Das Internationale Privatrecht der EU - Vorbild oder Vormacht?: Abgrenzungen und Wirkungen im Verhältnis zum nationalen und völkerrechtlichen Kollisionsrecht [1 ed.] 9783161621932, 9783161624605, 316162193X

Caroline Sophie Rapatz untersucht die Folgen der Europäisierung des Internationalen Privatrechts (IPR) für das nationale

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Das Internationale Privatrecht der EU - Vorbild oder Vormacht?: Abgrenzungen und Wirkungen im Verhältnis zum nationalen und völkerrechtlichen Kollisionsrecht [1 ed.]
 9783161621932, 9783161624605, 316162193X

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Teil I: Das EU-Kollisionsrecht als neue Regelungsebene
§ 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem
I. Prolog
II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen
1. Traditionelle Regelungsebenen: Nationales IPR und völkerrechtliches IPR
2. Neue Regelungsebene: Europäisches IPR
a) Kompetenzen und Instrumente des EU-IPR
b) Europäische Kollisionsrechtsverordnungen: Überblick
c) Verhältnis des EU-IPR zum nationalen und völkerrechtlichen IPR
III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit
Teil II: Konturen des EU-Kollisionsrechts – Abgrenzung der EU-Rechtsakte vom mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen IPR
§ 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich
I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts
1. Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs
2. Europäische Inhaltsbestimmung
II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen
1. Ausklammerung von Rechtsgebieten: Konturierung der Statute
a) Gegenstand der Bereichsausnahmen
b) Vertikale und horizontale Abgrenzung
2. Ausklammerung von Einzelaspekten: Konfliktvermeidung
a) (Temporäre) Ausklammerung aus politischen Gründen
b) Rücksicht auf Staatsverträge und spezielle Rechtsinstitute
III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts
1. Bereichsausnahmen und Rücksichtnahmeklauseln
2. Einschränkungen der Vorrangklauseln und Alternativmechanismen
IV. Folgerungen
§ 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht
I. EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt
1. Abgrenzungsverschiebung: Reichweite des Güterstatuts gegenüber den allgemeinen Ehewirkungen
a) Nationales IPR
aa) Abgrenzung nach deutschem IPR
bb) Weitgehender Gleichlauf zwischen Güter- und Ehewirkungsstatut
cc) Abgrenzung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten
b) EU-IPR
aa) Abgrenzung nach europäischem IPR
bb) Umqualifikation gegenüber dem mitgliedstaatlichen IPR
c) Konsequenzen
2. Abgrenzungsverschiebung: Reichweite des Sachenstatuts vs. des Erb- / Güterstatuts
a) Problem: Abgrenzung zwischen Sachen- und Erb- bzw. Güterstatut?
b) Nationales IPR
aa) Abgrenzung nach deutschem IPR
bb) Vorrang des inländischen Sachenstatuts
cc) Abgrenzung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten
c) EU-IPR
aa) Text der Verordnungen
bb) Streit um die Interpretation
cc) EuGH – Kubicka
d) Konsequenzen
3. Resultat
II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte
1. Verzicht auf einen europäischen Ehebegriff
a) Problem: Divergenzen im nationalen Sach- und Kollisionsrecht
b) Fehlen eines europäischen Ehebegriffs für das EU-Kollisionsrecht
aa) Erst- und Vorfrage: „Bestehen einer (wirksamen) Ehe“
bb) Europäisch-autonome Qualifikation: „Ehe“ i. S. d. EU-Kollisionsrechts?
cc) Streit über den europäischen Qualifikationsmaßstab
c) Streitpunkte: Polygame und gleichgeschlechtliche Ehen
aa) Brüssel IIa-VO, HUP, Rom III-VO
bb) GüVO und PartVO
cc) Herausbildung eines europäischen Konsenses?
d) Konsequenzen
2. Privatscheidung als Scheidung?
a) Problem: Außergerichtliche Scheidungen
b) Einordnung im nationalen IPR
c) Einordnung im EU-IPR
aa) Text der Rom III-Verordnung und Meinungsstreit
bb) EuGH – Sahyouni
d) Konsequenzen
aa) Reaktion des deutschen IPR
bb) Fortbestehende Unsicherheit über die Reichweite der Rom III-VO
3. Resultat
III. Folgerungen
§ 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und völkerrechtliches Kollisionsrecht
I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge
1. Multilaterale Konventionen
a) Internationales Schuld- und Sachenrecht
b) Internationales Familien- und Erbrecht
c) Vielfalt und Komplexität
2. Bilaterale Abkommen einzelner Mitgliedstaaten
3. Informationsdefizit und Lösungsansätze
II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht
1. Verdrängung von Staatsverträgen nur zwischen Mitgliedstaaten
a) Reichweite der Verdrängung durch das EU-IPR
b) Vor- und Nachteile der Bevorzugung des EU-IPR
2. Koexistenz mit Staatsverträgen unter Drittstaatenbeteiligung
a) Vorrangige bi- und multilaterale Staatsverträge
b) Konkurrenz und Koordinationsbedarf
3. Verzicht auf eigene europäische Kollisionsregeln
a) Bewusste Aussparungen im EU-IPR
b) Integration völkerrechtlicher Kollisionsregeln in das EU-IPR
III. Folgerungen
§ 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR
I. Zeitlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts
II. Übergangsphasen: Zeitliches Nebeneinander von europäischem und nationalem IPR
III. Übergangsphasen: Zeitliches Nebeneinander europäischer und völkerrechtlicher Rechtsakte
IV. Folgerungen
§ 6 – Ergebnis Teil II
Teil III: Wirkungen des EU-Kollisionsrechts – Einfluss der EU-Rechtsakte auf mitgliedstaatliches und völkerrechtliches IPR
§ 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR
I. Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EURechtsakte
1. Eigene Regelungen im mitgliedstaatlichen IPR
a) Beibehaltung bisheriger mitgliedstaatlicher Regelungen
aa) Forderungsabtretung, Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Nukleardelikte
bb) Anwendungsschwierigkeiten beibehaltener nationaler Anknüpfungsregeln
b) Mitgliedstaatliche Neuregelung
aa) Neues Stellvertretungskollisionsrecht in Polen und Deutschland
bb) Orientierung an europäischen Entwicklungen
2. Am EU-IPR orientierte mitgliedstaatliche Regelung
a) Europäisch orientierte Schließung kleinerer Lücken
aa) Deutsches allgemeines Ehewirkungsstatut im Einklang mit dem europäischen Güterstatut
bb) Angleichungsvorteile und Anpassungszwang
b) Europäischer Einfluss auf nationale Gesamtkonzeptionen: das Personalstatut
3. Übernahme der EU-Kollisionsregeln für das mitgliedstaatliche Recht
a) Umfassende analoge Anwendung des EU-IPR
b) Modifizierte analoge Anwendung des EU-IPR
aa) Privatscheidungen: Modifizierte Übernahme der Rom III-VO
bb) Nichtübernahme des Art. 10 Rom III-VO
cc) Modifikationen aufgrund mitgliedstaatlicher Bedürfnisse?
c) Vor- und Nachteile einer extensiven Anwendung des EU-IPR
aa) Mitgliedstaaten: Vorteil oder faktischer Zwang?
bb) EU-IPR: Ausweitung „wider Willen“
cc) Anwendung und Weiterentwicklung europäisch oder national?
4. Resultat
II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht
1. Vorgaben der Grundfreiheiten für das nationale (Kollisions-)Recht
a) Unionsrechtliche Grundfreiheiten
b) Europäischer Anstoß: EuGH-Rechtsprechung zum Namensrecht
aa) Von Konstantinidis zu Freitag
bb) Grenzen der Grundfreiheiten
c) Nationale Reaktionen: Umsetzung der Vorgaben für das Internationale Namensrecht
aa) Kollisionsrechtlicher Handlungsbedarf?
bb) Art. 48 EGBGB als suboptimale Lösung
cc) Schrittweise und divergierende Implementierung primärrechtlicher Vorgaben
2. Statusanerkennung als neues kollisionsrechtliches Prinzip in Europa?
a) Das Konzept der kollisionsrechtlichen Statusanerkennung
b) Pflicht zur Statusanerkennung zwischen Mitgliedstaaten?
aa) Primärrechtliche Pflicht zur Statusanerkennung?
bb) Freizügigkeit und Status: EuGH – Coman
cc) (International)Privatrechtliche Dimension der EuGHRechtsprechung
c) Die Zukunft des Anerkennungsprinzips im IPR
aa) Mitgliedstaatliche oder europäische Anerkennungsregeln?
bb) Der lange Weg zur europäischen Rechtslagenanerkennung
3. Grenzen der Grundfreiheiten?
a) Sachliche Grenzen: Reichweite der Grundfreiheiten für das Kollisionsrecht
aa) Traditionelle Position des österreichischen IPR zu publizitätslosen Sicherungsrechten
bb) Auffassungswandel unter dem Einfluss der Grundfreiheiten
cc) Tiefgreifende Auswirkungen und offene Fragen
dd) Grundfreiheiten als geeigneter Maßstab des nationalen IPR?
b) Inhaltliche Grenzen
aa) Nationaler ordre public und europäische Grundfreiheiten
bb) Unwägbarkeiten der Verhältnismäßigkeitsprüfung
cc) Deutsche „Bekämpfung von Kinderehen“ und unionsrechtliche Grundfreiheiten?
dd) Die Zukunft kollisionsrechtlicher Wertentscheidungen
c) Räumlich-persönliche Grenzen
aa) Kollisionsrechtsspaltung oder loi uniforme?
bb) Notwendigkeit europäischer Entscheidungen
4. Resultat
III. Folgerungen
§ 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR
I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR
1. Inhaltliche Diskrepanzen
a) Unterschiede zwischen europäischen und staatsvertraglichen Verweisungsregeln
b) Staatsvertragliche Kollisionsregeln als Relikte
2. Kompatibilitätsprobleme
a) Nachteile bei divergierenden Anknüpfungsmerkmalen
b) Fehlende Rechtswahlmöglichkeiten im staatsvertraglichen IPR
aa) Zusätzliche Anwendung europäischer Rechtswahlregeln?
bb) Kein europäisches Unterlaufen staatsvertraglicher Regelungen
c) Koordinationsschwierigkeiten bei punktuellen Kollisionsregeln
3. Europäischer Einfluss auf die Auslegung staatsvertraglicher Kollisionsregeln
a) Auslegung von Staatsverträgen „im europäischen Sinne“?
aa) Mitgliedstaatliche Interpretation unter europäischem Einfluss
bb) Nachträgliche Auslegungsänderungen „im europäischen Sinne“
cc) Europäisches Interpretationsübergewicht bei multilateralen Übereinkommen
b) Beispiel: Art. 12 GFK – Flüchtlinge im (EU-)IPR
aa) Unterschiedliche Flüchtlingsbegriffe innerhalb der EU
bb) Art. 12 GFK und objektive Anknüpfungen im EU-IPR
cc) Art. 12 GFK und Rechtswahl im EU-IPR
dd) Europäische Auslegung des Art. 12 GFK und europäische Kollisionsregeln für Flüchtlinge
4. Resultat
II. Zukunft: Einfluss der EU auf die Entwicklung des völkerrechtlichen IPR
1. Kompetenz der EU und/oder der Mitgliedstaaten?
a) Ablösung mitgliedstaatlicher durch europäische Kompetenz
b) Europäische Kompetenz und mitgliedstaatliches Handeln
c) Geteilte Kompetenz und Koordinationsbedarf
2. Kündigung oder Angleichung bestehender Staatsverträge
a) Kündigung staatsvertraglicher Kollisionsregeln
b) Reform staatsvertraglicher Kollisionsregeln
3. Neuschaffung völkerrechtlicher IPR-Rechtsakte
a) EU-IPR und neue IPR-Staatsverträge
aa) Bilaterale Abkommen und/oder multilaterale Übereinkommen?
bb) Europäische vs. globale Vereinheitlichung
b) Inhaltlicher und institutioneller Einfluss der EU auf neue Übereinkommen
aa) Dominanz europäischer Kollisionsrechtsansätze
bb) Institutionelle Machtposition der EU
4. Resultat
III. Folgerungen
§ 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts
I. Materielles Recht
II. Internationales Zivilverfahrensrecht
1. Mechanismen des IZVR zur Anerkennung von Privatscheidungen
a) EU-IZVR vs. mitgliedstaatliches IZVR
b) Mitgliedstaatliche Privatscheidungen und EU-IZVR
c) Privatscheidungen und deutsches IZVR
2. Kollisionsrechtliche Anerkennung und EU-IPR
a) Kollisionsrechtliche Anerkennung und Rom III-VO
b) Anerkennungshindernisse durch europäische Anknüpfungsregeln
3. Abschied von der kollisionsrechtlichen Anerkennung?
III. Folgerungen
§ 10 – Ergebnis Teil III
Teil IV: Die Zukunft des EU-Kollisionsrechts
§ 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem
I. EU-IPR und Mitgliedstaaten: Systembildung
1. Option 1: Kombinationsmodell
2. Option 2: Vollvereinheitlichung
3. Zügige Entscheidung – weitreichende Vereinheitlichung
II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation
1. Bewusste Beziehungsgestaltung
2. Bereinigung und Bestandsschutz
3. Künftige europäische und völkerrechtliche Instrumente
III. Handlungsbedarf im EU-IPR
1. Anwendung des EU-IPR
2. EuGH und (EU-)IPR
3. Weiterentwicklung der europäischen Anknüpfungsregeln
IV. Conclusio
§ 12 – Zusammenfassung in Thesen
Literaturverzeichnis
Rechtsprechungsverzeichnis
Rechtsaktverzeichnis
Materialienverzeichnis
Sachverzeichnis

Citation preview

Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht 139 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer und Ralf Michaels

Caroline Sophie Rapatz

Das Internationale Privatrecht der EU – Vorbild oder Vormacht? Abgrenzungen und Wirkungen im Verhältnis zum nationalen und völkerrechtlichen Kollisionsrecht

Mohr Siebeck

Caroline Sophie Rapatz (geb. Rupp), geboren 1983; Studium der Englischen Philologie, Psychologie und Mittelalterlichen Geschichte in Freiburg i.Br.; Master of Philosophy, Newnham College (Cambridge); Studium der Rechtswissenschaften und Begleitstudium im Europäi­ schen Recht in Würzburg; 2011 Erste Juristische Staatsprüfung sowie Qualifikation als Europajuristin; Rechtsreferendarin am OLG Hamburg; Wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPI für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg; 2015 Promotion; 2016 Zweite Juristische Staatsprüfung; 2016–2022 Juniorprofessorin in Würzburg; 2022 Habilitation; seit 2022 Professorin in Kiel. orcid.org/0000-0002-6684-6987

ISBN 978-3-16-162193-2 / eISBN 978-3-16-162460-5 DOI 10.1628/978-3-16-162460-5 ISSN  0340-6709 / eISSN 2568-6577 (Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

for my students past, present, and future

Vorwort Vorwort Vorwort

Diese Arbeit wurde – nach meinem Habilitationsvortrag am 12. Januar 2022 – im Mai 2022 fertiggestellt und im Sommersemester 2022 von der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Habilitationsschrift angenommen. Seinen Abschluss fand das Habilitationsverfahren am 27. Juli 2022. First and foremost danke ich den Mitgliedern meines Fachmentorats für die exzellente Betreuung und Unterstützung während des gesamten Habilitationsverfahrens. Meine akademische Lehrerin Prof. Dr. Eva-Maria Kieninger hat mich bereits im Studium für die Wissenschaft im Allgemeinen und das Internationale Privatrecht im Besonderen begeistert und mich ermutigt, den Schritt in die akademische Welt zu wagen. Auf meinem Weg durch die Qualifikationsphase hat sie mir gleichzeitig große Freiheit und allen Rückhalt gewährt und meinen Arbeitsstil und mein Denken in jeder Hinsicht als Vorbild geprägt. Prof. Dr. Christof Kerwer danke ich für seine Unterstützung und Beratung, vor allem für seine Begleitung im Zivilprozessrecht von der Viertsemestervorlesung bis zur venia legendi. Schließlich hat es Prof. Dr. Anatol Dutta durch die sehr schnelle Erstellung des Zweitgutachtens dankenswerterweise ermöglicht, das Habilitationsverfahren noch im Sommer 2022 erfolgreich abzuschließen. It takes a village to raise a child gilt auch und gerade im akademischen Bereich. Das „zweite Buch“ ist als Qualifikationsschrift in gewisser Weise ein „einsames Projekt“ (vor allem, wenn es zu weiten Strecken während einer Pandemie verfasst wird). Umso wichtiger waren mir die zahlreichen langen und kurzen Gespräche, die ich in dieser Zeit mit ganz unterschiedlichen Menschen zu allen nur erdenklichen Themen führen durfte; auch wenn sie hier nicht alle namentlich aufgeführt werden können, erinnere ich mich dankbar an jede und jeden Einzelnen. Allen Mitgliedern der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg – stellvertretend sei hier Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Weber genannt – danke ich von Herzen, dass sie meinen Weg als Studentin, Doktorandin und Juniorprofessorin begleitet, immer wieder mit großen und kleinen Hilfestellungen und Gesten unterstützt und mir unvergessliche Jahre in einer wundervollen akademischen Heimat geschenkt haben. Dank der gro-

VIII

Vorwort

ßen Gastfreundschaft des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg durfte ich in der Habilitationszeit dort wieder nach Herzenslust forschen, recherchieren, diskutieren und meinen Horizont erweitern. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel hat mich schließlich gleich nach dem Abschluss des Habilitationsverfahrens aufs Herzlichste begrüßt und ist mir in kürzester Zeit ein neues Zuhause geworden – nicht zuletzt dank des warmen Empfangs durch meinen Lehrstuhlvorgänger Prof. Dr. Haimo Schack. Von den erfahrenen Kollegen, die mich in meinem Habilitationsvorhaben ermutigt, in meiner Themenwahl bestärkt und durch Fragen und Hinweise zur Reflektion angeregt haben, seien hier Prof. Dr. Bettina Heiderhoff, Prof. Dr. Abbo Junker und Prof. Dr. Marta Pertegás Sender genannt. Als stetige Wegbegleiter sind Prof. Dr. Jennifer Antomo und Prof. Dr. Konrad Duden mit mir durch die aufregende, aufreibende und spannende Habilitationszeit gegangen – ich freue mich darauf, auch die nächsten Abschnitte des akademischen Werdegangs mit Euch zu teilen und irgendwann dann gemeinsam am Emeriti-Tisch zu sitzen. Für Freundschaft und weisen Rat in allen Lebenslagen danke ich besonders Prof. Dr. Björn Hoops, Dr. Marlene Kellendorfer und Carmen Rutzel. Meinen Eltern Dr. Susanne und Wolf-Dietrich Rupp sowie meiner Schwester Friederike Rupp danke ich dafür, dass sie meine Entscheidung für die Wissenschaft mit all ihren Konsequenzen stets rückhaltlos unterstützt haben. Mein größter Dank gilt schließlich meinem Ehemann Christoph, der die Entstehung dieser Arbeit vom ersten Wort bis zum letzten Schlusspunkt wie kein anderer mitdurchlebt und in all ihren Höhen und Tiefen verständnisvoll und bedingungslos begleitet hat – und schließlich sogar vorgeschlagen hat, unseren Standesamts-Termin am Zeitplan für die Drucklegung zu orientieren. The times they are a-changin’ – das europäische Kollisionsrecht ist hochdynamisch und bringt fast täglich neue Erkenntnisse und Quellen hervor. Ein Werk zu diesem Thema kann stets nur eine Momentaufnahme darstellen. Die vorliegende Arbeit berücksichtigt umfassend den Stand von Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung am 1. Mai 2022. Die wichtigsten Entwicklungen und Neuerscheinungen bis zum Ende des Jahres 2022 konnten bei der Manuskriptüberarbeitung noch berücksichtigt werden. Für die rasche Aufnahme in die Reihe „Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ sowie wertvolle Hinweise gilt mein Dank den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht. Dem Verlag Mohr Siebeck, vor allem Frau Dr. Julia ScherpeBlessing und Frau Jana Trispel danke ich für die vertrauensvolle und fröhliche Zusammenarbeit, Frau Janina Jentz für ihr wieder einmal wunderbares Lektorat. Die Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung Hamburg und die Studienstiftung ius vivum haben durch großzügige und unkomplizierte

Vorwort

IX

Druckkostenzuschüsse eine schnelle Veröffentlichung ermöglicht – für diese Förderung bin ich von Herzen dankbar. Last but not least gilt mein Dank den studentischen Hilfskräften an meiner Juniorprofessur in Würzburg für die stets exzellente Literaturversorgung trotz aller pandemischen Widrigkeiten und meinem Lehrstuhlteam in Kiel für unschätzbare Unterstützung bei der Drucklegung. Gewidmet ist dieses Buch all meinen Studentinnen und Studenten, die mich täglich dazu motivieren, Wissenschaft und Lehre in all ihren Facetten auszukosten. Kiel, Pfingsten 2023

Caroline Sophie Rapatz

Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht

Vorwort ........................................................................................................... VII Inhaltsverzeichnis........................................................................................... XIII Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................XXI

Teil I: Das EU-Kollisionsrecht als neue Regelungsebene ............. 1 § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem ......................................................... 1

Teil II: Konturen des EU-Kollisionsrechts – Abgrenzung der EU-Rechtsakte vom mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen IPR ..............................................................33 § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich .............34 § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht..............67 § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und völkerrechtliches Kollisionsrecht ................................................................................... 185 § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR ............................... 247 § 6 – Ergebnis Teil II .................................................................................. 264

Teil III: Wirkungen des EU-Kollisionsrechts – Einfluss der EU-Rechtsakte auf mitgliedstaatliches und völkerrechtliches IPR........................................................... 271 § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR ......................................... 272 § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR ............................................ 433 § 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts ............................... 543 § 10 – Ergebnis Teil III .............................................................................. 575

XII

Inhaltsübersicht

Teil IV: Die Zukunft des EU-Kollisionsrechts .............................. 579 § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem ........................................... 579 § 12 – Zusammenfassung in Thesen ........................................................... 610

Literaturverzeichnis ........................................................................................ 619 Rechtsprechungsverzeichnis ........................................................................... 663 Rechtsaktverzeichnis ....................................................................................... 673 Materialienverzeichnis .................................................................................... 685 Sachverzeichnis............................................................................................... 689

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Vorwort ........................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ................................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................XXI

Teil I: Das EU-Kollisionsrecht als neue Regelungsebene ............. 1 § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem .......................................................... 1 I. Prolog ........................................................................................................... 1 II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen ......................... 2 1. Traditionelle Regelungsebenen: Nationales IPR und völkerrechtliches IPR.......................................................................... 3 2. Neue Regelungsebene: Europäisches IPR ........................................... 8 a) Kompetenzen und Instrumente des EU-IPR .................................... 9 b) Europäische Kollisionsrechtsverordnungen: Überblick..................14 c) Verhältnis des EU-IPR zum nationalen und völkerrechtlichen IPR .................................................................... 23 III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit ............................................................... 27

Teil II: Konturen des EU-Kollisionsrechts – Abgrenzung der EU-Rechtsakte vom mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen IPR ..............................................................33 § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich..............34 I.

Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts ................................................................................... 35 1. Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs ...................................37 2. Europäische Inhaltsbestimmung ........................................................ 38 II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen .................................... 42 1. Ausklammerung von Rechtsgebieten: Konturierung der Statute ........43 a) Gegenstand der Bereichsausnahmen .............................................. 44 b) Vertikale und horizontale Abgrenzung .......................................... 49

XIV

Inhaltsverzeichnis

2. Ausklammerung von Einzelaspekten: Konfliktvermeidung................ 52 a) (Temporäre) Ausklammerung aus politischen Gründen ................. 53 b) Rücksicht auf Staatsverträge und spezielle Rechtsinstitute ............ 57 III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts ............................................................................................... 59 1. Bereichsausnahmen und Rücksichtnahmeklauseln ............................. 60 2. Einschränkungen der Vorrangklauseln und Alternativmechanismen ..................................................................... 62 IV. Folgerungen................................................................................................ 64 § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht ............. 67 I.

EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt....................................................... 70 1. Abgrenzungsverschiebung: Reichweite des Güterstatuts gegenüber den allgemeinen Ehewirkungen ........................................ 70 a) Nationales IPR .............................................................................. 71 aa) Abgrenzung nach deutschem IPR............................................ 72 bb) Weitgehender Gleichlauf zwischen Güter- und Ehewirkungsstatut................................................................... 76 cc) Abgrenzung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten ............. 78 b) EU-IPR ......................................................................................... 79 aa) Abgrenzung nach europäischem IPR....................................... 79 bb) Umqualifikation gegenüber dem mitgliedstaatlichen IPR ........ 81 c) Konsequenzen ............................................................................... 85 2. Abgrenzungsverschiebung: Reichweite des Sachenstatuts vs. des Erb- / Güterstatuts......................................................................... 88 a) Problem: Abgrenzung zwischen Sachen- und Erb- bzw. Güterstatut? ................................................................................... 89 b) Nationales IPR .............................................................................. 92 aa) Abgrenzung nach deutschem IPR............................................ 93 bb) Vorrang des inländischen Sachenstatuts .................................. 95 cc) Abgrenzung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten ............. 99 c) EU-IPR ....................................................................................... 100 aa) Text der Verordnungen ......................................................... 101 bb) Streit um die Interpretation ................................................... 105 cc) EuGH – Kubicka ................................................................... 109 d) Konsequenzen ............................................................................. 114 3. Resultat ........................................................................................... 118 II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte ................................................................. 123 1. Verzicht auf einen europäischen Ehebegriff..................................... 124 a) Problem: Divergenzen im nationalen Sach- und Kollisionsrecht ............................................................................ 125

Inhaltsverzeichnis

XV

b) Fehlen eines europäischen Ehebegriffs für das EU-Kollisionsrecht ...................................................................... 128 aa) Erst- und Vorfrage: „Bestehen einer (wirksamen) Ehe“ ........ 129 bb) Europäisch-autonome Qualifikation: „Ehe“ i. S. d. EU-Kollisionsrechts? ............................................................ 132 cc) Streit über den europäischen Qualifikationsmaßstab ............. 134 c) Streitpunkte: Polygame und gleichgeschlechtliche Ehen ............. 137 aa) Brüssel IIa-VO, HUP, Rom III-VO ....................................... 137 bb) GüVO und PartVO ................................................................ 142 cc) Herausbildung eines europäischen Konsenses? ..................... 147 d) Konsequenzen ............................................................................. 148 2. Privatscheidung als Scheidung? ....................................................... 152 a) Problem: Außergerichtliche Scheidungen .................................... 152 b) Einordnung im nationalen IPR .................................................... 157 c) Einordnung im EU-IPR ............................................................... 159 aa) Text der Rom III-Verordnung und Meinungsstreit ................ 160 bb) EuGH – Sahyouni ................................................................. 163 d) Konsequenzen ............................................................................. 166 aa) Reaktion des deutschen IPR .................................................. 167 bb) Fortbestehende Unsicherheit über die Reichweite der Rom III-VO .......................................................................... 171 3. Resultat............................................................................................ 176 III. Folgerungen .............................................................................................. 181 § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und völkerrechtliches Kollisionsrecht ................................................................................... 185 I.

Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge ..................................... 187 1. Multilaterale Konventionen ............................................................. 188 a) Internationales Schuld- und Sachenrecht ..................................... 188 b) Internationales Familien- und Erbrecht ........................................ 193 c) Vielfalt und Komplexität ............................................................. 198 2. Bilaterale Abkommen einzelner Mitgliedstaaten .............................. 200 3. Informationsdefizit und Lösungsansätze .......................................... 206 II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht ....................... 212 1. Verdrängung von Staatsverträgen nur zwischen Mitgliedstaaten...... 213 a) Reichweite der Verdrängung durch das EU-IPR .......................... 214 b) Vor- und Nachteile der Bevorzugung des EU-IPR ....................... 219 2. Koexistenz mit Staatsverträgen unter Drittstaatenbeteiligung .......... 220 a) Vorrangige bi- und multilaterale Staatsverträge........................... 222 b) Konkurrenz und Koordinationsbedarf.......................................... 226 3. Verzicht auf eigene europäische Kollisionsregeln ............................ 230 a) Bewusste Aussparungen im EU-IPR............................................ 230

XVI

Inhaltsverzeichnis

b) Integration völkerrechtlicher Kollisionsregeln in das EU-IPR ..... 235 III. Folgerungen.............................................................................................. 240 § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR ............................... 247 I. Zeitlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts ......................... 247 II. Übergangsphasen: Zeitliches Nebeneinander von europäischem und nationalem IPR .................................................................................. 250 III. Übergangsphasen: Zeitliches Nebeneinander europäischer und völkerrechtlicher Rechtsakte .................................................................... 259 IV. Folgerungen.............................................................................................. 263 § 6 – Ergebnis Teil II .................................................................................. 264

Teil III: Wirkungen des EU-Kollisionsrechts – Einfluss der EU-Rechtsakte auf mitgliedstaatliches und völkerrechtliches IPR .......................................................... 271 § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR ......................................... 272 I.

Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EURechtsakte ................................................................................................ 274 1. Eigene Regelungen im mitgliedstaatlichen IPR ............................... 275 a) Beibehaltung bisheriger mitgliedstaatlicher Regelungen ............. 275 aa) Forderungsabtretung, Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Nukleardelikte ................................................................ 276 bb) Anwendungsschwierigkeiten beibehaltener nationaler Anknüpfungsregeln ............................................................... 281 b) Mitgliedstaatliche Neuregelung ................................................... 285 aa) Neues Stellvertretungskollisionsrecht in Polen und Deutschland .......................................................................... 285 bb) Orientierung an europäischen Entwicklungen ....................... 289 2. Am EU-IPR orientierte mitgliedstaatliche Regelung ........................ 292 a) Europäisch orientierte Schließung kleinerer Lücken .................... 293 aa) Deutsches allgemeines Ehewirkungsstatut im Einklang mit dem europäischen Güterstatut ......................................... 294 bb) Angleichungsvorteile und Anpassungszwang........................ 297 b) Europäischer Einfluss auf nationale Gesamtkonzeptionen: das Personalstatut ........................................................................ 299 3. Übernahme der EU-Kollisionsregeln für das mitgliedstaatliche Recht................................................................... 305 a) Umfassende analoge Anwendung des EU-IPR ............................ 306

Inhaltsverzeichnis

XVII

b) Modifizierte analoge Anwendung des EU-IPR ............................ 311 aa) Privatscheidungen: Modifizierte Übernahme der Rom III-VO .......................................................................... 312 bb) Nichtübernahme des Art. 10 Rom III-VO ............................. 315 cc) Modifikationen aufgrund mitgliedstaatlicher Bedürfnisse? ......................................................................... 321 c) Vor- und Nachteile einer extensiven Anwendung des EU-IPR .... 322 aa) Mitgliedstaaten: Vorteil oder faktischer Zwang? ................... 323 bb) EU-IPR: Ausweitung „wider Willen“.................................... 325 cc) Anwendung und Weiterentwicklung europäisch oder national? ............................................................................... 327 4. Resultat............................................................................................ 330 II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht.......................................................................................... 335 1. Vorgaben der Grundfreiheiten für das nationale (Kollisions-)Recht ........................................................................... 336 a) Unionsrechtliche Grundfreiheiten ................................................ 336 b) Europäischer Anstoß: EuGH-Rechtsprechung zum Namensrecht................................................................................ 340 aa) Von Konstantinidis zu Freitag .............................................. 341 bb) Grenzen der Grundfreiheiten ................................................. 344 c) Nationale Reaktionen: Umsetzung der Vorgaben für das Internationale Namensrecht ......................................................... 347 aa) Kollisionsrechtlicher Handlungsbedarf?................................ 348 bb) Art. 48 EGBGB als suboptimale Lösung ............................... 353 cc) Schrittweise und divergierende Implementierung primärrechtlicher Vorgaben .................................................. 358 2. Statusanerkennung als neues kollisionsrechtliches Prinzip in Europa? ........................................................................................... 360 a) Das Konzept der kollisionsrechtlichen Statusanerkennung .......... 361 b) Pflicht zur Statusanerkennung zwischen Mitgliedstaaten? ........... 365 aa) Primärrechtliche Pflicht zur Statusanerkennung? .................. 366 bb) Freizügigkeit und Status: EuGH – Coman ............................. 369 cc) (International)Privatrechtliche Dimension der EuGHRechtsprechung..................................................................... 372 c) Die Zukunft des Anerkennungsprinzips im IPR ........................... 375 aa) Mitgliedstaatliche oder europäische Anerkennungsregeln? ... 375 bb) Der lange Weg zur europäischen Rechtslagenanerkennung ... 378 3. Grenzen der Grundfreiheiten? .......................................................... 381 a) Sachliche Grenzen: Reichweite der Grundfreiheiten für das Kollisionsrecht ............................................................................ 382 aa) Traditionelle Position des österreichischen IPR zu publizitätslosen Sicherungsrechten........................................ 383

XVIII

Inhaltsverzeichnis

bb) Auffassungswandel unter dem Einfluss der Grundfreiheiten ..................................................................... 386 cc) Tiefgreifende Auswirkungen und offene Fragen ................... 389 dd) Grundfreiheiten als geeigneter Maßstab des nationalen IPR?..................................................................... 393 b) Inhaltliche Grenzen ..................................................................... 397 aa) Nationaler ordre public und europäische Grundfreiheiten ..................................................................... 398 bb) Unwägbarkeiten der Verhältnismäßigkeitsprüfung................ 401 cc) Deutsche „Bekämpfung von Kinderehen“ und unionsrechtliche Grundfreiheiten? ........................................ 404 dd) Die Zukunft kollisionsrechtlicher Wertentscheidungen ......... 413 c) Räumlich-persönliche Grenzen.................................................... 414 aa) Kollisionsrechtsspaltung oder loi uniforme? ......................... 415 bb) Notwendigkeit europäischer Entscheidungen ........................ 419 4. Resultat ........................................................................................... 422 III. Folgerungen.............................................................................................. 429 § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR ............................................ 433 I.

Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR ..................................................................................................... 434 1. Inhaltliche Diskrepanzen ................................................................. 435 a) Unterschiede zwischen europäischen und staatsvertraglichen Verweisungsregeln ...................................................................... 436 b) Staatsvertragliche Kollisionsregeln als Relikte ............................ 441 2. Kompatibilitätsprobleme ................................................................. 444 a) Nachteile bei divergierenden Anknüpfungsmerkmalen ................ 446 b) Fehlende Rechtswahlmöglichkeiten im staatsvertraglichen IPR ................................................................ 450 aa) Zusätzliche Anwendung europäischer Rechtswahlregeln?..... 451 bb) Kein europäisches Unterlaufen staatsvertraglicher Regelungen ........................................................................... 453 c) Koordinationsschwierigkeiten bei punktuellen Kollisionsregeln .......................................................................... 457 3. Europäischer Einfluss auf die Auslegung staatsvertraglicher Kollisionsregeln............................................................................... 462 a) Auslegung von Staatsverträgen „im europäischen Sinne“? .......... 462 aa) Mitgliedstaatliche Interpretation unter europäischem Einfluss ................................................................................. 463 bb) Nachträgliche Auslegungsänderungen „im europäischen Sinne“ ................................................................................... 466

Inhaltsverzeichnis

XIX

cc) Europäisches Interpretationsübergewicht bei multilateralen Übereinkommen ............................................. 468 b) Beispiel: Art. 12 GFK – Flüchtlinge im (EU-)IPR ....................... 471 aa) Unterschiedliche Flüchtlingsbegriffe innerhalb der EU ......... 473 bb) Art. 12 GFK und objektive Anknüpfungen im EU-IPR ......... 479 cc) Art. 12 GFK und Rechtswahl im EU-IPR.............................. 484 dd) Europäische Auslegung des Art. 12 GFK und europäische Kollisionsregeln für Flüchtlinge ........................ 487 4. Resultat............................................................................................ 489 II. Zukunft: Einfluss der EU auf die Entwicklung des völkerrechtlichen IPR ............................................................................... 494 1. Kompetenz der EU und/oder der Mitgliedstaaten? ........................... 495 a) Ablösung mitgliedstaatlicher durch europäische Kompetenz ....... 496 b) Europäische Kompetenz und mitgliedstaatliches Handeln ........... 498 c) Geteilte Kompetenz und Koordinationsbedarf ............................. 502 2. Kündigung oder Angleichung bestehender Staatsverträge................ 505 a) Kündigung staatsvertraglicher Kollisionsregeln .......................... 507 b) Reform staatsvertraglicher Kollisionsregeln ................................ 512 3. Neuschaffung völkerrechtlicher IPR-Rechtsakte .............................. 518 a) EU-IPR und neue IPR-Staatsverträge .......................................... 519 aa) Bilaterale Abkommen und/oder multilaterale Übereinkommen? .................................................................. 519 bb) Europäische vs. globale Vereinheitlichung............................ 522 b) Inhaltlicher und institutioneller Einfluss der EU auf neue Übereinkommen .......................................................................... 525 aa) Dominanz europäischer Kollisionsrechtsansätze ................... 525 bb) Institutionelle Machtposition der EU..................................... 531 4. Resultat............................................................................................ 535 III. Folgerungen .............................................................................................. 540 § 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts ............................... 543 I. Materielles Recht ...................................................................................... 544 II. Internationales Zivilverfahrensrecht ......................................................... 549 1. Mechanismen des IZVR zur Anerkennung von Privatscheidungen............................................................................ 551 a) EU-IZVR vs. mitgliedstaatliches IZVR ....................................... 551 b) Mitgliedstaatliche Privatscheidungen und EU-IZVR ................... 553 c) Privatscheidungen und deutsches IZVR ...................................... 559 2. Kollisionsrechtliche Anerkennung und EU-IPR ............................... 561 a) Kollisionsrechtliche Anerkennung und Rom III-VO .................... 562 b) Anerkennungshindernisse durch europäische Anknüpfungsregeln ..................................................................... 564

XX

Inhaltsverzeichnis

3. Abschied von der kollisionsrechtlichen Anerkennung? .................... 568 III. Folgerungen.............................................................................................. 572 § 10 – Ergebnis Teil III .............................................................................. 575

Teil IV: Die Zukunft des EU-Kollisionsrechts .............................. 579 § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem ........................................... 579 I.

EU-IPR und Mitgliedstaaten: Systembildung .......................................... 581 1. Option 1: Kombinationsmodell ........................................................ 582 2. Option 2: Vollvereinheitlichung ...................................................... 585 3. Zügige Entscheidung – weitreichende Vereinheitlichung................. 589 II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation................................................. 592 1. Bewusste Beziehungsgestaltung ...................................................... 592 2. Bereinigung und Bestandsschutz ..................................................... 594 3. Künftige europäische und völkerrechtliche Instrumente .................. 597 III. Handlungsbedarf im EU-IPR ................................................................... 599 1. Anwendung des EU-IPR .................................................................. 599 2. EuGH und (EU-)IPR........................................................................ 602 3. Weiterentwicklung der europäischen Anknüpfungsregeln ............... 607 IV. Conclusio.................................................................................................. 609 § 12 – Zusammenfassung in Thesen ............................................................ 610

Literaturverzeichnis ........................................................................................ 619 Rechtsprechungsverzeichnis ........................................................................... 663 Rechtsaktverzeichnis ....................................................................................... 673 Materialienverzeichnis .................................................................................... 685 Sachverzeichnis............................................................................................... 689

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis

a. A. a. F. Abs. AbtrVO-E AcP AEUV AG Art. / Artt. AUCI AußStrG B/F/H

BAnz. BayObLG BayObLGZ BeckRS belgIPRG BG BGB BGBl. BGE BGH BGHZ Brüssel IIa-VO

Brüssel IIb-VO

BVerfGE BW bzw.

andere Auffassung alte Fassung Absatz Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, COM(2018) 96 final Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Amtsgericht Artikel Acta Universitatis Carolinae Iuridica Außerstreitgesetz (Österreich) Bergmann/Ferid/Henrich (Hg.), Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Beck-Rechtsprechung Code de droit international privé (Belgien) Bundesgericht (Schweiz) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Deutschland) Entscheide des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung) Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek (Niederlande) beziehungsweise

XXII C.c. C.civ. Cass. civ. 1re CDT CIEC CISG Clunet CMLR Cód. civ. D. DNotZ DRiZ dt-iranNLA dt-türk NachlA ECLI EGBGB EGMR EGV EJLS EPLJ ErbR ErbVO

ERPL Erw. ESÜ et al. EuGH EuGVÜ

EuGVVO

Eur. J. Migr. Law Eur. L.J. EUV EuZW

Abkürzungsverzeichnis Codice civile (Italien) Code civil (Frankreich) Cour de Cassation, première chambre civile (Frankreich) Cuadernos de Derecho Transnacional Commission Internationale de l’État Civil Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) vom 11.4.1980 Journal du droit international: Clunet Common Market Law Review Código civil (Spanien) Recueil Dalloz Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Richterzeitung Freundschaftsvertrag und Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929 Deutsch-türkisches Nachlassabkommen European Case Law Identifier Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Journal of Legal Studies European Property Law Journal Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses European Review of Private Law Erwägungsgrund Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen und andere Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (unterzeichnet am 27. September 1968) (72/454/EWG) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) European Journal of Migration and Law European Law Journal Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

EVÜ

Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (80/934/EWG)

FamFG FamRB FamRZ FF FPR FS FuR

Familienverfahrensgesetz Familien-Rechtsberater Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Forum Familienrecht Familie Partnerschaft Recht Festschrift Familie und Recht

GFK

Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gazzetta ufficiale (Italien) Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands

GPR GU GüVO

Hg. HKÜ HProdHaftÜ HStÜ HStVÜ HTestFormÜ HUntÜ 1956 HUntÜ 1973 HUP HUÜ HUVÜ 1958 HUVÜ 1973 i. d. F.

Herausgeber Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht Haager Übereinkommen vom 14. März 1978 über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen in der Fassung

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

i. V. m. ICLQ Int.Leg.Mat. IPR IPRax italIPRG IZVR

in Verbindung mit International and Comparative Law Quarterly International Legal Materials Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Legge 31 maggio 1995, n. 218 (IPR-Gesetz Italien) Internationales Zivilverfahrensrecht

JBl. JCP G JORF JPIL JR JZ

Juristische Blätter La Semaine Juridique – Édition générale Journal officiel de la République française (Frankreich) Journal of Private International Law Juristische Rundschau JuristenZeitung

KJ KSÜ

Kritische Justiz Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern

lit. LMK

Buchstabe Lindenmaier-Möhring Kommentierte BGH-Rechtsprechung

m. Anm. m. w. N. MittBayNot

mit Anmerkung mit weiteren Nachweisen Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen

MSA

n. F. NamÄndG NamÄndVwV

NIPR NJW NJW-RR no. Nr. NZFam

neue Fassung Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen Entwurf einer Europäischen Verordnung über das Internationale Namensrecht Nederlands Internationaal Privaatrecht Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Nummer Nummer Neue Zeitschrift für Familienrecht

ÖBA öBGBl. OGH öIPRG

Österreichisches BankArchiv Bundesgesetzblatt (Österreich) Oberster Gerichtshof (Österreich) IPR-Gesetz (Österreich)

NamensVO-E

Abkürzungsverzeichnis ö-iranNLA ÖJZ OLG OR Öst. VfGH PartVO

polnIPRG PÜ R.E.D.I. RabelsZ RDIPP Rev. crit. DIP RGBl. RIW Rn. Rom I-VO Rom I-VO-E Rom II-VO Rom III-VO

S. ScheckG schwIPRG sez. un. civile Slg.

XXV

Freundschafts- und Niederlassungsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran vom 9.9.1959 Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Obligationenrecht (Schweiz) Verfassungsgerichtshof (Österreich) Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften IPR-Gesetz (Polen) Pariser Übereinkommen zur Kernenergiehaftung von 1960 Revista Española de Derecho Internacional Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rivista di diritto internazionale privato e processuale Revue critique de droit international privé Reichsgesetzblatt Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Kommissionvorschlag Rom I-VO vom 15.12.2005, KOM(2005) 650 final Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts

StAZ

Satz Scheckgesetz Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (Schweiz) sezioni unite civili (Italien) Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz New Yorker UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954 Das Standesamt

tschechIPRG Tul. L. Rev.

IPR-Gesetz (Tschechische Republik) Tulane Law Review

u. a.

unter anderem

StaatenlosenÜ

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

Unif. L. Rev. UnthVO

Uniform Law Review (Revue de droit uniforme) Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen

vgl.

vergleiche

WG WM WVK

Wechselgesetz Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969

YBEL YbPIL

Yearbook of European Law Yearbook of Private International Law

ZEuP ZEV ZfRV ZGR ZIP ZRP ZVglRWiss ZZP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Europarecht, Int. Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess

Teil I

Das EU-Kollisionsrecht als neue Regelungsebene Teil I: Das EU-Kollisionsrecht als neue Regelungsebene

§ 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

I.

Prolog

I. Prolog

Thema dieser Arbeit sind die Folgen der zunehmenden Europäisierung des Internationalen Privatrechts (IPR) für das Gesamtsystem des Kollisionsrechts. Ursprünglich war das IPR auf der nationalen Ebene konzipiert: Rechtsordnungen stellten als Ergänzung ihres materiellen Zivilrechts auch eigene Regeln zum Umgang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten zur Verfügung. Aufgrund der internationalen Natur der Materie traten ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche bi- und multilaterale völkerrechtliche Verträge hinzu, mit denen einzelne kollisionsrechtliche Fragen international einheitlich geregelt wurden. Diese bereichsspezifischen Ergänzungen und Ausnahmen konnten sich in die systematischen Gesamtgefüge der nationalen Kollisionsrechte weitgehend reibungslos einfügen; in Deutschland wurden sie teils gar in das EGBGB „inkorporiert“. Als neue Regelungsebene ist jedoch nunmehr das Europarecht hinzugetreten: Seit der Jahrtausendwende bedient sich die europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung nicht mehr regional begrenzter Staatsverträge zwischen den Mitgliedstaaten, sondern EU-Verordnungen, die unmittelbar gelten und das mitgliedstaatliche IPR ablösen. Heute besteht damit ein komplexes, sich über drei Regelungsebenen erstreckendes Mehrebenensystem, dessen Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit Wissenschaft und Praxis herausfordert. Die Frustration zahlreicher mit dem aktuellen Labyrinth aus Anknüpfungsregeln konfrontierter Rechtsanwender formuliert prägnant Hellner: „One could, perhaps, compare the multiple layers of Private International Law to those of an onion. Trying to peel them will invariably make you cry.“1 Das europäische IPR beansprucht dabei einerseits gegenüber den traditionellen Regelungsebenen raumgreifende Anwendung – innerhalb kurzer Zeit haben die europäischen Kollisionsrechtsverordnungen weite Schneisen sowohl in das nationale wie auch in das völkerrechtliche IPR geschlagen und dabei erhebliche Folgewirkungen ausgelöst. Zunehmend prägt die Durchsetzung europäischer Wertvorstellungen das Kollisionsrecht im Verhältnis zu Mitglied- und Drittstaaten in unterschiedlicher Weise. Andererseits sind die europäischen Regelungen nach wie vor in 1

Hellner in: von Hein / Kieninger / Rühl, 205, 209.

2

Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

zentralen Punkten lückenhaft und lassen ein Gesamtsystem allenfalls erahnen. Zur Lösung der dadurch aufgeworfenen Probleme sind nach wie vor die anderen Regelungsebenen berufen – deren Handlungsspielraum jedoch durch die fortschreitende Europäisierung immer enger wird. Es erscheint zunehmend fraglich, ob dieses innerhalb kurzer Zeit und ohne Orientierung an einer übergreifenden Gesamtsystematik entstandene Modell auf Dauer Bestand haben kann. Dieser Frage geht die vorliegende Arbeit nach. Sie legt den Fokus auf die europäischen Instrumente und analysiert ihre Wirkungen im derzeitigen Regelungsgeflecht: Welche Folgen zeitigt die Überführung verschiedener Kollisionsrechtsbereiche auf die europäische Ebene für die nationalen IPRKonzeptionen der einzelnen Mitgliedstaaten und für Bestand und Zukunft völkerrechtlicher IPR-Abkommen? Als Hauptproblem lässt sich dabei der fragmentarische Ansatz des EU-IPR identifizieren: Es besteht immer noch aus einzelnen Rechtsakten, denen eine übergreifende Systematik fehlt, und ist gleichzeitig in seiner Entwicklung so weit fortgeschritten, dass man kaum noch von einer nur punktuellen Kollisionsrechtsvereinheitlichung in Europa sprechen kann. Dadurch entstehen in seinem Zusammenspiel mit nationalen und völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln immer wieder neue Anpassungsund Anwendungsschwierigkeiten, die die Rechtssicherheit beeinträchtigen und bei der Schaffung neuer Rechtsakte erhebliche Kapazitäten binden. Ein Bewusstsein dieser Probleme formuliert die EU selbst in den Schlussfolgerungen zur Umsetzung der aktuellen Strategischen Agenda 2019–2024 des Europäischen Rates für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen: Thematisiert wird einerseits (Nr. 2) die Fragmentierungsproblematik, andererseits (Nr. 4) der auf globaler Ebene zu verfolgende multilaterale Ansatz. Für eine gezielte und belastbare weitere Kollisionsrechtsentwicklung in den europäischen Mitgliedstaaten, der EU selbst und weltweit gilt es daher, die aktuelle und künftige kollisionsrechtliche Rolle Europas auf regionaler und globaler Ebene klar zu definieren und mögliche Grundlinien eines trag- und ausbaufähigen Kollisionsrechtsmodells mit mehreren Regelungsebenen zu entwickeln. II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen

Harmonisierungsbemühungen haben im IPR eine lange Tradition. Auf zahlreichen Gebieten tritt internationales Einheitskollisionsrecht an die Stelle einzelstaatlicher Regelungen bzw. ergänzt diese – das Resultat ist ein über mehrere Regelungsebenen verteiltes Geflecht aus Anknüpfungsregeln. Einführend sind zunächst Entwicklung und aktueller Stand dieses heutigen kollisionsrechtlichen Mehrebenensystems im Überblick zu skizzieren. Ausgehend vom traditionellen Miteinander nationaler und völkerrechtlicher Kollisionsregeln (dazu 1.) ist insbesondere das europäische IPR als neu hinzutretende Regelungsebene vorzustellen (dazu 2.). Neben den beteiligten Akteuren und

II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen

3

den zur Verfügung stehenden Regelungsinstrumenten ist der Blick insbesondere auf zwei Fragen zu richten: Wem kommt die Kompetenz zur Interpretation der Rechtsakte einer Regelungsebene zu, und wie gestaltet sich ihr Verhältnis zu den anderen Regelungsebenen? 1. Traditionelle Regelungsebenen: Nationales IPR und völkerrechtliches IPR Das Internationale Privatrecht ist – ebenso wie das Internationale Zivilverfahrensrecht – integraler Teil jeder einzelnen Rechtsordnung. Grundsätzlich obliegt es damit dem nationalen Recht, zur Ermittlung des auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbaren Rechts Anknüpfungsregeln bereitzuhalten. Ob diese ungeschriebene, gewohnheitsrechtliche Grundsätze bleiben und lediglich im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung näher ausgeformt werden oder als Normen formuliert und sogar in eigenen Gesetzbüchern systematisiert werden, ist dem Gutdünken jeder Rechtsordnung überlassen – ebenso die inhaltliche Ausgestaltung der Kollisionsregeln. In Kontinentaleuropa ist das IPR heute ganz überwiegend auf nationaler Ebene kodifiziert. Neben die traditionellen Kodifikationen aus der Frühphase des modernen Kollisionsrechts wie das deutsche EGBGB von 1896 sind in der Mitte des 20. Jahrhunderts einige (Re-)Kodifikationen getreten, etwa das österreichische IPRG von 1978. Um die Jahrtausendwende kamen zahlreiche (Neu-) Kodifikationen hinzu, insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Staaten, etwa in Polen (2011) oder der Tschechischen Republik (2012), aber auch in Italien (1995) und den Niederlanden (2012).2 Dass die Auslegung und Weiterbildung genuin nationalen Rechts einzig den nationalen Gerichten, Rechtsanwendern und Gesetzgebern obliegt und diese dabei ihren eigenen Vorstellungen folgen, versteht sich von selbst. Dieses nationale IPR bildet auch heute noch den prinzipiellen Ausgangspunkt kollisionsrechtlicher Überlegungen, wenn es auch – insbesondere in den EU-Mitgliedstaaten – zunehmend durch andere Regelungsebenen überlagert und verdrängt wird. Das IPR Savigny’scher Prägung ist allerdings von seinem Grundcharakter her international ausgerichtet und richtet den Blick über die Grenzen der eigenen Rechtsordnung hinaus. Seit jeher ist dieses Rechtsgebiet Gegenstand von Kooperations- und Harmonisierungsbestrebungen auf zwischenstaatlicher Ebene. Schon ab dem späten 19. Jahrhundert spielen – grundlegend dem Wirken Mancinis zu verdanken – völkerrechtliche Verträge eine wesentliche Rolle im Kollisionsrecht.3 Die beiden Rechtsgebiete sind traditionell eng miteinander verbunden.4 Die gemeinsame Festlegung einheitlicher Anknüpfungsregeln durch zwei oder mehr Staaten auf staatsvertraglicher Ebene Vgl. Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 67 ff. Vgl. Schurig in: Leible / Ruffert, 55, 64. 4 Zur Geschichte der Beziehung zwischen Völkerrecht und IPR siehe z. B. Jayme in: Leible / Ruffert, 21, 21 ff. 2 3

4

Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

nimmt dabei ganz unterschiedliche Formen an5 – je nach Reichweite und Zielsetzung der zwischenstaatlichen Kooperation. So hat jüngst eine Untersuchung der erbrechtlichen bilateralen Staatsverträge ihre Vielzahl und Vielgestaltigkeit offenbart: Sie entstammen ganz unterschiedlichen Epochen und diversen Motivationen, etwa wirtschaftlichen Beziehungen, regionalen Kooperationen oder besonders starken Migrationsbewegungen zwischen bestimmten Staaten.6 Auch multilaterale Instrumente zur potentiell globalen Vereinheitlichung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts existieren in vielseitiger und facettenreicher Form.7 Auf bilateraler Ebene sind rein auf das IPR bezogene Abkommen mit umfassenden und allgemeinen Regelungen eher selten. Vielmehr werden häufig einzelne, spezielle Kollisionsregeln gewissermaßen als „Annex“ mit aufgenommen, wenn ein Abkommen (auch) privatrechtliche Fragen betrifft. Als praktisch problematisch erweist sich diese eher beiläufige Integration von IPR-Regeln in den größeren Kontext zwischenstaatlicher Beziehungen in doppelter Hinsicht. Zum einen stehen die Rechtsanwender häufig vor dem Problem, dass derartige Kollisionsnormen alles andere als offensichtlich sind. Mehr oder weniger versteckt können Anknüpfungsregeln in ganz verschiedenen Arten von Abkommen enthalten sein. Als typische Kategorien – freilich nicht immer trennscharf zu unterscheiden und teils überlappend – werden Freundschafts- und Handelsverträge, Konsularverträge, regionale Kooperationsabkommen, Rechtshilfeabkommen und aus Dekolonialisierung bzw. Staatszerfall resultierende Verträge genannt.8 Zum anderen sind diese bereichsspezifischen Anknüpfungsregeln zumeist auf punktuelle Fragestellungen begrenzt. Sie nehmen nur begrenzt Rücksicht auf kollisionsrechtliche Bedürfnisse oder die Gesamtsystematik des (nationalen) IPR, sondern bilden häufig (politisch motivierte) Ausnahmen dazu. Multilaterale Übereinkommen fassen dagegen deutlich häufiger gezielt die Vereinheitlichung des IPR – gegebenenfalls verbunden mit jener des IZVR – ins Auge und treffen umfassende Regelungen für bestimmte Kollisionsrechtsbereiche. Eine lange Tradition hat die regionale Harmonisierung der Anknüpfungsregeln auf staatsvertraglichem Weg etwa in Skandinavien (sogenannte Nordische Konventionen, insbesondere im Bereich des Familien- und Erbrechts), aber auch in Lateinamerika (sogenannter Codigo de Bustamante9). Für Siehe im Überblick zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht z. B. Mansel in: Leible /  Ruffert, 89, 103 ff. 6 Vgl. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 460; Wurmnest in: Dutta /  Wurmnest, 329, 333 ff. 7 Den bis heute erreichten Stand der globalen IPR-Vereinheitlichung sowie Zukunftspläne und die Herausforderungen auf diesem Gebiet schildern eindrucksvoll die Beiträge in Beaumont / Holliday (Hg.). 8 Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 458 ff. 9 Codigo de derecho internacional privado vom 20.2.1928. 5

II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen

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den europäischen Raum ist die 1950 in Bern gegründete Internationale Kommission für das Zivilstandswesen (CIEC) zu nennen,10 deren Tätigkeit im Bereich des Personenstandsrechts auch kollisionsrechtlich relevante Übereinkommen hervorgebracht hat.11 Neben räumlich-geographisch begrenzte Übereinkommen treten außerdem völkerrechtliche Verträge mit globaler Reichweite. Hauptakteurin auf diesem Gebiet ist die 1893 gegründete Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, die seit 1955 gemäß Art. 1 ihrer Satzung die Aufgabe wahrnimmt, „an der fortschreitenden Vereinheitlichung der Regeln des Internationalen Privatrechts zu arbeiten“.12 Heute existieren für zahlreiche Gebiete des IPR (und IZVR) harmonisierte Regelwerke in Gestalt von Haager Übereinkommen – teils mehr, teils weniger erfolgreich (siehe Teil II: § 4.I.1., S. 188 ff.). Auch unter der Ägide der Vereinten Nationen können staatsvertragliche Kollisionsregeln entstehen. Reine IPR-Abkommen stellen hier allerdings eher die Ausnahme dar. Häufiger sind einzelne Anknüpfungsregeln als Annex zu materiellen Vereinheitlichungsbestrebungen,13 so wie sie auch in anderen Harmonisierungsprojekten enthalten sind.14 Als Hauptproblem des Kollisionsrechts völkerrechtlicher Genese erweist sich die unübersichtliche Vielzahl an Rechtsquellen, deren Ermittlung und Koordination die Rechtsanwender vor Herausforderungen stellen kann. Auch die Weiterentwicklung staatsvertraglicher Anknüpfungsregeln ist mit Schwierigkeiten behaftet. Sowohl die Neuschaffung als auch die Überarbeitung völkerrechtlicher Konventionen bedeutet erheblichen Aufwand, aufgrund der nur schwerfälligen Modernisierungsmöglichkeiten droht ihre „Versteinerung“ – vor allem, wenn dem IPR politisch keine Priorität zukommt. Staatsvertragliche Kollisionsregeln muten daher teils veraltet an, insbesondere jene, die vor mehreren Jahrzehnten festgelegt wurden und heute – teils zwischen den Nachfolgestaaten der ursprünglichen Vertragspartner – unverändert Geltung beanspruchen. Auch durch Auslegung lässt sich diesem Problem nur in engen Grenzen abhelfen. Allgemein zur Entwicklung und zur Arbeit der CIEC Nast in: Fulchiron / BidaudGaron, 53, 53 ff.; Pintens in: Encyclopedia of PIL, 330, 330 ff. 11 Zum Beispiel Münchener CIEC-Übereinkommen (Nr. 19) über das auf Familiennamen und Vornamen anzuwendende Recht vom 5.9.1980. 12 Zu Entwicklung und Arbeitsweise der Haager Konferenz im Überblick A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 113 ff.; Pertegás in: Encyclopedia, 870, 870 ff.; Pertegás / Beaumont in: Beaumont / Holliday, 91, 91 ff. 13 So z. B. im UNCITRAL-Übereinkommen über Forderungsabtretungen im internationalen Handel vom 12.12.2001, im UNESCO-Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14.11.1970, BGBl. 2007 II 627 bzw. im UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter vom 24.6.1995. 14 Zum Beispiel im UNIDROIT-Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung vom 16. November 2001 (Konvention von Kapstadt). 10

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

Völkerrechtliche Verträge sind grundsätzlich vertragsautonom auszulegen, wobei verschiedene authentische Sprachfassungen sowie Gesetzgebungs- und Erläuterungsmaterialien herangezogen werden können.15 Eine eigene völkerrechtliche Methodik existiert allenfalls in Grundzügen.16 Artt. 31–33 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) geben zwar einige allgemeine Leitlinien zur Auslegung von Staatsverträgen vor, sind aber weder umfassend noch eine praktische Anwendungshilfe.17 Gelegentlich enthalten zwar einzelne Übereinkommen eigene Auslegungsregeln (z. B. Art. 20 HUP), die jedoch zumeist eher programmatische denn konkrete Vorgaben enthalten.18 Im Hinblick auf die Interpretation privatrechtlicher Konventionen ist der Fokus bisher primär auf das (materielle) Einheitsrecht gerichtet worden,19 auf kollisionsrechtsharmonisierende Staatsverträge sind diese Prinzipien im Wesentlichen übertragbar. Heraus kristallisiert sich damit eine Auslegung, die sich – die klassischen (deutschen) Auslegungsmethoden an den spezifisch völkerrechtlichen Kontext anpassend – auf Wortlaut, telos und Systematik (Art. 31 Abs. 1 WVK) stützt und historische (Art. 32 WVK) und sprachvergleichende (Art. 33 WVK) Elemente einbezieht.20 Hinzu kann und sollte ein rechtsvergleichender Aspekt treten, der die Interpretations- und Anwendungsansätze in den verschiedenen Vertragsstaaten berücksichtigt.21 Allerdings stellt sich das wesentliche Problem, dass die Interpretation völkerrechtlicher Konventionen den nationalen Gerichten der Vertragsstaaten obliegt, deren Auffassungen teils erheblich divergieren können. Bei Auslegungsdiskrepanzen oder Meinungsverschiedenheiten fehlt es im Regelfall an einer übergeordneten Instanz, die für alle Vertragsstaaten verbindliche Entscheidungen treffen kann.22 Das Resultat ist eine uneinheitliche, im schlimmsten Fall sogar widersprüchliche Auslegung der staatsvertraglichen Regelungen – die Rechtseinheit des Gesetzestextes wird in Interpretation und Vgl. z. B. BeckOGK / Yassari (Stand: 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 18 ff. zur Auslegung des HUP. – Zur Auslegung und Anwendung internationaler und europäischer Rechtsakte insgesamt di Blase RDIPP 2020, 5, 5 ff.; Borrás in: FS Ancel, 243, Rn. 7 ff. 16 Kritisch Schurig in: Leible / Ruffert, 55, 64 ff. 17 Basedow in: Leible / Ruffert, 153, 171 f. 18 BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 19; Rauscher / Andrae Art. 20 HUP Rn. 1; Gautier in: FS Lagarde, 327, 333. 19 Vgl. Basedow in: Leible / Ruffert, 153, 168 ff. 20 Statt vieler prägnant Gautier in: FS Lagarde, 327, 332 f. (mit Lösungsvorschlag für das materielle Einheitsrecht 340 ff.). 21 Zum Beispiel für das HUP BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 19. – Zur vergleichenden Auslegung im Kontext des materiellen Einheitsrechts und ihren Herausforderungen Gautier in: FS Lagarde, 327, 331 ff. 22 Siehe nur Basedow in: Leible / Ruffert, 153, 164. – Lediglich in seltenen Ausnahmefällen werden internationale Auslegungsinstanzen für Konventionen vereinbart (z. B. der EuGH für das EVÜ), in der Praxis führt dies allerdings kaum zu einer Verbesserung der Situation. 15

II. Das kollisionsrechtliche Mehrebenensystem – Grundlagen

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Anwendung unterlaufen.23 Wesentliche Fragen bleiben oft über einen langen Zeitraum unbeantwortet.24 Der attraktive Lösungsansatz, offene Fragen bzw. Streitpunkte durch ein Auslegungsprotokoll für die Zukunft verbindlich zu klären, lässt sich nur selten realisieren. Er erfordert den erheblichen Aufwand einer Änderung bzw. Ergänzung des Staatsvertrags, der insbesondere bei multilateralen Konventionen zumeist gescheut wird.25 Mangels konsentierter bzw. von allen Vertragspartnern akzeptierter Entscheidungen ist damit auch die Möglichkeit, staatsvertragliche Kollisionsregeln auf dem Interpretationsweg weiterzuentwickeln und an geänderte Bedürfnisse anzupassen, nur selten ein praktisch gangbarer Weg. Das Verhältnis zwischen nationalem und staatsvertraglichem IPR richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts. Konventionen sind bindend für die an ihnen beteiligten Vertragsstaaten.26 Unmittelbar durch die Gerichte der beteiligten Staaten anwendbare Verträge (sogenannte selfexecuting-Verträge), die die ganz überwiegende Mehrzahl der kollisionsrechtlichen Staatsverträge darstellen, beanspruchen Vorrang vor deren nationalen Regelungen und überlagern diese, soweit sie anwendbar sind.27 Mit welcher Technik der Vorrang des Völkerrechts im Einzelnen realisiert wird, ist für die praktische Anwendung völkerrechtlicher Anknüpfungsregeln letztlich unerheblich. In Deutschland erhalten Staatsverträge durch Zustimmungsgesetz den Rang eines einfachen Bundesgesetzes (Art. 59 Abs. 2 GG).28 Ihnen kommt bei einer Kollision mit genuin nationalen Rechtssätzen allerdings Vorrang zu.29 Für das deutsche IPR bringt Art. 3 Nr. 2 EGBGB dieses Hierarchieverhältnis eindeutig und klarstellend zum Ausdruck.30 Über diese diVgl. Basedow in: Leible / Ruffert, 153, 165; Gautier in: FS Lagarde, 327, 327 ff. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 474. 25 Basedow in: Leible / Ruffert, 153, 163. 26 Die im IPR seltene Konstellation eines „Konventionskonflikts“, also der Konkurrenz sich überschneidender Staatsverträge, bleibt im Rahmen dieser Arbeit außer Betracht; siehe dazu Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 57 m. w. N. 27 Auch das Modell einer Verpflichtung der Vertragsstaaten zu einer konventionskonformen Ausgestaltung ihres nationalen Rechts (sogenannte non-self-executing-Verträge) verwirklicht das inhaltliche Primat der völkerrechtlichen Ebene. – Bei multilateralen Übereinkommen haben Vertragsstaaten freilich unter Umständen die Möglichkeit, durch Einlegung eines Vorbehalts die Geltung einzelner Normen auszuschließen und damit die Reichweite des Staatsvertrags (und seinen Vorrang gegenüber ihrem nationalen Recht) einzugrenzen. Das erschwert freilich die praktische Anwendung, weswegen z. B. Art. 27 HUP Vorbehalte explizit ausschließt, vgl. BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 17. 28 Der in der Völkerrechtstheorie geführte Streit zwischen dualistischer Transformationslehre und monistischer Vollzugstheorie ist für das IPR ohne Bedeutung, vgl. Mansel in: Leible / Ruffert, 89, 106 ff. 29 Mansel in: Leible / Ruffert, 89, 109 ff. 30 Auch in anderen nationalen IPR-Gesetzen finden sich vergleichbare Regelungen, vgl. z. B. § 2 tschechIPRG. 23 24

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

rekte Wirkung hinaus kann das Völkerrecht auch indirekten Einfluss auf das nationale (Kollisions-)Recht ausüben: Die Beteiligung an einem Staatsvertrag kann auch auf die nationale Gesetzgebung ausstrahlen (etwa, indem staatsvertragliche Anknüpfungsregeln als loi uniforme auch für das national verbliebene IPR im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten übernommen werden), ferner ist das autonome Recht im Zweifel völkerrechtsfreundlich auszulegen.31 Insgesamt ist eine traditionell friedliche Koexistenz zwischen nationalem und völkerrechtlichem IPR zu konstatieren. Dies liegt zum einen daran, dass völkerrechtliche Kollisionsregeln in der Regel punktuell begrenzte Ausnahmen vom nationalen Recht darstellen, die durch ein erhebliches politisches Interesse motiviert sind. Gleichzeitig wurzeln staatsvertragliche Anknüpfungsregeln stets im nationalen IPR der Staaten, die sie aushandeln bzw. ihnen beitreten, und sind daher mehr oder weniger auf dieses abgestimmt bzw. mit diesem kompatibel. Die für einen Staat verbindlichen völkerrechtlichen Kollisionsregeln können regelmäßig unproblematisch in sein nationales IPR-Gefüge integriert werden und dieses ergänzen. Auch wenn sich das nationale Recht ändert, spiegeln die erhalten bleibenden staatsvertraglichen Regeln zumindest einen historischen Integrationstand wider und werden vor diesem Hintergrund weiter angewendet. Der klassische Mechanismus der Überformung des nationalen Rechts durch internationale Regelwerke funktioniert im IPR herkömmlich ebenso gut wie in anderen Rechtsbereichen – wenn nicht aufgrund des gesteigerten Interesses an harmonisierten Kollisionsregeln zur Verwirklichung des internationalen Entscheidungseinklangs sogar besser. 2. Neue Regelungsebene: Europäisches IPR Inzwischen hat das Kollisionsrecht jedoch eine weitere Regelungsebene zu verzeichnen: Anknüpfungsregeln werden – wie auch Regelungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts – seit einiger Zeit auch auf europäischer Ebene geschaffen.32 Im Folgenden soll zunächst die Entwicklung der Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Union in diesem Bereich skizziert werden (dazu a)). Sodann werden die Verordnungen, die das aktuelle EU-IPR darstellen, im Überblick vorgestellt (dazu b)). Schließlich wird das grundlegende Verhältnis des neuen europäischen Kollisionsrechts zu den traditionellen Regelungsebenen skizziert (dazu c)).

31 Kropholler RabelsZ 57 (1993), 207, 207 ff.; Mansel in: Leible / Ruffert, 89, 104, 110 m. w. N. 32 Siehe zur Entwicklung des EU-IPR und -IZVR im Überblick statt vieler Iglesias Buigues in: Forner Delaygua / Santos, 13, 13 ff. – Zu den Gründen für die Europäisierung des IPR umfassend etwa Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 8 ff.

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a) Kompetenzen und Instrumente des EU-IPR Die europäische Harmonisierung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts hat ihren Ursprung in regional auf den europäischen Raum begrenzten Staatsverträgen (EVÜ33, EuGVÜ34). Diese Wurzeln hat sie inzwischen jedoch weit hinter sich gelassen: Heute haben spezifische Gemeinschaftsrechtsinstrumente die bestehenden europäisch-völkerrechtlichen Rechtsakte abgelöst und sind das Mittel der Wahl für neue Vereinheitlichungsvorhaben.35 Die in den Anfangsjahren des sekundärrechtlichen IPR verwendeten Richtlinien erwiesen sich dabei rasch als nur begrenzt geeignetes Mittel zur Harmonisierung des mitgliedstaatlichen IPR. Anknüpfungsregeln wurden darin einerseits zur Absicherung des Anwendungsbereichs privatrechtsvereinheitlichender Richtlinien eingesetzt.36 Andererseits enthalten Richtlinien teils punktuelle Kollisionsregeln als „Annex“ zu den in ihnen geregelten speziellen Sachmaterien.37 Die divergierende und häufig unübersichtliche Umsetzung der Mindestharmonisierungs-Anforderungen in den mitgliedstaatlichen Kollisionsrechten ließ das Richtlinienkollisionsrecht jedoch unattraktiv erscheinen. Diese theoretisch nach wie vor bestehende Option wird seit der Jahrtausendwende nicht mehr genutzt und ist heute eine seltene und aussterbende Gattung.38 Inzwischen ist vielmehr die Verordnung das Mittel der Wahl:39 auf diesem Wege erlassene europäische Kollisionsregeln sind ohne Umsetzungsspielräume unmittelbar anwendbar und ermöglichen damit eine Vollharmonisierung. Der Übergang zum Verordnungs-IPR hängt insbesondere damit zusammen, dass mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam40 im Jahr 1999 die 33 Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (80/934 / EWG), ABl. 1980 L 266, 1. 34 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (unterzeichnet am 27. September 1968) (72/454 / EWG), ABl. 1972 L 299, 32. 35 Vgl. Junker in: FS Sonnenberger, 417, 422 f.; Mansel in: Leible / Ruffert, 89, 105; Michaels in: FS Kropholler, 151, 160 f. – Zu den verschiedenen im Unionsrecht zur Verfügung stehenden Regelungsmethoden Trüten 148 ff. 36 Vgl. für das deutsche IPR Art. 46b EGBGB zur Umsetzung der kollisionsrechtlichen Vorgaben in verschiedenen verbraucherschützenden Richtlinien. 37 Zum Beispiel Art. 13 Richtlinie 2014/60/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/ 2012 (Neufassung), ABl. 2014 L 159, 1; Art. 9 Richtlinie 2002/47 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten, ABl. 2002 L 168, 43. 38 Vgl. Leible in: FS von Hoffmann, 230, 230 ff.; R. Wagner ZfRV 2019, 275, 278. 39 Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 53 f.; Junker in: FS Sonnenberger, 417, 423. 40 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. 1997 C 340, 1.

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Handlungsmöglichkeiten der EU im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht erheblich erweitert wurden. Unter dem Vertrag von Maastricht waren IPR und IZVR der sogenannten Dritten Säule (intergouvernementale Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres) zugeordnet, mit dem Vertrag von Amsterdam wurden sie in die Erste Säule (Vergemeinschaftung der Zusammenarbeit im Zivilrecht) verlagert. Damit sind sie heute integraler Bestandteil der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen,41 die wiederum integraler Bestandteil des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 61 lit. c EGV a. F., heute Artt. 67 Abs. 1, 81 AEUV) ist. Für diesen Bereich kommt seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages der Europäischen Union die Gesetzgebungskompetenz zu.42 Kompetenzgrundlage für europäische Gesetzgebungsmaßnahmen auf dem Gebiet des IPR war zunächst Art. 65 Abs. 1 lit. b) EGV, auf dessen Grundlage die ersten kollisionsrechtlichen Verordnungen erlassen wurden. Seit dem Vertrag von Lissabon ist die Kompetenzgrundlage in Art. 81 Abs. 2 lit. c) AEUV verortet, der – weiter gefasst als sein Vorgänger – das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes nicht mehr als Bedingung, sondern nur noch als Beispiel nennt.43 Damit kann die EU nunmehr unzweifelhaft auch wirtschaftsfernere Gebiete mit grenzüberschreitendem Bezug wie das Internationale Familienrecht vereinheitlichen44 – potentiell können in allen Bereichen des IPR Harmonisierungsmaßnahmen ergriffen werden. Die seit jeher eher pro-europäisch weite Auslegung seiner Kompetenzen durch den europäischen Gesetzgeber wird für das Kollisionsrecht zwar gelegentlich in der Literatur kritisiert, der EuGH hat bisher jedoch keinen Grund zur Beanstandung gefunden.45 Auch die anfänglich teils geäußerte generelle Skepsis gegenüber einer europäischen Kompetenz für IPR-Rechtsakte46 ist inzwischen einer (faktischen) Akzeptanz gewichen. Als Binnenkompetenz berechtigt diese Kompetenzgrundlage die Union zunächst zur Ausarbeitung und zum Erlass verbindlicher Rechtsakte im Innen41 Zusammenfassend zur Kompetenzentwicklung Trüten 103 ff.; einen kritischen Überblick über die Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, auch vor ihrem rechtspolitischen Hintergrund, bietet R. Wagner in: Arnold, 105, 105 ff., der sie in eine „euphorische“ (111 ff.) und eine „ernüchternde“ (116 ff.) Phase unterteilt. – Ein flexibleres, von der Mitgliedschaft in der EU losgelöstes Konzept justizieller Zusammenarbeit schlagen Lehmann / Lein in: FS Ancel, 1093, 1093 ff. vor. 42 Vgl. statt vieler die Überblicksdarstellungen bei Trüten 181 ff.; Kuipers in: Encyclopedia of PIL, 687, 690 ff.; Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 273 ff.; R. Wagner IPRax 2019, 185, 185 ff.; R. Wagner RabelsZ 79 (2015), 521, 521 ff. 43 Siehe z. B. Dutta EuZW 2010, 530. 44 Vgl. Trüten 195 f.; Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 273. – Zur europäischen Kompetenz für eine Vereinheitlichung auch des Allgemeinen Teils des IPR Wilke 303 ff. 45 R. Wagner IPRax 2019, 185, 187. 46 Vgl. Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 659 m. w. N.; aus englischer Perspektive Dickinson JPIL 1 (2005), 197, 207 ff.

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verhältnis, also (nur) zwischen den Mitgliedstaaten. Sie kommt allerdings nicht ausschließlich der EU zu, sondern berechtigt als geteilte Kompetenz sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Union zum Handeln (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 lit. j AEUV). Vorrang genießt dabei jedoch insofern der unionale Gesetzgeber, als die Wahrnehmung bzw. Ausübung europäischer Kompetenz in diesem Umfang die Mitgliedstaaten an der Kompetenzausübung hindert (Art. 2 Abs. 2 AEUV). Zu beachten sind bei kollisionsrechtlichen Rechtsakten wie bei allen europäischen Gesetzgebungsakten das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 EUV), der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 4 EUV) und schließlich das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV), was jedoch bei der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen bisher nie größere Hürden dargestellt hat.47 Von rechtspolitischer Bedeutung ist daneben die Verpflichtung der EU zur Achtung der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und -traditionen (Art. 67 Abs. 1 AEUV).48 Praktischer Vorteil einer eigenen unionalen Gesetzgebungskompetenz ist das gegenüber einer europäischen Vereinheitlichung durch Staatsverträge vereinfachte und beschleunigte Verfahren – vor allem im Hinblick auf die seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags von 15 auf 27 (zwischenzeitlich vor dem Brexit sogar 28) gestiegene Zahl der Mitgliedstaaten. Das Initiativrecht für Gesetzgebungsverfahren liegt bei der Kommission (Art. 17 Abs. 2 S. 1 EUV), die vom Parlament zu Vorschlägen aufgefordert werden kann (Art. 225 AEUV). Grundsätzlich werden kollisionsrechtsharmonisierende Verordnungen gemäß Art. 81 Abs. 2 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen: Der Rat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit, das Europäische Parlament stimmt zu (Artt. 289 Abs. 1, 294 AEUV). Für familienrechtliche Maßnahmen mit grenzüberschreitendem Bezug sieht jedoch aufgrund der großen rechtskulturellen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten Art. 81 Abs. 3 AEUV ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vor, bei dem das Europäische Parlament lediglich angehört wird, der Rat jedoch einstimmig entscheiden muss.49 Sofern die Verabschiedung eines für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Rechtsakts im Wege des ordentlichen bzw. besonderen Gesetzgebungsverfahrens in absehbarer Zeit aussichtslos erscheint, besteht als ultima ratio zudem die Möglichkeit einer Verstärkten Zusammenarbeit (Art. 20 EUV, Verfahren ge-

R. Wagner in: Arnold, 105, 107; ausführlich Trüten 203 ff. – Kritisch gegenüber der Geeignetheit und Effizienz des Subsidiaritätsprinzips (noch vor dem Vertrag von Lissabon) Davies CMLR 43 (2006), 63, 63 ff. 48 R. Wagner in: Arnold, 105, 107. 49 Die in der „Brückenklausel“ des Art. 81 Abs. 3 UAbs. 2, 3 AEUV vorgesehene Option, familienrechtliche Materien dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zuzuweisen, wurde bisher noch nicht wahrgenommen und scheint aufgrund der erforderlichen parlamentarischen Zustimmung jedes einzelnen Mitgliedstaats auch für die Zukunft eher unwahrscheinlich, vgl. Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 274 f. 47

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mäß Artt. 326 ff. AEUV).50 Auf diesem Wege können Rechtsakte zunächst nur für einen begrenzten Kreis von (wenigstens neun) dazu bereiten Mitgliedstaaten geschaffen werden; alle anfangs nicht beteiligten Mitgliedstaaten können jederzeit beitreten und sind dazu zu ermutigen. Diese Technik „partikularer Rechtsvereinheitlichung“51 findet gleichermaßen Kritiker und Befürworter.52 Dem primären Gegenargument, dadurch würde ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“53 geschaffen und das Ziel eines einheitlichen Rechtsraums letztlich aufgegeben bzw. unterminiert, wird entgegengehalten, dass bei realistischer Betrachtung eine schrittweise bzw. partielle Integration auf manchen Gebieten zunächst alternativlos ist und durch eine Sogwirkung auch auf die zunächst unbeteiligten Mitgliedstaaten auf Dauer zu stärkerer und tieferer Integration führen kann.54 Der erste Anwendungsfall dieser Technik entstammte dem Kollisionsrecht: Das nicht zu erreichende Einstimmigkeitserfordernis gemäß Art. 81 Abs. 3 AEUV führte dazu, dass die Rom III-VO im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit verabschiedet wurde, aus demselben Grund konnte wenige Jahre später das Paket aus GüVO und PartVO ebenfalls zunächst nur für einen begrenzten Kreis an Mitgliedstaaten realisiert werden (dazu sogleich b)). Für die Harmonisierung des Kollisionsrechts stellt die Verstärkte Zusammenarbeit damit einen durchaus attraktiven Mechanismus dar, der trotz politischer Pattsituationen (vor allem im familienrechtlichen Bereich) zumindest eine Teilvereinheitlichung und damit einen Teilerfolg ermöglicht. Allerdings führt die Verstärkte Zusammenarbeit dazu, dass europäische Kollisionsrechtsakte nicht zwingend in allen Mitgliedstaaten gelten: Durch Rechtsakte der Verstärkten Zusammenarbeit gebunden sind nur die daran jeweils teilnehmenden Mitgliedstaaten.55 Die Nichtbeteiligung einzelner Mitgliedstaaten an bestimmten Rechtsakten war zwar durch die kollisionsrechtliche Sonderstellung Dänemarks,56 Irlands und (bis zum Brexit) des Vereinigten Königreichs57 seit Zur Verstärkten Zusammenarbeit grundlegend Kuipers Eur. L.J. 18 (2012), 201, 201 ff.; Lignier / Geier RabelsZ 79 (2015), 546, 546 ff. – Kritisch Thomale ZEuP 2015, 517, 517 ff. 51 Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 790. 52 Vgl. z. B. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 55 f.; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 93. 53 Auf das IPR bezogen wird auch ein „Europäisches Kollisionsrecht der zwei Geschwindigkeiten“ angeführt, vgl. Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2013, 1, 1; MörsdorfSchulte RabelsZ 77 (2013), 786, 791. 54 Vgl. Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 821; Empfehlung zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 10.6.2010 [Berichterstatter: Tadeusz Zwiefka], A7-0194/2010, 10. 55 Insofern bedeutet eine Verstärkte Zusammenarbeit auch nicht eine Aufnahme in den acquis communautaire, Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 2. 56 Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks [zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union] (Konsolidierte Fassung), ABl. 2012 C 326, 299. 50

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jeher bekannt.58 Gleichwohl verschärft sich durch die Wahrnehmung der Option zur Verstärkten Zusammenarbeit das Problem, dass die europäischen Kollisionsrechtsverordnungen nicht homogen in allen Mitgliedstaaten anwendbar sind, sondern ein komplexes und unübersichtliches Regelgeflecht mit unterschiedlicher Reichweite darstellen.59 „(Forums-)Mitgliedstaat“ muss bei der Anwendung einer EU-IPR-Verordnung daher stets als „teilnehmender (Forums-)Mitgliedstaat“ gelesen werden – an einem Rechtsakt unbeteiligte Mitgliedstaaten sind in seinem Kontext als Drittstaaten zu behandeln. Das EU-IPR ist – wie alle auf Art. 81 AEUV beruhenden europäischen Rechtsakte60 – (unions)autonom auszulegen:61 Nationale Rechtsanwender müssen bei der Interpretation des EU-Rechts europäische und nicht nationale Methoden anwenden.62 Eine zentrale Rolle spielt dabei die rechtsaktübergreifende Auslegung: Eine einheitliche Interpretation derselben Begrifflichkeiten in verschiedenen Rechtsakten wirkt systembildend und kohärenzfördend.63 Bei der Interpretation und Anwendung der einzelnen IPR-Verordnungen ist daher der Blick insbesondere auf Parallelregelungen in anderen kollisionsrechtlichen Verordnungen sowie im europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht zu richten. Allerdings dürfen im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit erlassene Verordnungen nicht als Auslegungsgrundlage für allgemeinverbindliche Verordnungen herangezogen werden, da sonst die nicht an diesen Instrumenten teilnehmenden Mitgliedstaaten indirekt doch daran gebunden werden könnten.64 Verbindliche Entscheidungen über die Interpretation der europäischen Rechtsakte kann und muss bei offenen Fragen oder divergierenden Auslegungen in den Mitgliedstaaten einzig der EuGH treffen. Seine Auslegungskompetenz zur Sicherung der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts kann er allerdings nicht aus eigener Initiative ausüben, sondern lediglich die Fragen Protokoll Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union] (Konsolidierte Fassung), ABl. 2012 C 326, 295. – Zur skeptischen Haltung gegenüber der Europäisierung aus englischer Perspektive (insbesondere im Hinblick auf Kompetenzfragen) vgl. statt vieler Dickinson JPIL 1 (2005), 197, 197 ff. 58 Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 2; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 93. 59 Vgl. Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 93; Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 277. 60 EuGH 8.11.2005 – C-443/03, Leffler, Rn. 45. 61 Vgl. grundlegend EuGH 14.10.1976 – C-29/76, Eurocontrol, Rn. 3. 62 Mansel in: FS Canaris, 739, 762 ff.; Riesenhuber GPR 2016, 158, 158. – Zur Auslegung und Anwendung internationaler und europäischer Rechtsakte insgesamt di Blase RDIPP 2020, 5, 5 ff.; Borrás in: FS Ancel, 243, Rn. 7 ff. 63 Vgl. etwa Grundmann RabelsZ 75 (2011), 882, 882 ff.; Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 31 ff. 64 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 21 ff. 57

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beantworten, die ihm von einem mitgliedstaatlichen Gericht im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV) vorgelegt werden.65 Dieses Kooperationsmodell, bei dem der EuGH die nationalen Gerichte durch die Klärung der ihm unterbreiteten Aspekte unterstützt, hat freilich zwei wesentliche Schwächen. Wenn nämlich ein mitgliedstaatliches Gericht sein Vorlagerecht nicht wahrnimmt oder – noch gravierender – seine Vorlagepflicht verletzt,66 muss der EuGH untätig bleiben. Damit wird nicht nur im konkreten Fall rein anhand der nationalen Rechtsauffassung ohne Berücksichtigung der europäischen Interpretation (unter Umständen sogar europarechtswidrig) entschieden, sondern auch für alle anderen Rechtsanwender eine Gelegenheit zur Ausformung und Weiterentwicklung des europäischen Rechts vertan. Umgekehrt ist auch bei intensiv und kontrovers diskutierten Aspekten die gewünschte Klärung durch den EuGH erst anhand einer konkreten Vorlage und damit unter Umständen erst nach längerer Zeit möglich. Als besonders ärgerlich erweist es sich, wenn Fragen von allgemeinem Interesse nur als bedingte Folgefragen vorgelegt werden und der EuGH sie aufgrund seiner Stellungnahme zur Grundfrage unbeantwortet lassen kann bzw. muss.67 Teils kann der Wunsch nach einer europäisch-verbindlichen Auslegung auch zur künstlichen Herbeiführung vorlagefähiger Verfahren verlocken.68 Insgesamt erschwert und verlangsamt die Beschränkung auf die Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage im individuellen Fall die Ausformung allgemein-genereller Interpretationslinien auf europäischer Ebene. Durch die Bindungen des Vorabentscheidungsverfahrens sind die Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten des EuGH erheblich eingeschränkt. Nichtsdestotrotz ist er die zentrale und prägende Instanz der Auslegung, Ausformung und Weiterentwicklung des EU-IPR. b) Europäische Kollisionsrechtsverordnungen: Überblick Mit dem Begriff „EU-IPR“ werden im Allgemeinen die Kollisionsrechtsverordnungen bezeichnet: Sie kodifizieren das IPR auf europäischer Ebene und entfalten unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten. Direkt, nachdem mit 65 Siehe statt vieler den Überblick über die Entwicklung des Vorlageverfahrens bei Somssich in: Király / Szabados, 53, 54 ff. 66 Die unbewusste Missachtung oder bewusste Verletzung der Vorlagepflicht ist nicht selten; vgl. zur Nutzung des Vorlagemöglichkeit durch nationale Gerichte im Bereich der europäischen IPR- und IZVR-Rechtsakte bis Oktober 2017 Somssich in: Király / Szabados, 53, 60 ff. 67 So etwa in EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II: Mangels Entscheidungserheblichkeit ließ der EuGH die zweite und dritte Vorlagefrage zur Auslegung des Art. 10 Rom III-VO unbeantwortet (siehe Teil III: § 7.I.3.b)bb), S. 315 ff.). 68 Bemerkenswerterweise haben zwei der drei ersten EuGH-Entscheidungen zur ErbVO (EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka, sowie EuGH 23.5.2019 – C-658/17, WB) ihren Ursprung in ein und demselben polnischen Notariat, siehe dazu Arnold / ZwirleinForschner GPR 2019, 262, 273 f.

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Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam die Kompetenzgrundlage für eine derartige Vereinheitlichung bestand, hat der EU-Gesetzgeber mit der Schaffung genuin unionaler Anknüpfungsregeln begonnen. Heute, gut 20 Jahre später, besteht bereits eine Vielzahl kollisionsrechtlicher Unionsrechtsakte. Im Zusammenwirken mit der parallel dazu vorangetriebenen Europäisierung des IZVR bilden sie ein immer dichteres Netz an europäischen Regelungen für grenzüberschreitende Sachverhalte des Zivilrechts. Die ersten Schritte des EU-Gesetzgebers auf dieser neuen Europäisierungsstufe waren eher zurückhaltend. Man setzte dort an, wo bereits ein inhaltlicher Konsens zwischen den Mitgliedstaaten bestand, nämlich im Internationalen Vertragsrecht. Mit dem EVÜ waren bereits seit mehreren Jahrzehnten gemeinsame europäische Anknüpfungsregeln etabliert und bewährt, allerdings in Gestalt eines völkerrechtlichen Vertrags. Mit einigen Weiterentwicklungen ließen diese sich relativ unproblematisch in die neue Form der Verordnung überführen. Das Resultat ist die 2008 verabschiedete und am 17. Dezember 2009 in Kraft getretene Rom I-VO69, an der sich alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks beteiligen.70 Parallel dazu begannen die Arbeiten an einer europäischen Verordnung für den (entgegen dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag71 aus dem EVÜ ausgeklammerten72) anderen Teil des Internationalen Schuldrechts, die außervertraglichen Schuldverhältnisse. Trotz einiger Schwierigkeiten, insbesondere hinsichtlich der Anknüpfung von Verletzungen des Persönlichkeitsrechts (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.) sowie des Verhältnisses zu bereits bestehenden Konventionen für Teilgebiete des Internationalen Deliktsrechts (siehe Teil II: § 2.III.1, S. 60 ff.; Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.), ließ sich eine Einigung vergleichsweise unproblematisch erzielen. Vor allem der Rückgriff auf die 1996 begonnenen Vorarbeiten zu einem (auf die EU-Mitgliedstaaten begrenzten) Staatsvertrag zum Kollisionsrecht der gesetzlichen Schuldverhältnisse73 ermöglichte eine

Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom ), ABl. 2008 L 177, 6. 70 MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 82 ff.; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 66 ff. 71 Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, RabelsZ 38 (1974), 211, 211 ff. 72 Vgl. Huber / Bach IPRax 2005, 73, 73. 73 Proposal for a European convention on the law applicable to non-contractual obligations / Proposition pour une convention européenne sur la loi applicable aux obligations non contractuelles der Groupe européen de droit international privé (GÉDIP), mit Kommentar abrufbar unter . – Vgl. zur Kritik am darauf beruhenden internen EU-Verordnungsentwurf von 1999 Huber / Bach IPRax 2005, 73, 73. 69

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rasche Verabschiedung der Rom II-VO74: Sie erblickte bereits 2007 das Licht der Welt und trat am 11. Januar 2009 in Kraft, bindend ebenfalls für alle Mitgliedstaaten außer Dänemark.75 Kurze Zeit darauf wurden die ersten Schritte zur Vereinheitlichung des Internationalen Familienrechts in die Wege geleitet. Anders als im Wirtschaftsrecht ließ sich hier nicht auf eine gemeinsame Basis zurückgreifen. Vielmehr bestehen in diesem stark durch (rechts-)kulturelle und gesellschaftliche Werte geprägten Bereich erhebliche Divergenzen zwischen den mitgliedstaatlichen Vorstellungen, weswegen einerseits Einstimmigkeit im Rat gefordert wird (Art. 81 Abs. 3 AEUV), andererseits aber deren Erreichung um so schwieriger ist. Bezeichnenderweise konnte die erste Einigung auf dem Gebiet des Internationalen Unterhaltsrechts erzielt werden: Einerseits ist es ein wenig wertaufgeladener und eher ökonomisch orientierter Teil des Familienrechts, andererseits ließ sich auch hier auf bereits auf völkerrechtlicher Ebene geleistete Vereinheitlichungsarbeit (vor allem in Gestalt von Haager Übereinkommen76) zurückgreifen. Die EU entschied sich zur Zusammenarbeit mit der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht und gestaltete das Europäische Internationale Unterhaltsrecht in enger Abstimmung mit deren neuem Konventionsduo HUÜ77 und HUP78. Die 2009 verabschiedete und ab dem 18. Juni 2011 anwendbare (siehe Teil II: § 5.III., S. 259 ff.) UnthVO79 enthält genuin europäische Regeln nur für verfahrensrechtliche Fragen. Für das Unterhaltskollisionsrecht verweist sie schlicht auf das HUP, das aufgrund Beitritts der EU alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks (und bis zum Brexit des Vereinigten Königreichs) bindet.80 Als erheblich komplizierter erwies sich hingegen die ins Auge gefasste Harmonisierung des Internationalen Scheidungsrechts. Die zunächst geplante 74 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), Abl. 2007 L 199, 40. 75 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 67 ff.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 46 f. 76 Für das Kollisionsrecht: Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht sowie Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. 77 Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen. 78 Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. 79 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, Abl. 2009 L 7, 1. 80 Art. 3 Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (2009/941 / EG), Abl. 2009 L 331, 17.

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Ergänzung der verfahrensrechtlichen Brüssel IIa-VO um Anknüpfungsregeln für Scheidungen scheiterte insbesondere am Widerstand Schwedens, das an der grundsätzlichen Anwendung seines eigenen, liberalen Scheidungsrechts festhalten wollte, sowie irischer und britischer Bedenken.81 Aus denselben Gründen erwies sich auch die einstimmige Verabschiedung eines separaten, rein kollisionsrechtlichen Rechtsakts als aussichtslos. Man entschied sich daher schließlich zum erstmaligen Rückgriff auf das Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit.82 Auf diesem Wege konnte die Rom III-VO83 2010 verabschiedet werden und ab dem 21. Juni 2012 in initial 14 Mitgliedstaaten84 Anwendung finden, drei weitere sind seither hinzugekommen.85 Einfacher gestaltete sich die anschließend in Angriff genommene Vereinheitlichung des Internationalen Erbrechts, zumal man hier nicht dem Einstimmigkeitserfordernis des Art. 81 Abs. 3 AEUV unterlag. Wesentliche Neuerung war die Kombination von IPR und IZVR in einem einzigen Rechtsakt: Die 2012 verabschiedete ErbVO86 umfasst neben Anknüpfungsregeln auch ein umfassendes Regime der Internationalen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung und führt zudem mit dem Europäischen Nachlasszeugnis ein neuartiges Harmonisierungs- und Kooperationsinstrument ein. Für ab dem 17. August 2015 eingetretene Todesfälle bindet die ErbVO alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks und Irlands, auch das Vereinigte Königreich war nicht daran beteiligt.87 Weniger erfolgreich war dagegen der zur selben Zeit unternommene Versuch, das Internationale Güterrecht für Ehen und registrierte Lebenspartnerschaften europäisch zu regeln. 81 Boele-Woelki YbPIL XII (2010), 1, 11; Helms FamRZ 2011, 1765, 1765; Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 276 f.; Winkler von Mohrenfels in: FS von Hoffmann, 527, 532. 82 Beschluss des Rates vom 12. Juli 2010 über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (2010/405 / EU), Abl. 2010 L 189, 12. – Zur Geschichte der Rom III-VO und der Entscheidung für die Verstärkte Zusammenarbeit etwa BoeleWoelki YbPIL XII (2010), 1, 6 ff. 83 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, Abl. 2010 L 343, 10. 84 Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Luxemburg, Malta, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Ungarn. 85 Litauen (seit 2014), Griechenland (seit 2015), Estland (seit 2018). 86 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, Abl. 2012 L 201, 107. 87 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 7 f.; NK-BGB / Looschelders vor Art. 1 ErbVO Rn. 8. – Zu den Gründen für die Nichtteilnahme des UK und Irlands an der ErbVO z. B. Lein in: Dutta / Bonomi, 199, Rn. 10 ff.

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Ein erster Kommissionsvorschlag von 201188 konnte sich nicht durchsetzen, nach einer Neuauflage der Diskussion musste man sich einige Jahre später eingestehen, dass die nach Art. 81 Abs. 3 AEUV notwendige gesamteuropäische Einigung auf absehbare Zeit nicht möglich war – Bedenken hinsichtlich eines Zwangs zur zumindest indirekten Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Verbindungen führten zu einem Veto Polens und Ungarns.89 Man beschritt daher schließlich den bereits bei der Rom III-VO erprobten Ausweg der Verstärkten Zusammenarbeit:90 Das 2016 verabschiedete Verordnungsdoppel aus GüVO91 und PartVO92 findet in den daran teilnehmenden 18 Mitgliedstaaten93 für ab dem 29. Januar 2019 eingegangene oder einer neuen Rechtswahl unterstellte Ehen bzw. Partnerschaften Anwendung. Der Schwung der ersten Jahre ist inzwischen ins Stocken geraten, das ursprünglich hohe Tempo der Verabschiedung neuer Rechtsakte lässt sich auf Dauer nicht aufrechterhalten.94 Dies liegt einerseits daran, dass die Rechtsgebiete, bei denen sich ein Konsens (vermeintlich) einfach erzielen ließ, gleich zu Anfang abgearbeitet wurden und nunmehr größere inhaltliche Herausforderungen zu bewältigen sind. Insbesondere erweist sich der Übergang von wirtschafts- zu familienrechtlichen Fragestellungen als schwierig: Erstere liegen im klassischen Betätigungsfeld der EU als primäre Wirtschaftsgemeinschaft und können auf Tradition und Erfahrungen des Binnenmarktes zurückgreifen, letztere fallen erst seit kurzem in das (erweiterte) Betätigungsfeld der EU und sind gleichzeitig stärker mit nationalen (Wert-)Vorstellungen aufgeVorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, 16.3.2011, KOM(2011) 126 endg. 89 Vgl. Martiny ZfPW 2017, 1, 4; Serdynska in: Dutta / Weber, 7, Rn. 5 ff.; Szabados CMLR 58 (2021), 71, 89 f.; Twardoch Rev. Crit. DIP 2016, 465, 465 ff. 90 Beschluss (EU) 2016/954 des Rates vom 9. Juni 2016 zur Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und vermögensrechtliche Folgen eingetragener Partnerschaften), Abl. 2016 L 159, 16. 91 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, Abl. 2016 L 183, 1. 92 Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, Abl. 2016 L 183, 30. 93 Belgien, Bulgarien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Zypern. 94 Vgl. zu den Gründen R. Wagner IPRax 2019, 185, 191. 88

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laden. Parallel dazu lässt die gewachsene Anzahl von Mitgliedstaaten einen Konsens (insbesondere, wenn Einstimmigkeit erforderlich ist) noch schwieriger erscheinen. Das Bestreben, möglichst in Gesamtrechtsakten IPR und IZVR abzudecken, erhöht die zu bewältigende Stoffmenge und die potentiellen Streitpunkte; die stärkere Betonung von Verfahrens- und Anerkennungsfragen bedeutet zusätzliche Komplexität auch für das Kollisionsrecht. Auch die Enttäuschung darüber, dass die Rom III-VO und das Verordnungsduo zum Internationalen Güterrecht sich trotz jahrelanger Verhandlungen und Bemühungen doch „nur“ im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit realisieren ließen, wirkt dämpfend auf den Harmonisierungseifer. Die Aufbruchsstimmung der Anfangszeit hat sich ein wenig gelegt.95 Auf der Agenda der europäischen Organe befindet sich derzeit nur ein einziges Projekt: Die Vereinheitlichung des Internationalen Abtretungsrechts. Der im Jahr 2018 vorgelegte Kommissionsentwurf  96 (AbtrVO-E) orientiert sich an Rom I-VO und Rom II-VO und soll die darin enthaltene Lücke bezüglich der Anknüpfung von Forderungsabtretungen schließen (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.). Das Verfahren scheint jedoch ins Stocken geraten zu sein; ob, wann und mit welchem Inhalt europäische Anknüpfungsregeln zur Abtretung das Licht der Welt erblicken werden, ist damit ungewiss. Ende des Jahres 2022 hat die Kommission schließlich einen Entwurf für eine Verordnung zur umfassenden Regelung der internationalprivat- und -verfahrensrechtlichen Fragen der Elternschaft vorgelegt.97 Vor allem seitens der Wissenschaft wird immer wieder die Harmonisierung weiterer Kollisionsrechtsbereiche gefordert. Anregungen in Form konkreter Textentwürfe sind in den letzten Jahren etwa für das Internationale Namensrecht98, das Internationale Gesellschaftsrecht99 sowie eine die Rom III-VO (und die Brüssel IIa-VO) ersetzende Neuauflage des Internationalen Scheidungsrechts100 vorgelegt von Hein / Kieninger / Rühl in: von Hein / Kieninger / Rühl, 1, 3; X. Kramer in: von Hein / Kieninger / Rühl, 215, 219. 96 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, COM(2018) 96 final. 97 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme öffentlicher Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats, COM(2022) 695 final. 98 Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens in: Dutta / Helms / Pintens, 109, 109 ff. = StAZ 2014, 33, 33 ff. 99 Jüngst Gerner-Beuerle / Mucciarelli / Schuster / Siems YBEL 39 (2020), 459; Hübner ZGR 2018, 149, 149 ff. – Zum Vorschlag der Groupe européen de droit international privé (GÉDIP) von 2016 im Überblick von Hein in: FS Kohler, 551, 551 ff. 100 Groupe européen de droit international privé (GÉDIP), Proposition de règlement relative à la compétence, la loi applicable et la reconnaissance en matière de divorce, 15.9.2019, abrufbar unter . 95

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worden. Auch die seit einiger Zeit geäußerten Harmonisierungsanregungen für das Internationale Sachenrecht101 sind jüngst in Projekte zur Erarbeitung konkreter Textentwürfe gemündet.102 Diese Entwicklungen zeigen, dass neben der Initiierung gänzlich neuer Gesetzgebungsakte zunehmend die Überarbeitung bereits bestehenden EU-Kollisionsrechts und die Schließung der Lücken im vorhandenen Bestand in den Vordergrund rückt. Der heutige Stand des EU-Kollisionsrechts lässt eine gewisse Dichotomie erkennen. Auf der einen Seite ist inzwischen rein zahlenmäßig mehr als die Hälfte der Kollisionsregeln auf der europäischen Regelungsebene verortet.103 Hinzu kommt, dass die harmonisierten Anknüpfungsregeln zentrale und praktisch wichtige Gebiete des IPR zunehmend vollständig abdecken. Der in Folge des Vertrags von Amsterdam begonnene Prozess einer Verlagerung des IPR von der mitgliedstaatlichen auf die europäische Ebene ist rasch und weit vorangeschritten.104 Man kann mit Fug und Recht von einem europäischen Kollisionsrecht, einem EU-IPR, sprechen. Auf der anderen Seite ist dieses jedoch nach wie vor kein Gesamtsystem, sondern eine Sammlung einzelner Rechtsakte. Aus deren Vielzahl und Interaktion lassen sich zwar allgemeine Ansätze herausdestillieren, sodass das EU-IPR inzwischen nicht mehr nur fragmentarisch ist. Dennoch sind sein Grundcharakter und seine Grundstruktur immer noch auf Einzelrechtsakte gegründet und zentriert. In seiner Frühphase wurde das europäische Kollisionsrecht als „Kaleidoskop komplexer und komplizierter Kollisionsregeln“105 bezeichnet – daran hat sich bis heute nichts geändert, allenfalls ist es noch facettenreicher geworden. Die Möglichkeiten und Grenzen der europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung haben seit jeher auch die Wissenschaft bewegt. Im Gefolge des Vertrags von Amsterdam begann kurz vor der Jahrtausendwende eine intensive Auseinandersetzung mit dem – als Zukunftsprojekt greifbar werdenden – europäischen IPR als solchem.106 Dessen grundlegend neue Konzeption rief zunächst große Erwartungen und eine gewisse Euphorie hervor. Teils war sogar von einer „European Conflict of Laws Revolution“107 die Rede, die Siehe z. B. Kieninger in: FS Coester-Waltjen, 469, 469 ff. Groupe européen de droit international privé (GÉDIP), The law applicable to rights in rem in tangible assets, Provisional draft, 31.10.2020, abrufbar unter ; auch die 2021 konstituierte Working Group (Project on a future European Regulation on International Property Law) der European Association of Private International Law hat einen konkreten Regelungsvorschlag zum Ziel. 103 Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 54. 104 Vgl. Brand in: Spoon / Ringe, 1, 7. 105 Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 123. 106 Als deren Ausgangspunkt kann der 1998 erschienene Sammelband „European Private International Law“ unter Herausgeberschaft von von Hoffmann betrachtet werden. 107 Pocar RDIPP 2000, 873, 873. – Ähnliche Begriffe bei Meeusen Eur. J. Migr. Law 9 (2007), 287, 287 („European Conflicts Revolution“); Michaels Tul. L. Rev. 82 (2008), 101 102

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– wenn auch nicht inhaltlich – in ihrem Umsturzpotential als der US-amerikanischen „conflicts revolution“ der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleichbar betrachtet wurde.108 Die initiale Erwartung, die politische und rechtliche Europäisierung werde einen Paradigmenwechsel im Internationalen Privatrecht auslösen und das Ende des klassischen IPR einläuten,109 hat sich nach einigen Jahren tatsächlicher legislativer Tätigkeit durch die EU im Bereich des IPR relativiert: Statt von einer (plötzlichen, radikalen) „Revolution“ wurde von einer (schrittweisen, behutsamen) „Evolution“ gesprochen.110 Was sich auf europäischer Ebene aus dem revolutionären Potential des in den letzten Jahren viel diskutierten Anerkennungsprinzips entwickeln wird, bleibt abzuwarten (siehe Teil III: § 7.II.2., S. 360 ff.). An die Grundfesten des klassisch wertneutralen Anknüpfungs-IPR rührt auch die Diskussion um eine „Materialisierung“ bzw. „Politisierung“ des Kollisionsrechts, also seine inhaltliche Gestaltung zur Durchsetzung bestimmter inhaltlicher Ziele und Wertvorstellungen.111 Diese rückt seit einiger Zeit auch und gerade bezüglich der europäischen Kollisionsregeln zunehmend in den Vordergrund, da das EU-IPR einerseits als Instrument des Unionsrechts zwangsläufig der Verwirklichung europäischer Interessen und Politiken dienen muss112 und andererseits zunehmend Wertvorstellungen wie den Schwächerenschutz bereits auf kollisionsrechtlicher Ebene verwirklicht.113 1607, 1607 („European Choice-of-Law Revolution“); Michaels in: FS Kropholler, 151, 151 („europäische IPR-Revolution“). 108 Michaels in: FS Kropholler, 151, 151 ff.; Meeusen Eur. J. Migr. Law 9 (2007), 287, 287 ff.; Pocar RDIPP 2000, 873, 873 ff. 109 Michaels in: FS Kropholler, 151, 157 ff. 110 von Hein Tul. L. Rev. 82 (2008), 1663, 1663 ff.; Symeonides Tul. L. Rev. 82 (2008), 1741, 1752 f. et passim. – Eine „kopernikanische Wende“ sieht allerdings wiederum M.-P. Weller in: Arnold, 133, 133 ff. 111 Vgl. statt vieler bereits frühzeitig Kühne in: FS Heldrich, 815, 817, die umfassende Analyse von Roth AcP 220 (2020), 458, 458 ff., die Beispiele bei Stürner in: FS Kronke, 557, 561 ff. sowie die Beiträge in den Tagungsbänden Gebauer / Huber (Hg.) sowie Gössl et al. (Hg.); monographisch jüngst Hornung. – Insbesondere zur „Materialisierung“ der Anknüpfungsregeln des EU-Kollisionsrechts etwa Schwemmer 203 ff.; M.-P. Weller RabelsZ 81 (2017), 747, 757 ff.; M.-P. Weller IPRax 2011, 429, 433 ff. – Umfassend zu den Einflüssen des Wandels gesellschaftlicher Strukturen und insbesondere der Internationalisierung und Globalisierung auf das Kollisionsrecht, primär zum daraus resultierenden Spannungsfeld zwischen traditionellen staatlichen und neuartigen privaten Regelungsansprüchen Basedow, The Law of Open Societies, 2015. 112 Vgl. de la Durantaye IPRax 2019, 281, 284; Michaels in: FS Kropholler, 151, 160 f.; M.-P. Weller RabelsZ 81 (2017), 747, 759. – Monographisch Schwemmer. 113 Die Rom I-VO setzt etwa in ihrem Art. 6 europäische Verbraucherschutzvorstellungen durch, Art. 3 Abs. 3, Abs. 4 bezwecken die Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben auch in grenzüberschreitenden Sachverhalten. – Siehe mit weiteren Beispielen Gruber in: von Hein / Rühl, 336, 337 ff.; M.-P. Weller in: Arnold, 133, 151 ff.

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Entsprechend der rechtsaktbezogenen Natur des EU-IPR ist auch seine Aufarbeitung stark auf einzelne Rechtsakte fokussiert. Zu jedem einzelnen Gesetzgebungsprojekt und vor allem jeder verabschiedeten Verordnung gibt es binnen kurzer Zeit ein überreichliches Angebot an Beiträgen. Neben die zu Beginn im Vordergrund stehenden Fragen der praktischen Anwendung treten dabei im Laufe der Zeit Analysen der Bewährung der einzelnen Regeln in der Praxis, die kritische Auseinandersetzung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung sowie Reform- und Weiterentwicklungsvorschläge. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei – auch rechtsaktübergreifend – der Ausgestaltung der Anknüpfungsmomente in den europäischen Kollisionsregeln geschenkt, vor allem der Aufgabe der Staatsangehörigkeit zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts als primär maßgebliches Merkmal114 sowie der Stärkung der Parteiautonomie.115 Die seit geraumer Zeit intensiv geführte Diskussion um eine einheitliche Europäische Methodenlehre hinterlässt auch im IPR ihre Spuren.116 Mit wachsender praktischer Erfahrung rückt schließlich die Frage in den Fokus, ob mit der legislativen Europäisierung des Kollisionsrechts (und des Internationalen Zivilverfahrensrechts) auch ein adäquates Zusammenwachsen auf der Ebene der Rechtsimplementierung und -anwendung in den Mitgliedstaaten einhergeht und inwieweit die homogene Anwendung des EU-IPR praktisch und faktisch noch weiterer Angleichungsschritte bedarf.117 Gleichzeitig wird jedoch seit jeher auch die neue Regelungsebene des europäischen Kollisionsrecht in ihrer Gesamtheit untersucht. Rechtsaktübergreifende Überlegungen fokussieren sich insbesondere auf die Frage nach allgemeinen Lehren und Grundsätzen des im Werden begriffenen europäischen IPR. Allem voran hat sich die Frage nach der Existenz von Regelungen des Allgemeinen Teils und ihrer möglichen Kodifikation in einer „Rom 0Verordnung“ zum Dauerbrenner entwickelt.118 Daneben finden einzelne PhäStatt vieler siehe nur Basedow IPRax 2011, 109, 109 ff.; Dutta IPRax 2017, 139, 139 ff.; Hilbig-Lugani GPR 2014, 8, 8 ff.; John GPR 2018, 70, 70 ff. sowie 136, 136 ff.; Lurger in: von Hein / Rühl, 202, 202 ff.; Mankowski IPRax 2017, 130, 130 ff.; M.-P. Weller in: FS Coester-Waltjen, 897, 897 ff.; kritisch Rauscher in: FS Coester-Waltjen, 637, 637 ff. – Monographisch z. B. Rentsch. 115 Siehe z. B. Arnold in: Arnold, 23, 23 ff.; Mansel in: Leible / Unberath, 241, 241 ff.; Maultzsch in: von Hein / Rühl, 153, 153 ff.; Maultzsch JPIL 12 (2016), 466, 466 ff. – Monographisch Brosch; Kroll-Ludwigs. 116 Siehe etwa die sich im Jahr 2015 entspinnende Debatte zwischen Kramer und Riesenhuber (E. Kramer GPR 2015, 262, dazu Replik Riesenhuber GPR 2016, 158 ff., dazu wiederum Duplik E. Kramer GPR 2016, 210 f.), vgl. außerdem z. B. Fleischer RabelsZ 75 (2011), 700, 700 ff. – Grundlegend zur Europäischen Methodenlehre Martens sowie die Beiträge in Riesenhuber (Hg.). 117 Vgl. etwa die Beiträge in von Hein / Kieninger / Rühl (Hg.). 118 Vgl. insbesondere die Beiträge in Leible / Unberath (Hg.) sowie Leible (Hg.) sowie darüber hinaus Wilke; Heinze in: FS Kropholler, 105, 105 ff.; Kreuzer in: Jud / Rechberger /  Reichelt, 1, 1 ff.; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 227 ff. 114

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nomene wie etwa die depeçage monographische Beachtung, häufig in Dissertationen.119 Mit dem Fortschreiten der europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung wird die Frage nach einer Systembildung auf supranationaler Ebene immer dringlicher. Die Kohärenz zwischen den einzelnen EU-Rechtsakten zieht vermehrt wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich.120 Diesbezüglich zu konstatierende Mängel lassen Forderungen nach einer Zusammenführung und „Synchronisierung“ der schrittweise gewachsenen Rechtsakte laut werden.121 Dies verleiht auch der von Anbeginn an geführten Diskussion um eine vollständige Kodifikation des IPR auf europäischer Ebene neues Gewicht und neuen Schwung:122 Mit wachsender Zahl der Einzelrechtsakte einerseits und immer stärkerem Systematisierungsbedarf andererseits wird der Gedanke einer Gesamtkodifikation zunehmend vom Traum zur zumindest rechtstechnisch realistischen Option. c) Verhältnis des EU-IPR zum nationalen und völkerrechtlichen IPR Das Verhältnis zwischen dem europäischen Kollisionsrecht in Gestalt von Verordnungen und dem nationalen IPR ist prinzipiell klar und einfach: Gemäß allgemeinen europarechtlichen Grundsätzen steht das Unionsrecht hierarchisch über dem mitgliedstaatlichen Recht. Verordnungen sind in allen (teilnehmenden) Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar (Art. 288 Abs. 2 AEUV) – sie werden Teil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und lösen deren bisherige Regelungen ab. Damit treten die europäischen IPR-Verordnungen mit ihrem Inkrafttreten an die Stelle der nationalen Anknüpfungsregeln, die insoweit gegenstandslos werden.123 Auf diesen Vorrang des unionsrechtlichen vor dem mitgliedstaatlichen IPR weisen die nationalen IPR-Gesetze teils deklaratorisch-klarstellend hin (z. B. Art. 3 Nr. 1 EGBGB, § 2 tschechIPRG). Aus diesem eindeutigen Hierarchieverhältnis können keine Koordinations- oder Anwendungsfragen zwischen den Ebenen entstehen: Als „Ober“ sticht bei einer Konfrontation stets das EU-IPR den „Unter“ des nationalen IPR.

Zum Beispiel Aubart. Siehe z. B. Trüten 607 ff.; Sánchez Lorenzo R.E.D.I. 70/2 (2018), 17, 17 ff.; Wilke JPIL 16 (2020), 163, 163 ff. (mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 5) sowie die Beiträge in den Tagungsbänden von Fallon / Lagarde / Poillot-Perruzzetto (Hg.) und von Hein / Rühl (Hg.), insbes. Basedow in: von Hein / Rühl, 3, 3 ff., ferner die Studie von Forner Delaygua /  Santos (Hg.), insbes. Bonomi in: Forner Delaygua / Santos, 27, 27 ff. (zum Familien- und Erbrecht). – Monographisch Emmerich (insbes. 287 ff.). 121 Zum Beispiel Frąckowiak-Adamska in: von Hein / Kieninger / Rühl, 185, 193, 202. 122 Siehe z. B. Fallon / Lagarde / Poillot-Perruzzetto (Hg.); Trüten 655 ff.; Czepelak ERPL 2010, 705, 705 ff.; Kieninger IPRax 2017, 200, 200 ff.; Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 184 ff.; Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 704 ff.; Siehr in: Jud /  Rechberger / Reichelt, 77, 93 ff. sowie weitere Nachweise in Teil IV: § 11.I.2. 123 Monographisch zum Verhältnis zwischen EU-Recht und (nationalem) IPR Repasi. 119 120

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

Ungleich schwieriger als ihr jeweiliges (Vorrang-)Verhältnis zum nationalen IPR stellen sich die Beziehungen zwischen dem europäischen Kollisionsrecht und dem IPR völkerrechtlicher Genese dar. Gegenüber staatsvertraglichem Recht kann das EU-Recht keinen Anwendungsvorrang beanspruchen und entfaltet keine Verdrängungswirkung: Weder löst das EU-IPR bestehendes völkerrechtliches IPR ohne weiteres ab, noch steht es der Schaffung neuer staatsvertraglicher Kollisionsregeln entgegen. Für das Aufeinandertreffen der beiden der Harmonisierung dienenden Regelungsebenen verbieten sich pauschale Regeln: Weder kann ein Vorrang (potentiell) weltweit geltender Normen postuliert werden, noch darf man (potentiell) weiterreichender regionaler Vereinheitlichung unbesehen die Vorfahrt gewähren. Im Gegensatz zu den üblicherweise ihre Beziehung zu bestehenden Staatsverträgen regelnden EU-Rechtsakten (dazu sogleich) bestimmen völkerrechtliche Rechtsakte nur gelegentlich selbst ihr Verhältnis zum EU-Recht und nehmen sich in Sonderbestimmungen diesem gegenüber sogar zurück.124 Im Übrigen ist für die Beziehungen zwischen (konkurrierenden) europäischen und völkerrechtlichen Kollisionsrechtsinstrumenten bzw. -regeln auf die allgemeinen Grundsätze des Völker- und Europarechts zurückzugreifen. Zu differenzieren ist dabei zwischen vor der Europäisierung des IPR entstandenen Staatsverträgen und erst nach der Verabschiedung kollisionsrechtlicher Verordnungen geschaffenen Völkerrechtsakten. Als Ausgangspunkt für das Verhältnis des EU-IPR zu vor seiner Schaffung von den Mitgliedstaaten geschlossenen „Altverträgen“ dient der auch in Art. 30 Abs. 4 WVK verankerte allgemeine völkerrechtliche Grundsatz der Achtung bestehender staatsvertraglicher Verpflichtungen (pacta sunt servanda).125 Bestehendes völkerrechtliches IPR der Mitgliedstaaten muss „Bestandsschutz“126 genießen, auch wenn auf demselben Gebiet (abweichende) europäische Kollisionsregeln geschaffen werden. Schließlich darf die EU ihre Mitgliedstaaten weder dazu zwingen noch dazu verleiten, ihre im Rahmen ihrer nationalen Kompetenz zu einem früheren Zeitpunkt eingegangenen und weiterbestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen zu brechen, sondern muss die internationalen Bindungen ihrer Mitglieder respektieren. Das EU-Primärrecht formuliert dieses Prinzip der Rücksichtnahme in Art. 351 Abs. 1 AEUV (früher Art. 307 EGV): Die aus vor Gründung der EG bzw. Beitritt dazu abgeschlossenen Staatsverträgen der Mitglied- mit Drittstaaten fließenden Rechte und Pflichten bleiben durch das Unionsrecht unberührt. Für Rechtsbereiche, für die die Union erst später die Kompetenz erlangt bzw. ausübt, soll die Norm analog angewendet werden.127 Zu beachten sind allerdings zwei Einschränkungen. Ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten geltende Staatsverträge können keinen Vorrang gegenüber späterer EU-Gesetzgebung beanspruchen (vgl. Art. 30 124 125 126

Dazu Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 31 ff. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 28. Dutta FamRZ 2013, 4, 15; Wurmnest / Wössner ZvglRWiss 118 (2019), 449, 451.

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Abs. 3 WVK).128 Außerdem verpflichtet Art. 351 Abs. 2 AEUV (als Ausdruck des Prinzips der Unionstreue, Art. 4 Abs. 3 EUV) die Mitgliedstaaten dazu, Unvereinbarkeiten zwischen ihren staatsvertraglichen und europarechtlichen Verpflichtungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beseitigen.129 In den IPR-Verordnungen formulieren spezielle Klauseln ihr Verhältnis zu konkurrierenden bestehenden Völkerrechtsakten auf der Grundlage dieser allgemeinen Grundsätze konkret und betonen insbesondere rechtsaktbezogen den Vorrang bestehender Staatsverträge. Verhandlung und Abschluss völkerrechtlicher „Neuverträge“ im Bereich des europäischen Kollisionsrechts fallen dagegen unter die Ägide der EU. Mit Ausübung ihrer Binnenkompetenz durch die Verabschiedung von IPRVerordnungen erhält sie auch die Außenkompetenz für die unionsrechtlich geregelten Bereiche (AETR-Doktrin,130 Art. 216 Abs. 1 Alt. 4 i. V. m. Art. 3 Abs. 2 Alt. 3 AEUV). Mit dem Kompetenzübergang ist das völkerrechtliche Tätigwerden nicht mehr Aufgabe der Mitgliedstaaten, sondern der EU (vgl. Art. 216 Abs. 1 AEUV). Sie kann – sofern dies völkerrechtlich möglich ist – selbst Mitglied Internationaler Organisationen werden und sich an bi- und multilateralen Konventionen beteiligen; im Bereich des IPR findet eine solche Tätigkeit der EU im Rahmen der Haager Konferenz seit geraumer Zeit statt. Von der EU selbst abgeschlossene Staatsverträge werden Teil des Unionsrechts und binden die europäischen Institutionen und die EU-Mitgliedstaaten (Art. 216 Abs. 2 AEUV).131 Sollten genuin europarechtliche Normen zu ihnen im Widerspruch stehen, genießen die staatsvertraglichen Regeln (Anwendungs-)Vorrang (Art. 27 WVK). Allerdings ist die EU nicht in allen Fällen völkerrechtlich handlungsfähig – wenn eine Konvention nur Staaten offensteht, kann die EU sich nur indirekt durch ihre Mitgliedstaaten daran beteiligen. Wenn sie diese zum Vertragsschluss „in the interest of the union“ ermächtigt bzw. auffordert, soll die resultierende Konvention – zumindest, wenn alle Mitgliedstaaten an ihr beteiligt sind – wie ein von der EU selbst geschlossener Vertrag behandelt werden.132 127 Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 57; Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 321; Mankowski in Leible / Ruffert, 235, 247 f.; skeptisch Franzina in: von Hein /  Kieninger / Rühl, 19, 29 f. 128 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 27 f. 129 Zur Anwendung dieser Pflicht im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen eher zurückhaltend Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 19 ff. 130 EuGH 31.3.1971 – 22/70, Kommission ./. Rat „AETR“, Rn. 17 ff; EuGH 5.11.2002 – C-467/98, Kommission ./. Dänemark „Open Skies“, Rn. 77; EuGH 4.5.2010 – C-533/08, TNT Express Nederland, Rn. 38. – Zur Außenkompetenz der EU im Überblick Trüten 222 ff. 131 EuGH 10.1.2006 – C-344/04, The Queen ex parte IATA, Rn. 36 m. w. N.; Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 53 f.; Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 27. 132 Die Details sind streitig, vgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 25 f. m. w. N., 30 f. – Auch vor dem Kompetenzübergang auf die Union durch alle Mitgliedstaaten

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

Eng verwoben mit der staatsvertraglichen Bindung der EU ist die Frage nach der Auslegung völkerrechtlicher Rechtsakte im europäischen Kontext. Der völkerrechtliche Ansatz, die Auslegung von Konventionen den einzelnen Vertragsstaaten zu überlassen, gerät ins Wanken, wenn daran Staatenverbünde direkt oder über ihre Mitgliedstaaten beteiligt sind. Insbesondere bedeutet die Betrachtung von der EU selbst abgeschlossener Staatsverträge als Teil des Unionsrechts, dass sie als europäisches Recht der Auslegungskompetenz des EuGH unterstellt werden.133 Kollisionsrechtliches Paradebeispiel ist das HUP, das durch Beitritt der EU und Inbezugnahme in Art. 15 UnthVO in das Europarecht integriert wurde.134 Zunehmend wird inzwischen auch für die Verträge, an denen sich (alle) Mitgliedstaaten im Interesse der Union beteiligen, eine Auslegung durch den EuGH befürwortet.135 Rein durch die Mitgliedstaaten abgeschlossene Staatsverträge sind dagegen der Auslegung durch den EuGH nicht zugänglich;136 allerdings können Entscheidungen des EuGH zu mit diesen Konventionen in Verbindung stehenden europäischen Normen ergehen und eine gewisse Reflexwirkung entfalten.137 Diese partielle Entscheidungszuständigkeit des EuGH ist durchaus problematisch. Denn seine Entscheidungen im Rahmen von Vorlageverfahren binden nur die Mitgliedstaaten – die Interpretation durch den EuGH soll nur die einheitliche Anwendung des EU-Rechts in der gesamten Union sicherstellen. Für die übrigen Vertragsstaaten kommt ihr als persuasive authority durchaus erhebliche Orientierungsfunktion,138 aber keine verbindliche Wirkung zu. Damit kann eine europäisch-autoritative Lesart völkerrechtlicher Verträge zwar zur wünschenswerten einheitlichen Auslegung der Konventionen beitragen. Dabei droht jedoch – insbesondere, weil es an einem „Gegengewicht“ in Gestalt einer anderen, ähnlich wirkmächtigen supranationalen Auslegungsinstanz fehlt – die Gefahr eines eurozentrierten Auslegungsübergewichts. Diese Dysabgeschlossene Verträge können für die EU verbindlich werden (doctrine of functional succession), was für kollisionsrechtliche Staatsverträge bisher (und wohl auch künftig) allerdings nicht relevant ist, siehe Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 23 f. m. w. N., 27. 133 EuGH 30.4.1974 – 181/73, Haegeman, Rn. 4 ff. – Für das Kollisionsrecht (zum HUP) EuGH 7.6.2018 – C-83/17, KP, Rn. 22 ff. 134 BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 22 f.; NK-BGB / Gruber vor Art. 1 HUP Rn. 14; Rauscher / Andrae Art. 15 UnthVO Rn. 23 ff. – Der EuGH hat bereits mehrfach zur Auslegung des Art. 4 HUP entschieden: EuGH 7.6.2018 – C-83/17, KP (dazu Arnold / Zwirlein-Forschner GPR 2019, 262, 270) sowie EuGH 20.9.2018 – C-214/17, Mölk. 135 Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 59; Franzina in: von Hein / Kieninger /  Rühl, 19, 31. – Zurückhaltend noch Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 148 f. 136 EuGH 27.11.1973 – 130/73, Vandeweghe, Rn. 2. – Basedow in: von Hein / Kieninger /  Rühl, 53, 59 f. plädiert allerdings für eine europäische Auslegungskompetenz für „Altverträge“ der Mitgliedstaaten nach einem Kompetenzübergang auf die EU. 137 Vgl. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 60. 138 Für das materielle Einheitsrecht Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 47.

III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit

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balance kann sich entweder dauerhaft zu Lasten drittstaatlicher Interpretationslinien und -interessen auswirken oder aber zu aktivem Widerstand seitens drittstaatlicher Vertragspartner139 und damit schlimmstenfalls zur gespaltenen Auslegung völkerrechtlicher Kollisionsrechtsakte führen. III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit

Das heutige Kollisionsrecht präsentiert sich in Europa zunehmend als unübersichtliche Gemengelage über drei Regelungsebenen verteilter Rechtsakte. Die traditionellen nationalen Gesamtsysteme werden nicht mehr nur punktuell durch bi- oder multilaterale Staatsverträge ergänzt, sondern in wesentlichen Gebieten durch europäische Kollisionsrechtsverordnungen verdrängt. Die Europäisierung geht weit über die bisherige, völkerrechtliche Harmonisierung hinaus:140 Die mit eigener Rechtsetzungskompetenz ausgestattete EU hat den Anspruch, sich über ihre für die Mitgliedstaaten verbindliche unionale IPRGesetzgebung hinaus auch auf globaler Ebene prägend an der Kollisionsrechtsvereinheitlichung zu beteiligen. Galt das 20. Jahrhundert in der Kollisionsrechtsentwicklung als jenes der Staatsverträge, steht im 21. Jahrhundert nunmehr die EU im Zentrum. Ihre Aktivität zur Harmonisierung des IPR hat innerhalb kurzer Zeit eine neue Regelungsebene geschaffen, die das bisherige, vergleichsweise einfache Modell aus grundsätzlich nationalen Anknüpfungsregeln mit gelegentlichen staatsvertraglichen Zusätzen aufsprengt. Das Zusammenspiel der verschiedenen Regelungsebenen ist bislang noch nicht umfassend untersucht worden. Das (von vornherein begrenzte) wissenschaftliche Interesse am vergleichsweise unkomplizierten Verhältnis von nationalem und völkerrechtlichem Kollisionsrecht141 ist in den vergangenen Jahren zugunsten der Befassung mit der Europäisierung in den Hintergrund getreten. Im Hinblick auf das EU-IPR ist naturgemäß der Großteil der Aufmerksamkeit auf die Ablösung mitgliedstaatlicher durch europäische Anknüpfungsregeln gerichtet worden. Dabei werden die (Neu-)Regelungen jedes Rechtsaktes und ihre Konsequenzen intensiver Betrachtung unterzogen, auch und vor allem aus der jeweiligen Perspektive der einzelnen nationalen Rechtsordnungen: Die schrittweise Überführung einzelner KollisionsrechtsVgl. Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 47 f. Vgl. bereits Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 187; Czepelak ERPL 2010, 705, 719, 724. – Brand in: Spoon / Ringe, 1, 2, 5 ff. sieht im EU-IPR sogar bereits ein föderalistisches System mit größerer Kohärenz als jenes der USA. – Zur erheblichen politischen Dimension der Rolle der EU Mills in: Franzina, 101, 101 ff.; zu den Einflüssen des europäischen Integrationsprozesses auf regionale und internationale Beziehungen Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 49 ff. 141 Vgl. die Beiträge in Leible / Ruffert (Hg.), etwa zu historischen Verbindungen der Rechtsgebiete (Jayme in: Leible / Ruffert, 23, 23 ff.) und zur Methodik (Schurig in: Leible /  Ruffert, 55, 55 ff.). 139 140

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

bereiche auf die europäische Ebene geht mit einer primär auf die jeweils aktuell geplanten und verabschiedeten Rechtsakte konzentrierten Debatte einher. Grundlegende, rechtsakt- und rechtsordnungsübergreifende Analysen der Auswirkungen der Europäisierung auf das mitgliedstaatliche Recht fehlen jedoch bisher weitgehend.142 Dabei fallen die Reaktionen auch innerhalb ein und derselben Rechtsordnung durchaus unterschiedlich aus: Die dem EU-IPR benachbarten Kollisionsregeln werden teils unverändert beibehalten, teils mit Blick auf die europäischen Regelungen modifiziert und teils vollständig an das EU-Kollisionsrecht angeglichen. Als Extreme sind einerseits die gänzliche Aufhebung (vermeintlich) durch europäische Regelungen abgelöster nationaler Anknüpfungsregeln, andererseits die Schaffung neuer genuin nationaler Kollisionsregeln, in einigen Mitgliedstaaten, wie der Tschechischen Republik oder Kroatien, sogar eine vollständige Neukodifikation des (verbliebenen) mitgliedstaatlichen IPR, zu verzeichnen. Der Interaktion zwischen EU-IPR und Kollisionsregeln völkerrechtlicher Genese ist nur äußerst begrenztes Interesse zu Teil geworden.143 Abgesehen von allgemeinen Fragen der Außenkompetenz der EU und ihrer Betätigung als völkerrechtliche Akteurin konzentrieren sich die vorhandenen Analysen – häufig aus Sicht einzelner Mitgliedstaaten – auf bestimmte Rechtsakte.144 Auch die erste und bisher einzige übergreifend-vergleichende Studie zum Verhältnis neuer europäischer zu bereits vorhandenen staatsvertraglichen Regelungen musste sich auf einen einzigen Kollisionsrechtsakt (die ErbVO) beschränken.145 Erste grundlegende, systematisierende Überlegungen zum Zusammenwirken europäischer und weltweiter Vereinheitlichungsbestrebungen hat Franzina angestellt,146 der sich allerdings vordringlich auf das IZVR bezieht. Dass es kaum „Übergreifendes“ zur Interaktion der europäischen Anknüpfungsregeln mit jenen anderer Regelungsebenen gibt, ist auffällig. Es steht jedoch im Einklang mit der vorherrschenden Herangehensweise an das EUIPR: Der Fokus wird entweder – auch ebenenübergreifend – auf die ImpleSiehe die Ansätze in den (meist jedoch auf bestimmte Rechtsgebiete fokussierten) Beiträgen von Coester-Waltjen FamRZ 2013, 170, 170 ff.; Heindler ZfRV 2019, 264, 264 ff.; Henrich in: FS Spellenberg, 195, 195 ff.; R. Wagner ZfRV 2019, 275, 275 ff. – Einen (ersten) vergleichenden Überblick über Integrationsstrategien und Interaktionshindernisse präsentiert Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 61 ff. 143 Vgl. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 57. – Eine frühe Befassung mit der Thematik unternimmt Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 129 ff.; grundlegend auch de Miguel Asensio / Bergé in: Fallon / Lagarde / Poillot-Perruzzetto, 185, 185 ff. 144 Beispielsweise hat das Verhältnis zwischen dem deutsch-türkischen Nachlassabkommen und der ErbVO in der deutschen Literatur verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. 145 Dutta / Wurmnest (Hg.), European Private International Law and Member State Treaties with Third States. The Case of the European Succession Regulation, 2019. 146 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 26 ff.; Franzina in: Franzina, 183, 190 ff. 142

III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit

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mentierung und Wirkung einzelner Rechtsakte gerichtet oder aber – auf eine Regelungsebene beschränkt – Systembildungsfragen nur bezogen auf das europäische Kollisionsrecht untersucht. Angesichts der existierenden und weiter wachsenden Vielzahl an IPR-Verordnungen sowie der Bestrebungen nach stärkerer Kohärenz innerhalb der europäischen Ebene erweist sich diese Betrachtungsweise aber als unzureichend. Jede sinnvolle Strategie zur weiteren Entwicklung des EU-IPR muss vielmehr auch sein Verhältnis zu den anderen Regelungsebenen umfassend in den Blick nehmen. Ein klares Modell für das Zusammentreffen universeller, regionaler und bilateraler Geltungsansprüche ist zur Bewältigung der derzeitigen Konstellationen, vor allem aber als Grundlage weiterer Kollisionsrechtsvereinheitlichung – sei es auf europäischer oder auf globaler Ebene – erforderlich.147 Der Zeitpunkt dafür ist ebenso günstig wie drängend. Nach gut einer Dekade praktischer Arbeit mit europäischen Anknüpfungsregeln liegen hinreichend Erfahrungen für eine Analyse ihrer Wirkungen vor. Daneben ist auf der einen Seite das EU-IPR mit der bereits erfolgten Europäisierung weiter und gewichtiger Teile des Kollisionsrechts so weit etabliert, dass der Übergang von einer punktuellen zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise seiner Beziehungen zu anderen Regelungsebenen geboten ist. Auf der anderen Seite herrscht derzeit in der EU eine gewisse Ruhe hinsichtlich neuer kollisionsrechtlicher Gesetzgebungsvorhaben, gleichzeitig rückt – beflügelt auch durch den Brexit – die weltweite Harmonisierung auf völkerrechtlichem Wege (wieder) stärker auf die europäische Agenda.148 Diese Situation ist ausgezeichnet geeignet, um eine Bilanz der bisherigen, eher fragmentarischen Entwicklungen zu ziehen und daraus Grundsätze für die künftige europäische, mitgliedstaatliche und staatsvertragliche Betätigung abzuleiten. Nur auf dieser Grundlage lässt sich das derzeitige gewachsene Mehrebenensystem des IPR zu einem kohärenten, effizienten und zukunftstauglichen Modell weiterentwickeln. Hier setzt diese Arbeit an: Ihr Ziel ist es, das Zusammenspiel des EU-IPR mit den traditionellen Regelungsebenen des mitgliedstaatlichen und des staatsvertraglichen Kollisionsrechts übergreifend zu beleuchten und Optionen für seine künftige Gestaltung aufzuzeigen. Insbesondere ist zu untersuchen, ob das ursprünglich zugrunde gelegte Modell einer schrittweisen und auf einzelne Rechtsakte begrenzten europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung sich bewährt hat oder ob es – im Hinblick auf die wachsende Zahl an europäischen Rechtsakten und die Reichweite ihrer Einflüsse auf das nationale und staatsvertragliche Recht – durch einen anderen Ansatz abzulösen ist. Im Zentrum der Analyse des status quo steht daher die Frage, welche Auswirkungen die Europäisierung auf das nationale und das völkerrechtliche IPR bereits zeitigt, ob Vgl. Bereits Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 34. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 44, 48 f.; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2018, 121, 121 („Morgenstunde der Staatsverträge?“). 147 148

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

und inwieweit ihre Effekte über den begrenzten Anwendungsbereich der Verordnungen hinaus einen „Kollateralschaden“ verursachen und wie dominant die Position des formell klar eingegrenzten EU-IPR tatsächlich ist. Die Reaktionen der anderen Regelungsebenen auf die Schaffung einzelner europäischer Kollisionsrechtsakte lassen sich in direkte und indirekte Einflüsse unterteilen. Die unmittelbare Wirkung des EU-IPR (dazu Teil II) betrifft primär die Koordination der europäischen Rechtsakte mit anderen Ebenen entstammenden Regelungen: Wo beansprucht das europäische Kollisionsrecht (vorrangige) Geltung, wo nimmt es sich zugunsten anderer Regelungsebenen zurück? Aufgrund des universellen Geltungsanspruchs der europäischen Anknüpfungsregeln als loi uniforme ist Ausgangspunkt der sachliche Anwendungsbereich der Verordnungen und ihre Abgrenzung gegenüber anderen Rechtsakten. Konkurrenzen mit dem mitgliedstaatlichen Recht sind durch den Vorrang des Unionsrechts klar geregelt – um so wichtiger ist hier die eindeutige Zuweisung von Grenzfragen sowie rechtspolitisch heiklen Entscheidungen zur einen oder anderen Ebene. Im Verhältnis zum Völkerrecht sind zunächst die zahlreichen sich potentiell mit dem EU-IPR überschneidenden Rechtsinstrumente und ihre jeweilige Reichweite zu identifizieren; in Ermangelung einer prinzipiellen Hierarchie sind die im Verhältnis der über einzelstaatliche Regelungen hinausreichenden Ebenen zum Einsatz kommenden Kooperations- und Koordinationsmechanismen zu untersuchen. Die Analyse des status quo der miteinander verwobenen Regelungsebenen erlaubt Rückschlüsse auf die Einpassung des „Newcomers“ EU-IPR in die vorhandenen Strukturen und die Reichweite seiner Ansprüche zulasten anderer Instrumente. Darüber hinaus bedeutet die Europäisierung jedoch auch mittelbare Wirkungen auf das nationale und staatsvertragliche Kollisionsrecht (dazu Teil III). Die Regelungen der einzelnen europäischen Verordnungen stehen nicht isoliert, sondern interagieren vor allem in ihren Grenz- und Randbereichen mit einem noch nicht europäisierten Umfeld. Damit müssen auch prima facie unberührt bleibende Anknüpfungsregeln auf anderen Regelungsebenen zunehmend im Kontext des EU-IPR angewendet und vor dem Hintergrund der rechtspolitischen Ansprüche der EU weiterentwickelt werden. Dem nationalen IPR bleibt zunächst die Schließung der Lücken im Anwendungsbereich der europäischen Verordnungen überlassen. Gleichzeitig kann die Überführung einzelner Kollisionsrechtsbereiche auf die europäische Ebene Anpassungsbedarf bei benachbarten, national verbliebenen Regeln auslösen: Die notwendige Kompatibilität der gemeinsam anzuwendenden Regelungen kann nur auf nationaler Ebene geschaffen werden, muss sich jedoch inhaltlich am vorrangigen EU-Recht orientieren. Auch die unverändert fortgeltenden völkerrechtlichen Rechtsakte müssen nunmehr zunehmend nicht mehr mit den nationalen Kollisionsregeln, vor deren Hintergrund sie geschaffen wurden, sondern mit den europäischen Anknüpfungsregeln zusammenwirken – was praktische Fragen und erhebliches Reibungspotential aufwirft. Darüber hi-

III. Zielsetzung und Inhalt der Arbeit

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naus ist jeweils der Blick für die rechtspolitischen Konsequenzen der Rolle und der Regelungsansprüche der EU für das künftige nationale und staatsvertragliche Kollisionsrecht zu öffnen. Das mitgliedstaatliche IPR ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Primärrechts inhaltlich und methodisch zunehmend dem Einfluss der europäischen Grundfreiheiten ausgesetzt, die neben den kollisionsrechtlichen Verordnungen eine zweite Einflusslinie der Europäisierung bilden. Für das Völkerrecht bedeutet die Kompetenzübertragung auf die EU das Hinzutreten eines neuartigen Akteurs, das für die Reform bestehender und die Schaffung neuer Staatsverträge die Machtverhältnisse wesentlich verschiebt. Die Untersuchung dieser mittelbaren Auswirkungen der europäischen Harmonisierung erlaubt die Beantwortung der Frage, inwieweit rechtstechnisch und rechtspolitisch eine Weiterentwicklung nationaler und staatsvertraglicher Kollisionsregeln unabhängig vom EU-IPR überhaupt noch möglich ist. Anhand dieser Erkenntnisse kann kritisch hinterfragt werden, ob die derzeitige gewachsene, wenig systematische Struktur des Zusammenwirkens der verschiedenen Regelungsebenen befriedigend und für die Zukunft tragfähig ist (dazu Teil IV). Zentral ist dabei die künftige Orientierung des EU-IPR gegenüber nationalen und staatsvertraglichen Kollisionsregeln, auf die bei seiner Weiterentwicklung verstärktes, umfassendes Augenmerk zu richten ist. Die Verantwortung für eine gelungene Interaktion der Ebenen liegt primär auf der europäischen Ebene, die als neu hinzutretender Faktor die Verwerfungen im Mehrebenensystem ausgelöst und sich gleichzeitig binnen kurzer Zeit als tonangebend etabliert hat. Insofern ist in Überlegungen zur weiteren europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung zwingend auch die Gestaltung des Verhältnisses des EU-IPR zu bestehenden und künftigen mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln einzubeziehen und die unmittelbaren und mittelbaren Folgen zu berücksichtigen. Dabei gibt es nicht den einen Königsweg. In dieser Arbeit werden vielmehr grundsätzliche Handlungsoptionen für europäische und nationale Gesetzgeber skizziert und im Rahmen der weiteren Europäisierung vertieft zu erforschende Fragestellungen identifiziert – in der Hoffnung, dass auf dieser Grundlage langfristig ein systematisiertes und ausbalanciertes Zusammenspiel der verschiedenen Regelungsebenen entsteht. Der Untersuchungsgegenstand ist auf das aktuelle EU-IPR in Verordnungsform beschränkt. Vorläufermodelle in Gestalt von Staatsverträgen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bleiben ebenso außer Betracht wie die aussterbende Gattung des Richtlinienkollisionsrechts. Ausgeklammert wird dabei die Europäische Insolvenzverordnung,149 deren Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, Abl. 2000 L 160, 1; Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung), Abl. 2015 L 141, 19. 149

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Teil I: § 1 – Der Weg zum Mehrebenensystem

begrenzter internationalprivatrechtlicher Gehalt eine nur untergeordnete Rolle spielt. Eine umfassende Einbeziehung des Internationalen Zivilverfahrensrechts in die Analyse würde deren Rahmen sprengen – nur am Rande kann daher gelegentlich ein Blick auf diese verwandte Thematik geworfen werden. Methodisch muss sich die Arbeit hinsichtlich der en détail vorzunehmenden Analysen auf exemplarische Aspekte beschränken. Das Zusammenwirken von europäischem und nationalem bzw. staatsvertraglichem Kollisionsrecht wird anhand einer Auswahl prominenter, aktueller Konstellationen untersucht und verdeutlicht. Diese konzentrieren sich auf das Internationale Familienund Erbrecht, das derzeit und für die absehbare Zukunft im Zentrum der kollisionsrechtlichen Aufmerksamkeit in Europa steht und in seinen Beziehungen zu mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln und hinsichtlich seiner weiteren Entwicklung drängende Fragen aufwirft. Aus den Erkenntnissen zu diesen repräsentativen Beispielen können generelle Tendenzen und größere Linien abgeleitet werden. Insbesondere sollen bisher auf einzelne Rechtsinstrumente bezogene Erkenntnisse auf ihre Verallgemeinerbarkeit geprüft und damit die Perspektive von der rechtsaktbezogenen Betrachtung auf die Zusammenschau des EU-IPR als Gesamtheit geöffnet werden. Bei der Betrachtung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts wird schließlich das deutsche Recht als primäre nationale Referenzrechtsordnung zugrunde gelegt und durch Hinweise auf andere mitgliedstaatliche Rechtsordnungen ergänzt.

Teil II

Konturen des EU-Kollisionsrechts – Abgrenzung der EU-Rechtsakte vom mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen IPR Teil II: Konturen des EU-Kollisionsrechts

Das europäische IPR ist als „Newcomer“ zu den traditionellen Regelungsebenen des nationalen mitgliedstaatlichen Rechts und des Völkerrechts getreten. Die praktisch wie theoretisch fundamentale Abgrenzung der einzelnen Rechtsinstrumente voneinander und die Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander ist damit deutlich komplexer geworden. Die Grundregel, dass supra- und internationale Rechtsakte ihren Anwendungsbereich selbst festlegen und in diesem vorrangig anwendbar sind, während im Übrigen das nationale Kollisionsrecht maßgeblich bleibt, lässt zahlreiche Fragen offen. Die Reichweite der Überlagerung bzw. Ablösung bestehender nationaler Anknüpfungsregeln durch neue europäische Kollisionsnormen ist gerade in den Randbereichen der EU-IPR-Verordnungen nicht immer eindeutig bestimmt, im Verhältnis auf europäischer und staatsvertraglicher Ebene konkurrierender Rechtsakte fehlt es bereits an einer grundsätzlichen Hierarchie. Zudem sind die Grenzlinien und Interaktionen zwischen den Regelungsinstrumenten und -ebenen anders als noch vor wenigen Jahren heute in stetigem Fluss, da sich das bislang auf einzelne, voneinander unabhängige Verordnungen beschränkte europäische IPR einerseits rechtsaktbezogen und schrittweise, andererseits aber dynamisch und rasch weiterentwickelt. Insofern ist im Hinblick auf das EU-Kollisionsrecht immer nur eine Momentaufnahme des aktuellen Stands möglich, sein wachsender Korpus und seine immer detailliertere Ausformung lassen inzwischen jedoch feste Tendenzen und größere Linien erkennen. Grundlegend ist daher zu untersuchen, wie die bereits existenten europäischen Kollisionsrechtsverordnungen ihren Anwendungsbereich festlegen und sich im Verhältnis zum nationalen IPR einerseits und zum staatsvertraglichen IPR andererseits positionieren. In einem ersten Schritt wird identifiziert, welchen Raum das EU-IPR beansprucht und welche Grenzen es sich zugunsten des mitgliedstaatlichen und des staatsvertraglichen IPR selbst steckt (dazu § 2). Anschließend werden die Schwierigkeiten seiner Auskonturierung gegenüber dem mitgliedstaatlichen und dem völkerrechtlichen IPR detaillierter untersucht. Im Verhältnis zum national verbleibenden IPR stellt die exakte Grenzziehung insbesondere vor Probleme, wenn Zuordnungsfragen im Rahmen der europäischen Kollisionsrechtsakte anders als nach dem bisherigen mitgliedstaatlichen Verständnis beantwortet werden – durch europäisch-auto-

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nome Qualifikationsentscheidungen kann einerseits der Zuschnitt der erfassten Statute erweitert werden, andererseits bleiben manche Fragen ausgeklammert (dazu § 3). Gegenüber dem Völkerrecht stellt zunächst die Ermittlung des Bestands zu beachtender Staatsverträge eine praktische Herausforderung dar, anschließend sind die unterschiedlichen von europäischer Seite ins Spiel gebrachten Koordinationsmechanismen zu beleuchten (dazu § 4). Zusätzlich ist ein kurzer Blick auf die intertemporalen Aspekte der Überführung einzelner Kollisionsrechtsbereiche auf die EU-Ebene zu werfen (dazu § 5). Aufbauend auf den zu den Schwierigkeiten bei der Grenzziehung und den Reibungen an Schnittstellen gewonnenen Erkenntnissen können die darüber hinaus gehenden Auswirkungen der partiellen Europäisierung des Kollisionsrechts untersucht werden. Gleichzeitig erlauben sie erste Schlüsse auf das Selbstverständnis und die Entwicklungsdynamik des EU-IPR.

§ 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

Jede europäische Verordnung zum Kollisionsrecht muss ihren eigenen Anwendungsbereich festlegen. Für eine klar definierte Reichweite spricht zunächst das praktische Bedürfnis einer Abgrenzung gegenüber dem weiterbestehenden Kollisionsrecht sowohl nationaler als auch staatsvertraglicher Genese und zunehmend auch der europäischen Verordnungen untereinander. Eindeutige, selbstgesteckte Grenzen sind vor allem im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, aber auch aus unionsrechtlicher Sicht erforderlich. Solange die Kollisionsrechtsvereinheitlichung in Europa durch die Verabschiedung einzelner, sachlich begrenzter Rechtsakte erfolgt, die als unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltende Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV) für ihren Bereich das nationale Recht ablösen, muss klar bestimmt werden, wie weit dieser Anwendungsvorrang reicht – denn alles, was nicht von einer europäischen Regelung erfasst wird, bleibt dem mitgliedstaatlichen Recht zugewiesen. Auch aus Kompetenzgründen ist, da die Kollisionsrechtsharmonisierung auf verschiedene Kompetenzgrundlagen mit unterschiedlichen Anforderungen gestützt werden kann und muss, ein klares Bekenntnis zur Reichweite der einzelnen Verordnungen nötig. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich erweist sich dabei als unproblematisch. Zum einen gelten die IPRVerordnungen unmittelbar in allen (teilnehmenden) Mitgliedstaaten, sodass einzig klarzustellen ist, welche Staaten aufgrund von Ausnahmeregelungen nicht beteiligt sind bzw. an der Verstärkten Zusammenarbeit (noch) nicht partizipieren (vgl. z. B. Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO). Zum anderen finden die europäischen Anknüpfungsregeln als lois uniformes universelle Anwendung auf alle durch mitgliedstaatliche Organe zu entscheidenden Sachverhalte

I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich

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(Art. 2 Rom I-VO, Art. 3 Rom II-VO, Art. 4 Rom III-VO, Art. 20 ErbVO, Art. 20 GüVO / PartVO, Art. 3 AbtrVO-E; auch das HUP ist universell anwendbar [Art. 2 HUP]).1 Der zeitliche Anwendungsbereich wird in den Verordnungen ebenfalls klar und inhaltlich mehr oder weniger zufriedenstellend geregelt (siehe § 5, S. 247 ff.). Den mit Abstand größten Raum nimmt der sogleich zu skizzierende sachliche Anwendungsbereich ein, zu dem die einzelnen Verordnungen jeweils vergleichsweise ausführliche Regelungen enthalten; im Interesse einer konsistenten Anwendung des EU-IPR sind diese rechtsaktübergreifend auszulegen.2 Der Grundmechanismus für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs des EU-IPR ist denkbar einfach: Bereits in seinem Titel legt jedes Rechtsinstrument grundsätzlich fest, welche kollisionsrechtlichen Gebiete es regelt. Deren Grenzen werden durch detaillierte Regelungen im jeweiligen Kapitel I „Anwendungsbereich“ der Verordnungen sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht näher umrissen. Das EU-IPR erklärt zunächst explizit, für welche Fragen es Anwendung beansprucht (dazu I.). Gleichzeitig nehmen die europäischen IPR-Verordnungen ihren Anwendungswillen aber auch zurück: Bereichsausnahmen regeln einerseits die Abgrenzung des jeweiligen Rechtsakts gegenüber anderen (national, staatsvertraglich oder europäisch geregelten) Kollisionsrechtsbereichen und klammern andererseits bestimmte Einzelfragen bewusst und ausdrücklich von seinem Anwendungsbereich aus (dazu II.). Bedeutung entfaltet dies vor allem im Verhältnis zum mitgliedstaatlichen Recht, das (nur) im sachlichen Anwendungsbereich der europäischen Kollisionsregeln durch diese verdrängt wird; die Bestimmung der Reichweite des EU-IPR ist durch dieses komplementäre Verhältnis immer auch hierarchisch geprägt. Ihr Verhältnis zum völkerrechtlichen IPR thematisieren die Kollisionsrechtsverordnungen dagegen insbesondere in ihren abschließenden Regelungen. Bestehenden multi- und bilateralen Staatsverträgen der Mitgliedstaaten wird durch Rücksichtnahmeklauseln Rechnung getragen, die für den zwischenmitgliedstaatlichen Bereich jedoch modifiziert werden (dazu III.). Mit Hilfe dieser Regelungen bestimmt das EU-IPR seinen grundsätzlichen Standpunkt im Verhältnis zu den anderen Regelungsebenen. I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich

Grundlegender Ausgangspunkt für die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs der europäischen Kollisionsregeln ist stets die erste Norm der 1 Die universelle Anwendung des EU-Kollisionsrechts wird heute kaum noch ernstlich bezweifelt, vgl. z. B. Domej in: von Hein / Rühl, 90, 90 f. 2 Vgl. nur Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 41 ff. – Zur autonomen, rechtsaktübergreifenden Interpretation der europäischen Rechtsakte allgemein Garcimartín Alférez in: FS van Loon, 169, 169 ff.

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IPR-Verordnungen. Die Titel der Rechtsakte werden, teils leicht modifiziert bzw. präzisiert, in einer einleitenden „Meta-Kollisionsnorm“3 ganz zu Beginn des jeweiligen Normtextes, nämlich im jeweils ersten Absatz der ersten Norm, wieder aufgegriffen und umreißen grob dessen Anwendungsbereich. So erfasst die Rom I-VO „vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO), die Rom II-VO dagegen komplementär dazu „außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen“ (Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO).4 Im Bereich des Familienrechts betrifft die Rom III-VO „die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“ (Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO),5 die ErbVO befasst sich mit der „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 ErbVO)6 und die güterrechtlichen Verordnungen erfassen „die ehelichen Güterstände“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GüVO) bzw. „die Güterstände eingetragener Partnerschaften“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 PartVO).7 Art. 1 Abs. 1 UnthVO umreißt deren Anwendungsbereich als „Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen“;8 für das Kollisionsrecht verweist Art. 15 UnthVO auf das HUP, das seinerseits Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 41. Siehe BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 17 ff.; Calliess /  Renner / M. Weller Art. 1 Rom I-VO Rn. 12 ff.; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 5 ff.; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 5 ff.; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 18 ff.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 2 ff.; NK-BGB / Knöfel Art. 1 Rom II-VO Rn. 3 ff. – Um den in Erw. 7 Rom I-VO und Erw. 7 Rom II-VO geforderten Einklang zwischen den Verordnungen untereinander und mit der EuGVVO herzustellen, wird der Begriff der „Zivil- und Handelssache“ autonom rechtsaktübergreifend ausgelegt, vgl. z. B. Calliess / Renner / Halfmeier Art. 1 Rom II-VO Rn. 23; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 4, 10 f.; Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 42 f.; auch die Abgrenzung zwischen „vertraglichen“ und „außervertraglichen Schuldverhältnissen“ erfolgt im Einklang mit dem europäischen IZVR (siehe bereits Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 44 ff.; zur Übertragbarkeit der früheren EuGH-Rechtsprechung auf die Rom I-VO siehe U. Magnus in: FS Coester-Waltjen, 555, 559 ff.). 5 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 33 ff.; Corneloup / Gössl /  Verhellen Art. 1 Rom III-VO Rn. 1.03 ff.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom IIIVO Rn. 1. – Ziel ist gemäß Erw. 10 Rom III-VO ein weitgehender Einklang mit dem Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO. – Zur Möglichkeit der entsprechenden Anwendung der Rom III-VO auf Eheauflösungen anderer Art siehe MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 17 f. 6 Die umgekehrt in den meisten anderen europäischen Rechtsakten zum Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht explizit ausgeklammert wird, vgl. MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 3 ff. 7 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 13 ff.; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 7 ff., Art. 1 PartVO Rn. 5 ff.; Viarengo / Franzina / Rodríguez Benot Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 1.02 ff. 8 BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 69 ff.; MüKoFamFG /  Lipp Art. 1 UnthVO Rn. 3 ff.; Rauscher / Andrae Art. 1 UnthVO Rn. 3 ff. 3 4

I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich

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seinen Anwendungsbereich parallel als „solche Unterhaltspflichten […], die sich aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben, einschließlich der Unterhaltspflichten gegenüber einem Kind, ungeachtet des Familienstands seiner Eltern“ (Art. 1 Abs. 1 HUP) definiert.9 Der Kommissionsvorschlag zum auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendenden Recht begrenzt seinen Anwendungsbereich vergleichsweise eng auf die „Drittwirkung einer Forderungsabtretung“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 AbtrVO-E). Eine feinere Abgrenzung des Anwendungsbereichs erfolgt sodann jeweils in negativer (dazu 1.) und positiver (dazu 2.) Hinsicht. 1. Grenzen des sachlichen Anwendungsbereichs Zunächst ist im Grunde selbstverständlich, dass die unionsrechtlichen internationalprivatrechtlichen (bzw. internationalverfahrens- und -privatrechtlichen) Verordnungen nur Anwendung finden sollen bzw. können, wenn der zu beurteilende Sachverhalt internationaler Natur ist. In den frühen Verordnungen wurde zwar das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhaltselements noch explizit als Voraussetzung ihres sachlichen Anwendungsbereichs genannt (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO, Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO, Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO: „die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“).10 Die neueren Rechtsakte (ErbVO, GüVO / PartVO) verzichten ebenso wie bereits die UnthVO auf eine ausdrückliche Nennung. Gleichwohl setzen sie einen grenzüberschreitenden Bezug stillschweigend voraus.11 Reine Binnensachverhalte fallen ohnehin nicht in die Legislativkompetenz der EU (vgl. Erw. 14 GüVO / PartVO). In Art. 1 Abs. 1 S. 1 AbtrVO-E findet die „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ demgegenüber wieder ausdrückliche Aufnahme – zu erklären ist dies mit der engen textlichen Orientierung des Verordnungsentwurfs an der Rom I-VO.

9 BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 26 ff.; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 2 ff.; Rauscher / Andrae Art. 1 HUP Rn. 1 ff. 10 Vgl. BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 46 f.; MüKo8 /  Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 24; NK-BGB / Leible Art. 1 Rom I-VO Rn. 17; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 29 f.; Calliess / Renner / Halfmeier Art. 1 Rom II-VO Rn. 19; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 9.; BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 83 ff.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom IIIVO Rn. 2; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 27 f. 11 Vgl. z. B. BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 9 ff. (mit Beispielen); Calvo Caravaca / Davì/Mansel / M. Weller Art. 1 ErbVO Rn. 1; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 61; Biemans / Schreurs RabelsZ 83 (2019), 612, 616 f. (ErbVO und InsVO); BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 11 f.; Iglesias Buigues /  Palao Moreno (GüVO) / Rodríguez Benot Art. 1 GüVO / PartVO 27 ff.; MüKo8 /  Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 2 ff., Art. 1 PartVO Rn. 2 f.; BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 58 f.; MüKoFamFG / Lipp Art. 1 UnthVO Rn. 71 ff.

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

Eine erste grobe Begrenzung des Anwendungsbereichs der kollisionsrechtlichen Verordnungen findet sich zumeist bereits in deren zweitem Satz: Von diesem ausgeschlossen werden jeweils ausdrücklich Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten (Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO; Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO; Art. 1 Abs. 1 S. 2 ErbVO; Art. 1 Abs. 1 S. 2 GüVO / PartVO; Art. 1 Abs. 1 S. 2 AbtrVO-E), die als öffentlich-rechtliche Angelegenheiten dem internationalen öffentlichen Recht zugewiesen werden.12 Die Rom III-VO und die UnthVO verzichten auf einen derartigen deklaratorisch-expliziten Ausschluss öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten, der sich für die Rechtsbereiche der Scheidung und des familienrechtlichen Unterhalts aber zum einen aus der Materie selbst, zum anderen der Position der Rechtsakte als Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen ergibt.13 Demgegenüber betont Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO ausdrücklich den Ausschluss eines weiteren Bereichs des öffentlichen Rechts, nämlich der Staatshaftung für acta iure imperii, vom Anwendungsbereich der Verordnung, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu privatrechtlichen außervertraglichen Schuldverhältnissen von vornherein zu vermeiden.14 Im Anschluss an diese allgemeine Trennung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Aspekte erfolgt die eigentliche Negativabgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Verordnungen: Der jeweils zweite Absatz des ersten Artikels der Verordnungen (mit Ausnahme der UnthVO) schließt in Form einer Negativliste bestimmte Rechtsfragen bzw. -bereiche eindeutig von deren Anwendungsbereich aus (dazu II.). 2. Europäische Inhaltsbestimmung Eine positive Konkretisierung der „Themenvorgabe“ eines weitgefassten Rechtsgebiets in Titel und Auftaktnorm der Verordnungen erfolgt dagegen Vgl. etwa MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 28; Rauscher / Unberath / Cziupka Art. 1 Rom II-VO Rn. 12 ff.; Bonomi / Wautelet / Bonomi Art. 1 ErbVO Rn. 6 ff.; MüKo8 /  Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 11 ff.; Corneloup/Égéa / Gallant / Jault-Seseke / Ancel Art. 1 GüVO Rn. 2. – Die Begrenzung des Anwendungsbereichs auf privatrechtliche Schuldverhältnisse betont auch das in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO und Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO normierte Erfordernis eines Schuldverhältnisses in „Zivil- und Handelssachen“, das acta iure imperii ausschließt, vgl. BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 20 ff. 13 BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 51 ff.; Rauscher / Andrae Art. 1 UnthVO Rn. 44 ff. – Auch das HUP erfasst nicht öffentlich-rechtliche Unterstützungsansprüche, sondern lediglich (aufgrund der Erweiterungsregel der Artt. 10, 11 lit. f) HUP) Regressansprüche des Staats gegen den primären Unterhaltsschuldner, vgl. BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 61 f.; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 3 f., 38 f. 14 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 15 ff.; Calliess /  Renner / Halfmeier Art. 1 Rom II-VO Rn. 24; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 12 f. – Sonnenberger IPRax 2011, 325, 327 plädiert für die Einbeziehung des völkerrechtlichen Verständnisses der Immunität bei der Auslegung dieses Begriffs. 12

I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich

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erst im weiteren Verlauf des Normtextes. Teils wird im Kontext der Begriffsbestimmungen der schlagwortartige Oberbegriff des Titels näher erläutert. Vor allem aber findet sich die eindeutige Zuordnung von Rechtsbereichen bzw. Rechtsfragen zum Anwendungsbereich der jeweiligen Verordnung bzw. des von ihr bestimmten Statuts in Form von Positivlisten. Diese sind, wie sich bereits aus dem Wortlaut „insbesondere“ (engl. „in particular“, frz. „notamment“) in Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 15 Rom II-VO, Art. 23 Abs. 2 ErbVO sowie Art. 5 AbtrVO-E bzw. „unter anderem“ (engl. „inter alia“, frz. „entre autres“) in Art. 27 GüVO / PartVO ergibt, nicht abschließend.15 Ihre Aufgabe ist es, gerade bei häufig auftretenden Rechtsfragen im Grenzbereich, die auch Verbindungen zu anderen Rechtsgebieten aufweisen, durch die eindeutige Zuweisung potentiellen Einstufungsproblemen vorzubeugen und damit Rechtssicherheit und Anwenderfreundlichkeit zu stärken. Dem Vertragsstatut zugeordnet sind gemäß Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO insbesondere die Vertragsauslegung (lit. a)), die Erfüllung der durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen (lit. b)), die Folgen einer Vertragsverletzung (lit. c)), das Erlöschen, die Verjährung und die Fristablaufsfolgen vertraglicher Verpflichtungen (lit. d)) sowie die Folgen der Vertragsnichtigkeit (lit. e)). Es erfasst also alle Vertragswirkungen, ebenso werden ihm der Vertragsschluss umfassend (Art. 10 Rom I-VO) und bestimmte Teile des Beweisrechts (Art. 18 Rom I-VO) zugewiesen.16 Auch die praktisch wenig relevante Ausnahme des Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO für die Erfüllungsmodalitäten stellt keine gesonderte Anknüpfungsregel dar, sondern ergänzt das Vertragsstatut lediglich.17 Komplementär dazu stellt die weite Definition des Schadensbegriffs in Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO, die neben den Folgen unerlaubter Handlungen auch die aus ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder culpa in contrahendo erfasst, klar, dass diese Rechtsgebiete (denen der weitere Verordnungstext jeweils wenigstens eine Kollisionsnorm widmet) der Rom II-VO unterstellt sind.18 Art. 15 Rom II-VO konkretisiert das in diesem Sinne weit verstandene Deliktsstatut durch die beispielhafte 15 Siehe z. B. Calliess / Renner / Augenhofer Art. 12 Rom I-VO Rn. 3; MüKo8 /  Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 3; MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 70; MüKo8 /  Junker Art. 15 Rom II-VO Rn. 6; Rauscher / Jakob / Picht Art. 15 Rom II-VO Rn. 5; BeckOGK / J. Schmidt (Stand 1.2.2022) Art. 23 ErbVO Rn. 6; Deixler-Hübner / Schauer /  Mankowski Art. 23 ErbVO Rn. 8; MüKo8 / Looschelders Art. 27 GüVO Rn. 1; Viarengo /  Franzina / Carruthers Art. 27 GüVO / PartVO Rn. 27.04; MüKo8 / Staudinger Art. 11 HUP Rn. 2; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 239. 16 BeckOGK / M. Weller (Stand 1.10.2020) Art. 12 Rom I-VO Rn. 2; MüKo8 /  Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 1 f. 17 BeckOGK / M. Weller (Stand 1.10.2020) Art. 12 Rom I-VO Rn. 45 ff.; MüKo8 /  Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 183 ff. – Kritisch zu dieser Regelung Rauscher / Freitag Art. 12 Rom I-VO Rn. 10 ff. 18 Vgl. MüKo8 / Junker Art. 2 Rom II-VO Rn. 3 ff.

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Aufzählung einiger ihm unterfallender Aspekte, etwa Haftungsbeschränkungen (lit. b)) und den Kreis der Anspruchsberechtigten (lit. f)).19 Dabei wird wie in der Rom I-VO das Beweisrecht teils dem Hauptstatut zugeordnet (Art. 22 Rom II-VO), ebenso Regressansprüche (Art. 20 Rom II-VO).20 Der dem Anwendungsbereich der ErbVO zugrundeliegende Begriff der „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ ist nach der Legaldefinition des Art. 3 Abs. 1 lit. a) ErbVO weit zu verstehen und umfasst jegliche Vermögensweitergabe von Todes wegen.21 Im Einklang mit dieser sehr weiten Auffassung unterstellt Art. 23 Abs. 1 ErbVO im Interesse der Rechtssicherheit und der Vermeidung von Abgrenzungsproblemen „die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen“ einem einheitlichen Erbstatut.22 Art. 23 Abs. 2 ErbVO formt dieses genauer aus, indem er nach dem Vorbild der Rom I-VO beispielhaft zentrale darunter fallende Aspekte auflistet (z. B. die Erbfähigkeit, lit. c), oder die Haftung für Nachlassverbindlichkeiten, lit. g)).23 Zu beachten sind allerdings die abweichenden Sonderanknüpfungen der Artt. 24 ff. ErbVO für die Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen;24 dabei definiert Art. 26 Abs. 1 ErbVO, welche Fragestellungen der materiellen Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen zuzuordnen und damit gesondert vom allgemeinen Erbstatut anzuknüpfen sind (u. a. die Testierfähigkeit, lit. a), und Willensmängel, lit. e)). Demselben Ansatz folgen die GüVO und die PartVO. Ihr sachlicher Anwendungsbereich wird durch die weitgefasste Legaldefinition des „ehelichen Güterstands“ (Art. 3 Abs. 1 lit. a) GüVO) bzw. der „güterrechtlichen Wirkungen einer eingetragenen Partnerschaft“ (Art. 3 Abs. 1 lit. b) PartVO) auf alle vermögensrechtlichen Regelungen zwischen den Ehegatten/Partnern und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der Ehe/Partnerschaft bzw. ihrer Auflösung erstreckt, unabhängig davon, ob sie auf einer vermögensrechtlichen Sonderordnung für einen bestimmten Güterstand beruhen oder für alle Ehen / Partnerschaften gelten und ob sie zwingend oder dispositiv sind.25 Wie BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 15 Rom II-VO Rn. 10 ff.; MüKo8 /  Junker Art. 15 Rom II-VO Rn. 7 ff.; Rauscher / Jakob / Picht Art. 15 Rom II-VO Rn. 5 ff. 20 MüKo8 / Junker Art. 15 Rom II-VO Rn. 6. 21 Bergquist et al./Frimston Art. 3 ErbVO Rn. 4 f.; MüKo8 / Dutta Art. 3 ErbVO Rn. 2. – Vgl. auch Erw. 9 ErbVO. 22 Vgl. BeckOGK / J. Schmidt (Stand 1.2.2022) Art. 23 ErbVO Rn. 2 ff. 23 Detailliert BeckOGK / J. Schmidt (Stand 1.2.2022) Art. 23 ErbVO Rn. 6 ff.; Iglesias Buigues / Palao Moreno (ErbVO) / Azcárraga Monzonís Art. 23 ErbVO 163 ff.; MüKo8 /  Dutta Art. 23 ErbVO Rn. 5 ff. 24 BeckOGK / J. Schmidt (Stand 1.2.2022) Art. 23 ErbVO Rn. 59 ff.; MüKo8 / Dutta Art. 23 ErbVO Rn. 2, 4. 25 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 2 f.; MüKo8 / Looschelders Art. 3 GüVO Rn. 4 f., Art. 27 GüVO Rn. 1, Art. 3 PartVO Rn. 3; NK-BGB / R. Magnus Art. 3 GüVO Rn. 2. 19

I. Positiver Anwendungswille: Sachlicher Anwendungsbereich

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das Erbstatut ist auch das Güterstatut des europäischen IPR einheitlich (Art. 21 GüVO / PartVO).26 Seine Reichweite konkretisiert die Aufzählung erfasster Bereiche in Art. 27 GüVO / PartVO, darunter die Haftung von Ehegatten / Partnern für Verbindlichkeiten des anderen (lit. c)) und die Wirkungen des Güterstands auf Rechtsverhältnisse mit Dritten (lit. f)).27 Im Unterhaltsrecht findet sich zwar in der hauptsächlich verfahrensrechtlichen UnthVO keine den europäischen Kollisionsverordnungen entsprechende Regelung. Das durch Art. 15 UnthVO in Bezug genommene HUP enthält jedoch eine vergleichbare Umschreibung der Reichweite des von ihm bestimmten Unterhaltsstatuts: Art. 11 HUP zählt nicht abschließend („insbesondere“) dem Unterhalt zuzuordnende Rechtsfragen auf, darunter u. a. den Umfang von Unterhalt für die Vergangenheit (lit. b)) oder die Erstattungspflichten gegenüber öffentlichen Einrichtungen (lit. f)).28 Daraus ergibt sich ein vergleichsweise großzügiger Anwendungsbereich für das Unterhaltsstatut. Einzig in der Rom III-VO sucht man Begriffsbestimmungen oder eine nähere Konkretisierung der Reichweite des Scheidungs- bzw. Trennungsstatuts vergeblich. Die Reichweite des Scheidungsstatuts wird, abgesehen von den in Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO verwendeten allgemeinen Begriffen „Ehescheidung“ und „Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“, nicht vorgegeben.29 Davon erfasst sein sollen neben der Zulässigkeit und Vollzugsform der Scheidung gemäß Erw. 10 Rom III-VO auch die Scheidungsgründe und -voraussetzungen.30 Zwar lässt sich argumentieren, dass das Scheidungsbzw. Trennungsstatut per se klarer als die von den anderen Verordnungen geregelten Fragen umrissen sei: Anders als etwa das Erb- oder Güterstatut ist es auf den (formellen) Akt der Auflösung der ehelichen Verbindung begrenzt, von dem über diese Statusfrage hinausgehende andere Rechtsfragen (insbesondere die gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom III-VO von deren Anwendungsbereich ausgeschlossenen vermögensrechtlichen Scheidungs- bzw. Trennungsfolgen) von vornherein eindeutig abgrenzbar sind. Allerdings divergieren die Auffassungen, welche der darüber hinaus gehenden Scheidungsfolgen gewissermaßen als „allgemeine Scheidungswirkungen“ ebenfalls unter das Scheidungsstatut zu subsumieren seien, in den EU-Mitgliedstaaten durchaus stark. Eine detailliertere Bestimmung seines Umfangs anhand einer konkreti26 MüKo8 / Looschelders Art. 21 GüVO Rn. 1; Viarengo / Franzina / Martiny Art. 21 GüVO / PartVO Rn. 21.01. – Vgl. auch Erw. 52 GüVO / Erw. 51 PartVO. 27 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 27 GüVO Rn. 1 ff.; Iglesias Buigues /  Palao Moreno (GüVO) / Rodríguez Sánchez Art. 27 GüVO / PartVO 262 ff.; MüKo8 /  Looschelders Art. 27 GüVO Rn. 3 ff., Art. 27 PartVO Rn. 3; Martiny ZfPW 2017, 1, 25 ff. 28 BeckOGK / Yassari (Stand: 1.12.2020) Art. 11 HUP Rn. 6 ff.; MüKo8 / Staudinger Art. 11 HUP Rn. 3 ff.; Rauscher / Andrae Art. 11 HUP Rn. 2 ff. 29 Siehe z. B. Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 90 ff. 30 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 50 ff.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 21; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 14 f.

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

sierenden Enumeration wie in allen anderen Verordnungen wäre nicht nur im Interesse der Klarheit und Einfachheit der Rechtsanwendung, sondern auch im Hinblick auf die Zuweisung zu unterschiedlichen Regelungsebenen (Scheidungsstatut: europäisches IPR, andere Scheidungsfolgen: autonomes IPR) sinnvoll und wünschenswert gewesen.31 Der AbtrVO-E orientiert sich eng am Vorbild der Rom I-VO: Art. 2 lit. c) AbtrVO-E legaldefiniert die „Übertragung“ als die rechtsgeschäftliche Forderungsübertragung, wobei weitreichend sowohl Vollrechtsübertragungen, Sicherungsübertragungen, vertragliche Forderungsübergänge und die Bestellung von Sicherungsrechten an Forderungen erfasst sind. Sodann benennt Art. 5 AbtrVO-E explizit einige unter das Drittwirkungsstatut zu subsumierende Bereiche, nämlich die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Übertragung gegenüber anderen Dritten (lit. a)) und das Verhältnis der Rechte des Zessionars zu den Rechten anderer an der Forderung berechtigter Personen (lit. b)–e)). Zwar mag diese detaillierte Auflistung auf den ersten Blick verblüffen, sie erscheint jedoch vor dem Hintergrund der langwierigen Debatte um die Reichweite des Drittwirkungsstatuts sinnvoll (siehe II.2.a), S. 53 ff.). Die Zusammenschau all dieser Bestimmungen lässt bereits den Grundgedanken einer möglichst umfassenden Reichweite der vom europäischen Kollisionsrecht bestimmten Statute erkennen. So haben etwa sowohl die Rom I-VO als auch die Rom II-VO zum Ziel und zum Ergebnis, alle Voraussetzungen und Wirkungen bzw. Rechte und Pflichten des (außer)vertraglichen Schuldverhältnisses möglichst einheitlich anzuknüpfen.32 Bei ErbVO und GüVO /  PartVO kommt der weiten Fassung des Erb- bzw. Güterstatuts durch das Prinzip der Statuteneinheit zusätzliches Gewicht zu. Die einheitliche Unterstellung sämtlicher (Rechts-)Fragen unter ein noch dazu weitgefasstes Statut erweist sich als praktisch für die Anwendung: Sowohl Abgrenzungsschwierigkeiten innerhalb eines Rechtsgebiets als auch gegenüber anderen Statuten werden dadurch vermieden oder zumindest entschärft.33 Das prinzipiell weite Verständnis des positiven Anwendungsbereichs soll die Einfachheit und Effizienz der Anwendung des EU-Kollisionsrechts fördern. Gleichzeitig verleiht es den europäischen Kollisionsregeln in der Abgrenzung gegenüber anderen Normen eine starke Ausgangsposition (siehe § 3.I., S. 70 ff.). II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen

Wie gesehen fassen die europäischen Kollisionsrechtsakte ihren sachlichen Anwendungsbereich grundsätzlich eher weit, zwangsläufig ist die Reichweite Vgl. Basedow in: FS Posch, 17, 20 f. MüKo8 / Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 3; Rauscher / Freitag Art. 12 Rom I-VO Rn. 1; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 15 Rom II-VO Rn. 5; MüKo8 / Junker Art. 15 Rom II-VO Rn. 2 f., 5; NK-BGB / Nordmeier Art. 15 Rom II-VO Rn. 2 f. 33 Vgl. für das Vertragsrecht MüKo8 / Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 3. 31 32

II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen

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der europäischen Kollisionsregeln jedoch nicht unendlich. Auch seine Grenzen steckt sich das EU-IPR weitgehend selbst. Dazu werden bestimmte Rechtsfragen, die zumindest auf den ersten Blick thematisch den europäischen IPR-Verordnungen unterfallen könnten, von diesen explizit ausgespart. Diese Abgrenzungsarbeit übernehmen die im jeweiligen Art. 1 Abs. 2 aller kollisionsrechtlichen Verordnungen (mit Ausnahme der vordringlich internationalverfahrensrechtlichen UnthVO) aufgeführten Negativlisten, die bestimmte Rechtsfragen bzw. -bereiche eindeutig von deren jeweiligem Anwendungsbereich ausschließen und diesen damit grundlegend einschränken.34 Teils deklaratorisch-klarstellend, teils konstitutiv35 zählen diese „Ausschlussnormen“36 abschließend auf, welche Rechtsverhältnisse und Fragestellungen von dem jeweiligen europäisch geregelten Statut ausgenommen und damit gesondert nach anderen Kollisionsregeln anzuknüpfen sind.37 Ein Vergleich der detaillierten Ausschlusskataloge in Art. 1 Abs. 2 aller Verordnungen zeigt neben jeweils bereichsspezifischen Regelungen auch zahlreiche Parallelen bei der Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der europäischen Kollisionsrechtsakte. Nachfolgend werden daher die Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich verordnungsübergreifend zu Gruppen zusammengefasst präsentiert. Zentraler Aspekt ist dabei neben dem Inhalt der ausgeschlossenen Materie die jeweils hinter der Ausgrenzung stehende Motivation: Während die Negativabgrenzung teils der näheren Ausdifferenzierung der europäisch regierten Statute dient (dazu 1.), ist sie in anderen Fällen durch rechtspolitische Erwägungen motiviert (dazu 2.).38 1. Ausklammerung von Rechtsgebieten: Konturierung der Statute Vom Anwendungsbereich der kollisionsrechtlichen Verordnungen ausgeschlossen werden zum einen ganze Rechtsbereiche in ihrer Gesamtheit. Die Zusammenschau dieser größeren Bereichsausnahmen verdeutlicht, welche kollisionsrechtlichen Statute der europäische Gesetzgeber vorsieht und welche davon in welchem europäischen Rechtsakt geregelt werden. Bedeutung entfalten die Ausnahmetatbestände insbesondere als Hilfestellung bei der 34 Zu weiteren Durchbrechungen der Statuteneinheit BeckOGK / M. Weller (Stand 1.10.2020) Art. 12 Rom I-VO Rn. 3; MüKo8 / Spellenberg Art. 12 Rom I-VO Rn. 5; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 15 Rom II-VO Rn. 61 ff.; MüKo8 / Junker Art. 15 Rom II-VO Rn. 28; BeckOGK / J. Schmidt (Stand 1.2.2022) Art. 23 ErbVO Rn. 59 ff.; MüKo8 / Dutta Art. 23 ErbVO Rn. 2, 4. 35 Vgl. für die Rom II-VO MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 25. 36 MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 25. 37 Zum abschließenden Charakter der Aufzählungen für die ErbVO Bonomi / Wautelet /  Bonomi Art. 1 ErbVO Rn. 10; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 10; für die GüVO / PartVO BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 22. 38 Siehe etwa zur Zielsetzung der Ausnahmeregelungen bei der Rom II-VO Hohloch IPRax 2012, 110, 111.

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

Ziehung der Trennlinie zwischen den europäisierten Kollisionsregeln und benachbarten Statuten bzw. Rechtsgebieten: So dient etwa nach Erw. 11 S. 2 ErbVO und Erw. 19 GüVO / PartVO der explizite Ausschluss von Materien, die potentiell als „zusammenhängend“ mit dem Erb- bzw. Güterrecht angesehen werden könnten, der Klarstellung und damit der vereinfachten Anwendung. Es geht primär um die Abgrenzung der europäischen IPR-Verordnungen „nach außen“, die Zeichnung der großen Umrisslinien ihrer Anwendungsbereiche. Dies erklärt auch, warum manche Rechtsgebiete nicht in die Negativkataloge aufgenommen werden: Sofern eine Subsumtion unter den Anwendungsbereich der jeweiligen Verordnung ohnehin fernliegt, erübrigt sich auch ein klarstellender Ausschluss. Näher zu betrachten sind Inhalt (dazu a)) und Zielsetzung (dazu b)) der Ausschlussregelungen in den einzelnen IPR-Verordnungen. a) Gegenstand der Bereichsausnahmen Bei Analyse der gebietsweisen Ausschlüsse in den Regelungen zum negativen Anwendungsbereich fällt zunächst der explizite Ausschluss von Rechtsfragen, die dem klassischen Bereich des Personalstatuts zuzuordnen sind, ins Auge. Dazu gehört neben dem teils ausdrücklich genannten Personenstand (Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom I-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. a) ErbVO) vor allem die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen (Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom I-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom III-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. b) ErbVO; Art. 1 Abs. 2 lit. a) GüVO / PartVO), was auch die gesetzliche Vertretung nicht (voll) Geschäftsfähiger einschließt.39 Vom Anwendungsbereich des europäischen Internationalen Scheidungsrechts explizit ausgenommen wird in Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom III-VO zusätzlich der Name der Ehegatten als spezieller Teil des Personalstatuts, da die kollisionsrechtliche Behandlung der Frage der Namensführung der Ehegatten im Fall der Scheidung in der Vergangenheit teils umstritten war.40 Die in erbrechtlichen Konstellationen relevanten Personenstandsfragen der Verschollenheit und der Todesvermutung klammert Art. 1 Abs. 2 lit. c) ErbVO grundsätzlich vom Erbstatut aus – allerdings dadurch relativiert, dass mit der Zuweisung der Gründe für den Eintritt des Erbfalls und dessen Zeitpunkts zum Erbstatut in Art. 23 Abs. 2 lit. a) ErbVO letztlich auch die Todesvoraussetzungen und der Todeszeitpunkt von diesem erfasst werden und Art. 32 ErbVO auch eine eigene Kommorienten-Regelung für den Fall fehlender oder divergierender Regelungen der eigentlich anwendbaren Rechte aufstellt.41 MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 20. MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 49. 41 Calvo Caravaca / Davì/Mansel / M. Weller Art. 1 ErbVO Rn. 24 f.; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 22. 39 40

II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen

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Auch mit der Begründung bzw. dem Bestand familienrechtlicher Beziehungen will das europäische IPR sich (bislang) nicht befassen und schließt diesbezügliche Fragen – auch wenn sie sich lediglich als Vorfrage stellen42 – vom Anwendungsbereich der Verordnungen, die dazu Berührungspunkte aufweisen, aus. Der vorsorglichen Klärung43 sowie der besseren Abgrenzung zur Brüssel IIa-VO44 soll der ausdrückliche Ausschluss von Fragen der elterlichen Verantwortung vom Scheidungsstatut (Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom IIIVO) dienen. Explizit werden Fragen des Bestehens, der Gültigkeit und der Anerkennung einer Ehe bzw. Partnerschaft (und damit die Vorfrage nach der Wirksamkeit der Eheschließung bzw. der Anerkennung einer bereits im Ausland erfolgten Scheidung45) in Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom III-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. b) GüVO / PartVO vom Scheidungs- bzw. Güterstatut ausgeschlossen und ebenso dem national geregelten Eheschließungsstatut zugewiesen wie die Problematik der Ungültigerklärung bzw. Aufhebung einer Ehe (Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom III-VO).46 Weiter gefasst ist die Ausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. a) ErbVO bezüglich Familienverhältnissen und Verhältnissen mit vergleichbarer Wirkung, die neben dem Bestehen einer Ehe bzw. Partnerschaft auch andere Statusverhältnisse wie die Adoption oder die Abstammung einschließt.47 Eine vergleichbare Regelung enthält auch der über Art. 15 UnthVO anwendbare Art. 1 Abs. 2 HUP, der klarstellt, dass auf kollisionsrechtlicher Basis des HUP ergehende unterhaltsrechtliche Entscheidungen die Frage nach dem Bestehen einer der in Abs. 1 der Regelung aufgeführten familienrechtlichen Beziehungen unberührt lassen, sodass statusrechtliche (Vor-) Fragen auch vom Anwendungsbereich des HUP explizit ausgeschlossen und dem nationalen IPR zugewiesen werden.48 Anders als die Eheschließung sind schließlich die allgemeinen Ehewirkungen nicht ausdrücklich in den Negativkatalogen erwähnt; als eigenes, nicht in den positiven Anwendungsbereich Besonders betont wird dies in Art. 1 Abs. 2 Rom III-VO, der anders als die übrigen Verordnungen den Ausschluss auch von Vorfragen sogar in den Wortlaut aufnimmt. 43 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 51. 44 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 104. 45 Gitschthaler / Rudolf Art. 1 Rom III-VO Rn. 26 f.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 44; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 32. 46 Im Einzelnen BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 98 ff.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 45 ff. – Dass die von der Brüssel IIa-VO erfasste Annullierung vom Anwendungsbereich der Rom III-VO ausgeschlossen wurde, ist dadurch zu erklären, dass sie kollisionsrechtlich enger mit der ebenfalls ausgeklammerten Wirksamkeit der Ehe als mit dem Scheidungsstatut verbunden ist und überdies in diesem Bereich keine Rechtswahl ermöglicht werden soll, vgl. Calliess / Renner / Wiese Art. 1 Rom III-VO Rn. 16; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 27; Makowsky GPR 2012, 266, 267. 47 MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 15 ff.; NK-BGB / Looschelders Art. 1 ErbVO Rn. 13 ff. 48 BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 70 ff.; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 45 ff.; NK-BGB / Gruber Art. 1 HUP Rn. 28 f. 42

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

einer kollisionsrechtlichen Verordnung fallendes Rechtsgebiet sind sie aber dennoch vom Anwendungsbereich der EU-IPR-Verordnungen nicht erfasst. Die Ausklammerung familienrechtlicher Fragen von allen nicht explizit damit befassten Verordnungen reicht über Statusfragen hinaus: Ausgeschlossen werden auch auf familienrechtlichen Beziehungen beruhende Schuldverhältnisse. So nehmen die schuldrechtlichen Verordnungen in Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom I-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom II-VO sowie ihrem Vorbild folgend Art. 1 Abs. 2 lit. a) AbtrVO-E allgemein „Schuldverhältnisse [bzw. Forderungen] aus einem Familienverhältnis oder aus Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten“ aus ihrem Anwendungsbereich aus – vertragliche Vereinbarungen mit familien- oder erbrechtlichem Gehalt sind damit nicht schuldrechtlich anzuknüpfen, sondern werden ebenso dem jeweiligen Hauptstatut zugeschlagen49 wie die praktisch eher seltenen aus Familienverhältnissen resultierenden deliktischen Ansprüche.50 Ausdrücklich genannt werden dabei die Unterhaltspflichten,51 die auch vom Anwendungsbereich der übrigen Verordnungen außer der UnthVO klarstellend ausgeschlossen werden (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom III-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. e) ErbVO [mit Ausnahme der aufgrund des Todes entstehenden Unterhaltspflichten52], Art. 1 Abs. 2 lit. c) GüVO / PartVO).53 Speziell auf dem Güterrecht bzw. dem Erbrecht basierende Schuldverhältnisse werden gesondert ausdrücklich vom Anwendungsbereich aller Verordnungen außer der GüVO /  PartVO respektive der ErbVO ausgeklammert. Für güterrechtliche Ansprüche ergibt sich der Ausschluss aus Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) AbtrVO-E, Art. 1 Abs. 2 lit. d) ErbVO sowie Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom III-VO (für dessen Ausschluss aller „vermögensrechtlichen Folgen der Ehe“ bzw. Scheidung das Güterrecht neben dem explizit in lit. g) ausgeschlossenen Unterhalt wohl der wichtigste Anwendungsfall ist54). Er zielt typischerweise auf Schuldverhältnisse aus güterrechtlichen 49 Calliess / Renner / M. Weller Art. 1 Rom I-VO Rn. 24 ff.; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 30 ff. 50 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 32 ff.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 27 ff.; NK-BGB / Knöfel Art. 1 Rom II-VO Rn. 35 ff.; Hohloch IPRax 2012, 110, 115 ff. 51 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 33; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 27. 52 Näher Calvo Caravaca / Davì/Mansel / M. Weller Art. 1 ErbVO Rn. 45; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 34. 53 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 52; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 28; Rauscher / Hertel Art. 1 ErbVO Rn. 24; BeckOK /  Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 26; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 45 ff.; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 33 f. 54 Gitschthaler / Rudolf Art. 1 Rom III-VO Rn. 31; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 50.

II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen

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Verträgen ab,55 erfasst aber auch die selteneren deliktischen güterrechtlichen Ansprüche.56 Ein entsprechender Ausschluss erbrechtlicher Ansprüche findet sich in Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) AbtrVO-E, Art. 1 Abs. 2 lit. h) Rom III-VO sowie Art. 1 Abs. 2 lit. d) GüVO / PartVO; davon erfasst sind insbesondere Schuldverhältnisse, die sich aus erbrechtlichen Verträgen und Testamenten ergeben.57 Trotz Fehlens einer entsprechenden Negativliste in der UnthVO sind schließlich sowohl güter- und erbrechtliche Ansprüche als auch schadensersatzrechtliche Unterhaltsansprüche58 von deren Anwendungsbereich bzw. dem des von ihr in Bezug genommenen HUP ausgenommen. Neben dem Personalstatut und familien(vermögens)rechtlichen Fragen finden sich zwei weitere große Rechtsbereiche von den europäischen Kollisionsrechtsakten weitreichend ausgeklammert: das Gesellschafts- sowie das Sachenrecht. Eine explizite Ausnahme des Internationalen Gesellschaftsrechts ist im Negativkatalog aller damit potentiell verknüpften Verordnungen enthalten (Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. d) AbtrVO-E, Art. 1 Abs. 2 lit. h), i) ErbVO) – es ist als eigene Materie umfassend eigenständig zu behandeln.59 Auch wenn nach dem Scheitern des geplanten EWG-Übereinkommens über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen vom 29.2.196860 eine Europäisierung dieses Gebiets in der Wissenschaft immer wieder gefordert wird,61 haben auch die im Jahr 2017 unternommenen jüngsten Vorstöße der BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 76; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 33. 56 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 36 f.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 30. 57 BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 79; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 34; NK-BGB / Leible Art. 1 Rom I-VO Rn. 27. – Zur Parallelregelung in der Rom II-VO: BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 38 f.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 31 f. – Zur Parallelregelung in der Rom III-VO MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 53. – Zur Parallelregelung in der GüVO / PartVO NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 46 ff.; Viarengo / Franzina /  Rodríguez Benot Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 1.18 ff. 58 BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 61; BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 63; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 42. 59 Vgl. BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 106 ff.; Calliess /  Renner / M. Weller Art. 1 Rom I-VO Rn. 35 f.; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 66 ff.; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 43 ff.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 36 ff.; Rauscher / Unberath / Cziupka Art. 1 Rom II-VO Rn. 53 ff.; Calvo Caravaca / Davì/Mansel / M. Weller Art. 1 ErbVO Rn. 59 ff.; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 40 ff.; Hohloch IPRax 2012, 110, 117 f. 60 BGBl. 1972 II 370. – Vgl. Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 670 f. 61 Vgl. z. B. in jüngerer Zeit Hübner ZGR 2018, 149, 149 ff.; Kieninger ZeuP 2018, 309, 319. 55

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

Kommission zur Europäisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts62 mangels mitgliedstaatlichen Interesses zu keiner konkreten Gesetzesinitiative geführt.63 Ob das seither auf nationaler Ebene erwachende politische Interesse an einer europäischen Regelung in einen erneuten (und erfolgreichen) Vorstoß münden wird, bleibt abzuwarten. Einstweilen sind die vom Anwendungsbereich der IPR-Verordnungen ausgeklammerten gesellschaftsrechtlichen Fragen dem nationalen IPR zugewiesen – das aber freilich durch die Rechtsprechung des EuGH zumindest im zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis faktisch dazu gezwungen ist, die Gründungstheorie anzuwenden (siehe Teil III: § 7.II.1.c)aa), S. 348 ff.). Als größerer Rechtsbereich vom Anwendungsbereich aller bisherigen europäischen Kollisionsrechtsakte ausgeschlossen ist schließlich das Internationale Sachenrecht. Auf eine Nennung des Sachenrechts im Allgemeinen verzichten alle Negativkataloge – was nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass es vom bisherigen europäischen Kollisionsrecht bewusst ausgespart geblieben ist. Als eigenständiges Rechtsgebiet ist es nämlich von der Europäisierung anderer kollisionsrechtlicher Bereiche allenfalls dann tangiert, wenn es zu (potentiellen) Berührungen oder Überschneidungen mit diesen kommen kann. Bei Trennung obligatorischer und dinglicher Fragen scheidet die Anwendung der schuldrechtlichen Kollisionsrechtsverordnungen auf sachenrechtliche Fragen daher von vornherein aus;64 auch beim Internationalen Scheidungs- und Unterhaltsrecht liegt die Subsumtion sachenrechtlicher Aspekte so offenkundig fern, dass auf einen expliziten Hinweis verzichtet werden konnte. Anders verhält es sich dagegen in den neueren Verordnungen zum Internationalen Erbund Güterrecht: Da sowohl erb- als auch güterrechtliche Fragestellungen häufig eng mit sachenrechtlichen Aspekten verwoben sind, wurden ausdrückliche Ausnahmeregelungen zu bestimmten sachenrechtlichen Aspekten aufgenommen. Explizit der ErbVO bzw. GüVO / PartVO entzogen sind zum einen die Art der dinglichen Rechte (Art. 1 Abs. 2 lit. k) ErbVO, Art. 1 Abs. 2 lit. g) GüVO / PartVO), zum anderen die Registrierung dinglicher Rechte einschließlich ihrer Voraussetzungen und Wirkungen (Art. 1 Abs. 2 lit. l) ErbVO, Art. 1 Abs. 2 lit. h) GüVO / PartVO).65 Damit fallen sachenkollisionsrechtliche Fragen derzeit insgesamt aus dem Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts heraus, solange kein eigener internationalsachenrechtlicher Rechtsakt auf europäischer Ebene verabschiedet wird. Ob, wann und inwieweit den Vgl. Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2018, 121, 129. Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2019, 85, 94. 64 Vgl. zum Ausschluss sachenrechtlicher Verträge mit dinglicher Wirkung von der Rom I-VO MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 13. 65 Vgl. im Überblick BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 47 ff.; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 52 ff.; NK-BGB / Looschelders Art. 1 ErbVO Rn. 57 ff.; BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 36 ff.; Gitschthaler / Verschraegen Art. 1 GüVO Rn. 23 ff.; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 63 ff. 62 63

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aktuellen wissenschaftlichen Vorschlägen in dieser Hinsicht66 politischer Erfolg beschieden sein wird, ist derzeit noch kaum abschätzbar – einstweilen bleibt das Internationale Sachenrecht national geregelt.67 b) Vertikale und horizontale Abgrenzung Durch die negativen Regelungen zum Ausschluss größerer Rechtsbereiche wird der bereits positiv bestimmte sachliche Anwendungsbereich der kollisionsrechtlichen Verordnungen und ihres jeweiligen (Vertrags-, Delikts-, etc.) Statuts deutlicher auskonturiert. Alle diese eher weit gefassten Ausschlussregelungen dienen dazu, die Reichweite der von den einzelnen Rechtsakten geregelten kollisionsrechtlichen Statute zu definieren und sie insbesondere gegenüber anderen Statuten abzustecken. In Frage steht also die Abgrenzung der verschiedenen Statute von- und untereinander – insofern verwundert es nicht, dass sich einerseits häufig parallele Ausschlussregelungen in verschiedenen Verordnungen finden (etwa zum Personalstatut), andererseits die Ausnahmen von mit benachbarten Statuten befassten Verordnungen einander komplementär ergänzen (z. B. Ausschluss güterrechtlicher Fragen in der ErbVO und umgekehrt erbrechtlicher Fragen in der GüVO / PartVO68). Letzterer Aspekt gewinnt mit jeder weiteren kollisionsrechtlichen Verordnung an praktischer Bedeutung – Anliegen des europäischen Gesetzgebers war die eindeutige Komplementarität der Anwendungsbereiche der IPR-Verordnungen jedoch bereits von Anfang an, wie Erw. 7 Rom I-VO und Erw. 7 Rom II-VO zur Abgrenzung der schuldrechtlichen Kollisionsrechtssysteme bezeugen.69 Die eindeutige Begrenzung ihres sachlichen Anwendungsbereichs und des Umfangs der von ihnen geregelten Statute ist für die europäischen Kollisionsrechtsakte um so wichtiger, als sie derzeit keine Gesamtkodifikation darstelDie Groupe européen de droit international privé (GÉDIP) entwickelt seit 2017 einen Vorschlag für ein künftiges EU-Rechtsinstrument zum auf dingliche Rechte an beweglichen Sachen anwendbaren Recht, das inzwischen in überarbeiteter Entwurfsfassung vorliegt: GÉDIP, The law applicable to rights in rem in tangible assets, Provisional draft, 31.10.2020, abrufbar unter . Die European Association of Private International Law hat eine Arbeitsgruppe zu den Möglichkeiten einer EUVerordnung zum Internationalen Sachenrecht eingesetzt (). – Zu den Perspektiven für die – auch globale – Vereinheitlichung im Bereich des Internationalen Sachenrechts Carruthers / Weller in: Beaumont / Holliday, 295, 304 ff. 67 Der AbtrVO-E lässt sich zwar – wenn man wie etwa das niederländische Recht einen weiten, Forderungen einschließenden Begriff des Sachen- bzw. Vermögensrechts zugrundelegt – auch als Teil des Internationalen Sachenrechts einordnen, dessen Kernbereich dinglicher Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen berührt er allerdings nicht. 68 Siehe etwa Thorn / Varón Romero IPRax 2020, 316, 338 m. w. N. 69 Garcimartín Alférez in: FS van Loon, 169, 172 ff.; Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 41. 66

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len, sondern nur punktuell einzelne (wenn auch besonders wichtige) Statute normieren. Der Ausschluss einer Rechtsfrage vom Anwendungsbereich einer IPR-Verordnung bedeutet automatisch ihre Zuweisung zu einem anderen Rechtsakt – und damit unter Umständen zu einer anderen Regelungsebene. Ursprünglich bildete der Aspekt der Außenabgrenzung des europäischen IPR gegenüber nationalen (und völkerrechtlichen) Kollisionsrechtsakten den Kern der Beschränkungen des Anwendungsbereichs:70 Der bewusste Verzicht auf eine Erfassung durch die europäische Regelung erfolgte zugunsten der fortgesetzten Anwendung bestehender nationaler (seltener auch staatsvertraglicher) Kollisionsnormen. Vermieden werden sollten vor allem Konflikte zwischen den Hierarchieebenen, die anderenfalls aus dem Vorrang des Unionsrechts und einer Verdrängung nationaler Regeln entstehen könnten. In jüngerer Zeit tritt daneben ein weiterer Faktor in den Vordergrund: Mit wachsender Regelungsdichte des europäischen IPR dienen die Ausschlussnormen inzwischen zunehmend auch der Abgrenzung der EU-Rechtsakte und ihrer Anwendungsbereiche untereinander. Der Ausschluss vom sachlichen Anwendungsbereich einer Verordnung begünstigt dann nicht nationale oder völkerrechtliche Kollisionsregeln, sondern eine andere europäische Regelung. Ist nämlich die Harmonisierung eines kollisionsrechtlichen Gebiets bereits erfolgt oder für die Zukunft geplant, sind diesbezügliche Fragen von anderen europäischen Kollisionsrechtsregelungen auszunehmen, um innerhalb ein und derselben Regelungsebene Überschneidungen zu vermeiden und möglichst exakte Komplementarität zu erzielen. Dieser Aspekt der Abgrenzung zwischen verschiedenen Unionsrechtsakten spielte bereits bei der Schaffung der ersten kollisionsrechtlichen Verordnungen eine Rolle, als es um die umstrittene Einordnung von Schuldverhältnissen aus vorvertraglichen Verhandlungen ging. Im Einklang mit der Tacconi-Rechtsprechung des EuGH71 wurden diese dem außervertraglichen Schuldkollisionsrecht zugewiesen, das in Art. 12 Rom II-VO derartige Fragen der culpa in contrahendo explizit in seinen Anwendungsbereich aufnahm – konsequenterweise schließt Art. 1 Abs. 2 lit. i) Rom I-VO sie umgekehrt ausdrücklich vom Anwendungsbereich des vertraglichen Schuldkollisionsrechts aus.72 Aufgrund der Europäisierung weiterer größerer Bereiche des Kollisionsrechts erfasst diese Abgrenzungs- und Zuweisungstechnik inzwischen nicht mehr nur einzelne Fragen bzw. Rechtsinstitute, sondern ganze Gebiete wie Vgl. Lüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 42. EuGH 17.9.2002 – C-334/00, Tacconi, Rn. 23 ff. 72 Entschärft wurde diese Entscheidung freilich durch die in Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO vorgesehene vertragsakzessorische Anknüpfung für die aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen resultierende c.i.c., während vorvertragliche Verletzungen des Integritätsinteresses nach Art. 4 Rom II-VO anzuknüpfen sind, vgl. BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 135 f.; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 78; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 17 f.; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 239 f. 70 71

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etwa das Erb- oder das Güterrecht. Vor allem im Familienvermögensrecht bedeutet heute die Ausklammerung eines Gebiets vom Anwendungsbereich einer Verordnung nicht mehr automatisch dessen Zuweisung an das nationale IPR, sondern vielmehr aufgrund der inzwischen erlassenen europäischen Kollisionsrechtsakte zum Internationalen Unterhalts-, Erb- und Güterrecht häufig die Zurücknahme der übrigen Rechtsakte zugunsten einer anderen europäischen Regelung. Die Abgrenzung des Erb- und Güterstatuts illustriert auch, dass sich im Laufe der Zeit die Stoßrichtung ein und der selben Abgrenzungsregel ändern kann. Wie gesehen sind das Erb- bzw. Güterrecht vom Anwendungsbereich aller nicht erb- bzw. güterrechtlichen Verordnungen explizit ausgeschlossen. Bei Aufnahme der entsprechenden Ausschlusstatbestände in die zeitlich früher verabschiedeten Verordnungen (Rom I-VO, Rom II-VO, Rom III-VO und bezüglich des Güterrechts auch die ErbVO) war zwar die Möglichkeit einer Regelung des Internationalen Erb- bzw. Güterrechts auf europäischer Ebene bereits für die Zukunft ins Auge gefasst, aber noch keineswegs konkret greifbar. Die Ausschlussnormen grenzten also zunächst den jeweiligen Anwendungsbereich der übrigen Verordnungen von jenem des nach wie vor national geregelten Erb- bzw. Güterstatuts ab. Mit Inkrafttreten der ErbVO bzw. der GüVO / PartVO und damit der Europäisierung des Erbund des Güterstatuts änderte sich ihre Wirkung dann jedoch jeweils dahingehend, dass sie nunmehr der Grenzziehung zwischen den verschiedenen europäischen Rechtsakten dienen. Dieser Aspekt hat bisher noch vergleichsweise wenig Beachtung gefunden, mit einer wachsenden Anzahl europäischer IPRRechtsakte rückt er jedoch zunehmend in den Fokus (siehe § 3.I.3., S. 118 ff.). Im Zusammenhang dieser mit wachsender Anzahl europäischer internationalprivatrechtlicher Regelungen immer wichtiger werdenden „Binnenabgrenzung“ der Rechtsakte untereinander73 ist schließlich noch kurz auf die Normen hinzuweisen, die sich speziell mit der Frage des Verhältnisses zu anderen gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Rechtsakten mit kollisionsrechtlicher Relevanz befassen. Die in Art. 23 Rom I-VO und Art. 27 Rom II-VO enthaltene Regelung zur unberührten Fortgeltung bereits bestehender Kollisionsnormen „in besonderen Bereichen“ zielt darauf ab, das frühere Richtlinienkollisionsrecht (auch in seiner mitgliedstaatlichen Umsetzung) zu erhalten;74 eine dem nachgebildete Vorschrift enthält auch Art. 10 AbtrVO-E. Mit abnehmender Bedeutung des Richtlinienkollisionsrechts schwindet auch das Anwendungsfeld dieser Regelungen. Das Verhältnis zur InsolvenzVO regelt explizit lediglich Art. 76 ErbVO, der deren Unberührtheit anordnet;75 im Verhältnis zu den anderen Verordnungen ergibt sich der Vorrang der kollisiLüttringhaus RabelsZ 77 (2013), 31, 41. Leible in: FS von Hoffmann, 230, 234; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 329. 75 Zum Verhältnis von InsVO und ErbVO siehe detailliert Biemans / Schreurs RabelsZ 83 (2019), 612, 612 ff. (zum Kollisionsrecht insbes. 630 ff.). 73 74

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onsrechtlichen Regel des Art. 7 InsolvenzVO in ihrem Anwendungsbereich aus dem Charakter der InsolvenzVO als lex specialis.76 Eine Abgrenzung zu internationalverfahrensrechtlichen Vorschriften nimmt einerseits Art. 2 Rom III-VO vor, der klarstellt, dass die Rom III-VO die Brüssel IIa-VO nicht einschränkt,77 andererseits Art. 68 UnthVO, der deren Verhältnis zu anderen zivilverfahrensrechtlichen Instrumenten umschreibt.78 Für die im Rahmen dieser Arbeit vorzunehmende Analyse entfalten diese europäischen Abgrenzungsnormen keine Bedeutung. 2. Ausklammerung von Einzelaspekten: Konfliktvermeidung Neben ganzen Rechtsgebieten enthalten die Negativkataloge zum sachlichen Anwendungsbereich der IPR-Verordnungen auch zahlreiche Einzelfragen. Spezielle Aspekte, die grundsätzlich unter das von der jeweiligen Verordnung geregelte Statut fallen müssten, werden dennoch von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen. Es steht also weniger die Abgrenzung des in der jeweiligen Verordnung normierten Statuts gegenüber benachbarten Statuten im Vordergrund. Vielmehr geht es um die Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs „nach innen“, die Feinzeichnung innerhalb des jeweiligen Statuts, von dem spezielle Einzelfragen bewusst ausgenommen werden. Dementsprechend sind diese Ausschlusstatbestände nicht nur auf kleinteiligere Aspekte gerichtet, sondern auch für das sachliche Gebiet jeder Verordnung bereichsspezifisch – Parallelregelungen zwischen mehreren Verordnungen stellen hier die Ausnahme dar. Gleichwohl stehen hinter den Aussparungen der verschiedenen Verordnungen durchaus vergleichbare Beweggründe. Die europäischen Kollisionsrechtsakte werden aus unterschiedlichen Gründen als (noch) nicht geeignet zur Lösung der betreffenden Spezialfragen erachtet und nehmen sich daher selbst zurück. Die automatische Zuweisung dieser Fragen zu einer anderen Regelungsebene wird häufig bewusst angestrebt: Den unvereinbar scheinenden Positionen der nationalen Kollisionsrechte (dazu a)) soll ebenso Rechnung getragen werden wie der Rücksicht auf bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen sowie nationale Eigenheiten (dazu b)). Vgl. BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 24 ff. Vgl. BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 2 Rom III-VO Rn. 1; Corneloup /  Corneloup Art. 2 Rom III-VO Rn. 2.01 ff.; Gitschthaler / Rudolf Art. 2 Rom III-VO Rn. 2. – Zum Verhältnis und zu den Bezügen der Verordnungen untereinander BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 2 Rom III-VO Rn. 10 ff.; Corneloup / Corneloup Art. 2 Rom III-VO Rn. 2.04 ff. 78 BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 17 ff. – Aufgrund des expliziten Ausschlusses unterhaltsrechtlicher Fragen vom Anwendungsbereich der anderen kollisionsrechtlichen Verordnungen stellt sich ein „Konkurrenzproblem“ zu Art. 15 UnthVO und dem HUP von vornherein nicht, vgl. BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 24. 76 77

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a) (Temporäre) Ausklammerung aus politischen Gründen Ein Hauptmotiv für die Ausklammerung bestimmter Einzelaspekte eines grundsätzlich europäisch geregelten Statuts vom sachlichen Anwendungsbereich einer EU-Kollisionsrechtsverordnung liegt darin, dass eine Einigung auf eine gemeinsame europäische Regelung hinsichtlich bestimmter problematischer Aspekte nicht möglich war oder schien. Um ein Scheitern des Gesamtprojekts an Einzelpunkten zu verhindern, wurden diese bei fehlender Konsensmöglichkeit schlicht vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeklammert, sodass weiterhin jeder Mitgliedstaat seinen eigenen kollisionsrechtlichen Weg gehen kann. Diese Technik tritt an die Stelle der für das EUKollisionsrecht nicht praktikablen Vorbehaltslösung bei Staatsverträgen. Sie wurde insbesondere bei der Rom I-VO und der Rom II-VO eingesetzt, als Lösung für die „dealbreaker“ Stellvertretung (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I-VO) und Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom II-VO). Zwar enthielt der Kommissionsentwurf für die Rom I-VO79 einen Regelungsvorschlag zur innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten notorisch umstrittenen Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht (Art. 7 Abs. 2, 3 Rom I-VO-E), dieser stieß jedoch auf massive Kritik.80 Ein Konsens zur Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen und organschaftlichen Vertretung konnte nicht erzielt werden.81 Da sich die Materie nicht nur inhaltlich im Hinblick auf den Ausgleich der im Mehrpersonenverhältnis betroffenen verschiedenen Interessen, sondern auch politisch aufgrund der ganz unterschiedlichen in den Mitgliedstaaten vertretenen Lösungsansätze als heikel erwies, wurde auf eine europäische Regelung schließlich (wie bereits im EVÜ, Art. 1 Abs. 2 lit. f) EVÜ) ausdrücklich verzichtet. Bei den Persönlichkeitsrechtsverletzungen ließen dagegen vor allem fundamental unterschiedliche Vorstellungen zu den Presse- und Mediendelikten, insbesondere das Beharren des Vereinigten Königreichs auf seiner Position, weitere Verhandlungen aussichtslos erscheinen.82 Auch hier entschied man sich schließlich für eine explizite Aussparung der Thematik durch Aufnahme in die Negativliste. 79 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom ), 15.12.2005, COM(2005) 650 final. 80 Vgl. statt vieler Gebauer in: Leible / Unberath, 325, 326 f.; Heinz 85 ff.; Kleinschmidt RabelsZ 75 (2011), 497, 526; Mäsch in: FS Schurig, 147, 149 f. m. w. N.; Max Planck Institute for Comparative and International Private Law RabelsZ 71 (2007), 225, 298 ff.; Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729, 733 ff. 81 BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 120 ff.; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 48; Gebauer in: Leible / Unberath, 325, 327. 82 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 60 ff.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 43, vor Art. 38 EGBGB Rn. 25, Art. 40 EGBGB Rn. 72; von Hinden in: FS Kropholler, 573, 574 ff.; Hohloch IPRax 2012, 110, 111, 118; F. Meier JPIL 12 (2016), 492, 496 ff.; Nagy JPIL 8 (2012), 251, 278 ff.; Schack in: von Hein / Rühl, 279, 294.

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Einen weiteren großen Streitpunkt bei der Verabschiedung des europäischen Schuldvertragskollisionsrechts bildete die Drittwirkung von Forderungsabtretungen, insbesondere im Hinblick auf den Forderungszugriff durch Gläubiger des Zedenten und Prioritätsfragen bei Mehrfachabtretungen.83 Sowohl aufgrund unterschiedlicher materiell-rechtlicher Konzeptionen84 als auch aufgrund verschiedener kollisionsrechtlicher Schwerpunktsetzung existiert zu diesen Fragen seit jeher eine Fülle von Auffassungen und Lösungsansätzen,85 teils herrscht Uneinigkeit auch innerhalb einzelner Rechtsordnungen.86 Art. 12 EVÜ enthielt keine explizite Regelung zur Zessions-Drittwirkung,87 sodass die Frage nach ihrer Behandlung (Anwendung des Art. 12 Abs. 1 EVÜ [Zessionsgrundstatut], des Art. 12 Abs. 2 EVÜ [Forderungsstatut] oder wie auch immer gearteter nationaler Kollisionsregeln?) die „wohl wichtigste Streitfrage unter dem EVÜ“ darstellte.88 Die Kommission unterbreitete in Art. 13 Abs. 3 Rom I-VO-E einen an das UNCITRAL-Abtretungsübereinkommen von 200189 angelehnten Vorschlag, der die Anknüpfung an den Sitz des Zedenten vorsah.90 Ein Konsens hierzu ließ sich zwischen den Mitgliedstaaten aber nicht erzielen: Insbesondere des Vereinigte Königreich, 83 Umfassend zum Problem Dickinson IPRax 2018, 337, 340 ff.; Einsele IPRax 2019, 477, 477 ff.; Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 99 ff.; Hübner ZeuP 2019, 41, 49 ff.; Kieninger NJW 2019, 3353, 3353; Labonté JPIL 14 (2018), 319, 326 ff.; Leible / Müller IPRax 2012, 491, 495 f. 84 Vgl. etwa Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 99 ff.; Verhagen ERPL 2020, 29, 32 ff.; Verhagen / van Dongen JPIL 6 (2010), 1, 6 ff. 85 Zu den sehr unterschiedlichen Lösungsansätzen der Mitgliedstaaten siehe z. B. Hübner ZeuP 2019, 41, 58 ff.; Labonté 63 ff.; Verhagen / van Dongen JPIL 6 (2010), 1, 13 ff. – Eine umfassende Darstellung und Abwägung des Für und Wider der verschiedenen Anknüpfungsoptionen nehmen Leible / Müller IPRax 2012, 491, 494 ff. vor, die das Zessionsgrundstatut für die wissenschaftlich beste und den Zedentensitz für die rechtspolitisch wohl aussichtsreichste Lösung halten (499 f.); Detailfragen analysiert ergänzend Mankowski IPRax 2012, 298, 299 ff., der die Anknüpfung an den Zedentensitz befürwortet. Jüngere Überblicksdarstellungen finden sich bei Labonté JPIL 14 (2018), 319, 332 ff. (der sich für das Forderungsstatut ausspricht) sowie umfassend bei Mankowski NIPR 2018, 26, 30 ff. (im Ergebnis für den Zedentensitz als relativ bestes Ergebnis, 48 f.). – Insbesondere mit Blick auf die materiell-rechtlich erforderlichen Publizitätsregeln analysiert die möglichen Kollisionsregeln Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 102 ff. (und lehnt i. E. eine Sonderanknüpfung ab). 86 Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 92; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 328. – Die wirtschaftliche Relevanz einer zuverlässigen, europaweit einheitlichen Lösung beschreiben eindringlich Hübner ZeuP 2019, 41, 43 sowie M. Müller EuZW 2018, 522, 523 f. 87 In diesem Sinne nunmehr auch EuGH 9.10.2019 – C-548/18, Paribas, Rn. 24. – Siehe zu Art. 12 EVÜ und der deutschen Umsetzung in Art. 33 EGBGB etwa Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 93 ff. 88 Leible / Müller IPRax 2012, 491, 493 m. w. N. zu den verschiedenen Ansichten. 89 UNCITRAL-Übereinkommen über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel vom 12.12.2001. 90 Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 101 f.; Leible / Müller IPRax 2012, 491, 493 f.

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das hartnäckig auf seiner angestammten Anknüpfung an das Forderungsstatut bestand, blockierte eine gemeinsame Lösung und gefährdete damit die ganze Rom I-VO.91 Auch diese Frage wurde daher schließlich auf europäischer Ebene offengelassen, allerdings auf weniger offensichtliche Weise: Die Drittwirkung von Forderungsabtretungen ist nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen, doch der mit der Forderungsabtretung befasste, im Wesentlichen der Vorläuferregelung im EVÜ entsprechende92 Art. 14 Rom I-VO sieht weiterhin keine diesbezügliche Anknüpfungsregel vor.93 Fortgesetzt wurde daher zunächst auch der aus dem EVÜ bekannte Streit über eine mögliche Subsumtion der Abtretungs-Drittwirkungen unter Abs. 1 oder Abs. 2 der Regel.94 In ihrem Bericht vom 29.9.2016 stellte sich die Kommission allerdings auf den Standpunkt, dass einheitliche Kollisionsnormen zur Drittwirkung von Zessionen bislang auf Unionsebene noch nicht existieren.95 Diese Auffassung wurde kurz darauf vom EuGH bestätigt, der auf Vorlage des OLG Saarbrücken96 in der Rechtssache BGL BNP Paribas97 über den Anwendungsbereich des Zessionsstatuts nach Art. 14 Rom I-VO zu entscheiden hatte. Auch unter Verweis auf die in Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO für genau diese Thematik enthaltene Überprüfungsklausel sowie den hierzu ergangenen Kommissionsbericht vom 29.6.2016 und um den laufenden Verhandlungen über den AbtrVO-E nicht vorzugreifen schloss sich der EuGH einer zurückhaltenden Auslegung des Art. 14 Rom I-VO an.98 Zwar spricht Dickinson IPRax 2018, 337, 338; Kieninger NJW 2019, 3353, 3354; Leible / Müller IPRax 2012, 491, 494; Mankowski NIPR 2018, 26, 26; Mankowski IPRax 2012, 298, 298. 92 Vgl. Dickinson IPRax 2018, 337, 339; Einsele RabelsZ 74 (2010), 91, 96. – Für einen Vergleich der Regelungen siehe Verhagen / van Dongen JPIL 6 (2010), 1, 3 ff. 93 Vgl. Calliess / Renner / Renner / Kindt Art. 14 Rom I-VO Rn. 42; MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 35; Mankowski NIPR 2018, 26, 27 ff.; Mankowski IPRax 2012, 298, 298 m. w. N.; bedauernd bereits Leible / Müller IPRax 2012, 491, 491. 94 Siehe z. B. OLG Saarbrücken 8.8.2018 – 4 U 109/17, Rn. 17 sowie MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 20 jeweils m. w. N. für beide ursprünglich vertretenen Auffassungen. Für eine Anknüpfung an das Zessionsgrundstatut (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) insbesondere Flessner IPRax 2009, 35, 37 f., ihm folgend Verhagen / van Dongen JPIL 6 (2010), 1, 5 f., 11 f., 17 ff.; so auch noch BeckOGK / Hübner (Stand: 1.7.2019) Art. 14 Rom I-VO Rn. 28. – Die wohl herrschende Auffassung sah hingegen die Drittwirkungen als nicht von der Rom I-VO erfasst an, z. B. Bauer 103 f., 167, 301; Labonté 97 ff., 126 f.; Labonté JPIL 14 (2018), 319, 329 ff.; Leible / Müller IPRax 2012, 491, 492 f., 494; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 328. 95 COM(2016) 626 final, 3 bei und in Fn. 7. – Aus diesem Grund wurde der AbtrVO-E vorgelegt. 96 OLG Saarbrücken 8.8.2018 – 4 U 109/17. 97 EuGH 9.10.2019 – C-548/18, Paribas. 98 EuGH 9.10.2019 – C-548/18, Paribas, Rn. 33–37. – Siehe dazu z. B. Arnold / ZwirleinForschner GPR 2019, 262, 263; Zahn GPR 2020, 218, 219 f.; zustimmend Kieninger NJW 91

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das kurze und bündige Urteil explizit nur die im streitgegenständlichen Fall zugrundeliegende Konstellation der Mehrfachabtretung an; allerdings ist davon auszugehen, dass die Drittwirkung insgesamt dem Anwendungsbereich der Rom I-VO entzogen und weder unmittelbar noch entsprechend von Art. 14 Rom I-VO erfasst werden soll. Damit ist eindeutig klargestellt, dass aufgrund des bewussten Verzichts auf eine europäische Regelung die Behandlung der Zessions-Drittwirkungen vorerst Aufgabe des nationalen Kollisionsrechts und damit höchst unterschiedlich gelöst verbleibt, solange nicht im Rahmen eines anderen europäischen Rechtsakts, etwa der geplanten Verordnung zur Drittwirkung von Forderungsabtretungen, harmonisierte Anknüpfungsnormen geschaffen werden (siehe Teil III: § 7.I.1.a)aa), S. 276 ff.). Das europäische Internationale Schuldvertragsrecht weist also auch bezüglich der Zession eine Lücke auf, deren Füllung (noch) dem nationalen IPR überlassen bleibt. Diese bewusste Aussparung streitiger Fragen vom Anwendungsbereich der Kollisionsrechtsverordnungen stellt freilich nicht das letzte Wort im Sinne eines dauerhaften Verzichts auf die kollisionsrechtliche Harmonisierung dieser Aspekte dar. Vielmehr wird sie häufig als Übergangslösung verstanden, die in einem ersten Schritt drohende Blockaden der Verordnungsprojekte insgesamt auflösen und deren grundsätzliche Realisierung ermöglichen soll. Dass der europäische Gesetzgeber diese Lücken des europäischen Kollisionsrechts als nicht dauerhaft ideal erachtet und bereits mit dem Ausschluss der Problembereiche die Absicht verknüpft, diese Themen erneut auf die Agenda zu setzen, kommt vor allem in den in den Verordnungen enthaltenen Überprüfungsklauseln zum Ausdruck. Diese enthalten teilweise spezielle Vorschriften hinsichtlich bewusst vom Anwendungsbereich ausgenommener Aspekte: Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO verpflichtet die Kommission zur Vorlage eines Berichts über die Drittwirkung von Forderungsübertragungen sowie diesbezügliche Änderungsvorschläge zur Rom I-VO,99 Art. 30 Abs. 2 Rom IIVO enthält eine Untersuchungspflicht hinsichtlich des bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre anwendbaren Rechts.100 Die Aussparungen vom Anwendungsbereich werden also von vornherein als temporär betrachtet und neue Einigungsversuche zu einem späteren Zeitpunkt von Anfang an ins Auge gefasst (zu den Auswirkungen auf das nationale Recht Teil III: § 7.I.1.a), S. 275 ff.). 2019, 3353, 3355; kritisch d’Avout Rev. Crit. DIP 2020, 359, Rn. 2 ff.; bezüglich der Zurückhaltung der Luxemburger Richter bedauernd Mankowski RIW 2019, 728, 728. 99 MüKo8 / Martiny Art. 27 Rom I-VO Rn. 6; NK-BGB / Leible Art. 27 Rom I-VO Rn. 2; Leible / Müller IPRax 2012, 491, 491 f. – Als politisches Placebo stuft die Berichtspflicht dagegen Mankowski NIPR 2018, 26, 29 f. ein. 100 Calliess / Renner / Halfmeier Art. 30 Rom II-VO Rn. 5 f.; MüKo8 / Junker Art. 30 Rom II-VO Rn. 8 ff.

II. Negativer Anwendungswille: Bereichsausnahmen

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b) Rücksicht auf Staatsverträge und spezielle Rechtsinstitute Umgekehrt kann die Ausklammerung bestimmter Einzelaspekte vom sachlichen Anwendungsbereich der europäischen IPR-Verordnungen aber auch darauf zurückzuführen sein, dass bereits staatsvertraglich vereinheitliche Kollisionsregeln existierten. Einerseits macht ein solcher verbindlicher Bestand eine weitere europäische Regelung überflüssig, andererseits würde die Aufnahme der bereits geregelten Fragen in den Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts Konkurrenzfragen aufwerfen und schlimmstenfalls zu Anwendungskonflikten führen. Der explizite Ausschluss dieser Fragen von den potentiell einschlägigen IPR-Verordnungen ist daher in mehrerer Hinsicht sinnvoll, insbesondere um die vorrangige Anwendung der bestehenden Spezialregelungen vor dem allgemeinen europäischen Statut zu betonen. Durch bestehendes völkervertragliches Kollisionsrecht motiviert ist zum einen die Ausnahme zugunsten wertpapierrechtlicher Verpflichtungen in den schuldrechtlichen IPR-Verordnungen (Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom I-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom II-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. c) AbtrVO-E): Dieses Gebiet ist kollisionsrechtlich bereits seit mehreren Jahrzehnten durch die Genfer Übereinkommen zum Internationalen Wechsel- und Scheckrecht101 vereinheitlicht.102 Zum anderen ist darauf die Ausklammerung von Kernenergieschäden aus dem europäischen Internationalen Deliktsrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom II-VO zurückzuführen, die den verschiedenen Abkommen auf diesem Gebiet Rechnung tragen soll (siehe § 4.I.1.a), S. 188 ff.).103 Zumindest auch mit dem Bestehen internationaler Übereinkommen in diesem Bereich begründet wurde schließlich die Ausnahme von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO in Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO,104 wobei letztlich bereits die Zuordnung dieser Fragen zum Internationalen Zivilverfahrensrecht ihre Einordnung unter das Internationale Schuldvertragsrecht ausschließt.105 101 Genfer Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechselprivatrechts vom 7.6.1930; Genfer Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Scheckprivatrechts vom 19.3.1931. 102 BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 82; Calliess / Renner / M. Weller Art. 1 Rom I-VO Rn. 30; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 35; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II-VO Rn. 40 ff.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 33 ff.; Rauscher / Unberath / Cziupka Art. 1 Rom II-VO Rn. 50 ff; Hohloch IPRax 2012, 110, 111, 117. – Ausführlicher Überblick zum Internationalen Wechsel- und Scheckrecht bei MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 36 ff. 103 Vgl. Calliess / Renner / Halfmeier Art. 1 Rom II-VO Rn. 55; MüKo8 / Junker vor Art. 38 EGBGB Rn. 24; Hohloch IPRax 2012, 110, 111, 118; U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 610, 611. 104 BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 94; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 38. 105 MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 65.

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

Speziell vom Anwendungsbereich eigentlich sachlich einschlägiger Kollisionsrechtsverordnungen ausgeschlossen werden darüber hinaus häufig spezielle Rechtsinstitute, die nur einzelnen oder wenigen Rechtsordnungen bekannt sind und auf die daher die europäischen Kollisionsregeln nicht zugeschnitten sind bzw. nicht passen. Klassisches Beispiel hierfür ist der Versorgungsausgleich als güterrechtliche Spezialität des deutschen Rechts: Der Ausschluss der „Berechtigung, Ansprüche auf Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente, die während der Ehe [eingetragenen Partnerschaft] erworben wurden und die während der Ehe [eingetragenen Partnerschaft] zu keinem Renteneinkommen geführt haben, im Falle der Ehescheidung, der Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder der Ungültigerklärung der Ehe [der Auflösung oder der Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft] zwischen den Ehegatten [Partnern] zu übertragen oder anzupassen“ (Art. 1 Abs. 2 lit. f) GüVO / PartVO), zielt vordinglich darauf ab, den Versorgungsausgleich dem europäischen Güterstatut zu entziehen.106 Eng verwandt damit ist die Ausnahme der sozialen Sicherheit vom Güterstatut (Art. 1 Abs. 2 lit. e) GüVO / PartVO). Ebenso werden die Fragen der Formgültigkeit der nur einigen Rechtsordnungen bekannten mündlichen Verfügungen von Todes wegen in Art. 1 Abs. 2 lit. f) ErbVO107 und der materiellrechtlich sehr unterschiedlich geregelten todesfallbezogenen Zuwendungen unter Lebenden und Übertragungen außerhalb des Erbrechts in Art. 1 Abs. 2 lit. g) ErbVO108 vom Anwendungsbereich der ErbVO und damit vom europäischen Erbstatut ausgenommen. Das dem common law entstammende Rechtsinstrument des Trust bleibt als komplexe und vielen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unbekannte Spezialmaterie ebenfalls ausgeklammert – nicht nur aus dem europäischen Internationalen Erbrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. j) ErbVO), sondern auch aus dem Internationalen Scheidungsrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. h) Rom III-VO) sowie dem Internationalen Schuldrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. h) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. e) AbtrVO-E).109 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 33 ff.; MüKo8 /  Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 60 ff.; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 73; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 79 ff.; Henrich ZfRV 2016, 171, 172; Mankowski NZFam 2021, 757, 762 f. – Für eine zumindest teilweise Unterstellung unter die GüVO Dutta FamRZ 2019, 1390, 1399; Kemper FamRB 2019, 32, 36; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 25; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / NiethammerJürgens, 123, 141. – Kritisch im Hinblick auf die offengebliebenen Detailfragen Borth FamRZ 2019, 1573, 1574 ff. 107 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 30; Deixler-Hübner /  Schauer / Mankowski Art. 1 ErbVO Rn. 40; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 35 f. 108 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 31 ff.; Bonomi /  Wautelet / Bonomi Art. 1 ErbVO Rn. 39 ff.; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 37 ff. 109 BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 127 ff.; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 51 ff.; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom II106

III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts

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Eine weitere spezielle Ausnahme vom Schuldvertragsstatut der Rom I-VO sieht schließlich Art. 1 Abs. 2 lit. j) Rom I-VO (und entsprechend auch Art. 1 Abs. 2 lit. f) AbtrVO-E) für bestimmte Versicherungsverträge von Unternehmen zugunsten ihrer Mitarbeiter vor. Aufgenommen wurde diese mit der Nähe dieser Konstellationen zur Sozialversicherung begründete Ausnahme auf Wunsch Schwedens.110 III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts

Über die Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Kollisionsrechtsverordnungen hinaus schränkt das europäische IPR seine Reichweite noch in anderer Hinsicht wesentlich ein. Ausgehend vom Grundgedanken „unification universelle sur unification universelle ne vaut“111 nehmen die Kollisionsrechtsverordnungen sich zugunsten bereits anderweitig international vereinheitlichter Verweisungsregeln zurück, sofern diese für manche oder alle Mitgliedstaaten maßgeblich sind. Neben dem Bestreben, auf überflüssige doppelte Rechtsetzungsarbeit zu verzichten, spielt dabei insbesondere die Achtung der bestehenden völkervertraglichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten (und heute auch der Union selbst) eine Rolle (siehe Teil I: § 1.II.2.c), S. 23 ff.). Ferner dienen diese Regelungen der eindeutigen Klarstellung des Verhältnisses zwischen den Verordnungen und damit thematisch verwandten bzw. sich überschneidenden Staatsverträgen – Bedeutung entfaltet dies insbesondere für die Beziehung des EU-IPR zu den Haager Konventionen.112 Die Regelungen zum Verhältnis der kollisionsrechtlichen Verordnungen zu IPRNormen staatsvertraglicher Genese basieren dabei nicht auf einem einheitlichen Mechanismus, sondern die unterschiedlichen Verordnungen bedienen sich unterschiedlicher Techniken.113 Bereichsausnahmen und der traditionelle Grundmechanismus allgemeiner Rücksichtnahmeklauseln zugunsten bestehenden Völkerrechts (dazu 1.) werden für das europäische Kollisionsrecht einerseits durch Ausnahmen abgeschwächt, andererseits in jüngerer Zeit durch andere Mechanismen ergänzt (dazu 2.).

VO Rn. 57 f.; MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 41; NK-BGB / Knöfel Art. 1 Rom IIVO Rn. 49; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 53; Calvo Caravaca /  Davì/Mansel / M. Weller Art. 1 ErbVO Rn. 68 ff.; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 50; Hohloch IPRax 2012, 110, 118; Pazdan / Zachariasiewicz JPIL 17 (2021), 74, 102 ff. – Ausführlich zum Ausschluss von der ErbVO de Barros Fritz RabelsZ 85 (2021), 620, 621 ff. 110 BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 141; MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 80; Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 59. 111 van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 79. 112 Siehe dazu van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 79 ff. 113 van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 79.

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

1. Bereichsausnahmen und Rücksichtnahmeklauseln Wie gesehen fungieren teilweise bereits die Vorschriften zur Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der Verordnungen als Selbstbeschränkung des EU-IPR gegenüber dem Völkerrecht: Diejenigen Aspekte, für die bereits völkerrechtlich vereinheitlichtes Kollisionsrecht besteht, werden vom Anwendungsbereich der Verordnungen von vornherein ausgenommen. Diese Technik kommt etwa in Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom II-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. c) AbtrVO-E und in Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom II-VO zum Einsatz: Grund für diese Ausnahmen betreffend wertpapierrechtliche Verpflichtungen und Nukleardelikte sind die zur Regelung der kollisionsrechtlichen Fragen auf diesen Gebieten schon seit geraumer Zeit bestehenden internationalen Abkommen (siehe II.2.b), S. 57 ff.). Bei einigen weiteren Aussparungen vom sachlichen Anwendungsbereich stellt die Vermeidung von Überschneidungen mit völkerrechtlichen Konventionen zwar nicht die Hauptmotivation für den Ausschlusstatbestand dar, wird aber als Effekt durchaus willkommen geheißen. So verhindert der Ausschluss der Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen (Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom I-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. a) Rom III-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. b) ErbVO; Art. 1 Abs. 2 lit. a) GüVO / PartVO) inhaltliche Überschneidungen mit dem ESÜ;114 die Aussparung von Fragen der elterlichen Verantwortung in Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom III-VO dient gleichzeitig der Abgrenzung des europäisch geregelten Scheidungsstatuts von völkerrechtlichen Kinderschutzregelungen, insbesondere dem KSÜ und der UN-Kinderrechtekonvention.115 Durch einen derartigen Ausschluss der bereits völkerrechtlich geregelten Materien vom sachlichen Anwendungsbereich der IPR-Verordnungen werden potentielle Konkurrenzsituationen entschärft. Wird durch eine Bereichsausnahme bewusst eine Lücke im EU-IPR gelassen, kommt es von vornherein nicht zu einer inhaltlichen Überschneidung zwischen europäischem und völkerrechtlichem IPR – es entsteht also gar keine Konkurrenz, die es zu lösen gälte. Die Begrenzung der sachlichen Reichweite der europäischen Regelungen gewährleistet damit auf indirektem Weg (auch) die unangetastete Anwendung und damit den unangefochteten Vorrang der völkerrechtlichen Regelung. Diese Technik entspricht nicht nur der Abgrenzung gegenüber dem national verbleibenden IPR, sondern sie kann sich mit ihr auch überschneiden: Sind nicht alle Mitgliedstaaten durch den betreffenden völkerrechtlichen Kollisionsrechtsakt gebunden, fungiert ein und dieselbe Bereichsausnahme für die Vertragsstaaten zugunsten des staatsvertraglichen Kollisionsrechts und 114 Vgl. Rauscher / von Hein Art. 1 Rom I-VO Rn. 23; BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 93; Deixler-Hübner / Schauer / Mankowski Art. 1 ErbVO Rn. 15. 115 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 104; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 38.

III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts

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für die restlichen Mitgliedstaaten zugunsten deren nationalen Kollisionsrechts. Sinnvoll erscheinen (auch) völkerrechtlich motivierte Bereichsausnahmen daher nur, wenn eine nicht unerhebliche Zahl von Mitgliedstaaten an den Staatsverträgen beteiligt ist. Insbesondere bei Verträgen unter Beteiligung nur weniger Mitgliedstaaten wird bestehenden völkerrechtlichen Kollisionsregeln aber nicht bereits durch eine Bereichsausnahme im EU-IPR Rechnung getragen. Fällt eine schon durch staatsvertragliches Einheitskollisionsrecht geregelte Materie in den sachlichen Anwendungsbereich einer europäischen IPR-Verordnung, tritt das europäische mit dem völkerrechtlichen Kollisionsrecht in Konkurrenz. Zur Lösung dieser – im europäischen Gesetzgebungsverfahren unter Umständen nicht im Detail bedachten und daher gegebenenfalls erst nachträglich zu Tage tretenden – Konflikte enthalten die EU-Verordnungen einen direkt auf das Verhältnis zwischen den Regelungsebenen bezogenen allgemeinen Mechanismus. Jede kollisionsrechtliche Verordnung enthält eine Vorschrift, die unter dem Titel „Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen“ die Beziehung des EU-Verweisungsrechts zum staatsvertraglichen IPR explizit regelt (Art. 25 Rom I-VO, Art. 28 Rom II-VO, Art. 19 Rom III-VO, Art. 75 ErbVO, Art. 62 GüVO / PartVO, Art. 69 UnthVO, Art. 11 AbtrVO-E). Verortet sind diese Koordinationsregeln im jeweils letzten Teil der Verordnungen („Sonstige Vorschriften“, „Sonstige Bestimmungen“ bzw. „Allgemeine [Bestimmungen] und Schlussbestimmungen“). Dies überrascht auf den ersten Blick, entspricht aber ihrer Funktionsweise. Es geht bei diesen Regelungen nämlich gerade nicht um eine Konfliktvermeidung ex ante, sondern um eine Konfliktlösung ex post: Grundsätzlich begehrt die Verordnung Anwendung hinsichtlich der fraglichen Materie, sodass eine Anwendungskonkurrenz entsteht und über das Rangverhältnis der Regelungsebenen zu entscheiden ist. Der Mechanismus dafür ist in allen Verordnungen übereinstimmend zweigliedrig aufgebaut: Auf eine Grundregel folgt ein Ausnahmetatbestand (dazu sogleich 2.). Das Grundprinzip formuliert der jeweilige Abs. 1: Schon vor Annahme der Verordnung bestehende internationale Übereinkommen der Mitgliedstaaten, die Kollisionsregeln zu einem dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfallenden Bereich enthalten, bleiben unberührt. Diese Regelung erfasst sowohl multilaterale Übereinkommen unter Beteiligung wenigstens eines Mitgliedstaats als auch bilaterale Übereinkommen einzelner Mitgliedstaaten. Gewährt wird dieser ausdrückliche Bestandsschutz für „Altverträge“: Vorrangige Anwendung vor einer Verordnung genießen jeweils die internationalen Übereinkommen, die am relevanten Stichtag für die Mitgliedstaaten (bei im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen Verordnungen: die teilnehmenden Mitgliedstaaten) völkerrechtlich verbindlich waren. Eine spätere Europäisierung des Kollisionsrechts tangiert also nicht den vorhandenen Bestand staatsvertraglicher Verweisungsnormen. Die Rücksichtnahmeklauseln erfassen demgegenüber nicht kollisionsrechtlich relevan-

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

te Staatsverträge, die erst nach den europäischen Verordnungen Verbindlichkeit erlangen (siehe detailliert § 4.II.2., S. 220 ff.). Mit diesem Mechanismus legen die IPR-Verordnungen ihr grundsätzliches Verhältnis zu völkerrechtlichen Verträgen klar fest: Die europäische Ebene nimmt sich gegenüber existierenden Staatsverträgen zurück. Der Vorrang bestehenden völkerrechtlichen Kollisionsrechts vor dem EU-IPR wird damit sichergestellt. 2. Einschränkungen der Vorrangklauseln und Alternativmechanismen Von diesem Grundprinzip der Unberührtheit und damit des Vorrangs bestehender Staatsverträge in ihrem Verhältnis zu den europäischen IPR-Verordnungen wird jedoch in verschiedener Hinsicht abgewichen. Zum einen wird der von allen Verordnungen postulierte grundsätzliche Vorrang staatsvertraglichen Kollisionsrechts durch Ausnahmeklauseln eingeschränkt. Zum anderen räumt das EU-IPR zunehmend dem völkerrechtlichen Kollisionsrecht über eine generelle Vorrangklausel hinausgehende „Anwendungsprivilegien“ ein, wofür es sich verschiedener Integrationsmechanismen bedient. Eine wesentliche Einschränkung erfährt der Anwendungsvorrang bestehender staatsvertraglicher Kollisionsregeln im jeweiligen Abs. 2 der Koordinationsnormen (Art. 25 Rom I-VO, Art. 28 Rom II-VO, Art. 19 Rom III-VO, Art. 75 ErbVO, Art. 62 GüVO / PartVO, Art. 69 UnthVO, Art. 11 AbtrVO-E): Im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten ist die Verordnung vorrangig gegenüber staatsvertraglichen Abkommen der Mitgliedstaaten untereinander mit demselben Regelungsgebiet. Diese Einschränkung erfasst nur völkerrechtliche Übereinkünfte, die „ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten“ geschlossen wurden – sobald an dem Staatsvertrag auch wenigstens ein Drittstaat beteiligt ist, greift die Ausnahme des Abs. 2 nicht ein, sodass der Vorrang des Völkerrechts nach dem jeweiligen Abs. 1 gilt (siehe detailliert § 4.II.1.a), S. 214 ff.). Als Drittstaaten sind nicht nur alle Nicht-EU-Staaten anzusehen, sondern auch diejenigen Mitgliedstaaten, die sich an der jeweils in Frage stehenden Verordnung nicht beteiligen. So ist beispielsweise Dänemark zwar hinsichtlich der Rom I-VO als Mitgliedstaat,116 für die Rom II-VO dagegen (ebenso wie bis zu seinem Austritt aus der EU auch das Vereinigte Königreich) als Drittstaat einzuordnen;117 bei im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit ergangenen Verordnungen gelten alle nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten als Drittstaaten.118 Erfasst sind also biund multilaterale Staatsverträge unter ausschließlicher Beteiligung von (teilnehmenden) Mitgliedstaaten. Für diese rein mitgliedstaatlichen Abkommen 116 MüKo8 / Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 10; NK-BGB / Leible Art. 1 Rom I-VO Rn. 81. 117 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 7, 18, 22 ff. 118 Vgl. BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 4; MüKo8 /  Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 4.

III. Negativer Anwendungsbereich: Vorrangklauseln zugunsten des Völkerrechts

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ordnet Abs. 2 jeweils eine Ausnahme vom grundsätzlichen Vorrang völkervertragsrechtlicher Kollisionsregeln an: Konkurrenzen sind zugunsten der jeweiligen EU-Verordnung aufzulösen. Schließlich scheint die in Abs. 1 zugunsten völkerrechtlicher Verpflichtungen ausgesprochene prinzipielle Zurückhaltung des EU-Rechts nicht erforderlich, wenn Drittstaaten nicht beteiligt und damit ihre Interessen nicht berührt sind. Es wäre vielmehr widersinnig, wenn die Verordnung mittragende Mitgliedstaaten im Verhältnis untereinander andere, zudem ältere Regeln zugrundelegten. Von der Einschränkung des völkerrechtlichen Vorrangs für nur zwischen Mitgliedstaaten geltende Staatsverträge wird in einigen Verordnungen wiederum eine Rückausnahme zugunsten besonderer regionaler Konventionen gemacht. Art. 69 UnthVO, Art. 75 ErbVO und Art. 62 GüVO treffen in ihrem jeweiligen Abs. 3 eine Sonderregelung zugunsten der im Anwendungsbereich der Verordnungen existierenden sogenannten Nordischen Übereinkommen.119 Diese regional begrenzten Staatsverträge zwischen den skandinavischen Staaten (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden) dürfen im Verhältnis ihrer Vertragsstaaten zueinander auch von EU-Mitgliedstaaten weiterhin angewendet werden; relevant ist das aufgrund der kollisionsrechtlichen Sonderstellung Dänemarks für Finnland und Schweden. Ein Vorrang der bestehenden Nordischen Übereinkommen vor den europäischen Verordnungen (in Anwendung des jeweiligen Abs. 1 der Koordinationsnormen) ergibt sich bereits aus der Beteiligung von Drittstaaten (Island, Norwegen) daran. Die spezielle Regelung dient jedoch nicht nur der expliziten Klarstellung, sondern kann insbesondere auch diesen Vorrang auf erst nach dem Inkrafttreten der Verordnungen verabschiedete Neufassungen der Übereinkommen erstrecken.120 Damit wird verhindert, dass die Zusammenarbeit der skandinavischen Staaten „versteinert“. Inhaltlich bleibt die Sonderstellung der Nordischen Übereinkommen jedoch ausdrücklich auf internationalverfahrensrechtliche Aspekte begrenzt: Sie bleiben anwendbar, soweit sie im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung die Parteien besserstellen als die europäischen Regelungen (insbesondere durch Vereinfachungs- und Beschleunigungsmechanismen), im Hinblick auf günstigere Prozesskostenhilfe (UnthVO) und hinsichtlich der Nachlassverwaltung und der diesbezüglichen behördlichen Unterstützung (ErbVO). Für das Kollisionsrecht entfaltet die SpeUnthVO: Nordisches Übereinkommen vom 23. März 1962 über die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen. – ErbVO: Nordisches Übereinkommen vom 19. November 1934 über Erbschaft und Nachlassabwicklung (i. d. F. vom 1.6.2012). – GüVO: Nordische Konvention über Ehe, Adoption und Vormundschaft vom 6.2.1931 (aktuell i. d. F. vom 26.1.2006, i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.11.2008); da eingetragene Partnerschaften von den Nordischen Übereinkommen nicht erfasst sind, fehlt ein entsprechender Abs. 3 in Art. 62 PartVO, vgl. MüKo8 / Looschelders Art. 62 PartVO Rn. 1. 120 MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 44; Frantzen in: Löhnig / Schwab / Henrich /  Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 67, 69 ff. – Vgl. auch Erw. 74 ErbVO. 119

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

zialregelung demgegenüber keine Wirkung121 – weswegen die rein kollisionsrechtlichen Verordnungen auch keine entsprechenden Regeln aufweisen. Auf der anderen Seite kann die Zurücknahme des EU-IPR gegenüber völkerrechtlichen Kollisionsregeln erheblich über Bereichsausnahmen und Rücksichtnahmeklauseln hinausgehen. Statt dem staatsvertraglichen IPR lediglich den Vortritt zu lassen, geht das EU-IPR teils so weit, es aktiv zu übernehmen. Erstmalig fand dieser Ansatz in der UnthVO Anwendung: Der europäische Gesetzgeber hat keine eigenen Unterhaltskollisionsregeln geschaffen, sondern verweist zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in Art. 15 UnthVO schlicht auf das HUP, an dem die EU selbst maßgeblich beteiligt ist. Bei Schaffung der ErbVO wurde dagegen dem für einige, aber nicht alle Mitgliedstaaten bindenden HTestFormÜ durch eine Doppel-Regelung Rechnung getragen. Art. 75 Abs. 2 ErbVO stellt explizit klar, dass für die Vertrags-Mitgliedstaaten weiterhin das HTestFormÜ anzuwenden ist. Für die nicht dem Übereinkommen angehörenden Staaten trifft die ErbVO eine eigene Regel zur Sonderanknüpfung der formellen und materiellen Wirksamkeit von Verfügungen von Todes wegen (Artt. 24–27 ErbVO), die jedoch inhaltlich stark am HTestFormÜ orientiert ist. Mit derartigen Mechanismen wird nicht schlicht hierarchisch der Vorrang des völkerrechtlichen Kollisionsrechts gewahrt, sondern dieses auch inhaltlich in das EU-IPR übernommen: Es kommt zu einer Überlappung bzw. Verzahnung der Regelungsebenen. IV. Folgerungen

IV. Folgerungen

Das EU-IPR bestimmt seinen Anwendungsbereich selbst und steckt ihn sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht relativ detailliert ab. Dabei wird die grundsätzliche Reichweite der europäisch geregelten Statute vergleichsweise klar umrissen. Hinzu treten allerdings zahlreiche Aussparungen vom Anwendungsbereich, deren Motivation zumeist entweder in einer bereits vorhandenen oder zumindest ins Auge gefassten anderweitigen internationalen Regelung liegt oder darauf gegründet ist, dass (aus unterschiedlichen Gründen) das jeweilige Statut als nicht passend empfunden wird.122 Besonders deutlich wird dies bei der bewussten Aussparung rechtspolitisch problematischer Fragen. Der Inhalt der einzelnen Ausnahmetatbestände und damit die Grenzen des Anwendungsbereichs der einzelnen IPR-Verordnungen sind europäisch-autonom zu bestimmen123 und werden nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des EuGH immer feiner herausgearbeitet. Beispielsweise haben im Jahr 2019 gleich zwei Luxemburger Entscheidungen die Ausnahme 121 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 75 ErbVO Rn. 30; MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 44; Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 29; MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 20 f.; Helin in: Dutta / Wurmnest, 121, 128. 122 Vgl. statt vieler BeckOGK / Paulus (Stand: 1.3.2022) Art. 1 Rom I-VO Rn. 58. 123 Vgl. Hohloch IPRax 2012, 110, 112.

IV. Folgerungen

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gesellschaftsrechtlicher Fragen vom Schuldvertragsstatut in Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO näher eingegrenzt. In der Rechtssache Kerr ./. Postnov stellte der EuGH klar, dass die Ausnahme zugunsten des Gesellschaftsrechts lediglich die „organisatorischen Aspekte“ des Gesellschaftsrechts erfasst, sodass die Klage einer Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einzelne Wohnungseigentümer auf Zahlung des Wohngelds nicht darunterfällt; vielmehr handele es sich dabei um eine (nach dem zugrundegelegten weiten Verständnis) vertragliche Verpflichtung.124 In der Rechtssache TVP Treuhand setzte der EuGH sein restriktives Verständnis der gesellschaftsrechtlichen Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO fort, indem er die Einstufung des streitgegenständlichen Treuhandvertrags als „gesellschaftsrechtlich“ ablehnte.125 Zu erkennen ist insgesamt eine Tendenz zur eher restriktiven Auslegung der Ausnahmetatbestände, die zu einem großzügigeren sachlichen Anwendungsbereich der Kollisionsrechtsverordnungen führt. Im Kern handelt es sich bei der Bestimmung der Reichweite des EU-IPR um Qualifikationsfragen: In Frage steht der Umfang der europäisch geregelten Statute bzw. umgekehrt die Subsumtion einzelner Rechtsinstitute darunter. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der autonomen Auslegung der europäischen Kollisionsrechtsakte126 nimmt der europäische Gesetzgeber mit der positiven Zuordnung zentraler Fragestellungen zum europäisch bestimmten Statut eine gesetzliche Qualifikation vor.127 Umgekehrt sind auch die Ausnahmetatbestände bezüglich des sachlichen Anwendungsbereichs der EU-Kollisionsrechtsverordnungen letztlich Qualifikationsregeln bzw. -hilfen. Sowohl bei den Bereichs- als auch bei den Spezialausnahmen geht es im Kern darum, das von der jeweiligen Verordnung geregelte Statut zu bestimmen – durch seine Abgrenzung gegenüber anderen, benachbarten Statuten bzw. durch den Ausschluss eigentlich dazugehörender Aspekte. Der explizite Ausschluss potentiell erfasster „artverwandter“ Rechtsfragen in den Negativkatalogen beantwortet die diesbezüglichen Qualifikationsfragen negativ, indem er sie bewusst von dem in der Verordnung geregelten Statut ausnimmt und einem anderen, gegebenenfalls auf anderer Regelungsebene, zuweist. Zu beobachten sind jedoch gelegentliche (Rück-)Ausnahmen im Sinne einer positiven Qualifikation, wenn nämlich eine Verordnung Teile der von ihrem Anwendungsbereich grundsätzlich ausgeklammerten Bereiche doch explizit regelt. So schließt beispielsweise zwar Art. 1 Abs. 2 lit. b) ErbVO grundsätzlich die EuGH 8.5.2019 – C-25/18, Kerr ./. Postnov, Rn. 33 f. EuGH 3.10.2019 – C-272/18, TVP Treuhand, Rn. 34 ff. 126 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.3.2022) Art. 15 Rom II-VO Rn. 8. 127 MüKo8 / Junker Art. 15 Rom II-VO Rn. 1; MüKo8 / Dutta Art. 23 ErbVO Rn. 1; BeckOGK / Yassari (Stand: 1.12.2020) Art. 11 HUP Rn. 3; Goetzke / Michaels in: Beaumont / Holliday, 31, 38 ff. – Sonnenberger IPRax 2011, 325, 329 bezeichnet die Positivlisten daher als „Qualifikationskataloge“. 124 125

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Teil II: § 2 – Grenzen des EU-IPR: (Selbstgesteckter) Anwendungsbereich

Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit vom Anwendungsbereich der ErbVO aus, der spezielle erbrechtliche Aspekt der Testierfähigkeit wird jedoch in Art. 26 Abs. 1 lit. a) ErbVO der materiellen Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen zugeordnet und damit doch unter ihren Anwendungsbereich gefasst, also erbrechtlich qualifiziert. Mit zunehmender Europäisierung verschwimmt die Abgrenzung zwischen Anwendungsbereichsregel und Qualifikation im engeren Sinne zusehends.128 Grenzziehungs- und Qualifikationsprobleme stellen sich dabei insbesondere in den Randbereichen der Verordnungen und bei der Einordnung spezieller Institute des materiellen Rechts. Brisant werden diese Qualifikationsfragen, in denen gleichzeitig eine explizite Zuweisung zum Anwendungsbereich einer bestimmten Verordnung liegt, vor allem bei der Abgrenzung des europäischen gegenüber dem nationalen Kollisionsrecht. Hier entscheiden sie zentral darüber, wie weit die Verdrängungswirkung durch das vorrangige EU-IPR reicht und welche Fragen dem mitgliedstaatlichen IPR verbleiben: Die Bestimmung der Anwendungsbereiche des EU-IPR wird durch die Zuordnung zur europäischen oder nationalen Regelungsebene erheblich aufgeladen. Nur auf der Grundlage einer klaren Zuordnung aller Fragen zu einer der beiden Regelungsebenen kann aber das Zusammenspiel zwischen europäischem und nationalem IPR sich sinnvoll entfalten und weiterentwickeln. Probleme für das Verhältnis zwischen europäischem und mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht können bereits daraus entstehen, dass auf europäischer Ebene ein anderes Begriffsverständnis zugrundegelegt wird, sodass die Europäisierung auch eine Re-Qualifikation und eine Verschiebung der angestammten Abgrenzungen zwischen Statuten mit sich bringt. Dieses Phänomen ist in kurzer Zeit zu einem der zentralen Brennpunkte des EU-IPR geworden und muss zunächst sowohl im Hinblick auf Erweiterungen als auch auf Verengungen bzw. Aussparungen näher analyisert werden (siehe § 3, S. 67 ff.). Im Verhältnis des EU-IPR zu Kollisionsregeln völkerrechtlicher Genese spielen Qualifikationsfragen dagegen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Im Verhältnis der beiden internationalen Regelungsebenen geht es weniger um Hierarchien denn um Koordination – das EU-IPR nimmt sich insbesondere durch Rücksichtnahmeklauseln, zunehmend aber auch durch Integrationsmechanismen, zugunsten bestehender Staatsverträge zurück. Die Verbindungen und Trennlinien zwischen den beiden Ebenen sind dadurch komplexer und differenzierter als gegenüber dem nationalen Recht; die Behandlung bestehenden staatsvertraglichen Kollisionsrechts unter Geltung des EU-IPR-Regimes hängt insbesondere davon ab, welche Akteure an den völkerrechtlichen Rechtsakten beteiligt sind. Dabei müssen die unterschiedlichen Regelungstechniken mit ihren jeweils eigenen Detailfragen überblickt werden 128 Vgl. Heiss / Kaufmann-Mohi in: Leible / Unberath, 181, 188; Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 193; Mansel in: FS Canaris, 739, 759 ff.

IV. Folgerungen

67

(siehe § 4.II., S. 212 ff.). Als vorgelagerte Frage stellt sich jedoch das praktische Problem der Identifizierung der mit dem EU-IPR interagierenden kollisionsrechtlichen Staatsverträge (siehe § 4.I., S. 187 ff.).

§ 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Die Grenzziehung zwischen europäischem und nationalem IPR richtet sich nach dem Anwendungsbegehren des hierarchisch vorrangigen EUKollisionsrechts: Soweit dessen Anwendungsbereich reicht, ist es einzig maßgeblich, alle Fragen außerhalb seines Anwendungsbereichs sind dem nationalen IPR zugewiesen. Die exakte Auskonturierung der sachlichen Anwendungsbereiche der einzelnen EU-Verordnungen wirft jedoch trotz fortschreitender Klärung immer wieder Schwierigkeiten auf. Gerade in Einzelund Grenzfällen ist die Zuweisung zu einem bestimmten EU-Rechtsakt in Abgrenzung zum nationalen IPR, zunehmend aber auch die Konkurrenz zwischen zwei potentiell anwendbaren Kollisionsrechtsverordnungen alles andere als einfach. Nicht verwunderlich ist daher, dass hier vor allem in der Anfangsphase der Anwendung der IPR-Verordnungen ein Hauptschauplatz der Diskussionen liegt und die Verfeinerung der Abgrenzungen auch langfristig Gerichte und Wissenschaft beschäftigt. Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Reichweite der europäischen Anwendungsbereichsregeln und Ausnahmetatbestände stellen wie gesehen eine Art von Qualifikationsstreitigkeiten dar (siehe § 2.IV., S. 64 ff.).129 Aber auch die klassische Qualifikation im Sinne der Subsumtion einzelner Rechtsfiguren unter ein Statut spielt häufig eine zentrale Rolle für die Anwendung oder Nichtanwendung der europäischen IPR-Verordnungen: Sie bestimmt über die Zuordnung einer Rechtsfrage bzw. eines Rechtsverhältnisses zum Anwendungsbereich eines bestimmten europäischen Rechtsakts. Ein Beispiel dafür ist die im Einzelfall oft schwierig zu beantwortende Frage, ob ein Unterhaltsanspruch sich aus einer familiären Beziehung allgemein ergibt (dann UnthVO) oder vielmehr dem spezielleren Güter-, Erb- oder Deliktsstatut zuzuordnen ist (dann GüVO / PartVO, ErbVO bzw. Rom IIVO).130 Der (abstrakte) europäische Statutenzuschnitt in den Anwendungsbereichsregeln und die (konkrete) Qualifikation als Zuweisung einzelner Rechtsinstitute zu bestimmten Statuten stehen als Kehrseiten ein und dersel129 Lagarde in: FS Ancel, 1043, 1050 weist auf den gegenüber der Qualifikation aus Sicht des nationalen IPR etwas veränderten Blickwinkel hin. 130 Vgl. BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.11.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 61 ff.; MüKoFamFG / Lipp Art. 1 UnthVO Rn. 36 ff.; BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 63 ff.; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 31 ff.

68

Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

ben Medaille in Wechselwirkung zueinander: An die Absteckung des Zuordnungsrahmens durch den Gesetzgeber schließt sich die Einordnung bestimmter Rechtsinstrumente als Subsumtionsaufgabe der Rechtsanwender an. Für die Bestimmung des Verhältnisses der europäischen Kollisionsrechtsakte untereinander und zum nationalen IPR kommt damit, vor allem bei der Einordnung von Rechtsfragen bzw. Rechtsverhältnissen mit Berührungspunkten zu mehreren Statuten, nicht nur den (Ausschluss-)Regelungen zum sachlichen Anwendungsbereich und den damit verbundenen Fragen, sondern der Qualifikation insgesamt eine zentrale Rolle zu. Die Auslegung der Normen, mit denen die EU-Verordnungen ihren Anwendungsbereich festlegen, und die Qualifikationsentscheidungen im Rahmen des EU-Kollisionsrechts müssen auf europäischer Ebene erfolgen.131 Nur dem EuGH kommt die Kompetenz zur verbindlichen Beantwortung offener Auslegungsfragen zu den europäischen Rechtsakten und damit zur Bestimmung der Grenzen der einzelnen EU-Rechtsakte zu. Dass die europäische Qualifikation autonom und damit unabhängig von den nationalen Verständnissen der Mitgliedstaaten vorzunehmen ist, ist heute selbstverständlich: Nur eine (verbindliche) einheitlich-autonome Auslegung kann die einheitliche Anwendung des EU-IPR gewährleisten.132 Aus dem nationalen Kollisionsrecht bereits als solche vertraute Abgrenzungs- und Zuordnungsschwierigkeiten wie der problematische Verlauf der Trennlinie zwischen Güter- und Erbrecht133 müssen daher für das europäische Kollisionsrecht autonom neu betrachtet werden. Die europäische Begriffsbildung erfolgt dabei grundsätzlich rechtsvergleichend-funktional.134 Während sie für ihren jeweiligen Kontext vorgenommen werden muss,135 kommt mit wachsender Zahl der europäischen Rechtsakte auch der verordnungsübergreifend einheitlichen Auslegung immer 131 Vgl. zur Qualifikation im EU-IPR statt vieler Wilke 113 ff.; Bariatti in: Encyclopedia of PIL, 357, 359 ff.; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 2 ff.; Heinze in: FS Kropholler, 105, 107 ff.; Heiss / Kaufmann-Mohi in: Leible / Unberath, 181, 181 ff. – Umfassend zur Qualifikation nach nationalen, europäischen und völkerrechtlichen Maßstäben Mansel in: FS Canaris, 739, 750 ff., zur Qualifikation im Kontext internationaler Rechtsakte Goetzke /  Michaels in: Beaumont / Holliday, 31, 31 ff. (insbes. 35 ff., 41 ff.) 132 Wilke 118 f.; Heinze in: FS Kropholler, 105, 108 ff.; Kreuzer in: Jud / Rechberger /  Reichelt, 1, 53; Maoli RDIPP 2018, 676, 688 f. – So auch die EuGH-Rechtsprechung, in jüngerer Zeit etwa EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf, Rn. 32; EuGH 18.10.2016 – C135/15, Nikiforidis, Rn. 28 m. w. N. 133 Im Überblick MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 24 ff.; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 49 ff. 134 EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf, Rn. 32 stellt ein grundsätzliches Bekenntnis des EuGH zur funktionalen Qualifikation dar, siehe z. B. Süß DNotZ 2018, 742, 745. – Zur autonomen Qualifikation im Rahmen internationaler IPR-Rechtsakte Goetzke / Michaels in: Beaumont / Holliday, 31, 41 ff. 135 Insbesondere, ob eine dynamische Auslegung in Betracht kommt, muss für jeden Rechtsakt einzeln beurteilt werden, vgl. Mankowski IPRax 2017, 541, 546.

IV. Folgerungen

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stärkeres Gewicht zu136 – wobei insbesondere bereits ergangene Rechtsprechung zur „Negativabgrenzung“ spiegelbildlich auch zur „Positivabgrenzung“ des Anwendungsbereichs anderer Verordnungen herangezogen werden kann.137 Für die Mitgliedstaaten bedeutet eine solche europäisch-autonome Qualifikation zwangsläufig die gelegentliche Aufgabe ihres bisherigen nationalen Verständnisses – abweichende Qualifikationsentscheidungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen waren unter dem nationalen Kollisionsrecht zu akzeptieren, sind aber für den Bereich des EU-IPR nicht mehr haltbar. Wenn sich das eigene Begriffsverständnis in der „Konkurrenz“ mit anderen Interpretationen auf europäischer Ebene nicht durchsetzen kann, muss das nationale IPR das hinnehmen. Neuqualifikationen bzw. andere Grenzziehungen der Statute unter der Ägide des EU-IPR (und durch Entscheidung des EuGH) wirken für die nationalen Rechtsanwender zunächst oft aufsehenerregend138 – sie sind aber zum einen systemimmanent, zum anderen ist das damit erzwungene Umdenken nicht per se negativ. Als problematisch erweisen sich vielmehr die Folgen der europäischen Einstufungsentscheidungen, deren unter Umständen äußerst weitreichende Wirkungen häufig auf europäischer Ebene nicht hinreichend bedacht werden. Im Folgenden werden die Wirkungen der bisher für das EU-IPR getroffenen Abgrenzungs- und Zuordnungsentscheidungen auf die Reichweite des europäischen und des nationalen IPR und die Konsequenzen der europäisch determinierten Verschiebungen des Statutenzuschnitts exemplarisch analysiert. Dabei werden anhand von jeweils zwei Beispielen die beiden Grundpositionen untersucht, die das EU-IPR hinsichtlich seiner Reichweite einnehmen kann. Einerseits kann es durch ein weites Verständnis seines Anwendungsbereichs den Statutenzuschnitt gegenüber dem bisherigen Verständnis im nationalen IPR erweitern (dazu I.). Derartigen „positiven“ Verschiebungen der Grenzlinie zugunsten der Anwendung des EU-IPR steht in anderen Bereichen jedoch eine Zurückhaltung gegenüber. In manchen Gebieten trifft das europäische Kollisionsrecht „negative“ Anwendungsentscheidungen und überlässt häufig schwierige Fragen der nationalen Ebene (dazu II.). In beiden Szenarien kann die Entscheidung die nationalen Rechtsetzer und Rechtsanwender überraschen, zumal die aufgeworfenen Folgefragen durch das europäische Kollisionsrecht nicht beantwortet werden.

136 Vgl. etwa MüKo8 / Martiny Art. 1 Rom I-VO Rn. 25; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 18 ff.; Heinze in: FS Kropholler, 105, 109 ff.; Martiny ZfPW 2017, 1, 7. 137 Siehe zur GüVO MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 8. 138 Ein besonders krasses Beispiel sind die Schwierigkeiten, die die europäische Grenzziehung zwischen Scheidung, Ehegüterrecht und (nachehelichem) Unterhalt für die angelsächsichen common law-Rechtsordnungen des Vereinigten Königreichs und Irlands mit sich bringt, siehe dazu Harding JPIL 7 (2011), 203, 203 ff., insbes. 216 ff.

