Das Paradox der Befreiung. Säkulare Revolution und religiöse Konterrevolution 9783495490013

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Das Paradox der Befreiung. Säkulare Revolution und religiöse Konterrevolution
 9783495490013

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, len BefreiUngsbewegungen in den Jahren nach dem 'ele der na!lona ., I' h d k . h VI. Weltkrieg verfolgten ursprung IC emo rau sc e und säkuZweIten Je. Nachdem die koloniale Herrschaft abgeschüttelt war, kam Idea tstandenen Nationen Jedoch zu emem starken Wieesmdenneuen .. I ' n religiösen Stromungen. n semem neuen Buch underau fl eben' va . kl ung an han d von Indien Israel hael Walzer diese EntWlC terSUC . d N' na I' I5I ' ' ultraht M!C Auch wenn Htn und Algerien. ano amIsmus, Judentum und messrantscher ZIOnIsmus stark unt h d Gruppen bilden, schiedliche SIe, dass sIe JeweIls die säkularen Gründungsprinzipien und _rnsnluuonen der genannten Staaten attackieren, Walzer geht in seinem Buch der Frage nach, warum die säkularen demokratischen Bewegungen nicht in der Lage gewes sind, ihre politische Kultur und Haltung über ein oder zwei tionen hinaus weiterzugeben. »Das Paradox der Befreiung« lief d' ert . d d" einen wichtigen Beltrag zu er rangen en zeItgenössischen Frage nach der Integrationskraft und gesamtgesellschaftlichen Attraktivit .. von demokratischen und säkularen Prinzipien und Idealen. Im wort zur deutschen Ausgabe spitzt Walzer die Fragestellung zu und diskutiert sie anhand von aktuellen Konflikten.

.. ...

Der Autor: Michael Walzer, Jahrgang 1935, gilt als einer der führenden politischen Philosophen. Er lehrte von 1962 bis 1966 in Princeton, von 1966 bis 1980 in Harvard und seit 1980 ist er Professor in Princeton sm Institute for Advanced Study der School of Soeial Seien ce. Er ist Autor von 27 Büchern und über 300 Artikeln.

Michael Walzer

Das Paradox der Befreiung Säkulare Revolutionen und religiöse Konterrevolutionen Aus dem Amerikanischen von Veit Friemert

Verlag Karl Alber Freiburg/München

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KOSMOPOLIS

Inhalt

politische Philosophie und Rechtsphilosophie heute Herausgegeben von Matthias Lutz-Bachmann, Andreas Niederberger und Philipp Schink

Band 6

Vorwort zur deutschen Ausgabe . . . • . . . . . . . . . . . . Vorwort



.................

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1.

Das Paradox der nationalen Befreiung . . . . . . . . . ..

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2.

Die Darstellung des Paradoxes: Zionismus kontra Judaismus

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3.

Die Verleugnung des Paradoxes: marxistische Interpretationen . . . . . . . . . . . . . ..

67

Die Zukunft der nationalen Befreiung

94

MIX

4.

Titel der Originalausgabe: The Paradox of Liberation. Secular Revolutions and Religious Conterrevolutions 02015 by Michael Walzer Originally published by Yale University Press

Postskriptum

117

Danksagung .

127

Deutsche Erstausgabe

o VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freihurg / München 2018 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.dc Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI book. GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-495-49001_3

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Vorwort zur deutschen Ausgabe

In Erinnerung an Clifford Geertz (1926-2006), Kollege und Freund, der sicherlich Einwände zu meinem Buch mit mir diskuti ert hätte.

Dieses Buch ist eine ü bung in vergleichender Politik (verfasst durch einen l aien auf diesem Gebiet); es ist aber auch, und dies ist wichtiger, eine politische Argumentation . Die Argumentation ist komplex und gelegentlich missverstanden worden . Sie hat aber auch einige (völlig berechtigte) kritische Einwände erregt. Deshalb freue ich mich über diese Gelegenheit, meinen politischen Standpunkt zu verdeutlichen und zu verteidigen. Ich bin eine Freund der nationalen Befreiung in all den Fällen, in denen die Befreier sich als SäkuJaristen und Demokraten bezeichnen - was die Befreier in den drei Fällen, die ich für meine Abhandlung ausgewählt habe, im Allgemeinen taten. Zugleich bin ich immer dann ein Kritiker der nationalen Befreiung, wenn der Säkularismus ihrer Kämpfer zu radikal, zu absolut wird und diese Kämpfer auf Konfrontationskurs zu dem Volk bringt, das sie den Anspruch erheben zu befreien. Etwas am Projekt der Befreiung ist falsch, wenn es deren Subjekte als deren Objekte begreift - als unwissende, abergläubische, dumme, zurückgebliebene und der Aufklärung bedürftige Männer und Frauen . Der Demokratie verpflichtet zu sein verlangt, die Menschen, alle Menschen zu achten. Diese Achtung sollte die säkulare Kritik prägen, zu der die Befreier auch verpflichtet sind. Zunächst einmal ist die Religion des Volkes zu achten, die für viele von ihnen die primäre Bindung darstellt. Wenn diese Menschen die Befreiungsbewegung unterstützen, dann erwarten sie nicht, von ihren grundlegenden weltanschaulichen überzeugungen befreit zu werden. Die Kämpfer müssen, so meine Behauptung, sich auf diese überzeugungen einlassen. Dieses Einlassen hat zwangsläufig kritisch zu sein, aber auch kompetent, besonnen und umsichtig. In jedem meiner Fälle gab es Kämpfer, die sich auf diese Weise engagiert hatten, jedoch war die vorherrschende Stimmung innerhalb der Bewegungen eine andere. Vor allem galten die Befreier gemeinhin als Menschen, die die religiösen Männer und Frauen verachteten. Oft erschien der aufklärerische Anspruch der Befreier als Anmaßung

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Vorwort zur douachan AusI,be

Vorwort zur deuachen Ausgabe

. Eli le oder wurde als solche wahrgenommen. eincl' sclbslc,rno IBlIHrcn, verteidigen, die du rchaus säku " I leclOC e IcI' moc ' . h1 ober aueI' b'cl'CI'I iSI, Kompromisse mi t der Religion einIorlstlse , I ' . also um eine Bewegung, die in entschi edener d , ,I 'n Es ge 11 111 11 zuge 'c. I" I ' Bcfreiu ng (einem sii kulorcn Stoot) un zugleich We'sc der po ItlSC Icn f ' b , I ' d 11. V'rsion de r kul tu rellen Be rClung ver unden ist. ei ner gm cn c " B I d K . I . d d' . Ausführu ngen m mcmem uc 1 zu en omproVermul IIC' Sill IC . .I ' I d . d VOl'gchenswclse J1I C 11 elnge 1en genug. missen un 7.ur 8 ' k" f 'h E' Grund für di e Gewissheiten der Befrelu ngs omp er war I r m ' e'ln" Theorie der Geschichte, die einen zwangsläufigen Vertrauen 111 • 'I h ' ... .ll'Oergo .J und der' Tel na me an religiosen llg des r.·.:·. II'giösen Glaubens . N Praktiken voraussagte, ja prophezeite. Der Niedergang wurde als Geschichtsprozess verstanden, d er durch die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntmsse seme eigene Dyna mik entwickeln würde. Die Kämpfer zählten sich zu den Hauptakteuren dieses Prozesses. Heute erscheint uns diese Geschichtsauffassung als große Illusion, wobei die Rückschau womöglich dazu führt, dass ich es mir mit mei ner Kritik der Kämpfer zu einfach mache, dass meine Kritik zu harsch ist. Sie verstanden sich nicht als arrogant und bevormundend und konnten sich vielleicht so auch nicht verstehen. Denn sie hatten die Geschichte auf ihrer Seite. Die Welt war in Bewegung und sie bewegten sich einfach mit ihr. Einige meiner Kritiker behaupten, möglicherweise mit Blick auf das WiederauAeben von Religiosität, die Kämpfer seien nicht radikal, nicht absolutistisch genug gewesen. Dieser Au ffassung zu folge billige ich nicht die Kompromisse, die sie tatsächlich machten, sondern die sie nicht hätten machen sollen. Nehru sei ein britischer Liberaler gewesen, schrieb einer von ihnen, Indien aber hätte einen Atatürk benötigt. (Allerdings müsste man heute erkennen, dass Atatürk die Ankun ft des religiösen Fanatismus in der Türkei nur hinauszögerte.) Andere Kritiker behaupten (was vielleicht auf dieselbe Kritik hinausläuft), dass ich die wirkliche Tiefe religiösen Glaubens nicht vet'stehe; deshalb hätten die ungenannten Kompromisse, für die ich pläselbst gewöhnliche Gläubige, ob Männer oder Frauen, niemal. uberzeugt, denn die Enthusiasten der religiösen Wiedet'belebung. Wir sollten somit die Enthusiasten auf Seiten der Säkularen mcht Der Krieg zwischen religiösen und säkularen EnthUS iasten Ist dieser AnSIC . ht zura r Ige ein ' unvermel'd!'JCher Kries. . . ISn dem man nichts anderes tun kann, als sich auf eine der beiden elten zu schlagen.

Es ist leicht,. einer Argumentation wie der meinigen entgegenzuholten: sie .nelge ent.weder den Säku loristen oder d.en Gläubigen zu. Ich bin belden geneigt und keinem von beiden _ das ist die Bürde dieses Buches. Ober die erfo rderl ichen Kompromisse konnte ich ka um etwas sogen, zum Teil deshalb, wei l Kompromisse Verhandlungen voraussetzen, somit Männer und Frauen, die zu verhandeln bereit sind. Letztere waren ober für gewöhnlich nicht anwesend. Dennoch gab es eine bestimmte Art von Verhandlungen, die jedoch nicht zu solchen Ergebnissen führten, die ich für gerechtfertigt halte: zum Beispiel zur öffentlichen Finanzierung ultraorthodoxer, geschlechtergetrennter Schulen in Israel oder zu einem Familiengesetzbuch in A1gerien, das dos Patriarchat festschreibt. Dies sind Kompromisse zu Lasten von Frauen und Mädchen und deshalb schlechte Kompromisse. In der Tat war es der notwendige Einschluss des Feminismus in die Idee der Befreiung, der den Kompromiss so erschwert und der religiöse Führer dazu gebracht hat, solche einseitigen Ergebnisse zu verlangen . Zugleich ist niemand sonst der Art von Kompromiss, für den ich hier argumentiere, so nahe gekommen wie die religiösen Feministen. Vor allem haben sie den Geltungsgrund des Arguments anerkannt: Sie akzeptierten die Autorität der für ihre Tradition heiligen Texte und lasen dann diese Texte auf neue Weise. Statt im Stil der alten Linken den . korrekten ideologischen Standpunkt« zu verfechten, praktizieren sie die alte Kunst der Interpretation. Sie finden für ihre feministischen Standpunkte Rückhalt in der Religion. Die Vertreter der säkularen Befreiung sollten, wie mir scheint, gleiches tun und auf der Suche nach Unterstützung das kulturelle Erbe und die Geschichte ihres Volkes befragen. Schon das wäre ein Kompromiss, weil viele von ihnen lieber mit der Französischen Revolution und dem Aufstieg der modernen Wissenschaft beginnen würden. Ich möchte weder Wissenschaft noch Revolution abschreiben, aber auch diese zwei müssten in die Nationalgeschichte eingebürgert werden - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und jetzt Schwesterlichkeit sind einzubürgern. Das ist sowohl politische als auch Bildungsarbeit. Die Männer und Frauen der Avantgarde der Befreiung müssen zur Vergangenheit zurückschauen, zu ihr zurückgehen und beginnen, mit den Menschen zu .prechen (und zu streiten), die sie behaupten zu führen. Michael Walzer, Princeton 201g

