörigkeit der einzelnen Kommunikanten aufgelöst wird oder eine Bejahung und Aneignung des entsprechenden Abendmahlsglaubens irrelevant würden. Die pastoraltheologische Handreichung von 1975 erwartet von römisch-katholischen

87

Seraphim, Darbringen, 245. Seraphim, Darbringen, 249. Zu einem anderen, m.E. dogmatisch weniger differenzierten Urteil kommt Ottfried Jordahn: „Mit Ausnahme der kirchenrechtlich partikular-ekklesiologisch bedingten Fürbitte für den Papst sind die neuen Hochgebete für einen lutherischen Christen betend nachvollziehbar und zumindest das II. Hochgebet sollte von der Lutherischen Kirche im Sinne ökumenischer Gemeinsamkeit zum Gebrauch bei der Eucharistiefeier generell – allenfalls mit Austausch der noch nicht gemeinsamen Verba Testamenti – freigegeben werden.“ (Jordahn, Bedeutung, 256) 88

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Abendmahlsempfängern im evangelisch-lutherischen Gottesdienst, „dass sie das Heilige Abendmahl in unserem Gottesdienst als der Stiftung Christi gemäß anerkennen“ (IV.) – was seinen liturgischen Ausdruck im Amen zur evangelischen Abendmahlsliturgie findet. Das Amen eines römisch-katholischen Kommunikanten zur evangelisch-lutherischen Abendmahlsliturgie bejaht mindestens vier Grundaussagen lutherischer Ekklesiologie, die sich auch konkret aus der jeweiligen Abendmahlsliturgie – insbesondere im Vergleich mit den römischen Hochgebeten – erheben lässt. Erstens besagt dieses Amen, dass auch außerhalb der römisch-katholisch verfassten Kirche die Kirche Jesu Christi im Vollsinn ihres Begriffs existiert und im Gehorsam gegenüber ihrem Stifter das Mahl des Herrn feiert. Zweitens ist das Amen zum (evangelischen) Eucharistiegebet ein Amen zu dem darin sich zu Wort meldenden kirchlichen Selbstbewusstsein, das lutherischerseits gerade in der Selbstbegrenzung der Kirche gegenüber dem hier und jetzt gegenwärtig handelnden Herrn besteht. Drittens bekennt dieses Amen zum evangelischen Eucharistiegebet die Selbstvergegenwärtigungsfähigkeit und -willigkeit Christi in, mit und unter den Einsetzungsworten innerhalb der liturgischen Anamnese der Kirche evangelischen Bekenntnisses im Sprechen einer als rite vocatus geltenden Person, die aus römischer Sicht als mit einem defectus ordinis behaftet gesehen wird. Viertens bekennt sich das Amen zur evangelischen Abendmahlsliturgie zu einem Verständnis der somatischen Realpräsenz, das auf den Empfang der Gaben zielt und nicht auf den durch eine Wandlungsepiklese vorbereiteten Konsekrationsmoment durch das Handeln einer mit spezifisch singulärer potestas consecrandi befähigten Person. Wer als Getaufter zur Abendmahlsliturgie bzw. zum evangelischen Eucharistiegebet als einer Summe des evangelischen Glaubens und evangelischer Ekklesiologie Amen sagen kann, der gehört nach evangelischem Verständnis in die Gemeinschaft der Kommunikanten des Leibes und Blutes Christi. So ist, wie die lutherische Handreichung zum Abendmahlsempfang feststellt, auch ein römisch-katholischer Kommunikant „hineingekommen in die Gemeinschaft des Bekennens der Sünde, des Hörens, des Empfangens und des Dankens der ganzen gottesdienstlichen Gemeinde“ (IV.). Sosehr aus lutherischer Sicht der Gabecharakter des Abendmahls und Jesus Christus als eigentlicher Herr des Mahles zu betonen ist, demgegenüber sich die Kirche nur empfangend verhalten kann, so wenig kann der ekklesiale Charakter des Abendmahles völlig ausgeblendet werden. Rein phänomenologisch ist und bleibt das Mahlgeschehen immer menschlich-kirchliches Mahl, das gewissermaßen von einer Konfessionskirche veranstaltet wird. Mit dem Amen wird bezeugt, dass dieser Ritus als wahre Abendmahlsfeier Christi in, mit und unter dem geordneten liturgischen Handlungsge-

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füge der mit ihrem Ordinierten versammelten Gemeinde zu gelten hat und dass hier, um in Anlehnung an das römische Dokument „Dominus Iesus“ zu sprechen, Kirche im eigentlichen Sinn gegenwärtig erfahrbar ist. Dass die Handreichung eine solche Anerkennung von römisch-katholischen Christen im Sinne einer Bedingung erwartet, ist nicht nur vom evangelischen Abendmahlsverständnis her geboten, sondern entspricht strukturell dem römisch-katholischen Denken, das ja prinzipiell eine solche Anerkennung bislang nicht nur nicht aussprechen kann, sondern auch explizit verweigern muss. Die Teilnahme eines Katholiken an der evangelischen Abendmahlsfeier erfordert also auch aus evangelischer Sicht das Bekenntnis, dass in der evangelischen Abendmahlsfeier die Kirche Jesu Christi im Vollsinn gegenwärtig ist.

2.7 Die Kompatibilität der Amen-Regel mit dem römischen Kirchenrecht Die Amen-Regel überträgt die Entscheidungskompetenz über den Abendmahlsempfang dem Einzelnen, der die Kommunion begehrt und dazu und dadurch ein entsprechendes Bekenntnis zum Abendmahlsglauben und zur kirchlichen Communio ablegen muss. Diese Sicht ist, wie Ilona Riedel-Spangenberger darlegt, kompatibel mit dem römischen Kirchenrecht: „Die Rechtsnormen sagen eindeutig, dass dies (sc. die Kommunionzulassung) von den Kommunikanten zu entscheiden und letztlich zu verantworten ist (vgl. c. 916). Dabei geht es in jedem Fall um eine verantwortliche Gewissensentscheidung des einzelnen Gläubigen. Der Geistliche hat dagegen eine konditionierende Aufgabe. Er ist lediglich dann berechtigt über den einzelnen Kommunikanten zu urteilen und demgemäß zu handeln, wenn der Betreffende offenkundig, d. h. nach außen hin sichtbar für die Gottesdienstgemeinschaft ist, und wenn es um die Würde des Sakraments und das Ansehen der Kirche geht (. . .) Die geltenden Rechtsnormen geben keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, dass ein Gläubiger allein aufgrund der Tatsache, dass er Nichtkatholik ist, von der Kommunion zurückgewiesen werden darf.“89 Der einschlägige Kanon CIC 844, so Riedel-Spangenberger, verbietet katholischen Geistlichen lediglich, „eine offene Einladung an alle und auch an Nichtkatholiken auszusprechen. Diese Norm sagt aber noch nicht, ob der Geistliche dem einzelnen die Kommunion verweigern darf oder muss. Weil die nichtkatholischen Christen individuell und ekklesial unterschiedliche Grade der Kirchenzugehörigkeit verwirklichen, kann diese Frage nach der Möglichkeit der Verweigerung niemals generell gelöst werden“.90 Die Forderung der Kirchenrechtlerin nach Kriterien zur besseren praktischen Handhabe könnte darin zum

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Riedel-Spangenberger, Verhältnis, 296. Riedel-Spangenberger, Verhältnis, 296.

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Ziel kommen, wenn die römisch-katholischen Bischofskonferenzen sich auf eine Amen-Regel einigen könnten, die im Optimalfall so formuliert wäre, dass sie auch in Gottesdiensten der anderen christlichen Kirchen gebraucht werden könnte.

2.8 Die liturgie- und amtstheologische Bedeutung des Amen der Gemeinde und des Einzelnen Das gemeinsame Amen der Gemeinde hat im Vollzug der Liturgie und im Wechselspiel zwischen Ordinierten und Gemeinde eine konstitutive Rolle. Durch das Amen bestätigt die Gemeinde als Ganze und in ihr jeder einzelne persönlich das Reden und Handeln des Vorstehers, der in persona ecclesiae betet, spricht und handelt.91 Das Amen ist „Aneignungsformel der Gemeinde“.92 Es ist nach Alexander Schmemann „nicht bloß Zustimmung, sondern aktive Annahme: ‚Ja, dem ist so und so soll es sein.‘ Mit diesem Wort schließt die kirchliche Versammlung, besiegelt sie jedes vom Zelebranten gesprochene Gebet und drückt damit ihre eigene, organische, bewusste und verantwortete Teilnahme an jeder einzelnen Handlung der Kirche aus.“93 In früheren Epochen der Kirchengeschichte hatte das Amen der Gemeinde eine zentralere und damit sachgemäßere Rolle als heute. Josef Andreas Jungmann betont die zentrale Bedeutung des Amens der Gemeinde zum eucharistischen Hochgebet in altkirchlicher Zeit: „An der Wucht dieser Worte (sc. der Doxologie des Kanons) hat auch das Amen teil, mit dem nach ältesten Brauch das ganze Volk nun bestätigend und bekräftigend einfällt. Wir haben schon gesehen, welche Bedeutung diesem Amen in der Frühzeit beigemessen wurde. Im 3. Jahrhundert vernehmen wir eine Stimme, die als besonderes Vorrecht des christlichen Volkes in einem Atem aufzählt: das Eucharistiegebet anhören, das Amen mitrufen, am Tische stehen und die Hände zum Empfang der heiligen Speise ausstrecken. Mit diesem Amen gibt das Volk seine Unterschrift. Es ist offenkundig, dass noch in der Karolingerzeit die Schlussworte des Kanons nur deswegen nicht in die Kanonstille einbezogen wurden, damit dieses Amen laut erschallen konnte.“94 Jungmanns liturgiehistorischen Erkenntnisse zeigen, dass das gemeinsame Amen Ausdruck aktiver Beteiligung und Mitwirkung an der Liturgie ist. Solange das Volk seine Rolle einnimmt, bewahrt es die Liturgie vor einseitig-klerikalen Handlungsmonopolen der Ordinierten, die das Amen des Volkes selber sprechen. Das von der Gemeinde gesprochene Amen ist „Zeugnis dafür, dass das in 91 Alexander Schmemann spricht sogar – m.E. theologisch nicht ganz angemessen – von einer „‚konsekratorische(n)‘ Bedeutung“ des Amen (Eucharistie, 256). 92 Frör, Salutationen, 595. 93 Schmemann, Eucharistie, 76. 94 Jungmann, Missarum Solemnia II, 339 f.

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ihrem Namen gesprochene oder ihr zugesprochene Wort von ihr aufgenommen wird und für sie gültig sein soll“.95 Dies ist und bleibt auch für die gegenwärtige Gottesdienstpraxis hochaktuell.96 Michael Kunzler zeigt am Amen beim Kommunionempfang, dass dieses Amen ursprünglich Bekenntnischarakter hatte: „Die heute in der abendländischen Kirche verwendete Spendeformel ‚Der Leib Christi‘ bzw. ‚Das Blut Christi‘ geht auf die Alte Kirche zurück, sie ist bereits Ambrosius bekannt und in den Apostolischen Konstitutionen enthalten. Schon damals wurde sie als Frage nach dem Bekenntnis des Kommunizierenden verstanden, der seinen Glauben mit einem ‚Amen‘ bestätigte.“97 Die Spendeformel hat sich z. T. mit Segenswünschen verbunden – eine Entwicklung, die sich auch noch in den Spendeworten des EGb zeigt. „Gerade der Bekenntnischarakter der heute wieder verwendeten altkirchlichen Formel verdient gegenüber dem Segenswunsch den Vorrang, zumal sie den Empfänger aktiv einbezieht.“98 Das Amen hat darüber hinaus eine besondere ökumenisch-katholische, die eine Kirche aller Zeiten und Räume verbindende Bedeutung, nämlich „einerseits in der Verbindung zur Gebetstradition des jüd. Bundesvolkes und der noch ungeteilten Christenheit und andrerseits in der durch Wiederholbarkeit sprachlich ausgedrückten Identität im aktiven Mitvollzug der gottesdienstlichen Gemeinde“.99 Bereits in der Alten Kirche waren Taufbekenntnis und Liturgiebejahung die entscheidenden und hinreichenden Zulassungskriterien zur Eucharistie.100

2.9 Die interkonfessionelle Leistungsfähigkeit der Amen-Regel Die besondere Leistung der Amen-Regel besteht also darin, statt rein formaler Zulassungskriterien zum Abendmahl inhaltlich ein Bekenntnis zum Eucharistieglauben der feiernden Gemeinschaft zu fordern. Wenn auch auf unterschiedliche Weise, so fordern doch römisch-katholische und evangelisch-lutherische Kirche gemeinsam von Christen anderer Konfession mindestens die Anerken-

95

Frör, Salutationen, 595. Wo die Gemeinde ein in ihrem Namen gesprochenes Gebet (der Vorbeter spricht schließlich in der „Wir“-Form) nicht bestätigt oder bestätigen kann, liegt die Gefahr der Entmündigung und Klerikalisierung vor. Viele Gemeinden haben das gemeinsame Amen-Bekenntnis als konstitutiven Bestandteil des liturgischen Wechselspiels verlernt und stehen vor der Aufgabe, diese theologisch zentrale liturgische Rolle wiederzugewinnen. 97 Kunzler, Liturgie, 376; vgl. auch Jungmann, Missarum Solemnia II, 481–486. 98 Kunzler, Liturgie, 377. 99 Hofhansl, Art. Liturgische Formeln, 464. 100 Vgl. H.-J. Schulz, Glaubenseinheit, 73–78. 96

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nung und partielle Aneignung des Sakramentsglaubens der eigenen Abendmahlsgemeinschaft. Die Amen-Regel geht davon aus, dass dieser erforderliche Sakramentsglaube in der jeweiligen eucharistischen Liturgie gültig und hinreichend formuliert ist. Die lex credendi des jeweiligen Abendmahlsverständnisses ist in ihrem wesentlichen Gehalt in der lex orandi der jeweiligen Abendmahlsliturgie ausgedrückt. Dass evangelisch-lutherische Abendmahlsliturgie in der Praxis unter bestimmten (sicherlich fragwürdigen) Umständen nur aus Einsetzungsworten, Vaterunser und Austeilung bestehen und auf das entfaltete Abendmahlsgebet verzichten kann, sodass das Amen zum Eucharistiegebet gar nicht möglich ist, ist die radikale Konsequenz dessen, dass das Eucharistiegebet als Explikation des Gebetshandeln der Kirche in evangelischer Sicht immer auch auf kirchliche Selbstbegrenzung gegenüber dem Handeln Christi zielt, was im Fehlen des Eucharistiegebets seinen radikalsten (und sicher auch ambivalentesten, da ekklesiologisch unangemessenen) Ausdruck findet.