70 I.

Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt

I. EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt

Mit der Überführung auf die europäische Ebene kann sich der Zuschnitt von Statuten im Vergleich zum bisherigen nationalen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten erweitern. Auslöser dafür kann bereits die Bestimmung des Anwendungsbereichs durch den europäischen Kollisionsrechtsakt sein. Wenn dieser die Außengrenzen des nunmehr von ihm geregelten Statuts großzügiger zieht als das mitgliedstaatliche IPR, erfasst die Europäisierung nicht nur den nach bisherigem nationalem Verständnis dazugehörigen Bereich, sondern auch Fragen, die bisher als Teil angrenzender Gebiete beurteilt wurden. Auf diese Grenzverschiebung und die damit einhergehenden Neuqualifikationen müssen und können die Mitgliedstaaten sich von Anfang an einstellen. Daneben existieren aber auch Fälle, in denen das europäische Begriffsverständnis und damit die Reichweite des EU-IPR sich nicht eindeutig aus dem Verordnungstext ergibt, sondern durch Auslegung zu ermitteln ist. Den Widerstreit der (häufig vom bisherigen nationalen Verständnis geprägten) Interpretationen kann verbindlich nur der EuGH im Laufe der Anwendung der Verordnungen nach und nach lösen – Antworten gibt es nicht nur nachträglich, sondern auch lediglich fallweise. Die Funktionsweise, vor allem aber die Tücken beider Konstellationen illustrieren die aktuellen Beispiele der Abgrenzung des europäischen Güterstatuts von den national verbliebenen allgemeinen Ehewirkungen, die sich weitgehend bereits aus dem Verordnungstext ergibt (dazu 1.), und des zu trauriger Berühmtheit gelangten Streits um die Trennlinie zwischen europäischem Erbstatut (bzw. Güterstatut) und nach wie vor mitgliedstaatlichem Internationalem Sachenrecht, der schließlich durch den EuGH entschieden wurde (dazu 2.). 1. Abgrenzungsverschiebung: Reichweite des Güterstatuts gegenüber den allgemeinen Ehewirkungen Eine der zentralen Fragen des Ehegüterrechts ist seine Abgrenzung gegenüber den allgemeinen Ehewirkungen. Die exakte Ziehung dieser Trennlinie ist zwar innerhalb des Sachrechts ein und derselben Rechtsordnung nicht von allzu großer praktischer Bedeutung und erscheint daher häufig verschwommen. Auf kollisionsrechtlicher Ebene ist eine klare Trennung dagegen unabdingbar, denn allgemeine Ehewirkungen und Ehegüterrecht sind traditionell separat anzuknüpfen, sodass die unterschiedlichen Anknüpfungsregeln zur Anwendung divergierender Sachrechte führen können. Insbesondere können die Statute selbst bei gleichem Anknüpfungsmoment auf Dauer auseinanderfallen, wenn das allgemeine Ehewirkungsstatut wandelbar, das Ehegüterstatut demgegenüber unwandelbar ist. Es kommt also wesentlich auf den Zuschnitt der Anwendungsbereiche des allgemeinen Ehewirkungsstatuts und des Ehegüterstatuts und insbesondere auf ihre Abgrenzung voneinander ab. Die Entscheidung über die jeweilige Reichweite der Statute bildet den Grundstein für

I. EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt

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die Zuordnung einzelner Rechtsinstitute zum einen oder anderen Statut im Rahmen der Qualifikation. Gleichzeitig beeinflusst der enge oder weite Zuschnitt eines Statuts aber auch die Ausgestaltung seiner Anknüpfungsregeln. Dabei spielt auch die Abstimmung der beiden Statute miteinander eine Rolle: Da sie nicht isoliert voneinander gelten, sondern als Teil einer internationaleherechtlichen Gesamtkonstruktion gleichzeitig anwendbar sind, sollten ihre Regelungen mit Blick aufeinander konzipiert und angewendet werden. Innerhalb ein und desselben Rechtssystems wurden die Kollisionsregeln für Güterrecht und allgemeine Ehewirkungen unter gegenseitiger Berücksichtigung und geprägt durch das Sachrechtsverständnis entwickelt, für Qualifikations- und Koordinationsfragen konnten innerhalb des Gesamtsystems stimmige Lösungen gefunden werden. Die Europäisierung des Güterstatuts durch die GüVO / PartVO erfordert in den teilnehmenden Mitgliedstaaten jedoch eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen den Statuten: Nunmehr muss ein europäisiertes Güterstatut mit einem national verbliebenen Ehewirkungsstatut koordiniert werden, und zwar auf Grundlage des europäischen güterrechtlichen Verständnisses. Was aus dessen Sicht zum Güterstatut zu rechnen ist, definiert der Text der GüVO / PartVO bereits relativ umfangreich (siehe oben § 2.I.2., S. 38 ff.). Gegenüber dem bisherigen Zuschnitt des Güter- und allgemeinen Ehewirkungsstatuts im nationalen IPR zahlreicher Mitgliedstaaten ergeben sich damit fast zwangsläufig Änderungen. Im Folgenden wird zunächst am Beispiel insbesondere des deutschen IPR die traditonelle nationale Abgrenzung und Koordination von Güter- und allgemeinem Ehewirkungsstatut vorgestellt (dazu a)) und anschließend die Position der Güterrechtsverordnungen dazu untersucht (dazu b)), um schließlich die durch das Inkrafttreten der Güterrechtsverordnungen aufgeworfenen Folgefragen zu identifizieren (dazu c)). a) Nationales IPR Das autonome deutsche IPR regelte bis zum Inkrafttreten der Güterrechtsverordnungen die allgemeinen Ehewirkungen in Art. 14 EGBGB a. F., das Güterrecht in Art. 15 EGBGB a. F. Deren Abgrenzung erfolgte anhand einer funktional-teleologischen Qualifikation:139 Fragen, bei denen das persönliche Element der Ehe, also die persönliche Rechtsbeziehung der Ehegatten zueinander und ihr Verhältnis zu Dritten, im Vordergrund stand, waren grundsätzlich den allgemeinen Ehewirkungen zuzuordnen.140 Zum Güterstatut – zu dem sich die meisten und schwierigsten Abgrenzungsfragen stellten – gehörten aus deutscher Sicht demgegenüber diejenigen materiell-rechtlichen Regelun139 MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 34; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 216. 140 Vgl. BGH 9.12.2009 – XII ZR 107/08, Rn. 19; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 25; Kropholler 345 f.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

gen, die eine vermögensrechtliche Sonderordnung für das Vermögen der Ehegatten aufgrund der Ehe schufen bzw. umsetzten.141 Auf einer solchen Sonderordnung (bzw. deren Fehlen) beruhende vermögensrechtliche Ehewirkungen wurden dementsprechend ebenfalls dem Güterrecht zugeordnet – nicht jedoch güterstandsunabhängig alle Ehen erfassende vermögensrechtliche Wirkungen, die vielmehr als allgemeine Ehewirkung verstanden wurden.142 Für die Abgrenzung zwischen allgemeinem Ehewirkungs- und Güterstatut kam es also maßgeblich darauf an, ob die in Frage stehende Regelung auf einem bestimmten Güterstand beruhte (dann Güterstatut des Art. 15 EGBGB a. F.) oder nur auf dem Bestehen einer Ehe (dann Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB a. F.) – ein stark durch die Einteilung der Bereiche im deutschen materiellen Recht geprägtes Verständnis. War bei Rechtsinstituten fremder Rechtsordnungen eine solche Einteilung nicht möglich, wurde danach entschieden, ob Zweck der Vorschrift die Vermögenszuordnung (dann Art. 15 EGBGB a. F.) oder die Sicherung der ehelichen Lebensgemeinschaft (dann Art. 14 EGBGB a. F.) war.143 Die Einzelheiten dieser hier nur in ihren Grundlinien darzustellenden Abgrenzung waren freilich, gerade im Hinblick auf einzelne Rechtsinstitute, durchaus umstritten. aa) Abgrenzung nach deutschem IPR In der praktischen Anwendung dieser Grundsätze ergab sich, dass das deutsche IPR als allgemeine Ehewirkungen zunächst einmal die Rechtsinstitute behandelte, die dem persönlichen Ehebereich entstammten.144 Dazu waren insbesondere die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft mit den damit verbundenen persönlichen Pflichten (z. B. der ehelichen Treuepflicht),145 die Aufgabenverteilung der Ehegatten146 sowie Haftungsprivilegierungen zwischen Ehegatten (z. B. § 1359 BGB)147 zu zählen. Da allerdings zahlreiche persönliche Aspekte der Ehe ohnehin durch speziellere Kollisionsnormen geregelt wurden (z. B. unterfiel der Ehename Art. 10 EGBGB),148 fungierte Art. 14 EGBGB a. F. diesbezüglich überwiegend als „Auffangtatbestand“.149 141 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 15 EGBGB Rn. 16; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 28, Art. 15 EGBGB Rn. 29; Kegel / Schurig 852. 142 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 28. 143 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 28. 144 Siehe zu einzelnen allgemeinen Ehewirkungen umfassend MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 45 ff.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 213 ff. 145 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 37 ff.; Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 239 ff. 146 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 46 f.; Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 258. 147 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 45; Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 278.

I. EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt

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Daneben war Art. 14 EGBGB a. F. jedoch auch maßgeblich für allgemeine, also nur das Bestehen einer Ehe voraussetzende, Ehewirkungen mit Bezug auf die Vermögenssituation der Ehegatten. Als derartige vermögensbezogene allgemeine Ehewirkungen wurden die aus der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft fließenden Auskunftspflichten der Ehegatten sowie die Pflicht zur Mitwirkung an einer steuerlich günstigen Gestaltung eingestuft.150 Auch die Zuweisung der Ehewohnung und die Verteilung der Haushaltsgegenstände im Fall des Getrenntlebens unterfielen grundsätzlich Art. 14 EGBGB a. F.;151 für im Inland belegene Wohnungen bzw. Gegenstände griff allerdings seit 2001 die durch das Gewaltschutzgesetz152 eingefügte vorrangige Sonderregelung des Art. 17a EGBGB a. F. ein, die diese Nutzungsbefugnisse ebenso wie damit in Zusammenhang stehende Betretungs-, Näherungs- und Kontaktverbote dem deutschen materiellen Recht unterstellte.153 Die Zuteilung von Haushaltsgegenständen und Ehewohnung bei Scheidung wurde dagegen dem Scheidungsstatut zugeschlagen.154 Als kompliziert erwies sich die Abgrenzung zwischen allgemeinem Ehewirkungs- und Güterstatut damit vor allem bei Rechtsinstituten zur Regelung der Vermögensverhältnisse der Ehegatten. Hier wurde bei der Einordnung differenziert: Für die Zuordnung zum allgemeinen Ehewirkungs- bzw. Güterstatut war jeweils ausschlaggebend, ob die in Frage stehende Regelung alle Ehen erfasste oder nur als Folge eines bestimmten Güterstands eingriff. Relevant wurde dies zunächst einmal bei ehebedingten Verfügungsbeschränkungen bzw. Zustimmungserfordernissen des anderen Ehegatten für die Wirksamkeit bestimmter Rechtsgeschäfte. Erfassten diese nur bestimmte Güterstände, wurden sie güterrechtlich qualifiziert und Art. 15 EGBGB a. F. unterstellt155 – galten sie dagegen für alle Ehen unabhängig vom Güterstand, wurden sie als allgemeine Ehewirkung behandelt. Dementsprechend wurden etwa die nur für den gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft geltenden Verfü148 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 9; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 33 ff.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 213. 149 BGH 9.12.2009 – XII ZR 107/08, Rn. 19; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 26; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 213. 150 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 51. 151 OLG Celle 14.1.1998 – 19 UF 289/97; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 53; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 272. 152 Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) vom 11.12.2001. 153 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 53; Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 272. 154 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 26; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 53. 155 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 19; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 29, 68, Art. 15 EGBGB Rn. 33.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

gungsbeschränkungen nach §§ 1365, 1369 BGB güterrechtlich angeknüpft, während die güterstandsunabhängigen Zustimmungserfordernisse anderer Rechtsordnungen als allgemeine Ehewirkungen behandelt wurden. Letzteres erfasste beispielsweise die Zustimmungserfordernisse, die das französische Recht in Art. 215 Abs. 3 C.civ. und das niederländische Recht in Art. 1:88 Abs. 1 lit. a) BW für Verfügungen eines Ehegatten über die Ehewohnung und dazugehörige Gegenstände156 oder beispielsweise das niederländische Recht in Art. 1:88 Abs. 1 lit. b), d) BW für ungewöhnliche Schenkungen oder nicht beruflich bedingte Ratenzahlungsgeschäfte157 vorsehen und die jeweils für alle Ehegatten gelten. Ebenfalls – da güterstandsunabhängig – aus deutscher Sicht dem allgemeinen Ehewirkungsstatut unterstellt wurden Interzessionsverbote zwischen Ehegatten158 (beispielsweise das Zustimmungserfordernis für die Bürgschaftsübernahme eines Ehegatten nach Art. 494 OR159 oder das Zustimmungserfordernis des Art. 1:88 lit. c) BW für nicht im Rahmen der Berufsausübung geschlossene Verträge mit Sicherheitsleistung160). Gesetzliche Vertretungsbefugnisse der Ehegatten ordnete das deutsche IPR nach denselben Grundsätzen quasi spiegelbildlich zu den Verfügungsbeschränkungen zu. Für güterstandsunabhängige, nur auf dem Bestehen einer Ehe fußende Ermächtigungen war das allgemeine Ehewirkungsstatut maßgeblich. Dies erfasste etwa die gesetzliche Verpflichtungsermächtigung des § 1357 BGB (sogenannte Schlüsselgewalt).161 Vertretungsbefugnisse, die einen bestimmten Güterstand voraussetzen, wurden dagegen nach dem Güterstatut beurteilt.162 Auch die Eigentums- und Besitzvermutungen bei Ehegatten wurden entsprechend ihrer Güterstandsabhängigkeit eingestuft. Alle Ehegatten erfassende Regelungen wurden als allgemeine Ehewirkung angesehen – so beispielsweise die Eigentumsvermutung des § 1362 BGB.163 Dem Güterrecht zugeordnet wurden dagegen güterstandsgebundene Vermutungsregeln, etwa die nur für die Gütergemeinschaft geltende Vermutung der Gesamtguts156 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 19; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 29 f.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 217, 303. 157 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 71. – Demgegenüber Nordmeier IPRax 2014, 411, 417 f. für eine güterrechtliche Qualifikation aller Schenkungsverbote. 158 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 69 f.; Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 235; Kegel / Schurig 839. 159 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 69. – Das schweizerische Recht qualifiziert demgegenüber Art. 494 OR als zum Personalstatut des Bürgen gehörig (BG 14.12.1984, BGE 110 II 1984), so auch früher der BGH zum niederländischen Recht (BGH 15.11.1976 – VIII ZR 76/75). 160 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 69, 71. 161 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 16; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 297. 162 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 72 f.

I. EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt

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zugehörigkeit in § 1416 BGB.164 Die gleiche Differenzierung sollte auch bei den – heute nur noch wenigen Rechtsordnungen bekannten – EhegattenLegalhypotheken vorgenommen werden: Entstanden diese gesetzlichen Sicherungsrechte unabhängig vom Güterstand, sollten sie als allgemeine Ehewirkung einzustufen sein, waren sie dagegen auf bestimmte Güterstände beschränkt, sollten sie güterrechtlich qualifiziert werden.165 Eine besondere Herausforderung stellte schließlich die kollisionsrechtliche Behandlung des sogenannten Nebengüterrechts dar. Dabei handelt es sich um ergänzende Ausgleichsansprüche bei Beendigung der Ehe, mit deren Hilfe güterrechtlich nicht erfasste Vermögensopfer ausgeglichen und auf diese Weise unbillige Ergebnisse einer strikten Anwendung nur der güterrechtlichen Vorschriften korrigiert werden können. Zum Nebengüterrecht des deutschen materiellen Güterrechts gehören die Rechtsfiguren der unbenannten (ehebezogenen) Zuwendung, des familienrechtlichen Kooperationsvertrags und der Ehegatteninnengesellschaft.166 Auch Rückforderungsansprüche aufgrund Wegfalls der Geschäftsgrundlage werden hier eingeordnet. Im IPR muss bei der Zuordnung dieser Institute nicht nur zwischen allgemeinem Ehewirkungs- und Güterstatut abgegrenzt werden, sondern es stellt sich bereits die vorgelagerte Frage, ob sie überhaupt dem Ehe- und nicht vielmehr dem (allgemeinen) Schuldrecht angehören. Letzteres vertrat 1992 der BGH hinsichtlich der unbenannten Zuwendung, indem er sie vertraglich qualifizierte.167 Mit Inkrafttreten der Rom I-VO, von deren Anwendungsbereich „Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis“ ausgeschlossen sind (Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom I-VO), wurde dies freilich hinfällig – die unbenannte Zuwendung ist nunmehr nicht vertrags-, sondern eherechtlich zu behandeln.168 Ihre Einordnung zwischen Art. 14 EGBGB a. F. und Art. 15 EGBGB a. F. blieb streitig: Die Literatur nahm mehrheitlich eine

163 Die prozessuale Vorschrift des § 739 ZPO ist dagegen keine allgemeine Ehewirkung, sondern für alle inländischen Zwangsvollstreckungen maßgeblich (lex fori-Prinzip), vgl. MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 81. 164 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 16; MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 74 f.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 304; Kegel / Schurig 839. 165 MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 69 (mit Beispielen); Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 285 ff. 166 Vgl. dazu den Überblick bei Wever FamRZ 2019, 1289, 1289 ff. 167 BGH 21.10.1992 – XII ZR 182/90, sub II.1.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 294, Art. 15 EGBGB Rn. 414 ff. 168 Nach wie vor vertragsrechtlich, mangels Rechtswahl über Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO dann jedoch akzessorisch an das Güterstatut anknüpfen will MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 78; ebenfalls für eine vertragsrechtliche Qualifikation Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 14 EGBGB Rn. 294, Art. 15 EGBGB Rn. 414 ff.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

güterrechtliche Zuordnung vor,169 teils wurde aber auch eine Einstufung als allgemeine Ehewirkung favorisiert.170 Dem Internationalen Vertragsrecht unterstellt werden sollte dagegen die Ehegatteninnengesellschaft: Als bloße Innengesellschaft war sie vom Ausschluss des Gesellschaftsrechts vom Anwendungsbereich der Rom I-VO (Art. 1 Abs. 1 lit. f) Rom I-VO) nicht erfasst, sodass sie dem Vertragsstatut unterfiel.171 In dessen Rahmen sollte aber doch wieder die eherechtliche Kollisionsregel relevant werden, indem das Vertragsstatut gemäß Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO (Prinzip der engsten Verbindung) akzessorisch an das Güterstatut angeknüpft wurde.172 Weite Teile der Literatur wollten demgegenüber von vornherein güterrechtlich qualifizieren.173 Im Einklang mit dieser Rechtsprechung sollten auch Bereicherungsansprüche wegen Zweckverfehlung dem Bereicherungsstatut unterstellt werden, wobei als Bezugspunkt der akzessorischen Anknüpfung gemäß Art. 10 Rom II-VO das allgemeine Ehewirkungsstatut vorgeschlagen wurde.174 bb) Weitgehender Gleichlauf zwischen Güter- und Ehewirkungsstatut Die in ihrem Ausgangspunkt am deutschen materiellen Recht orientierte Abgrenzung zwischen Güter- und allgemeinem Ehewirkungsstatut und die Qualifikation einzelner Rechtsinstitute stellten sich im autonomen deutschen IPR damit als durchaus komplex dar, insbesondere, wenn letztere nicht dem BGB entstammten: Es wurden nicht nur die unterschiedlichen Mechanismen verschieden beurteilt, sondern in kaum einem Punkt herrschte Einigkeit. Viele der Detailschwierigkeiten und Qualifikationsstreitigkeiten verloren allerdings in der tatsächlichen praktischen Anwendung an Schärfe: Der weitgehende Gleichlauf zwischen Güter- und Ehewirkungsstatut im nationalen deutschen Kollisionsrecht federte sie wesentlich ab.175 Dessen Grundnorm bildete die Anknüpfung der allgemeinen Ehewirkungen. Die Anknüpfungsleiter des Art. 14 Abs. 1 EGBGB a. F. knüpfte vorrangig an die (letzte) gemeinsame 169 BeckOK / Mörsdorf (Stand: 1.2.2022) Art. 14 EGBGB Rn. 19, Art. 15 EGBGB Rn. 39; Hausmann in: FS Jayme I, 305, 306 ff. 170 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 61. 171 BGH 10.6.2015 – IV ZR 69/14, Rn. 12 (noch zum EVÜ); MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 48. – Für vertragliche Qualifikation (mit güterrechtsakzessorischer Anknüpfung im Einzelfall) z. B. auch Hausmann in: FS Jayme I, 305, 319 f. 172 BGH 10.6.2015 – IV ZR 69/14, Rn. 17; dazu zustimmend C. Mayer IPRax 2016, 353, 354. 173 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 48. – Kritisch zur Entscheidung des BGH daher die Anmerkungen von Christandl FamRZ 2015, 1382; Heiderhoff LMK 2015, 37422; Mankowski NZFam 2015, 783; Wedemann IPRax 2016, 252, 254 ff. 174 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 62. 175 Vgl. auch Heiderhoff IPRax 2017, 231, 234.

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Staatsangehörigkeit der Ehegatten an (Nr. 1), wobei für Mehrstaater die Wahl jeder gemeinsamen Staatsangehörigkeit gestattet war, Art. 14 Abs. 2 EGBGB a. F. Als nachrangige Anknüpfungsstufe sah Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a. F. den (letzten) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten vor, als letzte Stufe fungierte schließlich die sonst gemeinsame engste Verbindung (Nr. 3). Dabei handelte es sich um Gesamtnormverweisungen (Art. 4 Abs. 1 EGBGB), sodass es zu einem vollständigen oder teilweisen renvoi kommen konnte. Art. 14 Abs. 3 EGBGB a. F. erlaubte für das allgemeine Ehewirkungsstatut in engen Grenzen und in der Form des Art. 14 Abs. 4 EGBGB a. F. eine Rechtswahl: Ehegatten ohne gemeinsame Staatsangehörigkeit und mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Nicht-Heimatstaat oder in verschiedenen Staaten stand die Wahl des Staatsangehörigkeitsrechts eines Ehegatten als Ehewirkungsstatut offen. Das Ehegüterstatut176 entsprach objektiv angeknüpft nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB a. F. dem allgemeinen Ehewirkungsstatut bei Eheschließung, eine anfängliche Rechtswahl des Ehewirkungsstatuts wirkte damit auch für das Güterrecht. Daneben bestand die Möglichkeit einer subjektiven Anknüpfung des Güterstatuts durch eine rein güterrechtlich wirkende Rechtswahl gemäß Art. 15 Abs. 2 EGBGB a. F. Dieser stellte den Ehegatten als begrenzte Wahlmöglichkeiten das Staatsangehörigkeitsrecht eines Ehegatten (Nr. 1) oder das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines Ehegatten (Nr. 2) zur Verfügung, bezüglich Immobilien (nach herrschender Auffassung auch nur für einzelne Grundstücke177) war darüber hinaus eine TeilRechtswahl zugunsten der lex rei sitae zulässig. Nach Art. 15 Abs. 3 EGBGB a. F. unterlag die güterrechtliche Rechtswahl denselben Formvorschriften wie die Rechtswahl bezüglich der allgemeinen Ehewirkungen (Verweis auf Art. 14 Abs. 4 EGBGB a. F.). Die Bestimmung des Güterstatuts wurde durch spezielle Regelungen flankiert: Art. 16 EGBGB a. F. stellte den Schutz Dritter im inländischen Rechtsverkehr bei Geltung eines fremden Güterstatuts sicher, Art. 17a EGBGB a. F. ordnete für in Deutschland belegene Ehewohnungen und Haushaltsgegenstände sowie damit zusammenhängende Betretungs-, Näherungs- und Kontaktverbote die Anwendung der deutschen lex rei sitae an. Da also bei objektiver Anknüpfung des Ehegüterstatuts dieses auf das Ehewirkungsstatut bei Eheschließung rekurrierte, war in vielen Fällen ein und dasselbe Recht auf die allgemeinen und die güterrechtlichen Ehewirkungen anwendbar. Zu einer Divergenz konnte es nur kommen, wenn im Verlauf der Ehe ein Statutenwechsel hinsichtlich des allgemeinen Ehewirkungsrechts eintrat, der zu dessen (nachträglichem) Auseinanderfallen mit dem unwandelbaren Güterstatut (Art. 15 Abs. 1 EGBGB a. F.) führte. Ansonsten konnte 176 Zum deutschen Internationalen Ehegüterrecht siehe Kegel / Schurig 846 ff.; Kropholler 352 ff.; Rauscher Rn. 789 ff. 177 Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 150; J. Weber MittBayNot 2016, 482, 484.

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der Gleichlauf des für allgemeine Ehewirkungen und Güterrecht maßgeblichen Rechts nur durch eine auf das Güterrecht beschränkte Rechtswahl (Art. 15 Abs. 2 EGBGB a. F.) durchbrochen werden. In diesen Fällen war jedoch (bereits aufgrund des Formerfordernisses des Art. 15 Abs. 3 EGBGB a. F. i. V. m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a. F.) eine notarielle Beratung und damit eine fachkundige Aufklärung der Ehegatten gewährleistet, sodass eine abgestimmte, ganzheitliche Lösung für beide Bereiche zu erwarten stand bzw. zumindest von einem Problembewusstsein hinsichtlich etwaiger Schwierigkeiten auszugehen war. Aufgrund dieser grundsätzlichen Koordination von Ehewirkungs- und Güterstatut stellten sich nur selten dramatische Qualifikationskonflikte. Die Abgrenzung des deutschen IPR anhand des Unterscheidungsmerkmals „Güterstandsbezug“ ließ sich im Großen und Ganzen gut handhaben und führte zu (anknüpfungs-)gerechten Ergebnissen. cc) Abgrenzung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten Ein kursorischer Blick in das autonome IPR anderer Mitgliedstaaten zeigt, dass die Abgrenzung zwischen allgemeinen Ehewirkungen und Güterrecht dort ebenfalls maßgeblich durch das eigene sachrechtliche Verständnis geprägt war. So geht das französische Rechtsverständnis vom materiellrechtlichen Begriff des régime primaire aus, das aus den güterstandsunabhängigen, alle Ehegatten erfassenden Regeln besteht (Art. 226 C.civ.) und beispielsweise eine der Schlüsselgewalt des § 1357 BGB etwa vergleichbare Regelung (Art. 220 C.civ.) enthält. Die zum régime primaire zählenden Regeln werden, sofern nicht ohnehin die französischen Gerichte die Vorschriften des C.civ. als Eingriffsnorm zur Anwendung bringen, aus französischer Sicht als allgemeine Ehewirkungen eingestuft.178 Veräußerungsverbote und Ehegatten-Legalhypotheken wurden in Frankreich ebenfalls mehrheitlich als zum allgemeinen Ehewirkungsstatut gehörig betrachtet.179 Die etwa dem österreichischen (§ 98 ABGB) und dem italienischen Recht (impresa familiare, Art. 230bis C.c.) bekannten Abgeltungsansprüche für die im Unternehmen des anderen Ehegatten geleistete Mitarbeit wurden aus österreichischer Sicht – entsprechend ihrer materiell-rechtlich güterstandsunabhängigen Genese – internationalprivatrechtlich dem allgemeinen Ehewirkungsstatut (§ 18 öIPRG) unterstellt. Vertraglich qualifiziert (und auch nicht akzessorisch an das Güterstatut angeknüpft) wurde in Österreich hingegen das Nebengüterrecht.180 Insgesamt entsprachen die Qualifikationskriterien im Wesentlichen jenen des deutschen Rechts.

178 179 180

Audit / d’Avout Rn. 800; Mayer / Heuzé / Remy Rn. 839. Mayer / Heuzé / Remy Rn. 839 f. OGH 27.5.2015 – 6 Ob 29/15f; dazu kritisch Wiedemann FamRZ 2016, 231.

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b) EU-IPR Mit Inkrafttreten der Güterrechtsverordnungen stellt sich die Frage nach der Trennlinie zwischen allgemeinen Ehewirkungen und Güterrecht und der qualifikatorischen Zuordnung einzelner Rechtsinstitute erneut. Ausgangspunkt der Abgrenzungsentscheidung ist die Reichweite des neuen europäischen Güterstatuts, das nicht nur die bisherigen nationalen Güterkollisionsregeln verdrängt, sondern aufgrund seiner normhierarchischen Stellung auch Vorrang gegenüber dem national verbleibenden allgemeinen Ehewirkungsstatut beanspruchen kann. Was als „güterrechtlich“ einzustufen ist, muss dabei unter Geltung der Güterrechtsverordnungen einerseits zwangsläufig europäisch-autonom bestimmt werden: Das bisherige nationale Verständnis einzelner Mitgliedstaaten darf für die Interpretation des europäischen Rechtsakts nicht maßgeblich sein (vgl. Erw. 18 GüVO181). Andererseits kann in Ermangelung einer europäischen Vereinheitlichung des materiellen Güterrechts nicht auf sachrechtliche Konzeptionen zurückgegriffen werden, sondern das europäische Güterrechtsverständnis muss zumindest vorerst rein kollisionsrechtlich entwickelt werden. aa) Abgrenzung nach europäischem IPR Diesem Bedürfnis ist der Verordnungsgeber nachgekommen, indem er eine eigene Bestimmung des Begriffs „ehelicher Güterstand“ festlegt: Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) GüVO sind darunter „sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der Ehe oder der Auflösung der Ehe gelten“, zu verstehen. Entsprechend dazu sind die in Art. 3 Abs. 1 lit. b) PartVO definierten „güterrechtlichen Wirkungen einer eingetragenen Partnerschaft“ zu verstehen.182 Der europäische Güterrechtsbegriff ist damit bewusst weit gefasst: Für die Zuordnung einer vermögensrechtlich relevanten Regelung oder Rechtsfigur zum Güterrecht kommt es lediglich darauf an, ob die angeordneten Konsequenzen auf dem Bestehen bzw. der Auflösung einer Ehe/eingetragenen Partnerschaft fußen – mit anderen Worten, ob es sich um spezielle, nur für Ehegatten/eingetragene Partner geltende vermögensrechtliche Regelungen handelt. Unerheblich ist dagegen, ob diese Regelungen zwingend oder fakultativ sind, ob sie einen bestimmten Güterstand voraussetzen, oder welcher Anlass der güterrechtlichen Frage zugrundeliegt.183 Als vermögensbezogene Fragen ausgeklammert BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 1. MüKo8 / Looschelders Art. 1 PartVO Rn. 10; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 64 f.; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 4; Mankowski NJW 2019, 465, 469. 183 Vgl. Erw. 18 GüVO / PartVO. – Siehe Kemper FamRB 2019, 32, 35; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 130 f.; Mankowski NJW 2019, 465, 467 f. – Für ein weites Verständnis bereits des GüVO-Entwurfs z. B. Dethloff in: FS von Hoffmann, 73, 76 f. 181 182

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bleiben lediglich der in der UnthVO eigenständig geregelte (nach-)eheliche Unterhalt sowie der Versorgungsausgleich und vergleichbare Spezialinstitute. Dieses weite Verständnis entspricht der Interpretation des Begriffs „eheliche Güterstände“ durch den EuGH, die dieser bereits im Kontext internationalverfahrensrechtlicher Rechtsakte entwickelt hatte. Die grundlegende Entscheidung erging 1979 zu Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 EuGVÜ: Dessen Ausnahme für „die ehelichen Güterstände“ erfasste nicht nur besondere Güterstände, sondern alle sich unmittelbar aus der Ehe oder ihrer Auflösung ergebenden vermögensrechtlichen Beziehungen.184 Dieses Begriffsverständnis hat der EuGH seither beibehalten und legt es auch für die Nachfolgerechtsakte des EuGVÜ zugrunde.185 Für ein solch weites europäisches Begriffsverständnis spricht auch die einfache Verständlichkeit und Handhabbarkeit seiner Abgrenzungsregel: Ob eine vermögensrechtliche Regelung einen „schlichten Ehebezug“ aufweist und damit güterrechtlich einzustufen ist, lässt sich vergleichsweise einfach ermitteln. Die Unwägbarkeiten der bisher etwa nach dem deutschen IPR erforderlichen Suche nach einer güterstandlichen Ursache bleiben ebenso erspart wie die Abhängigkeit von den Zufälligkeiten des materiell-rechtlichen Güterstandsregimes. Als Anwendungshilfe dient ferner die nicht abschließende Katalogaufzählung in Art. 27 GüVO / PartVO, die zur Illustration der Reichweite des europäischen Güterstatuts einige seiner zentralen Aspekte aufführt. Über den bisher in den meisten nationalen Kollisionsrechten zugrundegelegten Begriff des Güterrechts geht das europäische Güterkollisionsrecht freilich deutlich hinaus. Damit verschiebt sich aus Sicht der nationalen Rechtsanwender zwangsläufig auch die Abgrenzung zwischen Güter- und allgemeinem Ehewirkungsstatut – denn nur das, was nicht vom umfassenden europäischen Güterrechtsverständnis erfasst ist, bleibt für die allgemeinen Ehewirkungen übrig. Keine Änderung gegenüber dem bisherigen deutschen Verständnis ergibt sich für die Regelungen, die zwischen den Ehegatten eine vermögensrechtliche Sonderordnung schaffen und damit von der GüVO erfasst werden (vgl. Art. 27 lit. a), b), e), g) GüVO / PartVO): Die güterstandsbezogenen bzw. güterstandsabhängigen Vorschriften wurden bereits vom nationalen IPR dem Güterrecht zugeordnet. Eine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen deutschen Abgrenzung bedeutet der europäisch-weite Güterstandsbegriff dagegen im Hinblick auf die allgemeinen vermögensbezogenen Ehewirkungen. Auch diese gehören nunmehr zum Güterstatut (vgl. EuGH 27.3.1979 – 143/78, de Cavel, Rn. 7. Vgl. in jüngerer Zeit etwa EuGH 14.6.2017 – Rs. C-67/17, Iliev: Der (nacheheliche) Streit um die Teilung einer während der Ehe erworbenen beweglichen Sache ist den „ehelichen Güterständen“ zuzuordnen, sodass derartige Konstellationen nach Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuGVVO von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen und dem Güterrecht (zukünftig also der GüVO / PartVO, deren Art. 27 lit. e) die Vermögensteilung ausdrücklich erfasst, vgl. MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 11) zugewiesen sind. 184 185

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Erw. 18 S. 3 GüVO, Art. 27 lit. d) GüVO / PartVO), unabhängig davon, ob sie eine (güterstandsrechtliche) Sonderordnung voraussetzen oder alle Ehen erfassen.186 Damit sind aus deutscher Perspektive nicht nur wie bisher die güterstandsbezogenen, sondern alle Verfügungsbeschränkungen, Vertretungsbefugnisse und Eigentums- und Besitzvermutungen zwischen Ehegatten nunmehr güterrechtlich zu qualifizieren. Im Vergleich zu Art. 15 EGBGB a. F. ergibt sich nach der GüVO / PartVO ein deutlich weiterer Anwendungsbereich des Güterstatuts.187 Aus französischer Sicht fallen vor allem die vermögensrechtlichen Aspekte des régime primaire jetzt in den Anwendungsbereich der Güterrechtsverordnungen – die Anwendung der französischen lex fori im Wege der Eingriffsnormen wird allerdings auch unter Geltung des europäischen IPR gefordert.188 bb) Umqualifikation gegenüber dem mitgliedstaatlichen IPR Die Folge der Europäisierung ist eine Umqualifikation zahlreicher Rechtsinstitute gegenüber ihrer bisherigen Einordnung im nationalen IPR. Während sie etwa für die bereits im deutschen IPR güterrechtlich eingestuften, da auf dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft beruhenden, Verfügungsbeschränkungen der §§ 1365, 1369 BGB keine Änderung bedeutet, sind nun auch die bislang als allgemeine Ehewirkung behandelten für alle Ehegatten geltenden Zustimmungserfordernisse (wie z. B. die Verfügungsbeschränkungen bezüglich der Ehewohnung nach Art. 215 Abs. 3 C.civ. oder Art. 1:88 Abs. 1 lit. a)-d) BW) dem Güterrecht zuzuordnen.189 Ebenso sind nun auch sämtliche gesetzliche Vertretungsbefugnisse der Ehegatten güterrechtlich anzuknüpfen, also auch für alle Ehegatten geltende „Schlüsselgewalt“-Regelungen wie § 1357 BGB oder Art. 220 Abs. 1 C.civ. (vgl. Art. 27 lit. c), d) BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 3; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 9 m. w. N.; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1394; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1974 f.; Erbarth NZFam 2018, 249, 252; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 232; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 5; f.; Mankowski NJW 2019, 465, 467 f.; Martiny ZfPW 2017, 1, 8 f.; Rudolf ZfRV 2017, 171, 173; J. Weber DNotZ 2016, 659, 665. – Für Österreich vgl. Gitschthaler / Verschraegen Art. 1 GüVO Rn. 6 ff. – a. A. Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 66 ff. 187 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 3; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 9, Art. 3 GüVO Rn. 6; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 27; Henrich ZfRV 2016, 171, 171 ff.; Kemper FamRB 2019, 32, 35; Köhler in: Dutta /  Weber, 147, Rn. 5. 188 MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 9 m. w. N.; Mayer / Heuzé / Remy Rn. 839; Joubert Rev. crit. DIP 2017, 1, Rn. 16; Martiny ZfPW 2017, 1, 8 f.; Rudolf ZfRV 2017, 171, 174; vgl. Auch Andrae IPRax 2018, 221, 222. 189 MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 13, Art. 27 GüVO Rn. 8; Koch in: Arnold /  Laimer, 47, Rn. 46 ff.; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 5; Martiny ZfPW 2017, 1, 25; J. Weber DNotZ 2016, 659, 665. 186

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GüVO / PartVO).190 Schließlich gehören nach europäischem Verständnis nun ausnahmslos alle Eigentums- und Besitzvermutungen bei Ehegatten (z. B. § 1362 BGB),191 Ehegatten-Legalhypotheken192 und jegliche anderen vermögensbezogenen Vorschriften zum Güterstatut. Unter den weiten Güterstandsbegriff kann nunmehr auch das sogenannte Nebengüterrecht vollumfänglich subsumiert werden.193 Nicht nur unbenannte Zuwendungen194 und Schenkungen sowie Schenkungsverbote unter Ehegatten195 sind aus europäischer Sicht eindeutig güterrechtlich zu qualifizieren. Auch die Ehegatteninnengesellschaft unterliegt den Anknüpfungsregeln der GüVO.196 Als potentiell problematisch kann sich das insbesondere für Ehepaare erweisen, die zwar in Deutschland eine Ehegatteninnengesellschaft „praktiziert“ haben, aber (z. B. aufgrund eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland bei Eheschließung) einem ausländischen Güterstatut unterfallen, das ein entsprechendes Institut nicht kennt. Gegenüber der ver190 Gitschthaler / Verschraegen Art. 27 GüVO Rn. 7; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 13, Art. 27 GüVO Rn. 6; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1974; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Henrich ZfRV 2016, 171, 174; Kemper FamRB 2019, 32, 36; Koch in: Arnold /  Laimer, 47, Rn. 43 ff.; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 5; Martiny ZfPW 2017, 1, 25; J. Weber DNotZ 2016, 659, 665. 191 MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 13; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO /  PartVO Rn. 28; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1974; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Kemper FamRB 2019, 32, 36; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 50; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 5. 192 MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 69. – a. A. Mankowski NJW 2019, 465, 468, der Sicherungsrechte und Legalhypotheken nach wie vor als allgemeine Ehewirkungen betrachten will. 193 MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 16; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 4 ff.; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer /  Niethammer-Jürgens, 123, 133 f.; Mankowski NZFam 2021, 757, 760; J. Weber DNotZ 2016, 659, 665 f. – Ausführlich Sanders FamRZ 2018, 978, 979 ff. 194 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 47; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 16, Art. 27 GüVO Rn. 16; Andrae IPRax 2018, 221, 223; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Kemper FamRB 2019, 32, 37; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 7. 195 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 47; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 16, Art. 27 GüVO Rn. 17; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 56 ff.; Martiny ZfPW 2017, 1, 9. 196 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 51; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 16, Art. 27 GüVO Rn. 18; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 31 f.; NK-BGB / Sieghörtner Art. 27 GüVO / PartVO Rn. 4; Andrae IPRax 2018, 221, 223; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Kemper FamRB 2019, 32, 37; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 7; Martiny ZfPW 2017, 1, 9. – Für eine vertragliche Qualifikation, dann aber eine akzessorische Anknüpfung an das Güterstatut dagegen Dörner ZEV 2019, 309, 316. – Heiderhoff IPRax 2017, 231, 233 weist darauf hin, dass bei einer Einstufung der Ehegatteninnengesellschaft durch den EuGH als weder vertraglich noch güterrechtlich eine Regelungslücke im EU-IPR bestehen würde.

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traglichen Qualifikation mit den Möglichkeiten einer Anknüpfung anhand der engsten Verbindung erweist sich das Güterstatut als deutlich weniger flexibel, da in den Innengesellschafts-Fällen mangels Bewusstsein eine der Situation Rechnung tragende Rechtswahl (noch dazu gemäß den Formvorschriften der GüVO) nur in den seltensten Fällen stattfinden dürfte.197 Bei all diesen Rechtsfiguren geht es um vermögensrechtliche Konsequenzen aus der Ehe bzw. ihrer Auflösung, sodass sie aus europäischer Perspektive eindeutig dem Güterrecht zuzuordnen sind.198 Für die Abgeltung der Mitarbeit von Ehegatten ohne Arbeitsvertrag (z. B. nach § 98 ABGB) soll ebenfalls das Güterstatut maßgeblich sein, während bei Vorliegen eines Arbeitsvertrags die vertragliche Anknüpfung vorrangig bleibt.199 Unklar ist hingegen die Behandlung der italienischen impresa familiare (Art. 230bis C.c.), da sie nicht nur Ehegatten, sondern auch andere Familienmitglieder erfassen kann;200 hierüber wird über kurz oder lang der EuGH zu entscheiden haben. Schließlich sind auch alle Pflichten der Ehegatten, die einen Bezug zum Vermögen aufweisen, nunmehr als güterrechtlich zu betrachten. Darunter fallen zunächst – bei materiell-rechtlicher und nicht prozessualer Qualifikation – jegliche vermögensbezogenen Auskunftspflichten bzw. -ansprüche.201 Ebenso werden alle Fragen bezüglich der Ehewohnung und der Haushaltsgegenstände dem Güterstatut unterstellt.202 Eine Ausnahme wird jedoch teils für Gewaltschutzkonstellationen vorgeschlagen: Sofern bei der Zuweisung der Ehewohnung nicht die Vermögensverteilung zwischen den Ehegatten, sonVgl. C. Mayer IPRax 2016, 353, 354 f. Zum Problem der dann prima facie eingreifenden Formvorschriften des Art. 25 Abs. 1 GüVO / PartVO Dutta FamRZ 2019, 1390, 1395 f.; Sanders FamRZ 2018, 978, 981 ff. 199 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 3.3; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 17; Andrae IPRax 2018, 221, 223; Henrich in: FS Brudermüller, 311, 317 (noch zum Verordnungsvorschlag von 2011); Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 45; Mankowski NZFam 2021, 757, 760; Martiny ZfPW 2017, 1, 9; Rudolf ZfRV 2017, 171, 174; vgl. auch Andrae IPRax 2018, 221, 222. – Henrich ZfRV 2016, 171, 173 weist auf die Schwierigkeiten hin, die diesbezüglich durch die Unwandelbarkeit des Güterstatuts entstehen können. 200 Gegen eine güterrechtliche Einstufung Henrich in: FS Brudermüller, 311, 317 f. (noch zum früheren Entwurf). Wenig überzeugend ist der Vorschlag von Henrich ZfRV 2016, 171, 173 f., die GüVO bei einem nur von Ehegatten betriebenen Geschäft zur Anwendung zu bringen, nicht aber bei Mitarbeit auch anderer Familienmitglieder: Damit wäre die Qualifikation wandelbar und zufallsabhängig bzw. manipulationsoffen. 201 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 27 GüVO Rn. 5 f.; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 3. 202 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 3.1; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 18; Andrae IPRax 2018, 221, 224; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1394; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 9; Kemper FamRB 2019, 32, 36; Martiny ZfPW 2017, 1, 9. 197 198

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dern Gewaltschutzaspekte im Vordergrund stehen, soll sie als nichtvermögensrechtliche Angelegenheit behandelt werden und damit nicht nach den Güterrechtsverordnungen, sondern wie bisher nach nationalem Kollisionsrecht (z. B. Art. 17a EGBGB) angeknüpft werden.203 In diesen Fällen dürften jedoch ohnehin die Regelungen der lex fori zum Schutz der Familienwohnung als Eingriffsnormen nach Art. 30 GüVO / PartVO durchgesetzt werden können (vgl. Erw. 53 GüVO / PartVO).204 Folge dieses weiten Güterrechtsverständnisses ist, dass nur noch Fragen ohne jeglichen Vermögensbezug als allgemeine Ehewirkungen betrachtet werden – unter das allgemeine Ehewirkungsstatut fallen nach europäischem Verständnis ausschließlich rein persönliche Ehewirkungen. Ihm verbleibt zunächst die eheliche Lebensgemeinschaft als solche mit den daraus resultierenden Solidaritäts- und Treuepflichten (z. B. § 1353 BGB), etwa der Verpflichtung zu Beistand und Hilfeleistung.205 Auch die Regelungen zur Haushaltsführung bzw. -gestaltung (etwa § 1356 BGB) und zur sonstigen Gestaltung der ehelichen Gemeinschaft sind nach wie vor als allgemeine Ehewirkungen zu behandeln.206 Ebenfalls hinzuzurechnen sind gesetzliche Vertretungsbefugnisse etwa im Fall der Geschäftsunfähigkeit (etwa die in § 1358 BGB n. F. normierte gegenseitige Ehegattenvertretung in Angelegenheiten der Gesundheitssorge).207 Schließlich sollen Haftungsbeschränkungen der Ehegatten untereinander bzw. die Festlegung besonderer Sorgfaltsmaßstäbe im Verhältnis der Ehegatten zueinander (z. B. § 1359 BGB) nach wie vor dem Ehewirkungsstatut unterliegen,208 ebenso Zwangsvollstreckungsbeschränkungen und besondere Verjährungsregeln für Ehegatten.209 Bejaht man mit der 203 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 3.1; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2. 204 Vgl. z. B. MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 18; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Henrich ZfRV 2016, 171, 173; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer /  Niethammer-Jürgens, 123, 135 f. 205 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 8; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 12; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 30; Erbarth NZFam 2018, 249, 252; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 234; Mankowski NJW 2019, 465, 468; Martiny ZfPW 2017, 1, 9. 206 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 8; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 12; Erbarth NZFam 2018, 249, 252; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 234; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 33; Mankowski NZFam 2021, 757, 761; Mankowski NJW 2019, 465, 468; Ziereis NZFam 2019, 237, 238. 207 Vgl. Dutta FamRZ 2019, 1390, 1398. 208 MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 12; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1398; Erbarth NZFam 2018, 249, 252; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 234; Mankowski NZFam 2021, 757, 761; Mankowski NJW 2019, 465, 468. – Akzessorisch an die Haftungsnorm anknüpfen wollen NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 30 sowie Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2. 209 Mankowski NJW 2019, 465, 468.

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wohl herrschenden Auffassung die Betrachtung aller Zuweisungsfragen hinsichtlich der Ehewohnung als vermögensrechtlich, verbleiben auf diesem Gebiet ebenfalls nur noch die personenrechtlichen Aspekte, also Betretungs-, Näherungs- und Kontaktverbote, für das allgemeine Ehewirkungsstatut bzw. Sonderanknüpfungen dazu (z. B. Art. 17a EGBGB).210 Zu konstatieren ist damit, spiegelbildlich zur Erweiterung des Güterstatuts, eine erhebliche Verkleinerung des Anwendungsbereichs des Ehewirkungsstatuts.211 c) Konsequenzen Das breite Güterrechtsverständnis des europäischen IPR führt, wie gezeigt, zu einem weiten Anwendungsbereich der Güterrechtsverordnungen, und damit zu einer Verschiebung der Abgrenzung zwischen Güterstatut und allgemeinem Ehewirkungsstatut gegenüber dem bisherigen nationalen Kollisionsrecht. Das ist zunächst einmal als notwendige Folge der Europäisierung hinzunehmen und bringt auch einige Vorteile mit sich. Dass die Trennlinie zwischen den Statuten in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlich anhand eines umfassenden europäisch-autonomen Güterrechtsbegriffs zu ziehen ist, erleichtert die praktische Anwendung erheblich. Die konsequente Zuordnung aller Fragen mit Vermögensbezug zum Güterstatut ist deutlich einfacher handhabbar und nachvollziehbar als viele der bisher in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen praktizierten Lösungen. Auch die meisten Fragen im Hinblick auf die Qualifikation einzelner Rechtsinstitute sind bei Zugrundelegung dieser Abgrenzungsregel einfach zu beantworten. Mancher Qualifikationsstreit des nationalen IPR kann nunmehr ad acta gelegt werden: So werden etwa die Unsicherheiten hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Einordnung der Rechtsinstitute des deutschen Nebengüterrechts zugunsten einer einheitlichen Subsumtion des gesamten Bereichs unter das Güterrecht beseitigt. Auch die Frage nach der kollisionsrechtlichen Einordnung der Brautgabe des islamischen Rechtskreises, die den nationalen Rechtsanwendern über lange Zeit Kopfzerbrechen verursacht hat,212 ist nunmehr schlicht zugunsten einer 210 Heiderhoff IPRax 2017, 231, 236; Mankowski NZFam 2021, 757, 761; Mankowski NJW 2019, 465, 468. 211 Vgl. etwa Andrae IPRax 2018, 221, 222. – So auch aus österreichischer Sicht Rudolf ZfRV 2017, 171, 174. 212 In der deutschen Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung wurde teils eine güterrechtliche, teils eine unterhaltsrechtliche und teils eine scheidungsrechtliche Einstufung vorgeschlagen (vgl. im Überblick Henrich in: FS Sonnenberger, 389, 389 ff.; Wurmnest RabelsZ 71 (2007), 527, 546 ff.); der BGH schloss sich schließlich der vorherrschenden Literaturauffassung an und stufte die Brautgabe als allgemeine Ehewirkung i. S. d. Art. 14 EGBGB ein (BGH 9.12.2009 – XII ZR 107/08, zustimmend Henrich FamRZ 2010, 537, kritisch Wurmnest JZ 2010, 736 sowie Yassari IPRax 2011, 63; bestätigt, wenn auch im Einzelfall gegenüber anderen Anknüpfungen offener, in BGH 18.3.2020 – XII ZB

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grundsätzlich europäisch-güterrechtlichen Qualifikation beantwortet.213 Zwar verbleiben immer noch einige offene Punkte, wie etwa die Beurteilung von Interzessionsverboten,214 die jedoch in ihrer Zahl überschaubar sind und sich nach und nach – etwa durch Vorlagefragen an den EuGH – ohne größere Schwierigkeiten klären lassen. Auch manche bestehenden Anpassungsprobleme sind mit der klaren und umfassenden Zuordnung zum Güterrecht hinfällig geworden.215 Die Klarheit der Abgrenzung unter dem europäischen Güterstatut ist vor allem aus praktischer Sicht durchaus erfreulich.216 Allerdings geht die pauschale Anwendung des Güterstatuts auf alle vermögensbezogenen Aspekte nicht nur zu Lasten einer differenzierten Beurteilung und Anknüpfung, sondern vor allem zu Lasten des allgemeinen Ehewirkungsstatuts. Im Vergleich zur bisherigen nationalen Rechtslage verliert dieses gegenüber dem Güterstatut stark an Boden, vor allem im Bereich der bisherigen vermögensrechtlichen allgemeinen Ehewirkungen.217 Nachdem diese nun güterrechtlich zuzuordnen sind, verbleibt für das allgemeine Ehewirkungsstatut nur noch der Bereich der nichtvermögensrechtlichen bzw. persönlichen allgemeinen Ehewirkungen.218 Dieser ist nicht nur sachlich schmal geschnitten, sondern auch für die (Gerichts-)Praxis nur von begrenzter Relevanz.219 Das allgemeine Ehewirkungsstatut wird durch die Ausbreitung des 380/19, Rn. 12 ff., zustimmend Obermann NJW 2020, 2024). – Zur Qualifikation der Brautgabe nach schwedischem IPR vgl. Malmqvist IPRax 2012, 191, 191 ff. 213 BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 3 GüVO Rn. 3.2; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 13, Art. 27 GüVO Rn. 15; Andrae IPRax 2018, 221, 223; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1394; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1974; Erbarth NZFam 2018, 249, 252; Finger FuR 2019, 386, 387; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Henrich ZfRV 2016, 171, 174; Henrich in: FS Brudermüller, 311, 316 (noch zum Verordnungsvorschlag von 2011); Kemper FamRB 2019, 32, 36; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 57; Köhler in: Dutta /  Weber, 147, Rn. 6; Mankowski NZFam 2021, 757, 759; Martiny ZfPW 2017, 1, 9; J. Weber DNotZ 2016, 659, 665; Ziereis NZFam 2019, 237, 238. – Offenlassend BGH 18.3.2020 – XII ZB 380/19, Rn. 15. – Für eine Unterstellung unter das Ehewirkungsstatut noch MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 72. 214 Mit dem ohne Zweifel vorhandenen, zumindest indirekten Vermögensbezug geht bei Interzessionsverboten eine starke „persönliche“ Komponente einher; für eine Behandlung als allgemeine Ehewirkung daher nach wie vor Mankowski NJW 2019, 465, 468. 215 Vgl. zur Anpassung bei bisher als allgemeine Ehewirkung qualifizierten Verfügungsbeschränkungen MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 14 EGBGB Rn. 30 m. w. N. 216 Mankowski NZFam 2021, 757, 761 f. weist jedoch darauf hin, dass auch in den Randbereichen des (weiten) europäischen Güterstandsbegriff Qualifikationsprobleme auftreten werden. 217 MüKo8 / Looschelders Art. 27 GüVO Rn. 1; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1397 f. („Schatten ihrer selbst“); Mankowski NJW 2019, 465, 468. 218 Heiderhoff IPRax 2018, 1, 2; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 6.; Laimer JBl. 2017, 549, 554; Rudolf ZfRV 2017, 171, 174. 219 Mankowski NJW 2019, 465, 468.

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Güterstatuts (weiter) zurückgedrängt. Umgekehrt ist das Güterstatut zur „Generalnorm des internationalen Familienvermögensrechts“220 geworden. Darüber hinaus stellt die Teil-Europäisierung vor neue Schwierigkeiten im Hinblick auf die Koordination zwischen Güter- und allgemeinem Ehewirkungsstatut. Solange diese innerhalb eines einheitlichen IPR-Systems erfolgte, konnte sie durch eine Abstimmung der Statute auf- und untereinander sichergestellt werden. Insbesondere konnte ein Gleichlauf zwischen allgemeinem Ehewirkungs- und Güterstatut zur Entschärfung von Zuordnungskonflikten beitragen. Mit der Überführung eines Teils der betroffenen Kollisionsregeln auf die europäische Ebene wird das bisher geschlossene System aufgebrochen – und soweit das europäische Güterstatut anders angeknüpft wird als nach dem bisherigen nationalen Kollisionsrecht, entfällt auch seine Abstimmung mit den Regeln des allgemeinen Ehewirkungsstatuts. Die Lösung der aus einer solchen ebenenübergreifenden, divergierenden Anknüpfung resultierenden Koordinationsprobleme obliegt aber allein dem nationalen mitgliedstaatlichen IPR (siehe Teil III: § 7.I.2.a)aa), S. 294 ff.). Das EU-Kollisionsrecht beschränkt sich darauf, seinen eigenen Anwendungsbereich abzustecken und innerhalb dessen Regeln aufzustellen – Friktionen, die zwischen diesen und dem nationalen IPR entstehen, beantwortet es dagegen nicht. Abgesehen von diesen konkreten Folgen wirft die Verlagerung der Trennlinie zwischen Güterstatut und Ehewirkungsstatut aber auch ein allgemeines Problem der teilweisen Europäisierung des Kollisionsrechts auf: Es geht dabei nicht nur um die Abgrenzung der beiden Statute voneinander, sondern auch um die Abgrenzung verschiedener Regelungsebenen. Den allgemeinen Ehewirkungen und damit weiterhin dem nationalen Kollisionsrecht verbleibt nur das, was nicht dem Güterstatut und damit der Ägide des europäischen Kollisionsrechts unterfällt. Mit der Qualifikationsentscheidung wird also nicht mehr nur innerhalb ein und derselben IPR-Rechtsordnung mit aufeinander abgestimmten Regeln zugeordnet, sondern gleichzeitig bzw. vordringlich darüber entschieden, welches Regelsystem überhaupt zum Zuge kommt. Diese Entscheidung entfaltet aber nicht nur unter Umständen für den Einzefall weitreichende Wirkung, etwa hinsichtlich der anwendbaren Regelungen des Allgemeinen Teils und natürlich für das konkrete Anknüpfungsergebnis. Sie ist auch symptomatisch für die Probleme des hierarchischen Gefälles zwischen den Regelungsebenen: Aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts sind letztlich alle Konkurrenzen immer dann zugunsten des EU-IPR aufzulösen, wenn dieses Anwendung begehrt. Kann und will es einen weiten Anwendungsbereich beanspruchen, ist das nationale IPR entsprechenden Einbußen ausgesetzt – verleibt sich das europäische Güterstatut umfassend alle Fragen mit Vermögensbezug ein, muss das nationale allgemeine Ehewirkungsstatut sich mit dem zufriedengeben, was ihm übriggelassen wird. Eine effektive 220

J. Weber DNotZ 2016, 659, 665.

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Möglichkeit für das nationale Kollisionsrecht, der Verkleinerung seines eigenen Anwendungsbereichs entgegenzutreten, besteht nicht. 2. Abgrenzungsverschiebung: Reichweite des Sachenstatuts vs. des Erb- / Güterstatuts Das Sachenrecht hat materiell-rechtlich zahlreiche Berührungspunkte mit benachbarten Rechtsgebieten: Immer, wenn (etwa im Erb- oder Güterrecht) eine Vermögensverschiebung angeordnet wird, muss diese auch sachenrechtlich realisiert werden. Diese enge Verzahnung setzt sich auf kollisionsrechtlicher Ebene fort und erfordert die sorgfältige Abgrenzung des Sachenstatuts gegenüber benachbarten Statuten. Im Grenzbereich muss die Zuordnung von Fragen zum einen oder zum anderen Statut geklärt bzw. das Zusammenspiel der Statute koordiniert werden. Die Bestimmung des (Vorrang-)Verhältnisses zwischen Sachenstatut und „angrenzenden“ Statuten ist als klassisches und unvermeidliches Problem des IPR alles andere als neu.221 Im Kern stellen sich dabei wieder Qualifikationsprobleme: So ist etwa bei Fragen des dinglichen Rechtserwerbs zu entscheiden, welchem Statut – dem Sachenrecht oder einem anderen Rechtsgebiet – sie kollisionsrechtlich zuzuordnen sind.222 Dafür bietet das Internationale Sachenrecht eine zuverlässige Ausgangsbasis: In allen EU-Mitgliedstaaten bestimmt sich das Sachenstatut nach der lex rei sitae (z. B. Art. 43 EGBGB, § 31 öIPRG). Zwar weichen deren nationale Ausprägungen im Detail voneinander ab, im Grundsatz wird jedoch für sachenrechtliche Fragen stets das Recht am Belegenheitsort der Sache zur Anwendung berufen.223 Für dessen Koordination mit den Nachbarstatuten – insbesondere dem Erb- und dem Güterstatut – entwickelte jede Rechtsordnung eigene Lösungen, zumeist geprägt durch ihr materiell-rechtliches Verständnis. Durch die zunehmende Verlagerung der an das Sachenstatut angrenzenden Bereiche auf die europäische Ebene können diese Mechanismen jedoch nicht unbesehen weiter angewendet werden, vielmehr ist die Grenze zwischen dem nach wie vor nationalen Sachenstatut und seinen nunmehr europäisierten Nachbarstatuten neu abzustecken.224 Die dadurch zunächst im Rahmen der ErbVO ausgelösten Diskussionen sind noch nicht beendet, einige Grundlinien hat der EuGH inzwischen jedoch etabliert. Die folgende Darstelvon Hein EPLJ 6 (2017), 142, 142 spricht von einem „classic doctrinal battleground“. 222 Zum Beispiel Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 534 („klassisches Qualifikationsproblem“); Martiny IPRax 2012, 119, 122 f. 223 van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 187; Martiny IPRax 2012, 119, 124. – Zur Entwicklung der lex rei sitae siehe statt vieler Basedow YbPIL XVIII (2016/17), 1, 2 ff. m. w. N.; Kodek ZfRV 2019, 258, 259. 224 Vgl. grundlegend zur Rolle der lex rei sitae im europäischen Kollisionsrecht Martiny IPRax 2012, 119, 119 ff. 221

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lung zeichnet die Details dieser Entwicklung nach: Im Anschluss an die Vorstellung des Problems (dazu a)) und seiner traditionellen nationalen Lösung insbesondere in Deutschland (dazu b)) werden der Meinungsstreit zur Abgrenzung des europäischen Erb- und Güterstatuts gegenüber dem Sachenstatut analysiert (dazu c)) sowie die Konsequenzen des aktuellen Standes beleuchtet (dazu d)). a) Problem: Abgrenzung zwischen Sachen- und Erb- bzw. Güterstatut? Auf materiell-rechtlicher Ebene ist das Sachenrecht eng mit anderen Rechtsgebieten verwandt, die sich ebenfalls mit der Zuweisung bzw. der Durchsetzung vermögensrechtlicher (dinglicher) Rechtspositionen befassen. Neben dem Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht sind hier vor allem das Erbrecht und das Familienrecht, vor allem das Güterrecht, zu nennen: Der persönliche Status bzw. seine Veränderung (der Tod des Erblassers, das Bestehen oder die Beendigung eines Güterstands) bringt auch vermögensrechtliche Konsequenzen mit unter Umständen dinglicher Wirkung mit sich. Die materiell-rechtliche Grenzziehung zwischen Erb- bzw. Güterrecht und Sachenrecht ist seit jeher nicht einfach. Gretton spricht plastisch von einem „property/succession borderland [which] is broad and muddy“225. Dabei lässt sich bereits diskutieren, ob eine Trennung der Rechtsgebiete – Erb- bzw. Güterrecht (mit der dazwischen manchmal verschwimmenden Trennlinie, siehe § 3.I.3., S. 118 ff.) einerseits, Sachenrecht andererseits – überhaupt notwendig und sinnvoll ist: Funktional überschneiden sich die Bereiche (man könnte letztlich das Erb- bzw. Güterrecht als spezielle Sachenrechtsregeln für den Todesfall bzw. für Ehegatten betrachten), historisch ist die Teilung der Bereiche vergleichsweise jung.226 Das Sachenrecht ist dabei zumeist streng: Vor allem die Publizitätsvorschriften beanspruchen in vielen Rechtsordnungen umfassende und ausnahmslose Geltung. Das prominenteste Beispiel hierfür sind die bei der Begründung und Übertragung von Rechten an Immobilien einzuhaltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Registrierungsvorschriften. Schwierigkeiten treten insbesondere auf, wenn Rechtsregeln außerhalb des Sachenrechts eine Veränderung dinglicher Rechtspositionen anordnen – vor allem, wenn diese Rechtsveränderung automatisch von Gesetzes her eintreten soll, also ohne Einhaltung der für dingliche Rechtsänderungen eigentlich „zuständigen“ Regeln des Sachenrechts. Ein typisches Beispiel aus dem Güterrecht ist der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft: Dieser kann (beispielsweise bei der comunione dei beni (comunione legale) des italienischen Rechts, Artt. 159, 177 ff. C.c.) dazu Gretton EPLJ 3 (2014), 109, 112. Gretton EPLJ 3 (2014), 109, 109 ff.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 10; vgl. auch Martiny IPRax 2019, 119, 122 f. 225 226

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führen, dass beim Eigentumserwerb eines Ehegatten der andere Ehegatte automatisch Miteigentum erwirbt. Auch die etwa dem französischen Recht bekannten Legalhypotheken zugunsten eines Ehegatten ordnen als Teil des Güterrechts einen dinglichen Rechtserwerb an. Aus erbrechtlicher Warte sind als klassische Problemfelder erbrechtliche Teilungsanordnungen mit dinglicher Wirkung (z. B. im italienischen Recht, Art. 733 C.c.)227, die im common lawErbrecht verbreiteten Trusts228 und die vor allem im romanischen Rechtskreis bekannten gesetzlichen Nießbrauchsrechte des überlebenden Ehegatten (z. B. im französischen Recht Art. 757 C.civ.)229 zu nennen. Das prominenteste Beispiel des Erbrechts sind schließlich die – spätestens durch die Kubicka-Entscheidung des EuGH (siehe § 3.I.2.c)cc), S. 109 ff.) berühmt-berüchtigt gewordenen – Vermächtnisse mit unmittelbarer dinglicher Wirkung. Derartige Vindikationslegate, bei denen der Legatar unmittelbar mit dem Tod des Erblassers eine dingliche Berechtigung (im Regelfall das Eigentum) am Vermächtnisgegenstand erwirbt, sind traditionell im romanischen Rechtskreis bekannt (z. B. im französischen Recht, Art. 1014 Abs. 1 C.civ.); in jüngerer Zeit werden sie auch in anderen Rechtsordnungen zunehmend populärer (z. B. Einführung im polnischen Recht, §§ 981 ff. Kodeks cywilny, im Jahr 2011230). Demgegenüber kommt in der germanischen Rechtstradition Vermächtnissen meist eine nur schuldrechtliche Wirkung zu (z. B. nach deutschem Recht, § 2174 BGB, oder nach österreichischem Recht, Art. 684 ABGB). Bei einem solchen Damnationslegat erwirbt mit dem Tod des Erblassers der Vermächtnisnehmer zunächst nur einen Anspruch gegen den bzw. die Erben, von dem bzw. denen er dann die Einräumung der dinglichen Berechtigung (z. B. Übertragung des Eigentums) am Vermächtnisgegenstand verlangen kann.231 Während also beim Vindikationslegat ein direkter dinglicher Erwerb des Legatars von Todes wegen eintritt, findet der dingliche Rechtserwerb von Todes wegen beim Damnationslegat nur zugunsten des bzw. der Erben statt – der Legatar erhält vorerst eine nur schuldrechtliche Position und wird erst durch ein „dazwischengeschaltetes“ Rechtsgeschäft unter Lebenden mit dem bzw. den Erben, das den sachenrechtlichen Regeln unterliegt, dinglich berechtigt.232 Zur Problematik im französischen Recht Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich /  Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 148 f. 228 Siehe z. B. Hertel in: Dutta / Herrler, 85, Rn. 20 ff. 229 Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 148; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 3. 230 Osajda ZeuP 2012, 484, 484 ff. 231 Überblick zu den unterschiedlichen Vermächtnisformen und ihrer Verbreitung bei Gretton EPLJ 3 (2014), 109, 116 f.; Leitzen ZEV 2018, 311, 311 ff.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 5 ff.; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 4 f.; Tereszkiewicz / Wysocka-Bar ERPL 2019, 875, Rn. 7 ff. – Zum Vindikationslegat Süß RabelsZ 65 (2001), 245, 246 ff. 232 Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 534. 227

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Solange in derartigen Situationen die Frage der Zuordnung zum Sachenrecht oder zu einem anderen, angrenzenden Rechtsgebiet innerhalb ein und derselben Rechtsordnung zu beantworten ist, stellt sie praktisch kaum vor Probleme. Im Regelfall sind innerhalb ein und derselben Rechtsordnung Sachenrecht und „sachenrechtsrelevante“ Regelungen anderer Bereiche so aufeinander abgestimmt, dass die anderweitige Anordnung dinglicher Konsequenzen ohne größere Hürden umgesetzt werden kann.233 Als Beispiel hierfür sei § 40 Grundbuchordnung genannt, der zugunsten des Erben als Gesamtrechtsnachfolger eine Ausnahme vom grundbuchrechtlichen Voreintragungsgrundsatz vorsieht – von der strengen Registerpublizität des deutschen Immobiliarsachenrechts wird innerhalb des deutschen Zivilrechts zugunsten des erbrechtlichen Vonselbsterwerbs eine Ausnahme gemacht. Der Konflikt der Rechtsgebiete wird materiell-rechtlich entschärft, indem die in Frage stehenden Rechtsinstrumente mit dinglicher Wirkung mit dem Sachenrecht kompatibel ausgestaltet werden. Zu echten Zuordnungskonflikten kommt es dagegen auf kollisionsrechtlicher Ebene, wenn das nach der lex rei sitae für sachenrechtliche Fragen maßgebliche Belegenheitsortrecht und das für die erb- bzw. güterrechtlichen Belange maßgebliche Recht divergieren. Bei Fällen mit Auslandsberührung ist es nämlich alles andere als sicher, dass die sachenrechtliche und die damit konkurrierende Anknüpfung zur gleichen Rechtsordnung führen – vielmehr kommt es häufig zur Anwendung unterschiedlicher Statute für die verschiedenen Bereiche. Das innerhalb eines einzigen Systems meist bestehende Zusammenspiel der materiell-rechtlichen Regeln ist damit gerade nicht mehr gewährleistet, vielmehr müssen die sachenrechtlichen Regeln einer Rechtsordnung mit den erb- oder güterrechtlichen Regeln einer anderen Rechtsordnung koordiniert werden. Häufig treffen dabei unterschiedliche Modelle und Voraussetzungen für den Erwerb dinglicher Rechte aufeinander, die nur begrenzt miteinander in Einklang zu bringen sind – Stein des Anstoßes ist zumeist das Aufeinandertreffen eines erb- oder güterrechtlich angeordneten gesetzlichen Rechtsübergangs mit sachenrechtlich vorgeschriebenen Publizitätsvorschriften, insbesondere hinsichtlich Grundstücken. Zur Lösung dieser Konkurrenzkonflikte ist die exakte Ziehung der Trennlinie zwischen Sachenrecht und benachbarten Statuten fundamental: Je nach Reichweite der Statute sind die in Frage stehenden Erwerbsregeln als sachenoder als erb- bzw. güterrechtlich einzuordnen. Je nachdem, welches Statut welche Aspekte des Rechtserwerbs regiert, kommen unterschiedliche Anknüpfungsregeln zum Zuge und sind gegebenenfalls unterschiedliche materiellrechtliche Regelsätze für den Rechtserwerb maßgeblich. Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen, denn die Anwendung des Sachen- oder des Erb- bzw. Güterstatuts kann gravierende Unterschiede im Hinblick auf den 233 Martínez-Escribano ERPL 2017, 553, 556 ff. weist auf die zentralen Koordinationsschwierigkeiten im Bereich des Erbrechts hin.

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Zeitpunkt des Rechtserwerbs, zu erfüllende Formalitäten, etc. bedeuten. Die Auflösung der „inevitable rivalry“234 zwischen Sachenstatut und benachbarten Gebieten ist damit nicht nur dogmatisch, sondern auch praktisch von höchster Bedeutung. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit aller Beteiligten sind eindeutige und klare Regelungen erforderlich. Zu unterscheiden sind aus der Perspektive des mit derartigen Problemen befassten Gerichts zwei Konstellationen: Entweder es muss bei der Anwendung seiner eigenen lex rei sitae die „hineinkommenden“ dinglichen Effekte eines fremden Erb- oder Güterstatuts berücksichtigen, oder es muss bei der Anwendung seines eigenen Erb- oder Güterrechts bedenken, dass dies „hinausgehend“ auch nicht im Inland belegene und damit einer fremden lex rei sitae unterliegende Vermögensgegenstände erfasst. Sofern eine Registrierung (insbesondere bei Immobilien) in Frage steht, unterliegen schließlich deren Regelungen – als verfahrensrechtlich verstanden – der jeweiligen lex fori im Sinne des Registerortrechts;235 üblicherweise stimmt dieses mit der lex rei sitae überein, zwingend ist dies jedoch nicht.236 b) Nationales IPR Auf die Frage nach der Abgrenzung zwischen Sachenstatut und benachbarten Statuten, insbesondere dem Erb- und dem Güterstatut, hatten die nationalen Kollisionsrechtssysteme im Laufe der Zeit mehr oder weniger vollständige, mehr oder weniger zufriedenstellende Antworten entwickelt. Gemeinsamer Ausgangspunkt aller Lösungen war stets die sachenrechtliche Anknüpfung an die lex rei sitae. Mit dieser wurde die Anknüpfung benachbarter Gebiete innerhalb des damals noch rein nationalen Kollisionsrechts, insbesondere des Erb- und des Güterstatuts, abgestimmt. Dabei entwickelte jedes nationale System seine eigene Lösung in ein und demselbem kohärenten IPR-Regelungssystem und vor dem materiell-rechtlichen Hintergrund der jeweiligen lex fori.237 Die Blickrichtung der nationalen Lösungsansätze für den Qualifikationskonflikt zwischen Sachen- und Erb- bzw. Güterrecht war zumeist jene des eigenen Sachenrechts als lex rei sitae, das mit einem „hineinkommenden“, der lex fori in dieser Form unbekannten dinglich wirkenden Rechtsinstitut des fremden Erb- bzw. Güterstatuts koordiniert werden musste.238 Der J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 10. Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 397; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 3; Makowsky IPRax 2018, 187, 187. 236 Bonomi / Wautelet / Wautelet Art. 1 ErbVO Rn. 123; van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 188; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 591; Martínez-Escribano ERPL 2017, 553, 569 f. 237 Vgl. Lechner IPRax 2013, 497, 498. 238 Zur gelegentlichen Diskussion der umgekehrten Konstellation aus der Sicht der lex fori eigenen Erb- und fremden Sachenrechts siehe Döbereiner ZEV 2015, 559, 560 ff.; Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 537; Süß RabelsZ 65 (2001), 245, 252 ff. 234 235

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Grund hierfür ist darin zu sehen, dass der Auslöser gerichtlicher Streitigkeiten zumeist das Beharren auf (immobiliar-)sachenrechtlichen Regeln am Belegenheitsort beim „Import“ erb- bzw. güterrechtlich erworbener Positionen ist, etwa wenn registerrechtliche Eintragungen gefordert oder verweigert werden. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass das materiellrechtliche Verständnis der in Frage stehenden Rechtsinstitute und insbesondere die eigene Konzeption des Sachenrechts und seiner Prinzipien eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung nationaler Antworten spielten.239 aa) Abgrenzung nach deutschem IPR Das deutsche IPR enthielt zwar keine umfassenden, allgemeinen Regeln zur Koordination des Sachenstatuts mit dem Erb- bzw. Güterstatut, für die wichtigsten Probleme hatten Rechtsprechung und Wissenschaft jedoch weitgehend konsentierte Lösungen entwickelt.240 Zu regeln war das Zusammenspiel der sachenrechtlichen lex rei sitae (Art. 43 Abs. 1 EGBGB) einerseits mit dem Erbstatut. Dieses knüpfte im deutschen Internationalen Erbrecht bis zum 16.8.2015 grundsätzlich – und sofern kein renvoi eintrat (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) – an die Staatsangehörigkeit des Erblassers im Todeszeitpunkt an (Art. 25 Abs. 1 EGBGB a. F.). Eine (testamentarische) Rechtswahl war nur in doppelt begrenzter Weise möglich: Sie konnte nur in Bezug auf im Inland belegene Immobilien getroffen werden, und wählbar war nur das deutsche Recht (Art. 25 Abs. 2 EGBGB a. F.).241 Andererseits konnte die lex rei sitae mit dem Güterstatut kollidieren, das bis zum 29.1.2019 einzig nach Art. 15 EGBGB a. F. bestimmt wurde. Dieser verwies in seinem Abs. 1 – vorbehaltlich eines renvoi (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) – auf das allgemeine Ehewirkungsstatut im Zeitpunkt der Eheschließung, das wiederum anhand des Art. 14 EGBGB a. F. zu bestimmen war. Nach der Anknüpfungsleiter des Art. 14 Abs. 1 EGBGB a. F. waren dafür in absteigender Reihenfolge die (letzte) gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Nr. 1 – bei Mehrstaatern erlaubte Art. 14 Abs. 2 EGBGB a. F. die Wahl jeder gemeinsamen Staatsangehörigkeit), der (letzte) gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten (Nr. 2) oder die sonst gemeinsame engste Verbindung (Nr. 3) maßgeblich. Eine Rechtswahl beim allgemeinen Ehewirkungsstatut (und damit mit Wirkung auch für das Güterrecht) war in engen Grenzen zulässig: Für Ehegatten ohne gemeinsame Staatsangehörigkeit und mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Nicht-Heimatstaat oder in verschiedenen Staaten erlaubte Art. 14 Abs. 3 EGBGB a. F. die Wahl des Staatsangehörigkeitsrechts eines Ehegatten. Eine weitere, ebenfalls begrenzte Rechtswahlmöglichkeit bestand auf rein Vgl. Tereszkiewicz / Wysocka-Bar ERPL 2019, 875, Rn. 15. Siehe zur deutschen Rechtslage vor Inkrafttreten der ErbVO die umfassende Darstellung bei Gubenko 9 ff. m. w. N. 241 Zum deutschen Internationalen Erbrecht Kegel / Schurig 997 ff.; Kropholler 435 ff. 239 240

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güterrechtlicher Ebene: Art. 15 Abs. 2 a. F. EGBGB gestattete es den Ehegatten, ihre güterrechtlichen Verhältnisse dem Staatsangehörigkeitsrecht eines Ehegatten (Nr. 1), dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines Ehegatten (Nr. 2) oder bezüglich Immobilien der lex rei sitae (Nr. 3, nach herrschender Auffassung auch nur für einzelne Grundstücke242) zu unterstellen.243 Auffällig ist, dass (vor allem für den sensiblen Bereich des Immobiliarsachenrechts) bereits bei der Anknüpfung ein „Entschärfungsmechanismus“ für den Konflikt zwischen Erb- bzw. Güterstatut und Sachenstatut vorgesehen wurde. Die Herstellung eines Gleichlaufs des Erb- bzw. Güterstatuts mit der lex rei sitae sollte einheitliche Lösungen innerhalb ein und derselben Rechtsordnung ermöglichen und Unvereinbarkeiten der Statute von vornherein vermeiden. Grundlage dafür war das Prinzip der Rechtsspaltung (depeçage) – die grundsätzliche Einheit des Erb- bzw. Güterstatuts konnte für im Inland belegene Immobilien punktuell durchbrochen und diese auch in erb- bzw. güterrechtlicher Hinsicht dem deutschen Belegenheitsortrecht unterstellt werden.244 Im Wege der Rechtswahl wurde dies vom deutschen IPR sowohl im Erbrecht (Art. 25 Abs. 2 EGBGB a. F.) als auch im Güterrecht (Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB a. F.) ermöglicht; damit konnten Koordinationsschwierigkeiten mit dem deutschen Sachenrecht, insbesondere im Hinblick auf das Grundbuchrecht, vermieden und eine kollisions- und materiell-rechtlich klare und verlässliche Rechtslage geschaffen werden. Akzeptiert wurde auch eine vom ausländischen Erb- oder Güterstatut angeordnete Rechtsspaltung für besondere Vermögensteile, wie etwa nach früherem französischem Internationalem Erbrecht (Mobilien: Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers, Immobilien: lex rei sitae)245 oder nach common law-geprägten Regeln (z. B. Sec. 39 Abs. 1 Family Law [Scotland] Act 2006: die güterrechtliche Berechtigung an Immobilien richtet sich nach der lex rei sitae)246: Nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB a. F. galt eine solche Verweisung auf das Erb- oder Güterrecht des Belegenheitsortrechts für bestimmte Gegenstände im Wege des „Vorrangs des Einzelstatuts vor dem Gesamtstatut“.247 Ebenso nahm das deutsche IPR eine depeçage im Wege des partiellen renvoi (Art. 4 Abs. 1 EGBGB) an, wenn das fremde Erb- oder Güterstatut hinsichtlich bestimmter

MüKo8 / Looschelders Art. 15 EGBGB Rn. 92; J. Weber MittBayNot 2016, 482, 484. Zum deutschen Internationalen Ehegüterrecht Kegel / Schurig 846 ff.; Kropholler 352 ff.; Rauscher Rn. 789 ff. 244 Kropholler 352, 436. 245 Mayer / Heuzé / Remy Rn. 873; Martiny IPRax 2012, 119, 126. 246 Henrich in: FS Brudermüller, 311, 316; Martiny IPRax 2012, 119, 125 f. 247 Andrae § 3 Rn. 149 ff.; von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 145 f.; Martiny IPRax 2012, 119, 126. – a. A. Kegel / Schurig 423 ff. und Schurig in: FS Spellenberg, 343, 350, der Art. 3a Abs. 2 EGBGB als „Sonderanknüpfung drittstaatlicher Eingriffsnormen“ nur begrenzt zur Anwendung bringen wollte. 242 243

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Vermögensteile auf das Belegenheitsortrecht (zurück)verwies.248 Großer Vorteil der depeçage war, dass für die von ihr erfassten Vermögensgegenstände materiell-rechtliche Konflikte zwischen Erb- bzw. Güterrecht und Sachenrecht ausgeschlossen waren, weil beide Statute derselben Rechtsordnung entstammten und damit aufeinander abgestimmt waren. Freilich standen dem die allgemeinen Nachteile einer Rechtsspaltung gegenüber, weswegen diese Lösungsansätze in jüngerer Zeit – dem Trend des modernen IPR zur Vermeidung der depeçage folgend – zunehmend in die Kritik gerieten.249 Die Herstellung eines Gleichlaufs im Weg der depeçage löste den Konflikt stets zugunsten des Sachenrechts auf. Gespalten wurde das Erb- oder Güterstatut, um seinen Gleichlauf mit der (jeweiligen) lex rei sitae herzustellen. Im Bemühen um vorbeugende Strategien wurden also die anderen Statute an das Sachenstatut angeglichen. Diese Vorrangstellung des (eigenen) Sachenrechts kommt vor allem in der Gestaltung der deutschen Regelungen des Erb- und Güterrechts zum Ausdruck: Eine „spaltende Rechtswahl“ war nur zugunsten des deutschen Rechts für im Inland belegene Immobilien, nicht aber zugunsten einer fremden Rechtsordnung für Auslandsimmobilien gestattet. Ebenso nahm das deutsche IPR zwar dankbar an, dass fremdes Kollisionsrecht der (deutschen) lex rei sitae partiellen Vorrang einräumte, sah selbst aber keine vergleichbare Spaltung des Erb- bzw. Güterstatuts zugunsten fremden Belegenheitsortrechts vor. Kam es nicht zu einer Rechtsspaltung, führten die Anknüpfungsregeln des deutschen IPR, vor allem aufgrund der zentralen Rolle der Staatsangehörigkeitsanknüpfung und der nur begrenzten Rechtswahlmöglichkeiten, vergleichweise häufig zur Anwendung ausländischen Erb- und Güterrechts. Erfasste dieses im Inland belegene Sachen, konnte es deshalb zu Konflikten mit dem deutschen Sachenstatut nach der lex rei sitae kommen – insbesondere dadurch, dass das ausländische Erb- oder Güterrecht einen (dinglichen) Rechtsübergang anordnete, der dem deutschen Sachenrecht in dieser Form unbekannt war. Häufig handelte es sich dabei um automatische Eigentumserwerbs-Tatbestände, etwa im Wege eines Vindikationslegats oder einer dinglichen Teilungsanordnung, die im Widerspruch zu den strikten Prinzipien des deutschen Sachenrechts, insbesondere zum Publizitätsgrundsatz, standen. Der traditionelle deutsche Standpunkt in diesen Konfliktsituationen war vergleichsweise strikt. bb) Vorrang des inländischen Sachenstatuts Einen vom ausländischen Erbstatut angeordneten dinglichen Rechtsübergang an im Inland belegenen Sachen im Widerspruch zur eigenen lex rei sitae gestatMartiny IPRax 2012, 119, 126. J. Weber MittBayNot 2017, 22, 22. – Zu den Vorteilen der Statuteneinheit siehe statt vieler von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 143 f. 248 249

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tete das deutsche Recht nicht. Der automatische Eigentumserwerb eines Vindikationslegatars wurde in Deutschland nicht als solcher akzeptiert. Vielmehr wurde das Vindikationslegat des ausländischen Erbstatuts im Wege der Anpassung bzw. Transposition als ein mit der deutschen Rechtsordnung in Einklang stehendes Rechtsinstitut uminterpretiert – da diese nur das schuldrechtlich wirkende Vermächtnis kennt, wurden auch Vindikationslegate in Deutschland als Damnationslegate behandelt.250 Konsequenz dieser Auffassung war, dass das ausländische Vermächtnis eben – aus deutscher Sicht – noch keinen dinglichen Rechtsübergang bewirkte, sondern nur die schuldrechtliche Verpflichtung des Erben zur Eigentumsübertragung. Diese musste in einem separaten Schritt noch erfüllt, also dinglich vorgenommen werden, und zwar nach den Regeln der lex rei sitae, also des deutschen materiellen Sachenrechts. War der Vermächtnisgegenstand beweglich, musste er nach §§ 929 ff. BGB übereignet und übergeben werden, bei Immobilien waren dagegen Auflassung (§ 925 BGB) und Eintragung im Grundbuch (§ 873 BGB) erforderlich. Während also dem (fremden) Erbstatut die Person des Erwerbers und der Rechtsgrund für den Erwerb entnommen wurden, wurden der Inhalt des zu erwerbenden dinglichen Rechts und die Art des Rechtserwerbs dem (eigenen) Sachenstatut zugeschlagen.251 Mutatis mutandis wurden diese Grundsätze auch auf von einem fremden Erbstatut angeordnete Teilungsanordnungen mit dinglicher Wirkung oder gesetzliche Nießbräuche angewendet.252 Diese Gleichstellung des ausländischen Vindikations- mit einem inländischen Damnationslegat bedeutete gewissermaßen eine „Herabstufung“ der vom fremden Erbrecht angeordneten Wirkungen. Gleichzeitig stärkte sie das inländische Sachenrecht, indem sie seinen Voraussetzungen und Prinzipien zur uneingeschränkten Durchsetzung verhalf, insbesondere hinsichtlich seiner Publizitätsmechanismen, allen voran der Wahrung der Vollständigkeit, Korrektheit und Verlässlichkeit des Grundbuchs.253 Für den vom ausländischen Erbrecht begünstigten Vindikationslegatar war dies zwar einerseits misslich, weil er die ihm zugedachte dingliche Rechtsposition eben doch nicht sofort erwarb – andererseits schützte der zwingende Rechtserwerb nach den Regeln 250 BGH 28.9.1994 – IV ZR 95/93. – Siehe Kropholler 440; Rauscher Rn. 1066, 1550; Döbereiner GPR 2014, 42, 42; von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 151; Hertel in: Dutta /  Herrler, 85, Rn. 7 ff.; Lechner IPRax 2013, 497, 498; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 5 ff. (m. w. N.). – Umfassend zum deutschen Umgang mit Vindikationslegaten und der damit verbundenen Diskussion Gubenko 62 ff. 251 Vgl. zur früheren Rechtslage in Deutschland z. B. Döbereiner GPR 2014, 42, 42. – Kritisch Martínez-Escribano ERPL 2017, 553, 562 f. 252 BayObLG 26.10.1995 – 1 Z BR 163/94 (zum Legalnießbrauch des Ehegatten nach belgischem Erbrecht). – Vgl. Kropholler 440 f.; Martiny IPRax 2012, 119, 128; insbes. Zum Ehegattennießbrauch Gubenko 87 ff. 253 Vgl. zur Bedeutung des Sachenrechts statt vieler Buschbaum / Kohler GPR 2010, 106, 109.

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der lex rei sitae diese Rechtsposition langfristig aber auch umfassender, insbesondere bei Immobilien. Die Wahrung der inländischen sachenrechtlichen Grundbuchpublizität beim Erwerb des dinglichen Rechts sicherte den Erwerber seinerseits für die Zukunft ab – während beim automatischen, nicht registrierten Erwerb nach ausländischem Erbstatut die Gefahr eines Rechtsverlusts durch den gutgläubigen Erwerb Dritter bestanden hätte. Ähnlich stellte sich die Situation bei der Koordination von (ausländischem) Güterrecht und (inländischem) Sachenrecht dar. Auch hier zogen Rechtsprechung und Lehre die Grenzlinie grundsätzlich dahingehend, dass dem Güterstatut die vermögensrechtlichen „Verteilungs-“Folgen der Eheschließung bzw. eines Ehevertrags – insbesondere im Hinblick auf die zwischen den Ehegatten vorhandenen Vermögensmassen und die Zuweisung einzelner Vermögensgegenständen zu diesen – entnommen wurden, die Mechanismen des Erwerbs dinglicher Rechte aber als Teil des Sachenstatuts betrachtet wurden. Auch hier blieb also das Lageortrecht hinsichtlich der Publizitätserfordernisse (insbesondere einer Registrierung) und der Fehlerfolgen (etwa der Möglichkeiten gutgläubigen Erwerbs) maßgeblich.254 Verfahrensrechtliche und formelle Schwierigkeiten warf dabei vor allem die Eintragung ausländischer Güterstände ins deutsche Grundbuch auf.255 Das Problem der deutschen Rechtsordnung unbekannter Rechtsinstitute des ausländischen Güterrechts wurde – wie beim Erbrecht – durch Anpassung gelöst, indem sie in ein Funktionsäquivalent des deutschen Belegenheitsortrechts transponiert wurden.256 Die Akzeptanz der von einem fremden Güterstatut angeordneten (dinglichen) Rechtsfolgen für in Deutschland belegene Gegenstände konnte in der Praxis großzügiger gehandhabt werden als im Erbrecht.257 In vielen Fällen liegt der Kern des Konflikts zwischen ausländischem Güter- und deutschem Sachenrecht nämlich darin, dass das Güterrecht beim Eigentumserwerb durch einen Ehegatten den automatischen Miteigentumserwerb des anderen Ehegatten vorsieht – dies ist in vielen Rechtsordnungen der Fall, namentlich wenn ihr Güterrecht das Prinzip der Errungenschaftsgemeinschaft zugrundelegt. Das deutsche materielle Güterrecht geht zwar im Rahmen der Zugewinngemeinschaft als 254 MüKo8 / Looschelders Art. 15 EGBGB Rn. 54 ff.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 388 ff. 255 Aus der Rechtsprechung z. B. OLG München 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, kritisch Makowsky IPRax 2018, 187. – MüKo8 / Looschelders Art. 15 EGBGB Rn. 55; Staudinger /  Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 397 ff.; J. Weber MittBayNot 2017, 22, 22 ff.; J. Weber MittBayNot 2016, 482, 485 f.; zur Entwicklung detailliert Andrae § 3 Rn. 151 ff., 160 ff. – a. A. (Gemeinschaftsverhältnis nach niederländischem Güterrecht muss aufgrund alleiniger persönlicher Verwaltung des Allein-Käufer-Ehegatten nicht durch Eintragung beider Ehegatten im Grundbuch verdeutlicht werden) OLG Oldenburg 11.2.2019 – 12 W 143/17 (GB). 256 MüKo8 / Looschelders Art. 15 EGBGB Rn. 56. 257 Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 394 ff.

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gesetzlicher Standard von einem solchen Miteigentumserwerb nicht aus. Allerdings ist die Möglichkeit ihm doch nicht vollkommen fremd – sofern die Ehegatten für den Güterstand der Gütergemeinschaft optiert haben, sieht auch das deutsche Güterrecht einen automatischen Miteigentumserwerb des nicht am Erwerb beteiligten Ehegatten vor (§ 1416 BGB). Da also nach deutschem Güterrecht ein güterrechtlicher Miteigentumserwerb möglich ist, akzeptierten Rechtsprechung und Lehre ihn nach ausländischem Güterrecht ebenfalls – der (automatische Mit-)Eigentumserwerb des Ehegatten wurde in diesen Fällen nicht den sachenrechtlichen Regeln unterstellt, sondern als Teil des Güterrechts akzeptiert. Zugunsten der Verwirklichung der (ausländischen) güterrechtlichen Vorstellungen wurde die (inländische) lex rei sitae zurückgenommen. Die Folge erschien für die Ehegatten zunächst günstig. Der (Mit-)Rechtserwerb auch an in Deutschland belegenen Gegenständen konnte sich automatisch und publizitätslos nach dem maßgeblichen Güterstatut vollziehen.258 Handelte es sich um ein Grundstück, wurde sogar eine Ausnahme vom konstitutiven Eintragungserfordernis des deutschen Immobiliarsachenrechts gemacht: Die Eintragung des güterrechtlich entstandenen Miteigentums der Ehegatten im Grundbuch war zwar im Wege der Berichtigung möglich, aber nicht zwingend vorzunehmen.259 Genau dies konnte aber in der Folge zum Verhängnis werden. Wurde das güterrechtliche Miteigentum nicht im Grundbuch eingetragen, war darin nämlich der Ehegatte, der das Grundstück erworben hatte, als Alleineigentümer ausgewiesen. Dies ermöglichte einen gutgläubigen Erwerb der Immobilie durch Dritte im Vertrauen auf die im Grundbuch ausgewiesene Rechtslage (§ 892 BGB) – denn für weitere Verfügungen über das inländische Grundstück als rein sachenrechtliche Geschäfte kam es einzig und allein auf die lex rei sitae, mithin das deutsche Sachenrecht, an.260 Das beim Erwerb des Grundstücks durch einen Ehegatten akzeptierte „güterrechtliche Miteigentum“ des anderen konnte also bei einer Veräußerung ohne dessen Wissen und Wollen auch schnell wieder verloren gehen. Die gegenüber dem Güterstatut zurückgetretene lex rei sitae kam gewissermaßen mit voller Kraft zurück. In der Gesamtbetrachtung erwies sich die „Kulanz“ des Sachenrechts zugunsten des fremden Güterrechts also als nur teilweise und vordergründig: Um das güterrechtlich erworbene Miteigentum langfristig abzusichern, war die (freiwillige) Erfüllung der sachenrechtlichen Vorschriften des deutschen Belegenheitsrechts nach wie vor erforderlich.

BGH 10.12.1981 – V ZB 12/81. – Siehe Andrae § 3 Rn. 148; Rauscher Rn. 1550; J. Weber MittBayNot 2017, 22, 23. 259 Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 395 ff.; Andrae § 3 Rn. 148. 260 Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 15 EGBGB Rn. 395; Andrae § 3 Rn. 164 ff. 258

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Im Konflikt zwischen (ausländischem) Erb-/Güter- und (inländischem) Sachenstatut räumte das deutsche Kollisionsrecht dem Sachenrecht den Vorrang ein.261 Sofern die deutsche lex rei sitae eine Entsprechung zum vom ausländischen Erb- oder Güterstatut angeordneten Rechtserwerb kannte, wurde dieser akzeptiert; durch Transposition bzw. Anpassung wurden unbekannte Rechtsinstitute des fremden Rechts in ihrer Funktion möglichst weitreichend erhalten. In unlösbaren Konfliktfällen, in denen ein solcher Kompromiss der Integration der sachenrechtlichen Konsequenzen eines anderen Statuts ins deutsche materielle Sachenrecht nicht möglich war, wurde die Konkurrenz zugunsten der (eigenen) lex rei sitae aufgelöst. Die Vermeidung mit dem materiellen Sachenrecht unvereinbarer Ergebnisse wurde höher gewichtet als das Vertrauen auf fremdartige Erwerbsvorgänge. An dieser Lösung wurde zwar gelegentliche Kritik geäußert, die interessanterweise in beide Richtungen ging: Es wurde sowohl vorgeschlagen, Vindikationslegate (und vergleichbare Rechtsinstitute) rein sachenrechtlich zu qualifizieren,262 als auch, sie erbrechtlich einzuordnen und ihre unmittelbare dingliche Wirkung auch im deutschen Inland ohne weitere Rechtsakte zu akzeptieren.263 Gleichwohl blieb die herrschende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung für das deutsche Kollisionsrecht bei ihrer Linie. Dies illustriert die Wichtigkeit der lex rei sitae aus Sicht des deutschen IPR und die Bedeutung der eigenen sachenrechtlichen Prinzipien aus Sicht des deutschen materiellen Rechts. cc) Abgrenzung nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten Einen dem deutschen Recht vergleichbaren Ansatz vertrat die überwiegende Auffassung für das österreichische Kollisionsrecht und räumte in Konfliktfällen der lex rei sitae den Vorrang ein.264 Auch in Italien tendierte man dazu, zwar den titulus adquirendi dem Erb- bzw. Güterstatut zu überlassen, den modus adquirendi jedoch als Teil der Ausübung dinglicher Rechte der lex rei sitae zu unterstellen.265 In anderen Mitgliedstaaten wurde das Problem durch eine Rechtsspaltung gelöst bzw. von vornherein vermieden266 – so etwa in Frankreich, wo die Nachlassspaltung für Grundstücke zur Anwendung der lex rei sitae und damit zum Gleichlauf von Erb- und Sachenstatut führte.267 In Polen wurden schließlich traditionell Vindikationslegate kumulativ dem Erbstatut und der lex rei sitae unterstellt, seit Einführung des Vindikationsle261 Hertel in: Dutta / Herrler, 85, Rn. 8; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 11; Süß RabelsZ 65 (2001), 245, 249 ff. 262 Süß RabelsZ 65 (2001), 245, 255 ff. 263 In jüngerer Zeit prominent J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 7 ff. 264 Rupp in: Heindler, 309, 328 f. m. w. N. 265 Basedow YbPIL XVIII (2016/17), 1, 13; Crespi Reghizzi RDIPP 2017, 633, 639 f.; Damascelli RDIPP 2019, 45, 46 ff. 266 Siehe die Auflistung bei von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 144 Fn. 11.

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gats im polnischen materiellen Recht (und der Verabschiedung der ErbVO) soll trotz der damit einhergehenden Registrierungsprobleme bei Immobilien nur noch die lex successionis maßgeblich sein.268 Diese Beispiele lassen erkennen, dass die Lösungen des autonomen IPR durch die jeweiligen materiell-rechtlichen Vorstellungen geprägt sind und sich insbesondere an den sachenrechtlichen Auffassungen orientieren. In der Regel wird die möglichst weitreichende Akzeptanz der von einem fremden Erb- oder Güterstatut angeordneten Rechtsfolgen angestrebt, gleichzeitig aber der „unabdingbare Kern“ des eigenen sachenrechtlichen Systems durchgesetzt, um dessen Funktionsfähigkeit zu erhalten. Die lex rei sitae (aufgrund der ausschließlichen Belegenheitszuständigkeit bei Immobilien gleichzeitig die lex fori) dient der Wahrung eines kohärenten Sachenrechtssystems, stellt die Vollständigkeit des Registers sicher und garantiert den Gleichlauf von materiellem und (Register-)Verfahrensrecht. Je wichtiger diese Aspekte aus der materiell-rechtlichen Warte sind, desto strenger müssen sie kollisionsrechtlich durchgesetzt werden: An der lex rei sitae wird umso stärker festgehalten und sie wird umso weiter verstanden, je zentraler die mit ihrer Hilfe verwirklichten Prinzipien (insbesondere die Publizität) für das Funktionieren des Sachenrechtssystems sind. Es verwundert insofern nicht, dass in Deutschland und Österreich zum Schutz einer lückenlosen Grundbuchpublizität besonders strenge Positionen eingenommen wurden und das Konfliktbewusstsein hier im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten ungleich höher ist. c) EU-IPR In den ersten europäischen Kollisionsrechtsakten war die Abgrenzung gegenüber dem Internationalen Sachenrecht noch kein wichtiges Thema. Sie ließ sich durch eine umfassende Bereichsaussparung relativ einfach und problemlos bewerkstelligen. Die Rom I-VO und die Rom II-VO erfassen nur schuldrechtliche Fragen und lassen das Sachenrecht unberührt.269 Die Rom III-VO ist auf das personenrechtliche Scheidungsstatut begrenzt und bot von vornherein keinerlei Berührungspunkte zu vermögensrechtlichen Fragen und damit keine sachenrechtliche Reibungsfläche. Bei der Europäisierung dieser Kollisionsrechtsbereiche war daher eine über die allgemeine Aussparung des Internationalen Sachenrechts hinausgehende Auseinandersetzung damit nicht erforderlich. Internationalsachenrechtliche Fragen blieben en bloc dem nationalen IPR und damit der lex rei sitae überlassen. Virulent wurde die Problematik dagegen mit der Europäisierung des Internationalen Erb- und Güter267 Kritisch dazu Lagarde Rev. Crit. DIP 2012, 691, 696 f. – Zusätzlich wurde der renvoi eingeschränkt und war bei Grundstücken nur unter bestimmten Bedingungen zulässig, Cass. Civ. 1re, 11.2.2009 – n° n° 06-12.140; Lagarde Rev. Crit. DIP 2012, 691, 706. 268 Tereszkiewicz / Wysocka-Bar ERPL 2019, 875, Rn. 14 m. w. N. 269 Zum Verhältnis der Rom I-VO zum Sachenrecht Martiny IPRax 2012, 119, 123 f.

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rechts, also jener angrenzenden Bereiche, deren Verhältnis zum Sachenstatut bereits auf nationaler Ebene für Schwierigkeiten gesorgt hatte. Um beim Zusammentreffen der nationalen lex rei sitae-Regelungen mit den europäischen Erb- und Güterkollisionsverordnungen die einheitliche Anwendung der europäischen IPR-Regeln zu wahren, muss die Antwort verbindlich auf europäischer Ebene gegeben werden. Ein uneingeschränkter Rückgriff auf die bzw. eine Fortführung der bisherigen nationalen Koordinationsmechanismen wäre nur denkbar, wenn man diese rein als Teil der sachenrechtlichen Regelungen verstünde. Nur als solche blieben sie von der Europäisierung des Erb- und Güterkollisionsrechts unberührt und könnten unverändert zur Anwendung gelangen. Betrachtet man die Abgrenzung jedoch richtigerweise als eine Schnittstellenfrage, die beide Rechtsgebiete berührt, so kann und darf das europäische Internationale Erb- und Güterrecht nicht vor der Suche nach einer eigenen Lösung haltmachen. Auf die bisherigen Lösungsansätze der mitgliedstaatlichen Kollisionsrechtssysteme kann dafür nur sehr begrenzt zurückgegriffen werden, denn diese sind wie gesehen zu stark vom nationalen kollisions- und materiell-rechtlichen Umfeld geprägt, als dass sie sich sinnvoll auf den Kontext des aus sich heraus und unabhängig von materiell-rechtlichen Regelungen zu interpretierenden europäischen Kollisionsrechts übertragen ließen. Vielmehr gilt es für den Konflikt der ErbVO und der GüVO / PartVO mit dem Sachenstatut eine europäisch-autonome Lösung zu entwickeln.270 aa) Text der Verordnungen Im Grundsatz sollte die Europäisierung des Internationalen Erb- und Güterrechts das Internationale Sachenrecht unberührt lassen. Mit dieser schlichten Ausklammerung zugunsten des nationalen IPR war es freilich nicht getan. Problematisch ist, wie gesehen, nicht die grundsätzliche Trennung der Bereiche, sondern der genaue Verlauf der Grenzlinie in Fällen mit Berührung zu beiden Gebieten. Für die detaillierte Bestimmung ihres Verhältnisses zum Sachenstatut liefert der europäische Gesetzgeber mit den Normtexten der ErbVO und der GüVO / PartVO nur begrenzte Anhaltspunkte. Grundlage der im Rahmen des EU-IPR neu vorzunehmenden Abgrenzung zwischen Sachenstatut und verwandten Statuten sind zunächst die europäischen Erbkollisionsregeln. Diese legen – anders als das frühere nationale IPR vieler Mitgliedstaaten – als Hauptanknüpfungspunkt den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Todeszeitpunkt zugrunde (Art. 21 Abs. 1 ErbVO), korrigiert durch eine Ausweichklausel bei „offensichtlich engerer Verbindung“ (Art. 21 Abs. 2 ErbVO). Eine begrenzte Rechtswahl lässt Art. 22 Abs. 1 ErbVO zugunsten des Staatsangehörigkeitsrechts des Erblassers im Zeitpunkt der 270

Vgl. von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 146 ff.; Lechner IPRax 2013, 497, 498.

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Rechtswahl oder des Todes zu. Einem monistischen Ansatz folgend ist das so ermittelte Erbstatut einheitlich anwendbar (Art. 23 Abs. 1 ErbVO), eine depeçage ist weder bei objektiver noch bei subjektiver Anknüpfung vorgesehen.271 Zu einem renvoi kann es nur in den engen Grenzen des Art. 34 ErbVO kommen,272 eine Rechtsspaltung durch teilweise Rückverweisung (etwa, wenn das Recht des verwiesenen Drittstaats für das bewegliche und das unbewegliche Nachlassvermögen unterschiedlich anknüpft und die Belegenheitsortanknüpfung bezüglich Immobilien in das Recht eines Mitgliedstaats zurückverweist, Art. 34 Abs. 1 lit. a) ErbVO) wird ausnahmsweise akzeptiert.273 Die Koordinationsschwierigkeiten mit dem Sachenrecht sind unter Geltung der ErbVO zu einem gewissen Grad bereits durch die primäre Aufenthaltsanknüpfung des Erbstatuts entschärft. Da im Regelfall die überwiegende Mehrheit der Vermögensgegenstände natürlicher Personen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts belegen ist, stimmen erbrechtliches Aufenthaltsortsrecht und sachenrechtliches Belegenheitsortrecht überein. Gleichwohl verbleiben immer noch zahlreiche Konstellationen, in denen die Statute auseinanderfallen, hauptsächlich bei (unbeweglichem) Auslandsvermögens, wenn Nachlassgegenstände in mehreren Staaten belegen sind oder bei einer Rechtswahl zugunsten des (vom Aufenthalts-/Belegenheitsortrecht abweichenden) Staatsangehörigkeitsrechts.274 Durch den weitgehenden Ausschluss der depeçage fallen für diese Fälle die bisher von einigen nationalen Rechtsordnungen zugrundegelegten „Spaltungslösungen“ fort: Ein Gleichlauf zwischen Erbund Sachenstatut lässt sich auf diesem Wege auch für unbewegliches Vermögen unter der ErbVO nicht erreichen. Hinweise zur Abgrenzung des nunmehr europäisch determinierten Erbstatuts gegenüber dem Sachenstatut gibt der Verordnungstext der ErbVO an mehreren Stellen. Zunächst einmal werden „die Art der dinglichen Rechte“ Dutta FamRZ 2013, 4, 9; von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 146 ff.; Simon / Buschbaum NJW 2012, 2393, 2395 f. – Zur Statuteneinheit und ihren Grenzen im europäischen Internationalen Erbrecht ausführlich Emmerich 252 ff., zur depeçage im EU-IPR grundlegend Aubart. – Die von Art. 30 ErbVO gestattete Anwendung nationaler Sonderregeln erfasst ausweislich Erw. 54 ErbVO gerade nicht nachlassspaltende Kollisionsnormen, vgl. z. B. Emmerich 254; Wilke RIW 2012, 601, 608. – Zum ErbVO-Entwurf kritisch und für die Möglichkeit einer teilweisen Rechtswahl zugunsten der lex rei sitae für Immobilien plädierend z. B. Martiny IPRax 2012, 119, 127. 272 Vgl. dazu z. B. Lagarde Rev crit. DIP 2012, 691, 705 f.; Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 539 f. – Detailliert Emmerich 236 ff. 273 Vgl. Emmerich 256 ff.; von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 156; Lagarde Rev crit. DIP 2012, 691, 706. – Eine depeçage bleibt darüber hinaus möglich, sofern nicht die ErbVO, sondern staatsvertragliches IPR das Erbstatut bestimmt, z. B. nach § 14 deutsch-türkisches Nachlassabkommen (siehe Teil III: § 8.I.2.a), 446 ff.). 274 Döbereiner ZEV 2015, 559, 559; Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich /  Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 145 befürchtet sogar die häufigere Anwendung ausländischen Erbrechts unter der ErbVO. 271

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(Art. 1 Abs. 2 lit. k) ErbVO) im Sinne des sachenrechtlichen numerus clausus sowie Fragen hinsichtlich der Registrierung von Rechten an Vermögensgegenständen (Art. 1 Abs. 2 lit. l) ErbVO) explizit vom Anwendungsbereich des europäischen Erbkollisionsrechts ausgeschlossen. In den Erw. 18 und 19 wird dazu ausgeführt, dass für die Voraussetzungen und das Verfahren zur Registrierung dinglicher Rechte ebenso die lex registrationis (deren Übereinstimmung mit der lex rei sitae zumindest bei Immobilien unterstellt wird275) maßgeblich bleibt wie für die Wirkung der Registrierung für den Rechtserwerb (konstitutiv oder deklaratorisch). Art. 23 ErbVO spezifiziert den Umfang des Erbstatuts näher. Nach seinem Abs. 2 lit. e) erfasst es auch den „Übergang der zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte, Rechte und Pflichten auf die Erben und gegebenenfalls die Vermächtnisnehmer“. Einen Justierungsmechanismus für nach einem fremden Erbstatut entstandene oder übertragene, dem Belegenheitsortrecht unbekannte dingliche Rechte bietet schließlich Art. 31 ErbVO, der ihre Überführung in ein inländisches funktionales Äquivalent im Wege der Anpassung erlaubt. Ausweislich Erw. 15 sollen nämlich, um den sachenrechtlichen numerus clausus nicht zu gefährden, nur solche nach fremdem Erbstatut begründete oder übertragene Rechte zwingend anerkannt werden, die der lex rei sitae bekannt sind. Als sich kurze Zeit später für das europäische Internationale Güterrecht dieselbe Problematik stellte, beschritt der europäische Verordnungsgeber einen parallelen Weg. Wie auch im Erbrecht bedeutete die Europäisierung des Güterkollisionsrechts gegenüber vielen bisherigen mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln einen Wechsel der Hauptanknüpfung: Als primäres Anknüpfungsmerkmal wird nunmehr der (gemeinsame) gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten zugrundegelegt. Die Anknüpfungsleiter des Art. 26 Abs. 1 GüVO stellt in lit. a) zunächst auf den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nach Eheschließung ab, ersatzweise wird in lit. b) auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit bei Eheschließung rekurriert und als letzte Stufe in lit. c) auf die engste gemeinsame Verbindung im Eheschließungszeitpunkt abgestellt. Art. 22 GüVO gestattet eine begrenzte Rechtswahl zugunsten des Rechts des gewöhnlichen Aufenthaltsstaats oder des Heimatstaats zumindest eines Ehegatten. Während das objektive Güterstatut unwandelbar ist und mit der Eheschließung fixiert wird, kann durch spätere Rechtswahl ein Statutenwechsel herbeigeführt werden. In jedem Fall führt das Einheitsprinzip (Art. 21 GüVO) zur umfassenden Anwendung des so ermittelten Güterstatuts, eine depeçage ist nicht möglich.276 Auch der renvoi ist im Güterrecht kategorisch ausgeschlossen, Art. 32 GüVO. 275 Über mögliche Divergenzen zwischen Registrierungs- und Belegenheitsortrecht hat sich der europäische Gesetzgeber, soweit ersichtlich, keine Gedanken gemacht. 276 von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 146 f.; Martiny ZfPW 2017, 1, 13; J. Weber MittBayNot 2017, 22, 22; J. Weber MittBayNot 2016, 482, 484.

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Anders als das europäische Internationale Erbrecht verschärfen die europäischen Güterkollisionsregeln die Koordinationsprobleme mit dem Sachenrecht insgesamt. Eine Divergenz zwischen Belegenheitsortrecht und Güterstatut entsteht nicht nur bei in mehreren Staaten belegenem Vermögen oder durch Wahl des vom gewöhnlichen Aufenthaltsortrechts abweichenden Staatsangehörigkeitsrechts, sondern bereits immer dann, wenn die Ehegatten im Laufe der Ehe ihren gewöhnlichen Aufenthalt (und damit meist auch den Belegenheitsort vieler ihrer Vermögensgegenstände) ändern, es aber aufgrund der Unwandelbarkeit des objektiven Güterstatuts beim Recht des früheren gewöhnlichen Aufenthaltsstaats bleibt. Als einziger Ausweg für diese Situation steht den Ehegatten die Rechtswahl zur Verfügung.277 Die Möglichkeit der Herbeiführung eines zumindest partiellen Gleichlaufs der Statute durch Rechtsspaltung besteht nicht mehr.278 Die Vorschriften zur Koordination des so ermittelten Güterstatuts mit dem Sachenstatut sind quasi wortgleich zu denen der ErbVO formuliert. Die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der GüVO / PartVO zugunsten der Art dinglicher Rechte sowie der Registrierung in Art. 1 Abs. 2 lit. g), h) GüVO /  PartVO sind wortgleich zu Art. 1 Abs. 2 lit. k), l) ErbVO, der Anpassungsmechanismus des Art. 29 GüVO / PartVO ist parallel zu Art. 31 ErbVO gestaltet. Ein Gleichlauf ist auch bei den Erwägungsgründen zu verzeichnen: Erw. 24 GüVO / PartVO entspricht Erw. 15 ErbVO, die Erw. 27, 28 GüVO /  PartVO gleichen den Erw. 18, 19 ErbVO. Für die Auslegung dieser Regelungen kann daher auf die Interpretation der erbrechtlichen Vorschriften zurückgegriffen werden.279 Grundsätzlich bleibt das Internationale Sachenrecht in Gestalt der nationalen lex rei sitae-Regelungen vom europäischen Internationalen Erb- bzw. Güterrecht unberührt. Nach wie vor kann es unter Geltung der neuen europäischen Kollisionsregeln in benachbarten Bereichen jedoch zu Konflikten bzw. Koordinationsschwierigkeiten zwischen den Statuten kommen, etwa wenn das Erbstatut ein Vindikationslegat oder das Güterstatut Miteigentum an einer Immobilie anordnet, diese Rechte dem (Sachen-)Recht am Belegenheitsort jedoch unbekannt sind. Konkrete Lösungsmechanismen dafür sucht man in den Verordnungen allerdings vergeblich – die Regelungen sprechen sich weder für einen absoluten Vorrang des Erb- bzw. Güterstatuts noch für einen absoluten Vorrang des Sachenstatuts aus und machen auch keinerlei Vorgaben hinsichtlich der Zuordnung in Grenzfragen oder der Koordination bei Vgl. kritisch Rupp GPR 2016, 295, 298 ff.; siehe auch Makowsky IPRax 2018, 187, 192. – Nach J. Weber MittBayNot 2016, 482, 484, soll die Anwendung ausländischen Güterrechts dennoch seltener zu erwarten sein. 278 Kritisch zum Ausschluss der depeçage Rupp GPR 2016, 295, 301 f. 279 Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 152; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 26, 29; Martiny ZfPW 2017, 1, 11 f. 277

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Konflikten. Ein europäischer Ansatz für die Grenzziehung zwischen dem Erb- bzw. Güterstatut und dem benachbarten Sachenstatut muss also aus den in der ErbVO und der GüVO / PartVO zur Verfügung gestellten, eher offen und fragmentarisch gehaltenen Hinweisen entwickelt werden. bb) Streit um die Interpretation Die Ziehung der neuen europäischen Demarkationslinie zum Internationalen Sachenrecht hat seit den ersten Entwurfsfassungen zur ErbVO für rege Diskussionen gesorgt.280 Die Formulierungen der ErbVO zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche sind weder umfassend noch eindeutig, teils werden sie sogar als widersprüchlich empfunden.281 Gleiches gilt für die Parallelvorschriften in der GüVO / PartVO. Insbesondere in Deutschland wurde daher von Anfang an über die unterschiedlichen Intepretationsmöglichkeiten und ihre Folgen für die Abgrenzung und Koordination der Statute heftig gestritten. Richtungsweisend ist die Entscheidung über den Anwendungsbereich der Kollisionsrechtsverordnungen: Je nachdem, wie eng oder weit man den Anwendungsbereich der ErbVO bzw. der GüVO / PartVO versteht, desto mehr oder weniger Raum kann von vornherein dem (weiterhin nationalen) Sachenkollisionsrecht verbleiben. Sollen nämlich der Erwerb und/oder die Registrierung dinglicher Rechte überhaupt nicht in den Anwendungsbereich der ErbVO bzw. GüVO / PartVO fallen, dann können sie systematisch auch nicht vom Erb- bzw. Güterstatut erfasst werden.282 Damit wäre für diese Fragen von vornherein und insgesamt nur das Sachenstatut in Gestalt der lex rei sitae bzw. lex registrationis maßgeblich – zu einer Konkurrenz mit dem Erb- bzw. Güterstatut könnte es gar nicht kommen. Die Debatte entzündete sich daher zunächst daran, wie weit bzw. eng die numerus clausus-Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. k) ErbVO (parallel dazu nun auch des Art. 1 Abs. 2 lit. g) GüVO / PartVO) zu verstehen sei: Werden dadurch nur die Typen und der Inhalt dinglicher Rechte oder auch die Erwerbsarten vom Anwendungsbereich der ErbVO ausgenommen und dem Sachenrecht zugewiesen? Die letztere, weitere Interpretation entsprach der traditionellen deutschen Auffassung283 – demgegenüber wurde in jüngerer Zeit zunehmend vertreten, dass die Zurücknahme der ErbVO zugunsten des Vgl. Lechner IPRax 2013, 497, 497 ff.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 12 ff.; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 3 m. w. N. – Zusammenfassender Überblick bei Gubenko 121 ff. m. w. N. 281 Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 143; Döbereiner GPR 2014, 42, 42. 282 Vgl. zur ErbVO Döbereiner GPR 2014, 42, 43; Lechner IPRax 2013, 497, 499. 283 Zum Beispiel Dörner ZEV 2012, 505, 509; Martiny IPRax 2012, 119, 128 (noch zum ErbVO-Entwurf); Simon / Buschbaum NJW 2012, 2393, 2394 (noch zum ErbVOEntwurf); Wilsch ZEV 2012, 530, 530. 280

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sachenrechtlichen numerus clausus einzig die Art dinglicher Rechte (und nicht die Art des Erwerbsvorgangs) erfassen solle.284 Eine entsprechende Frage stellte sich bezüglich der Reichweite der Registrierungsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. l) ErbVO (parallel dazu nun auch des Art. 1 Abs. 2 lit. h) GüVO / PartVO). Auch hier wurde einerseits im Einklang mit dem hergebrachten deutschen Verständnis ein weitreichender Ausschluss aller registerbezogenen Aspekte aus der ErbVO befürwortet,285 andererseits gewann eine auf „formelle“ Fragen des Register(verfahrens)rechts begrenzte Lesart zunehmend Popularität.286 Konsequenz der traditionellen deutschen Interpretationslinie (weites Verständnis der Bereichsausnahmen und damit des Sachenstatuts, enges Verständnis des Erbstatuts) ist, dass der Erwerb von einem fremden Erbstatut vorgesehener dinglicher Rechte dem Sachenstatut unterliegt, ein effektiver Erwerb also nur im Einklang mit den sachen- bzw. registerrechtlichen Vorschriften der lex rei sitae bzw. lex registrationis möglich ist. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt klar auf der Hand. Das nationale Sachenrechtssystem und insbesondere die dazugehörige Registerpublizität am Belegenheitsort werden umfassend vor Eingriffen durch fremdes Erbrecht geschützt und bleiben integral erhalten. Nicht nur im Hinblick auf die Wahrung sachenrechtlicher Prinzipien, sondern auch im Hinblick auf den Verkehrsschutz scheint dies wichtig und positiv. Auch auf internationaler Ebene fand diese Interpretation daher Anhänger, allen voran Lagarde, der die Anpassungsregelung des Art. 31 ErbVO als Ausdruck dieser traditionellen deutschen Auffassung verstand.287 Demgegenüber steht freilich der Nachteil, dass der erbrechtlich vorgesehene Rechtserwerb (z. B. durch Vindikationslegat oder dinglich wirkende Teilungsanordnung) eben nicht wie eigentlich geplant mit sofortiger dinglicher Wirkung stattfinden kann, sondern bis zur Erfüllung der sachenrechtlichen Voraussetzungen nur schuldrechtlich wirkt – eine „Herabstufung“ zu 284 Deixler-Hübner / Schauer / Mankowski Art. 1 ErbVO Rn. 72 ff.; Rauscher / Hertel Art. 1 ErbVO Rn. 39; Hertel in: Dutta / Herrler, 85, Rn. 40; Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 761; Laukemann in: FS Schütze, 325, 335 ff.; Looschelders in: FS CoesterWaltjen, 531, 536; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 588 ff.; Margonski GPR 2013, 106, 108 f.; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 21 f. 285 Rauscher / Hertel Art. 1 ErbVO Rn. 40 ff.; Dörner ZEV 2012, 505, 509; Hertel in: Dutta / Herrler, 85, Rn. 41 ff.; Lechner IPRax 2013, 497, 499; Simon / Buschbaum NJW 2012, 2393, 2394; Wilsch ZEV 2012, 530, 530. 286 Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 763; Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 536 f.; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 590 ff.; vgl. für eine enge Auslegung auch Laukemann in: FS Schütze, 325, 333 f. 287 Bergquist et al./Lagarde Art. 31 ErbVO Rn. 2 f.; Lagarde Rev. Crit. DIP 2012, 691, 715 f. – z. B. auch Iglesias Buigues / Palao Moreno (ErbVO) / Alonso Landeta Art. 1 ErbVO 43 ff.; Lurger / Melcher Rn. 3/23, 6/9; Cubeddu Wiedemann in: Löhnig / Schwab / Henrich /  Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 109, 129; Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich /  Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 145 ff. (zur französischen Perspektive).

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Lasten des Rechtserwerbers und entgegen der Vorstellung des Erblassers. Um den Vorstellungen des eigenen Sachenrechts zur Durchsetzung zu verhelfen, wird das fremde Erbrecht, unter Umständen entgegen seiner Systematik, zurückgestellt.288 Auf dieser Kritik baut die enge Interpretation der Ausnahmen vom Anwendungsbereich der ErbVO auf. Schließt man nur die Art dinglicher Rechte und das formelle Registerrecht vom Erbstatut aus, kann sich hinsichtlich anderer sachenrechtsbezogener Aspekte das Erbkollisionsrecht durchsetzen; argumentiert wird auch damit, dass nach Art. 23 Abs. 2 lit. e) ErbVO die „Übertragung“ von Rechten Teil des Erbstatuts sei. Konsequenterweise muss dann der vom fremden Erbrecht angeordnete dingliche Rechtsübergang vom Belegenheitsortrecht als solcher akzeptiert werden, auch ohne dass die sachenrechtlichen Übertragungsvoraussetzungen der lex rei sitae erfüllt sind;289 eine Anpassung kommt nur in Betracht, wenn das erbrechtlich erworbene Recht der lex rei sitae als solches inhaltlich fremd (d. h. nicht Teil ihres numerus clausus dinglicher Rechte) ist.290 Gleiches gilt im Hinblick auf das Registerrecht, das bezüglich des Erwerbsvorgangs ebenfalls hinter das allein maßgebliche Erbstatut zurücktreten soll.291 Der Verordnungstext müsse gegenüber dem ihm widersprechenden Erw. 19 Vorrang erhalten:292 Die eng auszulegende Ausnahme des Registerrechts vom Anwendungsbereich könne nur dessen formelle Erfordernisse sowie die Wirkungen einer (Nicht-) Registrierung (z. B. Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs) der lex rei sitae bzw. lex registrationis zuweisen,293 Erw. 19 erfasse nur auch in Erbfällen konstitutive Registrierungserfordernisse der lex rei sitae.294

Vgl. z. B. die Kritik bei Margonski GPR 2013, 106, 110. Gubenko 207 f., 220 ff.; Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 762; MartínezEscribano ERPL 2017, 553, 559 ff.; Pintens in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald /  Grziwotz / Reimann / Dutta, 1, 6 f.; Rudolf / Zöchling-Jud / Kogler in: Rechberger / ZöchlingJud, 115, Rn. 255. 290 Bonomi / Wautelet / Wautelet Art. 1 ErbVO Rn. 114 ff.; Dutta FamRZ 2013, 4, 12; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 592 ff.; Margonski GPR 2013, 106, 109; MartínezEscribano ERPL 2017, 553, 565 ff.; Pintens in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald /  Grziwotz / Reimann / Dutta, 1, 7 f.; Rudolf / Zöchling-Jud / Kogler in: Rechberger / ZöchlingJud, 115, Rn. 255. 291 Bonomi / Wautelet / Wautelet Art. 23 ErbVO Rn. 51 ff.; Dutta FamRZ 2013, 4, 12; van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 189; Martínez-Escribano ERPL 2017, 553, 570 ff. (mit Beispielen). – a. A. Lagarde Rev. Crit. DIP 2012, 691, 730. 292 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 1 ErbVO Rn. 50 ff.; van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 189; Laukemann in: FS Schütze, 325, 332. 293 van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 189. – Weniger weitreichend Bonomi / Wautelet /  Wautelet Art. 1 ErbVO Rn. 124 ff., 131 ff., Art. 31 ErbVO Rn. 13. 294 Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 762 f.; Margonski GPR 2013, 106, 109; Thorn / Lasthaus IPRax 2019, 24, 27 f. 288 289

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Im Ergebnis läuft diese Auffassung auf einen Vorrang des Gesamtstatuts (Erbrecht) vor dem Einzelstatut (Sachenrecht) hinaus.295 Im Hinblick auf die Einheit des Erbstatuts ist sie zweifelsohne zu begrüßen. Gezahlt wird dafür allerdings der hohe Preis der Aufgabe der einheitlichen Durchsetzung der Anforderungen des Sachen- bzw. Registerrechts. Der Rechtsverkehr kann sich nicht mehr lückenlos auf die Publizität des Belegenheitsortrechts verlassen, gleichzeitig bedeutet die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs durch Dritte erhebliche Risiken für den Rechtserwerber nach ausländischem Erbstatut. Der Lösungsvorschlag, für die Frage nach der konstitutiven oder deklaratorischen Rechtsnatur von Registrierungen (bei erbrechtlichem Erwerb) kumulativ zum Erbstatut die lex registrationis anzuwenden,296 ist praktisch wenig zielführend. Die erbrechtlichen Übertragungsmechanismen sind materiell-rechtlich im Regelfall auf das eigene Sachenrecht abgestimmt und mit den registerrechtlichen Regeln fremder Rechtsordnungen nur begrenzt und allenfalls zufällig kompatibel, umgekehrt kann von Registerbehörden nicht erwartet werden, die für die richtige Umsetzung des Rechtserwerbs erforderlichen Kenntnisse der erbrechtlichen Übertragungsmechanismen aller fremden Rechtsordnungen zu besitzen. Praktisch lässt diese Auffassung daher erhebliche Schwierigkeiten erwarten.297 Nichtsdestotrotz erfreute sie sich nicht nur in der jüngeren deutschen Literatur großer Beliebtheit, sondern schien auch international mehrheitliche Vertreter zu finden.298 Ein früher deutscher Kompromissvorschlag dahingehend, für Immobilien den Vorrang der lex rei sitae (bzw. lex registrationis) aufrechtzuerhalten, die unmittelbare Übertragung dinglicher (Eigentums-)Positionen nach dem Erbstatut jedoch für bewegliche (nicht registrierte) Gegenstände zuzulassen,299 konnte sich demgegenüber auf Dauer nicht durchsetzen. Zwar hätte dies eine pragmatische Lösung für verschiedene Problemkonstellationen, 295 296

22 f.

Gubenko 207 f.; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 590. Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 592 m. w. N.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4,

Vgl. Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 145; Döbereiner GPR 2014, 42, 43 f. – Ob diese, wie etwa J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 29 meint, durch das Europäische Nachlasszeugnis weitgehend gelöst werden, kann man bezweifeln. 298 Zum Beispiel Bergquist et al./Frimston Art. 1 ErbVO Rn. 63; Bonomi / Wautelet /  Wautelet Art. 1 ErbVO Rn. 111, Art. 31 ErbVO Rn. 13; Crespi Reghizzi RDIPP 2017, 633, 640 ff.; van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 189; Margonski GPR 2013, 106, 108 ff.; MartínezEscribano ERPL 2017, 553, 559 ff.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 15 Fn. 56. – Auch in Österreich hat sich diese Auffassung durchgesetzt, vgl. Bajons in: Löhnig / Schwab /  Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 93, 102 ff.; Rudolf / Zöchling-Jud / Kogler in: Rechberger / Zöchling-Jud, 115, Rn. 252 ff., 259 f.; in diese Richtung tendierend auch OGH 29.8.2017 – 5 Ob 108/17v. 299 Döbereiner GPR 2014, 42, 43; Hertel in: Dutta / Herrler, 85, Rn. 44 ff.; Lechner IPRax 2013, 497, 499. 297

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insbesondere den Umgang mit Vindikationslegaten nach ausländischem Erbrecht, geboten, gleichzeitig jedoch neue Abgrenzungsprobleme aufgeworfen und die Rechtslage unter dem Strich verkompliziert. Entsprechende Ansätze sind daher aus der Diskussion verschwunden. Die Ausarbeitung des europäischen Güterkollisionsrechts hätte eine Möglichkeit für die dringend erwartete Klärung dieses Konflikts geboten, die der europäische Gesetzgeber jedoch versäumte.300 Für die Parallelregeln der GüVO / PartVO setzte sich vielmehr die im Erbrecht entzündete Diskussion fort.301 Möglich erschien einerseits ein – dem traditionellen deutschen Ansatz entsprechendes – weites Verständnis der Bereichsausnahmen in Art. 1 Abs. 2 lit. g), h) GüVO / PartVO zugunsten der lex rei sitae, sodass Übertragungs- und Registrierungsmechanismen weiterhin als sachenrechtlich zu qualifizieren wären.302 Das daraus folgende „Hinabstufen“ dinglicher zu nur schuldrechtlichen Wirkungen wäre für die im Güterrecht in Frage stehenden Rechtsinstitute jedoch vermutlich gravierender als im Erbrecht: Entfaltet der güterrechtlich angeordnete automatische (Mit-)Eigentumserwerb bis zu seinem sachenrechtlichen „Nachvollzug“ nur schuldrechtliche Wirkung im Sinne eines Übertragungsanspruchs, wird faktisch die Errungenschaftsgemeinschaft zu einer Zugewinngemeinschaft „reduziert“.303 Andererseits ließ sich ein enges Verständnis der Ausnahmen zugrundelegen, mit der Möglichkeit eines rein güterrechtlichen und publizitätslosen Erwerbs dinglicher Rechte. Lex rei sitae und lex registrationis könnten dann abgesehen von formellen Aspekten nur über die Folgen der (fehlenden) Eintragung bestimmen,304 eine Anpassung wäre nur erforderlich und möglich, wenn das güterrechtlich vorgesehene dingliche Recht(sinstitut) als solches dem Belegenheitsortrecht unbekannt ist.305 cc) EuGH – Kubicka Da der europäische Gesetzgeber die Frage nach der Reichweite der Bereichsausnahmen in Art. 1 Abs. 2 lit. k), l) ErbVO bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. g), h) GüVO / PartVO und damit nach dem Verhältnis zwischen Internationalem Erb- bzw. Güterrecht und Internationalem Sachenrecht nicht eindeutig be300 Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 152; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 26, 29. 301 MüKo / Looschelders (7. Auflage 2018) Art. 15 EGBGB Rn. 56; Rupp GPR 2016, 295, 296 f. – Für eine Gleichbehandlung bereits Martiny IPRax 2012, 119, 130. 302 Heiderhoff IPRax 2018, 1, 3; Martiny ZfPW 2017, 1, 12; Martiny IPRax 2012, 119, 130; J. Weber DNotZ 2016, 659, 667 ff. 303 Rupp GPR 2016, 295, 297. 304 Andrae IPRax 2018, 221, 229; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975; Kemper FamRB 2019, 32, 37; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 26 ff. – Kritisch Buschbaum / Simon GPR 2011, 262, 264 f. 305 Andrae IPRax 2018, 221, 229; Heiderhoff IPRax 2018, 1, 3; Köhler in: Dutta /  Weber, 147, Rn. 28; J. Weber DNotZ 2016, 659, 667.

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antwortet hatte, war rasch offenkundig, dass die streitige Thematik letztlich nur durch den EuGH entschieden werden konnte.306 Zu dieser Klärung kam es schneller als erwartet: Gleich im allerersten Vorabentscheidungsverfahren zur ErbVO, der Rechtssache Kubicka,307 hatte der EuGH die Grenzlinie zwischen Erbstatut und Sachenstatut zu präzisieren. Virulent wurde die Abgrenzung zwischen den Statuten im Kontext des klassischen Problems des grenzüberschreitenden Umgangs mit Vermächtnissen, in der typischen Konstellation eines erbrechtlich angeordneten, aber der (Sachen-)Rechtsordnung des Belegenheitsorts unbekannten Vindikationslegats. Dass eine so zentrale und so kontrovers diskutierte Frage den Gegenstand der ersten EuGH-Entscheidung zur ErbVO bildete, noch dazu in der eher seltenen Konstellation eines erbrechtlichen Verfahrens vor einem Todesfall, führte teils zu Spekulationen über eine „provozierte Entscheidung“.308 Der inzwischen wohlbekannte Sachverhalt, der schließlich zur Vorlage an den EuGH führte, war der folgende:309 Die polnische Staatsangehörige Aleksandra Kubicka lebte mit ihrem Ehemann, einem deutschen Staatsangehörigen, und zwei gemeinsamen minderjährigen Kindern in Deutschland, die von der Familie bewohnte Immobilie stand im Miteigentum der beiden Ehegatten. Zur Regelung ihres Nachlasses begab sich Frau Kubicka zu einem polnischen Notar und begehrte die Errichtung eines Testaments nach polnischem Recht mit dem Inhalt, dass ihr Ehemann ein Vindikationslegat hinsichtlich ihres hälftigen Miteigentumsanteils an der Wohnimmobilie erhalten, im übrigen die gesetzliche Erbfolge nach polnischem Recht eingreifen sollte. Dabei wünschte sie explizit ein Vindikationslegat und nicht ein nach polnischem Recht ebenfalls zulässiges Damnationslegat. Die Beurkundung dieses Testaments verweigerte der Notar mit der Begründung, ein solches Vindikationslegat nach polnischem Erbrecht sei mit dem deutschem Belegenheitsortrecht des Grundstücks nicht vereinbar und damit die Errichtung eines entsprechenvon Hein EPLJ 6 (2017), 142, 152; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 26. EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka. – Zu der Entscheidung wurden vor allem in Deutschland zahlreiche Anmerkungen verfasst, z. B. Döbereiner FamRZ 2017, 2060; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 16 ff.; Thorn / Lasthaus IPRax 2019, 24; R. Wagner NJW 2017, 3755; J. Weber DNotZ 2018, 16. – Eine Analyse aus polnischer Perspektive bieten Tereszkiewicz / Wysocka-Bar GPR 2018, 100, 100 ff. und Tereszkiewicz / Wysocka-Bar ERPL 2019, 875, Rn. 16 ff., aus spanischer Sicht Castellanos Ruiz CDT 10 (2018), 70, 70 ff., aus französischer Warte Perreau-Saussine Rev. Crit. DIP 2018, 342, Rn. 1 ff. 308 Bandel MittBayNot 2018, 99, 99; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 18. – Kritisch zur vom EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka, Rn. 30 ff. bejahten Zulässigkeit des Vorlageverfahrens Döbereiner FamRZ 2017, 2060, 2060; J. Weber DNotZ 2018, 16, 18. – Darüber, ob die Tatsache, dass kurz darauf dasselbe Gericht ein weiteres Vorlageverfahren anstrengte (EuGH 23.5.2019 – C-658/17, WB; ebenfalls zur ErbVO), lediglich einen Zufall darstellt, kann man ebenfalls nur spekulieren. 309 EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka, Rn. 18 ff. 306 307

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den Testaments rechtswidrig. Im Beschwerdeverfahren gegen diese Weigerung legte das Bezirksgericht von Gorzów Wielkopolski dem EuGH die Frage nach der Auslegung bzw. Reichweite der Art. 1 Abs. 2 lit. k) und l), Art. 31 ErbVO vor. Je nach Auffassung boten sich verschiedene Lösungswege an. Für Anhänger des traditionellen deutschen Verständnisses weiter Bereichsausnahmen zugunsten des Sachenrechts war auch beim vom ausländischen Erbstatut (hier: dem polnischen Recht) angeordneten Vindikationslegat hinsichtlich eines Grundstücks der dingliche Übergang nach der lex rei sitae (hier: dem deutschen Recht) zu vollziehen. Aus Sicht des deutschen Sachenrechts war eine Auflassung durch den Erben und eine Eintragung im Grundbuch erforderlich – im Ergebnis also das fremde Vindikationslegat wie ein (dem deutschen [Erb-] Recht als einzige Vermächtnisform bekanntes) vertrautes Damnationslegat zu behandeln.310 Diese inhaltliche Fortsetzung des bisherigen Transformationsansatzes der deutschen Rechtsprechung, von der auch der deutsche Gesetzgeber bei seiner Umsetzung der ErbVO im IntErbRVG311 ausging, wurde nunmehr auf die Anpassungsregel des Art. 31 ErbVO gestützt.312 Für Vertreter der gegenläufigen Ansicht eng zu interpretierender Bereichsausnahmen war dagegen der vom Vindikationslegat angeordnete Eigentumsübergang auf den Legatar Teil der gemäß Art. 23 Abs. 2 lit. e) ErbVO vom Erbstatut erfassten Übertragung313 und der Erwerbsvorgang damit nach dem Erbstatut (hier: dem polnischen Recht) zu beurteilen. Der numerus claususSchutz zugunsten des Belegenheitsortsrechts erfasse nicht die Erwerbsmodalitäten, die daher auch nach fremdem Recht ohne weiteres zu akzeptieren seien. Hingewiesen wurde bezüglich ins deutsche Sachenrecht zu „importierender“ Vindikationslegate ferner darauf, dass auch das deutsche Recht in Ausnahmefällen eine unmittelbare dingliche Einzelrechtsnachfolge kenne314 und Erben aufgrund des erbrechtlichen Vonselbsterwerbs auch ohne Regist310 Vgl. Döbereiner GPR 2014, 42, 43; Hertel in: Dutta / Herrler, 85, Rn. 46; Kohler /  Pintens FamRZ 2012, 1425, 1429; Lechner IPRax 2013, 497, 499 f.; Martiny IPRax 2012, 119, 128. 311 Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz vom 29.6.2015 (IntErbRVG). 312 Dörner ZEV 2012, 505, 509; Martiny IPRax 2012, 119, 128 (noch zum Verordnungsentwurf). – Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 592 hält Art. 31 ErbVO für allenfalls entsprechend anwendbar, da er direkt nur „dingliche Rechte“ erfasse. 313 MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 52 ff., Art. 31 ErbVO Rn. 8 ff.; Gubenko 222 ff.; Dutta FamRZ 2013, 4, 12; Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 761 ff.; Laukemann in: FS Schütze, 325, 334 ff.; Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 534 ff.; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 594 f.; Margonski GPR 2013, 106, 108 ff.; Rudolf / Zöchling-Jud /  Kogler in: Rechberger / Zöchling-Jud, 115, Rn. 257 f.; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 15 ff. 314 Zum Beispiel Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 762; Mansel in: FS CoesterWaltjen, 587, 592; Margonski GPR 2013, 106, 109 f.

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rierung im Grundbuch Eigentum erwerben könnten315. Eine Anpassung sei beim Vindikationslegat ebenfalls nicht nötig: Dabei steht als dingliches Recht inhaltlich zumeist das Eigentum in Frage, das als solches allen Mitgliedstaaten als Teil ihres sachenrechtlichen numerus clausus bekannt ist.316 Diese Auffassung vertrat auch der Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen.317 Der EuGH folgte den Schlussanträgen und schloss sich damit den Befürwortern eines engen Verständnisses der Bereichsausnahmen zugunsten des Sachenstatuts an. Die in Art. 1 Abs. 2 lit. k) und l) ErbVO normierten Ausnahmen vom Anwendungsbereich seien im Interesse der Einheit des Erbstatuts eng auszulegen: Nur der inhaltliche numerus clausus dinglicher Rechte sei vom Begriff „Natur dinglicher Rechte“ erfasst, nicht aber die Art und Weise ihres Erwerbs oder ihrer Übertragung. Folglich sind nur die Typen dinglicher Rechte vom Anwendungsbereich der ErbVO ausgenommen und dem nationalen Sachenkollisionsrecht und seiner lex rei sitae-Anknüpfung zugewiesen, der Erwerbsmodus dinglicher Rechte (im Todesfall) fällt dagegen sehr wohl unter das europäisch zu bestimmende Erbstatut. Nach dem EuGH erschöpft sich die Reichweite der Ausnahme zugunsten des Sachenrechts damit, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht dazu gezwungen werden, ihnen unbekannte dingliche Rechte zu akzeptieren. Sofern aber ein dingliches Recht der Rechtsordnung des Belegenheitsortes als solches prinzipiell bekannt ist, steht seinem Erwerb nach dem Erbstatut – auch in einer von der lex rei sitae nicht vorgesehenen Art und Weise – nichts entgegen. Da das im Fall Kubicka konkret in Frage stehende dingliche Recht Eigentum sowohl im polnischen als auch im deutschen Recht – wie auch in allen anderen Mitgliedstaaten – zum Kreis der anerkannten dinglichen Rechte zählt, kam die Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. k) ErbVO nicht zum Tragen.318 Dass die vom anwendbaren polnischen Erbrecht vorgesehene Erwerbsart, der automatische Eigentumserwerb im Todesfall kraft Vindikationslegats, dem deutschen (Sachen- bzw. Erb-)Recht unbekannt ist, muss nach dem auf den Rechtsinhalt begrenzten engen Verständnis des EuGH unerheblich bleiben.

315 Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 762; Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 536; Mansel in: FS Coester-Waltjen, 587, 592; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 23 f.; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 23 f. – Für Österreich wurde das Sondererbrecht des Wohnungseigentums als (einziges) Beispiel angeführt, Bajons in: Löhnig / Schwab /  Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 93, 104 f.; Rudolf / Zöchling-Jud / Kogler in: Rechberger / Zöchling-Jud, 115, Rn. 258. 316 Vgl. Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 761; Looschelders in: FS CoesterWaltjen, 531, 535; Rudolf / Zöchling-Jud / Kogler in: Rechberger / Zöchling-Jud, 115, Rn. 257; J.P. Schmidt RabelsZ 77 (2013), 1, 19 ff.; Thorn / Lasthaus IPRax 2019, 24, 26. – Kritisch Dörner ZEV 2012, 505, 509. 317 Generalanwalt Bot, Schlussanträge 17.5.2017 – C-218/16. 318 EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka, Rn. 46 ff.

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Vielmehr muss das deutsche Sachenrecht den nach polnischem Erbrecht automatisch vollzogenen Erwerb des Eigentums als solchen akzeptieren. Auch die registerrechtliche Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. l) ErbVO legte der EuGH mit derselben Begründung eng aus. Lediglich die „formellen“ und verfahrensrechtlichen Aspekte der Registrierung und die Eintragungswirkungen werden vom europäischen Erbrecht ausgenommen und dem (national verbliebenen) Sachenrecht zugewiesen, nicht aber die materiell-rechtliche Art des Rechtserwerbs bzw. -übergangs.319 Der automatische Eigentumserwerb durch das Vindikationslegat nach polnischem Erbrecht ist damit durch das deutsche Sachenrecht zu akzeptieren, eine konstitutive Registrierung darf nicht gefordert werden. Konsequenz dieses engen Verständnisses der Ausnahmen zugunsten des Sachenrechts ist, dass auch für die Anpassungsklausel des Art. 31 ErbVO nur ein begrenzter Spielraum verbleibt. Weil die Art und Weise des Erwerbs dem Erbstatut unterstellt wird und dessen Ergebnis vom Sachenstatut grundsätzlich zu akzeptieren ist, kann in dieser Hinsicht kein Anpassungsbedarf entstehen. Nur, soweit es um den Inhalt erbrechtlich bereits erworbener dinglicher Rechte geht, kann sich der sachenrechtliche Typenzwang des Belegenheitsortrechts noch durchsetzen – nur insofern kann also eine Anpassung des „importierten“ Rechts an die von ihm vorgesehenen Rechtsinstitute erforderlich sein.320 Jedenfalls bei Vermächtnissen, die inhaltlich dem Legatar stets eine Eigentümerstellung vermitteln sollen (nur eben auf unterschiedliche Weise), ist Art. 31 ErbVO damit nicht mehr erforderlich. Für die Abgrenzung zwischen Erbstatut und Sachenstatut unter Geltung der ErbVO hat der EuGH damit der traditionellen deutschen Lesart eine klare Absage erteilt und sich der jüngeren, international überwiegend vertretenen Interpretation angeschlossen.321 In der Konkurrenz zwischen (europäischem) Internationalem Erbrecht und (nationalem) Internationalem Sachenrecht hat der EuGH sich klar zugunsten des Erbrechts positioniert und damit zwangsläufig das Sachenrecht zurückgedrängt. Es steht aufgrund des Prinzips der rechtsaktübergreifenden Auslegung zu erwarten, dass die gleichlautenden Klauseln der GüVO / PartVO – mutatis mutandis – ebenso zu interpretieren sind.322 Auch die Grenzziehung zwischen Güterstatut und Sachenstatut fällt damit zulasten des Sachenkollisionsrechts aus. EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka, Rn. 52 ff. EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka, Rn. 61 ff. 321 Döbereiner FamRZ 2017, 2060, 2061; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 20; Tereszkiewicz / Wysocka-Bar GPR 2018, 100, 102; R. Wagner NJW 2017, 3755, 3758. 322 Vgl. MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 67 f.; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 42; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 142 f.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 5, 30; skeptisch Forschner DNotZ 2020, 381, 387 f. 319 320

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d) Konsequenzen Die Tragweite der Kubicka-Entscheidung des EuGH ist ebenso groß wie die Resonanz, die dieses erste Urteil zur ErbVO und ihrer Abgrenzung gegenüber dem Internationalen Sachenrecht hervorgerufen hat. Von zahlreichen Stimmen auch in Deutschland wurde sie als (zumindest im Ergebnis) richtig begrüßt.323 Kritisch wurde allerdings auch von vielen Befürwortern die Begründung des EuGH insbesondere hinsichtlich seiner Analyse des Verhältnisses der in Art. 1 Abs. 2 ErbVO aufgelisteten Ausnahmen zum in Art. 23 ErbVO umrissenen Umfang des Erbstatuts und des Fehlens einer Auseinandersetzung mit Erw. 19 ErbVO aufgenommen.324 Einigkeit unter Anhängern und Skeptikern der Entscheidung herrscht dahingehend, dass die Entscheidung eine wesentliche Weiche für die Reichweite des Erbstatuts im Verhältnis zum Sachenstatut gestellt, gleichzeitig aber auch (insbesondere für die [notarielle und grundbuchliche] Praxis) zahlreiche Fragen noch unbeantwortet gelassen bzw. neu aufgeworfen hat.325 Denn mit dem Machtwort des EuGH ist zwar konkret die „Dauerbrenner“-Frage der Behandlung ausländischer Vindikationslegate an in Deutschland belegenen Sachen ein für allemal abschließend geklärt.326 Offensichtlich ist auch, dass die Konsequenzen der Entscheidung über diese Anlass-Konstellation weit hinausreichen werden – aber wie weit sie im Einzelnen reichen werden, ist bislang alles andere als klar. Kernaussage der Kubicka-Entscheidung ist die enge Auslegung der Bereichsausnahmen vom Anwendungsbereich der ErbVO. Sie lässt sich auch mit Blick auf die GüVO / PartVO dahingehend verallgemeinern, dass das EU-IPR insgesamt den Rechtserwerb als solchen dem dafür maßgeblichen speziellen Erb- bzw. Güterstatut europäischer Genese zuweisen und dem Sachenstatut entziehen will. Dabei legen die quasi wortgleichen Parallelregelungen in ErbVO und GüVO / PartVO nahe, dass der Zuschnitt der Gebiete aus europäischer Sicht durchaus systematisch erfolgt. Auch das den europäischen Kollisionsregeln zugrundeliegende Prinzip der Statuteneinheit kann als weiteres Indiz für die gewünschte Zurückdrängung des Sachen- durch das Erb- bzw. Güterstatut gewertet werden. Offen ist, ob sich dieser Ansatz auch auf andere Gubenko 286 ff.; Bańczyk ZeuP 2020, 707, 707 ff.; Dorth ZEV 2018, 11, 13; Pazdan / Zachariasiewicz JPIL 17 (2021), 74, 93 ff.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 20 ff.; Tereszkiewicz / Wysocka-Bar GPR 2018, 100, 100 ff.; grundsätzlich zustimmend auch Bandel MittBayNot 2018, 99, 99 ff., sowie Thorn / Lasthaus IPRax 2019, 24, 27 f. (für eine zurückhaltende Interpretation). 324 Bandel MittBayNot 2018, 99, 100; Döbereiner FamRZ 2017, 2060, 2061; Leitzen ZEV 2018, 311, 313 ff.; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 22; J. Weber DNotZ 2018, 16, 19 ff. 325 Bandel MittBayNot 2018, 99, 100 ff.; Döbereiner FamRZ 2017, 2060, 2061; Dorth ZEV 2018, 11, 13 f.; Leitzen ZEV 2018, 311, 313 ff.; Remien IPRax 2021, 329, 334; J. Weber DNotZ 2018, 16, 23 ff. 326 Bandel MittBayNot 2018, 99, 100; R. Wagner NJW 2017, 3755, 3758. 323

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potentiell mit dem Sachenrecht kollidierende Statute übertragen lässt: Letztlich ließe sich damit sogar argumentieren, auch ein Eigentumsübergang, der vom nach der Rom I-VO anwendbaren und auf dem Einheitsprinzip basierenden Schuldrecht angeordnet wird, müsse sachenrechtlich akzeptiert werden!327 Noch nicht abschließend geklärt ist ferner, wie weit der numerus claususSchutz zugunsten des Sachenrechts unter diesem neuen status quo reicht. Nach der Kubicka-Entscheidung ist der automatische Eigentumserwerb nach dem unter der ErbVO anwendbaren (fremden) Erbrecht vom Sachen(kollisions)recht aller Mitgliedstaaten zu akzeptieren, ohne die Möglichkeit einer Ausnahme oder Anpassung. Dieses Ergebnis lässt sich auch auf andere erbrechtliche Instrumente übertragen, die einen automatischen Eigentumsübergang anordnen, etwa die dem deutschen oder österreichischen materiellen Erbrecht unbekannten dinglich wirkenden Teilungsanordnungen.328 Schwierig wird es aber bereits, wenn das Erbstatut einen gesetzlichen Nießbrauch anordnet (z. B. für den überlebenden Ehegatten nach französischem Recht) – teils wird hier die Gleichbehandlung mit dem Vindikationslegat gefordert,329 teils aber auch eine Anpassung.330 Das OLG Saarbrücken hat im Anschluss an Kubicka die unmittelbare dingliche Wirkung eines ex lege-Ehegattennießbrauchs an Immobiliarvermögen nach französischem Erbrecht bejaht.331 Auch hinsichtlich des Güterrechts lässt sich annehmen, dass ein automatischer Eigentumserwerb nach dem Güterstatut ohne weiteres zu akzeptieren ist, hinsichtlich anderer dinglicher Rechte ist die Zulässigkeit oder Notwendigkeit einer Anpassung aber ebenfalls fraglich.332 Insgesamt erscheint derzeit unsicher, wann genau die Grenze zum inhaltlichen numerus clausus des Sachenrechts, der nach wie vor eine Anpassung unbekannter dinglicher Rechte erlaubt bzw. erfordert,333 überschritten ist. J. Weber DNotZ 2018, 16, 20. Deixler-Hübner / Schauer / Mankowski Art. 1 ErbVO Rn. 87; MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 57, Art. 31 ErbVO Rn. 9; Bandel MittBayNot 2018, 99, 105; Leitzen ZEV 2018, 311, 313; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 29 f. – Dafür bereits Rudolf / Zöchling-Jud /  Kogler in: Rechberger / Zöchling-Jud, 115, Rn. 261. 329 Gubenko 252 ff; Leitzen ZEV 2018, 311, 313; Rudolf / Zöchling-Jud / Kogler in: Rechberger / Zöchling-Jud, 115, Rn. 264; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 30. 330 Vgl. Bandel MittBayNot 2018, 99, 103 f.; Dorth ZEV 2018, 11, 12. – So bereits vor Kubicka Döbereiner in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 139, 148; Lagarde Rev crit. DIP 2012, 691, 715 f. 331 OLG Saarbrücken 23.5.2019 – 5 W 25/19. 332 MüKo8 / Looschelders Art. 14 EGBGB Rn. 70 hält etwa die Anpassung bei einer Ehegatten-Legalhypothek für überflüssig (und will dieses Ergebnis sogar auf „Altehen“ unter dem deutschen Internationalen Güterrecht erstrecken). – Der speziellen Frage, inwieweit die Abwicklung des (früheren) Güterstands bei einem Statutenwechsel den Folgen der KubickaRechtsprechung angepasst werden muss, geht Forschner DNotZ 2020, 381, 381 ff. nach. 333 Vgl. Bandel MittBayNot 2018, 99, 103 ff.; Tereszkiewicz / Wysocka-Bar GPR 2018, 100, 102 f. – Kritisch zur Kubicka-Entscheidung daher auch Perreau-Saussine Rev. Crit. DIP 2018, 342, Rn. 19 ff. 327 328

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Legt man Kubicka insgesamt zugrunde, ist der Schutzbereich des numerus clausus aber wohl eher enger als weiter zu ziehen. Auch inhaltlich erscheint die neue europäische Grenzziehung nicht uneingeschränkt ideal. Die nationalen Kollisionsrechte boten, wenn auch unterschiedliche, zufriedenstellende Ansätze für die Koordination des Sachen- mit dem Erb- bzw. Güterstatut. Es ging dabei weniger darum, dem einen oder dem anderen einen „Vorrang“ einzuräumen, sondern darum, den Konflikt der widerstreitenden Regeln sinnvoll aufzulösen – und zwar durch die Koordination als gleichwertig angesehener Regelungen. Dabei konnten für unterschiedliche Fallgruppen bzw. Rechtsinstitute des ausländischen (Erb- bzw. Güter-)Rechts individuelle Lösungen kreiert werden, Korrekturmechanismen standen flexibel zur Verfügung. Die Anwendung dieser Regelungen war zwar teils komplex. Sie gewährleistete im Gesamtergebnis jedoch nicht nur Einzelfallgerechtigkeit, sondern konnte auch die größtmögliche Akzeptanz des fremden Rechts mit der erforderlichen Integration in das (sachenrechtliche) System der lex fori vereinen. Diese Differenzierung geht bei der europäischen Abgrenzungsentscheidung verloren. Hier werden nicht mehr einzelfallbezogen die Statute so weit wie möglich in Einklang gebracht und gegebenenfalls justiert, sondern pauschal einem der konkurrierenden Statute – dem Erb- bzw. Güterstatut des EUIPR – der Vorrang eingeräumt, ohne Betrachtung der individuellen Fallkonstellation. Diese Etablierung einer klaren Hierarchie ist im Sinne der auf europäischer Ebene propagierten Statuteneinheit zu begrüßen und in ihrer Eindeutigkeit für die Rechtsanwender zumindest auf den ersten Blick einfacher in der Handhabung. Im Interesse eines raschen und sicheren Rechtserwerbs erscheint zunächst auch die Unterstellung des Erwerbsvorgangs nur unter das Erb- oder Güterstatut positiv. Diese bedeutet freilich, dass – zumindest, wenn es um das dingliche Recht Eigentum geht – nunmehr diverse (sachenrechtlich wirkende) Erwerbstatbestände fremder Erb- bzw. Güterstatute zu akzeptieren sind. Gegenüber dem früheren einheitlichen Rückgriff auf die vertrauten Übertragungstatbestände und -mechanismen des eigenen Sachenrechts wird damit für eine korrekte Anwendung nun die fundierte Kenntnis aller Rechtsordnungen vorausgesetzt.334 Ferner kann sich der so vereinfachte Rechtserwerb für die Beteiligten auf lange Sicht rächen, wenn etwa aufgrund der dadurch nicht erforderlichen Registrierung ein späterer Rechtsverlust durch gutgläubigen Erwerb nach der lex rei sitae droht.335 Gerade für Parteien, denen die Notwendigkeit einer (zügigen) Nacheintragung nach deutschem Recht nicht bekannt bzw. bewusst ist, kann sich die Zuordnung des ursprüng334 MüKo8 / Dutta Art. 1 ErbVO Rn. 56; Rauscher / Hertel Art. 1 ErbVO Rn. 43; Döbereiner GPR 2014, 42, 43; Dorth ZEV 2018, 11, 13. 335 Vgl. Dorth ZEV 2018, 11, 12 f.; Leitzen ZEV 2018, 311, 312; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 21.

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lichen Rechtserwerbs zum Erb- bzw. Güterrecht, die sie eigentlich begünstigen sollte, als Danaergeschenk erweisen, wenn später die lex rei sitae mit voller Macht zuschlägt. Die Komplexität der praktischen Handhabung hat sich also letztlich nur verschoben, potentielle Probleme und Risiken sind eher weniger sichtbar – größere Anwenderfreundlichkeit scheint damit ebensowenig gegeben wie größere Vorhersehbarkeit. Neben der Möglichkeit, von vornherein auf die sachenrechtlichen Erfordernisse am Belegenheitsort Rücksicht zu nehmen, entfällt mit der generellen Entscheidung zugunsten des Erbbzw. Güterstatuts auch die Flexibilität individueller Lösungen, wenn fremde Übertragungsmechanismen mit dem Sachenrecht des Belegenheitsorts kollidieren. Der Weg über die Anpassung ist zumindest zu weiten Teilen nunmehr versperrt, andere Ausgleichsmöglichkeiten nicht vorgezeichnet. Ob diese holzschnittartige Alles-oder-Nichts-Lösung auf Dauer zu mehr Einzelfallgerechtigkeit führen wird und ob damit das gewünschte Ziel der Stärkung und Vereinfachung des Erb- bzw. Güterrechts langfristig immer erreicht werden kann, kann bezweifelt werden. Die volle Tragweite der neuen, europäischen Grenzlinie zwischen dem (nationalen) Sachenkollisionsrecht und dem benachbarten (europäischen) Erb- bzw. Güterkollisionsrecht für das Kollisions- und Sachrecht ist noch nicht abschätzbar. In welchem Umfang sie Änderungen erfordert und wie schwierig deren Integration sich erweist, hängt einerseits vom bisher im nationalen IPR verwendeten Modell ab, andererseits davon, wie stark der neue „Import“ dinglicher Wirkungen des Erb- bzw. Güterrechts mit der lex rei sitae kollidiert. Gegenüber der bisherigen deutschen Praxis bedeutet etwa der Zwang zur Anerkennung ausländischer Vindikationslegate eine große Umstellung336 – im Güterrecht dagegen ist der Unterschied vergleichbarer Konsequenzen zur bisherigen nationalen Rechtslage weitaus geringer.337 Ob diese Folgen bei der Schaffung der europäischen Erbund Güterkollisionsregeln und bei ihrer Konkretisierung in der KubickaEntscheidung bedacht wurden, ist zweifelhaft. Die Bewältigung der Folgen der Europäisierung obliegt jedenfalls einmal mehr dem mitgliedstaatlichen Recht, das wohl aufgrund der kollisionsrechtlich bereits weitgehend im europäischen Güter- und Erbrecht getroffenen Entscheidung vor allem geeignete Lösungen im eigenen materiellen Sachenrecht wird suchen müssen. Schließlich stellt sich auch in diesem Kontext wieder das aus der schrittweisen Europäisierung des Kollisionsrechts entstehende Problem, dass die Grenzlinien zwischen den Statuten nicht mehr auf ein und derselben Ebene, sondern über zwei Regelungsebenen hinweg zu ziehen sind. Wie bereits bei der Abgrenzung von Güter- und Ehewirkungsstatut ist die Entscheidung zwischen Erb- bzw. Güterstatut und Sachenstatut nicht mehr auf Augenhöhe zu treffen, sondern in einem Hierarchiegefälle. Die Kubicka-Entscheidung des 336 337

Vgl. bereits Döbereiner GPR 2014, 42, 44. Vgl. Heiderhoff IPRax 2018, 1, 3.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

EuGH fällt klar zugunsten der ranghöheren Ebene aus, auf der sie auch getroffen wird.338 Dies ist um so kritischer zu bewerten, als die Zurückdrängung der nationalen durch die europäische Ebene letztlich nur reflexhaft erfolgt. Die Entscheidung über den großzügigen Zuschnitt des Erb- bzw. Güterstatuts gegenüber dem Sachenrecht wurzelt auf dem Anwendungsbereich der europäischen IPR-Verordnungen. Soweit das europäische IPR aber seinen eigenen Anwendungsbereich positiv festlegt, umschreibt es als Kehrseite der Medaille gleichzeitig den Anwendungsbereich angrenzender, national verbleibender Gebiete negativ. Die Ausgestaltung der Reichweite des Erb- bzw. Güterstatuts zeitigt zwingend auch Folgen für das Sachenstatut: Zwar treffen die ErbVO und die GüVO / PartVO keine Aussage aus europäischer Perspektive, was vom Sachenstatut erfasst wird – aber sie machen mehr oder weniger klare Vorgaben, was jedenfalls nicht darunterfällt. Durch die eindeutige Zuweisung bestimmter Rechtsfragen zu anderen Statuten entsteht gleichzeitig eine europäisch-kollisionsrechtliche „Negativdefinition“ des Anwendungsbereichs des Internationalen Sachenrechts. Diese ist allerdings weder systematisch-ganzheitlich noch auf dessen Bedürfnisse zugeschnitten, sondern ergibt sich nur punktuell und indirekt. Konsequenz ist ein Kohärenzverlust: In dem Maße, wie das Erbstatut an Einheit gewinnt, geht diese dem bisher einheitlich und umfassend anwendbaren Sachenstatut verloren. Auch im Konflikt zwischen Güter- und Sachenrecht ist ein Vorrang des Güterrechts und damit ein vergleichbarer Gebietsverlust des Sachenrechts zu erwarten bzw. zu verzeichnen. Zu beanstanden ist zwar nicht per se, dass die Verschiebung der Trennlinie durch die Europäisierung des Erb- und Güterstatuts sich aus der Perspektive mancher Mitgliedstaaten zu Lasten des Sachenstatuts auswirkt, sehr wohl aber, dass darin auch eine Grenzverschiebung zu Lasten des nationalen Kollisionsrechts liegt, das aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts keine effektive Möglichkeit hat, sein angestammtes Territorium zu verteidigen.339 Die lex rei sitae wird zwar nicht inhaltlich angetastet, aber in ihrem Anwendungsbereich so stark beschnitten, dass schon ein (zumindest teilweiser) Abgesang auf sie angestimmt wurde.340 3. Resultat Mit der Europäisierung einzelner Kollisionsrechtsbereiche geht ein neuer Zuschnitt der betroffenen Statute einher, der naturgemäß auch die jeweils benachbarten Statute sowie die Koordinations- und Ausgleichsmechanismen Vgl. auch die Kritik bei Forschner DNotZ 2020, 381, 387. Für eine klare Definition des Anwendungsbereichs des Internationalen Sachenrechts im Zusammenspiel mit den europäischen Anknüpfungsregeln für benachbarte Bereiche bereits Martiny IPRax 2012, 119, 132. 340 Vgl. z. B. van Erp EPLJ 1 (2012), 187, 187 ff.; Martínez-Escribano ERPL 2017, 553, 564. 338 339

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für Konfliktfälle betrifft. Die Ansätze der europäischen Regelungsebene sind notwendig allgemein und europäisch-autonom zu entwickeln, mit dem zusätzlichen Hindernis, dass bislang kein sach- und kollisionsrechtliches Gesamtsystem zur Verfügung steht, auf das sie sich stützen könnten. Der mitgliedstaatliche Verzicht auf (liebgewonnene) traditionelle Sichtweisen ist als der für ein solches europäisches Verständnis zu zahlende Preis hinzunehmen.341 Dabei kann der Übergang zum europäischen Statutenzuschnitt manche Fragen klären, wirft aber gleichzeitig neue Schwierigkeiten auf. All diese Aspekte lassen sich als mehr oder weniger notwendige Folgen der schrittweisen Unionisierung des Kollisionsrechts einordnen und müssen mit mehr oder weniger großen Anstrengungen durch das national verbliebene (Kollisions-) Recht absorbiert werden. Bedenklich ist dabei die insgesamt zu beobachtende Tendenz zu einem grundsätzlich die europäische Ebene bevorzugenden Verständnis.342 Eine weite Interpretation der vom EU-IPR regierten Statute ist im Sinne der angestrebten Statuteneinheit und auch zugunsten einer möglichst effizienten, weitreichenden Harmonisierung sinnvoll. Zwingende Folge ist aber die Zurückdrängung der angrenzenden, bisher überwiegend weiterhin national geregelten Statute. Die ganz überwiegend propagierte weite Interpretation „in dubio pro Erbstatut/Güterstatut“ bedeutet gleichzeitig auch eine Interpretation „in dubio pro EU-IPR“, und damit zwangsläufig contra nationales Sachen- bzw. Ehewirkungsstatut. Aus den bisherigen Erfahrungen ist auf eine regelmäßige Entscheidung zugunsten der europäischen Regelungsebene zu schließen. Dieselbe Grundhaltung ist festzustellen, wenn im Kontext des EU-IPR die Subsumtion einzelner Rechtsinstitute unter ein bestimmtes Statut streitig ist. Auch bei klassischen Qualifikationsfragen fällt die Entscheidung häufig zugunsten der Zuordnung zum Anwendungsbereich einer EU-Verordnung aus. Ein Beispiel hierfür ist die Mahnkopf-Entscheidung des EuGH,343 in der es um die Abgrenzung zwischen dem bereits europäisierten Erbstatut und dem (vor Inkrafttreten der GüVO) noch national geregelten Güterstatut ging. Stein des Anstoßes war ein spezielles Instrument des deutschen materiellen Rechts: Der pauschalierte Zugewinnausgleich im Todesfall gemäß § 1371 Abs. 1 BGB, durch den bei im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehegatten der Erbteil des überlebenden Ehegatten pauschal um ¼ erhöht wird. Dessen notorisch schwierige und jahrzehntelang erbittert umstrittene kollisionsrechtliche Zuordnung zum Erb- oder Güterstatut war vom BGH noch kurz vor Inkrafttreten der ErbVO für das deutsche IPR zugunsten einer güterrechtlichen Qualifika-

Vgl. Lechner IPRax 2013, 497, 498. Vgl. Carruthers / Weller in: Beaumont / Holliday, 295, 303 („[the ECJ] might be tempted to overstretch the scope of matters regulated by EU law“). 343 EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf. 341 342

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tion entschieden worden.344 Der Übergang zum europäischen Erbkollisionsrecht erforderte jedoch eine neue, nunmehr europäisch-autonome Qualifikationsentscheidung, die der EuGH in Mahnkopf den Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar345 folgend und gegen das in Deutschland mehrheitliche Verständnis, aber im Einklang mit der außerhalb Deutschlands vorherrschenden Auffassung346 zugunsten einer erbrechtlichen Einstufung und damit einer Zuordnung zum Anwendungsbereich der ErbVO traf.347 Dass diese Entscheidung methodisch und inhaltlich insbesondere aus deutscher Perspektive einigen Anlass zur Kritik bietet,348 steht auf einem anderen Blatt. Ihr Ergebnis offenbart aber jedenfalls erneut die Neigung, in Grenz- und Zweifelsfällen der für das europäische IPR günstigen Interpretation den Vorrang zu gewähren; in Mahnkopf ging es insbesondere darum, durch die erbrechtliche Qualifikation die Aufnahme des pauschalierten Zugewinnausgleichs in ein Europäisches Nachlasszeugnis zu ermöglichen.349 Ob dieselbe Fallkonstellation ebenso entschieden worden wäre, wenn der ErbVO nicht das nationale Güterkollisionsrecht, sondern bereits die GüVO gegenübergestanden hätte, ist dennoch fraglich.350 Wenn der EuGH eines Tages über die derzeit noch streitige Frage der Abgrenzung zwischen europäischem Erb- und Güterkollisionsrecht BGH 13.5.2015, IV ZB 30/14, Rn. 24 ff.; zustimmend Lorenz NJW 2015, 2157, Mankowski FamRZ 2015, 1183 sowie Dörner IPRax 2017, 81. 345 Generalanwalt Szpunar, Schlussanträge 13.12.2017 – C-558/16. – Siehe dazu Mankowski ErbR 2018, 295, 300. 346 Siehe zu den unterschiedlichen Auffassungen im Überblick Sonnentag JZ 2019, 657, 657 f. m. w. N. – Umfassend zur Thematik vor der Mahnkopf-Entscheidung Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 752 ff. (für erbrechtliche Qualifikation); Mankowski ZEV 2014, 121, 125 ff. (für güterrechtliche Qualifikation); Rauscher in: FS Geimer, 529, 529 ff. (ebenfalls für güterrechtliche Qualifikation, 534 ff.). 347 EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf, Rn. 40 ff. 348 Vgl. die kritischen Besprechungen von Dörner ZEV 2018, 305, 305 ff.; Kreße GPR 2019, 195, 195 ff.; Remien IPRax 2021, 329, 335 f.; Sonnentag JZ 2019, 657, 657 ff.; J. Weber NJW 2018, 1356, 1356 f. – Zurückhaltend positiv dagegen Fornasier FamRZ 2018, 634, 634 f.; Rentsch NZFam 2018, 372, 372; Süß DNotZ 2018, 742, 742 ff. – Thorn / Varón Romero IPRax 2020, 316, 317 ff. stimmen zwar im Ergebnis dem EuGH zu, kritisieren aber dessen Methodik. – Aus französischer Perspektive i. E. zustimmend Lagarde in: FS Ancel, 1043, 1043 ff.; zurückhaltend dagegen aus französischer Sicht de Gourcy YbPIL 22 (2020/21), 449, 455 ff. („opportunistic“, 457) sowie aus italienischer Warte Maoli RDIPP 2018, 676, 676 ff. 349 EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf, Rn. 42 f. – Auf potentielle Probleme im Zusammenhang des Europäischen Nachlasszeugnisses hinweisend bereits Dutta FamRZ 2013, 4, 14 f.; Schurig in: FS Spellenberg, 343, 351; vgl. auch Lagarde Rev crit. DIP 2012, 691, 729; Lagarde in: FS Ancel, 1043, 1054 ff. – Kleinschmidt RabelsZ 77 (2013), 723, 752 ff. hatte deswegen bereits unter deutschem IPR für eine erbrechtliche Qualifikation plädiert, eher kritisch demgegenüber Maoli RDIPP 2018, 676, 682 ff. 350 In diese Richtung tendierend EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf, Rn. 41. – Offen dagegen NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 53 f. 344

I. EU-IPR: Erweiterter Statutenzuschnitt

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entscheidet,351 wird er sich aber jedenfalls mit seiner in Mahnkopf aufgestellten Linie erneut auseinandersetzen müssen.352 Selbstverständlich muss dem neu geschaffenen EU-Kollisionsrecht gesetzgeberisch ein eigener, nicht zu eng bemessener Anwendungsbereich eingeräumt werden, der spiegelbildlich dem nationalen Recht entzogen wird. Auch, dass bei der Auslegung europäischer Kollisionsregeln das Hauptaugenmerk auf deren Zielsetzung und möglichst reibungslose Anwendung gelegt wird und Ergebnisse primär nach ihrer Günstigkeit für die europäische Ebene beurteilt werden, ist systeminhärent und durch den effet utile-Grundsatz zu einem gewissen Grad sogar geboten. Der Statutenzuschnitt und die funktionale Qualifikation fokussieren sich auf einzelne EU-Rechtsakte und stellen dabei europäische und nicht mitgliedstaatliche Interessen und Systemgedanken in den Vordergrund – der EuGH beurteilt das Unionsrecht nach eigenen Maßstäben. Ob und inwieweit die stark durch den effet utile geprägte Auslegung sich noch innerhalb der Grenzen der funktionalen Qualifikation bewegt oder nicht vielmehr eine eigene Methodik darstellt,353 und ob sich die gewünschte Effektivität nicht auch auf anderem Wege erzielen ließe,354 ist für das Ergebnis der europäischen Interpretation und seine Maßgeblichkeit irrelevant. Zum Problem wird diese europäisch zentrierte bzw. determinierte Herangehensweise, weil ihre Wirkungen über das EU-Recht hinausgehen. Jede (positive) aktive Europäisierung bedeutet gleichzeitig auch eine (negative) passive Europäisierung, die über die ins EU-IPR überführten Bereiche hinaus auch die angrenzenden Gebiete erfasst und zum Teil wesentlich beeinflusst. 351 Ausführlich zur Abgrenzungsproblematik unter Geltung von ErbVO und GüVO Andrae IPRax 2018, 221, 224 ff.; Dörner ZEV 2019, 309, 309 ff. (mit Analyse spezieller Qualifikationsprobleme 312 ff.). – Allgemein zum Verhältnis und der Koordination von GüVO / PartVO und ErbVO Aiwanger ErbR 2019, 202, 202 ff.; noch vor Verabschiedung der GüVO Dörner in: Dutta / Herrler, 73, Rn. 1 ff. sowie noch zu den Verordnungsvorschlägen Kowalczyk GPR 2012, 212, 212 ff. und 258, 258 ff. – Zur Qualifikation der französischen Rechtsinstrumente der avantages matrimoniaux und der action en retranchement de Gourcy YbPIL 22 (2020/21), 449, 457 ff. 352 Für eine Beibehaltung etwa Fornasier FamRZ 2018, 634, 634; kritisch hinsichtlich der Chancen einer Richtungsänderung Remien in: Grziwotz / Limmer, 121, 130; für eine auf das Europäische Nachlasszeugnis beschränkte Lesart von Mahnkopf und daher die Möglichkeit zur Neuvorlage in anderen Konstellationen dagegen Kreße GPR 2019, 195, 198 ff. 353 Kritisch zur Fokussierung des EuGH auf den effet utile des Europäischen Nachlasszeugnisses in Mahnkopf etwa de Gourcy YbPIL 22 (2020/21), 449, 455; Mankowski ErbR 2018, 295, 297 ff.; Maoli RDIPP 2018, 676, 689; Sonnentag JZ 2019, 657, 659; Thorn /  Varón Romero IPRax 2020, 316, 318 f.; J. Weber NJW 2018, 1356, 1357. 354 Lösungsvorschläge zur Eintragung im Europäischen Nachlasszeugnis bei güterrechtlicher Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB hatten z. B. Dörner IPRax 2017, 81, 85 ff., Dörner ZEV 2012, 505, 508 und Rauscher in: FS Geimer, 529, 540 ff. unterbreitet; Thorn / Varón Romero IPRax 2020, 316, 319 f. schlagen eine kollisionsrechtliche Anpassung vor.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Dass diese als Kehrseite der Medaille notwendigerweise vorhandene indirekte Wirkung durch eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs des EU-IPR verstärkt wird, ist um so kritischer zu sehen, als sie über das für ein funktionsfähiges EU-IPR zwingend erforderliche Maß hinausgeht. Da der EuGH nur dazu berufen ist, über die Auslegung und Reichweite des EU-IPR zu entscheiden, legt er ausschließlich dessen Perspektive zugrunde und tendiert zu aus dieser Warte wünschenswerten Interpretationen. Wenn sich das in den Gesetzestexten bereits angelegte pro-europäische Verständnis der Anwendungsbereiche aber in den Entscheidungen des EuGH über offene Fragen noch fortsetzt und vertieft und damit das volle Ausmaß der Beeinträchtigungen für das national verbliebene IPR zu Tage tritt, können die Mitgliedstaaten ihre entgegenstehende Position nicht mehr durchsetzen. Die Entscheidungsmacht auch über die Zurückdrängung des nationalen Kollisionsrechts liegt allein auf europäischer Ebene, das nationale IPR kann seinen Anwendungswillen dem des EU-IPR nicht entgegenhalten. Dabei ist es aber die nationale Ebene, auf der die teils weitreichenden und schwerwiegenden Folgen der europäischen Abgrenzungs- und Qualifikationsentscheidungen implementiert und integriert werden müssen. Für die zahlreichen konkreten Folgeprobleme und abstrakten Systemfragen stehen durchaus unterschiedliche Lösungen zur Verfügung, wie die Flut an Stellungnahmen und Vorschlägen aus der deutschen Literatur im Gefolge der Mahnkopf-Entscheidung eindrücklich zeigt.355 Aber auch über seinen direkten Wirkungsbereich hinaus kann das veränderte Verständnis des EU-IPR Folgen für das nationale Recht nach sich ziehen, weil die Verlagerung von Abstimmungsaufgaben aus den europäischen Kollisionsregeln in deren nationales Umfeld zu einer Re-Evaluation kollisionsrechtlicher (siehe Teil III: § 7.I., S. 274 ff.) und sogar materiell-rechtlicher Regelungen (siehe Teil III: § 9.I., S. 544 ff.) führt. All diese Reflexwirkungen drohen bei der derzeitigen Beurteilung von Abgrenzungs- und Zuordnungsfragen durch die rein europäische Brille allzu sehr außer Acht gelassen zu werden. Das ist in mehrfacher Hinsicht kurzsichtig. Die Implementierung des europäischen Verständnisses ist nämlich nicht nur innerhalb ein und derselben Rechtsordnung zunächst einmal unsicher und mühselig, sondern sie wird aller Voraussicht nach in den Mitgliedstaaten auch unterschiedlich erfolgen – die Vergrößerung des Anwendungsbereichs des vereinheitlichten EU-IPR verringert zwar das Ausmaß der national verbliebenen Gebiete, kann dort aber zu einer Verstärkung der Divergenzen führen. Außerdem zeichnet sich ab, dass zumindest in einigen Gebieten die 355 Vgl. etwa Dörner ZEV 2018, 305, 307 ff.; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1394 f.; Fornasier FamRZ 2018, 634, 634 f.; Mankowski ErbR 2018, 295, 301 ff.; Sonnentag JZ 2019, 657, 660 ff.; Süß DNotZ 2018, 742, 742 ff.; Thorn / Varón Romero IPRax 2020, 316, 320 ff.; J. Weber NJW 2018, 1356, 1357 f. – Aus französischer Sicht Lagarde in: FS Ancel, 1043, 1052 ff.

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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Folgenbewältigung künftig eben nicht mehr der nationalen Ebene überlassen bleiben kann, sondern das europäische Kollisionsrecht selbst (zumindest zu einem gewissen Grad) Lösungen finden muss. Wenn nämlich Abgrenzungslinien nicht mehr zwischen europäischen und nationalen Regelungen (z. B. der ErbVO und dem nationalen Güterkollisionsrecht), sondern zwischen verschiedenen europäischen Rechtsakten (z. B. der ErbVO und der GüVO /  PartVO) zu ziehen sind, muss auch das EU-IPR die daraus entstehenden Fragen beantworten. Zwar liegt seine Handhabung im Einzelfall bei den nationalen Rechtsanwendern, doch die europäische Ebene wird nicht umhinkommen, zumindest Leitlinien für einheitliche Lösungen zu entwickeln. Das Hinzutreten weiterer EU-Kollisionsrechtsakte zwingt aber auch dazu, die derzeitige europäische Herangehensweise an die Ziehung der Grenzlinien generell zu überdenken. Entscheidungen zugunsten des EU-Rechts sind bei einer ebenenübergreifenden Abgrenzung möglich, nicht aber bei Konkurrenzen innerhalb des EU-Rechts. Das (Haupt-)Argument des effet utile verliert seine Schlagkraft, wenn es für beide Seiten ins Feld geführt werden kann. Spätestens dann wird die europäische Interpretation auf andere Kriterien zurückgreifen und die Funktion der betroffenen Regelungen und Rechtsinstitute innerhalb des Gesamtgefüges mehr in den Blick nehmen müssen, auch wenn das auf EUEbene schwierig ist. Damit bereits jetzt zu beginnen, wäre nicht nur aus Sicht des nationalen Rechts begrüßenswert, sondern auch im europäischen Interesse. Die weite Auslegung der bestehenden EU-Verordnungen drängt nicht nur das nationale IPR zurück, sondern beschneidet auch den für künftige europäische Rechtsakte zur Verfügung stehenden Spielraum: Je weiter das EU-Erbkollisionsrecht bereits etabliert wurde, desto weniger Reichweite kann das EUGüterkollisionsrecht entfalten. Spätere Nachjustierungen bei einer innereuropäischen Grenzziehung könnte eine vorausschauende Auslegung ebenso wie spätere Änderungen der Qualifikationsmethodik vermeiden. Eine gewisse Zurückhaltung bei der Auslegung des Statutenzuschnitts der europäischen Kollisionsrechtsverordnungen wäre daher konsequent und durchaus angezeigt. II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

Der geschilderten Tendenz zum weiten Verständnis der europäisch geregelten Statute komplementär entgegengesetzt läuft jedoch nach wie vor ein anderer Trend: Der zur Aussparung als „heikel“ empfundener Fragen vom Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts. Explizite Ausklammerungen vom sachlichen Anwendungsbereich der einzelnen Verordnungen sind teils vom Wunsch nach Konfliktvermeidung motiviert (siehe § 2.II.2.a), S. 53 ff.). Auch, wenn es dabei letztlich um Qualifikationsfragen geht, bedient sich der EU-Gesetzgeber dieser Technik. In Situationen, in denen ein europäischer Qualifikationskonsens aussichtslos erscheint, wird auf ein europäisches Begriffsverständnis bewusst verzichtet. Das wichtigste und gleichzeitig brisan-

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

teste Beispiel hierfür ist der Begriff der „Ehe“, der in verschiedener Weise für die Anwendung mehrerer EU-Rechtsakte relevant wird, dessen Reichweite jedoch auch innerhalb der EU rechtspolitische Sprengkraft birgt. Bei dieser heiklen und wertungsaufgeladenen Frage hat man deswegen bisher auf ein umfassendes Begriffsverständnis auf europäischer Ebene von vornherein bewusst verzichtet (dazu 1.). Auf der anderen Seite können negative Qualifikationsentscheidungen auch erst später dazu führen, dass Lücken im Anwendungsbereich des EU-IPR zu Tage treten. In jüngerer Zeit hat sich dieses Szenario im Kontext der Rom III-VO verwirklicht: Zumindest einige Arten von „Privatscheidungen“ fallen doch nicht in ihren Anwendungsbereich, sodass das europäische Internationale Scheidungsrecht anders als geplant nicht in allen Fällen eingreift (dazu 2.). Im Folgenden wird den Hintergründen und Konsequenzen dieser durch negative Qualifikationsentscheidungen entstehenden und zunehmend problematischen Aussparungen vom Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts nachgespürt. 1. Verzicht auf einen europäischen Ehebegriff Ganz bewusst und gewollt ist die Lücke, die im EU-IPR nach wie vor hinsichtlich des Ehebegriffs besteht. Welche Paarbeziehungen für kollisionsrechtliche Zwecke als „Ehe“ einzustufen sind, führt heute – vielleicht mehr denn je – zu Diskussionen. Einerseits gilt es die über den traditionell-westlichen Begriff der heterosexuell-monogamen Ehe hinausgehenden Eheformen einzuordnen: Neben Mehrehen sind in den letzten Jahren vor allem gleichgeschlechtliche Ehen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Andererseits muss die Ehe auch und gerade im Kollisionsrecht gegenüber anderen Lebensgemeinschaftsformen abgegrenzt werden, etwa gegenüber registrierten Partnerschaften oder nichtehelichen („faktischen“) Lebensgemeinschaften.356 Der Ehebegriff, den eine Rechtsordnung für ihr IPR zugrundelegt, ist dabei zumeist stark von ihrem materiell-rechtlichen Verständnis der Ehe geprägt – auf europäischer Ebene existiert ein solches freilich bislang nicht. Vielmehr werden von den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Ansätze vertreten (dazu a)). Diese erweisen sich jedoch mit der fortschreitenden Harmonisierung des Internationalen Familienrechts als zunehmendes Problem. Sie führen zunächst zur uneinheitlichen Beurteilung der Erst- bzw. Vorfrage nach dem Bestehen einer (wirksamen) Ehe. Vor allem aber gewinnt die Frage, welche Paarbeziehungen überhaupt als „Ehe“ im Sinne des EU-IPR zu qualifizieren sind, zunehmend an Bedeutung und Brisanz. War sie für die schuldrechtlichen Kollisionsrechtsakte noch weitgehend ohne Relevanz, stellt sie sich im europäischen Internationalen Unterhalts-, Scheidungs-, Erb- und Güterrecht 356 Vgl. zu den zahlreichen Paarbeziehungsmodellen im Überblick z. B. Dutta AcP 216 (2016), 609, 609 ff.

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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durchaus regelmäßig und mit weitreichenden Folgen (dazu b)). Auf europäischer Ebene erhält sie eine zusätzliche Dimension, denn die Entscheidung, ob eine Ehe, eine Partnerschaft oder eine andere Beziehungsform vorliegt, kann maßgeblich dafür sein, ob bzw. welcher europäische Kollisionsrechtsakt Anwendung findet. Bereits auf einer frühen Prüfungsebene werden durch die Einordnung als „Ehe“ entscheidende Weichen gestellt – dem für die EU-Verordnungen zugrundezulegenden Ehe- und Partnerschaftsbegriff kommt damit fundamentale Bedeutung zu. Nach wie vor fehlt jedoch eine europäische Qualifikationsentscheidung vor allem für Beziehungen, die die von der traditionellen heterosexuellen Zweipersonenehe abweichen, insbesondere gleichgeschlechtliche und polygame Ehen (dazu c)). Das Fehlen eines einheitlichen europäischen Ehebegriffs löst Unsicherheit und Uneinheitlichkeit bei der Anwendung des europäischen Kollisionsrechts aus (dazu d)). a) Problem: Divergenzen im nationalen Sach- und Kollisionsrecht Der Ursprung der kollisionsrechtlichen Schwierigkeiten liegt im materiellen Recht. Sowohl hinsichtlich des Verständnisses der Ehe sowie bezüglich ihrer Abgrenzunng zu anderen Paarbeziehungsregimen zeichnet sich weltweit, aber auch innerhalb der EU ein buntes und facettenreiches Bild ab. Zwischen allen EU-Mitgliedstaaten besteht ein Konsens dahingehend, dass die dem traditionell-abendländischen Ehebild entsprechende monogame, heterosexuelle Ehe rechtlich ausgestaltet und umfassend anerkannt ist. Ehen mit mehr als zwei Ehepartnern, also polygyne (ein Ehemann und mehrere Ehefrauen) und in seltenen Fällen auch polyandrische (eine Ehefrau und mehrere Ehemänner) Ehen, die nach dem Recht zahlreicher Drittstaaten möglich sind (klassisches Beispiel ist die Mehrehe nach religiösem islamischem Recht, aber auch andere religiös geprägte Rechte sowie Stammes- und Gewohnheitsrechte gestatten die Mehrehe unter mehr oder weniger engen Voraussetzungen)357, sind dagegen dem materiellen Familienrecht aller EU-Mitgliedstaaten unbekannt. Ganz unterschiedlich sind jedoch die Auffassungen und Ansätze der Mitgliedstaaten zu den rechtlichen Rahmenbedingungen gleichgeschlechtlicher Ehen, die sich noch dazu seit der Jahrtausendwende teils grundlegend verändert haben.358 Auf der einen Seite haben seit Einführung der weltweit ersten Eheschließungsmöglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare im Jahr 2001 in den Niederlanden359 in den vergangenen Jahren mehr und mehr Mitgliedstaaten das Institut der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet: Neben den anderen Benelux-Staaten und den skandinavischen Ländern etwa Portugal, 357 Siehe im Überblick zu polygamen Ehen Coester / Coester-Waltjen FamRZ 2016, 1618, 1618 ff. 358 Siehe den Überblick zu den unterschiedlichen Modellen bei Pretelli CDT 11 (2019), 8, Rn. 14 ff. 359 Coester-Waltjen ZeuP 2018, 320, 321.

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Spanien, Irland oder Frankreich.360 In Deutschland wurde die gleichgeschlechtliche Ehe zum 1.10.2017 eingeführt.361 Auch Österreich hat, nachdem der VfGH die in § 44 ABGB enthaltene Ehevoraussetzung der Verschiedengeschlechtlichkeit für verfassungswidrig erkannte, zum 1.1.2019 die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet.362 Einige Mitgliedstaaten kennen – so wie Deutschland bis 2017 und Österreich vor 2019, Italien, Ungarn, Slowenien, Griechenland oder Zypern – zwar in ihrem materiellen Recht keine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, stellen ihnen aber ein anderes Institut (z. B. eine registrierte Partnerschaft – teils exklusiv für gleichgeschlechtliche Paare, teils auch heterosexuellen Paaren als Alternative zur Ehe offen) mit vergleichbaren Rechtsfolgen zur Verfügung.363 Auf der anderen Seite stehen die Mitgliedstaaten, die diesen europäischen und weltweiten Trend zur Liberalisierung ablehnen und nach wie vor ein strikt heterosexuelles Ehebild zugrundelegen und teils sogar verfassungsrechtlich verankern.364 Verschiedengeschlechtlichkeit als zwingende Ehevoraussetzung legt beispielsweise das rumänische Recht zugrunde: Art. 259 Abs. 1 Codul civil definiert die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau, Art. 277 Abs. 1 Codul civil erklärt gleichgeschlechtliche Ehen für verboten.365 In Ungarn wurde die Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe sogar in die Verfassung aufgenommen.366 Auch Bulgarien, Lettland, Litauen, Polen und die Slowakei halten mehr oder weniger radikal an der Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe fest und stellen – im Hinblick auf internationale Grundrechtestandards zunehmend fragwürdig367 – auch kein alternatives Rechtsinstitut zur Verfügung.368 360 BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 17b EGBGB Rn. 8.1; Coester-Waltjen ZeuP 2018, 320, 323 ff. (mit Darstellung einzelner europäischer Rechtsordnungen 328 ff.); Pretelli CDT 11 (2019), 8, Rn. 26 ff. – Siehe beispielsweise zur Einführung der „Ehe für alle“ in Frankreich 2013 die Überblicksdarstellung in deutscher Sprache von Ougier StAZ 2014, 8, 8 ff. 361 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017. – Siehe zu den Implikationen für das deutsche IPR z. B. Kohler Rev. Crit. DIP 2018, 51, 51 ff. 362 Öst. VfGH 4.12.2017 – G 258–259/2017/9. 363 Pretelli CDT 11 (2019), 8, Rn. 18 ff., 30 ff. – Siehe etwa im Überblick zur Einführung und Regelung der unione civile in Italien Bertino ZeuP 2018, 625, 625 ff. (insbesondere zum verfassungsrechtlichen Hintergrund und zur Entwicklung) sowie Kronbichler ZfRV 2017, 86, 86 ff. Zum neuen italienischen IPR registrierter Partnerschaften Bariatti in: FS Kohler, 1, 1 ff.; Campiglio RDIPP 2017, 33, 33 ff.; Trilha Schappo / Winkler Rev. Crit. DIP 2017, 319, Rn. 1 ff. (insbes. Rn. 14 ff.). 364 Vgl. den Überblick bei Uitz ZfRV 2019, 213, 214. 365 Vgl. zur rumänischen Rechtslage Kochenov / Belavusau CMLR 57 (2020), 227, 230 ff. 366 Art. L Abs. 1 Grundgesetz Ungarn vom 25.4.2011. 367 Vgl. insbesondere die Rechtsprechung des EGMR, etwa EGMR 14.12.2017 – 26431/12, 26742/12, 44057/12, 6088/12, Orlandi.

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Das nationale IPR baut auf dem jeweils eigenen sachrechtlichen Verständnis auf, so dass sich die für das materielle Familienrecht getroffenen Entscheidungen auch im kollisionsrechtlichen Umgang mit gleichgeschlechtlichen Ehen niederschlagen. Für Mitgliedstaaten, die dieses Rechtsinstitut kennen, stellt dieser nicht vor grundsätzliche Schwierigkeiten: Sie können grundsätzlich als Ehen behandelt werden, wenn auch der Gleichgeschlechtlichkeit teils durch zusätzliche Sonderregelungen Rechnung getragen wird.369 Staaten, die gleichgeschlechtlichen Paaren nicht die Ehe, aber eine registrierte Partnerschaftsform zur Verfügung stellen, sind in der Regel auch auf kollisionsrechtlicher Ebene zur grundsätzlichen Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Verbindungen bereit, wenn auch nicht immer zu ihrer rechtlichen Einordnung als Ehe. Dementsprechend findet sich hier häufig der Ansatz, im Ausland bzw. nach ausländischem Recht geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen gleichsam im Wege der Transposition370 inländischen registrierten Partnerschaften gleichstellen (vgl. z. B. Art. 32-bis italIPRG [bei Beteiligung eines italienischen Staatsangehörigen], Art. 45 Abs. 3 schwIPRG).371 Demgegenüber übertragen gleichgeschlechtliche Verbindungen ablehnende Mitgliedstaaten diese Haltung vielfach auch auf das Kollisionsrecht, was sich im Umgang mit nach ausländischem Recht geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen niederschlägt. Beispielsweise werden nach Art. 277 Abs. 2 Codul civil im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen in Rumänien grundsätzlich nicht anerkannt, wobei allerdings nach Abs. 4 die Freizügigkeit der Unionsbürger gewährleistet bleiben soll. Die Konsequenz dieser grundsätzlichen Ablehnung ist, dass die betreffende Beziehung weder als „Ehe“ noch als „Partnerschaft“ qualifiziert, sondern allenfalls als faktische Lebensgemeinschaft behandelt wird. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass einige Mitgliedstaaten sowohl für das Sach- als auch für das Kollisionsrecht ein eher enges Ehebild traditionelPretelli CDT 11 (2019), 8, Rn. 16 f. Vgl. die (inzwischen nur noch partielle) kollisionsrechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen mit registrierten Partnerschaften im deutschen IPR (Art. 17b Abs. 4 EGBGB), die durch die Anwendung des Registerstaatsrechts Nachteile für die gleichgeschlechtlichen Ehegatten vermeiden soll. – Zur Anpassung des § 17 öIPRG an die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Österreich siehe Budzikiewicz ZfRV 2020, 37, 37 ff. – Zur bereits frühzeitig sehr liberalen Haltung des französischen IPR siehe Hammje Rev. Crit. DIP 2013, 773, Rn. 4 ff. 370 Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 56. – Trilha Schappo / Winkler Rev. Crit. DIP 2017, 319, Rn. 11 sprechen von „conversion, ou requalification“. 371 Diese Lösung hat der EGMR in seiner Orlandi-Entscheidung (EGMR 14.12.2017 – 26431/12, 26742/12, 44057/12, 6088/12, Orlandi) akzeptiert, vgl. z. B. Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 50 f. – Zum früheren Streit um die Qualifikation im Ausland geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen im österreichischen IPR siehe etwa Melcher IPRax 2012, 82, 84 m. w. N. – Kritisch zum italienischen Ansatz etwa Trilha Schappo / Winkler Rev. Crit. DIP 2017, 319, Rn. 11 ff., 21 ff. 368 369

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ler christlich-abendländischer Prägung zugrundelegen wollen, andere Mitgliedstaaten hingegen eine weiterreichende Öffnung der Institution Ehe entweder selbst in ihrem materiellen Recht und IPR etabliert haben oder zumindest kollisionsrechtlich akzeptieren, wenn sie von anderen Rechtsordnungen vorgesehen wird. Dementsprechend werden gleichgeschlechtliche Ehen sehr divergierend angeknüpft, was sich bei der Beurteilung ihrer Wirksamkeit im Wege der Vor- bzw. Erstfrage niederschlägt. Aber auch die Qualifikation gleichgeschlechtlicher Ehen wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Neben einer Qualifikation als „vollwertige“ Ehe (in den Mitgliedstaaten, die die gleichgeschlechtliche Ehe kennen) besteht die Möglichkeit einer Qualifikation als eingetragene Partnerschaft (in den Mitgliedstaaten, die gleichgeschlechtlichen Paaren nur dieses Rechtsinstitut zur Verfügung stellen)372 und schließlich die potentielle Qualifikation als rechtliches nullum (in den Mitgliedstaaten, die gleichgeschlechtliche Verbindungen insgesamt ablehnen). Für das nationale IPR trifft jeder Mitgliedstaat die Qualifikationsentscheidung, die sich in seine eigene (Kollisions-)Rechtsordnung harmonisch einfügt. Mit fortschreitender Europäisierung ehebezogener Kollisionsrechtsbereiche stellt diese Differenzierung jedoch zunehmend vor Schwierigkeiten. b) Fehlen eines europäischen Ehebegriffs für das EU-Kollisionsrecht Auf europäischer Ebene fehlt es nach wie vor an einem materiell-rechtlichen Ehebegriff. Auch das vereinheitlichte europäische Kollisionsrecht hält sich bisher hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen einer Ehe bedeckt.373 Es stellt einzig klar, dass es selbst nicht zu ihrer Beantwortung herangezogen werden kann bzw. will. Als statusrechtliche Frage sind Bestehen und Wirksamkeit einer Ehe (bzw. Partnerschaft) in Art. 1 Abs. 2 lit. a) ErbVO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom III-VO und Art. 1 Abs. 2 lit. b) GüVO / PartVO vom Anwendungsbereich dieser Kollisionsrechtsakte ausgeklammert, wobei die Regelung der Rom III-VO nicht nur konkret auf die Ehe bezogen ist, sondern auch ausdrücklich betont, dass diese Ausnahme auch bezüglich Vorfragen gilt (vgl. Erw. 10 S. 3 Rom III-VO). Auch das HUP, auf das die UnthVO bezüglich des Kollisionsrechts verweist, bedient sich dieser für internationale IPRRechtsakte durchaus beliebten Technik, (potentiell) konfliktträchtige statusrechtliche (Vor-)Fragen von seinem Anwendungsbereich auszuschließen: 372 Ob die gleichgeschlechtliche Ehe zunächst als „Ehe“ qualifiziert, dann aber hinsichtlich ihrer kollisionsrechtlichen Behandlung einer eingetragenen Partnerschaft gleichgestellt oder direkt als eingetragene Partnerschaft qualifiziert wird, läuft auf dasselbe Ergebnis hinaus. Vgl. zum Ansatz des deutschen IPR, gleichgeschlechtliche Ehen nach wie vor kollisionsrechtlich entsprechend eingetragenen Partnerschaften zu behandeln, etwa Kohler Rev. Crit. DIP 2018, 51, 53 ff. 373 Monographisch zum Ehebegriff des europäischen IPR und IZVR jüngst Thurm. – Aus italienischer Perspektive Pesce RDIPP 2019, 777, 777 ff.

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Nach Artt. 1 Abs. 2, 11 lit. a) HUP sind (Anknüpfungs-)Entscheidungen nach dem HUP bezüglich des Unterhalts nicht maßgeblich für die Frage nach dem Bestehen einer unterhaltsbegründenden familiären Beziehung, diesbezügliche (Vor-)Fragen also von seinem Anwendungsbereich ausgenommen.374 Grundsätzlich bleibt der Ehebegriff damit sowohl in materiell-rechtlicher als auch in kollisionsrechtlicher Hinsicht dem nationalen Recht vorbehalten. Dennoch stellt sich mit zunehmender Häufigkeit die Frage, ob eine Ehe „im Sinne des EU-IPR“ vorliegt. Sie tritt in den Kollisionsrechtsverordnungen verschiedentlich als Erst- oder Vorfrage auf und spielt als Qualifikationsfrage eine Rolle, unter Umständen bereits bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Rechtsakte bzw. beim Auffinden der richtigen Anknüpfungsregel. aa) Erst- und Vorfrage: „Bestehen einer (wirksamen) Ehe“ Die Frage nach dem Bestehen einer (wirksamen) Ehe taucht im europäischen genauso wie im nationalen IPR als klassische Erstfrage im Tatbestand zahlreicher Anknüpfungsregeln oder als Vorfrage im engeren Sinne im Tatbestand einer Sachnorm des auf die Hauptfrage anwendbaren Rechts auf. Dabei geht es in der Regel um die Wirksamkeit der Ehe: Beispielsweise kann nur eine (noch) bestehende Ehe geschieden werden, ein gesetzliches Ehegattenerbrecht, die güterrechtliche Auseinandersetzung oder Unterhaltsansprüche zwischen (Ex-) Ehegatten setzen ebenfalls eine wirksame Ehe voraus.375 Häufig erweist sich die Beantwortung einer Vorfrage als wesentliche Weichenstellung des Falles – denn wie die Antwort auf die Hauptfrage zu ermitteln ist, ergibt sich als Konsequenz der Vorfragenanknüpfung, auf die es damit eigentlich ankommt.376 Problematisch ist vor allem die Frage, ob die Ehe im entscheidungserheblichen Zeitpunkt tatsächlich gültig ist, also wirksam geschlossen und nicht anderweitig aufgelöst wurde. Der Aspekt des Bestehens, der Gültigkeit und der Anerkennung einer Ehe ist aber bislang explizit vom Anwendungsbereich des EUKollisionsrechts ausgeschlossen (Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom III-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) GüVO) und nach wie vor dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht zugewiesen (Erw. 10 Rom III-VO, Erw. 17, 21 GüVO). Ist das Bestehen einer (wirksamen) Ehe als Erst- oder Vorfrage bei der Anwendung des EU-IPR zu beurteilen, ergibt sich die Lösung nach allgemeinen Regeln. In Ermangelung eines „Allgemeinen Teils des EU-IPR“ existiert hierfür allerdings keine Vorgabe auf europäischer Ebene, auch wenn für den Kontext des europäischen Kollisionsrechts verschiedentlich Überlegungen angestellt und Vorschläge für eine eigene, harmonisierende Regelung entworfen 374 Umfassend, auch zum Streit um die Vorfragenanknüpfung unter dem HUP, BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 70 ff.; MüKo8 / Staudinger Art. 11 HUP Rn. 14 ff.; NK-BGB / Gruber Art. 1 HUP Rn. 28 ff. 375 Vgl. MüKoFamFG / C. Mayer Art. 1 GüVO Rn. 14. 376 Vgl. Kegel / Schurig 379 f.; Mankowski in: FS Schurig, 159, 163.

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werden.377 Bis auf weiteres bleibt die Behandlung von Erst- und Vorfragen also dem mitgliedstaatlichen Recht und damit der jeweiligen lex fori überlassen.378 Seit Beginn der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung wird allgemein und bezüglich der einzelnen Rechtsakte insbesondere diskutiert, ob bei der Anwendung europäischen Kollisionsrechts eine selbständige (in der lex fori) oder eine unselbständige (in der lex causae) Vor- und Erstfragenanknüpfung vorzunehmen sei.379 Für eine unselbständige Anknüpfung auf europäischer Ebene spricht ebenso wie bei völkerrechtlichem Kollisionsrecht insbesondere der internationale Entscheidungseinklang, den es als Hauptziel der Vereinheitlichung zu verwirklichen gilt, ferner der effet utile.380 Demgegenüber streiten für eine selbständige Anknüpfung auch im EU-IPR der interne Entscheidungseinklang und die Gleichbehandlung ein und derselben (Vor-)Frage in allen Zusammenhängen, womit Wertungswidersprüche vermieden werden. Während teils für vereinheitlichte Kollisionsregeln eine unselbständige Anknüpfung propagiert wird, befürwortet die herrschende Meinung für das europäische Kollisionsrecht – wie auch für das nationale Kollisonsrecht – eine selbständige Vorfragenanknüpfung.381 Teils werden auch spezielle Lösungen für bestimmte Rechtsfragen vorgeschlagen.382 Festzustellen ist jedoch, Siehe zur Vorfrage im EU-IPR Wilke 121 ff.; Gössl JPIL 8 (2012), 63, 63 ff.; Gössl ZfRV 2011, 65, 65 ff.; Heinze in: FS Kropholler, 105, 111 ff.; Kreuzer in: Jud /  Rechberger / Reichelt, 1, 54 ff.; Mäsch in: Leible / Unberath, 201, 201 ff.; Solomon in: FS Spellenberg, 355, 355 ff. – Zur Vorfragenproblematik in internationalen Rechtsakten Hook in: Beaumont / Holliday, 61, 68 ff. 378 Vgl. für die Rom III-VO Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 36; Gruber IPRax 2012, 381, 389. – Für die GüVO z. B. Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 90 ff. 379 Vgl. nur die unterschiedlichen Auffassungen zur Vorfragenanknüpfung in der Rom III-VO bei BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 76 ff.; MüKo8 /  Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 22 f.; Raupach 38 ff.; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 24; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 36; Gruber IPRax 2012, 381, 389; Hau FamRZ 2013, 249, 250; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 799 f., 822 f. – Im Überblick über das pro und contra der verschiedenen Anknüpfungsmöglichkeiten statt vieler Bonomi in: Encyclopedia of PIL, 912, 915 ff. 380 Für eine flexible und modifizierte Zugrundelegung der lex causae im Kontext internationaler Rechtsakte daher Hook in: Beaumont / Holliday, 61, 69 ff. 381 Wilke 130; Gössl JPIL 8 (2012), 63, 74 f.; Gössl ZfRV 2011, 65, 70 f.; Heinze in: FS Kropholler, 105, 113 ff.; Mäsch in: Leible / Unberath, 201, 207, 219 ff.; Pfeiffer / Wittmann in: Viarengo / Villata, 47, 49 ff.; Solomon in: FS Spellenberg, 355, 366 ff.; siehe auch Kropholler 230. – So etwa für die Rom III-VO BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 1 Rom III-VO Rn. 39; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 22, Art. 13 Rom III-VO Rn. 2 f.; de Maizière 102 ff.; Raupach 43 ff.; Gruber IPRax 2012, 381, 389. – Für die GüVO z. B. MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 40 ff.; MüKoFamFG / C. Mayer Art. 1 GüVO Rn. 14; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 136 ff. – Für die ErbVO siehe nur Süß DNotZ 2018, 742, 746 m. w. N. 382 Vgl. etwa Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 823, die für die Rom III-VO grundsätzlich eine unselbständige Vorfragenanknüpfung favorisiert, allerdings für Art. 13 377

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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dass die teils extensiv geführte Debatte sich im Wesentlichen auf die deutsche Rechtswissenschaft beschränkt, während die Vorfragenproblematik in anderen Mitgliedstaaten wenig Beachtung findet. Für die Anknüpfung von Vorfragen betreffend Statusverhältnisse wird dort überwiegend die lex fori herangezogen, also selbständig angeknüpft.383 Über Streitfragen hinsichtlich der Behandlung bestimmter Vorfragen bei der Anwendung des EU-IPR kann derzeit letzten Endes nur der EuGH (begrenzt auf einzelne jeweils streitgegenständliche Vorfragen) verbindlich entscheiden.384 Ob künftig eine zumindest rechtsaktbezogene Regelung der Vorfragenproblematik auf europäischer Ebene realisierbar ist, bleibt abzuwarten; der wissenschaftliche Vorschlag für eine Verordnung zum Internationalen Namensrecht schlägt etwa eine explizite Regelung der ausnahmsweise unselbständigen Vorfragenanknüpfung für dieses Gebiet vor (Art. 6 NamensVO-E).385 Stellt sich im Tatbestand einer EU-Kollisionsnorm, beispielsweise bei der objektiven Anknüpfung der Scheidung nach Art. 8 Rom III-VO, die Erstfrage nach dem Bestehen einer Ehe, ist sie danach mit der herrschenden Meinung selbständig anzuknüpfen. Maßgeblich sind damit die Eheschließungs-Kollisionsregeln der lex fori. Wird die Frage, ob eine Ehe besteht, als materiellrechtliche Vorfrage in einer Sachnorm der nach den europäischen Kollisionsregeln berufenen Rechtsordnung relevant, beispielsweise im Rahmen des vom nach der ErbVO bestimmten Erbstatut vorgesehenen Ehegattenerbrechts, gilt dasselbe. Auch wenn die Vor- und Erstfragenproblematik an sich umstritten ist und eine allgemeinverbindliche Regelung auf europäischer Ebene wünschenswert wäre, zeigt sich in diesem Kontext die Frage nach der „Ehe“ vergleichsweise unspektakulär. Sie kann mit den zur Verfügung stehenden kollisionsrechtlichen Mitteln und Techniken ebenso adäquat gelöst werden wie bisher unter dem nationalen IPR. Die Schaffung eines eigenen europäischen Ehebegriffs ist hierfür verzichtbar. Einen sinnvollen Beitrag zur Problemlösung könnAlt. 2 Rom III-VO begrenzt selbständig anknüpfen will; als spezielle Vorfragenregelung (selbständige Anknüpfung) fasst Art. 13 Alt. 2 Rom III-VO auch Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 36 auf, ebenfalls wohl Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 6. – Eine differenzierende Lösung entwarf Kreuzer in: Jud / Rechberger / Reichelt, 1, 55 ff.; Henrich, in: FS Schurig, 63, 69 ff., will die geeignete Vorfragenanknüpfung im Familien- und Erbrecht für jede Fallgruppe teleologisch ermitteln. 383 Vgl. z. B. BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 72; Hook in: Beaumont / Holliday, 61, 69; Mäsch in: Leible / Unberath, 201, 203 f.; Viarengo in: Dutta /  Helms / Pintens, 83, 83 ff. 384 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 22; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 241. – a. A. Solomon in: FS Spellenberg, 355, 370. 385 Siehe Dutta in: Dutta / Helms / Pintens, 75, 76 ff.; Dutta / Frank / Freitag / Helms /  Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 44 f.; Viarengo in: Dutta / Helms / Pintens, 83, 85 ff. – Eine generelle Vorfragen-Regelung in einem „Allgemeinen Teil des EU-IPR“ für überflüssig hält dagegen Mäsch in: Leible / Unberath, 201, 219 ff.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

te freilich die europäische Vereinheitlichung der Anknüpfungsregeln für die Eheschließung leisten, für die es aber bislang keine konkreten Vorhaben gibt. bb) Europäisch-autonome Qualifikation: „Ehe“ i. S. d. EU-Kollisionsrechts? Anders sieht es dagegen aus, wenn das Vorliegen einer „Ehe“ nicht als Erstbzw. Vorfrage, sondern im Rahmen der Qualifikation zu beurteilen ist. Im Kontext des europäischen Kollisionsrechts steht häufig nicht in Frage, ob eine bestimmte Ehe wirksam ist, sondern bereits, ob die fragliche Beziehung überhaupt eine Ehe darstellt oder nicht – also ein Qualifikationsproblem. Ein Rückgriff auf die Lösungsansätze für Erstfragen, der auf den ersten Blick verlockend erscheinen mag, muss hier aus verschiedenen Gründen ausscheiden. Zum ersten handelt es sich dogmatisch bei Erstfrage und Qualifikation um unterschiedlich gelagerte Fragestellungen, die zwar Gemeinsamkeiten aufweisen, aber nicht ohne weiteres über einen Kamm geschoren werden dürfen.386 Dass Erst- und Qualifikationsfrage unterschiedlich beantwortet werden können, illustriert die PartVO, deren Legaldefinition der „Partnerschaft“ für die Qualifikation bei der Bestimmung ihres Anwendungsbereichs, nicht aber für Vorfragen maßgeblich ist (dazu c)bb), S. 142 ff.). Zum zweiten ist das Qualifikationsproblem häufig bereits für die Bestimmung der Reichweite der europäischen Kollisionsnormen und für die Entscheidung über ihre Anwendbarkeit relevant. Der Anwendungsbereich einiger europäischer Kollisionsrechtsverordnungen ist nämlich nur eröffnet, wenn die zu beurteilende Verbindung als „Ehe“ anzusehen ist. Dies ist der Fall bei der Rom III-VO und der GüVO: Europäisches Scheidungs- und Ehegüterkollisionsrecht können denknotwendig nur zur Anwendung gelangen, wenn es um die kollisionsrechtliche Beurteilung einer Ehe geht. Entsprechendes gilt für das in der Brüssel IIa-VO normierte Internationale Eheverfahrensrecht. Parallel dazu ist Voraussetzung der Anwendung der PartVO als bisher einzigem partnerschaftsbezogenem europäischem Rechtsakt das Bestehen einer „eingetragenen Partnerschaft“. Die Qualifikation als „Ehe“ entscheidet also über das einschlägige Regelungsinstrument, unter Umständen sogar über die maßgebliche Regelungsebene. Gewissermaßen vorgeschaltet ist die Beurteilung als Ehe (bzw. eingetragene Partnerschaft) dadurch direkt für die (Nicht-)Anwendung der europäischen Anknüpfungsregeln und damit indirekt für das anwendbare Recht und die materiell-rechtliche Lösung entscheidend. Man könnte sie quasi als Prä-Erstfrage bezeichnen. Bei der Prüfung dieser Frage Vgl. BeckOK / Wiedemann (Stand 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 16; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 13, 15; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1975 f.; Martiny ZfPW 2017, 1, 7; Uitz ZfRV 2019, 213, 216 f. – Anders wohl BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 61, die diese Qualifikationsfragen als eine Unterform der Vorfragen versteht. Auch sonst wird in der Literatur häufig nicht klar zwischen den beiden Erscheinungsformen der Frage nach dem Ehebegriff differenziert. 386

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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steht aber gerade die einschlägige Anknüpfungsnorm noch nicht fest, geschweige denn das nach dieser anwendbare Recht. Damit ist ein Rückgriff auf die noch überhaupt nicht bestimmte lex causae denklogisch nicht möglich – auch insoweit ist die Problematik anders gelagert und muss die Herangehensweise eine andere sein als bei der Erstfrage. Zum dritten müsste eine der Erstfragenanknüpfung entsprechende Lösung nach der herrschenden Meinung (und in Ermangelung einer lex causae) zur Anwendung der lex fori auf die Qualifikationsfrage führen – was gegen den anerkannten Grundsatz verstößt, dass die Qualifikation im Rahmen der Anwendung europäischen Kollisionsrechts europäisch-autonom vorzunehmen ist (siehe oben § 3, S. 67 ff.). Nicht zuletzt hängt von dieser auch die einheitliche Anwendung des europäischen IPR ab, die gerade im Hinblick auf den hier in Frage stehenden Anwendungsbereich der einzelnen Kollisionsrechtsakte von eminenter Bedeutung ist. Was als „Ehe“ im Sinne der europäischen IPRVerordnungen zu qualifizieren ist, muss daher jeweils unabhängig von der Vorfragenanknüpfung und europäisch-autonom bestimmt werden. Wann ist aber nun eine Beziehung als „Ehe“ im Sinne des EU-Kollisionsrechts zu qualifizieren und dessen Regeln zu unterstellen? Anders als im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht kann die Qualifikationsentscheidung für das europäische IPR nicht aus einer dahinterstehenden autonomen Rechtsordnung erwachsen, sondern muss vielmehr vor dem äußerst heteronomen Hintergrund der mitgliedstaatlichen Auffassungen getroffen werden. Ein Abstellen auf eine wie auch immer zu bestimmende Mehrheit der Mitgliedstaaten verbietet sich hierbei – zum einen würde dieses Kriterium aufgrund der ständig im Fluß befindlichen Rechtsauffassungen große Anwendungsunsicherheit bedeuten, zum anderen scheint in einer stark von nationalen Wertvorstellungen geprägten Debatte eine Quantifizierung kaum sinnvoll. Einzige Grundlage einer europäischen Qualifikation kann ein rechtsaktübergreifender oder zumindest rechtsaktbezogener Konsens der Mitgliedstaaten sein. Bislang erwiesen sich, zuletzt und insbesondere bei der Diskussion über einen gemeinsamen Ehebegriff im Rahmen der Güterrechtsverordnungen, die äußerst divergierenden Positionen der Mitgliedstaaten aber als unvereinbar. Zwischen ihnen besteht wie gesehen zwar ein Konsens hinsichtlich der heterosexuellmonogamen Ehe, nicht aber bezüglich anderer Eheformen, wobei sich die sehr unterschiedlichen Positionen zur gleichgeschlechtlichen Ehe als größter Stein des Anstoßes erweisen (siehe a), S. 125 ff.). Während für einige der konservativen Staaten vor allem die Sorge, gleichgeschlechtliche Ehen „durch die Hintertür anerkennen“ zu müssen, zu vehementer Ablehnung der Verordnungsvorschläge führte, ist für die liberalen Staaten ein enger, nur heterosexuelle Verbindungen erfassender Ehebegriff keine Option.387 387 Vor allem der durch die Ablehnung einer (auch indirekten) Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Verbindungen motivierte Widerstands Polens und Ungarns führte schließ-

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

An diesen unüberbrückbaren Unterschieden sind bislang alle Vorstöße zur Schaffung eines (zumindest kollisionsrechtlichen) europäisch-autonomen Ehebegriffs gescheitert. Auf die heikle Frage nach der „Ehe“ gibt es nach wie vor keine allgemeine Antwort auf europäischer Ebene im Sinne einer Definition des Ehebegriffs für das EU-IPR (und -IZVR) insgesamt.388 In Ermangelung eines generellen, verordnungsübergreifenden europäischen Ehebegriffs ist für jeden europäischen Kollisionsrechtsakt selbst zu bestimmen, was als „Ehe“ in seinen Anwendungsbereich fallen soll. Auch für die einzelnen Rechtsakte hat der Unionsgesetzgeber jedoch auf eine verbindliche Festlegung, was eine „Ehe“ in ihrem Sinne darstellt, bislang bewusst verzichtet. Die Begriffsbestimmungskataloge der Brüssel IIa-VO sowie der GüVO schweigen hinsichtlich des Ehebegriffs; auch die Rom III-VO enthält sich jeglichen Hinweises dazu, was eine nach ihren Regeln zu scheidende „Ehe“ darstellt.389 Diese Zurückhaltung ist politisch motiviert, da eine Einigung der Mitgliedstaaten auf einen gemeinsamen Ehebegriff bisher selbst für den begrenzten Bereich kollisionsrechtlicher Zwecke bzw. punktueller Rechtsakte nicht möglich war und ein Konsens bezüglich der Qualifikation nichtheteronormativer, insbesondere gleichgeschlechtlicher, Ehen auch für die nähere Zukunft aussichtlos scheint. cc) Streit über den europäischen Qualifikationsmaßstab Vielmehr muss zum einen für jede einzelne (Paar-)Verbindung ermittelt werden, ob sie als „Ehe“ im Sinne eines bestimmten europäischen Kollisionsrechtsakts zu verstehen und damit dessen potentiell einschlägiger Anwendungsbereich auch tatsächlich eröffnet ist. Zum anderen muss die Qualifikationsentscheidung, welche Beziehungen für ihre Zwecke, insbesondere hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit, als „Ehe“ zu qualifizieren sind, in Ermangelung eines verordnungsübergreifenden Ehebegriffs für jede IPR-Verordnung gesondert getroffen werden. Im Interesse größtmöglicher Kohärenz zwischen den europäischen Rechtsakten können und sollten dabei auch die Rechtsakte zum europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht berücksichtigt werlich zum Scheitern der gesamteuropäischen Einigungsversuche und zur Verstärkten Zusammenarbeit, vgl. Martiny ZfPW 2017, 1, 4; Serdynska in: Dutta / Weber, 7, Rn. 5 ff.; Szabados CMLR 58 (2021), 71, 89 f.; Twardoch Rev. Crit. DIP 2016, 465, 465 ff. 388 Die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Coman (EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman) kann allenfalls als erster Schritt in Richtung eines europäischen Ehebegriffs verstanden werden, wobei die weitere Entwicklung noch offen ist, vgl. zurückhaltend CroonGestefeld StAZ 2018, 297, 300 f.; Grassi RDIPP 2019, 739, 764 ff.; Hammje Rev. Crit. DIP 2018, 823, Rn. 17. 389 Siehe statt vieler für die Rom III-VO BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 63 ff., für die GüVO BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 15.

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den: Auch die Anwendbarkeit der Brüssel IIa-VO (bzw. der Brüssel IIb-VO) setzt voraus, dass die zu beurteilende Beziehung eine Ehe im Verordnungssinne darstellt. Tatsächlich nahm die Diskussion zum Eheverständnis im Zusammenhang europäischer Rechtsakte ihren Ausgang im zeitlich früheren Kontext der europäischen Vereinheitlichung des IZVR. Umstritten ist bereits, nach welchem Maßstab bzw. aus welcher Perspektive die Qualifikation als „Ehe“ vorzunehmen ist: Ist sie verordnungsautonom aus europäischer Sicht zu entwickeln oder ist auf das jeweilige nationale Verständnis der lex fori zurückzugreifen? Für die Brüssel IIa-VO wurde diese Frage bereits wenige Jahre nach ihrem Inkrafttreten durch den EuGH grundsätzlich geklärt. Als europäischer Rechtsakt ist sie (wie bereits ihr staatsvertraglicher Vorläufer EheGVÜ) autonom und nach europäischen Methoden auszulegen. Hauptargument dafür ist die einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten, die nur durch eine gemeinsame Begriffsbildung gewährleistet werden kann; ein Rückgriff auf das nationale Recht für das Verständnis der Begriffe der Brüssel IIa-VO muss damit ausscheiden.390 Vor diesem Hintergrund wird heute ganz überwiegend eine europäisch-autonome Auslegung der Brüssel IIa-VO und der von ihr verwendeten Begriffe – darunter auch des Ehebegriffs – vertreten;391 dennoch befürworten manche Stimmen in der Literatur den Rekurs auf ein nationales Begriffsverständnis.392 Dasselbe gilt für die überarbeitete Brüssel IIb-VO. Wird die verordnungsautonome Auslegung und damit auch Qualifikation auf europäischer Ebene bereits für die verfahrensrechtliche Brüssel IIa-VO nicht als selbstverständlich betrachtet, zeigt sich für die kollisionsrechtlichen Rechtsakte ein noch komplexeres Bild. Grundsätzlich sind sowohl die Rom III-VO als auch die GüVO / PartVO als europäische Rechtsakte autonom auszulegen.393 Im Einklang mit diesem Prinzip steht ein jeweils verordnungsautonomes Verständnis des Ehebegriffs, das auch teils vorgeschlagen wird.394 390 EuGH 27.11.2007 – C-435/06, C., Rn. 40: „Wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, können die in dieser Bestimmung verwendeten Begriffe – um so weit wie möglich sicherzustellen, dass sich aus dem Brüsseler Übereinkommen für die Vertragsstaaten und die betroffenen Personen gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben – nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates verstanden werden.“ 391 Gitschthaler / Garber Vorbem. Brüssel IIa-VO Rn. 36, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 31; MüKo8 / Heiderhoff vor Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 24 f.; MüKoFamFG / Gottwald Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 1; Rauscher / Rauscher Einl Brüssel IIa-VO Rn. 33 ff.; Hausmann /  Hausmann A. Rn. 18 f., 31; Traar ÖJZ 2011, 805, 807; M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 230. 392 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 64 f. m. w. N. 393 Vgl. z. B. Gitschthaler / Rudolf Vorbem Rom III-VO Rn. 6 ff.; MüKoFamFG / C. Mayer Vor Art. 1 GüVO Rn. 17 ff.; Rauscher / Helms Einl Rom III-VO Rn. 17 ff. 394 Vgl. zur Rom III-VO Corneloup in: Corneloup, Art. 1 Rom III-VO Rn. 18; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 5; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 29; MörsdorfSchulte RabelsZ 77 (2013), 786, 800; Winkler von Mohrenfels ZeuP 2013, 699, 702 f.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Im Hinblick auf diese Frage wird jedoch für die beiden Verordnungen deutlich extensiver als für die Brüssel IIa-VO und zumindest in Deutschland wohl sogar mehrheitlich eine nationale Begriffsauslegung – als Ausnahme vom Prinzip autonomer Auslegung – vertreten.395 Dieser Ansatz im EU-Kollisionsrecht verwundert auf den ersten Blick. Er gründet sich darauf, dass – wie gesehen – hinsichtlich der Ehe Qualifikation und Vorfrage nahe beieinander liegen. Da die (Vor-)Fragen des Bestehens, der Gültigkeit und der Anerkennung einer Ehe aber vom Anwendungsbereich der bisherigen EU-Kollisionsrechtsakte ausgeklammert wurden (Art. 1 Abs. 2 lit. b) Rom III-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. b) GüVO), sei eine verordnungsautonome Begriffsauslegung bei der Qualifikation inkonsequent und müsse zu Inkohärenzen führen; teils werden die Vorfragen-Regeln auch mehr oder weniger unbesehen auf die Qualifikation übertragen.396 Die Befürworter eines national verstandenen Ehebegriffs argumentieren ferner mit dem bewussten Verzicht auf eine Begriffsdefinition in den Verordnungstexten, dem Fehlen von Auslegungshinweisen in der Verordnung und der bisherigen Unmöglichkeit, einen für alle Mitgliedstaaten akzeptablen europäischen Ehebegriff zu entwickeln. Zuzugeben ist diesem Ansatz eine gewisse Weite und Entwicklungsoffenheit: Überlässt man die Qualifikation dem mitgliedstaatlichen Recht, ist eine Interpretation im Sinne eines (künftigen) weiteren Begriffsverständnisses einiger mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen nicht ausgeschlossen.397 Es herrscht aber nicht nur Uneinigkeit, ob die Qualifikation als „Ehe“ verordnungsautonom oder ausnahmsweise national erfolgen soll, sondern beide Ansätze werfen auch Folgefragen auf. Präferiert man eine verordnungsautonome Auslegung, ist fraglich, wie diese im Hinblick auf die bestehenden Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten im Einzelnen aussehen soll. Abgesehen von diesen inhaltlichen – im Zweifel durch den EuGH zu entscheidenden – Fragen gilt es festzulegen, ob und inwieweit eine europäische Auslegung auch andere europäische Rechtsakte zumindest in den Blick nehmen soll, und ob sie statisch (auf den Zeitpunkt der Verabschiedung des Rechtsakts bezogen) oder dynamisch (auf den Zeitpunkt des konkreten Falles bezogen, unter Einbeziehung zwischenzeitlich gewandelter Auffassungen) erfolgen soll. Wenigstens hat die Coman-Entscheidung des EuGH nunmehr klargestellt, dass ein in europäischen Rechtsakten verwendeter autonomer Ehebegriff bei geschlechtsneutZur Rom III-VO Corneloup / Gössl / Verhellen Art. 1 Rome III Rn. 1.23; Corneloup /  Hammje Art. 3 Rome III Rn. 3.19 f.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 4; Hau FamRZ 2013, 249, 250 f. – Zur GüVO / PartVO BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 15; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 21 ff.; MüKoFamFG / C. Mayer Art. 3 GüVO Rn. 4. 396 Vgl. etwa BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 60 ff. (für eine Behandlung insgesamt als Vorfrage); Viarengo / Franzina / Rodríguez Benot Art. 1 GüVO /  PartVO Rn. 1.02 („preliminary matter“). 397 Hammje Rev. Crit. DIP 2013, 773, Rn. 29. 395

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raler Formulierung grundsätzlich auch nicht-heterosexuelle Ehen einschließen kann (siehe Teil III: § 7.II.2.b)bb), S. 369 ff.).398 Will man dagegen für den Ehebegriff das nationale Begriffsverständnis zugrundelegen, stellt sich zunächst die Frage, auf welchen (Mitglied-)Staat abzustellen ist – insofern herrscht Einigkeit, dass der Ehebegriff jeweils nach der lex fori ermittelt werden soll. Ob er allerdings nach Art einer Vorfrage in deren IPR anzuknüpfen ist, sodass das materiell-rechtliche Eheverständnis des danach anwendbaren Rechts maßgeblich ist, oder ob direkt auf den eigenen materiell-rechtlichen Ehebegriff der lex fori zurückzugreifen ist, ist aber wieder streitig.399 c) Streitpunkte: Polygame und gleichgeschlechtliche Ehen Unabhängig davon, welcher der beiden Ansätze zugrunde gelegt wird, erweist sich der Ehebegriff in den europäischen Kollisionsrechtsverordnungen immer wieder besonders im Hinblick auf die Einstufung von zwei Beziehungsarten als praktisch problematisch: Sind (heterosexuelle) polygame Ehen und gleichgeschlechtliche Ehen vom Ehebegriff und damit vom Anwendungsbereich der Verordnungen erfasst? Die Uneinigkeit, die zur bewussten Aussparung dieser Frage von den Normtexten geführt hat, setzt sich nun auf der Ebene der Auslegung der einzelnen Rechtsakte fort. Dabei divergieren nicht nur die Positionen der Mitgliedstaaten teils erheblich voneinander, sondern auch innerhalb einzelner Rechtsordnungen herrscht keinesfalls Einigkeit, vielmehr wird teils detailliert über Einzelaspekte debattiert. Dies illustriert bereits der folgende Überblick über die Grundzüge der in der deutschen Literatur zu den einzelnen Rechtsakten vertretenen Auffassungen. aa) Brüssel IIa-VO, HUP, Rom III-VO Das verordnungsautonome Eheverständnis der Brüssel IIa-VO legt als Kern und Ausgangspunkt die traditionelle heterosexuelle monogame Ehe zugrunde, die unter dem Vorläuferabkommen EheGVÜ und zur Zeit der Verhandlungen über die Brüssel II-VO und die Brüssel IIa-VO noch die einzige dem Sachrecht der Mitgliedstaaten bekannte Eheform darstellte. Die Abgrenzung der unstreitig erfassten heterosexuellen monogamen Ehe400 war für die Anwendung der Brüssel IIa-VO vor allem im Hinblick auf nichteheliche, rein faktische Lebensgemeinschaften wichtig, die ebenfalls unstreitig nicht von ihr erfasst sind.401 Bei der Einordnung anderer Gemeinschafts- und Eheformen divergieren die Meinungen mehr oder weniger stark. Weitgehende Einigkeit 398 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 35 f.; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 286; Dutta FamRZ 2018, 1067, 1067. 399 Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 45 ff.; Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 149 ff. 400 MüKoFamFG / Gottwald Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 5; Rauscher / Rauscher Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 6; Hausmann / Hausmann A. Rn. 31.

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herrscht, dass registrierte Lebensgemeinschaften nicht unter den Ehebegriff und damit nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO fallen.402 Gegenüber der (heterosexuellen) polygamen Ehe zeigt sich die herrschende Auffassung großzügig und befürwortet eine Einordnung als „Ehe“ nach der Brüssel IIa-VO.403 Streit herrscht über die Behandlung der inzwischen dem Recht zahlreicher Mitgliedstaaten bekannten und damit für die Brüssel IIa-VO nachträglich relevant gewordenen gleichgeschlechtlichen Ehe. Gegen ihre Einbeziehung in den europäisch-autonomen Ehebegriff der Brüssel IIa-VO wird argumentiert, die europäisch-rechtsvergleichende Begriffsbildung führe nach wie vor zum traditionellen Bild nur heterosexueller Ehen – auch wenn einige Mitgliedstaaten ihr Eheinstitut inzwischen auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet hätten, könne dies die europäische Begriffsbildung (noch) nicht verändern.404 Ferner wird darauf verwiesen, bei Schaffung der Brüssel IIa-VO sei die gleichgeschlechtliche Ehe noch kein Thema gewesen, sodass sie auch nicht davon erfasst sein könne.405 Die Befürworter der Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO plädieren demgegenüber für eine dynamische Auslegung des Ehebegriffs, nach der zumindest zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund des Wandels des Eheverständnisses in zahlreichen Mitgliedstaaten auch gleichgeschlechtliche Ehen darunter zu subsumieren seien.406 Verwiesen wird dabei auch auf den zu wahrenden Zusammenhang der Brüssel IIa-VO mit anderen europäischen Rechtsakten: Augenscheinlich sei man bei Schaffung der Rom III-VO davon ausgegangen, dass die gleichgeschlechtliche Ehe von der Brüssel IIa-VO erfasst sei, diesem Verständnis müsse man nun zur Gewährleistung des Gleichklangs auch umgekehrt Rechnung tragen.407 Vorschläge, die Einbeziehung gleichgeschlechtli401 Gitschthaler / Garber Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 34; MüKoFamFG / Gottwald Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 5; Rauscher / Rauscher Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 8; Hausmann /  Hausmann A. Rn. 34. 402 MüKoFamFG / Gottwald Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 5; Rauscher / Rauscher Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 8; Hausmann / Hausmann A. Rn. 34. – Differenzierend Gitschthaler /  Garber Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 36 ff. 403 MüKoFamFG / Gottwald Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 5; Rauscher / Rauscher Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 6; Hausmann / Hausmann A. Rn. 31. – a. A. Gitschthaler / Garber Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 50. 404 Gitschthaler / Garber Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 41 ff.; MüKoFamFG / Gottwald Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 5; Rauscher / Rauscher Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 6; Thurm 130 ff. 405 In diese Richtung gehen auch die Überlegungen des EuGH zur Privatscheidung (EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 45 ff.). 406 Althammer in: Arnold, 1, 16; Dutta FamRZ 2018, 1067, 1067; Mankowski IPRax 2017, 541, 546 m. w. N.; M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 230. 407 Hausmann / Hausmann A. Rn. 32 f.; Gruber IPRax 2012, 381, 382; Mankowski IPRax 2017, 541, 546.

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cher Ehen (jedenfalls für die Zukunft) positiv klarzustellen,408 sind freilich bei der Reform der Brüssel IIa-VO gescheitert: Auch die ab 1.8.2022 geltende Brüssel IIb-VO enthält nach wie vor keine Definition des Ehebegriffs. Vielmehr war das Bestreben, diese heikle Fragestellung zu vermeiden, einer der Beweggründe dafür, die ehe(verfahrens)rechtlichen Aspekte für eine Überarbeitung gar nicht erst zu öffnen. Die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in das Brüssel-Regime bleibt daher nach wie vor streitig; vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichte, der bewussten Ausklammerung bei der Reform und der Zurückhaltung des EuGH im Hinblick auf eine dynamische Auslegung lässt sich eine Erstreckung der Brüssel IIa-VO (bzw. Brüssel IIbVO) auf gleichgeschlechtliche Paare de lege lata aber nur schwer vertreten.409 Bei den Verhandlungen zum HUP waren gleichgeschlechtliche Ehen bereits ein – potentiell streitträchtiges – Thema zwischen den potentiellen Vertragsstaaten. Man entschied sich daher diplomatisch zur Aussparung der Frage. Das HUP definiert seinen Ehebegriff in Art. 1 Abs. 1 HUP in dieser Hinsicht weder positiv noch negativ, sodass die (Nicht-)Anwendbarkeit auf gleichgeschlechtliche Ehen jedem Mitgliedstaat überlassen bleibt.410 Der Streit über die genaue Einordnung wird freilich dadurch entschärft, dass auch bei einer Ablehnung der Einstufung als „Ehe“ in den meisten Fällen eine gleichgeschlechtliche Ehe jedenfalls als „Familienverhältnis“ zu betrachten und damit dem Anwendungsbereich des HUP zu unterstellen sein wird.411 Aus deutscher Warte unterfallen jedenfalls seit Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im deutschen materiellen Recht auch gleichgeschlechtliche Ehen dem HUP.412 Auch polygame Ehen werden erfasst.413 Problematisch

Zum Beispiel Gitschthaler / Garber Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 48; M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 230. 409 Vgl. BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 17b EGBGB Rn. 18. – Für einen autonomen und inzwischen auch gleichgeschlechtliche Ehen einschließenden Ehebegriff in der Brüssel IIa-VO allerdings etwa Kohler / Pintens FamRZ 2019, 1477, 1480. 410 Gitschthaler / Gitschthaler Art. 1 HUP Rn. 12; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 15 f.; NK-BGB / Gruber Art. 1 HUP Rn. 9 f.; Rauscher / Andrae Art. 1 HUP Rn. 7; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 31, 92 ff.; Gruber in: FS Spellenberg, 177, 188; Löhnig NZFam 2017, 1085, 1087. – Darüber hinausgehend wollen Althammer in: Arnold, 1, 16 und Mankowski IPRax 2017, 541, 548 f. gleichgeschlechtliche Ehen insgesamt als Ehe i. S. d. HUP einstufen. – a. A. M. Weber ZfRV 2012, 170, 171 (autonome Auslegung und auf verschiedengeschlechtliche Paare beschränkter Ehebegriff). – Für ein eher (entwicklungs)offenes Verständnis des Ehe- und Partnerschaftsbegriffs in den Haager Konventionen insgesamt van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 81 ff. 411 Vgl. BeckOGK / Yassari (Stand: 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 58; Gitschthaler /  Gitschthaler Art. 1 HUP Rn. 12; MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 16; Rauscher / Andrae Art. 1 HUP Rn. 7; M. Weber ZfRV 2012, 170, 171, 173. 412 Löhnig NZFam 2017, 1085, 1087; zurückhaltend BeckOGK / Yassari (Stand: 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 58. 408

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ist allerdings wieder, dass eine in den Mitgliedstaaten uneinheitliche Qualifikation im Rahmen des HUP zu dessen unterschiedlicher Anwendung führen kann. Vor allem im Hinblick auf die Einbettung des HUP in die UnthVO wäre eine europäisch-autonome Auslegung zumindest für die Zukunft vorteilhaft.414 Auch bei den Vorarbeiten zur Rom III-VO wurde die Reichweite des Ehebegriffs noch nicht explizit thematisiert.415 Einigkeit herrscht auch hier dahingehend, dass die Rom III-VO weder auf rein faktische Lebensgemeinschaften noch auf (verschieden- oder gleichgeschlechtliche) registrierte Partnerschaften Anwendung finden soll:416 Die von ihr geregelte „Scheidung“ setzt begrifflich voraus, dass die rechtlich zu trennende Beziehung eine „Ehe“ ist. Wann genau über die unstreitig erfasste traditionelle monogam-heterosexuelle Ehe417 hinaus eine solche vorliegt, wird jedoch nach wie vor kontrovers diskutiert. Hinsichtlich polygamer Verbindungen von Männern und Frauen ist auch für die Rom III-VO eine mehrheitliche Großzügigkeit zu konstatieren, die ihre Anwendbarkeit auch in diesen Fällen bejaht.418 Das Hauptproblem stellt auch hier wieder die Subsumtion gleichgeschlechtlicher Verbindungen unter den bei Anwendung der Rom III-VO zu verwendenden Ehebegriff dar. Textlich liegt ein offener Ehebegriff zugunde, der gleichgeschlechtliche Ehen weder explizit ein- noch ausschließt. Vor allem in der Frühphase nach der Verabschiedung der Rom III-VO sprachen sich einige Stimmen für einen der Brüssel IIa-VO entsprechenden engen, nur heterosexuelle Ehen erfassenden Ehebegriff aus.419 Diametral entgegengesetzt wird dagegen zunehmend die grundsätzliche Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in den Anwendungsbereich der Rom III-VO befürwortet.420 Zentrales Argument der Befürworter der Scheidung auch gleichgeschlechtlicher Ehen nach der Rom III-VO BeckOGK / Yassari (Stand: 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 54; Gitschthaler /  Gitschthaler Art. 1 HUP Rn. 11. 414 MüKo8 / Staudinger Art. 1 HUP Rn. 17; NK-BGB / Gruber Art.1 HUP Rn. 11. 415 de la Durantaye IPRax 2019, 281, 286 m. w. N. 416 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 82; Corneloup / Gössl /  Verhellen Art. 1 Rom III-VO Rn. 1.06; NK-BGB / Gruber Art. 1 Rom III-VO Rn. 36 ff.; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 9; de Maizière 117 f.; Raupach 75 f.; Althammer NZFam 2015, 9, 11; Boele-Woelki YbPIL XII (2010), 1, 13; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 30; Gruber IPRax 2012, 381, 383; Makowsky GPR 2012, 266, 268; Mankowski IPRax 2017, 541, 547; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 800; Nitsch ZfRV 2012, 264, 264. 417 Siehe nur Hausmann / Hausmann A. Rn. 313. 418 Gitschthaler / Rudolf Art. 1 Rom III-VO Rn. 18; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 5; NK-BGB / Gruber Art. 1 Rom III-VO Rn. 14; Hausmann /  Hausmann A. Rn. 313; de Maizière 113 f.; Raupach 54 ff.; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 800. – So auch BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 64 ff., die auch die Begriffsbestimmung als Vorfrage behandeln will. 419 Siehe Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 800 ff. (verordnungsautonomes enges Begriffsverständnis mit der Möglichkeit für Mitgliedstaaten, gleichgeschlechtliche Ehen im nationalen Kollisionsrecht akzessorisch an die Rom III-VO anzuknüpfen). 413

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ist, dass die Regelung in Art. 13 Alt. 2 Rom III-VO es den Gerichten eines teilnehmenden Mitgliedstaats erlaubt, von der Vornahme einer Ehescheidung nach den Regeln der Verordnung abzusehen, wenn das Recht dieses Mitgliedstaats die Ehe für die Zwecke des Scheidungsverfahrens nicht als gültig ansieht. Diese Regel, die ausweislich Erw. 26 gerade für den Fall gilt, dass in der lex fori „eine solche Ehe nicht vorgesehen ist“, hätte anderenfalls wenig Sinn – vielmehr sei diese Klausel gerade eingefügt worden, um die Bedenken hinsichtlich der Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen zu mildern.421 Die wohl herrschende Lesart nimmt eine vermittelnde Position ein: Die Anwendung der Rom III-VO auf gleichgeschlechtliche Ehen sei weder ausgeschlossen noch zwingend vorgeschrieben, vielmehr sei sie jedem Mitgliedstaat überlassen.422 Der maßgebliche Ehebegriff ist danach dem Verständnis der lex fori zu entnehmen, Art. 13 Alt. 2 Rom III-VO bei dieser Lesart als Öffnungsklausel aufzufassen, die den Mitgliedstaaten erlaubt, über die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in den Anwendungsbereich der Rom III-VO selbst zu entscheiden.423 Vorteil dieses Ansatzes ist, dass gleichgeschlechtliche Ehen jedenfalls in den Mitgliedstaaten, deren materielles Recht dieses Institut vorsieht, als solche nach der Rom III-VO zu scheiden (und damit auch internationalscheidungsrechtlich heterosexuellen Ehen gleichgestellt) sind. Demgegenüber steht freilich der Nachteil eines in den Mitgliedstaaten unterschiedlich weitreichenden sachlichen Anwendungsbereichs der Rom III-VO, was dem Vollharmonisierungsgedanken konträr läuft und betroffene Paare gegebenenfalls zum forum shopping geradezu herausfordert. Nachdem der deutsche Gesetzgeber sich nach dem Inkrafttreten der Rom III-VO zunächst nicht zu einer eindeutigen Stellung durchringen konnte, ist nunmehr mit Art. 17b Abs. 4 S. 1 EGBGB klargestellt, dass aus deutscher 420 Calliess / Renner / Wiese Art. 1 Rom III-VO Rn. 11; Corneloup in: Corneloup, Art. 1 Rom III-VO Rn. 20; NK-BGB / Gruber Art. 1 Rom III-VO Rn. 21 ff.; Raupach 62 ff.; Thurm 139; Althammer in: Arnold, 1, 16; Boele-Woelki YbPIL XII (2010), 1, 13; Dutta FamRZ 2018, 1067, 1067; Nitsch ZfRV 2012, 264, 264; Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach /  Rapp, 61, 74; Traar ÖJZ 2011, 805, 807. 421 Siehe statt vieler Mankowski IPRax 2017, 541, 547 m. w. N. 422 Zum Beispiel BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 1 Rom III-VO Rn. 20, Art. 17b EGBGB Rn. 16; Corneloup / Gössl / Verhellen Art. 1 Rom III-VO Rn. 1.07 f.; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 6 ff.; de Maizière 109 ff.; Coester-Waltjen /  Coester in: FS Brudermüller, 73, 76 f.; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 286; Hau in: FS Stürner, 1237, 1247 (allerdings kritisch); Hau FamRZ 2013, 249, 250 f.; Helms FamRZ 2011, 1765, 1766; Kohler Rev. Crit. DIP 2018, 51, 54 f.; Löhnig NZFam 2017, 1085, 1086; Mankowski IPRax 2017, 541, 547. – Zu Lösungsvorschlägen für die potentiell entstehende Situation, dass zwar nach dem Verständnis der lex fori eine Ehe vorliegt, nach der lex causae allerdings nicht, siehe z. B. Hammje Rev. Crit. DIP 2013, 773, Rn. 30 f. – Corneloup in: Corneloup, Art. 1 Rom III-VO Rn. 19 f. schlägt vor, das Recht des Begründungslandes für die Beurteilung heranzuziehen. 423 Erbarth FamRB 2017, 429, 436.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Sicht auch gleichgeschlechtliche Ehen nach der Rom III-VO zu scheiden sind.424 Diese Regelung ist, wenn man die Rom III-VO von vornherein für auf gleichgeschlechtliche Ehen anwendbar hält, rein deklaratorisch – lehnt man die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in die Rom III-VO strikt ab, muss man sie als nationale Verweisungsregelung verstehen. In jedem Fall kommen aus deutscher Sicht die EU-Scheidungskollisionsregeln zum Zuge und die Frage ist (nach langer Unsicherheit endlich) geklärt. bb) GüVO und PartVO Waren die Diskussionen um den Ehebegriff bei Ausarbeitung der Brüssel IIaVO und der Rom III-VO noch eher marginal, rückten sie bei den Verhandlungen über die Güterrechtsverordnungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Virulent wurde die Debatte trotz oder auch wegen des Lösungsansatzes, das Güterkollisionsrecht für Ehen und Partnerschaften in zwei weitgehend parallelen, aber getrennten Verordnungen zu regeln. Damit wurde die Qualifikation als Ehe erstmalig nicht nur für die Zuweisung zum europäischen oder nationalen Kollisionsrecht, sondern auch für die Abgrenzung verschiedener europäischer Rechtsakte untereinander relevant. Bei Anwendung der GüVO ist über das Vorliegen einer Ehe einerseits in Abgrenzung zur Nicht-Ehe, andererseits in Abgrenzung zur Partnerschaft zu entscheiden – ersteres klärt, welcher Regelungsebene die zu beurteilende Beziehung internationalprivatrechtlich zugewiesen wird (bei Ehe: GüVO, bei Nicht-Ehe: nationales Kollisionsrecht), zweiteres hingegen, welcher Rechtsakt auf europäischer Ebene zur Anwendung gelangt (bei Ehe: GüVO, bei Partnerschaft: PartVO). Bei der Qualifikation sind also drei grundsätzliche Arten von Verbindungen zu unterscheiden: Ehen, Partnerschaften und Beziehungen, die weder Ehe noch Partnerschaft sind. Die inhaltliche Ausfüllung dieser Begriffe stellte einen zentralen Streitpunkt dar, an dem das Projekt zwischenzeitlich zu scheitern drohte.425 Während der Ehebegriff in der GüVO offengelassen wurde, hat der europäische Gesetzgeber zumindest hinsichtlich der eingetragenen Partnerschaft eine punktuelle klare Antwort geliefert, die indirekt auch für das Begriffsverständnis der anderen Verbindungsformen Aufschluss bietet. Dass jedenfalls registrierte Partnerschaften nicht als „Ehe“ im Sinne der GüVO zu betrachten sind, ergibt sich bereits eindeutig daraus, dass für diese mit der PartVO ein eigenes Regelungsinstrument zur Verfügung gestellt wird. Dieses enthält erstmalig eine Definition des Partnerschaftsbegriffs auf europäischer Ebene. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a) PartVO handelt es sich dabei um 424 BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 1 Rom III-VO Rn. 20; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 286. – Dafür bereits z. B. Kohler Rev. Crit. DIP 2018, 51, 54 f.; Löhnig NZFam 2017, 1085, 1086. 425 de la Durantaye IPRax 2019, 281, 284; Mankowski IPRax 2017, 541, 547; Serdynska in: Dutta / Weber, 7, Rn. 6 f.

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„eine rechtlich vorgesehene Form der Lebensgemeinschaft zweier Personen, deren Eintragung nach den betreffenden rechtlichen Vorschriften verbindlich ist und welche die in den betreffenden Vorschriften vorgesehenen rechtlichen Formvorschriften für ihre Begründung erfüllt“. Dabei kommt es nicht auf das Geschlecht der Beteiligten an, wohl aber darauf, dass die Lebensgemeinschaft aus (nur) zwei Personen besteht; unverzichtbares Element ist ferner die konstitutiv wirkende Registrierung.426 Die Geltung dieser europäisch-autonomen Legaldefinition ist zwar ausweislich Erw. 17 PartVO auf die PartVO selbst beschränkt; weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob sie derartige Institute überhaupt zur Verfügung stellen und welchen Inhalt sie ihnen verleihen. Sie löst aber immerhin das zentrale Qualifikationsproblem, ob die in Frage stehende Verbindung eine eingetragene Partnerschaft im Sinne der PartVO darstellt.427 Wichtig ist dies zunächst für die Abgrenzung gegenüber der Ehe: Zwar erfüllen Ehen auch die Kriterien für eine Einordnung als „Partnerschaft“, die GüVO geht jedoch als lex specialis vor.428 Insbesondere hat es aber Bedeutung im Hinblick auf die im materiellen Recht der Mitgliedstaaten zunehmend rechtlich anerkannten bzw. geregelten faktischen Lebensgemeinschaften.429 Mangels einer konstitutiven Registrierung fallen diese nicht unter den europäischen Partnerschaftsbegriff und damit nicht in den Anwendungsbereich der PartVO – und da sie als „weniger“ gegenüber der Partnerschaft auch nicht als „Ehe“ anzusehen sein können, bleiben sie vielmehr dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht unterstellt.430 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 17 ff.; Gitschthaler /  Verschraegen Art. 3 PartVO Rn. 3 ff.; MüKoFamFG / C. Mayer Art. 3 GüVO Rn. 6; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 58 ff.; Coester in: Dutta / Weber, 111, Rn. 3 ff.; Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 147 f.; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 5 ff. – Kritisch zum Erfordernis konstitutiver Registrierung Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 154 f.; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1976. 427 Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 57; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 285; Rudolf ZfRV 2017, 171, 174. 428 MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 29; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1976; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 13 f.; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 124 f. 429 Siehe im Überblick zu gesetzlichen Rechtsfolgen faktischer Lebensgemeinschaften Dutta AcP 216 (2016), 609, 637 ff. sowie zu güterrechtlichen Wirkungen faktischer Lebensgemeinschaften Uitz ZfRV 2019, 213, 218 f. (Kroatien, Slowenien, Schweden). – Vgl. etwa die 2016 in Italien eingeführten Regelungen zur faktischen Lebensgemeinschaft (convivenza di fatto), die allerdings nicht alle faktisch zusammenlebenden Paare erfasst, dazu z. B. Kronbichler ZfRV 2017, 86, 89 ff., oder die Regelungen zugunsten des überlebenden Lebensgefährten im reformierten österreichischen Erbrecht (§ 748 ABGB), dazu z. B. Christandl / Nemeth ERPL 2020, 149, 156. 430 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 21; Bonomi in: Dutta /  Weber, 123, Rn. 61 f.; Coester in: Dutta / Weber, 111, Rn. 8; Kemper FamRB 2019, 32, 34 f.; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 426

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Eine Einbeziehung heterosexuell-polygamer Verbindungen in den Ehebegriff scheint auch für das Ehegüterkollisionsrecht weitgehend akzeptiert.431 Höchst schwierig bleibt dagegen im Rahmen der GüVO die Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen.432 Neben einem verordnungsautonomen Begriffsverständnis auf europäischer Ebene fehlen auch eindeutige Kriterien, auf die die Qualifikationsentscheidung gestützt werden könnte, da die wenigen im Verordnungstext enthaltenen Hinweise sich in beide Richtungen interpretieren lassen. Auf ein mit der Brüssel IIa-VO harmonierendes Begriffsverständnis, das insbesondere im Hinblick auf die Verbundzuständigkeit nach Art. 5 GüVO wichtig erscheint, können sich beide Auffassungen berufen. Denn legt man ein auf heterosexuelle Ehen begrenztes Eheverständnis der Brüssel IIa-VO zugrunde, spricht dies für eine enge Auslegung auch der GüVO – befürwortet man hingegen ein dynamisches Eheverständnis der Brüssel IIa-VO, scheint die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen in die GüVO, die dann ihrerseits auf die europäisch-autonome Begrifflichkeit der Brüssel IIa-VO ausstrahlt, vor dem Hintergrund ihrer zunehmenden Akzeptanz in Europa durchaus realistisch.433 Für die Einbeziehung auch gleichgeschlechtlicher Ehen spricht zunächst die durchgehend geschlechtsneutrale Formulierung der GüVO.434 Daraus trotz des bewussten Verzichts auf eine europäische Qualifikationsentscheidung auf eine grundsätzliche Subsumtion auch gleichgeschlechtlicher Ehen unter den Ehebegriff zu schließen, ginge zu weit; allerdings lässt sich daraus zumindest 129; Uitz ZfRV 2019, 213, 220 ff. – Ausführlich zum Meinungsstand Uitz ZfRV 2019, 213, 219 f. m. w. N. – Für das IZVR hat der EuGH dies durch die Unterstellung der güterrechtlichen Folgen der Auflösung nichtehelicher Lebensgemeinschaften unter die EuGVVO bestätigt (EuGH 6.6.2019 – Rs. C-361/18, Weil ./. Gulácsi). – Köhler in: Dutta /  Weber, 147, Rn. 18 plädiert zumindest für manche Fälle für eine analoge Anwendung der GüVO bzw. eine entsprechende Parallelregelung im nationalen IPR; Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 156 f. und Dutta FamRZ 2016, 1973, 1976 f. will die GüVO in Ausnahmefällen zur Anwendung bringen, Martiny ZfPW 2017, 1, 8, 31 dagegen die PartVO analog anwenden. 431 MüKoFamFG / C. Mayer Art. 3 GüVO Rn. 4 Fn. 1; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1976 Fn. 30; Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 128. – Für eine Überlassung an das jeweils mitgliedstaatliche Recht Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 44, für eine Beurteilung nach dem Recht des Eheschließungsstaats Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 154. 432 Vgl. den zusammenfassenden Überblick über die in Deutschland und Österreich vertretenen Positionen bei Uitz ZfRV 2019, 213, 214 ff. 433 Vgl. MüKoFamFG / C. Mayer Art. 3 GüVO Rn. 5 (jedenfalls eine analoge Anwendung der Verbundzuständigkeit auf gleichgeschlechtliche Ehen befürwortend). 434 Gitschthaler / Verschraegen Art. 1 GüVO Rn. 5; Kohler / Pintens FamRZ 2011, 1433, 1435. – Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 54 weist darauf hin, dass eine Anerkennungspflicht für gleichgeschlechtliche Ehen auch deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich der GüVO bedeuten würde.

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folgern, dass die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen jedenfalls aus europäischer Sicht nicht ausgeschlossen sein soll. Wie auch bei der Rom IIIVO erblicken Befürworter einer Anwendung der GüVO auch auf gleichgeschlechtliche Ehen ein weiteres Argument in der Möglichkeit der Zuständigkeitsablehnung gemäß Art. 9 GüVO (Erw. 38 GüVO):435 Auch insofern müsse aus Sicht des europäischen IPR die Anwendung der GüVO auf gleichgeschlechtliche Ehen jedenfalls möglich und zulässig sein. Da dieser Aspekt aber mangels Einigungsmöglichkeit bewusst offengelassen wurde, kann eine Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen nicht als grundsätzlich vorgesehen oder verpflichtend betrachtet werden. Vielmehr bleibt es nach überwiegender Meinung den einzelnen (teilnehmenden) Mitgliedstaaten überlassen, ob sie die GüVO auf gleichgeschlechtliche Ehen anwenden oder nicht.436 So hat etwa der deutsche Gesetzgeber mit Art. 17b Abs. 4 S. 2 EGBGB klar die Unterstellung gleichgeschlechtlicher Ehen unter die GüVO angeordnet.437 Dieser Rückgriff auf das nationale Begriffsverständnis wird vor allem auf Art. 1 Abs. 2 lit. b) GüVO und die dazugehörigen Erw. 17, 21 GüVO gestützt. Er wirft unweigerlich die Frage auf, an welchem sachrechtlichen Maßstab sich die Einstufung einer gleichgeschlechtlichen Verbindung als Ehe zu orientieren hat. Teils wird vorgeschlagen, über die Einstufung als Ehe nach dem nationalen Kollisionsrecht der lex fori zu entscheiden.438 Damit wird die Frage im Qualifikationskontext genauso behandelt wie bei ihrem Auftreten als Vorfrage bei selbständiger Vorfragenanknüpfung – dies ermöglicht Einheitlichkeit 435 BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 16.1; MüKo8 /  Looschelders Art. 9 GüVO Rn. 3 ff.; Thurm 142 ff.; Mankowski IPRax 2017, 541, 547 f.; Uitz ZfRV 2019, 213, 217 f. – a. A. Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 44 Fn. 20. 436 BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 17b EGBGB Rn. 17; Gitschthaler /  Verschraegen Art. 1 GüVO Rn. 5; Viarengo / Franzina / Rodríguez Benot Art. 1 GüVO /  PartVO Rn. 1.16; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 42; Coester in: Dutta / Weber, 111, Rn. 7; Joubert Rev. Crit. DIP 2017, 1, Rn. 18; Martiny ZfPW 2017, 1, 7. – So bereits zum GüVO-Entwurf Dethloff in: FS von Hoffmann, 73, 77. 437 Looschelders in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 126 f. – Kritisch de la Durantaye IPRax 2019, 281, 285 f. – Für die Alternative einer Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen nach der PartVO wird insbesondere angeführt, die daraus resultierende Registerortanknüpfung trüge den (Schutz-)Interessen der Betroffenen besser Rechnung, vgl. z. B. NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 19; Löhnig NZFam 2017, 1085, 1087; dagegen allerdings mit überzeugender Begründung Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 153. 438 Gitschthaler / Verschraegen Art. 1 GüVO Rn. 3; MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 21 ff.; NK-BGB / R. Magnus Art. 1 GüVO / PartVO Rn. 17; Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 45 ff.; Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 18 f.; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 16; Kohler / Pintens FamRZ 2016, 1509, 1510; Looschelders in: Budzikiewicz /  Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 125. – Kritisch Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 149 ff.

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im Sinne inneren Entscheidungseinklangs, opfert aber die europäische Entscheidungsharmonie. Zweifellos wird dieses Verständnis dem Bestreben des europäischen Gesetzgebers, den Mitgliedstaaten in dieser rechtspolitisch heiklen Angelegeheit den größtmöglichen Spielraum zur Durchsetzung ihrer eigenen Wertvorstellungen zu lassen, am besten gerecht. Es führt allerdings zu wesentlichen Problemen in der praktischen Handhabung. Legt für die Qualifikation als „Ehe“ jeder Mitgliedstaat seinen eigenen Maßstab an, kann dies dazu führen, dass ein und dieselbe gleichgeschlechtliche Verbindung in einem Mitgliedstaat als Ehe betrachtet wird, in einem anderen dagegen nicht. Derartige Qualifikationsunterschiede zwischen den nationalen Kollisionsrechten sind an sich zwar misslich, aber dem IPR nicht fremd. Inakzeptabel erscheinen sie in der vorliegenden Konstellation aber, weil die Qualifikation sich unmittelbar auf den Anwendungsbereich des vereinheitlichten europäischen IPR auswirkt. Divergierende Einstufungen als „Ehe“ führen zu einem divergierenden Anwendungsbereich der GüVO und der PartVO, sodass ein und dieselbe gleichgeschlechtliche Verbindung je nach Qualifikationsentscheidung in manchen Mitgliedstaaten der GüVO (bei Qualifikation als Ehe), in anderen der PartVO (bei Qualifikation als registrierte Partnerschaft) und in wieder anderen dem nationalen Kollisionsrecht (bei Qualifikation als weder Ehe noch registrierte Partnerschaft) unterfallen müsste.439 Dies scheint im Hinblick auf die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für die Beteiligten kaum zumutbar – ganz abgesehen davon, dass die nationalen Auffassungen im Laufe der Zeit wandelbar440 und nicht immer klar und eindeutig sind.441 Vor allem aber erscheint eine derartige Abhängigkeit des Anwendungsbereichs eines vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechtsakts von den Vorstellungen der jeweiligen lex fori äußerst fragwürdig. Um diese Probleme zu vermeiden, wird vorgeschlagen, die Frage der Qualifikation als „Ehe“ einheitlich dem Recht zu unterstellen, an dem die fragliche Beziehung eingegangen und registriert wurde (sogenannte Qualifikationsverweisung).442 Dies soll unabhängig davon gelten, ob der Registrierungs439 Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 43 f. (in Rn. 55 dafür plädierend, aus Nichtdiskriminierungsgründen ausländische Ehen wenigstens der PartVO zu unterstellen); Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 150; Kemper FamRB 2019, 32, 34; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 14; van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 86. – Dies hinnehmend de la Durantaye IPRax 2019, 281, 285. 440 Ein Beispiel dafür ist der überraschende Wandel der Haltung des deutschen Rechts gegenüber der gleichgeschlechtlichen Ehe in jüngerer Zeit. 441 Insbesondere die Abgrenzung zwischen Partnerschaft und gleichgeschlechtlicher Ehe kann sich als problematisch erweisen. 442 MüKoFamFG / C. Mayer Art. 3 GüVO Rn. 8; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1397; Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 150 f., 153; Dutta FamRZ 2016, 1973, 1976; Kemper FamRB 2019, 32, 34; Rudolf ZfRV 2017, 171, 174; Uitz ZfRV 2019, 213, 217 f.; Ziereis NZFam 2019, 237, 237 f. – Skeptisch Koch in: Arnold / Laimer, 47, Rn. 22, kritisch MüKo8 / 

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staat ein (teilnehmender) Mitgliedstaat oder ein Drittstaat ist.443 Eine solche Anknüpfung an das Registerrecht (lex loci celebrationis) bietet den Vorteil einer gleichlaufenden Betrachtung und Qualifikationsentscheidung aller Mitgliedstaaten. Damit ist zum einen eine einheitliche Auslegung des Anwendungsbereichs der GüVO gewährleistet, zum anderen ist die Entscheidung über Qualifikation und anwendbares Kollisionsrecht für die Beteiligten vorhersehbar und durch die Wahl des Registrierungsorts sogar beeinflussbar.444 Nur durch eine solche in allen Mitgliedstaaten übereinstimmende Einstufung kann im Übrigen die Freizügigkeit gleichgeschlechtlicher Ehegatten innerhalb der Union – ausweislich Erw. 72 GüVO eines der erklärten Ziele der GüVO – gewährleistet werden, die durch eine unterschiedliche Behandlung in verschiedenen Mitgliedstaaten erheblich eingeschränkt würde.445 Rechtstechnisch erscheint eine solche Qualifikation anhand einer klaren Anknüpfungsregel für die zu qualifizierende Frage sinnvoll und klar vorzugswürdig. Rechtspolitisch ist sie freilich schwieriger – denn die Qualifikation als „Ehe“ bleibt damit nicht vollständig dem nationalen Recht überlassen, sondern wird auf europäischer Ebene zumindest indirekt in Form der Anknüpfungsregel vorgegeben. Die Konsequenz, dass nach dem Registerrecht als „Ehe“ geltende gleichgeschlechtliche Verbindungen dann im Hinblick auf Qualifikation und Anwendungsbereich der GüVO auch von den Mitgliedstaaten stets als „Ehe“ zu behandeln sind, dürfte in den Mitgliedstaaten, die Bedenken vor einem indirekten Zwang zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen haben, für Ablehnung sorgen. Ob sich dieser europäisch orientierte Qualifikationsansatz auf Dauer flächendeckend durchsetzen kann, bleibt daher abzuwarten. cc) Herausbildung eines europäischen Konsenses? Der knappe vergleichende Blick auf die Interpretation des Ehebegriffs in den verschiedenen EU-Rechtsakten zum Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht lässt einige allgemeine Linien hervortreten. Zwischen den einzelnen Rechtsakten differenzierende Lösungen werden kaum vertreten, stattdessen werden meist mehr oder weniger allgemeine Lösungsansätze parallel für alle Rechtsakte propagiert. Wenig überraschend verläuft die Trennlinie vielmehr inhaltlich zwischen den Vertretern eines insgesamt liberal-weiteren und jenen eines allgemein traditionell-engeren Ehebegriffs. Dabei sind die zu den einzelLooschelders Art. 1 GüVO Rn. 22 ff.; Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 16; Löhnig NZFam 2017, 1085, 1087. – Der Regelung in Art. 17b Abs. 4 S. 2 EGBGB kommt bei dieser „Begründungslandtheorie“ nur deklaratorische Bedeutung zu, vgl. Dutta FamRZ 2019, 1390, 1397. 443 Dutta FamRZ 2016, 1973, 1976; Rudolf ZfRV 2017, 171, 174. 444 Vgl. BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 1 GüVO Rn. 16.1 zu den Vorteilen der lex libri siti. 445 Uitz ZfRV 2019, 213, 217.

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nen Verordnungen vertretenen Positionen und vorgebrachten Argumente weitgehend vergleichbar. Insofern kann auch jede der Seiten das Argument rechtsaktübergreifender Kohärenz für sich beanspruchen: Sowohl ein enges als auch ein weites Verständnis können als Grundlage dafür herangezogen werden. Dabei scheint die nur als „Import“ aus Drittstaaten auftretende polygame Ehe geringere Akzeptanzprobleme zu verursachen als die gleichgeschlechtliche Ehe, deren Einführung in zahlreichen Mitgliedstaaten nach wie vor zu internen und grenzüberschreitenden rechtspolitischen Debatten führt. Das Institut der polygamen Ehe ist allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gleichermaßen unbekannt, kollisionsrechtlich ist aber auch bei den Vertretern des traditionellen Ehebegriffs zunächst eine gewisse Großzügigkeit gegenüber dem vollständig Fremden festzustellen. Vor Schwierigkeiten stellt zwar der rechtliche Umgang mit polygamen Ehen, nicht aber ihre grundsätzliche Einstufung als Ehe. Insofern lässt sich auch für das EU-IPR ein Qualifikationskonsens vergleichsweise leicht erzielen. Demgegenüber verhärten sich hinsichtlich der in Europa teils bekannten, teils abgelehnten gleichgeschlechtlichen Ehe die Fronten. Der im materiellen Recht (und auf verfassungs- bzw. grundrechtlicher Ebene) bestehende Streit überträgt sich auf das Kollisionsrecht und verhindert eine einheitliche europäische Betrachtungsweise. Insgesamt stellt sich die derzeitige Situation damit sowohl hinsichtlich der Qualifikationsmethode als auch hinsichtlich der Beurteilung einzelner Beziehungsarten als unübersichtlich dar – mit gravierenden Folgen nicht nur für die Rechtssicherheit der Beteiligten, sondern auch für die Anwendung und Weiterentwicklung des europäischen Kollisionsrechts. Ein Konsens hinsichtlich des Ehebegriffs wäre dringend erforderlich, scheint derzeit aber kaum realistisch erreichbar. d) Konsequenzen Der kollisionsrechtlich zugrundezulegende Ehebegriff scheidet, vor allem hinsichtlich vom traditionell heterosexuell-monogamen Ehebild abweichender Verbindungen, in Europa nach wie vor die Geister. Insbesondere im Hinblick auf die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Ehen sind die dadurch entstehenden Qualifikationsfragen höchst umstritten. Auf den ersten Blick scheint es daher durchaus salomonisch, in dieser heiklen Angelegenheit eine Ausnahme vom Grundprinzip europäisch-autonomer Qualifikation zu machen, auf europäische Vorgaben zu verzichten und die Beantwortung der Qualifikationsfrage dem nationalen Recht zu überlassen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass diese Vorgehensweise das Problem nicht löst, sondern lediglich verschiebt – mit negativen Folgen für Betroffene, Rechtsanwender und das europäische Kollisionsrecht selbst. Als problematisch erweist sich zunächst, dass die Qualifikation einer Beziehung als Ehe bereits für die Anwendung oder Nichtanwendung des europä-

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ischen IPR ausschlaggebend ist. Bleibt sie dem nationalen Recht überlassen, liegt damit auch die Entscheidung über den Anwendungsbereich der europäischen Kollisionsrechtsakte in den Händen des nationalen Rechts.446 Das widerspricht nicht nur dem Grundsatz, dass die EU-Rechtsakte ihren Anwendungsbereich selbst festlegen, sondern führt bei unterschiedlichen Qualifikationsentscheidungen in den Mitgliedstaaten zu einem je nach forum variierenden Anwendungsbereich der EU-Rechtsakte. Bereits dogmatisch erscheint es kaum hinnehmbar, dass die Anwendbarkeit europäischer Verordnungen und damit der Zugang zum EU-Recht von nationalen Sichtweisen abhängig sein sollen. Abgesehen davon drohen bei einer solchen jeweils nationalen „hinkenden“ Qualifikation auch Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung. Eine national unterschiedliche Auslegung des Anwendungsbereichs des EU-IPR stellt geradezu eine Einladung zum forum shopping dar, das dadurch hervorgerufene Fehlen eines internationalen Entscheidungseinklangs wird spätestens auf Ebene der Anerkennung zu einem Problem nicht nur für die beteiligten Personen, sondern auch für die beteiligten Rechtsordnungen. Darüber hinaus bestehen gravierende Schwierigkeiten bezüglich der Rechtssicherheit. Bereits die grundlegende Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und die Veränderung mancher Positionen im Laufe der Zeit (so etwa in jüngerer Vergangenheit in Deutschland und Österreich im Hinblick auf die gleichgeschlechtliche Ehe) führen zu einer höchst komplexen, unüberschaubaren und wenig vorhersehbaren Situation. Hinzu tritt, dass die Reichweite des bei der Qualifikation im Rahmen europäischer Verordnungen zugrundezulegenden Ehebegriffs nicht nur in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich interpretiert wird, sondern auch innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen teils höchst umstritten ist. Wie eine Entscheidung im Einzelfall ausfallen wird, lässt sich nur begrenzt vorhersagen. Das ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die europäischen Rechtsanwender äußerst unbefriedigend – und dies um so mehr, als auch langfristig kaum Hoffnung auf eine Klärung besteht. Der übliche Weg zur Beantwortung offener Fragen in den EU-Kollisionsrechtsakten, die Vorlage an den EuGH, dürfte nämlich versperrt sein: Stellt man sich auf den Standpunkt, die Qualifikation als „Ehe“ sei Sache des nationalen Rechts, muss man konsequenterweise auch die Entscheidungskompetenz des EuGH in dieser Beziehung verneinen. Damit bleiben allerdings wesentliche Entscheidungen im Bereich des EUKollisionsrechts dauerhaft den untereinander und in sich uneinheitlichen nationalen Rechtsordnungen überlassen, ohne europäische Kontroll- oder Lenkungsmöglichkeit. Mit Inkrafttreten der beiden Verordnungen zum Güterkollisionsrecht ist eine weitere Problemdimension hinzugetreten. Bei den früheren Rechtsakten war die Qualifikation als „Ehe“ nur maßgeblich für die Abgrenzung des An446

Vgl. Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 11.