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Vorwort

In ruesem Buch beabsichtige ich, ein sich wiederholendes und wie mir scheint beunruhigendes Muster in der Geschichte nationaler Befreiung zu beschreiben. Ich werde einen kleinen Kreis von Fällen ruskutieren: rue Erlangung der Unabhängigkeit dreier Staaten in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg - Inruen und Israel 1947-1948 sowie A1gerien 1962. Hierbei werde ich mich auf rue säkularen politischen Bewegungen konzentrieren, rue rue Staaten bildung errangen, und die religiösen Bewegungen, rue schätzungsweise ein Vierteljahrhundert später diese Errungenschaft in Frage stellten. In Kapitell beziehe ich mich auf alle drei Befreiungsbewegungen: auf den Inruschen Nationalkongress, den Sozialistischen Zionismus und rue algerische FLN (Nationale Befreiungsfront), jedoch in erster Linie auf die FLN. Auch werde ich mich dem Auszug der alten Israeliten aus Ägypten zuwenden - dem wohl frühesten Beispiel in der Literatur, wenn nicht gar der Geschichte der Befreiung eines Volkes von fremder Herrschaft -, weil ich über den Exodus schon früher geschrieben habe und es sich bei ihm um eine generelle Bezugsgröße für wesdiche Autoren handelt, rue über Revolution und nationale Befreiung schreiben. In Kapitel 2 untersuche ich das sich wiederholende Muster detailliert anhand des Falls, den ich sm besten kenne: der zionistischen Bewegung und des Staates, den sie schuf. Eine alternative, im Wesen tlichen von marxistischen Autoren vertretene Sichtweise auf alle drei Fälle wird von mir in Kapitel 3 betrachtet. In Kapitel 4 greife ich eine weitere alternative Auffassung aut rue von inruschen Autoren des Postkolonialismus entwickelt wurde. Anschließend gehe der Frage nach, ob rue nationale Befreiung eine Zukunft hat, und beschäftige mich dabei zuerst und eingehend mit Inruen und anschließend wiederum mit Isne!. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass das Muster. das ich beschreiben werde, allgemeingültig ist oder sich in aII seinen Wiedel' holungen absolut gleicht. Ich folge dem Grundsatz des politischen Lebens, dass verschiedene Dinge sich voneinander unterscheiden,

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Vorwort

Vorwort

. I In c _ Crclgnls5c, Pro7.CUC, Bcwegungen und Herrdnss nbcr c",lge J BI nnder Hhncln und umsichtige Vergleiche uni - c ndlC Ähnlichkcl tcn und Unter5chlcdc zu vcrdobcl hc en d Kollcgcn mi t denen Ich mein ProJckt bcsprostchcl,· brrcun . c, -ich bcsorg't Ober dOI Ausma ß dcr Unterschlcde chen l'0 c, ZClsten - dicsen oder jencn SondcrfaII ou fmcr ksam. In . h "uf I nllc " un d mocHcn . I'IC'I gcsogt, dass Algcm Bclsplel schr clndrlng IndIcn wurdc mIr 7.u . . " eh k d . . b . hcndcr Fall scl dcs ou tomarcn om tcrs cs Staates ncn CIl1 a WCIC ' h b . . d' . dic FLN crrlchtct hatte. Ich a C ClnC In tese Rtchtung wcgcn, den E' R 'I K II d sehende position hicr Inc. et,c von 0 cgcn u.n Erstlcscr argumcnticrten, d,e Z,Ol1lsten selen der Sonderfall, der JÜdischcn Diaspora und dcs von Anfang on mit dcn palästinel18ischcn Arabern werde mIt dIesen s trci tfragcn beschäftigcn, jcdoch Ist me.' n Gegenstand die nationalc Befrciung sel bst sowIe das, was ,ch Im Momen t deren Binnenbeziehu nscn nennen werde. Hier sind, wie die Leser erkennen werden, die Ähnlichkeitcn über alle drei Fälle hinweg liberzeugend. Es ist zu betonen, dass es mir nicht um eine wissenschaftliche Erklärung geht, sondern durchweg darum, zu verstehen. leh behaupte nicht, dass sich das Muster dieser drei Fälle als eine Reihe allumfassender Gesetze darstellen lässt - In Geschichte und Gegenwart gibt es solche Fälle, die durch die . Gesetze. nicht erfasst werden. In der Tat lässt sich ein jeder dieser drei Fälle auf eine solche Weise beschreiben, die mei ne schematische Darstellung erheblich erschweren würde. Nach dcr Erläuterung des allgemeinen Schemas werde ich einige dieser Komplikationen nennen. Allerdings bin ich davon überzeugt, da58 meine Darstellung selbst in ihrer einfachsten Version einen ersten zweckdienlichen Schritt in Richtu ng einer notwendigen Nachfrage darstellt: Was ist aus der nationalen Befreiung geworden 1 umindest zu Beginn war die nationale Befreiung eine Erfolgsgeschichte: Die drei Völker wurden tatsächlich von fremder Herrschaft sind aber die Staaten, die gegenwärtig existieren, nICht Jcne, die sich die ursprüngl ichen Führer und Intellektuellen der Befreiungsbewegungen vorgestellt hatten. Auch entspricht d,e moralische/politische Ku ltur dieser Staaten, 10ussgen deren Innenleben, ganz und gar nicht dem von ihren Grünern Erwarteten. Ein Untertehied, auf den ich immer wieder zurückd wcrde, steht Im Mittelpunkt mclner Untersuchung: Alle rCl Bl'Wcgungen waren säkular, In der Tat einem ausdrücklich lIIcu-

t

loren Projekt verpfl ichtet. Dennoch ift In den Staaten, die durch dh...e Bewegungen entstnnden, eine Politik HuBcm mHchrig geworden, dl In dem grUndet, das mon grob gcsprochen religiösen Fundamentali.mus nennen kann . In drei verschiedenen Landern mit drei verfchledenen Religionen war der Zcltrahmen auffall end gleich: Etwa zwanl,ig oder dreifsig Jah re noch der Unabhifnglgkeit wurde der sä kulare Sta at durch eine militante religiöse Bewegung herausgefordert. Dieses unerwartete Resultat Ist ein wesentliches Merkmal des Paradoxes der nationalen Befreiung. Die gleiche Geschichte lieBe sich in Bezug auf andere Fälle und andere Zcitrahmen erzählen. Im zwanzigsten Jahrhundert traten zwei sehr unterschiedliche Spielarten säkularer Politik in Ertehelnung. Die erste war ausgesprochen autoritär: Lenin in Russland und Atatürk in der Tlirkei sind Ihre ursprünglichen Vertreter. Nasser in Ägypten und die Baath-Portelen in Syrien wie im Irak sind spätere Beispiele des autoritären Säkularismus. Die algerische FLN lieBe sich zu dieser Gruppe hinzufligen. Der Staat, den sie unmittelbar nach Erringung der Unabhängigkeit errichtete, gestattete nur eine politische Partei, und selbst diese Partei geriet bald in die Hände des Militärs, das angeblich unter ihrer Kontrolle stand. Weil aber die FlN anfangs formell der Demokratie verpflichtet war und zumindest einige ihrer Kämpfer zu dieser Verpflichtung standen, habe ich mich entschieden, sie mit den konsequenter demokratischen Beispielen Indiens und Israels in einen Zusammenhang zu bringen. Die Verpflichtung auf die Demokatie und auf den Säkularismus stellt meiner Auffassung nach eine Kombination dar, die für da. Projekt nationaler Befreiung von entscheidender Bedeutung ist. Diese Kombination gilt mir als der wesentliche Grund dafür, die von mir zu di.kutierenden Bewegungen als . Befreiungsbewegungen. zu bezeichnen. Genauer gesagt ist sie für mich der Hauptgrund, diese Bewegungen von anderen revolutionären und nationali.tischen Bewegungen zu unterscheiden, auch wenn einige dieser anderen Bewegungen schlunendlich ebenfalI. durch eine religiöte Konterrevolution herausgefordert wurden. Alle drei hier zu di.kutierenden Befreiungsbewegungen sind von ihren religiöten (wie lUch ihren pottlcolonillittischen) Kritikern a1. . verwestlicht. att.cldert worden. Dieser Vorwurf trifft zweifelsohne .u. Die Vertreter der Befreiungsbewegungen imitieren die Politik der europiischen Linken in bedeu!HJller Weite. 0. et sieh hierbei um die Quelle meiner eigenen polidtchen Orientierung handelt, beunruhigr

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vorwort , di K' 'k 'ht wirklich, Aber sie verweist auf einen anderen mICh e ntJ doxes nIC ' D'le Kä' mp fer d' der nationalen Be frelUng: nieken Para d Aspe k t es k d ' 'al" h , d L uten die Schulban , eren Impen IStlsc e HerrmIt genau en e , eme ' Au ffassung von Ihrer ' ' bekämpfen, Auch haben SIe sc,haft sIeN t' n die eine bemer kenswerte N"h d fw ' a e zu em au eIst, eIgenen a 10 'd, .Orientalismus. genannt h " at, D,eser Termmus gilt was Edward SSI ' h d der Verwestlichung als abwertend, Dennoch sprechen viegIelC em " wIe h ' , gegen SIe, , D'le profu" r die .Orienta"sten«, auc emlge , 0 IelOge .... 'I' blematische Beziehung der Kämpfer fur natlOna e BefreIUng zu derjenigen Nation, die sie zu befreien beabsichtigen, steht im Mittelunkt meiner Überlegungen in den folgenden Kapiteln, Dabei hanes sich um eine .Binnenbeziehung«, die ich zu untersuchen beabsichtige und die äußerst hilfreich dabei ist, die religiöse Konterrevolution zu erklären, Meine erste Frage - Was ist aus der nationalen Befreiung geworden 1_ verweist auf eine andere: Was ist aus der säkular-demokratischen Linken geworden? Hierin liegt die grundlegendere Frage, vielleicht sollte ich sie auch Sorge nennen -, die mich veranlasste, dieses Buch zu schreiben, Es handelt sich um eine Frage, die über meine drei Fälle hinausgeht, über die ich jedoch nicht in abstraeto schreiben möchte, Einen abstrakten Gedanken über mehr als einige wenige Sätze hinweg aufrechtzuerhalten, war für mich immer ein Problem, Ich mächte konkret schreiben, und Indien, Israel und Algerien liefern uns nützliche Beispiele für die Schwierigkeiten, die die säkulare Linke mit politischer Hegemonie und kultureller Reprodukhat. Es mag andere illustrative Beispiele geben, Ich könnte diese Schwierigkeiten sogar in Bezug auf die Vereinigten Staaten diskutieren, deren Revolution zwar kein Kampf um nationale Befreiung war, die aber dennoch ein beeindruckendes Beispiel für die Verpflichtung auf den Säkularismus (und auf eine zumindest quasidemokratische Ordnung) liefern, Leser, die bezweifeln, dass es jemals eine signifi-, politische Linke in diesem Land gegeben hat, sollten auf unsere fruheste Geschichte blicken, Die ersten Siedler und die politischen Grundungsvater hatten sich von den religiösen Establishments der alten ,Welt befreit - oder besser gesagt begonnen, sich von ihnen zu befreIen - und errichteten den wie ich glaube ersten säkularen Staat der Weltgeschichte, In einem kurzen Postskriptum werde ich erläutern, warum das die F"ll ' Jahrhunderts kennzeicha e des zwanZIgsten d nen e Paradox im Amerika d h k '" es ac tze hnten Jahrhunderts nicht vorommt. D,es Ist em Argument fü' r den Ausna hmechara kter der

Vorwort

Vereinigten Staaten, das ich mit einer bedeutsamen Qualifikation anführe. Wie einzigartig die US-Amerikaner im achtzehnten Jahrhundert auch waren, sie sind es heute in geringerem Maße.

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1. Das Paradox der nationalen Befreiung

I. Die nationale Befreiung ist ein ambitioniertes, aber auch ein von Anbeginn ambivalentes Vorhaben. Die Nation ist nicht nur von den äußeren Unterdrückern zu befreien - in gewisser Hinsicht ist das der einfachere Teil des Unternehmens -, sondern auch von den internen Auswirkungen der Unterdrückung von außen. Albert Memmi, der tunesische Jude, der scharfsinnig über die psychologischen Folgen der Fremdherrschaft schrieb, bemerkt kritisch, dass die Juden von .einer zweifachen Unterdrückung« erlöst werden müssen, von .einer objektiven, äußeren Unterdrückung, die aus den [... ] beständigen Angriffen besteh t, denen [sie] ausgesetzt sind, und einer Selbstunterdrückung [... ) mit gleich schädlichen Folgen«.! Eine der Konsequenzen des Zusammenhangs beider Formen der Unterdrückung besteht darin, dass die Herrschaft seitens der traditionellen Eliten, der Unterhändler der Fremdherrschaft verinnerlicht wurde - seitens jener Männern und Frauen, zumeist Männer, die zwischen der Untertanennation und deren Herrschern hin und her pendeln, mit den Herrschern verhandeln, diese wenn nötig bestechen, die eigenen Forderungen, wenn dies nötig zu sein scheint, anpassen - die das Beste aus einer schwierigen und oft erniedrigenden Beziehung herausholen. Parallelen zur Gestalt des . Hofjuden« finden sich in jeder Nation, die unter Fremdherrschaft lebt. Eines der Ziele der nationalen Befreiung besteht in der Beseitigung dieser Rolle und dem Sieg über die Menschen, die sie sich zu eigen gemacht haben. Aber eine andere, noch bedeutendere Auswirkung dieser zweifachen Unterdrückung muss überwunden werden: die Passivität, die Fügsamkeit und tiefe Lethargie des unterdrückten Volkes. Keine Na• Alben The Liberation of the JttJ!, über.;. v. Judy Hyun, New York 1973, 297. Siehe auch Mitchell eohen, .Th. Zionism of Alben Memmic, Midstream (November 1978), 55-59.

