Das Theresianische Österreich und das achtzehnte Jahrhundert: Ein Festvortrag [Reprint 2019 ed.] 9783486761702, 9783486761672

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Das Theresianische Österreich und das achtzehnte Jahrhundert: Ein Festvortrag [Reprint 2019 ed.]
 9783486761702, 9783486761672

Table of contents :
Vorwort
Das Theresianische Österreich und das achtzehnte Jahrhundert

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Das Theresianische Österreich und das achtzehnte Jahrhundert Ein Festvortrag von

Willy Andreas

München und Berlin 1930 Verlag von R. Oldenbourg

Carl Neumann zum siebzigsten Geburtstag

Vorwort. Aus den Wunsch österreichischer Freunde veröffentliche ich im folgenden den Vortrag, den ich am 5. Juni 1930 in Wien im Prunksaal der Nationalbibliothek gehalten habe. Er fand nach einer einleitenden Ansprache des Deutschen Gesandten, Herrn Grafen Lerchenfeld, im Rahmen einer Erinnerungsfeier statt, die der Verein der Museumsfreunde im Zusammenhang mit der von ihm im Schloß Schönbrunn ins Leben gerufenen höchst eindrucksvollen Maria Theresia-Ausstellung veranstaltete. Ich darf es als eine Auszeichnung betrachten, an einem so festlichen Ort vor einer erlesenen Hörerschaft über einen der bedeutsamsten Gegenstände österreichischer, deutscher und euro­ päischer Geschichte haben sprechen zu können, nachdem vorher so hervorragende Fachvertreter wie der derzeitige Bundes­ minister für Unterricht, Professor Heinrich von Srbik, und der Präsident der Wiener Akademie der Wissenschaften, Professor Oswald Redlich, von österreichischer Seite zu Wort gekommen waren. Ort, Anlaß und Stunde haben Gehalt, Fragestellung und Form meines Vortrags bestimmt, nachdem ich schon ftüher meine Anschauungen über Maria Theresia in meinem Essaibuch „Geist und Staat" (1922 im Verlag von R. Oldenbourg in München erschienen) niedergelegt und des näheren begründet habe. In einem Vortrag dieser Art mußte ich selbstverständlich aus manche Nüance verzichten, die ich in jenem breiter ange­ legten historischen Porträt anbringen konnte. Meine Grund­ auffassung ist dieselbe geblieben und durch die seitdem erschienene Literatur über den Gegenstand bestätigt und vertieft worden. Um trotz einiger, nicht ganz zu vermeidender Anklänge an meine eigene ftühere Arbeit mich nicht zu sehr zu wiederholen, habe ich in meinem Vortrag, der das Wesentliche der Erscheinung

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in sachlicher Gedrungenheit und geschlossener Form zu erfassen sucht, die Einbeziehung des Theresianischen Österreich in die großen historischen Zusammenhänge und Zeitbewegungen des achtzehnten Jahrhunderts besonders herausgearbeitet. Heidelberg, den 15. Juni 1930 W. Andreas.

Oi- m Welttheater des achtzehnten Jahrhunderts und seinem

w Reichtum wahrhaft großer Erscheinungen sich zu beHäupten und noch einem Geschlechte Bewunderung einzufiößen, dem ungeheures Erleben und der Zusammenbruch gewaltiger Reiche den Wem rauben, gibt es ein echteres Siegel für Maria Theresias geschichtliche Bedeutung? In der langen Reihe der Habsburger eine der unvergeß­ lichsten war sie trotz manchen Leides, das über sie und ihr Reich verhängt war, die hellste Gestalt ihres sich umschattenden Hauses. Eine regierende Frau auf dem Thron, schon dies kein alltäglicher Anblick, und dazu eine Regentin, die Katharina von Rußland in Führung der auswärtigen Geschäfte kaum nachstand, die Zarin aber übertraf, sieht man auf staatsschöpferische Leistung im Innern oder historische Tiefenwirkung l Mochte Maria Theresia an Esprit und literarischer Bildung hinter der blendenden Ka­ tharina zurückstehen, an wahrer fürstlicher Vornehmheit und menschlicher Güte war sie ihr weit überlegen. Friedrich der Große versagte ihr nicht seine Achtung. Auch an ihm, ihrem un­ heimlichsten und gewaltigsten Widersacher gemessen, erscheint sie bedeutend und durchaus nicht ungefährlich, auch sie in den schwersten Stunden von Heldentum überstrahlt, auch sie Ret­ terin ihres bedrohten Staates und dabei Repräsentantin einer Staatskunst von eigenem Gepräge und seltener Reife: Selbstherrschertum im Stil ihrer Epoche mit vollem Einsatz der Person, bei kluger Wahl der Ratgeber, denen die Kaiserin im rechten Augenblick sowohl zu gebieten wie zu folgen wußte. Eine Regierung wie so manche ringsum in Deutschland und Europa, erfüllt von den Impulsen eines erleuchteten Zeitalters, seinem Glauben an die Macht der Vernunft, an die Notwendig­ keit der Staatszwecke und des gemeinen Nutzens, voll unge­ brochenen Vertrauens in die Richtigkeit des eigenen Handelns und sein Vermögen, Menschen glücklich zu machen, dies alles 7

Züge, die auch der Regierung anderer fürstlicher Zeitgenossen nicht fremd sind. Doch atmet Maria Theresias eigenen Geist die Beständig­ keit des Vorgehens, die klare und grohe Fassung der Ziele bei Liebe fürs Einzelne und Kleine; ein Regiment der Herzhaftig­ keit und Vorsicht, zugreifend und schonend, voll Schaffensfreude und umbildender Kraft, aber feinstem Sinn für alles Erhaltende und die Mächte des Beharrens! Wie ihre Staatskunst sich freihielt von den Schrecken und Entartungen, die dem Despotismus Peters des Großen oder dem Portugal! Pombals anhafteten, so hütete sich Maria Theresia auch vor den Überspannungen ihres Nachfolgers, dessen Ungestüm die Früchte der vorausgehenden Regierung zu ver­ nichten drohte. Sie sand den im Jahrhundert des Rationalis­ mus so seltenen Ausgleich zwischen Wirklichkeit und Vernunft, Altem und Neuem, allgemeiner Zeitforderung und Österreichs besonderen Lebensbedingungen. Denn hier rührt man ans Persönlichste und Zarteste der Theresianischen Regierungskunst, ihre Mütterlichkeit. Sie durchströmte das Staatsdienertum der Kaiserin mit einer Hingabe und Wärme, die sich allen Adern ihres Reiches mitteilte. Aus diesem Grunde ihrer Persönlichkeit entfaltete sich denn auch die geschichtliche Erscheinung der Frau, die ihrer Länder all­ gemeine und erste Mutter sein wollte, die in der Liebe ihrer Untertanen einzigen Lohn und einziges Glück suchte. Eben jenes Mütterliche ihres Wesens gab Maria Theresia, die ihr Amt in einem ganz schlichten Geist christlicher Regentenverantwortung, ohne begriffliche Unterbauung durch zeitgenössische Wissenschaft und Lehre führte, auch den staatlichen Wirklichkeiten gegenüber so viel Lebensnähe, stärkte ihren Sinn für das Echte, Gesunde und die Eigentümlichkeit alles Gewordenen. Einer guten Gärt­ nerin gleich ließ die Kaiserin die Dinge wachsen, indem sie be­ hutsam da und dort Auswüchse entfernte; in anderen Fällen aber, wo es notwendig erschien, scheute sie auch härteren und schmerzhaften Eingriff nicht, so wie eine Mutter Schonung und Strenge am rechten Platz anwendet, ohne das Maß zu ver­ lieren. Darum aber auch drang in ihr persönlichstes Leben wie in ihre Arbeit am Staate Gram und Bitterkeit erst ein, als sie an diesem Kostbarsten ihrer Natur durch Gedankenrichtung und Regierungsart ihres Sohnes und Mitregenten Zosef ver-