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wendungsbereichs der europäischen Verordnungen gegenüber dem nationalen Recht. Bei den güterrechtlichen Verordnungen dient sie hingegen auch und vor allem der Abgrenzung der beiden europäischen Rechtsakte untereinander: Die Qualifikation als „Ehe“ oder als „eingetragene Partnerschaft“ trennt die Anwendungsbereiche der beiden parallelen Verordnungen. In der ganz überwiegenden Mehrzahl der streitigen Fälle geht es um genau diese Entscheidung, ob eine jedenfalls registrierte Verbindung unter den spezielleren und engeren Ehebegriff subsumiert und der GüVO zugewiesen werden kann oder „nur“ als Partnerschaft einzustufen und nach der PartVO zu beurteilen ist. Für diese Abgrenzungsentscheidung zwischen zwei europäischen Rechtsakten unterschiedliche nationale Begriffsverständnisse zugrunde zu legen, erscheint bereits grundsätzlich mehr als fragwürdig. Noch misslicher ist, dass die Qualifikation als Partnerschaft anhand einer europäischen Begriffsdefinition erfolgt – bei der Abgrenzung der Rechtsakte voneinander also europäische und nationale Begriffsverständnisse miteinander koordiniert werden müssen. Der Rückgriff auf das nationale Begriffsverständnis für die Qualifikationsentscheidung im Rahmen der Anwendung von EU-Rechtsakten stellt sich damit als mindestens unglücklich dar. War er für einzelne Rechtsakte noch handhabbar, muss dieser Ansatz spätestens bei einem immer weiter ausgebauten europäischen Kollisionsrechtssystem an seine Grenzen stoßen. Wenn immer mehr europäische Regelungen das Vorliegen einer „Ehe“ voraussetzen, die Interpretation dieses zentralen Begriffs aber den nationalen Rechten mit ihren äußerst unterschiedlichen Auffassungen überlassen, drohen nicht nur Unklarheiten bei der Anwendung der einzelnen Rechtsakte, sondern auch eine Zersplitterung des EU-Kollisionsrechts. Solange es an einer einheitlichen Definition des Ehebegriffs für die europäischen Kollisionsregeln fehlt, besteht das Risiko ihrer national divergierenden Auslegung und Anwendung.447 Dies ist gerade im Hinblick auf den Anwendungsbereich der IPRVerordnungen ein massives Problem, das ihre Effektivität und Akzeptanz deutlich zu beeinträchtigen droht: Das Fehlen einer klaren Definition des Ehebegriffs wird zu Recht als „Schwachstelle“ der Kollisionsrechtsverordnungen kritisiert.448 Die Lösung liegt zumindest rechtstechnisch auf der Hand. Lässt sich die Qualifikationsentscheidung über die „Ehe“ im europäischen IPR auf Dauer kaum sinnvoll auf nationale Interpretationen stützen, muss ihr ein einheitliches europäisches Begriffsverständnis zugrundegelegt werden. Diesen Bedarf illustriert nicht zuletzt, dass die Vertreter aller Auffassungen zumeist die eigene Lösung als für ganz Europa bzw. das ganze EU-IPR vorzugswürdig darstellen. Für eine solche europäisch-autonome Auslegung streiten die besseren Argumente. Sie gewährleistet die einheitliche Anwendung der europäischen Kolli447 448

Vgl. Corneloup / Hammje Art. 3 Rome III Rn. 3.19. Rudolf ZfRV 2017, 171, 174. – Kritisch auch Köhler in: Dutta / Weber, 147, Rn. 16.

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sionsregeln, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sowie den Entscheidungseinklang innerhalb der Mitgliedstaaten. Da die autonome Qualifikation im europäischen IPR den Grundsatz darstellt, wäre ein Verzicht auf die derzeitige problematische Ausnahmeregelung für den Ehebegriff auch systematisch naheliegend. Zu entscheiden wäre lediglich, ob eine solche europäische Interpretation der „Ehe“ jeweils verordnungsautonom oder aber rechtsaktübergreifend zu entwickeln wäre; im Interesse der Kohärenz der Rechtsakte erscheint zumindest auf lange Sicht eine allgemeine und dynamisch-entwicklungsoffene Begriffsbildung auf europäischer Ebene wünschenswert.449 Ein europäischer Ehebegriff im Rahmen der Qualifikation wäre auch – anders, als häufig behauptet – mit der bewussten Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, Statusentscheidungen weiterhin den Mitgliedstaaten zu überlassen, vereinbar. Denn bei der Qualifikation, gerade wenn sie für den Anwendungsbereich einer Verordnung relevant ist, geht es anders als bei der Vorfrage gerade nicht um den Status an sich und seine Wirksamkeit: Im Gegensatz zur Vorfrage „ist die Ehe wirksam?“ lautet die Qualifikationsfrage schlicht „kann man dieses Rechtsinstitut als Ehe i. S. d. Verordnung bezeichnen?“. Dass diese Fragen unterschiedlich behandelt werden können, zeigt eindrucksvoll die PartVO. Diese liefert mit ihrer Legaldefinition der „eingetragenen Partnerschaft“ eine einheitliche Entscheidungsgrundlage für alle europäischen Rechtsanwender, wenn es auf der Ebene des Anwendungsbereichs darum geht, ob eine Verbindung als Partnerschaft im Sinne der Verordnung zu qualifizieren ist. Schließt sich bei Anwendung der Kollisionsregeln der PartVO die Vorfrage an, ob die eingetragene Partnerschaft tatsächlich wirksam ist (und ob bzw. inwieweit sie anzuerkennen ist), ist dafür aber ebensowenig auf die Legaldefinition zurückzugreifen wie diese eine Anerkennung der Partnerschaft bzw. des dadurch vermittelten Status impliziert – diese Aspekte bleiben weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen. Eine entsprechende Lösung ließe sich auch für den Ehebegriff in der Rom III-VO und der GüVO (sowie der Brüssel IIa-VO bzw. Brüssel IIb-VO) etablieren.450 Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint die klare Festlegung eines europäischen Ehebegriffs, sei es auch nur zu Qualifikationszwecken, jedoch allenfalls als wünschenswerte Zukunftsmusik. Zwar wurden und werden diverse Vorschläge für ein einheitliches unionsautonomes Verständnis der „Ehe“ unterbreitet.451 In Betracht käme gegebenenfalls auch, zumindest einen europäischen Kernbegriff (z. B. monogame heterosexuelle Ehe) festzulegen und den Mitgliedstaaten die Option zur Erweiterung durch „Zusatzbausteine“ (z. B. polySo auch Bonomi in: Dutta / Weber, 123, Rn. 29. Vgl. Erw. 64 GüVO, nach dem die Anerkennung güterrechtlicher Entscheidungen explizit nicht die Anerkennung der zugrundeliegenden Ehe impliziert. 451 So etwa Thurm 152 ff., 218 ff. (europäischer Ehebegriff unter Einschluss polygamer, aber derzeit [bedauernd] noch unter Ausschluss gleichgeschlechtlicher Ehen). 449 450

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game Ehe, gleichgeschlechtliche Ehe) zu bieten – damit würde der derzeitige Rechtszustand inhaltlich nicht verändert, aber zumindest kategorisiert und durch klare Stellungnahmen der Mitgliedstaaten übersichtlicher. Rechtspolitisch scheint in Anbetracht der bestehenden und sich eher noch verhärtenden Fronten allerdings auf absehbare Zeit jeder Vorstoß aussichtslos; die Zurückhaltung des EU-Gesetzgebers ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Vorerst muss es daher dabei bleiben, dass die Frage nach der Qualifikation als „Ehe“ nur nach nationalen Maßstäben beantwortet werden kann. Der Verzicht auf ein europaweit einheitliches Verständnis führt aber nicht nur zu erheblichen Unwägbarkeiten bei der Anwendung der einzelnen Rechtsakte. Er ist mit wachsender Vereinheitlichung des Kollisionsrechts auch systematisch immer weniger haltbar: Das IPR „rund um die Ehe“ zu europäisieren, ohne diesen fundamentalen Begriff klar zu umreißen, wird zunehmend schwierig. Die Uneinigkeit über den zugrundezulegenden Ehebegriff erweist sich immer mehr als Hindernis für die Weiterentwicklung des EU-IPR insgesamt. 2. Privatscheidung als Scheidung? Die Scheidung ist in Europa und der westlichen Welt traditionell Aufgabe der Gerichte. Andere Scheidungsmodelle fremder Rechtsordnungen, insbesondere nur auf der Willenserklärung eines oder beider Ehegatten beruhende Privatscheidungen, stellten auch in kollisionsrechtlichen Fällen eher seltene Exoten dar, denen im mitgliedstaatlichen Internationalen Scheidungsrecht keine besondere Rechnung getragen wurde. In jüngerer Zeit hat sich dies jedoch gewandelt: Zum einen steigt aufgrund erhöhter Migration die Zahl der Fälle, in denen mitgliedstaatliche Gerichte mit Privatscheidungen konfrontiert werden, zum anderen werden außergerichtliche Scheidungsformen weltweit immer populärer und sind inzwischen auch in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehen (dazu a)). Die Frage nach ihrer kollisionsrechtlichen Behandlung wird damit drängender (dazu b)). Aus Sicht des EU-IPR wirft sie die zentrale Frage auf, ob auch Privatscheidungen „Scheidungen“ i. S. d. Rom IIIVO darstellen (dazu c)). Dabei handelt es sich um eine klassische Qualifikationsfrage, die aus europäisch-autonomer Warte beantwortet werden muss und auf die der EuGH bisher nur eine partielle Antwort gegeben hat. Nach wie vor sind zahlreiche Fragen offen, was die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender, aber auch die betroffenen Paare vor Schwierigkeiten stellt (dazu d)). a) Problem: Außergerichtliche Scheidungen Der Begriff „Privatscheidung“ bildet als allgemeiner Oberbegriff zunächst einmal das Gegenstück zur „staatlichen Scheidung“.452 Bei letzterer ist die Mitwirkung einer staatlichen Stelle für die Scheidung konstitutiv: Erst durch 452

Grundlegend zur Abgrenzung Gärtner 3 ff.

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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deren Handeln wird sie vollzogen bzw. wirksam. Aufgrund dieses zwingenden hoheitlichen Scheidungsverfahrens spricht man auch von „Verfahrensscheidungen“. Mit deren Vornahme betraut sind regelmäßig die Gerichte des betreffenden Staats. Auch durch Verwaltungsbehörden vorgenommene Scheidungen werden eindeutig als Verfahrensscheidungen eingestuft. Gewissermaßen als verlängerter Arm des Staats können als staatliche Stellen aber auch andere Akteure fungieren, sofern die betreffende Rechtsordnung ihnen diese Rolle zuweist und der Staat sie zum Handeln in hoheitlicher Funktion autorisiert. Beispiele hierfür sind religiöse Gerichte, denen staatlicherseits die Ausübung hoheitlicher Kompetenz in Scheidungssachen zugewiesen wird, beispielsweise in Israel453 oder in islamisch geprägten Staaten. Das Modell der Verfahrensscheidung unter zwingender Beteiligung staatlicher bzw. staatlich autorisierter Akteure ist allen europäischen Rechtsordnungen bekannt und weltweit verbreitet; es entspricht einerseits dem säkularisierten Eheverständnis der westlichen Welt, andererseits dem Gedanken staatlicher Kontrolle über Statusentscheidungen. Im Gegensatz dazu sind Privatscheidungen alle Scheidungen, bei denen die Mitwirkung einer staatlichen Stelle nicht konstitutiv ist, deren Wirksamkeit also keinen staatlichen „Scheidungsausspruch“ erfordert. Vielmehr genügt die privatautonome Willenserklärung eines oder beider Ehegatten, um das Eheband rechtlich verbindlich zu durchtrennen.454 Diese Konzeption der Scheidung wird vielfach mit religiös geprägtem Eherecht in Verbindung gebracht und mit der einseitigen Scheidungsmöglichkeit für den Ehemann assoziiert. Tatsächlich gibt es aber kein homogenes Konzept der Privatscheidung, sondern es werden sehr unterschiedliche Modelle unter dem Dach dieses Oberbegriffs zusammengefasst.455 Materiell-rechtlich kann eine Privatscheidung entweder durch einseitige Willenserklärung nur eines Ehegatten möglich sein oder aber als Konsensualscheidung die Zustimmung beider Ehegatten erfordern. Prominentestes Beispiel einer einseitigen Scheidungsmöglichkeit ist die talaq-Scheidung durch einseitige Erklärung des Ehemanns (sogenannte Verstoßung), die vom islamischen Recht geprägte Rechtsordnungen, etwa das iranische, das marokkanische oder das libanesische Recht kennen.456 Auch die jüdisch-rechtliche get453 454

6/16.

BGH 28.5.2008 – XII ZR 61/06, Rn. 30; Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 741. Vgl. BGH 21.2.1990 – XII ZB 203/87; jüngst OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-13 VA

455 Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei Gärtner 7 ff.; Martiny StAZ 2011, 197, 198 ff. 456 Siehe zu den unterschiedlichen Scheidungsmodellen islamischer Länder Yassari in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig, 315, 315 ff. sowie umfassend zur Scheidung nach der Scharia Kruiniger 57 ff. (zum talaq 71 ff.) mit Länderberichten zu Ägypten, Iran, Marokko und Pakistan (113 ff.). Zum Umgang mit dem talaq unter der Rom III-VO grundlegend Möller JPIL 10 (2014), 461, 461 ff., mit Darstellung jüngerer Entwicklungen des islamischen Scheidungsrechts (470 ff., speziell zum talaq 473 ff.)

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Scheidung durch Übergabe des Scheidungsbriefs (get) vom Ehemann an die Ehefrau vor dem Rabbinatsgericht457 wird vielfach genannt. Beispiele für die einseitige Lösungsmöglichkeit der Ehefrau sind dagegen nicht bekannt und dürften allenfalls in einzelnen Stammesrechten existieren. Der einseitige Ausspruch des talaq durch den Ehemann kann allerdings durchaus auf Grundlage einer vorangegangenen Einigung der Ehegatten erfolgen, etwa bei der khulScheidung (sogenannte Loskaufsscheidung auf Wunsch der Ehefrau)458 oder der mubaraa-Scheidung (sogenannte Loskaufsscheidung auf beidseitigen Wunsch)459. Demgegenüber erfolgt eine einvernehmliche Vertragsscheidung aufgrund eines Konsenses beider Ehegatten: Die Ehe wird aufgrund einer diesbezüglichen rechtsgeschäftlichen (vertraglichen bzw. vertragsähnlichen460) Einigung der Ehegatten aufgelöst (daher auch „Konventionalscheidung“). Besonders verbreitet ist diese Form der Scheidung traditionell in Ostasien, vorgesehen ist sie etwa in Japan461, Südkorea462, Taiwan463 und Thailand464.465 Verfahrensrechtlich ist danach zu differenzieren, ob neben die privatautonomen Erklärungen der Ehegatten die Beteiligung einer weiteren Stelle tritt. Zwar ist diese bei einer Privatscheidung gerade nicht konstitutiv für die Wirksamkeit des Scheidungsakts – sie kann aber dennoch gefordert werden, etwa zu Bestätigungs- oder Dokumentationszwecken. Eine solche deklaratorische Mitwirkung kann beispielsweise in der anschließenden Beurkundung oder Registrierung der zwischen den Ehegatten vorgenommenen Scheidung liegen. Ihr Ziel ist neben der „Bestätigung“ vor allem die Publizität der im Verhältnis der Ehegatten vollzogenen Scheidung – die Änderung des Personenstandes wird öffentlich und offenkundig gemacht, sodass sie zuverlässig für Dritte (insbesondere weitere staatliche Stellen) erkennbar ist. Dementsprechend sehen heute fast alle Rechtsordnungen, die eine Privatscheidung kennen, die deklaratorische Mit457 BGH 28.5.2008 – XII ZR 61/06; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom IIIVO Rn. 9 m. w. N.; Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 742 f. 458 Kruiniger 85 ff. – Zur Loskaufsscheidung nach ägyptischem Recht OLG Koblenz 19.9.2012 – 13 UF 1086/11. 459 Kruiniger 93 ff. 460 Die exakte Rechtsnatur differiert je nach Rechtsordnung; die deutsche Rechtsprechung hat Konventionalscheidungen bisher als „vertragsähnlichen rechtsgeschäftlichen Konsens“ eingestuft (BGH 21.2.1990 – XII ZB 203/87). 461 Art. 763 ff. Zivilgesetz vom 17.4.1896 und 21.6.1989, B / F / H Japan (Stand: 30.6.2011), 65 ff. – Siehe dazu Nishitani IPRax 2002, 49, 49 f. 462 Art. 834 ff. Bürgerliches Gesetzbuch vom 22.2.1958 i. d. F. vom 13.1.1990, B / F / H Korea, Republik (Stand: 31.12.1992), 43 ff. 463 §§ 1049 ff. Bürgerliches Gesetzbuch vom 23.5.1929, B / F / H Republik China (Taiwan) (Stand: 1.5.2014), 124 ff. 464 Sec. 1514 ff. Zivil- und Handelsgestzbuch vom 11.11.1924, B / F / H Thailand (Stand: 1.10.2015), 48 ff. 465 Siehe die Aufzählung bei MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 10 m. w. N.; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 17 EGBGB Rn. 59 ff.

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wirkung einer öffentlichen Stelle vor, sei es eine staatliche (etwa ein Gericht oder eine Behörde) oder aber eine nicht staatliche Stelle (etwa ein geistliches Gericht466). Eine reine Privatscheidung, die nur zwischen den Ehegatten und vollkommen ohne eine auch nur nachträgliche deklaratorische Behördenbeteiligung erfolgt, ist dagegen nur wenigen Rechtsordnungen bekannt.467 Entgegen der landläufigen Assoziationen ist die Privatscheidung also mitnichten in allen Fällen ein archaisch anmutendes, einen „passiven“ Ehegatten benachteiligendes Instrument. Im Gegenteil bietet sie in Form der einverständlichen Vertragsscheidung scheidungswilligen Ehegatten die Möglichkeit einer privatautonomen, gegenüber einer gerichtlichen Scheidung kosten- und zeitsparenden und vor allem nicht streitigen Auflösung des Ehebandes; staatlichen Kontrollinteressen wird dabei durch das Erfordernis einer deklaratorischen Registrierung Rechnung getragen. Dementsprechend hat sich in den letzten Jahren die Privatscheidung von einer außereuropäischen Rechtsfigur zu einem zunehmend auch europäischen Phänomen gewandelt.468 Bis vor wenigen Jahren boten die europäischen Rechtsordnungen abgesehen von wenigen punktuellen Ausnahmen469 keine Alternativen zum Modell der staatlichen Verfahrensscheidung an. Seit 2014 haben aber mehrere EU-Mitgliedstaaten als Alternative zur gerichtlichen Scheidung die Möglichkeit einer einvernehmlichen außergerichtlichen Scheidung eingeführt: Beispielsweise in Italien470, Spanien471 und Frankreich472 können Paare ihre Ehe durch einver466 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 9. – Für die zwingend erforderliche Mitwirkung des religiösen Gerichts bei Scheidung nach religiösem Recht in Israel Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 742 f. 467 Staudinger / Spellenberg (Neubearb. 2016) § 107 FamFG Rn. 67 nennt als einziges Beispiel afrikanische Gewohnheitsrechte. 468 Vgl. Althammer NZFam 2018, Editorial Heft 3. 469 So die in den Niederlanden durchaus beliebte, aber im Jahr 2009 abgeschaffte „Blitzscheidung“ (durch Umsetzung der Ehe in eine registrierte Partnerschaft, die anschließend ohne gerichtliche Mitwirkung vom Standesbeamten aufgelöst wurde, vgl. Boele-Woelki in: FS Coester-Waltjen, 349, 350; Breemhaar in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig, 199, 216) oder die für Griechen muslimischen Glaubens in Thrakien bestehende Möglichkeit einer Scheidung nach islamischem Familienrecht (Antomo NZFam 2018, 243, 247). 470 Decreto-legge 12 settembre 2014, n. 132 Misure urgenti di degiurisdizionalizzazione ed altri interventi per la definizione dell’arretrato in materia di processo civile. – Siehe dazu MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 11; Cubeddu Wiedemann /  Henrich FamRZ 2015, 1253, 1253 ff.; Jayme / Liberati Buccianti IPRax 2022, 74, 74 ff.; C. Mayer StAZ 2018, 106, 108 f.; Patti in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig, 105, 106 ff.; Scalzini StAZ 2016, 129, 129 ff. 471 Ley 15/2015, de 2 de julio, de la Jurisdicción Voluntaria. – Siehe dazu Ferrer Riba in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig, 119, 122 ff.; Henrich FamRZ 2015, 1572, 1572 f.; C. Mayer StAZ 2018, 106, 109. 472 Art. 229-1 ff. C.civ., eingeführt mit Art. 50 loi n°2016-1547 du 18 novembre 2016 de modernisation de la justice du XXIe siècle. – Siehe dazu MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 11; Ferrand in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig,

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

nehmliche private Erklärung mit anschließender Registrierung auflösen.473 Je nach Rechtsordnung und Konstellation (insbesondere bei Vorhandensein minderjähriger Kinder) findet eine gewisse staatliche Kontrolle durch die Beteiligung von z. B. Standesbeamten, Notaren oder Staatsanwälten und die zwingende anwaltliche Vertretung der Ehegatten statt, weshalb die Einordnung dieser Modelle als Privatscheidung teils bestritten wird.474 Den Kern der Scheidung bildet aber jeweils der Konsens der (Noch-)Ehegatten, auf ein gerichtliches Verfahren und einen richterlichen Scheidungsausspruch wird gerade verzichtet, sodass eine Einordnung als Privatscheidung überzeugt. Auch in anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, z. B. den Niederlanden,475 gibt es vergleichbare Überlegungen zur Einführung einer privatautonomen Scheidung mit nur deklaratorischer staatlicher Beteiligung. Bisher und wohl auch in näherer Zukunft innerhalb Europas nicht möglich ist allerdings eine rein private Scheidung ohne jegliche behördliche Mitwirkung.476 In zahlreichen Rechtsordnungen Europas ist demgegenüber nach wie vor die gerichtliche Verfahrensscheidung das einzig vorgesehene Scheidungsmodell. So lehnt das deutsche Recht Privatscheidungen nach wie vor strikt ab: Verschiedene Vorschläge, einvernehmliche Scheidungen durch den Standesbeamten durchführen zu lassen – gewissermaßen als actus contrarius zur Eheschließung – sind in Deutschland bisher erfolglos geblieben.477 Nach wie vor bedeutet das Scheidungsmonopol des § 1564 S. 1 BGB, dass ein Scheidungs145, 167 ff.; C. Mayer StAZ 2018, 106, 109 f.; Nicolas-Vullierme / Heiderhoff StAZ 2018, 361, 361 ff. – Auf die für das IZVR und IPR aufgeworfenen Probleme geht Hammje Rev. Crit. DIP 2017, 143, 143 ff. ein, zur Anwendung in grenzüberschreitenden Situationen aus europarechtlicher Sicht kritisch Khairallah in: FS Ancel, 965, 965 ff. 473 Siehe den Entwicklungsbericht bei C. Mayer StAZ 2018, 106, 107 ff. sowie die Aufzählung zumindest teils als Privatscheidungen eingestufter mitgliedstaatlicher Scheidungsmodelle bei MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 10, jeweils m. w. N. (Belgien, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Niederlande, Österreich, Portugal, Rumänien, Spanien, Slowenien). 474 Vgl. Antomo NZFam 2018, 243, 247; zurückhaltend etwa MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 10 ff., dessen strikte Differenzierung zu teils nicht überzeugenden Ergebnissen führt (etwa, dass italienische oder griechische Konventionalscheidungen für kinderlose Paare Privatscheidungen sein sollen, nicht jedoch bei Vorhandensein minderjähriger Kinder); für die italienische und spanische Scheidung ablehnend auch BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 36.4, Art. 3 Rom IIIVO 15 ff. – Im Kontext der Brüssel IIa-VO hat die Frage für die standesamtliche italienische Privatscheidung jüngst der BGH dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt (BGH 28.10.2020 – XII ZB 187/20); die Einstufung als „Entscheidung“ i. S. d. Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO durch den EuGH (EuGH 15.11.2022 – C-646/20, Senatsverwaltung für Inneres und Sport) spricht gegen eine Einordnung als Privatscheidung. 475 Siehe dazu C. Mayer StAZ 2018, 106, 115; Breemhaar in: Dutta / Schwab / Henrich /  Gottwald / Löhnig, 199, 216 ff. 476 M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 231.

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ausspruch nach deutschem Recht nur durch ein Gericht erfolgen kann. Auch in Österreich hält man an der gerichtlichen Scheidung als einzige Scheidungsmöglichkeit fest (§ 46 EheG).478 Alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sind jedoch mit der Frage konfrontiert, wie Privatscheidungen kollisionsrechtlich zu behandeln sind. Diese Frage wird aufgrund wachsender grenzüberschreitender Mobilität praktisch zunehmend häufiger und wichtiger. Sie kann sich direkt oder indirekt stellen. Ersteres ist der Fall, wenn eine Ehe mit Auslandsbezug im Inland geschieden werden soll und sich die Frage nach dem anwendbaren Scheidungsstatut und dem von diesem vorgesehenen „Format“ der Scheidung stellt. Zweiteres betrifft dagegen die Situation einer im Ausland bereits vorgenommenen Privatscheidung, deren Wirksamkeit im Inland geltend gemacht bzw. bestritten wird: Auch bei der (Nicht-)Anerkennung einer ausländischen Scheidung kann die Ermittlung des aus der Perspektive der lex fori des Anerkennungsstaats anwendbaren Rechts eine Rolle spielen (siehe Teil III: § 9.II.1.c), S. 559 ff.). In beiden Szenarien stellt sich die Frage nach den für die Privatscheidung maßgeblichen Kollisionsregeln. Bis zur Europäisierung des Scheidungskollisionsrechts waren diese schlicht dem autonomen (Scheidungs-)IPR zu entnehmen (dazu sogleich b)). Ob nunmehr auch eine Privatscheidung eine „Scheidung“ i. S. d. Rom III-VO darstellt und europäisch anzuknüpfen ist oder vielmehr dem nationalen IPR verbleibt, ist ein klassisches Qualifikationsproblem – dessen Antwort auf europäischer Ebene zu geben ist (dazu c)). b) Einordnung im nationalen IPR Im nationalen autonomen IPR vor Inkrafttreten der Rom III-VO fand man nur in seltenen Fällen explizite Kollisionsregeln für den Umgang mit (ausländischen) Privatscheidungen. Stattdessen wurde zumeist auf die allgemeinen Scheidungskollisionsregeln zurückgegriffen, die auf Privatscheidungen mit den gegebenenfalls erforderlichen Modifikationen angewendet wurden: Die „Privatscheidung“ wurde als (Unterfall der) „Scheidung“ qualifiziert und damit dem Scheidungsstatut zugeordnet. Diese Herangehensweise war weitgehend unstreitig und unproblematisch. In Deutschland kam damit – sofern nicht bilaterale staatsvertragliche Regelungen Anwendung begehrten – für Privat- genau wie für Verfahrensschei-

477 Heiderhoff StAZ 2011, 262, 262 ff.; Helms FamRZ 2001, 257, 259; Schwenzer in: FS Henrich, 533, 533 ff. – Eine sehr differenzierende Analyse auch unter Einbeziehung kultureller und menschenrechtlicher Aspekte nimmt Gärtner 98 ff. vor, die sich im Ergebnis vorsichtig für die Möglichkeit einer nicht-gerichtlichen, aber immer noch durch staatliche Hoheitsträger durchgeführten Scheidung ausspricht. – Äußerst kritisch etwa G. Otto StAZ 1999, 162, 162 ff. 478 Ferrari in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig, 57, 59.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

dungen Art. 17 Abs. 1 EGBGB a. F. zur Anwendung.479 Das Scheidungsstatut entsprach dem gemäß Art. 14 EGBGB a. F. zu bestimmenden allgemeinen Ehewirkungsstatut im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags, ergänzt durch ein „Deutschenprivileg“ für den Fall der Nichtscheidbarkeit der Ehe nach dem so ermittelten Statut. Praktisch konnten und können Privatscheidungen aus deutscher Sicht jedoch nur in reinen Auslandsfällen rechtliche Bedeutung erlangen. Unabhängig vom Scheidungsstatut können Inlandsscheidungen prozessual nur vor einem deutschen Gericht wirksam erfolgen: Das insofern verfahrensrechtlich zu qualifizierende Scheidungsmonopol des § 1564 S. 1 BGB verbietet Privatscheidungen im Inland unabhängig vom anwendbaren materiellen Scheidungsrecht.480 Flankiert wird diese Vorschrift durch Art. 17 Abs. 3 EGBGB (früher Art. 17 Abs. 2 EGBGB a. F.), der das Scheidungsmonopol deutscher Gerichte für Inlandsscheidungen auch kollisionsrechtlich verankert.481 Eine ganz oder zum (konstitutiven) Teil in Deutschland vorgenommene Privatscheidung ist damit aus Sicht des deutschen Rechts unwirksam.482 Materiell-rechtlich statuiert § 1564 S. 1 BGB das Gerichtsmonopol als Teil des deutschen Scheidungsstatuts und steht damit der Wirksamkeit einer Privatscheidung immer dann entgegen, wenn auf die Scheidung deutsches Recht anwendbar ist – unabhängig vom Scheidungsort und dem Vorliegen von Scheidungsgründen.483 Weder in Deutschland nach ausländischem Recht noch im Ausland nach deutschem Scheidungsstatut sind wirksame Privatscheidungen aus deutscher Sicht möglich. Nur in einer Konstellation können Privatscheidungen nach deutschem IPR rechtliche Wirkung entfalten: Wenn sie im Ausland nach einem (aus deutscher Sicht anwendbaren) ausländischen Recht vorgenommen werden.484 Die Ermittlung des ScheiVgl. Andrae / Heidrich für 2004, 292, 292; R. Wagner FamRZ 2006, 744, 747. BGH 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, sub III.3.b)aa). – Zur Doppelnatur des § 1564 S. 1 BGB siehe etwa Antomo NJW 2018, 435, 435. – Zur Problematik der Anwendung (nur) die Privatscheidung vorsehenden fremden Rechts durch deutsche Gerichte siehe nur Gärtner 67 ff. 481 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 21 ff.; Antomo NJW 2018, 435, 435. – Jüngst OLG Hamburg 25.10.2019 – 12 UF 220/17, Rn. 19 ff.: Das Scheidungsmonopol des § 1564 BGB i. V. m. Art. 17 Abs. 3 EGBGB steht auch einer Leistungsklage entgegen, mit der die in einer Scheidungsfolgenvereinbarung vereinbarte „Mitwirkung bei der Durchführung der iranischen / religiösen Scheidung“ im Nachgang zur rechtskräftigen deutschen gerichtlichen Scheidung erstritten werden soll. – Ausführlich zur Qualifikation der Regelung und ihrem Verhältnis zur Rom III-VO Ziereis / Zwirlein IPRax 2016, 103, 103 ff. 482 Siehe detailliert und differenzierend MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 24 ff.; Gärtner 44 ff. 483 BGH 21.2.1990 – XII ZB 203/87, sub III.2.d); dem folgend z. B. OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14, Rn. 54 sowie OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 28; OLG München 1.4.2015 – 34 Wx 15/13. 484 Antomo NJW 2018, 435, 435; Helms FamRZ 2011, 1765, 1766; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 704. – Dabei müssen alle zur Scheidung notwendigen Akte 479 480

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dungsstatuts nach deutschem Kollisionsrecht erfolgt in diesen Fällen und damit in der überwiegenden Zahl der Privatscheidungs-Fälle in der Regel im Rahmen der anschließenden Anerkennung der Privatscheidung in Deutschland nach §§ 107 ff. FamFG, bei der inzident das anwendbare Recht überprüft wird (sogenannte „kollisionsrechtliche Anerkennung“, siehe dazu Teil III: § 9.II.1.c), S. 559 ff.). Nach österreichischem IPR wurden Scheidungen gemäß § 20 i. V. m. §§ 18, 9 öIPRG dem (letzten) gemeinsamen Personalstatut der Ehegatten (und damit dem Staatsangehörigkeitsrecht), ersatzweise dem Recht des (letzten) gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten unterstellt, eine Rechtswahlmöglichkeit war nicht vorgesehen. Dementsprechend konnten im Ausland nach fremdem Scheidungsstatut vorgenommene Privatscheidungen als wirksam betrachtet werden. Der Akzeptanz von im Inland vorgenommenen Privatscheidungen stand jedoch auch bei ihrer Gestattung durch das Scheidungsstatut nach herrschender Auffassung der ordre public bzw. das Scheidungsmonopol des § 46 EheG entgegen.485 Die einseitige und der französischen lex fori weiten Raum verschaffende Scheidungskollisionsregel des Art. 309 C.civ. wurde ebenfalls auch auf Privatscheidungen angewendet, auch wenn sie sich dafür nur bedingt geeignet erwies.486 c) Einordnung im EU-IPR Durch die Rom III-VO wurde das Scheidungskollisionsrecht zumindest für die an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten europäisiert. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-IPR lösen die europäischen Kollisionsregeln die des autonomen IPR ab, soweit der Anwendungsbereich der Rom III-VO reicht. In räumlicher Hinsicht stellt dies nicht vor Schwierigkeiten: Anders als die verfahrensrechtliche Brüssel IIa-VO erfordert die kollisionsrechtliche Rom III-VO keine Differenzierung nach Mitglied- und Drittstaaten. Unabhängig von der geographischen Lokalisation des zu beurteilenden Sachverhalts sind ihre Kollisionsregeln als loi uniforme (Art. 4 Rom III-VO) von allen teilnehmenden Mitgliedstaaten anzuwenden. Scheidungen aus europäischen und außereuropäischen Staaten sind kollisionsrechtlich gleich zu behandeln. im Ausland vollzogen werden, vgl. OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-13 VA 6/16. – Als Inlandsscheidungen anzusehen (und damit dem Gerichtsmonopol des Art. 17 Abs. 3 EGBGB [Art. 17 Abs. 2 EGBGB a. F.] unterworfen) sind auch Scheidungen vor ausländischen Botschaften oder Konsulaten in Deutschland, vgl. OLG Nürnberg 10.5.2016 – 7 WF 550/16 (Privatscheidung eines thailändischen Ehepaares vor dem Königlich Thailändischen Generalkonsulat in Frankfurt a.M.). 485 Gitschthaler / Rudolf Art. 1 Rom III-VO Rn. 10; Nitsch ZfRV 2012, 264, 264; Traar ÖJZ 2011, 805, 807. 486 Vgl. Mayer / Heuzé / Remy Rn. 616 ff.

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In sachlicher Hinsicht war jedoch lange Zeit umstritten, ob der Anwendungsbereich der Rom III-VO alle Arten von Scheidungen erfassen oder aber auf Verfahrensscheidungen begrenzt sein sollte. Anders gesagt: Offen war, welcher Scheidungsbegriff in der Rom III-VO zugrundezulegen ist und ob Privatscheidungen für das europäische Kollisionsrecht als „Scheidung“ i. S. d. Rom III-VO qualifiziert werden können. Damit blieb unklar, ob auch für Privatscheidungen das autonome IPR durch die europäischen Anknüpfungsregeln abgelöst wurde oder ob nicht weiterhin die nationalen Regelungen anwendbar blieben. Nach einer längeren Phase der Unsicherheit hat der EuGH mit seiner Sahyouni-Entscheidung zumindest teilweise für Klärung gesorgt. aa) Text der Rom III-Verordnung und Meinungsstreit Fallen Privatscheidungen in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom IIIVO? Dieser erfasst ausweislich Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO „die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen“. Eine Definition der „Ehescheidung“ lässt die Verordnung jedoch vermissen – der Wortlaut des Art. 1 Rom III-VO enthält keine Anhaltspunkte, ob damit lediglich Verfahrensscheidungen oder auch andere Scheidungsmodelle gemeint sein sollen.487 Auch die Begriffsbestimmungen des Art. 3 Rom III-VO enthalten keine Hinweise darauf, welcher Scheidungsbegriff bei der Anwendung der Verordnung zugrunde zu legen ist. Man kann zwar der großzügigen Definition des Begriffs „Gericht“ in Art. 3 Nr. 2 Rom III-VO („alle Behörden der teilnehmenden Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen“) entnehmen, dass die Kollisionsregeln der Verordnung jedenfalls auf alle konstitutiven Scheidungsakte staatlicher Hoheitsträger (Gerichte oder Behörden) anwendbar sein sollen. Die Frage, ob sie auch einseitige oder einverständliche Privatscheidungen – sei es unter deklaratorischer Beteiligung staatlicher Stellen, sei es als reiner Rechtsakt zwischen den Parteien – erfassen sollen oder nicht, bleibt dagegen bei der Gesetzeslektüre offen.488 Richtet man den Blick auf die Entstehungsgeschichte der Verordnung und die Motive des europäischen Gesetzgebers, stellt man fest, dass im Verordnungsgebungsverfahren – ebenso wie bei der Brüssel IIa-VO – das damals noch rein außereuropäische Phänomen der Privatscheidungen nicht in die Überlegungen einbezogen wurde.489 Aus den Materialien lassen sich weder eine positive noch eine negative Entscheidung über seine Aufnahme in die Rom III-VO ableiten. Insofern kann das diesbezügliche Schweigen des EUEuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 37. Hau FamRZ 2013, 249, 250; Pika / Weller IPrax 2017, 65, 69. 489 Vgl. OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14; EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 46. 487 488

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Gesetzgebers auch nicht als „beredtes Schweigen“ in die eine oder andere Richtung interpretiert werden. Vielmehr ist zu konstatieren, dass auch eine historisch-genetische Interpretation nicht zielführend ist. Trotz fehlender eindeutiger Hinweise muss die Qualifikationsfrage, ob auch eine Privatscheidung als „Scheidung“ i. S. d. Rom III-VO anzusehen ist, verordnungsautonom beantwortet werden. Dabei ist auf eine funktionale, im Vergleich zum nationalen Sachrecht eher weite Auslegung zurückzugreifen.490 Für eine Einbeziehung auch von Privatscheidungen in die Rom III-VO streitet dabei zunächst, dass der Begriff „Ehescheidung“ dann nicht auf ein nationales bzw. europäisches Verständnis des Rechtsinstituts beschränkt werden darf, sondern auch ausländische funktionale Entsprechungen aufnehmen muss – so wie man auch bisher im nationalen Kollisionsrecht Privatscheidungen als „Scheidung“ behandelt und die für Verfahrensscheidungen konzipierten Anknüpfungsregeln auf sie angewendet hat (siehe b), S. 157 ff.).491 Auch europäischen Rechtsanwendern unbekannte ausländische Rechtsinstitute müssten im Interesse der umfassenden Harmonisierung des Kollisionsrechts von einem universelle Geltung beanspruchenden Internationalen Scheidungsrecht auf europäischer Ebene erfasst sein.492 So kann das in Erw. 9 Rom IIIVO erklärte Ziel des Verordnungsgebers, einen „umfassenden Rechtsrahmen“ zu schaffen und das Kollisionsrecht der Ehescheidung und -trennung umfassend zu regeln, als Indiz dafür herangezogen werden, dass auch Privatscheidungen erfasst sein sollen.493 Als wesentliches Argument wurde ferner die Vermeidung einer Spaltung des für Scheidungen maßgeblichen Kollisionsrechts angeführt: Die Beurteilung einer Scheidung sollte stets demselben Verweisungsrecht (und damit auch demselben Sachrecht) unterliegen, unabhängig davon, ob es sich um eine Verfahrens- oder eine Privatscheidung handelt. Anderenfalls wären für ein und dasselbe Paar unter Umständen verschiedene Anknüpfungs- und Sachregeln maßgeblich, je nachdem, welches Verfahren es für seine Scheidung wählt. Etwaige Schwierigkeiten aufgrund des Zuschnitts der Rom III-VO auf gerichtliche Verfahrensscheidungen könnten durch eine Anwendung mutatis mutandis vermieden werden.494 Nur wenige Gegenstimmen sprachen sich generell gegen eine Einbeziehung von Privatscheidungen in den Anwendungsbereich der Rom III-VO aus.495 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 3. Raupach 93 f.; Helms FamRZ 2011, 1765, 1766; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 804. 492 Althammer NZFam 2015, 9, 11. 493 de Maizière 122 ff.; Raupach 92 f.; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 704. 494 de Maizière 128 f.; Althammer NZFam 2015, 9, 11 f.; Helms FamRZ 2011, 1765, 1766 f.; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 804. 495 Gruber IPRax 2012, 381, 383; Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 411 f. lehnt die Anwendung auf Privatscheidungen im (hauptsächlich maßgeblichen) Anerkennungskontext ab. 490 491

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Verwiesen wurde insbesondere darauf, die Rom III-VO sei in ihrem Wortlaut und ihrer Konzeption auf konstitutive staatliche, insbesondere gerichtliche, Entscheidungen zugeschnitten und damit nur für diese passend. Auch die ausweislich Erw. 10 Rom III-VO angestrebte Parallele ihres Anwendungsbereichs zu dem der Brüssel IIa-VO, die auf Privatscheidungen nicht anwendbar ist, wurde ins Feld geführt. In Deutschland ging man innerhalb kurzer Zeit mehrheitlich davon aus, Privatscheidungen seien auch unter der Rom III-VO als „Scheidung“ zu qualifizieren – zumindest, wenn (wie in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle) eine Behörde daran registrierend oder anderweitig deklaratorisch beteiligt war.496 Aus deutscher Sicht sprach noch ein weiteres Argument für die Unterstellung von Privatscheidungen unter die Rom III-VO: Damit ließ sich die artifiziell anmutende Unterscheidung zwischen „direkter“ Anwendung des Kollisionsrechts im Scheidungsverfahren ausländischer Ehegatten vor deutschen Gerichten (das als Verfahrensscheidung in jedem Fall nach der Rom III-VO zu beurteilen ist) und „indirekter“ Anwendung im Rahmen der „kollisionsrechtlichen Anerkennung“ im Ausland erfolgter Scheidungen (die als Privatscheidung sonst unter Umständen anderen Kollisionsregeln zu unterstellen wären) vermeiden.497 Auch der deutsche Gesetzgeber schloß sich dieser Auffassung an und ging von einem umfassenden Geltungswillen der Rom III-VO für alle Situationen der kollisionsrechtlichen Beurteilung von Scheidungen, also auch für Privatscheidungen, aus.498 Da damit die bisherige nationale Regelung des Art. 17 Abs. 1 EGBGB a. F. insgesamt obsolet schien,499 wurde sie zum 29.1.2013 ersatzlos gestrichen.500 Der in Art. 17 Abs. 1 EGBGB n. F. aufgenommene ausdrückliche Verweis auf die Rom IIIVO (nur) in Bezug auf die Scheidungsfolgen brachte das Vertrauen der deutschen Legislative auf die flächendeckende Anwendbarkeit der Rom III-VO auf alle Scheidungsmodelle zum Ausdruck.501

BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO 37.2 f.; Rauscher / Helms Art. 1 Rom III-VO Rn. 21; Raupach 93 ff.; Althammer NZFam 2015, 9, 11; Arnold NZFam 2016, 794, 795; Arnold NZFam 2016, 706, 706; Gärtner StAZ 2012, 357, 358 f.; Hau FamRZ 2013, 249, 250; Helms in: FS Coester-Waltjen, 431, 437 f.; Helms FamRZ 2011, 1765, 1766 f.; Majer NZFam 2017, 1010; Makowsky GPR 2012, 266, 268; MörsdorfSchulte RabelsZ 77 (2013), 786, 804; Weller / Hauber / Schulz IPRax 2016, 123, 127; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 704. 497 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 21. 498 BT-Drs. 17/11049, 8, 10. 499 Arnold NZFam 2016, 794, 795; Helms FamRZ 2016, 1134, 1134 f. 500 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 23.1.2013. 501 Antomo NJW 2018, 435, 437; Antomo NZFam 2018, 243, 245. 496

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Auch in Österreich ging man mehrheitlich davon aus, die Rom III-VO erstrecke sich auch auf Privatscheidungen.502 Zurückhaltender war man dagegen etwa aus französischer Perspektive,503 auch wenn der französische Gesetzgeber von der Anwendbarkeit der Rom III-VO auch auf die neu eingeführte divorce sans juge ausging.504 Die endgültige Klärung der Frage konnte freilich nicht auf der Ebene einzelner Mitgliedstaaten erfolgen, sondern musste dem EuGH überlassen bleiben. Dieser traf mit dem Urteil Sahyouni eine überraschende Entscheidung, die zwar eine klare Richtung zu erkennen gibt, aber auch manche Fragen offen lässt. bb) EuGH – Sahyouni Gleich in seiner ersten Entscheidung zur Rom III-VO hatte der EuGH sich mit der Qualifikation von Privatscheidungen als Scheidungen i. S. d. Rom III-VO zu befassen. Dazu kam es auf Vorlage des OLG München in der Rechtssache Sahyouni. Zugrunde lag der folgende, nicht unkomplexe Sachverhalt.505 Am 27.5.1999 hatten Raja Mamisch und Soha Sahyouni im islamischrechtlichen Gerichtsbezirk Homs in Syrien die Ehe geschlossen. Während der Ehemann, seit Geburt syrischer Staatsangehöriger, bereits 1977 durch Einbürgerung auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte, erwarb die Ehefrau, ebenfalls seit Geburt syrische Staatsangehörige, die deutsche Staatsangehörigkeit nach der Eheschließung. Bis 2003 lebten die Eheleute gemeinsam in Deutschland und übersiedelten anschließend nach Homs. Aufgrund des Bürgerkriegs verließen sie Syrien im Sommer 2011 und hielten sich kurzzeitig in Deutschland auf, ab Februar 2012 lebten sie wechselnd in Kuwait und im Libanon, mit wiederholten Aufenthalten in Syrien. Im Zeitpunkt der Einleitung des zum EuGH gelangten Verfahrens lebten schließlich beide in Deutschland, allerdings mit verschiedenen Wohnsitzen; beide besaßen sowohl die syrische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Zur streitgegenständlichen Scheidung kam es am 19.5.2013 in Syrien: Der Ehemann ließ durch einen Bevollmächtigten vor dem geistlichen Scharia-Gericht in Latakia die Scheidungsformel aussprechen und erklärte damit – in deren Abwesenheit – die Scheidung von seiner Ehefrau. Eine Feststellung der Scheidung durch das Gericht gemäß § 118 syrisches Personalstatutsgesetz506 erfolgte am 20.5.2013, im Nachgang hierzu unterzeichnete die Ehefrau am 12.9.2013 ein Dokument über den Erhalt von nach dem reli502 Gitschthaler / Rudolf Art. 1 Rom III-VO Rn. 8 m. w. N.; Ferrari in: Dutta / Schwab /  Henrich / Gottwald / Löhnig, 57, 75; Traar ÖJZ 2011, 805, 807. 503 Corneloup in: Corneloup, Art. 1 Rom III-VO Rn. 9 f. – Skeptisch etwa Mayer /  Heuzé / Remy Rn. 601. 504 Vgl. Khairallah in: FS Ancel, 965, 967. – Kritisch zur französischen Behandlung der internationalprivatrechtlichen Aspekte Gaudemet-Tallon in: FS Kohler, 91, 91 ff. 505 Zusammenfassend dargestellt nach EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II; OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14.

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giösen Recht vorgesehenen Leistungen im Zusammenhang der Scheidung in Höhe von insgesamt 20.000 US-Dollar. Die Frage nach der kollisionsrechtlichen Behandlung dieser Scheidung aus mitgliedstaatlicher Perspektive stellte sich im Rahmen des anschließenden Anerkennungsverfahrens in Deutschland (siehe Teil III: § 9.II.2.a), S. 562 ff.). Der Ehemann beantragte am 30.10.2013 die Anerkennung der in Syrien erfolgten Ehescheidung beim Präsidenten des OLG München (Landesjustizverwaltung). Dieser stellte mit Entscheidung vom 5.11.2013 das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen fest und gab dem Antrag statt. Nach Zustellung des Anerkennungsbeschlusses beantragte die Ehefrau am 18.2.2014 dessen Aufhebung, da die Anerkennungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Sie argumentierte einerseits mit der (zumindest auch) deutschen Staatsangehörigkeit beider Beteiligter und meinte ferner, dass aus Sicht des deutschen Kollisionsrechts gemäß Art. 10 Rom III-VO anstelle des den Scheidungszugang der Ehefrau einseitig erschwerenden syrischen Rechts die deutsche lex fori (und damit § 1564 S. 1 BGB) maßgeblich und mithin die syrische Verstoßungsscheidung nicht anzuerkennen sei. Der Präsident des OLG München half dieser Beschwerde mit seiner Entscheidung vom 8.4.2014 nicht ab, deren kollisionsrechtliche Begründung sich nach wie vor auf die Rom III-VO stützte, aber nach Art. 8 lit. c) Rom III-VO das Recht der (effektiven) syrischen Staatsangehörigkeit als maßgeblich zugrundelegte und einen Verstoß gegen den ordre public verneinte. Das daraufhin angerufene OLG München thematisierte die grundsätzliche Frage, ob die in Frage stehende syrische Privatscheidung überhaupt in den Anwendungsbereich der Rom III-VO fiele. Es hielt die Anwendung der Rom III-VO auf Privatscheidungen unter staatlicher Mitwirkung mit der überwiegenden Meinung für möglich,507 sah jedoch eine Klärung durch den EuGH für erforderlich an. Daher legte es mit Beschluss vom 2.6.2015 dem EuGH drei Vorabentscheidungsfragen zur Auslegung der Rom III-VO vor. Die erste betraf die Anwendbarkeit der Rom III-VO auch auf Privatscheidungen; die für den Fall der Bejahung der ersten Frage gestellte zweite (und darin eingebettete dritte) Frage betrafen die Interpretation des Art. 10 Rom III-VO (siehe Teil III: § 7.I.3.b)bb), S. 315 ff.).508 Diese Vorlage erklärte der EuGH zunächst mit Beschluss vom 12.5.2016509 für offensichtlich unzulässig (siehe Teil III: § 9.II.2.a), S. 562 ff.) – wies aber auf die Möglichkeit einer erneuten Vorlage hin. Mit einem weiteren Vorlagebeschluss vom 29.6.2016 stellte das OLG München seine Vorabentscheidungsfragen weitgehend unverändert erneut, 506 Syrisches Personalstatutsgesetz vom 17.9.1953, B / F / H Arabische Republik Syrien (Stand 1.9.2020), 59 ff. 507 OLG München 2.6.2015 – 34 Wx 146/14, Rn. 13 ff. 508 OLG München 2.6.2015 – 34 Wx 146/14. 509 EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I.

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stützte nunmehr aber die Vorlage auf die Verweisung des deutschen (Anerkennungs-)Rechts auf die Rom III-VO.510 Die Zulässigkeit dieses zweiten Vorlagebeschlusses bejahte der EuGH nunmehr511 und traf seine lang erwartete Entscheidung zur Qualifikation von Privatscheidungen. Diese war für viele – insbesondere deutsche – Rechtswissenschaftler in der Sache durchaus überraschend. Der EuGH entschied, dass Privatscheidungen wie die streitgegenständliche einseitige Scheidung durch den Ehemann nach syrischem Recht nicht vom Anwendungsbereich der Rom III-VO erfasst seien. Damit folgte er den Schlussanträgen des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe: Dieser hatte sich gegen die Anwendbarkeit der Rom III-VO auf Privatscheidungen ausgesprochen. Dabei argumentierte er, dass zwar keine explizite diesbezügliche Ausnahme vom Anwendungsbereich formuliert sei, doch durch die Bezugnahme auf ein gerichtliches Tätigwerden bzw. Verfahren in diversen Bestimmungen der Verordnung (Artt. 1 Abs. 2, 5 Abs. 2, Abs. 3, 8, 13, 18 Abs. 2 Rom III-VO) zum Ausdruck käme, dass sie nur staatlich kontrollierte Verfahrensscheidungen erfassen wolle.512 Darüber hinaus seien im Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens in den Rechtsordnungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten nur Verfahrensscheidungen durch öffentliche Organe vorgesehen gewesen, so dass der Unionsgesetzgeber mit der Rom IIIVO vermutlich auch nur diese Arten von Scheidungen erfassen wollte.513 Zwar sei seit Verordnungserlass in mehreren Mitgliedstaaten eine Privatscheidung eingeführt worden – für eine Änderung der Rom III-VO im Hinblick auf deren Einbeziehung in ihren Anwendungsbereich sei aber ausschließlich der Unionsgesetzgeber zuständig.514 Dieser Argumentation schloß der EuGH sich an und stützte seine Auffassung auf eine Auslegung des Art. 1 Rom III-VO nach seinem Wortlaut, seinem Zusammenhang und seiner Zielsetzung sowie die Nichtberücksichtigung von Privatscheidungen im Gesetzgebungsverfahren zur Rom III-VO.515 Außerdem verwies der EuGH auf den ausweislich Erw. 10 Rom III-VO beabsichtigten Einklang von Rom III-VO und nur (gerichtliche) „Entscheidungen“ i. S. d. Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO erfassender und damit Privatscheidungen nicht abdeckender Brüssel IIa-VO.516 Damit verneinte der EuGH den Anwendungswillen der Rom III-VO auch auf Privatscheidungen. Die direkte Anwendbarkeit der europäischen Scheidungskollisionsnormen ist verbindlich ausgeschlossen, Privatscheidungen bleiben mangels einschlägiger vorrangiger EU-Kollisionsregeln weiterhin 510 511 512 513 514 515 516

OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14. EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 26 ff. Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge 14.9.2017 – C-372/16, Rn. 60. Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge 14.9.2017 – C-372/16, Rn. 65. Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge 14.9.2017 – C-372/16, Rn. 66. EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 35 ff. EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 40 ff.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

dem nationalen IPR zugewiesen.517 Diese Position des EuGH traf nicht nur bei den zahlreichen Befürwortern einer einheitlichen Anknüpfung des Scheidungsstatuts für Verfahrens- und Privatscheidungen (siehe oben aa), S. 160 ff.) auf Bedauern. Sie enttäuscht nicht nur die Erwartung vieler nationaler Rechtsetzer und -anwender, sondern führt auch zu einem gespaltenen Scheidungskollisionsrecht, das Verfahrens- und Privatscheidungen unterschiedlichen Regelungsebenen zuweist. Darunter leiden Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit ebenso wie die Harmonisierungswirkung der als loi uniforme konzipierten Rom III-VO.518 Kritisiert wurde auch der für den EuGH verfahrensökonomisch positive, aber für das Verständnis des EUKollisionsrechts nachteilige Nebeneffekt, dass sich mit der Verneinung der ersten Vorlagefrage auch die Beantwortung der zweiten und dritten Frage zur Auslegung des Art. 10 Rom III-VO erübrigt hatte (siehe Teil III: § 7.I.3. b)bb), S. 315 ff.). Inhaltlich stellt die Sahyouni-Entscheidung allenfalls einen Zwischenschritt auf dem Lösungsweg für den kollisionsrechtlichen Umgang mit Privatscheidungen dar. Im Ausgangsverfahren und darüber hinaus für das nationale IPR allgemein warf sie die Schwierigkeit auf, eine konkrete Anknüpfungsmöglichkeit für Privatscheidungen zur Verfügung zu stellen: Zumindest für das deutsche Scheidungskollisionsrecht erwies sie sich als theoretisch wie praktisch problematisch.519 Denn naturgemäß hat sich der EuGH darauf beschränkt, die Grenzen des EU-Kollisionsrechts abzustecken, und keine Hilfestellungen oder Vorgaben für das außerhalb des Anwendungsbereichs der Rom III-VO zum Zuge kommende nationale Kollisionsrecht geleistet. Außerdem wurde alsbald die Frage nach der Reichweite des SahyouniUrteils laut: In seinem Tenor ist es bewusst auf Privatscheidungen „durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht“ beschränkt, sodass offen ist, ob der Ausschluss vom Anwendungsbereich der Rom III-VO pauschal für alle Arten von Privatscheidungen gelten soll. d) Konsequenzen Für den Anlassfall bedeutete das Sahyouni-Urteil des EuGH zunächst einmal, dass die auf die Rom III-VO gestützte Anerkennungsentscheidung durch das OLG München aufzuheben war.520 Offen war jedoch, welche Kollisionsregeln statt jenen der Rom III-VO zur Beurteilung der syrischen Scheidung 517 Antomo NJW 2018, 435, 436; Antomo NZFam 2018, 243, 245; Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 657; Mankowski NJW 2019, 465, 468. – So bereits Gruber IPRax 2012, 381, 383. 518 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 40; Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 656; Sonnentag / Haselbeck IPRax 2022, 22, 28. – Sehr kritisch zur Entscheidung des EuGH auch Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 65 ff. 519 Siehe zu den aufgeworfenen Fragen z. B. Antomo NZFam 2018, 243, 245 ff. 520 OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14.

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heranzuziehen sein sollten: Mangels europäischer Kollisionsnormen war auf das nationale IPR zurückzugreifen, dieses enthielt aber zumindest in Deutschland keine Regeln zum Umgang mit (Privat-)Scheidungen mehr.521 Das Vertrauen des deutschen Gesetzgebers auf die Anwendbarkeit der Rom III-VO auf Scheidungen aller Art erwies sich durch die EuGH-Entscheidung als verfehlt, die vollständige Abschaffung des Art. 17 Abs. 1 EGBGB a. F. stellte sich im Nachhinein als voreilig dar, da entgegen der ihr zugrunde gelegten Annahme durchaus noch ein von der Rom III-VO nicht erfasster „Restanwendungsbereich“ für das nationale Scheidungskollisionsrecht, etwa in Fällen wie dem vorliegenden, bestand. Durch die verbindliche Ablehnung der Anwendung der Rom III-VO auf Privatscheidungen entstand ein „kollisionsrechtliches Vakuum“522 bzw. eine „Lücke im System des IPR“523 wurde offenbart: Das europäische Scheidungskollisionsrecht erfasst eben nicht alle Scheidungen, das nationale IPR muss für die von der Rom III-VO ungeregelten Fragen nolens volens eine Lösung zur Verfügung stellen. aa) Reaktion des deutschen IPR Wie diese Lösung aber für das deutsche IPR aussehen sollte, war nach der Sahyouni-Entscheidung erst einmal fraglich. Klar war lediglich, dass man nicht direkt auf geschriebene Kollisionsregeln zurückgreifen konnte: Der unmittelbare Rückgriff auf die Rom III-VO stand nach dem Diktum des EuGH jedenfalls nicht mehr zur Verfügung, nationale Anknüpfungsregeln für die Scheidung existierten nicht mehr. Bei der drängenden Suche nach der für Privatscheidungen maßgeblichen Kollisionsregel wurden vor allem zwei Ansätze vorgeschlagen, die jeweils die Heranziehung einer nicht (mehr) unmittelbar geltenden Regelung befürworteten.524 Die populärere Auffassung votierte für die analoge Anwendung der Kollisionsregeln der Rom III-VO im Rahmen des nationalen deutschen IPR. Zwar seien diese nicht direkt anwendbar, könnten aber zur Schließung der unbeabsichtigten Regelungslücke im EGBGB auf Ebene des deutschen Kollisionsrechts analog herangezogen werden.525 Als Präzedenzfall für die Anwendung Vgl. etwa BT-Drs. 17/11049, 8; Antomo NJW 2018, 435, 436; Gössl GPR 2018, 94, 95 f.; Gössl StAZ 2016, 232, 235; Helms FamRZ 2016, 1134, 1135; C. Mayer FamRZ 2018, 171, 172; Pika / Weller IPrax 2017, 65, 71. 522 Pika / Weller IPrax 2017, 65, 71. 523 Mankowski FamRZ 2018, 821, 821. 524 Der weitere Vorschlag von Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 658 ff., Art. 14 EGBGB analog zur Anwendung zu bringen, konnte sich nicht durchsetzen. 525 NK-BGB / Gruber Art. 1 Rom III-VO Rn. 78 ff.; Antomo NJW 2018, 435, 436 f.; Arnold NZFam 2016, 794, 795; Dutta FF 2018, 60, 60 f.; Gössl StAZ 2016, 232, 235; Gruber IPRax 2012, 381, 383 Fn. 33; Hau FamRZ 2013, 249, 250; Majer NZFam 2017, 1010; Mankowski FamRZ 2018, 821, 821 f.; C. Mayer FamRZ 2018, 171 f.; C. Mayer 521

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

dieser Technik wurde auf die Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen verwiesen: Auch hierfür enthält das europäische IPR aufgrund der Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom I-VO keine Regelung, die durch die vollständige Abschaffung des nationalen Vertragskollisionsrechts (Artt. 27 ff. EGBGB a. F.) entstandene Lücke soll nach herrschender Auffassung durch analoge Anwendung der Rom I-VO „als in das nationale Recht transponiertes Kollisionsrecht“526 geschlossen werden.527 Als Hauptargument für die ausdehnende Anwendung des europäischen Kollisionsrechts kraft nationalen Anwendungsbefehls wurde der Wille des deutschen Gesetzgebers angeführt. Seinem Vertrauen auf die umfassende Anwendbarkeit des europäischen Scheidungskollisionsrechts werde dessen entsprechende Anwendung bei unvorhergesehenen Lücken besser gerecht als der Rückgriff auf explizit abgeschaffte nationale Normen.528 Weiterer Vorteil dieser Lösung ist, dass sie – zumindest im Ergebnis – eine Spaltung des Kollisionsrechts für Verfahrens- und Privatscheidungen vermeiden kann. Allerdings divergierten die Meinungen, wie weit die nationale Analogie zur Rom III-VO reichen sollte – insbesondere, ob sie lediglich deren Verweisungsregeln im engeren Sinne oder auch die allgemeinen Regelungen des europäischen IPR erfassen sollte (siehe Teil III: § 7.I.3.b)aa), S. 312 ff.). Speziell im Hinblick auf die im Fall Sahyouni aufgeworfenen Fragen wurden dabei einerseits der ordre public (Anwendbarkeit der Artt. 10, 12 Rom III-VO oder des Art. 6 EGBGB) und andererseits der Umgang mit Doppelstaatern thematisiert.529 Auf der anderen Seite wurde vertreten, für Privatscheidungen den – gestrichenen – Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB a. F. anzuwenden, gewissermaßen im Rückgriff auf das nationale deutsche IPR vor dessen Anpassung an die Rom III-VO.530 Für diese „Fortschreibung der bisherigen Rechtslage“ spricht, dass sie der klaren Ablehnung der Anwendung der Rom III-VO auf Privatscheidungen durch den EuGH inhaltlich besser gerecht wird als eine analoge Anwendung kraft nationalen Anwendungsbefehls.531 Auch den Bedenken, dass die Regelungen der Rom III-VO für die Vornahme einer inländischen Scheidung durch ein mitgliedstaatliches Gericht konzipiert seien, während die StAZ 2018, 106, 113 f.; Pika / Weller IPRax 2017, 65, 71 f.; Rieck NZFam 2018, 128, 129; Winkler von Mohrenfels ZVglRWiss 115 (2016), 650, 651. 526 Pika / Weller IPrax 2017, 65, 71. 527 Pika / Weller IPrax 2017, 65, 71. 528 Antomo NJW 2018, 435, 437; Antomo NZFam 2018, 243, 245; Gössl StAZ 2016, 232, 235; C. Mayer StAZ 2018, 106, 113. 529 Antomo NZFam 2018, 243, 245 f. 530 Helms FamRZ 2016, 1134, 1135; Wall FamRZ 2020, 1704, 1708 ff. – Der kreative Lösungsansatz von Gössl GPR 2018, 94, 98, zumindest als Übergangslösung Art. 17b EGBGB analog zur Anwendung zu bringen, konnte sich nicht durchsetzen. 531 Bezüglich der analogen Anwendung des EU-IPR skeptisch Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242; Gössl GPR 2018, 94, 97.

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Interessenlage der (bei Privatscheidungen im Vordergrund stehenden) Beurteilung ausländischer Scheidungen im Anerkennungsverfahren eine andere sei (siehe Teil III: § 9.II.2., S. 561 ff.), wird damit Rechnung getragen. Zu zahlen ist dafür freilich der Preis unterschiedlicher Anknüpfungsregeln für Verfahrens- und Privatscheidungen und damit höherer Komplexität. Das OLG München hatte bereits in seinen Vorlagen für den Fall der Nichtanwendbarkeit der Rom III-VO zu dieser Lösung tendiert532 und legte sie auch seiner abschließenden Entscheidung zugrunde.533 Zwar sei durch die Streichung der früheren Scheidungskollisionsregeln eine Lücke im deutschen Kollisionsrecht entstanden, die eindeutige Stellungnahme des EuGH verbiete jedoch eine analoge Anwendung der Rom III-VO im kollisionsrechtlichen Anerkennungsverfahren für Privatscheidungen. Eine zu den europäischen Anknüpfungsregeln analoge Regelbildung im verbleibenden nationalen Scheidungskollisionsrecht werde davon zwar nicht verhindert, diese könne aber aufgrund ihrer umstrittenen Reichweite nur durch den deutschen Gesetzgeber verbindlich angeordnet werden. Daran fehle es bislang, da die in Art. 17 Abs. 1 EGBGB n. F. aufgenommene Verweisung auf das Scheidungsstatut nach der Rom III-VO gerade nur vermögensrechtliche Scheidungsfolgen, nicht aber die (von der Rom III-VO nicht erfasste) Scheidung als solche einschließt. Eine Analogie könne schließlich auch aufgrund der verschiedenen Interessenlagen und der nicht insgesamt übertragbaren Anknüpfungspunkte der Rom III-VO nicht ohne weiteres an- bzw. vorgenommen werden. Bis zu einer gesetzgeberischen Willensbildung bzw. Lösung müsse man daher auf die – irrtümlich für überholt gehaltene – bisherige Norm des deutschen Kollisionsrechts zurückgreifen und diese gewissermaßen wiederauflebenlassen. Konsequent wendete das OLG München daher Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB a. F. an und legte als Scheidungsstatut das allgemeine Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB (in der zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Fassung) zugrunde. In Ermangelung einer Rechtswahl war auf die Anknüpfungsleiter des Art. 14 Abs. 1 S. 1 EGBGB (a. F.) zurückzugreifen und nach dessen Nr. 2 an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten im Scheidungszeitpunkt anzuknüpfen. Maßgeblich war aufgrund Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB bei beiden Ehegatten die (auch) vorhandene deutsche Staatsangehörigkeit, sodass als Ehewirkungs- und damit auch als Scheidungsstatut das deutsche Recht zugrundezulegen war. Sachrechtlich stand also bereits das gerichtliche Scheidungsmonopol des § 1564 S. 1 BGB der Anerkennung der in Syrien vorgenommenen Privatscheidung entgegen; eine Auseinandersetzung mit dem möglichen Verstoß der streitgegenständlichen Scheidung gegen den deutschen ordre public sowie dem von der Ehefrau gerügten mangelnden rechtlichen Gehör im syrischen Scheidungsverfahren erübrigte sich damit. Die An532 533

OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14. OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14, Rn. 32 ff.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

erkennungsentscheidung war folglich aufgrund des Fehlens der Anerkennungsvoraussetzungen aufzuheben.534 Diese Lösung des OLG München sah sich einiger Kritik ausgesetzt535 – nicht zuletzt, weil sie im Widerspruch zur Mehrheitsmeinung in Deutschland stand. Bei näherer Betrachtung erweist sie sich jedoch zumindest für den konkreten Fall als in mehrerer Hinsicht durchaus geschickt. Zunächst zollt sie dem EuGH den größtmöglichen Respekt, indem sie dessen Ablehnung der Anwendung der Rom III-VO ohne Wenn und Aber akzeptiert. Mit dem Hinweis, die notwendigen grundlegenden Änderungen der nationalen Rechtsvorschriften seien Aufgabe des Gesetzgebers, wahrt sie nicht nur den Grundsatz der Gewaltenteilung, sondern wiederholt gleichzeitig auf nationaler Ebene das Petitum des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe536 nach einer Anpassung des nationalen Kollisionsrechts. Und schließlich erspart die gewählte Lösung dem OLG München eine dritte Vorlage zum EuGH – diese wäre, sofern man die Rom IIIVO autonom-analog zur Anwendung gebracht hätte, hinsichtlich der bis dato unbeantworteten zweiten und dritten Vorlagefrage wohl unumgänglich gewesen. Außerdem erging die Entscheidung auch im quasi sicheren Wissen, dass der Instanzenzug noch nicht beendet war: Die Rechtsbeschwerde wurde aus zwei Gründen zugelassen, zum einen aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Frage nach den im Anerkennungsverfahren für Privatscheidungen maßgeblichen Kollisionsnormen sowie des Interesses der Allgemeinheit, zum anderen weil eine Rechtsfortbildung hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB in Doppelstaater-Fällen wie dem vorliegenden erforderlich schien. Sowohl rechtspolitisch als auch im Hinblick auf die Verfahrensökonomie war die – wohl zumindest teilweise taktisch motivierte – Entscheidung des OLG München damit ein eleganter Schachzug.537 Der deutsche Kollisionsrechtsgesetzgeber reagierte bald darauf mit dem vom EuGH und dem OLG München angemahnten Tätigwerden, indem er erstmalig in der Geschichte des deutschen IPR eine Anknüpfungsregel für Privatscheidungen in das EGBGB aufnahm. Mit dem EuGüVO/EuPartVO-AusfG538 wurde Art. 17 Abs. 2 EGBGB neu gefasst – inhaltlich folgte man dem Vorschlag einer modifizierten Übernahme der Anknüpfungsregeln der Rom IIIVO in das autonome Kollisionsrecht (siehe Teil III: § 7.I.3.b), S. 311 ff.). Die Neufassung trat am 21.12.2018 in Kraft, ist intertemporal jedoch auf alle nach Außerkrafttreten des Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB a. F. am 29.1.2013 erfolgten OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14, Rn. 45 ff. Zum Beispiel Mankowski FamRZ 2018, 821, 821: „Das OLG München beharrt auf seinem einmal eingeschlagenen Weg“. 536 Generalanwalt Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge 14.9.2017 – C-372/16, Rn. 54. 537 Bemerkenswert ist, dass auch die Kritiker der Entscheidung Respekt zollen, vgl. Mankowski FamRZ 2018, 821, 821 („durchaus bedenkens- und nachdenkenswert“). 538 Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 17.12.2018 (EuGüVO / EuPartVO-AusfG). 534 535

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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Privatscheidungen anwendbar. In seiner Rechtsbeschwerde-Entscheidung im Fall Sahyouni legte der BGH für die endgültige Beurteilung des Anerkennungsbegehrens daher bereits Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. zugrunde.539 Die Anwendung der Rom III-Anknüpfungsregeln führte mangels Rechtswahl (Art. 5 Rom III-VO) zur nach Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB modifizierten Kegel’schen Anknüpfungsleiter des Art. 8 Rom III-VO; mangels eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten bei Einleitung des Scheidungsverfahrens (lit. a)) bzw. im letzten Jahr davor (lit. b)) war auf der dritten Stufe das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten (lit. c)) maßgeblich. Hier eröffnete sich das Folgeproblem der Wahl zwischen den beiden gemeinsamen Staatsangehörigkeiten der deutsch-syrischen Doppelstaater-Ehegatten, das gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB zugunsten der deutschen Forums-Staatsangehörigkeit zu entscheiden war.540 Auch der BGH gelangte damit zur Maßgeblichkeit des deutschen Sachrechts und damit, wenn auch aufgrund anderer Anknüpfung, zum selben Ergebnis wie das OLG München: Aus deutscher Sicht steht § 1564 BGB der Privatscheidung entgegen, die daher in Deutschland nicht anerkennungsfähig ist.541 Sowohl die Saga um das Ehepaar Sahyouni als auch die Frage nach der für von der Rom III-VO nicht erfasste Privatscheidungen maßgeblichen Kollisionsnorm des deutschen IPR sind damit zunächst einmal zu einem wenn auch nicht in allen Details befriedigenden, aber doch klaren Ergebnis gebracht. bb) Fortbestehende Unsicherheit über die Reichweite der Rom III-VO Auf einem ganz anderen Blatt steht allerdings, wie weit der vom EuGH in der Sahyouni-Entscheidung konstatierte Ausschluss von Privatscheidungen vom Anwendungsbereich der Rom III-VO reicht. Das Urteil hat nämlich mitnichten eine abschließende oder gar universelle europäische Antwort auf die Frage nach dem für Privatscheidungen maßgeblichen Kollisionsrecht geliefert. Aufgabe des EuGH war lediglich die Beantwortung der konkreten Vorlagefrage des OLG München, die sich auf „Fälle der Privatscheidung – hier: durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund der Scharia“542 bezogen hatte. Dementsprechend hat er sein Urteil im Tenor ganz klar auf „eine durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht bewirkte Ehescheidung wie die im

539 BGH 26.8.2020 – XII ZB 158/18, Rn. 29. – Kritisch Arnold / Hornung / Schnetter GPR 2021, 2, 3; Wall FamRZ 2020, 1817, 1817 f.; Wall FamRZ 2020, 1704, 1709 ff. – Dagegen für eine Rückwirkung bereits ab 21.6.2021 Heiderhoff JZ 2021, 260, 261 f. 540 BGH 26.8.2020 – XII ZB 158/18, Rn. 34 ff. (unter Verzicht auf eine erneute Vorlage zur Frage des Umgangs mit Doppelstaatern, Rn. 50 ff.). 541 BGH 26.8.2020 – XII ZB 158/18, Rn. 49. 542 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14.

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Ausgangsverfahren streitige“543 beschränkt. Zu anderen Arten der Privatscheidung hat er sich ebenso wenig geäußert wie er ein allgemeinumfassendes Regelungsmodell entwickelt hat. Sicher ist damit zunächst nur, dass die im Ausgangsfall zu beurteilende einseitige Verstoßungsscheidung nach dem Modell des islamisch-rechtlichen talaq aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO ausgeschlossen ist – nicht aber, ob andere Arten von Privatscheidungen nicht doch unter die Rom III-VO fallen können.544 Letztlich ist sogar unklar, wie ein aufgrund einer Einigung der Ehegatten (z. B. im Rahmen einer sogenannten Loskaufsscheidung) formell vom Ehemann ausgesprochener talaq zu behandeln ist. Der EuGH hat die Reichweite der Ausklammerung von Privatscheidungen aus der Rom III-VO durch die Betonung von zwei Faktoren zumindest potentiell beschränkt: einerseits die Einseitigkeit der Scheidung, andererseits die zumindest passive Mitwirkung eines geistlichen Gerichts. Ohne weiteres übertragbar ist die Entscheidung damit auf alle vergleichbaren Scheidungen, insbesondere also auf talaq-Scheidungen nach einem dem syrischen Recht vergleichbaren Modell und wohl auch auf die get-Scheidung des jüdischen Rechts. Schwierig wird es aber bereits, wenn nur einer dieser Faktoren sich verändert – denn es wird im Urteil nicht klar, ob der EuGH bereits einen davon für ausreichend und falls ja, welchen er für ausschlaggebend erachtet. Schon allein aus Diskriminierungsgründen liegt die Lesart nahe, dass jedenfalls einseitige Privatscheidungen grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen. Das ist im Hinblick auf den Anwendungsbereich durchaus stringent, zeugt aber nicht zwingend von systematischem Weitblick. Werden einseitige Privatscheidungen von der Rom III-VO von vornherein nicht erfasst, wird die Kontrollklausel in Art. 10 Rom III-VO (siehe Teil III: § 7.I.3.b)bb), S. 315 ff.) eines wesentlichen Teils ihres Anwendungsgebiets beraubt. Sie könnte dann nur einseitige Verfahrensscheidungen erfassen – die Mehrzahl der einseitigen (Verstoßungs-)Scheidungen, auf deren Verhinderung die Regelung abzielt, sind jedoch Privatscheidungen, sodass die Kontrollklausel weitgehend leerlaufen würde.545 Im Übrigen dürften einseitige (und damit einen Ehepartner diskriminierende) Scheidungen häufig ohnehin am mitgliedstaatlichen ordre public scheitern. Sollte lediglich die „Einseitigkeit“ das ausschlaggebende Kriterium darstellen, könnten aber konsensuale Scheidungen unter Beteiligung geistlicher Instanzen grundsätzlich durchaus der Rom III-VO unterstellt werden. Will der EuGH allerdings für die Anwendung der Rom III-VO grundsätzlich eine (säkulare) staatliche Mitwirkung sicherstellen, entstehen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen staatlichen und geistlichen Gerichten in

543 544 545

EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II. Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 241; Lugani LMK 2018, 405115. Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1037.

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den Fällen, in denen geistliche Gerichte staatlich autorisiert handeln.546 Denn ob und inwieweit aus Sicht des EuGH die in Sahyouni zugrundeliegende Mitwirkung eines staatlich autorisierten geistlichen Gerichts das Erfordernis eines öffentlichen Organs bzw. staatlicher Kontrolle erfüllt, wurde nicht näher erörtert. Zieht man die Grenzlinie aber nur danach, ob die beteiligte Stelle ihrem Charakter nach geistlich oder staatlich ist, hängt es bei im Übrigen gleichen Scheidungsvoraussetzungen unter Umständen vom Zufall der (Registrierungs-)Instanz ab, ob die Scheidung nach der Rom III-VO oder nach nationalem Kollisionsrecht zu beurteilen ist. Dieses Problem stellt sich im Regelfall erst bei der nachträglichen Anerkennung in einem EU-Mitgliedstaat – die Parteien werden sich darüber bei einer Privatscheidung kaum Gedanken machen, insbesondere die Wahl zwischen den für die „Bestätigung“ ihrer Scheidung zur Verfügung stehenden Verfahren und Instanzen (z. B. wahlweise Registrierung bei einer staatlichen Behörde oder einem staatlich autorisierten geistlichen Gericht) anhand anderer Kriterien wie räumlicher Nähe, Zeitund Kostenaufwand oder Einfachheit vornehmen. Ob der EuGH mit dem Kriterium „geistliches Gericht“ eine solche letztlich willkürliche Differenzierung bezwecken wollte, darf man bezweifeln. Die Reichweite dieses Faktors wird in der Zukunft noch genauer auszuloten sein. Versucht man, aus den in Sahyouni etablierten Anhaltspunkten generelle Leitlinien für die Behandlung von Privatscheidungen unter dem europäischen Kollisionsrecht abzuleiten, bleibt als eindeutiges Kriterium zunächst nur die Abgrenzung nach dem Ausmaß staatlicher Beteiligung an der Scheidung. Für den Umgang mit reinen Privatscheidungen, die nur zwischen den Parteien und ohne jegliche behördliche Mitwirkung stattfinden, kann der EuGH auch ohne explizite Stellungnahme die Richtung weisen. Ist bereits bei Beteiligung staatlich autorisierter geistlicher Gerichte fraglich, ob dem Verfahrensbegriff der Rom III-VO Genüge getan ist, lässt sich im Wege eines Erst-RechtSchlusses annehmen, dass bei Scheidungen ganz ohne Beteiligung einer wie auch immer gearteten öffentlichen Stelle der Weg in die Rom III-VO nicht eröffnet ist.547 Gleiches gilt wohl auch für rein religiöse Scheidungen vor geistlichen Instanzen ohne staatliche Autorisierung. Die zentrale Frage bleibt aber auch nach Sahyouni spannend: Wie viel staatliche Mitwirkung ist erforderlich, damit eine Scheidung in den Anwendungsbereich der Rom III-VO fällt?548 Die generalanwaltliche Stellungnahme 546 So etwa in Israel, da das israelische (säkulare) Recht zwingend die Mitwirkung der geistlichen Gerichte fordert, denen der Staat die Kompetenz übertragen hat – für eine Unterstellung religiöser Scheidungen in Israel unter die Rom III-VO Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 745. 547 Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 68. – So bereits Winkler von Mohrenfels ZVglRWiss 115 (2016), 650, 650 f. 548 Vgl. Antomo StAZ 2019, 33, 35 f.; Antomo NZFam 2018, 243, 248; Sonnentag /  Haselbeck IPRax 2022, 22, 26.

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und die Entscheidung in Sahyouni deuten auf ein striktes Verständnis hin, nach dem das europäische Scheidungskollisionsrecht nur Verfahrensscheidungen erfassen soll – also nur konstitutive Scheidungsaussprüche staatlicherseits (was wiederum die eben thematisierte Frage nach der Behandlung staatlich autorisierter geistlicher Gerichte aufwirft).549 Allerdings ist das vom Generalanwalt Saugmandsgaard Øe ins Feld geführte Wortlautargument, mit „Verfahren“ seien nur staatlich kontrollierte Verfahrensscheidungen gemeint, sehr technischer Natur und ließe sich im Wege extensiver Auslegung des Begriffs „Verfahren“ leicht entkräften: Auch eine (konsensuale) Scheidung unter deklaratorischer Beteiligung einer staatlichen bzw. staatlich autorisierten Stelle kann als „offizielles Scheidungsverfahren“ betrachtet werden. Welche Kriterien die Anwendung der Rom III-VO an die staatlichen Verfahrensanteile anlegt, wird das EU-IPR vermutlich früher als später zu entscheiden haben – denn mit der kollisionsrechtlichen Einordnung von Privatscheidungen werden Rechtsanwender inzwischen nicht mehr nur im Verhältnis zu mehr oder weniger exotischen Drittstaaten konfrontiert, sondern auch innerhalb des Binnenmarktes.550 Insbesondere, ob und inwieweit die Negativentscheidung des EuGH in Sahyouni auf mitgliedstaatliche Privatscheidungen übertragbar ist, ist vollkommen offen. Bei den in einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen inzwischen eingeführten „Scheidungen ohne Gericht“ liegt weder der Faktor „einseitige Scheidung“ noch der Faktor „geistliches Gericht“ vor – sie erfüllen also keines der bisher genannten zentralen Ausschlusskriterien. Hinzu kommt, dass kein EU-Mitgliedstaat eine nur durch eine Handlung der Ehegatten selbst wirksame Scheidung vorsieht, sondern stets die zumindest deklaratorische Mitwirkung einer staatlichen Stelle gefordert wird, wenn auch in unterschiedlicher Form. Mitgliedstaatliche PrivatVgl. Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 240 f. Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 240 f.; Dutta FF 2018, 60, 63; Mankowski NZFam 2020, 453, 453; Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 69 ff.; Sonnentag /  Haselbeck IPRax 2022, 22, 28. – Für einen strikten Ausschluss aller (auch mitgliedstaatlicher) Privatscheidungen vom Anwendungsbereich der Rom III-VO etwa Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 654 ff.; Rieck NZFam 2018, 128, 129. – Gaudemet-Tallon in: FS Kohler, 91, 95, Kohler / Pintens FamRZ 2019, 1477, 1479 f., Nicolas-Vullierme / Heiderhoff StAZ 2018, 361, 366 sowie Khairallah in: FS Ancel, 965, 968 gehen davon aus, die französische Privatscheidung sei von der Rom III-VO nicht erfasst, letzterer würde jedoch eine Scheidung durch notariellen acte authentique der Rom III-VO unterstellen wollen (975). – Die Vorlage zur Behandlung standesamtlicher italienischer Privatscheidungen (BGH 28.10.2020 – XII ZB 187/20) betraf zwar die Brüssel IIa-VO, die Antwort des EuGH (EuGH 15.11.2022 – C-646/20, Senatsverwaltung für Inneres und Sport) ist aber auch für das Kollisionsrecht aufschlussreich. Die Vorinstanz (KG 30.3.2020 – 1 W 236/19) stufte die Scheidung als Scheidung unter staatlicher Kontrolle ein und wollte sie demgemäß der Brüssel IIa-VO unterstellen; dem schloss sich der EuGH an (siehe zur Anerkennung von Privatscheidungen Teil III: § 9.II., S. 549 ff.). Dies legt nahe, dass auch die Kollisionsregeln der Rom III-VO auf dieses Scheidungsmodell Anwendung finden sollen. 549 550

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scheidungen sind also (noch) nicht klar aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO ausgeschlossen: Das bisherige Veto des EuGH ist indirekt auf Privatscheidungen aus Drittstaaten beschränkt. Vieles spricht dafür, die Rom III-VO dahingehend auszulegen, dass zumindest mitgliedstaatliche Privatscheidungen (und diesen vergleichbare drittstaatliche Privatscheidungen) in ihren Anwendungsbereich fallen. Dafür streitet zunächst die Vereinfachung des innereuropäischen Rechtsverkehrs, vor allem aber die Rechtssicherheit für Betroffene. Warum eine (unstreitige) Verfahrensscheidung vor einem italienischen Gericht kollisionsrechtlich anders zu beurteilen sein sollte als eine italienische Privatscheidung unter Beteiligung eines Standesbeamten, scheint wenig einleuchtend. Es erscheint äußerst fraglich, ob nach mitgliedstaatlichem Sachrecht gleichwertige Scheidungen kollisionsrechtlich auf verschiedenen Regelungsebenen verortet und damit gegebenenfalls nach unterschiedlichen Maßstäben beurteilt werden sollten: Das auf die Scheidung ein und desselben Paares in ein und demselben Mitgliedstaat anwendbare Recht müsste bei einer gerichtlichen Scheidung anhand der Rom III-VO, bei einer außergerichtlichen Scheidung aber anhand anderer Kollisionsregeln ermittelt werden. Diese Kollisionsrechtsspaltung führt zu einer willkürlichen Differenzierung und ist im besten Fall überraschend für die Parteien – im schlimmsten Fall öffnet sie einem „Scheidungsverfahrens-shopping“ Tür und Tor. Auch das Bestreben, einen Gleichlauf zwischen europäischem IZVR und IPR zu erzielen, spricht für eine Einbeziehung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen in die Rom III-VO – denn in die Brüssel IIb-VO sind explizit Verfahrensregeln zur Anerkennung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen aufgenommen worden (siehe Teil III: § 9.II.1.b), S. 553 ff.). Dass Privatscheidungen nach mitgliedstaatlichem Recht bei den Verhandlungen zur Rom III-VO schlicht noch kein Thema waren, sollte einer dynamischen Auslegung nicht im Wege stehen – auch sonst schreckt der EuGH vor einem weiten Verständnis des EU-IPR nicht zurück. Verweigert man die Anwendung der Rom III-VO auf mitgliedstaatliche Privatscheidungen, können die Verfahrenserleichterungen bei der Scheidung sich außerdem kurze Zeit später bei der Anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat als Danaergeschenk erweisen551 – trügerisch nicht nur für die Parteien, denen man damit Steine statt Brot gibt, sondern auch für die Mitgliedstaaten, die ein vereinfachtes Scheidungsmodell zur Verfügung stellen wollen. Trotz aller Argumente und Mutmaßungen ist die verbindliche Entscheidung über die Einbeziehung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen in den Anwendungsbereich der Rom III-VO jedoch Aufgabe der europäischen Ebene – des europäischen Gesetzgebers durch eine Änderung der Rom III-VO552 oder, für die nähere Zukunft wahrscheinlicher, des EuGH.

551

Rieck NZFam 2018, 376.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Auf absehbare Zeit wird die Qualifikation von Privatscheidungen als „Scheidung“ im Sinne der Rom III-VO immer wieder Fragen aufwerfen. Mit den Sahyouni-Entscheidungen hat der EuGH allenfalls eine Richtung vorgegeben, aber keine allgemein verbindlichen Kriterien für die Behandlung außergerichtlicher Scheidungen unter den europäischen Scheidungskollisionsregeln aufgestellt. Eindeutig ist derzeit nur, dass einige Privatscheidungen jedenfalls nicht von der Rom III-VO erfasst werden. Für alle anderen Scheidungsmodelle – mitglied- oder drittstaatlich – bleibt es bis zur Etablierung klarer Kriterien dabei, dass in jedem Einzelfall eine eigene Qualifikationsentscheidung (gegebenenfalls unter Vorlage an den EuGH) getroffen werden muss.553 Die Unklarheit über die Trennungslinie zwischen von der Rom III-VO erfassten und dem nationalen IPR zugewiesenen Scheidungen ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit ebenso misslich wie im Hinblick auf die Verfahrensökonomie. Außerdem entsteht für die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender und die nationalen Kollisionsrechtsgesetzgeber ein weiteres Problem: die Füllung der Lücke, die das europäische Scheidungs-IPR hinsichtlich Privatscheidungen aufweist (siehe Teil III: § 7.I.3.b), S. 311 ff.). Die Schließung einer nachträglich zu Tage getretenen, ungewollten und ungeplanten Lücke im EUIPR ist bereits an sich schwierig genug. Dass ihre Reichweite nicht klar erkennbar und damit nicht zuverlässig feststellbar ist, welche Sachverhalte das nationale Kollisionsrecht ergänzend regeln muss, erschwert die Aufgabe zusätzlich. Abhilfe schaffen kann nur der europäische Gesetzgeber: Im Rahmen einer Reform der Rom III-VO müsste er klarstellen, ob und wenn ja welche außergerichtlichen Scheidungen in den Anwendungsbereich des bereits existierenden europäischen Internationalen Scheidungsrechts fallen bzw. diesen Anwendungsbereich für die Zukunft erweitern und gegebenenfalls zusätzliche Anknüpfungsregeln für Privatscheidungen schaffen.554 Die Hoffnung, dass eine Klärung der zahlreichen offenen Fragen auf diesem Wege in absehbarer Zukunft erfolgen wird, ist derzeit freilich eher gering. 3. Resultat Die Gründe für die Lücken im Anwendungsbereich des EU-IPR sind nachvollziehbar. Bei unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten in rechtspolitischen Fragen ist eine Harmonisierung mit Aussparungen einem Scheitern des Vereinheitlichungsprojekts vorzuziehen, auch eine Zurückhaltung hinsichtlich der nachträglichen Subsumtion bei der Gesetzgebung noch Für eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Rom III-VO auf Privatscheidungen durch den Unionsgesetzgeber z. B. C. Mayer FamRZ 2018, 171, 171. 553 Zum Beispiel für eine vertragliche Scheidung nach japanischem Recht mit anschließender Anmeldung nach nur formaler behördlicher Überprüfung die Anwendung der Rom III-VO ablehnend KG 3.11.2020 – 1 VA 1010/20. 554 Dafür z. B. Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 71. 552

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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nicht existenter bzw. bedachter Phänomene ist verständlich. Dass einzelne Fragen dem nationalen Kollisionsrecht überlassen bleiben, erweist sich aber langfristig als problematisch – um so mehr, wenn es sich um heikle, in bzw. zwischen den Mitgliedstaaten umstrittene Aspekte handelt. Denn die durch die Aussparungen im EU-IPR ermöglichte Fortsetzung divergierender Ansätze in den verschiedenen Mitgliedstaaten beeinträchtigt zwangsläufig die europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung. Das ist zwar als notwendige Konsequenz einer (bisher) nur punktuellen und schrittweisen Harmonisierung hinzunehmen – wenn es um den Anwendungsbereich der Kollisionsrechtsverordnungen geht, ist es jedoch äußerst nachteilig. Die Reichweite der einzelnen europäischen Rechtsakte muss einheitlich festgelegt werden. Sowohl die Abgrenzung zur nationalen Regelungsebene als auch die der EU-Verordnungen untereinander ist anders nicht zuverlässig möglich, die Zuweisung zu einem europäischen Rechtsakt muss verbindlich und ohne Beurteilungsspielraum für die Mitgliedstaaten erfolgen. Auch Qualifikationsentscheidungen sind im Hinblick auf das EU-IPR uniform zu treffen: Eine zwischen den Mitgliedstaaten „hinkende“ Qualifikation kann zu einer inkonsistenten Reichweite des EU-IPR führen (wie bei der Abgrenzung zwischen GüVO und PartVO) und damit die Rechtssicherheit erheblich beeinträchtigen. Diese Folgen sind um so gravierender, je fundamentaler und grundsätzlicher die offengelassenen Fragen und je größer die Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Auffassungen sind – gerade das Aussparen politisch schwieriger Grundsatzfragen und erst nachträglich offenkundig gewordener aktueller Streitpunkte erweist sich damit als Problem für das EU-IPR. Erschwerend tritt hinzu, dass die Situation häufig für sehr lange Zeit unklar bleibt. Für die Rechtsanwender bedeuten die anhaltenden Debatten – auch innerhalb einzelner Rechtsordnungen – erhebliche Unsicherheit und praktische Schwierigkeiten. Bis zu einer generellen Entscheidung der streitigen Aspekte durch den EU-Gesetzgeber im Rahmen einer Reform der betroffenen Rechtsakte, die derzeit für alle IPR-Verordnungen noch in eher weiter Ferne scheint, kann einzig der EuGH Klarheit bei der Auslegung der Anwendungsbereiche schaffen und Qualifikationsfragen verbindlich beantworten. Seine auf punktuelle Einzelfälle bezogenen Entscheidungen lassen allerdings zahlreiche Fragen offen oder werfen neue Streitpunkte auf; auch ihre oft fragliche Übertragbarkeit auf andere Fallkonstellationen perpetuiert und vertieft schlimmstenfalls die bestehenden Unsicherheiten. Negative Folgen haben anhaltende Zweifel bezüglich der für bestimmte Fragen maßgeblichen Rechtsregeln nicht nur für Rechtsanwender und Betroffene, sondern auch für die Effizienz der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und des EUIPR selbst, ganz zu schweigen von der erheblichen Beanspruchung des EuGH, der sich mit wiederholten Vorlagen befassen muss. Der Verzicht auf einheitliche EU-Positionen zu Auslegungs- und Qualifikationsfragen erweist sich langfristig als deutliche Belastung.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Nur auf den ersten Blick profitiert das mitgliedstaatliche IPR, dem nach wie vor die Beurteilung der ausgesparten Fragen obliegt. Die Zurücknahme des Anwendungsbereichs des EU-IPR bedeutet eine Rücksichtnahme auf die mitgliedstaatlichen Regelungsansätze. In den seltensten Fällen ist es jedoch mit der unveränderten Fortsetzung der bestehenden nationalen Herangehensweise getan: Das mitgliedstaatliche IPR muss nunmehr eine für den Kontext des EU-IPR geeignete Lösung finden. Als Herausforderung für das nationale Recht erweist sich bereits die genaue Bestimmung des Umfangs der zu schließenden Lücke – eine kohärente und belastbare nationale Antwort auf die auf europäischer Ebene offengelassenen Fragen setzt voraus, dass wenigstens deren Konturen klar umrissen sind. Besonders ungünstig sind hier erst nach Inkrafttreten eines EU-Rechtsakts offenkundig werdende Zweifel an seiner Anwendbarkeit auf bestimmte Fragen sowie nachträgliche negative Auslegungs- bzw. Qualifikationsentscheidungen auf europäischer Ebene. Stellt sich die Annahme, die betreffende Frage unterfiele dem EU-IPR, als verfehlt heraus, kann es – wie hinsichtlich der Privatscheidungen im deutschen Recht – an einer Regelung im nationalen Kollisionsrecht fehlen. Hinzu kommt, dass die Interpretation der Reichweite der Ausklammerungen nur auf europäischer Ebene erfolgt – und damit primär den Interessen des EUKollisionsrechts und allenfalls nachrangig den mitgliedstaatlichen Positionen Rechnung trägt. Aber auch inhaltlich kann die Schließung der im EU-IPR gelassenen Lücken für das nationale Kollisionsrecht alles andere als einfach sein. Einerseits stellt das Bewahren der nationalen Auffassungen gerade den Hauptbeweggrund für einen Regelungsverzicht auf europäischer Ebene dar. Gleichzeitig ist aber das mitgliedstaatliche IPR heute nicht mehr rein durch nationale Ansichten, sondern auch durch europäische Wertungen geprägt (siehe Teil III: § 7.II.1., S. 336 ff.). Es erscheint zunehmend fraglich, inwieweit nationale Qualifikations- und Auslegungsentscheidungen, gerade im Kontext der Anwendung von EU-Normen, noch rein aus nationaler Perspektive getroffen werden können und dürfen: Dabei sind die Grundrechte und die Prinzipien der Europäischen Grundrechtecharta, vor allem das Diskriminierungsverbot, zu achten (vgl. Erw. 30 Rom III-VO, Erw. 81 ErbVO, Erw. 73 GüVO /  Erw. 71 PartVO).555 Deren Ausstrahlung auch auf die dem nationalen IPR überlassenen Bereiche kann das mitgliedstaatliche Verständnis (z. B. des Ehebegriffs) beeinflussen.556 Es droht ein geradezu paradoxes Resultat: Das Unionsrecht gewährt den mitgliedstaatlichen Wertungen Raum, zwingt aber gegebenenfalls gleichzeitig zur Modifikation genau dieser Wertungen. Durch 555 Corneloup / Gössl / Verhellen Art. 1 Rome III Rn. 1.23; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 21. 556 Vgl. Corneloup / Gössl / Verhellen Art. 1 Rome III Rn. 1.23; Corneloup / Hammje Art. 3 Rome III Rn. 3.20.

II. EU-IPR: Ausgesparte Aspekte

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diese zumindest partiellen europäischen Einflüsse wird die Gemengelage noch unübersichtlicher. Unter Umständen führt ein europarechtskonformes bzw. -freundliches Verständnis für den Kontext des EU-IPR sogar zu Diskrepanzen mit dem „rein nationalen“ IPR – wie im deutschen Kollisionsrecht, das die gleichgeschlechtliche Ehe für den Bereich der Rom III-VO und der GüVO als „Ehe“ behandelt, sie in den nationalen Anknüpfungsregeln jedoch nach wie vor nicht der verschiedengeschlechtlichen Ehe gleichstellt (sie z. B. gerade nicht Art. 13 EGBGB unterstellt). Der Weiterentwicklung des EU-IPR ist die Zurücknahme zugunsten mitgliedstaatlicher Entscheidungen in Wertungsfragen ebenfalls auf lange Sicht wenig zuträglich. Divergierende Lösungen in den Mitgliedstaaten drohen künftige Verhandlungen zu erschweren, im Hinblick auf neue Rechtsakte verlockt die bereits anderweitig etablierte Möglichkeit der Aussparung von Streitpunkten gegebenenfalls dazu, auf eigenen Positionen stärker zu beharren. Für die Überarbeitung der bestehenden Rechtsakte kann der zwischenzeitliche Zwang zur Schaffung nationaler Lösungen dazu führen, dass sich die Fronten noch stärker verhärten und eine Einigung im „zweiten Anlauf“ anders als erhofft noch schwieriger wird – der ursprünglich als Konfliktlösung eingesetzte Mechanismus führt potentiell zu einer Verschärfung der Konflikte. Gleichzeitig kann die Hoffnung auf eine künftige europäische Vereinheitlichung die Suche nach geeigneten und umfassenden Lösungen für den derzeitigen Zustand hemmen, schlimmstenfalls verharrt man über lange Zeit im Limbo des unbefriedigenden status quo. Beides führt derzeit das Beispiel des Internationalen Abtretungsrechts vor Augen: Einerseits bremst die Erwartung eines ins Auge gefassten europäischen Rechtsakts die dringend notwendige Festlegung eines klaren, umfassenden Ansatzes im deutschen Kollisionsrecht, andererseits ist zunehmend unsicher, ob eine europäische Schließung der bewusst gelassenen Lücke in der Rom I-VO möglich sein wird (siehe Teil III: § 7.I.1.a)aa), S. 276 ff.). Wenn aber selbst im Hinblick auf diese eher technische Materie und selbst nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs, das für die ursprüngliche Aussparung der Drittwirkung von Forderungsabtretungen hauptverantwortlich war, derartige Komplikationen bestehen, weckt dies wenig Hoffnung für nachträgliche Einigungen in politisch sensiblen Fragen etwa des Personen- und Familienrechts. Der Verzicht auf eine europäische gesetzgeberische Entscheidung bzw. eine europäisch-autonome Qualifikation in „wertaufgeladenen“ Fragen des Anwendungsbereichs rächt sich also auf lange Sicht. Letztlich manifestiert sich darin wieder ein gewisser „Euro-Zentrismus“, der nur das kurzfristige Ziel der Verabschiedung einzelner Rechtsakte im Blick hat. Der Aussparung punktueller und rechtspolitisch heikler Fragen ist nicht abzusprechen, dass sie europäische Kollisionsrechtsakte überhaupt ermöglichen kann, doch der dadurch gezahlte Preis kann zu hoch werden. Rechtspolitisch erleichtert die Bereitschaft zur Aussparung problematischer Aspekte Blockadehaltungen einzelner

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Mitgliedstaaten, die insbesondere misslich sind, wenn sich bei einer Verstärkten Zusammenarbeit diejenigen, auf deren Bedenken die Ausnahme beruht, zu einer Teilnahme am Ende doch nicht durchringen können (wie jüngst die osteuropäischen Mitgliedstaaten bei der GüVO / PartVO). Inhaltlich ist die Zersplitterung des EU-IPR ebenfalls schädlich: Durch die unterschiedlich weite Anwendung ein und desselben Rechtsakts entstehen „zwei Geschwindigkeiten“ im eigentlich harmonisierten Bereich. Außerdem erscheint zunehmend fraglich, ob eine divergente Anwendung des EU-IPR – zumindest, wenn es um Statusfragen wie die Ehe geht – nicht bereits per se eine Beschränkung der Freizügigkeit darstellt. Was ursprünglich als Mechanismus zur Förderung des EU-Kollisionsrechts eingesetzt wurde, kommt als Bumerang zurück. Das Ausklammern streitträchtiger Aspekte zugunsten der Vereinheitlichung eines konsensfähigen Kerns war für die Anfangsphase der europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung ein gangbarer bzw. probierenswerter Ansatz. In der Anwendung wird jedoch offenbar, dass sich die inhaltliche Sprengkraft gerade dieser Themen auf Dauer eher noch verstärkt und die unüberbrückbaren Differenzen der nationalen Positionen die Anwendung des tatsächlich vereinheitlichten Rechts erheblich behindern. Inzwischen geht das EU-IPR über punktuelle Einzelrechtsakte hinaus und wächst zunehmend zu einem Gesamtsystem zusammen. Ein funktionsfähiges Kollisionsrechtssystem kann sich aber das Ausblenden zentraler Wertungs- und Qualifikationsentscheidungen nicht leisten, sondern muss gerade problematische grundlegende Fragen selbst beantworten. Stark divergierende nationale Vorstellungen scheinen als Basis für ein europäisches Kollisionsrecht wenig geeignet: Mangelndem Vereinheitlichungswillen und fundamentalen Differenzen zwischen den mitgliedstaatlichen Ansichten kann man mit einer „Vogel-Strauß-Politik“ nicht abhelfen. Soll die Kollisionsrechtsharmonisierung voranschreiten, wird man über kurz oder lang auf europäischer Ebene nicht umhinkommen, verbindliche Entscheidungen zu den bisher ausgesparten Streitfragen zu treffen. Für künftige Rechtsakte von Anfang an zu fordern und für die bestehenden Rechtsakte zu fördern ist die Entwicklung eines einheitlichen europäischen Verständnisses aller für die Auslegung des Anwendungsbereichs der EURechtsakte relevanten Begriffe und Konzepte. Sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten müssen aktiv an einer Schließung der derzeit bestehenden Lücken arbeiten. Seitens der EU kann dazu etwa die Initiierung rechtsvergleichender (Vor-)Arbeiten als Grundlage beitragen. Gerade aufgrund der Schwierigkeiten bei der Anpassung europäischer Rechtsakte sind ferner der Mut und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine dynamische Entwicklung des europäischen Verständnisses zu fordern, um Veränderungen der europäischen und mitgliedstaatlichen (Wert-)Vorstellungen Rechnung tragen zu können. Für nicht konsensfähige Situationen kommt schließlich die Entwicklung eines Optionsmodells in Betracht. Anstatt die Entscheidung der Vielzahl nationaler Ansichten anheim zu geben, könnte man den Mitgliedstaaten die

III. Folgerungen

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Wahl zwischen zwei klar geregelten Interpretationen des EU-IPR bieten (z. B. „enger Ehebegriff“ begrenzt auf heterosexuelle Ehen und „weiter Ehebegriff“ unter Einschluss gleichgeschlechtlicher Ehen), mit jeweils festgelegten Konsequenzen für Interpretation und Anwendung des EU-IPR. Damit wären die Positionen der einzelnen Mitgliedstaaten klar erkennbar, die nationalen Rechtsordnungen könnten sich darauf einstellen, die Anwendungsdivergenzen wären zumindest auf ein überschaubares Maß reduziert – für die Rechtssicherheit läge darin bereits ein erheblicher Fortschritt. Von den Mitgliedstaaten ist umgekehrt im Hinblick auf das EU-IPR größere Offenheit und Toleranz zu fordern, denn je mehr es den materiell-rechtlichen Wertvorstellungen einzelner Mitgliedstaaten Rechnung tragen muss, desto ineffizienter und inkohärenter wird es. Ziel sollte daher nicht das „Heraushandeln“ (vermeintlich) eigenen Interessen dienender europäischer Zurückhaltung sein, sondern vielmehr die konstruktive Entwicklung einer wertneutralen Lösung von Abgrenzungs- und Interpretationsfragen „im europäischen Sinne“. III. Folgerungen III. Folgerungen

Bei der Abgrenzung zwischen europäischem und nationalem IPR sorgt das hierarchische Verhältnis der Regelungsebenen für eine gewisse Klarheit: Bei konkurrierenden Anwendungsbegehren ist grundsätzlich zugunsten des europäischen Kollisionsrechts zu entscheiden. Die Antwort auf die vielfach erst bei der praktischen Anwendung zu Tage tretenden Fragen zu den Details der Grenzziehung liefern der abstrakte Zuschnitt der europäisch geregelten kollisionsrechtlichen Statute und die konkrete Qualifikation einzelner Rechtsinstitute – die für das EU-IPR jeweils aus europäischer Warte vorzunehmen sind. Diese Entscheidungen sind allerdings rechtspolitisch erheblich aufgeladen, da sie nicht nur über die Zuweisung zu einem Rechtsakt bestimmen, sondern in vielen Fällen auch die grundlegendere Entscheidung über die Maßgeblichkeit europäischen oder nationalen Kollisionsrechts beinhalten. Vor allem Qualifikationsentscheidungen gewinnen dadurch an zusätzlicher Schärfe: Die Qualifikation beeinflusst nicht nur den anwendbaren Rechtsakt, sondern auch die Regelungsebene.557 Entscheidungen über das Anwendungsbegehren des EU-IPR sind zwangsläufig anhand europäisch-autonomer Auslegung und Qualifikation zu treffen. Dass mit der Überführung von Kollisionsregeln in EU-Verordnungen häufig auch eine Veränderung des Statutenzuschnitts bzw. von Qualifikationsentscheidungen einhergeht, ist ebenso selbstverständlich wie grundsätzlich hinzunehmen. Die Aufgabe bisheriger mitgliedstaatlicher Positionen ist notwendige Folge jeder Vereinheitlichung. Auch wenn die europäische Re-Qualifikation in manchen Fällen aufsehenerregend ist (vor allem, wenn es um bereits 557

Vgl. Dörner in: Dutta / Herrler, 73, Rn. 3.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

im mitgliedstaatlichen IPR streitige Fragen geht), ist sie nur die konsequente Folge der Neubeurteilung von Problemen in ihrem neuen (europäischen) Kontext. Technisch ist das EU-IPR hier wenig spektakulär: Es bedient sich bei Interpretations- und Qualifikationsfragen der klassischen Techniken des Kollisionsrechts, die für die europäisch-autonome Anwendung nur leicht modifiziert werden. Problematisch und polarisierend sind die Entscheidungen des EU-IPR über seine Reichweite vielmehr in inhaltlicher Hinsicht. Einerseits ist eine starke Tendenz zu einem beinahe überbordend weiten Verständnis des Anwendungsbereichs der EU-Rechtsakte zu beobachten, andererseits übt sich das EU-Kollisionsrecht gerade in schwierigen und folgeträchtigen Fragen punktuell in Zurückhaltung. Beides erweist sich als besonders misslich, wenn es erst als nachträgliche Überraschung für die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender zu Tage tritt. Ein weites Verständnis der europäischen Normen ist zweifelsohne in den meisten Fällen dem effet utile des europäischen IPR eher dienlich, schon weil damit ein weitreichenderer Harmonisierungseffekt einhergeht.558 Auch einer gewissen Klarheit für die Anwender ist die Interpretationsgrundlinie „in dubio pro EU“ zuträglich. Langfristig wird ein allzu weites Verständnis der bereits europäisch geregelten Statute aber zum Problem. Da man zwangsläufig „spiegelbildlich“ den (noch) nicht europäisch erfassten Bereich stark verengt, bleibt für diesen zunehmend weniger sinnvoller Bewegungs- und Handlungsspielraum. Das betrifft zunächst einmal die Mitgliedstaaten (wie bei den allgemeinen Ehewirkungen oder dem Internationalen Sachenrecht), kann sich aber auch für die spätere Harmonisierung dieser Gebiete als Stolperstein erweisen (so kann z. B. ein extensives Verständnis des Erbstatuts die Anwendung des nunmehr europäischen Güterkollisionsrechts beeinträchtigen). Vor einer allzu weit gefassten, „überschießenden“ Interpretation und Qualifikation im Rahmen der bereits bestehenden EU-Kollisionsrechtsverordnungen ist daher zu warnen. Umgekehrt ist die meist durch unüberbrückbar scheinende politische Differenzen motivierte Aussparung einzelner Aspekte vom Anwendungsbereich des EU-IPR auf Dauer weder der effizienten Anwendung des verabschiedeten Rechtsakts noch der weiteren Harmonisierung zuträglich. Wenn die Frage nach der Einbeziehung eines (politisch heiklen) Rechtsinstituts erst nach der Verabschiedung einer EU-Verordnung auftritt, wird tendenziell – entgegen der sonst großzügigen Linie – ein enges Verständnis der Reichweite des EUIPR an den Tag gelegt und die Suche nach einer Lösung zumindest vorerst den mitgliedstaatlichen Rechtsanwendern überlassen, denen eine Gratwanderung zwischen europäisch sinnvoller Ergänzung und Einklang mit nationalen Prinzipien und Regeln aufgebürdet wird. Die Zuweisung einzelner Aspekte zum nationalen IPR funktioniert nur begrenzt, auf lange Sicht wird sie zugunsten einheitlicher europäischer Vorgaben aufgegeben werden müssen. 558

Vgl. Mankowski ErbR 2018, 295, 301.

III. Folgerungen

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In beiden Fällen erweist sich als inhaltliches Hauptproblem, dass die Entscheidungen über die (Nicht-)Anwendbarkeit des EU-IPR auf europäischer Ebene und ausschließlich aus europäischer Perspektive gefällt werden. Das ist zunächst systemimmanent, auch im Interesse der Harmonisierung ist selbstverständlich zu akzeptieren und letztlich unausweichlich, dass das europäische Kollisionsrecht bei autonomer Auslegung andere Einteilungen vornimmt als manche mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, manches an sich zieht und anderes (noch) nicht behandeln möchte.559 Ungünstig ist aber, dass den Entscheidungen bislang stets ein gewisser „Euro-Zentrismus“ zugrunde liegt. Die Verschiebungen der Grenzlinien zwischen Statuten sowie die europäisch-autonomen Qualifikationsentscheidungen wirken sich zumeist zugunsten des Anwendungsbereichs des EU-IPR und zulasten des nationalen Kollisionsrechts aus. Auch negative Entscheidungen über die Anwendbarkeit des EU-IPR sind stets primär durch die europäischen Interessen motiviert. Qualifikationsentscheidungen an den Schnittstellen erfolgen nicht anhand der (gleichwertigen) Zusammenschau beider betroffener Statute, sondern schon auf der Basis einseitiger Schwerpunktsetzung. Damit wird zwar den europäischen Kollisionsrechtsakten im Hinblick auf die konkrete Frage jeweils zu effektiver Geltung verholfen – doch die Konsequenzen dieser Entscheidung, gerade ihre Reflexwirkungen auf das nationale IPR, werden weitgehend ausgeblendet. Dem Vorteil, dass mit einer einheitlich-europäischen Qualifikationsentscheidung bisherige Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten wegfallen, steht aber gegenüber, dass dadurch in vielen Fällen auch die Koordinationsmechanismen des nationalen IPR obsolet werden, das bei seinen Zuordnungsentscheidungen innerhalb ein und desselben Systems einzelfallgerechte, ganzheitliche Antworten liefern konnte. Die europäisch-autonomen Vorgaben sind dagegen pauschal, lassen nur begrenzten Raum für individuelle Justierung und liefern allenfalls zaghafte Ansätze für die Lösung der von ihnen verursachten Koordinationsprobleme. Ein Beispiel hierfür ist die Anpassung als klassisches Instrument zum Ausgleich von Problemen der Statutenabgrenzung bzw. -kombination.560 Die bisherigen Modelle des nationalen Kollisionsrechts sind nur bedingt auf die nunmehr „ebenenübergreifenden“ Koordinationsprobleme zwischen regelungstechnisch isoliert nebeneinanderstehenden nationalen und europäischen Kollisionsregeln anwendbar – europäische Anpassungsregeln allerdings bestenfalls im Keimstadium auszumachen.561 559 Vgl. Dutta FamRZ 2013, 4, 4, 12; Laukemann in: FS Schütze, 325, 330; Margonski GPR 2013, 106, 108; Rupp EPLJ 7 (2018), 267, 279; Rupp GPR 2016, 295, 297; Tereszkiewicz / Wysocka-Bar ERPL 2019, 875, Rn. 15; R. Wagner NJW 2017, 3755, 3756. 560 Zur Anpassung z. B. von Hein EPLJ 6 (2017), 142, 150 ff.; Mansel in: FS CoesterWaltjen, 587, 592 ff.; Martínez-Escribano ERPL 2017, 553, 565 ff. 561 Vgl. Art. 31 ErbVO, Art. 29 GüVO / PartVO. – Zur Anpassung im EU-IPR Dannemann in: Leible, 331, 331 ff.; Gössl RabelsZ 82 (2018), 618, 618 ff.

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Teil II: § 3 – Qualifikationsfragen: EU-IPR und nationales Kollisionsrecht

Teil dieses Problems ist der EuGH. Zum einen kann er nur nachträglich und punktuell über die ihm vorgelegten Einzelfragen entscheiden, die nicht immer als Basis für eine generelle Klärung ideal sind. Zentrale Streitpunkte bleiben in Ermangelung geeigneter EuGH-Vorlagen unter Umständen lange Zeit offen, umgekehrt bietet die Verallgemeinerung der im Einzelfall gerechten Ergebnisse erhebliche Sprengkraft. Der auf einer abstrakt-generellen Systematik basierenden kontinentaleuropäischen Kollisionsrechtstradition ist eine derartige case law-Methodik zusätzlich wesensfremd. Zum anderen trifft der EuGH seine Entscheidungen aus rein europäischer Warte. Dabei ist er auf die Auslegung des konkret in Frage stehenden europäischen Rechtsakts begrenzt: Die damit interagierenden nationalen Kollisionsregeln darf er nicht beurteilen, andere europäische Rechtsakte nimmt er nicht immer vollständig in den Blick. Dieser Fokus auf dem Anwendungsbegehren des europäischen IPR läuft jedoch Gefahr, allzu stark von der Position und den Bedürfnissen des ebenfalls beteiligten nationalen IPR abzulenken. Auch inhaltlich zeugen die EuGH-Urteile nicht in allen Fällen von Verständnis für die Zusammenhänge und Eigenheiten des mitgliedstaatlichen Kollisions- und Sachrechts, von der Berücksichtigung der Entscheidungsfolgen für die nationale Regelungsebene ganz abgesehen. Die alleinige Entscheidungskompetenz des EuGH über die Reichweite des EU-IPR ist zwar zwingend, trägt aber zur „Schlagseite“ zugunsten der europäischen Ebene wesentlich bei. Insgesamt entsteht immer wieder der Eindruck holzschnittartiger, proeuropäischer Entscheidungen zur Reichweite der IPR-Verordnungen, die teils tief in die bestehenden Modelle eingreifen und selbst bei einer Beschränkung auf einzelne Fragen mit ihren Auswirkungen das national verbliebene (Kollisions-)Rechtsgefüge ins Wanken bringen können. Dass die weitreichenden Konsequenzen auch über das IPR hinaus bei der europäischen Entscheidung oft nicht einbezogen werden, haben unter anderem die Entscheidungen Kubicka und Sahyouni eindrücklich vor Augen geführt. Es erweist sich als ausgesprochen schwierig, wenn abstrakte Zuordnungsentscheidungen auf einer Regelungsebene getroffen werden, ihre konkrete Implementierung jedoch einer anderen Regelungsebene überlassen bleibt. Das mitgliedstaatliche (Kollisions-)Recht muss diese Folgen abfedern, dabei gleichzeitig den gegenläufigen Tendenzen eines weiten Anwendungswillens der EU-Rechtsakte und der bewussten Ablehnung der Regelung mancher problematischer Fragen Rechnung tragen und seine Lösungen zumindest indirekt an europäischen Wertungsentscheidungen orientieren. Jede einzelne Auslegungs- und Qualifikationsentscheidung prägt einerseits das EU-IPR als solches und zwingt andererseits das nationale IPR zur Reaktion. Bei künftigen Abgrenzungs- und Zuordnungsfragen zur Reichweite einzelner IPR-Verordnungen muss diese zusätzliche Dimension der Verantwortung gegenüber den Mitgliedstaaten und vor allem gegenüber den Rechtsanwendern und Betroffenen stärker ins Bewusstsein rücken.

III. Folgerungen

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Hinsichtlich der grundsätzlichen Frage, ob die bisherige Herangehensweise einer bereichsbegrenzten europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung unverändert fortgesetzt werden kann bzw. sollte, sind damit bereits aus der eher formalen Perspektive der Abgrenzung des EU-IPR erhebliche Zweifel zu konstatieren. Die nach wie vor punktuelle Natur des EU-IPR erweist sich als zunehmend nachteilig: Bereits die Herauslösung einzelner Gebiete aus den ursprünglich ganzheitlichen Kollisionsrechtsmodellen der Mitgliedstaaten ist problematisch, die rechtsaktbezogene Betrachtungsweise bei Abgrenzungsfragen verschärft die bestehenden Konflikte noch. Bei der Bestimmung der Reichweite der IPR-Verordnungen drängt sich die europäische Ebene einerseits ohne Rücksicht auf Verluste in das nationale Kollisionsrecht hinein und lässt andererseits dringend regelungsbedürftige Fragen ungelöst. Der Schaffung eines neuen kohärenten Systems ist dieses „Rosinenpicken“ ebenso wenig zuträglich wie der nur auf den effet utile einzelner Rechtsakte gerichtete Fokus, der ein ganzheitliches, (materiell-rechtliche) Wertungen einbeziehendes Systemverständnis als Grundlage kollisionsrechtlicher (Qualifikations-)Entscheidungen nicht ersetzen kann. Auch aus EU-Sicht ist diese Herangehensweise global betrachtet kurzsichtig, da sie wie gesehen rechtstechnisch die weitere Europäisierung des Kollisionsrechts zu hemmen und rechtspolitisch erheblichen Widerstand der Mitgliedstaaten und Skepsis gegenüber künftigen Vereinheitlichungsvorhaben hervorzurufen droht. Langfristig muss die Grenzziehung zwischen europäischen und nationalen Kollisionsregeln eindeutig und konsequent erfolgen. Bei ihrer Weiterentwicklung wird sich die europäische Regelungsebene entweder bewusst zugunsten des nationalen Kollisionsrechts zurücknehmen oder aber sich auch und gerade mit problematischen Aspekten auseinandersetzen müssen.

§ 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und völkerrechtliches Kollisionsrecht Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Das Zusammenspiel von europäischem und völkerrechtlichem IPR kann nicht auf ein grundsätzliches Hierarchieverhältnis der Regelungsebenen aufbauen. Anders als gegenüber dem nationalen Recht können die EU-Verordnungen nicht automatischen und umfassenden Vorrang beanspruchen – sie müssen aber auch nicht ihrerseits gegenüber völkerrechtlichen Rechtsakten zurücktreten. Dementsprechend ist bei einer potentiellen Überschneidung der sachlichen Anwendungsbereiche das Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zu völkerrechtlichen Rechtsinstrumenten primär durch ein Streben nach Integration und Koordination geprägt. Die Basis hierfür bilden die in allen Kollisionsrechtsverordnungen enthaltenen Rücksichtnahmeklauseln (Art. 25 Rom I-VO, Art. 28 Rom II-VO, Art. 19 Rom III-VO, Art. 75 ErbVO, Art. 62 GüVO/Part-

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

VO, Art. 69 UnthVO und Art. 11 AbtrVO-E, siehe dazu oben § 2.III.1., S. 60 ff.). Hinzu treten nur gelegentlich weitere, zumeist nur punktuelle oder sehr allgemein gehaltene Regelungen; im Übrigen ist auf allgemeine Grundsätze und Regelungen des Völker- und Unionsrechts zurückzugreifen. Insbesondere trägt das EU-IPR den Prinzipien des Vorrangs völkerrechtlicher Rechtsakte (gegenüber nationalem Recht) und der Bindung der Mitgliedstaaten durch bestehende Staatsverträge Rechnung. Ebenso wie im Verhältnis zum nationalen IPR ist die Reichweite des sachlichen Anwendungsbereichs der betroffenen Kollisionsrechtsakte grundlegend: Nur, soweit überhaupt Überschneidungen bestehen, stellt sich die Frage nach dem Vorrang. Die damit verbundenen Abgrenzungs- und Qualifikationsfragen bereiten allerdings zumeist weniger Schwierigkeiten, da die völkerrechtlichen IPR-Instrumente (insbesondere multilaterale Konventionen) ihren Anwendungsbereich zumeist klar festlegen und begrenzen. Vorrangprobleme stellen sich für das EU-IPR außerdem lediglich im Verhältnis zu bereits bestehenden Staatsverträgen einzelner Mitgliedstaaten. Mit dem Übergang zum EU-Kollisionsrecht verlieren die Mitgliedstaaten für den von diesem geregelten Bereich auch ihre Außenkompetenz (siehe Teil I: § 1.II.2.c), S. 23 ff.; Teil III: § 8.II.1., S. 495 ff.), sodass nur die EU neue völkerrechtliche Bindungen eingehen darf. Da diese neuen Staatsverträge alle Mitgliedstaaten erfassen und naturgemäß inhaltlich mit dem bestehenden EU-IPR abgestimmt werden, ist die Rücksichtnahme auf punktuell von den europäischen Anknüpfungsregeln abweichendes völkerrechtliches Kollisionsrecht hier kein Thema. In den Vordergrund rücken stattdessen Fragen der Abstimmung zwischen völkerrechtlichen und europäischen IPR-Instrumenten. Die Probleme des Verhältnisses des europäischen zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht sind damit nicht nur anders gelagert als in seinen Beziehungen zum nationalen Recht, sondern auch in sich vielseitiger und erfordern differenziertere Lösungen. Neben dem Zeitmoment spielen auch die jeweils beteiligten Akteure eine wesentliche Rolle für die Koordination der Rechtsakte. Erhebliche Probleme können sich bereits in praktischer Hinsicht stellen. Gewissermaßen im Vorfeld der eigentlichen Kollisionsrechtsabstimmung und -anwendung müssen alle Staatsverträge mit Überschneidung zum EU-IPR zuverlässig identifiziert werden. Gerade im Hinblick auf mitgliedstaatliche bilaterale Abkommen älteren Datums ist dies eine potentielle Hürde. Im Folgenden werden daher zunächst die für das EU-Kollisionsrecht relevanten völkerrechtlichen Rechtsinstrumente im Überblick vorgestellt (dazu I.), wobei zwischen multilateralen und bilateralen Staatsverträgen differenziert wird. Darauf aufbauend werden die verschiedenen Strategien des Umgangs des europäischen Kollisionsrechts mit völkerrechtlichen IPR-Regeln vorgestellt und ihre spezifischen Vor- und Nachteile erläutert (dazu II.).

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

I.

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Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

Das EU-IPR muss die bestehenden staatsvertraglichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten achten – es „erbt“ gewissermaßen die von diesen eingegangenen komplexen Bindungen.562 Bereits die Ermittlung aller völkerrechtlichen Verträge, deren Anwendungsbereich sich mit jenem des bereits bestehenden oder geplanten EU-Kollisionsrechts überschneidet, stellt eine Herausforderung dar. Neben die einfach erkennbaren multilateralen Übereinkommen im Bereich des IPR tritt eine unüberschaubare Vielzahl weiterer potentiell relevanter Rechtsakte. So können auch primär auf die Sachrechtsharmonisierung abzielende Konventionen direkte oder indirekte Wirkung auf das EU-IPR ausüben, wenn sie als „gemischte Übereinkommen“ auch einzelne spezielle Kollisionsregeln für ihren Bereich enthalten563 oder aufgrund der materiellen Vereinheitlichung eine Kollisionsrechtsvereinheitlichung weniger wichtig erscheinen lassen. Hier drängt sich der IPR-Gehalt nicht bereits auf den ersten Blick auf. Ebenfalls mehr oder weniger versteckt sind bilateral-staatsvertragliche Anknüpfungsregeln, die zumeist als Teil genereller zwischenstaatlicher Abkommen (z. B. im Bereich der gegenseitigen Rechtshilfe) eine eher untergeordnete Rolle spielen. Die zuverlässige Identifizierung aller möglicherweise mit dem EU-IPR interagierenden völkerrechtlichen Kollisionsregeln erweist sich damit bereits für eine einzelne Rechtsordnung als schwierig; eine umfassende Bestandsaufnahme für alle EU-Mitgliedstaaten fehlt bis heute erst recht. Auch hier kann und soll eine solche nicht unternommen werden. Im Folgenden werden zunächst die für das EU-IPR relevanten multilateralen Übereinkommen unter mitgliedstaatlicher Beteiligung im Überblick vorgestellt (dazu 1.). Anschließend wird die Vielfalt bilateraler Abkommen anhand von Beispielen illustriert (dazu 2.). Die Darstellung ist jeweils nach den europäischen Kollisionsrechtsverordnungen geordnet, mit denen sich der sachliche Anwendungsbereich des völkerrechtlichen Kollisionsrechts überschneidet; im Vordergrund stehen die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Staatsverträge.564 Für die zu konstatierenden Informationsschwierigkeiten im Hinblick auf Vorhandensein und Reichweite staatsvertraglichen Kollisionsrechts werden rechtspolitische und praktische Lösungsvorschläge gemacht (dazu 3.).

Vgl. Cremona in: Franzina, 3, 9. MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 19 Rom III-VO Rn. 1. 564 Vgl. die auf Deutschland fokussierte Darstellung multilateraler Staatsverträge bei BeckOGK / Fervers (Stand: 1.7.2021) Art. 3 EGBGB Rn. 79.1 ff. sowie den Überblick über die bilateralen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland bei BeckOGK / Fervers (Stand: 1.7.2021) Art. 3 EGBGB Rn. 79.14 ff. 562 563

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

1. Multilaterale Konventionen Für eine Vielzahl an Vertragsstaaten konzipierte Übereinkommen mit kollisionsrechtlicher Relevanz werden in der Regel unter der Ägide einer Internationalen Organisation entwickelt und verabschiedet (siehe Teil I: § 1.II.1., S. 3 ff.). Prominenteste und wichtigste Institution ist die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, die speziell und ausschließlich die weltweite Vereinheitlichung des IPR und IZVR durch multilaterale Konventionen zum Ziel hat. Als weitere Akteurin mit Relevanz für die Mitgliedstaaten der EU ist heute vor allem die CIEC zu nennen, deren Vertragswerke im Bereich des Personenstandsrechts teils auch das Kollisionsrecht mit einbeziehen. Zumindest punktuell sind schließlich von der UN erarbeitete multilaterale Staatsverträge zu berücksichtigen: Zwar betätigt sich diese kaum je spezifisch kollisionsrechtsvereinheitlichend, doch enthalten einige UN-Konventionen, insbesondere zur Sachrechtsvereinheitlichung, gewissermaßen als „Annex“ auch einzelne bereichsspezifische völkervertragliche Kollisionsregeln. Neben eine Konzentration auf die für das internationale Wirtschaftsrecht relevanten Bereiche (dazu a)) treten dabei seit jeher auch Übereinkommen zum Internationalen Familienrecht (dazu b)); die unüberschaubare Vielzahl der Übereinkommen erweist sich allerdings zunehmend als Problem (dazu c)). a) Internationales Schuld- und Sachenrecht Im Bereich des Internationalen Schuldvertragsrechts existieren zahlreiche multilaterale Konventionen, die das europäische Kollisionsrecht mehr oder weniger stark betreffen. Als rein kollisionsrechtliche Staatsverträge sind zunächst einige Haager Übereinkommen zu nennen. Am Haager Übereinkommen von 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht565 sind neben einigen Drittstaaten (Norwegen, Schweiz, Niger sowie Dänemark, das im Hinblick auf die Rom I-VO als Drittstaat gilt) auch vier Mitgliedstaaten (Finnland, Frankreich, Italien, Schweden) beteiligt; ein weiterer (Belgien) hat 1999 das Übereinkommen gekündigt, drei andere (Luxemburg, Niederlande, Spanien) haben es gezeichnet. Darüber hinaus gehende Entwicklungen sind für die nächste Zeit eher nicht zu erwarten. Das weiter gefasste Haager Übereinkommen über das auf Internationale Warenkaufverträge anwendbare Recht von 1986566 konnte sich dagegen (wohl auch aufgrund der einheitsrechtlichen Konkurrenz durch das UN-

565 Übereinkommen vom 15. Juni 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht. 566 Haager Übereinkommen vom 22. Dezember 1986 über das auf Internationale Warenkaufverträge anwendbare Recht.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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Kaufrecht [CISG]567) nicht durchsetzen,568 sein Inkrafttreten erscheint inzwischen ausgeschlossen. Beim Haager Stellvertretungsübereinkommen (HStÜ) von 1978569 sind drei der vier Vertragsstaaten Mitgliedstaaten (Frankreich, Niederlande, Portugal) – derzeit und in absehbarer Zukunft einziger DrittstaatVertragsstaat ist Argentinien. Bislang weltweit nur geringe und in der EU überhaupt keine Bedeutung kommt dem Haager Wertpapier-Übereinkommen von 2006570 zu, dessen Kollisionsregeln für Intermediär-verwahrte Wertpapiere lediglich für drei Drittstaaten (Mauritius, Schweiz, USA) in Kraft sind; ein künftiger Erfolg des Übereinkommens ist jedoch – insbesondere, falls Ansätze zur materiellen Rechtsvereinheitlichung in diesem Bereich Erfolg haben sollten – nicht vollständig auszuschließen. Für EU-Mitgliedstaaten relevant sind damit zwei rein kollisionsrechtliche Haager Übereinkommen zum Schuldvertragsrecht, für die allerdings eine deutsche Beteiligung weder besteht noch zu erwarten ist. Hinzu treten noch zwei ältere, spezielle Kollisionsrechtsübereinkommen zum Wertpapierrecht: Das Genfer Übereinkommen zum Internationalen Wechselrecht von 1930571 sowie das Genfer Übereinkommen zum Internationalen Scheckrecht von 1931572, die die entsprechenden Konventionen zum materiellen Einheitsrecht (Genfer Wechselübereinkommen von 1930573 und Genfer Scheckübereinkommen von 1931574) kollisionsrechtlich ergänzen. Durch diese Übereinkommen sind alle EU-Mitgliedstaaten (früher: mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs) gebunden. Dem noch nicht in Kraft getretenen UN-Übereinkommen über internationale Wechsel von 1988575 ist dagegen kein einziger EU-Mitgliedstaat beigetreten. Zu beachten sind für das europäische Kollisionsrecht daneben die Übereinkommen zum materiellen Einheitsrecht, von denen es auf dem Gebiet des

567 Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) vom 11.4.1980. 568 Zeichnung durch die Niederlande, die Slowakei und die Tschechische Republik, Ratifikation durch Argentinien und die Republik Moldau. 569 Übereinkommen vom 14. März 1978 über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht. 570 Übereinkommen vom 5. Juli 2006 über die auf bestimmte Rechte an Intermediärverwahrten Wertpapieren anzuwendende Rechtsordnung. 571 Genfer Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechselprivatrechts vom 7.6.1930, in Deutschland umgesetzt in Artt. 91 ff. Wechselgesetz (WG). 572 Genfer Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Scheckprivatrechts vom 19.3.1931, in Deutschland umgesetzt in Artt. 60 ff. Scheckgesetz (ScheckG). 573 Genfer Abkommen über das Einheitliche Wechselgesetz vom 7.6.1930. 574 Genfer Abkommen über das Einheitliche Scheckgesetz vom 19.3.1931. 575 UN-Übereinkommen über internationale Wechsel und internationale Eigenwechsel vom 9.12.1988.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

vertraglichen Schuldrechts eine beachtliche Anzahl gibt.576 Zu nennen sind hier aus europäischer Warte neben dem CISG vor allem die beiden 1988 in Ottawa verabschiedeten UNIDROIT-Übereinkommen zum Factoring577 (in Kraft in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Lettland, Ungarn sowie Nigeria, Russland und der Ukraine) und zum Finanzierungsleasing578 (verbindlich für Frankreich, Italien, Lettland, Ungarn sowie Nigeria, Panama, Russland, die Ukraine, Usbekistan und Weißrussland), ferner die transportrechtlichen Übereinkommen (z. B. das CMR von 1956579)580 sowie das Bretton-Woods-Übereinkommen von 1944.581 Das noch nicht in Kraft getretene UNCITRAL-Abtretungsübereinkommen von 2001582, das als einziger EUMitgliedstaat Luxemburg gezeichnet hat, und das ebenfalls noch nicht in Kraft getretene UNIDROIT-Stellvertretungsübereinkommen von 1983583 (ratifiziert von Frankreich, Italien, den Niederlanden sowie Mexiko und Südafrika) spielen dagegen für die kollisionsrechtlichen Entwicklungen in Europa allenfalls eine indirekte Rolle, da Parallelen zu bestehenden Übereinkommen in die Diskussion potentieller europäischer Anknüpfungsregeln einfließen. Im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse sind erneut zwei Haager Übereinkommen – an denen wiederum Deutschland nicht beteiligt ist – zentral. Das Haager Übereinkommen von 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (HStVÜ)584 weist 21 Vertragsstaaten auf, von denen 13 EU-Mitglieder sind (Belgien, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik); ein weiteres EU-Mitglied (Portugal) hat das Übereinkommen gezeichnet. Insgesamt 11 Vertragsstaaten, 576 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 8 ff.; MüKo8 / Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 4; Rauscher / von Hein Art. 25 Rom I-VO Rn. 5 ff. jeweils m. w. N. zum Streit um die Kompetenz der EU für einheitsrechtliche Staatsverträge. – Anders für die Rom II-VO dagegen BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 13 f. 577 UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring vom 28.5.1988. 578 UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Finanzierungsleasing vom 28.5.1988. 579 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom 19.5.1965. 580 Siehe insgesamt BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom IVO Rn. 8 f. 581 Bretton-Woods-Abkommen über den Internationalen Währungsfonds vom 1.22.7.1944. 582 UNCITRAL-Übereinkommen über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel vom 12.12.2001. 583 UNIDROIT-Übereinkommen über die Stellvertretung beim internationalen Kauf von beweglichen Sachen vom 17.2.1983. 584 Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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davon 7 EU-Mitgliedstaaten (Finnland, Frankreich, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Slowenien, Spanien) sind am Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht (HProdHaftÜ) von 1973585 beteiligt; mit Belgien, Italien und Portugal haben weitere drei Mitgliedstaaten das Übereinkommen gezeichnet. Einheitsrechtlich kann das Produkthaftpflicht-Übereinkommen des Europarates von 1977586 heute als erledigt betrachtet werden: Außer vier Zeichnungen kurz nach seiner Verabschiedung (Belgien, Frankreich, Luxemburg, Österreich) wurden keine weiteren Schritte in Richtung seines Inkrafttretens mehr unternommen. Für das EU-IPR relevante spezielle Kollisionsnormen sind allerdings punktuell in anderen einheitsrechtlichen Übereinkommen zum außervertraglichen Schuldrecht enthalten (z. B. Art. 15 Abs. 2 Internationales Übereinkommen über Bergung587).588 Vom europäischen Kollisionsrecht zu berücksichtigen sind schließlich die Staatsverträge, mit denen ein spezielles internationales Haftungsregime für Nuklearschäden geschaffen wurde.589 Das inzwischen durch drei Protokolle ergänzte Pariser Atomhaftungsübereinkommen (PÜ) von 1960590 mit dem sogenannten Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1963591 trifft eine nur im Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander anwendbare (Art. 2 PÜ) Haftungsregelung für ortsfeste Kernenergieanlagen und verweist im Übrigen in seinem Art. 14 lit. b) PÜ auf das Forumstaatsrecht; sein auch Deutschland umfassender Teilnehmerkreis ist weitgehend auf Westeuropa beschränkt.592 585 Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht. 586 Europäisches Übereinkommen über die Produkthaftpflicht bei Personenschäden und Tod vom 27.1.1977. 587 Internationales Übereinkommen über Bergung vom 28.4.1989. Diesem von der International Maritime Organization entwickelten Übereinkommen sind weltweit über 70 Vertragsstaaten beigetreten. 588 Vgl. dazu BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 11 ff.; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 12, 22 ff. 589 Siehe zur komplexen internationalen Rechtslage U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 598 ff.; Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1305 ff. 590 Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982; das Änderungsprotokoll vom 12.2.2004 ist noch nicht in Kraft getreten. 591 Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982. 592 Siehe MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 95; U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 599, 600; Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1307 f. – Weitere Vertragsstaaten sind Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Niederlande, Portugal, Slowenien, Spanien und Schweden sowie Norwegen, die Schweiz, die Türkei und das Vereinigte Königreich; gezeichnet haben Luxemburg und Österreich.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Die Haftungsregeln des Wiener Übereinkommens über die Haftung für nukleare Schäden von 1963593 erfassen Nuklearschäden insbesondere durch kerntechnische Anlagen und stehen weltweit Vertragsmitgliedstaaten offen; neben Russland sind daran neun osteuropäische EU-Mitgliedstaaten beteiligt, nicht allerdings die PÜ-Vertragsstaaten.594 Hinzu treten das Gemeinsame Protokoll über die Anwendung des Wiener und des Pariser Übereinkommens von 1988595 sowie das Übereinkommen über ergänzende Entschädigung bei Nuklearschäden von 1997596. Für das Internationale Sachenrecht liegt bisher mit dem Haager Trustübereinkommen von 1985597 ein einziger völkerrechtlicher Kollisionsrechtsakt vor, der aber immerhin fünf Mitgliedstaaten (Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande und Zypern – gezeichnet darüber hinaus von Frankreich) und neun Drittstaaten (darunter das Vereinigte Königreich sowie Kanada und Australien) bindet. Als Einheitsrecht mit Berührungspunkten zum Kollisionsrecht zu berücksichtigen ist die UNIDROIT-Konvention von Kapstadt über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung von 2001598 mit den dazugehörigen Protokollen über Luftfahrzeugausrüstung (2001)599, rollendes Eisenbahnmaterial (2007)600, Weltraumvermögenswerte (2012)601 sowie Landwirtschafts-, Bauindustrie- und Bergbau-Ausrüstung (sogenanntes

593 Wiener Übereinkommen vom 21.5.1963 über die zivilrechtliche Haftung für nukleare Schäden mit Änderungsprotokoll vom 29.9.1997. 594 MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 96; U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 600; Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1306. – Vertragsstaaten sind Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei, die Tschechische Repulbik und Ungarn. 595 Gemeinsames Protokoll vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens. – Siehe zu den Vertragsstaaten U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 600; Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1309. 596 Übereinkommen vom 29. September 1997 über ergänzende Entschädigung bei Nuklearschäden. – Bisher einziger Vertragsstaat aus der EU ist Rumänien. 597 Übereinkommen vom 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung. 598 Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung vom 16. November 2001. – Siehe zur Entstehung des Übereinkommens und seiner Protokolle z. B. Bollweg in: FS Kronke, 707, 708 ff. 599 Protokoll zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten der Luftfahrzeugausrüstung vom 16. November 2001. 600 Protokoll von Luxemburg zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten des rollenden Eisenbahnmaterials vom 23.2.2007. 601 Protokoll von Berlin zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten von Weltraumvermögenswerten vom 9. März 2012.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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MAC-Protokoll, 2019)602. Sowohl der Basiskonvention als auch dem Luftfahrzeugausrüstungsprotokoll ist die EU selbst beigetreten; zu den 82 Teilnehmerstaaten der Basiskonvention und den 79 Teilnehmerstaaten des Protokolls gehören daneben jeweils auch Dänemark, Irland, Lettland, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Rumänien, Spanien und Schweden (mit Zeichnungen durch Deutschland, Frankreich und Italien). Die übrigen Protokolle sind noch nicht in Kraft getreten. Die EU hat (wie auch ihre Mitgliedstaaten Luxemburg und Schweden; Zeichnung durch Deutschland, Frankreich und Italien) bereits das Eisenbahnprotokoll ratifiziert. Zu den vier Zeichnerstaaten des Weltraumprotokolls gehört als einziger EU-Mitgliedstaat Deutschland, unter den fünf Zeichnerstaaten des MAC-Protokolls ist kein EU-Mitglied vertreten. Für ihren sachlich begrenzten Bereich können schließlich auch das UNESCOÜbereinkommen von 1970603 sowie das UNIDROIT-Übereinkommen von 1995604 zum Kulturgüterschutz, denen zahlreiche der EU-Mitgliedstaaten angehören, zumindest indirekt kollisionsrechtliche Relevanz entfalten.605 b) Internationales Familien- und Erbrecht Zum Internationalen Familienrecht existiert bislang eine deutlich geringere Anzahl multilateraler Staatsverträge mit weit begrenzterer Resonanz als in den wirtschaftsrechtlichen Gebieten. Dem Haager Eheschließungsübereinkommen von 1978606 kommt mit Australien, Luxemburg und den Niederlanden eine weltweit und für Europa geringe Bedeutung zu, an der auch die Zeichnungen durch Ägypten, Finnland und Portugal wenig ändern. Mit der Rom III-VO konkurriert im Internationalen Scheidungsrecht lediglich die zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden geltende Nordische Konvention über Ehe, Adoption und Vormundschaft von 1931607. Keine Anwendung Protokoll von Pretoria zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten von Bergbau-, Agrar- und Bauausrüstung vom 22. November 2019 („MAC-Protokoll“). – Siehe dazu Kieninger in: FS Kronke, 967, 969 ff. 603 Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (weltweit 140 Vertragsstaaten). 604 UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter vom 24.6.1995 (50 Vertragsstaaten, darunter Dänemark, Finnland, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Ungarn, Zypern – gezeichnet von Frankreich und den Niederlanden). 605 Zu den völkerrechtlichen Rechtsakten, die zumindest sektoral das Internationale Sachenrecht betreffen, im Überblick Carruthers / Weller in: Beaumont / Holliday, 295, 296 ff. 606 Übereinkommen vom 14. März 1978 über die Eheschließung und die Anerkennung der Gültigkeit von Ehen. 607 Nordische Konvention über Ehe, Adoption und Vormundschaft vom 6.2.1931 (aktuell i. d. F. vom 26.1.2006, i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.11.2008). 602

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

mehr finden heute dagegen die „alten“ Haager Übereinkommen zur Eheschließung von 1902, zur Ehescheidung von 1902 und zu Ehewirkungen von 1905.608 Im Bereich des Ehegüterrechts ist das Haager Ehegüterrechtsübereinkommen von 1978609 zu nennen, das zwar von Österreich und Portugal sofort gezeichnet, allerdings nur von Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden ratifiziert wurde und darüber hinaus seit seinem Inkrafttreten 1992 keine Popularität erlangen konnte. Zum vergleichsweise neuen Internationalen Partnerschaftsgüterrecht existieren noch keinerlei Übereinkommen.610 Lebhaftere Vereinheitlichungstätigkeit ist dagegen seit Jahrzehnten für das Internationale Unterhaltsrecht zu verzeichnen.611 Bereits am auf den Kindesunterhalt begrenzten Haager Unterhaltsstatutübereinkommen (HUntÜ 1956) von 1956612 sowie dem auf familienrechtliche Unterhaltsverpflichtungen insgesamt erweiterten Haager Unterhaltsstatutübereinkommen (HUntÜ 1973) von 1973613 beteiligten sich jeweils zahlreiche EU-Mitgliedstaaten.614 Ebenfalls große Resonanz fanden die parallelen Instrumente zur internationalverfahrensrechtlichen Vereinheitlichung im Unterhaltsrecht (Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 1958615 und Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen von 1973616, wie bereits zuvor das UN-UnterhaltsHaager Eheschließungsübereinkommen vom 12.6.1902; Haager Ehescheidungsübereinkommen vom 12.6.1902; Haager Ehewirkungsübereinkommen vom 17.7.1905. – Von der Haager Konferenz werden sie als „alte“ Übereinkommen geführt (); von zahlreichen Vertragsstaaten wurden sie gekündigt, im Übrigen werden sie als nur zwischen EU-Mitgliedstaaten geltende Übereinkommen von europäischen Kollisionsrechtsverordnungen überlagert (siehe II.1.a), 214 ff.). 609 Haager Übereinkommen vom 14. März 1978 über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht. 610 MüKo8 / Looschelders Art. 62 PartVO Rn. 2; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7. 611 Siehe zur Geschichte des Internationalen Unterhaltsrechts im Überblick BeckOGK /  Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 4 ff. 612 Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht. 613 Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. 614 HUntÜ 1956: 14 überwiegend europäische Vertragsstaaten (beteiligte Mitgliedstaaten: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien – gezeichnet von Griechenland); HUntÜ 1973: 15 überwiegend europäische Vertragsstaaten (beteiligte Mitgliedstaaten: Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Portugal, Spanien – gezeichnet von Belgien). 615 Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (20 Vertragsstaaten, davon 14 EU-Mitgliedstaaten – gezeichnet von Griechenland und Luxemburg). 616 Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (24 Vertragsstaaten, davon 16 EU-Mitgliedstaaten – gezeichnet von Belgien). 608

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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übereinkommen von 1956617). Weitgehend abgelöst wurden diese inzwischen durch das aktuelle verfahrensrechtliche Haager Unterhaltsübereinkommen (HUÜ)618 und das dazugehörige kollisionsrechtliche Haager Unterhaltsprotokoll (HUP)619 von 2007.620 Durch den Abschluss der Konventionen durch die EU selbst als Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration sind alle EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks und bis zum Brexit des Vereinigten Königreichs) an die Übereinkommen gebunden, die darüber hinaus für 15 bzw. vier Drittstaaten gelten.621 Die größten Erfolge konnte die Haager Konferenz bisher im Bereich des Kinderschutzes verbuchen. Zu den weltweit 101 Vertragsstaaten des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKÜ) von 1980622 gehören alle EUMitgliedstaaten. Kollisionsrechtlich ist das primär auf die behördliche Zusammenarbeit zur raschen Rückführung grenzüberschreitend entführter Minderjähriger abzielende Übereinkommen freilich eher indirekt relevant. Auch das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) von 1996623 (das die Nachfolge des ebenfalls bereits erfolgreichen Minderjährigenschutzabkommens von 1961624 antrat) kann alle EU-Mitgliedstaaten zu seinen insgesamt 53 Vertragsstaaten zählen. Das komplementär dazu gestaltete Haager Erwachsenenschutzübereinkommen (ESÜ) von 2000625 verfügt zwar erst über 13 alle dem geographischen Europa angehörende Vertragsstaaten (EU-Mitglieder: Belgien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Lettland, Österreich, Portugal, Tschechische Republik, Zypern – Drittstaaten: Monaco, Schweiz, Vereinigtes Königreich), es Übereinkommen vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland. 618 Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen. 619 Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. 620 Da sich das ursprünglich geplante Gesamt-Übereinkommen nicht realisieren ließ, handelt es sich dabei nunmehr um eigenständige Instrumente, denen Staaten unabhängig voneinander beitreten können, die allerdings inhaltlich eng miteinander verbunden sind, vgl. BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 3. 621 HUÜ: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Brasilien, Guyana, Honduras, Kasachstan, Montenegro, Nicaragua, Norwegen, Serbien, Türkei, Ukraine, Vereinigtes Königreich, USA, Weißrussland. – HUP: Brasilien, Kasachstan, Republik Nordmazedonien, Serbien. 622 Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. 623 Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern. 624 Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen. 625 Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen. 617

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

ist aber darüber hinaus bereits von einer erheblichen Anzahl weiterer EUMitgliedstaaten gezeichnet (Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Polen).626 Kein Erfolg war dagegen dem Kollisionsregeln enthaltenden Haager Adoptionsübereinkommen von 1965627 beschieden, das nie in Kraft getreten ist und zwischenzeitlich von allen drei Vertragsstaaten (der Schweiz und dem Vereinigten Königreich 2003 sowie Österreich 2008) gekündigt wurde. Deutlich bessere Resonanz findet zwar mit 103 Vertragsstaaten (darunter sämtliche EU-Mitgliedstaaten) das Haager Adoptionsübereinkommen von 1993628, es regelt allerdings nur die Verfahrensaspekte der Zusammenarbeit. Auch zum Erbkollisionsrecht gibt es einige Übereinkommen unter mitgliedstaatlicher Beteiligung. Erfolgreichstes Projekt der Haager Konferenz in diesem Bereich ist das Haager Testamentsformübereinkommen (HTestFormÜ) von 1961629, zu dessen 42 Vertragsstaaten auch 13 EU-Mitgliedstaaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Polen) zählen; gezeichnet haben es mit Italien, Portugal, Schweden, Slowenien und Spanien fünf weitere EU-Mitglieder. Auch das Haager Trustübereinkommen von 1985 (siehe oben a), S. 188 ff.) kann im Internationalen Erbrecht Anwendung finden. Gescheitert ist demgegenüber das nie in Kraft getretene Haager Erbrechtsübereinkommen von 1989,630 das nach seiner Kündigung durch die Niederlande seit 2015 keinerlei Vertragsstaaten (und mit Argentinien, Luxemburg und der Schweiz seit geraumer Zeit auch nur sehr wenige Zeichnerstaaten) aufweisen kann.631 Der regionalen Vereinheitlichung des Kollisionsrechts für grenzüberschreitende Nachlassfälle im nordischen Rechtsraum dient die zwischen Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden geschlossene Nordische Nachlasskonvention von 1934632. Nur geringe Berührungspunkte mit dem Kollisionsrecht bestehen beim Washingtoner UNIDROIT-Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines 626 Zur im Vergleich zum KSÜ langsameren Ratifikation des ESÜ Franzina in: Beaumont / Holliday, 553, 564 f. 627 Übereinkommen vom 15. November 1965 über die behördliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindesstatt. 628 Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption. 629 Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht. 630 Übereinkommen vom 1. August 1989 über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht. 631 MüKo8 / Dutta Vorb. Art. 1 ErbVO Rn. 8. 632 Nordisches Übereinkommen vom 19. November 1934 über Erbschaft und Nachlassabwicklung (i. d. F. vom 1.6.2012). – Siehe dazu Frantzen in: Löhnig / Schwab / Henrich /  Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 67, 69 ff.; Helin in: Dutta / Wurmnest, 121, 123 ff.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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internationalen Testaments von 1973633 (Sachrechtsvereinheitlichung unter Beteiligung von Belgien, Frankreich, Italien, Kroatien, Portugal, Slowenien, Zypern sowie Australien, Bosnien-Herzegovina, Ecuador, Kanada, Libyen und Niger), dem Haager Nachlassverwaltungsübereinkommen von 1973634 (verbindlich für die Tschechische Republik, die Slowakei und die Türkei) und dem Baseler Testamentsregistrierungsübereinkommen von 1972635 (ratifiziert von Belgien, Estland, Frankreich, Italien, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Zypern sowie der Türkei und der Ukraine; gezeichnet von Dänemark, Deutschland sowie dem Vereinigten Königreich). Zum Internationalen Namensrecht ist insbesondere auf die regional auf den europäischen Raum begrenzten Vereinheitlichungsbemühungen der CIEC hinzuweisen.636 Neben einigen Übereinkommen, die sich mit verfahrensrechtlichen und praktischen Fragen der behördlichen Namensänderung und -führung befassen (etwa das Istanbuler Namensänderungsübereinkommen von 1958637, das Pariser Übereinkommen über die Berichtigung von Personenstandseintragungen von 1964638, das Berner Übereinkommen zur Schreibweise von Namen in Personenstandsbüchern von 1973639 und das Haager Übereinkommen über Bescheinigungen zur Führung verschiedener Familiennamen von 1982640) besteht mit dem Münchener Namensrechtsübereinkommen von 1980641 auch ein kollisionsrechtliches Übereinkommen zum Internationalen Namensrecht, das seit 1990 für immerhin vier EU-Mitgliedstaaten (Italien, die Niederlande, Portugal und Spanien) in Kraft ist. Dagegen liegt Washingtoner Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments vom 26.10.1973. 634 Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die internationale Nachlassverwaltung. 635 Baseler Übereinkommen über die Schaffung eines Systems zur Registrierung von Testamenten vom 16.5.1972. 636 Siehe die deutsche Zusammenfassung unter . 637 CIEC-Übereinkommen Nr. 4 über die Änderung von Namen und Vornamen vom 4.9.1958 (in Kraft für Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien sowie die Türkei). 638 CIEC-Übereinkommen Nr. 9 betreffend die Entscheidungen über die Berichtigung von Einträgen in Personenstandsbüchern (Zivilstandsregistern) vom 10.9.1964 (in Kraft für Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz, Spanien sowie die Türkei). 639 CIEC-Übereinkommen Nr. 14 über die Angabe von Familiennamen und Vornamen in den Personenstandsbüchern vom 13.9.1973 (in Kraft für Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich sowie die Türkei). 640 CIEC-Übereinkommen Nr. 21 über die Ausstellung einer Bescheinigung über die Führung verschiedener Familiennamen vom 8.9.1982 (in Kraft für Frankreich, Italien, die Niederlande, Spanien). 641 CIEC-Übereinkommen Nr. 19 über das auf Familiennamen und Vornamen anzuwendende Recht vom 5.9.1980. 633

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

für das flankierende Übereinkommen von Antalya zur Namensanerkennung von 2003 (neugefasst 2005)642 bisher lediglich eine einzige Zeichnung seitens Portugals vor, die nach seinem Art. 13 für sein Inkrafttreten erforderlichen zwei Ratifikationenen erscheinen zunehmend utopisch. Für das Personalstatut allgemein anwendbar und damit für alle familienund erbrechtlichen Fragen relevant sind schließlich die in den UN-Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen und Staatenlosen enthaltenen Kollisionsregeln. Relevant sind hier zum einen die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951643 mit dem dazugehörigen Genfer Flüchtlingsprotokoll von 1967644, zum anderen das New Yorker Staatenlosenübereinkommen (StaatenlosenÜ) von 1954645. Die Konventionen ordnen in ihrem jeweiligen Art. 12 an, dass das Personalstatut eines Flüchtlings bzw. Staatenlosen nach dem Recht seines Wohnsitzlandes (gemeint ist der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts), ersatzweise nach dem Recht seines schlichten Aufenthaltes zu bestimmen ist. Ziel dieser Regelung ist es, die bei Abschluss der Übereinkommen ganz überwiegend maßgebliche und für aus ihrem Heimatstaat geflüchtete bzw. heimatstaatlose Personen unpassende Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in Fragen des Personalstatuts durch die Anknüpfung an das Recht des aktuellen Lebensumfelds zu ersetzen (siehe Teil III: § 8.I.3.b), S. 471 ff.). Art. 12 GFK bzw. Art. 12 StaatenlosenÜ verdrängen als Regelung des Allgemeinen Teils alle Staatsangehörigkeitsanknüpfungen im Bereich des Personalstatuts646 – für das europäische Kollisionsrecht sind sie damit für die Rom III-VO, die ErbVO, die GüVO / PartVO, die UnthVO sowie alle weiteren potentiellen Rechtsakte im Familien- und Erbrecht beachtlich (siehe Teil III: § 8.I.3.b)bb), cc), S. 479 ff., S. 484 ff.). Alle EU-Mitgliedstaaten sind an die Konventionen gebunden – Schweden hat allerdings einen Vorbehalt eingelegt, sodass Art. 12 GFK aus schwedischer Sicht nicht maßgeblich ist.647 c) Vielfalt und Komplexität Zu verzeichnen ist also eine Vielzahl multilateraler Verträge mit mehr oder weniger weitreichenden Kollisionsregeln und zumindest teilweisen sachlichen Überschneidungen mit den Anwendungsbereichen der auf EU-Ebene existierenden oder geplanten IPR-Rechtsakte. Den Überblick über diese Übereinkommen in ihrer Gesamtheit zu gewinnen und zu behalten erweist CIEC-Übereinkommen Nr. 31 über die Anerkennung von Namen vom 16.9.2005. Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951. 644 Genfer Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967. 645 New Yorker UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954. 646 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 6. 647 Übersicht der Vertragsstaaten und ihrer Vorbehalte und Erklärungen , 12. 642 643

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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sich schon aus der Perspektive eines einzelnen Mitgliedstaats als Herausforderung. Dies beginnt mit der unterschiedlichen Herkunft, Bekanntheit und praktischen Relevanz der Übereinkommen und setzt sich hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Reichweite der einzelnen Instrumente fort. Vergleichsweise einfach zu identifizieren sind vor allem die unter der Ägide der Haager Konferenz entstandenen rein kollisionsrechtsvereinheitlichenden Staatsverträge. Andere IPR-Übereinkommen insbesondere älteren Datums drohen dagegen bereits leicht übersehen zu werden – und zwar um so mehr, je enger ihr sachlicher Anwendungsbereich zugeschnitten ist: Als begrenzte (und entsprechend selten praktisch relevante) Spezialmaterien sind sie, wie etwa die Übereinkommen zur Atomhaftung, kaum allgemein bekannt. Noch schwieriger wird die Aufgabe, wenn die kollisionsrechtliche Relevanz eines Übereinkommens für das IPR nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, sondern einheitsrechtliche Staatsverträge nur punktuelle, mehr oder weniger versteckte „Annex“-Kollisionsregeln enthalten oder gar nur indirekt auf das IPR wirken. Das Problem der Identifizierung der jeweils maßgeblichen Übereinkommen kann zwar in der Praxis von den Rechtsanwendern noch zufriedenstellend bewältigt werden: Die im konkreten Einzelfall aus Sicht der lex fori maßgeblichen völkerrechtlichen Verträge lassen sich mit Hilfe der für das eigene Rechtssystem zur Verfügung stehenden Quellen (für das deutsche Recht insbesondere von Kommentaren) gezielt ermitteln, wenn auch mit teils erheblichem Aufwand. Ein abstraktes Gesamtbild aller für eine Rechtsordnung kollisionsrechtlich relevanten Übereinkommen zu zeichnen, erweist sich aber bereits als nicht einfach. Noch komplexer wird es, wenn es im Hinblick auf das Verhältnis völkerrechtlicher Regelungen zu bestehendem und zu schaffendem EU-Kollisionsrecht darum geht, die für die Gesamtheit der EU-Mitgliedstaaten maßgeblichen Übereinkommen mit IPR-Bezug zu ermitteln. Die Beteiligung der EUMitgliedstaaten an kollisionsrechtlichen Übereinkommen ist äußerst unterschiedlich und folgt keinem erkennbaren System, sodass für jedes einzelne Übereinkommen der Kreis der Mitglieds-Vertragsstaaten gesondert ermittelt werden muss. Immerhin sind die Anknüpfungsregeln der völkerrechtlichen Kollisionsrechtsübereinkommen im Regelfall als lois uniformes anwendbar, sodass wenigstens die zusätzliche Hürde unterschiedlicher Regelsysteme im Hinblick auf Vertrags- und Nichtvertragsstaaten entfällt. Nichtsdestrotrotz ist schon der für die Anwendung und Weiterentwicklung des EU-IPR beachtliche Bestand völkerrechtlicher Übereinkommen alles andere als auf einen Blick erkennbar. Dieses Problem verschärft sich noch immens, wenn es um die bilateralen Staatsverträge der einzelnen Mitgliedstaaten geht.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

2. Bilaterale Abkommen einzelner Mitgliedstaaten Neben den multilateralen Übereinkommen unter mitgliedstaatlicher Beteiligung mit direkter oder indirekter kollisionsrechtlicher Relevanz sind für das EU-IPR auch die bilateralen Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Reine IPR-Abkommen zwischen zwei Staaten sind dabei extrem selten. Kollisionsrechtliche Fragen werden bilateral deutlich häufiger als Teil von auf die zwischenstaatliche Zusammenarbeit insgesamt gerichteten Verträgen für deren jeweiliges Anwendungsgebiet mitgeregelt – etwa in Konsularabkommen oder Niederlassungsverträgen (siehe Teil I: § 1.II.1., S. 3 ff.). Hierin liegt auch das Hauptproblem der Ermittlung der maßgeblichen Abkommen begründet: Kollisionsrechtliche Inhalte von unterschiedlicher Reichund Tragweite sind in einer großen Vielzahl an Abkommen enthalten, nehmen dort aber zumeist einen eher versteckten Platz ein. Hinzu kommt, dass viele bilaterale Staatsverträge bereits älteren Datums sind und teils zwischen den Vorgängern der heutigen Staaten abgeschlossen wurden. Anzahl und Reichweite der mitgliedstaatlichen Abkommen (zumindest auch) im Bereich des IPR sind heute praktisch kaum übersehbar. Erst vor kurzem wurde mit dem Forschungsprojekt „European Private International Law and Member State Treaties with Third States: The Case of the European Succession Regulation“ von Dutta und Wurmnest, dessen Ergebnisse 2019 veröffentlicht wurden,648 auf diesem Gebiet ein erster, wenn auch sachlich begrenzter Systematisierungsanlauf unternommen. Diese bisher mit Abstand umfassendste Studie zu mitgliedstaatlichen IPR-Abkommen stellt die bilateralen Staatsverträge neun ausgewählter Mitgliedstaaten der EU (Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Kroatien, Österreich, Schweden, Tschechische Republik) sowie einiger Drittstaaten mit besonderer Relevanz für größere Bevölkerungsgruppen in einigen Mitgliedstaaten (Bosnien und Herzegowina, Iran, Montenegro, Nordmazedonien, Schweiz, Serbien, Türkei) im Bereich des Erbrechts im Wege von Länderberichten nationaler Experten eingehend vor; ergänzend treten punktuelle Informationen zur staatsvertraglichen Situation in weiteren Mitgliedstaaten (z. B. Bulgarien, Estland, Griechenland, Rumänien, Ungarn) hinzu. Trotz ihrer sachlichen Begrenzung auf das Internationale Erbrecht einerseits und ihrer räumlichen Beschränkung auf ausgewählte Mitglied- und Drittstaaten andererseits offenbart die Studie die erheblichen Schwierigkeiten, vor die bereits die Ermittlung der mit dem EU-IPR (potentiell) konkurrierenden bilateralen Abkommen stellt. Eine vollständige Untersuchung für alle EU-Kollisionsrechtsverordnungen bzw. das IPR insgesamt unter Einbeziehung sämtlicher EU-Mit648 Dutta / Wurmnest (Hg.). – Siehe insbesondere die vergleichende Zusammenfassung von Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 330 ff.; einen Überblick über die zentralen Ergebnisse in deutscher Sprache bieten Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 449 ff.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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gliedstaaten steht noch aus. Eine umfassende Darstellung aller aktuell existierenden mitgliedstaatlichen bilateralen Abkommen mit kollisionsrechtlichem Gehalt scheint damit gleichermaßen wünschenswert wie noch in weiter Ferne. Sie kann und muss im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht geleistet werden: Die folgenden Zeilen beschränken sich auf die Darstellung einer Auswahl mitgliedstaatlicher (insbesondere deutscher) bilateraler Verträge, die die Schwierigkeiten der Beziehung zwischen völkerrechtlichen Abkommen und EU-IPR exemplarisch verdeutlichen. Festzustellen ist eine gegenüber den multilateralen Staatsverträgen erheblich geringere Regelungsdichte im wirtschaftsrechtlichen Bereich. Im Bereich des Internationalen Schuldrechts existieren nur wenige bilaterale Staatsverträge zum Kollisionsrecht. Ein Beispiel ist der deutsch-schweizerische Vertrag über die Schadendeckung bei Verkehrsunfällen von 1969649, ein weiteres das deutsch-schweizerische Atomhaftungsabkommen von 1986650.651 Sachenkollisionsrechtliche Abkommen sind nicht zu verzeichnen. Potentielle Relevanz vor allem für das Internationale Gesellschaftsrecht entfalten allgemeine wirtschaftsrechtliche Abkommen, insbesondere in Gestalt von Niederlassungs-, Freundschafts- und Handelsverträgen. Durch derartige zumeist mit den wichtigsten Handelspartnern geschlossene Verträge sind zahlreiche Mitgliedstaaten miteinander sowie mit Drittstaaten verflochten. Das wohl bekannteste Abkommen der Bundesrepublik Deutschland in diesem Bereich ist der Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag mit den USA von 1954652; entsprechende Abkommen mit den USA existieren auch für andere Mitgliedstaaten, etwa Österreich653 oder Lettland654. Eher wenig Aufmerksamkeit erfährt dagegen der deutsche Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag mit der Dominikanischen Republik von 1957655; deutlich älter sind das deutsche Handels- und Schifffahrtsabkommen mit Japan656 und die Niederlassungsverträge Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Schadendeckung bei Verkehrsunfällen vom 30.5.1969. 650 Deutsch-Schweizerisches Atomhaftungsabkommen vom 22.10.1986. – Durch dieses Abkomnen wird die Schweiz so gestellt, als wäre sie dem Pariser Atomhaftungsübereinkommen von 1960 beigetreten, vgl. MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 97. 651 Siehe für die wenigen weiteren Beispiele zur Rom II-VO aus deutscher Sicht BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 15 ff. 652 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954. 653 Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 19.6.1928. 654 Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Lettland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.4.1928. 655 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Dominikanischen Republik vom 23.12.1957. 656 Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Japan vom 20.7.1927. 649

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

zwischen Deutschland und der Türkei657 sowie dem Iran (dt-iranNLA)658. Auch andere Mitgliedstaaten sind durch vergleichbare Verträge mit unterschiedlichen Drittstaaten verbunden, etwa Österreich mit Russland659 oder dem Iran (öiranNLA)660. Vor dem Beginn und in der Frühphase der europäischen Zusammenarbeit wurden vergleichbare Abkommen auch zwischen (heutigen) Mitgliedstaaten geschlossen – so etwa zwischen Deutschland und Frankreich661, Italien662 und Spanien663 oder zwischen Österreich und den Niederlanden664. Eindeutige Kollisionsregeln im wirtschaftsrechtlichen Bereich sucht man in derartigen Verträgen freilich meist vergeblich. Ihr Regelungsgehalt ist eher auf allgemeine Absichtserklärungen zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Behandlung der Angehörigen des jeweils anderen Vertragsstaats gerichtet. Praktische kollisionsrechtliche Konsequenzen fließen daraus vor allem für das Gesellschaftsrecht. Niederlassungsverträge verpflichten häufig zur Akzeptanz der nach dem Recht des jeweils anderen Vertragsstaats gegründeten Gesellschaften (vgl. z. B. Art. 4 dt-iranNLA; Art. 6 ö-iranNLA; Art. VI deutschfranzösischer Niederlassungsvertrag). Auch der weitergefasste Grundsatz der Meistbegünstigung, der teils – wie etwa in den Abkommen Deutschlands mit Japan und der Dominikanischen Republik – etabliert wird, kann sich auf das Kollisionsrecht auswirken. Größere direkte und indirekte kollisionsrechtliche Aktivität in bilateralen Staatsverträgen ist dagegen im Bereich des Familien- und Erbrechts zu verzeichnen. Vereinzelt gibt es hier sogar explizite IPR-Abkommen, etwa das franNiederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12.1.1927 (RGBl. 1927 II 76). 658 Freundschaftsvertrag und Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929, wieder in Kraft gesetzt am 4.11.1954. – Dazu aus erbrechtlicher Warte Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 151 ff. 659 Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Russischen Föderation über den Handel und die Wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 20.7.1995 (Ablösung und Fortsetzung des Vertrags über Handel und Schiffahrt zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 17.10.1955). 660 Freundschafts- und Niederlassungsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran vom 9.9.1959 mit Zusatzprotokoll vom 30.12.1968. – Dazu aus erbrechtlicher Warte Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 18 ff. 661 Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik vom 27.10.1956. 662 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik vom 21.11.1957. 663 Niederlassungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat vom 23.4.1970. 664 Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Königreiche der Niederlande vom 28.3.1929 mit Notenwechsel. – Allerdings enthält das Schlussprotokoll die Einschränkung, dass internationalprivatrechtliche Verträge nicht von der Meistbegünstigungsklausel erfasst werden. 657

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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zösisch-marokkanische Abkommen zum Personen- und Familienstatut und zur justiziellen Zusammenarbeit von 1981665, das neben verfahrensrechtlichen Regelungen (vor allem zum Kindschafts- und Unterhaltsrecht) insbesondere Anknüpfungsregeln zur Rechts- und Geschäftsfähigkeit und zum Ehe- und Scheidungsrecht enthält. Auch das französisch-jugoslawische Abkommen zum Familien- und Personenrecht von 1971666 regelt explizit kollisionsrechtliche Fragen; es gilt etwa im Verhältnis zwischen Frankreich und mehreren Nachfolgestaaten Jugoslawiens667 fort. Ferner können das Familien- und Erbrecht ganz oder teilweise in den Anwendungsbereich von Niederlassungsabkommen fallen. Eine ausdrückliche, umfassende Kollisionsregel enthält etwa Art. 8 Abs. 3 dt-iranNLA: Er knüpft für Fragen des Personen-, Familien- und Erbrechts – dazu gehören ausweislich der Erläuterungen im Schlussprotokoll auch das Scheidungs- und das eheliche Güterrecht – an die Staatsangehörigkeit an. Auch das ö-iranNLA sieht in seinem Art. 10 Abs. 3, 4 die umfassende Staatsangehörigkeitsanknüpfung im Familien- und Erbrecht vor. Ausdrückliche Kollisionsregeln im Bereich des Personalstatuts sind häufig auch Teil bilateraler Abkommen zur zivilrechtlichen Zusammenarbeit – Beispiele hierfür sind Art. 23 ff. des österreichisch-polnischen Rechtshilfevertrags von 1963668 oder Art. 4 ff. des französisch-polnischen Personen- und Familienrechtsabkommens von 1967669. Kollisionsrechtlichen Gehalt für das Internationale Erbrecht weisen häufig auch Konsularverträge und Rechtshilfeabkommen auf. So enthält der deutsch-sowjetische Konsularvertrag von 1958670, der heute noch im Verhältnis zur Mehrheit der Nachfolgestaaten der Sowjetunion gilt,671 neben eherechtlichen Bestimmungen vor allem in seinem Art. 28 Abs. 3 eine Erbkollisionsregel, die unbewegliche Nachlassgegenstände dem jeweiligen LageortConvention entre la République française et le Royaume du Maroc relative au statut des personnes et de la famille et à la coopération judiciaire vom 10.8.1981. – Siehe im Überblick Monéger Rev. crit. DIP 73 (1984), 29, 29 ff. und 267, 267 ff. 666 Convention entre le Gouvernement de la République française et le gouvernement de la république socialiste fédérative de Yougoslavie relative à la loi applicable et à la compétence en matière de droit des personnes et de la famille vom 18.5.1971. 667 Slowenien (Accord sous forme d’échange de lettres entre le gouvernement de la République française et le gouvernement de la république de Slovénie sur la succession aux traités signés entre la France et l’ex-Yougoslavie vom 28.3.1994), Bosnien-Herzegovina, Montenegro, Serbien, vgl. Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 8; Kohler in: Dutta /  Weber, 163, Rn. 7; Viganotti 64, 85. 668 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Polen über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen vom 11.12.1963 mit Zusatzprotokoll vom 25.1.1973. 669 Convention entre la République française et le gouvernement de la république populaire de Pologne relative à la loi applicable, la compétence et l’exequatur dans le droit des personnes et de la famille vom 5.4.1967. 670 Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958. 665

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

recht unterstellt.672 Eine entsprechende Regelung enthält der im Verhältnis zur Russischen Föderation weitergeltende Art. 26 österreichisch-sowjetische Konsularvertrag.673 Für die beweglichen Nachlassgegenstände enthält er darüber hinaus in seinem Art. 23 eine spezielle Kollisionsregel: Verstirbt ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats mit Wohnsitz im anderen Vertragsstaat, können seine dort oder in einem Drittstaat lebenden Erben oder Vermächtnisnehmer innerhalb von sechs Monaten beantragen, dass der im letzten Wohnsitzstaat befindliche bewegliche Nachlass dem dortigen Recht unterstellt wird. Die Erbkollisionsregel des polnisch-ukrainischen Rechtshilfeabkommens von 1993674 sieht eine Rechtsspaltung vor (Art. 37 Abs. 1: bewegliche Nachlassgegenstände nach dem Heimatrecht des Erblassers, Art. 37 Abs. 2: Immobilien nach dem Recht des Vertragsstaats ihrer Belegenheit). Das gegenüber den Nachfolgestaaten Jugoslawiens fortgeltende österreichisch-jugoslawische Rechtsverkehrsabkommen von 1954675 enthält ebenfalls detaillierte Regelungen zur Nachlassabwicklung und erlaubt hinsichtlich (der Wirksamkeit von) Verfügungen von Todes wegen über das im jeweils anderen Vertragsstaat belegene Vermögen eines Vertragsstaatsangehörigen sogar die Wahl zwischen Heimat- und Belegenheitsrecht (Art. 29). Ähnlich konzipiert sind die Rechtshilfeabkommen anderer Mitgliedstaaten mit Jugoslawien bzw. seinen Nachfolgestaaten,676 beispielsweise das heute zwischen der Tschechischen Republik und der Slowakei einerseits sowie Bosnien und Herzegovina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien andererseits fortgeltende Rechtshilfeabkommen von 1964, das auch familienrechtliche Kollisionsregeln enthält.677 Der schweizerisch-italienische Konsularvertrag von 1868678 671 MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 32 ff.; Staudinger / Dörner (Neubearb. 2007) Vorbem. zu Art. 25 EGBGB Rn. 194 f.; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 159 f.; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 10. 672 MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 31 ff.; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 159 ff.; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 10. 673 Konsularvertrag zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 28.2.1959. – Dazu Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 16 ff. 674 Abkommen zwischen der Republik Polen und der Ukraine über Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil- und Strafsachen vom 24.5.1993. 675 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über den wechselseitigen rechtlichen Verkehr vom 16.12.1954. – Siehe dazu Đorđević / Meškić in: Dutta / Wurmnest, 209, 221 ff.; Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 13 ff. 676 Đorđević / Meškić in: Dutta / Wurmnest, 209, 219 ff. 677 Smlouva mezi Československou socialistickou republikou a Socialistickou federativni republikou Jugoslávii o úpravě právnich vztahů ve věcech občanských, rodinných a trestních zed ne 20. ledna 1964 [Treaty between the Czechoslovak Socialist Republic and the Socialist Federal Republic of Yugoslavia on Legal Relations in Civil, Family and Criminal Matters of 20 January 1964]. 678 Traité d’établissement et consulaire entre l’Italie et la Suisse du 22 juillet 1868. – Dazu Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 179 ff.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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enthält zwar keine explizite Anknüpfungsregel, die Zuständigkeitsnorm seines Art. 17 wird jedoch von der Rechtsprechung auch als ungeschriebene Kollisionsnorm ausgelegt.679 Der deutsch-türkische Konsularvertrag von 1929680 enthält schließlich als Anlage zu seinem Art. 20 ein eigenes Nachlassabkommen681 mit ausführlichen Regelungen zum Internationalen Privatund Zivilverfahrensrecht.682 Vergleichbare Regelungen finden sich im italienisch-türkischen Konsularvertrag von 1929683, weniger ausführliche im ungarisch-türkischen Konsularvertrag von 1938684. Derartige Nachlassabkommen, die neben der Abwicklung grenzüberschreitender Erbfälle auch das Kollisionsrecht bilateral regeln, bestehen vergleichsweise häufig: Ein weiteres Beispiel ist das österreichisch-ungarische Nachlassabkommen von 1965685 mit Kollisionsregeln zur Testierfähigkeit und Form letztwilliger Verfügungen (Art. 4) sowie zur gesetzlichen Erbfolge und zum Pflichtteilsrecht (Art. 8). Schon diese Auswahl an Beispielen illustriert die Menge und Vielgestaltigkeit für das EU-Kollisionsrecht relevanter bilateraler Staatsverträge und die daraus resultierenden Probleme. In diesem Bereich ist man mit einer erheblich größeren Anzahl einzelner Verträge konfrontiert, deren internationalprivatrechtlicher Gehalt ganz unterschiedlich weit reicht. In der Mehrzahl der Abkommen ist das Kollisionsrecht eine Randerscheinung, so dass ihre spezifischen Anknüpfungsregeln mehr oder weniger versteckt sind. Gerade bei als diplomatische „Absichtserklärungen“ eingekleideten Formulierungen erschließt sich die kollisionsrechtliche Bedeutung im Einzelnen nicht einmal aus der schlichten Lektüre: Was genau bedeutet eine Niederlassungs- oder Meistbegünstigungsklausel für das Internationale Gesellschaftsrecht, wie weit ist das „Personalstatut“ zu verstehen? Ebenso unklar ist häufig, inwieweit materiell-rechtliche Vorschriften oder (gerade im Erbrecht) detaillierte Verfahrensregelungen auch (indirekte) Wirkung auf das Kollisionsrecht entfalten. 679 Kritisch Bonomi in: Dutta / Wurmnest, 267, 269 ff., 278; Bonomi RDIPP 2019, 25, 26, 30 f.; Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 188 ff.; jeweils m. w. N. 680 Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929. 681 Deutsch-türkisches Nachlassabkommen (Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929). 682 Siehe dazu MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 16 ff.; Damar IPRax 2012, 278, 278 ff.; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 292 ff.; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 156 ff. 683 Convention consulaire entre le Royaume d’Italie et la République Turque du 9 septembre 1929. – dazu Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 190 ff. 684 Türkiye Cumhuriyeti ile Macaristan Krallığı Arasında Konsolosluk Mukavelesi, 18 Haziran 1938 [Consular Treaty between the Kingdom of Hungary and the Republic of Turkey of 18 June 1938]. 685 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik über Nachlassangelegenheit vom 9.4.1965.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Zu diesen inhaltlichen Herausforderungen treten noch praktische Hürden bei der Informationsgewinnung hinzu. Die Relevanz der einzelnen Abkommen für die heutige Rechtspraxis ist ganz unterschiedlich ausgeprägt. Nur zu den prominenteren Staatsverträgen sind Informationen vergleichsweise leicht zugänglich, ansonsten stellt bereits innerhalb der eigenen Rechtsordnung die Ermittlung zuverlässiger und aktueller Angaben vor praktische Schwierigkeiten. Gerade ältere und nur (noch) selten angewendete Abkommen sind bereits per se nicht leicht aufzufinden, Änderungen ihres Inhalts und ihrer Reichweite (vor allem, wenn es um die Fortsetzung bei Staatennachfolge auf Seiten einer Vertragspartei geht) finden sich zumeist nur nach aufwendiger Suche. Die Kenntnis der für das eigene Gebiet jeweils relevanten Staatsverträge ihrer eigenen Rechtsordnung darf man zwar bei Experten voraussetzen, bereits einen globalen Überblick über alle kollisionsrechtlich relevanten bilateralen Abkommen der eigenen Rechtsordnung kann man aber kaum erwarten. Um so größere Abstriche muss man im Hinblick auf andere Rechtsordnungen machen: Von außen erschließen sich zwar einzelne Abkommen bei gezielter Suche, ein Gesamtbild aller völkerrechtlichen Kollisionsregeln lässt sich mit vertretbarem Aufwand jedoch kaum erstellen. 3. Informationsdefizit und Lösungsansätze Vorgelagert zu den eigentlichen rechtstechnischen und rechtspolitischen Fragen der Koordination des EU-IPR mit dem Kollisionsrecht völkerrechtlicher Genese stellt sich damit das tatsächliche Problem eines Informationsdefizits. Jedenfalls auf europäischer, zumeist auch auf mitgliedstaatlicher Ebene fehlt immer noch ein systematischer Gesamtüberblick über den zu berücksichtigenden Bestand völkerrechtlicher Instrumente mit direkter oder indirekter kollisionsrechtlicher Wirkung. Eine zuverlässige Zusammenstellung aller aktuell für das IPR der EU und ihrer Mitgliedstaaten (potentiell) relevanten multi- und bilateralen Staatsverträge als Grundlage wissenschaftlicher Auseinandersetzung und gesetzgeberischer Weiterentwicklung sucht man vergebens, die maßgeblichen völkerrechtlichen Rechtsakte müssen nach wie vor einzeln ermittelt werden. Das ist für multilaterale Übereinkommen zwar noch vergleichsweise einfach zu verschmerzen. Sie verfügen einerseits über einen gewissen Bekanntheitsgrad und sind andererseits meist einer Internationalen Organisation, etwa der Haager Konferenz, klar zuzuordnen. Über deren Homepages686 sind zumindest die unter ihrer jeweiligen Ägide entstandenen Vertragstexte in unterschiedlichen Sprachfassungen sowie der Ratifikations- und Mitgliederstand Etwa , oder (für die Übereinkommen der CIEC). 686

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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(Statustabelle) der einzelnen Instrumente aktuell und zuverlässig abrufbar. Probleme treten hier vor allem bei den speziellen Kollisionsnormen auf, die als „Annex“ in Übereinkommen zum Einheitsrecht enthalten und damit nicht auf den ersten Blick in ihrer kollisionsrechtlichen Tragweite erkennbar sind. Deutlich schwieriger stellt sich die Situation dagegen für bilaterale Übereinkommen dar, für die es naturgemäß an zentralen Koordinationsstellen fehlt – das Informationsangebot der einzelnen Staaten über die von ihnen abgeschlossenen Staatsverträge variiert stark. Selbst wenn, wie etwa für Österreich687 oder Frankreich688, alle völkerrechtlichen Verträge online gesammelt zur Verfügung stehen, fehlt es an einer IPR-spezifischen Recherchemöglichkeit. Damit können zwar einzelne Staatsverträge zuverlässig nachgeschlagen werden, eine allgemeine Recherche gestaltet sich jedoch als aufwendig: Sie erfordert entweder eine Suche anhand bestimmter Vertragspartnerstaaten oder aber eine thematisch mehr oder weniger weitgefasste Suche nach allen potentiell das IPR berührenden Rechtsakten (z. B. kommen zahlreiche der auf der Homepage des österreichischen Bundesministeriums für Europäische und internationale Angelegenheiten wählbaren Kategorien in Betracht, etwa „Freundschaftsverträge“, „Konsularische Beziehungen“ oder „Zivilrecht“). In beiden Fällen müssen anschließend alle Ergebnisse eingehend auf ihre kollisionsrechtliche Relevanz und ihre Aktualität untersucht sowie Anwendungsund Auslegungsfragen geklärt werden. Letztlich sind damit nur gezielte Suchen auf der Basis nicht unerheblicher Vorkenntnisse und zumeist in Verbindung mit extensiven Folgerecherchen sinnvoll. Insgesamt muss man konstatieren, dass bereits einzelne kollisionsrechtsbezogene Völkerrechtsakte der Mitgliedstaaten vielfach kaum erkennbar sind und ein lückenloses Gesamtbild für die meisten Mitgliedstaaten als weit entfernte Utopie erscheint. Die Hürden bei der Ermittlung der einschlägigen völkerrechtlichen Rechtsakte verschärfen sich noch dadurch, dass deren kollisionsrechtlicher Gehalt nicht immer aus dem reinen Vertragstext hervorgeht. Ob ein Einheitsrechtsübereinkommen auch einzelne spezielle Kollisionsregeln enthält, mag sich bei sorgfältiger Lektüre noch erschließen, nicht aber, welche international-gesellschaftsrechtlichen Implikationen aus einem Niederlassungsvertrag abzuleiten sind oder was ein Konsularvertrag im Einzelnen für das Erbkollisionsrecht bedeutet. Die aktuelle direkte oder indirekte Relevanz jedes Staatsvertrags für das IPR lässt sich nur nach einer vertieften Auseinandersetzung mit den dazu ergangenen wissenschaftlichen Stellungnahmen und Gerichtsurteilen genau bestimmen, ebenso die Details seiner sachlichen Reichweite, Interpretation und praktischen Anwendung. Die dafür erforderlichen, 687 . 688 .

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

unter Umständen Jahrzehnte alten Quellen sind als exotische Spezialmaterialien häufig bereits in den Vertragsstaaten nur mit einigen Mühen auffindbar; aus dem Ausland sind sie (ganz abgesehen von Sprachbarrieren) im Regelfall kaum zugänglich. Die Schwierigkeiten, mit denen es selbst für Experten in einem umgrenzten Untersuchungsbereich verbunden ist, verlässliche Informationen zu Existenz, Vorhandensein und Reichweite kollisionsrechtlich wirkender Staatsverträge zu erhalten, hat die Studie von Dutta und Wurmnest eindrücklich illustriert.689 Auch Kommentare, die sich im Regelfall auf wenige für die praktische Anwendung zentrale Aspekte beschränken müssen, können hier nur begrenzt weiterhelfen. Die derzeitige Unübersichtlichkeit erweist sich schon als verfahrensökonomisch ungünstig, wenn es um die oft eher versteckten staatsvertraglichen Bindungen des Forumstaats geht. Gleichwohl ist es etwa für einen deutschen respektive französischen Amtsrichter noch zumutbar und auch mit noch vertretbarem Aufwand zu bewältigen, die völkerrechtlichen Bestandteile seiner eigenen Rechtsordnung zu erkennen und richtig anzuwenden. Die Anwendungsprobleme potenzieren sich aber, wenn, etwa im Rahmen eines renvoi, die völkerrechtlichen Verträge anderer Mitgliedstaaten in Rede stehen. Zwar sind praktisch häufig relevante, vor allem multilaterale Verträge zumeist bekannt – so etwa das in Deutschland geradezu berüchtigte, da in allen Anrainerstaaten (außer Dänemark) geltende, HStVÜ. Doch die Kenntnis nur punktuell eingreifender und selten relevanter bilateraler Abkommen kann man kaum erwarten: Wie soll der deutsche Amtsrichter von der Existenz des Personen- und Familienstatut betreffenden französisch-marokkanischen Abkommens oder sein französischer Kollege von der des deutsch-iranischen Niederlassungsvertrags wissen, geschweige denn diese korrekt anwenden? Die Zahl praktischer Anwendungsfälle zu den Staatsverträgen anderer Mitgliedstaaten war zwar von vornherein überschaubar und ist aufgrund der schwindenden Rolle des renvoi, der Tendenz zur Anwendung der lex fori und schließlich der wachsenden Kollisionsrechtsvereinheitlichung in Europa rückläufig. Ganz vernachlässigen darf man diese Konstellationen jedoch nicht – und je seltener und ungewöhnlicher diese Fälle werden, desto komplizierter wird ihre praktische Bewältigung. Aber auch konzeptionell ist das Fehlen eines Überblicks über das staatsvertragliche IPR der Mitgliedstaaten mehr als unglücklich. Nicht nur die 689 Vgl. Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 321. – Frühere Versuche kompletter Zusammenstellungen aller für das Erb- bzw. Güterkollisionsrecht relevanten Staatsverträge sind erfolglos geblieben, vgl. Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7 Fn. 14. – Optimistisch dagegen Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 33 „eine vollständige Übersicht sämtlicher für die Mitgliedstaaten geltenden bilateralen Abkommen […] ließe sich aber durch den Rat der Justizminister der Europäischen Union unschwer erstellen, indem jedes Land mitteilt, mit welchem Drittstaat ein bilaterales Abkommen besteht und welche Gegenstände dieses erfasst.“.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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Anwendung vereinheitlichter Kollisionsregeln, sondern schon die Schaffung neuer europäischer IPR-Rechtsakte erfordert die Kenntnis der staatsvertraglichen Verpflichtungen aller Mitgliedstaaten: Koordinationsmechanismen für europäisches und völkerrechtliches IPR können nur in Kenntnis der sachlichen und räumlichen Reichweite bestehender multi- und bilateraler Verträge sinnvoll entwickelt und implementiert werden. Ein weitreichend vereinheitlichtes europäisches Kollisionsrecht setzt dabei schon um so mehr das Wissen um Staatsverträge voraus, als es für diese Ausnahmen vorsieht und eine Koordination mit dem völkerrechtlichen IPR anstrebt (siehe sogleich II., S. 212 ff.). Die Vereinheitlichung endet aber nicht mit der Verabschiedung europäischer Rechtsakte, sondern erfordert auch deren einheitliche Anwendung. Wenn Informationen zu mitgliedstaatlichen Besonderheiten nicht insgesamt und allgemein verfügbar sind, erschwert dies die Anwendung des EUIPR und schränkt damit seine Effizienz ein. Auch rechtspolitisch erscheint die umfassende gegenseitige Information über die völkerrechtlichen Kollisionsrechts-Beziehungen der Mitgliedstaaten im Rahmen der fortschreitenden IPRVereinheitlichung in der EU geboten. Im Verhältnis zu Drittstaaten ist es dagegen ungünstig, wenn der Eindruck entsteht, dass sich die europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung für das völkerrechtliche IPR nur wenig interessiert und vor allem die bilateralen Verträge der einzelnen Mitgliedstaaten weitgehend außer Acht lässt. Zur Lösung all dieser Probleme könnte eine umfassende, öffentlich zugängliche Sammlung aller kollisionsrechtlich relevanten Staatsverträge aller EU-Mitgliedstaaten, etwa in Gestalt einer zentralen europäischen Datenbank, beitragen.690 Ein vollständiger und den Bedürfnissen der Kollisionsrechtsanwender entsprechend systematisierter Überblick würde zunächst das Problem der derzeit äußerst fragmentarischen Informationsquellen lösen: Ein zentrales Repositorium, aus dem alle bestehenden völkerrechtlichen Instrumente sowie ihr sachlicher und räumlicher Geltungsbereich hervorgehen, wäre bereits ein wesentlicher Fortschritt. Aufgenommen werden sollten alle multilateralen und bilateralen völkerrechtlichen Verträge mit Bindungswirkung für wenigstens einen Mitgliedstaat sowie die als „Annex“ in Konventionen zur materiellen Rechtsvereinheitlichung enthaltenen Kollisionsregeln und gegebenenfalls zumindest Hinweise auf gescheiterte oder (bisher) nur für Drittstaaten verbindliche Übereinkommen. Hinzutreten könnten jeweils zusätzliche Informationen, beispielsweise zu Verständnis, Auslegung und aktueller praktischer Relevanz, zu mitgliedstaatlichen Gerichtsentscheidungen sowie zur exakten sachlichen Reichweite und zum Verhältnis der Staatsverträge zu den einzelnen Rechtsakten des EU-IPR. Einheitlich aufbereitet, nach klaren Kriterien Ein wertvoller erster Schritt in diese Richtung ist die Zusammenstellung der relevanten Normen jeweils im Original und in englischer Übersetzung im Annex von Dutta /  Wurmnest (Hg.). 690

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

geordnet und idealerweise in allen Amtssprachen der EU verfügbar und durchsuchbar könnte eine solche Datenbasis künftige Recherchen erheblich vereinfachen. Gedient wäre damit nicht nur der durch den komfortableren Informationszugang entlasteten Anwendungspraxis. Auch Wissenschaft und Rechtspolitik würden von der Verfügbarkeit vergleichbarer und in einen größeren Kontext eingeordneter Informationen zu allen Mitgliedstaaten massiv profitieren. Ein zuverlässiger Überblick über alle für das Kollisionsrecht in Europa relevanten völkerrechtlichen Instrumente ist schließlich notwendige Grundlage der Entwicklung einer kohärenten Strategie für das Verhältnis zwischen europäischem und völkerrechtlichem Kollisionsrecht. Wegen der Verquickungen zwischen IPR und IZVR sollte sich ein solches Projekt freilich nicht auf das Kollisionsrecht beschränken, sondern ganzheitlich das gesamte Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht einbeziehen. Aufgrund der Komplexität und Spezialisierung der Materie scheint diese Mammutaufgabe in den Händen der Wissenschaft am besten aufgehoben: Erforderlich wäre dafür eine umfassend und langfristig angelegte Studie zu den bestehenden völkerrechtlichen Bindungen unter Beteiligung von Experten aller Mitgliedstaaten.691 Als Vorreiter kann das von Dutta und Wurmnest initiierte Forschungsprojekt zur ErbVO betrachtet werden, das sich ausdrücklich als „Testbohrung“692 versteht und das Potenzial, aber auch die bereits auf empirischer Ebene bestehenden Hürden, exemplarisch verdeutlicht. Es steht zu hoffen, dass sein richtungweisender Ansatz in naher Zukunft aufgegriffen und als Grundlage einer alle EU-Mitgliedstaaten einbeziehenden Studie genutzt wird, die die aktuell gähnende Informationslücke schließt. Als Basis eines solchen Projekts, aber auch unabhängig davon wäre es praktisch bereits immens hilfreich, wenn die Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene bestimmte Informationen zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen verbindlich zur Verfügung stellen müssten. Daraus ließe sich eine belastbare Liste der Rechtsinstrumente als Ausgangspunkt einer vertiefenden Studie und Grundlage einer Datenbank erstellen. Denkbar wäre etwa eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Notifikation des Gesamtbestands ihrer Staatsverträge im IPR und IZVR an die EU sowie zur regelmäßigen Aktualisierung bzw. Mitteilung aller Veränderungen (die im Völkerrecht meist eher überschaubarer Zahl sind). Eine solche Pflicht existiert bislang allenfalls rudimentär. Unter dem Titel „Verzeichnis der Übereinkommen“ sehen Art. 26 Rom I-VO und Art. 29 Rom II-VO vor, dass die Mitgliedstaaten bis zu einem festgelegten Stichtag der Kommission ihre im Bereich des vertraglichen bzw. außervertraglichen Schuldrechts bestehenden Übereinkommen mitteilen sowie sie über spätere Kündigungen in Kenntnis setzen; eine aus den anfänglichen Mitteilungen erstellte Liste wird ebenso im Amtsblatt der Europäischen Union veröffent691 692

So auch Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 355. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 452.

I. Identifizierung der maßgeblichen Staatsverträge

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licht wie die späteren Veränderungen durch Kündigung. Diese sehr sinnvoll erscheinenden Regelungen konnten ihr Ziel, zu Transparenz und Rechtsklarheit beizutragen,693 leider kaum erreichen. Sie erwiesen sich als nicht weitreichend genug, um wirklich effizient zu sein. Zum einen wurde die Reichweite der Mitteilungspflicht von den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich interpretiert, wie der Blick auf die im Amtsblatt veröffentlichten Verzeichnisse694 zeigt: So nehmen etwa nicht alle Mitgliedstaaten auch ihre bilateralen Abkommen in ihre Mitteilung auf, Veränderungen werden ebenfalls nur inkonsistent und schleppend angezeigt.695 Zum anderen wurden die notifizierten Angaben ohne weitere Prüfung veröffentlicht und entfalten keinerlei Publizitätswirkung;696 über die bloße Benennung der völkerrechtlichen Instrumente hinausgehende Informationen sind von vornherein nicht vorgesehen. Die bestehenden Listen haben damit nur begrenzt zuverlässigen und praktisch beschränkt hilfreichen Hinweischarakter und wurden teils als überflüssig eingestuft.697 Nachdem die Mitteilungspflicht in Rom I-VO und Rom II-VO sich als zahnloser Tiger erwiesen hatte, verwundert es nicht, dass die folgenden EURechtsakte auf mitgliedstaatliche Informationspflichten zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht insgesamt verzichtet haben. Art. 12 AbtrVO-E enthält allerdings wieder eine Art. 26 Rom I-VO und Art. 29 Rom II-VO entsprechende Regelung. Dieses zumindest formale Wiederaufgreifen des zwischenzeitlich verworfen scheinenden Lösungsansatzes ist vor allen Dingen erfreulich, weil es eine erneute Diskussion über eine Mitteilungspflicht anstoßen kann.698 Damit ein solcher Mechanismus den gewünschten Erfolg erzielen kann, müsste er freilich anders als bisher ausgestaltet werden. Seine Vorgaben müssten einerseits konkreter formuliert, andererseits als verbindliche Verpflichtung ausgestaltet werden. Ob sich dies im Gesetzgebungsverfahren zum AbtrVO-E durchsetzen und praktisch realisieren lässt, ist im Hinblick auf die zahlreichen weiteren Hindernisse bei der Vereinheitlichung des Internationalen Zessionsrechts bereits fraglich. Darüber hinaus wäre der Anwendungsbereich einer solchen Vorschrift inhaltlich sehr eng umrissen. Für die auf lange Sicht sinnvolle, nicht auf den Anwendungsbereich einzelner EUVerordnungen begrenzte umfassende Notifikationspflicht hinsichtlich aller BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 26 Rom I-VO Rn. 1. Zur Rom I-VO: ABl. 2010 C 343, 3, siehe Verzeichnis bei BeckOGK / G. Schulze /  Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 26 Rom I-VO Rn. 5.1. – Zur Rom II-VO: ABl. 2010 C 343, 7, siehe Verzeichnis bei BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 29 Rom IIVO Rn. 4.1. 695 Vgl. MüKo8 / Junker Art. 29 Rom II-VO Rn. 3. 696 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 26 Rom I-VO Rn. 4; BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 29 Rom II-VO Rn. 4. 697 MüKo8 / Junker Art. 29 Rom II-VO Rn. 1. 698 Für eine Mitteilungsverpflichtung der Mitgliedstaaten zur Ermittlung des Bestands an Staatsverträgen auch Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 26. 693 694

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Staatsverträge müsste eine eigene Rechtsgrundlage geschaffen werden – die Erfolgsaussichten eines solchen Vorhabens scheinen allerdings, auch im Hinblick auf die dafür benötigte Kompetenzgrundlage und zahlreiche andere als vordringlich empfundene offene Fragen, derzeit eher fraglich. Aber auch ohne europäische Notifikationspflicht bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, entsprechende Listen der für ihre jeweilige Rechtsordnung geltenden völkerrechtlichen Verträge zu erstellen. Europäische Empfehlungen könnten den praktischen Mehrwert solcher Zusammenstellungen für die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender und die europäische Zusammenarbeit verdeutlichen und Anstöße und Richtlinien für entsprechende Projekte liefern. Aus einer europaweiten (wissenschaftlichen) Zusammenführung, Koordination und Aufbereitung der Ergebnisse ließe sich ebenfalls eine zuverlässige Datenbank gewinnen. Einmal erstellt dürfte sich der Aktualisierungsaufwand dafür in überschaubaren Grenzen halten, da Änderungen und Neuschaffungen multilateraler Übereinkommen in der Regel seltene und längere Prozesse sind und die Zahl der von den Mitgliedstaaten neu abgeschlossenen bilateralen Abkommen in den letzten Jahrzehnten äußerst gering ist. Die Investition in ein solches Vorhaben ist damit auch langfristig gewinnbringend. Nicht zuletzt würde die Auseinandersetzung mit den bestehenden völkerrechtlichen Verträgen im Kollisionsrecht auf mitgliedstaatlicher und europäischer Ebene den Anlass geben, den aktuellen Stand der staatsvertraglichen Bindungen zu hinterfragen – insbesondere mit Bezug auf ihre Verflechtungen mit dem EU-IPR (dazu sogleich II.). II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

Allein die Kenntnis des Bestands an Staatsverträgen mit inhaltlicher Relevanz für das EU-IPR sagt freilich noch nichts über ihr Verhältnis zu den europäischen Rechtsakten aus, mit denen sie sich thematisch überschneiden. Anders als in der Beziehung zwischen europäischem und nationalem Recht existieren keine klaren Hierarchien. Einerseits muss die Schaffung neuer EU-Rechtsakte die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und inzwischen auch der EU selbst achten, sie sollte bewährte Instrumente des Völkerrechts einbeziehen und die Möglichkeit künftiger globaler Vereinheitlichungsaktivitäten nicht zu sehr einschränken. Auf der anderen Seite kann zu großer Respekt vor punktuellen staatsvertraglichen Rechtsakten die Effizienz des europäischen Kollisionsrechts empfindlich einschränken.699 Eine pauschale Regelung für alle staatsvertraglichen internationalprivatrechtlichen Regelungen verbietet sich schon aufgrund ihrer Vielgestaltigkeit. Erforderlich sind Koordinationsmechanismen, die den verschiedenen Arten von Staatsverträgen und ihrer unterschiedlich weitreichenden Bedeutung für das EU-IPR Rechnung tragen. 699

Vgl. Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 233.

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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Technische Grundlage für die Abgrenzung paralleler Rechtsinstrumente sind sogenannte Entkoppelungsklauseln („disconnection clauses“), deren Gestaltung für die Gesetzgeber nicht immer einfach ist.700 Ausgangspunkt sind aus europäischer Warte die Rücksichtnahmeklauseln der Verordnungen (Art. 25 Rom I-VO, Art. 28 Rom II-VO, Art. 19 Rom III-VO, Art. 75 ErbVO, Art. 62 GüVO / PartVO701, Art. 69 UnthVO und Art. 11 AbtrVO-E). Auch im traditionellen völkerrechtlichen IPR sind Entkoppelungsklauseln gelegentlich vorgesehen (z. B. Art. 20 Haager Ehegüterrechtsübereinkommen von 1978, Art. 52 KSÜ, Art. 49 ESÜ) und werden inzwischen zunehmend auch speziell auf das EU-IPR bezogen ausgestaltet (z. B. Art. 52 Abs. 4 KSÜ, Art. 49 Abs. 4 ESÜ).702 Auf dieser Basis können drei Ansätze für das Zusammenspiel zwischen europäischem und völkerrechtlichem Kollisionsrecht identifiziert werden, die auf einer graduellen Skala angesiedelt sind.703 Das Spektrum reicht von der vollständigen Verdrängung des Völkerrechts-IPR durch die europäischen Kollisionsrechtsakte, wenn rein mitgliedstaatliche Staatsverträge in Frage stehen (dazu 1.) bis zum gelegentlich propagierten Verzicht auf eine eigene europäische Kollisionsrechtsgesetzgebung zugunsten eines Beitritts aller Mitgliedstaaten oder der Union selbst zu bestehenden Staatsverträgen oder der Integration bestehender Staatsverträge in das EU-IPR (dazu 3.). Dazwischen steht der traditionelle Ansatz, multi- und bilateralen Verträgen mit Drittstaaten Vorrang vor dem EU-Kollisionsrecht zuzugestehen (dazu 2.). 1. Verdrängung von Staatsverträgen nur zwischen Mitgliedstaaten Vom europäischen IPR verdrängt werden völkerrechtliche Kollisionsregeln, die nur zwischen EU-Mitgliedstaaten gelten. Diesen Vorrang ordnet jeder EU-Kollisionsrechtsakt im Abs. 2 seines Artikels zum Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkünften klar an: Art. 25 Abs. 2 Rom I-VO, Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO, Art. 19 Abs. 2 Rom III-VO, Art. 75 Abs. 2 ErbVO, Art. 62 Abs. 2 GüVO / PartVO, Art. 69 Abs. 2 UnthVO und Art. 11 Abs. 2 AbtrVO-E enthalten quasi wortgleiche Formulierungen, die für ihren Bereich den Vorrang der jeweiligen Verordnung vor nur zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen festlegen (siehe oben R. Wagner IPRax 2019, 185, 190. Art. 62 PartVO dient lediglich der systematischen Vollständigkeit: Praktisch hat er in Ermangelung partnerschaftsgüterrechtlicher Kollisionsrechtsabkommen keine Relevanz, siehe MüKo8 / Looschelders Art. 62 PartVO Rn. 2; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7. 702 Vgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 32 f.; Kreuzer in: Jud / Rechberger /  Reichelt, 1, 47 f. 703 Vor allem mit Blick auf das IZVR systematisiert Franzina in: von Hein / Kieninger /  Rühl, 19, 26 ff. die drei Gruppen „Subordination“, „Interplay“ and „Confrontation“; etwas andere Begrifflichkeiten bei Franzina in: Franzina, 183, 190 ff. (Convergence, Combination, Confrontation). 700 701

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

§ 2.III.2., S. 62 ff.). Lediglich im Innenverhältnis zwischen (bei Rechtsakten der Verstärkten Zusammenarbeit: teilnehmenden704) Mitgliedstaaten bestehende Staatsverträge werden also abgelöst, sobald und soweit europäische Gesetzgebung mit demselben sachlichen Anwendungsbereich in Kraft tritt. Das Bestehen und die Wirksamkeit der völkerrechtlichen Verträge werden dadurch allerdings nicht beeinträchtigt: Sie werden lediglich zugunsten des europäischen Kollisionsrechts nicht angewendet bzw. von diesem überlagert. Wie weit dieser Anwendungsvorrang des EU-IPR reicht, ist allerdings teils nicht eindeutig oder sogar streitig (dazu a)), zudem erweist sich die „Verdrängungstechnik“ als nicht nur vorteilhaft (dazu b)). a) Reichweite der Verdrängung durch das EU-IPR Zunächst einmal erfasst die Verdrängungswirkung des EU-Kollisionsrechts alle bilateralen kollisionsrechtlichen Staatsverträge, die beim Inkrafttreten der EU-Verordnungen in den von ihnen erfassten Bereichen zwischen (teilnehmenden) Mitgliedstaaten bestanden. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit wird gewissermaßen durch die weiterreichende europäische Zusammenarbeit überlagert. Ein Beispiel für dieses einfache Grundprinzip ist das Nachlassabkommen zwischen Österrreich und Ungarn von 1965, dessen Kollisionsregeln zugunsten jener der ErbVO keine Anwendung mehr finden.705 Durch die Rom III-VO hinsichtlich des Scheidungskollisionsrechts und durch die GüVO hinsichtlich des Güterkollisionsrechts verdrängt wird im Verhältnis zwischen Frankreich und Slowenien das zwischen ihnen fortgeltende französischjugoslawische Abkommen zum Familien- und Personenrecht von 1971 (Artt. 5 f., Art. 8).706 Die Tücken dieses Mechanismus bei Rechtsakten der Verstärkten Zusammenarbeit illustriert beispielhaft der österreichisch-polnische Rechtshilfevertrag von 1963. Seine Kollisionsregeln zu noch nicht europäisierten Fragen des Personalstatuts (z. B. Eheschließung) bleiben bis zu einer etwaigen Europäisierung ohnehin unberührt. Seine Erbkollisionsregeln werden gemäß Art. 75 Abs. 2 ErbVO durch diejenigen der für alle Mitgliedstaaten verbindlichen ErbVO verdrängt und finden keine Anwendung mehr. Problematisch ist aber, ob die entsprechenden Klauseln des Art. 19 Abs. 2 Rom III-VO und Art. 62 Abs. 2 GüVO auch seine Regeln zum Internationalen Scheidungssowie Ehegüterrecht erfassen: Zwar gelten die Rom III-VO und die GüVO für 704 Calliess / Renner / Wiese Art. 19 Rom III-VO Rn. 5; Gitschthaler / Rudolf Art. 19 Rom III-VO Rn. 19; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 19 Rom III-VO Rn. 4; MüKoFamFG / C. Mayer Art. 62 GüVO Rn. 7. 705 Deixler-Hübner / Schauer / Fucik Art. 75 ErbVO Rn. 14; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 15. 706 Corneloup/Égéa / Gallant / Jault-Seseke / Gallant Art. 62 GüVO / PartVO Rn. 5; Raupach 109; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 8.

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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Österreich, Polen beteiligt sich jedoch bislang jeweils nicht an der Verstärkten Zusammenarbeit. Das EU-Kollisionsrecht kann seine Verdrängungswirkung gegenüber dem Völkerrecht aber nur entfalten, wenn es für alle Beteiligten verbindlich ist – da Polen mangels einer Teilnahme an der Rom III-VO und der GüVO in dieser Hinsicht wie ein Drittstaat zu betrachten ist, liegt im Hinblick auf das Scheidungs- und Ehegüterkollisionsrecht kein Staatsvertrag „nur zwischen (teilnehmenden) Mitgliedstaaten“ vor. Es bleiben also bis zu einer etwaigen, derzeit eher unwahrscheinlich erscheinenden Beteiligung Polens an der Verstärkten Zusammenarbeit im Verhältnis zwischen Österreich und Polen die Scheidungs- und Ehegüterkollisionsregeln des bilateralen Rechtshilfevertrags maßgeblich.707 Dasselbe gilt hinsichtlich des Scheidungsund Güterkollisionsrechts für das französisch-polnische Personen- und Familienrechtsabkommens von 1967.708 Zu Verschiebungen hinsichtlich bestehender mitgliedstaatlicher Staatsverträge kann es nach dem Inkrafttreten der EU-Verordnungen also kommen, wenn Mitgliedstaaten sich erst später zu einer Teilnahme an Rechtsakten der Verstärkten Zusammenarbeit entschließen (wie eben gezeigt) oder wenn sich der Mitgliedstatus in der EU ändert. Tritt ein neuer Mitgliedstaat der EU bei, werden seine kollisionsrechtlichen Abkommen mit anderen Mitgliedstaaten durch das EU-Kollisionsrecht überlagert – so galten etwa die Erbkollisionsregeln des österreichisch-jugoslawischen Rechtsverkehrsabkommens von 1954 zunächst im Verhältnis zu Kroatien fort, werden aber seit dessen Beitritt zur EU durch die ErbVO verdrängt.709 Gleiches wird im Verhältnis zu den derzeitigen Beitrittskandidaten geschehen, sobald diese zu EU-Mitgliedern werden. Sollte etwa Serbien der EU (und der Rom III-VO sowie der GüVO) beitreten, wird das bislang fortgeltende französisch-jugoslawische Abkommen zum Familien- und Personenrecht von 1971 auch im Verhältnis zwischen Frankreich und Serbien durch die europäischen Verordnungen überlagert. Umgekehrt endet die Vorrangstellung des EU-IPR gegenüber rein mitgliedstaatlichen Staatsverträgen, sobald einer der beteiligten Staaten seinen Mitgliedstatus aufgibt: Mit dem Brexit sind alle kollisionsrechtlichen Staatsverträge anderer Mitgliedstaaten mit dem Vereinigten Königreich wieder uneingeschränkt anwendbar. Auch multilaterale Übereinkommen nur zwischen Mitgliedstaaten werden durch sachlich konkurrierende EU-Kollisionsrechtsakte verdrängt. Zur Ablösung des auf den europäischen Raum begrenzten EVÜ durch die Rom I-VO Vgl. Gitschthaler / Rudolf Art. 19 Rom III-VO Rn. 13; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 4. – Ausführlich Rudolf in: Arnold / Laimer, 19, Rn. 15 ff. 708 Corneloup/Égéa / Gallant / Jault-Seseke / Gallant Art. 62 GüVO / PartVO Rn. 15; Viganotti 64, 85; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 8; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7. 709 Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 13 f. 707

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

trifft allerdings Art. 24 Rom I-VO eine Sonderregelung;710 ob seine auf bestimmte Fälle der ungerechtfertigten Bereichung (Art. 10 Abs. 1 lit. e) EVÜ) begrenzte Konkurrenz mit der Rom II-VO über die Vorrangklausel des Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO oder aufgrund der Sonderstellung Dänemarks nach Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO711 zu lösen ist, wird praktisch kaum je relevant. Da außer dem EVÜ keine regional auf den EU-Raum begrenzten Staatsverträge mit kollisionsrechtlichem Gehalt bestanden, ist die Anzahl der unter die Vorrangklauseln des EU-IPR fallenden multilateralen Staatsverträge gering. Betroffen sind nur zur weltweiten Beteiligung offenstehende Übereinkommen, an denen aber (zumindest derzeit) nur EU-Mitgliedstaaten teilnehmen. Das erfasst insbesondere die „alten“ Haager Übereinkommen: Beispielsweise wurde das nur noch zwischen Portugal und Rumänien geltende Haager Scheidungsabkommen von 1902 von der Rom III-VO verdrängt712 und damit faktisch außer Kraft gesetzt.713 Als weiteres Beispiel wird häufig das nur von Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden ratifizierte und damit nur zwischen EU-Mitgliedstaaten geltende Haager Ehegüterrechtsübereinkommen von 1978 genannt.714 Als nur zwischen an der Verstärkten Zusammenarbeit im Güterkollisionsrecht teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten geltender Staatsvertrag wird es durch die GüVO überlagert und findet (zumindest derzeit) keine Anwendung mehr.715 Das Resultat ist eine durchaus intrikate Situation im Kollisionsrecht der drei Staaten. Für vor dem jeweiligen Inkrafttreten des Übereinkommens geschlossene Ehen ist das frühere mitgliedstaatliche IPR maßgeblich (etwa in Frankreich das droit commun für vor dem 1.9.1992 eingegangene Ehen), ab diesem Zeitpunkt bis zum Inkrafttreten der GüVO geschlossene Ehen unterliegen dem Haager Übereinkommen, und für ab dem 29.1.2019 geschlossene Ehen greift schließlich die GüVO. Es kommt damit nicht nur zu einer dreifachen intertemporalen Spaltung, sondern die für die verschiedenen Epochen maßgeblichen Kollisionsregeln sind auch jeweils unterschiedlichen Regelungsebenen zu entnehmen!716 Das Beispiel des Haager Ehegüterrechtsübereinkommens kann auch den Streit um die Reichweite der Verdrängungswirkung des EU-IPR gegenüber Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 6 f.; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 234. Dafür BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 22 ff.; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 11, 14 ff. 712 Raupach 109. 713 Vgl. die Einordnung als „Old Convention“ auf . 714 MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 18; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 4. 715 Corneloup/Égéa / Gallant / Jault-Seseke / Gallant Art. 62 GüVO / PartVO Rn. 15. – Kritisch bezüglich der Vorteile der GüVO gegenüber dem Haager Ehegüterrechtsübereinkommen Bourdelois in: FS Ancel, 281, 281 ff. 716 Vgl. zur Rechtslage in Frankreich Viganotti 85 f.; Joubert Rev. crit. DIP 2017, 1, Rn. 11. 710 711

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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völkerrechtlichen Verträgen illustrieren. Teils wird vertreten, sie erfasse lediglich Abkommen, die von vornherein nur Mitgliedstaaten zur Teilnahme offenstehen – bereits die potentielle Beteiligung von Drittstaaten ließe sie entfallen und den grundsätzlichen Vorrang vorhandenen Völkerrechts bestehen bleiben.717 Problematisch an diesem engen Ansatz ist, dass danach der Anwendungsbereich der Vorrangklauseln zugunsten des EU-IPR praktisch von vornherein auf bilaterale Übereinkommen beschränkt wäre, da die bestehenden multilateralen Übereinkommen in der Regel keine regionale Begrenzung ihres potentiellen Teilnehmerkreises auf EU-Mitgliedstaaten enthalten. So würde auch das Haager Ehegüterrechtsübereinkommen, das zwar derzeit nur zwischen teilnehmenden Mitgliedstaaten gilt, aber auch Drittstaaten zum Beitritt offensteht (selbst wenn diese Möglichkeit heute eher theoretisch scheint), nicht von der GüVO verdrängt. Demgegenüber will eine großzügigere Auslegung die Vorrangklauseln immer dann eingreifen lassen, wenn an einem Übereinkommen, wie derzeit am Haager Ehegüterrechtsübereinkommen, aktuell nur Mitgliedstaaten beteiligt sind. Für diese Auffassung spricht zunächst, dass sie das Ziel einer möglichst umfassenden Anwendung des EU-Kollisionsrechts deutlich effektiver verwirklicht und die Vorrangklauseln konsequenter umsetzt. Es wäre kaum einleuchtend, warum in multilateralen Beziehungen nur zwischen Mitgliedstaaten ältere völkerrechtliche Verträge anstelle der aktuellen europäischen Rechtsakte anwendbar sein sollten, wenn diese in bilateralen Verhältnissen verdrängt würden. Außerdem erlaubt diese Interpretation die jeweils situationsgerechte und veränderliche Behandlung von Staatsverträgen: Der tatsächliche Beitritt eines Drittstaats zu einem bisher rein mitgliedstaatlichen Abkommen führt zum Wegfall der Voraussetzungen der Vorrangklausel für die Zukunft, umgekehrt kann durch den EU-Beitritt oder die Kündigung aller daran beteiligten Drittstaaten ein Übereinkommen später zu einem rein mitgliedstaatlichen Vertrag werden und hinter die EU-Rechtsakte zurücktreten.718 Diese – wohl mehrheitlich vertretene – Auffassung scheint daher aus europäischer, völkerrechtlicher und mitgliedstaatlicher Perspektive vorzugswürdig. Zu weit geht allerdings eine dritte Auffassung, die nicht auf die am Übereinkommen beteiligten Staaten, sondern auf den jeweils konkreten Sachverhalt abstellen will. Auch Übereinkommen mit Drittstaaten sollen bei Anwendung auf rein innergemeinschaftliche Sachverhalte durch die Vorrangklauseln zugunsten des EU-Kollisionsrechts verdrängt werden und nur bei einem konkreten

717 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 12; Staudinger / U. Magnus (Neubearb. 2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 19. 718 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 21; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 27, 29.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Bezug des zu entscheidenden Falls zu einem Drittstaat anwendbar bleiben.719 Dies überdehnt zuallererst den Wortlaut der Vorrangklauseln („ausschließlich“ zwischen Mitgliedstaaten) und erfordert darüber hinaus eine einschränkende Auslegung der grundsätzlichen Unberührtheit bestehender völkerrechtlicher Übereinkommen. Aber auch im Interesse der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit darf nicht auf den Sachverhalt im Einzelfall abgestellt werden, sondern muss die generelle Beteiligung an dem in Frage stehenden Übereinkommen ausschlaggebend sein. Sofern einer der Vertragsstaaten ein Drittstaat ist, kann bei einem kollisionsrechtlichen Abkommen (anders als bei den internationalverfahrensrechtlichen Verordnungen, vgl. Art. 69 EuGVVO, Art. 61 Brüssel IIa-VO) auch bei reinen Binnenmarktsachverhalten das EUIPR keinen Vorrang beanspruchen.720 Auch eine analoge Anwendung der Vorrangklauseln kommt in diesen Situationen nicht in Betracht.721 Eine abschließende Klärung dieser Debatte wird nur der EuGH vornehmen können, der aber dazu bisher keine Gelegenheit erhalten hat. Sowohl die Kollisionsregeln bi- als auch multilateraler Verträge werden aber jedenfalls, sobald und soweit sie nur zwischen Mitgliedstaaten Geltung beanspruchen können, im Anwendungsbereich der EU-Verordnungen von diesen verdrängt. Zwar kann das EU-Recht gestatten, dass in seinem Anwendungsbereich bestehende Staatsverträge zwischen Mitgliedstaaten anwendbar bleiben722 – entsprechende Klauseln enthalten (gewissermaßen im Wege einer Rückausnahme) Art. 69 Abs. 3 UnthVO, Art. 75 Abs. 3 ErbVO und Art. 62 Abs. 3 GüVO zugunsten der zwischen den skandinavischen Staaten geltenden Nordischen Übereinkommen im Familien- und Erbrecht. Aufgrund der Beteiligung Islands und Norwegens wären diese allerdings ohnehin selbst bei Beteiligung von Dänemark, Finnland und Schweden an allen EU-Rechtsakten keine rein mitgliedstaatlichen Übereinkommen.723 Vor allem aber sind diese Ausnahmen bisher auf verfahrensrechtliche Aspekte begrenzt und gelten gerade nicht für die Kollisionsregeln der Konventionen. Die künftige Aufnahme entsprechender Ausnahmen auch für regionales völkerrechtliches IPR ist zwar theoretisch möglich, erscheint aber vor allem in Anbetracht des im 719 Dafür z. B. MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 16 f. m.w.N; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 328 f.; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 233 f.; wohl auch Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 720. 720 Siehe etwa BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 8; MüKo8 / Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 5. 721 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 8; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 26. 722 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 28. 723 Frantzen in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald / Grziwotz / Reimann / Dutta, 67, 71 sowie Helin in: Dutta / Wurmnest, 121, 129, 134 ff. gehen dennoch davon aus, dass Finnland und Schweden die Kollisionsregeln der ErbVO anwenden werden, sodass es zu einer Spaltung innerhalb der nordischen Staaten kommt.

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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EU-Kollisionsrecht zugrundegelegten loi uniforme-Prinzips eher unwahrscheinlich. b) Vor- und Nachteile der Bevorzugung des EU-IPR Hintergrund der Vorrangregelung zugunsten des Unionsrechts ist das Bestreben, den europäischen IPR-Regeln in den Mitgliedstaaten möglichst umfassende Anwendung zu verschaffen. Die Harmonisierung des Kollisionsrechts soll so wenig wie möglich durch Ausnahmen zugunsten anderer Regelungen unterlaufen werden (vgl. Erw. 73 S. 3 ErbVO).724 Auch zur Rechtssicherheit trägt der Ausschluss des völkerrechtlichen Vorrangs in mitgliedstaatlichen Verhältnissen bei, indem er Abgrenzungsfragen erspart.725 Aus völkerrechtlicher Warte ist dies nicht zu beanstanden. Völkerrechtliche Verpflichtungen werden nicht verletzt, wenn alle an den verdrängten Staatsverträgen beteiligten Staaten EU-Mitglieder sind – es stünde ihnen auch frei, stattdessen die nur zwischen ihnen bestehenden Staatsverträge zu kündigen. Letztlich verwirklicht sich durch die Ablösung alten zwischenmitgliedstaatlich-staatsvertraglichen durch neues europäisch-regionales Kollisionsrecht nur das lex posterior-Prinzip; auch Art. 30 Abs. 3 WVK726 sieht vor, dass ein bestehender Staatsvertrag durch einen jüngeren Rechtsakt, an dem alle seine Vertragsparteien ebenfalls beteiligt sind, verdrängt wird.727 Davon, dass das EU-IPR die mitgliedstaatlichen Staatsverträge nur in diesem völkerrechtlich zulässigen Rahmen verdrängen will, zeugt auch die Stellung der Vorrangklauseln in den EU-Rechtsakten. Sie bilden stets eine Ausnahme von der im jeweils vorangehenden Absatz formulierten grundsätzlichen Unberührtheit bestehenden Völkerrechts. Die Vorrangklauseln zugunsten des EU-IPR bedeuten, dass im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten die bisherigen, auf einzelne Vertragsstaaten begrenzten völkerrechtlichen Instrumente der Kollisionsrechtsharmonisierung durch die umfassenderen Harmonisierungsrechtsakte der EU abgelöst werden. Als konsequente Folge des fortschreitenden weiteren Zusammenwachsens Europas ist dies letztlich nicht zu beanstanden, zumal auch die betroffenen Mitgliedstaaten an der Schaffung der europäischen Instrumente beteiligt sind und sich bewusst für diese entscheiden. Aus Sicht der EU ist der Vorrang des EU-Rechts in doppelter Hinsicht wünschenswert. Er verhilft einerseits dem EU-IPR zu möglichst uneingeschränkter Geltung und bringt im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander einheitliche und zeitgemäße Kollisionsregeln zur Anwendung. Ebenfalls als vorteilhaft kann sich in diesem Zusammenhang auch erweisen, dass seit längerem bestehende, inhaltlich 724 725 726 727

BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 75 ErbVO Rn. 4. BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 12. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 27 f.; Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 5.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

überholte völkerrechtliche Verträge auf diesem Wege „erledigt“ werden, ohne dass ihre Kündigung erforderlich wäre. Andererseits verhindert der Vorrang der EU-Kollisionsregeln ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, das durch spezielle bi- oder multilaterale Regimes zwischen wenigen Mitgliedstaaten in Form engerer Bindungen ent- bzw. fortbestehen könnte. Diesen Vorteilen stehen freilich auch einige Nachteile gegenüber. Der Vorrang des EU-IPR opfert zu einem gewissen Grad die gewachsenen Strukturen nicht nur im mitgliedstaatlichen, sondern auch im völkerrechtlichen Kollisionsrecht. Vor allem bedeutet er für bislang nur zwischen Mitgliedstaaten geltende völkerrechtliche Konventionen faktisch das Aus. Sie gelten zwar nominal zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten fort und stehen weiterhin Drittstaaten zum Beitritt offen, finden aber keine praktische Anwendung mehr und werden damit noch unattraktiver für potentielle weitere Vertragsstaaten. Freilich erscheinen bei den in Frage stehenden Verträgen älteren Datums, die über mehrere Jahrzehnte hinweg nur begrenzten Zuspruch gefunden haben, weitere Beitritte ohnehin wenig wahrscheinlich – dennoch trägt das EU-IPR durch seine Verdrängungswirkung wesentlich dazu bei, dass sie als endgültig überholt anzusehen sind. Letztlich kommt darin eine Grundhaltung des EU-IPR zum Ausdruck, die die für die Mitgliedstaaten geltenden völkerrechtlichen Kollisionsregeln als „Störfaktoren“ bei der Europäisierung betrachtet. Bei deren Beseitigung im zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis überwiegen zwar unter dem Strich die Vorteile – in anderen Zusammenhängen wird diese tendenziell negative Einstellung gegenüber dem Völkerrechts-IPR sich aber als erheblich problematischer erweisen. 2. Koexistenz mit Staatsverträgen unter Drittstaatenbeteiligung Auf die überwiegende Zahl der kollisionsrechtlichen Staatsverträge haben die europäischen IPR-Verordnungen keine Auswirkungen. Als grundlegende Regel für das Verhältnis der EU-Rechtsakte zu Staatsverträgen gilt, dass die Anwendung bestehender internationaler Übereinkommen unberührt bleibt (Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 19 Abs. 1 Rom IIIVO, Art. 75 Abs. 1 ErbVO, Art. 62 Abs. 1 GüVO / PartVO, Art. 69 Abs. 1 UnthVO, Art. 11 Abs. 1 AbtrVO-E). Wenn völker- und europarechtliches Kollisionsrecht denselben sachlichen Anwendungsbereich haben, behält also bisher gegenüber nationalen Kollisionsregeln vorrangiges völkerrechtliches Kollisionsrecht weiterhin seinen Anwendungsvorrang. Aus Sicht des oder der daran gebundenen Mitgliedstaaten bleibt es unverändert maßgeblich und bildet insofern eine Ausnahme von der universellen Anwendung der EUKollisionsregeln. Zweck dieser klar formulierten Koordinationsnormen ist es, die fortgesetzte Anwendung bestehenden völkerrechtlichen Kollisionsrechts auch unter Geltung der europäischen IPR-Verordnungen sicherzustellen. Sie sind auf die primärrechtliche Vorschrift des Art. 351 AEUV zurückzuführen728

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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und ermöglichen es den Mitgliedstaaten, einerseits ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen auch nach Inkrafttreten der EU-Verordnungen weiterhin zu erfüllen, und andererseits bei dieser Berücksichtigung ihrer staatsvertraglichen Bindungen europarechtskonform zu handeln (vgl. Erw. 41 S. 1 Rom IVO, Erw. 36 S. 1 Rom II-VO, Erw. 73 S. 1 ErbVO).729 Auf diese Weise achtet das Unionsrecht die völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten und verhindert europäisch induzierte Verletzungen der Staatsverträge. Voraussetzung für die unberührte Fortgeltung völkerrechtlicher Kollisionsregeln ist zunächst, dass daran neben einem oder mehreren (bei Verstärkter Zusammenarbeit: teilnehmenden) Mitgliedstaaten wenigstens ein Drittstaat beteiligt ist. Erfasst sind also die bilateralen Verträge einzelner Mitgliedstaaten mit Drittstaaten730 sowie – wenn man auf die tatsächliche Vertragsbeteiligung eines Drittstaats abstellt (siehe 1.a), S. 214 ff.) – für die daran jeweils gebundenen Mitgliedstaaten alle multilateralen Verträge unter Teilnahme wenigstens eines Drittstaats. Hinzu kommt eine zeitliche Voraussetzung: Vom EU-IPR nicht tangiert werden nur staatsvertragliche Regelungen, die älter als der jeweils mit ihnen konkurrierende Rechtsakt sind – nur diese genießen gewissermaßen Bestandsschutz. Ein solcher „Altvertrag“ liegt nach Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO und den entsprechenden Regelungen der anderen IPR-Verordnungen vor, wenn ihm „ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören“. Die dafür erforderliche Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten an den völkerrechtlichen Vertrag entsteht im Regelfall durch Ratifikation; die bloße Zeichnung oder Paraphierung genügt dafür nicht, umgekehrt ist das Inkrafttreten des Abkommens nicht notwendig.731 Die Ratifikation muss vor dem Tag der Annahme („adoption“) der jeweiligen Verordnung erfolgt sein. Teils wird zwar vertreten, dass es aufgrund der abweichenden Formulierung „Erlass“ in der GüVO / PartVO bei diesen auf die Veröffentlichung im Amtsblatt ankäme;732 da die englische und französische Sprachfassung jedoch genau wie in den anderen Verordnungen von „adoption“ sprechen und auch keine Gründe für eine abweichende 728 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 2; MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 1; MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 1; Mankowski ZEV 2013, 529, 533. 729 MüKo8 / Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 2; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 30; NK-BGB / Eichel Art. 28 Rom II-VO Rn. 1; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 75 ErbVO Rn. 4; MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 1; Mankowski ZEV 2013, 529, 532 f.; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 328; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 14. 730 Ausführlich Mankowski ZEV 2013, 529, 530 ff. 731 Vgl. etwa MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 13; BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 75 ErbVO Rn. 13. 732 MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 3; NK-BGB / R. Magnus Art. 62 GüVO /  PartVO Rn. 8.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Festlegung des Stichtags erkennbar sind, kann dieses Verständnis nicht überzeugen. Bei der Verstärkten Zusammenarbeit ist im Fall des späteren Beitritts weiterer Mitgliedstaaten für diese der Tag ihres Beteiligungsbeschlusses (nach Art. 331 Abs. 1 UAbs. 2 oder 3 AEUV) maßgeblich (Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO, Art. 62 Abs. 1 GüVO / PartVO).733 Mit der Annahme eines europäischen Kollisionsrechtsakts bzw. dem Beitritt dazu geht die Kompetenz zum künftigen Abschluss völkerrechtlicher Verträge in diesem Bereich ohnehin auf die EU über (siehe Teil I: § 1.II.2.c), S. 23 ff.; Teil III: § 8.II.1., S. 495 ff.), sodass „Neuverträge“ der Mitgliedstaaten aus unionsrechtlicher Sicht nicht zulässig und für das europäische Kollisionsrecht unbeachtlich sind – sie fallen dementsprechend nicht unter die Vorrangklauseln. Sollte die EU in Ausübung der auf sie übergegangenen Kompetenz nach Annahme einer IPR-Verordnung selbst Staatsverträge in deren Bereich schließen, genießen diese demgegenüber in entsprechender Anwendung der Bestandsschutzklauseln und im Einklang mit dem lex posterior-Grundsatz Vorrang vor den Verordnungs-Kollisionsregeln.734 Nach einem Überblick über die vorhandenen Staatsverträge, die gegenüber dem EUIPR Vorrang beanspruchen können (dazu a)) sind die praktischen Konsequenzen dieses Ansatzes zu beleuchten (dazu b)). a) Vorrangige bi- und multilaterale Staatsverträge Bilaterale Abkommen einzelner Mitgliedstaaten mit Drittstaaten, die gegenüber dem EU-IPR vorrangig anwendbar bleiben, bilden im Anwendungsbereich der Rom I-VO und der Rom II-VO die Seltenheit. Die einzigen Beispiele aus deutscher Perspektive, noch dazu mit stark begrenztem sachlichem Anwendungsbereich, sind der deutsch-schweizerische Verkehrsunfall-Schadendeckungsvertrag von 1969 sowie zwei noch speziellere deutsch-schweizerische Verträge zum Schutz von Herkunftsangaben (1967) sowie zur Straße zwischen Lörrach und Weil am Rhein (1977).735 Zum Unterhaltsrecht existieren zwar mehr bilaterale Staatsverträge, diese beschränken sich jedoch (wie z. B. das deutsch-israelische oder das deutsch-tunesische Abkommen) in der Regel auf Verfahrensfragen und klammern das anwendbare Recht aus; kollisionsrechtlich nennenswert ist einzig das auch gegenüber dem HUP vorrangige deutsch-iranische Niederlassungsabkommen.736 Im Bereich des europäischen Internationalen Familien- und Erbrechts besteht dagegen eine ganze Fülle mit dem EU-IPR konkurrierender und punktuellen Vorrang beanspruchender bilateraler Staatsverträge, von denen hier nur MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 3. BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 13. 735 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 15; NKBGB / Eichel Art. 28 Rom II-VO Rn. 6. 736 BeckOGK / Yassari (Stand 1.12.2020) Art. 1 HUP Rn. 16. 733 734

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wenige genannt werden können. So genießen etwa die expliziten Scheidungskollisionsregeln des französisch-marokkanischen Abkommens zum Personenund Familienstatut von 1981 im Verhältnis zwischen Frankreich und Marokko nach Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO ebenso Vorrang gegenüber dem europäischen Scheidungskollisionsrecht737 wie das französisch-jugoslawische Abkommen zum Familien- und Personenrecht von 1971 im Verhältnis zwischen Frankreich und Montenegro, Bosnien-Herzegovina und Serbien für das Internationale Scheidungs- und Güterrecht maßgeblich bleibt.738 Umfassend anwendbar für die Bestimmung des aus deutscher bzw. österreichischer Sicht auf scheidungs-, güter- und erbrechtliche Fragen maßgeblichen Rechts bleibt zwischen dem Iran und Deutschland Art. 8 Abs. 3 dt-iranNLA739 bzw. zwischen dem Iran und Österreich Art. 10 Abs. 3, 4 ö-iranNLA.740 Weitere wesentliche Ausnahmen von der ErbVO bilden für das deutsche IPR das deutsch-türkische Nachlassabkommen von 1929, das gemäß Art. 75 Abs. 1 ErbVO nach wie vor aus deutscher Sicht für alle türkischen Erblasser maßgeblich ist,741 sowie im Verhältnis zur Russischen Föderation und weiteren UdSSR-Nachfolgestaaten die auf unbewegliche Gegenstände begrenzte Kollisionsnorm des Art. 28 Abs. 3 deutsch-sowjetischer Konsularvertrag von 1958.742 Für das österreichische Internationale Erbrecht bleiben Art. 26 österreichisch-sowjetischer Konsularvertrag sowie (gegenüber den nicht der EU beigetretenen Nachfolgestaaten Jugoslawiens) das österreichisch-jugoslawische Rechtsverkehrsabkommen von 1954 vorrangig anwendbar.743 Zwischen Österreich und Polen sowie Frankreich und Polen bleibt es mangels polnischer Teilnahme an der Verstärkten Zusammenarbeit vorerst bei der gegenüber den Kollisionsregeln der Rom III-VO und der GüVO vorrangigen Anwendung der Scheidungs- und Ehegüterkollisionsregeln des österreichischpolnischen Rechtshilfevertrags von 1963 bzw. des französisch-polnischen Personen- und Familienrechtsabkommens von 1967 (siehe 1.a), S. 214 ff.). Multilaterale Übereinkommen sind hingegen im Anwendungsbereich des europäischen Internationalen Schuldrechts deutlich häufiger. Anwendungsvorrang vor dem europäischen IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse kommt

Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 8. Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 8; Viganotti 64, 85; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7. 739 Vgl. z. B. OLG Frankfurt 5.4.2019 – 4 UF 35/19; MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 8 ff.; MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 6; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7. 740 MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 14; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7. 741 Dazu MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 16 ff.; Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 9 ff.; ausführlich Mankowski ZEV 2013, 529, 530 ff. 742 MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 31 ff.; Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 16 ff.; Staudinger / Dörner (Neubearb. 2007) Vorbem. zu Art. 25 EGBGB Rn. 194. 743 Deixler-Hübner / Schauer / Fucik Art. 75 ErbVO Rn. 8 f. 737 738

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gemäß Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO zwei völkerrechtlichen Konventionen zu.744 Das Haager Kaufvertragsübereinkommen von 1955 kann aufgrund der Beteiligung von vier Drittstaaten in den daran gebundenen Mitgliedstaaten nach wie vor Vorrang beanspruchen. Beim Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 löst als einziger Drittstaat-Vertragsstaat Argentinien den Anwendungsvorrang gegenüber der Rom I-VO aus; aufgrund des Ausschlusses der Stellvertretung in Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I-VO kann dies allerdings ohnehin nur bezüglich des Verhältnisses zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem relevant werden.745 Ebenfalls unter Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO fallen die multilateralen Übereinkommen zur sachrechtlichen Harmonisierung wie das CISG oder das Factoring-Übereinkommen; die vorrangige Anwendung des Einheitsrechts lässt das Bedürfnis nach (europäischen) Kollisionsregeln allerdings ohnehin entfallen.746 Praktisch sehr weitreichende Bedeutung kommt zwei kollisionsrechtlichen Übereinkommen zu, für die gemäß Art. 28 Abs. 1 Rom IIVO Ausnahmen vom EU-IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse zu machen sind:747 dem Haager Straßenverkehrsunfallübereinkommen von 1971 sowie dem Haager Produkthaftungsübereinkommen von 1973. Ferner sind einzelne punktuelle Haftungskollisionsnormen aus einheitsrechtlichen Übereinkommen wie z. B. Art. 15 Abs. 2 Internationales Übereinkommen über Bergung vorrangig zu beachten (siehe I.1.a), S. 188 ff.). Im Gebiet des Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO und des Art. 62 Abs. 1 GüVO /  PartVO ist zwischen den Vertragsstaaten der Nordischen Konvention über Ehe, Adoption und Vormundschaft von 1931 diese vorrangig. Da bisher allerdings kein skandinavischer Staat an der Rom III-VO teilnimmt und nur Finnland und Schweden der GüVO beigetreten sind, hält sich die Zahl der Konkurrenzfälle (noch) in Grenzen. Koordinationsprobleme können hinsichtlich registrierter Partnerschaften, vor allem aber für gleichgeschlechtliche Ehen entstehen: Diese sind zwar heute allen nordischen Staaten bekannt, werden aber von der Konvention nicht erfasst.748 Abgesehen davon, dass sich hier das typische Problem „schleppenden Nachvollzugs“ materiell-rechtlicher Änderungen im völkerrechtlichen Kollisionsrecht offenbart und es in den 744 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 7; MüKo8 /  Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 3; Rauscher / von Hein Art. 25 Rom I-VO Rn. 4; Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 4. 745 Vgl. Kleinschmidt RabelsZ 75 (2011), 497, 511. 746 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 8 ff.; MüKo8 / Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 4; Rauscher / von Hein Art. 25 Rom I-VO Rn. 5 ff. jeweils m. w. N. zum Streit um die Kompetenz der EU für einheitsrechtliche Staatsverträge. – Anders für die Rom II-VO dagegen BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 13 f. 747 Vgl. dazu BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 9 ff.; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 12, 22 ff. 748 Ring / Olsen-Ring IPRax 2019, 347, 348.

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Vertragsstaaten zu einer Spaltung des Kollisionsrechts kommt, wird das EUKollisionsrecht also in genau jenen Bereichen nicht durch die vorrangige Konvention verdrängt, in denen seine Anwendbarkeit unklar bzw. umstritten ist (siehe § 3.II.1.c), S. 137 ff.). Daneben sind (da das Haager Ehegüterrechtsübereinkommen von 1978 unter die EU-Vorrangklausel des Abs. 2 fällt, siehe 1.a), S. 214 ff.) keine multilateralen familienkollisionsrechtlichen Verträge zu verzeichnen. Art. 69 Abs. 1 UnthVO entfaltet für IPR-Übereinkommen keine Wirkung, da die Verordnung kollisionsrechtlich vollständig auf das HUP verweist und daneben allenfalls noch Altabkommen zum IPR existieren; praktische Relevanz hat die Vorschrift damit nur für die internationalverfahrensrechtlichen Übereinkommen. Erhebliche praktische Bedeutung hat hingegen Art. 75 Abs. 1 ErbVO. Dem wichtigsten kollisionsrechtlichen Übereinkommen zum Internationalen Erbrecht, dem Haager Testamentformübereinkommen von 1961 (HTestFormÜ), räumt er eine Sonderstellung ein: Sein Vorrang „in Bezug auf die Formgültigkeit von Testamenten und gemeinschaftlichen Testamenten“ wird in Art. 75 Abs. 1 S. 2 ErbVO ausdrücklich genannt. Strenggenommen ist diese Klarstellung überflüssig, da sich dieser Vorrang bereits aus der allgemeinen Regelung in S. 1 ergibt. Als Konkretisierung seiner Reichweite ist sie dennoch hilfreich: Das HTestFormÜ erfasst sachlich nur Testamente und gemeinschaftliche Testamente, nicht hingegen Erbverträge, die also auch von den an das HTestFormÜ gebundenen Mitgliedstaaten nach den europäischen Formkollisionsregeln zu beurteilen sind.749 Aufgrund der Beteiligung jeweils mindestens eines Drittstaats begründet Art. 75 Abs. 1 ErbVO ferner innerhalb ihres jeweils begrenzten kollisionsrechtlich relevanten Wirkungsfeldes den Vorrang des Washingtoner UNIDROIT-Übereinkommens über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments, des Haager Nachlassverwaltungsübereinkommens von 1973 sowie des Baseler Testamentsregistrierungsübereinkommens von 1972.750 Ob den multilateralen Kollisionsregeln, die allgemein das Personalstatut von Flüchtlingen und Staatenlosen betreffen (Art. 12 GFK, Art. 12 StaatenlosenÜ), nach Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 75 Abs. 1 ErbVO und Art. 62 Abs. 1 GüVO / PartVO Vorrang vor den EU-Rechtsakten zukommt751 oder ob sie als Regelungen des Allgemeinen Teils ohnehin außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnungen stehen und damit keine Konkurrenz entsteht752, ist von nur theoretischer Bedeutung. Praktisch werden die völkerrechtlichen Regelungen so oder so vorrangig angewendet, ob nun mit Vor-

749 750 751 752

Siehe MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 3; Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 3. Siehe BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 75 ErbVO Rn. 18 ff. Dafür z. B. BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 6. Dafür etwa Raupach 157.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

rang gegenüber den besonderen Kollisionsregeln des EU-IPR oder mit Vorrang gegenüber den national verbliebenen Regeln des Allgemeinen Teils. b) Konkurrenz und Koordinationsbedarf Bestehende staatsvertragliche Kollisionsregeln von der Europäisierung des IPR grundsätzlich unberührt zu lassen und auch nach Inkrafttreten der EUIPR-Verordnungen uneingeschränkt anzuwenden, ist aus der Perspektive des Völkerrechts sowie der dadurch gebundenen Mitgliedstaaten die einzig richtige Lösung. Ist dieser Vorrang des Völkerrechts auch theoretisch konsequent und sinnvoll, wirft er doch für das EU-IPR einige praktische Schwierigkeiten auf, die sich in die beiden großen Kategorien „Konkurrenz“ und „Koordination“ einteilen lassen: Zum einen schränkt die Rücksicht auf die völkerrechtlichen Kollisionsregeln den universellen Geltungsanspruch des EU-IPR ein, zum anderen erweist sich das Zusammenspiel der beiden Regelungsebenen bisweilen als problematisch. Misslich an der Fortgeltung bestehender Übereinkommen ist für das europäische Kollisionsrecht vor allem, dass diese mehr oder weniger weitreichende Ausnahmen vom loi uniforme-Prinzip erfordern. Entgegen der zugrundegelegten Konzeption eines einheitlichen europäischen IPR kommt es zu einer Rechtsspaltung, wenn einige Mitgliedstaaten anstelle der in den EU-Verordnungen festgelegten Kollisionsregeln weiterhin völkerrechtliches IPR anwenden.753 Wichtigste praktische Konsequenz aus der unterschiedlichen kollisionsrechtlichen Beurteilung durch die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten ist die weiterhin bestehende Gefahr des forum shopping, deren Vermeidung eines der Hauptziele der Kollisionsrechtsvereinheitlichung ist.754 Die Gefährdung des Entscheidungseinklangs zwischen den Mitgliedstaaten führt auch zu Problemen im Hinblick auf „europäische Umsetzungsinstrumente“ wie das auf das EU-Erbkollisionsrecht abgestimmte Europäische Nachlasszeugnis.755 Das Ausmaß der Nachteile der Ausnahmen zugunsten des Völkerrechts für das EU-IPR hängt insbesondere davon ab, wie viele Mitgliedstaaten durch die vorrangigen Staatsverträge gebunden sind und wie groß deren praktische Relevanz ist. Besonders empfindlich sind sie im Bereich des Internationalen Deliktsrechts zu spüren. Mit 13 am Haager StraßenverkehrsunfallübereinSiehe Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 319 ff.; Pataut in: FS Lagarde, 661, 674 ff.; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 329; G. Wagner IPRax 2008, 1, 3; Wurmnest in: Dutta /  Wurmnest, 329, 341, 343 f. 754 MüKo8 / Martiny Art. 25 Rom I-VO Rn. 6; BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 9; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 10. – Diese Gefahr besteht etwa insbesondere aus deutscher Perspektive im Hinblick auf Straßenverkehrsunfälle, weil mit Ausnahme Dänemarks alle Nachbarstaaten Deutschlands am HStVÜ partizipieren, BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 30 Rom II-VO Rn. 8. 755 MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 2. 753

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kommen und sieben am Haager Produkthaftungsübereinkommen beteiligten Mitgliedstaaten besteht massive „Konkurrenz“ zu den eigentlich in der Rom II-VO vorgesehenen Kollisionsregeln, die auch häufig zur vorrangigen Anwendung gelangt. Bereits in den Verhandlungen zur Rom II-VO, in denen zu den Kollisionsregeln zum Straßenverkehrsunfallsrecht keine einheitliche Antwort erzielt werden konnte,756 waren erhebliche Anwendungsschwierigkeiten vorhergesagt worden. Die Überprüfungsklausel des Art. 30 Abs. 1 lit. ii) Rom II-VO verpflichtet daher sogar die Kommission zur Erstellung eines Berichts über die Auswirkungen des Vorrangs des Haager Straßenverkehrsunfallübereinkommens, der allerdings bis heute nicht vorliegt.757 Aber auch bilaterale Staatsverträge nur eines Mitgliedstaats mit einem Drittstaat können durchaus erhebliche Lücken in das EU-IPR reißen, vor allem, wenn sie sachlich weit greifen und Drittstaaten betreffen, mit denen vergleichsweise viele Kontakte bestehen (z. B. das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen, das die Kollisionsregeln der Rom III-VO, GüVO und ErbVO verdrängt und aufgrund der vergleichsweise großen Anzahl in Deutschland lebender Iraner zu häufigen Anwendungsfällen führt). Sachlich begrenzte und selten praktisch relevante Abkommen können demgegenüber als punktuelle Ausnahmen vom EU-IPR lästig erscheinen, insbesondere, wenn sie aufgrund der dargestellten Informationsschwierigkeiten (siehe I.3., S. 206 ff.) erhöhten Nachforschungsaufwand verursachen. Aus europäischer Sicht ist letztlich jede völkerrechtliche Regelung, die eine Ausnahme bzw. Abweichung vom EU-IPR erfordert, unerwünscht, weil sie die vom europäischen Kollisionsrecht bezweckte Vereinheitlichung „unterminiert“758. Auch hier wird das staatsvertragliche IPR aus europäischer Warte also vor allem als „Störfaktor“ wahrgenommen. Zu diesem negativen Verständnis des völkerrechtlichen Kollisionsrechts trägt verstärkend bei, dass aufgrund der nach wie vor bestehenden Informationsschwierigkeiten teils bereits Unsicherheiten über Bestand und Reichweite der einzelnen Übereinkommen herrschen. Zwar spendet Trost, dass die für das EU-IPR ungünstige derzeitige Situation sich künftig wohl kaum weiter verschlimmern kann, weil der Vorrang des Völkerrechts nur die bereits bestehenden Staatsverträge erfasst. Zumindest theoretisch besteht aber die Gefahr, dass bislang noch nicht oder nur zwischen Mitgliedstaaten in Kraft getretene Übereinkommen (z. B. das Haager Erbrechtsübereinkommen von 1989) durch die Ratifikation weiterer Drittstaaten in den ihnen bereits vor der Europäisierung beigetretenen Mitgliedstaaten künftig doch noch Vorrang gegenüber dem EU-IPR beanspruchen können. Auch wenn eine solche wundersame Auferstehung bereits Vgl. MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 4 ff. Siehe BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 30 Rom II-VO Rn. 8. 758 Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 468. – Siehe z. B. für das Internationale Deliktsrecht Schack in: von Hein / Rühl, 279, 295 f. 756 757

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totgesagter Übereinkommen eher fernliegend erscheint – ganz auszuschließen ist sie, gerade vor dem Hintergrund des Beitritts von immer mehr Drittstaaten zur Haager Konferenz, nicht. Insofern übt sich das europäische Kollisionsrecht zwar gegenüber den Kollisionsregeln der älteren bi- und multilateralen Staatsverträge mit Drittstaaten zwangsläufig in Zurückhaltung. Allerdings ist diese Selbstzurücknahme beschränkt auf die Ebene der Ausübung: Das EU-Kollisionsrecht betrachtet sich für die in Frage stehenden Materien grundsätzlich als anwendbar, es besteht lediglich im Konkurrenzfall nicht auf seiner Durchsetzung. Der den bereits etablierten staatsvertraglichen Kollisionsregeln gewährte Vorrang kommt außerdem nur zum Tragen, wenn es überhaupt zu Überschneidungen der sachlichen Anwendungsbereiche von Abkommen und Verordnung kommt, und reicht nur soweit und solange ein Konkurrenzverhältnis tatsächlich besteht. Erweisen sich die Kollisionsregeln des Abkommens als lückenhaft oder nur punktuell, sind für alle nicht davon erfassten Fragen die Normen der Verordnung maßgeblich – das Unionsrecht bleibt also so weit wie möglich anwendbar.759 Ebenso wäre nach dem Wegfall der völkerrechtlichen Regeln (etwa aufgrund Außerkrafttreten eines Übereinkommens) vollständig auf das EU-Kollisionsrecht zurückzugreifen. Es wird durch den dem staatsvertraglichen IPR eingeräumten Vorrang nicht verdrängt, sondern lediglich überlagert. Zusätzliche und teils große Schwierigkeiten wirft auf, dass das Verhältnis der staatsvertraglichen zu den europäischen Kollisionsregeln nicht schlicht mit einem (Anwendungs-)Vorrang des Völkerrechts sein Bewenden hat. Da dieser nur gilt, soweit die Übereinkommen reichen, müssen sie mit dem im Übrigen sehr wohl anwendbaren EU-IPR koordiniert werden. Vor die ersten Herausforderungen kann dabei bereits die Bestimmung der Reichweite des völkerrechtlichen Kollisionsrechts stellen – auch hier kann sich das Fehlen von belastbaren Informationen zu den Staatsverträgen der Mitgliedstaaten als hinderlich erweisen. Aber auch wenn der Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Rechtsakte als solcher klar erkennbar ist, wirft die praktische Abstimmung mit dem EUIPR Fragen auf. Soweit – häufig gerade in älteren Staatsverträgen – das Völkerrecht nur punktuelle oder lückenhafte Regelungen trifft, war ursprünglich im Übrigen nach allgemeinen Regeln auf das nationale IPR des Forumstaats zurückzugreifen. Soweit dieses nun aber in den Mitgliedstaaten durch europäische Kollisionsrechtsverordnungen abgelöst ist, sind für die Schließung der Lücken des Völkerrechts die EU-Kollisionsregeln maßgeblich. Die kombinierte Anwendung der beiden Regelungsebenen kann zu erheblichen Reibun759 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 5. – MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 5 weist darauf hin, dass im Bereich des Erbrechts durch die bestehenden Staatsverträge insbesondere das Europäische Nachlasszeugnis nur punktuell berührt wird.

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gen führen: Die staatsvertraglichen Regelungen sind mit Blick auf das frühere nationale IPR entstanden und darüber hinaus teils veraltet (siehe Teil III: § 8.I.b), S. 441 ff.). Bei der Planung der europäischen Rechtsakte wurde kein Wert auf die Kompatibilität mit ihnen gelegt, dennoch müssen nun diese nicht aufeinander abgestimmten Regelungen inhaltlich miteinander koordiniert werden. Ein Beispiel hierfür ist die nur unbewegliches Vermögen erfassende Erbkollisionsregel in Art. 28 Abs. 3 deutsch-sowjetischer Konsularvertrag: Sie ist auf das Zusammenspiel mit dem hinsichtlich des beweglichen Nachlassvermögens früher maßgeblichen deutschen Internationalen Erbrecht ausgelegt, muss heute aber mit den Regelungen der ErbVO zusammen angewendet werden (siehe im Detail Teil III: § 8.I.2.c), S. 457 ff.). Schlimmstenfalls kann es sogar dazu kommen, dass für ein und denselben Sachverhalt völkerrechtliche, europäische und nationale Kollisionsregeln miteinander zu verknüpfen sind – nämlich in den Fällen, in denen teilweise ein vorrangiges Abkommen besteht und die außerhalb seines Bereichs liegenden Aspekte nur teilweise vom EU-IPR erfasst werden, so dass noch ein Rest für das nationale IPR verbleibt (siehe Teil III: § 8.I.2.c), S. 457 ff.). Diese bisher wenig beachtete Problematik ist vor kurzem durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH stärker ins Bewusstsein gerückt worden.760 Eine ukrainische Staatsbürgerin mit gewöhnlichem Aufenthalt in Polen begehrte von einem polnischen Notar die Beurkundung eines Testaments, dabei wollte sie gemäß Art. 22 ErbVO für ihre Rechtsnachfolge von Todes wegen ihr ukrainisches Heimatrecht wählen. Der Notar verweigerte dies im Hinblick darauf, dass das nach Art. 75 Abs. 1 ErbVO vorrangig anwendbare polnisch-ukrainische Rechtshilfeabkommen von 1993 keine Rechtswahl im Erbrecht vorsieht. Der EuGH wurde zur Klärung der Frage angerufen, wie weit die „Sperrwirkung“ des Abkommens nach Art. 75 Abs. 1 ErbVO reicht: Erfasst der Vorrang eines Staatsvertrags, der die objektive Anknüpfung (umfassend) regelt, aber zur Möglichkeit einer Rechtswahl schweigt, auch die subjektive Anknüpfung nach Art. 22 ErbVO, oder verhindert nur ein expliziter Rechtswahlausschluss im Staatsvertrag die (zusätzliche) Anwendung der europäischen Rechtswahlvorschriften? Letztlich geht es darum, wie weit bzw. eng die Formulierung des Art. 75 Abs. 1 ErbVO „die Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind“ zu verstehen ist. Diese – unbeantwortet gebliebene – Vorlagefrage bietet in zweifacher Hinsicht rechtspolitisches Sprengkraftpotential weit über den konkreten Anlassfall hinaus. Zum einen ist ihre Entscheidung, da explizite Rechtswahl- bzw. Rechtswahlausschlussklauseln in den bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten eher die Ausnahme darstellen, eine zentrale Weichenstellung für das Verhältnis des EU-IPR Notariusz w Krapkowicach Justyna Gawlica, Vorabentscheidungsersuchen vom 12.8.2020, C-387/20. – Die Vorlage wurde – da nicht von einem „Gericht“ i. S. d. Art. 267 AEUV – als unzulässig abgewiesen, EuGH 1.9.2021 – C-387/20, OKR. 760

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

zu bestehenden völkerrechtlichen Abkommen insgesamt. Zum anderen wird die Frage aufgeworfen, ob die (erbrechtliche) Rechtswahlfreiheit als Grundprinzip der europäischen justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen nicht ohnehin „auch im Fall der Anwendung bilateraler Abkommen mit Drittstaaten […] nicht verletzt werden“ darf – anders gesagt, ob sie nicht als grundlegender Wert auch gegenüber vorrangigem Völkerrecht durchzusetzen ist. Dass darüber einseitig durch den EuGH entschieden werden kann, ist freilich zumindest aus drittstaatlicher Perspektive problematisch (siehe Teil III: § 8.I.2.b)bb), S. 453 ff.). Die vorrangige Anwendung einzelner völkerrechtlicher Rechtsakte führt also einerseits zu aus europäischer Warte unerwünschten Ausnahmen vom umfassenden Modell des EU-Kollisionsrechts mit teils unklarer Reichweite und andererseits zu Brüchen beim Zusammentreffen der Regelungsebenen. Die technischen und inhaltlichen Schwierigkeiten dieser Koordination gilt es näher zu beleuchten, um ihre Auswirkungen auf die Anwendung und Weiterentwicklung sowohl des europäischen als auch des staatsvertraglichen Kollisionsrechts zu ermitteln (siehe Teil III: § 8, S. 433 ff.). 3. Verzicht auf eigene europäische Kollisionsregeln Konkurrenzprobleme zwischen völkerrechtlichem und europäischem IPR werden von vornherein vermieden, wenn die EU in Anbetracht bestehender oder im Entstehen begriffener Staatsverträge auf eine eigene Regelung verzichtet. Für eine solche bewusste Zurücknahme des EU-IPR gibt es inzwischen einige Beispiele, die sich in zwei große Gruppen einteilen lassen: Teils spart der europäische Gesetzgeber schlicht völkerrechtlich geregelte Aspekte von seinen Rechtsakten aus bzw. wird auf bereits völkerrechtlich geregelten Gebieten nicht mehr tätig (dazu a)), teils integriert er staatsvertragliche Kollisionsregeln in die europäischen Rechtsakte (dazu b)). Diese Rücksichtnahme erfolgt naturgemäß hauptsächlich mit Blick auf multilaterale Verträge, an denen mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind – bilaterale Abkommen einzelner Mitgliedstaaten können sie kaum je auslösen, da die sinnvolle Schaffung europäischer IPR-Rechtsakte durch die Vielzahl an Abkommen sonst fast vollständig blockiert würde. Das Hauptaugenmerk der EU liegt auf der Koordination ihrer Kollisionsrechtsgesetzgebung mit den IPR-Instrumenten der Haager Konferenz – hier kommt es inzwischen zu einer engen Abstimmung und gegenseitigen Rücksichtnahme bei der Ausarbeitung neuer Projekte. a) Bewusste Aussparungen im EU-IPR In Bereichen, in denen bereits für eine wesentliche Anzahl an Mitgliedstaaten verbindliche völkerrechtliche Kollisionsregeln existieren, bietet sich ein kompletter Verzicht auf europäische Gesetzgebungstätigkeit an. Bei diesem reinen Modell eines „Völkerrechts-IPR statt EU-IPR“ sind Konflikte der

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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Regelungsebenen von vornherein ausgeschlossen. Damit ist die uneingeschränkte Fortgeltung der staatsvertraglichen Kollisionsregeln umfassend gewahrt. Aus Sicht der EU erspart man sich die mühevolle Erarbeitung europäischer Regelungen, von denen aufgrund des Vorrangs bestehenden Völkerrechts (siehe 2., S. 220 ff.) doch zahlreiche und weitreichende Ausnahmen zu machen wären. Der Ansatz, zugunsten völkerrechtlichen Kollisionsrechts – zumindest vorerst – auf eigenes europäisches IPR zu verzichten, taucht in zwei Spielarten auf: Einerseits tragen manche Bereichsausnahmen der EUVerordnungen staatsvertraglichen Regelungen Rechnung, andererseits wird auf europäische Instrumente teils insgesamt verzichtet und stattdessen die Beteiligung der Mitgliedstaaten an Übereinkommen propagiert. Dass manche der Ausnahmen vom Anwendungsbereich der EUVerordnungen gezielt der Konfliktvermeidung mit staatsvertraglichem IPR dienen, wurde bereits festgestellt (siehe § 2.II.2.b), S. 57 ff.). Zu nennen ist zunächst die Ausklammerung wertpapierrechtlicher Aspekte von den schuldrechtlichen Verordnungen (Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. c) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. c) AbtrVO-E): Sie ist vor allem von dem Bestreben getragen, das EU-IPR nicht mit den Genfer Übereinkommen zum Internationalen Wechsel- und Scheckrecht in Konkurrenz treten zu lassen. Das gleiche gilt für die Ausnahme der Nuklearhaftung vom europäischen Internationalen Deliktsrecht in Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom II-VO, die mit Rücksicht auf die rege mitgliedstaatliche Beteiligung an Übereinkommen auf diesem Gebiet erfolgte.761 Europäische Regelungen für diese speziellen Bereiche schienen auch entbehrlich, da das Kollisionsrecht einer wesentlichen Zahl von Mitgliedstaaten ohnehin seit geraumer Zeit durch ihre Teilnahme an den Übereinkommen vereinheitlicht ist und mangels praktischer Schwierigkeiten im Übrigen nur begrenzter Harmonisierungsbedarf auf europäischer Ebene bestand. Auch einige der Ausnahmen vom Anwendungsbereich der IPRVerordnungen, die nicht primär durch die Abstimmung des EU-IPR mit bestehenden Übereinkommen motiviert sind, wirken zusätzlich im Hinblick darauf entzerrend. Eine solche indirekte Wirkung entfaltet etwa die Herausnahme von Trusts aus dem EU-IPR (Art. 1 Abs. 2 lit. h) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. e) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. e) AbtrVO-E, Art. 1 Abs. 2 lit. h) Rom III-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. j) ErbVO), die neben der bewussten Ausklammerung eines dem kontinentaleuropäischen Recht fremden Rechtsinstruments auch dafür sorgt, dass kaum Überschneidungspotential zum für vier Mitgliedstaaten verbindlichen Haager Trustübereinkommen von 1985 besteht.762 Dass das Internationale Gesellschaftsrecht bislang vom EU-IPR nicht berührt wird (Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom I-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. d) Rom II-VO, Art. 1 Abs. 2 lit. d) AbtrVO-E, Art. 1 Abs. 2 lit. h), i) ErbVO), hat zwar andere Motive 761 762

Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 32. BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.2.2022) Art. 75 ErbVO Rn. 19.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

(siehe § 2.II.1.a), S. 44 ff.). Es entfaltet jedoch den positiven Nebeneffekt, dass dadurch bisher auch keine Berührungspunkte mit gesellschaftskollisionsrechtlich relevanten Staatsverträgen entstanden – insbesondere über das Verhältnis der zahlreichen Freundschafts- und Niederlassungsverträge der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten mit ihren mehr oder weniger weitreichenden Implikationen für das Internationale Gesellschaftsrecht zum EU-IPR musste man sich daher noch keine Gedanken machen. Die vorbeugende Konfliktlösung via Bereichsausnahme bietet sich vor allem an, wenn inhaltlich klar umgrenzte Übereinkommen in Rede stehen. Punktuelle Regelungen für spezielle Bereiche lassen sich vergleichsweise leicht gezielt vom EU-IPR ausklammern. Schwierigkeiten tauchen jedoch auf, wenn die Reichweite des Übereinkommens und die der europäischen Bereichsausnahme nicht ganz deckungsgleich sind. Aufmerksamkeit hat dieses Problem insbesondere hinsichtlich der Nuklearhaftung erfahren. Das völkerrechtliche Kollisionsrecht in diesem Bereich ist nicht vollständig, die Ausklammerung der durch Kernenergie entstandenen Schäden von der Rom II-VO jedoch pauschal. Zur Füllung der staatsvertraglichen Lücken ist damit nach wie vor das nationale Delikts-IPR berufen (siehe Teil III: § 7.I.1.a), S. 275 ff.).763 Das bereits zuvor bestehende Problem der Kollisionsrechtsspaltung in einem eigentlich einheitlichen Gebiet verstärkt sich durch die mangelnde Abstimmung der EU-Bereichsausnahmen mit dem staatsvertraglichen IPR also noch. Ist dagegen das Kollisionsrecht für Rechtsgebiete in ihrer Gesamtheit bereits durch Übereinkommen vereinheitlicht, drohen durch die Schaffung konkurrierender europäischer Kollisionsregeln nicht Überschneidungen, sondern vielmehr ein vollständiger Konflikt „Rechtsakt vs. Rechtsakt“. Mit Bereichsausnahmen vom EU-IPR ist es hier nicht getan: Die europäische Zurückhaltung muss sich auf das gesamte Regelungsfeld bzw. Statut beziehen. Wenn in einem Gebiet, auf dem eine Harmonisierung des Kollisionsrechts der Mitgliedstaaten grundsätzlich gewünscht wird, bereits ein inhaltlich den europäischen Vorstellungen entsprechendes völkerrechtliches Instrument zur Verfügung steht, kann die EU anstelle eigener Rechtsetzung die bestehende völkerrechtliche Regelung propagieren. Zum Verzicht auf eine eigene europäische Regelung tritt dabei die „aktive Unterstützung“ des Übereinkommens hinzu, indem die EU ihre Mitgliedstaaten zum Beitritt ermutigt oder sogar verpflichtet.

MüKo8 / Junker Art. 1 Rom II-VO Rn. 42 m. w. N., vor Art. 38 EGBGB Rn. 24, Art. 40 EGBGB Rn. 94. – Kritisch Calliess / Renner / Halfmeier Art. 1 Rom II-VO Rn. 55 f.; Hohloch IPRax 2012, 110, 118; U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 598, 610 ff. – Für eine europäische Atomhaftungs-Kollisionsregel plädieren U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 610 f. und Wurmnest ZVglRWiss 115 (2016), 624, 642 f. sowie Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1312 f. 763

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

233

Dieser Mechanismus wurde bereits im Hinblick auf zwei Haager Übereinkommen eingesetzt. Da bereits das KSÜ von 1996 umfassende und aus europäischer Sicht geeignete Anknüpfungsregeln für dieses Gebiet enthält, konnte der EU-Gesetzgeber auf den Erlass eigener Kollisionsregeln zur elterlichen Sorge verzichten.764 Zur Vereinheitlichung des IPR in Europa lag es nahe, schlicht die Anwendung der vorhandenen KSÜ-Regeln in allen Mitgliedstaaten verbindlich vorzuschreiben. Da eine Beteiligung der EU selbst am KSÜ nicht möglich ist (nur Staaten können beitreten), konnte dies lediglich durch den Beitritt aller Mitgliedstaaten zum Übereinkommen erfolgen. Die EU hat daher im Jahr 2003765 und erneut 2008766 alle Mitgliedstaaten, die noch keine KSÜ-Vertragsstaaten waren, zum Beitritt „im Interesse der Gemeinschaft“ aufgefordert bzw. verpflichtet. Heute gilt das KSÜ für alle EU-Mitgliedstaaten, sodass in der gesamten EU in Sorgerechtsfragen dieselben Kollisionsregeln zugrunde gelegt werden. Für das Parallelabkommen zum Erwachsenenschutz ist dieser Prozess noch im Gange. Aus europäischer Sicht besteht durchaus Handlungsbedarf hinsichtlich des auch kollisionsrechtlich stärkeren Schutzes schutzbedürftiger Erwachsener. In Gestalt des ESÜ existieren bereits moderne Anknüpfungsregeln, die sich in den bisherigen Vertragsstaaten bewährt haben und noch dazu auf das KSÜ abgestimmt sind – insofern liegt es auch hier nahe, anstelle eigener europäischer Regelungen auf das vorhandene Übereinkommen zurückzugreifen.767 Das Europäische Parlament hat daher die noch nicht beigetretenen Mitgliedstaaten zur Ratifikation des ESÜ aufgefordert768 – dies hat bereits zu einigen Beitritten sowie Zeichnungen

764

378 f.