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Das Paradox der nationalen Befreiung

k I nter Fremdherrschaft, oder wie die Juden im Exil, tion anhn u d"c Bedingungen dieser Fremdherrschaft anzupasleben' 0 "ne SICF ",d an ' I mit den HerrscIlen dcn zu mac hen" Anf"ang " I"Iche sen und Ihren nc"d 'rstnnds cn d .. k f 1 f werden unter ruc t, 0 tma s au bru tale he des WI C Versuc " d d H"ler f"Indet " D h eht der Widerstand 10 en Untergrun" nnac g KI " S d " henWelse" " A d ck in der gemeinen age, Im pott un auswelc ersemen us ruUnke Gelehrte haben d"lese Art d " h 1 es ver a tens zu den Verha1ten" d .. d" d' b "" d" '.'sst In der Tnt wr ient es gewur Igt wur Igen ge,.- " " " "zu wer en" A" er f nd 're traurigere Geschichte Ist - 'angesichts der wemger " . dle um asse l:: , ansprechenden praktischen Alternativen ?as Ausmaß dieser Anpassung ist mehr oder wemger tiefgreifend, abhängig von der Härte der Lebensumstiinde, denen Rechnung zu tragen ist, und der Anzahl der Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte, unter denen diese Umstiinde vorherrschen" Im Bereich der Politik erscheint die Anpassung in einer Vielzahl von Formen: als schicksalsergebene Resignation, Rückzug aus dem politischen Leben auf familien- und gemdndcbezogene Belange und sogar als Akzeptanz der politischen • überlegenheit. der Fremdherrscher. In diesem letzteren Fall wird die einheimische Kultur neu bewertet und als für die Politik irgendwie ungeeignet befunden; allerdings scheint sie höheren, geistigeren Unternehmungen verbunden zu sein .• Sie. , die Briten, Franzosen, allg,'mein die Europiier, haben eine politische Begabung, sie besitzen die für die imperiale Herrschaft erforderliche Skrupellosigkeit, .Wir« fügen uns, weil wir unsere Aufmerksamkeit auf bedeutendere Dinge richten. Skrupellosigkeit ist uns fremd.' Selbst Vertreter der nationalen Befreiung wie Mohandas Gandhi, die nicht die Skrupellosigkeit der imperialen Herrscher nachahmen wollten, glaubten dennoch, dass die überkommene Anpassung überwunden werden muss. Es sei notwendig, . die Massen darin zu üben, Selbstbewusstsein zu erlangen und die Macht übernehmen zu können •. Gandhis . Aufbauprogramm. zielte darauf, Männer und Frauen. zu schaffen, die für die Unabhiingigkeit .bereit« und fähig waren, '[Ihre] Angelegenheiten selbst regeln« - aber im Unterschied zu den , Einen der klassischen Berichte bietel lames c. SCOtl, Domination and the Arts 0/ Rtsistancr: HidJtn New Haven 1990. I Der Hass der Freiheitskämpfer Buf jede Form ideologischer Anp'S5ung wird in späteren Kapiteln diskutiert. Die Kämpfer für eine religiö .. Wiederbelebung teilen die.en H.... Sieh. z. B. M. S. Golw.lkar über die .UnterwürBgkeit. der Hindu. in Hindu Nationali,m: A Re.der, hg. v. ChriSlophe laffrelot, Princeton, N.). 2007, 136.

Das Paradox der natlonalen Befreiung

Briten nicht die Angelegenheiten aller anderen.' Diese Aufgabe hätte korrekterweise der nationalen Befreiung vorausgehen sollen, war aber in allen meinen drei Fällen zum Zeitpunkt der Erringung der Unabhängigkeit unvollendet. Von Anbeginn waren die Aufbauprogramme der Befreiungskiimpfer mit Schwierigkeiten konfrontiert. Wenn sich Menschen erst einmal in einer bestimmten Spielart der Fremdherrschaft auf die eine oder andere Weise eingerichtet und an diese angepasst haben, werden die Männer und Frauen, die plötzlich auftauchen und ihnen anbieten, sie zu befreien, wahrscheinlich mit Misstrauen betrachtet. So erging es Moses, als er den Israeliten zu erklären versuchte, sie würden nun aus der ägyptischen Sklaverei erlöst.' An dieser Stelle erzählt der biblische Text eine klassische Geschichte, die immer dann wiederholt wird, wenn junge und begeisterte Befreier dem Volk, das sie zu befreien beabsichtigen, erstmals begegnen und dabei dieses Volk als verängstigt und widerstrebend erleben, Schnell erkennen die Befreier, dass sie (modern gesagt) zuerst das .Bewusstsein. der Menschen >zur Bewusstheit erheben • müssen, damit die Befreiung möglich wird. Was kann dies anderes bedeuten, als dem bereits bestehenden Bewusstsein des Volkes entgegenzutreten, das durch Unterdrückung und Anpassung geprägt ist? Das Bewusstsein zur Bewusstheit zu erheben ist ein Projekt der Meinungsbildung. das schnell zum Kulturkrieg zwischen den Befreiern und denen ausufert, die man die Traditionalisten nennen mag. Das Bewusstsein zur Bewusstheit zu erheben kann ein riskantes Unternehmen sein. Einem charismatischen Führer wie Gandhi ist es möglich, die traditionelle Kultur den Bedürfnissen der nationalen Befreiung anzupassen, aber Anpassungen entsprechend dieser Maßgabe treffen wahrscheinlich auf heftigen Widerstand. Auch kann es gut sein, dass die Erfolge ihrer Anpassung von kurzer Dauer sind. Und selbst Gandhi lehnte viele Aspekte der Hindu-Kultur ab, insbesondere das Schicksal der . Unberührbaren •. Er wurde von jemandem ermordet, der einer eher buchstäblichen oder traditionellen oder vielleicht radikaler nationalistischen Version des Hinduismus verpflichtet war.' Karuna Mantena, »Gandhl ', Rea1ism: Mean' end Encb in Politia., unveröffentlichte, Manuskript, 2014. • Ex 5:19. Selb .. nach Flucht au' Ägypten blieb da. Volk zögerlich und verängstigt. Siehe mein Exodus und Revofution, Frankfurt am Main 1995, Kap. 2. • Da. unmittelbare Motiv d.. Attentäter> be'land, wie dieser späler "gt.,In G.ndht. 4

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Das Paradox der nationalen Befreiung

Du Paradox der nationalen Befrei"",

· B 'spI'el wie auch alle meine übrigen Beispiele aus laieses el .. .. h II d' ch h be d · h d Nationalismus gewahlt, moc te a er mgs betoder GeschJC· te t'es nal n Befreiung eine Tel'1menge d'leser G esch'Ichte nen, dass dle na 10 . . . d ' 'ld . T '1 von ihr ist und mcht das Ganze. In er Tat schemt W b 0 f' . . d blet, emen ,ei . k t'onaler Befreiung nicht gut zu esters e mItIon es . . . das Proje t n3 I . I' u passen'. Nationalismus sei . eme Art von NauonalNatIona Ismus z bewusstsein, das eine Nation über alle anderen erhebt und deren schwe unkt auf der Beförderung ihrer Kultur und Ihrer Interessen rp Unterschied zu denen an derer Nallo.nen. ' . gl'b t es liegt, im .7 GewISS Männer und Frauen in allen nationalen Befreiungsbewegungen, die so denken - sie bilden den rechten Flügel dieser Bewegungen. Für sie ist der Nationalismus ein Nullsummenspiel. Der . Schwerpunkt . der Führer der Bewegung unterscheidet sich davon allerdings in zweifacher Weise: Erstens geht es ihnen um die Erlangung politischer Gleichheit mit anderen Nationen, nicht aber um die Erlangung einer dominierenden Position gegenüber diesen. Zweitens beabsichtigen sie, ihre eigene Nation von den langwährenden Traditionen des Autoritarismus und der Untätigkeit zu befreien - in der Tat von ihrer eigenen geschichtlichen Kultur. Die Befreiungsbewegung steht der revolutionären Politik näher als der nationalen Überhöhung. Gleich den Kämpfern für die nationale Befreiung stellen sich die Revolutionäre den althergebrachten Mustern der Unterwerfung, der Anpassung und des . falschen Bewusstseins. (wie die Marxisten sagen) entgegen. Sie zielen auf einen radikalen wandel. Die gesellschaftliche Revolution verlangt nach einem Kampf gegen die bestehende Gesellschaft; die nationale Befreiung verlangt nach einem Kampf gegen die bestehende Nation, statt diese zu . erheben «. Dieser Kampf ist, und zwar keineswegs selten, aueh ein antireligiöser Kampf, denn Religion ist, so lehrt Jawaharlal Nehru, . eine Philosophie der Unterwerfung [... ] unter die jeweils bestehende Gesellschaftsordnung, kurz unter alles, was besteht«.' Hier wiederholt Nehru die in der Befreiungsbewegung übliche Auffassung, die aus der. Tatsache folgt, dass die Anpassung an die Fremdherrschaft gemeInhIn die Form der Religion annimmt - zum Teil des offensicht-

' Anbiederung an die Muslim ... Siehe Ramachandra Guha, India after Gandhi: Th, Hi5l0ry of ,h, Wor/d's Largest Democracy, New York 2007, 38. . 7 Webster's New Collegiat, Diclionary, Springfield, M.... 1998, 733: Eintrag .nauonalism •. • 'awahnlal Nehru, Entdeckung Indi,ns, BerUn 1959, 686.

lichen :-vegen, dass Jenseitigkeit jederzeit verfügbare Tröstungen. bietet, Wie die Dinge hier und jetzt auch sein mögen. Aber die sakularen Kampfer der nationalen Befreiung irren, wenn sie die Tröstungen der Religion nur als leere Versprechungen beschreiben. Die Religion erzeugt auch Fantasien der Umkehr wie des Sieges und darauf folgend, zwischenzeitig. erweckungstheologische und milleniarische Bewegungen, die zuweilen ungestüm auftreten, aber immer erfolglos bleiben .' Der Millenarismus ähnelt einem Einspruch zur Fremdherrschaft und mag ein solcher Einspruch für kurze Zeit auch sein. Langfristig ist er allerdings eine Form politischer Anpassung. denn er erzeugt keine dauerhafte und beständige politische Opposition - die Endzeit aber wird nie kommen. Eine weitere, handfestere Form der Anpassung ist entschieden innerwelrlich und blickt nicht erwartungsvoll auf apokalyptische Ereignisse. In der Tat verordnen die meisten Religionen ein Regime, das jetzt sofort errichtet werden kann und soll. Es verlangt den gewöhnlichen Gläubigen ab, sich zu unterwerfen, und weist den traditionellen Religionsführen eine gebieterische Rolle zu, also jenen Personen, die oftmals bereits örtliche Amtsträger und Richter sind, eingesetzt von den Fremdherrsehern und ihnen im Gegenzug gefügig. Aber weder die millenarische noch die traditionalistische Politik fordert zu ideologischem Einsatz oder zu langfristigem Aktivismus auf. Auch verspricht keine der beiden politischen Konzepte individuelle Freiheit, politische Unabhängigkeit, Staatsbürgerschaft, eine demokratische Regierung. wissenschaftliche Erziehung oder ökonomischen Fortschritt. Um all dieser Dinge willen müssen die Kämpfer der nationalen Befreiung oder Revolution das Volk, in dessen Namen sie handeln, transformieren. Auch verlangt diese Transformation den Sturz der religiösen Führer des Volkes und die Überwindung der gewohnten Lebensweise des Volkes. Dreißig Jahre nach der nationalen Befreiung Indiens hat V. S. Naipaul die Einstellung der Befreier gegenüber der Religion des Volkes genau erfasst: [D]er Hinduismus [... ] ist Schuld an Tausenden von der Niederlagen und der Stagnation. Er hat den Menschen nicht die Idee eines Vertrags mit anderen Menschen geliefert und keine staatsbildende Idee. Er hat em Vlerfür ein Beispiel aus der jüdischen Geschichte siehe Gershom Scholem, The Messianie fdea in Judaism and Other Essays on }ewish Spirituality, New York 1971, Kap. 1,

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wo er die klassische Darstellung des jüdischen Messianismus als einer fonn politi-

scher Anpassung liefert.