2.10 Die Amen-Regel als Wahrnehmung der Abendmahlsverantwortung der Kirche unter den kirchlichen Bedingungen der Gegenwart In seinem Schreiben „Sacramentum Caritatis“ macht Papst Benedikt XVI. darauf aufmerksam, dass auch bei außergewöhnlichen Anlässen die Würde des Kommunionempfangs gewahrt sein soll. „In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein pastorales Problem aufmerksam machen, auf das man heutzutage oft stößt. Ich meine die Tatsache, dass bei einigen Gelegenheiten wie zum Beispiel Messfeiern aus Anlass von Trauungen, Beerdigungen oder ähnlichen Ereignissen außer den praktizierenden Gläubigen auch andere bei der Feier zugegen sind, die eventuell jahrelang nicht die Kommunion empfangen haben oder die sich vielleicht in Lebensverhältnissen befinden, die den Zugang zu den Sakramenten nicht gestatten. Andere Male geschieht es, dass Angehörige anderer christlicher Konfessionen oder sogar anderer Religionen zugegen sind. Ähnliche Umstände sind auch in Kirchen gegeben, die – besonders in den großen Kunstmetropolen – Ziel von Besucherströmen sind. Es versteht sich, dass dann Möglichkeiten gefunden werden müssen, kurz und wirkungsvoll allen den Sinn der sakramentalen Kommunion und die Bedingungen für ihren Empfang ins Gedächtnis zu rufen.“101 Benedikts Beschreibungen treffen die gemeinsame Situation der evangelischen und katholischen Kirchen und Gottesdienste in Deutschland ziemlich genau, insbesondere in städtischen Kontexten. Die Abendmahlspraxis der Gegenwart in beiden in Deutschland vertretenen

101

Sacramentum Caritatis 50.

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Großkirchen ist vor allem von zwei Faktoren bestimmt. Auf der einen Seite ist in beiden Kirchen eine relative Kommunionhäufigkeit zu verzeichnen.102 Die Zahlen der Kommunikanten (sowie der Gottesdienste mit Abendmahlsausteilung an die Gemeinde) sind gegenüber der Zeit vor dem Zweiten Vatikanum und vor dem Zweiten Weltkrieg gestiegen. Damit einhergehend, aber auch von anderen soziologischen Faktoren beeinflusst, ist die Anonymität der Kommunikanten gestiegen, was vor allem bei überregional bedeutsamen Großgottesdiensten (z. B. Kirchentage, Papstmessen) oder in übergemeindlich bedeutsamen Stadtkirchen beider Konfessionen zu beobachten ist. Beide Faktoren – Steigerung der Kommunikantenzahlen und Anonymität der Kommunizierenden – erschweren die Wahrnehmung der Abendmahlsverantwortung. Die Amen-Regel erweist sich auch hier als leistungsfähig. Sie ist kurz und knapp, theologisch sachgemäß und pastoral praktikabel. Das doppelte Amen, erstens zum zweieinen Empfang von Leib und Blut Christi und zweitens zum aktuell gebeteten Abendmahlsgebet als Ausdruck des jeweiligen kirchlichen Selbstbewusstseins ist ein ganzheitliches Bekenntnis erstens zur christologischen und zweitens zur jeweiligen ekklesiologischen Dichte und Verbindlichkeit der Eucharistiefeier. Hinzu kommt ein mystagogisches Anliegen: Die Amen-Regel könnte alle Gottesdienstteilnehmenden zu einem vertieften Mitvollzug der eucharistischen Liturgie anregen. 2.11 Die Amen-Regel als Forderung nach ökumenischer Sensibilität bei der Gestaltung konfessioneller Gottesdienste Damit das Amen auch ernsthaft gesprochen werden kann, bedarf es natürlich einer theologisch und ökumenisch sensiblen Gestaltung der Liturgiefeier. Das evangelische Amen zum Ersten Hochgebet der römischen Liturgie geht sicherlich ebenso schwer über die Lippen wie das römisch-katholische Amen zu einer evangelischen Feier in so großer evangelischer Freiheit, dass die neutestamentlich-jüdisch begründete und durch die Geschichte bewahrte ökumenische Grundgestalt der Messe nicht mehr erkennbar ist. Die Amen-Regel setzt dabei eine liturgische Praxis voraus, in der die Gemeinde auch tatsächlich ihr Amen spricht und sprechen kann – ein liturgiedidaktisches Desiderat in zahlreichen evangelischen und katholischen Gottesdiensten. Ferner kann die Amen-Regel in der Praxis auch nur dort sinnvoll und fruchtbar sein, wo die offiziellen liturgischen Bücher auch tatsächlich benutzt werden und nicht jede Liturgin und jede Ortsgemeinde meint, eigenmächtig ihre Liturgie zusammenbasteln zu können. 102 Zur Praxis in den evangelischen Gemeinden vgl. Rehm, Abendmahl, 17 f; Pannenberg, Bedeutung, 76 f.

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Die Amen-Regel nimmt ein urreformatorisches Anliegen ernst, nämlich die geistliche Urteilsfähigkeit der einzelnen Gläubigen. Weder wird jeder Rom-, Altkatholik oder Anglikaner zu jeder liturgischen Form eines protestantischen Abendmahles „Amen“ sagen können (und müssen), noch wird es viele NichtRom-Katholiken geben, die „ehrlichen Herzens“ zum opfertheologisch problematischen Ersten Hochgebet der römischen Kirche „Amen“ sagen können. Die konkrete liturgische Gestaltung wird damit zu einem Signal ökumenischer Offenheit oder Verschlossenheit. Gut gemeinte Appelle, etwa von evangelischen Pfarrern und Pfarrerinnen („Alle sind eingeladen, auch Katholiken“ o.ä.) sind widersinnig, wenn die so freundlich Eingeladenen Mühe haben, in der liturgischen Gestaltungswut der Verantwortlichen die grundlegenden Sinnelemente der Eucharistie wieder zu finden und sie somit nicht „Amen“ sagen können.103 Ebenso widersinnig sind Ansagen in römisch-katholischen Gottesdiensten, nur derjenige dürfe die Kommunion empfangen, der in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche steht,104 wenn etliche Gläubige mit ehrlichem Herzen „Amen“ sagen könnten und faktisch „Amen“ sagen, aber trotzdem nicht kommunizieren dürfen, da ihnen die rechtliche communio plena fehlt – im Gegensatz zum neunjährigen Kommunionkind, das trotz fehlender Firmung zur katholischen Kommunion zugelassen ist.105 Bedenkens- und beherzigenswert sind hier die Überlegungen von Peter Cornehl, der für ein bewusstes „Feiern in Gegenwart der anderen“ votiert.106 In dieselbe Richtung denkt auch der katholische Dogmatiker Bertram Stubenrauch: „Jede Gemeinschaft feiert ihre Liturgie in einer Haltung, die es anderen ermöglicht, sich ‚geistlich‘ darin wieder zu finden. Es gibt längst entsprechende Vorschläge, und niemand erwartet zu diesem Zweck ein rituelles Einerlei. Vielleicht wäre es aber hilfreich, wenn im katholischen Gottesdienst die Namen der vor Ort verantwortlichen protestantischen oder orthodoxen Amtspersonen genannt würden und diese umgekehrt den katholischen Bischof und den Papst einbezögen.“107

103 Mit Blick auf die ökumenischen Irritationen, die die eigenmächtigen Vorbereitungen des Feierabendmahles beim Evangelischen Kirchentag in Frankfurt 2001 ausgelöst haben, bemerkt Peter Cornehl: „Eucharistische Gastfreundschaft hat eine innere Verbindlichkeit. Wenn man sie ernst nimmt, verändert das die Art der Vorbereitung. Man wird sich dann nämlich bemühen, nichts zu tun, was die, die man einlädt, faktisch wieder ausschließt, weil man es ihnen unmöglich macht, die Einladung anzunehmen.“ (Cornehl, Gemeinschaft, 199) 104 So beim Schlussgottesdienst des Weltjugendtags am 21. 8. 2005 mit Papst Benedikt XVI. in Köln. 105 Vgl. Stuflesser, Gebete, 31 f. 106 Cornehl, Gemeinschaft, 198–200. 107 Stubenrauch, Wasser, 337, vgl. dazu insgesamt auch Hans-Georg Link, Ökumenische Spiritualität. Liturgische Vorschläge auf dem Weg zur Eucharistischen Gastfreundschaft, in: J.Brosseder/ H.-G. Link (Hg.), Eucharistische Gastfreundschaft. Ein Plädoyer evangelischer und katholischer Theologen, Neukirchen-Vluyn 2003, 164–169.

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2.12 Drei Beispiele für „Ansagen zu den Bedingungen des Kommunionempfangs“ bei den Papstmessen 2005 und 2006 in Deutschland und bei der Thomasmesse 2.12.1 Formalistisch: Die Kommunionformel beim Schlussgottesdienst des XX. Weltjugendtags in Köln 2005 Vor dem Schlussgottesdienst des Weltjugendtages 2005, dem Papst Benedikt XVI. vorstand, wurde folgender Text verlesen: „Damit wir auch in einer so großen Gemeinde die Kommunion würdig empfangen können, möchte ich zuvor einige Hinweise geben: Im Sakrament der Eucharistie begegnet uns Jesus Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch. Durch den Empfang seines Leibes werden wir, was wir sind: Kirche als lebendiger Leib Christi. Deshalb können nur Christen, die in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, die heilige Kommunion empfangen. Wir bitten Sie dazu innerhalb Ihres Pilgerfeldes zu bleiben und dort auf die Priester, Diakone und Kommunionspender zu warten. Wer die heilige Kommunion nicht empfangen kann, ist herzlich eingeladen, sich innerhalb des Pilgerfeldes durch den Kommunionspender segnen zu lassen. Zeigen Sie bitte durch eine kleine Verneigung, dass Sie den Segen wünschen.“108 Die Kölner Kommunionformel bewegt sich innerhalb der von Lehramt und Kirchenrecht vorgegeben Grenzen. Ein Ausnahmefall ist prinzipiell gar nicht vorgesehen, ja sogar ausgeschlossen („nur Christen, die in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen“). Die Bedingungen bleiben dabei rein formal, ja letztlich auf die Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Körperschaft des öffentlichen Rechts verengt und lassen die Möglichkeit (und Notwendigkeit) des persönlichen Bekenntnisses als Zulassungsbedingung außen vor. Zu fragen ist hier vor allem, ob der Segen tatsächlich einen angemessenen Ersatz für den Kommunionempfang darstellt. Obwohl die pastorale Sensibilität bei der Kölner Papstmesse positiv zu würdigen ist, wandelt sich der Tisch des Herrn zu einer Art Buffet: Für die einen die Hostie, für die anderen den Segen. Die Segnung der Nichtkatholiken stellt vielmehr eine Verzerrung des eucharistischen Geschehens dar; der Schmerz über die Getrenntheit am Tisch des Herrn wird durch eine alternative pastorale „Serviceleistung“ übergangen, die jeweilige Spezifik von persönlicher Segnung und Kommunionempfang tendenziell verwischt.

108 Der Text wurde mir freundlicherweise von Frau Ute Schmitz vom Generalvikariat der Erzdiözese Köln (Abteilung Jugendseelsorge) zugesandt.

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Sinn und Ziel der Eucharistie und Sinn und Ziel der Hochgebete bestehen jedoch nicht darin, irgendwie rituell bedient und „abgespeist“ zu werden, sondern mit Christus in der Gemeinschaft der Kirche im gläubigen Verzehr der eucharistischen Gaben ein Leib und ein Geist zu werden. Der Ersatzsegen ist vielmehr ein Beispiel, wie der defectus unitatis eines jeden Gottesdienstes, auch einer Papstmesse, verdrängt werden soll. 2.12.2 Ohne ökumenische Rücksicht: Die offene Einladung zum Abendmahl in der (evangelischen) Thomasmesse Als eine im evangelischen Bereich verbreitete überkonfessionelle Einladung zum Abendmahl führe ich hier die Einladung zur Kommunion in der Thomasmesse an, wie sie Tilmann Haberer dokumentiert: „Dieser Tisch, an den wir einladen, gehört nicht der Kirche, er gehört Jesus. Jesus war weder evangelisch noch katholisch: er war Jude! Jesus hat keine Grenzen aufgerichtet, er hat Grenzen übertreten, wo sie der Menschlichkeit im Wege standen. Deshalb laden wir ein: alle, die den Ruf gehört haben, alle, die Sehnsucht haben, alle die auch nur Sehnsucht nach der Sehnsucht haben, ohne Rücksicht auf Konfessions- oder Kirchenzugehörigkeit.“109 Bei der Frage, wer zum Abendmahl zuzulassen ist, darf es, so Haberer, „keine ökumenischen Rücksichten geben“.110 Problematisch ist hieran die Entgegensetzung Jesus-Kirche bzw. Jesus der Jude versus evangelische/katholische Kirche. Hier drückt sich eine Ekklesiophobie aus, die indirekt die Frage aufwirft, was denn Jesus bzw. Gott überhaupt mit den gegenwärtigen Kirchen zu tun hat. Dem liturgischen Vollzug selbst kommt keine Aussagekraft zu. Strukturell ähnelt die Einladung zur Thomasmesse der Kommunionformel des Kölner Weltjugendtages: Beide Male ist ausschließlich die formale Kirchen (nicht)-zugehörigkeit Ausgangspunkt der Argumentation (wenngleich mit unterschiedlichem Ergebnis), während dem liturgischen Vollzug selbst keine erschließende und für den Abendmahlsempfang kriteriologische Funktion zukommt. 2.12.3 Zukunftsweisend: Die Amen-Regel bei der Eucharistiefeier mit Papst Benedikt XVI. in München Als Papst Benedikt XVI. bei seiner Pastoralreise nach Bayern am 10. September 2006 auf dem Messegelände in München-Riem einer Eucharistiefeier vorstand, wurden zuvor „Hinweise zur Kommunionspendung und zum Kommunionempfang“ vorgetragen.111 Nach einigen organisatorischen und praktischen Hin-

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Haberer, Thomasmesse, 120. Haberer, Thomasmesse, 120. Für den Hinweis darauf danke ich Herrn Thomas Winderl (Landshut/Windischbergerdorf),

