Das Projekt des unternehmerischen Selbst: Eine Feldforschung in der Coachingzone 9783839434215

This ethnographic study on academic consultancy bodies shows how graduates seek - at once conformist and resistant - to

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Das Projekt des unternehmerischen Selbst: Eine Feldforschung in der Coachingzone
 9783839434215

Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
TEIL 1: HINTERGRÜNDE
1. Der Diskurs des unternehmerischen Selbst im Kontext
1.1 Jeder Mensch ein Unternehmer – Elemente des Diskurses
1.1.1 Gesellschaftlicher Wandel erfordert Aktivität und Unternehmertum
1.1.2 Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit
1.1.3 Flexibilität und positives Denken
1.1.4 Selbstoptimierung und Konkurrenz
1.1.5 Scheitern als Schreckgespenst oder Mut zum Risiko
1.2 Gesellschaftlicher Kontext
1.2.1 Prinzipien kapitalistischer Organisation: Konkurrenz und Akkumulation
1.2.2 Der liberale Subjektbegriff
1.2.3 Sozialstaat: Entstehung von sozialen Sicherungssystemen
1.2.4 Neoliberale Umbauten des Sozialstaates
1.2.5 Agenda 2010: Sozialpolitik in Deutschland
1.3 Wissenschaftliche Verortung
1.3.1 Arbeitswandel und Prekarität
1.3.2 Neoliberale Gouvernementalität
1.3.3 Ethnografische Arbeiten
1.4 Synthese I
TEIL 2: ETHNOGRAFIE
2. Feld und Methoden
2.1 Die Institution der Career Services
2.1.1 Entwicklung der Career Services
2.1.2 Career Services im Kontext des »Bologna-Prozesses«
2.1.3 Organisationsstruktur von Career Services
2.1.4 Zielgruppe und Aufgabenbereich
2.1.5 Meine Forschungsorte
2.2 Feldforschung in Career Services von Hochschulen
2.2.1 Theoretische Ansätze: Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse
2.2.2 Forschungsprozess und methodisches Vorgehen
2.2.3 Auswertung der Daten
2.2.4 Meine eigene Rolle und Beziehung zum Feld
3. Die MitarbeiterInnen von akademischen Career Services und ihr Umgang mit dem Diskurs
3.1 Aktiv-Sein als Strategie
3.1.1 Selbstbestimmung
3.1.2 Positiv denken
3.1.3 Scheitern als Chance
3.1.4 Ambivalenzen und die latente Gefahr des Scheiterns
3.2 Selbstmanagement
3.2.1 Fallbeispiel: Seminar Zeit- und Selbstmanagement
3.2.2 Das Leben als planbares Projekt
3.2.3 Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung
3.2.4 Gefahren des Selbstmanagements
3.3 Selbstmarketing
3.3.1 Fallbeispiel I: Seminar Selbstpräsentation
3.3.2 Fallbeispiel II: Bewerbungsmappen-Check
3.3.3 Selbstmarketing als unumgängliche Erfolgsstrategie
3.3.4 Die eigene Individualität leben und verwerten
3.3.5 Erfolgloses Selbstmarketing und die Gefahr des Scheiterns
3.4 Synthese II
4. Die AbsolventInnen und ihr Umgang mit dem Diskurs
4.1 Das Streben der AbsolventInnen nach Erfolg
4.1.1 Der Wunsch nach Zugehörigkeit
Fallbeispiel Julia
Die AbsolventInnen
4.1.2 Die Angst nicht zu genügen
Fallbeispiel Luise
Die AbsolventInnen
4.2 Arbeit am erfolgreichen Selbst
4.2.1 Arbeit an der Marke Ich: Selbstmarketing
Fallbeispiel Stefanie
Die AbsolventInnen
4.2.2 Besser werden: Selbstoptimierung und Selbstmanagement
Fallbeispiel Lea
Die AbsolventInnen
4.3 Synthese III
Schlussbetrachtung und Ausblick
Literatur

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Laura Glauser Das Projekt des unternehmerischen Selbst

Gesellschaft der Unterschiede | Band 34

Laura Glauser, Ethnologin, arbeitet an der Universität Hamburg im Bereich Personalentwicklung und ist freiberuflich als systemische Beraterin tätig. Sie lehrt zu den Themen Arbeit, Organisation und Interkulturalität.

Laura Glauser

Das Projekt des unternehmerischen Selbst Eine Feldforschung in der Coachingzone

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Steffen Herrmann Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3421-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3421-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9 Einleitung | 13

TEIL 1: HINTERGRÜNDE 1. Der Diskurs des unternehmerischen Selbst im Kontext | 21

1.1 Jeder Mensch ein Unternehmer – Elemente des Diskurses | 22 1.1.1 Gesellschaftlicher Wandel erfordert Aktivität und Unternehmertum | 25 1.1.2 Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit | 27 1.1.3 Flexibilität und positives Denken | 28 1.1.4 Selbstoptimierung und Konkurrenz | 31 1.1.5 Scheitern als Schreckgespenst oder Mut zum Risiko | 34 1.2 Gesellschaftlicher Kontext | 37 1.2.1 Prinzipien kapitalistischer Organisation: Konkurrenz und Akkumulation | 38 1.2.2 Der liberale Subjektbegriff | 41 1.2.3 Sozialstaat: Entstehung von sozialen Sicherungssystemen | 42 1.2.4 Neoliberale Umbauten des Sozialstaates | 44 1.2.5 Agenda 2010: Sozialpolitik in Deutschland | 47 1.3 Wissenschaftliche Verortung | 50 1.3.1 Arbeitswandel und Prekarität | 51 1.3.2 Neoliberale Gouvernementalität | 54 1.3.3 Ethnografische Arbeiten | 59 1.4 Synthese I | 68

TEIL 2: ETHNOGRAFIE 2. Feld und Methoden | 75

2.1 Die Institution der Career Services | 75 2.1.1 Entwicklung der Career Services | 77 2.1.2 Career Services im Kontext des »Bologna-Prozesses« | 78 2.1.3 Organisationsstruktur von Career Services | 84 2.1.4 Zielgruppe und Aufgabenbereich | 86 2.1.5 Meine Forschungsorte | 87 2.2 Feldforschung in Career Services von Hochschulen | 90 2.2.1 Theoretische Ansätze: Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse | 90 2.2.2 Forschungsprozess und methodisches Vorgehen | 93 2.2.3 Auswertung der Daten | 98 2.2.4 Meine eigene Rolle und Beziehung zum Feld | 100 3. Die MitarbeiterInnen von akademischen Career Services und ihr Umgang mit dem Diskurs | 107

3.1 Aktiv-Sein als Strategie | 108 3.1.1 Selbstbestimmung | 110 3.1.2 Positiv denken | 115 3.1.3 Scheitern als Chance | 119 3.1.4 Ambivalenzen und die latente Gefahr des Scheiterns | 121 3.2 Selbstmanagement | 128 3.2.1 Fallbeispiel: Seminar Zeit- und Selbstmanagement | 128 3.2.2 Das Leben als planbares Projekt | 134 3.2.3 Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung | 137 3.2.4 Gefahren des Selbstmanagements | 138 3.3 Selbstmarketing | 141 3.3.1 Fallbeispiel I: Seminar Selbstpräsentation | 143 3.3.2 Fallbeispiel II: Bewerbungsmappen-Check | 151 3.3.3 Selbstmarketing als unumgängliche Erfolgsstrategie | 155 3.3.4 Die eigene Individualität leben und verwerten | 159 3.3.5 Erfolgloses Selbstmarketing und die Gefahr des Scheiterns | 165 3.4 Synthese II | 169

4. Die AbsolventInnen und ihr Umgang mit dem Diskurs | 181

4.1 Das Streben der AbsolventInnen nach Erfolg | 182 4.1.1 Der Wunsch nach Zugehörigkeit | 182 Fallbeispiel Julia | 182 Die AbsolventInnen | 188 4.1.2 Die Angst nicht zu genügen | 196 Fallbeispiel Luise | 197 Die AbsolventInnen | 201 4.2 Arbeit am erfolgreichen Selbst | 209 4.2.1 Arbeit an der Marke Ich: Selbstmarketing | 210 Fallbeispiel Stefanie | 210 Die AbsolventInnen | 218 4.2.2 Besser werden: Selbstoptimierung und Selbstmanagement | 225 Fallbeispiel Lea | 226 Die AbsolventInnen | 232 4.3 Synthese III | 239 Schlussbetrachtung und Ausblick | 243 Literatur | 251

Danksagung

Das vorliegende Buch ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation. Diese Arbeit konnte nur durch die vielen UnterstützerInnen und FörderInnen entstehen, die mich während der ganzen Zeit begleitet haben und bei denen allen ich mich von Herzen bedanken möchte. Als erstes bedanke ich mich bei meinen GesprächspartnerInnen aus den Career Services, die mich an ihrem Leben und ihrer Arbeit haben teilnehmen lassen. Ich war immer wieder überwältigt vom großen Vertrauen, das mir die MitarbeiterInnen der Career Services entgegengebracht haben. Mir standen »alle Türen« offen, ich durfte an jeglichen Angeboten teilnehmen und war immer willkommen bei vielen ihrer Treffen und Aktivitäten. Auf diese Weise war ein sehr intensiver Austausch mit ihnen möglich, für den ich enorm dankbar bin. Besonders wertvoll waren für mich die große Offenheit und das Interesse an meiner Forschung, mit der mir die BesucherInnen aus den Career Services begegnet sind. Ich durfte an ihren Erfahrungen teilhaben und konnte mich in vielen Gesprächen mit ihnen austauschen. Die meisten von ihnen waren bereit, mir einen tieferen Einblick in ihr Leben zu gewähren und dabei auch ihre Unsicherheiten, Ängste und Schamgefühle mit mir zu besprechen. Ohne diese wohlwollende Unterstützung der BesucherInnen und MitarbeiterInnen wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen – vielen, vielen Dank! Ein großer Dank für ihre ganze Unterstützung gilt meiner Betreuerin Frau Prof. Dr. Dorle Dracklé. Sie hat mein Promotionsprojekt seit Anfang 2009 begleitet und mir in ihrer offenen und besonderen Art und Weise konstruktive Rückmeldungen auf meine Texte, aber auch Rückhalt und Zuspruch gegeben. Mir werden unsere zahlreichen Gespräche im Café Leonar in sehr guter Erinnerung bleiben. Bedanken möchte ich mich sehr herzlich auch bei meiner zweiten Betreuerin Frau Prof. Dr. Maya Nadig. Neben unseren intensiven Gesprächen war für mich besonders wertvoll, dass ich die von ihr entwickelte Methode der ethnopsycho-

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analytischen Deutungswerkstatt kennenlernen durfte und in diesem Rahmen mein Feldforschungsmaterial besprechen konnte. In ausführlichen gemeinsamen Arbeitstreffen habe ich mein Material gemeinsam mit ihr gedeutet und analysiert, was meine Arbeit ungemein weitergebracht hat. Danken möchte ich weiter Herrn Prof. Dr. Jürgen Jensen für seine wichtigen Hinweise zum theoretischen und gesellschaftspolitischen Teil der Arbeit. Dankbar bin ich auch Frau Prof. Dr. Susan Wright und Herrn Prof. Dr. Jakob KrauseJensen, die mir während der EASA-Tagungen 2008-2012 wichtige Hinweise für mein Projekt gegeben haben. Für die vielen Denkanstöße, die ich im Rahmen der bik-Werkstatt des Bremer Instituts für Kulturforschung, des DoktorandInnenKolloquiums von Prof. Dr. Dorle Dracklé und der Deutungswerkstatt des DoktorandInnen-Kolloquiums von Prof. Dr. Maya Nadig erhalten habe, möchte ich mich auch bei allen Beteiligten bedanken. Sehr dankbar bin ich für den Austausch mit Friederike Mönninghoff, mit der ich kontinuierlich meine Texte besprechen konnte und die meine gesamte Arbeit gelesen hat. Frieda, Deine enorme Unterstützung und Rückenstärkung während meines Endspurts war so unbeschreiblich wertvoll für mich! Für die vielen anregenden und inspirierenden Gespräche im Laufe meines Dissertationsprojekts und seine wertvollen Anmerkungen zu einzelnen Kapiteln danke ich auch Finn Sörje. Es ist eine Freude mit Dir über die wichtigen gesellschaftlichen Fragen nachzudenken, Finn! Julia Vorhölter bin ich von Herzen dankbar für ihre enorme, »holistische« Unterstützung bei meiner Promotion. Seit unserem Studium erkunden wir gemeinsam die Welt der Ethnologie, teilten die Höhen und Tiefen eines Dissertationsprojekts, das wir nun fast zeitgleich abschließen. Julia, ich bin sehr dankbar, so eine langjährige Ethnologie-Freundin wie Dich zu haben und mit Dir so vieles teilen zu dürfen! Ganz besonders dankbar bin ich meiner Mutter Christine Glauser. Ich danke Dir so sehr dafür, dass Du mich auf meinem Weg immer bestärkst und zu mir hältst. Auch für Deine Kommentare und Korrekturen danke ich Dir. Danken möchte auch ich auch meinen Freunden, meiner Familie und den ganzen UnterstützerInnen, die mich über all die Jahre begleitet haben: Antje Haag, Helga Heyn, Shelina Islam, Ariane Itin, Caroline Thon, Corinne Maier, Elena Spinnler, Johanna Viktorin – sie alle und viele andere haben mir beigestanden und mir unendlich viel Verständnis entgegengebracht. Schließlich möchte ich Dr. Cristian Alvarado Leyton meine tiefste Dankbarkeit ausdrücken, ohne ihn wäre diese Arbeit gar nicht denkbar. Unglaublich liebevoll und bestärkend hat er mir in dieser ganzen Zeit beigestanden und hat wesentlich dazu beigetragen, dass mein Vertrauen in mich und mein eigenes Den-

D ANKSAGUNG

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ken immer größer wurde. Unsere unzähligen Gespräche, seine unvergleichbar empathische Lektüre meiner Texte und scharfsinnigen Kommentare neben vielen Literaturhinweisen und Beobachtungen haben mich in meinem Reflexionsprozess kontinuierlich weitergebracht. Was für ein wundervolles Glück, Dich an meiner Seite zu wissen, Cristian! Ich danke Dir.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beruht auf einer 14-monatigen Feldforschung in akademischen Career Services, in der ich untersucht habe, welche subjektive Bedeutung der hegemoniale Diskurs des »unternehmerischen Selbst« für Individuen hat und wie sie als handelnde Subjekte mit diesem Diskurs umgehen. Das Konzept des »unternehmerischen Selbst« hat Ulrich Bröckling in seinen diskursanalytischen Studien von Managementliteratur herausgearbeitet, um diesen allgegenwärtigen, hegemonialen Diskurs konzise zu fassen (Bröckling 2007). »Diskurs« verweist hier auf die Verschränkung von Wissen, Wahrheiten und Machtverhältnissen, die sich auf Subjekte auswirken und von diesen fortgeführt, aber auch verändert oder widerspenstig konterkariert werden. Bestimmte Diskurse wie der des unternehmerischen Selbst haben aufgrund ihrer Hegemonie eine intensive Auswirkung auf das Leben von Menschen und ihr Verständnis der Welt. Schließlich werden Wahrheiten im Rahmen von Diskursen konstruiert, wobei AkteurInnen Diskurse auf ihre individuelle Art und Weise annehmen und prägen. In Diskursen sind Handlungsmaximen verdichtet, die fortwährend dazu anhalten, das eigene Leben nach ihnen auszurichten.1 In dem Diskurs des unternehmerischen Selbst werden Menschen als autonome, »freie« Subjekte adressiert und dazu aufgefordert, eigenverantwortlich zu agieren, aktiv zu sein und sich selbst – ähnlich wie ein Unternehmen – zu vermarkten, sich nach unternehmerischen Prinzipien zu »managen« und zu optimieren. Mich interessiert, wie Individuen versuchen, sich und andere an diese normativen Appelle anzupassen, wie sie auf sich einwirken und dabei ein Verhältnis zu sich selbst entwickeln, das von betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und einer neoliberalen und unternehmerischen Rationalität geprägt ist.

1

Vgl. Dracklé 1991a; Foucault 1981; Jäger 1999; s. Kapitel 1.1, Kapitel 2.2. Ich verwende »Diskurs« und »Rede« synonym.

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In meiner Arbeit vertrete ich zwei Thesen: Zunächst zeige ich, dass die Virulenz des Diskurses des unternehmerischen Selbst weniger einem sich tatsächlich vollziehenden Wandel der Arbeitsverhältnisse geschuldet ist, sondern mehr einer im Zuge neoliberaler Politik erfolgenden Ökonomisierung des Sozialen. Die Ökonomisierung des Sozialen kann als Folge einer politischen Rationalität angesehen werden, die auf den Abbau staatlicher Leistungs- und Sicherungssysteme zielt. Sie ist gekoppelt an den Appell zur Eigenverantwortung, dem das Leitbild unterliegt, das eigene Leben an wirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen auszurichten. Dabei greifen neoliberale Managementkonzepte, unternehmerische Logiken sowie Prinzipien des Wettbewerbs in immer mehr gesellschaftliche und lebensweltliche Bereiche hinein (Kapitel 1.2, Kapitel 1.3.2), Ideen und Praktiken, die der kapitalistischen Organisation von Arbeit eigen, also nicht historisch neu sind (Kapitel 1.2, Synthese I). Des Weiteren vertrete ich die These, dass der Diskurs des unternehmerischen Selbst niemals bruchlos in individuelles Verhalten und Denken übergeht. In dieser Arbeit werde ich daher auf der konkreten Ebene der Individuen zeigen, inwiefern und auf welche Weise sich eine Ökonomisierung des Sozialen vollzieht. Die Ökonomisierung des Sozialen wird durch den Diskurs des unternehmerischen Selbst naturalisiert und verdeckt, weil er scheinbar neue Arbeitserfordernisse aus einem als gesetzt angenommenen Wandel der Arbeitswelt ableitet. Zum anderen bedeutet aber eine Ökonomisierung des Sozialen nicht, dass Diskurse total wirken. Meine Arbeit wird zeigen, wie die Hegemonie der untersuchten Rede zwar Menschen zwingt, mit ihr umzugehen, die Subjekte aber sehr unterschiedlich reagieren und agieren. Sie nehmen den Diskurs auf, führen ihn fort, verändern und konterkarieren die Rede aber auch, was zu Brüchen, Widersprüchen und Ambivalenzen führt. Beides wurde bislang weder ausreichend ethnografisch dargestellt noch analytisch für eine Kulturkritik des Sozialen genügend berücksichtigt. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen, beiden Desiderata entgegenzuarbeiten. Für die Untersuchung meiner zentralen Frage – Wie gehen Individuen mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst und den damit einhergehenden Subjektanforderungen um? – habe ich von Mai 2009 bis Juli 2010 eine Feldforschung in akademischen Career Services durchgeführt.2 Diese auch Career Center genannten Beratungsinstitutionen von Hochschulen bieten Studierenden und HochschulabsolventInnen Beratungs-, Informations- und Weiterbildungsangebo-

2

Aus ethischen Gründen lege ich nicht offen, in welchen Institutionen ich konkret geforscht habe; auch habe ich die Namen meiner Gegenüber anonymisiert (s. Kapitel 2.2).

E INLEITUNG

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te zu beruflichen Themen an (Kapitel 2.1). Ich wählte diesen Untersuchungsort, weil ich davon ausgegangen bin, dass Career Services wichtige gesellschaftliche Träger und Promotoren dieses Diskurses sind. Career Services agieren nicht nur an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Arbeitswelt, sondern versuchen auch, auf die wahrgenommenen Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zu antworten. In den Career Services werden, wie zu sehen sein wird, fortlaufend widerstreitende Bilder über derzeitige Arbeitsanforderungen generiert und verhandelt. Zudem zeigt sich gerade im Feld der Hochschule ganz besonders deutlich, wie sich eine Ökonomisierung des Sozialen vollzieht und unternehmerische Rationalitäten in den Bereich der Bildung übergreifen. So trägt die zunehmende ökonomische Ausrichtung deutscher Hochschulen wesentlich zur stetig steigenden Präsenz und gegenwärtigen Hegemonie des Diskurses bei (Kapitel 2.1). Allgemein betrachtet sind Career Services ein wichtiger Teil des Beratungsund Coaching-Sektors, der gesellschaftlich in Deutschland eine immer größere Bedeutung bekommt. In ihm ist der Diskurs besonders deutlich wahrnehmbar (vgl. Christof et al. 2007; Duttweiler 2007: 47-76; Girkinger 2012; Maasen et al. 2011; Traue 2010). Daher bezeichne ich das Feld meiner Forschung als eine »Coachingzone«. Career Services stellen nicht zuletzt aufgrund ihrer Klientel – den AkademikerInnen – einen wichtigen Ort innerhalb dieses weitläufigen Beratungsfeldes dar, das sich seit den 1990er Jahren immer ausgreifender in unterschiedlichste Lebensbereiche ausdehnt (Kapitel 1.1.4). Unter der »Coachingzone« verstehe ich die vielfältigen Beratungsinstanzen zur Optimierung des Lebens, sei es beruflich, privat oder in anderen Feldern wie das der Erziehung und Bildung, also eine Differenzierung von Lebensbereichen, die der Diskurs des unternehmerischen Selbst gezielt aufhebt. Im Zentrum der folgenden Untersuchung stehen die MitarbeiterInnen und BesucherInnen von zwei Career Services deutscher Hochschulen und ihre individuellen Umgangsweisen mit dem Diskurs (Kapitel 3 und 4). Zu den MitarbeiterInnen zähle ich diejenigen Personen, die in Career Services fest angestellt oder freiberuflich arbeiten. Bei den BesucherInnen3 handelt es sich überwiegend um Studierende fortgeschrittenen Semesters und um HochschulabsolventInnen, deren Abschluss bis zu zwei Jahren zurückliegen kann, wobei ich den Fokus auf diejenigen gerichtet habe, die das Studium beendet hatten und bereits auf Arbeitssuche waren.

3

Zur Bezeichnung meiner Zielgruppe der BesucherInnen der Career Services verwende ich die Begriffe BesucherInnen, AbsolventInnen und arbeitssuchende AbsolventInnen synonym.

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Meine Arbeit geht von einer Kritik der Forschungsliteratur aus: Viele Beiträge innerhalb der akademischen Diskussion stellen die angeblich »neuen« Subjektanforderungen in den Kontext eines behaupteten fundamentalen Wandels der Arbeitsverhältnisse, d.h. sie be- und hinterfragen diese Subjektanforderungen nicht als einen Diskurs, der spezifische Interessen aufweist (Kapitel 1.3). Hier sehe ich jedoch die Gefahr einer Festschreibung dieser Subjektanforderungen und Normen, ihrer Naturalisierung oder Verdinglichung, da diese als »Tatsachen« angenommen werden, an die sich dann jeder/jede anzupassen hat. Darüber hinaus ist eine unbefriedigende, voreilige Tendenz zur Generalisierung zu beobachten. Es gibt noch immer nicht ausreichend ethnografisch-kulturvergleichende Forschungen, die den individuellen Umgang mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst untersuchen und dabei auch Erfahrungen von Subjekten, die jenseits Europas und der USA leben, analytisch berücksichtigen. Daher lege ich mein Augenmerk auf die subjektiven Wahrnehmungen, Erfahrungen und Emotionen4 der Individuen und analysiere, wie sie mit dem untersuchten Diskurs und den gesellschaftlichen Machtverhältnissen verknüpft sind. Indem ich nach den konkreten AkteurInnen frage, die den Diskurs gestalten, möchte ich in meinem Forschungsfeld dazu beitragen, der Objektivierung dieser normativen Anforderungen entgegenzuwirken, eine komplexere Untersuchung des Feldes zu ermöglichen sowie vorbereitende Daten für künftige Kulturvergleiche zu liefern. Meine Studie greift auf theoretische und methodische Ansätze der kritischen Diskursanalyse und der Ethnopsychoanalyse zurück, um die Verknüpfung zwischen dem Diskurs und den subjektiven Umgangsweisen mit den Anforderungen angemessen untersuchen zu können (Kapitel 2.2). Das kritische diskursanalytische Theorem des Zusammenhangs von Wissen, Macht und Subjekt ist eine zentrale theoretische Perspektive in meiner Arbeit. Es sieht die sozialanalytische Bedeutung von Diskursen darin, dass diese soziale Verhältnisse konstruieren, sie performativ in die Welt rufen und dabei zugleich legitimieren. Wichtig ist hier, dass Individuen Diskurse nicht einfach reproduzieren. Daher frage ich nach den individuellen Strategien und Umgangsweisen, die Subjekte entwickeln, um mit den wahrgenommenen Anforderungen umzugehen. Besonders interessiert mich, wie sich die MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services den Subjektanforderungen anpassen, aber auch, wie sie ihre Handlungsspielräume nutzen. Dabei fokussiere ich die verschiedenen, sich mitunter widersprechenden

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Emotionen verstehe ich mit Abu-Lughod und Lutz als soziokulturell konstituiert, sodass »discourses on emotion and emotional discourses as social practices« angesehen werden (1990: 1).

E INLEITUNG

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und ambivalenten Umgangsweisen mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst. Damit ich die Individuen genauer in den Blick nehmen und die Ambivalenzen und Widersprüche erkennen kann, stütze ich mich ergänzend auf den Ansatz der Ethnopsychoanalyse. Der ethnopsychoanalytische Ansatz ermöglicht, GesprächspartnerInnen und ihre subjektiven Wahrnehmungen, Gefühle und Narrationen sowie ihre Interaktion untereinander zu kontextualisieren und zu interpretieren. Diese Herangehensweise an mein Datenmaterial hilft außerdem, die eigene Subjektivität im Forschungsprozess zu reflektieren und als zentrale Erkenntnisquelle zu nutzen. Meine Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Der erste Teil der Arbeit adressiert die Hintergründe meines Untersuchungsgegenstandes, im zweiten Teil steht die Ethnografie im Zentrum. Im Kapitel 1 der Arbeit verorte ich meine Forschung in einem größeren Kontext. Ich stelle den Diskurs zum unternehmerischen Selbst in seinen zentralen Elementen vor (Kapitel 1.1) und gehe auf seine gesellschaftspolitischen Hintergründe (Kapitel 1.2) sowie wissenschaftliche Erforschung (Kapitel 1.3) ein. Im ersten Unterkapitel leitet mich die Frage, was den untersuchten Diskurs des unternehmerischen Selbst auszeichnet, aus welchen Elementen er besteht und wie diese Aspekte miteinander in Beziehung stehen. Diese arbeite ich anhand von verschiedenen Medienerzeugnissen heraus, die aufgrund ihrer alltäglichen Präsenz einen Eindruck von der Hegemonie des Diskurses vermitteln. Im zweiten Unterkapitel erörtere ich die historische Entstehung und Verortung in der kapitalistischen Organisationsweise von Arbeit sowie die zeitgenössischen soziopolitischen Hintergründe des Diskurses. Im dritten Unterkapitel bette ich meine Arbeit in die aktuellen Forschungsdiskussionen ein, stelle die verschiedenen, für mich relevanten Forschungsperspektiven dar, gegenüber denen sich meine eigene Arbeit positioniert. Schließlich fasse ich die Ergebnisse aus den drei Unterkapiteln in einer Synthese zusammen und gebe einen Ausblick auf den folgenden ethnografischen Teil der Arbeit. Teil II bildet den ethnografischen Kern meiner Arbeit, in dem ich meine Untersuchungsergebnisse aus der Feldforschung im klassischen ethnografischen Präsens darlege (Kapitel 3 und 4). Hier untersuche ich, wie sich dieser Diskurs konkret in meinem Feld zeigt und wie die MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services mit ihm umgehen. Die ethnografische Mikroperspektive erlaubt mir konkrete Einsichten in die widersprüchlichen und ambivalenten Umgangsweisen mit den allgegenwärtigen Subjektanforderungen. Die Feldforschung ermöglicht damit eine konkretere Bestimmung sozialer Prozesse als etwa jene Forschungen, die vorschnell oder implizit Diskurse mit sozialer Realität

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gleichsetzen, ohne auf spezifische Subjekte und Kontexte, auf Erfahrungen und die konkrete Praxis zu achten. In Kapitel 2.1 gehe ich zunächst auf die Institution der akademischen Career Services ein, um den spezifischen Kontext meiner Feldforschung darzustellen. In Kapitel 2.2 skizziere ich anschließend die theoretischen Ansätze meiner Forschung, das methodische Vorgehen sowie den Forschungsprozess und meine Beziehung zu den Gegenübern und zum Feld. In den beiden folgenden Kapiteln gehe ich auf die Umgangsweisen mit dem Diskurs ein und konzentriere mich dabei erst auf die MitarbeiterInnen und ihre Arbeit (Kapitel 3) und dann auf die BesucherInnen der Career Services, insbesondere auf die arbeitssuchenden HochschulabsolventInnen (Kapitel 4). Bei den MitarbeiterInnen stehen drei thematische Aspekte des Diskurses im Vordergrund, die ich während meiner Feldforschung als besonders präsent wahrgenommen habe: Aktiv-sein als Strategie (Kapitel 3.1), Selbstmanagement (Kapitel 3.2) und Selbstmarketing (Kapitel 3.3). Dabei diskutiere ich als erstes, welche Bedeutung die permanente Aufforderung »aktiv zu sein« für sie hat, um dann darauf einzugehen, wie sie Selbsttechniken des Selbstmanagements und Selbstmarketings vermitteln und was sie darunter verstehen. Anschließend lege ich den Fokus auf die AbsolventInnen. Ihr Umgang mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst ist geprägt von ihrem Streben nach Erfolg, dem Wunsch nach Zugehörigkeit, aber auch der Angst, nicht zu genügen, was ich in Kapitel 4.1 beleuchte. In Kapitel 4.2 diskutiere ich ihren Umgang mit dem Diskurs unter dem zentralen Aspekt der Selbsttechniken, insbesondere des Selbstmarketings und Selbstmanagements, und zeige konkret, wie die AbsolventInnen an sich arbeiten und auf sich einwirken, um Erfolg und Zufriedenheit zu erlangen, beruflich und im Leben allgemein. Den Ausführungen über die MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services folgt jeweils eine Synthese, in der ich zentrale Aspekte in Zusammenschau diskutiere. Ich schließe die Arbeit mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse meiner Feldforschung und einem Ausblick auf künftige Forschungsaufgaben. Es folgt nun der erste Teil meiner Arbeit zu den Hintergründen meines Untersuchungsgegenstandes.

Teil 1: Hintergründe

1. Der Diskurs des unternehmerischen Selbst im Kontext

In meiner Arbeit untersuche ich die »neuen« Subjektanforderungen, die dazu auffordern, sich selbst als sein eigener Unternehmer zu begreifen, um erfolgreich sein zu können. Diese Subjektanforderungen begreife ich als einen zusammenhängenden Diskurs. Mich interessiert dabei, welche Bedeutung diese Anforderungen für Menschen haben und wie sie mit ihnen umgehen, was ich mittels einer Feldforschung im Kontext von Career Services ergründet habe. Im diesem ersten Kapitel der Arbeit erörtere ich die Hintergründe meiner Forschung, um die Ergebnisse aus dem Feld der akademischen Career Services in einem größeren gesellschaftlichen Kontext zu verorten. Dabei werde ich sowohl den Diskurs als auch seine soziopolitischen Hintergründe und wissenschaftliche Erforschung in den zentralen Grundzügen qualitativ möglichst breit darstellen und dabei die wichtigsten Themen exemplarisch mittels zentraler Quellen behandeln.1 Im ersten Unterkapitel widme ich mich der Frage, was den untersuchten Diskurs des unternehmerischen Selbst auszeichnet, welche Elemente er beinhaltet und wie diese Aspekte miteinander in Beziehung stehen, was ich anhand von diversen Medienerzeugnissen exemplarisch herausarbeite. Ich konzentriere mich dabei auf die Anforderungen, die dieser Diskurs vermittelt, und die Normen und Werte, die vom Diskurs vorausgesetzt werden. Zudem stelle ich zunächst kurz meinen Diskursbegriff dar, da dieser für meine Arbeit wegweisend ist. Anschließend skizziere ich im zweiten Unterkapitel die historische Entstehung und die zeitgenössischen soziopolitischen Hintergründe des Diskurses und nehme dabei eine genealogische Perspektive ein. Mich interessiert, in welche ge-

1

Ausschnitte aus diesem Teil habe ich bereits in einem Artikel unter dem Titel »Eine Kritik der Figur des ›Unternehmers seiner selbst‹« veröffentlicht (Glauser 2010).

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sellschaftspolitischen Prozesse dieser Diskurs eingebettet ist und wie er seine heutige Ausprägung und Bedeutung erlangen konnte. Schließlich gehe ich im dritten Unterkapitel der Frage nach, wie die mit dem Diskurs in Verbindung stehenden »neuen« Subjektanforderungen in der sozialund kulturwissenschaftlichen Literatur untersucht werden. Mit dem Ziel, meine Arbeit in den aktuellen Forschungsdiskussionen zu verorten, skizziere ich die verschiedenen relevanten Forschungsperspektiven und grenze sie gegenüber meiner eigenen Arbeit ab. Als letztes fasse ich meine zentralen Erkenntnisse aus den drei Unterkapiteln in einer Synthese zusammen und gebe einen Ausblick auf den zweiten Teil der Arbeit. Es folgt nun eine Darstellung der zentralen Elemente des Diskurses.

1.1 J EDER M ENSCH EIN U NTERNEHMER – E LEMENTE DES D ISKURSES Mit dem untersuchten Diskurs zum unternehmerischen Selbst wird an Menschen appelliert, sich auf bestimmte Arten und Weisen zu verhalten, um erfolgreich zu sein. Dreh- und Angelpunkt dieses Diskurses bildet dabei die Forderung, unternehmerisch zu agieren. In diesem Unterkapitel untersuche ich die Handlungsmaximen, Anforderungen und Normen, die durch diesen Diskurs vermittelt werden und analysiere, wie diese Elemente miteinander in Beziehung stehen. Hierfür werde ich als erstes in meinen Diskursbegriff einführen. Zur Exemplifizierung beziehe ich mich auf verschiedene Arten von Quellen wie journalistische Artikel, Werbefilme und Anzeigen, anhand derer ich bestimmte Aspekte des Diskurses besonders deutlich zeigen kann und die gute Beispiele dafür sind, wie der Diskurs meinen InformantInnen in ihrer Lebenswelt begegnet. Seit Beginn meiner Forschung habe ich solche Quellen unsystematisch gesammelt, teilweise habe ich sie auch aus meinem Umfeld erhalten. Auf diese Weise konnte ich relativ genau die Rezeptionssituation meiner InformantInnen simulieren. Ich setze voraus, dass meine GesprächspartnerInnen durch Quellen wie diese dem Diskurs begegnen und von ihm beeinflusst werden. Schließlich können Diskurse insbesondere auch durch ihre im weiteren Sinne mediale Verbreitung wirken. So arbeitet z.B. Bröckling (2007), dessen Konzept des unternehmerischen Selbst für meine Arbeit zentral ist, mit einer sehr spezifischen Literatur, insbesondere mit Managementliteratur. Es bleibt teilweise unklar, wie jene dem Diskurs begegnen, die nicht mit solchen Quellen in Berührung kommen. Dafür ist m.E. ein Rückgriff auf allgemeinere Medienquellen wie v.a. Zeitungen oder Fernsehen vonnöten, um schlüssig behaupten zu können, dass der

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Diskurs hegemonial und verbreitet ist, sodass meine InformantInnen ihm auch außerhalb der Career Services begegnen. Ich stütze mich insbesondere auf Medienquellen, um die Qualität des Diskurses möglichst breit aufzeigen zu können. Sie verdeutlichen die hohe gesellschaftliche Präsenz dieses Diskurses sowie seine hegemoniale Stellung und unterstreichen, dass er keine wissenschaftliche Konstruktion darstellt, die in unserem Alltag keine Entsprechung findet. Insofern verwende ich diese Quellen als Spiegelungen und Reflexionen des Diskurses in der sozialen Praxis. Mein Diskursbegriff ist dabei von Foucaults und Jägers Arbeiten geprägt.2 Sie haben aufgezeigt, wie mit dem Begriff »Diskurs« die Verschränkung von Wissen, Wahrheit und Macht gefasst werden kann (Dracklé 1991a: 211). Ich beziehe mich in meiner Arbeit stärker auf den Diskursbegriff von Jäger, der sich aber an Foucaults Diskurstheorie anlehnt. Jäger begreift »Diskurs« als »Fluß von Wissen bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit« (2006: 84). Für mich liegt der Vorteil von Jägers »kritischer Diskursanalyse« in ihrer stärkeren sozialwissenschaftlichen Ausrichtung und der konkreteren, kleinteiligeren Arbeitsweise (s. z.B. Jäger 1999). Jäger geht davon aus, dass Diskurse »als ›Träger‹ von (jeweils gültigem) Wissen Macht aus[üben]; sie sind selbst ein Machtfaktor, indem sie geeignet sind, Verhalten und (andere) Diskurse zu induzieren« (Jäger 2006: 88). Wahrheiten werden mit Diskursen machtgebunden konstruiert, wobei ich davon ausgehe, dass die rezipierenden Akteure wiederum Diskurse aktiv auf ihre individuelle Art und Weise annehmen, prägen, reproduzieren und verändern (vgl. Dracklé 1991a; Dracklé 1991b; Jäger 1999). Der scheinbare Wahrheitsgehalt von Diskursen ist es, der uns mit dem objektivierenden Wahrheitsanspruch anhält, unser Denken und Handeln nach ihnen auszurichten. Damit entfalten Diskurse selbst Macht: Sie beeinflussen unser Handeln und Denken, damit werden auch bestehende soziale Verhältnisse geschaffen und legitimiert. Mit Foucault können wir Diskurse als Gebilde von semantisch-semiotischen Einheiten verstehen, die einen irgendwie gearteten Zusammenhang aufweisen. Foucault nennt diesen häufig Formation bzw. Diskursformation. Diese ist laut Foucault immer dort gegeben, »wo man in einer bestimmten Zahl von Aussagen ein ähnliches System der Streuung beschreiben könnte« oder »in dem Fall, in dem man bei den Objekten, den Typen der Äußerung, den Begriffen, den thematischen Entscheidungen eine Regelmäßigkeit (eine Ordnung, Korrelation, Positionen und Abläufe, Transformationen) definieren könnte« (Foucault 1981: 58).

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In Kapitel 2.2 werde ich meine methodische Herangehensweise diskutieren und erneut auf meinen Diskursbegriff eingehen.

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Da Foucault sich bekanntlich eine Offenheit für die jeweiligen Gegenstände erhalten wollte, ist der Zusammenhang von Diskursen jedes Mal neu zu begründen. Auch der Diskurs des unternehmerischen Selbst, den ich untersuche, gliedert sich in verschiedene Elemente, die sich in einer Regelmäßigkeit immer wieder wiederholen. Diese Elemente tauchen, wie zu sehen sein wird, fortwährend in konkreten Handlungen und Reflexionen meiner Gegenüber auf. Bevor ich die Elemente des Diskurses eingehender analysiere, möchte ich das Verhältnis dieser Diskurselemente zueinander diskutieren. Das Besondere an dem poststrukturalistischen Diskursbegriff von Foucault und Jäger ist ja, dass ein Element für sich genommen noch nichts aussagt, erst ihre Formation weist den Elementen einen besonderen Sinn zu, erst ein spezieller Zusammenhang ergibt eine übergeordnete spezifische Bedeutung der Diskurselemente. Der Diskurs gliedert sich in meinem Verständnis in folgende Diskurselemente, die ich hier grafisch darstelle: Abbildung 1: Diskurs „unternehmerisches Selbst“ in seinen Elementen

Flexibilität

Selbstoptimierung

Risikofreudigkeit

Konkurrenz

Eigenverantwortung Selbstbestimmung

Subjekt als aktives Individuum

Die gemeinsame Klammer der verschiedenen Diskurselemente bildet das unternehmerische Selbst. Die Matrix, das Menschenbild des unternehmerischen Subjektes sei der Mensch als aktiv handelndes Individuum, wobei diese Aktivität funktional verstanden wird und mit ökonomischen Effizienzkriterien und Kosten-/Nutzen-Kalkülen verbunden ist. Aus diesem Menschenbild heraus erlangen zentrale Elemente des Diskurses wie die Selbstbestimmung und daran anknüpfend der Appell der Eigenverantwortlichkeit eine besondere Bedeutung, denn in

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beiden Fällen steht das Subjekt alleine da, außerhalb des gesellschaftlichen Zusammenhanges, in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen. Weitere wichtige Elemente, die sowohl die Aktivität als auch die Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Menschen als Individuum unterstreichen, sind dann Diskursaspekte wie die Anforderungen flexibel zu sein, sich fortlaufend zu optimieren oder auch der Appell Risiken einzugehen, um am Markt bestehen zu können und erfolgreich zu sein. Nun gehe ich auf diese verschiedenen Diskurselemente ausführlicher ein und diskutiere sie exemplarisch anhand von Quellen. 1.1.1 Gesellschaftlicher Wandel erfordert Aktivität und Unternehmertum Der Wandel der Arbeits- und Lebensbedingungen fungiert im Diskurs als Vorbedingung und soziale Voraussetzung für Appelle und Handlungsmaximen. So wird von einem gesellschaftlichen Wandel ausgegangen, an den sich Menschen anpassen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Auf diese Weise werden Appelle und Subjektanforderungen – wie z.B. aktiv sein und unternehmerisch handeln – durch die Rhetorik des Wandels legitimiert und als unumgängliche Tatsachen objektiviert. Dies konnte ich wiederkehrend auch während meiner Feldforschung bei den MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services feststellen. Mit Aussagen wie: »Heutzutage haben sich die Arbeitsverhältnisse geändert« haben sie argumentiert, warum »man« aktiv sein, sich managen oder vermarkten sollte (vgl. Kapitel 3 und 4). Diesen Kausalzusammenhang möchte ich exemplarisch anhand eines Ausschnitts aus dem Spiegel verdeutlichen. Der Spiegel titelt in einer Ausgabe über den Schwerpunkt Arbeitswandel: »Moderne Zeiten. Ausleihen, befristen, kündigen. Die neue Arbeitswelt« (Der Spiegel 22. März 2010). Mit ihrer Anspielung auf den Film »Modern Times« von Charlie Chaplin (USA 1936), der die industrielle Arbeit und Arbeiterkämpfe im Kontext der Weltwirtschaftskrise dokumentiert, zeichnen die Redakteure ein düsteres Bild der gegenwärtigen Arbeitswelt. In ihrem Artikel »Ära der Unsicherheit« (Der Spiegel 22. März 2010: 82-94) gehen sie von einem »tiefgreifenden Wandel« der deutschen Gesellschaft aus, welcher angetrieben sei »von radikalen Veränderungen der Arbeitswelt«. Heutzutage seien »klassische Vollzeitjobs […] rar« und »Menschen müssen sich auf scharfe Brüche im Erwerbsleben einstellen – und mehr Risiken auf sich nehmen.« (Ebd.: 82) Mit Adjektiven wie »neu« und »modern« heben die JournalistInnen den unausweichlichen Charakter des Wandels hervor, an den sich die Menschen mit Flexibilität und Mut zum Risiko anpassen »müssen« – zwei wiederkehrende appellative Elemente des Dis-

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kurses des unternehmerischen Selbst, auf die ich in einem späteren Abschnitt in diesem Unterkapitel zu sprechen komme. Das gleiche, leicht veränderte Narrativ findet sich im Ankündigungstext eines Workshops zum Thema Unternehmensgründung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF): »In der Arbeitswelt der Zukunft wird jeder sein eigener Unternehmer sein – deshalb ist unternehmerische Handlungskompetenz für junge Menschen mit den unterschiedlichsten Talenten immer wichtiger.« (BMBF 2011)

Hier prognostizieren die Seminarveranstalter eine sich verändernde Arbeitswelt, in der jeder zum »eigenen« Unternehmer wird. Nur wer über »unternehmerische Handlungskompetenz« verfügt, kann in »der Arbeitswelt der Zukunft« Erfolg haben. Sie verknüpfen die Feststellung eines Wandels mit dem Appell, unternehmerisch zu agieren, was im Diskurs gleichbedeutend ist mit »aktiv sein«. Auch im Begriff der »Handlungskompetenz« ist das diskursübergreifend wichtige Element der Aktivität enthalten, die hier immer zielgerichtet und zweckrational verstanden wird. Jeder muss aktiv sein, um beruflich erfolgreich zu sein. So richtet sich der Workshop nicht nur an Menschen, die sich selbstständig machen möchten, vielmehr wird der »Unternehmergeist« als eine generelle Notwendigkeit für alle Tätigkeits- und Berufsfelder angesehen. Die Aufforderung zum Unternehmertum und der damit verbundene Appell, aktiv zu werden, stellt ein Allheilmittel für die gefährliche neue Arbeitswelt dar. Diese Allgemeingültigkeit unterstreicht auch der damalige Generalsekretär und heutige Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, in einem Interview: »Es geht um die Einstellung, nicht um die Stellung in der Gesellschaft. Wir wollen die Menschen zu einer unternehmerischen Mentalität ermutigen, zum Willen, die eigene Biographie in die Hand zu nehmen. Das kann der Facharbeiter genauso wie die Krankenschwester oder der Vorstandschef.« (Süddeutsche Zeitung 25. Juli 2011: 18)

Lindner hebt jegliche Differenz zwischen den Menschen auf und setzt den Facharbeiter mit dem Vorstandschef gleich. Damit blendet er die ungleichen Machtund Klassenverhältnisse in kapitalistischen Gesellschaften aus, womit er impliziert, dass alle die gleichen Voraussetzungen für den Erfolg hätten. Gleichzeitig negiert er die divergierenden Interessen von gesellschaftlichen Gruppen innerhalb des Kapitalismus, die ich im folgenden Unterkapitel zu den historischen und soziopolitischen Hintergründen des Diskurses genauer beleuchte (Kapitel 1.2). Insofern hat dieser Diskurs auch die Funktion der Nivellierung und der

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Ausblendung von Ungleichheiten. Vor dem Hintergrund der zunehmend unsicheren Beschäftigungsverhältnisse »ermutigt« Lindner die Menschen, ob angestellt oder nicht, unternehmerisch zu agieren. Er appelliert dabei an den »Willen« jedes Einzelnen, Initiative zu zeigen, womit er gleichzeitig auch suggeriert, es gebe Menschen, die diesen Willen nicht aufbringen wollen. Dieser Diskurs setzt also ein aktives, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Subjekt voraus, einen kreativen Einzelkämpfer, der sich auf sich selbst, seinen Willen und seine Fähigkeiten beruft. Daher bilden Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit weitere wichtige Aspekte des Diskurses, die ich im Folgenden diskutiere. 1.1.2 Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit Wie zwei Seiten einer Medaille bedingen sich diese beiden Werte, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, gegenseitig und fügen sich zu einer Norm. »Jeder ist seines Glückes Schmied«, »Wer will, der kann« werden mittels dieser Figur zu Erfolgsrezepten erkoren und gehen einher mit der Aufforderung, »das Heft in die Hand zu nehmen« (Reither 2009: 217) – oder eben, wie Lindner es ausdrückt, »die eigene Biographie in die Hand zu nehmen«, worauf ich im Abschnitt zuvor eingegangen bin. Wichtig ist dabei immer der eigene Wille, der Wille zum Erfolg als Folge der Einsicht in die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. So werden in einem Artikel der Hörzu Studien vorgestellt, die die These »Ich kann alles schaffen, was ich will!« wissenschaftlich belegen sollen, sofern man sich auf sein Ziel konzentriert (Hörzu 27. August 2010: 6-9). Sie beschreiben, wie sich der Krankheitszustand von schwer kranken Menschen unter anderem deswegen rapide verbessert hat, weil sie sich auf das Gesundwerden konzentriert haben. Damit liegt nicht nur der berufliche Erfolg, sondern auch die Gesundheit maßgeblich in der Hand von jedem Einzelnen. Solange man genügend aktiv ist, kann alles gelingen. Der Wille ist für diese Subjektvorstellung zentral, er entscheidet über Erfolg, ob ökonomisch oder auch die eigene Gesundheit und damit auch Leistungsfähigkeit betreffend. Das Leben insgesamt liegt in den Händen von jedem Einzelnen, was aber auch die Selbstverantwortung steigert, in allen Lebensbereichen das bestmögliche Ergebnis zu erreichen und aus allem das »Beste zu machen«, sich nicht »unterkriegen zu lassen«. Durch die unentwegte Betonung der Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit wird impliziert, dass jeder Mensch auf der einen Seite die Freiheit hat, sich immer wieder neu zu erfinden, eigene Ideen und innovative Projekte umzusetzen und sich von den eigenen Wünschen, Visionen und Interessen leiten zu lassen. Auf der anderen Seite ist aber jeder Mensch auch für seinen Erfolg

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und das Gelingen seiner Vorhaben selbst verantwortlich – ist der Erfolg dem Diskurs zufolge doch maßgeblich abhängig von der eigenen Willenskraft. Während meiner Feldforschung ist mir diese unmittelbare Verknüpfung von Freiheit und Eigenverantwortung stark aufgefallen. Auch die MitarbeiterInnen und BesucherInnen von Career Services betonen Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung, es wurde aber deutlich, dass diese Wahl- und Handlungsmöglichkeiten meine GesprächspartnerInnen auch unter Druck setzen und bei ihnen Versagensgefühle auslösen (Kapitel 3.1, Kapitel 4.1). 1.1.3 Flexibilität und positives Denken Wichtig für den Erfolg ist neben dem starken Willen und einer eigenverantwortlichen Haltung auch die Fähigkeit, mobil und flexibel auf »Herausforderungen« reagieren zu können. In einem TV-Werbespot zu flexiblen Arbeitszeiten appelliert die Telekom an ihre KundInnen: »Werde Chef Deines Lebens« (vgl. Süddeutsche Zeitung 18./19. Februar 2012). Die Telekom möchte ihre KundInnen mit »flexiblen Arbeitszeiten« und »vielfältigen Möglichkeiten« unterstützen. Im Werbespot erklärt eine Stimme aus dem Off: »Wir haben gelernt auf eigenen Beinen zu stehen«, »Entscheidungen zu treffen«, »Verantwortung zu übernehmen« und fragen »Warum sollten wir all das im Job wieder aufgeben?«. Zu Beginn sieht man ein Kleinkind, das laufen lernt, dann ein Mädchen, das sich traut vom Sprungbrett zu springen, was an die Metapher »in das kalte Wasser springen« erinnert und gleichbedeutend ist mit »Risiken eingehen«, wiederum ein wichtiges Diskurselement, auf das ich gesondert eingehen werde. Die Bilder aus dem Werbespot sind aus dem alltäglichen Leben gegriffen, womit erneut unterstrichen wird, dass die Aufforderungen zum Unternehmertum auf das gesamte Leben übertragbar sind, wie es bereits die oben diskutierten Beispiele gezeigt haben. Neben der Anpreisung der Flexibilität wiederholen sich zentrale weitere Aspekte des Diskurses wie Eigenverantwortung, Entscheidungsfreudigkeit oder Mut zum Risiko (zum TV-Spot s. YouTube 2011). Der Diskurs ermöglicht es, von jedem zu erwarten, dass er/sie Initiative zeigt und sich stetig an neue Situationen anpasst. Im Editorial des Wirtschaftsmagazins brand eins zum Schwerpunkt »Arbeit« (brand eins September 2009: 4) konstatiert die Chefredakteurin Gabriele Fischer: »›Jobsicherheit‹ ist zu einem Begriff aus alter Zeit geworden«. Auch hier, wie in den Beispielen, die ich zu Beginn des Kapitels diskutiert habe, wird der Wandel als Nullpunkt gesetzt, um danach an die Aktivität der Menschen zu appellieren. In dieser Ausgabe des Magazins beginnt Wolf Lotter seinen Artikel »An die Arbeit« mit den Worten »Die Zeiten ändern sich und wer stehen bleibt, ist von gestern« (Lotter 2009: 40). Bei

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beiden Beiträgen taucht erneut die Dichotomie »alt versus neu« als Argumentationsmuster auf, um die Anforderungen des Diskurses zu objektivieren. Feststellungen belegen, dass kein Weg an den neuen, im Diskurs zusammengefassten Aufforderungen vorbei führt und man sich darauf einzustellen hat; denn wer will schon von gestern sein? Stillstand wird zum Antipoden, das Gegenteil des aktiven willensgesteuerten Subjekts, das ich soeben dargestellt habe. Auf der Titelseite des Schwerpunkts »Selber machen« (brand eins Januar 2010) steht geschrieben: »Mach doch, was Du willst«. Damit heben die Redakteure die Freiheit zur Selbstbestimmung, aber auch die jedem gegebene Möglichkeit, innovativ zu sein, hervor. Im Editorial wird dafür plädiert, nicht zu »warten«, nicht nach »einem Schuldigen« zu suchen und sich trotz aller »Bedenkenträger« nicht abschrecken zu lassen (brand eins Januar 2010: 3). Besonders mit ihrer Formulierung »Bedenkenträger« wird deutlich, dass Zögern oder Innehalten wenig geschätzt wird. Ein nachdenkliches Hadern, ins Stocken kommen, Abwägen ist nicht erwünscht, dafür gibt es keine Zeit. So könnte einem jemand ja zuvorkommen mit der Umsetzung der Idee, was auf den Konkurrenzkampf hinweist, der im Diskurs permanent impliziert wird. Auch ist darin der Appell zur Risikofreudigkeit enthalten; »Keine Angst« wird wie ein Mantra immer wieder wiederholt. Genauso wird die Suche nach dem »Schuldigen« oder nach den Ursachen für die Probleme als lästig abgetan. Vielmehr gilt es positiv nach vorne zu sehen und mutig sein (Lebens-)Glück selbst in die Hand zu nehmen. Dies sind allesamt Aspekte des Diskurses die ich in den letzten beiden Unterabschnitten dieses Kapitels beleuchte und die auch während meiner Feldforschung sehr präsent waren. So fällt im Kontext von Career Services auf, dass sowohl die MitarbeiterInnen als auch die arbeitssuchenden AbsolventInnen versuchen, sich auf das Positive, die Chancen und Berufsmöglichkeiten zu konzentrieren, und dass die Ängste wenig Raum bekommen (vgl. Kapitel 3 und 4). In dem Buch »Arbeitssammler, Jobnomaden und Berufsartisten« von Peter Plöger (2010) über die »neue Arbeitswelt« findet sich ein Kapitel mit Ratschlägen, betitelt mit »Für alle zukünftigen Arbeitssammler – Am Ende ein Wegweiser«. Er rät jungen StudentInnen und AbsolventInnen: »Probiert euch zeitig aus als (Selbst-)Unternehmer, solange eure Existenz noch nicht davon abhängt. Gründet einen Internethandel, denkt euch eine originelle Dienstleistung aus oder bastelt mit Freunden im Keller ein Produkt, das noch keiner kennt. (Dass das alles vielleicht kaum einer braucht, interessiert erst einmal nicht.)« (Plöger 2010: 240)

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Auch er adressiert die Menschen als Unternehmer ihrer selbst, appelliert an ihre Aktivität und Kreativität und fordert dazu auf, sich selbstständig zu machen. Seine Anmerkung in Klammern, dass der Erfolg und die Qualität der Geschäftsidee keine Rolle spielen, ist irritierend. Damit wirken seine Ausführungen realitätsfremd, so als ginge es nur darum, »Hauptsache aktiv zu sein«, was der Idee eines (erfolgreichen) Unternehmers widerspricht.3 Das Aktivitätsideal wird über alles gestellt, auch wenn es nicht immer Sinn ergibt und deswegen inhaltsleer wirkt. Hier kommen Brüche des Diskurses zu Tage, denen ich in meiner Forschung systematisch auf den Grund gehen werde. Auch in der Ausgabe zum Schwerpunkt »Lebensplanung« ruft die Chefredakteurin Gabriele Fischer im Editorial dazu auf, positiv zu denken, denn »wo nichts mehr planbar ist, wird vieles [sic!] möglich« (brand eins April 2010: 4). Auf dem Deckblatt titelt sie »Wie weiter?«, wobei das »Wie« durchgestrichen wurde. »Weiter!« sollte man aus ihrer Sicht als »Schlachtruf« verstehen und nicht als ein »resignatives« »Wie weiter«. Sie hält ihre Leser dazu an, anstatt zu zweifeln mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken und aktiv zu werden. Die Bezeichnung »Schlachtruf« ist dabei sehr interessant, da sie trotz des ganzen Optimismus auch auf die Gefahren und Widerstände verweist, die einen erwarten. Doch genau diese werden im Diskurs systematisch ausgeblendet und nicht erwähnt. Allen Hindernissen und Rückschlägen zum Trotz weiter zu machen, ist auch das Motto von Wolfgang Bernhard, Vorstandsmitglied der Firma Daimler. In einem Artikel »Scheitern lernen… von Wolfgang Bernhard« aus dem Extraheft »Berufsbilder« von Zeit Campus (Juli/August 2011: 20) wird dieser mit der Figur Rocky Balboa aus dem Spielfilm Rocky III (USA 1982) verglichen, der nach einem erfolgsgesättigten Stillstand alles verliert, sich aber »neu« erfindet und schließlich wieder erfolgreich ist. Sowohl der Begriff »Schlachtruf« als auch der Vergleich eines Vorstandsmitglied mit der Figur Rocky Balboa macht deutlich: Das »moderne« Subjekt ist heldenhaft, geht keinen Wagnissen aus dem Weg, macht immer das Beste daraus, muss sich ständig neu erfinden, sprich motivieren, und wird dafür dann – wie ein Held – von Erfolg gekrönt sein. Auf diese Parallele zum Helden verweist auch die Autorin Andrea Roedig in ihrem Artikel »Auf in den Kampf« (Der Freitag 25. Juli 2012). Sie erkennt in den derzeitigen Medien ein Heldennarrativ, das Menschen und eben auch Geschäftsmänner als Helden darstellt, die, um Erfolg zu haben, »mutig ins Unge-

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Interessant ist auch, dass Plöger im Buch dazu ermuntert seine eigene Homepage zu besuchen (Plöger 2010: 241), auf der er seine Dienstleistung als Coach darstellt und damit sein eigenes Geschäft bewirbt.

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wisse« gehen müssen und dabei einen »langen Atem, Schmerztoleranz und Disziplin« brauchen (ebd.). Neben diesem Aufruf der permanenten, nach vorne gewandten Aktivität sind Selbstoptimierung und Konkurrenz weitere wichtige Aspekte des Diskurses, auf die ich nun eingehen werde. 1.1.4 Selbstoptimierung und Konkurrenz Sich selbst gut zu organisieren und zu vermarkten, bilden weitere wichtige Anforderungen, die den Diskurs bestimmen und die auch bei MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services eine große Rolle spielen. Diese Anforderungen werden unter Begriffen wie »Selbstmanagement« sowie »Selbstmarketing« subsumiert, da heute das Selbst wie ein Unternehmen zu »managen« oder wie ein Produkt »zu vermarkten« sei. Die Analogie von Mensch = Unternehmen = Produkt wendet die ökonomische Rationalität auf den Menschen als soziales Lebewesen an, weshalb »die strategische Organisation von etwas, sei es das Büro, die Arbeitsabläufe, die Zeit oder die Lebenspläne« (Reither 2009: 211) diskursiv als handlungsleitendes Ziel des Menschen etabliert wird. In diesen Techniken des Managements und Marketings »in eigener Sache« steckt erneut die Idee, dass man durch die eigene Willenskraft und Aktivität erfolgreich sein wird und zwar, indem man mittels dieser Techniken auf sich selbst einwirkt. In der Süddeutschen Zeitung wird in einem Artikel »Habe ich den falschen Job gewählt?« dazu angeregt, nicht in der Situation zu »verharren«, sondern die eigene Karriere »mit System zu planen« und dabei als erstes eine »Standortbestimmung« vorzunehmen (Süddeutsche Zeitung 24./25. März 2012: V2/10). Selbstmanagement und Selbstmarketing sind aktivierende Techniken und werden zu einem Rezept gegen den viel gefürchteten Stillstand, was auch bei meinen GesprächspartnerInnen im Feld deutlich geworden ist. Um erfolgreich zu sein oder den sozialen Abstieg zu verhindern, greifen sie auf Techniken des Selbstmanagements oder Selbstmarketings zurück. Dabei bildet die »Ist-Analyse« der eigenen Stärken die Grundlage für ein erfolgreiches Selbst-Marketing und -Management. So regt auch die Zeitschrift Arbeitsmarkt4 (Nr. 10, 8. März 2011: IV-VIII) dazu an, sich zu überlegen, »was man kann und wohin man will«. Die AutorInnen sind überzeugt, dass eine umfassende »Potentialanalyse« gerade den GeisteswissenschaftlerInnen helfen würde, »sich selbstbewusst und initiativ zu bewerben«. Sie empfehlen einen »Pros-

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Die Zeitschrift Arbeitsmarkt für den Bereich Bildung, Kultur und Sozialwesen weist neben Stellen auch einen Ratgeber-Teil auf, wo zu bestimmten Themen der Arbeitssuche Empfehlungen ausgesprochen werden.

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pekt in eigener Sache« zu entwerfen, »auf dem die wichtigsten Werbebotschaften für den Arbeitsmarkt« zusammengefasst werden (ebd.: VIII). In dieser Idee eines Werbeprospekts »in eigener Sache« zeigt sich die Analogie Mensch – Produkt besonders deutlich. Die Menschen sollen sich anpreisen, wie ein Werbeprodukt, womit Praktiken aus dem Marketing auf den Menschen übertragen werden. Verlangt wird, immer ein Ziel vor Augen zu haben und es mit Hilfe eines effektiven Selbstmanagements zu erreichen, etwa durch die kontinuierliche Selbstevaluation der eigenen »Performance«. Der Erfolg bzw. das Arbeitsergebnis ist demnach das Einzige, was am Ende zählt. Der Weg dorthin, die Art und Weise, einen Erfolg zu erzielen, ist jedem selbst überlassen – und muss es auch sein, greife hier doch die allen Menschen gegebene Kreativität, die mit Arbeitswillen gekoppelt zum Erfolg führe. Daher ist jeder auch dazu angehalten, sich kontinuierlich selbst zu verbessern und an sich zu arbeiten. Dies erfordert eine ständige Selbstanalyse und -beobachtung, die fortwährende Überprüfung der eigenen Stärken und Schwächen. Dieser Optimierungsappell greift dabei weit über den beruflichen Kontext hinaus und wird auf das gesamte Leben angewendet. Die Süddeutsche Zeitung (Süddeutsche Zeitung 19./20. Februar 2011: 11) zeigt anhand des Kosmetikbooms für Männer, wie der Imperativ zur Selbstoptimierung in intime Bereiche hervorgedrungen ist und argumentiert »Männlichkeit ist kein Zustand, Männlichkeit ist ein Ziel.« (Ebd.: 11) Alles soll effizient genutzt und optimiert werden. Ein Zeichen dafür ist auch die immense Verbreitung des Begriffs »Coaching«, heutzutage kann man zu allen Fragen »gecoacht« werden. Der Coaching-Begriff hat in den letzten Jahren stark zugenommen und wird in sehr verschiedenen Kontexten und Lebensbereichen verwendet, was ich an einigen Beispielen verdeutlichen möchte: So titelt die tageszeitung einen Artikel mit »Coach zum Glück« (10./11. Juli 2010: 29). Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft berichtet zu Coaching-Angeboten in Schulen und betitelt in ihrer Mitgliederzeitschrift einen Beitrag dazu mit »Ein Coach an jede Schule« (Erziehung und Wissenschaft Mai 2011), ein Thema, über das auch die Hamburger Morgenpost berichtet: »Zwei Expertinnen helfen Jugendlichen mit einem Coaching« (Hamburger Morgenpost 10. März 2012: 19). Sogar im Bereich der Familienplanung und der Adoption kann man sich von einem »Adoptionscoach« beraten lassen (Hamburger Morgenpost 13. Juli 2013: 3). Auch die Vielzahl an neu erschienen Coaching-Büchern verdeutlicht die Bandbreite an verschiedenen Feldern und Themen, die durch Coaching adressiert werden. Die Hamburger Morgenpost berichtet regelmäßig von Coaching-

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Büchern mit Titeln wie »Konfliktcoaching« (Hamburger Morgenpost 14. April 2012: 18) oder »Das Coaching-Handbuch. In mir steckt noch viel mehr« (Hamburger Morgenpost 22. August 2012: 38). Darüber hinaus bin ich in Cafés in Hamburg auf unzählige Flyer von Beratungsangeboten gestoßen wie z.B. »Der Filmcoach«, eine Firma, in der MedienexpertInnen ihr Wissen mit Coaching verbinden, ähnlich wie die Firma »actingcoach«, die den Schauspielbereich mit Coaching verknüpft. Interessant ist auch das Angebot »Coaching to go«, in der sich Menschen (ähnlich wie bei einem »Coffee to go«) zwischendurch und kurz, ohne Voranmeldung, Rat und Klärung holen können. In eine ähnliche Richtung zielt auch ein Coachingangebot, in welchem Mütter sich beim Spazierengehen zu Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Kind beraten lassen können. Wenn man für ein Kleinkind sorgen muss, kann man sogar einen Spaziergang im Park mit dem Kinderwagen nutzen, um sich zu optimieren, wie die Hamburger Morgenpost in einem Artikel »Probleme lösen im Vorbeigehen« berichtet (Hamburger Morgenpost 1. September 2011: 14). Der Zusatz »im Vorbeigehen« verspricht dabei eine schnelle Lösung der Probleme – eben »so nebenbei«. Konsequent kennt das unternehmerische Selbst keinen »Feierabend«, denn, so Bröckling: »Unternehmer seiner selbst bleibt das Individuum auch, wenn es seine Anstellung verlieren sollte. Das Ich kann sich nicht entlassen; die Geschäftsführung des eigenen Lebens erlischt erst mit diesem selbst.« (Bröckling 2000: 155)

Im Diskurs wird ein Bild des Menschen entworfen, der sich notwendigerweise in einem nie endenden Prozess der eigenen Optimierung befindet, allein um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein (vgl. Opitz 2004: 151ff.). Dieser Optimierungstopos setzt einen Markt voraus, in welchem die Menschen zueinander in einem Wettbewerbs- und Konkurrenzverhältnis stehen, ein weiterer Aspekt des Diskurses, der wiederum die Notwendigkeit der ständigen Aktivität begründet. Alle werden diskursiv ständig dazu angehalten, sich selbst als Ware auf Arbeitsmärkten zu verkaufen, sich selbst kontinuierlich anzupreisen und zu vermarkten, um marktfähig zu bleiben. Die Idee der Gemeinschaft und kollektiver Interessen ist hier abwesend. Hier wird ganz besonders deutlich, dass der Diskurs nur vor dem Hintergrund kapitalistischer Prinzipien zu verstehen ist, auf dessen Prinzipien wie Konkurrenz und Akkumulation ich im Abschnitt 1.2.1 zu den soziopolitischen und historischen Hintergründen des Diskurses näher eingehen werde. Die Erfolgsszenarien, die in diesem Diskurs gezeichnet werden, enthalten immer auch ein Umkehrbild, ein Negativ. Schließlich bedingt Konkurrenz die

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Niederlage, den Misserfolg eines Anderen, der nun als Schreckgespenst in Erscheinung tritt, was ich im Folgenden darlege. 1.1.5 Scheitern als Schreckgespenst oder Mut zum Risiko So stellt sich die Frage, was passiert, wenn man scheitert? Wenn man als Unternehmer seiner selbst bankrott geht, wenn sich Menschen nicht selbst erfolgreich managen können? Wer sich selbst nicht genügend gut managt, steuert und strategisch aufstellt, seine Chancen nicht ergreift, aktiv und flexibel ist, dem droht gesellschaftlicher Ausschluss, abgehängt, nicht mehr gebraucht zu werden. Wer sich nicht ausreichend präsentiert, wer sich nicht ständig selbst bewirbt im doppelten Sinne der Bewerbung und Be-Werbung, wird sich in der Arbeitswelt nicht »durchsetzen« können, die Arbeitsstelle verlieren oder gar nicht erst eine finden. Die Möglichkeit zu Scheitern wirkt wie eine Drohkulisse des Diskurses, die meist – wenn auch nur implizit – mitschwingt und die den Appell, sich an die Anforderungen anzupassen, unterstreicht. Spiegel online berichtet während der Wirtschaftskrise 2009 in einem Artikel »Wir Krisenkinder. Jung, gut ausgebildet, chancenlos« (Spiegel Online 15. Juni 2009) wie HochschulabsolventInnen trotz unzähliger Bewerbungen keine Stelle finden. Die Autoren erklären: »Die Wirtschaftskrise trägt viele junge Akademiker aus der Kurve«, und fahren fort: »Die Drohung des sozialen Abstiegs haben junge Erwachsene ständig vor Augen«, weswegen sie zu fast allem bereit seien und »strampeln« müssten, »um nicht unterzugehen« (ebd.). »Nicht unterzugehen«, »aus der Kurve« zu gleiten können als Anspielungen auf den sozialen Tod gedeutet werden, der den arbeitslosen, gescheiterten AkademikerInnen droht. Die damit ständig evozierte diffuse Abstiegsangst, dass man, wie Lorey (2007: 130) schreibt, »›on speed‹ bleiben« muss, weil die »Bedrohung … immer im Nacken [sitzt]«, ist in ihrer praxiskonformierenden Wirkmacht m.E. zentral. Mit den Anforderungen schwingt immer auch diese Gefahr mit, ihnen nicht gerecht zu werden, was die Individualisierung von Lebenschancen ungebrochen erhält, ja verstärkt. Die permanente Drohung zu scheitern zeigt sich ganz besonders im Appell, etwas riskieren zu müssen. Mit Imperativen wie »mehr Mut zum Risiko« oder »raus aus der Komfortzone« (Hamburger Morgenpost 2011: 8) werden Menschen dazu aufgefordert, Risiken einzugehen, ein Diskurselement, das auch zuvor immer wieder aufgetaucht ist und das eng verknüpft ist mit den Diskurselementen von Flexibilität und positivem Denken. Sich immer wieder auf Neues einzustellen und allen neuen Herausforderungen positiv und ohne Angst zu begegnen ist in diesem Diskurs zentral.

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In diesem Sinne argumentiert auch ein Artikel des Autoren und »Karrierecoachs« Martin Wehrle in Zeit online, der Ernst Blochs Gedanken zitiert: »Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um«, und möchte damit verdeutlichen, dass einem gar keine andere Wahl bleibt, als zu riskieren. »Wer kalkulierte Risiken eingeht, hebt sich von der Masse ab und kommt vorwärts. Alle großen Karrieren haben so begonnen. Wer aber nur Fehler vermeidet, landet auf der Ersatzbank […].« (Zeit Online 30. September 2010)

Was genau »kalkulierte« Risiken sind und was passiert, wenn man trotz Kalkulation scheitert, darauf geht der Autor nicht weiter ein. Die mögliche Konsequenz des Scheiterns wird nicht weiter thematisiert, außer in Form einer Drohung mit der »Ersatzbank«, sofern man nichts riskiert. Auf der »Ersatzbank« zu sitzen, eine Metapher aus der Fußballsprache, ist aber gleichbedeutend damit, dass man an Wert verliert, als SpielerIn weniger gekauft wird, da man seine Spielkünste nicht mehr zeigen kann. Hier offenbart sich das Gegenbild der Figur des unternehmerischen Selbst, nämlich das gescheiterte Selbst. Dieses Schreckgespenst zeigt sich in Deutschland ganz besonders deutlich in der Diskussion um die »Sozialschmarotzer«. Im Zuge der sogenannten »Hartz IV-Reform«, auf die ich in Kapitel 1.2 zu den soziopolitischen und historischen Hintergründen des Diskurses näher eingehen werde, hat diese Debatte neuen Aufwind erhalten (vgl. Lehnert 2009a: 110ff, 2009b: 252ff; Kapitel 1.2.5). Dabei werden gesellschaftlich Ausgegrenzte konstruiert und als arbeitsscheu, antriebs- und ziellos dargestellt, womit sie all das vereinigen, was das Vorbild des unternehmerischen Subjekts nicht ist. Diese Menschen, die letztlich wegen der eigenen Faulheit gescheiterten Unternehmer ihrer selbst, »gelten als empirischer Beleg dafür, wie man nicht sein soll und will« (Danilina et al. 2008: 19). Interessant ist hier, dass diese Bilder des Anderen, des Ausgeschlossenen mit jenen korrespondieren, mit denen seit der kolonialen Expansion Europas die Menschen der »Dritten Welt« beschrieben wurden (vgl. Bosse 1984). Ihr Verhältnis zu den weißen EuropäerInnen ist wie das zwischen dem erfolgreichen Selbst und dem erfolglosen Doppelgänger, der wegen des selbst verschuldeten Scheiterns im Grunde kein Anrecht hat auf eine globalgesellschaftliche Solidarität. Daher war Dirk Niebel, FDP, ehemaliger Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, nur konsequent, wenn er sein Ministerium indirekt als Weltsozialamt bezeichnet hat. So wies er darauf hin, dass er »Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« und sein Ressort kein »Weltsozialamt« sei (Süddeutsche Zeitung 4. Januar 2010). Heute kann die-

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ses im Kolonialismus geformte Gegenbild Europas diskursiv verlustfrei sowohl in europäischen als auch in außereuropäischen Gesellschaften verwendet werden, sodass Arbeitslose und arme Menschen eben selbst schuld sind an ihrer Situation. Dieses Schreckgespenst des Scheiterns taucht auch bei meinen GesprächspartnerInnen im Feld immerfort auf. Doch diese Existenzängste werden selten explizit thematisiert, sondern versucht auszublenden. Dies führt oft zu Widersprüchen und Ambivalenzen im Umgang mit diesen Subjektanforderungen, was ich systematisch untersuchen werde. Anhand von Alltagsquellen habe ich den Diskurs des unternehmerischen Selbst in seinen Elementen dargestellt und ihr Verhältnis zueinander erörtert, da sie erst in der Formation, die mit dem unternehmerischen Subjekt beschrieben werden kann, ihre spezifische Bedeutung erlangen. Die diskutierten Elemente werden von der Gleichsetzung des »Unternehmers« mit dem Menschen als Individuum zusammengehalten, der Diskurs wird als Ideal zur bedrängenden Subjektanforderung, der einem im Alltag und auch in Institutionen wie den Career Services fortwährend begegnet. Wie meine GesprächspartnerInnen im Feld der Career Services mit diesem Diskurs konkret umgehen, werde ich im ethnografischen Teil der Arbeit darlegen. Zentral für diesen Diskurs ist die Idee eines aktiven individuellen Subjekts, das gemäß seiner marktförmigen Bestimmung zweckrational handelt, um erfolgreich zu sein. Für diesen Erfolg ist jeder selbst verantwortlich, weshalb die Selbstständigkeit verknüpft mit dem Appell der Eigenverantwortlichkeit zu weiteren zentralen Elementen dieses Diskurses wird. Dabei ist das Subjekt immer auf sich allein gestellt, es wird als im Wortsinne a-soziales Wesen gedacht, ihm fehlt jeglicher gesellschaftlicher Zusammenhang. So wird ein Selbstverständnis etabliert, das Menschen zueinander in ein Konkurrenzverhältnis stellt, weshalb der wirtschaftliche Markt zur Arena des gesamten Lebens wird, was die kapitalistische Qualität des Diskurses verdeutlicht (Kapitel 1.2.1). Daher gewinnen weitere Diskurselemente wie die Notwendigkeit, sich permanent zu optimieren, flexibel zu sein, Risiken einzugehen, um am Markt bestehen zu können und letztlich erfolgreich zu sein, eine besondere Bedeutung, die die Idee des Menschen als Unternehmer stärken. Nachdem ich die wesentlichen Aspekte des Diskurses aufgezeigt habe, möchte ich nun auf die historischen und soziopolitischen Hintergründe des Diskurses eingehen.

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1.2 G ESELLSCHAFTLICHER K ONTEXT In diesem Unterkapitel nehme ich nun eine genealogische Perspektive ein und frage nach der historischen und soziopolitischen Verortung des Diskurses des unternehmerischen Selbst. Davon ausgehend, dass dieser Diskurs im kapitalistischen Kontext seine heutige Form gewonnen hat, gehe ich als erstes auf die Etablierung des Kapitalismus und seine sozialen Prinzipien ein, die sich im Diskurs niederschlagen. Wie ich bereits im vorangegangenen Unterkapitel zu den Diskurselementen erörtert habe, sind kapitalistische Grundprinzipien für den Diskurs leitend, wie etwa die Bestimmung der Arbeitskraft als Ware sowie die Prinzipien der Akkumulation und Konkurrenz, auf die ich im Folgenden eingehen werde. Im Diskurs wird die Frage verhandelt, welchen Stellenwert die individuelle Freiheit und Selbstverantwortung hat und welche Rolle die Gesellschaft und der Staat einnehmen sollten. Diese Diskussion sehe ich in der Philosophie des Liberalismus verankert, die zeitgleich mit dem Kapitalismus entstanden ist und die ich in diesem Unterkapitel auch kurz skizzieren werde. Die liberalen Wirtschaftstheoretiker plädieren dabei für einen möglichst geringen Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und für die individuelle Freiheit, ein Standpunkt, der auch im untersuchten Diskurs von zentraler Bedeutung ist, wie ich bereits erörtert habe (Kapitel 1.1). Auch sehe ich im liberalen Subjektbegriff die Grundzüge des unternehmerischen Selbst angelegt, was ich kurz darstelle. Dann erörtere ich die derzeitigen soziopolitischen Hintergründe des Diskurses und bestimme die Zunahme neoliberaler Politik als zentralen gesellschaftspolitischen Kontext meiner Forschung. Hierzu skizziere ich knapp die Gründung des Sozialstaates und die Etablierung von sozialen Sicherungssystemen und beschreibe, wie diese sozialen Errungenschaften im Zuge der neoliberalen Veränderungen des Staates international ab den 1970er Jahren und in Deutschland ab den 1980er Jahren durch Regierungen in Frage gestellt und abgebaut wurden. So kontrastiere ich die liberale Position mit der Idee eines einflussreichen Staates und skizziere die Anfänge des Sozialstaates um die Jahrhundertwende speziell in Deutschland. Als Konsequenz von massiven sozialen Protestbewegungen entstanden erste Sozialversicherungssysteme. Seit den 1970er Jahren wurde die Rolle des Sozialstaates und der Wert solcher sozialen Sicherungssysteme jedoch erneut grundlegend verhandelt. Regierungen versuchten, soziale Errungenschaften wie Arbeitsrechte zu minimieren und soziale Sicherungssysteme und soziale Leistungen zu reduzieren, was ich am Beispiel Deutschlands verdeutliche. Ich stelle diese neoliberalen Umstrukturierungen in Deutschland dar, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Agenda 2010 der SPD-Grünen-Koalition unter Bun-

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deskanzler Schröder erlangten. Diese gesellschaftlichen Veränderungen bilden eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich der untersuchte Diskurs so gut ausbreiten konnte. So dient dieser dazu, neoliberale Umstrukturierungen zu legitimieren, da strukturelle gesellschaftliche Ungleichheiten ausgeblendet werden und die Verantwortung für die soziale Sicherung auf das Individuum verlagert wird. Nun gehe ich als erstes auf den Kapitalismus ein. Er bildet einen wesentlichen, da strukturellen Kontext des Diskurses. Dabei beziehe ich mich vornehmlich auf die Arbeit von Eric Wolf, welcher ausgehend von Marx in seiner vergleichenden wirtschaftsethnologischen Arbeit die Kennzeichen der kapitalistischen Produktionsweise herausgearbeitet hat.5 Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass ich bei der Darstellung des kapitalistischen Hintergrunds auf eine ausführliche Diskussion und Rezeption der Literatur zu Kapitalismus verzichte (vgl. Blim 2000). Es geht mir vielmehr um eine kurze Darstellung der zentralen kapitalistischen Grundprinzipien anhand exemplarischer Quellen, um den Diskurs in seiner kapitalistischen Qualität greifen zu können. Marx’ strukturelle Sichtweise auf den Kapitalismus ist für meine Arbeit fruchtbar, weil er deutlich die verschiedenen Interessen von gesellschaftlichen Gruppen darlegt. Dies ist für das Verständnis des Diskurses grundlegend, da mit Hilfe des Diskurses strukturelle und gesellschaftliche Zwänge und Machtasymmetrien systematisch ausgeblendet werden. Daneben schärft Eric Wolf den Blick für das menschliche Leid, das durch den Kapitalismus hervorgebracht wird und das auch für meine Forschungsperspektive grundlegend ist. So stelle ich in meiner Forschung die Frage, wie meine GesprächspartnerInnen sich innerhalb von wahrgenommenen Zwängen und strukturellen Machtverhältnissen bewegen, wie sie dadurch verunsichert werden, aber auch, welche Handlungs- und Deutungsspielräume sie haben. 1.2.1 Prinzipien kapitalistischer Organisation: Konkurrenz und Akkumulation Aussagen meiner GesprächspartnerInnen wie »Heutzutage muss man sich verkaufen« verweisen darauf, dass die Gleichsetzung von Ware und Arbeitskraft im untersuchten Diskurs als »natürlich« angenommen wird. Wolf verdeutlicht, dass die Arbeitskraft für sich genommen erst einmal keine Ware darstellt, sondern ei-

5

Für die folgenden Ausführungen zur Entwicklung des Kapitalismus und seiner Prinzipien beziehe ich mich auf Wolf und Marx (Marx 2008: 12, 181-184, 200f, 254-255, 605f; Wolf 1991: 114-119, 370-375).

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ne »Fähigkeit« des Menschen. Dass sie zu einer Ware geworden ist und es einen Markt gibt, auf dem diese Ware gehandelt wird, ist vielmehr einer spezifischen »historischen Entwicklung« geschuldet (Wolf 1991: 117), auf die ich nun kurz eingehen werde. Ich sehe die Figur des unternehmerischen Selbst in kapitalistischen Sozialprinzipien verortet, die im 18. Jahrhundert hegemonial wurden. Wolf macht drei Produktionsweisen aus: die kapitalistische, die auf Tributen basierende und die verwandtschaftlich strukturierte. Dabei können alle diese Produktionsweisen auch gleichzeitig in einer Gesellschaft praktiziert werden. Ein Beispiel hierfür ist z.B. das sogenannte »Vitamin B«, das von meinen arbeitssuchenden GesprächspartnerInnen oft erwähnt wird. Die Wichtigkeit von Beziehungen für den Erfolg zeigt, dass Aspekte der verwandtschaftlichen Produktionsweise auch im Kapitalismus eine große Bedeutung haben (s.a. Alvarado Leyton 2006). Wolf definiert eine Produktionsweise als »ein spezifisches, historisch vorfindliches System gesellschaftlicher Beziehungen, das die Verausgabung von Arbeit regelt« (Wolf 1991: 114), sodass die Form sozialer Beziehungen für die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit entscheidend ist. Der Kapitalismus stellt deswegen nicht bloß eine Wirtschaftspraxis dar, sondern strukturiert vielmehr die gesamte Gesellschaft. Diese Einsicht ist für meine Arbeit bedeutsam, da ich untersuche, inwiefern kapitalistische Prinzipien für alle Lebensbereiche eine wichtige Bedeutung haben. Der Durchbruch des Kapitalismus, der eine radikale Transformation wirtschaftlicher und sozialer Strukturen zur Folge hatte, lässt sich in England in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verorten. Eine fundamentale Voraussetzung für den Kapitalismus war die Freisetzung von Arbeitskräften durch die schrittweise Auflösung feudaler Bindungen und die Kommerzialisierung der Landwirtschaft, die vermehrt von Großgrundbesitzern und ihren Pächtern geleistet wurde. Immer mehr Bauern schieden aus der Landwirtschaft aus und mussten sich als »freie« Lohnarbeiter verkaufen. So entstand die Notwendigkeit, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, als »die Verbindung zwischen Produzent und Produktionsmittel endgültig durchtrennt« wurde (Wolf 1991: 117). Die Landbevölkerung verfügte immer seltener über Produktionsmittel, wie Werkzeuge, natürliche Ressourcen und Land. Sie migrierten in die Städte, um in den Fabriken zu arbeiten, die sich im Zuge der Industrialisierung in England gebildet hatten. Dies verdeutlicht, wie durch die Ausbreitung des Kapitalismus die Arbeitskraft zu einer Ware geworden ist. Die Menschen werden zu ArbeitnehmerInnen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Als Folge davon beschreibt Wolf die soziale Entstehung zweier antagonistischer gesellschaftlicher Gruppen im Kapitalismus: diejenigen, die ihre Arbeits-

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kraft verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die »ArbeiterInnen« oder »ArbeitnehmerInnen«, und diejenigen, die über Produktionsmittel verfügen und die Arbeitskraft anderer kaufen, die »KapitalistInnen« oder »UnternehmerInnen«.6 Für den Diskurs zum unternehmerischen Selbst und damit für meine Forschung ist diese Differenzierung in zweierlei Hinsicht interessant. Indem heute an ArbeitnehmerInnen appelliert wird, sich plötzlich als UnternehmerInnen zu verstehen, wird diese Differenzierung scheinbar aufgelöst, da alle zu UnternehmerInnen werden. Zudem verlagert sich der Antagonismus zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen in den Menschen hinein, sobald alle »Unternehmer ihrer Selbst« werden sollen. Beides führt zu einer Ausblendung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und divergierenden Interessen. Nun möchte ich auf zwei grundlegende Prinzipien der kapitalistischen Produktionsweise eingehen, die für meinen untersuchten Diskurs entscheidend sind: Akkumulation und Konkurrenz. Ich habe bereits im Kapitel 1.1 zum Diskurs gezeigt, wie Menschen dazu aufgefordert werden, sich zu optimieren, nicht stehen zu bleiben und sich von anderen abzusetzen, um am Markt bestehen zu können. Diese Subjektanforderungen stehen, wie ich jetzt zeigen werde, in einem kapitalistischen Kontext. Im Kapitalismus wird das Ziel der Akkumulation verfolgt, was bedeutet, fortlaufend neuen Gewinn oder »Mehrwert« zu erzielen und diesen wiederum in die Erweiterung der Produktion zu investieren. Die Profitrate berechnet sich dabei im Verhältnis des Mehrwerts und der Ausgaben für die Produktion, d.h. die Kosten für die Betriebsanlagen, Rohstoffe und ArbeiterInnen. Der Mehrwert kann durch die Senkung der Lohnkosten oder durch die Steigerung der Produktivität erhöht werden. Um die Produktivität zu erhöhen, muss in die Produktionstechnologie und -organisation investiert werden. Die Notwendigkeit, in technische Errungenschaften zu investieren, steigt, je mehr akkumuliert wird, auch wegen der Konkurrenz. Hier verschränkt sich das kapitalistische Prinzip der Akkumulation mit dem zweiten wichtigen Prinzip der Konkurrenz. Durch Investition wird versucht, die Produktion zu steigern, um gegenüber den KonkurrentInnen im Vorteil zu sein. Diejenigen, die nicht in neue Technologien investieren können, müssen die Lohnkosten senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Insofern entsteht ein

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Der von den ArbeiterInnen erzielte Wert übersteigt dabei den Wert ihrer Lohnkosten, sie produzieren den sogenannten Mehrwert, der von den ProduktionsmittelbesitzerInnen abgeschöpft wird. Letztere entscheiden auch über die Distribution der produzierten Güter. Als Gegenleistung für ihre Arbeit erhalten die ArbeiterInnen einen Lohn, von dem sie z.B. Verbrauchsgüter erwerben müssen.