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Du .....®,.. dot nadonlltn BtI\'tIIIII&

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Mar",

Karl Die briti5Che Hemchaft in Indien, in Karl Ma"" Friedrich Engds, Werke, Sd. 9, Serlin 1960, 132. lS Sigmund Freud, Der Mann Mosts und die monotheish"sche Religion, frankfun Im Mlin 1999 (Erstveröffentlichung Amsterdam 1939). " S. R. Nanda, lawohorlol Nehru: Reb" ond Statesmon, Delhi 1995, 263. lO M. R. M..ani, rhe Communi,t Party 0/ India: A Shorl Hi5l0ry, N... York 195424-25. 21

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DIS Paradox der nationalen Befreiung

Du Paradox der nationalen Befreiung

y, fasser der Schrift Der Judenstaat, war ein H I er . u rer. M'lt emer . Theodor erz, d typischer nationaI'ISti'sch er f"h weIterer ganz un gar . ' "d' h " . h' hen und einer wemger guten JU 15C en Bil. I "b d' sehr guten osterre" !Sc 't mehr über andere Nationen a s u er le seine h Ib dung wusste er wel . d Idee eines J'üdischen Staates des a so vertraut, weil . S taat ver fü' gte und war . ' mIt "er Ik vertraut war das SCh on u"ber emen er mit emem v O ' d h • ' W' n Israels erster Präsident, hatte an eutsc en Uni.'h Ch alm elzman, ." t d'ert und erhielt danach eme geSlc erte Stellung als verSltaten s u I . . " h forscher und Lehrbeauftragter an der Umversltat Manc ester, wo er

zum politischen Anglophilen . . . Frantz Fanon erhielt seine medizlmsche und psychlatnsche Ausbildung in Frankreich, auch studierte er dort Literatur und Philosophie. Keiner der anderen Führer oder Intellektuellen der FLN ging in Frankreich zur Schule, aber nahezu alle von Ihnen besuchten französische Gymnasien in A1gerien. Auch dienten viele von ihnen (einschließlich Fanon), sozusagen als Ausbildung anderer Art, in der französischen Armee bzw. der Freien Französischen Armee. Ben Bella erhielt die höchsten militärischen Ehren Frankreichs - und einen Kuss auf jede Wange von CharIes de Gaulle höchstpersönlich. Oft identifizieren sich die Führer der Unterdrückten mit einer oppoSitionellen Ideologie im Land der Unterdrücker - so kommt es zum Marxismus einiger Vertreter der FLN oder zum Fabianismus Nehrus und des Indischen Nationalkongresses (Winston Churchill hatte einfach unrecht, als er Nehru einen Kommunisten nannte) oder zur Rezeption der osteuropäischen Sozialdemokratie durch David Ben Gurion und Mapai, der die zionistische Bewegung und darauf folgend die ersten Jahrzehnte der Existenz Israels dominierenden Partei. Aber die oppositionelle Natur einer Lehre zum Beispiel in England macht sie nicht automatisch in Indien bekannt. Auch hier sind die Kämpfer der nationalen Befreiung überbringer von Ideen, die das Volk oder der Großteil des Volkes, dem sie sie übermitteln, nicht kennt. Was haben die Kämpfer den Menschen mitzuteilen 7 Sie können ihnen sagen, dass sie unterdrückt werden, weil sie rückständig, teilnahmslos, gefangen in Aberglauben und Unwissenheit sind »der modernen wissenschaftlichen Rationalität gegenüber nicht au'fgeschlos(um Nehru nochmals zu zitieren), und dass sie von Männern werden, die als Hauptquartiermeister agieren, als Helfershelder Zwangsherrschaft. Die Kämpfer erwecken die Hoffnung auf eIßen Neuanfang und ve rI'h . . . el en I'h r G estaIt 'm emer der modermstl-

sehen Ideologien, die nationalistisch ist, liberalistisch oder sozialistisch, oder aber eine Kombination dieser drei darstellt. Sie versprechen Aufklärung, wissenschaftliche Erkenntnis und die Verbesserung der Lebensverhältnisse. Sie versprechen, und dies ist vielleicht noch wichtiger, den Sieg über die Unterdrücker sowie Gleichheit auf der Weltbühne. Vor allem begeistern sie junge Leute (sie sind für gewöhnlich selber jung) und fordern oftmals dazu auf, mit Familie, Freunden und allen Formen der etablierten Herrschaft radikal zu brechen. Sie verlangen die totale Hingabe an die Bewegung oder vielleicht die Eingliederung in eine allumfassende Gemeinschaft (zum Beispiel in den zionistischen Kibbuz oder eine Dorfkooperative der Anhänger Gandhis). Die alten Denk- und Handlungsweisen sind vollends zu verwerfen und zu überwinden, sie werden allerdings von vielen Männern und Frauen, deren Denk- und Handlungsweisen sie sind, geschätzt. Dies ist das Paradox der Befreiung.

11. Dennoch gewinnen die Befreier. Gegen die fremdländischen Beherrscher ihres Volkes führen sie einen Kampf, der wesentlich ein nationaler Kampf ist. Zweifellos steht das Volk selbst der Kultur und Politik ihrer Beherrscher weit weniger verständnisvoll gegenüber als die Befreier. Trotzdem schließen sich viele der Männer und Frauen, die die Ideologie der Befreiung nicht teilen, dem Kampf an - sobald die Avantgarde der Kämpfer nämlich gezeigt hat, dass der Sieg möglich ist. Die traditionellen politischen und religiösen Führer werden aus dem Weg geräumt, ziehen sich zurück (Passivität ist die Art ihres Verhaltens) oder folgen den Befreiern und geben sich mit einer marginalen Rolle zufrieden. Wer nicht zu dieser schematischen Geschichte passt, ist Mohandas Gandhi, dem es gelang, die traditionalistische Passivität zu einer modernen politischen Waffe zu machen. Es gibt keine vergleichbare Persönlichkeit in der Geschichte des Zionismus oder in der FLN oder deren Umkreis - oder in irgendeiner anderen nationalen Befreiungsbewegung, die ich kenne. Selbst als sich Gandhi öffentlich hinduistischen Überzeugungen und Praktiken entgegenstellte, sprach er zu den Menschen in einer religiösen Sprache: die den anderen führern der nationalen Befreiungsbewegung weIthin fremd war. So hatte Gandhi im Jahre 1934 behauptet, ein Erdbeben in Bihar sei die göttliche Strafe für die Sünde der Unberührbarkeit. 31

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Das Paradox der nationalen Befrelu",

Du Paradox der nadonalen Belreiun,

I' h d

b·tciligt sein sollte, eine Verfassung ausNehru,. der abschaffte, hielt diese BemerIC' blei' I n "Etwas das der wissenschaftlichen Sichtwei_ I kun'" fur .uns », d ou IC I'. "I, 'rsteht ist schwerlich vorsteIlb or«, sch rieb er. e ablehnen c'r gegenu c ' " d . I' I 'I'cl,tet B R Nondn, Grunder un erster Duektor s I Bei Ge cgen'IlClt, 'ei. I LI'brnr. '.erschien Gand h'I lawa hor IaI als >ein v der Ne Itru I" l'1ll0rl:'l JI . I I I' I kntholischer Heilige" •. " Die Bemerkung enthüllt mlttc a ter IC ler . I" h '1 die Nehru in semen po It!SC en Urtel en lei. k i l l H'zu"o.' l: . 0'" dle u . • 1't'n11 r""I·on.len Gegebenheiten angemessenere Beschreitet"n (('Jne ll.: "0 . .. b Gondhis wäre gewiss möglich gewesen). Belden Mann er gelang für ihre Zusammenarbeit war jedoch entscheidend, dllSS Gnndhi die politische Nachfolge dem säkularen und modernen Nehru einräumte. Trotzdem schreiben Vertreter des Säkularismus und der Moderne Gandhi die Schuld für die überraschende Stärke des religiösen Nationalismus im befreiten Indien zu. So schreibt V. S. Naipaul: [Dias Drama. dos jetzi in Indien über die Bühne geht, ist dos Drama, dos [Gondhij vor mehr als sechzig Jahren ins Leben rief [.. .]. Gandhi gab Indien seine Politik, er beschwor seine archaischen, religiösen Emotionen herauf.

Er mochte dos eine dem anderen dienstbar und brachte Indien zum Erwachen. Do.:h im unabhängigen Indien annullieren sich die verschiedenen Faktoren dieses Erwachens gegenseitig. Keine Regierung kann auf der Grundlage von gondhischen Phantasien überleben, und die Geistigkeit (dieser Trost eines besiegten Volks), die Gandhi in eine Art nationale Selbst: bch.uptung umgewandelt hot, ist offensichtlich wieder nihilistisch gewo"': den, was sie im Grunde genommen immer war. 32

Dieser Tadel stammt aus den späten 197Ocr-Jahren. Linke Intellektuelle im heutigen Indien betrachten das Erbes Gandhis weit kritischer. Auf ihre Argumente werde ich im dritten Kapitel dieses Buches zurückkommen. In Israel und Algerien erfolgte der Obergang von der nationalen Befreiung zur religiösen Wiederbelebung ohne die Vermittlerrolle einer Gandhi nnalogen Persönlichkeit - so war Gandhi in Indien Jeicht weniger wesentlich als seine Kritiker glauben. Vielleicht wäre HIndutva, die Ideologie des Hindu-Nationalismus in der indischen Politik auch dann wirkmächtig geworden, wenn Gandhi die Befreiungsbewegung niemals inspiriert und angeführt hätte. Gleichwohl JI

Niinda, Nehrw, 32.

" N,lp.uJ, Ind;,n, 190.

ist die Geschichte ohne ihn oder ohne jemandem wie ihn schwie . . ht, an dere Führer von Befreiungsbewegun_ nger zu erza"hl en: Ich . mc gen seien mcht gewtllt gewesen, religiöse Formulierungen zu benutzen . waren nahezu genötigt, die heilige GeografIe der Btbeltcxte tns Feld zu führen. Ihre Hoffnung auf die .Sammlung der luden aus allen Völkern. war eine säkularisierte Version eines messianischen Versprechens. In Algerien hieß das erste Magazin der FLN »EI Moudjahid. (für Fanon eine Verlegenheit; er teilte seinen Lesern mit, dass der Terminus »ursprünglich. einen muslim ischen heiligen Krieger meinte, nunmehr abcr für nichts mehr als ein »Kämpfer« steht) und die Flagge der FLN war grün und weiß - grün ist traditionell die Farbe des Islam." Was Araber und Berber darin einte, sich der Assimilation zu widersetzen, war, so lohn Dunn in seinem Buch Modern Revolutions, .das gemeinsame Band des Islam unter dem Joch der Kolonialbesatzung •. '" Der Islam zog in der Tat eine klare Grenze zwischen den einheimischen Algeriern und den europäischen Kolonisatoren: .Das Einzige, was die Kolonialelite nicht war«, schreibt Geertz, »und bis auf einige wenige zweideutige Fälle nicht werden konnte, war muslimisch zu sein .• " Algerische Kämpfer ließen es sich nicht nehmen, die »islamischen Prinzipien. in Ehren zu halten - zum Beispiel den Genuss von Alkohol innerhalb der FLN und, soweit ihnen dies möglich war, auch unter der Bevölkerung allgemein zu verbieten. Dennoch waren weder Strategie und Taktik noch der langfristige politische Themenkatalog in erheblichem Maße durch die Religion ihres Volkes geprägt. Selbst die Zionisten erstrebten einen »normalen« und keinen Erlöserstaat. Gandhi bleibt eine sehr große Ausnahme. Was also ist geschehen? Die Traditionalisten schienen geschlagen und marginalisiert. Die Aura der Befreiung übertrug sich nicht auf diese. Sie hatten kaum Einfluss auf die Gestaltung der Verfassungsvereinbarungen, der Wirtschaft und des Bildungssystems der neuen Staaten. Unter den neuen politischen Eliten traten sie nur vereinzelt in Erscheinung. In Algerien ist die Geschichte etwas komplizierter. Hier hatte der in der FLN aufkommende (obwohl von einer Reihe Horne, Savase War 0/ Peaet, 133; Fanon, Sludies in a Dying Cofonialism, 160, fn.ll. 54 lohn Dunn, Modern Revolutions: An Introduction to the Analysis 0/ a Politka' Ph,nomenon, Cambrldge1972, 161. Geertz, Islam Observed, 64.