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weisen zur Kommunionspendung, die hier nicht aufgeführt werden müssen, werden auch Hinweise zur Zulassung zur Kommunion gegeben: „Der Empfang der heiligen Kommunion ist Ausdruck unserer innigsten Vereinigung mit Christus. Bei der Kommunion wird jedem Kommunikanten die Hostie gezeigt mit den Worten ‚Der Leib Christi‘. Wer zur Kommunion hinzutritt, muss ehrlichen Herzens dazu ‚Amen‘ sagen können: ‚Ja, das glaube ich. Dieses Brot ist Christi wahrer Leib. In diesem Brot ist Christus selbst gegenwärtig‘. So ist der Empfang der heiligen Kommunion Ausdruck unserer innigsten Vereinigung mit Christus. Die Kommunion ist aber auch Ausdruck der Einheit der Kirche. Wir feiern die Eucharistie in der konkreten Gemeinschaft der katholischen Kirche. Gerade in der Messfeier mit unserem Heiligen Vater, Papst Benedikt XVI., wird dieser Zusammenhang besonders deutlich. Was wir in jeder Messfeier bekennen, das dürfen wir hier konkret erfahren. Wir feiern Eucharistie in Gemeinschaft mit unserem Papst. So dürfen wir uns freuen, dass in wenigen Minuten Papst Benedikt zu uns kommen wird, um mit uns die Eucharistie zu feiern.“ Die Amen-Regel der Münchener Papstmesse bezieht sich, streng genommen, auf das Faktum der Realpräsenz Christi in der Gestalt des Brotes. Das Amen zum Hochgebet einschließlich der in jedem Hochgebetstext vorkommenden, ökumenisch schwierigen Passagen (postkonsekratorische Darbringung, Preces etc.) wird ausdrücklich nicht als Bedingung formuliert, wiewohl es zum gemeinschaftlichen Wesen der Eucharistie hinzugehört, wie ja auch die Kommunion als Ausdruck der Einheit und Gemeinschaft der katholischen Kirche erklärt wird. Es zeigt sich die Tendenz zu einer Gewichtung: Das mit Amen bekräftigte Bekenntnis zur eucharistischen Communio mit Christus ist zwar nicht vom Bekenntnis zur kirchlichen Communio (samt den Eigenheiten ihrer Eucharistielehre) zu trennen, aber doch so zu unterscheiden, dass eine Gewichtung möglich ist. Das Amen zu den eucharistischen Gestalten ist zwar auch ein Bekenntnis zur Communio der katholischen Kirche, diese fordert jedoch für sich kein eigenes Amen, wenn das Amen zum eucharistischen Christus „ehrlichen Herzens“ gesprochen werden kann. Das macht das Amen zum Hochgebet nicht irrelevant, ist doch die Kommunion die Frucht des mit Amen affirmierten und konsekratorisch wirkenden Hochgebets. Wohl aber lässt die Münchener Regel die Möglichkeit offen, zum Hochgebet in seiner Ganzheit ein „Amen als differenzierter Konsens“ zu sprechen, wobei sich der Konsens auf die Realpräsenz Christi bezieht, ja beziehen muss. Einzelne ekklesiologische und opfertheo-

für die Zusendung des (bislang unveröffentlichten) Textes von Herrn Prof. Dr. Winfried Haunerland (München), der ihn auch am 10. 9. 06 vor der Eröffnung der Papstmesse vorgetragen hat.

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logische Aussagen der Hochgebete können hinterfragbar und auch interpretationsoffen sein, wie ja etwa auch die postkonsekratorischen offerimus-Aussagen unter Katholiken unterschiedlich interpretiert werden und doch mit Amen bestätigt werden, wie bereits die in sich plurale Landschaft römisch-katholischer Liturgiewissenschaft zeigt. Die Münchener Amen-Regel erweist sich damit als ökumenisch sinnvoller Weg für die Frage der Abendmahlsgemeinschaft. Weder redet sie der Beliebigkeit das Wort, wie das tendenziell die Abendmahlseinladung der Thomasmesse tut, noch werden formalistische und in concreto unerfüllbare Bedingungen (wie in Köln) formuliert, die zu einem grundsätzlichen Ausschluss von der Kommunion und zur Entstehung von unsachgemäßen Ersatzriten (z. B. Segen statt Kommunionempfang) führen. Anders als die Vorschläge theologischer Gremienarbeit, die kirchenoffiziell von katholischer Seite nur marginal rezipiert wurden, kann die Münchener Amen-Regel als „päpstlich quasi-ratifiziert“ gelten: Sie wurde zwar (noch?) nicht lehramtlich und/oder kirchenrechtlich ratifiziert, wohl aber liturgisch durch eine und in einer Eucharistiefeier mit dem Papst als Hauptzelebranten. Die Amen-Regel in ihrer Formulierung zur Münchener Papstmesse erweist sich somit theologisch sinnvoll und ökumenisch zukunftsfähig, sowohl für evangelische als auch für römisch-katholische Abendmahlsfeiern.

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F Zusammenfassende Vertiefung: Liturgie als theologia prima et summa Die Schlussreflexion nimmt noch einmal den liturgisch-theologischen Ansatz auf und versucht, systematisch zusammenzufassen, was Liturgie ist. Zusammenfassend wird das theologische Wesen der Liturgie beschrieben. Primär erkenntnisleitend sind dabei die liturgischen Vollzüge selbst, die sekundär kommentiert und systematisiert werden. Es soll am Ende dieser Arbeit noch einmal reflektiert werden, warum der Liturgie diese besondere erkenntnisleitende Funktion für die Theologie im Allgemeinen und für die Dogmatik und die ökumenische Verständigung im Besonderen zukommen kann. Dazu fasse ich unter einem allgemeinen Liturgiebegriff die Einzelergebnisse aus der ekklesiologischen Reflexion der liturgischen Vollzüge in Teil D zusammen. Wenn im folgenden Liturgie als Theologie expliziert wird, wird Theologie als mehrdimensionales Reden von Gott verstanden, wobei Liturgie als Theologie eine, nicht die einzige, aber eine maßgebliche Dimension von Theologie ist.1 Der Ertrag dieses Abschnittes für den Dialog der Kirchen soll und wird darin bestehen, ein Konfessionen verbindendes Verständnis der Liturgie zu gewinnen, das tatsächlich Liturgie versteht und keine Ableitung aus anderen Lehren darstellt. Wer so die weitgehend gemeinsame Liturgie in den getrennten und gemeinsamen Gottesdiensten versteht, wird zu einer anderen theologischen Sichtweise des Kirche-Seins der anderen getrennten Konfessionen kommen.

1. Liturgie ist theologia prima vor Gott In der Liturgie wird die Gegenwart Gottes als hier und jetzt unter spezifischen Worten, Riten und Symbolen gegenwärtige vorausgesetzt. Die Annahme einer spezifischen Gegenwart Gottes in der Liturgie beruft sich auf und realisiert die biblischen Verheißungen, in denen Gott bzw. Jesus Christus – über seine Omni-

1 Vgl. auch Kirchberg, Theo-logie, 105. Ein ebenfalls weiter Theologiebegriff findet sich auch bei Eilert Herms, demzufolge Theologie „in erster Bedeutung ein zu jeder Gesamtauffassung der Wirklichkeit (Philosophien und Weltanschauungen) hinzugehöriges thematisches Element (ist): ihre Sicht des hinreichenden Grundes (griech. arche) des Weltprozesses und seiner Bestimmtheit (griech./lat. theos/deus, hebr. elohim = ‚Gott‘)“ (Herms, Art. Theologie, 312). Bedauerlicherweise fehlen in Herms’ Artikel jegliche Bezüge zur Liturgie bzw. zum hymnischen Ursprung der Theologie. Vgl. dagegen Bayer, Theologie, bes. 403.

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Liturgie ist theologia prima vor Gott

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präsenz hinaus (z. B. Mt 28,20) – einzelnen herausgehobenen liturgischen Akten und Situationen seine besondere Heilsgegenwart (Mt 18,20) zusagt.2 Liturgie ist Theologie vor Gott in Gottes Gegenwart. Dies könnte prinzipiell auch von anderen, z. B. alltäglichen oder akademischen Formen von Theologie so gesagt werden. Die Eigenart der Liturgie liegt jedoch darin, dass in der liturgischen Versammlung Menschen zusammen kommen, um Theologie gerade hier und jetzt in diesem spezifischen Kontext zu „treiben“, dem die Gegenwart Gottes in besonderer Weise zugesagt ist. Natürlich schließt die besondere Gegenwart Gottes in der liturgischen Feier nicht aus, dass Gott auch außerhalb des Gottesdienstes gegenwärtig ist, sodass auch jede außergottesdienstliche Form der Theologie vor Gott geschieht und vor Gott verantwortet werden muss. Diesen ist allerdings nicht die Gegenwart Gottes in der Versammlung zugesagt. Als gegenwärtiger Gott ist Gott der dreieine, der im Geist gegenwärtig ist als der Gott Jesu Christi, der der Schöpfer der Welt und der Herr der versammelten Gemeinde ist.3 Die spezifische Gegenwart Gottes, die die Liturgie voraussetzt, ist – hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit durch Menschen – als dichteste Weise der Gegenwart Gottes zu denken, von der sich alle außerliturgischen Weisen seiner Gegenwart ableiten und an der sich diese messen und identifizieren lassen müssen.4 Auf die Gegenwart Gottes in der Liturgie trifft zu, was Lothar Lies in seinem Eucharistiebuch allgemein zum Begriff der Gegenwart bemerkt: „Gegenwart ist auf ein handelndes Subjekt ausgerichtet, dem sie sich in Selbstwehr entgegenstellt. Damit meint Gegenwart eine Interaktion zweier Subjekte.“5 Lies unterscheidet den Gegenwartsbegriff von anderen Begriffen, etwa dem Realitätsbegriff, dadurch, dass Gegenwart auf personale Begegnung und Koinonia zielt und nicht einfach nur sachliche Vorhandenheit (wie im Falle einer rein dinglich missverstandenen somatischen Realpräsenz) meint.6 Was Lies besonders mit

2 Das Lied „Komm, sag es allen weiter“ (EG 225) bringt diese liturgische Grundüberzeugung in der 2. Strophe gut und in einer heute angemessenen Sprache zum Ausdruck: „Wir haben sein Versprechen: Er nimmt sich für uns Zeit, wird selbst das Brot uns brechen, kommt, alles ist bereit.“ 3 V.a. Wainwright hat nachdrücklich auf die trinitarische Struktur des Gottesdienstes hingewiesen (vgl. Wainwright, Grundlegung, 72–74). Vgl. auch Meyer-Blanck, Inszenierung, 42. 4 „Diese durch Wort und Sakrament geschenkte Gegenwart Gottes in der versammelten Gemeinde kommt her von der Gegenwart Gottes im Fleische Jesu, ja ist in einer neuen Weise diese Gegenwart selbst. Die wort- und sakramentgebundene Pneumagegenwart Gottes ist die zwischen Jesu Himmelfahrt und Wiederkunft allein mögliche Weise der damals und dort in Jesu irdischem Menschsein inkarnierten Gegenwart Gottes. Dem Menschsein Jesu als dem Gefäß der rettenden Gegenwart Gottes begegnen wir heute allein in dem verkündigten Wort und dem heiligen Abendmahl. Die durch die Fleischwerdung des Sohnes bewirkte Gegenwart Gottes wird als der wirksame Grund für alle anderen Weisen der Gegenwart Gottes in Anspruch genommen werden müssen.“ (Brunner, Lehre, 188) 5 Lies, Eucharistie, 237; vgl. auch Kunzler, Liturgie, 53. 6 Vgl. Lies, Eucharistie, 235–237.

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Zusammenfassende Vertiefung

Blick auf die eucharistische Kommunion reflektiert, lässt sich unschwer auf die liturgische Gegenwart Gottes überhaupt übertragen, die nicht anders als dynamisch, handelnd und auf Interaktion zielend zu verstehen ist.

2. Liturgie ist dialogische theologia prima zu Gott und von Gott her Die Liturgie setzt – wie die Doxologie – die liturgisch erfahrbare Gegenwart und Ansprechbarkeit Gottes7 und die Realpräsenz der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde voraus. Gott wird von der versammelten Gemeinde als konkretes, anwesendes Du angesprochen, wie auch umgekehrt Gott selbst zur Gemeinde spricht bzw. an ihr handelt.8 Erst in der wechselseitigen Begegnung kommt die Gegenwart Gottes in der Liturgie zu ihrem Ziel.9 Der Sinn der spezifischen Gegenwart Gottes im Gottesdienst erfüllt sich darin, dass sich eine durch liturgisch-rituelle (Wort-)Zeichen vermittelte dialogische Kommunikation zwischen Gott und der versammelten Gemeinde ereignet. Der dialogische Charakter der Liturgie entspricht dabei nicht ohne weiteres den Konventionen einer zwischenmenschlichen Kommunikation, die von Reden, Zuhören und gezieltem Reagieren auf den anderen geprägt ist, wie auch bei der Liturgie der Begriff der Kommunikation nicht in eine zwischenmenschliche Vorstellung im Sinne eines rein soziologischen Kommunikationsbegriffes aufgelöst werden darf. Vielmehr besteht zwischen Gott und der zur Liturgie versammelten Gemeinschaft ein unumkehrbares asymmetrisches Gefälle, das sich paradoxerweise darin spiegelt, dass der dreieine Gott als der je und je größere und erhabenere sich um seiner Größe und um der Schonung der Menschen willen gerade auch in der Liturgie verbirgt, um eine personale Beziehung der Menschen zu ihm zu ermöglichen.10 Gottes Sich-Verbergen gehört somit zur Bedingung der Möglichkeit,

7

Vgl. Thersea Berger, Theologie in Hymnen, 189; vgl. auch Schaeffler, Gebet, 216–219. Viele Eingangslieder zum Gottesdienst bringen zum Ausdruck, dass die Gemeinde hier in der Liturgie in der spezifischen liturgischen Gegenwart Gottes zusammen kommt, um mit Gott in einen Dialog zu treten. Besonders eindrücklich wird dies in den Liedern „Liebster Jesus, wir sind hier, dich und dein Wort anzuhören“ (EG 161; GL 520), „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165), „Tut mir auf die schöne Pforte“ (EG 166), „Du hast uns, Herr, gerufen“ (EG 168; GL 505). 9 Zum paulinischen Gottesdienstverständnis bemerkt Peter Cornehl: „Der Gottesdienst ist Begegnungsgeschehen. Entscheidend ist der Durchbruch zu einer neuen Begegnung mit Gott und Christus. Die Erfahrung der geistgewirkten Gegenwart des Herrn löst die Zunge, weckt als Resonanz Jubel, Verehrung und Anbetung. Sie bringt den Himmel auf die Erde und zwingt auf die Knie.“ (Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 260). Zum Begegnungscharakter der Doxologie vgl. Theresa Berger, Theologie in Hymnen, 195–197. 10 Das Zeugnis der Schrift kennt auch die Grenzen der Erfahrbarkeit Gottes, wie Zeindler (vgl. Gotteserfahrung, 183 f) herausarbeitet. 8

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Liturgie ist dialogische theologia prima zu Gott und von Gott her