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wundet wurde. Denn von nun an sah sie gleichsam ihr eigenes Selbst wie ihre Staatsweisheit, da sie seelisch so tief, eben in ihrer Mütterlichkeit zusammenhingen, in Frage gestellt, und muhte fürchten, daß ihr Werk der Zerstörung verfalle. Der Zusammenklang von Frau und Regentin ist es, der Maria Theresia in der fürstlichen Umwelt ihres Zeitalters einen unvergleichlichen Reiz verleiht: dah sie ihr Lebenswerk voll­ brachte, ohne das geringste von ihrem weiblichen Wesen einzubüßen. Das andere, was ihre Erscheinung so anziehend macht: hier trat historische Gröhe im Gewand einfachster Menschlichkeit auf. Da ist wohl fürstliches Selbstbewuhtsein und Ehrgeiz, aber nicht in der abenteuerlich verzehrenden Art der Katharina, die doch in der Macht ihres Reichs stets auch die eigene Herrschaft gierig genoh, da ist weder der Höhenflug der Erkenntnis noch das feingeistige Geniehertum König Friedrichs, sondern mehr Bildung des Herzens als des Verstandes, eine heitere, fast naive DaseinsfiUle von unmittelbarster Haltung zum Leben, dem Zauber der österreichischen Frau und der Wienerin, vornehm und natürlich, voll Herzlichkeit und Humor. Beim Preuhenkönig die Widersprüche und Stimmungs­ umschläge einer ebenso stählernen wie weichen Persönlichkeit, die Glut und Eiseskälte des schöpferischen und zerstörenden, des ganz großen und ganz einsamen Menschen, ein Inneres voll Abgründen und Aufschwüngen, in einem Wort die Rätsel des Genius. Maria Theresia hingegen eine faltenlose Seele, klar und einfach, voll Festigkeit und Güte, der großen Familie ihrer Kinder und Länder herzlich zugetan; ein wohltuendes Dasein, bodenverwurzelt und volksverbunden, nur in der Spätzeit gedämpft durch das Gefühl des Ieitenwandels, um­ flort durch den Tod des geliebten Mannes und die Zerwürfnisse mit Josef, ihrem Sohn, entsagender, freudloser und einsamer, aber nie ganz der Menschenverachtung ausgeliesert, bis zum letzten Atemzug nicht ohne den Trost ihres Glaubens.

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Während sich im Norden die Entfaltung der Persönlichkeit vom Boden des Protestantismus und seiner neuzeitlichen Geistesauswirkungen her vollzog, war Maria Theresias Men­ schentum genährt aus den Wurzelsäften des deutschen Südens,

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des Österreichertums und des Katholizismus. Ihr historisches Dasein aber, als Ganzes genommen, macht einen Teil der all­ gemeinsten, vorwaltenden Epocheninhalte aus. Nicht zu Un­ recht empfängt das Zeitalter von Friedrich dem Zweiten und Maria Theresia seinen Namen. So schwindelnd märchenhaft freilich wie ihres Gegners Leben war das der Kaiserin nicht. Es kennt keinen Aufstieg voll übermütigster Glückslaune, aber auch keinen Absturz in eine Hölle von Leiden und Verzweiflung, wo nur noch Sehnsucht nach Tod und Selbstvernichtung übrigbleibt. Doch führte auch Maria Theresias Weg hart an Abgründen vorbei, wechselvoll genug war auch ihr Geschick und der Ablauf ihrer Regierung: volle vier Jahrzehnte, in denen Europa selbst auf eine welt­ geschichtliche Höhe größter Entscheidungen trat, Österreich lei­ dend und handelnd in sie verflochten, im Innern eine Ober­ fülle von Aufgaben sich türmend! Die heitere, sorglose Jugend, unvorbereitet für ihr künf­ tiges Amt und die unvermutet rasche Erhebung zum Thron, um den alsbald die Kriegsdrommeten von halb Europa schallen, dann der jahrelange, auf so vielen Schauplätzen mit heldenhaft zäher Ausdauer geführte Riesenkampf um Krone und Reich. Aus ihm stieg mit innerer Notwendigkeit die Umbildung von Heer, Finanzen und Staat empor, Frucht der persönlichsten Einsicht der Kaiserin, ihrer herzhaften Entschlüsse und eines standhaften Willens; eine bis zu ihrem Ende nicht mehr ab­ reißende Arbeit auf allen Derwaltungsgebieten hob an, worin Maria Theresia ihr Wesen stärker und persönlicher ausprägte als in der Leitung der Außenpolitik. Dazwischen der siebenjährige Krieg um das verlorene Schlesien, das nie verschmerzte Kleinod ihrer Krone, mit diplo­ matischer Meisterschaft von Kaunitz vorbereitet und herbei­ geführt, angelegt als Stoß ins Herz des Gegners und seiner Macht. Das Ringen, von der Kaiserin selber mit stärkstem Anteil begleitet, ja herbeigesehnt, wühlte alle Kräfte Europas aus; es setzte die Großmächte erneut in Bewegung, stieß uralte Bündnisüberlieserungen, Gegnerschaften und Zusammenge­ hörigkeiten um. Das Unglaubliche geschah! Habsburg und Bourbon, Frankreich und Österreich, durch jahrhundertalte Zwietracht verfeindet, reichten sich über den Eindringling im europäischen Konzert hinweg die Hände, fochten Seite an 10

Seite gegen Preußen. Für König Friedrich stand seine kaum erworbene Großmachtstellung und die Existenz schlechthin auf dem Spiel l Die Gegensätze des Festlandes verschlangen sich mit denen der Übersee, dem gewaltigen Ringen Frankreichs und Englands um Vorherrschaft in der Welt, um die Kolonien und den Besitz Nordamerikas. Maria Theresia erreichte ihr Ziel nicht: Preußen, matt auf den Tod, aber ungebrochen und aufrecht, behielt Schlesien; die Krästeverschiebung, die ihrem Österreich eines Tages die Füh­ rung Deutschlands entwinden sollte, war im Gang l Doch be­ hauptete es sich nach wie vor aus stolzer Höhe, In den siebziger Fahren sollte es sich durch die polnische Teilung, gegen die sich das Rechtsgefühl der Kaiserin lange gesträubt hatte, mit Ga­ lizien und Bukowina sogar noch einmal nach Osten hin ausdehnen, nach dem bayrischen Erbsolgekrieg auch das Innviertel erhalten. Indessen, die Grundsttmmung dieser Spätzeit, so umwöltt sie oft war, blieb friedlich und mehr auf Erhaltung bedacht. Ihre Spannungen und auswärtigen Verwicklungen reichten an die gewaltigen Kraftproben des siebenjährigen Krieges oder gar die stürmischen Jahre des Regierungsbeginns nicht heran. Der­ weilen ging eine letzte große Welle von Reformen durch die Erb­ londe, darunter solche von eingreifendster Natur wie die Ord­ nung des Dolksschulwesens und die Agrargesetzgebung, diese zwar Stückwerk, aber doch eine bahnbrechende Leistung des Bauernschutzes, hinter der gleichgerichtete Ansätze des friderizianischen Preußen wesentlich zurückblleben. Und während der Tag der Kaiserin sich neigte, hallten bereits die Stimmen einer jüngeren Generation fordernd und mahnend ans Ohr der Herr­ scherin, die selber einst so viel Neuem Bahn gebrochen. Ist dieses Leben, historisch gesehen, nicht von wahrhaft barocker Bewegtheit, großartig im Wechsel von Licht und Dun­ kel, in der Wucht der Aufgaben, der Stattlichkeit der Leistungen? Alle Probleme des Jahrhunderts, all seine politischen und gei­ stigen Mächte haben das Theresianische Österreich bewegt! Ab­ solutismus und Aufklärung, Merkantilismus und Physiokratie, Barock und Rokoko erfaßten oder berührten aus ihrem Sieges­ zug durch Europa Österreich, um rückwirkend von ihm eigene Tönung, besonderes österreichisches Gepräge zu empfangen. Die Kaiserin selbst war von diesen Bewegungen umworben, in