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Das P....dox der nationalen Befreiung führender Kämpfer abgelehnte) Autoritarismus schon Bellas währte frühzeitig triumphiert. Das linksradikale nur drei lahre und wurde durch eine stärker Militärdik_ Jahr 1965 stürz_ tatur ersetzt. Houari Boumedienne, der Ben Schulen in te, war gewiss nicht frankophil. Er war In A1gerien unterrichtet worden und hatte eIn lahr an, der AI-Azhar_ Universität in Kairo studIert. " Aber die polItischen Fuhrer, dIe er am meisten schätzte, waren Castro und Tito. Er praktizierte die von der FLN immer schon versprochene sozialistische Wirtschaftsweise, und sorgte für eine Form der Politik, die obwohl sozial konservativ (was die Stellung der Frauen anbelangte) der Folgegeneration algerischer Muslime als radikal säkular erscheinen sollte. Wie also wurden der Islam und die Spielarten des Hinduismus und judaismus in der neuen, befreiten Welt am Leben erhalten oder erfunden? , Die Geschichte ist in einem jeden meiner drei Fälle anders. Aber es gibt wiederum gemeinsame Merkmale. Einige davon sind für meine Fragestellungen nebensächlich, für eine jede umfassende Ursachenforschung vielleicht aber entscheidend. Die Kämpfer der herrschenden Parteien, Kongresspartei, Mapai, FLN, in den ersten jahren der Eigenstaatlichkeit unangefochten, wurden selbstzufrieden und einfallslos. Ihre unmittelbaren Nachfolger waren oftmals nisten, eher an der Macht und ihren Erträgen interessiert als an der Befreiung. In der Tat scheint die Korruption etwa zur selben Zeit einzusetzen wie die religiöse Wiederbelebung - und deren Vertreter sind nicht nur eifrig, sondern sie sind auch rechtschaffene Leute (zumindest bis sie selbst an die Macht kommen). Aber wir hätten vielleicht erwarten können, dass ein einfallsloser und selbstzufriedener Indischer Nationalkongress zum Beispiel von Vertretern der Befreiungsbewegung links von der Kongresspartei herausgefordert wird, etwa von den Sozialisten j. P. Narayan oder Asoka Mehta." Erst einmal sah es so aus, als ob die Sozialistische Partei ein führender Anwärter auf die Macht in Indien werden würde. Aber sie vermochte es Fuß zu fassen, vermutlich derselben Gründe nicht, als wegen, weshalb die Kongresspartei an der Regierung ins Straucheln

Du I'lI'adox der nationalen Btfrelunl

geriet. Die entscheidende Herausforderung fü be' d kam . der militanten Hindus. Auch in Israel und All e . von religiösen Nationalisten und Eif genen gaben linke "h dd I h d erem nach Warum? Wa ren er a re er Befreiung und dan h bl' b d: .. , . fl . h Fk d ac le leRelIgIon eIn eIn ussrelc er a tor es Alltagslebens in allen d . S ' I 'lsttsc , h eurer F"h die Religion ihres e' reI taaten.. Oft · Iten natlona h le ·, h ' " " Igenen unmittel_ barsten poIIt!sc en ZIeles wegen fur nutzlich: die Einh 't d tik ·· h K f el es an 01onia IIStlSC en amp es im neuen Staat zu wahren. Obw hl ' . ' K"f . A ff o eInIge . er gern emen ngri. auf die Religion im Stil der BolscheWlkllmtl1ert hatten, trauten SIch die neuen Führer nicht di tun. Vielleicht war das russische Beispiel bereits zu einem geworden, das vor einen: totalisierenden Säkularismus warnt. Auf jeden Fall hatten sie die Überzeugung, dass alle Religionen zum Niedergang bestimmt seien. Was Nehru die . wissenschaftliche Sichtweise« nannte, werde unweigerlich siegen. Die Säkularisierung bedurfte keiner radikalen Zwangsmittel, sie kalkulierte zwischenzeitliehe Kompromisse ein, denn sie war eine unausweichliche geschichtliche Tendenz.• Einige Hindus reden von der Rückkehr zu den Veden«, schrieb Nehru in Entdeckung Indiens, .einige Moslems träumen von einer islamischen Theokratie. Das sind eitle Phantasiegebilde, es gibt kein Zurück zur Vergangenheit [... ]. Die Zeit kennt nur den Weg nach vorn.«Ja Die zionistische Sichtweise war, wie der Historiker Ehud Luz schreibt, auffallend ähnlich .• Die Annahme, dass die jüdische Religion [... ] dazu bestimmt sei, früher oder später von der Bühne abzutreten, weil sie den Bedürfnissen des modernen Lebens widersprach, wurde praktisch von der gesamten zionistischen Intelligenz geteilt.«" Das ist mehr oder weniger das, was wir alle, SozialwissenschaftIer ebenso wie Aktivisten, in jener Zeit und für viele lahre danach geglaubt hatten. Oder fast alle von uns hatten dies geglaubt. Clifford Geertz, der nationalistische Bewegungen in Indonesien und der arabischen Welt untersuchte und aus dessen Werk über den Islam ich bereits zitiert habe, war anderer Meinung. Als er über die Religion auf Bali im neuen indonesischen Staat der frühen 1960er-Iahre schreibt: argumentiert er, der religiöse Glaube könne durch .moderne materialistische Ideen« überflutet werden, mögh-

0/ Ptacr, 327. !Jnen Eindruck. worum es .ich bei der linken Opposition zur Kongresspartei deIte, vennittelt Aloka Mehta, .Ocmocracy in the New Nations«, Dissent 7 (Summer 1960),271-278. ,. Horne, Savagt War

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" Nehru, Entd"kung Indiens, 698f. " Ehud Luz, Parallels Meet: Religion and Nationalism in rhe fArl!l lJ'onist Movtm ..t (1882-1904), übers. V. Lenn J, Schromm. Philadelphia 1988, 287.

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Das Par2dox der nation.'en Befreiung

Du Par2dox der nationalen Befrei.."

. be h ' ht Denn . solch um sich greifende[n) Ströcherwelse a r auC. nIC . . Iungen erwei' h nicht vollends als Lu ftsplege mungen - so fern SIe "ber SIC tiefverwurzelte ku Iture 11 e Konste11' atlOnen sen - gehen. 0 fhtmo Is u'ngerer Wirkung au fSIe, ' aIs WH . f"ur mog "I ich hinweg. mIt e er gcn h f I' .. " Wel' tcr behauptet er, dass • eu te au Ba I elmge geh0 Iten hatten.< d' d h' n und intellektuellen Prozesse, le zu en grund· 11 h· f..·I n Umgestaltungen der WeItgesch'ICh te ge f"h dergosescatte' u rt hatIIglOse .. .. h d . Iegen den .redest eingeleitet zu sem schemen.« Auc an ernorts gmg ten, zumm . d . I B f ' " . S " oder vielleicht dIe Flut, er nauona en e relung uber . dJe tromung, die alten Gesellschaften und wiedergeborenen Nauonen .mit eher geringerer Wirkung- hinweg. die Kämpfer.der Be-:egung erwarteten. Die Vorgänge, die Ietzthch zur rehglosen WIederbelebung führten, hatten bereits eingesetzt - unter den Augen der Kämpfer, aber nicht in ihrem Blick. Die alten Sitten wurden in Tempeln, Synagogen und Moscheen aufrechterhalten, abcr auch, und vielleicht ist dies noch bedeutsamer, in den zwischenmenschlichen Beziehungen, in den Familien und bei Familienfesten. Für die säkularen Kämpfer, emsig mit ihren großen Modernisierungsprojekten beschäftigt, waren diese aufrechterhaltenen Verhaltensweisen kaum zu erkennen. Tatsächlich wurden die bevorstehenden Wiederbelebungen vom Unmut befördert, den die einfachen, ihre Gewohnheiten lebenden Leute gegen die säkularisierenden und modernisierenden Eliten mit ihren fremdländischen Ideen, ihrer herablassenden Art und ihren gigantischen Projekten hegten. Noch mehr befördert wurden sie von der autoritären und patriarchalischen Politik, die den neuen Eliten in ihrem Krieg gegen die alten Sitten aufgezwungen wurden. Einige würden sogar geltend machen, dass der Autoritarismus den Eliten weniger aufgezwungen, von diesen vielmehr begrüßt wurde: Die Idee der Modeme, schreibt Ashis Nandy, ein Kritiker des Säkularismus im Sinne Nehrus, gab ihren Vorkämpfern . scheinbar verdient einen unverhältnismäßigen Zugriff auf die Staatsmacht.... .1. Besonders brutal war der Autoritarismus des algerischen Staates unter Boumedienne. In der Tat war bereits die Politik der FLN vor der Befreiung mörderisch gewesen und führte zu einem regelrechten

Bürgerkrieg zwischen der FLN und Mesali Hadjs Algerischer Nationaler Bewegung (MNA - hIer hatten viele Führer der FLN ihre politische AusbIldung erhalten) - etwa 10 000 Algerier wurden getötet." Im UnterschIed dazu waren der Indische Nationalkongress und der Sozialisusche ZIOnismus der Demokratie verpflichtet. Sie gingen mit ihren mternen Spannungen zumeISt auf gewalt freie Weise um. Aber selbst die Führer dieser Bewegungen übten politische Macht in der festen Überzeugung aus, zu wissen, was das Beste für ihre rückständigen und oft widerspenstigen Völker sei. Dann kehrte die Rückständigkeit zurück, und das wesentliche Instrument ihrer Rückkehr war die Demokratie, die die Befreier geschaffen hatten (selbst, für die kurze Zeit zwischen 1989 und 1991, in Algerien) . • Die gegenwärtige Krise der liberalen Demokratie [in Indien) . , schreibt der Politikwissenschaftler Rajeev Bhargava, .ist zu weiten Teilen Resultat ihres eigenen Erfolges •. Religiöse Männer und Frauen, die früher teilnahmslos waren und ihre Stimme nicht erhoben, betraten den neugeschallenen öffentlichen Raum in einer Zahl, die den Umfang der .sehr kleinen Oberschicht der Führer der Nationalbewegung [.. . ) weit überstieg«. Die demokratische Politik begünstigte die . ethnoreligiöse politische Mobilisierung« und die mobilisierten Männer und Frauen hatten . keine Vorgeschichte mit klarer liberaler oder demokratischer kultureller Prägung«." Allerdings war es nicht die alte Rückständigkeit, die durch diese Menschen oder die Politiker, denen sie folgten, zurückgebracht wurde. Die Religion erschien nun, wie ich bereits behauptet habe, in kämpferischer, ideologischer und politisierter Form - modern selbst in ihrem Antimodernismus. Ihre Protagonisten behaupten, die alten Traditionen zu verkörpern, die Religion der Vorfahren, ja selbst eine reine, authentische Version dieser Religion zu repräsentieren. Das Alte ist ihr Mantra. Obwohl diese Behauptung nicht zutrifft, muss sich die Attraktivität ihres Programms doch zumindest teilweise aus dem Sinn für das Alte erklären lassen. Die Protagonisten setzen das befreite Volk mit seiner eigenen Vergangenheit in Beziehung. sie ver-

Laremont, Islam and the PaUnes of Resistanre, 112. Rajeev Bhargava, The Promist of lndill's Secular Democracy, N"ew Delhi 2010, 253, 261. Man vergleiche dazu die Ansicht Ashis Nandys: . Dies ist eine andere Formulie-rung dafür, dass die Demokratisierung selbst der Säkularisierung der indischen Politik Grenzen gesetzt hat. « »An Anti-secularist Manifesto«, ["dia International Centre Quarterly 22, 1 (frühjahr 1995), 42.

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CJifford Geertz, Tne Interpretation 0/ Cultures, New York 1973, 189. . Ashis Nandy, »The Twilight of Certitude,; Secularism, Hindu Nation.lism, and Olher Mask. of Deculluration., Alternah·.es: Global, Loeal, Polih'eal 22, 2 (April)unI1997),163. 41

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Das Paradox der nationalen Befrelu",

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Das Paradox der nationalen Bef"....