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Zwang zur Akkumulation. Sobald die Akkumulationsspirale unterbrochen wird, kommt es zu einer Entwertung des Kapitals. Zum einen, weil die technologischen Investitionen an Wert verlieren, und zum anderen, weil die KonkurrentInnen weiter akkumulieren und ihre Produktion ausweiten. Das Konkurrenzprinzip führt innerhalb der einzelnen Interessensgruppen zu einer Differenzierung. Im Wettstreit um höhere Produktivität »scheiden sich die Produktionsmittelbesitzer in Gewinner und Verlierer« (Wolf 1991: 120). Aber auch die Lohnarbeiter stehen zueinander in einem Konkurrenzverhältnis. Jene, die nicht für einen geringen Lohn arbeiten wollen, werden von anderen Arbeitskräften ersetzt. Diese Differenzierung in »Gewinner und Verlierer« ist für meine Arbeit von großer Bedeutung und bildet einen wichtigen Aspekt des Diskurses des unternehmerischen Selbst. So habe ich bereits im Kapitel 1.1 zum Diskurs erörtert, wie groß die Angst der Menschen ist, zu den Verlierern, den Erfolglosen zu gehören, weswegen versucht wird, sich noch mehr zu optimieren. Insofern sind Konkurrenz und Akkumulation eng miteinander verwoben, beide Prinzipien bedingen sich gegenseitig. Um diese neuartigen wirtschaftlichen Entwicklungen im Zuge der Verbreitung des Kapitalismus zu rationalisieren und dabei auch die Differenzierungen zwischen den Menschen zu erklären, ist zeitgleich zur Etablierung des Kapitalismus die Wirtschaftstheorie und Ideologie des Liberalismus entstanden. So kommen auch die Haupttheoretiker des Liberalismus, wie Adam Smith, aus England, wo der Kapitalismus seinen Anfang nahm. Diese Strömung des Liberalismus werde ich nun kurz darstellen.7 1.2.2 Der liberale Subjektbegriff Der Liberalismus ist in zweierlei Hinsicht wichtig für das Verständnis des untersuchten Diskurses. Einerseits wurde im Liberalismus für die Freiheit jedes Einzelnen und für die Einschränkung der Macht des Staates plädiert, beides wichtige Werte, die mit dem untersuchten Diskurs verbreitet werden. Im Zentrum der sich liberal verstehenden Gesellschaft stehen die Maxime der (Markt-)Freiheit und die rechtliche Gleichheit der Bürger durch Bürgerrechte und staatlich verbriefte Eigentumsrechte. Adam Smith zeigt in seinem Buch »Wohlstand der Nationen« wie durch Arbeitsteilung und die dadurch erreichte Spezialisierung Wohlstand erreicht werden kann. Er plädiert für einen freien Markt mit möglichst geringen Eingriffen des Staates.

7

In dem folgenden Abschnitt beziehe ich mich vornehmlich auf Ouroussoff (1993: 283), Pieper (2003: 140) und Wolf (1991: 536-538).

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Andererseits formiert sich in der liberalen Idee ein neues moralisch und rechtlich autonomes Subjekt, das für die Figur des unternehmerischen Selbst diskursbegründend ist. Wichtig ist dabei die Vorstellung, dass jeder Mensch für sein Glück selbst verantwortlich ist, sein Schicksal selbst in der Hand hat und daher z.B. die Verantwortung für die Armut bei den Armen selbst liegt. Diese Idee greift aber auch Altes auf, wie die calvinistische Vorstellung »wonach Gott die Tugend belohne und erfolgreiche Menschen eben tugendhaft seien« (Wolf 1991: 537).8 Zudem beeinflussten den Liberalismus auch Theorien des Sozialdarwinismus, die davon ausgehen, dass sich die Sieger in einem »natürlichen« Ausleseprozess durchsetzen. Armut fungiert in diesem Denken als ein Beweis, »dass jemand ein Nichtsnutz und gemäß der natürlichen Auslese ein Versager ist, mithin auch zurecht auf einer minderwertigen Position gelandet sei« (Wolf 1991: 537). Erfolg ist ein Resultat von Leistung und Fleiß, wohingegen Armut bzw. Scheitern als ein Zeichen von Faulheit und fehlendem Können angesehen wird und deswegen selbst verschuldet ist. Anstatt Armut als Folge der kapitalistischen Ökonomie zu verstehen, wird sie im Liberalismus als selbstverschuldetes Übel individualisiert (Pieper 2003:141). So werden in der liberalen Idee institutionelle und gesellschaftliche Zwänge ausgeblendet (vgl. Ouroussoff 1993: 283). In Kapitel 1.1 habe ich gezeigt, dass das Prinzip »Jeder ist seines Glückes Schmied« ein zentrales Element des Diskurses ist, was mit den Begriffen wie Eigenverantwortung und Selbstbestimmung untermauert wird, die auch während meiner Feldforschung bei den MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services sehr präsent waren (s.a. Lorey 2007: 126). Im Kontrast zu diesen liberalen Prinzipien gewann der Staat um die Jahrhundertwende eine neue Bedeutung: So erkämpften soziale Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften erstmals soziale Sicherungssysteme und forderten die Stärkung des Sozialstaats. 1.2.3 Sozialstaat: Entstehung von sozialen Sicherungssystemen Durch die zunehmende Zahl verfügbarer Arbeitskräfte, die zu geringen Löhnen in den Fabriken arbeiteten, entstand das Problem der sozialen Massenverelendung. Dies hatte im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Folge, dass sich die Fabrikarbeiter in Gewerkschaften und Arbeiterparteien organisierten und eine Beteiligung an den erzielten Gewinnen und dem Wohlstand forderten. Um diese Arbeiterbewegung zu »befrieden«, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts – in 8

Bekanntlich hat Max Weber einen kausalen Zusammenhang zwischen Protestantismus und Kapitalismus hergestellt (Weber 2004).

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Deutschland unter Reichskanzler Otto von Bismarck in den 1880er Jahren – erste Sozialversicherungssysteme. Anders, als der Liberalismus es forderte, griff der Staat nun in das Wirtschaftsgeschehen ein und wurde zu einer Instanz, die gesellschaftliche Probleme und Ungleichheiten löst (Pieper 2003: 142-144). Theoretisch untermauert wurde dies später durch Ökonomen wie Keynes, der davon ausging, dass es den freien Markt nicht gibt und der Staat in das wirtschaftliche Geschehen eingreifen muss. In Deutschland wurden die sozialen Dienste und Sozialversicherungssysteme während der Weimarer Republik (1918/19 bis 1933) weiter ausgebaut. Diese konnten trotz hoher Einbußen durch die Inflation und der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise Bestand haben Es wurden eine Reihe von Institutionen im Bereich der Bildung, Krankenfürsorge, Altersfürsorge und Wohnungspolitik gegründet und 1927 wurde die Arbeitslosenversicherung gesetzlich verankert. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Sozialpolitik ideologisch neu ausgerichtet und instrumentalisiert, um die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen. Es wurden zwar Reallohnsenkungen durchgeführt, doch das sozialpolitische System blieb in seinen Grundstrukturen erhalten und in einigen wenigen strategischen Bereichen wurde es sogar ausgebaut (Boeckh et al. 2011; Stolleis 2003). Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Sozialstaatsgebot in der Bundesrepublik im Grundgesetz festgeschrieben. Bis in die 1970er Jahre wurde das Netz der sozialen Sicherung in Deutschland und dem Westen Europas weiter ausgebaut, unterstützt durch das kontinuierliche und starke Wirtschaftswachstum der 1950er und 1960er Jahre, dem sogenannten »goldenen Zeitalter«. In dieser Zeit konnte sich ein gesellschaftlicher Wohlstand entwickeln, wie es ihn bisher nicht gab. In den drei Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg ist der Sozialstaat stark expandiert und die Sozialausgaben stiegen stetig an, wovon ein immer größerer Kreis an Menschen profitieren konnte (Lessenich 2008: 60, 67). Seit den 1970er Jahren erfolgte jedoch international ein radikaler gesellschaftlicher Umbau im Zeichen einer neoliberalen Programmatik (Blim 2000: 31), den ich im Folgenden diskutieren werde.

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1.2.4 Neoliberale Umbauten des Sozialstaates In den 1980er Jahren engagierten sich konservative Politiker für die Umsetzung neoliberaler Politik, wie etwa Reagan in den USA, Thatcher in Großbritannien und Kohl in Deutschland mit seinem Amtsantritt 1982, wobei dieser neoliberale Umbau der gesellschaftlichen Verhältnisse bereits mit dem Militärputsch 1973 in Chile begonnen hatte. 9 Diese konservativen Regierungen verfolgten das Ziel, den Sozialstaat abzubauen, und sie haben wesentlich dazu beigetragen, die Gesellschaft nach Marktprinzipien umzustrukturieren. Genau vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Entwicklungen konnte sich auch der Diskurs des unternehmerischen Selbst vermehrt verbreiten, was ich bezogen auf Deutschland im nächsten Unterabschnitt diskutieren werde. Für meine folgenden Überlegungen ist wichtig hervorzuheben, dass neoliberale Gesellschaftspolitik kein abgeschlossenes Ideengebäude darstellt, sondern als Prozess gesehen werden sollte (Kingfisher/Maskovsky 2008: 115-118). Der Begriff »Neoliberalismus« ist genuin gesellschaftsbezogen und nicht nur dem »wirtschaftlichen« Gesellschaftsbereich zugehörig, weil der Neoliberalismus sowohl auf gesamtgesellschaftliche Prozesse als auch auf die jeweiligen Machtverhältnisse und die Organisation des Staates Einfluss nehmen will (Wacquant 2012: 68, 71f). Trotz der vielfältigen Formen und Ausprägungen des Neoliberalismus weltweit hat neoliberale Gesellschaftspolitik eine Idee gemeinsam: den Sozialstaat abzubauen und die Gesellschaft nach Marktprinzipien umzustrukturieren.10

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Nach dem Putsch in Chile hat die Militärdiktatur im Namen einer sogenannten »Modernisierung« mit neoliberalen Umbauten der Gesellschaft begonnen. Sie etablierte unter Anleitung von Milton Friedmans »Chicago-Boys« ein neues ökonomisches Modell, das den freien Markt als einziges Regulativ wirtschaftlichen Handelns vorsieht. Die chilenische Gesellschaft wurde zu einem »Experimentierfeld« des radikalen gesellschaftlichen Umbaus. Konsequent veränderte diese neoliberale Politik nicht nur das Wirtschaftssystem Chiles nachhaltig, sondern zeigt bis heute Folgen für die gesamte Gesellschaft, bis in die »Köpfe der Menschen« hinein (vgl. Alvarado Leyton 2010; Cárcamo-Huechante 2006: 418; Cáceres Ortega 2007: 213; Eisenbürger 2010: 45-52; Müller-Plantenberg 1998: 30).

10 Wie in den Sozialwissenschaften allgemein (Bröckling et al. 2000: 25), findet auch in der Ethnologie eine Debatte über die Rolle des Staates im Neoliberalismus statt. Während einige von einer Reduktion des Staates ausgehen, sprechen andere vielmehr von einer Umstrukturierung des Staates (s. Hilgers 2012: 80; Song 2009: 153). Hier wäre es wichtig, genauer zu definieren, was im konkreten Fall mit Staat gemeint ist. So

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Insofern ist der Neoliberalismus ein politisches Projekt und nimmt damit auch Einfluss auf die Konstruktion von Subjektivitäten, wie Hilgers es ausdrückt: »As such, neoliberalism must change people« (Hilgers 2012: 82). Er argumentiert, dass der Neoliberalismus »is involved in the concrete structure of the lifeworld and human experience, and exerts a real influence over the ways in which agents think and problematise their lives« (ebd.: 91). Im Neoliberalismus werden Menschen dazu angehalten, sich an Marktprinzipien anzupassen und zu einem – wie es Hilger nennt – »enterprising self« zu werden. Damit wird erneut deutlich, wie sehr die Figur des unternehmerischen Subjekts vom Neoliberalismus bestimmt ist und kaum von ihm getrennt betrachtet werden kann. Deswegen ist auch die Untersuchung dieses Diskurses eng verknüpft mit der Analyse der Verbreitung neoliberaler Normen, was ich in Kapitel 1.3 zur wissenschaftlichen Verortung meiner Arbeit erörtern werde. Das ökonomische Modell des Neoliberalismus geht u.a. zurück auf den Wirtschaftstheoretiker Hayek11 – ein Opponent von Keynes – und stellt eine Radikalisierung des Liberalismus dar (Kingfisher/Maskovsky 2008: 116). Im Gegensatz zum Liberalismus, wo die Freiheit der Märkte im Mittelpunkt stand, soll im

bleibt meist unklar, ob dabei z.B. die Bürokratien gemeint sind oder die Zahl staatlicher Unternehmen. Bezogen auf den deutschen Kontext stelle ich fest, dass es im Zuge neoliberaler Politik sowohl zu einer Reduktion als auch zu einer Umstrukturierung des Staates kommt. So gingen neoliberale Umbauten des Staates einerseits mit einer Privatisierung von Staatsbetrieben einher. Andererseits bedarf es eines starken Staates, um neoliberale Interessen durchzusetzen, was auch beinhaltet, soziale Leistungen zu minimieren. Insofern verschwindet der Staat im Zuge des Neoliberalismus nicht, sondern er setzt bestimmte Interessen durch, wie z.B. die »Wettbewerbsfähigkeit« der Wirtschaft zu steigern. Ich schließe mich dabei dem Ansatz von Kaindl an, die Neoliberalismus folgendermaßen definiert: »Der neoliberale Diskurs ist ein utopischer, insofern er immer auf einen nicht erreichbaren Zustand hinargumentiert, den völligen Rückzug des Staates aus den gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen. Diese Maxime dient in allen konkreten Auseinandersetzungen als Richtschnur, um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zugunsten von Markt und Kapital zu verschieben« (Kaindl 2007: 20). Ich teile ihren Standpunkt, dass der Neoliberalismus ein Prozess darstellt, der nicht vollendet wird, aber in seiner Tendenz darauf hinwirkt, die soziale Verantwortung des Staates zu minimieren. 11 Der Ökonom August von Hayek gilt als einer der Begründer des Neoliberalismus, der in seinen Schriften der 1930er und 1940er Jahre den Liberalismus weitergedacht hat und dessen Denken mit dem Kalten Krieg an Bedeutung gewonnen hat (Kingfisher/Maskovsky 2008:116).

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Neoliberalismus der Staat nach Marktprinzipien umgebaut werden (Bröckling et al. 2000: 15; Collier 2012: 190; Hilgers 2012: 81; Wacquant 2012: 71-72). 12 Dabei wird der freie Markt zum einzigen Regulativ wirtschaftlichen und sozialen Handelns. Die Rolle des Sozialstaates wird dabei im Zuge neoliberaler Prozesse erneut verhandelt, wobei neoliberale PolitikerInnen für eine Reduktion sozialstaatlicher Leistungen plädieren. So werden die gesellschaftlichen Umstrukturierungen mit einer Rede von der angeblichen »Krise des Sozialstaates« begründet. Verbreitet ist die Argumentationsweise, dass der Strukturwandel der Ökonomie, wie die Umstellung auf eine hochtechnisierte Produktionsweise und die gesteigerte Erwerbslosenzahl, nicht kompatibel sei mit der aktuellen Form des Sozialstaates, der die wirtschaftliche Entwicklung behindern würde (Pieper 2003: 136, 149). Ziel neoliberaler Politik ist eine Umstrukturierung der Gesellschaft und des Staates nach Marktprinzipien und einer ökonomischen Rationalität. Alle gesellschaftlichen Bereiche und damit auch die Sozialpolitik sollen von der Logik des Marktes durchdrungen werden, was auch in der wissenschaftlichen Diskussion als »Ökonomisierung des Sozialen« bezeichnet wird, ein Konzept, das ich in Kapitel 1.3 zur wissenschaftlichen Verortung näher beleuchten werde (vgl. Kingfisher/Maskovsky 2008: 116; Pieper 2003:145; Kapitel 1.3.2). Diese neoliberalen Transformationen der Gesellschaft sind für den untersuchten Diskurs richtungsweisend. Auf diese Verbindung des Diskurses mit neoliberaler Politik verweist auch Bröckling (2012) bezogen auf England und die USA: »Dass jede und jeder zum Unternehmer des eigenen Lebens werden solle«, sieht er in der Logik von »Thatcherism und Reagonomics« verankert, »welche die individuelle Selbstverantwortung an die oberste Stelle der politischen Agenda setzten und mit diesem Postulat den Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherungssysteme flankierten« (Bröckling 2012). Dies verdeutlicht, dass der Diskurs zum unternehmerischen Selbst die Funktion erfüllt, neoliberale Politik zu legitimieren. Wie sich diese Verbindung von neoliberalen Transformationen und einer Zunahme des unternehmerischen Diskurses zeigt, möchte ich im Folgenden anhand der Agenda 2010 aufzeigen.

12 Wacquant beschreibt die Herkunft vom Neoliberalismus in ähnlicher Weise: »Neoliberalism originates in a double opposition, on the one side, to collectivist solutions (first socialist and later Keynesian) to economic problems and, on the other, to the minimalist and negative vision of the ›watchman state‹ of classic liberalism« (Wacquant 2012: 71-72).

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1.2.5 Agenda 2010: Sozialpolitik in Deutschland Die Ökonomisierung des Sozialen im Zuge neoliberaler Politik zeigt sich in Deutschland in der grundlegenden Veränderung der Systeme sozialstaatlicher Sicherung, wie z.B. des Sozialhilfe-, Renten-, und Gesundheitssystems. Besonders deutlich werden diese Transformationen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in der Agenda 2010 der Bundesregierung, die von der SPD und Bündnis90/ Die Grünen 1998 bis 2005 gebildet wurde. Diese Agenda wurde in der »Aufbruchrede« des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder vom 14. März 2003 angekündigt und hatte »die größten und weitreichendsten sozialen Einschnitte der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik« zur Folge (Hartmann 2012: 26). Diese sozialen Einschnitte drückte Gerhard Schröder in seiner Rede unmissverständlich aus: »Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von den Einzelnen fordern.« (Spiegel Online 14. März 2003) Die wirtschaftliche Entwicklung sollte angeregt werden und es sollte eine Anpassung des Sozialstaates an die »globalisierte« Weltwirtschaft erreicht werden. Zu diesen Reformen gehörte die Deregulierung und »Modernisierung« der Ökonomie z.B. mittels Lockerung des Kündigungsschutzes und Senkung der betrieblichen Lohnnebenkosten (Hengsbach 2006: 13). Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wurde die Agenda 2010 umgesetzt in vier aufeinanderfolgenden, zwischen 2003 und 2004 beschlossenen Gesetzen »für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«, die umgangssprachlich auch »Hartz-Reformen« genannt werden. »Hartz IV« bezeichnet die vorerst letzte Stufe der sogenannten »Hartz-Gesetze«.13 Dort erfolgte die verwaltungstechnische Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende. Folge waren u.a. eine Verkürzung der Bezugsdauer sowie eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau. Zudem wurden die Regelungen der »Zumutbarkeit« für Arbeitsangebote verschärft, wobei jede Arbeit als zumutbar gilt, solange sie nicht sittenwidrig ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Arbeitssuchende für eine Stelle überqualifiziert ist oder ob

13 Es gilt kritisch zu hinterfragen, warum anstatt des Begriffs Arbeitslosengeld II die Bezeichnung »Hartz IV« an Bedeutung gewonnen hat. Während Arbeitslosengeld II sowie die ehemalige Bezeichnung »Arbeitslosenhilfe« noch auf den Status der Arbeitslosigkeit rekurriert und damit die Hilfsbedürftigkeit der Menschen unterstreicht, spielt dies im Begriff »Hartz IV« keine Rolle mehr. Dies erleichtert m.E. die Diffamierung von Arbeitslosengeld II beziehenden Menschen als »faul« oder »Schmarotzer« des Staates.

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die Tätigkeit einen existenzsichernden Lohn garantiert (vgl. Hartmann 2012: 222; Hauer 2007: 34; Lehnert 2009b: 246; Lessenich 2008: 85-97; Schuler 2010: 118-120).14 Die Einführung des Arbeitslosengeldes II bedeutete »die größte Kürzung von Sozialleistungen seit 1949«, wie die FAZ titelte (FAZ 2. Juli 2004; vgl. Lessenich 2008: 89). Diese Reformen stellen für meine GesprächspartnerInnen einen wichtigen gesellschaftspolitischen Kontext dar. Viele von ihnen leben vom Arbeitslosengeld II oder fürchten sich davor, in die sogenannte »Hartz IV-Falle« zu fallen und sozial abzusteigen (vgl. z.B. Synthese II, 4.1.2, 4.2.1). »Hartz IV« wird oft bezeichnet als »größtes Reformprojekt der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland« (Schuler 2010: 119). Dieses vierte Gesetz bildet den Höhepunkt des Wandels der arbeitsmarktpolitischen Philosophie der damaligen Bundesregierung. Im Zuge dieser Transformationen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, die unter der Maxime des »aktivierenden Staates«15 vorangetrieben werden, erfährt Deutschland einen Paradigmenwechsel, von der »Sozialhilfe« hin zur »Hilfe zur Arbeit«. Nicht mehr die soziale Sicherung steht im Vordergrund, sondern die Vermittlung in Arbeit. Dies zeigt sich sehr deutlich in dem Prinzip des »Forderns und Förderns«, wo Sozialleistungen an eine Gegenleistung geknüpft werden. Nur wer etwas leistet hat dabei Anrecht auf eine ökonomische Grundsicherung. Menschen werden dabei als Akteure adressiert, die ihre Situation selbst gestalten und damit auch zu verantworten haben (Pieper 2003: 136, 147; Segbers 2009: 12-14). So geht es in dieser Philosophie nicht nur um die Aktivierung auf Seiten der Arbeitslosen, sondern auch darum, durch »proaktives« Handeln aller Versicherten eine Arbeitslosigkeit unter allen Umständen zu vermeiden. Tritt dennoch eine Arbeitslosigkeit ein, sollten sich BezieherInnen von Arbeitslosengeld darum bemühen, »eigenverantwortlich« schnellstmöglich ihre »Beschäftigungsfähigkeit« und eine Anstellung wieder zu erlangen (Lessenich 2008: 89f; Motakef 2015: 12f). In dieser Politik der Aktivierung gewinnt die neoliberale Subjektkategorie des unternehmerischen Selbst erneut an großer Bedeutung. Appelle an die Ei-

14 Anders als früher erhalten Arbeitslose unter 50 Jahren unabhängig von der vorherigen Dauer sozialversicherter Beschäftigung nur noch bis zu einem Jahr Arbeitslosengeld I (60% des vorherigen Nettomonatsgehalts). Anschließend bekommen sie Arbeitslosengeld II, auch genannt »Hartz IV«, dieses orientiert sich weniger an den individuellen Bedürfnissen als die Sozialhilfe (Hartmann 2012: 222). 15 Das Programm »Moderner Staat – Moderne Verwaltung« der rot-grünen Bundesregierung (Kabinettsbeschluss vom 1. Dezember 1999) propagiert den »aktivierenden Staat« als neues Leitbild (Moderner Staat – Moderne Verwaltung. Das Programm der Bundesregierung vom 1. Dezember 1999: 1; vgl. Pieper 2003: 136).

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genverantwortlichkeit und Selbstaktivierung der Menschen befördert eine Verlagerung der sozialen Verantwortung auf die Individuen, während zeitgleich soziale Sicherungssysteme schrittweise eingeschränkt werden. Zudem werden durch diesen Diskurs strukturelle Ungleichheiten und Machtasymmetrien ausgeblendet, da die Menschen als »ihres Glückes Schmied« selbst für ihren Erfolg verantwortlich gemacht werden, ohne dabei die jeweiligen strukturellen gesellschaftlichen Bedingungen zu berücksichtigen. Insofern dient der Diskurs einer Legitimierung von Kürzungen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme. Diese Ausblendung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist auch in meinem Feld der Career Services stark wahrnehmbar. Strukturelle Hindernisse werden weniger thematisiert, stattdessen greifen die Individuen auf den Diskurs zurück und richten sich nach den Appellen der Selbstaktivierung. Dies hat zur Folge, dass sich z.B. die arbeitssuchenden AbsolventInnen für ihre längere Arbeitslosigkeit selbst die »Schuld« geben, anstatt ihre Problematik im Kontext gesellschaftlicher Prozesse zu reflektieren (Kapitel 4.1.1, Kapitel 4.1.2). In diesem Unterkapitel habe ich eine genealogische Perspektive eingenommen und den Diskurs zum unternehmerischen Subjekt in seinem historischen und zeitgenössischen soziopolitischen Kontext verortet. Dabei interessiert mich die Frage, in welche gesellschaftspolitischen Prozesse dieser Diskurs eingebettet ist und wie er seine heutige Ausprägung und Bedeutung erhalten hat. Den zentralen Hintergrund des Diskurses stellt der Kapitalismus mit seinen Grundprinzipien der Akkumulation und Konkurrenz sowie der Bestimmung der Arbeitskraft als Ware dar. So wird durch den Diskurs an die Menschen appelliert, sich selbst auf einem Markt zu verkaufen, sich möglichst gut zu positionieren und sich fortwährend zu optimieren, um sich von anderen abzusetzen – alles Subjektanforderungen, die in ihrem kapitalistischen Kontext verstanden werden sollten. Auch sehe ich den Diskurs des unternehmerischen Selbst im Liberalismus und seinem Subjektbegriff verankert. So sind liberale Werte wie Autonomie, Selbstverantwortung und Freiheit des Individuums und des Marktes, die wiederum im liberalen Ideengebäude verankert sind, diskursbestimmend. Zudem verorte ich den Diskurs in der neoliberalen Politik, deren Qualität und Verbreitung ich kurz erörtert habe. Im Zuge der Verbreitung neoliberaler Politik sind die erkämpften sozialen Sicherungssysteme und sozialen Leistungen wiederum reduziert worden. Regierungen versuchen, den Staat nach Marktprinzipien umzustrukturieren, was in der Sozialwissenschaft mit Begriffen wie »Ökonomisierung des Sozialen« gefasst wird. Am Beispiel des sozialpolitischen Programms der Agenda 2010 habe ich aufgezeigt, wie in Deutschland durch den Diskurs des unternehmerischen Subjekts neoliberale Politik legitimiert wird. So wird im Rahmen dieser Sozialpolitik des »aktivierenden Sozialstaates« zur Selbstverantwortung auf-

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gerufen, womit die Verantwortung für die soziale Sicherung auf die Individuen verlagert wird und zeitgleich soziale Sicherungssysteme schrittweise minimiert werden. Im nächsten Unterkapitel gehe ich nun auf die Frage ein, wie in der sozialund kulturwissenschaftlichen Literatur der Diskurs und die damit zusammenhängenden Subjektanforderungen untersucht werden. Ich diskutiere die für meine Arbeit zentralen Forschungsrichtungen, um meine eigene Forschung darin zu verorten.

1.3 W ISSENSCHAFTLICHE V ERORTUNG In diesem Unterkapitel verorte ich meine Arbeit in den wissenschaftlichen Diskussionen zu den hegemonialen »neuen« Subjektanforderungen, die meist in der Figur des unternehmerischen Selbst zusammengefasst untersucht werden. Dabei diskutiere ich die jeweiligen Forschungsrichtungen exemplarisch anhand der für meine Arbeit zentralen Forschungen. Mir ist hierbei wichtig, auch nach der gesellschaftlichen Eingebundenheit der Forschenden zu fragen und aufzuzeigen, wie die Wissenschaft selbst in die Diskurse, die sie analysiert, verwoben ist. Ferner zeige ich die für meine Feldforschung relevanten Forschungsperspektiven auf und erörtere die Desiderata, um von diesen ausgehend die eigene Forschungsrichtung zu begründen. Insgesamt wird sich zeigen, dass noch immer Studien fehlen, die auf der Mikroebene den Umgang der Menschen mit den unternehmerischen Subjektanforderungen, also die individuellen Praktiken und subjektiven Wahrnehmungen, ethnografisch erforschen und dabei auch über sich selbst hinausweisen, also ethnografische Studien zu anderen Gesellschaften und den globalen Kontext berücksichtigen. An diesen beiden Punkten wird meine eigene Arbeit ansetzen. Zunächst thematisiere ich Forschungen, welche die unternehmerischen Subjektanforderungen im Kontext von real beobachtbaren Veränderungsprozessen in der Arbeitswelt diskutieren und dabei Aussagen über gesamtgesellschaftliche Prozesse treffen. Sie befinden sich auf der »Objektebene«, da sie den Wandel und die »neuen« Anforderungen nicht als Diskurs hinterfragen, sondern sie in »realen« und beobachtbaren Verhältnissen verorten. Dann gehe ich auf diskursanalytische Forschungen aus der Tradition der Gouvernementalitätsstudien ein, die weniger den tatsächlich beobachtbaren Arbeitswandel als die Verbreitung von unternehmerischen Normen und Subjektanforderungen in den Fokus stellen und sich damit auf der »Metaebene« befinden. Schließlich stelle ich ethnografische Forschungen vor, die den individuellen Umgang mit diesen diskursiven An-

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forderungen im globalen Kontext untersuchen, wobei ich diejenigen Studien ausführlich diskutiere, die einen starken Subjektbezug haben. Ich beginne nun mit dem ersten Forschungsstrang, der die unternehmerischen Subjektanforderungen auf der »Objektebene«, d.h. in beobachtbaren gesellschaftlichen Verhältnissen, untersucht und diese im Kontext eines Wandels der Arbeitsverhältnisse diskutiert. 1.3.1 Arbeitswandel und Prekarität Ausgangspunkt vieler sozial- und kulturwissenschaftlicher Literatur zu den unternehmerischen Subjektanforderungen bilden die scheinbar konkreten und beobachtbaren Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt. Die Notwendigkeit der Verbreitung von neuen unternehmerischen Arbeitserfordernissen wird hier mit den sich verändernden Arbeitsverhältnissen begründet, die mit Begriffen wie »Prekarisierung«, »Flexibilisierung« oder »Entgrenzung der Arbeit« beschrieben werden. Dieser Wandel beinhalte neben der zunehmend dezentralen Organisation von Unternehmen eine Steigerung der Anzahl prekärer Arbeitsbeziehungen, also von Arbeitsverhältnissen ohne festgelegte Arbeitszeiten, stabile Gehälter, Kündigungsschutz u.a., die zugleich einen umfassenderen Zugriff auf die Arbeitskraft insbesondere in zeitlicher Hinsicht aufwiesen. Insbesondere die Entwicklung der neuen Medien wie dem Internet erleichterte diesen Zugriff des Arbeitsverhältnisses auf die private Welt (vgl. Flick 2013; Gruber 2008; Huber 2013; Motakef 2015; Pongratz/Voß 2000, 2003; Sennett 2006, 2007; Sutter 2013). In Studien zur Prekarisierung und Flexibilisierung der Arbeit beschreiben die AutorInnen eine Reihe von Anforderungen, die aufgrund eines diagnostizierten fundamentalen ökonomischen Wandels vermehrt an Menschen herangetragen werden. Erfolgreich sei demzufolge, wer flexibel sei, wer sich fortlaufend neu erfinde, präsentiere und verkaufe, wer sich nicht davor scheue, sich den immer neuen Herausforderungen zu stellen und dabei eigenverantwortlich »als sein eigener Unternehmer« zu handeln. Diese anschaulichen Erörterungen der »neuen« Subjektanforderungen sind für meine Arbeit von großer Wichtigkeit. Die umfassenden Beschreibungen der Eigenschaften des unternehmerischen Subjekts bilden eine Grundlage für die vorliegende Forschung. Zur Analyse dieser »neuen« Arbeitserfordernisse haben die Betriebs- und Arbeitssoziologen Hans Pongratz und Günter Voß das viel diskutierte Konzept des »Unternehmers der eigenen Arbeitskraft« bzw. des »Arbeitskraftunternehmers« entwickelt, auf das sich viele Vertreter dieser Forschungsrichtung beziehen (Pongratz/Voß 2000, 2003). Der Wirtschaftswandel würde Menschen heute

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dazu anhalten, sich selbst zu managen wie ein Unternehmer seinen Betrieb. So schreibt Reither: »Durch die massiven Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt werden Steuerungstechniken gefragt, die ermöglichen, die eigene Person zu führen.« (2009: 211; s.a. Götz/Lemberger 2009a: 7f; Kaudelka 2013: 7, Kühl 2015) Aufgrund der verstärkt projektbasierten, dezentralen Arbeitsorganisation, so die Erklärung, wird den Erwerbstätigen immer mehr die Verantwortung für den gesamten Arbeitsprozess überlassen, weshalb die »Anforderungen durch Arbeit […] sich von einem äußeren disziplinarischen System in den Einzelnen hinein verlagert [haben], der nun genötigt ist, ihnen mit Aktivität und Eigenverantwortung als ›ArbeitskraftunternehmerIn‹ zu begegnen« (Danilina et al. 2008: 24). Meine Arbeit ist stark beeinflusst von diesem Konzept des Arbeitskraftunternehmers. Einerseits fasst diese Subjektkategorie die für mich zentralen normativen Anforderungen zusammen und verknüpft sie mit der Idee des Subjekts als »Unternehmers seiner selbst«, die meine eigene Forschungsfrage leitet. Andererseits gelingt es den Forschungen zum Arbeitskraftunternehmer sehr gut zu zeigen, wie sich ArbeitnehmerInnen selbst unter Druck setzen, um den in sich widersprüchlichen Anforderungen gerecht zu werden. Sie verweisen sowohl auf die Möglichkeiten und Freiheiten als auch auf die zunehmende Unsicherheit und Überforderung, die mit diesen Arbeitsanforderungen einhergehen. Die Studien zeigen, wie sich Erwerbstätige immer wieder neu auf zeitlich befristete Projekte oder Arbeitsplätze bewerben und kontinuierlich ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssten, wobei dieses Hangeln »von Projekt zu Projekt« kaum eine Lebensplanung ermögliche. Dabei wirkten sich solche Appelle, wie Kaindl (2007: 26) schreibt, selbst auf diejenigen Menschen aus, die eine sozialversicherte Stelle mit unbefristetem Vertrag haben. Auch diejenigen Arbeitnehmer in scheinbar »gesicherten« Arbeitsverhältnissen, befürchteten ihre Anstellung wieder zu verlieren und setzten sich unter großen Leistungsdruck. Auch beschränke sich die Anforderung, sich selbst als sein eigener Unternehmer zu verstehen, nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern wirke sich zunehmend auf andere Lebensbereiche aus, ein These, die auch ich in meiner Forschung vertrete. Der »Arbeitskraftunternehmer« wird daher als Leitbild derzeitiger gesellschaftlicher Entwicklungen charakterisiert. Die AutorInnen sehen den »Arbeitskraftunternehmer« als Leitbild derzeitiger »realer« gesellschaftlicher Entwicklungen und als notwendige Antwort auf »neue« wirtschaftliche Entwicklungen (vgl. Hauer 2007: 37; Klautke/Oehrlein 2007: 12f; Reither 2009: 211). Diese Forschungsrichtung lässt jedoch zwei für meine Arbeit wichtige Fragen unbeantwortet. Einerseits bleibt oft unberücksichtigt, wie konkrete Subjekte mit diesen »neuen« Arbeitsanforderungen umgehen, ob und wie sie diesen in ihrem Arbeitsalltag begegnen, wie sie sich konkret äußern usw. Viele der For-

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schungen zum Wandel gegenwärtiger Arbeitsbedingungen untersuchen kaum die subjektive Bedeutungsebene. 16 In den meisten Studien ist daher eine Tendenz zur groben Verallgemeinerung beobachtbar, die der Komplexität von Arbeitserfahrungen, den individuellen Handlungsspielräumen und unterschiedlichen sozialen, aber auch wirtschaftlichen Kontextbedingungen nicht gerecht wird. Ich teile daher die Kritik von Strangleman, der den soziologischen Studien neuer Arbeitswelten die Tendenz zu Generalisierungen vorwirft, »[which] does violence to the complexity of lived experience of work« (Strangleman 2007: 93). Individuelle Wahrnehmungen und Lebensrealitäten, die eigentlich erst wissenschaftliche Auskunft über die Erfahrung sozialer Prozesse geben könnten, blieben meist außen vor.17 Andererseits beobachte ich, dass diese Forschungen unkritisch von einem tatsächlichen fundamentalen Wandel der Arbeit ausgehen, der dann quasi objektiv die unternehmerischen Subjektanforderungen als soziale Notwendigkeit nach sich zieht. Nur ungenügend hinterfragen die betreffenden AutorInnen, warum ein solcher Diskurs über den Arbeitswandel und veränderte Arbeitsanforderungen besteht und welche Interessen ihn formen. Insofern trägt diese wissenschaftliche Richtung zur Realisierung des oben aufgezeigten Diskurses (vgl. Kapitel 1.1) bei, indem der Wandel und die hieraus resultierenden neuen Subjektanforderungen objektiviert werden. Anders als meine eigene Arbeit, die eine MetaPerspektive einnimmt, adressieren diese Studien den Wandel auf der Objektebene, ohne ihn als Diskurs zu hinterfragen. Wenn etwa Reither schreibt: »Durch die massiven Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt werden Steuerungstechniken gefragt, die ermöglichen, die eigene Person zu führen« (2009: 211; s.a. Götz/Lemberger 2009a: 7f), ist keine Distanz mehr erkennbar, aus dem Ist wird ein Soll, aus einer Rede wird Realität. Diese Studien nehmen den fundamentalen Arbeitswandel als gesetzt an, der als Voraussetzung zwingend nahelegt, dass sich Subjekte unternehmerisch zu verhalten haben. Die Autoren stellen zu wenig die Frage, worin genau das fundamental Neue im Rahmen einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung (s. Kapitel 1.2) eigentlich besteht und in welchen Macht- und Interessenfeldern der Diskurs eines unternehmerischen Subjektes angesiedelt ist. Genau mit diesen Machtkontexten von Diskursen beschäftigen sich diskursanalytische Studien zur Gouvernementalität, auf die ich nun eingehen werde.

16 Pongratz und Voß (2003) geht es vornehmlich um Leittypen, da sie weder ethnografisch noch kulturvergleichend arbeiten. 17 Auch Ortner (2005: 31, 64) konstatiert einen Mangel an Studien zu Arbeitsverhältnissen des »late capitalism«, die die subjektive Perspektive ernsthaft miteinbeziehen.

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1.3.2 Neoliberale Gouvernementalität Die für meine Arbeit besonders relevante diskursanalytische Forschungsrichtung zum unternehmerischen Selbst arbeitet mit dem Konzept der Gouvernementalität von Michel Foucault. Autoren wie Bröckling oder Rose mit ihren Ausführungen zum »unternehmerischen Selbst« bzw. dem »enterprising self« sind viel rezipierte Vertreter dieser Richtung. Sie legen ihr Augenmerk weniger auf reale Arbeitsverhältnisse oder konkrete Erfahrungen von Personen, sondern auf die Beschreibung der gesamtgesellschaftlichen Verbreitung von unternehmerischen Normen, Forderungen und Rationalitäten oder – wie Rose (1996: 150) es nennt – einer »enterprising culture«. Dieser Forschungsansatz hat für meine eigene Arbeit große Relevanz. Besonders die Metaperspektive, die in diesem Ansatz konsequent eingenommen wird, stellt einen großen Gewinn für die Forschung über die »neuen« unternehmerischen Anforderungen dar und leitet mein eigenes Erkenntnisinteresse sowie meine Fragestellung. Sie ermöglicht, Subjektanforderungen nicht mehr als gegeben anzunehmen, sondern sie als Diskurs in einem Macht- und Interessensfeld zu dekonstruieren. So kann z.B. konsequent hinterfragt werden, wer mit welchem Interesse und in welchem Kontext von veränderten Anforderungen an Beschäftigte spricht und wie mit solchen Konstatierungen Macht ausgeübt wird und damit z.B. (Arbeits-)Realitäten erst geschaffen werden (vgl. Bührmann 2005; Bröckling 2007; Danilina et al. 2008: 24; Hilgers 2012: 91; Kelly 2006; Martin 1997; Miller/Rose 1995: 455; Opitz 2004; Rose 1989, 1996). Mit dem von Michel Foucault geprägten Konzept der »Gouvernementalität« werden soziale Beziehungen unter dem Aspekt der »Menschenführung« analysiert, wobei die Relationen zwischen Macht und Subjektivität bzw. Herrschaftstechniken und »Techniken des Selbst« untersucht werden (Foucault 2000). Der Begriff Gouvernementalität ist dabei eine Komposition von »gouverner«, regieren, und »mentalité«, der Denkweise, was Foucaults Interesse an der Wechselwirkung von Machttechniken, Wissen und Subjektivierungsformen zeigt (vgl. Bröckling et al. 2000: 8; Pieper 2003: 137). Führung wird hier als Vermittlung zwischen Subjektanforderungen und Bewältigungsstrategien von Subjekten gedacht, wobei der Zusammenhang von Lebensführung und der Re-/Produktion der Gesellschaft von besonderem Interesse ist (Kaindl 2008b). »Technologien des Selbst« ermöglichen es dem Individuum »aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen, mit dem Ziel, sich so zu verändern, daß er einen gewissen Zustand des Glücks, der

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Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der Unsterblichkeit erlangt.« (Foucault 1993: 26)

So versteht Foucault Selbsttechniken als Formen, mit denen Subjekte auf sich selbst einwirken, wobei diese Techniken des Selbst an Regierungsziele bzw. Ziele von Macht- und Herrschaftsgruppen sowie politische Rationalitäten gekoppelt sein können. Insofern sind Selbsttechniken nicht selbstbezüglich, sondern gebunden an bestimmte Macht- und Wissensformationen (Bröckling et al. 2000: 29). Die aus dem angelsächsischen Raum kommende Forschungstradition der »gouvernementality studies« formierte sich in den 1990er Jahren und setzte sich insbesondere mit der neoliberalen Gouvernementalität auseinander (vgl. Bröckling et al. 2000: 7f; Pieper/Gutiérrez 2003; Rose 1996: 150-168, 1989). Dabei beziehen sich die AutorInnen auf Foucaults Arbeiten zur modernen Gouvernementalität, in welchen er zeigt, wie die Regierung von Menschen über die Selbstregulationsfähigkeit von Subjekten operiert und dabei neoliberale Ziele der Profitmaximierung verfolgt (Pieper 2003: 138).18 Vertreter der Gouvernementalitätsstudien begreifen Neoliberalismus als »politisches Wissen« (Kaindl 2008b: 2) bzw. eine »politische Rationalität«, die auf eine »Ökonomisierung des Sozialen« abzielt. In diesem anhaltenden Prozess wird der Abbau staatlicher Leistungs- und Sicherungssysteme an den Appell der Eigenverantwortung und den Aufbau von selbstregulatorischen Kapazitäten geknüpft, die beide wiederum den Abbau staatlicher Leistungen legitimieren. Diese »neoliberale« Rationalität hält dazu an, das eigene Leben an der unternehmerischen Logik auszurichten und das Selbst zu verstehen als ein »bundle of skills that reflexively manages oneself as though the self was a business« (Gershon 2011: 357). Gefordert sei eine unternehmerische Subjektivität im Ganzen, ein »unternehmerisches Selbst«, das die ökonomistische Logik in allen Lebensbereichen verfolge (Bröckling 2007; vgl. Lessenich 2008; Rose 2000). Um diese Rationalitäten und Regime zu analysieren, untersuchen die Autoren schriftliche Quellen wie z.B. Managementkonzepte (Bröckling 2000) oder therapeutische Texte (Rose 1996) auf neoliberale Subjektanforderungen und unternehmerische Vorstellungen von Subjektivität. Bonnie Urciuoli erforscht z.B. Kompetenzdiskurse (»skills discourses«) als neoliberale Selbsttechniken anhand

18 Auch in der Ethnologie setzt sich eine poststrukturalistische Forschungstradition mit der neoliberalen Gouvernementalität auseinander, sie arbeitet mit Feldforschungsdaten, weswegen ich sie im nächsten Unterabschnitt zur ethnografischen Forschung diskutiere.

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von Internetquellen und zeigt ausgesprochen sprachsensibel auf, wie sie Menschen als »bundle of skills« ansehen (2008: 224). In diesen Studien wird der Schwerpunkt auf die zugenommene diskursive Verbreitung von unternehmerischen Anforderungen und neoliberalen Ideen gelegt. Diese hätten dazu geführt, dass die Figur des unternehmerischen Selbst zu einem gesellschaftlichen Leitbild werden konnte. Sie zeigen auf, wie in neoliberalen Diskursen das Ideal des unternehmerischen Selbst gefeiert wird, um spezifische Interessen zu verfolgen (vgl. Bröckling 2007: 60; Bührmann 2005; Götz/Lemberger 2009a: 8f; Miller/Rose 1995; Opitz 2004: 145-157; Rose 1996: 150-168). Diese Studien sind für meine Arbeit von großer Wichtigkeit, da sie den Diskurs des unternehmerischen Subjektes hinsichtlich seiner konstitutiven Elemente analysieren und dessen Ausprägungen sehr genau beschreiben. Für die Identifikation des Diskurses bei meinen GesprächspartnerInnen sind ihre differenzierten Darstellungen und Analysen für mich zentral. Insbesondere die ausgesprochen umfangreiche und erhellende Arbeit von Bröckling (2007), der in Deutschland zu den bekanntesten Vertretern der Gouvernementalitätsforschung zählt, ist dabei ganz besonders hervorzuheben. Es ist seine besondere Leistung, eine Reihe von normativen Subjektanforderungen und Rationalitäten als zusammenhängenden Diskurs umfassend zu analysieren, sie mit der Idee des Unternehmers zu verknüpfen und hierfür den vielrezipierten und sehr aussagekräftigen Begriff des »unternehmerischen Selbst« in Deutschland zu verbreiten, an dem ich mich selbst orientiere. Seine Ausführungen zum unternehmerischen Selbst haben mich am meisten geleitet und ich habe sie als Ausgangspunkt für meine eigene Forschung genommen. In diesem – für meine Arbeit wichtigsten – Konzept sieht er verschiedene Handlungsmaxime und Selbsttechniken verdichtet, die dazu anhalten, das eigene Leben am betriebswirtschaftlichen Modell des Entrepreneurship auszurichten. Die Gouvernementalitätsstudien untersuchen die Machtverhältnisse, die den Diskurs formen, was für meine eigene Herangehensweise an das Thema richtungsweisend ist. So beleuchten sie den Neoliberalismus »als ein politisches Projekt, das darauf zielt, eine soziale Realität herzustellen, die es zugleich als existierend voraussetzt« (Bröckling et al. 2000: 9). In diesem Zitat zeigt sich zum einen ihr oben bereits diskutiertes Verständnis vom Neoliberalismus als »politische Rationalität« und ihr Untersuchungsschwerpunkt auf die Verbreitung von (neoliberalen) Normen und Wissensformen in Macht- und Interessenskontexten. Zum anderen fasst dieses Zitat sehr gut den besonderen und sehr wertvollen Beitrag von diskursanalytischer Forschung zusammen. Mit dieser Perspektive wird es möglich, die Veränderungsrhetorik zu dekonstruieren, die ich im Kapitel 1.1 zum Diskurs dargestellt habe, und angebliche Notwendigkeiten wie »Heutzutage

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muss man sich selbst managen« als einen interessensgeleiteten Diskurs zu dechiffrieren, durch den Realität geschaffen werden soll. Durch ihren Fokus auf die Normen und Rationalitäten leisten die Gouvernementalitätsstudien einen fundamental wichtigen Beitrag zur derzeitigen Forschung »neuer« Subjektanforderungen im Neoliberalismus. Gleichzeitig setzt hier auch einer meiner Kritikpunkte dieser Forschungsrichtung an. So begrenzen sie sich auf Wissensformen und sind weniger an materiellen Prozessen und Zusammenhängen interessiert, weswegen sie auch nicht den Kapitalismus als Produktionsform in den Vordergrund stellen. Auch Kaindl stellt fest, dass Bröckling u.a. ein »nicht-ökonomistisches« Verständnis von Neoliberalismus verfolgen (2008b: 2). An dieser Stelle grenze ich mich von dieser Forschungsrichtung ab, da für mich die Darstellung des Kapitalismus als zentraler, soziopolitischer Hintergrund des Diskurses zentral ist (vgl. Kapitel 1.2). Schließlich bietet das theoretische Konzept der Selbsttechniken, wie ich es soeben definiert habe, ein für mich wichtiges analytisches Mittel, um Machtmechanismen bezogen auf Subjekte zu analysieren und zu zeigen wie Diskurse wirken. In meiner Forschung verstehe ich die Techniken der Selbstvermarktung und des Selbstmanagements, wie sie im Kontext der Career Services vermittelt und praktiziert werden, als »Technologien des Selbst« im Sinne Foucaults. Das Konzept der Selbsttechniken und der Selbstführung ermöglicht mir im Folgenden aufzuzeigen, wie meine InformantInnen auf sich selbst einwirken oder eher: einzuwirken versuchen, um sich an die neuen ökonomischen Anforderungen anzupassen. Dabei werde ich verdeutlichen, wie die Ökonomisierung des Sozialen konkret stattfindet, was eine der zentralen Thesen dieser Forschungsrichtung untermauern wird. Diese Arbeiten zur neoliberalen Gouvernementalität leisten in meinen Augen einen fundamentalen Forschungsbeitrag, dennoch sehe ich in der Umsetzung dieser diskursanalytischen Konzepte Forschungslücken sowie Anknüpfungs- und Erweiterungsmöglichkeiten. So bewegen sich die Studien zur neoliberalen Gouvernementalität wie die zuvor diskutierte Forschungsrichtung zum Arbeitswandel meist auf der gesellschaftlichen Makroebene und berücksichtigen kaum institutionelle Mikrokontexte und subjektive Wahrnehmungen. Indem die meisten der AutorInnen schriftliche Quellen untersuchen, erfassen sie zwar umfassend die semantischen und semiotischen Ebenen des Diskurses, nicht aber, wie Menschen mit diesem Diskurs konkret umgehen und ihn rezipieren. Darin sehe ich einerseits das Problem begründet, dass der Diskurs des unternehmerischen Selbst als in sich geschlossenes, kongruentes Ideengebäude erscheint, dagegen Brüche, aber auch gegenläufige Ideen zu undeutlich bleiben. Andererseits besteht die Gefahr, dass dieser Diskurs auf die gelebte Lebenswelt von Menschen vorschnell

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übertragen wird, ohne seine konkrete Bedeutung für Menschen tatsächlich untersucht zu haben. So können auch gegenläufige Tendenzen und widerständige Praktiken der Subjekte selbst kaum erkannt werden. In diesen Studien lassen sich die normativen Anforderungen und die gelebten Erfahrungen der Subjekte kaum voneinander trennen.19 Hier bleiben die Gouvernementalitätsstudien hinter ihrem eigenen Anspruch zurück, Subjekte als »produzierte und zugleich als aktive, machtausübende« Menschen (Pieper 2003: 138) in den Fokus zu rücken und sie dabei nicht als determiniert zu sehen, indem ihre Widersprüche genauso intensiv untersucht werden wie die Subjektanforderungen. Bei Bröckling etwa geht es nie um konkrete Individuen, um deren Sinnwelten und Handeln, sondern um »totalitäre« Rationalitäten, normative Anforderungen, Eigenschaften, Leitbilder und Mechanismen, die er zuerst aus wissenschaftlicher Literatur von Ökonomen, insbesondere aus der Zwischenkriegszeit, und dann aus Managementliteratur oder Trainingshandbüchern diskursanalytisch herausarbeitet (vgl. Bröckling 2007: 10f, 43). Er selbst räumt ein, dass sich die Figur des unternehmerischen Selbst »niemals bruchlos in Selbstdeutungen und individuelles Verhalten« übersetzt (ebd.: 283) und verweist auf Unter- und Gegenströmungen (ebd.: 288-297). Doch wie diese Vereinnahmung auf der konkreten Ebene der Menschen stattfindet, wie sie mit den Anforderungen umgehen und welche Gegenstrategien in der Praxis zum Zuge kommen, zeigen Bröckling und viele andere VertreterInnen dieser Richtung nicht auf. Ihnen geht es um das Herausarbeiten eines Leitbildes, nicht aber wie dieses Leitbild im Konkreten auf der Ebene des Individuums wirkt (vgl. Bührmann 2005; Kaindl 2008b; Pieper 2003: 156). Trägt diese wissenschaftliche Forschung dann nicht selbst dazu bei, wenn auch unfreiwillig, dass die diskursive Hegemoniestellung dieser unternehmerischen Subjektanforderungen unangefochten bleibt? Ich gehe davon aus, dass gegenläufige Tendenzen und Widersprüche, aber auch der tatsächliche Grad der Subjektkonstitution durch diesen Diskurs weniger gut sichtbar werden, wenn individuelle Lebenswelten und Sichtweisen unberücksichtigt bleiben. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Kaindl, eine Psychologin: Aus ihrer Sicht leisten die Gouvernementalitätsstudien zwar Bedeutungsanalysen von Konzepten und Denkformen, die das Handeln und Denken strukturieren (sollen). Keine Aussagen könnten sie jedoch treffen »über die Relevanz, Verbreitetheit, ›Geltungsbe-

19 Die kaum vorhandene Trennung von Subjekt und Subjektanforderung kann dadurch erklärt werden, dass »Subjekte« in Foucaults Theoriegebäude durch die Anforderungen konstituiert werden (vgl. Kaindl 2008b).

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reich‹« (2008b: 9) solcher Denkformen oder darüber, wie diese vermittelt werden und in die »Handlungsprämissen der Betroffenen eingegangen sind« (ebd.: 8). Deswegen sehe ich es als dringliche wissenschaftliche Aufgabe an, den konkreten Umgang mit dem Diskurs ethnografisch zu untersuchen. Durch die Ethnografie können Widersprüchlichkeiten, Ambivalenzen und widerständige Tendenzen zutage treten und es kann herausgearbeitet werden, welche Bedeutung diese unternehmerischen Normen und Werte im Alltag der Menschen haben. Abschließend wende ich mich daher der Frage zu, welche Studien im Feld der ethnografischen Erforschung von unternehmerischen Subjektanforderungen vorliegen. Zunächst gehe ich auf Forschungen ein, welche die »neuen« Anforderungen in konkreten Arbeitskontexten untersuchen, dabei aber weniger eine diskursanalytische Meta-Perspektive einnehmen. Dann diskutiere ich zwei ethnografische Forschungsstränge, welche die neoliberalen und unternehmerischen Subjektanforderungen als Diskurse begreifen und den Umgang damit global untersuchen. Meist fassen sie ihren Forschungsgegenstand mit dem Begriff der »neoliberalen Subjektivitäten« zusammen. Meine eigene Arbeit ist in dieser ethnografischen Forschungstradition verortet, wobei für mich die Studien mit einem starken Subjektbezug die größte Relevanz haben. 1.3.3 Ethnografische Arbeiten In den letzten Jahren sind insbesondere innerhalb der Ethnologie und Volkskunde bzw. europäischen Ethnologie wichtige ethnografische Forschungen entstanden, die die Bedeutung sich ändernder Subjektanforderungen in verschiedenen Arbeitskontexten analysieren. Sie legen großen Wert auf qualitative Methoden, die unter dem Aspekt der Arbeit die Individuen und deren Handlungen, Sichtweisen und Wahrnehmungen in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zeigen. Sie diskutieren diese Anforderungen jedoch weniger als Diskurse, sondern gehen mehr von einer tatsächlichen Veränderung der Arbeitsanforderungen aus, die sie in konkreten Arbeitsfeldern untersuchen (Herlyn et al. 2009; Huber/Hirschfelder 2004, Krämer 2014; Schönberger 2007; Sutter 2013). So fehlen noch immer ethnografische Studien, die die individuellen Praxen und subjektiven Wahrnehmungen untersuchen, die mit dem diskursanlytischen Konzept des unternehmerischen Selbst adressiert werden (vgl. Bührmann 2005; Götz/Lemberger 2009; Pieper 2003: 156; Weißengruber 2015). Ganz besonders mangelt es auch an ethnografischen Forschungen, welche den individuellen Umgang mit diesen diskursiven Subjektanforderungen in einen globalen Zusammenhang stellen und dabei auch Daten aus nicht-europäischen Regionen berücksichtigen. Es gibt noch nicht genügend Studien zu den unter-

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schiedlichen kulturell-individuellen Repertoires, mit denen Menschen dem mittlerweile globalisierten Diskurs begegnen, zu den kulturell und subjektiv bedingten unterschiedlichen Antworten, wenn diese kulturspezifischen Subjektanforderungen und Normen auf andere Sozialethiken treffen. Gerade die ethnologische Erforschung der Kapitalismen vermag hier die Wahrnehmung zu sensibilisieren, indem sie die vielfältigen Erscheinungsformen des Lebens im Kapitalismus deutlich macht (z.B. Blim 2000; Wolf 1991). Die bestehenden ethnografischen und auf Feldforschung basierenden Arbeiten, welche diese »neuen« Subjektanforderungen untersuchen, adressieren das Thema meist unter dem Begriff »neoliberale Subjektivitäten« und sind für meine Arbeit richtungsweisend. Diese Untersuchungen sind in sehr verschiedenen kulturellen und regionalen Kontexten angesiedelt und nehmen Bezug auf einen globalen Kontext. Sie leisten einen zentralen Beitrag zur Erforschung des Diskurses zum unternehmerischen Subjekt, da sie auf einer lokalen Ebene den konkreten Umgang mit diesem Diskurs aufzuzeigen vermögen und auf kulturelle und regionale Differenzen verweisen. Damit liefern sie wichtige und differenzierte Einsichten in die tatsächliche Bedeutung dieses Diskurses für die Menschen. Meine eigene Arbeit verortet sich in dieser ethnografischen Forschungstradition. Sie lässt sich in zwei Forschungsstränge einteilen, die jeweils unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen, auf die ich nun eingehen werde. Der erste Strang diskutiert die neoliberalen Anforderungen und Normen mehr auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene und beleuchtet weniger einzelne Individuen. Hier finden sich Studien, die sich auf einen größeren Referenten beziehen und die weltweite Verbreitung von neoliberalen, unternehmerischen Anforderungen und Normen diskutieren (vgl. Dent 2012; Elyachar 2012). Der zweite Forschungsstrang fokussiert hingegen mehr die individuellen und subjektiven Umgangsund Deutungsweisen von konkreten Individuen. Da in meinen Forschungen auch die Individuen im Mittelpunkt stehen, thematisiere ich den zweiten Forschungsstrang ausführlicher und diskutiere diesen exemplarisch anhand besonders relevanter Studien. Dem ersten ethnografischen Forschungsstrang kann z.B. Lauren Leves (2011: 513-518; 530-532) Forschung unter Theravada-Buddhisten in Nepal zugeordnet werden. Dort konnte sie aufzeigen, wie diese vor dem Dilemma stehen, dass sie sich in der Menschenrechtsbewegung engagieren, deren individualistisches und besitzstrebendes Subjektverständnis sie zugleich aber ablehnen. Sie zeigt, wie politische Identitäten unter neoliberalen Veränderungsprozessen neu konstruiert werden, wobei neoliberale Normen befördert und zugleich lokal verändert und umformuliert werden (Leve 2011: 531, 513). In eine ähnliche Richtung geht die interessante Studie von Junghans (2001): Er thematisiert die Reak-

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tion von Individuen auf die Verbreitung neoliberaler Normen durch NGOs in Ungarn, die »urge individuals to re-make themselves as entrepreneurs and unfettered free-agents« (ebd.: 384). Er zeigt anschaulich, wie durch solche Institutionen ein neoliberales Menschenbild exportiert und propagiert wird und damit Werte wie Selbstbestimmung idealisiert werden. Zu diesem ersten Forschungsstrang zähle ich auch ethnografische Studien, die sich auf Foucault beziehen und die mit den oben bereits diskutierten Konzepten der neoliberalen Gouvernementalität arbeiten. Viele dieser Studien legen den Schwerpunkt auf die Transformation politischer Subjektivitäten im Neoliberalismus. Im Gegensatz zu den Gouvernementalitätsstudien, die ich im vorhergehenden Abschnitt diskutiert habe, arbeiten diese AutorInnen mit Methoden der ethnografischen Feldforschung und nehmen mehr Bezug auf den globalen Kontext, weswegen sie für meine Arbeit große Relevanz haben. Ihre ethnologische Ausrichtung ermöglicht ihnen, wesentlich konkreter zu arbeiten und lokale Praktiken sehr gut herauszustellen. Zudem können sie zeigen, wie neoliberale, politische Subjektivitäten global an Bedeutung gewinnen und leisten damit einen wichtigen Beitrag für die meist auf Europa und die USA zentrierte Forschungslandschaft (vgl. Cross 2010; Cruikshank 1999; Dyer 2009; Gershon 2011: 544; Kingfisher/Maskovsky 2008: 118f; Malvasi 2011; Ong 2007; Urciuoli 2008; Winiecki 2007). Einige Vertreter dieser Richtung untersuchen im Speziellen politische Programme (»policies«) und zeigen mit Konzepten der Gouvernementalität u.a. die Produktion neoliberaler politischer Subjektivitäten im globalen Kontext auf (Martin 1997; Shore/Wright 1997, 2011; Shore/Wright/Peró 2011). Für meine Forschung besonders bedeutsam sind dabei Susan Wright und Cris Shore, die zu neoliberalen Subjektanforderungen und Selbsttechniken insbesondere im Hochschulbereich arbeiten. Diese Forschungen sind auch relevant für das Kapitel 2.1, in dem ich das Feld der Career Services in ihrem Hochschulkontext beleuchte. Im Folgenden gehe ich nun auf den zweiten ethnografischen Forschungsstrang ein, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er einen starken Subjektbezug aufweist. Er zeigt in sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten und anhand von konkreten Individuen, wie neoliberale Normen des unternehmerischen Selbst lokal und subjektiv verschieden übersetzt, inkorporiert und dabei auch verändert werden (Song 2009; Song 2007). Ich diskutiere nun jene für die vorliegende Arbeit besonders wichtige ethnografische Untersuchungen und führe meine punktuelle Kritik an diesen Studien aus. Ihre Einsichten und ihr Vorgehen haben meine eigene Forschung stark beeinflusst.

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Besonders interessant ist z.B. die Forschung der Ethnologin Takeyama (2010), die am Beispiel von »host clubs«20 in Japan zeigt, wie wichtig neoliberale Werte von »entrepreneurship« für das männliche Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl von den Angestellten, den »hosts«, sind. Um ihrem anrüchigen Ruf und der Stigmatisierungen zu entgegnen, idealisieren sie ihre unternehmerische Kreativität, Freiheit und Professionalität und grenzen sich so vom normalen, aus ihrer Sicht »langweiligen« Büroangestellten ab (Takeyama 2010: 240ff). In dieser Studie arbeitet Takeyama sehr differenziert die individuellen Strategien und subjektiven Umgangsweisen einzelner Gesprächspartner heraus. Zu erwähnen ist auch die Studie von Kanna (2010: 113-121), der in Dubai der Frage nachgeht, wie sich junge hochqualifizierte Angestellte großer Unternehmen neoliberale Werte aneignen und dabei lokale Normen sowie ihre soziale und Gender-Identität verhandeln. Anhand sehr ausführlicher Zitate seiner GesprächspartnerInnen zeigt er sehr feinfühlig die auftretenden Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten auf. Wichtig für meine eigene Forschung sind zudem die Studien von Bourgois (1989, 1997), der zu Crack-Dealern in einem New Yorker Viertel forschte. Er zeigt folgende Dialektik auf: Aufgrund mangelnder Alternativen versuchen die Menschen auf illegale Weise ökonomische Sicherheit zu erlangen, was er auch als eine »culture of resistance« interpretiert. Viele haben früher schlecht bezahlte Arbeiten ausgeübt und waren mit Rassismus konfrontiert. Gleichzeitig passen sie sich stark dem kapitalistischen System an, um erfolgreich zu sein. Wenn sie jedoch scheitern, suchen sie die Gründe bei sich selbst und nicht in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Dieses Festhalten an der Ideologie lässt sie in der Prekarität verbleiben und wirkt selbstdestruktiv (1989: 7-10). Seine Einsichten sind für meine Arbeit sehr erhellend, da auch meine GesprächspartnerInnen im Kontext der Career Services berufliche Probleme oft individualisieren, anstatt sie im Kontext von gesellschaftlichen Zwängen zu verstehen, was ich ausführlich diskutieren werde. Besonders interessant ist zudem Bourgois’ Artikel über die Biografie eines Crack-Dealers (Bourgois 1997), der später als »Motivator« und »Trainer« in einem staatlichen Sozialprogramm arbeitet und versucht, Menschen davon zu überzeugen, in legale Beschäftigungsfelder zu wechseln. Dort vermittelt er die

20 Host Clubs sind Teil der abendlichen Unterhaltungsindustrie in Japan. Diese Einrichtungen sind wie Bars oder Clubs, die von Frauen besucht und in denen Getränke ausgeschenkt werden. Jede Besucherin bekommt einen sogenannten host, eine Art Animateur, an die Seite gestellt, der sie unterhält. Die Kundin bezahlt sowohl die Getränke als auch die männliche Begleitung.

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Werte des American Dream, auch wenn er selbst damit keinen Erfolg hatte. Dieser Beitrag wirft wichtige Fragen für meine eigene Forschung auf, da ich hier insbesondere Parallelen zu den MitarbeiterInnen der Career Services ziehen kann. So fokussieren die MitarbeiterInnen oft die Handlungsmöglichkeiten der Menschen und blenden teilweise die Ohnmachtsgefühle sowie ihre eigenen Erfahrungen der beruflichen Unsicherheit aus (vgl. Synthese II). Hervorzuheben ist außerdem die exzellente ethnografische Studie von Gilles Reckinger (2010) über sozial benachteiligte Jugendliche in Österreich. In eindrücklichen Fallbeispielen zeigt er, wie einzelne Jugendliche mit ihrer strukturell bedingten Chancenlosigkeit umgehen, und verweist sowohl auf die sozioökonomischen Gründe ihrer Lebenslagen sowie auf ihre Handlungsmöglichkeiten. Dabei beschreibt er ein sehr interessantes Paradox: Um sich aus ihrer prekären Situation zu befreien, verfolgen die Jugendliche Strategien der Selbstmobilisierung, die den neoliberalen Leitmotiven des unternehmerischen Selbst entsprechen, was jedoch eine Anpassung an prekäre Bedingungen und oftmals gerade den Verbleib in diesen Verhältnissen zur Folge hat. Die Jugendlichen sehen ihre prekäre Situation als eine »Chance«, sich »eigenverantwortlich« ihren eigentlichen Berufszielen zu nähern (ebd.: 149-159). Damit ist er einer der wenigen Autoren, der auf einer Mikroebene sehr konkret aufzuzeigen vermag, wie sich neoliberale Subjektanforderungen in die Handlungen und Denkweisen der Menschen »einschreiben« (ebd.: 13), was auch meinen Forschungsfokus darstellt. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen ist auch Reiners gekommen, die im gleichen Forschungsprojekt wie Reckinger »Müssen nur wollen. Eine kulturwissenschaftliche Bestandsaufnahme sozialer Umbrüche in jugendlichen Lebenswelten« angesiedelt war und eine Studie zu jugendlichen MigrantInnen durchgeführt hat (Reiners 2010). Auch sie konnte beobachten, wie die Jugendlichen neoliberale Normen inkorporiert haben – wie z.B. totale Flexibilität und Anpassung – und dadurch aber paradoxerweise noch stärker in die Prekarität hineingedrängt werden (ebd.: 212-216). Wie gerade dargestellt, ist Bourgois in seiner Forschung zu Crack-Dealern in den USA zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gekommen. Auffällig jedoch ist bei Reckinger und Reiners, dass sie von einer Veränderung der Beschäftigungsverhältnisse ausgehen, diese teilweise sehr allgemein beschreiben und dabei mit Dichotomien von neu/alt arbeiten, die wohl ungewollt einseitigen Darstellungen von »früher war alles besser« nahekommen. Oft bleibt unklar, wen und was sie genau mit Begriffen wie »die MigrantInnen«, »grundlegende ökonomische Transformationen, die alle postindustriellen Staaten betreffen« (Reiners 2010: 9, 13), »die Jugendlichen« oder die »österreichische Arbeitsgesellschaft« (Reckinger 2010: 50, 41) meinen und auf welche geografi-

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schen und zeitlichen Räume sie sich dabei beziehen, was insbesondere aus ethnologischer Sicht unbefriedigend ist.21 Gerade im Vergleich zu ihren minutiösen, sehr differenzierten Einzelfallanalysen wirken diese Beschreibungen des gesellschaftlichen Kontexts allzu allgemein und verdeutlichen zu wenig etwa intraund interkulturelle Differenzen. Zudem springen die Autoren oft zwischen der Objekt- und Metaebene hin und her und vermengen beide unreflektiert, was m.E. ein Kennzeichen vieler Forschungen zum Thema Arbeitswandel und Prekarität ist. Während sie in einem Absatz z.B. den Flexibilisierungsappell adressieren und diesen als Diskurs beschreiben, mit dem Arbeitgeberinteressen verfolgt werden, gehen sie im nächsten Absatz wiederum von einer tatsächlichen Flexibilisierung und dem Wandel der Arbeitsverhältnisse aus (Reckinger 2010: 43f; Reiners 2010: 18f). Indem WissenschaftlerInnen diesen Arbeitswandel als gesetzt annehmen, ohne ihn konsequent als interessengeleiteten Diskurs zu kritisieren, tragen sie ungewollt dazu bei, genau jene Verhältnisse über eine Objektivierung zu produzieren, die sie kritisieren. Reiners spricht zwar diese Schwierigkeit an und macht deutlich, wie sich neoliberale Diskurse als self-fulfilling prophecy entfalten und z.B. diskontinuierliche Lebensläufe als »normal« hingestellt werden (ebd.: 19), was einen sehr guten Hinweis auf ihre Wirkmacht darstellt. Doch wendet sie diese Einsicht nicht selbstreflexiv auf ihre eigene Arbeit an und schreibt so den objektivierenden Diskurs über den Arbeitswandel latent fort. Aus diesem Grund achte ich in meiner Arbeit darauf, die Objekt- und die Metaebene voneinander zu trennen. Mich interessiert, wie konkrete Menschen in einem spezifischen Kontext (deutsche Career Services) mit dem Diskurs umgehen und ihn deuten. Daher untersuche ich nicht, wie sich dieser Diskurs in ihrer tatsächlichen, d.h. beobachtbaren Arbeits-/Praxis auswirkt. Auch gehe ich nicht auf der Objektebene von einer »neuen« Wirtschaftskrise aus, sondern davon, dass Krisen und die daraus folgenden prekären Lebensformen ein inhärenter Bestandteil kapitalistischer Organisation und ihrer Prinzipien sind (vgl. Kapitel 1.2). Während sich Reckinger und Reiners vornehmlich mit Jugendlichen aus sozial benachteiligten Gruppen beschäftigen, untersucht Barbara Ehrenreich (2006) in ihrem Buch »Qualifiziert und Arbeitslos« AkademikerInnen, die auch meine Zielgruppe darstellen. In ihrer lebensnahen Untersuchung analysiert sie, wie ar-

21 Reckinger selbst erwähnt, dass empirische Daten zur Transformation der Beschäftigungsverhältnisse fehlen. So verweist er z.B. darauf, dass in Österreich erst seit 1998 statistische Daten zu freien Dienstverträgen und Werkverträgen erhoben werden (2010: 48).

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beitslosen AkademikerInnen in den Vereinigten Staaten die Subjektanforderungen des unternehmerischen Selbst vermittelt werden. Die Journalistin ist genuin ethnologisch vorgegangen, da sie sich einem »Selbstversuch« unterzogen hat und ein halbes Jahr in die US-amerikanische Welt der Trainings, Coachings und Selbsterfahrungsgruppen eingetaucht ist. Sie zeigt sehr treffend, wie dort Scheitern mit mangelnder Erfolgsausstrahlung begründet und als persönliche Schuld gewertet wird. Zahlreiche Erlebnisse illustrieren, wie aufkommende Widersprüche und Widerstände, die den Glauben an den »American Dream« hinterfragen und gesellschaftliche Faktoren für den Misserfolg betonen, sogleich ausgeblendet werden (Ehrenreich 2006: 229-232). Gerade diese Beobachtungen haben meinen eigenen Blick auf mein Feld geschärft. So zeige auch ich, wie im Kontext der Career Services die gesellschaftlichen Hintergründe von beruflichen Problemen wenig besprochen werden und die individuellen Handlungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen. Hinterfragen möchte ich aber an dieser Stelle ihre ausschließlich negative Sicht auf den Coachingbereich. So zeichnet sie ein einseitig negatives bis zynisches Bild der BeraterInnen und der Trainings und es fehlen teilweise differenzierte Darstellungen mit Zwischentönen und Brechungen, worauf ich in meiner eigenen Arbeit großen Wert lege. Die Studie von Sisto und Fardella (2009) zu Identitäts- und Arbeitsnarrativen junger ChilenInnen stellt ein weiteres motivierendes Beispiel für eine kultursensible Untersuchung des Themas dar, weil die beiden Autoren sehr differenziert auf Inkonsistenzen und Widersprüche eingehen. Sisto und Fardella gelingt es so, die unterschiedliche Bedeutung von unternehmerischen Subjektanforderungen für Menschen in Santiago, Chile, genau zu dokumentieren. Anhand von Interviews zeichnen sie nach, wie sich junge, gut ausgebildete Berufstätige in ihren Erzählungen als erfolgreiche unternehmerische Subjekte darstellen, die ihren beruflichen Lebensweg individuell, frei und ungebunden gestalten und autonom Entscheidungen fällten. Diese jungen Menschen, die allesamt in flexiblen, d.h. ungesicherten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, bemühen sich fortwährend, die Vorteile ihrer beruflichen Situation zu betonen. Auch wenn Ideen von Kollektivität und Solidarität in ihrer Rede nicht aufscheinen, stoßen Sisto und Fardella dennoch auf Risse, Brüche und Widersprüche der vordergründig kohärenten Erfolgsdarstellungen, treten dabei doch auch ihre Ängste und Verletzlichkeiten zu Tage. Genau in diesen Spannungen liegen für die Autoren Ansätze alternativer Beziehungs- und Verhaltensformen, ein Ansatz, der für meine eigene Forschung sehr fruchtbar ist und eine Besonderheit ethnografischer Arbeiten darstellt (vgl. Song 2009).

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Eine andere für meine Arbeit sehr aufschlussreiche Untersuchung liefert Molé (2010) mit ihrer ethnografischen Analyse der Bedeutung des neoliberalen Diskurses für Menschen in Italien. Am Beispiel von Mobbing untersucht sie die psychologischen Prozesse, die in einem neoliberalen Arbeitsumfeld zu Angst, Paranoia und Misstrauen führen. In Italien, so Molé (ebd.: 38), bezeichnet der Begriff »sono un precario«, ich bin ein Prekärer, sowohl eine Art von zeitlich befristetem Beschäftigungsverhältnis als auch einen psychischen Zustand, der von Unsicherheit, Zweifeln und Ängsten geprägt ist. Anders als den meisten anderen AutorInnen gelingt es Molé, konsequent eine Metaperspektive einzunehmen. Sie stellt den Neoliberalismus nicht als Zustand, sondern als eine Art »Projektionsfläche« für Ängste und Hoffnungen dar: Während Menschen auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag hoffen oder sich vor einer Kündigung fürchten und sich selbst als prekär verstehen, wird gleichzeitig ihr subjektives Selbstverständnis und psychisches Befinden geformt (ebd.: 45-47). Besonders ihre diskursanalytisch geprägte Sicht des Neoliberalismus als etwas, das nicht per se »da ist« sondern fortwährend von Individuen produziert wird, hat mich in meiner eigenen analytischen Herangehensweise an mein Thema bestärkt. Die vorgestellten ethnografischen Forschungen machen deutlich, wie wichtig die Ethnografie der Mikropraxis ist, um den Umgang mit unternehmerischen Subjektanforderungen im globalen Kontext zu diskutieren. Auf diese Weise lässt sich nicht nur abschätzen, wie weit diese Subjektivierungsformen gesellschaftlich und Kulturen übergreifend vorgedrungen sind, auch die Gegenpraktiken selbst werden sichtbar, nicht zuletzt durch die ethnografische Sensibilität für Brüche, Inkonsistenzen und Widersprüche. Denn gerade diese gegenläufigen Praktiken mit den dahinterstehenden alternativen Vorstellungen über das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft offenbaren die spezifischen gesellschaftlichen Interessen, die mit diesen Appellen heute verfolgt werden. Wenn dann noch Daten aus anderen Kulturen in die Untersuchung einfließen, verdeutlicht sich auch, dass Subjekte nicht nur individuell, sondern auch kulturell unterschiedlich beeinflusst auf differente Weise mit den gleichen Prinzipien und Diskursen umgehen. So kann Ethnografie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass unternehmerische Subjektanforderungen nicht als Sachzwang erscheinen, dem man sich anzupassen hat. Mein Forschungsprojekt verortet sich in dieser ethnografischen Forschungstradition, indem ich – in meinem konkreten Mikrofeld – den Umgang mit neoliberalen Subjektanforderungen in einer Feldforschung untersuche und herausarbeite, dass dieser Diskurs nicht allübergreifend ist, sondern die Akteure sehr unterschiedlich, auch widersprüchlich, mit dem Diskurs umgehen und sich ihm

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teilweise widersetzen. Mit dieser Mikroperspektive erlange ich einen realistischeren Eindruck sozialer Prozesse, ohne den die Forschung auf der Stelle treten würde. In diesem Unterkapitel habe ich meine eigene Arbeit in den aktuellen Forschungsdiskussionen verortet und dabei sozial- und kulturwissenschaftliche Studien vorgestellt, die sich mit den »neuen« unternehmerischen Subjektanforderungen oder der neoliberalen Subjektivität auseinandersetzen. Viele der Arbeiten stellen diese unternehmerischen Anforderungen in den Kontext konkreter Veränderungsprozesse der Arbeitswelt, worin ich eine Gefahr der vorschnellen Festschreibung und Objektivierung dieses Wandels sehe. Hier liegt die besondere Relevanz der Gouvernementalitätsstudien für mein Forschungsprojekt, die mit ihrer diskursanalytischen Perspektive einen Beitrag zur Dekonstruktion dieser Veränderungsrhetorik leisten und ihren Fokus auf die Verbreitung von neoliberalen Normen und Rationalitäten legen. Gerade ihre Vorstellung der »Selbsttechniken« ist für mich ein zentrales analytisches Konzept, um hierdurch zu zeigen, wie Menschen Machtmechanismen verinnerlichen, sich anpassen. Vielen Forschungen ist jedoch gemeinsam, dass sie nicht ausreichend den individuellen Umgang mit diesen Subjektanforderungen untersuchen und wenig über die tatsächliche Verbreitung dieser Normen sowie über die tatsächliche Relevanz für die Menschen aussagen können. Genau darin liegt der besondere Beitrag der ethnografischen Forschungsweise, die nach wie vor unterrepräsentiert ist und der ich meine eigene Arbeit zuordne. Sie arbeitet teilweise auch mit Konzepten der Gouvernementalität, untersucht jedoch auf einer Mikroebene die individuelle Bedeutung von neoliberalen Subjektanforderungen und Werten und diskutiert diese in einem globalen Kontext. Der ethnografische Zugang, den auch ich in meiner Arbeit gewählt habe, ermöglicht es, freiwillige Aufnahmen und Zurichtungen des Selbst nach hegemonialen Subjektnormen, aber auch widersprüchliche Bedeutungen und gegenläufige Tendenzen aufzuzeigen, um zu einem realistischeren Verständnis unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu gelangen. Ich komme nun zu der Synthese I, in der ich nochmals die wichtigsten Erkenntnisse aus den drei vorangegangenen Unterkapiteln zusammenfasse.

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1.4 S YNTHESE I Um die Hintergründe meiner Forschung in Teil I meiner Arbeit zu beleuchten, habe ich im ersten Unterkapitel den Diskurs des unternehmerischen Selbst charakterisiert. Anhand überwiegend medialer Alltagsquellen bin ich auf seine zusammenhängenden Elemente eingegangen und habe damit auch seine derzeitige hegemoniale Bedeutung in Deutschland aufgezeigt. Das zweite Unterkapitel diente der gesellschaftlichen Verortung des Diskurses, wobei ich einerseits auf seine historische Entstehung und andererseits auf die zeitgenössischen soziopolitischen Hintergründe eingegangen bin. Im dritten Unterkapitel beschäftigte ich mich mit der sozial- und kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem unternehmerischen Selbst und den damit zusammenhängenden Subjektanforderungen, um meine eigene Arbeit in den aktuellen einschlägigen Forschungsdiskussionen zu verorten. Der Diskurs zum unternehmerischen Subjekt gliedert sich in mehrere Elemente, die erst in ihrer spezifischen Formation ihre Bedeutung erlangen. Zusammengehalten werden diese Elemente von der Gleichsetzung des »Unternehmers« mit dem Mensch als Individuum, wobei die Aktivität für diese Subjektvorstellung zentral ist. So wird an die Individuen appelliert, sich selbst als Unternehmer zu verstehen und dabei eigenverantwortlich zu agieren, sich selbst zu optimieren und zu vermarkten, um Erfolg zu haben. Individuen werden zudem ohne gesellschaftlichen Zusammenhang dargestellt, individualisiert und zueinander in ein Konkurrenzverhältnis gesetzt. Diese Subjektvorstellung wird an einen angeblichen Wandel der Arbeits- und Lebensverhältnisse geknüpft, was eine Anpassung an diese Normen und Anforderungen als unverzichtbar erscheinen lässt. Im ethnografischen Teil der Arbeit werde ich untersuchen, wie sich dieser Diskurs konkret im Feld der akademischen Career Services zeigt. Dabei werde ich aufzeigen, dass der Diskurs für die MitarbeiterInnen und BesucherInnen zwar handlungsleitend ist, sie jedoch auch sehr unterschiedlich und teilweise widersprüchlich damit umgehen. So treffen Praktiken der Konkurrenz, Individualisierung und Selbstverwertung auf alternative Werte wie der Solidarität. Insofern übersetzt sich der Diskurs nicht bruchlos in das individuelle Verhalten und Denken der Menschen. Bei der Einbettung des Diskurses in seine historischen sowie zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Hintergründe wird deutlich, dass dieser im Kapitalismus seine derzeitige Form erlangt hat und von kapitalistischen Grundprinzipien geprägt ist. Wichtig ist dabei die Bestimmung der Arbeitskraft als Ware, wie es der Diskurs fortwährend mit Sätzen wie »Du musst Dich vermarkten«

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unterstreicht. Aber auch das Prinzip der Akkumulation und Konkurrenz ist diskursleitend, da Individuen zur Selbstoptimierung und Marktpositionierung aufgerufen werden. Gleichzeitig ist der Diskurs sowohl in der Philosophie des Liberalismus mit seinen Wertvorstellungen von (Markt-)Freiheit und Selbstbestimmung als auch im politischen Programm des Neoliberalismus verankert. Neoliberale PolitikerInnen wenden liberale Normen sowohl auf den Staat als auch auf Individuen an, die sich an Gesetzen des Marktes zu orientieren haben. Die Konsequenzen einer solchen Politik zeigen sich in Deutschland ganz besonders gut im sozialpolitischen Programm »Agenda 2010« und den sogenannten »Hartz-VI-Reformen«. Das deutsche Sozialsystem erfährt seither große marktorientierte Umstrukturierungen und Kürzungen im Bereich der sozialen Absicherung. Flankiert wird diese Politik vom untersuchten Diskurs zum unternehmerischen Selbst, in diesem Zusammenhang von WissenschaftlerInnen auch »Aktivierungsdiskurs« genannt. Durch den Paradigmenwechsel von der »Sozialhilfe« hin zu »Hilfe zur Arbeit« werden Individuen zur Eigenverantwortlichkeit und Aktivität aufgerufen. Sozialleistungen werden dabei mit einer Gegenleistung verknüpft, wobei in dieser hegemonialen Vorstellung von Sozialpolitik nur diejenigen ein Anrecht auf eine ökonomische Grundsicherung haben, die auch etwas leisten (wollen). Damit wird die gesellschaftliche Verantwortung für soziale Sicherung tendenziell immer mehr den Individuen selbst aufgebürdet. An dieser Stelle zeigt sich, dass dieser Diskurs, der Menschen mitsamt ihren Risiken individualisiert, die Funktion erfüllt, strukturelle gesellschaftliche Ungleichheiten auszublenden und gleichzeitig die neoliberalen, marktkonformen Umstrukturierungen des Sozialstaates zu legitimieren. Wie zu sehen sein wird, haben die sozialpolitischen Veränderungen im Zuge der Hartz-IV-Reformen eine große Auswirkung auf meine GesprächspartnerInnen im Feld. Viele von ihnen fürchten sich davor, dass sie Arbeitslosengeld II (»Hartz-IV«) beantragen müssen, oder sie beziehen diese Leistungen bereits und leiden unter den Stigmatisierungen, die damit einhergehen. Dies führt dazu, dass sie auf den Diskurs zurückgreifen und mittels Selbsttechniken auf sich einwirken und versuchen, sich noch besser zu verwerten. In Kapitel 1.3 bin ich dann auf den Forschungsstand zum unternehmerischen Selbst eingegangen. Die sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungen zu den »neuen« Subjektanforderungen, die mit der Kategorie des unternehmerischen Subjekts zusammengefasst werden, stellen diese oft in den Kontext tatsächlicher Veränderungsprozesse der Arbeitswelt, womit einige Forschungen die Veränderungsrhetorik des Diskurses reproduzieren. Indem normative Subjektan-

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forderungen gekoppelt werden an einen angeblichen Wandel, an den sich alle anzupassen haben, besteht somit eine Gefahr ihrer Festschreibung. Hier zeigt sich die besondere Relevanz der diskursanalytischen Perspektive, insbesondere der Gouvernementalitätsstudien, die für meine eigene Forschung richtungsweisend ist. Sie hinterfragen die scheinbar unumgänglichen Subjektanforderungen und Normen als Diskurs auf einer Metaebene und stellen sie in einen Macht- und Interessenskontext. Sie beziehen den Diskurs jedoch weniger auf die materiellen Verhältnisse des Kapitalismus, sondern bleiben mehr auf der ideellen Ebene. Für meine Arbeit ist die Verortung des Diskurses in den zentralen Prinzipien des Kapitalismus jedoch sehr wichtig, worauf ich in Kapitel 1.2 eingegangen bin. Auf diese Weise kann ich den angeblich »neuen« Charakter der Subjektanforderungen und ihre damit erfolgende Festschreibung hinterfragen. Zudem befinden sich die VertreterInnen dieser Forschungsrichtung auf einer gesellschaftlichen Makroebene und treffen kaum Aussagen darüber, welche Bedeutung diese diskursiv verbreiteten Normen und Anforderungen tatsächlich für die Menschen haben. Genau dies werde ich in meiner Feldforschung im Kontext der akademischen Career Services untersuchen (Kapitel 3 und 4). Ethnografische Forschungen können hingegen in einem konkreten MikroFeld Aussagen über die Relevanz und Verbreitung treffen und dabei auch Brüche und Gegennormen offenlegen. Besonders wertvoll ist dabei ihre globale Perspektive, da sie auch Daten anderer kultureller Regionen berücksichtigen. Sie erforschen, wie sich Menschen freiwillig an die hegemonialen Normen anpassen und von ihnen zugerichtet werden. Genauso machen sie aber auch gegenläufige Bewegungen und Freiräume deutlich und zeigen, wie sich Menschen solchen Anforderungen in ihrem Alltag widersetzen, womit eine realistischere Sicht auf soziale Prozesse möglich wird. Meine eigene Arbeit verortet sich in dieser ethnografischen Forschungstradition. So untersuche ich in einem konkreten Mikrokontext, welche Bedeutung diese hegemonialen diskursiven Subjektanforderungen und Normen für die Menschen haben und wie unterschiedlich sie mit diesem Diskurs umgehen. In allen drei Unterkapiteln kommt immer wieder die Frage auf, inwiefern das unternehmerische Subjekt ein neues Phänomen darstellt. Wie ich in Kapitel 1.1 gezeigt habe, fungiert der Wandel der Arbeits- und Lebensbedingung im Diskurs als Vorbedingung und soziale Voraussetzung. So müssten sich Menschen an die Subjektanforderungen anpassen, wenn sie unter den veränderten Bedingungen Erfolg haben wollen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird über die historische Verortung des unternehmerischen Subjekts diskutiert, was für das kritische Verstehen der Denkfigur ein wichtiges Problem darstellt. Gemeinsam ha-

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ben viele AutorInnen, dass sie bei der Leitfigur des unternehmerischen Selbst von einer neuen sozio-ökonomischen Entwicklung ausgehen. Doch inwiefern handelt es sich hier tatsächlich um ein neues Phänomen und wie lässt sich die zunehmende Bedeutung der Idee des eigenen Unternehmers erklären? Vor dem Hintergrund der verschiedenen Forschungsperspektiven lassen sich unterschiedliche Antworten auf diese Frage finden. Viele WissenschaftlerInnen, die auf einer Objektebene argumentieren, also einen tatsächlich beobachtbaren Wandel konstatieren, datieren die Geburt dieser Subjektanforderungen auf das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts und begründen die diskursive Verbreitung dieser Figur mit den sich verändernden Beschäftigungsverhältnissen. Auch der diskursanalytische Argumentationsstrang der Gouvernementalitätsstudien verortet die Anfänge dieses Appells, wie sein eigener Unternehmer zu agieren, in den 1980er Jahren. Bröckling räumt jedoch ein, dass die Idee eines Arbeiters, der als Verkäufer seiner Arbeitskraft unternehmerisch handelt, im Zeitalter des Kapitalismus nicht »neu« sei. Neu daran sei aber, »dass der Arbeiter nicht nur im Akt des Verkaufs seiner Arbeitskraft als Unternehmer agiert, sondern deren Käufer von ihm verlangen, in der veräußerten Arbeitszeit selbst unternehmerische Initiative und Verantwortung zu zeigen« (Bröckling 2007: 55). Was daran aber genau neu sein soll, bleibt in den Ausführungen von Bröckling unklar. So drängt sich erneut die Frage auf, was eigentlich das spezifisch »Neue« an der Idee des unternehmerischen Subjekts ist. Wie ich im vorangegangen Kapitel 1.2 dargelegt habe, vertrete ich die These, dass diese Figur an sich kein neues Phänomen darstellt, weil sie der Idee einer liberalen Gesellschaft mit Bürgerrechten und staatlich verbrieften Eigentumsrechten unterliegt. Insofern ist die Bezeichnung dieser Denkfigur als »neoliberal« treffend, weil es ihr Herkommen aus liberaler Philosophie und Weltbild anzeigt, als sich erst in der kapitalistischen Produktion formende und sie zugleich vorantreibende Subjektkategorie. Mit einer solchen Perspektive wird deutlich, dass sich im unternehmerischen Subjekt – entgegen aller Beschwörungen seines neuen, technologischen Innovationen und/oder ökonomischen Wandels geschuldeten Charakters – etwas zu wiederholen scheint, was in der Idee des Liberalismus und der kapitalistischen Produktionsweise tief verwurzelt ist. Neu daran scheint mir daher nur die steigende mediale Verbreitung dieser Figur seit den 1980er Jahren zu sein, deren Grund m.E. darin zu suchen ist, Ausbeutung und Abhängigkeiten zwecks zeitgleich betriebenen Abbaus des Sozialstaats zu kaschieren. Mit der Figur lassen sich in der tatsächlich neuen Anwendung auf alle Menschen, also nicht nur auf Unternehmer, ein bestimmtes Menschenbild sowie Handlungsmaximen gebündelt vermitteln, die den Abbau gesellschaftlicher Verantwortung für den Men-

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schen neu zu legitimieren vermögen. Ich schließe diese Synthese nun mit einem Ausblick auf die folgenden Kapitel der Arbeit. Nun folgt der II. Teil meiner Arbeit, in dem ich mich dem Thema des unternehmerischen Selbst ethnografisch annähere. Ausgehend von der Kritik der bestehenden Forschungsliteratur untersuche ich den konkreten Umgang mit den diskursiven Subjektanforderungen auf einer institutionellen Mikroebene und berücksichtige dabei ganz besonders die subjektiven Wahrnehmungs- und Umgangsweisen von Menschen. Methodisch bearbeitete ich meine Fragestellung mittels einer ethnologischen Feldforschung in Career Services von Hochschulen, wobei ich die MitarbeiterInnen und BesucherInnen fokussiert habe. In diesem Teil der Arbeit gehe ich zunächst in Kapitel 2.1 auf die Institutionen der akademischen Career Services ein, um den spezifischen Kontext meiner Forschung darzustellen. Dann skizziere ich in Kapitel 2.2 mein methodisches Vorgehen sowie den Forschungsprozess. Anschließend folgt in Kapitel 3 und 4 die Darlegung meiner zentralen Forschungsergebnisse, wobei ich mich erst auf die MitarbeiterInnen von Career Services und ihre Arbeit konzentriere (Kapitel 3), um dann die BesucherInnen von Career Services, mit denen ich gesprochen habe, zu fokussieren. Dabei handelt es sich meist um arbeitssuchende AbsolventInnen (Kapitel 4). Sowohl dem Teil über die MitarbeiterInnen als auch meinen Ausführungen zu den BesucherInnen der Career Services folgt eine Synthese, in der ich nochmals zentrale Aspekte aus dem jeweiligen Kapitel aufgreife und zusammenführe.