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einige griff sie selber beeinflussend, fördernd, ja entschei­ dend ein. Ilm sie herum welches Gedränge historischer Gestalten, darunter glanzvolle Vertreter der Zeitströmungen: Alen anderen voran Kaunitz, der sich selber den Ötscher Europas nannte, ein Diplomat großen Formats, dessen Politik die Farbe des reinsten Rationalismus trug, Kaunitz vollkommen im Bann der stärksten Geistesmacht des Jahrhunderts, der Aufklärung, die er in ihrer französischen Spielart liebte. Reben ihm ein Reuschöpser von Staat und Verwaltung vom Schlage des Grafen Haugwitz, der jedem Reformer der Zeit die Waage halten konnte, durchgreifend und rauh bis zur Formlosigkeit, ein Mann von sachlichster Wucht, ein Fremdling inmitten der zer­ brechlichen Zartheit der Rokokogesellschaft. Ein Feldherr wie Daun, vielleicht der erfahrungsreichste und gewiegteste Re­ präsentant der damaligen, behutsam rechnenden Kriegskunst, und ihm zur Seite Laudon, ein Reitergeneral blitzend von Frische, Temperament und Tapferkeit, Gelehrte von der auf­ geschlossenen Haltung des Leibarztes van Swieten, von der Zeitverbundenheit und erzieherischen Wirkung des Sonnenfels, Beamte, in denen der Eifer des Wohlfahrtstaates glüht wie Franz Anton von Blanc, Maria Theresias und Josefs Mit­ arbeiter am Werk des Bauernschutzes, endlich ein Schulmann vom abgeklärten Katholizismus des Abtes Johann Ignaz von Felbiger. Im weiteren Umkreis aber herum alles, was durch Ansehen, Amt und Aufträge mit dem Hofe zusammenhängt, wie er in den Tagebüchern des kaiserlichen Oberhofmeisters Grafen Khevenhüller uns auflebt: Meytens, der Maler der kaiserlichen Familie und der vornehmen Welt, oder auch ein Bildhauer wie Messerschmidt, der Maria Theresia als junge Frau im ungarischen Krönungsstaat nachgebildet hat, wahrhaft königlich und hinreißend liebenswürdig, nicht zu vergessen unter den schaffenden Rünftkrn der Hofkapellmeister Gluck, mit dem unaussprechlichen Ausdruck von Begnadung in den Augen. Sie alle Theresianisches Österreich I Wollte man die Kaiserin und die Gestalten ihrer Umwelt, seien es auch nur die hervor­ ragendsten und ihr nächst verbundenen, auf ein Bild bannen, es gliche einem jener Riesengemälde, auf denen die zeitgenössi­ schen Meister in Menschengewühl und Farbenpracht schwelgen; immer jedoch würde Maria Theresia den Mittelpunkt bilden in 12

all dem Leben ringsum, sei es, -ah es von ihr und dem Hofe ausgeht oder ihr entgegenflutet. ♦

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As Maria Theresia den Thron bestieg, stand Europa im Zeichen des unumschränkten Fürstentums, und wie in Preußen unter König Friedrich gewann es in Österreich unter der Kaiserin volle Reise und Höhe. Doch überwucherte hier wie dort der Hof niemals den Staat, wie im Frankreich Ludwigs des Vierzehnten und des Fünfzehnten oder im Sachsen Augusts des Starken. Maria Theresia, die einst als lebenslustige Erz­ herzogin und junge Königin mit fast kindlichem Frohsinn ge­ sungen, getanzt, geritten, Schlittenfahrten und Maskenfeste ge­ liebt hatte, war für ihre Person eher schlicht als prachtlieben-. Mit den Fahren zurückgezogener und fast bürgerlich lebend, war sie -och auf Wahrung fürstlichen Glanzes unaufdringlich be­ dacht, -en man von ihr, als der Beherrscherin eines solchen Reiches erwarten durfte. So trat sie denn bei feierlichen An­ lässen auf, wie van Meytens im Bilde es festgehalten hat, -iamantenblitzend in der Robe aus Silberbrokat, im schneeweiß gepuderten Haar und dem matten Schimmer der Perlen, hoheits­ voll und liebenswürdig zugleich! Das Hofleben, für Maria Theresia niemals die Haupt­ sache, umrahmte ihr Herrscherdasein anmutig und formvoll, übersprühte es mit dem Zauber des Rokoko, seiner genuhftohen, kunstliebenden Gesellschaft, ihrer Lustschlösser und Zerstreu­ ungen. Bei allem Ernst ihrer Pflichterfüllung verschloß sich die Kaiserin doch nicht dem Schönen. Theresianisches Österreich ist fürstliche und aristokratische Rultur, nicht mehr vom starren Gepränge und der Stilschwere des ausgehenden siebzehnten und beginnenden achtzehnten Jahrhunderts, gelöster in Haltung und Ton, wie es dem Wandel des künstlerischen Geschmacks ent­ sprach. Und dieser stattliche Hof, an dem der Adel aus den böhm­ ischen, den österreichischen und ungarischen Erblanden sich drängt, ist nicht vorstellbar ohne den farbigen Hintergrund der Haupt­ stadt: das alte Wien der Türkenerinnerungen und des Stephans­ doms, bereichert und neugeprägt durch die herrlichen Kirchen und Paläste der großen Barockmeister, die noch in die Jugend der Kaiserin hineinragen, des Fischer von Erlach und des Lukas Hildebrand, das Wien der italienischen Oper, der fran13

-ösischen Komödie und der volkstümlichen Posse, die Haupt­ stadt des Reiches, die Kaunitz nicht bloß zum politischen, sondern auch -um Mittelpunkt der künstlerischen Kultur zu machen wünschte, üppig und behaglich zugleich, die Stadt der schönen Frauen, der Ritterlichkeit und der Unterhaltungskunst, durch die auch Maria Theresia so zu bezaubern wußte. Kein Ort jedoch, der mit den Erinnerungen an Maria Theresia und ihren Hof so verbunden wäre wie ihre Sommer­ residenz Schönbrunn, für deren eigne Entwitvung diese Re­ gierung den Höhepunkt bildete. Schönbrunn empfing durch den Umbau, der unter der Kaiserin erfolgte, im wesentlichen sein Gesicht: die festliche Schloßanlage, weithin gedehnt, wie das Zeitalter der Fürstenherrlichkeit sie liebte, aufgeführt nach dem großartigen Darockentwurf des Fischer von Erlach, aber zu leich­ terer Gliederung gelockert und etwas aufgehellt durch die andere Gesinnung des Nachfolgers am Dau, des Pacassi, wie ja nun auch in die gnnenräume die heitere Laune des Rokoko ihren Einzug hielt, mit dem duftigen Spiel seiner Linien und Flächen, seinem Goldschaum, seinen Silberschnörkeln und zartesten Farbentönen. Dazu der Park mit den verschnittenen Bäumen und den Wasserspielen, den blumenbestickten Rasen, den Marmorbildern vor dem Grün der Hecken, in einem Wort, jenes Schönbrunn, das malerisch gesteigert und in die weiche Goldlust des Eanaletto getaucht, in seinen Gemälden weiterlebt. In einer Zeit, in der nach dem Umschwung der voraus­ gegangenen Jahrzehnte Bauleidenschaft und Aufträge bereits abflauten, war Schönbrunn unter den vom Hof angeregten Unternehmungen ohne Zweifel die größte, wie es denn auch in der allgemeinen fürstlichen Baugeschichte des Jahrhunderts seinen Platz behauptet. War es doch eine jener Taten, in denen die bewegende und gründende Kraft des Absolutismus vom staatlichen aufs Gebiet des künstlerischen Schaffens übertragen erscheint: ein großes Wollen und ein Zusammenwirken dienen­ der Glieder, Durchbildung eines Ganzen von oben bis unten wie im Bereich des Staates, zur Ausführung ein Heer von Schaf­ fenden in Arbeit gesetzt wie dort, in diesem Fall Baumeister, Bildhauer und Maler, Steinmetzen und Teppichweber, Stuk­ kateure, Kunstschreiner, Gobelinsticker, Gold- und Silber­ schmiede, Brunnen- und Gartenkünstler: alles zur Erhöhung des 14

fürstlichen Namens, in gewissem Sinn ein Gegenstück -u der im Absolutismus aufgipfelnden Staatsfchdpfung.

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Wie bei den großen Herrschergestalten des Jahrhunderts war auch Maria Theresias Fürstentum Staatsbaumeisterschaft, unschätzbare Grundlage für das Donaureich des folgenden Jahr­ hunderts. Überall auf dem Festlande stellte der Absolutismus, soweit er nicht persönlicher Entartung verfiel oder in Miniatur­ verhältnissen Zerrbild seiner selbst wurde, historisch die Vor­ stufe zum Rechts- und Gesetzesstaat der Gegenwart dar. Bahn­ brecher staatsbürgerlicher Gleichheit und moderner Wirtschaft, war er vielfach noch durchsetzt mit Überlieferungsbindungen älterer Art; immer noch war er angewiesen auf Stützpfeiler und Überbleibsel des mittelalterlichen Gesellschasts- und Wirtschastsausbaus, wiewohl er von mehr als einer Seite her ihn unter­ höhlte und abzutragen sich anschickte, gm achtzehnten Jahr­ hundert erklomm der Absolutismus den Gipfel seiner Macht­ vollkommenheit, seines Ehrgeizes und seines Schaffens, ange­ spornt vielfach durch die sittliche Vertiefung seiner Grundsätze und Ziele, oder geistig unterbaut durch die Lehren von Auf­ klärung und Naturrecht. Wohin man schaut, entfaltete er seine zerstörende und aufbauende, seine einebnende und neuordnende Kraft: überall in den größeren Staaten, so auch im habsburgi­ schen Reich der Maria Theresia wurde das Dehördenwesen an der Spitze stärker und einheitlicher zusammengefaht, und wäh­ rend das Netz der Verwaltungsstellen sich ausdehnte und feiner verästelte, die einzelnen Telle sich klarer abgrenzten und die Dienstbesugnisse sich klärten, erfuhr die Regierungsgewalt selbst eine Steigerung wie niemals zuvor. Jetzt trieb der Staat die Wurzeln des fürstlichenAmterwesens in Tiefen der Bevölkerung, die ihm bisher unzugänglich gewesen waren. Das Ständetum, mehr und mehr überwölbt und ausge­ höhlt durch staatliche Behörden, wurde zurückgedrängt, mit ihm das landschaftliche Eigenleben, der Sondergeist der einzelnen Reichsteile, der Körperschaften und bevorzugter Gesellschafts­ schichten, so auch unter der Regierung Maria Theresias. Kein Reich, in dem nicht die Staatsaufgaben sich vervielfältigten, die Devormundungs- und Derordnungssucht des Beamtentums ins Angemessene stieg.