on Zugehörigkeit und Beständigkeit in schaffen ihm, Welt. Auch machen sie, nachdem die al. sich Unterdrücker verschwunden sind, neue, er· ten Impenahs tlsc Andere« als Objekte von Furcht oder Hass kennbare, gar vertrautef".r -lI dos was seit den Tagen der Be freiung fü b denen man u. • , ver gar, f ' d' Schuld zuschreiben kann . Zuweilen sind die falsch gelau enh"n 1St, erleeiner rivalisieren den ReI'Iglon, , zuwel'I en aber .Anderen « A"n a gte Linke Säku1are, H"aretl'ker un dU ngI"au b'Igeaueh ,wcstonenuer « ' be Verriiter, so sagt man, die mitten unter, uns n, . c'Schah mit dem Neuen 10 Indien, Israel und Algenen 1 Abe rwasg ' der gIelC ' h, au frecht ' d d' neuen Männer und Frauen, eman Wo sm le ewachsen gcbildet? Ic h bin mlf ' nlC 'h t SlC 'h er, wie ich h d hoehg steen, ' " hl auf diese Frage antworten soll. Es gibt eme Vlelza solcher Men· schen _ die nationale Befreiung umfasste mehr Menschen als die zah· lenmäßig sehr kleine Oberschicht - , aber nicht annähernd so viele wie von den Befreiern erwartet, D,e Kultur der BefreIUng war offen· bar zu mager, um diese Menschen zu ernähren und sie in den Stand zu setzen, sich zu reproduzieren, Die radikale Ablehnung der Vergan, genheit bot gewissermaßen zu wenig Material für den Aufbau der Kultur, Natürlich kreierten die Befreier Feiertage, eine Reihe von Helden, Regeln für Erinnerungsrituale, sie schufen Lieder und Tänze, schrieben Romane und Gedichte (man denke hier an die Französische Revolution mit ihrem neuen Kalender, ihrem Neoklassizismus, ihren Festen und ihrem Prunk), Eine Zeit lang schienen sich genug Men· schen für all diese Dinge zu engagieren, sodass man fast an den Neu· anfang glauben konnte, Aber das Neue war zu artifiziell, zu neu, um bezugsfertig zu sein, und einige Generationen später hatten die Hel· den ihre Aura verloren und die Gedenkfeiern ihren Zauber. Die jungen Leute drifteten ab, hin zu den Verlockungen der globalen Popkultur oder hin zum leidenschaftlichen Glauben an die religiöse Wiederbelebung, Die Anziehungskraft der Popkultur ist für alternde Kämpfer der nationalen Befreiung zweifellos eine Enttäuschung. Ihre größte Enttäuschung, ihre größte Überraschung ist jedoch die große Junger Männer und Frauen, die sich zu den Ideologien des Hmdu-Nationalismus, des messianischen Zionismus, des ultraorthod?xen Judaismus und des radikalen Islam hingezogen fühlen. Sind sie zu überrascht? Die Töchter jener Frauen, die Fanon dafür feIerte, SIch elgenstan ' " d'Ig aus dem Boden der Tradition gerissen zuhaben'llkehren freiwillig zu den Wurzeln, den religiösen Glaubensvorste ungen zurüc"'" die (zu mm . dest fü' r diesen sa"kularistlschen . Be-

trachter) so frauenfeindlich sind, wie sie es immer gewesen wa I ren. st das nieht unbegrel'fl'IChl Meines Erachtens lässt sich das durchaus begreifen. Es handelt sich einfach um die Art Sachverhalte, die die Sozialwissenschaft fü sich in Anspruch nimmt, erklären oder zumindest verstehen zu nen. Autoren, die der.wissenschaftlichen Erklärung verpflichtet smd, suchen nach der SOZIalen Klasse, deren materiellen Interessen die religiöse Wiederbelebung dienen könnte. Eine kürzlich erschienene Studie über .linke Diskurse im gegenwärtigen Indien« stellt fest, dass verschiedene Autoren den Aufstieg des Hindu-Nationalismus dem Kleinbürgertum (für Marxisten der klassische Kandidat), aber auch den reichen Bauern, den armen Bauern, dem Lumpenproletariat, den städtischen Arbeitern, den alten Brahmanen und den neuen Kapitalisten zuschreiben. Ich habe ein gewisses Verständnis für einen verzweifelten Kommentar, der im Jahre 1993 in der linken Zeitschrift Economic and Political Weekly erschien: .Worin auch immer die Schwierigkeiten der Untersuchung bestehen mögen, eine Ideologie auf ihre materielle Grundlage zu reduzieren, faUs man nicht [... ] eine solche epistemologische Beziehung zugrunde legt, wird man mit einem politisch lähmendem Agnostizismus konfrontiert sein.« Aber entweder funktioniert die Reduktion nicht oder sie muss besser ausgearbeitet werden. Zwei Jahre später schreibt derselbe Autor in derselben Zeitschrift, der Hindu-Nationalismus sei nicht nur »ein Instrument, das ein materielles Interesse schützt. [.. .] Darüber hinaus ist er eine Gruppe von Werten, Einstellungen und verhaltensnormen, denen man nur mit Hilfe alternativer Werte und Normen begegnen kann .. .. Diese Einsicht scheint mir der Beginn einer Erkenntnis zu sein. Die Suche nach einer materiellen Basis würde ich nicht preisgeben. Marxistische Autoren halten zu Recht nach den Menschen Ausschau, die höchstwahrscheinlich davon profitieren, was V. P. Varma als das Hauptanliegen der Wiederbelebung des Hinduismus bestimmt: .die Wiederherstellung der vedischen Prinzipien, [diej die funktionale Organisation der Gesellschaft. verlangen." Die alten Eliten, die oberen Kasten, die neuen Kapitalisten und Patriarchen in ihrer ubiquitären Präsenz, in der Familie, der lokalen Gemeinde und im Staat-dies sind .. Devesh Vijay, Wn'h'ft8 Polih'CS: ult DiscourSt5 in Conttmporary 2004. 157, 158. Der Eiuorto Autor isl K. Balagopal. .. Jocobsohn, Whttf o{ LatD, 235,

Mwnbai

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Du Paradox der nationalen Befreiuni

Du Paradox der natiOnO len Befrei"",

, k dig N tznieBer, Dennoch muss der populistische Reiz " die offen 'edrunbei ben uanerkannt werden, das Beh arrungsvermogen 'Ih'lerarch'le. oh ne diesen der WI er , 'e ungf lien Ebenen der SoZla . der, alten " RediIIglOnI' ou '''''e0 Wiederbelebung f"ur di e Bra h manen, KapuaReIZ ware e re Igtw . ' f h d W'ed , d P , chen nutzlos, Es ist mcht em ac , er I erbeleIIsten un" atnar Re'he alternativer Werte und Normen zu begegnen mit emer J • "gI' . bung , 'h'l versuchen scheint so gut WIe unmo ICh. les ex nt I 0 zu 0 Vielleicht aber mussten die Kämpfer für nauonale BefreIUng, wie I

. . '



11 Revolutionäre, auf einer radikalen kulturellen NegatIOn bestehen den Worten Ambedkars: auf . der völligen Zerstörung des Brahmanismus als [oo.J einer Sozialordnung« - und darauf folgend auf einer radikalen Erneuerung." Möglicherweise ist dies für ihr Projekt wesentlich oder notwendig. Vor vielen jahren, als ich über die puritanische Revolution in England schrieb, stieß ich auf eine im jahre 1643 im House of (ommons gehaltene Predigt, die einer Empfindung Ausdruck verleiht, die Revolutionären überall gemeinsam ist: .Hüte dich davor«, sagte der Prediger den Parlamentariern, »mit einem alten Tragwerk zu bauen, das vollständig abgerissen werden sollte. Hüte dich davor zu verputzen, wenn du doch abreißen solltest, . " Die Schwierigkeit besteht darin, dass solch ein grundstürzendes Niederreißen den Leuten, die in dem Haus wohnen, nicht zusagt, Sie hängen zu sehr an dem Haus, auch wenn sie dessen Nachteile erkennen und diese beklagen sollten. Erforderlich ist vielleicht nur ein Teilabriss und der Rest lässt sich renovieren. Was zu renovieren wäre, sind

radikalen säkularistischen Zurückweisung, dann die Politik der militanten religiösen Bekräftigung und schließlich werden mit d Worten des Oxford Englis.h Dictionary gesagt, .die den Seiten [... J zu emer hoheren Wahrheit verschmolzen, die sie beide enthält«. jedoch scheint die Dialektik gegenwärtig nicht so zu funktionieren, wie sie dies für gewöhnlich tat. Viele Anzeichen einer bevorstehenden Synthesis vermag ich nicht zu sehen, In Indien, Israel und Algerien - und vermutlich andernorts ebenfalls - muss der Kampf, den die Befreier dachten gewonnen zu haben, noch gewonnen werden. Die säkulare Befreiung ist nicht geschlagen, wurde aber auf unvorhergesehene Weise und in ungeahnter Stärke herausgefordert. Der Kampf wird für eine lange Zeit weitergehen. Sein Ausgang ist so ungewiss wie zu Beginn des Kampfes. Wie die alten Israeliten dachten die Kämpfer der modernen Befreiungsbewegungen, das verheißene Land erreicht zu haben, nur um zu erkennen, dass sie Ägypten im Gepäck hatten.

Werte und Normen. In den nationalen Befreiungsbewegungen gab es in der Tat Intellektuelle, die die alte Kultur, statt sie frontal anzugreifen, kritisch miteinbeziehen wollten. Ich möchte gern glauben, dass die Geschichte, häuen sie gewonnen, anders ausgegangen wäre. Die Befreier hätten ihren Frieden mit zumindest einem Teil der Vergangenheit der Nation gemacht, eine Reihe von Glaubenssätzen und Praktiken gestaltet, die sowohl neu als auch vertraut gewesen wären, und den Extremismus der religiösen Wiederbelebung verhindert. Vielleicht. Ich in diese Richtung gehend argumentieren, sollte jedoch mIt el,ner Portion Skepsis beginnen. Einige Kommentatoren behaupten, etn Mltetnander sei nie möglich gewesen, und setzen ihre Hoffnungen staudessen auf die Dialektik: Zuerst kommt die Politik der G. Aloysius, NationaUsm witnowt a Nation in InJia, New Delhi 1998, 208. " Michael Walzer, rhe Rt1Iolu"on 0/ .he Sain", Cambridge, M.... 1965, 177,

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Die D.rstellung des P.... dox.s: Zionismus kontra Judaismus

2. Die Darstellung des Paradoxes: Zionismus kontra Judaismus

I. Der Zionismus ist eine der Erfolgsgeschichten der nationalen Befrei_ ung des zwanzigsten Jahrhunderts. Die erste Generation zionistischer Führer schlug eine Lösung der »Judenfrage« vor, deren Verwirk_ lichung nahezu einem jeden realistisch gesinnten Juden und Nicht_ juden in der Welt unmöglich schien - aber die Folgegeneration verwirklichte diese Lösung. Für die meisten Juden Europas kam die Verwirklichung zu spät, sie wurde verdunkelt durch die größte Katastrophe in der jüdischen Geschichte. Und dennoch erreichte der Zionismus das unerreichbare Ziel. das ihm Theodor Herzl gesetzt haltein dem von ihm vorgestellten Zeitraum von fünfzig Jahren; Im geschichtlichen Zusammenhang betrachtet ist Israel eine weit größere Überraschung als Indien oder Algerien, deren Nationen gewissermaßen vor Ort befreit wurden. Die im Exil geborene zionistische Bewegung hat es vermocht, einen souveränen Staat zu errichten, und ZWar in einem .Altneuland«, wie Herzl dies nannte, das zumeist von Arabern bewohnt und von osmanischen Türken und den Briten kolonisiert war. Heute ist die jüdische Selbstbestimmung, unerreichbar ro.r fast zweitausend Jahre, eine alltägliche Tatsache. Warum ist meht das Endeder Geschiehte? Alles der Staatsgründung Folgende Worüber wir jetzt sprechen solIten, ist die natIOnale BefrelUng der Palästinenser, Aber der zionistische Sieg ist vertrackter al d' k E "h I " Er ,Ist vertrackt in nahezu sd lese vermuten lasst. Ib urze w' rza ,_ dung ' 5'lege des In d'ISChen Nationalkongresses d d erse en' else WIr le er Der Zionismus ist kein vollständiger Erfol noch nicht vollendet, Was ich im ersten Kag" I::'BefreIungsprojekt tionalen Befreiung genannt habe hat ' pUe 'f' s Paradox der naselUe SpeZI IS ch jU "'d'ISChe SpieI_ art, Diese ist hier mein Thema, , Man stelle sich vor, eine Grup"'" der zi ' , h " "d ' h im gegenwärtigen r- Israel Omstlsc " d ungsvater« WUr e SIC 'd en' 'G run Wle erfinden und auf

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, Kongress die Geschichte der Bewegung diskutieren. eine rn fiktlven BOlu'im, der früh esten S'dl le er, "den db" a el selß, au ch Einige derI I ionisten, Anhänger von Achad Ha'am, wären an der , Ku turz '" einIge, b teiligt, Ferner würd en geWIss vertreter des Herzl'schen Zionismus anwesend sein und auch eine Delegation oder po Fraktion ehaim Weizmanns, Die frühen Soziader Dern o, I'stische Zionisten der zweiten Alija, der zukünftig hege, ten soZla I .. d 'h' , I Gruppe, sowie emlgo: :r I-Rabbmer, der rn Minderheit, die das zlOmstlsche Projekt unterstutzten, waren doxen cl 1 Die meisten d'leser M enseh en WUT " den, Wie . .leh gl au, be 'Meinung sein, dass ihr.e sich erfüllt " n Der Staat, wie er gegenwartlg elOstlert, entsprache Ihren Vorhatte . Ib d I" h Z" d f ellung en nicht, Se st en po ItlSC en IOmsten, von enen man 0 t dass sie nichts als einen Staat wollten, irgendeinen Staat, irgendwo, stand ein bestimmter Staat Augen - diese Art ist Israel jedoch nicht Wlrkhch. Auch dIe Mlsrachl-Rabbmer hatten mcht diesen Staat im Sinn, Allerdings werde ich mich mit den Erwartungen und Enttäuschungen der anderen beschäftigen, denn der Zionismus war, im Grunde genommen und während der Jahre seiner größten Errungenschaften, eine eindeutig säkulare Unternehmung. Dies macht seine Beziehung zum Judaismus so interessant, Ich schlage vor, diese Beziehung genauer zu betrachten und sie als eine bestimmte Ausprägung der internen Spannung oder Widersprüchlichkeit zu verstehen, die sich auch in der Geschichte der nationalen Befreiung in Indien und A1gerien zeigt - wie auch in Palästina, Dieser weitere Fall wird zwangsläufig zur Sprache kommen, denn Palästina hat bereits vor der Staatsgründung seine eigene Geschichte des säkularen Nationalismus und der religiösen Wiederbelebung.