Vgl. van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 80; McEleavy in: FS van Loon, 371,

765 Entscheidung des Rates vom 19. Dezember 2002 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, das Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern im Interesse der Gemeinschaft zu unterzeichnen (2003/93 / EG), ABl. 2003 L 48, 1. 766 Entscheidung des Rates vom 5. Juni 2008 zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, das Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren oder ihm beizutreten, und zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, eine Erklärung über die Anwendung der einschlägigen internen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts abzugeben, ABl. 2008 L 151, 36. – Siehe zu dieser Lösung Benicke IPRax 2013, 44, 44; Paulino Pereira in: FS van Loon, 443, 447 f. 767 Vgl. z. B. A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 143. 768 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Dezember 2008 mit Empfehlungen an die Kommission zum Rechtsschutz von Erwachsenen: grenzübergreifende Auswirkungen, ABl. 2010 C 45E, 71, 72; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. Juni 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zum Schutz schutzbedürftiger Erwach-

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

durch weitere Mitgliedstaaten geführt. Die Agenda der portugiesischen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2021 hat den Internationalen Erwachsenenschutz weiter in den europäischen Fokus gerückt.769 Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit das ESÜ in allen Mitgliedstaaten Geltung beanspruchen können wird. Eine ergänzende EU-Verordnung könnte – ähnlich wie beim KSÜ die Brüssel IIa-VO/Brüssel IIb-VO – zusätzliche Verfahrensregeln für das Verhältnis und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander festlegen; kollisionsrechtlich scheint dagegen kein weiterer Handlungsbedarf auf EU-Ebene zu bestehen.770 Völkerrechtliche Übereinkommen können also durchaus als Alternative zu EU-Verordnungen genutzt werden. Die Wirkung für die jeweilige Konvention ist zunächst positiv: Die Unterstützung durch die EU kann wesentlich zur Popularität eines Staatsvertrags beitragen und eine geschlossene europäische Beteiligung Anreize zur Teilnahme für andere Staaten vor allem im europäischen Raum (etwa die EFTA-Staaten und EU-Beitrittskandidaten), aber auch weltweit setzen. Europäisch gesehen besticht die Lösung unter anderem, weil sie die von europäischer Rechtsetzung aufgeworfenen teils schwierigen Kompetenzfragen elegant vermeidet. Hier liegt aber gleichzeitig die erste Schwierigkeit: Solange die EU ihre (Innen-)Kompetenz nicht durch Vereinheitlichung ausgeübt hat, verbleibt die (Außen-)Kompetenz bei den Mitgliedstaaten (siehe Teil I: § 1.II.2.c), S. 23 ff.; Teil III: § 8.II.1., S. 495 ff.). Die Teilnahme aller Mitgliedstaaten an völkerrechtlichen Übereinkommen lässt sich daher nur begrenzt erzwingen. Wenn sie erfolgt, führt sie – sofern sich nicht auch sehr viele Drittstaaten beteiligen – zu einem starken europäischen Übergewicht im Kreis der Vertragsstaaten. Eine solche Europa-Lastigkeit ist zweischneidig. Einerseits stehen mit den EU-Mitgliedstaaten leistungsfähige Rechtssysteme zur Verfügung, die zur praktischen Implementierung der völkerrechtlichen Rechtsakte wesentlich beitragen können; je nach Interpretation kann unter Umständen sogar der EuGH als Auslegungsinstanz herangezogen werden (siehe Teil I: § 1.II.2.c), S. 23 ff.). Andererseits stößt eine derartige europäische Prägung gerade in der Anfangsphase der Anwendung einer Konsener, P8_TA(2017)0235, sub 1. – Für einen Beitritt aller Mitgliedstaaten zum ESÜ plädiert auch das European Law Institute, European Law Institute (Report 2020) 21 ff. 769 Vgl. die Schlussfolgerungen des Rates über den Schutz schutzbedürftiger Erwachsener in der Europäischen Union vom 7.6.2021, ABl. 2021 CI 330, 1, in denen unter anderem ein zügiger Beitritt der Mitgliedstaaten zum ESÜ empfohlen wird. Im Dezember 2021 leitete die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren zum grenzüberschreitenden Schutz für unterstützungsbedürftige Erwachsene ein. – Siehe zu den jüngsten Entwicklungen Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2022, 97, 99 f. 770 Vgl. European Law Institute (Report 2020) 21 ff.; von Hein in: FS Kronke, 149, 158 f.; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2022, 97, 99 f.; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2018, 121, 130 f.; auch die Entschließungen des Europäischen Parlaments konzentrieren sich auf die internationalzivilverfahrensrechtlichen Aspekte.

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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vention unter Umständen auf Skepsis bei anderen (potentiellen) Vertragsstaaten, langfristig kann es der weltweiten Popularität eines Übereinkommens schaden, wenn es als „rein europäisch“ betrachtet wird. Schließlich stellt sich die Frage, ob Lücken der Übereinkommen durch ergänzende europäische Gesetzgebung geschlossen werden dürften und sollten. Die Vorteile einer für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Regelung sind gegen diese Nachteile eines „regionalen Vorpreschens“ abzuwägen. b) Integration völkerrechtlicher Kollisionsregeln in das EU-IPR Einen Schritt weiter als der bloße Verzicht auf europäische Regelungen geht die Technik, bestehende völkerrechtliche Kollisionsregeln in das EU-IPR zu integrieren. Bei dieser in jüngerer Zeit zu verzeichnenden „convergence“771 des europäischen Kollisionsrechts in Richtung auf erfolgreiche Konventionen lassen sich mit Franzina zwei Varianten differenzieren: Zum einen kann der europäische Gesetzgeber die Regelungen bestehender Übereinkommen in den europäischen Rechtsakten inhaltlich übernehmen („by imitation“), zum anderen kann er direkt auf die Übereinkommen verweisen („by reference“). In beiden Fällen werden die Regelungen für alle Mitgliedstaaten verbindlicher Bestandteil des EU-Kollisionsrechts. Die praktische Anwendung wird durch diesen Gleichlauf deutlich vereinfacht. Inhaltlich existiert nur ein supranationaler Satz an Regeln mit umfassendem Anwendungsbereich, der eine abschließende Regelung bietet.772 Gleichzeitig bestehen allerdings auch hier die soeben geschilderten Nachteile bzw. Gefahren einer „europäischen Schlagseite“ der völkerrechtlichen Rechtsakte. Weniger weitreichend ist es, wenn die EU sich bestehender völkerrechtlicher Regelungen als Grundlage bzw. Vorbild ihrer eigenen Regelungen bedient („by imitation“773). Erfolgreiche und/oder auf mit der europäischen Herangehensweise übereinstimmenden Grundideen aufbauende IPRÜbereinkommen können als Inspiration oder Modell für die europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung dienen. Das spart aus europäischer Sicht nicht nur Ressourcen, sondern sichert dem EU-Kollisionsrecht auch globalen Anschluss und fördert die über Europa hinausgehende Harmonisierung. Diese Form der Aneignung bestehenden Völkerrechts durch die EU kann inhaltlich dieselben Resultate wie eine Beteiligung der EU bzw. aller Mitgliedstaaten an dem in Frage stehenden völkerrechtlichen Instrument bewirken. Sie bleibt dabei allerdings unverbindlich: Eine (zugegebenermaßen zeit- und ressourcenintensive) formelle Bindung auf internationaler Ebene fehlt. Die Konver771

192 ff. 772 773

197 f.

Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 36 ff.; Franzina in: Franzina, 183, R. Wagner IPRax 2019, 185, 190; siehe auch Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 142. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 37 ff.; Franzina in: Franzina, 183,

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

genzwirkung entspricht eher der eines soft law approach, bei dem attraktive und inhaltlich überzeugende Vorbilder sich durch Nachahmung durchsetzen. Vor allem können dabei anstatt einer vollständigen Übernahme auch nur einzelne Teile herangezogen werden: Der EU steht es offen, inwieweit sie die europäischen Kollisionsregeln am bestehenden Völkerrecht ausrichtet. Insofern dienen die Übereinkommen bei dieser Herangehensweise eher als Orientierungshilfe, die durchaus modifiziert werden kann. Beispielhaft dafür, dass die EU-Gesetzgebung einem vorhandenen Modell aus einem Übereinkommen folgt, sind die das HTestFormÜ inhaltlich übernehmenden Formkollisionsregeln der ErbVO. Eigene Regelungen des EUKollisionsrechts in diesem Bereich waren in doppelter Hinsicht erforderlich: Nicht alle Mitgliedstaaten sind Vertragsstaaten des HTestFormÜ, das außerdem keine Regelung für Erbverträge enthält. Die ErbVO musste also Formkollisionsregeln anbieten, die für die nicht dem HTestFormÜ angehörenden Mitgliedstaaten umfassend und für die durch das HTestFormÜ gebundenen Mitgliedstaaten (immerhin fast die Hälfte aller Mitgliedstaaten) im Hinblick auf Erbverträge gelten. Nicht nur, um für letztgenannte den reibungslosen Einklang zwischen europäischen (Erbvertrags-) und völkerrechtlichen (Testaments-)Formkollisionsregeln zu gewährleisten, bot sich eine Orientierung der europäischen Regelungen am HTestFormÜ an, sondern auch, weil das HTestFormÜ sich inhaltlich bewährt und als praktisch gut handhabbar erwiesen hat.774 Die Lösung besteht darin, dass Art. 27 ErbVO die Kernregelungen des HTestFormÜ übernimmt und auf Erbverträge erweitert775 – im EU-IPR die völkerrechtlichen Regelungen also letztlich kopiert und in ihrem Anwendungsbereich erweitert werden. Nach Art. 75 Abs. 1 ErbVO bleibt das HTestFormÜ für die dadurch gebundenen Mitgliedstaaten weiterhin anwendbar, für alle nicht davon erfassten Fragen (insbesondere Erbverträge) ist die Parallelregelung des Art. 27 ErbVO heranzuziehen;776 die nicht am HTestFormÜ beteiligten Mitgliedstaaten wenden stets Art. 27 ErbVO an. Diese Konstruktion ist logisch und konsequent, aufgrund ihrer Komplexität aber einiger Kritik ausgesetzt. Angemerkt wurde aus völkerrechtlicher Perspektive insbesondere, dass es einfacher gewesen wäre, in der ErbVO schlicht auf das HTestFormÜ zu verweisen und dabei seine analoge Anwendbarkeit auf nicht von ihm erfasste Verfügungen von Todes wegen anzuordnen; damit wäre auch Einheitlichkeit sowohl innerhalb Europas als auch zwischen allen Vertragsstaaten entstanden. Eine Verpflichtung aller EU-Mitgliedstaaten zum Beitritt hätte außerdem der Popularität des HTestFormÜ weiteren Vorschub leisten können.777

774 775 776

Font i Segura / Holliday in: Beaumont / Holliday, 309, 314. Bonomi in: FS van Loon, 69, 71 f.; van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 80. van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 80.

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Dieser Vorschlag läuft auf das andere, weitreichendere Integrationsmodell hinaus, bei dem in einem europäischen Kollisionsrechtsakt schlicht auf ein völkerrechtliches Übereinkommen verwiesen wird („by reference“778). Die EU verzichtet hier auf eigene Regelungen und nutzt ihre Rechtsetzungskompetenz lediglich dazu, bestehende Rechtsquellen anderer Genese für alle Mitgliedstaaten für verbindlich zu erklären. Diese Form der Übernahme internationaler Vereinheitlichungsansätze für die regionale Harmonisierung fördert die Kompatibilität mit Drittstaaten und den internationalen Entscheidungseinklang über Europa hinaus noch stärker, da die völkerrechtlichen Instrumente hier in ihrer Gesamtheit, ohne etwaige Ausnahmen oder Modifikationen, in Bezug genommen werden. Sie werden durch die Verweisung selbst Teil des EURechts, so dass sich von einer „echten Übernahme“ sprechen lässt. Das Paradebeispiel für diese Technik ist das Unterhaltskollisionsrecht. Die UnthVO ist inhaltlich eine Mischung aus europäischen und völkerrechtlichen Regeln. Sie trifft zwar eigene Verfahrensregeln für die EU-Mitgliedstaaten, enthält aber lediglich eine einzige spezielle und verfahrensbezogene Kollisionsregel in Art. 64 Abs. 2 UnthVO – im Übrigen übernimmt sie kollisionsrechtlich vollumfänglich das HUP von 2007.779 Dies geschieht durch eine schlichte Bezugnahme: Art. 15 UnthVO verweist für das europäische Unterhaltskollisionsrecht insgesamt auf das HUP. Um eine Konkurrenz zwischen weltweitem und europäischem Unterhaltskollisionsrecht zu vermeiden, arbeiteten Haager Konferenz und EU bei der Entwicklung der Anknüpfungsregeln des HUP eng abgestimmt zusammen.780 Hinsichtlich der inhaltlich konsentierten Regelungen konnte sich der europäische Gesetzgeber anstelle eines „Abschreibens“ auf die Aufnahme eines Verweises darauf in die Verordnung beschränken. Überflüssige Doppelungen werden damit ebenso vermieden wie etwaige Konflikte in Randbereichen.781 Das HUP gilt kraft dieser Verweisung für alle dadurch gebundenen Mitgliedstaaten – da die EU selbst am 8.4.2010 das HUP ratifiziert hat, ist es für alle ihre Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks und bis zum Brexit des Vereinigten Königreichs) verbindlich. Damit ist es auch Teil des EU-Kollisionsrechts. Aus völkerrechtlicher Sicht dient Art. 15 UnthVO letztlich nur der Klarstellung, denn für seine VertragsFont i Segura / Holliday in: Beaumont / Holliday, 309, 314; van Loon in: Fulchiron /  Bidaud-Garon, 79, 80 f., der auch darauf hinweist, dass nunmehr der Beitritt weiterer Mitgliedstaten zum TestFormÜ nur noch mit Ermächtigung der EU möglich ist. 778 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 36 f.; Franzina in: Franzina, 183, 192 ff. 779 Ausführlich zum Verhältnis von UnthVO, HUÜ und HUP A. Schulz in: von Hein /  Rühl, 110, 134 ff. 780 Rauscher / Andrae Art. 15 UnthVO Rn. 3 ff.; Bartl 12 ff.; Beaumont RabelsZ 73 (2009), 509, 513 ff. 781 van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 79 f.; Paulino Pereira in: FS van Loon, 443, 450. 777

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

staaten könnte das HUP ohnehin nach Art. 69 Abs. 1 UnthVO Vorrang vor etwaigen späteren europäischen Kollisionsregeln beanspruchen.782 Erforderlich war allerdings eine intertemporale Anpassung des HUP: Damit seine Kollisionsregeln für die Mitgliedstaaten bereits ab Inkrafttreten der UnthVO Geltung beanspruchen konnten, musste sein Anwendungsbereich in zeitlicher Hinsicht ausgedehnt werden (siehe § 5.III., S. 259 ff.). Aufgrund der Verweisung der UnthVO auf das HUP und des Verzichts auf eigene europäische Kollisionsregeln können die beiden Instrumente ohne Konkurrenz nebeneinander existieren. Diese Verweisungstechnik stellt letztlich eine konsequente Weiterentwicklung des Ansatzes dar, auf eine eigene europäische Regelung zu verzichten und stattdessen auf den Beitritt der Mitgliedstaaten zu bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen zu setzen. Eine Teilnahme der EU selbst an den Übereinkommen ist dafür nicht zwingende Voraussetzung. Umgekehrt ist es nicht hinderlich, wenn alle Mitgliedstaaten bereits vor Verabschiedung der EU-Verordnung Vertragsstaaten des damit ohnehin vorrangig fortgeltenden Übereinkommens sind: Eine explizite Verweisung im EU-IPR wirkt klarstellend und anwenderfreundlich, darüber hinaus entfaltet die Unterstützung durch die EU als Ganzes eine über die Teilnahme der Mitgliedstaaten hinausgehende Signalwirkung. Teils wird daher vorgeschlagen, sich auch an anderen Stellen eines Verweises auf Konventions-Kollisionsrecht zu bedienen. Propagiert wird dies für das ohnehin von allen Mitgliedstaaten ratifizierte KSÜ,783 auch als Weg zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Internationalen Erwachsenenschutzrechts bietet sich die Methode an. Für das IPR nicht in Betracht kommen dagegen die im IZVR teils anzutreffenden Mischformen, bei denen Nachahmungs- und Verweisungstechnik in den europäischen Rechtsakten kombiniert werden. Beim sogenannten „twotier model“784 wird ein internationales Instrument als Basis übernommen und durch spezielle Regelungen für rein europäische Sachverhalte ergänzt (beispielsweise tritt im Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten Art. 11 Brüssel IIaVO zu den Vorschriften des HKÜ hinzu785), die internationale Zusammenarbeit wird regional vertieft und erweitert. Beim „assimilation model“786 wird dagegen im Verhältnis zu Drittstaaten nach Vertrags- und Nichtvertragsstaaten unterschieden (beispielsweise Art. 12 Abs. 4 Brüssel IIa-VO im Hinblick auf die Teilnahme am KSÜ). Für die immer noch von Gegenseitigkeitsgedanken geprägten Verfahrensfragen sind diese differenzierenden Ansätze durchVgl. R. Wagner RabelsZ 73 (2009), 215, 232. van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 80. 784 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 39 f.; Franzina in: Franzina, 183, 200 f. 785 Sehr kritisch diesbezüglich allerdings Frąckowiak-Adamska in: Beaumont / Danov /  Trimmings / Yüksel, 755, 755 ff. 786 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 40 f.; Franzina in: Franzina, 183, 202 f. 782 783

II. Koordinationsmechanismen für EU-IPR und Völkerrecht

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aus vielversprechend, für das sowohl in den EU-Verordnungen als auch in den modernen Übereinkommen stets als loi uniforme ausgestaltete Kollisionsrecht aber ungeeignet. Eine weitreichendere Integration im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander bzw. zu mit ihnen durch gemeinsame Grundsätze verbundenen Drittstaaten ist für ein universelle Geltung beanspruchendes EU-IPR weder erforderlich noch sinnvoll. In beiden Erscheidungsformen bringt die Aneignung völkerrechtlicher Instrumente durch das EU-Kollisionsrecht die beiden Regelungsebenen konfliktvermeidend zusammen. Die Übernahme bestehender Übereinkommen in das EU-IPR lässt die Grenze zwischen globaler und regionaler Rechtsvereinheitlichung verschwimmen. Dabei ist allerdings, auch wenn die EU inzwischen selbst an völkerrechtlichen Verträgen teilnehmen kann, eine gewisse Einseitigkeit der Partnerschaft zu verzeichnen. Die Initiative liegt rechtstechnisch stets bei der EU: Sie entscheidet, inwieweit sie bereits bestehende Instrumente übernimmt und ob sie sich an der Schaffung neuer Übereinkommen mit Blick auf deren Integration in das europäische Kollisionsrechtssystem beteiligt. Auch hinsichtlich der Art und Reichweite der Appropriierung ist die EU frei; schließlich bestimmt einzig sie über das Ausmaß der völkerrechtlichen Bindung. Eine Sogwirkung für das EU-IPR kann das Völkerrecht nur durch inhaltliche und rechtspolitische Überzeugungskraft entfalten: Nur, wenn seine Normen mindestens ebenso attraktiv erscheinen wie eine eigene europäische Regelung, kommt eine Orientierung daran oder Übernahme aus europäischer Sicht in Frage. Umgekehrt kann die EU durch ein eigenes „Gegenmodell“ den potentiellen Vertragsstaatenkreis und die Attraktivität völkerrechtlicher Rechtsakte insgesamt schmälern. Das (erfolglose) Haager Erbrechtsübereinkommen von 1989 konnte zwar die ErbVO in mancher Hinsicht inspirieren787 – doch die bewusste europäische Entscheidung dagegen nahm ihm auch den letzten Wind aus den Segeln. Im Hinblick auf die Anwendung und Auslegung völkerrechtlichen Kollisionsrechts wirft seine Integration in das EU-IPR ebenfalls Fragen auf. Die Übernahme eines Übereinkommens durch die EU löst seine offenen Fragen nicht,788 sondern fügt ihnen vielmehr eine weitere Dimension hinzu, denn Lösungen sind nunmehr auch „im europäischen Kontext“ zu entwickeln. Als europäisches Recht sind die Parallel- oder Verweisungsregelungen der IPRVerordnungen jedenfalls nach europäischem Verständnis auszulegen. Für in die EU-Rechtsakte kopierte Regelungen liegt die Interpretationshoheit beim EuGH; auch wenn Konventionen nicht in das EU-Recht inkorporiert, sondern nur durch Verweisung in Bezug genommen werden, kann dem EuGH zumin787 MüKo8 / Dutta Vorb. Art. 1 ErbVO Rn. 8; Bonomi in: FS van Loon, 69, 71 f.; Pertegás / Beaumont in: Beaumont / Holliday, 91, 101. 788 Beispielsweise die Frage nach den im HTestFormÜ nicht geregelten Folgen der Formunwirksamkeit eines Testaments, dazu Jayme in: FS Coester-Waltjen, 461, 461 ff.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

dest begrenzte Auslegungszuständigkeit zukommen (siehe Teil I: § 1.II.2.c), S. 23 ff.). So hat der EuGH etwa die ausschließliche Auslegungszuständigkeit für das HUP, seine Interpretation ist für alle Mitgliedstaaten verbindlich.789 Zwar ist er zur konventionsautonomen Auslegung verpflichtet.790 Dennoch gewinnt die EU potentiell einen erheblichen Einfluss auf die Auslegung der Übereinkommen – einem „Durchschlagen“ der europäischen Auffassungen dürften jedoch Drittstaaten mindestens so skeptisch gegenüberstehen wie einem europäischen Übergewicht im Kreis der Vertragsstaaten. III. Folgerungen

III. Folgerungen

Grundsätzlich kann die Europäisierung des IPR bestehendem Völkerrecht nichts anhaben. Anders als im Verhältnis zum nationalen IPR kommt den europäischen Kollisionsrechtsakten kein Vorrang zu; vielmehr müssen sie die Gegebenheiten akzeptieren. Dies gilt allerdings nur, soweit der Anwendungsbereich der einzelnen Staatsverträge reicht. In sachlicher Hinsicht ist das völkerrechtliche IPR gerade kein Gesamtsystem, sondern enthält teils bereichsumfassende Kollisionsregeln (insbesondere bei multilateralen Übereinkommen), teils aber auch nur punktuelle Anknüpfungsvorschriften (insbesondere bei bilateralen Abkommen). In räumlich-persönlicher Hinsicht sind jeweils nur die Vertragsstaaten gebunden, je nach Rechtsakt also ein unterschiedlich weit gefasster Kreis der Mitgliedstaaten. Das daraus entstehende bunte und vielschichtige Bild völkerrechtlicher Kollisionsregeln ist unübersichtlich und unsystematisch. Bei der Schaffung des EU-IPR können bestehende völkerrechtliche IPR-Regelungen nur begrenzt berücksichtigt werden – insbesondere die nicht systembildend wirkenden bilateralen Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten haben keinen Einfluss im europäischen Gesetzgebungsverfahren. In der Anwendung müssen jedoch alle vorrangigen Kollisionsregeln des Völkerrechts, die unter Geltung des nationalen IPR entstanden sind, nunmehr mit dem EU-IPR koordiniert werden. Der sachlichen Ebene der eigentlichen Anwendungs- und Koordinationsfragen vorgelagert stellt sich das tatsächliche Problem eines Informationsdefizits. Bislang fehlt es bereits an einem umfassenden, systematisierten Überblick über alle für EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Staatsverträge. Die Vielzahl und Vielseitigkeit der existierenden Staatsverträge einerseits und ihre oft nur punktuelle sachliche Relevanz und ihr selbst innerhalb der eigenen Rechtsordnung häufig eher „versteckter“ Charakter andererseits führen zu einer schon auf nationaler, vor allem aber auf europäischer Ebene äußerst unübersichtlichen Situation. Ein umfassender Überblick über alle aktuell existierenden EuGH 7.6.2018 – C-83/17, KP, Rn. 21 ff.; BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 1 HUP Rn. 28, Art. 15 UnthVO Rn. 2. 790 BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.5.2021) Art. 1 HUP Rn. 28. 789

III. Folgerungen

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mitgliedstaatlichen Staatsverträge mit kollisionsrechtlichem Gehalt ist aus verschiedenen Gründen mehr denn je ein dringendes Petitum. Idealerweise wird diesem Bedürfnis durch die Schaffung eines europaweiten, elektronisch zugänglichen Informationsrepositoriums zum für die EU und ihre Mitgliedstaaten relevanten völkerrechtlichen Kollisionsrecht nachgekommen. Zunächst einmal ist die umfassende Information über die nationalen Kollisionsrechtssysteme – zu denen auch die Kollisionsregeln staatsvertraglicher Genese gehören – ein wünschenswertes Korrelat der zunehmenden Vereinheitlichung des IPR. Die effiziente Anwendung des bereits bestehenden EU-IPR setzt selbstverständlich die Kenntnis der damit zu koordinierenden völkerrechtlichen Konventionen voraus. Auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung und Begleitung wäre eine breite Informationsgrundlage von Vorteil. Vor allem aber scheint die vollumfängliche Bestandsaufnahme aller bestehenden völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten für die Weiterentwicklung des EU-Kollisionsrechts unabdingbar. Denn für jeden neuen Rechtsakt müssen ohnehin die damit potentiell kollidierenden staatsvertraglichen Kollisionsregeln aller Mitgliedstaaten eruiert werden. Langfristig erscheint es aber deutlich effizienter, dies einmal umfassend vorzunehmen und nicht für jeden geplanten Rechtsakt sektoriell und gesondert. Damit würden die Mitgliedstaaten auf Dauer entlastet und gleichzeitig dem Problem abgeholfen, dass in der Vergangenheit Mitteilungen in diesem vielfach als eher nebensächlich betrachteten Bereich nur unvollständig und schleppend erfolgt sind. Ein derartiger Überblick könnte ferner einen Beitrag zur weiteren Systematisierung des EU-IPR und seines Zusammenspiels mit anderen Regelungsebenen leisten: Auf breitangelegter Grundlage lassen sich eine übergreifende Strategie für den Umgang mit bestehendem Völkerrecht und Kooperationsmechanismen für künftige Rechtsakte leichter entwickeln. Schließlich wäre die Aufmerksamkeit für die staatsvertraglichen Bindungen der Mitgliedstaaten auch rechtspolitisch ein wichtiges Signal, das die Achtung bestehenden Völkerrechts durch das EU-IPR und dessen Bereitschaft zur Koordination unterstreicht. Vergleichsweise unübersichtlich stellt sich die Situation auch hinsichtlich des mehrgestaltigen Verhältnisses zwischen völkerrechtlichen und europäischen Kollisionsrechtsakten dar. Aufgrund der verschiedenen Abstimmungsmechanismen und der nicht immer vollständig deckungsgleichen Anwendungsbereiche können die Einzelheiten der Abgrenzung nicht pauschal geregelt werden, sondern müssen für jeden Staatsvertrag gesondert ermittelt werden. Der traditionelle Ansatz, bestehendem Völkerrecht auch nach Inkrafttreten europäischer IPR-Verordnungen Vorrang einzuräumen, erfasst vor allem bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten und wirft insbesondere Fragen hinsichtlich seiner Reichweite auf. Daneben treten vor allem mit Blick auf neuere und künftige multilaterale Übereinkommen zunehmend kooperative Modelle, in denen staatsvertragliches und europäisches Kollisionsrecht in unterschiedlicher Weise aufeinander abgestimmt werden und einander in Bezug nehmen.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

Als weitgehend unproblematisch stellt sich die Verdrängung nur zwischen (teilnehmenden) EU-Mitgliedstaaten geltenden Völkerrechts dar. Der Mechanismus ist klar und eindeutig und verwirklicht bestmöglich das europäische Interesse an einer möglichst umfassenden Geltung des EU-IPR, ohne dabei völkerrechtliche Verpflichtungen zu verletzen. Freilich birgt er neben diesen Vorteilen auch einige Nachteile. Zusätzlich zur Unsicherheit, wann genau er zum Zuge kommt, opfert der Vorrang des EU-IPR die gewachsenen Strukturen der engen Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten untereinander. Ihre Ablösung durch die europaweite Kooperation bedeutet zu einem gewissen Grad auch das Zurücktreten besonderer historisch, politisch und rechtlich begründeter Nähebeziehungen hinter gesamteuropäische Interessen. Das ist aus europäischer Sicht wünschenswert, geht aber zu – wenn auch teils nur symbolischen – Lasten der betroffenen Mitgliedstaaten. Aber auch für das völkerrechtliche Kollisionsrecht ist die Verdrängungswirkung des EU-IPR ungünstig: Für bislang nur zwischen Mitgliedstaaten geltende völkerrechtliche Konventionen bedeutet sie faktisch das Aus. Sie gelten zwar nominal zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten fort und stehen weiterhin Drittstaaten zum Beitritt offen, finden aber keine praktische Anwendung mehr und werden damit noch unattraktiver für potentielle weitere Vertragsstaaten. Bei den in Frage stehenden Verträgen älteren Datums, die über mehrere Jahrzehnte hinweg nur begrenzten Zuspruch gefunden haben, erscheinen freilich weitere Beitritte ohnehin wenig wahrscheinlich – dennoch trägt das EU-IPR durch seine Verdrängungswirkung wesentlich dazu bei, dass sie als endgültig überholt anzusehen sind. Die Überlagerung der nur für Mitgliedstaaten verbindlichen kollisionsrechtlichen Staatsverträge zeigt eine Grundhaltung des EU-IPR, die die für die Mitgliedstaaten geltenden völkerrechtlichen Kollisionsregeln als „Störfaktoren“ bei der Europäisierung betrachtet. Deren Beseitigung durch eine Verdrängung im rein zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis ist zwar unter dem Strich vorteilhaft – doch die tendenziell negative Einstellung des EU-IPR gegenüber dem Völkerrechts-IPR bietet Grund zur Besorgnis. Auf den ersten Blick völkerrechtsfreundlich stellt sich die Zurücknahme des EU-IPR gegenüber bestehenden oder geplanten kollisionsrechtlichen Staatsverträgen dar. Wenn die EU zugunsten bestehenden Völkerrechts auf eigene Regeln verzichtet oder sogar durch ihren eigenen Beitritt bzw. eine Beitrittsaufforderung an ihre Mitgliedstaaten staatsvertragliches Kollisionsrecht in das europäische Kollisionsrechtsgefüge integriert, vermeidet sie aktiv Konflikte. Das verdeutlicht insbesondere der Blick auf die jeweiligen sachlichen Anwendungsbereiche: Es kommt gerade nicht zu einer Überschneidung, weil das EU-IPR durch eine Bereichsausnahme gar nicht erst in Konkurrenz zum staatsvertraglichen IPR tritt oder dieses ohne inhaltlich konkurrierende eigene Regelung schlicht übernimmt. Außerdem ist die politische Signalwirkung einer solchen europäischen Unterstützung, insbesondere wenn sie im Wege expliziter Förderung von Übereinkommen erfolgt, für weitere Staaten

III. Folgerungen

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nicht zu unterschätzen. Das rechtstechnisch mehr oder weniger abgestimmte echte „Nebeneinander“ der Regelungsebenen und die gegenüber einer über die Grenzen Europas hinausgehenden Kollisionsrechtsvereinheitlichung aufgeschlossene Haltung der EU dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei näherem Hinsehen auch in diesen Konstellationen die Durchsetzung europäischer Interessen zentral ist. Die EU entscheidet allein über Art und Ausmaß ihrer Beteiligung an Staatsverträgen und genießt als wirtschaftlich starke Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration eine dominante Verhandlungsposition. Insbesondere durch die Option, auf europäischer Ebene Konkurrenz-Rechtsakte zu verabschieden, kann sie die Gestaltung völkerrechtlicher Verträge erheblich beeinflussen – und durch ihre Nichtunterstützung die Attraktivität von Übereinkommen insgesamt deutlich schmälern. Hinzu kommt die Möglichkeit, völkerrechtliche Regelwerke auf europäischer Ebene nur teilweise zu übernehmen oder zu modifizieren und damit mehr oder weniger vergleichbare Alternativen ins Spiel zu bringen. Auch bei der praktischen Anwendung staatsvertraglicher Kollisionsregeln droht ein Übergewicht der EU, insbesondere durch eine einheitliche und für alle Mitgliedstaaten verbindliche Auslegung und die Entwicklung europäischer Lösungen zur Füllung bestehender Lücken. Bei Drittstaaten stößt ein derart starker Einfluss der EU naturgemäß auf zunehmende Skepsis. Die Vormachtstellung der EU sowohl hinsichtlich des politischen Erfolgs kollisionsrechtlicher Übereinkommen als auch hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausgestaltung lässt bereits Tendenzen erkennen, auch bei der Beteiligung an völkerrechtlichen Übereinkommen „in dubio pro EU“ zu entscheiden. In der Mehrzahl der Fälle kommt es bei thematischen Überschneidungen zu einer Koexistenz (neuer) europäischer und (alter) völkerrechtlicher Regelungen, da bestehende Staatsverträge mit Drittstaaten grundsätzlich neben bzw. vorrangig zum EU-IPR anwendbar bleiben. Diese dem Vorrang des Völkerrechts geschuldete und in den Vorrangklauseln der Verordnungen verankerte Situation ist aus europäischer Sicht ausgesprochen nachteilig: Die vorrangige Anwendung staatsvertraglicher Kollisionsregeln reißt unterschiedlich weitreichende Löcher in den Anwendungsbereich der EU-Verordnungen.791 Das resultierende für einige Mitgliedstaaten gespaltene Kollisionsrecht wirft verschiedene Schwierigkeiten auf. Als wesentliche Hürde erweist sich bereits die Vielzahl und Unübersichtlichkeit der in Betracht kommenden völkerrechtlichen Verträge der Mitgliedstaaten. Je größer die Zahl der zu berücksichtigenden Staatsverträge ist, desto intransparenter stellt sich die Rechtslage dar und desto komplexer wird die Anwendung – schon aus diesem Grund ist die Fortgeltung bestehenden (vor allem bilateralen) Völkerrechts aus europäischer Sicht ungünstig. Inhaltliche Divergenzen zu den EUKollisionsregeln führen zu Spannungen (siehe Teil III: § 8.I.2., S. 444 ff.), 791

Siehr in: Jud / Rechberger / Reichelt, 77, 87 spricht von „Lücken der Höflichkeit“.

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

außerdem potenzieren sich beim Aufeinandertreffen mit dem EU-IPR die Probleme der teils bereits umstrittenen Reichweite der völkerrechtlichen Kollisionsregeln und der uneinheitlichen Anwendungspraxis.792 Vor allem aber schränkt das Nebeneinander der EU-Kollisionsrechtsverordnungen mit dem staatsvertraglichen „Restbestand“ der Mitgliedstaaten den Universalitätsanspruch des als Vollregime konzipierten EU-IPR ein und beeinträchtigt damit seine Effektivität. Wenn einzelne Mitgliedstaaten aufgrund völkerrechtlicher Bindungen doch andere Anknüpfungsregeln anwenden, stört das den Entscheidungseinklang innerhalb Europas – und läuft dem umfassenden Anwendungsbegehren des europäischen Kollisionsrechts zuwider. Der Vorrang völkerrechtlichen Kollisionsrechts wirkt sich zwar nur in vergleichsweise geringem Umfang aus – nämlich nur, soweit das staatsvertragliche Kollisionsrecht reicht. Dieses hat aber vor allem bei bilateralen Abkommen häufig einen eng begrenzten und mit den EU-Rechtsakten nicht deckungsgleichen Anwendungsbereich, insbesondere, wenn es nur punktuelle Regelungen statuiert (z. B. Erbkollisionsregeln nur bezüglich beweglicher Nachlassgegenstände). Die in sachlicher und räumlich-persönlicher Hinsicht fragmentarische Natur des völkerrechtlichen IPR bedeutet zum einen, dass die Kollisionsrechtsspaltung zwischen staatsvertraglicher und europäischer Ebene nur punktuell eingreift und ihr genaues Ausmaß in jeder individuellen Konstellation ermittelt werden muss. Zum anderen aber sind zunehmend häufig die Lücken völkerrechtlicher Verträge durch das (mangels einschlägiger staatsvertraglicher Regelungen nicht verdrängte) umfassende EUKollisionsrecht zu schließen. Auf eine derartige kombinierte Anwendung sind jedoch weder die in Abstimmung mit dem nationalen IPR entwickelten völkerrechtlichen Kollisionsregeln noch das EU-IPR, das naturgemäß keine inhaltliche Rücksicht auf einzelne Staatsverträge nehmen kann, ausgelegt. Da die bisherigen Lösungen des nationalen Kollisionsrechts unter den EUVerordnungen nur noch bedingt gangbar sind, scheinen Friktionen und Koordinationsschwierigkeiten vorprogrammiert. Im Internationalen Zivilverfahrensrecht sind in den letzten Jahren einige Probleme der Koordination europäischer und völkerrechtlicher Rechtsakte zu trauriger Berühmtheit gelangt, etwa das komplexe und schwierige Verhältnis zwischen Brüssel IIa-VO und KSÜ.793 Aufgrund des loi uniforme-Ansatzes im europäischen IPR sind die Herausforderungen für das Kollisionsrecht anders gelagert: Im Zentrum werden die Möglichkeiten und Grenzen der fortgesetzten Anwendung einzelner staatsvertraglicher Anknüpfungsregeln im veränderten Kontext eines zunehWurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 467 f. Siehe z. B. Benicke IPRax 2013, 44, 52 ff.; Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 35 ff.; McEleavy in: FS van Loon, 371, 372 ff.; A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 118 ff. – Die zusätzlichen Vorschriften der Brüssel IIa-VO zu Kindesentführungen verkomplizieren das Verhältnis zum HKÜ, vgl. M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 223. 792 793

III. Folgerungen

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mend europäisierten Kollisionsrechts stehen. Denn die Vorrangklauseln beschränken sich auf die grundsätzliche Regelung des Verhältnisses der Regelungsebenen, bieten aber keinerlei Anhaltspunkte für die praktischen Einzelheiten der Abstimmung. Wie weit sich aber das (insbesondere bilaterale) staatsvertragliche IPR in der gemeinsamen Anwendung gegenüber einem EUIPR behaupten kann, das primär auf die Verwirklichung seiner eigenen (Effizienz-)Interessen blickt, scheint langfristig fraglich. Als großes Eingangshindernis für das gleichberechtigte Zusammenspiel von völkerrechtlichem und europäischem Kollisionsrecht kristallisiert sich eine grundsätzlich negative Grundeinstellung des EU-IPR heraus. Mit Ausnahme der von der EU selbst abgeschlossenen bzw. gebilligten Staatsverträge (die zumindest faktisch auch zu EU-Kollisionsrecht werden) betrachtet man völkerrechtliche Rechtsakte als „Störfaktoren“, die die Durchsetzung einheitlicher und universeller europäischer Kollisionsregeln behindern. Zwar wird das im Verhältnis zu Drittstaaten bestehende staatsvertragliche IPR geachtet, doch eher zähneknirschend und bedauernd. Den umfassenden Regelungsanspruch des EU-IPR demonstrieren nicht zuletzt die Vorschläge, wie sich der Vorrang der Staatsverträge zurückdrängen ließe, etwa für „EU-interne Sachverhalte“794 oder wenn das drittstaatliche Kollisionsrecht den europäischen Vorstellungen entspricht.795 Die durch die punktuell weitergeltenden staatsvertraglichen Regelungen bedingten Ausnahmen werden vor allem bei bilateralen Verträgen einzelner Mitgliedstaaten als störende Fremdkörper im umfassend und abschließend konzipierten System des EU-IPR empfunden.796 Sie werden als Beeinträchtigung der Effizienz der europäischen Regelungen betrachtet, im erbrechtlichen Zusammenhang werden etwa ihre Nachteile für das Europäische Nachlasszeugnis betont.797 Die Bezeichnung der Staatsverträge als „Achillesferse“798 zeugt von ihrem Verständnis als lästige Schwachstelle, darüber hinaus suggeriert sie, dass das fortgeltende Staatsvertragsrecht ein potentielles Einfallstor für Schwächungen und Verletzungen des EUKollisionsrechts (wenn auch wohl nicht bis hin zu seinem Tod wie beim mythologischen Vorbild) ist. Diese Perspektive prägt auch die wenigen bisherigen Untersuchungen des Verhältnisses von staatsvertraglichem zu europäischem IPR. Sie hinterfragen in der Regel aus der Warte des europäischen Rechts bzw. seiner mitgliedstaatlichen Anwender, welche Beeinträchtigungen für die Funktionsweise des Kritisch R. Wagner in: Arnold, 105, 127. Vgl. Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 327. 796 Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 319 ff.; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 343 f. 797 Vgl. z. B. die Überlegungen von Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 320; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 16 ff.; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 342 f. 798 Dutta FamRZ 2013, 4, 15; übernommen von Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 449. 794 795

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Teil II: § 4 – Koordinationsfragen: EU-IPR und Staatsverträge

EU-Kollisionsrechts die Berücksichtigung des völkerrechtlichen Altbestands mit sich bringt. So konzentriert sich etwa die Studie von Dutta und Wurmnest darauf, die völkerrechtlichen Beeinträchtigungen der ErbVO zu identifizieren und nach Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Funktionsfähigkeit und des (europäischen) internationalen Entscheidungseinklangs zu suchen.799 Den Interessen der Mitgliedstaaten an der Aufrechterhaltung ihrer Abkommen mit Drittstaaten wird dabei zumindest in geringem Umfang noch Rechnung getragen,800 wenn auch mit dem Ziel, sie mit den gesamteuropäischen Interessen in Einklang zu bringen. Den Bedürfnissen der außereuropäischen Vertragspartner bzw. des völkerrechtlichen Kollisionsrechts wird dagegen in den europäischen Überlegungen kaum Raum gegeben.801 Eine derart auf den europäischen Blickwinkel beschränkte und zentrierte Betrachtungsweise liegt unter dem Gesichtspunkt des unionsrechtlichen effet utile nahe, greift aber – wie auch bei der Abgrenzung gegenüber dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht – langfristig insgesamt zu kurz. Der Fokus auf die Hindernisse, die bestehende völkerrechtliche Kollisionsregeln für die europäische IPR-Vereinheitlichung bedeuten, verstellt den Blick darauf, dass umgekehrt auch das europäische Kollisionsrecht erheblichen Einfluss auf das staatsvertragliche IPR ausüben kann. Wenn formell unberührt weiterbestehende Kollisionsregeln nunmehr in einem europäischen Kontext angewendet werden, wirkt die Europäisierung zumindest indirekt auch auf sie ein. Dieser Effekt ist um so stärker, je mehr bei Koordinationsschwierigkeiten die größtmögliche Effizienz der EU-Rechtsakte ins Zentrum der (europäisch determinierten) Lösungsansätze gerückt wird. Die Konsequenzen daraus sind bisher noch kaum analysiert. Es gilt daher, die Auswirkungen der Europäisierung auf das völkerrechtliche IPR und potentielle Wechselwirkungen an den Schnittstellen der Regelungsebenen auch aus staatsvertraglicher Sicht näher zu untersuchen und die unterschiedlichen Entwicklungsoptionen (insbesondere mögliche Alternativen zur Kündigung von Staatsverträgen) zu überprüfen. Nur so können einerseits die praktischen Fragen des Zusammenspiels bestehender Rechtsakte allseits zufriedenstellend beantwortet und andererseits das Verhältnis zwischen europäischem und staatsvertraglichem IPR für die Zukunft tragfähig ausgestaltet werden (siehe Teil III: § 8.II., S. 494 ff.).

799 Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 321 ff.; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 341 ff. – Siehe auch Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 15 ff. 800 Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 344 ff. untersucht die Interessen der Mitgliedstaaten an einer Beibehaltung ihrer Staatsverträge, allerdings mit Blick darauf, ob sie (aus EU-Sicht) anerkennenswert sind. 801 Vgl. allerdings die (wenn auch knappen) Erwägungen bei Wurmnest in: Dutta /  Wurmnest, 329, 350.

I. Zeitlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts

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§ 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

Der zeitliche Anwendungsbereich fügt der Koordination des EU-Kollisionsrechts mit dem nationalen und dem völkerrechtlichen IPR eine weitere potentiell problematische Dimension hinzu. Während diese ursprünglich eher wenig Aufmerksamkeit gefunden hat, wirft sie gerade im Hinblick auf die jüngeren Rechtsakte der EU Schwierigkeiten und unbeantwortete Fragen auf. Einige davon illustrieren im Folgenden, dass eine nähere Auseinandersetzung mit dem zeitlichen Anwendungsbereich des EU-IPR für die Zukunft unabdingbar sein wird. I.

Zeitlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts

I. Zeitlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts

Alle europäischen Kollisionsrechtsakte enthalten Übergangsbestimmungen, die ihren zeitlichen Anwendungsbereich abgrenzen und ihr Verhältnis zum nationalen Kollisionsrecht in intertemporaler Hinsicht regeln. So findet das europäische IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse nach Art. 28 Rom I-VO auf ab802 dem 17.12.2009 geschlossene Verträge Anwendung. Für das Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse kommt es nach Artt. 31, 32 Rom II-VO auf den Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses nach dem 11.1.2009 an.803 Die früher vertretene Gegenauffassung, dass aufgrund des Wortlautes des Art. 31 Rom II-VO stattdessen bereits auf das formelle Inkrafttreten gemäß Art. 297 Abs. 1 UAbs. 3 S. 2 AEUV am 20.8.2007 abzustellen sei, ist nach der Entscheidung des EuGH zugunsten der herrschenden Meinung804 obsolet.805 Für das europäische Unterhaltskollisionsrecht ist nach Artt. 75, 76 UnthVO der maßgebliche Stichtag der 18.6.2011: Für nach diesem Tag eingeleitete Unterhaltsverfahren, gebilligte oder geschlossene gerichtliche Vergleiche oder ausgestellte öffentliche Urkunden gelten die europäischen Regelungen (die Ausnahmen in Art. 75 Abs. 2, 3 UnthVO betreffen verfahrensrechtliche Fragen). Im Hinblick auf das IPR erwies sich dies allerdings dahingehend als schwierig, dass die UnthVO sich kollisionsrechtlich darauf beschränkt, auf das HUP von 2007 zu verweisen (Art. 15 UnthVO), allerdings bei Verabschiedung der UnthVO bereits klar war, dass dieses zum maßgeblichen Stichtag noch nicht in Kraft getreten sein würde. Das Problem wurde dahingehend gelöst, dass das HUP für vorläufig anwendbar erklärt wurde (siehe § 5.III., S. 259 ff.) – damit konnte für die EU-Mitgliedstaaten in allen nach dem 18.6.2011 begonnenen Unterhaltsangelegenheiten das europäische bzw. Haager Unterhaltskollisionsrecht angewendet werden, sodass keine intertemporalen Anwendungsprobleme entstanden. 802 803 804 805

Berichtigung gegenüber dem ursprünglichen Text („nach“) in ABl. 2009 L 309, 87. MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 17 f. EuGH 17.11.2011 – C-412/10, Homawoo, Rn. 22 ff. MüKo8 / Junker vor Art. 38 EGBGB Rn. 19 m. w. N.

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Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

Das europäische Scheidungskollisionsrecht erfasst ausweislich Art. 18 Abs. 1 Rom III-VO alle Scheidungen, bei denen das Scheidungsverfahren ab dem 21.6.2012 eingeleitet wurde bzw. die Ehegatten ab diesem Datum eine Rechtswahl hinsichtlich der Scheidung getroffen haben; den Fortbestand davor getroffener Rechtswahlvereinbarungen auch in unter Geltung des EUScheidungskollisionsrechts eingeleiteten Verfahren sichert Art. 18 Abs. 1 S. 2 Rom III-VO, während die Rechtswahl in „Altverfahren“ von Art. 18 Abs. 2 Rom III-VO nach wie vor dem nationalen Recht unterstellt wird. Eine sehr klare Abgrenzungsregel enthält schließlich Art. 83 Abs. 1 ErbVO: Maßgeblich für die Anwendung des europäischen Erbkollisionsrechts ist der Tod des Erblassers am 17.8.2015 oder danach. Ergänzt wird diese eindeutige und einleuchtende Regel in Art. 83 Abs. 2–4 ErbVO durch Vorschriften, die die Wirksamkeit vor diesem Stichtag erfolgter Rechtswahlen und Verfügungen von Todes wegen auch bei Anwendung der europäischen Erbkollisionsregeln sichern. Ein vergleichbarer Mechanismus findet sich schließlich auch in den Übergangsbestimmungen zum europäischen Güterrecht. Die zeitliche Anwendbarkeit des europäischen Ehegüterkollisionsrechts erfasst nach Art. 69 Abs. 3 GüVO alle Ehen, die ab dem 29.1.2019 geschlossen wurden806 oder für die die Ehegatten nach diesem Zeitpunkt eine güterrechtliche Rechtswahl getroffen haben. Parallel dazu ist das europäische Partnerschaftsgüterkollisionsrecht anwendbar auf alle Partnerschaften, die ab dem 29.1.2019 eingetragen oder einer Rechtswahl im Bereich des Güterrechts unterstellt wurden (Art. 69 Abs. 3 PartVO). Die europäischen Kollisionsrechtsakte legen ihren zeitlichen Anwendungsbereich jeweils mit Wirkung für die Zukunft fest und koppeln ihn an ihren Geltungsbeginn. Für die intertemporale Anwendung des EU-Kollisionsrechts gilt also jeweils ein klarer Stichtag, der den Übergang vom alten, nationalen IPR zu den neuen, europäischen Kollisionsregeln markiert. Als „zeitlicher Anknüpfungspunkt“ dafür wird jeweils ein bestimmtes Ereignis (z. B. die Verfahrenseinleitung) festgelegt. Für alle Neufälle, bei denen dieses Ereignis an oder nach diesem Stichtag eintritt, ist einzig und allein das europäische Kollisionsrecht maßgeblich – sobald dieses Geltung erlangt, löst es das mitgliedstaatliche IPR insgesamt ab. Demgegenüber bleibt auf Altfälle, bei denen das Ereignis bereits vor dem Stichtag eintrat, das nationale IPR anwendbar. Naturgemäß sind damit für eine gewisse Übergangsphase beide Regelungssysteme nebeneinander anwendbar – in welchem Ausmaß und wie lange, hängt vom als „Auslöser“ gewählten Ereignis ab. Anfangs sorgte in der deutschen Sprachfassung noch ein Übersetzungsfehler für Verwirrung: Die Rede war zunächst von Ehen und Rechtswahlvereinbarungen „nach“ dem 29.1.2019 – bei wortlautgetreuer Lektüre hätte damit die GüVO erst für ab dem 30.1.2019 geschlossene Ehen eingreifen können, der 29.1.2019 schien ein „kollisionsrechtsfreier Tag“ zu sein. Durch eine Korrektur der deutschen Sprachfassung wurde dieser Fehler inzwischen behoben (ABl. 2017 L 113, 62). 806

I. Zeitlicher Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts

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Eine kurze Übergangszeit besteht vor allem, wenn es auf die Verfahrenseinleitung ankommt. Unterstellt man, wie in der UnthVO oder der Rom III-VO, alle nach dem Stichtag eingeleiteten Neuverfahren dem neuen, europäischen Regime, so sind lediglich noch die bereits begonnenen Altverfahren nach dem bisherigen, nationalen Kollisionsrecht zu Ende zu führen. Sobald das letzte dieser Altverfahren beendet ist, hat sich die Anwendung des alten nationalen IPR endgültig erledigt. Etwas längeren Raum für ein Nebeneinander der Kollisionsregeln bietet die Anknüpfung an bestimmte rechtsfolgenauslösende Ereignisse wie das schadensbegründende Ereignis in der Rom II-VO oder das Versterben des Erblassers in der ErbVO. Hier kann es auch einige Zeit nach dem Stichtag noch zu neuen Verfahren kommen, in denen gleichwohl die alte Rechtslage zugrunde zu legen ist – denn die für die zeitliche Abgrenzung maßgeblichen Ereignisse lösen nicht zwingend einen sofortigen Verfahrensbeginn aus. Hat ein nach dem Stichtag eingeleitetes Verfahren aber ein schadensbegründendes Ereignis oder einen Todesfall vor dem Stichtag zum Gegenstand, kommt noch das nationale IPR zur Anwendung – wenn etwa Spätschäden aus einem vor Geltungsbeginn der Rom IIVO begangenen Delikt geltend gemacht werden oder um die Nachlassauseinandersetzung in einem bereits vor Geltungsbeginn der ErbVO eingetretenen Erbfall gestritten wird. Im Laufe der Zeit nimmt die Zahl dieser Fälle jedoch rapide ab – je weiter der Geltungsbeginn des europäischen IPR zurückliegt, desto seltener werden noch zeitlich in die Zeit davor zurückreichende Ansprüche geltend gemacht werden. Zu einer sehr langen Parallelexistenz von europäischen und nationalen Kollisionsregeln kann es hingegen kommen, wenn für den Wechsel des anwendbaren Rechts auf das Ereignis abgestellt wird, das das jeweils zu beurteilende Rechtsverhältnis begründet hat. Dann werden nämlich alle Streitigkeiten, die sich aus vor dem Stichtag für den Übergang zum europäischen IPR begründeten Rechtsverhältnissen ergeben, nach wie vor dem früheren nationalen Kollisionsrecht unterstellt – auch Jahre nach dem Stichtag. Dieser markiert lediglich den Zeitpunkt, ab dem neubegründete Rechtsverhältnisse nicht mehr dem alten IPR-Regime unterfallen können – nicht aber die vollständige Ablösung des nationalen durch das europäische Kollisionsrecht. Diese Konstellation wurde für das vertragliche Schuldrecht und das Güterrecht gewählt: Maßgeblich ist hier die Begründung des Vertragsverhältnisses bzw. die Eingehung der Ehe bzw. Partnerschaft, aus der Ansprüche geltend gemacht werden. Geht es um Ansprüche aus einem solchen „Altvertrag“ (geschlossen vor dem 17.12.2009) oder das Güterrecht einer solchen „Altehe“ bzw. „Altpartnerschaft“ (eingegangen vor dem 29.1.2019), bleibt das alte nationale Kollisionsrecht anwendbar, auch wenn Ansprüche daraus erst nach dem Geltungsbeginn des EU-IPR entstehen bzw. geltend gemacht werden. Zwingend geboten ist dies durch Rechtssicherheit und Vertrauensschutz – ein bestehendes Rechtsverhältnis darf nicht ohne Wissen und Wollen der Parteien

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Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

plötzlich und unvorhersehbar einem anderen Recht unterstellt werden.807 Aber auch wenn die dadurch entstehenden längeren Übergangsphasen alternativlos sind – sie können nichtsdestotrotz erhebliche Schwierigkeiten bei der Koordination von europäischem und nationalem Kollisionsrecht aufwerfen (dazu sogleich II.). II. Übergangsphasen: Zeitliches Nebeneinander von europäischem und nationalem IPR II. Übergangsphasen: EU-IPR und nationales IPR

Als weitgehend unproblematisch stellte sich die parallele Existenz von europäischem und nationalem Kollisionsrecht im Internationalen Vertragsrecht dar. Die Fortgeltung der nationalen Anknüpfungsregeln für vor dem 17.12.2009 geschlossene Altverträge, während für alle nach diesem Datum geschlossenen Neuverträge bereits die Rom I-VO maßgeblich ist, wirft keine wesentlichen Probleme auf. Diese erfreuliche Situation hat verschiedene Gründe. Zunächst einmal nimmt die Anzahl der Streitigkeiten aus „Altverträgen“ im Laufe der Zeit ohnehin stetig ab. Verträge über einzelne Leistungen sind regelmäßig innerhalb einer gewissen Zeitspanne nach Vertragsschluss inklusive aller etwaigen Folgeansprüche „abgewickelt“, sodass nach einer gewissen Zeit keine Ansprüche daraus mehr zu erwarten sind, die noch nach altem IPR zu beurteilen wären. Anders ist es freilich bei Dauerschuldverhältnissen, bei denen ebenfalls auf den Vertragsschluss abgestellt wird:808 Etwa bei Arbeits- oder Mietverträgen, aber auch bei Verträgen über wiederkehrende Leistungen oder Rahmenverträgen ist es aufgrund der zeitlichen Diskrepanz zwischen Vertragsschluss und (sukzessiver) Leistungserbringung durchaus möglich, dass auch lange Zeit nach dem Vertragsschluss noch Ansprüche geltend gemacht werden und damit das frühere IPR noch zur praktischen Anwendung gelangt. Sofern die Parteien ihr Vertragsverhältnis allerdings nach dem Stichtag so grundlegend verändern, dass von einem neuen Vertragsschluss auszugehen ist, unterliegt dieser neue Vertrag der Rom I-VO.809 Vor allem für grenzüberschreitend tätige Unternehmer, die rechtlich beraten sind, ist diese Möglichkeit eines Wechsels ex nunc durchaus attraktiv: Eine Überarbeitung älterer Verträge und ihre Anpassung an gegebenenfalls veränderte Gegebenheiten erscheint unter Umständen ohnehin nach gewisser Zeit empfehlenswert, damit einhergehend oder losgelöst davon kann auch eine kollisionsrechtliche „Modernisierung“ und Unterstellung unter die Rom I-VO erfolgen. Reizvoll kann etwa die Möglichkeit sein, für den bereits bestehenden Vertrag eine neue Rechtswahl zu treffen. Die Anzahl der schuldvertragsrechtlichen „Altfälle“ erscheint damit insgesamt begrenzt und sinkt kontinuMüKo8 / Martiny Art. 28 Rom I-VO Rn. 3. EuGH 18.10.2016 – C-135/15, Nikiforidis, Rn. 33 ff.; MüKo8 / Martiny Art. 28 Rom I-VO Rn. 3. 809 EuGH 18.10.2016 – C-135/15, Nikiforidis, Rn. 37 ff. 807 808

II. Übergangsphasen: EU-IPR und nationales IPR

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ierlich, und auch für fortbestehende Altverträge sind die Parteien nicht für die Ewigkeit an das frühere Schuldvertragskollisionsrecht gebunden. Ein dauerhaftes Nebeneinander von alten und neuen IPR-Regeln ist also nicht zwingend, sondern Vertragsbeziehungen können insgesamt dem neuen europäischen IPR unterstellt werden. Darüber hinaus ist das Nebeneinander von nationalem und europäischem Kollisionsrecht über einen längeren Zeitraum im Internationalen Vertragsrecht auch inhaltlich relativ leicht zu verschmerzen. Bereits vor Inkrafttreten der Rom I-VO war das IPR der vertraglichen Schuldverhältnisse auf europäischer Ebene harmonisiert – durch das EVÜ waren die Kollisionsregeln der EU-Mitgliedstaaten bereits weitgehend vereinheitlicht, auch wenn es nicht unmittelbar angewendet wurde, sondern – wie in Deutschland in Artt. 27 ff. EGBGB – als Teil der nationalen Kollisionsrechtskodifikation inkorporiert worden war. Es handelt sich also weniger um eine Parallelanwendung nationalen und europäischen Kollisionsrechts, sondern vielmehr um ein Nebeneinander von „altem“ und „neuem“ europäischem IPR. Da die Regelungen des EVÜ in ihren wesentlichen Grundzügen mit jenen der Rom I-VO übereinstimmen, sind die Unterschiede zwischen dem für Altverträge und dem für Neuverträge maßgeblichen Kollisionsrecht überschaubar. Auch in den – immer seltener werdenden – Altvertragsfällen sind größere Diskrepanzen zum aktuellen IPR und damit Anwendungsschwierigkeiten und unliebsame Überraschungen bei der Anwendung eigentlich schon lange abgelösten Kollisionsrechts nur begrenzt zu erwarten. Deutlich problematischer stellt sich die Situation dagegen im Internationalen Güterrecht dar. Zeitlich sind die Anwendungsbereiche der nebeneinander existierenden internationalgüterrechtlichen Regelungssysteme durch Art. 69 Abs. 3 GüVO / PartVO klar voneinander abgegrenzt. Das europäische Güterkollisionsrecht erfasst nur ab dem 29.1.2019 geschlossene „Neuehen“ bzw. „Neupartnerschaften“, für alle vor diesem Zeitpunkt eingegangenen „Altehen“ bzw. „Altpartnerschaften“ bleibt dagegen grundsätzlich weiterhin das bisherige nationale IPR-Regime maßgeblich. Für das daraus resultierende Nebeneinander von nationalem und europäischem IPR muss mit einer erheblich langen Dauer gerechnet werden: Solange noch „Altehen“ bzw. „Altpartnerschaften“ fortbestehen, behält für diese Rechtsverhältnisse das nationale Kollisionsrecht Geltung. Auch hier sinkt seine Bedeutung im Laufe der Zeit mit der abnehmenden Zahl noch bestehender „Altehen“.810 Da aber Ehen bzw. Partnerschaften grundsätzlich auf Lebenszeit angelegt sind, muss von einem jahrzehntelangen Fortbestand von „Altehen“ und damit zumindest in einigen Fällen der über Jahrzehnte fortgesetzten Anwendung des nationalen Güterkollisionsrechts ausgegangen werden811 – im Extremfall noch 80 Jahre 810 811

Mankowski NJW 2019, 465, 469. J. Weber DNotZ 2016, 659, 663.

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nach dem Wechsel zum Europäischen Güterkollisionsrecht, wenn nämlich 20jährige kurz vor dem 29.1.2019 geheiratet haben und die Ehe bis zum gemeinsamen 100. Geburtstag Bestand hat. Gegenüber dem Vertragsrecht ist die potentielle Dauer des Rechtsverhältnisses deutlich erhöht: Goldene oder diamantene Hochzeiten werden häufiger gefeiert als entsprechende Vertragsjubiläen. Auch dürfte die Quote von „Altehen“ bzw. „Altpartnerschaften“ im Internationalen Güterrecht höher sein als diejenige von „Altverträgen“ im Internationalen Vertragsrecht, bedingt schon dadurch, dass der Langzeitvertrag eher die Ausnahme, die Langzeitehe dagegen die (zumindest gesetzliche) Regel darstellt. Hinzu tritt, dass eine Unterstellung unter das europäische IPR für „Altehen“ und „Altpartnerschaften“ zwar ebenso möglich ist wie für „Altverträge“, sie aber seltener erfolgen dürfte. Grundlegende Veränderungen des Rechtsverhältnisses sind bei Ehe und Partnerschaft – anders als im Vertragsrecht – von vornherein nicht denkbar. Die Abhilfemöglichkeit einer Vertragserneuerung (mit der internationalprivatrechtlichen Folge des Wechsels zu den neuen Kollisionsregeln) durch grundlegende Veränderung scheidet für das Familienrecht aus. Als einziger Weg, eine Ehe bzw. Partnerschaft güterrechtlich nachträglich dem europäischen IPR zu unterstellen, bleibt die Rechtswahl. Erfolgt eine solche für eine „Altehe“ bzw. „Altpartnerschaft“ ab dem 29.1.2019, löst sie die Unterstellung unter die GüVO bzw. PartVO aus (Art. 69 Abs. 3 GüVO /  PartVO).812 Nur auf diese Weise können die Ehegatten bzw. Partner ihre „Altehe“ bzw. „Altpartnerschaft“ in das europäische Güterkollisionsrechtsregime überführen und die Anwendung des nationalen Kollisionsrechts gegebenenfalls noch Jahrzehnte nach der eigentlichen Europäisierung verhindern. Zu bezweifeln ist allerdings, ob diese Möglichkeit verbreitete Anwendung finden wird. Eine Rechtswahl wird zumeist im Rahmen von Ehe- bzw. Partnerschaftsverträgen getroffen, die aber regelmäßig im zeitlichen Zusammenhang der Eheschließung bzw. Eingehung der Partnerschaft geschlossen werden – und nur in diesem Zusammenhang erfolgt auch eine Beratung. Die spätere Vornahme einer Rechtswahl setzt voraus, dass den Parteien das Bedürfnis nach einer solchen aufgrund des Inkrafttretens der GüVO / PartVO überhaupt bewusst ist, was bei den meisten Laien-Paaren nicht der Fall sein dürfte. Es gehört kaum zum Allgemeinwissen europäischer Bürger, dass sich die kollisionsrechtlichen Umstände verändert haben und ihnen neben dem gegebenenfalls nachteiligen langfristigen Erhalt ihrer bisherigen IPR-Rechtslage nun auch andere Optionen offenstehen. Die meisten „Altehen“ und „Altpartnerschaften“ dürften daher mangels einer Rechtswahl für ihre gesamte Ehezeit nach dem bisherigen nationalen Kollisionsrecht zu beurteilen sein. Anders als im Internationalen Vertragsrecht gab es im Güterkollisionsrecht vor der Verabschiedung der GüVO keine europäischen Vereinheitlichungs812

Mankowski NJW 2019, 465, 469 f.

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schritte. Die nationalen IPR-Regeln in diesem Bereich unterscheiden sich deutlich voneinander und weichen auch mehr oder weniger stark von denen der GüVO ab. Es kommt also erstmalig zur Situation, dass mit einer praktisch relevanten parallelen Anwendung von inhaltlich unterschiedlichen europäischen und nationalen Kollisionsregeln über einen längeren Zeitraum gerechnet werden muss. Als Hauptproblem erweist sich dabei die „Versteinerung“ des nationalen Güterkollisionsrechts: Da es grundsätzlich durch die GüVO /  PartVO abgelöst ist, wird es in den Mitgliedstaaten nicht mehr legislativ weiterentwickelt, durch die stetig sinkende Zahl an „Altfällen“ nimmt auch die Zahl der Entscheidungen unter Anwendung des alten nationalen Kollisionsrechts ab. Es bleibt daher auf dem Stand von Anfang 2019 stehen und wird auch im Jahr 2050 und im Jahr 2070 noch genauso anzuwenden sein. Expertise zum immer seltener relevanten Altrecht wird allerdings nach und nach Mangelware werden: Während die heutigen Rechtsanwender noch aus jahrelanger Erfahrung vertraut damit sind, wird es für künftige Juristen nur noch ein Stück nationaler Rechtsgeschichte sein. Gleichzeitig werden Informationen zum Altrecht immer schwerer zugänglich sein – neue Materialien zum abgeschafften nationalen Güterkollisionsrecht werden wohl kaum entstehen, vielmehr wird es bereits jetzt weitgehend von Erläuterungen zu den aktuellen europäischen Regelungen verdrängt.813 Teils sind bereits die Normen selbst nur noch mit Mühe auffindbar. Die Ablösung der nationalen Güterkollisionsregeln durch die GüVO hat beispielsweise in Deutschland zu ihrer ersatzlosen Streichung im EGBGB geführt, seit 29.1.2019 sind Artt. 15, 16 EGBGB aufgehoben.814 Das Gesetz vollzieht die Überlagerung des nationalen durch das europäische IPR auch formell nach und spiegelt damit den aktuellen Stand des deutschen IPR korrekt wider. Welche der alten Regelungen für „Altehen“ sehr wohl noch relevant sind, ist aus der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 47 Abs. 2 EGBGB ersichtlich – die allerdings nur eine Verweisung, nicht aber den Normtext enthält. Mit anderen Worten: Die zumindest in den ersten Jahren nach Inkrafttreten der GüVO noch für die Mehrzahl der Ehen geltenden Kollisionsregeln sind in Deutschland nicht mehr im Gesetzestext enthalten. Die ersatzlose Streichung der für die Zukunft abgelösten nationalen Regelungen ist zwar systematisch ebenso konsequent wie die Verortung der intertemporalen Regelung in Art. 229 EGBGB – anwenderfreundlich ist sie aber nicht. Vorzugswürdig gegenüber einer vollständigen Aufhebung wäre eine Änderung der EGBGB-Kollisionsnormen dahingehend gewesen, dass sie (wie im Inter813 Vgl. Mankowski NJW 2019, 465, 469: „Rechtsanwendern in Deutschland ist dringend anzuraten, Normtexte und Kommentierungen des Art. 15 EGBGB 1986 sicher aufzuheben und nicht wegzuwerfen.“. 814 Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 17.12.2018 (EuGüVO / EuPartVO-AusfG).

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Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

nationalen Erb- und Scheidungsrecht) deklaratorisch auf die Geltung der GüVO für Neufälle hinweisen, und anschließend die bisherige Regelung als für Altfälle geltend gekennzeichnet wiedergeben. Zumindest für einen gewissen Zeitraum wäre diese Lösung um einiges praktischer gewesen – sie hätte grundsätzlich die Gefahr eines „Übersehens“ der Altregelungen gebannt und den Zugang zu diesen erheblich erleichtert. Zusätzlich hätte sie auch die Kohärenz der nationalen Kodifikation besser gewahrt und wäre etwaigen Lücken des sachlichen Anwendungsbereichs der GüVO vorbeugend begegnet (vgl. für das Erb- und Scheidungsrecht Teil III: § 7.I.3.a), S. 306 ff.). Die Schwierigkeiten des Auffindens eigentlich abgelöster Kollisionsregeln sind allerdings gering gegenüber den inhaltlichen Problemen, die die Anwendung versteinerten Rechts mit sich bringt. Die für „Altfälle“ fortgeltenden güterrechtlichen Anknüpfungsregeln stehen in der Regel nicht isoliert, sondern interagieren mit anderen Kollisionsregeln – die sich aber im Laufe der Zeit ebenfalls wandeln können. Dies betrifft zunächst die Regelungen des Allgemeinen Teils: Will man die alten Kollisionsregeln kohärent weiter anwenden, muss auch ihr angestammter AT-Kontext maßgeblich bleiben. Änderungen auf diesem Gebiet sind zwar eher selten, aber dennoch denkbar – so wäre etwa auch bei einem zwischenzeitlichen Übergang zu einem generellen Modell aus Sachnormverweisungen für die fortgeltenden Altregelungen nach wie vor der renvoi noch maßgeblich. Dass in Deutschland das AltGüterkollisionsrecht der eigentlich längst überholten (und abgeschafften) ATRegelung des Art. 3a EGBGB zu einem jahrzehntelangen, wenn auch eingeschränkten Fortbestand verhilft, zeigt, dass derartige Konstellationen keineswegs rein theoretisch sind – und mit immer weiter fortschreitender Verdrängung der nationalen AT-Konzeptionen durch europäische Regelungen eher häufiger werden. Außerdem bleiben für den begrenzten Bereich der Fortgeltung nationalen Güterrechts auch dessen Qualifikationen maßgeblich, auch wenn sie eigentlich mit dem Übergang zum EU-IPR durch eine andere Qualifikationsentscheidung abgelöst wurden.815 Damit bleibt für „Altfälle“ auch die bisherige nationale Abgrenzung zwischen Güterstatut und allgemeinem Ehewirkungsstatut nach wie vor relevant,816 was etwa im Hinblick auf die islamisch-rechtliche Brautgabe Bedeutung erlangen wird.817 Dies führt direkt zum nächsten Punkt: Die für einzelne Fragen fortgeltenden Altregeln sind mit dem aktuellen Kollisionsrecht des übrigen Besonderen 815 Vgl. zur intertemporalen Anwendung der ErbVO und der Fortgeltung der güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB in Altfällen OLG München 24.9.2019 – 31 Wx 326/18, zustimmend Sonnentag FamRZ 2020, 198 sowie Thorn / Varón Romero IPRax 2020, 316, 322 f. – Rauscher in: FS Geimer, 529, 532 weist zutreffend darauf hin, dass eine Rechtswahl auch einen Qualifikationswechsel auslöst. 816 BT-Drs. 19/4852, 37; Mankowski NJW 2019, 465, 468. 817 Vgl. Finger FuR 2019, 386, 387.

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Teils nicht immer kompatibel. Besonders deutlich ist dies beim engen Zusammenhang des Güterkollisionsrechts mit den Allgemeinen Ehe- bzw. Partnerschaftswirkungen (siehe § 3.I.1., S. 70 ff.), deren Kollisionsregeln zwar national verbleiben, sich aber dynamisch fortentwickeln. Das deutsche Kollisionsrecht unterstellt die allgemeinen Ehewirkungen ab dem 29.1.2019 für alle verschiedengeschlechtlichen Ehepaare Art. 14 EGBGB n. F. (vgl. Art. 229 § 47 Abs. 1 EGBGB). Der durch die Änderung der Anknüpfungsregel auch für „Altehen“ verursachte Statutenwechsel ist bei der ohnehin wandelbaren Anknüpfung im Ehewirkungsrecht grundsätzlich zu verschmerzen.818 Problematisch ist aber, dass die neue Anknüpfungsregel auf das europäische Güterkollisionsrecht abgestimmt ist (siehe Teil III: § 7.I.2.a)aa), S. 294 ff.).819 Für „Neuehen“ ergibt sich damit zwar ein stimmiges Gesamtbild aus Güter- und Ehewirkungsrecht. Für „Altehen“ muss aber das bisherige Güterrecht in Kombination mit dem neuen Ehewirkungsrecht angewendet werden – was aufgrund der fehlenden Abstimmung inhaltliche Reibungen hervorrufen kann. Für gleichgeschlechtliche Ehen entstehen zwar keine zusätzlichen Diskrepanzen zwischen altem Güter- und neuem Ehewirkungsstatut, weil Art. 17b Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 S. 1 EGBGB n. F. für die allgemeinen Ehewirkungen bei der Anknüpfung an den Registrierungsort bleibt, die auch bisher bei kollisionsrechtlicher Behandlung als registrierte Partnerschaft zugrundegelegt wurde, dafür fehlt es hier an der Abstimmung mit der GüVO für Neuehen. Ein Gleichlauf zwischen allgemeinem Ehewirkungs- und Güterrecht kann für alle Paare durch eine Rechtswahl gemäß Art. 14 EGBGB n. F. hergestellt werden, die nach Art. 17b Abs. 5 S. 2 EGBGB n. F. auch gleichgeschlechtlichen Ehegatten offensteht. Zu dieser – und/oder einer güterrechtlichen Rechtswahl – ist „Altpaaren“ im Zweifel dringend zu raten. Sie ist die einzige Möglichkeit, Güter- und Ehewirkungsstatut zuverlässig in Einklang zu bringen. Andere Wege standen auch dem deutschen Gesetzgeber vernünftigerweise nicht offen. Sofern man nicht die Unwandelbarkeit des Güterstatuts und den damit einhergehenden Vertrauensschutz für bereits verheiratete Paare angreifen will, gibt es keine Alternative zur Fortgeltung des bestehenden Güterrechts für „Altehen“ und damit keine Anpassungsmöglichkeiten an die gewandelten Umstände. Ob es aber sinnvoll gewesen wäre, um des Einklangs mit dem weiterbestehenden Alt-Güterkollisionsrecht willen auch das IPR der allgemeinen Ehewirkungen nur für „Neuehen“ zu reformieren und in einem weiteren Bereich jahrzehntelang versteinertes und aktuelles Recht nebeneinander anzuwenden, darf man stark bezweifeln. Die für das deutsche IPR gewählte Lösung ist zwar inhaltlich noch das geringste Übel – aber dennoch alles andere als ideal. Mankowski NJW 2019, 465, 470. Ausführlich zu den intertemporalen Problemen des allgemeinen Ehewirkungsrechts Erbarth NZFam 2019, 417, 417 ff. 818 819

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Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

Zusätzlich ist die Situation in Deutschland noch besonders unglücklich, da der Übergang zum europäischen Güterkollisionsrecht zeitlich mit dem kollisionsrechtlichen Nachvollzug der Einführung der „Ehe für alle“ zusammenfiel. Dass im Abstand von nur einem Tag zwei Gesetze zur Änderung derselben Kollisionsnorm (Art. 17b Abs. 4 EGBGB) erlassen wurden,820 deren Reformen sich scheinbar „überkreuzen“, hat zunächst für einige Konfusion gesorgt. Zwar löste sich bei näherem Hinsehen aufgrund der unterschiedlichen Inkrafttretenszeitpunkte alles in Wohlgefallen auf, doch der Übergang hätte gesetzgebungstechnisch deutlich eleganter gestaltet werden können.821 Abgesehen von diesen praktischen, regelungstechnischen Herausforderungen einer Kombination aus Implementierung des EU-IPR auf nationaler Ebene und gleichzeitigen „autonomen“ Änderungen benachbarter Kollisionsrechtsbereiche herrscht in Deutschland für die nächsten Jahrzehnte eine überaus differenzierte Rechtslage. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen verschiedengeschlechtlichen Ehen, gleichgeschlechtlichen Ehen und registrierten Partnerschaften und innerhalb dieser Gruppen jeweils nach vor und ab dem 29.1.2019 eingegangenen Beziehungen – und jede dieser Konstellationen ist nach anderen Kollisionsregeln zu beurteilen. Relevant für verschiedengeschlechtliche Altehen sind nach Art. 229 § 47 Abs. 2 EGBGB abgesehen von den Sondervorschriften des Gesetzes über den ehelichen Güterstand von Vertriebenen und Flüchtlingen (Nr. 1) die Artt. 15, 16 und 17a EGBGB a. F. sowie der ebenfalls abgeschaffte Art. 3a EGBGB a. F. (Nr. 2), aufgrund der Verweisung des Art. 15 Abs. 1 EGBGB a. F. auf das allgemeine Ehewirkungsstatut indirekt auch Art. 14 EGBGB a. F.; für verschiedengeschlechtliche Ehen, die ab dem 29.1.2019 geschlossen bzw. einer Rechtswahl unterstellt wurden, ist dagegen einzig das europäische Ehegüterkollisionsrecht maßgeblich (Art. 69 Abs. 3 GüVO). Dieses gilt auch für gleichgeschlechtliche Neuehen, wie Art. 17b Abs. 4 S. 2 EGBGB ausdrücklich klarstellt. Für vor dem 29.1.2019 geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen bleibt es dagegen güterrechtlich bei der früher im deutschen IPR grundsätzlichen kollisionsrechtlichen Behandlung als Lebenspartner: Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB verweist auf Art. 17b Abs. 4 EGBGB a. F.,822 der die Anwendung der Kollisionsregeln für Lebenspartner in Art. 17b Abs. 1–3 EGBGB a. F. anordnet. Registrierte Partnerschaften werden schließlich, sofern sie vor dem 29.1.2019 registriert wurden, gemäß Art. 229 § 47 Abs. 3 820 Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 17.12.2018 (EuGüVO / EuPartVO-AusfG) und Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.2018 (EheöffnUmsG). 821 Vgl. Erbarth NZFam 2019, 417, 417; Kaiser FamRZ 2019, 845, 851 f.; Mankowski NJW 2019, 465, 471. 822 Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.2018 (EheöffnUmsG).

II. Übergangsphasen: EU-IPR und nationales IPR

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EGBGB nach wie vor nach Art. 17b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, 3 EGBGB a. F. behandelt, nur für (in Deutschland nicht mehr begründbare) Neupartnerschaften oder Lebenspartner, die nach Inkrafttreten der PartVO eine Rechtswahl vorgenommen haben, kommt die PartVO zur Anwendung. Das Gesamtbild dieser intrikaten Verweisungstechnik trägt zwar den parallelen Änderungen der Europäisierung des Güterrechts und der Wandlung der Einstellung des deutschen Rechts gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen stimmig Rechnung. Dass Praxis und Betroffene auf absehbare Zeit diesem hochkomplexen „Schnitzeljagdprinzip“ über mehrere Regelungs- und Zeitebenen hinweg ausgesetzt sind, scheint jedoch mehr als ungünstig. Aber auch beim Übergang von nationaler zu europäischer Regelungsebene zu einem klar definierten Zeitpunkt und ohne jegliche Parallelgeltung können sich unvorhergesehene Schwierigkeiten bei der zeitlichen Anwendung ergeben. Die intertemporale Regelung der ErbVO ist an und für sich einfach: Zu einem eindeutigen Stichtag löst nach Art. 83 Abs. 1 ErbVO das europäische Recht das nationale ab, längere zeitliche Überschneidungen zwischen ErbVO und nationalem Erbkollisionsrecht kann es damit nicht geben. Für die begrenzte Zahl noch nach nationalem IPR abzuwickelnder „Altfälle“ stellen Art. 83 Abs. 2–4 ErbVO die Gültigkeit vor dem Stichtag des Inkrafttretens der ErbVO getroffener, aber durch das Versterben des Erblassers erst nach dem Stichtag zum Tragen kommender und damit in den zeitlichen Anwendungsbereich der ErbVO fallender Erblasserentscheidungen (letztwillige Verfügungen, Rechtswahl) großzügig sicher. Das zugrundegelegte Modell alternativer Anknüpfungen nach nationalem und europäischem Kollisionsrecht führt für die Übergangsphase zu erheblichen Erleichterungen, weil mehr Anknüpfungsoptionen und damit mehr Wirksamkeitsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, als es allein unter dem früheren nationalen Recht bzw. der ErbVO der Fall wäre. Nichtsdestotrotz kann auch der Übergang zur ErbVO in mancher Hinsicht zu überraschenden Ergebnissen führen – so etwa im Hinblick auf grenzüberschreitende Erbverträge. Hier hat das Inkrafttreten der ErbVO bisweilen bereits zu der kuriosen Situation geführt, dass ein vorher geschlossener und ursprünglich unwirksamer Erbvertrag durch das Inkrafttreten der ErbVO sogar geheilt wurde. Als Beispiel mag ein deutsch-italienischer Fall (die erste Entscheidung zur intertemporalen Regelung der ErbVO) dienen.823 Die deutsche Erblasserin schloss im Jahr 1998 mit ihrem damaligen italienischen Lebensgefährten einen Erbvertrag mit wechselseitiger Alleinerbeinsetzung. Das frühere deutsche Kollisionsrecht knüpfte in Art. 25 Abs. 1 EGBGB a. F. hinsichtlich der Rechtsnachfolge von Todes wegen an die Staatsangehörigkeit an, bei Erbverträgen wurde kumulativ deren Zulässigkeit nach dem Heimatrecht aller Beteiligten ge-

823

BGH 10.7.2019 – IV ZB 22/18; dazu Lasthaus IPRax 2020, 532 ff.

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Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

fordert.824 Eine Rechtswahl war nur in den engen Grenzen des Art. 25 Abs. 2 EGBGB a. F. vorgesehen. Dies führte häufig zur Unwirksamkeit grenzüberschreitender Erbverträge – nämlich immer dann, wenn Erbverträge dem Heimatrecht eines der Beteiligten unbekannt waren, so wie in diesem Fall dem italienischen Recht (Art. 458 C.c.).825 Der deutsch-italienische Erbvertrag war also zunächst aus Sicht des deutschen Kollisionsrechts unwirksam. Zum Tragen kam er jedoch erst nach dem Tod der Erblasserin im Jahr 2017 und damit nach dem Inkrafttreten der ErbVO, was eine neue Beurteilung anhand des europäischen Kollisionrechts erforderte. Die ErbVO verfolgt hinsichtlich der Wirksamkeit von Erbverträgen einen anderen Ansatz. Sie legt für nach ihrem Inkrafttreten geschlossene Erbverträge grundsätzlich das (hypothetische) Erbstatut zugrunde und knüpft damit objektiv an den gewöhnlichen Aufenthaltsort der Beteiligten an (Art. 25 ErbVO). Daneben erlaubt Art. 25 Abs. 3 ErbVO die Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts eines Beteiligten als einheitliches Errichtungsstatut; auch eine konkludente Rechtswahl gemäß Art. 22 Abs. 2 ErbVO ist möglich. Damit ermöglicht das europäische Erbkollisionsrecht deutlich einfacher die Wirksamkeit grenzüberschreitender Erbverträge. Diese Großzügigkeit wird in den Übergangsbestimmungen in Art. 83 ErbVO fortgesetzt und noch vertieft. Dahinter steht der Gedanke, bereits vor Inkrafttreten der ErbVO getroffenen letztwilligen Verfügungen größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen (in dubio pro validitate).826 Ermöglicht wird dies durch die alternative Anknüpfung nach Art. 83 Abs. 3 ErbVO: Es müssen lediglich entweder die Voraussetzungen des Kapitels III ErbVO oder die des im Errichtungszeitpunkt geltenden Kollisionsrechts des Aufenthaltsstaats oder des Heimatstaats des Erblassers erfüllt sein. Diese Vielzahl zur Auswahl stehender Anknüpfungen ermöglicht aus nunmehr europäischer Sicht die Beurteilung einer Verfügung von Todes wegen nach dem Erbfall als wirksam, auch wenn sie es bei ihrer Errichtung nach dem damals maßgeblichen nationalen Kollisionsrecht nicht war. Die im Fall bei Abschluss des Erbvertrags unwirksame Wahl des deutschen Rechts als Errichtungsstatut wurde nachträglich geheilt, sodass der Erbvertrag nach deutschem Recht zu beurteilen und als wirksam anzusehen war. Der Wechsel vom nationalen zum europäischen Kollisionsrecht bedeutet also nicht nur eine Erleichterung hinsichtlich der Wirksamkeit neu zu schließender grenzüberschreitender Erbverträge, sondern auch die Möglichkeit einer nachträglichen Heilung bisher unwirksamer Altverträge.827 Die Reaktionen auf diese Entscheidung waren grundsätzlich positiv,828 wenn auch manche spezielle Vgl. Lasthaus IPRax 2020, 532, 533 m. w. N. Siehe Lasthaus IPRax 2020, 532, 533 m. w. N. 826 Lasthaus IPRax 2020, 532, 533. – Siehe insbesondere zur Rechtswahl Rudolf ZfRV 2015, 212, 212 ff.; Schoppe IPRax 2014, 27, 27 ff. 827 BGH 10.7.2019 – IV ZB 22/18, Rn. 20 ff. – Rudolf ZfRV 2015, 212, 217 f. 824 825

III. Übergangsphasen: EU-IPR und Staatsverträge

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Frage offengeblieben ist (herausfordernd ist insbesondere die Konstellation, dass ein am gegenseitigen Erbvertrag Beteiligter vor und der andere nach Inkrafttreten der ErbVO verstirbt)829 und eine europäische Stellungnahme durch den EuGH zur abschließenden Klärung wünschenswert wäre.830 III. Übergangsphasen: Zeitliches Nebeneinander europäischer und völkerrechtlicher Rechtsakte

III. Übergangsphasen: EU-IPR und Staatsverträge

Auch im Verhältnis von europäischem und völkerrechtlichem Kollisionsrecht kann die zeitliche Anwendbarkeit der Instrumente zu Verwerfungen führen. Zwei der zentralen Schwierigkeiten, die sich in intertemporaler Hinsicht ergeben können, lassen sich anhand des HUP verdeutlichen: die Reihenfolge des Inkrafttretens völkerrechtlicher und darauf Bezug nehmender europäischer Rechtsakte und die zeitliche Koordination unterschiedlicher völkerrechtlicher Übereinkommen. Im europäischen Internationalen Unterhaltsrecht hat man zugunsten der Anwendung des HUP, auf das Art. 15 UnthVO schlicht verweist, auf die Schaffung eigener Kollisionsregeln verzichtet (siehe § 4.II.3.b), S. 235 ff.). Allerdings wurde bereits in der Gesetzgebungsphase zu den beiden Rechtsinstrumenten deutlich, dass die Inkraftsetzung für das HUP nicht so schnell wie für die UnthVO würde erfolgen können. Für das Inkrafttreten einer EUVerordnung genügt der erfolgreiche Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens und der Ablauf der Zeit zwischen Verabschiedung und Geltungsbeginn: So wurde die UnthVO am 18.12.2008 verabschiedet und trat am 18.6.2011 in Kraft. Bei einer völkerrechtlichen Konvention ist das Inkrafttreten hingegen zentral vom Erreichen einer bestimmten Anzahl an Beitrittsstaaten abhängig – nach Art. 25 Abs. 1 HUP erlangt das HUP erst drei Monate nach der Hinterlegung der zweiten Ratifikations- bzw. Annahmeurkunde Geltung. Die Ratifikation durch die erforderliche Staatenanzahl kann sich durchaus als langwierig erweisen (wie zahlreiche nur von wenigen Staaten ratifizierte und daher seit Jahrzehnten nicht in Kraft getretene Haager Übereinkommen belegen) und ist schlecht vorhersehbar. Als Hauptproblem für das Inkrafttreten des HUP erwies sich, dass die EU zwar mit Bindungswirkung für alle ihre Mitgliedstaaten (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Dänemarks) dem HUP beitreten konnte,831 ihre Annahme – obwohl sie faktisch 26 Staaten an das HUP band – jedoch nur als „eine“ Ratifikation i. S. d. Art. 25 Abs. 1 HUP zählte. Dass die für das Inkrafttreten des HUP erforderliche Ratifikation durch einen zweiten, Zustimmende Anmerkungen z. B. von Ackermann MittBayNot 2020, 187, 187 ff.; von Bary FamRZ 2019, 1565, 1565; Mankowski ZEV 2019, 541, 541 ff. – Die Entscheidung begrüßt auch Lasthaus IPRax 2020, 532, 532 ff. 829 Vgl. Lasthaus IPRax 2020, 532, 536. 830 Der BGH verzichtete aufgrund der acte clair-Doktrin auf eine Vorlage an den EuGH, BGH 10.7.2019 – IV ZB 22/18, Rn. 32. 828

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Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

notwendigerweise außereuropäischen Staat nicht mehr rechtzeitig vor dem Geltungsbeginn der UnthVO erfolgen würde, war absehbar – die Verweisung auf das HUP in Art. 15 UnthVO drohte damit zunächst leerzulaufen. Die Lösung bot ein eleganter Kunstgriff: In ihrem Beschluss über ihren Beitritt zum HUP erklärte die EU für ihren eigenen Bereich das HUP unabhängig von seinem tatsächlichen Inkrafttreten für ab dem 18.6.2011 vorläufig anwendbar.832 Einer derartigen Bindung der EU-Mitgliedstaaten „nach innen“ bereits im Vorfeld der eigentlichen zeitlichen Anwendbarkeit des Übereinkommens stand völkerrechtlich nichts entgegen – nur für die Bindung der EU „nach außen“ gegenüber Drittstaaten war das Inkrafttreten des HUP selbst maßgeblich.833 Durch diese Vorab-Anwendung standen die Kollisionsregeln des HUP für die EU-Mitgliedstaaten pünktlich zum Inkrafttreten der UnthVO als Bezugspunkt der Verweisung des Art. 15 HUP zur Verfügung. Die Formulierung „sofern das Haager Protokoll von 2007 zu diesem Zeitpunkt in der Gemeinschaft anwendbar ist“ in der intertemporalen Regelung des Art. 76 S. 3 UnthVO spiegelt dieses Verfahren wider. Nach dem Beitritt Serbiens zum HUP und seinem Inkrafttreten aus eigenem Recht zum 1.8.2013 hat sie sich freilich erledigt. Der Mechanismus, den Anwendungsbeginn eines völkerrechtlichen Übereinkommens für den innereuropäischen Bereich vorzuziehen, ist zweifelsohne eine geeignete Lösung in Konstellationen wie der des HUP. Die zeitliche Vorverlagerung ermöglicht eine zuverlässige Bezugnahme europäischer auf völkerrechtliche Instrumente und fördert damit letztlich deren Koordination. Das Fehlen einer derartigen Option könnte hingegen die EU eher davon abhalten, nur auf völkerrechtliche Übereinkommen zu verweisen – um etwaige Lücken durch deren verzögertes Inkrafttreten zu vermeiden, müsste man einen eigenen europäischen Normtext schaffen (der freilich die völkerrechtlichen Vorschriften kopieren könnte). Besteht ein solcher, sinkt aber gleichzeitig der Anreiz für die EU bzw. ihre Mitgliedstaaten, sich an globalen Harmonisierungskonventionen zu beteiligen, erheblich. Es liegt also nicht nur im europäischen, sondern auch im globalen Interesse, dem EU-IPR erforderlichenfalls die Vorab-Anwendung noch nicht in Kraft getretener Übereinkommen für den innereuropäischen Bereich zu ermöglichen. Ideal ist diese Methode gleichwohl nicht. Sie bedeutet, dass zumindest vorübergehend für die Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft, ABl. 2009 L 331, 17. 832 Artt. 4, 5 Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft, ABl. 2009 L 331, 17. – Siehe dazu BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 127; Gruber in: FS Spellenberg, 177, 181. 833 Vgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 36 f. 831

III. Übergangsphasen: EU-IPR und Staatsverträge

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Mitgliedstaaten Regelungen gelten, die nicht aus europäischer Quelle stammen, aber auch noch nicht in Kraft getreten sind. Die Anwendung genuin europäischen Rechts (der UnthVO) hiervon abhängig zu machen, erscheint durchaus fragwürdig.834 Eine technisch einfachere und auch europarechtlich überzeugendere Lösung wäre es, den für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Beitritt der EU zu einem Übereinkommen hinsichtlich dessen Inkrafttreten nicht nur als eine einzige Ratifikation zu behandeln. Es erscheint widersinnig, dass der separate Beitritt weniger Mitgliedstaaten zur Inkraftsetzung einer Konvention ausreichen soll, nicht aber die „gebündelte“ Annahme durch die EU mit Wirkung für deutlich mehr Mitgliedstaaten. Eine Möglichkeit der EU, Übereinkommen allein in Kraft zu setzen, sieht sich zwar angesichts des sich abzeichnenden inhaltlichen und institutionellen Übergewichts der EU bei der Entwicklung neuer Übereinkommen (siehe Teil III: § 8.II.3.b), S. 525 ff.) zunächst einer gewissen Skepsis ausgesetzt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass hinsichtlich der hier in Frage stehenden technischen Ebene die Sorge vor einer einseitigen Verlagerung des Gewichts weltweit konzipierter Konventionen kaum begründet ist. Eine Dysbalance in der weltweiten Kollisionsrechtsvereinheitlichung droht aufgrund eines europäischen Übergewichts bei der Initiative und der inhaltlichen Gestaltung neuer Konventionen. Wenn es um den Zeitpunkt des Inkrafttretens geht, ist dieses Stadium aber bereits abgeschlossen. Es dient dann sogar letztlich allen Beteiligten, wenn das verabschiedete globale Instrument durch eine frühe EU-Beteiligung rasch in Kraft gesetzt werden kann: Das Übereinkommen wird schneller zu „lebendem Recht“. Erste Anwendungserfahrungen und -erfolge können sogar die Anreizwirkung für den zügigen Beitritt weiterer Staaten erhöhen. Die Frage nach der Wertung der Ratifikation durch Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration ist letztlich eine der Grundfragen ihrer Beteiligung an (kollisionsrechtlichen) Übereinkommen. In der Frühphase dieser Entwicklung, aus der das HUP stammt, galt es derartige Fragen zunächst zu identifizieren und pragmatisch zu lösen – für die Zukunft ist allerdings den strukturellen Veränderungen durch Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration als neue völkerrechtliche Akteure institutionell und verfahrensrechtlich Rechnung zu tragen. Auf der technischen Ebene der Rechtsumsetzung dürfte dies vor deutlich geringere Schwierigkeiten stellen als auf der politischen Ebene der Rechtsentwicklung. Andere Schwierigkeiten entstehen dagegen, wenn bestehende völkerrechtliche Instrumente novelliert bzw. durch neue Übereinkommen mit demselben Anwendungsbereich abgelöst werden. Auch dieses Problem wird insbesondere im Unterhaltsrecht virulent, in dem über die Jahrzehnte eine notorisch unübersichtliche Vielzahl bi- und multilateraler völkerrechtlicher Instrumente zum 834

Kritisch Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 42 f.

262

Teil II: § 5 – Exkurs: Intertemporale Anwendung des EU-IPR

Internationalen Privat- und Verfahrensrecht entstanden ist.835 Im Ausgangspunkt sind diese Staatsverträge jeweils nur im Verhältnis der Vertragsstaaten untereinander anwendbar. Treten etwa nur einige der Vertragsstaaten eines Übereinkommens einem neueren Übereinkommen auf demselben Gebiet bei, erfasst letzteres nur ihr Verhältnis untereinander, gegenüber den übrigen Partnern des älteren Übereinkommens bleibt jenes maßgeblich. So ersetzte das HUntÜ 1973 zwischen den an ihm beteiligten Staaten das HUntÜ 1956 (Art. 18 HUntÜ 1973), das HUP wiederum ersetzt im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander die beiden Vorgängerübereinkommen (Art. 18 HUP). Damit bleibt etwa im Verhältnis zu Albanien, Japan, der Schweiz und der Türkei, die zwar am HUntÜ 1973 beteiligt sind, aber das HUP nicht ratifiziert haben, weiterhin das HUntÜ 1973 anwendbar. Im Verhältnis zu Drittstaaten behalten HUntÜ 1956 und HUntÜ 1973 also durchaus noch Geltung.836 Während dieses Prinzip für internationalzivilverfahrensrechtliche Übereinkommen auch heute noch funktioniert, führt es im Kollisionsrecht zu Problemen.837 Die Durchsetzung des loi uniforme-Prinzips in jüngeren Staatsverträgen führt dazu, dass die Vertragsstaaten die Konventions-Kollisionsregeln nicht mehr nur im Verhältnis zu anderen Vertragsstaaten, sondern insgesamt zugrundelegen. Dieses Prinzip stößt sich beim HUP jedoch an der Fortgeltung der Vorgängerübereinkommen gegenüber deren Vertragsstaaten. Einerseits will das als loi uniforme konzipierte HUP (Art. 2 HUP) in seinen Vertragsstaaten die einzige und abschließende Regelung des Unterhaltskollisionsrechts darstellen, andererseits wäre die Anwendung der HUP-Regeln gegenüber den nicht am HUP, aber an einem Vorgängerübereinkommen beteiligten Staaten ein Vertragsbruch. Das HUP nimmt sich daher in Art. 18 HUP selbst zurück, freilich um den Preis einer Kollisionsrechtsspaltung: Seine als universell gestalteten Anknüpfungsregeln sind eben doch nicht ganz universell.838 Zugrunde liegen dürfte die Hoffnung, dass sich in absehbarer Zukunft alle Vertragsstaaten der Vorgängerübereinkommen zur HUP-Teilnahme durchringen können und sich das Problem damit gewissermaßen „auswächst“, doch bis dahin bleibt es beim Nebeneinander unterschiedlicher Kollisionsnormen für unterschiedliche Vertragsparteien. Die alternativen LösungsZu den unterhaltsrechtlichen Staatsverträgen im Überblick z. B. Kropholler / Blobel in: FS Sonnenberger, 453, 458 ff. – Zu ihrem geradezu abenteuerlichen Verhältnis zur UnthVO z. B. Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 42 ff.; Hellner in: von Hein /  Kieninger / Rühl, 205, 209 f. 836 BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 30. – Umfassend zum Verhältnis des HUP zu den Vorgängerübereinkommen Carballo Piñeiro in: Viarengo /  Villata, 385, 385 ff. 837 Zur fehlenden Abstimmung zwischen IPR und IZVR im Unterhaltsrecht Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 44 f. 838 Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 44. – Ausführlich zum Verhältnis von HUP und HUntÜ 1973 Kroll-Ludwigs IPRax 2016, 34, 34 ff. 835

IV. Folgerungen

263

wege einer Anpassung oder Kündigung der Vorgängerübereinkommen839 scheinen noch weniger realisierbar. Diese Problematik ist zwar strenggenommen nicht europäisch, sie wird jedoch durch die Beteiligung der EU am HUP und die Verweisung des Art. 15 UnthVO auf das HUP akzentuiert und trifft alle Mitgliedstaaten gleichermaßen. Bei der Suche nach künftigen Lösungen wird der Position der EU daher ein nicht zu unterschätzendes Gewicht zukommen. IV. Folgerungen IV. Folgerungen

Die intertemporale Dimension der europäischen Kollisionsrechtsakte stellt sich als deutlich weniger problematisch als die Abgrenzung ihrer sachlichen Anwendungsbereiche dar. Klare Regelungen des zeitlichen Anwendungsbereichs bieten eine solide Grundlage für die Beantwortung intertemporaler Fragen. Darauf aufbauend ist die Koordination des EU-IPR mit dem IPR anderer Regelungsebenen grundsätzlich handhabbar, führt allerdings vor allem in der Übergangsphase doch zu gelegentlichen Verwerfungen. Bereits ein überschneidungsfreier Übergang von einem Rechtsakt zum anderen kann in Einzelfällen zu unerwarteten Schwierigkeiten führen, als problemträchtig stellt sich aber insbesondere die parallele Anwendung neuer europäischer und alter mitgliedstaatlicher Regeln über einen längeren Zeitraum hinweg dar. Ein überlanges Nebeneinander der beiden Regelungsebenen wirkt in der Regel zu Lasten der nationalen Kollisionsregeln, die auf dem prä-europäischen Stand „versteinern“ und zunehmend unzeitgemäß wirken. Die inhaltlich bereits per se ungünstige Anwendung eigentlich überholten „Altrechts“ wird noch zusätzlich erschwert, wenn es mit seinem (weiterentwickelten und gegebenenfalls ebenfalls europäisierten) Umfeld im übrigen IPR immer weniger kompatibel ist. So wird die kombinierte Anwendung aktueller, auf das nunmehr geltende (europäische) Güterkollisionsrecht abgestimmter IPR-Regelungen zu den allgemeinen Ehewirkungen mit den unterschiedlichen, noch den status quo ante abbildenden nationalen Güterkollisionsregeln der Mitgliedstaaten die Gerichte noch einige Jahrzehnte lang unerfreulich beschäftigen. Auch unter praktischen Gesichtspunkten ist die Fortgeltung früherer Kollisionsregeln misslich, insbesondere wenn sich ihre Maßgeblichkeit nicht auf den ersten Blick erschließt und ihr Inhalt nur mit einigem Aufwand zu ermitteln ist. Die Hauptleidtragenden sind die Betroffenen, die sich unter Umständen erst nach Jahrzehnten bewusst werden, dass sie noch einem inzwischen überholten Recht unterliegen; abgesehen von einer möglichst frühzeitigen Rechtswahl bestehen kaum Möglichkeiten zur Befreiung aus dieser misslichen Lage. 839 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 70; Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2021) Art. 18 HUP Rn. 10; Kroll-Ludwigs IPRax 2016, 34, 39 f.

264

Teil II: § 6 – Ergebnis Teil II

Auch wenn sich die Anzahl intertemporal problematischer Fälle in Grenzen halten mag: Für die Zukunft sollten die intertemporalen Aspekte der Europäisierung des Kollisionsrechts stärker ins Bewusstsein gerückt und nicht nur als selbstverständliche Nebensache behandelt werden. Die Ablösung nationaler durch europäische Kollisionsregeln und ihr Zeitpunkt sollten im mitgliedstaatlichen IPR ebenso deutlich ersichtlich sein wie die Parallelanwendung europäischer und nationaler Kollisionsregeln über einen längeren Zeitraum und der Inhalt etwa noch fortgeltender „Altnormen“. Neben einer technisch sauberen Gestaltung ist in den Mitgliedstaaten inhaltlich darauf zu achten, dass die fortgesetzte Anwendung ihrer bisherigen Kollisionsregeln nicht auf Dauer zu unerträglichen Brüchen mit den weiterentwickelten Regelungen führt, sondern nach wie vor ein sinnvolles Gesamtgefüge besteht. Unter Umständen könnten hierfür sogar auf europäischer Ebene Vorschläge entwickelt werden. Auch einen praktischen Beitrag zur Vereinfachung intertemporaler Anwendungsfragen könnte die EU leisten, indem sie an zentral zugänglicher Stelle Informationen über die fortgeltenden „Altregelungen“ aller Mitgliedstaaten zur Verfügung stellt. Damit könnten die bei der Ermittlung des früheren Rechtszustands in fremden Rechtsordnungen quasi verdoppelten Schwierigkeiten erheblich reduziert werden. Auf der anderen Seite obliegt es der EU, bei der Ausformung ihrer Rolle als völkerrechtlich tätige Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration auch die intertemporalen Konsequenzen ihrer Beteiligung an Staatsverträgen nicht zu vernachlässigen und bei künftigen Projekten die zeitlichen Aspekte verstärkt in den Blick zu nehmen.

§ 6 – Ergebnis Teil II Teil II: § 6 – Ergebnis Teil II

Mit den europäischen IPR-Verordnungen ist innerhalb kurzer Zeit eine neue Regelungsebene im Kollisionsrecht entstanden. Die EU-Rechtsakte treten zum traditionellen Gefüge aus nationalen IPR-Systemen und multi- und bilateralen Staatsverträgen hinzu. Sie bilden dabei allerdings keine hierarchisch eindeutig zwischen nationalem und völkerrechtlichem Recht verortete „Zwischenebene“: Zwar ist das EU-IPR gegenüber dem nationalen IPR klar vorrangig, sein Verhältnis zu bestehenden Staatsverträgen ist dagegen komplexer und muss im Einzelfall determiniert werden. In jedem Fall stellt sich die grundsätzliche Frage nach seiner Reichweite. Ausgangspunkt dabei ist stets der eigene Geltungsanspruch des EU-Kollisionsrechts. Es etabliert seinen (insbesondere sachlichen) Anwendungsbereich selbst, der im Text der jeweiligen Rechtsinstrumente umrissen und durch deren Auslegung aus europäischer Perspektive näher auskonturiert wird. Die Folge sind häufig unerwartete und weitreichende Konsequenzen für die als „Kehrseite der Medaille“ betroffenen anderen Regelungsebenen.

IV. Folgerungen

265

Hierarchisch ist das Verhältnis des EU-IPR zum nationalen IPR klar. Die als Unionsrecht vorrangigen EU-Verordnungen verdrängen in ihrem Anwendungsbereich das nationale Kollisionsrecht. Durch den Übergang von nationalen zu europäischen Qualifikationsentscheidungen kommt es zu Verschiebungen bei der Abgrenzung der kollisionsrechtlichen Statute. Der Tendenz zu einem europafreundlich weiten Zuschnitt seitens des Gesetzgebers und der Auflösung von Abgrenzungsschwierigkeiten „in dubio pro EU“ durch den EuGH steht eine bewusste Zurückhaltung des europäischen IPR in rechtspolitisch heiklen, aber grundlegenden Fragen gegenüber. Motiviert sind diese autonom auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen durch europäische Interessen, insbesondere die Ermöglichung und Effizienz der EUKollisionsrechtsvereinheitlichung. Jede positive oder negative Entscheidung zur Ausformung des EU-IPR betrifft allerdings zwangsläufig indirekt auch das damit verknüpfte nationale Kollisionsrecht: Die Zuweisung zum bzw. Wegweisung vom Anwendungsbereich einer bestimmten Verordnung ist gleichzeitig eine Wegweisung vom bzw. Zuweisung zum nationalen IPR (inzwischen zunehmend auch: einem anderen europäischen Rechtsakt).840 Die weitreichenden Reperkussionen dieser Entscheidungen für das technisch unberührt gebliebene nationale Kollisionsrecht, das die durch die Integration der EU-Rechtsakte in das nach wie vor grundsätzlich mitgliedstaatliche IPRGesamtsystem aufgeworfenen Abstimmungs- und Koordinationsfragen beantworten muss, werden kaum berücksichtigt. Zudem bedeutet die strikte Hierarchie eine strukturelle Unterlegenheit des nationalen Kollisionsrechts. Das Problem mangelnder Widerstandsmöglichkeiten gegenüber dem EU-IPR ist um so gravierender, wenn es letztlich rein technisch bedingt ist. Paradebeispiel dafür ist die zugunsten des europäischen Internationalen Erb- und Güterrechts zu beobachtende Zurückdrängung des Internationalen Sachenrechts: Formal handelt es sich dabei um eine Domäne des nationalen IPR, inhaltlich ist jedoch die lex rei sitae zwischen allen Mitgliedstaaten konsentiert und wird teils sogar als Teil des europäischen acquis commun betrachtet.841 Allerdings kann sie dem bereits formell europäisierten Kollisionsrecht nicht auf Augenhöhe gegenübertreten, sondern als Teil des nationalen IPR der Einhegung durch das europäische Verständnis keine adäquaten Abwehrmechanismen entgegensetzen. Prägnant Laukemann in: FS Schütze, 325, 338: „Denn immer dort, wo unionsrechtlich harmonisierte und mitgliedstaatlich autonome Kollisionsrechte aufeinanderstoßen, tritt ein struktureller Qualifikationskonflikt zu Tage. […] Freilich ergibt sich dieser Wirkungszusammenhang zwangsläufig immer dort, wo der Anwendungsbereich eines EURechtsaktes – gerade unter dem Blickwinkel des effet-utile-Grundsatzes – „überhängend“ ausgelegt und insoweit die Qualifikationshoheit der Mitgliedstaaten über ihr autonomes Kollisionsrecht sowie ggf. die Geltung ihres Sachrechts zurückgedrängt werden.“ 841 So etwa Buschbaum / Kohler GPR 2010, 106, 109. – Skeptisch dagegen Martiny IPRax 2012, 119, 122. 840

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Teil II: § 6 – Ergebnis Teil II

Dass lediglich andere europäische Regelungen eine Chance haben, sich gegenüber den europäischen Normen und ihrem weiten Geltungsanspruch zu behaupten, ist in mehrerer Hinsicht misslich und schadet auch der weiteren Entwicklung des EU-IPR. Zunächst wird die positive Wirkung faktisch bereits vorhandener Konsensregeln erheblich beschränkt, wenn ihr Anwendungsbereich aufgrund der Ausübung technischen Vorrangs beschnitten wird; damit droht sich auch der eigentlich erhoffte Nebeneffekt der schrittweisen Europäisierung, die Annäherung der mitgliedstaatlichen Rechte auch in anderen Bereichen zu befördern, zu konterkarieren. Gleichzeitig beengt das einseitig motivierte, ausdehnende Verständnis der bereits vorhandenen EURechtsakte den Aktionsraum für weitere Vereinheitlichungsschritte. Die entstehende Dysbalance zwischen den zunächst zu europäischen Gunsten abgegrenzten Statuten droht sich schließlich bei späterer (Voll-)Harmonisierung in einem Ungleichgewicht zwischen „früher“ und „später“ auf die EU-Ebene überführten Statuten zu perpetuieren. Als einzig sinnvolle Lösung erscheint die Auflösung des Ebenengefälles durch die möglichst rasche Überführung auch der mit dem bereits bestehenden EU-IPR verquickten Anknüpfungsregeln auf die europäische Ebene.842 Es ist bezeichnend, dass – in Abkehr von der ursprünglichen Haltung, eine formelle Harmonisierung sei aufgrund des bereits bestehenden faktischen Konsensens wenig dringlich oder gar überflüssig – die Bemühungen zur Europäisierung des Internationalen Sachenrechts in jüngerer Zeit Fahrt aufgenommen haben.843 Will man diesen Ansatz allerdings konsequent und für alle mehr oder weniger stark mit bestehendem EUIPR zusammenspielenden Kollisionsregeln verfolgen, wird man um eine Vollvereinheitlichung kaum herumkommen. Eine andere Dimension hat die Koordination des supranationalen EU-IPR mit internationalen Kollisionsregeln. Anstelle eines schlichten Hierarchieverhältnisses besteht hier ein komplexes Geflecht aus Regelungen von unterschiedlicher räumlich-persönlicher und sachlicher Reichweite. Das nach wie vor bestehende Informationsdefizit bezüglich existierender Staatsverträge der Mitgliedstaaten ist ein großes Hindernis bei der Planung und Anwendung europäischer Kollisionsrechtsakte; Abhilfe schaffen könnte der Aufbau einer umfassenden Informationsplattform auf europäischer Ebene. Auf Grundlage 842 So für das Sachenrecht bereits Rupp in: Heindler, 309, 336 ff.; Rupp EPLJ 7 (2018), 267, 291. 843 Siehe den Verordnungsentwurf der Groupe européen de droit international privé (GÉDIP), The law applicable to rights in rem in tangible assets, Provisional draft, 31.10.2020, abrufbar unter sowie die Arbeiten der 2021 gegründeten Working Group (Project on a future European Regulation on International Property Law) der European Association of Private International Law. – Für eine zügige europäische Kodifikation des Internationalen Sachenrechts z. B. Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 739; Kieninger IPRax 2017, 200, 203 f.; Kieninger in: FS Coester-Waltjen, 469, 469 ff.

IV. Folgerungen

267

der völkerrechtlichen Pflicht zur Achtung bestehender vertraglicher Bindungen entwickelt das EU-IPR differenzierte Koordinationsmechanismen für seinen Umgang mit der Pluralität staatsvertraglicher Kollisionsregeln. Für die Mehrzahl der Staatsverträge kommt es zu einer Koexistenz, die Koordinationsprobleme beim Zusammentreffen staatsvertraglicher Regelungen mit dem im Übrigen maßgeblichen EU-IPR auslösen kann. Zu konstatieren sind insgesamt ein Fokus auf europäische Interessen, eine gegenüber bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten tendenziell negative Grundeinstellung und – insbesondere bei einer europäischen Unterstützung bzw. Beteiligung hinsichtlich völkerrechtlicher Konventionen – ein starkes Gewicht der EU bei der Ausgestaltung und Auslegung der Übereinkommen. Ihrer großen Verantwortung als Schlüsselakteurin muss die EU sich ebenso bewusst sein wie der diesbezüglich potentiell kritischen Haltung der beteiligten Drittstaaten. Festzuhalten ist damit zunächst, dass das europäische Kollisionsrecht ausgehend von der grundsätzlichen Bestimmung seines Anwendungsbereichs und den Strukturvorgaben für das Zusammenspiel der Ebenen sein Verhältnis zum nationalen respektive völkerrechtlichen IPR unterschiedlich gestalten muss. Während gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht insbesondere durch Qualifikationsentscheidungen die sachliche Reichweite des hierarchisch vorrangigen EU-IPR bestimmt wird, kommt es bei der Abgrenzung gegenüber dem Völkerrecht primär auf formelle Aspekte wie die zeitliche Reihenfolge der Rechtsinstrumente und die beteiligten Staaten an. Die Wirkungen und Herausforderungen der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung für die jeweils andere Regelungsebene sind damit verschieden gelagert. In beiden Konstellationen geht jedoch der Effekt der Europäisierung weit über das hinaus, was die punktuellen EU-Verordnungen auf den ersten Blick vermuten lassen. Dabei obliegt die Integration neuer europäischer Regelungen in das bestehende Gefüge des IPR und die Koordination der gemeinsamen Anwendung von Kollisionsregeln unterschiedlicher Genese quasi ausschließlich den mitgliedstaatlichen Rechtsanwendern. Bereits die Bestimmung des jeweiligen Anwendungsbereichs der europäischen Kollisionsrechtsverordnungen kann massive Folgewirkungen für die anderen Regelungsebenen entfalten und hat damit weit größere Bedeutung als eine reine Um- und Abgrenzungsfunktion. Als um so problematischer erweist sich, dass (insbesondere in der Beziehung von nationalem und europäischem Kollisionsrecht, aber auch gegenüber bestehenden Staatsverträgen) die Entscheidungen über die Abgrenzung zwischen den Regelungsebenen ausschließlich auf europäischer Ebene getroffen werden. Für die verbindliche Auslegung des EU-IPR ist einzig der EuGH im Rahmen von Vorlageverfahren zuständig. Offene Fragen können daher oft erst nach längerer Zeit geklärt werden, wobei häufig unklar bleibt, inwieweit die auf speziell gelagerte Fallkonstellationen begrenzten EuGH-Entscheidungen verallgemeinerbar bzw. auf andere EU-Rechtsakte übertragbar sind. Die dadurch anhaltende Unsi-

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Teil II: § 6 – Ergebnis Teil II

cherheit bindet durch teils erbittert geführte Debatten erhebliche Kräfte und schadet dem Ansehen und der Überzeugungskraft der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung. Außerdem berücksichtigt die europäische Position des EuGH vorrangig die Bedürfnisse des EU-Rechts und trägt den Positionen des mitgliedstaatlichen Rechts nur bedingt Rechnung – er entscheidet nicht ganzheitlich über die Koordination der Regelungsebenen, sondern lediglich einseitig über das Anwendungsbegehren und die Interpretation der europäischen Normen. Auch bei der europäischen Gesetzgebung (teils bewusst) offengelassene Fragen werden dadurch bei der nachgelagerten Konfliktkösung grundsätzlich im europäischen Interesse entschieden. Die offenkundige Europäisierung des Kollisionsrechts durch die Verabschiedung unionsrechtlicher Rechtsinstrumente wird so im Laufe der Zeit „schleichend“ verstärkt und erweitert. Die regelmäßige Vernachlässigung anderer Interessen bei Entscheidungen aus rein europäischer Perspektive manifestiert sich vor allem bei der Beantwortung nachträglich auftretender Qualifikationsfragen, bei der das Muster eines europäisch-autonom weiten Verständnisses der Anwendungsbereiche der EU-Verordnungen und der unter das europäische IPR zu subsumierenden Sachverhalte zutage tritt. Zusätzlich kann auch die „simple“ Zuordnung einer Rechtsfrage zum Anwendungsbereich eines EU-Kollisionsrechtsakts (oder eben nicht) vor gravierende Probleme stellen und weitreichende, teils bei dieser Entscheidung nur unzureichend bedachte oder schlicht noch überhaupt nicht absehbare Folgen zeitigen. Um Fehleinschätzungen der nationalen Rechtsanwender von vornherein zu vermeiden, wären Hilfestellungen in Form deutlicher europäischer Interpretationsleitlinien oder einer frühzeitigen, gegebenenfalls von konkreten Verfahren unabhängigen Möglichkeit zur Klärung offener Streitpunkte wünschenswert.844 Umgekehrt ist auch die gelegentlich anzutreffende Zurückhaltung des EUIPR primär von europäischen Motiven getragen. Gegenüber dem nationalen IPR soll der (vorläufige) Verzicht auf eine europäische Regelung politisch streitiger Aspekte die Vereinheitlichung im Übrigen vorantreiben, zugunsten des völkerrechtlichen IPR verzichtet die EU auf eigene Regelungen nur dann, wenn die existierenden oder geplanten Konventionen ihren Vorstellungen entsprechen. Diese EU-Lastigkeit der Konfliktlösung erweist sich in mehrerer Hinsicht als problematisch. Auch wenn sie nur für die Mitgliedstaaten verbindlich ist, kann sie den Widerstand drittstaatlicher Vertragspartner wecken und langfristig die Bereitschaft zur staatsvertraglichen Kooperation mit der EU schmälern. Gleichzeitig droht sie bei fortschreitender Europäisierung die spätere Abgrenzung innerhalb der europäischen Ebene einseitig zu präjudizieren. Auch erweist sich die Aussparung problematischer Fragen vom EU-IPR, wenn keine Einigung erzielt werden kann, als auf lange Sicht wenig förder844

Vgl. J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 14, 20.

IV. Folgerungen

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lich. Der Preis eines lückenhaften EU-IPR, in dem neuralgische Punkte unharmonisiert und damit nach wie vor dem divergierenden nationalen IPR überlassen bleiben, mag zur Ermöglichung einzelner Rechtsakte gerechtfertigt sein. Diese aus dem Völkerrecht stammende Technik stößt jedoch mit der wachsenden Zahl europäischer Rechtsakte rasch an ihre Grenzen: Gerade in heiklen Grundsatzfragen wäre eine europäische Lösung dringend erforderlich, damit die Vereinheitlichung nicht durch die unterschiedlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten unterminiert wird und die Kohärenz des wachsenden europäischen Systems gewahrt bleibt. Hinzu kommt, dass hierdurch häufig den vehement vertretenen Positionen einzelner Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden soll, die immer wieder einerseits durch eine Blockadehaltung („deal breaker“) erheblichen Einfluss ausüben und sich andererseits an den schließlich mit Zugeständnissen an sie verabschiedeten Rechtsakten doch nicht beteiligen.845 Dieses primär rechtspolitische Problem wird sich freilich auf absehbare Zeit wohl nicht lösen lassen. Die neue, zusätzliche Ebene des europäischen Kollisionsrechts muss zwangsläufig eine gewisse Verdrängungswirkung gegenüber den bisherigen Regelungsebenen des nationalen und des völkerrechtlichen IPR entfalten. Sie kann jedoch weitgehend selbständig über die Reichweite ihrer Anwendung entscheiden, Konflikte werden regelmäßig durch europäische Organe zugunsten der im Einzelfall aus europäischer Warte günstigsten Lösung entschieden. Der großen Verantwortung, die sie gerade aufgrund des Fehlens übergeordneter Kontrollinstanzen gegenüber den Mitgliedstaaten, drittstaatlichen Vertragspartnern und sich selbst im Hinblick auf die künftige Weiterentwicklung des europäischen Kollisionsrechts trägt, wird die EU dabei nicht immer gerecht. Vielmehr tritt das EU-IPR wie ein Bulldozer auf, dessen Rechtsakte sich ohne Rücksicht auf Verluste immer stärker in das bisherige Kollisionsrechtsgefüge hineindrängen. Das nationale und das völkerrechtliche Kollisionsrecht müssen diese Entwicklung weitgehend machtlos hinnehmen – und dafür ihre teils weitreichenden Folgen bewältigen. Grundsätzlich lässt jeder EU-Rechtsakt zwar außerhalb seines Anwendungsbereichs liegende Regelungen unberührt. Doch durch das immer enger werdende und weiter reichende Netz europäischer IPR-Verordnungen einerseits und die engen Verknüpfungen der europäisch geregelten Statute mit den anderen Regelungsebenen verbliebenen benachbarten Gebieten reicht der Einfluss der Europäisierung weit über ihren nominellen Bereich hinaus und bringt das bisher austarierte Gefüge des kollisionsrechtlichen Systems in Wanken. Den Auswirkungen der Europäisierung des Kollisionsrechts auf national bzw. staatsvertraglich geregelt gebliebene Gebiete spürt der folgende Teil (Teil III) nach.

845 Vgl. für die Verstärkte Zusammenarbeit bei den güterrechtlichen Verordnungen Dutta YbPIL XIX (2017/18), 145, 157.

Teil III

Wirkungen des EU-Kollisionsrechts – Einfluss der EU-Rechtsakte auf mitgliedstaatliches und völkerrechtliches IPR Teil III: Wirkungen des EU-Kollisionsrechts

Bereits hinsichtlich seiner unmittelbaren Reichweite hat sich das EU-IPR als deutlich wirkmächtiger als erwartet erwiesen. Die europäisch-autonome Bestimmung des Anwendungsbereichs der einzelnen Kollisionsrechtsakte und ihr hierarchischer Vorrang drängen das mitgliedstaatliche IPR einerseits massiv und in unerwarteter Weise zurück und überlassen ihm andererseits nach wie vor die Beantwortung komplexer Einzelfragen innerhalb grundsätzlich europäisch geregelter Bereiche. Auch im Verhältnis zum staatsvertraglichen IPR dominiert die EU. Koordinationsmechanismen sind, soweit völkerrechtliche Verpflichtungen es zulassen, durch europäische Ziele und Vorstellungen geprägt, insbesondere die bestehenden Staatsverträge der Mitgliedstaaten werden als lästige Störelemente im europäischen Modell betrachtet. Formal treten die europäischen Verordnungen auf begrenztem Gebiet neben das im Übrigen unberührt bleibende IPR der anderen Regelungsebenen – faktisch hängt aber bereits die Reichweite ihrer direkten Wirkung wesentlich vom eigenen Anwendungswillen des EU-IPR ab, das nationales und staatsvertragliches IPR zur Akkommodation zwingt. Dabei zeichnen sich indirekte Wirkungen der Europäisierung ab, deren Tragweite im Vorfeld der Implementierung der einzelnen Rechtsakte kaum abzusehen ist. Die Integration der immer zahlreicheren europäischen Kollisionsregeln und ihre Koordination mit dem weiterhin geltenden Regelbestand obliegt einzig dem nationalen und völkerrechtlichen Kollisionsrecht – und erweist sich als immer größere Herausforderung. Denn Anknüpfungsregeln existieren stets als Teil eines Gesamtsystems: Auch die Überführung einzelner Bereiche auf die europäische Ebene kann nicht isoliert erfolgen, sondern bedeutet zwangsläufig Reperkussionen auch für das formal unverändert weiterbestehende kollisionsrechtliche Umfeld. Die Reaktionen des mitgliedstaatlichen und des staatsvertraglichen IPR in den ihnen verbleibenden, an das EU-IPR angrenzenden bzw. damit konkurrierenden Bereichen gilt es daher zu analysieren. Zu hinterfragen ist, in welcher Weise sich auch jenseits der Grenzen der EU-Rechtsakte eine Europäisierung des Kollisionsrechts manifestiert und wie weit der Einfluss des EU-IPR reicht.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Die Untersuchung des mitgliedstaatlichen IPR konzentriert sich auf die technischen und inhaltlichen Spielräume, die ihm die immer zahlreicheren EU-Rechtsakte und die aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Vorgaben für die Weiterentwicklung eigenen nationalen Kollisionsrechts noch belassen (dazu § 7). Für das Völkerrecht stehen einerseits die Fragen der weiteren Anwendung bestehender Staatsverträge in einem zunehmend europäisch geprägten Umfeld, andererseits die Entwicklungsmöglichkeiten angesichts des immer stärkeren europäischen Einflusses im Zentrum (dazu § 8). Schließlich ist ein kurzer Blick auf die Wirkungen zu richten, die die Schaffung europäischer Kollisionsregeln für das eng mit dem IPR verflochtene Internationale Zivilverfahrensrecht und das materielle Recht zeitigen kann (dazu § 9.). Anhand der Erkenntnisse zum rechtstechnischen (dazu § 7.I., § 8.I.) und rechtspolitischen (dazu § 7.II., § 8.II.) Einfluss der bisherigen Europäisierung auf die aktuellen und künftigen Konzeptionen der anderen Regelungsebenen lässt sich beurteilen, inwieweit man tatsächlich von einer auf einzelne Rechtsakte begrenzten Kollisionsrechtsharmonisierung durch die EU sprechen kann.

§ 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Soweit sie vorrangige Geltung beanspruchen, verdrängen die EU-Verordnungen das nationale IPR: Die europäischen Anknüpfungsregeln werden unmittelbar Teil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, deren bisherige Regelungen werden obsolet. Grundsätzlicher und offensichtlicher Effekt dieser Ablösung ist, dass die mitgliedstaatlichen Kollisionsrechtsordnungen mit wachsender Zahl europäischer Rechtsakte immer mehr zur „Schrumpfmaterie“ werden.1 Schon bei der dem nationalen Recht überlassenen technischen Umsetzung zeigen sich jedoch erhebliche Unterschiede. Zwischen unverändertem Fortbestand mit schlichter Nichtanwendung der überlagerten nationalen Regelungen und vollständigen, ersatzlosen Streichungen im Gesetzestext stehen die Lösungsansätze deklaratorischer Verweisungen auf das EU-IPR und (vorsorglicher) Auffangregelungen.2 Schon deswegen ist der Annahme, dass die Wahl des Rechtsinstruments Verordnung die nationalen Gesetzgeber entlastet,3 nur bedingt zuzustimmen. Vgl. etwa Heindler ZfRV 2019, 264, 264 ff.; Henrich in: FS Spellenberg, 195, 195 ff.; Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 277; R. Wagner ZfRV 2019, 275, 275 ff. – Plastisch Mankowski in: FS Schurig, 159, 168: „Das nationale IPR muss sich in die Bereiche flüchten, in denen es noch keine EU-Regelung gibt, und muss sich ansonsten in die Lücken quetschen, welche EU-Regelungen bestehen lassen.“ – Nach wie vor ein wesentliches Einsatzgebiet für das nationale IPR sieht Jayme IPRax 2017, 179, 179 ff. 2 Vgl. z. B. Mankowski NJW 2019, 465, 467; Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 93 ff. – Zu den verschiedenen Umsetzungs- bzw. Integrationstechniken rechtsvergleichend Campiglio RDIPP 2018, 292, 292 ff. 1

IV. Folgerungen

273

Die eigentliche Integrationsarbeit ist aber durch die übrigen, (noch) nicht europäisierten Teile des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechtssystems zu leisten. Das nationale IPR muss seine verbliebenen Kollisionsregeln mit dem wachsenden Bestand europäischer Anknüpfungsregeln koordinieren.4 Dabei ist die schrittweise Europäisierung durch voneinander unabhängige Rechtsakte eine zusätzliche Herausforderung, da sie den Mitgliedstaaten die fortwährende Anpassung ihres Kollisionsrechts abverlangt. Dessen Aufgabe beschränkt sich zunehmend auf die Füllung der innerhalb der und zwischen den europäischen IPR-Verordnungen gelassenen geplanten und ungeplanten Lücken, die aber wie gesehen teils wichtige und rechtspolitisch schwierige Aspekte betreffen. Die unterschiedlichen dafür genutzten Mechanismen sind insbesondere mit Blick darauf zu untersuchen, ob und inwieweit von den Entscheidungen des europäischen Gesetzgebers – vor allem in bereits europäisierten Statuten benachbarten Gebieten – eine Sogwirkung ausgeht und die Teilvereinheitlichung gewissermaßen „überschießende Wirkung“ entfaltet.5 Gleichzeitig werden auch in größeren, prima facie unangetasteten Bereichen die nach wie vor maßgeblichen mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln immer häufiger einer Überprüfung am Maßstab der unionsrechtlichen Grundfreiheiten unterzogen. Diesbezügliche europäische Wertungsentscheidungen sind zwar nicht Teil des EUIPR, aus dem Primärrecht bildet sich aber inzwischen eine wesentliche inhaltliche Einflusslinie für das nationale IPR. Das Problem der nur sukzessiven Ausformung der Vorgaben wird hier durch ihre unklaren Grenzen und ihre nicht spezifisch kollisionsrechtliche Ausrichtung noch verschärft. Diesen indirekten Folgen der Europäisierung widmen sich die nächsten Abschnitte. Insbesondere am Beispiel der Reaktionen des deutschen Kollisionsrechts wird untersucht, wie weit die EU-Verordnungen auch in die dem nationalen IPR belassenen Bereiche hineinwirken (dazu I.). Anschließend wird Entstehung, Wirkungsweise und Grenzen des Einflusses der Grundfreiheiten auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht nachgespürt (dazu II.). Die Analyse der weitreichenden Effekte europäischer Verordnungen und Vorgaben erlaubt eine Einschätzung, inwieweit Anwendung und Weiterentwicklung So R. Wagner IPRax 2019, 185, 192. Zur Einbettung der europäischen IPR-Verordnungen in das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht im vergleichenden Überblick Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 61 ff. – Die Reaktionen des deutschen Kollisionsrechts auf die Europäisierung skizziert aus der Perspektive des Deutschen Rats für IPR von Hein in: von Hein / Kieninger / Rühl, 111, 111 ff. 5 Zu möglichen Strategien des mitgliedstaatlichen IPR Meeusen in: von Hein /  Kieninger / Rühl, 61, 83 ff. – Zu den „Fernwirkungen“ der Europäisierung etwa CoesterWaltjen FamRZ 2013, 170, 170 ff. (anhand des Internationalen Familienrechts); Überlegungen zu Rechtsquellenpluralismus und nationalen Reaktionen auf die Europäisierung im IPR bei R. Wagner ZfRV 2019, 275, 275 ff. – Auf entsprechende Effekte im IZVR weist Schack in: von Hein / Rühl, 279, 296 hin. 3 4

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

des nationalen IPR überhaupt noch unabhängig von europäischen Vorstellungen möglich sind. I.

Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EU-Rechtsakte

I. Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EU-Rechtsakte

Die Überführung einzelner Kollisionsrechtsgebiete in europäische Verordnungen lässt grundsätzlich alle anderen Anknüpfungsregeln unberührt. Die schrittweise Ablösung durch EU-Rechtsakte bedeutet freilich nicht, dass das nationale IPR im Übrigen unverändert bestehen bleibt. Eine „Versteinerung“ der mitgliedstaatlichen IPR-Ordnungen auf ihrem Stand beim Beginn der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung ist weder sinnvoll noch beabsichtigt. Vielmehr müssen sich auch die verbliebenen mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln dynamisch weiterentwickeln können. Wesentliche Impulse dafür kommen von der europäischen Ebene. Zum einen existieren wie gesehen zahlreiche, teils praktisch wichtige Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich der europäischen Kollisionsrechtsakte – die Schließung dieser Lücken obliegt dem nationalen IPR. Zum anderen interagieren die europäisch geregelten Statute mit benachbarten, mitgliedstaatlich verbliebenen Bereichen. In beiden Fällen kann die unveränderte Beibehaltung der nationalen Anknüpfungsregeln zu Kompatibilitätsproblemen mit dem neuen EU-Regime führen – für die einzig und allein die nationale Ebene Lösungen liefern kann und muss. Die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber sind also gut beraten, bei jedem Europäisierungsschritt auch die mit den neuen EU-Regelungen zusammenspielenden nationalen Kollisionsregeln zu überprüfen und gegebenenfalls zu reformieren. Auch das prima facie unberührte nationale IPR muss auf die Europäisierung reagieren. Eindrücklich demonstriert dies das deutsche IPR. Seit der Verabschiedung der ersten europäischen Kollisionsrechtsverordnungen im Jahr 2007 hat es im EGBGB zahlreiche, meist punktuelle Änderungen gegeben. Alle diese Reformen sind direkt oder indirekt durch die Europäisierung angestoßen: Sie dienen der Implementierung der EU-Verordnungen in das deutsche Kollisionsrecht, der Anpassung der verbliebenen nationalen Anknüpfungsregeln an ihr verändertes Umfeld und insbesondere der Schließung der im EU-IPR gelassenen Lücken. Das deutsche IPR illustriert dabei die gesamte Bandbreite der Mechanismen, die den nationalen Gesetzgebern zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung stehen. Sie lassen sich nach dem Grad der Offensichtlichkeit ihrer europäischen Inspiration klassifizieren. Die Option einer eigenen, vom EU-IPR unabhängigen mitgliedstaatlichen Regelung kann entweder durch die (bewusste) unveränderte Beibehaltung der nationalen Anknüpfungsregeln oder durch die Neuschaffung von Kollisionsnormen auf nationaler Ebene verwirklicht werden (dazu 1.). An den wesentlichen Grundsätzen und Grundprinzipien der europäischen Rechtsakte orientierte Reformen des nationalen IPR sind inzwischen nicht mehr nur für kleinere vom EU-IPR

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ausgesparte bzw. direkt daran angrenzende Bereiche, sondern auch darüber hinaus zu beobachten (dazu 2.). In manchen Fällen verzichtet der nationale IPR-Gesetzgeber sogar auf eine inhaltlich eigene Regelung und ordnet schlicht – umfassend oder mit Modifikationen – die entsprechende Anwendung der europäischen Anknüpfungsregeln an (dazu 3.). Diese unterschiedlichen Mechanismen werden im Folgenden anhand des EGBGB vorgestellt und auf ihre Vorzüge und Nachteile untersucht. Im Zentrum steht dabei einerseits das Ausmaß des europäischen Einflusses, andererseits die langfristige Wirkung dieser Umsetzungstechniken auf die Weiterentwicklung des nationalen und europäischen Kollisionsrechts. 1. Eigene Regelungen im mitgliedstaatlichen IPR Grundsätzlich bleiben alle nicht von der Europäisierung erfassten Kollisionsrechtsfragen dem nationalen IPR überlassen – die Lücken im EU-IPR sind durch die Mitgliedstaaten zu schließen. Damit bleibt es in den von den Kollisionsrechtsverordnungen unberührten Gebieten zunächst bei der unveränderten Anwendung der mitgliedstaatlichen Anknüpfungsregeln. Diese kann sich allerdings gerade bei nur kleineren Aussparungen vom Anwendungsbereich des EU-IPR langfristig als nachteilig erweisen, wie die Beispiele der Forderungsabtretung und der deliktsrechtlichen Ausnahmen für Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Atomhaftung zeigen (dazu a)). Alternativ dazu steht es den Mitgliedstaaten frei, die Lücken der europäischen Regelungen durch bewusste eigene Neuregelungen im nationalen IPR zu schließen, wie das Internationale Stellvertretungsrecht Deutschlands und Polens illustriert (dazu b)). Zu konstatieren ist allerdings in beiden Szenarien, dass das nationale Untätigbleiben bzw. Tätigwerden stark durch den Blick auf die europäischen Regelungen und Gesetzgebungsvorhaben geprägt ist: Ein europäischer Einfluss ist auch bei den rein nationalen Regelungen zu verzeichnen. a) Beibehaltung bisheriger mitgliedstaatlicher Regelungen Die auf den ersten Blick einfachste Reaktionsmöglichkeit des nationalen IPR auf die Überführung bestimmter Kollisionsrechtsbereiche in europäische IPRVerordnungen besteht im Nichtstun. In seinem Anwendungsbereich kommt das vorrangige EU-IPR zum Zuge, im Übrigen bleibt es schlicht bei den bisherigen nationalen Regeln inklusive etwaiger völkerrechtlicher Bindungen. Abgesehen von der Option einer Verschlankung der nationalen Kodifikation durch Streichung der vollständig durch das EU-IPR abgelösten und damit obsolet gewordenen Regelungen besteht grundsätzlich kein Handlungsbedarf. Die Europäisierung zwingt gerade nicht dazu, von ihr unberührte nationale Kollisionsregeln zu ändern, vielmehr werden die bisherigen nationalen Regeln und Lösungsansätze gerade beibehalten.

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Für diese Technik einer Beibehaltung des status quo, die mangels anderweitigen Tätigwerdens des nationalen Gesetzgebers grundsätzlich eingreift, gibt es zahlreiche Beispiele in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. So lassen viele Mitgliedstaaten ihre vor dem Inkrafttreten der Rom I-VO geschaffenen Kollisionsregeln zum Internationalen Stellvertretungsrecht unverändert weiterbestehen (z. B. Österreich, § 49 öIPRG; Spanien, Art. 10 Abs. 11 Cód. civ.). Diese müssen zwar nunmehr mit dem der Rom I-VO unterliegenden übrigen Internationalen Schuldvertragsrecht koordiniert werden, bleiben aber in sich unangetastet. Ebenso hat die Mehrzahl der Mitgliedstaaten, so auch Deutschland, ihre verbliebenen nationalen Deliktskollisionsregeln nach Inkrafttreten der Rom II-VO inhaltlich unverändert beibehalten.6 Die Rom III-VO hat beispielsweise in Österreich nicht zu einer Veränderung der Anknüpfungsregeln für von ihr nicht erfasste Scheidungen (insbesondere Privatscheidungen) geführt, auf die unverändert § 20 öIPRG maßgeblich ist.7 Die beiden wohl bekanntesten und gleichzeitig problematischsten Fälle im deutschen IPR sind bereits seit der Frühphase der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung wohlbekannt: Einerseits das IPR der Drittwirkung von Forderungsabtretungen, andererseits die auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Nuklearschäden anwendbaren Kollisionsregeln. aa) Forderungsabtretung, Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Nukleardelikte Da die Rom I-VO keine Regelung zur Drittwirkung von Forderungsabtretungen enthält, ist diese Thematik nach wie vor dem nationalen Kollisionsrecht vorbehalten (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.). Der deutsche IPR-Gesetzgeber hat hierfür keine Neuregelung geschaffen, sodass es schlicht bei der bisherigen deutschen Anknüpfungslösung bleibt. Da eine deutsche Kollisionsregel zur Drittwirkung der Abtretung nie explizit kodifiziert wurde, war in diesem Zusammenhang auch die Streichung der Schuldvertragskollisionsnormen im EGBGB zumindest technisch unproblematisch:8 Sofern man bislang die Drittwirkungen unter Art. 33 EGBGB (als Umsetzung des Art. 12 EVÜ) fassen wollte, stand nunmehr Art. 14 Rom I-VO zur Verfügung – hielt man dagegen die Kollisionsregel für die Drittwirkungen für rein gewachsenes Richterrecht außerhalb des Art. 33 EGBGB, konnte dessen Streichung ihr nichts anhaben. Damit schwelt freilich der seit Jahrzehnten innerhalb der 6 Hohloch IPRax 2012, 110, 114 f. – Zu den national verbliebenen Restbereichen des Schuldrechts aus österreichischer Sicht Heindler ZfRV 2019, 264, 264 ff. 7 Gitschthaler / Rudolf Art. 1 Rom III-VO Rn. 10; Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 657. 8 Bedauernd dennoch Leible / Müller IPRax 2012, 491, 494. – OLG Saarbrücken 8.8.2018 – 4 U 109/17, Rn. 17 weist auf Anwendungsschwierigkeiten durch die Aufhebung des Art. 33 EGBGB hin, ohne diese aber näher zu benennen.

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deutschen Rechtswissenschaft geführte Streit um die richtige Anknüpfung der Drittwirkung von Forderungsübertragungen (vor allem in Fällen der Mehrfachzession) weiter.9 Die herrschende Meinung knüpft an das Forderungsstatut an und unterstellt die Drittwirkungen der Abtretung ebenfalls dem für das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner maßgeblichen Recht.10 Auch nach der Paribas-Entscheidung des EuGH (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.) kann diese Anknüpfung beibehalten werden: Nach der klaren Absage des EuGH kann sie zwar nicht mehr auf die direkte oder entsprechende Anwendung des Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO gestützt werden, aber als fortgesetzte bzw. ungeschriebene Anknüpfungsregel des deutschen IPR zum Zuge kommen.11 Die die Anknüpfung an den Sitz des Zedenten befürwortende Gegenauffassung12 hat dadurch freilich Aufwind bekommen. Entsprechend verhält es sich mit den von der Rom II-VO ausgenommenen Bereichen der außervertraglichen Schuldverhältnisse, deren prominentestes Beispiel Persönlichkeitsrechtsverletzungen, vor allem in Gestalt von Pressedelikten, sind. Auch zur Schließung dieser Lücke des EU-IPR greift das deutsche Kollisionsrecht schlicht weiterhin auf seine angestammten Regelungen zurück: Die erst im Jahr 1999 eingefügten Artt. 38–42 EGBGB wurden auch nach Inkrafttreten der Rom II-VO nicht gestrichen, sondern weitgehend unverändert13 beibehalten. Diese Regelungen kommen für alle von der Rom II-VO ausgesparten Fragen zum Tragen, haben also einen stark verringerten Anwendungsbereich. Abgesehen von den immer mehr an Bedeutung verlierenden Altfällen entfalten sie praktische Relevanz nur noch für aus Persönlichkeitsrechts- und Privatsphäreverletzungen resultierende außervertragliche Schuldverhältnisse sowie für Nuklearschäden (sofern für diese nicht vorrangiges völkervertragliches IPR eingreift).14 Die hier die zentrale Rolle

Siehe dazu statt vieler MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 36 ff. m. w. N., der selbst die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten bevorzugt. Staudinger / Hausmann (Neubearb. 2021) Art. 14 Rom I-VO Rn. 92 ff. befürwortet dagegen eine einheitliche Anknüpfung an das Zessionsgrundstatut. 10 Zum Beispiel BGH 8.12.1998 – XI ZR 302–97, sub II.1.b); BGH 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, sub I.2.a) m. w. N. – Umfassend Labonté 183 ff., 260 ff. 11 So OLG Saarbrücken 20.2.2020 – 4 U 109/17, Rn. 34 ff., zustimmend Stefer IPRax 2021, 155, 158 und Zahn GPR 2020, 218, 221. – Vgl. auch Mankowski RIW 2019, 728, 728 f. 12 BeckOGK / Hübner (Stand: 1.2.2021) Art. 14 Rom I-VO Rn. 37; Bauer 304 ff.; Hübner ZEuP 2019, 41, 52; Kieninger NJW 2019, 3353, 3355 f.; Mankowski RIW 2019, 728, 729. 13 Vgl. zu den geringen Anpassungen in Art. 44 und der Einführung des Art. 46a MüKo8 / Junker vor Art. 38 EGBGB Rn. 16 f.; Hohloch IPRax 2012, 110, 113 f. 14 MüKo8 / Junker vor Art. 38 EGBGB Rn. 21 ff., Art. 40 EGBGB Rn. 19 f.; Hohloch IPRax 2012, 110, 113; U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 598, 609 ff. – von Hinden in: FS Kropholler, 573, 577 f. spricht von einer „absurden Situation“, in der das autonome De9

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spielenden Kollisionsregeln für unerlaubte Handlungen knüpfen in Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB nach wie vor grundsätzlich an das Handlungsortrecht an, wobei dem Opfer gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 2, 3 EGBGB ein Wahlrecht zugunsten des Erfolgsortrechts zusteht. Abweichend davon normiert Art. 40 Abs. 2 EGBGB eine vorrangige Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht der Beteiligten. Art. 40 Abs. 3 EGBGB enthält schließlich eine spezielle Vorbehaltsklausel, Art. 40 Abs. 4 EGBGB regelt Direktansprüche gegen Versicherer. Als Korrekturmöglichkeit stehen die Ausweichklauseln des Art. 41 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zur Verfügung, eine nachträgliche Rechtswahl ist gemäß Art. 42 EGBGB zulässig. Die Anknüpfung unterscheidet sich damit teils wesentlich vom in der Rom II-VO zugrunde gelegten europäischen Standard (siehe unten). Die Motivationen für eine derartige unveränderte Beibehaltung der bisherigen nationalen Kollisionsregeln sind vielfältig. Zunächst einmal stellt dieses Modell die Grundkonstellation dar, die mangels anderweitigen Tätigwerdens der Mitgliedstaaten eingreift: Die Vorrangwirkung der EU-Kollisionsrechtsakte ist auf ihren Anwendungsbereich begrenzt, außerhalb davon liegende nationale Kollisionsregeln bestehen eben unberührt weiter. Abgesehen davon, dass sie legislativ keinen Aufwand verursacht, ist die fortgesetzte Anwendung bekannter und bewährter Regeln zumindest auf den ersten Blick auch praxisfreundlich. Ein Festhalten an den bisherigen nationalen Anknüpfungen scheint ferner rechtspolitisch sinnvoll, wenn die Lücke im EU-IPR darauf beruht, dass bei Streitfragen eine Einigung nicht möglich war: Es unterstreicht die mitgliedstaatliche Position und signalisiert Überzeugung von der Geeignetheit der eigenen Regelung. Schließlich kann auch Unsicherheit über die tatsächliche Reichweite der EU-Regelungen (etwa die bis zur Klärung durch den EuGH bestehende Unklarheit, inwieweit die Drittwirkung von Forderungsabtretungen doch der Rom I-VO unterfallen könnte, siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.) hemmend auf nationale Änderungsvorhaben wirken. Darüber hinaus bietet sich das Festhalten an den bisherigen nationalen Kollisionsnormen immer dann besonders an, wenn eine Regelung auf europäischer Ebene absehbar erscheint. Eine Änderung des nationalen Rechts für einen nur kurzen Zeitraum scheint wenig praktikabel und ökonomisch, eine Abkehr von der bisherigen nationalen Regelung droht unter Umständen die Ausgangsposition des betreffenden Mitgliedstaats für den europäischen Legislativprozess zu schwächen. Derartige Erwägungen dürften in beiden hier beschriebenen Fällen eine Rolle gespielt haben: Sowohl bezüglich der Drittwirkung von Forderungsabtretungen als auch hinsichtlich der Pressedelikte bestand die berechtigte Hoffnung auf einen neuen Anlauf auf europäischer

liktskollisionsrecht für einen derart begrenzten Anwendungsbereich noch mehr oder weniger vollständig aufrechterhalten werden muss.

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Ebene in näherer Zukunft.15 Für die Drittwirkung von Forderungsabtretungen war nach der speziellen Überprüfungsklausel des Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO bereits ein halbes Jahr nach Inkrafttreten der Rom I-VO (17.6.2010) ein Kommissionsbericht über den status quo mit Vorschlägen zur Änderung der Verordnung zu erwarten.16 Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO hatte die Vorlage einer Untersuchung zum auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte anzuwendenden Recht sogar bereits zum 31.12.2008, also noch vor Inkrafttreten der Rom II-VO, angeordnet.17 Wenn sich die EU ein zügiges erneutes Tätigwerden derartig auf die Fahnen schreibt, ist ein abwartendes Stillhalten der nationalen Gesetzgeber nur allzu verständlich. Die Hoffnungen auf einen quasi umgehenden neuen europäischen Lösungsversuch wurden freilich enttäuscht. Zwar hat die Kommission die nach Art. 30 Abs. 2 Rom II-VO geforderte Untersuchung zum Internationalen Deliktsrecht der Persönlichkeitsverletzungen bereits im Februar 2009 vorgelegt,18 ein gesetzgeberisches Tätigwerden auf europäischer Ebene unterblieb jedoch bislang. Zu hoffen ist, dass der in der 2021 veröffentlichten Studie des British Institute of International and Comparative Law zur Rom II-Verordnung erneut identifizierte Bedarf nach gemeinsamen europäischen Anknüpfungsregeln für Verletzungen der Privatsphäre endlich den Anstoß für ein konkretes legislatives Vorhaben bietet,19 zumal der Austritt des Vereinigten Königreichs nunmehr Anlass gibt, auf Konsensmöglichkeiten zu hoffen. Ihrer Berichtspflicht nach Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO kam die Kommission demgegenüber erst mit erheblicher Verspätung durch ihren Bericht vom 29.9.2016 nach.20 Darüber hinaus hat sie anstelle der eigentlich vorgesehenen Änderungsvorschläge zur Rom I-VO am 12.3.2018 einen Vorschlag für eine eigene Verordnung über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht21 (AbtrVO-E) unterbreitet.22 Diese – von der Kom15 Vgl. Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 229 ff. – So auch die Beweggründe des österreichischen Gesetzgebers, von der Schaffung einer eigenen Kollisionsregel für Persönlichkeitsrechtsverletzungen abzusehen, Heindler ZfRV 2019, 264, 267. 16 Siehe MüKo8 / Martiny Art. 27 Rom I-VO Rn. 6; Rauscher / Freitag Art. 27 Rom IVO Rn. 1. 17 MüKo8 / Junker Art. 30 Rom II-VO Rn. 10. 18 Comparative Study on the situation in the 27 Member States as Regards the Law Applicable to Non-contractual obligations Arising Out of Violations of Privacy and Rights Relating to Personality, JLS/2007 / C4/028, Final Report. 19 Siehe Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to noncontractual obligations, JUST/2019 / JCOO_FW_CIVI_0167, 8, 25, 27 f. 20 COM(2016) 626 final. 21 COM(2018) 96 final. 22 Umfassend MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 50 ff.; Dickinson IPRax 2018, 337, 339 ff.; Einsele IPRax 2019, 477, 477 ff.; Hemler GPR 2018, 185, 187 ff.; Hübner ZEuP 2019, 41, 41 ff.; Mankowski RIW 2018, 488, 488 ff.; Mansel / Thorn / Wagner IPRax

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mission nicht näher begründete23 – Entscheidung zugunsten eines zusätzlichen eigenen Instruments anstelle einer bloßen Ergänzung der Rom I-VO ist bereits dahingehend misslich, dass sie aufgrund des gewählten Kompromissansatzes und der auch sonst vielschichtigen Materie das Zusammenspiel mit dem allgemeinen Internationalen Schuldrecht zusätzlich verkompliziert.24 Sollte der Verordnungsentwurf lediglich im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit realisiert werden, wäre die Rechtslage noch unübersichtlicher. Nachdem sich die Verhandlungen als zäh erwiesen, 2019 ins Stocken gerieten25 und seither weitgehend auf Eis liegen, erscheint unsicher, ob und wann eine europäische Regelung Realität werden wird. Nach dem Brexit ist zwar zumindest der Hauptwidersacher des Lösungsvorschlags „Zedentensitz“ bei der Verabschiedung der Rom I-VO, das Vereinigte Königreich (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.), aus dem Spiel. Unklar ist aber, wann, ob und inwieweit sich die vorgeschlagene prinzipielle Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten (Art. 4 Abs. 1 S. 1 AbtrVO-E)26 am Ende durchsetzen kann.27 Inhaltlich scheint nach jahrzehntelangem Streit über das Für und Wider der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten nämlich einzig klar, dass die ideale kollisionsrechtliche Lösung nicht existiert28 – will man sich zu einer europäischen Entscheidung durchringen, muss man dies in Kauf nehmen. Denn wie bereits kurz nach der Verabschiedung der Rom I-VO festgestellt wurde: Die derzeit darin bestehende Regelungslücke ist noch nachteilhafter.29 2019, 85, 91 ff.; M. Müller EuZW 2018, 522, 525 ff. – Kritisch Verhagen ERPL 2020, 29, 30 ff., der auch hinsichtlich der Drittwirkungen für die Parteiautonomie plädiert. 23 Zu den Gründen dafür Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2019, 85, 91. 24 MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 51, 57, 71; Dickinson IPRax 2018, 337, 342; Labonté JPIL 14 (2018), 319, 334; Mankowski RIW 2018, 488, 501. – Den gewählten Ansatz befürwortend dagegen Hübner ZEuP 2019, 41, 66 f. 25 Kieninger NJW 2019, 3353, 3354; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2022, 97, 109; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2020, 97, 104. 26 Siehe zu den vorgeschlagenen Kollisionsregeln en détail MüKo8 / Martiny Art. 14 Rom I-VO Rn. 58 ff. – Kritisch z. B. Einsele IPRax 2019, 477, 479 ff.; Verhagen ERPL 2020, 29, 41 ff. – Zu den Ausnahmen siehe z. B. M. Müller EuZW 2018, 522, 526 ff., zu den Sonderregeln für Anknüpfungskonflikte ausführlich Dickinson IPRax 2018, 337, 343 ff. – Aus französischer Perspektive Cuniberti Rev. crit. DIP 2018, 793, 794 ff. 27 Skeptisch etwa Mankowski RIW 2019, 728, 729; Mankowski NIPR 2018, 26, 27. – Die jüngsten Entwicklungen der Verhandlungen lassen deutliche Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag erwarten, vgl. Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2022, 97, 109. 28 BeckOGK / Hübner (Stand: 1.2.2021) Art. 14 Rom I-VO Rn. 54; Kieninger NJW 2019, 3353, 3356; M. Müller EuZW 2018, 522, 529; Stefer IPRax 2021, 155, 158. – Eindringlich nach einer vergleichenden Analyse der verschiedenen Lösungsansätze Mankowski NIPR 2018, 26, 48 f. („one has to settle for a relative optimum since an absolute optimum cannot be reached“); in diesem Sinne auch schon Mankowski IPRax 2012, 298, 299. 29 Mankowski IPRax 2012, 298, 298; zustimmend Leible / Müller IPRax 2012, 491, 500.

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Voraussichtlich wird also noch einige Zeit vergehen, bis die Lücken im EU-IPR durch den europäischen Kollisionsrechtsgesetzgeber geschlossen werden. Während dieser europäischen „Schwebelage“ kommt dem nationalen IPR die undankbare Aufgabe zu, entweder überkommene Lösungen – trotz wachsender Kritik – weiterzuführen oder aber neue Kollisionsregeln zu etablieren, deren Anwendung unter Umständen nur von kurzer Dauer sein wird. Dies bringt die Mitgliedstaaten, die sich zunächst (auch) im Hinblick auf eine absehbare Europäisierung für die unveränderte Beibehaltung ihrer bisherigen Kollisionsnormen entschieden haben, in eine missliche Lage. Ein zeit- und kostenintensives legislatives Tätigwerden auf nationaler Ebene zu umstrittenen Spezialfragen ist kaum noch lohnenswert, wenn das Ergebnis alsbald doch durch eine europäische Regelung abgelöst zu werden droht. Auch scheint es vor allem bei inhaltlich und rechtspolitisch heiklen Angelegenheiten wenig ratsam, ein nationales Gesetzgebungsverfahren und europäische Planungen zeitlich zu überkreuzen. Eine (Neu-)Orientierung der nationalen Rechtsprechung an erst im frühen Planungs- und Verhandlungsstadium befindlichen künftigen bzw. potentiellen EU-Rechtsakten ist zwar zumindest dann möglich, wenn keine geschriebenen nationalen Regeln existieren. Sie birgt jedoch im Hinblick auf den unklaren Ausgang auf europäischer Ebene zahlreiche Unwägbarkeiten, kann gegebenenfalls unerwünschte Wirkungen auf die laufenden Verhandlungen entfalten, und steht schließlich in der freien Entscheidung der nationalen Gerichte. Das OLG Saarbrücken etwa hielt auch vor dem Hintergrund des AbtrVO-E an der hergebrachten deutschen Drittwirkungs-Anknüpfung fest.30 Methodisch ist das nicht zu beanstanden. Die unveränderte Beibehaltung überkommener nationaler Kollisionsregeln trotz am europäischen Horizont näher rückender Impulse zeugt jedoch nicht nur von einer gewissen Entwicklungsresistenz, sondern kann langfristig auch Anwendungsschwierigkeiten aufwerfen. bb) Anwendungsschwierigkeiten beibehaltener nationaler Anknüpfungsregeln Das Grundproblem eines „gesplitteten“ Kollisionsrechts,31 bei dem der Löwenanteil einheitlich-europäisch, einzelne Teilbereiche jedoch divergierendnational geregelt sind, ist prinzipiell hinzunehmen. Es ist die notwendige Konsequenz der Entscheidung, bestimmte Fragen (vorerst) vom Anwendungsbereich der Kollisionsrechtsverordnungen auszusparen. Wenn es sich bei den national verbleibenden Ausschnitten um Gebiete handelt, bei denen ein internationaler Konsens nicht zu erzielen war, ist die zwingende Folge 30 OLG Saarbrücken 8.8.2018 – 4 U 109/17, Rn. 46 („Allerdings kann einer geplanten Verordnung im Rahmen einer autonomen Betrachtung keine normative Vorwirkung zukommen.“), zustimmend Zahn GPR 2020, 218, 221. 31 Vgl. Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 86 f.

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freilich ein Nebeneinander aus harmonisiertem EU-IPR und sehr disparaten nationalen Regelungen. Dies verlockt unter Umständen zu genau jenem forum bzw. law shopping, das die europäische IPR-Vereinheitlichung gerade verhindern will,32 außerdem wird die Rechtsanwendung dadurch zusätzlich verkompliziert. Besonders unglücklich ist die Beibehaltung der bisherigen nationalen Regelungen schließlich, wenn auch innerhalb des mitgliedstaatlichen IPR keine Einigkeit über die Lösung besteht – nationale Streitigkeiten werden damit perpetuiert und durch die nunmehr erforderliche Koordination der punktuellen national verbliebenen Anknüpfungsregeln mit dem für den Gesamtbereich geltenden EU-IPR gegebenenfalls noch verschärft. Letztere stellt sich auch insgesamt als potentiell problematisch dar. Die einzelnen beibehaltenen Kollisionsregeln waren ursprünglich Teil eines nationalen Gesamtmodells und auf dieses abgestimmt, müssen aber nunmehr stattdessen unter Umständen eng mit den neuen europäischen Anknüpfungsregeln zusammenspielen. Zu Friktionen kommt es dabei vor allem dann, wenn das EU-IPR andere Grundsatzentscheidungen trifft als das bisherige nationale IPR. Beispielsweise offenbart ein Vergleich der beibehaltenen deutschen Regelungen zum Internationalen Deliktsrecht mit der Rom II-VO einige Übereinstimmungen, etwa hinsichtlich der vorrangigen Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem (Art. 40 Abs. 2 EGBGB, Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO), der Möglichkeit einer nachträglichen Rechtswahl (Art. 42 EGBGB, Art. 14 Abs. 1 lit. a) Rom II-VO) und der Ausweichklausel (Art. 41 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EGBGB, Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO), aber auch wesentliche Unterschiede. Neben der unterschiedlichen Basisanknüpfung an den Handlungsort (Art. 40 Abs. 1 EGBGB) bzw. Erfolgsort (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO) sind hier einerseits die speziellen Kollisionsregeln nur des europäischen Deliktsrechts (Artt. 5–9 Rom II-VO) zu nennen, andererseits die dem Geschädigten eingeräumte Wahlmöglichkeit des Art. 40 Abs. 1 S. 2, 3 EGBGB und die spezielle Vorbehaltsklausel des Art. 40 Abs. 3 EGBGB, für die es keine Entsprechung im jeweils anderen Regelungsinstrument gibt.33 Zwar wirken diese Unterschiede in der Herangehensweise wenig gravierend, solange es um rein dem EU-IPR unterworfene oder auf das national verbliebene Teilgebiet begrenzte Sachverhalte geht. Sobald aber europäischem und nationalem Kollisionsrecht unterfallende Aspekte aufeinandertreffen, können sie zu wenig kompatiblen oder gar widersprüchlichen Ergebnissen führen. In manchen Fällen kann sich die fortgesetzte Anwendung der überkommenen nationalen Anknüpfungsregeln ohne Anpassung an die geänderten Gegebenheiten schließlich auch als inhaltlich unbefriedigend erweisen. Dies ist Zum Problem des „libel tourism“ insbesondere aufgrund des englischen Pressedeliktsrechts ausführlich Nielsen JPIL 9 (2013), 269, 288. 33 MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 21, Art. 4 Rom II-VO Rn. 10 ff. 32

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insbesondere der Fall, wenn einer Regelung nur noch ein schmaler Anwendungsbereich von Spezialfällen verbleibt, auf die sie aber primär nicht ausgerichtet ist. Klassisches Beispiel hierfür ist Art. 40 EGBGB: Der ursprünglich allgemeinen deliktsrechtlichen Anknüpfungsregel verbleiben heute als Anwendungsbereich letztlich nur noch die Spezialgebiete der Pressedelikte und Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowie der Atomhaftung. Für diese ist die Regelung jedoch nicht konzipiert. Die primär auf den Handlungsort abstellende Tatortregel des Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist für grenzüberschreitende Persönlichkeitsrechtsverletzungen, insbesondere für im Bereich der Massenund Internetmedien begangene Pressedelikte, nur begrenzt geeignet, ebenso die nach Wahl des Geschädigten mögliche Erfolgsortanknüpfung des Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB („Streudelikte“).34 Umstritten ist etwa die Anknüpfung speziell medienrechtlicher Gegendarstellungsansprüche.35 Bei der Interpretation des nationalen Deliktskollisionsrechts für Mediendelikte ist schließlich das Zusammenspiel mit dem europäisch geregelten Internationalen Zivilverfahrensrecht und den hierzu vom EuGH entwickelten Rechtsprechungslinien zu berücksichtigen.36 All diese Aspekte lassen die derzeitige Rechtslage unbefriedigend erscheinen und legen die Schaffung einer auf die Bedürfnisse des Mediendeliktsrechts abgestimmten Kollisionsregel dringend nahe. Ob eine solche – zumal zwangsläufig abgestimmt auf ihr europäisches Umfeld – noch im nationalen Kollisionsrecht geschaffen werden sollte, ist fraglich. Sinnvoller erscheint es, einen neuen Anlauf für eine europäische Anknüpfungsregel zu wagen. Wissenschaftliche Forderungen und Vorschläge in diese Richtung sind seit den gescheiterten ursprünglichen Verhandlungen zur Rom II-VO bereits mehrfach formuliert worden.37 Ähnlich verhält es sich mit der weniger prominenten Problematik der Atomhaftung. Die Rom II-VO nimmt die Haftung für Nukleardelikte zugunsten der bestehenden völkerrechtlichen Übereinkommen insgesamt aus (siehe Teil II: § 2.II.2.b), S. 57 ff.; Teil II: § 4.II.3.a), S. 230 ff.), diese verweisen wiederum für einige Fragen auf das nationale IPR der lex fori (Art. 11 PÜ, Art. I lit. k ii) Wiener Übereinkommen über die Haftung für nukleare Schäden von 1963). Für diese Aspekte ist, ebenso wie für nicht in den AnwenVgl. BeckOGK / Fornasier (Stand: 1.2.2022) Art. 40 EGBGB Rn. 70 ff.; MüKo8 /  Junker Art. 40 EGBGB Rn. 73 ff. – Kritisch auch Hohloch IPRax 2012, 110, 114. – Zu den Schwierigkeiten der Erfolgsortbestimmung bei im Internet begangenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen umfassend Heiderhoff in: FS Coester-Waltjen, 413, 413 ff. 35 BeckOK / Spickhoff (Stand: 1.8.2021) Art. 40 EGBGB Rn. 37; MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 89 ff. 36 Vgl. MüKo8 / Junker Art. 40 EGBGB Rn. 76, 80 ff. 37 Zum Beispiel von Hinden in: FS Kropholler, 573, 578 ff.; F. Meier JPIL 12 (2016), 492, 500 ff. (Anknüpfung an das „centre of interest“ des Opfers, 515 ff.); auch die Lösungsvorschläge von Nagy JPIL 8 (2012), 251, 293 ff. könnten für eine europäische Regelung herangezogen werden. 34

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dungsbereich der Konventionen fallende Nuklearschäden, nach wie vor das verbliebene mitgliedstaatliche Internationale Deliktsrecht anwendbar.38 Dieses ist aber zum einen auf die spezielle Konstellation der Nuklearhaftung nicht ausgerichtet: Mit Art. 40 EGBGB können zwar Atomhaftungsfälle grundsätzlich bewältigt werden, die allgemeine Regel trägt ihren Besonderheiten aber nicht hinreichend Rechnung. Zum anderen kann die Divergenz der nationalen Anknüpfungsregeln bei grenzüberschreitenden Nuklearhaftungsfällen, die häufig Berührungspunkte zu mehreren Staaten aufweisen (z. B. durch Strahlenschäden in mehreren Nachbarstaaten), wiederum forum und law shopping begünstigen. Abhilfe schaffen kann auch hier langfristig nur eine Angleichung des Internationalen Atomhaftungsrechts – sei es durch eine Anpassung des mitgliedstaatlichen Deliktskollisionsrechts an die Rom II-VO,39 sei es durch Schließung der Lücke im EU-IPR durch Schaffung einer europäischen Anknüpfungsregel.40 Der zunächst einfach und günstig erscheinende Ansatz, die von der Europäisierung nicht direkt erfassten nationalen Anknüpfungsregeln unverändert beizubehalten, birgt langfristig häufig Tücken und Nachteile. Zu Schwierigkeiten kommt es durch die mangelnde Abstimmung der noch in anderen Konzeptionen wurzelnden Vorschriften mit dem Gesamtgefüge des EU-IPR, in das sie nunmehr eingebettet sind. Stimmen das frühere nationale IPR und das neue europäische Kollisionsrecht nicht miteinander überein, führt die Beibehaltung nationaler Vorschriften stets zu einer mehr oder weniger gravierenden Divergenz. Sind die nationalen Regeln zudem nunmehr auf bestimmte Einzelfragen begrenzt, zu deren Lösung sie ursprünglich nicht primär konzipiert waren, wirken sie auch inhaltlich zunehmend unpassend. Häufig ist die Beibehaltung der nationalen Anknüpfungsregeln daher nur als Interimslösung geplant.41 Das Warten auf eine Lösung des Problems durch eine baldige Ergänzung des EU-Kollisionsrechts hat sich allerdings bislang meist als trügerische Hoffnung erwiesen. Das Resultat ist eine missliche Pattsituation. Einerseits hemmt die Aussicht auf einen neuen europäischen Einigungsversuch nationale Reformversuche. Andererseits droht durch das Festhalten an traditionellen Regelungen eine weitere Zementierung der mitgliedstaatlichen Positionen in Streitfragen, was wiederum der Harmonisierung nicht zuträglich ist. 38 BeckOGK / Fornasier (Stand: 1.2.2022) Art. 40 EGBGB Rn. 113 ff.; U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 609 f.; Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1312 f. 39 Zu möglichen Lösungsansätzen U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 610 ff. – Calliess / Renner / Halfmeier Art. 1 Rom II-VO Rn. 56 plädiert für eine teleologische Reduktion der Ausnahmeklausel in Art. 1 Abs. 2 lit. f) Rom II-VO, um in allen nicht von vorrangigen Übereinkommen erfassten Nuklearhaftungsfällen die Kollisionsregeln der Rom II-VO anzuwenden. 40 U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 610 f.; Wurmnest in: Encyclopedia of PIL, 1305, 1312 f.; Wurmnest ZVglRWiss 115 (2016), 624, 642 f. 41 Vgl. Staudinger / Hausmann (Neubearb. 2021) Art. 14 Rom I-VO Rn. 74, 92.

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Die Leidtragenden sind die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender und die Betroffenen, die über einen längeren Zeitraum mit erheblicher Unsicherheit und gegebenenfalls nur begrenzt geeigneten Anknüpfungsregeln leben müssen. b) Mitgliedstaatliche Neuregelung Diametral entgegengesetzt ist der Ansatz, in den vom EU-IPR ausgesparten Bereichen eine eigene nationale Neuregelung zu schaffen. Die Änderung bestehender oder die Einführung neuer mitgliedstaatlicher Anknüpfungsregeln ist vor allem durch eine ausdrückliche Gesetzesreform möglich. Zum selben Ergebnis führt aber auch der weniger offensichtliche Weg einer Rechtsprechungswende bei der Interpretation und Anwendung der bestehenden (ungeschriebenen) nationalen Normen bzw. einer Beantwortung im nationalen IPR noch offener Fragen durch die Praxis. Da alle nicht europäisierten Aspekte in mitgliedstaatlicher Kompetenz verbleiben, hat der nationale Gesetzgeber für legislative Reformen freie Hand; auch Rechtsänderungen durch die (höchstrichterliche) Rechtsprechung sind ohne Rücksicht auf europäische Vorgaben möglich. Ein Paradebeispiel für Schließungen der vom EUKollisionsrecht gelassenen Lücken durch eigene Neukodifikationen bzw. Reformen sind die nationalen Neuregelungen des vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossenen (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.) IPR der gewillkürten Stellvertretung in Deutschland und Polen.42 aa) Neues Stellvertretungskollisionsrecht in Polen und Deutschland Sowohl das deutsche als auch das polnische IPR enthielten bis zur Verabschiedung der nationalen Neuregelungen keine geschriebene Anknüpfungsregel für das Internationale Stellvertretungsrecht. In Polen wurde die Verabschiedung einer neuen IPR-Gesamtkodifikation43 im Jahr 2011 zum Anlass für die erstmalige Aufnahme einer Regelung zum Internationalen Stellvertretungsrecht genommen. In Deutschland ist seit 17.6.2017 der neue Art. 8 EGBGB in Kraft,44 der erstmalig eine Anknüpfungsregel für die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht festschreibt.45 Beide Neuregelungen basieren auf dem Grundsatz der autonomen, also vom Grundverhältnis unabhängigen, Anknüpfung des Vertretungsstatuts, den heute die Mehrheit der EU-Mitglied42 Auch in der Tschechischen Republik ist in das IPRG von 2012 eine Neuregelung zum Internationalen Stellvertretungsrecht aufgenommen worden (Art. 44 tschechIPRG). 43 Gesetz der Republik Polen vom 4.2.2011: Das Internationale Privatrecht, siehe zur polnischen Neukodifikation im Überblick Pazdan IPRax 2012, 77, 77 ff. 44 Eingefügt durch Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts vom 11.6.2017, BGBl. 2017 I 1607. 45 Zu Art. 8 EGBGB im Überblick Becker DNotZ 2017, 835, 840 ff.; Thöne IHR 2017, 141, 141 ff.

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staaten und auch Art. 11 HStÜ favorisieren,46 der jedoch keineswegs selbstverständlich ist und vor allem im romanischen Rechtsraum nach wie vor auf (wenn auch abflauende) Kritik stößt.47 Die neue polnische Vorschrift zur Anknüpfung der gewillkürten Stellvertretung enthält Art. 23 polnIPRG.48 Dieser beschreitet gegenüber der bisher in Polen vertretenen Auffassung durchaus neue Wege.49 Vorrangig ist nach dem Vorbild des HStÜ (Art. 14) die subjektive Anknüpfung (Art. 23 Abs. 1 polnIPRG), die jedoch nur bei Kenntnis bzw. Kenntnismöglichkeit aller Beteiligten Wirkung entfaltet.50 Für die objektive Anknüpfung enthält Art. 23 Abs. 2 polnIPRG eine Anknüpfungsleiter. Primär maßgeblich ist das Recht am Sitz der ständigen Tätigkeit des (insbesondere freiberuflichen) Bevollmächtigten (Nr. 1), an zweiter Stelle bei dortiger ständiger Tätigkeit des (arbeitnehmenden oder angestellten) Bevollmächtigten der Unternehmenssitz des Vollmachtgebers (Nr. 2) und auf letzter Stufe – wohl gleichrangig – das Recht des Gebrauchsorts oder des Wirkungsorts (Nr. 3).51 Die deutsche Regelung beruht auf einem vom Deutschen Rat für Internationales Privatrecht entwickelten Vorschlag.52 Sie kodifiziert im Wesentlichen die zuvor in Rechtsprechung und Literatur mehrheitlich vertretene Lösung.53 Die Vollmacht wird auch im deutschen IPR autonom angeknüpft.54 Vorrangig ist nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB die Parteiautonomie, die durch einseitige Rechtswahl des Vollmachtgebers (S. 1) oder durch dreiseitige gemeinsame Wahl des Vertretenen, des Vertreters und des Vertragspartners (S. 2) ausgeübt werden kann.55 Mangels einer Rechtswahl halten zunächst Art. 8 Abs. 2– 46 Lardeux Rev. crit. DIP 2014, 513, 516 f.; Pazdan IPRax 2012, 77, 80; Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729, 741 ff. m. w. N. 47 Vgl. Gebauer in: Leible / Unberath, 325, 333 ff.; Lardeux Rev. crit. DIP 2014, 513, 515 f., 519 f. 48 Zu Art. 23 polnIPRG im Überblick Dregelies IPRax 2016, 187, 192 f.; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 270 ff. 49 Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 274. 50 Dregelies IPRax 2016, 187, 192; Pazdan IPRax 2012, 77, 80; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 270 f. 51 Dregelies IPRax 2016, 187, 192; Pazdan IPRax 2012, 77, 80 f.; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 271 f. 52 Thöne IHR 2017, 141, 141. – Dazu von Hein IPRax 2015, 578, 578 ff.; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 481 ff. – Zum auf dieser Basis entstandenen und quasi unverändert Gesetz gewordenen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums Rademacher IPRax 2017, 56, 56 ff. 53 Becker DNotZ 2017, 835, 835, 845 ff.; Rademacher IPRax 2017, 56, 62; Thöne IHR 2017, 141, 142. 54 Thöne IHR 2017, 141, 142. 55 BeckOGK / Mankowski (Stand: 1.10.2019) Art. 8 EGBGB Rn. 44 ff.; Thöne IHR 2017, 141, 143 f. – Zum Entwurf ausführlich Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 497 ff.; zum Referentenentwurf Rademacher IPRax 2017, 56, 58 f.

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4 EGBGB für die objektive Anknüpfung einiger häufiger Sonderkonstellationen (Handeln des Vertreters in Ausübung unternehmerischer Tätigkeit, als Arbeitnehmer des Vertretenen oder aufgrund auf Dauer angelegter Vollmacht) differenzierte Anknüpfungsregeln (gewöhnlicher Aufenthalt des Vertreters, gewöhnlicher Aufenthalt des Vertretenen und gewöhnlicher Gebrauchsort, jeweils unter der Voraussetzung der Erkennbarkeit für den Vertragspartner) bereit.56 Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts verweist Art. 8 Abs. 8 EGBGB auf Art. 19 Abs. 1, Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO, freilich mit gewissen Modifikationen.57 Als Auffangregelung knüpft Art. 8 Abs. 5 EGBGB entsprechend der früher etablierten herrschenden Auffassung an den Gebrauchsort an.58 Bei allen Anknüpfungen handelt es sich um Sachnormverweisungen, der renvoi ist zur Gewährleistung einer vorhersehbaren Anknüpfung ausgeschlossen.59 Art. 8 Abs. 6 und 7 EGBGB enthalten Ausnahmeregelungen für Sonderfälle: Bei Verfügungen über Immobilien unterliegt die rechtsgeschäftliche Vertretung der lex rei sitae (Abs. 6), die Vertretung bei Börsengeschäften und Versteigerungen ist vom Anwendungsbereich des Art. 8 EGBGB ausgenommen und vielmehr dem Geschäftsortrecht unterstellt.60 Die deutsche Neuregelung hat damit für die Mehrzahl der grenzüberschreitenden Vertretungsfälle begrüßenswerte Klarheit geschaffen;61 nach wie vor offen bleiben freilich einige ungeregelte Fragen wie der Umgang mit Rechtsscheinvollmachten und die Haftung des vertretungsmachtlos handelnden Vertreters (falsus procurator) und ihr Verhältnis zur Rom II-VO.62 Die Hauptmotivation für die Schaffung eines neuen Kollisionsrechts der Stellvertretung war in beiden Mitgliedstaaten das Fehlen einer positivrechtlichen Anknüpfungsregel, das im Laufe der Zeit jeweils zu differenzierten und teils umstrittenen Lösungsansätzen in Rechtsprechung und Wissenschaft geführt hatte.63 Diese komplexe, unsichere und wenig anwenderfreundliche Becker DNotZ 2017, 835, 845 ff.; Thöne IHR 2017, 141, 144 f. – Zum Entwurf ausführlich Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 507 ff.; zum Referentenentwurf Rademacher IPRax 2017, 56, 60 f. 57 BeckOGK / Mankowski (Stand: 1.10.2019) Art. 8 EGBGB Rn. 208 ff.; Becker DNotZ 2017, 835, 844. – Zum Referentenentwurf Rademacher IPRax 2017, 56, 60. 58 Becker DNotZ 2017, 835, 847 f.; Thöne IHR 2017, 141, 145. – Zum Referentenentwurf Rademacher IPRax 2017, 56, 59, 61 f. 59 Becker DNotZ 2017, 835, 842; Thöne IHR 2017, 141, 142. – Zum Referentenentwurf Rademacher IPRax 2017, 56, 59. 60 MüKo8 / Spellenberg Art. 8 EGBGB Rn. 61; Rademacher IPRax 2017, 56, 57 f.; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 513. – Vgl. auch Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729, 769 ff. 61 Vgl. den Überblick bei Becker DNotZ 2017, 835, 848. 62 Dazu z. B. Reuter 147 ff., 381 f.; Rademacher IPRax 2017, 56, 57; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 523 ff. 63 Zur früheren Rechtslage in Polen vgl. Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 268 ff. – Zur früheren Rechtslage in Deutschland siehe Heinz 9 ff.; Becker DNotZ 2017, 835, 56

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Situation, die gerade für den grenzüberschreitenden Handel äußerst misslich war,64 galt es durch eine klar kodifizierte Regelung zu beseitigen. Dabei war erkennbar, dass diese Aufgabe auf absehbare Zeit dem nationalen IPRGesetzgeber überlassen bleiben würde. Da für die nähere Zukunft die Aussichten auf eine Regelung auf internationaler oder europäischer Ebene eher trüb scheinen, müssen die mit praktischem Handlungsbedarf konfrontierten mitgliedstaatlichen Gesetzgeber selbst tätig werden, wenn das Festhalten an den bisherigen Ansätzen des nationalen Kollisionsrechts nicht mehr tragbar scheint. Eine supra- oder internationale Lösung, die durchaus bevorzugt worden wäre,65 schien auf absehbare Zeit nämlich kaum realistisch. Die Schwierigkeiten des kollisionsrechtlichen Umgangs mit der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht sind geradezu berüchtigt. Bereits innerhalb einzelner Rechtsordnungen ist ihre Anknüpfung teils massiv umstritten, wie etwa die von Rabel angeführten acht in Betracht kommenden Anknüpfungsmöglichkeiten eindrucksvoll belegen.66 Noch größer sind die Differenzen zwischen unterschiedlichen nationalen IPR-Konzeptionen.67 Auch völkerrechtliche Regelungsversuche sind wenig erfolgreich geblieben. Das Haager Stellvertretungsübereinkommen (HStÜ) von 197868 fand mit lediglich vier Vertragsstaaten nur sehr begrenzten Zuspruch – eine größere praktische Relevanz ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten (siehe Teil II: § 4.I.1.a), S. 188 ff.).69 Jeweils nur einen engen Teilausschnitt der Stellvertretung regeln das (als Ergänzung des CISG geplante und voraussichtlich nicht mehr in Kraft tretende) UNIDROIT-Stellvertretungsübereinkommen von 1983 sowie der auf die „Vorsorgevollmacht“ beschränkte Art. 15 ESÜ.70 Dass bei den Verhandlungen über die Rom I-VO eine 837 ff.; Gebauer in: Leible / Unberath, 325, 330 ff.; Mäsch in: FS Schurig, 147, 150; Spickhoff ZfRV 2016, 175, 177 ff.; Thöne IHR 2017, 141, 141 f. 64 Vgl. BT-Drs. 18/10714, 14, 24; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 270; Thöne IHR 2017, 141, 141. – Drastisch Becker DNotZ 2017, 835, 840 („überaus verworrene und undurchsichtige Rechtslage“). 65 Dies wäre durchaus bevorzugt worden, vgl. Heinz 226 f.; Gebauer in: Leible /  Unberath, 325, 338 f.; von Hein IPRax 2015, 578, 579; Mäsch in: FS Schurig, 147, 148 ff.; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 485; Thöne IHR 2017, 141, 146. – Kritisch dagegen Kleinschmidt RabelsZ 75 (2011), 497, 526 ff. 66 Rabel RabelsZ 3 (1929), 807, 834 ff.; Gebauer in: Leible / Unberath, 325, 335. 67 Vgl. den rechtsvergleichenden Überblick bei Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 265 ff., die Länderberichte bei Heinz 9 ff. sowie den umfassenden Vergleich vor dem Hintergrund des HStÜ und des Rom I-VO-E bei Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729, 729 ff. 68 Siehe dazu Heinz 60 ff.; Lardeux Rev. crit. DIP 2014, 513, 516 ff.; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 279 ff. 69 Mäsch in: FS Schurig, 147, 149; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 282. – Reformüberlegungen aus Sicht eines HStÜ-Mitgliedstaats stellt Lardeux Rev. crit. DIP 2014, 513, 513 ff. an. 70 von Hein IPRax 2015, 578, 579; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 488 ff.; Spickhoff ZfRV 2016, 175, 176 f. – Für dessen Vorbildfunktion auch für die rechtsgeschäftliche

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Einigung auf europäischer Ebene nicht möglich war und die Stellvertretung schließlich vom Anwendungsbereich des europäischen Schuldvertragskollisionsrechts ausgespart wurde (Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I-VO), verwundert daher nicht (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.). Auch weitere Vorstöße zur Schaffung einer EU-Kollisionsregel blieben bislang eher zaghaft und erfolglos: Weder als Bestandteil des nach wie vor fehlenden „Allgemeinen Teils des EU-IPR“,71 noch als Ergänzung des Internationalen Schuld(vertrags)rechts etwa im Rahmen einer Revision der Rom I-VO72 konnte sich bisher eine europäische Anknüpfungsregel zur Stellvertretung etablieren.73 bb) Orientierung an europäischen Entwicklungen Im polnischen und deutschen IPR ist die in der Rom I-VO im Hinblick auf das Kollisionsrecht der Stellvertretung klaffende Lücke erst einmal geschlossen worden. Allerdings haben die nationalen Kollisionsrechtsgesetzgeber bei dieser Lückenschließung nicht im Alleingang gehandelt, sondern das bestehende EU-IPR und seine potentielle künftige Entwicklung im Auge behalten. Diese Einbettung der nationalen Reform in den EU-Kontext erfolgte in gleich zweifacher Weise. Rechtstechnisch mussten sich die neuen Anknüpfungsregeln zur gewillkürten Stellvertretung an ihrem – primär internationalvertragsrechtlichen – Umfeld orientieren, also insbesondere ihre Kompatibilität mit den Regelungen der Rom I-VO sicherstellen. Europäische Einflüsse zeigen sich etwa im Vorrang der Parteiautonomie74 und im Ausschluss des renvoi.75 Beides entspricht zwar allgemeinen Tendenzen im modernen Kollisionsrecht und ist für das Stellvertretungs-IPR sachlich gerechtfertigt, sodass diese Entscheidungen sicher nicht ausschließlich auf eine Orientierung der nationalen Gesetzgeber am EU-IPR zurückzuführen sind – die Harmonie mit der Rom IVO fällt dennoch ins Auge. Auch regelungstechnisch eindeutig zu Tage tritt sie in dem Verweis des Art. 8 Abs. 8 EGBGB auf Art. 19 Rom I-VO für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts: Die nationale Regelung stellt sich selbst in den europäischen Kontext und strebt einen harmonischen Gleichlauf an. Gleichzeitig hat der deutsche Gesetzgeber sich in GrenzbereiVertretung dagegen Lardeux Rev. crit. DIP 2014, 513, 519 ff. (insbes. 523 f.); Mäsch in: FS Schurig, 147, 157. 71 Diesem kann die Stellvertretung systematisch zugeordnet werden, vgl. Gebauer in: Leible / Unberath, 325, 328 f.; von Hein IPRax 2015, 578, 579; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 496; Thöne IHR 2017, 141, 142. 72 Dafür Heinz 226 f.; Lardeux Rev. crit. DIP 2014, 513, 530; Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 283; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 485. 73 Eine Regelung im Rahmen eines europäischen IPR-AT entwirft Gebauer in: Leible /  Unberath, 325, 339 f.; eine Ergänzung zur Rom I-VO schlägt Heinz 227 ff. vor; einen Vorschlag für eine Verordnung entwickelt z. B. Reszczyk-Król JPIL 10 (2014), 265, 286 ff. 74 Dazu Rademacher IPRax 2017, 56, 58; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 497 ff. 75 Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 528 f.

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chen zum europäischen Kollisionsrecht in bewusster Zurückhaltung geübt, um Regelungskollisionen und Kompetenzüberschreitungen zu vermeiden.76 Allerdings legen die nationalen Regelungen ihr europäisches Umfeld zwar als Inspiration und Orientierungshilfe zugrunde, übernehmen aber nur diejenigen Elemente, die sich harmonisch in die nationale Konzeption einfügen, und treffen im Übrigen durchaus selbstbewusst eigene Regelungen. Zur Illustration sei etwa auf die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers verwiesen, anders als die meisten EU-Kollisionsregeln auf eine Ausweichklausel zugunsten der „offensichtlich engeren Verbindung“ als Korrekturmechanismus zu verzichten.77 Auch die Modifikation der Verweisung auf Art. 19 Rom I-VO in Art. 8 Abs. 2 EGBGB zeigt, dass sich der nationale Gesetzgeber gern des europäischen IPR bedient, aber nur, soweit es ihm passt. Grundsätzlich kann man den Mitgliedstaaten dies nicht verwehren: Wenn eine Materie aufgrund bewusster Zurücknahme der europäischen Ebene derzeit (noch) rein in ihrem Verantwortungsbereich liegt, steht es ihnen frei, ob und inwieweit sie sich überhaupt an europäischen Ideen und Ansätzen orientieren wollen. Zudem bietet das europäische IPR – gerade für davon ausgeklammerte Bereiche wie die gewillkürte Stellvertretung – nur begrenzt zur Übernahme Geeignetes, sodass zwangsläufig eigene nationale Ansätze entwickelt werden müssen, selbst wenn ein Wille zur Orientierung am EU-Kollisionsrecht vorhanden ist. Allerdings birgt eine nur partielle Übernahme europäischer Konzepte bzw. deren mitgliedstaatliche „Verbesserung“ auch Nachteile und Gefahren. Wenn nationale Gesetzgeber sich „die Rosinen aus dem Kuchen picken“ und Auszüge der europäischen Regelungskonzepte mit im Übrigen eigenen Vorstellungen kombinieren, droht eine verfälschte bzw. verfälschende Anwendung der europäischen Grundlagen, der auch der EuGH keinen Einhalt gebieten kann. Auch wenn diese Konsequenzen bei einer bloßen Orientierung am EU-IPR nicht so gravierend sind wie bei seiner gegebenenfalls modifizierten analogen Anwendung (dazu 3.c), S. 322 ff.), scheinen sie dennoch bedenklich. Rechtspolitisch ist zu beobachten, dass die nationalen Neukodifikationen durchaus mit Blick darauf erfolgt sind, sich im Verhältnis zu den anderen europäischen Rechtsordnungen zu positionieren – auch und vor allem hinsichtlich einer künftigen Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der gewillkürten Stellvertretung auf europäischer Ebene. Mit der polnischen Kodifikation wurde die Hoffnung verbunden, bei einer Bewährung der Regelung könne diese bei einer Revision der Rom I-VO Pate für eine europäische StellvertretungsAnknüpfungsregel stehen.78 Bei der Entwicklung des deutschen Regelungsvorschlags wurde dieser, soweit er vertragliche Schuldverhältnisse betraf, von Hein IPRax 2015, 578, 580; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 525. Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 517 ff.; Thöne IHR 2017, 141, 145. – Eher skeptisch Rademacher IPRax 2017, 56, 60. 78 Dregelies IPRax 2016, 187, 193. 76 77

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ebenfalls auch als potentielle Ergänzung der Rom I-VO verstanden.79 Die Technik, durch eine rasche nationale gesetzliche Regelung Fakten zu schaffen und sich damit im Hinblick auf künftige, gegebenenfalls auch schon absehbare internationale Vereinheitlichungsprojekte zu positionieren, ist durchaus verbreitet. Sie lag etwa der deutschen Kodifikation des Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse im Jahr 1999 zugrunde, die auch im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt bereits geplante Harmonisierung dieses Kollisionsrechtsbereichs erfolgte und einen spürbaren Einfluss auf die Schaffung der Rom II-VO ausübte.80 Dahinter steht der Gedanke, dass eine moderne kodifizierte Norm eher als Regelungsvorbild geeignet ist als ungeschriebene und gegebenenfalls umstrittene Lösungsansätze, sodass sie der mitgliedstaatlichen Position auf europäischer Ebene größere Strahlkraft verleiht.81 Dieser Aspekt ist etwas weniger offensichtlich, aber für die langfristige Entwicklung des europäischen Kollisionsrechts umso wichtiger. Einerseits stellen jüngere nationale Neukodifikationen einen günstigen Ausgangspunkt für weitere Vereinheitlichungsbemühungen dar. Sie bieten moderne Regelungsmodelle, an denen der europäische Gesetzgeber sich orientieren kann. Hinzu kommt, dass den heutigen nationalen Neukodifikationen in der Regel rechtsvergleichende Vorarbeiten insbesondere im Hinblick auf die anderen europäischen Rechtsordnungen und bisherige Harmonisierungsversuche zugrunde liegen.82 Dieser kann man sich auf europäischer Ebene gewinnbringend bedienen. Schließlich sind die nationalen Neuregelungen häufig, wie gesehen, zumindest teilweise schon auf den europäischen Kontext abgestimmt. Auf diesen bereits erarbeiteten Grundlinien können europäische Harmonisierungsversuche aufbauen.83 Andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass Mitgliedstaaten, die jüngst eine eigene Neuregelung verabschiedet haben, ihr gewähltes Modell auch auf europäischer Ebene unbedingt durchsetzen wollen – gerade, wenn sie es auch als Basis künftiger Vereinheitlichungsvorhaben konzipiert haben. Jüngere Neuregelungen auf nationaler Ebene können sich damit auch zu Lasten der Verhandlungsbereitschaft auswirken und insbesondere, wenn die neuen Ansätze mehrerer Mitgliedstaaten miteinander konkurrieren, den Einigungsprozess erschweren.84 Praktisch bieten sich nationale Neuregelungen in den vom EU-IPR gelassenen Lücken nur an, wenn mit einer supranationalen einheitlichen Lösung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist und eine geeignete bzw. geschriebene Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 532. MüKo8 / Junker vor Art. 38 EGBGB Rn. 3, vor Art. 1 Rom II-VO Rn. 3. 81 von Hein IPRax 2015, 578, 579; Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 485. – Siehe auch Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 74. 82 Vgl. Becker DNotZ 2017, 835, 838. – Siehe die Erwägungen zum Entwurf bei Spickhoff RabelsZ 80 (2016), 481, 497 ff. (passim). 83 Thöne IHR 2017, 141, 146. 84 Vgl. Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 79 ff. 79 80

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Regelung im mitgliedstaatlichen IPR fehlt.85 Lohnenswert ist dieser Ansatz freilich nur in klar abgrenzbaren Gebieten, für die eine Lösung „in sich“ sinnvoll erscheint. Vorteilhaft ist er vor allem, wenn einerseits der Aufwand für die nationalen Gesetzgeber vergleichsweise gering ist, weil lediglich bereits etablierte Lösungsansätze in Gesetzesform gegossen werden müssen, und andererseits damit die Hoffnung verbunden ist, der eigenen Position bei künftigen Vereinheitlichungsbestrebungen mehr Durchsetzungskraft zu verleihen. Ansonsten bietet er gegenüber der einfacheren Beibehaltung der überkommenen nationalen Anknüpfungsregeln (siehe a), S. 275 ff.) keinen Mehrwert. Zu beobachten ist, dass die nationalen Gesetzgeber bei ihren Neuregelungen einerseits den Blick auf das europäische Umfeld richten und den Anschluss an bestehende EU-Regelungen suchen, andererseits aber auch eigene Akzente setzen. Im Hinblick auf die weitere Europäisierung kann sich dies, vor allem bei konkurrierenden Lösungen für ein und dieselbe Frage, sowohl als Segen als auch als Fluch erweisen. 2. Am EU-IPR orientierte mitgliedstaatliche Regelung Offensichtlicher ist der Einfluss des EU-IPR, wenn die der Schließung der auf europäischer Ebene verbliebenen Lücken dienenden Regeln des nationalen Kollisionsrechts an ihr nunmehr europäisches Umfeld angepasst werden. Teils wird die Europäisierung zum Anlass genommen, auch die davon unberührt bleibenden nationalen Anknüpfungsregeln in angrenzenden Gebieten zu überarbeiten. Dabei trifft der nationale Gesetzgeber eine eigene Neuregelungs- bzw. Reformentscheidung, orientiert diese aber bewusst und weitgehend an den europäischen Anknüpfungsregeln. Die wesentlichen Grundentscheidungen der europäischen Ebene werden übernommen, damit die nationalen Regelungen sich reibungslos in die vom EU-IPR gelassenen Lücken einfügen und in der Anwendung ein harmonisches Ganzes entsteht. Es handelt sich gewissermaßen um eine nationale Lückenschließung im Sinne bzw. im Geiste des EU-Kollisionsrechts. Zu beobachten ist diese zunächst bei der Lückenschließung hinsichtlich vom EU-IPR ausgesparter Fragen und Gebiete von eher geringer Reichweite. Beispielhaft dafür ist die Anpassung der national verbliebenen Anknüpfung der allgemeinen Ehewirkungen an das europäisierte Güterkollisionsrecht (dazu a)). Darüber hinaus bleibt dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht aber kaum eine Alternative dazu, seine verbliebenen Regelungen mit Anknüpfungsgrundsätzen und -prinzipien des EU-IPR in Einklang zu bringen, wenn es die bisherige Kohärenz zwischen verschiedenen Statuten wahren will. Diese Problematik verdeutlicht insbesondere das früher einheitlich angeknüpfte, durch die Europäisierung zentraler Fragen aber zunehmend zersplitterte Personalstatut (dazu b)). 85

Vgl. Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 230.

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a) Europäisch orientierte Schließung kleinerer Lücken Das herausragendste Beispiel des deutschen Kollisionsrechts für eine auf das europäisch veränderte Umfeld zugeschnittene Neuregelung im nationalen IPR ist die Reform des Art. 14 EGBGB, mit dem das IPR der allgemeinen Ehewirkungen mit dem Internationalen Scheidungsrecht der Rom III-VO und dem Güterkollisionsrecht der GüVO in Einklang gebracht wurde. Da von den drei in der praktischen Anwendung eng miteinander verzahnten Bereichen inzwischen nur noch ein einziger, noch dazu in seinem Umfang und seiner praktischen Relevanz vergleichsweise unbedeutender (siehe Teil II: § 3.I.1., S. 70 ff.), nicht unionsrechtlich geregelt ist, lässt sich durchaus von einer Lücke des EU-IPR in Bezug auf die allgemeinen Ehewirkungen sprechen. Als solche stellte sich die Situation jedenfalls aus der Perspektive des deutschen Kollisionsrechts dar. Dieses verfügte traditionell über ein sorgfältig austariertes kollisionsrechtliches Gesamtsystem für alle sich nach der in Art. 13 EGBGB separat angeknüpften Eheschließung stellenden Wirkungen und Folgefragen grenzüberschreitender Ehen. Dessen Grundstein bildete das allgemeine Ehewirkungsstatut nach Art. 14 EGBGB a. F., auf den neben dem Abstammungs- (Art. 19 Abs. 1 S. 3 EGBGB a. F.) und Adoptionsrecht (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB a. F.) vor allem die Regeln zum Güter- (Art. 15 EGBGB a. F., siehe dazu Teil II: § 3.I.2.b)aa), S. 93 ff.) und Scheidungskollisionsrecht (Art. 17 Abs. 1 EGBGB a. F.) durch Verweisung Bezug nahmen. Mit der Überführung dieser angrenzenden Gebiete in das europäische Kollisionsrecht wandelte sich jedoch die Rolle des allgemeinen Ehewirkungsstatuts. Vom zentralen Dreh- und Angelpunkt des deutschen Regelungsmodells wurde es zur isolierten letzten national verbliebenen Materie, gewissermaßen zu einer einsamen Insel „im umgebenden Meer des europäischen IPR“,86 das heute für alle anderen kollisionsrechtlichen Ehe-Folgefragen eine Antwort bereithält. Ein Festhalten daran erschien schließlich so wenig sinnvoll, dass eine auf das EU-IPR abgestimmte Neuregelung für erforderlich erachtet wurde. Denn klar abgegrenzte einzelne Teilbereiche ließen sich zwar zunächst noch vergleichsweise einfach aus dem geschlossenen Gefüge des nationalen Kollisionsrechts heraus- und durch europäische Rechtsakte ablösen. Das bisher umfassende, auf den allgemeinen Ehewirkungen basierte nationale Modell geriet jedoch bereits ins Wanken, als das erste tragende Element des Systems der nationalen Ebene entzogen wurde: Schon die Europäisierung des Internationalen Scheidungsrechts in der Rom III-VO ließ die Forderung nach einer Anpassung des Ehewirkungsstatuts an die veränderten Gegebenheiten entstehen.87 Allerdings ließ sich eine getrennte Anknüpfung der Auflösung Mankowski FamRZ 2018, 821, 822. Henrich in: FS Spellenberg, 195, 197 f.; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 710. – Für eine Reform des Art. 14 EGBGB auch Coester-Waltjen FamRZ 2013, 170, 172 ff. und der Deutsche Rat für IPR, vgl. Mansel IPRax 2013, 200, 201. 86 87

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der Ehe – quasi spiegelbildlich zur Eheschließung – noch verschmerzen, solange dem Ehekollisionsrecht noch sein Kern der allgemeinen Ehewirkungen mit dem darauf Bezug nehmenden Güterrecht verblieb. Dies änderte sich jedoch schlagartig mit Einführung der GüVO. Diese bedeutete nicht nur, dass auch der wesentliche Bestandteil Internationales Güterrecht dem nationalen Regelungssystem entzogen wurde, sondern durch den weit verstandenen Güterrechtsbegriff des EU-IPR verschob sich auch die Grenze zwischen Güterrecht und allgemeinen Ehewirkungen (siehe Teil II: § 3.I.1., S. 70 ff.). Vom bisherigen nationalen Gesamtkonzept blieb nur noch sein Grundbaustein der allgemeinen Ehewirkungen übrig, noch dazu mit stark geschmälertem Anwendungsbereich. aa) Deutsches allgemeines Ehewirkungsstatut im Einklang mit dem europäischen Güterstatut Der deutsche Gesetzgeber entschloss sich daher in Folge der Europäisierung des Ehegüterrechts zu einer grundlegenden Reform des in seiner Kompetenz verbliebenen Internationalen Ehewirkungsrechts. Mit dem EuGüVO / EuPartVO-AusfG88 wurde Art. 14 EGBGB geändert und – Vorschlägen aus der Wissenschaft folgend89 – an sein europäisch-kollisionsrechtliches Umfeld, vor allem an dessen mit den allgemeinen Ehewirkungen eng verbundene Güterkollisionsregeln, angepasst. Diese bewusste Orientierung an europäischen IPR-Konzeptionen kommt bereits in der Einleitung des Art. 14 EGBGB zum Ausdruck, die betont, dass die Regelung nur für diejenigen allgemeinen Ehewirkungen (nach deutschem Verständnis) gilt, die nicht vom Anwendungsbereich der vorrangigen GüVO erfasst werden. Diese Aussage ist zwar deklaratorisch, aber durchaus wirkungsvoll. Zum einen signalisiert sie symbolträchtig die Zurücknahme des deutschen IPR gegenüber dem europäischen Kollisionsrecht und die Bereitschaft des deutschen Gesetzgebers, bei Abgrenzungsfragen sein bisheriges Begriffsverständnis zugunsten des weiten europäischen Güterrechtsbegriffs aufzugeben. Zum anderen fungiert sie als deutlicher Hinweis an die Rechtsanwender. Art. 14 Abs. 1 EGBGB regelt nunmehr vorrangig die subjektive Anknüpfung im Wege einer beschränkten Rechtswahl.90 Als gewähltes Ehewirkungsstatut stehen den Ehegatten gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 EGBGB jetzt das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts bei Rechtswahl (Nr. 1), das Recht des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts, der bei Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des IPR vom 17.12.2018, BGBl. 2018 I 2573. 89 Vgl. Coester-Waltjen FamRZ 2013, 170, 172 ff.; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 233 ff.; Heiderhoff IPRax 2017, 160, 162; Henrich ZfRV 2016, 171, 174. 90 BeckOGK / Hertel (Stand: 1.3.2020) Art. 14 EGBGB Rn. 67 ff.; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1398; Mankowski NJW 2019, 465, 468. 88

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Rechtswahl noch gewöhnlicher Aufenthalt eines Ehegatten ist (Nr. 2), oder das Recht einer (auch nicht-effektiven) Staatsangehörigkeit eines Ehegatten (Nr. 3) offen. Formell unterliegt eine inländische Rechtswahl dem Erfordernis notarieller Beurkundung (Art. 14 Abs. 1 S. 3 EGBGB), eine im Ausland vorgenommene Rechtswahl muss die für einen Ehevertrag aufgestellten Formerfordernisse des gewählten Rechts oder des Ortsrechts erfüllen (Art. 14 Abs. 1 S. 4 EGBGB). In Ermangelung einer Rechtswahl ist auf die objektive Anknüpfung des Art. 14 Abs. 2 EGBGB zurückzugreifen. Dessen Anknüpfungsleiter führt vom gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Nr. 1) über den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, der noch gewöhnlicher Aufenthalt eines Ehegatten ist (Nr. 2) und die gemeinsame Staatsangehörigkeit (Nr. 3) zur gemeinsamen engsten Verbindung (Nr. 4) als Auffanglösung. Für das allgemeine Ehewirkungsstatut gleichgeschlechtlicher Ehegatten eröffnet Art. 17b Abs. 5 S. 2 EGBGB die Möglichkeit einer Rechtswahl gemäß Art. 14 EGBGB, bei objektiver Anknüpfung ist nach Art. 17b Abs. 4 S. 1 EGBGB i. V. m. Abs. 1 S. 1 EGBGB das Recht des Eheschließungsortes maßgeblich.91 Die wenigen nicht unter die PartVO fallenden allgemeinen Wirkungen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft werden nach Art. 17b Abs. 1 S. 1 EGBGB nach wie vor dem Recht des Registrierungsstaats unterstellt.92 Die noch verbliebenen Verweisungen auf das allgemeine Ehewirkungsstatut in anderen deutschen Kollisionsregeln wurden an die Änderung des Art. 14 EGBGB angeglichen: Art. 19 Abs. 1 S. 3 EGBGB verweist für die Abstammung auf das objektiv angeknüpfte Ehewirkungsstatut des Art. 14 Abs. 2 EGBGB (früher Abs. 1), ebenso für die Adoption durch Ehegatten Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB in der Fassung von 2018 (inzwischen durch Reform des Internationalen Adoptionsrechts überholt93).94 Damit wurde für die allgemeinen Ehewirkungen eine Parallelanknüpfung zu Artt. 22, 26 GüVO etabliert. Der deutsche Gesetzgeber hat im Einklang mit dem europäischen Güterkollisionsrecht die im nationalen Kollisionsrecht angestammte Reihenfolge aus objektiver und subjektiver Anknüpfung ebenso umgekehrt wie die Stufenfolge der Kegel’schen Leiter für die objektive Anknüpfung, bei der der gewöhnliche Aufenthalt die Staatsangehörigkeit als primäres Anknüpfungsmoment abgelöst hat.95 Die neu eingeführte Vorrangstellung der Parteiautonomie entspricht der grundsätzlichen Herangehensweise des EU-IPR, die neben der GüVO auch die Rom III-VO regiert. Auch die 91 BeckOK / Heiderhoff (Stand 1.2.2022) Art. 17b EGBGB Rn. 60. – Kritisch Dutta FamRZ 2019, 1390, 1398. 92 MüKo8 / Looschelders Art. 27 PartVO Rn. 1; Mankowski NJW 2019, 465, 469. 93 Gesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2019 zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien vom 19.3.2020, BGBl. 2020 I 541. 94 Heiderhoff IPRax 2017, 231, 235. 95 Mankowski NJW 2019, 465, 468.

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beschränkten Rechtswahlmöglichkeiten für das allgemeine Ehewirkungsstatut sind nunmehr mit jenen des Internationalen Güterrechts deckungsgleich und damit gegenüber der bisher sehr eng gefassten Rechtswahloption des deutschen Kollisionsrechts deutlich erweitert. Diese Aufgabe der bisherigen Zurückhaltung bei der Rechtswahl ist besonders zu begrüßen.96 Gleiche Voraussetzungen für die Ausübung der Rechtswahl und gleiche Wahloptionen im Ehewirkungs- wie Güterrecht sind die Voraussetzung dafür, dass diejenigen Ehegatten, die sich für die bewusste internationalprivatrechtliche Gestaltung der Rechtsfolgen ihrer Ehe entscheiden, anhand eindeutiger und kohärenter gesetzlicher Vorgaben eine kollisionsrechtliche Lösung aus einem Guss für alle Ehe(vermögens)bereiche insgesamt treffen können. Der Gleichlauf entschärft vor allem die Abgrenzungsproblematik zwischen Ehegüter- und Ehewirkungsstatut: Wird beides gleich angeknüpft, können diffizile Qualifikationsfragen zumindest vom praktischen Ergebnis betrachtet her dahinstehen bzw. Fehlqualifikationen wirken sich nicht gravierend aus.97 Ein vollständiger Gleichlauf wäre freilich nur zu erzielen gewesen, wenn das objektive Ehewirkungsstatut des Art. 14 Abs. 2 EGBGB – wie auch das Güterstatut des Art. 26 GüVO – unwandelbar ausgestaltet und auf den Zeitpunkt der Eheschließung fixiert worden wäre.98 Zu diesem Schritt konnte der deutsche Gesetzgeber sich jedoch nicht durchringen: Zwar ist bei subjektiver Anknüpfung nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB unwandelbar das Statut im Zeitpunkt der Rechtswahl maßgeblich, die objektive Anknüpfung nach Art. 14 Abs. 2 EGBGB stellt dagegen dynamisch auf die jeweils aktuellen Gegebenheiten ab.99 Damit wird der bisherige Ansatz des deutschen IPR, das Güterstatut unwandelbar, das Ehewirkungsstatut dagegen wandelbar anzuknüpfen und ein späteres Auseinanderfallen der ursprünglich gleichlaufenden Statute hinzunehmen, perpetuiert. Demgegenüber entspricht das unverändert aus Art. 14 Abs. 4 EGBGB a. F. übernommene Formerfordernis für die Rechtswahl dem deutschen sachrechtlichen Formerfordernis für Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand (§ 1410 BGB), das gemäß Art. 23 Abs. 2–4 GüVO auch für die güterrechtliche Rechtswahl von Ehegatten mit Aufenthalt in Deutschland maßgeblich ist. In diesem Punkt herrscht also wieder Einklang zwischen nationalem Ehewirkungs- und europäischem Güterstatut. Auch wenn die Angleichung der nationalen Ehewirkungskollisionsregel an das europäische Güterkollisionsrecht nicht in die allerletzte Konsequenz nachvollzogen ist – der neue Art. 14 EGBGB kann als im Zusammenspiel mit der GüVO gut funktionstauglich und insgesamt gelungen eingestuft werden. Heiderhoff IPRax 2017, 231, 235. Vgl. Coester-Waltjen FamRZ 2013, 170, 173; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 234. 98 de la Durantaye IPRax 2019, 281, 288; Kemper FamRB 2019, 32, 36. – Dafür plädierte Heiderhoff IPRax 2017, 231, 234 f. 99 Siehe en détail Mankowski NJW 2019, 465, 468 f. 96 97

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bb) Angleichungsvorteile und Anpassungszwang Für die deutsche Neuorientierung des national verbliebenen Kollisionsrechts der allgemeinen Ehewirkungen am europäischen Güterkollisionsrecht sprachen zahlreiche gute Gründe.100 Als wesentliches Motiv ist der Wunsch zu sehen, ein möglichst kohärentes Gesamtmodell für alle Ehefolgen und insbesondere den Gleichlauf zwischen Güter- und Ehewirkungsstatut auch unter der Geltung des EU-IPR beizubehalten bzw. wiederherzustellen. Die Beurteilung der vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Ehefolgen nach einem einheitlichen Recht mit aufeinander abgestimmten Regelungen, das idealerweise auch dem Scheidungsstatut entspricht, vereinfacht die Rechtsanwendung erheblich und erspart neben der Ermittlung verschiedener anwendbarer Rechte auch komplizierte Qualifikations- und Anpassungsfragen. Gerade bei auch inhaltlich eng miteinander verzahnten Bereichen ist ein kollisionsrechtliches Gesamtkonzept vorteilhaft. Das deutsche IPR hatte ein solches geschaffen, indem es das allgemeine Ehewirkungsstatut auch als Grundnorm für die Anknüpfung aller anderen Ehefolgen verwendet hatte. Nachdem diese Systematik durch die Europäisierung aller angrenzenden Bereiche obsolet geworden war, lag eine europäisch orientierte Neuregelung des Art. 14 EGBGB mit Blick auf die Wiederherstellung eines stimmigen Gesamtmodells nahe. Das genuine Anwendungsfeld des Art. 14 EGBGB war von vornherein eher überschaubar gewesen, da den allgemeinen Ehewirkungen im Vergleich zu anderen Aspekten praktisch vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt: Inhaltlich ist das Eherecht einerseits von Statusfragen (Eheschließung, Scheidung), andererseits von Vermögensfragen (Unterhaltsrecht, Güterrecht) geprägt. Hauptfunktion des Art. 14 EGBGB war seine Rolle als Bezugspunkt der für diese Gebiete geltenden Anknüpfungsregeln des nationalen IPR – mit deren Ablösung durch EU-Rechtsakte blieb von diesem Charakter als zentrale Schaltstelle nichts mehr übrig. Vielmehr kommt dem allgemeinen Ehewirkungsstatut nunmehr die Aufgabe zu, die ihm vom Anwendungsbereich des EU-Ehekollisionsrechts gelassenen Lücken sinnvoll zu schließen (siehe Teil II: § 3.I.1., S. 70 ff.). Insofern war eine Neukonzeption des Art. 14 EGBGB, die dieser geänderten Rolle auch inhaltlich gerecht wird, ohnehin erforderlich. Hinzu tritt, dass die Regelung des Art. 14 EGBGB a. F. auch schon im Vorfeld der GüVO zunehmend als überholtes, „reformbedürftiges Relikt“101 betrachtet worden war – bei inhaltlicher Zufriedenheit mit der bestehenden Kollisionsregel wäre der Reformwille wohl weniger ausgeprägt gewesen. Die Neufassung entsprechend der neuen Rolle des Ehewirkungsstatuts als „Annex“ des für bestehende Ehen nunmehr im Vordergrund stehenden Güterrechts zu gestalten und damit an des-

100 101

Dutta FamRZ 2019, 1390, 1397 f.; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 233 ff. Mankowski FamRZ 2018, 821, 822.

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sen europäischen Kollisionsregeln zu orientieren, war systematisch wie inhaltlich nur konsequent. Umgekehrt wäre ein Festhalten an der bisherigen EGBGB-Regelung für den nunmehr sehr begrenzten Bereich der allgemeinen Ehewirkungen wenig sinnvoll gewesen.102 Sowohl rechtspolitisch als auch rechtstechnisch stellte es keine gangbare Option dar. Die Beibehaltung der traditionellen vorrangigen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit mit nur eng umrissener Rechtswahlmöglichkeit wäre gegenüber dem modernen, europäischen Paradigma aus Parteiautonomie und vorrangiger Aufenthaltsanknüpfung wie ein nationalistisches Beharren auf überkommenen Prinzipien erschienen. Die bisherige Regelung des allgemeinen Ehewirkungsstatuts hätte im Gefüge des weitreichend europäisierten Internationalen Eherechts einen antiquiert anmutenden Fremdkörper gebildet, dessen Zusammentreffen mit den Regelungen der GüVO die Rechtsanwender vor Anwendungsunklarheiten und Koordinationsschwierigkeiten gestellt hätte. Insofern kann konstatiert werden, dass von der Überleitung des Internationalen Scheidungs-, vor allem aber des Güterrechts auf die europäische Ebene ein gewisser Zugzwang ausging, auf deutscher nationaler Ebene das Internationale Recht der allgemeinen Ehewirkungen neu zu regeln. Als hauptsächlicher Beweggrund für die starke Ausrichtung des neuen nationalen Ehewirkungskollisionsrechts an den europäischen Kollisionsregeln in seiner Umgebung ist der Wunsch nach einem weiterhin kohärenten Gesamtmodell für die Ehefolgen zu sehen. Dieses ist weiterhin gewährleistet, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen: Nicht mehr das Güterrecht baut auf den allgemeinen Ehewirkungen auf, sondern die (deutsche) Anknüpfung des Ehewirkungsstatuts folgt jener (europäischen) des Güterstatuts. Als weiterer verlockender Aspekt einer am EU-Kollisionsrecht ausgerichteten nationalen Lückenfüllung tritt hinzu, dass damit potentiell schwierige Abgrenzungs- und Qualifikationsprobleme zwischen den Statuten zumindest praktisch entschärft werden.103 Eine vollständige Übernahme der europäischen Kollisionsregeln kam allerdings für den deutschen IPR-Gesetzgeber nicht in Betracht: Die für das Güterrecht zugeschnittenen Anknüpfungsregeln passen nicht exakt auf die allgemeinen Ehewirkungen. Erforderlich war also ein eigenes Statut, das sich im Wesentlichen am angrenzenden EU-IPR orientiert, aber doch in Einzelpunkten davon abweicht. Ins Auge fallen neben der nach wie vor bestehenden Wandelbarkeit des objektiven Ehewirkungsstatuts vor allem die Regelungen des Allgemeinen Teils, die naturgemäß dem nationalen Kollisionsrecht zu entnehmen sind. Freilich ist in Anbetracht der begrenzten praktischen Relevanz des Ehewirkungsstatuts und aufgrund der bestehenden Rechtswahl- und Vgl. Heiderhoff IPRax 2017, 231, 235: „Abweichende Regeln für die übrig bleibenden allgemeinen Ehewirkungen scheinen geradezu skurril.“ 103 Vgl. Dutta IPRax 2017, 139, 144. 102

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Gestaltungsmöglichkeiten nicht zu erwarten, dass sich diese Diskrepanzen in massiven praktischen Schwierigkeiten niederschlagen. Die Vorteile einer europäischen Ausrichtung nationaler Neuregelungen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein gewisser Druck in diese Richtung besteht, da nationale Reformen ohne Orientierung an den benachbarten EU-Kollisionsregeln heute kaum mehr sinnvoll erscheinen. Eine Angleichung der ihm verbliebenen Regelungsbereiche an ihren europäischen Kontext kann unter Umständen sogar die einzig sinnvolle Handlungsoption für den nationalen Gesetzgeber darstellen. Ein Einklang zwischen nationalen und europäischen Kollisionsregeln kann nämlich nur dadurch entstehen, dass das nationale Kollisionsrecht sich am EU-IPR orientiert – eine Anpassung in umgekehrter Richtung erscheint quasi ausgeschlossen, da selbst bei einer Reform der bestehenden europäischen Kollisionsrechtsakte kaum je deren Abstimmung mit einer einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung im Zentrum stehen wird. Gerade wenn dem nationalen IPR nur vergleichsweise schmale Lücken mit inhaltlich geringem Eigengewicht verbleiben und deren Regelungsgegenstände eng mit denen der europäischen Kollisionsrechtsakte verflochten sind, kann ein faktischer Anpassungszwang entstehen. Von einem solchen muss man hinsichtlich des verbliebenen deutschen Art. 14 EGBGB a. F. ausgehen: Die Vorteile der Angleichung des nationalen IPR der allgemeinen Ehewirkungen an das europäische Internationale Güter- und Scheidungsrecht können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem deutschen Gesetzgeber letztlich kaum eine andere Option zur Verfügung stand. Denn der angestammte und auch weiterhin gewünschte Gleichlauf zwischen Güter- und Ehewirkungsstatut ließ sich nur über eine Angleichung des national verbliebenen IPR an die neuen europäischen Kollisionsregeln beibehalten. Gerade bei eng mit bereits europäisierten Regelungen verwobenen Einzelmaterien ist eine Orientierung an diesen quasi unausweichlich. Das zeigt etwa auch die Entscheidung des italienischen IPR-Gesetzgebers, in der neu eingeführten Kollisionsregel für allgemeine und vermögensrechtliche Partnerschaftswirkungen (Art. 32-ter Abs. 4 italIPRG) im Einklang mit der PartVO die Registrierungsortanknüpfung zugrunde zu legen.104 b) Europäischer Einfluss auf nationale Gesamtkonzeptionen: das Personalstatut Eine Orientierung der mitgliedstaatlich verbliebenen Anknüpfungsregeln am EU-IPR ist nicht nur dort zu verzeichnen, wo der nationalen Regelungsebene nur noch eher kleine Lücken verbleiben. Auch auf größere Bereiche des mitgliedstaatlichen IPR, die an und für sich von der bisherigen Europäisierung 104 Bariatti in: FS Kohler, 1, 5 ff.; Gruber IPRax 2021, 39, 45; Trilha Schappo / Winkler Rev. crit. DIP 2017, 319, Rn. 34 ff.

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klar getrennt sind, kann es erheblichen Einfluss ausüben. Dies macht sich insbesondere dann bemerkbar, wenn die schrittweise Europäisierung zu so vielen Ausnahmen von der dem nationalen Kollisionsrecht ursprünglich zugrunde gelegten Gesamtkonzeption geführt hat, dass das ursprünglich kohärente Modell nicht mehr als solches zu erkennen ist bzw. funktioniert. Die einzige Möglichkeit, das unbefriedigende Nebeneinander aus (alten) nationalen und (neuen) europäischen Ansätzen wieder in ein zusammenhängendes System zu transformieren, liegt dann darin, die national verbliebenen Regelungen an die im EU-IPR zugrunde gelegten Grundsätze und Prinzipien anzupassen. Zu beobachten ist eine diesbezügliche Tendenz derzeit insbesondere bezüglich des Personalstatuts. Unter dem Personalstatut versteht man die Rechtsordnung, der die persönlichen Rechtsverhältnisse, bei natürlichen Personen also neben dem Personen- insbesondere das Familien- und Erbrecht, unterstellt werden.105 Traditionell wurden diese, wenn auch durch unterschiedliche Anknüpfungsregeln für verschiedene Statute, prinzipiell einheitlich angeknüpft – beruhend auf dem Gedanken, dass die oft miteinander verknüpften persönlichen Angelegenheiten einer einzigen Rechtsordnung, eben dem Personalstatut, unterstellt werden sollten. Teils wird das Personalstatut als solches gesetzlich geregelt (vgl. § 9 öIPRG, Art. 3 Abs. 3 C.civ.), teils ergibt es sich (wie im deutschen EGBGB) aus der Gesamtschau der familien- und erbrechtlichen Regelungen. In Deutschland richtet sich das Personalstatut ebenso wie in Österreich und den meisten anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen traditionell nach der Staatsangehörigkeit, ausgehend vom Gedanken einer engen Verbindung von Personen zu ihrem Heimatstaat. Das einheitliche Personalstatut des nationalen IPR gehört inzwischen allerdings der Vergangenheit an. Mit dem Internationalen Erb-, Scheidungs- und Güterrecht sind weite und zentrale Teile daraus inzwischen europäisch geregelt, hinzu kommen die auf das EUIPR abgestimmten staatsvertraglichen Regelungen zum Unterhalts- sowie Kinder- und Erwachsenenschutzkollisionsrecht und Modernisierungen des Internationalen Abstammungs- und Adoptionsrechts. Dem früher universellen Personalstatut verbleiben damit nur noch einzelne und unzusammenhängende Fragen: die Rechts- und Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen, die Eheschließung und das Verlöbnis und die allgemeinen Ehewirkungen, das Namensrecht sowie die wenigen noch nicht vereinheitlichten fürsorgerechtlichen Aspekte. Werden für diese Statute andere Anknüpfungsprinzipien als im EUIPR zugrunde gelegt, entsteht ein gespaltenes Personalstatut.106 Das kann nicht nur praktisch zu Koordinationsschwierigkeiten und Reibungsverlusten 105 Ausführlich zum Begriff und seinen Komplikationen MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Rn. 2 ff.; Dutta in: Encyclopedia of PIL, 1346, 1346. 106 Vgl. Bonomi in: Heindler, 49, 61; Mankowski IPRax 2017, 130, 139; Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 82.

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führen, sondern läuft auch dem Wunsch konträr, die persönlichen Rechtsbeziehungen einer Person möglichst einheitlich und vorhersehbar einer einzigen Rechtsordnung zu unterstellen. Zu beobachten ist im deutschen IPR daher die Tendenz, die Regelungen der verbliebenen Elemente des Personalstatuts an die europäische Konzeption des Personenrechts anzupassen, um auf diesem Wege die Einheit des Personalstatuts wieder herzustellen.107 Konkret bedeutet das insbesondere die Ablösung der traditionell zugrunde gelegten Staatsangehörigkeitsanknüpfung durch die im EU-IPR und den neueren Haager Konventionen als primäres Anknüpfungsmoment etablierte Aufenthaltsanknüpfung.108 Wie gesehen wird diese im Gefolge der GüVO / PartVO nunmehr auch in Art. 14 EGBGB für die allgemeinen Ehewirkungen zugrunde gelegt (siehe a)aa), S. 294 ff.). Die im Internationalen Namensrecht nach wie vor grundsätzliche Staatsangehörigkeitsanknüpfung in Art. 10 Abs. 1 EGBGB wird durch Wahlmöglichkeiten insbesondere zugunsten des deutschen Aufenthaltsortrechts abgemildert, vor allem aber durch den Einfluss der Grundfreiheiten zumindest im zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis erheblich modifiziert (siehe II.1.c)bb), S. 353 ff.); für die Zukunft wird auch hier eine (unionsrechtliche) Grundanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt propagiert.109 Im Abstammungsrecht (Artt. 19, 20 EGBGB) ist ohnehin bereits seit längerem der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes primär maßgeblich. Einen wesentlichen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden, aufenthaltsbasierten Personalstatut ist der deutsche Gesetzgeber jüngst gegangen. Im Rahmen einer grundlegenden Reform des materiellen Fürsorgerechts hat er auch die Anknüpfung der Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft (Art. 24 EGBGB) sowie der Geschäftsfähigkeit (Art. 7 Abs. 2 EGBGB) reformiert: Seit 1.1.2023 gilt hier statt der bisherigen Staatsangehörigkeits- die Aufenthaltsanknüpfung.110 In beiden Fällen bildet die Angleichung an supranationale Standards die Hauptmotivation für die wenig diskuZum Personalstatut und seiner Entwicklung siehe statt vieler M.-P. Weller in: FS Coester-Waltjen, 897, 897 ff. – Schon frühzeitig zum immer stärkeren europäischen Einfluss und zum daraus für das mitgliedstaatliche IPR resultierenden Zugzwang etwa Coester-Waltjen FamRZ 2013, 170, 170 ff.; Coester IPRax 2013, 114, 1; Dutta IPRax 2017, 139, 144; Mankowski IPRax 2017, 130, 138 f. 108 Zu dieser Entwicklung statt vieler Basedow The Law of Open Societies Rn. 482 ff. – So bereits Henrich in: FS Spellenberg, 195, 196 f. – Kritisch Rauscher in: FS CoesterWaltjen, 637, 648 f. – Eine Öffnung des bisher für das Personalstatut an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden österreichischen IPR (auch) für den gewöhnlichen Aufenthalt fordert Bonomi in: Heindler, 49, 75 ff. 109 Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 12 ff. 110 Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021, BGBl. 2021 I 882. – Umfassend (noch zum Regierungsentwurf) Thorn / Varón Romero IPRax 2021, 15, 15 ff. 107

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tierte Reform. Der Übergang zum Aufenthaltsprinzip in Art. 24 EGBGB soll die parallele Anknüpfung der noch dem nationalen IPR unterfallenden Fürsorgeverhältnisse zu den inzwischen hauptsächlich staatsvertraglichen Regelungen (KSÜ, ESÜ) ermöglichen.111 Dies erscheint sinnvoll, da der Anwendungsbereich der Norm nur noch wenige Fälle (z. B. ex lege-Fürsorgeverhältnisse bei Erwachsenen) erfasst, für die eine Sonderregelung inhaltlich nicht erforderlich ist, sondern eine abweichende Anknüpfung nur Abgrenzungsund Koordinationsfragen aufwirft.112 Den Paradigmenwechsel in Art. 7 Abs. 2 EGBGB n. F., der früheren Keimzelle der Staatsangehörigkeitsanknüpfung des Personalstatuts, sieht der Gesetzgeber als „Anpassung“113 im Annex dazu und begründet ihn nur knapp mit erhöhtem Verkehrsschutz und erleichtertem Rechtsverkehr.114 Der pauschale Verweis, der Übergang vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip werde „zunehmend gefordert“115, gilt für die Geschäftsfähigkeit bisher allerdings allenfalls punktuell.116 Auch zum gewünschten Einklang mit internationalen rechtspolitischen Entwicklungen führt der Wechsel des Anknüpfungsmoments (noch) nicht. Der Gesetzgeber nennt das schweizerische Recht (Art. 35 schwIPRG) als Vorbild,117 in der Mehrheit der europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen (z. B. Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Türkei) ist aber nach wie vor für die Geschäftsfähigkeit das Heimatrecht maßgeblich.118 Es droht also eine erhöhte Zahl hinkender Geschäftsfähigkeit. Insofern erweist sich der (vermeintliche) Blick auf die EU hier konkret als kurzsichtig. Die deutsche Reform entspricht aber der generellen Hinwendung zum gewöhnlichen Aufenthalt in personen- und familienrechtlichen Fragen, die im EU-IPR und mehr oder weniger stark auch in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nach und nach vollzogen wird. Inkonsequent ist es dann freilich, für die Rechtsfähigkeit auch künftig weiterhin an der Staatsangehörigkeitsanknüpfung festzuhalten (Art. 7 Abs. 1 EGBGB n. F.). Als letzte Bastion der strikten Staatsangehörigkeitsanknüpfung des Personalstatuts verbleibt damit im deutschen IPR noch das Eheschließungsstatut 111 BT-Drs. 19/24445, 319 ff.; Thorn / Varón Romero IPRax 2021, 15, 22 ff. – In diese Richtung tendierend bereits Henrich in: FS Spellenberg, 195, 202. 112 Siehe zum neben vorrangigen staatsvertraglichen und europäischen Regelungen verbleibenden schmalen Einsatzbereich des deutschen IPR der Fürsorgeverhältnisse BTDrs. 19/24445, 319 f.; Thorn / Varón Romero IPRax 2021, 15, 16 ff. 113 BT-Drs. 19/24445, 156. 114 BT-Drs. 19/24445, 318. 115 BT-Drs. 19/24445, 123. 116 Vgl. den Vorschlag bei Helms in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer /  Niethammer-Jürgens, 149, 166 f. 117 BT-Drs. 19/24445, 119. 118 Rechtsvergleichender Überblick bei Staudinger / Hausmann (Neubearb. 2019) Art. 7 EGBGB Rn. 6 ff.

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(Art. 13 Abs. 1 EGBGB) und das nicht eigenständig geregelte, sondern entsprechend angeknüpfte Verlöbniskollisionsrecht.119 Fraglich ist allerdings, wie lange noch: Seit geraumer Zeit wird eine Veränderung der Anknüpfung der Eheschließung gefordert und grundsätzlich hinterfragt, ob die Anknüpfung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB an das Recht der Staatsangehörigkeit noch zeitgemäß ist oder ob sie durch eine Anknüpfung an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts ersetzt werden sollte.120 Ins Feld geführt werden dabei wiederum insbesondere auf das EU-IPR bezogene Gesichtspunkte, vor allem der Einklang mit der durch das europäische Kollisionsrecht vorangetriebenen allgemeinen Tendenz zur Aufenthaltsanknüpfung im Internationalen Familienrecht. In der Tat erschließt sich kaum, warum für das national geregelte Internationale Eheschließungsrecht andere Maßstäbe als für alle anderen, europäisch normierten ehebezogenen Kollisionsregeln gelten sollen. Als wieteres Argument wird angeführt, dass auf diesem Wege die kollisionsrechtliche Gleichbehandlung der Schließung verschieden- und gleichgeschlechtlicher Ehen ermöglicht werden kann, die für die vom EU-IPR geregelten Fragen zumindest aus deutscher Sicht bereits vollzogen ist.121 Wie auch immer sie schließlich aussehen wird: Eine Reform des deutschen Eheschließungskollisionsrechts ist jedenfalls in näherer Zukunft zu erwarten – ein aktueller Vorschlag (der allerdings das Recht des Eheschließungsortes favorisiert) steht bereits als Grundlage zur Verfügung.122 Parallel dazu ist bereits seit geraumer Dazu ausführlich Rupp RabelsZ 83 (2019), 154, 173 ff. Vgl. die Reformvorschläge bei Antomo ZRP 2017, 79, 82; Antomo NJW 2016, 3558, 3563; Antomo NZFam 2016, 1155, 1157; Coester-Waltjen StAZ 2013, 10, 11 ff.; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 287 ff.; Henrich in: FS Spellenberg, 195, 201 f.; Sonnenberger in: FS Coester-Waltjen, 787, 787 ff. – Zu den Vor- und Nachteilen der Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsanknüpfung jüngst zusammenfassend Coester-Waltjen IPRax 2021, 29, 31 ff. – Stattdessen oder hilfsweise wird seit einiger Zeit auch vorgeschlagen, das Recht des Eheschließungs- bzw. Registerstaats zur Anwendung zu bringen, vgl. CoesterWaltjen StAZ 2013, 10, 18; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 288 ff.; Thorn / Paffhausen IPRax 2017, 590, 596; so auch für alle „familienrechtlich anerkannten Lebens- und Risikogemeinschaften“ Sonnenberger in: FS Coester-Waltjen, 787, 796 ff. Dieses Modell legt nunmehr auch der Deutsche Rat für IPR seinem Reformvorschlag für das internationale Ehe- und Lebenspartnerschaftsrecht zugrunde, Mansel IPRax 2022, 659, 659. 121 Vgl. Coester-Waltjen / Coester in: FS Brudermüller, 73, 78 f.; de la Durantaye IPRax 2019, 281, 284; Mankowski IPRax 2017, 541, 548; Thorn / Paffhausen IPRax 2017, 590, 596. 122 Coester-Waltjen IPrax 2021, 29, 29 ff. (Anknüpfung an die lex loci celebrationis, 34 ff.), dem folgend für das IPR eingetragener Partnerschaften und anderer (faktischer) Lebensgemeinschaften Gruber IPRax 2021, 39, 39 ff. (42 ff.) und auf diesen Vorschlägen fußend der Reformvorschlag des Deutschen Rates für IPR, Mansel IPRax 2022, 659, 659 f. – Zustimmend (insbesondere vor dem Hintergrund einer aus den Grundfreiheiten fließenden Pflicht zur Statusanerkennung) Hübner FamRZ 2022, 585, 585 ff. sowie (nach einer eingehenden Untersuchung der kollisionsrechtlichen Interessen) R. Wagner FamRZ 2022, 245, 245 ff. 119 120

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Zeit eine zunehmende Koordination des deutschen Kollisionsrechts der Lebenspartnerschaften mit dem EU-IPR zu beobachten.123 Das durch die Europäisierung zentraler Aspekte erheblich ausgehöhlte traditionelle auf der Staatsangehörigkeit basierende Personalstatut des deutschen IPR gehört der Vergangenheit an. Will man für die Zukunft an einem einheitlichen Anknüpfungsmoment für familien- und erbrechtliche Fragen festhalten, muss es im Einklang mit den Anknüpfungsentscheidungen des EUKollisionsrechts stehen.124 Für das deutsche IPR hat sich inzwischen ein neues, den gewöhnlichen Aufenthalt zugrunde legendes Personalstatut herauskristallisiert. Wann die letzten verbliebenen Ausnahmen im Internationalen Namens- und Eheschließungsrecht ebenfalls daran angepasst werden, scheint nur noch eine Frage der Zeit. Grundsätzlich ist dies zu begrüßen: Es vereint die Vorteile des klassisch-einheitlichen Personalstatuts mit denen moderner Anknüpfungskriterien. Bedenklich erscheint aber, dass diese Entwicklung nicht bewusst als solche vollzogen wurde, sondern das Ergebnis unabhängiger Reformschritte ist – es entsteht der Eindruck, die Wiederherstellung eines kohärenten Personalstatuts sei eher zufälliger Kollateralschaden. Eine transparente Auseinandersetzung auch mit diesem Aspekt wäre wünschenswert gewesen – um so mehr, wenn der Änderung der Anknüpfungsregeln insgesamt so wenig Aufmerksamkeit zu Teil wird wie bei der jüngsten Änderung des Art. 7 EGBGB und des Art. 24 EGBGB. Ferner kann man bezweifeln, ob das Personalstatut auf der mitgliedstaatlichen Ebene noch richtig verortet ist. Zentrale Elemente sind bereits europäisch normiert, zur Schaffung eines kohärenten Gesamtkonzepts muss sich das nationale IPR zwangsläufig an ihnen orientieren. Statt einer Vielzahl an das EU-IPR angelehnter, aber im Detail (z. B. bezüglich subsidiärer Anknüpfungen) voneinander abweichender nationaler Regelungen erscheint es günstiger, ein umfassendes Personalstatut für das 21. Jahrhundert von vornherein einheitlich für ganz Europa zu etablieren. Vorgeschlagen wurde dafür eine grundsätzliche integrationsfördernde Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt, ergänzt durch eine Wahlmöglichkeit zugunsten des Rechts der Staatsangehörigkeit.125 Das Beispiel des Personalstatuts zeigt, wie weit die Sogwirkung des EUKollisionsrechts inzwischen über die unmittelbar betroffenen Gebiete hinausreicht.126 Seine Einflüsse erfassen nicht nur die unmittelbaren Nachbargebiete der europäisierten Statute, sondern letztlich das gesamte nationale IPR. In dem Maße, wie mehr und mehr Regeln aus dem ursprünglich aufeinander Siehe z. B. Coester IPRax 2013, 114, 114 ff. mit dem Hinweis, dass nationale Reformen auch die weitere Entwicklung des EU-Kollisionsrechts beeinflussen können (122). 124 Vgl. Rentsch ZEuP 2015, 288, 288 ff. 125 Weller / Thomale / Zimmermann JZ 2017, 1080, 1081. 126 Zur Sogwirkung der (europäisch vorangetriebenen) Aufenthaltsanknüpfung Dutta IPRax 2017, 139, 144. 123

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abgestimmten nationalen IPR herausgelöst und durch anderslautende europäische Anknüpfungen ersetzt werden, wird das mitgliedstaatliche IPR zu einer immer fragileren Sammlung einzelner Normen – vor allem, wenn die Europäisierung zentrale Bausteine des bisherigen Systems betrifft. Der einzige Weg zur Wiederherstellung von Kohärenz zwischen diesen untereinander und mit den nunmehr europäisch geregelten Statuten besteht darin, die Paradigmen des EU-IPR auch für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht zugrunde zu legen. Aufgrund der Verflechtungen der Statute untereinander wird sich über kurz oder lang für jede Kollisionsnorm das Bedürfnis nach einer derartigen Anpassung stellen – indirekt übt das EU-Kollisionsrecht damit Wirkung auf das gesamte national verbliebene IPR aus. Wenn aber ein Gesamtkonzept für wesentliche Teile oder gar das gesamte Kollisionsrecht nur in Übereinstimmung mit den Grundentscheidungen des EU-IPR geschaffen werden kann, stellt sich zunehmend die Frage, ob nationale Versuche in diese Richtung überhaupt noch sinnvoll sind oder ob nicht vielmehr eine Ablösung durch ein europäisches Gesamtmodell vorzugswürdig wäre. 3. Übernahme der EU-Kollisionsregeln für das mitgliedstaatliche Recht Die stärkste Form des europäischen Einflusses auf das nationale IPR ist die Übernahme der EU-Kollisionsregeln zur Schließung bei der Europäisierung verbliebener Lücken. Der nationale Gesetzgeber trifft für die ihm verbliebenen Fragen keine selbständige, gegebenenfalls am EU-Recht orientierte Regelung, sondern ordnet schlicht die entsprechende Geltung der europäischen Anknüpfungsregeln an. Technisch kann dies entweder durch nationale Parallelgesetzgebung erfolgen, bei der die europäischen Normen in das nationale IPR „hineinkopiert“ werden, oder aber – deutlich einfacher und daher vom deutschen Gesetzgeber bevorzugt – durch einen schlichten Verweis der nationalen Kodifikation auf die jeweilige EU-Verordnung, der insgesamt oder in Teilen ihre (entsprechende) Anwendung anordnet. Damit wird das EU-IPR über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus auf nationaler Ebene für maßgeblich erklärt. Unionsrechtlich ist eine derartige erweiternde Anwendung ohne weiteres zulässig: Es steht den Mitgliedstaaten frei, innerhalb ihres Kompetenzbereichs eigene Regelungen zu treffen, die denen des europäischen Rechts exakt entsprechen. Kraft innerstaatlichen Anwendungsbefehls können die EU-Kollisionsregeln daher auch außerhalb ihres eigentlichen Anwendungsbereichs für maßgeblich erklärt werden.127 Beispiele für derartige „EU-akzessorische Anknüpfungen“ gibt es inzwischen reichlich. So erklärt etwa das niederländische IPR die Rom I-VO bzw. die Rom II-VO auch für die autonom anzuknüpfenden vertraglichen bzw. außervertraglichen Schuldverhältnisse für anwendbar (Artt. 10:154, 10:159 127

Siehe nur MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 1 sowie Basedow FS Posch, 17, 19.

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BW).128 Der italienische IPR-Gesetzgeber unterstellt in Art. 45 italIPRG alle dem nationalen IPR verbliebenen familiären Unterhaltspflichten der UnthVO und in Art. 32-quater Abs. 2 italIPRG die Auflösung eingetragener Partnerschaften dem Scheidungsstatut nach der Rom III-VO.129 Inhaltlich tritt dieses Modell in zwei Spielarten auf: Die Verweisung auf das europäische Kollisionsrecht kann entweder umfassend erfolgen oder aber in einzelnen Aspekten modifiziert werden. Der deutsche IPR-Gesetzgeber hat sich dieser Technik im Hinblick auf mehrere Rechtsgebiete und in beiden Varianten bedient. Einen Pauschalverweis enthält das EGBGB insbesondere für das national verbliebene Internationale Erbrecht (dazu a)). Hinsichtlich der im Europäischen Scheidungskollisionsrecht gelassenen Lücken erklärt es die Rom III-VO für anwendbar, allerdings in teils modifizierter Form (dazu b)). Derartige Erweiterungen des Anwendungsbereichs des EU-IPR bieten Vorteile, bergen daneben allerdings auch einige Probleme und Gefahren (dazu c)). a) Umfassende analoge Anwendung des EU-IPR Prominentestes Beispiel des EGBGB für die umfassende Übernahme von EUKollisionsregeln ist Art. 25 EGBGB: Er erklärt für alle national verbliebenen Fragen des Internationalen Erbrechts schlicht Kapitel III ErbVO für entsprechend anwendbar. Diese Verweisung visiert das gesamte europäische Erbkollisionsrecht an. Die Beschränkung auf Kapitel III dient lediglich der Abgrenzung von den in der ErbVO ebenfalls enthaltenen internationalverfahrensrechtlichen Regeln – hier bleibt es zur Füllung etwaiger Lücken beim autonomen IZVR.130 Aus deutscher Sicht sind damit alle erbkollisionsrechtlichen Fragen einheitlich nach der ErbVO zu lösen. Inhaltlich eigenständiges deutsches Erbkollisionsrecht existiert nicht mehr. Die inhaltliche Reichweite und praktische Relevanz der umfassenden Verweisungsregel in Art. 25 EGBGB sind allerdings begrenzt. Ihr unterfallen nur die aus deutscher Sicht erbrechtlich zu qualifizierenden Aspekte, die nicht ohnehin bereits vom eher weiten sachlichen Anwendungsbereich der ErbVO erfasst sind;131 dazu sollen beispielsweise erbrechtsnahe Trusts gehören, die vom Anwendungsbereich der ErbVO explizit ausgeschlossen sind (Art. 1 Abs. 2 lit. j) ErbVO).132 Im Einzelnen ist jedoch aufgrund des noch nicht exakt auskonturierten Anwendungsbereichs der ErbVO alles andere als klar, was Zilinsky IPRax 2016, 498, 502. Gruber IPRax 2021, 39, 45; Trilha Schappo / Winkler Rev. crit. DIP 2017, 319, Rn. 36 ff. 130 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.5.2022) Art. 25 EGBGB Rn. 6; MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 5 f. 131 MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 2 f. (zur Qualifikation Art. 1 ErbVO Rn. 10). – Der räumlich-persönliche und der zeitliche Anwendungsbereich der ErbVO werden dagegen durch Art. 25 EGBGB nicht erweitert, MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 2 m. w. N. 128 129

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gegebenenfalls doch von Art. 25 EGBGB erfasst sein soll.133 Der Regelung kommt damit eine Art vorbeugender Auffangfunktion zu: Sie soll als „Staubsaugernorm“ alle national verbliebenen „Krümel“ aufsaugen134 und im Sinne einer kollisionsrechtlich einheitlichen Behandlung denselben Regeln unterstellen, die ohnehin für den Löwenanteil des Erbstatuts gelten.135 Auf diese Weise wird nicht nur das Ziel verwirklicht, eine inhaltliche Nachlassspaltung, noch dazu hinsichtlich weniger und eher randständiger Aspekte, mit allen dazugehörigen Anwendungsproblemen zu vermeiden.136 Durch die vorsorgliche Unterstellung aller national verbliebenen Fragen unter die europäischen Kollisionsregeln werden auch die schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen den Regelungsebenen zumindest für die praktische Anwendung entschärft.137 Ergänzend dazu schließt Art. 26 EGBGB die hinsichtlich der erbrechtlichen Sonderanknüpfung der Form von Verfügungen von Todes wegen dem nationalen Kollisionsrecht zur Füllung verbliebenen Lücken. Da vorrangig zur ErbVO und zum nationalen Recht das HTestFormÜ zu berücksichtigen ist, dem die Bundesrepublik Deutschland angehört (siehe Teil II: § 4.I.1.b), S. 193 ff.), erfolgt dies in zwei Schritten. Art. 26 Abs. 1 EGBGB ergänzt und erweitert zunächst (wie bereits Art. 26 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB a. F.) das HTestFormÜ, indem er für in dessen Anwendungsbereich fallende letztwillige Verfügungen das tatsächliche oder hypothetische Erbstatut als alternatives Formstatut beruft. Diese Erweiterung steht im Einklang mit der Ermächtigungsklausel des Art. 3 HTestFormÜ, ist aber technisch gesehen unionsrechtlich bedenklich.138 Im Ergebnis erweist sie sich jedoch als durchaus unionsrechtsfreundlich, da sich das Erbstatut gemäß der ErbVO bestimmt139 und auf diesem Wege sichergestellt wird, dass die Formwirksamkeit nach dem europäisch angeknüpften Erbstatut sich in jedem Fall durchsetzen kann.140 Für die wenigen weder vom Anwendungsbereich des HTestFormÜ noch von jenem der ErbVO erfassten erbrechtlichen Formfragen erfolgt die Lückenschließung in Art. 26 Abs. 2 EGBGB ebenso wie in Art. 25 EGBGB durch Verweisung auf die ErbVO. Die Unterstellung unter Art. 27 ErbVO dehnt dessen sachli132 So etwa Döbereiner NJW 2015, 2449, 2454 f. – Skeptisch MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 4. 133 MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 4. 134 Plastisches Bild von MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 1. 135 So auch die Begründung zum Regierungsentwurf zur Neufassung des Art. 25 EGBGB, BT-Drs. 18/4201, 66. 136 MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 1. 137 MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 4. 138 MüKo8 / Dutta Art. 26 EGBGB Rn. 1 f., Art. 75 ErbVO Rn. 3. 139 MüKo8 / Dutta Art. 26 EGBGB Rn. 2 f. 140 Die Klarstellung des Art. 26 Abs. 1 S. 2 EGBGB, dass das HTestFormÜ im Übrigen unberührt bleibt, ist dagegen überflüssig: Dies ergibt sich bereits aus völkerrechtlichen Grundsätzen und aus Art. 75 Abs. 1 ErbVO (MüKo8 / Dutta Art. 26 EGBGB Rn. 2).

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chen Anwendungsbereich auf alle aus deutscher Sicht als Verfügung von Todes wegen zu qualifizierenden Geschäfte aus – wobei abgesehen von mündlichen Erbverträgen kaum Verfügungsformen außerhalb des ohnehin von HTestFormÜ und ErbVO geregelten Bereichs denkbar sind.141 Der Streit über den rein deklaratorischen Charakter142 oder den eigenständigen Regelungsgehalt143 der Norm bleibt damit akademisch. Auch hier ist die Verweisung auf das EU-Kollisionsrecht umfassend: Der in Art. 26 Abs. 2 EGBGB allein in Bezug genommene Art. 27 ErbVO ist die einzige für die Anknüpfung der Form von Verfügungen von Todes wegen maßgebliche Norm des europäischen Internationalen Erbrechts. Auch bei den erbrechtlichen Formregeln verzichtet das deutsche IPR also auf eine eigene Regelung für den ihm verbliebenen Restbereich. Auf die Technik einer schlichten Verweisung auf das EU-IPR greift das EGBGB auch hinsichtlich der nicht der GüVO oder der UnthVO unterfallenden, dem nationalen Kollisionsrecht verbleibenden vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen zurück. Art. 17 Abs. 1 EGBGB verweist für vermögensrechtliche Scheidungsfolgen explizit auf den Vorrang der GüVO (und der UnthVO)144 und unterstellt die übrigen Scheidungsfolgen (wie früher scheidungsakzessorisch145) dem nunmehr nach der Rom III-VO zu bestimmenden Scheidungsstatut. Diese grundsätzliche indirekte Verweisung auf das europäische Scheidungskollisionsrecht steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass die betreffende Scheidungsfolge nicht durch eine andere, spezielle Vorschrift des EGBGB geregelt (also einem eigenen Statut unterstellt) ist. Dies ist zunächst mit Art. 17a EGBGB für (nicht zwangsläufig scheidungsbezogene) Betretungs-, Näherungs- und Kontaktverbote bezüglich im Inland belegener Ehewohnungen und mit Art. 21 EGBGB (Art. 3 MSA, Art. 15 KSÜ) für die elterliche Sorge – beides allerdings ohnehin nichtvermögensrechtliche Aspekte – der Fall. Art. 17 Abs. 4 EGBGB trifft ferner eine Sonderregelung für den nach Art. 1 Abs. 2 lit. f) GüVO vom Anwendungsbereich der GüVO ausgeschlossenen Versorgungsausgleich. Dafür wird ebenfalls zunächst pauschal auf das Unionsrecht verwiesen: Grundsätzlich maßgeblich ist das nach der Rom III-VO zu bestimmende Scheidungsstatut. Allerdings wird diese Bezugnahme auf die europäischen Anknüpfungsregeln durch einige Sonderregeln ergänzt, die erforderlich sind, um der Rolle des Versorgungsausgleichs als „deutsche Spezialität“ Rechnung zu tragen.146 Auch in Anbetracht des euro141 BeckOGK / J. Schmidt (Stand: 1.5.2022) Art. 26 EGBGB Rn. 7; MüKo8 / Dutta Art. 26 EGBGB Rn. 4 ff. 142 So die Auffassung des Gesetzgebers, BT-Drs. 18/4201, 66. 143 MüKo8 / Dutta Art. 26 EGBGB Rn. 5; NK-BGB / Looschelders Art. 1 ErbVO Rn. 42. 144 Heiderhoff IPRax 2017, 231, 236. 145 Rauscher FPR 2013, 257, 258. 146 Vgl. MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 4, im Einzelnen Rn. 90 ff.; Althammer NZFam 2015, 9, 12; Hau FamRZ 2013, 249, 251. – Ausführlich und

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päisch eher weit verstandenen Güter- und Unterhaltsstatuts (siehe Teil II: § 2.I.2., S. 38 ff.) bleiben damit nur noch wenige Scheidungsfolgen, die nach Art. 17 Abs. 1 EGBGB erweiternd dem europäisch bestimmten Scheidungsstatut zugewiesen werden, beispielsweise die manchen Rechtsordnungen als Scheidungsnebenfolge bekannten Möglichkeiten für einen Schenkungswiderruf oder Schadensersatzansprüche.147 Wie im Erbrecht ermöglicht diese Technik der Ausdehnung des EU-IPR auf national verbliebene Fragen eine kollisionsrechtliche Beurteilung aus einem Guss und erspart die Mühe einer eigenen nationalen Regelung für einige wenige, praktisch eher seltene Sonderkonstellationen. Eine entsprechende Regelung auch für das Internationale Güterrecht hätte durchaus nahegelegen. Vorgeschlagen wurde etwa, in einer Auffangregel (verortet in einer Neufassung des Art. 15 EGBGB) für alle etwaigen aus deutscher Perspektive güterrechtlich zu qualifizierenden, aber nicht vom europäischen Güterkollisionsrecht erfassten Aspekte ergänzend auf die GüVO zu verweisen. In Anbetracht des weiten Güterrechtsverständnisses der GüVO (siehe Teil II: § 3.I.1.b)aa), S. 79 ff.) hätte eine solche Regelung, da Szenarien für ihren Einsatz auf den ersten Blick kaum möglich schienen,148 vor allem vorbeugenden Charakter gehabt. Sie hätte aber für den Umgang mit gegebenenfalls nachträglich und überraschend zu Tage tretenden Lücken der GüVO (wie bei der Rom III-VO durch die Sahyouni-Entscheidung) eine zuverlässige Grundlage geboten und eine kollisionsrechtlich einheitliche Beurteilung sämtlicher güterrechtlicher Fragen anhand der EU-Kollisionsregeln sichergestellt – gerade im Güterrecht würde eine abweichende nationale Anknüpfungsregel zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Koordinationsproblemen bei unterschiedlicher Anknüpfung verwandter Fragen führen.149 Der deutsche Gesetzgeber hat sich allerdings gegen einen solchen als letztlich nur deklaratorisch eingestuften Verweis entschieden und sowohl die nationale güterrechtliche Anknüpfungsregel des Art. 15 EGBGB a. F. als auch die dazugehörige Verkehrsschutzregel des Art. 16 EGBGB a. F.150 ersatzlos gestrichen.151 kritisch gegenüber der Anlehnung an das Scheidungsstatut der Rom III-VO Gruber IPRax 2016, 539, 539 ff., der eine Orientierung am (europäischen) Güterkollisionsrecht für sinnvoller hält (543 f.). 147 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 36 ff., 77 ff.; Mankowski NZFam 2021, 757, 762. – Siehe auch Althammer NZFam 2015, 9, 12; Hau FamRZ 2013, 249, 251. 148 Ablehnend daher Dutta FamRZ 2019, 1390, 1394. 149 Siehe den Vorschlag bei Heiderhoff IPRax 2017, 231, 233. 150 Dazu Heiderhoff IPRax 2017, 231, 235 f.; Mankowski NJW 2019, 465, 467 f. 151 Art. 2 EuGüVO / EuPartVO-AusfG, BGBl. 2018 I 2573, siehe dazu Mankowski NJW 2019, 465, 467. – Dem weiten europäischen Verständnis des Güterrechtsbegriffs (siehe Teil II: § 3.I.1.b)aa), S. 79 ff.) wurde ferner durch die Streichung der nunmehr der GüVO unterstellten vermögensrechtlichen Regelungsgegenstände (Nutzungsbefugnis für Ehe-

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Ob auf potentielle doch nicht von der GüVO erfasste güterrechtliche Fragen die abgeschafften deutschen Regelungen oder doch die EU-Kollisionsregeln entsprechend anwendbar sein sollen, ist damit unklar. Eine vorsorgliche Anordnung der erweiterten Anwendung der GüVO hätte hier Unsicherheit vermeiden können. Das Hauptargument dafür, auch in national verbliebenen Bereichen die EU-Kollisionsregeln entsprechend zur Anwendung zu bringen, liegt auf der Hand: Eine Spaltung innerhalb von Rechtsgebieten bzw. Statuten soll verhindert werden. Behält man in den nicht europäisierten Bereichen die bisherigen nationalen Anknüpfungsregeln bei oder schafft man inhaltlich vom EU-IPR divergierende neue nationale Kollisionsnormen, kommt es zu einer gespaltenen Anknüpfung152 mit allen dazugehörigen Anwendungsschwierigkeiten. Durch die extensive Übernahme der europäischen Kollisionsregeln kraft nationalen autonomen Anwendungsbefehls einen vollständigen Gleichlauf zu verwirklichen bietet sich vor allem dann an, wenn sich eine eigenständige Lösung zur Füllung der dem nationalen IPR verbliebenen Lücken nicht lohnt. Das ist insbesondere der Fall, wenn nur noch Restbereiche von geringem Umfang und untergeordneter Bedeutung mitgliedstaatlich zu regeln sind, die aus Sicht des nationalen IPR Teilaspekte des auf die europäische Ebene überführten Statuts darstellen und für die eine eigene, gegebenenfalls vom „Hauptstatut“ abweichende Anknüpfung sinnlos erscheint. Außerdem ist eine das EU-IPR ausdehnend übernehmende Regelung sinnvoll, wenn Unklarheiten hinsichtlich der sachlichen Reichweite der europäischen Kollisionsrechtsverordnungen bestehen. Erweisen sich die anfangs nicht eindeutig zugeordneten Fragen tatsächlich als der nationalen Ebene zugewiesen, wirkt sich die Verweisung auf das EU-IPR effektiv aus, werden die streitigen Punkte dagegen doch vom EU-Kollisionsrecht erfasst, ist die darauf verweisende nationale Kollisionsregel überflüssig und aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts unwirksam und kann allenfalls als deklaratorischer Hinweis wirken. Inhaltlich kommt aber so oder so das EU-Kollisionsrecht zur Anwendung, sodass die endgültige Entscheidung der Zuordnungsfragen im Ergebnis keine Änderungen zeitigt und damit auch in ihrer praktischen Dringlichkeit entschärft wird. Beide Erwägungen kommen zum Tragen, wenn es darum geht, im Interesse einer vollständigen kollisionsrechtlichen Regelung auch alle noch nicht vorhergesehenen und potentiell auftauwohnung und Haushaltsgegenstände im Inland) aus dem Art. 17a EGBGB a. F. Rechnung getragen: Die Verweisung auf das deutsche Sachrecht ist in Art. 17a EGBGB n. F. auf die Betretungs-, Näherungs- und Kontaktverbote im Zusammenhang mit einer inländischen Ehewohnung und damit auf den Bereich des Gewaltschutzes reduziert, vgl. BT-Drs. 19/4852, 39; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1398; Heiderhoff IPRax 2017, 231, 236; Mankowski NJW 2019, 465, 468. 152 Vgl. MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 1. – Siehe auch U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 611 f.

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chenden arkanen Rand- und Spezialfragen, deren Abgrenzung gegenüber dem Hauptstatut und damit deren Zuordnung zum sachlichen Anwendungsbereich der EU-Verordnungen nicht sicher eingeschätzt werden kann, vorsorglich zu erfassen. Der Wunsch nach einem einheitlichen Gesamtsystem bzw. die Sinnlosigkeit einer separaten, abweichenden Regelung einzelner Aspekte ist in diesen Konstellationen noch ausgeprägter als bei der Lückenschließung durch eine an die EU-Rechtsakte angelehnte nationale Regelung (siehe 2., S. 292 ff.). Sind darüber hinaus für einzelne Aspekte noch völkerrechtliche Kollisionsregeln zu berücksichtigen, kann der Verzicht auf eine nationale eigene Regelung zugunsten einer Verweisung auf ein supranationales Modell auch die Koordination der Regelungsebenen erheblich erleichtern. Auch inhaltlich erweist sich die entsprechende Anwendung der EU-Kollisionsregeln als durchaus vorteilhaft. Fragen, die bisher im nationalen Kollisionsrecht akzessorisch an ein Hauptstatut angeknüpft wurden, können nunmehr zum europäischen Kollisionsrecht akzessorisch angeknüpft werden: Die nationale Anknüpfungstechnik bleibt die gleiche und wird schlicht auf das nunmehr eben europäisch geregelte Hauptstatut übertragen. Ferner bietet sich eine Übernahme des EU-IPR an, wenn die verbliebenen nationalen Kollisionsregeln ohnehin veraltet und überholungsbedürftig erscheinen und die Europäisierung den Anlass zu ihrer Reform liefert. Will man die bisherige nationale Anknüpfung ersetzen, stehen sinnvolle Alternativen zu den den aktuellen Stand des IPR widerspiegelnden EU-Regelungen meist ohnehin nur begrenzt zur Verfügung. Außerdem ist eine inhaltliche Anpassung an die EUKollisionsregeln die einzige Möglichkeit, den gewünschten Gleichklang zu erzielen – sowohl eine Beibehaltung der bisherigen nationalen Lösung als auch eine einen anderen Ansatz verfolgende nationale Neuregelung für die verbliebenen Fragen würde zu Verwerfungen mit dem neuen EU-Kollisionsrecht führen, erheblichen Anpassungsbedarf auslösen und die Anwendung deutlich verkomplizieren. Ein eigenes nationales Modell erscheint damit wenig sinnvoll, insbesondere für Bereiche bzw. Teilaspekte geringen Umfangs sowie eng mit dem (europäisch determinierten) Hauptstatut verquickte Zusatzaspekte. Entscheidet man sich national aber für eine mit dem EU-IPR deckungsgleiche Regelung, ist es sowohl legislativ einfacher als auch anwenderfreundlicher, anstelle einer (mehr oder weniger wörtlichen) nationalen Kopie des jeweiligen europäischen Rechtsakts schlicht auf diesen zu verweisen und ihn für entsprechend anwendbar zu erklären. b) Modifizierte analoge Anwendung des EU-IPR Für eine differenzierte Verweisung auf europäische Kollisionsregeln hat sich der deutsche Gesetzgeber dagegen im Bereich des Internationalen Scheidungsrechts entschieden. Art. 17 Abs. 2 EGBGB erklärt für „Scheidungen, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 fallen“, die

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Anknüpfungsregeln der Rom III-VO für anwendbar, allerdings mit gewissen Modifikationen. Er wurde als nachträgliche Auffangregel im Nachgang der Sahyouni-Entscheidung des EuGH geschaffen und soll insbesondere die in dieser offenbar gewordene, in ihrer Reichweite noch nicht klar umrissene Lücke des europäischen Scheidungskollisionsrechts in Bezug auf Privatscheidungen schließen (siehe Teil II: § 3.II.2.d), S. 166 ff.). Die Annahme des deutschen Gesetzgebers, die Rom III-VO erfasse ausnahmslos alle Scheidungsformen, erwies sich als falsch, die darauf beruhende Streichung der früheren nationalen Scheidungskollisionsregel als vorschnell. Sofern man nicht dauerhaft auf diese außer Kraft getretene Altregelung zurückgreifen wollte (wie das OLG München in Sahyouni, siehe Teil II: § 3.II.2.d)aa), S. 167 ff.), war die Schaffung einer neuen deutschen Anknüpfungsregel für die von der Rom IIIVO nicht erfassten (Privat-)Scheidungen erforderlich. Dabei trug man insbesondere der Tatsache Rechnung, dass diese praktisch nur im Anerkennungskontext zum Einsatz kommt.153 Denn in Deutschland kann sich aufgrund des gerichtlichen Scheidungsmonopols derzeit das Problem der Anknüpfung von Privatscheidungen nicht „direkt“ im Kontext eines durchzuführenden außergerichtlichen Scheidungsverfahrens stellen – nur „indirekt“ im Rahmen der Anerkennung ausländischer Privatscheidungen wird deren kollisionsrechtliche Behandlung relevant (siehe § 9.II.1.c), S. 559 ff.). aa) Privatscheidungen: Modifizierte Übernahme der Rom III-VO Der mit dem EuGüVO/EuPartVO-AusfG154 neu eingefügte Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. erklärt die Rom III-VO auch auf nicht in ihren Anwendungsbereich fallende Scheidungen für entsprechend anwendbar. Die bereits für andere Rechtsgebiete im EGBGB verwendete Technik, den Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts kraft nationalen Anwendungsbefehls auszudehnen, ist für das deutsche Scheidungs-IPR in mehrerer Hinsicht sinnvoll.155 Systematisch stellt die grundsätzliche Übernahme der europäischen Kollisionsregeln für die national-autonome Anknüpfung einen Gleichlauf zwischen (europäischem) Scheidungs- und (deutschem) Privatscheidungskollisionsrecht her. Diese inhaltliche Reduktion auf ein einziges Regelsystem entschärft zunächst die im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Rom III-VO bestehenden offenen Abgrenzungsfragen (siehe Teil II: § 3.II.2.d)bb), S. 171 ff.). Solange noch nicht eindeutig feststeht, wie weit das europäische Scheidungskollisionsrecht Geltung beansprucht bzw. welche Scheidungsmodelle dem nationalen IPR zugewiesen bleiben, können gleichlautende Regeln – trotz theoretischer Unsicherheiten – die praktische Anwendung erleichtern und 153 154 155

Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242. BGBl. 2018 I 2573. Dieser Grundsatzentscheidung zustimmend etwa Antomo StAZ 2019, 33, 36 f.

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zumindest hinsichtlich des Ergebnisses Rechtssicherheit und damit Planbarkeit und Zuverlässigkeit schaffen. Sollten manche Arten von Privatscheidungen (etwa solche aus anderen Mitgliedstaaten oder solche unter deklaratorischer Beteiligung staatlicher Behörden) doch von der Rom III-VO erfasst sein, vermeidet die entsprechende Anwendung von deren Regeln im nationalen IPR eine kollisionsrechtliche Differenzierung zwischen unterschiedlichen Privatscheidungsmodellen. Und im immerhin denkbaren Extremszenario, dass eine ursprünglich nur zwischen den Ehegatten oder unter Mitwirkung einer religiösen Instanz vorgenommene und damit nicht der Rom III-VO unterfallende Privatscheidung durch eine spätere zusätzliche staatliche Registrierung nachträglich in den Anwendungsbereich der Rom III-VO hineinkatapultiert wird, verhindert der Gleichlauf zwischen autonomen und europäischen Anknüpfungsregeln willkürliche Statutenwechsel und böse Überraschungen. Die Vermeidung einer kollisionsrechtlichen Spaltung durch die Gleichbehandlung aller Scheidungsformen aus deutscher Sicht erscheint bereits heute im Hinblick auf die Anwendungsfreundlichkeit und die inhaltliche Kohärenz äußerst vernünftig – umso mehr wird sie es sein, sollte man sich in Deutschland irgendwann ebenfalls dem europäischen Trend zur Einführung außergerichtlicher Scheidungsmodelle anschließen. Eine analoge Anwendung der für den Löwenanteil der Scheidungen ohnehin geltenden Rom III-VO im Bereich des deutschen Rest-Scheidungskollisionsrechts wurde daher in Deutschland mehrheitlich vertreten (siehe Teil II: § 3.II.2.d)aa), S. 167 ff.). Um so kritischer ist es in Anbetracht dieser Vorteile einer nationalen Verweisung auf die europäischen Anknüpfungsregeln zu betrachten, wenn der dadurch geschaffene Gleichlauf durch Modifikationen der Verweisung eingeschränkt wird. Genau das ist aber im deutschen IPR geschehen: Der neue Art. 17 Abs. 2 EGBGB ordnet die analoge Anwendung der Rom III-VO nur partiell an.156 Im Vorfeld der Neuregelung hatte sich zwar die Grundkonzeption einer analogen Anwendung des europäischen Scheidungskollisionsrechts kraft nationaler Parallelregelung als weitgehend konsensfähig erwiesen, über die erstrebenswerte Reichweite einer solchen Verweisung herrschten jedoch Meinungsverschiedenheiten. Teils wurde eine sinngemäße Anwendung der Regelungen der Rom III-VO insgesamt vorgeschlagen: Sie sollten als Gesamtpaket übernommen und lediglich die bei Privatscheidungen „technisch“ erforderlichen Umdeutungen vorgenommen werden (z. B. durch Zugrundelegung des Zeitpunktes der Vornahme der Privatscheidung statt der Anrufung des Gerichts in Artt. 5, 8 Rom III-VO).157 Auf der anderen Seite wurde dafür 156 Antomo NZFam 2018, 243, 246. – Kritisch zur gewählten Regelungstechnik Antomo StAZ 2019, 33, 37 f. 157 NK-BGB / Gruber Art. 1 Rom III-VO Rn. 78 ff.; Gruber IPRax 2012, 381, 383 Fn. 33; Helms FamRZ 2011, 1765, 1766 f.; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 797. – Für eine umfassende Analogie wohl auch Gärtner StAZ 2012, 357, 363 sowie Gössl

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plädiert, ebenfalls unter Anpassung der verfahrensscheidungsspezifischen Bezugspunkte nur die reinen Anknüpfungsregeln der Rom III-VO entsprechend anzuwenden.158 Lediglich im Hinblick auf dieses „Kern-Kollisionsrecht“ sei durch die Abschaffung des Art. 17 Abs. 1 EGBGB a. F. eine Regelungslücke entstanden. Hinsichtlich der allgemeinen Fragen (z. B. ordre public) hielte das deutsche Kollisionsrecht nach wie vor eigene Lösungen bereit, die als allgemeine Regelungen des deutschen IPR für den praktischen Hauptanwendungsfall der „kollisionsrechtlichen Anerkennung“ auch sachgerechter seien.159 Auch obergerichtlich fand diese begrenzte Analogie Anklang: Das OLG Düsseldorf sprach sich grundsätzlich für die analoge Anwendung zumindest der Kernanknüpfungsregeln der Artt. 5–8 Rom III-VO bei Privatscheidungen aus,160 zog sich im Übrigen jedoch elegant aus der Affäre.161 Der Gesetzgeber schloss sich den Befürwortern einer engeren Verweisung an. Für entsprechend anwendbar erklärt werden in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. die in Kapitel II Rom III-VO enthaltenen Anknüpfungsregeln, dabei tragen einige Modifikationen den Besonderheiten von Privatscheidungen Rechnung.162 Die Rechtswahl zugunsten der lex fori des angerufenen Gerichts (Art. 5 lit. d) Rom III-VO) kommt bei einer Privatscheidung nicht in Betracht (Nr. 1), bei der objektiven Anknüpfung wird auf der letzten Leiterstufe (Art. 8 lit. d) Rom III-VO) das Recht des angerufenen Gerichts durch das des Staats der gemeinsamen engsten Verbindung der Ehegatten bei Einleitung des Scheidungsverfahrens ersetzt (Nr. 4). Legt die Rom III-VO als maßgeblichen Anknüpfungszeitpunkt die Anrufung des Gerichts zugrunde, wird dafür die Einleitung des Scheidungsverfahrens im Sinne erstmaliger förmlicher BefasStAZ 2016, 232, 235 und Gössl GPR 2018, 94, 96 f. (die aber Analogielösung ablehnt). – Für die direkte Anwendbarkeit der Rom III-VO (insgesamt) plädiert Rieck NZFam 2018, 128, 129. 158 Antomo NJW 2018, 435, 437; Antomo NZFam 2018, 243, 246; Dutta FF 2018, 60, 61 f.; Lugani LMK 2018, 405115; Mankowski NJW 2019, 465, 468 f.; C. Mayer FamRZ 2018, 171, 172; Winkler von Mohrenfels ZVglRWiss 115 (2016), 650, 658 f.; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 716. 159 Antomo NZFam 2018, 243, 246. – In diese Richtung bereits Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 704 f. 160 OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-13 VA 6/16, Rn. 10. 161 Zum einen konnte im zu entscheidenden Fall die Anwendung anderer Normen der Rom III-VO (wie z. B. des Art. 10 Rom III-VO) dahinstehen, zum anderen war der zeitliche Anwendungsbereich der Rom III-VO (für den das OLG Düsseldorf die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens durch die erstmalige förmliche Kenntnis des anderen Ehegatten vom Scheidungsverlangen substituierte) nicht eröffnet, sodass ohnehin noch das alte deutsche Kollisionsrecht der Artt. 14, 17 EGBGB a. F. zum Zuge kam (OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-13 VA 6/16, Rn. 10 ff.). 162 Vgl. z. B. BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 17 EGBGB Rn. 47 ff.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 13 ff.; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2019, 85, 96. – Detailliert Antomo StAZ 2019, 33, 38 ff.