So schnellten auch in den österreichischen Erblonden selbst unter dieser behutsamen Regentin Regierungseifer und Experimentierlust bisweilen übers Ziel hinaus. Aber bei allen Überspitzungen der obrigkeitlichen Gewalt und des Merkantilismus, der von der ökonomischen Seite her als Kampf- und Erziehungssystem nach außen geschlossen, nach innen auswei­ tend, die Entwicklung zur Staats- und Wirtschaftseinheit för­ derte, im ganzen doch welche Summe von Leistungen, und man darf in diesem Fall wohl sagen, von Fortschritten in allen Zweigen des Heerwesens, der Verwaltung, der Rechts­ pflege, der Finanzen und der Wirtschaft, eine Arbeit, wie die des sachgemäßeren Behördenaufbaus selbst, unerläßlich und heilsam, reinigend und ordnend, aufrichtend und zu­ sammenfassend 1 Maria Theresia schlug da als Tochter des Jahrhunderts beinahe durchweg dessen allgemeine Richtung ein. Es waren die Dahnen des erleuchteten Fürstentums, wenn sie die staat­ lichen Machtmittel ausbaute, so das Heer, das dem alten Öster­ reich als Länderklammer und ein Hauptpfeiler der Staats­ gewalt diente, wenn sie einen gerechteren Steuerausgleich her­ beiführte oder im Stil der großen Kodifikationspläne des Jahr­ hunderts einheitliche Gesetzbücher für das ganze Reich vor­ bereiten und ausarbeiten ließ. And wenn sie um die Rieder­ legung der Zollschranken innerhalb ihrer Länder sich bemühte oder mit den Gewalt- und Erziehungsmitteln des Merkantilis­ mus Handel und Gewerbe vorwärtstrieb, so gab es zu ihrer Zeit in Europa Herrscher und Staatsmänner genug, die gleiche Ziele verfolgten. Wie im friderizianischen Preußen greisen auch im Donau­ reich die Maßnahmen auf verschiedensten Gebieten in sinn­ reicher Verzahnung ineinander. Wie anderen Regierungen des Absolutismus stemmten sich auch der Theresianischen Wider­ stände aus ähnlichen Ursachen und aus dem Lager der gleichen Gesellschaftsschichten entgegen. Nirgends gelangte die volle innere Staatseinheit zum Siege; in allen Ländern wies das Werk der Gesetzgebung und Verwaltung neben den vorwärts­ weisenden Merkmalen solche der Traditionsverfestigung und Überalterung auf, mancherlei Mißhelligkeiten dauerten in den Behörden auch nach ihrer Umbildung fort, vieles blieb Bruch­ stück oder in Halbheiten stecken. 16

Auch Maria Theresia waren Schranken gesetzt, vor denen sie innehielt. Aber eben in der Art, wie sie Hindernisse teil­ überwand, teils ihnen Rechnung trug, waren wiederum Eigentümlichkeiten von besonderem geschichtlichen Verdienste beschlossen. So viel behutsamer und reifer, so viel staatsmänni­ scher und lebensnäher sie vorging als der stürmische Nach­ folger, so war doch ihr Anlauf kühner, das Ziel machtfreudiger und höher genommen, als es bisher ihre Habsburger Vorgänger getan. Mutiger als sie griff Maria Theresia in das Gestrüpp der Mißbräuche nicht bloß, sondern des Gewordenen überhaupt hinein, faßte sie mit überraschendem Tiefblick das Reform­ problem an der entscheidenden Stelle, wählte sie den Ausgangs­ punkt ihrer eigenen Maßnahmen so unmittelbar und zentral wie nur möglich, nämlich im überkommenen Ausbau der obersten Regierungseinrichtung selbst und der Notwendigkeit ihrer Um­ bildung. So steht als Ganzes gesehen ihre Organisations- und Derwaltungsleistung ebenbürtig neben der Friedrich Wilhelms des Ersten, den man den großen inneren König Preußens nennt. Aber die Ausgabe der Staatsvereinheitlichung und ihre Lösung erscheint schwieriger als im Norden, lagen doch alle Vor­ aussetzungen dank der vielgestaltigeren Natur ihrer Reiche, der Verschiedenheit von Sprache, Geschichte und Volkstum von vornherein weit verwickelter als im gleichzeitigen Preußen, von dem sie und ihre Ratgeber übrigens bei ihren Reformen einiges lernten. Die weise Art nun, wie Maria Theresia die Bedürfnisse von Einheit und Mannigfaltigkeit, von Krone und Ländern, von Fürstentum und Ständen nach ihrem Lebensrecht abwog und in Einklang miteinander brachte, wie sie Zwang und Anpassung, friedliche und schärfere Mittel, je nach Zeitpunkt und Lage der Dinge zur Anwendung brachte, diese Haltung, worin sich so recht ihr persönlichstes Wesen enthüllt, verlieh ihrem Lebenswerk eine langhin tragende Zukunstskrast für Dynastie und Reich. Führungsanspruch und Vormachtstellung der Krone ruhten hier in Österreich wie in Preußen aus der Lebendigkeit und Leistung der regierenden Persönlichkeiten, gn Frankreich fehlte beides, und daher endete der Absolutismus dort mit dem Zu­ sammenbruch der Monarchie, gn den zwei größten deutschen Staaten des achtzehnten Jahrhunderts dagegen befand sich das Herrschertum geraume Zeit mit den Kräften und den Geboten 17

der Entwicklung selber im Einklang; es deutete vorwärts, nicht zurück. Hier hatte es seinen geschichtlichen Sinn, daß jahr­ zehntelang Rrone und Beamtentum führten und das Über­ gewicht im Staat behaupteten, wiewohl ein Teil des Adels murrte und sich gegen den Verlust seiner Vorrechte und Sippen­ wirtschaft sträubte, die, auch In die Länderregierungen hinein­ spielend, so lange das Wesen des Staates und seine Aufgaben verdunkelt hatten. Das Beamtentum des Theresiantfchen Österreich, das als Werkzeug dem unumschränkten Fürstentum diente und es seinerseits aus dem Wege der Macht und Vereinheitlichung vorantrieb, lieferte dieser eigentümlichen und doch so sinnvollen Reichsbildung in der Mitte Europas ein wahrhaft staatsver­ bundenes und erhaltendes Element, dessen erzieherische Nach­ wirkung auch über das Zeitalter des Absolutismus und allen Wan­ del der Geschicke hinaus bis zur Gegenwart nicht erlöschen sollte. Die Erfüllung des gereinigten Staatsbegrlffs mit immer vielseitigerem Inhalt, die Ausbreitung der Regierungsarbelt, die Regsamkeit eines nun planvoller vorbereiteten, durchgebil­ deteren Beamtentums, spiegelte sich im mächtigen Aufstieg der Wissenschaft vom Polizelstaat, wie sie die berühmten Lehrer des Theresianums und der Wiener Universität, vorübergehend gusti und später vor allem Sonnenfels pflegten, in dem auch die Stimmen der zweiten gahrhundertshälfte, Humanität und Toleranz, stärker zu Wort kamen. Sie waren vom Strom der großen Zeitbewegungen in Deutschland wie in Europa ge­ tragen, wenn es ihnen nun gelang, ihrem Fach breitesten Wir­ kungsraum zu erschließen und es zur Höhe seiner Geltung zu führen. Zugleich aber reihten sie sich damit auch dem besonderen Zusammenhang österreichischer Wissenschaftsüberlieferung ein. Denn sie setzten das Werk jenes älteren Kameralistenstabes fort, der schon dem Herrschertum der Leopoldinischen Zeit gedient hatte. Auch hier aber zeigte es sich, daß inzwischen der Stunden­ zeiger der Entwicklung weiter vorgerückt war. So nämlich wie die staatliche Arbeit der Regierenden an frühere Bemühungen anknüpfte, jedoch sie steigernd und krönend, so hoben auch diese einflußreichen Vertreter der Staats- und Wirtschaftslehre ihre Wissenschaft über den früheren Stand hinaus. Und während das wirkliche Leben des Staates und der Ver­ waltung ihr Denken anregte und mit Erfahrung sättigte, be-

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fruchteten sie ihrerseits die Praxis, bei allen Verzweigungen ihrer Einzelarbeit nicht minder planmäßig auf ein Ganzes ge­ richtet wie der Absolutismus selbst, auch sie in wachsender Blickund Systemweite auf Baumeistertum im großen bedacht.