Teil 2: Ethnografie

2. Feld und Methoden

Im folgenden ethnografischen Teil der Arbeit gehe ich auf meine Feldforschung ein und breite meine zentralen Forschungsergebnisse aus. In Kapitel 2.1 werde ich mein Feld – die Institution Career Service – vorstellen und in Kapitel 2.2 den theoretischen und methodischen Zugang, den Forschungsprozess sowie meine Feldforschungserfahrungen darlegen. Die daran anschließenden Kapitel 3 und 4 gründen auf meinen Daten aus dem Feld der Career Services und ich diskutiere die Ergebnisse meiner Feldforschung. Es wird erörtert, wie im Kontext dieser Einrichtungen von Hochschulen, die auf den Berufseinstieg vorbereiten, mit den »neuen« unternehmerischen Subjektanforderungen umgegangen wird, wobei ich mich einerseits auf die MitarbeiterInnen und ihre Beratungs- und Unterstützungsangebote (Kapitel 3) und andererseits auf die HochschulabsolventInnen (Kapitel 4) konzentriere. Nun stelle ich zunächst meinen Feldforschungsort dar: Die Institution Career Service der deutschen Hochschulen. Dies ermöglicht mir, meine Feldforschungsdaten in ihrem konkreten Kontext zu verorten.

2.1 D IE I NSTITUTION

DER

C AREER S ERVICES

Career Services setzen sich zum Ziel, Studierende und AbsolventInnen beim Übergang in das Berufsleben zu unterstützen und zwischen ihnen und Wirtschaftsunternehmen zu vermitteln. Daher sehen sie sich selbst an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt (vgl. Career Service Netzwerk Deutschland 2009: 2, 8). In einem ersten Schritt diskutiere ich kurz die Entwicklung der akademischen Career Services in Deutschland, die auch im Zuge des Bologna-Prozesses stark an Bedeutung gewonnen haben. Der Bologna-Prozess bezeichnet das im 1999 in Bologna begonnene hochschulpolitische Vorhaben zur Schaffung eines

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einheitlichen europäischen Hochschulraums.1 Als ich meine Forschung im Jahr 2008 begann, waren Career Services bereits ein fester Bestandteil der deutschen Hochschullandschaft. Anschließend gehe ich auf die Organisationsstruktur der Career Services ein, skizziere ihren institutionellen Ort, ihre Finanzierung, Organisationsformen und Aufgabenbereiche. Ich konzentriere mich hier vornehmlich auf diejenigen, die ein fächerübergreifendes Angebot aufweisen, da ich in solchen Institutionen meine Feldforschung durchgeführt habe. Schließlich stelle ich die Career Services vor, in denen ich meine Feldforschung durchgeführt habe und beschreibe ihre spezifische Struktur. Bei meinen folgenden Ausführungen stütze ich mich insbesondere auf die Forschungen und Beiträge von Jörns.2 Sie hat in Deutschland Career Services als hochschulübergreifende berufsvorbereitende Institutionen in den Blick genommen und ihre Entwicklung sowie ihre vielfältigen Formen und Funktionen untersucht. Neben einer Dokumentenanalyse hat sie im Jahr 2002 eine telefonische, leitfadengestützte Expertenbefragung an 38 Career Services und vergleichbaren berufsvorbereitenden Einrichtungen durchgeführt (Jörns 2002 25, 132-138, 2003, 2007). Als wichtige Grundlage diente mir außerdem die Forschung von Johanna von Luckwald (2010: 9-23; 69-74). Sie verfolgte mit ihrer Forschung das Ziel, Parameter für die Vergleichbarkeit und Qualitätssicherung der Career Service-Arbeit zu entwickeln, wobei sie auch ausführlich auf die Bedeutungszunahme der Career Services durch die Hochschulreformen eingeht, was für meine Arbeit von besonderem Interesse ist. Hierfür hat sie eine auf einem standardisierten Fragebogen basierende, quantitative Studie durchgeführt. Von September 2007 bis Januar 2008 befragte sie schriftlich 66 Institutionen, die den Namen Career Center bzw. Career Service führten. Die quantitativen Daten hat sie mit Daten aus 29 Experteninterviews ergänzt. Schließlich ist die seit 2003 jährlich erscheinende Zeitschrift career service papers (csp) des Vereins Career Service Netzwerk Deutschland (csnd) neben dem Sammelband Puhle/Weiler (2001) und der viel zitierten Studie zu Praxisinitiativen deutscher Hochschulen der 1990er Jahre (Ehlert et al. 1999) für die vorliegende Arbeit wichtig. Anhand dieser Daten folgt nun eine Darstellung der institutionellen Entwicklung von Career Services in Deutschland.

1

Ich diskutiere den Bologna-Prozess ausführlicher im zweiten Abschnitt (2.1.2).

2

Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin war Jörns maßgeblich daran beteiligt, den Career Service der Universität Göttingen aufzubauen, heute ist sie die Leiterin der Einrichtung.

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2.1.1 Entwicklung der Career Services Die Konzeption einer akademischen Career Service-Institution stammt aus dem angelsächsischen Raum. Anders als in Deutschland, wo Career Services erst ab den 1990er Jahren entstanden sind, weisen diese berufsbezogenen Dienstleistungs-Institutionen im angelsächsischen Raum eine rund 100-jährige Tradition auf (Bories-Aesley 2001: 26ff; von Luckwald 2010: 24ff).3 Bei der Etablierung der Career Services in Deutschland gelten diese Einrichtungen aus England und den USA als eine Art Vorbild. Die Größe der berufsvorbereitenden Institutionen in den USA und Großbritannien variieren je nach Hochschule, doch sind sie im Vergleich zu Deutschland sehr großzügig ausgestattet und gerade in den USA oft in einem eigenen, repräsentativen Gebäude untergebracht (Jörns 2002: 46). Zu nennen ist beispielsweise das Career Center der American University in Washington D.C., wo im Jahr 2001 insgesamt 30 hauptamtliche Mitarbeiter und 14 studentische Hilfskräfte arbeiteten (Bories-Aesley 2001: 29f; Jörns 2002: 62). Im Gegensatz dazu verfügen in Deutschland Career Services meist nur über ein bis drei Vollzeitstellen und sind in sehr begrenzten Räumlichkeiten untergebracht (vgl. Kapitel 2.1.3). In Deutschland können die Anfänge dieser Einrichtungen in den 1980er Jahren verortet werden. Bis in die 1990er Jahre hinein wurden Projekte und Praxisinitiativen zur Unterstützung des Berufseinstiegs initiiert, die sich insbesondere an Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften richteten.4 Die Gründung dieser Initiativen wird in der Literatur im Zusammenhang mit der zunehmend schwieriger werdenden Arbeitsmarktsituation von Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen gesehen. Mit unterstützenden Programmen wurde versucht, ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Oft waren diese Programme auf einzelne Fächer bzw. Fachbereiche begrenzt, da sie die besonderen Berufseinstiegsprobleme dieser Studierenden adressieren sollten (Ehlert et al. 1999; Grühn 2003: 7, 9f; Jörns 2002: 83-90; Michel 2001: 46f; von Luckwald 2010: 33ff; Wissenschaftsrat 1999: 46). Ab Mitte der 1990er Jahre haben sich berufsvorbereitende Projekte und Einrichtungen vermehrt vernetzt. Es gab immer mehr Einrichtungen, die hochschul-

3

In England und den USA gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für diese Einrichtungen, z.B. Career Development Office, Careers Service, Career Counselling, Careers Advisory Service, Placement Center (Jörns 2002: 28).

4

Einen Überblick über die Vielzahl von berufsorientierenden Praxisinitiativen bietet das Handbuch von Ehlert und Welbers (1999), die rund 100 Projekte untersucht und miteinander verglichen haben.

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und fächerübergreifende Angebote bereitstellten, sie trugen jetzt erstmals den Namen Career Services oder Career Centers. Viele dieser Institutionen sind zwischen 1997 und 2001 gegründet worden, einige von ihnen entstanden aus fakultätsorientierten Praxisinitiativen und Projekten und boten ihre Dienstleistungen neuerdings fakultätsübergreifend an. Sie hatten das Ziel, die verschiedenen Einzelangebote zur Berufsorientierung und Qualifizierung innerhalb der Hochschule zu bündeln und fächerübergreifend zu agieren (Grühn 2003: 10f; Wissenschaftsrat 1999: 47; von Luckwald 2010: 35). Von Beginn an verstanden sie sich als Dienstleistungseinrichtungen der Hochschule und nutzten vermehrt den Terminus Career Center oder Career Service. Ab dem Jahr 2000 fand mehreren AutorInnen zufolge eine stärkere »Institutionalisierung« und »Professionalisierung« der Career Services statt. Die Career Services fingen an, auf regionaler Ebene enger zusammenzuarbeiten, es wurden Fachtagungen organisiert. 2003 gründete sich ein Dachverband der Career Services, das »Career Service Netzwerk Deutschland« (csnd), das einen steten Anstieg an Mitgliederzahlen verzeichnet und seit 2003 eine jährlich erscheinende Zeitschrift, career service papers (csp), im Umfang von ca. 70 Seiten herausgibt. Gerade die Herausgabe der csp kann als ein Zeichen für die vermehrte Professionalisierung der Career Service-Institutionen gedeutet werden. Auf diese Weise schaffen sie vermehrt Öffentlichkeit für ihre Themen und die Beschäftigten haben die Möglichkeit, über gemeinsame Themen wie z.B. Qualitätsstandards in einen gemeinsamen, öffentlich zugänglichen Austausch zu kommen (Grühn 2003: 7f; Jörns 2002: 178-181, 2003: 15f; von Luckwald 2010: 37-40). 2.1.2 Career Services im Kontext des »Bologna-Prozesses« Die rapide Zunahme von Career Services in Deutschland steht in einem engen Zusammenhang mit den Hochschulreformen, insbesondere der sogenannten »Bologna-Reform« bzw. des »Bologna-Prozesses«. Diese Reform wurde im Jahr 1999 initiiert. Die BildungsministerInnen aus 29 europäischen Ländern unterschrieben in Bologna eine Deklaration, um einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen (BMBF 1999). Seither werden diese Maßgaben in Studienreformen der Mitgliedsstaaten umgesetzt.5 Kernelement bildet eine stärkere Modularisierung der Studiengänge sowie die flächendeckende Einführung von vergleichbaren berufsqualifizierenden Bachelor-Abschlüssen und stärker forschungsorientierten Master-Abschlüs-

5

Eine ausführliche Kritik der Umsetzung der Bologna-Reform hat Draheim (2012: 5668) geleistet.

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sen. Damit sollen u.a. die Mobilität, die europäische Zusammenarbeit sowie »Lebenslanges Lernen«6 gefördert werden (Bloch 2009: 32-37; Draheim 2012: 54-62, 100-106; Maeße 2010: 107ff). Ein zentrales Ziel der Reform bildet auch der stärkere Praxis-, Berufs- und Arbeitsmarktbezug des Hochschulstudiums. So haben 1999 die europäischen Bildungsminister als Ziel definiert, den Erwerb von arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen ins Studium zu integrieren, erstrebt wird die »Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, auch durch die Einführung des Diplomzusatzes (Diploma Supplement) mit dem Ziel, die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger ebenso wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern.« (BMBF 1999)

Themen wie Berufsvorbereitung und die Vorbereitung der Graduierten auf den Arbeitsmarkt haben im Zuge der Reformen einen immer höheren Stellenwert erhalten. »Employability«7 – »die Beschäftigungsfähigkeit« – wurde als Aufgabe von Hochschulen definiert und ist zum zentralen Ziel der europäischen Studienreformen geworden. So stellt der Report von Reichert und Tauch der European University Association (EUA) fest: »Preparing graduates for the European labour market is regarded as one of the three most prominent driving forces of the Bologna Process« (Reichert/Tauch 2003: 27). Im Bologna-Prozess wird unter »Employability« insbesondere die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen verstanden. Es sollen neben den fachlichen Fähigkeiten auch zunehmend »überfachliche« »Kompetenzen« wie »Selbstmanagement« und »Selbstmarketing« gefördert und systematisch in das Curriculum integriert werden. Studierende sollen dazu »befähigt« werden, sich im »Beschäftigungssystem zu behaupten« (von Luckwald 2010: 95; vgl. ebd.: 58-63; Bloch 2009: 83-89, 103; Jörns/Eimer 2005: 30ff).

6

Das Konzept »Lebenslanges Lernen«, das darauf abzielt, dass Menschen sich ein Leben lang weiterbilden sollen, wird sehr unterschiedlich verstanden (zu den verschiedenen Rezeptionsströmungen vgl. Draheim 2012: 105f). Meist lautet das ausgegebene Ziel des Lebenslangen Lernens, dass sich Menschen auf die Bedarfe des Arbeitsmarktes und der »Wissensgesellschaft« besser einstellen können.

7

Mit »Employability« ist gemeint, dass eine Person von der sachlichen und sozialen Kompetenz her am Arbeitsmarkt und am Berufsleben teilnehmen kann. Damit wird die Berufsvorbereitung zum Studienziel erklärt (Block 2009: 83; von Luckwald 2010: 58ff).

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In der wissenschaftlichen Forschung wird die Forderung nach Employability, der Erwerb von Schlüsselkompetenzen und das Ziel des Lebenslangen Lernens im Zuge der Hochschulreformen auch kritisch besprochen (vgl. Angermuller et al. 2014). Bloch (2009: 89) kritisiert, dass Employability als alternativlos dargestellt wird: Nur diejenigen, die neben ihrem Fachwissen auch über Schlüsselqualifikationen verfügen, gelten überhaupt als beschäftigungsfähig. Damit würden sich hinter dem Ziel der europäischen Studienreformen zugleich normative Anforderungen, wie z.B. der Appell der Anpassung an den Arbeitsmarkt, an die Studierende verbergen. Doch gerade für die Studierenden sei es oft unklar, was genau von ihnen gefordert sei, ein Umstand, der ihre Unsicherheit verschärfen würde. Auch Draheim argumentiert, dass im Zuge des Bologna Prozesses oft folgendermaßen argumentiert wird: »Persönlichkeit als Investition zählt zukünftig mehr als Fachwissen.« (2012: 197) Was jedoch als Persönlichkeit verstanden werde, sei meist verwertungsorientiert und bestimmt von widersprüchlich definierten Fähigkeiten, den sogenannten »Schlüsselkompetenzen«. Ähnlich kritisch sieht Draheim (2012: 197) den Anspruch des »Lebenslangen Lernens«. Darin seien alle aufgefordert, Lebenslanges Lernen als »verantwortungsvolle Haltung im Umgang mit sich selbst« einzunehmen, wobei externe Anforderungen als Chance und Herausforderung zu begreifen sind. Sie sieht darin jedoch die Gefahr, dass Scheitern in Bildungsprozessen zunehmend »individuell zugerechnet werden können« und »strukturelle Ungleichheiten zum Verschwinden gebracht werden« (ebd.). Diese Debatte ist für meine Forschung sehr relevant, da sie aufzeigt, wie durch hochschulpolitische Maßnahmen die untersuchten Subjektanforderungen verbreitet werden und welche Konsequenzen dies für die Studierenden hat. Zudem habe ich während meiner Feldforschung beobachtet, dass in Career Services die »überfachlichen« Qualifikationen, wozu z.B. Selbstmanagement oder Selbstmarketing gehört, als unumgängliche Kompetenzen für den Arbeitsmarkt vermittelt werden, die sich alle aneignen müssen, um erfolgreich zu sein (vgl. Kapitel 3.2, Kapitel 3.3). Vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses haben auch Career Services eine größere Bedeutung bekommen. So empfiehlt die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) 8 im Jahr 1997 und der Wissenschaftsrat9 im Jahr 1999 den Ausbau von

8

Die Hochschulrektorenkonferenz ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Hochschulen. Sie versteht sich selbst als Vertretung der Hochschulen gegenüber Politik und Öffentlichkeit und hat gegenwärtig 267 Mitglieder.

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Career Centers an Hochschulen offiziell als mögliche Organisationsform, um Studierende und AbsolventInnen beim Übergang in den Beruf zielgerichtet zu unterstützen (Grühn 2003: 7f; Hochschulrektorenkonferenz 1997; Jörns 2002: 12, 117f; Wissenschaftsrat 1999: 71; von Luckwald 2010: 9ff, 36f, 50-68). Hinzu kommt, dass Hochschulen vermehrt auch am beruflichen Erfolg der Studierenden gemessen werden sollen. 2001 nahm das »Centrum für Hochschulentwicklung« (CHE)10, das Mitte der 1990er Jahren von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz gegründet wurde, berufsvorbereitende Aufgaben als Leistungsindikator für Hochschulrankings auf. Daher sieht Jörns (2007: 2, 13, 2002: 12) die Career Services als »wirkungsvolles Instrument im Gesamtmarketingkonzept« der Hochschulen an, um sich im wachsenden Wettbewerbsdruck zu behaupten (vgl. auch von Luckwald 2010: 37; Michel 2001: 47). Während meiner Feldforschung habe ich dieses Argument auch von den MitarbeiterInnen oft gehört, die auf diese Weise die große Wichtigkeit ihrer Institution unterstreichen wollten. In einer Teamsitzung verwies eine Mitarbeiterin darauf, dass Career Services heute Teil der Hochschulrankings sind und interpretierte dies als Zeichen des Bedeutungszuwachses von Career Services (Feldforschungstagebuch 10/2009). 11 Auch der Wissenschaftsrat spricht in ähnlicher Weise: »In dem Maße, wie der Arbeitsmarkterfolg der Absolventen künftig zu einem Beurteilungsfaktor für die Leistungsfähigkeit von Hochschulen wird, zählt der Aufbau und die Bereitstellung solcher Angebotsstrukturen (›Career Centers‹) zu den genuinen Aufgaben einer Hochschule.« (Wissenschaftsrat 1999: 72)

9

Der Wissenschaftsrat ist das zentrale wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland und berät die Bundesregierung und die Landesregierungen in Bezug auf die Weiterentwicklung von Wissenschaft, Hochschule und Forschung.

10 Mit ihrem Selbstverständnis als »Denkfabrik« für die deutschen Hochschulen setzt sich das CHE für Reformen des Hochschulwesens ein, sie führt hochschulübergreifende Studien durch und veröffentlicht jährlich ein Hochschulranking. Zu einer kritischen Diskussion der Rolle dieser Einrichtung s. Maasen/Weingart (2008) sowie Schuler (2010: 138-177). 11 In diesem Zusammenhang sind die Career Services bestrebt, ihre eigenen Erfolge und Wirkungen zu quantifizieren, auch um ihre Legitimation innerhalb der Hochschule zu verdeutlichen. Beide Career Services, in denen ich geforscht habe, legen viel Wert auf ihre Statistiken. Dort halten sie z.B. die Anzahl der stattgefundenen Beratungen und die verschiedenen Anliegen laufend fest. Die tatsächliche Messung und Bewertung ihrer Arbeitsleistung stellt sich für sie jedoch als sehr schwer dar.

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Hier werden Career Services als »genuine Aufgabe« einer jeden Hochschule dargestellt, von denen auch die Leistungsfähigkeit von Hochschulen beeinflusst wird. Dies zeigt das veränderte Bild von Hochschulen als miteinander konkurrierende Dienstleister, die sich wie Unternehmen entsprechend »vermarkten« müssen (Maasen/Weingart 2008). 12 Auch dieser Aspekt verweist darauf, dass die Hochschulen im Zuge der Bologna-Reform nach dem Leitbild von Unternehmen umorganisiert werden sollen. Susanne Draheim konstatiert in ihrer Studie, in den diversen »Programmschriften« zum Bologna-Prozess lasse sich »immer wieder die Forderung [finden], Hochschulen und ihr Klientel sollten sich ›unternehmerischer‹ verhalten, sei es in ihrer Organisationsform, ihren Angeboten oder im Zuschnitt ihres Profils« (2012: 134). So werden in Hochschulen schrittweise unternehmensähnliche Managementstrukturen eingeführt, aber auch Anreizstrukturen in Form von Wettbewerben geschaffen (vgl. Neundorf et al. 2009). Nach Maasen und Weingart werden hier Institutionen und eben auch Universitäten in ähnlicher Art und Weise wie Individuen als unternehmerische Subjekte angesprochen. Institutionen sollen »durch manageriale Verfahren sich selbst und andere flexibel zu steuern lernen und dabei zu dem werden, was wir ›unternehmerische Universitäten‹ nennen« (2008: 142). Daher werden Hochschulen angehalten, um »Exzellenz«, »Kunden« und Forschungsgelder zu konkurrieren. Hier wäre es interessant, diese Begriffe und ihre Verwendung genauer zu betrachten, die sich im Zuge der Reformen verändern. Welches Bildungsverständnis wird etabliert, wenn Studierende zu »Kunden« von Hochschulen werden, die »Dienstleistungen« in Anspruch nehmen? Auch wäre zu fragen, was jeweils genau unter »Exzellenz« verstanden wird und wie sich Konkurrenz und Wettbewerb zwischen Hochschulen konkret zeigt. Die Forderung nach und Förderung von Konkurrenz zwischen den Hochschulen führte dazu, dass sich eine Reihe neuer Instanzen gebildet haben wie z.B. Evaluationsagenturen, Kuratorien oder der nationale Akkreditierungsrat, die auch das Ziel verfolgen, einen freien Markt durch aufwändige Verfahren der Regulierung, Erfassung und Einordnung zu »simulieren« (Draheim 2012: 61). Hierzu gehören u.a. auch die bereits erwähnten Hochschulrankings wie beispielswei-

12 Jörns plädiert für ein Verständnis von Hochschule als Dienstleister und erklärt hieraus auch die rapide Zunahme von Career Services: »Hochschulen verstehen sich heutzutage immer mehr als Dienstleister in einer globalisierten Welt, die ›kundenorientiert‹ in den einzelnen Wirkungsbereichen vorzugehen haben. Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung von Career Services geradezu unausweichlich gewesen. Auch wird nachvollziehbar, wenn viele Universitätsangehörige diese neuen Einrichtungen als ›im Trend liegend‹ ansehen.« (2002: 126)

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se des Centrums für Hochschulentwicklung aber auch der Wettbewerb um Drittmittel sowie der Wettbewerb der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung (Maasen/Weingart 2008: 148-158). Diese vielfältigen Prozesse wurden unter dem Begriff der »Ökonomisierung der Hochschulen« untersucht und konträr diskutiert. 13 Diese Tendenz ist innerhalb der europäischen Hochschullandschaft stark umstritten, da viele KritikerInnen eine schrittweise Unterhöhlung des primären Bildungsauftrags befürchten (vgl. Schuler 2010: 138-175; Färber et al. 2015). Insofern befinden sich Career Services seit über zehn Jahren mitten in den konfliktbehafteten Auseinandersetzungen um die Ausrichtung und Positionierung von Hochschulen (vgl. Schlaffke 2001). Gerade Interessensgruppen, die sich gegen eine zunehmende Ökonomisierung der Hochschulen und vermehrte Kooperation mit der Wirtschaft wenden, sehen Career Services als Bestandteil dieser Entwicklungen an. Sie stehen dem neuen berufsorientierenden Auftrag der Hochschule skeptisch gegenüber. Während meiner Forschung berichteten die MitarbeiterInnen wiederholt, dass ihnen gerade von StudierendenvertreterInnen vorgeworfen wird, der »verlängerte Arm der Wirtschaft« zu sein und die Interessen der Wirtschaft zu vertreten. So wird die Legitimation solcher Institutionen nach wie vor verhandelt und Mitglieder von Career Services beklagen sich über die geringe Anerkennung ihrer Arbeit im Gesamtkontext der Hochschule. In diesem Sinne schreiben Grühn und Jörns (2003: 2) im Editorial des ersten Heftes der Zeitschrift career service paper: »[…] Career Services in Deutschland haben […] bei allem Fortschritt der vergangenen Dekade noch nicht die ihnen gebührende Anerkennung gefunden«. Je nach hochschulpolitischer Situation steht auch die Finanzierung von Career Services immer wieder auf dem Prüfstand und die finanzielle Förderung wurde teilweise auch wieder eingeschränkt, ein Punkt, auf den ich im Laufe der Arbeit zurückkommen werde (Kapitel 2.1, Synthese II), verweist er doch auf die Prekarität der an Career Services tätigen MitarbeiterInnen. In der Zeit meiner Forschung wurde z.B. das Career Service der Universität Freiburg geschlossen und in die Studienberatung überführt.

13 Zu diesem Phänomen der zunehmenden Regulierung und Ökonomisierung von Hochschulen erfolgten schon früh in der Ethnologie eine Reihe von Studien (z.B. Shore/ Wright 2000), s. auch den Workshop zu »Anthropologies of University Reform« auf der EASA-Konferenz 2008, der Workshop »Questioning ›quietness‹: Teaching anthropology as cultural critique« der EASA-Konferenz 2012 sowie den Forschungsbereich »Education, Policy and Organisation in the Knowledge Economy« (EPOKE) der Universität Aarhus unter der Leitung von Susan Wright.

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2.1.3 Organisationsstruktur von Career Services Heute weist fast jede deutsche Hochschule ein Career Service auf, doch sind keine genauen Zahlen zugänglich.14 Daher ist es schwer festzustellen, wie viele Career Services es insgesamt in Deutschland gibt. Einerseits verändert sich ihre Zahl stetig, da neue Einrichtungen gegründet oder auch Institutionen zusammengeführt werden. Zudem ist die jeweilige Form, institutionelle Eingebundenheit und konzeptionelle Umsetzung der Career Services von Hochschule zu Hochschule sehr verschieden und hängt von den lokalen hochschulinternen Entwicklungen und gewachsenen Strukturen ab. Dies ist auch eine Folge des Bildungsföderalismus der Bundesrepublik Deutschland. Zudem gibt es Institutionen, die sich zwar nicht »Career Service« nennen, doch vergleichbare Aufgaben übernehmen. In dieser Arbeit beschäftige ich mich vor allem mit denjenigen, die ein fächerübergreifendes Angebot aufweisen (vgl. von Luckwald 2010: 43, 80ff). Die Mehrzahl der Career Services sind universitätseigene Einrichtungen. Organisatorisch angesiedelt sind viele der Career Services entweder in der Zentralen Studienberatung bzw. in den Serviceeinheiten für Studienangelegenheiten, wie z.B. das Campus Center, Service-Center etc. oder aber sie fungieren als eigener Bereich der Verwaltung, unabhängig von anderen akademischen Einrichtungen bzw. als Teil des Rektorats. Career Services mit fachspezifischer Ausrichtung sind in den jeweiligen Fakultäten bzw. Fachbereichen angesiedelt. Darüber hinaus gibt es einige wenige Career Services, die als eine Art Tochtergesellschaft der Hochschule betrieben werden oder in Form eines gemeinnützigen Vereins mit Anbindung an die Hochschule. Neben den universitätseigenen Career Services gibt es auch institutionenübergreifende berufsorientierende Programme, wofür sich Hochschulen an einem Standort zusammenschließen (Jörns 2002: 138-142, 2003: 17f, 2007: 6; Puhle/Weiler 2001a: 12f; von Luckwald 2010: 80ff). Auch die Finanzierungsquellen von berufsvorbereitenden Einrichtungen variieren: Ein großer Teil der Finanzmittel von Career Services stammt aus den Haushaltsmitteln der Hochschulen, aus Studiengebühren sowie aus Drittmitteln. Diese Drittmittel kommen aus verschiedenen Töpfen, oft aus Hochschulsondermitteln der jeweiligen Ministerien, Einnahmen aus der Wirtschaft, Fördergeldern der Europäischen Union und anderen Einnahmequellen, darunter Leistungen der

14 Eine Recherche mit Hilfe der Suchmaske der Internetseite »Hochschulkompass« der Hochschulrektorenkonferenz, wo alle Hochschulen gebündelt zusammengefasst sind, ergab, dass dort 392 Career Services von staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen registriert sind.

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Bundesagentur für Arbeit oder Teilnehmergebühren (Jörns 2003: 21f; von Luckwald 2010: 82ff). Viele der Career Services verfügen über ein bis drei Vollzeitstellen (inklusive Verwaltungskraft), wobei diese oft auf mehrere MitarbeiterInnen in Teilzeit verteilt sind. Nur wenige Career Services verfügen über vier bis acht MitarbeiterInnen. Dabei sind die Mehrzahl der MitarbeiterInnen befristet angestellt und oft auch aus Drittmittel projektgebunden finanziert, woraus sich eine unsichere Beschäftigungslage ergibt (vgl. Synthese II). Die Leitungspersonen sind zunehmend auch unbefristet angestellt. Meist sind darüber hinaus noch ein bis zwei studentische MitarbeiterInnen beschäftigt, die einen relevanten Teil der Arbeit übernehmen. Allgemein arbeiten die Career Services außerdem mit freiberuflichen TrainerInnen zusammen. Der größte Teil der MitarbeiterInnen von Career Services hat einen sozialwissenschaftlichen, geisteswissenschaftlichen oder pädagogischen Hintergrund. Bis heute gibt es kein spezifisches fachliches Profil, das die MitarbeiterInnen mitbringen sollten (Jörns 2002: 176, 207-212; 2003: 19f; von Luckwald 2010: 85-90). Intern arbeiten Career Services mit diversen Kooperationspartnern zusammen, wobei sich diese hochschulinternen Kooperationsbeziehungen sehr unterschiedlich gestalten. Meist arbeiten sie mit den Institutionen der Studienberatung zusammen sowie mit Abteilungen, die sich um internationale Angelegenheiten kümmern, aber auch mit Alumni-Vereinen oder Beratungsstellen zur Existenzgründung, um nur einige zu nennen. Auf der Ebene der Fakultäten und Fachbereiche reichen die Kooperationen über die Dekane und Gleichstellungsbeauftragten bis hin zu Studien- und Praktikabüros. Dabei ist wichtig zu sehen, dass es in den Hochschulen andere Institutionen gibt, die vergleichbare Aufgaben wie die Career Services übernehmen. So kommt es in einigen Bereichen zu Überschneidungen in den Aufgabenbereichen. Teilweise führt dies auch zu einer hochschulinternen Konkurrenzsituation zwischen den Institutionen mit ihren Programmen und Angeboten, da alle von ähnlichen Finanzierungsquellen abhängen. Career Services kooperieren darüber hinaus immer auch mit externen Partnern, was alleine aufgrund ihrer Aufgaben und inhaltlichen Schwerpunkte notwendig ist. Als wichtige Partner sind dabei die Hochschulteams der Arbeitsagenturen zu nennen, die Seminare und Beratungen durchführen. Zudem arbeiten Career Services mit Unternehmen, anderen Behörden und Vereinen sowie Verbänden zusammen. Eine verbreitete Form der Kooperation mit Unternehmen bilden zahlreiche Recruitingmaßnahmen, d.h. Formate, die die Kontaktvermittlung von Studierenden mit Unternehmen befördern, worauf ich im nächsten Abschnitt eingehen werde (Jörns 2002: 194-207; 2007: 7; von Luckwald 2010: 99ff).

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Aufgrund der geringen materiellen und personellen Kapazitäten sind Career Services vermehrt darauf angewiesen, durch diese externen Kooperationsbeziehungen auch finanzielle Mittel zu erwerben. Meine Interviews mit MitarbeiterInnen des Career Services haben gezeigt, dass es sich bei den externen Kooperationen um eine sensible Gratwanderung handelt. Zunehmend verlangen die Hochschulen von den berufsvorbereitenden Institutionen, dass diese sich zu einem Teil finanziell selbst tragen. Gleichzeitig versuchen die Career Services eine größere Abhängigkeit von externen Partnern zu vermeiden, um ihre inhaltlichen Freiheiten nicht zu verlieren. Eine solche Vereinnahmung durch die Unternehmen wäre zudem hochschulpolitisch schwierig zu vertreten. Wie bereits erläutert, gibt es Interessensgruppen, z.B. einige Studentenvertretungen, welche den Kooperationen von Hochschulen mit Unternehmen mit einer skeptischen bis ablehnenden Haltung gegenüberstehen und darin eine Gefahr der schleichenden Aushöhlung des primären Bildungsauftrags der Hochschulen sehen. 2.1.4 Zielgruppe und Aufgabenbereich Die Zielgruppe der Career Services sind in erster Linie Bachelor- und MasterStudierende in den höheren Semestern sowie ExamenskandidatInnen, aber auch AbsolventInnen, die vor kurzer Zeit ihr Studium abgeschlossen haben. Das Aufgabenspektrum von Career Services umfasst Informationsvermittlung, Beratung, Qualifizierung sowie Kontaktvermittlung zwischen Studierenden und Arbeitgebern, wobei die Tätigkeitsschwerpunkte zum Teil sehr unterschiedlich gesetzt werden. Einige Career Service übernehmen z.B. auch die Kontaktpflege zu den Alumni der Hochschule (Jörns 2002: 185-190, 2003: 18f, 2007 8-12; Michel 2001: 49ff). Ein wichtiges Aufgabenfeld der Career Services ist es, Informationen zu bündeln und weiterzugeben: Die MitarbeiterInnen unterstützen die Studierenden und AbsolventInnen in beruflichen Belangen durch Veranstaltungen, Informationsmaterialien und Beratungs- und Coachingangebote. Mögliche Themen reichen von der Suche nach einer Praktikumsstelle, dem Prüfen von Bewerbungsunterlagen bis hin zu einer Entscheidung für oder gegen eine Promotion (Jörns 2007: 8f; Michel 2001: 49). Das zweite zentrale Aufgabenfeld ist die Vermittlung von Zusatzqualifikationen, den sogenannten »Schlüsselkompetenzen« oder auch »überfachlichen Qualifikationen«. In mehrstündigen bis mehrtägigen Veranstaltungen (»Trainings« oder »Workshops«) werden relevante Themen für den Berufseinstieg wie Gesprächstechniken, Gehaltsverhandlungen, Projektmanagement oder das Anfertigen von Bewerbungsunterlagen behandelt. Aber auch betriebswirtschaftliche

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Grundlagen oder Informatikkurse werden angeboten. In einigen Hochschulen können die dort erbrachten Leistungen als Studienleistung angerechnet werden, da, wie oben bereits dargestellt, mit der Umstellung auf Bachelor und Master berufspraktische Elemente in den Lehrplan integriert werden sollen (Michel 2001: 49f). Schließlich engagieren sich Career Services in der Kontaktvermittlung zwischen Studierenden und Unternehmen, wobei Umfang und Art dieser Vermittlungen erheblich variieren. Fast alle bieten Unternehmenspräsentationen oder »Round-Tables« an, bei denen sich Unternehmen vorstellen können und es Möglichkeiten des gegenseitigen Kennenlernens gibt; verbreitet sind zudem Firmenbesichtigungen und die punktuelle Vermittlung von Kontakten und Praktika. Ferner werden teilweise auch Firmenkontaktmessen von Career Services ausgerichtet, dort sind Unternehmen mit einem Stand präsent. Hier gibt es zahlreiche Begegnungsmöglichkeiten zwischen Studierenden, AbsolventInnen und Firmen, z.B. in Form von Informationsveranstaltungen. Einige Career Services bieten Internet-Plattformen an, wo Studierende ihr Profil hochladen, während Arbeitgeber gegen ein Entgelt Stellenangebote veröffentlichen können. Bei einigen Kontaktbörsen erfolgt nach bestimmten Kriterien eine direkte Vermittlung (Jörns 2002: 222-235, 2003: 10ff; Michel 2001: 50f). Nach diesen eher allgemeinen Charakteristika möchte ich nun auf diejenigen Career Services eingehen, in denen ich geforscht habe. 2.1.5 Meine Forschungsorte Wie bereits dargelegt, habe ich meine Forschung in zwei Career Services deutscher Hochschulen durchgeführt. Darüber hinaus habe ich auch andere Career Services besucht und meine dortigen Erfahrungen und Gespräche fließen in die Forschung mit ein. In beiden Career Services arbeiten vier bis fünf angestellte MitarbeiterInnen, von denen mindestens ein Drittel der Angestellten über einen befristeten Vertrag verfügen und mindestens zwei Drittel der Angestellten in Teilzeit angestellt sind. Ferner arbeiten in den Career Services zahlreiche TrainerInnen und BeraterInnen, die freiberuflich Seminare anbieten und Beratungen durchführen. Ich beziehe diese freiberuflichen MitarbeiterInnen ebenfalls in meine Studie mit ein. Die MitarbeiterInnen der Career Services verfügen fast alle über geistes- und sozialwissenschaftliche oder pädagogische Abschlüsse. Beide Career Services sind Teil der Zentralen Verwaltung und in den Gebäuden der Hochschulen angesiedelt. Neben den Büros der MitarbeiterInnen gibt es jeweils ein bis zwei Seminarräume sowie Beratungsräume, die mit Informati-

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onsmaterialien und Büchern ausgestattet sind und in denen sich die BesucherInnen informieren können. Während meiner Forschung habe ich dort auch Interviews und informelle Gespräche geführt. In den gut ausgestatteten Seminarräumen stehen keine Tische, sondern Stuhlkreise und es sind jeweils ein Beamer und mehrere Flipcharts und Metaplanwände15 sowie ein Moderationskoffer vorhanden. Die TeilnehmerInnen der Career Services sind in der Regel in höheren Semestern ihres Bachelor-, Master- bzw. Magister- oder Diplom-Studiums und in der Mehrzahl Frauen. Viele von denjenigen, mit denen ich gesprochen habe, befanden sich in der Abschlussphase oder waren bereits mit dem Studium fertig und auf der Suche nach einer Arbeitsstelle, teilweise schon seit längerer Zeit. Was die in den Career Services vertretenen Studienrichtungen anbelangt, so ist der fachliche Hintergrund der BesucherInnen sehr unterschiedlich, wobei die meisten einen geistes-, sozial- oder erziehungswissenschaftlichen, einige aber auch einen naturwissenschaftlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund haben. Das Veranstaltungs- und Beratungsangebot der untersuchten Career Services ist ähnlich. Einerseits werden in Seminaren Schlüsselkompetenzen vermittelt, vor allem kommunikative Fähigkeiten, Kompetenzen zum Thema Arbeitsorganisation sowie Fähigkeiten rund um das Bewerben und die berufliche Orientierung. Zudem organisieren sie Angebote zur Vernetzung zwischen Unternehmen und den Studierenden/AbsolventInnen, wie z.B. Unternehmensbesichtigungen sowie thematische Veranstaltungen, zu denen UnternehmensvertreterInnen eingeladen werden. Daneben gibt es Beratungsformate für Einzelpersonen oder Gruppen zur beruflichen Orientierung und zum Verfassen von Bewerbungen. Wie ich es im nächsten Kapitel 2.2 erläutern werde, waren für meine Forschung besonders die Beratungsformate zur eigenen beruflichen Orientierung sowie die Veranstaltungen zu den Themen Selbstmanagement und Selbstmarketing relevant. In diesem Unterkapitel bin ich auf die Entwicklung und die Organisationsstruktur deutscher Career Services eingegangen. Career Services sehen sich selbst an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt, da sie Studierenden und AbsolventInnen den Übergang ins Berufsleben erleichtern möchten. Sie haben sich in Deutschland in den 1990er Jahren formiert und orientieren sich dabei am angelsächsischen Vorbild. In den letzten zwei Jahrzehnten und insbesondere

15 Metaplanwände sind Stellwände, an die Moderationskarten mit Stecknadeln angebracht werden.

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im Zuge des Bologna-Prozesses ist die Zahl solcher Institutionen stark gestiegen und es erfolgte eine schrittweise Institutionalisierung. Fast alle deutschen Hochschulen verfügen bereits über ein Career Service oder eine ähnliche berufsvorbereitende Einrichtung, wobei nicht alle den Namen »Career Service« verwenden. Im Kontext des Bologna-Prozesses sollen Hochschulen vermehrt berufsqualifizierende Kompetenzen vermitteln und zunehmend mit Unternehmen kooperieren. Hier nehmen Career Services eine wichtige Rolle ein, da sie das Ziel verfolgen, Studierende und AbsolventInnen auf die Berufswelt vorzubereiten und die Hochschulkooperation mit Unternehmen voranzutreiben. Einige Gruppen innerhalb und außerhalb der Hochschulen wie z.B. einige StudierendenvertreterInnen kritisieren Aspekte dieser Reformen und die engere Zusammenarbeit von Hochschulen mit Unternehmen. Sie befürchten eine Vereinnahmung der Hochschule von Wirtschaftsinteressen und sehen den primären Bildungsauftrag von Hochschulen gefährdet. Bei diesen hochschulpolitischen Verhandlungen um die künftige Gestalt von Hochschulen wird auch über die Legitimation und Ausgestaltung von Career Services debattiert. Career Services verstehen sich als Dienstleistungseinrichtungen von Hochschulen, die Studierenden und AbsolventInnen für ihren Berufseinstieg unterstützende Leistungen wie persönliche Beratung, Weiterbildungsangebote sowie die Vermittlung von Praktika bzw. Stellen anbieten. Sie verfolgen das Ziel, die Chancen der Studierenden und AbsolventInnen für einen »erfolgreichen« Berufseinstieg zu erhöhen. Zudem agieren sie als eine Art Informationsplattform, auf der arbeitsmarktrelevante Hinweise zu hochschulinternen Weiterbildungsangeboten gebündelt werden. Wichtige Angebote sind Seminare zu Schlüsselkompetenzen und Beratungsformate zur beruflichen Orientierung sowie die Vermittlung von Kontakten zwischen potentiellen Arbeitgeber und Studierenden bzw. AbsolventInnen. Als Zielgruppe haben die Career Services in erster Linie Studierende höherer Semester sowie AbsolventInnen, die vor kurzer Zeit das Studium abgeschlossen haben. Die meisten Career Services sind universitätseigene Einrichtungen, die häufig als eigener Bereich der Verwaltung oder in den Serviceeinheiten für Studienangelegenheiten angesiedelt sind. Größtenteils werden sie aus Haushalts- oder Drittmitteln finanziert und verfügen über ein bis drei MitarbeiterInnen und mehrere freiberufliche TrainerInnen. Neben den vielseitigen Kooperationen innerhalb der Hochschulen arbeiten sie oft auch mit externen Kooperationspartnern wie Wirtschaftsunternehmen oder auch der Arbeitsagentur zusammen. Im nächsten Unterkapitel werde ich darstellen, wie ich in meiner Feldforschung methodisch vorgegangen bin und werde den Forschungsprozess beleuchten.

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2.2 F ELDFORSCHUNG IN C AREER S ERVICES VON H OCHSCHULEN In diesem Kapitel 2.2. erörtere ich die theoretischen und methodischen Ansätze meiner Forschung, das methodische Vorgehen sowie den Forschungsprozess und meine Feldforschungserfahrungen sowie meine Beziehung zum Feld. Damit versuche ich aufzuzeigen, wie ich zu meinen Ergebnissen gekommen bin. Im Folgenden skizziere ich die beiden zentralen theoretischen Ansätze, Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse, die mich in der Untersuchung meiner Fragestellung leiten. 2.2.1 Theoretische Ansätze: Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse Wie in der Einleitung bereits erörtert, untersuche ich in meiner Forschung, wie Menschen im Kontext von akademischen Career Services mit den dargelegten »neuen« Subjektanforderungen umgehen. Dabei interessieren mich besonders die verschiedenen, sich teilweise auch widersprechenden Bedeutungen und individuellen Umgangsweisen sowie die gesellschaftlichen Bedingungen, die den Kontext für die Handlungen der Individuen bilden. Für die Untersuchung der Verknüpfung zwischen subjektiven Umgangsweisen und Diskursen sowie des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft sehe ich die Kombination von kritischer Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse als sehr fruchtbar an. Theoretische Ansätze von Diskursanalyse und Ethnopsychoanalyse haben mich in meiner Forschung geleitet, um Gesellschaft und Individuum in einer Zusammenschau analysieren zu können, was ich nun kurz skizzieren werde. Ich gehe davon aus, dass die Bedeutung der hier untersuchten diskursiven Subjektanforderungen insbesondere darin liegt, dass diese bestehende soziale Verhältnisse schafft und legitimiert. Appelle wie »Vermarkte Dich selbst!« oder »Sei eigenverantwortlich!« zielen auf eine Veränderung der individuellen Wahrnehmung und des Verhaltens ab. Indem sich Menschen an diese normativen Anforderungen anpassen wollen und psychologisch gemäß dieser diskursiv vermittelten Normen auf sich einwirken, werden Realitäten produziert, als gesetzt und »normal« angenommen. Aus diesem Grund ist das kritische diskursanalytische Theorem des Zusammenhangs von Wissen, Macht und Subjekt (Dracklé 1991a) eine zentrale theoretische Perspektive in meiner Arbeit. Mein Verständnis von der Diskursanalyse

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habe ich in Kapitel 1.1 bereits erläutert, weswegen ich an dieser Stelle meine Ausführungen dazu kurz halte. Ich gehe davon aus, dass durch Diskurse ein bestimmtes Wissen produziert wird, welches »wahr gesprochen wird« (Langer 2008: 53). Dieser Wahrheitsgehalt von Diskursen hält Individuen dazu an, das eigene Denken und Handeln nach ihnen auszurichten, womit Macht ausgeübt wird und Verhältnisse geschaffen werden. Insofern gehen diskursive Praktiken immer auch mit einem Kampf um gesellschaftliche Macht einher. Wichtig in meinem Verständnis von kritischer Diskursanalyse ist, dass Individuen die Diskurse nicht einfach reproduzieren oder – in Faircloughs (2006: 346) Worten – von Diskursen »nicht einfach kolonisiert werden«. Stattdessen gehe ich davon aus, dass sie Diskurse auf ihre individuelle Art und Weise annehmen und prägen, sich ihnen teilweise widersetzen, sie aber auch befolgen und an ihnen leiden. Die diskursanalytische Perspektive zeigt die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Subjekt auf und macht deutlich, wie gesellschaftliche Verhältnisse in Form von Diskursen auf die Subjekte einwirken und wie die Subjekte wiederum die Diskurse prägen. Dennoch verbleibt die Diskursanalyse meist auf einer abstrakten gesellschaftlichen Ebene. Um die konkrete subjektive Bedeutung der »neuen Subjektanforderungen« untersuchen zu können und dabei auch die Ambivalenzen und Widersprüche zu erkennen, bediene ich mich zur komplementären Analyse meiner Daten sozialwissenschaftlich ausgerichteter, ethnopsychoanalytischer Forschungsansätze. 16 Dabei klammere ich sowohl therapeutische Ansätze als auch diejenigen, in denen die ethnopsychoanalytische Beziehung zwischen FeldforscherIn und InformantIn im Vordergrund steht, aus (vgl. Nadig 1992: 39). Dieser Ansatz ermöglicht mir, stärker von den Individuen aus zu analysieren, die subjektiven, teilweise auch widersprüchlichen und konträren Umgangsweisen mit den Subjektanforderungen zu beleuchten und die damit in Zusammenhang stehenden Emotionen adäquat zu untersuchen (vgl. Nadig et al. 1991). Sowohl die Diskursanalyse als auch die Ethnopsychoanalyse untersuchen die Wechselwirkung von Gesellschaft und Subjekt. Gemeinsam haben sie, dass die Gesellschaft einen wichtigen Referenten darstellt, der auf die Subjekte einwirkt

16 Ich verorte mich in der sozialwissenschaftlich ausgerichteten – insbesondere im deutschsprachigen Raum verankerten – ethnopsychoanalytischen Forschungstradition, deren zentrale Vertreter Georges Devereux, Mario Erdheim, Alfred Lorenzer, Fritz Morgenthaler, Paul Parin, Goldy Parin-Matthèy, Géza Róheim und Florence Weiss sind (vgl. Reichmayr 1995: 165-215; Moore 2007; Nadig 1992: 36-51).

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und von ihm wiederum geschaffen wird. Anders als die Diskursanalyse hat die Ethnopsychoanalyse jedoch den Schwerpunkt auf dem Individuum. Die Hinzunahme einer ethnopsychoanalytischen Perspektive ist hilfreich, um auf individueller Ebene insbesondere den Ambivalenzen und Brüchen, aber auch widerständigen Verhaltensweisen nachzuspüren, die bei der diskursanalytischen Betrachtungsweise weniger zutage treten. Mit dem ethnopsychoanalytischen Ansatz, der die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft unter psychologischen Aspekten fokussiert, kann ich meine GesprächspartnerInnen und ihre eigene Weltsicht lebensweltlich und in der Interaktion mit mir selbst besser kontextualisieren (s. Devereux 1984: 40-54; Erdheim 1998; Erdheim/Nadig 1988: 75-82; Krueger 2013: 21-24; Nadig 1992: 36-46; Reichmayr 1995: 186-189). Das Grundprinzip des ethnopsychoanalytischen Ansatzes liegt dabei in der Anerkennung und dem expliziten Einsatz der Subjektivität des Forschers/der Forscherin im Forschungsprozess, indem eigene Zugänge und Positionen nachvollziehbar gemacht werden. Devereux – als wichtiger Theoretiker dieses Ansatzes – geht davon aus, dass die Subjektivität der SozialwissenschaftlerInnen die Wahrnehmungsweise ihrer GesprächspartnerInnen sowie ihre Interpretationen und Theoriebildung wesentlich beeinflusst. Dabei gilt es, die im Forschungsprozess entstehenden eigenen Irritationen und Gefühle bewusst zu machen, um damit Rückschlüsse auf Sinnzusammenhänge zu ziehen sowie um Widersprüche und Ambivalenzen entdecken zu können (s. Devereux 1984: 40-54; Reichmayr 1995: 186-189). Gerade um mir meiner vielschichtigen Beziehung zum Feld und zu den GesprächspartnerInnen bewusst zu werden, hat mir der ethnopsychoanalytische Ansatz besonders geholfen. Das subjektive Element ist in diesem Ansatz sehr wichtig, um den Forschungsprozess, meine Beziehung zum Feld aber auch meinen Erkenntnisprozess transparent und nachvollziehbar machen zu können (vgl. Kapitel 2.2.4).17 Mit einer Kombination dieser beiden Ansätze habe ich eine Feldforschung durchgeführt, um den Umgang mit dem Diskurs zum unternehmerischen Selbst zu untersuchen. Im Folgenden schildere ich den Forschungsprozess und wie ich methodisch vorgegangen bin.

17 Wie ich bei der Bearbeitung meines Materials konkret mit diesen beiden Ansätzen gearbeitet habe, diskutiere ich im Unterabschnitt 2.2.3.

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2.2.2 Forschungsprozess und methodisches Vorgehen Ich möchte nun darstellen, wie der Forschungsprozess verlaufen ist, wie ich zu meinem Thema gekommen bin und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat. Dabei gehe ich zunächst auf meinen persönlichen Bezug und meine biografische Verbindung zum Thema und Feld ein, um dann zu meinem methodischen Vorgehen in der Feldforschung zu kommen. Schon während meines Ethnologiestudiums habe ich mich für wirtschaftsethnologische Themen interessiert und eine vergleichende Magisterarbeit zu ressourcenarmen Haushalten in Kairo und Mexiko-Stadt geschrieben. Aufgrund meines hohen Interesses an Praxiserfahrung arbeitete ich 2007 bis 2008 in einer Unternehmensberatung, die u.a. Organisationsentwicklungsprozesse im öffentlichen Sektor durchführt. In diesem Arbeitsfeld nahm ich zum ersten Mal den Diskurs des unternehmerischen Selbst und die damit einhergehende Aufforderung nach umfassender Flexibilität bewusst wahr. In der eigenen Arbeitspraxis bin ich auf die erheblichen individuellen, aber auch gesellschaftlichen Implikationen dieser Anforderungen aufmerksam geworden. Ich hatte den Wunsch, meine praktischen beruflichen Erfahrungen im Rahmen einer Forschung theoretisch zu reflektieren. Ende des Jahres 2008 beschloss ich, diese allerorten als »neu« deklarierten Arbeitsanforderungen im Rahmen einer auf Feldforschung basierten Doktorarbeit zu erforschen. Bis heute ist es mir ein großes Anliegen, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden, und ich sehe eine solche Verschränkung als sehr fruchtbar an. So fließen meine praktischen Erfahrungen in meine Forschung ein und durch meine wissenschaftliche Arbeit gewinne ich wiederum wichtige Erkenntnisse für meine Arbeitspraxis. Ich bin selbst in Career Services und in Career Service verwandten Einrichtungen von Hochschulen tätig und untersuche damit in meiner Dissertation auch meine eigene Praxis. Insofern bin ich selbst Gegenstand meiner Forschung und praktiziere eine Form von einer einheimischen Ethnologie bzw. einer »Native Anthropology«. Im Abschnitt 2.2.4 werde ich darauf ausführlicher eingehen und meine eigene Rolle innerhalb des Forschungsprozesses diskutieren. Als erstes stellte sich das Problem, in welchem konkreten Feld ich dieses Thema der sich wandelnden, diskursiven Arbeitsanforderungen untersuchen könnte. Aufgrund meiner eigenen beruflichen Tätigkeit als Dozentin und Beraterin im Hochschulkontext entstand die Idee, Career Services von Hochschulen als Forschungsort zu wählen. Bis heute arbeite ich in Beratungseinrichtungen von Hochschulen und gebe u.a. Seminare zum Thema berufliche Orientierung. Zu-

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dem habe ich Anfang 2009 für ein Career Service eine Überblicksstudie zu Recruitingmaßnahmen18 von Hochschulen angefertigt.19 Ich wollte untersuchen, wie Career Service Institutionen mit diesem Diskurs umgehen. Diese Beratungseinrichtungen erschienen mir als interessanter MikroKontext, um den konkreten individuellen Umgang mit dem Diskurs zu analysieren. Career Services agieren nicht nur an der Schnittstelle zwischen Hochschule und Arbeitswelt, sie versuchen auch, auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zu antworten, sodass in ihnen fortlaufend Wissen und widerstreitende Vorstellungen über derzeitige Arbeitsanforderungen generiert und verhandelt werden, was im Zentrum meines Interesses steht. Daher nahm ich 2009 Kontakt zu zwei Career Services deutscher Hochschulen auf, die mir erlaubten, ab Mai 2009 meine Feldforschung zu beginnen. Von Mai 2009 bis Juli 2010 führte ich in diesen Career Services20 eine ethnologische Feldforschung durch, wobei ich auch nach dieser Zeit den Kontakt zu den Career Services aufrechterhalten habe und punktuell Daten erhoben habe. In diesem Zeitraum von 15 Monaten war ich wochenweise und tageweise im Feld und kehrte zwischendrin für die Auswertung und Transkription nach Hause zurück. In meiner Datenerhebung wandte ich v.a. zwei Methoden an: Teilnehmende Beobachtung und qualitative halbstrukturierte und unstrukturierte Interviews, wobei ich die halbstrukturierten Interviews aufgezeichnet habe. Die Kombination dieser beiden Methoden erlaubte mir, die subjektive Bedeutung dieser Anforderungen für die Lebenswelt der Menschen in meinem konkreten Mikrokontext zu erfassen. Im Rahmen der Teilnehmenden Beobachtung partizipierte ich aktiv am Alltag der Menschen innerhalb der Career Services und nahm an deren TeamSitzungen, Veranstaltungen, Beratungen und anderen Aktivitäten teil (vgl. Bernard 2002: 322-364). Die Teilnehmende Beobachtung erwies sich als sehr gute Methode, um die Diskurse über Arbeitserfordernisse und die individuellen Umgangsweisen zu untersuchen. Schon bald zeigte sich, dass Themen wie Flexibili-

18 Unter Recruitingmaßnahmen werden Angebote verstanden, die zwischen Studierenden bzw. AbsolventInnen und potentiellen Arbeitgebern vermitteln. In Kapitel 2.1, in dem ich Career Service-Institutionen diskutiere, gehe ich hierauf ausführlich ein. 19 Im Rahmen eines Werkvertrages habe ich von Januar 2008 bis April 2008 für ein deutsches Career Service eine interne Studie angefertigt zu der Frage, wie Unternehmen mit Hochschulen kooperieren und welche Recruitingformen es in Hochschulen gibt. 20 Aus Gründen der Anonymisierung lege ich nicht offen, in welchen Institutionen ich konkret geforscht habe. Auf das Thema der Anonymisierung gehe ich später ein.

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tät, Karriere und Selbstvermarktung sehr konträr zwischen den TeilnehmerInnen und MitarbeiterInnen diskutiert wurden, also keinesfalls einer hegemonialen, eindeutigen Interpretation in den Career-Institutionen unterlagen. Vor einer Veranstaltung oder einer Beratung stellte ich mich bei meinen Gegenüber als Feldforscherin vor und bat um Einverständnis, als Feldforscherin teilnehmen zu dürfen. Ich erklärte, dass ich über Career Services arbeite und dass ich mir Notizen machen würde. Ich nahm an den Veranstaltungen teil, versuchte Gesprochenes aufzuschreiben und machte mir viele Notizen über das beobachtbare Verhalten der Menschen, Inhalte von Gesprächen und den Ablauf des Geschehens. Meist war meine Rolle aber nicht passiv, sondern ich wurde nach meiner Meinung gefragt oder in Diskussionen verwickelt. Insbesondere die Veranstaltungen, die über mehrere Tage stattfanden,21 boten eine sehr gute Chance, einzelne BesucherInnen näher kennenzulernen und längerfristige Beziehungen zu knüpfen. Mit vielen von ihnen habe ich später halbstrukturierte Interviews geführt, meist in öffentlichen Orten wie Cafés aber auch im Career Service oder in deren Zuhause. Besonders die Zeiträume vor und nach Veranstaltungen und in den Pausen nutzte ich, um informelle Gespräche mit den MitarbeiterInnen und den BesucherInnen zu führen. Diese unstrukturierten Interviews, die ich nicht aufgenommen habe und deswegen auch nicht als formelles Interview gekennzeichnet habe, hielt ich später in meinem Feldforschungstagebuch fest. Während der gesamten Feldforschung führte ich zur Dokumentation meiner Gespräche und Beobachtungen ein handschriftliches Notizbuch sowie ein Feldforschungstagebuch. Im Notizbuch hielt ich während meiner Aufenthalte im Feld Beobachtungen von Verhaltensweisen sowie Dialoge fest. Diese situativ erstellten Notizen erleichterten mir die nachträgliche Rekonstruktion der Ereignisse, Dialoge und Beobachtungen in meinem Feldforschungstagebuch. Nach einem Feldforschungstag hielt ich meine Erfahrungen und Wahrnehmungen in diesem Tagebuch fest. Auch wenn ich als Dozentin an Hochschulen arbeitete, habe ich vereinzelt meine Erlebnisse dokumentiert, um sie in meine Forschung einfließen zu lassen. Insgesamt habe ich ca. 250 Seiten solcher Tagebuchaufzeichnungen angefertigt. Der erste Eintrag datiert von 23. Mai 2009, der letzte Eintrag von 14. Juli 2011, wobei ich ab dem 13. Juli 2010, dem Ende der eigentlichen Feldforschungsphase, nur noch vereinzelte Einträge verfasst habe. Diese Aufzeichnungen bilden einen zentralen Bestandteil meiner Daten. In ihnen habe ich sowohl den Alltag in den Career Services und zahlreiche informelle Gespräche mit In-

21 Für die verschiedenen Formate der Career Service-Veranstaltungen s. Kapitel 2.1.4 und Kapitel 2.1.5.

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formantInnen als auch meinen Forschungsprozess und erste Analyse- und Deutungsversuche dokumentiert (vgl. Flick 2009: 357-385). Zudem reflektierte ich in diesem Tagebuch kontinuierlich meine Beziehung zum Feld und zu meinen GesprächspartnerInnen und beschrieb darin meine Gefühle, Irritationen und auch mein Unbehagen, die das Erlebte teilweise in mir auslöste. Darüber hinaus dokumentierte ich darin meine Gespräche mit meinem persönlichen Umfeld über meine Erfahrungen im Feld. Besonders beschäftigte ich mich dabei mit meiner Doppelrolle als Feldforscherin und Dozentin von Career Services bzw. von Career Service verwandten Einrichtungen. Diese verschiedenen Rollen prägten in hohem Maße meine Forschung und meine Beziehung zu den Menschen im Feld, worauf ich weiter unten näher eingehen werde (Kapitel 2.2.4). Neben der Teilnehmenden Beobachtung und den informellen Gesprächen nahmen verschiedene Interviewformen – unstrukturierte und halbstrukturierte Interviews – einen wichtigen Stellenwert ein (vgl. Bernard 2002: 203-231; Flick 2009: 194-238; Schlehe 2003: 78f). Ich habe 30 – vornehmlich narrative – halbstrukturierte Interviews mit elf festen sowie drei freien MitarbeiterInnen und 14 BesucherInnen von Career Services geführt, wobei ich mit einer Mitarbeiterin und einer Besucherin zwei halbstrukturierte Interviews durchgeführt habe. Zur Anonymisierung meiner Gegenüber habe ich sowohl die Namen meiner GesprächspartnerInnen geändert als auch teilweise das Geschlecht. Zudem habe ich mir vorbehalten, Aussagen von einer Person als Aussagen von zwei verschiedenen GesprächspartnerInnen zu kennzeichnen, um die Identität der Person zu schützen. Die halbstrukturierten Interviews waren zwar Leitfaden gestützt, doch lässt diese Form von Interviews meinen GesprächspartnerInnen viel Raum, das Gespräch selbst zu lenken und eigene Gesprächsschwerpunkte zu setzen. Die Länge der aufgenommenen halbstrukturierten Interviews rangierte bei den AbsolventInnen zwischen 90 und 135 Minuten, im Durchschnitt 120 Minuten. Die MitarbeiterInnen interviewte ich zwischen 30 Minuten und 110 Minuten, durchschnittlich dauerten die Interviews mit ihnen 80 Minuten. Wie bereits erwähnt, kamen zu diesen aufgenommenen Interviews zahlreiche unstrukturierte Interviews dazu, die ich nicht aufgezeichnet habe. So stand ich im Rahmen der Teilnehmenden Beobachtung mit den angestellten MitarbeiterInnen über das ganze Jahr hinweg im Kontakt und habe viele Gespräche geführt, die ich im Nachgang meist in meinem Feldforschungstagebuch dokumentiert habe. Mit zehn BesucherInnen, mit denen ich halbstrukturierte, aufgenommene Interviews geführt habe, hatte ich die Möglichkeit, über einen mehrmonatigen Zeitraum mehrere zusätzliche informelle Gespräche zu führen. Zudem stand ich

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mit sechs von ihnen auch später noch in Mailkontakt. Neben den GesprächspartnerInnen, mit denen ich formelle Interviews geführt habe, sprach ich in der Phase der Teilnehmenden Beobachtung mit einer Vielzahl weiterer BesucherInnen. Auch führte ich diverse informelle Gespräche mit MitarbeiterInnen aus anderen Career Services z.B. auch während hochschulübergreifenden Netzwerktreffen, an denen ich teilgenommen habe. Unter den MitarbeiterInnen, mit denen ich halbstrukturierte Interviews geführt habe, waren zwölf Frauen und zwei Männer, die zwischen 30 und 55 Jahre alt waren. Die Interviews mit den MitarbeiterInnen habe ich bis auf eines in den Räumen der Career Service durchgeführt. Die Interviews gliederten sich thematisch in zwei Teile. Erst fragte ich zu ihrer Person bzw. ihrem beruflichen Lebensweg und welche Bedeutung in ihrem Leben Anforderungen wie Flexibilisierung oder prekäre Arbeitsbedingungen haben. Dann befragte ich die MitarbeiterInnen zu ihrer beruflichen Tätigkeit im Career Service, welche »neuen« Arbeitsmarktanforderungen an Studierende und AbsolventInnen sie wahrnehmen und wie sie damit in ihrer konkreten Arbeit umgehen. Die neun Besucherinnen und fünf Besucher, mit denen ich Interviews geführt habe, waren bis auf zwei bereits mit dem Studium fertig und derzeit arbeitssuchend. Sie waren zum Zeitpunkt meiner Feldforschung zwischen 25 und 33 Jahre alt. Sie alle lernte ich während der Teilnehmenden Beobachtung in den Career Services kennen und fragte sie, ob ich sie zu meinem Thema interviewen könnte. Wenn sie einverstanden waren, verabredete ich mich mit ihnen zuhause oder in einem Café. Drei Interviews führte ich in den Räumlichkeiten der Career Service-Institutionen durch. Ich präferierte für das Interview aber einen neutraleren oder persönlicheren Ort als die Hochschule, um eine möglichst offene Atmosphäre herzustellen. Thematisch bat ich sie erst, sich kurz vorzustellen und etwas zu ihrer Person zu sagen. Ich eröffnete das Interview mit der Frage, wie es ihnen beruflich derzeit ergeht, wie ihr Alltag aussieht, welche Schwierigkeiten ihnen begegnen und was sie beruflich machen möchten. Dabei legte ich einen Schwerpunkt darauf, welche Arbeitsanforderungen sie wahrnehmen und wie sie mit ihnen umgehen. Während der Feldforschung transkribierte ich die Interviews und unternahm bereits erste Auswertungen meines Materials. Diese Gleichzeitigkeit von Feldforschung und kontinuierlicher Auswertung veränderte und beeinflusste fortlaufend meinen Fokus und meine Forschungsfragen, worauf ich nun eingehen werde.

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2.2.3 Auswertung der Daten Parallel zur Feldforschung erfolgte die schrittweise Auswertung meines Datenmaterials, d.h. meiner Tagebucheinträge, Interviewtranskriptionen und gesammelten gedruckten Materialien (Flyer, Broschüren, Publikationen der Career Services). Dabei führte ich eine qualitative Inhaltsanalyse durch. Als erstes systematisierte ich die Daten nach zentralen Ober- und Unterthemen, die zur Analyse und Deutung des Materials inhaltliche Analyseeinheiten bildeten und entwickelte dafür jeweils einen Begriff. Anhand dieser Begriffe kodierte ich fortlaufend mein gesamtes Datenmaterial. Diese inhaltlichen Analyseeinheiten stellten die Grundlage für die eigentliche Analyse und Deutung meines Materials dar. So ordnete ich meine Daten nach diesen thematischen Einheiten und begann gleichzeitig, einzelne Kapitel zu verfassen (vgl. Emerson/Fretz/Shaw 1995: 142210; Flick 2009: 409-421). Im Laufe der Forschung veränderten sich diese analytischen Einheiten sowie ihre Gewichtung, es kamen neue Aspekte dazu, andere traten in den Hintergrund. Damit veränderte sich auch mein thematischer Fokus im Feld kontinuierlich. Zu Beginn der Forschung lag ein Schwerpunkt auf dem Diskurs zum Arbeitswandel und wie dieser wahrgenommen wird. Durch meine Gespräche und Erlebnisse im Feld kristallisierte sich heraus, dass die unternehmerischen Subjektanforderungen der Selbstvermarktung, des Selbstmanagements und der Eigenverantwortung sehr präsent waren und sich quasi vom Diskurs über den Arbeitswandel ableiteten. So änderte sich mit der Zeit mein inhaltlicher Schwerpunkt von der Wahrnehmung des Arbeitswandels hin zu den unternehmerischen Subjektanforderungen und ihrer Bedeutung für die Menschen. Der Diskurs zum Arbeitswandel stellte sich immer mehr als Ermöglichungsbedingung des Appells heraus, unternehmerisch agieren zu müssen. Bei der Feinanalyse des Datenmaterials habe ich mich von kritischen diskursanalytischen und ethnopsychoanalytischen Ansätzen leiten lassen. Diskursanalytisch achtete ich insbesondere auf sich wiederholende Denkfiguren, Begrifflichkeiten und Motive sowie auf ungesagte, ambivalente und widersprüchliche Inhalte (vgl. Dracklé 1991a: 218; Jäger 2006: 110; Jäger 1999). In der konkreten Deutung meines Forschungsmaterials war für mich zudem die von Prof. Dr. Maya Nadig entwickelte Methode der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt sehr wichtig (Krueger 2013: 37-39; Krueger 2008). Dabei trifft sich eine Gruppe zu assoziativen Gesprächen, in denen Forschungsmaterial

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besprochen wird. 22 Ich hatte sowohl im Rahmen des DoktorandInnen-Kolloquiums meiner Betreuerinnen als auch bei den Treffen des »bik« (Bremer Institut für Kulturwissenschaft und Ethnologie) die Möglichkeit, mein Forschungsmaterial intensiv und kontinuierlich anhand dieser Methode gemeinsam mit anderen WissenschaftlerInnen und KollegInnen zu deuten. Besonders auch mit meiner Betreuerin Prof. Dr. Maya Nadig habe ich während mehrerer Treffen mein Datenmaterial analysiert, meine eigenen Verstrickungen in das Thema mit ihr besprochen und zentrale inhaltliche Zusammenhänge herausgearbeitet. Diese Treffen hatten den Charakter einer Supervision und waren ein ungemein wichtiger Bestandteil der Auswertung und dienten der gemeinsamen Analyse meines Materials sowie der Sichtbarmachung »blinder Flecken« im Forschungsablauf. Bei dieser Interpretationsmethode der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt werden die beim Lesen der Daten entstehenden Gefühle, Irritationen und Assoziationen festgehalten und genutzt, um damit Rückschlüsse auf Sinnzusammenhänge und den latenten Gehalt des Textes zu ziehen sowie auf Widersprüche zu stoßen. So geht es bei der Auswertung darum, neben der inhaltlichen Analyse auf rein faktischer Ebene auch auf die Dynamik der Forschungssituation zu achten, die Materialien zu kontextualisieren und Wechselwirkungen zwischen den beteiligten Personen aufzudecken (vgl. Erdheim/Nadig 1988: 75-82; Nadig 1992: 36-46, 57f; Krueger 2008, 2013: 35-39). Diese Methode der Deutungswerkstatt hat mir geholfen, mein Unbehagen oder emotionale Widerstände gegenüber meinen Daten und auch InformantInnen zu verstehen. So konnte ich mir mit Hilfe dieser Methode wesentliche Thesen meiner Forschung bewusst machen. Beispielsweise wurde mir anhand meiner eigenen Reaktionen auf mein Material bewusst, unter welch großem emotionalen Druck meine GesprächspartnerInnen stehen und wie sie mit dieser Belastung umgehen, was ich in den folgenden Kapiteln zu meinen Ergebnissen ausführlich beschreiben werde. Dies führt mich zu meiner Rolle im Feld, deren Bedeutung für meine Beziehung zu meinem Feld, meinen Informantinnen aber auch zu meinem Thema ich nun diskutieren werde. Zudem reflektiere ich kurz die Auseinandersetzung mit meiner eigenen praktischen Arbeit. Dabei gebe ich einen Einblick in die wich-

22 Im Vorfeld der Gespräche setzen sich alle Gruppenmitglieder mit dem zu besprechenden Text auseinander und halten bereits erste Assoziationen fest. In einem zeitlich abgesteckten Rahmen trifft sich die Gruppe und tauscht sich über ihre Assoziationen und durch das Material entstehende Emotionen aus. Die Person, die das Material eingebracht hat, hört zu und protokolliert die Gedanken der Anderen. Es entsteht ein spontanes Gespräch und die Gruppenmitglieder reagieren aufeinander.

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tigsten Themen, die mich während meiner kontinuierlichen Selbstreflexion beschäftigt haben. Diese Reflexion meiner eigenen Rolle und Beziehung zum Feld ist nicht zuletzt aus quellenkritischen Gesichtspunkten wichtig, um den Forschungsprozess, den Kontext der Forschung und damit die Entstehung der Daten und Ergebnisse möglichst offen zu legen und transparent zu machen. Es geht mir also um ein »bewusstes Nachzeichnen des ›ethnographischen Weges‹«, wie es Stellrecht (1993: 62) ausgedrückt hat. Dies ist mir ein zentrales Anliegen, da ich mich selbst in der interpretativen Richtung der Ethnologie verortet sehe. Hier gehört die Offenlegung der Feldforschung und der Ethnografie zu den zentralen Prinzipien, um die eigene Perspektive und den Kontext der Interpretationen nachvollziehbar und validierbar machen zu können. 2.2.4 Meine eigene Rolle und Beziehung zum Feld Während der gesamten Forschung war ich bemüht, das Verhalten und die Deutungsweisen der MitarbeiterInnen und BesucherInnen in ihrer Komplexität zu deuten und sie als Aussagen über mein Thema aber auch als Aussage über die Feldforschungsbeziehung und über mich zu verstehen. So bestimmte meine subjektive Position meine Sicht auf das Thema wesentlich. Gerade mit Hilfe von ethnopsychoanalytischen Methoden, wie ich sie beschrieben habe, versuchte ich, diese verschiedenen Ebenen, Beziehungskonstellationen und die durch die Feldforschung ausgelösten eigenen Gefühle zu erfassen. Ich möchte hier vornehmlich auf meine verschiedenen Rollen eingehen, die ich eingenommen habe und diskutieren, wie diese meine Feldforschung und meine Beziehung zu meinen GesprächspartnerInnen und damit meine Datenproduktion prägten. Ich habe gegenüber den MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services mehrere Rollen eingenommen. So war ich nach dem Studienabschluss 2007 selbst »Besucherin« eines Career Service und hatte das Beratungsangebot wahrgenommen. Insofern konnte ich mich mit den BesucherInnen der Career Services identifizieren, nicht zuletzt auch, weil ich selbst als Promovendin und freiberufliche Dozentin in einer beruflich unsicheren Situation war. Zudem wussten die MitarbeiterInnen der beiden Einrichtungen, dass ich als Beraterin und Dozentin in Hochschulen bereits gearbeitet hatte bzw. im Kontext von Career Services arbeite. Insofern wurde ich nicht nur als Forscherin, sondern auch als ehemalige Besucherin und – wegen meiner Tätigkeit im Bereich Beratung und Training, die ich u.a. in anderen Career Service-Institutionen als freie Mitarbeiterin ausübte – auch als eine Art Kollegin angesehen. Wiederholt drängte sich mir die Frage auf, welche Bedeutung diese verschiedenen Rollenverhältnisse für meine Forschung haben.

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Meine Feldforschung ist stark gekennzeichnet von der Situation, dass ich als Feldforscherin »zu Hause« in Deutschland gearbeitet habe, mich in die Tradition der »Ethnologie Europas« (Dracklé 2006; Hauschild/Warneken 2002) einfüge und damit eine Form von »Native Anthropology« bzw. »einheimischer Ethnologie« (Alvarado Leyton 2009) betrieben habe. In der Tradition der Native Anthropology wird grundsätzlich die Frage gestellt, ob man als EthnologIn immer das kulturell »Fremde« untersuchen soll und was es bedeutet, das »Eigene« zu untersuchen (Alvarado Leyton 2009: 16-24). Wichtig ist dabei im Kontext meiner Arbeit das Hinterfragen der klassischen Trennung von Subjekt und Objekt bzw. von Ethnologin und Beforschte, die hier teilweise aufgehoben wird. So können die einheimischen EthnologInnen nicht mehr »gänzlich die Subjektposition einnehmen, da sie gleichzeitig dem Objekt, den eigenen Anderen kulturell zugehörig sind: Sie sind zugleich Subjekt (als forschende und später schreibende EthnologinnEn [sic]) und Objekt (als Mitglied der untersuchten Menschengruppe).« (Alvarado Leyton 2009: 21)

So bin ich in meiner Forschung gleichzeitig die Forscherin und das Objekt meiner Forschung, da ich selbst wie die MitarbeiterInnen im Feld der Career Services beruflich tätig bin. Dies schlägt sich nicht zuletzt auch in der Niederschrift meiner Ergebnisse wieder, so nehme ich oft mich selbst und meine eigenen Erfahrungen als Ausgangspunkt, um mich den MitarbeiterInnen zu nähern (vgl. z.B. Synthese II). Eine einheimische Ethnologie zu betreiben bringt sowohl Vorteile als auch besondere Schwierigkeiten mit sich (vgl. Alvarado Leyton 2009: 24-29), was ich bezogen auf mein Feld nun erörtern möchte. Meine verschiedenen Rollen haben mir den Zugang zum Feld erleichtert und mir viele wertvolle Zugänge eröffnet. Die erfahrungsbedingte Nähe hat mir geholfen, mich insbesondere in die Situation der MitarbeiterInnen hineinzuversetzen. Viele der Problemstellungen, Fragen und Themen der MitarbeiterInnen, aber auch der BesucherInnen kannte ich aus meiner eigenen beruflichen Praxis und durch meine damalige Situation als Promovendin und freiberufliche Dozentin. Auch war es mir dadurch leichter möglich, viele der subtilen Anspielungen wie auch den fachlichen Diskurs der MitarbeiterInnen verstehen zu können. Zudem konnte ich viele Erfahrungen aus meiner Berufspraxis in meine Forschung einfließen lassen, während die Erlebnisse aus meiner Forschung wiederum meine praktische Arbeit beeinflussten, woraus ein kontinuierlicher kreativer Reflexionsprozess entstanden ist. So war der Aspekt der »Teilnahme« bei meiner zentralen Methode der Teilnehmenden Beobachtung in meinem Fall ganz besonders intensiv. Schließlich hatte ich auch den Eindruck, dass sich die Mitarbeite-

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rInnen von mir mehr verstanden fühlten, weil ich selbst in ihrem Bereich tätig war und ihre Situation dadurch nachvollziehen konnte. Dies hat m.E. zu einem größeren Vertrauen und einer Offenheit mir gegenüber beigetragen. Nicht zuletzt aufgrund meiner verschiedenen Rollen war meine gesamte Forschung aber auch deutlich geprägt von Gefühlen der Ambivalenz und der Unsicherheit. Immer wieder musste ich von neuem meinen eigenen Standpunkt finden und mich selbst zwischen den verschiedenen Interessen und Einstellungen verorten. Besonders schwer ist es mir gefallen, zwischen einer angemessenen, kritischen Distanz und einem vorbehaltlosen Eintauchen in mein Feld eine Balance zu finden. Diese Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz, die per se die ethnologische Feldforschung charakterisiert, möchte ich hier näher beschreiben, weil sie in meinem Fall sehr stark ausgeprägt war. Durch meine eigene berufliche Tätigkeit als Beraterin und meine biografische Nähe zu meinen GesprächspartnerInnen verspürte ich oft den Wunsch, mehr dazuzugehören. Oft zögerte ich, meine Meinung oder Einschätzung zu Themen zu äußern, auch dann, wenn ich explizit danach gefragt wurde, wie beispielsweise in Teamsitzungen oder Einzelberatungen. Ich hatte Skrupel, »etwas Falsches« zu sagen und damit meine Gegenüber vor den Kopf zu stoßen oder gar zu verärgern. Gleichzeitig aber befürchtete ich, dass meine Rolle als Forscherin es mir »verbietet«, in das »Feld einzugreifen«. Ich bemerkte immer wieder den Wunsch, es »unberührt« zu lassen und empfand meine eigenen Ratschläge oder Kommentare als eine Einmischung oder gar Übergriff. Der Umgang mit der ethnologischen Distanz und meiner Beobachterrolle, die mich von anderen differenziert, verunsicherte mich. So war es mir oft unangenehm, mich durch meine Rolle als Forscherin von meinen Gegenübern abzuheben. Dies möchte ich anhand des folgenden Auszugs aus meinem Feldtagebuch verdeutlichen, in dem ich von einem Gespräch mit einer Besucherin berichte, das sich nach einem Seminar ereignete. Wir liefen gemeinsam zur Untergrundbahn und unterhielten uns: »Interessant war, dass sie mich einmal kritisch gefragt hat – fragst du mich jetzt als Ethnologin? Ich bin dann nicht darauf eingegangen. Bin es umgangen, weil ich selbst nicht genau wusste, in welcher Rolle ich war. Auch weil es mich unsicher macht. Im Grunde habe ich ein Gefühl, wie wenn ich was Unrechtes mache, wenn ich als Ethnologin gucke. […] Das Anrüchige ist eben die wissenschaftliche Distanz – die Metaebene, der Metablick, die mich differenziert von den anderen, was ich nicht so gut aushalten kann.« (Tagebuch 5/2009)

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Dieser Auszug aus meinem Feldforschungstagebuch zeigt exemplarisch meine Unsicherheit mit dem eigenen Rollenverständnis als distanzierte, »objektive« und bewertende Forscherin. Ich stellte mir die ethische Frage, ob ich überhaupt die Berechtigung habe, andere zu beobachten und zu analysieren, was unweigerlich mit einer Bewertung ihrer Person und Lebenssituation einhergeht und mich auf diese Weise über andere zu stellen. Ich kam mir mitunter vor wie eine Art »Spionin«, die in das Feld von anderen unrechtmäßig eindringt, um sie auszuhorchen. Dem Wunsch nach Zugehörigkeit stand mein Drang zur Abgrenzung und Distanzierung zu meinen Untersuchungssubjekten entgegen. Dieser zeigte sich vor allem auch in meiner Skepsis und teilweise kritischen Haltung gegenüber einigen Aspekten der Institutionen der Career Services wie der Dominanz des untersuchten Diskurses, die in mir ein Unbehagen auslösten. Sehr schnell stellte sich heraus, dass der von mir untersuchte Diskurs präsent war und immer wieder die gleichen Aussagen von meinen InformantInnen wiederholt wurden wie: »Heutzutage muss man flexibel sein, sich vermarkten, sich managen, eigenverantwortlich agieren« etc. Dabei hatte ich zeitweise Angst, selbst vom Diskurs eingenommen zu werden, ihm nicht entrinnen zu können und die Distanz zu meinem Untersuchungsgegenstand zu verlieren. Nach einem Tag Feldforschung in den Career Services überkam mich oft ein Gefühl der Erdrückung und Leere. Der Wunsch, mich zurückzuziehen und abzugrenzen, wurde nicht selten übermächtig. Ich empfand die vielen Informationen, die während eines Feldforschungstages in geballter Ladung auf mich einprasselten, wie eine Überdosis an Daten, die ich kaum alle verarbeiten konnte. Meine Skepsis gegenüber einigen Inhalten, die in den Career Services vermittelt wurden und die ich aber auch selbst in meinen eigenen Seminaren weitergebe, verstärkte gleichzeitig wiederum mein schlechtes Gewissen gegenüber meinen GesprächspartnerInnen. Einige meiner Untersuchungsergebnisse besorgten mich und ich fragte mich, wie es mir möglich sein würde, diese zu veröffentlichen, ohne meinen GesprächspartnerInnen, insbesondere die MitarbeiterInnen, vor den Kopf zu stoßen. Gerade mit Hilfe der ethnopsychoanalytischen Herangehensweise an mein Material, versuchte ich zu verstehen, was genau und welche Erfahrungen diese Gefühle bei mir auslösen. Eine wichtige Erklärung für mein Unbehagen sehe ich darin, dass ich mich selbst in den Aktivitäten der Career Services spiegelte. Durch meine aktive Rolle als Beraterin und Trainerin bin ich in ähnlicher Weise wie die MitarbeiterInnen in den Diskurs verwoben, den ich untersuche. Insofern denke ich, dass eine Erklärung für mein Unbehagen darin liegt, dass dieses Unheimliche und Unbehag-

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liche auch Teil meines Selbst ist und ich durch meine eigene Berufspraxis Teil meines Untersuchungsgegenstandes bin. Gleichzeitig hat dieses Gefühl, vom Diskurs eingenommen zu werden, sicherlich auch damit zu tun, dass zum Zeitpunkt meiner Feldforschung meine eigene berufliche Situation als Doktorandin unsicher war. Dies bewirkte, dass ich sehr empfänglich für die Appelle und Handlungsempfehlungen war, die ich zugleich auf einer Metaebene untersuchte. Zudem konnte ich mich deswegen auch stark mit den Sorgen und Ängsten meiner GesprächspartnerInnen, insbesondere der BesucherInnen, aber auch der MitarbeiterInnen, wie zu sehen sein wird, identifizieren. Meine Erfahrungen der Ambivalenz, der Unsicherheit aber auch mein Unbehagen, das während der Forschung immer wieder aufkam, nutzte ich aber auch als ein zentrales Erkenntnisinstrument in meiner Forschung. So dienten diese Gefühle als Schlüssel, um wichtigen Themen und Zusammenhängen auf den Grund zu gehen. Gerade die Methoden der Ethnopsychoanalyse haben mir sehr geholfen, meine teilweise negativen Gefühle produktiv für meinen Erkenntnisprozess zu nutzen. Auch die MitarbeiterInnen und BesucherInnen der beiden Career Services zeigten sich mir gegenüber ambivalent. Sie haben mich sehr positiv aufgenommen und brachten mir viel Vertrauen entgegen und unterstützen mich außerordentlich. Die MitarbeiterInnen gaben mir ausgesprochen viele Freiheiten in meiner Feldforschung. So gewährten sie mir ein umfassender Einblick in ihre Veranstaltungen, Teamsitzungen, Dokumente und waren immer bereit, sich mit mir über meine Erfahrungen auszutauschen. Aber auch die AbsolventInnen waren mir gegenüber sehr offen und immer bereit mit mir zu sprechen und sogar ein Interview mit mir zu führen. Einmal kam es jedoch auch vor, dass eine Besucherin kein Interview mit mir führen wollte. Sie meinte, dass sie nicht über ihre schwierige Lebenssituation sprechen wollte, um sich damit nicht noch mehr zu belasten. Die BesucherInnen fühlten sich ansonsten nicht gestört, wenn ich an den Veranstaltungen und Beratungen teilgenommen habe. Dennoch bemerkte ich gerade in den ersten Wochen aber auch später sowohl bei den MitarbeiterInnen als auch bei den BesucherInnen eine gewisse Vorsicht. Mir fiel auf, dass insbesondere die MitarbeiterInnen mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund mich kritisch über meine Methoden und Ansätze befragten, mir Ratschläge erteilten und mir ihre Hilfe anboten. Aber auch einige SeminarteilnehmerInnen fragten sehr genau nach meiner Forschungsmethode und Fragestellung und zweifelten teilweise an meinem Vorgehen. Manchmal hatte ich den Eindruck, meine Gegenüber wollten mich regelrecht prüfen.