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sung des Scheidungsgegners mit der Scheidung substituiert (Nr. 2), ermöglicht wird aber auch für Privatscheidungen die Rechtswahl noch im laufenden Verfahren (Nr. 3). Im Gleichlauf mit dem Kollisionsrecht für Verfahrensscheidungen in der Rom III-VO wird damit auch für Privatscheidungen der Wechsel zur prinzipiellen Aufenthaltsanknüpfung nachvollzogen. Bei in Deutschland gelebten Ehen führt dies zur (als vorteilhaft empfundenen) Anwendung der lex fori und vermeidet praktisch-ökonomisch die Auseinandersetzung mit ausländischen Rechten, rechtspolitisch die Konfrontation mit deren unter Umständen im Hinblick auf den deutschen ordre public problematischen Wertungen. Auch die unter der primären Staatsangehörigkeitsanknüpfung mögliche „Flucht in die heimatrechtliche Privatscheidung“ ist für in Deutschland lebende Ehegatten damit weitgehend versperrt. Mit dem neuen Art. 17 Abs. 2 EGBGB macht sich das deutsche IPR die als moderner und adäquater empfundenen Kollisionsregeln des europäischen IPR zu eigen, statt auf die im heutigen Kontext überkommen wirkenden früheren deutschen Regelungen zurückzugreifen. bb) Nichtübernahme des Art. 10 Rom III-VO Über diese technischen Anpassungen hinaus ordnet Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 EGBGB jedoch eine wesentliche inhaltliche Abweichung von der Rom III-VO an: Die ordre public-Kontrolle von Privatscheidungen erfolgt nicht gemäß Artt. 10, 12 Rom III-VO, sondern nach Art. 6 EGBGB. Durch den Ausschluss der europäischen ordre public-Regeln zugunsten der deutschen allgemeinen Vorbehaltsklausel in Art. 6 EGBGB erfährt die Verweisung auf die Rom IIIVO eine erhebliche Einschränkung. Begründet wird das zunächst damit, dass es bei einer Privatscheidung gerade kein forum und damit keine lex fori gibt, die der ordre public-Kontrolle (im Rahmen eines Anerkennungsverfahrens) zugrunde gelegt werden könnte. Aus deutscher Warte ist dies zweifelsohne die simplere Lösung. Sie erlaubt es, in den – bei Privatscheidungen traditionell heiklen – Fragen der ordre public-Widrigkeit schlicht auf den bekannten und bewährten Art. 6 EGBGB und die dazu ergangene reiche und zwischen Vornahme- und Anerkennungsszenarien differenzierende Kasuistik insbesondere zu einseitigen Verstoßungsscheidungen zu rekurrieren.163 Das vereinfacht und Vgl. zur in Deutschland entwickelten differenzierenden Betrachtung, die die einseitige Verstoßungsscheidung nach ausländischem Recht für grundsätzlich Gleichheits- und damit ordre public-widrig hält, ihr Ergebnis im Einzelfall jedoch bei Einverständnis des verstoßenen Ehegatten oder Vorliegen der materiellen Scheidungsvoraussetzungen auch des deutschen Rechts akzeptiert, statt vieler BGH 6.10.2004 – XII ZR 225/01; BeckOK /  Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 6 EGBGB Rn. 25; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 282; Andrae NJW 2007, 1730, 1731 f.; Andrae / Heidrich FPR 2004, 292, 296; Rohe in: Arnold, 67, 72 f.; Weller / Hauber / Schulz IPRax 2016, 123, 125 f. – Auch in der SahyouniEndentscheidung legte der BGH dieses Verständnis zugrunde (BGH 26.8.2020 – XII ZB 163

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beschleunigt gerade in Anerkennungsfällen die praktische Anwendung. Dabei geht es allerdings weniger um den Ausschluss der mit Art. 6 EGBGB im Wesentlichen vergleichbaren allgemeinen ordre public-Klausel in Art. 12 Rom III-VO.164 Man vermeidet vielmehr auf diese Weise elegant die Anwendung des in mehrerer Hinsicht äußerst problematischen Art. 10 Rom III-VO. Diese für das EU-IPR untypische,165 auf Vorschlag Spaniens aufgenommene und dem Vorbild des 2003 eingeführten (inzwischen zugunsten der Rom IIIVO gestrichenen) Art. 107 Abs. 2 S. 2 lit. c) Cód. civ. nachempfundene Regelung166 ist rechtspolitisch höchst umstritten. Ihr Ziel ist die Durchsetzung europäischer Wertvorstellungen von Scheidungsgerechtigkeit durch die Anwendung der lex fori als Ersatzrecht in zwei Fallkonstellationen. Als vergleichsweise unproblematisch stellt sich die 1. Alternative dar, nach der die lex fori zum Zuge kommt, wenn das durch subjektive oder objektive Anknüpfung nach der Rom III-VO berufene Recht das Rechtsinstitut der Scheidung überhaupt nicht kennt.167 Mit Einführung der Scheidung in Malta im Jahr 2011 (Artt. 66A-66N maltesisches ZGB168) ist die ohnehin kurze Liste 158/18, Rn. 53 ff., zu den Schwierigkeiten vgl. Heiderhoff JZ 2021, 260, 263). – So z. B. auch das griechische Recht, vgl. Anthimos . 164 Vgl. zu Art. 12 Rom III-VO als allgemeiner Vorbehaltsklausel z. B. MörsdorfSchulte RabelsZ 77 (2013), 786, 824; Nitsch ZfRV 2012, 264, 267 f. 165 Vgl. Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 713, der von einer „völlig neuartigen Klausel“ spricht. – Keiner der anderen europäischen Kollisionsrechtsakte enthält eine vergleichbare Regelung; die Aufnahme einer entsprechenden Vorschrift in die GüVO /  PartVO wurde zwar diskutiert, aber nicht umgesetzt (BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 31 EuGüVO Rn. 7). Interessanterweise hat jedoch eine ähnliche spezielle, abstrakt zu verstehende ordre public-Regelung Eingang in das neue dänische Internationale Ehegüterrecht gefunden (§ 69 Abs. 1 Nr. 1 lov om ægtefællers økonomiske forhold [Gesetz über die Vermögensverhältnisse von Ehegatten]), siehe dazu Ring / Olsen-Ring IPRax 2019, 347, 351. 166 Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 41; Weller / Hauber /  Schulz IPRax 2016, 123, 127. 167 So nunmehr EuGH 16.7.2020 – C-249/19, JE ./. KF. – Vgl. zur auch auf Erw. 26 Rom III-VO gestützten engen Auslegung Callies / Renner / Lein Art. 10 Rom III-VO Rn. 10 ff.; Rauscher / Helms Art. 10 Rom III-VO Rn. 5; Raupach 210 f.; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 77; Helms FamRZ 2011, 1765, 1771; Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 409; Traar ÖJZ 2011, 805, 812. – Auch eine Übertragung auf den Fall, dass das berufene Recht das Institut der Trennung nicht kennt, wird abgelehnt, vgl. Althammer NZFam 2015, 9, 14. – Ist hingegen eine Scheidung nach dem anwendbaren Recht grundsätzlich möglich, eine Scheidung im konkreten Fall durch die lex causae jedoch unzumutbar erschwert, soll nach h. M. die allgemeine ordre public-Klausel des Art. 12 Rom III-VO eingreifen, Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 82; Gruber IPRax 2012, 381, 391; Helms FamRZ 2011, 1765, 1771; Kohler in: FS von Hoffmann, 208, 212 f.; Makowsky GPR 2012, 266, 271; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 825; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 718. 168 Gesetz XIV von 2011, B / F / H Malta (Stand: 1.1.2020), 63 ff.

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„vollkommen scheidungsfeindlicher“ Rechtsordnungen weiter geschrumpft.169 Vor erhebliche dogmatische, rechtspolitische und praktische Schwierigkeiten stellt dagegen Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO, der die Anwendung der lex fori anordnet, wenn das nach der Rom III-VO berufene Recht „einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung“ bietet. Die Funktion dieser mehrheitlich als spezielle Vorbehaltsklausel eingestuften Regelung170 ist äußerst streitig. Teils wird sie als präzisierte Ausformung der klassischen ordre public-Kontrolle im konkreten Einzelfall verstanden, die nur eingreift, wenn die geschlechtsbasierte Diskriminierung des eigentlich berufenen Rechts im Ergebnis tatsächlich zu einem individuellen Nachteil führt.171 Teils liest man sie dagegen als abstrakte Inhaltskontrolle der fremden lex causae, die ergebnisunabhängig jegliche Anwendung eines beim Zugang zur Scheidung geschlechtsdiskriminierenden In Betracht kommen nur noch das Recht der Philippinen, des Vatikans sowie religiös-christlicher Gemeinschaften, vgl. Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 41; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 28; Gruber IPRax 2012, 381, 390; Mankowski FamRZ 2020, 1467, 1467; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 713 f. – Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 78 legt die Anwendbarkeit der Rom III-VO auch auf gleichgeschlechtliche Ehen zugrunde und bejaht die Anwendung des Art. 10 Rom III-VO auch in Fällen, in denen das anwendbare Recht keine Scheidung gleichgeschlechtlicher Ehen vorsieht. 170 Siehe z. B. MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 34, 51; NK-BGB / Budzikiewicz Art. 10 Rom III-VO Rn. 1; Raupach 209 ff. – Für ein Verständnis als „Eingriffsnorm kollisionsrechtlicher Natur“ Winkler von Mohrenfels in: FS Martiny, 595, 596 ff.; unklar Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 74 („conflict-of-laws provision ‘with a substantive flavour’“). 171 So die ganz überwiegende Mehrheit der deutschen Literatur, unter Berufung insbesondere auf Erw. 24 Rom III-VO, vgl. etwa Corneloup / Heiderhoff Art. 10 Rom III-VO Rn. 10.18 ff.; NK-BGB / Budzikiewicz Art. 10 Rom III-VO Rn. 27 ff.; Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 660 ff.; Basedow FS Posch, 17, 30 f.; Hau in: FS Stürner, 1237, 1245 f.; Hau FamRZ 2013, 249, 254; Heiderhoff IPRax 2017, 160, 163; Helms IPRax 2017, 153, 154; Helms FamRZ 2011, 1765, 1771 f.; Mörsdorf-Schulte RabelsZ 77 (2013), 786, 825; Rohe in: Arnold, 67, 75 f.; Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 409 f.; Wurmnest in: Leible /  Unberath, 445, 467 f. – Auch der deutsche Gesetzgeber (BT-Drs. 17/11049, 8) und die deutsche Rechtsprechung (vgl. OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 37) legen diese Auffassung zugrunde. – International haben sich namhafte Vertreter dieser Lesart angeschlossen, siehe z. B. Gitschthaler / Rudolf Art. 10 Rom III-VO Rn. 13 m. w. N.; Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 42 f.; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 73 f. – Vielfach wird vorgeschlagen, dieses Ergebnis über eine teleologische Reduktion zu erreichen, vgl. BeckOGK / Stürner (Stand: 1.2.2022) Art. 6 EGBGB Rn. 88; MüKo8 /  Winkler von Mohrenfels Art. 10 Rom III-VO Rn. 3 ff.; Rauscher / Helms Art. 10 Rom IIIVO Rn. 11; de Maizière 245 ff.; Schwemmer 104 f.; Helms FamRZ 2011, 1765, 1772; Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 86; Stürner in: Arnold, 87, 99; Wurmnest in: Leible / Unberath, 445, 467 f.; so auch OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 39 f. – Für neben der klassischen ordre public-Kontrolle nach Art. 12 Rom III-VO überflüssig hält die Regelung Kohler in: FS von Hoffmann, 208, 212. 169

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Rechts untersagt.172 Eine Klärung dieser wohl brennendsten Frage der Rom III-VO kann nur der EuGH herbeiführen, der in Sahyouni bereits Gelegenheit dazu hatte, eine Antwort jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit der diesbezüglichen zweiten und dritten Vorlagefrage schuldig geblieben ist.173 Die Stellungnahme des Generalanwalts deutet freilich auf ein abstraktgenerelles Verständnis auf europäischer Ebene hin.174 Zu dieser auf absehbare Zeit weiterbestehenden Unklarheit tritt erhebliche inhaltliche Kritik an der Norm hinzu – etwa, weil eine von den Ehegatten getroffene Rechtswahl damit faktisch unterlaufen wird175 oder die pauschale Verwerfung geschlechtsdiskriminierender Regeln sich für den eigentlich zu schützenden Ehegatten unter Umständen als nachteiliger als ihre Anwendung erweisen kann.176 Vor allem Dafür in Deutschland, vor allem unter Berufung auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Norm sowie die Differenzierung gegenüber Art. 12 Rom III-VO, etwa Raupach 211 ff.; Majer NZFam 2017, 1010, 1011; Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1037; M.-P. Weller in: Arnold, 133, 155 ff.; Weller / Hauber / Schulz IPRax 2016, 123, 129 ff.; Weller / Thomale / Zimmermann JZ 2017, 1080, 1081; Winkler von Mohrenfels ZVglRWiss 115 (2016), 650, 658; Winkler von Mohrenfels in: FS Martiny, 595, 598 ff.; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 715 f. – De lege lata zustimmend, aber kritisch BeckOGK /  Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 10 Rom III-VO Rn. 23 f.; Antomo NJW 2018, 435, 437; Antomo NZFam 2018, 243, 245; Gruber IPRax 2012, 381, 391; Möller JPIL 10 (2014), 461, 469 f. – Im europäischen Ausland scheint diese Auffassung sich größerer Beliebtheit zu erfreuen. Vgl. etwa aus österreichischer Perspektive Laimer ZEuP 2022, 178, 196; Nitsch ZfRV 2012, 264, 267; Traar ÖJZ 2011, 805, 812; in OGH 29.1.2019 – 2 Ob 170/18s, sub 3.3 geht der OGH ebenfalls von einer abstrakten Auslegung aus. Dies scheint auch der jüngeren höchstrichterlichen Haltung zur österreichischen ordre public-Klausel zu entsprechen, vgl. OGH 13.10.2011 – 6 Ob 69/11g; OGH 28.6.2007 – 3 Ob 130/07z sowie OGH 31.8.2006 – 6 Ob 189/06x. Im Anerkennungskontext wird diese allerdings großzügiger gehandhabt, siehe unten § 9.II.1.c), S. 559 ff.). Aus französischer Sicht Cass civ. 1re 17.2.2004, n° n° 02-11.618 sowie Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 28 (allerdings kritisch); Joubert in: Corneloup Art. 10 Rom III-VO Rn. 12. Streng auch die italienische Rechtsprechung, vgl. Corte di Cassazione 7.8.2020, n. 16804/20. 173 EuGH 20.12.2017 – C-372/16 Sahyouni II Rn. 50, dies begrüßend BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 1 Rom III-VO Rn. 41; Gössl GPR 2018, 94, 95. – Kritisch zur nur bedingten Stellung der Vorlagefragen zu Art. 10 Rom III-VO dagegen Antomo NZFam 2018, 243, 245 f. 174 Schlussanträge GA Saugmandsgaard Øe 14.9.2017 – C-372/16, Rn. 89. – Zustimmend Majer NZFam 2017, 1010, 1010 f. 175 Vgl. Boele-Woelki YbPIL XII (2010), 1, 19; Gruber IPRax 2012, 381, 391; Jayme /  Zimmer IPRax 2013, 99, 100; Kohler in: FS von Hoffmann, 208, 211 f.; Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 409. – Gegen die Disponibilität des Geschlechtergleichstellungsgrundsatzes etwa Majer NZFam 2017, 1010, 1011; Weller / Hauber / Schulz IPRax 2016, 123, 130; Weller / Thomale / Zimmermann JZ 2017, 1080, 1084; so auch grundsätzlich OGH 28.6.2007 – 3 Ob 130/07z. 176 Vgl. Schwemmer 104 f.; Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 664 f.; Basedow FamRZ 2019, 1833, 1836 f. (mit Fallbeispielen); Boele-Woelki YbPIL XII (2010), 1, 19; CoesterWaltjen IPRax 2018, 238, 241 f.; Helms FamRZ 2011, 1765, 1772; Rohe in: Arnold, 67, 172

I. Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EU-Rechtsakte

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aber trifft auf massive rechtspolitische Bedenken, dass die damit bezweckte gezielte Durchsetzung europäischer Wertvorstellungen gegenüber drittstaatlichen (insbesondere islamisch geprägten177) Rechtsordnungen der grundsätzlichen Neutralität des Kollisionsrechts zuwiderläuft.178 Dem deutschen Gesetzgeber ist es grundsätzlich nicht zu verdenken, dass er diesen „Missgriff des europäischen Gesetzgebers“179 bzw. dieses „größte Ärgernis“180 nicht in die deutsche Anknüpfungsregel für Privatscheidungen übernehmen wollte, zumal seine Anwendung in Privatscheidungsfällen (mangels eines von Art. 10 Rom III-VO in Bezug genommenen „Rechts des angerufenen Gerichts“) schon technisch potentiell schwierig wäre181 und sich im Kontext der „kollisionsrechtlichen Anerkennung“ zusätzliche Probleme stellen (siehe unten § 9.II.2.b), S. 564 ff.). Dennoch ist die Einschränkung der Verweisung auf die Rom III-VO in Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 EGBGB n. F. mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet. Zunächst ist der ins Feld geführten Argumentation, dass im deutschen Kollisionsrecht nur bezüglich der Anknüpfungsregeln für Privatscheidungen eine durch Verweisung auf die Rom IIIVO zu schließende Lücke bestand, nicht aber bezüglich des Allgemeinen Teils, nur bezüglich der allgemeinen ordre public-Kontrolle zuzustimmen. 75; Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 86. – Zum Erfordernis einer kontextbezogenen, ganzheitlichen Betrachtung islamischer familienrechtlicher Regelungen z. B. Bogdan in: FS van Loon, 59, 68. 177 Zu Entstehung des Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO als „Anti-Islam-Klausel“ insbesondere auf Wunsch der skandinavischen Staaten z. B. Gruber IPRax 2012, 381, 391; Helms FamRZ 2011, 1765, 1772; Möller JPIL 10 (2014), 461, 462, 466 ff.; Weller / Hauber /  Schulz IPRax 2016, 123, 127 f.; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 714. – Diesbezüglich kritisch z. B. Antomo NJW 2018, 435, 437; Basedow FamRZ 2019, 1833, 1837 („überzogen“); Gruber IPRax 2012, 381, 391; Hau FamRZ 2013, 249, 254; Jayme / Zimmer IPRax 2013, 99, 100 („Entgleisung“); Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 410. 178 Vgl. Antomo NJW 2018, 435, 437 („Kategorisierung in gute und böse Rechtsordnungen“); Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 661 f.; Basedow FamRZ 2019, 1833, 1833 ff.; Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 241 f.; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 28; Gruber IPRax 2012, 381, 391 f.; Kohler in: FS von Hoffmann, 208, 212; Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 410; Sonnentag in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 61, 86 f.; der Vorschlag der Groupe européen de droit international privé (GÉDIP) für eine reformierte Verordnung zum Internationalen Scheidungsrecht übernimmt die Regelung bewusst nicht, vgl. Kohler IPRax 2019, 462, 463; Pataut AUCI 4 (2020), 95, 108. – Zur Ablehnung per se „staatendiskriminierender Kollisionsnormen“ Mansel in: Leible / Ruffert, 89, 119. – Demgegenüber sehen Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 43 in der speziellen Abwehrklausel eine geringere „carga política“ als in der Feststellung der ordre public-Widrigkeit im Einzelfall. – Weller / Thomale / Zimmermann JZ 2017, 1080, 1081 ff. wollen das Modell des Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO sogar auf alle Fälle einer abstrakt geschlechtsdiskriminierenden lex causae anwenden („cupierte Verweisung“). 179 Gruber IPRax 2012, 381, 391. 180 Schurig in: FS von Hoffmann, 405, 409. 181 BT-Drs. 19/4852, 38.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Hierfür steht in der Tat mit Art. 6 EGBGB bereits ein hinreichender Mechanismus zur Verfügung, sodass die Heranziehung der europäischen Klausel in Art. 12 Rom III-VO strenggenommen nicht erforderlich ist. Schädlich wäre sie aber freilich auch nicht, da hier die nationale und die europäische Regel inhaltlich zum selben Ergebnis führen: Art. 12 Rom III-VO verweist auf den mitgliedstaatlichen ordre public, sodass das deutsche Verständnis auch bei Anwendung der europäischen Kollisionsregeln maßgeblich bleibt.182 Für Art. 10 Rom III-VO besteht dagegen gerade kein Äquivalent im nationalen deutschen IPR. Die Übernahme der europäischen Anknüpfungsregeln ohne die dazugehörige spezielle Kontrollklausel183 missachtet den in der Gesamtkonzeption der Rom III-VO zum Ausdruck gekommenen Willen des europäischen Gesetzgebers – und zwar für einen wesentlichen Teil der dabei ursprünglich ins Auge gefassten Fallkonstellationen, nämliche einseitige Verstoßungsscheidungen nach islamischem Recht. Hier kann die Aussparung in der Verweisung erhebliche Diskrepanzen hervorrufen, vor allem bei ihrem immer wahrscheinlicher erscheinenden abstrakten Verständnis. Denn die flexible, allgemeine ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB untersucht weder das anwendbare Recht als solches auf Geschlechtsdiskriminierungen hin noch ordnet sie strikt die Anwendung der deutschen lex fori als Ersatzrecht an. Damit wird es zu weitreichenden Ergebnisunterschieden kommen, je nachdem, ob die europäischen Anknüpfungsregeln direkt (inklusive der „Verwerfungsklausel“184 des Art. 10 Rom III-VO) oder kraft Verweisung in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. zur Anwendung gelangen – was der Frage nach dem Anwendungsbereich der Rom III-VO (siehe Teil II: § 3.II.2.d)bb), S. 171 ff.) weitere Sprengkraft verleiht. Umgekehrt kann das Hauptziel der deutschen Aussparung, nämlich die „kollisionsrechtliche Anerkennung“ nicht in zahlreichen Fällen scheitern zu lassen, auch durch den Ausschluss des Art. 10 Rom III-VO nur begrenzt erreicht werden (siehe § 9.II.2.b), S. 564 ff.). Die Beschränkung der ordre public-Kontrolle in Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 EGBGB n. F. ist damit zwar aus Sicht des deutschen IPR nachvollziehbar und bei skeptischer Haltung gegenüber Art. 10 Rom III-VO durchaus begrüßenswert.185 Sie bietet aber doch zahlreichen Anlass zur Kritik und wirft vor allem ungelöste Fragen für die weitere Entwicklung auf. 182 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 20; NK-BGB / Budzikiewicz Art. 12 Rom III-VO Rn. 5; Rauscher / Helms Art. 12 Rom III-VO Rn. 6. – Siehe auch MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 72 ff. 183 Vgl. zu Art. 10 Rom III-VO als Ausdruck eines eigenen europäischen ordre public z. B. MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 175; Basedow FS Posch, 17, 30 f.; Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1037. 184 Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 715. 185 Vgl. MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 72 ff.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 19; Antomo StAZ 2019, 33, 41 f.; Kohler / Pintens FamRZ 2018, 1369, 1372. – Kritisch dagegen Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1037.

I. Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EU-Rechtsakte

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cc) Modifikationen aufgrund mitgliedstaatlicher Bedürfnisse? Insgesamt betrachtet erscheint aus Sicht des deutschen Kollisionsrechts die in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. vorgenommene beschränkte Verweisung auf das EU-Kollisionsrecht auf den ersten Blick sinnvoll. Das Resultat – die grundsätzliche Maßgeblichkeit des europäischen Scheidungskollisionsrechts, allerdings mit den aus deutscher Warte erforderlichen Anpassungen – scheint zunächst ein guter Kompromiss. Letztlich entspricht dieser Ansatz inhaltlich einer eigenen, aber am EU-IPR orientierten mitgliedstaatlichen Regelung (dazu 1.b), S. 285 ff.). Die Modifikationen der Verweisungsregel tragen einerseits den Besonderheiten der von der nationalen Regelung erfassten Konstellationen Rechnung, hinsichtlich derer eine unveränderte Anwendung der Rom III-VO problematisch gewesen wäre und die daher als zentrales Argument gegen die Einbeziehung von Privatscheidungen in den Anwendungsbereich der Rom III-VO angeführt wurden. Andererseits adaptieren sie die Regelungen mit Blick auf den deutschen Anwendungskontext, der (zumindest auf absehbare Zeit) auf die „kollisionsrechtliche Anerkennung“ nach deutschem IZVR beschränkt sein wird. Genau hier liegt aber das Problem: Die Einschränkungen und Änderungen der Verweisung auf die Rom III-VO, vor allem hinsichtlich des ordre public, sind nicht von primär kollisionsrechtlichen Erwägungen getragen, sondern durch die spezielle Perspektive des deutschen Anerkennungsmechanismus (siehe § 9.II.2.a), S. 562 ff.) geprägt. Der Ausschluss des Art. 10 Rom III-VO aus der Verweisung des Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. fußt insbesondere auf der Erwägung, dass die Regelung bei abstraktem Verständnis die „kollisionsrechtliche Anerkennung“ im Ausland bereits erfolgter Privatscheidungen erheblich erschweren würde (siehe detailliert § 9.II.2.b), S. 564 ff.). Die Modifikation der europäischen Kollisionsregeln im Bereich des ordre public beruht also weniger darauf, dass der deutsche Gesetzgeber eine inhaltlich als kritikwürdig empfundene europäische Regelung nicht in das deutsche IPR übernehmen möchte (was hinsichtlich des problematischen Art. 10 Rom IIIVO durchaus berechtigt wäre), sondern dient hauptsächlich dazu, sie an einen nicht kollisionsrechtlichen Kontext anzupassen. Das ist schon für das nationale IPR gefährlich kurzsichtig – falls es doch irgendwann zur „direkten“ Anwendung des Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. auf Privatscheidungen kommt, können seine auf die Anerkennung zugeschnittenen Änderungen gegenüber der Rom III-VO problematisch werden.186 Vor allem aber mit Blick auf das Gesamtsystem insbesondere des europäischen Kollisionsrechts ist diese Herangehensweise des deutschen Gesetzgebers sehr kritisch zu betrachten. Eine einschränkende bzw. modifizierende Verweisung auf das EU-IPR ist dem nationalen Gesetzgeber für die ihm über186

Vgl. auch Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

lassenen Bereiche zwar im Prinzip gestattet bzw. nicht zu verwehren: Wenn es ihm freisteht, eine eigene Regelung zu treffen, kann er auch den Weg einer nur partiellen oder verändernden Übernahme der europäischen Kollisionsregeln wählen.187 Sie lässt sich auch damit rechtfertigen, dass die dem nationalen IPR überlassenen Fragen anders beurteilt werden dürfen (und eventuell müssen) als die vom EU-IPR erfassten. Dennoch erscheint es äußerst bedenklich, wenn bei der Verweisung auf europäische Kollisionsregeln durch das nationale IPR „ungeliebte“ Teile der Gesamtkonzeption einfach ausgeklammert und andere Regeln nach mitgliedstaatlichem Gusto „verbessert“ werden. Dies gilt umso mehr, wenn es mit Blick auf spezielle Bedürfnisse des nationalen Anwendungskontextes geschieht – die schlimmstenfalls auch durch die Modifikationen nicht zufriedenstellend gelöst werden, wie im Fall der „kollisionsrechtlichen Anerkennung“ von Privatscheidungen nach deutschem IPR (siehe unten § 9.II.2.b), S. 564 ff.). Ein solches „Rosinenpicken“ durch das mitgliedstaatliche IPR ist dogmatisch fragwürdig und kann die Rechtsanwendung und -weiterentwicklung erheblich verkomplizieren. Eine klare Verweisung en bloc auf das europäische Kollisionsrecht ohne Einzelüberkreuzungen mit dem nationalen IPR hätte mehr Rücksicht auf die Kohärenz sowohl der europäischen als auch der nationalen Ebene genommen als die jetzige mit Ausnahmen behaftete EU-akzessorische Anknüpfung. Die modifizierte Verweisung durch das deutsche IPR lässt die Abgrenzungsprobleme zwischen den Anwendungsbereichen fortbestehen: Wenn die eingeschränkte Verweisung auf die europäischen Regeln zu einem anderen Ergebnis führt als deren umfassende unmittelbare Anwendung, kann die Zuordnung zur einen oder anderen Regelungsebene nicht dahinstehen. Schwierige Qualifikationsfragen müssen damit nach wie vor gelöst werden – besonders unglücklich wäre es, wenn manche Privatscheidungen in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO fielen und andere nach der modifizierten Verweisung des deutschen IPR zu beurteilen wären (siehe Teil II: § 3.II.2.d)bb), S. 171 ff.). Statt des in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. gewählten Ansatzes wäre eine umfassende analoge Anwendung der Rom III-VO auf Privatscheidungen (unter, wo erforderlich, adaptierender Interpretation) minimalinvasiv und systematisch konsequent gewesen (dazu sogleich c)).188 Den speziellen Bedürfnissen des deutschen Anerkennungsrechts hätte man demgegenüber auf andere Weise Rechnung tragen müssen (siehe § 9.II.3., S. 568 ff.). c) Vor- und Nachteile einer extensiven Anwendung des EU-IPR Die extensive Anwendung der EU-Kollisionsregeln kraft nationalen Anwendungsbefehls auch in dem mitgliedstaatlichen IPR verbleibenden Gebieten ist 187 188

Skeptisch allerdings Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242 (Fn. 42). Vgl. Gössl GPR 2018, 94, 96 f.

I. Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EU-Rechtsakte

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in vieler Hinsicht zu begrüßen. Sie füllt in den Anwendungsbereichen der EU-Verordnungen gelassene Lücken auf einfache und kohärente Weise und kann auch noch nicht erkannte Lücken vorbeugend schließen. Der durch Parallelgesetzgebung oder schlichte Verweisung hergestellte Gleichlauf reduziert Abgrenzungs- und Koordinationsschwierigkeiten und ermöglicht inhaltlich stringente und einfach handhabbare Lösungen aus einem Guss. Diese Vorteile einer die EU-Verordnungen übernehmenden nationalen Kollisionsrechtsgesetzgebung dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Mitgliedstaaten diesbezüglich teils kaum eine echte Wahl bleibt. Das wohl eindrücklichste Beispiel hierfür sind die von der Rom III-VO zumindest teilweise nicht erfassten Privatscheidungen. aa) Mitgliedstaaten: Vorteil oder faktischer Zwang? Eigene Anknüpfungsregeln für Privatscheidungen waren für das mitgliedstaatliche Scheidungskollisionsrecht entbehrlich; waren in Fällen mit Drittstaatenbezug (nur in solchen konnte bis vor wenigen Jahren die Problematik auftreten) Privatscheidungen zu beurteilen, wurden schlicht die generellen Anknüpfungsregeln, sofern erforderlich mutatis mutandis, herangezogen. Unabhängig vom Scheidungsmodell galten damit einheitliche Kollisionsregeln für alle Scheidungen. Die weitverbreitete Annahme einer Fortsetzung dieses bewährten Prinzips nach der Europäisierung des Scheidungskollisionsrechts stellte sich aber nach der Sahyouni-Entscheidung des EuGH als verfehlt heraus: Die Rom III-VO erfasst nur Verfahrensscheidungen und allenfalls einige Privatscheidungen, im Übrigen unterstehen Privatscheidungen aber dem nationalen IPR (siehe Teil II: § 3.II.2.d), S. 166 ff.). Die Mitgliedstaaten sind bei der Schließung dieser Lücke der Rom III-VO grundsätzlich frei darin, ihre bisherigen (auf Verfahrensscheidungen ausgelegten) Scheidungskollisionsregeln weiter zur Anwendung bringen, neue Anknüpfungsregeln für Privatscheidungen zu schaffen oder die Rom III-VO kraft nationalen Anwendungsbefehls auch auf Privatscheidungen zu erstrecken. Auf Dauer erweist sich aber nur die letztgenannte Option als praktikabel: Nur ein Gleichlauf des nationalen mit dem EU-Kollisionsrecht entschärft die Unklarheiten bei der Abgrenzung der Anwendungsbereiche und ermöglicht wie bisher ein einheitliches Scheidungskollisionsrecht für alle Scheidungen. Die Vermeidung einer kollisionsrechtlichen Spaltung ist von eminenter Bedeutung vor allem für die Mitgliedstaaten, die selbst eine außergerichtliche Scheidung vorsehen. Auch für eine inländische Privatscheidung muss das anwendbare Recht bestimmt bzw. sichergestellt werden, dass die lex fori, nach deren materiellem Recht die Privatscheidung vorgenommen wird, tatsächlich anwendbar ist. Hier macht sich die Lücke der Rom III-VO bezüglich Privatscheidungen besonders schmerzlich bemerkbar. Legt man hierfür andere Kollisionsregeln zugrunde als die für Verfahrensscheidungen maßgebliche

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Rom III-VO, kommt es zu einer unübersichtlichen und komplizierten Situation: Je nachdem, welches Scheidungsmodell ein und dasselbe Ehepaar wählt, könnten unterschiedliche Anknüpfungen zu unterschiedlichen Sachrechten führen – bei einer Überleitung vom außergerichtlichen zum gerichtlichen Scheidungsverfahren sogar noch während der laufenden Scheidung! Bereits innerhalb ein und derselben Rechtsordnung könnte eine einheitliche kollisionsrechtliche Beurteilung nicht gewährleistet werden. Hinzu tritt die Unsicherheit, ob nicht zumindest manche mitgliedstaatliche Privatscheidungsmodelle doch der Rom III-VO unterfallen. Nur durch eine entsprechende Anwendung der europäischen Scheidungskollisionsregeln auch auf Privatscheidungen lassen sich diese Probleme einfach, sicher und anwenderfreundlich bewältigen. Außerdem erweist sich die Rom III-VO mit ihrer Hauptanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt und der Möglichkeit einer Rechtswahl zugunsten der lex fori auch inhaltlich im Zweifel als günstige Grundlage für eine mitgliedstaatliche Privatscheidung – sie ermöglicht diese eher als die bisherigen und gegebenenfalls weiterhin anwendbaren, primär an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden und hinsichtlich der Rechtswahl stärker beschränkten nationalen Scheidungskollisionsregeln.189 Insofern verwundert es nicht, dass etwa in Frankreich für die divorce sans juge zwar teils die fortgesetzte Anwendung der alten Anknüpfungsregel des Art. 309 C.civ. angenommen,190 aber zunehmend für eine entsprechende Anwendung der Rom IIIVO auch auf Privatscheidungen plädiert wird.191 Will ein Mitgliedstaat kaum überschaubare Unwägbarkeiten bei der Anwendung und willkürlich anmutende Ergebnisse vermeiden und eine bewährte Einheitlichkeit der Kollisionsregeln für benachbarte Fragestellungen beibehalten, ist es letztlich alternativlos, auch in den national verbliebenen Bereichen das EU-Kollisionsrecht analog bzw. kraft Verweisung im mitgliedstaatlichen IPR zur Anwendung zu bringen. Das Festhalten an eigenen Regelungen bietet in vielen Konstellationen keinen Mehrwert, wirft aber erhebliche Schwierigkeiten mit negativen Folgen vor allem für die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender auf. Das gilt einerseits für kleinere Rand- und Restbestände, für die die Beibehaltung oder Schaffung eigener nationaler Anknüpfungsregeln sinnlos und impraktikabel wäre, andererseits aber auch für größere Bereiche, für die eine abweichende Regelung zwar möglich wäre, aber das mitgliedstaatliche IPR den gleichen kollisionsrechtlichen Maßstab wie für die nunmehr europäisch geregelten Gebiete anlegen möchte. Will man eine (mehr Vgl. Khairallah in: FS Ancel, 965, 969. Khairallah in: FS Ancel, 965, 968 f. – Kritisch Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1038 f. 191 Mayer / Heuzé / Remy Rn. 612, 619. – Dies entspricht offenbar auch der ursprünglichen Vorstellung des französischen Gesetzgebers, die in einem circulaire vom 26.1.2017 zum Ausdruck kam, vgl. Khairallah in: FS Ancel, 965, 967. 189 190

I. Reaktionen des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts auf EU-Rechtsakte

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oder weniger schwerwiegende) Inkompatibilität mit der europäisch determinierten Hauptanknüpfung nicht riskieren, ist die Aufgabe davon abweichender nationaler Kollisionsregeln und die extensive Übernahme des EU-IPR quasi unausweichlich. Bei näherem Hinsehen kann eine Verweisung auf die europäischen Anknüpfungsregeln im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht also zumindest teilweise durch faktischen Zwang motiviert sein. bb) EU-IPR: Ausweitung „wider Willen“ Aus europäischer Sicht ist es zunächst einmal begrüßenswert, wenn die Mitgliedstaaten die EU-Kollisionsregeln kraft nationalen Anwendungsbefehls über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus zum Einsatz bringen. Die damit (wieder)hergestellte Einheitlichkeit nützt auch dem EU-IPR, das sich die möglichst weitreichende Vermeidung von Rechtsspaltungen explizit auf die Fahnen geschrieben hat. Vor allem aber zeigt die ausdehnende Anwendung der unionsrechtlichen Regelungen, dass die betreffenden Mitgliedstaaten klar hinter dem EU-IPR stehen. Es zeugt von der Qualität und Überzeugungskraft der europäischen Lösungsansätze, wenn diese auch für andere Gebiete übernommen werden. Derartige Vertrauensbeweise können der weiteren Entwicklung des EU-IPR, aber auch seiner Ausstrahlungswirkung auf die weltweite Kollisionsrechtsentwicklung Vorschub leisten. Sollten sich – freilich eher hypothetisch – sogar alle Mitgliedstaaten für eine (gleichlautende) Ausdehnung der EU-Kollisionsregeln entscheiden, wäre damit faktisch ein weiterer Europäisierungsschritt getan.192 Ganz unproblematisch sind derartige mitgliedstaatliche Verweisungen auf die EU-Kollisionsregeln allerdings auch aus unionsrechtlicher Perspektive nicht. Der sachliche Anwendungsbereich des EU-Kollisionsrechts wird damit auf ihm gerade nicht unterstellte Gebiete ausgeweitet – teils sogar auf Fragen, die auf europäischer Ebene ganz bewusst ausgeschlossen wurden. Die europäischen Rechtsakte entsprechend zur Füllung der von ihnen gelassenen Lücken heranzuziehen setzt sich über den erklärten Willen des europäischen Gesetzgebers zur Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs hinweg. Problematisch ist dies vor allem, wenn das europäische IPR seine eigene Reichweite – wie in Art. 12 Rom I-VO, Art. 15 Rom II-VO – positiv festgelegt und damit gegebenenfalls abschließende „Sperrwirkung“ entfaltet hat.193 Wenn das EU-Recht selbst eine Analogie nicht zulässt, läuft es dem Willen und dem Zweck des EU-Rechts konträr, diese Analogie im nationalen Recht herzustellen194 – auch wenn es unionsrechtlich gestattet sein mag.195 Wird es 192 Vgl. Antomo StAZ 2019, 33, 37. – Vgl. auch Goetzke / Michaels in: Beaumont /  Holliday, 31, 40. 193 Vgl. Basedow FS Posch, 17, 19; Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 84 ff. 194 Eine unmittelbare analoge Anwendung der Rom II-VO auf Nukleardelikte ablehnend daher U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 611. – Siehe zur Anwendung der Rom III-

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

durch eine mitgliedstaatliche Verweisung für maßgeblich erklärt, gelangt das EU-IPR schließlich auch auf Aspekte zur Anwendung, die es nicht abdecken will und für die es nicht primär konzipiert ist. Diese extensive Anwendung der europäischen Kollisionsregeln auf Fragen, auf die sie sachlich nicht zugeschnitten sind, kann zu inhaltlichen Reibungen führen. Dabei stellt sich bereits die Reichweite der vom nationalen IPR ausgesprochenen Verweisung häufig als kritisch dar. Koordinationsschwierigkeiten entstehen zunächst mit Blick auf den in den EU-Verordnungen nur partiell geregelten Allgemeinen Teil des IPR. Übernimmt man für das mitgliedstaatliche IPR nur die speziellen Anknüpfungsregeln des EU-IPR – nur hinsichtlich dieser besteht ja eine Lücke – und bringt hinsichtlich allgemeiner Fragen insgesamt die nationalen AT-Regelungen zur Anwendung, muss man in Kauf nehmen, dass es bei Anwendung des „verwiesenen“ EU-Rechtsakts gelegentlich zu anderen Ergebnissen als bei seiner direkten Anwendung kommt (z. B. wenn das nationale Recht den im EU-IPR ausgeschlossenen renvoi vorsieht). Weitgehend vermeiden lässt sich das durch eine globale Verweisung auf das EUKollisionsrecht unter Einschluss auch seiner allgemeinen Regeln, wie sie bisher im EGBGB überwiegend vorgenommen wurde. Eine solche umfassende Beurteilung nach der EU-Konzeption kann allerdings spezielle Einzelfragen auch nicht ganz ausschließen, 196 außerdem entziehen derartige Komplettverweisungen dem nationalen Allgemeinen Teil des IPR praktisch einige ihm zugeordnete Aspekte und lassen seine Bedeutung weiter schwinden. Vor allem aber erweist sich als problematisch, dass etwa erforderliche inhaltliche Anpassungen der entsprechend anzuwendenden EU-Kollisionsregeln durch das nationale IPR vorgenommen werden müssen – das dabei ebenso frei ist wie bei der grundsätzlichen Entscheidung, ob und inwieweit es das EU-IPR überhaupt übernimmt. Wenn in den Mitgliedstaaten das EU-IPR bei der extensiven Anwendung auf unterschiedliche Weise ausgelegt oder gar per gesetzgeberischer Anordnung modifiziert wird, treten erhebliche Schwierigkeiten auf. Ein solches „Rosinenpicken“ führt letztlich dazu, dass auf nationaler Ebene eine Art „EU-IPR 2.0“ entsteht – die EU-Verordnungen sind VO auf Privatscheidungen Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242; Gössl GPR 2018, 94, 97; Kohler / Pintens FamRZ 2018, 1369, 1372. 195 Vgl. zur Rom III-VO etwa BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 1 Rom IIIVO Rn. 15. – Auch U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 611 f. schlägt für Nuklearhaftungsfragen eine entsprechende Anwendung der europäischen Deliktskollisionsregeln durch das mitgliedstaatliche IPR vor. 196 Soll z. B. die Verweisung des Art. 17 Abs. 4 EGBGB für den Versorgungsausgleich stets zum nach den Anknüpfungsregeln der Rom III-VO „anzuwendenden“ Scheidungsstatut führen, auch wenn für die Scheidung als solche gemäß Art. 10 Rom III-VO die (deutsche) lex fori als Ersatzrecht berufen wurde? Dafür MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 17 EGBGB Rn. 90; Winkler von Mohrenfels in: FS Martiny, 595, 603 f.; kritisch dagegen Gruber IPRax 2016, 539, 542.

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jedoch als sorgfältige Kompromisse austarierte, in sich stimmige Gesamtlösungen, die durch die national als geeignet(er) empfundenen Modifikationen aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Wenn mehrere Mitgliedstaaten prinzipiell auf das EU-IPR verweisen, dessen Anknüpfungsregeln aber im Detail modifizieren, kann der Schein der EU-Konformität (und der faktischen Harmonisierung) täuschen und sich als für die Rechtsanwender tückisch erweisen. Gefährlich ist das vor allem bei durch (politische) Wertungen betroffenen Regelungen (wie etwa Art. 10 Rom III-VO). Selbst, wenn durch die Veränderungen keine Koordinations- und Anwendungsschwierigkeiten innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen ausgelöst werden, wird die Rechtslage in Europa dadurch insgesamt deutlich unübersichtlicher, vor allem, wenn mehrere Mitgliedstaaten jeweils unterschiedliche Abweichungen implementieren. cc) Anwendung und Weiterentwicklung europäisch oder national? Auch für die aus europäischer Perspektive eminent wichtige einheitliche Anwendung des EU-IPR entstehen Herausforderungen, wenn eine europäische Kollisionsrechtsverordnung durch Anwendungsbefehl des nationalen Rechts extensiv zur (entsprechenden) Anwendung berufen wird. Wer ist für die Auslegung einer Kollisionsregel zuständig, die technisch zum mitgliedstaatlichen Recht gehört, inhaltlich aber dem Unionsrecht entstammt? Im Interesse einer kohärenten Auslegung der europäischen Normen unabhängig vom „Zugangsweg“ dazu und der Vermeidung abweichender Weiterentwicklungen spricht vieles dafür, auch im Kontext mitgliedstaatlicher Verweisungen darauf bei Fragen hinsichtlich der Interpretation des EU-IPR die Expertise der europäischen Ebene fruchtbar zu machen und durch eine Vorlage an den EuGH eine verbindliche Klärung herbeizuführen.197 Der EuGH selbst zeigt sich hinsichtlich der Vorlagefähigkeit bei der Anwendung unionsrechtlicher Regelungen kraft mitgliedstaatlicher Verweisung seit langem großzügig. Bereits nach seiner noch zum EuGVÜ ergangenen Rechtsprechung soll sie nur zu verneinen sein, wenn „das Gericht des betreffenden Vertragsstaats […] frei entscheiden [kann], ob die vom Gerichtshof gegebene Auslegung auch bei der Anwendung des diesem Übereinkommen entnommenen nationalen Rechts gilt“198. Eine solche freie Entscheidung fehlt beispielsweise für die deutschen Gerichte im Rahmen des Art. 25 EGBGB, weil dieser die Anwendung der ErbVO verbindlich vorschreibt.199 197 Vgl. OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14 (erneute Vorlage in Sahyouni). – So auch Antomo StAZ 2019, 33, 38 und Gössl GPR 2018, 94, 97, die die Parallele zur überschießenden Richtlinienumsetzung ziehen. Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1036 spricht von „einer ‚überschießenden‘ Anwendung der Rom III-VO“. – Skeptisch dagegen Arnold /  Schnetter ZEuP 2018, 646, 659. 198 EuGH 28.3.1995 – C-346/93, Kleinwort Benson, Rn. 22. 199 MüKo8 / Dutta Art. 25 EGBGB Rn. 5.

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Auch in den letzten Jahren hat der EuGH mehrfach Vorlagefragen zu unionsrechtlichen Rechtsakten akzeptiert, wenn diese vom autonomen Recht aufgrund eines darin enthaltenen Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden waren, prominent jüngst (nachdem die mittelbare Anwendung der Rom III-VO durch eine Verweisung des deutschen Rechts ihm hinreichend dargelegt wurde, siehe unten § 9.II.2.a), S. 562 ff.) in der Rechtssache Sahyouni.200 Wenn das EU-IPR kraft Verweisung des mitgliedstaatlichen Rechts ausdehnend herangezogen wird, sind Vorlagen also grundsätzlich zulässig, wenn nicht sogar verpflichtend. Auch hier werfen jedoch Einschränkungen bzw. Modifikationen durch das nationale Recht Schwierigkeiten auf, da bislang noch weitgehend unklar ist, wie weit sie die europäische Auslegungskompetenz bzw. Anwendungskontrolle beeinträchtigen können. Ob die vom EuGH in Kleinwort Benson entwickelte Richtschnur, dass eine europäische Auslegungszuständigkeit nicht besteht, wenn mitgliedstaatliche Gesetzgeber nicht unmittelbar und unbedingt das EU-Recht in Bezug nehmen, sondern es lediglich als Vorlage verwenden und in Einzelfällen davon abweichen,201 heute noch genauso Anwendung findet und wo die Grenze zwischen „unmittelbarer Bezugnahme“ und „Abweichung im Einzelfall“ verläuft, ist offen.202 Ebenso fraglich ist, ob die in Nolan zum Richtlinienrecht aufgestellte Grenze der EuGH-Vorlagemöglichkeit bei unmissverständlichem Willen des EU-Gesetzgebers, einen Rechtsakt auf einen bestimmten Bereich gerade nicht anzuwenden,203 für die extensive Anwendung der EU-Kollisionrechtsverordnungen durch das nationale IPR haltbar ist. Schließlich stellen sich Ausdehnungen des EU-Kollisionsrechts durch nationale Verweisungen auch mit Blick auf die Weiterentwicklung des EUKollisionsrechts als zweischneidiges Schwert dar. Abgesehen von den genannten positiven und negativen Aspekten einer Vergrößerung seines Anwendungsbereichs durch eine extensive Übernahme werden damit jedenfalls Fakten geschaffen. Gerade, wenn eine Ausklammerung aus dem sachlichen Anwendungsbereich der EU-Verordnung bewusst erfolgt ist, weil in rechtspolitisch heiklen Fragen keine Einigung möglich war (siehe Teil II: § 2.II.2.a), S. 53 ff.; Teil II: § 3.II.1.c), S. 137 ff.), kann sich die extensive Anwendung der europäischen Anknüpfungsregeln über eine Verweisung im nationalen 200 EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 28 ff. m. w. N. (nach Ablehnung unter Hinweis auf die Möglichkeit erneuter Vorlage in EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I, Rn. 30 ff.). – Vgl. dazu Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 239. 201 EuGH 28.3.1995 – C-346/93, Kleinwort Benson, Rn. 16 ff. 202 Antomo StAZ 2019, 33, 38; Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242. – Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1036 f. fordert eine Einzelfallentscheidung und lehnt für Art. 17 Abs. 2 EGBGB aufgrund der weitreichenden Modifikationen eine Vorlage an den EuGH ab. Eine Auslegungszuständigkeit des EuGH bei modifzierter analoger Anwendung des EU-IPR ablehnend auch Arnold / Schnetter ZEuP 2018, 646, 659. 203 EuGH 18.10.2012 – C-583/10, Nolan, Rn. 55.

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IPR einzelner Mitgliedstaaten als ungünstiges Vorpreschen erweisen. Unionsrechtlich gesehen führt sie ähnlich wie die Verstärkte Zusammenarbeit zu einer unterschiedlich schnell bzw. weit voranschreitenden Europäisierung des Kollisionsrechts. Aber auch ganz allgemein wirkt eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des EU-IPR durch nationale Gesetzgeber vorgreiflich und präjudiziert spätere Erweiterungen und Entwicklungen der EU-Kollisionsrechtsakte.204 Vor allem, wenn einzelne Mitgliedstaaten ihre jeweils eigenen Vorstellungen für eine „Optimierung“ des EU-Kollisionsrechts durch Modifikationen auf nationaler Ebene bereits verwirklichen, ist das für den weiteren europäischen Vereinheitlichungsprozess wenig hilfreich und droht, die positiven Effekte der extensiven Übernahme europäischer Regelungen wieder zunichte zu machen. Beispielsweise stärkt die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, für Privatscheidungen lediglich die Anknüpfungsregeln der Rom III-VO zu übernehmen, auch die deutsche Position, Art. 10 Var. 2 Rom III-VO sei lediglich eine (spezielle) ordre public-Klausel – zur Steigerung der Kompromissbereitschaft im Hinblick auf künftige europäische Reform- oder Rechtsetzungsvorhaben zum Internationalen (Privat-)Scheidungsrecht wird das nicht beitragen. Insgesamt ist eine ausdehnende Übernahme der EU-Kollisionsregeln durch das nationale IPR damit als zweischneidig einzustufen. Die Parallelregelungsoder Verweisungstechnik bietet sich vor allem an, wenn für schmale Restgebiete abweichende nationale Regelungen nicht sinnvoll erscheinen. Eine blankettartige Verweisung ist zudem der einzig effektive Weg, bei Unklarheiten über die Reichweite des EU-IPR bzw. der von ihm gelassenen Lücken für Rechtssicherheit zu sorgen. Im Interesse kohärenter Lösungen ist eine EUakzessorische Anknüpfung teilweise praktisch unausweichlich. Gleichzeitig bedeutet sie allerdings eine Erstreckung der europäischen Anknüpfungsregeln auf gerade jene Fragen, die von ihnen bewusst ausgenommen wurden. Das missachtet nicht nur den negativen Anwendungswillen des EU-IPR in der Sache, sondern führt auch zu Anwendungsschwierigkeiten, wenn die vorhandenen Regelungen auf die ihnen lediglich kraft Ausdehnungsbefehls unterstellten Sachverhalte nicht recht passen wollen. Modifikationen im nationalen IPR können hier einerseits Abhilfe schaffen, unterschiedliche oder sogar gegenläufige Modifikationen in verschiedenen Mitgliedstaaten drohen aber – gerade bei rechtspolitisch problematischen Aspekten – langfristig die weitere Vereinheitlichung zu unterminieren. Hinzu treten noch ungelöste technische bzw. dogmatische Fragen, etwa nach den Grenzen eines mitgliedstaatlichen „Rosinenpickens“ bei der extensiven Übernahme europäischer Kollisionsregeln oder der verbindlichen Beilegung von Auslegungs- und Anwendungsstreitigkeiten. Da man den Mitgliedstaaten eine erweiternde Übernahme der 204 So auch hinsichtlich der direkten analogen Anwendung der EU-Kollisionsregeln U. Magnus in: FS Kropholler, 595, 611.

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EU-Kollisionsregeln nicht verwehren kann, sind Antworten darauf dringend und zügig erforderlich. Im Idealfall sollte den Mitgliedstaaten für ihre EUakzessorische IPR-Gesetzgebung zumindest eine Richtschnur an die Hand gegeben werden, damit dieses Modell in geordnete Bahnen gelenkt werden und auch tatsächlich die weitere Vereinheitlichung fördern kann. 4. Resultat Zu konstatieren ist damit ein erheblicher Einfluss des EU-IPR auf die Weiterentwicklung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts insgesamt. Inhaltliche Angleichungen der mitgliedstaatlichen an die europäischen Regeln sind vor allem zu verzeichnen, wenn die Schließung kleinerer Lücken der europäischen Rechtsakte in Frage steht. Zunehmend ist aber auch darüber hinaus, für von der Europäisierung bisher ausgesparte Statute, eine grundsätzliche Orientierung am bereits bestehenden EU-IPR zu beobachten. Zunächst einmal ist gegen diese Entwicklung nichts einzuwenden. Sie ist zu einem gewissen Grad die notwendige Folge der Europäisierung wesentlicher Bereiche des Kollisionsrechts. Würden innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung die Anknüpfungsregeln für zentrale Statute geändert, wären Anpassungen des restlichen Kollisionsrechts an die veränderten Umstände ebenso nötig. Bedenklich ist allerdings, dass dieser vom EU-IPR ausgehende „Dominoeffekt“ über ein Ebenengefälle hinweg entsteht und die Entwicklungsmöglichkeiten für das mitgliedstaatliche IPR dadurch stark eingeschränkt werden. Bereits der dem gesetzgeberischen Tätigwerden vorgelagerte Schritt, überhaupt Reformbedarf bzw. Reformwillen zu etablieren, ist für das nationale IPR heute stark von der Tätigkeit des EU-Gesetzgebers abhängig. Häufig wirkt die Verabschiedung europäischer Kollisionsrechtsakte als Anstoß für nationale Rechtsänderungen: Vor allem in an das EU-Kollisionsrecht angrenzenden Bereichen oder davon gelassenen Lücken sind Anpassungen der nationalen Kollisionsregeln technisch und inhaltlich sinnvoll, wenn nicht gar unumgänglich. Auch rechtspolitisch ist eine klare mitgliedstaatliche Positionierung häufig wünschenswert, vor allem, wenn ihr im Hinblick auf zu erwartende weitere europäische Vereinheitlichungsschritte Gewicht verliehen werden soll.205 Insbesondere, wenn eine Überarbeitung oder Kodifikation der nationalen Kollisionsregeln für einzelne Fragen bereits seit geraumer Zeit im Raum stand, kann die Europäisierung ihres Kontextes den Anlass bieten, diese Vorhaben umzusetzen. Für das deutsche IPR der letzten Jahre lässt sich etwa festhalten, dass es eine Vielzahl kleinerer, auf spezielle Bereiche begrenzter Reformen gab, die sämtlich als direkte oder indirekte Reaktion auf die Verabschiedung europäischer IPR-Rechtsakte einzustufen sind. Plastisch Bonomi in: Heindler, 49, 77: „National lawmakers should take the opportunity of a national PIL reform to be proactive and anticipate (and thus influence) future European developments.“ 205

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Dem mitgliedstaatlichen IPR steht als Reaktion auf die Europäisierung und vor allem zur Füllung der von diesem gelassenen Lücken eine breite Palette an Mechanismen zur Verfügung. Diese bieten sich in unterschiedlichen Ausgangssituationen an und haben jeweils ihre eigenen Vor- und Nachteile. Die prinzipiell vorgesehene, unveränderte Beibehaltung der bisherigen, nationalen Regelungen erweist sich bei Abweichungen von den europäischen Anknüpfungsprinzipien nur als dauerhaft sinnvoll, wenn der betreffende Bereich klar abgrenzbar ist und wenig Interaktionspunkte mit anderen, nunmehr europäisierten Kollisionsregeln aufweist, und die Funktionstauglichkeit der nationalen Anknüpfungsregel auch im europäischen Umfeld zu erwarten ist. Ansonsten stellt sich die fortgesetzte Anwendung der überkommenen mitgliedstaatlichen Regelungen in den Lücken des EU-IPR als zunehmend schwierig dar – wie die Beispiele der Forderungsabtretung sowie der Haftung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Nuklearschäden zeigen. Eng verwandt damit ist der Ansatz, die Lücken des EU-IPR durch die Schaffung neuer nationaler Kollisionsregeln zu schließen. Auch er kommt letztlich nur für eindeutig umrissene Einzelfragen in Betracht, für die (wie z. B. für das Internationale Stellvertretungsrecht) das EU-IPR bislang keinerlei Ansätze enthält. Ein näherer Blick zeigt allerdings, dass auch diese prima facie rein mitgliedstaatlichen Techniken sehr wohl den Blick auf das europäische Kollisionsrecht richten und stark durch eine zunehmend (selbst)bewusste Positionierung des mitgliedstaatlichen IPR im Hinblick auf zu erwartende weitere Vereinheitlichungsschritte geprägt sind. Je enger aber die national verbliebenen Bereiche oder Fragen mit nunmehr europäisch geregelten Aspekten verzahnt sind, desto schwieriger ist ein Festhalten an den bisherigen Anknüpfungsregeln und desto weniger lohnt sich eine vom EU-IPR divergierende nationale Regelung. Unterschiedliche Konzeptionen für zusammenhängende Fragen rufen erhebliche Koordinationsschwierigkeiten hervor, verschärfen Qualifikationskonflikte und schwächen die Rechtssicherheit zu Lasten der Rechtsanwender und der Betroffenen. Insofern kann eine Anpassung der mitgliedstaatlich verbliebenen Statute an ihre europäischen Nachbarregeln sinnvoll, wenn nicht gar unumgänglich scheinen. Prominent wurde eine solche Entwicklung jüngst im deutschen IPR der allgemeinen Ehewirkungen vollzogen, das mit dem europäischen Internationalen Güterrecht kompatibel umgestaltet wurde. Zu beobachten ist eine solche Tendenz allerdings auch über die Schließung kleinerer und größerer Lücken des EU-IPR hinaus: Das Beispiel des Personalstatuts zeigt, dass Systemkohärenz auf nationaler Ebene heute letztlich nur durch eine Orientierung an den europäischen Prinzipien und Prämissen erhalten bzw. geschaffen werden kann. Insofern ist inzwischen auch konzeptionell eine starke und weiter wachsende Sogwirkung des europäischen Kollisionsrechts zu verzeichnen, die potentiell das gesamte nationale IPR erfasst.206

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Noch einen Schritt weiter geht schließlich der Ansatz, die EU-Kollisionsregeln zur Schließung der von ihnen gelassenen Lücken für entsprechend anwendbar zu erklären. Den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern steht es frei, die Regelungen über ihr originäres Gebiet hinaus im nationalen Kollisionsrecht zu „kopieren“ bzw. auf sie zu verweisen.207 Ein solcher gänzlicher Verzicht auf nationale Anknüpfungsregeln bietet sich vor allem an, wenn es um die Erfassung geringer, vom EU-IPR (potentiell) nicht erfasster Randund Restbereiche geht, für die eine eigenständige, abweichende Regelung sich nicht lohnt (wie für die wenigen neben der ErbVO noch verbleibenden international-erbrechtlichen Fragen). Neben der Arbeitsersparnis ist wesentlicher Vorteil dieser Lösung, dass der dadurch hervorgerufene Gleichlauf Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen EU-IPR und nationalem IPR entschärft. Europarechtlich ist eine solche extensive Übernahme der EU-Kollisionsregeln allerdings nicht ganz unproblematisch, da sie das EU-IPR über den erklärten Willen des EU-Gesetzgebers hinaus ausdehnt und bei unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Anwendungsbefehlen bisher ungeklärte Anwendungs- und Auslegungsfragen aufwirft. Gleichzeitig erfordert die Übertragung der europäischen Kollisionsregeln auf Bereiche, für die sie gerade nicht zugeschnitten sind, Änderungen und Anpassungen. Besonders kritisch ist es zu sehen, wenn mitgliedstaatliche Gesetzgeber sich das EU-IPR nur partiell zu eigen machen, indem sie nur teilweise oder gar mit Modifikationen darauf verweisen, so wie der deutsche Gesetzgeber in Art. 17 Abs. 2 EGBGB für Privatscheidungen. In technischer Hinsicht haben die Mitgliedstaaten also erheblichen Spielraum bei der Weiterentwicklung des nationalen Kollisionsrechts vor dem Hintergrund neuer europäischer Rechtsakte. Die Vielfalt der verfügbaren Mechanismen ist zunächst positiv. Sie gestattet passgenaue Lösungen für alle Einzelfälle. Da jede europäische Verordnung anders mit dem mitgliedstaatlichen IPR verknüpft ist und die Ausgangspositionen der nationalen Rechtsordnungen teils ganz unterschiedlich sind, verbieten sich pauschale Ansätze. Damit verbunden ist allerdings der Nachteil der Unübersichtlichkeit. Bereits innerhalb ein und derselben (deutschen) Rechtsordnung ist keine klare Linie erkennbar. Vielmehr muss für jeden weiteren Europäisierungsschritt die mitgliedstaatliche Reaktion neu determiniert werden. Das erhöht nicht nur den Aufwand in jedem konkreten Fall, sondern es droht auf Dauer auch die nationale IPR-Gesetzgebung zu zerfasern, die sich von einer in sich geschlossenen Gesamtkonzeption zunehmend zu einer Mixtur punktueller Reaktionen auf einzelne EU-Rechtsakte wandelt. Darüber hinaus sorgen unterschiedliche, konkurrierende Ansätze zu ein und demselben Aspekt in verschiedenen Mitgliedstaaten auch mit Blick auf die weitere europäische Kollisionsrechtsver206 207

Vgl. Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 277. Siehe z. B. Gruber IPRax 2012, 381, 383.

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einheitlichung für Schwierigkeiten. Insgesamt entsteht damit erhebliche Unsicherheit, die Rechtsanwender und Rechtsetzer gleichermaßen belastet. Geht man von der künftigen Verabschiedung weiterer europäischer Rechtsakte aus, wäre eine Systematisierung des darauf bezogenen mitgliedstaatlichen Reformhandelns langfristig wünschenswert. Sachlichen Differenzierungen muss selbstverständlich Rechnung getragen werden, idealerweise aber innerhalb eines rechtstechnischen Gesamtkonzepts. Bezüglich der Inhalte der neuen mitgliedstaatlichen Regelungen ist festzustellen, dass das EU-IPR heute bei allen nationalen Reformen in den Blick genommen wird – auch wenn die Mechanismen sich unterschiedlich stark daran orientieren. Das ist zunächst wenig überraschend: Wenn es darum geht, Lücken des EU-IPR zu schließen, muss es zwangsläufig als Ausgangspunkt berücksichtigt werden. Auch, dass für Fragen untergeordneter Bedeutung und eng mit dem Gebiet des EU-IPR verknüpfte Aspekte davon wesentlich abweichende nationale Lösungen kaum praktisch sinnvoll sind, leuchtet ein. In der Gesamtschau zeichnet sich inzwischen allerdings eine deutlich über die von den europäischen Rechtsakten direkt berührten Bereiche hinausgehende Sogwirkung der EU-Kollisionsregeln ab, denn je enger das Netz der europäischen Kollisionsregeln gewoben wird, desto größer sind die Komplikationen durch damit in Kontrast tretende nationale Regelungen und desto stärker der Druck zur Anpassung des verbliebenen mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts. Nationale Reformen erfolgen daher quasi nur noch „mit Blick auf Europa“ und resultieren zumeist auch in einer inhaltlichen Angleichung an das EUIPR. Eigenständige nationale Lösungsansätze werden zunehmend aufgegeben – und allenfalls dann neu implementiert, wenn damit gleichzeitig eine Positionierung auf europäischer Ebene bezweckt wird. Als Ausdruck der Vorbildfunktion und Überzeugungskraft der bereits verabschiedeten europäischen Rechtsakte und des Willens der Mitgliedstaaten zur weiteren Harmonisierung lässt sich dies durchaus begrüßen. Es darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine echte Alternative zur inhaltlichen Ausrichtung am EU-IPR für die Mitgliedstaaten zumeist nicht zur Verfügung steht. Der durch die Europäisierung ausgelöste Reformbedarf kann in der Regel nur durch eine die europäischen Tendenzen übernehmende Entwicklung sinnvoll erfüllt werden. Die mehr oder weniger freiwillige Übernahme europäischer Anknüpfungsregeln und -prinzipien durch das nationale Kollisionsrecht erspart dabei Aufwand und Mühen in Gesetzgebung und Anwendung, bedeutet allerdings auch die Aufgabe inhaltlicher Gestaltungsfreiheit in eigentlich autonom verbliebenen Fragen. Besonders deutlich wird dies im Personen- und Familienrecht. Das EU-IPR beschränkt sich hier zwar bewusst auf Rechtsakte zu einzelnen Aspekten, auf Dauer scheint es jedoch unausweichlich, dass auch die mitgliedstaatlich verbliebenen Regelungen des Personalstatuts einer – europäisch determinierten – primären Aufenthaltsanknüpfung unterstellt werden. Auch wenn diese inhaltlich dem heutigen state of the

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art entspricht, ist es unglücklich, dass andere Konzepte daneben von vornherein quasi chancenlos sind. Diese einseitige Entwicklungsrichtung der nationalen Kollisionsrechte „auf die EU zu“ ist bedenklich. Zunächst einmal schränkt sie den Spielraum des mitgliedstaatlichen IPR stark ein. Technisch und inhaltlich sind auf nationaler Ebene kaum noch echte Innovationen möglich – ihre Weiterentwicklung erschöpft sich zunehmend in der Reaktion auf bereits erfolgte und der Vorbereitung künftig erwarteter Europäisierungsakte, jeweils schrittweise und mit Unsicherheiten behaftet. Abgesehen von der drohenden Stagnation im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht kann dadurch auch die weitere Harmonisierung präjudiziert oder gar gefährdet werden. Kritisch ist die Tendenz zur europäischen Ausrichtung des national verbliebenen Kollisionsrechts ferner nicht nur in Bezug auf die einzelnen in Frage stehenden Anknüpfungsregeln, sondern auch hinsichtlich der Gesamtkonzeption des IPR zu sehen. Die ursprünglichen nationalen IPR-Systeme, die durch die Verabschiedung europäischer Rechtsakte ohnehin nach und nach aus dem Gleichgewicht gebracht werden, sind als Referenzrahmen für europäisch orientierte Lösungen nicht mehr geeignet – vielmehr werden sie durch deren Implementierung noch stärker und schneller verdrängt. Gleichzeitig steht den Mitgliedstaaten aber in Ermangelung einer europäischen Gesamtkonzeption kein alternatives Orientierungsmodell zur Verfügung, auf das sie ihre Regelungen konzeptionell ausrichten könnten: Ein europäisches Personalstatut existiert eben gerade noch nicht. Für das in der Regel als einheitliches Modell konzipierte Kollisionsrecht, dessen Regelungen miteinander zusammenhängen und aufeinander abgestimmt sind, ist das äußerst problematisch – zumal wie gesehen Kohärenz zunehmend nur noch durch eine Anpassung an den europäischen Standard (wieder-)hergestellt werden kann. Gerade die ausdehnende bzw. analoge Anwendung der bereits bestehenden EU-Kollisionsregeln zur Lückenschließung erfolgt letztlich als Notlösung, wenn die Beibehaltung nationaler Konzepte für Restbestände mangels Kompatibilität mit dem im Übrigen maßgeblichen EU-IPR nicht sinnvoll erscheint, dieses aber eben gerade keine umfassende Lösung bereithält – einzelne Mitgliedstaaten leiten hier letztlich aus den europäischen Einzel-Rechtsakten spekulativ ein Gesamtkonzept ab, das aber auf europäischer Ebene gerade noch nicht konsentiert ist. Hinzu treten die nach wie vor teils erheblichen Unterschiede im mitgliedstaatlichen Kollisionsrechtsverständnis. Auf Dauer erscheint eine EU-finale, aber nicht durch europäische Systemvorstellungen geleitete Weiterentwicklung der mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte weder für das nationale noch für das europäische IPR als tragfähige Basis.

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

Zu den durch die europäischen Sekundärrechtsakte zum IPR bewirkten Änderungen der national verbliebenen Kollisionsregeln treten primärrechtliche Einflüsse auf das mitgliedstaatliche IPR hinzu. Dieses muss sich – zumindest im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander – an den Maßstäben des Unionsrechts messen lassen: Insbesondere darf seine Anwendung nicht zu Ergebnissen führen, die gegen die europäischen Grundfreiheiten verstoßen.208 Die Wirkungen des Primärrechts auf das nationale IPR reichen weit in die Zeit vor der Planung und Verabschiedung sekundärrechtlicher Rechtsakte zurück.209 Technisch wie inhaltlich gehören die Grundfreiheiten nicht zum EU-IPR im engeren Sinne. Mit ihren immer zahlreicheren und enger gefassten Vorgaben wirken sie jedoch potentiell mindestens genauso stark auf das mitgliedstaatlich verbliebene Kollisionsrecht ein wie die IPR-Verordnungen. Zur eher durch pragmatische Erwägungen bedingten Sogwirkung der Sekundärrechtsakte für angrenzende bzw. verknüpfte Rechtsgebiete fügt das Primärrecht für alle kollisionsrechtlichen Fragen verbindliche Wertungskriterien hinzu – die Folge sind teils erhebliche Anpassungen des IPR „im europäischen Geiste“. Insofern muss der Einfluss der Grundfreiheiten als Europäisierungswirkung für das nationale Kollisionsrecht in die Untersuchung einbezogen werden, wobei die Darstellung im Rahmen dieser Arbeit auf zentrale Aspekte der aktuellen Diskussion zu beschränken ist. Kernfrage ist, ob und inwieweit das Primärrecht von den Mitgliedstaaten eine Entwicklung hin zu einem „grundfreiheitenbasierten“ Kollisionsrecht fordert und ob ein solches Modell wünschenswert und realisierbar wäre. Grundlegend werden am Beispiel des Internationalen Namensrechts die Mechanismen betrachtet, durch die die Grundfreiheiten auf das Kollisionsrecht einwirken können: Unionsrechtliche Impulse und mitgliedstaatliche Reaktionen sind zwar nicht zwingend, aber doch vielfach im IPR verortet (dazu 1.). Die bereits seit geraumer Zeit diskutierte aus den Grundfreiheiten fließende Pflicht zur Statusanerkennung innerhalb Europas geht einher mit einer Debatte zu grundlegenden methodischen Änderungen des Kollisionsrechts (dazu 2.). Einer Orientierung des mitgliedstaatlichen IPR an den Grundfreiheiten steht schließlich entgegen, dass Reichweite und Grenzen der primärrechtlichen Anforderungen in verschiedener Hinsicht noch nicht eindeutig feststehen (dazu 3.). Dabei gerät einerseits das nationale IPR durch das Unionsrecht immer mehr unter Druck, andererseits bestehen berechtigte Zweifel daran, ob seine Ausrichtung am Primärrecht zweckmäßig ist. Umfassend zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts Repasi 10 ff., 52 ff. Vgl. z. B. Mansel in: Leible / Ruffert, 89, 116 m. w. N. – Zum primärrechtlichen Einfluss auf das Kollisionsrecht im Überblick Trüten 461 ff.; zum Primärrecht als Vorgabe für den mitgliedstaatlichen Umgang mit Statusfragen z. B. Funken 104 ff. 208 209

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1. Vorgaben der Grundfreiheiten für das nationale (Kollisions-)Recht Der primärrechtliche Einfluss auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht ergibt sich aus den unionsrechtlichen Grundfreiheiten. Die darin zum Ausdruck kommenden EU-spezifischen Wertungen vermitteln binnenmarktbezogene Rechte, die durch die Mitgliedstaaten nur in gerechtfertigten Fällen eingeschränkt werden können. Zwar besteht kein unmittelbarer Bezug zum IPR. Da die Grundfreiheiten für grenzüberschreitende Situationen konzipiert sind, können kollisionsrechtlich relevante Fragestellungen vergleichsweise einfach Verstöße dagegen auslösen. Genauso ist eine Umsetzung der primärrechtlichen Vorgaben im IPR zwar nicht zwingend, häufig ist aber ein Bezug der Lösungen zum Kollisionsrecht zu verzeichnen. Als problematisch erweist sich, dass die Anforderungen der Grundfreiheiten an das mitgliedstaatliche (Kollisions-)Recht erst nach und nach und einzelfallbezogen durch den EuGH konkretisiert werden – beobachten lässt sich ein Wechselspiel aus mitgliedstaatlichen Vorlagefragen und europäischen Antworten. Damit einher geht eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Tragfähigkeit der mitgliedstaatlichen Lösungsansätze. Im Folgenden wird zunächst die Funktionsweise der unionsrechtlichen Grundfreiheiten mit Blick auf das IPR in ihren Grundzügen skizziert (dazu a)). Anschließend wird anhand des Internationalen Namensrechts illustriert, wie sich eine – zumindest indirekt kollisionsrechtsbezogene – Rechtsprechungslinie des EuGH zu den Anforderungen der Grundfreiheiten an die Lösung grenzüberschreitender Sachverhalte entwickeln kann (dazu b)). Die unterschiedlichen Reaktionen der Mitgliedstaaten darauf zeigen, wie divergent die Umsetzung der aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Zielvorgaben erfolgen kann (dazu c)). a) Unionsrechtliche Grundfreiheiten Die Mitgliedstaaten sind bei jeglichem Handeln zur Achtung des – höherrangigen – Unionsrechts verpflichtet. Dass das EU-Primärrecht damit auch für das Kollisionsrecht grundsätzliche Geltung beanspruchen kann, steht außer Frage. Ebenso versteht sich von selbst, dass die Grundfreiheiten bei der Schaffung und Anwendung europäischer Kollisionsregeln zu beachten sind. Die Anknüpfungsentscheidungen des europäischen Kollisionsrechtsgesetzgebers zeugen von entsprechenden Erwägungen. Der in der Rom III-VO, der ErbVO und der GüVO / PartVO gewählte Kompromiss, neben der Hauptanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt alternativ die Anknüpfung an das Recht der Staatsangehörigkeit zur Wahl zu stellen, verfolgt auch das Ziel, die potentiell negativen Folgen jedes dieser Anknüpfungsmomente in Bezug auf die Grundfreiheiten (zwingende Aufenthaltsanknüpfung als von grenzüberschreitenden Umzügen abschreckende Freizügigkeitsbehinderung, zwingende Staatsangehörig-

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keitsanknüpfung als Diskriminierung) abzumildern.210 Aber nicht nur das EUeigene Kollisionsrecht, sondern auch die verbliebenen mitgliedstaatlichen IPRRegelungen sind an die grundlegenden unionsrechtlichen Vorgaben gebunden:211 Sie müssen primärrechtskonform konzipiert, angewendet und gegebenenfalls umgestaltet werden.212 Die (Weiter-)Entwicklung des europäischen wie nationalen Kollisionsrechts ist auch in die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa eingebettet.213 In der heutigen kollisionsrechtlichen Diskussion und Rechtsentwicklung stehen die Grundfreiheiten im Zentrum der Aufmerksamkeit.214 Die klassischen wirtschaftsbezogenen Grundfreiheiten des freien Verkehrs von Waren (Art. 34 AEUV, ex-Art. 28 EGV), Personen (Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV, ex-Art. 39 EGV sowie Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV, ex Art. 43 EGV), Dienstleistungen (Art. 56 AEUV, ex-Art. 49 EGV) und Kapital- und Zahlungsmitteln (Art. 63 AEUV, ex-Art. 56 EGV) innerhalb des Binnenmarktes sind zu gewährleisten. Hinzu tritt heute die aus der Unionsbürgerschaft des Art. 20 AEUV (ex-Art. 17 EGV) als der „grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten“215 fließende und keinen wirtschaftlichen Bezug erfordernde Freizügigkeit der Unionsbürger innerhalb der EU gemäß Art. 21 AEUV (ex-Art. 18 EGV) als „fünfte Grundfreiheit“216,217 als deren Bestandteil der EuGH nunmehr auch das Verbot einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV, ex-Art. 12 EGV) betrachtet.218 Mit den Grundfreiheiten müssen auch die nationalen IPRRegeln vereinbar sein: Die Anwendung mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts 210 Bogdan in: FS van Loon, 59, 62 f. – Siehe zur Staatsangehörigkeitsanknüpfung vor dem Hintergrund des Diskriminierungsverbots statt vieler Schwemmer 88 ff. und Mankowski in: Leible, 189, 193 f., jeweils m. w. N. 211 Vgl. z. B. EuGH 5.6.2018 – C/673/16, Coman, 38 f.; EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Freitag, Rn. 33; EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 32; EuGH 12.5.2011 – C391/09, Runevič-Vardyn, Rn. 63; EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 38 f.; EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Grunkin Paul, Rn. 16; EuGH 2.10.2003 – C48/02, Garcia Avello, Rn. 25. 212 Vgl. bereits Wendehorst in: FS Heldrich, 1071, 1088. – Jüngerer Überblick bei Roth AcP 220 (2020), 458, 472 ff.; grundlegend und umfassend zu den primärrechtlichen Einflüssen auf das mitgliedstaatliche Privatrecht und IPR Repasi 52 ff., 294 ff. 213 Dazu und zum Verhältnis des EU-Kollisionsrechts zum Zugang zum Recht ausführlich Meeusen / van Overbeeke / Verhaert RabelsZ 81 (2017), 858, 858 ff. 214 Vgl. umfassend zu den primärrechtlichen Vorgaben Repasi 79 ff. 215 Zum Beispiel EuGH 12.5.2011 – C-391/09, Runevič-Vardyn, Rn. 60; EuGH 2.10.2003 – C-48/02, Garcia Avello, Rn. 22. 216 Schweitzer in: FS Bothe 2008, 1159, 1159, 1165 ff. – Grundlegend zur Herausbildung der unionsbürgerlichen Freizügigkeit als „Grundfreiheit ohne Markt“ Wollenschläger. 217 Siehe z. B. Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 577 ff. 218 EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Freitag, Rn. 31; EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 38; EuGH 12.5.2011 – C-391/09, Runevič-Vardyn, Rn. 60 ff., 65.

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darf nicht zu einem Ergebnis führen, dass eine der Grundfreiheiten ungerechtfertigt einschränkt.219 Vor allem durch das wirtschaftsunabhängige Freizügigkeits- und Nichtdiskriminierungsrecht unterliegen heute faktisch alle Kollisionsrechtsbereiche der primärrechtlichen Kontrolle, die sich in den letzten Jahren verstärkt dem früher weitgehend ausgeklammerten Internationalen Familienrecht zugewendet hat.220 Die primärrechtliche Messlatte der Grundfreiheiten unterliegt allerdings zwei wesentlichen Einschränkungen. Zum einen erfassen sie nur Rechtsverhältnisse im Binnenmarkt, also im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander. Zum anderen gelten die Grundfreiheiten nicht schrankenlos. Aus der Anwendung der mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln resultierende Einschränkungen der Grundfreiheiten können gerechtfertigt sein. Nach der Gebhard-Formel des EuGH unterliegt die Rechtfertigung einer nationalen Maßnahme, die die Ausübung einer Grundfreiheit behindert, vier Voraussetzungen: Die Maßnahme muss nichtdiskriminierend angewendet werden, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses motiviert sein, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und schließlich über das dafür Erforderliche nicht hinausgehen.221 Mit Blick auf die kollisionsrechtlich in den letzten Jahren in den Fokus gerückte Freizügigkeit hat der EuGH diese Formel in ständiger Rechtsprechung dahingehend weiterentwickelt, dass die Rechtfertigung einer freizügigkeitseinschränkenden Maßnahme die Verfolgung objektiver Erwägungen des Allgemeininteresses voraussetzt und zum mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck in einem angemessenen Verhältnis stehen muss;222 Verhältnismäßigkeit bedeutet auch hier, dass die Maßnahme zur Zielerreichung geeignet ist, aber nicht das dafür Notwendige überschreitet. Für das IPR ist der bedeutendste Rechtfertigungsgrund der mitgliedstaatliche ordre public. Die öffentliche Ordnung der Mitgliedstaaten wird primärrechtlich explizit als Schranke der Grundfreiheiten genannt (vgl. Art. 36 AEUV, Art. 52 AEUV, Art. 62 AEUV). Die kollisionsrechtliche ordre public-Kontrolle, z. B. anhand von Art. 6 EGBGB oder § 6 öIPRG, dient dem Schutz fundamentaler Wertvorstellungen bzw. der Verwirklichung zentraler Wertentscheidungen der nationalen lex fori und damit zwingenden Gründen bzw. objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses. Der EuGH billigt zwar den Mitgliedstaaten grundsätzlich weiten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung ihres nationalen ordre public zu, legt aber bei seiner Überwachung Vgl. Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 279. Bereits früh Meeusen ZEuP 2010, 186, 190 f.; Michaels FS Kropholler, 151, 165 f. 221 EuGH 30.11.1995 – C-55/94, Gebhard, Rn. 37. 222 Vgl. EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 41; EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 48; EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 81; EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Grunkin Paul, Rn. 29. 219 220

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von dessen Grenzen durchaus strenge Maßstäbe an, insbesondere, wenn es um das Verhältnis zu den Grundfreiheiten geht.223 Als Rechtfertigung einer Grundfreiheitenbeschränkung erfordert die öffentliche Ordnung eine „tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung“, die ein „Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.224 Außerdem ist der ordre public zwar ein möglicher, aber keinesfalls ein automatisch erfolgreicher Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der Grundfreiheiten.225 Die kollisionsrechtliche ordre publicKontrolle ist im Regelfall geeignet zur Verwirklichung des legitimen Zwecks der Wahrung der öffentlichen Ordnung (durch Nichtakzeptanz des ihr zuwiderlaufenden Ergebnisses der Anwendung ausländischen Rechts). Das Ergebnis der Anwendung des Kollisionsrechts inklusive des nationalen ordre public muss jedoch umso genauer anhand der Schranken-Schranke der strengen unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle geprüft werden, also angemessen sein und das zur Zielverwirklichung Erforderliche nicht übersteigen.226 Nur, wenn bei einer individuellen Abwägung der Interessen des in seinen Grundfreiheiten beeinträchtigten Unionsbürgers gegen die Interessen, die die nationale Rechtsordnung mit der ordre public-Regel verfolgt,227 letztere überwiegen, kann sich der ordre public durchsetzen und eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen (siehe 3.b), S. 397 ff.). Pauschale Vorgaben oder allgemeine Regelungen verbieten sich damit – vielmehr muss der Konflikt zwischen europäischen Grundfreiheiten und nationalen fundamentalen Wertvorstellungen jeweils im Einzelfall entschieden werden. Selbst für die vergleichsweise eindeutige Konstellation des bewussten Missbrauchs der Grundfreiheiten, etwa durch die Herstellung „künstlicher“ Auslandsbezüge zur „Erschleichung“ der Anwendung eines günstigeren Rechts,228 bestehen noch keine klaren Kriterien.229 Die Bedeutung und Tragweite der Grundfreiheiten für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht sind heute noch nicht festgelegt und nur begrenzt abzuschätzen. Sowohl für die Voraussetzungen einer tatbestandlichen Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Anwendung mitgliedstaatlicher Kollisionsregeln als auch für die Möglichkeiten einer Rechtfertigung besteht noch EuGH 28.3.2000 – C-7/98, Krombach, Rn. 22 ff. Siehe z. B. EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 44; EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 67; EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 86 m. w. N. 225 Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 136. 226 Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 132 (im Kontext der Anerkennung); Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 136, 137. 227 Vgl. EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 52 ff. 228 Für eine Einstufung der Anwendung derart missbräuchlich kollisionsrechtlich berufenen Rechts als ordre public-Verstoß z. B. Nitsch ZfRV 2019, 250, 257. 229 Die Grenze zum Missbrauch des Freizügigkeitsrechts offenlassend BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/15, Rn. 45; auch der EuGH hat sich bisher weitgehend zurückgehalten. Potentielle Kriterien nennt Janal GPR 2017, 67, 69 f. 223 224

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keine umfassende, im Hinblick auf Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit belastbare „internationalprivatrechtliche Grundfreiheitendogmatik“. Vielmehr formt die Rechtsprechung insbesondere des EuGH als höchster und einzig verbindlicher Auslegungsinstanz des Primärrechts nach und nach die Relevanz der Grundfreiheiten im kollisionsrechtlichen Kontext der verschiedenen Rechtsgebiete aus (dazu sogleich b)). Ob und inwieweit seine Vorgaben im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht umgesetzt werden, bleibt jedoch den Mitgliedstaaten überlassen (dazu c)). b) Europäischer Anstoß: EuGH-Rechtsprechung zum Namensrecht Als Keimzelle der kollisionsrechtsbezogenen Grundfreiheiten-Rechtsprechung gilt das Internationale Gesellschaftsrecht. Die in der Entscheidungskette von Daily Mail230 bis Polbud231 entwickelte Rechtsprechungslinie des EuGH zur Niederlassungsfreiheit innerhalb des Binnenmarktes ist der Prototyp der primärrechtlichen Einflüsse auf das Kollisionsrecht.232 In jüngerer Zeit haben Entscheidungen zum Umgang mit Doppel- und Mehrstaatern zu einem verstärkten europäischen Einfluss auch im Bereich des Allgemeinen Teils des IPR geführt.233 Als prominentestes Beispiel für eine immer weitere Konkretisierung aus den Grundfreiheiten fließender Vorgaben für das nationale Kollisionsrecht ist in den letzten beiden Jahrzehnten aber vor allem das Internationale Namensrecht in den Fokus gerückt. Anhand dieses Beispiels soll illustriert werden, wie die primärrechtliche Überprüfung der Anwendung mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts durch den EuGH nach und nach konkretisiert und gleichzeitig erweitert wird. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts manifestierte sich die erste große Rechtsprechungslinie, die den Einfluss der Grundfreiheiten aus dem klassischen Binnenmarktbereich des Wirtschaftsrechts in das erst später hinzugekommene Gebiet des Personenrechts übertrug. In einer beachtlichen Anzahl rasch aufeinander folgender Entscheidungen konstatierte und präzisierte der EuGH den Einfluss der Grundfreiheiten auf das Internationale Namensrecht der Mitgliedstaaten.234 Das Namensrecht fällt sach- wie kollisionsrechtlich in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, deren notorisch divergierende Ansätze auch durch

EuGH 27.9.1988 – 81/87, Daily Mail. EuGH 25.10.2017 – C-106/16, Polbud. 232 Siehe statt vieler im Überblick MüKo8 / Kindler IntGesR Rn. 112 ff. und Trüten 472 ff. sowie die ausführliche Analyse bei Repasi 329 ff. m. w. N. 233 Vgl. insbesondere EuGH 2.10.2003 – C-48/02, Garcia Avello. 234 Für eine zusammenfassende Analyse der Entwicklung der namensrechtlichen EuGH-Rechtsprechung siehe BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 10 EGBGB Rn. 66 ff.; MüKo8 / Lipp Art. 10 EGBGB Rn. 180 ff.; Repasi 405 ff.; Trüten 489 ff.; Pintens in: Dutta / Helms / Pintens, 17, 17 ff.; R. Wagner in: FS Kohler, 567, 569 ff. 230 231

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bisherige Harmonisierungsversuche (etwa im Rahmen der CIEC235) nicht wesentlich in Einklang gebracht werden konnten. Materiell-rechtlich scheiden sich die Geister etwa hinsichtlich der Akzeptanz von Doppelnamen bei Kindern (bejaht z. B. in Frankreich, abgelehnt in Deutschland [§ 1617 BGB]) oder der für eine freiwillige Namensänderung zu erfüllenden Voraussetzungen (besonders niedrige Anforderungen stellt bekanntlich die Namensänderung per deed poll nach englischem Recht),236 internationalprivatrechtlich macht die Aufenthaltsanknüpfung (z. B. nach dänischem Recht) der klassischen Personalstatuts-Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit (z. B. nach deutschem Recht nach wie vor primär maßgeblich) Konkurrenz.237 Die Folge können hinkende Namensverhältnisse sein: Wird das Namensstatut in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich angeknüpft und dementsprechend der Name einer Person nach unterschiedlichem materiellem Recht bestimmt, kann ein und dieselbe Person in verschiedenen Mitgliedstaaten andere Namen tragen bzw. beim Grenzübertritt den Namen wechseln (müssen). Dies bedeutet für die Betroffenen mindestens ein Ärgernis, häufig aber eine erhebliche Erschwerung ihres privaten wie beruflichen Lebens – wie andere hinkende Rechtsverhältnisse gilt es Namensspaltungen daher möglichst zu vermeiden.238 aa) Von Konstantinidis zu Freitag Die Möglichkeit der Unionsbürger, in allen EU-Mitgliedstaaten ein und denselben Namen zu führen („Recht auf Einnamigkeit“239), wird aus den Grundfreiheiten abgeleitet. Bereits im Jahr 1993 hatte der EuGH in der Rechtssache Konstantinidis240 entschieden, dass auch eine Regelung des in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegenden Personenstandsrechts nicht zu einer tatsächlichen Beschränkung einer Grundfreiheit (im konkreten Fall der Niederlassungsfreiheit des Art. 52 EWG-Vertrag, heute Art. 49 AEUV) durch eine die 235 Siehe dazu z. B. Lagarde in: FS Jayme II, 1291, 1297 ff.; Nast in: Fulchiron /  Bidaud-Garon, 53, 53 ff. 236 Ausführlich Lettmaier StAZ 2015, 289, 290 ff. m. w. N. 237 Siehe statt vieler die Überblicksdarstellungen der Divergenzen im materiellen Recht bei BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 6 ff.; Lagarde in: FS Jayme II, 1291, 1292 ff.; Lettmaier FamRZ 2020, 1, 3 ff. – Zu den romanischen Rechtsordnungen Pintens StAZ 2016, 65, 65 ff., zum österreichischen Namensrecht Winkler FamRZ 2020, 570, 570 ff. – Einen rechtsvergleichenden Überblick über das Kollisionsrecht bietet Pintens in: Dutta / Helms / Pintens, 17, 22 ff. 238 Vgl. BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 5 ff. – Zu den Nachteilen eindrücklich EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Freitag, Rn. 36 ff.; EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 37 ff.; EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 55 f., 69 f.; EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Grunkin Paul, Rn. 23 ff.; EuGH 2.10.2003 – C-48/02, Garcia Avello, Rn. 36. 239 Wall StAZ 2012, 301, 302. 240 EuGH 30.3.1993 – C-168/91, Konstantinidis.

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Aussprache verfälschende und damit Personenverwechslungen bei potentiellen Kunden verursachende Transliteration eines Namens in einem anderen Mitgliedstaat führen dürfe.241 In den auf dieser Grundlage aufbauenden Entscheidungen stützte er sich jedoch weniger auf die hergebrachten MarktGrundfreiheiten, sondern vor allem auf das Diskriminierungsverbot sowie das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger. Die dynamische Rechtsprechung des EuGH zum Namensrecht begann im Jahr 2003 mit dem Urteil Garcia Avello,242 in dem der EuGH in der namensrechtlichen Gleichbehandlung eines spanisch-belgischen Doppelstaaters mit nur belgischen Staatsangehörigen eine ungerechtfertigte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit entgegen Art. 12 EGV (heute: Art. 18 AEUV) erblickte, für deren Bejahung auch ein nur potentieller Nachteil als ausreichend erachtet wurde.243 Zwingende kollisionsrechtliche Konsequenzen zog der EuGH aus dieser Erkenntnis allerdings nicht: Er beschränkte sich auf die Vorgabe des diskriminierungsfreien Ziels, Doppelstaater-Unionsbürgern die Bestimmung ihres Namens nach dem von ihnen gewünschten Heimatrecht zu ermöglichen, überließ es aber den Mitgliedstaaten, dies entweder im Wege des IPR oder mittels des materiellen Namensrechts umzusetzen.244 Im darauffolgenden Fall Grunkin Paul245 sah der EuGH im Jahr 2008 zwar in der Behandlung eines nur-deutschen Staatsangehörigen durch das deutsche Kollisionsrecht keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, aber durch den Zwang zur unterschiedlichen Namensbildung und -führung in verschiedenen Mitgliedstaaten die Freizügigkeit des Art. 18 EGV (heute: Art. 21 Abs. 1 AEUV) als verletzt.246 Ein während des gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nach dem dortigen Recht erworbener und eingetragener Name müsse zur Gewährleistung der Freizügigkeit auch im Heimatstaat eines Unionsbürgers anerkannt werden, in casu: einem deutschen Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt in Dänemark müsse auch das deutsche Recht EuGH 30.3.1993 – C-168/91, Konstantinidis, Rn. 15 ff. EuGH 2.10.2003 – C-48/02, Garcia Avello. 243 EuGH 2.10.2003 – C-48/02, Garcia Avello, Rn. 29 ff. 244 Vgl. Siehr in: FS Kropholler, 211, 216; Sonnenberger in: FS Spellenberg, 371, 390. – Siehe auch Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 126; Lagarde in: FS Jayme II, 1291, 1304. – Für eine unmittelbare Wirkung der EuGH-Rechtsprechung auf das nationale IPR durch Behandlung des Art. 21 Abs. 1 AEUV als „‚versteckte‘ Kollisionsnorm“ dagegen noch Wall StAZ 2016, 327, 332 ff.; Wall StAZ 2012, 169, 170 f., 172 ff.; Wall IPRax 2010, 433, 434 f., 436 f. 245 EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Grunkin Paul. – Dabei handelte es sich bereits um die zweite Entscheidung des EuGH in derselben Angelegenheit: Im ersten Vorlageverfahren hatte der EuGH sich für nicht zuständig erklärt und die Vorlage abgewiesen, weil das vorlegende AG Niebüll im zugrundeliegenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit als Verwaltungsbehörde handelte und damit nicht vorlagebefugt war (EuGH 27.4.2006 – C-96/04, Standesamt Stadt Niebüll, Rn. 12 ff.). 246 EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Grunkin Paul, Rn. 22 ff. 241 242

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– auf welchem Wege, ließ der EuGH offen – die Namensbildung nach dänischem Recht bzw. die Führung seines nach dänischem Recht gebildeten Doppelnamens ermöglichen. Eine Einschränkung nahm der EuGH in der Entscheidung Runevič-Vardyn247 für Transkriptionsfälle vor: Nur, wenn die daraus resultierende unterschiedliche Schreibweise auch Auswirkungen auf die Aussprache zeitigt, kann in der Umschreibung eines Namens eine Beschränkung der Freizügigkeit liegen. Mit dieser Betrachtung wendete sich der EuGH endgültig dem Kriterium konkreter schwerwiegender Nachteile im Einzelfall als Voraussetzung einer Freizügigkeitsbeeinträchtigung (anstelle einer abstrakt-generellen Prüfung) zu.248 Auch die weiteren Entscheidungen des EuGH in diesem Gebiet zentrierten sich auf die Freizügigkeit und formten deren Implikationen für das mitgliedstaatliche (Internationale) Namensrecht sukzessive weiter aus. In der Rechtssache Sayn-Wittgenstein bestätigte der EuGH, dass im Zwang zur Führung unterschiedlicher Namen in verschiedenen Mitgliedstaaten eine Einschränkung der Freizügigkeit liegt, auch ohne dass daraus ein wirtschaftlicher Nachteil erwachsen müsste.249 Allerdings stellte der EuGH erstmals klar, dass dem Begehren nach der Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Namens unter Umständen der ordre public entgegengehalten werden kann. Diese Haltung bekräftigte der EuGH in der Bogendorff-Entscheidung. Einerseits verfeinerte und erweiterte er seine bisherige Rechtsprechung zur „Namensmitnahme“ durch positive Stellungnahme zur bis dato streitigen Frage, ob auch privatautonome, freiwillige Namensänderungen anschließend vom Freizügigkeitsschutz des Art. 21 AEUV erfasst sind.250 Andererseits betonte er jedoch erneut, dass die Ablehnung der Akzeptanz des neuen Namens in anderen Mitgliedstaaten durch deren öffentliche Ordnung gerechtfertigt sein kann.251 Die Rechtssache Freitag befasste sich ebenfalls mit der in den Mitgliedstaaten einheitlichen Namensführung unter dem Schutz des Art. 21 AEUV – ein deutsch-rumänischer Doppelstaater hatte in Rumänien durch freiwillige Namensänderung seinen ursprünglichen Geburts-Familiennamen zurückerworben und begehrte die Anerkennung dieser Namensänderung in Deutschland, wo er durchgehend seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der EuGH stellte einerseits klar, dass eine Pflicht zur Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig erworbenen Namens nicht nur durch den gewöhnlichen Aufenthalt im Erwerbsstaat, sondern auch durch EuGH 12.5.2011 – C-391/09, Runevič-Vardyn. EuGH 12.5.2011 – C-391/09, Runevič-Vardyn, Rn. 76; MüKo8 / Lipp Art. 10 EGBGB Rn. 228; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 526. 249 EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 53 ff. 250 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 36 ff. 251 So in der causa Bogendorff schlussendlich der BGH, BGH 9.1.2019 – XII ZB 188/17, Rn. 6 ff. 247 248

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die Staatsangehörigkeit des Erwerbsstaats ausgelöst werden kann; andererseits betonte er jedoch erneut, dass der eine „tatsächliche Anerkennung“ ermöglichende Mechanismus den Mitgliedstaaten überlassen ist.252 bb) Grenzen der Grundfreiheiten In den jüngeren Urteilen hat sich der Fokus merklich verschoben. Neben der näheren Auskonturierung der sachlichen Reichweite der Grundfreiheiten sind insbesondere deren Grenzen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In den Fällen Sayn-Wittgenstein und Bogendorff hat der EuGH – im Kontext der kollisionsrechtlichen Statusanerkennung (siehe 2., S. 360 ff.) – erste detailliertere Leitlinien zur möglichen Rechtfertigung von Grundfreiheitenbeschränkungen durch die nationale ordre public-Kontrolle entwickelt. In beiden Fällen ging es um im EU-Ausland erworbene Adelstitel bzw. adelig anmutende Namen, deren Akzeptanz nach österreichischem bzw. deutschem Internationalem Namensrecht unter Berufung auf den nationalen ordre public verweigert wurde. In der eher atypischen Konstellation253 eines durch Adoption im Ausland erworbenen Adelstitels in der causa Sayn-Wittgenstein254 akzeptierte der EuGH die Wahrung der verfassungsrechtlichen Identität der Republik Österreich und ihres ordre public als prinzipiell geeigneten Rechtfertigungsgrund für eine Beeinträchtigung von Grundfreiheiten:255 Das nach Art. 149 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz im Verfassungsrang stehende Adelsaufhebungsgesetz256 mit dem Verbot der Führung von Adelstiteln diene der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und damit einer Grundwertung der österreichischen Rechtsordnung.257 Hinsichtlich der zur als legitimes Ziel anzuerkennenden Wahrung des auch in Art. 20 GrCh verankerten Gleichheitsgrundsatzes erforderlichen

EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Freitag, Rn. 41 ff. Vgl. Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 119. 254 EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 19 ff. 255 EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 84 ff. unter Bezugnahme auf die dazu bereits ergangene Rechtsprechung. 256 Gesetz über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden vom 3.4.1919, StGBl. Nr. 211/1919. Der aus österreichischer Sicht entscheidende § 1 lautet: „Der Adel, seine äußeren Ehrenvorzüge sowie bloß zur Auszeichnung verliehene, mit einer amtlichen Stellung, dem Beruf oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Befähigung nicht im Zusammenhange stehenden Titel und Würden und die damit verbundenen Ehrenvorzüge österreichischer Staatsbürger werden aufgehoben.“ 257 So die österreichische Regierung, EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 19 ff. – Zur vorhandenen, wenn auch in der praktischen Umsetzung problembehafteten strafrechtlichen Sanktionierung der Führung verbotener Adelstitel Lukan JBl. 2020, 610, 610 ff. 252 253

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Maßnahmen sei den Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum zuzugestehen.258 Schließlich befand der EuGH das generelle Verbot von Adelsprädikaten zur Wahrung des Gleichheitsprinzips auch nicht für unverhältnismäßig. Die Nichtanerkennung einer im Ausland erworbenen Adelsbezeichnung eigener Staatsangehöriger schieße nicht über das zur Erreichung des verfassungsrechtlich gebotenen Ziels hinaus, das Interesse an einer europaweit einheitlichen Namens- bzw. Titelführung müsse hinter die österreichische öffentliche Ordnung zurücktreten.259 Nicht um einen historisch echten, sondern um einen künstlich neu geschaffenen „Scheinadelstitel“, der von einem deutsch-britischen Doppelstaater in England durch deed poll erworben worden war, ging es dagegen in der Rechtssache Bogendorff. 260 Als Rechtfertigung für die Freizügigkeitsbeschränkung durch Nichtanerkennung des Namens ließ der EuGH – so wie bereits in Grunkin Paul – die Prinzipien der Namenskontinuität und -stabilität sowie der Vermeidung überlanger und -komplizierter Namen nicht genügen,261 auch die Freiwilligkeit der Namensänderung stellt keinen ausreichenden Grund dar. 262 Einzig die deutsche öffentliche Ordnung (konkretisiert in Art. 48 Abs. 1 Hs. 2 EBGBG) kam als Rechtfertigungsgrund in Betracht.263 Die verfassungsrechtliche Abschaffung des Adelsstands und das Verbot der Verleihung bzw. Schaffung neuer Adelstitel in Art. 109 Abs. 3 WRV, der gemäß Art. 123 Abs. 1 GG im Rang einfachen Bundesrechts weiter gilt, ist eine Konkretisierung des Grundsatzes der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, der wesentlicher Teil der nationalen Identität Deutschlands ist. Wie in Sayn-Wittgenstein bejahte der EuGH die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes als unionsrechtskonformes, legitimes Ziel.264 Er differenzierte jedoch bei der Verhältnismäßigkeitskontrolle: Anders als das generelle Verbot in Österreich bezieht sich das deutsche Verbot nur auf neu zu schaffende Adelstitel, während frühere Adelsbezeichnungen nach deutschem Recht weiterhin als Namensbestandteil aufgrund von Abstammung oder Adoption erworben werden können. Abzuwägen sei insofern das staatliche Interesse, die grundsätzliche Abschaffung von Adelsbezeichnungen nicht durch ein Ausweichen auf das Recht anderer Mitgliedstaaten zu unterlaufen, gegen das Interesse des Betroffenen an der europaweit einheitlichen Führung seines in einem anderen Mitgliedstaat frei gewählten, den Anschein adeliger Herkunft EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 88 ff. EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 93. – Kritisch hinsichtlich der Erforderlichkeit Wall StAZ 2011, 203, 210. 260 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 11 ff. 261 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 50 f., 59 f. 262 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 52 ff. 263 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 65 ff. 264 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 69 ff. 258 259

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

erweckenden Namens.265 Diese Abwägung sei im Einzelfall Sache der mitgliedstaatlichen Gerichte,266 allerdings gab der EuGH einige zu berücksichtigende Gesichtspunkte (bezogen auf den konkreten Fall) vor.267 Auf dieser Grundlage hielt das vorlegende AG Karlsruhe nach ausführlicher Interessenabwägung im konkreten Fall die Freizügigkeitsbeschränkung für durch die deutsche öffentliche Ordnung gerechtfertigt.268 Diese Auffassung wurde vom OLG Karlsruhe269 und schließlich höchstrichterlich vom BGH bestätigt, der in der rein durch den Wunsch, „durch die Führung eines Namens mit Adelsbezeichnungen den Eindruck der Zugehörigkeit zu einer (vermeintlich) herausgehobenen sozialen Gruppe zu erwecken“, motivierten Namensänderung einen Verstoß gegen den ordre public in Gestalt des Gleichheitsgrundsatzes und die republikanische Staatsform als Teil der deutschen nationalen Identität sah.270 Ebenso hatte der BGH bereits kurz zuvor, ebenfalls unter Bezugnahme auf die Bogendorff-Entscheidung des EuGH, in einem ähnlich gelagerten Fall („Silia Valentina Mariella Gräfin von Fürstenstein“) entschieden.271 Die Kritik dieser Rechtsprechungslinie führt dagegen als Hauptargument an, dass mit Adelsbezeichnungen ohnehin keinerlei Privilegien mehr verbunden sind, so dass ihre ordre public-Widrigkeit zweifelhaft sei.272 Innerhalb weniger Jahre hat der EuGH die Rolle der Grundfreiheiten für das Internationale Namensrecht – ebenso wie zuvor für das Internationale Gesellschaftsrecht – geradezu exemplarisch geprägt. Auf der einen Seite konkretisiert seine Rechtsprechung die sachliche Reichweite der Grundfreiheiten, die durch die vergleichsweise großzügige Annahme von Beschränkungen der Grundfreiheiten auch in kollisionsrechtlichen Sachverhalten tenEuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 74 ff. EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 78. 267 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 79 ff. 268 AG Karlsruhe 19.8.2016 – UR III 26/13, Rn. 22 ff. 269 OLG Karlsruhe 30.3.2017 – 11 W 107/16, Rn. 35 ff. 270 BGH 9.1.2019 – XII ZB 188/17, Rn. 7 ff., Rn. 16 ff. – Janal GPR 2017, 67,70 weist darauf hin, dass die Ablehnung der Namensanerkennung im Fall Bogendorff bereits unter Missbrauchsgesichtspunkten gerechtfertigt werden kann, weil der scheinadelige Name auch nach englischem Recht nicht in allen Dokumenten (insbesondere Reisepass) geführt werden kann. 271 BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/15, Rn. 21 ff. – Kritisch Möllnitz IPRax 2019, 513, 514 ff. und M. Otto StAZ 2019, 71, 74 ff. – Die Rechtsprechung schloss sich dieser Auffassung an: Das KG lehnte die Wahl des nach englischem Recht gebildeten Namens der Ehefrau („Gräfin“) in geschlechtsspezifischer Form ab, KG 9.5.2019 – 1 W 110/16. Auch in OVG Saarlouis 26.11.2018 – 2 D 137/18 wird der per deed poll erworbene Scheinadelsnamen eines Staatenlosen für ordre public-widrig und damit nicht anerkennungsfähig erachtet. 272 BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 54 f.; Dutta FamRZ 2016, 1213, 1218; Kroll-Ludwigs GPR 2019, 191, 193 f.; M. Otto StAZ 2016, 225, 229 ff. – Zurückhaltender nunmehr Dutta FamRZ 2019, 224. 265 266

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denziell sehr weit zu verstehen sind – an Bedeutung gewinnen damit auf der anderen Seite die Rechtfertigungsmöglichkeiten für Eingriffe, vor allem der kollisionsrechtliche ordre public.273 Auch wenn der EuGH die individuelle Interessenabwägung den mitgliedstaatlichen Gerichten überlässt, stellt er strenge Kriterien sowohl für die zulässigen Rechtfertigungsgründe als auch für die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf. Zu beobachten ist für das Internationale Namensrecht – wie auch in anderen Rechtsbereichen – eine grundsätzliche europäische Neigung zur weitreichenden Gewährleistung der Grundfreiheiten und zur skeptischen Betrachtung ihrer Einschränkung durch nationale (Wert-)Vorstellungen. Mit seiner Interpretation der Reichweite und der potentiellen Beschränkungen der Grundfreiheiten formuliert der EuGH Anforderungen, die die Mitgliedstaaten bei der Anwendung ihres Kollisionsrechts im Ergebnis einhalten müssen und die damit auch auf das mitgliedstaatliche IPR wirken können. Eine „grundfreiheitenkonforme“ Anpassung der nationalen Kollisionsregeln ist dafür allerdings nur eine von mehreren Möglichkeiten.274 Da es nicht das – per se neutrale – IPR ist, das den Grundfreiheitenverstoß auslöst, muss eine Lösung auch nicht zwingend durch Änderung der Anknüpfungsregeln geschaffen werden. Häufig berühren die Anpassungen im nationalen Recht allerdings auch das IPR. c) Nationale Reaktionen: Umsetzung der Vorgaben für das Internationale Namensrecht Das Primärrecht in Gestalt der Grundfreiheiten übt auf das Internationale Privatrecht nur indirekten Einfluss aus. Die in der Frühphase der zunehmenden Europäisierung des Kollisionsrechts geführte Diskussion, ob das Primärrecht bereits „direkt wirkende“ Kollisionsnormen enthielte,275 kann heute – nicht zuletzt auch durch die Verabschiedung zahlreicher sekundärer Kollisionsrechtsakte – als überholt betrachtet werden. Unmittelbar den Primärrechtsakten zu entnehmende, das nationale Kollisionsrecht verdrängende Anknüpfungsregeln existieren nicht: Die Grundfreiheiten stellen keine (versteckten) Kollisionsnormen dar.276 Auch der EuGH leitet aus ihnen nur Zielvorgaben Vgl. Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 118 f., 123. Vgl. OGH 20.4.2021 – 4 OB 41/21i m. Anm. Eichmüller : Die Grundfreiheiten verpflichten zur Akzeptanz in anderen Mitgliedstaaten erworbener Namen, nicht aber zur Änderung der mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln. 275 Vgl. dazu grundlegend Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 1 ff. (insbes. 12 ff.); Wendehorst in: FS Heldrich, 1071, 1071 ff. (insbes. 1075 ff.); Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 655 ff. 276 Repasi 445 f. (zum Namensrecht); Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 115; Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 137 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 674; nunmehr auch Wall StAZ 2019, 225, 232; Wall StAZ 2017, 326, 331. – Vgl. bereits Wen273 274

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für das mitgliedstaatliche Recht ab.277 Die Wirkung der EuGH-Rechtsprechung ähnelt damit jener des heute weitgehend überholten RichtlinienKollisionsrechts: Aus den Grundfreiheiten ergeben sich für den Bereich des Binnenmarktes bzw. der Union Ergebnisvorgaben für das nationale (Kollisions-)Recht der Mitgliedstaaten. Mit welchen Mitteln diese ihre primärrechtlichen Pflichten (konkretisiert durch die vom EuGH formulierten Anforderungen) erfüllen, bleibt jedoch ihnen überlassen.278 Zur Erreichung der unionsrechtlich gesteckten Ziele beschreiten nicht nur die verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Wege, sondern auch innerhalb ein und derselben Rechtsordnung werden häufig für unterschiedliche Aspekte bzw. Rechtsgebiete differenzierte Lösungen geschaffen. aa) Kollisionsrechtlicher Handlungsbedarf? Handlungsbedarf besteht zunächst einmal nur in jenen Mitgliedstaaten, deren nationales (Kollisions-)Recht nicht bereits im Einklang mit dem Primärrecht stehende Ergebnisse zeitigt. Im Internationalen Gesellschaftsrecht bedeutete die Rechtsprechung des EuGH etwa keinerlei Konsequenzen für die Mitgliedstaaten, deren IPR auf der Gründungstheorie basierte (z. B. die Niederlande, Art. 10:118 BW). Die durch die Niederlassungsfreiheit gebotene Akzeptanz in anderen Mitgliedstaaten gegründeter Gesellschaften war hier durch die grundsätzliche Anknüpfung an den Registrierungsort bereits gewährleistet. Zu Anpassungen ihres nationalen Rechts gezwungen waren dagegen die kollisionsrechtlich der Sitztheorie folgenden Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland279, Österreich): Deren Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz dehorst in: FS Heldrich, 1071, 1086 ff.: Art. 48 EGV (heute: Art. 54 AEUV) und ebenso die Produktfreiheiten enthalten keine Kollisionsnorm an sich, sondern lediglich Maßstäbe für das (damals noch) autonome Kollisionsrecht. – In diesem Sinne auch Bonifay 276 ff. (nur indirekte Wirkung auf das IPR, da lediglich ergebnisbezogen). 277 Vgl. zum Gesellschaftsrecht Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 90; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 674. 278 Vgl. EuGH 25.10.2011 – C-509/09 und C-161/10, eDate und Martinez, Rn. 60 ff. und nunmehr ganz eindeutig EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Freitag, Rn. 41 ff. – Ausführlich zum in Freitag aufgestellten Effektivitätserfordernis Wall StAZ 2017, 326, 331. – Siehe insgesamt z. B. BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 11; MüKo8 / Lipp Art. 10 EGBGB Rn. 215; Gössl IPRax 2018, 376, 379; Lehmann in: Leible, 11, 29 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 677 ff.; Martiny DNotZ 2009, 453, 454; Sonnenberger in: FS Spellenberg, 371, 388 ff.; Wall StAZ 2019, 225, 232 m. w. N. 279 Allerdings kam ausnahmsweise die Gründungstheorie zur Anwendung, wenn dies mit bestimmten (Dritt-)Staaten staatsvertraglich vereinbart war; prominentes Beispiel ist die Behandlung US-amerikanischer Gesellschaften nach dem Gründungsortrecht, zu der nach h. M. Art. XXV Abs. 5 S. 2 Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 verpflichtet, vgl. MüKo8 / Kindler IntGesR Rn. 336 ff. – a. A. Schurig in: FS

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führte zur Beurteilung im EU-Ausland gegründeter, nunmehr aber (ausschließlich) im Inland tätiger Gesellschaften nach der lex fori, die Stein des grundfreiheitenrechtlichen Anstoßes war. Ob und inwieweit die einzelnen Mitgliedstaaten überhaupt tätig werden müssen, hängt also wesentlich von den unterschiedlichen Ausgangspositionen ihrer Rechtsordnungen ab. Bereits diese verschiedenen Handlungspflichten führen zu in Herangehensweise und Reichweite stark divergierenden mitgliedstaatlichen Reaktionen auf die Vorgaben des EU-Rechts bzw. ihre Konkretisierung durch den EuGH. Diese Diversität verstärkt sich noch erheblich dadurch, dass der EuGH im Grundfreiheiten-Kontext regelmäßig keine technisch-kollisionsrechtlichen Aussagen trifft,280 sondern sich auf allgemeine, nicht IPR-spezifische Vorgaben beschränkt. Wenn ein Grundfreiheitenverstoß in der Anwendung der nationalen Kollisionsregeln wurzelt, bietet es sich häufig an, ein primärrechtskonformes Ergebnis durch eine Änderung eben jener Kollisionsregeln herbeizuführen. Klassisches Beispiel hierfür ist die Reaktion im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht: Die bisher insgesamt zugrunde gelegte Sitztheorie wurde bezüglich aus anderen Mitgliedstaaten stammender Gesellschaften zugunsten der Gründungstheorie aufgegeben.281 Den primärrechtlichen Vorgaben war damit rasch, konsequent und umfassend Genüge getan – zudem mit einer technisch einfach realisierbaren Lösung, da zur Änderung des nach wie vor ungeschriebenen deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts kein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich war. Zwingend war dieser Ansatz freilich nicht. Die vom EuGH geforderte (Ergebnis-)Konformität der Anwendung deutschen Rechts mit der Niederlassungsfreiheit hätte sich auch auf anderem Wege erreichen lassen.282 Hinzu kommt die Beschränkung der kollisionsrechtlichen Änderungen auf das zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung Erforderliche: Eine über die Anpassung an die Grundfreiheiten in EU-internen Fällen hinausgehende Reform des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts insgesamt ist bisher ausgeblieben, mit der Folge eines für EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten gespaltenen Kollisionsrechts (siehe unten 3.c)aa), S. 415 ff.). Ähnlich stellt sich die Situation in Coester-Waltjen, 745, 749. – Zu weiteren Staatsverträgen, die die Anwendung der Gründungstheorie auslösen, J. Schmidt EuZW 2021, 613, 616 ff. 280 Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 54 f. 281 BGH 14.3.2005 – II ZR 5/03; BGH 13.3.2003 – VII ZR 370/98, Überseering BV. – Das bereits 1968 mit dem EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen für den damaligen EWG-Raum verfolgte Ziel, innerhalb Europas die Gründungstheorie anzuwenden (dazu Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 670 f.) wird damit für das deutsche IPR faktisch erreicht. – Siehe zum deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht unter europäischem Einfluss im Überblick statt vieler M.-P. Weller IPRax 2017, 167, 168 ff. 282 MüKo8 / Kindler IntGesR Rn. 146 ff. – Zu alternativen Umsetzungsmöglichkeiten Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 675 ff. sowie Schurig in: FS Coester-Waltjen, 745, 746 ff.

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Österreich dar. An der in § 10 öIPRG verankerten Sitztheorie wird nach wie vor grundsätzlich festgehalten und lediglich durch Ausnahmen den unionsrechtlichen Erfordernissen Rechnung getragen.283 Als Hauptschwierigkeit einer kollisionsrechtlichen Umsetzung zeichnet sich ab, dass die mitgliedstaatlichen Anknüpfungsregeln zumeist universell konzipiert und allgemein gehalten sind. Will man sie an die einzelfallbezogenen und räumlich auf den Binnenmarkt beschränkten Vorgaben der EuGHRechtsprechung anpassen, sind entweder die mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln insgesamt mehr oder weniger grundlegend zu verändern oder unter Umständen weitreichende, aber gegebenenfalls nicht klar auskonturierte Ausnahmen von der beibehaltenen Grundanknüpfung hinzunehmen. Aus Sicht des nationalen IPR ist beides suboptimal, sowohl dogmatisch als auch anwendungstechnisch. Eine Modifikation der nationalen Anknüpfungsregeln mag also zwar auf den ersten Blick als vergleichsweise einfacher Weg zur Wahrung der Grundfreiheiten erscheinen – sie ist allerdings weder unproblematisch noch alternativlos. Denn Unionsrechtskonformität kann – sofern erforderlich – auch durch Justierungen anderer Bereiche des mitgliedstaatlichen Rechts hergestellt werden.284 Ein Überblick über die wichtigsten zur Verfügung stehenden weiteren Handlungsoptionen mit ihren Vor- und Nachteilen (direkte Anwendung des Primärrechts sowie administrative, kollisionsrechtliche oder sachrechtliche Umsetzung) lässt sich am Beispiel des Internationalen Namensrechts geben.285 Zunächst einmal steht den Mitgliedstaaten die Option offen, ihre nationalen Regelungen unverändert beizubehalten und entstehende Probleme schlicht durch den Vorrang des Unionsrecht zu lösen. Soweit sie zu Konflikten mit dem Primärrecht führen, bleiben nationale Regeln unangewendet; teils können Ansprüche auch direkt aus dem Primärrecht hergeleitet werden. Anwendung fand diese Technik in der Rechtssache Grunkin Paul: Das mit dem Ausgangsfall befasste Standesamt Niebüll setzte die Vorgaben des EuGH um, indem es die begehrte Eintragung des aus Dänemark „importierten“ Namens in direkter Anwendung des damaligen Art. 18 Abs. 1 EGV (heute: Art. 21 Abs. 1 AEUV) vornahm.286 Für diese Lösung sprach, dass sie – auf Grundlage der auf den konkreten Fall bezogenen Vorgaben des EuGH – pragmatisch und insbesondere zügig das Verfahren zu einem Abschluss bringen konnte, ohne auf eine Implementierung dieser Vorgaben in das deutsche Recht warten 283 Lurger / Melcher Rn. 7/12 ff. – Auch andere Mitgliedstaaten, z. B. Polen (Art. 17 polnIPRG), halten prinzipiell weiter an der Sitztheorie fest. 284 Vgl. Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 124 ff. – Zu den verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 674 ff. 285 Vgl. BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 12; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 21 f.; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 527 f. – Ausführlich zur kollisions- und sachrechtlichen Option auch Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 109 ff. 286 Martiny DNotZ 2009, 453, 458.

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zu müssen. Für derartige Situationen eindeutig unionsrechtswidrigen geltenden Rechts ist die direkte Anwendung des Primärrechts durchaus geeignet: Sie erlaubt einzelfallgerechte und grundfreiheitenkonforme Ergebnisse schon vor einer Anpassung auf normativer Ebene. Über einen Einsatz als Übergangslösung hinaus bietet sie sich aber aus verschiedenen Gründen nur begrenzt an. Zum ersten ist das Primärrecht für eine direkte Anwendung nicht konzipiert und kann nicht in allen Fällen ohne weiteres als (Anspruchs-)Grundlage herangezogen werden. Zum zweiten sollte eine direkte Anwendung des Primärrechts durch verschiedene mitgliedstaatliche Rechtsanwender nicht vom Ausnahme- zum Regelfall werden. Zum dritten wirft die Schließung der aus der Nichtanwendung unionsrechtswidriger nationaler Regeln entstehenden Lücken Fragen auf, die durch die Grundfreiheiten gerade nicht beantwortet werden. Und schließlich ist eine allgemeinverbindliche und vorhersehbare Regelung im nationalen Recht auf Dauer der unklaren und unübersichtlichen direkten Anwendung des Unionsrechts in Einzelfällen vorzuziehen. Dass die nationalen Gesetzgeber grundsätzlich Lösungsansätze nicht nur außerhalb des Kollisions-, sondern sogar außerhalb des Privatrechts wählen können, zeigt die Option einer Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben auf administrativem Wege. Im Internationalen Namensrecht bietet sich eine solche Lösung durchaus an, vor allem, da sie sich durch einen Verweis auf ein öffentlich-rechtliches Namensänderungsverfahren relativ einfach realisieren lässt. Ein solches Verfahren ist in den meisten Rechtsordnungen ohnehin vorgesehen und erfordert in den kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten in der Regel das Vorliegen eines Grundes für die Namensänderung (vgl. z. B. § 3 Abs. 1 NamÄndG „wichtiger Grund“). Akzeptiert man die Verwirklichung des Freizügigkeitsrechts durch die Angleichung an einen in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Namen als einen solchen Grund, steht mit der öffentlichrechtlichen Namensänderung ein gangbarer Weg zur Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben bereits zur Verfügung. Vorteil dieser Lösung ist, dass sie sich aus Sicht der Mitgliedstaaten zügig und mit wenig (gesetzgeberischem) Aufwand implementieren lässt; zur Klarstellung, dass die Vermeidung hinkender Namensführungen in der EU einen wichtigen Grund zur Namensänderung darstellt, genügen Verwaltungsvorschriften bzw. -anweisungen.287 In der Freitag-Entscheidung hat der EuGH eine administrative Umsetzung auch grundsätzlich akzeptiert, sofern Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz gewahrt sind: Insbesondere muss die Ermessensausübung die volle Wirksamkeit der aus dem AEUV fließenden Rechte gewährleisten.288 287 In Deutschland gestattet Nr. 49 NamÄndVwV auch-deutschen Mehrstaatern die Beseitigung einer hinkenden Namensführung durch Änderung ihres in Deutschland geführten in den ausländischen Namen, der „wichtige Grund“ für die Namensänderung liegt damit stets vor.

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Dennoch erscheint eine verwaltungsrechtliche Lösung in mehrerer Hinsicht suboptimal zur Verwirklichung des Freizügigkeitsrechts im Namensrecht bzw. der Grundfreiheiten insgesamt. Zunächst ist fraglich, ob es für die Betroffenen tatsächlich eine gleichwertige Option darstellt, wenn sie ihre Rechte in einem Verwaltungsverfahren geltend machen müssen – abgesehen von Dauer und Kosten eines solchen Verfahrens289 stellt sich die Frage nach seinem Ausgang. Ist dieser aufgrund des der Behörde eingeräumten Ermessens ungewiss, ist die Grundfreiheit immer noch potentiell beschränkt und nicht effektiv verwirklicht – ist aber das Ergebnis in den FreizügigkeitsFällen aufgrund des Unionsrechts vorgegeben,290 scheint ein Verwaltungsverfahren unnötige Förmelei und überflüssiger Aufwand für alle Beteiligten. Hinzu kommt, dass nicht alle administrativen Lösungen der Mitgliedstaaten aus europäischer Sicht zur Durchsetzung der Grundfreiheiten tauglich sind. Der EuGH hat zwar in Freitag das deutsche öffentlich-rechtliche Namensänderungsverfahren gemäß § 3 Abs. 1 NamÄndG nicht beanstandet, wohl aber die ursprünglich in Belgien zur Bewältigung der unionsrechtlichen Anforderungen an das Namensrecht gewählte Administrativ-Lösung für unzulänglich gehalten.291 Insofern würde zumindest auf absehbare Zeit in vielen Mitgliedstaaten Unsicherheit bestehen, ob die gewählten verwaltungsrechtlichen Lösungen einer Kontrolle aus europäischer Perspektive standhalten. Eine legislative Verankerung der Gewährleistungen der Grundfreiheiten im materiellen oder Internationalen Privatrecht erscheint damit nicht nur thematisch passender, sondern auch systematisch und praktisch vorzugswürdig. Eine Implementierung der namensrechtlichen Vorgaben des EuGH im kollisionsrechtlichen Kontext nahm der schwedische Gesetzgeber im Jahr 2012 durch Einführung einer zusätzlichen Regelung vor.292 § 49a Namnlag (2016 abgelöst durch § 30 Lag om personnamn) ermöglichte nunmehr die Führung von im EWR-Ausland oder in der Schweiz aufgrund familienrechtlicher Vorgänge erworbener Nachnamen in Schweden aufgrund einer Anzeige bei der zuständigen schwedischen Behörde (Skatteverket). Vorausgesetzt ist aller288 EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Freitag, Rn. 41 ff. – Dazu detailliert Wall StAZ 2017, 326, 331 ff. 289 Bereits deswegen skeptisch Dutta FamRZ 2017, 1178, 1178. – Für eine kritische, detaillierte Analyse des Verfahrens nach § 3 Abs. 1 NamÄndG im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz siehe Wall StAZ 2017, 326, 332 ff. 290 So Wall StAZ 2017, 326, 333 ff. 291 Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 689 f.; aus europäischer Sicht Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 24 f. – Kritisch auch Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 126 Fn. 58; Pintens in: Dutta / Helms / Pintens, 17, 32. – Inzwischen gestattet Art. 37 § 2 belgIPRG Mehrstaatern die Wahl der Staatsangehörigkeit, Art. 39 belgIPRG regelt im Ausland vorgenommene Namensänderungen. 292 Siehe dazu Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 23 f.; Pintens in: Dutta / Helms /  Pintens, 17, 33.

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dings, dass im Zeitpunkt des Namenserwerbs eine Beziehung zum Erwerbsstaat (durch Staatsangehörigkeit, gewöhnlichen Aufenthalt oder sonst enge Verbindung) bestand. Die Freizügigkeit wird damit gewährleistet. Die Regelung gestattet sowohl den „Import“ des im EU-Ausland ihres gewöhnlichen Aufenthalts erworbenen Namens schwedischer Staatsangehöriger als auch den des von ausländischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Schweden aus ihrem EU-Ursprungsland mitgebrachten Namens; auch Doppelstaater-Situationen sind abgedeckt. Allerdings ist der im IPR verortete § 49a Namnlag – anders als der Übergang zur Sitztheorie im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht – keine neue oder eigene Verweisungsregel, sondern lediglich eine Ergänzung der im Übrigen unberührt weiterbestehenden schwedischen Anknüpfungsnormen. Rechtstechnisch handelt es sich dabei um eine kollisionsrechtliche Anerkennungsnorm (siehe 2.a), S. 361 ff.). bb) Art. 48 EGBGB als suboptimale Lösung Der deutsche Gesetzgeber hat schließlich mit einer ganz eigenen Lösung auf die namensrechtliche EuGH-Rechtsprechung reagiert: Um die in der Grunkin Paul-Entscheidung skizzierten Vorgaben umzusetzen, wurde zum 29.1.2013 Art. 48 EGBGB neu eingefügt.293 Dieser ergänzt den für das Internationale Namensrecht maßgeblichen Art. 10 EGBGB, der grundsätzlich an die Staatsangehörigkeit anknüpft (Art. 10 Abs. 1 EGBGB) und für die Namensführung von Ehegatten und Kindern eine begrenzte Rechtswahl gestattet (Art. 10 Abs. 2, Abs. 3 EGBGB). Sofern sich das Namensstatut nach deutschem Recht bestimmt,294 kann anstelle des nach deutschem materiellem Recht zu bildenden Namens ein in einem anderen EU-Mitgliedstaat erworbener und registrierter Name295 gewählt werden. Diese Namenswahl erfolgt durch öffentlich beglaubigte oder beurkundete Erklärung (Art. 48 S. 3 EGBGB) gegenüber dem Standesamt (Art. 48 S. 1 EGBGB).296 Sie kann Rückwirkung ent293 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die VO (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 23.1.2013, BGBl 2013 I 101; BT-Drs. 17/11049, 12. – BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 1; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 1; Freitag StAZ 2013, 69, 69, 74 f. („längst überfällige Reaktion“); Mankowski StAZ 2014, 97, 97 f. – Ausführlich zur ratio BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 5 ff. – Alternative Lösungsvorschläge hatte z. B. Wall StAZ 2012, 301, 302 ff. (Reform des Art. 10 EGBGB) sowie Wall StAZ 2011, 37, 39 ff. (Auslegung des deutschen IPR bzw. unselbständige Vorfragenanknüpfung) unterbreitet. 294 Im Einzelnen BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 16 ff.; BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 4 ff.; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 6 ff.; Freitag StAZ 2013, 69, 71 f. 295 Im Einzelnen BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 19 f.; BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 7 ff.; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 10 ff.; Freitag StAZ 2013, 69, 70; Wall StAZ 2011, 203, 204 ff.

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falten (Art. 48 S. 2 EGBGB), unterliegt jedoch zwei Voraussetzungen bzw. Einschränkungen. Zum einen werden Namen aus anderen EU-Mitgliedstaaten nur akzeptiert, wenn sie während eines gewöhnlichen Aufenthalts dort erworben wurden. Dies soll „Namenstourismus“297 vermeiden; nach der FreitagEntscheidung des EuGH sollte aber jedenfalls die Staatsangehörigkeit, daneben wohl auch andere, vergleichbar intensive Bezugspunkte zum Namenserwerbsstaat als ausreichend betrachtet werden.298 Zum anderen sind Namen nicht wählbar, die gegen den deutschen ordre public verstoßen: Art. 48 S. 1 Hs. 2 EGBGB formuliert einen eigenen ordre public-Vorbehalt, der Art. 6 EGBGB nachgebildet ist, dessen Maßstäbe inhaltlich darauf übertragbar sind.299 Art. 48 EGBGB ist damit recht eng gefasst und bleibt etwa hinter der ihm ähnelnden schwedischen Neuregelung zurück. Misslich ist die deutsche Regelung zunächst einmal in systematischer Hinsicht. Sie ist eine Sachnorm, wenn auch mit internationaler Komponente, die aber statt eines eigenen materiell-rechtlichen Gehalts nur eine Anerkennungsregel enthält – und die in das deutsche Kollisionsrecht hineingeschneidert wurde.300 Die zwar im EGBGB verortete, aber auf das deutsche materielle Recht beschränkte minimale Umsetzung der europäischen Vorgaben ist aber vor allem inhaltlich problematisch. Art. 48 EGBGB eröffnet lediglich die Möglichkeit einer Namenswahl innerhalb des deutschen Sachrechts, aber gerade keine über die bestehenden Möglichkeiten nach Art. 10 Abs. 2, Abs. 3 EGBGB hinausgehende kollisionsrechtliche Rechtswahl des Namensstatuts.301 Das vom EuGH in Grunkin Paul gesteckte Ziel, die Freizügigkeit durch die Möglichkeit der Führung im EU-Ausland erworbener Namen auch in Deutschland zu gewährleisten, wird damit gerade eben erreicht – aufgrund Im Einzelnen BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 28 ff.; BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 16 ff.; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 17 ff.; Freitag StAZ 2013, 69, 73 f. 297 Dutta FamRZ 2016, 1213, 1213. 298 BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 12; Dutta FamRZ 2017, 1178, 1178; Wall StAZ 2017, 326, 337. – Dafür bereits Dutta FamRZ 2016, 1213, 1216; Mankowski StAZ 2014, 97, 100 ff. – Zurückhaltend BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 21 ff.; Mankowski IPRax 2020, 323, 327 f. 299 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 32. – Art. 48 S. 1 Hs. 2 EGBGB ist erforderlich, weil die sachrechtliche Regelung des Art. 48 EGBGB (dazu sogleich) nicht der kollisionsrechtlichen allgemeinen ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB unterliegt. Die eigene Vorbehaltsklausel des Art. 48 Abs. 1 EGBGB für überflüssig hält dagegen BeckOK /  Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 15. 300 Freitag StAZ 2013, 69, 75; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 22, 23; Mankowski StAZ 2014, 97, 97. 301 So die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, vgl. BT-Drs. 17/11049, 12. – Siehe dazu BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 3, 12 ff.; BeckOK /  Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 2; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 2 f., 28; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 22; Mankowski StAZ 2014, 97, 97. 296

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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der eng gesteckten Voraussetzungen mehr aber auch nicht.302 So bietet Art. 48 EGBGB keine Lösung, wenn Namensstatut nicht das deutsche Recht ist.303 Ebenso wenig hilft er, wenn der Namenserwerb in einem anderen EUMitgliedstaat zwar erfolgt ist, aber nicht registriert wurde.304 Schwierigkeiten können darüber hinaus bei EU-Mehrstaatern entstehen.305 Und auch wenn die Regelung in Art. 48 EGBGB über die Erfordernisse des Primärrechts hinausgehend auch Drittstaatsangehörigen beim Namenserwerb innerhalb der EU zugutekommen kann306 – der nicht von der Freizügigkeit abgedeckte Namenserwerb (egal ob durch Unionsbürger oder Drittstaater) in einem Drittstaat bleibt gänzlich außer Betracht.307 Vorgeschlagen wird, diese Fälle durch analoge Anwendung des Art. 48 EGBGB oder durch unionsrechtskonforme Fortbildung des deutschen Rechts zu lösen.308 Auch wenn auf diese Weise einzelfallgerechte Lösungen für die nach wie vor drohenden hinkenden Namensverhältnisse gefunden werden können – eine kohärente und umfassende Regelung wäre nicht nur aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdig. Nicht zuletzt mit Blick auf die Grundfreiheiten hat der punktuelle Lösungsansatz des deutschen Gesetzgebers zahlreiche Fragen offengelassen, die es nunmehr (ebenso punktuell) nach und nach durch die Praxis zu klären gilt.309 Immerhin hat das EuGH-Urteil Bogendorff die bestehende Unsicherheit, ob die namensrechtliche Freizügigkeit nur Namensänderungen im Rahmen einer Statusänderung (z. B. Eheschließung) oder auch privatautonome Namensänderungen erfassen solle, aus der Welt geschafft.310 Der Anwendungsbereich des Art. 48 EGBGB ist damit (entsprechend der auch von der 302 BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 15; Dutta FamRZ 2017, 1178, 1178; Mankowski StAZ 2014, 97, 98, 108. – Kritisch Repasi 451 ff.; Dutta FamRZ 2017, 1181, 1183; Freitag StAZ 2013, 69, 75 ff.; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 528 ff.; Wall StAZ 2016, 327, 334 f. 303 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 37; BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 6. – Kritisch Dutta FamRZ 2016, 1213, 1216; Freitag StAZ 2013, 69, 75 f.; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 22; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 529; Mankowski StAZ 2014, 97, 99 f.; Pataut in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 97, 104. 304 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 36; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 529. 305 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 38. 306 BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 27; BeckOK /  Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 4; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 9; Freitag StAZ 2013, 69, 71 f.; Mankowski StAZ 2014, 97, 104. – a. A. Möllnitz IPRax 2019, 513, 517. 307 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 39; Mankowski StAZ 2014, 97, 105. 308 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 3, 35 ff.; Dutta FamRZ 2016, 1213, 1216; Freitag StAZ 2013, 69, 76; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 529 f.; Wall StAZ 2017, 326, 336 f. – a. A. BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 39 f.; BeckOK /  Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 29 f.; Mankowski StAZ 2014, 97, 99 f., 108 f. 309 MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 1; Wall StAZ 2019, 225, 231; Wall StAZ 2016, 327, 334 f. – Kritisch Freitag StAZ 2013, 69, 74; Mankowski StAZ 2014, 97, 98, 99 ff.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

deutschen Regierung in der Rechtssache Bogendorff vertretenen Position) nicht auf familienrechtlich begründete Namensänderungen zu begrenzen. Im Anschluss daran gestattet auch die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung nunmehr die Mitnahme auch statusunabhängig erworbener Namen im Binnenmarkt gemäß Art. 48 S. 1 Hs. 1 EGBGB.311 Nach wie vor nicht europäisch-verbindlich entschieden ist dagegen etwa die hoch umstrittene Frage, ob die sachrechtliche Namenswahl nach Art. 48 S. 1 EGBGB auch den Nachvollzug eines im Ausland bereits eingetragenen, dort jedoch kollisionsrechtlich fehlerhaft bestimmten und damit „rechtswidrigen“ Namens abdecken muss.312 Der BGH vertritt eine restriktive Linie und fordert als Voraussetzung eines Namenserhalts gemäß Art. 48 S. 1 EGBGB die „Rechtmäßigkeit“ des nach Deutschland mitgebrachten Namens, also dessen kollisions- und materiell-rechtlich korrekte Bestimmung im Ursprungsmitgliedstaat.313 Reibungen mit dem Unionsrecht entstehen dabei in doppelter Hinsicht. Zum einen stützt der BGH sein enges Verständnis des Freizügigkeitsrechts314 insbesondere auf die Verwendung der Phrase „rechtmäßig erworbener Name“ in der Freitag-Entscheidung des EuGH315, die aber auch ganz anders interpretiert werden kann und von den wohl überwiegenden Stimmen der deutschen Literatur wird.316 Zum anderen kommt die (inzidente) Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs in einem anderen Mitgliedstaat einer révision au fond gefährlich nahe – diese ist zwar bei Registereintragungen (anders als bei Gerichtsentscheidungen im IZVR) nicht exEuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 52 ff. – Kritisch BeckOGK / KrollLudwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 10 EGBGB Rn. 89. 311 BGH 9.1.2019 – XII ZB 188/17, Rn. 5; BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/15, Rn. 12 ff. – Zustimmend BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 47 ff.; BeckOK / Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 10; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 13; Kroll-Ludwigs GPR 2019, 191, 192; Möllnitz IPRax 2019, 513, 514 f.; M. Otto StAZ 2019, 71, 72 f. – Dafür bereits Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 527; Mankowski StAZ 2014, 97, 105 f. 312 Gegen eine Anerkennung nach rechtswidriger Erstregistrierung z. B. Funken 164; Gössl IPRax 2018, 376, 379 ff.; Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 120 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 704 f.; Wall StAZ 2016, 327, 333; wohl auch Freitag StAZ 2013, 69, 70. – Für eine Anerkennung unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Ersterwerbs Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 117; Mankowski IPRax 2020, 323, 327; Mankowski StAZ 2014, 97, 103 f.; P. Mayer in: FS Lagarde, 547, Rn. 10. 313 BGH 20.2.2019 – XII ZB 130/16, Rn. 21 ff. – Kritisch Kroll-Ludwigs NJW 2019, 2277, 2278 f.; Mankowski IPRax 2020, 323, 323 ff.; Wall FamRZ 2019, 971. 314 BGH 20.2.2019 – XII ZB 130/16, Rn. 27 ff. 315 BGH 20.2.2019 – XII ZB 130/16, Rn. 30, im Anschluss an Gössl IPRax 2018, 376, 379 ff. 316 BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 24; Kienemund NZFam 2019, 508; Kroll-Ludwigs NJW 2019, 2277, 2279; Mankowski IPRax 2020, 323, 326 f.; Wall FamRZ 2019, 971, 971. 310

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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plizit verboten,317 läuft aber dem Grundgedanken der Statusanerkennung (siehe 2.a), S. 361 ff.) diametral entgegen und gefährdet auch durch den erheblichen Verfahrensaufwand das Ziel der Namensfreizügigkeit in Europa.318 Die logische Konsequenz, nämlich zur Klärung der Wirkung des Freizügigkeitsgrundsatzes in der vorliegenden (im deutschen IPR noch ungeregelten) Fallkonstellation des rechtswidrigen Namenserwerbs ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV an den EuGH zu richten, zog der BGH allerdings nicht.319 Das von ihm postulierte Rechtmäßigkeitserfordernis für das deutsche IPR ist aber unter Umständen mit Art. 21 AEUV nicht vereinbar und daher auf erhebliche Kritik gestoßen. Der Gegenvorschlag, bereits die tatsächliche Namensführung und Maßgeblichkeit, etwa aufgrund Eintragung, in einem anderen Mitgliedstaat als „Erwerb“ für die Namenswahl nach Art. 48 S. 1 EGBGB ausreichen zu lassen, ist allerdings zwar mit Blick auf die Freizügigkeit konsequenter,320 würde aber zu erhöhter Missbrauchsgefahr, Abgrenzungsschwierigkeiten321 und letztlich einer kollisionsrechtlichen Parallelstruktur führen.322 Auflösen lassen wird sich diese Pattsituation letztlich nur durch eine verbindliche Aussage des EuGH zur Reichweite der Grundfreiheiten in diesem Kontext.

317 Wall FamRZ 2019, 971, 972. – Für eine Gestattung der Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Namenserwerbs im Ursprungsstaat Gössl IPRax 2018, 376, 379 ff. 318 BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 26; BeckOK /  Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 9, 11; Kroll-Ludwigs NJW 2019, 2277, 2279; Mankowski IPRax 2020, 323, 325 f.; Mankowski StAZ 2014, 97, 103 f. – Zu den Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit bereits früh Wall StAZ 2010, 225, 230 ff. 319 Kritisch daher Arnold / Zwirlein-Forschner GPR 2019, 262, 277. 320 BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 25 f.; BeckOK /  Mäsch (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 9, 11; Kroll-Ludwigs NJW 2019, 2277, 2278 f.; Mankowski StAZ 2014, 97, 103 f.; Wall FamRZ 2019, 971, 972. 321 Man bewegt sich bei der Suche nach der Grenze zum beachtlichen „Erwerb“ zwangsläufig in die Nähe der wenig überzeugenden Vorschläge, rechtswidrig erworbene bzw. geführte Namen nur in Ausnahmefällen aus Vertrauensschutzgründen Art. 48 S. 1 EGBGB zu unterstellen (MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 12; Repasi 440; Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 523, 525; Wall StAZ 2011, 203, 208 f.; Wall StAZ 2010, 225, 229 f.; Wall FamRZ 2019, 971, 971 f. interpretiert auch die BGH-Entscheidung in diesem Sinne) bzw. umgekehrt von der grundsätzlichen Anerkennung auch rechtswidrig erworbener Namen dann eine Ausnahme zu machen, wenn kein schützenswertes Vertrauen in die Namensführung entstanden sei (BeckOK / Mäsch [Stand: 1.2.2022] Art. 48 EGBGB Rn. 11). Die durch derartige Ausnahmeregelungen hervorgerufene Rechtsunsicherheit im Einzelfall erscheint aber mangels klarer Kriterien für ihr Eingreifen kaum tragbar (kritisch zum Vertrauensschutz auch Mankowski IPRax 2020, 323, 325). 322 Siehe Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 37 m. w. N.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

cc) Schrittweise und divergierende Implementierung primärrechtlicher Vorgaben Die zahlreichen Folgefragen der zurückhaltenden Implementierung der unionsrechtlichen Vorgaben im deutschen Namensrecht verdeutlichen schließlich ein weiteres zentrales Problem: die begrenzte Reichweite der GrundfreiheitenRechtsprechung des EuGH und die mitgliedstaatliche Entscheidung über das Ausmaß ihrer Umsetzung. Da die primärrechtlichen Anforderungen erst nach und nach konkretisiert werden, haben die Mitgliedstaaten zwei grundsätzliche Herangehensweisen an ihre Implementierung. Sie können sich an der einzelfallbezogenen EuGH-Rechtsprechung orientieren und das nationale Recht nur so weit anpassen, wie diese es aktuell erfordert. Alternativ dazu können sie das nationale Recht von vornherein so modifizieren, dass Verstöße gegen das Primärrecht insgesamt ausgeschlossen sind. Für das mitgliedstaatliche Recht ideal ist freilich weder eine auf das Nötigste beschränkte noch eine vorsorglich überschießende Implementierung der europäischen Vorgaben. Vorteil der erstgenannten – etwa vom deutschen Gesetzgeber im Namensrecht gewählten – minimalinvasiven Herangehensweise ist, dass sie die unionsrechtlich induzierten Veränderungen des nationalen Rechts auf das geringstmögliche Ausmaß beschränkt und rasche Umsetzungen ermöglicht. Dem gegenüber stehen jedoch einige erhebliche Nachteile. Nur auf die vom EuGH entschiedene Fallkonstellation zugeschnittene, punktuelle Anpassungen haben innerhalb der nationalen Rechtsordnung eher Ausnahmecharakter und wirken störend, außerdem bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet. Ferner ist die Wahrscheinlichkeit vergleichsweise hoch, dass eine eng gehaltene nationale Lösung sich bei fortschreitender Interpretation der Grundfreiheiten wieder als (nunmehr im Hinblick auf andere Aspekte) nicht unionsrechtskonform erweist – die Folge ist erneuter Anpassungsbedarf, sodass das zugrundeliegende nationale Modell durch immer weitere Änderungen doch stark beeinträchtigt wird. Die Schwierigkeiten mangelnder Rechtssicherheit und des Aufwands permanenter Nachbesserungen vermeidet zwar die alternative Herangehensweise. Sie erfordert jedoch im Regelfall einschneidende, wenn nicht gar grundlegende Veränderungen des nationalen Rechts. Vor allem aber lässt sich eine Konformität mit den Grundfreiheiten auch für künftige Szenarien nur zuverlässig schaffen, indem man den nationalen Regelungen eine sehr weite Interpretation des Primärrechts zugrunde legt – man läuft dabei einerseits Gefahr, im Wege vorauseilenden Gehorsams über die später vom EuGH konkretisierten Vorgaben hinauszuschießen, und kann andererseits das Risiko späterer Anpassungserfordernisse aufgrund nicht bedachter Fallkonstellationen doch niemals ganz ausschließen. Damit ist diese Option für das mitgliedstaatliche Recht nur in den seltensten Fällen, wenn überhaupt je, attraktiv. Den Mitgliedstaaten kann die zumeist eher zurückhaltende Umsetzung daher kaum

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angelastet werden: Solange die Anforderungen des Primärrechts nicht eindeutig vorgegeben sind, müssen und können sie Unionsrechtskonformität letztlich nur durch individuelle Reaktionen auf die sich stetig und fallweise entwickelnde EuGH-Rechtsprechung gewährleisten. Fest steht, dass die Grundfreiheiten und die sie ausformende Rechtsprechung des EuGH die nationalen Rechtsordnungen auch mit Bezug zum Kollisionsrecht über kurz oder lang zu erheblichen Veränderungen zwingen. In der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben sind die Mitgliedstaaten weitgehend frei und schlagen unterschiedliche Wege ein. Divergenzen bestehen nicht nur zwischen den heterogenen Umsetzungen ein und derselben Vorgabe in unterschiedlichen Mitgliedstaaten, sondern auch innerhalb einer einzigen Rechtsordnung können für verschiedene Rechtsgebiete unterschiedliche Herangehensweisen gewählt werden. Dabei hängt die Wahl der Implementierungsmechanismen in jedem konkreten Fall von zahlreichen Faktoren ab, etwa der Ausgangsposition des nationalen Rechts, seiner inhaltlichen und methodischen Flexibilität, dem mitgliedstaatlichen Umsetzungswillen und dem Wunsch nach einer innerhalb des nationalen Systems kohärenten Lösung.323 Ein Gesamtsystem für die Umsetzung der primärrechtlichen Anforderungen im kollisionsrechtlichen Kontext ist bisher weder auf mitgliedstaatlicher noch auf europäischer Ebene erkennbar, ebenso wenig kristallisiert sich bislang ein einziger Lösungsansatz als vorzugswürdig heraus. Auch wenn die derzeitige, unübersichtliche und wenig vorhersehbare Situation in dieser Hinsicht unbefriedigend sein mag, ist sie systemimmanent und lässt den Mitgliedstaaten die größtmögliche Autonomie. Ob die durch Vorschriften hinsichtlich der Implementierung oder einen faktischen Zwang der Mitgliedstaaten durch „Verdichtung“ der Vorgaben auf nur eine einzige grundfreiheitenkonforme Option324 zu gewinnende Vereinheitlichung den damit einhergehenden Verlust an mitgliedstaatlichem Handlungsspielraum aufwiegen könnte (und ihrerseits überhaupt mit den Prinzipien des Unionsrechts konform wäre), lässt sich bezweifeln. Die unmittelbare Modifikation der mitgliedstaatlichen Anknüpfungsregeln ist zwar nur eine von mehreren Handlungsoptionen zur Herstellung primärrechtskonformer Ergebnisse bei Anwendung des nationalen IPR. Zumindest indirekte Auswirkungen auf das Kollisionsrecht sind aber auch bei den anderen Lösungsansätzen zu verzeichnen, die das Anknüpfungsergebnis modifizieren. Deswegen werden sie – auch wenn sie strenggenommen keine Kollisionsregeln im engeren Sinne sind – häufig und sinnvollerweise im nationalen IPR verortet. Dies gilt insbesondere für auf der zunehmend an Popularität gewinnenden Statusanerkennung (siehe 2.a), S. 361 ff.) fußende Umsetzungen. Damit etablieren sich die Grundfreiheiten als ein weiterer erheblicher europäi323 324

Vgl. Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 21. Siehe auch Kroll-Ludwigs GPR 2019, 191, 191.

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scher Einfluss auf das formal mitgliedstaatlich verbliebene Kollisionsrecht. Dieser erweist sich über die Schwierigkeiten einzelner Umsetzungsmaßnahmen hinaus zunehmend auch insgesamt als problematisch. Zum einen wirken einzelne, vom Primärrecht geforderte Modifikationen häufig wie Fremdkörper im nationalen Kollisionsrecht, zumal wenn es sich um rasche Implementierungen der EuGH-Rechtsprechung ohne Blick auf das kollisionsrechtliche Gesamtgefüge handelt. Zum anderen droht durch die zunehmende Zahl und Reichweite der erforderlichen Anpassungen eine weitere schleichende Veränderung des verbliebenen mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts insgesamt. Zum dritten liegt vielfach eine Umsetzung im Wege unionsrechtskonformer Rechtsfortbildung nahe, die flexible Reaktionen ermöglicht und allzu häufigen legislativen Änderungsbedarf vermeidet – allerdings im Hinblick auf Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit Schwierigkeiten aufwirft. Die nur schrittweise mögliche Weiterentwicklung nationaler Lösungen in Abhängigkeit von der Rechtsprechung des EuGH zu den aus den Grundfreiheiten fließenden Vorgaben ist für die mitgliedstaatlichen Rechtsetzer und Rechtsanwender eine erhebliche Herausforderung auch und gerade im Kollisionsrecht, die sich in den kommenden Jahren vermutlich noch verstärken wird. 2. Statusanerkennung als neues kollisionsrechtliches Prinzip in Europa? Der wachsende Einfluss der Grundfreiheiten auf die internationalprivatrechtliche Behandlung grenzüberschreitender Binnenmarkt-Sachverhalte hat über die Umsetzung der konkreten Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung hinaus eine grundlegende Debatte über die Zukunft des (europäischen) Kollisionsrechts angestoßen. Als Konkurrenzmodell wurde ein System der gegenseitigen Anerkennung seit Beginn der europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung immer wieder vorgeschlagen und als Ergänzung oder gar Ablösung des teils für überholt gehaltenen IPR im Sinne des klassischen Verweisungsrechts propagiert oder dämonisiert.325 Intensiviert und beflügelt wurde diese Diskussion durch die Verabschiedung von Kompetenzgrundlagen für kollisionsrechtliche EU-Rechtsakte, vor allem aber durch die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten im kollisionsrechtlichen Kontext. Im Internationalen Gesellschaftsrecht wurde das Anerkennungsprinzip zwar noch kaum thematisiert, sondern ein klassisch-kollisionsrechtlicher Lösungsansatz verfolgt.326 Umso größer war jedoch der Aufwind, den es durch die namensrechtlichen Entschei325 Auffallend häufig wurden in der Debatte rhetorische Fragen verwendet, z. B. Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 127 („Ist das Anerkennungsprinzip schon geltendes internationales Familienrecht in der EU?“); Jayme / Kohler IPRax 2001, 501, 501 („Anerkennungsprinzip statt IPR?“); Sonnenberger in: FS Spellenberg, 371, 371 („Anerkennung statt Verweisung? Eine neue internationalprivatrechtliche Methode?“). – Siehe zu den Anfängen der Diskussion z. B. Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 655 ff. 326 Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 90; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 670 ff.

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dungen des EuGH erhielt: Im Gefolge der Entscheidungen Garcia Avello und Grunkin Paul wurde vor allem in Deutschland und Frankreich geradezu hitzig über die Möglichkeiten und Grenzen eines anerkennungsbasierten europäischen Kollisionsrechtssystems diskutiert. Die facettenreichen Aspekte und Entwicklungslinien dieser umfangreichen Debatte können und sollen an dieser Stelle nicht en détail nachgezeichnet werden.327 Nach einem Überblick über das Modell der Rechtslagenanerkennung (dazu a)) wird vielmehr der aktuelle Stand der Diskussion um eine aus den Grundfreiheiten abzuleitende Pflicht zur Rechtslagenanerkennung innerhalb des Binnenmarktes beleuchtet (dazu b)). Der dadurch im Raum stehende – auch durch europäische Wertungen getriebene – Prinzipienwechsel hin zu einem kollisionsrechtlichen Anerkennungskonzept würde wesentliche Umstrukturierungen des mitgliedstaatlichen und europäischen IPR mit sich bringen (dazu c)). a) Das Konzept der kollisionsrechtlichen Statusanerkennung Festzuhalten ist zunächst, dass der Begriff „Anerkennung“ („recognition“) im kollisionsrechtlichen Kontext nicht mit der Anerkennung von Entscheidungen zu verwechseln ist.328 Letztere ist traditionell im Internationalen Zivilverfahrensrecht verwurzelt und auch als wesentlicher Bestandteil des europäischen Verordnungs-IZVR (Artt. 36 ff. EuGVVO für das allgemeine Zivilrecht, Artt. 21 ff. Brüssel IIa-VO bzw. Artt. 30 ff. Brüssel IIb-VO für das Familienrecht) verankert. Innerhalb der Europäischen Union bildet der „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen“ eine wesentliche Grundlage der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen (Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV), die mit der Abschaffung des ExequaturErfordernisses und der starken Beschränkung möglicher Anerkennungshindernisse zwischen den Mitgliedstaaten (vgl. Art. 45 EuGVVO, Artt. 22 f. Brüssel IIa-VO, Artt. 38 ff. Brüssel IIb-VO) auf der Basis gegenseitigen Vertrauens 327 Siehe statt vieler die Überblicksdarstellung bei Trüten 31 ff. sowie grundlegend Coester-Waltjen IPRax 2006, 293, 400; Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 225 ff.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 651 ff.; P. Mayer in: FS Lagarde, 547, Rn. 19 ff. sowie die Beiträge in Lagarde, La reconnaissance des situations en droit international privé und die Länderberichte im Rahmen des ersten Projekts des EAPIL Young Researcher Network (Gössl /  Melcher CDT 14 (2022), 1012, 1012 ff.). – Monographisch z. B. die Dissertationen von Bonifay, Funken und Leifeld. – Kritisch etwa Sonnenberger in: FS Spellenberg, 371, 371 ff. – Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht hat sich gegenüber einer „Anerkennung von Rechts wegen“ ebenfalls (wenngleich vor mehr als einer Dekade) skeptisch bzw. ablehnend ausgesprochen, Mansel / Coester-Waltjen / Henrich / Kohler IPRax 2011, 335, 338 ff. sowie Mansel IPRax 2011, 341, 341 f. 328 Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 392 f.; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 122; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 20; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 712 ff. – Ausführlich zum Begriff der Anerkennung Lehmann in: Leible, 11, 13 ff.; P. Mayer in: Lagarde, 27, 27 f.

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immer weiter voranschreitet. Bei der Anerkennung im Kollisionsrecht geht es aber gerade nicht darum, die Wirkungen einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung über ihren Ursprungsstaat hinaus zu erstrecken; ebenso wenig geht es darum, die Rechtssätze einer anderen Rechtsordnung als solche (im Sinne einer „Rechts(normen)anerkennung“329) zu akzeptieren. „Anerkannt“ werden soll vielmehr eine in einem Staat begründete Rechtslage bzw. ein (neu geschaffener oder geänderter) Status – insofern ist von der Rechtslagen- bzw. Statusanerkennung zu sprechen. Diese ist auch von der Dokumenten- bzw. Urkundenanerkennung, die sich vordringlich mit technisch-formellen Fragen befasst und die hier ausgeklammert bleiben muss, zu unterscheiden.330 Ein auf dem Grundsatz der Rechtslagenanerkennung basierendes Modell lässt sich vereinfacht wie folgt beschreiben: Ist ein Status oder eine Rechtslage in einem Ursprungsstaat wirksam begründet oder verändert worden, wird dieser Status auch in anderen Staaten als solcher akzeptiert.331 Sind zwei Personen beispielsweise im Ursprungsstaat aus dessen Sicht wirksam die Ehe miteinander eingegangen, muss ein anderer Staat als Aufnahmestaat diese Ehe(schließung) als solche akzeptieren und die Personen als miteinander verheiratet betrachten. Auf eine eigene kollisionsrechtliche Prüfung verzichtet der Aufnahmestaat also gerade.332 Ebenso wenig wird die kollisions- und sachrechtliche Entscheidung des Ursprungsstaats nachgeprüft (keine révision au fond).333 Konkurrieren mehrere widersprechende Rechtslagen bzw. Eintragungen miteinander, ist die zeitlich frühere als maßgeblich zu betrachten (Prioritätsprinzip).334 Dieses neuartige Modell hat seit einiger Zeit punktuell Eingang in nationale IPR-Kodifikationen gefunden. Beispielsweise legt Art. 10:31 Abs. 1 BW für die Behandlung im Ausland (wirksam) geschlossener Ehen aus niederländischer Sicht ein Anerkennungsmodell zugrunde, nach Art. 45 schwIPRG werden im Ausland nach dem dortigen Recht wirksam eingegangene Ehen in der Schweiz als solche anerkannt.335 Eine grundlegenMankowski in Leible / Ruffert, 235, 244 f. Siehe hierzu die Verordnung (EU) 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, ABl. 2016 L 200, 1, sowie die personenstandsrechtlichen Rechtsakte der CIEC. 331 Ob nun im Wege der Wirkungserstreckung oder der Gleichstellung mit entsprechenden im Aufnahmestaat geschaffenen Rechtslagen, vgl. Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 393; Lehmann in: Leible, 11, 18 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 719 ff. 332 Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 392; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 122. 333 Mankowski StAZ 2014, 97, 103. 334 Zum Prioritätsprinzip im Namensrecht Mankowski StAZ 2014, 97, 99. – Ablehnend Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 691, 701 f. 335 Trüten 47 ff.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 714 f. – Vgl. auch die Darstellung bereits vorhandener Anerkennungsregeln im IPR bei Funken 189 ff. 329 330

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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de und umfassende Etablierung der Statusanerkennung, zumindest innerhalb Europas, wurde in jüngerer Zeit insbesondere für den Bereich des Internationalen Familien- und Personen(stands)rechts propagiert und teils als heilsbringender Methodenwechsel gefeiert, teils als das Ende des klassischen Kollisionsrechts gefürchtet.336 Ein Anerkennungsmodell bietet zahlreiche Vorteile.337 Aus kollisionsrechtstechnischer Sicht spricht dafür zunächst vor allem die Vermeidung hinkender Rechts- bzw. Statusverhältnisse, ferner der Schutz wohlerworbener Rechte.338 Die Anerkennung bestehender Rechtslagen kann Rechtssicherheit für die Betroffenen und damit einhergehend bessere Planbarkeit und erhöhtes Vertrauen in den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr gewährleisten.339 Sie erübrigt außerdem aufwendige kollisionsrechtliche Nachprüfungen und erleichtert und beschleunigt damit die praktische Rechtsanwendung im Aufnahmestaat.340 Komplizierte Vorfragenprobleme können durch die Statusanerkennung wesentlich entschärft werden.341 Schließlich streitet zumindest im familienrechtlichen Bereich auch Art. 8 EMRK, aus dem der EGMR den möglichst weitreichenden Schutz und Erhalt etablierter (Familien-)Statusverhältnisse ableitet, zugunsten einer Anerkennung,342 ebenso die unionsrechtliche Parallelnorm des Art. 7 GrCh. Allerdings können die Statusanerkennung und der damit verbundene Verzicht auf die kollisionsrechtliche Kontrolle auch negative Folgen zeitigen. Die weitreichende Akzeptanz in anderen Staaten etablierter Rechtslagen zwingt dazu, als „Import“ auch einen Status zu übernehmen, der dem inländischen materiellen Recht oder gar den inländischen Wertvorstellungen konträr ist – das Anerkennungsmodell bietet geringere Anpassungs- und Kontrollmechanismen als die klassische Verweisungstechnik und Anwendung fremden Rechts. Dies wirft beim „Import“ unbekannter Rechtsinstitute verstärkt die Problematik der Inländerdiskriminierung auf und kann letzten Endes Druck 336 Vgl. Jayme / Kohler IPRax 2001, 501, 501 ff.; Junker in: FS Sonnenberger, 417, 417 f.; Martiny DNotZ 2009, 453, 456 f. – Kritisch etwa Sindres in: Muir Watt et al., 538, 543 ff.; Sonnenberger in: FS Spellenberg, 371, 372 ff. 337 Im Überblick z. B. Lehmann in: Leible, 11, 23 ff. 338 Zur Nähe des Anerkennungsprinzips zur vested rights theory Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 158 ff.; Kuipers EJLS 2009, 66, 75 ff.; Lehmann in: Leible, 11, 30 f.; P. Mayer in: Lagarde, 27, 28 f.; Michaels JPIL 2 (2006), 195, 213 ff. (bezogen auf das Herkunftslandprinzip). – Kritisch dazu Jayme / Kohler IPRax 2004, 481, 483 f.; Sonnenberger in: FS Spellenberg, 371, 375 ff. 339 Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 393; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 123. 340 Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 122; Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 230; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 155. 341 Panet in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 239, 242 ff. – Siehe auch Mankowski StAZ 2016, 193, 199. 342 Vgl. z. B. Mankowski StAZ 2016, 193, 199 f.

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zur Anpassung des inländischen materiellen Rechts an die Regelungen anderer Staaten erzeugen.343 Außerdem stellt sich die Frage nach den Grenzen der Anerkennungspflicht – unter welchen Voraussetzungen kann bzw. muss ein Staat die Anerkennung des im Ausland erworbenen Status für das Inland verweigern? Anerkennungshindernisse bzw. Anerkennungsversagungsgründe müssen möglichst klar umrissen werden, um Anwendungsschwierigkeiten und unvorhersehbare Ergebnisse zu vermeiden.344 Umgekehrt verlockt die Möglichkeit anschließender weitreichender Anerkennung (insbesondere, wenn die Rechtmäßigkeit des Statuserwerbs nicht oder nur eingeschränkt nachgeprüft wird) zu einem „registration shopping“345, schlimmstenfalls droht aufgrund des Prioritätsprinzips ein Wettlauf zu den Behörden verschiedener Staaten.346 Um einen Missbrauch der Statusanerkennung zu verhindern, sind jedenfalls Schutzmechanismen, etwa in Gestalt des Erfordernisses einer wie auch immer gearteten Verbindung zum Ursprungsstaat,347 erforderlich. Ob das Anerkennungsprinzip grundsätzlich befürwortet oder abgelehnt, ob es eng oder weit verstanden wird – methodisch ist es kaum in der Lage, das Verweisungs-Kollisionsrecht vollständig zu verdrängen.348 Zum einen ist zu bezweifeln, dass sich in näherer Zukunft ein solches Modell global und für alle denkbaren Rechtslagen etablieren kann. Solange dies nicht der Fall ist, wird aber das Verweisungskollisionsrecht sowohl im Verhältnis zu nicht an Vgl. Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 285. Vgl. Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 128; van Loon in: Muir Watt et al., 530, 536 f.; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 155 f. – Zur Grenze des ordre public siehe unten 3.b), S. 397 ff. 345 Leifeld 199 f. – Zum civil status shopping bereits Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 128 ff.; zum law shopping Pretelli CDT 11 (2019), 8, Rn. 79. – Als „nicht angestrebte, aber notwendig hinzunehmende Konsequenz“ betrachtet es Mankowski in: FS CoesterWaltjen, 571, 583. 346 Vgl. die Bedenken bei Heiderhoff in: FS von Hoffmann, 127, 135 und Sindres in: Muir Watt et al., 538, 546 sowie den Lösungsansatz bei Mankowski in: FS CoesterWaltjen, 571, 583. 347 MüKo8 / Lipp Art. 10 EGBGB Rn. 227; Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 393, 398 f.; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 126 ff.; Fulchiron in: FS Ancel, 647, 657 ff.; Hammje Rev. crit. DIP 2013, 773, Rn. 19 (im Kontext der Eingehung gleichgeschlechtlicher Ehen); Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 233 f.; Lehmann in: Leible, 11, 33 f.; Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 583; P. Mayer in: FS Lagarde, 547, Rn. 29; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 155; Panet in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 239, 251 f. – In seiner Freitag-Entscheidung lässt der EuGH neben dem gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls auch die Staatsangehörigkeit des Ursprungsstaats als eine die Anerkennungspflicht in anderen Mitgliedstaaten auslösende Beziehung zum Ursprungsstaat ausreichen, vgl. Dutta FamRZ 2017, 1178, 1178; Gössl IPRax 2018, 376, 381. 348 Vgl. Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 229: „il est hors de question que la reconnaissance supplante entièrement la règle de conflit de lois“. – Erhebliche Einschnitte in den Anwendungsbereich des Kollisionsrechts sieht allerdings Mansel in: FS Jayme 2019, 27, 36 f. 343 344

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der (gegenseitigen) Statusanerkennung beteiligten Staaten als auch für die nicht von der Anerkennung erfassten Rechtslagen noch benötigt.349 Zum anderen kann die Anerkennung erst eingreifen, wenn die anzuerkennende Rechtslage als solche begründet ist. Zur Ermittlung des für die Etablierung oder Änderung des Status maßgeblichen Rechts muss der jeweilige Ursprungsstaat jedoch in grenzüberschreitenden Sachverhalten nach wie vor auf Anknüpfungsregeln zurückgreifen, um das anwendbare Recht zu ermitteln.350 Dieses „Ursprungsstatut“ wird dann gewissermaßen fixiert und bei der folgenden Anerkennung in anderen Staaten nicht mehr aus der Perspektive von deren IPR hinterfragt. Damit löst aber ein Wechsel zum Anerkennungsprinzip die internationalprivatrechtlichen Probleme nicht, sondern verlagert sie nur. Bei realistischer Betrachtung scheint ein Anerkennungsmodell daher allenfalls als internationalprivatrechtlicher Zusatzbaustein, (noch) nicht aber als vollständiger Ersatz für ein traditionelles Anknüpfungssystem geeignet. Die kollisionsrechtliche Statusanerkennung tritt komplementär neben das klassische Verweisungsrecht, das sie auf einer nachgelagerten Stufe ergänzt;351 man kann sie daher als „zweite, verfahrensrechtliche Schiene im Kollisionsrecht“352 oder als weitere Ebene für ein „mehrschichtiges Kollisionsrechtssystem“353 bezeichnen. Die zentrale Frage für das mitgliedstaatliche bzw. europäische IPR ist dabei, wie weit man eine Überlagerung des klassischen Kollisionsrechts durch das Anerkennungsmodell zulassen bzw. fördern will. b) Pflicht zur Statusanerkennung zwischen Mitgliedstaaten? In der Diskussion über das Anerkennungsprinzip im europäischen Kollisionsrecht bzw. im IPR der Mitgliedstaaten liegt der Schwerpunkt vielfach weni349 Bonifay 333 ff.; Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 400; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 123; Lehmann in: Leible, 11, 40; Mankowski IPRax 2020, 323, 329; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 156. 350 Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 400; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 122; Kroll ZVglRWiss 107 (2008), 320, 337; Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 235; Lehmann in: Leible, 11, 39; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 156; Siehr in: FS Kropholler, 211, 217 f.; M. Weller JPIL 11 (2015), 64, 79. 351 Grünberger in: Leible / Unberath, 81, 123 ff.; Lehmann in: Leible, 11, 39 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 724 f.; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 156; R. Wagner in: Arnold, 105, 126. – Bereits früh ausführlich zum Verhältnis von Kollisionsrecht und Anerkennung Funken 217 ff. (insbes. 270 ff.). – Bonifay 353 ff. plädiert für eine Adaption der kollisionsrechtlichen Methoden an die Erfordernisse der Anerkennung im europäischen Rechtsraum bzw. für eine Integration anerkennungsrechtlicher Prinzipien in das Kollisionsrecht (mit Verordnungsvorschlag 401 ff.). 352 Mankowski StAZ 2016, 193, 193. 353 Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 122. – Siehe auch M.-P. Weller RabelsZ 81 (2017), 747, 770 ff. (Anerkennung als Teil einer „Methodentrias“, die sie mit Verweisung und Berücksichtigung vereint).

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ger auf der rechtstechnischen Gestaltung und Implementierung eines internationalprivatrechtlichen Anerkennungsmodells, sondern vordringlich auf den damit verbundenen Wertungen bzw. den dahinterstehenden Wertentscheidungen. Im Fokus der Debatte steht in Europa die vorgelagerte Frage, ob – und inwieweit – die Statusanerkennung zumindest im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander eine aus dem Primärrecht fließende Pflicht darstellt.354 Deren Reichweite und praktische Umsetzung erregen vor allem im Internationalen Personen- und Familienrecht die Gemüter.355 Etwa hinsichtlich ihres Namens, ihrer Abstammung oder des Bestehens ihrer Ehe haben Betroffene erhebliches Interesse daran, ihren einmal erworbenen Status in der gesamten EU einheitlich behandelt zu wissen. Eine Harmonisierung der Anknüpfungsregeln für diese oft rechtspolitisch heiklen Fragen hat sich bisher jedoch als schwierig erwiesen. Damit ist die kollisionsrechtliche Behandlung bzw. Anerkennung im Ausland entstandener Rechtslagen für ihre jeweils eigene Rechtsordnung nach wie vor grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, mit der Gefahr einer unterschiedlichen Einstufung ein und derselben Statusfrage in verschiedenen Mitgliedstaaten. Diskutiert wird allerdings seit einiger Zeit, ob der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten durch europäische Vorgaben dahingehend eingeschränkt ist, dass in manchen Konstellationen ein Zwang zur Statusanerkennung besteht. aa) Primärrechtliche Pflicht zur Statusanerkennung? Eine generelle (Pflicht zur) Anerkennung im EU-Ausland entstandener Rechtslagen innerhalb des Binnenmarktes wird dabei aus den Grundfreiheiten, insbesondere der Freizügigkeit der Unionsbürger, abgeleitet.356 Sofern ein von einem Unionsbürger in einem EU-Mitgliedstaat erworbener Status nicht grenzüberschreitend auch in die anderen Mitgliedstaaten „mitgenommen“ werden könne, sei der Grundsatz der Freizügigkeit (Art. 21 AEUV) verletzt – primärrechtlich seien die Mitgliedstaaten also zur Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten begründeter Rechtslagen verpflichtet.357 Diese Argumentationslinie kann einerseits eine gewisse Nähe zur Datumtheorie verGrundlegend zur Verwurzelung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung in den Grundfreiheiten Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 664 ff. 355 Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 127 („Auch im internationalen Familienrecht ist seit etwa zehn Jahren nichts von grundsätzlicherer Bedeutung.“); Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 571 („Die Frage nach einem Anerkennungsprinzip und nach primärrechtlichen Vorgaben zur Anerkennung von Statusverhältnissen dürfte gegenwärtig die spannendste Frage im gesamten Internationalen Familienrecht sein.“). 356 Vgl. zur Thematik bereits früh Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 395 ff.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 705 ff. 357 Vgl. zur Diskussion statt vieler Mankowski StAZ 2016, 193, 193 m. w. N., 198 f.; Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 571 ff. 354

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zeichnen,358 andererseits erinnert sie an die frühere Diskussion zum Herkunftslandprinzip und seinen kollisionsrechtlichen Auswirkungen.359 Der Gedanke einer umfassenden Pflicht zur Rechtslagenanerkennung innerhalb Europas knüpft an einige der dort bereits vertretenen Ansätze an und setzt sie vor dem Hintergrund der nunmehr über den wirtschaftlichen Binnenmarkt hinausreichenden europäischen Integration für andere Rechtsbereiche fort. Die vom EuGH bereits für das Namensrecht entwickelte Argumentationslinie, dass ein einmal erworbener Name im Ergebnis in allen Mitgliedstaaten zu akzeptieren sei, könne und müsse auch auf andere Fragen übertragen werden. Unionsrechtlich geboten sei die Anerkennung aller innerhalb der EU begründeten (familienrechtlichen) Statusverhältnisse von Unionsbürgern.360 Insbesondere seien danach etwa auch in einem EU-Mitgliedstaat geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen.361 Zusätzliche Argumente für eine die Statuskontinuität sichernde Anerkennungspflicht werden aus dem grundrechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens auf europäischer Ebene (Art. 7 GrCh, Art. 8 EMRK) hergeleitet.362 Der Gedanke einer solchen umfassenden Pflicht zur Statusanerkennung innerhalb der EU ist jedoch auch auf Kritik gestoßen.363 Dagegen lässt sich zunächst einwenden, dass die Freizügigkeits-Rechtsprechung des EuGH lediglich Zielvorgaben setzt, nicht aber (kollisionsrechtliche) technische Vorgaben zur Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 399 f. Vgl. z. B. Bonifay 316 ff.; Junker in: FS Sonnenberger, 417, 426 ff.; Michaels FS Kropholler, 151, 161 ff., 163. – Zur Abgrenzung Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 392 f.; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 122; Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 112 ff. – Für ein Verständnis des Herkunftslandprinzips als Form der vested rights theory etwa Michaels JPIL 2 (2006), 195, 213 ff.; mit EuGH 25.10.2011 – C-509/09 und C161/10, eDate und Martinez, Rn. 61 ist inzwischen allerdings klargestellt, dass das Herkunftslandprinzip keine Kollisionsregel darstellt. 360 Bonifay 200 ff.; Leifeld 81 ff.; Repasi 471 ff.; Mankowski StAZ 2016, 193, 198 f.; Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 585; Panet in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 239, 247 f. – Für eine zurückhaltende Anwendung des Art. 21 AEUV dagegen Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 129 ff. 361 Zumindest zum Zwecke der Scheidung eine Anerkennung fordernd Kohler / Pintens FamRZ 2016, 1509, 1515. – Zu weiteren Argumenten zugunsten eines „principled imperative to recognize same-sex unions“ und den einem solchen Ansatz entgegenstehenden Hürden Borg-Barthet JPIL 8 (2012), 359, 359 ff. – Siehe auch bb), S. 369 ff. 362 Vgl. Kinsch in: Lagarde 2013, 43, 43 ff.; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 151; Muir Watt in: Lagarde 2013, 85, 87 ff. 363 Funken 178 ff.; Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 137; Kroll ZVglRWiss 107 (2008), 320, 336 ff.; M. Weller JPIL 11 (2015), 64, 78 f.; im Ergebnis ablehnend auch Lehmann in: Leible, 11, 28 ff. – Eher zurückhaltend Mansel in: FS Jayme 2019, 27, 29 ff.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 710 f.; Siehr in: FS Kropholler, 211, 217; hinsichtlich einer Verallgemeinerung der namensrechtlichen Rechtsprechung auch Dutta FamRZ 2016, 1213, 1215 f. 358 359

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Erreichung dieser Ziele macht (siehe oben 1., S. 336 ff.).364 Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur kollisionsrechtlichen Statusanerkennung lässt sich seinen (namensrechtlichen) Entscheidungen ebenso wenig entnehmen wie sie allgemein als primärrechtliches Erfordernis postuliert werden kann. Zwar wird durch ein umfassendes kollisionsrechtliches Statusanerkennungsmodell zweifelsohne die Freizügigkeit der Unionsbürger gewährleistet und gefördert – doch diesem Ziel werden auch weniger umfassende, punktuelle Anerkennungsvorschriften gerecht oder es ließe sich auf ganz anderen Wegen verwirklichen.365 Hinzu tritt die Frage, was genau als „Status“ oder „Rechtslage“ unter die Anerkennungspflicht fallen soll (und praktikablerweise kann): nur ein behördlich registrierter Status, auch auf sonst „offizielle“ Dokumente (z. B. notarielle Urkunden) gegründete Rechtslagen, oder sogar durch schlichtes Rechtsgeschäft zwischen Privaten entstandene Rechtslagen?366 Soll etwa der durch eine behördlich lediglich deklaratorisch registrierte Privatscheidung in einem Mitgliedstaat entstandene Personenstand „ledig“ als Rechtslage in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen sein?367 Während insbesondere zu Beginn der Diskussion teils als Grundlage der Anerkennung eine „Kristallisierung“ der Rechtslage durch ihre Manifestation in einem staatlichen Akt gefordert wurde,368 scheint vor dem Hintergrund des vom EuGH generell propagierten weiten Verständnisses der Grundfreiheiten fraglich, ob dieser für die theoretische Eingrenzung und praktische Handhabung der Anerkennungspflicht zweifellos sinnvolle Ansatz sich durchsetzen kann. Denn das Interesse der Beteiligten an einer Anerkennung ihrer Rechtslage und damit die potentielle Beeinträchti-

364 Vgl. Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 127; Mansel in: FS Jayme 2019, 27, 29 ff.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 677 ff., 690 f.; Melcher JPIL 9 (2013), 149, 153; Pika / Weller IPrax 2017, 65, 70; Wall StAZ 2019, 225, 236. – P. Mayer in: Lagarde, 27, 28 ff. weist darauf hin, dass das Ergebnis „Anerkennung“ auch auf dem Weg klassischer Verweisungsregeln erreicht werden kann und differenziert unterschiedliche Anerkennungsmethoden. 365 Eine alternative Anknüpfung, die subsidiär das Recht am Ort der Statusbegründung beruft, befürwortet Sindres in: Muir Watt et al., 538, 543; skeptisch gegenüber der Registerortanknüpfung dagegen Leifeld 139 f. – Melcher JPIL 9 (2013), 149, 154 ff. hält für eingetragene Partnerschaften (zumindest als ersten Schritt) den Weg der Kollisionsrechtsharmonisierung für vorzugswürdig. 366 Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 393, 397 f.; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 128 f.; Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 231; Lehmann in: Leible, 11, 32 ff. (nur öffentliche Urkunden und Eintragungen in öffentliche Register); Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 715 ff. (nur konstitutiv oder deklaratorisch wirkende behördliche oder gerichtliche, nicht aber private [rein rechtsgeschäftliche] Akte). 367 Vgl. Pika / Weller IPrax 2017, 65, 70. 368 Zum Beispiel Funken 67 ff.; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 20; P. Mayer in: FS Lagarde, 547, Rn. 29; Panet in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 239, 250 f. – Skeptisch hinsichtlich Privatscheidungen etwa Schlürmann FamRZ 2019, 1035, 1039 f.

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gung ihrer Grundfreiheiten sind stets dieselben, unabhängig von der Entstehungsart des Status.369 Außerdem können mit einer umfassenden Anerkennungspflicht die den Schwierigkeiten bei der Statusanerkennung zugrundeliegenden, insbesondere rechtspolitischen, Probleme ohnehin nicht gelöst, sondern nur verlagert werden. Postuliert man nämlich eine grundsätzliche Pflicht zur Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten etablierter Rechtslagen, gewinnen umgehend die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, sich auf Ausnahmen von dieser Verpflichtung zu berufen, an Bedeutung – sofern eine solche Pflicht auf die Grundfreiheiten gestützt wird, kann etwa deren Einschränkung (in Form der Nicht-Anerkennung) durch den Aufnahmestaat gerechtfertigt sein. Die in jedem Einzelfall zu stellende Frage würde schlicht von „besteht eine Anerkennungspflicht?“ zu „besteht hier eine Ausnahme von der Anerkennungspflicht?“ umformuliert, ohne wesentliche inhaltliche Änderungen der vorzunehmenden Prüfung. Das durch eine umfassende Anerkennungspflicht etablierte Regel-Ausnahme-Verhältnis wäre damit zwar auf den ersten Blick simpel, in seiner Anwendung – gerade auf politisch heikle und in ihrer Akzeptanz zwischen den Mitgliedstaaten umstrittene Statusfragen – jedoch alles andere als zuverlässig für Rechtsanwender und betroffene Unionsbürger, solange Gesetzgebung und Rechtsprechung für die unterschiedlichen Fallgruppen keine klaren Vorgaben setzen. Denn wo exakt die Grenzen der Grundfreiheiten gegenüber den nationalen Wertungsentscheidungen einzelner Mitgliedstaaten verlaufen, ist bei weitem noch nicht abschließend geklärt (siehe 3.b), S. 397 ff.). bb) Freizügigkeit und Status: EuGH – Coman Der von manchen erhoffte, von anderen abgelehnte Paradigmenwechsel des Kollisionsrechts der EU und ihrer Mitgliedstaaten hin zu einem Anerkennungsmodell ist bislang ausgeblieben.370 Nach einer Phase intensiver Debatten bezüglich der flächendeckenden Einführung eines Prinzips der Statusanerkennung im (personen- und familienrechtlichen) IPR schienen sowohl die Euphorie als auch die Furcht zunächst abgeflaut. Neuen Aufwind bekam die Thematik für die EU-Mitgliedstaaten jedoch mit einer weiteren EuGHEntscheidung: Das von der Großen Kammer erlassene Urteil in der Rechtssache Coman371 bietet Anhaltspunkte für eine potentielle Übertragung der für das Namensrecht entwickelten Anerkennungspflicht innerhalb des BinnenPika / Weller IPrax 2017, 65, 70. – Für eine weitreichende Anerkennung auch ex lege entstandener Rechtsverhältnisse auch Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 584. P. Mayer in: Lagarde, 27, 31 f. will z. B. auch einen langen Aufenthalt in einem die Rechtslage akzeptierenden (Dritt-)Staat für die Kristallisation ausreichen lassen. 370 Sindres in: Muir Watt et al., 538, 542. 371 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman. 369

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marktes auch auf andere Statusfragen. In dem Rechtsstreit ging es allerdings nicht um die Anwendung europäischer oder nationaler IPR-Normen, sondern um eine aufenthaltsrechtliche Fragestellung. Der rumänisch-US-amerikanische Doppelstaater Herr Coman hatte im Jahr 2010 an seinem damaligen Wohnsitzort Brüssel den US-amerikanischen Staatsbürger Herrn Hamilton nach belgischem Recht geheiratet. Ende 2012 wollte Herr Coman mit seinem Ehemann dauerhaft in seine Heimat Rumänien zurückkehren; die rumänischen Behörden waren jedoch nicht bereit, Herrn Hamilton eine über drei Monate hinausgehende Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Ein längeres Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger des Unionsbürgers Coman gemäß Art. 2 Nr. 2 lit. a), Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 lit. a), lit. b), Art. 7 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie372 stünde Herrn Hamilton nicht zu, da seine nach belgischem Recht geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe mit Herrn Coman aus Sicht des rumänischen Rechts nicht anerkannt werde. Der in der Angelegenheit angerufene rumänische Verfassungsgerichtshof legte dem EuGH daraufhin die Frage vor, ob „Ehegatte“ im Sinne des Art. 2 Nr. 2 lit. a) Freizügigkeitsrichtlinie auch der drittstaatsangehörige Ehepartner einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats wirksam geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe mit einem Unionsbürger sei.373 Der EuGH betonte zunächst, dass zwar die Freizügigkeitsrichtlinie kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht für Herrn Hamilton in Herrn Comans Heimatmitgliedstaat Rumänien vermittele,374 ein solches Recht unter der Richtlinie entsprechenden Voraussetzungen aber zum Schutz des in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen gefestigten Familienlebens direkt auf Art. 21 Abs. 1 AEUV gestützt werden könne.375 Die den Unionsbürgern gewährleistete Freizügigkeit umfasse das Recht zum Zusammenleben mit Familienangehörigen, und zwar sowohl während des Aufenthalts in anderen Mitgliedstaaten als auch nach der Rückkehr im Heimatstaat.376 Zu den Familienange372 Richtlinie 2004/38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221 / EWG, 68/360/EWG, 72/194 / EWG, 73/148 / EWG, 75/34 / EWG, 75/35 / EWG, 90/364 / EWG, 90/365 / EWG und 93/96 / EWG, ABl. 2004 L 158, 77, Berichtigung ABl. 2004 L 229, 35, Berichtigung ABl. 2007 L 204, 28. 373 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 9 ff. – Zur früheren Rechtslage vgl. BorgBarthet JPIL 8 (2012), 359, 361 ff. 374 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 18 ff. 375 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 23 ff. – Dieses Verständnis des Art. 21 Abs. 1 AEUV hat der EuGH kurz darauf in einer parallelen Entscheidung für nichteheliche Lebensgemeinschaften bestätigt, vgl. EuGH 12.7.2018 – C-89/17, Rozanne Banger, Rn. 27 ff. 376 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 32.

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hörigen gehören nach Art. 2 Nr. 2 lit. a) Freizügigkeitsrichtlinie explizit „Ehegatten“, was als geschlechtsneutraler Begriff auch (nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam geschlossene) gleichgeschlechtliche Ehen erfasse.377 Anders als bei „Lebenspartnern“ sei hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Ehegatten auch eine Ablehnung der Einstufung als Familienangehöriger unter Berufung auf das nationale Recht nicht möglich, weil Art. 2 Nr. 2 lit. a) Freizügigkeitsrichtlinie anders als lit. b) diese Möglichkeit nicht vorsieht.378 Würde man es den Mitgliedstaten gestatten, den drittstaatlichen gleichgeschlechtlichen Ehegatten von Unionsbürgern in Abhängigkeit von der Haltung des nationalen Rechts zur gleichgeschlechtlichen Ehe ein Aufenthaltsrecht zu gewähren oder zu verweigern, entfaltete das Freizügigkeitsrecht in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Effekte. Um dieser Grundfreiheit einheitliche und möglichst weitreichende praktische Wirkung zu verleihen, müssen die Mitgliedstaaten für aufenthaltsrechtliche Zwecke die von Unionsbürgern während eines Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht mit Drittstaatern geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen als solche anerkennen.379 Eine Rechtfertigung der in einer Anerkennungsverweigerung liegenden Beschränkung der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 EUV) verneinte der EuGH: Die gleichgeschlechtliche Ehe müsse in der vorliegenden Fallgestaltung gerade nicht als Institut, sondern lediglich für die Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts anerkannt werden, diese Beeinträchtigung des nationalen Rechts- und Werteverständnisses müsse gegenüber dem Freizügigkeitsrecht zurückstehen (siehe 3.b)bb), S. 401 ff.).380 Der EuGH betont mehrfach, dass er sich in Coman ausschließlich mit der Pflicht zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen „allein zum Zweck der Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts“ befasst.381 Er verzichtet bewusst darauf, über die ihm vorgelegte Frage hinaus Stellung zu den Konsequenzen der Freizügigkeit für die rechtliche Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen zu beziehen. Eine allgemeingültige, rechtsaktübergreifende europäische Definition des Begriffs „Ehegatte“ als auch gleichgeschlechtliche Ehegatten einschließend vermeidet er genauso wie einen transparenten Hinweis auf eine Abkehr von seinem 2001 in D und Schweden382 etablierten

EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, 33 ff. – Im Ergebnis zustimmend, aber die Lücken in der Begründung aufzeigend Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 298 f. 378 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 36. 379 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 39 f. 380 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 41 ff. 381 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, Rn. 36, 40. – Dazu Kohler / Pintens FamRZ 2018, 1369, 1373; kritisch Kochenov / Belavusau CMLR 57 (2020), 227, 236 („a pointilistic interpretation with a narrow scope“, „single-purpose recognition“). 382 EuGH 31.5.2001 – C-122/99 P und C-125/99 P, D und Schweden, Rn. 34. 377

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verschiedengeschlechtlichen Ehebild.383 Zu privatrechtlichen Aspekten äußert er sich schlicht überhaupt nicht und hat damit noch weniger als in seinen namensrechtlichen Entscheidungen eine kollisionsrechtlich verbindliche Aussage getroffen. Gleichwohl haben die potentiellen Konsequenzen der Entscheidung für das Internationale Privatrecht breiten Widerhall ausgelöst.384 cc) (International)Privatrechtliche Dimension der EuGH-Rechtsprechung Vor allem hat das Coman-Urteil der Debatte über den (kollisionsrechtlichen) Umgang der Mitgliedstaaten mit gleichgeschlechtlichen Ehen (siehe Teil II: § 3.II.1.c), S. 137 ff.) neuen Zündstoff verschafft. Aus der Entscheidung lassen sich durchaus zumindest Ansatzpunkte für eine Verallgemeinerung der Pflicht zur Statusanerkennung auf Basis des Freizügigkeitsrechts herauslesen. Im Hinblick auf das Antidiskriminierungsrecht liegt es jedenfalls nahe, die mit einem Aufenthaltsrecht ausgestatteten gleichgeschlechtlichen Ehegatten auch in sonstigen öffentlich-rechtlichen Belangen, etwa im Hinblick auf Steuern und Sozialleistungen, als Ehegatten zu behandeln.385 Ob Entsprechendes aber auch für alle zivilrechtlichen Belange gefolgert – also eine grundsätzliche und umfassende Pflicht zur Anerkennung in anderen EU-Mitgliedstaaten geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen postuliert – werden kann, ist zweifelhaft.386 Hinsichtlich einer Übertragung seiner Argumente für eine aufenthaltsrechtliche Anerkennungspflicht auf diese für das IPR zentrale Frage hat der EuGH jede Stellungnahme vermieden. Für eine auch privatrechtliche Wirkung von Coman wird insbesondere die bewusste Bezugnahme des EuGH auf seine namensrechtliche Rechtsprechung angeführt.387 Ferner hat bereits in einem frühen Stadium der Diskussion um eine europarechtlich fundierte Pflicht zur Statusanerkennung Coester-Waltjen in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehen zu bedenken gegeben, dass zwar rechtstechnisch einer aufenthaltsrechtlichen Anerkennung nicht zwingend Kritisch daher Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 298. Vgl. Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 300 f.; Dutta FamRZ 2018, 1067, 1067; Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 54 ff.; Wall StAZ 2019, 225, 225 ff. („Paukenschlag“). 385 Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 300; Hammje Rev. crit. DIP 2018, 823, Rn. 24; Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 57 m. w. N. 386 Dutta FamRZ 2018, 1067, 1068; Gössl IPRax 2018, 376, 382; Szabados CMLR 58 (2021), 71, 92. – Ablehnend Bogdan AUCI 66/4 (2020), 85, 91 f.; Grassi RDIPP 2019, 739, 764 ff.; Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 55 ff.; Looschelders in: Budzikiewicz /  Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 123, 126. – Befürwortend Ní Shúilleabháin in: Scherpe / Bargelli, 13, 18 ff.; Wall StAZ 2019, 225, 228 f.; tendenziell zustimmend auch de la Durantaye IPRax 2019, 281, 286 f. 387 Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 127; Mankowski IPRax 2020, 323, 324; Wall StAZ 2019, 225, 227; Werner ZEuP 2019, 803, 811 f. – Bereits aus Garcia Avello und Grunkin Paul auf eine potentielle Anerkennungspflicht gleichgeschlechtlicher Ehen schließend Hammje Rev. crit. DIP 2013, 773, Rn. 19. 383 384

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auch privatrechtliche Wirkung zukommen müsse, eine unterschiedliche Beurteilung ein und desselben Status aus verschiedenen Blickwinkeln für die Betroffenen aber äußerst nachteilig sei. Ihre Schlussfolgerung, dass bereits die kontextabhängig verschiedene Bewertung ein und derselben Rechtslage ein Verstoß gegen den Freizügigkeitsgrundsatz sein könnte,388 scheint postComan geradezu prophetisch. Insofern spricht einiges dafür, die in Coman statuierte aufenthaltsrechtliche Anerkennungspflicht für im (EU-)Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen auch für das Kollisionsrecht zugrunde zu legen. Letztlich wird es darauf ankommen, ob und inwieweit die (international)privatrechtlich abweichende Behandlung einer in einem Mitgliedstaat geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe durch einen anderen Mitgliedstaat eine ungerechtfertigte Beschränkung des Freizügigkeitsrechts darstellt. Davon ausgehend, dass der EuGH sich im Namensrecht bei der Annahme von Freizügigkeitsbeschränkungen eher großzügig gezeigt hat, scheint eine entsprechende Einstufung bei gleichgeschlechtlichen Ehen durchaus wahrscheinlich. Eine primärrechtlich begründete umfassende Anerkennungspflicht für (mitgliedstaatliche) gleichgeschlechtliche Ehen hätte für das Zivilrecht und das IPR weitreichende Wirkungen. Sie wäre ein wesentlicher Schritt hin zur Entwicklung eines europäischen Ehebegriffs unter Einschluss gleichgeschlechtlicher Ehen, der künftig auch im EU-IPR und -IZVR zugrunde zu legen wäre.389 Die bisher im europäischen (Kollisions-)Recht geübte bewusste Zurückhaltung hinsichtlich der Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen (siehe Teil II: § 3.II.1.c), S. 137 ff.) wäre jedenfalls weitgehend hinfällig, wenn die Grundfreiheiten doch zu einer einheitlichen Behandlung der im IPR bewusst ausgesparten Thematik zwingen. Die Überlassung der Materie an das mitgliedstaatliche IPR würde durch eine Verpflichtung zur Anerkennung im Ergebnis weitgehend ausgehöhlt, zumal das Primärrecht – anders als Rechtsakte der Verstärkten Zusammenarbeit – keine Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Beteiligung lässt. Der Druck auf die Mitgliedstaaten, gleichgeschlechtliche Ehen zu akzeptieren bzw. zu ermöglichen, würde massiv verstärkt.390 Seitens der der gleichgeschlechtlichen Ehe skeptisch gegenüberstehenden Mitgliedstaaten ist daher mit erheblichem Widerstand zu rechnen. Die Diskussion wird sich daher voraussichtlich auf die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung einer freizügigkeitsbeschränkenden Anerken388 Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 396. – Die Konsequenz einer Dualität der Ehebegriffe, wenn der für die Freizügigkeitsrichtlinie entwickelte Begriff für das Kollisionsrecht nicht übernommen wird, erkennt auch Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 300 f., allerdings ohne ihr derart weitreichende Implikationen zuzumessen. 389 Vgl. zu den diesbezüglichen Folgen der Coman-Entscheidung Dutta FamRZ 2018, 1067, 1067; zurückhaltend Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 300 f. 390 Positiv gegenüber dieser Wirkung der Anerkennung Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 142.

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nungsverweigerung fokussieren (siehe 3.b), S. 397 ff.), zu der der EuGH in Coman lediglich begrenzte Anhaltspunkte geboten hat. Entschieden werden kann sie letzten Endes nur auf europäischer Ebene – bis dahin lässt sich über Art und Reichweite einer unionsrechtlichen Pflicht zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen nur spekulieren. Genauso unklar ist nach wie vor, ob aus den Grundfreiheiten eine generelle Pflicht zur Statusanerkennung – zumindest im Ergebnis – abzuleiten ist, wie weit sie gegebenenfalls reicht und ob auf dieser Grundlage von den Mitgliedstaaten eine Hinwendung zur kollisionsrechtlichen Statusanerkennung gefordert werden kann. Auch hierzu hat der EuGH in der auf das Aufenthaltsrecht beschränkten Coman-Entscheidung nicht Stellung genommen, sondern allenfalls Indizien geliefert. Inwieweit die im Urteil vorgenommene Übertragung der für das Internationale Namensrecht entwickelten Anerkennungsargumentation bedeutet, dass die Freizügigkeit zur Ausweitung der Statusanerkennung auch auf andere Statusverhältnisse zwingt, ist interpretationsoffen.391 Der EuGH hat in Coman keine belastbaren Vorgaben dazu gemacht – aber einer Anerkennungspflicht auch keine klare Absage erteilt. Inzwischen hat er die in Coman etablierten Grundsätze in der Entscheidung V.M.A./ Pancharevo auch auf das Abstammungsrecht übertragen: Auch hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Elternschaft ist der Heimatmitgliedstaat (im Fall: Bulgarien) zwar nicht zur Anerkennung eines in einem anderen (Aufenthalts-) Mitgliedstaat (im Fall: Spanien) etablierten Abstammungsverhältnisses „als solches“ verpflichtet, muss es aber akzeptieren, soweit es die Grundlage für die Ausübung aus dem Unionsrecht fließender Rechte (im Fall: Freizügigkeit, Art. 21 Abs. 1 AEUV) bildet.392 Betrachtet man diese sachliche Erweiterung zusammen mit der bisherigen (kollisionsrechtsbezogenen) Rechtsprechung des EuGH und berücksichtigt, dass sich in Statusfragen auf Dauer nur mit großen Mühen unterschiedliche Grundfreiheiten-Maßstäbe für unterschiedliche Rechtsgebiete durchhalten und durchsetzen lassen, verdichten sich die Anzeichen dafür, dass in näherer Zukunft eine primärrechtliche Pflicht zur allgemeinen familien- und personenrechtlichen Statusanerkennung innerhalb der EU formuliert werden wird. Parallel dazu deutet die Entwicklung der EGMR-Rechtsprechung dahin, dass auch der in der EMRK verbürgte Grund- und Menschenrechtsschutz als Grundlage für ein Anerkennungsverlangen dienen kann.393 Damit sind jedoch weitreichende Konsequenzen für das IPR verbunden. Denn auch wenn die Grundfreiheiten Grundsätzlich bejahend Wall StAZ 2019, 225, 225, 228 f., 232 ff.; Werner ZEuP 2019, 803, 812 ff.; befürwortend auch Bonomi in: Heindler, 49, 73. – Eher zurückhaltend hinsichtlich der Verallgemeinerbarkeit von Coman Arnold / Zwirlein-Forschner GPR 2019, 262, 268; Kohler / Pintens FamRZ 2018, 1369, 1373 f. 392 EuGH 14.12.2021 – C-490/20, V.M.A./Pancharevo, Rn. 42 ff. 393 Vgl. z. B. Kinsch AUCI 4 (2020), 45, 63 ff. 391

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nur eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Statusanerkennung im Ergebnis begründen könnten: Deren Etablierung als allgemeines Grundprinzip würde hohe Wellen im europäischen und nationalen Kollisionsrecht schlagen.394 c) Die Zukunft des Anerkennungsprinzips im IPR Ob man nun davon ausgeht, das Anerkennungsprinzip sei zumindest in manchen Bereichen bereits alternativlos vorgegeben,395 ob man dies begrüßt oder andere Lösungswege für vorzugswürdig hält – der Gedanke einer Statusanerkennung innerhalb der EU ist heute jedenfalls nicht mehr wegzudenken. Eine zumindest teilweise Akkommodierung der Statusanerkennung scheint für die Zukunft kaum vermeidbar:396 „Une place importante mais non exclusive doit être donnée à la méthode de la reconnaissance.“397 Die derzeit wohl größte Herausforderung für die Weiterentwicklung des Kollisionsrechts auf mitgliedstaatlicher und europäischer Ebene ist die Frage, welcher Raum dem Anerkennungsprinzip einzuräumen ist und welche Techniken seiner Integration in das IPR und seiner Interaktion mit dem klassischen Verweisungsrecht zugrunde zu legen sind. Falls aus den Grundfreiheiten tatsächlich ein prinzipieller Zwang zur Statusanerkennung innerhalb der EU abgeleitet werden kann, sind dessen sachliche, inhaltliche und räumliche Reichweite im Einzelnen zu ermitteln (siehe 3., S. 381 ff.). Je nachdem, ob das Ergebnis „Anerkennung“ allgemein oder nur für bestimmte Fragen verpflichtend ist, wird die Umsetzung dieser Vorgaben auch mehr oder weniger große Veränderungen im Kollisionsrecht erfordern. aa) Mitgliedstaatliche oder europäische Anerkennungsregeln? Derzeit ist die Haltung der Mitgliedstaaten zur Anerkennung noch sehr unterschiedlich.398 Die ersten Schritte des mitgliedstaatlichen Rechts zur Implementierung einer Statusanerkennung innerhalb Europas sind eher zurückhaltend erfolgt – was wohl auch damit zusammenhängt, dass bislang eine Statusanerkennungspflicht eben noch nicht verbindlich formuliert wurde. Ein europarechtlich motivierter allgemeiner Übergang zur Statusanerkennung ist für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht bislang nicht zu verzeichnen. So sind zwar sowohl die deutsche als auch die schwedische Reaktion auf die vom EuGH für das Internationale Namensrecht aufgestellten Kriterien Anerkennungsregelungen (siehe 1.c), S. 347 ff.). Sie erfassen aber zum einen sachVgl. Dutta FamRZ 2018, 1067, 1068; Mankowski IPRax 2020, 323, 323 f. In diese Richtung Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 584 f.; Michaels FS Kropholler, 151, 166 (zu Garcia Avello und Grunkin Paul). 396 Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 28. 397 Lagarde RabelsZ 68 (2004), 225, 229. 398 Siehe zum Namensrecht Pintens in: Dutta / Helms / Pintens, 17, 31 ff. 394 395

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lich nur einen sehr begrenzten Kreis von Fallkonstellationen und sind als spezielle Regelungen kaum verallgemeinerbar oder auf andere Rechtsbereiche übertragbar. Zum anderen sind diese Anerkennungsregeln zwar im Kollisionsrecht verortet, aber als bloße Ergänzungen zu den im Übrigen gerade bewusst unverändert belassenen Anknüpfungsregeln formuliert. Wirkung entfalten sie, indem sie – sofern erforderlich – das Anknüpfungsergebnis modifizieren (im deutschen Recht sogar auf materiell-rechtlicher Ebene). Damit handelt es sich um zusätzliche Regelungen, die sich ihrer Berührungspunkte zum IPR bewusst sind, aber gerade die vorhandenen Verweisungsregeln und das Kollisionsrechtsystem als solches nicht antasten wollen – den europäischen Vorgaben wird Rechnung getragen, ohne dass sie einen Prinzipienoder Paradigmenwechsel auslösen. Diese Zurückhaltung ist für die bisherigen punktuellen, partiellen und in ihrer Reichweite noch nicht überschaubaren Ansätze einer Anerkennungspflicht sinnvoll. Es ist fraglich, ob eine grundlegende Umwälzung des Kollisionsrechts hin zu einem Modell der Statusanerkennung für nur einen Teilbereich überhaupt vernünftig wäre oder ob nicht ein solcher fundamentaler Wechsel für die Gesamtheit aller – oft eng miteinander verwobenen – personen- und familienrechtlichen Fragen vollzogen werden sollte. Auf lange Sicht wird wohl letzteres erforderlich sein. Man kann aber von den Mitgliedstaaten nicht verlangen, dass sie bereits einzelne Entscheidungen des EuGH zum Anlass für einen derartigen Wandel ihres Kollisionsrechtssystems nehmen, zumal sie es dann unter Umständen kurze Zeit darauf wiederum neuen EUVorgaben anpassen müssten. Anders wird sich die Situation allerdings darstellen, wenn sich irgendwann eine umfassendere oder gar generelle Pflicht zur Statusanerkennung herauskristallisiert. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Anerkennungs- und Verweisungsregeln (siehe a), S. 361 ff.) wird sich eine solche auf Dauer nicht mehr durch begrenzte Zusatzregeln realisieren lassen: Erforderlich wird dann über kurz oder lang vielmehr ein Gesamtsystem aufeinander abgestimmter Regeln für Anknüpfung und Anerkennung. Ein solches muss legislativ verankert werden. Selbst wenn sich bereits aus dem Primärrecht eine Anerkennungspflicht ergibt, kann und sollte sie nicht durch die Hintertür punktueller richterlicher Einzelfallentscheidungen und deren mehr oder weniger weitreichende Übertragung auf mehr oder weniger vergleichbare Situationen etabliert und implementiert werden. Vielmehr ist eine klare, über den konkreten Einzelfall hinausblickende und die Gesamtheit des IPR (und IZVR) berücksichtigende Systematisierung und Normierung erforderlich. Auch ist ein so fundamentaler Prinzipienwechsel wie der Übergang zur kollisionsrechtlichen Statusanerkennung als Aufgabe der Legislative anzusehen.

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Allerdings lässt sich bezweifeln, ob die Entwicklung eines Statusanerkennungsmodells noch auf mitgliedstaatlicher Ebene stattfinden sollte.399 Die bisherigen, auf einzelne Rechtsgebiete begrenzten Erfahrungen zeigen, dass im nationalen Recht inhaltlich wie technisch sehr unterschiedliche Mechanismen zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben gewählt werden. Zu erwarten ist, dass auch der Übergang zu einem Anerkennungsmodell in den Mitgliedstaaten verschieden gehandhabt würde. Mit divergenten Anerkennungsmodellen, ob nun stark oder in Nuancen, ist aber der Rechtssicherheit in Europa (und damit der Freizügigkeit der Unionsbürger) nur wenig gedient. Gleichzeitig werden die Vorgaben für Reichweite und Grenzen der Anerkennungspflicht auf europäischer Ebene gesetzt und erst nach und nach entwickelt. Unterschiedliche nationale Regelungen müssten immer wieder einer Überprüfung anhand primärrechtlicher Vorgaben standhalten und gegebenenfalls nachgebessert werden; unter Umständen wären je nach Interpretation die Vorgaben freilich so eng gefasst, dass den Mitgliedstaaten ohnehin nur begrenzter Handlungsspielraum bliebe. Demgegenüber könnte eine umfassende, im Konsens der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene entwickelte Regelung von vornherein ein gemeinsames europäisches Verständnis des Primärrechts zugrunde legen und gegebenenfalls sogar ein Stück weit prägen. Durch verbindliche Grenzen der Anerkennung, etwa zur Vermeidung eines Ausnutzens der Regelungen im Sinne eines „Statusbegründungstourismus“, und einheitliche Mechanismen für den Umgang mit Drittstaatensachverhalten (siehe 3.c), S. 414 ff.) könnte ein in das EU-IPR integriertes Modell der gegenseitigen Statusanerkennung schließlich umfassende Rechtssicherheit bieten und die Anwendung vereinfachen. Auch der enge Zusammenhang zwischen Anerkennungs- und Anknüpfungsregeln spricht dafür, ein Modell der kollisionsrechtlichen Statusanerkennung – sofern und soweit es gewünscht bzw. unionsrechtlich gefordert wird – von vornherein als Teil des wachsenden EU-IPR zu entwerfen und umzusetzen. Ein einheitliches Anerkennungsmodell kann nur auf der Basis harmonisierter Kollisionsregeln erfolgreich sein: Ein in allen Mitgliedstaaten effektiver und zu denselben Ergebnissen führender Mechanismus der Rechtslagenanerkennung setzt schließlich als Grundlage ein harmonisiertes Verweisungsrecht für die „Erstanknüpfung“ voraus.400 Außerdem ist das IPR zwar noch nicht für die eigentlichen Statusfragen, aber für damit eng zusammen399 Für eine an den europäischen Vorgaben orientierte Implementierung von Anerkennungsregeln durch nationale Gesetzgeber Bonomi in: Heindler, 49, 72 ff. 400 Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 241 (bezüglich Privatscheidungen); Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 26, 28 f.; Mansel in: FS Jayme 2019, 27, 45 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 691 f. (bezüglich Registereintragungen), 723 ff.; Mansel / Coester-Waltjen / Henrich /  Kohler IPRax 2011, 335, 338; R. Wagner in: Arnold, 105, 126. – Siehe auch Siehr in: FS Kropholler, 211, 217 f. mit bis zur comitas-Lehre zurückgehenden Nachweisen.

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hängende Rechtsgebiete im Familien- und Erbrecht bereits europäisiert. Mit Blick auf die zunehmend europaorientierte Ausrichtung des national verbliebenen IPR (siehe I., S. 274 ff.) und die zu erwartende weitere Kollisionsrechtsharmonisierung in Europa ist es realistischer, für ein Anerkennungsmodell von vereinheitlichten europäischen Kollisionsregeln auszugehen bzw. diese im Einklang damit zu schaffen. Von vornherein auf europäischer Ebene zu arbeiten erspart auch die Gefahr, dass erst später in Angriff genommene Harmonisierungsvorhaben durch die Konkurrenz verschiedener zwischenzeitlich entstandener mitgliedstaatlicher Modelle beeinträchtigt werden (siehe 1.c), S. 347 ff.). Wenn man sich für eine umfassende Statusanerkennung entscheidet bzw. sie für (unionsrechtlich) erforderlich hält, ist es also effektiver und konsequenter, sie auf der europäischen Regelungsebene zu realisieren. Auch den Mitgliedstaaten ist damit mehr gedient, als wenn sie durch vorrangiges Primärrecht schrittweise zu immer weiteren Modifikationen ihres Kollisionsrechts gezwungen werden, ohne dass dafür ein kohärentes, zuverlässig als unionsrechtskonform akzeptiertes Gesamtkonstrukt zur Verfügung stünde. Wünschenswert sind damit der Entwurf und die gesetzliche Verankerung einer anerkennungsrechtlichen Gesamtkonzeption auf europäischer Ebene,401 die das EU-IPR nicht ablöst, sondern ergänzt.402 Die schon erfolgte Koordination internationalzivilverfahrensrechtlicher (vor allem auf die Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen und Urkunden bezogener) und kollisionsrechtlicher Regelungen in „integrierten“ Verordnungen („Brom“-Verordnungen bzw. conventions triples) wie der ErbVO oder der GüVO / PartVO bietet eine gute Ausgangsgrundlage für die weitere Entwicklung gemeinsamer europäischer Grundsätze zur Statusanerkennung. Eine solche Kombination aus Kollisionsrechtsvereinheitlichung und darauf aufbauender Rechtslagenanerkennung hat auch praktisch und rechtspolitisch größere Umsetzungschancen als eine radikale Hinwendung zu einem reinen Anerkennungsmodell. bb) Der lange Weg zur europäischen Rechtslagenanerkennung In den bisherigen kollisionsrechtlichen Harmonisierungsprojekten der EU ist das Anerkennungsprinzip noch weitgehend zugunsten des klassischen Kollisionsrechts ausgeblendet worden.403 Als erster, wenn auch vorsichtiger Schritt der EU-Legislative hin zur Rechtslagenanerkennung wird teils die neue Regelung zur Anerkennung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen in Artt. 64 ff. Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 28; Lehmann in: Leible, 11, 39 f.; Siehr in: FS Kropholler, 211, 217. – Bereits früh entwirft die Umrisse einer sekundärrechtlichen Anerkennungsregelung Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 691 f., 711 ff. 402 Hinsichtlich der Koordination in der praktischen Anwendung kritisch daher R. Wagner in: Arnold, 105, 126. 403 Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 127 f. 401

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Brüssel IIb-VO verstanden (siehe § 9.II.1.b), S. 553 ff.). Diese rasch verabschiedete Regelung ist freilich für ein begrenztes Anwendungsfeld geschaffen und im IZVR verortet, während sie das (in Gestalt der Rom III-VO bereits auf europäischer Ebene vorhandene) Scheidungs-IPR unberührt lässt. Sie stellt damit gerade noch keine Blaupause für ein umfassendes Modell kollisionsrechtlicher Statusanerkennung dar. Ein erster Ansatz für die Integration der Anerkennungsmethode in einen europäischen Kollisionsrechtsakt liegt mit dem wissenschaftlichen Entwurf einer Europäischen Verordnung über das Internationale Namensrecht404 vor.405 Der Verordnungsvorschlag folgt dem Kombinationsmodell: Er etabliert zunächst vereinheitlichte Kollisionsregeln für das Namensrecht (Artt. 4 ff. NamensVO-E), Art. 12 NamensVO-E trifft ergänzend dazu und darauf aufbauend eine Anerkennungsregelung.406 Nach deren Abs. 1 ist ein von der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats registrierter Name ipso iure in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen; eine Überprüfung der Erstregistrierung findet weder kollisions-, noch sach-, noch zuständigkeitsrechtlich statt.407 Dieses Prinzip der grundsätzlichen Anerkennung auf Basis der Registrierung wird allerdings in zweifacher Hinsicht eingeschränkt. Gemäß Abs. 2 ist eine Registrierung nicht anzuerkennen, wenn sie mit einer früheren Registrierung in einem anderen Mitgliedstaat unvereinbar ist – maßgeblich ist also ein striktes Prioritätsprinzip nach der zeitlichen Reihenfolge der Registrierungen.408 Darüber hinaus ist die Verweigerung einer Anerkennung gemäß Abs. 3 nur gestattet, wenn die Anerkennung des in einem anderen Mitgliedstaat registrierten Namens gegen den ordre public des Anerkennungsmitgliedstaats verstoßen würde.409 Ergänzend dazu sind gemäß Art. 13 NamensDutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens in: Dutta / Helms / Pintens, 109, 133 ff. = StAZ 2014, 33, 40 ff. – Dazu Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 1 ff. 405 Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 5 ff.; Helms in: Dutta / Helms / Pintens, 93, 93 ff. – Ob für das Namensrecht eine rein kollisionsrechtliche Lösung auf europäischer Ebene ausreichend zur Umsetzung der vom EuGH entwickelten Vorgaben wäre, diskutiert R. Wagner in: FS Kohler, 567, 575 ff. 406 Dutta FamRZ 2016, 1213, 1219; Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 53 ff.; Helms in: Dutta / Helms / Pintens, 93, 95 ff.; Mączyński in: Dutta / Helms / Pintens, 99, 102 ff. 407 Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 60 f.; Helms in: Dutta / Helms / Pintens, 93, 95; Mączyński in: Dutta / Helms / Pintens, 99, 104. 408 Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 62 ff.; Helms in: Dutta / Helms / Pintens, 93, 96 f.; Mączyński in: Dutta / Helms / Pintens, 99, 106. – Etwaige Fehler der Erstregistrierung müssen im Wege der Berichtigung dieser Eintragung im Ursprungsstaat behoben werden. 409 Art. 12 Abs. 3 NamensVO-E bildet die anerkennungsrechtliche Parallele zur allgemeinen kollisionsrechtlichen ordre public-Klausel des Art. 8 NamensVO-E, Mączyński in: Dutta / Helms / Pintens, 99, 106 f. 404

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

VO-E auch die kollisionsrechtlich von der Verordnung nicht erfassten behördlichen Namensänderungen aus anderen Mitgliedstaaten nach diesem Mechanismus anzuerkennen.410 Offen lässt der Entwurf dagegen den Umgang mit in Drittstaaten (erst-)registrierten Namen: Deren anerkennungstechnische Behandlung bleibt nach wie vor jedem Mitgliedstaat überlassen.411 Der Gedanke der automatischen Anerkennung des in einer Registrierung in einem Mitgliedstaat „kristallisierten“ Status in allen anderen Mitgliedstaaten hat damit erstmals konkrete legislative Gestalt erhalten. Ob sich der Namensrechtsverordnungs-Vorschlag rechtspolitisch umsetzen lassen wird, steht allerdings noch ebenso in den Sternen wie der praktische Anwendungserfolg dieses Modells sowie seine Übertragbarkeit über das vergleichsweise eng umrissene Namensrecht hinaus. Denkbar ist eine Kombination von Anknüpfungs- und Anerkennungsregeln auch für Abstammungsfragen. In Anbetracht der im Jahr 2021 seitens der Kommission eingeleiteten Initiative zur Anerkennung der Elternschaft in grenzüberschreitenden Situationen412 und der Stellungnahme des EuGH in V.M.A./Pancharevo sind die Aussichten dafür durchaus positiv zu bewerten. In den Kommissionsvorschlag für eine Elternschafts-Verordnung von Dezember 2022413 hat dieser Ansatz allerdings keine Aufnahme gefunden – vielmehr wird hier eher zurückhaltend der traditionelle Weg der zwischenmitgliedstaatlichen Anerkennung (nur) gerichtlicher Entscheidungen und öffentlicher Urkunden mit verbindlicher Rechtswirkung beschritten, ergänzt durch Regeln zur grenzüberschreitenden Erhaltung der formellen Beweiskraft öffentlicher Urkunden ohne verbindliche Rechtswirkung und zur Einführung eines Europäischen Elternschaftszertifikats. Auf die Realisierung eines Modells der kollisionsrechtlichen Rechtslagenanerkennung – flächendeckend oder im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit – wird man jedenfalls noch einige Jahre warten müssen. Auf dem Weg zu einem europäischen Statusanerkennungsmodell sind allerdings noch zahlreiche Fragen zu klären. Diskutiert wird beispielsweise, ob das etwa im NamensVO-E zugrunde gelegte Prioritätsprinzip (Maßgeblichkeit der zeitlich früheren Registrierung) überhaupt mit dem Primärrecht vereinbar ist oder ob Unionsbürgern nicht vielmehr die Wahl zu gestatten ist, ob sie die Anerkennung ihres in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Status oder aber die ebenfalls primärrechtlich geschützte Unterstellung unter das Recht des Aufnahmestaats (z. B. aus Integrationsgesichtspunkten) bevorzu410 Dutta / Frank / Freitag / Helms / Krömer / Pintens StAZ 2014, 33, Rn. 65 ff.; Helms in: Dutta / Helms / Pintens, 93, 97 f. 411 Helms in: Dutta / Helms / Pintens, 93, 98. 412 Nach einer einleitenden Konsultation wurde eine Expertengruppe damit betraut, anhand einer umfassenden, rechtsvergleichenden Analyse legislative Vorschläge vorzubereiten, siehe . 413 COM(2022) 695 final.

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gen.414 Ebenfalls noch offen ist die zu fordernde Intensität eines genuine link der anzuerkennenden Rechtslage mit dem Ursprungs-Mitgliedstaat – über Art und Intensität einer als Grundlage der Anerkennung zu fordernden tatsächlichen Verbindung des Sachverhalts zum Mitgliedstaat der Statusbegründung herrscht noch weitgehend Unsicherheit.415 Kern des Problems ist letztlich die fortbestehende Unklarheit über Reichweite und Grenzen einer in den Grundfreiheiten wurzelnden Anerkennungspflicht, die den Anstoß und die Motivation für etwaige Statusanerkennungsregeln bildet. Ein nicht nur einzelne Rechtsbereiche erfassendes, sondern als Gesamtkonzept funktionsfähiges und erfolgversprechendes Anerkennungsmodell wird nur geschaffen werden können, wenn diese fundamentalen Fragen beantwortet werden – wenn also die (vermutlich) aus den Grundfreiheiten abzuleitende Anerkennungspflicht genauer auskonturiert wird.416 3. Grenzen der Grundfreiheiten? Das Ergebnis der Anwendung mitgliedstaatlicher Kollisionsregeln darf nicht gegen die Grundfreiheiten verstoßen, die primärrechtlichen Anforderungen lösen immer häufiger Änderungen der nationalen Anknüpfungsregeln aus. Mit Blick auf die „Verdichtung“ der bisher nur punktuellen Modifikationen stellt sich die Frage, wie weit die aus den Grundfreiheiten fließenden Verpflichtungen und ihr Einfluss auf das mitgliedstaatliche IPR reichen. Zunehmend drängt sich die Überlegung auf, ob und inwieweit dessen generelle Ausrichtung an den Grundfreiheiten sinnvoll und möglich wäre. Als Hauptproblem erweist sich dabei, dass die Konturierung der Grundfreiheiten noch in der Entwicklung begriffen ist. Im Folgenden werden anhand aktueller Beispiele drei zentrale Aspekte untersucht, in denen die Unsicherheit bezüglich der Reichweite der Grundfreiheiten heute das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht und seine weitere Entwicklung belastet. Eine jüngere Entscheidung zum österreichischen Internationalen Sachenrecht illustriert zum einen das Potential einer Orientierung am Primärrecht, fundamentale Änderungen im nationalen IPR auszulösen, und zum anderen die letztlich unbegrenzte sachliche Gössl IPRax 2018, 376, 382; Kohler YbPIL XV (2013/14), 13, 28. – Das Prioritätsprinzip für den europäischen Bereich ablehnend MüKo8 / Lipp Art. 10 EGBGB Rn. 232; Wall StAZ 2017, 326, 329; Wall StAZ 2016, 327, 333. 415 In seiner Freitag-Entscheidung lässt der EuGH neben dem gewöhnlichen Aufenthalt jedenfalls auch die Staatsangehörigkeit des Ursprungsstaats als eine die Anerkennungspflicht in anderen Mitgliedstaaten auslösende Beziehung zum Ursprungsstaat ausreichen, vgl. Dutta FamRZ 2017, 1178, 1178. Für eine Anerkennungsverweigerung nur in Ausnahmefällen daher Gössl IPRax 2018, 376, 381. 416 Die Formulierung klarer Voraussetzungen und Grenzen der Anerkennung auf europäischer Ebene forderten früh bereits Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 128 und Henrich IPRax 2005, 422, 423 f. 414

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Reichweite der Grundfreiheiten (dazu a)). In inhaltlicher Hinsicht zentriert sich die Diskussion zunehmend auf die Möglichkeit einer Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundfreiheiten, für die in kollisionsrechtlichen Konstellationen insbesondere ihr Verhältnis zum nationalen ordre public als Grenze der primärrechtlichen Verpflichtungen eine Rolle spielt (dazu b)). Der auf Binnenmarktsachverhalte beschränkte räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten tritt schließlich in Konflikt mit dem loi uniforme-Ansatz des IPR, was bei primärrechtlich ausgerichteten Anknüpfungsregeln Fragen hinsichtlich des Umgangs mit Drittstaaten aufwirft (dazu c)). a) Sachliche Grenzen: Reichweite der Grundfreiheiten für das Kollisionsrecht Wie weit der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten in Bezug auf das Kollisionsrecht reicht, ist noch weitgehend unklar. Relativ deutliche Vorgaben zur sachlichen Reichweite hat der EuGH bisher für das Internationale Gesellschaftsrecht und das Internationale Namensrecht etabliert, allerdings ohne dabei spezielle Anforderungen an das Kollisionsrecht zu stellen. Die Coman-Entscheidung lässt zumindest erahnen, dass langfristig auch andere bzw. alle personen- und familienrechtlichen Statusfragen erfasst sein könnten. Während die bisherige Diskussion sich auf den Bereich des Personalstatus fokussiert (z. B. Abstammung, [gleichgeschlechtliche] Ehe), wird zunehmend darüber spekuliert, das Anerkennungsprinzip auch über das Internationale Familien- und Personenrecht hinaus zugrunde zu legen.417 Die Ungleichbehandlung ein und derselben Rechtslage in den verschiedenen EUMitgliedstaaten dürfte stets eine Einschränkung der Grundfreiheiten darstellen – im wirtschaftlichen Bereich besteht in der Regel der klassische Binnenmarktbezug, im persönlichen Bereich werden Freizügigkeitsrecht und Nichtdiskriminierung der Unionsbürger weit verstanden. Letztlich ist damit bei allen Statusfragen im weiteren Sinne ein Ansatzpunkt für europäische Vorgaben und damit kollisionsrechtliches Konfliktpotential vorhanden. Die Grundfreiheiten üben also auf weite Teile, wenn nicht sogar die Gesamtheit des nationalen Kollisionsrechts potentiell erheblichen Einfluss aus. Dessen genaues Ausmaß kann zwar erst nach und nach durch europäische Rechtsprechung zur Auskonturierung der Grundfreiheiten festgelegt werden. Zu beobachten ist allerdings bereits jetzt eine zunehmende Orientierung der mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln an (vermeintlichen) unionsrechtlichen Maßstäben auch in Bereichen, für die noch keine verbindlichen europäischen Vorgaben existieren. Exemplarisch dafür ist ein jüngeres Urteil des OGH zum österreichischen Mobiliarkreditsicherungsrecht. Das Internationale Sachenrecht, insbesondere 417

Vgl. z. B. Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 571 f.

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das Mobiliarkreditsicherungsrecht, wurde als Teil des Wirtschaftsrechts bereits frühzeitig als weiteres potentiell dem Einfluss der Grundfreiheiten unterfallendes Rechtsgebiet identifiziert.418 Wie im Namensrecht liegen den materiell-rechtlichen Lösungen der Mitgliedstaaten stark divergierende Vorstellungen zugrunde, aufgrund der sachenrechtlichen lex rei sitae-Anknüpfung setzen sich stets diejenigen des jeweiligen Lageortrechts durch. Durch die grenzüberschreitende Verbringung von Sachen droht damit gegebenenfalls eine inhaltliche Änderung der dinglichen Rechte daran durch Anpassung, schlimmstenfalls sogar ihr Verlust. Für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr besonders misslich ist das Risiko des (potentiellen) Sicherungsnehmers, dass sein im Ursprungsland wirksam begründetes Sicherungsrecht sich als nur eingeschränkt wirksam oder ganz unwirksam erweist, wenn der Aufnahmestaat das betreffende Sicherungsrecht nicht in dieser Form akkommodiert oder gar kein Äquivalent dafür kennt. Innerhalb des Binnenmarktes sind diese Wirkungen umso gravierender: Das Risiko der Nichtdurchsetzbarkeit in einem Mitgliedstaat bestellter Sicherungsrechte in einem anderen Mitgliedstaat kann von grenzüberschreitenden Geschäften abschrecken und damit die Grundfreiheiten beeinträchtigen. Dieses seit langem bekannte Grundfreiheitenproblem419 ist in den letzten Jahrzehnten wiederkehrend thematisiert worden – zumeist im Gewand der Frage, ob die Grundfreiheiten im Binnenmarkt auch zu einer „Anerkennung“ von Mobiliarsicherungsrechten verpflichten.420 Während eine europäische Stellungnahme zu der Frage bislang noch nicht vorliegt, hat eine europaweit vielbeachtete Entscheidung des österreichischen OGH der Thematik vor kurzem neuen Schwung verliehen. Im Folgenden wird anhand dieses Urteils die Entwicklung der Diskussion um den potentiellen Einfluss der Grundfreiheiten auf das Mobiliarkreditsicherungsrecht nachgezeichnet. Sie verdeutlicht, wie eine Ausgangsposition des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts zunehmend in die unionsrechtlich motivierte Kritik geraten kann, die schließlich in eine Rechtsänderung mündet. Allerdings erscheint fraglich, ob und inwieweit das mitgliedstaatliche IPR tatsächlich in den Anwendungs- bzw. Wirkungsbereich der Grundfreiheiten fällt. aa) Traditionelle Position des österreichischen IPR zu publizitätslosen Sicherungsrechten Die Ausgangslage des traditionellen österreichischen Sach- und Kollisionsrechts wurde und wird häufig als Paradebeispiel für eine „Abwehrhaltung“ Kieninger in: FS Coester-Waltjen, 469, 469 f. Vgl. etwa Schwind in: FS Kegel, 599, 599 („Hinkendes Eigentum“); Kuipers EJLS 2009, 66, 88. 420 MüKo8 / Wendehorst Art. 43 EGBGB Rn. 160 ff.; Kieninger 122 ff.; von Wilmowsky 117 ff.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 731. 418 419

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gegenüber fremden Sicherungsrechten angeführt. Das österreichische materielle Sachenrecht hält für Mobiliarsicherheiten aus Publizitätsgründen grundsätzlich streng am Faustpfandprinzip und damit am Erfordernis des Besitzes des Sicherungsnehmers fest; eine Ausnahme wird lediglich für den Eigentumsvorbehalt gemacht. Diese Zurückhaltung gegenüber besitzlosen Sicherungsrechten setzte sich auf kollisionsrechtlicher Ebene fort. Auch einem im Ausland nach dortigem Recht wirksam begründeten Sicherungsrecht wurde nach Verbringung des Sicherungsgegenstands nach Österreich aus Sicht des nunmehr österreichischen Belegenheitsortrechts die Wirksamkeit abgesprochen, wenn dessen materiell-rechtliche Publizitätsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Bekanntermaßen wurde dieses Problem insbesondere im Zusammenhang der Sicherungsübereignung durch Besitzkonstitut (§§ 929, 930 BGB) nach deutschem Recht relevant, die durch Verbringung des Sicherungsgutes in das Nachbarland Österreich regelmäßig ihren Effekt verlor und damit den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr belastete. Diese bereits vor Geltung des öIPRG entwickelte Auffassung wurde kurz nach dessen Inkrafttreten durch eine Grundsatzentscheidung des OGH erneut bekräftigt. Im Jahr 1983 urteilte dieser, dass im (deutschen) Ausland nach dem dortigen Belegenheitsortrecht wirksam erworbenes Sicherungseigentum nach Verbringung des beweglichen Sicherungsgegenstands ins (österreichische) Inland jedenfalls nicht mehr wirksam weiterbestehe, wenn die Publizitätsvoraussetzungen des österreichischen Rechts nicht erfüllt seien.421 Zwar sei für den Erwerb bzw. Verlust dinglicher Rechte an körperlichen Sachen gemäß § 31 Abs. 1 öIPRG das Belegenheitsortrecht im Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbs- bzw. Verlusttatbestands maßgeblich. Nach § 31 Abs. 2 öIPRG unterläge jedoch der Inhalt dinglicher Rechte jeweils dem Recht des aktuellen Belegenheitsortes – ein im Ausland erworbenes Recht könne im Inland nur im Einklang mit der inländischen (materiell-rechtlichen) Sachenrechtsordnung Wirkung entfalten. Der Fortbestand besitzloser Pfandrechte und dementsprechend auch des Sicherungseigentums nach einem Lageortwechsel sei also von der Akzeptanz dieses Sicherungsrechts durch das neue Lageortrecht abhängig. Die Einhaltung dessen fundamentaler Voraussetzungen, insbesondere seiner Publizitätserfordernisse, dürfe auch von aus dem Ausland „importierten“ dinglichen Rechten verlangt werden – zwar nicht als Voraussetzung für ihre (bereits im Ausland abgeschlossene) Begründung, sehr wohl aber für ihren (im Inland gewünschten) Fortbestand (sogenannte Dauervoraussetzung422). Begründet wurde diese Begrenzung des Grundsatzes der Anerkennung im Ausland wohlerworbener Rechte ferner damit, dass nach österreichischem OGH 14.12.1983 – 3 Ob 126, 127/83. – Zur früheren österreichischen Rechtsprechung zusammenfassend Lurger IPRax 2019, 560, 560 f. 422 Kritisch dazu Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 174 ff. 421

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Recht die Publizitätsregeln und damit das Faustpfandprinzip als zwingende Voraussetzung auch für das Weiterbestehen von Mobiliarsicherungsrechten dem „Schutz der Gläubigerordnung im Inland“ dienten. Ihr „eigener Anwendungswille“ für im Inland befindliche Sachen verhelfe ihnen zu vorrangiger Anwendung auch bei anderweitiger Verweisung, sie seien also letztlich Eingriffsnormen i. S. d. § 1 Abs. 1 öIPRG. Eine genaue dogmatische Verortung seiner Lösung nahm der OGH allerdings nicht vor. In einigen Folgeentscheidungen formte er diese Position weiter aus. Er bestätigte seine Rechtsprechungslinie auch für den von Deutschland nach Österreich „importierten“ Eigentumsvorbehalt.423 Der Unterstellung des (Fort-)Bestehens eines im Ausland begründeten Sicherungsrechts unter das neue Lageortrecht gestand er umgekehrt auch heilende Wirkung zu: Ein in der Schweiz nach dortigem Recht aufgrund fehlender Registrierung nicht wirksam begründeter Eigentumsvorbehalt werde mit Verbringung des Vorbehaltsguts nach Österreich wirksam, weil das neue Lageortrecht für die Wirksamkeit keine Registrierung erfordere.424 Diese vom OGH entwickelte Linie bildete in den folgenden Jahrzehnten die Grundlage des österreichischen Kollisionsrechts der Mobiliarsicherheiten. Der restriktive Umgang der österreichischen höchstrichterlichen Rechtsprechung mit fremden Sicherungsrechten war allerdings von Anfang an auch starkem Gegenwind ausgesetzt.425 Das methodische Vorgehen, mit dem der OGH die Ausnahme von der Anerkennung eines vollendeten Rechtserwerbs gemäß § 7, § 31 Abs. 1 öIPRG begründet hatte, wurde in mehrfacher Hinsicht kritisiert, selbst von Autoren, die der Entscheidung im Ergebnis zustimmten. Beide vom OGH angeführten Begründungsmodelle fanden neben Befürwortern auch Gegenstimmen. Vor allem wurde der Rückgriff auf § 31 Abs. 2 öIPRG als nicht überzeugend empfunden, weil dessen Vorgabe zur Anpassung des „Inhalts“ dinglicher Rechte nur den numerus clausus und die Rechtsschutzmöglichkeiten des neuen Lageortrechts bzw. die Anpassung an soziale, nachbarrechtliche und öffentlich-rechtliche Normen und Verfügungsbeschränkungen am neuen Belegenheitsort,426 aber eben nicht die fortgesetzte Wirksamkeit bereits begründeter Rechte erfasse – zumal sowohl (Sicherungs-)Eigentum als auch Eigentumsvorbehalt als Rechtsinstitute dem österreichischen Recht bekannt sind.427 Weitreichendere Zustimmung in der Literatur fand dagegen die Einordnung der zwingenden Publizitätsregeln als OGH 19.1.1989 – 7 Ob 723/88 sowie OGH 31.3.1989 – 5 Ob 518/89. OGH 13.5.1987 – 1 Ob 543/87. 425 Vgl. die Diskussion bei OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 25 ff./sub 6 mit zahlreichen Nachweisen. 426 Kritisch zum Scheitern der Transposition Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 177 f. 427 Jüngst Lurger IPRax 2019, 560, 561 f.; Nitsch ZfRV 2019, 250, 256. – Zu den Unterschieden zwischen deutschem und österreichischem Sicherungseigentum Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 173 f. 423 424

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Eingriffsnormen.428 Als ihnen zugrundeliegende überindividuelle Allgemeinwohlerwägungen können der Schutz der inländischen Güter- und Gläubigerordnung, der Schuldnerschutz und der Vertrauens- und Verkehrsschutz angeführt werden. Problematisch erschien jedoch bereits, wie die Geltendmachung der Publizitätsvorschriften als Eingriffsnormen gegenüber „importierten“ Sicherungsrechten mit der Gestattung des publizitätslosen Eigentumsvorbehalts und Finanzierungsleasings im Inland vereinbar sei.429 Auch bei grundsätzlicher Zustimmung wurde ferner darauf hingewiesen, dass diese Lesart nur den Untergang im Ausland begründeter Sicherungsrechte bei Verbringung ins Inland, nicht aber den umgekehrten Fall der Heilung zufriedenstellend begründen könne.430 bb) Auffassungswandel unter dem Einfluss der Grundfreiheiten Nach dem Beitritt Österreichs zur EU Anfang 1995 kam ein weiterer Aspekt hinzu, der im Laufe der Jahre eine immer zentralere Rolle in der Diskussion einnahm: Die Vereinbarkeit der österreichischen Ablehnung nach fremdem Recht wirksam begründeter besitzloser Sicherungsrechte mit den gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Grundfreiheiten.431 Potentielle Beeinträchtigungen durch den Verlust in einem anderen Mitgliedstaat entstandener Sicherungsrechte bei anschließendem grenzüberschreitendem Transport des Sicherungsgutes nach Österreich erschienen für mehrere Grundfreiheiten denkbar. Eine Einschränkung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (ex-Art. 56 EGV, heute Art. 63 AEUV) wird in der durch den bei Grenzüberschreitung drohenden Verlust des Sicherungsrechts hervorgerufenen faktischen Mobilitätsbeschränkung auf das Inland gesehen: Ein im Rahmen der Sicherungsabrede gestatteter Lageortwechsel des Sicherungsguts sei letztlich eine Verlagerung von Sachkapital im Binnenmarkt, die durch die Anerkennungsverweigerung am neuen Lageort unmöglich gemacht würde.432 Auch die Dienstleistungsfreiheit (ex-Art. 49 EGV, heute Art. 56 AEUV) kann betroffen sein, und zwar in doppelter Hinsicht – einerseits kann das Sicherungsgut zur grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung durch den Sicherungsgeber benötigt werden (z. B. Handwerkerfahrzeug), andererseits ist die Kreditvergabe

Zum Beispiel Lurger / Melcher Rn. 6/21. – Siehe inzwischen auch Faber ÖBA 2019, 401, 403 f.; den Charakter als Eingriffsnorm ablehnend dagegen Bachner ÖJZ 2020, 53, 56 ff., Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 308 ff. und Nitsch ZfRV 2019, 250, 256 f. 429 Lurger IPRax 2019, 560, 563. 430 Vgl. Lurger IPRax 2019, 560, 562. 431 Kieninger 152 ff.; Lurger / Melcher Rn. 6/22; von Wilmowsky 110 ff.; Basedow YbPIL XVIII (2016/17), 1, 10; Martiny IPRax 2012, 119, 124 f.; Röthel JZ 2003, 1027, 1032; Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 179 ff. 432 Vgl. von Wilmowsky 89 ff., 112 ff.; Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 180. 428

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als Dienstleistung des Sicherungsnehmers betroffen.433 Vor allem aber ist die Warenverkehrsfreiheit (ex-Art. 28 EGV, heute Artt. 34 AEUV) potentiell beeinträchtigt. Wenn dingliche Mobiliarsicherungsrechte beim Grenzübertritt untergehen, sind sie letztlich wertlos – der Zwang zum Ausweichen auf andere (schuldrechtliche) Sicherungsrechte und die damit einhergehenden höheren Kreditkosten bei Exportgütern kämen einer mengenmäßigen Einfuhrbeschränkung im Ergebnis gleich bzw. die Parteien müssten den „Einsatzbereich“ von als Sicherungsgut verwendeter Ware – bei ansonsten internationalen Geschäften – vertraglich auf das Inland begrenzen und damit unfreiwillig auf den Warenverkehr im Binnenmarkt verzichten.434 Eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Nichtanerkennung in einem anderen Mitgliedstaat begründeter Sicherungsrechte wird inzwischen ganz überwiegend bejaht.435 Hinsichtlich der Rechtfertigungsmöglichkeiten für diese Beschränkung zeigte die jüngere Literatur sich ebenfalls zunehmend skeptisch, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit.436 Vor dem Hintergrund dieser Kritik kam es im Jahr 2019 zu einer vielbeachteten Rechtsprechungswende des OGH,437 bei der der europäische Einfluss eine zentrale Rolle spielte. Bereits die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht wurde damit begründet, dass die bestehende OGH-Rechtsprechung zur lex rei sitae bei grenzüberschreitender Sicherungsübereignung aus der Zeit vor dem EU-Beitritt Österreichs stammte.438 Inhaltlich warf das Berufungsgericht die Frage auf, ob die bisherige Rechtsprechungslinie vor dem Hintergrund der EU-Mitgliedschaft Österreichs noch haltbar sei.439 Damit setzte sich der OGH ausführlich und unter detaillierter Einbeziehung insbesondere der kritischen Literatur zu seiner bisherigen Rechtsprechung auseinander.440 Sein Urteil räumt zunächst der „unionsrechtlichen Komponente“ viel Raum ein und erklärt die Bedenken hinsichtlich der Unionsrechtskonformität Lurger / Melcher Rn. 6/22; Lurger IPRax 2019, 560, 562. Kieninger 152 ff.; von Wilmowsky 97 ff., 110 ff.; Basedow YbPIL XVIII (2016/17), 1, 10; Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 43 f.; Martiny IPRax 2012, 119, 124 f.; Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 180. – Röthel JZ 2003, 1027, 1032 bejaht eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit nur bei einem statutenwechselbedingten Rechtsverlust, nicht aber bei einem Wechsel zu milderem Recht. 435 Vgl. Faber ÖBA 2019, 401, 407. – Zurückhaltend zur Anwendung der Grundfreiheiten dagegen Kodek ZfRV 2019, 258, 263. 436 Kieninger 157 ff.; Lurger / Melcher Rn. 6/22; von Wilmowsky 122 ff.; Basedow RabelsZ 59 (1995), 1, 44 ff.; Faber ÖBA 2019, 401, 407 f.; Röthel JZ 2003, 1027, 1032; Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 180 ff. 437 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s. 438 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 10. 439 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 24 / sub 5. 440 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 25 ff./sub 6. – Faber ÖBA 2019, 401, 402 kritisiert die fehlende Balance dieses Literaturreferats, in dem der Gegenauffassung erheblicher Raum eingeräumt, die herrschende Auffassung aber weitgehend ausgespart wird. 433 434

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der bisherigen Rechtsprechung für „beachtlich“; eine Einschränkung der Kapital- und der Warenverkehrsfreiheit sei indiziert, zur Rechtfertigung könne weder der Verkehrs- und Vertrauensschutz bzw. der Schutz der Güter- und Gläubigerordnung (aufgrund der Akzeptanz des besitzlosen Eigentumsvorbehalts im österreichischen Sachenrecht441) noch der Schutz des Schuldners vor übereilter Kreditaufnahme durchgreifen.442 Unionsrechtlich sei also die bisherige Rechtsprechungslinie wohl nicht mehr haltbar. An dieser Stelle beendet der OGH allerdings seine unionsrechtlichen Überlegungen: Da er seine Entscheidung auch ohne Rückgriff auf die Grundfreiheiten begründen kann (dazu sogleich cc)), erweist sich die Grundfreiheiten-Thematik als nicht entscheidungserheblich für den zu beurteilenden Fall. Aus diesem Grund konnte und musste auch eine Vorlage zum EuGH unterbleiben. Das Resultat ist freilich unbefriedigend. Der OGH wirft zwar die Problematik der Vereinbarkeit des bisherigen österreichischen kollisionsrechtlichen Ansatzes mit den Grundfreiheiten auf und stellt dazu durchaus umfassende Initialerwägungen an, bricht diese dann jedoch ab, ohne sie weiter zu vertiefen und zu Ende zu führen. Er positioniert sich zwar, ohne aber letzten Endes Stellung be- und Konsequenzen daraus zu ziehen. Das ist prozessrechtlich konsequent und bietet auch aus praktischer Sicht einige Vorteile, allen voran den durch den Verzicht auf eine Vorlage nach Brüssel beschleunigten Abschluss des Verfahrens. Da es auf die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten in concreto nicht ankam, musste das Gericht sich mit dieser – nach dem Sachverhalt immerhin bezweifelbaren – Frage nicht abschließend auseinandersetzen,443 sondern konnte sich auf eine generelle Prüfung beschränken. Statt ein abschließendes Verdikt des Grundfreiheitenverstoßes bzw. der Unionsrechtskonformität im Einzelfall auszusprechen, konnte der OGH es bei einer allgemeinen Rechtswidrigkeitsvermutung bewenden lassen. Genau darin liegt aber auch der größte Nachteil der Entscheidung: Die vom OGH vorgenommene abstrakte Prüfung bleibt letztlich hypothetisch und wäre damit für das Urteil strenggenommen verzichtbar gewesen. Sie wirft zwar weiteres Licht auf die Motivation hinter seiner Rechtsprechungsänderung und bietet eine alternative Begründung dafür – mehr Gewicht als einem obiter dictum kann ihr aber am Ende nicht zukommen. Die Auseinandersetzung des OGH mit den „unionsrechtlichen Bedenken“ hat also nicht zu deren abschließender, verbindlicher Klärung geführt.444 Ob tatsächlich, wie vom OGH nahegelegt, eine Beschränkung der Grundfreiheiten vorliegt und wie diese gegebenenfalls gerechtfertigt werden könnte, ist 441 Vgl Lurger / Melcher Rn. 6/22; Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 183. – Differenzierend Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 311 f. 442 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 43 / sub 6.3.4. 443 Vgl. Lurger IPRax 2019, 560, 563. 444 Faber ÖBA 2019, 401, 404, 408.

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ebenso offen geblieben445 wie die im Urteil nicht thematisierte Frage einer Rechtslagenanerkennung für innerhalb des Binnenmarktes begründete Sicherungsrechte. Die Vereinbarkeit des (bisherigen) österreichischen Kollisionsrechts der Mobiliarsicherheiten mit den Grundfreiheiten könnte nur der EuGH abschließend beantworten, dem die Frage – sofern sie sich erneut und entscheidungserheblich stellt – vorgelegt werden müsste.446 In Ermangelung einer solchen Vorlage bleibt zunächst offen, ob der EuGH ebenfalls einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten bejahen und die Möglichkeit einer Rechtfertigung verneinen würde.447 Auch die Gelegenheit für eine generelle Stellungnahme des EuGH zu der Rolle der Grundfreiheiten für das (Internationale) Mobiliarkreditsicherungsrecht und einer daraus möglicherweise fließenden Pflicht zur Akzeptanz im EU-Ausland begründeter, der inländischen Sachenrechtsordnung in dieser Form unbekannter Sicherungsrechte hat sich bislang nicht geboten. cc) Tiefgreifende Auswirkungen und offene Fragen Weitreichende Wirkung konnte das Urteil des OGH dennoch entfalten. Es hat die bestehende Debatte über das österreichische Kollisionsrecht der Mobiliarsicherheiten neu beflügelt, sowohl im Hinblick auf nationale als auch auf europäische Gesichtspunkte. Der OGH stützte seine Entscheidung schlussendlich auf eine Neubewertung des österreichischen Kollisionsrechts im rein nationalen Kontext.448 Der im Ausland vollzogene Erwerb von Sicherungseigentum sei als vollendeter Erwerbstatbestand ausschließlich nach dem damaligen Lageortrecht zu betrachten und damit im Anschluss an die Verbringung der Sache nach Österreich vom dortigen neuen Lageortrecht als wirksam zu akzeptieren (§ 7, § 31 Abs. 1 öIPRG), eine Rückwirkung des Statutenwechsels scheide aus. Das wohlerworbene Sicherungseigentum sei auch dem neuen österreichischen Sachenstatut nicht vollkommen wesensfremd, vielmehr sei es als Rechtsinstitut auch diesem bekannt. Demgegenüber sei § 31 Abs. 2 öIPRG nicht einschlägig, da dieser nur den „Inhalt“ im Sinne des Typenkatalogs und der Rechtsschutzmöglichkeiten der neuen lex rei sitae, nicht aber die „Wirkungen“ bestehender dinglicher Rechte erfasse. Eine Modifikation des bereits im Ausland erworbenen (Voll-)Eigentums durch die österreichischen Publizitätsregeln als „Dauervoraussetzungen“ lehnt der OGH nunmehr ebenso ab wie deren Anwendung im Wege des nur äußerst zurückhaltend einzusetzenden ordre public. 445 Zurückhaltend hinsichtlich der pauschalen Annahme eines nicht zu rechtfertigenden Grundfreiheitenverstoßes durch die bisherige Auslegung Faber YbPIL XXI (2019/20), 509, 514 ff.; Kieninger in: FS Kronke, 967, 974 f. (bezogen auf den konkreten Fall). – Skeptisch auch Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 317 ff. 446 Faber ÖBA 2019, 401, 408; Faber YbPIL XXI (2019/20), 509, 521. 447 Bedauernd Lurger IPRax 2019, 560, 565; Nitsch ZfRV 2019, 250, 256. 448 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 45 ff./sub 7.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Zwar kommt diese tragende Begründungslinie des OGH technisch ohne unionsrechtliche Gesichtspunkte aus, aus Sicht des nationalen österreichischen IPR ist sie aber dennoch ein Paukenschlag. Das Urteil wurde rasch umfassend rezipiert und stieß auf gespaltene Meinungen.449 Die Skala von euphorischer Zustimmung bis zu Ablehnung rundheraus zeigte zahlreiche Zwischentöne, insbesondere wiesen im Ergebnis grundsätzlich zustimmende Literaturstimmen auf methodische Mängel der Begründung hin. Hinsichtlich der unionsrechtlichen Zusatzargumentation mit einem (potentiellen) Verstoß gegen die Grundfreiheiten wurde bemängelt, dass diese nur für die bisherige Rechtsprechung zur Vernichtung im Ausland begründeter Sicherungsrechte tragfähig sei – die „Heilungsfälle“ hingegen stellten gerade keine Einschränkung der Grundfreiheiten dar (eher das Gegenteil).450 Offen ist, ob die bisher bejahte „Heilungswirkung“ auch nach der Neupositionierung des OGH aufrecht erhalten werden kann bzw. soll.451 Nicht eindeutig ist auch, ob die neue Rechtsprechung sich auf das Sicherungseigentum beschränkt oder auch besitzlose Pfandrechte erfassen will.452 Ungelöst bleibt ferner das Problem, dass der Schutz der Grundfreiheiten nur willensgetragene Transaktionen und damit nur im Einklang mit der Sicherungsvereinbarung stehende grenzüberschreitende Verbringungen des Sicherungsguts erfasst.453 Ebenfalls offen ist, ob die Änderung der Rechtsprechung nur für besitzlose Mobiliarsicherheiten aus EU-Mitgliedstaaten wirken oder auch „Importe“ aus Drittstaaten erfassen soll. Da sie nur im Binnenmarkt wirken, können die Grundfreiheiten als Argument hier nicht verfangen (siehe c)aa), S. 415 ff.).454 Auf diese stützt der OGH seine Neuausrichtung der Kollisionsregeln aber schließlich nicht, sondern nimmt seine „Neubewertung der Rechtslage“455 vielmehr nur auf der Grundlage des österreichischen IPRG vor: Die die Entscheidung tragende Begründungslinie ist die Neuauslegung der österreichiZustimmend etwa Nitsch ZfRV 2019, 250, 256 ff; im Ergebnis zustimmend auch Kieninger in: FS Kronke, 967, 973 ff. und Lurger IPRax 2019, 560, 560 ff. – Vermittelnd und im Ergebnis grundsätzlich zustimmend Bachner ÖJZ 2020, 53, 53 ff.; differenzierend Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 301 ff. – In mehrerer Hinsicht kritisch bezüglich des vom OGH gewählten Wegs dagegen Faber ÖBA 2019, 401, 401 ff. 450 Lurger IPRax 2019, 560, 563 f. – So bereits Röthel JZ 2003, 1027, 1032. 451 Faber ÖBA 2019, 401, 406; Faber YbPIL XXI (2019/20), 509, 520. – Skeptisch Lurger IPRax 2019, 560, 564, die darin ein nur schwer begründbares favor-Prinzip zugunsten grenzüberschreitender Sicherungsrechte sieht. Für eine Heilungsmöglichkeit auch unter der neuen Rechtsprechung dagegen Nitsch ZfRV 2019, 250, 258, die argumentiert, im (noch) nicht erfolgreichen Erwerb eines Sicherungsrechts läge noch kein vollendeter Tatbestand. 452 Für eine Ausdehnung auch auf besitzlose Pfandrechte wohl Nitsch ZfRV 2019, 250, 258. 453 Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 180. 454 Lurger IPRax 2019, 560, 564. 455 OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, Rn. 45 / sub 7. 449

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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schen Kollisionsnormen „aus sich heraus“. Insofern spricht vieles dafür, die im Urteil entwickelte neue Regel nicht auf Binnenmarkt- und Vernichtungsfälle zu beschränken, sondern sie als generelle Regel des österreichischen IPR aufzufassen und in allen grenzüberschreitenden Mobiliarsicherheitenfällen anzuwenden.456 Das lässt sich durchaus als ein Vorteil der rein auf dem nationalen Kollisionsrecht fußenden Argumentation betrachten: Sie erlaubt die Formulierung einer allgemeinen Verweisungsregel, während die Konformität mit den europarechtlichen Vorgaben grundsätzlich nur eine punktuelle, auf Binnenmarktfälle beschränkte Anpassung des österreichischen IPR gefordert hätte. Die liberalere neue Linie des OGH eröffnet aber auch die Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs im Wege der „Normerschleichung“ durch kurzfristige Verbringung von Gegenständen ins (sachenrechtlich großzügigere) Ausland einzig zum Zwecke der Sicherheitenbestellung;457 als Lösung für dieses Problem werden eine Ausweichklausel458 oder die Argumentation mit einem ordre public-Verstoß459 vorgeschlagen. Dabei ist nach dem Urteil noch unklar, inwieweit die österreichischen pfandrechtlichen Publizitätsregeln (noch) als Eingriffsnormen zur Anwendung gelangen können und sollen.460 Der OGH setzt sich mit dieser Frage nicht explizit auseinander;461 eine Befassung mit der Problematik wird teils im Gewand der ordre public-Erwägungen (als „positiver ordre public“) gesehen.462 Zumindest im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten ist vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten aber eine Einstufung der Publizitätsvorschriften als Eingriffsnormen im Rahmen einer „Sonderanknüpfung“ kritisch zu sehen.463 456 Kieninger in: FS Kronke, 967, 975; Lurger IPRax 2019, 560, 564; Nitsch ZfRV 2019, 250, 256. 457 Diese Bedenken wirft insbesondere Faber ÖBA 2019, 401, 406 f. sowie Faber YbPIL XXI (2019/20), 509, 518 auf; zustimmend Kieninger in: FS Kronke, 967, 975 f. – So bereits Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 182. 458 Bachner ÖJZ 2020, 53, 58 ff. schlägt eine – die Grundfreiheiten nicht tangierende – Ausweichklausel für „Sachverhalte ohne relevanten grenzüberschreitenden Bezug“ vor. – Siehe auch Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 320 ff. 459 Nitsch ZfRV 2019, 250, 257. 460 Dafür Faber ÖBA 2019, 401, 403 f., der die pfandrechtlichen Publizitätsvorschriften als mit anderen (anerkannten) Eingriffsnormen vergleichbar betrachtet. Für eine Einstufung von Registrierungspflichten bei der Sicherungsübereignung als Eingriffsnormen auch Einsele IPRax 2019, 477, 478, 482 unter Verweis auf den AbtrVO-E. – Gegen eine Einstufung des Faustpfandprinzips als Eingriffsnorm dagegen Bachner ÖJZ 2020, 53, 56 ff., Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 308 ff. und Nitsch ZfRV 2019, 250, 256 f. 461 Kritisch deswegen Faber ÖBA 2019, 401, 403 f.; Faber YbPIL XXI (2019/20), 509, 516 f. 462 So Bachner ÖJZ 2020, 53, 54 f., der jedoch auf die unterschiedlichen Wertungsmaßstäbe verweist und daher die Auseinandersetzung mit der Eingriffsnormenproblematik im Urteil für unzureichend hält. – Dagegen und für eine klare Trennung von (negativem) ordre public und (positiven) Eingriffsnormen Faber ÖBA 2019, 401, 404.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Neben den Grundfreiheiten weist das Urteil einen weiteren europäischen Bezug auf. Dass der OGH sich auch abseits der Grundfreiheiten für europäische Entwicklungen (entsprechend seinem Verständnis des Unionsrechts) offen zeigt, kommt in seiner nunmehrigen Position zu § 31 Abs. 2 öIPRG zum Ausdruck. Auch wenn das Kubicka-Urteil des EuGH464 nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist die aktuelle Interpretation der Abgrenzung zwischen § 31 Abs. 1 und Abs. 2 öIPRG durch den OGH recht eindeutig von der jüngeren, engen Auslegung des EuGH zur Bereichsausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. k) ErbVO und zur Anpassungsregel des Art. 31 ErbVO inspiriert.465 Im Einklang mit der EuGH-Auslegung des europäischen Erbkollisionsrechts wird nunmehr auch im nationalen österreichischen Sachenkollisionsrecht klar der Begriff der „Art“ dinglicher Rechte in der Anpassungsregel des § 31 Abs. 2 öIPRG eng ausgelegt und auf deren Inhalt begrenzt – der Erwerb dinglicher Rechte (die „Art der Begründung“) wird also davon ausgenommen und damit der Grundregel des § 31 Abs. 1 öIPRG zugewiesen. Der OGH passt damit die Interpretation des autonomen Kollisionsrechts an die des EUKollisionsrechts an. Eine für das EU-IPR entwickelte und grundsätzlich nur für dieses maßgebliche Auslegung entfaltet mittelbar auch für das Verständnis des nationalen Kollisionsrechts Wirkung und ist dort Anstoß einer grundlegenden Veränderung. Daneben zeigt sich noch eine weitere, etwas verstecktere Parallele zu den Folgen der Kubicka-Entscheidung: Eine kollisionsrechtliche Neuausrichtung hin zu mehr Offenheit zeitigt Folgen auch für das materielle Sachenrecht. Die Akzeptanz im Ausland begründeter Sicherungsrechte auch ohne die Erfüllung inländischer Publizitätsvorschriften bedeutet gleichzeitig, dass der inländische Rechtsverkehr sich nicht mehr so wie bisher auf deren Prinzipien verlassen kann – vielmehr muss (so wie mit fremden Vindikationslegaten, siehe Teil II: § 3.I.2.d), S. 114 ff.) nun mit nicht erkennbaren, fremden Sicherungsrechten gerechnet werden.466 Die Auswirkungen auf das österreichische materielle Sachenrecht gehen aber unter Umständen noch über diese nötige Konsequenz hinaus: Die Wende in der IPR-Rechtsprechung wurde zum Anlass genommen, die schon länger bestehende Forderung nach einer Reform des Mobiliarkreditsicherungsrechts und der Einführung eines besitzlosen Registerpfandrechts in Österreich nachdrücklich erneut zu formulieren.467 Im Hin463 Zurückhaltend bezüglich ordre public und Sonderanknüpfung bereits Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 178 f. 464 EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Kubicka (siehe Teil II: § 3.I.2.c)cc), S. 109 ff.). 465 Vgl. Lurger IPRax 2019, 560, 561 f. 466 Lurger IPRax 2019, 560, 564. 467 Vgl. z. B. bereits Schacherreiter ZfRV 2005, 173, 183; jüngst Faber ÖBA 2019, 401, 408 f. sowie Kieninger in: FS Kronke, 967, 976. – Vorsichtig zustimmend und auf die Vorteile eines Sicherheitenregisters hinweisend Heindler EPLJ 8 (2019), 301, 316 f.;

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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blick auf die Wahrung der Grundfreiheiten würde dies den § 31 Abs. 2 öIPRG nach neuem Verständnis ideal ergänzen, könnte aber sogar unter der bisherigen restriktiven Auslegung zu primärrechtskonformen Ergebnissen führen. Diese auch von unionsrechtlichen Erwägungen getragene vorgeschlagene Änderung des materiellen Rechts funktioniert sowohl als Ergänzung als auch als Alternative zu einem grundfreiheitenkonform ausgestalteten IPR und illustriert, dass der vom OGH eingeschlagene Weg eine, aber keinesfalls die einzig mögliche Lösung darstellt. Das genaue Ausmaß der Auswirkungen der Entscheidung wird erst abzuschätzen sein, wenn die zahlreichen offengebliebenen Fragen durch Rechtsprechung und Literatur nach und nach beantwortet werden. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass die Entscheidung vom Exekutionssenat stammt und die Einschätzung durch auf das Sachen- und das Kollisionsrecht spezialisierte Richter davon durchaus abweichen kann. Wird aber an der neuen Sichtweise festgehalten, sind langfristig weitreichende Einflüsse auch auf das österreichische materielle Recht zu erwarten. Der OGH hat also den ersten Schritt zu einer Kehrtwende getan – aber wie fundamental diese wirklich ist, wird erst die Zukunft zeigen. Zumindest eines macht das Urteil jedoch bereits jetzt deutlich: Auch die Weiterentwicklung des autonomen Kollisionsrechts ist durch Erwägungen zu den unionsrechtlichen Grundfreiheiten motiviert. Auch wenn der OGH seine Re-Interpretation des nationalen Verweisungsrechts nicht kausal auf sie stützt, spielen sie doch eine zentrale Rolle in seiner Begründung – gerade ihre Aufnahme als obiter dictum zeugt von der Offenheit des obersten nationalen Zivilgerichts für europäische Einflüsse und dem Wunsch nach Unionsrechtskonformität auch im Kollisionsrecht. dd) Grundfreiheiten als geeigneter Maßstab des nationalen IPR? Unabhängig von der Entscheidungserheblichkeit der Grundfreiheiten im konkreten Fall und losgelöst vom Internationalen Sachenrecht wirft die Entscheidung des OGH zur Akzeptanz einer deutschen Sicherungsübereignung in Österreich auch andere, allgemeinere Fragen der Rolle der Grundfreiheiten für das nationale IPR auf. Einige dieser Aspekte sind bereits aus der EuGHRechtsprechung und der daraus folgenden Diskussion um ein Anerkennungsprinzip vertraut, andere hingegen neu ins Rampenlicht gerückt. Dass auch Verweisungsregeln grundfreiheitenkonform sein müssen, ist zunächst einmal keine Überraschung. Ebenso wie das europäische muss auch das nationale Kollisionsrecht sich selbstverständlich innerhalb des vom Primärrecht gesteckten Rahmens bewegen. Auf einem anderen Blatt stehen aber die inhaltliche Breite und Tiefe des primärrechtlichen Einflusses auf die (Um-)Gestalgrundsätzlich zustimmend Lurger IPRax 2019, 560, 563 ff., die jedoch auf die Schwächen der Neuregelung in Verbindung mit einem nationalen Sicherheitenregister hinweist.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

tung von Verweisungsregeln und die Frage, wem die Entscheidung über diesen Einfluss obliegen soll. Zentral dafür ist die Frage nach der sachlichen Reichweite der Grundfreiheiten für das Kollisionsrecht. Dabei gilt es freilich zu berücksichtigen, dass die Anknüpfungsregeln selten allein der Übeltäter sind. Beschränkungen der Grundfreiheiten ergeben sich kaum je aus den an sich neutralen Kollisionsregeln, sondern vielmehr aus ihrem Zusammenspiel mit dem materiellen Recht, insbesondere der lex fori. So führte etwa die namensrechtliche Staatsangehörigkeitsanknüpfung nur im Zusammenspiel mit dem Doppelnamen für Kinder nicht akzeptierenden deutschen Sachrecht zur Grunkin Paul-Problematik. Dass der potentielle Grundfreiheitenverstoß nicht in den (kraft ihrer Natur grundsätzlich neutralen) österreichischen Kollisionsregeln per se, also dem lex rei sitae-Prinzip des § 31 öIPRG an sich, lag, sondern sich erst aus ihrem Zusammenwirken mit den strikten materiell-rechtlichen Regelungen des österreichischen Sachenrechts ergab, wurde auch in der Diskussion um die Sicherungsübereignung immer wieder betont.468 Auch das vielfach herangezogene Argument, die Ablehnung fremder publizitätsloser Sicherungsrechte sei aufgrund der Existenz des publizitätslosen Eigentumsvorbehalts im österreichischen Recht inkohärent,469 beruht letztlich nicht auf kollisions-, sondern auf materiell-rechtlichen Erwägungen. Das Gewicht verschiebt sich dabei immer stärker in Richtung des materiellen Rechts, je weiter die Vereinheitlichung der Anknüpfungsregeln fortgeschritten ist. Bei europäisch vereinheitlichtem Kollisionsrecht wurzeln Divergenzen zwangsläufig im materiellen Recht, bei einer faktischen quasi-Vereinheitlichung (wie bei der lex rei sitae) erscheint ebenfalls fraglich, ob wirklich die Anknüpfungsregel dafür verantwortlich gemacht werden kann. So wie die Grundfreiheitenbeschränkungen selten allein dem IPR anzulasten sind, ist auch auf der Lösungsebene eine enge Verquickung von Kollisions- und materiellem Recht festzustellen. Die Mitgliedstaaten können ihren Spielraum bei der Umsetzung der primärrechtlichen Zielvorgaben durch rein kollisionsrechtliche Lösungen nutzen, doch zwingend ist das keinesfalls. Wie das Internationale Namensrecht beispielhaft zeigt (siehe 1.c), S. 347 ff.), stehen alternative Wege zur Erreichung eines unionsrechtskonformen Ergebnisses zu Verfügung. Das gilt auch für das Internationale Sachenrecht: Dem OGH hätte es offen gestanden, einen grundfreiheitenkonformen Umgang mit 468 Staudinger / Mansel (Neubearb. 2015) Art. 43 EGBGB Rn. 146 ff.; Kieninger 122 ff., 152 ff., 214; von Wilmowsky 110 ff.; Basedow YbPIL XVIII (2016/17), 1, 10; Faber ÖBA 2019, 401, 405; Martiny IPRax 2012, 119, 124 f. – Lurger IPRax 2019, 560, 563 weist darauf hin, dass der OGH in seiner Entscheidung nicht eindeutig klarstellt, was genau er am Maßstab der Grundfreiheiten prüft. 469 Siehe dazu vor dem Hintergrund der OGH-Entscheidung Faber ÖBA 2019, 401, 407 f.; Lurger IPRax 2019, 560, 563. – Vgl. bereits Kieninger 179 ff.