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dass Gott und Mensch so miteinander kommunizieren können, dass der Mensch in der Beziehung mit Gott bestehen kann. Dass die Liturgie vordergründig rein menschliches Tun ist, erfasst zwar bei weitem nicht das theologische Wesen der Liturgie, gehört aber als Bedingung der Möglichkeit von Liturgie als gott-menschlichem Dialog konstitutiv zu Verständnis und Praxis des Gottesdienstes hinzu. Wäre Liturgie ein face-to-faceDialog mit Gott, den kein Mensch je gesehen hat noch je sehen kann (1Tim 6,16; Ex 33; vgl. EG 379,5), so würde Liturgie das Ende von Mensch und Kirche in Raum und Zeit bedeuten. Daher geschieht der Dialog plurimedial, durch vielfältige personale und kreatürliche Medien. Der Dialog zwischen Christus und seiner Kirche ereignet sich in, mit und unter all den vielfältigen Sprechakten des Gottesdienstes als „ein vom Geist gewirktes responsorisches Geschehen in katabatisch-anabatischem bzw. sakramental-sakrifiziellem Gefälle, das in seinem Kern promissorisch-doxologisch ist“,11 stellt Jochen Arnold fest und geht dabei vom Begriff des Gottesdienstes aus. Diese dogmatisch-reflexiv zutreffende Aussage muss jedoch berücksichtigen, dass die liturgischen Sprechakte und Handlungen zunächst durch und durch menschlich sind. Gottes Sprechen und Handeln sowie die menschlich-kirchliche Gotteserfahrung haben prinzipiell eine „In-mit-und-unter-Struktur“,12 wie Matthias Zeindler zu Recht betont. Auch Bernd Wannenwetsch spricht in aller theologisch gebotenen Vorsicht von einem „Miteinander-Handeln von Gott und Menschen. Gottes Handeln erschöpft sich nicht im Setzen eines Anfangs, in der ‚Einsetzung‘ der gottesdienstlichen Stücke, sondern geht mit dem Einstimmen der Gläubigen in dieses vorausgehende Handeln (welches alleine Gottes Handeln ist) einher: ‚In, mit und unter‘ dem Handeln der Menschen handelt Gott weiter.“13 (Bleibt zu präzisieren, dass das Weiter-Handeln Gottes im Gottesdienst sicher anamnetisch und nicht im soteriologischen Sinne zu verstehen ist, als ob die Heilstat Christi noch ergänzungsbedürftig wäre.) Das Handeln des dreieinen Gottes an der gottesdienstlichen Gemeinde vollzieht sich also so, dass es menschliches Handeln nicht aufhebt oder ersetzt, sondern in Anspruch nimmt und sich so als gegenwärtig sprechend und handelnd erfahren lässt.14 Wenn vom Handeln Gottes und vom (liturgischen) Handeln der Menschen bzw. der Kirche die Rede ist, so muss zunächst betont werden, dass hier zwar sowohl von Gott als auch von der Kirche ein „Handeln“ ausgesagt wird, dass der Handlungsbegriff hier jedoch nicht univok, sondern analog gebraucht wird. Der dreieine Gott handelt in, mit und unter den menschlichen li11 12 13 14

Arnold, Theologie, 21. Zeindler, Gotteserfahrung, 246 (unter Rückbezug auf die Konkordienformel). Wannenwetsch, Gottesdienst, 16. Vgl. Zeindler, Gotteserfahrung, 247 f; auch Klaer, Überlegungen; Neumann, Sakrament, 329–

335.

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Zusammenfassende Vertiefung

turgischen Vollzügen – aber nicht so, dass Gottes Handeln als durch das liturgische Handeln ursächlich ausgelöst oder bewirkt zu gelten hat; und schon gar nicht so, dass von einer wie auch immer gedachten echten Mitwirkung des Menschen am Handeln Gottes gesprochen werden könnte. Sofern von Gott und der Gemeinde in der Liturgie in analoger Redeweise ein Handeln ausgesagt werden kann (und muss), so ist auch zu bestimmen, worin genau die analogantia von göttlichem und menschlich-liturgischen Handeln liegen. Diese bestehen erstens in der ebenso banalen wie fundamentalen Feststellung, dass liturgisch-menschliches Handeln sein muss, damit die der liturgischen Versammlung frei zugesagte Gegenwart des dreieinen Gottes Gestalt annehmen und die Liturgie werden kann, wozu sie bestimmt ist, nämlich zum Ort der lebendigen Gegenwart Gottes. Diese bestehen zweitens darin, den liturgischen Akt als der göttlich-evangelischen Einsetzung seiner selbst korrelierend zu identifizieren. Das Handeln Gottes und das liturgische Handeln der Menschen zielt darauf ab, dass die liturgischen Vollzüge als Ort der Selbstvergegenwärtigung des dreieinen Gottes transparent werden. Ausgehend von Luthers Thorgauer Formel15 führt für den evangelischen Liturgiker Helmut Schwier die Wort-Antwort-Dynamik des Gottesdienstes „zum Begriff der ‚Christusresonanz‘, die zwar soteriologisch als passiver, rezeptionsästhetisch als höchst aktiver Vorgang zu beschreiben ist“.16 Weil sich Gottes Handeln nur in, mit und unter dem menschlichen, kirchlich-liturgischen Handeln zu erkennen gibt, die Kirche aber selbst „Dialogpartner“ Gottes im liturgischen Dialog ist, nämlich die von Gott Angesprochene und Empfangende, können nun schwerlich einzelne Akte ausschließlich einem der Dialogpartner (Gott oder die Menschen/die Kirche) zugeschrieben werden. Bei der Frage wie die dogmatisch wichtigen und notwendigen Unterscheidungen von göttlichem und kirchlichem Handeln liturgisch erkennbar sind, gilt es, die Beobachtung von Michael Meyer-Blanck zu berücksichtigen: „Die Sprach- und Interaktionsformen im Gottesdienst sind vielfältig in ihrer Form und – wie in einem guten Kunstwerk – nicht in ihrem präpositionalen Gehalt eindeutig.“17 Das heißt aber keineswegs, dass sich der Dialogcharakter der Liturgie nicht am konkreten liturgischen Vollzug wenigstens in Ansätzen ablesen ließe. Zum einen äußert sich in der Liturgie immer wieder ein personales „Wir“ und/oder ein „Ich“, vor allem in Gebeten und Gesängen. Die meisten liturgischen Sprechakte, in denen sich ein „Ich“ oder ein „Wir“ als Subjekt der Rede zu erkennen gibt, reden Gott (gelegentlich auch Christus und/oder den Heiligen Geist) als gegenwärtiges personales Gegenüber, als „Du“ an. Umgekehrt verdeutlichen ei-

15 16 17

Vgl. WA 49,588. Schwier, Art. Liturgie, 439. Meyer-Blanck, „dass unser lieber Herr“, 502.

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nige liturgische Vollzüge besonders konkret, dass Gott bzw. Christus – medial vermittelt – zu seiner Gemeinde spricht, etwa in der wörtlichen Rede Christi im Einsetzungsbericht, in den Schriftlesungen, die durch die liturgischen Akklamationen als „Wort des lebendigen Gottes“ ausgezeichnet werden, in der Gnadenverkündigung, der Absolution der Beichtliturgie18 oder auch im Segen.19 Andere liturgische Stücke akzentuieren besonders die Antwort der Gemeinde, wobei auch dieses Antworten stets als geistgewirkt zu begreifen ist.20 Bei aller notwendig zu betonenden Asymmetrie des Gott-Mensch- und Gott-Kirche-Verhältnisses bleibt der dialogische Charakter der Liturgie auch an und in ihrem konkreten Vollzug erhalten. Ingo Klaer hat als Handlungstypen das technische Subjekt-Objekt-Handeln und das kommunikative Handeln zwischen Subjekten unterschieden. Klaer kritisiert, dass die Betonung des Primates des göttlichen Handelns dazu geführt hat, die Sakramente in ihrem theologischen Kern als Subjekt-Objekt-Handlungen zu charakterisieren.21 „Aber“, so Klaer, „man gerät damit in eine einseitige analogisierend anthropomorphe Redeweise von Gott: er wird als allmächtiger Techniker vorgestellt. Dass Gott durch sein Wort handelt, dieser theologischen Grundaussage kann demgegenüber viel besser entsprochen werden, wenn wir auch von Gott analog ein kommunikatives Handeln aussagen, bei dem Gott als personales Subjekt auch des Menschen Person- und Subjektsein nicht aufhebt, nicht ‚objektiviert‘, sondern im Gegenteil gerade in Anspruch nimmt. Den reformatorischen Grundsatz, dem es um die Relation von Wort und Glaube geht, entspricht es jedenfalls gut, zu sagen: Gott wirkt den Glauben durch kommunikatives Handeln, denn Glaube kann gar nicht durch eine Art von technischem Handeln, das den Menschen als Objekt und nicht als Subjekt nimmt, gewirkt werden.“22 Lothar Lies vertieft den Gedanken der gottesdienstlichen Gemeinschaft von Gott und den Menschen mit der altkirchlichen Denkfigur der Perichorese. „Nur Personen können Gemeinschaft bilden. Perichorese ist die Höchstform personaler Gemeinschaft und kritisiert allen Individualismus.“23 Lies bestimmt die 18

Vgl. die Beichtfragen und die Lossprechung in EG 708. Dass die Stimme Gottes und Christi dabei nicht ausschließlich auf das gesprochene Wort des leitenden Liturgen und Ordinierten beschränkt werden muss/darf, zeigen etwa zahlreiche Gemeindelieder (z. B. EG 36,5; 37,5; 341; GL 291,3), aber auch Psalmen mit Orakelsprüchen (Ps 91) oder bestimmte Cantica und Responsorien (z. B. der Taufbefehl in EG 201, die Seligpreisungen in EG 307 und GL 631). Das Lied „Mir nach, spricht Christus, unser Held“ (EG 385, GL 616) vollzieht an sich selbst den Dialog zwischen Christus und der Gemeinschaft, die in der letzten Strophen des Liedes auf das Ich Christi der ersten Strophen antwortet: „So lasst uns denn dem lieben Herrn mit unserm Kreuz nachgehen.“ 20 Vgl. auch Arnold, Theologie, 21 f. 21 Vgl. Klaer, Überlegungen, bes. 138–145. 22 Klaer, Überlegungen, 144 f. 23 Lies, Eucharistie, 12. 19

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Zusammenfassende Vertiefung

Perichorese als wechselseitiges inniges Ineinander, „bei dem die eine Person die andere Person aufnimmt, ihr in sich Lebensraum und Stimme gewährt“.24 Der Perichoresebegriff nach Lies beinhaltet, dass die an der Perichorese beteiligten Personen unvermischt und ungetrennt miteinander und ineinander sind.25 Unter Berücksichtigung des Assymmetriegedankens lässt sich das gut auf das Verständnis der Liturgie übertragen. Liturgie ist demzufolge ein dialogisch-perichoretisches Begegnungsgeschehen. Das Sich-einander-Raum-und-Stimme-geben impliziert die Offenheit der Partner füreinander sowie die Bereitschaft, auf den anderen zu hören und ihn wahrzunehmen und unterstreicht die Personalität der Liturgie. Dialog, Begegnung und Perichorese sind nur zwischen füreinander offenen und aufeinander bezogenen Partnern möglich. Das mystische Lied von Tersteegen „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165) ist ein Beispiel für das perichoretische Begegnungsgeschehen in der Liturgie. Liturgie als dialogisch-perichoretische Begegnung von Gott und Mensch muss jedoch auch das paradoxe Wesen des liturgischen Geschehens mit berücksichtigen. Gottes Heiligkeit und Größe und die Begegnung mit dem dreieinen Gott bzw. das Hineingezogen-Werden in die trinitarische koinonia übersteigen stets alles Menschliche, selbst die überschwänglichste und demütigste Liturgiegestalt. Die Dialogizität der Liturgie beruht einzig und allein auf der göttlichen Initiative, dergegenüber der Mensch sich nur antwortend und re-agierend verhalten kann. Liturgie kann damit nur als immer neues Eintreten in die Antwortgestalt des Dialoges verstanden werden, den Gott schon immer führt, indem er uns je und je anspricht und auf unsere Antwort wartet. Vordergründig veranstalten („machen“) bestimmte Menschen die Liturgie, die der Mensch, recht verstanden, gar nicht machen kann. Die Erfahrung der unreinen Lippen (Jes 6,5) gehört angesichts der immer je größeren Erhabenheit Gottes konstitutiv zur Liturgie dazu, da jede menschliche Antwort auf die göttliche Anrede stets notwendig hinter dem Anspruch von Gottes Anrede zurückbleibt, selbst in einer als verbindlich oder gar sakrosankt geltenden Liturgiegestalt.26 Die liturgische Überlieferung hat dem durch Momente des Schweigens, aber auch durch gesprochene und gesungene Bitten um das rechte Reden von und zu Gott entsprochen, insbesondere in den Liedern zu Beginn des Gottesdienstes, die eine Bitte um das rechte Liturgie-Feiern enthalten. Bekannte Beispiele sind „Herr Jesu Christ dich zu uns wend“ (EG 155; GL 516), „Liebster Jesu, wir sind hier“ (EG 161; GL 520) oder „Du hast uns, Herr, gerufen“ (EG 168; GL 505). Anzuführen wäre auch der Beginn des Stundengebetes am Morgen „Herr, tue meine Lippen auf“ (EG 727).

24

Lies, Eucharistie, 239. Zum Versuch einer perichoretischen Ekklesiologie vgl. Schulte-Herbrüggen, Ekklesiologie, 259–261, der ein Schüler von Lies ist. 26 Vgl. auch Schaeffler, Gebet, 232–235. 25

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Liturgie ist theologia prima von Gott

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Liturgie unterscheidet sich hierin von solchen Formen der Theologie, die nicht ausdrücklich zu Gott oder von Gott her sprechen. Den nichtliturgischen Weisen der Theologie ist gegenüber der Liturgie gemeinsam, dass Gott zwar ihr Gegenstand, aber nicht zugleich auch ihr primärer Adressat ist. Liturgie ist wesentlich dialogisch und somit Theologie zu Gott und von Gott her. Die theologische Lehre bleibt demgegenüber „eigentümlich indirekt“.27 Der Gottesdienst hingegen ist „elementare Theologie, insofern hier von Gott her und zu ihm hin geredet wird und das Verhältnis zwischen redendem und hörendem Gott einerseits sowie hörendem und antwortendem Menschen andererseits auch der Gegenstand der Kommunikation ist“.28 Wenn und weil Liturgie theologia prima und somit Theologie ist, darf unter einer theologischen Aussage „nicht nur eine wissenschaftlich reflektierende Aussage im Unterschied zur elementaren Aussage, sondern bereits diese elementare Glaubensaussage selbst verstanden (werden) (. . .) Dann aber wird sogleich deutlich, dass die theologische Aussage nicht ohne weiteres Aussage ‚über‘ Gott, sondern vor allem Anrede Gottes, Verkündigung im Namen Gottes, bekennende Selbstübereignung an Gott, Anbetung Gottes ist und nur mit all diesen Aussagen zusammen ‚Lehre von Gott‘.“ (Edmund Schlink)29 Das persönliche Gebet „im Kämmerlein“ (Mt 6,6) hat mit der Liturgie gemeinsam, dass es (betende) Rede zu Gott ist und Gott als Adressaten hat. Es unterscheidet sich von der Liturgie dadurch, dass das dialogische Vollzugselement, also das Gegenüber, weniger explizit vorhanden ist als in der Liturgie.