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Schwester des Absolutismus und seine Bundesgenossin war die Aufklärung. Nichts reizvoller als Österreichs Verhältnis zu ihr unter Maria Theresia! Eine der mächtigsten aller Zeit­ bewegungen brach sich hier an den geschichtlichen Überliefe­ rungen von Reich und Herrscherhaus, zugleich auch an der menschlichen Eigenart der Kaiserin. Jedoch ging sie nicht so weit, der Aufklärung ihr Lebensrecht zu versagen, nahm viel­ mehr einiges davon an, indem sie es dem Wesen ihrer Persönlichkeit und der Besonderheit ihres Staates anverwandelte. Die österreichische Aufklärung war, obwohl Kaunitz für seine Person mehr nach Frankreich hinüberschaute, unter Maria Theresia vornehmlich ein Ausschnitt der deutschen Geistes­ bewegung. In ihren Maßnahmen kam sie dem am nächsten, was. in den katholischen Ländern und geistlichen Staaten in diesem Sinne geschah. Weniger flimmernd und geistreich zu­ gespitzt als die der Franzosen, aber auch weniger zersetzend und umstürzend, drang sie andererseits tiefer als die russische; sie war weder so firnishaft äußerlich noch bloß auf die höheren Ge­ sellschaftskreise beschränkt wie die Bestrebungen Katharinas, gar nicht vergleichbar vollends der Wildheit, mit der einige Länder des Südens, besonders Portugal, von der Aufklärung durch­ wühlt wurden. Maria Theresia atmete die Luft ihres Jahrhunderts, ohne sich von ihr berauschen zu lassen, sie ging im Strome mit, ohne darin unterzugehen. Helle Verständigkeit und Nützlichkeits­ gesinnung der Aufklärungemenschen, ihr Trieb nach Einfachheit und Klarheit, nach planvollem Denken und Handeln, nach Gleichförmigkeit und Regel, wie vieles davon schwingt fühlbar und bewußt oder als Unterton im Theresianischen Reformwerk mit! Trotzdem blieb die Kaiserin auch da, wo sie den Mahnungen des Zeitgeistes und ihren Ratgebern folgte, immer sie selbst, und was sie tat, geschah mehr aus Einsicht ins Notwendige und Zweckmäßige als aus Schwärmerei oder Weltanschauungs­ gebot, mehr von Fall zu Fall als aus Grundsätzlichkeit. Der 19

Derstandeshochmut vollends des Aufklärertums war ihr, der Frau, die alles stark mit dem Herzen erlebte, war der Tochter der Kirche fremd. Theresianische Aufklärung ist in ihren letzten Voraus­ setzungen und Zielen, ist im geistigen Zuschnitt, in Grad und Rhythmus etwas anderes als friderizianische oder josefinische, ist so verschieden wie diese drei Persönlichkeiten selber. Mit dem vollends, was Katharina von Rußland und die Franzosen um Voltaire und Montesquieu darunter verstanden, hatte Maria Theresia keine innere Gemeinschaft. Man hört aus ihrem Munde keine Worte von Menschlichkeit und Weltbürgertum, von Natur­ recht und nicht einmal von Dolkebeglückung. Bei aller Leb­ haftigkeit des persönlichen Einsatzes durchwaltet eine nüchterne Grundstimmung ihre Regierungearbeit. Die Frostigkeit der Derstandesdogmen hatte in ihrer Auffassung des Herrscher­ berufs, die vom christlichen Pflichtgefühl ausging, keinen Raum; aber auch die weicheren Töne der Empfindsamkeit, wie man sie aus anderen Bekenntnissen des aufgeklärten Fürstentums, dem Munde etwa Karl Friedrichs von Baden kennt, werden nicht laut. Ihre Maßnahmen galten mehr dem Untertanen als dem Menschen, wie es mehr den Stimmungen der älteren Genera­ tion des Absolutismus entsprach. Nur bei Begründung der Volksschule, dem letzten großen Werke ihrer Spätzeit, bei dem auch ihre Freude am Auswachsen von Kindern im Spiele war, war ein Klang volksbeglückenden Empfindens zu vernehmen, und ihre gegen heftige Widerstände durchgesetzte Agrarreform war von einem starken persönlichen Mitgefühl mit der armen ländlichen Bevölkerung unmittelbar beseelt. Es gab den küh­ leren Erwägungen rein militärischer, steuerpolitischer und allen­ falls volkswirtschaftlicher Art, von denen die Kaiserin dabei ge­ leitet wurde, eine persönlichere, wärmere Note. Vertreterin der Aufklärung war Maria Theresia, die alle Freigeisterei haßte, nur in bedingtem Sinn, in den Grenzen ihrer Kirchlichkeit. Anwandlungen von Unduldsamkeit und Dersolgungslust gegen andere Bekenntnisse widersprachen nicht bloß den Toleranzsorderungen der Aufklärung, sondern gehörten, auch persönlich gesehen, zu den wenigen Zügen, die aus dem mütterlich gerechten Wesen der Kaiserin herauefallen. Man begreift wohl: der Katholizismus war letzter Lebensgrund ihres persönlichen Seins, war eine der tragenden Überlieferungen

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Österreichs. Man möchte sagen, es glimmte noch ein Funke von der Glut der Gegenreformation, jener für die Geschichte ihres Hauses, für Österreichs Geistesleben und Runft so unendlich folgenschweren Bewegung auch in Maria Theresias Seele weiter, während am Himmel des Jahrhunderts das Gestirn der Aufklärung seinen höchsten Stand erreichte. Als schließlich mit den südlichen Landen Europas sogar der Römische Stuhl von der neuen Geisteshaltung ergriffen wurde und zur Aufhebung des Jesuitenordens schritt, versuchte die Kaiserin nicht gegen den Strom zu schwimmen, milderte aber wenigstens das Los der Väter gesu, indem sie ihnen Unterschlupf in Seelsorge und Schule gewährte. So mischen sich auch sonst wohl in Maria Theresias Re­ gierung die Merkmale der Zeitalter und entgegengesetzter Geistesmächte, die um ihre Seele warben. Sie ordnete das Schulwesen, indem sie es mit den Augen des Merkantilismus vornehmlich auf seine Nützlichkeit hin ansah, den Zwecken des Staates und der Wirtschaft ein; denn die Schule sei, so sagte sie, ein Politikum l Grundsätzlich nahm sie die Leitung des Bildungs­ wesens für den Staat in Anspruch, und arbeitete, wie ihre Rat­ geber es eingaben, an der Verweltlichung der Universitäten. Indessen blieben all diese Unterrichtsanstalten durchsetzt von geistlichem Einfluß, und weite Gesellschaftskreise ihrer Erblande empfingen Erziehung und bestimmende Färbung ihrer Bildung nach wie vor vom Walten der Kirche. Wiederum fallen die Lichter verschiedener Zeitstimmungen aus Maria Theresias Haltung, wenn sie wollte, daß die Schüler zu guten katholischen Christen erzogen würden, während sie den Aberglauben wie irgendeiner der erleuchteten Köpfe des Jahr­ hunderts verpönte, auch da, wo er im religiösen Gewände aus­ trat. So gingen Frömmigkeit und Verstandesoffenheit bei ihr Hand in Hand. Jene persönliche Anhänglichkeit an die Kirche aber vertrug sich bei ihr, die auch darin über die Linie ihrer Vor­ gänger hinausging, mit ausgesprochener Wahrung der Staats­ ansprüche und der schärferen Handhabung der überkommenen Rechte, und wiewohl sie gerade hier weisere Zurückhaltung übte als ihr Sohn Josef, so wurde sie doch mit ihm zusammen Begründerin eines österreichischen Staatstirchenrechtes. Bis tief ins neunzehnte Iahrundert hinein bestimmte es das Schicksal vielumstrittener Grenzgebiete entscheidend und aus dem vollen 21