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im Ausland begründeten Mobiliarsicherungsrechten auf andere Weise als durch die gewählte Re-Interpretation des österreichischen Kollisionsrechts sicherzustellen. Häufig ist es sogar schwer, eine zufriedenstellende Lösung für auch durch das jeweilige materielle Recht beeinflusste und sich aus der Kombination von Kollisions- und Sachrecht ergebende Probleme allein im IPR zu finden.470 Ein konkreter primärrechtlich indizierter Handlungsbedarf für das Kollisionsrecht besteht demgegenüber allenfalls in Ausnahmefällen. Vor diesem Hintergrund muss die Frage, ob und inwieweit Anknüpfungsregeln in den sachlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fallen, differenziert behandelt werden. In thematischer Hinsicht ist klärungsbedürftig, welche Rechtsfragen bzw. Rechtsgebiete dem Schutz der Grundfreiheiten unterfallen sollen. Grundfreiheitenbezüge bzw. -einschränkungen sind bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der EU in fast allen privatrechtlichen Rechtsbereichen denkbar oder zumindest konstruierbar, zumal durch das Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger inzwischen kein Bezug zur Binnenmarkt-Wirtschaft mehr dafür erforderlich ist. Bei einer weiten Interpretation der Grundfreiheiten können und werden über kurz oder lang im Kontext jeder nationalen Verweisungsregel grundfreiheitenrelevante Konstellationen auftreten – letztlich kann jede Divergenz zwischen den mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln dazu führen, dass grenzüberschreitende Aktivität durch die daraus resultierende Beurteilung nach unterschiedlichem Recht an Attraktivität einbüßt, und damit die Grundfreiheiten, insbesondere das weit verstandene Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger, beschränken. Wenn nicht das gesamte nationale Kollisionsrecht am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen werden soll,471 muss man deren sachliche Grenzen abstecken. Ebenso muss die inhaltliche Reichweite einer aus dem Unionsrecht fließenden Anerkennungspflicht festgelegt werden, indem der Begriff des anzuerkennenden „Status“ definiert wird.472 Eine solche Entscheidung über die Grenzziehung ist nicht einfach und würde die mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln in zwei Klassen einteilen. Die Alternative dazu ist die pauschale Überprüfung aller nationalen Kollisionsregeln anhand des Unionsrechts. Rechtstechnisch muss sorgfältig ermittelt werden, inwieweit Beschränkungen der Grundfreiheiten tatsächlich durch das Kollisionsrecht (allein) bedingt Dazu rechtsvergleichend im Hinblick auf den österreichischen Umgang mit besitzlosen Sicherungsrechten Faber ÖBA 2019, 401, 405 f. 471 Vgl. etwa die Überlegung von Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242, ob das gerichtliche Scheidungsmonopol für Inlandsscheidungen in Art. 17 Abs. 2 EGBGB a. F. (Art. 17 Abs. 3 EGBGB n. F.) einen Grundfreiheitenverstoß darstellt, wenn Scheidungsstatut das Recht eines anderen Mitgliedstaats ist, das Privatscheidungen vorsieht. 472 Vgl. z. B. den Ansatz von Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 721 ff., der vorschlägt, nur den Status (z. B. Ehe), nicht aber die komplexeren Statusfolgen (z. B. allgemeine Ehewirkungen, Ehegattenunterhalt, Ehegüterrecht) zu erfassen. 470

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bzw. durch dessen Änderung heilbar sind. Erforderlich für ersteres ist unter anderem ein klarer Maßstab für die für eine Grundfreiheitenbeschränkung durch Kollisionsrecht erforderliche Eingriffsintensität. Auf beiden Ebenen unabdingbar ist eine ganzheitliche Betrachtung, die das Zusammenspiel aus mitgliedstaatlichem Kollisions- und Sachrecht berücksichtigt. Eine auf das IPR beschränkte Betrachtung müsste zum Lösungsansatz eines generell „grundfreiheitenorientierten“ Kollisionsrechts (zumindest im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander, siehe c)aa), S. 415 ff.) führen. Auf Dauer wäre dann – insbesondere, wenn der Wirkungsbereich der Grundfreiheiten weit gefasst wird – eine europäische Vereinheitlichung des gesamten Kollisionsrechts unabdingbar: Macht man die Diskrepanz der Kollisionsregeln für die Grundfreiheitenbeschränkungen verantwortlich, muss man sie konsequenterweise durch Harmonisierung aus dem Weg schaffen. Die Grundfreiheiten würden damit zum Integrationsmotor – die derzeitige Konzeption, das Kollisionsrecht außerhalb der bereits erfolgten Harmonisierungsakte den Mitgliedstaaten zu überlassen und teils sogar bestimmte Fragen bewusst auszusparen, wäre damit hinfällig. Unionsrechtlich ließe sich das durch den Vorrang des Primärrechts durchaus begründen. Ob es dem Sinn und Zweck der Grundfreiheiten entspräche, ist allerdings fraglich. Verbindliche Entscheidungen zu diesen Fragen kann nur der EuGH treffen. Dass die mitgliedstaatlichen Gerichte für die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit den Grundfreiheiten sensibilisiert sind, ist grundsätzlich zu begrüßen. Ein „abstraktes Normprüfungsverfahren“473 einer Regel des nationalen Kollisionsrechts anhand unionsrechtlicher Maßstäbe ist auf mitgliedstaatlicher Ebene jedoch nicht zielführend, wie die OGH-Entscheidung zur Sicherungsübereignung zeigt. Kommt es auf die Frage entscheidungserheblich an, sind die mitgliedstaatlichen Höchstgerichte ohnehin zur Vorlage an den EuGH verpflichtet. Ansonsten können sie – wie der OGH – zwar obiter ihre Auffassung kundtun, allerdings ohne Bindungswirkung für andere Mitgliedstaaten und im Regelfall auch nur mit begrenzter Bindungswirkung für die eigene Rechtsordnung. Dieses Vorgehen zeugt zwar von der Unionsrechtsfreundlichkeit des mitgliedstaatlichen Rechts, ist aber unter dem Strich eher ungünstig: Mitgliedstaatliche Mutmaßungen perpetuieren und verstärken letztlich die Unsicherheit und gegebenenfalls die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Interpretation des Unionsrechts. Gleichzeitig können sie durch ihre Vorbildfunktion – sowie gegebenenfalls bereits daraufhin erfolgte Änderungen des nationalen Rechts – spätere europäische Entscheidungen durchaus präjudizieren. Umgekehrt ist es unwahrscheinlich, dass eine auf Basis der mitgliedstaatlichen Interpretation in vorauseilendem Gehorsam geschaffene Lösung, die sich nach einer späteren Stellungnahme des EuGH

473

Lurger IPRax 2019, 560, 563.

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als überschießend herausstellt, wieder zurückgenommen wird.474 Sicherer und auf Dauer einfacher sind daher möglichst frühzeitige, klare und verbindliche Entscheidungen zur Reichweite der Grundfreiheiten durch den EuGH. Aufgabe der mitgliedstaatlichen Gerichte ist es, alle geeigneten Fälle auch zur Vorlage zu bringen – und durch eine klare Darlegung der Zusammenhänge zwischen nationalem Kollisions- und Sachrecht dem EuGH eine differenzierte Beurteilung der Grundfreiheitenrelevanz zu ermöglichen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass auf europäischer Ebene das Problem und seine Lösung allein auf Ebene des IPR gesucht werden. b) Inhaltliche Grenzen Die Grundfreiheiten gelten nicht schrankenlos. Beschränkungen der Grundfreiheiten, etwa durch die Nichtanerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat begründeten Status, können im Einzelfall gerechtfertigt sein. Als Rechtfertigungsgrund spielt im Bereich des IPR insbesondere der ordre public des Anerkennungs- bzw. Forumsmitgliedstaats eine zentrale Rolle: Die Grundfreiheiten können nicht durchgesetzt werden, wenn dies einen Verstoß gegen dessen mitgliedstaatliche öffentliche Ordnung auslösen würde.475 Eng mit dieser verwandt ist die ebenfalls häufig als Rechtfertigungsgrund angeführte nationale Identität der Mitgliedstaaten, die nach Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV (ebenso wie nach Art. 67 Abs. 1 AEUV die Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten) von der EU zu achten ist.476 Auch bei dieser geht es im Kern um die fundamentalen Wertentscheidungen des jeweiligen Mitgliedstaats. Ein Konflikt zwischen der (forums-)mitgliedstaatlichen öffentlichen Ordnung und den unionsrechtlichen Grundfreiheiten kann auch entstehen, wenn die kollisionsrechtliche ordre public-Kontrolle das Ergebnis der Anwendung fremden (mitgliedstaatlichen) Rechts korrigiert und dadurch die Freizügigkeitsrechte im Binnenmarkt eingeschränkt werden: Hier müssen ebenfalls die unverzichtbaren Grundwertungen der lex fori gegen die primärrechtlichen Garantien abgewogen werden.

Positiver gegenüber der „prospektiven“ Anwendung des Primärrechts durch die Mitgliedstaaten im Anerkennungskontext dagegen Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 133 ff. 475 Zum ordre public-Vorbehalt als Anerkennungshindernis bereits früh und umfassend Funken 75 ff. sowie Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 398 f. und Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 727 f. – Schon in Grunkin Paul hat der EuGH darauf hingewiesen, dass der ordre public als „besonderer Grund“ einer Anerkennungspflicht entgegengehalten werden kann, vgl. EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Grunkin Paul, Rn. 38; siehe dazu etwa Meeusen ZEuP 2010, 186, 199 f. 476 Grundlegend zur Bedeutung der mitgliedstaatlichen Verfassungsidentität für das Kollisionsrecht Canor in: FS Stein, 475, 475 ff.; für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen Szabados CMLR 58 (2021), 71, 71 ff. 474

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aa) Nationaler ordre public und europäische Grundfreiheiten Für Maßstab und Begriff der öffentlichen Ordnung kommt es nach wie vor auf das nationale Verständnis der einzelnen Mitgliedstaaten an.477 Ein etwaiger gemeinsamer europäischer ordre public ist noch im Werden begriffen.478 Zwar stimmen die fundamentalen Grundwertungen der europäischen Mitgliedstaaten bereits weitgehend überein – dies kommt vor allem im Wertkonsens der EMRK und der EU-Grundrechtecharta zum Ausdruck, der ebenso wie die fundamentalen Rechtsgrundsätze der EU identischer Teil jedes mitgliedstaatlichen ordre public ist.479 Solange jedoch im Detail noch teils erheb477 Vgl. nur die Verweise auf die öffentliche Ordnung der jeweiligen lex fori in den allgemeinen ordre public-Klauseln der europäischen Kollisionsrechtsverordnungen (Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom II-VO, Art. 12 Rom III-VO, Art. 35 ErbVO, Art. 31 GüVO /  PartVO). Die in den Kommissionsentwürfen für die Rom I-VO und die Rom II-VO zusätzlich vorgesehenen expliziten unionsrechtlichen ordre public-Klauseln konnten sich nicht durchsetzen, vgl. MüKo8 / Junker Art. 26 Rom II-VO Rn. 3 f.; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 170. – Auch der EuGH beschränkt sich hinsichtlich der ordre public-Klauseln des europäischen Kollisionsrechts auf allgemeine Rahmenvorgaben und überlässt deren inhaltliche Auslegung und Ausgestaltung den mitgliedstaatlichen Gerichten, vgl. MüKo8 /  Junker Art. 26 Rom II-VO Rn. 17; BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 12 Rom III-VO Rn. 7; BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 12 Rom III-VO Rn. 3; Deixler-Hübner /  Schauer / Schwartze Art. 35 ErbVO Rn. 9; MüKo8 / Dutta Art. 35 ErbVO Rn. 3, 5; BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 31 GüVO Rn. 3; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 29; eine strengere Kontrolle sieht dagegen de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 196. – Prägnant bezeichnet daher Oster JPIL 11 (2015), 542, 544 ordre public-Klauseln als „the ultimate expression of national sovereignty“. – Der aktuelle Stand des ordre public-Verständnisses in einer repräsentativen Auswahl mitglied- und drittstaatlicher Rechtsordnungen sowie im EU-IPR wird – gerade im Hinblick auf seine stets im Fluss begriffene Natur – vorgestellt in Meyer (Hg.). 478 Vgl. z. B. grundlegend Basedow in: FS Sonnenberger, 291, 291 ff.; BeckOK /  Spickhoff (Stand: 1.8.2021) Art. 21 Rom I-VO Rn. 2; BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 6 EGBGB Rn. 9; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 175; Basedow FS Posch, 17, 30; Heinze in: FS Kropholler, 105, 121 f.; Sonnenberger in: FS Kropholler, 227, 244; Stürner in: FS von Hoffmann, 463, 473 ff.; Viarengo in: Dutta / Helms / Pintens, 83, 91 f. 479 Einen expliziten Hinweis auf die europäischen Grundrechte und -wertungen im Rahmen des ordre public enthalten Erw. 25 Rom III-VO, Erw. 58 ErbVO und Erw. 54 GüVO / Erw. 53 PartVO. – Zu den europäischen und menschenrechtlichen Einflüssen auf den nationalen ordre public der Mitgliedstaaten vgl. z. B. BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 6 EGBGB Rn. 14 f.; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 153 ff.; de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 197; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 81; Helms IPRax 2017, 153, 153 ff.; Kinsch in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 147, 147 ff.; Looschelders RabelsZ 65 (2001), 463, 472 ff.; Nussberger RabelsZ 80 (2016), 817, 846 ff.; Oster JPIL 11 (2015), 542, 546 ff.; Stürner in: FS von Hoffmann, 463, 464 ff.; Weller /  Kaller / Schulz AcP 216 (2016), 387, 395 ff.; Wurmnest in: Leible / Unberath, 445, 460 ff.; umfassend zur Europäisierung der Wertdurchsetzung im Kollisionsrecht Feraci 77 ff. – Zur Prägung nationaler Grundprinzipien durch die von der internationalen Staatengemeinschaft konsentierten Grundwerte siehe beispielsweise auch die Haltung der höchstrichterli-

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liche Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Auffassungen bestehen, kann die Anerkennung eines in einem Mitgliedstaat begründeten Status480 bzw. die Anwendung des Rechts eines Mitgliedstaats jeweils aus Sicht eines anderen Mitgliedstaats einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung bedeuten.481 Zwar werden diese Fälle immer seltener482 – doch derzeit führen sie gerade im Bereich des Personen- und Familienrechts noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu Situationen, in denen es zum Konflikt zwischen der Durchsetzung zentraler mitgliedstaatlicher Wertvorstellungen und der Gewährleistung der Grundfreiheiten kommt. Nationaler und europäischer Wertungsmaßstab begrenzen einander gegenseitig: Einerseits kann der nationale ordre public die Grundfreiheiten einschränken, andererseits bilden die Grundfreiheiten eine Grenze für die Durchsetzung eigener nationaler Wertungen gegenüber anderen Mitgliedstaaten. Nationale Wertvorstellungen, die ihrerseits unionsrechtswidrig sind, dürfen auch mittels des ordre public nicht verwirklicht werden.483 Das genaue Verhältnis zwischen den europäischen Grundfreiheiten und der mitgliedstaatlichen öffentlichen Ordnung ist allerdings bislang genauso wenig vollständig ausgelotet wie nur rudimentäre Ansätze zur Auflösung des Spannungsverhältnisses vorhanden sind. chen italienischen Rechtsprechung, Corte di Cassazione sez. un. civile 5.7.2017 – n° 16601/2017, dazu Christandl ZfRV 2018, 123, 125. – Auch der insbesondere bei Anwendung des EU-IPR zunehmend propagierte rechtsvergleichende Blick auf die Auffassung anderer Rechtsordnungen trägt zur Konvergenz der mitgliedstaatlichen ordre publicVorstellungen bei, vgl. BeckOK / Spickhoff (Stand: 1.8.2021) Art. 21 Rom I-VO Rn. 2; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 196. 480 Grundsätzlich zu den Grenzen der Anerkennung(spflicht) Fulchiron in: FS Ancel, 647, 647 ff. (zum ordre public 665 ff.). – Zum ordre public als Anerkennungshindernis Funken 75 ff. 481 Vgl. etwa BeckOK / Spickhoff (Stand: 1.8.2021) Art. 21 Rom I-VO Rn. 2; MüKo8 /  Junker Art. 26 Rom II-VO Rn. 1; BeckOK / Spickhoff (Stand: 1.8.2021) Art. 26 Rom II-VO Rn. 2; Kreuzer in: Jud / Rechberger / Reichelt, 1, 46; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 727 f. – Ein vollständiger Verzicht auf die ordre public-Kontrolle zwischen den Mitgliedstaaten wurde zwar gelegentlich propagiert, konnte sich bisher allerdings noch nicht durchsetzen (vgl. MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 22 ff.; Heinze in: FS Kropholler, 105, 126; Stürner in: Arnold, 87, 95 ff.; Wurmnest in: Leible / Unberath, 445, 451 ff.). 482 MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 188; BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 12 Rom III-VO Rn. 3; BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 12 Rom III-VO Rn. 7 ff.; Oster JPIL 11 (2015), 542, 551 f.; Siehr in: FS Kropholler, 211, 223; Siehr in: Jud / Rechberger / Reichelt, 77, 91; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 332. – Insbesondere impliziert nach EuGH 18.12.2014 – Gutachten 2/13, Rn. 191 der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens eine Vermutung der Beachtung der Grundrechte durch die anderen Mitgliedstaaten, von der aber Ausnahmen zugelassen werden. 483 Siehe nur (jeweils m. w. N.) BeckOK / Spickhoff (Stand: 1.8.2021) Art. 21 Rom I-VO Rn. 2; MüKo8 / Martiny Art. 21 Rom I-VO Rn. 3; MüKo8 / Junker Art. 26 Rom II-VO Rn. 19; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 185; Looschelders in: FS Coester-Waltjen, 531, 541 f.

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Dabei ist die Relevanz dieser Fragen für das mitgliedstaatliche und europäische Kollisionsrecht beträchtlich, da die Grundfreiheiten – wie gesehen – im IPR vor allem ins Spiel kommen, wenn es um rechtspolitisch schwierige Fragen geht. Gerade bezüglich personen- und familienrechtlicher Statusfragen herrscht häufig Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten, die sich in materiell- und kollisionsrechtlicher Divergenz niederschlägt und eine Harmonisierung des IPR zunächst aussichtslos erscheinen lässt. Genau diese Anwendung unterschiedlicher nationaler Kollisionsregeln führt aber zu potentiellen Beschränkungen der Grundfreiheiten – mit der Folge, dass die ursprünglich ausgesparten und den Mitgliedstaaten überlassenen streitigen Punkte nun doch im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung auf europäischer Ebene konfrontiert und beurteilt werden müssen. Auch die nationale ordre public-Kontrolle kommt im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten nur in Situationen zum Einsatz, in denen gerade noch kein europäischer Wertungskonsens besteht. Dadurch werden die Grundfreiheitenbezüge des nationalen Kollisionsrechts zunehmend zum rechtspolitischen Minenfeld. Die Schwierigkeiten beginnen bereits mit der Frage, was von der „öffentlichen Ordnung“ bzw. der „nationalen Identität“ erfasst wird, welche Aspekte und Argumente also die Mitgliedstaaten überhaupt als Rechtfertigung für einen Grundfreiheiteneingriff oder als Anerkennungsversagungsgrund ins Feld führen können. Dass die republikanische Staatsform integraler Teil der österreichischen bzw. deutschen nationalen Identität ist, wurde in SaynWittgenstein und Bogendorff ohne weiteres akzeptiert.484 Neben der konstitutionellen, verfassungsrechtlich abgesicherten Identität485 wird insbesondere das Familienrecht bzw. -bild als Ausdruck fundamentaler, für die Mitgliedstaaten identitätsstiftender Wertungen angeführt und anerkannt.486 In Coman berief sich etwa Rumänien darauf, dass die Akzeptanz in anderen Mitgliedstaaten geschlossener gleichgeschlechtlicher Ehen gegen das rumänische strikt heterosexuelle Ehebild als Teil der rumänischen öffentlichen Ordnung und nationalen Identität verstieße. Im Abstammungsrecht ist neben der gleichgeschlechtlichen Elternschaft, deren Akzeptanz in Spanien und Ablehnung in Bulgarien den Anstoß für die Entscheidung V.M.A./Pancharevo bot, insbesondere die Leihmutterschaft zu nennen, deren Verbot in vielen Mitgliedstaaten (vgl. z. B. das explizite gesetzliche Verbot in Frankreich, Art. 167 C.civ.) kollisionsrechtlich über den ordre public durchgesetzt wird.487 484 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 73; EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 83, 92. 485 Diese sieht als „harten Kern“ des den unionsrechtlichen Pflichten entgegenzuhaltenden nationalen ordre public Bonifay 290. 486 Vgl. Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 124 f. 487 Vgl. Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 574. – Zum Einfluss der EMRK auf die ordre public-Kontrolle bei der Anerkennung der Abstammungsbeziehung von Leihmut-

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Schließlich können auch Aspekte, deren zentrale Rolle für das nationale Eigenverständnis sich nicht auf den ersten Blick erschließt, angeführt werden – so beispielsweise die Rechtschreibregeln der litauischen Sprache als Element des nationalen kulturellen Erbes.488 Da den Mitgliedstaaten ein weiter Beurteilungsspielraum bezüglich der Rechtfertigungsgründe zukommt,489 ist ein tendenziell weites Verständnis ihrer öffentlichen Ordnung und nationalen Identität bzw. eine großzügige Zuordnung zu diesen Begriffen zu beobachten. Das ist ihnen zwar kaum zu verdenken, da sie ihre eigenen Wertvorstellungen nur auf diesem Weg durchsetzen können – es läuft aber freilich der Konzeption der Ausnahmetatbestände zuwider. Hinzu tritt, dass bei streitigen Fragen zumeist Mitgliedstaaten sowohl der einen als auch der anderen Auffassung ihren jeweiligen ordre public ins Feld führen können. So sehen etwa die auf einem traditionellheteronormativen Ehebild beharrenden Mitgliedstaaten gleichgeschlechtliche Verbindungen als Verstoß gegen ihre öffentliche Ordnung, umgekehrt wird in liberaleren Rechtsordnungen zunehmend der Zwang zur Verschiedengeschlechtlichkeit als ordre public-widrig empfunden.490 Sowohl der Konflikt zwischen nationalen und europäischen Wertvorstellungen als auch der zwischen unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Auffassungen wird durch eine solche Berufung auf die „letzte Bastion“ des nationalen Wertungskerns zusätzlich aufgeheizt, sodass ohnehin schwelende Debatten sich zuzuspitzen drohen. Zumindest mit Blick auf das weitere Zusammenwachsen Europas und die dafür anzustrebende Harmonie zwischen den Mitgliedstaaten ist eine großzügige Handhabung der Tatbestandsebene damit unglücklich – auch wenn sie im Übrigen mit Blick auf die weiteren Prüfungserfordernisse zu verschmerzen ist. bb) Unwägbarkeiten der Verhältnismäßigkeitsprüfung Kern der Rechtfertigungsprüfung ist nämlich stets die Interessenabwägung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind die europäischen Interessen in Gestalt der Grundfreiheiten und die mitgliedstaatlichen Interessen in Gestalt des Rechtfertigungsgrundes einander gegenüberzustellen (siehe 1.a), S. 336 ff.). Die nationale öffentliche Ordnung bzw. Identität kann sich also keinesfalls immer, sondern nur als ultima ratio und bei klar überwiegenden mitgliedstaatlichen Argumenten gegen die Grundfreiheiten durchsetzen. Die Abwägungsentscheidung ist stets im Einzelfall und unter Beachtung der jeterkindern (EGMR 26.6.2014 – 65192/11, Mennesson und EGMR 24.1.2017 – 25358/12, Paradiso und Campanelli) vgl. Trilha in: Muir Watt et al., 495, 499 ff. 488 Siehe Mączyński in: Dutta / Helms / Pintens, 99, 107. 489 Vgl. EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Bogendorff, Rn. 68; EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Sayn-Wittgenstein, Rn. 87. 490 Pretelli CDT 11 (2019), 8, Rn. 99.

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weiligen Individualinteressen zu treffen.491 Diese Nuancierung illustrieren beispielhaft die beiden EuGH-Entscheidungen zum Führen im Ausland erworbener Adelsprädikate (siehe 1.b)aa), S. 341 ff.): Während der EuGH in Sayn-Wittgenstein das österreichische verfassungsrechtliche Verbot von Adelsbezeichnungen als allgemeine Grenze der im Freizügigkeitsrecht wurzelnden Anerkennungspflicht akzeptierte, forderte er in Bogendorff für das etwas schwächer formulierte entsprechende Verbot im deutschen Recht eine jeweils einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung.492 Auch besteht zwar weitgehende Einigkeit darüber, dass die nationale öffentliche Ordnung jedenfalls einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Grundfreiheiten entgegengehalten werden kann,493 doch wo genau missbräuchliches Verhalten beginnt, das z. B. die Ablehnung der Anerkennung eines erschlichenen Status rechtfertigen kann, ist wiederum noch nicht klar festgelegt.494 In Coman beschränkte sich der EuGH auf eine sehr knappe Rechtfertigungsprüfung und setzte sich nur wenig mit den Argumenten zur mitgliedstaatlichen öffentlichen Ordnung auseinander.495 Er traf gerade keine allgemeine Aussage zum Verhältnis der nationalen Wertvorstellungen (in Gestalt des von Rumänien angeführten öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung des nationalen, heterosexuellen Ehebilds) zum Freizügigkeitsgrundsatz, sondern beschränkte sich auf den in Frage stehenden aufenthaltsrechtlichen Aspekt. Offen – und stark diskutiert – ist die Übertragbarkeit dieser Rechtsprechungslinie auf andere Zusammenhänge. Auch wenn sich das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des traditionellen nationalen Ehebilds im Aufenthaltsrecht nicht gegenüber den unionsrechtlichen Grundfreiheiten behaupten konnte, könnte die Abwägungsentscheidung in anderen Gebieten (etwa im Steuer-, Sozial- oder Privatrecht) anders ausfallen.496 Die Folge einer „teilweisen Anerkennungspflicht“ mit unterschiedlicher Behandlung ein und derselben gleichgeschlechtlichen Ehe in verschiedenen Kontexten wäre freilich unpraktisch und unglücklich. Insofern ist es nicht unplausibel, aus Vgl. für das Namensrecht MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 32; Kroll-Ludwigs GPR 2019, 191, 194. 492 Skeptisch gegenüber der Verallgemeinerbarkeit von Sayn-Wittgenstein etwa Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 285. 493 Vgl. für das Namensrecht (willkürliche Namensänderung) EuGH 2.6.2016 – C438/14, Bogendorff, Rn. 53 ff.; BeckOGK / Kroll-Ludwigs (Stand: 1.2.2022) Art. 48 EGBGB Rn. 50 ff.; MüKo8 / Lipp Art. 48 EGBGB Rn. 33; Kroll-Ludwigs GPR 2019, 191, 194; Möllnitz IPRax 2019, 513, 516. – Zurückhaltend gegenüber dem Rechtsmissbrauch als Grenze einer Anerkennungspflicht dagegen Panet in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 239, 252 f. 494 Offenlassend etwa für das Namensrecht BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/15, Rn. 45. 495 Kritisch Dutta FamRZ 2018, 1067, 1067; Werner ZEuP 2019, 803, 819 f. – Positiver dagegen Kochenov / Belavusau CMLR 57 (2020), 227, 236 f. 496 Arnold / Zwirlein-Forschner GPR 2019, 262, 268. 491

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Coman den Beginn einer generellen Pflicht zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen innerhalb der EU herauszulesen (siehe auch oben 2.b)bb), S. 369 ff.).497 Als Indiz dafür kann auch der Verweis des EuGH auf das in Art. 7 GrCh bzw. Art. 8 EMRK für gleich- ebenso wie für verschiedengeschlechtliche Paare geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dienen.498 Wahrscheinlich ist, dass der EuGH in näherer Zukunft den gordischen Knoten der entgegengesetzten mitgliedstaatlichen Auffassungen nicht durch eine klare, allgemeine Stellungnahme durchschlagen, sondern weiterhin nur für individuell gelagerte Einzelfälle Entscheidungen treffen bzw. Entscheidungskriterien formulieren wird. Seine Übertragung der in Coman etablierten Prinzipien auf das Abstammungsrecht in V.M.A. / Pancharevo499 zeugt aber jedenfalls von einer Bereitschaft zu deren Verallgemeinerung zumindest in sachlicher Hinsicht. Das Ergebnis der Abwägungsentscheidungen und damit der Erfolg der angeführten Rechtfertigungsgründe sind damit nur schwer vorherzusagen. Teilweise ist das systemimmanent: Die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann nicht pauschal in Form allgemeiner Kriterien erfolgen, sondern muss für jeden Einzelfall anhand der individuellen Umstände vorgenommen werden. Erst im Laufe der Zeit kann sich – wie auch zu den Grundrechten – eine Doktrin herausbilden, an der sich die Lösung weiterer Fälle orientieren kann. Für die Grundfreiheiten wird eine solche Systematisierung freilich dadurch erschwert und verlangsamt, dass nur der EuGH verbindliche Entscheidungen über ihre Reichweite und Grenzen treffen kann. Damit hängt die Entstehung einer belastbaren Kasuistik noch stärker als bei den nationalen Grundrechten von Vorhandensein und tatsächlicher Vorlage geeigneter Fälle ab, gleichzeitig sind die vor den EuGH gelangenden Fälle häufig speziell gelagert, nicht repräsentativ und nur begrenzt verallgemeinerbar. Hält sich der EuGH dann noch – wie in Coman – mit allgemeinverbindlichen Aussagen gerade zu heiklen Fragen zurück, bleiben viele Aspekte der Durchsetzungsmöglichkeiten der nationalen Wertvorstellungen gegenüber den Grundfreiheiten erst einmal weiterhin im Dunklen und unter Umständen bis zu einer endgültigen Klärung auf europäischer Ebene zwischen den Mitgliedstaaten umstritten. Erkennbar ist inzwischen allerdings – im Einklang mit der großzügigen Auslegung der Grundfreiheiten und dem Ausnahmecharakter der Rechtfertigung von Eingriffen – eine grundsätzliche Tendenz zu strengen Anforderungen an die Rechtfertigung einer GrundfreiheitenbeVgl. Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 299 f. EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Coman, 47 ff. – Im Ergebnis dem EuGH zustimmend, aber auf seine wenig tiefgreifende Argumentation und die fehlende Abwägung hinweisend Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 298 f. – Über die derzeitige Sicht des EGMR, dass eine Behandlung gleichgeschlechtlicher Ehen als (eingetragene) Partnerschaften ausreichend ist (vgl. EGMR 14.12.2017 – 26431/12, 26742/12, 44057/12, 6088/12, Orlandi), könnte der EuGH in der Zukunft hinausgehen, vgl. Kinsch YbPIL XX (2018/19), 47, 57. 499 EuGH 14.12.2021 – C-490/20, V.M.A./Pancharevo, Rn. 42 ff. 497 498

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schränkung bzw. die Durchsetzung des nationalen ordre public gegenüber anderen Mitgliedstaaten.500 Nur in Ausnahmefällen, keinesfalls aber als Regel darf der nationale ordre public durchgreifen.501 Seine Gestattung der notwendigen Flexibilität darf nicht dazu missbraucht werden, durch eine zu großzügige Anwendung die Grundfreiheiten zu unterlaufen.502 Das bringt die nationalen Rechtsetzer und Rechtsanwender in eine unangenehme Lage. Ob ein (potentieller) Verstoß der Anwendung ihres Kollisionsrechts gegen die Grundfreiheiten auch aus europäischer Warte durch nationale Interessen gerechtfertigt werden kann, lässt sich nur begrenzt vorhersagen. Großen Unwägbarkeiten ist insbesondere die Durchsetzung des mitgliedstaatlichen ordre public gegenüber anderen Mitgliedstaaten ausgesetzt: Auf der ordre public-Kontrolle basierende Maßnahmen des nationalen IPR müssen, wenn sie im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten zu einer Einschränkung der Grundfreiheiten führen, ebenfalls einer Rechtfertigungsprüfung unterzogen werden. Der nationale Kontrollmechanismus wird seinerseits einer europäischen Kontrolle unterzogen, den mitgliedstaatlichen Wertvorstellungen werden gewissermaßen die europäischen übergestülpt, die „letzte Instanz“ des Kollisionsrechts wird doch noch einmal überlagert.503 Die Rechtssicherheit wird vor allem durch die zusätzliche Verhältnismäßigkeitsprüfung noch stärker beeinträchtigt, als sie es bei der einzelfallbezogenen ordre public-Kontrolle ohnehin schon ist. cc) Deutsche „Bekämpfung von Kinderehen“ und unionsrechtliche Grundfreiheiten? Den unklaren Effekt der Grundfreiheiten illustriert das aktuelle Beispiel des Umgangs mit von Minderjährigen geschlossenen Ehen im deutschen IPR.504 Vgl. Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 118 ff. – Meeusen YbPIL XXII (2020/21), 1, 14 ff. sieht in der Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung eine Verschiebung des Gewichts von der nationalen Identität der Mitgliedstaaten hin zur individuellen Identität der Bürger, die zur weitreichenderen Akzeptanz von Diversität in Europa führt. 501 Vgl. Lipp in: FS Coester-Waltjen, 521, 527. 502 Vgl. Lehmann in: Leible, 11, 33. 503 Vgl. Dutta FamRZ 2016, 1213, 1219; Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 136. – Hübner RabelsZ 85 (2021), 106, 132 nennt dies im Kontext der speziellen Vorbehaltsklausel des Art. 13 Abs. 3 EGBGB plastisch „ein kollisionsrechtliches Pingpong, indem die Inlandsrechtsanwendung unter den Vorbehalt des Primärrechts gestellt wird“. – Detailliert zur Anwendung des Art. 6 EGBGB gegenüber Mitgliedstaaten MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 21 ff. 504 Vgl. umfassend und vergleichend zum Phänomen der Frühehe die Beiträge in Yassari / Michaels (Hg.). – Auch wenn sich ein weltweiter Trend zur Koppelung der Ehemündigkeit an die Volljährigkeit bzw. zu einem Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren abzeichnet (vgl. Coester StAZ 2016, 257, 258), ist zu betonen, dass völkerrechtliche Menschen- und Grundrechtskonventionen in der Regel bewusst keine konkreten Altersgrenzen festlegen (vgl. z. B. 500

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Ziel der 2017 hierzu eingeführten Neuregelung505 ist die „Bekämpfung von Kinderehen“,506 Auslöser waren die verstärkten Migrationsbewegungen insbesondere aus islamisch geprägten Staaten,507 aufgrund derer ein dringender (Neu-)Regelungsbedarf konstatiert wurde.508 Im deutschen materiellen Recht gilt die Ehemündigkeitsgrenze von 18 Jahren (Volljährigkeit, § 2 BGB) nunmehr ausnahmslos (§ 1303 Abs. 1 BGB n. F.).509 Sollte doch eine Eheschließung durch Minderjährige erfolgen, differenziert der Gesetzgeber.510 Vor Vollendung des 16. Lebensjahrs ist eine wirksame Eheschließung nicht möglich (§ 1303 S. 2 BGB n. F.), die „Ehe“ ist unheilbar nichtig.511 Von 16- und 17jährigen geschlossene Ehen sind zwar wirksam, aber aufhebbar;512 die Aufhebung gemäß § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB stellt den Regelfall dar und ist nur in den beiden in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB vorgesehenen Ausnahmesituationen (insbesondere in „Härtefällen“, lit. b)) ausgeschlossen.513 Artt. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989; Art. 12 EMRK), vgl. Jänterä-Jareborg in: FS Lowe, 267, 269 f.; Reuß FamRZ 2019, 1, 3. Noch kurz vor der deutschen Gesetzesreform wurde daher eine Altersgrenze von 18 Jahren für die Beurteilung als (verwerfliche) Kinderehe als „zu hoch und international kaum durchsetzungsfähig“ (Mankowski FamRZ 2016, 1274, 1275) eingeschätzt. 505 Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017, BGBl. 2017 I 2429. 506 Kritisch zu dieser Terminologie etwa Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 429; Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 269 f.; Rixen JZ 2019, 628, 629; Rohe StAZ 2018, 73, 74; Schwab FamRZ 2017, 1369, 1373. 507 Vgl. etwa die bei Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 270 genannten Zahlen. – Einen rechtsvergleichenden Überblick zur Ehemündigkeit bietet Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 13 EGBGB Rn. 196 ff., speziell zum Recht islamischer Länder Möller /  Yassari KJ 50 (2017), 269, 271 ff. 508 BT-Drs. 18/12086, 14 f. – Vgl. Antomo ZRP 2017, 79, 80 f.; Antomo NZFam 2016, 1155, 1161; Majer NZFam 2017, 537, 538; Rohe StAZ 2018, 73, 73; Schulte-Bunert FuR 2017, 641. 509 Zustimmend z. B. Antomo ZRP 2017, 79, 80; Antomo NZFam 2016, 1155, 1156; Bongartz NZFam 2017, 541, 543; Coester FamRZ 2017, 77, 77 f.; Majer NZFam 2017, 537, 539. – Kritisch gegenüber dem „ausnahmslosen Heiratsverbot“ dagegen CoesterWaltjen IPRax 2017, 429, 430 und Schwab FamRZ 2017, 1369, 1373 f. 510 Kritisch zur Differenzierung Bongartz NZFam 2017, 541, 543 f.; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 431. – Wenig überzeugend die Lösungsvorschläge von Majer NZFam 2019, 659, 660 und Majer NZFam 2017, 537, 539 f., der weitgehend Analogien zum Schutz der unter 16jährigen Nicht-Ehegatten bilden will. 511 Zur Nichtehe Bongartz NZFam 2017, 541, 543 f.; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 431; Schwab FamRZ 2017, 1369, 1370 f. – Differenzierend zwischen „Nichtehe“ und „unwirksamer Ehe“, aber nicht überzeugend dagegen Majer NZFam 2017, 537, 539. 512 Zur aufhebbaren Ehe Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 430 f.; Schwab FamRZ 2017, 1369, 1370. 513 Zur Kritik an der eng gefassten Härtefallklausel Bongartz NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 431; Schwab FamRZ 2017, 1369, 1370. – Verschiedentlich wird daher eine weitere Auslegung befürwortet, vgl. BeckOGK / M. Otto (Stand:

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Diese Wertungen des deutschen Sachrechts werden mit dem neu eingeführten Art. 13 Abs. 3 EGBGB auch kollisionsrechtlich durchgesetzt. Die Ehemündigkeit ist als materielle Eheschließungsvoraussetzung grundsätzlich an die Staatsangehörigkeit anzuknüpfen (Art. 13 Abs. 1 EGBGB). Hat ein fremdes Eheschließungsstatut die Eheschließung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs gestattet,514 wird nun nicht mehr das Ergebnis dieser Anknüpfung im individuellen Einzelfall anhand der allgemeinen ordre public-Klausel (Art. 6 EGBGB) kontrolliert,515 sondern in Art. 13 Abs. 3 EGBGB alle nach fremdem Eheschließungsstatut von Minderjährigen eingegangenen Ehen dem strikten reformierten deutschen Sachrecht (Unwirksamkeit [Nr. 1]516 bzw. Aufhebbarkeit [Nr. 2]517) unterstellt.518 Durch die pauschale Anwendung der 1.1.2022) § 1315 BGB Rn. 11; Löhnig FamRZ 2018, 750; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 603 f.; Rohe StAZ 2018, 73, 79. 514 Vgl. Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 128; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 581 f. 515 Vgl. zu den ausdifferenzierten Lösungsmöglichkeiten z. B. Andrae NZFam 2016, 923, 928 f.; Antomo NZFam 2016, 1155, 1157 ff.; Coester StAZ 2016, 257, 259 ff.; Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 277 f. – Einen Überblick über die vielfältigen Gerichtsentscheidungen der jüngeren Zeit bietet Antomo NJW 2016, 3558, 3560. Als Leitlinie kristallisierte sich einerseits die Ablehnung vor Vollendung des 14. Lebensjahrs eingegangener Ehen als stets ordre public-widrig (jüngst AG Fürth [Odenwald] 19.6.2019 – 4 F 425/18: Eheschließung mit 12 Jahren klar ordre public-widrig; vgl. Bongartz NZFam 2017, 541, 542; Majer NZFam 2017, 537, 538; Möller / Yassari KJ 50 [2017], 269, 275), andererseits die Akzeptanz eines Eheschließungsalters von 16 Jahren (siehe OLG Karlsruhe 15.3.2017 – 2 UF 236/15: ordre public-Vorbehalt hinsichtlich einer mit 17 Jahren eingegangenen Ehe nicht thematisiert; vgl. noch MüKo / Coester [6. Auflage 2015] Art. 13 EGBGB Rn. 38; Andrae NZFam 2016, 923, 924, 926; Antomo NJW 2016, 3558, 3561 f.; Antomo NZFam 2016, 1155, 1159 f.; Majer NZFam 2016, 1019, 1021) heraus. Stark umstritten war die Beurteilung mit 14 und 15 Jahren geschlossener Ehen. Für eine Altersgrenze bei 15 Jahren z. B. Staudinger / Mankowski (Neubearb. 2010) Art. 13 EGBGB Rn. 203; Mankowski FamRZ 2016, 1274, 1275; Rohe StAZ 2018, 73, 77; auch in Schweden wurde vor Einführung der schwedischen Neuregelung eine Altersgrenze von 15 Jahren zugrunde gelegt, siehe Jänterä-Jareborg IPRax 2020, 267, 272; Jänterä-Jareborg in: FS Lowe, 267, 274 f. – Für den Fall der Verfassungswidrigkeit der deutschen Neuregelung hält der BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/16, Rn. 44 ff. an einer einzelfallbezogenen ordre public-Kontrolle fest und lehnt starre Altersgrenzen ab. 516 Hüßtege FamRZ 2017, 1374, 1376 ff.; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 584 ff.; Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 279 f. 517 Hüßtege FamRZ 2017, 1374, 1378 f.; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 599 f.; Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 280. 518 Die Rechtsnatur dieser Wertdurchsetzungsregel ist streitig: Teils wurde sie dahingehend verstanden, § 1303 BGB in den Rang einer Eingriffsnorm zu erheben (CoesterWaltjen IPRax 2017, 429, 432; Kohler Rev. crit. DIP 2018, 51, 56; Weller / Thomale /  Hategan / Werner FamRZ 2018, 1289, 1293 f.; so auch BeckOGK / Rentsch [Stand: 1.5.2022] Art. 13 EGBGB Rn. 51: „eingriffsnormenähnlicher Wirksamkeitsvorbehalt“), wohl überwiegend wird sie dagegen als spezielle ordre public-Klausel aufgefasst (Beck-

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deutschen Wertvorstellungen auch in internationalen Sachverhalten ohne Ermessens- oder Wertungsspielräume519 wird die Wirksamkeit im Ausland durch (wenigstens) einen minderjährigen Ehegatten geschlossener Ehen für den deutschen Rechtsbereich drastisch eingeschränkt. Vorgesehen sind in Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB n. F. nur enge und im Detail streitige Ausnahmen.520 Eine ähnliche Verschärfung des Umgangs mit von Minderjährigen geschlossenen Ehen ist in den letzten Jahren auch in anderen Rechtsordnungen zu beobachten. So hat etwa Schweden im Jahr 2018 die Regeln zur Anerkennung im Ausland geschlossener Minderjährigenehen enger gefasst; die schwedische Neuregelung ähnelt in ihrer Konzeption der deutschen und sieht sich vergleichbarer Kritik ausgesetzt.521 Das niederländische Recht enthält mit Art. 10:32 lit. c) BW ebenfalls eine ähnliche, allerdings weicher formulierte und den Einzelfallumständen größeren Raum gebende Vorschrift.522 Sach- und kollisionsrechtlich und rechtstechnisch wie auch rechtspolitisch ist die deutsche Neuregelung aus zahlreichen Gründen und vehement bereits in ihrer Entstehungsphase kritisiert worden.523 Der deutsche Gesetzgeber hat sie aufgrund des durch den Anlassfall eines Flüchtlings(ehe)paars aus Syrien OK / Mörsdorf [Stand 1.2.2022] Art. 13 EGBGB Rn. 26; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 54; Staudinger / Looschelders [Neubearb. 2019] Einl. IPR Rn. 667; Antomo NJW 2016, 3558, 3563; Antomo NZFam 2016, 1155, 1161; Majer NZFam 2017, 537, 540; Makowsky RabelsZ 83 [2019], 577, 580 ff.; Mankowski FamRZ 2016, 1274, 1276; Reuß FamRZ 2019, 1, 5; Rohe StAZ 2018, 73, 76; Wall StAZ 2019, 331, 333). Der BGH hat sich der Interpretation als Abwehrklausel im letztgenannten Sinne angeschlossen (BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/16, Rn. 54). 519 Sehr kritisch Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 279 f. 520 Vgl. Andrae IPRax 2021, 522, 523 ff.; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 432 f.; Frank StAZ 2018, 1, 1 ff.; Hüßtege FamRZ 2017, 1374, 1375 f.; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 587 ff.; Onwuagbaizu NZFam 2019, 465, 466 ff.; Wall StAZ 2018, 96, 96 ff. 521 Vgl. Bogdan JPIL 15 (2019), 247, 248 ff.; Jänterä-Jareborg IPRax 2020, 267, 269 ff.; Jänterä-Jareborg in: FS Lowe, 267, 271 ff. – Zum Vergleich mit der deutschen Regelung Jänterä-Jareborg in: FS Lowe, 267, 278 f. 522 Reuß FamRZ 2019, 1, 7 f. – Auch außerhalb Europas haben in den letzten Jahren einige Staaten politisch motivierte Signalgesetze gegen Frühehen erlassen, so etwa Canada (Zero Tolerance for Barbaric Cultural Practices Act 2015) mit einem absoluten Mindestalter von 16 Jahren (dazu Bailey in: International Survey of Family Law 2015, 21, 21 ff.). 523 Siehe statt vieler die Kritik im Vorfeld von Antomo ZRP 2017, 79, 79 ff.; Bongartz NZFam 2017, 541, 541 ff.; Coester FamRZ 2017, 77, 77 ff.; Finger FuR 2017, 353; Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 281 ff. – Nach der Verabschiedung des Gesetzes z. B. Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 429 ff.; Frank StAZ 2019, 129, 130 ff.; Hüßtege FamRZ 2017, 1374, 1376 ff.; Kohler Rev. crit. DIP 2018, 51, 56 ff.; Löhnig FamRZ 2018, 750; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 583 ff.; Onwuagbaizu NZFam 2019, 465, 466 ff.; Reuß FamRZ 2019, 1, 5 f.; Rohe StAZ 2018, 73, 77 ff.; Schwab FamRZ 2017, 1369, 1369 ff. – Grds. zustimmend dagegen Majer NZFam 2019, 659, 659 ff.; Majer NZFam 2017, 537, 538 ff. sowie (allerdings verbunden mit technischen Verbesserungsvorschlägen) Weller /  Thomale / Hategan / Werner FamRZ 2018, 1289, 1290 ff.

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(Eheschließung dort mit 14 Jahren [Ehefrau] und 21 Jahren [Ehemann])524 hervorgerufenen öffentlichen Drucks und in einer Wahlkampfphase525 gleichwohl rasch verabschiedet.526 Den verfassungsrechtlichen Zweifeln527 hat sich der BGH angeschlossen und postwendend, sobald ihn der Ausgangsfall im Rechtsbeschwerdeverfahren erreicht hatte,528 das Bundesverfassungsgericht im konkreten Normenkontrollverfahren zur Überprüfung der Vereinbarkeit der strikten Unwirksamkeitsanordnung des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB n. F. mit Artt. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG angerufen.529 Die Antwort lässt allerdings seit nunmehr vier Jahren auf sich warten.530 Problematisch ist aber nicht nur die Vereinbarkeit der besonderen, generell-abstrakten ordre public-Klausel des Art. 13 Abs. 3 EGBGB mit dem Grundgesetz, sondern auch ihr Verhältnis zum Unionsrecht. Man hat nämlich bei diesem legislativen „Schnellschuss“ – trotz entsprechender Hinweise aus der Wissenschaft531 – nicht hinreichend bedacht, dass sie unter Umständen auch im zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis eingreifen kann und dabei vor die Problematik einer Grundfreiheitenbeschränkung und ihrer möglichen Rechtfertigung stellt.532 Das von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB n. F. erfasste Szenario kann innerhalb der EU nur selten eintreten: Eheschließungen vor OLG Bamberg 12.5.2016 – 2 UF 58/16. – Dass das OLG Bamberg nach sorgfältiger und differenzierter Abwägung aller individuellen Umstände die konkret in Frage stehende Ehe für auch aus deutscher Sicht wirksam erachtete, löste dramatische und pauschalisierende Presseberichte aus. 525 Dazu Bongartz NZFam 2017, 541, 544; Finger FuR 2017, 353; Rohe StAZ 2018, 73, 74. 526 Zum Gesetzgebungsverfahren Schwab FamRZ 2017, 1369, 1369. – Löhnig FamRZ 2018, 750 spricht pointiert vom „gesetzgeberischen Furor“. 527 Vgl. Coester FamRZ 2017, 77, 79 f.; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 431, 435; Hüßtege FamRZ 2017, 1374, 1377; Onwuagbaizu NZFam 2019, 465, 468 f. – Siehe auch die vom AG Kassel 7.3.2018 – 524 F 3451/17 aufgeworfenen Fragen der Verfassungsmäßigkeit, denen das Gericht allerdings nicht nachging (kritisch Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 127 Rn. 2). – Von einer Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes geht dagegen Majer NZFam 2019, 659, 660 aus. 528 BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/16. – Bezogen auf die konkret in Frage stehende Ehe ging der BGH ebenso wie das OLG Bamberg davon aus, dass ihre Wirksamkeit nach der allgemeinen ordre public-Klausel (Art. 6 EGBGB) nicht zu verneinen sei (Rn. 39 ff.). 529 BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/16, Rn. 65 ff. – Aus verfassungsrechtlicher Sicht kritisch Hettich FamRZ 2019, 188, 188 sowie Rixen JZ 2019, 628, 628 ff. 530 Das BVerfG hatte zunächst eine mögliche Befangenheit des vor seiner Ernennung zum Bundesverfassungsrichter als Mitglied des Deutschen Bundestags am Gesetzgebungsverfahren intensiv beteiligten nunmehrigen Vizepräsidenten des BVerfG Harbarth zu prüfen; mit Beschluss BVerfG 5.12.2019 – 1 BvL 7/18 wurde festgehalten, dass Art und Ausmaß seiner Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren nicht die Ausschließung von der Ausübung des Richteramts oder die Besorgnis der Befangenheit begründen. 531 Vgl. etwa die im Vorfeld der Neuregelung geäußerten Bedenken bei Coester FamRZ 2017, 77, 79. 524

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Vollendung des 16. Lebensjahrs stellen in den EU-Mitgliedstaaten äußerst seltene Ausnahmen dar, sodass sich diesbezüglich nur selten innereuropäische Akzeptanzfragen stellen.533 Anders ist es jedoch bezüglich der – bisher nicht zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle vorgelegten534 – Regelung in Art. 13 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB n. F. für von 16- oder 17jährigen Jugendlichen geschlossene Ehen: Derartige Eheschließungen sind – zumindest unter besonderen Voraussetzungen wie einer gerichtlichen Genehmigung – in zahlreichen Mitgliedstaaten gestattet, z. B. in Frankreich (Artt. 144, 145 C.civ.), Italien (Art. 84 i. V. m. Art. 2 C.c.) oder Rumänien (Art. 272 Cod civil) (und waren es bis Juli 2017 auch in Deutschland, § 1303 Abs. 2–4 BGB a. F.).535 Wird – wie es Art. 13 Abs. 3 EGBGB in Verbindung mit dem deutschen materiellen Recht grundsätzlich vorschreibt – eine solche Ehe in Deutschland aufgehoben, schränkt das das Freizügigkeitsrecht junger Unionsbürger, die nach ihrer Eheschließung in einem anderen Mitgliedstaat (regelmäßig ihrem 532 Für die entsprechende Gesetzinitiative des Freistaats Bayern, die sich gegen die inländische Anerkennung im Ausland geschlossener polygamer Ehen richtete (Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe vom 5.6.2018, BR-Drs. 249/18) stellte sich zumindest dieses Problem nicht, da die Schließung von Mehrehen in keinem EU-Mitgliedstaat gestattet ist. Dennoch war der Gesetzentwurf erheblicher und berechtigter Kritik ausgesetzt (u. a. Basedow FamRZ 2019, 1833, 1837 f.; Coester-Waltjen / Heiderhoff JZ 2018, 762, 762 ff.; Dutta FamRZ 2018, 1141, 1141 f.; Jayme IPRax 2018, 473, 473 ff.; eher positiv dagegen Majer NZFam 2019, 242, 243 f.) und wurde schließlich zurückgezogen. – In Schweden wurde 2020 ein legislativer Vorstoß zur restriktiveren Behandlung von Mehrehen unternommen, vgl. Bogdan AUCI 66/4 (2020), 85, 92 Fn. 17. 533 Siehe neben den Hinweisen bei Dethloff / Maschwitz StAZ 2010, 162, 167 f. insbesondere die bei Wall StAZ 2019, 331, 331 ff. und Weller / Thomale / Hategan / Werner FamRZ 2018, 1289, 1297 geschilderte Fallkonstellation westthrazischer Muslime; Koutsouradis FamRZ 2020, 1441, 1441 weist allerdings darauf hin, dass aufgrund einer neuen Durchführungsverordnung von 2019 auch für Eheschließungen nach islamischem Recht das Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren maßgeblich ist und die Möglichkeit einer Dispenserteilung aus wichtigem Grund erst ab Vollendung des 16. Lebensjahrs eingreift. 534 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 129 f.; Frank StAZ 2019, 129, 135. – Ob der vom BGH 22.7.2020 – XII ZB 131/20, Rn. 33 ff. stattdessen eingeschlagene Weg, im Wege der verfassungskonformen Auslegung aus § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB gerichtliches (eingeschränktes) Entscheidungsermessen hinsichtlich der Aufhebung herauszulesen, tatsächlich tragfähig ist, erscheint zumindest zweifelhaft (kritisch Antomo FamRZ 2020, 1538, 1539; Löhnig NJW 2020, 3782, 3783; Löhnig NZFam 2020, 815, 816). Eine Normenkontrollvorlage zum BVerfG wäre zu begrüßen und wird vermutlich auf Dauer unumgänglich sein. 535 Vgl. den Überblick zu den Regelungsmodellen und Gründen für Befreiungen vom inzwischen in Europa ganz überwiegend zugrunde gelegten Erfordernis der Vollendung des 18. Lebensjahrs für die Ehemündigkeit Dethloff / Maschwitz StAZ 2010, 162, 164 ff., diese sind allerdings tendenziell rückläufig (Dethloff / Maschwitz StAZ 2010, 162, 171 ff.; Jänterä-Jareborg in: FS Lowe, 267, 269). Dies entspricht auch dem weltweiten Trend, vgl. Reuß FamRZ 2019, 1, 3 f.; einen rechtsvergleichenden Überblick über einige europäische Staaten bietet Reuß FamRZ 2019, 1, 6 ff.

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Heimatstaat) nach Deutschland ziehen, erheblich ein.536 Derartige Fälle sind nicht selten. Tatsächlich betrafen die ersten Anwendungsfälle des neuen Art. 13 Abs. 3 EGBGB537 nicht wie dem Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegt aus dem islamisch geprägten Raum stammende Mädchen von deutlich unter 16 Jahren, sondern junge (Ehe-)Frauen aus europäischen Partnerstaaten, etwa eine Rumänin538 und zwei Bulgarinnen539, die jeweils im Alter von 16 Jahren in ihrem jeweiligen Heimatstaat geheiratet hatten und nunmehr mit ihrem Ehemann und einem gemeinsamen Kind in Deutschland lebten. Deutsche Behörden und Gerichte bringt das in eine äußerst missliche Lage. Die zuständigen Jugendämter sind nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Einleitung eines Aufhebungsverfahrens verpflichtet, die eng gefasste Regelung des § 1316 Abs. 3 S. 2 BGB lässt ihnen kaum eine Möglichkeit, davon abzusehen.540 Auch den Familiengerichten lässt die enge Ausnahmeregelung des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) BGB nur wenig Spielraum für eine grundfreiheitenkonforme Anwendung. Die in der Begründung des Gesetzesgebers vorgeschlagene541 und in der bisherigen Rechtsprechung zugrunde gelegte Lösung, die Freizügigkeit über die Härtefallklausel des § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) BGB zu gewährleisten, gestattet es zwar durchaus, Einzelfälle zügig und den Interessen der individuell betroffenen Jugendlichen gerecht zu lösen.542 Auf Dauer ist diese Vorgehensweise zur Vermeidung eines Konflikts 536 Ferner liegt in der Übergangsregelung für vor Inkrafttreten der Neuregelung geschlossene Ehen ein Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV: Dass nur nach deutschem Recht geschlossene Ehen von der Bestandsschutzregelung des Art. 229 § 44 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EGBGB erfasst werden, stellt eine Diskriminierung der Bürger anderer EU-Mitgliedstaaten dar, vgl. Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 130. 537 Überblick zur Rechtsprechung bei R. Wagner FamRZ 2021, 1266, 1266 ff. 538 Erstinstanzlich AG Nordhorn 29.1.2018 – 11 F 855/17 E1, zweitinstanzlich OLG Oldenburg 18.4.2018 – 13 UF 23/18. 539 AG Frankenthal 15.2.2018 – 71 F 268/17 sowie OLG Frankfurt 28.8.2019 – 5 UF 97/19. – Kritisch Kleinjohann FamRZ 2019, 1854. 540 Kritisch Antomo ZRP 2017, 79, 81 f.; Bongartz NZFam 2017, 541, 544; CoesterWaltjen IPRax 2017, 429, 430 f.; Möller / Yassari KJ 50 (2017), 269, 284; Reuß FamRZ 2019, 1, 5; Schwab FamRZ 2017, 1369, 1370. 541 BT-Drs. 18/12086, 17. 542 Während das AG Nordhorn 29.1.2018 – 11 F 855/17 E1 das Eingreifen der Ausnahmeklausel neben der Verletzung des Freizügigkeitsrechts auch auf andere Aspekte stützte, erachtete das OLG Oldenburg 18.4.2018 – 13 UF 23/18 bereits die nicht zu rechtfertigende Verletzung des Freizügigkeitsrechts der Ehefrau als ausreichend für das Eingreifen der Härtefallklausel. Das AG Frankenthal 15.2.2018 – 71 F 268/17 führte für die „schwere Härte“ ebenfalls zusätzlich zur Beschränkung des Freizügigkeitsrechts weitere Argumente an (zustimmend Löhnig FamRZ 2018, 750; ablehnend Majer NZFam 2018, 331). Das OLG Frankfurt 28.8.2019 – 5 UF 97/19 stützte seine Anwendung des § 1315 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) BGB ausschließlich auf die Verletzung von Grundfreiheiten. – Eine Bestätigung der Entscheidungen, die eine Verweigerung der Eheaufhebung auf das Uni-

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mit den Grundfreiheiten jedoch aus mehreren Gründen nicht geeignet. Zunächst erscheint bereits sprachlich die Subsumtion unionsrechtlicher Freiheiten unter den negativ konnotierten Begriff „Härtefallklausel“ unglücklich; die Gleichstellung von Freizügigkeits-Situationen mit lebensbedrohlichen Krankheiten oder Suizidgefahr in der Gesetzesbegründung mutet befremdlich an.543 Weder ist das Freizügigkeitsrecht (bzw. seine Verletzung) ein von § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) BGB geforderter „außergewöhnlicher Umstand“544 noch ist das Unionsrecht eine „besonders schwere Härte“.545 Selbst wenn man mit einigen Verrenkungen die Freizügigkeit als „Härtefall“ subsumiert, besteht das Problem, dass § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) BGB nur (begründete) „gravierende Einzelfälle“546 erfassen soll. Die Freizügigkeit muss aber grundsätzlich und nicht nur als Ausnahme gewährleistet sein – pauschal alle Freizügigkeitsfälle als Ausnahme zu behandeln würde den Anwendungsbereich der Regelung allerdings faktisch auf drittstaatliche Ehen beschränken.547 Und selbst bei großzügigster Anwendung greift die Ausnahmeklausel erst im gerichtlichen Verfahren ein. Minderjährig verheiratete Unionsbürger sehen sich mangels einer Ermessens- oder Ausnahmeklausel hinsichtlich der Antragspflicht grundsätzlich mit einem Aufhebungsverfahren konfrontiert. Bereits in den damit verbundenen Unsicherheiten und Belastungen liegt ein Eingriff in ihr Freizügigkeitsrecht.548 onsrecht gestützt haben, sieht in der Coman-Entscheidung des EuGH (EuGH 5.6.2018 – C673/16, Coman) Dutta FamRZ 2018, 1067, 1068. 543 Vgl. Bongartz NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 431; Frank StAZ 2018, 1, 3; Reuß FamRZ 2019, 1, 4. 544 Skeptisch gegenüber der Notwendigkeit dieser Bezeichnung in der den Entscheidungen des AG Nordhorn und des AG Frankenthal zugrundeliegenden Konstellation Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 131 f. 545 Bongartz NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 434. – Für eine Einstufung der Freizügigkeitsbeeinträchtigung als eigenständiger Ausschlusstatbestand Andrae IPRax 2021, 522, 527. 546 BT-Drs. 18/12086, 17. 547 Dies in Erwägung ziehend Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 131. – Dafür i. E. auch Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 607 f. („wird das regulär für inländische und drittstaatliche Ehen geltende Regel-Ausnahme-Verhältnis von Aufhebung und Aufrechterhaltung für EU-Ehen außer Kraft gesetzt“) und Wall StAZ 2019, 331, 338 (Aufhebung von EUEhen nur in Ausnahmefällen). – Rohe StAZ 2018, 73, 79 weist (zu Recht) darauf hin, dass man den Freizügigkeitsfällen durch eine eigene Ausnahme hätte Rechnung tragen sollen. 548 Vgl. OLG Frankfurt 28.8.2019 – 5 UF 97/19; BeckOGK / M. Otto (Stand: 1.1.2022) § 1315 BGB Rn. 12; Bongartz NZFam 2017, 541, 544; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 434; Löhnig FamRZ 2018, 750. – Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 130 und Antomo FamRZ 2020, 1538, 1539 schlagen daher vor, aufgrund des Vorrangs des Europarechts von einer Antragstellung abzusehen. Dagegen halten Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 607 und Wall StAZ 2019, 331, 337 f. die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens zum effektiven Minderjährigenschutz für nicht unverhältnismäßig.

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Insgesamt erscheint äußerst fraglich, ob die Ausnahmeregelung in § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) BGB den unionsrechtlichen Ansprüchen an die Absicherung des Freizügigkeitsgrundsatzes genügt.549 Auch wenn sie im Einzelfall adäquate Lösungen begründen können, ist im Hinblick auf die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers eine „wohlwollende“ Härtefallprüfung bei zwischenmitgliedstaatlichen Fällen ebenso mit Skepsis zu betrachten wie die gelegentlich vorgeschlagene unionsrechtskonforme Auslegung des § 1314 BGB.550 Als Alternative kommt derzeit dann aber lediglich in Betracht, aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts in Fällen, in denen die Aufhebbarkeit der Ehe zu einem Freizügigkeitsverstoß führen würde, Art. 13 Abs. 3 EGBGB von vornherein nicht anzuwenden.551 Wenn nicht der deutsche Gesetzgeber ein Einsehen hat und auf legislativer Ebene nachbessert (etwa durch die Schaffung einer zusätzlichen, bereits vor der Einleitung eines Aufhebungsverfahrens eingreifenden Ausnahmeregelung für in EU-Mitgliedstaaten geschlossene Ehen), wird daher über kurz oder lang dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit des Art. 13 Abs. 3 EGBGB mit den Grundfreiheiten vorzulegen sein.552 Hinsichtlich der schwedischen Neuregelung stellt sich die entsprechende Frage, ob für innereuropäische Fälle das Vorhandensein einer Ausweichklausel zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausreichend ist.553 Die niederländische Kontrollklausel dürfte hingegen genug Flexibilität bieten und damit unionsrechtskonform sein. Zentral wird es bei der Beurteilung der einzelnen Regelungen auch darauf ankommen, ob die öffentliche Ordnung des Forumsmitgliedstaats in der speziellen Ausprägung des jeweiligen Verbots von Minderjährigenehen 549 Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 131; Coester-Waltjen IPRax 2017, 429, 434. – Bejahend Wall StAZ 2019, 331, 337 f. 550 Die vom AG Frankenthal 15.2.2018 – 71 F 268/17 vorgeschlagene grundsätzliche Anerkenung im EU-Ausland geschlossener Ehen aufgrund „Aufhebungsermessen“ ist auf erhebliche Kritik gestoßen (vgl. BeckOGK / M. Otto (Stand: 1.1.2022) § 1315 BGB Rn. 12; Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 129; Majer NZFam 2018, 331; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 602); einzig Löhnig FamRZ 2018, 750 will zum selben Ergebnis (grundsätzliche Nichtaufhebung von EU-Ehen) gelangen (dagegen Coester-Waltjen IPRax 2019, 127, 129 [„zumindest sehr gewagt“]). Auch, ob mit dem OLG Frankfurt 28.8.2019 – 5 UF 97/19 bei EU-Ehen „im Regelfall“ eine Aufhebung zur Wahrung der Grundfreiheiten nicht in Betracht kommt, scheint in Anbetracht der eng auszulegenden, auf Einzelfälle abstellenden Ausnahmeregelung eher fraglich, vgl. Kleinjohann FamRZ 2019, 1854, 1855; Majer NZFam 2019, 1021. 551 Dafür Hüßtege FamRZ 2017, 1374, 1379; Kleinjohann FamRZ 2019, 1854, 1855 (teleologische Reduktion). 552 Eine Vorlage ist noch nicht erfolgt, weil die bisher vor die deutschen Gerichte gelangten Fallkonstellationen eine Einzelfallentscheidung auch ohne Beantwortung der allgemeinen Frage nach der Unionsrechtskonformität der Aufhebbarkeitsregelung erlaubten, vgl. die Zurückhaltung in OLG Oldenburg 18.4.2018 – 13 UF 23/18. 553 Vgl. Bogdan JPIL 15 (2019), 247, 255 f.; Jänterä-Jareborg IPRax 2020, 267, 270.

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eine Beschränkung der Freizügigkeit rechtfertigen kann. Von Teilen der deutschen Literatur wird dies für möglich gehalten.554 Vor dem Hintergrund, dass das Kindeswohl eine individuelle Einzelfallprüfung verlangt und bis vor kurzer Zeit auch in Deutschland Minderjährigenehen eingegangen werden konnten, erscheint es allerdings eher fraglich. Eine künftige Entscheidung des EuGH wird wohl nicht umhin kommen, sich mit der deutschen bzw. schwedischen ordre public-Argumentation vertieft auseinanderzusetzen;555 nichtsdestotrotz wird auch sie vermutlich zunächst nur für mehr oder weniger spezielle Fallkonstellationen verbindlich Klarheit schaffen. Insofern besteht für alle Betroffenen und Rechtsanwender auf absehbare Zeit weiterhin erhebliche Unsicherheit über die Reichweite des speziellen ordre public im Verhältnis zu den Grundfreiheiten. dd) Die Zukunft kollisionsrechtlicher Wertentscheidungen Die Möglichkeiten zur Rechtfertigung von Grundfreiheitenbeschränkungen durch die mitgliedstaatliche öffentliche Ordnung bzw. nationale Identität und die unionsrechtlichen Grenzen der nationalen ordre public-Kontrolle erweisen sich als eines der größten Probleme für das heutige Kollisionsrecht. Die Rechtsanwendung ist mit zahlreichen offenen Fragen konfrontiert, die Rechtsentwicklung steht vor politisch brisanten Entscheidungen. Über einigen Regelungen des nationalen Kollisionsrechts schwebt das Damoklesschwert der Unionsrechtswidrigkeit und belastet die Anwendung gerade jener „wertaufgeladenen“ Regeln, denen – wie der Ablehnung von Minderjährigenehen oder gleichgeschlechtlichen Ehen – aus mitgliedstaatlicher Sicht große auch gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt. Darüber hinaus kann die Unsicherheit hinsichtlich einer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sich hemmend auf die Weiterentwicklung des nationalen IPR gerade in sensiblen Gebieten auswirken. Mit Blick auf die weitere kollisionsrechtliche Harmonisierung, aber auch auf das politisch immer engere Zusammenwachsen der EU-Mitgliedstaaten ist umgekehrt wenig gewonnen, wenn allgemeine Wertungsdebatten auf die Ebene der Rechtfertigung von Primärrechtsverstößen durch die Anwendung nationalen (Kollisions-)Rechts verlagert und dort bezogen auf Einzelfälle, aber umso erbitterter ausgefochten werden. Vielmehr droht die Gefahr, dass Für eine Möglichkeit der Einschränkung des Freizügigkeitsgrundsatzes aufgrund des mitgliedstaatlichen ordre public etwa Majer NZFam 2018, 332; Majer NZFam 2018, 610; Makowsky RabelsZ 83 (2019), 577, 606 ff.; Weller / Thomale / Hategan / Werner FamRZ 2018, 1289, 1297; differenzierend für Unwirksamkeits- und Aufhebbarkeitsfälle Wall StAZ 2019, 331, 332 ff., 337 f. – Die von Majer NZFam 2017, 537, 540 für den Sonderfall einer Eheschließung unter 14jähriger in Anwendung islamischen Familienrechts auf in Thrakien lebende Muslime angenommene Rechtfertigung dürfte freilich konsensfähig sein und unionsrechtlich Bestand haben. 555 Vgl. Kohler / Pintens FamRZ 2018, 1369, 1374. 554

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

bestehende nationale Haltungen zementiert werden und sich die zwischen den unterschiedlichen Wertvorstellungen der Mitgliedstaaten verlaufenden Fronten weiter verhärten – indirekt von den Grundfreiheiten also nicht einende, sondern spaltende Wirkung ausgeht. Die fortbestehende Unklarheit über die respektive Reichweite der Grundfreiheiten und des ordre public und damit über das Verhältnis der europäischen zu den mitgliedstaatlichen Wertvorstellungen schadet also letztlich beiden Regelungsebenen. Eine deutliche Abgrenzung und zuverlässige Vorgaben sind unabdingbar, um das Kollisionsrecht auch und gerade für rechtspolitisch umstrittene Fragen adäquat anwenden und weiterentwickeln zu können. Es ist zu hoffen, dass sich aus der EuGH-Rechtsprechung als bislang einzig verbindlicher Quelle zügig allgemeine Leitlinien zur Auflösung des derzeit noch weitgehend ungelösten Spannungsverhältnisses entwickeln lassen. Dabei ist gerade die europäische Rechtswissenschaft gefordert, (auch politisch) tragfähige Gesamtkonzepte zu entwerfen. Bereits jetzt steht allerdings fest, dass im nationalen Kollisionsrecht getroffene und verwirklichte Wertungsentscheidungen sich an den Grundfreiheiten messen lassen müssen – und an die Rechtfertigung von Beschränkungen strenge Anforderungen gestellt werden. Dort, wo die Durchsetzung des nationalen ordre public gelingt, bleiben Wertungsdifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten bestehen und spitzen sich sogar zu. Im Übrigen werden die nationalen Wertvorstellungen jedoch durch die Grundfreiheiten zurückgedrängt, der ohnehin geringe Anwendungsbereich des ordre public innerhalb der EU also weiter eingeschränkt. Zu erwarten ist, dass die Mitgliedstaaten sich hinsichtlich ihrer zentralen Wertvorstellungen klar positionieren und diese gegebenenfalls positiv- oder gar verfassungsrechtlich verankern werden, um sie als Rechtfertigungsgründe zu zementieren.556 Parallel dazu ist die Herausbildung eines durch die Grundfreiheiten geprägten, quasi „negativen“ europäischen ordre public als einheitliche Grenze der mitgliedstaatlichen Wertvorstellungen zu beobachten557 – allerdings nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander, während im Verhältnis zu Drittstaaten nationale Wertvorstellungen auch weiterhin vollumfassend durchgesetzt werden können (dazu sogleich c)). Diesem Effekt ist bei der Diskussion um den Einfluss der Grundfreiheiten auf das Kollisionsrecht ebenfalls verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. c) Räumlich-persönliche Grenzen In räumlich-persönlicher Hinsicht ist die Reichweite der Grundfreiheiten klar begrenzt: Sie kommen grundsätzlich nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten Vgl. Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 128 f. Vgl. Heiderhoff in: FS von Hoffmann 2011, 127, 136; Panet in: Fulchiron / BidaudGaron, 239, 253; Werner ZEuP 2019, 803, 816 ff. 556 557

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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untereinander zum Tragen.558 Die Freizügigkeitsrechte und etwa daraus fließende Anerkennungspflichten gelten nur innerhalb des Binnenmarktes. Zum einen ist die Begünstigung (nur) der Angehörigen der EU-Mitgliedstaaten gerade dessen Sinn und Zweck. Zum anderen beruhen sie auf einem verstärkten gegenseitigen Vertrauen, das gerade aus der engeren Bindung der Mitgliedstaaten und ihren gemeinsamen Grundentscheidungen und Mindeststandards im Rahmen des supranationalen Zusammenschlusses in der Union fließt.559 Rechte aus den Grundfreiheiten können dementsprechend nur im zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis geltend gemacht werden, Verpflichtungen daraus treffen die Mitgliedstaaten ebenfalls nur in binnenmarktinternen Konstellationen. Diese „Binnenmarktfinalität“ stellt jedoch mit Blick auf grundfreiheitenbedingte Änderungen des Kollisionsrechts vor das Problem, dass sie entweder zu einem gespaltenen Kollisionsrecht führen oder aber die Wirkung der Grundfreiheiten über den eigentlich vorgesehenen Bereich des Binnenmarktes ausdehnen muss.560 aa) Kollisionsrechtsspaltung oder loi uniforme? Paradebeispiel für eine aus der Umsetzung der sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Vorgaben im mitgliedstaatlichen IPR resultierende Kollisionsrechtsspaltung ist das deutsche bzw. österreichische Internationale Gesellschaftsrecht: Während für Gesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten das Gesellschaftsstatut nach dem Gründungs- bzw. Satzungssitz bestimmt wird, ist für Gesellschaften aus Drittstaaten nach wie vor die Sitztheorie maßgeblich (siehe 1.c)aa), S. 348 ff.). Eine derartige Kollisionsrechtsspaltung läuft jedoch dem loi uniforme-Prinzip entgegen, das als Grundprinzip des modernen IPR heute nicht nur in nationalen, sondern auch in völkerrechtlichen und europäischen Kollisionsrechtsakten ganz überwiegend zugrunde gelegt wird. Wenn im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten neue, „grundfreiheitengeprägte“ Kollisionsregeln angewendet werden, während im Verhältnis zu Drittstaaten an den bisherigen Regeln festgehalten wird, lässt sich ein Modell allseitiger Kollisionsregeln mit universeller Geltung nicht verwirklichen. Bislang ließ sich dieses Problem zwar weitgehend vermeiden, indem die 558 Der EuGH äußert sich gerade nicht zu Drittstaaten-Sachverhalten, vgl. Mankowski in Leible / Ruffert, 235, 261 f. 559 Vgl. insbesondere zur Statusanerkennung innerhalb des Binnenmarktes CoesterWaltjen IPRax 2006, 392, 393; Coester-Waltjen in: FS Jayme I, 121, 128; Mankowski IPRax 2020, 323, 324, 328 f.; Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 668. – Umfassend zum gegenseitigen Vertrauen innerhalb der EU und seiner Rolle für die Weiterentwicklung des IPR M. Weller JPIL 11 (2015), 64, 64 ff. 560 Roth AcP 220 (2020), 458, 479 betont, dass der Wunsch nach der Vermeidung einer Kollisionsrechtsspaltung für das mitgliedstaatlich verbleibende IPR erheblichen Anpassungsdruck bedeutet.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

Vorgaben der Grundfreiheiten auf anderem Wege als durch Modifikation der Anknüpfungsregeln durchgesetzt wurden – wie etwa die deutsche und schwedische Zusatzregelung zur Umsetzung der europäischen Namensfreizügigkeit zeigen, die die Anknüpfungsregeln des Internationalen Namensrechts jeweils unberührt lassen (siehe oben 1.c)aa), bb), S. 348 ff., S. 353 ff.). Allerdings bieten sich derartige Lösungen nicht für alle potentiell von den Grundfreiheiten betroffenen (Kollisions-)Rechtsgebiete gleichermaßen an. Spätestens, wenn eine aus den Grundfreiheiten fließende Anerkennungspflicht einen punktuellen oder weitreichenden Übergang zu einem Modell kollisionsrechtlicher Statusanerkennung erfordert, wird man die Schwierigkeit konfrontieren müssen, dass eine grundfreiheitenkonforme Anpassung des Kollisionsrechts (nur) im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander zwingend ist. Damit gelten verschiedene Anknüpfungsregeln (im Anerkennungsfall sogar Kollisionsrechtskonzeptionen) für unterschiedliche Adressaten – ein IPR für Mitgliedstaaten und ein IPR für Drittstaaten existieren nebeneinander, der loi uniforme-Grundsatz wird massiv eingeschränkt. Bereits die Abgrenzung zwischen Binnenmarkt- und Drittstaaten-Fällen stellt sich dabei keineswegs stets unkompliziert dar. Eindeutig ist, dass die Grundfreiheiten in reinen Binnenmarktkonstellationen ohne jeglichen Drittstaatenbezug gelten – wenn also lediglich eine grenzüberschreitende Tätigkeit von Unionsbürgern bzw. mitgliedstaatlichen Unternehmen innerhalb der EU in Frage steht. Ebenfalls vergleichsweise einfach scheint, dass ein Sachverhalt mit Bezug zu lediglich einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat nicht in den Einzugsbereich der Grundfreiheiten fällt – die Mitgliedstaaten sind in der Gestaltung ihrer nationalen Kollisionsregeln für diese Situationen vollkommen frei, die Schlechterstellung von Drittstaatsangehörigen ist grundsätzlich akzeptabel. Die Schwierigkeiten beginnen jedoch, wenn Berührungspunkte zu einem Drittstaat sowie zu mehreren Mitgliedstaaten bestehen. Verschiedene nationale Anknüpfungsregeln und Anerkennungsmaßstäbe können zu einer unterschiedlichen Behandlung in den unterschiedlichen Mitgliedstaaten führen – etwa, wenn eine in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft in manchen Mitgliedstaaten nach der Gründungs-, in anderen dagegen nach der Sitztheorie beurteilt wird oder wenn eine in einem Drittstaat geschlossene gleichgeschlechtliche Ehe nur in einigen Mitgliedstaaten als solche anerkannt wird. Für drittstaatsangehörige Gesellschaften bzw. Personen ist das grundsätzlich hinzunehmen, da sie gerade nicht in den Genuss der Grundfreiheiten kommen. Vor Probleme stellt es jedoch, wenn Unionsangehörige betroffen sind. Müsste etwa eine deutsche Gesellschaft mit einer Niederlassung in Österreich hinnehmen, dass ein nach dem Recht eines Drittstaats begründetes publizitätsloses Sicherungsrecht an den von ihr importierten Waren in Deutschland anders beurteilt wird als in Österreich? Oder läge bereits in dieser unterschiedlichen Behandlung eine Beschränkung der Grundfreiheiten? Brisant wird auch diese Frage wieder vor allem im Zusammenhang personen-

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rechtlicher Statusfragen. Ist es einem Unionsbürger zuzumuten, wenn sein in einem Drittstaat nach dortigem Recht wirksam erworbener Name in den EUMitgliedstaaten unterschiedlich anerkannt bzw. nicht anerkannt wird? Schließen zwei Unionsbürger aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten in einem Drittstaat eine gleichgeschlechtliche Ehe, ist es dann hinnehmbar, wenn dieser innerhalb der EU (unter Umständen sogar in ihren Heimatstaaten) unterschiedliche Wirkungen zugestanden werden? Diskrepanzen in der Statusbeurteilung durch die Mitgliedstaaten wirken bei in Drittstaaten begründeten Rechtslagen letztlich genauso hinderlich für die anschließende Zirkulation im Binnenmarkt wie bei in einem Mitgliedstaat begründeten Rechtslagen. Auch die Gefahr hinkender Rechtsverhältnisse droht hier genauso, wie derzeit das Beispiel des unterschiedlichen Umgangs der Mitgliedstaaten mit in Drittstaaten erfolgten Privatscheidungen zeigt. Insofern lässt sich argumentieren, dass die Grundfreiheiten (insbesondere die Freizügigkeit der Unionsbürger) hier ebenso betroffen sind. Auf der anderen Seite fehlt im Verhältnis zu Drittstaaten gerade das innerhalb des Binnenmarktes vorhandene grundsätzliche Vertrauen in die Einhaltung von Mindeststandards und gemeinsamen Grundwertungen.561 Umgekehrt erschiene es künstlich, von Drittstaatsangehörigen in einem EU-Mitgliedstaat begründete Rechtslagen in anderen Mitgliedstaaten anders zu behandeln als von Unionsbürgern begründete Rechtslagen – denn das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten ist in beiden Situationen dasselbe. Klarheit, ob auch diese Szenarien von den Grundfreiheiten gedeckt sind, wird wiederum nur der EuGH liefern können. In Anbetracht seiner Tendenz zu einer großzügigen Auslegung der Grundfreiheiten scheint es nicht unwahrscheinlich, dass auch Drittstaaten- bzw. Drittstaater-Konstellationen ihrem Schutzbereich grundsätzlich unterstellt werden – wenn dann aber den Mitgliedstaaten mehr Spielraum bei der Rechtfertigung von Eingriffen zugestanden wird als bei reinen Binnenmarktkonstellationen, verlagern sich die Schwierigkeiten allerdings letztlich nur. Unabhängig davon, wie weit die räumlich-persönliche Reichweite der Grundfreiheiten interpretiert wird: Wenn das mitgliedstaatliche IPR (nur) für Binnenmarktfälle an die Vorgaben der Grundfreiheiten angepasst und unter Umständen durch ein Anerkennungsmodell ersetzt bzw. ergänzt wird, kommt es jedenfalls zu einer Kollisionsrechtsspaltung mit den dazugehörigen dogmatischen und praktischen Schwierigkeiten.562 Während die Unterscheidung 561 Von der Nichterfassung in Drittstaaten geschlossener Ehen durch die ComanRechtsprechung ausgehend Croon-Gestefeld StAZ 2018, 297, 301. 562 Siehe etwa Junker in: FS Sonnenberger, 417, 431; Mankowski IPRax 2020, 323, 329; Mankowski in: FS Coester-Waltjen, 571, 585; für das Internationale Sachenrecht ablehnend Kieninger in: FS Coester-Waltjen, 469, 473 f. – Noch zum auf den Binnenmarkt beschränkten Richtlinien-IPR Mankowski in Leible / Ruffert, 235, 252. – Als notwendige Konsequenz eines binnenmarktorientierten IPR hinnehmen will ein gespaltenes System

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zwischen Regeln für Mitglied- und Drittstaaten im auf relativen Verhältnissen aufbauenden europäischen IZVR vergleichsweise einfach realisierbar ist, erweist sie sich für das universell konzipierte Kollisionsrecht als ungünstig. Hinzu tritt die Schwierigkeit, dass die Trennlinie im Kollisionsrecht unter Umständen in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich gezogen wird, sodass die Rechtslage noch unübersichtlicher wird. Eine Lösung für diese Probleme liegt auf der Hand: Die Änderung der betreffenden nationalen Kollisionsregeln nicht nur im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten, sondern insgesamt. Sie ist die einzige Möglichkeit, die Universalität der Anknüpfungsregeln zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Beispielsweise ließe sich die derzeitige Spaltung des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts vermeiden, indem der durch die Vorgaben des Unionsrechts angestoßene Übergang zur Gründungstheorie schlicht für das Gesellschaftskollisionsrecht insgesamt vollzogen würde. Derartige Vorschläge – etwa die vom Deutschen Rat für IPR vorgeschlagene und in einem Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums 2008 übernommene einheitliche Anknüpfung an den Gründungs- bzw. Registerstaat563 – konnten sich in Deutschland zwar bisher nicht durchsetzen, sind aber nicht verstummt; neuen Aufwind könnte ihnen verleihen, dass ein entsprechender, umfassender Übergang zur Gründungstheorie nunmehr für das französische IPR diskutiert wird.564 Abgesehen davon, dass eine solche Einheitslösung simpler und anwenderfreundlicher ist, wird auf diese Weise auch das loi uniforme-Prinzip effektiv gewahrt. Allerdings stehen diesen Vorteilen auch gravierende Nachteile gegenüber. Eine Ausdehnung der Anknüpfungsregeln, die insbesondere der Durchsetzung der Grundfreiheiten dienen, auch auf drittstaatliche Akteure und Sachverhalte erweitert letztlich den Binnenmarkt in dieser Hinsicht über seine eigentlichen Grenzen hinaus. Es läuft aber den Zielen einer auf ihre Mitgliedstaaten begrenzten Wirtschafts- und Rechtsgemeinschaft konträr, wenn eigentlich als Bonus für ihre Mitglieder konzipierte Vorzüge auch Nichtmitgliedern zugutekommen. Dehnt man die Wirkung der Grundfreiheiten über die Grenzen der EU hinaus auf alle Staaten aus, wird der Binnenmarkt (zumindest im Hinblick auf das IPR) über seinen Zweck und seine Grundlagen hinaus erweitert. Für den begrenzten Bereich des Kollisionsrechts und zur (Anerkennung gegenüber Mitgliedstaaten, Verweisung gegenüber Drittstaaten) Lehmann in: Leible, 11, 40. 563 Dazu Schurig in: FS Coester-Waltjen, 745, 748 ff. – Jüngst z. B. gefordert von J. Schmidt EuZW 2021, 613, 619. 564 Vorschlag des Haut Comité Juridique de la Place financière de Paris: Rapport sur le rattachement des sociétés, 21.3.2021; siehe Mastrullo .

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Wahrung des – auch im EU-IPR durchgehend zugrunde gelegten – Prinzips universeller Anknüpfungsregeln mag dies zwar aus unionsrechtlicher Sicht durchaus zu verschmerzen sein. Auch kann man den Mitgliedstaaten eine solche „überschießende Umsetzung“ kaum verwehren.565 Auf einem anderen Blatt steht aber, ob sie stets im Interesse aller Mitgliedstaaten liegt. Zum einen entsprechen die an den Grundfreiheiten ausgerichteten Anknüpfungsregeln gegebenenfalls nicht ihren nationalen Vorstellungen, sodass sie sie nicht über den Rahmen des Erforderlichen hinaus implementieren wollen. Zum anderen geben sie ein weiteres erhebliches Stück ihrer internationalprivatrechtlichen Souveränität auf, wenn sie die unionsrechtlichen Vorgaben über das von der EU geforderte Maß hinaus umsetzen. bb) Notwendigkeit europäischer Entscheidungen Die derzeitige Situation, in der jeder Mitgliedstaat für sich entscheidet, ob und inwieweit er – vorausgesetzt, dass er die aus den Grundfreiheiten fließenden Vorgaben überhaupt durch eine Änderung im IPR selbst umsetzt – seine unionsrechtsorientierten Kollisionsregeln auch auf Drittstaatensachverhalte erstreckt, ist auf Dauer ungünstig. Durch unterschiedlich weit reichende Kollisionsrechtsspaltungen in den Mitgliedstaaten wird das national verbliebene IPR noch unübersichtlicher: Die Anzahl der anwendbaren Kollisionsregeln steigt, die Abgrenzung dazwischen muss für jeden Mitgliedstaat aufwendig ermittelt werden. Das kann sich nicht nur praktisch negativ auswirken (etwa in renvoi-Fällen, die unter dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht nach wie vor existieren), sondern ist auch dem Bestreben nach einer Kollisionsrechtsharmonisierung in Europa diametral entgegengesetzt und damit kaum im Sinne der EU. Zur Vermeidung derartiger Divergenzen und daraus potentiell entstehender weiterer Spaltungen zwischen den mitgliedstaatlichen Kollisionsrechten muss eine einheitliche Lösung zum Umgang mit Drittstaatensachverhalten gefunden werden, was letztlich nur auf europäischer Ebene möglich ist. Auch mit Blick auf die künftige Europäisierung weiterer Kollisionsrechtsbereiche wäre es sinnvoll, wenn die Entscheidung über die Ausdehnung des Grundfreiheiteneinflusses auf das Kollisionsrecht im Verhältnis zu Drittstaaten durch die EU getroffen würde. Eine andere Frage ist freilich, ob ihr auf der Basis des derzeitigen Unionsrechts die Kompetenz dafür zukommt – doch zumindest Empfehlungen könnte sie aussprechen. Eine europäische Lösung könnte auch dem Problem der uneinheitlichen Handhabung der Anerkennung in Drittstaaten entstandener Rechtslagen Abhilfe schaffen. Denkbar wäre etwa ein System, bei dem die in einem Drittstaat erfolgte Statusänderung in dem Mitgliedstaat, in dem sie innerhalb Eu565 Vgl. noch zum Binnenmarkt-IPR aus der Zeit vor den europäischen Kollisionsrechtsverordnungen Mankowski in Leible / Ruffert, 235, 252 f.

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ropas das erste Mal relevant wird, einer umfassenden Anerkennungsprüfung unterzogen wird; das Ergebnis dieser Prüfung im Aufnahmemitgliedstaat könnte dann für die gesamte EU Wirkung entfalten.566 Dadurch wäre die einheitliche Behandlung aus Drittstaaten stammender Rechtslagen in Europa sichergestellt. Die Gefahr, dass Unionsbürger durch die unterschiedliche Behandlung ihres in einem Drittstaat erworbenen Status in der Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte eingeschränkt werden, wäre jedenfalls gebannt. Auch für in der EU niedergelassene Drittstaater wäre die Regelung eine erhebliche Vereinfachung. Für den Binnenmarkt wäre ein einmaliges Anerkennungsverfahren mit anschließend freier Zirkulation ebenfalls vorteilhaft. Schließlich würde es unter dem Strich erheblichen Verwaltungsaufwand in den Mitgliedstaaten ersparen. Ein solches Modell ließe sich nur für alle Mitgliedstaaten gemeinsam und damit im Zuge eines europäischen Rechtsakts implementieren. Realisierbar wäre es insbesondere als Teil von Kollisionsrechtsakten, die Anknüpfungs- und Statusanerkennungsregeln miteinander verbinden, etwa als Ergänzung des bereits vorliegenden wissenschaftlichen Vorschlags für eine Verordnung zum Internationalen Namensrecht. Inhaltlich erforderlich wäre dafür insbesondere ein gemeinsamer europäischer (Mindest-)Standard für die einmalige „Eingangsprüfung“, allein schon, um die Entstehung von „Anerkennungsparadiesen“ in besonders großzügigen Mitgliedstaaten zu verhindern. Allenfalls durch eine auf Ausnahmefälle beschränkte ordre public-Kontrolle, aufgrund derer Mitgliedstaaten individuell eine Anerkennung verweigern könnten, könnte noch Raum für eigene nationale Wertungen gelassen werden. Notwendige Voraussetzung bzw. Konsequenz wäre – sowohl auf die derzeit in Frage stehenden Rechtsgebiete bezogen als auch insgesamt – eine weitere Annäherung der mitgliedstaatlichen Wertvorstellungen und die Herausbildung gemeinsamer europäischer Grundwertungen bzw. Mindeststandards. Sofern und soweit sich eine solche Harmonisierung durchsetzen ließe, trüge sie zum auch rechtspolitisch stärkeren Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten im Sinne eines europäischen ordre public bei, könnte aber umgekehrt die Kluft zwischen EU und Drittstaaten verstärken. Ein einheitlicher Maßstab für die Anerkennungsprüfung für den europäischen Rechtsraum kann den Eindruck eines „Bollwerk Europa“ nach außen erwecken. Insbesondere besteht die Gefahr, dass durch die regelmäßige Anerkennung in bestimmten Drittstaaten geschaffener und die Ablehnung in anderen Drittstaaten begründeter Rechtslagen eine Dichotomie zwischen „guten“ und „bösen“ Drittstaaten entsteht: solchen, die die europäischen Wert- und Rechts566 Für ein solches Modell (mit Registrierung) im Namensrecht Mankowski StAZ 2016, 193, 198 ff.; für den NamensVO-E in diese Richtung tendierend auch Helms in: Dutta /  Helms / Pintens, 93, 98 („nicht ganz ohne Brisanz“) sowie Mączyński in: Dutta / Helms /  Pintens, 99, 104. – Skeptisch gegenüber einem Anerkennungsmodell für ausländische Eheschließungen dagegen etwa Coester StAZ 2016, 257, 259.

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vorstellungen teilen, und solchen, die dies nicht tun. Mit Abwehrreaktionen zumindest einiger Drittstaaten ist zu rechnen. Schlimmstenfalls könnte sich ein „us vs. them“-Denken etablieren, bei dem sich die EU und „befreundete“ (westlich orientierte) Rechtsordnungen und Drittstaaten mit anderen rechts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen gegenüberstehen.567 Verstärkt werden könnte dieser Effekt noch dadurch, dass bestimmten Drittstaaten durch Staatsverträge eine kollisionsrechtliche Gleichstellung mit EU-Mitgliedstaaten oder eine im Vergleich zu anderen Drittstaaten erleichterte Anerkennung zugestanden wird.568 Durch eine solche bevorzugte Behandlung würden die Segnungen des Binnenmarktes für das IPR gewissermaßen selektiv auf „gute“ Drittstaaten ausgedehnt. Sofern bereits bestehende Staatsverträge für die Behandlung der Vertragspartner den Meistbegünstigungsgrundsatz zugrunde legen, wie z. B. der deutsch-japanische Handels- und Schiffahrtsvertrag von 1927 oder der österreichisch-iranische Freundschaftsund Niederlassungsvertrag von 1959,569 kann dies – je nachdem, wie weit die vertraglichen Verpflichtungen im Einzelnen reichen – bereits jetzt der Fall sein. Das Szenario weiterhin mitgliedstaatlichen, gespaltenen Kollisionsrechts würde durch entsprechende Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten mit jeweils bestimmten Drittstaaten noch weiter verkompliziert. Dies birgt in die eine Richtung die Gefahr, dass Mitgliedstaaten aus Praktikabilitätsgründen die Differenzierung aufgeben und schlicht alle Drittstaaten den EUPartnerstaaten und staatsvertraglich verbundenen Staaten gleichstellen, womit die besonderen Vertrauensverhältnisse entwertet würden. In die andere Richtung droht das Risiko einer „Blockbildung“, indem beispielsweise die osteuropäischen Staaten die Nachfolgestaaten der UdSSR oder die romanischen Rechtsordnungen die lateinamerikanischen Staaten bevorzugen. Auch hier würde eine europäische Harmonisierung der von den Grundfreiheiten beeinflussten Kollisionsregeln Abhilfe schaffen, da damit die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf die EU überginge (siehe § 8.II.1.a), S. 496 ff.). Zumindest für künftige Staatsverträge könnte damit die einheitli567

143 ff.

Drastisch („Clash of civilizations“) etwa Kreuzer Rechtswissenschaft 2010, 143,

Dem Völkerrecht ist der Anerkennungsgrundsatz nicht unbekannt, wie etwa Art. 9 Haager Eheschließungsübereinkommen von 1978, Art. 23 Haager Adoptionsübereinkommen von 1993 oder Art. 3 Istanbuler Namensänderungsübereinkommen von 1958 zeigen, vgl. Coester-Waltjen IPRax 2006, 392, 394 f. – Einige jüngere Konventionen der CIEC (zur Namensanerkennung von 2005 sowie zur Anerkennung registrierter Partnerschaften von 2007) legen bewusst ein Anerkennungsmodell zugrunde, waren aber bislang wenig erfolgreich; zu den Gründen für die Nichtzeichnung der CIEC-Konvention zur Namensanerkennung durch Deutschland ausführlich Sturm in: FS Spellenberg, 523, 527 ff. 569 Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 18 f. – Vgl. zum Meistbegünstigungsgrundsatz und seiner Koordination mit dem europäischen IPR und IZVR (noch vor Verabschiedung der Kollisionsrechtsverordnungen) ausführlich Mankowski in Leible / Ruffert, 235, 235 ff. 568

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che Behandlung ein und desselben Drittstaats in der gesamten EU sichergestellt werden. Für die Gestaltung der Außenbeziehungen der EU könnte sich diese Option als attraktives Instrument erweisen, mit dem der Rechts- und Wirtschaftsverkehr etwa im Verhältnis zu Beitrittskandidaten oder wichtigen Handelspartnern der EU weiter erleichtert werden kann. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass sich die Dichotomie zwischen präferenziell behandelten und anderen Drittstaaten verstärkt und bei Letzteren Widerstand und Skepsis gegenüber der EU hervorruft bzw. erhöht. Für eine Umsetzung im IPR stellt die räumlich begrenzte Reichweite der Grundfreiheiten, abgesehen von ihren noch unklaren Konturen, vor erhebliche Probleme. Die Beschränkung bestimmter Regeln auf interbinnenmarktliche Konstellationen und die daraus resultierende Kollisionsrechtsspaltung wirken in einem universell angelegten Kollisionsrechtssystem deplaciert und störend. Während eine Ausweitung insgesamt letztlich dem Sinn und Zweck des Binnenmarktes zuwiderläuft, bietet eine auf bestimmte Drittstaaten begrenzte Anwendung der europaorientierten Kollisionsregeln rechtspolitische Sprengkraft. Derzeit ist die unterschiedliche Handhabung durch die Mitgliedstaaten noch zu bewältigen (wenn auch nicht ideal), bei der zu erwartenden Ausweitung des Grundfreiheiteneinflusses auf weitere Kollisionsrechtsgebiete wird sie aber zu einer vollkommen unübersichtlichen Lage führen. Eine sinnvolle Lösung – vor allem im Hinblick auf die Statusanerkennung – wird nur auf europäischer Ebene geschaffen werden können: Einzig die EU kann über die Kernfrage der Reichweite der Grundfreiheiten entscheiden und darauf aufbauend den einheitlichen Umgang mit ihren Vorgaben regeln. Als weiterer Schritt zur Kollisionsrechtsvereinheitlichung wäre dies durchaus zu begrüßen. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass einerseits mit erheblichem Widerstand zumindest einiger Mitgliedstaaten zu rechnen ist und andererseits darin auch rechtspolitisches Spaltungspotential für die globalen Beziehungen der EU liegt. Will die EU langfristig diesen Weg beschreiten, muss sie nach innen und außen Vorsicht und Fingerspitzengefühl an den Tag legen. Unter Umständen erweisen sich nicht direkt auf die Kollisionsregeln einwirkende Alternativen zur Verwirklichung der aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Ergebnisvorgaben für die Mitgliedstaaten zumindest für die nähere Zukunft doch als geeigneter. So oder so sollten aber die noch offenen Fragen zur räumlich-persönlichen Reichweite der Grundfreiheiten rasch geklärt werden, um die erforderlichen Entscheidungen zuverlässig treffen und das Gesamtsystem des IPR daran ausrichten zu können. 4. Resultat Das primäre Unionsrecht in Gestalt der Grundfreiheiten entfaltet eine erhebliche Wirkung auf das national verbliebene Kollisionsrecht. Die vor allem durch die Rechtsprechung des EuGH aus den Grundfreiheiten abgeleiteten

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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(Wert-)Vorgaben richten sich zwar per se nicht an das mitgliedstaatliche IPR: Aus den Entscheidungen über Inhalt und Reichweite der primärrechtlichen Ver- und Gebote entstehen für die Mitgliedstaaten lediglich Ergebnisvorgaben. Gleichwohl ist zu beobachten, dass für Konstellationen, in denen eine Grundfreiheiteneinschränkung aus dem Zusammenspiel von IPR und materiellem Recht entsteht, Lösungen durch die Mitgliedstaaten zumeist auf Ebene der Anknüpfungsregeln entwickelt oder zumindest im Kollisionsrecht verortet werden. Dieser Ansatz wird allerdings problematisch, wenn mehr als nur einzelne Änderungen erforderlich werden, und dürfte langfristig kaum haltbar sein. Abgesehen von der Notwendigkeit eindeutiger primärrechtlicher Vorgaben tritt immer deutlicher zutage, dass grundfreiheitenkonforme Kollisionsregeln auf mitgliedstaatlicher Ebene kaum noch sinnvoll planbar scheinen – ganz abgesehen davon, ob sie überhaupt möglich und erstrebenswert sind. Methodisch bieten die indirekten primärrechtlichen Einflüsse eine deutlich größere Sprengkraft als die dem klassischen Verweisungsrecht entsprechenden europäischen Kollisionsrechtsakte. Sie tragen maßgeblich zur wachsenden Popularität eines Ansatzes der Status- bzw. Rechtslagenanerkennung bei, der die traditionellen Anknüpfungsregeln ergänzen und zumindest anteilig verdrängen könnte. Dabei erweisen sich Statusfragen gerade mit Blick auf die im Familienrecht zwischen den Mitgliedstaaten stark divergierenden Ansätze und Auffassungen als rechtspolitisch besonders heikel. Ob, inwieweit und für welche Rechtsgebiete aus den Vorgaben der Grundfreiheiten eine Pflicht zur Rechtslagenanerkennung im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander fließt, ist im Einzelnen noch unklar. Eine Verallgemeinerung der zum Namensrecht entwickelten Ansätze für die kollisionsrechtliche Statusanerkennung insgesamt hat der EuGH in seiner Coman-Entscheidung bewusst nicht vorgenommen und damit mehr Fragen aufgeworfen, als er gelöst hat. Allerdings verdichten sich die Zeichen, dass in der näheren Zukunft zumindest zu einem gewissen Grad eine Freizügigkeit des personen- und familienrechtlichen Status innerhalb der EU im Ergebnis verpflichtend sein wird. Wie der daraus im Kollisionsrecht erforderliche grundlegende Umbruch zu bewältigen sein soll, wird mindestens so heftig diskutiert wie die Vor- und Nachteile eines kollisionsrechtlichen Anerkennungsmodells. Auf mitgliedstaatlicher Ebene gibt es vorsichtige, punktuelle Ansätze, ein umfassender Systemwechsel in diese Richtung ist bislang aber noch nicht unternommen worden und scheint auch kaum sinnvoll. Eine Gesamtkonzeption, die Anerkennungs- und Anknüpfungsregeln miteinander verbindet und auf das bereits bestehende und künftig zu erwartende europäische Kollisionsrecht abgestimmt ist, kann nur auf EU-Ebene mit langfristigen Erfolgsaussichten entwickelt werden. Mit dem wissenschaftlichen Vorschlag einer Verordnung zum Internationalen Namensrecht liegt bereits ein auf ein einzelnes, klar umgrenztes Rechtsgebiet bezogener Entwurf vor, der als Grundlage für eine erste praktische Implementierung der Statusanerkennung dienen kann. Entscheidet

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

man sich – auch unter dem Druck der Grundfreiheiten-Rechtsprechung – für einen Übergang zur kollisionsrechtlichen Statusanerkennung im Personenund Familienrecht insgesamt, dürfte auf Dauer kein Weg an einer umfassenden europäischen Lösung vorbeiführen. Den Problemen der rechtstechnischen Umsetzung vorgelagert ist die grundlegende Schwierigkeit, dass Reichweite und Grenzen der Grundfreiheiten nach wie vor nicht eindeutig bestimmt sind. In sachlicher Hinsicht scheinen die Grundfreiheiten in ihrer derzeitigen Interpretation tendenziell allumfassend, sodass in allen Bereichen des Kollisionsrechts mit primärrechtlichen Einflüssen gerechnet werden muss. Als inhaltliche Grenze der Grundfreiheiten nimmt für das Kollisionsrecht der nationale ordre public eine zentrale Rolle ein – inwieweit dieser vor allem in rechtspolitisch umstrittenen Fragen zur Rechtfertigung von Eingriffen der Verhältnismäßigkeitskontrolle standhalten kann, ist bislang allerdings nur für Einzelfälle geklärt, das allgemeine Verhältnis der gegenseitigen Begrenzung nationaler und europäischer Wertvorstellungen ist dagegen noch ungewiss. Räumlich-persönlich erfassen die Grundfreiheiten nur binnenmarktinterne Verhältnisse. Inwieweit die daraus fließenden Konsequenzen im Interesse einheitlicher Lösungen auch auf Drittstaaten ausgedehnt werden sollten, ist unionsrechtlich und außenpolitisch diffizil, unterschiedliche Herangehensweisen der einzelnen Mitgliedstaaten müssen in eine chaotische Lage münden. Über die exakte Konturierung der Grundfreiheiten kann nur auf europäischer Ebene entschieden werden – dringend erforderlich sind klare und zuverlässige Vorgaben zu Reichweite und Anforderungen der Grundfreiheiten, gerade wenn sich abzeichnet, dass sich ihr Netz immer enger zieht. Vor allem bei der Übertragung zu anderen Rechtsgebieten entwickelter Grundsätze auf das IPR ist Vorsicht geboten – die Vernetzung der entschiedenen Frage mit anderen Rechtsbereichen sollte künftig bereits bei der Formulierung der Vorgaben stärker beachtet werden. Dabei stellt die einzelfallbezogene Kasuistik des EuGH zum Primärrecht für das IPR eine zusätzliche Herausforderung dar. Für das als abstraktes Gesamtsystem aufeinander abgestimmter Regeln konzipierte Verweisungsrecht ist es schwer, das häufig auf speziell gelagerte Konstellationen bezogene case law des EuGH nach und nach zu akkommodieren. Verschärfend kommt hinzu, dass bei den Entscheidungen zu den Grundfreiheiten nach wie vor eine „Unterschätzung kollisionsrechtlicher Fragestellungen durch den EuGH“570 zu beklagen ist, auch wenn sich dies in jüngerer Zeit bessert. Auch durch die Tendenz des EuGH, bei der Annahme von Grundfreiheitenbeeinträchtigungen und Gemeinschaftsbezügen großzügig zu verfahren,571 bewegt sich das Kollisionsrecht inzwischen in einem primärrechtlichen Minenfeld. Solange es an Unter dieser Zwischenüberschrift etwa kritisch zur Entwicklung in der Frühphase Kohler in: FS Jayme I, 445, 450 ff. 571 Vgl. kritisch Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 706. 570

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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einer umfassenden und belastbaren unionsrechtlichen Doktrin zu den Grundfreiheiten fehlt, ist eine konzeptionelle Orientierung des IPR daran jedoch kaum möglich. Die derzeitige Situation rechtsprechungsgetriebener, punktueller Anpassungen des Kollisionsrechts und zahlreicher offener Fragen bezüglich der Vereinbarkeit existierender Anknüpfungsregeln mit den Grundfreiheiten ist mehr als unglücklich. Für die Mitgliedstaaten ist es auf Dauer nicht zumutbar, ihre Rechtsregeln unter dem Damoklesschwert möglicher Unionsrechtswidrigkeit konzipieren und anwenden, dabei auf letztlich spekulative Rettungsmöglichkeiten wie die grundfreiheitenkonforme Auslegung zurückgreifen und permanent kleinschrittige Nachbesserungen vornehmen zu müssen. Gleichzeitig perpetuiert ein vorauseilender Gehorsam, bei dem die einzelnen Mitgliedstaaten sich an dem orientieren, was sie jeweils für die strengste Auslegung der Grundfreiheiten halten, nicht nur die bestehende Unsicherheit, sondern wirkt durch die daraus resultierende Zersplitterung der eigentlich angestrebten Integration konträr. Für eine zuverlässige und kohärente Entwicklung des IPR müssen die primärrechtlichen Vorgaben seitens der EU eindeutig formuliert und umgrenzt werden. Insbesondere sollte ein so großer Bruch im kollisionsrechtlichen Gefüge wie der vorgeschlagene Paradigmenwechsel hin zur Statusanerkennung nicht auf einzelne Entscheidungen gestützt, sondern auf Grundlage einer allgemeinen Systematik entwickelt werden. Der EuGH kann allerdings nur durch zahlreiche und geeignete Vorlagefragen die Gelegenheit zur weiteren Ausformung von Inhalt und Grenzen der Grundfreiheiten erhalten. Je weitreichender und grundlegender die Grundfreiheiten im IPR Anwendung finden sollen bzw. müssen, desto sinnvoller erscheinen zur Implementierung derart weit greifender Vorgaben außerdem einheitliche europäische Ansätze anstelle unterschiedlicher nationaler Umsetzungen. Der Ansatz, unionsrechtlich Ziele zu setzen und die Mittel zu deren Erreichung den Mitgliedstaaten zu überlassen, hat sich bereits in Gestalt des Richtlinienkollisionsrechts nicht durchsetzen können. Bei den Grundfreiheiten führt die Nutzung der großen Umsetzungsspielräume zu einer Divergenz der mitgliedstaatlichen Lösungen,572 da noch nicht einmal der kollisionsrechtliche Weg zur Erreichung der unionsrechtlichen Ziele vorgeschrieben ist. Zumindest kurz- und mittelfristig führt nationales Handeln zu einer weiteren Zersplitterung.573 Die Vielfalt der Ansätze schafft nicht nur Unsicherheit, sondern droht teils das Ziel einheitlicher Rechtsanwendung zu verfehlen. Umgekehrt können einmal erzielte (unionsrechts)konforme Ergebnisse die Chancen späterer Harmonisierungsprojekte senken, weil der Bedarf nach einer weiteren Vereinheitli572 Kreativ ist etwa der österreichische Vorschlag, in das nationale Kollisionsrecht eine die Grundfreiheiten von vornherein berücksichtigende Ausweichklausel aufzunehmen, vgl. Bachner ÖJZ 2020, 53, 60. 573 Vgl. Lurger IPRax 2019, 560, 565.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

chung nicht mehr so drängend wahrgenommen wird. Je stärker der Spielraum der Mitgliedstaaten durch die primärrechtlichen Vorgaben eingeschränkt ist, desto sinnvoller scheint es, von vornherein auch eine gemeinsame europäische Linie zu ihrer Verwirklichung vorzugeben. Nicht von ungefähr sind im Gefolge der EuGH-Rechtsprechung zum Internationalen Gesellschafts- und Namensrecht konkrete Harmonisierungsvorschläge vorgelegt worden. Vor allem, wenn die unionsrechtlich angestoßenen Änderungen über die Modifikation einzelner Anknüpfungsregeln hinaus die konzeptionellen Grundfragen des IPR berühren, sind mitgliedstaatliche Alleingänge sinnlos und schädlich. Sowohl bei der Implementierung eines Statusanerkennungsmodells als auch im Umgang mit Drittstaaten führt auf Dauer kein Weg an einer einheitlichen europäischen Herangehensweise mit Blick auf das große Ganze vorbei. Ein grundfreiheitenorientiertes und damit unionsrechtlich geprägtes Kollisionsrecht ist praktisch und thematisch auf der EU-Ebene anzusiedeln. Auf einem ganz anderen Blatt steht allerdings, ob das Kollisionsrecht tatsächlich der richtige Ort zur Verwirklichung der Grundfreiheiten ist. In mehrerer Hinsicht scheint dies zweifelhaft. Ein (zwingender) Zusammenhang zwischen Grundfreiheiten und IPR darf nicht postuliert werden. Grundfreiheitenverstöße werden erst durch das Zusammenspiel von Verweisungs- und Sachrecht ausgelöst, sodass bereits fraglich ist, ob man überhaupt von grundfreiheitenkonformen bzw. grundfreiheitenwidrigen Anknüpfungsregeln sprechen kann. Auch beinhalten die Grundfreiheiten keine speziell kollisionsrechtlichen Erfordernisse: Das Unionsprimärrecht ist nicht nur gerade kein Kollisionsrecht, sondern nimmt das IPR auch nicht als solches in den Blick. Die Entscheidungen des EuGH betrachten regelmäßig allenfalls einzelne (mitgliedstaatliche) Kollisionsregeln, nicht aber das IPR-Gesamtsystem. Hinzu kommen die grundsätzlich unterschiedlichen Zielsetzungen und Wirkungsfelder der beiden Materien. Während die Grundfreiheiten aktiv die Integration innerhalb des Binnenmarktes befördern, bezweckt das nicht auf das Verhältnis der Mitgliedstaaten begrenzte Kollisionsrecht eine grundsätzlich neutrale Koordination. Die Binnenmarktfinalität der Grundfreiheiten und der universelle Ansatz des IPR scheinen kaum miteinander vereinbar. Will man nicht die Rolle der Grundfreiheiten zur Förderung und Bevorzugung speziell innereuropäischer Beziehungen aufgeben, muss eine Spaltung des Kollisionsrechts für Mitglied- und Drittstaaten in Kauf genommen werden, die sowohl rechtstechnisch als auch rechtspolitisch wenig wünschenswert ist.574 Schlimmstenfalls käme es zu einer doppelten Spaltung, wenn einem weitgehend harmonisierten, grundfreiheitengeprägten Kollisionsrecht für die Mitgliedstaaten untereinander stark divergierende nationale Anknüpfungsregeln für das Verhältnis zu Drittstaaten gegenüberstünden. Inhaltlich lässt sich bereits jetzt eine Tendenz zur Nivellierung im europäischen Innenverhältnis 574

Vgl. dazu bereits früh Junker in: FS Sonnenberger, 417, 430 f.

II. Einfluss des Primärrechts auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht

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und zur Abschottung nach außen ausmachen – etwa darin, dass der (nationale) ordre public zunehmend nur noch gegenüber Drittstaaten erfolgreich geltend gemacht werden kann. Eine solche Dichotomie wäre zwar mit dem Sinn und Zweck der EU als (Wirtschafts-)Union vereinbar, nicht aber mit dem kollisionsrechtlichen Grundsatz einer loi uniforme. Darüber hinaus muss eine Binnenmarktfinalität zwangsläufig zu einer weiteren Materialisierung bzw. Politisierung des Kollisionsrechts führen. Noch ein weiterer Aspekt spricht dagegen, aus dem Primärrecht Vorgaben direkt für das Kollisionsrecht abzuleiten bzw. sich im IPR an den Grundfreiheiten zu orientieren: Entsprechende Zwänge für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht drohen die im EU-IPR an den Tag gelegte Zurückhaltung bezüglich rechtspolitisch schwieriger Aspekte zu unterlaufen. Gerade Statusfragen stellen zwischen den Mitgliedstaaten häufig gesellschaftlich und politisch brisante Streitpunkte dar und wurden daher trotz enger Zusammenhänge mit den europäisch geregelten Materien aus dem EU-IPR bisher ausgespart, prominentestes Beispiel ist der Ehebegriff (siehe Teil II: § 3.II.1.b), S. 128 ff.). Diese sekundärrechtliche Rücksicht wird durch primärrechtliche Akzeptanzpflichten weitgehend entwertet. Insbesondere würde eine pauschale (Pflicht zur) Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten vorgenommener Statusänderungen mit der bewussten Entscheidung, bestimmte Materien unter der Ägide des nationalen IPR zu belassen, kollidieren. Die Hinwendung zum Anerkennungsprinzip bedeutet gerade den Verzicht auf die Anwendung eigener Kollisionsregeln und damit die Durchsetzung eigener (kollisionsrechtlicher) Gerechtigkeitsvorstellungen: Zugunsten der zu übernehmenden Vorstellungen des Ursprungsstaats werden eigene Anknüpfungsentscheidungen und die dahinterstehenden Wertungen zurückgenommen.575 Zwingt man über eine grundfreiheitenbasierte Anerkennungspflicht zur Akzeptanz einer in einem anderen Mitgliedstaat unter Anwendung von dessen (nationalen) Kollisionsregeln begründeten Rechtslage, füllt man genau jene Lücken, die das EU-IPR bewusst gelassen hat, und geht über die abgelehnte Kollisionsrechtsharmonisierung im Ergebnis noch weit hinaus. Die Grundfreiheiten haben damit das Potential für eine deutlich stärkere Integrationswirkung als die bisherige europäische IPR-Vereinheitlichung – in gleichem Maße droht aber auch bei noch nicht hinreichender Übereinstimmung zwischen den Mitgliedstaaten eine der europäischen causa unter dem Strich schädliche Überforderung. In ihrer rechtstechnischen wie ihrer inhaltlichen Konzeption sind Grundfreiheiten und Kollisionsrecht nur begrenzt kompatibel. Damit scheint das mitgliedstaatliche IPR als Weg zur Realisierung der Grundfreiheiten jedenfalls nicht prädestiniert – im Gegenteil könnten sich andere Methoden als passender erweisen, zumal wie gesehen kaum je das Kollisionsrecht allein Grundfreiheitenverstöße auslöst. So könnten grundfreiheitenkonforme Ergeb575

Kritisch Sindres in: Muir Watt et al., 538, 544, 546.

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

nisse innerhalb des Binnenmarktes auch durch materielles Einheitsrecht, etwa in Gestalt optionaler Instrumente, erzielt werden.576 Der Ansatz der Sachrechtsharmonisierung könnte zum einen die Komplikationen eines kollisionsrechtlichen Anerkennungsmodells ersparen und zum anderen stärkere Integrationswirkung als eine bloße IPR-Vereinheitlichung entfalten. Aber auch eine Kollisionsrechtsharmonisierung auf europäischer Ebene wäre gegenüber mitgliedstaatlichem „Grundfreiheiten-IPR“ vorzugswürdig. Zu den bereits oben genannten Argumenten dafür und der Vermeidung von Divergenzen und Reibungsverlusten tritt ein weiterer wesentlicher Aspekt hinzu. Sofern es auch unter übereinstimmenden Kollisionsregeln noch zu Grundfreiheitenbeschränkungen kommt, sind diese eindeutig durch das mitgliedstaatliche materielle Recht bedingt bzw. motiviert und müssen auch auf dieser Ebene bewältigt werden – damit ist die Gratwanderung zwischen nationalen Wertentscheidungen und den Grenzen der Durchsetzung mitgliedstaatlicher Vorstellungen in einem geeinten Europa nicht im Kollisionsrecht auszufechten. Das IPR kann seine Neutralität bewahren, eine zusätzliche Politisierung durch das Unionsrecht wird vermieden. Ebenso wie über die Reichweite der Grundfreiheiten wird auch über etwaige gemeinsame Wege zu ihrer Realisierung nur auf europäischer Ebene entschieden werden können. Für eine systematische Weiterentwicklung des IPR muss die Frage, ob und inwieweit das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht an den Grundfreiheiten zu orientieren ist, in näherer Zukunft klar beantwortet werden. Dabei ist eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung angezeigt, zumal häufig rechtspolitisch schwierige Themen in Rede stehen und insbesondere eine Statusanerkennungspflicht auch an die dogmatischen Grundfesten des Kollisionsrechts rühren würde. Zu berücksichtigen ist überdies, dass eine individuelle Umsetzung der primärrechtlichen Vorgaben durch die einzelnen Mitgliedstaaten auf Dauer wenig sinnvoll erscheint und ein grundfreiheitenorientiertes IPR gemeinsame europäische Lösungen unabdingbar macht. Die derzeitige Tendenz, das national verbliebene IPR im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander punktuell an die immer strengeren primärrechtlichen Anforderungen anzupassen, führt bereits jetzt zu Inkonsistenzen in der Umsetzung und wird langfristig nicht in dieser Form haltbar sein. Realistisch ist mit einer Zurücknahme des Primärrechts allerdings nicht zu rechnen, sondern eher eine Verschärfung der unionsrechtlichen Anforderungen zu erwarten. Deren Erfüllung wird zunehmend zum beherrschenden Element für das mitgliedstaatlich verbliebene Kollisionsrecht: In allen Gebieten ist hier zumindest perspektivisch eine indirekte, aber umso stärkere Europäisierung zu verzeichnen.

576 Dafür z. B. im Bereich des Mobiliarkreditsicherungsrechts Faber YbPIL XXI (2019/20), 509, 521; Kieninger in: FS Kronke, 967, 976, 978.

III. Folgerungen

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III. Folgerungen III. Folgerungen

Die Verabschiedung europäischer Kollisionsrechtsakte hat einen deutlichen Effekt auf das mitgliedstaatlich verbleibende IPR. Dieses bleibt zwar grundsätzlich und formell unberührt – doch mit steigender Zahl europäischer Kollisionsregeln fällt es immer schwerer, im nationalen IPR alles beim Alten zu belassen. Je mehr EU-Rechtsakte es gibt, desto vielfältiger sind auch die nationalen Anknüpfungsregeln mit ihnen verflochten. Inzwischen weisen praktisch alle nationalen Kollisionsregeln Berührungspunkte mit dem europäischen IPR auf, vielfach entstehen daraus Koordinationsschwierigkeiten und Reibungen. Durch das stetig wachsende EU-IPR besteht inzwischen für fast alle mitgliedstaatlich verbliebenen Kollisionsrechtsbereiche ein gewisser Anpassungsdruck bis hin zu einem faktischen Anpassungszwang. Spätestens bei der Weiterentwicklung der nationalen Anknüpfungsregeln muss nolens volens ihr nunmehr europäisiertes Umfeld in den Blick genommen werden, zunehmend erscheinen nur noch auf die europäischen Vorstellungen abgestimmte bzw. daran angepasste Lösungen sinnvoll.577 Der Ende März 2022 veröffentlichte französische Entwurf für eine Kodifikation des national verbliebenen Kollisionsrechts578 fügt sich bewusst und betont in das bereits vorhandende europäische Kollisionsrecht ein.579 Die Europäisierung reicht damit weit über die einzelnen Rechtsakte hinaus und erfasst zumindest durch indirekte Einflüsse quasi das gesamte nationale IPR. Die Unberührtheit bzw. Unabhängigkeit der mitgliedstaatlich verbliebenen Kollisionsregeln entpuppt sich weitgehend als Illusion: Das rein nationale IPR verschwindet zusehends und wird durch mehr oder weniger europäisch ausgerichtete mitgliedstaatliche Anknüpfungsregeln ersetzt. Nur europäischen Vorstellungen entsprechendes nationales Kollisionsrecht hat eine Überlebenschance. Andere unverändert beibehaltene mitgliedstaatliche Regeln drohen in ihrem neuen Kontext zu Fremdkörpern zu werden, die in einem zunehmend europäisch geprägten Gesamtsystem störend wirken. Bei der Füllung der von den europäischen Rechtsakten gelassenen Lücken und in daran angrenzenden Bereichen lassen sich inhaltliche Kohärenz und KompaPrägnant Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 107: „Today, it is indeed only logical for the Member States to take into account first and foremost the European horizon when they envisage establishing rules for cross-border situations.“ – Vgl. auch Czepelak ERPL 2010, 705, 713 ff. – Eine europäische Ausrichtung künftiger Reformen des österreichischen IPRG schlägt Bonomi in: Heindler, 49, 58 ff. vor. Für das italienische IPR ist z. B. sogar eine umfassende Überarbeitung vor dem Hintergrund der Europäisierung gefordert worden, siehe Fallon RDIPP 2015, 729, 729 ff. 578 Projet de Code de droit international privé. – Siehe dazu im Überblick Foussard /  Niboyet / Nourissat Rev. crit. DIP 2022, 477, 477 ff., aus deutscher Perspektive Leible /  Wilke Rev. crit. DIP 2022, 503, 503 ff. 579 Projet de code de droit international privé, Rapport du groupe de travail, 11 ff. 577

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

tibilität nur durch die Angleichung des verbliebenen mitgliedstaatlichen an das europäische IPR (wieder)herstellen. Auch die Weiterentwicklung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts ist inzwischen mehr europäisch als national geprägt: Aufgrund der Regelungsdichte des EU-IPR sind Reformen und Neuregelungen nur mit Blick darauf sinnvoll. Bei mitgliedstaatlichen Neuschaffungen lässt sich inzwischen allenfalls von nationalem Kollisionsrecht im europäischem Kontext sprechen, häufig kann man es auch als EUinspiriertes nationales Kollisionsrecht bezeichnen – wobei der Einfluss des EU-IPR über eine Vorbild- oder Trendsetterrolle weit hinausgeht. Als besonders problematisch erweist sich die indirekte Ausdehnung des Anwendungsbereichs des EU-IPR durch eine autonome bzw. autonomanaloge Anwendung der europäischen Kollisionsregeln auch auf davon originär nicht erfasste Fragen. Diese Methode der autonomen Parallelanwendung aufgrund nationalen Anwendungsbefehls ist praktikabel, schafft Einheitlichkeit zwischen den Regelungsebenen und zeugt von der Qualität und Überzeugungskraft der europäischen Kollisionsnormen; wird sie in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten gleichlaufend praktiziert, liegt darin ein Entwicklungsimpuls für die europäische Ebene. Doch bis dahin droht die unkontrollierte Ausdehnung des EU-IPR über seine eigentlichen Grenzen hinweg durch eine Art unkontrollierte, inoffizielle Verstärkte Zusammenarbeit die Mitgliedstaaten zu spalten. Diese entscheiden mangels klarer Grenzen und Maßstäbe in jeder Situation individuell über Reichweite und Modifikationen der analogen Anwendung, es ergibt sich innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen und zwischen den Mitgliedstaaten ein unüberschaubares Mosaik unterschiedlicher Modelle extensiver Anwendung der EU-Kollisionsregeln. Der vordergründige Beitrag zur weiteren Harmonisierung kann sich damit kurz- wie langfristig als der causa des EU-IPR eher schädlich erweisen. Insgesamt wäre es dringend angezeigt, auf europäischer Ebene ein über einzelne Rechtsakte hinausgehendes Gesamtbild der Wirkungen der einerseits punktuellen, andererseits weitgreifenden Europäisierung auf sämtliche mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte zu erstellen und die derzeit vorhandenen Angleichungs-, Widerstandsund Ausdehnungsstrategien vergleichend zu analysieren. Als zweite wesentliche Einflusslinie übt inzwischen auch das Primärrecht in Gestalt der um Freizügigkeitsrecht und Diskriminierungsverbot angereicherten Grundfreiheiten erheblichen Druck zur Modifikation des nationalen IPR aus. Seine „versteckte Einflussnahme“580 ist inzwischen zum prägenden Element der Rechtsweiterbildung geworden, mit dem eine Wertungsaufladung und Politisierung des IPR durch nicht auf das Kollisionsrecht bezogene und abgestimmte Prüfungskriterien einhergeht. Methodisch dem Einfluss nationaler Grundrechte vergleichbar581 zwingen die – wenn auch nicht spezi580 581

So Wendehorst in: FS Heldrich, 1071, 1074. Mansel RabelsZ 70 (2006), 651, 677 f.

III. Folgerungen

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fisch kollisionsrechtlichen – Vorgaben der Grundfreiheiten zu einem grundlegenden Umdenken im mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht.582 Zumindest indirekt wird das mitgliedstaatliche IPR massiv dadurch geformt583 und gleichzeitig komplexer.584 Die in Reichweite und vielen Details noch unklaren primärrechtlichen Anforderungen zwingen das gesamte mitgliedstaatlich verbliebene Kollisionsrecht auf teils wenig belastbarer Grundlage zur Weiterentwicklung anhand europäischer Maßstäbe und Kriterien. Sowohl für das nationale als auch für das europäische IPR ist die derzeitige Situation begrenzter direkter und ausufernder indirekter Europäisierungswirkungen nachteilig. Mit dem europäisch inspirierten bzw. geprägten mitgliedstaatlichen IPR entsteht eine Art Zwitter, der weder genuin national noch effektiv harmonisiert ist. Die Mitgliedstaaten sehen sich in einer zunehmend unangenehmen Position: Umfassende Reformen des immer weiter schwindenden nationalen Kollisionsrechts scheinen eher schwierig, Neukodifikationen oder gesamtkonzeptionelle Änderungen auch im Hinblick auf die künftig zu erwartende weitere Europäisierung kaum noch sinnvoll.585 Teils scharfe Kritik wird daher am französischen Vorhaben einer nationalen IPR(Rest)Kodifikation geübt.586 Inhaltliche Gegenentwürfe zu den für Kerngebiete des IPR festgelegten europäischen Prinzipien sind zwar (gerade in politisch heiklen Fragen) möglich, führen aber zu Koordinationsschwierigkeiten zu Lasten der mitgliedstaatlichen Rechtsanwender und -unterworfenen und zunehmend auch zu primärrechtlichen Korrekturen. Der mitgliedstaatliche Handlungsspielraum beschränkt sich immer mehr darauf, die schrittweise Europäisierung in punktuellen Einzelreformen für die eigenen Restbestände nachzuvollziehen. Gleichzeitig droht das Warten auf ein europäisches Tätigwerden die Entwicklung eigener Lösungen für drängende Probleme zu lähmen. Die weitere Rechtsvereinheitlichung in Europa kann allerdings durch eine europäische Orientierung des mitgliedstaatlich verbliebenen IPR ungewollt gehemmt anstatt beflügelt werden. Ein vorauseilender Gehorsam einzelner Mitgliedstaaten durch eine überschießende Umsetzung oder die Antizipierung (potentieller) europäischer Lösungsansätze kann sich ebenso als negativ erweisen wie die bewusste Positionierung mitgliedstaatlicher (Neu-) Regelungen mit dem Anspruch, erwartete europäische Rechtsakte zu prägen.587 Fehleinschätzungen der europäischen Haltung erweisen sich dabei als Vgl. Meeusen ZEuP 2010, 186, 195; Pataut in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 97, 100 f. Vgl. z. B. Mankowski IPRax 2020, 323, 324 (zum Anerkennungsprinzip). 584 Eindrücklich R. Wagner in: Arnold, 105, 126. 585 Vgl. Hellner in: von Hein / Kieninger / Rühl, 205, 206 Fn. 6. 586 Zum Beispiel Bureau / Muir Watt JCP G 2022, 1309 („codifier à contretemps“); Lagarde Rev. crit. DIP 2022, 515, 515 ff. 587 Dies ist etwa seitens des französischen Justizministeriums ein erklärtes Anliegen des französischen Kodifikationsprojekts, vgl. Projet de code de droit international privé, Rapport du groupe de travail, 66. 582 583

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Teil III: § 7 – Wirkungen auf das mitgliedstaatliche IPR

besonders ärgerlich, aber auch die Gefahr eines Wettrennens der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist nicht zu unterschätzen. Der ursprünglich verfolgte Ansatz, das nationale IPR unverändert beizubehalten und allenfalls punktuell an die europäischen Vorgaben anzupassen, ist jedoch beim heutigen und künftig zu erwartenden Stand der Europäisierung wie gesehen keine praktikable Option mehr. Der Aktionsradius des mitgliedstaatlichen IPR verringert sich zusehends. Mit jedem weiteren europäischen Rechtsakt verstärkt sich sein Charakter als Restbestand mit Auffangfunktion, immer strengere und konkretere Vorgaben durch die Grundfreiheiten schränken es zusätzlich ein. Auch in den ihm zur unabhängigen Regelung zugewiesenen Gebieten wird das nationale IPR zum Spielball europäischer Vorstellungen. Eine adäquate Reaktion auf die – immerhin von ihnen veranlasste und mitgetragene – Europäisierung wird den Mitgliedstaaten erheblich erschwert durch deren nur schrittweise und oft schlecht vorhersehbare Entwicklung. Sowohl bezüglich der Reichweite und Interpretation der Kollisionsrechtsverordnungen als auch hinsichtlich der Grundfreiheiten werden offene Fragen häufig erst nach längerer Zeit (und inhaltlich gegebenenfalls überraschend) durch den EuGH gelöst. Die Mitgliedstaaten werden mit der permanent notwendigen Anpassung ihres IPR weitgehend alleingelassen: Sie müssen der europäischen Gesetzgebung und Rechtsprechung hinterherhinken, über ihren einmal gefundenen Lösungen schwebt das Damoklesschwert erneuten ressourcenintensiven Anpassungsbedarfs aufgrund weiterer Rechtsakte oder anderer Interpretationen. Durch die zahlreichen, aber auf Einzelaspekte beschränkten Veränderungen wird das ursprüngliche Gesamtsystem des nationalen Kollisionsrechts immer weiter fragmentiert, ohne dass gleichzeitig auf europäischer Ebene ein verlässliches Zielsystem existierte. Eine sichere Basis für die sowohl mit den europäischen Vorgaben als auch in sich kohärente Weiterentwicklung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts könnte etwa eine (Neu-)Konzeption des nationalen IPR als Sammlung das bereits existierende EU-IPR einrahmender und schrittweise dadurch abzulösender (Einzel-)Regeln bieten. Eine solche „Baukastenlösung“ müsste sich freilich inhaltlich am bestehenden und geplanten EU-Kollisionsrecht orientieren und wäre mindestens so stark durch europäische wie durch mitgliedstaatliche Vorstellungen geprägt. Zudem erscheint fraglich, ob ein so weitreichender Schritt auf mitgliedstaatlicher Ebene überhaupt (noch) sinnvoll und politisch durchsetzbar wäre. Realistischer erscheint der Ansatz, durch europäische „Begleitvorschläge“ für die Gestaltung an die EU-Verordnungen angrenzender bzw. grundfreiheitenkonformer Kollisionsregeln als Orientierungshilfe für die Mitgliedstaaten die Problematik des mitgliedstaatlichen Fischens im Trüben abzumildern. Divergente und konkurrierende Implementierungsansätze ließen sich auf einer derartigen Grundlage besser eindämmen, ebenso die überschießende oder fehlgeleitete Orientierung an europäischen

III. Folgerungen

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Regelungen. Eine Steuerung der Entwicklung der mitgliedstaatlich verbliebenen Kollisionsregeln durch soft law-Instrumente könnte zudem als Reallabor für die Gestaltung künftiger verbindlicher Rechtsakte fungieren. Der indirekte Einfluss des EU-IPR auf die nationalen Anknüpfungsregeln würde durch derart formalisierte Anpassungsoptionen freilich noch verstärkt. Damit drängt sich die Frage auf, welche Zukunft dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht überhaupt noch beschieden sein kann und soll. Es fungiert zunehmend nur noch als Lückenbüßer, inhaltlich genuin nationale Ansätze werden immer mehr als „Störfaktoren“ wahrgenommen und sind kaum noch praktikabel. Sowohl die europäischen Rechtsakte als auch die Grundfreiheiten bieten dem nationalen IPR nicht nur Wegweiser, sondern zwingen es zu einer auf die EU ausgerichteten Entwicklung. Von einer nur punktuellen Europäisierung kann ebenso wenig die Rede sein wie von unberührt bzw. unabhängig bleibendem mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht, die Aufteilung auf die Regelungsebenen ist letztlich Augenwischerei. Zusätzlich zeigt sich, dass langfristig sinnvolle Lösungen häufig nur durch eindeutige europäische Vorgaben oder von vornherein auf Ebene des Unionsrechts geschaffen werden können – womit eine (Voll-)Harmonisierung auf legislativem Wege als Option immer mehr in den Fokus rückt (siehe Teil IV: § 11.I.2., S. 585 ff.). Explizite und offene Verhandlungen hierüber wären jedenfalls gegenüber der derzeitigen Tendenz einer indirekten Europäisierung durch faktischen Zwang vorzugswürdig, die nicht nur mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet ist, sondern auch als Kollateralschaden die Vorbildrolle und Überzeugungskraft des EU-IPR zu beeinträchtigen droht.

§ 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

Im Verhältnis zwischen europäischem und völkerrechtlichem IPR gibt es keine hierarchische Über- und Unterordnung. Das EU-IPR kann im Verhältnis zu Drittstaaten gerade nicht den Vorrang vor staatsvertraglichen Kollisionsrechtsakten beanspruchen, vielmehr gelten zugunsten der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten Ausnahmen vom EU-IPR. Diese Einschränkungen des universellen Geltungsanspruchs seiner Anknüpfungsregeln vor allem durch punktuelle bilaterale Staatsverträge sind zwar aus Sicht des europäischen Kollisionsrechts ein Ärgernis, für das bestehende Völkerrecht bringt die Europäisierung aber keine unmittelbaren Änderungen mit sich. Bei der Schaffung neuer Rechtsinstrumente wirkt sich die Konkurrenz auf supranationaler Ebene eher konstruktiv aus und führt zunehmend zu kooperativen Ansätzen. Die anfangs kaum beachtete Wirkung des EU-IPR auch auf das Verhältnis zwischen Mitglied- und Drittstaaten und seine „externe“ Dimension rücken dadurch immer stärker in den Fokus.588

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

Zu beobachten sind bereits jetzt indirekte Auswirkungen der Europäisierung sowohl auf den völkerrechtlichen Bestand als auch auf neue Staatsverträge. Die fortgesetzte Anwendung formal unberührt bleibender völkerrechtlicher Kollisionsregeln mit oft nur begrenztem sachlichen Anwendungsbereich wirft Koordinationsfragen auf. Zu untersuchen sind die Reibungen, die entstehen, wenn unveränderte Staatsverträge nicht mehr mit nationalen, sondern mit den nunmehr maßgeblichen europäischen Anknüpfungsregeln interagieren. Dabei lässt ihre Inkompatibilität mit dem modernen EU-Kollisionsrecht die (vermeintlichen) Schwächen älterer völkerrechtlicher Konzepte deutlich hervortreten. Ferner ist fraglich, inwieweit der europäische Anwendungskontext die Auslegung des Völkerrechts modifiziert. Der partielle Übergang der Außenkompetenz von den Mitgliedstaaten auf die Union verschiebt schließlich die Machtverhältnisse, innerhalb derer das völkerrechtliche Kollisionsrecht weiterentwickelt werden kann. Der inhaltliche Einfluss der europäischen IPR-Konzeptionen kann die Handlungsmöglichkeiten bei Reformüberlegungen und Neuschaffungen erheblich verengen. Die nächsten Abschnitte der Arbeit analysieren die häufig nicht bedachten Wirkungen, die das EU-IPR im völkerrechtlichen Kollisionsrecht entfaltet. Zunächst werden inhaltliche Diskrepanzen des staatsvertraglichen Bestands zum EU-IPR und die Konsequenzen des Zusammenspiels der Regelungsebenen beleuchtet (dazu I.). Der anschließende Blick in die Zukunft prüft, welche Optionen bei fortschreitender Europäisierung für die künftige Gestaltung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts in kompetenzieller und inhaltlicher Hinsicht noch verbleiben (dazu II.). Dabei wird sich zeigen, inwieweit das Verhältnis zwischen unionsrechtlichem und staatsvertraglichem IPR tatsächlich durch Rücksichtnahme und Integration auf Augenhöhe geprägt ist und inwieweit das völkerrechtliche Kollisionsrecht nolens volens zunehmend von europäischen Vorstellungen und Maßstäben abhängt. I.

Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

Existierende völkerrechtliche Verträge werden von der Europäisierung prima facie nicht berührt: Ihre Kollisionsregeln bleiben als Ausnahmen vom universell geltenden EU-IPR vorrangig anwendbar (siehe Teil II: § 4.II.2., S. 220 ff.). Allerdings kann es am staatsvertraglichen Kollisionsrecht nicht spurlos vorbeigehen, wenn auf Seiten (wenigstens) eines Vertragsstaats das IPR reformiert wird. Eine Änderung des Kontextes, in dem ein Abkommen anzuwenden ist, wirkt zumindest indirekt auch auf dieses. Wird das Umfeld, mit dem die völkerrechtlichen Kollisionsregeln interagieren, europäisiert, müssen diese statt wie bisher nur mit nationalen künftig auch mit europäischen Anknüpfungsregeln

588

Vgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 20; Brand in: Spoon / Ringe, 1, 7.

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

435

koordiniert werden.589 Aus diesem Neben- und Miteinander entstehen ganz unterschiedliche Kohärenzprobleme,590 die zwangsläufig (Wechsel-)Wirkungen hervorrufen und die weiterbestehenden Abkommen in neues Licht rücken. Die Effekte der Europäisierung auf die fortgesetzte Anwendung kollisionsrechtlicher Abkommen sind bisher allenfalls punktuell untersucht worden. Eine für die nähere Zukunft wünschenswerte umfassende Studie setzt allerdings voraus, dass Bestand, Reichweite und Relevanz der mitgliedstaatlichen Staatsverträge vollständig ermittelt sind (siehe zu diesem Petitum Teil II: § 4.I.3., S. 230 ff.). Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher auf einige zentrale Aspekte, die in den letzten Jahren – vor allem im Bereich des Internationalen Erbrechts – bereits zu Tage getreten sind. Ausgangspunkt sind die inhaltlichen Divergenzen zwischen völkerrechtlichen und europäischen Anknüpfungsregeln, deren direkter Vergleich häufig zumindest aus mitgliedstaatlicher Warte zu Lasten des staatsvertraglichen IPR ausfällt (dazu 1.). Als schwierig erweist sich insbesondere die Koordination der beiden Regelungsebenen. Zum einen führt die Anwendung der völkerrechtlichen Kollisionsregeln zunehmend zu nachteiligen und unerwünschten Ergebnissen. Zum anderen enthalten die meisten Abkommen keine umfassenden Kollisionsrechtssysteme, sondern nur fragmentarische Einzelregelungen, deren Lücken nunmehr durch das im Übrigen anwendbare EU-IPR zu schließen sind (dazu 2.). Erhebliche Auswirkungen zeitigt die Europäisierung schließlich, wenn es – vor allem bei ihrem Zusammentreffen mit europäischen Rechtsakten – um die Auslegung der Abkommen geht (dazu 3.). 1. Inhaltliche Diskrepanzen Ursprünglich in Abstimmung mit den mitgliedstaatlichen Kollisionsregeln entwickelte völkerrechtliche Instrumente müssen sich nunmehr an europäischen Maßstäben messen lassen. Ihr Ausnahmestatus führt unweigerlich zum direkten Vergleich mit den grundsätzlich universell geltenden EU-Kollisionsregeln. Inhaltliche Diskrepanzen sind dabei bislang nur hinsichtlich des Besonderen Teils des IPR, also hinsichtlich konkreter Verweisungsregelungen, zu verzeichnen. Zum Allgemeinen Teil sind noch keine Konkurrenzsituationen entstanden: Weder das völkerrechtliche noch das europäische Kollisionsrecht enthalten bis dato einen umfassenden, verbindlichen Allgemeinen Teil. Stellen sich bei der Anwendung staatsvertraglicher oder europäischer Anknüpfungsregeln zum Allgemeinen Teil des IPR zu rechnende Fragen, ist zunächst auf die im jeweils maßgeblichen Rechtsakt enthaltenen, nur für seinen Anwendungsbereich verbindlichen Regelungen (z. B. zum renvoi oder 589 Instruktiv etwa zur Koordination des Erbstatuts mit dem Minderjährigen- bzw. Erwachsenenschutzstatut Damascelli RDIPP 2019, 45, 45 ff. 590 Vgl. z. B. die für die ErbVO identifizierten „Spannungsfelder“ bei Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 467 ff.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

zum ordre public) zurückzugreifen, ansonsten auf die allgemeinen (nationalen) AT-Regelungen der lex fori zu rekurrieren. Insofern sind derzeit keine Überschneidungen zwischen europäischer und staatsvertraglicher Ebene aufzulösen – da die bisher geschaffenen punktuellen AT-Normen nur für den sie enthaltenden Rechtsakt verbindlich sind, können sie unproblematisch nebeneinander existieren. Konkurrenzsituationen könnten allenfalls künftig entstehen, wenn und soweit die nationalen allgemeinen Kollisionsregeln der Mitgliedstaaten durch einen umfassende Geltung beanspruchenden „Allgemeinen Teil des EU-IPR“ abgelöst würden. Dessen Maßgeblichkeit auch für die besonderen Anknüpfungsregeln staatsvertraglicher Genese wird dann zu klären sein. Derartige Interferenzen sind aber noch eher entfernte Zukunftsmusik – virulent ist die europäische Konkurrenz für die etablierten völkerrechtlichen Kollisionsregeln heute nur hinsichtlich des Besonderen Teils. Diesbezüglich sind zunächst Art und Ausmaß der Diskrepanzen zwischen europäischen und staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln zu untersuchen (dazu a)), anschließend das Problem der „Überalterung“ des völkerrechtlichen Kollisionsrechts näher zu beleuchten (dazu b)). a) Unterschiede zwischen europäischen und staatsvertraglichen Verweisungsregeln Im Hinblick auf multilaterale IPR-Übereinkommen mit Beteiligung mehrerer Mitgliedstaaten kommt es häufig erst gar nicht zu einer Überschneidung der sachlichen Anwendungsbereiche staatsvertraglicher und europäischer Rechtsakte, weil der europäische Gesetzgeber von vornherein Bereichsausnahmen zugunsten des Völkerrechts vorsieht (siehe Teil II: § 2.III.1, S. 60 ff.). In einer solchen Rücksichtnahme liegt letztlich auch eine indirekte, stillschweigende Billigung der völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln – aus europäischer Sicht inhaltlich vollkommen ungeeigneten bzw. untragbaren Kollisionsregeln würde man wohl kaum in dieser Weise entgegenkommen, sondern vielmehr durch die Schaffung eines eigenen Gegenentwurfs die staatsvertraglich gebundenen Mitgliedstaaten langfristig zur Aufgabe der völkerrechtlichen Normen zu bewegen suchen. Darüber hinaus bestätigt das EU-IPR bestehende staatsvertragliche Kollisionsregeln teils sogar explizit, indem es sie übernimmt (siehe Teil II: § 4.II.3.b), S. 235 ff.). In der bewussten Herstellung eines Gleichlaufs der europäischen mit den für einige Mitgliedstaaten verbindlichen staatsvertraglichen Kollisionsregeln (wie etwa in Art. 27 ErbVO im Hinblick auf das HTestFormÜ) oder gar einer schlichten Verweisung auf ein völkerrechtliches Instrument (wie in Art. 15 UnthVO auf das HUP) kommt zum Ausdruck, dass die Regelungen der jeweiligen multilateralen Konvention auch aus europäischer Sicht inhaltlich überzeugend sind. Praktische Koordinationsschwierigkeiten werden damit ebenso vermieden wie ein theoretischer „Wettbewerb der Kollisionsregeln“ hinsichtlich ihrer Qualität und Eignung.

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

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Nur in einer überschaubaren Anzahl von Fällen tritt das EU-IPR in direkte Konkurrenz zu bestehenden multilateralen Staatsverträgen, indem es von diesen abweichende Kollisionsregeln vorsieht. Während in den Vertragsstaaten nach wie vor anhand der völkerrechtlichen Regeln angeknüpft wird, sind in allen anderen Mitgliedstaaten die europäischen Regeln maßgeblich (siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.) – diese Spaltung ermöglicht bzw. erzwingt einen direkten Vergleich der beiden Regelsätze. Nur begrenzte praktische Auswirkungen sind dabei für das in einigen Mitgliedstaaten vorrangig vor der Rom I-VO anwendbare Haager Kaufvertragsübereinkommen zu verzeichnen: Es gestattet die Rechtswahl (Art. 2) und legt als objektive Grundanknüpfung den gewöhnlichen Aufenthalt des Verkäufers zugrunde (Art. 3). Damit ist es zumindest in seinen Grundzügen mit der Rom I-VO (Art. 3, Art. 4 Abs. 1 lit. a) Rom I-VO) auf einer Linie, seine Anwendung zeitigt nur bezüglich Detailfragen und hinsichtlich besonderer Konstellationen inhaltliche Abweichungen vom EU-IPR.591 Größere Diskrepanzen zwischen den europäischen Kollisionsregeln und den Verweisungsregeln vorrangiger multilateraler Übereinkommen sind einzig im Internationalen Deliktsrecht zu verzeichnen. Die Rom II-VO konkurriert bei der Produkthaftung und der Straßenverkehrsunfallhaftung mit dem HProdHaftÜ und dem HStVÜ, die in einer jeweils nicht unerheblichen Zahl von Mitgliedstaaten vorrangig vor der Rom II-VO anwendbar sind (Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO, siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.). Das HProdHaftÜ sieht in Artt. 4–6 HProdHaftÜ eine gestufte Anknüpfung vor, die vom (vorrangig zu prüfenden) gewöhnlichen Aufenthaltsort des Geschädigten (Art. 5 HProdHaftÜ) über den Verletzungsort (Art. 4 HProdHaftÜ) zur Hauptniederlassung des Anspruchsgegners mit einem Wahlrecht des Geschädigten zugunsten des Verletzungsortes (Art. 6 HProdHaftÜ) führt. Zusätzlich verkompliziert wird sie einerseits dadurch, dass auf jeder Stufe mehrere alternative Merkmale als Voraussetzung der Anknüpfung zur Verfügung gestellt werden, andererseits durch die Einschränkung des Art. 7 HProdHaftÜ, die eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten oder den Verletzungsort ausschließt, wenn ein Produktverkauf in diesen Staaten für den Anspruchsgegner vernünftigerweise nicht vorhersehbar war. Demgegenüber sieht die spezielle Produkthaftungs-Kollisionsregel des Art. 5 Rom II-VO in ihrem Abs. 1 ihrerseits eine – ebenfalls durch die Vorhersehbarkeit für den Anspruchsgegner bedingte – Anknüpfungsleiter vor, aber mit anderen Anknüpfungsmerkmalen als das HProdHaftÜ und unter der jeweils zusätzlichen Voraussetzung des „Inverkehrbringens“. Modifiziert wird diese Anknüpfung durch die Ausweichklausel des Abs. 2, die nach Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO vorrangige Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem und die Rechtswahlmöglichkeit 591 Auf Schwierigkeiten in einzelnen Punkten weist gleichwohl Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 4 hin.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

des Art. 14 Rom II-VO. Für die in ihrer Handhabung einigermaßen komplexe Regelung des HProdHaftÜ besteht damit ein gezielter europäischer Gegenentwurf, der sich allerdings ebenfalls als nicht gerade unkomplex darstellt. Ein ähnliches Bild zeichnet sich für das HStVÜ, das von der Basisanknüpfung an das Recht des Unfallortes (Art. 3 HStVÜ) zahlreiche Ausnahmen zugunsten des Rechts des Zulassungsstaats (lex stabuli, Art. 4 HStVÜ, etwa bei gemeinsamem Zulassungsort aller beteiligten Fahrzeuge, lit. b)) sowie für die Anknüpfung der Haftung für Sachschäden (Art. 5 HStVÜ) macht.592 Auch hier weicht die Anknüpfung erheblich von der des EU-IPR ab, das allerdings keine spezielle Regel für Straßenverkehrsunfälle vorsieht. Vielmehr ist auf das allgemeine Deliktskollisionsrecht der Rom II-VO zurückzugreifen, das vorrangig an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt von Schädiger und Geschädigtem (Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO) und ansonsten allgemein an den Erfolgsort (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO) anknüpft, modifiziert durch Ausweichklausel (Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO) sowie Rechtswahlmöglichkeit (Art. 14 Rom II-VO). Auch hier positioniert sich das EU-IPR in bewusster Abweichung von den bestehenden staatsvertraglichen Kollisionsregeln. Für zwei spezielle haftungsrechtliche Gebiete mit erheblicher praktischer Bedeutung besteht damit eine Systemkonkurrenz. In den von bestehenden und durchaus erfolgreichen multilateralen Konventionen divergierenden Regelungen des EU-IPR lässt sich eine implizite Kritik an den völkerrechtlichen Regelungen erblicken.593 Der europäische Gesetzgeber bietet in der Rom IIVO jeweils eine konkrete Alternative dazu. Das Nebeneinander der beiden Regelungsmodelle innerhalb der EU – Haager Übereinkommen für deren Vertragsstaaten, Rom II-VO für die übrigen Mitgliedstaaten – schränkt zwar den universellen Geltungsanspruch des EU-IPR ein und löst Koordinationsfragen aus (siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.).594 Es ermöglicht aber auch den direkten Vergleich der unterschiedlichen Anknüpfungen in ihrer tatsächlichen Anwendung in Europa: Sowohl für die fortbestehenden völkerrechtlichen Anknüpfungen des HProdHaftÜ und des HStVÜ als auch für die neuen europäischen Anknüpfungen der Rom II-VO können in mehreren Mitgliedstaaten praktische Erfahrungen gesammelt werden. Die parallele Existenz der europäischen Regelsätze ist damit die ideale Bewährungsprobe für das seit längerem bestehende staatsvertragliche Kollisionsrecht – Konkurrenz belebt gewissermaßen das Geschäft. Als deutlich problematischer erweisen sich dagegen die vom EU-Kollisionsrecht abweichenden Anknüpfungsregeln in bilateralen Abkommen. Verdeutlicht werden soll dies anhand von zwei regelmäßig in bilateralen StaatsKritisch Staudinger in: FS Kropholler, 691, 697 f. Vgl. Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 145 f. 594 Kritisch deswegen Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 145 f.; Staudinger in: FS Kropholler, 691, 698 ff. („Anknüpfungswirrwarr“). 592 593

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

439

verträgen anzutreffenden und stark vom EU-IPR divergierenden Regelungen: der Staatsangehörigkeitsanknüpfung in familien- und erbrechtlichen Fragen sowie der kollisionsrechtlichen Nachlassspaltung. Die in bilateralen Abkommen häufig noch anzutreffende Staatsangehörigkeitsanknüpfung beim Personalstatut ist das augenfälligste Beispiel dafür, dass das europäische IPR andere Anknüpfungsmerkmale als das staatsvertragliche Kollisionsrecht wählen kann. In den europäischen Rechtsakten zum Scheidungs-, Güter- und Erbkollisionsrecht wurde die Staatsangehörigkeit zugunsten der (beschränkten) Parteiautonomie und der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zu einem nachgeordneten Anknüpfungsmerkmal herabgestuft (Artt. 5, 8 Rom III-VO; Artt. 22, 26 GüVO; Artt. 21 f. ErbVO). Demgegenüber wird sie in den meisten völkerrechtlichen Abkommen auf diesen Gebieten nach wie vor als das Haupt-, wenn nicht gar das einzige Anknüpfungskriterium zugrunde gelegt. Typisches Beispiel aus Deutschland ist Art. 8 Abs. 3 deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1929 (dt-iranNLA), der als Gesamtregelung für das Personalstatut keine Rechtswahl vorsieht und grundsätzlich auf das Recht des Heimatstaats verweist; eine entsprechende Regelung enthält Art. 10 Abs. 3 österreichisch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1959 (ö-iranNLA). Generell dominiert die (gemeinsame) Staatsangehörigkeit als primäres Anknüpfungskriterium in familien- und personenrechtlichen Fragen, etwa in Artt. 23 ff. österreichisch-polnischer Rechtshilfevertrag von 1963 oder den Abkommen Frankreichs mit Marokko (Art. 9), Jugoslawien (Artt. 6, 8) und Polen (Artt. 5, 8). Eine erbrechtliche Heimatstaatsanknüpfung legen z. B. das österreichisch-jugoslawische Rechtsverkehrsabkommen von 1954 (vgl. Art. 36 Abs. 2)595 und § 14 Abs. 1 deutsch-türkisches Nachlassabkommen von 1929 (dt-türk NachlA) hinsichtlich des Erbrechts für Mobilien zugrunde. Im Vergleich zu diesen starren, auf eine einzige (faktisch mehr oder weniger unwandelbare) objektive Anknüpfung beschränkten Verweisungsregeln stellt sich das EU-IPR mit der Hauptanknüpfung an den wandelbaren gewöhnlichen Aufenthalt und dem der Parteiautonomie eingeräumten Raum als deutlich flexibler dar. Eine Nachlassspaltung mit unterschiedlichen Anknüpfungen für bewegliches und unbewegliches Nachlassvermögen schließt das europäische Internationale Erbrecht bewusst und betont aus. Nach Art. 23 Abs. 1 ErbVO erfasst ein einheitliches Erbstatut die Gesamtheit aller Nachlassgegenstände, das an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers anknüpft (Art. 21 Abs. 1 ErbVO), sofern nicht gemäß Art. 22 Abs. 1 ErbVO das Staatsangehörigkeitsrecht des Erblassers gewählt wurde. Demgegenüber ordnen zahlreiche bilaterale Staatsverträge eine Nachlassspaltung an. Nach § 14 dt-türk NachlA ist etwa das Erbstatut für bewegliches Nachlassvermögen an die Staatsangehörigkeit des Erblassers (Abs. 1), für Immobilien dagegen an die lex rei sitae 595

Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 15, 22.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

(Abs. 2) anzuknüpfen.596 Vergleichbare Regelungen enthalten z. B. die Konsularabkommen Italiens (Art. 21 XI, XV) und Ungarns (Art. 18 Sec. 3 Abs. 1, Abs. 3) mit der Türkei.597 Mechanismen zur Spaltung des Erbstatuts sind geläufig, etwa enthält der österreichisch-sowjetische Konsularvertrag von 1959 unterschiedliche Anknüpfungsregeln für bewegliche und unbewegliche Nachlassgegenstände (Artt. 23, 26),598 ebenso das polnisch-ukrainische Rechtshilfeabkommen von 1993 (Art. 37).599 Manche Abkommen treffen sogar nur für einen Teil des Erbstatuts eine Regelung und überlassen die Anknüpfung im Übrigen dem nationalen Kollisionsrecht (z. B. Art. 28 Abs. 3 deutsch-sowjetischer Konsularvertrag von 1958). Die Fortgeltung dieser Regelungen in ihrem Anwendungsbereich steht in deutlichem Kontrast zur im Übrigen für die Mitgliedstaaten maßgeblichen ErbVO. Die Situation bei den bilateralen Abkommen ist der Fortgeltung multilateraler Übereinkommen neben dem EU-IPR im Ausgangspunkt vergleichbar: Die unterschiedlichen Regelungen existieren parallel zueinander und stehen im direkten Vergleich. Dies betrifft jedoch für jedes bilaterale Abkommen nur einen einzigen Mitgliedstaat – das völkerrechtliche Kollisionsrecht stellt sich weniger als ernstzunehmende Alternative bzw. Konkurrenz und mehr als punktuelle Ausnahme (mit mehr oder weniger großer praktischer Relevanz) zum EU-IPR dar. Hinzu tritt die inhaltlich andere Qualität der meisten bilateralen Kollisionsnormen. Die neben dem EU-IPR anwendbaren multilateralen Übereinkommen betreffen in der Regel spezielle, klar abgegrenzte Materien (wie Produkthaftung oder Straßenverkehrsunfälle), die durch ein detailliertes, darauf zugeschnittenes Anknüpfungsmodell umfassend geregelt sind. Die Regelungen der bilateralen Abkommen haben demgegenüber einen breiteren sachlichen Anwendungsbereich (wie z. B. das Erbstatut oder gar das Personalstatut insgesamt). Sie regeln allgemeinere bzw. grundlegendere Fragen, gleichzeitig sind sie inhaltlich deutlich pauschaler. Ihre inhaltlichen Diskrepanzen zum oft ausnuancierten EU-IPR werden damit als fundamentaler wahrgenommen. Zusätzlich betont wird ihr Charakter als Ausnahmen vom EU-IPR durch ihre Geltung nur zwischen einzelnen Mitglied- und Drittstaaten, die sie im Vergleich zu den grundsätzlich anwendbaren europäischen Kollisionsregeln nur selten zur Anwendung kommen lässt.

596 Vgl. OLG Hamm 21.3.2019 – 10 W 31/17; Damar IPRax 2012, 278, 279; Gebauer IPRax 2018, 345, 346 f.; Majer ZEV 2012, 182, 182; Mankowski ZEV 2013, 529, 530; Meyer / Tepetaş FamRZ 2020, 1700, 1702. 597 Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 196 ff.; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 300 ff.; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 13. 598 Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 23 ff. 599 Für weitere Beispiele siehe Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 464 f.

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

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b) Staatsvertragliche Kollisionsregeln als Relikte Verschärfend tritt hinzu, dass insbesondere die bilateralen Kollisionsregeln im Vergleich zum EU-IPR inhaltlich oft überholt anmuten.600 Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die meisten bilateralen Abkommen zwischen Mitglied- und Drittstaaten stammen aus einer anderen Epoche. Beispielsweise wurden das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen, das deutschtürkische Nachlassabkommen und das italienisch-türkische Konsularabkommen bereits 1929 abgeschlossen; zahlreiche Verträge (etwa mit dem Kaiserreich Persien, der Sowjetunion oder Jugoslawien) gelten heute im Wege der Staatennachfolge weiter. Sie beruhen damit auf anderen kollisionsrechtlichen Prinzipien und Wertungen – etwa der bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz mehrheitlich zugrunde gelegten Prämisse einer Verbundenheit mit dem Heimatstaat bzw. der Heimatrechtsordnung, die zur grundsätzlichen Priorisierung der Staatsangehörigkeit im Familien- und Erbrecht führte, oder dem unbedingten Vorrang der lex rei sitae für Immobilien auch gegenüber dem Erbstatut.601 Mit dem Ende der 1960er Jahre sind Staatsverträge zum Kollisionsrecht bzw. unter Einschluss von Kollisionsregeln aus der Mode gekommen, seither sind kaum noch neue bilaterale Abkommen mit kollisionsrechtlicher Relevanz abgeschlossen worden. Damit konnten die erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts verstärkt aufgekommenen und heute vorherrschenden Auffassungen, die etwa die Integration in das aktuelle Lebensumfeld in den Vordergrund stellen und die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt favorisieren oder ein einheitliches Erbstatut für vorzugswürdig erachten, kaum noch Niederschlag in bilateralen völkerrechtlichen Abkommen finden. Auch eine etwaige Europäisierung des Kollisionsrechts war beim Abschluss der allermeisten bilateralen Staatsverträge noch überhaupt kein Thema, eher durch die damalige geopolitische Blockbildung bedingte zwischenstaatliche Bindungen (etwa die Zusammenarbeit der sozialistischen Bruderstaaten untereinander und mit „blockfreien“ Staaten602). Die aus dieser Zeit stammenden, beibehaltenen bilateralen Abkommen zum Kollisionsrecht muten daher zunehmend inhaltlich überholt an. Etwas anders sieht es bei den multilateralen Übereinkommen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Auch wenn sie wie das HProdHaftÜ oder das HStVÜ inzwischen mehrere Jahrzehnte alt und gemessen an heutigen Standards vielleicht nicht mehr topaktuell sind, sind sie doch überwiegend schon der Anfangsphase des zeitgenössischen Kollisionsrechtsverständnisses zuzuordnen und vor dem Hintergrund eines auch (inter600 Vgl. zum dt-türk NachlA Majer ZEV 2012, 182, 182 („Anachronismus“) sowie Mankowski ZEV 2013, 529, 530 („antiquiert“). 601 Vgl. etwa zum dt-türk NachlA Gebauer IPRax 2018, 345, 346. 602 Vgl. Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 7; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 332, 337.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

nationalprivat)rechtlich immer stärker zusammenwachsenden Europas entstanden. Ihre zudem auf spezielle Problematiken zugeschnittenen Regelungen wirken daher im Kontrast zu den europäischen Anknüpfungen meist nicht so veraltet, jedenfalls moderner als die allgemeinen Anknüpfungsregeln in den aus einer älteren IPR-Generation überkommenen bilateralen Abkommen. Diese „Überalterung“ vor allem der bilateralen völkerrechtlichen Kollisionsregeln ist natürlich nicht per se dem EU-Kollisionsrecht zuzuschreiben. Häufig lässt die Europäisierung der betreffenden Statute im Übrigen sie jedoch stärker in den Fokus rücken. Im nationalen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten stellten die Regelungen ihrer bilateralen Abkommen zwar spezielle Normen für das Verhältnis zu einzelnen anderen Staaten dar, waren aber bewusst geschaffener integraler Teil der eigenen Kollisionsrechtsordnung. Im EU-IPR fallen sie dagegen bereits systematisch als (ungeliebte) Ausnahmen auf (siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.). Auch inhaltlich waren die staatsvertraglichen Regelungen im jeweiligen nationalen Kollisionsrecht noch mehr oder weniger gut integriert. Anfangs entsprachen sie häufig ohnehin den allgemeinen nationalen Anknüpfungsregeln oder waren auf diese abgestimmt – so entsprach etwa die Staatsangehörigkeitsanknüpfung des Erbstatuts dem Art. 25 Abs. 1 EGBGB a. F. Auch die in vielen Abkommen vorgesehene Nachlassspaltung für Mobilien und Immobilien war dem früheren mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht zumeist nicht fremd; dem deutschen IPR war sie beispielsweise in Gestalt des Art. 25 Abs. 2 EGBGB a. F. und des Art. 3a Abs. 2 EGBGB a. F. bekannt.603 Selbst bei einer zwischenzeitlichen Änderung der nationalen Anknüpfungsregeln traf das auf Basis der früheren Rechtslage entstandene staatsvertragliche Kollisionsrecht zumindest auf ein Verständnis als Nachwirkung einer historischen Entwicklungsphase. Etwa ist das Festhalten an der Staatsangehörigkeitsanknüpfung im dt-iranNLA bzw. ö-iranNLA aus Sicht des deutschen bzw. österreichischen IPR nach wie vor als Ausdruck der umfassenden Maßgeblichkeit des Heimatrechts für das Personalstatut nachvollziehbar, auch wenn diese für das übrige Kollisionsrecht inzwischen immer weiter durchlöchert wird (siehe § 7.I.2.b), S. 299 ff.). Diese Einbettung in einen gewachsenen Gesamtkontext fehlt aber im EUKollisionsrecht. Seine Regelungen werden aus dem aktuellen Stand der mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte entwickelt und sind zukunftsorientiert – regelmäßig bedeuten sie für zahlreiche Mitgliedstaaten einen Übergang zu als moderner empfundenen Prinzipien. Auf die fortbestehenden bilateralen Verträge der einzelnen Mitgliedstaaten wird bei der Konzeption des EU-IPR kaum inhaltliche Rücksicht genommen, regelmäßig wird noch nicht einmal im Vorfeld eine umfassende Bestandsaufnahme der vorhandenen Abkommen unternommen (siehe Teil II: § 4.I.3., S. 206 ff.). Damit können die bilateralen Regelungen auf der modernisierten europäischen Ebene kaum noch auf Ver603

Majer ZEV 2012, 182, 184.

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ständnis hoffen. Der Eindruck der aus dem nationalen IPR überkommenen völkerrechtlichen Kollisionsregeln als vereinzelte Fossilien ist um so stärker, je größer der Unterschied zwischen dem bisherigen nationalen IPR und den es ablösenden europäischen Rechtsakten ist: Eine Änderung des Anknüpfungsumfelds hebt ihren Ausnahmecharakter noch stärker hervor und verstärkt inhaltliche Reibungen (siehe 2., S. 444 ff.). Im modernen EU-IPR werden sie nicht mehr als historische Bestandteile, sondern hauptsächlich als störende Fremdkörper wahrgenommen. Die Europäisierung des IPR bringt daher häufig verstärkte Kritik an den fortbestehenden bilateral-staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln mit sich. Dass sie dazu anregt, die vielfach seit Dekaden existierenden und aus heutiger Sicht antiquiert anmutenden völkerrechtlichen Kollisionsrechtsinstrumente kritisch zu überdenken, ist grundsätzlich durchaus zu befürworten. Zum einen wäre es auch bei einer von europäischen Entwicklungen unabhängigen Reform des nationalen Kollisionsrechts notwendig und wünschenswert, den staatsvertraglichen Bestand auf seine Vereinbarkeit damit und etwaige Anpassungsnotwendigkeiten zu überprüfen. Zum anderen bietet das EU-IPR einen international – zumindest für die EU-Mitgliedstaaten – konsensfähigen, aktuellen Maßstab, an dem sich nolens volens nicht nur nationale IPRKodifikationen, sondern auch völkerrechtliche Kollisionsregeln messen lassen müssen. Diese Impulse sind gerade wegen der im Regelfall langen Lebensdauer und Änderungsresistenz einmal verabschiedeter Staatsverträge wertvoll: Sie können den Anstoß für (überfällige) Veränderungen liefern und dauerhafte Stagnation verhindern. Die bereits seit längerer Zeit geäußerte Kritik am deutsch-türkischen Nachlassabkommen hat etwa durch die Verabschiedung der ErbVO neuen Aufwind erhalten.604 Dies gilt insbesondere, wenn und soweit die beibehaltenen Regelungen auch aus Sicht der drittstaatlichen Vertragspartner inhaltlich überholt sind – die im deutsch-türkischen Nachlassabkommen weiterexistierende Nachlassspaltung ist etwa nicht nur in der ErbVO, sondern inzwischen auch im türkischen Kollisionsrecht abgeschafft.605 Wenn es sie zum Anlass für eine kritische Re-Evaluation und Weiterentwicklung seiner Regelungen nimmt, kann das staatsvertragliche IPR von der Europäisierung also durchaus profitieren. In der Praxis dürfte sich dieser prinzipiell positive Effekt allerdings vor allem bezüglich bilateraler Staatsverträge aus verschiedenen Gründen in Grenzen halten. Zunächst einmal sind Änderungen bestehender völkerrechtlicher Verträge mit erheblichem zeitlichem Aufwand verbunden und auch politisch durchaus heikel. Diese Schwerfälligkeit liegt der bisherigen Änderungsresis604 NK-BGB / R. Magnus Art. 75 ErbVO Rn. 13; Gebauer IPRax 2018, 345, 350 f.; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 312 ff.; Majer ZEV 2012, 182, 184 ff.; Mankowski ZEV 2013, 529, 530. 605 Meyer / Tepetaş FamRZ 2020, 1700, 1704.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

tenz der staatsvertraglichen Kollisionsregeln zugrunde und wird sich auch unter der Ägide des EU-IPR nicht ändern. Gerade, wenn Kollisionsregeln in größere Staatsverträge (etwa Freundschafts- und Niederlassungsverträge) eingebettet sind, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass nur für diese im Gesamtvertrag eher nebensächlichen Teile die Mühen und Risiken einer Nachverhandlung in Kauf genommen werden. Außerdem schränken die europäischen Impulse gleichzeitig die der völkerrechtlichen Weiterentwicklung zur Verfügung stehenden Optionen erheblich ein. Denn – ganz abgesehen von den Kompetenzfragen (siehe II.1., S. 495 ff.) – aus der Sicht der Mitgliedstaaten sind Änderungen der völkerrechtlichen Kollisionsregeln letztlich nur sinnvoll, wenn sie zu einer Angleichung an das EU-IPR führen. Wie bereits bei den Anpassungen des nationalen IPR (siehe § 7.I.4., S. 330 ff.) können Diskrepanzen zum EU-Kollisionsrecht nur durch eine Evolution der konkurrierenden bzw. kollidierenden Regelungen „in Richtung EU“ beseitigt werden. Als Alternative dazu kommt für die EU-Mitgliedstaaten nur eine Kündigung das EU-IPR „störender“ Staatsverträge in Betracht: Fallen deren derzeit vorrangig zu berücksichtigende Regelungen weg, sind schlicht die europäischen Kollisionsregeln anzuwenden. Bis eine dieser Optionen praktisch realisierbar bzw. politisch wünschenswert erscheint, werden die völkerrechtlichen Kollisionsregeln unverändert beibehalten, vermutlich die meisten von ihnen noch für geraume Zeit. Die in ihnen fortlebenden inhaltlich eigentlich überholten Ansätze müssen vorrangig zum EU-IPR angewendet und nunmehr mit diesem statt wie bisher mit dem nationalen IPR-System koordiniert werden (dazu sogleich 2.). 2. Kompatibilitätsprobleme Durch den Vorrang bestehender Staatsverträge vor dem EU-IPR gelten wie gesehen als veraltet geltende kollisionsrechtliche Konzepte punktuell teils noch für einen längeren Zeitraum fort. Allerdings kommen die darauf beruhenden Kollisionsregeln nur im begrenzten Anwendungsbereich der jeweiligen völkerrechtlichen Instrumente zum Zuge. Bezüglich der von ihnen nicht erfassten Fragen müssen sie nunmehr nicht mehr nur mit dem nationalen IPR, sondern auch mit dem europäischen kollisionsrechtlichen Umfeld koordiniert werden. Wenn und soweit die gemeinsam anzuwendenden Regelungsebenen inhaltlich unterschiedliche Kollisionsregeln vorsehen, entstehen Kompatibilitätsprobleme – vor allem wenn auf traditionellen, heute als überholt betrachteten Prämissen beruhende staatsvertragliche Vorschriften mit begrenztem Anwendungsbereich mit im Übrigen maßgeblichen modernen EU-Kollisionsregeln zusammentreffen. Bei den multilateralen Verträgen, an denen mehrere Mitgliedstaaten sowie Drittstaaten beteiligt sind, sind die Koordinationsschwierigkeiten zumeist überschaubar. Die betreffenden Übereinkommen sind jeweils für spezielle,

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klar umrissene Bereiche konzipiert: Das HProdHaftÜ erfasst Produkthaftungskonstellationen, das HStVÜ Unfälle bei der Benutzung von Fahrzeugen.606 Umgekehrt regeln sie die kollisionsrechtlichen Fragen dieser Gebiete in ihrer Gesamtheit und abschließend. Überschneidungen mit dem EU-Kollisionsrecht unterliegenden Nachbargebieten sind hier insofern ebenso selten wie das Bedürfnis, zur Füllung von Lücken der völkerrechtlichen Regelung auf andere Regelungsebenen zurückzugreifen. Das Hauptproblem liegt vielmehr in der durch den Vorrang der Übereinkommen bedingten Rechtsspaltung innerhalb der EU: Die Vertragsstaaten weichen zugunsten des Übereinkommens von den grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten verbindlichen EUKollisionsregeln ab. Dies untergräbt in den praktisch wichtigen Bereichen der Produkthaftung und der Straßenverkehrsunfälle die europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung. Misslich ist insbesondere, dass durch die divergierenden Anknüpfungen und damit vielfach unterschiedlichen Ergebnisse genau die Anreize zum forum shopping innerhalb der EU gesetzt werden bzw. weiterbestehen, die die Harmonisierung des IPR eigentlich verhindern will.607 Eine erhebliche reale Gefahr besteht aus deutscher Sicht insbesondere bezüglich des HStVÜ, dem zwar nicht Deutschland, aber außer Dänemark alle seine Nachbarstaaten angehören. Aber so unerfreulich diese Situation eines gespaltenen Kollisionsrechts aus Sicht des EU-IPR auch sein mag: Koordinationsprobleme zwischen Haager Übereinkommen und Rom II-VO im eigentlichen Sinne wirft sie nicht auf. Die abweichenden staatsvertraglichen Anknüpfungen regeln die davon erfassten Statute einerseits lückenlos nach einem in sich abgeschlossenen eigenen System. Andererseits ist eine darüber hinaus gehende Ausstrahlung auf andere (auch in den Vertragsstaaten europäisch determinierte) Statute kaum zu verzeichnen. Die beiden notorischen völkerrechtlichen Störenfriede stehen weitgehend unabhängig neben dem europäischen Internationalen Deliktsrecht. Über die grundsätzliche Problematik ihrer Ausnahmestellung hinaus wirft ihre Anwendung neben dem EU-IPR keine praktischen Schwierigkeiten auf. Als wesentlich komplizierter erweist sich dagegen häufig die Verknüpfung der in bilateralen Altverträgen einzelner Mitgliedstaaten mit Drittstaaten enthaltenen Kollisionsregeln mit dem europäischen IPR-Regime. In der praktischen Anwendung kristallisieren sich zwei Hauptprobleme heraus, die im Folgenden jeweils anhand eines Beispiels illustriert werden sollen. Zum einen können die bereits im abstrakten Vergleich mit dem EU-Kollisionsrecht veraltet erscheinenden Kollisionsregeln in der konkreten Anwendung zu Ergebnissen führen, die für die Betroffenen erhebliche Nachteile gegenüber der AnStaudinger in: FS Kropholler, 691, 696 f. Zum HProdHaftÜ z. B. MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 21 m. w. N. – Zum HStVÜ z. B. MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 18 f. m. w. N.; Staudinger in: FS Kropholler, 691, 700 f.; Wurmnest ZVglRWiss 115 (2016), 624, 632 f. 606 607

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

wendung des EU-IPR bedeuten – typisches Beispiel ist die strikte Staatsangehörigkeitsanknüpfung in vorrangig anzuwendenden bilateralen Abkommen (dazu a)). Insbesondere erweist sich das Fehlen von Rechtswahloptionen im staatsvertraglichen IPR als immer größeres Problem (dazu b)). Zum anderen ist der sachliche Anwendungsbereich der Staatsverträge teils eng umgrenzt, ihre nur punktuellen Anknüpfungsregeln müssen mit dem im Übrigen maßgeblichen Kollisionsrecht kombiniert werden, das aber nunmehr zunehmend nicht mehr national, sondern europäisch geregelt ist. Die Schwierigkeiten dieser unerwarteten Verflechtungen der Regelungsebenen zeigt beispielhaft die Nachlassspaltung (dazu c)). a) Nachteile bei divergierenden Anknüpfungsmerkmalen Paradigmatisch für eine Fortwirkung aus europäischer Sicht überholter Standards in bilateralen Staatsverträgen ist die Staatsangehörigkeitsanknüpfung im Familien- und Erbrecht, die mit der in den EU-Kollisionsrechtsakten zugrunde gelegten primären objektiven Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt kontrastiert. Maßgeblich bleibt sie – auch wenn im Übrigen die nationalen durch europäische Kollisionsregeln abgelöst wurden – für die durch daran festhaltende Abkommen gebundenen Mitgliedstaaten hinsichtlich der von den vorrangigen Staatsverträgen jeweils erfassten Personengruppen. Gemäß Art. 8 Abs. 3 dt-iranNLA ist etwa in allen Fragen des Personalstatuts (im Sinne des Schlussprotokolls des Abkommens, Teil II: § 4.I.2., S. 200 ff.) das materielle Recht des Heimatstaats der Betroffenen maßgeblich, d. h. aus deutscher Sicht bleibt es im Verhältnis zum Iran auch unter Geltung des EUIPR bei der Staatsangehörigkeitsanknüpfung.608 Allerdings erfasst das Abkommen nur die Angehörigen des einen Vertragsstaats im jeweils anderen: Für iranische Staatsbürger wenden deutsche Gerichte iranisches Recht an, umgekehrt sind deutsche Staatsbürger von iranischen Gerichten nach deutschem Recht zu beurteilen. Auf deutsch-iranische Doppelstaater ist es ebenso wenig anwendbar609 wie auf deutsch-iranisch gemischt-nationale Ehen,610 die Eigenschaft als Flüchtling (siehe 3.b)aa), S. 473 ff.) verdrängt es (entsprechend Art. 8 Abs. 3 S. 2 dt-iranNLA) ebenfalls.611 Inhaltlich und hinsichtlich MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 19 Rom III-VO Rn. 1. Tritt zur iranischen eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit hinzu, ist aus deutscher Sicht die effektive Staatsangehörigkeit maßgeblich, MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 10; MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 8 f.; NK-BGB / R. Magnus Art. 62 GüVO / PartVO Rn. 6; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 155. 610 MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 7; NK-BGB / R. Magnus Art. 62 GüVO /  PartVO Rn. 6; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 8; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 153; Mankowski ZEV 2013, 529, 534. 611 MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 10; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 155; Mankowski ZEV 2013, 529, 534; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 4. 608 609

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seiner Reichweite vergleichbar unterstellt auch der österreichisch-iranische Niederlassungsvertrag das Personalstatut dem Heimatstaatsrecht, erfasst aber nicht österreichisch-iranische Doppelstaater.612 Insbesondere der Ausschluss von Doppelstaatern aus dem persönlichen Anwendungsbereich ist in vielen Abkommen anzutreffen – weitere Beispiele sind das deutsch-türkische Nachlassabkommen613 oder das österreichisch-jugoslawische Rechtsverkehrsabkommen von 1954614. Die Grenzen des persönlichen Anwendungsbereichs eines individuellen Abkommens sind nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich und können für den Betrachter ohne Spezialkenntnisse durchaus zufällig anmuten. Bereits unter der mangelnden Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit hinsichtlich der maßgeblichen Kollisionsregeln und damit des anwendbaren Rechts können Betroffene in der Praxis erheblich leiden. Denn für das anwendbare Kollisions- und materielle Recht ergeben sich aus der Anwendung oder Nichtanwendung eines vorrangigen Abkommens unter Umständen große Unterschiede. Lässt sich ein iranischer Staatsbürger in Deutschland nieder, legen die (nach Art. 4 ErbVO international zuständigen) deutschen Gerichte iranisches Erbrecht zugrunde – nicht aber, wenn er vor seinem Tod durch Einbürgerung in Deutschland zum Doppelstaater wird oder Flüchtlingsstatus erhält: Dann ist nach Art. 21 ErbVO mangels Rechtswahl das Recht an seinem letzten gewöhnlichen Aufenthalt, also deutsches Recht, maßgeblich. Der eheliche Güterstand und das Scheidungsbegehren eines iranischen Ehepaares richten sich aus Perspektive des österreichischen IPR nach dem iranischen Heimatrecht, auch wenn die Eheleute seit 30 Jahren in Wien leben; anders ist es aber ab dem Tag, an dem einer der beiden (auch) Österreicher wird und damit anstelle des österreichisch-iranischen Niederlassungsvertrags das EU-IPR eingreift.615 Ein Wechsel der Staatsangehörigkeit führt nicht nur zu einem Statutenwechsel, Anders als das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen ist der österreichischiranische Niederlassungsvertrag generell auf Doppelstaater nicht anwendbar, findet also auch auf Iraner, die außerdem die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats haben, keine Anwendung (OGH 13.10.2011 – 6 Ob 69/11g; OGH 6.6.1989 – 2 Ob 536/89). – a. A. Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 20 f. (für effektive Staatsangehörigkeit). 613 Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 11; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 295 ff.; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 158 f.; Majer ZEV 2012, 182, 183 f.; Mankowski ZEV 2013, 529, 530. – Tritt zur türkischen eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit hinzu, kommt es für die Anwendung des Abkommens aus deutscher Sicht auf die Effektivität der türkischen Staatsangehörigkeit an, MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 20; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 159; ebenso ist aus türkischer Sicht für deutschdrittstaatliche Doppelstaater die Effektivität der deutschen Staatsangehörigkeit maßgeblich, Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 296. 614 Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 15. – a. A. Đorđević / Meškić in: Dutta / Wurmnest, 209, 222 f. 615 Vgl. zur gleichen Beurteilung für in Deutschland lebende iranische Ehepaare BVerfG 4.12.2006 – 2 BvR 1216/06 und OLG Hamm 14.6.2012 – 4 UF 136/10. 612

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sondern zu einem Wechsel des anwendbaren Kollisionsrechts! Aus europäischer Sicht ist der Ausschluss von Doppelstaatern und gemischt-nationalen Ehepaaren aus dem Anwendungsbereich bilateraler Abkommen allerdings begrüßenswert: Abgesehen davon, dass er die Zahl der völkerrechtlichen Ausnahmen verringert, stellt er sicher, dass jedenfalls alle (auch-)Mitgliedstaatsangehörigen in den Genuss der EU-Kollisionsregeln kommen. Umso negativer fallen daher die Abkommen auf, deren Kollisionsregeln als Ausnahmen vom EU-IPR auch Mitgliedstaatsangehörige erfassen, beispielsweise die spezielle Scheidungskollisionsregel für französisch-marokkanische Paare in Art. 9 Abs. 2 französisch-marokkanisches Abkommen zum Personen- und Familienstatut von 1981, die auch für mit einem Marokkaner bzw. einer Marokkanerin verheiratete Französinnen bzw. Franzosen gelten. Dies gilt umso mehr, als die Anwendung des staatsvertraglichen Kollisionsrechts sich auch inhaltlich nicht selten als nachteilig für die Betroffenen erweist. Bereits die objektiven Anknüpfungsregeln bilateraler Abkommen wirken häufig zu Lasten der Betroffenen. Die Staatsangehörigkeitsanknüpfung führt regelmäßig zur Anwendung fremden, außereuropäischen materiellen Rechts. Unabhängig davon, ob man nun mit der zwischenzeitlich auf europäischer Ebene durchgesetzten Ansicht das Recht des aktuellen Lebensumfelds für generell geeigneter hält als das Heimatrecht, zu dem unter Umständen nur noch lose, historische Bindungen bestehen: Ein Gleichlauf zwischen forum und ius ist damit von vornherein unmöglich. Die Parteien sehen sich also zwingend mit dem Aufwand der Ermittlung des fremden (Heimat-) Rechts und damit längeren Verfahrenszeiten und höheren Kosten konfrontiert. Im ungünstigsten, aber nicht seltenen Szenario ruft die Anwendung der materiellen Regeln des Staatsangehörigkeitsrechts dann noch inhaltliche Schwierigkeiten hervor. Beispielsweise sehen die Abkommen Deutschlands und Österreichs mit dem Iran die Anwendung des materiellen iranischen Familien- und Erbrechts durch das deutsche bzw. österreichische Gericht vor. Gerade die Anwendung islamisch geprägten Rechts durch mitgliedstaatliche Gerichte erweist sich aber in jüngerer Zeit als zunehmend problematisch, vor allem, wenn seine Regelungen aus europäischer Warte geschlechtsdiskriminierend sind.616 Und auch wenn man die Eignung der hierzu im EU-IPR verfolgten Lösungsansätze, allen voran des Art. 10 Rom III-VO (siehe § 7.I.3.b) bb), S. 315 ff.), stark bezweifeln kann: Dass sie in den vorrangigen Abkommen unterfallenden Situationen von vornherein nicht eingreifen können, führt jedenfalls zu einer weiteren Ungleichbehandlung.617 616 Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 26. – Siehe zur talaq-Scheidung Teil II: § 3.II.2.a), S. 152 ff. sowie § 7.I.3.b)bb), S. 315 ff., zum islamischen Erbrecht z. B. OGH 29.1.2019 – 2 Ob 170/18s. 617 Vgl. BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 9; MüKo8 /  Winkler von Mohrenfels Art. 19 Rom III-VO Rn. 1. – Für eine Anwendung der Artt. 10, 12

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Zu einer Schlechterstellung gegenüber den Ergebnissen der Anwendung der europäischen Kollisionsregeln kommt es regelmäßig auch bei den zahlreichen Abkommen, die im Internationalen Erbrecht wie z. B. § 14 dt-türk NachlA für Mobilien und Immobilien unterschiedliche Anknüpfungen vorsehen. Die negativen Folgen bei der Nachlassabwicklung liegen auf der Hand: Die Ermittlung und Anwendung zweier unterschiedlicher Erbstatute erhöht den praktischen Aufwand, selbst wenn keine Anpassungsprobleme entstehen.618 Auch inhaltlich kann es, gerade bei einer Kombination der Nachlassspaltung mit der im europäischen Internationalen Erbrecht eigentlich überholten Staatsangehörigkeitsanknüpfung, böse Überraschungen bei der Nachlassverteilung geben. Verstirbt beispielsweise ein türkischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, wird sein in Deutschland belegenes Einfamilienhaus nach deutschem Recht, sein bewegliches Vermögen dagegen nach türkischem Recht vererbt.619 Hat er jedoch (auch) ein Grundstück in der Türkei, richtet sich diesbezüglich die Erbfolge nach türkischem Recht. Eine sinnvolle und zuverlässige Nachlassplanung ist in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen, die Grundstückseigentümer sind, letztlich nur mit erheblichem Rechtsberatungsaufwand möglich – ein Nachteil im Vergleich zu allen nicht dem Abkommen unterfallenden Personen in derselben Situation. Darüber hinaus kann eine Nachlassspaltung bei in mehreren Mitgliedstaaten belegenem Vermögen zu massiven Schwierigkeiten führen, weil zwangsläufig nur einer von ihnen durch das Abkommen mit einem Drittstaat gebunden ist, während der andere die ErbVO (und gegebenenfalls seine eigenen vorrangigen Staatsverträge) zugrunde legt. Speziell mit Blick auf Ausstellung und Zuverlässigkeit eines Europäischen Nachlasszeugnisses sind praktikable Lösungen nur schwer konstruierbar.620 Festzuhalten ist, dass die Anwendung der Kollisionsregeln bilateraler Abkommen sowohl hinsichtlich der praktischen Abwicklung als auch des Ergebnisses für die Betroffenen häufig eine Schlechterstellung gegenüber der Anwendung des EU-Kollisionsrechts bedeutet. Das ist umso unerfreulicher, als die veralteten staatsvertraglichen Kollisionsregeln oft große Teile der

Rom III-VO ergänzend zum dt-iranNLA NK-BGB / Nordmeier Art. 19 Rom III-VO Rn. 7; der OGH 29.1.2019 – 2 Ob 170/18s, sub 3.3 will zumindest die Wertung des Art. 10 Rom III-VO auch für das ö-iranNLA übernehmen und auch auf das Erbrecht übertragen. 618 Zu den Nachteilen der Nachlassspaltung z. B. Damar IPRax 2012, 278, 279 f. und Majer ZEV 2012, 182, 184 f., die auf das zusätzliche Problem der Zuständigkeitsspaltung beim dt-türk NachlA hinweisen. 619 Zu dieser häufigen Konstellation z. B. OLG Hamm 21.3.2019 – 10 W 31/17. – Damar IPRax 2012, 278, 279; Gebauer IPRax 2018, 345, 347; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 301. 620 Vgl. dazu Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 320; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 16 ff.

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ausländischen Bevölkerung der Mitgliedstaaten erfassen.621 Es läuft der ursprünglichen Zielsetzung der Abkommen konträr: Diese wurden im Regelfall geschlossen, um den Bürgern der Vertragsstaaten gegenseitig eine kollisionsrechtlich günstige und zuverlässige Stellung zu garantieren. Im Vergleich zum damals ansonsten maßgeblichen nationalen IPR waren die völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln durchaus fortschrittlich und vorteilhaft. Insbesondere sollte die Staatsangehörigkeitsanknüpfung die Behandlung nach dem als am besten geeignet empfundenen Heimatrecht unter allen Umständen garantieren. Mit der Weiterentwicklung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts und seiner Überführung in europäische Rechtsakte verkehrt sich dies jedoch in sein Gegenteil: Die Abkommens-Kollisionsregeln wirken veraltet, ihre Beibehaltung stellt die ihnen Unterfallenden oft schlechter als die Anwendung des heutigen IPR der Vertrags(mitglied)staaten auf andere Personen in vergleichbarer Situation.622 Sollte sich im EU-IPR ein Statusanerkennungsmodell etablieren, würde diese Kluft noch verstärkt, denn die alten Abkommen würden gerade im Verhältnis zu Drittstaaten, mit denen besondere Beziehungen bestehen, die vereinfachten Anerkennungsmöglichkeiten sperren. Die vorrangige Anwendung der bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten auch gegenüber dem nunmehr geltenden EU-Kollisionsrecht ist damit zwar völkervertragsrechtlich und durch die Vorrangklauseln des EU-IPR geboten und konsequent. Da sie aber im Ergebnis dem angestrebten Ziel einer Besserstellung ungewollt und ungeplant konträr läuft, sind auf Dauer Wege zur Anpassung der Rechtslage zu suchen (siehe II.2., S. 505 ff.). b) Fehlende Rechtswahlmöglichkeiten im staatsvertraglichen IPR Erschwerend kommt noch hinzu, dass der in komplizierten Konstellationen häufig sinnvolle Ausweg über eine Rechtswahl (etwa des Rechts des gewöhnlichen Aufenthaltsmitgliedstaats, der auch das forum des Rechtsstreits darstellt) bei Maßgeblichkeit staatsvertraglichen Kollisionsrechts zumeist versperrt ist.623 Die bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten bieten im Familien- und Erbkollisionsrecht allenfalls sehr begrenzte Rechtswahlmöglichkeiten, sehen sie aber im Regelfall überhaupt nicht vor, da sie quasi ausnahmslos aus einer Epoche stammen, in der die Parteiautonomie in Fragen des PersoMüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 4; Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 10; Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 320 f.; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 343 f. – Beispielsweise unterfallen dem dt-türk NachlA mehr als 1,5 Millionen in Deutschland lebende Türken, Damar IPRax 2012, 278, 278; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 285; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 166; Majer ZEV 2012, 182, 182. 622 Mankowski ZEV 2013, 529, 534; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 468. 623 Siehe z. B. für das Internationale Ehegüterrecht Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 15; für das dt-türkNLA Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 15. 621

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nalstatus noch überhaupt kein Thema war. Bereits dadurch wird die ganz überwiegende Mehrzahl der Personen, die kollisionsrechtlich einem vorrangig anzuwendenden Abkommen unterliegen, gegenüber der Anwendung des EU-IPR spürbar schlechter gestellt. Dies verdeutlicht etwa Art. 9 Abs. 2 des französisch-marokkanischen Abkommens zum Personen- und Familienstatut von 1981, nach dem das Scheidungsbegehren einer mit einem Marokkaner verheirateten Französin von einem französischen Gericht dem Recht am aktuellen bzw. letzten domicile commun zu unterstellen ist. Zwar stimmt diese Anknüpfungsregel inhaltlich mit den ersten beiden Leiterstufen der objektiven Anknüpfung des von ihr verdrängten Art. 8 Rom III-VO überein. Dass sie keine subsidiären Anknüpfungen für den Fall eines fehlenden (letzten) gemeinsamen Aufenthalts der Ehegatten enthält, wäre noch zu verschmerzen. Das vollständige Fehlen einer Rechtswahlmöglichkeit im Abkommen bedeutet allerdings, dass französischmarokkanischen Paaren die Option der (beschränkten) Wahl ihres Scheidungsstatuts, die vor französischen Gerichten allen anderen Paaren gemäß Art. 5 Rom III-VO offensteht, verwehrt bleibt. Das kann sich prozesstechnisch wie inhaltlich als äußerst nachteilig für die betroffenen Ehegatten erweisen. aa) Zusätzliche Anwendung europäischer Rechtswahlregeln? Eine durchaus kreative Lösung für das Problem des Fehlens der im EU-IPR vorgesehenen Rechtswahlmöglichkeiten in den vorrangigen Staatsverträgen wurde jüngst aus Polen in einer Vorlage zum EuGH unterbreitet (siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.).624 Der Fall OKR betrifft das polnisch-ukrainische Rechtshilfeabkommen von 1993, das in seinem Art. 37 die objektive Anknüpfung des Erbstatuts durch Anordnung einer Nachlassspaltung (Heimatrecht für Mobilien [Abs. 1], Belegenheitsortrecht für Immobilien [Abs. 2]) regelt und keine Aussage zur subjektiven Anknüpfung enthält. In Frage steht, ob diese staatsvertragliche Regelung einer in Polen lebenden Ukrainerin die Errichtung eines Testaments mit einheitlicher Rechtswahl zugunsten ihres ukrainischen Heimatrechts gemäß Art. 22 ErbVO verwehrt – wie weit also der Vorrang des Abkommens nach Art. 75 Abs. 1 ErbVO reicht. Da die Vorlage von einer Notarin stammte, konnte bzw. musste der EuGH sie zunächst als offensichtlich unzulässig abweisen.625 Auf die erneute Vorlage durch das nach ablehnender (Widerspruchs-)Entscheidung der Notarin angerufene Beschwerdegericht626 wird er aber in der brisanten Frage nach der „Sperrwirkung“ nur objektive An-

624 Notariusz w Krapkowicach Justyna Gawlica, Vorabentscheidungsersuchen vom 12.8.2020, C-387/20. 625 EuGH 1.9.2021 – C-387/20, OKR. 626 Sąd Okręgowy w Opolu, Vorabentscheidungsersuchen vom 10.10.2021 (OP), C21/22.

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knüpfungsregeln enthaltender Staatsverträge bezüglich der durch das EU-IPR gewährten Rechtswahlmöglichkeiten zu entscheiden haben. In OKR argumentiert die Betroffene, dass das polnisch-ukrainische Abkommen nur hinsichtlich der explizit geregelten objektiven Anknüpfung die ErbVO verdränge, diese aber im Übrigen – also bezüglich der im Abkommen nicht angesprochenen Rechtswahl – maßgeblich bleibe; außerdem sei die Rechtswahl im Abkommen gerade nicht untersagt worden. Auf den ersten Blick erscheint dieser Ansatz verlockend: Er ermöglicht eine Rechtswahl nach europäischen Vorstellungen auch unter der Geltung bilateraler Staatsverträge und kann damit zumindest diesbezüglich die Schlechterstellung durch die Anwendung staatsvertraglichen Kollisionsrechts beheben. In den Genuss einer zusätzlichen Rechtswahlmöglichkeit kämen, da in kollisionsrechtlichen Abkommen die subjektive Anknüpfung zumeist überhaupt nicht thematisiert und damit nicht explizit ausgeschlossen wird, wohl fast alle nach bilateralem Kollisionsrecht zu beurteilenden Personen. Die Auslegung des Art. 75 Abs. 1 ErbVO müsste jedenfalls für alle gegenüber dem EU-IPR vorrangigen bilateralen Abkommen im Bereich des Erbrechts gleichermaßen gelten, eine entsprechende Lesart der parallelen Vorrangklauseln der anderen IPR-Verordnungen wäre zu erwarten. Diese Interpretation des Art. 75 Abs. 1 ErbVO stellt sich für das europäische Kollisionsrecht zunächst vorteilhaft dar. Sie stärkt nicht nur die aus europäischer Perspektive wünschenswerte Parteiautonomie, sondern auch das europäische Internationale Erbrecht. Lässt man die Vorrangklausel nur durchgreifen, soweit geschriebene staatsvertragliche Regeln mit dem EUKollisionsrecht konkurrieren, erhält das europäische IPR einen erheblich größeren Anwendungsbereich, gleichzeitig werden die aus der Warte des EU-IPR ungeliebten Staatsverträge weiter zurückgedrängt. Als zusätzliches Argument für diese Interpretation wurde seitens der Klägerin vorgebracht, dass in der in Rede stehenden Konstellation eine Rechtswahl in allen anderen, nicht an das bilaterale Abkommen gebundenen Mitgliedstaaten ohne weiteres gestattet wäre. Wenn aber die wesentliche Benachteiligung durch den eine Rechtswahl nicht regelnden Staatsvertrag in manchen Fällen durch Testamentserrichtung in einem anderen Mitgliedstaat umgangen werden könne, sei nicht einzusehen, warum sie in den Fällen, in denen dies praktisch oder rechtlich nicht möglich ist, aufrechterhalten werde. Letztlich liegt hier wieder der Gedanke zugrunde, die harmonisierten Kollisionsregeln möglichst ausnahmslos anzuwenden und eine Ungleichbehandlung innerhalb der EU zu vermeiden. Bei näherem Hinsehen birgt diese Auffassung jedoch zahlreiche Probleme. Konstruktiv ersetzt das EU-IPR schlicht das bisherige mitgliedstaatliche IPR – es rückt also auch im Verhältnis zu bilateralen Staatsverträgen in die Position ein, die vor der Europäisierung den nationalen Kollisionsregeln zukam. Die Frage, ob die staatsvertragliche Nichterwähnung der Rechtswahl ein stillschweigender Ausschluss oder eine Zuweisung dieser Thematik an das

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nationale (jetzt: europäische) IPR ist, muss also für das europäische Kollisionsrecht genauso beantwortet werden wie für das bisherige mitgliedstaatliche IPR. Wenn eine im EU-Kollisionsrecht vorgesehene Rechtswahl ergänzend zu den staatsvertraglichen Regelungen hinzutreten kann, muss dies auch für eine nach Abschluss des Abkommens im nationalen Kollisionsrecht des Vertragsmitgliedstaats eingeführte Rechtswahloption gelten. Wenn aber umgekehrt eine Rechtswahl nach mitgliedstaatlichem Kollisionsrecht durch das Abkommen blockiert wurde, kann sie auch unter dem EU-IPR nicht möglich sein. Maßgeblich kommt es auf das Verhältnis des Abkommens zum bisherigen nationalen IPR, vor dessen Hintergrund es geschlossen wurde, an. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Frage des europäischen Kollisionsrechts, sondern vielmehr um die Auslegung der einzelnen völkerrechtlichen Verträge.627 Trifft ein Abkommen keine Aussage zur subjektiven Anknüpfung, ist zu ermitteln, ob diese Thematik bewusst von seinem Anwendungsbereich ausgespart wurde oder ob seine Regeln zur objektiven Anknüpfung als abschließend und umfassend konzipiert sind und damit eine Rechtswahl ausschließen. Für eine Interpretation der allermeisten bilateralen Abkommen der Mitgliedstaaten (z. B. des dt-iranNLA, des ö-iranNLA oder des dt-türkNLA) im letzteren Sinne spricht zunächst, dass zum Zeitpunkt ihres Abschlusses Rechtswahlmöglichkeiten im Familien- und Erbrecht nur äußerst selten und in sehr eingeschränktem Maße verbreitet waren. Das legt nahe, dass man davon ausging, mit einer objektiven Anknüpfungsnorm eine umfassende kollisionsrechtliche Regelung zu treffen.628 Dass die ursprünglich gar nicht ins Auge gefasste Rechtswahl in Ermangelung einer expliziten negativen Erwähnung außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des Abkommens läge, wird auch mit steigender Popularität der subjektiven Anknüpfung im mitgliedstaatlichen Recht kaum je vertreten. bb) Kein europäisches Unterlaufen staatsvertraglicher Regelungen Die zusätzliche Möglichkeit zur Rechtswahl nach europäischem IPR auch unter Geltung staatsvertraglicher Kollisionsregeln läge zwar durchaus im Interesse der Mitgliedstaaten. Sie könnten auf diese Weise einerseits die praktische Rechtsanwendung erheblich vereinfachen (indem z. B. die allgemein vorgesehene Rechtswahl zugunsten ihres eigenen Rechts auch in staatsvertraglich geregelten Fällen zum Zuge käme) und andererseits die formell unberührt weitergeltenden Abkommen inhaltlich „modernisieren“ und an ihre gewandelten Vorstellungen anpassen. Die Interpretation eines Staatsvertrags darf allerdings nicht aus der Perspektive nur eines Vertragsstaats erfolgen, sondern muss Position und Interessen aller Vertragsparteien berücksichtigen 627 628

J. Weber FamRZ 2022, 1835, 1835. So für die deutschen erbrechtlichen Abkommen J. Weber FamRZ 2022, 1835, 1835.

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(vgl. Artt. 31 ff. WVK). Damit ist eine Auslegung des staatsvertraglichen Schweigens zur subjektiven Anknüpfung als Zustimmung zu deren ergänzender Anwendung nach dem nationalen (gegebenenfalls europäisierten) Kollisionsrecht des Forums-Vertragsstaats nur dann überhaupt möglich, wenn auch der Vertragspartner-Drittstaat ihr zustimmt. Denn sind die Partner des Abkommens sich hinsichtlich seiner Interpretation einig, spricht nichts gegen eine die geschriebenen Regelungen ergänzende Auslegung, die man gegebenenfalls als ungeschriebene Vertragsänderung betrachten könnte. Ob dies der Fall ist, muss für jedes Abkommen gesondert ermittelt werden. Bejaht wird es für den schweizerisch-italienischen Konsularvertrag von 1868, dessen Art. 17 im Sinne einer objektiven Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Erblassers verstanden wird. Die schweizerische höchstrichterliche Rechtsprechung lässt die Wahl des Rechts des jeweils anderen Vertragsstaats als Aufenthaltsstaat zu, aus italienischer Perspektive ist mit Zustimmung zu rechnen.629 Dabei dürfte es sich allerdings in mehrerer Hinsicht um einen Sonderfall handeln. Zum einen besteht erhebliche Interpretationsfreiheit, weil keine geschriebene Regel des Abkommens auszulegen ist, sondern ohnehin nur eine von der Rechtsprechung in das Abkommen „hineingelesene“ ungeschriebene Anknüpfungsregel.630 Zum anderen hat hier in Mitgliedund Drittstaat-Vertragsstaat eine parallele Rechtsentwicklung stattgefunden: Die nunmehr vertretene Lesart des Konsularvertrags entspricht nicht nur der Rechtslage unter der ErbVO, sondern auch dem heutigen – dem EU-IPR nahestehenden – schweizerischen Kollisionsrecht.631 Im Verhältnis zu den meisten (außereuropäischen) Drittstaaten kann man dagegen schon nicht von einer solchen Grundlage für eine übereinstimmende Auslegungsänderung ausgehen, sodass der Ansatz nicht verallgemeinerbar ist. Mit Blick auf die ganz überwiegende Mehrzahl der Abkommen ist vielmehr hinsichtlich einer solchen dynamischen Interpretation eine gewisse Skepsis an den Tag zu legen, denn durch die ergänzende Gestattung einer Rechtswahl würden die völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln weitgehend umgestaltet oder gar ausgehebelt. Ließe man etwa die nicht ausgeschlossene subjektive Anknüpfung in Ergänzung des Art. 8 Abs. 3 dt-iranNLA zu, müsste man sie konsequenterweise für das Erb-, Scheidungs- und Ehegüterrecht (nach der ErbVO, Rom III-VO und GüVO) sowie die allgemeinen Ehewirkungen (nach Art. 14 EGBGB n. F.) gestatten. Von der im Abkommen vorge629 BG 22.3.2012 – 4A_458/2011, BGE 138 III 354, sub 3; BG 26.7.2010 – 4A_421/2009, BGE 136 III 461, sub 6. – Siehe Bonomi in: Dutta / Wurmnest, 267, 274 ff.; Bonomi RDIPP 2019, 25, 35 ff., 40 f.; Romano YbPIL XVII (2015/2016), 253, 262; kritisch Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 189 f. 630 Vgl. kritisch Bonomi in: Dutta / Wurmnest, 267, 271 f., 275; Bonomi RDIPP 2019, 25, 30 f.; Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 188 ff. 631 Bonomi in: Dutta / Wurmnest, 267, 275 f.

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sehenen strikten Unterstellung des gesamten Personalstatuts unter das jeweilige Heimatrecht bliebe damit nicht mehr viel übrig. Dies ist umso kritischer zu sehen, wenn eine ergänzende Rechtswahl nur nach dem Recht eines der Vertragsstaaten möglich ist, denn eine Modifikation des Abkommens würde dann nur einseitig realisiert632 – im vorangehenden Beispiel würde die zusätzliche Heranziehung des eigenen Kollisionsrechts zwar in Deutschland eine Rechtswahl ermöglichen, nicht aber im Iran, der sie nach wie vor nicht vorsieht. Da die Rechtswahl im Internationalen Familien- und Erbrecht außerhalb Europas bei weitem noch nicht flächendeckend verbreitet ist, wäre eine derartige „Schlagseite“ zu Lasten des Drittstaaten-Vertragspartners für zahlreiche Abkommen zu befürchten. Besondere Zurückhaltung ist auch bei den Abkommen geboten, die nur Teile eines Statuts (z. B. nur die Erbfolge in Immobilien) erfassen. Zwar könnte eine Gestattung der Rechtswahl nach europäischem IPR die Koordination im Zusammenspiel mit diesem (siehe aa), S. 451 ff.) durch die Option zur Herstellung eines Gleichlaufs erleichtern, doch je spezieller und punktueller eine Regelung ist, desto mehr spricht für ihren zwingenden und abschließenden Charakter. Schließlich ist bei den erbrechtlichen Abkommen, die eine Nachlassspaltung vorsehen und unbewegliche Nachlassgegenstände der lex rei sitae unterstellen, fraglich, ob die Geltung dieser typischerweise ausnahmslos geltenden (und der Parteiautonomie nicht zugänglichen) Regelung überhaupt anders als abschließend betrachtet werden kann. Aus der gänzlichen Aussparung der subjektiven Anknüpfung in einem Staatsvertrag lässt sich eine Beschränkung seines sachlichen Anwendungsbereichs auf die objektive Anknüpfung und damit die ergänzende Gestattung der Rechtswahl nach dem ansonsten maßgeblichen Kollisionsrecht wohl nur für wenige Abkommen bejahen. Jedenfalls ist für derartige Erwägungen die Auslegung des EU-IPR nicht der ideale Platz, der EuGH nicht die geeignete Instanz. Wesentlich für die Entscheidung ist nicht die Auslegung des europäischen IPR und die Bestimmung seines Anwendungswillens, sondern vielmehr die der Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten. Diese obliegt aber gerade nicht dem daran nicht beteiligten EuGH, sondern den jeweils involvierten Vertragsstaaten. Dass die Interpretation der sachlich zum Gebiet neuer EU-Rechtsakte gehörenden Abkommen einzelner Mitgliedstaaten in die Zuständigkeit des EuGH fallen soll, ließe sich vielleicht noch begründen – man könnte sie (wie im vorliegenden Fall) als Teil der Vorrangklauseln des EU-IPR betrachten und sich auch auf die durch die Europäisierung auf die EU übergegangene Außenkompetenz (siehe II.1.a), S. 496 ff.) stützen. Bereits das erscheint fragwürdig, jedenfalls entsteht dabei der Eindruck einer „Bevormundung“ der Mitgliedstaaten in ihren bestehenden Rechtsverhältnissen zu Drittstaaten. Für die jeweils beteiligten Drittstaaten ist jedoch die Sichtweise des EuGH in 632

Vgl. J. Weber FamRZ 2022, 1835, 1835.

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keiner Weise maßgeblich. Teilen diese das europäische Verständnis nicht, drohen praktische Schwierigkeiten, indem etwa darauf basierende Entscheidungen nicht anerkannt werden. Wenn aber (gegebenenfalls Jahrzehnte später) die ergänzend zu einem Abkommen in einem Mitgliedstaat gestattete Rechtswahl oder ein auf dieser Basis ergangenes Urteil im anderen Vertragsstaat, der die objektiven Anknüpfungsregeln des Abkommens als abschließend betrachtet, nicht durchgesetzt werden kann, erweist man den Betroffenen durch die europäische weite Interpretation im Endeffekt einen Bärendienst. Auch politisch kann dieses Vorgehen Probleme auslösen, vor allem, wenn der Vertragspartner-Drittstaat die einseitig-eigenmächtige Ergänzung des Abkommens als vertragswidriges Verhalten auffasst. Ausbaden muss diese Folgen aber freilich nicht die EU, sondern der jeweils betroffene Mitgliedstaat – dem dann aber auch die sie gegebenenfalls auslösende Entscheidung über die Auslegung zuzugestehen ist. Die schwierige Auslegung der individuellen Staatsverträge droht außerdem ins Hintertreffen zu geraten, wenn die Fragestellung auf die Auslegung der Vorrangklauseln des EU-IPR beschränkt und aus der auf das EU-Recht fokussierten Perspektive des EuGH beantwortet wird. Informationen zur bisherigen Anwendung und zum Verständnis der Abkommen sind gerade bei älteren Staatsverträgen bereits in den Vertragsstaaten nur begrenzt vorhanden und schwer zugänglich; der EuGH kann allenfalls indirekt auf diesbezügliche Expertise zurückgreifen. Vor dem Hintergrund der zu beobachtenden Tendenz zur großzügigen Auslegung des Anwendungsbereichs des EU-Kollisionsrechts (siehe Teil II: § 3.I.3., S. 118 ff.) liegt die Befürchtung nahe, dass der EuGH eine Auslegung wählen wird, die dem EU-IPR zu Lasten des staatsvertraglichen IPR weiten Raum gewährt. Diese mag im einzelnen Fall – nach sorgfältiger Analyse des in Frage stehenden Abkommens – zwar richtig sein, sie darf aber keinesfalls unbesehen auf alle anderen Staatsverträge übertragen werden. Die Interpretation der europäischen Vorrangklausel (in concreto: Art. 75 ErbVO) wäre zwar auch bezüglich anderer Abkommen maßgeblich und im Rahmen der rechtsaktübergreifenden Auslegung auch auf die entsprechenden Vorschriften der anderen IPR-Verordnungen übertragbar. Auf sie kommt es aber wie gesehen nicht zentral an, sondern vielmehr auf den individuellen Staatsvertrag. Um der Gefahr einer pauschalen Übertragung auf alle Abkommen vorzubeugen, müsste der EuGH klare (Mindest-)Kriterien für die ergänzende Anwendung der europäischen subjektiven Anknüpfung aufstellen, die Mitgliedstaaten müssten vergleichbare Konstellationen zu anderen Abkommen im Zweifel erneut vorlegen. Vor diesem Hintergrund es ist durchaus zu begrüßen, dass der EuGH in OKR zunächst eine Antwort schuldig bleiben konnte. Die erste Vorlage bot in doppelter Hinsicht Sprengkraft. Hätte der EuGH entschieden, dass – aus europäischer Sicht – eine die Vorschriften des Abkommens ergänzende Rechtswahl zulässig ist, wäre das polnisch-ukrainische Rechtshilfeabkommen

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von 1993 erheblich beeinträchtigt, ebenso wie alle anderen Abkommen, auf die die Rechtsprechung übertragbar wäre. Die Vorrangklauseln würden bei einer solchen Interpretation unterminiert und geradezu in ihr Gegenteil verkehrt: Statt den Respekt bestehender Völkerrechtsakte zu sichern, würden sie zum Instrument ihrer Verdrängung. Eine derartige Entwertung der Staatsverträge wäre ein deutliches Signal, dass das europäische Kollisionsrecht konkurrierendes Völkerrecht so weit wie möglich zu verdrängen sucht. Das würde zwar im Interesse einer möglichst weitreichenden Anwendung des EU-IPR liegen, wäre aber dogmatisch äußerst fragwürdig und rechtspolitisch kurzsichtig. Die erneute Vorlage zwingt den EuGH nun allerdings zu einer klaren Stellungnahme in dieser Frage. Mit noch größerer Skepsis war der zweite Teil der ursprünglichen Vorlagefrage zu betrachten. Würde man die (erbrechtliche) Parteiautonomie als so wichtiges Grundprinzip des europäischen Rechts betrachten, dass sie sich auch gegenüber sie ausschließenden vorrangigen Staatsverträgen durchsetzt, könnten die Regelungen quasi aller mitgliedstaatlichen Staatsverträge zugunsten einer als besser empfundenen europäischen Regelung abgewählt werden. Abgesehen davon, dass der bis vor kurzem auch innerhalb der und zwischen den Mitgliedstaaten heftig umstrittenen familien- und erbrechtlichen Parteiautonomie wohl kaum ein derartiger ordre public-Rang zukommt – ein solcher Ausdruck europäischen Hegemonialanspruchs und Heilsbringertums wäre gegenüber Mitgliedstaaten und Drittstaaten gleichermaßen unangebracht und ungeschickt. Glücklicherweise spart die erneute Vorlage zum EuGH diese heikle Thematik aus, sodass eine europäische Antwort darauf zunächst nicht erforderlich ist. Freilich wird sich das Problem einer potentiellen staatsvertraglichen Rechtswahlsperre in den kommenden Jahren immer wieder stellen. Eine richtungsweisende Entscheidung des EuGH zumindest über die europäische Seite des Verhältnisses des EU-IPR zu den völkerrechtlichen Abkommen der Mitgliedstaaten wird sich nicht vermeiden lassen. Es ist zu hoffen, dass der EuGH auf die erneute Vorlage in OKR hin – auch wenn das aus europäischer Sicht zunächst kontraintuitiv scheint – zurückhaltend und mit dem gebotenen Respekt vor den bestehenden Staatsverträgen und ihren individuellen Regeln entscheidet. Damit bliebe freilich die Rechtswahl unter Geltung bilateraler Abkommen weitgehend unmöglich. c) Koordinationsschwierigkeiten bei punktuellen Kollisionsregeln Teils gehen die durch fortgeltende Abkommen verursachten Probleme aber noch darüber hinaus, dass die Anwendung eines staatsvertraglichen Kollisionsregelsatzes zu einem im Vergleich zur Anwendung des EU-IPR nachteiligen Ergebnis führt. Enthält ein Abkommen keine in sich geschlossene Regelung für ein Statut, sondern erfasst nur Teilgebiete oder Einzelfragen, stehen nämlich die unterschiedlichen Regelungsebenen nicht als Alternativen nebeneinander,

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sondern müssen gemeinsam zum Einsatz kommen. Damit stellt sich nicht schlicht die rechtspolitische Frage, welches der beiden Systeme vorzugswürdig ist, sondern die technische Frage, wie bilateral-völkerrechtliches und europäisches Kollisionsrecht kombiniert angewendet werden können. Grundsätzlich müssen die Gerichte des Vertrags-Mitgliedstaats für die davon erfassten Aspekte vorrangig die staatsvertraglichen Kollisionsregeln anwenden, im Übrigen aber (anstelle des bisher maßgeblichen nationalen IPR) das europäische Kollisionsrecht zugrunde legen. Wesentlicher Faktor für Ausmaß und Schwierigkeiten der Koordination der Regelungsebenen ist also die Reichweite des Anwendungsbereichs bzw. die Regelungsdichte des Staatsvertrags. Typisches Beispiel für dieses Konfliktpotential ist die in manchen bilateralen Abkommen anzutreffende Teilregelung einer Nachlassspaltung: Staatsvertraglich wird eine Nachlassspaltung angeordnet, aber nur für einen Teil des Nachlasses eine eigene Anknüpfungsregel getroffen. So enthält etwa der deutsch-sowjetische Konsularvertrag von 1958 in seinem Art. 28 Abs. 3 eine eigene Kollisionsregel nur für unbewegliches Vermögen: Die Erbfolge richtet sich diesbezüglich nach dem Recht des Belegenheitsortes. Auch der österreichisch-sowjetische Konsularvertrag von 1959 regelt grundsätzlich in seinem Art. 26 nur das Erbstatut für Immobilien; die Regelung des Art. 23 für Teile des beweglichen Nachlasses kommt dagegen nur auf Antrag zum Zuge. Logische Konsequenz dieser nur auf Teile des Nachlasses beschränkten Anknüpfungsregel ist eine ebenenübergreifende Kollisionsrechtsspaltung bezüglich des Nachlasses – das im Abkommen nicht behandelte (bewegliche) Nachlassvermögen verbleibt dem jeweiligen IPR der lex fori bzw. unterliegt nunmehr der ErbVO. Denn mit der Europäisierung des Erbkollisionsrechts wurden die deutschen bzw. österreichischen Kollisionsregeln durch die ErbVO abgelöst – in Erbfällen im Anwendungsbereich des deutsch-sowjetischen bzw. österreichisch-sowjetischen Konsularvertrags sind aus deutscher bzw. österreichischer Sicht nunmehr deren Anknüpfungsregeln hinsichtlich aller nicht vom Abkommen speziell geregelten Nachlassbestandteile anzuwenden.633 Zunächst einmal können damit wieder alle Schwierigkeiten auftreten, die eine – entgegen dem in der ErbVO zugrunde gelegten Prinzip der Nachlasseinheit – staatsvertragliche Nachlassspaltung ohnehin mit sich bringt.634 Darüber hinaus können im Einzelfall Reibungen entstehen, wenn die ursprünglich auf die nationalen Kollisionsregeln abgestimmte Anknüpfung des Staatsvertrags nun auf das EU-IPR trifft. So wirkte die im deutsch-sowjetischen Konsularvertrag angeordnete Lageortanknüpfung für in einem Vertragsstaat belegene Immobilien 633 MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 37; Rauscher / Hertel Art. 75 ErbVO Rn. 20; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 163; Mankowski ZEV 2013, 529, 533; Süß in: Dutta /  Herrler, 181, Rn. 10; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 342; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 469. 634 Vgl. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 469.

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ursprünglich mit der in Art. 25 EGBGB a. F. geregelten Staatsangehörigkeitsanknüpfung für Mobilien zusammen, muss nun aber mit der Aufenthaltsanknüpfung der ErbVO in Einklang gebracht werden. Eine klare Nachlassspaltung nach Mobilien und Immobilien dürfte in den meisten Fällen allerdings praktisch noch zu bewältigen sein. Zusätzlich verkompliziert wird die Situation aber häufig dadurch, dass die staatsvertraglichen Erbkollisionsregeln nur in einem der Vertragsstaaten, nicht aber in Drittstaaten belegenes Nachlassvermögen erfassen. So erfasst etwa Art. 26 österreichisch-sowjetischer Konsularvertrag nur im „Empfangsstaat“ gelegenes unbewegliches Erblasservermögen.635 Auch der deutschsowjetische Konsularvertrag wird mehrheitlich dahingehend interpretiert, dass er die lex rei sitae nur für die Erbfolge in in Vertragsstaaten belegene Grundstücke anordnet.636 Zum Nachlass gehörende Immobilien in Drittstaaten fallen also nicht in den Anwendungsbereich der Abkommen und unterliegen damit der ErbVO. Verstirbt beispielsweise ein Russe mit Immobilienbesitz in Russland, Österreich und Mexiko an seinem letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort Wien, ist aus Sicht der nach Art. 4 ErbVO international zuständigen österreichischen Gerichte bezüglich der russischen und der österreichischen Immobilien gemäß des österreichisch-sowjetischen Konsularvertrags an das jeweilige Lageortrecht anzuknüpfen, nicht aber bezüglich der in Mexiko belegenen Grundstücke; für diese verbleibt es bei den Regeln der ErbVO. Der Rechtsanwender ist letztlich mit einer doppelten, jeweils ebenenübergreifenden Spaltung konfrontiert: Es ist nicht nur das Erbstatut für unterschiedliche Arten von Nachlassgegenständen (Mobilien und Immobilien) gesondert und nach verschiedenen Regelsystemen zu bestimmen, sondern es kommt für verschiedene Nachlassteile (Vertrags- und Nichtvertragsstaatenimmobilien) zu einer weiteren Aufteilung auf unterschiedliche Kollisionsrechtsinstrumente. Aus europäischer Sicht ist das zunächst nicht ungünstig – denn je punktueller ein Staatsvertrag eingreift, desto weniger wird das EUKollisionsrecht durch dessen Vorrang eingeschränkt. Auch für die Nachlassplanung der Beteiligten kann es sich als durchaus hilfreich erweisen, wenn die nach Art. 22 ErbVO gestattete beschränkte Rechtswahl für alle nicht unter das Abkommen fallenden Nachlassgegenstände möglichst weiten Raum erhält und den gesamten Nachlass mit Ausnahme der in einem der beiden Vertragsstaaten belegenen Grundstücke des Erblassers erfasst. Erhebliche Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 17, 28. MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 38; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 160; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 20. – Ebenso für das dt-türk NachlA Güneş in: Dutta /  Wurmnest, 283, 294 f.; Majer ZEV 2012, 182, 184; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 19. – a. A. Mankowski ZEV 2013, 529, 530. – Zu möglichen Konstellationen des Zusammentreffens von ErbVO und dt-türk NachlA Gebauer IPRax 2018, 586, 587 f.; Gebauer IPRax 2018, 345, 347 f. 635 636

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Schwierigkeiten sind allerdings bei der Nachlassabwicklung zu erwarten, vor allem bezüglich des in Nicht-Vertragsstaaten belegenen Nachlassvermögens.637 Dass die Anwendung europäischer Kollisionsregeln beim Abschluss der ursprünglichen Konsularverträge von keinem Vertragspartner beabsichtigt oder auch nur in Erwägung gezogen wurde, liegt auf der Hand. Aber auch später, etwa bei der Entscheidung über die Fortgeltung der Abkommen im Verhältnis zu den UdSSR-Nachfolgestaaten oder im Gesetzgebungsverfahren zur ErbVO, wurden diese Konsequenzen wohl kaum berücksichtigt, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits eher absehbar waren. Im Einzelfall kann es durch die nur punktuellen staatsvertraglichen Regeln im Zusammentreffen mit dem EU-IPR zu merkwürdigen und praktisch nur schwer sinnvoll lösbaren Kombinationen kommen. Dabei kann sich die Situation sogar noch weiter verkomplizieren. Denkbar ist einerseits eine Kombination aller drei Regelungsebenen: Eine staatsvertragliche Kollisionsregel ist für ihren begrenzten Anwendungsbereich vorrangig anwendbar, im Übrigen greift grundsätzlich das EU-Kollisionsrecht ein, das allerdings aufgrund anderer Qualifikationsentscheidungen oder Ausnahmen keine vollständige Regelung für alle Sachverhaltsaspekte trifft, sodass für Einzelaspekte auf das nationale IPR zu rekurrieren ist. Das wäre etwa der Fall, wenn ein deutsches Gericht über den Nachlass eines in Berlin lebenden russischen Staatsbürgers zu entscheiden hätte, zu dem neben einer Immobilie in Moskau und beweglichem Vermögen in Deutschland auch ein (erbrechtsnaher) Trust in London gehört: Das Grundstück unterliegt Art. 28 Abs. 3 deutsch-sowjetischer Konsularvertrag (russisches Belegenheitsortrecht), das bewegliche Vermögen Artt. 21, 22 ErbVO (deutsches Recht des gewöhnlichen Aufenthalts mit Rechtswahloption zugunsten des russischen Heimatrechts) und der Trust wäre aufgrund der Ausnahme in Art. 1 Abs. 2 j) ErbVO nach nationalem deutschem IPR anzuknüpfen (das in Art. 25 EGBGB die Anknüpfungsregeln der ErbVO für entsprechend anwendbar erklärt, die allerdings für Trusts kaum weiterhelfen). Kompatibilitätsprobleme sind bei einer solchen „Teil-Europäisierung“ quasi vorprogrammiert. Andererseits können innerhalb der völkerrechtlichen Regelungsebene verschiedene Rechtsinstrumente aufeinandertreffen. Möglich ist das in Fallkonstellationen, in denen ein Mitgliedstaat an mehrere Staatsverträge gebunden ist bzw. ein Drittstaat völkerrechtliche AbGerade in Konsularverträgen sind die Kollisionsregeln häufig eng mit Regelungen zu Nachlassverfahren und -abwicklung verknüpft, vgl. Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 23 ff. – Zu den Anwendungs- und Koordinationsproblemen mit diversen Fallbeispielen und Lösungsvorschlägen, insbesondere mit Blick auf das Europäische Nachlasszeugnis, Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 16 ff. – Das Problem, dass bilaterale Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten die Wirkungsweise des Europäischen Nachlasszeugnisses zu beeinträchtigen drohen, ist bislang noch weitgehend ungelöst, vgl. Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 170 ff.; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 342 f.; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 471 ff. 637

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kommen mit verschiedenen Mitgliedstaaten geschlossen hat. Hier kommt es zu einer Konkurrenz der Staatsverträge, deren Anwendung zumindest aus mitgliedstaatlicher Perspektive durch das EU-IPR gleichsam verklammert ist – und gegebenenfalls einer Potenzierung der geschilderten Anwendungsschwierigkeiten.638 Auch hier liegt das Problem wesentlich darin begründet, dass die mit den Prämissen des nationalen IPR noch mehr oder weniger kompatiblen überkommenen staatsvertraglichen Regelungen den Konzepten des heutigen EUKollisionsrechts teils diametral entgegengesetzt sind.639 Besonders augenfällig wird dies, wenn völkerrechtliche Einzelregelungen mit den Kollisionsregeln einer anderen Regelungsebene kombiniert werden müssen. Während sie mit dem nationalen IPR der Vertragsstaaten recht gut koordiniert waren, fehlt eine inhaltliche Abstimmung zwischen dem EU-Vollregime und den bilateralen Staatsverträgen der Mitgliedstaaten vollständig.640 Die schon bei Diskrepanzen zwischen völkerrechtlichen und nationalen Kollisionsregeln existierenden Koordinationsprobleme verstärken sich unter dem EU-IPR deutlich – auch, weil sie als rechtsspaltende Ausnahmen von einem ansonsten harmonisierten universellen Kollisionsrecht stärker sicht- und spürbar sind. Die rechtspolitisch besonders heikle Frage, inwieweit bilaterale Staatsverträge den Rückgriff auf nationale Vorbehalts- bzw. Wertungsklauseln zulassen,641 wird durch entsprechende europäische Vorschriften (z. B. Art. 10, 12 Rom IIIVO oder Art. 35 ErbVO) zusätzlich verschärft. Lösungen müssten sinnvollerweise auf europäischer Ebene geschaffen werden: Für die Drittstaaten-Vertragspartner hat sich nichts verändert, die Mitgliedstaaten (deren Gerichten die Bürde der praktischen Anwendung obliegt) sind an das EU-Kollisionsrecht gebunden und haben keine unabhängigen Handlungsoptionen mehr, die Schwierigkeiten entstehen durch das Zusammenwirken mit dem neu hinzugetretenen EU-Kollisionsrecht. Abgesehen davon, dass die Entwicklung allgemeiner europäischer Abfederungsmechanismen bereits durch die eingeschränkte Verfügbarkeit an Informationen über Inhalt und Reichweite der einzelnen Staatsverträge, die sich als wesentliche Faktoren für Art und Ausmaß des erforderlichen Zusammenspiels erweisen, erschwert wird (siehe Teil II: § 4.I.3., S. 206 ff.), liegt es aber kaum im Interesse der EU, für eine bessere Kompatibilität ihrer Regelungen mit den bilateralen Abkommen einzelner Mitgliedstaaten zu sorgen. Realistischer ist demFür das Erbrecht Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 470 f. Vgl. zum Erbrecht MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 19. 640 Vgl. für den Bereich der ErbVO, mit Blick auch auf das IZVR, Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 468 ff. 641 Vgl. etwa zu Art. 8 Abs. 3 dt-iranNLA BeckOGK / Stürner (Stand 1.2.2022) Art. 6 EGBGB Rn. 118; MüKo8 / von Hein Art. 6 EGBGB Rn. 39. – Zum Problem der Anwendung des Art. 202-1 Abs. 2 C.civ. im Verhältnis zu bilateralen Staatsverträgen Frankreichs siehe Hammje Rev. crit. DIP 2013, 773, Rn. 16. 638 639

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gegenüber die Hoffnung, durch eine Überarbeitung der Staatsverträge und ihre Anpassung an die heutige Rechtslage ein besseres Zusammenspiel der Regelungsebenen herbeizuführen (siehe II.2., S. 505 ff.). 3. Europäischer Einfluss auf die Auslegung staatsvertraglicher Kollisionsregeln Selbst, wenn der Übergang von nationalen zu europäischen Kollisionsregeln keine größeren Kompatibilitätsprobleme mit vorrangig geltendem Völkerkollisionsrecht auslöst, stellt sich die Frage, ob die Europäisierung Einfluss auf die Interpretation der staatsvertraglichen Regeln ausübt. Völkerrecht ist grundsätzlich durch die Vertragsstaaten autonom auszulegen. Während die Auslegung der völkerrechtlichen Verträge der einzelnen Mitgliedstaaten bisher jedoch vor dem Hintergrund ihres jeweiligen nationalen IPR erfolgte, sind sie nunmehr zunehmend in den Kontext des EU-IPR gestellt: Zur Perspektive als Vertragsstaat tritt die Perspektive als EU-Mitgliedstaat hinzu. Die europäische IPRHarmonisierung hat zwar keine direkten Auswirkungen auf unberührt fortgeltende Abkommen und Übereinkommen. Indirekt kann das EU-IPR aber doch Einfluss auf die Auslegung und Anwendung staatsvertraglicher Kollisionsregeln ausüben. Zum einen kann der nunmehrige europäische Anwendungskontext dazu führen, dass sich das Verständnis ihrer völkerrechtlichen Abkommen in den Mitgliedstaaten wandelt und zunehmend europäisch geprägt wird (dazu a)). Zum anderen können in den unterschiedlichen Vertrags-Mitgliedstaaten divergierende Auslegungen eines Übereinkommens die einheitliche Anwendung des EU-IPR gefährden und zumindest für die europäischen Vertragsstaaten eine gemeinsame Interpretationslinie erforderlich machen, wie das Beispiel des Art. 12 GFK derzeit eindringlich vor Augen führt (dazu b)). a) Auslegung von Staatsverträgen „im europäischen Sinne“? Die Interpretation der in Staatsverträgen enthaltenen Kollisionsregeln erweist sich nicht zuletzt aufgrund ihrer vergleichsweise seltenen praktischen Anwendung häufig als schwierig. Auch nach Jahrzehnten sind manche Details ihrer Auslegung ungeklärt, einen einheitlichen Ansatz für die Beantwortung offener Fragen sucht man teils sogar innerhalb ein und desselben Abkommens vergeblich.642 Galt dies bereits für die Anwendung völkerrechtlichen Kollisionsrechts in Verbindung mit nationalem IPR, hat die Problematik durch die nunmehr erforderliche Kombination staatsvertraglicher und europäischer Kollisionsregeln eine neue Dimension erhalten. Einerseits müssen die völkerrechtlichen Instrumente nolens volens auch im Hinblick auf ihre Friktionen mit dem EU-IPR interpretiert werden – Ansatzpunkte hierfür fehlen in den Staatsverträgen meist gänzlich, da die Möglichkeit einer Regionalisie642

Vgl. kritisch Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 474 ff.

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rung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts bei ihrem Abschluss nicht in Betracht gezogen wurde. Andererseits können die europäischen Regeln, die heute mit den staatsvertraglichen Kollisionsnormen interagieren, bei deren Auslegung nicht vollkommen außer Acht gelassen werden. Das Verständnis des völkerrechtlichen IPR ist damit zumindest indirekt europäischen Einflüssen ausgesetzt. aa) Mitgliedstaatliche Interpretation unter europäischem Einfluss Nach wie vor ist die Interpretation des völkerrechtlichen Kollisionsrechts Aufgabe der Gerichte der Vertragsstaaten. Diese müssen jedoch als EUMitgliedstaaten nicht nur das europäische IPR in Gestalt von Verordnungen als Teil ihrer lex fori berücksichtigen, sondern sind diesbezüglich auch an das europäische Verständnis (insbesondere die Auffassung des EuGH) gebunden. Ob und inwieweit letzteres für die Mitgliedstaaten auch über das eigentliche EU-IPR hinaus bei der Auslegung der für sie verbindlichen Völkerrechtsinstrumente Bindungswirkung entfaltet, ist noch nicht abschließend geklärt. Teils wird etwa aus der Verpflichtung des Art. 351 Abs. 2 AEUV zur Behebung von Unvereinbarkeiten zwischen Staatsverträgen und Unionsrecht die Forderung abgeleitet, die Mitgliedstaaten hätten bestehende Abkommen zwecks Konfliktvermeidung mit dem EU-IPR so eng wie möglich auszulegen.643 Aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) dürfte jedenfalls zumindest eine Pflicht der Mitgliedstaaten fließen, bei der Interpretation des für sie geltenden Völkerrechts auf die Position der EU Rücksicht zu nehmen. In Verbindung mit der Ablösung wesentlicher Teile des nationalen Rechts durch europäische Rechtsakte sowie der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur europarechtsfreundlichen Auslegung ihres verbliebenen nationalen Rechts kommt es zunehmend zu einer – ursprünglich nicht vorgesehenen – Auslegung der völkerrechtlichen Kollisionsregeln „im Sinne der EU“. Spürbar ist dies bereits, wenn es um die Bestimmung der Reichweite völkerrechtlicher Instrumente, insbesondere bilateraler Abkommen, geht. Deren Vorrang bedeutet ungeliebte Ausnahmen von den EU-Verordnungen (siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.). Aus europäischer Perspektive ist daher eine möglichst enge Auslegung erstrebenswert: Je schmaler der Anwendungsbereich der völkerrechtlichen Instrumente verstanden wird, desto mehr Raum verbleibt für die Anwendung der europäischen Kollisionsregeln.644 Eine europarechtsfreundliche Auslegung geht allerdings zwangsläufig zulasten des in entsprechendem Maße zurückgedrängten Völkerrechts. Die volle Sprengkraft dieser Thematik illustriert der polnisch-ukrainische Fall OKR (siehe 2.b)bb), S. 453 ff.). Aber auch in weniger zugespitzten Situationen kann die Bestim643 644

MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 6; Gebauer IPRax 2018, 345, 351. Vgl. die Überlegungen bei Gebauer IPRax 2018, 345, 350 f.

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mung des Anwendungsbereichs gleichzeitig eine Entscheidung zwischen proeuropäischem und pro-völkerrechtlichem Verständnis bedeuten. Die auf in Vertragsstaaten belegenes Immobiliarvermögen begrenzte Auslegung des Art. 28 Abs. 3 deutsch-sowjetischer Konsularvertrag ist nach dem Wortlaut nicht selbstverständlich – auch die Lesart, dass alle unbeweglichen Nachlassgegenstände unabhängig von ihrem Lageort davon erfasst sein sollen, ist möglich. Dass heute in Deutschland mehrheitlich ein enges Verständnis propagiert wird,645 ist zweifelsohne praktisch vorzugswürdig: Durch die Unterstellung aller nicht in Vertragsstaaten belegenen Grundstücke unter das allgemeine Erbstatut wird eine weitere Aufspaltung des Erbstatuts (das sich anderenfalls für jede Drittstaaten-Immobilie nach deren Belegenheitsortrecht richtete) vermieden. Sie räumt aber gleichzeitig der ErbVO deutlich größeren Raum ein. Gerade, wenn enge Auslegungslinien erst nach der Europäisierung des IPR (verstärkt) propagiert werden, kann leicht der Eindruck entstehen, die mitgliedstaatliche Auslegung des Völkerrechts sei zumindest auch (wenn nicht gar primär) europarechtsfreundlich motiviert. Geradezu unausweichlich erscheint ein zunehmend europäisch geprägtes Verständnis schließlich bei der mitgliedstaatlichen Interpretation der anwendbaren völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln. Zwar entfalten die zu den EUKollisionsrechtsakten entwickelten Vorgaben, insbesondere die Rechtsprechung des EuGH, gerade keine Bindungswirkung für die völkerrechtlichen Instrumente.646 Rein formal sind beispielsweise europäische Qualifikationsentscheidungen – wie die güterrechtliche Einordnung der islamisch-rechtlichen Brautgabe (siehe Teil II: § 3.I.1.c), S. 85 ff.) oder die erbrechtliche Einstufung des „güterrechtlichen Viertels“ nach § 1371 Abs. 1 BGB (siehe Teil II: § 3.I.3., S. 118 ff.) – für staatsvertragliches IPR nicht maßgeblich. Die Mitgliedstaaten müssen sie zwar für das EU-IPR zugrunde legen, können aber im Anwendungsbereich ihrer Staatsverträge grundsätzlich an ihren eigenen bisherigen Auslegungs- und Qualifikationsentscheidungen festhalten. Aus deutscher Sicht könnte etwa im Rahmen des dt-iranNLA die Brautgabe nach wie vor als allgemeine Ehewirkung, im Rahmen des dt-türk NachlA der § 1371 Abs. 1 BGB nach wie vor als Teil des Güterrechts qualifiziert werden.647

MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 38; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 160. MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 6; Majer ZEV 2018, 331, 332 (zur offenlassenden Entscheidung OLG Karlsruhe 27.2.2018 – 14 W 113/16 [Wx], Rn. 12). 647 So OLG München 24.9.2019 – 31 Wx 326/18, Rn. 13 f. – Offenlassend dagegen noch wenige Tage vor der Mahnkopf-Entscheidung des EuGH (EuGH 1.3.2018 – C558/16, Mahnkopf) OLG Karlsruhe 27.2.2018 – 14 W 113/16 (Wx), einige Zeit danach OLG Hamm 21.3.2019 – 10 W 31/17; nach Meyer / Tepetaş FamRZ 2020, 1700, 1702 ist die Entscheidung im Ergebnis meist unerheblich. – Zur Problematik noch von güterrechtlicher Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB ausgehend Gebauer IPRax 2018, 345, 348 f., nach der Mahnkopf-Entscheidung Gebauer IPRax 2018, 586, 586 ff. 645 646

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Dafür spricht zweifelsohne, dass die Interpretation der Abkommen bislang vor dem Hintergrund der nationalen Auffassung stattfand und weder aus völkerrechtlicher Sicht noch aus der Perspektive des Vertragspartnerstaats die (das Abkommen gerade nicht berührende) Europäisierung des Statuts im Übrigen einen Anlass zu ihrer Änderung bietet. Für die betroffenen Mitgliedstaaten stellt sich die Beibehaltung ihrer alten Interpretationslinien nur für einzelne Abkommen allerdings als zunehmend schwierig dar. Bereits das Resultat einer gespaltenen Auslegung bzw. Qualifikation, bei der ein und derselbe Begriff je nach Rechtsakt unterschiedlich auszulegen ist, ist zwar dogmatisch vertretbar, aber praktisch ungünstig. Wenn jedoch die staatsvertraglichen Regeln mit dem im Übrigen anwendbaren EU-IPR koordiniert werden müssen, kann das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Begriffsverständnisse zu Verwerfungen und Widersprüchen führen. Hält man etwa aus deutscher Sicht für das deutsch-türkische Nachlassabkommen an einer güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB fest, muss dafür (etwa zur Beantwortung der Vorfrage nach dem Güterstand des Erblassers) mangels güterrechtlicher Regelungen im Abkommen selbst das deutsche Güterkollisionsrecht herangezogen werden – das aber für nach dem 29.1.2019 eingegangene Ehen durch die GüVO ersetzt wurde. Im Rahmen der GüVO ist man aber wiederum an die europäische Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtlich gebunden.648 Legt man dagegen von vornherein ein einheitliches Begriffsverständnis zugrunde, bleiben den Rechtsanwendern zumindest derartige Schwierigkeiten erspart. Insofern verwundert wenig, dass zunehmend eine möglichst weitreichende Übertragung der für das EU-IPR zugrunde zu legenden Ansätze und Lösungen auch auf die staatsvertraglichen Abkommen vorgeschlagen wird.649 Dass eine solche parallele Auslegung aus europäischer Sicht vorzugswürdig ist, liegt auf der Hand; zumindest ein Stück weit kann sie die aus den unterschiedlichen Abkommen der Mitgliedstaaten resultierende Uneinheitlichkeit eindämmen. Ob Art. 351 Abs. 2 AEUV die Mitgliedstaaten tatsächlich dazu verpflichtet, kann letztlich offenbleiben. Denn faktisch bleibt ihnen ohnehin kaum eine andere Wahl. Zum einen wäre das Festhalten an eigenen Interpretationslinien nur für die eher seltenen völkerrechtlichen Ausnahmen vom EUIPR wie gesehen wenig praktikabel. Zum anderen würde eine Versteinerung der bisherigen mitgliedstaatlichen Interpretation nur die „Überalterungsproblematik“ des staatsvertraglichen IPR weiter verschärfen und damit niemandem dienen. Ein dynamisches Verständnis der Abkommen vor dem Hintergrund ihres jeweiligen aktuellen Umfelds muss aber einbeziehen, dass ihr Vgl. Fornasier FamRZ 2018, 860, 861 f.; Gebauer IPRax 2018, 586, 587 f. Für das Erbrecht (Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB) MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 6; Fornasier FamRZ 2018, 860, 861 f.; Gebauer IPRax 2018, 586, 588. – Für das Güterrecht im Ergebnis ebenso Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 9. 648 649

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Kontext aus Sicht eines Mitglied-Vertragsstaats nun eben zunehmend nicht mehr nationale, sondern europäische Kollisionsregeln sind. Aus Sicht der Mitgliedstaaten gibt es damit keine sinnvolle Alternative dazu, die europäischen Vorstellungen „freiwillig“ auch auf ihren Umgang mit völkerrechtlichen Kollisionsnormen zu übertragen. Auch wenn das Unionsrecht es außerhalb des Anwendungsbereichs der europäischen Rechtsakte nicht verlangen kann, können europarechtliche Vorgaben – gewissermaßen spiegelbildlich – auch auf die Auslegung des vorrangig zum bzw. in Kombination mit dem EU-IPR anzuwendenden völkerrechtlichen Kollisionsrechts durchschlagen.650 bb) Nachträgliche Auslegungsänderungen „im europäischen Sinne“ Aus Sicht der Drittstaaten-Vertragspartner führt das zwar nicht in jeder Konstellation zu einem konkret negativ veränderten Ergebnis. Bedenklich ist es aus ihrer Warte aber dennoch, wenn seitens ihres mitgliedstaatlichen Vertragspartners ein später entstandenes europäisch geprägtes Verständnis gegenüber den von den Parteien bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Haltungen privilegiert wird. Denn die Auslegung des EU-IPR auf europäischer Ebene erfolgt zumeist in ganz anderen Zusammenhängen und aus ganz anderen Motivationen als seinem Verhältnis zu staatsvertraglichen Kollisionsregeln. Fälle wie die polnisch-ukrainische Konstellation in OKR, in denen direkt die Beziehung des EU-IPR zu einem Abkommen eines Mitgliedstaats in Frage steht, sind äußerst selten. Der weitaus größte Anteil der Interpretationslinien des EU-IPR entsteht in Abgrenzung zum nationalen mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht und lässt die staatsvertraglichen Ausnahmen davon vollkommen außer Acht. Erkennbar ist dabei eine tendenziell sehr europarechtsfreundliche Haltung des EuGH (siehe Teil II: § 3.I.3., S. 118 ff.). Setzt sich diese insgesamt durch und beeinflusst auch die Auslegung des staatsvertraglichen IPR durch die Mitgliedstaaten, ist dies für die beteiligten Drittstaaten doppelt misslich. Ihre Abkommen geraten indirekt und im Nachgang unter die Interpretationsmacht des EuGH, ohne dass sie dem zugestimmt hätten und ohne dass sie auf die Entwicklung der Auslegungslinien irgendeinen Einfluss nehmen könnten. Umgekehrt können sie der nunmehrigen Orientierung ihrer Vertragspartner an europäischen Vorgaben und Interessen kaum wirksam etwas entgegenhalten. Eine Grenze wird der Übertragung europäisch geprägter Standpunkte auf die Interpretation völkerrechtlicher Kollisionsregeln zwar durch die Regeln zur Auslegung des Völkerrechts durch die Vertragspartner gezogen. Solange diese nicht überschritten ist, ist ein europäisch orientiertes Verständnis der Mitgliedstaaten aber schwer zu beanstanden – und generell fehlt es an einer Kontrollinstanz, die im Konfliktfall korrigierend eingrei650 Siehe zum „Sog des Europäischen Kollisionsrechts“ etwa Gebauer IPRax 2018, 345, 345 ff.

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fen könnte. Gerade, wenn bisher eher völkerrechtsoffene Positionen des mitgliedstaatlichen IPR nunmehr durch eine primär europarechtsfreundliche Interpretation abgelöst werden, kann der Wechsel zur EU-geprägten Auslegung damit langfristig Zwist zwischen den Vertragsparteien säen. Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass der Wandel mitgliedstaatlicher Auffassungen mit der fortschreitenden Europäisierung des Kollisionsrechts einhergeht und damit kaum vorhersehbar ist. Ein Beispiel für diese unberechenbare Dynamik ist der im EU-IPR bislang nicht geregelte Umgang mit Mehrstaatern. Auch im völkerrechtlichen Kollisionsrecht gibt es dazu keine klare, übergreifende Haltung, nur in wenigen Abkommen wird eine explizite Regelung getroffen. Im Übrigen bleibt der Umgang mit Doppelstaatern den Vertragspartnern überlassen, die dazu basierend auf ihrem nationalen Kollisionsrechtsverständnis sehr unterschiedliche Ansätze vertreten. Ein Beispiel für einen Interpretationsstreit zwischen den Vertragspartnern eines bilateralen Abkommens ist das türkisch-italienische Konsularabkommen von 1929: Hier folgt bei Vorliegen einer weiteren (drittstaatlichen) Staatsbürgerschaft neben der türkischen bzw. italienischen die türkische Literatur dem Prinzip der effektiven Staatsangehörigkeit, während diese Lösung in Italien abgelehnt wird.651 Gelegentlich herrscht sogar innerhalb ein und desselben Vertragsstaats Meinungsverschiedenheit – so ist etwa die österreichische Literatur hinsichtlich des Umgangs mit Doppelstaatern im Rahmen des österreichischiranischen Niederlassungsvertrags gespalten.652 Umgekehrt lässt sich in einigen Fällen auch nach Jahrzehnten nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob die Frage überhaupt streitig ist – so beispielsweise beim deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen. Zum Umgang mit Drittstaat-Doppelstaatern unter diesem Abkommen existiert bisher nur ein einziges deutsches Urteil, das (im Einklang mit dem deutschen Kollisionsrecht) vom Vorrang der effektiven Staatsangehörigkeit ausgeht;653 aus dem Iran ist demgegenüber keine Entscheidung zu dieser Frage bekannt.654 Das Resultat ist eine insgesamt äußerst unübersichtliche und uneinheitliche Situation, die die Bestimmung des Anwendungsbereichs der bilateralen Abkommen (und damit ihre Abgrenzung gegenüber den ansonsten eingreifenden EU-Verordnungen) wesentlich verkompliziert. 651 Franzina in: Dutta / Wurmnest, 175, 195; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 299 f.; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 474 f. 652 Vgl. Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 20 f., die selbst für das Prinzip der effektiven Staatsangehörigkeit plädiert. Der OGH lehnt eine Anwendung auf Doppelstaater bisher generell ab, OGH 13.10.2011 – 6 Ob 69/11g; OGH 6.6.1989 – 2 Ob 536/89. 653 AG Hamburg-St. Georg 13.4.2015 – 970 VI 1645/12; zustimmend Wurmnest IPRax 2016, 447. – Im konkreten Fall eines Kanadier-Iraners führte dies zur Maßgeblichkeit der iranischen Staatsangehörigkeit und damit zur Anwendung des Abkommens. 654 Es ist zu vermuten, dass aus iranischer Sicht in den seltenen praktischen Fällen der Effektivitätsgrundsatz zugrunde gelegt wird, vgl. Yassari in: Dutta / Wurmnest 253, 265.

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Noch ist diese Lage bei Anwendung nationalen und europäischen Kollisionsrechts gleich, da das EU-IPR zum Umgang mit Drittstaater-Mehrstaatern keine Vorgaben macht und die Thematik dem mitgliedstaatlichen Recht überlässt. Ihre „Unionisierung“ in absehbarer Zukunft scheint allerdings nicht ganz unwahrscheinlich. Die Unterschiede der mitgliedstaatlichen Handhabung werden zunehmend als problematisch empfunden, zumindest für die Behandlung von Mitgliedstaater-Doppelstaatern existieren bereits europäische Vorgaben für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht. Eine europäische Regelung wird jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch den mitgliedstaatlichen Umgang mit Doppelstaatern im Kontext bilateraler Abkommen beeinflussen. Die Beibehaltung abweichender Herangehensweisen für den Umgang mit Mehrstaatern (nur) bei der praktisch eher seltenen Anwendung staatsvertraglichen Kollisionsrechts dürfte sich – sofern nicht eigene eindeutige Regelungen in den völkerrechtlichen Instrumenten enthalten sind – für die Mitgliedstaaten langfristig als zu aufwendig und aufgrund der Koordinationsschwierigkeiten unterschiedlicher Auffassungen (die etwa zu Anwendungskonkurrenzen bzw. -lücken führen können) als kaum sinnvoll erweisen. Eine einheitliche Handhabung innerhalb jedes Rechtssystems und durch alle EUMitgliedstaaten hätte zweifelsohne im Hinblick auf die Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit auch Vorteile für die Anwendung völkerrechtlicher Kollisionsregeln. Diese können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Änderung der Beurteilung letztlich einseitig von der – an den Abkommen nicht beteiligten – EU propagiert und inhaltlich dominiert würde. Dieses Damoklesschwert einer potentiellen Auslegungsänderung „hin zur EU“, soweit der Interpretationsspielraum der mitgliedstaatlichen Vertragspartner reicht, schwebt über allen völkerrechtlichen Kollisionsrechtsakten. cc) Europäisches Interpretationsübergewicht bei multilateralen Übereinkommen Bei multilateralen Konventionen stellen sich die durch den Übergang zu einem europäischen Kollisionsrechtsverständnis hervorgerufenen Auslegungsprobleme im Kern genauso, wenn auch häufig in etwas abgemilderter Form. Durch die höhere Anzahl von Vertragspartnern und den dadurch breiteren Anwendungsbereich kann man hier auf mehr und breiter gefächerte Anwendungserfahrungen zurückgreifen, gerade für jüngere Übereinkommen sind Gesetzgebungs- und Interpretationsmaterialien zahlreicher und leichter zugänglich. Dieser etwas größeren Interpretationssicherheit steht jedoch bei Staatsverträgen unter Beteiligung mehrerer EU-Mitgliedstaaten die Gefahr eines europäischen Übergewichts gegenüber. Um gerade im Zusammenspiel von EU-IPR und Staatsverträgen die Harmonisierung des Kollisionsrechts innerhalb der EU nicht zu gefährden, müssen diese eine gemeinsame (EUorientierte) Auslegungslinie verfolgen. Gleichzeitig fördert es den Einklang

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zwischen den Vertragsstaaten, wenn ein Konsens unter mehreren von ihnen besteht. Der europafreundlichen Interpretation können allerdings andere Vertragsstaaten (vor allem, wenn sie in der Unterzahl sind und/oder über keine gemeinsame „Gegenlinie“ verfügen) nur begrenzt ein anderes Verständnis entgegenhalten. Damit kann sich eine einseitig von europäischen Vorstellungen geprägte Interpretation der völkerrechtlichen Konventionen durchsetzen. Diese Gefahr ist umso größer, wenn das EU-IPR die Regelungen bestehender völkerrechtlicher Übereinkommen übernimmt – denn soweit sie integraler Teil des europäischen Rechts werden, unterliegen sie der Auslegungshoheit des EuGH. Dies folgt ohne weiteres aus dem Europarecht, wenn die EU-Verordnungen eigene, an Staatsverträgen orientierte Vorschriften enthalten (z. B. der weitgehend dem HTestFormÜ entsprechende Art. 27 ErbVO). Aber auch, wenn das europäische Kollisionsrecht ein Übereinkommen durch Verweisung einbezieht (z. B. Art. 15 UnthVO das HUP) bzw. die EU einem Übereinkommen beitritt, erhält die EU bzw. der EuGH die Auslegungshoheit, weil und soweit es in das Unionsrecht integriert wird. Eine europäischverbindliche Auslegung ist aus EU-Sicht auch zwingend notwendig, um ein einheitliches Verständnis der Vorschriften als Teil des Unionsrechts und die Entscheidungsharmonie in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Den europäischen Interpretatoren ist allerdings in doppelter Hinsicht Zurückhaltung und Sensibilität geboten. Zum einen ist dem völkerrechtlichen Kontext und der Genese der in Frage stehenden Rechtsinstrumente Rechnung zu tragen – sie dürfen keinesfalls mit „regulären“ europäischen Rechtsakten gleichgesetzt werden. Zum anderen darf die Auslegung nicht auf die eigene Perspektive beschränkt bleiben, sondern muss im Bewusstsein ihrer weitreichenden Strahlkraft vorgenommen werden. Für die Nicht-Mitgliedstaaten kommt nämlich der europäischen Interpretation zwar keine Bindungswirkung zu, doch sie wird zumindest starke Vorbildfunktion entfalten. Zu groß ist die Verlockung, sich einer von einer geachteten supranationalen Instanz entwickelten Interpretationslinie anzuschließen, gerade wenn keine anderen, gleich wirkmächtigen Entscheidungsinstitutionen existieren. Eine „Zweigleisigkeit“ bei der Anwendung der Regelungen im europäischen und außereuropäischen Bereich wäre zudem nicht nur unpraktisch, sondern würde auch den sowohl der europa- als auch der völkerrechtlichen Kollisionsrechtsvereinheitlichung zugrunde gelegten loi uniforme-Grundsatz unterminieren. Zur Illustration hierfür sei der Umgang mit den aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften resultierenden Unterhaltspflichten unter dem HUP angeführt. Da keine Einigung über ihre Einbeziehung in den Begriff „Familienverhältnis“ bzw. ihren Ausschluss möglich war, verzichtet die Konvention auf eine autonome Begriffsbestimmung und überlässt sie dem nationalen Recht der Vertragsstaaten.655 Für die Mitgliedstaaten, in denen das 655

BeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 92.

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HUP über die Verweisung des Art. 15 UnthVO anzuwenden ist, soll aber nach herrschender Auffassung der Begriff einheitlich europäisch auszulegen sein.656 Wenn sich anderen Vertragsstaaten Interpretationsfragen zum „Familienverhältnis“ mit Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften stellen, ist die Berücksichtigung dieses für Europa etablierten Verständnisses zumindest für all jene Staaten ratsam, die kollisionsrechtlich (und rechtspolitisch) nicht mit der EU in Konflikt geraten wollen. Eine derartige Durchsetzung europäischer Interpretationslinien trägt zu einer klaren, einheitlichen Anwendung bei, zementiert aber gleichzeitig das europäische Verständnis auch ohne formelle Bindungswirkung letztlich weltweit. Vor dem Hintergrund des immer größeren europäischen Auslegungsübergewichts wird das Fehlen einer eigenen Auslegungsinstanz für das staatsvertragliche Kollisionsrecht zum immer gravierenderen Problem. Sie ist langfristig die einzig sichere Möglichkeit, dem europäischen Einfluss auf das Verständnis der völkerrechtlichen Kollisionsregeln Einhalt zu gebieten.657 Für die nähere Zukunft scheint die Einrichtung einer unabhängigen Institution für die verbindliche Interpretation völkerrechtlicher Verträge allerdings illusorisch.658 Um so wichtiger ist die Schaffung internationaler Auslegungs- und Anwendungshilfen, etwa in Gestalt von Handbüchern, Modellformularen, best practice guides, Informationsdatenbanken und Praktikerfortbildungen; eine zentrale Rolle nehmen hier die post-convention projects der Haager Konferenz für IPR ein.659 Auch wenn Auslegungsdivergenzen damit weder vollständig vermieden noch verbindlich endgültig gelöst werden können, kann der Rückgriff auf derartige Materialien die einheitliche Interpretation und damit die Funktionsfähigkeit und Attraktivität der Konventionen unabhängig vom EU-IPR erheblich stärken. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die Auslegung völkerrechtlicher Kollisionsregeln durch die EU-Mitgliedstaaten zwar formal vom unionsrechtlichen Verständnis unabhängig, faktisch aber zunehmend durch ihre Interaktion mit dem EU-IPR und den Einfluss europäischer Auslegungslinien geprägt ist. Auf die bisherige Position des nationalen Kollisionsrechts kann es immer weniger ankommen, wenn Staatsverträge mehr und mehr in VerbinBeckOGK / Wurmnest (Stand: 1.12.2020) Art. 1 UnthVO Rn. 93; NK-BGB / Gruber Art. 1 HUP Rn. 11; Rauscher / Andrae Art. 1 UnthVO Rn. 14a f. – Inzwischen bietet sich die Heranziehung der Definition in Art. 3 Abs. 1 lit. a) PartVO an, die allerdings nur für die an der Verstärkten Zusammenarbeit im Internationalen Güterrecht teilnehmenden Mitgliedstaaten verbindlich ist. 657 Vgl. etwa zur schweizerischen Skepsis gegenüber einer europäischen Auslegungsdominanz selbst beim Parallelabkommen LugÜ Domej in: von Hein / Rühl, 90, 106 ff. m. w. N. 658 Siehe R. Wagner RabelsZ 73 (2009), 215, 238 f. zu den letztlich gescheiterten Überlegungen der Haager Konferenz zur Sicherung der einheitlichen Auslegung. 659 Vgl. Basedow IPRax 2017, 194, 200. 656

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dung mit europäisch vereinheitlichtem Kollisionsrecht anzuwenden sind. Während eine europarechtskonforme bzw. -freundliche Interpretation bestehender Staatsverträge unionsrechtlich teils erforderlich, ansonsten aus europäischer Sicht zumindest wünschenswert ist und den Gleichklang zwischen den Mitgliedstaaten auch auf dieser Regelungsebene fördert, verstärkt sie die Konkurrenzsituation zwischen völkerrechtlicher und europäischer Harmonisierung. Gehen die Mitgliedstaaten zu einer (aus ihrer Warte alternativlosen) europäisch orientierten Auslegung über, können die übrigen Vertragsstaaten entweder durch andere Positionen den Verlust des staatsvertraglich eigentlich bezweckten internationalen Entscheidungseinklangs riskieren oder sich der europäischen Auffassung anschließen. Dadurch droht insbesondere bei multilateralen Übereinkommen die EU eine Vormachtstellung bei der Interpretation völkerrechtlicher Kollisionsregeln zu erhalten, das europäische Verständnis über die Grenzen des EU-IPR hinaus durchzusetzen und damit schlimmstenfalls die völkerrechtlichen Regelungen zu unterlaufen. b) Beispiel: Art. 12 GFK – Flüchtlinge im (EU-)IPR Das derzeit wohl prägnanteste Beispiel dafür, dass die einheitliche Auslegung staatsvertraglicher Kollisionsregeln einerseits bei der Anwendung des EUIPR durch die Mitgliedstaaten unumgänglich ist, andererseits aber eine nachhaltige Änderung der völkerrechtlichen Interpretation mit sich bringen kann, ist die Vorschrift zur kollisionsrechtlichen Behandlung von Flüchtlingen in Art. 12 GFK. Diese allgemeine Regel modifiziert nach (zumindest in Deutschland) herrschender Auffassung in ihrem Abs. 1 die reguläre Anknüpfung im Bereich des Personalstatuts dahingehend, dass das Anknüpfungsmoment „Staatsangehörigkeit“ durch „Wohnsitz“ (englisch „domicile“), ersatzweise „Aufenthalt“ (englisch „residence“) ersetzt wird.660 Diese autonom auszulegenden Begriffe der Konvention entsprechen in der heutigen europäischen Terminologie dem „gewöhnlichen Aufenthalt“ und dem „schlichten Aufenthalt“.661 Zudem stellt Abs. 2 sicher, dass (innerhalb der Grenzen des 660 Siehe BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 5 EGBGB Rn. 32; MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Rn. 9, Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 65; Staudinger / Bausback (Neubearb. 2013) Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rn. 65 ff. – Zur Diskussion, ob Art. 12 Abs. 1 GFK eine eigenständige Kollisionsnorm darstellt oder lediglich die Anknüpfungsregeln der lex fori modifiziert, vgl. Heitmann 62 ff.; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer /  Niethammer-Jürgens, 25, 52 ff., und Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 290 f. (jeweils für ein Verständnis als unselbständige Kollisionsnorm) sowie Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 34 ff. m. w. N., der eine vermittelnde Position einnimmt. Für ein Verständnis des Art. 12 Abs. 1 GFK als direkte Verweisungsregel noch z. B. Lass 105 ff. – Chetail Clunet 141 (2014), 447, 467 ff. sieht Art. 12 Abs. 1 GFK als grundsätzlich vorrangig, will aber subsidiär für die Betroffenen günstigere Forums-Anknüpfungsregeln zum Zuge kommen lassen. 661 Private International Law in a Context of Increasing International Mobility, 37. – Siehe zum deutschen Recht MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 67 ff.; Heitmann

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ordre public) im Fluchtstaat (früheren Heimatstaat) erworbene Rechte erhalten bleiben.662 Ursprüngliches Ziel der aus Zeiten der primären Staatsangehörigkeitsanknüpfung stammenden Regelung ist es, Flüchtlinge anstelle dem Recht des Verfolger- dem Recht des Aufnahmestaats zu unterstellen.663 Eine Parallelregelung für Staatenlose enthält Art. 12 StaatenlosenÜ, für den die folgenden Ausführungen mutatis mutandis gelten.664 An Art. 12 GFK sind alle Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Schwedens, das einen Vorbehalt eingelegt hat) als GFK-Vertragsstaaten gebunden.665 Als Kollisionsnorm des Allgemeinen Teils ist die Regelung sowohl bei Zugrundelegung nationaler Regeln des Besonderen Teils als auch bei der Anwendung der europäischen Anknüpfungsregeln zu beachten.666 Nachdem die über mehrere Jahrzehnte weitgehend unbeachtete Norm im Zuge der verstärkten Migrationsbewegungen der letzten Jahre wieder zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist, kristallisieren sich zwei Hauptprobleme in ihrem Zusammenspiel mit dem EU-IPR heraus. Erstens erhält die staatsvertragliche ATRegel in verschiedenen Mitgliedstaaten eine unterschiedliche Reichweite, da der Begriff des „Flüchtlings“ und damit ihr persönlicher Anwendungsbereich unterschiedlich weit verstanden wird. Zweitens wirft ihre Anwendung im Kontext der europäischen Kollisionsregeln einige Fragen auf. Eine einheitliche europäische Auslegung des völkerrechtlichen Art. 12 GFK könnte diesen Problemen entgegenwirken, würde aber auch einige Nachteile mit sich bringen.

66 ff.; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 55; Baetge StAZ 2016, 289, 290; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 294; Majer StAZ 2016, 337, 338. – Differenzierend zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts Chetail Clunet 141 (2014), 447, 469 f. 662 Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 43 ff.; Arnold in: Budzikiewicz /  Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 60 f.; Chetail Clunet 141 (2014), 447, 471 f.; Private International Law in a Context of Increasing International Mobility, 38 ff.; Verhellen Rev. crit. DIP 2017, 173, 185. – Zur hier nicht weiter zu vertiefenden Problematik der Statusanerkennung bei Flüchtlingen vgl. GÉDIP IPRax 2016, 400, 400 f. und Verhellen Rev. crit. DIP 2017, 173, 173 ff. 663 Vgl. Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 2; Heitmann 57 f.; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 26 ff.; Baetge StAZ 2016, 289, 291; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 290; Chetail Clunet 141 (2014), 447, 467; Mankowski IPRax 2017, 40, 41; M.-P. Weller in: Dethloff / Nolte / Reinisch, 247, 251 ff. – Kritisch hinsichtlich dieser starren Ersetzung und stattdessen eine Rechtswahl befürwortend bereits Henrich in: FS Jayme I, 321, 328. 664 Zu Staatenlosen und dem EU-IPR siehe Mankowski in: Leible, 189, 203 ff. 665 Siehe Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 15 f. 666 Siehe Teil II: § 4.II.2.a), S. 222 ff. – entweder aufgrund des Vorrangs bestehenden, die Mitgliedstaaten bindenden Völkerrechts vor den EU-Verordnungen oder ohnehin als Bestandteil des in Ermangelung einer europäischen AT-Regel weiterhin den Mitgliedstaaten zugewiesenen Allgemeinen Teils.

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aa) Unterschiedliche Flüchtlingsbegriffe innerhalb der EU Der Anwendungsbereich des Art. 12 GFK ist in räumlich-persönlicher Hinsicht auf den ersten Blick einfach: Die Regelung greift stets ein, wenn in einem Vertragsstaat das Personalstatut eines Flüchtlings kollisionsrechtlich zu beurteilen ist.667 Zentral kommt es damit darauf an, welcher Flüchtlingsbegriff zugrunde zu legen, wer also als „Flüchtling“ im Sinne der Kollisionsregel zu verstehen ist. Die zur Konturierung des Anwendungsbereichs erforderliche Entscheidung über den Flüchtlingsstatus ist letztlich eine Qualifikationsfrage. Als schwierig erweist sich ihre Beantwortung heute aus mehreren Gründen: Weil die Konvention selbst keine abschließende Antwort liefert, weil die Vertragsstaaten im Laufe der Jahre unterschiedliche Ansätze entwickelt haben, und weil der kollisionsrechtliche Flüchtlingsbegriff einerseits eng mit den (aus deutscher Sicht) öffentlich-rechtlichen Aspekten des Migrationsrechts verbunden, andererseits aber doch davon zu differenzieren ist.668 Das Resultat ist ein heute innerhalb der EU äußerst divergentes Bild. Die aus der uneinheitlichen Handhabung des Art. 12 GFK entstehenden Schwierigkeiten sind in Folge der sogenannten Europäischen Flüchtlingskrise 2015/2016 stärker ins Bewusstsein gerückt; eine neue Dimension verleiht ihnen seit dem Frühjahr 2022 die Frage nach der internationalprivatrechtlichen Behandlung aus der Ukraine geflüchteter Personen. Die GFK selbst legt zunächst ein enges Begriffsverständnis zugrunde. Ihre Flüchtlingsdefinition (Art. 1 GFK) entstand unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs und spiegelt die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa vorherrschenden Fluchtgründe wider. Zwar wurde sie durch Art. I des GFK-Zusatzprotokolls669 erweitert, erfasst aber nur einen eher geringen Ausschnitt der heute (weit verstanden) als Flüchtende bezeichneten Migranten. Als „Konventionsflüchtlinge“ betrachtet werden Personen, die ihren Heimatstaat aus einem der in Art. 1 A. Nr. 2 GFK aufgezählten Fluchtgründe („aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“) verlassen mussten.670 Der Fokus liegt klar auf der Flucht vor politischer bzw. politisch motivierter, staatlicher Verfolgung.

Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 32 f. Zum Flüchtlingsbegriff aus öffentlich-rechtlicher und rechtspolitischer Warte Schmalz KJ 48 (2015), 390, 390 ff. – Zum einerseits eng verflochtenen, andererseits aber entkoppelten Verhältnis zwischen IPR und (öffentlichem) Flüchtlingsrecht Chetail Clunet 141 (2014), 447, 447 ff. 669 Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967. 670 Ausführlich BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 5 EGBGB Rn. 27 ff.; MüKo8 /  von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 31 ff.; Heitmann 23 ff.; Jault-Seseke / Corneloup /  Barbou des Places Rn. 437 ff.; Lass 38 ff.; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkham667 668

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Da dieser Flüchtlingsbegriff sich vergleichsweise rasch als veraltet erwies, begann in den Vertragsstaaten eine Diskussion darüber, ob Art. 12 GFK auch auf andere Migrantengruppen direkt oder entsprechend zur Anwendung gebracht werden sollte. Eine entsprechende Änderung der GFK, in deren Gesamtgefüge die Kollisionsregel eine eher untergeordnete Rolle spielt, ist freilich nie ernsthaft in Angriff genommen worden. Das steht allerdings einer extensiven Anwendung durch die Vertragsstaaten nicht entgegen: Da die völkerrechtlichen Vorgaben nicht abschließend sind, steht es den Vertragsstaaten frei, die Regelung des Übereinkommens als Teil ihres eigenen Kollisionsrechts entsprechend zur Anwendung zu bringen. Dabei schlagen die Vertragsstaaten hinsichtlich der Reichweite der Ausdehnung und der in ihren Genuss kommenden Personengruppen unterschiedliche Wege ein, sodass selbst innerhalb der EU der Status ein und derselben Person unterschiedlich behandelt wird. Aus deutscher Sicht werden der Regel des Art. 12 GFK über ihren Kern an Konventionsflüchtlingen hinaus auch anerkannte Asylberechtigte unterstellt. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylG erhält ein Asylberechtigter die rechtliche Stellung eines Konventionsflüchtlings;671 damit fällt er in den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich des Art. 12 GFK. Über die Anerkennung als Asylberechtigter entscheidet einzig die Asylbehörde – deren positive Entscheidung bindet nach herrschender Auffassung auch Zivilgerichte und -behörden (§ 6 AsylG), sodass ab der asylrechtlichen Anerkennung in kollisionsrechtlichen Fragen stets Art. 12 GFK zum Zuge kommt.672 Keine Bindungswirkung für zivilrechtliche Fragen entfaltet dagegen eine negative Entscheidung über den Asylantrag: Im Rahmen etwaiger Zivilverfahren muss inzident die Flüchtlingseigenschaft i. S. d. Art. 1 GFK unabhängig und selbständig geprüft werden – ist ein abgelehnter Asylbewerber als Konventionsflüchtling einzustufen, greift Art. 12 GFK ein, ansonsten nicht. Entsprechendes gilt während laufender Asylverfahren und vor Stellung eines Asylantrags.673 Während also mer / Niethammer-Jürgens, 25, 28 ff.; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 291 f.; Schmalz KJ 48 (2015), 390, 392 ff. 671 MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 77; Staudinger / Bausback (Neubearb. 2013) Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rn. 71 ff.; Heitmann 37 ff.; Rauscher Rn. 253; Baetge StAZ 2016, 289, 290; Majer StAZ 2016, 337, 339; Mankowski IPRax 2017, 40, 41 f. 672 BGH 11.10.2006 – XII ZR 79/04, Rn. 9; BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 5 EGBGB Rn. 41; MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 77, 79 f.; Staudinger /  Bausback (Neubearb. 2013) Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rn. 74; Heitmann 40 f.; Lass 84 ff.; Baetge StAZ 2016, 289, 290 f.; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 292 f.; Mankowski IPRax 2017, 40, 42; M.-P. Weller in: Dethloff / Nolte / Reinisch, 247, 255. 673 BGH 11.10.2006 – XII ZR 79/04, Rn. 9; BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 5 EGBGB Rn. 41; MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 77, 80; Heitmann 42; Rauscher Rn. 252; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 41 ff.; Baetge StAZ 2016, 289, 290 f.; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 293; Majer StAZ 2016, 337, 339; Mankowski IPRax 2017, 40, 45, 47. – a. A. (grundsätzliche Bindungswirkung auch bei ablehnender Entscheidung) OLG Brandenburg 26.4.2016 – 13 UF 40/16,

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

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der Anwendungsbereich des Art. 12 GFK durch eine positive Asylentscheidung erweitert wird, kann er durch eine fehlende oder negative Entscheidung jedenfalls nicht verkürzt werden. Neben die klassische Asylberechtigung ist in jüngerer Zeit eine weitere Schutzkategorie getreten: die subsidiäre Schutzberechtigung. Sie entspringt einem europäischen Mindestkonsens (Art. 2 lit. f) Richtlinie 2011/95/EU [„Qualifikationsrichtlinie“]) und ist in Deutschland in § 4 AsylG umgesetzt. Die subsidiäre Schutzberechtigung soll die Lücken des veralteten Konventionsflüchtlingsbegriffs füllen und modernen Fluchtgründen Rechnung tragen – insbesondere sind Bürgerkriegsflüchtlinge nur in manchen Fällen Konventionsflüchtlinge,674 aber regelmäßig für subsidiären Schutz qualifiziert.675 Ob Art. 12 GFK auch auf subsidiär Schutzberechtigte auszudehnen ist, wird in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich beurteilt. Aus Sicht des deutschen Rechts sind lediglich subsidiär Schutzberechtigte kollisionsrechtlich ebenso wenig wie asylrechtlich Konventionsflüchtlingen gleichzustellen. Die Gewährung subsidiären Schutzes führt nicht zur Modifikation der Kollisionsregeln;676 vorgeschlagen wird in jüngerer Zeit allerdings eine analoge Anwendung des Art. 12 GFK auch in diesen Situationen.677 Die möglichen kollisionsrechtlichen Konsequenzen der Gewährung vorübergehenden Schutzes auf Grundlage der Richtlinie 2001/55/EG („Massenmigrationsrichtlinie“) finden erst seit deren erstmaliger Inkraftsetzung durch den Beschluss des Rates vom 4.3.2022 zugunsten der aus der Ukraine Vertriebenen678 Beachtung; eine eindeutige Praxis konnte sich in so kurzer Zeit nicht etablieren. Die auf den Rn. 10; Staudinger / Bausback (Neubearb. 2013) Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rn. 56; einschränkend auch Lass 92 f. – Abweichende Entscheidungen sind in der Praxis allerdings selten, vgl. Lass 83; Mankowski IPRax 2017, 40, 45. 674 Die Flüchtlingseigenschaft i. S. d. Art. 1 GFK i. V. m. Art. 1 Zusatzprotokoll für die aus Syrien geflohenen Beteiligten unproblematisch bejahend z. B. OLG Bamberg 12.5.2016 – 2 UF 58/16. 675 Vgl. zum subsidiären Schutz z. B. Heitmann 42 ff.; Jault-Seseke / Corneloup / Barbou des Places Rn. 447; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / NiethammerJürgens, 25, 45 f.; Mankowski IPRax 2017, 40, 42 ff.; M.-P. Weller in: Dethloff / Nolte /  Reinisch, 247, 255. 676 MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 79; Rauscher Rn. 254; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 46 ff. (wenn auch de lege ferenda dafür); Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 293; Majer StAZ 2016, 337, 337. 677 Mankowski IPRax 2017, 40, 44 f.; M.-P. Weller in: Dethloff / Nolte / Reinisch, 247, 255. – Dagegen MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 79. – Eine Analogie de lege lata ablehnend, aber de lege ferenda für eine einheitliche Anknüpfung des Personalstatuts bei allen Migranten an den gewöhnlichen Aufenthalt Heitmann 94 ff. 678 Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55 / EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes, ABl. 2022 L 71, 1.

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ersten Blick sinnvoll scheinende analoge Anwendung des Art. 12 GFK könnte sich insbesondere für die große Zahl an Vertriebenen, die eine baldige Heimkehr in die Ukraine anstreben, als nachteilig erweisen. Hinzu treten schließlich noch Personengruppen, die zwar als Flüchtlinge im weiteren Sinn bezeichnet werden, deren Migration jedoch auf anderen Motiven beruht (z. B. sogenannte Wirtschafts- oder Klimaflüchtlinge) und die daher aus europäischer und mitgliedstaatlicher Sicht als nicht schutzbedürftig eingestuft werden.679 Für diese wird in Deutschland die (entsprechende) Anwendung des Art. 12 GFK ganz überwiegend abgelehnt. Einen vergleichbaren Ansatz – Anwendung des Art. 12 GFK auf Konventionsflüchtlinge und anerkannte Asylberechtigte, nicht aber auf subsidiär Schutzberechtigte und sonstige Migranten – verfolgen neben Deutschland auch einige andere Mitgliedstaaten, etwa Spanien und Italien. Auch die französische Rechtsprechung bringt Art. 12 GFK auf Personen zur Anwendung, die zwar nicht Konventionsflüchtlinge sind, denen jedoch asile territorial in Frankreich gewährt wurde.680 Diesem Verständnis ist zuzugeben, dass es dem ursprünglichen Geist der GFK, die die Flüchtlingseigenschaft an bestimmte, klar definierte Kriterien knüpft, folgt. Die Anwendung des Art. 12 GFK an den Flüchtlings- bzw. Asylberechtigtenstatus zu koppeln kann allerdings zu eher zufällig anmutenden Ergebnissen führen. So ist etwa für eine Person, die nicht unter die enge Definition als Konventionsflüchtling fällt, während des laufenden Asylverfahrens Art. 12 GFK nicht anwendbar – sobald aber der Asylantrag positiv beschieden wird, greift Art. 12 GFK ein, es kommt zu einem Statutenwechsel.681 Häufig werden Asylanträge auch überhaupt nicht gestellt, sondern nur subsidiärer Schutz begehrt, sodass der Weg zu Art. 12 GFK von vornherein nicht eröffnet ist. Die regelmäßig auf anderen Erwägungen beruhenden und teils zufallsabhängigen Gegebenheiten bezüglich des öffentlich-rechtlichen Status können zu nicht einleuchtenden kollisionsrechtlichen Ungleichbehandlungen von zivilrechtlich im Übrigen vergleichbaren Situationen führen.682 Diese Probleme vermeiden diejenigen (Mitglied-)Staaten, die bei der Anwendung des Art. 12 GFK großzügiger sind. Eine Gleichstellung von subsidiär Schutzberechtigten mit Konventionsflüchtlingen gewährleistet, dass alle als schutzwürdig eingestuften Personen kollisionsrechtlich einheitlich behandelt werden und Art. 12 GFK stets eingreift, wenn das rechtliche Band zum Heimatstaat zumindest vorübergehend durchtrennt ist. Diesen Ansatz verfolgt Vgl. Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 34 ff.; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 292. 680 Chetail Clunet 141 (2014), 447, 468; Private International Law in a Context of Increasing International Mobility, 34. 681 Vgl. auch aus belgischer Sicht Verhellen Rev. crit. DIP 2017, 173, 183 f. 682 Siehe Rupp ZfPW 2018, 57, 70 f. 679

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man etwa in Österreich. Nach § 9 Abs. 3 öIPRG erfasst die Anknüpfungsmodifikation neben Flüchtlingen „im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen“ auch Personen, „deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schweren Gründen abgebrochen sind“ – darunter fallen auch subsidiär Schutzberechtigte.683 Das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft ist durch das Zivilgericht selbständig zu prüfen, auch wenn eine positive verwaltungsgerichtliche Feststellung starke Indizwirkung entfaltet und ein anerkannt Asylberechtigter kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft besitzt.684 Eine vergleichbare Regelung enthält das polnische IPR, nach dem die Staatsangehörigkeits- durch die Aufenthaltsanknüpfung ersetzt wird, wenn der Betroffene aufgrund der Verletzung grundlegender Menschenrechte in seinem Heimatstaat in einem anderen Staat Schutz erlangt hat (Art. 3 Abs. 2 polnIPRG). Andere Mitgliedstaaten entkoppeln die Maßgeblichkeit des Art. 12 GFK von der öffentlich-rechtlichen Entscheidung über den Flüchtlingsstatus – so lässt etwa die Tschechische Republik bereits die Stellung eines internationalen Schutzantrags genügen, um seine Anwendung auszulösen (§ 28 Abs. 4 tschechIPRG). Weiterer großer Vorteil dieser Lösungsansätze ist ihre einfachere Handhabbarkeit: Sie erfordern weniger Differenzierungen und entlasten damit Behörden und Gerichte. Außerdem führt die flächendeckende Anwendung des Art. 12 GFK dazu, dass in deutlich mehr Fällen das eigentlich maßgebliche fremde Recht durch die lex fori ersetzt wird. Ob dieser der Praxis durchaus willkommene Effekt allerdings in allen Fällen tatsächlich sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Vor allem aber lässt sich bezweifeln, ob eine derart weite Ausdehnung der GFK-Regelungen noch im Sinne der Konvention ist oder die Gleichstellung zu großer weiterer Personengruppen sie nicht vielmehr unterläuft. Zudem gibt zu denken, dass eine großzügige Auslegung bislang vor allem in Mitgliedstaaten geübt wird, in denen vergleichsweise wenige Flüchtlinge Aufnahme suchen, während die Mitgliedstaaten mit hohen Migrationszahlen differenziertere Lösungen wählen. Ideal ist zwar keiner der in den Mitgliedstaaten verfolgten Lösungswege, für ihren jeweiligen Bereich praktikabel sind sie jedoch alle. Als großes Problem erweist sich aber die Divergenz der Lösungsansätze innerhalb der EU. Denn die Entscheidung über den kollisionsrechtlichen Flüchtlingsstatus ist maßgeblich für das anwendbare Recht und damit das materiell-rechtliche Ergebnis. Da aber die Mitgliedstaaten die persönliche Reichweite des Art. 12 GFK ganz unterschiedlich interpretieren bzw. ausdehnen, droht ein und dieselbe Person in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten trotz gleichbleibenden öffentlich-rechtlichen Status zivilrechtlich unterschiedlich eingestuft zu werden – etwa, wenn ein subsidiär Schutzberechtigter im Wege der FamilienzuOGH 13.9.2018 – 10 Ob 28/18t. OGH 13.9.2018 – 10 Ob 28/18t; OGH 26.6.2018 – 10 Ob 40/18g; OGH 13.9.2017 – 10 Ob 19/17t. 683 684

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sammenführung seinen Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, der Art. 12 GFK enger oder großzügiger als der ursprüngliche Aufnahmestaat auslegt. Dass dieselben Umstände in den Mitgliedstaaten teils zu einer kollisionsrechtlichen Beurteilung als Flüchtling führen und teils nicht, erscheint bereits generell praktisch ungünstig und rechtpolitisch nur begrenzt vermittelbar. Wenn es dazu noch zu Unterschieden bei der Anwendung der europäischen Kollisionsregeln führt, entwertet es zusätzlich die IPR-Harmonisierung ganz wesentlich. Für den Entscheidungseinklang innerhalb der EU ist es ebenso fatal wie für die Rechtssicherheit der Betroffenen, wenn Migranten aufgrund unterschiedlicher Begriffsverständnisse in den Mitgliedstaaten innerhalb der EU kollisionsrechtlich uneinheitlich behandelt werden. Sofern Migranten innerhalb der EU Freizügigkeit genießen – die z. B. die Massenmigrations-Richtlinie den aus der Ukraine Vertriebenen gewährt –, können die Nachteile einer unterschiedlichen Handhabung auf internationalprivatrechtlicher Ebene schließlich auch die Ausübung dieses Rechts erheblich beeinträchtigen. Um das zu verhindern, ist eine gemeinsame Linie der Mitgliedstaaten unabdingbar. Eine Möglichkeit zur Abhilfe liegt auf der Hand: Die Vereinheitlichung der Auslegung des persönlichen Anwendungsbereichs des Art. 12 GFK in den EU-Mitgliedstaaten bzw. die Schaffung eines europäischen Flüchtlingsbegriffs für das Kollisionsrecht würde das Problem der unterschiedlichen Reichweite der Korrekturnorm in den Mitgliedstaaten lösen.685 Inhaltlich könnte sich ein europäisch-einheitliches Verständnis des Flüchtlingsbegriffs etwa an den unionsrechtlichen Rechtsakten zum Asylrecht (sogenannte Dublin-Verordnungen; auch die Qualifikations- und die Massenmigrationsrichtlinie können Ansätze liefern) orientieren. Die Auslegung von Völkerrechtsakten wie der GFK, an denen sie nicht selbst beteiligt ist, ist zwar nicht Aufgabe der EU. Doch ihre Kompetenz zur Festlegung, wer im Rahmen der EU-IPRVerordnungen als „Flüchtling“ zu betrachten ist, ließe sich durchaus begründen – denn letztlich wäre das eine (wenn auch weitreichende) ergänzende Auslegung der europäischen Rechtsakte, die ihre einheitliche Anwendung in den Mitgliedstaaten sichert. Auf diese Weise wäre der Flüchtlingsbegriff zumindest für einige zentrale Kerngebiete vereinheitlicht – und es stünde zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten dieses europäische Verständnis auch für ihr verbliebenes nationales Kollisionsrecht übernehmen, da die Verwendung unterschiedlicher Flüchtlingsbegriffe für verschiedene Anknüpfungsregeln kaum praktikabel wäre. Selbst wenn man der EU eine verbindliche Auslegungshoheit abspricht, kann man ihr die Möglichkeit, durch Empfehlungen an 685 Vgl. Kreuzer Groupe européen de droit international privé Working paper, der eine Orientierung am österreichischen Modell vorschlägt, sowie Private International Law in a Context of Increasing International Mobility, 36 (für eine Ausdehnung des Art. 12 GFK auch auf subsidiär Schutzberechtigte).

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

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die Mitgliedstaaten ein einheitliches europäisches Begriffsverständnis zu propagieren, nicht nehmen. Zumindest faktisch könnte die EU also den in den Mitgliedstaaten zugrunde gelegten Flüchtlingsbegriff und damit die Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GFK erheblich beeinflussen. Darin liegt freilich wieder die Gefahr eines europäischen Übergewichts bei der Interpretation der staatsvertraglichen Regelung (siehe a)cc), S. 468 ff.). Aus europäischer Sicht ist das Hinwirken auf ein in den Mitgliedstaaten einheitliches Verständnis des Flüchtlingsbegriffs jedoch erforderlich, um bei der Anwendung des EU-IPR zumindest Divergenzen hinsichtlich der Reichweite des Art. 12 Abs. 1 GFK zu vermeiden. Noch weitere Probleme wirft die Anwendung der Norm im Kontext des europäischen Kollisionsrechts nämlich in inhaltlicher Hinsicht auf. bb) Art. 12 GFK und objektive Anknüpfungen im EU-IPR Inhaltlich modifiziert Art. 12 Abs. 1 GFK die im lex fori-IPR eines Vertragsstaats vorgesehene Staatsangehörigkeitsanknüpfung für das Personalstatut: Dieses (in der Regel zum Recht des Fluchtstaats führende) Anknüpfungsmerkmal wird ersetzt, an seine Stelle tritt die Aufenthaltsanknüpfung, die den Flüchtling dem Recht seines Aufenthaltsstaats unterstellt. Ausgangspunkt und Motivation dafür war, dass für Fragen des Personalstatuts eine einheitliche und alternativlose Verweisung auf das Heimatrecht im Zeitpunkt der Konzeption der GFK gang und gäbe war und in den meisten Kollisionsrechtsordnungen zugrunde gelegt wurde, die fortgesetzte Anwendung des Rechts des Fluchtstaats jedoch als unpassend empfunden wurde. Ihr Ziel, durch die Ersetzung des Heimat- durch das Aufenthaltsrecht anknüpfungsbedingte Nachteile für Flüchtlinge zu vermeiden, kann die Regelung aber nicht in allen Fällen erfüllen. Unvorhergesehene Ergebnisse entstehen nämlich, wenn das „ersatzweise“ anwendbare Recht des Aufenthaltsstaats sich inhaltlich als weniger günstig als das Recht des Staatsangehörigkeitsstaats erweist; prominentestes deutsches Beispiel für eine derartige ungewollte Schlechterstellung von Flüchtlingen ist die Beurteilung der zivilrechtlichen Minder- bzw. Volljährigkeit nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB a. F.686 Nichtsdestotrotz funktioniert Art. 12 Abs. 1 GFK im Zusammenspiel mit der klassischen Staatsangehörigkeitsanknüpfung auch heute noch im Wesentlichen gut. Erhebliche, noch weitgehend ungelöste Schwierigkeiten wirft dagegen die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GFK vor dem Hintergrund der immer zahlreicher werdenden modernen Anknüpfungsregeln auf, die nicht primär oder gar pauschal auf die Staatsangehörigkeit abstellen, sondern den gewöhnlichen Aufenthalt ins Zentrum rücken und zumindest in begrenztem Umfang Parteiautonomie gewähren. Derartige Modernisierungen im Fami686 Siehe zur Problematik und möglichen Lösungsansätzen Rupp ZfPW 2018, 57, 71 ff.; M.-P. Weller in: Dethloff / Nolte / Reinisch, 247, 253 f.

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lien- und Erbrecht bringt insbesondere das EU-IPR mit sich. Bei Schaffung der europäischen Kollisionsrechtsakte wurde ihrem Zusammenwirken mit Art. 12 GFK zwar kaum Beachtung geschenkt, die verstärkten Migrationsbewegungen nach Europa zwingen nun aber zur Auseinandersetzung mit den noch unbeantworteten Fragen. Denn Art. 12 Abs. 1 GFK kommt auch im Kontext der europäischen IPR-Verordnungen zum Tragen: Diese sind Teil der lex fori der Mitgliedstaaten, die (mit Ausnahme Schwedens) als Vertragsstaaten der GFK zur Anwendung des Art. 12 GFK verpflichtet sind.687 Die völkerrechtliche Regelung erfasst den Bereich des „Personalstatuts“ – darunter fällt insbesondere das Familien- und Erbrecht.688 Eine etwa in Deutschland vorherrschende weite Auslegung will Art. 12 Abs. 1 GFK sogar stets eingreifen lassen, wenn eine zum Recht des Verfolgerstaats führende (Staatsangehörigkeits-)Anknüpfung vorgesehen ist; dafür sprechen Integrationsinteressen und die Ersetzung der rechtlichen Beziehungen zum Flucht- durch eine Verbindung mit dem Aufnahmestaat insgesamt.689 Modifikationen der europäischen Verweisungsregeln durch Art. 12 GFK sind damit vor allem bei der Rom III-VO, der ErbVO und der GüVO / PartVO zu erwarten. Auf den ersten Blick scheint seine Bedeutung zwar eher gering, da die europäischen Kollisionsregeln vorrangig an den gewöhnlichen Aufenthalt anknüpfen. In den Fokus rückt zunächst die Frage, wie der gewöhnliche Aufenthalt eines Flüchtlings zu bestimmen ist.690 Für das häufige Problem, dass mangels Aufenthaltsbegründung im Aufnahmestaat (etwa aufgrund eines Willens zur Rückkehr in die Heimat) die Aufenthaltsanknüpfung zum Recht 687 Zum europäischen internationalverfahrensrechtlichen Umgang mit Flüchtlingen unter der Brüssel IIa-VO, bei der für die Internationale Zuständigkeit hinsichtlich Ehesachen Art. 16 GFK eingreift, während hinsichtlich der elterlichen Verantwortung mit Art. 13 Brüssel IIa-VO eine eigene europäische Regelung besteht, siehe Garber in: FS Gitschthaler, 77, 77 ff. 688 Zur Reichweite des Personalstatus vgl. Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 1, 24 ff.; Heitmann 58 ff.; Lass 8 ff.; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer /  Niethammer-Jürgens, 25, 50 ff.; Baetge StAZ 2016, 289, 291 f.; Budzikiewicz, StAZ 2017, 289, 290 f.; Majer StAZ 2016, 337, 337 f.; Private International Law in a Context of Increasing International Mobility, 36 f. – In den seltenen Fällen, in denen die Staatsangehörigkeit auch unter der Geltung der Rom I-VO und der Rom II-VO eine Rolle spielt (vgl. Mankowski in: Leible, 189, 193), greift Art. 12 GFK nicht ein. 689 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 19 Rom III-VO Rn. 6; BeckOK / Lorenz (Stand: 1.2.2022) Art. 5 EGBGB Rn. 26, 32; MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Rn. 9, Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 65; Staudinger / Bausback (Neubearb. 2013) Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rn. 65; Heitmann 57; Lass 102 ff.; Baetge StAZ 2016, 289, 291 f.; Budzikiewicz StAZ 2017, 289, 290; Mankowski IPRax 2017, 40, 41, 44. – Differenzierend Rauscher Rn. 204, 251. 690 Zum gewöhnlichen Aufenthalt von Flüchtlingen eingehend Baetge StAZ 2016, 289, 292 ff.; Budzikiewicz in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 95, 110 ff.

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des Fluchtstaats führt, bietet Art. 12 Abs. 1 GFK keine Antwort. Dennoch bietet das EU-IPR für Art. 12 Abs. 1 GFK immer noch einiges Anwendungspotential: Sobald nämlich die primäre Anknüpfung der Verordnungen an den (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthalt leerläuft und stattdessen – auf einer weiteren Sprosse der objektiven Anknüpfungsleitern – auf die (gemeinsame) Staatsangehörigkeit zurückzugreifen ist (Art. 8 lit. c) Rom III-VO, Art. 26 Abs. 1 lit. b) GüVO), sowie im Rahmen der beschränkten Rechtswahl im europäischen Familien- und Erbrecht, bei der das Staatsangehörigkeitsrecht regelmäßig eine der wählbaren Optionen (Art. 5 lit. c) Rom III-VO, Art. 22 Abs. 1 lit. b) GüVO), im Erbrecht sogar die einzige Wahlmöglichkeit (Art. 22 Abs. 1 ErbVO) darstellt. Das durch Art. 15 UnthVO in Bezug genommene HUP sieht schließlich eine subsidiäre Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit in Art. 4 Abs. 4 HUP vor (und nimmt sie in der Ausnahmeregelung des Art. 6 HUP in Bezug) und gestattet in Art. 8 Abs. 1 lit. a) HUP die Wahl des Rechts der Staatsangehörigkeit einer Partei.691 Bei näherer Betrachtung erweist sich die Modifikation durch Art. 12 Abs. 1 GFK für diese Kollisionsregeln allerdings als nur bedingt geeignet. Für das europäisch bestimmte Scheidungsstatut kommt die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten als objektives Anknüpfungsmoment nach Art. 8 lit. c) Rom III-VO nachrangig zum gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten und zum letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten, zu dem noch ein räumlich-zeitlicher Bezug besteht, zum Zuge. Haben scheidungswillige gemeinsam geflüchtete Ehegatten noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem neuen EU-Aufenthaltsstaat begründet, greift also lit. c) ein; die Staatsangehörigkeitsanknüpfung wird dann gemäß Art. 12 Abs. 1 GFK ersetzt.692 Diese Ersatzanknüpfung führt bei einem Verständnis von „Wohnsitz“ als „gewöhnlicher Aufenthalt“ dann zunächst zur – bereits auf der ersten Leiterstufe gescheiterten – Anknüpfung an den (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthalt, subsidiär via „Aufenthalt“ zum Recht des (gemeinsamen) schlichten Aufenthalts. Als Scheidungsstatut ist damit das Recht des neuen, aktuellen Lebensumfelds zugrunde zu legen, das in den allermeisten Fällen auch das Recht der lex fori (Auffanganknüpfung des Art. 8 lit. d) Rom III-VO) sein dürfte und durchaus interessengerecht erscheint. Schwieriger ist es dagegen, wenn nur ein Ehegatte geflüchtet ist und im neuen EUAufenthaltsstaat die Scheidung begehrt, während der andere nach wie vor im Vgl. Mankowski in: Leible, 189, 190 ff. (vor Verabschiedung der GüVO / PartVO). Vgl. Calliess / Renner / Lein Art. 8 Rom III-VO Rn. 52; Corneloup / Franzina Art. 8 Rom III-VO Rn. 8.40; Gitschthaler / Rudolf Art. 8 Rom III-VO Rn. 22 f.; MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 8 Rom III-VO Rn. 9; Rauscher / Helms Art. 8 Rom III-VO Rn. 39 f.; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 62; Gruber IPRax 2012, 381, 388. – a. A. für Staatenlose noch zum Rom III-VO-Vorschlag Calvo Caravaca / Carrascosa González CDT 1 (2009), 36, Rn. 36 (Leerlaufen der Anknüpfung in Ermangelung der durch die Staatsangehörigkeit vermittelten kulturellen Verbindung). 691 692

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früheren gemeinsamen Aufenthaltsstaat verblieben ist. Auch in dieser Konstellation fehlt ein aktueller gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, allerdings greift innerhalb des ersten Jahres nach der Flucht nach ihrem Wortlaut noch die Anknüpfung des Art. 8 lit. b) Rom III-VO ein, die zum Recht des früheren gemeinsamen Aufenthalts und damit zum Recht des Fluchtstaats führt. Stellt der geflohene Ehegatte seinen Scheidungsantrag bereits innerhalb dieser kurzen Zeitspanne, ist zu erwägen, ob die zeitliche Ausdehnung der Aufenthaltsanknüpfung teleologisch zu reduzieren ist, da das Festhalten an einem bisherigen gemeinsamen Lebensmittelpunkt, den ein Ehegatte durch Flucht verlassen hat, unpassend scheint;693 ansonsten wäre dem Geflüchteten dringend zu raten, die Scheidung erst nach Ablauf eines Jahres nach seiner Flucht zu beantragen. In beiden Fällen gelangt man zu Art. 8 lit. c) Rom III-VO und Art. 12 Abs. 1 GFK greift ein – allerdings ersetzt er die Staatsangehörigkeitsanknüpfung nur für den geflüchteten Ehegatten durch das Aufenthaltsrecht, sodass die geforderte „Gemeinsamkeit“ des Anknüpfungsmerkmals fehlt.694 Zurückzugreifen ist damit auf die Auffanganknüpfung in Art. 8 lit. d) Rom III-VO, die zur Anwendung der lex fori führt und damit zumindest für den als Flüchtling in einem Mitgliedstaat die Scheidung begehrenden Ehegatten sachgerecht und praktikabel erscheint.695 Bei der objektiven Anknüpfung des Güterstatuts nach Art. 26 Abs. 1 GüVO erweist sich die Unwandelbarkeit des Güterstatuts als Problem: Abzustellen ist auf allen drei Leiterstufen auf den Zeitpunkt der Eheschließung. Maßgeblich ist nach lit. a) der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten, anderenfalls nach lit. b) die gemeinsame Staatsangehörigkeit und subsidiär schließlich nach lit. c) die sonstige gemeinsame engste Verbindung. An dieser bereits fixierten Anknüpfung des Güterstatuts für eine vor der Flucht geschlossene Ehe kann der erst später erworbene Flüchtlingsstatus eines oder beider Ehegatten nach Art. 12 Abs. 1 GFK nichts ändern; das bei Eheschließung gemeinsame Aufenthalts-, Heimat- oder sonst eng verbundene Recht des späteren Fluchtstaats bleibt weiterhin anwendbar. Auch die Ausweichklausel in Art. 26 Abs. 3 GüVO kann nicht weiterhelfen, da ihre Erfordernisse eines längeren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts und eines Vertrauens der Ehegatten auf die Maßgeblichkeit der Aufenthaltsrechtsordnung bei Flüchtlingen kaum je erfüllt sein dürften.696 Trotz aller Vorteile eines unwandelbaren Statuts und des (freilich auf das Güterstatut als 693

55 ff.

Vgl. Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25,

de Maizière 182. – Für Staatenlose ebenso Raupach 158. Die Erfolgsaussichten eines Scheidungsverfahrens gegen den noch im Fluchtstaat verbliebenen Ehegatten stehen freilich auf einem anderen Blatt – die geschilderte Fallkonstellation dürfte allerdings praktisch auch eher selten sein. 696 Zumindest als theoretische Option steht die Ausweichklausel allerdings zur Verfügung, vgl. BeckOK / Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 26 GüVO Rn. 20. 694 695

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solches nicht direkt anwendbaren) Prinzips des Schutzes wohlerworbener Rechte (Art. 12 Abs. 2 GFK)697 steht das Ergebnis der güterrechtlichen Anknüpfung dem Grundgedanken des Art. 12 Abs. 1 GFK, die rechtliche Bindung zum Fluchtstaat aufzuheben, entgegen.698 Abhilfe schaffen kann der Vorschlag, Art. 12 GFK so zu interpretieren, dass er die Anwendung des (Heimat-)Rechts des Verfolgerstaats in jedem Fall verhindert.699 Das wäre sinnvoll – ob es sich durchsetzen kann, ist allerdings derzeit offen. Sicher kann die Flüchtlingsschutzregel bei der europäischen objektiven Anknüpfung des Güterstatuts nur in einer einzigen Konstellation eingreifen: Wenn zwei Flüchtlinge ohne gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, aber mit gemeinsamer (Flucht-)Staatsangehörigkeit auf oder nach der Flucht eine Ehe schließen. Die Ersatzanknüpfung würde dann mangels (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthalts zum (gemeinsamen) Recht des schlichten Aufenthalts bei Eheschließung führen – ob dieses als Basis einer unwandelbaren Anknüpfung ideal ist, scheint fraglich, vor allem mit Blick auf in „Durchgangsstaaten“ während der Flucht geschlossene Ehen. Vorzugswürdig wäre es in dieser Konstellation eher, nach Art. 26 Abs. 1 lit. c) GüVO auf die sonstige gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten im Einzelfall abzustellen. Insgesamt greift daher – von den zusätzlichen Schwierigkeiten der „Gemeinsamkeit“ der Anknüpfungsmerkmale ganz abgesehen – bei der objektiven Anknüpfung nach der GüVO Art. 12 Abs. 1 GFK nur selten und dann wenig sinnvoll ein. Geflüchteten Ehegatten, die ihr bisheriges (Fluchtstaats-) Güterstatut aufgeben wollen, ist damit zu einer Rechtswahl zu raten.700 Da die GüVO nur ab dem 29.1.2019 geschlossene Ehen erfasst (siehe Teil II: § 5.II., S. 250 ff.), ist diese Problematik bislang kaum je akut geworden – sie kann aber in wenigen Jahren, sollte es in der Zukunft weiterhin zu massiven fluchtbedingten Migrationsbewegungen nach Europa kommen, zu erheblichen Verwerfungen für die Betroffenen führen. Auch hinsichtlich der objektiven Anknüpfung nach der ErbVO kann Art. 12 Abs. 1 GFK keine Anwendung finden, da Art. 21 Abs. 1 ErbVO ein697 Für die Anwendung des Art. 12 Abs. 2 GFK auf z. B. aus güterrechtlichen Vereinbarungen erworbene Rechte Gitschthaler / Verschraegen Art. 26 GüVO Rn. 29, Art. 26 PartVO Rn. 15. 698 Hinzu kommt gegebenenfalls noch die Problematik der etwa im französischen Recht traditionell vertretenen „Versteinerung“ des Fluchtstaatrechts im Zeitpunkt der Flucht, vgl. z. B. Chetail Clunet 141 (2014), 447, 471. 699 Gitschthaler / Verschraegen Art. 26 GüVO Rn. 30, Art. 26 PartVO Rn. 16; Zimmermann / Metzger Art. 12 GFK Rn. 37; Arnold in: Arnold / Laimer, 349, Rn. 17; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 55 ff.; Budzikiewicz in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 95, 117. – Majer StAZ 2016, 337, 338 f. schlägt (noch zu Art. 15 EGBGB a. F.) vor, die Staatsangehörigkeitsanknüpfung rückwirkend und insgesamt nach Art. 12 GFK zu ersetzen. 700 Arnold in: Arnold / Laimer, 349, Rn. 17.

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zig die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Todeszeitpunkt vorsieht. Umso mehr Bedeutung erhält hier daher die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts von Flüchtlingen und – sofern man die Anwendung des Fluchtstaatrechts verhindern will – eine großzügige Annahme der frühzeitigen Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts im Aufnahmestaat. Zu einer umgekehrten Korrektur kann demgegenüber, wenn auch allenfalls in Einzelfällen, die Ausweichklausel des Art. 21 Abs. 2 ErbVO führen. Eine „offensichtlich engere“ Verbindung eines Flüchtlings zu einer anderen Rechtsordnung als der seines (neuen) gewöhnlichen Aufenthalts ist letztlich nur denkbar, wenn im Todeszeitpunkt noch starke Bindungen zum Recht des (Flucht-)Heimatstaats bestehen – wenn also entgegen der Prämisse des Art. 12 Abs. 1 GFK die Anwendung des Staatsangehörigkeitsrechts den tatsächlichen Interessen und Wünschen des Erblassers entspricht. Dem sollte Art. 12 Abs. 1 GFK nicht entgegenstehen. cc) Art. 12 GFK und Rechtswahl im EU-IPR Bezüglich der im EU-IPR vorgesehenen subjektiven Anknüpfungen ist problematisch, dass Art. 12 GFK auf die bei seiner Verabschiedung noch weitgehend unbekannte Parteiautonomie im Familien- und Erbrecht nicht zugeschnitten ist. Die Auswirkungen der völkerrechtlichen Korrekturregel auf die im heutigen EU-Kollisionsrecht weit verbreiteten Möglichkeiten einer (beschränkten) Rechtswahl sind daher überwiegend unklar. Es ließe sich argumentieren, Art. 12 Abs. 1 GFK sei nur für objektive Anknüpfungsregeln konzipiert und daher im Kontext der Rechtswahl von vornherein nicht anwendbar. Dagegen spricht allerdings die hinter der Norm stehende Intention, die Anknüpfung des Personalstatuts insgesamt und unter allen bei Schaffung der Norm denkbaren Gesichtspunkten zu erfassen. Wendet man demgemäß Art. 12 Abs. 1 GFK auch auf die subjektive Anknüpfung an, modifiziert er die dabei zur Verfügung stehende Option zugunsten des Staatsangehörigkeitsrechts dahingehend, dass stattdessen das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts, ersatzweise des schlichten Aufenthalts, gewählt werden kann.701 Gerade bei einer von vornherein auf einen begrenzten Kreis an Rechtsordnungen beschränkten Rechtswahl erscheint diese Änderung wenig passend. Die Ersetzung der Wahloption „Staatsangehörigkeit“ durch „gewöhnlichen Aufenthalt“ ist für Flüchtlinge nämlich nur dann sinnvoll, wenn sie erstens überhaupt einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Fluchtstaat bereits begründet haben, und damit zweitens eine tatsächliche Alternative erhalten bleibt bzw. eröffnet wird. Typischerweise gehören aber im EU-IPR zu 701 Für die Rom III-VO Gitschthaler / Rudolf Art. 5 Rom III-VO Rn. 21, 25 f.; Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 50; Gruber IPRax 2012, 381, 386. – Für die GüVO BeckOK /  Wiedemann (Stand: 1.2.2022) Art. 22 GüVO Rn. 11; MüKo8 / Looschelders Art. 22 GüVO Rn. 16.

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den in familien- und erbrechtlichen Fragen zur Wahl gestellten Rechten bereits das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts und das Recht der Staatsangehörigkeit – ersetzt man letzteres via Art. 12 Abs. 1 GFK durch ersteres, werden bei strikter Anwendung die Wahlmöglichkeiten verengt.702 Eine solche Wirkung zu Lasten der Betroffenen entstünde insbesondere im europäischen Erbkollisionsrecht. Art. 22 Abs. 1 ErbVO stellt als einzige Alternative zur objektiven Aufenthaltsanknüpfung das Heimatrecht zur Wahl. Die Anwendung von Art. 12 Abs. 1 GFK schneidet Flüchtlingen diese Option und damit die Möglichkeit einer Rechtswahl weitgehend ab – allenfalls die Wahloption für das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts im Zeitpunkt der Rechtswahl kann sich im Hinblick auf spätere Aufenthaltsverlagerungen als attraktiv erweisen.703 Ebenso liegt es bei Art. 22 Abs. 1 GüVO, der für die Wahl des Güterstatuts neben dem gewöhnlichen Aufenthalt (lit. a)) nur die Staatsangehörigkeit (lit. b)) jeweils wenigstens eines Ehegatten zur Verfügung stellt: Sind (bei Ehegatten gleicher Staatsangehörigkeit) beide Flüchtlinge, wäre die Wahl des Heimatrechts versperrt. Besitzt allerdings nur ein Ehegatte Flüchtlingsstatus, wäre die Wahl des Fluchtstaatrechts – für den Flüchtling entgegen dem Grundgedanken des Art. 12 Abs. 1 GFK! – weiterhin möglich.704 Bei der Rom III-VO ist das Recht der Staatsangehörigkeit wenigstens eines Ehegatten (Art. 5 Abs. 1 lit. c) Rom III-VO) nur eine von vier zur Wahl stehenden Rechtsordnungen – und hier könnte die Ersetzung durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach Art. 12 Abs. 1 GFK unter Umständen tatsächlich eine Alternative bieten.705 Zwar sieht Art. 5 Abs. 1 Rom III-VO in lit. a) das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bereits als Wahloption vor, verlangt allerdings den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt beider Ehegatten – nach lit. c) kommt es für die Staatsangehörigkeit bzw. den sie bei Flüchtlingen ersetzenden gewöhnlichen Aufenthalt dagegen nur auf einen der beiden Ehegatten an. Für gemeinsam geflüchtete Ehegatten bliebe es freilich dabei, dass die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GFK ihnen eine Wahlmöglichkeit nimmt.706 Diese die Gestaltungsmöglichkeiten beschneidende Lesart des Art. 12 Abs. 1 GFK ist umso ungünstiger, als die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit auch inhaltlich hier durchaus im Interesse der Parteien liegen kann, Dafür noch Lass 102 ff. – Mankowski in: Leible, 189, 205 f. weist bezüglich Staatenloser darauf hin, dass dennoch im Detail Unterschiede erhalten bleiben, etwa wenn durch Rechtswahl ein renvoi ausgeschlossen werden kann oder für objektive und subjektive Anknüpfung unterschiedliche Zeitpunkte maßgeblich sind. 703 So MüKo8 / Dutta Art. 22 ErbVO Rn. 5. 704 Vgl. Niethammer-Jürgens in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / NiethammerJürgens, 119, 124. 705 de Maizière 181 f. 706 Vgl. MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 5 Rom III-VO Rn. 9; Devers / Farge JCP G 2012, 778, Rn. 14; Niethammer-Jürgens in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer /  Niethammer-Jürgens, 119, 125 f. 702

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etwa aus Gründen der Kontinuität oder im Hinblick auf eine erhoffte und geplante Rückkehr in den Heimatstaat – sie ihnen auch bezüglich der subjektiven Anknüpfung zu nehmen, bedeutet unter Umständen „Steine statt Brot“. Die herrschende Auffassung interpretiert Art. 12 Abs. 1 GFK im Kontext der Rechtswahl daher so, dass er die Wahlmöglichkeit zugunsten des Staatsangehörigkeits- und damit nunmehr Fluchtstaatrechts nicht ausschließt, sondern die Option als solche erhält und alternativ dazu das Recht des gewöhnlichen bzw. schlichten Aufenthalts zur Wahl stellt – im Interesse einer möglichst günstigen Rechtsposition für die Betroffenen.707 Dem Bedürfnis nach Schutz vor der unerwünschten Anwendung des Rechts des Fluchtstaats kann bei einer bewussten Rechtswahl zugunsten des Heimatrechts nach der Flucht, anders als bei der objektiven Anknüpfung, statt durch eine strikte Ersatzanknüpfung auch durch eine entsprechende Beratung Rechnung getragen werden. Eine andere Frage ist freilich, wie mit einer (praktisch wohl eher seltenen) etwaigen vor der Flucht zugunsten des Rechts der Staatsangehörigkeit getroffenen Rechtswahl umzugehen ist: Soll diese auch unter den veränderten Umständen erhalten bleiben, schlicht nichtig sein, oder aber in eine Rechtswahl zugunsten des Rechts des Aufnahmestaats umgedeutet werden? Insgesamt zeichnet sich ab, dass Art. 12 Abs. 1 GFK im Kontext der subjektiven Anknüpfung der EU-Verordnungen nicht immer ideale Ergebnisse zeitigt. Dieses Bild verstärkt sich noch, wenn mangels eines gewöhnlichen Aufenthalts des betroffenen Flüchtlings subsidiär auf das Recht des schlichten Aufenthalts zurückzugreifen ist. Für die objektive Anknüpfung ist das zwar eine geeignete und pragmatische Lösung, nicht aber bei der subjektiven Anknüpfung: Wenn wie im EU-IPR aus Gründen der Anknüpfungsstabilität die Rechtswahl auf einen Kreis an Rechtsordnungen beschränkt wurde, zu denen eine dauerhafte und enge Verbindung besteht, ist die Erweiterung der Optionen um den leicht veränderlichen und gegebenenfalls mehr oder weniger zufälligen schlichten Aufenthalt wenig geschickt und langfristig auch für die Parteien gegebenenfalls kontraproduktiv. 707 BeckOGK / Gössl (Stand: 1.2.2021) Art. 5 Rom III-VO Rn. 53; BeckOK / Heiderhoff (Stand: 1.2.2022) Art. 5 Rom III-VO Rn. 12; Corneloup / González Beilfuss Art. 5 Rom IIIVO Rn. 5.39; MüKo8 / Dutta Art. 22 ErbVO Rn. 5; Arnold in: Arnold / Laimer, 349, Rn. 20; Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 53 f.; Budzikiewicz in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 95, 118; Chetail Clunet 141 (2014), 447, 469. – Für ein generelles Verständnis des Art. 12 GFK im Sinne einer Wahlmöglichkeit für die Betroffenen Verhellen Rev. crit. DIP 2017, 173, 184 f. – Zu teils ähnlichen Ergebnissen gelangt, wenn auch mit anderer Motivation, der Ansatz einer teleologischen Reduktion des als spezielle ordre public-Klausel verstandenen Art. 12 GFK von Majer StAZ 2016, 337, 340 f.; dagegen Arnold in: Budzikiewicz / Heiderhoff /  Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 25, 58 ff. – Kritisch MüKo8 / von Hein Art. 5 EGBGB Anh. II Rn. 66. – a. A. Rauscher / Hertel Art. 22 ErbVO Rn. 13; Niethammer-Jürgens in: Budzikiewicz / Heiderhoff / Klinkhammer / Niethammer-Jürgens, 119, 125 f.

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dd) Europäische Auslegung des Art. 12 GFK und europäische Kollisionsregeln für Flüchtlinge Im Ergebnis stellt sich die Anwendung des Art. 12 GFK im EU-Kollisionsrecht deutlich komplexer als im nationalen Kollisionsrecht dar und führt nur bedingt zu mit seiner Intention im Einklang stehenden Ergebnissen. Zwar kommt die Modifikation der Staatsangehörigkeitsanknüpfung nur nachrangig zum Zuge, wirkt sich aber bei den subsidiären Anknüpfungen umso gravierender aus. Häufig erweist sie sich für die Betroffenen als nachteilig und verkürzt insbesondere die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtswahlmöglichkeiten. Hauptgrund für die Schwierigkeiten ist wieder die „Überalterung“ der völkerrechtlichen Regelung des Allgemeinen Teils, die nicht auf den den europäischen Regelungen des Besonderen Teils zugrundeliegenden modernen Ansatz zugeschnitten ist. Der aus der Zeit der einseitig am Ehemann orientierten Anknüpfungen stammende Art. 12 Abs. 1 GFK reibt sich am Erfordernis einer „gemeinsamen“ Staatsangehörigkeit der Ehegatten ebenso wie an der Unwandelbarkeit des Güterstatuts und der Rechtswahl. Er bietet schließlich keinerlei Lösung für die offenen Fragen hinsichtlich der (im EU-IPR primären) Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt bei Flüchtlingen. Für den Umgang mit Flüchtlingen im EU-IPR ist Art. 12 GFK damit unzureichend. Er kann zu überraschenden und ungewollten Ergebnissen führen und droht unter Umständen sogar, das Ziel internationalprivatrechtlichen Schutzes in sein Gegenteil zu verkehren. Die Unwägbarkeiten für die Betroffenen werden durch das Fehlen zuverlässiger Auslegungs- und Anwendungsvorgaben noch verschärft. Es existieren kaum belastbare Informationen über die Handhabung des Art. 12 GFK im Kontext des EU-Kollisionsrechts, die meisten Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Mit unterschiedlichen Interpretationen in den Mitgliedstaaten ist daher in sachlicher Hinsicht in mindestens so großem Maß wie hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs des Art. 12 GFK zu rechnen (siehe aa), S. 473 ff.), und mit potentiell noch schwerwiegenderen Folgen. Abhilfe könnten und müssten daher verbindliche europäische Vorgaben für den Umgang mit Flüchtlingen im EU-IPR schaffen.708 Das EU-IPR muss zwar die bestehende Bindung der Mitgliedstaaten an Art. 12 GFK achten. Im Interesse der einheitlichen Anwendung der europäischen Kollisionsregeln ließe sich aber durchaus eine gemeinsame europäische Interpretationslinie oder zumindest eine Empfehlung für sein Zusammenspiel mit den europäischen Anknüpfungsregeln entwickeln (siehe aa), S. 473 ff.). Soweit es um von Art. 12 GFK nicht erfasste Fragen geht, ist die EU in der Auslegung ihrer Kollisionsregeln ohnehin frei und kann durchaus auch eigene ergänzende 708 Eine Klärung schlägt (im Kontext der Rom III-VO) Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 94 vor.

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Regelungen zum Umgang mit Flüchtlingen kreieren – entweder gesondert für jeden Rechtsakt oder als übergreifendes allgemeines Konzept. Eine Schließung der von Art. 12 GFK gelassenen Lücken auf europäischer Ebene kommt zunächst hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht. Da das Völkerrecht hierzu schweigt, könnten europäische Leitlinien den Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ im EU-IPR – wie bereits zu anderen Facetten – auch im Hinblick auf Flüchtlinge näher auskonturieren. Vor allem aber müsste man im EU-IPR den derzeitigen Unwägbarkeiten der Rechtswahl bei Flüchtlingen begegnen und eine einheitliche Handhabung in den Mitgliedstaaten fördern; hier stellt sich allerdings das Problem, dass Art. 12 GFK (seine Anwendbarkeit auch auf die subjektive Anknüpfung unterstellt) den Spielraum für eine eigene europäische Lösungskonzeption einschränkt. Die Kombination einer europäischen Auslegung (bzw. Auslegungsempfehlung) für Art. 12 GFK mit europäischen Regelungen für die von diesem nicht erfassten Fragen könnte immerhin eine Verbesserung gegenüber dem jetzigen unübersichtlichen und uneinheitlichen Zustand bedeuten. Diese Vorgehensweise wäre allerdings kompliziert, nur schwer praktisch umsetzbar und im Ergebnis allenfalls begrenzt erfolgversprechend. Die beste Lösung wäre auf Dauer zweifelsohne eine umfassende und einheitliche Regelung zur kollisionsrechtlichen Stellung von Flüchtlingen, die den heutigen Fluchtgründen und den Anknüpfungstechniken des modernen IPR gerecht wird. Denkbar wäre etwa, statt der derzeitigen strikten Ersetzung des Staatsangehörigkeits- durch das Aufenthaltsrecht eine Wahl zwischen Heimat- und Aufenthaltsrecht einzuräumen, die den individuellen Umständen und Interessen (z. B. im Hinblick auf eine geplante Rückkehr in den Heimatstaat) Rechnung tragen kann.709 Der Schaffung einer solchen Gesamtregelung auf europäischer Ebene – etwa im Rahmen eines „Allgemeinen Teils des EU-IPR“710 – steht der für die Mitgliedstaaten völkerrechtlich verbindliche Art. 12 GFK entgegen, der durch seinen Vorrang eine „Sperrwirkung“ für die von ihm erfassten Fragen entfaltet. Es wäre daher deutlich sinnvoller, wenn auch wohl kaum in naher Zukunft zu erwarten, einen zeitgemäßen Ansatz für den Umgang des IPR mit Flüchtlingen nicht auf europäischer, sondern auf globaler Ebene zu suchen. Ideal wäre eine Modernisierung des Art. 12 GFK bzw. seine Ersetzung durch eine neue, völkerrechtliche Kollisionsregel für Flüchtlinge. Denn der Kern des Problems liegt darin, dass die bestehende Regelung in persönlicher Hinsicht den heutigen Migrationsformen nicht gerecht wird und in sachlicher Hinsicht zunehmend mit den Anknüpfungsregeln moderner Kollisionsrechtsordnungen kollidiert. Die Beantwortung der dadurch in der Anwendung zunehmend aufgeworfenen Fragen sollte aber schon im Interesse einer einheitlichen AnwenIn diese Richtung bereits Henrich in: FS Jayme I, 321, 328; diesen Gedanken de lege ferenda aufgreifend ausführlich Heitmann 125 ff. sowie Majer StAZ 2016, 337, 340. 710 Dafür Mankowski in: Leible, 189, 209. 709

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dung des Völkerrechts nicht einzelnen Vertragsstaaten auferlegt bzw. überlassen werden. Ebenso wenig sollte ein regionaler Zusammenschluss von Vertragsstaaten das Verständnis der Regelung durch ein „interpretatorisches Übergewicht“ einseitig prägen oder gar durch ergänzende Vorschriften weiterentwickeln. Vielmehr obliegt es der Gemeinschaft aller Vertragsstaaten, die bestehende Regelung auf ihre Tauglichkeit in heutiger Zeit zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen bzw. zu ersetzen. Dabei wird sicher der von der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten vertretenen Position erheblicher Einfluss zukommen, aber im Rahmen von Verhandlungen aller Vertragspartner und nicht durch die Hintertür einer europäischen Auslegung oder durch das Schaffen von Fakten in Gestalt europäischer Ergänzungsregeln. Die Aussichten, dass dies für die einzelne, in den Kontext einer größeren und veränderungsresistenten Konvention eingebettete Kollisionsnorm des Art. 12 GFK in absehbarer Zeit realisiert werden kann, sind allerdings leider äußerst gering. Insofern wäre es der EU nicht zu verdenken, wenn sie zur Gewährleistung einer einheitlichen Behandlung von Flüchtlingen im EU-IPR doch erst einmal eigene Vorgaben entwickelt. Damit steigt aber auch das Risiko, dass bei etwaigen späteren globalen Entwicklungen der durch die europäischen Bedürfnisse geprägten Auslegungslinie der EU bzw. dem europäischen Ansatz zum kollisionsrechtlichen Umgang mit Flüchtlingen ein tonangebendes Gewicht zukommt. 4. Resultat Der Einfluss des EU-IPR auf das bei seiner Verabschiedung bereits existierende staatsvertragliche IPR ist subtiler als seine Wirkung auf das nationale IPR. Die völkerrechtlichen Rechtsakte bleiben grundsätzlich unberührt bestehen – das EU-IPR entfaltet keine Verdrängungswirkung, Anpassungen der Staatsverträge daran finden kaum je statt. Dennoch geht die Europäisierung nicht spurlos an den bestehenden Abkommen und Übereinkommen der Mitgliedstaaten vorbei: Sie müssen sich nunmehr in einem zunehmend europäischen Kontext behaupten. Dabei ist bereits ihre Ausgangsposition ungünstig. Die wenigen, in der Regel auf einen speziellen Anwendungsbereich bezogenen und dafür eine in sich geschlossene Regelung bietenden multilateralen Übereinkommen stehen als Konkurrenzmodelle neben dem EU-IPR, interagieren allerdings wenig damit. Demgegenüber enthalten die bilateralen Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten mit Drittstaaten häufig nur punktuelle Regelungen, deren Anwendung mit der des EU-IPR verknüpft werden muss. Aus Sicht des EU-IPR stellen die in ihrer Vielzahl und Diversität kaum überschaubaren staatsvertraglichen Kollisionsregeln systematisch „Störfaktoren“ im Gefüge der universellen europäischen Anknüpfungsregeln dar (siehe Teil II: § 4.II.2.b), S. 226 ff.), inhaltliche Abweichungen bedeuten darüber hinaus die Gefahr des forum shopping.711 Über die Toleranz ihrer Fortgeltung hinaus werden im EU-IPR keinerlei Anstrengungen zur Koordination mit den völker-

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rechtlichen Kollisionsregeln unternommen. Diese ist vielmehr Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen als Vertragsstaaten weiterhin gerecht werden müssen, auch wenn sich der Anwendungskontext von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert hat. Der Übergang zu europäischen Anknüpfungsregeln rückt dabei zunächst das völkerrechtliche Kollisionsrecht in ein neues Licht. Während die zumeist seit Jahrzehnten unveränderten Abkommen mit dem nationalen IPR, auf dessen Grundlage sie entwickelt worden waren, noch mehr oder weniger harmonierten, stehen sie zum modernen EU-Kollisionsrecht in stärkerem Kontrast.712 Je tiefgreifender die durch den Übergang vom nationalen zum europäischen Kollisionsrecht hervorgerufenen Änderungen sind, desto plötzlicher und stärker treten die Unzulänglichkeiten der fortgeltenden staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln hervor. Spätestens der direkte Vergleich mit dem auf der Höhe der Zeit stehenden europäischen IPR zeigt ihre Schwächen auf. Insgesamt erscheinen die völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln veraltet – vor allem im Familien- und Erbrecht, bei dem regelmäßig noch eine primäre Staatsangehörigkeitsanknüpfung ohne Rechtswahlmöglichkeit dominiert. Mit Verabschiedung der EU-Rechtsakte eigentlich der Vergangenheit angehörende Konzepte wie die Nachlassspaltung leben im staatsvertraglichen Kollisionsrecht als Relikte weiter. Die ohnehin ungeliebten punktuellen Ausnahmen vom EU-IPR sind damit auch inhaltlich misslich, da sie als unzeitgemäß empfundene Anknüpfungsregeln perpetuieren und damit für zahlreiche Schwierigkeiten sorgen. Das Festhalten an überalterten Regelungen im Geltungsbereich des staatsvertraglichen IPR führt zunächst zu teils erheblichen Anwendungsnachteilen. Vor allem, wenn die völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln von den Grundprinzipien des im übrigen maßgeblichen EU-IPR wesentlich abweichen, bedeuten sie für die Betroffenen häufig eine Schlechterstellung713 – im Gegensatz zu der von den Staatsverträgen ursprünglich bezweckten Privilegierung. Vor allem das Festhalten an der Staatsangehörigkeitsanknüpfung und die Aussparung der Parteiautonomie aus den allermeisten Abkommen bereiten hier Kopfzerbrechen. Besonders problematisch sind außerdem die Koordinationsprobleme, die aus dem Zusammenspiel einzelner staatsvertraglicher Regeln mit dem im übrigen anwendbaren EU-IPR entstehen. Die fehlende Kompatibilität der zugrunde gelegten Modelle führt zu Systembrüchen, die Folge sind teils merkwürdige Überschneidungen – etwa, wenn ein Abkommen das Internationale Erbrecht nur partiell regelt und für das restliche Erb711 Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 18; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 341; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 468. 712 Vgl. Bonomi RDIPP 2019, 25, 32 ff.; Majer ZEV 2012, 182, 186; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 341. 713 Vgl. Mankowski ZEV 2013, 529, 534.

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statut nunmehr mit der ErbVO kombiniert werden muss. Die daraus entstehende wesentliche Verkomplizierung der praktischen Anwendung wirkt wiederum zu Lasten der Vertrags-Mitgliedstaaten, da auf europäischer Ebene bisher keine Bemühungen zur Schaffung von Koordinationsmechanismen zu verzeichnen und auch künftig nicht zu erwarten sind. Die Europäisierung des Kollisionsrechts führt allerdings zu Verschiebungen bei der Interpretation der staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln. Eine Versteinerung überkommener Interpretationslinien wäre (z. B. bei Qualifikationsentscheidungen) kaum praktikabel und würde die Überalterung der völkerrechtlichen Regelungen noch verstärken. Insofern müssen die Mitgliedstaaten bei der Auslegung ihrer Abkommen deren aktuellen Kontext und damit zunehmend das europäische IPR berücksichtigen; dazu zwingen sie nicht nur faktisch die Erfordernisse der Koordination der beiden Regelungsebenen, sondern sie sind auch unionsrechtlich dazu verpflichtet. Positiver Effekt einer derartigen dynamischen Auslegung ist, dass sie eine zeitgemäße Interpretation des Völkerrechts gestatten und seine Kompatibilität mit dem EU-IPR fördern kann. Negative Konsequenz einer durch ein europäisches Verständnis geprägten Interpretation ist allerdings zum einen ein enges Verständnis des staatsvertraglichen IPR, zum anderen – vor allem bei multilateralen Übereinkommen unter Beteiligung mehrerer Mitgliedstaaten und bei einer Integration völkerrechtlicher Rechtsakte in das EU-Recht – die Gefahr eines einseitigen Übergewichts der Auslegung im europäischen Sinne. Auf diesem indirekten Wege den europäischen Vorstellungen zur Durchsetzung zu verhelfen und das formal unangetastete staatsvertragliche IPR zu beeinflussen bzw. zurückzudrängen erscheint dogmatisch fragwürdig und rechtspolitisch ungeschickt. Auf der anderen Seite erfordert die Anwendung staatsvertraglicher Kollisionsregeln im Zusammenhang des EU-IPR jedoch deren einheitliche Auslegung durch die Mitgliedstaaten – anderenfalls würde die europäische Harmonisierung unterlaufen. Das illustriert eindrücklich die allgemeine völkerrechtliche Kollisionsregel des Art. 12 Abs. 1 GFK, deren persönlicher Anwendungsbereich einerseits in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich interpretiert wird und deren Zusammenspiel mit den besonderen Anknüpfungsregeln des europäischen Internationalen Familien- und Erbrechts sich andererseits als problematisch erweist. Im auf den gewöhnlichen Aufenthalt zentrierten und durch die Parteiautonomie geprägten EU-Kollisionsrecht führt Art. 12 Abs. 1 GFK vielfach zu unpassenden Ergebnissen und lässt gleichzeitig wesentliche Anliegen ungelöst. Im Interesse einer kohärenten Kollisionsrechtsanwendung in den Mitgliedstaaten ist eine EU-weit übereinstimmende Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GFK im europäischen Kontext auf Dauer unabdingbar – zumal völkerrechtliche Antworten auf die drängenden Fragen in näherer Zukunft nicht zu erwarten sind. Die unausweichlich scheinende europäische Interpretation droht allerdings gleichzeitig auch künftige staatsvertragliche Weiterentwicklungen zu präjudizieren.

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Das formell unberührt bleibende völkerrechtliche Kollisionsrecht wird bei näherem Hinsehen durch die Europäisierung also doch erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Eine unveränderte Beibehaltung und Anwendung der staatsvertraglichen Kollisionsregeln scheint unter den geänderten Umständen auf lange Sicht kaum sinnvoll. Dass die Europäisierung des Kollisionsrechts dazu zwingt, die teils vor langer Zeit getroffenen inhaltlichen Entscheidungen des staatsvertraglichen Kollisionsrechts der Mitgliedstaaten kritisch zu überprüfen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Wenn darin im modernen IPR in den Hintergrund getretene Konzepte bzw. bewusst abgeschaffte oder auf eine subsidiäre Anknüpfungsebene relegierte Mechanismen fortleben, erweisen sich die überkommenen staatsvertraglichen Kollisionsregeln häufig entgegen ihrer Intention als nachteilig für Betroffene und Rechtsanwender, insbesondere im Vergleich zum und im Zusammenspiel mit dem EU-IPR. Es verwundert daher nicht, dass die bereits unter Geltung des mitgliedstaatlichen IPR geäußerte Kritik an den staatsvertraglichen Regelungen sich mit der Überführung in europäische Rechtsakte eher verstärkt.714 Der Wunsch nach einer Modernisierung der beibehaltenen völkerrechtlichen Regelungen ist dabei umso größer, je weiter sie von den auf europäischer Ebene verfolgten Ansätzen entfernt sind. Freilich besteht ein solcher durch die Inkompatibilität mit dem EU-IPR ausgelöster bzw. intensivierter Reformbedarf nur auf europäischer bzw. mitgliedstaatlicher Seite und wird von drittstaatlichen Vertragspartnern, deren Kollisionsrecht sich nicht geändert hat, kaum geteilt. Zentral stellt sich damit für das staatsvertragliche IPR dasselbe Problem wie für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht: Seine Wahrnehmung, Auslegung und Anwendung sind zunehmend durch die europäische Perspektive geprägt. Der Betrachtung durch die EU-Brille fehlen nicht nur das im nationalen Kontext noch vorhandene Verständnis für gewachsene Strukturen und die zur Einbettung der staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln nötigen Mechanismen. Sie begegnet den völkerrechtlichen Regelungen auch mit einer von vornherein negativen Grundeinstellung, die sie als zu lästigen Ausnahmen zwingende Fremdkörper im universell angelegten EU-IPR behandelt. Das erschwert die Suche nach Lösungen, vor allem, wenn es um die Koordination der Regelungsebenen geht. Zunächst gilt dies bereits hinsichtlich möglicher Entwicklungsinitiativen. Das europäische Kollisionsrecht ist zwar später hinzugetreten, nimmt aber keinerlei Rücksicht auf die Besonderheiten der bestehenden völkerrechtlichen Abkommen. Ganz im Gegenteil ist es aus europäischer Warte eher vorteilhaft, wenn sich unter Geltung des EU-IPR im Übrigen auf Dauer ein Festhalten an den Staatsverträgen als so nachteilig und 714 So haben etwa Verabschiedung und Inkrafttreten der ErbVO eine neue Welle an Kritik am dt-türk NachlA ausgelöst, vgl. NK-BGB / R. Magnus Art. 75 ErbVO Rn. 13; Gebauer IPRax 2018, 345, 350 f.; Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 312 ff.; Majer ZEV 2012, 182, 184 ff.; Mankowski ZEV 2013, 529, 530.

I. Status quo: Staatsvertragliche Kollisionsregeln im Kontext des EU-IPR

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impraktikabel erweist, dass diese „Störfaktoren“ – zugunsten des EU-IPR – aufgegeben werden. Insofern ist nicht zu erwarten, dass von europäischer Seite akkommodierende Schritte zur Verbesserung des Verhältnisses von völkerrechtlichen und europäischen Kollisionsregeln unternommen werden. Eine harmonischere Gestaltung kann nur auf völkerrechtlicher Ebene initiiert werden. Für die drittstaatlichen Vertragspartner ist dies freilich im Regelfall kaum von Interesse – um so mehr jedoch für die Mitglied-Vertragsstaaten, deren Rechtsanwender mit den aus mangelnder Koordination resultierenden Anwendungsschwierigkeiten konfrontiert sind. Für diese sind jedoch die inhaltlichen Optionen stark beschränkt: Sie sind – abgesehen von der Frage nach ihrer verbleibenden Kompetenz (siehe sogleich II.1., S. 495 ff.) – an die bereits auf europäischer Ebene verwirklichten Vorstellungen weitgehend gebunden. Besonders deutlich wird dies bei der Auslegung. Über die Interpretation des in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltenden Unionsrechts entscheidet ohnehin die europäische Ebene, bei der (dynamischen) Auslegung ihrer Staatsverträge müssen die Mitgliedstaaten die Position der EU zumindest loyal berücksichtigen. Um die einheitliche Anwendung der EU-Kollisionsregeln zu gewährleisten, müssen sie mit verschiedenen Staatsverträgen möglichst in übereinstimmender Weise koordiniert werden – was zumindest indirekt deren Verständnis und Anwendung durch die Mitgliedstaaten beeinflusst. Hinzu tritt, dass die durch mangelnde Kompatibilität mit dem EU-IPR verursachten Reibungen praktisch nur verringert werden können, indem die staatsvertraglichen Kollisionsregeln „europafreundlich“ ausgelegt werden. Die Notwendigkeit ihrer Interaktion mit den EU-Rechtsakten baut damit Druck zu einer Re-Orientierung der Abkommen in Richtung Europa auf. Für die Mitgliedstaaten ist eine Anpassung an die neuen europäischen Gegebenheiten der einzige Weg, die aus nicht mehr zeitgemäß wirkenden staatsvertraglichen Kollisionsregeln resultierenden Probleme zu lösen. Über die Mitgliedstaaten hat die Europäisierung damit indirekt erheblichen Einfluss auf das bestehende staatsvertragliche Kollisionsrecht. Inhaltlich einzige Alternative zum als unbefriedigend empfundenen status quo ist – wie auch beim nationalen IPR – eine Angleichung an die europäischen Standards. Dieser Wirkung ist kaum etwas entgegenzuhalten. Vor allem das primäre Gegenargument einer Schwächung des Entscheidungseinklangs zwischen den Vertragsstaaten verliert zunehmend an Gewicht. Häufig ist dieser nämlich bereits durch den Übergang vom nationalen zum europäischen Kollisionsrecht nicht mehr vollständig gewährleistet715 – aus Sicht der VertragsMitgliedstaaten dürfte dann (auch mit Blick auf europäische verfahrensrechtliche Mechanismen) zumeist das Interesse überwiegen, wenigstens den durch die Europäisierung verfolgten Entscheidungseinklang innerhalb der EU so weit wie möglich zu stärken. 715

Vgl. Gebauer IPRax 2018, 586, 588; Gebauer IPRax 2018, 345, 351.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

Die Möglichkeiten, dieses Ziel durch eine dynamische Auslegung bzw. EU-orientierte Anwendung der formal unverändert weiterbestehenden staatsvertraglichen Kollisionsregeln zu erreichen, sind allerdings begrenzt. Dieser Lösungsansatz ist zwar – dafür zugängliche Formulierungen des Abkommens vorausgesetzt – eine attraktive Weise, überalterte völkerrechtliche Regelungen ohne den Aufwand einer Vertragsänderung modernen Erfordernissen anzupassen. Er setzt jedoch voraus, dass die Vertragspartner sich über Ausmaß und Art der Änderung einig sind. Dass der Wunsch der Mitgliedstaaten nach einer „europäisierten“ Interpretation von drittstaatlichen Vertragspartnern geteilt wird, ist aber alles andere als selbstverständlich. Zusätzliche Brisanz erhalten zu deutlich von europäischen Vorstellungen geprägte Auslegungsansätze für Staatsverträge durch das Fehlen einer verbindlichen Streitentscheidungsinstanz für das Völkerrecht und die Sorge vor einem Übergewicht der EU. Insofern werden Reformen der in die Jahre gekommenen IPRStaatsverträge auf Dauer unumgänglich sein. Dabei muss ebenso wie bei der Schaffung neuer Kollisionsregeln auf völkerrechtlicher Ebene inhaltlich und institutionell das EU-IPR berücksichtigt werden. II. Zukunft: Einfluss der EU auf die Entwicklung des völkerrechtlichen IPR II. Zukunft: Einfluss der EU auf die Entwicklung des völkerrechtlichen IPR

Die weitere staatsvertragliche Harmonisierung des IPR muss die bereits stattgefundene und künftige europäische Vereinheitlichung berücksichtigen. Sowohl die Überarbeitung des völkerrechtlichen Regelbestands als auch die Schaffung neuer Instrumente kann nicht mehr mit Blick nur auf das nationale Recht der beteiligten Staaten erfolgen, sondern muss sich zunehmend stattdessen am EU-IPR orientieren. Gleichzeitig tritt die EU als völkerrechtliche Akteurin neben ihre Mitgliedstaaten und nimmt international eine immer aktivere Rolle ein. Im Folgenden soll untersucht werden, vor welche Herausforderungen diese geänderten Umstände die Weiterentwicklung des staatsvertraglichen IPR stellen, wo und in welcher Form das EU-IPR Einfluss darauf ausübt und welche Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.716 Grundlegend ist zunächst en détail zu untersuchen, wie die Kompetenz zum Handeln auf völkerrechtlicher Ebene zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten verteilt ist (dazu 1.). Nach einer kurzen Skizze der damit verbundenen Probleme sind die Optionen zum Umgang mit bestehenden Staatsverträgen der Mitgliedstaaten zu untersuchen, die sich generell oder mit Blick auf ihr nunmehr europäisches Umfeld als überholungsbedürftig darstellen. Sowohl eine Kündigung als auch eine Reform der völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln könnte den (europäischen bzw. mitgliedstaatlichen) Anpassungs716 Vgl. zum Einfluss der EU auf internationale Vereinheitlichungsbemühungen Franzina in: Franzina, 183, 183 ff. – Zur oft parallel gelagerten Problematik der EU-Mitwirkung an der globalen Harmonisierung im Bereich des Urheberrechts Reinbothe in: FS Stein, 304, 304 ff.

II. Zukunft: Einfluss der EU auf die Entwicklung des völkerrechtlichen IPR

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und Modernisierungsanliegen Rechnung tragen – doch ob derartige Änderungsbestrebungen Erfolg versprechen ist ebenso fraglich wie das Ausmaß, in dem der gewandelte Hintergrund des EU-IPR dazu verpflichtet (dazu 2.). Schließlich stellt sich die Frage, welche Rolle der EU bei der Kreation neuer völkerrechtlicher Rechtsakte künftig zukommen soll. Zum einen sehen sich neue (globale) Vereinheitlichungsbestrebungen heute mit dem Konkurrenzmodell der europäischen Kollisionsrechtsharmonisierung konfrontiert, zum anderen kann die EU sich inhaltlich und institutionell prägend an der Gestaltung neuer Instrumente beteiligen (dazu 3.). 1. Kompetenz der EU und/oder der Mitgliedstaaten? Die Umgestaltung und Neuschaffung für die Mitgliedstaaten verbindlicher völkerrechtlicher Kollisionsrechtsinstrumente wirft zunächst Kompetenzfragen auf: Liegt die Zuständigkeit für die Anpassung, Kündigung und Kreation von Staatsverträgen bei den Mitgliedstaaten und/oder bei der EU? Ausgangspunkt der Verteilung der Außenkompetenz zwischen EU und Mitgliedstaaten ist der Grundsatz der Parallelität interner und externer Befugnisse. Nach der AETR-Rechtsprechung des EuGH folgt aus der Binnenkompetenz auch die Außenkompetenz der Union.717 Dieses Prinzip findet inzwischen auch eine gesetzliche Verankerung im Primärrecht (Art. 216 Abs. 1 Alt. 4 i. V. m. Art. 3 Abs. 2 Alt. 3 AEUV).718 Es kommt einerseits zum Tragen, sobald eine internationale Übereinkunft „gemeinsame Vorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnte“ (sogenannte Beeinträchtigungsvariante), andererseits, wenn sie im Rahmen der Unionspolitik zur Verwirklichung eines der Vertragsziele erforderlich ist (sogenannte Zielvariante). Die Beeinträchtigungsvariante wird durch den EuGH traditionell weit ausgelegt: Mit Gebrauchmachen von der Binnenkompetenz erhält die EU auch die korrespondierende, nach Art. 2 Abs. 2 AEUV ausschließliche Außenkompetenz. Demgegenüber wird die Zielvariante, die regelmäßig gemäß Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 lit. j) AEUV eine konkurrierende Außenkompetenz der Union begründet, eher eng verstanden. Erforderlich ist entsprechend dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 AEUV) eine Binnenkompetenz der Union zum Tätigwerden zur Zielverwirklichung, die allerdings noch nicht tatsächlich ausgeübt worden sein muss.719 Das Grundprinzip eines Kompetenzübergangs 717 EuGH 31.3.1971 – 22/70, Kommission ./. Rat „AETR“, Rn. 17 ff. – Bestätigt durch die Open Skies-Urteile, grundlegend EuGH 5.11.2002 – C-467/98, Kommission ./. Dänemark „Open Skies“, Rn. 77; erneut bestätigt in EuGH 4.5.1010 – C-533/08, TNT Express Nederland, Rn. 38. 718 Im Überblick Cremona in: Franzina, 3, 5 ff.; Kuipers in: Franzina, 149, 156 ff.; Mills ICLQ 65 (2016), 541, 543 ff.; R. Wagner IPRax 2019, 185, 188 f. 719 EuGH 5.12.2017 – Rs. C-600/14, Bundesrepublik Deutschland ./. Rat „COTIF“, Rn. 45, 52.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

auf die EU (dazu a)) wird allerdings praktisch durch die Notwendigkeit mitgliedstaatlichen Tätigwerdens „im Interesse der Union“ (dazu b)) oder im Rahmen gemeinsamer Kompetenzwahrnehmung (dazu c)) ergänzt. a) Ablösung mitgliedstaatlicher durch europäische Kompetenz Ursprünglich und grundsätzlich liegt die Hoheit über ihre völkerrechtlichen IPR-Verträge bei den Mitgliedstaaten. Mit Ausübung der kollisionsrechtlichen EU-Kompetenz durch die Verabschiedung für die Mitgliedstaaten bindender IPR-Rechtsakte „nach innen“ verlagert sich aber automatisch auch die Kompetenz für die Verabschiedung neuer und die Änderung bestehender Staatsverträge im Verhältnis zu Drittstaaten „nach außen“ auf die europäische Ebene. De facto hat auch hier das Unionsrecht Vorrang vor dem nationalen Recht.720 Soweit der Anwendungsbereich ihrer IPR-Verordnungen reicht, löst also die Zuständigkeit der Union die bisherige mitgliedstaatliche Kompetenz auch hinsichtlich existierender und künftiger völkerrechtlicher Instrumente ab. Das Resultat ist eine graduelle, aber stetige Kompetenzverschiebung weg von den Mitgliedstaaten und hin zur EU – die parallel zur Verschiebung der Binnenkompetenz verläuft,721 aber wesentlich weniger Beachtung findet. Die Ausformung der Kompetenzverteilung im Detail obliegt dem EuGH, der die dazu etablierten Grundsätze im Zweifelsfall großzügig zugunsten der EU interpretiert.722 Zur Reichweite der EU-Außenkompetenz im IPR hatte er bislang zwar nicht zu entscheiden. Es ist jedoch anzunehmen, dass die im Kontext des IZVR entwickelten Leitlinien des EuGH auch für das Kollisionsrecht Geltung beanspruchen. Mit dem Gutachten 1/03723 stufte er den Abschluss des neuen Lugano-Übereinkommens als Parallel-Staatsvertrag zur Urfassung der EuGVVO klar als ausschließliche Gemeinschaftskompetenz ein.724 Eine weitere Verfeinerung, ebenfalls zugunsten der Union, brachte das Gutachten 1/13725 zum HKÜ: Mit der exklusiven externen Zuständigkeit geht auch das Recht, dem Konventionsbeitritt von Drittstaaten zuzustimmen, von den Mitgliedstaaten auf die Union über.726 Die Hürden für die Begründung Vgl. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 58. Vgl. zur materiellen Rechtsvereinheitlichung bereits vor Verabschiedung der ersten kollisionsrechtlichen Verordnungen Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 36: „The growing body of internal European Community legislation in the field of private law is reflected by the simultaneous growth of its external competence.“ 722 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 45 f. 723 EuGH 7.2.2006 – Gutachten 1/03. 724 Zur Lugano Opinion siehe z. B. Kuipers in: Franzina, 149, 159 ff. 725 EuGH 14.10.2014 – Gutachten 1/13. 726 Siehe dazu die Beiträge in Franzina (Hg.), insbesondere die Analysen von Cremona (3, 3 ff.), Beaumont (43, 43 ff.), Tuo (77, 77 ff.) und Kuipers (149, 161 ff.). – Für ein zurückhaltendes Verständnis im Zusammenhang der Aufgabe bestehender staatsvertraglicher Kollisionsregeln Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 324 f. 720 721

II. Zukunft: Einfluss der EU auf die Entwicklung des völkerrechtlichen IPR

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der EU-Außenkompetenz sind nach diesen Maßstäben nicht besonders hoch. Erforderlich ist nicht die Unvereinbarkeit der staatsvertraglichen Regelungen mit bestehendem EU-Recht, sondern es genügt, wenn sie (potentiell) „geeignet“ sind, europäische Rechtsinstrumente „zu beeinträchtigen“.727 Dass der EuGH dies bereits bei einem zu einer EU-Verordnung quasi wortgleichen Staatsvertrag (Lugano-Übereinkommen) und hinsichtlich einer Erweiterung des drittstaatlichen Teilnehmerkreises einer Konvention, an der nur die Mitgliedstaaten und nicht die EU selbst beteiligt sind, annimmt, legt nahe, dass die Debatte im Wesentlichen zugunsten eines insgesamt sehr weiten Verständnisses der EU-Außenkompetenz beendet ist. Das Resultat ist ein mit fortschreitender Europäisierung auch völkerrechtlich immer weiter gestärkter Status der EU: Auf dem internationalen Parkett übernimmt sie ebenfalls eine zentrale Rolle, die Mitgliedstaaten werden gewissermaßen in die zweite Reihe gedrängt.728 Auch für das staatsvertragliche Kollisionsrecht müssen die Mitgliedstaaten ihre ursprünglich umfassende Außenkompetenz an die Union abgeben – allerdings nur so schritt- und teilweise, wie sich die Unionisierung des IPR nach innen vollzieht. Der Erwerb der Außenkompetenz durch die EU ist ein Prozess, der bis zu einer vollständigen Ablösung des mitgliedstaatlichen durch europäisches Kollisionsrecht im Fluss ist. Ungünstig im Hinblick auf die internationalen Beziehungen ist einerseits, dass kaum prognostizierbar ist, wie schnell und in welcher Reihenfolge sich diese Entwicklung „hin zur EU“ fortsetzen wird. Die Kompetenzverteilung kann jeweils nur als aktuelle Momentaufnahme beurteilt werden, jeder neue EU-Kollisionsrechtsakt führt auch hier zu Verschiebungen. Daraus ergibt sich andererseits für das derzeitige Entwicklungsstadium des EU-IPR mit seinen nur punktuellen Rechtsakten ein Nebeneinander verschiedener Kompetenzverteilungsmodelle für unterschiedliche Bereiche. Nach wie vor liegt die Kompetenz ausschließlich bei den Mitgliedstaaten bezüglich aller kollisionsrechtlichen Materien, die von vornherein außerhalb des von Art. 81 AEUV erfassten Bereichs liegen oder für die die EU von der ihr nach Art. 81 AEUV zustehenden Kompetenz nach innen noch nicht durch den Erlass vereinheitlichender Rechtsakte Gebrauch gemacht hat.729 Beispiele dafür sind die von der EU bislang bewusst nicht betretenen Felder des Kinder- und Erwachsenenschutzes (siehe Teil II: § 4.II.3.a), S. 230 ff.). Im Gebiet ihrer eigenen Kompetenz können die Mitgliedstaaten nach wie vor völkerrechtlich frei agieren. Sie können eigenständig kollisionsrechtliche Konventionen abschließen bzw. ihnen beitreten und ihre bestehenden StaatsverVgl. EuGH 7.2.2006 – Gutachten 1/03, Rn. 151, 160, 168. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 46. – Zur unionsinternen Kompetenzverteilung zwischen Rat und Kommission Cremer EuZW 2021, 828, 828 ff. 729 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 22. 727 728

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

träge modifizieren.730 Die EU kann lediglich, aber immerhin Empfehlungen an die Mitgliedstaaten aussprechen. Demgegenüber kommt der EU die ausschließliche Außenkompetenz in allen Bereichen zu, die zum Anwendungsbereich des bereits vorhandenen EU-Kollisionsrechts gehören. Völkerrechtliche Instrumente, die inhaltlich insgesamt in dieses Gebiet fallen, können nur noch durch die EU abgeschlossen bzw. verändert werden.731 b) Europäische Kompetenz und mitgliedstaatliches Handeln Ein Handeln der EU ohne Beteiligung ihrer Mitgliedstaaten ist freilich nicht in allen Fällen praktikabel bzw. möglich. Zwar sind moderne völkerrechtliche IPR-Konventionen zunehmend für einen Beitritt nicht nur von Staaten, sondern auch von Staatengemeinschaften in Form zwischenstaatlicher Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration (Regional Economic Integration Organisations – REIO) offen, was insbesondere den direkten Beitritt (nur) der EU (sogenannte EU-Only-Abkommen) ermöglichen soll (z. B. Art. 24 HUP, Art. 18 Haager Wertpapier-Übereinkommen von 2006). Eine Beteiligung an traditioneller ausgerichteten und vor allem seit längerem bestehenden Rechtsinstrumenten steht aber nach wie vor nur Staaten offen.732 Hat die EU zwar die Außenkompetenz inne, aber keine völkerrechtliche Handlungsmöglichkeit, muss sie sich ihrer Mitgliedstaaten als ausführende Organe bedienen: Sie kann diese zur Teilnahme am Staatsvertrag „in the interest of the union“ ermächtigen.733 Prominentes Beispiele hierfür aus dem IPR und IZVR sind KSÜ und ESÜ (siehe Teil II: § 4.II.3.a), S. 230 ff.). Auf dasselbe Modell ist zurückzugreifen, wenn Änderungen an von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen, aber in die inhaltliche Kompetenz der Union fallenden Staatsverträgen vorzunehmen sind. Dies betrifft neben unter nur mitgliedstaatlicher Beteiligung neu abgeschlossenen Konventionen vor allem den Altbestand mitgliedstaatlicher Staatsverträge: Diese bleiben zwar durch das EU-IPR unberührt (siehe Teil II: § 4.II.2., S. 220 ff.), doch die Kompetenz für etwaige Modifikationen geht mit der Europäisierung auf die Union über. Dieser obliegt die inhaltliche Entscheidung über mögliche Änderungen, zu deren völkerrechtliVgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 22. Die Lesart von Raupach 112 f., der Abschluss von Konkurrenzabkommen durch die Mitgliedstaaten sei nicht europarechtswidrig, da erst ihre Anwendung für die EU schädlich sei, kommt zu dem Ergebnis, dass aus Sicht der Union diese Verträge nicht anwendbar und damit irrelevant wären, womit die Mitgliedstaaten international vertragsbrüchig würden, sodass der Abschluss neuer Abkommen möglich, aber sinnlos sei. 732 Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 45 weist darauf hin, dass die stillschweigende Akzeptanz einer Beitrittserklärung der EU ein möglicher, aber riskanter Lösungsweg („feasible although risky solution“) für bestehende Konventionen wäre. 733 Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 9. – Zu dieser Praxis Franzina in: von Hein /  Kieninger / Rühl, 19, 24 ff. 730 731

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cher Umsetzung sie die Mitgliedstaaten ermächtigen kann und muss.734 Letztere fungieren gewissermaßen als verlängerter Arm der Union, ohne dass ihnen eigene Entscheidungsmacht zukäme. Dass dieses Verfahren grundsätzlich funktioniert, haben seit dem EuGHGutachten 1/13 verschiedene Ermächtigungen der Mitgliedstaaten zur Annahme des Beitritts bestimmter Drittstaaten zum HKÜ gezeigt.735 Die Nachteile einer solchen Aufteilung von Kompetenz und Handlungsfähigkeit zwischen zwei Regelungsebenen liegen auf der Hand: Sie erhöht den Aufwand und die Unübersichtlichkeit (vor allem, wenn die Kompetenz für ein bestehendes Übereinkommen nur teilweise auf die EU übergeht) und verursacht potentiell Konflikte im Innen- wie Außenverhältnis. Zwischen der EU und den Mitgliedstaaten kann es zum Streit über Reichweite und Art der Kompetenzausübung kommen. Auch, dass die übrigen Vertragsstaaten sich zwar nicht formal, aber inhaltlich mit einem Wechsel ihres Vertragspartners konfrontiert sehen, ist misslich – vor allem bei bilateralen Abkommen. Um den bestehenden völkerrechtlichen Strukturen und Bindungen der Mitgliedstaaten nach außen Rechnung zu tragen und gleichzeitig der EU im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten die Ausübung der auf sie übergegangenen Kompetenzen zu gewährleisten, ist dieses Modell aber letztlich der einzig (europarechtskonform) gangbare Weg. Vgl. Gebauer IPRax 2018, 345, 350 sowie Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 324 ff., der eine weite Handlungsmacht der Mitgliedstaaten für Änderungen zur Angleichung an das EU-IPR befürwortet. 735 Beschluss (EU) 2021/2206 des Rates vom 9. Dezember 2021 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt Boliviens zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2021 L 446, 42; Beschluss (EU) 2021/2206 des Rates vom 9. Dezember 2021 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt Jamaikas zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2021 L 446, 40; Beschluss (EU) 2019/308 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Luxemburgs, Österreichs und Rumäniens, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt von Belarus und Usbekistan zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 15; Beschluss (EU) 2019/307 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Österreichs und Rumäniens, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt von Honduras zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 13; Beschluss (EU) 2019/306 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Österreichs, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt Ecuadors und der Ukraine zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 11; Beschluss (EU) 2019/305 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Österreichs, Zyperns, Kroatiens, Luxemburgs, Portugals, Rumäniens und des Vereinigten Königreichs, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt der Dominikanischen Republik zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 9. 734

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Alternativ dazu kommt nur in Betracht, dass die EU auf die Ausübung der auf sie verlagerten Außenkompetenz verzichtet und diese auf die Mitgliedstaaten zurücküberträgt.736 In der Anfangsphase des Verordnungskollisionsrechts wurde diese Technik eingesetzt, um weiterhin in gewissen Grenzen den Abschluss neuer Übereinkommen der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten zu ermöglichen. Erw. 42 Rom I-VO und Erw. 37 Rom II-VO sehen vor, dass die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen auch das Internationale Schuldrecht betreffend „in Einzel- und Ausnahmefällen in eigenem Namen Übereinkünfte mit Drittländern über sektorspezifische Fragen aushandeln und abschließen dürfen“. Die Details dieser Ausnahme regelt eine Verordnung737, die insbesondere eine Überprüfung und Genehmigung der mitgliedstaatlichen Staatsverträge durch die Kommission vorsieht.738 Eine entsprechende Regelung für künftige bilaterale Abkommen mit Drittstaaten existiert auch im Bereich des Unterhaltsrechts (Erw. 40 UnthVO nebst Verordnung739, die auch das Gebiet der Brüssel IIa-VO erfasst), entfaltet aufgrund der Bindung aller Mitgliedstaaten an das HUP für das Kollisionsrecht aber keine Wirkung. Dieses Verfahren erlaubt den Mitgliedstaaten eine gewisse völkerrechtliche Unabhängigkeit, verkompliziert aber die Kompetenzsituation erheblich.740 Hinzu kommt, dass es nur punktuell und für Neuverträge eingreift, die Änderung bestehender Abkommen aber nicht erfasst. Auch praktisch hat es sich bisher wenig bewährt: Von der Möglichkeit, als Ausnahme von der Außenkompetenz der EU eigene Abkommen mit Drittstaaten einzugehen, haben die Mitgliedstaaten nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht, beispielsweise Deutschland überhaupt nicht.741 Die Anwendungsdauer dieses Modells ist zunächst auf eine Versuchsphase begrenzt. Die Kommission hat nach Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 326; R. Wagner IPRax 2019, 185, 188. Verordnung (EG) Nr. 662/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten über spezifische Fragen des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts, ABl. 2009 L 200, 25. 738 BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 4; BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 5. 739 Verordnung (EG) Nr. 664/2009 des Rates vom 7. Juli 2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in Ehesachen, in Fragen der elterlichen Verantwortung und in Unterhaltssachen sowie das anwendbare Recht in Unterhaltssachen betreffen, ABl. 2009 L 200, 46. – Ausführlich zu den beiden Verordnungen de Miguel Asensio / Bergé in: Fallon / Lagarde / Poillot-Perruzzetto, 185, 194 ff.; Kuipers in: Franzina, 149, 149 ff. (insbes. 167 ff.). 740 Vgl. Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 93. – Skeptisch auch Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 23. 741 Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2020, 97, 105. 736 737

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Art. 13 der Verordnungen jeweils einen Bericht über deren Anwendung vorzulegen und darin entweder das nach dem jeweiligen Art. 14 vorgesehene Ende der Geltungszeit nach Ablauf weiterer drei Jahre zu bestätigen oder eine Fortsetzung in Gestalt einer neuen Verordnung vorzuschlagen. Obwohl diese Berichte seit Sommer 2017 erstellt werden könnten, ist die Kommission noch nicht tätig geworden und hüllt sich zu der politisch sensiblen Thematik in Schweigen.742 Da in den späteren Kollisionsrechtsverordnungen entsprechende Ausnahmen nicht mehr vorgesehen sind, konnte man davon ausgehen, dass das Modell einer unter europäischer Kontrolle stehenden Kompetenzrückübertragung auf die Mitgliedstaaten langfristig keinen Bestand haben würde. Auf etwas anderes könnte allerdings die seitens des Rates in seiner Strategischen Agenda 2019–2024 für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen geäußerte Bitte um Vorschläge zu Alternativen zur „multilateralen Zusammenarbeit“ hindeuten: Sie lässt sich als eine Aufforderung zur Erweiterung des „Rückübertragungsmodells“ verstehen.743 Ob und in welcher Form die Kommission darauf reagieren wird, steht allerdings noch in den Sternen. Die Schwierigkeiten des Kompetenzübergangs auf die EU im Hinblick auf bereits bestehende Staatsverträge können freilich noch auf eine andere Weise vermieden werden: Indem die Außenkompetenz bei den Mitgliedstaaten belassen wird. Voraussetzung dafür ist, dass die EU ihre Innenkompetenz nicht ausübt, also auf europäische Gesetzgebung verzichtet. Sowohl, wenn EURechtsakte die bereits für eine erhebliche Anzahl an Mitgliedstaaten staatsvertraglich geregelten Gebiete von vornherein aus ihrem Anwendungsbereich ausklammern, als auch, wenn anstelle eigener Regelungen die Union die Mitgliedstaaten zum Beitritt zu bestehenden Konventionen ermutigt (siehe Teil II: § 4.II.3.a), S. 230 ff.), kommt es gar nicht erst zu einer Kompetenzverlagerung. Damit wird das Entstehen von Zuständigkeitskonflikten von vornherein verhindert, die EU wird nicht mit dem Aufwand der Wahrnehmung ihrer Außenkompetenz durch die Mitgliedstaaten belastet. Der Preis dafür ist der Verzicht auf eine europäische Kompetenz auf völkerrechtlicher Ebene. Soweit das EU-Kollisionsrecht bereits bestehenden Übereinkommen der Mitgliedstaaten durch Bereichsausnahmen Rechnung trägt, ist es durchaus sinnvoll, die Hoheit über diese Staatsverträge auch weiterhin bei den Mitgliedstaaten zu belassen. Heikler erscheint es dagegen, wenn die EU in größeren Bereichen bewusst auf eigene Rechtsetzung verzichtet und stattdessen die Teilnahme an bestehenden Übereinkommen propagiert. Folgen die Mitgliedstaaten der europäischen Aufforderung, wird das völkerrechtliche 742 Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2021, 105, 111; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2020, 97, 105. 743 Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2021, 105, 106 f. – Diesen Ansatz befürwortet für das Internationale Ehegüter- und Erbrecht aus skandinavischer Perspektive auch Helin in: Dutta / Wurmnest, 121, 139.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

Instrument in der (ganzen) EU anwendbar und damit faktischer Baustein des EU-IPR, die EU hat aber mangels eigener Kompetenzausübung keinerlei Einfluss darauf. Ihre inhaltliche Zurückhaltung zugunsten des Völkerrechts führt zu einem langfristigen Kompetenzverlust, weil die Beteiligung der Mitgliedstaaten an einem (erfolgreichen) Übereinkommen Bedarf und Chancen für europäische Gesetzgebung verringert und damit mangels Ausübung der Binnenkompetenz auch die Außenkompetenz nicht mehr auf die EU übergehen wird. Aus europäischer Sicht ist daher eine eigene Beteiligung an neuen völkerrechtlichen Konventionen unbedingt vorzugswürdig. c) Geteilte Kompetenz und Koordinationsbedarf Zusätzlich kompliziert wird es schließlich, wenn Staatsverträge inhaltlich nicht ausschließlich unter die mitgliedstaatliche oder die europäische Kompetenz fallen. Erforderlich ist dann der Abschluss neuer Verträge als „gemischte Konventionen“, bei denen EU und Mitgliedstaaten jeweils für die in ihren Kompetenzbereich fallenden Vertragsteile handeln.744 Ein solches, durchaus komplexes Nebeneinander liegt etwa der (materiell rechtsvereinheitlichenden) UNIDROIT-Konvention von Kapstadt über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung von 2001 zugrunde.745 Seine praktische Umsetzung wirft zahlreiche Schwierigkeiten auf. Um die Reichweite der jeweiligen Parteistellung von EU und Mitgliedstaaten klar zu definieren und zu gewährleisten, dass die Parteien ihre vertraglichen Rechte nur in gegenseitig ausschließlicher Weise wahrnehmen (Prinzip der Alternativität der Rechtsausübung), muss die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der EU in einer Kompetenzabgrenzungserklärung offengelegt und diese an jede Kompetenzverschiebung im Binnenverhältnis der EU angepasst werden. Auch der parallele Vertragsschluss von EU und Mitgliedstaaten (split ratification) kann sich schwierig gestalten. Für die beteiligten Mitgliedstaaten entsteht schließlich ein kompliziertes Geflecht aus unmittelbarer (eigener) und mittelbarer (durch die EU) Bindung. Ein Zwang der Mitgliedstaaten zur eigenen Ratifikation gemischter Übereinkommen besteht allerdings nicht. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) verpflichtet sie hinsichtlich der Beteiligung an gemischten Übereinkommen nur zur engen Kooperation mit der EU; es steht ihnen innerhalb ihres eigenen Kompetenzbereichs aber frei, sich – wie Deutschland hinsichtlich der Konvention von Kapstadt – gegen eine Beteiligung zu entscheiden.746 Vgl. Streinz / Mögele Art. 216 AEUV Rn. 42 ff. – Jüngere Beispiele für gemischte Abkommen außerhalb des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts sind die CETA- und TTIP-Abkommen. – Zu den Schwierigkeiten gemischter Kompetenz im Bereich der Urheberrechtsvereinheitlichung Reinbothe in: FS Stein, 304, 312 f. 745 Siehe dazu detailliert Assakkali EuZW 2019, 813, 816 f. 746 Vgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 22 f. 744

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Zur Übertragung auf das Kollisionsrecht erscheint das aus der Vereinheitlichung des materiellen Rechts bekannte Modell „gemischter Konventionen“ jedoch kaum geeignet. Abgesehen von seinen zahlreichen Komplikationen ist für die bei der Kollisionsrechtsvereinheitlichung angestrebte vollständige Harmonisierung bestimmter Bereiche eine Aufteilung der einzelnen Regeln ein und desselben Rechtsinstruments zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Zuständigkeit und Bindung wenig sinnvoll. Beim KSÜ etwa verläuft die kompetenzrechtliche Trennlinie nicht durch das Kollisionsrecht hindurch, sondern liegt dafür einzig bei den Mitgliedstaaten, während die Unionskompetenz nur internationalzivilverfahrensrechtliche Aspekte erfasst.747 Denkbar ist auch, dass ein „gemischtes Übereinkommen“ neben materiellen Regeln auch einzelne Kollisionsregeln enthält748 – für die die Zuständigkeit dann aber klar auf einer der beiden Ebenen zu verorten sein wird. Dass rein kollisionsrechtliche Völkerrechtsinstrumente als „gemischte Konventionen“ konzipiert werden, ist dagegen äußerst unwahrscheinlich. Nachträglich und damit ungeplant kann es aber auch für kollisionsrechtliche Staatsverträge zu einer Aufteilung der Zuständigkeit kommen, nämlich wenn Kollisionsrechtsbereiche in europäische Rechtsakte überführt werden, die einen Teil bestehender Abkommen bilden. Die EU erwirbt für die nunmehr europäisierten Materien auch die Außenkompetenz, während sie für die übrigen Vertragsteile mitgliedstaatlich verbleibt – das Resultat ist eine geteilte Kompetenz, bei der die EU für die Abkommensteile zuständig ist, die in den Bereich ihrer Verordnungen fallen. Die Trennlinie kann dabei zwischen dem (nunmehr europäisierten) Kollisionsrecht und den übrigen Vertragsteilen verlaufen, beispielsweise wenn in einem Konsularvertrag einzelne erbrechtliche Anknüpfungsregeln enthalten sind. Sie kann aber auch das staatsvertragliche Kollisionsrecht oder gar ein und dieselbe Norm desselben durchqueren: Die Kompetenz hinsichtlich der einheitlichen Personalstatuts-Kollisionsregel der Art. 8 Abs. 3 dt-iranNLA und Art. 10 Abs. 3 ö-iranNLA fällt nunmehr hinsichtlich der Aspekte Scheidungs-, Erb- und Güterrecht der EU zu und verbleibt im Übrigen bei den Mitgliedstaaten. Derartige Teilungen der Kompetenz können zwischen Union und Mitgliedstaaten Streit über ihre Wahrnehmung bzw. Ausübung auslösen. Die bisher nur außerhalb des IPR entwickelten Lösungsansätze, insbesondere des EuGH,749 lassen sich grundsätzlich auf die Kompetenzverteilung bei kollisionsrechtlichen Staatsverträgen übertragen. Da hier aber vergleichsweise klar festgestellt werden kann, welche Bestandteile des Abkommens vom Anwendungsbereich des EU-IPR und damit von der Unionsaußenkompetenz erfasst werden, dürfte die KompetenzKreuzer in: FS Kropholler, 129, 134. Vgl. Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 9. 749 Vgl. etwa EuGH 5.12.2017 – Rs. C-600/14, Bundesrepublik Deutschland ./. Rat „COTIF“, ausführlich analysiert von Neframi CMLR 56 (2019), 489–520. 747 748

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verteilung an sich eher selten zu Unstimmigkeiten führen; etwaige Fragen hinsichtlich der Reichweite des EU-IPR kann der EuGH verbindlich lösen. Problematisch erscheint eher, ob die Drittstaaten-Vertragspartner Verständnis für einen derartigen teilweisen Kompetenzwechsel aufbringen können. Da jedoch in der Regel die EU nicht selbst in Erscheinung treten, sondern die jeweiligen Mitgliedstaaten zum Handeln in ihrem Interesse ermächtigen dürfte, wirkt er sich zumindest verhandlungstechnisch nicht aus. Unabhängig davon, ob die Außenkompetenz für ein völkerrechtliches Kollisionsrechtsinstrument rein mitgliedstaatlich, rein europäisch oder aufgeteilt ist: Erforderlich ist in jedem Fall eine Abstimmung zwischen den beiden Regelungsebenen. Die enge Verzahnung zwischen mitgliedstaatlichen und europäischen Kollisionsregeln erfordert eine Kooperation. Neu zu schaffendes bzw. zu modernisierendes Staatsvertrags-Kollisionsrecht muss auf beide Regelsysteme abgestimmt sein und auch künftige weitere Europäisierungsschritte in den Blick nehmen. Die Grundlage hierfür bildet der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV), der insbesondere die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, auch beim Agieren innerhalb ihres eigenen Kompetenzbereichs die Interessen der EU zu wahren. Dass unter Umständen sogar eine innerhalb seiner Außenkompetenz von einem Mitgliedstaat vorgenommene Änderung eines Übereinkommens einen Pflichtverstoß darstellen kann, wenn sie den Belangen der EU nicht hinreichend Rechnung trägt, steht – wenn auch durch eine Entscheidung außerhalb des Kollisionsrechts – bereits fest.750 Ebenso dürfen auch Mitgliedstaaten, die sich an einer Verstärkten Zusammenarbeit (noch) nicht beteiligen, die europäischen Entwicklungen nicht durch ihr Handeln auf völkerrechtlicher Ebene unterminieren, sondern sind aus der Unionstreue zur Berücksichtigung der europäischen Bedürfnisse verpflichtet, auch wenn die EU-Rechtsakte für sie nicht verbindlich sind. Umgekehrt müssen aber auch die europäischen Institutionen die internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten in Bereichen außerhalb der Unionszuständigkeit respektieren.751 Von Bedeutung ist das insbesondere, wenn die Kompetenz für bestehende Staatsverträge der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten auf die EU übergeht (siehe 2., S. 505 ff.). Die Aufteilung der kollisionsrechtlichen Außenkompetenz zwischen Union und Mitgliedstaaten ist genauso wie die Entwicklung des EU-IPR, mit der sie korreliert, im Fluss. Solange das nationale IPR nicht vollständig durch ein umfassendes EU-Kollisionsrechtssystem abgelöst ist, bleibt es auch hinsichtlich der Beteiligung an völkerrechtlichen Instrumenten bei einem Nebeneinander der Regelungsebenen. Das teils komplexe Ineinandergreifen der Zuständigkeiten, die nicht zwingend mit der Beteiligung an Übereinkommen EuGH 20.4.2010 – C-246/07, Europäische Kommission ./. Königreich Schweden „PFOS“, Rn. 71 ff. 751 Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 22 f. 750

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einhergehen, erfordert gegenseitige Rücksichtnahme und Abstimmung zwischen Mitgliedstaaten und EU sowie die gedankliche Einbeziehung künftiger Entwicklungen und Kompetenzverschiebungen. Die bereits für die Beurteilung und Anwendung des bestehenden staatsvertraglichen Kollisionsrechts beobachtete Tendenz zur Prägung durch die europäische Perspektive (siehe I.4., S. 489 ff.) wird dadurch im Hinblick auf die Weiterentwicklung des Völkerrechts-IPR schon kompetenzrechtlich verstärkt: Die EU-Kompetenz löst nach und nach die der Mitgliedstaaten ab, und auch im ihnen verbliebenen Bereich müssen die Mitgliedstaaten sich an den Interessen der Union orientieren. Dennoch hat sich der noch vor vergleichsweise kurzer Zeit revolutionär bis undenkbar scheinende Übergang der Außenkompetenz auf die EU752 im Kollisionsrecht bislang vergleichsweise unproblematisch vollzogen. 2. Kündigung oder Angleichung bestehender Staatsverträge Durch die Vorrangklauseln des EU-IPR wird der Bestand des für die Mitgliedstaaten verbindlichen völkerrechtlichen IPR bewahrt – die Europäisierung hat keine direkten Auswirkungen auf die bestehenden Staatsverträge. Sie geht aber auch nicht spurlos an ihnen vorbei, da sie sich nunmehr dem Vergleich mit den europäischen Anknüpfungsregeln stellen und im europäischen Kontext angewendet werden müssen (siehe I., S. 434 ff.). Wenn sich dadurch die Anwendung der staatsvertraglichen Kollisionsregeln als nachteilig oder problematisch erweist, sind Lösungen auf Ebene des Völkerrechts zu suchen: Das universell konzipierte europäische IPR wird über die Achtung des Vorrangs existierender Völkerrechtsakte hinaus keine Schritte unternehmen, um die aus seiner Sicht störenden staatsvertraglichen Kollisionsregeln zu akkommodieren. Das völkerrechtliche IPR sieht sich damit unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob seine vor dem Hintergrund des mitgliedstaatlichen IPR entwickelten Regeln an ihr nunmehr zunehmend europäisiertes Umfeld angepasst oder sogar ganz aufgegeben werden sollten. Wie stark der Druck zur Revision für einen einzelnen Staatsvertrag ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa seinen inhaltlichen Diskrepanzen zum EU-IPR, seiner Anwendungshäufigkeit, der Existenz praktikabler Lösungen für die auftretenden Probleme, seiner generellen „Beliebtheit“ bei den mitgliedstaatlichen Rechtsanwendern und dem politischen Verhältnis zwischen den Vertragspartnerstaaten. Grundsätzlich sind zu Modifikationen bestehender Staatsverträge nur deren Vertragsstaaten berechtigt und befugt, bei mit dem EU-IPR kollidierenden Abkommen und Übereinkommen also die daran jeweils beteiligten Mitgliedstaaten und ihre drittstaatlichen Vertragspartner. Für die Überarbeitung des Altbestands mitgliedstaatlicher Staatsverträge nach erfolgter Europäisierung ist allerdings der zwischenzeitliche Übergang auch der Außenkompetenz 752

Vgl. im Vorfeld der Rom I-VO Stoll in: FS Jayme I, 905, 907, 909 f.

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auf die EU zu beachten (siehe 1., S. 495 ff.). Die einfachste Herangehensweise besteht dann darin, dass die EU die Mitgliedstaaten zur Kündigung bzw. Reform ihrer in den Geltungsbereich des EU-IPR und damit in die unionale Außenkompetenz fallenden Abkommen ermächtigt753 – so können unter Wahrung der unionsinternen Kompetenzverhältnisse die tatsächlichen Vertragspartner agieren und man kann den Schwierigkeiten einer Kompetenzteilung begegnen. Teils wird darüber hinaus gehend sogar eine eigene Kompetenz der Mitgliedstaaten bejaht, wenn es um die Angleichung ihres Völkervertragsrechts an das europäische Recht geht.754 So oder so wird die EU den Mitgliedstaaten diesbezüglich kaum Steine in den Weg legen wollen: Bestrebungen zur Minimierung der Reibungen völkerrechtlicher Regeln mit dem EU-IPR und deren Angleichung an europäische Vorstellungen sind aus europäischer Perspektive äußerst wünschenswert.755 Inhaltlich sind die Handlungsoptionen für die Weiterentwicklung der völkerrechtlichen Kollisionsregeln freilich begrenzt, wenn es nur bzw. hauptsächlich darum geht, ihre Kompatibilität mit dem EU-Kollisionsrecht zu verbessern. Diese Perspektive ist für die Mitgliedstaaten aber letztlich alternativlos. Sie sind daran gebunden, dem EU-IPR zu größtmöglicher Effizienz zu verhelfen – weil es inzwischen ihre eigenen Regelungen darstellt, weil sie aufgrund des Grundsatzes loyaler Zusammenarbeit dazu verpflichtet sind, und weil nur dies durch die Handlungsermächtigungen der EU abgedeckt wird. Darüber hinaus wird diskutiert, ob und inwieweit Art. 351 Abs. 2 AEUV (den bzw. dessen Vorgängernorm [ex-Art. 307 EGV] die Vorrangklauseln in Art. 69 Abs. 1 UnthVO, Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO und Art. 62 Abs. 1 GüVO / PartVO sogar besonders betonen) die Mitgliedstaaten sogar zur Kündigung oder zumindest Anpassung ihres Restbestands an Staatsverträgen zwingt: Er verpflichtet sie zur Anwendung aller „geeigneten Mittel“, um Unvereinbarkeiten zwischen fortgeltenden völkerrechtlichen Übereinkünften und Unionsrecht zu beheben.756 Vor diesem Hintergrund sind die beiden Optionen der Kündigung (dazu a)) und der Anpassung (dazu b)) fortbestehender völkerrechtlicher Kollisionsregeln zu untersuchen.

753 Vgl. z. B. BeckOGK / G. Schulze / Fervers (Stand: 1.8.2021) Art. 28 Rom II-VO Rn. 4; MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 6 m. w. N. – Alternativ muss die Änderung durch die Union verhandelt und abgeschlossen werden, Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 59 f. 754 Dutta in Dutta / Wurmnest, 319, 325 f. 755 Für eine großzügige Handhabung etwa Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 482. 756 Streinz / Kokott Art. 351 AEUV Rn. 12 f.; MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 15; Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 30; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 19, 22.

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a) Kündigung staatsvertraglicher Kollisionsregeln Die Kündigung fortbestehender, mit dem EU-IPR nicht im Einklang stehender kollisionsrechtlicher Staatsverträge ist der radikalste Weg, um Diskrepanzen zwischen den Regelungsebenen zu beseitigen.757 Aus europäischer Sicht ist sie geradezu ideal:758 Die ersatzlose Streichung der als „Störfaktoren“ empfundenen mitgliedstaatlichen Abkommen und Übereinkommen lässt das EU-IPR nicht nur ungehindert funktionieren, sondern verwirklicht auch optimal seinen umfassenden Geltungsanspruch als loi uniforme. Die europäischen Regeln müssen inhaltlich nicht mehr mit missliebigen Konkurrenzmodellen in den Vergleich treten; außerdem erweitert der Wegfall mitgliedstaatlicher staatsvertraglicher Bindungen das Feld, auf dem die EU selbst sich staatsvertraglich betätigen kann. Verlockend ist dieser Ansatz aber auch in technischer Hinsicht – die Streichung von Regeln bzw. die Kündigung von Abkommen ist deutlich weniger aufwendig als ihre Überarbeitung. Ernsthaft in Betracht zu ziehen ist eine Kündigung vor allem bezüglich der Kollisionsregeln in bilateralen Abkommen. Für multilaterale Staatsverträge bietet sie sich nur begrenzt an. Die mit dem EU-IPR konkurrierenden Übereinkommen unter Beteiligung mehrerer Mitgliedstaaten (z. B. HProdHaftÜ, HStVÜ) sind regelmäßig seit langem etabliert – wenn die Schaffung europäischer Kollisionsregeln die Mitglied-Vertragsstaaten nicht zu ihrer Aufgabe motivieren konnte, steht kaum zu erwarten, dass diese noch erfolgen wird. Den gewünschten Effekt könnte die Kündigung eines Übereinkommens ohnehin nur vollständig entfalten, wenn sie durch alle daran beteiligten Mitgliedstaaten erfolgte – sofern es auch nur für einen einzigen Mitgliedstaat in Kraft bleibt, besteht die Konkurrenz zum EU-IPR (in geringerem Maße, dafür aber als speziellere Problematik) weiterhin. Ein entsprechend koordiniertes Handeln der Mitgliedstaaten ist aber kaum zu erwarten.759 Hinzu kommt, dass die in Frage stehenden Konventionen zumeist bereits auf modernen Grundansätzen basieren und beim Zusammenspiel mit dem europäischen Kollisionsrecht eher überschaubare Schwierigkeiten aufwerfen (siehe I.1.a), S. 436 ff.). In Anbetracht dessen scheint die gänzliche Aufgabe der Übereinkommen mit den daraus resultierenden Verwerfungen im Verhältnis zu im Regelfall mehreren Drittstaaten-Vertragspartnern regelmäßig nicht gerechtfertigt.

757 Zur Kündigung als Handlungsoption insgesamt Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477 ff. 758 Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 319 ff. (insbes. 323 f.); Schack in: von Hein / Rühl, 279, 295 f.; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 350; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477. 759 Vgl. für das HStVÜ Wurmnest ZVglRWiss 115 (2016), 624, 643 f. – Für eine Kündigung der Übereinkommen de Miguel Asensio / Bergé in: Fallon / Lagarde / PoillotPerruzzetto, 185, 204 f.; Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 145 f.

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Anders stellt sich die Situation hingegen bezüglich der zumeist aus einer anderen Epoche stammenden mitgliedstaatlichen bilateralen Bindungen dar, deren große Zahl und sehr unterschiedlicher Inhalt deutlich mehr Friktionen mit dem EU-IPR hervorruft (siehe I.1., S. 435 ff.; I.2., S. 444 ff.). Dass diese zahlreichen Probleme durch die grundsätzliche Abschaffung der veraltet scheinenden Staatsverträge effektiv beseitigt werden könnten, lässt den Kündigungsansatz reizvoll erscheinen – zumal er im jeweils nur speziellen Verhältnis zwischen einem Mitglied- und einem Drittstaat auch eher realisierbar erscheint. Es verwundert daher nicht, dass die Europäisierung zum Anlass genommen wird, in den Mitgliedstaaten bereits seit einiger Zeit bestehende Forderungen nach der Kündigung ihrer bilateralen Abkommen erneut und nachdrücklicher zu formulieren. Typisches Beispiel aus Deutschland ist das schon über geraume Zeit zunehmend als veraltet kritisierte deutsch-türkische Nachlassabkommen – die seit längerem geäußerte Idee seiner Kündigung wurde durch die Einführung des EU-Erbkollisionsrechts wiederbelebt.760 Bislang sind derartige Vorschläge allerdings kaum je von Erfolg gekrönt. Der rechtspolitische Vorstoß zur Kündigung des deutsch-türkischen Nachlassabkommens ist im Sande verlaufen.761 Auch sonst hat die Europäisierung kollisionsrechtlicher Bereiche nicht zu Kündigungswellen bei den mitgliedstaatlichen Staatsverträgen geführt – ganz im Gegenteil.762 Es ist geradezu bezeichnend, dass die Slowakei die vorrangigen Regelungen ihres Rechtshilfeabkommens mit Montenegro763 zwar 2014 zugunsten des europäischen Internationalen Erbrechts aufgegeben, das Abkommen aber gerade nicht (hinsichtlich der erbrechtlichen Regelungen teil-)gekündigt hat: Seine zuständigkeitsund kollisionsrechtlichen Regelungen zum Internationalen Erbrecht wurden lediglich durch ein Zusatzprotokoll ausgesetzt.764 Dieser Fall – eines der äußerst seltenen Beispiele, in denen dem EUKollisionsrecht überhaupt durch eine Reaktion auf staatsvertraglicher Ebene Rechnung getragen wurde – illustriert das zentrale Problem, das einer simplen Streichung der völkerrechtlichen Kollisionsregeln schon technisch häufig 760 NK-BGB / R. Magnus Art. 75 ErbVO Rn. 13; Gebauer IPRax 2018, 586, 588; Gebauer IPRax 2018, 345, 351; Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 172; Majer ZEV 2012, 182, 186; Mankowski ZEV 2013, 529, 530. – Positiv gegenüber einer Beibehaltung dagegen Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 57; für eine Aufrechterhaltung der Kollisionsregeln auch Odendahl IPRax 2018, 450, 455 sowie (mit Reformvorschlägen) Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 312 ff. 761 Vgl. Odendahl IPRax 2018, 450, 454 Fn. 46. 762 Vgl. Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 350 f.; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477. 763 (Unter anderem) zwischen der Slowakei einerseits und Montenegro andererseits fortgeltendes tschechoslowakisch-jugoslawisches Rechtshilfeabkommen von 1964. 764 Đorđević / Meškić in: Dutta / Wurmnest, 209, 227, 233; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 341; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477.

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entgegensteht: Bilaterale Abkommen sind in der Regel nicht speziell kollisionsrechtlicher Natur, vielmehr sind zumeist einzelne Anknüpfungsregeln in den Kontext eines größeren, allgemeineren Vertragswerks eingebettet. Eine Kündigung der häufig für das Verhältnis der Vertragsstaaten grundlegenden (z. B. Freundschafts- bzw. Niederlassungsvertrag, Konsular- oder Rechtshilfeabkommen) und mit einer langen Tradition verbundenen Staatsverträge in ihrer Gesamtheit stünde vollkommen außer Verhältnis zum Ziel, praktisch gegebenenfalls nur selten relevante Ausnahmen vom EU-Kollisionsrecht zu minimieren.765 Ernsthaft in Erwägung zu ziehen wäre allenfalls eine Teilkündigung nur der Regelungen zum IPR (und gegebenenfalls IZVR). Auch wenn sich diese durch die Streichung der betreffenden Normen vergleichsweise einfach bewerkstelligen ließe, ist sie als Handlungsoption kaum je sinnvoll. Die isolierte Kündigung einzelner Bestandteile eines Abkommens ist in der Regel nicht einseitig möglich (vgl. Art. 44 Abs. 1 WVK), vielmehr ist ein Konsens der Vertragspartner über ihre Abschaffung erforderlich – also eine Anpassung des Abkommens. Auf diesem Weg – nämlich durch den Abschluss eines Zusatzprotokolls – wurde auch die genannte Änderung des slowakisch-montenegrinischen Rechtshilfeabkommens realisiert.766 Derartige Revisionsverhandlungen sind aber nicht nur erheblich zeit- und aufwandsintensiv. Es erscheint auch fraglich, inwiefern die Staatsverträge insgesamt durch derartige auf einen mehr oder weniger großen Teilbereich begrenzte Änderungen gewinnen oder ob nicht vielmehr solche Teil-Revisionen ihre Gesamtkonzeption und Funktionsweise beeinträchtigen würden. Ein Änderungswunsch bezüglich der Kollisionsregeln birgt außerdem die Gefahr, dass entgegen den Interessen des beteiligten Mitgliedstaats auch eine Revision oder Kündigung anderer Teile des Vertrags angestoßen wird. Hinzu kommt, dass eine Aufgabe der staatsvertraglichen Regelungen zugunsten des EU-IPR inhaltlich aus Sicht der Mitgliedstaaten nicht zwingend nur vorteilhaft ist.767 Zweifelsohne erleichtert der Wegfall der Ausnahmeregelung die praktische Kollisionsrechtsanwendung durch ihre eigenen Gerichte und Behörden. Seitens der Drittstaaten-Vertragspartner bedeutet die Streichung der Abkommens-Kollisionsregeln jedoch, dass künftig gemäß ihrer jeweiligen lex fori anzuknüpfen ist. Von deren Ausgestaltung hängt ab, ob eine Aufgabe der vorrangigen staatsvertraglichen Regeln seitens des mitgliedstaatlichen Vertragspartners ernsthaft in Betracht gezogen werden kann. Bei modernen, den europäischen Standards im Wesentlichen entsprechenden Regelungen ist das sicherlich zu bejahen – nicht aber, wenn die Anwendung 765 Siehe Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 22; Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 350, 351. – Aus türkischer Sicht Güneş in: Dutta / Wurmnest, 283, 314 f. 766 Đorđević / Meškić in: Dutta / Wurmnest, 209, 227 Fn. 52. 767 Zu den Gründen für eine Beibehaltung des staatsvertraglichen status quo unter Geltung der ErbVO Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 344 ff.

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des drittstaatlichen Kollisionsrechts im Vergleich zum Abkommen Nachteile für die Angehörigen des Mitglied-Vertragsstaats bedeuten würde (z. B. aufgrund einer strikten lex fori-Anknüpfung oder geschlechtsdiskriminierender Regelungen). Ob die zumindest ursprüngliche kollisionsrechtliche Privilegierung des Abkommens aufgegeben werden sollte, muss für jeden einzelnen Staatsvertrag – auch vor dem Hintergrund seiner tatsächlichen Anwendungshäufigkeit – sorgfältig ermittelt werden. Selbst wenn sich die Kündigung (nur) der Anknüpfungsregeln eines Abkommens aus kollisionsrechtlicher Sicht als sinnvoll und wünschenswert darstellt, bedeutet das schließlich noch lange nicht, dass sie politisch auch erwünscht oder realisierbar wäre. Das IPR steht regelmäßig nicht im Vordergrund außenpolitischer Beziehungen; dass dafür wesentlicher diplomatischer Aufwand betrieben wird, scheint illusorisch. Dies gilt umso mehr, wenn die Streichung der Anknüpfungsregeln dazu zwingen würde, einen bestehenden Staatsvertrag insgesamt „aufzuschnüren“. Gerade bei derzeit außenpolitisch vielfach angespannten Beziehungen wiegt das politische Interesse an einer unveränderten Beibehaltung des status quo der vertraglichen Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen stärker,768 vor allem, wenn das einseitige Kündigungsbegehren als unfreundlicher Akt aufgefasst werden kann.769 Schließlich ist zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten an anderer Stelle Kompromisse eingehen müssten, um die von ihnen gewünschten Streichungen nur der bilateralen Kollisionsregeln durchzusetzen – ob aber ihr Wille zur Förderung des Einklangs mit dem EU-IPR so weit geht, ist stark zu bezweifeln. Im Übrigen wäre eine zu engagierte Durchsetzung auch rechtspolitisch nicht ungefährlich. Wenn nämlich der Eindruck entsteht, dass das europäische Interesse an einem universell geltenden Kollisionsrecht höher gewichtet wird als das Interesse an der bilateralen Beziehung mit dem Vertragspartner („EU first“), sendet das falsche Signale. Eine solche Außenwirkung wäre nicht nur für die betroffenen Mitgliedstaaten, sondern auch für die EU schädlich. Nur, wenn eine Abschaffung der staatsvertraglichen Kollisionsregeln im gemeinsamen Interesse des dritt- und des mitgliedstaatlichen Vertragspartners liegt, kann sie also überhaupt mit Aussicht auf Erfolg in Betracht gezogen werden. In Anbetracht dieser Erwägungen verwundert es nicht, dass eine unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Kündigung ihrer kollisionsrechtlichen Staatsverträge ganz überwiegend abgelehnt wird.770 Zwar müssen 768 Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 350, 351; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 478 f. – Für Österreich Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 36 ff. 769 Vgl. Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 326. 770 Siehe z. B. MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 15; Raupach 115; Franzina CDT 1 (2009), 92, Rn. 4; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 22, 25; Rudolf in: Arnold /  Laimer, 19, Rn. 63 f.; Schack in: von Hein / Rühl, 279, 295 f.; Süß in: Dutta / Herrler, 181, Rn. 55 ff. (der im Regelfall mildere Mittel, etwa die EU-freundliche Auslegung, für verfügbar hält); Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477 f. – a. A. Franzina in:

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die Mitgliedstaaten nach Art. 351 Abs. 2 AEUV versuchen, Inkompatibilitäten ihrer völkerrechtlichen Bindungen mit dem EU-IPR zu beseitigen. Eine konkrete Kündigungspflicht lässt sich aus dieser weich formulierten Vorschrift aber nicht ableiten. Unklar ist bereits, welche Schwelle die Friktion zwischen völkerrechtlichen und europäischen Regeln tatbestandlich erreichen müsste, um eine solche Pflicht auszulösen – ein bloßer Unterschied kann kaum ausreichend sein, da damit der in Art. 351 Abs. 1 AEUV etablierte Respekt vor bestehenden Staatsverträgen ausgehöhlt würde.771 Zu berücksichtigen ist aber auch das berechtigte Interesse der Mitgliedstaaten und ihrer drittstaatlichen Vertragspartner an der Aufrechterhaltung ihrer kollisionsrechtlichen Sonderregelungen.772 Abgesehen davon wäre eine generelle Kündigungspflicht vor dem Hintergrund der damit einhergehenden technischen, diplomatischen und rechtspolitischen Folgeprobleme insbesondere mit Blick auf die nur teilweise kollisionsrechtlichen Abkommen unverhältnismäßig.773 Dass die Interessen der EU so weit überwiegen, dass die Mitgliedstaaten tatsächlich durch die Unionstreue zur Kappung ihrer völkerrechtlichen Bindungen gezwungen sind, erscheint allenfalls in speziell gelagerten Situationen möglich. Denkbar ist es etwa bezüglich (derzeit) nur zwischen Mitgliedstaaten geltender multilateraler Übereinkommen: Diese finden aufgrund ihrer Überlagerung durch das EU-IPR ohnehin keine Anwendung, eine Kündigung könnte aber verhindern, dass sie durch den Beitritt von Drittstaaten künftig doch noch Anwendungsvorrang erhalten (siehe Teil II: § 4.II.1.a), S. 214 ff.).774 Im Übrigen kann die EU zwar die Mitgliedstaaten zur Kündigung ihrer bilateralen Abkommen ermuntern. Verlangen kann sie aber lediglich, dass sie ihren Bestand an Abkommen sorgfältig überprüfen und deren Kündigung als Option ernsthaft in Betracht ziehen. Die (Teil-)Kündigung mit dem EU-IPR konfligierender Staatsverträge ist damit insgesamt als Lösungsansatz deutlich weniger geeignet, als sie auf den ersten Blick erscheint. In Einzelfällen mag es sich zwar als günstig erweisen, die „störenden“ völkerrechtlichen Regelungen zugunsten des europäischen Kollisionsrechts schlicht abzuschaffen. Zumeist sprechen aber gute Gründe – die meisten von ihnen zugegebenermaßen nicht kollisionsrechtlicher Natur – dafür, dass die Mitgliedstaaten an ihren Abkommen festhalten. Eine vollständige Aufgabe des (bilateralen) staatsvertraglichen IPR ist daher in absehbarer Zeit weder realistisch zu erwarten noch zu empfehlen.775 Sie wäre politisch von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 28; eine Kündigungspflicht zurückhaltend befürwortend wohl auch Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 324 f. 771 Vgl. Streinz / Kokott Art. 351 AEUV Rn. 12. 772 Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477 f. 773 MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 15; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 25. 774 Staudinger / U. Magnus (Neubearb. 2021) Art. 25 Rom I-VO Rn. 19. – Da die Übereinkommen in der Regel schon seit geraumer Zeit erfolglos auf weitere Ratifikationen warten, erscheint dieses Szenario eher hypothetisch. 775 Vgl. für das Erbrecht Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 478 f.

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kaum durchsetzbar, die potentiellen Folgen eines so radikalen Schrittes weder für die Mitgliedstaaten noch für die EU wünschenswert. In näherer Zukunft sollte man die Kündigung der kollisionsrechtlichen Staatsverträge damit allenfalls als ultima ratio in Betracht ziehen, wenn die Diskrepanzen in der Anwendung für alle Beteiligten geradezu unerträglich erscheinen und andere Lösungen nicht verfügbar sind. Das setzt insbesondere voraus, dass eine Anpassung der völkerrechtlichen Regelungen nicht möglich ist. b) Reform staatsvertraglicher Kollisionsregeln Im Vergleich zur Kündigung erscheint eine Reform der völkerrechtlichen IPR-Regelungen vor dem Hintergrund der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung eher erfolgversprechend. Durch eine Angleichung des staatsvertraglichen an das europäische IPR lassen sich die bestehenden Diskrepanzen und Koordinationsprobleme (siehe I.2., S. 444 ff.) auflösen. Da dies dem europäischen Kollisionsrecht zu größerer Anwendung und Durchsetzung verhilft, liegt es auch im Interesse der EU.776 Eine sich harmonisch in das EU-IPR einfügende, ihre Funktionsfähigkeit im europäischen Kontext garantierende Neufassung der völkerrechtlichen Anknüpfungsregeln erscheint als elegante Lösung. Eine Anpassung an ihr heutiges, gegenüber ihrer Verabschiedung geändertes Umfeld wirkt inhaltlich und politisch weniger radikal als die vollständige Aufgabe der als überholt empfundenen staatsvertraglichen Kollisionsnormen. Gleichzeitig ist sie verbindlicher und konsequenter als eine bloße Weiterentwicklung durch Interpretation und kann auch dort vorgenommen werden, wo eine Auslegung an ihre Grenzen stößt. Auf den ersten Blick liegt es daher nahe, die bestehenden staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln mit Blick auf ihren nunmehr europäischen Anwendungskontext zu überarbeiten. Bei näherem Hinsehen erweist sich dies allerdings als doch nicht einfach realisierbar.777 Zunächst einmal begegnet eine Reform denselben Schwierigkeiten wie eine Kündigung (siehe a), S. 507 ff.) – vor allem erscheint fraglich, ob bei einem größeren Gesamtabkommen eine Änderung nur seiner Kollisionsregeln politisch opportun und sinnvoll ist. Das Begehren nach einer Revision des Übereinkommens mag zwar diplomatischer wirken als das nach einer vollständigen Aufgabe mancher Regelungen, zwingt aber zu denselben inhaltlichen Auseinandersetzungen. Der Aufwand der Nachverhandlungen ist sogar erheblich größer und bietet deutlich mehr Konfliktpotential, wenn es nicht um die schlichte Abschaffung, sondern vielmehr um die Überholung bzw. Neuschaffung einer Regelung geht. Dieser Effekt verstärkt sich massiv Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 323 f. Skeptisch etwa bezüglich einer solchen „Rosskur“ des HStVÜ Staudinger in: FS Kropholler, 691, 706. – Hinsichtlich der Realisierbarkeit einer Überarbeitung des dt-türk NachlA zweifelnd Gebauer IPRax 2018, 345, 350. 776 777

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dadurch, dass zumindest für die mitgliedstaatlichen Vertragspartner inhaltlich nur begrenzter Spielraum zur Verfügung steht. Aus ihrer Warte kommen nur Entwicklungen in Betracht, die die Kompatibilität der völkerrechtlichen Kollisionsregeln mit dem EU-IPR verbessern – die also die staatsvertraglichen den europäischen Anknüpfungsregeln annähern oder vollständig angleichen.778 Andere Resultate würden der dem Änderungsbegehren zugrunde liegenden Motivation zuwiderlaufen, die aus den Unterschieden der Regelungen entstehenden Schwierigkeiten zu minimieren. Fraglich ist auch, ob und inwieweit das neugefasste Abkommen überhaupt noch dem Schutz der Vorrangklauseln des EU-IPR für bestehende Staatsverträge unterfiele.779 Außerdem wären Änderungen, die sich nicht zumindest ein Stück weit auf das EUIPR zubewegen, aus Sicht der EU und damit der eigentlichen Kompetenzträgerin nicht akzeptabel: Selbst wenn sie von seiner Handlungsermächtigung überhaupt noch gedeckt wären (was bereits zweifelhaft ist), würde der betreffende Mitgliedstaat sich zumindest unionsrechtswidrig verhalten. Damit ist aus Sicht der mitgliedstaatlichen Vertragspartner aber die Entwicklungsrichtung derartig prädeterminiert, dass nur noch geringer Verhandlungsspielraum für etwaige Reformen verbleibt. Eine so einseitige Richtungsvorgabe lässt sich allerdings nur schwer durchsetzen. Der Übergang zu den im EU-IPR zugrunde gelegten Anknüpfungsregeln und Prinzipien wäre für das staatsvertragliche Kollisionsrecht zumeist ein erheblicher Einschnitt – etwa, wenn das dort bisher zugrunde gelegte Staatsangehörigkeitsprinzip zugunsten einer primären Aufenthaltsanknüpfung aufgegeben oder eine bisher nicht vorgesehene Rechtswahlmöglichkeit neu eingeführt würde. Die (in den Mitglied-Vertragsstaaten) geforderte Modernisierung als veraltet geltender völkerrechtlicher IPR-Regeln würde damit zwar erreicht. Auf einem anderen Blatt steht aber, ob die derart geänderten Kollisionsregeln noch dem den Abkommen zugrunde liegenden Sinn und Zweck entsprechen: Wenn etwa ein Konsular- oder Niederlassungsabkommen die gegenseitige Behandlung der Bürger nach den Maßstäben ihres Heimatstaats zusichern soll, würde die Aufenthaltsanknüpfung letztlich das genaue Gegenteil bewirken. Auch die (kollisionsrechtliche) Sonderstellung der Vertragsstaatsangehörigen, auf die die Abkommen häufig abzielen, würde durch eine Anpassung an die ohnehin geltenden europäischen Anknüpfungsregeln zumindest auf Seiten des mitgliedstaatlichen Vertragsstaats unterlaufen. Zwischenlösungen, etwa durch eine partielle Annäherung an die europäischen Standards, sind aber im IPR kaum möglich – es gibt keine Regel zwischen Staatsangehörigkeits- und AufVgl. für das Internationale Güterrecht Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 22 ff. Für ein eher großzügiges Verständnis aus der Warte des Art. 19 Abs. 1 Rom III-VO Raupach 114 f. – Auch Frantzen in: Löhnig / Schwab / Henrich / Gottwald / Grziwotz /  Reimann / Dutta, 67, 71 argumentiert für einen fortbestehenden Vorrang zwischenzeitlich inhaltlich an die EU angenäherter Abkommen. 778 779

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

enthaltsanknüpfung, ebenso kann eine Erbkollisionsregel nur entweder universell oder nachlassspaltend formuliert werden. Sehr fraglich ist schließlich auch, ob Reformvorschläge „in Richtung des EU-IPR“ für die drittstaatlichen Vertragspartner attraktiv oder akzeptabel wären. Sofern sie auch die zwischenzeitliche Entwicklung ihres nationalen Kollisionsrechts widerspiegeln, ist damit eher zu rechnen. Wenn aber das drittstaatliche Kollisionsrecht sich nicht in dieselbe Richtung entwickelt hat wie das EU-IPR, kann eine Anpassung der Regelungen des Abkommens an die europäischen Standards nunmehr beim Vertragspartner zu erheblichen Ausnahmen und Koordinationsschwierigkeiten führen.780 Auch eine politische Motivation für Drittstaaten, unter Aufgabe des bisherigen funktionierenden Regelungskonzeptes einem europäisch motivierten Reformbegehren entgegenzukommen, ist nicht zwingend gegeben: Bei EU-nahen Staaten (etwa Beitrittskandidaten) ist sie eher zu bejahen als bei Drittstaaten, die zwar mit einzelnen Mitgliedstaaten in langer Tradition staatsvertraglich verbunden sind, aber generell Europa und europäischen (kollisionsrechtlichen) Vorstellungen heute eher skeptisch gegenüberstehen. Als weitere Hürde kann sich das Verhandlungsungleichgewicht erweisen, das zugunsten der EU-Mitgliedstaaten besteht. Ist das generelle Festhalten am Staatsvertrag für den drittstaatlichen Vertragspartner essentiell, kann die Drohung mit einer anderweitigen Kündigung ein wirksames Druckmittel sein, um eine Angleichung an das EU-IPR zu erzwingen. Ist umgekehrt auch aus Sicht des Vertragspartners eine Änderung der veralteten staatsvertraglichen Kollisionsregeln wünschenswert bzw. erforderlich, kann eine Anpassung an die europäischen Kollisionsregeln als einzige Alternative zur fortgesetzten „Versteinerung“ angeboten werden. Solche Szenarien sind zwar aufgrund der untergeordneten Rolle des staatsvertraglichen Kollisionsrechts in den politischen Gesamtbeziehungen eher theoretisch, zumal eine derartige zwangsweise Durchsetzung der europäischen Vorstellungen mindestens ebenso unklug wäre wie die einseitige Kündigung der Staatsverträge (siehe a), S. 507 ff.). Sie führen aber eindringlich vor Augen, mit welcher Schlagseite die kollisionsrechtlichen Machtverhältnisse inzwischen behaftet sind. Noch komplexer stellt sich die Situation bei multilateralen Übereinkommen unter Beteiligung von Mitgliedund Drittstaaten dar. Der geringe inhaltliche Gestaltungsspielraum und die vielfach eher niedrige Wahrscheinlichkeit eines Konsenses zwischen Mitglied- und DrittstaatenVertragsstaaten erklären, warum die Mitgliedstaaten bisher ganz überwiegend vor dem hohen Aufwand und dem politischen Risiko eines Reformbegehrens zurückgeschreckt sind. Es sind kaum Beispiele bekannt, in denen eine Anpassung des staatsvertraglichen an das europäische IPR überhaupt versucht wurde – noch weniger, in denen sie erfolgreich war. Ein einziges multilaterales Über780

Vgl. Looschelders in: Dutta / Wurmnest, 149, 173.

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einkommen wurde bisher unter Orientierung am EU-IPR überarbeitet: Die Nordische Nachlasskonvention wurde 2012 weitgehend an die ErbVO angepasst. Diese Reform erfolgte allerdings in einer besonderen Situation und unter speziellen Vorzeichen. Die Pläne zur Europäisierung des Erbkollisionsrechts wurden angekündigt, nachdem die skandinavischen Vertragsstaaten bereits die Modernisierung ihres aus dem Jahr 1934 stammenden Übereinkommens ins Auge gefasst hatten. Um einerseits den unionsrechtlichen Verpflichtungen der skandinavischen EU-Mitglieder (aufgrund der kollisionsrechtlichen Sonderrolle Dänemarks betraf dies Schweden und Finnland) gerecht zu werden und andererseits die bewährte Einheitlichkeit der nordischen Regelungen beizubehalten, versuchten die skandinavischen Staaten zunächst, die EU dazu zu bewegen, den Vorrang der geplanten reformierten Nachlasskonvention vor der ErbVO zuzulassen. Dazu war man europäischerseits jedoch nur in sehr geringem Maße bezüglich einiger Fragen des IZVR bereit (vgl. nunmehr Art. 75 Abs. 3 ErbVO, siehe Teil II: § 4.II.1.a), S. 214 ff.). Den nordischen Ländern blieb damit keine Wahl, als entweder hinsichtlich der anderen Aspekte auf die skandinavische Rechtseinheit zu verzichten oder ihr Nachlassabkommen den europäischen Regelungen anzupassen. Dass sie sich für letzteres entschieden haben, ist letztlich vornehmlich praktischen Abwägungen und Zwängen geschuldet.781 Die Vormachtstellung der EU und die faktische Alternativlosigkeit einer Angleichung der Staatsverträge an das Unionsrecht wird damit eindrücklich illustriert. Auch im Übrigen kann die EU-orientierte Reform der Nordischen Nachlasskonvention kaum als repräsentatives Beispiel oder Vorbild für andere Überarbeitungsvorhaben dienen. Ihr Auslöser war der ohnehin vorhandene generelle Modernisierungsbedarf des Abkommens, das auf einen kleinen und in sich homogenen Kreis an Vertragsstaaten, die sämtlich EU-Mitglieder oder EU-nah sind, begrenzt ist. Mit einer vergleichbaren Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf das EU-Recht ist für andere Übereinkommen unter Beteiligung außereuropäischer Drittstaaten nicht zu rechnen. Das zeigt nicht zuletzt das Scheitern des anderen bisher unternommenen Versuchs, ein für mehrere Mitgliedstaaten vorrangiges multilaterales Übereinkommen an das EU-IPR anzupassen. Das für zahlreiche Mitgliedstaaten geltende HStVÜ stellt eine auch praktisch wichtige, wesentliche Ausnahme von der Rom II-VO dar (siehe I.1.a), S. 436 ff.). Vorschläge, den Vorrang des HStVÜ zumindest für den innergemeinschaftlichen Bereich aufzugeben, konnten sich ebenso wenig durchsetzen wie Anregungen zu seiner Reform zwecks Anpassung an die Rom II-VO.782 Hier zeigt sich erneut, dass seitens 781 Vgl. insgesamt Helin in: Dutta / Wurmnest, 121, 126 ff.; Wurmnest in: Dutta /  Wurmnest, 329, 340 f.; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 462. – Die Streitpunkte betrafen allerdings vornehmlich das IZVR, weniger das Kollisionsrecht. 782 Vgl. Wurmnest ZVglRWiss 115 (2016), 624, 643 f. – Zu den verschiedenen Lösungsansätzen Staudinger in: FS Kropholler, 691, 704 ff., der de lege ferenda für eine

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der EU keine Änderungsbereitschaft besteht und lediglich Anpassungen des völkerrechtlichen Kollisionsrechts an die europäischen Regelungen erhofft bzw. erwartet werden. Da kaum zu erwarten ist, dass alle Vertragsstaaten eines auf einem anderen Grundmodell basierenden multilateralen Übereinkommens davon zu überzeugen sein werden, wird sich die Konkurrenz europäischer und staatsvertraglicher Regelungen vermutlich noch einige Zeit perpetuieren. Eine Auflösung der Pattsituation wird aber auch nur in eine einzige Richtung erfolgen. Sollte sich nämlich langfristig für die Mitgliedstaaten-Vertragsstaaten die staatsvertragliche Ausnahme vom im Übrigen geltenden EU-IPR als nachteilig oder zu aufwendig erweisen, ist mit zahlreichen Vertragskündigungen zu rechnen. Eine drohende „Abstimmung mit den Füßen“ könnte die übrigen Vertragsstaaten dann unter Umständen doch zu einer Revision des Übereinkommens motivieren. Umgekehrt besteht diese Möglichkeit allerdings nicht, da es den übrigen Mitgliedstaaten nach der Verabschiedung der Rom II-VO nicht mehr freisteht, stattdessen bzw. vorrangig dazu dem HStVÜ beizutreten. Trotz dieses Verhandlungsungleichgewichts zugunsten der EU scheint jedoch eine Reform des HStVÜ erst in fernerer Zukunft wahrscheinlich, denn die beteiligten Mitgliedstaaten haben sich bewusst für die vorrangige Beibehaltung dieses Regimes auch nach Inkrafttreten der Rom II-VO und gegen eine Kündigung des Übereinkommens entschieden, für die Drittstaat-Vertragsstaaten hat sich der status quo überhaupt nicht verändert. Hinsichtlich der bilateralen Abkommen einzelner Mitgliedstaaten mit drittstaatlichen Vertragspartnern sind bisher keine Beispiele dafür bekannt, dass Mitgliedstaaten sich um eine Angleichung an das EU-Kollisionsrecht bemühen.783 Das verwundert zunächst, da sich zumindest in einigen bilateralen Verhältnissen (sogar leichter als bei multilateralen Übereinkommen) sicherlich geeignete Modernisierungslösungen finden ließen. Der Aufwand für die sorgfältige Entwicklung individueller Lösungen, die sowohl dem europäischen als auch dem drittstaatlichen Vertragspartner Rechnung tragen, steht jedoch außer Verhältnis: Die Argumente, die gegen eine Kündigung der staatsvertraglichen Regeln ins Feld geführt werden, sprechen wie gesehen auch gegen einseitige Reformversuche – insbesondere, wenn das Kollisionsrecht nur Teil eines Abkommens ist, das im Übrigen unverändert erhalten bleiben soll. Eine attraktive Möglichkeit könnte gerade für diese Konstellationen der Abschluss ergänzender Auslegungsprotokolle sein, mit denen etwa eine bestimmte (dynamische) Auslegung der veralteten Regelungen eines Änderung der Vorrangklausel in Art. 28 Abs. 2 Rom II-VO und den Vorrang der Rom IIVO vor dem HStVÜ (und dem HProdHaftÜ) plädiert (707 ff.), sowie für HProdHÜ und HStVÜ Kreuzer in: FS Kropholler, 129, 145 f. 783 Vgl. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 477. – Für Österreich Rudolf in: Dutta / Wurmnest, 11, 36 ff.

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Abkommens verbindlich festgeschrieben wird. Auf diese Weise könnten einige der vor dem Hintergrund der Europäisierung aufgetretenen Schwierigkeiten, etwa hinsichtlich des Anwendungsbereichs, beigelegt werden, ohne dass das Abkommen als solches angetastet werden muss.784 Weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist, dass die Kompetenz für den Abschluss von Auslegungsprotokollen nach wie vor einzig den Mitgliedstaaten zukommt, da es sich ja dabei gerade nicht um Vertragsänderungen, sondern nur um die Bereinigung von Unklarheiten bezüglich des bestehenden bleibenden Vertrags handelt.785 Auch als „Testlauf“ wäre dieser Weg durchaus geeignet, um die Tauglichkeit der Modifikationen zunächst in der Praxis zu überprüfen, bevor man zu einer Vertragsänderung schreitet. Ob dagegen die Möglichkeit, es den Parteien zu gestatten, die Anwendbarkeit der staatsvertraglichen Kollisionsregeln zugunsten des EU-IPR abzubedingen,786 als Lösungsansatz generell geeignet ist, muss man bezweifeln. Die Parteiwahl der kollisionsrechtlichen Regelungsebene erscheint nicht nur völkerrechtlich fragwürdig, sondern ist auch in keine Rechtswahl vorsehenden Abkommen kaum praktikabel. Reformen mit dem EU-IPR konkurrierenden und kollidierenden staatsvertraglichen Kollisionsrechts sind bisher im Wesentlichen ausgeblieben. Einziges, kaum repräsentatives Beispiel einer tatsächlich erfolgten Änderung ist die Nordische Nachlasskonvention; im Übrigen ist die Zurückhaltung genauso groß wie bezüglich Kündigungen. Eine generelle Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu entsprechenden Anpassungen ihrer Staatsverträge lässt sich dem Unionsrecht nicht entnehmen – ebenso wie eine Kündigungspflicht wäre auch ein strikter Revisionszwang kaum verhältnismäßig,787 außerdem ist er nur einseitig durch den Mitgliedstaat-Vertragsstaat nicht realisierbar. Aus der Unionstreue ließe sich allerdings eine Pflicht ableiten, das Änderungspotential der bestehenden Staatsverträge periodisch zu überprüfen und gegebenenfalls zumindest Reformvorschläge zu unterbreiten. Auch durch Auslegungsprotokolle und vergleichbare Maßnahmen, die etwa eine europarechtsfreundliche Auslegung der Staatsverträge sicherstellen, können die Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung aus Art. 351 Abs. 2 AEUV genügen.788 Aufgrund der 784 Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 353 ff.; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 481 f. 785 Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 354; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 482. 786 Dies wird seitens französischer und österreichischer Gerichte für das HProdHaftÜ zugunsten der Rom II-VO praktiziert, vgl. Calliess / Renner / Halfmeier Art. 28 Rom II-VO Rn. 12; MüKo8 / Junker Art. 28 Rom II-VO Rn. 21 m. w. N. 787 Vgl. MüKo8 / Looschelders Art. 62 GüVO Rn. 15; Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 25. – Zurückhaltende Befürwortung dagegen bei Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 324 f. 788 Wurmnest in: Dutta / Wurmnest, 329, 354; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 482.

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inhaltlich und in ihrem rechtspolitischen Zusammenhang sehr unterschiedlichen Staatsverträge bestehen allerdings weder allgemeine noch „harte“ Vorgaben für die Mitgliedstaaten, sondern lediglich die „weiche“ Pflicht, möglich und zumutbar scheinende Anstrengungen zu unternehmen, deren Einhaltung im Übrigen bisher seitens der EU nicht kontrolliert wird. 3. Neuschaffung völkerrechtlicher IPR-Rechtsakte Die IPR-Vereinheitlichung durch europäische Verordnungen hat die Karten für die Kollisionsrechtsvereinheitlichung insgesamt neu gemischt. Die Harmonisierung durch völkerrechtliche Verträge ist nicht länger der einzige zur Verfügung stehende Weg, sondern hat durch die Option unionsrechtlicher Rechtsakte Konkurrenz erhalten. Wie gesehen nimmt sich das Unionsrecht gegenüber bereits bestehenden staatsvertraglichen Regelungen zurück, teils verzichtet man auf europäischer Ebene sogar zugunsten vorhandener völkerrechtlicher Lösungen auf eigene Rechtsakte (siehe Teil II: § 4.II.3., S. 230 ff.). Auf einem anderen Blatt steht jedoch, was die zunehmende Europäisierung für die Schaffung neuer staatsvertraglicher Kollisionsregeln bedeutet. Inhaltlich, rechtspolitisch und institutionell muss die Ausarbeitung neuer Konventionen heute vor dem Hintergrund der vorhandenen und geplanten EUVerordnungen und unter Einbeziehung der EU als Akteurin mit stetig wachsender Gesetzgebungskompetenz erfolgen. Die technisch-formellen Fragen der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten für Verhandlung und Abschluss eines Vertrags spielen für diese Überlegungen keine Rolle. Nach außen handeln muss zwar jeweils die im konkreten Zeitpunkt kompetente Ebene bzw. erforderlichenfalls EU und Mitgliedstaaten gemeinsam. Faktisch kommt es jedoch stets zentral auf die Haltung des EU-IPR an. Zum einen müssen neue Staatsverträge in den Kontext des europäisierten IPR eingebettet werden: Sie sind zunehmend weniger auf nationale Kollisionsregeln abzustimmen, sondern vielmehr auf die bereits vorhandenen europäischen Kollisionsrechtsverordnungen, die in unmittelbarer Anwendung das bisherige nationale IPR ersetzen. Zum anderen sind die Mitgliedstaaten, selbst wenn die Außenkompetenz vollständig bei ihnen liegt, aufgrund der Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV) zur Rücksichtnahme auf die Interessen der EU verpflichtet und müssen ihr Handeln auf die Bedürfnisse und Pläne der europäischen Ebene abstimmen. Hinzu kommt, dass die verbliebene mitgliedstaatliche Kompetenz auf tönernen Füßen steht – das nationale Kollisionsrecht kann jederzeit durch europäische Gesetzgebungsvorhaben abgelöst werden und damit auch die Außenkompetenz auf die EU übergehen.789 Damit sind nationale „Alleingänge“ im Völkerrecht kaum noch realistisch denkbar, vielmehr ist die EU zumindest indirekt stets invol789

Vgl. Basedow in: FS Lorenz, 463, 473.

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viert. Auch der politische Wille zum Abschluss neuer Staatsverträge ist heute primär von den europäischen Vorstellungen und Bestrebungen abhängig. Die folgende Darstellung konzentriert sich daher auf die europäische Perspektive und ihren Einfluss auf die Entwicklung neuer Völkerrechtsakte im IPR. Sie beleuchtet, welche Rolle die zunehmende Europäisierung des IPR bezüglich der Möglichkeiten zur Kreation völkerrechtlicher Kollisionsregeln spielt und inwiefern bzw. in welcher Form neue Staatsverträge vor dem Hintergrund des EU-IPR überhaupt noch sinnvoll erscheinen. Untersucht werden die beiden zentralen Fragen des „ob“ und des „wie“ neuer Konventionen. Zunächst ist zu eruieren, in welcher Form und auf welchen Gebieten die Schaffung staatsvertraglicher Kollisionsregeln heute überhaupt noch sinnvoll und rechtspolitisch wünschenswert erscheint (dazu a)). In einem zweiten Schritt werden der europäische Einfluss auf inhaltlicher Ebene und die Position der EU als neue Akteurin auf völkerrechtlicher Ebene skizziert (dazu b)). a) EU-IPR und neue IPR-Staatsverträge Vor dem Hintergrund des rein nationalen Kollisionsrechts war der Bedarf nach völkerrechtlichen IPR-Regeln einfach zu erkennen: Mangels Alternativen kamen sie stets in Betracht, wenn ein Harmonisierungsbedürfnis bestand. Dessen Reichweite bestimmte sowohl die räumliche (bilaterales Abkommen bzw. multilaterales Übereinkommen) als auch die inhaltliche (erfasste Aspekte bzw. Rechtsgebiete) Reichweite des Staatsvertrags. Mit dem Hinzutreten europäischer IPR-Verordnungen hat sich der potentielle Raum für neue staatsvertragliche Anknüpfungsregeln jedoch grundlegend geändert. Einerseits ist fraglich, welche völkerrechtlichen Rechtsinstrumente im Kontext der voranschreitenden europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung noch geeignet erscheinen und welche Einsatzgebiete ihnen verbleiben. Andererseits führt das Nebeneinander zweier zur Realisierung von Harmonisierungsbedürfnissen zur Verfügung stehender Ebenen zu Spannungen – auch rechtspolitisch ist offen, wie sich die klassische völkerrechtliche IPR-Vereinheitlichung neben ihrer neuen europäischen Konkurrenz behaupten kann.790 aa) Bilaterale Abkommen und/oder multilaterale Übereinkommen? Die Schwierigkeiten bei der Abstimmung bestehenden staatsvertraglichen Kollisionsrechts mit den europäischen IPR-Verordnungen werfen zunächst die Frage auf, welche völkerrechtlichen Instrumente für die Zukunft überhaupt noch in Betracht zu ziehen sind. Wie gesehen erweisen sich insbeson790 Bereits frühzeitig zum Nebeneinander der europäischen und internationalen Regelungsebene Pataut in: FS Lagarde, 661, 674 ff.; ferner Bonomi in: FS van Loon, 69, 69 f. – Zu den Handlungsoptionen der EU im Außenverhältnis (mit Fokus auf dem IZVR) Mills ICLQ 65 (2016), 541, 549 ff.

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dere bilaterale Staatsverträge einzelner Mitgliedstaaten als problematisch, da sie – sofern sie nicht dieselben Anknüpfungsregeln vorsehen – zu Ausnahmen vom als loi uniforme konzipierten vereinheitlichten EU-IPR führen (siehe I., S. 434 ff.). In Anbetracht der wachsenden Kritik an den im Anwendungsbereich der EU-Verordnungen fortbestehenden Abkommen und den Forderungen nach ihrer Kündigung bzw. Reform (siehe 2., S. 505 ff.) erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass in bereits europäisierten Gebieten noch neue Abkommen und damit zusätzliche Ausnahmen geschaffen werden – die ausschließlich zuständige EU wird ihre eigenen Rechtsakte kaum auf diese Weise schwächen. Aber auch in den noch nicht europäisierten Bereichen erscheint der Abschluss neuer bilateraler Kollisionsrechtsübereinkünfte durch einzelne Mitgliedstaaten wenig zielführend. Man würde damit Hindernisse für eine künftige Europäisierung der betreffenden Kollisionsregeln und weitere ungeliebte Ausnahmen vorprogrammieren – neben damit sehenden Auges heraufbeschworenen praktischen Schwierigkeiten wäre auch fraglich, ob dies überhaupt mit der Pflicht zur Unionstreue vereinbar wäre. Der Gewinn einer bilateralen Harmonisierung ist demgegenüber auch im Verhältnis zwischen Nachbarstaaten gering – wie nicht zuletzt das in den vergangenen Jahrzehnten äußerst geringe Interesse an entsprechenden Abkommen beweist. Die ohnehin als überholt geltende und zunehmend totgesagte Handlungsform bilateraler Abkommen einzelner Mitgliedstaaten mit einzelnen Drittstaaten wird durch das EU-IPR noch weiter zurückgedrängt – eine Zukunft dürfte ihr kaum noch beschieden sein. Allenfalls in modifizierter Gestalt könnten bilaterale Abkommen ein gewisses Revival erfahren, falls nämlich die EU als solche mit einzelnen Drittstaaten völkerrechtliche Verträge abschließt. Im Kontext des vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechts scheint es deutlich sinnvoller, wenn neue staatsvertragliche Bindungen nicht für einzelne Mitgliedstaaten, sondern für die gesamte Union eingegangen werden.791 Systematisch wäre die Einheitlichkeit der Kollisionsregeln innerhalb der EU gewährleistet, punktuelle Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten gerade nicht erforderlich. Vielmehr wäre ein Abkommen, genau wie früher im mitgliedstaatlichen IPR, eine insgesamt zugunsten eines bestimmten Vertragspartners gewährte Sonderregelung. Im Zuge einer gemeinsamen europäischen Außen- und Wirtschaftspolitik könnte dies durchaus als attraktives Instrument zur Förderung der Beziehungen zu bestimmten Partnerstaaten eingesetzt werden. Denkbar wäre beispielsweise, durch eine staatsvertragliche Festlegung der gesellschaftsrechtlichen Gründungstheorie die gegenseitige Akzeptanz von Gesellschaften aus der gesamten EU und ausgewählten Drittstaaten (z. B. Vereinigtes Königreich, USA) sicherzustellen. Rein kollisionsrechtliche Abkommen sind freilich kaum zu 791 Siehe bereits Basedow in: FS Lorenz, 463, 473. – Vgl. auch Mills in: Franzina, 101, 107 ff.; Mills ICLQ 65 (2016), 541, 547 ff.

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erwarten – Regelungen im Bereich des IPR könnten eher Eingang in eine modernisierte Form von Freundschafts- und Niederlassungsverträgen finden. Ob und wie entsprechende Abkommen seitens der EU abgeschlossen werden und welche Rolle das Verweisungsrecht darin spielen soll, steht aber – von den kollisionsrechtlichen Kompetenzfragen im Einzelfall ganz abgesehen – derzeit noch in den Sternen. Die diesbezügliche Entwicklung ist eng verquickt mit der Frage nach einer etwaigen Ausdehnung des räumlichpersönlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten auf ausgewählte Drittstaaten (siehe oben § 7.II.3.c), S. 414 ff.); in Anbetracht des loi uniforme-Grundsatzes erscheinen bilaterale Kollisionsrechtsabkommen zudem weniger geeignet als andere, etwa anerkennungs- oder verfahrensrechtliche Lösungsansätze. Insgesamt ist mit neuen bilateralen Abkommen daher höchstens noch in besonderen Situationen und in Form von die gesamte EU bindenden Staatsverträgen zu rechnen – zum flächendeckenden Einsatz wird dieses Modell künftig noch weniger als in den letzten Jahrzehnten kommen.792 Etwas weniger Zurückhaltung ist hinsichtlich multilateraler Übereinkommen zu konstatieren. In dieses Gebiet ist seit der Jahrtausendwende wieder ein gewisser Schwung gekommen, wenn auch das Hauptaugenmerk derzeit weniger auf dem reinen Kollisionsrecht und stärker auf dem Internationalen Zivilverfahrensrecht bzw. IPR und IZVR kombinierenden Rechtsinstrumenten liegt. Die Beteiligung an multilateralen Staatsverträgen ist aus Sicht des europäischen IPR durchaus zu begrüßen, wie der Verzicht auf eigene europäische Rechtsakte zugunsten einer Beteiligung an den Haager Übereinkommen zum Kinder- und Erwachsenenschutz und die Integration des HUP in das europäische Internationale Unterhaltsrecht zeigen (siehe Teil II: § 4.II.3., S. 230 ff.). Von einem europäischen Interesse auch an künftigen multilateralen Konventionen zeugt nicht zuletzt die Beteiligung der EU an entsprechenden Projekten, etwa im Rahmen der Haager Konferenz (siehe b)bb), S. 531 ff.). Auch und gerade vor dem Hintergrund des EU-IPR ist der Abschluss neuer Übereinkommen zu erwarten. Dabei haben sich allerdings in doppelter Hinsicht die Gewichtungen verschoben. Erstens tragen aus Sicht der EU Staatsverträge nur dann sinnvoll zur europäischen Harmonisierung bei, wenn sie für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen verbindlich sind – wenn also alle Mitgliedstaaten ihnen beitreten oder sie von vornherein durch die EU selbst ausgehandelt und abgeschlossen werden. Zweitens sind Übereinkommen aus europäischer Warte nur dann attraktiv, wenn sie mit den bestehenden und geplanten EU-Kollisionsregeln übereinstimmen bzw. kompatibel sind. Diese beiden Kriterien stellen erhebliche europäische Anforderungen an künftig zu schaffendes völkerrechtliches Kollisionsrecht (siehe b), S. 525 ff.). 792 Auf die politischen Schwierigkeiten für die gesamte EU „gebündelter“ bilateraler Abkommen mit bestimmten Drittstaaten weist Kuipers in: Franzina, 149, 167 hin.

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bb) Europäische vs. globale Vereinheitlichung Das europäische Interesse und Bedürfnis nach staatsvertraglicher Vereinheitlichung sinkt allerdings in dem Maße, wie die Kollisionsrechtsharmonisierung innerhalb der EU voranschreitet. Soweit bereits vereinheitlichte Anknüpfungsregeln im EU-IPR existieren, ist der Mehrwert völkerrechtlicher Übereinkommen aus Sicht der EU eingeschränkt – anders als im vielfach auf Gegenseitigkeit basierenden IZVR ist für das als loi uniforme konzipierte IPR eine Abstimmung mit Drittstaaten zwar wünschenswert, aber nicht so dringend erforderlich.793 Insofern gibt es kaum Gründe, mühevoll vor vergleichsweise kurzer Zeit verabschiedete europäische Kollisionsregeln zugunsten neuer völkerrechtlicher Regeln (mit unter Umständen niedrigerem Integrationsniveau794) wieder aufzugeben. Neue Konventionen im Bereich des bestehenden EU-IPR werden sich in Europa daher nur dann durchsetzen können, wenn sie diese europäischen Kollisionsregeln inhaltlich übernehmen und dadurch über die Grenzen der EU hinaus verbreiten oder wenn sie dazu eine aus europäischer Sicht sinnvolle Weiterentwicklung darstellen. Mehr Flexibilität und größere Bereitschaft bestehen in den Gebieten, in denen bisher keine europäische Harmonisierung stattgefunden hat. Hier kann wie gesehen die Vereinheitlichung durch Konventionen entsprechende europäische Bemühungen ersetzen. Auch zur Schließung der in den EU-Rechtsakten gelassenen Lücken kommt der Abschluss von Staatsverträgen als Alternative zu europäischen Rechtsakten grundsätzlich in Betracht – wobei allerdings in den Punkten, in denen ein Konsens der Mitgliedstaaten nicht erzielt werden konnte (z. B. Abtretung, Pressedelikte), eine Einigung in einem noch weiter gefassten Staatenkreis eher utopisch erscheint. Als vergleichsweise unproblematisch dürfte sich dagegen die Aufnahme einzelner Anknüpfungsregeln in Konventionen zur Sachrechtsharmonisierung darstellen. Hierfür dürften meist sogar Ergänzungen bzw. Ausnahmen zu bereits vorhandenen EU-Rechtsakten akzeptabel sein, weil es sich regelmäßig um spezielle Regeln mit einem begrenzten Anwendungsbereich handelt. Insgesamt betrachtet kommt die Neuschaffung kollisionsrechtlicher Übereinkommen unter Beteiligung der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten damit vor allem als Alternative zur und Ergänzung der europäischen Harmonisierung auf dem Verordnungswege in Betracht. Auch wenn die beiden Regelungsebenen einander nicht gegenseitig ausschließen, ergibt sich zumindest hinsichtlich einer europäischen Teilnahme ein Konkurrenzverhältnis zwischen europäischem und staatsvertraglichem IPR: Ein (funktionierendes) Rechtsinstrument auf der einen Ebene macht weitere Harmonisierungsbemühungen 793 794

554.

Vgl. Domej in: von Hein / Rühl, 90, 90 ff.; Kuipers in: Franzina, 149, 150. Vgl. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 54; Mills ICLQ 65 (2016), 541,

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auf der jeweils anderen Ebene mehr oder weniger überflüssig.795 Diese Gefahr eines „Ausbremsens“ kann zu einem Wettlauf der Vereinheitlichungsbemühungen führen – der einerseits zum zügigen Abschluss bereits laufender Vorhaben motivieren, andererseits aber auch zur übereilten Verabschiedung von Rechtsakten zwecks Schaffung von Fakten verlocken kann. Umgekehrt ist denkbar, dass das Abwarten auf der anderen Ebene geplanter, aber am Ende doch scheiternder Projekte zu längeren Phasen der Stagnation führt. Interessante Nebeneffekte und potentielle Komplikationen können sich hier auch für das Verhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten im Vor- und Umfeld europäischer Gesetzgebungsmaßnahmen ergeben. Mitgliedstaaten können dazu verleitet werden, die letzte Phase ihrer eigenen externen Kompetenz zur Eingehung völkerrechtlicher Bindungen auszunutzen und damit Ausnahmen zu den bereits im Werden befindlichen europäischen Rechtsakten zu schaffen, gleichzeitig können drohende weitere staatsvertragliche Bindungen der Mitgliedstaaten das Handeln auf europäischer Ebene beschleunigen. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit soll zwar den Entwicklungsinteressen der EU konträr laufende „Alleingänge“ einzelner Mitgliedstaaten verhindern, einmal eingegangene staatsvertragliche Bindungen kann er allerdings zunächst nicht beseitigen. Gleichzeitig kann der Wunsch der EU, sich an völkerrechtlichen Vereinheitlichungsvorhaben zu beteiligen, europäische Gesetzgebungsinitiativen beschleunigen – mit dem Ziel, durch die Betätigung nach innen auch die Außenkompetenz zu erhalten. Aktuelles Beispiel hierfür ist die Gesetzgebungsinitiative der Kommission bezüglich der grenzüberschreitenden Behandlung von Elternschaftsfragen, die zumindest auch dadurch motiviert ist, der bisher unbeteiligten EU eine Mitwirkung in den Verhandlungen der Haager Konferenz zu einem globalen Regelungsinstrument zu Abstammung und Leihmutterschaft zu ermöglichen.796 Die Erwartung europäischer Vereinheitlichungsmaßnahmen in absehbarer Zukunft kann wiederum das eigene Engagement der Mitgliedstaaten auf internationaler Ebene einschränken. Zwar werden derartige Erwägungen kaum je allein ausschlaggebend für die kollisionsrechtliche Entwicklung auf europäischer bzw. völkerrechtlicher Ebene sein – doch ein gewisser Effekt kann ihnen nicht abgesprochen werden. Einzig sinnvoller Ausweg aus diesem Dilemma ist die frühzeitige und umfassende Einbindung der EU in völkerrechtliche Vereinheitlichungsbemühungen, entweder direkt durch ihre eigene Beteiligung oder indirekt durch Konsultation seitens der Mitgliedstaaten. Denn zentral kommt es in jedem individuellen Fall auf ihre Entscheidung an, ob sie einer unionsrechtlichen 795 Vgl. van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 227, 229; R. Wagner IPRax 2019, 185, 190; R. Wagner in: FS van Loon, 643, 649 f. 796 Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2021, 105, 109 f. – Zu dem Projekt der Haager Konferenz im Überblick Biagioni in: Beaumont / Holliday, 567, 567 ff.

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Lösung in Gestalt einer Verordnung oder einem völkerrechtlichen Ansatz durch Beitritt zu einem Übereinkommen den Vorzug gibt. Für einen europäischen Rechtsakt kann etwa praktisch sprechen, dass sich zwischen den vergleichsweise homogenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ein Konsens schneller und weitreichender erzielen lässt als bei der Einbeziehung von Drittstaaten – ein Effekt, der sich mit dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs und damit der wichtigsten common law-Rechtsordnung in Europa noch verstärken dürfte. Auch die vergleichsweise größere Anwendungssicherheit, die für europäische Rechtsakte durch den EuGH als verbindliche Auslegungsinstanz gewährleistet ist, kann zugunsten einer EU-Lösung in die Waagschale fallen.797 Umgekehrt muss die Anwendung völkerrechtlicher Kollisionsregeln im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander sich am Maßstab des Primärrechts messen lassen. Schließlich kann die EU durch eigene Rechtsakte ihre Vorreiterrolle bei der Kollisionsrechtsentwicklung und -integration stärker betonen und ausbauen. Staatsverträge sind demgegenüber immer dann von Vorteil, wenn eine überregionale Integration gewünscht wird. Vor allem bei zahlreichen und engen Verflechtungen mit Drittstaaten oder bei global relevanten Fragen kann ein allgemeiner internationaler Standard vorzugswürdig erscheinen, selbst wenn sein Integrationsniveau hinter dem innerhalb Europas Möglichen zurückbleibt. Im Vergleich zum IZVR, das vielfach Gegenseitigkeitserwägungen zugrunde legt, ist freilich der Drang zur Harmonisierung auch im Verhältnis zu Drittstaaten im IPR nicht so stark ausgeprägt. Ob die mit einem Beitritt der EU bzw. aller Mitgliedstaaten zu multilateralen Konventionen bezweckte engere Kooperation tatsächlich Realität wird, ist ebenso wenig garantiert798 wie dass ein Übereinkommen tatsächlich von einer nennenswerten Anzahl an (für die EU wirtschaftlich und politisch relevanten) Drittstaaten ratifiziert wird. Aus europäischer Sicht wird sich damit die Verordnung – verbunden mit der Hoffnung auf drittstaatliche „Nachahmer“ – häufig als das als Grundlage attraktivere Instrument darstellen.799 Die zunehmende Europäisierung des IPR macht die Neuschaffung staatsvertraglicher Kollisionsregeln also nicht vollständig obsolet, verändert aber die Ausgangsposition des Völkerrechts grundlegend. Konventionen sind nicht mehr das einzig verfügbare Harmonisierungsinstrument, sondern müssen sich an der Attraktivität europäischer Verordnungen messen lassen. Gleichzeitig reduzieren die veränderten Gegebenheiten eines nunmehr europäisch geprägten Kontextes die für neue Staatsverträge sinnvollen Handlungsformen und -gebiete. Inwieweit sich in diesem verschobenen und verringerten AnwenA. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 140. Siehe Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 47 f. 799 Zu den Vor- und Nachteilen insgesamt Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 54 f.; A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 140. 797 798

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dungsfeld völkerrechtliche Harmonisierungsvorhaben noch durchsetzen können, hängt insbesondere davon ab, ob eine Beteiligung daran für die EU rechtssystematisch und rechtspolitisch lohnenswert erscheint – denn ohne die Teilnahme der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten kann ein Übereinkommen nur schwer global erfolgreich sein. Diese bereits in formell-technischer Hinsicht ausschlaggebende Rolle der EU als direkte oder indirekte Verhandlungs- und Vertragspartnerin verstärkt sich noch, wenn es zur inhaltlichen Ausgestaltung neuer völkerrechtlicher Kollisionsregeln kommt. Auch hier erweist sich der europäische Einfluss als dominant und zwingt zu Anpassungsstrategien auf völkerrechtlicher Ebene (dazu sogleich b)). b) Inhaltlicher und institutioneller Einfluss der EU auf neue Übereinkommen Die Notwendigkeit ihrer Einbettung in einen zunehmend europäisch geprägten Kontext und die zentrale Rolle der EU bei der Entscheidung für oder gegen sie führen auch zu einer starken inhaltlichen Prägung neuer kollisionsrechtlicher Staatsverträge durch europäische Vorstellungen. Schließlich hängt der Erfolg einer Konvention maßgeblich davon ab, wie viele Staaten sich ihr anschließen. Ein Beitritt der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten wird aber nur erfolgen, wenn die neuen völkerrechtlichen Regeln zu den bisherigen und geplanten europäischen IPR-Rechtsakten und zu den europäischen kollisionsrechtlichen Prinzipien und Vorstellungen passen. Damit erhält die europäische Position eine erhebliche Machtstellung bei der Verhandlung und Verabschiedung künftiger völkerrechtlicher Übereinkommen. Auch im institutionellen Gefüge ist die Verschiebung von der Diversität der Mitgliedstaaten hin zur Homogenität der EU spürbar und erfordert Anpassungen. aa) Dominanz europäischer Kollisionsrechtsansätze Jede neue Konvention muss mit den Rechtsordnungen ihrer prospektiven Vertragsstaaten möglichst kompatibel sein, damit sie Aussicht auf Erfolg hat. Auf den ersten Blick ist die voranschreitende Europäisierung hier vorteilhaft: Je stärker die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aneinander angenähert oder sogar vollständig harmonisiert sind, desto weniger divergierenden Auffassungen muss man bei der Konzeption völkerrechtlicher Regelungen Rechnung tragen. Gleichzeitig sinkt jedoch mit der Einbindung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in ein gesamteuropäisches System die Bereitschaft, zur Ermöglichung eines Staatsvertrags Kompromisse einzugehen. Durch gemeinsame europäische Vorstellungen oder gar Vorgaben geprägte Regelungen werden nicht so leicht aufgegeben wie rein nationale Ansätze, vor allem, wenn sie relativ jung sind. Beispielsweise wäre derzeit kaum denkbar, dass man für das deutsche IPR den durch den Wunsch nach einer Anpassung an die europäischen Trends motivierten, in den letzten Jahren fast vollständig

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vollzogenen Übergang zur Aufenthaltsanknüpfung in Fragen des Personalstatuts (siehe § 7.I.2.b), S. 299 ff.) in einzelnen Punkten für den Beitritt zu einem Staatsvertrag wieder rückgängig machte. Noch stärker ist der Druck zur Konformität mit dem EU-IPR, wenn im völkerrechtlich zu vereinheitlichenden Gebiet bereits europäische Rechtsakte existieren, eine neue Konvention also das EU-IPR ablösen würde (und allein der EU die Außenkompetenz und damit die Entscheidungsmacht über einen Beitritt zukommt).800 Wenn die EU bereits – vor nicht allzu langer Zeit und nach unter Umständen zähen Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten – eigene Kollisionsregeln erlassen hat, gibt es für sie wenig Anlass, diese zugunsten eines Staatsvertrags wieder aufzugeben.801 Einen Mehrwert stellt der Beitritt zu einer Konvention für die EU nur dar, wenn die darin enthaltenen Regelungen inhaltlich umfassender bzw. qualitativ besser sind als die bereits auf europäischer Ebene vorhandenen. Ersteres ist im auf dem Kompromiss eines deutlich weiteren und diverseren Teilnehmerkreises beruhenden Völkerrecht aber nur selten zu erwarten. Zweiteres dürfte aus europäischer Sicht zumindest kurz nach Verabschiedung eines EU-Rechtsakts ebenfalls nicht der Fall sein, da man sich mit den neu geschaffenen europäischen Anknüpfungsregeln ja gerade für die „beste“ Lösung entschieden hat – allenfalls, wenn sich im Laufe der Zeit die europäischen Regelungen als problematisch und überarbeitungsbedürftig darstellen sollten, könnte die Beteiligung an einem Staatsvertrag eine Alternative zu einer europäischen Reform darstellen. Je mehr sich auf europäischer Ebene ein geschlossenes Gesamtsystem herauskristallisiert, desto größer ist zudem die Gefahr, dass der Beitritt zu einem Übereinkommen dessen Kohärenz gefährdet und auch dadurch die europäische Bereitschaft zur Teilnahme verringert wird.802 Auch systematisch halten sich die Anreize für eine europäische Beteiligung an neuen IPR-Staatsverträgen in Grenzen. Moderne Kollisionsregeln werden als loi uniforme gegenüber allen anderen Staaten zur Anwendung gebracht; das gilt auch für das europäische und das heutige staatsvertragliche Kollisionsrecht.803 Die Option, durch eine Konvention ein völkerrechtliches Sonderregime nur im Verhältnis zu den anderen Vertragsstaaten zu etablieren, bietet für das IPR keine nennenswerten Vorteile: Ganz abgesehen davon, dass eine Kollisionsrechtsspaltung im EU-IPR bislang klar abgelehnt wurde, werden Anknüpfungsregeln heute universell konzipiert und anders als das stärker durch Gegenseitigkeitsgedanken geprägte IZVR nicht auf das Verhältnis zwischen VerVgl. Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 326 f. Vgl. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 55; Bonomi in: FS van Loon, 69, 69 f.; Mills in: Franzina, 101, 107; Zanobetti in: Franzina, 117, 129. 802 Vgl. Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 48. 803 Siehe z. B. Pataut in: FS Lagarde, 661, 665 ff.; A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 140. – Zu den Konventionen der Haager Konferenz Basedow RabelsZ 82 (2018), 922, 925. 800 801

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tragspartnern beschränkt. Auch Modelle mit nach der Enge der Beziehung abgestuften Regelungen, also einer zusätzlichen, über das völkerrechtlich Erreichte hinausgehenden Harmonisierung auf europäischer Ebene (wie etwa der für zwischenmitgliedstaatliche Sachverhalte über das KSÜ hinausgehenden Brüssel IIa-VO804), sind zwar dem IZVR bekannt, existieren für das IPR aber gerade nicht.805 Eine etwaige Kompromisse aufwiegende Besserstellung durch die Teilnahme an einem Übereinkommen ist aus europäischer Perspektive daher eher bei Verfahrens- und Kollisionsrecht vereinenden Konventionen, weniger aber bei reinen IPR-Rechtsakten zu erwarten. Anders könnte sich dies freilich darstellen, wenn es künftig auch um die Modalitäten einer kollisionsrechtlichen Statusanerkennung gehen sollte – hier kämen im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit Drittstaaten in den Genuss der Vorteile des Binnenmarktes mit einbezogen werden sollten, durchaus Gegenseitigkeitserwägungen ins Spiel (siehe § 7.II.3.c), S. 414 ff.). Bei klassischen Anknüpfungsregeln mit universeller Geltung steht mit der europäischen Beteiligung an einem Übereinkommen aber „alles oder nichts“ in Rede: Eine Teilnahme an der Konvention würde vollständig bereits bestehendes EU-IPR überlagern und künftige EURechtsakte in ihrem Bereich überflüssig machen. Die rechtspolitische Motivation für die EU-Seite, für die Teilnahme an einer Konvention Kompromisse einzugehen, ist ebenfalls vergleichsweise gering. Wichtig ist ihr insbesondere die Harmonisierung der Anknüpfungsregeln innerhalb Europas, die zur Förderung des Binnenmarktes und zur Schaffung eines möglichst einheitlichen europäischen Rechtsraums beitragen kann und soll. Wenn durch europäische Vereinheitlichungs- oder Angleichungsprozesse bereits Harmonie zwischen den Mitgliedstaaten besteht oder geschaffen werden kann, ist das Bedürfnis nach einer geographisch darüber hinausreichenden Kollisionsrechtsangleichung im Verhältnis zu Drittstaaten eher gering.806 Die regionale Vereinheitlichung, die auch der Verwirklichung der primärrechtlichen Ziele dient, hat für die EU einen deutlich höheren Stellenwert als globale Harmonisierungsbestrebungen. Zur Erreichung dieses Zwecks ist die EU aber auf völkerrechtliche Übereinkommen nicht angewiesen, sondern kann auf ihre eigenen, im Zweifel schnelleren und effizienteren Rechtsinstrumente zurückgreifen.807 Diese komfortable Position, sich an 804 Zu den Schwierigkeiten der Koordination des KSÜ mit der Brüssel IIa-VO siehe statt vieler z. B. Benicke IPRax 2013, 44, 52 ff.; Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 35 ff.; McEleavy in: FS van Loon, 371, 372 ff.; A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 118 ff. 805 R. Wagner RabelsZ 73 (2009), 215, 228 ff. – Insgesamt kritisch auch Pataut in: FS Lagarde, 661, 679 ff. 806 Vgl. die kritischen Erwägungen zur Öffnung der ErbVO für einen Beitritt auch durch Drittstaaten bei Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 327. – Insgesamt skeptisch gegenüber „Orbitrechtsakten“ im EU-IPR Dutta ZEuP 2017, 533, 533 ff. 807 Vgl. Basedow in: FS Lorenz, 463, 473.

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Staatsverträgen beteiligen zu können, darauf aber für ihre Kernanliegen nicht angewiesen zu sein, trägt zu einer inhaltlich geringen Kompromissbereitschaft bei. Ein Verzicht auf eigene Regelungen ist aus europäischer Warte überhaupt nur dann sinnvoll, wenn die staatsvertraglichen Regeln so ausgestaltet sind wie das EU-IPR es bereits ist bzw. im Fall seiner Schaffung wäre. Sofern nämlich noch keine Kollisionsregeln auf europäischer Ebene existieren, kann zwar die Teilnahme an einem Übereinkommen ein attraktiver Ersatz sein (siehe a)bb), S. 522 ff.). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU sich auf diese Alternative nur einlassen und in gesetzgeberischer Zurückhaltung üben wird, wenn die völkerrechtliche Regelung inhaltlich ihren Vorstellungen entspricht und sich harmonisch in das übrige bestehende und geplante europäische (und das verbliebene mitgliedstaatliche) IPR einfügt. Anderenfalls steht es ihr jederzeit frei, die Verhandlungen zu beenden bzw. dem Staatsvertrag nicht beizutreten und stattdessen doch einen eigenen Rechtsakt zu verabschieden. Wenn die EU dagegen bereits eigene Kollisionsregeln erlassen hat, ist es aus europäischer Sicht allenfalls reizvoll, durch inhaltlich entsprechende Konventionen deren Wirkungsbereich über die Grenzen Europas hinaus auszudehnen – so können die als beste Lösung empfundenen europäischen IPR-Rechtsakte in Drittstaaten „exportiert“ werden, gleichzeitig wird der internationale Entscheidungseinklang mit den beteiligten Drittstaaten sichergestellt. Erforderlich sind Staatsverträge dafür aber im auf die gegenseitige Verbürgung bestimmter Standards gerade nicht angewiesenen Kollisionsrecht nicht. Bestes Beispiel hierfür ist, dass zwar mit dem Lugano-Übereinkommen zentrale Regelungen des europäischen IZVR auch auf das Verhältnis zu ausgewählten Drittstaaten übertragen werden, aber kein einziges kollisionsrechtliches Parallelübereinkommen existiert. Das Ziel gleicher Anknüpfungsregeln wird nämlich genauso erreicht, wenn Drittstaaten ihr nationales IPR reformieren und an die europäischen Regelungen anpassen. Dann kann sich die EU freilich auch den erheblichen Aufwand staatsvertraglicher Verhandlungen ersparen und stattdessen auf die Überzeugungskraft und Vorbildfunktion ihrer Lösungen auch für drittstaatliche Rechtsordnungen vertrauen.808 Bisher hat diese Taktik unverbindlicher Konvergenz sich zumindest bezüglich „EUnaher“ Drittstaaten durchaus bewährt,809 auch wenn eine vollständige Übereinstimmung mit dem EU-IPR dadurch nicht gewährleistet wird. Zu den Möglichkeiten insbesondere für das Internationale Erbrecht Wurmnest /  Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 480 f. 809 Vgl. z. B. die stark europäisch geprägte Entwicklung im schweizerischen Internationalen Erbrecht (Romano YbPIL XVII [2015/2016], 253, 264; Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 [2019], 449, 481), die weitgehende Anpassung des montenegrinischen IPR an die ErbVO (Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 [2019], 449, 481; Đorđević / Meškić in: Dutta / Wurmnest, 209, 217 f.) oder die – wenn auch nicht ausschließlich – von der GüVO inspirierte dänische Neuregelung des Internationalen Ehegüterrechts (Ring / Olsen-Ring IPRax 2019, 347, 349 ff.; zur parallelen Reform des dänischen materiellen Ehegüterrechts 808

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Will man bei künftigen Konventionen auf die Unterstützung der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten hoffen, führt an an europäischen Vorstellungen orientierten Kollisionsregeln kein Weg vorbei. Regelungsentwürfe, die bereits bestehendes EU-Recht nicht übernehmen bzw. in aus Sicht der EU akzeptabler Weise weiterentwickeln, haben ebenso geringe Erfolgschancen wie Vorschläge zu noch nicht europäisierten Bereichen, die auf vom europäischen Verständnis abweichenden Grundkonzeptionen beruhen. Das bringt freilich die an einem Übereinkommen interessierten Drittstaaten bzw. Institutionen in eine Zwangslage – denn im Regelfall will man auf eine Beteiligung der Wirtschafts- und Politikmacht Europa mit ihrer Vorreiterrolle bei der Weiterentwicklung des Kollisionsrechts nicht verzichten. Hinzu kommt der Vorteil, dass eine europafreundliche Lösung durch eine Teilnahme der EU selbst oder eine Beitrittsempfehlung an die Mitgliedstaaten zahlreiche Vertragsstaaten auf einen Streich ins Boot holen kann – umgekehrt blockiert eine europäischen Interessen entgegenlaufende Lösung von vornherein die Teilnahme einer großen Anzahl an Staaten. Gleichzeitig steht einzelnen Drittstaaten die auf europäischer Ebene vorhandene Option, bei Nichtgefallen auf einen eigenen harmonisierenden Rechtsakt auf einer anderen Regelungsebene auszuweichen, gerade nicht offen. Beispiele dafür, dass die Teilnahme der EU erheblichen Einfluss auf den Erfolg einer Konvention hat, gibt es zuhauf. So hat etwa die Aufforderung der EU an ihre Mitgliedstaaten, dem ESÜ beizutreten, innerhalb weniger Jahre zu einer deutlichen Erhöhung der Zahl der Vertragsstaaten geführt (siehe Teil II: § 4.II.3.a), S. 230 ff.). Auch der Verzicht auf eigene europäische Regeln zum Kinderschutz- und Unterhaltskollisionsrecht zugunsten von KSÜ und HUP hat die völkerrechtliche Regelungsebene deutlich gestärkt. Noch mehr als für bestehende Übereinkommen gilt dies für neu zu schaffende Konventionen. Die für die nähere Zukunft in Aussicht stehende Beteiligung der EU selbst an den laufenden Haager Projekten zu Abstammung und Leihmutterschaft wird diesen vermutlich ebenfalls zusätzliche Dynamik verleihen. Demgegenüber kann eine europäische Entscheidung gegen eine Konvention, zumeist in Verbindung mit einem europäischen „Konkurrenzmodell“, ein Übereinkommen erheblich schwächen. So war etwa die Verabschiedung der ErbVO als europäischer Gegenentwurf das Todesglöcklein für das Haager Erbrechtsübereinkommen von 1989: Dass dieses nach seiner Verabschiedung für mehrere Jahrzehnte mangels Vertragsstaaten nicht in Kraft getretene Übereinkommen noch Zuspruch findet, scheint im Kontrast zum europäischen Erbkollisionsrecht aussichtsloser denn je.810 Auch beim Haager WertpapierRing / Olsen-Ring ZfRV 2019, 126, 126 ff.). Zum europäischen Einfluss auf das norwegische IPR und IZVR Cordero-Moss AUCI 4 (2020), 31, 31 ff. – Skeptisch dagegen in der Frühphase der Europäisierung zu den Möglichkeiten und Grenzen schweizerischer Parallelgesetzgebung Schnyder in: FS Jayme I, 823, 884 f.

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Übereinkommen von 2006 war der Konfrontationskurs der EU hauptverantwortlich für das verzögerte Inkrafttreten und die nur schleppende Durchsetzung auch bei Drittstaaten.811 Für zwei weitere, seit Jahren eher wenig erfolgreiche Konventionen wird vermutlich ebenfalls in den nächsten Jahren die von der EU eingenommene Haltung ausschlaggebend sein. Wenn sich im Internationalen Abtretungsrecht die im AbtrVO-E vorgeschlagene Lösung einer Anknüpfung an den Zedentensitz in Europa durchsetzen kann, dürfte das für das UNCITRAL-Abtretungsübereinkommen von 2001812 förderlich sein: Eine solche parallele Lösung für die wesentlichen Fragen würde auch ohne eine direkte Beteiligung der EU bzw. ihrer Mitgliedstaaten den internationalen Entscheidungseinklang zwischen den am Übereinkommen beteiligten Staaten und den EU-Staaten sicherstellen.813 Die Annäherung an das EU-IPR könnte ein wesentlicher Anreiz für weitere Drittstaaten sein, der Konvention doch noch beizutreten. Entschiede sich demgegenüber die EU für eine andere Anknüpfungsregel für die Zession, wäre damit umgekehrt ein deutliches Signal gegen die UNCITRAL-Konvention gesetzt. Dasselbe lässt sich für das Internationale Eheschließungsrecht konstatieren. Wenn eine künftige europäische Regelung hierzu sich am Haager Eheschließungsübereinkommen von 1978 orientiert (oder man sich gar zum Beitritt aller Mitgliedstaaten durchringt814), könnte ihm dies verspäteten Auftrieb verleihen – ein europäischer Gegenentwurf würde demgegenüber das Schicksal des Übereinkommens besiegeln. Damit kommt der EU eine Schlüsselrolle für die Weiterentwicklung des Völkerrechts zu. Zu weiten Teilen hat sie es in der Hand, ob sie durch die Unterstützung vorhandener und geplanter Übereinkommen zur Popularität völkerrechtlicher Rechtsakte wesentlich beiträgt oder sie durch Nichtteilnahme oder bewusste Gegenentwürfe unterminiert. Nicht zuletzt, weil bislang auf globaler Ebene kein der EU vergleichbarer Staatenzusammenschluss existiert, der ein effektives Gegengewicht zur europäischen Position bilden könnte, besteht ein Machtgefälle. Der Druck für die (potentiell) beteiligten Drittstaaten und die völkerrechtlichen Institutionen, eine für die europäische Beteiligung attraktive Lösung zu finden, ist ungleich höher als der Druck auf die EU, sich an völkerrechtlichen Rechtsakten zu beteiligen – das völkerrechtliche IPR ist stärker auf das EU-Kollisionsrecht angewiesen als umgekehrt. Neben den starken inhaltlichen Einflüssen auf die Ausgestaltung neuer staatsvertraglicher Anknüpfungsregeln macht sich diese neue Machtposition der EU auch institutionell bemerk810 Bonomi in: FS van Loon, 69, 70. – Für eine rechtsvergleichende Analyse, warum das Erbrechtsübereinkommen so erfolglos blieb, siehe Boulanger in: FS Lagarde, 155, 155 ff. 811 Vgl. Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 42 ff. 812 An der Durchsetzungsfähigkeit der Konvention zweifelnd z. B. Leible / Müller IPRax 2012, 491, 498. 813 Vgl. Leible / Müller IPRax 2012, 491, 498; Mankowski IPRax 2012, 298, 303. 814 Dieser etwa von van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 79, 85 f. geäußerte Gedanke scheint allerdings wenig realistisch.

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bar und sorgt für eine Verschiebung der Gewichte in den traditionellen Institutionen der völkerrechtlichen IPR- (und IZVR-)Vereinheitlichung. bb) Institutionelle Machtposition der EU Mit dem fortschreitenden Übergang der Außenkompetenz von den Mitgliedstaaten auf die EU wird die Union zunehmend selbst zur völkerrechtlichen Akteurin, die an Verhandlung und Abschluss neuer Staatsverträge direkt beteiligt ist. Insbesondere ist sie inzwischen Mitglied der zentralen internationalen Organisation für die Kollisionsrechtsvereinheitlichung, der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht. Deren ursprünglich nur die Partizipation von Staaten vorsehende Satzung wurde in Folge der Ermächtigung der EU zu gesetzgeberischer Tätigkeit im Bereich des IPR geändert und gestattet seit geraumer Zeit auch die Mitgliedschaft von Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration (Art. 3 Abs. 1 Satzung der Haager Konferenz). Seit dem 3.4.2007 ist die EG, seit 1.12.2009 die EU als ihre Nachfolgerin eigenständiges Mitglied der Haager Konferenz, die Mitgliedschaft der einzelnen Mitgliedstaaten besteht daneben fort.815 Es handelt jeweils die Ebene, der nach dem Unionsrecht die Außenkompetenz zukommt; zur Klärung der Verhältnisse hat – zumindest indirekt – auch das EuGH-Gutachten 1/03 beigetragen.816 Nach anfänglicher Skepsis hat sich diese Betätigung der EU zumindest praktisch eingespielt.817 Die Befürchtung, die Haager Konferenz könne durch die europäische Kollisionsrechtsharmonisierung „weithin gegenstandslos“ werden,818 hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil hat der Beitritt der EU die Haager Konferenz sogar beflügelt: Da sie sich nicht mehr auf die Koordination der europäischen Mitglieder untereinander fokussieren muss, konnte sie sich neu ausrichten und innerhalb kurzer Zeit von einer primär europäischen zu einer globalen Organisation weiterentwickeln.819 Bedenklich ist allerdings das Übergewicht, das 815 Zur Entwicklung der Rolle der EU in der Haager Konferenz siehe z. B. Basedow IPRax 2017, 194, 196 f.; Paulino Pereira in: FS van Loon, 443, 444 ff.; Pertegás Sender in: Esplugues Mota / Diago Diago / Jiménez Blanco, 175, 185 ff.; Pertegás / Beaumont in: Beaumont / Holliday, 91, 93. 816 Vgl. Basedow IPRax 2017, 194, 196; Brand in: Spoon / Ringe, 1, 18; R. Wagner in: FS van Loon, 643, 644. 817 Pertegás Sender in: Esplugues Mota / Diago Diago / Jiménez Blanco, 175, 189 f.; R. Wagner IPRax 2019, 185, 190. – Zum Verhältnis zwischen EU und Haager Konferenz eingehend Basedow IPRax 2017, 194, 194 ff.; Pertegás Sender in: Esplugues Mota / Diago Diago / Jiménez Blanco, 175, 175 ff.; A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 110 ff.; R. Wagner in: FS van Loon, 643, 643 ff. 818 Basedow in: FS Lorenz, 463, 473, 477 ff.; Struycken ZEuP 2004, 276, 285 ff.; Stoll in: FS Jayme I, 905, 907. 819 Basedow RabelsZ 82 (2018), 922, 924 f.; Basedow IPRax 2017, 194, 195 f.; Bonomi in: FS van Loon, 69, 70; Pertegás Sender in: Esplugues Mota / Diago Diago / Jiménez Blan-

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durch den weitgehend homogenen Block der bei ihnen verbliebener Kompetenz zumindest auch mit Blick auf Europa handelnden Mitgliedstaaten, vor allem aber bei Außenkompetenz der EU durch ihre der Zahl der Mitgliedstaaten entsprechende und einheitlich abgegebene Stimmenanzahl (Art. 3 Abs. 7, Abs. 8 Satzung der Haager Konferenz) entsteht.820 Zusammen mit der globalen Vorbildfunktion der europäischen Rechtsentwicklung, insbesondere für die civil law-Rechtsordnungen, entwickeln die von der EU propagierten Modelle eine starke Anziehungskraft,821 für die es bislang keinen Gegenpol gibt. Der parallel zum EU-Beitritt vollzogene Übergang vom Mehrheits- zum Konsensprinzip in der Haager Konferenz kann hier zwar ein Stück weit entgegenwirken,822 durch die stetig wachsende Mitgliederzahl der Haager Konferenz drohen dadurch jedoch immer häufiger Pattsituationen und Lähmungen. Umgekehrt scheint es inkonsequent und wenig glücklich, dass eine – für alle Mitgliedstaaten wirkende – Ratifikation durch die EU allein nicht ausreicht, um Konventionen in Kraft zu setzen.823 Insgesamt können die Mitgliedschaft der EU in der Haager Konferenz und ihre Beteiligung an Haager Konventionen jedoch als Erfolgsgeschichte betrachtet werden. Während die Haager Konferenz – deren Tätigkeitsschwerpunkt sich im Übrigen nicht zuletzt aufgrund der Interessen ihrer außereuropäischen Mitgliedstaaten824 von reinen IPR-Konventionen zu IZVR-Übereinkommen oder beide Rechtsgebiete erfassenden Instrumenten verschoben hat – die Europäisierung des Kollisionsrechts gut verkraften konnte, droht eine weitere Institution ihr zum Opfer zu fallen. Die auf den geographischen europäischen Raum begrenzte Internationale Kommission für das Zivilstandswesen (CIEC), die über Jahrzehnte eine führende Rolle bei der Rechtsvereinheitlichung im Bereich des Personenstandsrechts innehatte und der mehrere auch kollisionsrechtliche Vorstöße zu verdanken sind,825 wird durch die EU und ihre harmonisierenden co, 175, 184 ff.; R. Wagner IPRax 2019, 185, 190; R. Wagner in: FS van Loon, 643, 644 ff.; R. Wagner RabelsZ 73 (2009), 215, 222 f. – Zur ursprünglich eurozentrischen Prägung der Haager Konferenz Basedow in: FS Lorenz, 463, 464 ff.; auf die nach wie vor sehr starke Fortwirkung dieser europäischen Wurzeln weisen Pertegás / Beaumont in: Beaumont / Holliday, 91, 93 f. hin. 820 Basedow IPRax 2017, 194, 196 f.; Brand in Spoon / Ringe, 1, 18; A. Schulz in: von Hein / Rühl, 110, 118. 821 Vgl. Brand in: Spoon / Ringe, 1, 18 („clear magnet effect“). 822 Pertegás / Beaumont in: Beaumont / Holliday, 91, 93; R. Wagner in: FS van Loon, 643, 646 f.; R. Wagner RabelsZ 73 (2009), 215, 224 f. 823 Vgl. Basedow in: FS Lorenz, 463, 477 f.; R. Wagner in: FS van Loon, 643, 658 f. – Misslich ist dies insbesondere mit Blick auf die Integration von Haager Konventionen in das EU-Recht kraft Verweisung, siehe zu den Problemen beim HUP Teil II: § 5.III., S. 259 ff. 824 Siehe Basedow RabelsZ 82 (2018), 922, 934; Basedow in: FS Lorenz, 463, 476 f. 825 Zum Beispiel CIEC-Übereinkommen Nr. 19 über das auf Familiennamen und Vornamen anzuwendende Recht vom 5.9.1980. – Dazu van Loon YbPIL XX (2018/19), 73, 76 ff.

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Rechtsinstrumente mehr und mehr verdrängt.826 Den Bedeutungsverlust der CIEC und ihrer Konventionen gegenüber der unionsrechtlichen Konkurrenz hat vor kurzem die Urkundenvorlage-VO827 eindrücklich illustriert – auf EUEbene bediente man sich zwar durchaus der von der CIEC geleisteten Vorarbeiten, schuf aber letztlich einen eigenen, für die Mitgliedstaaten vorrangigen Rechtsakt.828 In Folge der zunehmenden europäischen Integration im Bereich des IPR und des IZVR hat die CIEC einen starken Rückgang ihrer Mitglieder zu verzeichnen: Von den 17 Mitgliedstaaten sind seit 2008 11 ausgetreten, so etwa Deutschland zum 30.6.2015, die Niederlande und Frankreich 2018 bzw. 2019.829 In absehbarer Zeit wird die CIEC damit vor der Wahl stehen, sich – vergleichbar der Haager Konferenz – in Abgrenzung zur Konkurrenz durch die EU neu zu positionieren oder aber über ihre Auflösung als eigene Institution nachdenken zu müssen.830 Letzteres wäre freilich nicht nur bedauerlich, sondern auch mit Blick auf diejenigen CIEC-Mitglieder, die nicht gleichzeitig EU-Mitgliedstaaten sind (Schweiz, Türkei), kurzsichtig.831 Die neue Rolle der EU als völkerrechtlicher „power player“ ist innerhalb kurzer Zeit entstanden. Sowohl die direkte Beteiligung einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration als auch die dadurch hervorgerufenen Umstrukturierungen in den traditionellen Institutionen staatsvertraglicher Zusammenarbeit sind für das bislang stets auf den Beziehungen zwischen Staaten fußende Völkerrecht ungewohnt. Derzeit ist inhaltlich ein einseitiges Verhandlungsübergewicht zugunsten der EU zu konstatieren. Unter dem Strich haben neue Übereinkommen in der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten nur dann eine realistische Erfolgschance, wenn sie bereits bestehende europäische Regelungen übernehmen oder – in noch nicht in das EU-Recht überführten Siehe bereits Sturm in: FS Spellenberg, 523, 530 ff. Verordnung (EU) 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, ABl. 2016 L 200, 1. 828 Vgl. (noch zum Kommissionsvorschlag für die Verordnung) kritisch Nast in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 53, 59 ff. 829 van Loon YbPIL XX (2018/19), 73, 76; bedauernd auch Zanobetti in: Franzina, 117, 122. 830 Vgl. die Überlegungen von van Loon YbPIL XX (2018/19), 73, 86 ff., der für eine Beitrittsmöglichkeit der EU selbst zur CIEC plädiert, sowie Nast in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 53, 61 ff., die eine Koordination und Zusammenarbeit zwischen EU und CIEC befürwortet, die Überlebenschancen letzterer allerdings sorgenvoll betrachtet. – Die Neufassung der Satzung der CIEC vom 24.9.2020 erlaubt in Art. 2 Abs. 2 inzwischen auch den Beitritt Internationaler Organisationen, Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration und anderer internationaler Körperschaften, davon wurde bislang allerdings kein Gebrauch gemacht. 831 Für den Erhalt der CIEC plädieren daher z. B. eindringlich Lagarde / GaudemetTallon / Kessedjian / Jault-Seseke / Pataut D. 2020, 2355, 2355 sowie Cerqueira StAZ 2021, 169, 169 f. 826 827

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Gebieten – sich harmonisch in ein zunehmend europäisiertes Umfeld einfügen. Dabei arbeitet die Zeit gegen das Völkerrecht, denn je mehr europäische Rechtsakte bestehen und je stärker die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sich auch unabhängig davon an gemeinsamen europäischen Konzeptionen orientieren, desto weniger Spielraum verbleibt ihm. Politisch birgt diese Situation eine gewisse Sprengkraft – etwa kann ein Beharren auf der Durchsetzung europäischer Ansichten als Hegemonialanspruch und Heilsbringertum der EU empfunden werden und für Unmut und eine Verhärtung der Fronten sorgen, gegebenenfalls droht auch ein über Europa hinausgehendes Spaltungspotential zwischen „EU-freundlichen“ und „EU-feindlichen“ Drittstaaten (siehe § 7.II.3.c)bb), S. 419 ff.). Ihre derzeit faktisch einseitige Einflussrichtung gebietet der EU daher Vorsicht und diplomatische Rücksichtnahme bei ihrem völkerrechtlichen Handeln.832 Gleichzeitig obliegt ihr die politische Verantwortung, sich aktiv an der Verwirklichung von Projekten mit potentiell globaler Trag- und Reichweite zu beteiligen und diese nicht zugunsten eigener, auf den europäischen Raum begrenzter Rechtsakte zurückzustellen.833 Gleichzeitig erfordert die Beteiligung der EU und potentiell weiterer supranationaler Akteure eine Veränderung der Strukturen völkerrechtlicher Zusammenarbeit, die den Tendenzen des 21. Jahrhunderts hin zu stärkerer Regionalisierung im IPR gerecht wird.834 Die Rolle von Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration bei der staatsvertraglichen Kollisionsrechtsharmonisierung gilt es genauer auszuloten und Mechanismen für eine ausgewogene Zusammenarbeit von Einzelstaaten und Staatengruppen zu erarbeiten. Vielversprechend scheint hierfür das Modell einer insgesamt stärkeren RegiVgl. bereits Trüten 232 f. Ein aktuelles Beispiel sind die 2014 mit Resolution 26/9 des UN Human Rights Council eingeleiteten Arbeiten an einem international legally binding instrument zur Achtung der Menschenrechte bei internationaler Unternehmenstätigkeit. Am 17.8.2021 wurde der Third Draft für einen UN Treaty on Business and Human Rights (mit Kollisionsregel in Art. 11) vorgelegt (abrufbar unter , dazu Krajewski). Die Fortschritte hinsichtlich dieser Konvention werden jedoch erheblich dadurch gebremst, dass die europäischen Energien auf die Verabschiedung einer eigenen Richtlinie auf diesem Gebiet gerichtet werden (vgl. Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final). – Eine positive Zukunftsperspektive für die „externe“ Betätigung der EU sieht Pertegás Sender in: Esplugues Mota / Diago Diago /  Jiménez Blanco, 175, 193 f. („Idealmente, se avanzaría hacia una política de acción más integrada entre la dimensión interna y externa del DIPr europeo.“). 834 Siehe z. B. Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 35 f.; Weinberg de Roca in: FS Jayme II, 1001, 1009. – Einen Vergleich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit anderen regionalen Integrationsgemeinschaften (mit internationalverfahrensrechtlichem Fokus) unternimmt M. Weller in: FS Geimer, 779, 779 ff. (insbes. 784 ff.). – Zu entsprechenden Entwicklungen in der materiellen Rechtsvereinheitlichung Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 31 ff. 832 833

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onalisierung: Die EU sollte nicht als Einzelfall, sondern vielmehr als Vorreiterin verstanden und eine direkte Beteiligung auch anderer Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration bzw. regionaler Organisationen der IPR-Vereinheitlichung an der Schaffung neuer Staatsverträge aktiv gefördert werden. In (Latein-)Amerika hat die Kollisionsrechtsharmonisierung eine lange und erfolgreiche Tradition,835 in Afrika836 und Asien837 steht sie seit einiger Zeit ebenfalls im Fokus der Aufmerksamkeit. Auch wenn andere Regionen keine der EU vergleichbaren Integrationsstrukturen aufweisen838 und ihre institutionelle Beteiligung etwa an der Haager Konferenz (noch) nicht möglich ist, sollte man sie zumindest als Kooperationspartner einbeziehen. Nur durch die Berücksichtigung anderer Erfahrungen und Blickwinkel kann man ein effektives Gegengewicht zur EU etablieren und deren derzeit dominanter Sonderrolle bei der Weiterentwicklung des staatsvertraglichen Kollisionsrechts strukturell wie inhaltlich auf Augenhöhe begegnen. Mit einer verstärkten Regionalisierung wird sich langfristig auch die Rolle des Völkerrechts wandeln: Seine Aufgabe wird zunehmend die Vermittlung und Koordination nicht mehr zwischen Einzelstaaten, sondern zwischen Regionen sein.839 4. Resultat Die Zukunft des völkerrechtlichen Kollisionsrechts ist ohne erhebliche europäische Einflüsse nicht denkbar. Die fortschreitende Europäisierung des IPR erhöht den Reformdruck auf die bereits existierenden Staatsverträge der Mitgliedstaaten und verschiebt die Ausgangsposition für die Schaffung neuer internationaler Instrumente. Inhaltlich zeigt sich dieselbe Tendenz wie beim 835 Die Inter-American Specialized Conference of Private International Law (CIDIP) hat als Organ der Organization of American States (OAS) zahlreiche IPR-Konventionen erarbeitet, denen auch die Regelungen des Mercado Común del Sur (MERCOSUR) nachgebildet sind, vgl. im Überblick Weinberg de Roca in: FS Jayme II, 1001, 1008 f.; M. Weller in: FS Geimer, 779, 785 ff. m. w. N. 836 Vgl. zu den Harmonisierungsbestrebungen im Rahmen des African Continental Free Trade Area Agwu Uka m. w. N.; auch die Organisation for the Harmonisation of Business Law in Africa (OHADA) arbeitet seit 2020 an einem Uniform Act of Private International Law, vgl. Cuniberti . 837 Zur Rolle der Kollisionsrechtsvereinheitlichung im Rahmen der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) M. Weller in: FS Geimer, 779, 789 f. 838 Zu den Alleinstellungsmerkmalen der europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung im Vergleich zu anderen Regionen Pertegás Sender in: Esplugues Mota / Diago Diago / Jiménez Blanco, 175, 177 ff. 839 Vgl. Basedow in: FS Lorenz, 463, 477, 482. – Mit Bezug auf die materielle Rechtsvereinheitlichung Basedow Unif. L. Rev. 2003, 31, 36, 44.

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

mitgliedstaatlichen IPR: Eine sinnvolle Weiterentwicklung ist nur im Einklang mit den Konzeptionen und Rechtsakten des EU-IPR möglich. Verstärkend wirkt das politische und institutionelle Übergewicht der EU. Die derzeitige, unübersichtliche Kompetenzaufteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten schafft dagegen zusätzliche praktische Probleme. Den massiven Auswirkungen der Europäisierung des IPR für das staatsvertragliche Kollisionsrecht kann derzeit dennoch kaum etwas entgegengehalten werden. Die zunehmende Verlagerung der Außenkompetenz von den Mitgliedstaaten auf die EU bedeutet eine bereits vergleichsweise komplizierte Ausgangsposition für das völkerrechtliche Handeln. Je weiter die Europäisierung des IPR voranschreitet, desto weitreichender werden auch die exklusiven Befugnisse der Union bezüglich existierender und neu zu schaffender Staatsverträge. Schwierigkeiten wirft dies insbesondere auf, wenn mit der unionsrechtlichen Außenkompetenz keine völkerrechtliche Handlungsmöglichkeit korrespondiert – weil Konventionen nur Staaten zum Beitritt offenstehen oder sich die Zuständigkeit für bestehende Abkommen der Mitgliedstaaten auf die EU verschiebt. Die Lösung einer Ermächtigung der Mitgliedstaaten durch die Union bedeutet nicht nur erheblichen Mehraufwand, sondern verändert die völkerrechtliche Rolle der Mitgliedstaaten grundlegend: Sie sind nicht mehr eigenständige Akteure, sondern bilden letztlich nur den „verlängerten Arm“ der EU. Weniger drastisch, aber dennoch in zunehmendem Maße sind die Mitgliedstaaten jedoch auch dann von der EU abhängig, wenn sie innerhalb der ihnen verbliebenen Außenkompetenz selbst völkerrechtlich handeln. Da Abschluss neuer und Modifikation bestehender Staatsverträge seitens der Mitgliedstaaten das kollisionsrechtliche Umfeld berücksichtigen müssen, ist eine Orientierung am vorhandenen und zu erwartenden EU-IPR zwangsläufig. Zudem verpflichtet die Loyalität zur Union die Mitgliedstaaten zur Einbeziehung von und Abstimmung mit deren Interessen. Zumindest indirekt ist damit die EU letztlich an allen völkerrechtlichen Kollisionsrechtsentwicklungen beteiligt. Als zusätzliches Problem erweist sich, dass die Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten nicht nur verschiedenen Modellen folgt, sondern durch die weiter fortschreitende Europäisierung auch im Fluss ist. Die für jeden Einzelfall gesondert und aktuell vorzunehmende Beurteilung verkompliziert die ohnehin unübersichtliche Situation noch mehr und schränkt die langfristige Planbarkeit empfindlich ein. Auch abgesehen von der Problematik eines zwischenzeitlichen Kompetenzübergangs auf die EU stellt sich die Überarbeitung der vor Inkrafttreten europäischer Kollisionsrechtsakte geschlossenen, zumeist seit langer Zeit bestehenden Staatsverträge der Mitgliedstaaten als schwierig dar. Aus Sicht des EU-Kollisionsrechts wäre die vollständige Aufgabe der staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln (insbesondere in bilateralen Abkommen), deren Anwendungsvorrang den universellen Geltungsanspruch des EU-IPR stört und Koordinationsprobleme aufwirft, ideal; alternativ wäre zumindest ihre

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Anpassung an die neuen europäischen kollisionsrechtlichen Gegebenheiten wünschenswert.840 Beides erscheint allerdings in näherer Zukunft wenig aussichtsreich, da das Völkerrecht sich kraft seiner Natur als veränderungsresistent erweist und – vor allem bei über das Kollisionsrecht hinausreichenden Abkommen – Aufwand und politische Nachteile entsprechender Nachverhandlungen in der Regel außer Verhältnis zum Gewinn für das IPR stehen. Weder zur ultima ratio der Kündigung noch zur Reform ihres staatsvertraglichen Bestands kann die Union ihre Mitgliedstaaten zwingen, auch wenn sie unionsrechtlich zu Bemühungen zur Auflösung der zwischen diesem und dem EU-Recht entstehenden Konflikte verpflichtet sind. Ein direkter Einfluss des EU-IPR auf den Altbestand mitgliedstaatlicher Staatsverträge ist damit bislang noch nicht nennenswert auszumachen, auch wenn es indirekt erheblich zu Kritik und Reformdruck beiträgt. Bei der Entwicklung und Verabschiedung neuer Staatsverträge spielt die EU dagegen bereits heute eine zentrale Rolle. Der Übergang von Kompetenzen auf die EU behindert ein selbständiges, eigenes Tätigwerden der Mitgliedstaaten zusehends, sodass die Europäisierung zu Lasten der weltweiten Zusammenarbeit zu wirken droht.841 Beim Handeln ihrer Mitgliedstaaten, vor allem aber, wenn sich die EU selbst auf völkerrechtlicher Ebene betätigt, kommt es für die Gestaltung neuer Konventionen inzwischen entscheidend auf die europäische Haltung an. Dies gilt bereits für die Wahl der völkerrechtlichen Regelungsebene und des Regelungsinstruments. Neue Kollisionsregeln in bilateralen Abkommen einzelner Mitglied- mit Drittstaaten dürften kaum je im europäischen Interesse liegen und damit künftig nicht mehr realisierbar sein. Allenfalls zwischen der EU selbst und ausgewählten Drittstaaten ist eine derart begrenzte Harmonisierung in Einzelfällen denkbar, vor allem aber scheint die Schaffung multilateraler Konventionen unter Beteiligung der EU bzw. (aller) ihrer Mitgliedstaaten zukunftsfähig. Aus europäischer Warte besteht daran aber nur dann Interesse, wenn ein sekundärrechtliches Instrument nicht attraktiver erscheint – ein geplantes Übereinkommen muss sich an der Konkurrenzoption einer möglichen Verordnung messen lassen. Im Idealfall stimmen sich europäische und völkerrechtliche Regelungsebene aufeinander ab, so dass sie einander gegenseitig befruchten und beflügeln.842 Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schaffung neuer völkerrechtlicher Kollisionsregeln vor einer erheblichen Herausforderung steht: Sie muss entweder den Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten entsprechen, um deren Beteiligung zu sichern, oder sie hat von vornherein nur zwischen Drittstaaten Aussicht auf Erfolg. Bezüglich Gebiet und Inhalt neuer Übereinkommen entsteht ein starkes Machtgefälle zugunsten der EU. Diese Ver840 841 842

Vgl. MüKo8 / Dutta Art. 75 ErbVO Rn. 6 m. w. N. van Loon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 227, 229. R. Wagner IPRax 2019, 185, 190.

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schiebung spiegelt sich auch in den völkerrechtlichen Institutionen wider, die entweder (wie die Haager Konferenz) die Europäisierung akkommodieren und sich vor diesem Hintergrund weiterentwickeln können oder (wie die CIEC) unterzugehen drohen. Inhaltlich ist der Einfluss des EU-IPR auf das völkerrechtliche Kollisionsrecht unter mitgliedstaatlicher bzw. europäischer Beteiligung immens. Ihm steht – ebenso wie dem verbliebenen mitgliedstaatlichen IPR – letztlich nur eine Entwicklungsrichtung offen: Die Annäherung an die europäischen Kollisionsregeln. Konflikte zwischen Regelungsmodellen müssen zugunsten der europäischen Vorstellungen aufgelöst werden; da das IPR anders als das IZVR universelle Regelungen fordert, sind nuancierte bzw. abgestufte Regelungsmodelle ebenso wenig praktikabel wie Ausnahmen. Neue Staatsverträge haben nur dann eine Chance auf eine europäische Beteiligung, wenn sie inhaltlich auf das bereits bestehende (und geplante) EU-IPR abgestimmt sind. Aber auch für andere Staaten sind mit den europäischen Regeln inkompatible und dadurch den internationalen Entscheidungseinklang gefährdende Anknüpfungsregeln weniger attraktiv. Gleiches gilt für die Reformen bereits vorhandener staatsvertraglicher Anknüpfungsregeln: Für die europäischen Vertragspartner kommen nur Lösungen in Frage, die zu einer Angleichung oder zumindest Anpassung an das europäische Recht führen.843 Der Druck auf die Mitgliedstaaten, darauf hinzuwirken, ist vergleichsweise groß und verstärkt sich im Laufe der Zeit – ihre Rechtsanwender sind mit den Kompatibilitätsproblemen zwischen europäischem und staatsvertraglichem IPR konfrontiert, ihre Bürger bzw. Einwohner den negativen Folgen ausgesetzt. Bereits jetzt unterliegen Auslegung und Anwendung der völkerrechtlichen Regeln einem europäisch angestoßenen und geprägten Wandel. Dieser Effekt verstärkt sich noch durch den voranschreitenden Kompetenzübergang von den Mitgliedstaaten auf die EU einerseits und die dominante Rolle der EU auf internationalem Parkett andererseits. Nur „im europäischen Sinne“ sind Veränderungen des völkerrechtlichen status quo damit noch realistisch zu erwarten. Die anderenfalls drohende Stagnation verschärft das Verhandlungsungleichgewicht zugunsten der EU im Laufe der Zeit noch zusätzlich. Die „Versteinerung“ einmal verabschiedeter Regelungen ist im nur durch komplizierte, langwierige Verfahren abänderbaren staatsvertraglichen Kollisionsrecht ein grundsätzliches Problem.844 Bezüglich der bestehenden Staatsverträge der Mitgliedstaaten tritt die Gefahr hinzu, dass der Kompetenzübergang auf die Wenn eine Annäherung ihrer Staatsverträge an das EU-IPR in Rede steht, wird bezeichnenderweise auch ein großzügiger Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Kompetenz bejaht. 844 Dutta in: Dutta / Wurmnest, 319, 328 weist darauf hin, dass eine Versteinerung auch für die EU Gefahren birgt und daher auch auf europäischer Ebene Handlungsbedarf auslösen kann. 843

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EU diese Tendenz weiter verstärkt: Die Verabschiedung europäischer IPRRechtsakte droht die bestehenden mitgliedstaatlichen Staatsverträge in ihrem Bestand und ihrem Inhalt zu fixieren. Vor allem die Anknüpfungsregeln der Abkommen und Übereinkommen aus den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts führen zu Spannungen mit modernen Kollisionsrechtsvorstellungen. Gleichzeitig können die europäischen Vertragspartner jedoch notwendige Überarbeitungs- und Neuschaffungsvorhaben blockieren, wenn diese nicht ihren inhaltlichen Wünschen entsprechen. Die EU kann zu einem gewissen Grad sogar die weitere Verbreitung von Übereinkommen steuern: Drittstaatliche Beitritte zu bestehenden Haager Übereinkommen können selbst dann von ihrer Zustimmung abhängen, wenn sie selbst nicht Vertragsmitglied ist. Das völkerrechtliche Kollisionsrecht steht damit vor der Wahl, entweder auf seinem derzeitigen, immer weiter überalternden Entwicklungsstand zu verharren, oder aber sich im Einklang mit den europäischen Vorstellungen weiterzuentwickeln. Dieser faktische Zwang wird schließlich noch durch das rechtspolitische und institutionelle Übergewicht der EU verstärkt. Die Unterstützung der EU stärkt die Verhandlungsposition einzelner Mitglied- gegenüber Drittstaaten, die für Staaten konzipierten traditionellen Mechanismen der völkerrechtlichen Zusammenarbeit sind auf ein geschlossenes Handeln der Mitgliedstaaten bzw. der EU selbst nicht ausgelegt. Die Europäisierung kann zwar auch zu ihrer Weiterentwicklung gewinnbringend beitragen, wie das Beispiel der nunmehr global ausgerichteten Haager Konferenz zeigt. Eine Balance wird jedoch langfristig nur dadurch hergestellt werden können, dass andere Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration als völkerrechtliche Akteure neben die EU und andere Regionalisierungsformen neben die Europäisierung treten. Bis dahin ist eine Vormachtstellung der EU zu konstatieren, die insbesondere auf ihrer Möglichkeit beruht, staatsvertragliche Projekte durch Nichtteilnahme oder gar bewusste Gegenentwürfe zu torpedieren bzw. sogar nachhaltig zu blockieren. Schon heute ist also ein erheblicher Einfluss der EU auf die Weiterentwicklung des staatsvertraglichen Kollisionsrechts zu beobachten. Während europäische Unterstützung zum Erfolg völkerrechtlicher Instrumente wesentlich beitragen kann, kann eine bewusste Gegenentscheidung der EU unter Umständen sogar das Todesurteil für sie bedeuten. Europäische Vorstellungen können damit vergleichsweise leicht durchgesetzt werden und Reformund Neuschaffungsvorhaben dominieren. Dieses Machtgefälle zwischen der EU und anderen völkerrechtlichen Akteuren wird sich mit wachsender Außenkompetenz der Union noch weiter verschärfen. Sowohl die Akzeptanz derartig europäisch geprägter staatsvertraglicher Kollisionsregeln und einer zentralen, tonangebenden Rolle der EU als auch die Etablierung von Gegengewichten und Kontrollmechanismen dafür verlangen eine Neukonzeptionierung auf völkerrechtlicher Ebene. Das staatsvertragliche Kollisionsrecht des

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21. Jahrhunderts muss seine bisherigen Prämissen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit normativ und institutionell an die durch die fortschreitende Europäisierung gezeichnete Realität anpassen und sein grundsätzliches Verhältnis zum EU-IPR etablieren. Als zusätzliche Hürde dafür erweist sich die schritt- und teilweise Europäisierung mit sich permanent verschiebenden Kompetenzgrenzen und geteilten Zuständigkeiten zwischen EU und Mitgliedstaaten, die allen Beteiligten das Handeln erschwert. Eine klare Verlagerung der (Ver-)Handlungszuständigkeit auf die EU, etwa wenn die Neufassung bestehender Abkommen unter Angleichung an das EU-IPR in Rede steht,845 würde zwar die Vormachtstellung der EU zunächst weiter betonen. Gleichzeitig könnte sie aber die praktischen Abläufe vereinfachen und vor allem eine direkte, kohärente und umfassende Einbindung der EU in das staatsvertragliche Kollisionsrecht – und damit auch adäquate Reaktionsmechanismen – ermöglichen. III. Folgerungen III. Folgerungen

Auch bei den staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln ist ein erheblicher Einfluss der europäischen Kollisionsrechtsakte und -vorstellungen zu verzeichnen. Ebenso wie die mitgliedstaatliche bleibt die völkerrechtliche Regelungsebene zwar von der europäischen Gesetzgebung formell unberührt, unterliegt aber starken indirekten Wirkungen. Die Sogwirkung des EU-Kollisionsrechts für bestehende und künftige Staatsverträge ist zwar weniger offensichtlich, bietet aber inhaltlich und institutionell um so mehr Sprengkraft. Die EU nimmt inzwischen eine zentrale Rolle bei weltweiten Vereinheitlichungsvorhaben ein, beeinflusst aber aufgrund ihrer weitreichenden Kompetenzen auch den Altbestand mitgliedstaatlicher IPR-Staatsverträge. Im – völkerrechtlich inzwischen einzig relevanten – Außenverhältnis zu Drittstaaten verdrängt sie damit zunehmend die Mitgliedstaaten als völkerrechtliche Akteure. Soweit EU-Staaten an Staatsverträgen beteiligt sind bzw. sein sollen, führt heute kein Weg an einer Beteiligung auch der EU und einer Orientierung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts am EU-IPR vorbei. Im Vergleich zum mitgliedstaatlichen IPR scheint die Ausgangsposition für das Kollisionsrecht völkerrechtlicher Genese günstig. Seine Anknüpfungsregeln werden – anders als die nationalen – durch die EU-Verordnungen nicht abgelöst, sondern gelten als Ausnahme davon unverändert weiter. Bei näherem Hinsehen erweist sich dies jedoch als ein Danaergeschenk: Der Koordinationsbedarf mit dem EU-IPR wirft erhebliche Kompatibilitätsprobleme auf, wenn die staatsvertraglichen Kollisionsregeln abweichende Konzepte zugrunde legen. Lösungen für diese müssen einerseits durch die jeweiligen Vertragsstaaten geschaffen werden, sich aber andererseits an den euro845

Vgl. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 479 Fn. 160.

III. Folgerungen

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päischen Vorstellungen orientieren. Gleichzeitig müssen der Interaktion mit dem EU-IPR innerhalb der EU einheitliche und unionsrechtskonforme Interpretationsansätze zugrunde gelegt werden. Bei der Anwendung, der Auslegung und der Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts manifestiert sich dieselbe Tendenz einer Ausrichtung zum EU-IPR hin wie beim nationalen IPR der Mitgliedstaaten. Praktisch sinnvoll sind nur Regelungen, die auf das EU-IPR abgestimmt sind – inhaltlich bedeutet dies quasi zwangsläufig eine Ausrichtung an den auf europäischer Ebene bereits etablierten Standards. Die systematisch eigentlich zu erwartenden Wechselwirkungen zwischen den Regelungsebenen bleiben weitgehend aus, vielmehr ist das völkerrechtliche IPR einseitig in den Sog des EU-Kollisionsrechts geraten. Will man nicht auf dem (unbefriedigenden) status quo stagnieren, sind Reformen bzw. Entwicklungen in Richtung der europäischen Position bzw. unter europäischer Beteiligung letztlich alternativlos. Im Laufe weniger Jahre haben sich die Machtverhältnisse grundlegend verschoben: Das EU-IPR hat gegenüber dem völkerrechtlichen IPR zwar nicht rechtlich bzw. strukturell, aber doch faktisch eine Vormachtstellung gewonnen. Verstärkt wird dieser Effekt durch mehrere Faktoren, allen voran die Bindung der Mitgliedstaaten an die EU. Selbst wenn der EU als solcher (noch) keine Kompetenz zukommt, sind die Mitgliedstaaten zur Beachtung der europäischen Position verpflichtet. Außerdem bleibt ihnen, wenn sie im Interesse ihrer Rechtsanwender und -unterworfenen die durch die Inkompatibilität ihrer fortbestehenden staatsvertraglichen Bindungen mit dem als nationales Recht direkt anwendbaren EU-IPR entstandenen Anwendungsprobleme lösen wollen, keine andere Wahl als eine Annäherung an den europäischen Standard. Selbst im originär ihnen verbleibenden Bereich haben die Mitgliedstaaten damit völkerrechtlich nur eng umgrenzte Handlungsoptionen und sind weitgehend entmachtet. Für die drittstaatlichen Vertragspartner ist der Änderungsbedarf und damit der Impuls zur Orientierung an der EU im Regelfall erheblich geringer. Sie können den Bindungen und Interessen der Mitgliedstaaten bezüglich einer europäischen (Neu-)Ausrichtung aber auch kaum effektiv etwas entgegensetzen – für die Mitgliedstaaten ist im Zweifel der Einklang innerhalb der EU wichtiger als ihre Beziehungen zu einzelnen außereuropäischen Staaten. Das Resultat ist eine für das EU-IPR durchaus angenehme Position: Auch ohne dass die EU es offen forciert geraten die ungeliebten „Störenfriede“ des staatsvertraglichen Kollisionsrechts unter immer stärkeren Aufgabe- bzw. Angleichungsdruck. Die in den europäischen IPRRechtsakten enthaltenen Vorrangklauseln werden damit freilich entwertet. Besonders problematisch erscheint, dass die erheblichen Auswirkungen des EU-IPR auf das völkerrechtliche Kollisionsrecht im Vorfeld nur begrenzt erkennbar und steuerbar sind. Der Fokus der Europäisierung liegt auf dem Verhältnis zum mitgliedstaatlichen Recht – hier kontrollieren die Mitgliedstaaten Art und Ausmaß der neuen europäischen Rechtsakte, die Ablösung

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Teil III: § 8 – Wirkungen auf das völkerrechtliche IPR

nationaler Regelungen zwingt zur frühzeitigen Auseinandersetzung mit ihren Folgen. Für das Völkerrecht bleiben die potentiellen Folgen dagegen zunächst weitgehend außer Betracht; die mit der Europäisierung einhergehenden Weichenstellungen manifestieren sich erst mit deutlicher Zeitverzögerung und häufig überraschend. Die Auswirkungen auf das Völkerrecht werden gewissermaßen als „Abfallprodukt“ der europäischen Harmonisierung nach innen behandelt. Bereits das Problembewusstsein, vor allem aber die Entwicklung umfassender Strategien zum völkerrechtlichen Umgang mit der Europäisierung scheitert bislang an dessen isolierter Betrachtung einzelner Abkommen und Übereinkommen. Das Fehlen eines kohärenten Konzepts für das völkerrechtliche Kollisionsrecht schlägt sich aber nicht nur in diesem Mangel systematischer Reaktionsmöglichkeiten negativ nieder. Auch allgemein können sich die spezifischen Instrumente mit jeweils unterschiedlichen Beteiligten gegenüber der supranationalen Konkurrenz durch das EU-IPR umso schwerer behaupten, als sie der europäischen Gesamtkonzeption keine übergreifende Struktur und Zielvorstellung entgegenhalten können. Besonders deutlich wird dies im Hinblick auf Interpretationsfragen: Das Fehlen einer verbindlichen Auslegungsinstanz ist ein erheblicher Wettbewerbsnachteil des staatsvertraglichen Kollisionsrechts, die durch den EuGH ermöglichten zentralisierteinheitlichen europäischen Interpretationslinien gewinnen die Oberhand. Mangels Ausgleichsmöglichkeiten erhält damit auf Dauer das Völkerrechtsverständnis eine europäische Schlagseite. Gleichzeitig manifestiert sich eine deutliche Dysbalance zugunsten der EU auch, wenn diese selbst bei der Gestaltung (neuer) staatsvertraglicher Kollisionsrechtsakte beteiligt ist. Für ihre Position als politisch und wirtschaftlich mächtige Staatengemeinschaft existiert auf globaler Bühne derzeit kein Gegengewicht. Der Erfolg völkerrechtlicher Vereinheitlichungsprojekte mit globalem Anspruch ist erheblich von europäischer Unterstützung abhängig, während der EU die alternative Option einer eigenen (Verordnungs-)Regelung offensteht. Der Zwang zur Rücksichtnahme auf die europäische Position und die Letztentscheidungsgewalt des europäischen Vertragspartners bedeuten ein starkes und auf absehbare Zeit ausgleichsloses Verhandlungsungleichgewicht. Dieses auszunutzen, um europäische Positionen auf globaler Ebene durchzusetzen, ist kurzfristig verlockend, langfristig aber weder rechtspolitisch noch für die globale Rechtsvereinheitlichung hilfreich. Ein zu unnachgiebiges Beharren der EU auf ihren Standpunkten kann nicht nur zur Unattraktivität größerer Projekte für Nicht-EU-Staaten, zu ihrer Verzögerung oder sogar zu ihrem Scheitern führen, sondern auch generellen Widerstand bei anderen Staaten auslösen. Schlimmstenfalls entsteht dadurch ein Szenario gegenseitiger Blockaden und Konkurrenz-Rechtsakte zwischen „pro-EU“und „anti-EU“-Staaten – was dem Grundanliegen der staatsvertraglichen Harmonisierung konträr läuft. Der EU kommt damit immense Verantwortung für die Zukunft des staatsvertraglichen IPR zu.

III. Folgerungen

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Für das Zusammenspiel von völkerrechtlichem und europäischem IPR muss dringend institutionell und inhaltlich eine belastbare Grundlage geschaffen werden – anderenfalls drohen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Europäisierung und rechtspolitische Vormachtstellung der EU das Völkerrecht faktisch zu entwerten. Zu hoffen ist, dass die EU ihrer diesbezüglichen Verantwortung gerecht wird und sich und ihre Rechtsakte künftig weniger als regionale Alternative, sondern vielmehr als regionalen Beitrag zur globalen (Kollisions-)Rechtsvereinheitlichung positioniert. Denn es steht außer Frage, dass die EU künftig eine zentrale Rolle spielen wird. Ihre direkte Beteiligung ist in vielen Fällen sinnvoller als der Umweg über die Mitgliedstaaten – unions- und völkerrechtlich sind dafür die Voraussetzungen zu etablieren. Vor allem aber ist eine Neuorientierung des staatsvertraglichen IPR unter den geänderten Vorzeichen seiner Koexistenz mit dem europäischen Kollisionsrecht dringend notwendig. Dazu gehört einerseits eine kritische Überprüfung des überkommenen Bestands staatsvertraglicher Anknüpfungsregeln und ihre Abschaffung bzw. Reform. Andererseits gilt es rechtstechnisch wie rechtspolitisch eine Strategie für die künftige Entwicklung auf völkerrechtlicher Ebene zu entwerfen, die ihr Kollisionsrecht langfristig als Ergänzung und Alternative zur europäischen Harmonisierung bestehen lässt. Gleichzeitig sollte die EU den Blick bei ihren Rechtsetzungsvorhaben künftig mehr auf das Völkerrecht richten – und sich dafür als Impulsgeber, nicht aber als Vormacht begreifen. Als Grundlage für die Konzeption einer fruchtbaren und gleichberechtigten Interaktion der beiden Regelungsebenen sind jedenfalls übergreifende Untersuchungen der Auswirkungen der Europäisierung auf das Völkerrecht erforderlich: Letztlich müssen die vorhandenen und potentiellen Wirkungen auf sämtliche Staatsverträge aller Mitgliedstaaten analysiert werden.

§ 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts Teil III: § 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts

Ergänzend ist ein kurzer Blick auf die Folgen zu richten, die die Europäisierung von Kollisionsnormen in anderen, mit dem IPR mehr oder weniger verflochtenen Rechtsgebieten nach sich ziehen kann. Abgrenzungsfragen und Koordinationsprobleme bleiben wie gesehen in ihren Voraussetzungen und Wirkungen nicht auf die direkt betroffenen Anknüpfungsregeln beschränkt. Da diese nicht nur in die kollisionsrechtliche Ordnung, sondern in das (international)privatrechtliche Gesamtsystem eingebettet sind, können durch die Europäisierung ausgelöste Veränderungen im IPR indirekt auch in anderen Bereichen erhebliche Konsequenzen mit sich bringen. Dies wird im Folgenden anhand von ausgewählten Beispielen für das deutsche materielle Zivilrecht (dazu I.) und das Internationale Zivilverfahrensrecht (dazu II.) illustriert.

544 I.

Teil III: § 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts

Materielles Recht

I. Materielles Recht

Das Kollisionsrecht steht nicht für sich allein, sondern stets in Beziehung zum materiellen Recht: Anknüpfungsregeln müssen als integraler Teil einer Rechtsordnung interpretiert und angewendet werden. Für das nationale IPR bildet das jeweilige Sachrecht den Kontext, der sowohl das Verständnis der Kollisionsnormen als auch ihre Anwendung prägt. So ist der Statutenzuschnitt des IPR im Regelfall durch die Kategorien des materiellen Rechts geprägt, Qualifikationsentscheidungen werden vor dem Hintergrund der sachrechtlichen Funktion getroffen, die Ergebnisse der Anwendung fremden materiellen Rechts werden an den Maßstäben des Forums-Sachrechts gemessen und, sofern erforderlich, daran angepasst.846 Mit der zunehmenden Europäisierung des Kollisionsrechts ändert sich dies jedoch fundamental. Die traditionelle Entwicklung des Kollisionsrechts aus und mit den materiell-rechtlichen Konzeptionen kann hier nicht stattfinden. Die EU-Kollisionsnormen sind gerade nicht durch die Brille der einzelnen mitgliedstaatlichen Sachrechte, sondern unabhängig davon zu betrachten – in Ermangelung harmonisierten materiellen Rechts müssen sie aus sich heraus verstanden und angewendet werden. Wie gesehen führt das zu Umqualifikationen und Verschiebungen gegenüber dem nationalen Recht (siehe Teil II: § 3, S. 67 ff.). Darüber hinaus begrenzt das EU-IPR aber auch die Möglichkeiten, die Resultate der Anwendung fremden Rechts an die materiell-rechtlichen Vorstellungen der lex fori anzugleichen – und übt damit seinerseits indirekt erheblichen Einfluss auf das materielle Zivilrecht der Mitgliedstaaten aus. Besonders deutlich tritt die Wirkung des europäischen Kollisionsrechts auf das mitgliedstaatliche Sachrecht zu Tage, wenn die EU-Anknüpfungsregeln dazu zwingen, fremde Rechtsinstitute, die unter der Anwendung des nationalen IPR nicht akzeptiert wurden, nunmehr als solche anzuerkennen. Dieser Effekt ist vor allem im Erbrecht sehr rasch und prominent hervorgetreten. In Folge der Kubicka-Entscheidung des EuGH sind die Mechanismen der Rechtsübertragung auf den bzw. die Erben als Teil des europäisch anzuknüpfenden Erbstatuts zu behandeln und hinzunehmen. Die forumstaatliche Rechtsordnung muss die von einem fremden Erbstatut angeordnete sofortige dingliche Wirkung von Vindikationslegaten, dinglichen Teilungsanordnungen und gesetzlichen Nießbrauchsrechten von Todes wegen ohne weiteres akzeptieren – eine Anpassung kommt nur in Betracht, wenn das vom Erben erworbene Recht ihr inhaltlich unbekannt ist, was bei Eigentums- und Nießbrauchsrechten in der Regel ausscheiden dürfte (siehe Teil II: § 3.I.2.d), S. 114 ff.). Vindikationslegate und andere sofort dinglich wirkende Nachlassbeteiligungen müssen damit künftig als Resultat eines fremden Erbstatuts umfassend 846 Eine dialektische Entwicklung von Sach- und Kollisionsrecht sieht de ClavièreBonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 190.

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auch in jenen Rechtsordnungen akzeptiert werden, denen sie materiellrechtlich fremd sind. Dasselbe gilt für die nach dem materiellen Erbrecht einiger Mitgliedstaaten nach wie vor verbotenen Erbverträge: Ist nach dem aufgrund des europäischen Internationalen Erbrechts anwendbaren Recht ein Erbvertrag gestattet und wirksam abgeschlossen worden, müssen alle anderen Mitgliedstaaten ihn unabhängig von ihren eigenen Vorstellungen als solchen akzeptieren.847 Auch in anderen Rechtsgebieten mehren sich die Situationen, in denen die Europäisierung des Kollisionsrechts zur Akzeptanz bisher abgelehnter Rechtsinstitute bzw. Rechtsfolgen führt. Für das europäische Internationale (Ehe-) Güterrecht ist zu erwarten, dass die dem Vindikationslegat parallel gelagerte Problematik des automatischen Miteigentumserwerbs von Ehegatten bei vom fremden Güterstatut angeordneter Errungenschafts- oder Gütergemeinschaft entsprechend der ErbVO gelöst wird, mithin der Rechtserwerb als Teil des Güterstatuts ohne weitere Voraussetzungen zu akzeptieren sein wird (siehe Teil II: § 3.I.2.d), S. 114 ff.). Ein starker Zwang zur Offenheit zumindest gegenüber anderen Mitgliedstaaten ergibt sich schließlich aus den aus dem Primärrecht abgeleiteten Anerkennungspflichten sogar in Gebieten, in denen das IPR grundsätzlich national verbleibt und seine Anknüpfungsregeln allenfalls unter unionsrechtlichem Einfluss modifiziert werden. Unbekannte Gesellschaftsformen aus anderen Mitgliedstaaten sind ebenso unverändert aufzunehmen wie nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten gebildete, nach dem Sachrecht des forums nicht vorgesehene Namen – man musste sich in Deutschland an „s.à r.l.“ und „ltd.“ ebenso gewöhnen wie an Kinder mit Doppelnamen. Zumindest in Ansätzen müssen auch diejenigen Mitgliedstaaten, die die gleichgeschlechtliche Ehe nach wie vor vehement ablehnen, „importierten“ gleichgeschlechtlichen Verbindungen Rechnung tragen, mit steigendem Druck zur Akzeptanz. Das europäische bzw. europäisch beeinflusste Kollisionsrecht zwingt also zunehmend zur Offenheit gegenüber fremden Rechtsinstituten und ungewohnten Ergebnissen.848 Diese Akzeptanzpflicht im Ergebnis fordert ein generelles rechtliches und gegebenenfalls auch gesellschaftliches Umdenken. Nationales Recht und nationale Rechtsanwender können sich nicht mehr auf die gewohnte Komfortzone verlassen. Die Notwendigkeit der Aufnahme fremder, bis vor kurzem noch abgelehnter Rechtsinstitute wirft allerdings auch die Frage nach ihrer „Einpassung“ in die Rechtsordnung des Aufnahmestaats auf. Hier kommt es zu Verwerfungen, vor allem, wenn bislang bewusst abgelehnte Rechtsfiguren plötzlich nicht mehr in die gewohnten Formen des Vgl. de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 192 ff. Einen parallelen Effekt für das staatsvertragliche IPR beschreibt Harris in: Beaumont / Holliday, 323, 323 (Aufnahme des Trust auch in das materielle Recht bisher trustfeindlicher Rechtsordnungen als potentielle Folge des Haager Trustübereinkommens). 847 848

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eigenen Rechts umgegossen werden können, sondern ihnen als solchen Rechnung getragen werden muss. Manche Probleme sind eher technischpraktischer Natur und können vergleichsweise leicht behoben werden – indem etwa Formulare zur Geburtenbeurkundung grundsätzlich die Möglichkeit eines Doppelnamens für Kinder vorsehen, sodass auch nach ausländischem Recht gebildete Namen eingetragen werden können. Deutlich schwieriger ist es hingegen, die „importierten Fremdkörper“ in das im Übrigen maßgebliche forumstaatliche Recht zu integrieren, wenn sie mit anderen Rechtsfragen eng verzahnt sind und in Wechselwirkung stehen. Paradebeispiel der letzten Jahre ist aus deutscher Sicht der automatische Erwerb dinglicher Rechte nach fremdem Erb- bzw. Güterrecht, der für in Deutschland belegene Vermögenswerte mit dem als lex rei sitae anzuwendenden deutschen materiellen Sachenrecht koordiniert werden muss. Problematisch ist dies vor allem bei Immobilien: Das Erfordernis eines „dinglichen Nachvollzugs“ nach deutschem Sachenrecht und damit einer Grundbucheintragung lässt sich nicht mehr durchsetzen, es droht die Unrichtigkeit des Grundbuchs mit all ihren Konsequenzen (siehe Teil II: § 3.I.2.d), S. 114 ff.). Die von der Praxis inzwischen eingeschlagenen Wege, dem erbrechtlich-automatischen Rechtserwerb die für seine Sicherheit nach deutschem Sachenrecht notwendige Publizität im Wege der Grundbuchberichtigung zu verschaffen849 und bei nach ausländischem Güterstatut entstehendem Miteigentum lediglich einen entsprechenden Hinweis im Grundbuch zu fordern,850 sind praktikabel und sinnvoll. Es ist zu hoffen, dass sie sich in den kommenden Jahren als Standard-Procedere in der Praxis etablieren. Auf Dauer erscheint es jedoch unabdingbar, für die Ersichtlichmachung nach ausländischem Recht begründeter dinglicher Rechte an deutschen Immobilien eigene, spezielle Regelungen in die Grundbuchordnung aufzunehmen. Das EU-IPR wirkt damit erheblich auf das materielle deutsche Register(verfahrens)recht ein und zwingt darüber hinaus auch zu bislang undenkbar scheinenden Ausnahmen von den Prinzipien des materiellen Sachenrechts.851 Besonders eindrücklich illustriert dies das österreichische Beispiel des Übergabeerfordernisses als Voraussetzung für die Sicherungsübereignung. Wenn dieses Erfordernis für im Ausland begründete Sicherheiten (etwa eine deutsche Sicherungsübereignung) nunmehr wegfällt, publizitätslose Sicherheiten also als solche nach Österreich importiert werden können (siehe § 7.II.3.a), S. 382 ff.), ist es auf Dauer auch aus wirtschaftlichen Gesichts849 OLG Saarbrücken 23.5.2019 – 5 W 25/19 (kraft Gesetzes entstehender Nießbrauch nach französischem Erbrecht). – Siehe Leitzen ZEV 2018, 311, 315; J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 28 f.; J. Weber DNotZ 2018, 16, 23 f. 850 OLG Oldenburg 11.2.2019 – 12 W 143/17 (GB) (Gütergemeinschaft als gesetzlicher Güterstand nach niederländischem Recht). 851 Kritisch J. Weber DNotZ 2018, 16, 20 ff. – Auch das Europäische Nachlasszeugnis übt Angleichungswirkung auf das nationale materielle Erbrecht aus, siehe etwa de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 197 f.

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punkten kaum zu rechtfertigen, daran für inländische Sicherungsrechte festzuhalten. Da (anders als im deutschen Grundbuchrecht) Abhilfemechanismen auf Basis der lex lata kaum möglich scheinen, wird eine Reform des österreichischen Mobiliarkreditsicherungsrechts mit Einführung eines besitzlosen Sicherungsrechts immer drängender.852 In jedem Fall wird das mitgliedstaatliche Sachrecht künftig stärker als bisher Mechanismen zur Akkommodierung fremder Rechtsfiguren schaffen müssen. Häufig wird es aber nicht dabei bleiben. Denn wenn bisher abgelehnte Rechtsinstitute – wenn auch als von außen kommende Ausnahmen – nun grundsätzlich akzeptiert werden müssen, stößt dies eine neue Auseinandersetzung mit ihnen an. Über kurz oder lang stellt sich die Frage, warum eine im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr gestattete Möglichkeit bei rein inländischen Sachverhalten verwehrt bleiben soll – vor allem, wenn sie sich über eine gewisse Zeit etablieren und bewähren konnte. So dürfte es beispielsweise in einigen Jahren immer weniger vermittelbar sein, in Deutschland zwar polnische oder französische Vindikationslegate weitreichend zu akzeptieren, diese Option jedoch im deutschen Erbrecht nach wie vor strikt zu versagen. Vergleichsweise enge Beschränkungen des materiellen Rechts führen einerseits zu Nachteilen für die eigenen Bürger, die sich mangels grenzüberschreitender Beziehungen der Gestaltungsmöglichkeiten anderer Rechtsordnungen nicht bedienen können. Andererseits wirken sie sich für die Rechtsordnung selbst negativ aus, da in Fällen mit Auslandsberührung häufig eine Rechtswahl zugunsten eines großzügigeren Rechts getroffen werden wird. Es liegt daher nahe, sich im materiellen Recht an den liberaleren Rechtsordnungen zu orientieren, um im „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ bestehen zu können. Beispiele für entsprechende Überlegungen hat allein die deutsche Diskussion in den vergangenen Jahren reichlich geliefert. Die durch die ErbVO notwendig gewordene Haltungsänderung gegenüber dem Vindikationslegat bringt quasi zwangsläufig den Gedanken mit sich, auch für das deutsche Erbrecht ein Vermächtnis mit dinglicher Wirkung einzuführen.853 Der primärrechtlich bedingt zumindest im zwischenmitgliedstaatlichen Verhältnis gelockerte Umgang mit nach anderen Regeln gebildeten Namen hat Rufe nach einer Liberalisierung des vergleichsweise strikten deutschen materiellen Namensrechts lauter werden lassen.854 Und die internationalprivatrechtliche Debatte um (mitgliedstaatliche) Privatscheidungen trägt wesentlich dazu bei, dass die lange überfällige ernsthafte Beschäftigung mit dieser Option auch für das deutsche materielle Scheidungsrecht über kurz oder lang unausweichlich sein wird. Die Notwendigkeit der Akzeptanz fremder Rechtsinstitute kann 852 Faber ÖBA 2019, 401, 408 f.; Kieninger in: FS Kronke, 967, 976; prinzipiell auch Lurger IPRax 2019, 560, 563 ff. 853 Vgl. Remien IPRax 2021, 329, 334. 854 Zum Beispiel Dutta FamRZ 2016, 1213, 1219.

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hier auf zweifache Weise förderlich sein. Sind nämlich – etwa bezüglich Registereintragungen – Regeln und Strukturen zum Umgang mit ihnen in „Importfällen“ geschaffen und erprobt worden, stehen sie für ein neues, entsprechendes Instrument der eigenen Rechtsordnung bereits zur Verfügung; positive Erfahrungen können zur Überwindung der Skepsis beitragen. Auf der anderen Seite kann es sich als unter dem Strich einfacher erweisen, von vornherein ein entsprechendes eigenes Rechtsinstitut mit einem umfassenden und kohärenten Lösungskonzept einzuführen und dieses auch dem Umgang mit seinen ausländischen Entsprechungen zugrunde zu legen. Hierin liegt eines der Hauptargumente für die zunehmend geforderte Einführung eines publizitätslosen Mobiliarsicherungsrechts im österreichischen materiellen Recht. Umgekehrt kann das EU-IPR auch eine Diskussion über die Abschaffung mitgliedstaatlicher materiell-rechtlicher Rechtsinstitute auslösen oder verstärken. Spezielle Instrumente des Sachrechts einzelner Mitgliedstaaten sind kollisionsrechtlich ohnehin häufig problematisch, etwa im Hinblick auf ihre Qualifikation oder die Koordination mit Nachbarstatuten bei „Schnittstellenmaterien“ – Paradebeispiel des deutschen Rechts ist die erb- und güterrechtliche Elemente vereinende Regelung des § 1371 BGB. Das nationale IPR konnte zumindest für die Rechtsfiguren des eigenen Sachrechts zumeist mehr oder weniger zufriedenstellende Lösungen entwickeln, der Umgang anderer Kollisionsrechte damit war allerdings oft schon problematisch. Unter Geltung des EU-IPR kann auf nationale materiell-rechtliche Besonderheiten freilich keine Rücksicht mehr genommen werden – mit der Folge, dass sich ihre kollisionsrechtliche Einordnung und Behandlung oft verschiebt, wie die Mahnkopf-Entscheidung des EuGH nachdrücklich illustriert (siehe Teil II: § 3.I.3., S. 118 ff.). Die materiell-rechtliche Lösung kann dann in grenzüberschreitenden Fällen unter Umständen nicht zu den eigentlich bezweckten Ergebnissen führen, aufwendige Anpassungen werden erforderlich. Muss man ohnehin nach neuen Lösungen suchen, liegt es durchaus nahe, das Problem an der Wurzel zu packen und die – häufig innerhalb des nationalen Sachrechts nicht unumstrittenen oder veralteten – Rechtsinstitute als solche auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu streichen. Im Gefolge der durch Mahnkopf erzwungenen Umqualifikation des „güterrechtlichen Viertels“ des überlebenden Ehegatten nach § 1371 Abs. 1 BGB sowie der Unsicherheit über den europäisch-kollisionsrechtlichen Umgang mit den in den anderen Absätzen der Norm enthaltenen Regelungen855 sind bereits einige Stimmen Während § 1371 Abs. 2 BGB nach wie vor güterrechtlich zu qualifizieren sein soll (MüKo8 / Looschelders Art. 27 GüVO Rn. 10; Dörner in: Dutta / Bonomi, 73, Rn. 10; Dörner ZEV 2019, 309, 312; Fornasier FamRZ 2018, 634, 635; Martiny ZfPW 2017, 1, 25; Thorn / Varón Romero IPRax 2020, 316, 320 f.), wird für § 1371 Abs. 3 eine erbrechtliche (Dörner ZEV 2019, 309, 312) und für § 1371 Abs. 4 BGB sowohl eine erbrechtliche (MüKo8 / Looschelders Art. 1 GüVO Rn. 48, Art. 27 GüVO Rn. 10; Dörner ZEV 2019, 855

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laut geworden, die insgesamt die Abschaffung dieser Spezialität des deutschen materiellen Rechts verlangt haben.856 Zumindest Reformerwägungen im mitgliedstaatlichen materiellen Recht sind damit quasi zwingende Folge der europäischen IPR-Vereinheitlichung. Wie rasch und wie stark sie sich manifestieren und wie erfolgreich sie sind, hängt von zahlreichen Faktoren ab, insbesondere der Schwere und Häufigkeit der durch das Kollisionsrecht verursachten Schwierigkeiten und dem Stellenwert und der Beliebtheit der betroffenen materiell-rechtlichen Regelungen. Sicher wird das EU-IPR in den seltensten Fällen der alleinige Auslöser für Reformbestrebungen bezüglich des nationalen Sachrechts sein und auch kaum dazu führen, bewährte und erfolgreiche Konzepte vollends aufzugeben oder umzugestalten. Es spielt aber im Rahmen von Modernisierungen des bestehenden Rechts durchaus eine impulsgebende Rolle – und wird insbesondere als unterstützendes Argument für ohnehin bereits bestehende Überarbeitungsverlangen herangezogen. Aktuell zeigt dies das Beispiel des von der Praxis entwickelten und in vieler Hinsicht umstrittenen deutschen Nebengüterrechts: Seine grundlegende Reform und gesetzliche Festschreibung als Teil des deutschen materiellen Güterrechts wird auch unter Hinweis auf seine Zuordnung zum Anwendungsbereich der GüVO (siehe Teil II: § 3.I.1.a)bb), S. 76 ff.) gefordert.857 II. Internationales Zivilverfahrensrecht II. Internationales Zivilverfahrensrecht

Besonders starke Auswirkungen hat die Europäisierung des IPR auf dessen eng verwandte Schwesterdisziplin, das IZVR. Aufgrund der vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den beiden Rechtsgebieten machen sich Änderungen in einem davon auch im anderen bemerkbar. Der europäische Gesetzgeber ist auch im IZVR aktiv und stimmt – vor allem in jüngerer Zeit – dessen Regelungen und die des EU-Kollisionsrechts aufeinander ab bzw. fasst sie in umfassenden Rechtsakten zusammen. Nichtsdestotrotz besteht nach wie vor kein vollständiger Gleichlauf bei der Europäisierung der beiden Felder – nicht zuletzt, weil die europäische Harmonisierung im IZVR anders als im IPR in vieler Hinsicht auf Gegenseitigkeitsgedanken beruht. 309, 313) als auch eine güterrechtliche (Dörner in: Dutta / Bonomi, 73, Rn. 18; Martiny ZfPW 2017, 1, 25) und sogar eine unterhaltsrechtliche Qualifikation (Kemper FamRB 2019, 32, 36) vertreten. Die vom EuGH in Mahnkopf (EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Mahnkopf) aufgestellten Kriterien können hier nur begrenzt weiterhelfen, vermutlich wird eine erneute Vorlage erforderlich sein. 856 Zum Beispiel Dutta FamRZ 2019, 1390, 1395. – Als Beispiel für das indirekte Einflusspotential des europäischen Rechts auf das nationale materielle Recht sieht die Mahnkopf-Entscheidung auch Maoli RDIPP 2018, 676, 688. 857 Vgl. Budzikiewicz / Herr / Wever FamRZ 2021, 255, 259; Dutta FamRZ 2019, 1390, 1396; Sanders FamRZ 2018, 978, 983 f.; Wever FamRZ 2019, 1289, 1289, 1291 ff.

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Europäische internationalverfahrensrechtliche Regelungen erfassen daher häufig nur innereuropäische Konstellationen, während Sachverhalte mit Drittstaatenbezug dem mitgliedstaatlichen IZVR überlassen bleiben. Dieses greift unter Umständen jedoch auf die anwendbaren Kollisionsregeln zurück. Wenn diese europäisiert werden, kann die „Überkreuzung“ von nationalem IZVR und europäischem IPR unerwartete Folgen nach sich ziehen. Das spektakulärste Beispiel für die Schwierigkeiten, die eine Europäisierung der Anknüpfungsregeln – hier in Verbindung mit einer teilweisen Europäisierung der Verfahrensregeln – für die Anwendung der unverändert bleibenden nationalen IZVR-Regeln mit sich bringen kann, ist aus deutscher Warte der verfahrensrechtliche Umgang mit im Ausland nach ausländischem Recht vorgenommenen außergerichtlichen Scheidungen, also ihre Anerkennung.858 Nur in diesem Kontext kann das (Privat-)Scheidungskollisionsrecht aus deutscher Sicht überhaupt relevant werden: Aufgrund des gerichtlichen Scheidungsmonopols sind unabhängig vom Scheidungsstatut in Deutschland vorgenommene Privatscheidungen aus Sicht des deutschen Rechts unwirksam, sodass eine „direkte“ Anwendung der Anknüpfungsregeln ausscheidet. Das nationale deutsche IZVR sieht jedoch eine inzidente kollisionsrechtliche Prüfung im Rahmen der Anerkennung ausländischer Privatscheidungen vor (sogenannte „kollisionsrechtliche Anerkennung“), was eine „indirekte“ Anwendung der Scheidungskollisionsregeln bei der internationalverfahrensrechtlichen Entscheidung erfordert. In dieses fein austarierte System aus nationalem deutschem IZVR und IPR greift die (teilweise) Europäisierung in Gestalt der Brüssel IIa-VO bzw. Brüssel IIb-VO und der Rom III-VO ein. Vor allem die nach der Sahyouni-Entscheidung nach wie vor offenen bzw. neu aufgeworfenen Fragen verkomplizieren die ohnehin komplexe Situation für die deutschen Rechtsanwender zusätzlich. Im Folgenden werden zunächst die unterschiedlichen Mechanismen des europäischen und des nationalen IZVR, die für die Anerkennung außergerichtlicher Scheidungen in Betracht kommen bzw. die je nach dem Ursprung der Privatscheidung anzuwenden sind, vorgestellt (dazu 1.). Anschließend wird das Zusammentreffen der nach wie vor nationalen Anerkennungsregeln mit dem inzwischen europäisierten Scheidungskollisionsrecht beleuchtet: Die Anknüpfungsregeln der Rom III-VO erweisen sich als ungeeignet für die „kollisionsrechtliche Anerkennung“ des deutschen IZVR (dazu 2.). Das Resultat ist eine immer stärkere Forderung nach einer Änderung der deutschen Anerkennungsregeln, also eine Anpassung des mitgliedstaatlichen IZVR an das europäisierte IPR (dazu 3.).

858 Jüngst kritisch zu den theoretischen Grundlagen der Anerkennung Loyal ZZP 131 (2018), 373, 373 ff.

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1. Mechanismen des IZVR zur Anerkennung von Privatscheidungen Die Anerkennung ausländischer Privatscheidungen erfolgt in den EU-Mitgliedstaaten in unterschiedlichen Verfahren unter Zugrundelegung verschiedener Maßstäbe. Das einheitliche europäische Anerkennungsregime der BrüsselVerordnungen hat für mitgliedstaatliche Scheidungen die nationalen Anerkennungsregeln abgelöst, während letztere nach wie vor für drittstaatliche Scheidungen gelten (dazu a)). Hinzu tritt seit einigen Jahren die Frage nach dem Umgang mit den einer zunehmenden Anzahl von Mitgliedstaaten bekannten außergerichtlichen Scheidungsmodellen, deren Zuordnung zur europäischen oder nationalen Regelungsebene sich als schwierig erweist (dazu b)). Die unter seinem Anerkennungsregime verbliebenen Privatscheidungen überprüft das deutsche Internationale Zivilverfahrensrecht anhand eines von der Anerkennung von Verfahrensscheidungen divergierenden Maßstabs (dazu c)). a) EU-IZVR vs. mitgliedstaatliches IZVR Grundsätzlich gilt für die gegenseitige Anerkennung von „Entscheidungen in Ehesachen“, zu denen auch Scheidungen gehören, innerhalb der EU vorrangig das europäische IZVR. Mit der Brüssel IIa-VO (ab dem 1.8.2022 abgelöst durch die reformierte Brüssel IIb-VO, Art. 105 Abs. 2 Brüssel IIb-VO) stellt es einen verfahrenstechnisch und inhaltlich vereinfachten Anerkennungsmechanismus zur Verfügung. Nach Artt. 21 ff. Brüssel IIa-VO sind mitgliedstaatliche Entscheidungen automatisch anzuerkennen: Auf ein „besonderes Verfahren“ wird explizit verzichtet, stattdessen erfolgt eine inzidente Anerkennung durch jede mit der Wirksamkeit der Scheidung (z. B. als Vorfrage) befassten Stelle.859 Auch der Anerkennungsmaßstab ist deutlich reduziert. Nur aus den in Art. 22 Brüssel IIa-VO abschließend aufgezählten Gründen darf die Anerkennung versagt werden. In inhaltlicher Hinsicht kann ihr einzig der ordre public des Anerkennungsstaats entgegengehalten werden (Art. 22 lit. a) Brüssel IIa-VO); eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung in der Sache selbst (révision au fond ) ist dagegen ausdrücklich verboten (Art. 26 Brüssel IIa-VO). Diese Großzügigkeit ist Ausdruck des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und soll den Rechtsverkehr innerhalb der EU erleichtern. In räumlich-persönlicher Hinsicht erfasst die Brüssel IIa-VO alle Scheidungen aus EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks). Demgegenüber unterliegt die Anerkennung von Scheidungen aus Drittstaaten (und Dänemark) nach wie vor dem mitgliedstaatlichen IZVR. Sofern nicht die Anerkennungsvorschriften eines bilateralen Staatsvertrags zu beachten Siehe kritisch dazu, dass eine allgemeinverbindliche Entscheidung über die Anerkennungsfähigkeit unter der Brüssel IIa-VO nicht möglich ist, Helms FamRZ 2001, 257, 261 f.; Mankowski StAZ 2016, 193, 194. 859

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sind,860 regelt das deutsche Internationale Familienverfahrensrecht die Anerkennung im Ausland erfolgter Scheidungen in §§ 107 ff. FamFG, die das Verfahren des Art. 7 § 1 FamRÄndG861 inhaltlich weitgehend unverändert übernommen haben. Grundsätzlich unterliegt die Anerkennung ausländischer Scheidungen dem förmlichen Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG; inzidente Anerkennungsentscheidungen durch mit der (Vor-)Frage nach der Wirksamkeit der Scheidung befasste Gerichte und Behörden sind ausgeschlossen. Das Anerkennungsmonopol der Landesjustizverwaltungen stellt die einheitliche und verbindliche Entscheidung über das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen durch eine spezialisierte, kompetente Stelle sicher, vermeidet durch Inzidentprüfungen verzögerte Verfahren sowie innerhalb Deutschlands hinkende Scheidungen und schafft durch die erga omnesWirkung der Anerkennungsentscheidung Rechtssicherheit.862 Eine Ausnahme gewährt § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG für sogenannte Heimatstaatsscheidungen: Bei einer Scheidung im gemeinsamen Heimatstaat beider Ehegatten muss das förmliche Anerkennungsverfahren nicht durchlaufen werden.863 Allerdings greift § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG nicht ein, wenn (wenigstens) einer der Ehegatten gleichzeitig auch deutscher Staatsangehöriger ist;864 außerdem besteht auch bei einer Heimatstaatsscheidung die Möglichkeit, das Anerkennungsverfahren fakultativ durchführen zu lassen, um eine verbindliche Anerkennungsentscheidung zu erhalten.865 Die inhaltliche Überprüfung der ausländischen Scheidung im Anerkennungsverfahren erfolgt nach dem Maßstab des § 109 FamFG. Zu den dort abschließend aufgezählten Anerkennungsverweigerungsgründen gehört insbesondere der inländische (deutsche) ordre public (§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG), die révision au fond ist nach § 109 Abs. 5 FamFG ausgeschlossen. Sowohl die Brüssel IIa-VO als auch die Regeln des FamFG zur Anerkennung von Scheidungen gehen jedoch vom Modell einer Verfahrensscheidung unter staatlicher Kontrolle aus. Ihr vergleichsweise großzügiger Anerkennungsmaßstab beruht auf dem Gedanken, dass im Ausgangsstaat bereits eine staatliche (gerichtliche, gegebenenfalls behördliche866) Entscheidung in der 860 Bilaterale Abkommen bestehen etwa im Verhältnis zur Schweiz und zu Tunesien, während der deutsch-israelische Anerkennungs- und Vollstreckungsvertrag Statusentscheidungen nicht erfasst, vgl. Gärtner 159. 861 Dazu Andrae / Heidrich FPR 2004, 292, 292 ff. 862 Siehe zu den Gründen für das Anerkennungsmonopol statt vieler Hau in: FS Spellenberg, 435, 435 f.; Mankowski StAZ 2016, 193, 194; Schack in: FS Spellenberg, 497, 498 ff. – Noch zu Art. 7 § 1 FamRÄndG Andrae / Heidrich FPR 2004, 292, 292. 863 Hau in: FS Spellenberg, 435, 445 f.; Mankowski StAZ 2016, 193, 194. 864 MüKoFamFG / Rauscher § 107 FamFG Rn. 36; Antomo NZFam 2018, 243, 244. 865 MüKoFamFG / Rauscher § 107 FamFG Rn. 34; Andrae / Heidrich FPR 2004, 292, 293 f.; Hau in: FS Spellenberg, 435, 447. 866 Auch geistliche Gerichte, denen die staatlich-säkulare Rechtsordnung die entsprechende Kompetenz zugewiesen hat, fallen darunter, vgl. BGH 28.5.2008 – XII ZR 61/06, Rn. 30.

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Sache stattgefunden hat, sodass eine erneute inhaltliche Kontrolle nicht mehr erforderlich ist und zwischen den EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Urteilsfreizügigkeit innerhalb Europas auch nicht mehr gerechtfertigt wäre. Eine solche, im Wesentlichen auf die Einhaltung (verfahrensrechtlicher) Mindestvoraussetzungen beschränkte Kontrolle (im deutschen IZVR als „verfahrensrechtliche Anerkennung“ bezeichnet) bietet sich für staatliche Hoheitsakte an, scheint allerdings für Privatscheidungen, bei denen konstitutives Element der Auflösung des Ehebandes gerade ein privatautonomes Rechtsgeschäft ist, nur bedingt geeignet. Zwar hat die immer häufigere Befassung mitgliedstaatlicher Gerichte mit Privatscheidungen aus Drittstaaten, vor allem aber die zunehmende Einführung von Privatscheidungsmodellen in den EU-Mitgliedstaaten die Problematik des für die Anerkennung von Privatscheidungen maßgeblichen Anerkennungsverfahrens und des zugrunde zu legenden Prüfungsmaßstabs in den letzten Jahren stark in den Fokus gerückt. Nach wie vor ist jedoch in vieler Hinsicht streitig, ob und inwieweit auch Privatscheidungen in den Genuss des verfahrenstechnisch und inhaltlich erleichterten Maßstabs der Artt. 21 ff. Brüssel IIa-VO bzw. der §§ 107 ff. FamFG kommen können. b) Mitgliedstaatliche Privatscheidungen und EU-IZVR Über eine vereinfachte Anerkennung nach der Brüssel IIa-VO für Privatscheidungen aus EU-Mitgliedstaaten wird seit einigen Jahren diskutiert. Im Kern geht es darum, wie weit der sachliche Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO reicht. Unter „die Ehescheidung“ nach Art. 1 Abs. 1 lit. a) Brüssel IIa-VO fallen unstreitig alle Verfahrensscheidungen mit konstitutivem Scheidungsausspruch eines Gerichts:867 Der in Art. 21 Brüssel IIa-VO für die Anerkennung zugrunde gelegte Begriff der „Entscheidung“ wird in Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO definiert als „jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung über die Ehescheidung […], ohne Rücksicht auf die Bezeichnung der jeweiligen Entscheidung, wie Urteil oder Beschluss“. Eindeutig ausgeschlossen sind damit reine Privatscheidungen ohne jegliche Beteiligung staatlicher Stellen, die allerdings den europäischen Rechtsordnungen ohnehin nicht bekannt sind. Nach wie vor umstritten ist jedoch, ob die inzwischen in einigen Mitgliedstaaten vorgesehenen außergerichtlichen Scheidungsmodelle mit unterschiedlichen Formen deklaratorischer staatlicher Mitwirkung (etwa durch anschließende behördliche Feststellung oder Registrierung) unter den Begriff „Entscheidung“ und damit unter das (Anerkennungs-)Regime der Brüssel IIa-VO fallen.868

Antomo NZFam 2018, 243, 247. C. Mayer StAZ 2018, 106, 106 f.; Sonnentag / Haselbeck IPRax 2022, 22, 25 ff.; M.P. Weller IPRax 2017, 222, 230. 867 868

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Als Hauptargumente gegen eine Einbeziehung von Privatscheidungen in die Brüssel IIa-VO werden der Wortlaut und die historische Auslegung herangezogen. Mit „Entscheidung“ sei nur der konstitutive Scheidungsausspruch hoheitlicher Stellen gemeint – nur dieses Scheidungsmodell habe der europäische Gesetzgeber bei der Konzeption der Brüssel IIa-VO vor Augen gehabt, da Privatscheidungen damals in der EU noch gänzlich unbekannt waren. Zwar sei eine Einbeziehung der neu hinzugekommenen außergerichtlichen Scheidungen in das EU-IZVR durchaus wünschenswert, sie könne aber nur auf legislativem Wege erfolgen. De lege lata sprach sich die Mehrheit der Literaturstimmen daher gegen die Erstreckung der Brüssel IIa-VO auf Privatscheidungen aus.869 Demgegenüber wurde allerdings zunehmend die – direkte oder analoge – Anwendung der Anerkennungsvorschriften der Brüssel IIa-VO befürwortet.870 Für eine erweiternde Auslegung des Entscheidungsbegriffs im Einklang mit den materiell-rechtlichen Tendenzen in Europa wurde argumentiert, dass auch die bestätigende bzw. deklaratorische Mitwirkung einer staatlichen Stelle eine Form „staatlicher Kontrolle“ sei, durch die in den Mitgliedstaaten eine hinreichende Gewähr für die Einhaltung der Scheidungsvoraussetzungen bestünde. Die einheitliche Anwendung des vereinfachten europäischen Anerkennungsregimes auf alle mitgliedstaatlichen Scheidungen könne eine willkürlich anmutende Unterscheidung zwischen Verfahrens- und Privatscheidungen verhindern und Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen. Zudem trüge man auf diese Weise dem besonders schützenswerten Vertrauen in die Wirksamkeit mitgliedstaatlicher Rechtsakte Rechnung und beugte hinkenden Statusverhältnissen innerhalb der EU und den daraus resultierenden Einschränkungen des Freizügigkeitsrechts vor. Zumindest sei die Brüssel IIa-VO analog anzuwenden: Durch die spätere Einführung von Privatscheidungsmodellen in einigen Mitgliedstaaten sei nachträglich eine planwidrige Regelungslücke entstanden, eine gewisse Verwandtschaft zu Verfahrensscheidungen und damit eine vergleichbare Interessenlage sei durch die zumindest deklaratorisch wirkende Mitwirkung hoheitlicher Stellen gegeben.871 Sowohl 869 MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 10; NK-BGB / Gruber Art. 1 Rom III-VO Rn. 87 ff.; Rauscher / Rauscher Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 12; Gärtner 310 ff.; Cubeddu Wiedemann / Henrich FamRZ 2015, 1253, 1258 (zu den italienischen Privatscheidungen); Dutta FamRZ 2020, 1428, 1428; Gärtner StAZ 2012, 357, 362; Krömer StAZ 2017, 59, 59. – Aus österreichischer Sicht Nademleinsky in: FS Gitschthaler, 171, 172; für die französische divorce sans juge Khairallah in: FS Ancel, 965, 970 ff. 870 Antomo StAZ 2019, 33, 36; Antomo NZFam 2018, 243, 248 f.; Dutta FF 2018, 60, 63; Helms in: Dutta / Schwab / Henrich / Gottwald / Löhnig, 337, 343 ff.; Kohler / Pintens FamRZ 2016, 1509, 1515 f.; Pika / Weller IPRax 2017, 65, 69 f.; Sonnentag / Haselbeck IPRax 2022, 22, 26 ff.; M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 230 f. – Differenzierend Gitschthaler / Garber Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 11 ff. 871 Antomo NZFam 2018, 243, 247.