3. Liturgie ist theologia prima von Gott Bisher waren die bei der Liturgie anwesenden und an ihr beteiligten (menschlichen) Akteure der Liturgie sowie deren Kommunikationsmodus, nämlich der Dialog im Blick. Dieser Dialog hat einen Inhalt oder ein Thema. Dabei hängt der Inhalt des Dialogs mit der Kommunikationsstruktur des Dialoges aufs engste zusammen. Wenn es im Dialog darum geht, dass jede Seite im Anreden des anderen sich selbst ausspricht, ist der Inhalt dieses Gespräches nicht gewissermaßen ein Drittes außerhalb der Dialogpartner liegendes Thema, sondern Selbstmitteilung der Beteiligten.30 Die Beteiligten, Gott und Mensch, teilen sich gegenseitig mit, wer sie sind und geben sich so aneinander Anteil.31 Die wechselseitige Selbstmitteilung und 27

Schlink, Struktur, 259. Arnold, Theologie, 32. 29 Schlink, Struktur, 263. 30 „Im Gottesdienst geschieht Rede von Gott her und zu ihm hin, eine Rede, deren Inhalt Gottes Beziehung zum Menschen und unsere Beziehung zu Gott ist.“ (Arnold, Theologie, 27 mit Bezug auf Regin Prenter) 31 Insofern ist jede Form eines „thematischen“ Gottesdienstes verdächtig, dass die Grundstruktur der Liturgie zugunsten bestimmter „Lernziele“ pädagogisiert und der Gottesdienst verzweckt wird. 28

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Zusammenfassende Vertiefung

Anteilgabe geschieht in (rituell gebundenen) Aussagen, die als Aussagen darüber, wer Gott ist und für die Menschen sein will, strikt theologische Aussagen sind. Dies zeigt sich exemplarisch an den Gebetsanreden und Prädikationen in Gebet und Lied oder in Glaubensbekenntnissen. Wenn Gott als Vater, Herrscher etc. angerufen wird, wenn seine Taten in den klassischen Kollektengebeten in Relativsätzen benannt werden, dann setzt das voraus, dass sich Gott zuvor als der mitgeteilt hat, als der er nun im Gebet oder Lied angerufen wird. Der Maßstab, um solche materialen theologischen Aussagen von bzw. über Gott als sachgerecht auszuweisen, ist die Heilige Schrift. Die Selbstmitteilung des dreieinen Gottes im Gottesdienst geschieht im Modus der Anamnese. Die Anamnese hat sich im 20. Jahrhundert unter dem Einfluss der ökumenischen Begegnungen sowie einer Wiederentdeckung des biblischen zikkaron-Verständnisses als Deutekategorie für den gesamten Gottesdienst erwiesen.32 Das Lima-Dokument zur Eucharistie sowie die Gottesdienstlehre von Peter Brunner können hierfür als maßgebliche Beispiele gelten. Das jüdisch-christliche Verständnis der Anamnese besteht mit Reinhard Meßner in einem zweifachen Gedenken: „im Gedenken Gottes, an das appelliert wird (‚Gedenke!‘), damit die des Handelns Gottes gedenkenden Menschen der in Gottes Gedächtnis präsenten Heilstat eintreten können. Die menschliche Gedächtnishandlung ist dem göttlichen Gedenken korrelativ, das den Gedenkenden aller Generationen den Eintritt in die Gegenwart des geschichtlich einmaligen Heilshandeln Gottes ermöglicht.“33 Nach Stephan Wahle ist das biblische Phänomen des Gedenkens ein „Eintreten in ein gott-menschliches Beziehungsgeschehen, das sich in den Ursprungsereignissen gezeitigt hat und aufgrund seiner göttlichen Qualität auch in der Gegenwart Wirklichkeit besitzt“.34 Voraussetzung der Anamnese ist die reale Gegenwart der Gedenkenden, ohne die weder Gedächtnisakt noch -inhalt möglich wären. Dabei ist zu betonen, dass die Gegenwart Gottes frei gewährte und geschenkte Gegenwart ist, deren Subjekt Gott selbst ist. Die Gegenwart Gottes wird nicht durch die menschlich-kirchli-

Liturgie ist von den verantwortlichen Mitgestaltenden situationsbezogen und angemessen vorzubereiten und „durchzuführen“, aber doch so, dass deutlich wird, dass hier nicht Einzelne (z. B. die Pfarrer) etwas für andere „veranstalten“, was sich durch seinen Vollzug erst als thematisch sinnvoll erweisen muss, sondern dass die feiernde Gemeinschaft eintritt in den je größeren Dialog des dreieinen Gottes mit seiner christlichen Kirche. Die grundsätzliche Orientierung an übergemeindlich gültigen liturgischen Ordnungen kann dazu ein hilfreiches Gestaltungskriterium sein. Vgl. hierzu auch die scharfen Äußerungen von Aidan Kavanagh: „When the liturgy moves or is moved from being of God to being about God, that is, when it shifts toward being some form of education done in a doxological context for ideological ends, then significant mutation begin to occur.“ (Kavanagh, On Liturgical Theology, 116 f, hier 116). 32 Vgl. auch Schmidt-Lauber, Zukunft 33, 69–72 u. ö.; auch Olaf Richter, Anamnesis, 145–215. 33 Meßner, Einführung, 162. 34 Wahle, Gottes-Gedenken, 108.

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che Liturgie bzw. durch mentale Erinnerungsleistungen hergestellt. Erinnern im biblisch-liturgischen Sinn ist eine Begegnungskategorie.35 Anamnese ist ein wechselseitiges, personales Erinnern von Subjekten, die einander im Modus der Liturgie auf spezifische Weise begegnen. Das gegenwärtige Subjekt-Sein Gottes impliziert, dass Gottes Gegenwart prinzipiell und insbesondere im gottesdienstlichen Begegnungsvollzug Selbstvergegenwärtigung ist. Der Begegnungscharakter der Anamnese setzt voraus, dass die Liturgie eben nicht Gottes Gegenwart herbeiführt, sondern voraussetzt. Die gottesdienstlichen Vollzüge sind je auf ihre Weise ein entscheidendes Medium, um in die Gegenwart Gottes einzutreten und in ihr zu kommunizieren, nicht aber, um Gottes Gegenwart herbeizuführen. Die Anamnese umfasst somit auch die materiale Ebene der Liturgie als einem dialogisch-perichoretischem Begegnungsgeschehen, bei dem die sich Begegnenden einander realen Anteil geben, sich als die mitteilen, die sie sind. Der eindeutige und asymmetrische Primat liegt dabei beim Gedenken der Heilstaten Gottes, die offenbaren, wer Gott ist, vorzüglich des Christusgeschehens. Gott teilt somit in der Liturgie nichts Neues mit. Er teilt sich vielmehr mit, wie er sich in der Heilsgeschichte des Alten Bundes und geschichtlich einmalig in Jesus Christus zum Heil der Menschen mitgeteilt hat, wie es der Kanon der Schrift maßstäblich beschreibt. Wie alle Theologie sich an der Schrift auf Sachgemäßheit prüfen lassen können muss, so gilt dies auch für die Liturgie und so realisiert es die Liturgie an sich selbst, denn sie ist – im Sinne des biblisch-theologischen Anamnesebegriffs – Gedächtnisgeschehen und Gedächtnisort der Heilsgeschichte in ritueller, Wort und Zeichen umfassender Symbolgestalt. Der Vorgang und der Gehalt der Anamnese gilt als von Gott selbst gewirkt. Im Medium des liturgischen Gedächtnisses wird die Gemeinde von Gott selbst in Gottes Gedächtnis hineingekommen, so dass ihr die einmaligen und historisch vergangenen Heilstaten heute gegenwärtig werden. Es kommt also zu einer Verschränkung der Gegenwart mit der Vergangenheit und der in Christus schon offenbaren und antizipierten Zukunft, so dass die historische Zeit und die des Heilsgeschehens einander gleichzeitig werden.36 Die Liturgie lebt vom „Modus des Als-ob“ (Ursula Roth),37 nämlich als ob die heutigen Liturgie feiernden Menschen an der biblisch bezeugten Gottesgeschichte der Vergangenheit und der Zukunft hier und jetzt teilnehmen, ja mehr noch: Der „Modus des Als-ob“ ist binnenperspektivisch-anamnetisch der Modus des „Heute“.38 Das liturgische 35

Vgl. Lies, Eucharistie, 52 f. Vgl. Gerhards/Kranemann, Einführung, 139–143. 37 Roth, Theatralität, 284. Kursiv von F.I. 38 Vgl. Gerhards/Kranemann, 141 f. Als Beispiel für eine verbale Verschränkung der Zeitebenen sei das beliebte Weihnachtslied „Hört der Engel helle Lieder“ in der Textfassung aus dem Evangelischen Gesangbuch (EG 54) genannt. Die liturgische Gemeinde ist mit dem Weihnachtsgeschehen gleichzeitig: Sie hört die Lieder der Engel und das Echo der Berge (1. Strophe). Sie hört die Engelsbotschaft als an sie selbst gerichtet („sie verkünden uns mit Schalle“, 3. Strophe), der Erlöser ist nicht einst, sondern „nun“ erschienen, die Weihnachtsengel singen „heute“ und „an diesem Fest“ (3. Stro36

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Zusammenfassende Vertiefung

Hier und Jetzt ist wesentlich vom Hier und Jetzt und Heute Gottes bestimmt, der derselbe Gott ist, der in der biblisch bezeugten Heilsgeschichte gewirkt hat.39 Die Verschränkung der Zeitebenen, die für das spezifische Zeitverständnis der Liturgie konstitutiv ist, lässt sich an etlichen sprachlichen Signalen feststellen, z. B. „heute“, „diese(r) Tag/Nacht“ sowie an den Präsensformen der Verben. In Anlehnung an die sprachphilosophischen Gedanken nach J.L. Austin und J.R. Searle ist die Liturgie primär grundlegend performatives Sprechhandeln, das schafft und handelt, was es sagt.40 Das Evangelium ist selbst performativ. „In the beginning was the performance“, zitiert Peter Cornehl John Dominic Crossan zustimmend.41 Als performative Sprechakte sind die liturgischen Akte zugleich wesentlich epikletisch, denn die Liturgie setzt keine Wirklichkeit aus sich selbst heraus, sondern nur im bittenden Vertrauen auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Der ganze Gottesdienst ist in dieser Hinsicht wesentlich Epiklese, Epiklesis (Olaf Richter).42 Die Liturgie redet von Gott. Insofern ist sie Theologie, wie auch die Alltagsdogmatik oder die akademische Dogmatik Rede von Gott und Theologie ist. Das Spezifikum der Liturgie besteht darin, anamnetische Theologie und somit von Gott selbst ermöglicht und gewirkt zu sein ist. Ihre theologischen Aussagen geschehen nicht zur zwischenmenschlichen Kommunikation und Information, sondern als performative Theologie primär zur Anteilhabe und -gabe an dem, was sie besagen. Die Liturgie unterscheidet sich somit von der Intention theologisch-wissenschaftlicher konstatierender Aussagesätze,43 denn sie ist nicht Ausdruck von etwas (etwa dem Dogma), das sich auch anders ausdrücken könnte Die Liturgie bringt eine Wirklichkeit (nämlich das biblisch bezeugte, einmal geschehene und für alle Zeiten gültige Heilshandeln des dreieinen Gottes) zum Sein, die sich unter irdischen Bedingungen nur so, im Modus der Liturgie, mitteilen kann bzw. mitteilen will.44 Alexander Schmemann spricht daher von der Liturgie als ontologischer Bedingung der Theologie.45 phe). Die Verschränkung der Zeitebenen gipfelt bei diesem Lied im Gloria-Refrain nach jeder Strophe, der die Gemeinde mit den Engeln und deren ureigenen Worten gewissermaßen gleichzeitig singen lässt: Gloria in excelsis Deo. Weitere Beispiele aus Liedgut und Gebeten, der lutherischen, der katholischen und auch der orthodoxen Liturgie ließen sich unschwer anfügen. 39 Vgl. Kunzler, Liturgie, 112 f. 40 Vgl. auch Theresa Berger, Theologie in Hymnen, 196 f; Bieritz, Grundlegung, 117–119, Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 209–211. 41 Cornehl, Der Evangelische Gottesdienst, 209. 42 Vgl. Olaf Richter, Anamnesis, 256 ff. Richter versucht, durch die begriffliche Unterscheidung von Epiklese und Epiklesis deutlich zu machen, dass es sich hier um ein spezifisches Moment der Abendmahlsliturgie, dort um eine Totaldimension des ganzen Gottesdienstes geht. 43 Vgl. auch Bayer, Theologie, 487. 44 Vgl. Fagerberg, Theologia Prima, v. a. 67. 45 Zitiert nach Fagerberg, Theologia Prima, 78.