Bewußtsein staatlicher Hoheit heraus, weit über ihre Reiche hinaus historische Bedeutsamkeit und Wirkung erlangend. Stärker als zuvor drängte in der Spätzeit der Kaiserin die Aufklärungswoge an sie heran, und neben natürlichen Er­ müdungserscheinungen des Alters machte sich gerade auch der Widerstreit der Stimmungen im Streife der Ratgeber, in Schwan­ kungen und Lähmungen der Regierung geltend. In zugespihtesterForm trat Maria Theresia die Dernunftvergottung des Jahrhunderts im Rationalismus ihres Sohnes entgegen. Der Stummer ihrer letzten Jahre: dieser Zusammenprall von Theresionischer und Josefinischer Aufklärung, gesteigert durch die Verschiedenheit von Alter und Jugend, von Theorie und Praxis, verschärft durch den Gegensatz der Persönlichkeiten und der Weltanschauungen, der sich auf nahezu allen Gebieten der Staatsleitung und Regierungsweise wie in der Einstellung zu Herrscherberus und Untertanen, zu den Aufgaben der Politik und Verwaltung bemerkbar machte: ein Riß bis auf den Grund der Herzen, unheilbar und erschütternd, weil hier zwei Menschen, die einander liebten, sich immer weiter auseinanderlebten l Und vielleicht lag darin, historisch gesehen, die größte Tragik, daß Maria Theresia und Josef, trotz allem, was sie trennte, im gemeinsamen Lebensgrund des unumschränkten Fürstentums und seiner geschichtlichen Sendung wurzelten. Waren sie doch in wesentlichen Hauptrichtungen einig! Mutter und Sohn mühten sich hingebungsvoll um die Erhöhung von Krone und Staat, um festeren Zusammenhalt der Länder, um strafferen Ausbau des Behördenkörpers und Ausdehnung der Regierungs­ macht. Sie waren einig in der Zurückdrängung von Sonder­ gewalten aller Art, sie beförderten die Gleichförmigkeit der Gesetzgebung, arbeiteten an der Mehrung des wirtschaftlichen Reichtums, der Stärkung des deutschen Kultureinflusses; beide setzten ihren Ehrgeiz daran, daß Österreich im Rate der Groß­ mächte seinen Platz behaupte. Rur daß Joses in allem weit übers Ziel hinausschoß, daß er, gleichsam selber unterm Diktat der Aufklärung stehend, sie einer vielfach widerstrebenden Wirk­ lichkeit gewaltsam aufzwingen wollte. gm Übereifer und der verschärften Gangart der Aufklärung, in ihren inneren Spaltungen und den Gegenschlägen, die sie bereits hervorrief, im Heraufkommen der physiokratischen Wirtschaftslehre, die teils zu Schwankungen, teils zu Milde-

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rungen des herrschenden Systems führte, endlich im Wandel der literarischen Stimmungen und des künstlerischen Geschmacks kündigte sich die Nähe der Epochenwende an. Mit dem Aus­ klingen des Barock und dem Versprühen des Rokoko, mit den Vorboten einer Richtung, die im Kunstwerk Einfachheit und stille Größe suchte, neigte sich auch die Theresianische Regierung ihrem Ende zu. In diesen vier Jahrzehnten rangen auch in Österreich, wie in Deutschland überhaupt, die ausländischen Kunstsormen und mächtigen Überlieferungen des französischen und italienischen Geschmacks mit dem, was aus der Boden­ ständigkeit des eigenen Volkstums Gestalt und Leben gewinnen wollte. In steigendem Matz mühten sich Dichtung und Wissen­ schaft, Musik und bildende Shinft um Eigenwüchsigkeit der Emp­ findung und des Ausdrucks. Schon war Wien neben Mannheim bas wichtigste Zentrum deutscher Musik. Die Kaiserin selbst, der die Musik mehr als alle anderen Künste bedeutete, zog, wie es scheint, für ihre Person das noch vorherrschende Italienertum vor. Schon aber hatte Gluck, den sie förderte, am Hofe Werke geschaffen, die Ausdruck und Durchbruch einer neuen Kunst­ gesinnung und Formensprache waren, und ihm gehörte die Zukunft, nicht dem alten Metastasio, dem Hofdichter der Kai­ serin, der alle festlichen Ereignisse ihrer Regierung mit den zier­ lichen Gaben seines klangvollen Rokoko umkränzte. Und als Maria Theresia den kleinen Mozart auf dem Schoß hielt, möchte man darin ein Sinnbild sehen: die große Zeit Wiens und der österreichischen Musik war im Anbruch. Das mächtig aufftrebende, vielstimmige Geistesleben des deutschen Nordens hatte in diesen Jahrzehnten Widerhall in Österreich gefunden, waren ihm auch Führer von gleicher Leuchtkraft versagt. Die Kaiserin selbst war von den literari­ schen Auseinandersetzungen innerlich kaum berührt worden; sie lebte vorwiegend in den Dingen des Staates t Wie stellt sich die Summe ihrer Regierung fürs Ganze ihres Reiches, für feine Stellung in Deutschland und Europa dar?

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In einem kampfreichen Jahrhundert, dessen Staatskunst vornehmlich durch Machtgesichtspunkte der Dynastien bestimmt wurde, hatte Maria Theresia das Erbe ihrer Väter ruhmvoll, obgleich nicht ohne kleinere Gebietsverluste bewahrt. Die Er23

Haltung des Thrones bei ihrem Hause, die Behauptung des Donaureiches in der Mitte des Erdteils als Großmacht im voll­ gewichtigen Sinn des Wortes, war die entscheidende Leistung ihrer Regierung, grundlegendes Vermächtnis einer weiten Zu­ kunft, bis über die Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts. Es war ihr geglückt, Randländer und Außenwerte der österreichi­ schen Macht aufrecht zu erhalten, im Nordwesten die Nieder­ lande, im Süden einen Teil von Italien, und sie hatte das Band mit Ungarn, dessen Adel sie mit meisterhaftem Takt zu be­ handeln wußte, enger geknüpft, auch dies für die kommende Zeit von größter, in manchem vorbildlicher Bedeutung. Alle diese Nebenreiche hatte Maria Theresia in etwas loserer Ab­ hängigkeit gehalten als ihre anderen Kronländer, und sie tat gut daran, den Dogen nicht zu Überspannen. Wohl waren die lombardischen Besitzungen aus die Dauer schwerlich zu halten, wie schwer, sollte sich erst im folgenden Jahrhundert übersehen lassen, als der Gedanke der Selbst­ bestimmung der Völker für Europa, so auch für Italien zur Losung und zum Weckruf wurde. Und der Niederlande vor­ geschobenes Bollwerk, ohne unmittelbaren Gebietszusammen­ hang mit Österreich, war besorgniserregend weit von den Kern­ landen der Monarchie entfernt, die sich seit Maria Theresia einer größeren Verbundenheit erstellten als unter irgendeiner der vorausgegangenen Regierungen. Immerhin war der Besitz der Niederlande doch auch insofern bedeutsam, als sie dem Deutschen Reich wie eine breite, schützende Bastion vorgelagert waren. Stets hatte die kluge Frau auch hier wie im Madjaren­ reich den Eingriff in althergebrachte Einrichtungen und Frei­ heiten gescheut, durch den Josef, ein Zerstörer mütterlichen Erbes wie in Ungarn, die Losreihung Belgiens heraufbeschwor. Und von nun an sollte das Grollen der Völker, die ins Zeitalter der nationalen Bewegung eintraten, im Reich der Maria Theresia nicht mehr verstummen. Im Osten verdankte Österreich seiner Kaiserin eine Hebung seiner Stellung. Die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert hatte in einer der glorreichsten Perioden öster­ reichischer und europäischer Geschichte durch Ungarns Befreiung die volle Begründung, ja die Neuauftichtung der habsburgischen Großmacht gebracht. Vier Jahre vor Maria Theresias Re­ gierungsantritt hatte Prinz Eugen die Augen geschlossen. Die