11. Die jüdische Version dieser Geschichte beginnt mit dem Exil. Im Laufe von fast zweitausend Jahren, einer Zeitspanne, die wir uns nur schwer vorstellen können, entwickelte das staatenlose und verstreut lebende Volk Israels eine an Staatenlosigkeit und Zerstreuung angepasste religiöse/p?litische Kultur. Ich weiß nicht, wie viel Zeit nötig

1 Zu den frühen Zionisten siehe David Vital, The Origins 0/ Zionism, OxforcL U.K. 1975,

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Die Darstellu", des Paradoxes: Zionismus kontra Judaismus Die Darstellung des Paradoxes: Zionismus kontra Judaismus

ist, um eine Kultur dieser Art dieser An g finden sich bereits sehr fruh, Wie m leremlas berühmt sundi J den im Babylonischen Exil, etwa im Jahre 587 vorern an · eu ' h t, Wie ' Immer, " unserer hnung (der Prop h et spnc Im Namen G Z eltrec d' fl G" Ottes) .Baut Häuser und wohnt arm, p anzt arten verzehrt Frucht! [... ) Bemüht um das Wohl des Landes, In das ich euch fü'hrt und betet für dieses zum Herrn; denn auf seiner , .. hl wegge,. 'dhbd ' po. fahrt beruht euer eigenes Wohl.« Je oe ...e .urfte die soziale.Ier vurprogromnliert ist. Wie ist. enge63

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Oie DarIleIlu". d.. Paradox..: Zlonllmul kontra Judallmul

Die Darstellun, des Paradoxe.: Zlonl.mu. kontra Judal.mus

Ilchtl des Erfolgs der nationalen Befreiung, 10 etwu möglich 1 In d Tat fallen die Reaktionen von Zionisten auf die Eruption des M Icr nl mus und die Wiederkehr des Traditionalismus erstaunlich .chcSI Sicht man von politischen Gründen ab, so ist der wesentuah Grund für diese Schwäche der zweifache Fehler der kC le turellen Negation, Einerseits wurde die alte religiöse Kultur ni überwunden, andererseits ist die neue säkulare Kultur zu mager ode: zu schwach, um .ich aus sich selbst heraus zu erhalten, .; Für die .Wiederkehr der Zeit vor der Emanzipation« hat der ll. teratur· und Gesellschaftskritiker Aharon Megged die simple Erklä. rung gefunden, dass .ein jedes Vakuum [.. ,] gefüllt werden musS« ,'; Das ist eigentlich nicht fair, denn zionistische Schriftsteller und Ak. tivisten taten vieles dafür, den kulturellen Raum zu füllen, den die Negation des Exils geschaffen hatte, Die neue Kultur war ZUm Teil eine Reflektion auf die Geschichte der Bewegung selbst und die Erfahrungen ihrer Avantgarde, aber sie reichte auch zurück bis Zur Bibel und nach außen zu den Befreiungsideologien des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Arthur Heftzberg urteilte über den Zionismus, dessen . hächste Werte. entstammten . dem allgemeinen [europäischen I Milieu verdank. Ich wiuebren," Ihr Strubunnodell war deJ multinationalen ImperiunI$, in dem Id:o!en: Ckterrekh-Ungam. Dieoe poIitifd.e Einheit wollten

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,Je n"hl aulbrlXh...", .bt-r """"'ichrigten, oie ZU Ir.n.formieren, indem .ie .Ilen Ein",,,hn..-rn gleiche- Sruhbi:irge-rremr/t und den tli.hniW_'II UnterL1nmn.triunen AUUJrl(Jntie. "..,killen. nation.le V",wM wU''''''' to '''''n Schwlrznunrd, ciWttl_.." Anw:!",&ttIltcilerJ du"fJ jeYlf:J1. """ der! anderen N,· tlunm rr-rrennr", 'U!lfflllfM Vcrw.lrun.",....;nhtiren ... r"'&& Z. J1"1Üy's -=n-r. Sw . .; ,., i#= Z Ycxr --:--'t;. bci Im \ i , 1- •.!t,==n?OCüle b !,

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GuM.lndia alu' Gandhi. 371.

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01. Zukunft der nationalen BtfrtlunJ

4. Die Zukunft der nationalen Befreiung

I. Wenn ich immer wieder auf den entschiedenen Gegensatz von säku_ larer nationaler Befreiung und religiöser Wiederbelebung verweise deren insgeheime Verwandtschaft bestreite und mich weigere, die Fa: natiker als die zwangsläufigen Erben der Befreier anzuerkennen, dann konfrontiert mich das aufs Neue mit dem Paradox der Befreiung und der Frage, die sie aufwirft: Warum haben es die Führer und Kämpfer der säkularen Befreiung nicht vermocht, ihre Errungen_ schaft zu konsolidieren und sich über aufeinander folgende Genera. tionen zu reproduzieren? Ober die letzten Jahrzehnte hinweg ist diese Frage von indischen Intellektuellen und Akademikern in ihrer lokalen Version debattiert worden: .Warum hatselbst ein Produkt der Moderne und verdankt ihre ganze Existenz der gezUl?leich aber int.ern Beziehung. die sie zum I... ) Sakulansmus unterhalt •. DIes Ist keme marxistische, internationalistische Kritik, sondern vielmehr eine antimodernistische (oder antiwesdiche) Kritik, die in Indien weitreichende Rückendeckung durch Autoren erfahren hat, von denen einige sich am besten als moderne Anhänger Gandhis beschreiben lassen, während andere Anhänger des Postmodernismus und des Postkolonialismus sind. Nandy behauptet, Gandhi habe von Hindumotiven zu Recht politischen Gebrauch gemacht, denn sein Hinduismus sei glaubwürdig gewesen, d. h . • in Traditionen außerhalb des ideologischen Rasters der Modeme [... ] verortet •. Er habe deshalb für Zwecke einer prOVinzialistischen politischen Mobilmachung nicht zur Verfügung gestanden. Im Unterschied dazu sei Hindutva von Grund auf unglaubwürdig. Nandy schreibt mit Spott über die RSS, eine paramilitärische, hindunationalistische Gruppe: Was auch immer der Hindu, der der Wiederbelebung verpflichtel ist, wiederbeleben möchte: es ist kein Hinduismus. Die mitleiderregend komische Kampfuniform mit Khaki·Shorts, die die RSS·K.der zu tr.gen haben, ,.gt alles. Als Imitate der Uniformen der Koloni.lpolizei [.. .] entl.rven sie die RSS als uneheliches Kind des Kolonialismus des Westens. Nandy teilt uns ähnliche Dinge über den Staat Nehrus mit, der sich, wie er schreibt, die .gleiche zivilisatorische Mission. zueigen gemacht habe, .der sich die Kolonialstaaten früher selbst angesichts der alten Glaubensvorstellungen des Subkontinents verschrieben

Aktcl 811gr.mi, _5ecularl.Jm, Nation.li,m, Ind Modernlty .. , in Secularlfm artd Itl

er/lief, hg. v. RIJeev BhlrgovI. New DelhI1999, 381.

hatten •. ' AlM. Nandy, .The Politi" of Seculari,m and thc Recovery of RelJgiou, Toleradon./ In Bhar8lv1, Secularüm und lu Criries, 321-344 . J Bi1gnml, ,Seculari,rn, Natlon,li,m, Ind Modemity., 383-384. • Nlndy, ,PoHtlc, ofSecularJ,rn .. , 335-336, 324 . • RSS. 'teht fUr Ruhtrtya SWlyam .. ,evak S.ns _ Bund nationaler Freiwilligu. Mtrtha Nu"baum nennt die RSS .die mögUcherwel.e erfolsreich,te faschi,tlsche In einer zehgenötsiKhen Demokratie •. Siehe Manh. C. Nu"blum, Tht Clasn Witnin: Dtmocrl"Y, RtUgiou. Violertct. and 1nd{a', Future, C.mbrldge, Mu., 2007, 155.

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Oie Zulwnk der nadON"" Btlrtlun,

01. Zukunft der navenalen a.rrelunl

letzte Punkt Ist gewiss 7.utreffend, Er Ist ein weitere. Bel. .plcl Paradox Befreiung, jedoch keines, dal zwang.lnuflg dIe Verunellung a.sollten, die Nnndy meint, So Unt .asten im Jahre lA29 die die Sntl, die rltudle Opferung Hindu-Witwen auf dem Sdwlterhnufen Ihrer ver.torhenen Ehernö ner. Nach der Unabhlinglgkl'it wu rde dlesl'. Verbot durch die Regierung he'tiitlgt. Sie voll1.Og dnmlt, wie ich nnnehrnee dieselbe . zlvili.ntorlsche Mission . , Im Unter.chied dazu haben treter der Hlndu-Wlcd,'rbdehung und Fundomentall'ten die Praxll der Sntl verteidigt, und ,Ie .Ind In die. em Fall offenbnr überhaupt nicht unglaubwürdig.' In der Tnt hesteht, wie .cine Kritiker auf. ge1.elgt haben, do. Prohlem von Nnndys Standpunkt do rln, dass dei. "'n 1-lIndui'l11l1' , wie plurallstl.ch, tolerant lind . un.chn rf. er auch Irnmer zu .ein .dll'int, ouch hlernrchl.ch und repre •• lv I.t -In.be.on. dere g"genüber Fmu"n, Der Allfstieg von Hlndutva I.t .owohl eine Reoktlnn ouf den Egnlitorlsmu. der Befreier als auch allf deren Söku. larl.mu., Die HeHemonle d"I' Brnhmol1l'n, die Annehmlichkeiten de. Ka.tenlcb,'n. und die' t1'adltlonellen Eln.chrHnkunKen Im Leben der Frauen - oll dk." I1lnge lind der Wkderbclebung.beweHung und wahr.chelnlich ouch der vormodel'lwn Religion wichtiger 01. der re. 118111,e Plurnli.ll1u., Folglich steht fOr n,'makraten und fOr Gloube nicht ouf der 1"lltlschcn Tnllelordnung und auf Ihr nuch nicht Auch .ollten wir nicht vonchnell die Wirkung verurtdlen, die die westliche Moderne und der we. tliche L1beralilmul auf die In. dloche hntten und haben , Die 'llvlll. ntorl.che Missione war IIcwln .d'dnhclliK, eine für Zwecke de. Impel'lnlismu.; Ile wnr ",wellen nb,'r ouch dn nützlicher Anstoß fUr Aktivisten vor Ort, Wie K, C, Dutt, eln,'r der ,'rSI,'n I'rH.ld,'nten des Indl.chen Natlonnlkongt','.se., In der Früh,dt der nntlonnlistl.chen Agitation Ichrleb, wor .do. Recht der Ryot'lder Bau,'rnl auf Bildung, darauf, von den Fe .. dn. der Unwlf8enhclt befreit 7.U werden, vor der Unterdrückung durch die Znmlndare Iden LandoddJ ge.chOtzt zu .eln au.I Um . Nw r.Ylln, CU/lurl": IJCl n,III,,-, Trudflfotu, ana rh/ra WorfJ t, m{n(_rn, Nrw York 1997. 72-73i . Iche Jrdm.: h . u(h Ihrr dcullh:he WirRung vor der VortldJung. Jau -lIIlein wt'ftlh:hc Krhlkn In der lIgc . Ind. die plllrlln:hlllcn GrM uch.tcn acgen frauen In der Urhtcn Wdl beim Nllmen tu "rRnen und In fuge zu "diene (57). Nar.y.n. Argument greife h:h weher unten nf, Eine Kritik der Au((n.ung N.ndy. von der riludlcn Whwcnverbrcnnunslindcl .Ich in Radhlkl Dttlt. SiouchIng I,ward. Ayodhy., Ntw DtlhI2002, 85-89,