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Solche Situationen lösten in mir ein Unbehagen aus, da ich fürchtete, sie könnten an meiner Arbeit als Wissenschaftlerin zweifeln. Diese Erfahrungen dockten an meine Unsicherheit an, eine »richtige« Ethnologin zu sein, die ihr Handwerk beherrscht. Die Reaktion meiner GesprächspartnerInnen verweist aber auch auf die Machtseite in unseren Beziehungen, könnte es sich doch hierbei um ein »widerständiges« Verhalten gegenüber der Situation handeln, ethnologisch untersucht zu werden: quasi Objekt einer Wissenschaftlerin zu sein, deren eigentliches Metier »Primitive« seien, was eine wiederkehrende Problematik in der einheimischen Ethnologie darstellt (vgl. Alvarado Leyton 2009; Cole 1977: 354; Hauschild 2000; Nader 1974). Das Anzweifeln meiner Forschungsweise könnte auch als Strategie gedeutet werden, mich auf Distanz zu halten, den eventuell als Objektposition empfundenen Status zu brechen, indem sie mich beurteilen, nicht umgekehrt, wie es eine Feldforschung vorsieht. In diesem Kapitel bin ich auf meine Fragestellung, meine theoretischen Prämissen sowie auf meine Feldforschung und mein methodischen Vorgehen eingegangen, wobei meine Beziehung zum Feld und der Forschungsprozess im Vordergrund standen. In meiner Forschung analysiere ich, welche subjektive Bedeutung der hegemoniale Diskurs über das »unternehmerische Selbst« und die damit einhergehende Aufforderung nach Eigenverantwortung, »Selbstmanagement« und »Selbstmarketing« für AkteurInnen in Career Services hat. Ich gehe davon aus, dass der Diskurs weder homogen noch passiv rezipiert wird, sondern dass die AkteurInnen unterschiedlich damit umgehen und auch widerständige Strategien entwickeln. Daher fokussiere ich die subjektive Erfahrungen und Wahrnehmungen des Diskurses und frage im Folgenden nach den Interessen, Machtverhältnissen und AkteurInnen in den beiden Career Services, die ihn prägen. Ich untersuche die Verknüpfung zwischen subjektiven Umgangsweisen und strukturellen Diskursen. Dabei leiten mich theoretische Prämissen der Diskursanalyse und der Ethnopsychoanalyse. Mit diskursanalytischen Prämissen kann ich herausarbeiten, inwiefern durch Diskurse Wahrheiten und gesellschaftliche Realitäten produziert und legitimiert werden, wie sie damit Macht ausüben. Ethnopsychoanalytische Perspektiven erlauben mir, die subjektiven Umgangsweisen zu beleuchten und damit meinen Blick für Brüche und Ambivalenzen zu schärfen. Schließlich liegt hier eines der methodischen Prinzipien in der Anerkennung und dem expliziten Einsatz der Subjektivität der Forscherin für die Analyse, die zusätzliche Erkenntnisse vermittelt. Als Untersuchungsort wählte ich Career Services deutscher Hochschulen, weil ich davon ausgehe, dass Career Services wichtige gesellschaftliche Träger

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und Multiplikatoren dieses Diskurses im Hochschulbereich sind, wie ich es im ersten Teil dieses Kapitels geschildert habe (Kapitel 2.1). Ich selbst bin mit diesen Einrichtungen biografisch vielfältig verbunden, da ich mich selbst dort habe beraten lassen, in solchen und vergleichbaren Institutionen aber auch arbeite, was verschiedene Beziehungsverhältnisse mit sich bringt. Methodisch untersuchte ich meine Fragestellung mittels einer ethnologischen Feldforschung von Mai 2009 bis Juli 2010. In der Datenerhebung habe ich v.a. zwei Methoden angewendet: Teilnehmende Beobachtung und qualitative Interviews. So partizipierte ich am Alltag der Career Services, nahm an diversen Veranstaltungen teil und dokumentierte meine Erlebnisse und Gespräche ausführlich in Feldforschungstagebucheinträgen, die einen wichtigen Teil meines Materials ausmachen. Hinzu kommen 30 aufgenommene Interviews – unstrukturierte und halbstrukturierte (ExpertInnen-)Interviews – mit BesucherInnen und MitarbeiterInnen, die Einblicke in die subjektiven Wahrnehmungen und den weiteren Lebenskontext ermöglichen. Für die Auswertung meiner Daten waren diskursanalytische und ethnopsychoanalytische Vorgehensweisen leitend. Gerade die ethnopsychoanalytischen Herangehensweise an mein Material ermöglichte mir, das Verhalten meiner GesprächspartnerInnen in Interaktion mit mir selbst komplex zu deuten, meine eigenen blinden Flecken im Forschungsprozess aufzuspüren und meine eigenen Verwicklungen in mein Feld durch Bewusstmachung zu entwirren. Die verschiedenen Beziehungskonstellationen, die mich mit meinen GesprächspartnerInnen und meinem Feld verbinden, beeinflussten meine Daten und meine Wahrnehmung meines Themas, wobei ich versucht habe, dies permanent selbstreflexiv zu begleiten. Da ich selbst im Feld der Career Services arbeitete und noch immer arbeite, ergab sich eine erfahrungsbedingte Nähe zu meinen GesprächspartnerInnen, die mir eine große Empathie ermöglichte und die Entstehung eines Vertrauensverhältnisses erleichterte. Es folgt nun die Diskussion meiner Daten und die Darlegung meiner Ergebnisse aus der Feldforschung, wobei ich erst auf die MitarbeiterInnen und ihren Umgang mit dem Diskurs eingehe.

3. Die MitarbeiterInnen von akademischen Career Services und ihr Umgang mit dem Diskurs

Im folgenden Kapitel erörtere ich, wie MitarbeiterInnen von Career Services mit den diskursiv vermittelten unternehmerischen Subjektanforderungen umgehen. Wichtig ist mir dabei, ihre verschiedenen, teilweise widersprüchlichen und konträren Deutungsweisen und Praxen zu beleuchten. So lege ich ein besonderes Augenmerk auf die auftretenden Brüche und Ambivalenzen im Umgang mit dem Diskurs und zeige auf, dass die MitarbeiterInnen den Diskurs nicht bruchlos übernehmen, sondern ihn subjektiv prägen, verändern und sich ihm auch, zumindest ansatzweise, widersetzen. In diesem Kapitel beleuchte ich drei Elemente des Diskurses, die ich während meiner Feldforschung als besonders präsent wahrgenommen habe: Aktivität, Selbstmanagement und Selbstmarketing. Nachdem ich die Umgangs- und Deutungsweisen der MitarbeiterInnen bezogen auf diese Aspekte erörtert habe, analysiere ich ihre Umgangsweisen zusammenfassend in einer Synthese und stelle sie in einen institutionellen und gesellschaftlichen Zusammenhang. Während ich mein Material ausbreite, nehme ich laufend Bezug auf aktuelle wissenschaftliche Diskussionen und verknüpfe meine Ergebnisse mit den zuvor diskutierten gesellschaftspolitischen Hintergründen des Diskurses, um die Praktiken der MitarbeiterInnen in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu verorten. Ich diskutiere nun als erstes den Umgang der MitarbeiterInnen mit dem ersten grundlegenden Diskurs-Element, der Aktivität.

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3.1 A KTIV -S EIN

ALS

S TRATEGIE

In diesem Unterkapitel untersuche ich, welche Bedeutung die Maxime »Sei aktiv!« für die MitarbeiterInnen hat und wie sie mit dieser normativen Anforderung subjektiv umgehen. Selbstbestimmt zu sein, die Initiative zu ergreifen und unternehmerisch aktiv zu werden, sind Appelle, die mir in den Career Services immerfort begegnen. Die MitarbeiterInnen vermitteln diese Werte als wichtige Arbeitsmarkterfordernisse und sind auch selbst bemüht, ihnen nachzukommen. Dass dabei einmal das Leben und einmal der Beruf oder auch beides gleichzeitig adressiert wird, ist ein wichtiger Punkt, den ich wiederholt aufgreifen und im Zusammenhang einer Ökonomisierung des Sozialen diskutieren werde (vgl. z.B. Kapitel 1.3.2, Kapitel 3.3, Kapitel 4.2). Als Einführung in dieses Unterkapitel dient ein für mich prägendes Erlebnis aus meiner Feldforschung. Ich diskutiere es exemplarisch, da ich oft mit ähnlichen Situationen konfrontiert worden bin. Anhand dieses Vorfalls kann ich zentrale Themen bereits ansprechen, die im Aktivitäts-Diskurs der MitarbeiterInnen von Bedeutung sind und die ich in den anschließenden Abschnitten aufgreifen werde. Hierzu gehören der Fokus der MitarbeiterInnen auf die Selbstbestimmung (Kapitel 3.1.1) und das positive Denken (Kapitel 3.1.2) sowie die damit zusammenhängende Umdeutung des Scheiterns als Chance (Kapitel 3.1.3). Zudem zeigen sich in meinem Erleben die latente Gefahr des Scheiterns und die Ohnmachtsgefühle, die auch in der Rede der MitarbeiterInnen immer wieder aufscheinen und die auf die Brüche und Ambivalenzen im Umgang mit dem Diskurs verweisen (Kapitel 3.1.4). Um diese verschiedenen Aspekte der Aktivitäts-Rede der MitarbeiterInnen zu veranschaulichen, gehe ich kurz auf ein Erlebnis mit Luise, einer 31 Jahre alten Absolventin der Geschichtswissenschaft, ein, mit der ich in einem intensiven Austausch stand und zwei Interviews geführt habe (vgl. Fallbeispiel Luise im Kapitel 4.1.2). Anhand meiner eigenen Reaktionen kann ich verdeutlichen, wie die MitarbeiterInnen mit ähnlichen Situationen umgehen und welche Bedeutung dabei dem Appell »Sei aktiv!« zukommt. Das folgende Gespräch mit Luise ereignet sich im Januar 2010 in einem Café. Wir treffen uns, damit sie mir von ihrer aktuellen beruflichen Situation berichtet. In dieser Zeit sucht sie bereits über ein Jahr erfolglos eine Anstellung als Archivarin und hat große Zukunftsängste. Während sie mir von ihren Sorgen erzählt, bemerke ich, dass ich ihre Hoffnungslosigkeit nur schwer ertragen kann. Um meinen eigenen Ohnmachtsgefühlen entgegenzuwirken, suche ich nach Möglichkeiten, wie sie noch aktiv werden könnte und gebe ihr lauter Ratschläge für ihre Arbeitssuche:

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»Sie erzählt mir, dass sie so langsam nicht mehr weiter weiß. Seit mehr als einem Jahr bewirbt sie sich jetzt ohne Erfolg um Stellen. Und es klappt nicht. […] Ich merke, wie ich es fast nicht aushalte. Ich fange an, wie wild für sie Lösungen zu suchen, als sei ich ihre Beraterin. […] Aber in mir drin grummelt es. Ich werde nervös und ungeduldig. Ich frage mich andauernd, warum sie denn unbedingt in diesem Bereich arbeiten möchte. Es geht mir durch den Kopf, dass sie doch gar nicht wirklich etwas an ihrer Situation ändern will. »Wer will, der kann!« – sage ich mir selbst. Wie kann sie sich nur so versteifen auf einen Bereich? Und warum um Himmelswillen entscheidet sie sich nicht einfach für ein anderes Berufsfeld oder probiert noch andere Strategien aus! Sie kommt mir phlegmatisch vor, träge. So unflexibel! Plötzlich werde ich innerlich zur vehementen Vertreterin der Flexibilität, der Spontaneität, der Eigenverantwortlichkeit. Hauptsache, in Arbeit kommen – sage ich mir. Das ist ja nicht zum Aushalten! Meine Reaktion erschreckt mich.« (Tagebuch 1/2010)

Der Pessimismus dieser Arbeitssuchenden löst in mir starke Emotionen aus. Ich merke Luises Verzweiflung und versuche ihr mit Lösungsvorschlägen zu helfen, gebe ihr Ratschläge, wie sie noch aktiv werden könnte. Ihr Erleben der Machtlosigkeit geht auf mich über, überträgt sich auf mich und ich entgegne diesem unangenehmen Gefühl mit der Empfehlung von Handlungsstrategien und Lösungswegen. Zudem reagiere ich mit Wut und Ungeduld. Ich sehe den Grund für ihren Misserfolg vor allem darin, dass sie keine Entscheidung trifft, die sie weiterbringt. Auf diese Weise gebe ich ihr selbst ein Stück weit die Schuld für ihre Einstiegsschwierigkeiten und blende äußere erschwerende Faktoren aus. Ich setze ihr Festhalten an ihrem Berufswunsch und ihre Ängste gleich mit einem »Versteifen« und beschreibe sie als »unflexibel«, »träge« und »phlegmatisch«, was allesamt negativ konnotierte Begriffe sind und das Gegenteil von Aktivität darstellen. Ich identifiziere mich in dem Moment mit der beratenden Rolle der MitarbeiterInnen, die ich neben der Feldforschung auch selbst ausübe. Besonders mein Ausdruck »Hauptsache, in Arbeit kommen« weist darauf hin, dass ich mir den Auftrag der Career Services zu Eigen mache, Menschen bei der Arbeitssuche zu helfen. So erlebe ich als Forscherin einen Moment der Teilnehmenden Beobachtung und mache ähnliche Erfahrungen wie die MitarbeiterInnen. Hier wird mir meine doppelte Rolle – Forscherin und Praktikerin – sehr bewusst, die ich bereits thematisiert habe (Kapitel 2.2.4). Mein Erlebnis offenbart Wertvorstellungen und Umgangsweisen, die ich auch bei den MitarbeiterInnen als präsent wahrnehme und die ich im Folgenden ausführlich diskutieren werde. Ich rekurriere ähnlich wie die MitarbeiterInnen auf die Möglichkeit der Selbstbestimmung und vertrete hier das Prinzip »wer

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will, der kann«. Ich setze voraus, dass Luise mit einer positiveren, hoffnungsvolleren Haltung und mehr gedanklicher Flexibilität ihre Probleme lösen könnte. Angst und Hoffnungslosigkeit setze ich hingegen gleich mit Lähmung, Stillstand und Inaktivität, die sie eher blockieren als weiterbringen. Ich selbst kann die Resignation meiner Gesprächspartnerin kaum ertragen und entgegne meinen eigenen Gefühlen der Ohnmacht mit Ratschlägen, womit die Aktivität wie ein Rettungsanker wirkt. Somit ist der Aktivitätsdiskurs unmittelbar verknüpft mit der Möglichkeit zu scheitern, sozial abzusteigen sowie mit der allgegenwärtigen prekären Lage vieler der BesucherInnen von Career Services. Zudem kostet mich die pausenlose Suche nach Lösungen und das Vermitteln von Zuversicht auch viel Energie. Es werden Mechanismen der Übertragung sichtbar, die auch bei den MitarbeiterInnen wahrnehmbar sind. Die Ohnmacht der Ratsuchenden überträgt sich auf die BeraterInnen, diese wiederum reagieren mit Lösungsvorschlägen, AktivitätsAppellen, aber auch teilweise mit Ungeduld oder gar Wut. Zudem zeigt mein Beispiel eine Tendenz zur Individualisierung und der damit einhergehenden Verantwortungsverlagerung auf das Individuum, wie ich sie auch bei den MitarbeiterInnen systematisch wahrnehmen kann. Anstatt die strukturellen Faktoren zu berücksichtigen, weshalb Luise keine Stelle findet, suche ich die Gründe bei ihr selbst und ihrem Verhalten. Schließlich verweist mein Erlebnis mit Luise auf die Ambivalenzen im individuellen Umgang mit dem Diskurs, wie ich sie im Folgenden ausführlich darlegen werde. Einerseits möchte ich Luise helfen, ihr Mut zusprechen und ihr Möglichkeiten aufzeigen, selbstbestimmt zu leben, gleichzeitig individualisiere ich ihre Probleme, indem ich gesellschaftliche Faktoren wenig berücksichtige und ihr die Verantwortung für ihre Situation zuschreibe. Im ersten Abschnitt vertiefe ich nun den Wert der Selbstbestimmung, der für die MitarbeiterInnen sehr wichtig ist und den sie immerfort betonen. 3.1.1 Selbstbestimmung In der Wahrnehmung der MitarbeiterInnen sind Menschen gesellschaftlichen Entwicklungen nicht schutzlos ausgeliefert, sondern können ihr berufliches Leben selbst gestalten. Zwar verweisen sie auch auf Faktoren wie Glück und Zufall und implizieren damit, dass nicht alles in der eigenen Macht liegt. Trotzdem betonen sie die Wichtigkeit von Eigeninitiative, Selbstbestimmung und Durchhaltevermögen für den beruflichen Erfolg (Tagebuch 5/2009; Tagebuch 6/2009). So liegt ihr Augenmerk auf der Leistung jedes Einzelnen und weniger auf den gesellschaftlichen Gegebenheiten, die außerhalb des eigenen Einflussberei-

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ches liegen und die Handlungsmöglichkeiten einschränken, wie z.B. die globale, in der Zeit meiner Feldforschung sehr präsente Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008-2010. Dies verdeutlicht ein Zitat einer Mitarbeiterin. »Wir jammern nicht, die Finanzlage ist schlecht«, sondern gucken »wo liegt deine Gestaltungsmacht, dass du das vorantreiben kannst, was du gerne möchtest« (Interview Graf 8/2009). Mit dem negativ konnotierten Ausdruck »jammern« – ein Begriff, den auch andere MitarbeiterInnen in diesem Zusammenhang anführen (Interview Schmidt 4/2010) – zeigt Melanie Graf an, dass das Klagen über gesellschaftliche Verhältnisse den unerwünschten Gegenpart zur positiven Gestaltungsmacht darstellt. Anstatt zu »jammern« ist jeder dazu aufgefordert, die sich bietenden Chancen zu nutzen, was automatisch die Voraussetzung mit einschließt, dass es solche Chancen auch gibt. Die AbsolventInnen und Studierenden sollen sich, wie Melanie Graf ausführt, als »handelnde Akteure ihres beruflichen Planes« verstehen und die eigene »biografische Lösung« finden (Interview Graf 8/2009). Mit Ausdrücken wie »Akteure des beruflichen Planes« oder »biografische Lösung« heben die MitarbeiterInnen die Gestaltbarkeit der eigenen Berufsbiografie hervor. Gesellschaftlich bedingte Schwierigkeiten erscheinen so als individuell lösbare Probleme. Sie möchten Menschen dabei unterstützen, trotz der schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen in ihrer Arbeitssuche und beruflichen Situation weiterzukommen und fortlaufend Lösungen für aufkommende Probleme zu finden. Aus der Sicht einiger MitarbeiterInnen erklären arbeitssuchende AbsolventInnen ihre Probleme bei der Suche nach Arbeit teilweise mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Für die MitarbeiterInnen greift diese Begründung jedoch zu kurz (Interview Schröder 10/2009), sodass sie in der Folge die äußeren Gegebenheiten relativieren, wie auch Anna Lange: »Meistens ist es ja ein Entscheidungsproblem. Also viele tun so als sei es ein Findungsproblem. Häufig sagen sie: ›Ich finde ja nichts und die wollen mich ja alle nicht und ja, im Moment mit Rezession ja sowieso nicht, alle machen ja zu und niemand will ja überhaupt noch einstellen.‹ Und das stimmt sicherlich auch ein Stück weit, aber wenn ich die letzten zwei Jahre angucke: Vor zwei Jahren war noch nicht von Rezession die Rede, dann stelle ich eigentlich gar nicht so eine Veränderung so fest, sondern das Problem liegt immer bei den Subjekten oder bei den Menschen selber.« (Interview Lange 9/2009)

Sie sieht die Einstiegsschwierigkeiten weniger in den äußeren gesellschaftlichen Bedingungen und Zwängen begründet, sondern in den Menschen selbst, die sich nicht entscheiden könnten und die »selber nicht so richtig [wissen], was eigentlich abgeht«. Anna Lange argumentiert, die AbsolventInnen und Studierenden

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würden zu wenig überlegen, was sie selbst beruflich wollen und vorschnell Kompromisse eingehen. Anstatt das Problem in ihrer fehlenden Positionierung zu sehen, würden sie die wirtschaftliche Krise als »eine dankbare Symptomatik« anführen, warum sie von ihren Wünschen absehen müssten und einer wenig befriedigenden Arbeit nachgehen würden. Die AbsolventInnen und Studierenden würden denken: »Was soll’s, die wirtschaftliche Lage lässt mich nicht anders entscheiden.« (Lange 9/2009) Anna Langes Wortwahl der »Symptomatik« verweist auf den Ausdruck der »Symptombekämpfung« aus der Medizin. Um in diesem Bild zu bleiben, bekämpfen die AbsolventInnen und Studierenden nur Symptome, ohne sich der eigentlichen Wurzel des Problems zu widmen: ihrer Entscheidungsschwierigkeit. Die äußeren Bedingungen würden von den Menschen als Problemursache herangezogen, um von ihrer eigenen inneren Unsicherheit abzulenken. Dieses Argumentationsmuster der AbsolventInnen lehnt Anna Lange ab, da sie die Einflussmöglichkeiten der AbsolventInnen verdecken und auch als Rechtfertigung dienen würden, um von den eigenen beruflichen Wünschen abzusehen und zu viele unnötige Kompromisse einzugehen. Dieses Beispiel zeigt erneut, dass für die Arbeit in den Career Services die Annahme zentral ist, dass man sich entscheiden und seinen Werdegang bestimmen kann. Damit werden die Einflussmöglichkeiten der Individuen betont, während gesellschaftliche Zwänge weniger beachtet werden. Diese Betonung der Gestaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen möchte ich anhand eines Gesprächs mit der Mitarbeiterin Irene Fischer weiter ausführen. Sie verbindet das Ideal der eigenen Aktivität, Selbstbestimmung und Entscheidungsmöglichkeit stark mit dem für sie positiv konnotierten Wert des Unternehmertums, den sie auf die gesamte Lebensführung überträgt. Sie betont die Wichtigkeit, sich immer neue berufliche Herausforderungen zu suchen, Risiken einzugehen und unternehmerisch zu agieren. Sie ist ausgebildete Psychologin, Mitte 40 und arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Beratung. Ihr Leben, erzählt sie, erfuhr eine Wende, als sie in einem Urlaub die Entscheidung getroffen hatte, neben ihrer Anstellung noch freiberuflich zu arbeiten: »Und ich weiß noch als ihr Kind 5 war, ich so ein Schlüsselurlaubserlebnis hatte. … Ich hatte das Gefühl, ich habe den Job das Haus zu putzen und zu kochen, zu meckern usw. … Und es war dann, als ich mir überlegt habe, Du kannst Dich jetzt entscheiden, willst Du den Rest Deines Lebens den Feudel schwingen oder Du machst hier neben Deiner Berufstätigkeit noch andere Berufsfelder auf. Du fängst auch an unternehmerisch zu denken und das habe ich dann getan…« (Interview Fischer 9/2009).

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Während sie in der ersten Zeit nach der Geburt ihres Kindes eher Sicherheit und Kontinuität gesucht hat, begann sie mit dessen 5. Lebensjahr ihr berufliches Leben zu verändern. Mit einem »Schlüsselurlaubserlebnis« berichtet sie von ihrer Entscheidung, ein weiteres berufliches Standbein aufzubauen. Der Urlaub ermöglicht ihr die nötige Distanz zu ihrem Alltag, um ihr berufliches Leben grundsätzlich zu überdenken. Diesen Moment der Reflexion beschreibt sie wie einen Schlüssel, der ihr die Tür für die Freiberuflichkeit und damit zu einem unabhängigen und selbstbestimmten Leben geöffnet hat. Dabei wirkt das unternehmerische Denken wie ein emanzipativer Befreiungsschlag, der sie davor bewahrte, in eine »traditionelle Frauenrolle gedrängt zu werden« (ebd.) und für den Rest ihres Lebens »den Feudel zu schwingen« (ebd.). Unternehmertum bildet hier den positiven Gegenpart zur unerwünschten »traditionellen« Frauenrolle. Die Betonung liegt dabei auf ihrer aktiven Entscheidung für ein Leben als Unternehmerin und gegen ein beständiges Leben als Hausfrau und Mutter – eine Entscheidung, die ihr Berufsleben bis heute prägt. Im doppelten Sinne hat sie sich in ihrer Wahrnehmung emanzipiert bzw. selbstständig gemacht und ist nun ihre »eigene Frau«. Ihre Erzählung erscheint in der Gestalt eines Ursprungsmythos, in welchem sie ihre Initiation in die UnternehmerInnen-Welt beschreibt. Unternehmerisch aktiv zu sein verkörpert für sie ein bestimmtes Lebensgefühl, eine Art die »Welt zu sortieren« (ebd.). Es ist für sie identitätsstiftend und gibt ihr das Gefühl, zu einer Welt dazuzugehören, in der man sich nicht mit einer gewöhnlichen Anstellung zufrieden gibt, sondern immerfort nach einer neuen Herausforderung strebt. Sie betont: »Und ich glaube, es ist auch gut, immer wieder nachzudenken, wie kannst Du Dich neu erfinden.« (Ebd.) Ihre Freiberuflichkeit wirkt wie eine Identitätsfrage, etwas, mit dem sie sich identifiziert und worüber sie von außen Anerkennung bekommt. An diesem Beispiel erscheint eine unternehmerische Form der Lebensführung in einem positiven Licht. Unternehmerisch aktiv zu sein ist auch für viele der anderen MitarbeiterInnen eng verknüpft mit einem freiheitlichen und selbstbestimmten, aber auch abwechslungsreichen Leben, das Möglichkeiten zur Selbstentfaltung lässt (Interview Lange 9/2009). Sich immer wieder zu überlegen »was kann ich noch tun«, sich auszuprobieren, erscheint als ein Weg der Selbstverwirklichung (Interview Schmidt 4/2010; Interview Müller 10/2009). 1

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Der Mitarbeiter Thomas Meyer erzählt in einem Interview das Beispiel, dass bei Regen in New York sofort ganz viele Schirmverkäufer auf die Straße gehen, um so ihr Geld zu verdienen, so etwas hätte er in Deutschland nie gesehen. Er findet diese Einstellung »einfach toll«, dass man immer eine Chance sieht, auch wenn Schwierigkei-

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Hier zeigt sich somit, dass Werte aus dem betriebswirtschaftlichen Managementkontext auf das Leben allgemein übertragen werden, was ich als eine Form der Ökonomisierung des Sozialen werte, wie ich sie in Kapitel 1.2 und Kapitel 1.3.2 beschreibe. Auch in einer zweistündigen Informationsveranstaltung zum Thema »Intrapreneurship«2 wird Unternehmertum positiv bewertet.3 Dabei diskutiert die Moderatorin mit einem Referenten, einem Kleinunternehmer, die Vor- und Nachteile davon, Unternehmertum von ArbeitnehmerInnen zu fordern. Die Zuhörer sind unterschiedlichen Alters und befinden sich in einer beruflichen Umorientierungsphase. Der Referent betont die zunehmend geforderte Eigeninitiative der ArbeitnehmerInnen, was ihnen ermöglichen würde, autonom zu denken, frei zu handeln und die eigenen Präferenzen zu leben. Er sei nicht jemand, der von »nine to five« arbeiten möchte. »Das bin ich nicht«, erläutert er. Vielmehr möchte er »etwas Neues in die Welt bringen und [sich] verwirklichen« (Tagebuch 6/2009). Auch er identifiziert sich stark mit dem Wert des Unternehmerischen und setzt es gleich mit einer abwechslungsreichen und erfüllenden Berufstätigkeit und Leben im Allgemeinen. Er zeigt an, dass er gerne viel arbeitet und grenzt sich von geregelten, festgelegten Arbeitszeiten ab, die ihn einengen würden. Aus der Sicht der MitarbeiterInnen bieten sich HochschulabsolventInnen eine Vielzahl von Möglichkeiten – sofern sie »nach vorne gehen«, »flexibel« sind und sich »ausprobieren« (Tagebuch 11/2009). Damit konstruieren sie einen Kausalzusammenhang zwischen dem »nach vorne gehen« und den »Möglichkeiten«, die sich eröffnen. Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch: Wer sich nicht immer wieder neu erfindet und ausprobiert, wer nicht flexibel und aktiv genug ist, dem bieten sich weniger oder auch gar keine Möglichkeiten. Bereits zu Beginn des Kapitels habe ich diese Denkweise an mir selbst festgestellt, als ich über mich selbst und mein Erlebnis mit der arbeitssuchenden Absolventin Luise berichtet habe, die seit über einem Jahr keine Stelle findet, was

ten auftreten, es anstrengend ist (Interview Meyer 11/2009) Was er dabei unerwähnt lässt, ist, unter welch prekären Umständen, sowohl in rechtlicher als auch finanzieller Hinsicht, diese Menschen ihr Auskommen verdienen. 2

»Intrapreneurship« bezeichnet das unternehmerische Verhalten von MitarbeiterInnen innerhalb von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Dabei wird von ihnen erwartet, sich so zu verhalten als wären sie selbst UnternehmerInnen.

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Unternehmer im eigenen Unternehmen zu sein wird jedoch von einigen MitarbeiterInnen, wie z.B. von Judith Krüger, auch kritisch gesehen. Darauf gehe ich in einem späteren Abschnitt näher ein (Kapitel 3.1.4).

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ich damals u.a. darauf zurückführte, dass sie sich nicht entscheidet, unflexibel ist und sich auf einen Bereich fixiert. Die unaufhörliche, pausenlose Aktivität und Leistung jedes Einzelnen wird damit als eine unumgängliche Norm und Erwartung gesetzt, es ist quasi ein Rezept, um beruflich Erfolg zu haben. Diese Idee verdeutlicht sich auch in der folgenden Aussage eines Mitarbeiters: »Was ich auch glaube ist, dass es einer hohen Flexibilität bedarf, dass man eben auf mehreren Spielwiesen spielen sollte. […] Man muss sich verabschieden von dieser Versorgung [durch] Dritte […]. Und zum Beispiel finde ich es überhaupt nicht schlimm, dass ältere Menschen nicht in Altersheime verfrachtet werden können oder nicht 3000 Euro Rente bekommen, da denke ich ›so what‹, dann muss man eben in Alters-WGs zusammenziehen. Es gibt den wunderschönen Spruch ›Gott schließt niemals ein Fenster ohne ein anderes zu öffnen‹. […] Und man muss einfach schauen, wo denn gerade die Tür aufgeht.« (Interview Meyer 11/2009)

Diese Rede setzt einen gesellschaftlichen Wandel, in welchem die Versorgung »durch Dritte« bereits passé ist und der hohe Anpassungsfähigkeit verlangt, bis ins Rentenalter, sogar bis zum Tod (vgl. Denninger et al. 2014; van Dyk 2015). Erneut verschwimmt das Berufliche mit dem gesamten Leben und der Appell, flexibel zu sein, greift weit über den Arbeitskontext hinaus. Die Entgrenzung von Beruf und Leben ist ein Kennzeichen des Diskurses (vgl. auch Kapitel 1.1, Kapitel 1.3.2), was u.a. Bröckling (2000) in seiner Analyse zur Ökonomisierung des Sozialen ausführlich beschrieben hat. Zudem ist der Fokus auf die Wahlmöglichkeiten und Optionen auffällig. Aus Sicht von diesem Mitarbeiter ist jeder dazu angehalten, zu sehen, wo gerade die Tür aufgeht, sollte sich fragen »passt mein Angebot und was kann ich tun, um es passend zu machen« und sollte möglichst auf »mehreren Spielwiesen spielen« (Interview Meyer 11/2009). Hier fällt auf, dass diese Mehrgleisigkeit rein positiv dargestellt wird und die damit verbundene Anstrengung nicht zur Sprache kommt. Im Zentrum steht eine durchweg positive, optimistische Denkweise, ein Aspekt, den ich nun ausführlicher beleuchten werde. 3.1.2 Positiv denken In Anlehnung an das weit verbreitete und auch in der Wissenschaft viel diskutierte Bild einer »Multioptionsgesellschaft« (vgl. Gross 1994) gehen die MitarbeiterInnen davon aus, dass sich die beruflichen »Auswahlmöglichkeiten« und Optionen um ein Vielfaches gesteigert haben und sprechen von »Möglichkeitsräumen«, die sich eröffnen (Tagebuch 11/2009; Interview Lange 9/2009; Inter-

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view Koch 9/2009; Tagebuch 7/2009). Sie möchten die BesucherInnen der Career Services dabei unterstützen, diese Möglichkeiten wahrzunehmen und zu nutzen. Eine ihrer Aufgaben sehen sie darin, in einer Form von »self-building« den Menschen »Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit« zu übermitteln und sie in die Lage zu versetzen sowie zu motivieren, »sich zu bewegen« (Interview Lange 9/2009). So möchte auch Melanie Graf die Menschen in ihrem Handeln bestärken, was der folgende Abschnitt aus einem Interview mit ihr zeigt: »Mir macht es Spaß mit Menschen zu arbeiten, dass sie in ihre Gestaltungsmacht kommen. Sie dabei zu unterstützen, das macht mir Spaß, ihnen Möglichkeitsräume anzubieten. Pause Also ich habe wirklich den Satz von Obama: Yes you can!« (Interview Graf 8/2009)

Ihr bereitet es Freude, Menschen »einen kleinen Kick zu geben« (ebd.) auf ihrem beruflichen Weg. Sie sollen sich über ihre eigene Wirk-Macht bewusst werden. Damit verleiht ihnen Melanie Graf eine aktive und gestaltende Rolle, was sie mit dem Slogan von Barack Obama im US-Präsidentschaftswahlkampf von 2008 unterstreicht, welches sie von »Yes we can!« zu »Yes you can!« für ihre eigenen Zwecke verändert hat.4 Ähnlich wie Obama seine potentiellen WählerInnen möchte sie ihre Gegenüber motivieren und sie davon überzeugen, dass es in ihrer Macht liegt, die eigene Situation in eine positive Richtung zu verändern. So erzählt sie mir auch an einem Abend, dass »sein eigener Unternehmer zu sein« für sie bedeutet, »sich unabhängig zu machen, nicht ausgeliefert zu sein, sondern zu überlegen, was möchte ich?« (Tagebuch 5/2010). Den Studierenden und AbsolventInnen die eigenen Einflussmöglichkeiten zu verdeutlichen, ihnen Mut zu machen und sie dazu aufzufordern »ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen«, darin sehen die MitarbeiterInnen ihren Auftrag (Interview Schröder 10/2009; Interview Graf 7/2010). Eva Koch formuliert dies in einem Interview folgendermaßen: »Das ist genau die Kompetenz, die man fördern, aber auch fordern sollte: dass Absolventen selber wissen, was sie in einem bestimmten Moment brauchen, um sich selber gut auf den Weg zu bringen.« (Interview Koch 9/2009)

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»Yes we can!« war die zentrale Botschaft der Wahlkampfrede des demokratischen Präsidentschaftskandidaten und späteren Präsidenten Barack Obama nach der Vorwahl im Bundesstaat New Hampshire am 8. Januar 2008; dieser Satz wurde zu seinem Slogan im Wahlkampf 2008 (vgl. die Transkription der Rede Obamas auf Wikisource).

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Menschen sollen durch die Unterstützung von außen in die Lage versetzt und gleichzeitig dazu aufgefordert werden, ihre Situation zu verbessern (Tagebuch 7/2009). Sich selbst zu helfen, sieht sie als eine Kompetenz an, die sie sowohl »fördern« als auch »fordern« möchte. Diese Rede vom »Fördern und Fordern« weist deutliche Parallelen auf zu dem staatlichen, seit dem Jahr 2000 im Zuge der sogenannten »Hartz-Reformen« initiierten Diskurs rund um den »aktivierenden Staat«, wie ich es im Abschnitt 1.2.5 bereits ausgeführt habe. So zeigen sich in der Rede der Mitarbeiterin Eva Koch einige Grundannahmen, die dem Gedanken eines »aktivierenden Staates« inhärent sind. Er suggeriert, dass Menschen (noch) passiv sind und durch äußeres Einwirken aktiviert werden können. Kocyba (2004: 18) beschreibt den Begriff »Aktivierung« treffend: »Etwas (…) soll durch Anstoß von außen aktiv gemacht, in Aktionsbereitschaft versetzt, zu Aktivität befähigt werden.« In einer Politik des »Förderns und Forderns« wird an die Verantwortung von Arbeitslosen appelliert, so schnell als möglich wieder Beschäftigung zu erlangen und dafür selbst tätig zu werden (vgl. Eversberg 2014; Kocyba 2004: 19; Lehnert 2009b: 248-250; Lessenich 2008: 85-97). Die MitarbeiterInnen vermitteln in diesem Beispiel eben jene Normen des aktivierenden Staates: Sie unterstützen und fordern gleichzeitig dazu auf, selbst aktiv zu werden. Zur Betonung der positiven Denkweise gehört auch, dass die MitarbeiterInnen das Selbstbewusstsein der BesucherInnen des Career Services stärken möchten, daher werden diese angehalten, sich als AkteurInnen und nicht als Opfer zu verstehen. Ähnliche Beobachtungen beschreibt auch Ehrenreich (2006: 96), die in den USA Seminare für Erwerbslose untersucht hat. In Networking Treffen wird den TeilnehmerInnen geraten, sich von der »Opferperspektive« zu lösen, »die einen ja nur blockiert« (ebd.). Gegenüber den Studierenden und AbsolventInnen betonen die MitarbeiterInnen, dass sie sich nicht abhängig machen sollen von den Wünschen und Anforderungen der Arbeitgeber, vielmehr geht es darum »zu ihren eigenen Entscheidungen zu stehen und ihren eigenen Weg zu gehen«, wie die Mitarbeiterin Eva Kunze es formuliert (Tagebuch 3/2010). In diesem Sinne der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung fordern die MitarbeiterInnen auch dazu auf, sich selbst als »Manager der eigenen Berufsbiografie«5 (Tagebuch 7/2009) und somit als »handelnde Akteure ihres beruflichen Planes« (ebd.) zu sehen (vgl. Interview Krüger 10/2009).

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Auch in diesem Begriff »Manager der eigenen Berufsbiografie« werden betriebswirtschaftliche Kategorien auf das Leben, die eigene Biografie angewendet, die es zu managen gilt, wie einen Betrieb, was eine Ökonomisierung des Lebens anzeigt.

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Gemeinsam mit den Studierenden und AbsolventInnen besprechen die MitarbeiterInnen Formen des Arbeitens und Lebens, die sich nach den eigenen individuellen Bedürfnissen der Menschen richten. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, den Anforderungen von Arbeitgebern zu entsprechen, sondern zu überlegen, wie man selbst sein eigenes Arbeitsleben gestalten möchte. Das erläutert auch Judith Krüger in einem Interview: »Es geht nicht darum die Menschen abzurichten, dass sie so sind, wie die Unternehmen sie brauchen.« (Krüger 10/2009) Für sie bedeutet aktiv sein, ein politisches Gestalten einer »besseren« und gerechteren Gesellschaft und Arbeitswelt sowie die Suche nach alternativen Erwerbsformen jenseits der »großen Tanker«, wie sie Multinationale Unternehmen nennt. In diesem Sinne erarbeiten die TeilnehmerInnen in einem der Seminare zum Thema Berufseinstieg alternative Arbeitsformen und besprechen konkrete Strategien, um ein gemeinschaftlich verwaltetes Wohn- und Arbeitsprojekt zu gründen (Tagebuch 6/2010). Diese Beispiele aus dem Alltag der Career Services zeigen, dass die MitarbeiterInnen die diskursiv vermittelten Subjektanforderungen auf eigene Art interpretieren, sie umdeuten und verändern. Wenn sie z.B. davon sprechen, dass man seine eigene Berufsbiografie »managen« und flexibel sein soll, meinen sie damit nicht einzig die möglichst gute Anpassung an die Anforderungen der Wirtschaft, sondern auch das Gegenteil davon: Sie fordern dazu auf, eigene Wege zu gehen und neue Modelle des Arbeitens zu finden, jenseits von Konkurrenz und permanenter Optimierung. Die MitarbeiterInnen möchten die AbsolventInnen darin bestärken, ihre Wünsche zu realisieren und keine Angst zu haben. Sehr oft habe ich erlebt, wie sich die Studierenden und AbsolventInnen bei den MitarbeiterInnen für ihre ermutigenden Worte bedanken. Die MitarbeiterInnen hätten ihnen verdeutlicht, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind und es immer irgendeine Lösung gibt. Durch die Angebote der Career Service seien sie wieder zuversichtlicher geworden und hätten für sich selbst neue berufliche Möglichkeiten entdeckt. Dies zeigt die Ambivalenzen in den Praktiken der MitarbeiterInnen, die im Diskurs begründet sind. Zwar möchten die MitarbeiterInnen Handlungswege aufzeigen und die BesucherInnen der Career Services dazu ermutigen, selbstbestimmt und ohne Furcht ihre beruflichen Wünsche zu realisieren. Indem sie jedoch fast ausschließlich die individuellen Handlungsmöglichkeiten und Chancen betonen, bleiben die strukturellen Hindernisse und gesellschaftlichen Zwänge verborgen und das Scheitern erscheint als mangelnde Aktivität und individuelles Versagen jedes Einzelnen. Auf den Umgang der MitarbeiterInnen mit dem Scheitern möchte ich nun zu sprechen kommen.

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3.1.3 Scheitern als Chance Keine Angst zu haben, kristallisiert sich zu einer der zentralen Botschaften der MitarbeiterInnen heraus, die sie zu vermitteln suchen (Interview Müller 10/2009). Die BesucherInnen der Career Services sollen, wie es ein Mitarbeiter ausdrückt, »ihren Mut nicht verkaufen, den man unbedingt braucht« (Tagebuch 5/2010). Interessant ist hier, dass er die Formulierung »verkaufen« wählt. So werden die AbsolventInnen zwar dazu angehalten sich selbst zu vermarkten, was ich in dem Unterkapitel zu Selbstmarketing diskutieren werde, doch ihren Mut sollen sie nicht zum Verkauf anbieten, denn dieser wird von ihnen selbst dringend gebraucht. Der eigene Mut bildet die Grundvoraussetzung, um immer wieder von Neuem aktiv zu werden. Er bildet die treibende Kraft – würde er verkauft werden, wären die Menschen nicht mehr handlungsfähig. Insofern haben Ängste, das Risiko zu scheitern und Gefühle der Ohnmacht in ihren Erzählungen nur beschränkt Raum und werden sogleich von den vielen »Möglichkeiten« und der »Gestaltungsmacht« – die Antipode der Ohnmacht – übermalt. In dem von mir zu Beginn dieses Kapitels skizzierten Erlebnis mit Luise, einer arbeitssuchenden Absolventin, kann ich bei mir selbst eine ähnliche Verhaltensweise beobachten. Anstatt auf ihr Leid einzugehen, gebe ich ihr lauter Ratschläge, was sie noch tun könnte. Zwar räumen die MitarbeiterInnen ein, dass »das Leben ein Risiko« ist und heutzutage kaum jemand noch einen »gradlinigen Lebenslauf« hat (Tagebuch 7/2009; Tagebuch 8/2009). Dennoch kommen die Risiken des Ausprobierens weit weniger zur Sprache als die Aufforderung und die Notwendigkeit sie einzugehen (Tagebuch 5/2009). In den Career Services wird die Möglichkeit zu Scheitern meist im Sinne eines »gescheiter Scheiterns« diskutiert, ein gebräuchlicher Ausdruck unter den MitarbeiterInnen. So verfolgte eine Veranstaltung der Körber-Stiftung – »Scheitern als Chance« – eine ähnliche Stoßrichtung. Eine Kursteilnehmerin hat mich auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht (Tagebuch 5/2010).6 Das Scheitern gehört dazu und ist nicht schlimm, solange man nicht stehen bliebt. Damit bekommt es sogleich eine positive Konnotation. In diesem Sinne argumentiert Melanie Graf in einem Seminar: »Sie [die SeminarteilnehmerInnen] leben in einer multioptionalen Welt. Es gibt nicht den richtigen Weg. Wenn es viele Türen gibt, besteht auch die Gefahr sich zu irren, aber man muss eben auch zurückgehen können und eine andere Tür öffnen.« (Tagebuch 7/2009)

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Die Veranstaltung der Körber-Stiftung fand am 2. Juni 2010 statt.

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Hoffnungsvoll wird erneut auf die vielen Möglichkeiten verwiesen, die Ratsuchenden sollen voranschreiten, unbekannte Wege ausprobieren, ohne Furcht einen Fehler zu begehen, die falsche Tür zu öffnen. Sich zu irren dient somit dazu, sich zu überlegen, was schief gelaufen ist, »eine Korrekturschleife einzuführen« und sich neu zu orientieren (Tagebuch 5/2009). Gerade aufgrund der häufigen Irrwege ist es wichtig, so Melanie Graf, eine erfüllende berufliche Tätigkeit zu suchen und sich zu fragen: »Für was stehe ich immer wieder auf?« (Tagebuch 7/2009) Somit appelliert sie an die eigene Frustrationstoleranz der TeilnehmerInnen: Trotz und auch gerade wegen der vielen Unwegsamkeiten und Hürden sind alle angehalten, nicht aufzugeben und am Ball zu bleiben. Hier wird auch der Auftrag der Career Services deutlich, Menschen dabei zu helfen, auf dem Arbeitsmarkt zu partizipieren und beruflich Erfolg zu haben (vgl. Synthese II). Insofern plädieren die MitarbeiterInnen für einen offenen Umgang mit dem Scheitern, da das Scheitern eben dazugehört, unvermeidbar ist. Sie warnen davor, die Möglichkeit zu scheitern auszublenden. In der bereits erwähnten Veranstaltung zum Thema »Intrapreneurship« (s.o.) wird der allgemeine Umgang mit dem Scheitern zwar kritisch reflektiert. Dort kritisiert der Referent, Deutschland habe keine Kultur, um mit Niederlagen umzugehen. Diese würden verschwiegen werden, Scheitern sei ein Stigma und man würde immer nur über die Erfolge sprechen (Tagebuch 6/2009). Doch auch in dieser Veranstaltung geht es darum aus dem Scheitern zu lernen. Nur indem es thematisiert wird und die Gründe erläutert werden, besteht auch die Möglichkeit, sich zu verbessern. Die nach vorne gerichtete und ermutigende Perspektive zieht sich somit wie ein roter Faden durch die Rede der MitarbeiterInnen. Es stellt sich für mich die zentrale Frage, warum die MitarbeiterInnen so bemüht sind, Befürchtungen und Ohnmachtserfahrungen zu relativieren, was ich in der Synthese II nochmals mit Rückgriff auf die Ethnopsychoanalyse diskutieren werde. Zwar legen sie viel Wert darauf, dass die Angst nicht das eigene Handeln bestimmen sollte, dennoch ist die Furcht vor dem sozialen Abstieg stark präsent in ihrem Reden und bricht ihre positive Perspektive. So möchte ich im folgenden Abschnitt auf die Widersprüche eingehen, die im Umgang mit dem AktivitätsDiskurs auftreten. Ich erörtere, wie die durchweg positive Rede der MitarbeiterInnen gebrochen wird und welche Rolle dabei die Ängste und die prekäre Situation sowohl der MitarbeiterInnen selbst als auch der BesucherInnen der Career Services spielen.

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3.1.4 Ambivalenzen und die latente Gefahr des Scheiterns Der Ruf nach Aktivität und Unternehmertum ist vor dem Hintergrund der beruflich unsicheren Situation der MitarbeiterInnen und der AbsolventInnen zu sehen. Aktiv zu sein – komme, was da wolle – erscheint wie ein Sicherheitsanker, an den man sich in unsicheren Zeiten klammern kann. »Notfalls fängst du an, das Projekt selbst zu kreieren«, beschreibt Helene Schröder, eine Mitarbeiterin, die Wichtigkeit der Eigeninitiative bei der Arbeitssuche (Interview Schröder 8/2010). So wird es als Kompetenz angesehen »weiter zu gehen, nicht stehen zu bleiben« (Tagebuch 11/2009; vgl. Tagebuch 6/2009; Tagebuch 2/2010). In der Betonung auf das »Weiter gehen, immer weiter« steckt eine Art Garantie des Erfolgs, was ein wichtiges Kennzeichen des Diskurses ist, wie ich es bereits dargestellt habe (Kapitel 1.1). So erläutert Melanie Graf einmal in einem Seminar: »Man sagt, dass erfolgreiche Menschen ein Mal mehr aufgestanden sind.« (Tagebuch 5/2009) So lange man nicht aufgibt, vorwärtsgewandt ist und weitergeht, besteht noch Hoffnung. Stehen zu bleiben hingegen bedeutet Hoffnungslosigkeit, ein Gefühl, das die MitarbeiterInnen nur schwer aushalten können. Die eigene unternehmerische Aktivität bildet dabei eine Möglichkeit, mit der erlebten Unsicherheit umzugehen, wie eine Mitarbeiterin in einem Gespräch argumentiert: »Wir gehen harten Zeiten entgegen. Bei der Entwicklung von einem Wohlfahrtsstaat zu einem Wettbewerbsstaat ist es unumgänglich unternehmerisch zu denken und zu handeln. Dieses System erfordert das.« (Tagebuch 5/2010)

Sie beschreibt einen schrittweise erfolgenden Wandel von einem »Wohlfahrtsstaat« zu einem »Wettbewerbsstaat« und objektiviert diesen Prozess als Tatsache. Aus ihrer Sicht gewinnen Prinzipien wie Wettbewerb und Konkurrenz stark an Bedeutung. Menschen müssten sich diesen Entwicklungen anpassen und anfangen, unternehmerisch zu agieren. Interessant ist, dass sie die Entwicklung zu einem Wettbewerbsstaat als gesetzt annimmt und als Legitimation heranführt, warum alle unternehmerisch agieren sollten. Dabei lässt sie die derzeit bestehenden sozialen und politischen Auseinandersetzungen in Deutschland unerwähnt. Wie ich es bereits dargestellt habe, ist der neoliberale Umbau des Staates in einen Wettbewerbsstaat in keiner Weise beschlossen oder gar vollzogen (Kapitel 1.2.4). Vielmehr wird die Ausgestaltung des Staates unentwegt zwischen verschiedenen Interessensgruppen verhandelt (Kaindl 2007: 20). Anhand dieses

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Beispiels lässt sich ein Charakteristikum des Diskurses deutlich aufzeigen: Die neue Subjektanforderung, wie sein eigener Unternehmer zu agieren, wird durch die Rhetorik des gesellschaftlichen Wandels legitimiert und als unumgänglich beschrieben, was ich im Kapitel 1.1 zum Diskurs bereits erörtert habe. Die MitarbeiterInnen konstatieren einen gesellschaftlichen Wandel und betonen z.B. die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Diese Veränderungen dienen als Legitimation, warum jeder/jede permanent aktiv sein muss. Formulierungen wie »heutzutage ist es zunehmend erforderlich zwei bis drei Jobs zu jonglieren« (Tagebuch 6/2009) unterstreichen diese Notwendigkeit. Dabei wird die eigene Aktivität zu einem Moment der Stabilität in der Instabilität sowie zu einer Strategie, sich vor Krisen und sozialem Abstieg zu schützen und sich an eine sich permanent wandelnde Umwelt anzupassen. Die vornehmlich positive Aktivitätsrede der MitarbeiterInnen weist also Widersprüche und Bruchstellen auf, die ich auch in den Existenzängsten verankert sehe, mit der die MitarbeiterInnen sich konfrontiert sehen, da sowohl die Ratsuchenden, die zum Career Service kommen, als auch die MitarbeiterInnen selbst sich oftmals in einer ungesicherten beruflichen Situation befinden. Der permanente Aufruf zur Aktivität ist also eng verknüpft mit Erfahrungen der Prekarität, was zu ambivalenten Deutungs- und Umgangsweisen führt, die ich anhand der folgenden Aussage einer Mitarbeiterin verdeutlichen werde: »In meiner Wahrnehmung werden Arbeitsmärkte immer unsicherer. Und mich beruhigt das einfach, drei Bälle, drei bis vier Bälle in der Luft zu haben. Ich habe das Gefühl, es entspannt mich. […] Es müssen ja nur die Studiengebühren gestrichen werden und das Career Service wird reduziert […] [dann] bin ich weg vom Fenster.« (Interview Fischer 9/2009)

Hier thematisiert sie den prekären Status ihrer Arbeit im Career Service, mit der Gefahr »weg vom Fenster« zu sein, eine Gefahr, die immerzu droht. Dieser Unsicherheit versucht sie damit zu begegnen, immer »drei bis vier Bälle in der Luft« zu haben, eine Metapher, die sie wiederholt und die auch bei anderen MitarbeiterInnen auftaucht. Für viele ist diese Metapher jedoch eher negativ konnotiert: Sie dient als Symbol ihrer prekären Lage. Für Anna Lange ist es beispielsweise ein Problem der Überforderung und der Orientierungslosigkeit mit so vielen »Auswahlmöglichkeiten zu jonglieren«, was sie als Sinnbild des derzeitigen Arbeitswandels ansieht. Anstatt es »als Geschenk oder als schönen Pool an Möglichkeiten« zu empfinden, entwickelt sich für sie dieses Jonglieren eher zu einer Not (Lange 9/2009).

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Diese Metapher kann als Sinnbild für den prekären Status der MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services gedeutet werden. Zwar ist das Jonglieren immer auch mit Spaß verbunden, aber ihm wohnt gleichzeitig auch etwas »Närrisches« inne: Sich für andere zum Narren zu machen und dafür Geld zu bekommen. Sei es als Clown in der Zirkusmanege oder als höfischer Narr, alle jonglieren für ein Publikum, von dessen Gunst sie abhängen. Mehrere Bälle in der Luft zu jonglieren erfordert Beweglichkeit, Geschick und höchste Konzentration. Nicht eine Sekunde Pause ist erlaubt, denn die Gefahr, Bälle zu verlieren, droht permanent und steigert sich, je mehr Bälle gleichzeitig in der Luft sind. Doch diese Gefahr blendet Irene Fischer aus. Auf die Schwierigkeiten und Belastung permanenter Veränderung und Anpassung geht sie kaum ein. Ganz im Gegenteil – in ihrem Bild nimmt ihr Gefühl der Sicherheit zu, je mehr Bälle sie gleichzeitig in der Luft balanciert. Verliert sie einen Ball, kann sie noch auf andere zurückgreifen und »es wird mir schon was einfallen« (Interview Fischer 11/2009). Indem sie ihre Tätigkeiten diversifiziert, versucht sie flexibel zu sein, um sich an veränderte Marktsituationen anpassen zu können. Hier zeichnet sich ein Widerspruch zwischen eben jener Maxime der Anpassung und ihrer tatsächlichen Praxis ab. Denkt man ihr Bild, so entsteht der Eindruck, dass sie mit sehr unterschiedlichen Bällen hantiert. Bei konkreter Betrachtung ist sie jedoch gar nicht so »breit aufgestellt«, wie es ihr Bild vermuten lässt, da alle ihre Tätigkeiten im Bereich der Beratung angesiedelt sind. Sie ist sehr spezialisiert und jongliert im Grunde nur mit einem Ball. Damit entfernt sie sich von ihrem eigenen Imperativ der breit gefächerten Anpassung. Dies verweist auf ihren prekären Status, da sie abhängig ist vom Beratungssektor. Die Nachfrage nach Beratungsleistungen könnte jedoch rapide sinken, wenn sich die wirtschaftliche Lage verschlechtern würde. So ist die Personal- und Organisationsentwicklung erfahrungsgemäß meist das erste, was in Unternehmen gestrichen wird. Auch dieses Beispiel zeigt erneut, dass die Möglichkeit zu scheitern und sozial abzusteigen, zwar permanent als Drohkulisse präsent ist, jedoch kaum explizit angesprochen wird. Anna Lange hingegen thematisiert sehr ausführlich ihre eigene prekäre Situation. Wie viele der MitarbeiterInnen ist auch sie neben ihrer Teilzeitbeschäftigung im Career Service noch in mehreren Berufsfeldern aktiv. Die Angst eine ihrer Einkommensquellen zu verlieren, hat dazu geführt, dass sie die »Füße in allen möglichen Türen drin gelassen hat«. »Irgendwie habe ich immer noch diesen Spleen, höre mal nicht ganz auf, weil wer weiß, was so passiert.« (Interview Lange 9/2009) Ihr eigener Anspruch, möglichst aktiv zu sein, äußert sich auch in der Begegnung mit den AbsolventInnen und Studierenden. Wenn sie mit BesucherInnen des Career Services spricht, die sehr engagiert sind, spult sich bei ihr

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ein »eigener Film« ab, »kommt sofort wieder diese Tür in meinen Hinterkopf«: Durch die Erfolge, die ihre Gegenüber berichten, setzt sie sich selbst unter Druck, und überlegt, was sie selbst noch »tun könnte« (Interview Lange 9/2009). Der Vergleich mit ihren Gegenübern erinnert sie an die eigene Angst, nicht genügend aktiv zu sein und womöglich etwas zu verpassen. Sie spiegelt sich in den Anderen und wird dabei permanent an das erinnert, was sie gerade nicht tut oder wo sie sich beruflich noch einsetzen könnte. Diese Erfahrung ist ein Beispiel dafür, dass sich die MitarbeiterInnen mit den AbsolventInnen identifizieren und Mechanismen der Übertragung stattfinden, die jedoch kaum im Rahmen von Unterstützungsangeboten wie Supervision reflektiert und professionell begleitet werden können. Die MitarbeiterInnen haben fast keine Möglichkeiten, ihre Erfahrungen aus der Beratung und den Seminaren zu verarbeiten, was ich nochmals in der zweiten Synthese aufgreifen werde (vgl. Synthese II). Zwar ist Anna Lange der Überzeugung, dass »diese Türen dann doch wieder eine Möglichkeit ergeben«, dennoch betont sie die Not und Anstrengung, die mit dieser Mehrgleisigkeit verbunden ist: »Weil … du musst den Fuß da drin halten […] und wenn du so viele Türen hast und du hast nur zwei Beine, dann ist das ganz schön anstrengend. Du musst halt immer wieder gucken, wo muss man jetzt (lachend) wieder aktiv werden, damit diese Räume erhalten bleiben.« (Lange 8/2009)

Sie ist immer darauf bedacht, mehrere Türen gleichzeitig offen zu lassen, denn »wenn sie zu sind, sind sie zu«. Die Befürchtung aus dem Arbeitsmarkt raus zu fallen, ist stets präsent, »denn niemand möchte Hartz-IV-Empfängerin werden, ich am wenigsten« (ebd.). Auffallend ist, dass bei diesem Ringen nach Sicherheit die Gefahr der Exklusion permanent droht. So muss sich jeder bemühen, die Türen offen zu halten und »anschlussfähig« zu bleiben. Wer nicht anschlussfähig ist, bleibt draußen vor der Tür zum Erfolg. Auch wenn sie anders als andere MitarbeiterInnen die Anstrengung anspricht, die mit der permanenten Aktivität verbunden ist, redet auch Anna Lange im Interview viel mehr davon, dass sie die Türen aktiv auf oder zu macht und weniger davon, dass für sie die Tür verschlossen bleibt. Damit wird erneut die eigene Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeit weitaus mehr akzentuiert als das Unvermögen etwas an der eigenen Situation zu verändern und ausgeliefert zu sein. Interessanterweise musste sie selbst von ihren eigenen beruflichen Zielen absehen. So hatte sie sich zwar erst für einen anderen beruflichen Weg entschieden – den Kulturbereich – musste diesen jedoch nach einiger Zeit verlassen,

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da sie keine Stelle in dem Bereich fand und sich nach einer Alternative umsehen musste. So frage ich mich, weshalb sie so viel Wert auf die eigene Entscheidung legt, wo sie doch selbst erfahren hat, dass Türen trotz einer Entscheidung verschlossen bleiben können. Bei Anna Lange klaffen demnach eigene Maximen und tatsächliche Praxis auseinander. Sie fordert die Fähigkeit der Entscheidung, eine Anforderung, der sie selbst nur bedingt nachkommen kann. Diesen Widerspruch reflektiert sie während des Interviews auch selbst und räumt ein, dass es ihr nicht leicht gefallen ist, das Arbeitsfeld ihrer Wünsche aufzugeben (Interview Lange 9/2009). Die Maxime der Entscheidungsfähigkeit wird nicht hinterfragt, sondern von den MitarbeiterInnen eher hervorgehoben und als Ideal propagiert. Sie nehmen es als gesetzt an, dass jeder Mensch Wahlmöglichkeiten und die Freiheit hat, sich zwischen Optionen zu entscheiden; Zwänge werden hingegen weitaus weniger thematisiert. In dieser Ausblendung von gesellschaftlichen Zwängen und der Betonung der Eigenverantwortung der Individuen wird eine Parallele zum (neo)liberalen Denken sichtbar, das auf den Idealen der Freiheit und Wahlmöglichkeiten fußt, wie ich es in Kapitel 1.2 beschrieben habe (vgl. Molé 2010: 40). Gleichzeitig äußern sie sich gegenüber neoliberalen Normen auch sehr kritisch, was erneut ihre ambivalenten Umgangsweisen mit dem Diskurs offenbart. Die MitarbeiterInnen reflektieren und kritisieren jene Verantwortungsverschiebung auch dezidiert, die in neoliberalen Programmen befördert wird. Die Anforderung, dass jeder wie sein eigener Unternehmer handeln soll, stelle eine große Überforderung der Menschen dar (Interview Lange 8/2009; Interview Krüger 10/2009). Als ich in einem Interview Judith Krüger zu ihren Assoziationen zum »eigenen Unternehmer« frage, reagiert sie mit großer Skepsis und verweist auf die gefährliche Verantwortungsverlagerung auf Arbeitnehmer: »Da stellen sich mir die Haare auf. […] Für mich ist es einfach eine Überforderung der Angestellten. Dass ich als kleine Angestellte fürs ganze Unternehmen mitdenken soll für den gleichen Lohn, also das ist die Seite, die ich falsch finde. Heißt nicht, dass ich alle Verantwortung, wenn ich irgendwo arbeite, abgebe, aber orientiert auf mein Arbeitsfeld und orientiert an meiner Bezahlung.« (Interview Krüger 10/2009)

Auch Irene Fischer sieht eine Gefahr, dass gesellschaftliche Bedingungen – wie prekäre Arbeitsverhältnisse und Ausbeutung – beim Berufseinstieg ausgeblendet und »unglaublich viel Verantwortung in das Individuum hineingepumpt« wird (Interview Fischer 9/2009). Im Gegensatz zu anderen Career Services würden sie jedoch »gar nicht mit Schuld«, sondern mit »Möglichkeiten« arbeiten und bei

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beruflichen Einstiegsschwierigkeiten »weg von der Person hin zur Situation« verweisen (Tagebuch Juli 2009). Ähnlich argumentiert auch Eva Koch in einer Diskussion, die ich in meinem Tagebuch festgehalten habe und an der mehrere MitarbeiterInnen von verschiedenen Career Services beteiligt waren. Aus ihrer Sicht muss man den Studierenden und AbsolventInnen den Kontext bewusst machen und verdeutlichen, dass es in der heutigen Zeit normal ist, viele Bewerbungen zu schreiben. Damit möchte Eva Koch verhindern, dass die Menschen Absagen persönlich nehmen und die Schuld bei sich suchen (Tagebuch 7/2007). Diese Aussagen bilden eine Art gegenläufiger Bewegung zu der vorangegangenen Rede über das »Jammern«. Relativieren sie auf der einen Seite die gesellschaftlichen Verhältnisse – wie z.B. die Finanzkrise –, kritisieren sie auf der anderen Seite ihre Ausblendung und widersprechen sich damit selbst. In den Reden der MitarbeiterInnen treffen somit verschiedene Wertmaßstäbe aufeinander, die miteinander konkurrieren. Ihre widersprüchlichen Positionen werden auch in den folgenden Ausschnitten aus einem Tagebucheintrag deutlich, in welchem ich ein Gespräch mit Melanie Graf aufgezeichnet habe. Hier betont sie einerseits die Handlungsmacht und Eigenverantwortung jedes Einzelnen und markiert die Wichtigkeit der individuellen Leistung, die zum Erfolg führt. In dieser Darstellung schöpfen Menschen einzig aus sich selbst heraus, befreien sich durch unternehmerisches Denken von äußeren Gegebenheiten, womit gesellschaftliche Ungleichverhältnisse und Abhängigkeiten ausgeblendet werden. Auf mein Nachfragen hin, inwiefern ein solches Denken zur Individualisierung führt, plädiert sie aber andererseits auch dafür, gesellschaftliche Verhältnisse und Chancenungleichheit zu berücksichtigen und nicht die Schuld bzw. die ganze Verantwortung auf den Einzelnen zu verlagern, sondern Sicherheitsnetze wie das gesicherte Grundeinkommen einzuführen. Sie befürchtet, »wie Westerwelle rüber zu kommen« und ist bemüht darzustellen, dass sie nicht eine Gesellschaft anstrebt, in der »jeder seines Glückes Schmied ist« und auf sich allein gestellt ist (Tagebuch 05/2010). Die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit in den Aussagen der MitarbeiterInnen erkläre ich mir auch damit, dass sie sich in meinen Nachfragen spiegeln und dadurch ihr eigenes Reden reflektieren. Es fällt auf, dass sie sich durch mein Nachfragen zunehmend selbst verorten und ihre Aussagen facettenreicher, aber auch widersprüchlicher werden. An diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr ich als Forscherin in den ethnologischen Prozess des Datenerhebens involviert bin (Devereux 1984, vgl. Kapitel 2.2.3, Kapitel 2.2.4). Ein weiterer Grund für die ambivalenten Positionen der MitarbeiterInnen liegt nach meiner Einschätzung auch darin, dass sie selbst in prekären Verhält-

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nissen arbeiten. Zwar betonen sie die berufliche Eigenverantwortlichkeit, doch möchten sie selbst nicht für ihre eigene prekäre Arbeitssituation verantwortlich gemacht werden. Um sich selbst zu entlasten verweisen sie wiederum auf die erschwerenden äußeren Gegebenheiten und Zwänge, wie beispielsweise die befristeten Arbeitsverhältnisse an Hochschulen, die eben nicht in ihrer Gestaltungsmacht liegen. Bei der Untersuchung des Umgangs der MitarbeiterInnen mit der normativen Anforderung der permanenten Aktivität und Selbstbestimmung treten Ambivalenzen und Widersprüche zu Tage. Auf der einen Seite legen die MitarbeiterInnen viel Wert auf die Möglichkeiten der Selbstbestimmung und Gestaltung des Lebens, wobei die Grenzen zwischen dem Beruflichen und der allgemeinen Lebensführung verschwimmen. Sie möchten den Studierenden und AbsolventInnen Mut und Zuversicht zusprechen, ihr Selbstbewusstsein heben und sie in ihren beruflichen Wünschen bestärken, anstatt sie als Opfer der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu sehen, die sie oft relativieren. Während sie die Wahlmöglichkeiten und Chancen betonen, bleiben jedoch auf der anderen Seite die strukturellen, gesellschaftlich bedingten Hindernisse sowie die materiellen Ängste und Ohnmachtsgefühle verborgen und Erfahrungen des Scheiterns werden zu einem individuellen Versagen und zu einer Folge von mangelnder Aktivität und Unternehmertum jedes Einzelnen. So wird der Appell zur permanenten Aktivität immer auch begleitet vom Schreckgespenst des sozialen Abstiegs und steht teilweise im Zusammenhang mit der eigenen unsicheren Lage der MitarbeiterInnen. Doch die damit zusammenhängenden Existenzängste bleiben oft verborgen und werden damit individualisiert. Gleichzeitig ist aber wiederum auch eine gegenläufige Bewegung zu erkennen. Einige MitarbeiterInnen lehnen eine Verantwortungsverschiebung auf das Individuum explizit ab und kritisieren die Ausblendung von gesellschaftlichen Zwängen. Ihnen ist es wichtig, den Ratsuchenden zu verdeutlichen, dass Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche normal sind und die AbsolventInnen sich nicht die Schuld geben sollen für ihre Probleme. Ich komme nun auf das Thema Selbstmanagement zu sprechen, eine Selbsttechnik, die von den MitarbeiterInnen in den Career Services vermittelt wird.

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3.2 S ELBSTMANAGEMENT In den Seminaren der Career Services werden Techniken vermittelt, wie sich AbsolventInnen besser managen und vermarkten können, um beruflichen Erfolg und Zufriedenheit zu erlangen. Die Anwendung dieser Techniken auf sich selbst und das eigene Leben verspricht sowohl Sicherheit als auch ein erfülltes Berufsleben. Anhand dieser Selbsttechniken, wie sie von Theoretikern der Gouvernementalitätsforschung formuliert werden und die ich im Abschnitt 1.3.2 bereits erläutert habe, kann ich aufzeigen, wie Diskurse bei den Individuen wirken und wie dabei eine Ökonomisierung des Sozialen im konkreten Fall stattfindet. So werden mittels dieser Selbsttechniken Menschen dazu angehalten, das eigene Leben am betriebswirtschaftlichen Modell des Unternehmertums auszurichten, wobei Logiken des Marktes auf alle Lebensbereiche ausgeweitet werden (vgl. Bröckling 2007). Im Folgenden gehe ich darauf ein, welche Bedeutung die Selbsttechniken Selbstmanagement (Kapitel 3.2) und Selbstmarketing (Kapitel 3.3) für die MitarbeiterInnen von Career Services hat. In Kapitel 3.2 diskutiere ich die in Career Services verbreitete Idee, sich selbst zu managen und damit sein berufliches Leben selbst bestimmen zu können. Ich untersuche, wie MitarbeiterInnen von Career Services die Idee des Selbstmanagements und die dazu gehörigen Techniken vermitteln und wie sie mit diesem Teilaspekt des Diskurses umgehen. Dabei gehe ich erst exemplarisch auf eine Seminarsituation ein, in die ich als Teilnehmerin und Beobachterin eingebunden war, und nutze meine eigenen Reaktionen im Seminar als Schlüssel zum Verständnis des Themas. Anschließend beleuchte ich die Thematik auf einer breiteren Ebene und stelle die Perspektiven der MitarbeiterInnen von Career Services dar, um herauszuarbeiten, welche Ideen, Normen und Praktiken im Zusammenhang von Selbstmanagement für die MitarbeiterInnen wichtig sind. 3.2.1 Fallbeispiel: Seminar Zeit- und Selbstmanagement Im Juni 2009 besuche ich in einem Career Service das eintägige Seminar zum Thema Selbstmanagement. Die Veranstaltung findet in den Räumlichkeiten einer Hochschule statt und wird von rund 207 Studierenden und AbsolventInnen besucht. Die Seminarleiterin Verena Richter führt in das Thema Selbstmanagement ein und vermittelt hierzu konkrete Techniken. Sie zeigt Strategien des Zeitmanagements auf und geht u.a. auf Formen der Arbeitsorganisation und Prioritätensetzung ein. Zudem sollen die TeilnehmerInnen anhand von praktischen Aufga-

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Es nehmen doppelt so viele Frauen als Männer in diesem Seminar teil.

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ben ihr eigenes Zeitmanagement reflektieren, eine »Ist und Soll Bilanz« anstellen und für sich überlegen, was sie am eigenen Verhalten verändern möchten. Als die Seminarleiterin Verena Richter zu Beginn des Seminars ihre Erwartungen abfragt, antworten einige, dass sie sich »ein effektives Zeitmanagement« wünschen, sie möchten lernen ihre »Prioritäten besser zu setzen«, Arbeitszeit und Freizeit besser voneinander zu trennen, aber auch »weniger gestresst zu sein«, und die »freie Zeit effektiver nutzen« zu können. Sie hoffen durch das Seminar konkrete Anregungen zu bekommen, wie sie sich beruflich besser organisieren können, sie möchten Verhaltensweisen erlernen, die ihnen beruflichen Erfolg und ein zufriedenes Arbeitsleben ermöglichen. Besonders eindrücklich ist für mich ein Vorfall, der sich gegen Ende des Seminars abspielt. Die Seminarleiterin gibt die Aufgabe, die nächsten ein bis zwei Jahre für sich selbst zu planen und die anstehenden Aktivitäten auf A3 Jahreskalendern abzubilden. Um zu versinnbildlichen, wie wichtig die eigene Zeitplanung ist, wirft sie den Stapel A3 Jahreskalender auf den Boden und sagt »7080 solcher Blätter sind ein Leben!«, womit sie andeutet, dass alle Jahreskalenderblätter zusammen genommen zeitlich ein ganzes Leben umfassen. Als sie das sagt, durchläuft mich ein Schauer und ich notiere in mein Feldforschungstagebuch: »Total krass, so und so viele Kalender ein Leben! (…) Ich kann den Raum kaum aushalten teilweise… Pläne, Pläne, Zeiten, Management… Ich fühle mich wie beschallt, habe den Impuls wegzulaufen, um nicht mehr beschallt zu werden. Habe das Gefühl, meine eigene Realität zu verlieren, nicht mehr wahrzunehmen, dass das ein Irrsinn ist, dass es ein Irrsinn ist, das Leben sinnbildlich wie ein Stapel Kalender zu sehen.« (Tagebuch 6/2009)

Mich schockiert die Vorstellung, das Leben als eine Aneinanderreihung von Plänen zu sehen und ich habe in dem Moment den Impuls den Raum zu verlassen. Nach der Veranstaltung unterhalte ich mich mit einer Teilnehmerin, auch sie empfindet diese Gleichsetzung von Leben und Plan als »krass«. Ich möchte nun meinen eigenen Reaktionen und Gefühlen folgen und sie als Ausgangspunkt für ein Verständnis des Themas nehmen. Indem die Seminarleiterin darauf verweist, dass die Blätter ein Leben »sind«, stellt sie keinen Vergleich an, sondern nutzt die Kalenderblätter als Metapher für das Leben. Diese Gleichsetzung des Lebens mit einem Stapel Kalender ist stark reduktionistisch. Es ist eine verkürzte Darstellung des Lebens, die dessen Komplexität nicht gerecht wird: Kalenderblätter sind eindimensional und geben eine starre Struktur vor, in der man die eigenen Aktivitäten und Lebensinhalte abbilden kann. Damit haben Kalender etwas Normierendes, das für alle gleich ist und

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keine Relativität zulässt. Mit ihrem Bild des Lebens als Kalenderblätter geht die Seminarleiterin davon aus, dass das Leben planbar ist und sich einteilen lässt in konkrete absehbare Abschnitte. Aus dieser Perspektive erscheint das Leben organisierbar und sogar kontrollierbar. Diese Vorstellung des (Berufs-)Lebens als etwas Organisierbares und Planbares wird auch an anderen Stellen des Seminars deutlich, beispielsweise als Verena Richter auf zentrale Techniken von Zeitmanagement eingeht. Sie fordert dazu auf, die eigenen Ziele möglichst konkret zu formulieren, da sie die Grundlage jedes Zeitplans bilden. Ausgehend von diesen Zielen können dann »konkrete Schritte und Maßnahmen abgeleitet werden«, wobei sie dazu rät, immer »vom Großen ins Kleine« zu planen. Hier fällt auf, dass durch solche ZeitmanagementTechniken die Komplexität des eigenen Lebens reduziert wird und das (Berufs-) Leben wie ein planbares Projekt erscheint. Techniken des Projektmanagements wie Zielfindung und Maßnahmenplanung werden auf das Leben übertragen. Dabei nutzt Verena Richter viele technische und betriebswirtschaftliche Begriffe und fordert dazu auf »Ziele« zu formulieren und »Maßnahmen« zu planen. Auf diese Weise wirkt der Verlauf des eigenen Lebens als kontrollier- und steuerbar, es kann in »Etappenziele« und »Bausteine« unterteilt werden, bekommt damit jedoch etwas Starres. Gleichzeitig verweist die Seminarleiterin aber darauf, dass die eigenen Ziele und Prioritäten jederzeit verändert und Pläne »umgeschmissen« werden können und müssen. Was man heute als Ziel definiert, kann morgen schon nicht mehr von Bedeutung sein. Pläne müssen »an das Leben« und seine Entwicklung angeglichen werden, meint sie. Es gilt, die eigenen Pläne regelmäßig zu überprüfen und an die individuelle Entwicklung anzupassen, »eine Nachjustierung« vorzunehmen. Die Seminarleiterin erklärt: »Das Leben zu 100% zu verplanen ist langweilig, 60% reicht.« Sie rät, 40% der Zeit als Puffer zu haben. Auch wenn sie hier die Flexibilität und Beweglichkeit von Zeitmanagement unterstreicht, da sich das Leben nicht komplett planen lässt, hält sie an der Idee des Managements seines eigenen Lebens durch Planung fest und ihre Formulierungen bleiben technisch. Gerade das Wort »Nachjustierung« macht ihre technische Sicht auf das Leben deutlich, da diese Formulierung gemeinhin im Kontext von Maschinen und Geräten verwendet wird. Das (Berufs-)Leben soll durch das Formulieren von Zielen und Ableiten von konkreten Maßnahmen steuerbar gemacht werden. Dieser Vorstellung wohnt etwas Instrumentelles inne, da alle Aktivitäten Zielen und damit einem Nutzen unterstellt werden und nur diejenigen Aktivitäten von Bedeutung sind, die auch einen Beitrag zur Erreichung des Ziels leisten und damit »zielführend« erscheinen. In der anfangs dargestellten Situation mit den Kalenderblättern werden alle Se-

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minarteilnehmerInnen dazu aufgefordert, sich ihre »kurzfristigen« und »langfristigen« Ziele zu überlegen, sie zu terminieren und davon ausgehend ihre nächsten Schritte zu planen. Dabei tragen die TeilnehmerInnen jedoch nur diejenigen Aktivitäten in die Kalenderblätter ein, die auch einen bestimmten Zweck erfüllen. Setze ich dies in Relation zu der Metapher der Kalenderblätter als Leben, so besteht das Leben nur noch aus denjenigen Aspekten, die auch nützlich sind und Effizienzkriterien erfüllen. Dies unterstreicht erneut die instrumentelle Sicht auf das Leben, wo das Sein allein keinen Zweck darstellt, sondern wo es gilt, die Zeit für einen bestimmten Zweck zu nutzen. So werden Werte aus dem Arbeitsleben – wie beispielsweise effizient Aufgaben zu erledigen oder einen konkreten Nutzen zu stiften – auf das gesamte Leben übertragen, worin ich eine Ökonomisierung des Sozialen erkenne. Hier komme ich auf einen weiteren Aspekt des Selbstmanagement-Gedankens zu sprechen, der für mich unangenehm ist und mein anfänglich beschriebenes Entsetzen erklären kann: Betriebswirtschaftliche Konzepte wie »Ist-Soll Bilanz« oder »Management« werden auf das ganze Leben angewendet. Im Seminar wird kaum unterschieden zwischen Beruf und anderen Lebensbereichen, womit der Appell des Selbstmanagements auch auf existentielle Bereiche des Lebens übergreift. Ganz besonders deutlich wird dies am Beispiel der Kalenderblätter, die am Boden liegen und ein ganzes Leben darstellen sollen. Diese Reduktion des Lebens auf Kalenderblätter ist erschreckend und Angst einflößend, sie verweist auf die eigene Endlichkeit und man könnte sich mit Blick auf die ausgebreiteten Pläne fragen: »Und das soll es gewesen sein?«. Durch die Übertragung betriebswirtschaftlicher Modelle und Normen auf alle Lebensbereiche entsteht die Gefahr, dass alles nach betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien rationalisiert wird und ökonomische Maßstäbe auf das gesamte Leben übertragen werden. So plädiert die Seminarleiterin dafür, nicht nur die Arbeitszeit zu planen, sondern auch Freizeit, Pausen und Erholungszeiten – die sie als »Qualitätszeit« bezeichnet. Aus ihrer Sicht gibt es »heutzutage« viel zu wenig Raum, um »die Seele baumeln zu lassen« und erklärt, wie wichtig es ist »einen Termin mit sich selbst zu machen«. Auffallend ist ihre Formulierung »Termin«, wieder ein Wort aus dem Arbeitskontext, das sie für die intime Beziehung mit sich selbst verwendet. Insofern werden mit Selbstmanagement alle Lebensbereiche adressiert, es geht – wie der Name schon sagt – um ein Management des gesamten Selbst. Zeit für sich selbst zu haben, sieht Verena Richter als große Herausforderung an, da man neuerdings durch neue Kommunikationsmöglichkeiten von überall Zugriff auf die Arbeit hat und sie gibt zu bedenken: »Heutzutage, wenn Sie erfolgreich sein wollen, müssen Sie am Anfang [des Berufslebens] zehn bis zwölf

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Stunden arbeiten.« Aus ihrer Sicht gibt es keine sogenannten »nine to five« Jobs mehr und auch Freizeit und Arbeitszeit verwischen immer mehr; in einigen Berufen wie in der Kanzlei oder auch in Verlagen wird gefordert, dass man sieben Tage die Woche 24 Stunden erreichbar ist, gleichzeitig müssen viele Menschen mit zwei bis drei Jobs jonglieren8. Wie zuvor im Abschnitt 3.1.1. bereits erläutert, setzt die Mitarbeiterin einen gesellschaftlichen Wandel, hier speziell die Entgrenzung des Arbeitslebens, und nutzt diesen als Legitimation, warum es »heutzutage« zwingend ist, viel zu arbeiten und sich selbst möglichst gut zu managen, um trotzdem noch Zeit für sich zu haben. Diese Verknüpfung der »neuen« Anforderungen mit einem angeblichen Wandel ist ein wichtiges Kennzeichen des Diskurses (Kapitel 1.3.1). Deswegen gehört zu einem guten Zeitmanagement für sie auch, »nein zu sagen«, Arbeit abzulehnen und sich arbeitsfreie Räume zu schaffen. Sie appelliert an die Studierenden: »Eine gute Work-Life-Balance zu haben ist Ihre Aufgabe!« Die TeilnehmerInnen sollen »für sich selbst einschätzen«, wie viel sie arbeiten wollen, »einige möchten nur sechs Stunden arbeiten« und sie fragt die TeilnehmerInnen: »Was wollen Sie?« Der Appell sich selbst zu managen ist also mit der Anforderung verknüpft selbstbestimmt und eigenverantwortlich zugleich zu handeln. Einerseits betont Verena Richter die Freiheit, über das eigene Arbeitsvolumen selbst entscheiden zu können und durch ein »gutes Selbstmanagement« und Planung eine »Balance« zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Andererseits sollen die SeminarteilnehmerInnen diese Möglichkeiten auch nutzen und sie appelliert an ihre Selbstverantwortung. Im Laufe des Seminars führt sie aus, dass »gerade in einer Zeit, wo die Welt immer komplexer wird und alles mit allem zusammen hängt« Pläne an Bedeutung gewinnen und sie erklärt: »Wenn man selbst keine Pläne macht, machen es andere für einen.« »Zeit ist ein demokratisch verteiltes Gut« und es gehe darum, individuell zu entscheiden, wo man die Prioritäten setzt und wie man seine Zeit für sich möglichst sinnvoll nutzt. »Zeitmangel« ist für sie »ein Symptom für falsch gesetzte Prioritäten«. Folge ich ihren Ausführungen, so wird beim Selbstmanagement davon ausgegangen, dass Vieles selbst entschieden werden kann und in der eigenen Hand liegt. Zwänge oder Abhängigkeiten, aber auch ungleiche Machtverhältnisse werden hingegen kaum berücksichtigt, wie ich bereits im Abschnitt zu Aktivität festgestellt habe (Kapitel 3.1.4). In ihrer Vorstellung von Zeit als »demokratisch verteiltem Gut« bedenkt sie z.B. nicht, dass sich Menschen Zeit auch »erkaufen«

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Diese gebräuchliche Jonglage-Metapher habe ich bereits unter dem Diskurs-Aspekt »Aktivität« diskutiert (s. Kapitel 3.1.4).