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Türkenkämpfe größeren Stils gehörten der Vergangenheit an. Vie Osmanengefahr war, wie die Kaiserin selber erleichtert empfand, für Österreich ihrer Bedrohlichkeit entkleidet, während jene andere, riesenhast sich emporreckende Ostmacht, das Zaren­ reich, Bundesgenosse im Siebenjährigen Kriege, Gefahren in sich barg, die in Wien bereits gefühlt wurden, zu Zeiten Maria Theresias aber durch wachsame Schachzüge einer zugleich ent­ gegenkommenden und zurückhaltenden Diplomatie noch zu bannen waren. Die volle Wucht des steigenden Flankendrucks sollte erst im neunzehnten Jahrhundert spürbar werden, um sich im zwanzigsten zu entladen; in einer Situation, die sowohl die innerösterrelchischen wie die europäischen Verhältnisse von Grund aus aufs nachteiligste gewandelt hatte. Zunächst schob Österreich als Gefährte Rußlands in der polnischen Teilung seine Macht durch Erwerbung der Bukowina und Galiziens noch weiter nach Osten vor, zwei Länder, denen Maria Theresia eine besondere Fürsorge zuwendete, namentlich auch im Hinblick auf die bäuerlichen Verhältnisse. Hauptaufgabe aber ihrer Regierung hier im Osten war, die ungarische Reichs­ hälfte der Krone und dem Gesamtstaate näher zu verbinden, und es gelang im ganzen, trotzdem es an Mißhelligkeiten und Ent­ täuschungen nicht fehlte, dank dem persönlichen Zauber, der von der Königin ausging, dank ihrer feinabgestimmten Regierungs­ mittel sowie der gesellschaftlichen Lockungen Wiens und ihres Hofes. Räumlich und gradweise machte das Kolonisationswerk in diesen weiten Gebieten des Reiches Fortschritte, und die An­ ziehungskraft des Ostens auf deutsche Einwanderer wuchs noch im Laufe der Jahrzehnte, zumal Josef sich der Siedlungen mit größtem Eifer annahm. Aus lange hinaus jedenfalls war die Mission unseres Volkes in diesen östlichen Bezirken älteren und neueren Erwerbs, wie im Rahmen des Donaureichs überhaupt, nicht erschöpft. Insbesondere Heer, Beamtentum und Schule leisteten der Staatsleitung auch in dieser Hinsicht unschätzbare Dienste, und ihr Einfluß war um so wertvoller, als er oft in un­ merklichster Art, bis in die fernsten Winkel des Reichs, menschenund gesinnungsformend in den Alltag hinabreichte. Das Deutschtum führte im Dölkergemisch der Monarchie, und es hatte den Beruf und sogar die Verpflichtung dazu, solange ihm seine eigene Kulturüberlegenheit und das Entwicklungsbedürfnis 25

anderer Nationen, die in Wirtschaft und Gesittung tiefer standen, ein inneres Anrecht darauf verliehen. Wien selbst, Sitz der obersten Behdrden, bewährte, indem es die staatsfreudigsten, anschmiegsamsten und bildungshungrig­ sten Elemente unter den Fremdvölkern anzog, seine einschmelzende, eindeutschende Straft, während das Deutschtum Öster­ reichs wiederum durch Blutmischung und Bölterberührung menschlich farbiger, geschmeidiger und weiträumiger wurde. Noch versprach unter Führung des Deutschtums diese ganze habsburgische Staatenwelt eine gemeinsame Entwicklung von reicher Zukunft. Will man deren Sinn aber in einer allmäh­ lichen Lockerung des Einheitsbandes und eines Selbständiger­ werdens der Teile und Völker erblicken, auch dann war jene Ent­ wicklungsstufe als Erziehung zur Gemeinsamkeit staatlicher Ord­ nung und höherer Shiltut eine nicht zu umgehende Grundlage fürs Ganze und seine Glieder. Gerade unter diesem Gesichts­ punkt ist historisch Maria Theresia als eine der wichtigsten Herr­ schergestalten des alten Österreich aus dem Reigen der Gene­ rationen nicht Hinwegzudenken. Nichts war im Verlauf ihrer Regierung geschehen, was Zerstörung oder Auflösung not­ wendig nach sich ziehen, was von innen heraus das Ge­ füge des Reichs bedrohen muhte, so wie es damals war und mit allem, was es an weiteren Entwicklungsmöglichkeiten in sich schloh. Wie aber stand es um sie und Deutschland? Auch hier hatte sie das Erbe ihrer Väter, das Lebensrecht ihres Hauses und Reichs, gegen ihre Widersacher verfochten, und zwar gegen eine ganze Schar von Gegnern. Bayerns Thronanspruch und sein Versuch, die Vormacht des deutschen Südens und die Führung des Reichs in Gestalt des Kaisertums an sich zu reißen, wurde von ihr abgewiesen. Andererseits war es eines der bedeutsam­ sten und folgenschwersten Ergebnisse ihrer Regierung, daß dieser Kampf nicht mit einer Vereinigung aller Länder bayrisch­ österreichischen Stammes in der Hand Maria Theresias endete. Ein anderer Ausfall hätte die Zukunft Deutschlands und das Problem seiner Beherrschung nicht bloß unendlich vereinfacht, sondern vielleicht ein für allemal im Sinne Österreichs ent­ schieden. Große und einschneidende Fragen, nachwirkend bis zur Gegenwart, Fragen, in denen Vergangenheit brennende und schmerzhafte Lebensnähe gewinnt, sind damit berührt. 26

Der Kampf gegen Preußen! — In ihm stand die alte Großmacht gegen den Staat, der Großmacht zu werden im Begriff war, stand der katholische Süden gegen den protestanti­ schen Norden. Aus beiden Seiten fochten Deutsche gegen Deutsche im Bunde mit dem Ausland. Nur im Siebenjährigen sttieg mit der Rollenvertauschung, daß England früher mit Österreich gegangen, Frankreich aber, der ehemalige Bundes­ genosse Friedrichs, nun von Österreich als Kampfgenosse ge­ wonnen war! Lebensanspruch und Recht, eigene Machtüber­ lieferung, persönlicher und politischer Ehrgeiz waren in beiden Lagern lebendig. Die Überzeugung, so und nicht anders han­ deln zu können, sie war in Friedrich so ehrlich wie in Maria Theresia. And beide handelten aus freiem Entschluß, als sie gegeneinander die Waffen erhoben, jener in den zwei ersten schlesischen, sie im dritten schlesischen Krieg. Beide Gegner aber standen auch unterm Gebot allgemeinster Notwendig­ keiten, und der Begriff der Schuld, für keine Seite ganz auszu­ schalten, schmilzt zusammen vor der Unentrinnbarkeit des Zu­ sammenstoßes, der in der Entwicklung beider Staaten selbst und im politischen Zustand des damaligen Deutschlands begründet war. Das Heldentum der fürstlichen Vorkämpfer war der Tra­ gödie würdig, die sich hier abspielte. Eine Tragödie, weil deutsche Geschichte immer tragisch ist! — Maria Theresia unter­ lag. Der Ausgang des Kampfes, der endgültige Verlust Schle­ siens, dieses an Naturschätzen reichen, wirtschaftlich so zukunfts­ vollen Landes, des reichsten vielleicht der habsburgischen Krone schwächte die Geltung Österreichs. Die Basis seiner Macht war

an einer wichtigen Stelle, der Grenze im deutschen Osten, schmäler geworden. Mehr noch mochte die Bestätigung Preußens als Großmacht im gleichen Sinne wirken. Doch war Österreichs Stellung dadurch nicht so empfindlich in Europa als im Reich und in Deutschland getroffen! Während dieser Kämpfe» die den inneren Zusammenhang des österreichischen wie des preußischen Staates im Bewußtsein ihrer Bevölkerungen gestärkt hatten, war Deutschland selbst in zwei Lager auseinandergetreten. Der Riß zwischen Preußen und Österreich, seit dem siebzehnten Jahrhundert halb offen, halb verdeckt vorhanden, war unheilvoll erweitert. Ein Schatten blieb zurück, wiewohl auch jetzt die Führung Habsburgs inner­ halb des Deutschen Reiches noch behauptet war, und er folgte 27