nnhln.los das Werk unserer Herncher, nicht unter elgene"."n jOnZeit hat Sumlt 53rkar, In einer marxistischen Kritik der POl/("1",,,1/1 darauf verwiesen, dase Im späten neu7.chnten und frühen zwanzlg. ten Jahrhundert dIe Protestaktionen und Protest[,ew,'gungen niederer Knswn für Frauenrechte . zlemlich oft [",I verluchl en , w,'sthche Ideolofllen und Kolonlolll('Set1.C, Gerichte und Behilrden als wesentliche Quellen zu nutzen • .' Dies waren .Quellen., die In der heimischen (hinduistischen oder muslirnlschen) Kultur nicht ohne Weiteres zur VerfOflung standen, Wie Ich bereit. In früheren Kapiteln hervorgehoben habe, Ilt die ontlonale llefreiung das Werk vnn Mönnern und Frauen, die von Ihren Imperialen Machthabern eine Menge gelernt hatten und da. (;c1ernte Im Interesse der Befreiung einset1.len, Sie Irompften zugk'ich gegen die Imperiale Machr und flcHen viele der Sitten und Praktiken, die Ihr eigenes Volk In Ehren hlell, Die Befreier .bL'Wahrlen die Sirukturen Imperialen Sla.tes" denn sie glaubten, wie IJlpesh Chokrabarty, einer fOhrenden postkoloniolen Autoren, .chrleb, on einen .aufgeklärten Rationalismus., der . dcn modernen Staat und die mit Ihm verbundenen Institutionen al'ICine I-liffsmltrd _ al. Instrumente der Gouvernementalität Im Sinne rou(:JI ulls - benötigt.,' Wenn Chakrabarty die. ober krltl,," mclnl, wird ...4n Argument ubskur, Welche. andere Hilf.mlttd der Gouvernemcnt.litift (oder der Nlcht-Gouverncmcntolitilt) könnle die Unbcrührborcn befreien, da, Verbot der zwilChen d,'tl Kaflen und die rradlerten denen da. d.r frauen unterworfen Ifr, .ufhebt.>ß IOwlc den Schutz religiil;er Minderheiten gewahrld.ten7 All dle.ut der neue Nalionalltaat, allerdinll' auf äuGmt unvoll.tJfndlge Welse, Aber die,e Fe8t8lellu ng I;t der IJellinn einer Kritik, die .leh von der d.r l'o.tk"l"nlali;ten erheblich untenchelder, Die der nationalen Hefreiuni', dHene Verpfllchrung auf den Stur und Widerstand der Befrder /leHenübcr den Sitten IhrL" Volkes .elen zu abstrakt, .chreibt AJilya Nigom, L'incr von Nandy. Mitarbeitern am Center for the SlUdy of DL'Vcloplng In New Dclhl, E• •el, al; ob da; Zid der Befreier Im UnterIChled zu Ihrer • G Aloy lu. N.II, n.II,m wt,hOUI' Null"n I. Indl', New D.lhll998, 113, 7 .OrJrnl, lIlim Rev/.ltcd: SlldllA r"meworu In Ihe Wrhlns o( Mt.xf. crn Indlln tll.IOry", Ox!o,J LI/tra,y RrvlcW 16, 1..2 {J CJlJ4" 214. hk b RtdkJl UI,lorlc•• nd IhtQU"IWn of [nllghltnmtnl Radon .. r I Dlpe.h C 'R • • '1llquCt o( Sub.hern Sludlct., r-.4onomlc and Pollt/(,II Wrt'lIy .1I,m: Some e«n r 30:1. (8, 756.

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Die Zukunft der nationalen Befreiung Die Zukunft der nationalen Befreiung Behauptung nicht darin besteht, .neuen Menschen. zu entwickeln, sondern einen universellen Burger emes universellen Staates. Das Projekt der Befreiung habe, so behauptet Nigam, keinen kulturellen Inhalt und erweise sich somit als eine Frontlinie im Kampf für die fortwährende Herrschaft der Brahmaneneliten. Auch seien seine Verteidiger nicht fähig, den Ideologen der Hindutva bemerkenswerten Widerstand zu leisten.' Dieses Argument ist eine indische lesart der Erklärung, die Aharon Megged für die Versäumnis_ se des zionistischen Säkularismus und den Aufstieg des religiösen Fanatismus gegeben hatte: .ein jedes Vakuum muss gefüllt werden • . Für den indischen Fall (wie auch für den Israels) ist das Argument nicht angemessen. Denn in den ersten Jahren nach der Unabhängig_ keit hatte die von der Kongresspartei dominierte Regierung einen unglaublichen Einsatz gezeigt, um über die neue Verfassung aufzuklären. Tatkräftig erläuterten und verteidigten Nehru und seine Mitstreiter die liberalen Werte, die sie zu verwirklichen suchten. Nandy könnte somit zu Recht behaupten, das Problem mit Nehrus Säkularismus sei nicht, dass dieser zu abstrakt, sondern vielmehr ideologisch zu unnachgiebig war, zu kompromisslos in seiner Ablehnung des hinduistischen (und muslimischen) Traditionalismus. Es ist der Absolutismus der säkularen Negation, der die Stärke und Militanz der religiösen Wiederbelebung am besten erklärt. Verschiedene Kritiker Nandys haben dieses Argument ebenfalls vorgebracht und ich möchte mich etwas länger mit ihren Vorschlägen für den Umgang mit Hindutva und deren Verteidigern beschäftigen. Ich werde danach fragen, ob die religiöse Wiederbelebung in Israel auf gleiche Weise thematisiert werden kann. Der entscheidende Fehler der Politik Nehrus besteht Bilgrami zufolge darin, dass deren Säkularismus . archimedisch. statt .ausgehandelte war. Bilgrami meint damit, dass .sich der Säkularismus auBerhalb der praktischen Arena politischer Verbindlichkeiten befande .\O Bekanntlich hatte sich Archirnedes gerühmt, er könnte da. Universum aus den Angeln heben, wenn er nur auBerhalb des Universums stünde. Für die Vertreter der nationalen Befreiung war der Säkularismus ein externer Standpunkt, von dem aus die indische Getellschaft umgestaltet werden könnte. Da••äkularistische Projekt er• Adlty. Nigam, Tht In.urrtclion 0/ Uutt StlTlt.: The Cri, lI 0/ Secu'"r Nalto"ull,m Inln41., New Delebung einer traditionellen Kultur, nicht die militante. politisierte Wiederkehr von etWas, das der Ideologie der Loyalisten gliche. sie beabsichtigte nicht die Wiederherstellung einer klerikalen Autorität und stellte die gewählten Führer and Kichrer des säkularen Staate5 nicht in Frage. Die Zweite Große Erwedrung war der Auslöser heftiger Dispute über die Beziehungen von Staat und Kirche. Einer dieser Dispute, der die Postzustellung an Sonntagen betraf, veranschaulicht ziemlich gut, was an der frühen Amerikanischen Republik so einzigartig war. Im Jahre 1810 verabschiedete der U.s.-Kongress ein Gesetz, demzufolge an allen sieben Wochentagen Post5Cndungen transportiert und Postämrer geöffnet sein müssen. Dieser Vorgabe wurde von vielen regulären, aber auch von einigen evangelikalen protestanten vehement mit dem Hinweis widersprochen, dies sei eine Verletzung göttlichen Rechts _ eine Verletzung, die insbesondere in dem Gemeinwesen eine Sünde war, da. einige mit Nachdruck als .christliche Republik. bezeichneten. Der Sabbatarianismus war in den Vereinigten Staaten dieser Zeit sehr stark. Die meisten Einulstaaten hatten weitreichende Blut LaW5 eingeführt, die die Geschäftstätigkeiten an Sonntagen einfChränkten. Der Kongrcss selber trat an diesem Tag nicht zusammen. Gegner des Sabbatarianismus gegriffen das Thema der sonntäglichen Briefzu.tellung land('Sweit auf. Es wurde zu einem 7.entralen Thema, wobei eine grofk An7.ahl von evangelikalen Prote.tanten, insbesondere Baptisten, Universalim'l1, Sieben·Tas",·Adventisten und andere Abfpaltungen dem Kongr"" da. Recht absprachen, einen religiösen Ruheta8 anzuerkennen." u ""mnidl.nd Moort, (j.dl", C•• IIII"".n, Kop. 7.

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Postskriptum

Postskriptum

Autoren und Prediger, die auf Seiten den Sabbatarianismus stan_ den hatten ihre eigenen Schlussfolgerungen aus der Religions_ freiheit gezogen: Die Forderung der sonntäglichen Postzustellung. sagten sie, verwehre praktizierenden Christen die Arbeit bei der Postbehörde. Sie gleiche einem Glaubenstest, behaupteten sie, und sei somit verfassungswidrig. Die Befürworter des Sabbatarianismus wu'" den von ihren Gegnern beschuldigt, die Gründung einer einzigen (puritanischen, kalvinistischen) Nationalkirche zu planen. Vermutlich hatten die Befürworter diese Absicht gar nicht. Einige von ihnen waren Reformer und wollten nicht nur einen christlichen Sonntag. sondern auch einen Ruhetag für die amerikanischen Arbeiter. Viele der Blut Laws der Bundesstaaten nahmen Gruppen wie die SiebenTages-Adventisten (und sogar die Juden) aus, die ihren Sabbat Gm Sonnabend feierten." Im Jahre 1828 erreichte die Post-Debatte den U.S.-Senat, der von seinem Committee on the Post Office and Post Roads einen Bericht verlangte. Das Committee stand unter dem Vorsitz von Richard M. Johnson aus Kentucky, einem frommen Baptisten, der im Januar des Jahres 1829 den • Bericht zu Fragen der Postsendungen Gm Sabbate vorstellte. Dieser Bericht war mit umfänglicher Hilfe durch Obadiah Brown, Pfarrer der First Baptist Church aus Washington, D.C., erstellt worden. Es handelt sich, wie Isaac Kramnick und R. Laurence Moore schreiben, um ein .erstaunliches Dokument«. Ein jeder seitens des Kongresses unternommene Versuch, die Postzustellung an Sonntagen zu unterbinden, sei verfassungswidrig, so wird in ihm erklärt, denn damit würde .das Prinzip« festgeschrieben, demgemäß .die Legislative das für die Ermittlung der Gebote Gottes zuständige Tribunal sei«. Tatsächlich aber sei der Kongress eine .bürgerliche institution, der jegliche religiöse Zuständigkeit fehlt«.l' Johnson und Brown lieferten eine frühe und leidenschaftliche Darstellung des amerikanischen Ausnahmefalls. Die übrige Menschheit, >achthundert Millionen vernunftbegabter Wesen, lebt in religiöser Hörigkeit«, schrieben sie. Dieses .Unglück anderer Nationen« sei ein .Zeichen furchteinflößender Warnung«. Die Autoren der VerfaMung der Vereinigten Staaten hatten in Erwiderung darauf eine lJ Ei1\e' wolHwoI1cn.dedeJ ameribni5-, 10.",.1 0/ ••'" [",fy RtpltbUt7, Frühjahr 1987, 5}-74. a.J- ICramn\d: and' Moore. G.odltu CMutitutiOff, 139.

Regierungsform vorgeschlagen, die die Amerikaner vor .demselben übel. schützt. Nicht nur die Hörigkeit war das übel, sondern auch der Fanatismus. Religiöser Eifer, der die .stärksten Vorurteile des menschlichen Geistes. für sich nutzt, .erweckt die schlimmsten leidenschaften unserer Natur unter dem trügerischen Vorwand, Gott zu dienen •. 17 Dieser letzte Satz, geschrieben von einen baptistischen Senator und einem baptistischen Pfarrer, die beide einer religiösen Erweckungsbewegung entstammen, liefert selbst eine Erklärung für die anhaltende Stärke des Säkularismus in der Frühzeit der Republik. politiker und republikanische Bürger hätten, so betonen sie, keinerlei Recht, Gott dienen zu wollen. Dies sei die Aufgabe einzelner Männer und Frauen. (Der Senatsbericht war offenbar sehr populär. Sieben Jahre später wurde Johnson zum Vizepräsidenten gewählt, gemeinsam mit Martin Van Buren als neuem Präsidenten). Die Neuartigkeit der Amerikaner und der Radikalismus vieler amerikanischer Protestanten erklären vermutlich hinreichend den Unterschied zwischen der amerikanischen Revolution und den späteren nationalen Befreiungsbewegungen. Aber noch ein weiterer faktor, dessen Abwesenheit entscheidend ist, erscheint mir erwähnenswert. Die • Frauenfrage« spielte in der amerikanischen Revolution überhaupt keine Rolle. In den Kolonien gab es keine feministische Bewegung, auch hatten, wie Unda Kerber schreibt, nicht einrnal die radikalsten amerikanischen Männer die Absicht, .die Stellung ihrer Ehefrauen und Schwestern zu revolutionieren«.'" Auch die Rassenfrage spielte keine zentrale Rolle, trotz der Verfassungsdebatten um den Sklavenhandel und den Zensus; die Rechte Homosexueller waren bislang unbekannt. Besonders bedeutsam ist allerdings die Frage der Geschlechterhierarchie und Geschlechtergleichheit, und zwar aufgrund der sehr starken hierarchischen Verbindlichkeiten aller wesentlichen Religionen - vermutlich mit Einschluss der protestantischen Religionsgemeinschaften des achtzehnten und neunzehnten JahrhundertS, bei Ausnahme einiger entlegener Sekten (Breen erwähnt eine Predigerin auf einem Treffen der Quäker auf Lang [sland, New Yorl