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können, indem sie andere für sich selbst arbeiten lassen, womit Zeit abhängig von materiellen Verhältnissen wird.9 Auch wenn für sie eine hohe Arbeitsbelastung zum Erfolg dazu gehört, betont sie überwiegend die Handlungsspielräume jedes Einzelnen. In dieser Vorstellung eines selbst bestimmten Individuums, das »Herr« über die eigene Zeit ist, wird die Arbeitsbelastung jedoch schnell zur eigenen individuellen Schuld. Dem Individuum wird angelastet, sich nicht gut »selbst zu führen« und ungenügend organisiert zu sein. Der Appell mit seiner eigenen Zeit möglichst gut zu haushalten, steht auch im Widerspruch mit der Anforderung zehn bis zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. So werden einige Brüche und Widersprüche deutlich. Dieser Appell an die Eigenverantwortung setzt mich selbst während des Seminars unter Druck. Ich bin permanent dabei, über mich selbst nachzudenken und mein eigenes Verhalten zu prüfen. Ich habe ein schlechtes Gewissen, empfinde mich als desorganisiert und nehme mir vor, einen größeren Terminkalender zu kaufen. In meinem Feldforschungstagebuch schreibe ich: »Das Thema ist mir unter die Haut gegangen. Ich hatte Schwierigkeiten mich raus zu nehmen. Ich habe viel über mich selbst nachgedacht und das war eher ein beklemmendes Gefühl, ein Gefühl des Versagens, des zu wenig Planens, des Schwimmens, eine Art schlechtes Gewissen.« (Tagebuch 6/2009)

So konnte ich mich während der Veranstaltung nur sehr schwer auf die anderen TeilnehmerInnen und deren Reaktionen konzentrieren, da ich von meinen selbstkritischen Gedanken über mein eigenes »Zeit- und Selbstmanagement« abgelenkt war. So wird im Seminar an die TeilnehmerInnen appelliert, sich selbst kritisch zu hinterfragen, um das eigene Verhalten zu verbessern. Diese Appelle lösen in mir Versagensgefühle aus, aber auch ein schlechtes Gewissen nicht genügend aktiv zu sein. Ich komme zum Schluss, dass ich »zu wenig« tue, faul und desorganisiert bin, dass ich mein Verhalten ändern muss, möchte ich erfolgreich sein. Dabei gebe ich mir selbst die Verantwortung für meinen Erfolg. Am eigenen Leibe merke ich, wie dieser Diskurs »sich selbst zu managen« wirkt und einen auch unter Druck setzen kann. Um mich dem Thema Selbstmanagement anzunähern, habe ich eine Seminarsituation als Ausgangspunkt genommen und dargestellt, welche Gefühle und Irritationen das Seminar in mir ausgelöst hat. Dabei habe ich meine eigenen Reakti-

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Die Seminarleiterin geht auch nicht auf Situationen ein, wo es keine »40% Pufferzeit« gibt und strukturelle Verhältnisse eine »Work-Life-Balance« unmöglich machen.

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onen als Schlüssel zum Verständnis des Themas genutzt. Zudem habe ich skizziert, welche Bedeutung Selbstmarketing für eine Mitarbeiterin eines Career Service hat, wie sie mit diesem Aspekt des Diskurses in einer ganz konkreten Seminarsituation umgeht und welche Ideen durch diese Selbstmanagementtechniken vermittelt werden. Auf diese Weise habe ich zentrale Aspekte des Themas herausgearbeitet, die ich im Folgenden weiter verfolgen werde: Die Seminarleiterin wendet die Idee des Selbstmanagements auf das ganze Leben an, welches durch Techniken organisierbar und planbar gemacht werden soll. Durch diese Übertragung von betriebswirtschaftlichen Management-Techniken auf alle Bereiche erfolgt aus meiner Sicht jedoch eine Reduktion des Lebens auf zweckrationale Ziele und Maßnahmen und damit eine Ökonomisierung des Sozialen. Zugleich stoße ich während des Seminars auf zwei entgegengesetzte Normen von Selbstmanagement: So betont die Mitarbeiterin zwar die Selbstbestimmung jedes Einzelnen, das Leben selbst gestalten zu können, appelliert jedoch gleichzeitig auch an die Eigenverantwortung sich managen zu müssen, was selbst bei mir selbst zu einem schlechten Gewissen führt, die ich aus der forschenden Perspektive an diesem Seminar teilnehme, zu wenig organisiert zu sein. Diesen Aspekten des Themas gehe ich im nächsten Abschnitt auf einer breiteren Ebene nach und untersuche, wie die MitarbeiterInnen mit Selbstmanagement als einer Facette des Diskurses umgehen. Ich gehe auf die Selbstmanagementtechniken ein, die von den MitarbeiterInnen vermittelt werden und diskutiere, welche Ideen, Normen und Werte durch das SelbstmanagementKonzept transportiert werden. Dabei arbeite ich Ähnlichkeiten und Unterschiede in ihren Deutungs- und Umgangsweisen heraus. 3.2.2 Das Leben als planbares Projekt Die Idee sich selbst zu »managen« begegnet mir sehr oft während meiner Feldforschung in Career Services. Mit Selbstmanagement bezeichnen die MitarbeiterInnen eine Kompetenz, das eigene (Berufs-)Leben selbstbestimmt zu gestalten. Sie sehen dies als eine zentrale Anforderung, um in der heutigen Arbeitswelt Erfolg zu haben. Kurse wie »Zeitmanagement« oder »Selbstmanagement« adressieren das Thema direkter aber auch in den meisten anderen Seminar- und Beratungsformaten kommt es zur Sprache. Wie ich bereits anhand einer konkreten Seminarsituation gezeigt habe, werden eine Reihe von Techniken zur Selbststrukturierung und -organisation vermittelt. Durch die gezielte Anwendung dieser Techniken soll das (Berufs-)Leben planbar, organisierbar und damit auch ein

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Stück weit steuerbar gemacht werden, mit dem Ziel beruflichen Erfolg und ein ausgefülltes (Berufs-)Leben zu erlangen. In allen Seminaren zum Thema »Berufseinstieg« werden die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert ihre beruflichen Ziele und Wünsche zu bestimmen. Die Klarheit über die eigenen Ziele soll ihnen helfen, sich in dieser sogenannten »Übergangsphase« zwischen Studium und Beruf zu orientieren und Entscheidungen zu treffen. So fordert eine Mitarbeiterin die TeilnehmerInnen eines Seminars dazu auf, sich zu fragen: »Was ist mir eigentlich wichtig? Wie will ich arbeiten? Welche Rahmenbedingungen brauche ich?« (Tagebuch 11/2009) Auch in einem anderen Seminar, das sich an Studierende und AbsolventInnen richtet, die sich beruflich orientieren möchten, bekommen die TeilnehmerInnen die Aufgabe, sich über ihre beruflichen Vorstellungen bewusst zu werden. Nur wenn die eigenen Ziele und Wünsche klar sind, sind Entscheidungen überhaupt erst möglich, erklärt die Seminarleiterin. Pläne sind aus ihrer Sicht hilfreich, um sich zu fokussieren. Sie betont jedoch, dass sich die Ziele auch immer wieder verändern können und erklärt: »Der Plan ist alles, der Plan ist nichts«. Das Einzige, was aus ihrer Sicht konstant bleibt, ist »Wandel« sowie »Veränderung« und da ist sie sich sicher, »auf das muss man sich einstellen«. Sie erklärt, wie wichtig es ist, sich selbst ein Ziel zu setzen, »ein kleines Projekt daraus zu machen«, dabei auch Risiken einzugehen und wenn man scheitert »eine Korrekturschleife einzuführen«, ein Wort das sie oft benutzt. Für sie ist das Leben wie »eine Schleife«, es geht darum, ein Ziel zu definieren, sich zu entscheiden, es auszuprobieren, die Entscheidung zu prüfen und erneut ein Ziel zu definieren. Das ist für sie ein permanenter Prozess, sie meint, »es hört nie auf« und es dauert »ein Leben lang« (Tagebuch 5/2009). Die Betonung der Wichtigkeit von Zielen erinnert an ein zunehmend verbreitetes Steuerungsmodell aus dem Management »Management by objectives« (»Führung durch Zielvereinbarungen«), das sich auf das Führen von MitarbeiterInnen bezieht. Dabei sollen MitarbeiterInnen ihr Handeln nach eigenen Zielen ausrichten, nach denen ihre Leistung auch bewertet wird. Diese Ziele sollen von den MitarbeiterInnen mit den Unternehmenszielen verknüpft werden, was Effizienz, Eigenverantwortung Motivation und Kreativität verspricht (Shore/Wright 2011). 10 Dieses Prinzip des strategischen Managements treffe ich im Kontext

10 Kern dieses Managementmodells sind die Zielvereinbarungsgespräche, welche auch zunehmend in öffentlichen Verwaltungen im Rahmen des »neuen Steuerungsmodells« eingeführt werden, mit dem Ziel Verwaltungen zu modernisieren. Dabei sollen Verwaltungen vermehrt nach einer betriebswirtschaftlichen Logik ausgerichtet werden. Über diese neuen Steuerungsmodelle im öffentlichen Sektor und den internationalen

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von Career Services oft an, wo es auf die Planung des (Berufs-)Lebens bezogen wird. Die Aussagen der Seminarleiterin machen zudem deutlich, dass in Career Services Methoden und Techniken aus dem (Projekt-)Management auf die Planung des eigenen (Berufs-)Lebens angewandt werden, so als sei das Leben ein Projekt, welches es zu managen gelte. Auch die Sprache orientiert sich am Projektmanagement Vokabular, sie benutzt technische Begriffe wie »Zieldefinition«, »Risiko« und »Korrekturschleifen« und bezieht diese auf alle Bereiche. Dabei differenziert sie kaum zwischen dem Arbeitsleben und dem Leben im Allgemeinen. Aus dieser Sicht besteht das Leben aus einer Aneinanderreihung von »Schleifen«, in denen man sich entscheidet, ausprobiert, sich selbst überprüft und korrigiert. Dabei lässt sich das Leben in Phasen einteilen, die mit denen des Projektmanagements korrespondieren, sie bauen aufeinander auf und sind auf die Erfüllung des Projektziels ausgerichtet. Diese zielgerichtete, zweckrationale Sicht auf das Leben wird der Vielschichtigkeit von Lebenszusammenhängen und Realitäten jedoch nicht gerecht. Es besteht damit die Gefahr einer Reduzierung auf eine betriebswirtschaftliche Logik. Dies deutet auf eine Ökonomisierung des Sozialen hin, da betriebswirtschaftliche Rationalitäten und die Logik des Marktes auf das gesamte Leben übertragen werden. So wird deutlich, wie die Diskurse im Konkreten wirken und wie mittels Selbsttechniken – in diesem Fall Selbstmanagementtechniken – auf die Individuen eingewirkt wird, die ihr Leben nach diesen Prinzipien auszurichten haben (vgl. Kapitel 1.3.2). Die Darstellung des Lebens als endlose Kette von »Korrekturschleifen« verweist aber auch auf eine Rastlosigkeit. Die Menschen sind angehalten, sich permanent zu überprüfen und zu evaluieren, was sie noch verändern und optimieren könnten. In diesem Lebens- und Arbeitsentwurf kommen keine Pausen vor, es geht immer weiter, ist das eine Projekt abgeschlossen, beginnt schon das Nächste.

Trend des »New Public Management« forschen die EthnologInnen Susan Wright und Cris Shore und diskutieren dabei die Bedeutung von Selbsttechniken im Sinne von Foucault. Sie kommen zum Ergebnis, dass diese neuen Steuerungsmechanismen und Selbsttechniken die Individualisierung der Menschen fördern, »forging new types of flexible, self-managed and responsibilized subjects«, zudem würden dadurch Unsicherheit und Ängste am Arbeitsplatz gefördert werden (Shore/Wright 2011: 3).

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3.2.3 Zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung Wie es der Begriff »Selbstmanagement« schon nahe legt, wird bei dieser Selbsttechnik im Sinne Foucaults (vgl. Kapitel 1.3.2) jeder quasi zum »Manager« seiner »Selbst«, der sich selbst »führt«, selbstbestimmt ist und Entscheidungen treffen kann und muss. In einem Seminar zum Thema Berufseinstieg erklärt die Seminarleiterin, wie wichtig »Selbstführung« ist: »Man führt sich als beruflicher Mensch.« Es geht für sie permanent darum »zu entscheiden und zu verbinden« und dabei das Berufliche und das Private im Blick zu haben. Auch rät sie den TeilnehmerInnen, sich überlegen: »Wohin werfe ich Netze aus, um mich beruflich zu verbinden?« (Tagebuch 7/2009) Insofern beschreibt Selbstmanagement ein bestimmtes Verhältnis zu sich selbst, jeder ist sein eigener Manager und Angestellter zugleich. Dabei werden Mechanismen der Kontrolle und Macht sowie divergierende Interessen in jeden Einzelnen verlagert und damit unsichtbar gemacht. Diesen Prozess der Internalisierung beschreibt Martin (1997: 241) wie folgt: »In self-managment the manager somehow gets internalized: externally imposed control becomes internally generated motivation.« Durch die Aufforderung zur Selbstführung erscheint jedes Handeln als selbstgewählte Entscheidung und nicht mehr als Zwang. Diese Vorstellung des Managens des eigenen Selbst treffe ich auch bei einer Diskussion zwischen MitarbeiterInnen verschiedener Career Services an, die sich über ihre Arbeitsweise unterhalten. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sie den Studierenden und Absolventinnen nahe legen möchten, sich als »Manager der eigenen Berufsbiografie« zu verstehen, für die MitarbeiterInnen Sinnbild der Selbstbestimmung und Aktivität, wie ich es bereits diskutiert habe. Für sie ist Selbstmanagement eine Form von »Empowerment«, jeder soll lernen, sich selbst zu helfen. Vor dem Hintergrund des sich permanent wandelnden Arbeitsmarktes möchten sie keine Ratschläge geben, sondern die AbsolventInnen in ihrer Handlungsfähigkeit bestärken. Gleichzeitig ist es ihnen jedoch auch wichtig, auf den gesellschaftlichen Kontext zu verweisen und zu zeigen, wie aktuelle Verhältnisse den Berufseinstieg für alle erschweren (Tagebuch 7/2009). Damit unterstreichen die MitarbeiterInnen zwar die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung eines jeden Menschen, verweisen aber dennoch darauf, dass die AbsolventInnen nicht frei von Zwängen und gesellschaftlichen Verhältnissen agieren, die ihre Selbstbestimmung einschränken. Gleichzeitig appellieren die MitarbeiterInnen jedoch an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen, sich selbst durch ein gutes Selbstmanagement zum Erfolg »führen« zu müssen. Eine Mitarbeiterin erklärt in einem Seminar, dass es für AkademikerInnen kaum mehr »nine-to-five-Jobs« gibt und erklärt »immer mehr

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ist es gefordert am Wochenende zu arbeiten«. Deswegen geht es aus ihrer Sicht immer mehr darum, wie man diese große Arbeitsbelastung managen kann, aber auch, seine eigenen Grenzen zu kennen und dementsprechend den Arbeitsbereich zu wählen (Tagebuch 6/2009). Erneut wird der gesellschaftliche Wandel objektiviert und als Begründung herangezogen, warum Selbstmanagement unverzichtbar ist. Auch für die Mitarbeiterin Eva Koch hat jeder die Verantwortung sich weiter zu qualifizieren und für sich einen »Zielraum zu definieren«. Nur so ist es möglich »auf dem Markt bleiben zu können« (Interview Koch 9/2009: 4). In den Aussagen beider MitarbeiterInnen wird aus der Selbstbestimmung ein Zwang zum eigenverantwortlichen Selbstmanagement, da man nur »am Markt« bleiben und erfolgreich sein kann, wenn man sich auch gut »managed«. Insofern hat Selbstmanagement entgegengesetzte Bedeutungen für die MitarbeiterInnen: Sie betonen zwar auf der einen Seite sowohl die Freiheit als auch die Selbstverantwortung jedes Einzelnen und fokussieren die Selbstbestimmung, sehen aber auch die gesellschaftlichen Einschränkungen und Zwänge auf der anderen Seite. Aufgrund dieses Spannungsfeldes, das zu Widersprüchlichkeiten führt, stehen die MitarbeiterInnen dem Selbstmanagement-Konzept auch kritisch gegenüber, was ich im Folgenden darlegen werde. 3.2.4 Gefahren des Selbstmanagements Die Mitarbeiterin Eva Koch argumentiert, wie wichtig es ist, dass die AbsolventInnen ihren eigenen Arbeitsrhythmus finden und für sich herausfinden »wann bin ich Sklave und wann bin ich Herrin?« Sie sieht es als Anforderung der heutigen Arbeitswelt, sich seine Arbeit selbst einteilen zu müssen. »Das heißt in so ’ner Zeit muss man natürlich die Kompetenzen von Menschen, sich selber abzugrenzen, fördern… also wenn es nicht mehr die Stechuhr macht oder das Werktor, muss man halt für sich selber gut die Kompetenz entwickeln und auch das Selbstbewusstsein entwickeln, zu sagen, wann habe ich eine Arbeitsphase und wann gebe ich mir jetzt selber frei.« (Interview Koch 9/2009: 3)

Eva Koch möchte den Studierenden und AbsolventInnen die Fähigkeit der Selbstorganisation und Abgrenzung vermitteln. Aus ihrer Sicht beherrschen viele diese Fähigkeiten, sie sind »sicher mit sich selbst«, sie können sich abgrenzen, können sich auch einmal »frei geben« und die richtigen Prioritäten setzen. Gleichzeitig sieht sie in dieser Anforderung sich selbst »managen zu müssen« auch eine Gefahr der Überforderung der Menschen und sie befürchtet, dass zu

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viel Verantwortung auf dem Einzelnen lastet. Für diese Menschen wird die Entgrenzung der Arbeit zu einer Ausbeutung und sie erklärt: »Es gibt ganz viele Leute, die können das nicht, für die bedeutet das dann Ausbeutung und immer zur Verfügung stehen.« Für einige AbsolventInnen ist die Anforderung des Selbstmanagements gleichbedeutend mit »Sorge und modernem Sklaventum«, wie Eva Koch erläutert (Interview Koch 9/2009: 3; vgl. Tagebuch 7/2009).11 Auch die Mitarbeiterin Anna Lange erzählt, dass es viele Menschen überfordert, alles immer selbst entscheiden zu müssen: »Jede Tür die ich zumache, der geht ein Prozess der Abwägung voraus, ob ich mir das erlauben darf. Und dieses sich Erlauben dürfen, ist ja auch wieder eine ganz starke Selbstregulierung. Was darf ich eigentlich tun?« (Interview Lange 9/2009: 8)

Für Anna Lange geht Selbstmanagement einher mit einem permanenten Abwägen der eigenen Möglichkeiten, was sie als eine Form der »Selbstregulierung« deutet. Sie beobachtet, dass viele deswegen die Unterstützung von Career Services suchen und hoffen, dass jemand ihnen die Entscheidungen abnimmt. Nicht selten sieht sie sich in der Position, den Ratsuchenden etwas »erlauben« zu müssen. Gleichzeitig nimmt sie diese Regulierung als eine Belastung für viele AbsolventInnen wahr. Einige der MitarbeiterInnen fühlen sich von der Anforderung des Selbstmanagements selbst verunsichert. Die junge Mitarbeiterin Natalie Schulz – sie ist Ende 20 – erzählt, »Anfang 30 müssen so viele Dinge passieren«. Einerseits gilt es im Beruf erste Erfolge zu verzeichnen, dann steht für sie als Frau die Familienplanung an und man muss den richtigen Partner dafür finden. Diesen vielen Anforderungen gerecht zu werden, sieht sie als Überforderung an und meint »das finde ich irgendwie skurril« (Interview Schulz: 3). Bezogen auf sich selbst erklärt sie, wie schwer es ihr fällt, sich von diesen Anforderungen abzugrenzen und »aus diesem Hamsterrad auszusteigen«. Gleichzeitig sträubt sie sich aber auch dagegen, sich selbst managen zu müssen. »Ich habe mich da nicht so gemanaged irgendwie, gar nicht, so mit Zwischenziel und Fernziel.« Sie wusste immer, dass sie mit Menschen arbeiten möchte, aber Vieles »ist bis heute noch nicht richtig konkretisiert […] eigentlich ist es bei mir immer aus dem Machen heraus so entstanden« (Interview Schulz 6/2010: 8). Sie hält nicht viel davon, al-

11 Eine andere Mitarbeiterin ist schockiert darüber, dass sich Studierende schon jetzt mit der Frage: »wie verhindere ich Burnout?« auseinandersetzen (Interview Müller 10/2009: 4).

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les bis ins Detail strategisch zu planen, sondern lässt sich von ihren Interessen leiten und probiert verschiedene Tätigkeiten aus. Eine andere Mitarbeiterin im ähnlichen Alter, Leonie Schmidt, erzählt, dass sich viele AbsolventInnen und sie selbst auch unter Druck fühlen, »das richtige Ziel zu finden«, sie sagen sich selbst: »Ich muss das richtige Ziel formulieren, sonst komme ich nicht an.« Aus ihrer Sicht wird gerade seitens der Wirtschaft erwartet, schon genau zu wissen, wo man sich in fünf Jahren sieht, ansonsten besteht die Gefahr nicht »anzukommen«, was verstanden werden kann als nicht erfolgreich zu sein oder im schlimmsten Fall sozial abzusteigen, ein Schreckgespenst, das immer wieder bei den MitarbeiterInnen und BesucherInnen aufscheint (vgl. Kapitel 3.1.4) und was ich in der Synthese II nochmals aufgreifen werde. Deswegen versucht sie selbst, ihre Tätigkeiten nach einem bestimmten Ziel auszurichten und sie meint: »Ich schaue halt schon, wo bringen mich die Sachen hin, das ist meine Rechnungsweise im Moment, welcher Job bringt mich wo hin.« (Interview Schmidt 4/2010: 5) Hier finde ich ihre Bezeichnung der »Rechenweise« bedeutsam. Leonie Schmidt hat die Vorstellung, ihr Leben planen und regelrecht »kalkulieren« zu können. Sie hat den Anspruch alle ihre Tätigkeiten auf ein bestimmtes Ziel zweckrational auszurichten und erhofft sich dadurch, die Entwicklung ihres Lebens »berechenbarer« zu machen, was ihr ein Gefühl von Sicherheit gibt. Auf der anderen Seite steht sie dieser Anforderung, alles auf ein Ziel auszurichten, auch kritisch gegenüber und sieht darin eine große Überforderung der Menschen, die gar nicht mehr die Möglichkeit haben, etwas auszutesten. Sie selbst hat zwar noch die Chance, neben ihrer Teilzeitstelle im Career Service ehrenamtlich zu arbeiten und sich in anderen Feldern auszuprobieren, doch räumt sie ein: »Aber andere Leute müssen noch viel mehr rechnen. Welche Fähigkeiten erlerne ich jetzt und sind die gut für meine Karriere und sind die gut für meine Ziele. Denn es muss ja alles ausgerichtet sein auf einer Linie.« (Interview Schmidt 4/2010: 4)

Hier fällt auf, dass sie die zielgerichtete Ausrichtung des eigenen Lebens zwar kritisiert, aber diesen Anforderungen gleichzeitig auch entsprechen möchte. Diese Widersprüche fallen ihr im Laufe des Gesprächs selbst auf. Während sie spricht, hält sie auf einmal inne und stellt fest, dass zwar gefordert wird zielgerichtet zu sein, andererseits soll man sich auch »austoben und kreativ sein«, was sich aus ihrer Sicht »total widerspricht«.

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Nun möchte ich die Ergebnisse des Kapitels zusammenfassen: Erst einmal fällt auf, dass durch Techniken des Selbstmanagements versucht wird, das (Berufs-) Leben zu planen, zu organisieren und zu optimieren, wobei die MitarbeiterInnen kaum zwischen dem Beruf und dem gesamten Leben unterscheiden. So fordern MitarbeiterInnen dazu auf, durch Selbsttechniken, wie sie GouvernementalitätsforscherInnen in Anlehnung an Foucault beschreiben, alle Lebensbereiche zu »managen« und sich selbst mittels betriebswirtschaftlicher Modelle zu »führen«, was eine Ökonomisierung des Sozialen bzw. des eigenen Lebens zur Folge hat. Indem betriebswirtschaftliche Techniken aus dem (Projekt-)Management auf alle Bereiche angewendet werden, kommt es zu einer verkürzten und instrumentellen Sicht auf das Leben, das durch Ziele und Maßnahmen gesteuert werden soll. Zwar betonen die MitarbeiterInnen immer wieder die Beweglichkeit von Selbstmanagement, das sich an die Entwicklungen des Lebens anpassen muss, dennoch bleibt die Idee eines steuerbaren und planbaren Lebens nach einer betriebswirtschaftlichen Rationalität erhalten. Durch den Begriff Selbstmanagement betonen die MitarbeiterInnen die Selbstbestimmung jedes Einzelnen, das eigene Leben frei zu gestalten »als Manager seiner selbst«, wobei die materiellen Verhältnisse und Zwänge nicht immer gleich berücksichtigt werden und oft auch ausgeblendet werden. Zugleich appellieren die MitarbeiterInnen an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen, sich selbst zu managen, womit Selbstmanagement jedoch zur Voraussetzung von Erfolg und damit zum Zwang wird, da jeder selbst verantwortlich ist so ein erfülltes Berufsleben zu erlangen. Viele MitarbeiterInnen stehen dem Selbstmanagement jedoch auch kritisch gegenüber, da es die AbsolventInnen, aber auch sie selbst unter Druck setzt. Sie sind sich der widersprüchlichen Anforderungen des Selbstmanagements bewusst und zweifeln an dieser propagierten Idee. Sie verweisen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und Zwänge, die ein selbstbestimmtes Handeln des Individuums erschweren und kritisieren die Verantwortungsverschiebung auf die Individuen. Es folgt nun eine Erörterung der Selbsttechnik Selbstmarketing und was sie für die MitarbeiterInnen bedeutet.

3.3 S ELBSTMARKETING In diesem Unterkapitel untersuche ich die Maxime »Vermarkte Dich selbst!« und stelle dar, welche Bedeutung sie für die MitarbeiterInnen der Career Services hat und wie sie damit umgehen. Neben der Vielfalt an Deutungs- und Umgangsweisen interessiert mich, wie in den Seminaren und Beratungsangeboten

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an der Verbesserung der eigenen Selbstvermarktung gearbeitet wird und welche Techniken dabei konkret vermittelt werden. Dabei lege ich ein besonderes Augenmerk auf die Widersprüche und Ambivalenzen, die mit dieser Anforderung einhergehen. Zudem achte ich darauf, wie die MitarbeiterInnen mit den Grenzen der Wirksamkeit von Selbstmarketing sowie mit Erfahrungen der Ohnmacht und Unsicherheit umgehen.12 Als Erstes diskutiere ich die Thematik der Selbstvermarktung exemplarisch anhand von zwei ethnografischen Fallbeispielen. Hierzu skizziere ich einerseits meine Beobachtungen eines zweitägigen Seminars zum Thema Selbstmarketing (Kapitel 3.3.1) und schildere anschließend ein Beratungsgespräch zur Verbesserung der Bewerbungsunterlagen, einen sogenannten Bewerbungsmappen-Check (Kapitel 3.3.2), beides Formate, die zum Standardangebot von Career Services gehören. Ich beschreibe beide Beispiele in ihrem Verlauf und analysiere diejenigen Ereignisse ausführlich, in denen die Selbstvermarktungstechniken besonders deutlich werden. Anhand der Fallbeispiele zeige ich zentrale Aspekte des Themas bereits auf, die ich dann im Anschluss auf einer allgemeineren Ebene erneut aufgreifen werde. Darauffolgend beleuchte ich die Ähnlichkeiten und Unterschiede der Umgangsweisen der MitarbeiterInnen mit dem Appell der Selbstvermarktung. Für sie stellt Selbstmarketing eine unumgängliche Erfolgsstrategie dar (Kapitel 3.3.3). Dann diskutiere ich die vielfältige, z.T. gar konträre Bedeutung von Individualität im Rahmen des Selbstmarketings: Sie geht sowohl mit Appellen der Selbstbestimmung als auch mit einem Zwang zur Selbstverwertung einher, wobei Studierende und AbsolventInnen in ihrem »Produktcharakter« adressiert werden (Kapitel 3.3.4). Ferner gehe ich darauf ein, inwiefern die Anforderung des Selbstmarketings von den MitarbeiterInnen auch kritisch reflektiert wird und wie sie dabei sowohl die Grenzen dieser Techniken als auch die Gefahr des Scheiterns reflektieren (Kapitel 3.3.5). Das erste Fallbeispiel beschreibt meine Erfahrungen in einem Seminar zum Thema Selbstdarstellung, das ich im Jahr 2010 teilnehmend beobachtet habe und das für Studierende und AbsolventInnen aller Fachrichtungen offen war. Das zweitätige Seminar fand jeweils von 09:00 bis 15:00 Uhr in den Räumen eines Career Services statt.

12 Teile dieses Kapitels habe ich bereits in einem Artikel veröffentlicht (Glauser 2012).

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3.3.1 Fallbeispiel I: Seminar Selbstpräsentation Ich betrete morgens kurz vor neun die Seminarräume. Die Seminarleiterin Susanne Petersen ist schon da, wir begrüßen uns. Wenige Minuten später kommen die ersten TeilnehmerInnen in den Seminarraum, es sind insgesamt zwölf, darunter vier Männer. Sie kommen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und befinden sich meist am Ende ihres Studiums. Ich werde freundlich begrüßt und willkommen geheißen, als ich mich in meiner Rolle als Feldforscherin vorstelle und sie um Erlaubnis frage, das Seminar teilnehmend zu beobachten. Die Seminarleiterin stellt sich vor, sie ist Betriebswirtin und freiberuflich im Bereich Erwachsenenbildung tätig. Anschließend führt sie in die Seminarinhalte ein. Ziel des Seminars ist die Verbesserung der eigenen Selbstdarstellung sowie die Erarbeitung eines persönlichen »Kompetenzprofils«, in dem die eigenen Stärken zusammengefasst werden sollen. In der Wahrnehmung von Susanne Petersen fußt Selbstmarketing auf einer Selbstanalyse der eigenen Kompetenzen, da man sich nur gewinnbringend »verkaufen« kann, wenn man seine eigenen Stärken kennt, denn »das, was ich innerlich weiß, kann ich auch ausstrahlen«. Insofern ist die kontinuierliche Selbstreflexion eine zentrale Praxis in diesem Seminar und wird verstärkt durch die gegenseitige Reflexion und »Spiegelung« in Gruppenübungen. In sogenannten »Feedback-Runden« sollen sich die TeilnehmerInnen fortlaufend Rückmeldung geben und sich mit konkreten Hinweisen und Empfehlungen weiterhelfen. Auch die Seminarleitung gibt fortlaufend »Feedback«. Ziel ist es, durch den »Abgleich von Fremd- und Selbstwahrnehmung« die eigene Selbstdarstellung zu verbessern. Wiederholt betont Susanne Petersen die Wichtigkeit von Selbstmarketing als Strategie, um beruflichen Erfolg zu haben, was auch andere MitarbeiterInnen immer wieder hervorheben (vgl. Kapitel 3.3.3). Die Fähigkeit sich gut präsentieren zu können, sieht sie als zentrale »Schlüsselqualifikation«, um auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein, da Fachwissen alleine nicht ausreichen würde, und erklärt: »Ich kann selbst gestalten, wie man mich wahrnimmt. Das Erscheinungsbild gekoppelt an die Kompetenz ist die Eintrittskarte, der zentrale Eintrittsfaktor, welcher die Kaufentscheidung beeinflusst.« (Tagebuch 04/2010)

Aus ihrer Sicht erleichtert das bewusste Hervorheben der eigenen Fähigkeiten die Arbeitssuche und das Berufsleben. Selbstmarketing erscheint wie eine beherrsch- und erlernbare Technik, wendet man sie richtig an, erreicht man schneller das berufliche Ziel. Nicht nur die fachliche Kompetenz ist somit entschei-

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dend, sondern auch die Art und Weise, wie man auftritt und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen vermag. Die Seminarleiterin setzt die eigene Außenwirkung mit einer »Eintrittskarte« gleich und suggeriert mit diesem Bild, dass Selbstmarketing neue Welten eröffnet und einen Weg zum Erfolg bietet. Diese Metapher der Eintrittskarte versinnbildlicht aber auch den Zwang zur Selbstpräsentation, da jeder eine solche Eintrittskarte braucht, sie vorzeigen muss, um überhaupt in die Arbeitswelt eintreten zu dürfen. Wer sie nicht vorzeigen kann, bleibt draußen, d.h. er ist erfolglos. Hier zeigt sich bereits, dass die Anforderung sich selbst zu vermarkten, konträre Charakteristika aufweist, die auf Freiheit und Zwang zugleich fußen, was ich insbesondere in Kapitel 3.3.4 ausführlich besprechen werde. Einerseits hat jeder die Freiheit seine eigene Wirkung selbst zu gestalten und sich dadurch berufliche Möglichkeiten zu eröffnen, andererseits besteht zugleich ein Zwang sich selbst zu verkaufen, möchte man am Berufsleben partizipieren. Ein wichtiger Bestandteil des Seminars sind die Selbstpräsentationen der TeilnehmerInnen, die jeweils mit einer Videokamera aufgenommen und anschließend gemeinsam analysiert werden. Die Studierenden und AbsolventInnen sollen üben, sich und ihre eigenen Stärken vorzustellen. Bereits bei der ersten Vorstellungsrunde schaltet die Seminarleiterin die Videokamera ein und bittet alle, sich und ihre »Kernkompetenzen« in knappen Worten darzustellen. Der Gebrauch einer Videokamera verstärkt die bereits erwähnte Technik der Selbstreflexion und Beobachtung. Die TeilnehmerInnen werden nicht nur von sich selbst, der Gruppe und der Seminarleiterin sondern zusätzlich noch durch die Linse einer Videokamera beobachtet. Die Kamera erzeugt eine Unruhe in der Gruppe, gefilmt zu werden ist für einige von ihnen unangenehm, gar angstbesetzt, sie werden nervös, ihre Stimme zittert. Einige scheinen Angst zu haben, sich eine Blöße zu geben. Durch die Kamera verliert das gesprochene Wort seine Vergänglichkeit, es wird auf einen Datenträger gebannt. Susanne Petersen bemerkt die Anspannung unter den TeilnehmerInnen, thematisiert diese jedoch nicht weiter. Anstatt die Unsicherheiten zu problematisieren und gemeinsam zu verstehen, begegnet sie ihnen mit weiteren Techniken. Dies ist eine Umgangsweise, die ich auch bei anderen MitarbeiterInnen beobachte und die ich noch näher betrachten werde. Es gilt die Ängste möglichst »unter Kontrolle« zu bekommen, z.B. indem man übt, sich mental zu entspannen. Susanne Petersen versucht, die TeilnehmerInnen zu beruhigen und sagt: »Die Kamera ist quasi unsichtbar und sie tut auch nichts!«, so als sei die Videokamera ein bedrohliches Wesen, das jemandem etwas antun könnte. Sie wirkt damit wie eine weitere, prüfende Instanz. Die TeilnehmerInnen sollen sich trotz Videoka-

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mera natürlich geben, doch können sie diese nur schwer ausblenden, was an Dreharbeiten für einen Film erinnert, wo den SchauspielerInnen gesagt wird: »Vergesst die Kamera, geht ganz in eurer Rolle auf!« Die Studierenden und AbsolventInnen erscheinen wie SchauspielerInnen, die versuchen sich als diejenigen Charaktere zu gerieren, die sie spielen möchten, was die Parallele vom Selbstmarketing zur Schauspielerei unterstreicht, die ich später noch diskutieren werde (Kapitel 3.3.3). Während sich die Studierenden und AbsolventInnen im Stuhlkreis vor der Kamera vorstellen, kommen sie mir vor wie auf dem »Präsentierteller«. Meine Assoziation verweist einerseits auf den Akt des Herrichtens und Präsentabelmachens – so versuchen die Menschen sich von ihrer besten Seite zu zeigen und für andere attraktiv zu erscheinen – andererseits ist darin auch ihr Ausgeliefertsein enthalten sowie die Angst sich zu entblößen. So tragen sie sich selbst, wie Produkte auf einem Tablett, zur Schau und werden nach ihrer Qualität beurteilt, was den Produktcharakter der Menschen verdeutlicht, ein weiterer wichtiger Aspekt des Themas, auf den ich immer wieder zu sprechen kommen werde (vgl. Kapitel 3.3.3, Kapitel 3.3.4). Johanna ist die erste, die sich präsentiert, sie studiert Sozialpädagogik und hat eine fünfjährige Tochter. Sie bezeichnet sich selbst als »kreativ« und »spontan«. Ihr größter Wunsch ist es, weg aus Deutschland zu ziehen und ihren eigenen Kindergarten zu eröffnen. Auch Maren wünscht sich mehr Auslandserfahrung, sie schließt bald ihr Bachelor-Studium in Chemie ab und überlegt, ob sie gleich weiter studiert oder noch ein längeres Praktikum »zwischenschalten« sollte. Als Kompetenzen nennt sie ihre »offene Art mit Menschen umzugehen« sowie ihre »Strukturiertheit«. Auch alle anderen stellen sich und ihre Kernkompetenzen vor. Alle achten darauf, möglichst selbstsicher aufzutreten; selbstbewusst beschreiben sie sich als kompetente, souveräne Persönlichkeiten. Mir fällt auf, dass sie sehr ähnliche Kompetenzen nennen, es ist als würden sie alle auf den gleichen Kompetenzkatalog zurückgreifen, welchen sie bereits verinnerlicht haben. Es gibt ein gemeinsames Verständnis darüber, welche Kompetenzen gefordert werden in der Arbeitswelt. Von vielen wird hervorgehoben, dass sie Auslandserfahrung sammeln möchten, sie präsentieren sich als örtlich mobil und flexibel aber auch als kreativ und selbstständig. Die Wiederholung der immer gleichen erfolgsversprechenden Eigenschaften und der fast krampfhaft erscheinende Versuch, sich möglichst positiv darzustellen, führen dazu, dass ich mich unwohl fühle. Die Situation kommt mir künstlich, gar aufgesetzt vor. Sowohl die TeilnehmerInnen als auch die Seminarleiterin sprechen Zweifel und Unsicherheiten konsequent nicht an. Nur eine einzige Teilnehmerin bricht

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mit dieser einseitigen Erfolgsdarstellung. Sie thematisiert ihre Befürchtung, Kind und Karriere nicht vereinbaren zu können. Ihre Angst wird später jedoch nicht weiter aufgenommen. Auch als eine Teilnehmerin am Sinn solcher Präsentationen vor der Gruppe zweifelt, wird sie nicht gehört. Ihre Kritik läuft nicht wahrgenommen ins Leere. Die Seminarleiterin geht nicht auf ihr Unbehagen ein und die Teilnehmerin präsentiert sich wie alle anderen auch. Die Studierende und AbsolventInnen sollen dazu ermutigt werden »ins kalte Wasser zu springen« und sich mit der unangenehmen Situation der Selbstpräsentation zu konfrontieren, weil kein Weg daran vorbei führt, sich alle bewerben müssen. Im Seminar geht es darum, möglichst viel zu üben, um die Furcht vor der Selbstpräsentation zu verlieren. Dabei über die Ängste aber auch Unsicherheiten zu sprechen scheint nicht zielführend zu sein, hierfür wird in diesem Seminar keine Zeit eingeräumt. Nachdem sich alle vorgestellt haben, gibt Susanne Petersen den TeilnehmerInnen die Rückmeldung, ihr hätte die »Operationalisierung« der Kompetenzen gefehlt, »ich kann mir kein Bild machen«. »Jeder weiß, wie sehr die Wirtschaft nach nachvollziehbarer Kompetenz ruft, es darf nicht schwammig bleiben«, meint sie. Sie führt in eine weitere Technik der Selbstvermarktung ein, die sogenannte »Operationalisierung« der Kompetenzen und fordert dazu auf, die Kompetenzen »messbar« zu machen und Indikatoren zu definieren, die auf die jeweilige Fähigkeit schließen lassen. Hierzu teilt sie ein Arbeitsblatt13 aus, auf dem Beispielsätze stehen, wie z.B.: »Durch meine häufigen Auslandsaufenthalte beherrsche ich sechs Sprachen und kann mich gut in Kulturen einfügen.« Die TeilnehmerInnen sollen erklären, woran sie ihre Kompetenz konkret festmachen, wo sie diese erworben haben und sie mit lebendigen Bildern und Beispielen versehen. Es geht darum, den Moment zu nutzen und sein Gegenüber mit Bildern für sich einzunehmen. Damit soll klarer werden, was die einzelnen Menschen auszeichnet, insofern ist Persönlichkeit und Individualität gefragt, also das Gegenteil des stereotypen Kompetenzkatalogs von der vorherigen Runde. Im Verlaufe des Seminars stellt Susanne Petersen den TeilnehmerInnen die Aufgabe, sich mit Hilfe eines Leitfadens über die eigenen Stärken und Kompetenzen Gedanken zu machen und ruft dazu auf, sich zu überlegen, »Was macht Dich besonders?«. Die AbsolventInnen sollen dabei unterstützt werden, ihre berufliche Identität zu definieren, ihre eigenen Stärken zu erkennen und nach außen zu vertreten. 14 Dabei betont sie die Wichtigkeit der Individualität und

13 Internes Seminardokument »Was sind Ihre Stärken?« (ohne Datum). 14 Eine Besucherin, Julia, mit der ich auch ein Interview geführt habe (vgl. Kapitel 4.1.1), beschreibt die Arbeit des Career Services als eine Form von »Übersetzungsar-

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Selbstverwirklichung jedes Einzelnen, einen zentralen Aspekt von Selbstmarketing (vgl. Kapitel 3.3.4). Auf dem Arbeitsblatt »Was sind Ihre Stärken?« sind Fragen formuliert wie: »Was finden Sie toll an sich?«, »Inwiefern sind Sie stolz auf sich?«, »Was haben Sie bisher schon alles erreicht?« oder: »Warum sind Menschen gerne mit Ihnen zusammen?«. Zunächst fällt auf, dass die Fragen sehr offen gestellt sind und sich nicht auf das Berufsleben beschränken, es besteht keine klare Trennung von Privatleben und Erwerbsarbeit. Bei der Suche nach den eigenen Fähigkeiten werden in der Übung alle Lebensbereiche in den Blick genommen, da die TeilnehmerInnen aus der Fülle ihrer Lebenserfahrung schöpfen, ihr ganzes Ich auf wichtige Stärken durchforsten sollen. Im zweiten Teil der Übung sollen die TeilnehmerInnen überlegen, was davon für das Berufsleben relevant ist und inwiefern die jeweilige Stärke wirtschaftlich verwertbar ist. Dabei wird eine Art ökonomische Schablone auf das Leben gelegt, um die beruflich relevanten Fähigkeiten von den »unwichtigen« unterscheiden und die verwertbaren Anteile herausfiltern zu können. Darin erkenne ich eine Form der Ökonomisierung des Sozialen, da ökonomische Maßstäbe auf das ganze Leben übertragen werden, wie ich es im Laufe dieses Kapitels noch näher diskutieren werde und in vorherigen Kapiteln bereits erörtert habe (vgl. z.B. Kapitel 3.3.4, Kapitel 3.2.1, Kapitel 3.2.2). Während alle ihr Arbeitsblatt ausfüllen, beantworte auch ich für mich die Fragen und versuche meine eigenen Stärken herauszuarbeiten. Ich prüfe, inwiefern meine Stärken in diesem Seminarkontext auch »präsentabel« sind und was sie bezogen auf den Arbeitsmarkt bedeuten. Dabei wäge ich permanent ab, was ich von mir erzähle und was ich besser für mich behalte, um mir keine Blöße zu geben. Ich habe die Sorge, ich könnte mich zu sehr öffnen und mich womöglich blamieren. So achte ich darauf, wie eine Eigenschaft von anderen gedeutet werden könnte und inwiefern sie beruflich relevant ist. Diese ständige Anpassung der eigenen Selbstdarstellung an scheinbar feststehende Normen lässt diese künstlich und gleichgeschaltet erscheinen, sodass ich mich unwohl fühle. Mein Unbehagen erkläre ich mit meiner Abneigung, ökonomische Maßstäbe auf mein eigenes Leben anzuwenden, eine Reaktion, die ich auch bei den MitarbeiterInnen wahrnehmen kann (vgl. Kapitel 3.3.5). Zudem deutet dies m.E. auf die stän-

beit«: »Das Career Service übersetzt das, was jemand mitbringt, in Worte, die im Arbeitsmarkt gelten (Tagebuch 05/2009). Die Leute würden ganz private Sachen in den Seminaren ausbreiten und daraus würde man dann eine Kompetenz ableiten. Wie zum Beispiel ein Vater, der seinem Kind mit viel Liebe eine Küche gebaut hat. Es ginge darum, aus allem etwas zu schöpfen: »Wir können doch alle was.« (Tagebuch 1/2009).

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dig präsente Angst aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden aus dem Arbeitsmarkt, wenn man gewisse Normen nicht erfüllt. Die Angst vor Exklusion thematisiert jedoch kaum jemand offen. Als letzte Übung des Tages werden mit einem Beamer die Präsentationen gezeigt, die am Morgen aufgenommen wurden. Die Stimmung im Raum ist wieder angespannt. Der Reihe nach werden alle Präsentationen kommentiert. Von der Seminarleiterin und den TeilnehmerInnen wird nahe gelegt, sich möglichst klar auszudrücken und den Fokus auf das Positive zu legen. Bescheidene, relativierende, abwägende oder sehr selbstkritische Selbstpräsentationen werden hingegen meist kritisiert. Sobald sich jemand legitimiert oder seine Fähigkeiten relativiert, warnt die Seminarleiterin vor falscher Bescheidenheit, mit der man seine Position schwächen würde. So entschuldigt sich ein Teilnehmer während seiner Präsentation, dass er in seinem Alter noch nicht mit dem BachelorStudium fertig ist und begründet es damit, dass er erst mit sieben eingeschult worden sei. Daraufhin erklärt Susanne Petersen, er soll sich nicht rechtfertigen, sondern »kerzengerade« und »selbstbewusst« zu dem stehen, was er gemacht hat. »Bei zu viel Selbstkritik schwächt man sich selbst und macht sich angreifbar«, meint sie. Ich erkenne in diesem Vorgehen den lösungsorientierten Beratungsansatz mit seinem Schwerpunkt auf den Ressourcen, dem Positive und der Lösung, worauf ich noch näher eingehen werde (Synthese II). Darin spiegelt sich aber meiner Meinung nach auch ein bestimmtes Idealbild beruflicher Qualitäten, in der eine selbstsichere, positive und möglichst erfolgreiche Selbstdarstellung einem vorsichtigen Abwägen seiner eigenen Fähigkeiten und dem selbstkritischen Hinterfragen vorgezogen wird. Diese Haltung steht jedoch wiederum mit der Anforderung der permanenten Selbstreflexion im Widerspruch, wie ich sie zu Beginn dieses Abschnitts dargestellt habe. So gilt es sich selbst zu hinterfragen, jedoch mit dem Ziel, nach außen möglichst selbstbewusst zu erscheinen und sich zu optimieren. Der zweite Tag beginnt, es ist morgens früh 09:00 Uhr. In der Eingangsrunde äußert eine Seminarteilnehmerin, dass sie die eigenen Schwächen thematisieren möchte: »Ich werde schon beim kleinsten Nebenjob danach gefragt.« Viele der TeilnehmerInnen sind unsicher, wie sie mit den eigenen Schwächen umgehen sollen, eine Frage, die auch in anderen Seminaren regelmäßig behandelt wird.15

15 Auch in einer anderen zweitägigen Veranstaltung zum Thema Selbstpräsentation fragen die TeilnehmerInnen nach dem Umgang mit den eigenen Schwächen. Die Seminarleiterin rät dazu, sich bedeckt zu halten und genau zu überlegen, »was man preisgibt und was nicht« (Tagebuch 6/2009). Ihre Formulierung des »preisgebens« deutet

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Susanne Petersen betont, dass sie nicht von »Schwächen«, sondern von »Herausforderungen« sprechen möchte und appelliert an die SeminarteilnehmerInnen: »Mein Appell an Sie: Aus jeder Schwäche kann auch eine Stärke werden und umgekehrt«, womit sie eine weitere zentrale Technik der Selbstvermarktung anspricht. Demnach gilt es, Schwächen möglichst in Stärken umzuwandeln, so wird beispielsweise mangelnde Teamfähigkeit zu Führungsstärke oder Ungeduld zu Zielstrebigkeit umgedeutet. Beim Gegenüber soll der Eindruck entstehen, man habe die eigenen Schwächen durchschaut und sei auf dem besten Weg sie zu überwinden und zur künftigen Stärke umzuwandeln. Menschen sollen vorwärtsgewandt sein, ständig dabei, sich selbst zu optimieren. Hier tritt das Ideal des unaufhörlichen Selbstmanagements, aber auch ein instrumentelles, ja strategisches Moment zu Tage: Es wird davon ausgegangen, dass man das eigene Auftreten gezielt steuern kann, ein weiterer wichtiger Aspekt von Selbstmarketing. Bezeichnenderweise spricht die Seminarleiterin immer wieder von »Imagebuilding«. Sie hebt hervor, dass man das eigene Image »aktiv gestalten« kann und fordert dazu auf zu fragen: »Was ist mein Ziel, was möchte ich erreichen?«16 Erneut werden die Handlungsmöglichkeiten der Menschen konsequent betont, während gesellschaftliche, strukturelle Zwänge oder gesellschaftliche Ungleichheit hingegen kaum thematisiert werden. Dies möchte ich anhand eines weiteren Seminarerlebnisses verdeutlichen: Während des Seminars argumentiert ein Absolvent, dass die eigene Außenwirkung stark mit der sozialen Schicht verknüpft ist, aus der man kommt. Man würde die eigene soziale Herkunft regelrecht ausstrahlen und könne sie nicht verdecken. Erst pflichtet die Seminarleiterin Susanne Petersen dem Teilnehmer bei, trotzdem hebt sie am Ende der Diskussion hervor, dass jeder Mensch seine eigene Wirkung bestimmen kann.

auf den eigenen Marktwert, der bei negativer Selbstdarstellung fallen würde. So plädiert auch sie für einen sorgfältigen Umgang mit den eigenen Schwächen. 16 Bei einer Übung, in der es um die Umwandlung von Schwächen in Stärken geht, legt die Seminarleiterin erneut den Fokus auf die Gestaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen. Dabei erzählt Jens: »Ich kann nur sehr schwer überzeugen, gerade im Team ist das eine große Schwäche. Ich glaube, ich bin nicht besonders schlagfertig, ich meide den Konkurrenzkampf.« Doch aus seiner Sicht kann er dies nicht offenbaren, »wenn man so was sagt, ist man verloren!«. Susanne Petersen versucht ihn zu beruhigen, »du bist als Persönlichkeit eben nicht jemand der vorne steht« und sieht darin die Stärke, sich gut in Gruppen einzufinden. Die Gefahr ausgeschlossen zu werden ist hier jedoch stark wahrnehmbar und bringt den Teilnehmer dazu, abzuwägen, welche Schwächen akzeptabel sind und welche zum Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt führen könnten.

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Damit relativiert sie die Bedeutung von sozialer Schichtzugehörigkeit sogleich und betont die Gestaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen. 17 Indem sie gleich wieder die Handlungsspielräume jedes Einzelnen fokussiert, umgeht sie Überlegungen, die den Nutzen von Selbstmarketing grundlegend in Frage stellen. Würde sie dem Einwand stattgeben, dass die eigene Schichtzugehörigkeit maßgeblich über den Erfolg von Menschen entscheidet, würde das die Wichtigkeit von Selbstmarketing stark relativieren und das Seminar sozusagen entzaubern oder gar in Frage stellen, ein Gedanke, den ich in der Synthese II nochmals aufgreifen werde. Am Ende des zweiten Tages sollen alle ein letztes Mal vor laufender Kamera ihre drei Kernkompetenzen vorstellen und sich gegenseitig bewerten. Dieses Mal ist die Stimmung noch viel aufgeregter als am Vortag. »Jetzt ist es etwas Offizielles«, sagt einer aus der Runde. Die TeilnehmerInnen sind teilweise sehr aufgeregt, zittern richtig. Auf der anderen Seite scheint es ihnen auch Spaß zu machen, sie sind sichtlich stolz, dass sie Fortschritte gemacht haben. Am Ende evaluieren die SeminarteilnehmerInnen mündlich und schriftlich das Seminar. Als Rückmeldung meinen alle TeilnehmerInnen, sie hätten viel mitgenommen. Sie finden es wichtig, viel zu üben und zu merken, dass sie besser werden, sie hätten jetzt mehr Selbstvertrauen. Nachdem die Seminarleiterin das Seminar beendet, verlassen die TeilnehmerInnen langsam den Raum, viele von ihnen wirken beschwingt. Ich bedanke mich nochmals bei der Seminarleiterin für die Möglichkeit der Seminarteilnahme und verabschiede mich. Bevor ich die wichtigsten Aspekte dieses Seminars nochmals zusammenfasse, komme ich nun zum zweiten ethnografischen Fallbeispiel, einem sogenannten »Bewerbungsmappen-Check«. Dabei handelt es sich um ein ca. einstündiges Beratungsgespräch, in dem eine Absolventin ihre Bewerbungsunterlagen mit der Beraterin Eva Kunze bespricht. Diese Beratungsgespräche zur Prüfung der Bewerbungsunterlagen finden mehrere Male in der Woche nach Vereinbarung in den Räumlichkeiten der Career Services statt. Das Gespräch ereignete sich im Herbst 2009.

17 Auch bei der Übung zum Thema Image betont Susanne Petersen, dass jeder sein eigenes Image aufbauen könne, doch dass ein Image auch negativ sein und eben nicht gestaltet werden kann, lässt sie unerwähnt.

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3.3.2 Fallbeispiel II: Bewerbungsmappen-Check Es klopft an die Tür und die nächste zu beratende Frau betritt schüchtern den Raum, sie wirkt sehr aufgeregt. Sie ist Ende 20, geboren und aufgewachsen in Afghanistan, wie sich später herausstellt. Die Beraterin, Eva Kunze, bittet sie freundlich herein, stellt sich vor und fragt, ob es möglich wäre, dass ich als Forscherin dabei sein könnte. Die junge Frau willigt ein, »je mehr Ideen, desto besser«, meint sie. Mit zaghafter Stimme erklärt sie ihr Anliegen: »Ich habe im April mein Studium abgeschlossen, habe schon sehr viele Bewerbungen geschrieben, doch keiner lädt mich ein. Ich frage mich, woran das liegen könnte. Ich habe bereits alles versucht.« (Tagebuch 10/2009) Die Beraterin beginnt das Beratungsgespräch mit dem Hinweis, dass es »kein richtig oder falsch« geben und sie die Unterlagen aus ihrer eigenen Perspektive heraus sehen würde, was auch andere MitarbeiterInnen immer wieder betonen.18 Indem sie erst darauf eingeht, wie schwierig es ist, allgemeingültige Aussagen zu treffen, dann aber doch Ratschläge erteilt, steigert sie meiner Einschätzung nach die Bedeutung ihrer Empfehlungen. Auf diese Weise macht sie deutlich, dass sie sich zwar der Komplexität bewusst ist, dennoch zu eigenen Schlussfolgerungen gekommen ist. Eva Kunze verweist auf ihre eigene subjektive Perspektive: »Ich sehe die Dinge aus meiner Perspektive und sehe die Unterlagen mit PersonalerAugen.« Sie setzt sich selbst an die Stelle der Personaler und prüft die Unterlagen mit »Personaler-Augen«, womit sie ihren eigenen Aussagen wiederum eine Objektivität verleiht. MitarbeiterInnen der Personalabteilung erscheinen im Bewerbungskontext oft als eine Art Sinnbild von Autorität, da sie letztlich über die Qualität einer Bewerbung entscheiden. Die Beraterin gibt den Ratschlag, die Bewerbungsunterlagen möglichst übersichtlich zu gestalten und auf die Ordnung und eine klare Sprache zu achten. Auf

18 Einerseits geben die MitarbeiterInnen fortlaufend Ratschläge und Empfehlungen und unterstreichen deren Aussagekraft mit Formulierungen wie »auf jeden Fall«, »was ich weiß, ist«, »egal, ob«, »man muss heutzutage immer«. Damit suggerieren sie, dass es unumgänglich ist »zu performen«, »sich selbst zu vermarkten« und seine eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Gleichzeitig relativieren sie ihre Empfehlungen aber auch und weisen darauf hin, wie schwierig es ist, allgemeingültige Ratschläge auszusprechen. Darin zeigt sich m.E. eine Angst, selbst Teil der von ihnen kritisierten »Ratgeberkultur« (Tagebuch 11/2009) zu werden und einfache Lösungen zu verkünden. Zudem verunsichert die MitarbeiterInnen auch die gegenwärtig wahrgenommene Arbeitsmarktsituation und sie halten sich an ihren eigenen Handlungsempfehlungen fest. Schließlich zeigt sich darin auch der Wunsch, nicht verantwortlich zu sein.

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einen Blick soll klar werden, über welche Kompetenzen die Bewerberin verfügt, um sich in kürzester Zeit von den vielen Mitbewerbern abzuheben, womit sie die Konkurrenzsituation in Erinnerung ruft. Sie erklärt: »Gerade mal eine halbe Minute wenden Personaler für das erste Durchgucken einer Bewerbungsmappe auf.« Eva Kunze fordert die Absolventin dazu auf, ihre Bewerbung unter »Marketing-Gesichtspunkten« anzusehen. Es gilt die »hochwertigen Tätigkeiten« herauszustellen, um so den eigenen Marktwert zu steigern. »Wichtig ist auch hervorzuheben, mit wem sie zusammengearbeitet haben, vieles von dem sind doch renommierte große Unternehmen. Sprache schafft Wirklichkeit!« Sie bedient sich dabei einer Wortwahl aus der Betriebswirtschaft. Der Lebenslauf wird zum Produkt, das man anhand von Erfolgskriterien, die dem ureigenen Bereich des Marketings entstammen, begutachtet und zu verbessern versucht. Diese Gleichstellung des Lebens der BewerberInnen mit Produkten ist ein zentraler Aspekt von Selbstvermarktung (vgl. Kapitel 3.3.3, Kapitel 3.3.4). Mit dem Satz »Sprache schafft Wirklichkeit« verdeutlicht die Beraterin, wie wichtig die Darstellung der eigenen Erfahrungen ist. Erst mit der expliziten Benennung der eigenen Errungenschaften und Erfolge bekommt der Arbeitgeber ein positives Bild der Bewerberin. Zudem verweist diese Redewendung auf die konstruktiven, spielerischen Elemente von Selbstvermarktung. Sprache wird gezielt eingesetzt, um ein überzeugendes Bild beim Gegenüber zu erzeugen.19 Eva Kunze versucht, in einem »Feinschliff«, wie sie es selbst nennt, den Lebenslauf der Absolventin zu verbessern, indem sie möglichst interessante und vielversprechende Berufserfahrungen hervorhebt. »Alles was schillert, müssen Sie herausstellen.« Der Lebenslauf wird wie ein wertvoller Edelstein »geschliffen«, der vor allem durch die Bearbeitung an Wert gewinnt. So sollen wichtige Stationen im Leben, »alles was schillert«, gezielt hervorgehoben werden, der Lebenslauf wird je nach Bedarf zugeschnitten. Das Adjektiv »schillern« erinnert an die Glamourwelt des Schauspiels und Theaters, in der sich »schillernde« Persönlichkeiten bewegen. Die Beraterin möchte das ganz Besondere an jeder Person betonen, das Glamourhafte am eigenen Ich hervorholen. Die Absolventin relativiert immer wieder ihre Fertigkeiten und erklärt ihre Schwierigkeiten sich zu präsentieren: »Ich mache immer alles kleiner. Ich sehe nicht so den Unterschied, ob ich das so mache oder so.« Wie im bereits disku-

19 Auch eine andere Mitarbeiterin fordert dazu auf durch Selbstmarketing ein positives Bild von sich selbst beim Gegenüber zu erzeugen: »Menschen beauftragen Sie nicht wegen Ihrer Person, sondern wegen der Konstruktion, die Sie in ihnen bilden über sich selbst. Deswegen müssen Sie sich im klaren sein: Wer bin ich? Warum sollte man mich einstellen?« (Tagebuch 5/2010)

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tierten Fallbeispiel des Selbstpräsentationsseminars räumt die Mitarbeiterin diesen Bedenken jedoch wenig Raum ein, sondern betont dagegen vielmehr die Wichtigkeit, »mehr zu performen« und ermahnt die Ratsuchende: »Sie müssen das unter Marketing-Gesichtspunkten sehen. Es ist Selbstmarketing, das Sie betreiben müssen.« Mit ihrem Appell erscheint Selbstmarketing erneut als etwas Unumgängliches. Die Absolventin bedankt sich für die vielen Hinweise, sie fühle sich schon viel besser. Im Laufe des Gesprächs fällt der Mitarbeiterin eine sogenannte »Lücke im Lebenslauf« auf, ein Zeitraum im Lebenslauf der Absolventin, in welchem nicht klar wird, was sie genau gemacht hat. Daraufhin spricht sie eine weitere zentrale Technik der Selbstvermarktung an: Der eigene Lebenslauf sollte möglichst vollständig sein und keine Leerstellen enthalten. Ziel ist es, eine konsistente Wahrnehmung von sich selbst zu erzeugen. Dabei soll immer deutlich hervorgehoben werden, was die Person in der jeweiligen Zeit gemacht hat und die einzelnen Stationen und Entscheidungen sollten begründet werden können. Gefordert ist also eine pausenlose und zielstrebige Qualifikation am eigenen Selbst, sei es durch Aus- und Weiterbildung oder durch das Sammeln von relevanten Berufserfahrungen. Als die Absolventin auf die »Lücke« angesprochen wird, ist es ihr unangenehm und sie scheint ein schlechtes Gewissen20 zu haben. Entschuldigend gesteht sie, dass sie während einer Übergangszeit von drei Monaten keiner berufsoder studienrelevanten Tätigkeit nachgegangen ist. Daraufhin versucht die Beraterin sie zu beruhigen und anerkennt, dass sie trotzdem in den letzten Jahren sehr viel geleistet und stringent ihre Ziele verfolgt hat: »Von Afghanistan nach Deutschland gekommen, Deutsch gelernt, danach studiert – eine richtige Steilvorlage ist das, doch das wird noch zu wenig deutlich.« Am Ende des Gesprächs thematisieren sie das Vorstellungsgespräch, welches der Absolventin Probleme bereitet: »Ich kann mich nicht gut darstellen. Ich werde sehr nervös. Mir fallen oft die Wörter nicht ein.« Ähnlich wie im Seminar zur Selbstpräsentation bespricht die Mitarbeiterin nicht mögliche Ursachen der Nervosität sondern hebt vielmehr hervor, die Aufregung in diesem Gespräch gar nicht bemerkt zu haben. Sie geht kaum auf die Zweifel und Unsicherheiten der Absolventin ein, die seit längerer Zeit keine Stelle findet, sondern entgegnet ihrer Verzweiflung sogleich mit Ratschlägen, wie sie ihre Bewerbung verbessern könnte.

20 Wiederholt begegnet mir bei den AbsolventInnen und Studierende ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, nicht zu genügen, was ich im Kapitel zu den arbeitssuchenden AbsolventInnen ausführlich besprechen werde (vgl. Kapitel 4.1).

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Die Mitarbeiterin vermittelt der Arbeitssuchenden Techniken, um mit der Nervosität besser umgehen zu können. Sie soll sich zu jeder Station des Lebenslaufs eine prägnante Erklärung ausdenken, die sie während des Gesprächs abrufen kann, um ihr Gegenüber mit »Eloquenz und Charme« zu überzeugen. Sie fährt fort: »Auch möchte ich Ihnen ans Herz legen, mehr Freude zu zeigen, mehr zu lächeln!« Sie malt einen Smiley auf ein Post-it und reicht es der Absolventin. »In der Bewerbungssituation überträgt sich ganz viel, es ist wichtig die Situation zu entschärfen«, sagt sie. Diese positive Haltung ist eine weitere Technik, die alle MitarbeiterInnen als wichtig erachten. Die Beratung geht nach knapp einer Stunde zu Ende und wir verabschieden uns ziemlich schnell, da die nächste zu beratende Person schon vor der Tür steht. Eva Kunze und ich wünschen der Absolventin viel Erfolg. Wie in den beiden Fallbeispielen gezeigt, erlernen die BesucherInnen der Career Services Techniken, wie sie ihre eigene Selbstpräsentation und Vermarktung verbessern können. Zentral ist dabei eine permanente Selbstreflexion; sie werden dazu aufgefordert sich selbst – sogar mit Hilfe einer Kamera – zu beobachten und zu reflektieren. Dies soll ihnen ermöglichen, sich über die eigenen Kompetenzen bewusst zu werden und sie besser nach außen vertreten zu können. Zudem können sie mit Hilfe der Rückmeldungen ihre eigene Außenwirkung erkennen und sie entsprechend verändern, denn Selbstmarketing erscheint als etwas, was jeder gezielt verändern und verbessern kann. Sich selbst zu präsentieren und zu vermarkten gilt als eine Strategie, um beruflich Erfolg zu haben. Dabei teilen die Studierenden und AbsolventInnen, aber auch die MitarbeiterInnen ein gemeinsames Idealbild von erforderlichen und zielführenden Verhaltensweisen bei der Selbstbewerbung. Demnach agiert man selbstsicher, skizziert mit einer möglichst bildhaften und prägnanten Sprache die eigenen berufsrelevanten Stationen des Lebenslaufs. Es ist von Vorteil auf Relativierungen der eigenen Kenntnisse und Rechtfertigungen zu verzichten und eigene Schwächen konstruktiv in Stärken umzudeuten. Es gilt im Gegenüber ein positives, konsistentes und gewinnbringendes Bild des eigenen Profils zu evozieren, das auf Fähigkeiten und Kompetenz schließen lässt. Zur Definition der eigenen Stärken sollen die Studierenden und AbsolventInnen auf die Erfahrungen ihres gesamten Lebens zurückgreifen. Dabei verwischen berufliche Bereiche mit dem Leben als Ganzes, das es zu verwerten gilt. So werden die BesucherInnen der Career Services dazu aufgefordert, sich selbst mit all ihren Fähigkeiten und Erfahrungen als Produkt zu sehen, das es zu verkaufen gilt.

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Während der beiden skizzierten Beratungs- und Seminarangebote äußern die Studierenden und AbsolventInnen immer wieder ihre eigenen Unsicherheiten und Ängste und verweisen auf die Grenzen der eigenen Selbstvermarktung. Auf diese Zweifel wird jedoch kaum eingegangen, sie erhalten strukturell wenig Raum. Versagensängste werden kaum besprochen, sondern die MitarbeiterInnen geben den Menschen Techniken an die Hand, wie sie ihre Unsicherheiten verbergen und sich noch besser vermarkten können. Zudem betonen sie die individuellen Möglichkeiten jedes Einzelnen seinen beruflichen Erfolg zu steuern und selbstbestimmt zu agieren weit mehr als gesellschaftliche Zwänge und strukturelle Hindernisse. Nachdem ich auf zwei Fallbeispiele eingegangen bin, möchte ich nun das Thema Selbstvermarktung auf einer allgemeineren Ebene diskutieren und darstellen, wie die MitarbeiterInnen damit umgehen. Als erstes thematisiere ich ihr gemeinsames Verständnis von Selbstvermarktung als eine Strategie, die zu beruflichem Erfolg führen soll. 3.3.3 Selbstmarketing als unumgängliche Erfolgsstrategie Angebote rund um das Thema Selbstmarketing bilden wichtige Bestandteile des Career Service Programms.21 Sich selbst gut präsentieren zu können, gilt in den Career Services als eine zentrale Kompetenz, um im derzeitigen Arbeitsmarkt Erfolg zu haben, da Fachwissen alleine nicht ausreichen würde (vgl. Tagebuch 2/2010; Interview Koch 9/2009; Interview Kunze 8/2009). 22 Ein Mitarbeiter drückte dies in einem Seminar zur beruflichen Orientierung pointiert aus: »Heutzutage muss man sein eigener Unternehmer sein. Egal, ob man in einem Angestellten-Verhältnis ist, selbstständig oder als Unternehmer – immer muss man seine eigene Arbeitskraft verkaufen und in den Markt stellen.« (Tagebuch 5/2009)

21 Ein vielfältiges Seminarangebot spiegelt die zentrale Stellung dieser Subjektivierungstechnik wider: Die Seminare reichen vom klassischen Thema »Bewerbung – schön in der Optik und im Inhalt« über »Der erste Eindruck zählt – sicher und souverän auftreten«, »Dresscode und zeitgemäße Umgangsformen« hin zu »Imagebildung – Selbstmarketing als strategischer Karrierebaustein«. 22 Eva Kunze beschreibt in einem Interview, dass Expertise alleine nicht ausreiche, man müsse »sich verkaufen«, »in Szene setzen« und dürfe »nicht untergehen« (Interview Kunze 8/2009).

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In seinem Verständnis führt »heutzutage« kein Weg daran vorbei, sich als Unternehmer seiner selbst zu verstehen und sich selbst zu verkaufen – unabhängig davon, in welchem Arbeitsverhältnis man steht, wobei er in seiner Aufzählung dreier Beispiele bezeichnenderweise den eigenen Unternehmer zweifach nennt, nämlich »selbstständig« und »als Unternehmer tätig« sein. Damit legt er Gewicht auf die unternehmerischen Anforderungen an Erwerbstätige, die ihr Produkt – sich selbst – auf einem Markt veräußern müssen. Auch ein Jahr später, in einem anderen Seminar, stellt er die Selbstvermarktung als etwas Unumgängliches dar: »Man kann das finden wie man will, aber wir müssen uns selbst verkaufen. Das hat sich in den letzten 20 Jahren herausgestellt. Sie [die SeminarteilnehmerInnen] verkaufen knallhart ihre Person!« (Tagebuch 5/2010)

Er deutet darauf hin, dass die Anforderung sich selbst vermarkten zu müssen durchaus umstritten ist und mitunter kritisiert wird23, doch aus seiner Sicht kann sich ihr keiner mehr entziehen, da sie Teil von gesellschaftlichen Entwicklungen ist. Seine Formulierung »knallhart« verweist auf den ökonomischen Druck, der damit einhergeht, aber auch darauf, dass es sich bei diesen Entwicklungen um »harte« Fakten handelt, an denen man nichts ändern kann. Die MitarbeiterInnen führen die Notwendigkeit des Selbstmarketings auf einen gesellschaftlichen Wandel zurück, es ist modern. So beendet die Seminarleiterin Susanne Petersen das bereits oben in Kapitel 3.3.1 diskutierte Selbstpräsentationsseminar mit den Worten: »Selbstpräsentation und Selbstmarketing ist ein Zeitgeistthema. Es geht um Eure Zukunft, Ihr könnt sie gestalten!« (Tagebuch 4/2010)

Sie deklariert Selbstmarketing als »Zeitgeistthema« und legt damit nahe, dass man sich diesen Anforderungen nur schwer entziehen kann, wenn man nicht »unmodern« sein möchte. Selbstmarketing erscheint als ein zukunftsträchtiges Thema, eine Strategie, die viele Möglichkeiten verspricht. Befolgt man sie, kann man seine Zukunft selbstbestimmter gestalten. Es liegt an jedem selbst, sich an diesen Entwicklungen zu beteiligen. Die Seminarleiterin adressiert die Zukunft jedes Einzelnen: Durch Selbstmarketing sei es jedem möglich, das eigene Berufsleben zu »gestalten«.

23 Möglicherweise spielt er hier auf mich an, da er durch unsere Gespräche weiß, dass ich dem Selbstmarketingdiskurs kritisch gegenüber stehe.

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Der Ausdruck »gestalten« suggeriert Freiräume, was insofern interessant ist, als dass Selbstmarketing nicht als eine Alternative unter vielen Möglichkeiten, sondern als Notwendigkeit vermittelt wird. Die BesucherInnen der Career Services eignen sich Selbstpräsentationstechniken an, ohne die Notwendigkeit von Selbstpräsentation einmal grundsätzlich in Frage zu stellen. Susanne Petersens Rede wirkt somit paradox: Sie verbindet Selbstvermarktung mit Gestaltungsfreiheit, wobei sie das Marketing in eigener Sache gleichzeitig auch als unverzichtbar erklärt. Insofern geht die Freiheit und Selbstbestimmung immer auch mit einem Zwang zur eigenen Verwertung einher. Auch Reckinger verweist in seiner Studie über die prekäre Situation Jugendlicher in Österreich darauf, dass mit dieser zunehmenden Betonung der Wahlfreiheit und Vervielfachung der Handlungsoptionen »zugleich der Zwang verbunden ist, von diesen angeblichen Freiheiten Gebrauch zu machen« (Reckinger 2010: 155; s.a. Molé 2010: 40). Ferner zeigt sich, dass beim Appell »Vermarkte dich Selbst!« Menschen in ihrer »kapitalistischen« Qualität als Ware angesprochen werden. Sie werden angehalten sich selbst auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen und dabei das Ziel zu verfolgen, ihr Gegenüber – den Käufer – von der Qualität der »eigenen Ware« zu überzeugen. Dies zeigt auch die folgende Formulierung einer Seminarleiterin in einem Seminar zum Thema Berufseinstieg: »Sie müssen als Bewerber auf dem Markt der Aufmerksamkeiten erscheinen. Sonst kauft niemand, was Sie haben.« (Tagebuch 2/2009)

Hier adressiert sie die Menschen als Bewerber und hält sie dazu an, für sich zu werben. Sie führt das Bild eines Marktes »der Aufmerksamkeiten« an, eines Ortes, an dem Händler ihre Ware anpreisen und sich gegenseitig zu überbieten suchen, um potentielle Käufer anzulocken. Interessanterweise geht es in diesem beschriebenen Markt primär um Aufmerksamkeit, was die Bedeutung hervorhebt, individuell aufzufallen. Jeder konkurriert um Aufmerksamkeit, muss sich behaupten und sich mit seinem Produkt von anderen absetzen. Es ist erforderlich, unter den vielen MitkonkurrentInnen sichtbar zu werden und auch zu bleiben (vgl. Interview Schmidt 4/2010). Die Seminarleiterin hebt mit diesem Bild des Marktes die Konkurrenzsituation zwischen den Menschen und damit auch zwischen den SeminarteilnehmerInnen hervor und adressiert die TeilnehmerInnen als Produkt. Die MitarbeiterInnen der Career Services möchten die BesucherInnen dabei unterstützen, sich über ihre eigenen Kompetenzen und Erfahrungen bewusst zu

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werden, um diese besser darstellen zu können.24 Dies erklärt mir die Mitarbeiterin Anne Lange nach einem Beratungsgespräch mit einer Absolventin, die sich seit über einem Jahr ohne Erfolg um Stellen bewirbt, wie folgt: »Sie hat große Schwierigkeiten sich selbst zu verkaufen.« Anna Lange versucht der Ratsuchenden zu vermitteln, »dass sie in den Bewerbungsunterlagen vorpreschen muss« (Tagebuch 10/2009). Es gilt, sich »nach vorne« zu wagen und für potentielle Arbeitgeber sichtbar zu werden. Nicht selten nutzen die MitarbeiterInnen Metaphern aus der Welt des Schauspiels und Theaters. So auch in einem berufsorientierenden Seminar. Dort bekommen die SeminarteilnehmerInnen die Aufgabe, sich selbst bzw. ihre Fähigkeiten zu präsentieren. Ähnlich wie im zuvor beschriebenen Fallbeispiel (Kapitel 3.3.1) wird jede Selbstpräsentation anschließend gemeinsam in der Gruppe analysiert, was der folgende Abschnitt beschreibt. Nachdem sich eine Seminarteilnehmerin präsentiert hat, bekommt sie Rückmeldung von der Gruppe: »Julia überzeugt mit ihrer Präsentation. Anne eine Seminarteilnehmerin meint, sie hätte ein sympathisches Wesen und hätte sich sehr selbstbewusst präsentiert. Auch die Seminarleiterin lobt die große Bühnenpräsenz und ihr souveränes Auftreten.« (Tagebuch 6/2009)

Als erstrebenswert gilt ein »sympathisches«, aber auch »selbstbewusstes« Auftreten. Die Seminarleiterin benutzt hier das Wort »Bühnenpräsenz«. Es gilt eine Bühne auszufüllen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken – wie im obigen Beispiel der Händler auf dem Markt. In einem Interview erzählt die Mitarbeiterin Melanie Graf, dass Menschen zunehmend Berufsbiografien wie SchauspielerInnen haben werden, die immer wieder »Performance haben müssen, sich vorstellen müssen […]« (Interview Graf 8/2009). Auch sie greift auf Begriffe aus der Theater- und Schauspielwelt zurück. Damit betont sie einerseits, dass man sich ein Leben lang bewerben muss, wie SchauspielerInnen, die keine längerfristigen Anstellungen haben und andererseits, wie wichtig es ist, immer wieder aufs Neue die Aufmerksamkeit, das Scheinwerferlicht auf sich zu lenken. Mit diesem Vergleich deutet sie zudem implizit auf den Zwang zur Selbstpräsentation und die prekäre Situation der Menschen. Denn ein Schauspieler, der die Bühne nicht auszufüllen vermag, der das Publikum nicht in seinen Bann zieht, kann seinen Beruf nicht weiter ausüben, ein Umstand, der auf das prekäre Moment von Selbstmarketing verweist.

24 Melanie Graf leitet ihr Gespräch mit einem Absolventen in einem Seminar zum Thema Berufseinstieg wie folgt ein: »Ich habe mir überlegt, wie man Dich besser vermarkten könnte.« (Tagebuch 6/2009)

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Nicht zuletzt wirft diese Bühnen-Metapher auch die Frage nach Authentizität auf: Indem Menschen dazu aufgefordert werden, sich besonders in Bewerbungssituationen möglichst gut darzustellen, spielen sie ihrem Gegenüber bis zu einem gewissen Grad auch etwas vor, etwas, das sie vielleicht gar nicht sind. So wird in den Career Services oft diskutiert, inwiefern man trotz des Selbstmarketings authentisch bleiben muss. Susanne Petersen warnt in dem bereits vorgestellten Seminar zum Thema Selbstpräsentation davor, das eigene »Image« als Fassade zu nutzen, um etwas vorzugeben, was man nicht ist: »Diese Fassade hält nicht lange, ich kenne das aus dem Assessment Center, irgendwann kriegt man sie immer«, etwas vorzuspielen sei ihr zufolge nicht »nachhaltig« (Tagebuch 2/2010). Dieser Appell an die Authentizität jedes Einzelnen beschreibt auch Bröckling in ähnlicher Weise: »Der [Unternehmer seiner selbst] […] weiß, dass es nicht reicht, Kompetenzen vorzuweisen, sondern vor allem darauf ankommt, diese zugleich als authentischen Ausdruck der eigenen Persönlichkeit erscheinen zu lassen. Als bloßes Rollenspiel würde das Selbstmarketing seine Wirkung verfehlen; der Einzelne muss sein, was er darstellen will.« (Bröckling 2000: 160)

Trotz der Betonung der eigenen Stärken wird immer wieder die Wichtigkeit hervorgehoben, authentisch zu bleiben und nichts »vorzuspielen«. Man soll »sich selbst sein« und sich zeigen »wie man ist«, woraus sich eine anstrengende Ambivalenz ergibt. So gehe ich nun auf den Zusammenhang von Individualität und Selbstmarketing ein. Hier diskutiere ich insbesondere das Paradox von Selbstmarketing, dass Menschen dazu aufgefordert werden individuell und selbstbestimmt zu sein und gleichzeitig der Zwang besteht, eben jene Individualität ökonomisch gewinnbringend zu verwerten. 3.3.4 Die eigene Individualität leben und verwerten »Was macht Dich besonders?« Mit dieser Frage möchten die MitarbeiterInnen die BesucherInnen dabei unterstützen, ihre eigene berufliche Identität zu definieren. Dabei haben Individualität und Selbstverwirklichung jedes Einzelnen entscheidende Bedeutung. Die MitarbeiterInnen ermutigen dazu, die eigenen beruflichen Wünsche und Ideale nach außen zu vertreten, nicht zuletzt mit einem guten Marketing in eigener Sache. Es geht dabei nicht primär darum, viel Geld zu verdienen, sondern andere von sich selbst, den eigenen Ideen zu überzeugen und individuelle Interessen zu vertreten (Tagebuch 5/2010).

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Die MitarbeiterInnen sehen es gerade beim Berufseinstieg als besonders wichtig an, auf die eigenen Wünsche zu achten und nicht blindlings äußeren Anforderungen entsprechen zu wollen. Selbstmarketing ist damit eine Technik, zu den eigenen Idealen zu stehen und dabei auch Grenzen zu setzen, was auch der Mitarbeiter Thomas Meyer in einem Interview hervorhebt: »Wenn ich zu viel aushalte, dann verkaufe ich mich unter Wert. Denn man kann auch Forderungen stellen, man muss nicht ein Stäubchen sein in einem großen Unternehmen.« (Interview Meyer 11/2009)

Thomas Meyer vergleicht allzu konforme BerufsanfängerInnen mit »Stäubchen«. Damit versinnbildlicht er die Gefahr von äußeren Kräften abhängig zu sein, hin und her geweht zu werden, ohne Widerstandskraft. Es sei wichtig, nicht alles hinzunehmen, sondern auch Ansprüche anzuzeigen beim Arbeitgeber. Er spricht vom eigenen »Wert«, den es zu verteidigen gilt, nur so werde man »ernst genommen« (ebd.). Es ist aus Sicht der MitarbeiterInnen wichtig Profil zu zeigen, was bedeutet, sich nur bis zu einem gewissen Grad anzupassen. Ganz besonders beim Vorstellungsgespräch soll man seinen eigenen Lebenslauf selbstbewusst vertreten, so die Referentin Christine Müller in einem Seminar zum Bewerbungstraining. Sie appelliert an die SeminarteilnehmerInnen: »Es ist doch euer Leben!« (Tagebuch 6/2009) Wenn ein Unternehmen den eigenen beruflichen Werdegang nicht honoriert, ist es nicht das passende Unternehmen, sagt sie. Sie appelliert, zum »eigenen Leben« zu stehen. Auffallend ist, dass auch hier die Grenzen zwischen Beruf und dem gesamten Leben verschwimmen. Die beruflichen Empfehlungen der MitarbeiterInnen werden auf das ganze Leben übertragen, adressieren die gesamte Identität der Menschen, worin ich erneut eine Ökonomisierung des Sozialen sehe. Die MitarbeiterInnen möchten die Individualität jedes Einzelnen anerkennen. Eva Koch, eine Mitarbeiterin, erklärt in einem Interview, es ginge nicht darum, dass nach Imageveranstaltungen alle als »08/15 raus kommen« (Interview Koch 9/2009). Vielmehr möchte sie jedem Einzelnen das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein: »Diese Einzigartigkeit schon zu unterstreichen und auch ein Bewusstsein zu geben, dass das auch ein großer Schatz ist, dass man so ist, wie man ist, – mit allen Einschränkungen, wo man auch noch etwas verbessern kann, das ist auch klar – vielleicht so ein bisschen auch einen Trend gegen diese Massengeschichten zu setzen.« (Interview Koch 9/2009)

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Die eigene Besonderheit sollte als »Schatz« gesehen werden, als etwas Wertvolles. Viele der BesucherInnen »fühlen sich ganz klein« und »sehen ihren Wert nicht«, wie Eva Koch sagt. Es ist wichtig, so auch eine andere Mitarbeiterin, den Menschen »Mut zu machen, zu sich zu stehen, zu ihrem Potential« (Interview Neumann 10/2009). Die Bedeutung von diesem »Wert« liegt m.E. auf zwei Ebenen. Einerseits sprechen die MitarbeiterInnen von der Einzigartigkeit und Individualität jedes Menschen, die es wertzuschätzen und zu honorieren gilt. Damit orientieren sie sich an humanistischen Idealen, Menschen in ihrer Besonderheit zu fördern. Jeder soll die Möglichkeit haben, sich selbst zu verwirklichen. In diesem Wertschätzen und Honorieren steckt eine zweite, ökonomische Bedeutungsebene. Neben der Verwirklichung der eigenen Individualität im humanistischen Sinne sprechen sie von der Individualität als ökonomischem »Potential«. Die MitarbeiterInnen möchten den Menschen ihre Besonderheit vergegenwärtigen im Sinne ihres materiell verwertbaren Potentials. 25 Ein Potential existiert jedoch nur bezogen auf ein Ziel, für das man es einsetzt. Damit sind Potentiale immer auf ein Äußeres, beispielsweise auf den Arbeitsmarkt oder ein Tätigkeitsfeld gerichtet. So geht es bei der oft gestellten Frage »Was macht Dich besonders?« nicht nur um die Wertschätzung der Individualität als solcher, sondern auch um die Verwertbarkeit und Vermarktung eben jener Individualität. Die eigene Persönlichkeit zu leben und zugleich zu verwerten erscheint wie zwei Seiten einer Medaille, das eine existiert nicht ohne das andere. Man kann sich nur gut selbst vermarkten, wenn man genügend individuell ist. Gleichzeitig behält die eigene Besonderheit nur so lange ihren Wert, wie sie auch vermarktet werden kann. Die Frage nach der ökonomischen Verwertbarkeit von Individualität greift ein Mitarbeiter in einem Seminar auf und erläutert, dass es wichtig ist, das Besondere an jedem Einzelnen hervorzuheben: »Es ist wichtig, Deine ganz besondere Qualität herauszustellen: Warum soll man Geld ausgeben für Dich?« (Tagebuch 6/2009)

25 Eva Kunze findet, dass es in den Beratungsgesprächen viel darum ginge, den Menschen zu verdeutlichen, was die verschiedenen Stationen im Lebenslauf für einen »Wert« haben. »Alles hat seinen Sinn und seine Bedeutung und sollte positiv angenommen werden. Da hat sich jemand auf einen Weg gemacht.« (Interview Kunze 8/2009)

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Mit dem Begriff »besondere Qualität« zieht er eine Parallele von Menschen zu Produkten. Sich selbst zu verkaufen geht hier einher mit der Aufforderung, sich seines eigenen ökonomischen Wertes bewusst zu werden, wobei dieser Wert stetig sinkt, wenn man sich nicht vermarkten kann. Die eigene Differenzierung von anderen schwingt immer mit und ist ein zentrales Ziel der Selbstmarketing-Techniken. In dem bereits diskutierten Seminar zum Thema Selbstpräsentation (Kapitel 3.3.1) fordert die Seminarleiterin, Susanne Petersen, dazu auf, das eigene »USP« (Unique Selling Proposition26) herauszuarbeiten und sie argumentiert: »Es geht quasi um die Superkompetenz, die Kompetenz, die Euch von den anderen unterscheidet«. Die TeilnehmerInnen sollen ihr eigenes »Alleinstellungsmerkmal« definieren. Der auf Menschen angewandte Begriff »USP« verdeutlicht erneut die vollzogene Analogie einer Person mit einem Produkt beziehungsweise einer Ware, die es zu verkaufen gilt. Menschen erscheinen als Konkurrenten, die sich als Individuen voneinander differenzieren sollen, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Sich von anderen abzuheben, erklärt Susanne Petersen zum zentralen Ziel von Selbstmarketing: »Man hat so lange gelernt, bloß nicht aufzufallen, bloß nicht eckig und kantig zu sein. Das hat man sich abgewöhnt, man hat sich angepasst. Doch jetzt ist es genau wichtig, sich von anderen zu unterscheiden, sich zu differenzieren, das Besondere an einem selbst herauszustellen.« (Tagebuch 4/2010)

Ihr Appell »eckig und kantig« zu sein, weist auf weitere Diskrepanzen dieser Anforderung der Selbstvermarktung hin. Zum einen fordert die Seminarleiterin dazu auf, zu den eigenen beruflichen Wünschen und Idealen zu stehen, den eigenen Weg zu gehen und dabei authentisch zu bleiben. Gleichzeitig geht es aber auch um den strategischen Einsatz der Individualität zur Steigerung des eigenen Marktwertes, was die eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern würde. Ihre Forderung sich nicht anzupassen, ist insofern paradox, als dass diese Unangepasstheit gleichzeitig die Anpassung an Markterfordernisse bedeutet. Man soll unangepasst sein, aber nur bis zu dem Grad, der vom Markt gefordert und verarbeitet werden kann. Ansonsten droht die Gefahr aus der Arbeitswelt ausgeschlossen zu werden beziehungsweise gar nicht erst einen Fuß hinein zu bekommen. Gefordert ist Distinktion statt Konformität einerseits und Anpassung statt Außenseitertum andererseits.