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Liturgie ist gemeinschaftliche theologia prima der Kirche

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4. Liturgie ist gemeinschaftliche theologia prima der Kirche Liturgie ist wesentlich gemeinschaftlich und öffentlich. Dies zeigt sich an der rein formalen Notwendigkeit der zwei oder drei Versammelten in Jesu Namen, ohne die Liturgie nicht stattfinden könnte. Bereits die Etymologie des Wortes Liturgie (lvitows = das Volk betreffend) weist auf den prinzipiellen Öffentlichkeitscharakter der Liturgie hin.46 Liturgie ist wesentlich gemeinschaftlich, öffentlich, und damit kirchlich. Von anderen Formen der Theologie als Rede von/zu/vor Gott unterscheidet sie sich durch ihren Gemeinschaftscharakter. Die Gemeinschaft umfasst zunächst und primär die konkret versammelte Gemeinde. Jeder und jede Getaufte ist Liturg. Die Liturgie ist nicht nur Sache einzelner, sozusagen „der Liturgen“, die der Gemeinde gegenüberstehen und auf der Bühne des Altars ein Theaterstück aufführen, zu dem das Publikum applaudiert. Jeder und jede Getaufte hat im Gottesdienst seine aktive liturgische Rolle und ist somit Liturg und Liturgin.47 Darüber hinaus ist die liturgische Gemeinde verbunden mit den Liturgiegemeinden aller Zeiten und aller Orte.48 Jede im Namen Jesu versammelte Gemeinde stellt sich nicht nur als sie selbst in die Gegenwart des dreieinen Gottes, sondern, indem sie in der Gegenwart des dreieinen Gottes steht und ihm begegnet, tritt sie auch in die Gemeinschaft und in die liturgische Glaubenserfahrung der einen Jüngergemeinschaft Jesu, der einen Kirche aller Zeiten und Orte. Jeder Gottesdienst will insofern, mit dem Liturgiewissenschaftler Werner Hahne gesprochen, ein „als offenes System“ verstanden, gestaltet und vollzogen werden: „ausgerichtet auf die über den Erdkreis verbreitete Kirche“.49 Auch die universale Verbundenheit in der Liturgie erschließt sich über den Anamnesegedanken. Der anamnetische Charakter der Liturgie im Ganzen, der bei gleichzeitiger historischer Abgeschlossenheit und theologischer Vollsuffizienz der Heilsgeschichte im Medium der Liturgie die Vergleichzeitigung der Gemeinde mit der Heilstat Christi und dadurch als reale communio und Anteilhabe am Heilswerk Gottes bewirkt, besagt indirekt auch die Vergleichzeitigung der jemals in Raum und Zeit in liturgischer Anamnese mit dem Heilswerk Christi Vergleichzeitigten. Seinen eindrücklichsten Ausdruck findet das im Austausch liturgischer Stücke zwischen den Zeiten, Orten und Konfessionen. Die Vergleichzeitigung der Vergleichzeitigten im Medium der anamnetischen

46

Vgl. Brunner, Lehre, 101–103; Kalb, Art. Liturgie, 358 f. Vgl. auch Fagerberg, Theologia prima, 7 f. 48 „Denn wie die gottesdienstliche Versammlung nicht zu denken ist ohne gesamtkirchlichen Bezug, so ist die Gesamtkirche lebendig nur im Zusammenhang des konkreten Vollzugs der Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, in der die Einzelgemeinden in Raum und Zeit ihr Wesen haben.“ (Wenz, Kirche, 61) 49 Hahne, Gottes Volksversammlung, 136. 47

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Zusammenfassende Vertiefung

Liturgie erfolgt aus der Sicht der Menschen zwar real, aber indirekt, nämlich über Gott bzw. Christus vermittelt. Die Liturgiegemeinschaften und Liturgie feiernden Menschen der gesamten Christenheit seit jeher sind zwar durch räumliche, zeitliche und auch konfessionelle Abstände voneinander getrennt. Als Liturgie feiernde Gemeinde sind sie jedoch als Teilhabende am Heilswerk Christi mit diesem im Medium der Liturgie vergleichzeitigt, und über die Teilhabe an demselben einen Christus sind sich auch die Liturgiegemeinschaften aller Zeiten gleichzeitig.50 Liturgie ist Theologie in kirchlicher Gemeinschaft. Das bedeutet auch, dass gesellschaftliche und bürgerliche Standesunterschiede zwischen den Liturgiefeiernden in der Liturgie prinzipiell aufgehoben sind, während sich in anderen Kontexten dieselben Menschen als Laien und Experten, Theologieprofessorinnen und Studierende, Berufstheologen und Gelegenheitschristen gegenüber stehen, so dass gewisse Hierarchien in der Theologie bestehen.51 Demgegenüber ist die Liturgie nicht elitäre und kommunitarische Theologie (Aidan Kavanagh). Sie ist „proletarian in the sense that it is not done by academic elites; communitarian in the sense, that it is not undertaken by the scholar alone in his study“.52 Das kann nicht bedeuten, dass Liturgie (und liturgische Theologie) anti-akademisch53 und der wissenschaftlichen Reflexion entzogen ist. Allerdings werden in der Liturgie die intellektuellen Stände und Differenzen in den geistlich-ekklesialen Stand der Feiernden aufgehoben. In der Liturgie sind sich fachtheologische Experten und Laien, Gemeindeglieder und (Berufs-)Geistliche gleich, weil sie im Kern der Liturgie, in der Begegnung mit dem dreieinigen Gott dieselbe Würde eines getauften Christenmenschen haben.

5. Liturgie ist leibliche theologia prima Liturgie ist Theologie und damit wesentlich logoshaft und sprachlich strukturiert. Wie beispielsweise Dietrich Korsch zeigt, gehören Mensch-Sein, SpracheHaben und In-Verhältnissen-Leben unmittelbar und untrennbar zusammen.54 Der Mensch ist wesentlich sprachlich verfasst und vollzieht sich sprachlich, wobei die Sprachlichkeit des Menschen dessen Person-Sein bedingt.55

50

Vgl. auch Lathrop, Holy People, 49–64. Die theologische Gefahr von Zielgruppengottesdiensten besteht darin, die soziale Segmentierung der Kirche auch liturgisch zu inszenieren und somit das Wesen der kirchlichen Communio zu unterlaufen. 52 Kavanagh, On Liturgical Theology, 89; vgl. auch Fagerberg, Theologia Prima, 43 f. 53 Bei Schmemann und David Fagerberg lassen sich vereinzelt Formulierungen finden, die als Ausdruck einer anti-wissenschaftlichen Grundhaltung verstanden werden könnten. 54 Vgl. Korsch, Dogmatik, 19–22. 55 Vgl. Bieritz, Grundlegung, 113. 51

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Liturgie als leibliche theologia prima

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Daher ist sinnvolle christliche Liturgie als dialogisch-perichoretische Begegnung von Gott und seiner Kirche immer sprachlich verfasst. Gottesdienst ist insofern wesentlich Wortgeschehen56 – aber trotzdem nicht nur Wortgeschehen! Die Sprache der Liturgie ist eine Sprache eigener Art: Die Eigenart der liturgischen Sprache besteht in ihrer konstitutiven Leiblichkeit.57 Bereits die Etymologie des Wortes Liturgie (von griechisch ergon) verweist auf den besonderen dynamischen Handlungscharakter der Liturgie. Anders als das Wort Theo-logie leitet sich das Wort Liturgie von ergon als einer umfassenderen Vokabel als logos ab, wobei ergon und logos keine Gegensätze sind, sondern vielmehr logos als eine Form von ergon zu gelten hat. Dies gilt in dreifacher Hinsicht: Erstens ist das Wort selbst schon immer leiblich und nie eine rein „geistige“ Größe, wie die verbreitete, aber letztlich wenig einleuchtende Unterscheidung „Wort und Zeichen“ (oder „Wort und Sakrament“) nahe legen möchte.58 Das Wort „schafft sich – sobald es ausgesprochen wird – seinen Klangleib; aber auch als geschriebenes Wort besitzt es ein ‚Gesicht‘, verleiblicht sich in einer bestimmten Gestalt, und kommt nur in solcher Gestalt und durch sie hindurch zur Wirkung“.59 Zweitens findet die Liturgie unter den Bedingungen der Geschöpflichkeit statt. Geschöpflichkeit bedeutet Unterschiedenheit von Gott und Verbundenheit des Geschöpfes mit seinem Schöpfer. Der Mensch lebt in der geschaffenen Welt und ist selbst ein Teil von ihr. Erkenntnis – auch Gotteserkenntnis – ist dem Menschen ausschließlich im Medium der geschaffenen Welt möglich, der er selbst angehört. Insofern ist die geschaffene Welt Voraussetzung der Liturgie.60 Drittens setzt die Liturgie die leibliche Anwesenheit und Kopräsenz von mehreren Menschen an einem Ort zu einer bestimmten Zeit voraus,61 die vom leiblichen Wort Gottes konstituiert wird und selbst eine leibliche Gestalt des Wortes Gottes, nämlich ein Brief Christi (2 Kor 3,2) ist.62 Das bedeutet, dass die Liturgie immer (!) leiblich ist unter Einbezug aller verbalen und nonverbalen Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten. Auch die nonverbalen Vollzüge sind Träger und Gegenstand der in der Liturgie vollzogenen Theologie. Insofern gehört die leibliche Dimension der gottesdienstlichen Vollzüge konstitutiv in die systematisch-theologische Reflexion der Liturgie hinein. Mit Karl-Heinrich Bieritz gesprochen: „Liturgische Anthropologie

56 57 58 59 60 61 62

Vgl. Bieritz, Grundlegung, 113–115. Vgl. auch Herms, Überlegungen, 224 f. Vgl. Bieritz, Wort, 51 f. Bieritz, Wort, 51 f. Vgl. auch Kunzler, Liturgie, 51. Vgl. auch Bieritz, Grundlegung, 102 f; Dalferth, Kirche, bes. 184 f. Vgl. Körtner, Gestalten, 706.

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Zusammenfassende Vertiefung

hat nicht neben und nicht gegen, sondern innerhalb ‚systematischer Liturgiewissenschaft‘ ihren Ort.“63 Die Liturgie ist leiblicher Ausdruck der sich ausdrückenden Menschen und der sich ausdrückenden Kirche. Der Mensch ist in der Liturgie „nicht nur Subjekt, sondern immer auch Ausdruck, Mittel und Medium jenes Austauschs, der im Gottesdienst als einem Ereignis symbolischer, darstellender Kommunikation statthat. Anders: Er ist nicht nur Kommunikator, sondern selber Signifikant und Signifikat, Zeichengestalt und Zeichensinn.“64 Die Leiblichkeit des einzelnen Menschen und der versammelten Gemeinde bildet, so Bieritz, „Ausgangspunkt, Medium und Basis all dessen, was hier im Folgenden teilgebend und teilhabend – nichts anderes meint communicatio - geschieht“.65 So versucht auch Manfred Josuttis, den Gottesdienst nicht als Ausdruck von theologischer Lehre, individuellen Gefühlen oder sozialen Konflikten zu verstehen, sondern der inneren Logik der Verhaltenssequenzen des traditionellen Gottesdienstes auf die Spur zu kommen.66 A. Ronald Sequeira macht im Anschluss an die existentielle Phänomenologie (insbesondere Maurice Merlau-Ponty, Remy C. Kwant, Gerardus v.d. Leeuw) darauf aufmerksam, „dass menschlicher Ausdruck nicht bloße ‚Veräußerlichung‘, sondern dass er gleichzeitig in höchstem Maß ‚Selbstvollzug‘ ist“.67 Selbstvollzug beinhaltet nach Sequeira Offenheit auf andere, sodass Ausdruck auch immer Selbstmitteilung an andere ist.68 Der leibliche Ausdruck geschieht dabei, wie Sequeira deutlich macht, stets in der Einheit von Wort, Ton und Bewegung,69 die seiner Ansicht nach „nicht bloß äußerliche Formgebung, sondern Grundweisen der menschlichen Existenz“ sind.70 Die Leiblichkeit gehört dabei eng mit der Sozialität des Menschen zusammen71 und verweist auf die Struktur der Kirche, die der Leib Christi zu sein bestimmt ist. Nach Jörg Neijenhuis spricht der „Text“ der Liturgie fünf Sprachen bzw. Sprachgruppen: Wortsprachen, Körpersprachen, Klangsprachen, Objektsprachen und Sozialsprachen.72 Die Liturgie ist, wie Neijenhuis ausführt, ein alle Sprachgruppen umfassender Zeichenprozess. Wie verhält sich aber die verbale Sprache zu den anderen Sprachen der Liturgie? Die verbale Sprache kann als die theologisch wesentliche, weil inhaltlich maß63

Bieritz, Grundlegung, 96 (mit Bezug auf Reinhard Meßner). Bieritz, Grundlegung, 102. 65 Bieritz, Grundlegung, 103. 66 Vgl. Josuttis, Weg, der ausgehend von Verhalten, Gehen, Sitzen, Sehen, Singen, Hören, Essen und wieder Gehen den Sinn des Gottesdienstes phänomenologisch beschreibt. 67 Sequeira, Gottesdienst, 13. 68 Vgl. Sequeira, Spielende Liturgie, 201. 69 Vgl. Sequeira, Spielende Liturgie, bes. 169–204. 70 Sequeira, Spielende Liturgie, 199. 71 Vgl. Meyer-Blanck, Inszenierung, 49 f. 72 Vgl. Neijenhuis, Gottesdienst, 137–139; vgl. auch Nicol, Weg, 43–64. 64

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Liturgie als leibliche theologia prima

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stäbliche Kommunikationsform der Liturgie gelten.73 Erst durch das gesprochene Wort werden die nonverbalen Sprachen ihrer Vieldeutigkeit entnommen und als Sprachen des christlichen Gottesdienstes identifiziert. Hier haben die reformatorische Kritik an der vorreformatorischen Messpraxis und das evangelische Insistieren auf dem verständlichen gottesdienstlichen Wort ihr unbedingtes und unveräußerliches Recht: Erst die Einheit mit der verbalen Sprache schützt die vielfältigen nonverbalen Vollzüge und „Sprachen“ davor, in einem unevangelischen Sinn missdeutet oder missbraucht zu werden. Die liturgisch-theologische Ursprache ist dabei die Doxologie, das gesungene Wort, der als Musik gestaltete Klang, wie überhaupt Theologie ursprünglich hymnischer Lobpreis Gottes als Antwort auf Gottes Anrede und Handeln war, eine Dimension die durch die Theologie- und Geistesgeschichte weitgehend ins Abseits gedrängt wurde, wie Marie-Judith Krahe zeigt.74 Die Bedeutung sprachlich-worthafter liturgischer Kommunikation ist damit in keinster Weise geschmälert; wie der Mensch wesentlich ein animal rationale ist und gerade das christliche Gottesbild für rationale Erfassung und Durchdringung offen ist, so gehört das Wort wesentlich zum gottesdienstlichen Vollzug; die Worthaftigkeit und Verständlichkeit der Liturgie als rational verantwortetem Ausdruck des Glaubens gehört zum spezifisch reformatorischen Erbe, das die nichtprotestantische Christenheit breit und gerne rezipiert hat und das es konfessionenübergreifend weiter zu pflegen gilt.75 Gleichzeitig sind verbale Kommunikation und symbolische Interaktion religiös und theologisch aufeinander verwiesen, wie Gunther Wenz am Sakramentsbegriff deutlich macht.76 Die inhaltliche Maßgeblichkeit der verbalen Sprache kann und darf jedoch keine Ausschließlichkeit ihrer Relevanz für ein theologisches Verständnis der Liturgie bedeuten. Das reformatorische „solo verbo“ bezieht sich auf das Wort von Jesus Christus, aber im73 Mit „maßstäblich“ meine ich, dass die Heilige Schrift als auch inhaltlich maßstäbliches Kriterium ein sprachlich verfasstes Medium ist, wobei die Maßstäblichkeit der Schrift ihrerseits wieder in der Liturgie gründet, da der Kanon primär Sammlung der kanonischen gottesdienstlichen Lesungen, Predigten, Gesänge und Gebete ist; der Kanon „can best be understood than the list of books accepted for the public reading in the church“ (Lathrop, Holy People, 24). Vgl. auch C 2. in dieser Arbeit. 74 Vgl. Krahe, Psalmen, bes. 924–926. 75 Vgl. auch Wenz, Ins Wort gefasst, 89; mit Blick auf Ritual und Reflexion vgl. auch MeyerBlanck, Inszenierung, 44 f; zu den liturgischen „Sprachen“ vgl. auch Saliers, Worship as Theology, 156–165. 76 Vgl. Wenz, Ins Wort gefasst, 89. Mit Blick auf das lutherische Verhältnis von Wort und Sakrament bemerkt Wenz: „Ein Personalismus , der in spiritualisierender Weise vom leibhaften Dasein des Menschen und der irdischen Welt abstrahiert, ist Luther nicht weniger fremd als ein Dinglichkeitsfetischismus, der Gott in wortloser Substanzhaftigkeit habhaft werden möchte. Nein: Wort und Sakrament lassen sich nicht auseinanderdividieren. Sie sind auf differenzierte, aber untrennbare Weise verbunden – und sie halten in dieser Verbundenheit, wenn man so sagen will, Leib und Seele des Menschen zusammen.“ (Ebd., 84) Wenz’ Überlegungen zum Verhältnis von Wort und Sakrament gelten auch für die Leiblichkeit der Liturgie insgesamt. Zu betonen ist dabei, dass dem gottesdienstlichen Wort, gerade dem verkündigten Wort selbst Leiblichkeit und Sakramentalität eignet.