über dessen Zusammenbruch und die Umwälzungen der napoleo­ nischen Epoche der Entwicklung Österreichs vom achtzehnten ins neunzehnte Jahrhundert. Aber entschieden war die Frage der Vormacht in Deutschland unter Maria Theresia noch nicht end­ gültig, ja im strengen Sinn einer Entscheidung, wie sie das neun­ zehnte Jahrhundert stellen und die Bismarcksche Politik beant­ worten sollte, war sie noch nicht einmal aufgeworfen. Nach wie vor war der Besitz des Kaisertums weder ganz ohne Inhalt noch wertlos in den Augen Österreichs und denen der Welt. Und vielleicht war es eines Tages auch der Ver­ jüngung, einer neuen Sinn- und Bedeutungssteigerung fähig. Der hervorragende Staatsmann, der in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die Geschicke Österreichs lenkte, er­ griff die Möglichkeiten nicht, die der Wiener Kongreh ihm bot. Der Bund, den Metternich schloß, war mit den Fürsten, nicht mit der Nation geschlossen! In Maria Theresia hatten die Überlieferungen und Er­ innerungen des Reichs sich so lebendig erhalten, daß sie, die später ganz im Stile zeitgenössischer Kabinettspolitik und der Staatsräson das Bündnis mit Frankreich abschloß, zeitweise von Rückeroberung der verlorenen deutschen Grenzlande, des Elsaß, Lothringens und sogar Burgunds geträumt hat. Noch reichten mit Breisgau und Ortenau Österreichs eigene Dorlande über den Bodensee und Schwarzwald hin heran an den Rhein, den Schicksalsstrom des Reichs, und die Wacht an ihm warÖsterreich anvertraut. Erst nach den Befreiungskriegen sollte es sie endgültig aus den Händen geben, um sie später im Weltkrieg in anderer Form mittelbar wieder auszunehmen. Ich meine damals, als Österreichs Heere und an ihrer Spitze die treuen deutschen Kerntruppen, unvergessen und nie auslöschbar im Gedächtnis unseres Volkes, auf den Schlachtfeldern Polens, Serbiens und Italiens das Erbe der Maria Theresia, den Habs­ burgischen Gesamtstaat in seinem letzten und gewaltigsten Existenzkampf verteidigten. Denn so im Osten und Süden kämpfend, deckten sie auch Deutschland, schützten sie den Rhein und den Westen zugleich! Noch war das Österreich Maria Theresias unmittelbar durch tausend greifbare Fäden und unsichtbare Beziehungen mit dem übrigen Deutschland verbunden, anziehend und aus­ strahlend, gebend und empfangend. Und besonders innig lebte 28

es im Zusammenhang des deutschen Südens und seiner Rultut. Die Schöpfungen seiner Meister entsprangen denselben Glau­ bensgründen, einem verwandten Lebensgesühl, der gleichen Gestaltungsfreude eines künstlerisch begnadeten Stammestums, wie es in Werten leuchtend von Farbenschmelz und sinnlicher Frische in diesen Landschaften von der Donau bis zum Rhein, von Wien über Salzburg, München, Würzburg, Bruchsal bis Köln, in Bayern, Schwaben, Franken und der Pfalz sich ent­ faltete. Und eben begann der Triumphzug der österreichischen Musik durch Deutschland und die Welt. Ihrer Innerlichkeit und dem Gefühlsreichtum des Südens antworteten Gedankentiefe und Dichtergröße des nördlichen Deutschland, beide nur Teile eines Ganzen, sich suchend und ergänzend, beides Ausstrah­ lungen eines Genius, der mit denselben grohen Aufgaben hier wie dort das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch rang: es galt dem deutschen Geiste eigene Form und eigenen Ausdruck zu schaffen. Die Zeit noch innigeren Bildungs- und Gedankenaus­ tausches brach an, als mit der Jahrhundertwende der gemeinsame Strom deutscher Bildung, Dichtung und Musik, frei von Über­ fremdungen und kosmopolitischen Formresten, reicher als zuvor durchs nördliche und südliche Deutschland flutete, jene letzte, innerlichste Gemeinschaft des Geistes und seelischen Zusammen­ klangs, die wir als Zeugen aufrufen werden, wenn alle anderen Gefühle und Stimmen der Zusammengehörigkeit je einmal, was Gott verhüte, verstummen sollten! *

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Dem Sturze ihres Hauses und dem Zerfall des Donau­ reiches, dem Untergang des alten Österreich nachzugehen, ist nicht Sache dieser Stunde und des Historikers. Er hat die Re­ gierung Maria Theresias zu deuten aus der Welt ihres Jahr­ hunderts, dessen Stimmung überwältigend und mit festlichem Zauber diesen Saal umrauscht l Die Zertrümmerung ihres Erbes, wir wissen es nur zu deutlich, war letzter Akt einer un­ endlich verschlungenen historischen Entwicklung, in der das Schicksal ihres von inneren und auswärtigen Feinden bedrohten Staates einmündet in die Tragödie Deutschlands. Was am Untergang jenes alten Österreich, für das die er­ haltende und schöpferische Leistung der theresionischen Zeit so

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unendlich viel bedeutet hatte, unwiderruflich erscheint im Umstürz von Staatsform und Reichsgestalt, wir glauben es zu er­ kennen; aber ebensowenig verschließen wir unseren Blick gegen die klaffenden Lücken und die offenen Fragen, die ungelöst ge­ blieben, die Aufgaben, die noch zu bewältigen sind, wenn die Mitte des Erdteils gesunden soll! Das Österreich der Gegenwart, wenn auch verstümmelt und zersetzt, umfaht Stammlande, die Maria Theresia be­ sonders teuer waren, die ihre besondere Fürsorge und den Segen ihrer verschmelzenden Arbeit am Staate erfuhren, Städte und Länder, aus deren Volkstum uns immer wieder die menschlichen Züge der Kaiserin, die geschichtlichen Spuren ihres Wirkens anschauen, so wie an Maria Theresia die liebenswerten Eigenschaften des österreichischen Wesens auf­ leuchten, die niemand von uns im Bilde des Deutschtums missen möchte, weil sie es farbiger und reicher, inniger und wärmer machen. Dies allein würde genügen, das Andenken einer persön­ lich so anziehenden wie historisch denkwürdigen Gestalt in unserem Bewußtsein nicht verlöschen zu lassen. Indessen, nicht nur darum, auch nicht bloh um unserer eigenen jahrhunderte­ alten Verbundenheit mit Österreich willen wird Maria Theresia innerer Besitz des gesamten deutschen Volkes sein, soweit es über den Tag hinausdenkt und die Fähigkeit geschichtlichen Er­ lebens nicht verloren hat. Tiefere Dinge sind da noch wirksam t Inniger als je suchen wir im Spiegel ihrer Geschichte das Schicksal ihres Staates in uns auszunehmen, möchten wir in bescheidener und hingebender Erkenntnis begreifen, was Öster­ reich ist, warum dies alles so geworden ist, und ob es so bleiben kann! Ist es nicht letzten Endes der Sinn der Historie, Gegen­ wart aus Vergangenem zu verstehen, unsere eigene Umwelt tiefer zu deuten, um dadurch stärker in die Ausgabe unserer Generation hineinzuwachsen, selber Zukünftiges zu wollen, Geschichte aus lebendigem Zeitbewußtsein heraus zu schassen? Bei jeder Berührung aber mit dem, was Österreich war und ist, stoßen wir, als den äußeren Wandel der Dinge über­ dauernd, aus die Gemeinschaft der Ration. Sie halten wir uner­ schütterlich fest über alle Umwälzungen der jüngsten Ver­ gangenheit, ja gerade über die staatliche Trennung hinaus, fühlen wir sie doch als etwas Unzerstörbares in allem Erleben, in gemeinsamen Leiden, in gleicher Sehnsucht nach Aufbau

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und Ordnung, nach Recht und freier Bewegung im Rate der Völker. Noch leben die geschichtlichen Zusammenhänge unver­ dunkelt in unserem Bewußtsein, und kein Gewaltspruch kann sie aus die Dauer zerreißen, es sei denn daß eigene Trägheit und Verblendung sie verkümmern lassen. Indem wir die Gestalt der Maria Theresia, die vollkommen deutsch und ganz österreichisch war, aus der Vergangenheit heraufbeschwören, grüßen wir zugleich ihres Landes Gegenwart und Zukunft, grüßen wir es als Bürger des erneuerten Deutschen Reiches, umhallt von allen Geisterstimmen unserer Geschichte, grüßen wir Österreich in Glauben und Hoffnung, in Schicksalsverbun­ denheit und Liebe.

Dom

selben

Verfasser

erschien:

Geist und Staat historische Hortritt» 200 Seiten. 2. Ausl. 1927. Brosch. M. 5.—, geb. M. 6.—

Inhalt: Daldassare Castiglione und die Renaissance—Bacon als Staatsmann—Pater Joseph, ein geistlicher Freund und Gehilfe Richelieus — Maria Theresia — Marwitz und der Staat Fried­ richs des Großen — Der junge Engel». Neue preußische Kreuzzeitung: So erstehen in Essayform vier Jahr­ hunderte neuerer, europäischer Geschichte; eine künstlerische Geschichtsschreibung, die allen gelehrten Ballast vermissen läßt, ist hier In vorbildlicher Weise am Werk. Vergangenheit und Gegenwart: Die Sammlung ist Erich MarLs zu­

geeignet, mit gutem Grund; die diesen unseren ersten Essayisten kennzeichnende Einfühlungstrast ebenso wie seine sttlisttsche Feintunst sind auch diesen bio­ graphischen Medaillons nachzurühmen. Auf strenger Forschung beruhend, bieten sie goldene Äpfel in silberner Schale, eine Freude für den Gelehrten wie für

den Freund künstlerischer Darstellung. Am vollendetsten scheint mir das Porträt der Maria Theresia.