26 Mit »USP« wird im Marketing das Alleinstellungsmerkmal eines Produkts bezeichnet. Es beschreibt seine aus marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten herausragende Eigenschaft, durch das es sich von anderen Produkten abhebt.

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Ebenso paradox erscheint, dass in den Seminaren fortwährend nahegelegt wird, wie man sich zu verhalten hat, was Konformität erzeugt. Zwar wird gefordert individuell zu sein, doch je mehr sich alle bemühen, dieser Anforderung zu entsprechen, desto mehr ähneln sie sich sowohl in ihrem Streben nach Individualität und Differenzierung als auch in ihrem Wunsch marktangepasst zu sein.27 So drängt sich die Frage auf, wie viel Einzigartigkeit bleibt, wenn diese von allen angestrebt wird. Diese Problematik individuell sein zu müssen und sich gleichzeitig anzupassen, zeigt sich besonders deutlich in einer Diskussion während einer Teamsitzung: Die MitarbeiterInnen diskutieren, dass sie die Wahrnehmung vieler Studierender, der eigene Erfolg liege nur an den Bewerbungsunterlagen, erschreckend finden würden. Die BesucherInnen der Career Services würden versuchen, alles richtig zu machen und es sei sogar so »weit gekommen«, dass sie sich für dreistündige Seminare ein Zertifikat ausstellen ließen. Dies sehen die MitarbeiterInnen sehr kritisch: »Es geht doch nicht darum, alles brav zu befolgen, das ist meist gar nicht gefordert.« (Tagebuch 5/2010) Hier offenbart sich eine widersprüchliche Bewegung: Die Studierenden gehen zu einem Bewerbungsunterlagen-Check, um ihre Unterlagen dem notwendigen Standard anzupassen. Doch genau dieser Wunsch der Norm zu entsprechen, wird von den MitarbeiterInnen auch kritisch gesehen. Denn Originalität ist gefragt, nicht Anpassung. Der Appell sich selbst zu vermarkten ist zudem paradox, weil von Menschen gefordert wird, ihr Handeln zugleich nach inneren und äußeren Wertmaßstäben auszurichten. Einerseits sollen Menschen ihre Individualität selbstbewusst leben und dabei authentisch bleiben (vgl. Interview Kunze 8/2009), aber Authentizität und Selbstbewusstsein bemessen sich an eigenen Werten. Andererseits sollen Menschen jedoch auch stets auf ihre Außenwirkung bedacht sein und sich somit von sich selbst weg bewegen in Richtung der Erwartung anderer. Hier leidet wiederum das Selbstbewusstsein, da dieses »ganz in Abhängigkeit von den Einschätzungen Dritter gerät«, wie es Neckel formuliert (2004: 68). Es ist eine Erwartung, die kaum erfüllt werden kann und welche die Menschen stark verunsichert, was ich später auch bei den AbsolventInnen (Kapitel 4.1, Kapitel 4.2) aufzeigen werde. Schließlich weisen die Techniken des Selbstmarketings eine weitere Qualität auf: Indem Individualität gleichzeitig gelebt und vermarktet werden soll, werden ganzheitliche Selbstverwirklichung und ökonomische Selbstvermarktung eng

27 Neckel beschreibt dieses Paradox wie folgt: »Doch wenn alle in ihrer Besonderheit auffallen wollen, fällt niemand besonders mehr auf, weil sich im individuellen Erfolgsstreben dann nur die Ähnlichkeit mit anderen zeigt« (2004: 68).

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miteinander verzahnt. Dies ist aus meiner Sicht eine Konsequenz des Verschwimmens von Grenzen zwischen scheinbar beruflichen Anforderungen und dem eigenen Leben jenseits von Arbeit, was Diskussionen um die Entgrenzung von Arbeit und Leben reflektieren (Herlyn et al. 2009). Meist bleibt es undeutlich, ob die Menschen in ihrer beruflichen Rolle adressiert werden oder ob Empfehlungen für das Leben im Allgemeinen ausgesprochen werden. Der Aufruf, sich zu überlegen »Was macht Dich besonders?«, unterscheidet beispielsweise nicht mehr zwischen Privat- und Berufsleben. Durch die Verschiebung dieser Grenzen beginnen die sogenannten Gesetze des Marktes den Wert der Person als solcher zu bestimmen, sodass der Wert eines Menschen auf seine ökonomische Bedeutung reduziert wird. Individualität verliert an Wichtigkeit, sobald sie nicht nützlich ist, nicht vermarktet werden kann, was auf die Verbreitung des Rollenmodells des »homo oeconomicus« verweist (vgl. Habermann 2008). Wenn wirtschaftsliberale Maßstäbe auf das gesamte Leben angewandt werden, verändert sich auch der Wert des Lebens, es wird nun anhand ökonomischer Kriterien gemessen. Hier zeigt sich auf der Mikroebene des Subjektes eine gesamtgesellschaftliche Tendenz der Ökonomisierung des Sozialen, hier werden ihre Folgen sichtbar. In dieser neoliberalen Rationalität, wie sie auch Bröckling et al. (2000) beschrieben haben, wird der Abbau staatlicher Sicherungssysteme mit dem Appell der Eigenverantwortung, dem Aufbau von selbstregulatorischen Kapazitäten verknüpft, zu der auch Selbstmarketing-Techniken gehören. Es wird dazu angehalten, das eigene Leben an der unternehmerischen Logik auszurichten (s.a. Lessenich 2008; Rose 2000). Die AbsolventInnen und Studierenden werden einem Markt mit all seinen scheinbar vielen Möglichkeiten, Optionen und Bedürfnissen gegenübergestellt, in den sie sich einzubringen haben. Dort sollen sie sich voneinander abheben, sind sie doch allesamt KonkurrentInnen. Doch was passiert, wenn sie auf dem »Markt der Aufmerksamkeiten« nicht genügend d.h. erfolgreich »performen«? Es stellt sich die Frage, was mit den Menschen geschieht, die sich nicht ausreichend vermarkten können. Auch die MitarbeiterInnen sehen die Problematik, dass sich nicht alle erfolgreich verkaufen können und stehen der Anforderung des Selbstmarketings teilweise kritisch gegenüber. Sie sind sich der Widersprüchlichkeit und Grenzen der Anforderungen durchaus bewusst, was ich im folgenden Abschnitt thematisieren werde.

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3.3.5 Erfolgloses Selbstmarketing und die Gefahr des Scheiterns Die MitarbeiterInnen sehen, dass viele der Studierenden und AbsolventInnen Schwierigkeiten haben sich zu verkaufen: »Marketing in eigener Sache« so die Mitarbeiterin Helene Schröder, »klar, das ist nicht jedermann/-fraus Ding«28 (Interview Schröder 10/2009). Sie sagt von sich selbst, dass sie sich auch nicht gerne mit ihren Fähigkeiten in den Vordergrund stelle: »Aber wo ich selbst auch Probleme habe, ist, mich selber herauszustellen. Das ist so ein Punkt, da finde ich mich auch sehr wieder in solchen Schwierigkeiten [der BesucherInnen]. Ich bin nicht unbedingt so, dass ich sage: »Ja, guck mal, was ich alles Tolles gemacht habe. Wenn es notwendig ist, gezielt für eine gute Sache, kriege ich das auch gut hin, aber so generell ist das nicht so meine Haltung.« (Interview Schröder 10/2009)

Die bereits erläuterte Anforderung, sich permanent in ein möglichst gutes Licht zu stellen, ist ihr selbst unangenehm. Deswegen kann sie sich gut in die BesucherInnen hineinversetzen, die Schwierigkeiten haben sich selbst zu vermarkten. Es sei eine »Haltung«, die sie nicht gerne einnehme, was darauf hinweist, dass es entgegen ihren eigenen Werten ist. Auch für die Mitarbeiterin Natalie Schulz ist Selbstmarketing eher »eine Pflichtübung auf dem Arbeitsmarkt«, etwas, das »man machen muss« (Interview Schulz 6/2010). »Was ich bin« kann sie zwar ganz gut vermarkten, aber sie mag es nicht. Ihren Widerwillen erklärt sie damit, dass sie ein geisteswissenschaftliches Fach studiert hat, in dem die Selbstvermarktung nicht gut angesehen ist. Viele von ihren StudienkollegInnen bekämen einen »Brechreiz«, wenn sie dieses, ihr zufolge aus der Betriebswirtschaft kommende Wort hören würden; sie nennt es einen »Tabu-Bereich« (Interview Schulz 6/2010). Sie mag den strategischen Aspekt von Selbstmarketing nicht, denn sie sei ein »spontan handelnder Mensch« und Selbstmarketing setze ein »sortiertes Handeln« voraus (ebd.). Natalie Schulz und Helene Schröder stehen dem Selbstmarketing skeptisch gegenüber. Eine Erklärung für ihre kritische Haltung verankere ich in der Ökonomisierung des Sozialen. So finden die MitarbeiterInnen den Appell, sich selbst zu vermarkten, immer dann unangenehm, wenn es auf jegliches Handeln, auf das

28 Helene Schröder erklärt in einem Interview: »Ich bin ein Mensch mit bestimmten Qualifikationen und werfe mich da auf so einen Markt und preise mich an, und entweder ich preise mich gut an oder ich bin da nicht so gut drin mich anzupreisen.« (Interview Schröder 10/2009)

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Leben im Ganzen übertragen wird. Natalie Schulz sträubt sich dagegen Prinzipien des Selbstmarketings als eine ihr Leben prägende »Haltung« zu übernehmen. Helene Schröder besteht auf der Spontanität ihres alltäglichen Handelns, das dem strategischen Element des Selbstmarketings widersprechen würde. In diesen Momenten erscheint ihnen die Ökonomisierung des Sozialen bewusst zu werden und sie wehren sich dagegen. Ihr eigenes Leben möchten sie nicht nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben leben. Nun wäre es interessant zu fragen, weswegen diese Distanzierung nicht zu einer generellen Infragestellung von Selbstmarketing führt und warum sie trotz ihrer Abneigung auf der Beratungsebene an diesem Prinzip festhalten. Ich erkläre es damit, dass für sie Selbstmarketing eine unumgängliche Anforderung, ein Teil einer unwiderruflichen gesellschaftlichen Entwicklung darstellt, die sich in ihrer Wahrnehmung nicht mehr aufhalten lässt und der man sich anpassen muss. Zudem würde eine grundsätzliche Kritik dieser Selbstmarketing-Prinzipien die Legitimation von vielen Seminaren der Career Services in Frage stellen, was nicht in ihrem Interesse ist (vgl. Synthese II). Auch andere MitarbeiterInnen haben Sorge, dass nicht alle mit diesen Anforderungen Schritt halten können. Leonie Schmidt bedauert, dass die Menschen in so ein »extrovertiertes Etwas« gezwungen werden. Viele könnten diesem Ideal nicht entsprechen: »Da denke ich mir immer: Mensch, das ist einfach schade, dass die eben nicht so diese ›outgoing persons‹ sind und die dann eben untergehen. Dabei sind die echt kompetent, aber das sieht man einfach nicht bei der Flut der Bewerbungen.« (Interview Schmidt 4/2010)

Leonie Schmidt sorgt sich um die Menschen, die sich nicht ausreichend präsentieren können. Diese würden in der »Flut der Bewerbungen untergehen«. »Unterzugehen« hat hier die Bedeutung unsichtbar zu bleiben unter den vielen MitbewerberInnen und als Personen mit einem besonderen Wert nicht erkannt und damit auch nicht eingestellt zu werden. Sie bleiben damit ausgeschlossen aus der Welt der Erwerbstätigen, ihnen droht ökonomische Unsicherheit. Schließlich kann »untergehen« im übertragenen Sinne auch als (sozialer) »Tod« gedeutet werden, ihnen wird die Lebensgrundlage und der Platz in der Gesellschaft entzogen, was Selbstmarketing eine existentielle Wichtigkeit verleiht. Die Schwierigkeiten sich selbst erfolgreich zu vermarkten, erklären die MitarbeiterInnen in erster Linie mit der Persönlichkeit der Menschen. So argumentiert Natalie Schulz:

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»Es ist schon so eine Typfrage. Ich finde, das macht es nicht für jeden einfacher. Ein bestimmter Schlag von Menschen kriegt das [den Berufseinstieg] vielleicht ganz gut hin und dann andere wiederum nicht. Das heißt nicht, dass sie jetzt irgendwie schlecht sind. Ich finde eher solche Leute noch viel interessanter, aber sie vermarkten sich halt nicht so.« (Interview Schulz 6/2010)

Wenn »Menschentypen« Schwierigkeiten haben, den Berufseinstieg zu finden, läge dies nicht an einer geringen Qualifikation, sondern daran, sich nicht gut vermarkten zu können. Somit werden Einstiegsschwierigkeiten oft mit individuellen Charaktereigenschaften erklärt, sie werden individualisiert und psychologisiert29. Gesellschaftliche Bedingungen, Herkunft und Machtbeziehungen thematisieren die MitarbeiterInnen weit weniger und vermeiden damit auch Gefühle der Ohnmacht. Anders hingegen argumentiert eine andere Mitarbeiterin und nennt erschwerende gesellschaftliche Bedingungen wie die soziale Herkunft: Sie betont, dass es für Menschen aus »bildungsfernen Schichten« unglaublich schwer ist, in hohe Positionen zu kommen und erzählt von einem Erlebnis in der Beratung: »Ich habe vor kurzem jemanden in der Beratung gehabt. Ich habe ihm gespiegelt, dass man seinem Lebenslauf ansieht, dass er aus einer bildungsfernen Schicht kommt und er sich deswegen vielleicht so lange vergeblich bewirbt.« (Tagebuch 5/2010)

So ist ihr Eindruck, dass große Unternehmen ungern Menschen aus der »bildungsfernen Schicht« einstellten und es schwer sei in solche »elitären Kreise« rein zu kommen. Die Mitarbeiterin findet dies ungerecht, »diese Arroganz macht mich ganz wahnsinnig« und sie fühlt sich machtlos gegenüber dieser strukturellen Ungleichheit.30 Deswegen hätte sie ihm damals geraten, sich in mittelständischen Betrieben zu bewerben, wo seine Chancen besser stehen würden. In dieser Situation ist der eigene Erfolg für sie stark abhängig von der sozialen Schicht, aus der man kommt. Der familiäre Hintergrund könne nicht verdeckt werden, werde sichtbar im Lebenslauf. So bleibt für sie nur noch der Rat, sich seiner sozialen Herkunft entsprechend anderswo zu bewerben. Aus ihrer Sicht kann der junge Mann zwar mit viel Aufwand Selbstmarketing betreiben und doch würde

29 Auch Helene Schröder, eine Mitarbeiterin, redet von gewissen »Menschentypen«, denen es schwer fällt »sich immer wieder neu zu orientieren, immer wieder neu zu verkaufen, neu anzupreisen« (Schröder 10/2009). 30 Sie meint: »Es ist schlimm, wie viel Steine auch Menschen mit Migrationshintergrund vor die Füße gelegt werden« (Tagebuch 5/2010).

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er sein Ziel nicht erreichen. Hier ist der Erfolg für sie stark abhängig von äußeren Faktoren. An dieser Stelle wäre es interessant Vergleiche zu Bourdieus Habitus-Theorie anzustellen. Auch er geht davon aus, dass schichtbezogene Erkennungsmerkmale und Verhaltensweisen nur bedingt erlernt und verlernt werden können (vgl. Bourdieu 1987; Hartmann 2002). Ähnlich argumentiert auch eine Mitarbeiterin, Verena Richter, in einem Interview und betont, dass nicht alle die finanzielle Möglichkeit haben, den eigenen Lebenslauf mit Praktika und Auslandaufenthalten zu »schmücken«. Nur diejenigen Studierenden, die vom Elternhaus weiterhin materiell gefördert werden, können sich solche Stationen leisten (Interview Richter 11/2009).31 Techniken wie die Selbstpräsentation verlieren in diesen Beispielen ihren Wert und gesellschaftliche Zwänge rücken in den Vordergrund, die in den Seminaren strukturell marginal behandelt werden, wie ich es bereits erörtert habe. Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der Appell sich selbst als Ware zu begreifen und zu vermarkten, hat eine vielfältige, teilweise widersprüchliche und auch konträre Bedeutung für die MitarbeiterInnen der akademischen Career Services. Selbstbestimmung, Förderung der eigenen Individualität und Selbstverwirklichung gehen einher mit dem Zwang, sich an Markterfordernisse anzupassen und sich von anderen abzusetzen. Einerseits gilt Selbstmarketing für die MitarbeiterInnen als eine zentrale Kompetenz, eine Schlüsselqualifikation, um beruflich Erfolg zu haben. Zudem wird es als Strategie gesehen, für seine eigenen beruflichen Vorstellungen einzutreten und sie zu verwirklichen. So rufen die MitarbeiterInnen in den Seminaren und Beratungsangeboten zur Selbstbestimmung und Abgrenzung von äußeren Anforderungen auf. Andererseits verdeutlichen meine Daten den gesellschaftlichen Druck auf die Individuen, sich an die scheinbar unumgänglichen Marktanforderungen anzupassen. Die Freiheit sich zu vermarkten geht einher mit einem Zwang sich verkaufen zu müssen. Es gilt die eigene Individualität nicht nur zu verwirklichen, sondern auch ökonomisch verwertbar zu machen, mit dem Ziel sich zu differenzieren und hierdurch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Dabei werden Menschen als Ware angesprochen, die es zu verkaufen gilt. Meist bleibt

31 Oft wird von den MitarbeiterInnen auch hervorgehoben, dass 70% der Stellen über Beziehungen vergeben werden. Damit räumen sie einerseits ein, dass die erfolgreiche Arbeitssuche auch mit Glück verbunden ist und nicht alleine vom Individuum abhängt. Andererseits rufen sie auch dazu auf, sich ein berufliches Netzwerk aufzubauen, womit sie erneut auf die Handlungsmöglichkeiten der Individuen verweisen.

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unklar, ob die berufliche Identität oder das Leben im Allgemeinen angesprochen wird, worin ich eine Ökonomisierung des Sozialen widergespiegelt sehe, da betriebswirtschaftliche Kriterien auf das ganze Leben übertragen werden. Der Grad des Erfolgs bestimmt dann, inwieweit sich die Subjekte tatsächlich verwirklichen können oder sich fortwährend als mangelhafte Wesen verstehen, die den eigenen Misserfolg allein zu verantworten – und zu überwinden – haben. Auch sehen die MitarbeiterInnen Selbstmarketing als etwas, was im Einflussbereich jedes Einzelnen liegt. Ängste, Unsicherheiten und Ohnmachtsgefühle werden von ihnen weniger thematisiert, sondern sie begegnen ihnen mit Techniken des Selbstmarketings. Die MitarbeiterInnen betonen die individuellen Gründe für beruflichen Erfolg mehr als gesellschaftliche Faktoren, welche diesen erschweren. Die Ausblendung des Sozialen, der Gesellschaft und ihrer materiellen Verteilungsstruktur führt jedoch dazu, Misserfolg zu individualisieren. Dennoch ist das Wissen über die begrenzten Möglichkeiten von Selbstmarketing bei den MitarbeiterInnen durchaus präsent. Vielen BesucherInnen der Career Services bereitet es Schwierigkeiten sich zu präsentieren und die Möglichkeit zu versagen ist ein ständiger Begleiter der Rede der MitarbeiterInnen, wenn auch oft nicht explizit thematisiert. Es wird von einigen MitarbeiterInnen reflektiert, dass nicht alles in der Hand des Individuums liegt und die Arbeitsmarktlage, soziale Herkunft, Beziehungen oder Glück entscheidende Faktoren für den Erfolg sind. Einzelne MitarbeiterInnen von Career Services berichten von ihrem Widerwillen sich selbst vermarkten zu müssen und sehen in diesem Appell die Gefahr der Exklusion von Menschen aus dem Arbeitsmarkt, da sich nicht alle erfolgreich vermarkten können. Nachdem ich dargestellt habe, wie die MitarbeiterInnen von Career Services mit dem Diskurs umgehen und welche Bedeutung unternehmerische Subjektanforderungen für sie haben, werde ich im Folgenden einige zentrale Aspekte meiner Ausführungen synthetisieren.

3.4 S YNTHESE II In den vorangegangenen drei Unterkapiteln habe ich anhand der Themen Aktivität (Kapitel 3.1), Selbstmanagement (Kapitel 3.2) und Selbstmarketing (Kapitel 3.3) dargestellt, wie die MitarbeiterInnen von Career Services mit den diskursiv vermittelten, unternehmerischen Subjektanforderungen umgehen. Dabei wurde deutlich, dass sie strukturell dazu aufrufen, unternehmerisch die Initiative zu ergreifen und selbstbestimmt das eigene Berufsleben zu gestalten. Dieser Diskurs über die Wichtigkeit von unternehmerischer Eigeninitiative, Selbstvermarktung

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oder Selbstmanagement stößt jedoch auf Grenzen und Fronten, gar Abgründe, welche die MitarbeiterInnen zu umgehen versuchen. Sie suchen Sicherheit in diesem Diskurs, der teilweise wie eine Art Allheilmittel erscheint. Dabei thematisieren sie weniger, was z.B. mit Selbstmarketing nicht erreicht werden kann und wo sie ohnmächtig bleiben trotz der vielen Selbstmanagementtechniken. So kommen Faktoren, die nicht in der Hand der Individuen liegen wie Kapital, Ungleichheit oder Glück, aber auch die ganzen Ängste und Unsicherheiten vergleichsweise weniger zur Sprache als die Möglichkeiten jedes Menschen, seinen Werdegang zu beeinflussen. In der folgenden Synthese möchte ich die Umgangsweisen der MitarbeiterInnen nochmals zusammenfassend analysieren und interpretieren. Ich suche nach Erklärungsansätzen, weshalb die MitarbeiterInnen auf den Diskurs zurückgreifen und Ängste sowie gesellschaftliche Zusammenhänge wenig thematisieren. Dabei erörtere ich die Bedeutung der eigenen Prekarität der MitarbeiterInnen und wie diese ihre Umgangsweisen mit Unsicherheit und Ohnmacht formt. Dann diskutiere ich die gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit bei den MitarbeiterInnen in ihrem institutionellen Kontext. Schließlich stelle ich den Umgang der MitarbeiterInnen mit dem Diskurs in den Kontext des hegemonialen, neoliberalen Diskurses von Eigenverantwortung. Einleitend beschreibe ich ein Erlebnis, in dem ich selbst in der Rolle der Seminarleiterin in einem Career Service war. Anhand dieses Beispiels stelle ich wichtige Aspekte dar, die ich in den sich anschließenden Abschnitten aufgreifen werde. Die Situation ereignete sich im Januar 2011 während eines Seminars zum Thema berufliche Orientierung, das ich durchgeführt habe. Es nahmen durchschnittlich zehn Studierende und AbsolventInnen teil, neun Frauen und ein Mann, die meist am Ende ihres Studiums oder bereits auf Arbeitssuche waren. Im Rahmen des Seminars gebe ich den TeilnehmerInnen die Aufgabe, sich konkrete Schritte zu überlegen, wie sie sich ihrem beruflichen Wunschziel nähern könnten. Eine der TeilnehmerInnen verweigert die Übung. Als sie an der Reihe wäre, den anderen TeilnehmerInnen ihre Schritte darzustellen, erklärt sie vor der ganzen Gruppe, dass es ihr sinnlos vorkommt, Pläne zu schmieden, die sie dann später nicht erfüllen kann. Die Historikerin »hangelt sich von Gelegenheitsjob zu Gelegenheitsjob« und sucht schon fast zwei Jahre erfolglos eine qualifizierte Stelle, die ihr ein Auskommen sichert und erklärt aufgebracht: »Ich und mein gesamtes Umfeld sind eine ganze Generation von Geisteswissenschaftlern in prekären Arbeitsverhältnissen, die netzwerken bis zum Umfallen und am Existenzminimum stehen.« »Und nun sind wir alle hier, sind alle prekär und beraten uns gegenseitig.« Alle seien prekär, selbst die Seminarleitung (sie guckt

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mich an) und die »anderen [MitarbeiterInnen des Career Services], die hier arbeiten, mit ihren halben und ganzen Stellen« (Tagebuch 1/2011). Ihre Rede verunsichert mich, was ich anschließend in meinem Feldtagebuch beschrieben habe: »Als sie das sagt, werde ich ganz rot und aufgeregt, ich weiß nicht so genau, wie ich damit umgehen soll. Einerseits bin ich so froh, dass sie sagt, wie widersprüchlich das ist und dass man sich so viel beraten kann, wie man möchte, und die Situation davon auch nicht besser wird. Auf der anderen Seite bin ich mir nicht sicher, ob sie mich als Seminarleiterin damit nicht auch angreift, mich als Person, mein Seminarkonzept, da sie die Übung nicht machen wollte und damit auch am Sinn des Seminars zweifelt.« (Tagebuch 1/2011)

Die Seminarteilnehmerin thematisiert sowohl die Prekarität der MitarbeiterInnen als auch meinen eigenen unsicheren beruflichen Status und zweifelt am Sinn von solchen Seminaren und Übungen. Sie macht alle darauf aufmerksam, wie schwierig die gesellschaftlichen Verhältnisse und wie beschränkt die Einflussmöglichkeiten jedes Einzelnen sind. Meine Reaktion ist ambivalent. Zwar bin ich froh über ihre Äußerung, da sie auf die gesellschaftlichen Verhältnisse aufmerksam macht, was mir selbst ein Anliegen ist. Ich gebe ihr Recht und deute darauf hin, dass nicht alles in der Hand des Individuums liegt und wir auch gesellschaftlichen Zwängen unterliegen. Gleichzeitig fühle ich mich wie ertappt und angegriffen, da sie auf meine eigene unsichere berufliche Situation verweist. Ich befürchte, sie könnte damit meine Autorität als Seminarleiterin untergraben. Zudem beunruhigt es mich, dass die Teilnehmerin den Sinn eines solchen Seminars und damit den Nutzen meiner Arbeit anzweifelt. Mir fällt es schwer, mit der Desillusionierung der Teilnehmerin umzugehen. Ich habe den Impuls, das Positive in der Situation zu sehen, Optimismus zu verbreiten und nach Lösungen zu suchen. Ich erkläre, dass es mir in dem Seminar darum geht, trotz der schwierigen Verhältnisse pragmatisch nach beruflichen Möglichkeiten zu suchen. Sich berufliche Schritte zu überlegen, würde auch Halt und Orientierung geben. In meiner eigenen Reaktion spiegeln sich wesentliche Kennzeichen des Umgangs der MitarbeiterInnen mit dem Diskurs. In erster Linie wird deutlich, dass auch ich nur beschränkt auf die schwierigen gesellschaftlichen Verhältnisse sowie das Leid der TeilnehmerInnen eingehe und stattdessen die Handlungsmöglichkeiten der Studierenden und AbsolventInnen anspreche. Wie die MitarbeiterInnen auch verfolge ich einen »lösungsorientierten« Beratungsansatz und fokussiere die Möglichkeiten und Stärken der TeilnehmerInnen, nicht zuletzt, um sie nicht noch mehr zu verunsichern. Auch versuche ich pragmatisch vorzu-

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gehen, da eine längere Diskussion über gesellschaftliche Ursachen für die Situation der Arbeitssuche und die Ängste der TeilnehmerInnen den Seminarrahmen sprengen würde, was auf den institutionellen Kontext der Career Services verweist, den ich in dieser Synthese aufgreifen werde. Ich sehe meinen Auftrag vornehmlich darin, die TeilnehmerInnen zum Handeln zu ermutigen und ihnen praktische Lösungswege aufzuzeigen. Gleichzeitig ist in meinem Verhalten eine gesellschaftliche Unbewusstmachung wahrnehmbar. Es ist mir unangenehm, meine Arbeit grundsätzlich hinterfragt zu sehen. Zudem empfinde ich Schamgefühle und fühle mich als Person und Seminarleiterin angegriffen, als die Teilnehmerin meinen beruflich unsicherer Status als Promovendin thematisiert. Diese Aspekte sind auch bei den MitarbeiterInnen präsent und ich werde sie in diesem Unterkapitel nochmals zusammenfassend beleuchten. So thematisiere ich nun als erstes die prekäre Situation der MitarbeiterInnen und wie sich diese in der Arbeit in den Career Services sowie im Umgang mit dem Diskurs widerspiegelt. Einige MitarbeiterInnen nehmen ihre eigene berufliche Situation als unsicher wahr, was ich bereits in den vorherigen Unterkapiteln angesprochen habe. In der Zeit meiner Feldforschung arbeiteten sie zu einem Drittel in befristeten Arbeitsverhältnissen, viele bekleideten keine Vollzeitstellen und waren auf einen Zuverdienst angewiesen. Diejenigen, die als selbstständige DozentInnen in Career Services arbeiten, fehlt teilweise die Sicherheit einer längerfristigen Einkommensquelle (Interview Neumann 10/2009; Interview Krüger 7/2009; vgl. Kapitel 2.1.3, Kapitel 3.1.4). Die unsichere Situation der Career Service Institutionen ist ein wiederkehrendes Thema in den Gesprächen der MitarbeiterInnen untereinander. Als z.B. im Herbst 2009 das Career Center der Universität Freiburg, eines der größten Career Services Deutschlands, aufgrund der Mindereinnahmen von Studiengebühren »umstrukturiert«32 worden ist, hat dies viele Diskussionen ausgelöst. Diesen Vorfall nehmen einige der MitarbeiterInnen als sehr bedrohlich wahr, sie fürchten, ihnen könnte das Gleiche passieren. »Wir können nur hoffen, dass es nicht Schule macht«, sagt eine der Mitarbeiterinnen in einer Teamsitzung (Tagebuch 9/2009). Wenige Tage später entfacht sich in einem der Career Ser-

32 Die Universitätsverwaltung in Freiburg i. Br. sprach nicht von »Schließung« des Career Centers, sondern von »Umstrukturierung«. Dennoch besteht das Career Center in seiner herkömmlichen Organisationsform nicht mehr. Ein Teil der Leistungen wurde von der Zentralen Studienberatung übernommen. Große Teile des Angebots wurden gestrichen, da sich die Universität das umfangreiche Angebot des Career Centers nicht mehr leisten könne.

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vices erneut eine Diskussion um die ungesicherten Beschäftigungsverhältnisse. Die MitarbeiterInnen sprechen über ihre befristeten Anstellungen und verstärkten Zukunftsängste. Sie empfinden es als große Belastung, nicht zu wissen, was in ein paar Monaten mit ihrem Arbeitsverhältnis sein wird und äußern ihren Unmut über die befristeten Arbeitsverträge: »Das ist so respektlos, die Leute so in der Schwebe zu halten, so lange.« (Tagebuch 9/2009) Teilweise sind sie verantwortlich für andere Familienmitglieder, was den Druck verstärkt, nach Alternativen zu suchen. Eva Kunze erläutert, sie habe es satt, ständig alle paar Monate den Koffer zu packen, woanders hinzuziehen und an einem anderen Ort komplett neu anzufangen: »Das ist unglaublich, immer wenn man irgendwo angekommen ist, muss man wieder gucken, wie es weiter gehen kann, Alternativen überlegen, sich Kontakte warm halten.« Sie fühlt sich wie gelähmt durch diese Situation (Tagebuch 10/2009). Auch in einem Interview thematisiert Eva Kunze ihre prekäre Arbeitslage. Sie arbeitet noch nicht lange im Career Service, bekleidet eine befristete Stelle und blickt auf ein berufliches Leben zurück, das sich durch wenig Kontinuität und Sicherheit auszeichnet. Sie hat bereits an sehr vielen Orten gelebt und ist verschiedenen Tätigkeiten nachgegangen. Ihre ungewisse Situation führt dazu, dass sie permanent in Alternativen denkt, was sie in dem Interview wie folgt erörtert: »Ich habe immer das Gefühl der Unsicherheit gehabt. […] Ich bin ja jetzt auch befristet angestellt […] Ich merke unterschwellig, ich bin phantasiemäßig dabei, in Alternativen zu denken […] ich denke immer so verstrickt vernetzt, was ist, wenn hier nicht mehr, dann was dann?« (Interview Kunze 8/2009)

Dieser Interviewausschnitt reflektiert ihre prekäre Situation und die daraus folgenden unaufhörlichen Bemühungen um alternative Beschäftigungsmöglichkeiten. Diese permanente Aktivität, die an Rastlosigkeit grenzt, nimmt sie als Belastung wahr. Sie wünscht sich Ruhe und Sicherheit, was dem nach außen transportierten Ideal der MitarbeiterInnen, ständig aktiv sein zu müssen, widerspricht (vgl. Kapitel 3.1). Ich gehe davon aus, dass die eigene berufliche Unsicherheit der MitarbeiterInnen wesentlich die Art und Weise beeinflusst, wie sie ihrer Arbeit im Career Service nachgehen und welche Rolle der Diskurs in ihrem Reden einnimmt. Die MitarbeiterInnen haben Schwierigkeiten mit Gefühlen der Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht bei den TeilnehmerInnen umzugehen, was mit ihrer eigenen beruflichen Unsicherheit in Verbindung steht. Sie blenden die Existenzängste der Studierenden und AbsolventInnen zu einem Teil aus, da diese sie an ihre eigene

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unsichere Situation erinnern. Anstatt die prekäre Lage ausführlich zu besprechen, begegnen sie ihnen mit dem Appell, noch aktiver zu werden und sich noch besser zu managen und zu vermarkten. So setzen sie Angst und Hoffnungslosigkeit oft mit Lähmung und Inaktivität gleich, die es zu überwinden gilt. Diese Gleichsetzung zeigt sich auch in einem Gespräch mit Melanie Graf. Hier reflektiert sie ihre Erfahrungen aus einem regelmäßig stattfindenden Seminar für AbsolventInnen zur Unterstützung des Berufseinstiegs und der beruflichen Entscheidungsfindung. Sie erzählt mir, wie sehr es sie anstrengt, wenn sich Menschen vor lauter Angst nicht dazu entscheiden können, erste Schritte zu unternehmen. Dabei vergleicht sie das Verhalten von zwei aufeinander folgenden Seminargruppen. Während sie die aktuelle Gruppe als »so wach« beschreibt und spezifiziert: »die Leute sind nicht so in dieser Erwartungshaltung, sondern wollen gleich starten, sind motiviert«, erinnert sie sich bei der letzten Seminargruppe vor allem daran, dass sie selbst nach dem Seminar »völlig fertig war« und »um halb neun abends ins Koma gefallen [ist], sofort eingeschlafen [ist]« (Tagebuch 5/2010). Im Gegensatz zu den SeminarteilnehmerInnen aus dem aktuellen Seminar, die »hinaus ins Leben wollen«, wie sie es ihren KollegInnen erfreut beschreibt, nimmt sie die vorherige Seminargruppe als sehr ängstlich und antriebslos wahr. Es scheint, als würde die Erstarrung, die sie bei ihren Gegenübern wahrnimmt, auf sie übergehen, sodass sie selbst in ein »Koma« fällt. Das Bild von Menschen, die »hinaus ins Leben wollen« steht dem Bild des »Komas« entgegen, das mit Bewusstlosigkeit, tiefer Schlaf, gar mit der Nähe zum Tod in Verbindung gebracht wird. Hier nehme ich eine Art »Ansteckungsgefahr« für die MitarbeiterInnen der Career Services wahr: Melanie Graf wird angesteckt von der Schwere der AbsolventInnen, ihre Trägheit geht auf sie über. Sie ist erschöpft und wird ausgelaugt von der negativen Energie der SeminarteilnehmerInnen. In ähnlicher Weise berichten auch andere MitarbeiterInnen, darunter Anna Lange, von ihrer Erschöpfung nach der Beratung. Ihr Versuch, den Menschen Orientierung zu geben, kostet sie viel Anstrengung. Immer wieder vermisst sie die Eigeninitiative der Ratsuchenden. Das schwierigste sei für sie »die Leute auf das Gleis zu bringen« (Tagebuch 10/2009). Ihre Formulierung des »Aufgleisens« erinnert an die Wendung »jemanden auf die richtige Spur bringen«, aber auch jemanden »in geordnete Bahnen zu lenken« und damit in diesem Fall die Menschen an das Arbeitsmarktsystem anzupassen, ihnen zum beruflichen Erfolg zu verhelfen. Sie möchte die Menschen bei ihren ersten Schritten in den Beruf unterstützen, damit sie danach aus eigenem Antrieb weiter gehen. Wieder wird deutlich, wie kräftezehrend dieses »Aufgleisen« oder eben auch das »Anpassen« der TeilnehmerInnen an wahrgenommene Arbeitsmarkterfor-

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dernisse für die MitarbeiterInnen ist, gerade wenn sie nicht genügend Eigeninitiative oder eine große Hoffnungslosigkeit und Angst bei den Ratsuchenden wahrnehmen. Ihre eigene berufliche Lage verstärkt dieses Gefühl der Anstrengung. So erklären sie mir, dass es ihnen manchmal schwer fällt zu beraten, wo sie sich doch selbst in einer unsicheren Situation befinden (Tagebuch 10/2010). Der pausenlose Aufruf zur aktiven Entscheidung wirkt hingegen wie eine Strategie, mit dem Leid, das an sie herangetragen wird, aber auch mit den eigenen Ängsten umzugehen und dem Gefühl des Ausgeliefertseins zu begegnen. Gefühle der Anstrengung, Erschöpfung, Scham und Ungeduld, aber auch der Wut, wie ich sie bei den MitarbeiterInnen und bei mir selbst beschrieben habe, lassen eine gesellschaftliche Unbewusstmachung im Sinne Mario Erdheims notwendig erscheinen (vgl. Erdheim 1982). Auf diese gehe ich jetzt ein und stelle dar, in welchem institutionellen Kontext die Umgangsweisen der MitarbeiterInnen zu verstehen sind und wie beides, die Unbewusstmachung und die Institution der Career Services, zusammenhängen. Es kostet die MitarbeiterInnen viel Energie, permanent die eigenen beruflichen Sorgen sowie die Hilflosigkeit gegenüber dem Leid der BesucherInnen der Career Services zu verdrängen. Menschen, die sich nicht entscheiden, die ihre Hoffnungslosigkeit äußern und die in der Wahrnehmung der MitarbeiterInnen nicht genügend aktiv werden, spiegeln ihnen eine Sinnlosigkeit und Absurdität ihrer Arbeit im Career Service. Diese Zweifel am Sinn der eigenen Tätigkeit und ihrer Institution müssen jedoch unbewusst gemacht werden. Dieser Prozess kann als gesellschaftliche Unbewusstmachung, wie sie Erdheim erörtert hat, gedeutet werden. Im Verständnis Mario Erdheims wird durch die gesellschaftliche Produktion von Unbewusstheit all jenes unbewusst gemacht, »was die Stabilität der Kultur, vor allem der Herrschaftsstruktur bedroht« (Erdheim 1988a: 275). Dabei zwingen die »herrschenden sozialen Verhältnisse« das Individuum dazu, »auf seine Wünsche zu verzichten und, statt sie zu realisieren, unbewußt zu machen« (Erdheim 1988a: 275). Diese Produktion von Unbewusstheit wird dabei gesellschaftlich von Institutionen organisiert, die zur Konservierung bestehender Verhältnisse dienen, wobei er z.B. die Schule oder das Militär untersucht. Erdheim bezieht sich auf Freuds These, dass »die von Institutionen erfaßten Individuen regredierten und in ihrem Denken und Handeln kritiklos, illusionär, kurz: bewußtloser würden« (Erdheim 1988a: 270). Daraus entwickelt er den Gedanken, dass »jene Teile einer Kultur, deren Veränderung die etablierte Herrschaft und ihre Dynamik in Frage stellen könnten, durch entsprechende Kühlsysteme abgesichert

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werden müssen« (Erdheim 1988b: 332).33 Interessant ist dabei, dass sich die Individuen in diesen kühlen Räumen in einer Art »Winterschlaf«, wie er es nennt, befinden, wo durch Traumbilder gleichzeitig »aktives Leben voller Geschäftigkeit« suggeriert wird (Erdheim 1988b: 332). Hier sehe ich deutliche Parallelen zum oben genannten Bild von Melanie Graf, die nach einem Seminar in ein »Koma« fällt, d.h. unbewusst wird. Sie versucht, die wahrgenommenen Ohnmachtsgefühle und Ängste der TeilnehmerInnen abzuwehren, auch indem sie immer wieder auf die Notwendigkeit von Eigeninitiative und Aktivität drängt. Nur indem die eigenen Ängste und Ohnmachtgefühle sowie die strukturellen gesellschaftlichen Zwänge zu einem Teil ausgeblendet und unbewusst gemacht werden, können die MitarbeiterInnen ihre Arbeit im vorgegebenen institutionellen Rahmen erfüllen. Sie haben den Auftrag, Menschen Hoffnung zu vermitteln, ihnen Mut zuzusprechen und sie zur Veränderung zu ermutigen. Aber damit sorgen sie auch dafür, dass die Ratsuchenden sich an gesellschaftliche (Macht-) Verhältnisse und wahrgenommene Anforderungen anpassen und funktionieren. Die verstärkte Thematisierung oder gar Kritik von Machtverhältnissen und gesellschaftlicher Ungleichheit sowie die Bewusstmachung der eigenen Gefühle der Unsicherheit würden jedoch zu einer Infragestellung ihrer eigenen Arbeit führen. Betonten sie die gesellschaftlichen Zwänge, würde das die tatsächlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Individuen sowie die Wirksamkeit von Techniken wie Selbstmanagement und damit letztendlich auch die Legitimation ihrer Institution relativieren. So liegt eine Erklärung für die Betonung der Handlungsmöglichkeiten m.E. im zentralen Auftrag der Career Services, Menschen bei ihrem Berufseinstieg zu helfen und sie für die Arbeitsverhältnisse vorzubereiten, d.h. sie auch an die wahrgenommenen Arbeitsmarktstrukturen und -anforderungen anzupassen, ein Auftrag, mit dem sie an ihre Grenzen stoßen. Mir ist aufgefallen, dass es die MitarbeiterInnen nur sehr schwer aushalten können, wenn die AbsolventInnen und Studierenden aufgrund ihrer Befürchtungen und Selbstzweifel handlungsunfähig wirken und damit nicht mehr »funktionieren«. Es belastet sie zu sehen, dass Menschen »erstarren« und »wie Kaninchen vor der Schlange stehen«, eine Redensart, die viele MitarbeiterInnen häufig verwenden. So erklärt Helene Schröder: »Dieses Erschreckt-auf-die-Schlange-Krise starren, das finde ich et-

33 Erdheim bezieht sich dabei auf Lévi-Strauss, der Gesellschaften in »heiße« und »kalte« Kulturen unterteilte. Während die »kalten« Kulturen bemüht sind, historischen Wandel einzufrieren, streben die »heißen« Kulturen nach Veränderung. Doch auch letztere verfügen laut Erdheim über »Kühlapparate«, welche die Geschwindigkeit des Kulturwandels »regulieren« (Erdheim 1988b: 332).

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was sehr Furchtbares, das möchte ich auflockern.« (Interview Schröder 10/2009; vgl. Interview Krüger 10/2009; Tagebuch 5/2010) Vielmehr geht es den MitarbeiterInnen darum, die Menschen in kurzer Zeit in ihrer Handlungsfähigkeit zu bestärken und ihnen punktuell Hilfestellung und Orientierung bei ihrem Berufseinstieg zu geben (Tagebuch 6/2009). Ziel ist es, dass die Studierenden und AbsolventInnen in den »gegebenen« Arbeitsmarktstrukturen »funktionieren«. Sie möchten den Ratsuchenden Hoffnung vermitteln und sie nicht noch mehr desillusionieren mit trostlosen Szenarien der derzeitig schwierigen Bedingungen der Arbeitswelt. Schließlich suchen die BesucherInnen das Career Service auf, um konkrete Lösungen für ihre berufliche Probleme zu finden und sich berufliche Perspektiven zu erarbeiten und nicht, um gesellschaftliche Verhältnisse besser zu verstehen oder sie gar zu kritisieren. Zudem beeinflussen die strukturellen Bedingungen in den Career Service Institutionen die Art der Beratung und Arbeitsweise der MitarbeiterInnen sowie ihren Umgang mit dem Diskurs. Die Career Service-MitarbeiterInnen haben anders als Angestellte in anderen sozialen Beratungseinrichtungen kaum einen Anspruch auf eine professionelle Begleitung ihrer Arbeit durch Supervision. Es besteht kaum Möglichkeit die eigenen Schwierigkeiten und die durch die Beratungsarbeit ausgelösten Ängste, Übertragungen und Gegenübertragungen professionell begleitet zu reflektieren. Auch aufgrund der fehlenden Supervision kommt es leicht zu Prozessen der Unbewusstmachung und Abwehrreaktionen, wie ich sie bereits beschrieben habe. Aufgrund den geringen personellen und finanziellen Ressourcen und der daraus folgenden, nur beschränkt zur Verfügung stehenden Zeit müssen die MitarbeiterInnen in ihrer Arbeit pragmatisch vorgehen. Sowohl die einstündige Einzelberatung und der sogenannte Bewerbungsmappencheck als auch die mehstündigen Gruppenseminare lassen kaum die Möglichkeit, vertieft auf die individuelle Situation der Menschen einzugehen und gesellschaftliche Gegebenheiten in ihrer Komplexität zu beleuchten. Die Beratungs- und Seminarformate lassen wenig Spielraum, um Ängste und Ohnmachtsgefühle, aber auch gesellschaftliche Hintergründe anzusprechen. So ist eine Beratungseinheit auf eine Stunde begrenzt und in den Seminaren ist wenig Raum für individuelle Beratung. Die MitarbeiterInnen verfolgen einen pragmatischen und lösungsorientierten Beratungsansatz, der im gesamten Coachingbereich sehr verbreitet ist. Ihre Interventionen setzen auf die Kraft einer positiven Perspektive, um so die »Stärken zu stärken«, wie es in der Beratungssprache heißt (Tagebuch 6/2009; Interview Graf 7/2010; vgl. Duttweiler 2007: 27). Sie betonen strukturell die positiven Aspekte und legen den Fokus auf die Stärkung des Individuums sowie die Verbesserung seiner Möglichkeiten, also weniger auf die Analyse gesellschaftlicher

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Probleme (vgl. Duttweiler 2007: 27). So stellt Bröckling in seiner Analyse des »Empowerment«-Begriffs fest, dass die Verantwortung nicht »auf andere Instanzen – ›die Gesellschaft‹, ›den Kapitalismus‹ […] – abgewälzt wird; die Frage nach den Problemursachen tritt vielmehr in den Hintergrund, damit alle Kräfte sich auf ihre Lösung richten können« (Bröckling 2004: 59).34 Die Ursachen von Schwierigkeiten werden dabei weniger thematisiert, sondern es wird nach Lösungswegen und individuellen Ressourcen gesucht. Dies wirft die Frage nach der stark begrenzten Thematisierung gesellschaftlicher Hintergründe vor dem Hintergrund der Dominanz neoliberaler Diskurse auf, der ich mich nun zuwende. Die Umgangsweisen der MitarbeiterInnen sehe ich in einem gesellschaftlichen Kontext verankert, der von einem neoliberalen Diskurs geprägt ist. Meine Forschungsergebnisse zeigen die Dominanz neoliberaler Diskurse über Eigenverantwortung, in denen Probleme wie Arbeitslosigkeit zu einem individuellen Risiko werden, das durch aktives Handeln oder ein gutes Selbstmarketing verringert werden kann. Dabei verschiebt sich die Verantwortung für soziale Sicherung vermehrt auf das Individuum und dessen Kapazitäten zur Selbststeuerung – Machtstrukturen hingegen geraten aus dem Blick (vgl. Ouroussoff 1993: 287290; Pieper 2003: 146-147; Reckinger 2010: 134, 155-168). Wenn die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten von Individuen betont werden, rückt die Frage der Schuld und Eigenverantwortung ins Blickfeld. In der Rede der MitarbeiterInnen wird die Verantwortung für den eigenen beruflichen Werdegang oft in die Hand jedes Einzelnen gelegt. Sie konstatieren »eine zunehmende Selbstverantwortlichkeit«, was von Eva Lange beschrieben wird als ein »sich selber in die Pflicht nehmen und auch das Gefühl zu haben: Das muss ich alles selber regeln, das ist alles in meinem Handlungsbereich« (Interview Lange 9/2009). Die Verlagerung der Verantwortlichkeiten weg von der Gesellschaft hin zu den Individuen macht eine Parallele zu neoliberalen Politik-Programmen wie der Hartz-IV-Reform sichtbar, wie ich sie bereits erörtert habe (vgl. Kapitel 1.2.4, Kapitel 1.2.5). Im Rahmen dieser Politik eines »aktivierenden Staates« werden Menschen »nicht länger als passive Opfer sozialer Bedingungen, sondern als Au-

34 Ähnlich wie Bröckling thematisiert auch Kaindl, wie neoliberale Diskurse dazu aufrufen, individuelle Ressourcen »selbsttätig in die eigene Marktgängigkeit zu investieren«, weshalb der Empowerment-Begriff nicht an sich Teil des Befreiungsdiskurses sei. Sie fragt danach, wie unter diesen Bedingungen die Aufgaben der Psychologie definiert werden können, die Menschen »nicht einfach fit für den Markt machen und mangelnde Selbstaktivierung als Teil persönlichen Scheiterns diskutieren, andererseits aber das Leiden an den Verhältnissen nicht ignorieren [will]« (Kaindl 2008a).

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torInnen ihrer Geschichte« adressiert (vgl. Pieper 2003: 147). Aktivität sowie die Bereitschaft zur Aktivität wird so zur Voraussetzung, um überhaupt soziale Anrechte geltend machen zu können (vgl. Kocyba 2004: 17). Probleme wie soziale Ungleichheit oder Arbeitslosigkeit geraten in den Verantwortungsbereich der Individuen und werden zu einem durch aktives Handeln abwendbaren Risiko, zu einer Frage der Motivation, unablässig die eigenen beruflichen Qualifikationen zu verbessern. Die Verantwortung für die soziale Sicherung verschiebt sich in neoliberalen Politik-Programmen vermehrt auf das Individuum und dessen Kapazitäten zur Selbststeuerung, die dann wiederum in Empowerment-Maßnahmen gestärkt werden (vgl. Bröckling 2004: 61; Kelly 2006; Pieper 2003: 146-151; Rose 2000: 92). Obgleich sich die Selbstverantwortungslogik in die Handlungen und Denkweisen meiner InformantInnen »eingeschrieben« hat (Reckinger 2010: 134), verweisen meine Daten aber auch auf alternative Werte, die eine Anpassung an Markterfordernisse konterkarieren. Die MitarbeiterInnen weisen eine Vielzahl von Praktiken auf, die implizieren, dass die Anforderung sein eigener Unternehmer sein zu müssen, der sich permanent vermarkten muss und dabei alle Risiken selbst trägt, keine unwiderrufliche gesellschaftliche Entwicklung darstellt, sondern als Normengefüge im Alltag der MitarbeiterInnen fortlaufend verhandelt wird. So machen die MitarbeiterInnen auf die Wichtigkeit von sozialen Beziehungen oder die große Zahl von Bewerbungen auf eine Stelle aufmerksam und relativieren damit die Bedeutung von Techniken wie Selbstmanagement oder Selbstmarketing. Zudem sind die beruflichen Unsicherheiten und Ängste der MitarbeiterInnen der Career Services auch als Zeichen ihres Unbehagens an diesen Normen zu sehen. In dieser zusammenfassenden Analyse und Interpretation der Umgangsweisen der MitarbeiterInnen bin ich den Gründen nachgegangen, weshalb Existenzängste und Ohnmachtsgefühle sowie ihre gesellschaftlichen Ursachen wenig thematisiert und stattdessen immer wieder die gleichen diskursiven Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Einen wesentlichen Grund sehe ich dabei in der eigenen Prekarität der MitarbeiterInnen, was zu einer Abwehrhaltung führt, die aufgrund mangelnder Ressourcen nicht professionell reflektiert werden kann, z.B. im Rahmen einer regelmäßig stattfindenden Supervision. Zudem beobachte ich eine gesellschaftliche Unbewusstmachung im Sinne Mario Erdheims. So würde ein ausführliches Ergründen und Infragestellen sowohl der Ängste als auch der gesellschaftlichen Zwänge und sozialen Ungleichverhältnisse die Ausrichtung und Legitimation der Career Services strukturell in Frage stellen. Viele der Angebote dieser Einrichtungen umfassen erlernbare

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Techniken und zielen darauf ab, die individuellen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und damit die Individuen an die gesellschaftlichen Verhältnisse anzupassen und nicht eben jene zu kritisieren oder gar zu verändern. Auch die BesucherInnen haben die Erwartung, in Career Services konkrete Lösungsmöglichkeiten für berufliche Problemstellungen zu erhalten und nicht Gesellschaftskritik zu leisten. Die MitarbeiterInnen wenden zudem lösungsorientierte Beratungsmethoden an, die nicht nach den gesellschaftlichen Ursachen sondern nach den Möglichkeiten jedes Einzelnen fragen. Nachdem ich auf die MitarbeiterInnen eingegangen bin, diskutiere ich nun die Umgangs- und Deutungsweisen der BesucherInnen der Career Services.

4. Die AbsolventInnen und ihr Umgang mit dem Diskurs

Nachdem ich den Umgang der MitarbeiterInnen von akademischen Career Services mit dem Diskurs beleuchtet habe, gehe ich im Folgenden auf die Umgangsund Deutungsweisen der BesucherInnen von Career Services ein. Ich konzentriere mich dabei auf HochschulabsolventInnen, die das Studium bereits beendet haben und derzeit eine Anstellung suchen. Mich interessiert, wie sie nach ihrem Studium die Arbeitssuche erleben und welche Rolle dabei die diskursiven Anforderungen spielen, die ich mit der Figur des unternehmerischen Selbst erfasst habe. Wie bei den MitarbeiterInnen von Career Services achte ich ganz besonders auf die Brüche und Ambivalenzen im subjektiven Umgang mit dem Diskurs. In Kapitel 4.1 beleuchte ich das Streben der AbsolventInnen nach Erfolg, das ich während meiner Feldforschung als sehr präsent wahrgenommen habe. Dabei untersuche ich als erstes den Wunsch der Arbeitssuchenden, dazuzugehören zu der Welt der Berufstätigen (4.1.1), um dann ihre Angst näher zu betrachten, nicht zu genügen und den Anforderungen nicht gerecht zu werden (4.1.2). Anschließend gehe ich in Kapitel 4.2 auf die Selbsttechniken der AbsolventInnen ein, darauf wie sie an sich arbeiten und auf sich einwirken, um Erfolg und (berufliche) Zufriedenheit zu erlangen. Hier thematisiere ich ihre Techniken des Selbstmarketings (4.2.1) und des Selbstmanagements bzw. der Selbstoptimierung (4.2.2). Um mich der Erfahrungen der AbsolventInnen zu nähern, stelle ich zuerst exemplarisch die Situation einer einzelnen Person dar, bei der sich ein Themenfeld besonders deutlich zeigt. Dies ermöglicht einen vertieften Blick in die Lebenswelt der AbsolventInnen und offenbart auch die teilweise widersprüchlichen Deutungs- und Umgangsweisen. Anschließend wechsle ich den Blick vom einzelnen Individuum auf die Situation der AbsolventInnen, mit denen ich mich be-

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schäftigt habe, was mir ermöglicht, strukturelle Ähnlichkeiten in ihrer lebensweltlichen Erfahrung zu diskutieren und zu analysieren.

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In diesem Unterkapitel untersuche ich das Streben der arbeitssuchenden AbsolventInnen nach Erfolg, das zum einen geprägt ist von dem Wunsch nach Zugehörigkeit zur Arbeitswelt (4.1.1) und zum anderen von einem sehr präsenten Gefühl, nicht zu genügen und minderwertig zu sein (4.1.2). Als erstes thematisiere ich ihren Wunsch dazuzugehören zu der Welt der Berufstätigen und Erfolgreichen. 4.1.1 Der Wunsch nach Zugehörigkeit Ich beleuchte nun die zentrale Erfahrung der arbeitssuchenden AbsolventInnen, während der Zeit der Bewerbung, nirgends richtig dazuzugehören. Als erstes diskutiere ich dieses Thema anhand der Erfahrungen meiner Gesprächspartnerin Julia, um es dann auf einer allgemeineren Ebene bezogen auf die AbsolventInnen allgemein zu erörtern. Fallbeispiel Julia Julia ist 30 Jahre alt. Seit sie vor ca. einem Jahr mit dem Studium der Islam- und Politikwissenschaften fertig geworden ist und eine Arbeitsstelle sucht, nutzt sie regelmäßig die Angebote des Career Services. Während meiner Feldforschung laufen wir uns immer wieder über den Weg und ich beschließe sie anzusprechen. Als ich mich vorstelle, blättert sie gerade in der Zeitschrift »Arbeitsmarkt«1, um nach Stellen zu suchen. Ich frage sie, ob ich mit ihr ein Interview führen könnte und sie stimmt zu. Wir verabreden uns im Januar 2010 für ein Interview in einem Café.

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Die Zeitschrift Arbeitsmarkt wird herausgegeben vom Wissenschaftsladen Bonn e.V. Sie richtet sich an HochschulabsolventInnen und enthält neben allgemeinen Informationen zum Thema Bewerbung eine bundesweite Auswertung aktueller Stellenanzeigen. Sie erscheint wöchentlich und ist nur im Abonnement von mindestens drei Monaten erhältlich. Viele AbsolventInnen, die wie Julia wenig Geld zur Verfügung haben, empfinden dieses Abonnement jedoch als zu teuer, weswegen sie die Hefte in Bibliotheken, im Arbeitsamt oder eben in Institutionen wie den Career Services einsehen.

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Bei unserem Treffen ist sie alternativ gekleidet, trägt bunte Strumpfhosen, einen Rock und Turnschuhe. Sie hat eine zierliche Gestalt, lange braune Haare und eine offene Ausstrahlung. Wenn sie erzählt, macht sie auf mich einen sensiblen und schüchternen Eindruck. Dennoch wirkt sie auf mich selbstbewusst, sie ist ausgesprochen wortgewandt und mir fällt ihre witzige und ironische Art des Erzählens auf. Uns verbindet ein ähnlicher Studienhintergrund, wir haben uns im Studium mit ähnlichen Themen auseinandergesetzt wie z.B. Migration, was in meiner Wahrnehmung schnell zu einem vertrauensvollen und lockeren Umgang miteinander führt. Wir bleiben auch nach dem Interview in Kontakt und treffen uns mehrere Male, um uns über ihre berufliche Situation zu unterhalten. Sie ist in Süddeutschland als jüngstes von drei Geschwistern aufgewachsen, ihre Eltern sind gut verdienende Akademiker in einer gesicherten Position. Vor acht Jahren hat Julia ihre Heimatstadt verlassen, um in einer anderen Stadt ihr Studium aufzunehmen, wo sie sich inzwischen heimisch fühlt. Hier lebt sie gemeinsam mit ihrem Partner und hat sich einen großen Freundeskreis aufgebaut. Während ihres Studiums spielte ihr zukünftiges Berufsleben kaum eine Rolle, sie meint: »Ich war nie so ein karrierebewusster Mensch« (Interview Julia 1/2010).2 Sie hat breit studiert, sich von ihren zahlreichen Interessen leiten lassen und sich ehrenamtlich in internationalen Projekten engagiert, ohne dabei ein konkretes berufliches Ziel zu verfolgen. Die Arbeitssuche gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht und sie empfindet die Zeit der Bewerbung als einen großen »Einschnitt« in ihr Leben. Seit mehr als einem Jahr sucht sie nach einer Arbeitsstelle im sozialen und kulturellen Bereich. Nachdem sie sich einige Monate vergeblich beworben hat, beginnt sie freiberuflich in einem Unternehmen als IT-Trainerin zu arbeiten. Diese Arbeit entspricht in keiner Weise ihren Berufswünschen und ist für Julia eine Übergangslösung, bis sie eine andere Anstellung findet. Die dortigen Arbeitsbedingungen sind unsicher und belasten sie. Die Arbeit ist mit durchschnittlich 800 € Brutto im Monat nicht gut bezahlt und die zeitaufwändige Vor- und Nachbereitung der Kurse wird nicht entlohnt. Zudem lebt sie in der ständigen Unsicherheit, ob sie genügend Aufträge bekommt. Sie kann von dieser freiberuflichen Tätigkeit nicht leben und erhält weiterhin finanzielle Unterstützung von ihren Eltern. Von ihrem Arbeitgeber wird sie nur ungenügend in das neue Themengebiet eingearbeitet, nach einer kurzen Einführung muss sie die Kurse selbstständig durchführen. Ihre fehlende inhaltliche Souveränität und die ständige, teilweise

2

Wenn nicht anders gekennzeichnet, stammen die folgenden Zitate aus dem Interview, das ich im Januar 2010 mit Julia geführt habe.

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willkürliche Bewertung ihrer Arbeitsleistung durch die TeilnehmerInnen setzt sie stark unter Druck, da sie bei schlechten Bewertungen ihren Arbeitsplatz riskiert. Nach jedem Seminar wird ihre Arbeitsleistung von den TeilnehmerInnen bewertet, bekommt sie wiederholt eine schlechte Rückmeldung, besteht die Gefahr, dass sie keine Aufträge mehr bekommt. Seit sie diese Tätigkeit ausübt, verliert sie stark an Gewicht, ist dauerhaft gesundheitlich angeschlagen und nach einiger Zeit beschließt sie, die Arbeit aufzugeben. Stattdessen versucht sie durch Praktika eine befriedigendere Arbeit zu finden, die mehr ihren Berufswünschen und Fähigkeiten entspricht und absolviert mehrere Praktika im In- und Ausland. Dabei verdient sie monatlich durchschnittlich ca. 500 € Brutto und bleibt damit weiterhin abhängig von der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern. Je länger sich die Arbeitssuche hinzieht, desto mehr befürchtet sie, keine Stelle mehr zu finden, ihre Existenzängste werden immer größer. Julia merkt, dass sie »mit dieser Art von Unsicherheit« immer weniger zurecht kommt und ihre »ganze jugendliche Unbeschwertheit plötzlich vollkommen weg ist«. Sie spricht oft davon, dass sie keine »Spielräume« mehr hat und ihr die Zeit davon läuft. Sich zu bewerben ist für sie verbunden mit einem Gefühl der Haltlosigkeit. Sie beschreibt ihre Situation so, dass sie in einer »virtuellen Welt des Bewerbens« lebt, die ihr keine Sicherheit bietet und jederzeit »zerplatzen« kann. Es verunsichert sie, sich nicht mehr »rein fühlen« zu können und »keine Instinkte« mehr zu haben: »Also manchmal habe ich das Gefühl, dass es mich total auffrisst und dass mir das auch ganz stark den Bezug zum echten Leben nimmt, weil ich mich dauernd in so virtuellen Welten bewege. Und mich dauernd im Kopf erfinde als jemanden, der ich vielleicht gar nicht bin, vielleicht sein werde, aber vielleicht auch nicht. Das entfernt mich schon von dem, was mir tatsächlich wichtig ist.«

Für jede einzelne Bewerbung versucht sie sich neu zu »erfinden«, sie imaginiert sich die Erwartungen des Arbeitgebers und versucht sich ihnen anzupassen. Immer wieder von Neuem kommt die Hoffnung auf, dass aus einer Bewerbung etwas werden könnte, sie malt sich ihre Zukunft aus, bis sie eine Absage bekommt und sich ihre Zukunftsvorstellungen wieder in Luft auflösen. Dabei fühlt sie sich aus den »Lebenszusammenhängen herausgerissen«, hat den Eindruck in einer nicht realen Welt zu leben und empfindet ein Gefühl der Entfremdung von sich selbst. So orientiert sie sich an imaginierten äußere Erwartungen und verliert dabei das Gefühl für sich selbst und ihre Bedürfnisse. Diese permanente Orientierung nach außen wird durch ihren Eindruck verstärkt, immerzu von außen beurteilt zu werden:

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»Also die Bewertung deiner Person […] liegt eigentlich vollkommen außerhalb deiner Selbst. […] Und … ähm … es ist eigentlich eine ständige und dauerhafte Willkür, die über einen hineinbricht. Und das finde ich so schlimm.«

Julias Empfindung, es breche über sie hinein, zeigt, dass sie sich den Bewertungen potentieller Arbeitgeber ausgeliefert fühlt, sie erscheinen wie eine willkürliche Instanz, der sie sich beugen muss. Da sie auf ihre Bewerbungen meist keine Rückmeldung bekommt, bleiben auch diese Beurteilungen »virtuell« und reduzieren sich auf ihre eigenen Vorstellungen. Wiederholt beschreibt sie, von der Bewerbungssituation »aufgefressen« oder »verschlungen« zu werden. Auch diese Formulierungen machen deutlich, dass sie ihre eigene Existenz bedroht sieht. Zunehmend fühlt sie sich gefangen in dieser »virtuellen Welt« und empfindet sich als Außenseiterin. Es setzt sie unter Druck, dass die meisten Personen in ihrem Freundeskreis schon finanziell unabhängig sind, sie hingegen keine Arbeit findet, die sie befriedigt und plötzlich »singled out ist, so ein bisschen außerhalb steht«. Sie fühlt sich als nicht mehr ganz zugehörig. Viele ihrer Freunde haben Medizin, Jura oder auf Lehramt studiert und können ihre Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche kaum nachvollziehen. Dennoch betont Julia, dass sie noch nie »schief angeguckt« wurde, und erzählt mir damit von ihrer angstgeladenen Phantasie, von anderen als »nicht normal« angesehen und entwertet zu werden. Gerade ihr Beharren darauf, nicht »schief angeguckt« zu werden, verweist umso mehr auf ihre Befürchtung, sie könnte ausgeschlossen und sozial an den Rand gedrängt werden. In ihrer Wahrnehmung wird der eigene »soziale Zusammenhang«, wie sie es nennt, vermehrt über die berufliche Stellung und den beruflichen Erfolg definiert und es besteht ein Zwang sich beruflich zu verwirklichen. Dabei beobachtet sie, dass Menschen anhand zweier Kategorien sortiert werden: »Du hast es geschafft oder du hast es nicht geschafft«. Zwar kritisiert sie solche Wertmaßstäbe vehement und distanziert sich davon mit viel Ironie, dennoch merkt sie, »dass dieser Druck einfach auch sehr stark ist […], dass ich mich dem auch nicht entziehen kann«. Sie befürchtet, mit den »Erfolglosen« identifiziert zu werden, was ihre Furcht anzeigt, sozial abzusteigen aber auch verdeutlich, wie sie in Kategorien wie Erfolg und Scheitern denkt. Während die meisten ihrer Bekannten »eine Bestimmung haben« und ihren beruflichen Weg zielstrebig verfolgen, fühlt sie sich ohne Berufsperspektive entwertet. Sich selbst neuerdings beruflich definieren zu müssen, beschreibt sie als »’ne neue Käseglocke, die über mich gestülpt wurde«. Ihrer Formulierung »überstülpen« ist die Fremdbestimmung inhärent und deutet darauf hin, dass es ihre Per-

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son als Ganzes betrifft. Plötzlich entscheidet alleine die berufliche Stellung über ihre Bedeutung innerhalb der Gesellschaft und sie sieht gar ihre Existenzberechtigung hinterfragt. So fühlt sie sich zunehmend unter Druck gesetzt, eine klare Vorstellung zu haben, was sie beruflich sein wird in Zukunft: »Jetzt ist es plötzlich so, also wie mit der Pistole auf der Brust: ›Wer bist Du?‹ [wird laut] ›Was willst Du sein?‹ ›Spielst Du überhaupt noch eine Rolle, wenn Du nicht weißt, wer Du sein willst?‹ Also das ist wirklich ganz schwierig. […] Du musst schon sagen, was Du willst und wenn Du das im Bewerbungsgespräch nicht sagen kannst, dann kann Dir auch niemand helfen.«

Auffällig ist die Gewalt in ihrer Erzählung, sie imaginiert sich ein Gegenüber, das sie angreift »mit der Pistole auf die Brust« und ihr droht: Wenn sie sich nicht beruflich positioniert, verliert sie ihre Daseinsberechtigung und niemand kann ihr helfen. In ihren Imaginationen darüber, was »andere sagen«, offenbart sich m.E. ein schlechtes Gewissen, nicht genügend aktiv zu sein. Ein unbekanntes Gegenüber wird zum Sprachrohr, um sich anzuprangern und sich selbst für ihre Erfolglosigkeit verantwortlich zu machen. Diese imaginierte Anklage führt dazu, dass sie sich noch mehr unter Druck setzt Erfolg zu haben und eine berufliche Tätigkeit zu finden, in der sie sich als ganze Person verwirklichen kann und die ihr gleichzeitig materielle Sicherheit verleiht. Ihre Berufung zu finden, erscheint wie ein Ausweg aus ihrer unsicheren Situation der Arbeitslosigkeit und wird zur existentiellen Frage. Doch trotz ihrer Bemühungen wird sie nicht fündig und zweifelt auch am Sinn einer solchen Berufung. Einerseits sieht sie sich selbst als Generalistin mit »Chamäleonprofil«, sie hat viele verschiedene Fähigkeiten und Interessen und es fällt ihr schwer sich so »zusammenzuschrumpfen« auf eine Tätigkeit, die alles vereinen soll. Für sie ist es eine erschreckende Vorstellung, das ganze Leben auf den beruflichen Erfolg und die berufliche Selbstverwirklichung zu reduzieren. Hier fällt auf, dass der berufliche Erfolg mit dem gesamten Leben verschwimmt. Auf einmal wird der Erfolg zum Gradmesser für ein erfülltes Leben. Andererseits fragt sie sich, was eine solche Einschränkung auf eine Berufung bringen könnte, wo es doch nur so wenige Stellen gibt für AbsolventInnen der Geisteswissenschaften. Es scheint ihr unerreichbar unter den geringen freien Positionen eine erfolgsversprechende, gut dotierte Arbeit zu finden, in der sie sich auch noch verwirklichen kann. Sie beschreibt, vor einem Nadelöhr zu stehen, wo sie »so was sagen [muss] wie ›Sesam-öffne-dich‹, aber das Ganze muss so ’ne Berufsbezeichnung sein und dann kommt man durch und vorher halt nicht. (seufzt, lacht)«, was in ihr

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große Angst auslöst. Dieses Bild des Nadelöhrs verweist auf ihre Ambivalenz und die widersprüchlichen Anforderungen, mit denen sie sich konfrontiert sieht und denen sie nicht gerecht werden kann. So soll sie eine berufliche Tätigkeit anstreben, in der sie ihre gesamten Interessen und Fähigkeiten zusammenführen kann und die auch in materieller Hinsicht ihren Erfolg garantiert, was ihr nicht gelingt. Gleichzeitig muss sie sich aber stark einschränken, um überhaupt durch den Spalt des Nadelöhrs zu passen, was wiederum dem ersten Anspruch an die Vielfältigkeit der Tätigkeit entgegensteht. Und auch wenn es ihr gelingen sollte einen konkreten Berufswunsch zu formulieren, ist es sehr unwahrscheinlich – so unwahrscheinlich wie, dass ein Kamel durchs Nadelöhr kommt –, dass sie tatsächlich eine passende Stelle findet und durch diese hauchdünne Öffnung des Nadelöhrs gelangen kann. So deutet dieses Bild auf ihre ausweglose, kaum lösbare Situation und verdeutlicht ihre eigene Trostlosigkeit. Dennoch hält sie an ihrem Wunsch fest, beruflichen Erfolg zu erlangen und möchte aus dem, was sie bereits gemacht hat, »etwas raus ziehen, was irgendwie funktioniert« und beschreibt »[…] man muss es irgendwie in so ’ne Formel packen und es muss sich halt zu ’nem Job machen lassen«. Sie versucht sich selbst ökonomisch verwertbar zu machen und ihr »Inneres nach Außen zu kehren und daraus dann eine Berufung zu machen«. Hier fällt ihr technischer, gar instrumenteller Umgang mit sich selbst auf. In ihrem Reden zeigt sich die Vorstellung, dass man auf sich selbst einwirken kann, um sich selbst für den Arbeitsmarkt »passend [zu] machen«. Immer wieder erwähnt sie die »Techniken« aus Bewerbungsratgebern und Seminaren z.B. des Career Services, die sie anwenden muss, um »in das Schema zu passen«, »sich zuzuspitzen« und »auf den Punkt zu bringen«. Dabei räsoniert das Bild des »Zuspitzens« mit der engen Öffnung des Nadelöhrs, das sie zu treffen versucht. Obwohl sie solchen Techniken kritisch gegenüber steht und die Planbarkeit des beruflichen Lebens hinterfragt, setzt sie in diese Techniken auch viele Hoffnungen.3 Sie erhofft sich durch die Festlegung auf eine erfolgsversprechende berufliche Tätigkeit ihre Chancen bei der Arbeitssuche zu verbessern. Erfolg erscheint dabei als etwas, das zu einem großen Teil in ihrer Hand liegt. Damit nimmt sie jedoch die Schuld für ihr bisheriges Scheitern auf sich selbst, sie

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So distanziert sie sich auf ironische Weise vom Bewerbungsratgeber Nelson Bolles (Bolles 2007), auf den sie sich immer wieder bezieht und plädiert dafür, Tätigkeiten wie »Strandgut« zu sammeln und das Leben auf sich zukommen zu lassen. Zugleich kommt sie zum Schluss, dass man, »wenn man sich diszipliniert damit [mit dem Ratgeber] auseinander setzt«, zu einem erfolgreichen, sinnerfüllten und selbstbestimmtem Berufsleben kommen kann.

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hat sich noch nicht genügend angestrengt, noch nicht alle Techniken angewandt bzw. richtig angewandt. Trotz ihrer Bemühungen sich selbst verwertbar zu machen, versucht sie sich dem beruflichen Druck zu entziehen: »Manchmal stehe ich so weit außerhalb, dass ich das als Ganzes so anzweifle. Weil… man kann das Sein natürlich vollkommen anders erfinden.«

So wünscht sie sich andere Prioritäten, in denen der Beruf nicht mehr den »Kern des Lebens oder der Selbstverwirklichung« darstellt und hält sich an alternativen Werten fest, die ihr helfen, sich ein Stück weit von diesem äußeren Druck zu befreien. Sie betont, dass es nicht für alle HochschulabsolventInnen genug qualifizierte Arbeit gibt und sich nicht alle im Beruf verwirklichen können und wollen. Oft beschreibt sie Momente mit ihrem Partner oder Freunden, in denen die eigene Verwertbarkeit und der berufliche Status für ihre eigene Identität nicht wichtig sind. Während der Arbeitslosigkeit fängt sie z.B. mehrere neue Hobbies an, dort macht sie die Erfahrung dazuzugehören und wertgeschätzt zu werden, ganz unabhängig von ökonomischen und beruflichen Kriterien. Julias Beispiel zeigt, wie schwer es den arbeitssuchenden HochschulabsolventInnen fällt, in einer Art Zwischenwelt zu leben und weder den Studentenstatus noch den richtigen Status eines Erwerbstätigen zu genießen und finanziell unabhängig zu sein. Julia beschreibt Gefühle der Haltlosigkeit. Sie begegnet ihren existentiellen Ängsten, indem sie versucht, ein berufliches Ziel zu definieren, an dem sie sich festhalten kann. Sie wirkt auf sich selbst ein, versucht sich selbst als ganze Person zu verwerten und sich an wahrgenommene Normvorstellungen der Selbstverwertung anzupassen. Insofern greifen die diskursiven, unternehmerischen Subjektanforderungen in einer Situation der großen Unsicherheit besonders gut. Dies sind Erfahrungen und Umgangsweisen, wie ich sie auch bei anderen AbsolventInnen beobachten kann, worauf ich nun eingehen werde: Ich stelle nun auf einer allgemeineren Ebene dar, wie AbsolventInnen mit ihrer Situation der Arbeitssuche umgehen. Die AbsolventInnen Für viele AbsolventInnen, mit denen ich gesprochen habe, ist die Zeit der Bewerbung geprägt von der Angst, längerfristig keinen beruflichen Erfolg zu erlangen und ihren angesehenen Status als AkademikerInnen zu verlieren. Die Arbeitssuche gestaltet sich oft schwierig, dauert viel länger als erwartet und sie befinden sich für eine längere Zeit in einer Art »Zwischenwelt«. So haben sie

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den Studentenstatus verloren und noch keine Berufstätigkeit gefunden, die ihnen Erfolg bzw. materielle Sicherheit und die Möglichkeit zur beruflichen Selbstverwirklichung und finanziellen Selbstbestimmung lässt. Nach Beendigung ihres Studiums nimmt die Berufstätigkeit jedoch schlagartig einen hohen Stellenwert ein und definiert ihre Position innerhalb der Gesellschaft. Die Redewendung »Du bist, was Du arbeitest« gewinnt an Bedeutung und die Berufstätigkeit bestimmt immer mehr ihre Gesamtidentität. Sie fühlen sie sich unter Druck, schnellstmöglich beruflichen Erfolg zu erlangen und damit insgesamt ein erfülltes Leben zu führen. Die Arbeitslosigkeit und fehlende berufliche Perspektive ist verknüpft mit der Angst zu versagen und in eine Außenseiterposition gedrängt zu werden. Ähnlich wie Julia, empfinden viele die Bewerbungssituation als »irreal« oder »virtuell« und beschreiben sich so, als ob sie in einer »virtuellen Welt« leben würden (Tagebuch 3/2011). 4 Dies verweist m.E. darauf, dass sie sich ausgeschlossen fühlen aus der »realen« erfolgreichen Arbeitswelt. Bei jeder Bewerbung stellen sie sich erneut vor, wie das Leben mit der neuen Arbeitsstelle sein könnte, doch meist bleibt es bei den Phantasien und sie stehen weiterhin außerhalb. In dieser »virtuellen Welt« wird darüber entschieden, wer fortan dazu gehört oder »draußen bleibt« und keinen Zugang zur Welt der Erfolgreichen bekommt. Doch die Regeln und Prinzipien, nach denen ausgewählt wird, bleiben für die AbsolventInnen ein Rätsel. So imaginieren sie Erwartungen des potentiellen Arbeitgebers, versuchen sich diesen anzupassen, doch sie bekommen meist keine Rückmeldung und werden erneut auf sich selbst zurückgeworfen. Sie vermissen feste Arbeits- und Lebensstrukturen und das Gefühl sozial eingebunden zu sein. Eine Absolventin der Psychologie, Mitte fünfzig, erzählt in einem Seminar:

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In diesem Bild der virtuellen Welt erkenne ich eine Form von Liminalität, wie sie von Turner (1998) beschrieben wurde. In seiner Ritualtheorie beschreibt er mit Liminalität den Schwellenzustand, in dem sich TeilnehmerInnen eines Übergangrituals befinden, nachdem sie ihren bisherigen Status rituell verlassen haben. In dieser Zeit besitzen sie keine gesellschaftlichen Merkmale und befinden sich in einem Zustand der Mehrdeutigkeit, da sie weder über die Eigenschaften ihres vorherigen Status noch die Merkmale ihres zukünftigen Status verfügen. In dieser Phase sind sie besonders verletzlich und werden vorbereitet auf ihren zukünftigen Status. Hier zeigen sich Parallelen zu den arbeitssuchenden AbsolventInnen, sie haben den Eindruck, gesellschaftlich nirgends richtig dazuzugehören, außerhalb zu stehen. Auch Julia vergleicht die Bewerbungsphase mit einem »seltsamen Initiationsritus, den nicht alle bestehen« (Interview Julia 1/2010).

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»Ich befinde mich im freien Fall auf dem Arbeitsmarkt. Und da ist auch immer wieder die große Angst durch die Maschen zu fallen, weil ich zu alt bin.« (Tagebuch 6/2010)

Ihre Empfindung »im freien Fall« zu sein, verweist auf ihre Haltlosigkeit und ihren Wunsch nach sozialer Einbindung. Zudem deutet es auf ihre Ohnmacht, sie hat das Gefühl, abhängig zu sein von der Gunst der Arbeitgeber und ihre Situation nicht aus eigener Kraft verändern zu können. Nicht zuletzt macht diese Formulierung ihre Angst sozial abzusteigen deutlich, sie beschreibt ihre Furcht nicht aufgefangen zu werden und außerhalb der erfolgreichen Berufswelt zu bleiben. Die AbsolventInnen haben die Sorge, längerfristig keine Arbeitsstelle zu bekommen, die ihren Ansprüchen an materieller Sicherheit und Selbstverwirklichung genügt. Keine Arbeit zu haben ist mit Scham besetzt und viele fühlen sich deswegen minderwertig und haben Angst als »erfolglos« abgestempelt zu werden. Wie Julia leiden sie darunter, dass ihr Umfeld den ausbleibenden Erfolg nicht nachvollziehen kann. Gerade die Nachfragen von anderen, wie die Stellensuche voran schreitet, bringt sie in Bedrängnis. Die Menschen kommen in einen Rechtfertigungszwang: Wiederkehrend berichten sie mir vom Erlebnis auf einer Feier zu sein und auf die Frage: »Was machst Du?« keine befriedigende Antwort parat zu haben. Das führt bei einigen dazu, dass sie soziale Anlässe generell vermeiden und sich zurückziehen (Interview Hanna 3/2010). Sie befürchten wegen ihrer Arbeitslosigkeit entwertet zu werden. Dieses Stigma der Arbeitslosigkeit zeigt sich auch darin, dass sich alle meine InformantInnen nicht als »arbeitslos«, sondern als »arbeitssuchend« bezeichnen, womit sie den Fokus auf den vorübergehenden Charakter ihrer Situation legen und den Akzent auf ihre Aktivität legen. Sie sehen sich in einer »Orientierungsphase« oder einer »Übergangszeit«, nicht aber als »arbeitslos« und grenzen sich damit von Menschen ab, die nach einem Arbeitsplatzverlust auf Stellensuche sind oder »Hartz-IV-EmpfängerInnen«, die in politischen Diskussionen und den Medien immer wieder als faul oder passiv dargestellt und damit als Gegenbild konstruiert werden zum aktiven, flexiblen und deswegen erfolgreichen Ideal (Interview Lena 10/2009, Interview Hanna 3/2010; vgl. Kapitel 1.2.5). Diejenigen von meinen GesprächspartnerInnen, die weder Ersparnisse haben noch finanzielle Unterstützung von Angehörigen bekommen, müssen jedoch Arbeitslosengeld beantragen und gelten damit offiziell als arbeitslos. Einige von ihnen, wie Julia, die ich zuvor im Fallbeispiel vorgestellt habe, bevorzugen unqualifizierte, ihnen zufolge schlecht bezahlte Tätigkeiten zu verrichten und umgehen auf diese Weise Gelder »vom Amt« beanspruchen zu müssen. In einem

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Treffen von AbsolventInnen5 erzählt eine Frau Mitte 30, dass sie dauernd fürchtet, ihre Miete nicht mehr bezahlen zu können und erklärt, »wenn nichts rein kommt, bin ich in den Miesen«. Seit längerer Zeit geht sie von einer befristeten, unqualifizierten Arbeit in die nächste und ihr Einkommen ist kaum höher als 1000 € Brutto monatlich. Ihre größte Angst ist es, Arbeitslosengeld II beantragen zu müssen, »ich will da nicht rein fallen.« Mit Schrecken beobachtet sie, wie derzeit um fünf Euro Erhöhung der Arbeitslosenbeiträge verhandelt wird, was sie als Demütigung der Menschen betrachtet (Tagebuch 9/2010). Arbeitslosengeld II zu empfangen, wird als entwürdigend wahrgenommen, nicht zuletzt weil damit der Zwang einhergeht, unterqualifizierte Arbeitsplätze annehmen zu müssen. Insofern tritt neben diese Angst vor Arbeitslosigkeit auch die Furcht, längerfristig keine Tätigkeit zu finden, die ihren eigenen Qualifikationen und Ansprüchen entspricht. Sie wünschen sich eine Arbeitsstelle, in der sie ausreichend verdienen, sich verwirklichen und weiterentwickeln können. Auch Menschen, die wie Julia keine Karriere anstreben, können sich diesem Ideal kaum entziehen. Einer unterbezahlten, uninteressanten oder wenig qualifizierten Arbeit nachzugehen ist für viele ein Stigma und wird als Zeichen des eigenen Scheiterns empfunden (Interview Martin 7/2010; Tagebuch 3/2011). In der Mittagspause eines Seminars bekomme ich ein Gespräch zwischen zwei Absolventinnen Anfang Dreißig mit, die sich über ihre Schwierigkeiten bei der Stellensuche unterhalten. Eine der Frauen hat Soziologie studiert, ist alleinerziehende Mutter einer dreijährigen Tochter und findet keine qualifizierte Beschäftigung in Teilzeit, die sie interessiert. Je mehr die Zeit voranschreitet, desto verzweifelter ist sie. Auch die andere Absolventin, die Germanistik studiert, erzählt, »ich hangle mich von einer kurzen Beschäftigung zur Nächsten«, sie erledigt Büroarbeiten und findet keine Arbeit im Kulturbereich, wo sie gerne arbeiten möchte. Während sie sich unterhalten, merke ich ihre Anspannung und Zukunftsangst. Für beide ist es wichtig, einer interessanten Tätigkeit nachzugehen, sie stoßen jedoch an Grenzen, da es in ihren angestrebten Berufsfeldern nur wenige Arbeitsmöglichkeiten gibt (Tagebuch 2/2010). Viele HochschulabsolventInnen machen die Erfahrung, dass der Studienabschluss nicht mehr automatisch zu einer anspruchsvollen Tätigkeit führt und ihre Bildungsabschlüsse »ungedeckte Schecks«, wie Bourdieu sagt, darstellen (vgl. Bourdieu 1992: 22). Dies verstärkt bei ihnen der Druck, sich immer weiter zu

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Die Gruppe ist aus einem Seminar in einem Career Service entstanden. Sie treffen sich auch nach Beendigung des Seminars regelmäßig, um sich über ihre Arbeitssituation und Stellensuche auszutauschen und sich gegenseitig zu unterstützen.