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Zusammenfassende Vertiefung

pliziert gerade deshalb – das Wort ward „Fleisch“ – kein verbistisches Prinzip für die Liturgie. Eine semiotische Zugangsweise ist hier hilfreich, denn sie kann zwischen Wort-Zeichen und nonverbalen Ausdrucks-Zeichen eine qualitative Differenz feststellen, ohne eine katogial-exklusive Differenz präjudizieren zu müssen77. Sprachlichkeit und Leiblichkeit müssen vielmehr als einander durchdringende Grunddimensionen des Menschseins und auch der Liturgie gedacht werden, wobei eine ohne die andere nicht lebbar und denkbar ist.78 Die konstitutive Leiblichkeit der Liturgie beinhaltet, dass die Liturgiefeiernden als leiblich Anwesende während des Hörens und Sprechens immer auch nonverbale Kommunikationsakte vollziehen. z. B. durch Körpersprache, wie ja umgekehrt auch das gesprochene Wort als leibliches Element zu konstatieren ist.79 Darüber hinaus gehören Symbole und Rituale unhintergehbar zur Natur des Menschen ebenso wie zur Liturgie. Die Leiblichkeit der Liturgie begründet sich anthropologisch. „Die konkreten Formen der Liturgie entsprechen der psychosomatischen Einheit des Menschen als eines sprach- und symbolfähigen Geschöpfes.“ (Geoffrey Wainwright)80 Wo die außersprachliche Sinnlichkeit und Leiblichkeit des Menschen oder auch der Liturgie nicht berücksichtigt wird, wird kein bestimmtes theologisches Programm durchgeführt (etwa eine ausschließlich auf das Wort gerichtete Theologie, wie einzelne „protestantische“ Positionen behaupten), sondern die grundlegende Realität des Menschen und der Liturgie schlichtweg ignoriert.81 Man kann nicht nicht kommunizieren. Man kann auch nicht nicht sinnlich sein. Man kann im Gottesdienst nicht nicht sehen, nicht sich nicht bewegen, nicht nicht riechen, schmecken, fühlen etc. Der gottesdienstliche Text ist immer schon mehrsprachig und nie nur verbal. Außerdem gehören bestimmte Elemente der Kultur und der kreatürlichen Welt konstitutiv zur Feier des christlichen Gottesdienstes dazu, was in der Inkarnation als Fleisch-, Welt- und Kulturwerdung des Wortes und in dem von Gott bzw. Christus gestifteten Heilsweg durch kreatürliche media salutis begründet ist.82 Dabei überlässt die christliche Liturgie ihre Leiblichkeit nicht dem Zufall, sondern reflektiert und regelt sie, was in den Rubriken der liturgischen Bücher zum Ausdruck kommt. Man kann also summa summarum nicht sagen, dass das Wesen der Liturgie erfasst wäre, wenn es allein verbistisch-textuell beschrieben wäre.83 Dem Wort 77

Vgl. Jordahn, Zeremoniale, 436–438. Vgl. auch Lathrop, Holy People, 151. 79 Vgl. auch Neijenhuis, Gottesdienst, 54. 80 Wainwright, RGG-Artikel Gottesdienst, 1200. 81 Vgl. auch Schmidt-Lauber, Zukunft, 47 f. 82 Vgl. Wainwright, Grundlegung, 83 f. 83 Zur Kritik an der „Verliterarisierung“ der Liturgie durch das Aufkommen des Buchdrucks vgl. Kavanagh, On Liturgical Theology, 96–98; ähnlich auch Dalferth, Kirche, 183–186. 78

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Liturgie ist theologia prima, denn sie ist theologia summa

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kommt die zentrale und diakritische Stellung in der Liturgie zu, ohne Zweifel. Vom gesprochenen Wort her werden die nicht sprachlichen Vollzüge als der liturgischen Bestimmung entsprechende Vollzüge wahrnehmbar.84 Der Liturgie jedoch ist es – gegenüber anderen theologischen Äußerungen, etwa einem theologischen Lehrbuch oder einer Bekenntnisschrift – eigen, dass ihre theologischen Aussagen und ihre sprachlichen Vollzüge immer durch nicht sprachliche Vollzüge und Wahrnehmungen begleitet, ja z. T. verstärkt werden, eben weil die Liturgie anwesende Menschen voraussetzt, die immer umfassende Sinnenwesen sind. So begleiten bestimmte optische (Kerzen, Paramente, Raum etc.), geschmackliche (Brot und Wein), taktile (Segnungen mit Handauflegung), z. T. auch olfaktorische Codes (Weihrauch, der Geruch eines Kirchenraumes) die verbale Kommunikation. Die Sinneseindrücke wechseln im Verlauf der Liturgie und variieren, z. T. nach konfessions- und kulturspezifischen Mustern.85 Nur eines bleibt: Die Liturgie ist immer ein alle Sinneswahrnehmungen und Sprachen einschließender Zeichenprozess, und nie rein verbal. Dass sich in der kirchlichen (auch in der evangelischen) Praxis zunehmend ein Gespür für „Liturgische Präsenz“ (Thomas Kabel) entwickelt,86 ist daher nicht nur im Zweifelsfall auch entbehrliches Ornament, sondern entspricht der spezifischen Eigenart der Liturgie als leiblicher Theologie.

6. Liturgie ist theologia prima, denn sie ist theologia summa Ich habe die Liturgie als theologia prima anhand von fünf Aspekten zusammenfassend theologisch kommentiert. Die Besonderheit der Liturgie als theologia prima gegenüber anderen Formen der Theologie liegt darin, dass diese fünf Aspekte in der Liturgie immer gleichzeitig auftreten, während andere Genera theologischen Redens und Handelns mindestens einen dieser Aspekte entbehren. Dies rechtfertigt es, der Liturgie innerhalb allen Formen christlich-theologischer Kommunikation einen besonderen Status zu geben, der bisweilen mit der Formel „theologia prima“ bezeichnet wird. Dies ergänze ich mit dem Hinweis auf die Vollständigkeit aller fünf Aspekte dahingehend, dass die Liturgie theologia prima et summa ist. Somit stimme ich im Ergebnis Oswald Bayer voll und ganz zu: „Hat der Gottesdienst die aufgewiesenen universalen Dimensionen, dann kann die Theologie – im engeren Sinn, als Bemühung des Denkens verstanden –

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Vgl. Korsch, Dogmatik, 21 f. Zur Veränderung des „Körperlebens“ seit der Reformationszeit und dessen Bedeutung für das liturgische „Körperleben“ vgl. Meyer-Blanck, Inszenierung, 30. 86 Vgl. auch Thomas Kabel, Handbuch Liturgische Präsenz. Zur praktischen Inszenierung des Gottesdienstes, Bd. 1, Gütersloh 2002; dazu auch Plüss, Gottesdienst, 318–321. Zur praktisch-theologischen und theatertheoretischen Kritik an Kabel vgl. Roth, Theatralität. 85

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Zusammenfassende Vertiefung

nicht etwa über ihn hinausgehen; sie kann ihn nie überholen, nicht einmal einholen. Theologie kommt vom Gottesdienst her und geht auf ihn hin.“87 Liturgie ist also in (kirchlicher) Gemeinschaft vollzogenes Reden (und Handeln) von Gott, vor Gott und mit Gott unter Einbezug aller menschlichen Ausdrucks- und Wahrnehmungsmöglichkeiten. Insofern ist sie theologia prima und summa. Insofern übersteigt sie den Verbindlichkeitsgrad anderer individueller, kirchenamtlicher und akademischer theologischer Redeweisen (ohne natürlich aufzuhören, auf diese anderen Redeformen angewiesen zu sein und mit ihnen im Dialog zu bleiben). Je mehr die dogmatische Theologie im Allgemeinen und die interkonfessionellen Diskurse im Speziellen die Liturgie als theologia prima ernst nehmen, umso mehr theologische und ekklesiologische Gemeinsamkeiten werden sie entdecken. Jede Gemeinsamkeit zwischen den getrennten Christen und Kirchen ist, auch als ekklesiale Wirklichkeit, primär in dem dreieinen Gott und nicht in menschlich-sozialen Gegebenheiten (und auch nicht in einer bestimmten Verfassung der Kirche) begründet. Dann aber kann das vinculum unitatis selbst nirgends anders klarer präsent werden, als in der Gegenwart des dreieinen Gottes selbst. Wie die gottesdienstliche Erfahrung das theologische Nachdenken überhaupt erst ermöglicht und bedingt, so muss auch das ökumenische Nachdenken über Kircheneinheit dezidiert in der gemeinsamen liturgischen Erfahrung verwurzelt sein. Was die sekundäre Theologie (wie diese Arbeit hier) zu reflektieren, formulieren und verantworten hat, ist ihr im Gottesdienst und seinen liturgischen Vollzügen präsent und vorgegeben, nämlich, dass die Kirche Jesu Christi in Christus in der Kraft des Geistes auch in ihrer vielfältigen Gebrochenheit und Gespaltenheit eine ist und geeint, wenn sie Gottesdienst feiert und sich in die Gegenwart Gottes ziehen lässt. Die versammelten Christen sind dann eine Kirche in der Liturgie.

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Bayer, Theologie, 403.

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Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen richten sich nach: Siegfried M. Schwerdtner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 21992. Weitere Abkürzungen darüber hinaus oder davon abweichend (volle Titel im Literaturverzeichnis): EdE: EG: EGb: EmG: GL: HbL:

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Literatur

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Register Personenregister Ahlers, Reinhild 63 Albrecht, Christian 8, 33, 208 f, 212 Allmen, Jean-Jacques 137 Arnold, Jochen 90, 114, 116, 127 f, 135, 167, 186, 193, 210 f, 273, 277 Assmann, Jan 121 Austin, J.L. 280 Avanasieff, Nikolaj 129 Balders, Gunter 151 Barth, Karl 136 f, 186, 189 Baum, Gregory 63 Bayer, Oswald 135, 226, 287 f Benedikt XVI. 30, 53, 85 f, 147, 263, 265–268 Berger, Klaus 155 f Berger, Peter L. 53 Berger, Theresa 128, 149, 237 f Bieritz, Karl-Heinrich 283 f Birmelé, André 107 Blankenburg, Walter 163 Block, Johannes 160 f, 163 Bloth, Peter C. 189, 192 Böntert, Stefan 228 f Breit-Keßler, Susanne 9 Brodd, Sven-Erik 139 Brunner, Peter 102, 116, 128, 135, 142, 155, 162, 172–174, 177, 180, 204, 210 f, 271, 278 Brunstäd, Friedrich 88 Bürki, Bruno 148 Casel, Odo 130 Castro, Emilio 245 Chan, Simon 116, 138 f, 147, 161 Cornehl, Peter 117, 121, 149, 176, 265, 272, 280 Crossan, John D. 280 Crüger, Johann 169 Daiber, Karl-Fritz 37, 43 Dalferth, Ingolf U. 39, 107, 109

Dietz, Otto 192, 194 Dietz, Walter 8, 216, 225 f Dinkel, Christoph 141 Döring, Heinrich 41 Ebeling, Gerhard 135, 186, 248 Ebertz, Michael 38 Echternach, Helmut 211 Eham, Markus 66, 73, 76 Ehrensperger, Alfred 243 f Elert, Werner 95, 136 Fagerberg, David W. 116, 146, 234 Fechtner, Kristian 34, 240, 247 Feiner, Josef 82 f Florovskij, Georgij 129 Frettlöh, Magdalene L. 208, 212 Friedrich, Johannes 21, 111 Friedrich Wilhelm III. 93 Friedrichs, Lutz 19 Frisque, Jean 62 Frör, Kurt 261 f Führer, Werner 107 Gabriel, Karl 36, 39, 41 f, 45, 113 Gassmann, Günther 110 f Geller, Helmut 36, 41 f, 45, 113 Gerhards, Albert 116, 145, 164, 190, 222 Goertz, Harald 214, 225 Graf, Friedrich W. 39–41, 53 f Greiner, Dorothea 206, 208, 212 Grethlein, Christian 142, 247 Grillo, Andrea 115 f, 123 f, 126 Grözinger, Albrecht 50, 245 Grönvik, Lorenz 109 Haberer, Tilmann 20, 242, 267 Hagmann, Gerald 26, 28, 32, 41, 113, 241 Hahn, Ferdinand 141, 236 Hahne, Werner 281

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Personenregister

Hamer, Jerome 76 Härle, Wilfried 188, 214, 225 Häußling, Angelus A. 256 Harnoncourt, Philipp 160 Hasitschka, Michael 232 Hasenhüttl, Gotthold 27 Haunerland, Winfried 48, 268 Hauschild, Wolf-Dieter 36, 86 f Hauschildt, Eberhard 246 Heller, Dagmar 244 Heim, Maximilian H. 131 Hering, Theodor 157 Herms, Eilert 96, 118, 120, 141, 248, 270 Höcker, Bertold 164 Höhn, Hans-Joachim 48 Hofhansl, Ernst W. 262 Huber, Wolfgang 28, 53, 112 Hünermann, Peter 62 f, 66 Huwyler, Christoph 25, 67 Ignatius Zakka I. Iwas 80 Jankowiak, Grzegorz 62, 131 Jaspert, Bernd 231 Jenny, Markus 59, 167, 170 Johannes Paul II. 21, 26, 45, 64, 80 f Jordahn, Ottfried 158, 258 Josuttis, Manfred 160, 284 Jüngel, Eberhard 141 Jungmann, Josef A. 130, 158, 190, 261 Justin 118 Kabel, Thomas 287 Kandler, Karl-Hermann 136 Käßmann, Margot 21 Kaspari, Tobias 9, 121 Kasper, Walter 22, 256 f Kavanagh, Aidan 115 f, 122, 138, 176, 180, 186, 278, 282 Kehl, Medard 66 Klaer, Ingo 275 Klek, Konrad 166 Kneitschel, Ernst-Ulrich 56, 166 f König, Franz 74 Kornemann, Helmut 243 f Korsch, Dietrich 282 Körtner, Ulrich H.J. 225 Kraft, Sigisbert 103 Krahe, Marie-Judith 285 Kranemann, Benedikt 116, 145, 164, 222 Kretschmar, Georg 87, 111