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qualifizieren und bereits im Studium Berufserfahrung zu sammeln. Gerade diejenigen AbsolventInnen, die auch nach dem Studium von ihren Eltern finanziell unterstützt werden, überbrücken die Zeit der Arbeitssuche mit Praktika. Damit versuchen sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und vermeiden damit weniger prestigeträchtige Arbeiten verrichten zu müssen. Gleichzeitig nehmen sie jedoch in Kauf, weiterhin von ihren Eltern abhängig zu sein, was in ihnen das Gefühl verstärkt weder richtig zur Erwachsenenwelt noch zur Berufswelt dazuzugehören. Die finanzielle Abhängigkeit von den Eltern ist ihnen meist peinlich und sie leiden darunter nicht auf »eigenen Beinen« zu stehen (Interview Martin 7/2010). In der Literatur wird die Prekarität von HochschulabsolventInnen oft relativiert, da sie in keinem Verhältnis zur prekären Lebenssituation von »unteren« gesellschaftlichen Schichten steht. Eske Wollrad (2008) beschreibt in ihrer Erörterung über den Begriff des »Prekariats«, wie eine privilegierte Gruppe von »hoffnungsvollen AbsolventInnen« sich ungerecht behandelt fühlt, weil sie trotz ihrer guten Ausbildung und hohen Motivation keine Stelle finden, die ihren Ansprüchen entspricht. Die Autorin bezeichnet dies als »gefühlte Benachteiligung«, »die nichts mit faktischem Abstieg und Privilegienverlust zu tun hat, sondern vielmehr Ausdruck einer spezifischen Anspruchshaltung einer Weißen Elite ist« (Wollrad 2008: 44). Dieser Beobachtung möchte ich entgegen halten, dass viele meiner GesprächspartnerInnen sich keineswegs »von der Gesellschaft« ungerecht behandelt fühlen, vielmehr geben sie sich selbst die Schuld, keinen Erfolg zu haben, nicht genügend aktiv zu sein oder den hohen Leistungserwartungen nicht zu genügen. Auch wenn viele von ihnen nicht gefährdet sind, längerfristig arbeitslos zu bleiben, ist die Angst vor einem Statusverlust dennoch sehr präsent und hat erhebliche Auswirkungen auf ihr Handeln und Erleben. Nur diese subjektiv wahrgenommene Gefahr des sozialen und materiellen Abstiegs kann erklären, warum die Menschen bereit sind, diverse unbezahlte Praktika zu absolvieren oder gar ein neues Studium zu beginnen (vgl. Kapitel 4.1.2). Meine GesprächspartnerInnen begegnen der Unsicherheit und dem Gefühl des Nicht-Dazugehörens sowie der Angst sozial abzusteigen und erfolglos zu sein, indem sie versuchen sich selbst nach beruflichen, ökonomischen Kriterien neu zu definieren. So fällt auf, wie viele AbsolventInnen ähnlich wie Julia sich plötzlich die grundsätzliche Frage stellen: »Wer bin ich?«, so als seien sie vorher niemand gewesen. Dies verweist auf die Erschütterung der eigenen Identität während der Arbeitssuche. Die eigene Verwertbarkeit nimmt eine zunehmend wichtige Stellung ein und lässt andere Aspekte des Selbst in den Hintergrund rücken. Es erfolgt eine Umwertung der eigenen Identitätskonstruktion nach Maßstäben der ökonomischen Nützlichkeit und des ökonomischen Erfolgs, worin ich

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eine Form der Ökonomisierung des Sozialen erkenne, wie ich sie bereits an einigen Stellen ausgeführt habe. Eine zentrale Strategie der AbsolventInnen und Studierenden, um Erfolg zu haben, ist das Streben nach einer Berufung, d.h. nach einer beruflichen Tätigkeit, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht, sie befriedigt und ein gutes Auskommen garantiert. Eine solche Berufung zu finden und »zu wissen, wer man ist« erscheint wie ein Ausweg aus der eigenen prekären Lage, etwas woran sie sich festhalten können, was ihnen Sicherheit schenkt (Interview Alejandro 10/ 2009, Interview Luise 11/2009; Tagebuch 3/2011). Eine Besucherin des Career Service, mit der ich mich einmal in einem Café getroffen habe, sagte, dass sie es wichtig findet, so einen Berufswunsch zu formulieren. Man müsse sich ja auch überlegen, was man gerne tun möchte, jeder bräuchte etwas, »an was man glaubt und auf das man hofft« und meint, »sonst kann man sich ja gleich in die Ecke legen.« Diese Hoffnung, dieser Glaube sei ganz wichtig, es sei nicht gut, von Anfang an zu sagen, das klappt sowieso nicht. »Nur wenn man an etwas richtig glaubt, dann kann man es auch erreichen«, argumentiert sie (Tagebuch 3/2011). Das berufliche Ziel ermöglicht ihnen, auf etwas hinarbeiten bzw. »hinsteuern« zu können, was ihnen einen Platz in der Gesellschaft sichern könnte. So wird die Suche nach der eigenen beruflichen Identität etwas, was in der Zukunft liegt. Die Frage: »Wer bin ich?« wird umgewandelt in: »Wer will ich in Zukunft sein?«. Dieses Festhalten am Wunsch nach Selbstverwirklichung und Erfolg hilft ihnen durchzuhalten, die Hoffnung nicht zu verlieren und sich gleichzeitig auch an die gegenwärtig prekären Bedingungen – wie etwa mit der Beschäftigung in einem gering entlohnten Praktikum – anzupassen. Dieses hoffnungsvolle »Klammern« an ein Berufsziel beobachtet auch Reckinger (2010: 155-168) bei benachteiligten Jugendlichen in Österreich. Er zeigt, wie die Jugendlichen an ihren Berufswünschen, die sie kaum je erreichen können, festhalten. Aufgrund ihrer beschränkten Möglichkeiten akzeptieren sie gering qualifizierte, prekäre Tätigkeiten, die sie als Notlösungen, Überbrückungen oder Zwischenschritte auf dem Weg zu ihrem wahrscheinlich unerreichbaren Ziel ansehen. Obwohl die Orientierung an berufliche Ziele bestehen bleibt, können Jugendliche diese lediglich in sogenannten »Umlaufbahnen« umkreisen, indem sie sich in Randbereichen der jeweiligen Arbeitsmärkte einfügen. Die Strategien zur Beendigung prekärer Situationen bestehen im Fall der befragten Jugendlichen darin, durch Selbstmobilisierung Prekarität als temporäre und selbstgewählte Chance zur Verwirklichung oder Annäherung an Berufsziele zu nutzen, wobei jedoch somit eine Anpassung an prekäre Bedingungen und oftmals der Verbleib in diesen erfolgt.

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Auf eine ähnliche Weise bemühen sich die arbeitssuchenden AbsolventInnen, mit denen ich gesprochen habe, sich selbst verwertbar zu machen, indem sie sich z.B. berufliche Ziele setzen. Damit verändern sie jedoch das Verhältnis zu sich selbst, das auf einmal ökonomisch geprägt wird. Indem sie versuchen, eine erfolgreiche Tätigkeit anzustreben, die alle ihre Ansprüche vereint, wirken sie auf sich selbst ein, um sich an die wahrgenommenen Anforderungen des Marktes anzupassen und ökonomisieren sich damit selbst. In ihrer Strategie berufliche Ziele zu verfolgen, zeigt sich m.E., dass die AbsolventInnen das Prinzip bereits verinnerlicht haben, sich als ihr eigner Unternehmer mit Hilfe von selbstgesteckten Zielen selbst zu führen, wie ich es auch bei den MitarbeiterInnen bereits beschrieben habe (Kapitel 3.2). So kann diese Praxis des auf sich selbst Einwirkens auch als eine Technologie des Selbst im Sinne von Foucault verstanden werden (Foucault 1989; vgl. Kapitel 1.3.2). Dieser Prozess wird unterstützt von der Logik der Selbstverantwortlichkeit, ein zentrales Diskurselement (Kapitel 1.1), die sich in die Handlungen und Denkweisen meiner InformantInnen »eingeschrieben« hat (vgl. Reckinger 2010: 134). Ich beobachte, wie sich viele AbsolventInnen vorwerfen, ihre Berufung nicht zu finden, mit der sie erfolgreich sein können. Gemäß der vorherrschenden Idee, es gäbe unzählige Möglichkeiten für AkademikerInnen, wird Ziellosigkeit zu einem individuellen Versagen, für das jeder selbst die Verantwortung tragen muss. So gibt auch Reckinger zu bedenken: »Mit der suggerierten Wahlfreiheit und der Vervielfachung der Handlungsoptionen ist zugleich der Zwang verbunden, von diesen angeblichen Freiheiten Gebrauch zu machen.« (Reckinger 2010: 155)

In dieser Logik hat jeder die Möglichkeit seine Berufung zu finden und Erfolg zu haben. Ziellos zu sein lässt hingegen den Verdacht aufkommen, sich nicht genügend um eine Arbeit zu bemühen und keinen Ehrgeiz zu entwickeln. Bei der Suche nach der eigenen Berufung verschwimmen zudem die Grenzen zwischen dem Beruflichen und dem gesamten Leben, auch dies ein Anzeichen der Ökonomisierung des Sozialen. Die eigene Berufung sowie die gesamte Identität und der Sinn des Lebens werden im Reden der AbsolventInnen oft gleichgesetzt, wie ich es bei Julia beschrieben habe. Die oft gestellte Frage: »Wer bin ich?« ist absolut und betrifft ihre Person als Ganzes. Dieser Druck sich selbst im Beruf zu verwirklichen und den Sinn des Lebens maßgeblich in der Erwerbsarbeit zu suchen, verweist m.E. darauf, dass sie ihr Leben nach beruflichen, genauer: ökonomischen Maßstäben ausrichten. So wirft die Frage nach der beruflichen Identität grundsätzliche Fragen nach der eigenen Bedeutung inner-

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halb der Gesellschaft auf und die Stellensuche ist verknüpft mit der existentiellen Frage, was sie in ihrem Leben bewirken möchten. Eine Absolventin der Ethnologie erzählt in einem Seminar, wie schwer es ihr fällt und wie sehr es sie unter Druck setzt, eine Berufstätigkeit zu finden, die alle ihre Interessen und Fähigkeiten vereint. Dieses Beispiel zeigt, dass viele AbsolventInnen nicht nur den Druck haben, eine Arbeitsstelle zu finden, sondern gleichzeitig von sich erwarten, sich in dieser Tätigkeit zu verwirklichen. Ihre Erwartung, eine berufliche Bestimmung finden zu müssen, der sie ihr Leben verschreiben, stellt eine Überforderung dar. So befinden sie sich meist noch ziemlich am Anfang ihrer Berufsbiografie und können nur begrenzt auf Berufserfahrung zurückgreifen. Zudem gibt es in einigen Bereichen nur eine begrenzte Anzahl freier Stellen, was die Wahlmöglichkeiten stark einschränkt. Doch diese Begrenzung wird wenig thematisiert von meinen GesprächspartnerInnen, stattdessen greift auch hier die Logik der Selbstverantwortlichkeit, sie zweifeln an sich selbst und werfen sich vor keine passende und zugleich erfolgreiche Berufstätigkeit zu finden. Dem Gefühl ausgeschlossen zu sein begegnen einige AbsolventInnen auch, indem sie versuchen, ähnlich wie Julia, sich dieser Verwertungslogik zu entziehen und ihre Identität jenseits des Beruflichen bzw. des Ökonomischen zu definieren. In einem Seminar zur Unterstützung der Stellensuche diskutieren die TeilnehmerInnen z.B., wie wichtig es sei, den beruflichen Erfolg nicht als Gradmesser für das eigene Lebensglück und das Selbstwertgefühl zu nehmen. Eine Teilnehmerin warnt davor, die ersehnte Arbeitsstelle zu idealisieren und zu sagen: »Wenn ich einen Job habe, dann wird alles besser, wenn ich das habe, dann bin ich zufrieden, dann sind alle meine Probleme gelöst.« (Tagebuch 3/2011) Weil die Zukunft ungewiss bleibt, ist für sie die Frage viel wichtiger »Wie kann ich jetzt glücklich sein?« und dabei sollte die Erwerbsarbeit nicht alles dominieren. Eine andere Teilnehmerin schlägt vor, sich zu überlegen, was einem im Leben gut tut. Diese Bestrebung der AbsolventInnen ihrem Leben Sinn zu geben jenseits des Beruflichen und des beruflichen Erfolgs kann auch als Strategie gesehen werden, besser mit der fehlenden Zugehörigkeit zur erfolgreichen Berufswelt umzugehen. Indem sie sich auf alternative Werte berufen, können sie ihre unsichere Situation besser aushalten und sich mit den prekären Umständen arrangieren. In diesem Abschnitt zeigte sich deutlich, dass der Wunsch nach Zugehörigkeit und Erfolg eine zentrale Erfahrung der AbsolventInnen ist. Viele haben Schwierigkeiten eine qualifizierte Anstellung zu finden und bewerben sich über eine längere Zeit. Dabei erleben sie sich in einer Art »virtuellen« Zwischenwelt und

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fühlen sich ausgeschlossen aus der Welt der Erfolgreichen. Ihr Status als Erwerbslose ist für sie schwer auszuhalten, neben ihrer finanziellen Situation leiden sie ganz besonders unter der geringen Anerkennung von außen. In der Hoffnung auf Halt und Zugehörigkeit versuchen sie sich beruflich zu definieren und ein Berufsziel zu finden, dem sie sich voll und ganz verschreiben können. Sie wirken auf sich selbst ein, um den imaginierten Arbeitsmarktanforderungen zu entsprechen und sich selbst zu verwerten. Dabei verändert sich jedoch das Verhältnis zu sich selbst, das zunehmend ökonomisch geprägt ist und sich nach dem Ideal des unternehmerischen Subjekts orientiert. Die Grenzen zwischen der beruflichen Identität und dem gesamten Selbst verschwimmen, worin ich ein Anzeichen einer Ökonomisierung des Sozialen sehe. Ihre Identität begrenzt sich auf einmal vor allem auf das, was sich auch verwerten lässt. Meine GesprächspartnerInnen setzen Arbeit und Leben oft gleich und sie streben nach dem Ideal, sich in ihrer eigenen Arbeit zu verwirklichen. Ein Verständnis von Arbeit als reiner Gelderwerb gerät dabei in den Hintergrund. Sie versuchen sich als ganze Person zu verwerten, was sie jedoch stark unter Druck setzt und eine noch größere Unsicherheit und Orientierungslosigkeit zur Folge hat. Gleichzeitig erkenne ich bei meinen GesprächspartnerInnen auch kleine Anzeichen, sich der Entwertungslogik zu entziehen, indem sie diese kritisieren und sich auf alternative Werte wie Solidarität berufen und andere Aspekte ihrer Identität jenseits des ökonomischen Erfolgs betonen. Auffallend ist, dass sich meine GesprächspartnerInnen für ihren mangelnden Erfolg meist selbst verantwortlich machen und sich als unzureichend wahrnehmen. Diesen Aspekt werde ich im nächsten Abschnitt näher betrachten. 4.1.2 Die Angst nicht zu genügen Im Folgenden möchte ich dem vorherrschenden Gefühl meiner GesprächspartnerInnen, als Mensch nicht zu genügen auf den Grund gehen. Hier wird deutlich werden, dass die arbeitssuchenden AbsolventInnen, ähnlich wie die MitarbeiterInnen (vgl. z.B. Kapitel 3.1) die Gründe für ihren fehlenden Erfolg bei sich suchen und gesellschaftliche Bedingungen und Zwänge kaum mitbedenken. Zentrale Aspekte dieser Thematik zeigen sich besonders deutlich bei einer meiner GesprächspartnerInnen, Luise, auf die ich als erstes eingehen werde, um dann eine erweiterte Perspektive auf die AbsolventInnen einzunehmen.

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Fallbeispiel Luise Ich treffe Luise erstmals in einer Beratung im Career Service, in der sie mit einer Mitarbeiterin ihre Bewerbungsunterlagen bespricht. Sie ist groß gewachsen, schlank und hat kurze braune Haare, ihre Gesichtszüge wirken für ihre 31 Jahre noch sehr kindlich, fast mädchenhaft. Während des Beratungsgesprächs nehme ich sie ängstlich und bedrückt wahr. Sie hat Geschichtswissenschaften und Slawistik studiert und sucht seit fast zwei Jahren ohne Erfolg eine Stelle in ihrem Wunschbereich der Archivarbeit und ist deswegen sehr besorgt. Nach dem Bewerbungsgespräch spreche ich mit der Mitarbeiterin, die mir erzählt, dass sie Luise schon länger kennt und sie öfter in den Career Service kommt. Aus ihrer Sicht hat Luise Schwierigkeiten sich selbst zu vermarkten und vertraut mir an, Luise habe ein Beratungsgespräch »komplett in den Sand gesetzt hat«, weil sie kaum etwas gesagt hätte (Tagebuch 10/2009). Beim Nachhauseweg sehe ich Luise in einem der Räume des Career Service. Ich spreche sie an, erzähle ihr von meinem Forschungsprojekt und frage sie, ob ich mit ihr ein Interview führen könnte. Sie stimmt zu, gibt mir ihre E-Mail-Adresse und wir verabreden uns für die kommende Woche. Es entwickelt sich ein regelmäßiger Kontakt zwischen uns, neben zwei Interviews, die ich mit ihr geführt habe, treffen wir uns mehrere Male zum Kaffee trinken in einem Lokal oder gehen zusammen essen und schreiben uns E-Mails. Anfangs bin ich in der Rolle der Fragerin und sie erzählt mir von aktuellen Entwicklungen und Ereignissen bei der Arbeitssuche, doch je länger wir uns kennen, erkundigt sie sich immer genauer nach den Höhen und Tiefen, die ich mit meiner Promotion erlebe. Dennoch bleibt unser Verhältnis distanziert und sie wirkt auf mich eher verschlossen. Anders als mit anderen InformantInnen sind unsere Gespräche nur selten ausgelassen und unbeschwert. Sie spricht meist leise, macht beim Reden immer wieder lange Pausen und seufzt hin und wieder sorgenvoll. Ich kann diese Stille nur schwer aushalten, da ich sie nicht richtig einzuordnen weiß und mich frage, ob sie nachdenkt, sich langweilt oder ihr vor lauter Sorgen die Worte fehlen (Tagebuch 9/2010). Luise ist das älteste von drei Geschwistern, ihre Schwester arbeitet als Lehrerin und ihr Bruder macht eine kaufmännische Lehre. Während ihre Mutter als Hausfrau seit Luises Kindheit keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht, war ihr Vater als Jurist verbeamtet und bereits in Rente. Luise hat ihre Geburtsstadt nie verlassen, hat dort ihr Studium aufgenommen und ist wie auch ihre Geschwister in ihrem Elternhaus wohnen geblieben. Anders als ihre Schwester ist Luise aus finanziellen Gründen auch nach dem Studium nicht ausgezogen, was sie mittlerweile sehr belastet, denn »eigentlich habe ich gedacht, ›sobald du fertig bist [mit dem Studium], dann ziehst du aus‹ und jetzt suche ich immer noch eine

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Stelle« (Interview Luise 11/2009).6 Sie fühlt sich beengt von ihren Eltern und leidet besonders unter der Bevormundung ihres Vaters, vor allem stört es sie, dass sich ihr Vater in ihre Angelegenheiten einmischt.7 Ihre Gelegenheitsarbeiten reichen nicht, um ihr Auskommen selbst zu finanzieren und sie bekommt von ihren Eltern weiterhin finanzielle Unterstützung. Zeitweise hat sie jeden Morgen um fünf Uhr Zeitungen ausgetragen, diese Arbeit ist jedoch gering entlohnt und fordert sie intellektuell nicht. Sie sucht eine Stelle als Archivarin, dieser Berufswunsch hat sich einige Monate nach Studienabschluss herausgebildet. Obwohl es schwierig ist, in dem Bereich eine Stelle zu finden, ohne promoviert oder eine ausgebildete Archivarin zu sein, hält sie an diesem Ziel fest, was ihr ein Gefühl von Sicherheit verleiht, wie ich es auch bei anderen AbsolventInnen beobachten kann. Einen Plan zu haben, an dem sie sich festhalten kann, gibt ihr Stabilität (vgl. Kapitel 4.1.1). Zunehmend ist sie jedoch beunruhigt, keine Stelle zu finden: »Am Anfang habe ich halt gedacht, das ist jetzt eine vorübergehende Sache… und das wird schon bald klappen. Aber je mehr sich das hinzieht, desto weniger glaube ich, dass es wirklich bald klappt… doch je länger es geht, habe ich auch Angst, dass es nicht klappt.«

Je mehr Zeit verstreicht, ohne dass sie eine Stelle als Archivarin findet, desto stärker werden ihre Zweifel, ob sie diesen Berufswunsch jemals verwirklichen kann und befürchtet, sich zu sehr darauf zu versteifen: »Ich kann nicht in 40 Jahren da sitzen und immer noch Archivarin werden wollen, sonst mache ich gar nichts. Das ist so die Angst dahinter.« Hier verdeutlicht sich ihre Furcht längerfristig keine Arbeit zu finden, die ihr sowohl ein gutes Einkommen und Sicherheit garantiert und die sie auch befriedigt. Ihre Phantasie mit 70 Jahren immer noch arbeitslos zu sein und auf eine Stelle als Archivarin zu hoffen, offenbart ihre Selbstzweifel aber auch den Vorwurf an sich selbst, zu lange an ihrem Berufswunsch festzuhalten und unflexibel zu sein. Luise versteht ihre Situation als eine Art Stillstand und fühlt sich ausgeschlossen aus der Welt des Erfolgs, was sie wie folgt begründet: »Es ist schon blöde, wenn man immer nur außen vor ist. […] Die Zeit vergeht und ich komme nicht weiter«. Sie hat das Gefühl »auf der Stelle zu treten« und es wird für sie

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Wenn nicht anders gekennzeichnet, stammen die Zitate aus dem Interview, das ich im

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»Mein Vater meint, er müsse mir da rein reden, was ich jetzt tun soll. ›Mach doch mal

November 2009 mit ihr geführt habe. dies, mach doch mal das.‹ ›Räume doch mal Dein Zimmer auf.‹ Das finde ich eigentlich nicht mehr so toll, wenn mir da jemand rein redet.«

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immer schlimmer »zuhause zu sitzen« und »nichts zu tun zu haben« (Interview Luise 6/2010). Noch immer bei den Eltern zu wohnen, ist für sie schambesetzt und sie sieht es als Zeichen ihrer Stagnation. Vor ihren Eltern muss sie sich zunehmend rechtfertigen, warum sie so lange braucht, um eine adäquate Anstellung zu finden und erzählt, »die fragen auch immer: ›Wie lange dauert es denn noch?‹ und ›Hast Du denn so langsam was?‹«. Sie spürt die Erwartung ihrer Eltern möglichst bald auszuziehen und finanziell selbstständig zu werden. Dabei vergleicht sie sich immer wieder mit ihrer jüngeren, beruflich erfolgreichen Schwester, bezeichnet sie als ihr »Gegenbeispiel« und meint »irgendwie bin ich auch ein bisschen neidisch, weil es bei mir nicht so läuft«. Eine qualifizierte Tätigkeit zu finden, die ihren Berufswünschen entspricht, empfindet sie als eine kaum überwindbare Hürde und rätselt, warum sie bei der Arbeitssuche keinen Erfolg hat. Obwohl sie weiß, dass Glück und Beziehungen eine große Rolle spielen, sucht sie die Gründe für ihre langandauernde Arbeitslosigkeit vor allem bei sich selbst. Sie wirft sich vor, zu lange für ihr Studium gebraucht zu haben, sich von ihren Interessen geleitet haben zu lassen, ohne sich über ihre berufliche Zukunft Gedanken zu machen. Sie hat während des Studiums keine Praktika absolviert und meint »das rächt sich jetzt«. Wiederholt beschreibt sie ihre Angst, den Anforderungen der Arbeitswelt nicht zu genügen und zu wenig qualifiziert zu sein. Sie hat den Eindruck, dass die BewerberInnen bereits viele praktische Erfahrungen und Fachkenntnisse mitbringen müssen, die ihr selbst fehlen. Die Anforderungen der Arbeitgeber versucht sie folgendermaßen zu beschreiben: »Also mein Eindruck ist bloß, dass verdammt viel erwartet wird! Dass man am besten 20 Jahre alt und 10 Jahre Berufserfahrung hat, was dann natürlich nicht zu leisten ist. Das macht mir schon ziemlichen Druck. Du kannst das einfach nicht, was die da erwarten. Das ist irgendwie einfach zu viel.«

Ihre Darstellung der Anforderungen offenbart ihren Zorn gegenüber den Arbeitgebern, die in ihrer Wahrnehmung zu viel von arbeitssuchenden AkademikerInnen erwarten. Gleichzeitig zeigt es aber auch ihre Ratlosigkeit und ein Minderwertigkeitsgefühl, sie fühlt sich von den hohen Erwartungen überfordert und zweifelt an sich selbst. Sie traut sich die Arbeit nicht zu und hat Versagensängste. Zudem macht sie sich permanent Vorwürfe, zu wenig zu unternehmen und sich bei der Stellensuche nicht ausreichend zu engagieren. Sie ist besorgt über die »Lücke« in ihrem Lebenslauf, die durch die langanhaltende Arbeitslosigkeit entstanden ist:

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»Ja, nun habe ich ja schon so lange nichts gemacht und wie werden die das beurteilen, wenn dann im Lebenslauf steht, dass ich seit 2008 fertig bin und dann nur noch ein Praktikum gemacht habe sonst nichts weiter. Es ergibt sich ja dann eine Lücke und ich denke, dass meine Chancen mit der Zeit nicht unbedingt steigen.«

Hier zeigt sich ein nagendes schlechtes Gewissen, nicht genügend zu leisten. Sie fürchtet sich vor dem negativen Urteil möglicher Arbeitgeber, die ihr Faulheit und mangelndes Engagement vorwerfen könnten. Es wirkt auf mich als hätte sie Angst davor, »überführt« oder »ertappt« zu werden, als könnte es negativ auffallen, dass sie keinen stringenten Lebenslauf vorweisen kann und damit »den« Leistungsanforderungen nicht genügt. Insofern macht sie sich selbst für ihre Schwierigkeiten eine Stelle zu finden verantwortlich, liegt doch in ihrer Vorstellung der berufliche Erfolg überwiegend in ihrer eigenen Hand. So argumentiert sie in einem Interview, dass man »bereit sein muss, einiges dafür zu tun, um überhaupt erst mal eine Chance zu kriegen« und folgt dabei dem Ideal einer Leistungsgesellschaft, in der Anstrengung zum Erfolg führt (vgl. Distelhorst 2014). Selbst aktiv zu sein, wird für sie eine Garantie für Erfolg, und sie fängt nach mehr als einem Jahr Arbeitssuche an mehrere Praktika an verschiedenen Orten innerhalb Deutschlands zu absolvieren. Sie hofft, durch die Praktika Berufserfahrung zu sammeln und ihre Chancen damit zu erhöhen. Es tut ihr gut, das Gefühl zu haben, tätig zu werden und »etwas zustande zu bringen« (Interview Luise 6/2010). Dabei wirkt es so, als hätte sie vorher kaum etwas geleistet. Sie stellt sich als »faule« und »inaktive« Person dar, womit sie genau das Bild von sich konstruiert, vor dem sie sich am meisten fürchtet. Die Praktika geben ihr Sicherheit und Selbstwertgefühl zurück. Als große Erleichterung empfindet sie, bei Nachfragen von Bekannten jetzt sagen zu können: »Ich mache was, ich bin zurzeit gerade da und da« (Interview Luise 6/2010). Als Praktikantin fühlt sie sich ein Stück weit mehr zugehörig zu der Gruppe der AkademikerInnen, die einer interessanten, besser entlohnten und prestigeträchtigen Tätigkeit nachgehen. Nachdem sie mehrere Praktika absolviert hat und 800 Kilometer von ihrer Heimatstadt ihr viertes Praktikum beginnt, bekommt sie die Zusage für einen BA-Studienplatz der Archivstudien in einer anderen Stadt und erzählt mir die neue Nachricht freudig per E-Mail. Wir treffen uns vor ihrem Umzug noch einmal zum Essen. Sie wirkt gelöst, ist voller Zuversicht und Energie, wie ich sie zuvor nie gesehen habe. Sie setzt in dieses Studium große Hoffnungen, da ihr zufolge die meisten AbsolventInnen danach eine Anstellung finden. Trotzdem fällt ihr die Entscheidung, nach ihrem Magisterabschluss noch einmal zu studieren, nicht leicht. Neben ihre Sorgen um die Finanzierung ihres Lebensunterhaltes

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fürchtet sie mit dem großen Altersunterschied zu ihren KommilitonInnen nicht umgehen zu können, sich minderwertig zu fühlen, weil sie in ihrem Alter und mit ihrer Qualifikation nochmals ein Bachelor-Studium aufnehmen muss (Tagebuch 9/2010). Ihre E-Mail nach dem Umzug wirkt jedoch zufrieden: »Das erste Semester habe ich mittlerweile erfolgreich hinter mich gebracht. Das Studium gefällt mir nach wie vor gut. […] Neben dem Studium arbeite ich jetzt auch noch ein bisschen. Ich bin eigentlich recht glücklich darüber, dass ich einen Werkvertrag in einem Archiv ergattert habe.« (E-Mail 4/2011)

Sie plant weitere Praktika an verschiedenen Orten innerhalb Deutschlands. Sie ist zuversichtlich, nach dem Studium eine bessere Ausgangslage bei der Arbeitssuche zu haben. Luise erlebt ihre Arbeitssuche auf ähnliche Weise wie andere AbsolventInnen, mit denen ich gesprochen habe und auf die ich gleich eingehen werde. Sie fürchtet, von ihrem Umfeld negativ beurteilt zu werden und kämpft mit Schamgefühlen. Luise hat starke Selbstzweifel und das Gefühl zu stagnieren, sie sucht die Gründe für ihre negative Lage bei sich selbst. Um ihre Situation zu ändern, verspürt sie einen großen Drang, aktiv zu werden. Im Folgenden beleuchte ich, wie andere meiner InformantInnen mit der Situation umgehen, das Studium abgeschlossen zu haben und eine Stelle zu suchen. Die AbsolventInnen Die arbeitssuchenden AbsolventInnen suchen fortwährend nach Erklärungen, warum sie keine interessante Arbeit finden können, die ihrem Wunsch nach materieller Sicherheit und Befriedigung entspricht. Zwar wissen sie, dass die erfolgreiche Arbeitssuche auch an Faktoren hängt, die sie nicht beeinflussen können, wie z.B. Glück, Beziehungen oder der geringen Anzahl von freien Stellen für AkademikerInnen. Dennoch thematisieren sie ähnlich wie die MitarbeiterInnen die strukturellen Schwierigkeiten weit weniger und zweifeln immerfort an den eigenen Fähigkeiten und Leistungen. Sie führen Misserfolge bei der Bewerbung oft auf ihr fehlendes Engagement zurück und bestätigen damit die Idee einer Leistungsgesellschaft, dass die eigene Leistung und Anstrengung zum Erfolg führen. Anstatt die gesellschaftlichen Verhältnisse zu kritisieren, richtet sich der Zorn auf sich selbst und die Bedürftigen, wie es auch Hartmann in ihrer Studie zum Umgang mit Armut festgestellt hat (Hartmann 2012: 25, 173).8 Vergleich-

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Hartmann hat als Journalistin die Diskussionen rund um die Institution der »Suppenküchen« analysiert, wo Bedürftige günstig oder umsonst Essen können. »Der Volks-

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bar mit Luise erklären sie ihre Erfolglosigkeit damit, nicht ausreichend Praxiserfahrung bzw. Praktika vorweisen zu können, zu wenig qualifiziert zu sein oder zu lange studiert zu haben, d.h. nicht aktiv genug gewesen zu sein. Einige Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen hinterfragen gar ihre Studienwahl, da sich ihre erworbenen Fähigkeiten ihrer Meinung nach nur begrenzt verwerten lassen. Diese Selbstzweifel begegnen mir in einem Interview mit Ines, einer 25jährigen Absolventin der Germanistik, die ich in einem mehrtägigen Seminar zur beruflichen Orientierung kennengelernt und später interviewt habe. Sowohl in einem Interview als auch bei einem selbstorganisierten Treffen der Seminargruppe, an dem sie nicht teilgenommen hat, wird sie von anderen SeminarteilnehmerInnen als »die mit den zehn Praktika« (Tagebuch 2/2010; Interview Lena 10/2009) bezeichnet, einige der SeminarteilnehmerInnen vergleichen sich mit Ines, sie gilt als jemand, die bereits viel vorzuweisen hat. Doch auch Ines zweifelt an ihren Kompetenzen und an ihrer Studienwahl. Zwar hat sie das Germanistik Studienfach »immer sehr geliebt«, doch nach längerer vergeblicher Suche nach einer Arbeit im Medienbereich überlegt sie, ob sie nicht doch etwas anderes hätte studieren sollen, was sich besser »verwerten« lässt (Interview Ines 8/2009). Zunehmend fragt sie sich, ob es eine »verschenkte Ressource« gewesen ist, mit ihren sehr guten Abiturnoten ein Fach studiert zu haben, dass ihr nicht ermöglicht, eine ihren Interessen und Qualifikationen entsprechende Arbeit zu finden. Sie macht sich Vorwürfe zu lange studiert zu haben und, obwohl sie vergleichsweise noch sehr jung ist, legitimiert sie sich oft für ihre Semesterzahl, die nur zwei Semester über der Regelstudienzeit liegt. Zudem bereut sie, nicht schon im Studium mehr als vier Praktika gemacht zu haben. Früher war sie zuversichtlich eine interessante Arbeit zu finden und es widerstrebte ihr, in jeden Semesterferien ein Praktikum zu absolvieren, doch mit der Zeit merkt sie, »mit dem Idealismus ›Ich kann was‹ komme ich nicht durchs Leben, so sind einfach die Spielregeln« (ebd.) und ist überzeugt, dass gerade im Medienbereich mindestens zehn Praktika erwartet werden. Während des Interviews verweist sie immer wieder auf diese »Spielregeln«, die vorgeben, wie man sich zu verhalten hat, um im Beruf Erfolg zu haben. Dabei erscheinen die Anforderungen an die BewerberInnen wie ein starres Regel-

zorn gilt offenbar nicht der Tatsache, dass in Deutschland, trotz aller Krisen eines der reichsten Länder der Welt, Armenspeisungen nötig sind. Der Zorn gilt den Betroffenen selbst.« (Hartmann 2012: 25; vgl. ebd.: 30) Auch die AbsolventInnen bevorzugen es, auf sich selbst »zornig« zu sein und sich selbst die Schuld zu geben, um später sagen zu können, dass sie es aus eigener Kraft »geschafft haben« (vgl. Kapitel 4.1.2).

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werk, dem sich Ines beugen muss, wenn sie weiterhin »mitspielen«9 und einen angesehenen, erfolgreichen Platz in der Arbeitswelt erlangen will. Ähnlich wie Luise macht auch Ines die Erfahrung, »dass man unheimlich viel bieten muss, um überhaupt einen Einstiegsjob zu bekommen«. Nach ihrem Studienabschluss absolviert sie ein Praktikum nach dem anderen im gesamten Bundesgebiet und wird dabei von ihren Eltern finanziert. Viele AbsolventInnen machen sich Vorwürfe, zu wenig zu leisten, wie auch eine Absolventin der Betriebswirtschaft, sie berichtet in einem Seminar, dass sie sich stark unter Druck setzt beim Bewerben, gerade an Tagen, wo sie nicht so viel leistet, plagt sie ein schlechtes Gewissen und sie hat den Eindruck »vor sich hin zu dümpeln« und zu wenig zu tun (Tagebuch 3/2011). Auch Lena fühlt sich zu wenig aktiv, sie ist 25 Jahre alt, hat ihren Magisterabschluss in Germanistik gemacht und versucht seither ein Volontariat im Bereich PR zu bekommen. Im Interview erzählt sie, wie sie die Zeit der Bewerbung empfindet: »bei mir [ist] schon immer auch ganz stark so ein Schuldgefühl da«, sie befürchtet, sich zu wenig zu bewerben und meint »ich muss mich immer vor mir selber rechtfertigen, dass ich auch was geschafft habe am Tag« (Interview Lena 10/2009). Dabei vergleicht sie sich mit Menschen, die einer Vollzeitarbeit nachgehen und nimmt sich im Vergleich zu ihnen als untätig wahr. Es beruhigt Lena, sich ihr eigenes Engagement regelmäßig vor Augen zu führen und sich selbst zu sagen: »Du machst was für Deine Zukunft, Du lässt das nicht einfach auf Dich zukommen, Du lässt das nicht schleifen«. Ich kann ihre Furcht, die Stellensuche »schleifen zu lassen« kaum nachvollziehen, da sie sich bereits bei vielen Unternehmen beworben hat und mit viel Aufwand eine eigene Website erstellt hat. Auch andere InformantInnen betonen die Notwendigkeit, »endlich« selbst initiativ zu sein, worin ich das Aktivitätsideal des Diskurses erkenne, das ich bereits ausführlich auch bezogen auf die MitarbeiterInnen diskutiert habe (Kapitel 1.1, Kapitel 3.1). So meint Martin, ein 26-jähriger Mathematiker, in einem Interview: »Ich möchte auch gerne endlich mal was selber in die Hand nehmen und selber etwas entscheiden und etwas anfangen« (Interview Martin 7/2010). Diese Aussage wirkt so, als würde er sich vorwerfen, bisher kaum etwas geleistet zu haben, was mich irritiert, gehört doch Martin, wie alle meine GesprächspartnerInnen, zu denjenigen, die eigentlich »alles richtig gemacht« haben (Ehren-

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Ihr Verständnis der Stellensuche als Spiel erinnert dabei an das bereits diskutierte Bild der virtuellen Welt der Bewerbung, wie sie von anderen AbsolventInnen beschrieben wird. Beide Bilder verweisen auf das Gefühl der AbsolventInnen, sich beim Bewerben in einer unechten Welt zu befinden, die nach eigenen Regeln funktioniert, an die sie sich zu halten haben (vgl. Kapitel 4.1.1).

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reich 2005: 8), d.h. ein Studium beendet und sich seither um eine Anstellung bemüht haben. Doch das erforderliche Maß an Eigeninitiative und Aktivität scheint nie erfüllt zu sein. In den Gesprächen erzählen mir viele AbsolventInnen von ihrer Sorge, sie könnten als »faul« angesehen werden (Interview Lena 10/2009), so auch Martin, in einem Interview: »Das Schlimmste, was ich mir vorstellen könnte, ist, dass die [sein Umfeld] von mir das Bild haben könnten: ›Ja, der versucht es ja gar nicht, der nimmt das auf die leichte Schulter.‹ […] Ich habe schon das Gefühl, dass ich denen schon zeigen muss, ›He, ich bin aktiv, ich lasse das nicht treiben‹«. (Interview Martin 7/2010)

Seit einem Jahr sucht er eine Anstellung als Mathematiker, wobei er das ständige Bedürfnis spürt, seiner Umgebung zu zeigen, wie sehr er sich anstrengt eine Arbeit zu finden. Auch mir gegenüber betont er, wo er sich überall schon beworben und was er bereits unternommen hat. Dieses Betonen der eigenen Initiative fällt mir auch bei anderen InterviewpartnerInnen auf, die mir oft von ihren Bewerbungs-Aktivitäten berichten und aufzählen, an welchen Jobmessen sie bereits teilgenommen haben oder welche Praktika sie planen, so als müssten sie vor mir Rechenschaft ablegen und mir beweisen, dass sie aktiv sind und sich für ihren Erfolg einsetzen. Hier zeigt sich m.E. ihre Angst, mit den sogenannten »Sozialschmarotzern« gleichgesetzt zu werden, einer Gruppe, die von Politik und Medien konstruiert wird und arbeitslose Menschen bezeichnet, die gar keine Arbeit finden »wollen« und auf Kosten des Staates leben. Dies ist eine Figur, die immer wieder in sozialpolitischen Diskussionen der Bundesrepublik auftaucht und einen letzten Höhepunkt Ende 2005 im Rahmen der »Sozialmissbrauchs«-Debatte fand (vgl. Lehnert 2009b: 245-247; vgl. Kapitel 1.2.5). Ich erkenne diese Furcht von anderen als inaktiv angesehen zu werden, auch in ihrer Rede über die »Lücke im Lebenslauf«, wie Lebensphasen bezeichnet werden, in denen weder eine qualifizierte Berufstätigkeit ausgeführt noch einer Ausbildung nachgegangen wurde. Was als »Lücke« gilt, kann je nach Arbeitsbereich stark variieren. So berichtet Ehrenreich in ihrer Studie zu arbeitslosen AkademikerInnen in den USA, dass dort jegliche freiberufliche Tätigkeit, z.B. als Beraterin oder Dozentin, als Lücke angesehen wird (Ehrenreich 2005: 223). Der eigene Lebenslauf fungiert dabei als Gradmesser der eigenen Aktivität, Qualifikation und des Erfolgs. »Lücken im Lebenslauf« wirken bedrohlich und erscheinen wie ein Sinnbild für die Angst der AbsolventInnen, von anderen entwertet und disqualifiziert zu werden. Wie Luise befürchten viele meiner InformantInnen aufgrund ihrer langanhaltenden Arbeitssuche an Marktwert zu

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verlieren und deswegen von potentiellen Arbeitgebern abgelehnt zu werden (Interview Martin 7/2010; Tagebuch 11/2009, Tagebuch 2/2010; vgl. Ehrenreich 2005: 55). Diese verbreitete Angst vor einer »Lücke im Lebenslauf«, aber auch die Beschreibungen von Ines, Lena und Martin verdeutlichen, wie die AbsolventInnen als ihre eigene Kontrollinstanz fungieren und sich bei der Stellensuche unaufhörlich selbst beobachten und ihre Leistung überwachen, worin sich die konkrete Anwendung von Selbsttechniken im Sinne Foucaults zeigen, die ich im Abschnitt 1.3.2 beschrieben habe. Auch die Beratungsangebote in den Career Services erfüllen für die AbsolventInnen oft die Funktion, ihre Leistung zu kontrollieren und sich selbst zum Bewerben zu motivieren. Der Besuch dieser Veranstaltungen hilft ihnen dabei, etwas zu unternehmen und z.B. an den eigenen Bewerbungsunterlagen zu arbeiten, da sie ihre Unterlagen mitbringen müssen. Als ich selbst ein mehrtätiges Seminar zur beruflichen Orientierung abhielt, erzählten die Teilnehmerinnen bei der Einstiegsrunde zu jeder Sitzung, was sie in der Zwischenzeit unternommen haben. Ich fühlte mich dabei in die Funktion einer Überwacherin gedrängt, die ich als unangenehm empfinde. Es ist, als müssten sie sich vor mir legitimieren. Die AbsolventInnen befürchten nicht ausreichend engagiert zu sein, wie ich es in den Fällen von Luise, Ines, Lena und Martin exemplarisch gezeigt habe. Diese Minderwertigkeitsgefühle der AbsolventInnen haben m.E. die Funktion der Selbstaktivierung, sie zielen darauf ab, aktiver zu werden und sich noch mehr zu disziplinieren. So begegnen die AbsolventInnen ihrem permanenten Gefühl nicht zu genügen mit der eigenen Aktivität, die wie ein Sicherheitsanker erscheint. Sie versuchen die sogenannten »Lücken im Lebenslauf« mit Praktika zu füllen und sich neben dem Bewerben durch den Besuch von Fortbildungen weiter zu qualifizieren oder beginnen gar wie Luise mit einem neuen Studium. Einige AbsolventInnen versuchen Sicherheit zu gewinnen, indem sie mehrere Berufstätigkeiten und -felder parallel verfolgen und z.B. eine Promotion mit dem Sammeln praktischer Berufserfahrung verbinden10 oder ihre künstlerische Tätigkeit mit einem »Brotjob«, der ihr Einkommen sichert, finanzieren (Interview Lea 12/2010). Eine meiner InformantInnen, Uta, hat während ihrer langanhaltenden Arbeitssuche ein Zertifikat erworben, das sie berechtigt, auf Touristenbussen als Reiseführerin zu arbeiten. Sie sieht diese Tätigkeit als »eine Art Lebensversicherung«, in die sie einmal investiert hat und die sie vor Erwerbslosigkeit schützt

10 So möchte Ines, Germanistin, beispielsweise »zweigleisig fahren« und neben ihrem Volontariat im Medienbereich noch promovieren und sich damit »die Tür zur Wissenschaft offenhalten« (Interview Ines 8/2009).

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(Interview Uta 7/2010). Tatsächlich verliert sie kurz darauf ihre Arbeitsstelle und kann sich mit dieser Arbeit während der Sommermonate ihren Lebensunterhalt verdienen. Das permanente Gefühl nicht zu genügen, aber auch die fehlenden Erfolgserlebnisse bei der Bewerbung, führen bei vielen zu einer Erschöpfung, zu Resignation sowie Ohnmachtserfahrungen. Die AbsolventInnen erzählen mir von ihrer Verzweiflung, dass sie trotz ihrer Bemühungen keine Stelle finden. Ein Incident in einem Seminar verdeutlicht dies: Dort beraten sich die SeminarteilnehmerInnen gegenseitig, um sich bei der Stellensuche zu unterstützen. Eine Absolventin der Germanistik, die seit über einem Jahr eine Stelle im Kulturbereich sucht, wünscht sich Ratschläge zum Thema Bewerbung. Als die anderen TeilnehmerInnen ihre Vorschläge vortragen, bricht sie in Tränen aus und die gegenseitige Beratung wird abgebrochen. Später erzählt sie mir, dass sie all das, was ihr geraten wurde, schon tut und ihre Bemühungen trotzdem nicht fruchten. Sie ist ratlos, fühlt sich wie gelähmt und weiß nicht mehr, was sie noch tun kann. Obwohl sie sich der zahlreichen strukturellen Hindernisse bewusst ist, führt auch sie ihre Erfolglosigkeit auf ihre Persönlichkeit zurück, »ich bin eben sozial gestört«, »ich komme einfach nicht gut bei Menschen an«, erklärt sie (Tagebuch 5/2011). Erneut nimmt sie die Schuld für ihre Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden, auf sich, anstatt ihre Wut angesichts der permanenten Ablehnungen und der geringen finanziellen Mittel im Kulturbereich auszudrücken. Die AbsolventInnen beziehen ihre Situation auf sich selbst und weniger auf äußere Bedingungen. Diese Bewegung nach Innen, wie ich sie anhand von diesem letzten Erlebnis beschrieben habe, diskutiert auch Bröckling auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene mit Rückgriff auf Ehrenbergs Studie über das »Erschöpfte Selbst«: »Indem die Individuen ihre Wut, nicht zu genügen, allerdings ausschließlich gegen sich selbst richten, bestätigen sie wider Willen noch einmal jene Tyrannei der Selbstverantwortung, gegen die ihre leidende Psyche rebelliert.« (Bröckling 2007: 290)

Bröckling beschreibt eine Kluft zwischen den Erwartungen an die Individuen und ihren vermeintlich unzureichenden Anstrengungen und zeigt, wie Menschen sich selbst für ihr Scheitern verantwortlich machen. Auch wenn sie unter den wahrgenommenen Anforderungen stark leiden und deswegen gar psychisch krank werden, nehmen sie die Schuld für ihre Situation ausschließlich auf sich selbst (Bröckling 2007: 289f; vgl. Bröckling 2014; Ehrenberg 2008, Neckel et al. 2014). Gefühle der Ohnmacht und Resignation versuchen die AbsolventInnen jedoch zu unterdrücken. Sie haben Angst davor, den Sinn der eigenen Aktivität

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anzuzweifeln, ins Stocken zu geraten oder gar aufzugeben. Eigenschaften wie Antriebslosigkeit, Handlungsunfähigkeit fehlende Motivation, Rückzug oder Ohnmacht, wie Ehrenberg sie beschrieben hat, erscheinen für die AbsolventInnen wie ein Schreckgespenst (Tagebuch 6/2009). Auch Ehrenberg zeichnet in seiner Studie das »erschöpfte Selbst« als Gegenpol oder Negativ zu den gesellschaftlich geforderten Normen der Aktivität, Autonomie und Selbstverantwortung (vgl. Ehrenberg 2008: 306). Die Angst meiner InformantInnen handlungsunfähig zu erscheinen, zeigt das folgende Ereignis in einem Seminar zur beruflichen Orientierung: In einer Einstiegsrunde beginnt eine Teilnehmerin zu weinen. Sie sucht seit längerer Zeit vergeblich nach einer Anstellung im Stiftungsbereich, in dem sie seit langem auf Honorarbasis tätig ist und erzählt von ihrer Frustration, dass die meisten Stellen unter der Hand vergeben werden und »alles über Beziehungen läuft«. Immer mehr zweifelt sie daher am Sinn, sich überhaupt zu bewerben und fragt sich, wie das Verhältnis der offenen Stellen zur Anzahl der BewerberInnen ist. Sie klagt, ihre Situation bald nicht mehr aushalten zu können und befürchtet, irgendwann keine Kraft mehr zu haben, sich trotz ihrer Erfolglosigkeit immer weiter zu bewerben. Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hat, betont sie: »Es geht schon wieder besser, es ist auch nicht so, dass ich mich nicht mehr bewerben kann, es geht schon besser« (Tagebuch 2/2011). Zwar drückt sie erst ihre Empörung aus über die Einstellungspraktiken und die geringen finanziellen Mittel von Stiftungen, auch ihre Erschöpfung und Haltlosigkeit ist spürbar. Doch in einem zweiten Schritt greift erneut das Selbstverantwortungsideal und sie beteuert, schon wieder aktiv zu werden. Die Betonung ihrer fortwährenden Eigeninitiative und Leistungsfähigkeit zeigt an, dass die Gefahr der Resignation und Handlungsunfähigkeit permanent auflauert. Passiv zu werden und in ein »Loch zu fallen« stellt für die AbsolventInnen ähnlich wie für die MitarbeiterInnen eine Bedrohung dar, der sie mit allen Mitteln versuchen zu entkommen. So sind sie bemüht, permanent »in Bewegung zu bleiben« und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass ihre Anstrengungen in der Zukunft fruchten werden. Damit halten sie trotz aller Zweifel am Ideal fest, dass sie durch Leistung und Anstrengung zum Erfolg kommen werden. Würden sie dieses Leistungsprinzip grundlegend in Frage stellen, führte dies zu einer Verunsicherung. Ihr Glaube an die Bedeutung der eigenen Aktivität schenkt ihnen Zuversicht und Hoffnung. Es scheint, als würde ihnen ihre positive Einstellung Kraft geben und sie vor der gefürchteten Stagnation und Passivität schützen. So fällt mir auf, dass die AbsolventInnen oft ausweichend antworten, wenn ich sie nach ihren Ohnmachtsgefühlen frage oder gesellschaftlich bedingte Schwierigkeiten bei der Stellensuche anspreche, was ich auch bei den Mitarbei-

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terInnen von Career Services wahrnehme und ausführlich beschreibe (vgl. z.B. Kapitel 3.1, Synthese II). Ich habe dann den Eindruck, dass sie ihre Situation möglichst positiv darstellen und ihre Handlungsmöglichkeiten betonen. In solchen Situationen komme ich mir vor wie eine »Miesmacherin« oder »Schwarzmalerin« und manchmal befürchte ich, ich könnte sie mit meinen Fragen verunsichern. Sie möchten den Glauben an eine erfolgreiche Zukunft nicht aufgeben, dieser ermöglicht ihnen, ihre unsichere Situation auszuhalten und weiterhin aktiv zu bleiben. Auch Kaindl (2008b: 13) verweist darauf, dass prekär Beschäftigte selbst kein Interesse haben, ihr Scheitern und ihre Not nach außen zu zeigen. Sie bezieht sich u.a. auf eine Studie von Böhmler und Scheiffele zu Kulturschaffenden, die immer von ihren »geplanten oder bevorstehenden Projekten« berichten, »um ja nicht den Eindruck zu erwecken, man befinde sich in einer Notsituation und suche verzweifelt nach einer Anschlussmöglichkeit« (Böhmler/Scheiffele 2005: 443), denn dies würde ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt reduzieren. Sie nehmen die eigene Prekarität »sportlich« und als »Herausforderung«, was jedoch gleichzeitig die Folge hat, dass sie ein Scheitern auf sich selbst zurückbeziehen und nicht auf die strukturellen, gesellschaftlichen Verhältnisse. Einen weiteren Grund für das Beharren der AbsolventInnen auf der Wichtigkeit ihrer eigenen Leistung und das Ausblenden gesellschaftlicher Faktoren sehe ich in ihrem eigenen Interesse begründet. So nehmen sie lieber die Bürde auf sich, den Anforderungen nicht genügen zu können, noch mehr leisten zu müssen und unter Minderwertigkeitsgefühlen zu leiden, als das Ideal einer Leistungsgesellschaft zu hinterfragen, auf dem ihr privilegierter Status als AkademikerInnen fußt. Sie möchten weiterhin an dem Glauben festhalten, dass sie sich ihre Position durch ihre eigene Leistung »erarbeitet« haben. 11 Rückten gesellschaftliche Ungleichverhältnisse oder Machtverhältnisse wie »Vitamin-B« in den Vordergrund, würde dies ihr eigenes Leistungsideal untergraben. Viele von ihnen sind jedoch nur für eine gewisse Zeit ausgeschlossen aus der Arbeitswelt. Sie finden sich nach solchen »Übergangsphasen« erneut in mehr oder weniger angesehenen Positionen wieder, die erreicht zu haben sie ihrer eigenen Leistung zuschreiben

11 In ähnlicher Weise argumentiert auch Bourgois (1989: 7-10), der Crack Dealer in New York untersucht. Sie halten selbst dann am Ideal des »American Dreams« fest, obwohl sie sich damit auf selbstdestruktive Weise schaden. Ähnlich wie die arbeitssuchenden AbsolventInnen führen sie ihr Scheitern auf ein persönliches Versagen zurück, anstatt die gesellschaftlichen Ungleichverhältnisse zu kritisieren (zu der Studie von Bourgois s. Kapitel 1.3.3).

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möchten und profitieren dann erneut von der Idee einer Leistungsgerechtigkeit (vgl. Hartmann 2012: 173). Die arbeitssuchenden AbsolventInnen haben das Gefühl, den Anforderungen der Arbeitswelt nicht zu genügen und fürchten zu wenig aktiv zu sein oder gar als faul zu gelten. Vom Ideal ausgehend, dass Leistung zum Erfolg führt, machen sie sich selbst dafür verantwortlich, keine Arbeitsstelle zu finden, die ihren Wünschen sowie den eigenen und fremden Erwartungen entspricht und blenden dabei ähnlich wie die MitarbeiterInnen von Career Services meist strukturelle Faktoren aus, die außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. Ihre Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle und die damit verknüpfte Orientierung am Leistungsideal dienen dabei als Motor für die permanente Selbstdisziplinierung und Selbstaktivierung. Die eigene Aktivität dient als Sicherheitsanker, worin sich eine Parallele zu den MitarbeiterInnen ergibt (Kapitel 3.1). Sie haben Angst davor passiv zu werden oder sich ihre eigene Ohnmacht bewusst zu machen. Das Festhalten an ihren Handlungsmöglichkeiten gibt ihnen hingegen die Zuversicht und den Mut, den sie brauchen, um in ihrer schwierigen Situation durchzuhalten. Schließlich argumentiere ich, dass ihr Interesse, am Ideal der Leistungsgesellschaft festzuhalten, aus ihrem privilegierten Status als AkademikerInnen entspringt, der maßgeblich durch dieses Leistungsideal legitimiert wird. Damit ergibt sich das Paradox, dass sie selbst zu den Promotoren von Idealen und normativen Anforderungen werden, unter denen sie gleichzeitig auch leiden. Im nächsten Unterkapitel gehe ich darauf ein, wie die AbsolventInnen konkret auf sich einwirken, um erfolgreich zu sein und welche Selbsttechniken sie dabei anwenden.

4.2 A RBEIT

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Nachdem ich den Wunsch meiner GesprächspartnerInnen nach Erfolg und Zugehörigkeit näher betrachtet habe, gehe ich nun darauf ein, wie sie konkret an sich selbst arbeiten und auf sich einwirken, um erfolgreich zu werden, (berufliche) Zufriedenheit zu erlangen sowie ihren existentiellen Unsicherheiten zu begegnen. Sie verfolgen die Strategie, sich möglichst gut zu verkaufen und zu managen und wenden Selbsttechniken des Selbstmarketings (Kapitel 4.2.1) und des Selbstmanagements (Kapitel 4.2.2) an, beides wichtige Diskursfragmente des unternehmerischen Selbst, die ich bereits bezogen auf die MitarbeiterInnen der Career Services näher betrachtet habe.

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Ich untersuche nun als erstes die Bedeutung von Selbstmarketing für die arbeitssuchenden AbsolventInnen und Studierende. 4.2.1 Arbeit an der Marke Ich: Selbstmarketing In diesem Abschnitt untersuche ich die Bestrebungen der AbsolventInnen, sich selbst zu verwerten. Dabei werden die verschiedenen auch widersprüchlichen Bedeutungsebenen von Selbstmarketing für meine GesprächspartnerInnen deutlich. Einerseits versuchen sie mit Hilfe von Selbstmarketing-Techniken ihre eigenen Interessen zu vertreten und sich ihren beruflichen Zielen zu nähern, andererseits setzt sie die wahrgenommene Anforderung, sich verkaufen zu müssen, auch stark unter Druck.12 Am Beispiel meiner 32-jährigen Gesprächspartnerin Stefanie zeige ich nun exemplarisch auf, welche Bedeutung der Appell der Selbstvermarktung für die AbsolventInnen hat. Fallbeispiel Stefanie Stefanie begegnet mir das erste Mal auf einer Karrieremesse für HochschulabsolventInnen. Ich unterhalte mich gerade mit einer Career Service Mitarbeiterin an ihrem »Info-Stand«, als Stefanie dazu kommt, die beiden begrüßen sich herzlich, scheinen sich gut zu kennen. Stefanie trägt – passend zum Anlass – einen dunkelblauen Hosenanzug. Unter ihrem Arm klemmt eine Art Aktentasche, wie sie in der Wirtschaftsbranche gebräuchlich sind. Stefanie hat sich sichtlich viel Mühe gegeben, durch ihr Auftreten einen kompetenten Eindruck zu hinterlassen, dennoch wirkt sie auf mich unsicher und sie scheint sich nicht ganz wohl zu fühlen. Sofort fängt sie an, lebhaft zu erzählen, es sprudelt regelrecht aus ihr heraus. Sie berichtet, dass sie vor einiger Zeit mit ihrem Studium der Betriebswirtschaft fertig geworden ist und sich nun bewirbt, »ich möchte mich jetzt auf den Markt schmeißen«, meint sie. Während sie erzählt, macht sie zwischendurch immer mal wieder Witze und ich nehme sie als aufgedreht wahr. Sie betont, wie wichtig es ist, solche Anlässe wie Karrieremessen zu nutzen, »ich muss mich ja zeigen und auf mich aufmerksam machen«. Wenig später holt sie aus ihrer Aktentasche ihr selbstgemachtes Namensschild, das neben dem Namen ihren fachlichen Hintergrund anzeigt. Ich staune, wie gut sie vorbereitet ist, sie hat an alles gedacht. Auf meine Frage, was sie denn beruflich machen möchte, antwortet sie mit einigen wenigen wohlformulierten, wie auswendig gelernten Sätzen und nennt

12 Teile dieses Abschnitts habe ich bereits in einem Artikel veröffentlicht (Glauser 2012).

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knapp gefasst ihren fachlichen Hintergrund, zentrale berufliche Stationen sowie ihre beruflichen Vorstellungen. Ich komme mir dabei komisch vor, so als sei ich eine der vielen UnternehmensvertreterInnen auf dieser Messe, bei der sie sich gerade vorstellt. Ich erzähle ihr von meinem Promotionsprojekt und erkundige mich, ob ich mit ihr ein Interview führen könnte. Sie stimmt zu und wir tauschen unsere Kontaktdaten aus. Kurz darauf verlässt sie den Stand, sie möchte sich noch ein wenig umgucken und sich bei den UnternehmensvertreterInnen zeigen (Tagebuch 2/2010). Stefanie lebt zusammen mit ihrem Mann, der selbstständig arbeitet. Sie ist in Süddeutschland geboren und hat keine Geschwister. Als ihr Vater verstorben ist, zog sie als Kind mit ihrer Mutter nach Norddeutschland. Ihre Mutter kommt aus Tschechien und hat dort auf dem Musikkonservatorium studiert. Nachdem ihre Mutter mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen ist, hat sie das Studium jedoch abgebrochen und arbeitete als Bürokauffrau. Seit zwei Jahren ist sie jedoch arbeitsunfähig geworden und in Frührente. Stefanie ist die erste in ihrer Familie, die ein Studium absolviert hat. Ihr Vater hat zwar Abitur gemacht, konnte jedoch aus finanziellen Gründen nicht studieren. Für ihre Mutter ist ihr Hochschulabschluss sehr bedeutsam und Stefanie erzählt13: »Und da sagt meine Mama immer wieder, ›da hast Du Deinem Papa praktisch den Wunsch erfüllt‹. Mein Papa wollte studieren, aber durfte nicht. Und da ist meine Mutter bis heute furchtbar stolz. Sie hat damals nicht geglaubt, dass ich das Studium zu Ende mache, sie hat gedacht, ich hätte mich damit übernommen.«

Stefanie beschreibt zwar den Stolz ihrer Mutter, eine studierte Tochter zu haben, die einen beruflichen Weg eingeschlagen hat, der beiden Eltern verwehrt geblieben ist. Gleichzeitig bringt sie aber auch die anfängliche Skepsis ihrer Mutter zum Ausdruck, die ihr das Studium erst nicht zugetraut hat. Stefanie charakterisiert sich selbst als »ehrgeizig«, in ihrer Wahrnehmung hat sie sich »durchgekämpft« und berichtet im Interview ausführlich von ihrer Bildungslaufbahn: Nachdem sie das Gymnasium verlassen musste und eine Lehre gemacht hat, holte sie das Abitur nach.14 Ihr sehr guter Abitur-Abschluss hat sie dazu motiviert,

13 Alle folgenden Zitate von Stefanie stammen aus dem transkribierten narrativen Interview, das ich im März 2010 mit ihr geführt habe. 14 Als Jugendliche hatte sie Probleme in der Schule und ist vom Gymnasium »geflogen«, wie sie sich selbst ausdrückt. Danach besuchte sie weiter eine Allgemeinbildende Schule, schloss diese mit einem Hauptschulabschluss ab und absolvierte anschließend eine Lehre als Industriekauffrau. Diese Ausbildung genügte ihr nicht, »und dann

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das Studium der Betriebswirtschaft zu beginnen, das sie soeben abgeschlossen hat. Das Studium ist ihr schwer gefallen, auch weil sie sich ihren Lebensunterhalt weitgehend selbst verdienen musste. Wiederholt thematisiert Stefanie ihre Existenzängste. In ihrer Wahrnehmung ist sie wie ein »Eichhörnchen«, das dasitzt und »vor sich hin bibbert«. Dieses Bild des regungslosen und verängstigten Eichhörnchens erinnert mich an die häufig gebrauchte Redewendung der MitarbeiterInnen, »wie ein Kaninchen vor der Schlange stehen«. Beide Darstellungen weisen auf Gefühle der Angst und Lähmung, die es möglichst zu überwinden gilt, was ich auch bei den MitarbeiterInnen beobachten konnte (vgl. Kapitel 3.1, Synthese II).15 Stefanies Mann hat seit einiger Zeit nicht genügend Aufträge, was den Druck auf sie erhöht, möglichst schnell ein Einkommen zu erzielen. Sie fürchtet den »sozialen Abstieg […], dass man es finanziell plötzlich nicht mehr gewuppt kriegt mit einer Person, die verdient«. Von ihrer Familie kann sie keine finanzielle Unterstützung erwarten, da ihre Mutter von einer bescheidenen Rente lebt. Stefanie erzählt: »Meine größte Sorge ist, dass ich in den nächsten ein zwei Jahren keinen Job finde und dass dann gesagt wird, sie sind zu lange raus«. Deswegen versucht sie möglichst schnell Fuß in einem Unternehmen zu fassen und möchte die Zeit bis zu einer Anstellung mit einem Praktikum »auffüllen«, wobei sie argumentiert, »damit mir niemand sagen kann, ›Sie haben ja gar nichts gemacht. Das hätten Sie doch nutzen können‹«. Wie andere meiner InformantInnen hat sie Angst, ArbeitgeberInnen könnten eine »Lücke im Lebenslauf« (vgl. Kapitel 3.3.2, Kapitel 4.1.2) als Zeichen von Inkompetenz und Faulheit deuten. Zudem hat sie die Erfahrung gemacht, dass sich ihr Alter und Zivilstand negativ auf ihre Arbeitssuche auswirkt. Arbeitgeber würden verheiratete Frauen wie sie, die das dreißigste Lebensjahr überschritten haben, ungern einstellen, da diese eine Familie gründen könnten. Seit dieser Erkenntnis macht sie darüber in ihren Bewerbungsunterlagen keine Angaben mehr.16

habe ich gesagt, ›da muss noch ein Abi obendrauf‹« und holte auf dem Wirtschaftsgymnasium das Fachabitur nach. 15 Trotz der wahrgenommenen schwierigen Wirtschaftslage ist sie bemüht »aktiv zu werden« und meint, »ich kann ja nicht die Wirtschaftskrise komplett aussetzen«. 16 Sie hat den Eindruck, dass sie aufgrund ihres Alters und Familienstand sehr schnell eine Absage bekommt, obwohl sich die Firmen Familienfreundlichkeit auf die Fahnen schreiben: »Und wenn ich da sehe, wenn ich Bewerbungen schreibe, ich da rein schreibe, ich bin über 30, ich bin verheiratet und kriege da direkte Absagen innerhalb weniger Tage. […] Es ist auffällig, wenn ich das raus lasse, dann dauert es a) länger bis ich eine Absage bekomme oder ich bekomme wenigstens ein Telefoninterview.«

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Stefanie erlebt einen hohen Konkurrenzdruck und überlegt, wie sie sich von anderen differenzieren könnte. Sie vergleicht sich mit ihren MitbewerberInnen, sieht sich umgeben von »Rivalen« und in ihrer Wahrnehmung sind viele besser qualifiziert als sie. Sie erzählt von ihrem Eindruck, »dass es viele gibt, die offensichtlich dieses eine Besondere, Spezielle, diese Prise haben, die da in meinem Lebenslauf offensichtlich fehlt«. So versucht sie, etwas zu finden »was mich von der grauen Mausriege abhebt«. Sie empfindet sich selbst nicht als gut genug und führt ihren geringen Erfolg bei der Bewerbung auf ihre Mängel zurück. In ihrer Denkweise ist »erfolgreich sein« gleichbedeutend mit »besonders sein«, keinen Erfolg zu haben verweist jedoch darauf, zu wenig besonders zu sein und deswegen in der »grauen Mausriege« unterzugehen. Gleichzeitig ist sie aber auch bemüht, sich möglichst an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen und sie erklärt: »Man hat irgendwie versucht, alles in seinen Lebenslauf rein zu bringen, was irgendwie interessant ist.« Dennoch hat sie das Gefühl den Erwartungen der Arbeitgeber nicht zu entsprechen: »Bisher gibt man mir mehr noch so das Gefühl, ich hätte nicht genug gemacht, da hätte ich noch ein Praktikum mehr machen können, da hätte ich noch ein Semester komplett im Ausland machen können und dies und dies ›und das fehlt Ihnen eigentlich auch und das haben Sie nicht gemacht‹ [sie äfft die Personen nach].«

Zwar empfindet sie die Erwartungen der Arbeitgeber als zu hoch, doch möchte sie diesen trotzdem gerecht werden und setzt sich noch mehr unter Druck. Ihre Bemühungen, das Besondere bei sich zu finden und sich zu differenzieren, führen dazu sich noch mehr anzupassen. Zudem ist augenfällig, wie sie sich selbst die Schuld gibt, nicht gut genug zu sein und deswegen keinen Erfolg zu haben, denn »offensichtlich« fehle ihr die Prise des Besonderen. Es sei demnach für alle ersichtlich, dass ihr Nicht-Erfolg an ihr liege, der Misserfolg liegt objektiv, eben für alle inklusive ihr selbst, am eigenen Subjekt. Zwar weiß sie, wie viele BewerberInnen sich für eine einzige Stelle bewerben und erzählt von einem Gespräch mit einem Mitarbeiter vom Unternehmen Haribo: »Das hat mich damals regelrecht geschockt, als dieser gesagt hat, wir haben 2000 Leute auf diese eine Traineestelle.« Ihr ist damals bewusst geworden, wie groß die Zahl der MitbewerberInnen ist, »Oh Gott, da muss es eine Menge Leute geben«. Dieses Beispiel verdeutlicht ihr Wissen darüber, dass eine Absage nicht alleine an ihr selbst liegt, sondern auch an der großen Zahl von MitbewerberInnen. Aus ihrer Sicht muss man gerade bei großen Unternehmen, die sie präferiert, bis zu 100 Bewerbungen schreiben, um überhaupt bis zum Vorstellungsgespräch zu kommen.

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Auch verweist sie im Gespräch immer wieder auf die damalige schlechte Wirtschaftslage, welche die Arbeitssuche erschwert. Doch obwohl sie sich dieser strukturellen Faktoren bewusst ist, sucht sie die Gründe für ihren ausbleibenden Erfolg trotzdem überwiegend bei sich selbst und fragt sich, »was stimmt mit meinem Lebenslauf nicht, dass es nicht weiter geht?«. Sie denkt, sie müsste noch aktiver werden und erklärt, »ich kann ja nicht die Wirtschaftskrise komplett aussitzen«. Wiederholt zählt sie auf, was sie bereits alles unternommen hat, so als müsste sie vor mir Rechenschaft ablegen und mir ihr Engagement beweisen. Sie versucht sich an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen, indem sie eine Stelle im Onlinemarketingbereich sucht, wo derzeit viele Stellen ausgeschrieben sind: »Und da setzt bei mir wieder eher die Vernunft ein, dass ich meinen Lebensweg nicht danach ausrichte, was mir Spaß macht und was ich gerne mache, sondern mehr danach, was wird verlangt, was wird nachgefragt.«

Für sie hat Priorität, eine Arbeitsstelle mit guten Verdienstaussichten zu finden, die Freude an der Arbeit ist für sie hingegen inzwischen zweitrangig und sie orientiert sich bei der Bestimmung ihrer Berufswünsche nach außen. Auch fragt sie sich oft, wie sie bei Menschen ankommt und möchte als »erfolgreich« gelten. Dies fällt mir besonders bei einem Gespräch im Anschluss an unser Interview auf. Bevor wir uns verabschieden, reflektiert sie sich selbst und sagt, dass sie immer das machen möchte, »was andere toll finden«. Obwohl sie bisher alle ihre Arbeitserfahrungen in kleinen Unternehmen gesammelt hat, bewirbt sie sich meist bei großen Unternehmen und erklärt lachend, »damit ich es bei Xing eintragen kann und andere sagen, ich habe es zu etwas gebracht« (Tagebuch 5/2011). Sich ständig zu überlegen, was andere über sie denken, empfindet sie jedoch als »schlimm« und sieht darin Ähnlichkeiten zu ihrer Mutter, die früher sehr um ein positives Bild ihrer Familie nach außen besorgt war.17 Um ihre Chancen zu erhöhen, versucht Stefanie mit Arbeitgebern direkt in Kontakt zu kommen und berufliche Beziehungen zu knüpfen, da sie diese als entscheidend für den Erfolg ansieht, »es läuft einfach so viel über Vitamin B«.

17 Stefanie assoziiert dabei eine Erfahrung aus ihrer Jugendzeit und erzählt, dass sie eine Liebesbeziehung zu einem Schausteller hatte, mit dem sie herum gereist ist, was ihrer Mutter ein Dorn im Auge war. Für ihre Mutter war ihr Freund ein »Zigeuner«, ein Begriff, der für ihre Mutter negativ konnotiert ist, und sie war besorgt, dass die »Leute« schlecht über Stefanie denken könnten.

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Sie nutzt Anlässe wie Karrieremessen, um für sich zu werben. Anders als bei einer schriftlichen Bewerbung bieten solche Treffen für sie die Möglichkeit, das Kennenlernen selbst zu gestalten:18 »Weil ich denke immer noch, dass die Persönlichkeit noch immer mein Pluspunkt ist, dass man sich gerne mit mir unterhält, dass man mich als freundlich empfindet, als kontaktfreudig, mich auch mal live erleben kann und eben nicht nur dieses Stück ausgedrucktes Papier.«

Sie sieht eine Chance in der konkreten Begegnung mit Menschen. Auf diese Weise erhalten die Arbeitgeber einen besseren Eindruck von ihr als Person und sie hat mehr Möglichkeiten, das Kennenlernen selbst zu gestalten und sich einzubringen. Potentielle Arbeitgeber sollen sie »live erleben«, was auf den performativen aber auch unmittelbaren Charakter solcher Treffen verweist, es geht darum im Moment der Begegnung mit ihrer eigenen Persönlichkeit zu überzeugen. Zudem möchte sie ihre Persönlichkeit als »Pluspunkt« nutzen und sieht darin ihr eigenes Kapital, womit sie sich von ihren Mitbewerbern absetzten kann. Über sich selbst sagt sie, sie hätte »einen hohen Wiedererkennungswert«. Selbstmarketing ist für Stefanie eine Art Schlüssel zum Erfolg und sie ist überzeugt von der Wichtigkeit der Selbstbewerbung: »Man muss Überzeugungsarbeit leisten und halt auf sich aufmerksam machen, weil kein Unternehmer verkauft sein Produkt, wenn er nur zuhause sitzt und sagt ›Ich hab was ganz Tolles, aber erzählen tue ich keinem was davon‹. Ja, das ist genau das, was wir als Bewerber momentan machen. Wir gehen auf Unternehmen zu, bringen unsere Werbung sozusagen an, umwerben uns mit unserem Wissen und hoffen, dass die Unternehmer dann sagen: ›Yo, ich mache einen Probekauf‹!«

Ihre Aussage verdeutlicht, dass sie sich mit einem Unternehmer vergleicht und sie sich selbst einen Produktcharakter mit einem »Wiedererkennungswert« verleiht: Wie bei der Werbung für ein Produkt ist es auch bei der Bewerbung wichtig, sich vor einem Gegenüber zu profilieren, um später einmal »gekauft« bzw. eingestellt zu werden.

18 Die schriftliche Bewerbung reicht nach ihrer Ansicht nicht aus: »Also ich habe immer das Gefühl, wenn ich immer eine Bewerbung losschicke, wo zwar ein nettes Foto drauf ist aber dann nur noch Geschriebenes, ist es unpersönlich«. Sie ist überzeugt davon, »dass man soweit flexibel sein muss, auf Leute offen zugehen zu können und eben mal ein paar Scherzchen mitzumachen.«

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Schließlich verspricht sie sich von solchen Anlässen wie Karrieremessen berufliche Beziehungen knüpfen zu können, da sie diese als entscheidend für den Erfolg ansieht. Viele Stellen werden in ihrer Wahrnehmung über Kontakte vergeben, »wenn man dem Netzwerk mitteilt, ›Hey, ich bin auf der Suche, habt ihr gerade eine Idee‹, dann gibt es immer irgendjemand, der sagt, ›Uh, ich kenn da jemanden‹«. Mit der Hoffnung von jemandem empfohlen zu werden, besucht sie einen »Runden Tisch«, an dem sich Berufstätige aus dem Bereich Onlinemarketing treffen. Sie erfährt davon über Xing, da sich mehrere ihrer Kontakte auch zu dem Abend angemeldet haben. Ein Bekannter von ihr, den sie als »extrovertiert« beschreibt und der an dem Abend viele Menschen kennt, stellt Stefanie bei den anderen vor: »Er hat dann praktisch bei jedem zweiten der vorbei kam gesagt, ›Hey Jonas, guten Abend, bist Du auch hier`, und dann kam, ›Hey das ist übrigens Stefanie und die sucht einen Job im Bereich Onlinemarketing‹. Da war er sozusagen immer gleich mein Vermittler und da hat sich wieder das bestätigt, was ich immer angenommen habe, Vitamin B ist einfach das Wichtigste … Netzwerkpflege.«

Innerhalb von drei Stunden hat sie »drei Visitenkarten« und »zwei Empfehlungen« und ihr werden Chancen in Aussicht gestellt, einige meinten »melde Dich mal da und da und lasse mal von mir grüßen und dann könnte sich was auftun für Dich«. Sie ist optimistisch über ein solches Netzwerk wertvolle Hinweise und Kontakte zu bekommen, die ihr bei der Arbeitssuche weiterhelfen. Sorgen bereitet ihr jedoch, dass sie in anderen Arbeitsbereichen kaum Menschen kennt. Selbstmarketing hat für Stefanie konträre Bedeutungen: Zwar sieht sie darin eine vielversprechende Strategie, um beruflichen Erfolg zu haben. Sie sieht darin eine Chance ihre beruflichen Möglichkeiten zu verbessern, dennoch fällt ihr diese Praxis auch schwer, verunsichert sie und verursacht bei ihr ein Unwohlgefühl. Negativ stimmt sie vor allem, dass »momentan nichts dabei rum kommt«. Zwar ist sie, wie sie sagt, mit der Zeit »reingewachsen«, doch noch immer kostet es sie viel Überwindung, denn »dieses Selbstmarketing […] ist unheimlich schwer, [es] liegt mir nicht«. Besonders unangenehm empfindet sie, »mit irgendeinem Wissen zu prahlen oder mit Dingen, die ich ganz toll kann …, und sich selber gut und interessant darzustellen« und sie fühlt sich beim Bewerben »immer so ein bisschen… wie ein Gockel mit aufgestellten Federn, der um sein Hühnchen buhlt [sie lacht]«. Stefanies Empfindung »zu prahlen« verweist auf ihre Angst als »Scharlatan« entpuppt oder wie sie selbst sagt »als Aufschneiderin entlarvt« zu werden. Sie ist besorgt, dass jemand ihre Kompetenzen tatsächlich nachprü-

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fen könnte.19 Es bereitet ihr Probleme, selbstsicher und authentisch erscheinen zu müssen, gerade wegen ihrer subjektiv wahrgenommenen geringen Berufserfahrung. Hinzu kommt ihr Gefühl, den Arbeitgebern ausgeliefert zu sein: »Sobald es darum geht, ein Produkt zu verkaufen, dann passiert es, dass ich in dieses leicht Bittstellerische abrutsche. […] Bei Bewerbungen merke ich dann immer so, dass ich leicht defensiv werde und eben nicht sage, was ich toll kann sondern mich immer so darstelle: [sie wechselt in eine kindliche Stimme] ›Doch, bitte nehmt mich doch, ich bin ganz toll‹.«

Zwar hat sie den Anspruch selbstbewusst ihre Kompetenzen darzulegen und sich interessant zu machen. Sich der eigenen Fähigkeiten bewusst zu sein, verleiht ihr Sicherheit bei der Bewerbung. Sie möchte sich selbst einen Wert geben und diesen selbstbestimmt nach außen vertreten. Doch im Bewerbungsprozess hat sie oft den Eindruck zu wenig selbstbewusst zu sein und sie empfindet sich als devot. In ihrem Bild fleht sie gar um eine Stelle und offenbart damit ihr Gefühl des Ausgeliefertseins. Sie ist darauf angewiesen eine Stelle zu finden und dieses Abhängigkeitsverhältnis macht es für sie schwer als souveräne Verhandlungspartnerin aufzutreten und schwächt wiederum ihr Selbstbewusstsein. Damit verknüpft ist ihre Angst, sich den Menschen aufzudrängen und sie erzählt, »Ich habe immer das Gefühl, ich gehe den Leuten auf die Nerven«, weswegen es ihr auch schwer fällt berufliche Kontakte aufrechtzuerhalten. Sie fragt sich, über was sie mit den Menschen überhaupt sprechen soll und offenbart damit die Inhaltsleere dieser Beziehungen. Der Kontakt wird nicht aus inhaltlichen Gründen aufrechterhalten, sondern aus der Hoffnung heraus, er könnte möglicherweise in Zukunft für das berufliche Weiterkommen von Bedeutung sein. Dieses strategische Moment solcher Kontakte ist ihr jedoch unangenehm und hemmt sie.20 Stefanies Beispiel verdeutlicht die vielfältige, gar widersprüchliche Qualität von Selbstvermarktungstechniken, wie ich sie im nächsten Abschnitt weiter ver-

19 »Klar habe ich auch Angst, dass irgendjemand mal auf die Idee kommt, er kann Französisch fließend oder so und mich dann auf Schwedisch anfängt voll zu texten.« 20 Sie erzählt von ihrem Mann, der anders als sie gerne seine Kontakte pflegt: »Mein Mann hat das mit dem Netzwerken gut drauf, er sitzt fast jeden Abend da und ruft irgendjemanden an aus seinem Freundeskreis und sagt, ›ich wollte nur mal ein Lebenszeichen von mir geben und hören was du so machst‹. Wenn ich so was mache, dann heißt es auf der anderen Seite nur, nichts Neues, und dann denke ich uh … das ist jetzt aber kein gutes Gespräch [sie lacht].«

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tiefen werde. Um erfolgreich zu sein und ihren Existenzängsten zu begegnen, verfolgt Stefanie die Strategie, sich zu vernetzen und von anderen zu differenzieren und verleiht sich dabei einen Produktcharakter. Hier erkenne ich erneut eine Ökonomisierung des Sozialen im Sinne Bröcklings. Sie ist bestrebt, sich selbst wie eine Marke in das bestmögliche Licht zu rücken. Gleichzeitig fällt es ihr sehr schwer sich selbst, wie ein Produkt, zu verkaufen, sie fühlt sich ausgeliefert und hat das unangenehme Gefühl »etwas vorspielen zu müssen«. Wie die MitarbeiterInnen (Kapitel 3.3) sieht sie in den Selbstmarketing-Techniken den Schlüssel zum Erfolg. Dementsprechend verweist aber ein ausbleibender Erfolg auf ihre persönliche Schwäche, sich nicht ausreichend gut vermarkten zu können und nicht auf strukturelle, gesellschaftliche Faktoren. Andere meiner GesprächspartnerInnen nehmen ihre Situation sehr ähnlich wahr wie Stefanie, worauf ich nun eingehen werde. Im Folgenden beleuchte ich, wie die AbsolventInnen, mit denen ich gesprochen habe, die Situation der Selbstbewerbung erleben und analysiere dabei die strukturellen Ähnlichkeiten ihrer Wahrnehmungen. Die AbsolventInnen Die AbsolventInnen versuchen eigeninitiativ auf Arbeitgeber zuzugehen und für sich selbst zu werben. Wie Stefanie haben sich einige ein Profil auf Xing angelegt und möchten darüber Aufmerksamkeit und hilfreiche Kontakte erlangen, andere versuchen dies z.B. über den Besuch von Karrieremessen oder Informationsveranstaltungen zu ihren Arbeitsfeldern oder nutzen bereits bestehende familiäre Beziehungsnetze. Drei meiner InformantInnen treffen sich mit Freunden ihrer Eltern, lassen sich von ihnen beraten und profitieren von deren Kontakten. Lena, die sich im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit bewirbt, hat sogar eine eigene Website erstellt und präsentiert sich dort als Person mit ihren Erfahrungen, sie erklärt: »Ich wollte damit halt zeigen, was ich Besonderes habe, was vielleicht ein anderer Bewerber nicht hat.« (Interview Lena 10/2009) Die Website gibt ihr die Möglichkeit sich anders darzustellen als in einer klassischen Bewerbung und sie erhofft sich dadurch das Interesse potentieller Arbeitgeber zu wecken. Für sich selbst zu werben wird von den Arbeitssuchenden als Notwendigkeit gesehen,21 wie es Martin beschreibt: »Jetzt habe ich das Gefühl, es ist viel ernster, dass man sich viel mehr auch umgucken muss, sich auch anpreisen muss, also um sich werben muss.« (Interview Martin 7/2010) Im Gegensatz zur Generation seiner Eltern, werde heutzutage viel mehr von den Arbeitssuchenden er-

21 Eine Absolventin erklärt in einem Seminar zum Thema Bewerbungsunterlagen: »Man muss sich ja verkaufen« (Tagebuch 6/2009).

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wartet. Es kommt ihm so vor, als hätten sich die Rollen vertauscht: Während die Menschen früher von den Firmen angesprochen wurden, sei es heute genau umgekehrt. Die BewerberInnen müssen auf die Arbeitgeber zugehen, wie es bereits Stefanie beschrieben hat. Auch ein anderer Absolvent, ein Biologe, der eine Universitätslaufbahn anstrebt, bemerkt, wie wichtig Selbstvermarktung geworden ist und empfindet sein, wie er es selbst nennt, mangelndes »Eigenmarketing« als Defizit (Tagebuch 6/2009). Dabei nutzen die AbsolventInnen Begriffe aus der Betriebswirtschaft bzw. aus dem Marketing und setzen sich selbst gleich mit Produkten, die es anzupreisen und zu verkaufen gilt. So spricht Stefanie bei meiner Begegnung mit ihr auf der Karrieremesse davon, »sich selbst auf den Markt [zu] schmeißen« (Tagebuch 5/2010), Julia ist der Überzeugung, sich spezialisieren zu müssen, »um tatsächlich wie ein Stück Obst im Korb mich irgendwo anbieten zu können, damit jeder weiß, dass ich eine Birne oder ein Apfel bin« (Interview Julia 1/2010). Ihre Wahrnehmung sich selbst verkaufen zu müssen wie ein Produkt, geht bei meinen InformantInnen jedoch einher mit widersprüchlichen Gefühlen und ist m.E. eine zentrale Quelle für das Unbehagen meiner InformantInnen bei der Arbeitssuche, was ich im Folgenden aufzeigen möchte. Eine zentrale Problematik resultiert auch daraus, dass sich die AbsolventInnen insgesamt als gesamte Person verkaufen möchten. Sie unterscheiden kaum zwischen sich als Mensch und ihrer Arbeitskraft, die sie anbieten, worin ich eine Ökonomisierung des Sozialen erkenne. Damit gehen sie jedoch das Risiko ein, auch als Person abgelehnt zu werden. Sie fürchten sich vor der narzisstischen Kränkung »nicht gekauft« zu werden, da sie dies als ganze Person betreffen würde. Ihr Selbstwertgefühl ist eng verbunden mit der eigenen Selbstvermarktung und unterliegt dabei ökonomischen Maßstäben. So hat Ines das Gefühl, ihr Selbstwertgefühl zu verlieren und an sich zu zweifeln, wenn sie längere Zeit keine Stelle findet: »Abstrakt habe ich Angst, dass ich mich sehr in Frage stelle, dass ich meinen Marktwert in Frage stelle und mich als Person damit auch.« (Interview Ines 8/2009) Ihr Selbstwertgefühl ist somit eng verknüpft mit ihrer Fähigkeit sich zu vermarkten, Erfolglosigkeit geht sogleich einher mit Selbstzweifeln und verweist darauf, nicht gut genug zu sein. Gleichzeitig wird ein gutes Selbstbewusstsein als entscheidend für die erfolgreiche Stellensuche gesehen, wie Luise erklärt. Sie empfindet es bei der Bewerbung als Hindernis, zu wenig Vertrauen in sich selbst zu haben und meint, »Ich glaube das Problem ist auch, dass ich nicht genug an mich selber glaube. Das ist dann der große Haken« (Interview Luise 11/2009). Besonders im Vorstellungsgespräch kann sie ihre Unsicherheit nicht verdecken und fühlt sich dadurch im Nachteil. In ihrer Wahrnehmung führt Selbstbewusstsein und der Glaube an sich

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selbst zum Erfolg, zauderndes Verhalten und Selbstkritik sind hingegen hinderlich. Die BesucherInnen der Career Services möchten sich über ihre eigenen Stärken bewusst werden, um diese besser nach außen vertreten zu können. Eine Teilnehmerin drückt nach einem Seminar ihre Zufriedenheit aus und meint: »Ich kann jetzt sagen, was ich kann und habe mehr Selbstvertrauen« (Tagebuch 11/2011). Zu wissen welche Fähigkeiten sie haben, verleiht ihnen ein Gefühl von Sicherheit und Gelassenheit bei der Bewerbung. Eine Informantin, die seit längerer Zeit auf Arbeitssuche ist, versucht sich zu beruhigen, indem sie zu sich selbst sagt: »Du weißt was Du kannst und das wird schon alles« (Interview Uta 7/2010). Sich auf ihre Fähigkeiten und Erfahrungen berufen zu können, schenkt ihr Sicherheit und Zuversicht. Viele möchten lernen, sich selbst einen Wert zu geben und sich nicht »zu billig zu verkaufen«, was erneut die enge Verbindung vom eigenen Selbstwert mit dem Marktwert anzeigt. Sich selbst wie ein Produkt anzubieten, geht jedoch auch einher mit einem Gefühl dem Urteil Anderer ausgeliefert zu sein und der Angst sich zu entblößen. So ist der Bewerbungsprozess auch schambesetzt, was ich anhand einer Absolventin erläutern möchte. Sie sucht seit längerer Zeit eine Arbeit und erzählt mir von ihren Hemmungen mit potentiellen Arbeitgebern zu sprechen: »Ich habe ein großes Netzwerk, aber ich kann mich nicht so anbiedern. Ich hätte den Kontakt zu der Behörde, aber ich kann die Frau von der Behörde nicht einfach anrufen und fragen, ob sie einen Job hat.« (Tagebuch 1/2010)

Besonders schlimm ist es für sie, wenn sie jemanden bereits aus früheren Zusammenhängen kennt. Damals hätte sie auf Augenhöhe mit ihnen kommuniziert. Jetzt, wo sie nach einer Beschäftigungsmöglichkeit fragt, fühlt sie sich ausgeliefert und wie entblößt. Auch eine andere Absolventin die im Kulturbereich bereits freiberuflich und ehrenamtlich arbeitet, erzählt in einem Seminar zur beruflichen Orientierung von der Angst, ihr gutes Ansehen zu verlieren, wenn sie im eigenen Arbeitsumfeld nach einer Stelle fragt: »Ich kann nicht einmal die starke Verhandlungspartnerin sein, die Veranstaltungen organisiert und die für ein Projekt 1000 Euro will und dann sagen, ›eine Stelle nehme ich auch‹.« (Tagebuch 1/2010)

Sowohl diese Doppelrolle als auch die permanente Arbeitssuche empfindet sie als sehr anstrengend und belastend. Dennoch erzählt sie lachend, dass sie ein großes Schild bräuchte, auf dem »Ich suche« steht.

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Vielen AbsolventInnen fällt es schwer, bereits bestehende Kontakte für die eigene Arbeitssuche zu nutzen. Einerseits ist die Angst von einer bekannten Person abgelehnt zu werden noch größer, andererseits missfällt ihnen das strategische, »unnatürliche« Element des Netzwerkens. Sie empfinden es als unethisch, jemanden zu kontaktieren, nur weil man sich Vorteile bei der Bewerbung erhofft.22 Hanna möchte nicht »krampfhaft das Gespräch suchen« zu Menschen, die später einmal interessant sein könnten, »entweder ich habe mit Leuten Kontakt und es ergibt sich und es ist schön« oder aber sie verzichtet lieber auf mögliche Vorteile (Interview Hanna 3/2010). Auch Martin empfindet einen »innerlichen Widerstand« und ein Unwohlsein ein Netzwerk aufzubauen, nur weil es ihm in Zukunft nutzen könnte und meint »also ich habe mit einer Person zu tun, weil die Person mich interessiert« (Interview Martin 7/2010). Die Arbeitssuchenden setzt es auch unter Druck, aufgrund ihrer Außenwirkung bewertet zu werden, was ich anhand einer Begegnung mit einer Absolventin verdeutlichen möchte. Ich treffe sie in einem Workshop zum Thema »Vorstellungsgespräch« (Tagebuch 6/2009). Die rund 15 SeminarteilnehmerInnen werden von der Trainerin dazu aufgefordert, sich selbst und ihre Kompetenzen vor der Gruppe zu präsentieren und einander Rückmeldung zu geben. Die junge Frau wird während ihrer eigenen Präsentation sehr nervös, bricht mittendrin ab und kann nicht mehr weiter sprechen, »ich habe ein Blackout«, meint sie. Am Ende des Workshops treffen wir uns im Fahrstuhl. Aus den Augenwinkeln beobachte ich sie, sie ist eine zierliche Frau und wirkt beinahe zerbrechlich auf mich. Sie erzählt mir, dass sie 27 Jahre alt sei und Medienkommunikation studiert habe. Als wir unten angekommen sind, fängt sie an zu weinen und zu schluchzen, sie ist aufgelöst, wirkt verstört und verängstigt. Es ist eine emotionale Situation, die wesentlich durch die Vorfälle im Seminar geprägt ist. Die Absolventin bewertet ihren Auftritt vor der Gruppe als Scheitern und sagt zu mir: »Ich werde das nie schaffen, ich kann mich einfach nicht präsentieren!« Zwar meint sie, dass sie fachlich sehr kompetent ist, »wenn ich mich sicher fühle, dann kann ich mich auch gut einbringen und alles, aber kaum bin ich unsicher, dann hört bei mir alles auf«. Auf dem Fahrrad fängt sie erneut an zu weinen und betont ihre Hoffnungslosigkeit und Resignation. »Heutzutage zählt nur noch, dass man sich gut präsentieren kann und gar nicht, dass man fachlich gut ist.« Sie ist der Meinung, dass Selbstpräsentation heutzutage wichtiger ist, als die

22 Eine meiner InformantInnen entscheidet sich dagegen, die Beziehungen eines Bekannten für ihre Zwecke zu nutzen und sich dadurch Vorteile bei der Bewerbung zu schaffen. Lieber möchte sie es alleine schaffen und meint: »Dann sage ich mir, wenn ich es nicht alleine schaffe, dann soll es auch nicht sein.« (Tagebuch 11/2010)

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fachliche Kompetenz, womit sie die Bedeutung anzeigt, die Selbstpräsentation gegenüber Fachwissen und Können gewonnen hat (Tagebuch 6/2009). Dieses Erlebnis offenbart wichtige Aspekte von Selbstmarketing, die ich oft beobachten konnte. Aus Sicht vieler meiner InformantInnen zählen gerade in der Bewerbungssituation vor allem die Erscheinung und der positive Eindruck, was die meisten verunsichert und erneut auf ihr Selbstverständnis als Produkt verweist. Wie beim Vermarkten einer Ware erhalten Äußerlichkeiten und die Wirkung einen hohen Stellenwert, es sollte den Kunden ansprechen und überzeugen. Die tatsächliche Qualität kann dabei für den erfolgreichen Verkauf zweitrangig sein. So wenden meine GesprächspartnerInnen viel Zeit und Mühe für ihre Bewerbungsunterlagen auf und arbeiten an ihrer Außenwirkung. Sie besuchen Workshops zum Thema oder lassen sich gar von Personaler beraten.23 Ich habe den Eindruck, als würden sie sich an ihren perfekten Unterlagen und ihrem professionellen Bewerbungsfoto festhalten und dadurch Sicherheit gewinnen (Interview Lena 10/2009; Tagebuch 10/2009). Einige meiner InformantInnen nehmen den Bewerbungsprozess wie ein »Theaterspiel« wahr – eine Metapher, die auch bei den MitarbeiterInnen präsent ist (Kapitel 3.3.3) – in dem von ihnen gefordert wird, eine Maske zu tragen, etwas vorzuspielen und zu übertreiben, denn, so Lena, »man zeigt da ja nicht seine komplette Persönlichkeit«. Sie empfindet es als Nachteil, zu still zu sein und ihr eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen und überlegt, »vielleicht muss ich das verstecken, wie ich wirklich bin und auch aggressiver vorgehen« (Interview Lena 10/2009.) Sie sieht es als Notwendigkeit »das Spiel mitzuspielen« und sich möglichst an die Anforderungen der Arbeitgeber anzupassen. Diesen Prozess des »Vorspielens« erleben einige meiner InformantInnen jedoch als Entfremdung von sich selbst. So erzählt eine Frau in einem Seminar, dass sie gar nicht mehr unterscheiden kann, wer sie ist oder wen sie vorgibt zu sein (Tagebuch 5/2011). Während die Menschen versuchen ihre Außenwirkung an imaginierte Bedarfe anzupassen, vergessen sie, was ihnen selbst wichtig ist. Zudem fällt es ihnen schwer selbstsicher erscheinen zu müssen, trotz oder gerade wegen ihrer geringen Berufserfahrung. Sie empfinden es als unangenehm, etwas verkaufen zu müssen, was sie (noch) nicht sind (Interview Hanna 3/2010; Tagebuch 6/2009). Meine GesprächspartnerInnen erleben einen Konkurrenzdruck und haben den Eindruck sie müssten sich von anderen abheben. Das Besondere bei sich zu

23 Kurse, in denen es um Selbstmarketing und die eigene Außenwirkung geht, sind sehr beliebt, wie es eine Mitarbeiterin in einer Besprechung ausdrückt: »Bei Seminaren wie ›Der erste Eindruck zählt‹, ›Mit der Stimme wirken‹ besteht ein unglaublicher Run, bis zu 70 Leute stehen auf der Warteliste.« (Tagebuch 6/2009)

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finden, um es dann nach außen gewinnbringend zu vertreten, belastet viele meiner InformantInnen (Interview Hanna 3/2010). Es strengt sie an, wie eine Informantin erklärt, immer in dem »Modus« des »ich bin die tollste Mitarbeiterin« zu sein und zu versuchen potentielle Arbeitgeber von sich selbst zu überzeugen (Tagebuch 11/2009). Einige stehen dieser Anforderung der Differenzierung jedoch auch skeptisch gegenüber oder lehnen sie gar ab. So ist Luise nicht überzeugt davon, sich als beste Mitarbeiterin gerieren zu müssen. Sie beschreibt, wie schwer es ihr fällt, sich selbst zu verkaufen: »Ein Verkäufer bin ich nicht und mich selber kann ich noch schlechter verkaufen (Interview Luise 11/2009).« Auch Julia steht diesem Konkurrenzdruck kritisch gegenüber und amüsiert sich im Interview über einige TeilnehmerInnen eines Seminars zum Thema Bewerbungsunterlagen: »Und das Beliebteste was so gefragt wurde ist, ›wie kann ich mich gegenüber anderen absetzen‹. [sie lacht] Und da denke ich so: ›Ja das, was Du erfährst, werden jetzt andere 19 Leute auch erfahren. Es ist nichts Individuelles was Du da erfährst, damit kannst du Dich schon mal nicht hervorheben, weil wir wissen es alle‹.« (Interview Julia 1/2010)

Sie hinterfragt kritisch die Differenzbestrebungen der TeilnehmerInnen des Seminars, da in ihrer Wahrnehmung niemand mehr individuell ist, wenn alle es auf die gleiche Weise sein möchten. Sie zeigt, wie sich diese Differenzierungsversuche selbst ad absurdum führen: Je mehr die Individuen versuchen, sich voneinander zu differenzieren, desto mehr gleichen sich ihre Bewerbungen an und desto schwerer wird es, sich aus der Masse der BewerberInnen herauszuheben. Eine andere Informantin, Uta, thematisiert im Interview das Machtungleichverhältnis zwischen dem Arbeitssuchenden und dem Arbeitgeber und sieht die Möglichkeiten der Selbstbewerbung bei der Arbeitssuche stark einschränkt: »Als Arbeitssuchender sitzt du ja nicht am langen Hebel […] Du musst erst mal ins Vorstellungsgespräch kommen und wenn Du da nicht hin kommst, dann hast Du ausvermarktet.« (Interview Uta 7/2010)

Vielmehr beschreibt sie ihr eigenes Ohnmachtsgefühl, da sie sich den Arbeitgebern und deren Urteil ausgeliefert fühlt. Sich selbst zu verkaufen und möglichst positiv zu präsentieren – insbesondere im Vorstellungsgespräch –, wirft bei vielen AbsolventInnen und Studierenden ethische Fragen auf: Zu welchem Preis sollte man sich verkaufen und soll man sich überhaupt verkaufen? Ist man unehrlich, wenn man sich rein positiv darstellt im Vorstellungsgespräch? Wo sind die Grenzen? (Tagebuch 6/2009) Die-

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ses Dilemma zeigte sich auch in einer hitzigen Diskussion zwischen SeminarteilnehmerInnen in einem Seminar zum Thema Bewerbung und Vorstellungsgespräch. Sie unterhalten sich darüber, inwieweit man ehrlich sein muss im Vorstellungsgespräch. Eine Teilnehmerin ist der Überzeugung, dass man sich präsentieren und dabei nicht immer so ehrlich sein muss. So sei es auch beim Verkauf eines Produkts nicht sinnvoll zu sagen: Dieses Produkt ist eigentlich gar nicht so gut. Dem entgegnet Jule, eine Absolventin der Psychologie, dass sie sich gar nicht verkaufen mag. Tina schaltet sich ein, sie meint: »Man muss sich einigermaßen verkaufen, ganz ehrlich! Ich bin ein ehrlicher Mensch, aber das Vorstellungsgespräch, das ist etwas anderes.« Während die einen sich unwohl fühlen mit dem Gedanken sich rein positiv darzustellen und einige sich überhaupt nicht verkaufen wollen, ist es für andere selbstverständlich sich selbst – wie jede/r VerkäuferIn ein Produkt – in das beste Licht zu rücken und zu verkaufen. Für sie ist es wie ein Spiel, dessen Regeln sie befolgen. Trotz dieser Zweifel und Kritik am Appell der Selbstvermarktung sehen es viele meiner InformantInnen als ihre Pflicht, sich zu vermarkten und ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Das Fehlen von Beziehungen oder eine erfolglose Selbstbewerbung ist für die meisten ein persönlicher und selbstverschuldeter Makel. Eine Informantin wirft sich vor, sich zu wenig um berufliche Kontakte bemüht zu haben und auch aus ihren Praktika keine längerfristige Beziehungen gewonnen zu haben und sieht darin einen Grund für ihre langanhaltende Arbeitslosigkeit (Tagebuch 3/2011). Somit werden Netzwerke als etwas gesehen, was man aus eigener Kraft aufbauen kann und muss, die AbsolventInnen beziehen ihre Erfolglosigkeit nicht zuletzt auf ihr eigenes Verhalten und das Unvermögen sich gut zu vermarkten. Dies hat jedoch zur Folge, dass sie sich ungenügend fühlen und ein schlechtes Gewissen haben, nicht ausreichend aktiv zu sein, anstatt ihre Schwierigkeiten etwa mit der gesellschaftlichen Situation zu erklären. Kaum jemand weist darauf hin, wie schwierig es ist, aus sich selbst heraus Beziehungen zu knüpfen, ohne dabei auf langjährige Berufserfahrung oder familiäre Netzwerke zurückgreifen zu können. Die beschränkten Möglichkeiten, sich überhaupt vermarkten zu können, werden nur von wenigen reflektiert. Ich fasse nun die Ergebnisse dieses Abschnitts zusammen: Um ihre Chancen bei der Arbeitssuche zu verbessern und sich sicherer zu fühlen, versuchen meine GesprächspartnerInnen sich selbst anzupreisen, ihre Fähigkeiten hervorzuheben sowie eigeninitiativ auf mögliche Arbeitgeber zuzugehen. Ähnlich wie für die MitarbeiterInnen (Kapitel 3.3) hat die Selbstvermarktung für sie jedoch eine widersprüchliche und konträre Bedeutung: Einerseits ist Selbstmarketing eine zentrale Fähigkeit, um beruflichen Erfolg zu haben. Auch möchten die arbeitssu-

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chenden AbsolventInnen beim Bewerben selbstbewusst ihre Interessen vertreten, sich einen »Wert« geben und zu sich selbst stehen. Andererseits stehen sie gleichzeitig unter einem großen Druck, sich an die scheinbar unumgänglichen Marktanforderungen anzupassen. Die Freiheit sich zu vermarkten geht einher mit einem Zwang, sich verkaufen zu müssen. Dabei nehmen sie sich selbst wahr wie ein Produkt, welches es zu bewerben gilt und legen dabei viel Wert auf Äußerlichkeiten. Als Folge einer Ökonomisierung des Sozialen differenzieren sie kaum zwischen sich als Person und ihrer Arbeitskraft, die sie »zum Verkauf anbieten«. Die wahrgenommene Notwendigkeit der eigenen Vermarktung bereitet den AbsolventInnen Schwierigkeiten und ist verbunden mit der Angst, als gesamte Person abgelehnt zu werden und sich zu entblößen. Der eigene Marktwert wird unmittelbar verknüpft mit ihrem Selbstwertgefühl. Zudem haben sie teilweise den Eindruck, etwas »vorspielen zu müssen«, was sie gar nicht sind und empfinden eine Art Entfremdung von sich selbst. Versagensängste paaren sich mit dem schlechten Gewissen nicht genügend aktiv zu sein, was auf eine weitere Wirkung dieser Anforderung verweist: Selbstmarketing gilt als etwas, was im Einflussbereich jedes Einzelnen liegt. Wie ich das bereits bei den MitarbeiterInnen der Career Services beschrieben habe (Kapitel 3.3.3), führt dies jedoch dazu, dass die arbeitssuchenden AbsolventInnen die individuellen Gründe für beruflichen Erfolg und Misserfolg mehr betonen als gesellschaftliche Faktoren, welche diesen beeinflussen. Teilweise hinterfragen und kritisieren sie zwar diese einseitige Verantwortungsverschiebung auf sich selbst, doch bleibt diese Logik der Selbstverantwortung sehr dominant. Nachdem ich auf die Bedeutung von Selbstmarketing für die AbsolventInnen eingegangen bin, thematisiere ich jetzt die Selbsttechnik des Selbstmanagements und untersuche das Bestreben, sich fortwährend zu optimieren. 4.2.2 Besser werden: Selbstoptimierung und Selbstmanagement Im Folgenden gehe ich darauf ein, wie die arbeitssuchenden AbsolventInnen stetig versuchen, sich zu verbessern und ihr Leben möglichst gut zu organisieren und zu planen. Die permanente Selbstbeobachtung und Selbstreflexion, aber auch berufliche Weiterqualifizierung sind dabei zentral. Durch die permanente Arbeit an sich selbst und das Einwirken auf sich mittels der Selbsttechniken der Selbstoptimierung hoffen sie, sowohl Erfolg als auch ein Gefühl der Sicherheit zu erlangen.

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Bevor ich auf die BesucherInnen der Career Services im Allgemeinen zu sprechen komme, erörtere ich die Thematik nun am Beispiel von Lea, einer 28jährigen Absolventin, die sich gerade im Theaterbereich selbstständig macht. Fallbeispiel Lea Ich lerne Lea im Frühjahr 2010 in einem Seminar zum Thema berufliche Orientierung kennen. Nach Abschluss des Seminars treffen sich die TeilnehmerInnen privat weiter, um sich zu beruflichen Themen und Fragen auszutauschen. Ich bin bei diesen Treffen dabei und habe so die Möglichkeit, Lea über einen Zeitraum von mehr als einem halben Jahr kennenzulernen. Sie fällt mir von Anfang an auf, ihre farbenfrohe, alternative Kleidung lässt darauf schließen, dass sie in künstlerischen Kreisen verkehrt. Lea wirkt auf mich ausgesprochen reflektiert, aber auch selbstbewusst, und ich bemerke ihre stets ruhige, bedachte Art sich auszudrücken. Als ich sie im Seminar frage, ob sie mit mir ein Interview führen möchte, stimmt sie zu. Einen gemeinsamen Termin zu finden stellt sich jedoch als schwierig dar, da sie beruflich stark eingebunden ist. Es kommt mehrere Male zu Terminverschiebungen, bis ich Anfang Dezember 2010 das Interview mit ihr führen kann. Lea wohnt seit ihrer Geburt in der gleichen Stadt. Sie lebt dort mit ihrem Partner gemeinsam in einer Wohnung und hat einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Seit ein paar Monaten hat sie ihr Studium der Kulturwissenschaften abgeschlossen und ist gerade dabei, sich im Theaterbereich selbstständig zu machen. Bereits während des Studiums war sie in diesem Arbeitsfeld tätig. Sie hat viele eigene Theaterprojekte durchgeführt und Erfahrungen als Regieassistentin gesammelt. Vor einigen Wochen gründete sie mit FreundInnen einen Theater-Verein, den sie als Plattform für eigene Projekte nutzt. Da sie von der Theaterarbeit nicht leben kann, kellnert sie in unterschiedlichen Kneipen. Ihre ersten Erfahrungen der Selbstständigkeit empfindet Lea als sehr beglückend. Es motiviert sie, ihre Arbeit »selbst in der Hand zu haben« (Interview Lea 12/2010)24 und sowohl die Arbeitsinhalte als auch ihren eigenen Arbeitsrhythmus zu bestimmen: »Das ist tatsächlich das Hauptmotivierende momentan, dass ich die Möglichkeit habe, Ideen zu entwickeln und die dann nicht abzugeben an jemanden, der sie dann irgendwie hinausträgt, sondern dass ich das selber in die Hand nehme. Das finde ich im Moment ganz toll!«

24 Die folgenden Zitate stammen aus dem Interview, das ich mit Lea im Dezember 2010 geführt habe.

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Sie erlebt sich in ihrer Arbeit selbstbestimmt und hat den Eindruck, viele Freiheiten zu haben, gerade auch was die Einteilung der Zeit anbelangt. Jede Woche sieht anders aus, nicht selten arbeitet sie am Wochenende und nimmt sich dafür unter der Woche frei. Schwärmerisch erzählt sie, wie sie es liebt, »dem Stadtrhythmus manchmal aus dem Weg zu gehen« und auch mal an einem Wochentag auszugehen, wenn die nächtlichen Straßen leer sind. Gleichzeitig löst diese Selbstbestimmung bei ihr auch ambivalente Gefühle aus: »Also wenn ich jetzt nicht selber das und das verfolge oder das und das in die Wege leite, dann passiert das auch nicht. Das ist irgendwie ein schönes Gefühl, dass man es in der Hand hat also ehm … und was bewirken kann, aber auf der anderen Seite … klar … hat es auch den Effekt, dass ich so denke: ›Uh, ok, das nimmt mir jetzt auch keiner ab.‹ Ehm … Das ist auch so ne Form von Einsamkeit.«

Als »ihr eigener Auftraggeber«, wie sie sich sieht, genießt sie eine große Autonomie, ihre Arbeit weitgehend selbst zu gestalten. Gleichzeitig lastet auf ihr auch der Druck für alles selbst verantwortlich zu sein und alle Entscheidungen alleine treffen zu müssen, sie erzählt: »Es gibt halt kein Leitfaden oder keinen Rahmen, der das absteckt.« Ihre Formulierung »keinen Leitfaden« zu haben, verweist auf ihre Sehnsucht nach Orientierung. Lea ist mit den Aufgaben auf sich selbst gestellt, muss sich ihre Arbeitsstruktur selber geben und fühlt sich dabei manchmal einsam. Interessant ist dabei, dass sie ihr Gefühl mit »Einsamkeit« beschreibt, einem sehr emotionalen Begriff, der sich sonst eher in intimeren zwischenmenschlichen Kontexten findet. Sie nutzt diesen Begriff jedoch im Zusammenhang ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Dies deutet zum einen darauf hin, dass für sie ihre Arbeitstätigkeit stark mit ihrem gesamten Leben jenseits von Arbeit zusammen hängt und sie auch emotional sehr mit ihrer Arbeit verbunden ist. Zum anderen lässt sich ihre Beschreibung der Einsamkeit damit erklären, dass sie aufgrund der großen Arbeitsbelastung zu wenig Zeit für ihre Freunde findet, worauf ich gleich noch genauer eingehen werde. Lea wünscht sich einen Rahmen, der ihr eine gewisse finanzielle Sicherheit garantiert, wie z.B. ein Einstiegsprogramm für NachwuchskünstlerInnen. So erlebt sie die ersten Monate der Selbstständigkeit als ein »totales Wechselbad«, ohne »Gleichgewicht« und meint, »es gibt Momente, wo ich total zuversichtlich bin und, ehm…, das kommende Jahr plane und da überhaupt kein Problem sehe«, dann überwiegen wieder ihre Sorgen und Existenzängste. In solchen Momenten zweifelt sie an der Freiberuflichkeit und fragt sich, »ob das die richtige Berufsentscheidung war«.

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Am meisten Sorgen bereitet ihr, für das kommende Jahr genügend Aufträge zu akquirieren. Aus Angst zu wenig zu tun zu haben, überarbeitet sie sich strukturell: »Aber dadurch, dass ich das nächste Jahr noch nicht so einschätzen kann, schieße ich schon so übers Ziel hinaus. […] Dass ich halt sehr, sehr viel investiere. Und ehm…, ja, wenn ich wüsste, das nächste Jahr ist sozusagen abgedeckt, dann würde ich deutlich weniger tun.«

Aufgrund ihrer materiellen Zukunftsängste ist ihre Arbeitsbelastung sehr hoch und sie leistet viel unbezahlte Vorarbeit, ohne zu wissen, ob das Projekt überhaupt »funktioniert« und sie Erfolg haben wird. Immer wieder hat sie den Eindruck, sich in ihrer Arbeit zu »verlieren« und vor lauter Arbeit ihre sozialen Beziehungen zu vernachlässigen. Es gibt Monate, wo sie nur mit der Arbeit beschäftigt ist, sich kaum mehr mit FreundInnen trifft und mit Schrecken feststellt: »Ich sehe überhaupt niemanden mehr!« Sie sieht die »Kehrseite« der unregelmäßigen Arbeitszeiten darin, dass Verabredungen schwierig einzuhalten sind. Obwohl ihr die eigene Beziehung, die Familie und Freunde sehr wichtig sind,25 verbringt sie phasenweise nur wenig Zeit mit ihnen, was immer wieder auf Unverständnis stößt. Insbesondere diejenigen Menschen, die nicht im Kultursektor arbeiten, könnten ihre Situation nur schwer nachvollziehen, was Lea manchmal als »irgendwo einsam« empfindet. Sie fühlt sich unverstanden und es überkommt sie ein Gefühl der Einsamkeit und Isolation. Wiederholt beschreibt Lea Situationen, in denen sie ihre Arbeit nicht »in der Hand hat« und sie den Eindruck hat, dass sie ihr »entgleitet«. Besonders in Momenten, in denen sie sich unerfahren fühlt oder wenn die Existenzängste überwiegen, fürchtet sie, die Kontrolle über die Arbeit zu verlieren. Diesen Unsicherheitsgefühlen begegnet sie, indem sie sich möglichst gut zu organisieren versucht und anfängt zu planen. Sie ist bemüht, mehr Struktur in ihren Arbeitsalltag zu bekommen und meint: »Das klappt mal besser und mal schlechter, wenn man zuhause arbeitet.« Weil sie die Arbeit an mehreren Projekten gleichzeitig sehr anstrengt, hat sie angefangen, sich Bürozeiten zu »blocken« oder einem Tag »ein Thema zu geben«. Zudem hat sie einen Raum, wo sie »die Türe zu machen kann«. Diese räumliche Distanz erlaubt ihr, Arbeit und Freizeit besser voneinander trennen zu können. Dennoch hat sie Schwierigkeiten abzuschalten:

25 Der Austausch mit nahestehenden Menschen hilft ihr: »Es tut ja auch gut, wenn Dich jemand anguckt und sagt, ›Mann, dich beschäftigt gerade was!‹ oder ›Was ist denn los?‹«.

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»Wenn eine Sache total rumort, dann muss ich da auch nochmals dran. Oder denke halt die ganze Zeit dran (lacht).« Insofern ist sie auf der Suche nach Techniken, die ihr die Organisation ihrer Arbeit erleichtern. Genauso wie ihre selbstständige Tätigkeit versucht sie auch Erholungsphasen zu planen und zu organisieren und das Entspannen »gezielt anzugehen«. Sie hat bereits »bestimmte Sachen rausgefunden«, wie ihr das besonders gut gelingt und greift auf Selbstorganisationstechniken aus Seminaren26 und Ratgebern zurück: »Natürlich gibt es ein paar Modelle oder Methoden oder ehm…, die funktionieren, aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich bastle mir das selber zusammen, es gibt jetzt nicht eine Methode oder einen Ratgeber, den ich jetzt total befolge.«

Aus den zahlreichen Empfehlungen sucht sie sich die passenden Techniken heraus, die »funktionieren«, wie sie sich ausdrückt. Hier fällt ihre technische Sprache auf. Sie hat die Idee, ihr Berufs- und Privatleben durch Techniken besser steuern und mit Hilfe von Methoden auf sich einwirken zu können. Damit hat sie die gesellschaftliche Norm »es ist alles eine Frage der Technik« verinnerlicht, welche auf die Selbstverantwortung der Personen zielt. Ihre konstanten Bemühungen ihre Arbeitsorganisation zu verbessern gehen einher mit einer ausgeprägten Selbstreflexion, die sie unmittelbar verknüpft sieht mit der Selbstständigkeit: »Also das [die Selbstreflexion] verbinde ich einfach ganz stark mit Selbstständigkeit, … selbst und ständig. […] Also Du beschäftigst Dich ja schon sehr viel mit dir selber auf ne Art. [Pause] Also beschäftigst Dich ständig mit deinen eigenen Produkten, ehm Vorhaben, ja … (sie seufzt).«

Das Wort »Selbstständigkeit« mit seinen Elementen »selbst« und »ständig« beschreibt für sie sehr gut ihre derzeitige Situation: »Ständig« ist sie dabei sich mit sich »selbst« und ihren Projekten zu befassen und unterzieht sich einer Selbstanalyse. Sie lernt sich in ihrer beruflichen Rolle »einzuschätzen« und sich regelmäßig zu fragen, »war das wirklich so schlecht oder war das gut?«. Durch diese permanente Selbstreflexion möchte sie sich weiterentwickeln und ihre Arbeit verbessern. Nicht nur ihre alltägliche Arbeit reflektiert sie permanent, sondern sie hinterfragt auch fortlaufend ihr gesamtes »Lebenskonzept«, welches eng mit ihrem

26 So besucht sie z.B. ein Seminar zum Thema Arbeitstechniken, um in ihrer »Berufsrolle« herausfinden, »wie bin ich selber drauf«.

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Beruf verknüpft ist. Beruf und das Leben fließen in ihren Erzählungen oft ineinander über und sind kaum voneinander zu trennen. Meist macht sie dabei keinen Unterschied zwischen ihrem beruflichen und privaten Leben und adressiert sich als gesamte Person. Für das nächste Jahr nimmt sie sich vor, ihre gesamte Situation in einem Jahresrückblick grundlegend zu überprüfen: »Also so ein Jahr gebe ich nochmals alles und Ende nächsten Jahres ziehe ich nochmals Resümee und schaue es mir nochmals genau an.« Wenn sie in einem Jahr merken sollte, dass sie doch nicht den richtigen Weg gewählt hat, wird sie sich »grundsätzlich etwas Neues überlegen« müssen. Gerade wenn sie sich unsicher fühlt, fängt sie an, ihre berufliche Entscheidung komplett in Frage zu stellen, sie beginnt »sich selber nochmals zu erforschen« und zu fragen: »Wo liegen denn meine Stärken? Wenn ich jetzt wirklich nochmal eine Berufsberatung machen würde und jetzt wirklich nochmal auf null gehen würde, was käme dabei raus? Investiere ich an der richtigen Stelle, sozusagen oder bin ich an der richtigen Stelle angekommen?«

Mit einem kritischem Blick hinterfragt sie ihre berufliche Tätigkeit. Sie stellt sich vor, wie es wäre, nochmals ganz von vorne anzufangen. Sie würde dann prüfen, ob die Arbeit tatsächlich zu ihren Stärken passt und ob sie ihre Fähigkeiten richtig einsetzt. Ihre Vorstellung, auf sich selbst einwirken zu können und »auf null« zu gehen, hat dabei erneut einen instrumentellen bis maschinellen Charakter. Sie möchte den Verlauf ihres Berufslebens regulieren und benutzt dabei eine ökonomische, zahlenorientierte Sprache. In ihrem Selbstbild investiert sie in sich selbst und in ihre Arbeit, wie ein Unternehmer in seinen Betrieb, was durch ihre selbstständige Tätigkeit verstärkt wird. Sogar das Interview dient ihr zur Selbstreflexion und sie erklärt am Ende unseres Gesprächs, dass es ihr geholfen hat, ihre Situation klarer zu sehen, sie hätte viele »Gedankenanstöße« bekommen. Als sie das sagt, habe ich den Eindruck, dass das Interview für sie den Charakter eines Beratungsgesprächs hat27. Immer wieder fragt sie sich, ob sie die passende berufliche Entscheidung getroffen hat und »an der richtigen Stelle angekommen« ist, was auf ihr Bedürfnis

27 Mein Eindruck, die Interviewpartnerin nutze unser Gespräch als Beratung, ist auch vor dem Hintergrund meiner Doppelrolle als Beraterin und Feldforscherin zu sehen, da ich in den Career Services auf freiberuflicher Basis selbst als Beraterin und Dozentin tätig bin. Auf diese Doppelrolle gehe ich im Abschnitt zum Forschungsprozess näher ein (vgl. Kapitel 2.2.4).

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nach Sicherheit und Konstanz schließen lässt. »Ich fühle mich noch überhaupt nicht fertig und angekommen im Beruf« und meint damit: »Ja, so ein Moment, wo ich das vielleicht nicht mehr so doll hinterfrage, ob die Berufsentscheidung die richtige war, ob das nächste Jahr irgendwie so funktioniert wie ich es mir vorstelle. Puh!«

Während sie ihre Arbeit immer wieder auf den Prüfstand stellt und sich permanent selbst reflektiert, hat sie gleichzeitig auch das Gefühl nirgends anzukommen, nahtlos geht es immer weiter. Diese permanente Selbstreflexion strengt sie sehr an und führt bei ihr zu einem Gefühl der Rastlosigkeit. Sie sehnt sich danach, sich nicht immer wieder von Neuem hinterfragen zu müssen und die Sicherheit zu haben, dass sie von ihrer Selbstständigkeit leben kann. Hier strebt sie nach dem Ideal, einmal »fertig« zu sein im Beruf und hat dabei ein lineares Verständnis der beruflichen Karriere, in der man die eigene Situation stetig verbessert. Stufe für Stufe möchte sie die Karriereleiter erklimmen, um irgendwann einmal oben anzukommen und sich endlich sicher zu fühlen. Gleichzeitig bezweifelt sie, ein solches »Ankommen« überhaupt jemals erreichen zu können und meint, »Das ist vielleicht auch die Frage, ob das jemals der Fall sein wird (lacht).« Vielmehr sei heutzutage von jedem gefordert, sich konstant weiterentwickeln zu müssen, aus ihrer Sicht besteht ein äußerer und verinnerlichter Zwang, permanent an sich zu arbeiten und sich zu verbessern. Als selbstständige Theaterschaffende zu arbeiten ermöglicht Lea eine gewisse Autonomie, die sie befriedigt. Gleichzeitig empfindet sie es jedoch auch als Druck, für alles selbst verantwortlich zu sein und keine finanzielle Sicherheit zu haben. Ihren Ängsten und Unsicherheiten begegnet sie mit zahlreichen Selbsttechniken wie der verbesserten Selbstorganisation, Planung und eine kontinuierliche Selbstreflexion. Dies ist eine Strategie, die ich auch bei anderen AbsolventInnen beobachten kann, worauf ich gleich eingehen werde. Um sich selbst und ihre Arbeitsleistung zu optimieren und erfolgreicher zu werden, stellt sie sich permanent in Frage und sucht nach Optimierungsmöglichkeiten, wobei das Berufliche mit dem Leben insgesamt verschwimmt. Sie versucht ihr komplettes Leben anhand von ökonomischen Maßstäben der Effizienz und Leistungsoptimierung zu steuern, sie muss immer noch besser werden, was bei ihr ein Gefühl der Rastlosigkeit verursacht. Nachdem ich auf der Ebene des Individuums beleuchtet habe, wie Lea danach strebt, ihr (Berufs-)Leben möglichst gut zu organisieren und sich selbst permanent zu optimieren, möchte ich dieses Thema nun auf einer breiteren Ebene untersuchen. Mich interessiert, welche Bedeutung die fortwährende Selbstop-

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timierung für die AbsolventInnen hat und inwiefern sich Ähnlichkeiten in ihren Wahrnehmungen abzeichnen. Die AbsolventInnen Die AbsolventInnen versuchen ihre berufliche Situation und ihre Chancen bei der Arbeitsuche zu verbessern und streben danach, ihren beruflichen Werdegang so weit wie möglich selbst zu gestalten. Ähnlich wie Lea, die ihre Arbeit gern »selbst in der Hand« hat, fordert auch Ines, eine Absolventin der Germanistik, dazu auf »einzusehen, dass man schon irgendwas in der Hand hat« (Interview Ines 8/2009). Sie ist der Überzeugung, dass jeder seinen eigenen beruflichen Weg zu einem großen Anteil selbst bestimmen kann: »Klar klappt nicht immer alles so, wie man will aber man kann schon viel drehen, man kann schon viel richten, wenn man es richtig angeht. Das ist eine gewisse Verantwortung und man sollte die schon nutzen, man sollte seine Chancen nutzen, man sollte seine Potentiale nutzen.« (Interview Ines 8/2009)

Zwar räumt sie ein, dass nicht alles planbar ist, dennoch hängt der berufliche Erfolg aus ihrer Sicht maßgeblich davon ab »es richtig anzugehen«, sich »richtig« zu verhalten (Interview Ines 8/2009). Dabei übernimmt sie den ökonomisch geprägten Selbstverantwortungsdiskurs und überträgt jedem Einzelnen eine große Eigenverantwortung: Jeder soll seine eigenen Möglichkeiten und »Potentiale« nutzen. Gleichzeitig schwingt hier auch mit, dass man sich nicht beklagen, sondern die eigene berufliche Situation optimistisch sehen sollte, eine Haltung, die mir auch bei den MitarbeiterInnen von Career Services viel begegnet ist (Kapitel 3.1.1, Kapitel 3.1.2). Mir bleibt unklar, an wen sie ihren Appell richtet und ich frage mich, ob sie an sich selbst appelliert. Hier zeigt sich ihre Ohnmacht, Vieles in ihrem beruflichen Leben eben gerade nicht beeinflussen zu können. So bewirbt sie sich derzeit vergeblich um ein Stipendium für eine Dissertation und hat Schwierigkeiten mit ihrer freiberuflichen Arbeit als Lektorin genug Geld zum Leben zu erwirtschaften. Indem sie sich selbst zuredet, ihr berufliches Fortkommen durch »richtiges« Verhalten lenken zu können, kann sie ihr eigenes Gefühl von Schwäche und Unsicherheit überdecken. Durch Planung und Organisation versuchen sich die AbsolventInnen sicherer zu fühlen. Sie wünschen sich ein Berufsziel oder einen Plan, an dem sie sich »ran hangeln« können, wie es einer meiner Informanten, Alejandro, ausdrückt. Er ist 30 Jahre alt und schließt gerade sein Studium der Informatik ab. Berufsziele zu formulieren gibt ihm Orientierung und er erklärt, »wenn alles offen ist, hast Du so viele Entscheidungen, die kannst Du gar nicht fällen, weil Du gar nicht

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weißt, wo Du hin sollst« (Interview Alejandro 10/2009). Mit einem konkreten Ziel vor Augen kann er leichter Entscheidungen treffen. Auch Lena, eine 25jährige Germanistin, beschreibt im Interview, dass sie sich während der Arbeitssuche gut fühlt, solange sie für sich selbst »einen Plan« hat, »was meine nächsten Schritte sind.« Sobald sie an ihrer Bewerbungsstrategie zweifelt und der eigene Plan ins Wanken gerät, kommt bei ihr »so ein Unsicherheitsgefühl auf« (Interview Lena 10/2009; vgl. Interview Martin 7/2010). Viele AbsolventInnen haben den Anspruch, ihren beruflichen Weg möglichst zielstrebig zu verfolgen, was ich an zwei Erlebnissen verdeutlichen möchte. In einem Seminar berichtet Lena freudig, dass sie ein Praktikumsplatz bekommen hat, wo sie zwar nur 300 € monatlich verdient, aber die Aussicht hat, als Volontärin übernommen zu werden. Sie erklärt, dass sie »endlich« sagen kann, »Ich habe einen Plan, wie es weiter geht«, die Erleichterung ist ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. Sie sucht seit über einem Jahr als Germanistin eine Arbeitsstelle und leidet immer mehr darunter, nirgends beruflich eingebunden zu sein. Der Praktikumsplatz und die Aussicht auf eine Volontariatsstelle geben ihr ein Zugehörigkeitsgefühl (Tagebuch 2/2011). Damit hat sie das verbreitete Verständnis, dass nur diejenigen Menschen vollends zur Gesellschaft gehören, die eine Arbeit haben. Hierauf bin ich im ersten Abschnitt 4.1.1 bereits ausführlich eingegangen. In einem anderen Seminar zum Thema Berufseinstieg erzählt eine arbeitssuchende Absolventin der Soziologie, dass sie sich so schnell wie möglich für ein berufliches Ziel »entscheiden« und »darauf hin steuern« möchte. Sie hat seit über einem Jahr ihr Studium abgeschlossen. Später erfahre ich, dass sie ein Jahr lang krank war und stationär behandelt wurde. Jetzt wo sie wieder gesund ist, möchte sie »endlich los legen«, »keine Zeit mehr verlieren« und eine Tätigkeit finden, »die all [ihre] Fähigkeiten vereint«. Gleichzeitig merkt sie auch, wie stark sie sich selbst unter Druck setzt, die »richtige« Arbeit zu finden und überlegt, ob sie vielleicht »zu viele Coachingbücher gelesen hat« und ihre Erwartungen zu hoch sind (Tagebuch 3/2011). Das Planen ihrer Zeit gibt den AbsolventInnen Sicherheit. Dies hat auch Pieper bezogen auf prekär beschäftigte WissenschaftlerInnen festgestellt, die ständig zwischen verschiedenen Tätigkeiten wechseln müssen: »Bei diesem stressigen und intensiven Hin- und Herschalten zwischen den multiplen Aktivitäten scheint den AkteurInnen eins Orientierung zu bieten: das Planen ihrer Zeit, auch wenn der Plan selten eingehalten wird.« (Pieper et al. 2009: 348)

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Dieses Planungsbedürfnis zeigt sich nicht nur im beruflichen Leben, sondern auch in anderen Lebensbereichen wie z.B. der Familiengründung. Hier wird ganz besonders deutlich, dass ökonomische Prinzipien auf das Leben insgesamt angewendet werden und damit eine Ökonomisierung des Sozialen erfolgt. Viele meiner weiblichen Informantinnen machen sich große Sorgen wie sie ihren Wunsch nach Familie und Kindern realisieren können, ohne dabei den beruflichen Erfolg aufs Spiel zu setzen. Die Frage nach der Familienplanung verunsichert auch Julia, Islam- und Politikwissenschaftlerin, auf die ich im ersten Fallbeispiel (Kapitel 4.1.1) bereits ausführlich eingegangen bin. Für sie gibt es »für die gesamte Lebensplanung« »keine große Gewissheit mehr« (Interview Julia 1/2010) und Familie und »Erfolg im Arbeitsleben« lassen sich nur schwer vereinbaren. Sie argumentiert, »[…] dass es ähm ja ein ziemliches Minenfeld gibt, auf dem man sich als Frau bewegt, dass es da nochmals ganz andere Anforderungen gibt. Das ist noch viel schizophrener als all das was sowieso schon so der Fall ist. […] Aber ich habe den Eindruck, dass bei der Durchschnittsfrau eher die Warnglocken geschlagen werden, dass Du halt tierisch aufpassen musst, dass die gesamte Planung funktioniert, dass Du nicht länger als ein, zwei Jahre außerhalb des Jobs bist, weil Du damit dann schon wieder Deine letzte Qualifikation verwirkst, wenn du zu lange außen vor bist.« (Interview Julia 1/2010)

Familie und beruflichen Erfolg miteinander zu verbinden setzt sie unter Druck und sie fürchtet sich davor, nicht beides realisieren zu können. Mit Formulierungen wie »Minenfeld« oder »Warnglocken« verweist sie auf die Gefahr, als Mutter den Anschluss an das Berufsleben zu verlieren. Es gilt die Schwangerschaft genau zu planen und damit das Risiko zu minimieren den »richtigen« Zeitpunkt zu verpassen. Zwar würde sie am liebsten gleich Mutter werden, doch möchte sie erst eine Zeit lang berufstätig sein. Mit 29 Jahren empfindet sie sich schon als »relativ alt« für jemanden, der noch kaum Berufserfahrung hat. Von ihr werde erwartet erst einmal mindestens drei Jahre zu arbeiten, bevor sie ihr erstes Kind bekommt. Bereits jetzt macht sie sich Sorgen, als Mutter keine Anstellung mehr zu finden und überlegt, inwiefern Selbstständigkeit bei einem festen Gehalt des Partners eine Alternative wäre. Doch es fällt ihr schwer, ihr Leben genau zu planen: »Aber das sind halt alles so Sachen ich finde es halt total schwierig, das halt alles so miteinander zu verrechnen und dann zu gucken, was ist eigentlich sozial und arbeitsmäßig mein, mein Plan. Dann ist es halt einfach total kompliziert.« (Ebd.)

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Das ganze Taktieren und strategische Denken empfindet sie als sehr anstrengend. Ihr Ausdruck, »alles so miteinander zu verrechnen«, verweist auf das instrumentelle, technische und betriebswirtschaftliche Verständnis vom eigenen Lebensverlauf, den es zu kontrollieren gilt. Auch Lena würde gerne bald Kinder bekommen. »Wenn ich könnte, würde ich gerne recht schnell das erste Kind bekommen« (Interview Lena 10/2009). Manchmal hat sie im Hinterkopf »jetzt machen wir es einfach jetzt schon und gucken, wie es geht« (ebd.). Ihr Bedürfnis nach Sicherheit lässt sie jedoch zögern: »Aber ich glaube, da bin ich ein bisschen sicherheitsfanatisch, um das wirklich durchzuziehen.« Wie Julia ist sie der Überzeugung, dass sie erst einmal eine längere Zeit arbeiten muss, bevor sie das überhaupt machen kann. Ihr großer Kinderwunsch »treibt sie an« ihre Arbeitssuche »nach vorne zu bringen« und auch ihrem Partner nahezulegen: »Mache mal zu mit Deinen Sachen, ich möchte, dass wir das bald mal auf die Reihe kriegen, dass wir beide in Arbeit kommen, damit wir dann auch sagen können, jetzt geht es los.« Gerade im Vergleich zu ihren Eltern, fühlt sie sich mit 25 Jahren schon fast zu alt um Mutter zu werden und möchte, »vor 30 mindestens das erste [Kind] bekommen«. Sie hat den Eindruck, dass »die Zeit auch ganz schnell verfliegt« und formuliert die Sorge, »wenn man das nicht plant, dass man einfach viel später damit anfängt, als es gewollt war.« Sie hat Angst in Zukunft etwas zu bereuen und nicht alles zu erreichen, was sie sich vorgenommen hat. Ihr berufliches und familiäres Leben zu planen gibt ihr die Zuversicht, nichts zu verpassen und ein möglichst »optimales« Leben zu führen (ebd.). Die AbsolventInnen versuchen ihren beruflichen Weg zu steuern und wirken dabei auf sich selbst ein. So beschreibt Lena, dass sie gerade den Bewerbungsprozess als eine »sehr starke Arbeit an einem selber« wahrnimmt (Interview Lena 10/2009). Sie unterziehen sich während der Arbeitssuche einer permanenten Selbstanalyse und damit auch Selbstkontrolle im Sinne Foucaults (Kapitel 1.3.2). Fortlaufend hinterfragen sie sich selbst, stellen sich wie Lea die Fragen »Wo stehe ich, wo will ich hin, was sollte ich noch verbessern?« und nutzen hierfür auch die Seminare der Career Services. Ein Teilnehmer in einem Seminar bezeichnet die Angebote des Career Service als »gute Investition«. Er nutzt die Seminare, um sich immer wieder »mit sich selbst zu konfrontieren« (Tagebuch 11/2009). Auch Christoph, ein 35-jähriger Absolvent der Philosophie, erzählt im Interview, dass er durch den Seminarbesuch im Career Service »Anregungen zur Selbstanalyse« bekommen habe und sich dort die Frage stellen konnte: »Wo stehe ich?«. Sich zu beruflichen Themen beraten zu lassen gibt ihnen Sicherheit, wie Ines im Interview erzählt:

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»Ich merke dass mir das gut tut meine Mentoren zu haben oder eben auch dass ich Angebote vom Career Service annehmen kann, dass man sich da Strategien und Tipps holt.« (Interview Ines 8/2009)

Ines holt sich Ratschläge und Anregungen bei erfahrenen Personen ihres Vertrauens oder auch im Career Service. Einige meiner InformantInnen suchen sich auch außerhalb des Career Services professionelle Unterstützung bei der Planung ihres beruflichen Werdegangs. So hat Martin sich schon mehrere Male von Karriereberatern beraten lassen (Interview Martin 7/2010). Hier zeigt sich erneut das Bedürfnis der AbsolventInnen ihren beruflichen Weg zu steuern. So sieht auch Julia die Arbeitssuche nach dem Studienabschluss nicht als ein »natürlichen Übergang« an, sondern merkt, dass sie sich darauf »ganz schön vorbereiten muss« und es »eine Art von Arbeit erfordert an mir selber«. Bereits bei der Arbeitssuche wird in ihrer Wahrnehmung eine Form von »Professionalität« gefordert. Von ihr wird erwartet, sich permanent zu reflektieren und an sich zu arbeiten. Zudem sieht sie es als eine Notwendigkeit, sich neben dem Bewerben stetig weiterzubilden und erklärt, »das sieht ja sonst total scheiße in deiner Vita aus«. Sie hat für sich selbst den Anspruch, »eine Balance zu finden zwischen Bewerbung und Weiterbildung beziehungsweise Konkretisierung der eigenen Fähigkeiten«. Aus Angst sich durch die längere Zeit der Arbeitslosigkeit zu disqualifizieren, investiert sie stetig in Praktika oder Weiterbildungsmaßnahmen. Dieser wahrgenommene Zwang zur Weiterbildung setzt viele meiner InformantInnen auch unter Druck wie es Lena beschreibt: »Ich finde es auch eher so ein bisschen unheimlich, dass man sich quasi weiterentwickeln muss, weil vielleicht einfach die eine Tür geschlossen wird und dann muss man eine andere aufmachen und kucken, wie es weiter geht.« (Interview Lena 10/2009)

Sie sieht sich mit der Anforderung konfrontiert, sich stetig weiterentwickeln zu müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren an das Berufsleben. So kann es jederzeit sein, dass sie erneut arbeitslos wird, »eine Tür geschlossen wird« und sie sich von neuem bewähren muss. Die Metapher der Tür, die »geschlossen« wird, ist eine Metapher, die viele meiner GesprächspartnerInnen sowie die MitarbeiterInnen (Kapitel 3.1.1, Kapitel 3.1.4) nutzen und die anzeigt, wie sehr sie sich fürchten, aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden. Ähnlich erzählt Ines (Interview Ines 8/2009), dass sie im Medien- und Verlagsbereich mit Mitbewerbern »konkurriert«, die nach einem Master und zehn Praktika immer noch bereit sind, eine Volontariatsstelle anzunehmen. Sie erklärt:

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»Das heißt, sie sind hinterher fünf Ausbildungsschritte gegangen, um einen Einstiegsjob zu bekommen«. Sie findet es furchtbar, was HochschulabsolventInnen für eine Arbeit in Kauf nehmen: »Und das finde ich sehr erschreckend. Das ist so ne Liga, wo ich nicht mitspielen möchte.« Zwar zeigt sie an, unter diesen Umständen lieber auf eine hohe Position zu verzichten und grenzt sich damit von solch hohen Leistungserwartungen ab. Gleichzeitig kann sie sich jedoch den wahrgenommenen Anforderungen nicht entziehen. 28 Auch sie hat bereits sehr viele Praktika gemacht und versucht ihren beruflichen Weg möglichst gut zu planen. Um sich möglichst viele Optionen offen zu halten, möchte sie die Promotion mit einem Volontariat verbinden. Auf vergleichbare Weise wie ich es gerade bei Ines beschrieben habe, kritisieren auch andere meiner InformantInnen diesen erlebten Zwang, permanent zu planen und sich selbst optimieren zu müssen. In einem Seminar ist eine Teilnehmerin empört darüber, dass man ständig an sich arbeiten und ein Ziel haben muss »bis zum Tod«. Ihr Gesprächspartner pflichtet ihr bei und meint, »ich habe nichts gegen Lebenslanges Lernen« (vgl. Kapitel 2.1.2), aber diese permanente Anforderung noch mehr leisten zu müssen, lehnt er ab (Tagebuch 11/2011). Andere zweifeln auch am Sinn zu planen, wenn das Ziel sowieso nicht erreicht werden kann, da die äußeren Verhältnisse es nicht zulassen. So wird angemerkt, dass es in einigen Berufsfeldern sehr schwierig bleibt, einen Einstieg zu finden, auch wenn man noch so viel plant (Tagebuch 3/2011). Insofern nehmen sie durchaus äußere Hemmnisse wahr und beziehen ihre Probleme nicht nur auf sich selbst. Auch Julia setzt es unter Druck, gedanklich immer schon bei der nächsten Bewerbung sein zu müssen, sie empfindet sich selbst als rastlos, findet keine Ruhe und kann nirgends ankommen.29 So verlangt ihr Vater, dass sie sich wäh-

28 Ines nimmt es als ein Gesetz wahr, dass man sich hohe berufliche Ziele stecken muss. »Ich habe das Gefühl, dass ein ungeschriebenes Gesetz auch ist, dass die Arbeit und die Karriere an erster Stelle zu stehen hat und dass man auch sagen muss: ›Ich will Karriere machen‹. Ich glaube es ist heutzutage schon komisch wenn man sagt, ›Mittelmaß reicht mir, ich will nicht in der Bundesliga spielen‹. Heutzutage ist es so, dass man sagen muss, ›ich will das Maximum aus mir heraus holen und am besten noch alle anderen weg boxen. [lacht]« (Interview Ines 8/2009) 29 Auch wenn sie diese Anforderung der permanenten Aktivität kritisiert, formuliert sie es dennoch als Anspruch an sich selbst. »Gleichzeitig bist du ja in dieser Zeit auch gefordert, was zu machen, du kannst ja nicht nur Bewerbungen schreiben, das sieht ja sonst total scheiße aus.« (Interview Julia 1/2010) Sie fordert von sich selbst, »so eine

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rend ihres nächsten Auslandpraktikums weiter in Deutschland bewirbt. »Wie flexibel muss man denn noch sein?« fragt sie empört. Sie empfindet es als Belastung immer auf Abruf zu sein, weder planen, noch im Moment leben zu können (Interview Julia 1/2010). Die permanente Ungewissheit, der Umgang »mit diesen ganzen Eventualitäten« (Tagebuch 3/2010), was jede Zukunftsplanung verunmöglicht, nehmen die AbsolventInnen als sehr belastend wahr. Abschließend kann festgehalten werden, dass die AbsolventInnen versuchen, durch Planung, Selbstorganisation und permanente Selbstreflexion Erfolg, aber auch berufliche Sicherheit zu erlangen. Hier zeigt sich der Wunsch, ihren beruflichen Werdegang und das gesamte Leben zu steuern und zu regulieren. Dabei wird ihr instrumentelles sowie ökonomisches Verständnis des eigenen Lebens deutlich: Sie haben das Gefühl, ihre Situation durch »richtiges Verhalten« und Techniken verbessern und steuern zu können und wirken dafür auf sich selbst ein. Mit dem Ziel beruflichen Erfolg zu erlangen, aber auch zunächst einmal berufliches Scheitern abzuwenden, versuchen sie, das eigene Leben bis hin zur Familienplanung optimal zu terminieren, zu koordinieren und nach betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Prinzipien zu steuern. Dabei dominiert die Arbeitstätigkeit meist alle anderen Lebensbereiche, so geht es z.B. bei der Familienplanung letztlich um die Organisation und Optimierung der eigenen Berufslaufbahn. Ein Kind zu bekommen wird Teil der eigenen Karriereplanung, wird ihr teilweise gar untergeordnet. Zudem werden liberale Wirtschaftsideale aus der gegenwärtigen Managementliteratur auf das ganze Leben übertragen, es gilt das gesamte Leben wie einen Betrieb zu managen und zu optimieren, womit eine Ökonomisierung des Sozialen deutlich erkennbar ist. Zwar kritisieren einige AbsolventInnen den empfundenen Zwang zur permanenten Selbstoptimierung, sie nehmen ihre Möglichkeiten der Planung und Beeinflussung des eigenen Lebens als begrenzt wahr und fühlen sich überfordert. So nehmen sie immer wieder auch die gesellschaftlichen Zwänge wahr, was eine gegenläufige Tendenz darstellt dazu, dass sie sich überwiegend selbst verantwortlich machen für ihre beruflichen Schwierigkeiten. Doch trotz dieser Kritik streben die AbsolventInnen nach diesem Optimierungsideal und können sich diesem kaum entziehen. Es folgt nun eine Synthese, in der ich meine zentralen Ergebnisse bezogen auf die AbsolventInnen zusammenfasse.

Balance zu finden zwischen Bewerbung und Weiterbildung, bzw. Konkretisierung Deiner Fähigkeiten« (ebd.).

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4.3 S YNTHESE III In den vorherigen Unterkapiteln bin ich auf die Umgangsweisen von arbeitssuchenden HochschulabsolventInnen mit dem Diskurs eingegangen. Nun werde ich meine wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse daraus in einer Synthese zusammenfassen. Ich habe untersucht, wie AbsolventInnen, die Career Services aufsuchen, ihre Arbeitssuche erleben. Dabei wurde deutlich, dass sie die Zeit, in der sie sich um eine Arbeitsstelle bewerben, als eine krisengeprägte Zeit der großen Unsicherheit erleben. Sie haben den Eindruck, nirgends richtig dazuzugehören und fühlen sich in einer Art »virtuellen« Zwischenwelt. Sie haben ihr »Studentenleben« hinter sich gelassen und versuchen, Zugang zu der Welt der erfolgreichen Berufstätigen zu erlangen, doch sind sie oft für eine längere Zeit davon ausgeschlossen. Permanent versuchen sie sich an die wahrgenommenen Anforderungen der Arbeitswelt anzupassen, bei jeder Bewerbung imaginieren sie sich ihr Leben in einer neuen beruflichen Stellung. Doch nicht selten bleibt es bei ihrer Vorstellung, sie bekommen nur unpersönliche Absageschreiben und werden erneut auf sich selbst zurückgeworfen. Neben ihren finanziellen Sorgen und ihrer Haltlosigkeit leiden sie an der geringen Anerkennung. In ihrem Status als Arbeitslose empfinden sie sich als minderwertig und haben große Selbstzweifel. Auffällig ist, dass sich die arbeitssuchenden AkademikerInnen systematisch selbst die Schuld für ihren geringen Erfolg geben. Zwar sind sie sich bewusst, dass die Gründe für ihre schwierige Lage auch außerhalb ihrer selbst zu finden sind, doch überwiegt ihre Angst nicht ausreichend aktiv zu sein, sich nicht genügend anzustrengen und sie empfinden sich als ungenügend. Gleichzeitig gibt es ihnen sowohl Mut als auch das nötige Durchhaltevermögen, wenn sie ihre Handlungsmöglichkeiten betonen. Sich ihre Ohnmachtsgefühle einzugestehen, würde ihnen möglicherweise noch mehr Angst machen. Meine Ergebnisse zeigen, dass ihre Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühle, ihre Angst als faul zu gelten, aber auch ihr Wunsch dazuzugehören zu der Welt der Erfolgreichen, einen Motor für die permanente Selbstaktivierung darstellt. Ähnlich wie bei den MitarbeiterInnen dient die eigene Aktivität als Sicherheitsanker, der sie davor schützen soll, sozial abzusteigen. So greift der Diskurs ganz besonders gut bei denjenigen Menschen, die sich in einer beruflichen Krise befinden und Angst haben, längerfristig ausgeschlossen zu sein aus der Berufswelt: Gerade sie sind aus den oben genannten Gründen besonders empfänglich für die unternehmerischen Subjektanforderungen und Appelle.

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Um ihrer Unsicherheit zu begegnen und Erfolg zu haben, beginnen die BesucherInnen der Career Services, auf sich selbst mit Selbsttechniken einzuwirken und sich für die Arbeitswelt passend zu machen. Selbstmarketing- und Selbstmanagementtechniken bilden für sie den Schlüssel zum Erfolg. Hierzu gehört, dass sie versuchen, sich als gesamte Person beruflich zu verwirklichen und zu verwerten und ihre gesamte Identität auf ein berufliches Ziel auszurichten. Dabei verändert sich jedoch das Verhältnis zu sich selbst, das zunehmend ökonomisch geprägt ist. Auf einmal sind sie nur noch das, was sich verwerten lässt, andere Aspekte ihres Selbst rücken in den Hintergrund, werden wertlos. Ihr Marktwert bestimmt nun in großen Teilen auch ihr Selbstwert. Sie differenzieren kaum mehr zwischen sich als Person und ihrer Arbeitskraft, mit der sie sich bewerben, worin ich eine Ökonomisierung des Sozialen erkenne. Ideale des Selbstmanagements folgend versuchen sie ihr gesamtes Leben nach ökonomischen Maßstäben wie Effizienz, Leistungsoptimierung und Kosten-Nutzen-Kategorien auszurichten. Liberale Wirtschaftsideale werden auf das gesamte Leben übertragen und ich beobachte ihren Wunsch, das gesamte Leben – bis hin zur Familienplanung – zu regulieren. Dabei zeigt sich eine instrumentelle Sicht auf das Leben. Indem sie sich selbst nach ökonomischen Erfolgskriterien neu bewerten und versuchen möglichst aktiv zu sein, fühlen sie sich im ersten Moment sicherer und haben den Eindruck, ihr Leben selbst »in der Hand zu haben«. Während sie ihrer gesamten Identität einen Produktcharakter verleihen, vergrößert sich jedoch auch ihre Angst, als gesamte Person abgelehnt zu werden. Sie erwarten von sich selbst, den wahrgenommenen Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechen und etwas sein zu müssen, was sie vielleicht gar nicht sind. Dies löst in ihnen ein Gefühl aus, sich selbst fremd zu werden und zieht eine noch größere Orientierungslosigkeit nach sich. Zwar erkenne ich deutlich Bestrebungen meiner GesprächspartnerInnen, sich diesen Selbstverantwortungsappellen und Optimierungszwängen zu widersetzen. So versuchen sie sich selbst jenseits von beruflichen Erfolgskriterien zu definieren und kritisieren die Appelle der Selbstverwertung, die aus ihrer Wahrnehmung auf sie einprasseln. Auch sehe ich in ihrem Unbehagen an den wahrgenommenen Anforderungen eine Form sich ihnen zu widersetzen und sie kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass sie selbst am Leistungsideal »Wer will, der kann!« sowie am Diskurs des unternehmerischen Selbst festhalten, auch wenn sie darunter leiden. Dies hat mit ihrem eigenen Interesse zu tun, ihren privilegierten Status als AkademikerInnen zu verteidigen, der durch eben jenes Leistungsideal legitimiert wird. Sobald sie eine qualifizierte Stelle finden, möchten sie ihren Erfolg auf ihre eigenen Leistungen zurückführen.

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Im der folgenden Schlussbetrachtung und dem Ausblick fasse ich meine zentralen Ergebnisse meiner Forschung zusammen und zeige Forschungsdesiderate auf, die sich daraus ergeben.

Schlussbetrachtung und Ausblick

Abschließend gehe ich nun auf die wichtigsten Ergebnisse meiner Forschung ein und verweise in einem Ausblick auf weiterführende relevante Forschungsfragen, die sich aus meiner Arbeit ergeben. In der vorliegenden Ethnografie hat sich gezeigt, dass der Diskurs des unternehmerischen Selbst für die MitarbeiterInnen und BesucherInnen der Career Services allgegenwärtig und unumgänglich ist. Dies ist ein Zeichen seiner Hegemonie in unserer Gesellschaft. In diesem Diskurs wird an die Menschen appelliert, noch aktiver zu werden, zielstrebig zu sein, sich zu vermarkten und eigenverantwortlich zu managen, um Erfolg und berufliche Zufriedenheit zu erlangen (Kapitel 1.1). Dabei wiederholen sich die immer gleichen Imperative, sie wirken sowohl individuell normierend als auch machtpolitisch naturalisierend, da der Diskurs weder den gesellschaftlichen Kontext noch die individuelle Situation, Geschichte oder Gefühle der Menschen berücksichtigt. Ihre Existenzängste, Ohnmachtserfahrungen und Hoffnungen werden mit diesem Diskurs nicht adressiert, sondern im Gegenteil ausgeklammert und von der Aufforderung zur Selbstaktivierung und Selbstverantwortung verdeckt. In diesem Sinne werden Subjekte doppelt negiert: Einerseits werden sie als Individuen in ihrer Individualität und besonderen Situation nicht wahrgenommen und gleichzeitig wird ihnen nahegelegt, sich zu ändern. Diese doppelte Negation erzeugt jedoch noch mehr Verunsicherung und Druck, was ich sowohl bei den MitarbeiterInnen als auch bei den BesucherInnen von Career Services beobachten konnte und hier dargelegt habe. So hat sich gezeigt, dass dieser normative Diskurs des unternehmerischen Selbst eng verknüpft ist mit Erfahrungen der Prekarität und der beruflichen Unsicherheit. Auch wenn der Erfolg im Zentrum dieser Appelle steht, geht es – meist implizit – immer auch darum, wie Misserfolge und Erfahrungen des Scheiterns vermieden und der soziale Abstieg abgewendet werden kann. Menschen in beruflichen Krisensituationen sind ganz besonders empfänglich für diesen Diskurs. Gerade in Momenten der beruflichen und materiellen Unsicherheit, in de-

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nen Ohnmachtsgefühle besonders stark sind, greifen sowohl die arbeitssuchenden AbsolventInnen als auch die MitarbeiterInnen von Career Services auf diesen Diskurs zurück, der wie ein Sicherheitsanker wirkt. So wenden sie Selbsttechniken wie Selbstmarketing oder Selbstmanagement an, um das Gefühl zu haben, aktiv zu sein. Die MitarbeiterInnen versuchen, in beruflichen Fragen Orientierung und Unterstützung zu leisten. Sie sind tagtäglich mit der Unsicherheit und den Existenzängsten der AbsolventInnen und Studierenden konfrontiert. Zudem befinden sie sich selbst oft in einer beruflich unsicheren Situation, da ihre eigenen Arbeitsstellen überwiegend befristet und in Teilzeit sind oder sie als Selbstständige nicht über ein längerfristig gesichertes Einkommen verfügen (Kapitel 3.1.4, Synthese II). Anstatt Ängste und Ohnmachtsgefühle zu thematisieren, versuchen sie Möglichkeiten und Chancen aufzuzeigen, sie möchten den Ratsuchenden Mut machen und ihnen Zuspruch geben (Kapitel 3.1). Dabei bedienen sie sich immer wieder des Diskurses, fordern dazu auf, aktiv zu sein, und geben erfolgsversprechende Verhaltensempfehlungen. Sie vermitteln den Ratsuchenden Techniken, wie sie sich besser bewerben und managen können, um Sicherheit, Erfolg und berufliche Zufriedenheit zu erlangen (Kapitel 3.2, Kapitel 3.3). Die von mir befragten arbeitssuchenden AbsolventInnen sind auf der Suche nach Orientierung und Halt innerhalb der komplexen gesellschaftlichen Bedingungen und Zwänge, in denen sie sich befinden. Die Institution der Career Services ist für sie eine wichtige Anlaufstelle, die ihnen Sicherheit verleiht. Dort können sie sich zu ihrer beruflichen Situation beraten lassen, sich mit anderen Menschen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, austauschen und zusätzliche berufsrelevante Fähigkeiten erwerben, von denen sie denken, dass sie ihnen bei ihrem beruflichen Weg nützlich sein werden. Immer wieder drücken sie eine große Dankbarkeit gegenüber den MitarbeiterInnen der Career Services aus, sie fühlen sich von ihnen sehr bestärkt und unterstützt. Während sie auf Arbeitssuche sind, leiden sie darunter, nirgends richtig dazuzugehören. Ihnen allen gemeinsam ist die Angst, keine passende Beschäftigung zu finden, über längere Zeit ohne finanzielle Sicherheit und Erfolg zu sein. Auffällig ist, dass sie oft den Eindruck haben, nicht zu genügen, und dass sie sich selbst für ihre berufliche Lage verantwortlich machen (Kapitel 4.1). In ihrer Situation der Orientierungslosigkeit sind die arbeitssuchenden AbsolventInnen besonders empfänglich für den Diskurs des unternehmerischen Selbst. Sie versuchen den Subjektanforderungen und Appellen zu entsprechen, um sich sicherer zu fühlen und Hoffnung auf eine selbstbestimmte Lösung ihrer Krisensituation zu gewinnen. Sie möchten das Gefühl haben, aktiv zu sein, und beginnen mittels Selbsttechniken wie Selbstmanagement oder Selbstmarketing auf sich einzuwir-

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ken. Sie bemühen sich, an ihren Qualifikationen zu arbeiten, sich besser zu organisieren und ihren Lebenslauf zu optimieren, wofür sie sich permanent hinterfragen und überprüfen (Kapitel 4.2). Insofern greifen sowohl die MitarbeiterInnen als auch die BesucherInnen von Career Services auf Selbsttechniken im Sinne Foucaults (Kapitel 1.3.2) wie Selbstmanagement oder Selbstmarketing zurück, die Erfolg und berufliche Zufriedenheit versprechen. Diese Techniken gründen auf betriebswirtschaftlichen und wirtschaftsliberalen Ideen und Managementkonzepten, die analog und unhinterfragt auf Menschen übertragen werden. Infolgedessen kann ich in meinem Mikrofeld eine Ökonomisierung des Sozialen beobachten. Oft richten sich diese Techniken auf das gesamte Leben, das es zu optimieren gilt, sodass die Grenzen zwischen den beruflichen und anderen Aspekten der eigenen Identität verschwimmen. Daher erstreckt sich das Leitbild des unternehmerischen Selbst in alle Lebensbereiche hinein. Indem meine GesprächspartnerInnen mittels dieser Techniken auf sich selbst einwirken, bekommen sie ein bestimmtes Verhältnis zu sich, das von betriebswirtschaftlichen Werten wie Effizienz oder Kosten-Nutzen-Kriterien bestimmt wird. So verknüpfen z.B. die arbeitssuchenden AbsolventInnen nicht selten ihr eigenes Selbstwertgefühl unmittelbar mit dem Erfolg bei der Arbeitssuche und damit mit ihrem eigenen Marktwert oder differenzieren kaum zwischen sich als Person und ihrer »Arbeitskraft«, die sie zu vermarkten versuchen. Auch beginnen sie, ihr Leben jenseits von Arbeit nach diesen Kriterien zu organisieren und zu hinterfragen, wodurch das den Diskurs nährende kapitalistische Handlungsprinzip (Kapitel 1.2.1) immer stärker auf Familie, Freunde und Freizeit übertragen wird. Weiter hat sich gezeigt, dass die MitarbeiterInnen und arbeitssuchenden AbsolventInnen die individuellen Handlungsspielräume, Möglichkeiten und Chancen stark betonen und Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht eher ausblenden. Auf diese Weise versuchen sie, die Hoffnung auf Dazugehörigkeit nicht zu verlieren, Zuversicht zu verbreiten, was für beide untersuchten Gruppen auch eine bestärkende Wirkung hat. Es gibt ihnen das befriedigende Gefühl, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, das eigene Leben selbst zu gestalten. Daher gibt ihnen der Diskurs auch Hoffnung, aus eigenen Kräften die eigene berufliche Situation ändern zu können, verleiht ihnen ein Gefühl von Macht in der sozial extremen Situation der Machtlosigkeit und Stigmatisierung als »fauler«, da arbeitsloser Mensch. Mit diesem Fokus auf das Individuum und seine Spielräume geraten die gesellschaftlichen Bedingungen und Zwänge jedoch aus dem Blickfeld. Dabei blenden sowohl die MitarbeiterInnen als auch die BesucherInnen immer wieder Faktoren aus, die außerhalb des individuellen Einflussbereichs liegen. Dies hat

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zur Folge, dass die AbsolventInnen Gründe für ihre beruflichen Probleme, Misserfolge oder gar Scheitern bei sich suchen und permanent auf sich selbst zurückgeworfen werden. Sie haben das Gefühl, den Anforderungen der Arbeitswelt nicht zu genügen und machen sich selbst dafür verantwortlich, keine Arbeitsstelle zu finden. Sie plagt ein schlechtes Gewissen, zu wenig aktiv zu sein (Kapitel 3.1, Kapitel 4.1.2). Zentrale Faktoren für den eigenen Erfolg oder Misserfolg wie die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums oder wirkmächtiger nicht-meritokratischer Faktoren wie Beziehungsreichtum und materieller Besitz bleiben außen vor. In meiner Forschung habe ich die Dominanz des Diskurses festgestellt und konnte seine individualisierende Wirkung aufzeigen, die den Appellen wie Eigenverantwortung und Selbstaktivierung entspringt. Gleichzeitig habe ich gezeigt, wie unterschiedlich, ambivalent und teilweise auch widersprüchlich meine GesprächspartnerInnen mit den Subjektanforderungen umgehen und wie verschieden sie diese deuten, aber auch umdeuten. Dabei verstehen sie Appelle wie »Sei aktiv!« oder »Manage Dich selbst!« auch in einem emanzipativen Sinne als Aufforderungen, selbstbestimmt und selbstbewusst zu agieren, sich nicht unterzuordnen und die eigene Individualität möglichst gut zu entfalten. So passen sie sich einerseits dem Diskurs weitgehend an und tragen damit zu seiner Verstetigung und Verbreitung auf der Mikroebene bei. Doch andererseits hinterfragen die AbsolventInnen und MitarbeiterInnen auch die Normvorstellungen der permanenten Optimierung und versuchen, sich dieser Effizienzlogik im Rahmen ihrer gesellschaftlich beschränkten Möglichkeiten zu entziehen. Beide Gruppen betonen auch immer wieder die arbeitsmarktpolitischen Strukturen, die die Arbeitssuche erschweren, oder die Wichtigkeit von Beziehungen und Glück bei der Stellensuche. Damit verweisen sie auf Faktoren, die jenseits der individuellen Gestaltungsmöglichkeit liegen, auf das Ausgeschlossene des Diskurses. Zudem kritisieren sie den großen Druck, der durch diese Anforderungen auf den Individuen lastet. Durch diese kritische Reflexion des Diskurses und seiner Wirkung vergegenwärtigen sie sich selbst, dass es sich bei diesen normativen Anforderungen nicht um sachlich bedingte Tatsachen handelt, denen sich alle anzupassen haben. Sie realisieren mit dieser alternativen Rede gesellschaftliche Zwänge, innerhalb derer sie ihre Spielräume ausloten und eigene Interessen vertreten können. Gleichzeitig bleibt jedoch bestehen, dass sie sich dem Diskurs nicht ganz entziehen können und wollen und dieser immer präsent bleibt. Daher ist es wichtig zu sehen, dass meine GesprächspartnerInnen dem Diskurs nicht schutzlos ausgeliefert sind, sondern ihn auch aktiv prägen. So wurde deutlich, dass sowohl die MitarbeiterInnen als auch die BesucherInnen ein Interesse am Fortbestehen des Diskurses des unternehmerischen Selbst haben. Die

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HochschulabsolventInnen halten an den Werten einer meritokratischen Leistungsgesellschaft fest, um ihre reale oder imaginiert-angestrebte privilegierte Position innerhalb der Gesellschaft zu legitimieren. Ihnen ist viel daran gelegen, ein berufliches Weiterkommen auf ihre eigene Leistung und ihre Willenskraft zurückzuführen. So ist davon auszugehen, dass sie zu entschiedenen VertreterInnen des Diskurses werden, sobald auch sie sich in einer gesicherten Position wiederfinden, eine These, die es künftig zu überprüfen gilt (Kapitel 4.1.2). Auch die MitarbeiterInnen haben ein Interesse, den Gedanken einer Leistungs- und Multioptionsgesellschaft hochzuhalten und die Handlungsspielräume und Möglichkeiten jedes Einzelnen zu betonen. Das Motiv hierfür liegt in erster Linie an ihrem institutionellen Auftrag, Menschen für den Arbeitsmarkt besser vermittelbar zu machen, ihre »Employability« zu steigern, und nicht zuletzt in ihrem persönlichen Wunsch, den Ratsuchenden Mut zu machen und ihnen konkret zu helfen. Würden sie die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten relativieren, die gesellschaftlichen Zwänge und ungleich verteilten Chancen sowie Ohnmachtsgefühle vermehrt thematisieren, müssten sie ihre eigene Beratungsarbeit grundsätzlich in Frage stellen. Diese fußt auf einem lösungsorientierten Ansatz, in dem es darum geht, den Ratsuchenden Lösungs- und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und weniger nach den gesellschaftlichen Ursachen von beruflichen Problemen zu fragen. Die MitarbeiterInnen haben den institutionellen Auftrag, Menschen konkrete Hilfeleistungen bei der Arbeitssuche und bei der Anpassung an Arbeitsmarktanforderungen zu bieten. Schließlich erwarten auch die BesucherInnen der Career Services selbst Zuspruch, Ratschläge und konkrete Unterstützung und keine Reflexion oder gar Infragestellung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Untergründig wirken aber bei den MitarbeiterInnen dieselben psychologischen Mechanismen wie bei den AbsolventInnen, gilt es doch auch die eigene, der Prekarität geschuldete unsichere Berufssituation zu beschwichtigen, ohne sie, wie gesehen, gänzlich aufheben zu können (Synthese II). Weiter habe ich in meiner Arbeit verdeutlicht, dass die von dem Diskurs des unternehmerischen Selbst angestoßene Tendenz, den Erfolg bzw. das Scheitern letztlich auf sich selbst zurückzuführen, im Kontext einer neoliberalen Umstrukturierung der Gesellschaft steht. Die weitgehende Ausblendung der gesellschaftlichen Ursachen für berufliche Misslagen führt mittelbar zu einer Unterhöhlung der Idee einer Solidargesellschaft, da jede/r eigenverantwortlich für das eigene »Scheitern« ist. Insofern weist der Diskurs des unternehmerischen Selbst die Funktion auf, den Abbau von sozialen Sicherungssystemen zu legitimieren, soziale Ungleichheiten zu nivellieren und die Idee einer leistungsgerechten, meritokratischen Gesellschaft zu verbreiten. Diese Verquickung des Diskurses mit dem Abbau von Sozialleistungen kann in Deutschland besonders deutlich im Rahmen

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der sogenannten »Hartz-IV-Reform« beobachtet werden. Hier hat die Bundesregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Leistungen für Arbeitslose massiv gekürzt, während den Leistungsempfängern im medialen Diskurs immer stärker nahe gelegt wird, sie seien »Sozialschmarotzer« und »faul« (Kapitel 1.2). Meine GesprächspartnerInnen sind stark von solchen medialen Bildern beeinflusst, was ich anhand vieler Beispiele darlegen konnte. So sehe ich die Verbreitung dieser Normen des unternehmerischen Selbst in enger Verbindung mit neoliberalen Bestrebungen in der Gesellschaft. Anders als viele WissenschaftlerInnen, die darauf verweisen, dass diese Subjektanforderungen »neu« sind, gehe ich davon aus, dass der Diskurs tief im Kapitalismus respektive im Liberalismus verankert ist. Neu daran erscheint mir nur die zunehmende Dominanz und Virulenz des Diskurses im Zuge des neoliberalen Umbaus des Sozialstaates. Indem jedoch immer wieder auf ihren »neuen« Charakter verwiesen wird, besteht die Gefahr, dass die Anforderungen als gesetzt und als unumgänglich erscheinen, dass gesellschaftliche Umbauten naturalisiert und die dahinterstehenden partikularen Interessen ausgeblendet werden (Kapitel 1.2). Deswegen sollte künftig im Kulturvergleich vermehrt untersucht werden, wie die Werte des unternehmerischen Selbst die Lebenswelten von Menschen bestimmen. In der vorliegenden Arbeit habe ich wiederholt auf verschiedene Mikro-Praktiken sowie Gegendiskurse verwiesen, mit denen meine GesprächspartnerInnen den Anforderungen eines individualisierenden Selbstmanagements mit Alternativen begegnen. In solchen gegenläufigen Momenten zeigt sich, dass das unternehmerische Selbst kein unhinterfragtes Rollenmodell ist, sondern ein Normengefüge darstellt, das stetig verhandelt und auch kritisch hinterfragt wird. Diese gegenläufigen Tendenzen werden jedoch in den wissenschaftlichen Studien zum unternehmerischen Selbst bislang nicht ausreichend beleuchtet, nicht zuletzt, weil den individuellen Lebenswelten und Sichtweisen noch ungenügend Beachtung geschenkt wird (Kapitel 1.3). Hier zeigt sich m.E. ein weiteres wichtiges Forschungsdesiderat: Nach wie vor gibt es nicht genügend ethnografische Forschungen auf der Mikroebene, die den subjektiven Umgang mit dem Diskurs des unternehmerischen Selbst untersuchen. Die Ethnografie vermag jedoch emanzipativ zu zeigen, dass diese Normen und Wertvorstellungen des unternehmerischen Selbst nicht allumfassend sind, sondern dass die Akteure sehr verschieden damit umgehen, sie auch konterkarieren und bekämpfen. Sonst im Diskurs verschwiegene alternative Sichtweisen und Praktiken gewinnen so an Sichtbarkeit. Erst wenn Individuen in den Vordergrund treten, lässt sich real abschätzen, wie weit der Diskurs des unternehmerischen Selbst in die individuellen Lebenswelten vorgedrungen ist.

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Neben der mangelnden Berücksichtigung der Mikroebene fehlt daher v.a. noch eine kulturübergreifende und kulturvergleichende Sicht auf das unternehmerische Selbst. Hier zeigt sich ein weiteres wichtiges Forschungsdesiderat: die Untersuchung der Verbreitung, lokalen Umsetzung und Transformation dieses Diskurses in verschiedenen Weltregionen. Es ist sehr wichtig, ethnografisch mehr darüber zu erfahren, mit welchen kulturellen Repertoires Menschen diesem mittlerweile globalisierten Diskurs begegnen. Bisher zentriert sich die Forschung zum unternehmerischen Selbst noch überwiegend auf Europa und die USA und es gibt noch immer nur wenige Studien, die diese Subjektanforderungen in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen erforschen und kulturvergleichend analysieren. Die beiden Desiderata von Ethnografie der Mikropraxis und kulturvergleichender Empirie lässt die wissenschaftlichen Ausführungen zum unternehmerischen Selbst nicht nur modellhaft und starr wirken, die Wissenschaft beteiligt sich auf diese Weise auch ungewollt an einer diskursiven Steigerung der Wirkmacht dieser Figur. So besteht die Gefahr, dass Subjektanforderungen als ein Sachzwang wirtschaftlicher Moderne erscheinen, der widerspruchslose Konformität fordert. Nur wenn die individuellen Reaktionsweisen und die konkreten Lebenswelten der Individuen berücksichtigt werden, können die bestimmten Interessen, die an diesen Diskurs verknüpft sind, wahrgenommen werden. Hier zeigt sich die große Wichtigkeit von ethnografischen und kulturübergreifenden Analysen auf der Mikroebene über die Bedeutung des unternehmerischen Selbst, in deren Mittelpunkt die Menschen, ihre subjektiven Deutungsweisen und Praktiken stehen.

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