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Kühn, Ulrich 135, 196, 221 Kunzler, Michael 262 Küppers, Werner 100 Kwant, Remy C. 284 Lange, Ernst 177 Lätzel, Martin 39 Lathrop, Gordon W. 116, 118, 120, 144 f, 155 f, 173, 175, 186, 190, 233, 235, 237, 285 Leeuw, Gerardus v.d. 284 Leo XIII. 227 Leo der Große 63 Lies, Lothar 271, 275 f Lilienfeld, Fairy von 136 Link, Hans-Georg 98 Lohff, Wenzel 97 Löhr, Christian M. 150, 254 Lohse, Bernhard 90 Lübbe, Hermann 47 Lukatis, Ingrid u. Wolfgang 37 Luther, Martin 85, 87, 95, 128 f, 143, 156, 160– 163, 168, 180, 184, 186, 194, 198, 206, 256, 274, 285 Maier, Gerhard 21 Melanchthon 87 Merkel, Friedemann 88 f Merlau-Ponty, Maurice 284 Meßner, Reinhard 116, 131 f, 154, 162, 176, 278 Meyer-Blanck, Michael 199, 226, 274 Mildenberger, Irene 228 Moshammer, Rudolf 22 Müller, Gotthold 187 Neijenhuis, Jörg 159, 198, 284 Neuner, Peter 27 Nicol, Martin 143, 245 Niebergall, Alfred 185, 178 Oosterhuis, Huub 21 Pankoke, Eckart 36, 41 f, 45, 113 Pannenberg, Wolfhart 117, 132, 134, 141, 178, 182 Pesch, O.H. 64 Pius V. 127 Pius XI. 72 Ploeger, Mattijs 129, 140, 144, 149, 156 Prosper von Aquitanien 119, 228 Rahner, Karl 65

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Register

Ratzinger, Joseph 41, 45, 53, 65, 67 f, 85 f, 130– 132, 155 Rehm, Johannes 26, 251 f, 254 Reich, Christa 8, 162 f, 165, 171 Richter, Olaf 138, 280 Riedel-Spangenberger, Ilona 260 Riedlinger, Helmut 64, 67 Riehm, Heinrich 56 Rohls, Jan 87 Roloff, Jürgen 119, 141, 143 Roth, Ursula 181, 279

Steck, Wolfgang 32–34, 42 f Steffensky, Fulbert 207–209 Stollberg, Dietrich 26 Storch, Kersten 249 Stubenrauch, Bertram 265 Stuflesser, Martin 127, 186, 239, 255 f

Saliers, Don E. 116, 121, 137, 180, 193 Sauren, Rolf 111 Schaeffler, Richard 189 Scheidhauer, Gerhard 124–126 Scherle, Peter 136 Schleiermacher, Friedrich 176, 186 Schlink, Edmund 89, 113, 125, 134, 277 Schmemann, Alexander 116, 123, 129, 139, 154 f, 178, 186, 193, 261, 280, 282 Schmidt-Lauber, Hans-Christoph 142, 147, 198 f Schönborn, Christoph 254–257 Schuegraf, Oliver 101, 107, 109 Schulte-Herbrüggen, Anno 67, 76, 187, 233, 238 Schulz, Hans-Joachim 154 Schulz, Frieder 55, 141–143, 199, 203 Schutz, Roger 22 Schwier, Helmut 274 Schwöbel, Christoph 49, 179 f Searle, J.R. 280 Sequeira, A. Ronald 284 Seraphim, Hans-Christian 204, 257 f Söhngen, Oskar 161 f, 168

Visser’t Hooft, Willem 47, 231 Vobbe, Joachim 28 Vorländer, Wolfgang 246 Voss, Gerhard 83

Thöle, Reinhard 45–47 Thurian, Max 137 Thurmair, Georg 169 Tiefensee, Eberhard 40

Wagner-Rau, Ulrike 212 Wahle, Stephan 278 Wainwright, Geoffrey 116, 121, 128, 147, 157, 177, 271, 286 Wannenwetsch, Bernd 121, 128 f, 135 f, 144, 162, 166, 239, 248, 273 Weiler, Thomas 75, 131 Wendebourg, Dorothea 199 f Wenz, Gunther 8, 86, 88, 95, 97, 121, 123, 132–134, 147 f, 158, 186, 190, 225, 243, 281, 285 Wetter, Friedrich 21 Weyer-Menkhoff, Stephan 124 Wiggermann, Karl-Friedrich 187 Winderl, Thomas 9, 267 Witt, Thomas 202 Zeindler, Matthias 137, 208, 272 f Zizioulas, Joannes 129

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Sachregister

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Sachregister Abendmahl/Eucharistie allgemein 12, 140–143, 194–205 gemeinsames 34, 252–254 Zulassung zum 26, 94 f, 252–269 Agende(n) 31, 145, 148 EGb 55, 102, 145, 153, 190 f, 198, 202,226 Missale Romanum 145, 150, 190, 202 Amen 261 f Amen-Regel 254–261, 263–265, 267–269 Amt Bischofs- 66, 68, 108 f ordinationsgebundenes 210, 215–219 nach lutherischem Verständnis 90–92, 101, 104–106, 221, 224–227 nach römisch-katholischem Verständnis 64–66, 68, 132, 221, 224–229 nach anglikanischem Verständnis 104–107 Anamnese 102, 106, 119 f, 143, 163 f, 172 f, 179, 186, 188 f, 192, 202 f, 259, 278 f, 281 Anglikanische Kirche/Anglikaner/Anglikanismus 28, 57, 70, 104–106, 139, 152, 238, 265 Alt-Katholiken/Alt-Katholizismus 28, 70, 100–104, 106, 139, 152, 170 ApCA 88–90, 92, 99, 125 f Apostolikum 183 f Apostolische Sukzession 68–70, 92, 101, 109 f, 173 f Arnoldshainer Konferenz 93 Bekenntnisschriften 86, 94 f, 97, 100, 124–126, 139, 156, 226 Bonner Interkommunionsabkommen 104 Christologie 63, 80, 96, 232 communicatio in sacris/in spiritualibus 77–81 Communio 62, 66–71, 74, 117, 129–134, 140, 157, 192, 203, 214, 221 f, 234 f, 237 f, 240, 247, 251, 254, 260, 268, 281 communio plena 71 f, 265 communio sanctorum 88, 164, 219 Confessio Agustana 86–93, 96, 98, 103, 106– 108, 124–126, 132, 136, 156, 169, 183, 185, 203, 225, 250 congregatio sanctorum 87 f, 189 Credo 183 f

defectus ordinis 70, 72, 220, 224, 259 defectus unitatis 234, 236 f, 240, 267 diakonia 51 f, 206 Dominus Iesus (Erklärung) 51, 75, 169, 260 Ecclesia de Eucharistia (Enzyklika) 27, 61, 64, 130 ecclesiologia prima 14 f, 134, 138, 142, 144, 148, 154, 168, 185, 217, 224–226 Einheit des Glaubens 81, 182 Einheit der Kirchen 12, 15, 66 f, 77, 88 f, 91, 96, 104 f, 107, 126, 132, 153, 193, 217–219, 222, 230–232, 237, 239 f, 240, 244, 268 Ekklesiologie Communio-Ekklesiologie 62, 64, 67 dogmatische 113, 123 f, 128, 148 f evangelisch-lutherische 93, 99, 103, 107, 132–136, 259 eucharistische 129, 130–144 getrennte/unterschiedliche 173, 230, 250 liturgische 12, 14 f, 112–114, 138, 144–152, 155 römisch-katholische 61–68, 73–75, 83, 130–132 Entkonfessionalisierung 36–38, 45, 47, 52 Epiklese 102, 106, 185 f, 188, 198, 201–205, 228, 257, 259, 280 Episkopat 65–68, 75, 82, 105, 107–111 esse/bene esse 70, 73, 107, 109–111 Eucharistie siehe Abendmahl Eucharistiegebet 55, 102, 106, 152, 154, 183, 198–205, 218, 257–259, 261, 263 Fürbittgebet (Allgemeines Kirchengebet) 186, 192 f Frauenordination 70 Fundamentalismus 50 f Gebet 82–84, 140–145, 185–194 Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre 14, 64, 239 Gesang 160–171 Gesangbücher 57–59, 169 EG 57 f, 153 GL 57 EmG 58

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Register

Gottesdienst Grundelemente/-vollzüge 153–213 interkonfessionell/ökumenisch 16–28, 29– 35, 246 f konfessionell mit ökumenischer Beteiligung 17–19 postkonfessionell 16, 19 f, 247 Gregorianik 164 Hermeneutik des Vertrauens 119, 147, 149 Hochgebet(e) 70, 202, 204, 218, 252, 254–259, 261, 264 f, 267–269 Hochkirchliche Gemeinschaften 110 Hymnus 162, 165, 228 Interkommunion 25, 27, 41, 45, 71, 95, 103, 105, 152, 253 Interkonfessionalisierung 37 Interreligiöse gottesdienstliche Veranstaltungen 24 Interzelebration 25, 77, 81, 97, 105 f, 152, 215, 237 Jubiläumsfeiern 30 Kanon Schrift- 117–122, 147, 171–174, 183 f, 248, 285 Vincentinischer 100 Kasualien 22, 32–34, 209, 212, 240, 246, 248 Katholizität der Gottesdienste 232–234, 244, 246 der Kirche/Gemeinde 89, 147 f, 154, 178, 182, 206, 210 f Kirchengemeinschaft 26, 28, 44, 72, 94–97, 103 f, 106–108, 258 geistliche/rechtliche 99 Kirchenverständnis 11, 137, 139, 192, 198, 231 evangelisch-lutherisches 85, 87–93, 132 römisch-katholisches 62–68, 77, 130 sakramentales 77, 104 Kirchliche Gemeinschaften (communitates ecclesiales) 74 f, 150 koinonia 104, 271, 276 Kommunion 26–28, 42, 71 f, 80–82, 93–95, 99, 151, 162, 195, 197, 212, 218, 220, 223, 240, 251–269 offene 26, 95, 103, 237

Inter- 25, 27, 41, 45, 71, 95, 103–105, 152, 253 Konfessionalisierung 56, 86, 94 f Konsekration 69, 105, 109, 200, 203 f, 223, 259 Konzelebration 22, 26, 81, 152, 215, 237 eucharistische 77 f, 102 f, 105 f, 110, 252 Kreuzzeichen/Selbstbekreuzigung 143, 159 leiturgia 206 Leuenberger Konkordie 96–98, 100, 103, 106– 108 lex orandi/lex credendi 112, 115, 119, 121, 128, 185 f, 263 Lima-Dokumente/-Erklärung 129, 136, 237, 278 Lima-Liturgie 200, 202, 204 liturgia 51 Liturgie als liturgische Versammlung 11, 155 f, 158, 163, 188, 213, 216, 135, 271, 274 liturgische Vollzüge 10–15, 79, 113, 130, 134, 140, 144, 146, 148 f, 153–229, 233 f, 244 f, 251, 254, 270, 274 f, 288 tridentinische 174 Liturgiebegriff 11, 83 allgemeiner theologischer 15, 249, 270 Liturgiedefizit 254 Liturgiereform 64, 70, 127, 222 Liturgische Bewegungen 123, 127 Liturgische Theologie 115 f, 138, 144–147, 149 f, 154, 282 Liturgiewissenschaft/Liturgik 11 f, 114, 124, 132, 146, 149, 176 Lumen Gentium (Kirchenkonstitution) 62– 68, 71, 73 f, 104, 221 martyria 51, 206 Mediator Dei (Enzyklika) 62 medium/media salutis 90–92, 286 Meissener Erklärung 70, 104–108, 152 Musik 160–170, 285 Mysterium 62, 70, 84, 116, 130, 132, 224 Nizänum 68, 183 f notae ecclesiae 107 f, 187 ö-Lieder 56–58 Ökumene Krise der 44 f der Profile 13, 53, 112

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Sachregister

1. Ökumenischer Kirchentag Berlin 23 f, 27, 58, 212 Ökumenismus 73, 76 Ökumenizität 22, 30, 57 f, 86, 154, 178, 192, 206, 232–235, 240, 244–249 Ordination 21, 91 f, 97, 106 f, 109 f, 203, 210 f, 215, 217, 219, 221, 224–229 Ordnungsgemäß berufen 91, 220 Osternacht 23, 183, 190 Ostkirchen/orthodoxe Kirchen/Orthodoxie 22, 28, 30, 57, 64, 76, 78 f, 83, 139, 145, 235, 239 pastoraltheologische Erklärung der VELKD 151 Perikopenordnung 174 f Piusbruderschaft 78 Pluralismus 107 religiös-konfessioneller 49 Plurimedialität/plurimedial 120 f, 195, 197, 214, 216, 221, 251, 273 Polnish National Catholic Church 82 Postmoderne/postmodern 13, 50, 138 Porvoo-Erklärung 70, 107–111 Predigt 34, 83, 92, 96, 125, 142, 176–183, 185, 217 Predigtgottesdienst 142 f, 243, 250 Priestertum aller Getauften 213, 215, 222 priesterliche Versammlung, 213 f Privatmesse 127, 219, 222 f pure et recte 89 f, 92, 125 f, 203, 250 Religion Deinstitutionalisierung der 38, 42 f, 45, 47 Entkirchlichung der 42, 46 Individualisierung der 39, 43, 54, 127 nicht institutionalisierte 50 f rite vocatus 91, 225, 259

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Ritus 34, 126, 132 und Liturgie/liturgische Riten 125, 148 und Theologie 123, 126 tridentinischer 147, 151, 240 Sacrosanctum Concilium (Liturgiekonstitution) 83 f, 216 Sakramentalität der Kirche 62, 66 Sakramentsbegriff 17, 109, 133, 242, 285 Säkularisierung 37 f, 50–52 Schriftlesung 171–175 Segen 205–213 Syrisch-orthodoxe Kirche 80 f Taizè 17, 22, 5759, 137, 168 Taufe 21, 63, 71, 75, 88, 96, 101, 104 f, 120, 126, 143, 151, 156, 158 f, 183 f, 210 f, 213, 215, 249, 258 Taufformel 151, 158 Te Deum 167 theologia prima 113–115, 134, 144–146, 154, 176, 186, 225, 235, 270–288 Theologie der Liturgie 116 Thomasmesse 20, 267, 269 Transzendenz/Transzendenzgemeinschaft 160–170 trinitarische Formel/Votum 156–159 Unitatis Redintegratio (Ökumenismusdekret) 63, 70 f, 74 f, 77, 82, 224 Vaterunser 82, 188–190, 193 f Vereinbarung zwischen EKD und deutschen Alt-Katholiken 100–104, 152 Weihen, Gültigkeit der 69 f, 81 Weihnachten 32, 46 Zweites Vatikanum 26, 41, 61–84, 127, 130, 156, 216, 228

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