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Befürworter als auch Gegner der Einbeziehung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen in die Brüssel IIa-VO wiesen schließlich darauf hin, dass diese nicht nur hinsichtlich der Anerkennung, sondern auch bezüglich des Zuständigkeitsregimes (Artt. 3 ff. Brüssel IIa-VO) gelten müsse.872 Als alternatives Modell für den Umgang mit Privatscheidungen unter dem europäischen IZVR wurde schließlich eine Anerkennung nach Art. 46 Brüssel IIa-VO vorgeschlagen.873 Eine potentiell aus den Grundfreiheiten abzuleitende grundsätzliche Anerkennungspflicht verlieh der Fragestellung zusätzliche Brisanz. Der EU-Gesetzgeber hat reagiert und – entgegen der ursprünglichen Absicht, Ehesachen bei der Reform der Brüssel IIa-VO gänzlich auszuklammern874 – in die Brüssel IIb-VO explizite Regelungen zur Anerkennung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen aufgenommen. Der neu eingefügte Abschnitt 4 „Öffentliche Urkunden und Vereinbarungen“ sieht in den Artt. 64 ff. Brüssel IIb-VO die Anerkennung in einem nach den Vorschriften der Brüssel IIb-VO international zuständigen Mitgliedstaat förmlich errichteter bzw. eingetragener öffentlicher Urkunden sowie registrierter Vereinbarungen (i. S. d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 2, 3 Brüssel IIb-VO) vor, worunter insbesondere außergerichtliche Scheidungen unter behördlicher Mitwirkung fallen.875 Nach Art. 65 Abs. 1 S. 1 Brüssel IIb-VO sind diese in entsprechender Anwendung der Vorschriften zur Entscheidungsanerkennung (Kapitel IV Abschnitt 1 Brüssel IIa-VO) automatisch anzuerkennen, nur aus den in Art. 68 Abs. 1 Brüssel IIb-VO aufgezählten, der Entscheidungsanerkennung entsprechenden Gründen (inhaltlich kann nur der ordre public des Anerkennungs-Mitgliedstaats geltend gemacht werden, lit. a)) darf die Anerkennung versagt werden. Eine im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellte Bescheinigung (Artt. 66 f. Brüssel IIb-VO) soll die Anerkennung technisch erleichtern.876 Für die Anerkennung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen besteht damit künftig eine zuverlässige Grundlage, außerdem werden sowohl hinsichtlich der Zuständigkeit als auch hinsichtlich der Anerkennung alle mitgliedstaatlichen Scheidungen (unabhängig von ihrer gerichtlichen oder außergerichtlichen Natur) einheitAntomo NZFam 2018, 243, 247. Kramme GPR 2021, 101, 103 f.; C. Mayer StAZ 2018, 106, 112 (allerdings nur für bestimmte Fälle); für die französische divorce sans juge (wenn auch skeptisch) Khairallah in: FS Ancel, 965, 972. – Ablehnend Gärtner 345 ff. 874 Dazu z. B. Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2020, 97, 101 f.; M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 222. 875 Dutta FamRZ 2020, 1428, 1428 f.; Kohler / Pintens FamRZ 2019, 1477, 1479 f.; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2020, 97, 102 f.; Nademleinsky in: FS Gitschthaler, 171, 176. 876 Siehe zu den neu eingeführten Regelungen sowie den dadurch aufgeworfenen Fragen im Überblick Antomo in: Pfeiffer / Lobach / Rapp, 13, 28 ff.; Dutta FamRZ 2020, 1428, 1428 ff.; Kohler / Pintens FamRZ 2019, 1477, 1479 f.; Kramme GPR 2021, 101, 104 ff.; Nademleinsky in: FS Gitschthaler, 171, 177 ff.; A. Schulz FamRZ 2020, 1141, 1148 f. 872 873

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lich dem Regime der Brüssel IIb-VO unterstellt.877 Damit werden die bisherigen Qualifikationsprobleme deutlich entschärft, wenn auch nicht ganz aus der Welt geschafft, da das Anerkennungsregime der Brüssel IIb-VO nach „Entscheidungen“, „öffentlichen Urkunden“ und „Vereinbarungen“ differenziert.878 Die dogmatische Einordnung der innovativen Neuregelung ist derzeit noch umstritten – beispielsweise will Dutta sie als auf der Rechtslagenanerkennung basierende Kollisionsregel, die die Privatscheidung dem Errichtungsortrecht unterstellt, auffassen,879 wohl mehrheitlich wird jedoch ein verfahrensrechtliches Verständnis zugrunde gelegt.880 Unter die Brüssel IIb-VO fallen allerdings nur ab dem 1.8.2022 beurkundete bzw. registrierte Privatscheidungen – für vor diesem Stichtag vollzogene „Altprivatscheidungen“ bleibt weiterhin die Brüssel IIa-VO maßgeblich (Art. 100 Brüssel IIb-VO).881 Damit perpetuiert sich für eine beachtliche Anzahl an Scheidungen und für einen erheblichen Zeitraum die derzeitige Unsicherheit, ob bzw. inwieweit Privatscheidungen von der Brüssel IIa-VO erfasst sind. Die klare Regelung der Brüssel IIb-VO für die Zukunft und die Schaffung eigener Regeln zur Anerkennung außergerichtlicher Scheidungen spricht eher gegen die pauschale Anwendung der Brüssel IIa-VO auf Privatscheidungen: Unterfielen Privatscheidungen bereits den bestehenden Anerkennungsregeln der Brüssel IIa-VO, wäre die Neuregelung in dieser Form überflüssig. Auf der anderen Seite ist nicht ausgeschlossen, dass zumindest manche Formen mitgliedstaatlicher Privatscheidungen bereits unter das bestehende Anerkennungsregime der Brüssel IIa-VO fallen. Als Argument dafür könnte die jüngere Rechtsprechung zur ErbVO herangezogen werden, nach der der Begriff „Gericht“ i. S. d. Art. 3 Abs. 2 ErbVO im Zusammenhang der Zuständigkeits- und Anerkennungsregeln der ErbVO weit auszulegen ist und auch die Angehörigen anderer Rechtsberufe (z. B. Notare) erfassen kann, sofern diese bestimmte Kriterien erfüllen und gerichtliche Funktionen ausü877 Zwar gelten die Zuständigkeitsregeln der Brüssel IIb-VO nicht unmittelbar für die Vornahme von Privatscheidungen, aber nur in einem nach der Brüssel IIb-VO für die Scheidung international zuständigen Mitgliedstaat vorgenommene Privatscheidungen kommen in den Genuss der Anerkennung, vgl. Dutta FamRZ 2020, 1428, 1430; C. Mayer StAZ 2020, 193, 199 f.; A. Schulz FamRZ 2020, 1141, 1148 Fn. 86. 878 Dutta FamRZ 2020, 1428, 1428 f.; Nademleinsky in: FS Gitschthaler, 171, 175 ff. – Sonnentag / Haselbeck IPRax 2022, 22, 29 wollen mitgliedstaatliche Privatscheidungen als „Entscheidungen“ nach Artt. 30 ff. Brüssel IIb-VO anerkennen, womit kaum Anwendungsbereich für die neuen Artt. 64 ff. Brüssel IIb-VO verbleibt. 879 Dutta FamRZ 2020, 1428, 1429 f. („kollisionsrechtlicher Wolf im verfahrensrechtlichen Schafspelz“). 880 Antomo StAZ 2020, 33, 43; Kohler / Pintens FamRZ 2019, 1477, 1479 f.; C. Mayer StAZ 2020, 193, 199. 881 Siehe zum zeitlichen Anwendungsbereich Nademleinsky in: FS Gitschthaler, 171, 173 f.

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ben, sodass auch der Begriff „Entscheidung“ in Art. 3 Abs. 1 lit. g) ErbVO entsprechend weit zu verstehen ist.882 Eine entsprechende Definition enthält Art. 3 Abs. 2 GüVO / PartVO. Gegen eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Brüssel IIa-VO sprechen allerdings mehrere Aspekte. Zum ersten weicht – wie der EuGH selbst betont – die weitgefasste Gerichtsdefinition des Art. 3 Abs. 2 ErbVO deutlich von der früherer Verordnungen (so auch von Art. 2 Nr. 1 Brüssel IIa-VO) ab.883 Zum zweiten hat der europäische Gesetzgeber damit, dass er in der Brüssel IIb-VO Privatscheidungen gerade nicht dem Begriff „Entscheidung“ unterstellt, sondern eine eigene Kategorie dafür geschaffen hat, für das Brüssel-Regime ein engeres Begriffsverständnis zum Ausdruck gebracht. Und schließlich erscheint fraglich, inwiefern Behörden bei einvernehmlichen Privatscheidungen das bei der weiten Gerichtsdefinition der ErbVO zentrale Kriterium der „Streitentscheidungsfunktion“ erfüllen. Auf das großzügige Begriffsverständnis der ErbVO kann man sich daher für die Brüssel IIa-VO wohl kaum berufen. Aber selbst unter Zugrundelegung des weit gefassten Gerichts- und Entscheidungsbegriffs der jüngeren EU-Verordnungen: Es ist für jedes mitgliedstaatliche Privatscheidungsmodell individuell zu entscheiden, ob es in den Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO fällt. Klarheit kann diesbezüglich nur der EuGH schaffen. Dieser musste und durfte die Frage in seiner SahyouniEntscheidung offenlassen, da die streitgegenständliche Scheidung nicht in einem Mitgliedstaat, sondern einem Drittstaat (Syrien) erfolgt war und damit bereits der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO nicht eröffnet war. Indirekt haben sich der Generalanwalt und der EuGH allerdings durchaus positioniert: Es ist davon auszugehen, dass die Argumente, mit denen eine Einbeziehung von Privatscheidungen in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO abgelehnt wurde (Nichtberücksichtigung der Frage beim Verordnungserlass, Einbeziehung für die Zukunft als Aufgabe des Gesetzgebers), sinngemäß auch für die Brüssel IIa-VO gelten sollen – insbesondere, da der EuGH selbst mit den Parallelen der Verordnungen argumentiert.884 Allerdings lässt das auf die konkret in Frage stehende syrische Privatscheidung begrenzte Urteil offen, ob es für alle Arten von Privatscheidungen gelten soll – ob mitgliedstaatliche außergerichtliche Scheidungen ebenfalls vom Anwendungsbereich der EU-Verordnungen ausgeschlossen sein oder als Scheidung „von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle“ eingestuft werden und 882 Vgl. EuGH 16.7.2020 – C-80/19, E.E., Rn. 48 ff.; EuGH 23.5.2019 – C-658/17, WB, Rn. 40. – Dazu aus polnischer Perspektive Pazdan / Zachariasiewicz JPIL 17 (2021), 74, 110 ff. 883 EuGH 23.5.2019 – C-658/17, WB, Rn. 40; Mansel / Thorn / Wagner IPRax 2020, 97, 123. 884 EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 40 f.; Antomo NZFam 2018, 243, 248.

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damit den europäischen Regeln unterfallen sollen, ist nach wie vor ungeklärt (siehe Teil II: § 3.II.2.d)bb), S. 171 ff.). Die erste Gelegenheit zur Entscheidung über eine mitgliedstaatliche Privatscheidung hat der EuGH inzwischen erhalten.885 Auf Vorlage des BGH886 musste er beantworten, ob eine italienische standesamtliche Scheidung der Brüssel IIa-VO unterfällt. Der EuGH hat die durch den italienischen Standesbeamten errichtete Scheidungsurkunde als „Entscheidung“ i. S. d. Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO eingestuft, sodass ihre (automatische) Anerkennung nach Art. 21 Abs. 2 Brüssel IIa-VO erfolgt.887 Damit ist freilich, da der EuGH weder kategorisch alle mitgliedstaatlichen Scheidungen ohne konstitutiven staatlichen Ausspruch vom Anwendungsbereich des EU-IZVR bzw. -IPR ausgeschlossen noch sie umfassend darin eingeschlossen hat, das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die mitgliedstaatlichen Privatscheidungsmodelle sind hinsichtlich des Umfangs und der Funktion der staatlichen Beteiligung sehr unterschiedlich ausgestaltet und die Behandlung der einzelnen Modelle ist stark umstritten. Wahrscheinlich ist daher, dass – anhand vom EuGH festzulegender Kriterien – für jede mitgliedstaatliche Privatscheidungsform individuell über ihre Einbeziehung in die Brüssel IIa-VO entschieden werden muss.888 Bis dies verbindlich für alle mitgliedstaatlichen „Altprivatscheidungen“ geschehen ist, wird die Unklarheit über die Anwendung der Brüssel IIaVO fortbestehen. Selbst mit nach und nach eintretender Klärung ist jedoch auf Dauer zu erwarten und zu befürchten, dass allenfalls einige, aber wohl kaum alle der verschiedenen mitgliedstaatlichen Privatscheidungsmodelle unter die Brüssel IIa-VO fallen werden889 – die Trennlinie kann unter Umständen sogar zwischen den unterschiedlichen Privatscheidungsformen ein und derselben Rechtsordnung verlaufen.890 Das ist im Hinblick auf die Erleichterung des Rechtsverkehrs in Europa noch weniger überzeugend als die teils bereits willkürlich erscheinende Unterscheidung zwischen VerfahrensEuGH 15.11.2022 – C-646/20, Senatsverwaltung für Inneres und Sport. BGH 28.10.2020 – XII ZB 187/20. 887 Dies entspricht der Sicht italienischer Behörden, vgl. Scalzini StAZ 2016, 129, 131, sowie der Vorinstanz, KG 30.3.2020 – 1 W 236/19. 888 Vgl. das – nach der Entscheidung zur italienischen Privatscheidung zurückgezogene – Vorabentscheidungsersuchen des KG Berlin 28.4.2022 – I VA 2/22 zur spanischen Notarsscheidung. 889 Beispielsweise lehnt Krömer StAZ 2017, 59, 59 die Anerkennung nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO für die italienische Standesamtsscheidung ab, weist aber (Fn. 1) darauf hin, dass sie für die rumänischen und portugiesischen Pendants dazu sehr wohl möglich sein soll. 890 Vgl. MüKo8 / Winkler von Mohrenfels Art. 1 Rom III-VO Rn. 11: Ein und dieselbe italienische Privatscheidung soll als rein privat einzustufen sein, wenn die Ehegatten keine Kinder haben und die staatliche Mitwirkung sich auf eine reine Bestätigung (nulla osta) beschränkt, dagegen aber nicht privat, wenn aufgrund minderjähriger Kinder des Ehepaars der Staatsanwalt eine Genehmigung aussprechen muss. 885 886

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und Privatscheidungen. Insbesondere wird es zu manch böser Überraschung für die bis zum Sommer 2022 geschiedenen (Ex-)Ehegatten führen, die ihre Entscheidung für ein bestimmtes (außergerichtliches) Scheidungsverfahren meist nicht primär im Hinblick auf spätere Anerkennungsmöglichkeiten, sondern vielmehr abhängig von anderen Faktoren (wie z. B. Kosten und Dauer des Verfahrens) getroffen haben. Für das „Auslaufmodell“ Brüssel IIa-VO wird sich die unbefriedigende Differenzierung zwischen Verfahrens- und einigen „staatlich kontrollierten“ Privatscheidungen einerseits und den übrigen Privatscheidungen andererseits gleichwohl kaum ändern lassen. c) Privatscheidungen und deutsches IZVR Abgesehen von der Unklarheit über die Einordnung der einzelnen Privatscheidungsmodelle erfolgt jedenfalls die Anerkennung der nicht im Einzelfall sachlich von der Brüssel IIa-VO erfassten „Altprivatscheidungen“ aus Mitgliedstaaten weiterhin nach nationalem IZVR. Einzig maßgeblich bleibt dieses außerdem für alle bisherigen und zukünftigen drittstaatlichen Privatscheidungen, die räumlich-persönlich weder von der Brüssel IIa-VO noch von der Brüssel IIb-VO erfasst sind. Vorrangig sind dabei völkerrechtliche (bilaterale) Abkommen zu berücksichtigen, die aus deutscher Sicht sowohl im Verhältnis zu Drittstaaten als auch zu einigen Mitgliedstaaten bestehen (und außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel IIa-VO nicht von dieser verdrängt werden). Praktisch können diese allerdings für die Anerkennung von Privatscheidungen kaum je relevant werden. Sie enthalten zum einen keine Vorschriften zum Anerkennungsverfahren, sondern allenfalls zu Anerkennungshindernissen. Zum anderen stammen sie aus einer Zeit, in der (mitgliedstaatliche) Privatscheidungen noch kein Thema waren, sodass sie weder darauf gerichtete Regelungen enthalten noch auf dieses Szenario übertragbar sind. Insofern bleibt es bei der Anwendung des nationalen IZVR, die freilich durch die Ermittlung und Prüfung etwaig bestehender Staatsverträge zusätzlich verkompliziert wird.891 Im deutschen IZVR steht mit der „verfahrensrechtlichen Anerkennung“ nach §§ 107 ff. FamFG allerdings – wie im bisherigen EU-IZVR – nur ein auf ausländische Hoheitsakte zugeschnittenes Anerkennungsmodell zur Verfügung. Fehlt es an einem anerkennungsfähigen konstitutiven Scheidungsausspruch durch ein Gericht oder eine Behörde, ist die Wirkung einer ausländischen (Privat-)Scheidung grundsätzlich von jeder Stelle, der sie sich als Vorfrage stellt, im Rahmen einer Inzidentprüfung eigenständig zu beurteilen.892 Dem Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG werden dabei allerdings heute alle Scheidungen, bei denen eine staatliche Stelle in irgendeiner Form Vgl., wenn auch ebenfalls lange vor der Einführung von Privatscheidungsmodellen in der EU, Hau in: FS Spellenberg, 435, 444. 892 BGH 28.11.2018 – XII ZB 217/17, Rn. 17 ff. 891

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beteiligt war, unterworfen;893 für Heimatstaatsscheidungen greift die Privilegierung des § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG ein.894 Vom Anerkennungsmonopol der Landesjustizverwaltungen ausgenommen sind damit nur die ausgesprochen seltenen reinen Privatscheidungen ohne jegliche deklaratorische, registrierende oder beurkundende hoheitliche Mitwirkung; zunehmend etabliert sich jedoch auch für diese eine fakultative Durchführung des Anerkennungs- bzw. Feststellungsverfahrens.895 Das deutsche IZVR hat damit für die Anerkennung von Privatscheidungen heute das für Verfahrensscheidungen konzipierte Verfahren des § 107 FamFG weitgehend übernommen. Inhaltlich legt es bei außergerichtlichen Scheidungen jedoch nicht den zur „verfahrensrechtlichen Anerkennung“ nach § 107 FamFG zugehörigen begrenzten Prüfungsmaßstab des § 109 FamFG zugrunde. Vielmehr wird eine umfassende Wirksamkeitsprüfung der anzuerkennenden Privatscheidung vorgenommen: Sie wird auf ihre formelle und materielle Wirksamkeit nach dem aus deutscher Perspektive anwendbaren Recht überprüft. Da dieses nach den deutschen Scheidungskollisionsregeln ermittelt wird, spricht man – durchaus missverständlich – von der „kollisionsrechtlichen Anerkennung“. Eigentlich handelt es sich aber um eine eigene (deutsche) Sachentscheidung hinsichtlich der Wirksamkeit des ausländischen Rechtsgeschäfts „Scheidung“, die in Ermangelung einer bereits erfolgten Sachprüfung durch die ausländischen Hoheitsträger nunmehr im Rahmen der Anerkennung vorgenommen wird.896 Damit findet also gerade eine révision au fond statt; für die Prüfung der Vereinbarkeit mit dem deutschen ordre public sind die kollisionsrechtlichen ordre public-Vorschriften maßgeblich.897 Dieser ursprünglich für die Inzidentprüfung von Privatscheidungen entwickelte erweiterte kollisions- und sachrechtliche Prüfungsmaßstab ist nach wie vor für die Anerkennung ausländischer Privatscheidungen in Deutschland heranzuziehen.898 Auch Österreich legt grundSt. Rspr., siehe BGH 28.11.2018 – XII ZB 217/17, Rn. 15; MüKoFamFG / Rauscher § 107 FamFG Rn. 27. – Vgl. zum Meinungsstreit Hausmann / Hausmann § 107 FamFG Rn. 194 m. w. N. – Noch zu Art. 7 § 1 FamRÄndG R. Wagner FamRZ 2006, 744, 751 f. 894 BGH 28.11.2018 – XII ZB 217/17, Rn. 18 ff.; zustimmend Majer NZFam 2019, 140. – So bereits vorinstanzlich KG 4.4.2017 – 1 W 447/16; zustimmend Majer NZFam 2017, 533. 895 Zum Streitstand ausführlich Pika / Weller IPrax 2017, 65, 66 m. w. N. – Für eine Anerkennung im Feststellungsverfahren Hausmann / Hausmann § 107 FamFG Rn. 195; MüKoFamFG / Rauscher § 107 FamFG Rn. 28. – Bereits zum FamRÄndG Andrae / Heidrich FPR 2004, 292, 293. 896 Vgl. Gärtner 172; R. Wagner FamRZ 2006, 744, 752. – R. Wagner FamRZ 2006, 744, 747 schlägt daher vor, von einer „Wirksamkeitsprüfung“ statt einer Anerkennung zu sprechen. 897 Zur Anerkennungsfähigkeit von Privatscheidungen im Hinblick auf den deutschen ordre public siehe Gärtner 185 ff. 898 Zum Beispiel Pika / Weller IPRax 2017, 65, 65 f. – Umfassend zur Anerkennung ausländischer Privatscheidungen nach autonomem deutschem Recht noch unter dem FamRÄndG Gärtner 158 ff. 893

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sätzlich dieses Modell zugrunde.899 Dabei wird jedoch zum einen heute die verfahrensrechtliche Anerkennung (§ 97 AußStrG) auch auf Fälle einer deklaratorischen bzw. registrierenden staatlichen Mitwirkung an der Scheidung ausgedehnt und zum anderen – vor allem hinsichtlich des ordre public (§ 97 Abs. 2 Nr. 1 AußStrG) – ein großzügigerer Maßstab als bei der Vornahme von Scheidungen nach ausländischem Recht in Österreich zugrunde gelegt.900 Insgesamt betrachtet wirft die Anerkennung ausländischer Privatscheidungen insbesondere im Hinblick auf zwei Aspekte Schwierigkeiten auf. Zunächst einmal besteht nach wie vor keine vollständige Klarheit hinsichtlich der für die Anerkennung maßgeblichen Regeln des Internationalen Zivilverfahrensrechts. Während ab 1.8.2022 erfolgte Privatscheidungen aus EUMitgliedstaaten dem erleichterten Anerkennungsregime der Brüssel IIb-VO unterstellt werden, ist dies für ältere mitgliedstaatliche Privatscheidungen mit Bezug auf die Brüssel IIa-VO allenfalls für einige der außergerichtlichen Scheidungsmodelle anzunehmen. Die Anerkennung drittstaatlicher (Privat-) Scheidungen richtet sich stets nach nationalen Vorschriften. Diese doppelte Spaltung der Anerkennungsregimes mit einer Unterscheidung einerseits nach Ursprungsstaaten und andererseits (für mitgliedstaatliche Scheidungen) in zeitlicher Hinsicht ist in ihrer Unübersichtlichkeit generell misslich und durch die noch bestehenden Unwägbarkeiten in Bezug auf die Brüssel IIa-VO zusätzlich belastet. Weiter verkompliziert wird die Situation dadurch, dass die nationalen Anerkennungsregeln teils für Privatscheidungen andere, strengere Prüfungsmaßstäbe als die für Verfahrensscheidungen entwickelte erleichterte Anerkennungsprüfung anlegen. Damit divergieren die Anforderungen, die im Rahmen der Anerkennung an eine ausländische Privatscheidung gestellt werden, zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich. Wenn – wie in Deutschland – die anzuerkennende ausländische Privatscheidung einer Wirksamkeitsprüfung nach dem aus Sicht des Anerkennungsstaats maßgeblichen Sachrecht unterzogen wird, ist im Rahmen des nationalen Anerkennungsverfahrens eine kollisionsrechtliche Prüfung vorzunehmen. Das wirft die Folgefragen auf, welches Scheidungskollisionsrecht dafür zugrunde zu legen ist, und ob dessen für die Vornahme von Scheidungen konzipierte Anknüpfungsregeln für den Anerkennungskontext geeignet sind. 2. Kollisionsrechtliche Anerkennung und EU-IPR Durch die Europäisierung des Scheidungskollisionsrechts sieht sich das Modell der kollisionsrechtlichen Anerkennung von Privatscheidungen zunehmenden Schwierigkeiten ausgesetzt. Zwar bleibt es als inhaltlicher Anerkennungsmaßstab in den Mitgliedstaaten, die es zugrunde legen, grundsätzlich 899 900

Nademleinsky in: FS Gitschthaler, 171, 177. Vgl. OGH 27.11.2020 – 6 Ob 115/19h, sub 2.4 sowie 3.2 ff.

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unberührt. Seine fortgesetzte Anwendung stellt sich jedoch als immer problematischer dar, da die zugrundeliegende spezielle Verquickung von IZVR und IPR dem europäischen Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht unbekannt ist (dazu a)). Das EU-IPR trägt den Bedürfnissen der kollisionsrechtlichen Anerkennung keine Rechnung und erweist sich als für diesen Kontext nur bedingt geeignet. Vollziehen die Mitgliedstaaten den Übergang zu den europäischen Kollisionsregeln insgesamt und damit auch für Anerkennungsszenarien nach, verändert sich der – ursprünglich im Hinblick auf das nationale Kollisionsrecht entwickelte – Anerkennungsmaßstab mit gegebenenfalls unerwünschten Folgen (dazu b)). a) Kollisionsrechtliche Anerkennung und Rom III-VO Dass eine „indirekte“ Relevanz des Kollisionsrechts im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anerkennung nicht in die Überlegungen bei der Schaffung der europäischen Scheidungskollisionsregeln einbezogen wurde, hat die gescheiterte erste Vorlage zum EuGH in der Rechtssache Sahyouni eindrucksvoll belegt. Die dem EuGH vorgelegte Problematik der Anwendbarkeit der Rom III-VO auf Privatscheidungen war in die Anerkennung einer drittstaatlichen (syrischen) Privatscheidung in Deutschland eingebettet. Diese war aufgrund der zumindest bestätigenden Mitwirkung des staatlich autorisierten Scharia-Gerichts901 im nationalen Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG vorzunehmen (der räumliche Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO war für Syrien nicht eröffnet,902 das Heimatstaatenprivileg des § 107 Abs. 1 S. 2 FamFG scheiterte an der deutsch-syrischen Doppelstaatereigenschaft zumindest des Ehemannes903) und dabei die Wirksamkeit der syrischen Scheidung nach dem aus deutscher Sicht maßgeblichen Recht nachzuprüfen. Hier stellte sich nun dem vorlegenden OLG München die Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich der Rom III-VO eröffnet sei – nur in einem solchen Szenario konnte sie sich aus deutscher Sicht überhaupt je stellen, da eine „direkte“ Anwendung der Rom III-VO auf Privatscheidungen aufgrund des gerichtlichen Scheidungsmonopols nach deutschem Recht (§ 1564 BGB, Art. 17 Abs. 3 EGBGB) nicht in Betracht kommen kann. Diesen für Nichteingeweihte verwirrenden Gedankengang konnte allerdings der EuGH, dem der deutsche Mechanismus der kollisionsrechtlichen Anerkennung nicht geläufig war, nicht auf Anhieb nachvollziehen.904 Ausgehend von der klaren Trennung zwischen Verfahrens- und Kollisionsrecht in den europäischen Rechtsakten hielt er die Scheidungsanerkennung für sachliOLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14, Rn. 19 ff. EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I, Rn. 20 ff.; OLG München 2.6.2015 – 34 Wx 146/14, Rn. 11. 903 OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14, Rn. 17. 904 Plastisch Gössl StAZ 2016, 232, 232: „Lost in Translation?!“. 901 902

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che Domäne der (hier aufgrund des Drittstaaten-Sachverhalts nicht anwendbaren) Brüssel IIa-VO,905 nicht aber der (zur Ermittlung des für eine Scheidung durch ein mitgliedstaatliches Gericht maßgeblichen Rechts dienenden) Rom III-VO.906 Er wies daher die Vorlage mangels Maßgeblichkeit eines Unionsrechtsakts als offensichtlich unzulässig zurück.907 Erst nachdem das OLG München in einer erneuten Vorlage mit quasi unveränderten Vorlagefragen908 die vom EuGH angeregte909 nähere Erläuterung, warum die europäischen Scheidungskollisionsregeln aufgrund eines Anwendungsbefehls des nationalen Rechts im Rahmen des nationalen Anerkennungsverfahrens zur Geltung gebracht werden könnten (siehe 1.c), S. 559 ff.), geliefert910 und das Verständnisproblem auf europäischer Ebene aus der Welt geschafft hatte, war der EuGH schließlich zur Befassung in der Sache bereit.911 Zu betonen ist, dass Anlass der Vorlage die Unsicherheit hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs der Rom III-VO war – nicht in Frage stand, ob das EU-Kollisionsrecht auch bei der kollisionsrechtlichen Anerkennung nach deutschem IZVR heranzuziehen sei. Vielmehr ging das OLG München im Einklang mit der überwiegenden Auffassung in Deutschland ganz selbstverständlich davon aus, dass – um ein „zweispuriges Kollisionsrecht“912 zu vermeiden – im Rahmen der Anerkennung genau dieselben Anknüpfungsregeln wie bei einer herkömmlichen kollisionsrechtlichen Prüfung maßgeblich seien, soweit es vorrangig Anwendung begehrt, das EU-Kollisionsrecht also auch im Anerkennungskontext zugrunde zu legen sei.913 Nachdem der EuGH die sachliche Anwendbarkeit der Rom III-VO zumindest auf Privatscheidungen wie die streitgegenständliche verneinte (siehe Teil II: § 3.II.2.c)bb), S. 163 ff.), wurde eine Lücke des EU-Kollisionsrechts offenbar, die – wie gesehen – letztlich nur durch eine entsprechende Anwendung der Rom IIIVO kraft Verweisung des nationalen Kollisionsrechts auf Dauer sinnvoll geschlossen werden kann (siehe § 7.I.3.b), S. 311 ff.). Die entsprechende EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I, Rn. 20 ff. EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I, Rn. 19. 907 EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I, Rn. 23. 908 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14. 909 EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Sahyouni I, Rn. 32. 910 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 13 ff. 911 EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Sahyouni II, Rn. 26 ff. – Bei näherer Auseinandersetzung mit den Hintergründen des deutschen Anerkennungsverfahrens wäre dies allerdings durchaus schon auf die erste Vorlage hin möglich gewesen, vgl. etwa Althammer NZFam 2018, Editorial Heft 3. 912 Mankowski FamRZ 2018, 821, 821. 913 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, sub 2.b)bb); zustimmend Arnold NZFam 2016, 794, 795. – So bereits Gärtner StAZ 2012, 357, 363. – Nur wenige Gegenstimmen lehnten die (entsprechende) Anwendung der europäischen Scheidungskollisionsregeln als Grundlage der kollisionsrechtlichen Anerkennung ab (so noch Gärtner 357 ff.). 905 906

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deutsche Regelung in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. ist demgemäß im IPR verortet, kommt aber freilich zumindest auf absehbare Zeit nur über den Umweg des deutschen IZVR in Anerkennungsfällen zum Tragen. Die Modifikationen der Verweisung auf die sachlich nicht auf Privatscheidungen zugeschnittene Rom III-VO zielen denn auch primär auf dieses Einsatzgebiet ab. Doch trotz einiger Anpassungen bei der Ausdehnung ihres sachlichen Anwendungsbereichs sind die (entsprechend anwendbaren) Kollisionsregeln der Rom III-VO nur begrenzt als Maßstab für die kollisionsrechtliche Anerkennung von Privatscheidungen geeignet. Das europäische Scheidungs-IPR ist für die „direkte“ Anwendung konzipiert: Es geht davon aus, dass das Gericht eines teilnehmenden Mitgliedstaats über einen Scheidungsantrag mit grenzüberschreitendem Bezug zu entscheiden und das dafür maßgebliche Recht zu ermitteln hat. Eine „indirekte“ Anwendung im Rahmen einer Anerkennungsprüfung ist aus europäischer Sicht gerade nicht vorgesehen. Zu ihr kommt es nur, wenn (wie in Deutschland) das nationale IZVR eine kollisionsrechtliche Prüfung anordnet und das ursprünglich dafür maßgebliche nationale IPR insgesamt durch das europäische Kollisionsrecht ersetzt wird. Für die Privatscheidungen, die gegebenenfalls doch der Rom III-VO unterfallen, bildet diese auch die Grundlage der kollisionsrechtlichen Anerkennung; für alle anderen Privatscheidungen erklärt das nationale deutsche IPR die Rom IIIVO leicht modifiziert für entsprechend anwendbar. In jedem Fall erweisen sich jedoch die für die (gerichtliche) Realisierung eines Scheidungsbegehrens günstigen Anknüpfungsregeln der Rom III-VO als hinderlich für die kollisionsrechtliche Anerkennung von Privatscheidungen. b) Anerkennungshindernisse durch europäische Anknüpfungsregeln Als erstes Problem ist die primäre Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zu nennen. Paare, die eine Anerkennung ihrer Scheidung in Deutschland begehren, haben häufig auch einen engen Bezug zu Deutschland. Dieser kann aber nach der Rom III-VO die Maßgeblichkeit deutschen Rechts als Scheidungsstatut auslösen – mit der Folge, dass die Anerkennung stets am gerichtlichen Scheidungsmonopol des § 1564 S. 1 BGB scheitert.914 Zu denken ist etwa an ein ausländisches Paar mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, dass sich in seinem Heimatstaat, in dem es auch vor Jahren die Ehe geschlossen hat, nach seinem (aus dessen Sicht maßgeblichen) Heimatrecht außergerichtlich scheiden lässt und die Anerkennung dieser Scheidung in Deutschland begehrt. Für die kollisionsrechtliche Anerkennung ist nach Art. 8 lit. a) Rom III-VO das deutsche Aufenthaltsortrecht zugrunde zu legen – die Anerkennung muss verweigert werden. Umso unglücklicher ist das, weil eine Rechtswahl zugunsten des Heimat- bzw. Scheidungsortrechts nach der 914

Vgl. Antomo StAZ 2019, 33, 37; C. Mayer StAZ 2018, 106, 110 f.

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Rom III-VO gestattet und damit beachtlich wäre: Ob die Scheidung anerkannt wird oder nicht, hängt nur davon ab, ob die Ehegatten eine Rechtswahl getroffen haben. Das erscheint einigermaßen zufällig, denn man kann kaum erwarten, dass alle Paare derartige Anerkennungsüberlegungen in ihre Erwägung des Für und Wider einer Rechtswahl einstellen (wenn eine solche überhaupt vorgenommen und vom IPR des Scheidungsstaats zugelassen wird).915 Das Ergebnis dieser vehementen Verhinderung einer „Flucht in das Heimatrecht“ sind hinkende Ehen. Vor weitere Schwierigkeiten stellt Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO, dessen Tragweite bislang noch nicht abschließend geklärt ist (siehe § 7.I.3.b)bb), S. 315 ff.). Wird von diesem eine konkrete Geschlechtsdiskriminierung gefordert, könnten die Maßstäbe der bisherigen ordre public-Kontrolle im Rahmen der Anerkennung weitgehend übernommen werden.916 Sollte sich jedoch ein Verständnis der Norm als abstrakte Verwerfungsklausel durchsetzen, müsste unabhängig von den Einzelfallumständen ein beim Zugang zur Scheidung geschlechtsdiskriminierendes Scheidungsstatut stets ersetzt werden. Bei der kollisionsrechtlichen Anerkennung einer im Ausland vollzogenen Privatscheidung erweist sich das in doppelter Hinsicht als schwierig. Zum einen kommt als ersatzweise für die „anstößige“ ausländische lex causae zu berufende mitgliedstaatliche lex fori nur die des Anerkennungsgerichts in Betracht.917 Das geht aber weit über den von Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO eigentlich vorgesehenen (und bereits stark kritisierten) Zweck hinaus, in mitgliedstaatlichen Scheidungsverfahren geschlechtsdiskriminierendes Recht von vornherein nicht zur Anwendung zu bringen. Vielmehr wird eine bereits vollzogene Scheidung nachträglich nach einem – im Zeitpunkt der Scheidung unter Umständen noch gar nicht absehbaren – anderen Recht beurteilt. Das ist bereits im Hinblick auf die Rechtssicherheit für die betroffenen Paare, die die Anerkennung ihrer gegebenenfalls vor geraumer Zeit erfolgten Scheidung in Deutschland begehren, problematisch. Vor allem aber wären damit Scheidungen aus Staaten mit abstrakt geschlechtsdiskriminierendem Scheidungsrecht – insbesondere aus islamisch geprägten Rechtsordnungen – in Deutschland generell nicht mehr anerkennungsfähig: Bei Zugrundelegung der deutschen (Anerkennungs-)lex fori als Ersatzrecht müsste die Anerkennung wieder unbesehen der Einzelfallumstände am Scheidungsmonopol scheitern.918 Damit produziert man eine Vielzahl 915 Zur Rechtswahl nach Art. 5 Rom III-VO und der Anerkennung von Privatscheidungen Gärtner StAZ 2012, 357, 363. 916 Für ein enges, einzelfallbezogenes Verständnis daher OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 37. 917 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, Rn. 33. 918 Vgl. Antomo NZFam 2018, 243, 245; Heiderhoff IPRax 2017, 160, 163; Winkler von Mohrenfels in: FS Martiny, 595, 614; Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 716. – Vollständig wird das Chaos, wenn die Scheidung im Ausland nach einem nicht ge-

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hinkender Ehen, und zwar nicht nur im Verhältnis zu den Ursprungs-Drittstaaten, sondern auch innerhalb der EU im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, die bei der Anerkennung keine kollisionsrechtliche Prüfung vornehmen. Gerade bei schon länger zurückliegenden Scheidungen gibt man den mit der (im Ausland nach dortigem Recht ordnungsgemäß vorgenommenen) Scheidung einverstandenen bzw. auf deren Wirksamkeit vertrauenden (Ex-)Ehegatten „Steine statt Brot“ und verkehrt damit insbesondere den von Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO eigentlich angestrebten Schutz der (abstrakt gesehen benachteiligten) Ehefrau, die die Anerkennung ihrer Scheidung begehrt, in sein Gegenteil.919 Ob aber das Einverständnis des „diskriminierten“ Ehegatten in Anerkennungssituationen eine teleologische Reduktion des Art. 10 Alt. 2 Rom IIIVO begründen kann,920 erscheint bei einem europäischen Verständnis als prinzipielle Verbotsklausel ebenso zweifelhaft, wie dass Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO nur die „direkte“ Anwendung diskriminierenden Scheidungsrechts durch mitgliedstaatliche Gerichte ausschließen und einen geschlechtsunabhängig gleichen Zugang zu innerhalb der EU vorzunehmenden Scheidungen garantieren soll.921 Mit der modifizierten Verweisung des Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. ist die Situation für die deutsche kollisionsrechtliche Anerkennung nicht wesentlich verbessert. Zwar ist die Anwendung des Art. 10 Rom III-VO in Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 EGBGB n. F. ausgeschlossen, so dass zumindest diese Gefahr eines Scheiterns der Anerkennung gebannt ist (siehe § 7.I.3.b)bb), S. 315 ff.). Sollte sich jedoch herausstellen, dass einige Privatscheidungsmodelle doch dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO unterfallen (und dementsprechend auch nach dieser insgesamt und nicht nach Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. anzuerkennen sind), käme es allerdings zu einer paradoxen Situation. Der strenge Maßstab des Art. 10 Alt. 2 Rom III-VO würde für die Privatscheidungen eingreifen, die der Rom III-VO unterfallen, also wahrscheinlich mitgliedstaatliche oder „europanahe“ Privatscheidungsmodelle – ausgeschaltet ist er dagegen für die dem nationalen Kollisionsrecht unterstellten „europafernen“ Privatscheidungsarten wie den islamisch-rechtlichen talaq (auf den die Regelung ursprünglich gerade abzielt!). Ein Scheitern der Anerkennung aufgrund der Anknüpfungsregeln bleibt im Übrigen unter Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. genauso wahrscheinlich, da inhaltlich weitgehend unverändert auf die Rom III-VO schlechtsdiskriminierenden Recht vorgenommen wurde, die Anknüpfung nach der Rom III-VO aber zu einem anderen Recht führt und dieses wiederum als geschlechtsdiskriminierend verworfen und durch die deutsche lex fori ersetzt wird… 919 Antomo NJW 2018, 435, 437; Antomo NZFam 2018, 243, 246; C. Mayer FamRZ 2018, 171, 172; Rohe in: Arnold, 67, 75 f. 920 So der Vorschlag des OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, sub III.3., in der zweiten Vorlage an den EuGH. 921 Vgl. Antomo NZFam 2018, 243, 246; C. Mayer FamRZ 2018, 171, 172; C. Mayer StAZ 2018, 106, 114; Winkler von Mohrenfels in: FS Martiny, 595, 614 f.

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verwiesen wird. Die Hauptmotivation der Modifikationen der Verweisung auf Art. 10 Rom III-VO, die kollisionsrechtliche Anerkennung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern, wird damit nur eingeschränkt erreicht. Die europäischen bzw. europäisch inspirierten Anknüpfungsregeln für die Scheidung sind für die kollisionsrechtliche Anerkennung von Privatscheidungen nur begrenzt geeignet und können sie erheblich beeinträchtigen.922 Vor allem die für Gestaltungsakte scheidungsfreundlich wirkende Tendenz des europäischen Scheidungs-IPR zur Anwendung des (mitgliedstaatlichen) Aufenthaltsorts- bzw. lex fori-Rechts führt bei der Anerkennung zu Schwierigkeiten. Besonders ärgerlich ist das für das zur Füllung der Lücken im sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO neu geschaffene deutsche Privatscheidungskollisionsrecht, dessen Zweck nur darin besteht, als Anerkennungsmaßstab zu fungieren. Technisch ist Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. zwar eine Kollisionsregel und als solche auch im deutschen IPR verortet – faktisch ist es aber seine einzige Aufgabe, die kollisionsrechtliche Anerkennung zu ermöglichen und im Rahmen des deutschen IZVR einen Prüfungsmaßstab zu liefern.923 Auf beiden Ebenen ist die modifizierte Verweisung auf die Rom IIIVO nicht ideal: Aus (europäischer) kollisionsrechtlicher Warte scheinen die nationalen, durch die Bedürfnisse der Anerkennung motivierten Änderungen bedenklich (siehe oben § 7.I.3.b)cc), S. 321 ff.), als „Anerkennungsregel in kollisionsrechtlichem Gewand“ kann sie aber auch nicht überzeugen. Dies offenbart den tieferliegenden Kern des Problems: Kollisionsregeln sind nun einmal keine Anerkennungsregeln. Legt man sie bei der Anerkennung unverändert zugrunde, können sie sich als für die verfahrensrechtlichen Bedürfnisse suboptimal erweisen; passt man sie an diese an, erhält man inhaltlich fehlverortete Anerkennungsregeln, die schlimmstenfalls ihrer eigentlichen Verweisungsaufgabe nicht mehr adäquat gerecht werden. Vor allem ist das EU-Kollisionsrecht inhaltlich auf eine Verwendung im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anerkennung nach mitgliedstaatlichem Recht nicht ausgelegt. Wird es dennoch in diesem Kontext eingesetzt, entstehen Schwierigkeiten. Lösungen dafür sucht man auf europäischer Ebene vergeblich. Der EuGH ist darauf beschränkt, über das EU-Kollisionsrecht in seiner Eigenschaft und Funktion als solches zu urteilen, etwa in Sahyouni über den sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO. Es ist nicht seine Aufgabe, über Auslegungs- und Anwendungsfragen zu entscheiden, die aus einer „indirekten“ Verweisung durch das mitgliedstaatliche IZVR entstehen – über Fragen des Einsatzes der Rom III-Kollisionsregeln bei der kollisionsrechtlichen Anerkennung von Privatscheidungen hätte der EuGH auch nicht zu befinden gehabt, wenn er in Sahyouni ihren sachlichen Anwendungsbereich bejaht hätte. Auch ist nicht zu erwarten, dass künftige EU-Rechtsakte dieser Verwen922 923

Vgl. Helms FamRZ 2016, 1134, 1135. Vgl. Antomo StAZ 2019, 33, 34.

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dungsart mehr Rechnung tragen werden. Es obliegt vielmehr dem nationalen Recht, die durch die Europäisierung des Scheidungskollisionsrechts entstehenden Probleme für die kollisionsrechtliche Anerkennung von Privatscheidungen nach nationalem IZVR zu lösen. Da der in Deutschland bisher verfolgte Ansatz einer modifizierenden Verweisung auf die Rom III-VO in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. in mehrerer Hinsicht Anlass zur Kritik bietet, sind alternative Lösungsansätze zu suchen. 3. Abschied von der kollisionsrechtlichen Anerkennung? Als Mechanismus des deutschen IZVR wurde die kollisionsrechtliche Anerkennung von Privatscheidungen unter Geltung der nationalen Scheidungskollisionsregeln etabliert. Mit deren grundsätzlicher Ersetzung durch die Rom IIIVO hat sich der Bezugspunkt der Anerkennungsprüfung verschoben – auch wenn das europäische Scheidungskollisionsrecht Privatscheidungen (weitgehend) ausklammert, hat es das bisherige deutsche Scheidungs-IPR ins Wanken gebracht. Will man am Modell der kollisionsrechtlichen Anerkennung festhalten, bestehen für das deutsche IPR und IZVR drei Möglichkeiten zur Reaktion auf die Europäisierung des Scheidungskollisionsrechts und zur Schließung der von der Rom III-VO bezüglich Privatscheidungen gelassenen Lücken. Die erste besteht darin, im deutschen Kollisionsrecht die Regeln der Rom III-VO insgesamt auch für Privatscheidungen zu übernehmen; die zweite, in Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. realisierte, Option ist eine modifizierte Übernahme der europäischen Anknüpfungen. Wie eben gesehen erweisen sich beide Ansätze im Hinblick auf die kollisionsrechtliche Anerkennung als nur bedingt geeignet (siehe 2.b), S. 564 ff.), hinzu treten im zweitgenannten Fall die Nachteile einer nur partiellen bzw. abändernden Übernahme des EURechts (siehe § 7.I.3.b)cc), S. 321 ff.). Die dritte Möglichkeit ist die Beibehaltung bzw. Neuschaffung eigener, speziell für die Anerkennung konzipierter nationaler Kollisionsregeln für den von der Rom III-VO nicht erfassten Bereich. Vorteil dieses Ansatzes ist, dass eigene Regeln dem nationalen Modell der kollisionsrechtlichen Anerkennung inhaltlich besser Rechnung tragen können als das europäische Kollisionsrecht. Dem steht allerdings der erhebliche Nachteil einer Kollisionsrechtsspaltung gegenüber – nicht ideal erscheint dies bereits in der derzeitigen Situation in Deutschland, in der die Anknüpfungsregeln für Privatscheidungen (derzeit) faktisch nur „indirekt“ im Rahmen der Anerkennung zum Tragen kommen, vollends unglücklich wäre ein solches „zweigleisiges“ Kollisionsrecht, wenn man es auch bei einer „direkten“ IPR-Prüfung anwenden müsste (siehe § 7.I.3.b)cc), S. 321 ff.). Auch die Unwägbarkeiten der nach wie vor nicht eindeutig bestimmten Reichweite der Rom III-VO lassen diesen Ansatz wenig geeignet erscheinen. Wirklich überzeugen kann keine dieser Möglichkeiten. Die unter dem nationalen Kollisionsrecht entstandene Prämisse, dass man für die kollisionsrechtli-

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che Anerkennung unverändert auf die bei „direkter“ Anwendung maßgeblichen Anknüpfungsregeln zurückgreift, funktioniert unter den europäischen Kollisionsregeln nicht. Diese sind aber für das IPR in unmittelbarer Anwendung oder kraft nationaler extensiver Übernahme auf Dauer letztlich alternativlos (siehe § 7.I.3., S. 305 ff.). Anpassungen dieser Kollisionsregeln mit Blick auf ihren Einsatz im nationalen Anerkennungskontext sind kritisch zu sehen, zumal sie IPR und IZVR vermischen (siehe § 7.I.3.b)cc), S. 321 ff.). Wenn aber die Kollisionsregeln europäischer Genese für die kollisionsrechtliche Anerkennung ungeeignet sind und nationale Modifikationen bzw. Eigenregelungen vermieden werden sollen, liegt letztlich nur eine Lösung nahe: Die Aufgabe der kollisionsrechtlichen Anerkennung und ihre Ersetzung durch einen anderen Anerkennungsmaßstab für Privatscheidungen. Dieser könnte unabhängig von den Vorgaben des (europäischen) Kollisionsrechts auf die Bedürfnisse der Anerkennung zugeschnitten werden, gleichzeitig würde das IPR davon entlastet, zumindest auch verfahrensrechtlichen Zwecken dienen zu müssen. Auch systematisch erscheint es nur konsequent, eine Lösung für das verfahrensrechtliche Problem der Anerkennung im IZVR zu suchen. In den letzten Jahren mehren sich in Deutschland die Stimmen dafür, ein Modell der verfahrensrechtlichen Anerkennung auch für Privatscheidungen anzuwenden. Dafür wird insbesondere ins Feld geführt, dass die anerkennungsrechtliche Trennung zwischen Verfahrens- und Privatscheidungen zunehmend artifiziell erscheint und schon die Abgrenzung anhand dieses formalen Kriteriums in Anbetracht der Vielzahl an Scheidungsmodellen problematisch ist.924 Die zunehmenden Schwierigkeiten durch die für die Anerkennung nicht mehr passenden Scheidungskollisionsregeln haben, insbesondere im Gefolge der Sahyouni-Entscheidung, zusätzliche Argumente geliefert und breiteren Zuspruch hervorgerufen. Der Wunsch nach einem vereinfachten Anerkennungsverfahren für Privatscheidungen wird immer stärker und lauter.925 Vorgeschlagen wird, dieses an der bestehenden verfahrensrechtlichen Anerkennung nach §§ 107 ff. FamFG zu orientieren bzw. diese auch auf Privatscheidungen zu erstrecken.926 Dafür spricht, dass die meisten Privatscheidungen inzwischen ohnehin ein Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG durchlaufen müssen – die Verwendung auch des dazugehörigen Prüfungs924 Zum Beispiel Antomo StAZ 2019, 33, 34 f.; Antomo NZFam 2018, 243, 248; Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 745; Helms FamRZ 2016, 1134, 1135; Helms in: FS Coester-Waltjen, 431, 439 ff. 925 Siehe z. B. Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242; Gössl GPR 2018, 94, 98 f.; Helms in: FS Coester-Waltjen, 431, 440 ff. – Auf den erheblichen Aufwand der kollisionsrechtlichen Anerkennung weisen eindrücklich Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 744 hin. 926 Für eine Orientierung an §§ 107 ff. FamFG Gössl GPR 2018, 94, 98 f. – Für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der §§ 107 ff. FamFG z. B. Elmaliah / Thomas FamRZ 2018, 739, 744 ff.

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maßstabs nach § 109 FamFG erscheint nur konsequent. Gegebenenfalls könnte dieser durch zusätzliche Kriterien für die Anerkennungsprüfung bzw. -versagung von Privatscheidungen ergänzt werden, als Vorbilder werden Art. 65 Abs. 1 schwIPRG und Art. 57 belgIPRG vorgeschlagen.927 Auch mit Blick auf Europa wäre die Aufgabe der kollisionsrechtlichen Anerkennung durch das national verbliebene IZVR vorteilhaft. Ein verfahrensrechtlicher Prüfungsmaßstab wie § 109 FamFG würde die Anerkennung nach deutschem IZVR der nach der Brüssel IIa-VO deutlich annähern. Das derzeitige Problem teils willkürlich anmutender Ergebnisunterschiede in Abhängigkeit von der maßgeblichen Regelungsebene wäre damit gelöst. Positiv wäre das insbesondere für außergerichtliche Scheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten: Die Frage, welche Scheidungsmodelle bereits jetzt unter die Brüssel IIa-VO zu subsumieren sind (siehe 1.b), S. 553 ff.), wäre wesentlich entschärft, außerdem die Diskrepanz zwischen der Behandlung von „Altscheidungen“ und nach Inkrafttreten der Brüssel IIb-VO vorgenommenen Scheidungen verringert. Auch im Hinblick auf eine etwaige primärrechtliche Pflicht zur Status- bzw. Rechtslagenanerkennung innerhalb der EU (siehe § 7.II.2.b), S. 365 ff.) wäre eine vereinfachte Anerkennung von (mitgliedstaatlichen) Privatscheidungen, die zwar Rechtsgeschäfte sind, aber dennoch statusändernd wirken und einer gewissen staatlichen Mitwirkung bedürfen, anhand rein verfahrensrechtlicher Maßstäbe sicherer und adäquater.928 Aber auch für drittstaatliche Privatscheidungen scheint ein Übergang zu einem verfahrensrechtlichen Prüfungsmaßstab angezeigt. Behielte man nur für diese die nicht mehr allzu gut funktionierende kollisionsrechtliche Anerkennung bei, könnten auch mit mitgliedstaatlichen Privatscheidungen vergleichbare Scheidungen aus Drittstaaten nur erheblich erschwert anerkannt werden. Im Vergleich zum innereuropäischen Brüssel IIb-Regime entstünde der Eindruck einer prinzipiellen xenophoben Abwehrhaltung gegenüber außereuropäischen Rechtsordnungen. Der außerhalb des europäischen Rechtsraums durchaus gebotenen größeren Prüfungsdichte – etwa der Sorge vor geschlechtsdiskriminierenden Scheidungs(verfahrens)regeln – lässt sich auch durch entsprechende Anerkennungsversagungsgründe Rechnung tragen. Vor dem Hintergrund der jüngsten und andauernden Entwicklungen im materiellen Recht und im Kollisionsrecht wäre der Abschied von der kollisionsrechtlichen Anerkennung von Privatscheidungen schlicht zeitgemäß – die Europäisierung des Scheidungs-IPR setzt hierfür wesentliche Impulse.

Gössl GPR 2018, 94, 98 f. Coester-Waltjen IPRax 2018, 238, 242. – Eher zurückhaltend noch Gärtner 385 ff. – Unter Umständen könnte sich bereits die zeit- und kostenintensive Wirksamkeitsprüfung als solche als Verstoß gegen die Grundfreiheiten (Freizügigkeit, Nichtdiskriminierung) erweisen. 927 928

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Auf lange Sicht ideal wäre eine einheitliche europäische Lösung zur Anerkennung drittstaatlicher Privatscheidungen.929 Kollisionsrechtlich ist auf Dauer die in der Sahyouni-Entscheidung angeregte gesetzgeberische Einbeziehung von Privatscheidungen in das EU-IPR zu erwarten, die Anerkennung mitgliedstaatlicher Privatscheidungen ist nunmehr von der Brüssel IIb-VO geregelt und auch die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Arten von Privatscheidungen wird primär anhand europäischer Vorgaben erfolgen müssen. Die Einbeziehung auch des letzten noch verbleibenden Elements würde eine lückenlose europäische Gesamtkonzeption ermöglichen, die IPR und IZVR sinnvoll aufeinander abstimmt. Nur so lassen sich außerdem die durch divergierende nationale Anerkennungsmethoden und -maßstäbe verursachten hinkenden Rechtsverhältnisse innerhalb der EU vermeiden. Denkbar ist etwa (wie auch für das Namensrecht vorgeschlagen) ein für alle Mitgliedstaaten hinsichtlich Verfahren und Prüfungsmaßstab verbindlicher Anerkennungsmechanismus für Drittstaaten-Privatscheidungen, dessen Ausübung in einem Mitgliedstaat Wirkung für die gesamte EU entfaltet. Einen Vorschlag auf Grundlage der kollisionsrechtlichen Anerkennung hat die Groupe européen de droit international privé (GÉDIP) entwickelt;930 inhaltlich besonders reizvoll erscheint hier die Zusatzvoraussetzung der eindeutigen Akzeptanz der Eheauflösung durch den anderen Ehegatten bei der Anerkennung von Scheidungen durch einseitige Erklärung. Voraussichtlich wird bis zu einer europäischen Regelung allerdings noch einige Zeit vergehen. Diese sollte man zur Entwicklung einer Lösung für das deutsche Recht nutzen, die durchaus auch mit Blick auf ihre Eignung als Grundlage für Verhandlungen in der EU konzipiert werden kann. Die traditionelle deutsche kollisionsrechtliche Anerkennung funktioniert vor dem Hintergrund des EU-IPR (und EU-IZVR) nicht mehr richtig. Sie sollte für alle Privatscheidungen, die nicht unter die Brüssel IIa-VO bzw. die Brüssel IIbVO fallen, im Verfahren des § 107 FamFG anhand eines auf § 109 FamFG basierten und durch auf außergerichtliche Scheidungen zugeschnittene Zusatzvoraussetzungen ergänzten verfahrensrechtlichen Prüfungsmaßstabs erfolgen. Systematisch im IZVR verortete und inhaltlich klar dafür konzipierte, von der Frage nach dem anwendbaren Recht unabhängige Anerkennungsregeln sind überzeugender als der derzeitige Rechtszustand, bei dem nur noch einzelne Versatzstücke des ursprünglichen nationalen „gemischten“ Modells 929 Die Möglichkeit, die Anerkennung drittstaatlicher Scheidungen durch Staatsverträge zu regeln oder sogar auf völkerrechtlicher Ebene zu vereinheitlichen, erscheint leider wenig erfolgversprechend, vgl. Gärtner 426 ff. 930 Groupe européen de droit international privé (GÉDIP), Proposition de règlement relatif à la compétence, la loi applicable et la reconnaissance en matière de divorce, 15.9.2019, abrufbar unter . – Dazu Kohler IPRax 2019, 462, 462 f.; Pataut AUCI 4 (2020), 95, 95 ff.

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mit einem europäischen bzw. europäisch beeinflussten, immer weniger dazu passenden Umfeld kombiniert werden müssen. Eine klare Trennung zwischen Verfahrens- und Kollisionsrecht wäre auch für das IPR gewinnbringend. Der ohnehin nur im Anerkennungskontext relevante und durch die Modifikationen seiner Verweisung auf die Rom III-VO kritikwürdige (siehe oben § 7.I.3.b)cc), S. 321 ff.) Art. 17 Abs. 2 EGBGB n. F. wäre von Anerkennungserwägungen befreit und könnte durch eine – aus deutscher Warte erst einmal vorsorgliche – schlichte Gesamtverweisung auf die Rom III-VO für alle von dieser sachlich nicht erfassten Scheidungen ersetzt werden. Kollisionsrechtlich wären damit die derzeitigen Abgrenzungsschwierigkeiten zumindest im Ergebnis ad acta gelegt, die Probleme der Reichweite der Rom III-VO und der Auswirkungen der Kollisionsrechtsspaltung wären gelöst. Auch, da sie durch Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO erhebliche Teile ihres Anwendungsbereichs einbüßen wird,931 erscheint eine Abschaffung der derzeitigen „Anerkennungs-Kollisionsregel“ wünschenswert. Ein jeweils für die Bedürfnisse seines Bereichs zugeschnittenes und dabei auf bereits bestehende und künftig zu erwartende europäische Regelungen abgestimmtes, voneinander getrenntes IPR und IZVR für den Umgang mit Privatscheidungen wäre für Rechtspraxis und Rechtsentwicklung gleichermaßen vorteilhaft. III. Folgerungen III. Folgerungen

Die Europäisierung des IPR wirkt deutlich über dieses Rechtsgebiet hinaus. Punktuelle Änderungen auf kollisionsrechtlicher Ebene können weite Kreise in anderen Bereichen des Zivilrechts ziehen: Anpassungen des national verbliebenen Sach- oder Verfahrensrechts an sein geändertes Umfeld bedeuten stets eine indirekte Europäisierung auch dieser Bereiche.932 Dieser Einfluss des EUIPR manifestiert sich im materiellen Recht insbesondere im Familienrecht.933 Gemeinsam mit den primärrechtlichen Anforderungen der Statusanerkennung (siehe § 7.II.2.b), S. 365 ff.) trägt er auf Dauer wesentlich zum Zusammenwachsen der mitgliedstaatlichen Familienrechte bei.934 Auch in anderen Rechtsbereichen kann das EU-IPR zum Überdenken hergebrachter Institute und zur Weiterentwicklung des materiellen Rechts zwingen.935 Es leistet damit 931 Antomo StAZ 2020, 33, 43; Dutta FamRZ 2020, 1428, 1429; Mansel / Thorn /  Wagner IPRax 2020, 97, 106. 932 Vgl. für das Sachrecht de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 189 f. 933 Vgl. de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 189 ff.; Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 128 f. 934 Vgl. de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 189 f.; Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 120 ff.; Pataut in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 97, 101. 935 So etwa im Sachenrecht, siehe Teil II: § 3.I.2.d), S. 114 ff. und § 7.II.3.a), S. 382 ff. sowie Faber ÖBA 2019, 401, 406, 408 f.

III. Folgerungen

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einen indirekten, aber wesentlichen Beitrag zur Vereinheitlichung des Sachrechts der Mitgliedstaaten.936 Starke Effekte haben die EU-Kollisionsrechtsakte auch auf das nationale IZVR, dessen Mechanismen insbesondere im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung häufig eng mit dem IPR verflochten sind. Wird die Europäisierung des Kollisionsrechts im Hand in Hand damit einhergehenden IZVR nicht adäquat nachvollzogen, entstehen Anwendungslücken und -schwierigkeiten. Eine Angleichung des national verbliebenen IZVR an die neuen Gegebenheiten erfordert aber wiederum die Übernahme europäischer Vorstellungen – hier wirkt erneut langfristig das EU-IPR als Motor der Vereinheitlichung auch über seinen eigentlichen Bereich hinaus. Dieser Effekt des EU-IPR als Impulsgeber nationaler Reformen und Wegbereiter einer weiteren Harmonisierung ist nicht per se negativ. Es ist durchaus zu begrüßen, dass der Übergang zu europäischen Kollisionsregeln zwangsläufig auch die nationalen Horizonte im Sachrecht und im IZVR erweitert und gegebenenfalls den Anlass bietet, seit längerem angeregte Reformen des nationalen Rechts in die Tat umzusetzen. Äußerst problematisch ist jedoch, dass diese Folgen der kollisionsrechtlichen Europäisierung weder beabsichtigt noch geplant oder gesteuert sind. Eine sachrechtliche Harmonisierung ist nicht das Ziel des EU-IPR937 – diesbezügliche Reflexwirkungen stellen letztlich einen Kollateralschaden dar. Gleiches gilt für die häufig im Vorfeld nicht absehbaren Folgen im national verbliebenen IZVR. Dabei kommen dieselben erschwerenden Faktoren wie für die Anpassung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts an das EU-IPR hinzu: Eine eindeutige Grundlage entsteht häufig erst unerwartet durch nachträgliche Qualifikationsund Auslegungsentscheidungen zum EU-IPR. Gleichzeitig zwingt dieses als hierarchisch vorrangig stets zu Entwicklungen in seinem Sinne auf nationaler Ebene – anders als innerhalb ein und derselben Regelungsebene kommt es nicht zu gegenseitigen Einflüssen der verschiedenen Rechtsgebiete aufeinander, sondern zu einseitigen Abhängigkeiten der national verbliebenen von den europäisierten Regelungsfeldern. Im Hinblick auf ihre Konsequenzen für andere Rechtsgebiete bedeutet die schrittweise Europäisierung des Kollisionsrechts bislang kaum beachtete, fundamentale Änderungen. Der traditionelle Ansatz der nationalen Ebene, Kollisionsregeln auf der Basis des materiellen Rechts und im Einklang mit dessen Strukturen938 sowie in Abstimmung mit den internationalverfahrensrechtlichen Regeln zu entwickeln, funktioniert auf europäischer Ebene gerade nicht – wie z. B. die deutschen und europäischen Qualifikationsentscheidungen zu § 1371 BGB oder die Friktionen zwischen mitgliedstaatlicher „kollisi936 Vgl. Bidaud-Garon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 201, 206 ff.; Francq in: Fulchiron /  Bidaud-Garon, 111, 128. 937 Vgl. de Clavière-Bonnamour in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 189, 191. 938 Vgl. J.P. Schmidt EPLJ 7 (2018), 4, 5.

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Teil III: § 9 – Exkurs: Wirkungen jenseits des Kollisionsrechts

onsrechtlicher Anerkennung“ von Privatscheidungen und Anknüpfungsregeln der Rom III-VO zeigen. Vielmehr entsteht das EU-IPR weitgehend losgelöst vom mitgliedstaatlichen Sachrecht und berücksichtigt das IZVR nur, soweit dieses ebenfalls europäisiert ist bzw. wird. Diese Unabhängigkeit der Kollisionsregeln von der restlichen Rechtsordnung stellt innerhalb des IPR vor die neuartigen Herausforderungen autonomer Entwicklung und Interpretation und wirft die Frage auf, inwiefern das Fehlen gemeinsamer materiell-rechtlicher Grundlagen die Kollisionsrechtsharmonisierung begrenzt. Die Bewältigung der aus dem unkoordinierten Zusammenspiel mit anderen Regelungsebenen resultierenden Schwierigkeiten obliegt aber einzig der nationalen Ebene. Die Folge ist eine inhaltliche Sogwirkung des EU-IPR weit über den kollisionsrechtlichen Bereich hinaus, weil die europäische kollisionsrechtliche Perspektive dazu zwingt, auch das nationale Sach- und Verfahrensrecht im Licht der supranationalen Anknüpfungsregeln zu betrachten. Notwendige Änderungen können sich allerdings nicht an einem „Zielsystem“ orientieren, weil das EURecht ein solches gerade nicht zur Verfügung stellt. Damit besteht die zusätzliche Gefahr, dass divergierende Lösungsansätze der unterschiedlichen Mitgliedstaaten die Situation noch weiter verkomplizieren und spätere Harmonisierungsvorhaben erschweren. Die Weiterentwicklung des EU-IPR darf nicht isoliert erfolgen, vielmehr sind seine Auswirkungen auf andere, national verbleibende Rechtsgebiete künftig stärker in den Blick zu nehmen. Bereits bei der Schaffung von Kollisionsregeln ist ihr größerer sach- und verfahrensrechtlicher Kontext zu berücksichtigen, auch bei Interpretations- und Qualifikationsentscheidungen sind deren Fernwirkungen zu bedenken. Die komplexen Regelkonglomerate der einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sollten durch Folgenabschätzungen im Vorfeld in ihrer Gesamtheit beleuchtet werden, um sinn- und planvolle Konzepte zur Integration der EU-Kollisionsregeln zu ermöglichen – punktuelle Korrekturen zur Bewältigung einzelner konkreter Probleme sind kaum befriedigend und drohen das kohärente Gesamtsystem des nationalen Sachrechts bzw. IZVR zu sprengen. Die Tendenz der letzten Jahre, IPR und IZVR aufeinander abgestimmt zu europäisieren und kollisions- und internationalzivilverfahrensrechtliche Regeln in einem einzigen EU-Rechtsakt zu vereinen („Brom-Verordnungen“ bzw. conventions triples), ist vor diesem Hintergrund klar zu begrüßen. Für das materielle Recht ist eine entsprechende Einbeziehung in die Kollisionsrechtsvereinheitlichung in näherer Zukunft allerdings nicht zu erwarten, auch wenn das EU-IPR indirekt zur Sachrechtsharmonisierung beiträgt und bei der Schaffung künftigen Einheitsrechts eine prägende Rolle spielen wird. Für die Mitgliedstaaten ist die schrittweise Anpassung ihres Sachrechts an einzelne EU-IPR-Verordnungen allerdings mit erheblichem Aufwand und großen Unwägbarkeiten verbunden. Eine einmalige Angleichung an ein übergreifendes europäisches Kollisionsrechtsmodell wäre auf Dauer kohärenter und effizienter.

III. Folgerungen

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§ 10 – Ergebnis Teil III Teil III: § 10 – Ergebnis Teil III

Das EU-IPR wirkt erheblich weiter, als es der Anwendungsbereich der europäischen Rechtsakte vermuten lässt. Im Gefolge der formalen, direkten Europäisierung durch gegenüber dem nationalen IPR vorrangige EU-Verordnungen kommt es zu einer indirekten, aber dafür um so umfassenderen Europäisierung. Die Anwendung des verbliebenen mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen IPR im Zusammenspiel mit den neuen europäischen Kollisionsnormen bedeutet Koordinationsprobleme zu Lasten der Rechtsanwender und -unterworfenen auf nationaler Ebene, die einzig durch eine Angleichung an die EU-Regeln gelöst werden können. Auch Reformvorhaben und neue Rechtsinstrumente haben nur noch unter Berücksichtigung der europäischen Position Erfolgsaussichten. Die anderen Akteure, insbesondere die Mitgliedstaaten, haben damit den „Schwarzen Peter“: Sie können entweder zunehmende Anwendungsschwierigkeiten hinnehmen und ihr Recht auf seinem derzeitigen Stand versteinern lassen oder es im europäischen Sinne weiterentwickeln. Damit unterliegen letztlich alle kollisionsrechtlichen Bereiche zumindest reflexhaft dem zunehmenden Einfluss des EU-IPR. Dessen Selbstbegrenzung durch Beschränkungen und Aussparungen seines Anwendungsbereichs und seine Zurücknahme gegenüber bestehenden Staatsverträgen erweist sich als leeres Versprechen. Vielmehr tritt das EU-Kollisionsrecht durch seine umfassende Fernwirkung einmal mehr wie ein Bulldozer auf, der die anderen Regelungsebenen ohne Rücksicht auf Verluste und häufig unerwartet überrollt. In den mitgliedstaatlichen IPR-Systemen geht die Verdrängungswirkung des EU-IPR weit über den begrenzten Anwendungsbereich der europäischen Rechtsakte hinaus. Kaum einer der nach wie vor dem nationalen Kollisionsrecht überlassenen Aspekte ist heute von europäischen Einflüssen frei, durch die Interaktion der Anknüpfungsregeln und den faktischen Zwang zur Angleichung in benachbarten Gebieten zieht die Europäisierung immer weitere Kreise. Zusätzlich wird das mitgliedstaatlich verbliebene IPR zunehmend durch die Vorgaben der – nicht eigentlich kollisionsrechtlich konzipierten – unionsrechtlichen Grundfreiheiten ins Wanken gebracht. Dieser indirekte Einfluss des EU-IPR ist inhaltlich wie systematisch in mehrerer Hinsicht problematisch. Die Rücksichtnahme auf europäische Vorstellungen lässt die unabhängige Konzeption eigenständiger mitgliedstaatlicher Kollisionsregeln kaum noch zu, der nominal dem nationalen Recht verbliebene Bewegungsspielraum verengt sich zunehmend. Gleichzeitig setzen unterschiedliche mitgliedstaatliche Reaktionen auf europäische Vorgaben und Entwicklungen die Harmonisierung gerade nicht über ihren eigentlichen Bereich hinaus fort, sondern drohen sie eher zu unterminieren. Dem nationalen IPR kommt zunehmend die undankbare Rolle eines Lückenbüßers zu, die ursprünglichen

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Teil III: § 10 – Ergebnis Teil III

mitgliedstaatlichen kollisionsrechtlichen Gesamtsysteme werden zu Sammlungen eines Restbestands an Einzelregeln, deren Kohärenz durch teilweise Anpassungen zusätzlich leidet. Als Zusatzprobleme erweisen sich auch hier der hierarchische Vorrang des Unionsrechts und die Unsicherheiten bezüglich seiner Auslegung, bei der zudem der EuGH – insbesondere hinsichtlich der Grundfreiheiten – nur begrenzt Rücksicht auf die Gesamtzusammenhänge des mitgliedstaatlichen Rechts nimmt. Zunehmend drängt sich die Frage auf, welchen Gehalt die Überlassung einzelner Kollisionsrechtsbereiche an das nationale IPR noch hat – und inwiefern sie noch sinnvoll ist. Auch der Schein eines von der Europäisierung unberührt bleibenden völkerrechtlichen Kollisionsrechts erweist sich als trügerisch. Zwar bestehen vorhandene staatsvertragliche Kollisionsregeln formal unangetastet weiter. Der Vorrang, den sie gegenüber den europäischen Rechtsakten genießen, wird jedoch durch Anwendungsnachteile und Koordinationsschwierigkeiten im Zusammenspiel mit dem EU-IPR über weite Strecken praktisch entwertet. Der Druck zur Kündigung nicht mit diesem kompatibler Regeln steigt zusehends. Ein Übergewicht europäischer Vorstellungen bei der Auslegung von Staatsverträgen beeinflusst diese indirekt im Sinne der EU. Geradezu paradox mutet an, dass aufgrund des zunehmenden Übergangs der Außenkompetenz auf die EU deren direkter Einfluss auf die Änderung und Neuschaffung völkerrechtlicher Anknüpfungsregeln sogar stärker ist als auf das mitgliedstaatliche IPR. Insbesondere bilaterale Abkommen einzelner Mitgliedstaaten mit Drittstaaten werden sich auf Dauer als Ausnahmen vom EU-IPR nicht behaupten können, eine langfristige Chance dazu haben allenfalls inhaltlich umfassende, multilaterale Konventionen, die als alternative Harmonisierungsinstrumente neben EURechtsakte treten können. Insbesondere die Schaffung neuer völkerrechtlicher IPR-Regelungen ist durch die Notwendigkeit ihrer Kompatibilität mit vorhandenen und geplanten europäischen Anknüpfungsregeln und die Vormachtstellung der EU allerdings inhaltlich bereits erheblich präjudiziert. Die Dominanz des EU-IPR erstreckt sich damit über seinen Anwendungsbereich hinaus und erfasst inzwischen mehr oder weniger deutlich alle Kollisionsrechtsbereiche sowohl auf nationaler als auch auf völkerrechtlicher Ebene. Die Anwendung existierender und die Schaffung neuer Anknüpfungsregeln ist nur noch in Orientierung an den europäischen Positionen oder sogar unter Mitwirkung der EU möglich. Der Vorrang des Unionsrechts im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten und die institutionell-politische Machtposition der Union auf globaler Ebene werden durch den rechtstechnischen Bedarf nach einer Koordination mit den europäischen Rechtsakten verstärkt: Die praktische Bewältigung entstehender Kompatibilitätsprobleme obliegt den anderen Regelungsebenen. Nur durch deren Anpassung an das EU-IPR lässt sich aber eine kohärente Einbettung der europäischen Anknüpfungsregeln in das bestehende Regelsystem aus nationalen und staatsvertraglichen Normen erreichen – nicht der Neuankömmling muss sich einfügen, sondern die etab-

III. Folgerungen

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lierten Modelle werden zur Akkommodation gezwungen. Vorgezeichnet ist damit für das mitgliedstaatliche und das völkerrechtliche IPR als, auch mangels eines Gegengewichts zur EU, alternativlose Entwicklungsrichtung die Zurücknahme eigener zugunsten europäischer Regelungsmodelle und Vorstellungen. Widerstand oder gar bewusste Gegenentwürfe sind – von politischen Unwägbarkeiten abgesehen – mit Blick auf ein anwenderfreundliches und harmonisches IPR-Gesamtsystem langfristig sinnlos. Wenn allerdings die Europäisierung ohnehin eine Abkehr von traditionellen Instrumenten und Lösungsstrategien und die Schaffung neuer Ansätze verlangt, stellt sich (vor allem mit Blick auf das nationale IPR) zunehmend die Frage, ob die entstehenden bzw. zu Tage tretenden Reformbedarfe nicht vernünftigerweise von vornherein auf europäischer Ebene bewältigt werden sollten. Von einer nur punktuellen Europäisierung durch einzelne Rechtsakte kann allerdings angesichts dieses umfassenden, einseitigen Einflusses des EU-IPR auf die anderen Regelungsebenen nicht mehr die Rede sein. Bestand und Entwicklungen des formal selbständigen mitgliedstaatlichen und völkerrechtlichen Kollisionsrechts werden nur noch anhand europäischer Maßstäbe gemessen und sind faktisch zur Anpassung bzw. Orientierung daran gezwungen. Dabei erweist sich die schrittweise Europäisierung in doppelter Hinsicht als Problem. Zum einen erscheint zunehmend zweifelhaft, inwiefern überhaupt einzelne Bereiche eines Kollisionsrechtssystems geändert werden können, ohne seine Gesamtkonzeption ins Wanken zu bringen. Die geplante isolierte Europäisierung einzelner Anknüpfungsregeln strahlt sogar über das mitgliedstaatliche IPR hinaus auf das IZVR und das materielle Recht aus und bewirkt auch dort indirekt erhebliche Umbrüche. Für die immer weiter auseinanderbrechenden bisherigen Regelungsmodelle stellt das auf einzelne Rechtsakte beschränkte EU-IPR jedoch bislang keinen adäquaten Ersatz im Sinne einer kohärenten Zielstruktur zur Verfügung. Nationales und völkerrechtliches IPR müssen vielmehr stets aufs Neue an geänderte europäische Verhältnisse angepasst werden – sie laufen beständig mit eingeschränkten Reaktionsmöglichkeiten den Entwicklungen des EU-IPR hinterher und werden durch zahlreiche punktuelle „Nachbesserungen“ immer inkohärenter. Verschärfend wirken dabei auch hier die Unsicherheiten bezüglich Reichweite und Inhalt der europäischen Rechtsakte und dementsprechend des Anpassungsbedarfs. Eindeutige Entscheidungen des EuGH zu Interpretation und Vorgaben des Unionsrechts ergehen nur einzelfallbezogen, häufig erst nach geraumer Zeit und mit nicht selten unerwartetem Inhalt, ihre teils erheblichen reflexhaften Folgen auch für die anderen Regelungsebenen werden in die Erwägungen kaum je einbezogen. Dieses Fehlen umfassender verbindlicher Anhaltspunkte macht eine gezielte Orientierung am EU-IPR „ein für alle Mal“ quasi unmöglich, weder ein gelähmtes Abwarten auf klare Vorgaben noch ein vorauseilender, gegebenenfalls überschießender Gehorsam sind aber zielführende Handlungsoptionen. Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung

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Teil III: § 10 – Ergebnis Teil III

sind gleichermaßen massiv gefährdet. Bedenklich ist außerdem die zunehmende Instrumentalisierung des IPR zur Durchsetzung europäischer Wertvorstellungen, die der bereits hinsichtlich neutraler Verweisungsregeln komplexen Lage eine zusätzliche Dimension verleiht. Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten ist eine immer stärkere Nivellierung zu beobachten: Der Spielraum, den das EU-IPR nationalen Wertentscheidungen teils bewusst einräumt, wird häufig durch unionsrechtliche Vorgaben und Wertungen (insbesondere die Grundfreiheiten-Rechtsprechung des EuGH) wieder stark begrenzt. Divergenzen zwischen den (freiwillig-weitreichenden und unfreiwillig-minimalerfüllenden) mitgliedstaatlichen Umsetzungen können Spaltungen innerhalb Europas noch befeuern. Im Außenverhältnis droht dagegen ein „Bollwerk Europa“ nicht nur die Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts durch einseitige Werteinflüsse zu prägen, sondern auch politischen und wirtschaftlichen Druck auf Drittstaaten auszuüben, nicht zuletzt durch die kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung „guter“ und „böser“ Drittstaaten. Insgesamt ist damit eine ernüchternde Bilanz zu ziehen. Die Europäisierung des IPR schlägt über ihren eigentlichen Bereich hinaus hohe, wenn auch nicht immer offensichtliche und geplante, Wellen im mitgliedstaatlichen und im völkerrechtlichen IPR. Die Zahl genuin nationaler Anknüpfungsregeln nimmt in den Mitgliedstaaten beständig ab, Reformen werden auch jenseits des Kollisionsrechts an europäischen IPR-Standards und Erwartungen ausgerichtet. Auch die Anwendung existierender und die Konzeption neuer Staatsverträge sind ohne massiven Einfluss der EU heute nicht mehr denkbar. Die auf Einzelrechtsakte begrenzte Europäisierung und die Unberührtheit der anderen Regelungsebenen im Übrigen erweisen sich damit als Illusion. Die zu beobachtende Konvergenz in Richtung europäischer Vorstellungen ist dabei nicht per se negativ zu beurteilen – als Ausdruck der Überzeugungskraft des modernen EU-Kollisionsrechts kann sie durchaus begrüßenswert sein. Das setzt jedoch freiwillige und nicht von faktischen Zwängen gesteuerte Angleichungsentscheidungen voraus, zudem sollte auch und gerade eine weiterreichende indirekte Europäisierung bewusst gestaltet und nicht durch die Hintertür eingeführt werden. Der in der Anfangsphase des EUKollisionsrechts eingeschlagene und bisher verfolgte Weg ist dafür langfristig nicht geeignet. Es ist vielmehr höchste Zeit, über die Zukunft des Zusammenspiels der kollisionsrechtlichen Regelungsebenen und die Rolle des EU-IPR neu nachzudenken.

Teil IV

Die Zukunft des EU-Kollisionsrechts Teil IV: Die Zukunft des EU-Kollisionsrechts

§ 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

Das Ergebnis der Analyse des Verhältnisses des EU-IPR zu den traditionellen Regelungsebenen ist ernüchternd: Die europäischen Kollisionsrechtsverordnungen passen sich nicht harmonisch in das bestehende Gefüge nationaler und völkerrechtlicher Regelungen ein, sondern walzen es gleich einem Bulldozer nieder. Die einseitig europäische Festlegung und Auskonturierung der sachlichen Reichweite der EU-Rechtsakte verdrängt einerseits, vor allem durch pro-europäische Auslegungsentscheidungen, das mitgliedstaatliche IPR stärker als erwartet, andererseits erweisen sie sich immer wieder, vor allem in zentralen und rechtspolitisch bedeutsamen Aspekten, als lückenhaft (siehe Teil II: § 3, S. 67 ff.). Das nationale Kollisionsrecht wird dadurch zunehmend zum Flickenteppich mit Lückenbüßerfunktion und kann im Interesse der Bewahrung inhaltlicher wie systematischer Kohärenz und angesichts europäischer Richtungsvorgaben nur noch in Orientierung am Unionsrecht weiterentwickelt werden (siehe Teil III: § 7, S. 272 ff.). Das Verhältnis des EU-IPR zum staatsvertraglichen Kollisionsrecht wird durch seine Unübersichtlichkeit erheblich getrübt, die aus Informationsdefiziten hinsichtlich des Bestands und unterschiedlichen Koordinationsmechanismen resultiert (siehe Teil II: § 4, S. 185 ff.). Der bestehendem Völkerrecht eingeräumte Vorrang wird durch Friktionen bei seiner Anwendung im europäischen Kontext untergraben, die künftige Gestaltung staatsvertraglicher Kollisionsregeln durch das Übergewicht europäischer Vorstellungen geprägt (siehe Teil III: § 8, S. 433 ff.). Innerhalb kurzer Zeit hat die EU eine kollisionsrechtliche Vormachtstellung erlangt: Das EU-IPR wirkt weit über den eigentlichen Anwendungsbereich seiner Verordnungen hinaus und lässt davon unabhängige mitgliedstaatliche und völkerrechtliche Entwicklungen kaum noch zu. Von einem „Mehrebenensystem“ aus nationalen, völkerrechtlichen und europäischen Regelungen kann bei näherer Betrachtung also nicht die Rede sein. Ein solches setzt zunächst ein Gesamtkonzept für die eindeutige, verbindliche und damit auf Dauer belastbare Zuweisung von Regelungsinhalten zu Regelungsebenen voraus. Schon daran fehlt es bei der sukzessiven Europäisierung, ebenso an übergreifenden Ausgleichs- und Abstimmungsmechanismen an den Schnittstellen zwischen den Ebenen. Vor allem aber kann ein

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

Mehrebenenmodell nur funktionieren, wenn seine Akteure einander auf Augenhöhe begegnen und ihre Regelsätze mit Rücksicht auf die Handlungsfähigkeit der jeweils anderen Regelungsebenen formulieren und anwenden. Das EU-IPR betrachtet jedoch bei der eurozentrischen Festlegung seines Anwendungsbereichs damit nicht kompatible Ansätze als „Störfaktoren“ und zwingt durch die anderenfalls entstehenden Koordinationsprobleme auch in nicht der Europäisierung unterliegenden Bereichen zu diese akkommodierenden Reaktionen. Sein aushöhlender Effekt reicht weit über sein eigentliches Gebiet hinaus, sein Versprechen der Unberührtheit des mitgliedstaatlichen und staatsvertraglichen Kollisionsrechts erweist sich als Illusion. Mit einem gleichberechtigten Miteinander hat ein „schleichender Verfall“ durch indirekte Wirkungen aber ebenso wenig zu tun wie echte Harmonisierung mit einseitiger Dominanz. Man muss sich daher eingestehen, dass der Ansatz einer Kollisionsrechtsvereinheitlichung durch Einzelrechtsakte für das EU-IPR gescheitert ist. Das Prinzip einer punktuellen Überlagerung einzelner, klar abgegrenzter Aspekte der nationalen kollisionsrechtlichen Gesamtsysteme durch (minimal-)harmonisierte Regelungen wurde für völkerrechtliche Instrumente entwickelt. Es hat für die auf das Internationale Schuldrecht beschränkten staatsvertraglichen Ursprünge des EU-Kollisionsrechts funktioniert und war auch noch für die ersten unmittelbar geltenden IPR-Verordnungen tragfähig. Mit deren wachsender Zahl kann man aber inzwischen nur noch formal von Einzelrechtsakten sprechen, das EU-IPR als Ganzes übersteigt im Zusammenspiel der Verordnungen heute die Summe seiner Teile. Dabei entfaltet es Ausstrahlungswirkungen im gesamten mitgliedstaatlichen und staatsvertraglichen IPR und in benachbarten Rechtsgebieten, die dem Konzept begrenzter Vereinheitlichung widersprechen. Das Kollisionsrecht als integrales System ineinander verzahnter Regeln kann eine punktuelle Harmonisierung nur in begrenztem Maß verkraften – das EU-IPR hat die Grenzen des Erträglichen überschritten. Es sprengt durch seine Reichweite die vorhandenen Systeme, bietet aber durch seine Beschränkung auf Einzelrechtsakte selbst noch kein Gesamtmodell an: Das punktuelle europäische Kollisionsrecht geht einerseits zu weit, andererseits nicht weit genug. Das derzeitige Modell der Europäisierung erweist sich als nicht haltbar – benötigt wird für die Zukunft ein anderer Harmonisierungsansatz, der der neuartigen Qualität des EU-IPR gerecht wird. Zentrales Anliegen ist im Interesse der Rechtssicherheit und der nachhaltigen Entwicklung kollisionsrechtlicher Lösungen, aber auch der Akzeptanz der europäischen Regelungsansätze, zunächst die Schaffung eines transparenten Gesamtkonzepts anstelle der bisherigen schrittweisen und nur begrenzt vorhersehbaren europäischen Integrationsmaßnahmen. Ein funktionsfähiges und ausgewogenes dreistufiges Mehrebenensystem aus nationalen, europäischen und völkerrechtlichen Kollisionsregeln wird sich dabei realistisch kaum etablieren lassen. Notwendig

I. EU-IPR und Mitgliedstaaten: Systembildung

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wäre ein Gesamtmodell, das alle kollisionsrechtlichen Fragen klar einer Regelungsebene zuordnet und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Bereiche und Akteure koordiniert. Angesichts der zahlreichen Verflechtungen innerhalb der Regelungsmaterie des IPR erscheint dies bereits theoretisch als Herausforderung – angesichts der Vielfalt kollisionsrechtlicher Instrumente, Ansätze und Interessen wäre es praktisch kaum durch- und umsetzbar. Erst wenn weitere supranationale Vereinheitlichungskonzepte neben das EU-IPR getreten sind, können notwendigerweise globale Überlegungen zur Koordination nationaler, regionaler und weltweiter Kollisionsregeln sinnvoll angestellt werden. Die Verantwortung für die künftige Gestaltung des Kollisionsrechts liegt vielmehr bei der EU. Das EU-IPR ist einerseits die Ursache der derzeitigen Verwerfungen auf den anderen Regelungsebenen und andererseits der Drehund Angelpunkt aller aktuellen Gestaltungsüberlegungen.1 Die Geister, die man in Europa rief, kann man aber auch nur in Europa bändigen: Einzig auf der Grundlage eines europäischen Gesamtkonzepts kann die Interaktion nationaler, staatsvertraglicher und europäischer Kollisionsregeln dauerhaft gelingen und fruchtbar weiterentwickelt werden. Aus den Ergebnissen der vorangegangenen Analysen kristallisieren sich Handlungsanforderungen zu drei Aspekten heraus. Die Ablösung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts, die den Kern der kollisionsrechtlichen Europäisierung darstellt, muss planmäßig ausgerichtet werden und zur Bildung eines kohärenten neuen IPR-Systems führen (dazu I.). Auf dieser Basis lässt sich sodann das Verhältnis der europäischen zur völkerrechtlichen Kollisionsrechtsharmonisierung neu ausrichten (dazu II.). Schließlich sind Strategien zur effizienten und stringenten Implementierung und Weiterentwicklung des EU-Kollisionsrechts zu skizzieren (dazu III.). I.

EU-IPR und Mitgliedstaaten: Systembildung

I. EU-IPR und Mitgliedstaaten: Systembildung

Als Hauptproblem der Europäisierung erweist sich zunehmend das Fehlen eines kollisionsrechtlichen Gesamtsystems. Das IPR ist keine Ansammlung voneinander unabhängiger Einzelstatute, sondern muss den engen und vielfältigen Verbindungen der Anknüpfungsregeln Rechnung tragen. Die Überlagerung einzelner Bereiche ist nur solange möglich, wie sie klar begrenzt ist und das ursprüngliche System als tragfähiges Gesamtgefüge bestehen lässt. Über dieses Stadium ist die Europäisierung allerdings inzwischen hinaus: Die mitgliedstaatlichen IPR-Konzeptionen zerbrechen durch die Inkorporation immer weiterer EU-Rechtsakte zusehends. Gleichzeitig existiert allerdings noch kein neues europäisches Gesamtsystem, das eine effiziente und zusammenhängende Orientierung der einzelnen Europäisierungsschritte bzw. ihrer mitgliedstaatlichen Folgemaßnahmen ermöglichen würde. Ganzheitliche Strukturvor1

Vgl. Wilke in: Leible / Unberath, 23, 25.

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

gaben werden aber dringend benötigt, damit europäische und mitgliedstaatliche Kollisionsregeln wieder im Rahmen eines langfristig tragfähigen Modells und ebenenintern sowie -übergreifend kohärent geplant werden können. Die Gestaltung eines solchen umfassenden „Zielsystems“ hängt von der Reichweite ab, die das EU-IPR auf Dauer darin erhalten soll. Will man die Europäisierung dauerhaft auf die Herauslösung einzelner Aspekte aus den mitgliedstaatlichen IPR-Systemen beschränken, muss man ihr klare Grenzen stecken (dazu 1.). Alternativ können die mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte insgesamt durch ein europäisches Gesamtmodell abgelöst werden (dazu 2.). Eine Entscheidung muss jedenfalls auf europäischer Ebene und zügig getroffen werden (dazu 3.). 1. Option 1: Kombinationsmodell Das Festhalten am Konzept einer Europäisierung durch Einzelrechtsakte und damit am Nebeneinander europäischer und mitgliedstaatlicher Kollisionsregeln erscheint auch für die Zukunft durchaus möglich.2 Man müsste sich dafür allerdings von der bisherigen isolierten Weiterentwicklung einzelner Anknüpfungsregeln bzw. IPR-Bereiche auf der jeweils aktuell geeignet erscheinenden Ebene verabschieden. Vielmehr erfordert die dauerhaft funktionsfähige Zusammensetzung eines kollisionsrechtlichen Regelbestands aus Elementen verschiedener Rechtsetzungsebenen eine eindeutige Festlegung der Regelungszuständigkeit für alle Teile des Gesamtsystems.3 Die bisherige Herangehensweise einer sukzessiven Initiierung politisch realisierbar scheinender EURechtsakte für einzelne Kollisionsrechtsbereiche wäre also zugunsten eines von vornherein umfassenden Verteilungsmodells aufzugeben. Auf dessen verbindlicher Basis könnten und müssten mitgliedstaatliche und europäische Legislative die ihnen jeweils zugewiesenen Bereiche regeln. Blockaden oder Wettrennen der Regelungsebenen bei der Schaffung neuer Rechtsakte oder Reformen wären ausgeschlossen. Das Ergebnis wären – zumindest im Idealfall – in sich kohärente und auf die jeweils andere Regelungsebene abgestimmte Normsysteme im nationalen wie im europäischen IPR. Schon die Konstruktion eines solchen umfassenden Gesamtsystems für das Verhältnis der Regelungsebenen zueinander wirft allerdings zahlreiche Schwierigkeiten auf. Eine Ebenenzuweisung müsste jeweils für klar umgrenzte Bereiche des IPR erfolgen, sich also an der Abgrenzung der Statute orientieren. Wie gesehen ist die klare Abgrenzung zwischen diesen aufgrund der enDavon ausgehend etwa Meeusen in: von Hein / Kieninger / Rühl, 61, 61 ff. (insbes. 104 ff.), der Vorschläge für die (systematische) Interaktion und die langfristige „Zusammenarbeit“ von EU-IPR und mitgliedstaatlichem IPR entwickelt. 3 Vgl. Mills in: Franzina, 101, 109 f. zu den Gefahren einer Aufteilung auf mehrere Rechtsinstrumente, die bei einer Aufteilung auf mehrere Regelungsebenen ebenso (wenn nicht stärker) zum Tragen kommen. 2

I. EU-IPR und Mitgliedstaaten: Systembildung

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gen Zusammenhänge zwischen den (Kollisions-)Rechtsgebieten häufig ausgesprochen schwierig (siehe Teil II: § 3, S. 67 ff.). Voraussetzung und notwendige Vorarbeit für die Zuweisungsentscheidungen wären abstrakte Qualifikationsentscheidungen anhand beiden Regelungsebenen gemeinsamer Maßstäbe. Eine Festlegung müsste für möglichst alle denkbaren Fragen bereits im Vorfeld getroffen werden, um ihre adäquate Regelung auf der korrekten Ebene zu ermöglichen und Regelungskonkurrenzen bzw. -lücken aufgrund nachträglicher Qualifikationsdiskrepanzen zu vermeiden. Dies erscheint angesichts der unüberschaubaren Vielzahl an bekannten und potentiellen Qualifikationsproblemen praktisch kaum möglich. Über eine eindeutige Differenzierung hinaus wären an Schnittstellen bzw. Berührungspunkten Mechanismen zur Entkoppelung der Regelungsebenen bzw. zur Koordination der aufeinandertreffenden Regelungen verschiedener Bereiche notwendig. Insgesamt müsste das Zusammenspiel der Ebenen in der Anwendung sorgfältig aufeinander abgestimmt werden, um etwa zu verhindern, dass abweichende Regeln des Allgemeinen Teils des IPR (z. B. renvoi) zu Diskrepanzen führen. Für die Mitgliedstaaten der EU scheint der Wechsel zu einem solchen Modell dauerhafter Koexistenz mit klarer Ab- und Begrenzung der europäischen gegenüber ihrer eigenen Zuständigkeit zunächst durchaus attraktiv. Er würde nicht nur auf längere Sicht den Fortbestand des nationalen Kollisionsrechts als Regelungsebene schützen, sondern ihm auch einen geeigneten Aktionsradius garantieren. Die klare Zuweisung von Regelungsmaterien würde das mitgliedstaatliche IPR vor dem ihm derzeit drohenden Schicksal bewahren, zum bloßen Lückenbüßer des EU-IPR für undankbare Fragen und Randmaterien zu werden. Gleichzeitig wäre bei dauerhafter Zusicherung der Kompetenzverteilung die Nutzung ihres garantierten Spielraums zur selbständigen inhaltlichen Gestaltung für die Mitgliedstaaten auch attraktiv. Die Planung und Verwirklichung von Gesamtkonzepten für den national verbliebenen Teil des Kollisionsrechts wäre rentabel, wenn sie nicht unter dem Vorbehalt weiterer Europäisierungsschritte stünde, sondern sich eindeutig auf die Integration eines festgelegten Bestands europäischer Kollisionsregeln ausrichten könnte. Konzeptionell deutlich einschneidendere Auswirkungen hätte die Etablierung eines festgelegten Modells für die Verteilung des Kollisionsrechts auf mehrere Regelungsebenen auf das existierende und künftige EU-Kollisionsrecht. Auf europäischer Ebene müsste man die bisherigen Bestrebungen zu einer immer weiter reichenden Ablösung der nationalen Anknüpfungsregeln der Mitgliedstaaten aufgeben und sich in Zurückhaltung üben. Ziele und Reichweite der weiteren Europäisierung des Kollisionsrechts könnten nicht mehr einseitig nach und nach durch die EU bestimmt werden, sondern wären durch die klar gesteckten Grenzen des Mehrebenensystems festgelegt. In Anbetracht des breiten Feldes, das bereits jetzt durch das EU-IPR abgedeckt wird, dürften diese der europäischen Ebene nur noch in begrenztem Umfang neue Regelungsgebiete eröffnen (denkbar wären z. B. das Internationale Gesell-

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

schaftsrecht4 oder das Namensrecht, die bereits stark unionsrechtlich geprägt sind und für die bereits konkrete Vorschläge vorliegen, siehe Teil I: § 1.II.2.b), S. 14 ff.; Teil III: § 7.II.1., S. 336 ff.), unter Umständen wäre sogar eine Zurücknahme bestehender europäischer Regelungen erforderlich. Das Betätigungsfeld des EU-IPR würde sich zunehmend auf die Konsolidierung, Optimierung und punktuelle Ergänzung des europäischen acquis beschränken. Dabei müsste im Rahmen der Folgenabschätzung starkes Augenmerk auf die potentiellen Auswirkungen der europäischen Änderungen auf das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht gerichtet werden. Zudem würde eine verbindliche Zuweisung der ihm benachbarten Statute zu anderen Regelungsebenen der europäischen Ebene auch bei der Interpretation und Anwendung des EU-IPR und im Hinblick auf kollisionsrechtliche Konsequenzen der Grundfreiheiten ein deutliches Umdenken und größere Rücksicht abverlangen. Die Betrachtung der Vor- und Nachteile des skizzierten Modells lässt ein gemischtes Bild entstehen. Es steht im Einklang mit dem Prinzip begrenzter Europäisierung und erhält das nationale IPR mit seinen gewachsenen Traditionen als Regelungsebene. Auf einem anderen Blatt steht freilich, inwieweit genuin nationale Kollisionsregeln angesichts der bereits entstandenen und auch künftig kaum zu unterbindenden Sogwirkung der europäischen kollisionsrechtlichen Vorstellungen (siehe Teil III: § 7, S. 272 ff.) überhaupt noch eine Zukunft haben. Gleichzeitig wäre im Zuge einer Konsolidierung und sinnvollen Ergänzung der Kompetenzverteilung damit zu rechnen, dass man vorhandene Lücken des EU-IPR schließen und sich damit auch bislang bewusst ausgesparter Fragen annehmen müsste. Rechtspolitisch wären erhebliche Verwerfungen zu erwarten. Zudem gälte es beträchtliche Schwierigkeiten zu bewältigen – mit fraglichen Erfolgsaussichten. Die bisherigen Erfahrungen mit dem EU-IPR wecken wenig Hoffnungen, dass sich ebenenübergreifende Trennlinien zwischen eng miteinander verzahnten kollisionsrechtlichen Gebieten sinnvoll ziehen lassen. In den dem nationalen IPR verbliebenen Gebieten gälte es die weite Ausstrahlungswirkung zentraler europäischer Anknüpfungsregeln abzufedern, damit verbunden aber auch weiterhin Diskrepanzen zwischen verschiedenen mitgliedstaatlichen Ansätzen hinzunehmen. Der Koordinationsbedarf zwischen den und innerhalb der Regelungsebenen wäre immens, verbindliche Mechanismen für das Zusammenspiel aber nur schwer zu erarbeiten und durchzusetzen. Auch im Hinblick auf das staatsvertragliche Kollisionsrecht wäre kaum eine Verbesserung gegenüber dem unbefriedigenden status quo zu verzeichnen. Die Schwierigkeiten einer gespaltenen Außenkompetenz (siehe Teil III: § 8.II.1.c), S. 502 ff.) würden durch eine transparente Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten zwar gemil-

4 Vgl. z. B. Kieninger IPRax 2017, 200, 201 ff.; Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 739; J. Schmidt EuZW 2021, 613, 619 f.; M.-P. Weller IPRax 2017, 167, 177.

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dert, blieben aber im Wesentlichen erhalten. Die Integration völkerrechtlicher Kollisionsregeln wäre unverändert eine Herausforderung. Insgesamt betrachtet sind die Erfolgsaussichten eines solchen Kombinationsmodells eher gering. Schon Bereitschaft und Kapazitäten für den mit einer grundlegenden konzeptionellen Neuausrichtung verbundenen hohen Aufwand sind kaum von allen Beteiligten zu erwarten. Im durch die Festlegung europäischer und mitgliedstaatlicher Zuständigkeit im Kollisionsrecht erzielten Gewinn an Planungssicherheit läge außerdem gleichzeitig eine Stagnation der weiteren Kollisionsrechtsvereinheitlichung. Neue Harmonisierungsbedarfe und -vorhaben wären nur mit erheblichem Aufwand mit dem einmal geschaffenen Verteilungsmodell zu vereinbaren. Der bisher sehr dynamische Europäisierungsprozess würde erheblich gebremst, anlassbezogene Integrationsschritte wären kaum möglich. Auch für die mitgliedstaatliche und europäische Bereitschaft zur Teilnahme an völkerrechtlichen Projekten wäre es wenig förderlich, dass sie zu Einschnitten in ein mühevoll geschaffenes und prekär austariertes Kompetenz- und Regelungsgefüge zwingen würde. Das gewünschte Ziel zwei unabhängiger, harmonisch zusammenwirkender Regelungsebenen erscheint schließlich unrealistisch – auch bei einer gewissen Zurücknahme der europäischen Ebene ist damit zu rechnen, dass sich inhaltliches Übergewicht und strukturelle Dominanz des EU-IPR gegenüber dem mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht perpetuieren. 2. Option 2: Vollvereinheitlichung Die Alternative zum dauerhaften Nebeneinander europäischer und mitgliedstaatlicher Kollisionsregeln ist die Aufgabe eines der konkurrierenden Regelsysteme zugunsten des anderen, also die vollständige und einheitliche Verortung des gesamten Kollisionsrechts auf einer einzigen Regelungsebene. Ein Verzicht auf das EU-Kollisionsrecht ist allerdings nicht zu erwarten: Eine Aufgabe des bereits erreichten kollisionsrechtlichen acquis ist weder sinnvoll noch realistisch. Seine inhaltliche Beibehaltung in Gestalt EU-interner Staatsverträge liegt ebenso wenig im Interesse der Union und der Mitgliedstaaten5 wie eine vollständige Abschaffung und damit eine Rückkehr zu den – seit geraumer Zeit verdrängten bzw. verschwundenen – nationalen Anknüpfungsregeln. Potentiell verzichtbar ist demgegenüber das mitgliedstaatliche IPR. In Betracht kommt dessen vollständige Ablösung durch verbindliche europäische Kollisionsregeln. Für universelle Anknüpfungsregeln mit absolutem Zuordnungscharakter sind flexiblere Harmonisierungsansätze wie bloße Zielvorgaben (etwa in Gestalt unionsrechtlicher Richtlinien) oder die aus der materiellen Rechtsvereinheitlichung bekannte Wahl der teilnehmenden Staaten zwischen mehreren Alternativen nicht geeignet. Eine komplette Kollisi5

Vgl. Junker in: FS Sonnenberger, 417, 422 f.

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onsrechtsvereinheitlichung setzt damit eine umfassende unionsrechtliche IPRKodifikation voraus, entweder in Gestalt flächendeckender und lückenloser Einzelrechtsakte für alle Kollisionsrechtsbereiche oder durch ein zusammenfassendes Instrument für das gesamte IPR. Der Gedanke eines solchen „europäischen IPR-Gesetzbuches“6 ist nicht neu7 und hat durch die Verabschiedung unionsrechtlicher IPR-Rechtsakte seit Beginn des 21. Jahrhunderts stetig neuen Aufschwung erhalten.8 Die Einzelheiten existierender9 und im Werden begriffener10 Ausgestaltungsvorschläge sollen hier ebenso wenig von Neuem erörtert werden wie das generelle Für und Wider einer europäischen Kollisionsrechtskodifikation.11 Eine vollständige Europäisierung durch eine umfassende IPR-Kodifikation wäre ein klarer Bruch mit der nationalen Regelungsebene. Von den Mitgliedstaaten erfordert sie den vollständigen Verzicht auf eigene Anknüpfungsregeln. Die auf den ersten Blick radikal erscheinende Aufgabe jeglichen mitgliedstaatlichen Regelungsanspruchs erscheint allerdings weniger gravierend, wenn man bedenkt, dass der den Mitgliedstaaten verbliebene Spielraum durch die direkten (siehe Teil II, S. 33 ff.) und indirekten (siehe Teil III, S. 271 ff.) Auswirkungen der Europäisierung bereits jetzt massiv beeinträchtigt ist und nationale Eigenwege ohnehin kaum noch realisierbar sind. Die Unwägbarkeiten einer mehr oder weniger freiwilligen, mehr oder weniger weitreichenden Ausrichtung an immer neuen europäischen Rechtsakten würden entfallen. Das Rätselraten um die im Vorfeld nur schwer einschätzbare Reichweite des EU-IPR wäre ebenso Geschichte wie die Komplikationen der national6 Zur Bezeichnung als „codification“ oder „compilation“ Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 722 f. 7 Vgl. die erste konkrete Anregung Frankensteins (Projet d’un Code européen de droit international privé) bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 8 Vgl. Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 184 ff.; Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 704 ff.; Siehr in: Jud / Rechberger / Reichelt, 77, 77 ff. 9 Vgl. etwa den Entwurf von Lagarde RabelsZ 75 (2011), 673, 673 ff. sowie die Vorschläge zu unterschiedlichen Aspekten in Fallon / Lagarde / Poillot-Perruzzetto (Hg.), etwa von Corneloup / Nourissat (257, 257 ff.) zu Struktur- und Aufbaumöglichkeiten. 10 In der European Association of Private International Law hat sich eine Working Group on the Feasibility of a European Private International Law Act unter Leitung von Thomas Kadner Graziano konstituiert, . 11 Begeistert befürwortend etwa Czepelak ERPL 2010, 705, 715 ff.; Trüten 658 ff.; Kadner Graziano in: von Hein / Rühl, 44, 49 ff.; Kadner Graziano JPIL 11 (2015), 585, 591 ff. – Eher zurückhaltend Basedow in: von Hein / Rühl, 3, 9 ff.; Kieninger IPRax 2017, 200, 205 ff.; Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 197 et passim. – Die verschiedenen in Betracht kommenden Entwicklungswege untersuchen Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 721 ff., die sich schließlich für eine „‘creeping’ codification“, bei der ein gradueller Ergänzungs-, Konsolidierungs- und Ausbauprozess am Ende in eine Gesamtkodifikation münden soll, aussprechen (738 ff.).

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eigenmächtigen extensiven Übernahme europäischer Kollisionsregeln durch einzelne Rechtsordnungen und der Wettstreit nationaler Kollisionsrechte um ihre Position innerhalb Europas. Der Vorrang des EU-IPR würde von derzeit unsystematischer, indirekter Verdrängungswirkung in sichere Bahnen gelenkt. Schließlich wäre man auch im mitgliedstaatlichen Verfahrens- und materiellen Recht (siehe Teil III: § 9, S. 543 ff.) nicht mehr zu schrittweisen, häufig hastigen punktuellen Anpassungen gezwungen, sondern könnte sich auf eine einmalige, grundlegende und zusammenhängende Angleichung an das neue Kollisionsrechtssystem beschränken. Das europäische Kollisionsrecht wäre demgegenüber nicht mehr auf einen Vorrang in einzelnen Bereichen beschränkt, sondern könnte und müsste alle Fragen des IPR umfassend und abschließend beantworten. Mit einem europäischen Gesamtsystem aus einem Guss wäre die für das Kollisionsrecht immens wichtige Kohärenz wiederhergestellt und dauerhaft gewährleistet.12 Mit den divergierenden Lösungen der mitgliedstaatlichen Kollisionsrechte würden die derzeitigen komplexen Abgrenzungsfragen und Koordinationsbedürfnisse zwischen europäischen und nationalen Anknüpfungsregeln entfallen. Alle bereichsübergreifenden Fragen wären anhand einer europäischen Methodik bzw. der allgemeinen Regelungen des EU-IPR-Gesetzes eindeutig und vorhersehbar zu beantworten. Für die Rechtsanwender und -unterworfenen wäre ein einheitliches Regelwerk eine erhebliche Erleichterung gegenüber der derzeitigen in stetem Fluss befindlichen Quellen- und Methodenpluralität aus europäischen Einzelverordnungen und nationalen, teilreformierten Restbeständen. Durch eine europäische IPR-Kodifikation würde nicht zuletzt das Vertrauen in das Unionsrecht und das Funktionieren der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen gestärkt.13 Die bisherige Problemvermeidungsstrategie einer Überlassung schwieriger oder streitiger Aspekte an die Mitgliedstaaten wäre dafür freilich aufzugeben. Die Aussparung einzelner Aspekte wäre bei einer Vollharmonisierung nicht möglich, auch und gerade auf rechtspolitisch heikle Fragen müsste eine EUIPR-Kodifikation Antworten liefern.14 Teils wird deswegen bezweifelt, ob die Zeit schon reif für eine europäische Gesamtkodifikation sei.15 Allerdings wird eine europäisch-kollisionsrechtliche Befassung mit allen rechtspolitisch umstrittenen (Vor-)Fragen insbesondere im Familien- und Statusrecht ohnehin immer dringender, da die bisher gern praktizierte Verweisung auf das nationale Kollisionsrecht16 durch primärrechtliche Vorgaben faktisch zunehmend Vgl. die europäische Kodifikation eines IPR-AT auch aus Kohärenzgründen befürwortend Sonnenberger in: Leible / Unberath, 429, 430. 13 Vgl. M. Weller JPIL 11 (2015), 64, 79 ff. 14 Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 194. 15 Zum Beispiel Basedow in: von Hein / Rühl, 3, 9. 16 Francq in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 111, 127. 12

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unterlaufen wird. Die Offenheit für unterschiedliche nationale Auffassungen sinkt dabei stetig. Gegenüber der derzeitigen Situation, in der die Grundfreiheiten als Damoklesschwert über den mitgliedstaatlichen Lösungen schweben und sie mit zusätzlichem rechtspolitischem Konfliktpotential aufladen, erscheinen zuverlässige (Kompromiss-)Ansätze im EU-IPR vorzugswürdig. Gleichzeitig würde bei vereinheitlichen Anknüpfungsregeln die Diskussion über kollisionsrechtliche Grundfreiheitenverstöße entfallen: Sofern man ihnen nicht bereits durch Statusanerkennungsregeln im EU-IPR begegnet, wären Beschränkungen eindeutig durch das materielle Recht der Mitgliedstaaten zu bewältigen. Insofern scheint ein europäisches „Rosinenpicken“ bezüglich zu regelnder und auszusparender Aspekte dauerhaft ohnehin nicht mehr tragfähig. Wesentliche Vorteile hätte eine europäische Vollvereinheitlichung auch für das völkerrechtliche Kollisionsrecht. Kompetenzfragen und gespaltene Zuständigkeiten würden einer eindeutigen und umfassenden Unions-Außenkompetenz weichen. Rolle und Einfluss der EU auf das Verhältnis zu Drittstaaten wären direkt und besser erkennbar als derzeit, die Überarbeitung bestehender und Schaffung neuer Staatsverträge damit technisch einfacher zu realisieren. Auch die Anwendung staatsvertraglicher Anknüpfungsregeln wäre für mitglied- wie drittstaatliche Rechtsanwender erheblich vereinfacht, wenn sie nur noch mit europäischen Kollisionsregeln zu koordinieren wären.17 Mit einer inhaltlichen Dominanz europäischer Vorstellungen wäre allerdings auch weiterhin zu rechnen. Die Überzeugungskraft eines umfassenden modernen europäischen Kollisionsrechtskonzepts dürfte aber gegenüber Drittstaaten größer als jene von Einzelrechtsakten sein und insgesamt die Vorbildfunktion des EU-IPR im globalen Kontext stärken. In der Gesamtbetrachtung erweist sich die europäische Vollharmonisierung des Kollisionsrechts als die bessere Option. Langfristig erscheint sie ohnehin unausweichlich: Die bisherigen Entwicklungen führen eindeutig vor Augen, dass eine nur teilweise Europäisierung sich als nur begrenzt praktisch sinnvoll erweist – eine vollständige Überführung auf die europäische Ebene ist dann aber logische Lösung. Im Vergleich zur bereits vorhandenen Zahl an Einzelrechtsakten mit teils erst nachträglich erkennbarer, überbordender Reichweite, die die mitgliedstaatlichen IPR-Systeme immer aufs Neue ins Wanken bringen, ist sie ehrlicher und stringenter; abgesehen von der erhöhten Sichtbarkeit würde sie auch der Bedeutung des EU-IPR im Verhältnis zum nationalen Kollisionsrecht besser gerecht.18 Eine Gesamtkodifikation ist zwar kein Allheilmittel, kann aber zumindest die zahlreichen Schwierigkeiten des Zusammentreffens europäischer und mitgliedstaatlicher Kollisionsregeln beseitigen. Wenn die – zugegeben immense – Aufgabe des Entwurfs und der 17 18

Vgl. Brosch 214 f. Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 195.

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Implementierung einer Gesamtkodifikation einmal bewältigt ist, spart deren Anwendung dauerhaft viel Zeit und Energie. Als Perspektive der Europäisierung erweist sie sich schließlich als deutlich weniger komplex als eine grundlegende Restrukturierung des Verhältnisses der Ebenen und hat bessere Realisierungsaussichten. Ein entwicklungsoffenes EU-IPR-Gesetzbuch wäre schließlich auch eine ideale Ausgangsposition für die europäische Beteiligung an globalen Ansätzen der Kollisionsrechtsvereinheitlichung. 3. Zügige Entscheidung – weitreichende Vereinheitlichung Die Entscheidung für ein neues Modell des Verhältnisses von europäischem und nationalem IPR muss in naher Zukunft getroffen werden. Weitere Vereinheitlichungsbemühungen oder der (bewusste) Verzicht darauf können nur auf der gesicherten Basis eines eindeutigen Koordinationsrahmens unternommen werden. Dieser muss zügig etabliert werden. Weiteres Abwarten bzw. die Fortsetzung des Ansatzes isolierter europäischer Verordnungen mildert die bereits jetzt drängenden Friktionen fehlender Abstimmung zwischen den Regelungsebenen nicht, sondern verschärft sie nur. Gleichzeitig wird der Übergang zu einem – gleich welchem – Gesamtmodell immer schwieriger, je mehr europäische Verordnungen schon existieren. Mit ihrer wachsenden Zahl sinkt die Wahrscheinlichkeit eines dauerhaft tragfähigen Kombinationsmodells: Ein bereits zu viel Raum einnehmendes EU-IPR würde es von Anfang an in Dysbalance bringen, eine Zurücknahme erreichter europäischer Vereinheitlichung wäre aber kaum durchsetzbar. Zahlreiche zu berücksichtigende Einzel-Verordnungen verkomplizieren aber auch die Schaffung der großen Linien einer europäischen Gesamtkodifikation – und der Wille für eine solche sinkt, wenn zwischen den schon vorhandenen Rechtsakten nur noch geringe Spielräume und (komplizierte) „Restgebiete“ zur inhaltlichen Gestaltung verbleiben. Gleichzeitig droht die weitere Verfestigung divergierender nationaler Lösungen (insbesondere in Reaktion auf schon existentes EU-IPR) für die Zukunft sowohl genuin europäische als auch genuin nationale Regelungen zu blockieren und gefährdet die Einigung auf ein übergreifendes Gesamtkonzept. Auch die langwierige Arbeit an völkerrechtlichen Instrumenten ist ohne gesicherte Handlungs- und Kompetenzgrundlage für EU und Mitgliedstaaten unattraktiver. Die vordringlichste Aufgabe des Kollisionsrechts in und für Europa ist es daher, einen kohärenten Rahmen für seine weitere Entwicklung abzustecken, bevor die Spielräume dafür sich noch weiter verringern.19 Unter der Prämisse einer solchen klaren Gesamtkonzeption scheint für die praktische Umsetzung die von Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 738 ff. vorgeschlagene „‘creeping’ codification“ als durchaus geeigneter Weg, ebenso die von Kieninger IPRax 2017, 200, 207 propagierte Ergänzung und Zusammenfassung bereits bestehender IPR-Verordnungen. Weitere Einzel-Rechtsakte müssen allerdings bereits als Bausteine dieses Gesamtmodells konzipiert werden. 19

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Es liegt nahe, sich an diesem Scheideweg gegen ein leveling out der Europäisierung auf ihrem aktuellen Stand und für weitere Vereinheitlichungsschritte zu entscheiden. Im Interesse einer schnellen und zuverlässigen Fortsetzung der IPR-Harmonisierung in Europa muss man dann den Schritt zur EU-Vollharmonisierung konsequent tun. Die Übertragung der Gesamtverantwortung auf die EU als vergleichsweise junge Akteurin hätte zwar in gewisser Weise experimentellen Charakter. Allerdings schwebt der Gedanke daran ohnehin seit geraumer Zeit über allen Erwägungen.20 Die europäische Durchdringung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts ist bereits so weit fortgeschritten, dass es sich faktisch nur noch mit Blick auf das EU-IPR weiterentwickeln kann, der zu erwartende Widerstand der Mitgliedstaaten gegen die Aufgabe ihres schrumpfenden Rand- und Restbestands eigener Anknüpfungsregeln wird immer geringer. Inhaltlich lassen sich sinnvolle Lösungen für Einzelfragen häufig nur auf europäischer Ebene entwickeln und umsetzen. Ein kollisionsrechtlicher Konsens der Mitgliedstaaten scheint heute nicht zuletzt aufgrund der Entwicklung der Grundfreiheiten-Rechtsprechung deutlich realistischer als noch vor wenigen Jahren – er sollte aber durch Verhandlungen der Mitgliedstaaten bei der IPR-Gesetzgebung gezielt herbeigeführt und nicht nach und nach durch die Unionsrechtsprechung zum Primär- und Sekundärrecht erzwungen werden. Auch der systemische Handlungsbedarf wird immer dringender, da kohärente (Gesamt-)Lösungen national kaum noch erreichbar sind. Gerade deswegen sollte die weichenstellende Entscheidung für eine europäische Gesamtkodifikation aber bewusst getroffen werden, solange sie noch eine echte Option und keine zwingende Notwendigkeit darstellt. Insgesamt wäre die Verabschiedung einer europäischen IPR-Gesamtkodifikation ein (letztlich unausweichliches) „Ende mit Schrecken“, das dem derzeitigen „Schrecken ohne Ende“ zwar formal weiterbestehender, aber immer unüberschaubarer europäisierter mitgliedstaatlicher Kollisionsrechte vorzugswürdig ist. Die Reichweite weiterer kollisionsrechtlicher Vereinheitlichungsschritte ist dabei auch mit der Harmonisierung (bzw. deren Fehlen) auf anderen Gebieten sorgfältig abzustimmen. Aufgrund der engen Verquickung internationalprivat- und -zivilverfahrensrechtlicher Fragen und der wachsenden Bedeutung des IZVR ist in jüngerer Zeit eine auch den Anliegen zahlreicher Drittstaaten entgegenkommende21 Tendenz zur kombinierten Regelung von IPR und IZVR innerhalb ein und desselben Rechtsakts zu beobachten. Beispiele sind die jüngeren Haager Konventionen (z. B. KSÜ, ESÜ) und die ErbVO sowie die GüVO / PartVO als „Brom-Verordnungen“. Auch mit Blick auf die europäische Vollharmonisierung ist die „große Lösung“ einer Gesamtkodifikation

20 21

Vgl. etwa R. Wagner IPRax 2019, 185, 100. Basedow RabelsZ 82 (2018), 922, 935; Basedow in: FS Lorenz, 463, 480.

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von IPR und IZVR ein wünschenswertes Ziel.22 Sie würde es beispielsweise erlauben, formelle und inhaltliche Fragen der Anerkennung eines inner- oder außerhalb der EU erworbenen persönlichen Status einheitlich zu beantworten. Auch der Tatsache, dass Änderungen im Kollisionsrecht häufig verfahrensrechtlichen Anpassungsbedarf nach sich ziehen und vice versa, lässt sich einfacher begegnen, wenn Reformen in einem Zug innerhalb ein und desselben Rechtsakts geplant und vorgenommen werden können – zumindest im Unionsrecht erweist sich die Angleichung anderer Rechtsakte als bestenfalls langwierig und schlimmstenfalls unmöglich.23 Schließlich wäre damit die Verortung erforderlicher Lösungen an sachlich geeigneter Stelle (und nicht im gerade „reformoffenen“ Rechtsakt) sichergestellt.24 Gleichzeitig dürfen die engen Beziehungen des Kollisionsrechts zu seinem materiell-rechtlichen Kontext nicht außer Acht gelassen werden. Der Einfluss der (traditionell nationalen) Privatrechtskonzepte und -wertungen auf die Anknüpfungsregeln wirft die Frage auf, ob und inwieweit sich harmonisierte Kollisionsnormen ohne eine gemeinsame materiell-rechtliche Grundlage, aus der sie wachsen und die sie widerspiegeln können, überhaupt schaffen lassen. Andererseits lässt sich diese Herausforderung als Chance für die Etablierung eines als grundsätzlich neutrales Verweisungsrecht verstandenen modernen IPR begreifen.25 Dessen Realisierung auf europäischer Ebene trotz (und gerade wegen) fortbestehender Divergenzen des mitgliedstaatlichen materiellen Rechts ist unter Umständen in einer ausgewogenen Gesamtkodifikation sogar einfacher als in Einzelrechtsakten, da sie mehr Raum für Ausgleichsmechanismen bietet. Gleichzeitig beflügelt bzw. erzwingt die europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung zumindest indirekt auch die materielle Rechtsvereinheitlichung zwischen den Mitgliedstaaten, etwa durch geänderte Qualifikationsent-

Zu den Möglichkeiten, Vor- und Nachteilen einer europäischen Gesamtkodifikation von IPR und IZVR z. B. vorsichtig optimistisch Brosch 213 ff.; befürwortend Trüten 660 ff.; Dutta in: von Hein / Rühl, 27, 36 ff.; Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 196 f.; Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 723 f.; auch Schack in: von Hein / Rühl, 279, 296 f. plädiert für diesen Ansatz, hält ihn aber für auf absehbare Zeit unrealistisch. – Kadner Graziano in: von Hein / Rühl, 44, 44 ff. sowie Kadner Graziano JPIL 11 (2015), 585, 585 ff. schlägt eine Zusammenfassung privat- und verfahrensrechtlicher Regelungen in Orientierung am schweizerischen IPRG vor. Der Entwurf von Lagarde RabelsZ 75 (2011), 673, 673 ff. umfasst Zuständigkeits-, Verweisungs- und Anerkennungsregeln. 23 So wird eine Angleichung der Brüssel IIa-VO an die Rom III-VO seit deren Inkrafttreten gefordert (z. B. Winkler von Mohrenfels ZEuP 2013, 699, 724), ließ sich aber bis heute – trotz zwischenzeitlicher Reform – nicht realisieren. 24 Die Lücke des EU-IPR bezüglich Privatscheidungen wurde gerade nicht – wie eigentlich sinnvoll – durch eine Ergänzung der Rom III-VO insgesamt geschlossen, sondern lediglich eine begrenzte verfahrensrechtliche Lösung im Rahmen der Reform der Brüssel IIa-VO geschaffen (siehe Teil III: § 9.II.1.b), S. 553 ff.). 25 In diesem Sinne bereits Siehr in: Jud / Rechberger / Reichelt, 77, 85. 22

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scheidungen (siehe Teil III: § 9.I., S. 544 ff.).26 Rechtsakte zur (optionalen) Harmonisierung des materiellen Rechts treten nicht nur als Ergänzung neben die der Kollisionsrechtsvereinheitlichung, sondern zu einem gewissen Grad als Alternativen auch in Konkurrenz dazu.27 Verbindungen und Überschneidungen zum materiellen (insbesondere staatsvertraglichen) Einheitsrecht sind bei der Gestaltung des künftigen europäischen IPR daher im Auge zu behalten.28 II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation

Größere Aufmerksamkeit ist künftig dem bisher eher vernachlässigten Verhältnis der europäischen zur völkerrechtlichen Kollisionsrechtsharmonisierung zu widmen. Bei der Weiterentwicklung des EU-IPR sind zunächst die bestehenden staatsvertraglichen Bindungen ihrer Mitgliedstaaten, zunehmend aber auch der Union selbst, zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind völkerrechtliche Instrumente aber auch künftig das einzige Mittel für eine über die europäischen Grenzen hinausreichende IPR-Harmonisierung: Für die kollisionsrechtliche Kooperation mit einzelnen Drittstaaten, vor allem aber für (potentiell) globale Vereinheitlichungsbestrebungen sind sie alternativlos. Mit dem Voranschreiten der europäischen Integration wächst der Einfluss des europäischen auf das völkerrechtliche IPR – gleichzeitig steigt aber die Bedeutung des Völkerrechts für die EU im Hinblick auf die Gestaltung ihrer unionalen (auch kollisionsrechtlichen) Außenbeziehungen. Eine ausgewogene und kooperative Beziehung zwischen europäischen und völkerrechtlichen Kollisionsregeln liegt damit auch im Interesse der EU. Dafür gilt es die grundsätzliche Positionierung des europäischen Kollisionsrechts gegenüber völkerrechtlichen Rechtsakten zu überdenken (dazu 1.), das Verhältnis zwischen EU-IPR und bestehenden Staatsverträgen zu systematisieren (dazu 2.) sowie europäische und weltweite Harmonisierung aufeinander abzustimmen (dazu 3.). 1. Bewusste Beziehungsgestaltung Die weitere Europäisierung des Kollisionsrechts muss sich ihres globalen Kontextes bewusst sein. Die Leistungen und Potentiale völkerrechtlicher Harmonisierung dürfen nicht zum Kollateralschaden nur auf die EU konzentrierter Entwicklungen werden. Vielmehr müssen europäische IPR-Konzeptionen bestehende Abkommen und Übereinkommen akkommodieren und eine verlässliche Perspektive für die Zukunft staatsvertraglicher Bindungen der Mitgliedstaaten und der EU selbst bieten. Auf absehbare Zeit wird es im völkerrechtlichen Kollisionsrecht bei einer (Minimal-)Harmonisierung durch Vgl. zum Familienrecht Streinz in: FS Coester-Waltjen, 271, 285. Zum mitunter schwierigen Verhältnis zwischen IPR und optionalen Instrumenten der materiellen Rechtsvereinheitlichung Lagarde in: FS van Loon, 287, 287 ff. 28 Vgl. etwa Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 58 f. 26 27

II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation

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punktuelle Einzelinstrumente zwischen unterschiedlichen Akteuren bleiben müssen. Bei der Gestaltung des künftigen EU-IPR, insbesondere in Form einer IPR-Gesamtkodifikation, ist ein neues Selbstverständnis im Verhältnis zu diesen zu entwickeln und zugrunde zu legen. Zudem sind als Grundlage für ein dauerhaft tragfähiges Neben- und Miteinander staatsvertraglicher und europäischer Anknüpfungsregeln klare Leitlinien für ihre Interaktion zu etablieren. Bereits jetzt wird die Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts insgesamt durch die EU als neuer „global player“29 bestimmt und geprägt. Innerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Verordnungen steht sie ohnehin bereits unter europäischer Ägide. Aufgrund der zahlreichen Verquickungen zwischen nationalem und europäischem Kollisionsrecht und potentiellen weiteren Europäisierungsschritten ist aber auch in den (noch) mitgliedstaatlicher Außenkompetenz verbliebenen Bereichen eine enge Abstimmung ihres völkerrechtlichen Handelns mit der Union unabdingbar. Das wachsende EU-IPR in den Blick nehmende und zwischen den Mitgliedstaaten koordinierte Lösungen erscheinen schon heute Erfolg versprechender als nationale Alleingänge. Insofern wären bereits jetzt Leitlinien oder Empfehlungen von europäischer Seite durchaus hilfreich, auf die mitgliedstaatliche Initiativen zum völkerrechtlichen Handeln sich stützen könnten. Als zunehmende Erleichterung wirkt die wachsende Außenkompetenz der EU in Verbindung mit deren zunehmender eigenständiger völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit. Eine Vollharmonisierung wäre besonders attraktiv, weil sie zu einheitlichen, klar erkennbaren Kompetenzverhältnissen führt. Die Schwierigkeiten geteilter Zuständigkeit wären für künftige Rechtsakte vollständig beseitigt, für die fortbestehenden technischen Fragen (z. B. bezüglich bilateraler Staatsverträge der Mitgliedstaaten und/oder nicht auf das Kollisionsrecht begrenzter Staatsverträge) könnten zumindest allgemeine Lösungsansätze geschaffen werden. Gleichzeitig ist allerdings der Gefahr einer inhaltlichen Dominanz europäischer Positionen entgegenzuwirken. Die Vormachtstellung des EU-IPR wächst stetig mit seinem Anwendungsgebiet. Hinsichtlich der Schaffung neuer völkerrechtlicher Instrumente verschärft sich der ohnehin bestehende Verhandlungsvorteil der EU als wirtschaftlich starke Staatengemeinschaft noch, wenn diese über eigene, moderne Kollisionsregeln verfügt. Vor dem Hintergrund nationaler Anknüpfungsregeln entstandenen Staatsverträgen entzieht die Europäisierung ihre Grundlage und führt durch die Friktionen mit dem europäischen Anwendungskontext zu einem immer stärkeren Anpassungsdruck. Eine Gesamtkodifikation würde die Abstimmung staatsvertraglicher Regelungen mit dem EU-IPR zwar technisch erleichtern, das inhaltliche Übergewicht der europäischen kollisionsrechtlichen Vorstellungen aber vollends etablieren – vor allem, wenn die EU nur geringes Interesse an von ihrem eigenen Kollisionsrecht abweichenden Regelungen zeigt. 29

Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 49 f.

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Eine selbstgenügsame Abschottung des europäischen Kollisionsrechts wäre allerdings ebenso kurzsichtig wie eine unbedingte Durchsetzung europäischer Positionen. Das EU-IPR sollte sich nicht als Konkurrenz zu bestehenden und künftigen völkerrechtlichen Harmonisierungsbestrebungen, sondern vielmehr als Partner der überregionalen und globalen Zusammenarbeit positionieren. Bei der Anwendung bestehender und der Schaffung neuer europäischer IPR-Rechtsakte ist Raum für staatsvertragliche Anknüpfungsregeln zu lassen und diese als Alternativen zum EU-IPR zu respektieren – keinesfalls darf man ihre reflexartige Angleichung an europäische Inhalte erwarten. Die pauschale Betrachtung völkerrechtlicher Abkommen und Übereinkommen als entweder lästige „Störfaktoren“ oder Instrumente der globalen Verbreitung europäischer Prinzipien ist dringend zugunsten einer kooperativeren Herangehensweise aufzugeben. Europäische Vorstellungen können und sollen durchaus als Impulse für das völkerrechtliche IPR fungieren, das EU-IPR muss sich aber auch in Toleranz und Offenheit üben. 2. Bereinigung und Bestandsschutz Ausgangspunkt aller europäischen Überlegungen muss die völker- und unionsrechtlich gebotene Rücksicht auf existierende Abkommen und Übereinkommen der Mitgliedstaaten (und der Union selbst) sein. Auch künftig muss der europäische Gesetzgeber die bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen und damit den Vorrang des staatsvertraglichen Altbestands respektieren. Dies sollte wie bisher im Gesetzestext sämtlicher Kollisionsrechtsakte der EU klar zum Ausdruck kommen; eine Zusammenfassung und Ergänzung der derzeitigen bereichsspezifischen Entkoppelungsklauseln in einer generellen Vorrangklausel in einem Allgemeinen Teil bietet sich bei einer Gesamtkodifikation an. Das EU-IPR darf sich allerdings nicht darauf beschränken, den staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln lediglich formal Raum zu bieten. Der gewährte Vorrang muss vielmehr auch real nutzbar sein und darf nicht durch Anwendungs- und Koordinationsschwierigkeiten faktisch unterlaufen werden. Das EU-IPR muss in dem Maße, wie es das nationale IPR ablöst, auch bereit sein, dessen Interaktion mit dem völkerrechtlichen IPR fortzusetzen. Als Grundlage für die Systematisierung und künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen europäischen und staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln kann nur eine umfassende Bestandsaufnahme des in allen EU-Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsrechts völkerrechtlicher Genese dienen. Ein systematischer Überblick über die fortgeltenden Abkommen und Übereinkommen im Anwendungsbereich der EU-Verordnungen ist schon heute dringend notwendig (siehe Teil II: § 4.I.3., S. 206 ff.). Die dafür erforderliche Zusammenstellungs- und Informationsarbeit sollte allerdings nicht auf die Bereiche konkret vorhandener bzw. geplanter Europäisierung begrenzt, sondern umfassend für das gesamte IPR – idealerweise gleichzeitig auch das IZVR – geleistet wer-

II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation

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den. Dies wäre zum einen unter dem Strich effizienter, insbesondere als zuverlässige und zugängliche Planungsgrundlage für die weitere europäische (Voll-)Harmonisierung. Zum anderen kann eine solche Gesamtperspektive den größeren Zusammenhängen der völkerrechtlichen Kollisionsregeln und den Motivationen hinter den Staatsverträgen besser Rechnung tragen. Sinnvollerweise müsste die Untersuchung des Verhältnisses von europäischem und völkerrechtlichem IPR (und IZVR) allerdings über die bloße empirische Information über den staatsvertraglichen Bestand hinausgehen. Zusätzlich sind Techniken und Resultate der fortgesetzten Anwendung staatsvertraglicher Kollisionsregeln unter Geltung des EU-IPR im Übrigen unter die Lupe zu nehmen. Die Vor- und Nachteile der vorrangigen Anknüpfung nach abweichenden, in der Regel deutlich älteren Regelungen sowie die Reibungen, die sich an ihren Schnittstellen zu den EU-Verordnungen ergeben, sind im Einzelnen zu analysieren. Dabei sind für die einzelnen Kollisionsnormen auch Aspekte wie die Häufigkeit ihrer Anwendung (insbesondere die Größe der von ihnen erfassten Bevölkerungsgruppen)30, ihre tatsächliche Handhabung in der Praxis, ihre Einbettung in den Kontext umfassenderer, nicht speziell kollisionsrechtlicher Staatsverträge sowie deren – auch politischer – Stellenwert für die Mitgliedstaaten und ihre drittstaatlichen Vertragspartner zu evaluieren. Aufbauend auf den Erfahrungen und Erkenntnissen der vergleichenden Studie von Dutta und Wurmnest zur Interaktion des völkerrechtlichen IPR und IZVR ausgewählter Mitglied- und Drittstaaten mit der ErbVO und den in dieser Arbeit identifizierten indirekten Wirkungen der Europäisierung auf das staatsvertragliche Kollisionsrecht (siehe Teil III: § 8.I., S. 434 ff.) ist zeitnah eine übergreifende Studie zu sämtlichen völkerrechtlichen Bindungen aller Mitgliedstaaten zu initiieren.31 Eine Fokussierung auf die europäische Perspektive bzw. die Effizienz des EU-IPR droht allerdings die Ergebnisse zu präjudizieren. Im Interesse eines neutralen, umfassenden Verständnisses aller historischen, politischen und rechtstechnischen Zusammenhänge ist vielmehr von den mitgliedund partnerstaatlichen Rechtsordnungen auszugehen und danach zu fragen, wie diese ihre existierenden staatsvertraglichen Bindungen mit den neuen europäischen Gegebenheiten vereinen.32 Auf einer solchen fundierten Informationsgrundlage könnten im Anschluss Überlegungen zur grundlegenden „Bereinigung“ des völkerrechtlichen Bestands angestellt werden.33 Erkenntnisse dazu, welche Staatsverträge prakWurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 476. Vgl. Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 483. 32 Siehe zu den Herausforderungen einer gleichberechtigten Einbeziehung aller Akteure und ihrer Interessen Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 482. 33 Kohler in: Dutta / Weber, 163, Rn. 26 weist darauf hin, dass insbesondere nur auf eindeutiger Informationsbasis unionsrechtliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer bestehenden Staatsverträge formuliert werden können. 30 31

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

tisch kaum relevant und/oder mit erheblichen Anwendungsnachteilen behaftet sind, erlauben die Identifizierung von Kündigungs- oder Reformkandidaten. Zunächst bietet sich die formelle Abschaffung der ohnehin durch das EU-IPR überlagerten Staatsverträge unter ausschließlicher Beteiligung von Mitgliedstaaten oder die Kündigung nach längerer Zeit ohne hinreichende Anzahl an Ratifikationen ohnehin als gescheitert bzw. quasi-gescheitert geltender Konventionen durch die wenigen daran beteiligten Mitgliedstaaten an.34 Aber auch einige der bilateralen Staatsverträge zwischen Mitglied- und Drittstaaten dürften sich bei näherer Betrachtung als durchaus für die Zukunft entbehrlich erweisen, sodass ihre Kündigung politisch und rechtstechnisch keine größeren Probleme erwarten lässt.35 Darunter fallen vor allem jene durch das EUIPR inhaltlich überholten Staatsverträge, bei denen das Kollisionsrecht des drittstaatlichen Vertragspartners sich zwischenzeitlich in eine ähnliche Richtung weiterentwickelt hat.36 Die Anwendungsvorteile des modernen EU-IPR bzw. mit ihm kompatibler Anknüpfungsregeln können für die Mitgliedstaaten, unter Umständen aber auch für deren drittstaatliche Vertragspartner ein wesentlicher Anreiz zur Aufgabe bzw. Änderung der derzeitigen staatsvertraglichen Regelungen sein. Für letztere kann – gerade bei mit der EU eng verbundenen Drittstaaten – die Aussicht auf neue staatsvertragliche Verbindungen mit der EU selbst (anstelle wie bisher einzelner Mitgliedstaaten) zusätzlich attraktiv wirken. Der Bestandsschutz für existierende Staatsverträge darf allerdings weder durch einen Druck zur Annäherung an europäische Kollisionsrechtsvorstellungen ausgehöhlt werden noch ist eine vollständige Aufgabe des völkerrechtlichen Kollisionsrechts der Mitgliedstaaten oder seine umfassende Anpassung an europäische Vorstellungen realistisch. Beides wäre auch rechtstechnisch wie politisch nicht wünschenswert. Insofern werden auf absehbare Zeit zahlreiche – inhaltlich teils nicht aktuellsten Standards entsprechende – Staatsverträge weiterbestehen und Anwendungsvorrang vor den europäischen Anknüpfungsregeln beanspruchen können. Parallel zu Angleichungsbemühungen sind daher – ebenfalls auf der Basis umfassender Informationen zu den mit dem EU-IPR (potentiell) konkurrierenden Staatsverträgen – im europäischen Kollisionsrecht Strategien und Mechanismen für eine langfristige Koordination der Regelungsebenen zu entwickeln. Bei der Folgenabschätzung im Vorfeld europäischer Gesetzgebungsvorhaben muss stärkeres Augenmerk auf die potentiel34 Zum Beispiel käme eine Kündigung des noch nicht in Kraft getretenen UNCITRALAbtretungsübereinkommens von 2001 durch Luxemburg oder eine Kündigung des UNIDROIT-Stellvertretungsübereinkommens von 1983 durch Frankreich, Italien und die Niederlande in Betracht. 35 Für das Erbrecht Wurmnest / Wössner ZVglRWiss 118 (2019), 449, 479. – In ähnliche Richtung tendierend auch Garau Sobrino ZVglRWiss 117 (2018), 24, 47. 36 Vgl. etwa den Vorschlag von Bonomi in: Dutta / Wurmnest, 267, 279 f. zu einer Neufassung des Art. 17 schweizerisch-italienischer Konsularvertrag von 1868.

II. EU-IPR und Staatsverträge: Kooperation

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len Auswirkungen der geplanten Rechtsakte auf die völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten gerichtet werden. Bei der europäischen (Gesamt-) Kodifikation sind auf der Basis der derzeitigen mitgliedstaatlichen Lösungen übergreifende Ansätze zu etablieren, die die Koexistenz und die kombinierte Anwendung völkerrechtlicher und europäischer Kollisionsrechtsakte praktisch erleichtern, etwa durch Hinweise für die Lösung von Verwerfungen an Schnittstellen. Damit ist den Rechtsanwendern und den Rechtsunterworfenen in Europa – und auch der Position Europas im Verhältnis zu seinen Mitgliedund Drittstaaten – mehr gedient als durch die prinzipiell möglichst weitreichende Durchsetzung europäischer Vorstellungen. 3. Künftige europäische und völkerrechtliche Instrumente Weitere europäische Rechtsakte und insbesondere eine Gesamtkodifikation müssen völkerrechtsoffen gestaltet werden. Ihre Konzeption ist von vornherein auf eine im Einklang stehende Weiterentwicklung von staatsvertraglichen und unionsrechtlichen Instrumenten auszurichten.37 Dabei erweist sich der universelle Ansatz moderner Anknüpfungsregeln als wesentliche Hürde. Das kollisionsrechtliche loi uniforme-Prinzip fordert für jedes Statut eine umfassende Entscheidung zwischen völkerrechtlicher und europäischer Regelungsebene und lässt keine Spaltung der Regelsätze für unterschiedliche Kontexte zu. Nur im Verhältnis der Vertragspartner Geltung beanspruchende Kollisionsnormen in bilateralen Staatsverträgen sind damit nicht zu vereinbaren und künftig kaum noch zu erwarten. Demgegenüber ist eine Beteiligung an multilateralen Konventionen, die Kollisionsnormen mit universellem Regelungsanspruch zu einem (potentiell) weltweiten Anwendungsbereich verhelfen und damit den internationalen Entscheidungseinklang auch im Verhältnis zu Drittstaaten fördern, zunehmend attraktiv auch für die EU.38 Auch unter diesem Aspekt ist die gemeinsame Regelung von IPR und IZVR vorteilhaft. Sie gestattet auf Grundlage kollisionsrechtlicher Universalität eine Ausnuancierung durch verfahrensrechtlich unterschiedliche Harmonisierungsniveaus für verschieden weit fortgeschrittene Integrationsverhältnisse – etwa durch Anerkennungserleichterungen zwischen Partnerstaaten. Diese Möglichkeiten sind bei der Gestaltung des Kollisionsrechts verstärkt in den Blick zu nehmen.39 Die unionsrechtlichen Instrumente des EU-Kollisionsrechts müssen daher die Einbeziehung völkerrechtlicher Rechtsakte inhaltlich und technisch zulas37 Optimistisch bezüglich des Potentials einer symbiotischen Entwicklung europäischer und weltweiter Harmonisierungsbestrebungen (am Beispiel der ErbVO) Bonomi in: FS van Loon, 69, 70 ff. 38 Vgl. R. Wagner in: FS van Loon, 643, 648. 39 Vgl. z. B. den Vorschlag von Lehmann / Lein in: FS Ancel, 1093, 1112 ff., die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen zu flexibilisieren und auch für die staatsvertragliche Beteiligung von Drittstaaten zu öffnen.

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

sen. Insbesondere beim Entwurf einer europäischen Gesamtkodifikation ist auf die Integration bereits existenter Konventionen zu achten, vor allem solcher, die von vornherein als Alternative zu eigenen europäischen Regelungen betrachtet wurden (siehe Teil II: § 4.II.3., S. 230 ff.).40 Für Staatsverträge unter Beteiligung der EU selbst bietet sich die Verweisungs- bzw. Inkorporationstechnik an, die bezüglich des HUP bereits erfolgreich verwendet wurde. Ein Gleichklang europäischer und staatsvertraglicher Regelungen lässt sich auch durch inhaltliche Parallelregelungen im EU-IPR erzielen, etwa nach dem Vorbild der ErbVO bezüglich des HTestFormÜ. Diese Technik kommt insbesondere hinsichtlich Konventionen in Betracht, an denen die EU selbst (noch) nicht beteiligt ist bzw. beteiligt werden kann, etwa für das KSÜ und das ESÜ. Die Gebiete, die in Ermangelung (anschlussfähiger) völkerrechtlicher Instrumente genuin europäisch geregelt werden müssen, sollten zumindest die Möglichkeit künftiger Staatsverträge perspektivisch berücksichtigen und entsprechend (ablösungs-)offen gestaltet werden. Der Weg in die Zukunft liegt für das EU-IPR in der engen Zusammenarbeit mit den Institutionen regionaler und weltweiter Kollisionsrechtsvereinheitlichung, allen voran der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, aber auch mit anderen regionalen Akteuren (z. B. CIDIP, OHADA, ASEAN). Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können kollisionsrechtlich häufig nur auf globaler Ebene sinnvoll bewältigt werden – aktuelles Beispiel hierfür sind Regulierungsfragen.41 Auch für (neuartige) Phänomene mit von vornherein überregionalen Bezügen, etwa interkontinentale Adoptionen oder Leihmutterschaften, sind internationalprivatrechtliche Lösungen primär im Wege weltweiter Kooperation zu suchen. Europäische sind mit anderen regionalen Vereinheitlichungsbemühungen zu koordinieren und in weltweite Harmonisierungsansätze einzupassen. Bei der Gestaltung und Weiterentwicklung des europäischen Kollisionsrechts gilt es insbesondere in Fragen globaler Tragweite europäische „Scheuklappen“ sowie ein „Wettrennen“ mit anderen Akteuren zu vermeiden und von Anfang an abgestimmte Ansätze zu verfolgen.42 Die Herausforderung für das EU-IPR, den kollisionsrechtlichen Europäisierungsprozess mit einer entwicklungsoffenen Positionierung Europas in der Welt zu verbinden, sollte man als Chance wahrnehmen.

40 Zur Einbeziehung von Staatsverträgen in ein EU-Vollregime bereits früh de Miguel Asensio / Bergé in: Fallon / Lagarde / Poillot-Perruzzetto, 185, 198 ff. 41 Zur Problematik derzeitiger national geprägter Methoden Lehmann JPIL 16 (2020), 1, 10 ff., mit Lösungsvorschlägen 19 ff. 42 Ein globales „Restatement of Private International Law“ könnte hierfür einen geeigneten Ausgangspunkt bieten; zu den Möglichkeiten und Herausforderungen eines solchen Vorhabens Michaels in: FS Kronke, 387, 387 ff.

III. Handlungsbedarf im EU-IPR

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III. Handlungsbedarf im EU-IPR III. Handlungsbedarf im EU-IPR

Gerade weil innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit ein beachtlicher Bestand an IPR-Verordnungen entstanden ist, darf auf europäischer Ebene keine Selbstgenügsamkeit eintreten. Die Fortsetzung des Europäisierungsprozesses durch weitere Rechtsakte bis hin zu einer Vollharmonisierung, aber auch die Stärkung und Weiterentwicklung des bereits etablierten acquis erfordert einen kontinuierlichen Handlungsbedarf. Die Funktionsfähigkeit des EU-IPR ist zu optimieren und dabei Anwenderfreundlichkeit und Rechtssicherheit auch aus mitgliedstaatlicher Sicht ins Zentrum zu stellen. Dafür können drei zentrale Betätigungsfelder identifiziert werden. Es gilt die praktische Anwendung der EU-Kollisionsrechtsverordnungen in den Mitgliedstaaten zu beobachten und ihre Einheitlichkeit zu fördern (dazu 1.). Gleichzeitig ist die Rolle des EuGH für das EU-IPR – insbesondere an seinen Schnittstellen – kritisch zu reflektieren (dazu 2.). Der europäische Gesetzgeber muss sich schließlich der systematischen Überarbeitung der vorhandenen und der zielgerichteten Schaffung neuer Rechtsakte verschreiben (dazu 3.). 1. Anwendung des EU-IPR Der Schlüssel zum langfristigen Erfolg europäischer (Kollisions-) Rechtsvereinheitlichung liegt nicht nur im Handeln des europäischen Gesetzgebers, sondern auf der mitgliedstaatlichen Ebene der praktischen Rechtsanwendung. Nur wenn die als Teil des jeweiligen nationalen Rechts direkt anwendbaren IPR-Verordnungen auch in allen Mitgliedstaaten übereinstimmend angewendet und ausgelegt werden, erzielen sie den gewünschten Harmonisierungserfolg. Das Ziel eines genuin europäischen Kollisionsrechts lässt sich einzig durch eine mit der legislativen Europäisierung einhergehende Europäisierung der Rechtsanwendung verwirklichen.43 Dieses Anliegen wird um so wichtiger, je weiter die Integration fortschreitet – eine divergierend ausgelegte und angewendete Gesamtkodifikation würde hinter ihrer Ambition echter Vollharmonisierung zurückbleiben. Der tatsächliche Integrationsgrad bei der Anwendung der EU-Rechtsakte zum IPR und IZVR erfährt als Gegenstand verschiedener – inhaltlich und methodisch unterschiedlich fokussierter – Studien seit einigen Jahren verstärkte Aufmerksamkeit.44 Diese gilt es durch Siehe zu den unterschiedlichen Herausforderungen, bisherigen (Miss-)Erfolgen und Zukunftsperspektiven die Beiträge von Beaumont (177), Frąckowiak-Adamska (185), Hellner (205), X. Kramer (215), de Miguel Asensio (235) und Requejo Isidro (139), jeweils in: von Hein / Kieninger / Rühl. 44 Zum Beispiel European Private International Law: Legal Application in Reality (EUPILLAR), JUST/2013 / JCIV / AG/4635; dazu einführend von Hein ZVglRWiss 115 (2016), 483, 483 ff. – Planning the future of cross-border families: a path through coordination (EUFams), JUST/2014 / JCOO / AG / CIVI/7729; die Forschungsergebnisse sind in Viarengo / Villata (Hg.): Planning the Future of Cross Border Families: A Path Through 43

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

weitere Forschungen fortzusetzen, zu vertiefen und zu einem umfassenden Gesamtbild der praktischen Implementierung des EU-IPR (und -IZVR) in allen Mitgliedstaaten auszubauen. Zentrales Anliegen ist es einerseits, das reibungslose Funktionieren der bereits vorhandenen europäischen Kollisionsregeln zu gewährleisten, und andererseits, Anwendungsdivergenzen und -schwierigkeiten bei künftigen Rechtsakten – insbesondere einem europäischen IPR-Gesetz – bereits im Vorfeld möglichst zu verhindern. Es geht insbesondere um die Stärkung und Verbesserung des korrekten und vor allem einheitlichen Umgangs mit den europäischen Anknüpfungsregeln in den Mitgliedstaaten.45 Die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender – insbesondere die Instanzgerichte46 – müssen sich bei der Interpretation unionsrechtlicher Normen von der vertrauten Perspektive ihrer eigenen Rechtsordnung lösen47 und stattdessen ihrer Beurteilung einen europäischen Horizont zugrunde legen. Die Herausbildung eines genuin europäischen wissenschaftlichen Diskurses konnte in den vergangenen Jahren bereits wesentlich zur Europäisierung des Rechtsverständnisses beitragen,48 allerdings nach wie vor weitgehend im akademischen Bereich. Als Eckpunkte einer im Werden begriffenen europäischen Auslegungslehre können im IPR insbesondere die rechtsaktübergreifende bzw. „intertextuelle“ Interpretation49 sowie rechtsanwendungs- und rechtsprechungsvergleichende Ansätze betrachtet werden.50 Mit dem EuGH steht eine verbindliche Entscheidungsinstanz für offene FraCoordination veröffentlicht. – Facilitating Cross-Border Family Life – Towards a Common European Understanding (EUFams II), JUST-AG-2017 / JUST-JCOO-AG-2017, 800 780. – Cross-Border Litigation in Central-Europe: EU Private International Law before National Courts (CEPIL), JUST-AG-2017 / JUST-JCOO-AG-2017, 800789. 45 Die bisherige normative bzw. legislative Tätigkeit in diesem Bereich hält für zu zurückhaltend Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger / Rühl, 139, 167 ff. 46 Vgl. zur Bedeutung der Gerichtsstrukturen für die Europäisierung X. Kramer in: von Hein / Kieninger / Rühl, 215, 215 ff. – Zur Gerichtsorganisation und den Vor- und Nachteilen formeller Spezialisierung im Hinblick auf die einheitliche Anwendung europäischer Kollisionsregeln durch mitgliedstaatliche Gerichte de Miguel Asensio in: von Hein /  Kieninger / Rühl, 235, 235 ff. – Zu den Anwendungsherausforderungen für nationale Gerichte Frąckowiak-Adamska in: von Hein / Kieninger / Rühl, 185, 185 ff. sowie Hellner in: von Hein / Kieninger / Rühl, 205, 205 ff. 47 Siehe etwa zum Problem der nur begrenzten Verfügbarkeit ausländischer Quellen von Hein / Kieninger / Rühl in: von Hein / Kieninger / Rühl, 1, 4. – Zur judikativen Kollisions- und Sachrechtsvergleichung ausführlich Rühl in: Zimmermann 103, 112 ff., 126 ff. sowie Rühl ERPL 2017, 485, Rn. 11 ff., 24 ff. 48 Bedauernd zu dessen Fehlen noch Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 195. – Zu den Einflüssen nationaler Prägungen auf das Europäische Kollisionsrecht vgl. jüngst Corneloup in: von Hein / Kieninger / Rühl, 255, 255 ff. (aus französisch-deutscher Perspektive) und Moura Vicente in: von Hein / Kieninger / Rühl, 273, 273 ff. (aus portugiesischer Sicht). 49 Siehe z. B. Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 10. 50 Vgl. Fleischer RabelsZ 75 (2011), 700, 715; Moura Vicente in: von Hein / Kieninger /  Rühl, 273, 283; Rühl in: Zimmermann 103, 103 ff.; Rühl ERPL 2017, 485, Rn. 1 ff.

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gen zur Verfügung. Verringern ließe sich deren Zahl durch autoritative, von der EU herausgegebene bzw. anerkannte Materialien zu den europäischen Rechtsakten. Zur systematischen Aufarbeitung und Interpretation der Gesetzestexte – fortzuschreiben anhand der mitgliedstaatlichen und europäischen Rechtsprechung und Wissenschaft – bietet sich insbesondere das Kommentarformat an.51 Daneben können auch (mehrsprachige) Handbücher zur Rechtsanwendung und zur Rechtsgestaltung (insbesondere bei der Nutzung von Rechtswahlmöglichkeiten) wertvolle Hilfestellungen leisten.52 Trotz beachtlicher bereits erzielter Fortschritte gilt es Bewusstsein und Know-how hinsichtlich der Anwendung des europäischen IPR bei den mitgliedstaatlichen Rechtsanwendern weiterhin aktiv zu fördern und zu stärken. Unionsrechtlichen Aspekten sowie einer europäisch geprägten Vermittlung von Wissen und Techniken muss in der universitären juristischen Ausbildung53 sowie in Fortbildungsangeboten für praktizierende Juristen54 ein ihrer immer größeren Bedeutung gerecht werdender Raum eingeräumt werden. Gleichzeitig ist ein inhaltlich breites, niederschwellig zugängliches Informationsangebot erforderlich, das praktische Hilfestellung bei der konkreten Rechtsanwendung leistet.55 Notwendig scheint insbesondere eine Systematisierung und Erleichterung des Zugangs zu (instanzgerichtlichen) Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten zum EU-IPR, um doppelten bzw. parallelen Aufwand und schlimmstenfalls ungewollt divergierende Interpretationen zu vermeiden. Wünschenswert wäre insgesamt eine Zusammenführung und Konsolidierung der zahlreichen bereits vorhandenen, aber in ihrer jeweiligen inhaltlichen Reichweite begrenzten und häufig nur Spezialisten bekannten Datenbanken zum europäischen und mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht.56 Ihre zentrale Vgl. Hellner in: von Hein / Kieninger / Rühl, 205, 206 f., 212 f. – Kieninger in: FS von Hoffmann, 184, 195 weist darauf hin, dass dies bei einem einheitlichen IPR-Kodex einfacher zu realisieren wäre. 52 Vgl. etwa die Practical Handbooks der Haager Konferenz zur Anwendung ihrer Konventionen; auch als Ergebnis vergleichender Forschungsprojekte bieten sich (Praxis-) Handbücher an. 53 Siehe den empirischen Überblick über die IPR-Ausbildung in verschiedenen Mitgliedstaaten nebst Reformvorschlägen bei Kadner Graziano in: von Hein / Kieninger / Rühl, 333, 333 ff. sowie das Plädoyer für eine Beibehaltung des (auch nationalen) Kollisionsrechts als Unterrichtsinhalt bzw. -schwerpunkt von Cuniberti in: von Hein / Kieninger /  Rühl, 355, 355 ff. 54 Zum European Judicial Training Network Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger /  Rühl, 139, 145. – Eher zurückhaltend Hellner in: von Hein / Kieninger / Rühl, 205, 212 f. 55 Im Überblick zu den diesbezüglich derzeit vorhandenen Instrumenten R. Wagner ZfRV 2019, 275, 279 f. 56 Vgl. die bei Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger / Rühl, 139, 163 ff. aufgezählten (und insgesamt eher verhalten bewerteten) Datenbanken Eur-Lex, N-Lex, JURE (nur IZVR) und e-justice portal; hinzu kommen noch zahlreiche Datenbanken mit bestimmten personellen (z. B. Notarvereinigungen) sowie inhaltlichen (z. B. ) 51

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

Bündelung könnte die Anwenderfreundlichkeit deutlich erhöhen, die gezielte Schließung der immer noch vorhandenen Lücken beschleunigen und gleichzeitig, etwa im Hinblick auf die Verfügbarkeit in unterschiedlichen Sprachen sowie regelmäßige Aktualisierungen, effizienzsteigernd und ressourcensparend wirken. In inhaltlicher Hinsicht sollten dabei im Interesse einer „one stop shop solution“ auch die verwandten Fragen des Zugangs zum ausländischen Recht einbezogen werden.57 Gestaltung und Pflege einer solchen Informationssammlung sollten beim Europäischen Justiziellen Netzwerk verortet sein. Dessen Rolle als Instrument des inter-institutionellen Dialogs und des Erfahrungsaustauschs58 gilt es durch eine Stärkung seiner Funktion der Informationssammlung und -verbreitung zum europäischen Recht und zur Rechtsanwendung in Europa auszubauen und sichtbarer zu machen.59 Dafür sind die von den Mitgliedstaaten bisher häufig eher schleppend wahrgenommenen Informationspflichten hinsichtlich ihres nationalen Rechts bzw. der Entscheidungen nationaler Gerichte zu vereinheitlichen, auszuweiten und insbesondere durchzusetzen.60 Eine systematische Datensammlung zu den positiven und negativen Erfahrungen mit dem europäischen Kollisionsrechtsbestand ist gleichzeitig eine wichtige Grundlage für dessen Weiterentwicklung und Optimierung. 2. EuGH und (EU-)IPR Der EuGH nimmt eine wesentliche Rolle für Verständnis und Anwendung des EU-IPR ein, indem er im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) über Auslegungsfragen zu den kollisionsrechtlichen Verordnungen entscheidet. Durch die Beantwortung der durch den europäischen Zielgruppen. – Zur Verbesserung des Eur-Lex-Zugangs auch Hellner in: von Hein /  Kieninger / Rühl, 205, 211 f. – Hinsichtlich des wachsenden Bestands an case law bietet sich der Ausbau von EUPILLAR an, vgl. Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 748 f. 57 Vgl. die Beiträge in Cerqueira / Nord (Hg.) sowie Espinosa Calabuig in: Viarengo /  Villata, 273, 273 ff.; Remien ZVglRWiss 115 (2016), 570, 570 ff.; Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger / Rühl, 139, 139 ff.; aus belgischer Warte Verhellen JPIL 12 (2016), 281, 281 ff. – Umfassend vergleichend Stürner ZVglRWiss 117 (2018), 1, 1 ff.; zur in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gehandhabten Ermittlung ausländischen Rechts aus französischer Sicht Corneloup RabelsZ 78 (2014), 844, 846 ff.; aus globaler Perspektive Requejo Isidro in: Beaumont / Holliday, 133, 133 ff. – Darüber hinaus ist die Idee eines Vorabentscheidungsverfahrens zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten (Remien in: 75 Jahre MPI, 617, 627 ff.; aufgegriffen von Rühl / von Hein RabelsZ 79 [2015], 701, 749) weiter zu verfolgen. 58 Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger / Rühl, 139, 144 ff. – Zur Effizienz des Europäischen Justiziellen Netzwerks kritisch noch Bidaud-Garon in: Fulchiron / Bidaud-Garon, 201, 204 f. 59 Vgl. zum Ausbau des Europäischen Justiziellen Netzwerks Franzina CDT 3 (2011), 85, Rn. 95; Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger / Rühl, 139, 162 f. 60 Requejo Isidro in: von Hein / Kieninger / Rühl, 139, 146 ff.

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Gesetzgeber nicht eindeutig geklärten bzw. erst nachträglich entstandenen Fragen wird er zur zentralen Institution für die Anwendung und Weiterentwicklung der europäischen Rechtsakte und fungiert teils sogar als Ersatzgesetzgeber. Insbesondere, wenn durch die Legislative bewusst ausgesparte und damit den Mitgliedstaaten überlassene Fragen durch den EuGH im Anschluss doch verbindlich geklärt werden, beginnen die Grenzen der Gewaltenteilung zu verschwimmen – häufig gerade hinsichtlich rechtspolitisch umstrittener Wertungsaspekte. Diese Position des EuGH als einzige verbindliche Auslegungsinstanz für das EU-IPR erweist sich allerdings zunehmend und in mehrerer Hinsicht als problematisch. Seine für das klassische Unionsrecht entwickelte Herangehensweise sollte für das EU-IPR modifiziert bzw. durch spezielle Regeln ergänzt werden, die den Besonderheiten kollisionsrechtlicher Fragestellungen Rechnung tragen. Die stark rechtsfortbildende Rolle des EuGH verleiht dem EU-IPR zunehmend den Charakter eines case law-Modells. Dies ist bereits per se für die Mehrzahl der mitgliedstaatlichen Rechtsanwender eher ungewohnt, zumal Aufgabe und Methodik des EuGH als Auslegungsinstanz sich erheblich von der nationaler Höchstgerichte als Revisionsinstanzen unterscheiden. Die richterrechtliche Prägung ihrer Weiterentwicklung steht darüber hinaus in deutlichem Kontrast zur klassisch kontinentaleuropäischen Technik des europäischen Gesetzgebers bei der Schaffung der Rechtsakte. Der EuGH kann aufgrund seiner Bindung an die ihm vorgelegten Fragen in einzelnen Verfahren weder eine umfassende Zielvorstellung noch dogmatisch umfassende Konzepte zur Verfügung stellen, sondern diese allenfalls bruchstückhaft entwerfen. Diese Beschränkung des Blicks auf einzelne Fragen wirkt um so schwerer, als die ihnen zugrunde liegenden Fallgestaltungen in der Regel speziell und häufig atypisch sind. Der raschen Herausbildung eines kohärenten Gesamtsystems für das EU-IPR ist das nicht förderlich.61 Insbesondere, wenn eine Vollharmonisierung geplant wird, wäre eine größere Aktivität des europäischen Gesetzgebers bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe der Überarbeitung und Weiterentwicklung seiner Rechtsakte vorzugswürdig.62 Sofern die dynamische Fortbildung des EU-IPR durch den EuGH stattfindet, sollte dabei den gesamtkonzeptionellen Zusammenhängen größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Denkbar wäre etwa, im Rahmen von obiter dicta aus den punktuellen Einzelfallentscheidungen größere Linien und allgemeinere Vorgaben abzuleiten – derartige Stellungnahmen des EuGH selbst würden spekulative Diskussionen zu Reichweite und Konsequenzen seiner Entscheidungen eindämmen und dogmatische Entwicklung sowie praktische Anwendung des EU-IPR in geordneten Bahnen voranbringen. Wilke in: Leible / Unberath, 23, 25 („allenfalls der zweitbeste Problemlöser“). – Siehe auch Kodek ZfRV 2019, 258, 262 Fn. 47; Sonnenberger in: Leible / Unberath, 429, 430. 62 Vgl. bereits Wilke in: Leible / Unberath, 23, 25. 61

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

Als hinderlich für die Entwicklung des europäischen Kollisionsrechts durch die Rechtsprechung erweisen sich zudem die Beschränkungen des Vorlageverfahrens. Die Notwendigkeit des Wartens auf eine zur Vorlage geeignete Fallkonstellation zwingt zunächst dazu, dringend klärungsbedürftige und hoch umstrittene Fragen über einen längeren Zeitraum europäisch unbeantwortet zu lassen – in dem sich divergierende mitgliedstaatliche Positionen verfestigen können. Die Beschränkung der Vorlageberechtigung auf mitgliedstaatliche Gerichte bedeutet häufig zusätzliche Verzögerungen durch die Notwendigkeit einer Überleitung von der ursprünglich zuständigen, nicht vorlageberechtigten Stelle (z. B. Notar, Behörde) in ein gerichtliches Verfahren, die oftmals nur durch eine sehenden Auges falsche Entscheidung eröffnet werden kann. Durch die Stärkung von Alternativen zu staatlichen Gerichten (z. B. Vergleiche, Schiedsgerichtsbarkeit) werden zudem potentiell vorlagegeeignete Fälle der staatlichen Gerichtsbarkeit und damit einer Vorlage zum EuGH von vornherein entzogen. Besonders gravierend wirken schließlich Verletzungen der Vorlagepflicht: Sie etablieren nicht nur (unter Umständen falsche) nationale anstelle europäischer Lösungsansätze, sondern verspielen auch eine der seltenen und lange erwarteten Chancen auf eine verbindliche Antwort des EuGH. Umgekehrt besteht die Versuchung zur künstlichen Herstellung vorlagegeeigneter Fallkonstellationen, die letztlich (wenn auch aus nachvollziehbarer und unter Umständen sogar begrüßenswerter Motivation) einen Missbrauch des Vorlageverfahrens darstellt. Generell ist die Abhängigkeit der Klärung grundsätzlicher Fragen auf europäischer Ebene von der „Vorlagefreudigkeit“ der mitgliedstaatlichen Gerichte und der (Formulierungs-)Qualität der vorgelegten Ersuchen misslich. Wünschenswert wäre daher eine Lockerung der derzeitigen strikten Vorlagenbindung des EuGH. In institutioneller Hinsicht wäre eine Erweiterung der Vorlageberechtigung auf alle (potentiell) mit der Anwendung des EU-IPR befassten mitgliedstaatlichen Stellen wünschenswert.63 Sogar eine Vorlagemöglichkeit durch nichtstaatliche, aber staatlich anerkannte Einrichtungen wie z. B. Mediatoren oder Schiedsgerichte wäre erwägenswert. Gleichzeitig sollte die Beantwortung für die einheitliche Anwendung des EU-IPR zentraler Fragen von der Entscheidungserheblichkeit in konkreten Gerichtsverfahren entkoppelt werden. Als Minimum ist zu fordern, dass Vorlageverfahren auch dann zu einem Abschluss gebracht werden können, wenn das nationale Ausgangsverfahren zwischenzeitlich erledigt wurde – auch, um zu verhinVerfahrensverzögerungen wie in EuGH 27.4.2006 – C-96/04, Standesamt Stadt Niebüll bzw. EuGH 1.9.2021 – C-387/20, OKR ließen sich dadurch vermeiden, zudem wäre es effizienter, wenn der Zwang zum Übergang von behördlichen in gerichtliche Verfahren erspart bliebe. – Somssich in: Király / Szabados, 53, 56 schlägt eine Vorlagemöglichkeit für „competent authorities“ nach dem Modell der (praktisch allerdings nie genutzten) Art. 4 Auslegungsprotokoll EuGVÜ und Art. 3 Auslegungsprotokoll EVÜ vor. 63

III. Handlungsbedarf im EU-IPR

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dern, dass unionsrechtliche Erwägungen als Hindernisse für die gütliche Streitbeilegung wirken.64 Darüber hinaus sollte es möglich – und gegebenenfalls verpflichtend – sein, Vorlagefragen über den engen Kontext des konkreten Anlassfalles hinaus zu formulieren und zu beantworten. Durch die zusammenhängende Beantwortung aller inhaltlich verbundenen Aspekte wäre der Heraus- und Fortbildung einer Dogmatik des europäischen IPR ebenso gedient wie seiner praktischen Anwendung. Zudem wäre es effizienter, bereits absehbare Folgefragen direkt zu beantworten, statt diesbezügliche Unsicherheiten bis zu einer erneuten Vorlagegelegenheit bestehen zu lassen. Ein Ansatz hierfür könnte die Aufgabe der bedingten Stellung und dementsprechend häufig nur teilweisen Beantwortung von Vorlagefragen zugunsten eines die systematischen Konsequenzen von Frage und Antwort stärker in den Fokus nehmenden Modells sein. Mit derart erweiterten Möglichkeiten würde zwar zunächst ein gewisser Mehraufwand einhergehen, langfristig dürfte dieser jedoch durch die Zeit- und Ressourcenersparnis aufgrund frühzeitiger klarer Vorgaben mehr als wettgemacht werden.65 Hinzu kommt ein erheblicher Gewinn an Rechtssicherheit für die nationalen Rechtsanwender, insbesondere aber für die Rechtsunterworfenen. Für eine zügige und kohärente Rechtsfortbildung wäre eine noch darüber hinaus gehende Möglichkeit, Stellungnahmen des EuGH zu offenen Fragen auch vollständig von konkreten Anwendungsfällen losgelöst ex ante einzuholen (etwa durch Gutachten-Ersuchen), zusätzlich vorteilhaft; die derzeitigen unionsgerichtlichen Strukturen dürfte dies allerdings sprengen. Neben seiner institutionell-strukturellen Position wird aber auch die Methodik des EuGH als europäisches Vorlagegericht den Anforderungen des Kollisionsrechts zunehmend nicht hinreichend gerecht. Seine Aufgabe ist auf die Auslegung des europäischen Primär- und Sekundärrechts beschränkt und zielt insbesondere auf die Auskonturierung des Vorrangs des Unionsrechts gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht. Diese binnenmarktgeprägte Herangehensweise passt jedoch nur begrenzt zum derzeitigen Ansatz des EUKollisionsrechts, dessen Einzelrechtsakte in ihrem Bereich das mitgliedstaatliche IPR verdrängen, dann aber mit dessen verbliebenen Regelungen (und den staatsvertraglichen Kollisionsregeln jedes Mitgliedstaats) als Gesamtsystem interagieren müssen. Eine Beschränkung des Blickwinkels nur auf den europäischen Rechtsakt unter Ausblendung seines (mitgliedstaatlichen) Kontextes verschiebt zunächst die Schwerpunkte der Fragestellungen, unter Umständen bis hin zur Unkenntlich- bzw. Unverständlichkeit.66 Vor allem aber bedeutet die rein unionsrechtliche Perspektive zwangsläufig Bewertungen und LösunVgl. Somssich in: Király / Szabados, 53, 56. Vgl. Kodek ZfRV 2019, 258, 262 Fn. 47 („Die vielfach sehr kleinteiligen Antworten des EuGH auf nationale Vorabentscheidungsersuchen sind eine der Ursachen des vom EuGH beklagten Anstiegs von Vorabentscheidungsverfahren“). 64 65

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

gen nur anhand europäischer Maßstäbe, die im Interesse einer Stärkung des EU-Rechts gerade an Schnittstellen häufig zu dessen Gunsten ausfallen. Die Konsequenzen für die anderen Regelungsebenen – neben ihrer spiegelbildlichen Zurückdrängung an den Schnittstellen zu den EU-Rechtsakten aufgrund der engen Verflechtungen zwischen europäischen, nationalen und staatsvertraglichen Kollisionsregeln zunehmend weitreichende Reperkussionen für die gesamten IPR-Modelle – bleiben seitens des EuGH vollständig außer Betracht. Der EuGH wirkt zwar indirekt maßgeblich auch auf diese ein, bezieht ihre Position aber in seine Erwägungen nicht mit ein. Diese „Unionsrechtslastigkeit“ in Methodik und Ergebnis wirkt umso gravierender, als es an einer Kontroll- oder Ausgleichsinstitution fehlt, die in vergleichbarer Weise für die Interessen des mitgliedstaatlichen bzw. staatsvertraglichen Rechts eintritt. Vollkommen wird sich dieses der Aufgabe des EuGH als EU-Institution inhärente Problem nicht beseitigen lassen, solange das EU-IPR nicht umfassende und alleinige Geltung beanspruchen kann. Für die Zeit bis zu einer Vollharmonisierung (und auch danach noch für das Verhältnis zu fortgeltenden völkerrechtlichen Anknüpfungsnormen) wäre allerdings bereits viel damit gewonnen, wenn Entscheidungen zu europäischen Kollisionsrechtsakten eine ganzheitlichere, ihren größeren Anwendungs- und Wirkungskontext berücksichtigende Sichtweise zugrunde gelegt würde. Die angesichts der zunehmenden Zahl und Komplexität der Vorlagefragen aus diesem Gebiet bereits verschiedentlich vorgeschlagene Einrichtung eines eigenen europäischen Fachgerichts (Art. 257 AEUV) bzw. spezieller EuGH-Kammern für (international)privatrechtliche Fragen67 wäre ein wesentlicher Schritt in diese Richtung. Sie würde den Unterschieden zwischen EU-IPR und herkömmlichem Unions- bzw. Binnenmarktrecht Rechnung tragen und den Weg für neue, adäquatere Auslegungsmethoden öffnen. Dabei sollte innerhalb des Verfahrens der Dialog mit den mitgliedstaatlichen Vorlagegerichten gestärkt werden, um Fragen hinsichtlich des nationalen Anwendungskontextes unmittelbar zu klären und Missverständnisse sowie etwaige Wiedervorlagen zu vermeiden.68 Auch das erforderliche Fingerspitzengefühl bei der Auslegung in das Unionsrecht integrierter Staatsverträge (siehe Teil III: § 8.I.3.a)cc), S. 468 ff.) ist von einem spezialisierten Gericht eher zu erwarten. Schließlich 66 Prominentestes Beispiel dafür ist die Sahyouni I-Entscheidung des EuGH (12.5.2016 – C-281/15): Der EuGH konnte die Anwendbarkeit des Unionsrechts aus der ersten Vorlage des OLG München nicht ableiten und wies daher die Vorlage zurück (lud im gleichen Atemzug aber zu einer erneuten Vorlage geradezu ein). Zu den unterschiedlichen Lesarten für diese Entscheidung Gössl StAZ 2016, 232, 233 ff.; Pika / Weller IPrax 2017, 65, 67 f.; M.-P. Weller IPRax 2017, 222, 231. 67 Gössl StAZ 2016, 232, 235 f.; Rühl in: Zimmermann, 103, 135; Rühl ERPL 2017, 485, Rn. 32; Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 746 f.; Sonnenberger IPRax 2011, 325, 335. – Vgl. auch Sonnenberger in: Leible / Unberath, 429, 430. 68 Vgl. Gössl StAZ 2016, 232, 235 f.

III. Handlungsbedarf im EU-IPR

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könnte die gerichtliche Bündelung vertiefter kollisionsrechtlicher und rechtsvergleichender Kenntnisse zur Verfahrensbeschleunigung beitragen, die nicht nur in familienrechtlichen Fällen ein immer drängenderes Problem darstellt. Der Lenkungs- und Leitungsrolle der EU-Gerichtsbarkeit für Verständnis und Entwicklung des europäischen Kollisionsrechts sollte man institutionell, personell und methodisch verstärkt Rechnung tragen. 3. Weiterentwicklung der europäischen Anknüpfungsregeln Unabdingbare Grundlage einer systematischen und effizienten weiteren Entwicklung des EU-IPR ist eine theoretisch-dogmatische Gesamtkonzeption und eine klare Zielvorstellung. Die Formulierung eines vollständig ausgeformten europäischen Kollisionsrechtsmodells ist nicht nur bzw. nicht erst dann erforderlich, wenn eine Komplettkodifikation verabschiedet werden soll. Ein übergreifendes System wird bereits jetzt als Orientierungsrahmen für die Interpretation und Anwendung der europäischen Kollisionsregeln immer dringender benötigt, insbesondere bei der Beantwortung grundsätzlicher und bereichsübergreifender Fragen. Das Fehlen eines gemeinsamen Fundaments erweist sich zunehmend als Problem auch beim einzelaktbezogenen Vorgehen: Die Überarbeitung bestehender und Schaffung neuer Verordnungen erfordert ein kohärentes „Zielsystem“, die isolierte Betrachtung einzelner Gebiete ist dauerhaft nicht tragfähig. Ideale Ausgangsbasis für die weitere Diskussion eines europäischen IPR-Modells sind die als Resultat wissenschaftlicher Projekte entstehenden konkreten Textentwürfe. Sie lassen mögliche Schwierigkeiten klar hervortreten, erlauben die zielgerichtete Diskussion von Lösungsansätzen und können als Grundlage gesetzgeberischer Bestrebungen dienen. Auch mit Blick auf die Herausbildung eines Gesamtsystems sind die bestehenden Verordnungen zu evaluieren und, sofern erforderlich, zu reformieren. Eine grundsätzliche Offenheit dafür bringen die in allen IPR-Verordnungen enthaltenen Revisionsklauseln zum Ausdruck (Art. 27 Rom I-VO, Art. 30 Rom II-VO, Art. 20 Rom III-VO, Art. 82 ErbVO, Art. 68 GüVO /  PartVO). Allerdings sind die danach vorgesehenen Überprüfungsverfahren bisher, wenn überhaupt, dann nur mit erheblicher Verzögerung eingeleitet worden und werden nur schleppend geführt.69 Dies ist hinsichtlich der bewusst einer weiteren Untersuchung vorbehaltenen Aspekte wie auch bezüglich erst später offenkundig werdender Regelungsdefizite ärgerlich, zumal die zwischenzeitliche Herausbildung (divergierender) mitgliedstaatlicher Lösungen die Situation zusätzlich verkompliziert. Im Interesse der Funktionsfähigkeit und Weiterentwicklung des EU-IPR ist dem EU-Gesetzgeber eine Über69 Die 2021 veröffentlichte Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations wurde erst mehrere Jahre nach dem eigentlichen Evaluationstermin unternommen; zu den anderen Verordnungen fehlt es bislang an Evaluationsstudien.

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Teil IV: § 11 – Neuorientierung im Mehrebenensystem

prüfungs- und Überarbeitungstätigkeit dringend nahezulegen. Angesichts der bereits zu Tage getretenen Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung ist dabei einerseits auf eine zuverlässigere Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Rechtsakte zu achten, andererseits sind innerhalb dessen die vorhandenen Lücken zu schließen. Die Abstimmung der europäischen Verordnungen untereinander ist ebenfalls zu optimieren. Inhaltlich sollten künftig alle Instrumente auf ihre spätere Zusammenfassung in einem Gesamtrechtsakt ausgerichtet werden, sich also am europäischen Gesamtmodell orientieren. Mit der inhaltlichen sollte auch eine formelle Konsolidierung des acquis einhergehen, die ebenfalls eine spätere Gesamtkodifikation vorbereitet. Eine sektorielle Konsolidierung innerhalb einzelner bereits europäisierter Kollisionsrechtsbereiche durch die Zusammenfassung bestehender Einzelrechtsakte bietet sich als Vorstufe einer Vollharmonisierung an.70 Auch sukzessive Teilkodifikationen könnten sinnvolle Zwischenschritte auf dem Weg zu einer umfassenden Regelung darstellen.71 In jedem Fall steigert eine Verringerung der Zahl an Rechtsquellen Kohärenz, Transparenz und Anwenderfreundlichkeit. Ergänzend wäre ein europäisches IPR-Modellgesetz den Mitgliedstaaten eine wertvolle Orientierungshilfe bei der Anwendung der vorhandenen EURechtsakte und der Weiterentwicklung ihrer nationalen Kollisionsregeln bis zur Verabschiedung einer europäischen Gesamtkodifikation. Gleichzeitig würde es der Erprobung von Lösungen für Konfliktpotentiale und der Auslotung der Reaktionen auf ein umfassendes europäisches IPR dienen. Der lange Weg zu einer verbindlichen Gesamtkodifikation könnte durch einen soft law approach geebnet und erleichtert werden. Zu erwägen ist vor allem angesichts des Einstimmigkeitserfordernisses bezüglich internationalfamilienrechtlicher Regelungen72 schließlich, weitere europäische Gesetzgebungsvorhaben für wesentliche Gebiete oder das gesamte IPR erst einmal im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit zu realisieren. Die weitere Harmonisierung wäre damit unabhängig von einer Blockadehaltung einzelner Staaten oder kleinerer Staatengruppen ermöglicht, zu verhindern wäre jedoch, dass – wie in der Vergangenheit der Fall – im Rahmen der ursprünglichen Verhandlungen zwischen allen EU-Mitgliedern entstandene erhebliche Zugeständnisse an Mitgliedstaaten, die sich am Ende doch nicht daran beteiligen, in den Instrumenten der Verstärkten Zusammenarbeit erhalten bleiben.73 Auf einen Anschluss weiterer Mitgliedstaaten nach positiven 70 Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 724 f., 736 f.; für die Rechtswahlvorschriften der familien- und erbrechtlichen Verordnungen de lege ferenda Brosch 219 ff. – Zu den Nachteilen dieses Ansatzes Schack in: von Hein / Rühl, 279, 296 f. („kleine Lösung“). 71 Zum Beispiel Rühl / von Hein RabelsZ 79 (2015), 701, 742 ff. („bundling of existing instruments to improve horizontal coherence“); für das Familienrecht Brosch 254 ff. 72 Siehe zu diesem Problem Brosch 214. 73 Beispielsweise die Rücksichtnahme auf die polnische und ungarische Haltung zu gleichgeschlechtlichen Verbindungen in der GüVO / PartVO; auch an das Vereinigte Kö-

IV. Conclusio

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Anwendungserfahrungen (und gegebenenfalls erforderlichen Nachbesserungen) wäre zu hoffen. Einer Stagnation in Ermangelung flächendeckender Einigungsmöglichkeiten wäre ein solches graduelles Zusammenwachsen jedenfalls vorzuziehen.74 Damit einher geht allerdings zumindest vorübergehend eine höhere Komplexität des Mehrebenensystems aufgrund unterschiedlicher Vereinheitlichungsintensitäten innerhalb der EU, verbunden mit dem Risiko einer dauerhaften Zersplitterung in teilnehmende und nicht teilnehmende Mitgliedstaaten. Ob ein „Europa mehrerer Geschwindigkeiten“ in der Kollisionsrechtsvereinheitlichung als Übergangsphase oder sogar dauerhaft in Kauf genommen werden soll, wird – auch politisch – sorgfältig abzuwägen sein. Man darf jedenfalls nicht vorschnell diesen Weg beschreiten, nur um kurzfristige (partielle) Erfolge vermelden zu können. IV. Conclusio

IV. Conclusio

Die europäische IPR-Harmonisierung wird oft als kollisionsrechtliches Versuchslabor bezeichnet:75 Als neue und besonders intensive Form regionaler Integration hat das EU-IPR in Verordnungsform experimentellen Charakter. Zentraler Aspekt eines jeden Experiments ist die Evaluation der gesammelten Daten – auch für das europäische Kollisionsrecht ist am Ende seiner Anfangsphase kritisch und ehrlich Bilanz zu ziehen. Das EU-IPR als solches lässt sich als Erfolg bezeichnen, seine modernen Anknüpfungsregeln funktionieren im Wesentlichen gut. Gleichzeitig muss man jedoch konstatieren, dass der Ansatz einer punktuellen Harmonisierung durch einzelne Rechtsakte sich nicht bewährt hat. Die europäischen Verordnungen entfalten weit über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus Reperkussionen für das gesamte mitgliedstaatliche und das völkerrechtliche Kollisionsrecht. Angesichts dieses Resultats massiver und umfassender europäischer Dominanz erweist sich eine „begrenzte Europäisierung“ als Mythos, der sich auf Dauer nicht aufrechterhalten lässt. Das EU-IPR ist innerhalb kurzer Zeit zum zentralen Einflussfaktor geworden, der aus dem Kollisionsrecht des 21. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken ist. Diese Vorherrschaft perpetuiert sich bei Entscheidungen über die Weiterentwicklung des IPR, die auf allen Ebenen quasi vollständig von den europäischen Weichenstellungen abhängt. Der damit einhergehenden Verantwortung muss der europäische IPR-Gesetzgeber gerecht werden, seine rechtsaktbezogene Herangehensweise zugunsten ganzheitlicher Strukturüberlegungen aufgeben und dabei auch über Legislatur- und Programmperioden nigreich erfolgten häufig Zugeständnisse in der (später unerfüllten) Hoffnung, es zum OptIn zu europäischen Kollisionsrechtsakten bewegen zu können, vgl. kritisch R. Wagner in: Arnold, 105, 129. 74 So etwa R. Wagner IPRax 2019, 185, 196 f. 75 Vgl. z. B. Basedow in: von Hein / Kieninger / Rühl, 53, 54.

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Teil IV: § 12 – Zusammenfassung in Thesen

hinaus denken.76 An die Stelle der derzeitigen Unsicherheiten der schrittweisen Weiterentwicklung durch isolierte Regelungen für einzelne Bereiche muss ein kohärentes europäisches Modell treten. Vieles spricht dafür, den begonnenen und bereits weit fortgeschrittenen Prozess der Ablösung des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts durch eine europäische Gesamtkodifikation konsequent zu Ende zu führen. Soweit und solange (auch politisch) der Wille zu einer umfassenden Europäisierung noch nicht vorhanden ist, muss sie dagegen nicht nur im Umfang, sondern auch in der direkten wie indirekten Wirkung ihrer Rechtsakte klar begrenzt werden. Dies gilt auch für das künftig kooperativ bzw. integrativ auszurichtende Verhältnis der europäischen zur staatsvertraglichen Kollisionsrechtsharmonisierung. Bei der Neuorientierung des EU-Kollisionsrechts sind europäische Hegemonialansprüche fehl am Platze. Eine Angleichung der den anderen Regelungsebenen verbleibenden Anknüpfungsregeln an europäische Vorstellungen darf weder durch einen hierarchischen Vorrang noch durch eine faktische Vormachtstellung des EU-IPR forciert und keinesfalls als Automatismus erwartet werden. Die Akzeptanz des EU-IPR in den Mitgliedstaaten und seine globale Vorbildfunktion müssen sich auf die Qualität und Überzeugungskraft seiner Regelungsansätze stützen. Wenn es seine Vorreiterrolle erhalten und stärken und nachhaltig zur europa- und weltweiten Harmonisierung des Kollisionsrechts beitragen will, verbietet sich strukturell wie inhaltlich eine Beschränkung auf die unionspolitische Perspektive.77 Nur ein kohärentes europäisches System universeller, politisch neutraler und dynamisch zukunftsoffen gestalteter Anknüpfungsregeln kann eine erfolgreiche Integration im europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts garantieren.78 Gleichzeitig kann ein solches Kollisionsrechtsverständnis als Inspiration und Ausgangspunkt für globale Harmonisierungsvorhaben auch über die Grenzen Europas hinaus beflügelnde Wirkung entfalten.

§ 12 – Zusammenfassung in Thesen Teil IV: § 12 – Zusammenfassung in Thesen

1. Als Materie internationaler Natur ist das Internationale Privatrecht seit jeher durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Rechtsetzung geprägt. Die Schaffung vereinheitlichter Anknüpfungsregeln für spezifische Bereiche durch bi- und multilaterale völkerrechtliche VerträKritisch zur bisherigen Herangehensweise Schack in: von Hein / Rühl, 279, 296 f. Vgl. Domej in: von Hein / Rühl, 90, 107 ff.; Franzina in: von Hein / Kieninger / Rühl, 19, 20; van Loon in: Muir Watt et al., 530, 536. 78 Moura Vicente in: von Hein / Kieninger / Rühl, 273, 274 f. betont die Rolle der Kollisionsrechtsvereinheitlichung als Vorstufe oder Alternative zur vollständigen Harmonisierung des materiellen Privatrechts innerhalb der EU. 76 77

IV. Conclusio

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ge hat eine lange Tradition, geprägt insbesondere durch die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht. Seit der Jahrtausendwende ist mit dem europäischen Kollisionsrecht in Gestalt von EU-Verordnungen eine neue Regelungsebene hinzugetreten, die in kurzer Zeit erheblichen Raum eingenommen hat und mit dem nationalen und dem staatsvertraglichen IPR in vielfältiger Weise interagiert. Das Resultat ist ein komplexes Mehrebenensystem. Die Wirkungen der Europäisierung des Kollisionsrechts auf die traditionellen Regelungsebenen des nationalen und des völkerrechtlichen IPR greifen deutlich tiefer als die offensichtlichen Effekte einer Ablösung bzw. Verdrängung in den von den einzelnen EU-Verordnungen erfassten Gebieten. Eine umfassende Betrachtung der indirekten, aber weitreichenden Einflüsse des EU-IPR auf das nationale und das völkerrechtliche Kollisionsrecht muss sowohl die unmittelbaren Aspekte der Koordination der europäischen Rechtsakte mit jenen der anderen Regelungsebenen als auch die mittelbare europäische Prägung der fortbestehenden nationalen und staatsvertraglichen Anknüpfungsregeln analysieren. Auf dieser Grundlage kann man die Zukunftsfähigkeit des derzeitigen Mehrebenensystems beurteilen und Handlungsoptionen für die künftige Interaktion der Regelungsebenen entwerfen. Das europäische Kollisionsrecht steckt seinen Anwendungsbereich selbst ab. Die einzelnen Verordnungen bestimmen ihre sachliche Anwendbarkeit jeweils positiv durch die Festlegung ihres Inhalts, der durch Begriffsbestimmungen, Legaldefinitionen sowie Positivlisten der zu den europäisch geregelten Statuten gehörenden Rechtsfragen näher auskonturiert wird. Als Zielsetzung des prinzipiell weiten Verständnisses des Anwendungsbereichs ist dabei jeweils die möglichst umfassende Reichweite der europäisch geregelten Statute zu erkennen. Gleichzeitig nehmen die EU-Rechtsakte eine Selbstbegrenzung ihres sachlichen Anwendungsbereichs vor. Einerseits werden Bereichsausnahmen, vor allem in Negativlisten, formuliert, die die einzelnen europäisch geregelten Statute klarer umreißen und vor allem gegenüber dem nationalen Kollisionsrecht und anderen EU-Rechtsakten abgrenzen. Andererseits tragen Rücksichtnahmeklauseln zugunsten bestehender Staatsverträge der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten dem Vorrang völkerrechtlicher Verpflichtungen Rechnung. Neben das rechtstechnische Anliegen möglichst reibungsloser Koordination tritt bei den Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich der EU-Verordnungen das rechtspolitische Ziel der Konfliktvermeidung. Die Bestimmung der positiven wie negativen Reichweite des EU-IPR im Verhältnis zum hierarchisch nachrangigen nationalen mitgliedstaatlichen Kollisionsrecht kristallisiert sich in Qualifikationsfragen. Diese werden aus europäischer Perspektive meist großzügig zugunsten der europäi-

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Teil IV: § 12 – Zusammenfassung in Thesen

schen Ebene beantwortet. Ein gegenüber dem bisherigen nationalen Verständnis erweiterter Statutenzuschnitt kann sich bereits aus der Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs einer IPR-Verordnung ergeben. Auch die europäische Zuweisung einzelner Rechtsfragen zu nunmehr vom EU-IPR geregelten Statuten kann gegenüber der bisherigen mitgliedstaatlichen Zuordnung erhebliche Statutenerweiterungen zeitigen. Diese einheitlichen europäischen Qualifikationsentscheidungen vereinfachen die Rechtsanwendung durch klare Zuordnungsregeln und den Wegfall einiger klassischer Qualifikationsprobleme. Nicht ausreichend berücksichtigt wird dabei jedoch, dass mit dem großzügigen Verständnis des einen Statuts eine spiegelbildliche Einbuße des anderen betroffenen Statuts einhergeht. 6. Komplementär entgegengesetzt zur großzügigen Interpretation der europäisch geregelten Statute ist der Ansatz, durch negative Qualifikationsentscheidungen bestimmte Aspekte vom Anwendungsbereich des europäischen Kollisionsrechts auszuklammern. Der Verzicht auf ein europäisches Begriffsverständnis kann als bewusste Konfliktvermeidungsstrategie bei rechtspolitisch umstrittenen Fragen eingesetzt werden und die Verabschiedung europäischer Kollisionsrechtsakte ermöglichen. Auch die Entscheidung über die Einbeziehung erst nach Verabschiedung einer EU-Verordnung virulent werdender Fragen in ihren Anwendungsbereich kann negativ ausfallen und nachträgliche Lücken im EU-IPR offenbaren. Die Zuweisung dieser in ihrer Reichweite vielfach unklaren Aspekte an die Mitgliedstaaten ist allerdings auf lange Sicht nicht haltbar – divergierende Entscheidungen über Anwendung und Auslegung der EURechtsakte schränken die Rechtssicherheit empfindlich ein, ergänzende eigene Anknüpfungsregeln der Mitgliedstaaten für einige wenige ausgeklammerte Fallkonstellationen sind kaum praktikabel. Einheitliche und vorhersehbare europäisch-autonome Positionen zu Qualifikations- und Auslegungsfragen sind gerade bezüglich problematischer oder anfänglich nicht bedachter Aspekte für ein kohärentes Gesamtsystem unabdingbar. 7. Zusätzliche Brisanz erhalten die europäischen Qualifikationsentscheidungen, weil sie über die Abgrenzung der jeweils in Frage stehenden Statute hinaus auch das Verhältnis zwischen der europäischen und der nationalen Regelungsebene betreffen. Die rein aus europäischer Perspektive getroffenen Einstufungsentscheidungen sichern in der Regel dem EU-IPR eine möglichst weitreichende Anwendung und schneiden massiv in den den Mitgliedstaaten verbleibenden Regelungsbereich ein; gleichzeitig muss das mitgliedstaatliche IPR die an den Schnittstellen entstehenden Friktionen abfedern, ohne „ebenenübergreifend“ auf seine bewährten traditionellen Koordinationsmechanismen zurückgreifen zu können. Umgekehrt wird dem nationalen Kollisionsrecht die Bewältigung zentraler, auf europäischer Ebene höchst streitiger Fragen aufgebürdet, die es zur

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Gratwanderung zwischen europäisch sinnvollen Ergänzungen und der Wahrung nationaler Prinzipien und Regeln zwingt. Die auf einzelne Rechtsakte bezogene und rein europäische Perspektive bei der Auslegung des EU-IPR geht zu Lasten des nationalen Kollisionsrechts und zeitigt für dieses weitreichende Folgen – denen es aufgrund des hierarchischen Verhältnisses nicht effektiv entgegentreten kann. 8. Vorgelagert zu den eigentlichen Fragen der Koordination der EUVerordnungen mit staatsvertraglichen Kollisionsrechtsakten stellt sich das Problem der Identifizierung der mit dem EU-IPR interagierenden biund multilateralen Staatsverträge. Die unüberschaubare Vielzahl an Konventionen, deren sachlicher Anwendungsbereich sich mit jenem der EUVerordnungen überschneidet, muss dringend in einem systematisierten Gesamtüberblick strukturiert und zugänglich gemacht werden. Ein Informationsrepositorium auf europäischer Ebene, das neben einer Sammlung sämtlicher für die Mitgliedstaaten bindender staatsvertraglicher Kollisionsregeln auch zusätzliche Angaben etwa zu ihrer Auslegung und Anwendung enthalten könnte, wäre nicht nur für die mitgliedstaatlichen Rechtsanwender eine erhebliche Erleichterung, sondern auch eine zuverlässige Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen europäischem und völkerrechtlichem Kollisionsrecht. 9. Europäisches und völkerrechtliches IPR stehen nicht in einem klaren Hierarchieverhältnis zueinander, vielmehr bedient das EU-IPR sich unterschiedlicher Koordinationsmechanismen für sein Zusammenspiel mit Staatsverträgen. Die Verdrängung nur zwischen Mitgliedstaaten geltender Staatsverträge sichert den größtmöglichen Anwendungsbereich des EU-IPR. Bestehende Konventionen unter Beteiligung von Drittstaaten bleiben dagegen unberührt und vorrangig gegenüber den EU-Verordnungen anwendbar: Die Konsequenz sind Ausnahmen von den universell konzipierten europäischen Anknüpfungsregeln und Koordinationsbedarf bezüglich der nicht von den Staatsverträgen erfassten Aspekte. Teils erfolgt auch eine bewusste Zurücknahme der europäischen zugunsten der völkerrechtlichen Ebene, durch die Aussparung bereits staatsvertraglich geregelter Fragen oder sogar die Integration völkerrechtlicher Regelungen in das EU-IPR – allerdings kommt dieser Mechanismus nur zum Einsatz, sofern und soweit dies den europäischen Interessen entspricht. 10. Die Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit der staatsvertraglichen Kollisionsregeln ist eine Herausforderung für das EU-IPR. Eine übergreifende Strategie für seinen Umgang mit völkerrechtlichen Kollisionsnormen existiert bisher nicht. Insgesamt ist auch das Verhältnis des EUKollisionsrechts zu Konventionen durch eine eurozentrische Herangehensweise geprägt. Staatsvertragliche Kollisionsregeln werden überwiegend als „Störfaktoren“ für die Effektivität der EU-Verordnungen betrachtet, für ihr Zusammenspiel mit europäischen Anknüpfungsnormen

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Teil IV: § 12 – Zusammenfassung in Thesen

fehlt es an Koordinationsregeln. Die in jüngerer Zeit zu beobachtenden kooperativen Ansätze werden nur genutzt, wenn es der Durchsetzung europäischer Interessen dient. Zu verzeichnen ist eine Dominanz der EU auch im Hinblick auf die Gestaltung und Auslegung neuer Staatsverträge. Die tendenziell negative Haltung der europäischen Ebene gegenüber völkerrechtlichen „Konkurrenzrechtsakten“ in Verbindung mit den starken europäischen Einflüssen bringt das staatsvertragliche IPR zunehmend in Bedrängnis. 11. In intertemporaler Hinsicht stellt das EU-Kollisionsrecht vor allem dann vor Schwierigkeiten, wenn über einen längeren Zeitraum parallel europäisches IPR für „Neufälle“ und nationales IPR für „Altfälle“ anwendbar sind. Im Verhältnis zum Völkerrecht kann über die zeitliche Koordination von Staatsverträgen hinaus auch die europäische Inbezugnahme noch nicht in Kraft getretener völkerrechtlicher Instrumente zum Problem werden. Der bisher meist vernachlässigte Aspekt der intertemporalen Koordination sollte bei künftigen EU-Rechtsakten stärker ins Bewusstsein gerückt werden. 12. Die neue Regelungsebene des EU-IPR beansprucht eine erhebliche Reichweite, die es weitgehend selbst festlegen kann. Die Verdrängung des nationalen Kollisionsrechts durch hierarchisch vorrangige EU-Verordnungen wird rechtsaktbezogen durch europäische Interessen und Effizienzgedanken geformt. Dieses Ausnutzen der strukturellen Unterlegenheit des nationalen IPR schadet auf Dauer jedoch auch der weiteren europäischen Kollisionsrechtsvereinheitlichung. Auch in den komplexen Beziehungen zwischen europäischen und staatsvertraglichen Kollisionsregeln manifestiert sich ein einseitiger Fokus auf die europäische Perspektive. Die Reflexwirkungen der Europäisierung gehen weit über den Anwendungsbereich der einzelnen EU-Rechtsakte hinaus – die daraus resultierenden Integrations- und Koordinationsfragen sind durch die anderen Regelungsebenen zu bewältigen. 13. Die bereichsweise Europäisierung entfaltet Reperkussionen auch auf die technisch unberührt bleibenden Bereiche des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts. Zur Schließung der vom EU-IPR gelassenen Lücken und zur (Wieder)Herstellung der Kompatibilität zwischen benachbarten Statuten stehen der nationalen Ebene verschiedene Ansätze zur Verfügung: die Beibehaltung oder Neuschaffung eigener Kollisionsnormen, die an europäischen Grundprinzipien orientierte Reform des nationalen IPR und die (gegebenenfalls modifizierte) ausdehnende Übernahme der europäischen Anknüpfungsregeln. Die nähere Betrachtung zeigt, dass nationale Abweichungen von den bereits etablierten europäischen Paradigmen kaum noch sinnvoll sind, zudem sind mitgliedstaatliche Reformen stark durch Positionierungserwägungen im Hinblick auf weitere Europäisierungsschritte geprägt. Inhaltlich entfaltet das EU-IPR weit über seinen eigentlichen

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Anwendungsbereich hinaus eine Sogwirkung, die inzwischen das gesamte national verbliebene IPR erfasst. Eine rechtstechnische Systematisierung der darauf ausgerichteten mitgliedstaatlichen Reaktionen wäre ebenso wünschenswert wie eine kohärente IPR-Gesamtkonzeption als Orientierungshilfe. 14. Zusätzlichen Einfluss auf das mitgliedstaatliche IPR übt das EU-Primärrecht aus. Aus den Grundfreiheiten fließen zwar weder Anknüpfungsregeln noch zwingende Vorgaben für das Kollisionsrecht, gleichwohl erfolgt die Umsetzung der vom EuGH aus dem Primärrecht schrittweise und einzelfallbezogen abgeleiteten Vorgaben häufig auch im mitgliedstaatlichen IPR. Sofern sich aus der Freizügigkeit eine Pflicht zur Statusanerkennung ergibt, kann die Entwicklung eines darauf beruhenden neuen Kollisionsrechtsmodells auf mitgliedstaatlicher Ebene jedoch nicht mehr sinnvoll erfolgen. Als wesentliche Schwierigkeit bei der Schaffung an den Grundfreiheiten orientierter Kollisionsregeln erweisen sich außerdem die zahlreichen Unklarheiten hinsichtlich der sachlichen Reichweite des Primärrechts, der Rechtfertigungsmöglichkeit von Eingriffen insbesondere durch den nationalen ordre public sowie der Vereinbarkeit von Binnenmarktorientierung und loi uniforme-Ansatz bei Drittstaatensachverhalten. Insgesamt erscheint die Zweckmäßigkeit einer Verwirklichung der Grundfreiheiten durch kollisionsrechtliche Maßnahmen zweifelhaft – wenn überhaupt, müsste ein solches grundfreiheitenorientiertes Kollisionsrecht auf EU-Ebene geschaffen werden. 15. Auch die formell von der Europäisierung unberührt bleibenden Bereiche des mitgliedstaatlichen Kollisionsrechts unterliegen einem erheblichen Anpassungsdruck. Sein Handlungsspielraum verengt sich zusehends, eine von europäischen Vorstellungen unabhängige Anwendung und Weiterentwicklung des nationalen IPR ist faktisch nicht mehr möglich. Diese ausufernde, aber unkontrollierte indirekte Wirkung der bereits verabschiedeten EU-Rechtsakte ist hinderlich sowohl für das zunehmend zum „Lückenbüßer“ und „Spielball europäischer Vorstellungen“ verkommende nationale IPR als auch für die weitere Europäisierung. Ein kollisionsrechtliches Gesamtkonzept ist als Orientierungshilfe und Zielvorgabe notwendig, um der derzeitigen kollisionsrechtlichen Fragmentierung entgegenzuwirken. 16. Seit längerem bestehende staatsvertragliche Kollisionsregeln müssen sich in einem zunehmend europäischen Umfeld behaupten. Die Anwendung völkerrechtlicher Anknüpfungsregeln als Ausnahmen vom EU-IPR lässt inhaltliche Unterschiede deutlich hervortreten – vor allem das bilateralstaatsvertragliche IPR erscheint in immer stärkerem Maße unzeitgemäß. Die gemeinsame Anwendung völkerrechtlicher und europäischer Ansätze wirft Kompatibilitätsprobleme auf, die ursprünglich bezweckte staatsvertragliche Begünstigung wird für die Betroffenen immer häufiger zum

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Nachteil. Gleichzeitig ist eine immer stärkere europäische Prägung der Auslegung staatsvertraglicher Kollisionsregeln zu verzeichnen, bedingt durch ihre Interaktion mit EU-Rechtsakten und ein Übergewicht der EUMitgliedstaaten gegenüber anderen Vertragsstaaten. Auch das prima facie unangetastete völkerrechtliche Kollisionsrecht steht damit unter einem Druck zur Angleichung an europäische Entwicklungen, die Rücksichtnahme des EU-IPR erweist sich als formeller Natur. 17. Bei der Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts nimmt die EU eine zentrale Rolle ein. Der partielle, aber stetig wachsende Übergang der Außenkompetenz von den Mitgliedstaaten auf die Union verleiht letzterer einen immer stärkeren Status auch auf völkerrechtlicher Ebene; die fluktuierende Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten und die praktischen Fragen der Ausübung bedeuten zudem einen erhöhten Koordinationsbedarf. Inhaltlich ist eine Orientierung des völkerrechtlichen Kollisionsrechts an vorhandenen und geplanten europäischen Rechtsakten faktisch unabdingbar. Flächendeckende Kündigungen und Angleichungen der Staatsverträge der Mitgliedstaten scheinen dennoch in näherer Zukunft eher unwahrscheinlich. Umso zentraler ist die Rolle der EU bei der Schaffung neuer völkerrechtlicher Kollisionsrechtsinstrumente. Ihre Beteiligung daran ist nur realistisch, soweit die bilaterale oder globale Zusammenarbeit in das europäische Harmonisierungskonzept passt. Die inhaltliche und institutionelle Machtstellung der EU droht die Chancen einer fruchtbaren Abstimmung der Regelungsebenen zu gefährden und muss dringend durch Gegengewichte austariert werden. 18. Europäische Kollisionsrechtsvorstellungen üben einen erheblichen Einfluss auch auf die Anwendung und Fortentwicklung des staatsvertraglichen Kollisionsrechts aus. Die durch den Übergang zu europäischen Rechtsakten entstehenden Koordinationsschwierigkeiten müssen auf der Ebene des Völkerrechts aufgefangen werden. Die Ausrichtung an europäischen Standards ist dabei letztlich alternativlos. Dieser indirekte Zwang verstärkt sich noch durch das derzeitige strukturelle Ungleichgewicht zugunsten der EU auf globaler Ebene. Für das bislang zu wenig beachtete Zusammenwirken europäischer und staatsvertraglicher Kollisionsrechtsvereinheitlichung gilt es dringend ein belastbares und balanciertes Konzept zu schaffen. 19. Die Folgen der Europäisierung des IPR reichen zudem weit in andere Rechtsgebiete hinein. Im materiellen Zivilrecht löst der Zwang zur kollisionsrechtlichen Akzeptanz fremder Rechtsinstitute mindestens den Bedarf nach Akkommodierungsmechanismen aus, darüber hinaus befördert er Reformdiskussionen zum nationalen Sachrecht. Mitgliedstaatliche Mechanismen des Internationalen Zivilverfahrensrechts müssen an ihren neuen Kontext des EU-IPR angepasst werden. Problematisch ist, dass diese indirekten Wirkungen bisher weder geplant noch gesteuert sind –

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das europäische Kollisionsrecht muss sich seines fundamentalen und umfassenden Einflusses bewusst und seiner daraus resultierenden Verantwortung gerecht werden. 20. Über eine punktuelle und rechtsaktbezogen begrenzte Vereinheitlichung geht das EU-Kollisionsrecht inzwischen weit hinaus. Die indirekten Fernwirkungen auf das pro forma unberührt bleibende mitgliedstaatliche und völkerrechtliche IPR sind umfassend – nur „mit Blick auf Europa“ haben Weiterentwicklungen der anderen Regelungsebenen Aussicht auf Erfolg, genuin andere Ansätze sind im Zusammenspiel mit dem EU-IPR nicht praktikabel. Das Fehlen eines übergreifenden Gesamtsystems und klarer Zielvorgaben für die notwendige Orientierung an der EU stellt Rechtsanwender und Rechtsetzer vor zusätzliche Schwierigkeiten. Die Begrenzung der kollisionsrechtlichen Europäisierung auf Einzelrechtsakte und der unberührte Fortbestand der anderen Regelungsebenen im Übrigen erweisen sich als Illusion – von einem funktionierenden Mehrebenensystem kann nicht die Rede sein. 21. Erforderlich ist eine neue Gesamtkonzeption für die Europäisierung des Kollisionsrechts. Das Verhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten kann entweder als langfristiges Nebeneinander mit klarer Zuständigkeitsverteilung oder als vollständige Ablösung des mitgliedstaatlichen IPR (und IZVR) durch eine europäische Kodifikation gestaltet werden; letztere Option erscheint vorzugswürdig. Notwendig ist jedenfalls eine rasche Abkehr vom bisherigen Ansatz sukzessiv-punktueller Europäisierung und die Etablierung eines kollisionsrechtlichen Gesamtsystems als Zielvorgabe für eine kohärente und planmäßige Weiterentwicklung des IPR innerhalb Europas. 22. Das Verhältnis zwischen unionsrechtlicher und staatsvertraglicher Kollisionsrechtsharmonisierung bedarf größerer Aufmerksamkeit und einer grundlegenden Neuausrichtung. Die EU muss der mit ihrer Vorreiter- und Vormachtstellung verbundenen Verantwortung gerecht werden und insbesondere ihre derzeit zu beobachtende Haltung inhaltlicher Dominanz gegenüber den als „Störfaktoren“ betrachteten Konventionen aufgeben. Als Basis für kooperative Beziehungen der europäischen Rechtsakte zu bestehenden und neu zu schaffenden Völkerrechtsinstrumenten wird eine umfassende Bestandsaufnahme der vorhandenen Konventionskollisionsregeln benötigt. Sofern für diese eine Abschaffung oder Angleichung an das EU-IPR nicht in Betracht kommt, ist ihr völkerrechtlich gebotener Bestandsschutz durch zuverlässige und praxisgerechte Koordinationsmechanismen sicherzustellen. Eine völkerrechtsoffene Gestaltung der europäischen Kollisionsrechtskonzeption muss die Abstimmung künftiger europäisch-regionaler und globaler Vereinheitlichungsbemühungen sicherstellen.

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Teil IV: § 12 – Zusammenfassung in Thesen

23. Unabhängig von der Fortsetzung des Europäisierungsprozesses durch weitere Rechtsakte muss auch der bereits erreichte acquis des EUKollisionsrechts weiterentwickelt und in seiner Funktionsfähigkeit gestärkt werden. Die legislative Europäisierung muss durch die Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten implementiert werden; eine auch praktisch funktionsfähige Vereinheitlichung, etwa mit Blick auf die Auslegung des EU-IPR, setzt vor allem die entsprechende Ausbildung der mitgliedstaatlichen Rechtsanwender und ihren umfassenden Zugang zu Informationen voraus. Der prägenden Rolle des EuGH als einziger verbindlicher Auslegungsinstanz sollte eine institutionell wie inhaltlich stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse und Besonderheiten des Kollisionsrechts, der gesamtkonzeptionellen Zusammenhänge der einzelnen Regelungen und der weitreichenden Reflexwirkungen seiner Entscheidungen Rechnung tragen. Der Konsolidierung, Überarbeitung und Ausweitung der bereits existierenden europäischen Anknüpfungsregeln muss schließlich ein kohärentes theoretisch-dogmatisches Gesamtkonzept zugrunde gelegt werden. 24. Das EU-IPR wirkt weit über den eigentlichen Anwendungsbereich seiner Verordnungen hinaus und lässt davon unabhängige mitgliedstaatliche und völkerrechtliche Entwicklungen kaum noch zu. Der bisher gewählte Ansatz punktueller Europäisierung durch einzelne Verordnungen kann sich langfristig nicht bewähren, vielmehr muss das Zusammenspiel der kollisionsrechtlichen Regelungsebenen neu ausgerichtet werden. Die gezielte und nachhaltige Weiterentwicklung des Internationalen Privatrechts erfordert ein trag- und ausbaufähiges Gesamtmodell, das die Interaktion der verschiedenen Regelungsebenen zuverlässig und klar koordiniert. Die EU als zentrale Akteurin der regionalen und globalen Kollisionsrechtsvereinheitlichung kann ihrer Verantwortung nur gerecht werden, indem sie ihre derzeitigen strukturellen wie inhaltlichen Hegemonialansprüche und ihre rein unionspolitische Perspektive zugunsten größerer Rücksicht auf die anderen Regelungsebenen aufgibt. Ein kohärentes, welt- und zukunftsoffenes System des EU-IPR fördert demgegenüber die künftige Integration weit über die Grenzen des Kollisionsrechts und Europas hinaus.

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1. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR 14.12.2017 – 26431/12, 26742/12, 44057/12, 6088/12, Orlandi and Others ./. Italy, ECLI:CE:ECHR:2017:1214JUD002643112 = FamRZ 2018, 249 (Ls.) .................................................................................. 126 f., 403 EGMR 24.1.2017 – 25358/12, Paradiso und Campanelli ./. Italien, ECLI:CE:ECHR:2017:0124JUD002535812 = FamRZ 2017, 444 m. Anm. Duden = IPRax 2017, 631 m. Anm. Thomale 583 = NJW 2017, 941 m. Anm. Sanders 925 ................................................................................ 401 EGMR 26.6.2014 – 65192/11, Mennesson ./. Frankreich, FamRZ 2014, 1525 m. Anm. Frank = NJW 2015, 3211 ......................................................... 401

2. Europäische Union EuGH 15.11.2022 – C-646/20, Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Standesamtsaufsicht ./. TB, ECLI:EU:C:2022:879 ........................... 156, 174, 558 EuGH 14.12.2021 – C-490/20, V.M.A. ./. Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“, ECLI:EU:C:2021:1008 = FamRZ 2022, 281 m. Anm. Flindt = NJW 2022, 675 m. Anm. Reuß ............................................... 374, 403 EuGH 1.9.2021 – C-387/20, OKR, ECLI:EU:C:2021:751 = ErbR 2021, 1028 m. Anm. Mankowski 1031 = FamRZ 2021, 1832 m. Anm. Weber 1835 ...............................................................................................229, 451, 604 EuGH 16.7.2020 – C-249/19, JE ./. KF, ECLI:EU:C:2020:570 = FamRZ 2020, 1464 m. Anm. Mankowski 1467 = GPR 2020, 290 m. Anm. Hemler = IPRax 2021, 174 m. Anm. Rieländer 159 ..................................... 316 EuGH 16.7.2020 – C-80/19, E.E., ECLI:EU:C:2020:569 = FamRZ 2020, 1496 = GPR 2021, 86 m. Anm. Beyer = IPRax 2021, 363 = NJW 2020, 2947 ....................................................................................................... 557 EuGH 9.10.2019 – C-548/18, BGL BNP Paribas SA ./. TeamBank AG Nürnberg, ECLI:EU:C:2019:848 = IPRax 2021, 173 m. Anm. Stefer 155 = NJW 2019, 3368 m. Anm. Kieninger 3353 = Rev. crit. DIP 2020, 359 m. Anm. d’Avout = RIW 2019, 725 m. Anm. Mankowski .......................... 54 f. EuGH 3.10.2019 – C-272/18, Verein für Konsumenteninformation ./. TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co KG, ECLI:EU:C:2019:827 = IPRax 2020, 246 m. Anm. Rieländer 224 = ZEuP 2020, 672 m. Anm. Mock ......................................................... 65

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EuGH 6.6.2019 – C-361/18, Ágnes Weil ./. Géza Gulácsi, ECLI:EU:C: 2019:473 = FamRZ 2019, 1557 m. Anm. Brosch 1560 = NZFam 2019, 890 m. Anm. Mankowski ................................................................................. 144 EuGH 23.5.2019 – C-658/17, WB, ECLI:EU:C:2019:444 = FamRZ 2019, 2284 m. Anm. Fornasier = NJW 2019, 2293 ...................................... 14, 110, 557 EuGH 8.5.2019 – C-25/18, Brian Andrew Kerr ./. Pavlo Postnov, Natalia Postnova, ECLI:EU:C:2019:376 = IPRax 2020, 40 m. Anm. Thomale 18 = NJW 2019, 2991 .................................................................................. 65 EuGH 20.9.2018 – C-214/17, Alexander Mölk ./. Valentina Mölk, ECLI:EU:C:2018:744 = FamRZ 2018, 1753 m. Anm. Brosch 1755 ............................. 26 EuGH 12.7.2018 – C-89/17, Rozanne Banger, ECLI:EU:C:2018:570 = FamRZ 2018, 1465 ................................................................................................... 370 EuGH 7.6.2018 – C-83/17, KP ./. LO, ECLI:EU:C:2018:408 = FamRZ 2018, 1503 = IPRax 2019, 430 m. Anm. Lipp 400 ............................................... 26, 240 EuGH 5.6.2018 – C-673/16, Relu Adrian Coman, Robert Clabourn Hamilton und Asociaţia Accept ./. Inspectoratul General pentru Imigrări und Ministerul Afacerilor Interne, ECLI:EU:C:2018:385 = FamRZ 2018, 1063 m. Anm. Dutta 1067 und m. Anm. Michl 1147 = Rev. crit. DIP 2018, 817 m. Anm. Hammje 823 = StAZ 2018, 305 m. Anm. Croon-Gestefeld 297 = ZEuP 2019, 802 m. Anm. Werner ......................................................... 134, 137, 338 f., 369 ff., 403, 411 EuGH 1.3.2018 – C-558/16, Doris Margret Lisette Mahnkopf, ECLI: EU:C:2018:138 = DNotZ 2018, 785 m. Anm. Süß 742 = FamRZ 2018, 632 m. Anm. Fornasier 634 = IPRax 2020, 348 m. Anm. Thorn/Varón Romero 316 = JZ 2019, 670 m. Anm. Sonnentag 657 = NJW 2018, 1377 m. Anm. Weber 1356 = NZFam 2018, 372 m. Anm. Rentsch = ZEV 2018, 205 m. Anm. Bandel ......................... 68, 119 f., 464, 549 EuGH 20.12.2017 – C-372/16, Soha Sahyouni ./. Raja Mamisch („Sahyouni II“), ECLI:EU:C:2017:988, FamRZ 2018, 169 m. Anm. Mayer 171 = IPRax 2018, 261 m. Anm. Coester-Waltjen 238 = NZFam 2018, 126 m. Anm. Rieck 128 = StAZ 2018, 46 = ZEuP 2018, 646 m. Anm. Arnold  /Schnetter = Anm. Lugani LMK 2018, 405115 ....................... 14, 138, 160, 163, 165, 170, 172, 318, 328, 557, 563 EuGH 5.12.2017 – C-600/14, Deutschland ./. Rat „COTIF“, EU:C:2017: 935 = CMLR 56 (2019), 489 m. Anm. Neframi = EuZW 2018, 256....................495, 503 EuGH 25.10.2017 – C-106/16, Polbud – Wykonawstwo sp. z.o.o., ECLI:EU:C:2017:804 = IPRax 2018, 266 = NJW 2017, 3639 ................................... 340 EuGH 12.10.2017 – C-218/16, Aleksandra Kubicka ./. Przemysława Bac, ECLI:EU:C:2017:755 = DNotZ 2018, 33 m. Anm. Weber 16 = FamRZ 2017, 2057 m. Anm. Döbereiner 2060 = IPRax 2019, 58 m. Anm. Thorn/Lasthaus 24 = NJW 2017, 3767 m. Anm. Wagner 3755 = Rev. crit. DIP 2018, 338 m. Anm. Perreau-Saussine 342 = ZEuP 2020, 707 m. Anm. Bańczyk .................................................... 14, 110, 112 f., 392 EuGH 14.6.2017 – Rs. C-67/17, Todor Iliev ./. Blagovesta Ilieva, ECLI:EU:C:2017:459 = FamRZ 2017, 1913 m. Anm. Musseva 2009 = IPRax 2018, 616 ...................................................................................................... 80

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EuGH 8.6.2017 – C-541/15, Mircea Florian Freitag, ECLI:EU:C: 2017:432 = FamRZ 2017, 1175 m. Anm. Dutta = IPRax 2018, 416 m. Anm. Gössl 376 = NJW 2017, 3581 = StAZ 2017, 338 m. Anm. Wall 326 .................................................................................... 337, 341, 344, 348, 352 EuGH 18.10.2016 – C-135/15, Republik Griechenland ./. Grigorios Nikiforidis, ECLI:EU:C:2016:774 = IPRax 2018, 207 m. Anm. Roth 177 = NJW 2017, 141 ......................................................................................... 68, 250 EuGH 2.6.2016 – C-438/14, Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff ./. Standesamt der Stadt Karlsruhe und Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe, ECLI:EU:C:2016:401 = FamRZ 2016, 1239 m. Anm. Dutta = m. Anm. Janal GPR 2017, 67 = NJW 2016, 20931213 = StAZ 2016, 203 m. Anm. Otto 225 ....... 337 ff., 341, 343, 345 f., 356, 400 ff. EuGH 12.5.2016 – C-281/15, Soha Sahyouni ./. Raja Mamisch („Sahyouni I“), ECLI:EU:C:2016:343 = m. Anm. Dimmler FamRB 2016, 332 = FamRZ 2016, 1137 m. Anm. Helms 1134 = IPRax 2017, 90 m. Anm. Pika/Weller 65 = StAZ 2016, 236 ....................... 164, 328, 562 f., 606 EuGH 18.10.2012 – C-583/10, United States of America ./. Christine Nolan, ECLI:EU:C:2012:638 = BeckRS 2012, 82058 ............................................... 328 EuGH 17.11.2011 – C-412/10, Deo Antoine Homawoo ./. GMF Assurances SA, ECLI:EU:C:2011:747 = EuZW 2012, 35 = NJW 2012, 441.................................................................................................................. 328 EuGH 25.10.2011 – C-509/09 und C-161/10, eDate Advertising GmbH und Olivier Martinez und Robert Martinez ./. MGN Limited, ECLI: EU:C:2011:685 = IPRax 2013, 247 = NJW 2012, 137....................................... 348, 367 EuGH 12.5.2011 – C-391/09, Malgožata Runevič-Vardyn und Łukasz Paweł Wardyn ./. Vilniaus miesto savivaldybės administracija und andere, ECLI:EU:C:2011:291 = Slg. I 2011, 3818 = StAZ 2011, 274 ................................................................................................................... 337, 343 EuGH 4.5.2010 – C-533/08, TNT Express Nederland BV ./. AXA Versicherung-AG, ECLI:EU:C:2010:243 = NJW 2010, 1736............................................ 25, 495 EuGH 22.12.2010 – C-208/09, Ilonka Sayn-Wittgenstein ./. Landeshauptmann von Wien, ECLI:EU:C:2010:806 = FamRZ 2011, 1486 = m. Anm. Kroll-Ludwigs GPR 2011, 242 = StAZ 2011, 77 ...... 337 ff., 341, 343 ff., 400 f. EuGH 20.4.2010 – C-246/07, Europäische Kommission ./. Königreich Schweden „PFOS“, ECLI:EU:C:2010:203 = BeckRS 2010, 90460 ........................... 504 EuGH 14.10.2008 – C-353/06, Stefan Grunkin und Dorothee Regina Paul, ECLI:EU:C:2008:559 = DNotZ 2009, 449 m. Anm. Martiny 453 = FamRZ 2008, 2089 m. Anm. Funken 2091 = JZ 2009, 151 m. Anm. Kroll-Ludwigs = NJW 2009, 135 = StAZ 2009, 9.................................337 f., 341 f., 397 EuGH 27.11.2007 – C-435/06, C., ECLI:EU:C:2007:714 = FamRZ 2008, 125 = IPRax 2008, 509 .................................................................................... 135 EuGH 27.4.2006 – C-96/04, Standesamt Stadt Niebüll, ECLI:EU:C: 2006:254 = FamRZ 2006, 1349 = IPRax 2006, 402........................................... 342, 604 EuGH 10.1.2006 – C-344/04, The Queen ex parte International Air Transport Association, European Low Fares Airline Association ./. Department for Transport, ECLI:EU:C:2006:10 = NJW 2006, 351 ............................. 25 EuGH 8.11.2005 – C-443/03, Götz Leffler ./. Berlin Chemie AG, ECLI:EU:C:2005:665 = IPRax 2006, 151 = NJW 2006, 491 = ZEuP 2007, 353 m. Anm. Sujecki ................................................................................ 13

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EuGH 2.10.2003 – C-148/02, Carlos Garcia Avello ./. Belgischer Staat, ECLI:EU:C:2003:539 = FamRZ 2004, 173 m. Anm. Henrich = IPRax 2004, 339 m. Anm. Mörsdorf-Schulte 315 = Rev. crit. DIP 2004, 184 m. Anm. Lagarde = StAZ 2004, 40 ............................................... 337, 340 ff. EuGH 5.11.2002 – C-467/98, Kommission ./. Dänemark „Open Skies“, ECLI:EU:C:2002:625 = BeckRS 2004, 77388 ........................................ 25, 495 EuGH 17.9.2002 – C-334/00, Fonderie Officine Meccaniche Tacconi SpA ./. Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS), ECLI:EU:C:2002:499 = IPRax 2003, 143 m. Anm. Mankowski 127 = NJW 2002, 3159...................................................................................................... 50 EuGH 31.5.2001 – C-122/99 P und C-125/99 P, D und Königreich Schweden ./. Rat, ECLI:EU:C:2001:304 = BeckRS 2001, 167986 ............................. 371 EuGH 28.3.2000 – C-7/98, Dieter Krombach ./. André Bamberski, ECLI:EU:C:2000:164 = IPRax 2000, 406 = JZ 2000, 723 m. Anm. von Bar = NJW 2000, 1853 ...................................................................................... 339 EuGH 30.11.1995 – C-55/94, Reinhard Gebhard ./. Consiglio dell’ ordine degli avvocati e procuratori di Milano, ECLI:EU:C:1995: 411 = JZ 1996, 465 m. Anm. Ehlers/Lackhoff = NJW 1996, 579 ............................... 338 EuGH 28.3.1995 – C-346/93, Kleinwort Benson Ltd. ./. City of Glasgow District Council, ECLI:EU:C:1995:85 = BeckRS 2004, 76609 .................................................................................................................... 327 f. EuGH 30.3.1993 – C-168/91, Christos Konstantinidis ./. Stadt Altensteig und Landratsamt Calw, ECLI:EU:C:1993:115 = IPRax 1994, 113 m. Anm. Böhmer 80 = StAZ 1993, 256 m. Anm. Streinz 243 .................................. 341 f. EuGH 27.9.1988 – 81/87, The Queen ./. H.M. Treasury and Commissioners of Inland Revenue, ex parte Daily Mail and General Trust plc, ECLI:EU:C:1988:456 = IPRax 1989, 354 m. Anm. Behrens = JZ 1989, 384 m. Anm. Großer/Luttermann = NJW 1989, 2186 ....................................................................................................... 340 EuGH 27.3.1979 – 143/78, Jacques de Cavel ./. Luise de Cavel, ECLI: EU:C:1979:83 = NJW 1979, 1100 .............................................................................. 80 EuGH 14.10.1976 – C-29/76, LTU Lufttransportunternehmen GmbH und Co. KG ./. Eurocontrol, ECLI:EU:C:1976:137 = BeckRS 2004, 72962 ......................................................................................................................... 13 EuGH 30.4.1974 – 181/73, Gesellschaft mit beschränkter Haftung R. & V. Haegeman ./. Belgischer Staat, ECLI:EU:C:1974:41 = BeckRS 1974, 106490 ................................................................................................ 26 EuGH 27.11.1973 – 130/73, Magdalena Vandeweghe et al. /. Berufsgenossenschaft für die chemische Industrie, ECLI:EU:C: 1971:131 .................................................................................................................... 26 EuGH 31.3.1971 – 22/70, Kommission ./. Rat „AETR“, ECLI:EU:C: 1971:32 = BeckRS 2004, 72371 ......................................................................... 25, 495 EuGH 18.12.2014 – Gutachten 2/13 des Gerichtshofs (Plenum), ECLI: EU:C:2014:2454 = BeckRS 2015, 80256 .................................................................. 399 EuGH 14.10.2014 – Gutachten 1/13 des Gerichtshofs (Große Kammer), ECLI:EU:C:2014:2303 = BeckRS 2015, 80006 .................................496, 499 EuGH 7.2.2006 – Gutachten 1/03 des Gerichtshofs (Plenum), ECLI: EU:C:2006:81 = BeckRS 2006, 137860 ......................................................... 496 f., 531

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Generalanwalt beim EuGH Maciej Szpunar, Schlussanträge 13.12.2017 – C-558/16, ECLI:EU:C:2017:965 .................................. 68, 119 f., 464, 549 Generalanwalt beim EuGH Henrik Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge 14.9.2017 – C-372/16, ECLI:EU:C:2017:686 = NZFam 2017, 997 m. Anm. Majer 1010 ............... 14, 138, 160, 163, 165, 170, 172, 318, 328, 557, 563 Generalanwalt beim EuGH Yves Bot, Schlussanträge 17.5.2017 – C-218/16, ECLI:EU:C:2017:387 ............................................................................... 112 Notariusz w Krapkowicach Justyna Gawlica, Vorabentscheidungsersuchen vom 12.8.2020 (OKR), C-387/20 ........................................................ 229, 451 Sąd Okręgowy w Opolu, Vorabentscheidungsersuchen vom 10.10.2021 (OP), C-21/22 ........................................................................................................... 451

3. Deutschland BVerfG 5.12.2019 – 1 BvL 7/18, ECLI:DE:BVERFG:2019: LS20191205.1BVL000718 = BVerfGE 152, 332 = FamRZ 2020, 1386 = NJW 2020, 1577 ........................................................................................... 408 BVerfG 4.12.2006 – 2 BvR 1216/06, FamRZ 2007, 615 = NJW-RR 2007, 577.................................................................................................................. 447 BGH 28.10.2020 – XII ZB 187/20, ECLI:DE:BGH:2020: 281020BXIIZB187.20.0 = FamRZ 2021, 119 m. Anm. Mayer 123 = FamRZ 2021, 214 m. Anm. Bargelli = IPrax 2022, 63 m. Anm. Henrich 37 = NZFam 2021, 44 m. Anm. Löhnig ......................................... 156, 174, 558 BGH 26.8.2020 – XII ZB 158/18, ECLI:DE:BGH:2020: 260820BXIIZB158.18.0 = BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 m. Anm. Wall 1817 = GPR 2021, 2 m. Anm. Arnold/Hornung/Schnetter = IPRax 2022, 57 m. Anm. Henrich 37 = JZ 2021, 254 m. Anm. Heiderhoff 260 = NJW 2020, 3592 m. Anm. Antomo 3599 = NZFam 2020, 1009 m. Anm. Löhnig 1016 = StAZ 2021, 17 m. Anm. Helms 1 ................................................................................ 171, 315 BGH 22.7.2020 – XII ZB 131/20, ECLI:DE:BGH:2020: 220720BXIIZB131.20.0 = BGHZ 226, 244 = FamRZ 2020, 1533 m. Anm. Antomo 1538 = IPRax 2021, 558 m. Anm. Andrae 522 = NJW 2020, 3777 m. Anm. Löhnig 3782 = NZFam 2020, 810 m. Anm. Löhnig 815 ................................................................................................. 409 BGH 18.3.2020 – XII ZB 380/19, ECLI:DE:BGH:2020: 180320BXIIZB380.19.0 = FamRZ 2020, 1073 m. Anm. Dutta 1077 = IPRax 2022, 68 m. Anm. Budzikiewicz 40 = NJW 2020, 2024 m. Anm. Obermann 2029 ......................................................................................... 85 f. BGH 10.7.2019 – IV ZB 22/18, ECLI:DE:BGH:2019: 100719BIVZB22.18.0 = BGHZ 222, 365 = FamRZ 2019, 1561 m. Anm. von Bary 1565 = IPRax 2020, 562 m. Anm. Lasthaus 532 = MittBayNot 2020, 184 m. Anm. Ackermann 187 = NJW 2019, 3449 = ZEV 2019, 538 m. Anm. Mankowski 541................................................... 257 ff.

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BGH 20.2.2019 – XII ZB 130/16, ECLI:DE:BGH:2019: 200219BXIIZB130.16.0 = FamRZ 2019, 967 m. Anm. Wall 971 = IPRax 2020, 354 m. Anm. Mankowski 323 = NJW 2019, 2313 = NZFam 2019, 508 m. Anm. Kienemund = StAZ 2019, 207 ........................................ 356 BGH 9.1.2019 – XII ZB 188/17, ECLI:DE:BGH:2019: 090119BXIIZB188.17.0 = FamRZ 2019, 613 ............................................ 343, 346, 356 BGH 28.11.2018 – XII ZB 217/17, ECLI:DE:BGH:2018: 281118BXIIZB217.17.0 = FamRZ 2019, 371 = NJW 2019, 931 = NZFam 2019, 140 m. Anm. Majer = StAZ 2019, 143 m. Anm. Helms = StAZ 2020, 44 m. Anm. Wall ................................................................... 559 f. BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/16, ECLI:DE:BGH:2018: 141118BXIIZB292.16.0 = Anm. Ernst DRiZ 2019, 182 = FamRZ 2019, 181 m. Anm. Hettich 188 und Dutta 188 = IPRax 2019, 152 m. Anm. Coester-Waltjen 127 = JZ 2019, 623 m. Anm. Rixen 628 = NZFam 2019, 65 m. Anm. Löhnig 72 .................................................................... 406 ff. BGH 14.11.2018 – XII ZB 292/15, ECLI:DE:BGH:2018: 141118BXIIZB292.15.0 = FamRZ 2019, 218, m. Anm. Dutta = IPRax 2019, 542 m. Anm. Möllnitz 513 = NJW-RR 2019, 321 = NZFam 2019, 139 m. Anm. Kienemund = StAZ 2019, 77 m. Anm. Otto 71 .............................................................................................. 339, 346, 356, 402 BGH 10.6.2015 – IV ZR 69/14, FamRZ 2015, 1379 m. Anm. Christandl 1382 = IPRax 2016, 287 m. Anm. Wedemann 252 = IPRax 2016, 384 m. Anm. Mayer 353 = NJW 2015, 2581 = NZFam 2015, 783 m. Anm. Mankowski = LMK 2015, 372422 m. Anm. Heiderhoff .................................................................................................................. 76 BGH 13.5.2015 – IV ZB 30/14, BGHZ 205, 289 = FamRZ 2015, 1180 m. Anm. Mankowski 1183 = IPRax 2017, 102 m. Anm. Dörner 81 = NJW 2015, 2185 m. Anm. Lorenz 2157 ..................................................................... 120 BGH 9.12.2009 – XII ZR 107/08, BGHZ 183, 287 = FamRZ 2010, 533 m. Anm. Henrich 537 = IPRax 2011, 85 m. Anm. Yassari 63 = JZ 2010, 733 m. Anm. Wurmnest 736 = NJW 2010, 1528 ................................71, 73, 85 BGH 28.5.2008 – XII ZR 61/06, BGHZ 176, 365 = FamRZ 2008, 1409 = IPRax 2009, 347 m. Anm. Siehr 332 = JR 2009, 327 m. Anm. Dörner 331 ...................................................................................... 153 f., 552 BGH 11.10.2006 – XII ZR 79/04, BGHZ 169, 240 = FamRZ 2007, 109 m. Anm. Henrich = JZ 2007, 739 m. Anm. Rauscher .......................................... 474 BGH 14.3.2005 – II ZR 5/03, JZ 2005, 848 m. Anm. Rehberg = NJW 2005, 1648 ............................................................................................................... 349 BGH 6.10.2004 – XII ZR 225/01, BGHZ 160, 332 = FamRZ 2004, 1952 m. Anm. Henrich = IPRax 2005, 346 = NJW-RR 2005, 81 ............................... 315 BGH 13.3.2003 – VII ZR 370/98, Überseering BV, BGHZ 154, 185 = IPRax 2003, 344 = JZ 2003, 525 m. Anm. Eidenmüller = NJW 2003, 1461 ............................................................................................................... 349 BGH 8.12.1998 – XI ZR 302–97, IPRax 2000, 128 = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = NJW 1999, 940 ....................................................................... 277 BGH 28.9.1994 – IV ZR 95/93, FamRZ 1994, 1585 = IPRax 1996, 26 m. Anm. Dörner = NJW 1995, 58 ............................................................................... 96 BGH 21.10.1992 – XII ZR 182/90, BGHZ 119, 392 = IPRax 1995, 379 m. Anm. Winkler von Mohrenfels 379 = NJW 1993, 285 ............................................. 96

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BGH 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 = IPRax 1991, 248 m. Anm. Stoll 223 = NJW 1991, 637 ......................................................................... 277 BGH 21.2.1990 – XII ZB 203/87, BGHZ 110, 267 = FamRZ 1990, 607 = NJW 1990, 2194 .................................................................................. 153 f., 158 BGH 10.12.1981 – V ZB 12/81, BGHZ 82, 346 = FamRZ 82, 356 = NJW 1982, 1097 ......................................................................................................... 98 BGH 14.10.1981 – IVb ZB 718/80, BGHZ 82, 34 = FamRZ 82, 44 = IPRax 1983, 22 = NJW 1982, 517 ............................................................................. 158 BGH 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, NJW 1977, 1011 ........................................................ 74 BayObLG 26.10.1995 – 1 Z BR 163/94, ECLI:DE:BAYOBLG:1995: 1026.1ZBR163.94.0A = BayObLGZ 1995, 366 = FamRZ 1996, 694 ............................................................................................................................. 96 KG 28.4.2022 – 1 VA 2/22, ECLI:DE:KG:2022:0428.1VA2.22.0A = FamRZ 2022, 1122 m. Anm. Sonnentag .................................................................... 558 KG 3.11.2020 – 1 VA 1010/20, ECLI:DE:KG:2020: 1103.1VA1010.20.0A = FamRZ 2021, 302 = NZFam 2021, 93 m. Anm. Löhnig ........................................................................................................ 176 KG 30.3.2020 – 1 W 236/19, ECLI:DE:KG:2020:0330.1W236.19.0A = FamRZ 2020, 1215 m. Anm. Dutta = NZFam 2020, 453 m. Anm. Mankowski ....................................................................................................... 174, 558 KG 9.5.2019 – 1 W 110/16, ECLI:DE:KG:2019:0509.1W110.16.0A = FamRZ 2019, 1528 = StAZ 2020, 211 ...................................................................... 346 KG 4.4.2017 – 1 W 447/16, ECLI:DE:KG:2017:0404.1W447.16.0A = NZFam 2017, 533 m. Anm. Majer = StAZ 2018, 24 .................................................. 560 OLG Bamberg 12.5.2016 – 2 UF 58/16, ECLI:DE:OLGBAMB:2016: 0512.2UF58.16.0A = FamRZ 2016, 1270 m. Anm. Mankowski 1274 = NZFam 2016, 807 m. Anm. Hilbig-Lugani, m. Anm. Majer 1019 = StAZ 2016, 270 ............................................................................................. 408, 475 OLG Brandenburg 26.4.2016 – 13 UF 40/16, ECLI:DE:OLGBB:2016: 0426.13UF40.16.0A = BeckRS 2016, 106213 = StAZ 2017, 111 .............................. 474 OLG Celle 14.1.1998 – 19 UF 289/97, ECLI:DE:OLGCE:1998: 0114.19UF289.97.0A = FamRZ 1999, 443 ................................................................. 73 OLG Düsseldorf 15.2.2018 – I-13 VA 6/16, ECLI:DE:OLGD:2018: 0215.I13VA6.16.346E3.1.00 = FamRZ 2018, 1657 = NJW-RR 2018, 1223 = NZFam 2018, 709 Anm. Rieck ............................................. 153, 159, 314 OLG Frankfurt 28.8.2019 – 5 UF 97/19, ECLI:DE:OLGHE:2019: 0828.5UF97.19.00 = FamRZ 2019, 1853 m. Anm. Kleinjohann 1854 = NZFam 2019, 1021 m. Anm. Majer ........................................................... 410 ff. OLG Frankfurt 5.4.2019 – 4 UF 35/19, ECLI:DE:OLGHE:2019: 0405.4UF35.19.0A = FamRZ 2020, 665 = NJW 2019, 3461 = NZFam 2019, 697 m. Anm. Mankowski..................................................................... 224 OLG Hamburg 25.10.2019 – 12 UF 220/17, ECLI:DE:OLGHH:2019: 1025.12UF220.17.0A = NJW 2020, 409 = NZFam 2020, 48 m. Anm. Mankowski .................................................................................................. 158 OLG Hamm 21.3.2019 – 10 W 31/17, ECLI:DE:OLGHAM:2019: 0321.10W31.17.00 = FamRZ 2019, 1566 = IPRax 2020, 350 m. Anm. Thorn/Varón Romero 316 = NJW 2019, 2180 = NZFam 2019, 509 m. Anm. Mankowski .................................................................. 440, 449, 464

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OLG Hamm 14.6.2012 – 4 UF 136/10, ECLI:DE:OLGHAM:2012: 0614.II4UF136.10.00 = FamRZ 2012, 1498 m. Anm. Henrich .................................. 447 OLG Karlsruhe 27.2.2018 – 14 W 113/16 (Wx), ECLI:DE: OLGKARL:2018:0227.14W113.16WX.0A = FamRZ 2018, 585 m. Anm. Fornasier 860 = NJW-RR 2018, 713 = ZEV 2018, 330 m. Anm. Majer 331 ................................................................................................... 464 OLG Karlsruhe 30.3.2017 – 11 W 107/16, ECLI:DE:OLGKARL: 2017:0330.11W107.16WX.0A = FamRZ 2017, 1532 = NZFam 2017, 818 m. Anm. Zimmermann = StAZ 2017, 206.................................................. 346 OLG Karlsruhe 15.3.2017 – 2 UF 236/15, ECLI:DE:OLGKARL:2017: 0315.2UF236.15.0A = FamRZ 2017, 959 = NZFam 2017, 472 m. Anm. Voppel = StAZ 2017, 375 ........................................................................... 406 OLG Koblenz 19.9.2012 – 13 UF 1086/11, ECLI:DE:OLGKOBL: 2012:0919.13UF1086.11.0A = NJW 2013, 1377 m. Anm. Hohloch........................... 172 OLG München 24.9.2019 – 31 Wx 326/18, ECLI:DE:OLGMUEN:2019: 0924.31WX326.18.0A = FamRZ 2020, 197 m. Anm. Sonnentag 198 = IPRax 2020, 353 m. Anm. Thorn/Varón Romero 316 ......................................254, 464 OLG München 13.3.2018 – 34 Wx 146/14, ECLI:DE:OLGMUEN: 2018:0313.34WX146.14.0A = FamRZ 2018, 817 m. Anm. Mankowski 821 = NZFam 2018, 376 m. Anm. Rieck = StAZ 2018, 157 ............................................................... 158, 160, 164, 166, 169 f., 562 OLG München 29.6.2016 – 34 Wx 146/14, ECLI:DE:OLGMUEN: 2016:0629.34WX146.14.0A = FamRZ 2016, 1363 = IPRax 2017, 92 m. Anm. Pika/Weller 65 = NZFam 2016, 790 m. Anm. Arnold 794 = StAZ 2016, 244 .............................. 158, 162, 165, 169, 171, 317, 327, 563, 565 f. OLG München 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, ECLI:DE:OLGMUEN: 2015:1130.34WX364.15.0A = FamRZ 2016, 906 = IPRax 2018, 211 m. Anm. Makowsky 187 = NJW 2016, 1186 ......................................................... 97 OLG München 2.6.2015 – 34 Wx 146/14, ECLI:DE:OLGMUEN: 2015:0602.34WX146.14.0A = FamRB 2015, 368 m. Anm. Dimmler = FamRZ 2015, 1613 = IPRax 2016, 158 m. Anm. Weller/Hauber/Schulz 123 = NZFam 2016, 703 m. Anm. Arnold 706= StAZ 2015, 373 ........................................................................................164, 562 OLG München 1.4.2015 – 34 Wx 15/13, ECLI:DE:OLGMUEN:2015: 0401.34WX15.13.0A = FamRZ 2015, 1611 m. Anm. Henrich = StAZ 2016, 48 .......................................................................................................... 158 OLG Nürnberg 10.5.2016 – 7 WF 550/16, ECLI:DE:OLGNUER:2016: 0510.7WF550.16.0A = FamRZ 2017, 360 = IPRax 2018, 528 m. Anm. Gebauer 497 = NJW-RR 2017, 69 = NZFam 2016, 1200 m. Anm. Demirci = StAZ 2017, 209 .......................................................................... 159 OLG Oldenburg 11.2.2019 – 12 W 143/17 (GB), ECLI:DE:OLGOL: 2019:0211.12W143.17GB.0A = FamRZ 2019, 1540 = NJW-RR 2019, 793 = NZFam 2019, 412 m. Anm. Rieck .................................................... 97, 546 OLG Oldenburg 18.4.2018 – 13 UF 23/18, ECLI:DE:OLGOL:2018: 0418.13UF23.18.0A = FamRZ 2018, 1152 = IPRax 2019, 160 m. Anm. Coester-Waltjen 127 = NZFam 2018, 609 m. Anm. Majer = StAZ 2018, 222 ..............................................................................................410, 412 OLG Saarbrücken 20.2.2020 – 4 U 109/17, ECLI:DE:OLGSL:2020:0220.4 U109.17.00 = BeckRS 2020, 2943 = WM 2020, 982 = ZIP 2020, 1315..................... 277

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OLG Saarbrücken 23.5.2019 – 5 W 25/19, ECLI:DE:OLGSL:2019: 0523.5W25.19.00 = FamRZ 2019, 1569 = FuR 2019, 683 = NJW 2019, 3530 ........................................................................................................ 115, 546 OLG Saarbrücken 8.8.2018 – 4 U 109/17, ECLI:DE:OLGSL:2018: 0808.4U109.17.0A = WM 2018, 2323 = ZIP 2019, 437 ............................55, 276 f., 281 AG Fürth (Odenwald) 19.6.2019 – 4 F 425/18, FamRZ 2019, 1855 = NZFam 2020, 490 m. Anm. Majer ............................................................................. 406 AG Frankenthal 15.2.2018 – 71 F 268/17, ECLI:DE:AGFRAPF:2018: 0215.71F268.17.0A = FamRZ 2018, 749 m. Anm. Löhnig = IPRax 2019, 161 m. Anm. Coester-Waltjen 127 = NZFam 2018, 331 m. Anm. Majer .................................................................................................. 410, 412 AG Hamburg-St.Georg 13.4.2015 – 970 VI 1645/12, ECLI:DE: AGHHSG:2015:0413.970VI1645.12.0A = IPRax 2016, 472 m. Anm. Wurmnest 447 ............................................................................................. 467 AG Karlsruhe 19.8.2016 – UR III 26/13, ECLI:DE:AGKARLS:2016: 0819.URIII26.13.0A = StAZ 2017, 111 .................................................................... 346 AG Kassel 7.3.2018 – 524 F 3451/17, ECLI:DE:AGKASSE:2018: 0307.524F3451.17E1.00 = FamRZ 2018, 1149 m. Anm. Dutta 1150 = NZFam 2018, 707 m. Anm. Eckebrecht .................................................................. 408 AG Nordhorn 29.1.2018 – 11 F 855/17 E1, ECLI:DE:AGNOHOR: 2018:0129.11F855.17E1.0A = FamRZ 2018, 750 = IPRax 2019, 162 m. Anm. Coester-Waltjen 127 = StAZ 2018, 127 ................................................ 410 OVG Saarlouis 26.11.2018 – 2 D 137/18, ECLI:DE:OVGSL:2018: 1126.2D137.18.0A = BeckRS 2018, 30759 ............................................................... 346

4. Frankreich Cass. civ. 1re 11.2.2009 – n° 06–12140, Bulletin 2009 I N° 29 = Rev. crit. DIP 2009, 512 = abrufbar unter ............................................................... 100 Cass civ. 1re 17.2.2004 – n° 02–11.618, Bulletin 2004 I N° 48 = abrufbar unter ............... 318

5. Italien Urteile der Corte di Cassazione sind unter Angabe des Geschäftszeichens abrufbar unter

Corte di Cassazione 7.8.2020 – n° 16804/20, ECLI:IT:CASS:2020: 16804CIV ................................................................................................................. 318 Corte di Cassazione sez. un. civili 5.7.2017 – n° 16601/2017, ECLI:IT: CASS:2017:16601CIV ............................................................................................. 398

6. Österreich Öst. VfGH 4.12.2017 – G 258–259/2017/9, ECLI:AT:VFGH:2017: G258.2017 = FamRZ 2018, 191 m. Anm. Ferrari 192 ............................................... 126

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OGH 20.4.2021 – 4 OB 41/21i, ECLI:AT:OGH0002:2021: 0040OB00041.21I.0420.000 ..................................................................................... 347 OGH 29.1.2019 – 2 Ob 170/18s, ECLI:AT:OGH0002:2019: RS0132522 = ÖJZ 2019, 506 m. Anm. Legath 508 = ZEuP 2022, 178 m. Anm. Laimer ...................................................................................... 318, 448 f. OGH 23.1.2019 – 3 Ob 249/18s, ECLI:AT:OGH0002:2019: 0030OB00249.18S.0123.000 = IPRax 2019, 548 = ÖJZ 2020, 71 = ZEuP 2020, 473 m. Anm. d’Avout ................................................................. 385, 387 ff. OGH 13.9.2018 – 10 Ob 28/18t, ECLI:AT:OGH0002:2018: 0100OB00028.18T.0913.000 = ZfRV 2018, 277....................................................... 477 OGH 26.6.2018 – 10 Ob 40/18g, ECLI:AT:OGH0002:2018: 0100OB00040.18G.0626.000 = ZfRV 2018, 237 ...................................................... 477 OGH 13.9.2017 – 10 Ob 19/17t, ECLI:AT:OGH0002:2019:E119706 = ZfRV 2017, 269 ....................................................................................................... 477 OGH 29.8.2017 – 5 Ob 108/17v, ECLI:AT:OGH0002:2017: 0050OB00108.17V.0829.000 = FamRZ 2018, 635 = IPRax 2019, 62 m. Anm. Thorn/Lasthaus 24 ................................................................................. 108 OGH 27.11.2019 – 6 Ob 115/19h – ECLI:AT:OGH0002:2019: 0060OB00115.19H.1127.000 = FamRZ 2020, 698 = JBl. 2020, 334 = ZfRV 2020, 92 ...................................................................................................... 561 OGH 13.10.2011, 6 Ob 69/11g, ECLI:AT:OGH0002:2011: 0060OB00069.11G.1013.000 .................................................................... 318, 447, 467 OGH 28.6.2007, 3 Ob 130/07z, ECLI:AT:OGH0002:2007: 0030OB00130.07Z.0628.000 .................................................................................... 318 OGH 31.8.2006 – 6 Ob 189/06x, ECLI:AT:OGH0002:2006:RS0121192. .................................................................... 318 OGH 6.6.1989 – 2 Ob 536/89, ECLI:AT:OGH0002:1989: 0020OB00536.89.0606.000 ...............................................................................447, 467 OGH 31.3.1989 – 5 Ob 518/89, ECLI:AT:OGH0002:1989: 0050OB00518.89.0331.000 ...................................................................................... 385 OGH 19.1.1989 – 7 Ob 723/88, ECLI:AT:OGH0002:1989: 0070OB00723.88.0119.000 ...................................................................................... 385 OGH 13.5.1987 – 1 Ob 543/87, ECLI:AT:OGH0002:1987: 0010OB00543.87.0513.000 = ÖBA 1987, 930 .......................................................... 385 OGH 14.12.1983 – 3 Ob 126, 127/83, ECLI:AT:OGH0002:1983: 0030OB00126.83.1214.000 = IPRax 1985, 165 m. Anm. Martiny = JBl. 1984, 550 m. Anm. Schwimann .......................................................................... 384

7. Schweiz BG 22.3.2012 – 4A_458/2011, BGE 138 III 354 ........................................................... 454 BG 26.7.2010 – 4A_421/2009, BGE 136 III 461 ........................................................... 454 BG 14.12.1984, BGE 110 II 484 ...................................................................................... 74

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I.

Rechtsakte der Europäischen Union

Vertrag über die Europäische Union (Konsolidierte Fassung), ABl. 2012 C 326, 13. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Konsolidierte Fassung), ABl. 2012 C 326, 47. – Protokoll Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union] (Konsolidierte Fassung), ABl. 2012 C 326, 295. – Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks [zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union] (Konsolidierte Fassung), ABl. 2012 C 326, 299. Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl. 1997 C 340, 1. Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 [Fassung nach Änderung durch den Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007]. Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes, ABl. 2022 L 71, 1. Beschluss (EU) 2021/2206 des Rates vom 9. Dezember 2021 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt Jamaikas zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2021 L 446, 40. Beschluss (EU) 2021/2206 des Rates vom 9. Dezember 2021 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt Boliviens zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2021 L 446, 42. Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25. Juni 2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung), ABl. 2019 L 178, 1. Beschluss (EU) 2019/305 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Österreichs, Zyperns, Kroatiens, Luxemburgs, Portugals, Rumäniens und des Vereinigten Königreichs, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt der Dominikanischen Republik zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 9.

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Beschluss (EU) 2019/306 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Österreichs, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt Ecuadors und der Ukraine zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 11. Beschluss (EU) 2019/307 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Österreichs und Rumäniens, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt von Honduras zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 13. Beschluss (EU) 2019/308 des Rates vom 18. Februar 2019 zur Ermächtigung Luxemburgs, Österreichs und Rumäniens, im Interesse der Europäischen Union den Beitritt von Belarus und Usbekistan zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung anzunehmen, ABl. 2019 L 51, 15. Verordnung (EU) 2016/1191 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern durch die Vereinfachung der Anforderungen an die Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, ABl. 2016 L 200, 1. Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. 2016 L 183, 30. Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. 2016 L 183, 1. Beschluss (EU) 2016/954 des Rates vom 9. Juni 2016 zur Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und vermögensrechtliche Folgen eingetragener Partnerschaften), ABl. 2016 L 159, 16. Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung), ABl. 2015 L 141, 19. Richtlinie 2014/60/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (Neufassung), ABl. 2014 L 159, 1. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl. 2012 L 351, 1. Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. 2012 L 201, 107. Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. 2010 L 343, 10. Beschluss des Rates vom 12. Juli 2010 über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts (2010/405/EU), ABl. 2010 L 189, 12.

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Beschluss des Rates vom 30. November 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht durch die Europäische Gemeinschaft (2009/941/EG), ABl. 2009 L 331, 17. Verordnung (EG) Nr. 664/2009 des Rates vom 7. Juli 2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten, die die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in Ehesachen, in Fragen der elterlichen Verantwortung und in Unterhaltssachen sowie das anwendbare Recht in Unterhaltssachen betreffen, ABl. 2009 L 200, 46. Verordnung (EG) Nr. 662/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten über spezifische Fragen des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts, ABl. 2009 L 200, 25. Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. 2009 L 7, 1. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. 2008 L 177, 6. Entscheidung des Rates vom 5. Juni 2008 zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, das Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern im Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu ratifizieren oder ihm beizutreten, und zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, eine Erklärung über die Anwendung der einschlägigen internen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts abzugeben, ABl. 2008 L 151, 36. Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007 L 199, 40. Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. 2004 L 158, 77, Berichtigung ABl. 2004 L 229, 35, Berichtigung ABl. 2007 L 204, 28. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABl. 2003 L 338, 1. Entscheidung des Rates vom 19. Dezember 2002 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, das Haager Übereinkommen von 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern im Interesse der Gemeinschaft zu unterzeichnen (2003/93/EG), ABl. 2003 L 48, 1. Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten, ABl. 2002 L 168, 43.

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Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2011 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. 2001 L 212, 12. Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. 2000 L 160, 1.

1. Belgien

II. Nationale Gesetze

Code de droit international privé.

2. Dänemark Gesetz Nr. 548 vom 30.5.2017, lov om ægtefællers økonomiske forhold [Gesetz über die Vermögensverhältnisse von Ehegatten], abrufbar unter .

3. Deutschland Bürgerliches Gesetzbuch. Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Familienverfahrensgesetz. Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021, BGBl. 2021 I 882. Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz) i.d.F. der Bekanntmachung vom 26.3.2021, BGBl. 2021 I 738. Gesetz zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2019 zum Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien vom 19.3.2020, BGBl. 2020 I 541. Gesetz zur Umsetzung des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 18.12.2018, BGBl. 2018 I 2639 (EheöffnUmsG). Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 17.12.2018, BGBl. 2018 I 2573 (EuGüVO/EuPartVO-AusfG). Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017, BGBl. 2017 I 2787. Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.2017, BGBl. 2017 I 2429. Gesetz zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts vom 11.6.2017, BGBl. 2017 I 1607. Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 23.1.2013, BGBl. 2013 I 101. Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz vom 29.6.2015, BGBl 2015 I 1042 (IntErbRVG). Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) vom 11.12.2001, BGBl. I 3513.

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Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 11.8.1980, BAnz. 1980 Nr. 26, zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 11.2.2014, BAnz. AT 18.2.2014 B2.

4. Frankreich Code civil. Loi n°2016–1547 du 18 novembre 2016 de modernisation de la justice du XXIe siècle, abrufbar unter .

5. Italien Codice civile. Legge 31 maggio 1995, n. 218: Riforma del sistema italiano di diritto internazionale privato, GU n. 128, 3.6.1995 (italienisches IPR-Gesetz). Decreto-legge 12 settembre 2014, n. 132: Misure urgenti di degiurisdizionalizzazione ed altri interventi per la definizione dell’arretrato in materia di processo civile, GU n. 212, 12.9.2014.

6. Niederlande Burgerlijk Wetboek.

7. Österreich Bundes-Verfassungsgesetz. Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz). Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz). Gesetz über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden vom 3.4.1919, StGBl. Nr. 211/1919.

8. Polen Gesetz der Republik Polen vom 4.2.2011: Das Internationale Privatrecht, deutsche Übersetzung (Arkadiusz Wowerka) IPRax 2011, 609–616.

9. Rumänien Cod civil.

10. Schweiz Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987.

11. Schweden Lag (2016:1013) om personnamn, t.o.m. SFS 2018:1295, abrufbar unter .

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Namnlag (1982:670), t.o.m. SFS 2016:203, abrufbar unter .

12. Spanien Código civil. Ley 15/2015, de 2 de julio, de la Jurisdicción Voluntaria, Boletín Oficial del Estado núm. 158, 3.7.2015, 54068.

13. Tschechische Republik Gesetz der Tschechischen Republik vom 25.1.2012 über das Internationale Privatrecht, deutsche Übersetzung IPRax 2014, 91–109.

14. Ungarn Grundgesetz vom 25.4.2011, mit deutscher Übersetzung abrufbar unter .

III. Staatsverträge 1. Staatsverträge im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (80/934/EWG), ABl. 1980 L 266, 1. – Erstes Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens von 1980 durch den Gerichtshof, Konsolidierte Fassung, ABl. 2005 C 334, 1. Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (unterzeichnet am 27. September 1968) (72/454/EWG), ABl. 1972 L 299, 32. – Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, unterzeichnet zu Luxemburg am 3. Juni 1971, ABl. 1975 L 204, 28.

2. Multilaterale Staatsverträge – Konventionen der CIEC sind abrufbar unter . – Konventionen des Europarates sind abrufbar unter . – Konventionen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht sind abrufbar unter . – Konventionen von UNCITRAL sind abrufbar unter . – Konventionen von UNIDROIT sind abrufbar unter .

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Règlement de la Commission Internationale de l’État Civil, adopté le 24 septembre 2020 à Strasbourg, abrufbar unter . Satzung der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, in Kraft getreten am 15. Juli 1955, geändert am 30. Juni 2005. Haager Übereinkommen vom 23. November 2007 über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen. Haager Protokoll vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. Haager Übereinkommen vom 5. Juli 2006 über die auf bestimmte Rechte an Intermediärverwahrten Wertpapieren anzuwendende Rechtsordnung. Münchener CIEC-Übereinkommen Nr. 19 über das auf Familiennamen und Vornamen anzuwendende Recht vom 5.9.1980. CIEC-Übereinkommen Nr. 31 über die Anerkennung von Namen vom 16.9.2005. CIEC-Übereinkommen Nr. 32 über die Anerkennung eingetragener Lebenspartnerschaften vom 5.9.2007. UNIDROIT-Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung vom 16. November 2001 (Kapstadt-Übereinkommen). – Protokoll zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten der Luftfahrzeugausrüstung vom 16. November 2001. – Protokoll von Luxemburg zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten des rollenden Eisenbahnmaterials vom 23.2.2007. – Protokoll von Berlin zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten von Weltraumvermögenswerten vom 9. März 2012. – Protokoll von Pretoria zum Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung betreffend Besonderheiten von Bergbau-, Agrar- und Bauausrüstung vom 22. November 2019 („MAC-Protokoll“). UNCITRAL-Übereinkommen über die Abtretung von Forderungen im internationalen Handel vom 12.12.2001. Haager Übereinkommen vom 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen. Übereinkommen vom 29. September 1997 über ergänzende Entschädigung bei Nuklearschäden, Int. Leg. Mat. 36 (1997), 1473 ff. Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern. UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter vom 24.6.1995. Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption. UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, BGBl. 1992 II 121. Haager Übereinkommen vom 1. August 1989 über das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht. Internationales Übereinkommen über Bergung vom 28.4.1989, BGBl. 2001 II 510.

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UN-Übereinkommen über internationale Wechsel und internationale Eigenwechsel vom 9.12.1988. UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring vom 28.5.1988. UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Finanzierungsleasing vom 28.5.1988. Haager Übereinkommen vom 22. Dezember 1986 über das auf Internationale Warenkaufverträge anwendbare Recht. Haager Übereinkommen vom 1. Juli 1985 über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung. UNIDROIT-Übereinkommen über die Stellvertretung beim internationalen Kauf von beweglichen Sachen vom 17.2.1983. CIEC-Übereinkommen Nr. 21 über die Ausstellung einer Bescheinigung über die Führung verschiedener Familiennamen vom 8.9.1982. Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung. CIEC-Übereinkommen Nr. 19 über das auf Familiennamen und Vornamen anzuwendende Recht vom 5.9.1980. Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) vom 11.4.1980. Haager Übereinkommen vom 14. März 1978 über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht. Haager Übereinkommen vom 14. März 1978 über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht. Haager Übereinkommen vom 14. März 1978 über die Eheschließung und die Anerkennung der Gültigkeit von Ehen. Europäisches Übereinkommen über die Produkthaftpflicht bei Personenschäden und Tod vom 27.1.1977. Washingtoner UNIDROIT-Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines internationalen Testaments vom 26.10.1973. Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf die Produkthaftung anzuwendende Recht. Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die internationale Nachlassverwaltung. Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen. CIEC-Übereinkommen Nr. 14 über die Angabe von Familiennamen und Vornamen in den Personenstandsbüchern vom 13.9.1973. Baseler Übereinkommen über die Schaffung eines Systems zur Registrierung von Testamenten vom 16.5.1972. Haager Übereinkommen vom 4. Mai 1971 über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht. UNESCO-Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, BGBl. 2007 II 626. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969, BGBl. 1985 II 926. Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die behördliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht und die Anerkennung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Annahme an Kindesstatt.

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Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom 19.5.1956, BGBl. 1961 II 1119. CIEC-Übereinkommen Nr. 9 betreffend die Entscheidungen über die Berichtigung von Einträgen in Personenstandsbüchern (Zivilstandsregistern) vom 10.9.1964. Wiener Übereinkommen vom 21.5.1963 über die zivilrechtliche Haftung für nukleare Schäden, BGBl. 2001 II 207. – Protokoll zur Änderung des Wiener Übereinkommens vom 29.9.1997, Int.Leg.Mat 36 (1997), 1461. – Gemeinsames Protokoll vom 21. September 1988 über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens, BGBl. 2001 II 202. Nordisches Übereinkommen vom 23. März 1962 über die Geltendmachung von Unterhaltsforderungen. Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen. Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht. Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964, BGBl. 1976 II 308, und des Protokolls vom 16. November 1982, BGBl. 1985 II 964, mit Änderungsprotokoll vom 12.2.2004, BGBl. 2008 II 902. – Brüsseler Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982, BGBl. 1985 II 963, 970. CIEC-Übereinkommen Nr. 4 über die Änderung von Namen und Vornamen vom 4.9.1958. Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern. Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht. UN-Übereinkommen vom 20. Juni 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, BGBl. 1959 II 149. Haager Übereinkommen vom 15. Juni 1955 betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche körperliche Sachen anzuwendende Recht. Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951, BGBl. 1953 II 560. – Genfer Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967, BGBl. 1969 II 1294. New Yorker UN-Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954, BGBl. 1976 II 474. Bretton-Woods-Abkommen über den Internationalen Währungsfonds vom 1.–22.7.1944, BGBl. 1952 II 637. Nordisches Übereinkommen vom 19. November 1934 über Erbschaft und Nachlassabwicklung (i.d.F. vom 1.6.2012), in: Dutta/Wurmnest (eds.), Annex: Treaty 14. Genfer Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Scheckprivatrechts vom 19.3.1931, RGBl. 1933 II 594. Genfer Abkommen über das Einheitliche Scheckgesetz vom 19.3.1931, RGBl. 1933 II 377. Nordische Konvention über Ehe, Adoption und Vormundschaft vom 6.2.1931 (aktuell i.d.F. vom 26.1.2006, i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.11.2008), B/F/H Dänemark (Stand 5.4.2019), 46 ff.

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Rechtsaktverzeichnis

Genfer Abkommen über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechselprivatrechts vom 7.6.1930, RGBl. 1933 II 444. Genfer Abkommen über das Einheitliche Wechselgesetz vom 7.6.1930, RGBl. 1933 II 377. Haager Ehewirkungsübereinkommen vom 17.7.1905. Haager Eheschließungsübereinkommen vom 12.6.1902. Haager Ehescheidungsübereinkommen vom 12.6.1902. Codigo de derecho internacional privado (Codigo de Bustamante) vom 20.2.1928, OAS Treaty Series No. 23, abrufbar unter .

3. Bilaterale Staatsverträge Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Russischen Föderation über den Handel und die Wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 20.7.1995, öBGBl. 567/1995. Accord sous forme d’échange de lettres entre le gouvernement de la République française et le gouvernement de la république de Slovénie sur la succession aux traités signés entre la France et l’ex-Yougoslavie vom 28.3.1994, JORF 22.3.1996, 4442. Abkommen zwischen der Republik Polen und der Ukraine über Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil- und Strafsachen vom 24.5.1993, Mitteilung gemäß Art. 26 Abs. 1 Rom I-VO, ABl. 2010 C 343, 5. Deutsch-Schweizerisches Atomhaftungsabkommen vom 22.10.1986, BGBl. 1988 II 598, 955. Convention entre la République française et le Royaume du Maroc relative au statut des personnes et de la famille et à la coopération judiciaire vom 10.8.1981, JORF 1.6.1983, 1643. Convention entre le Gouvernement de la République française et le gouvernement de la république socialiste fédérative de Yougoslavie relative à la loi applicable et à la compétence en matière de droit des personnes et de la famille vom 18.5.1971, JORF 24.5.1973, 5640. Niederlassungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat vom 23.4.1970, BGBl. 1972 II 1042. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Schadendeckung bei Verkehrsunfällen vom 30.5.1969, BGBl. 1971 II 90. Convention entre la République française et le gouvernement de la république populaire de Pologne relative à la loi applicable, la compétence et l’exequatur dans le droit des personnes et de la famille vom 5.4.1967, JORF 22.2.1969, 11. Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Ungarischen Volksrepublik über Nachlassangelegenheit vom 9.4.1965, öBGBl. 306/1967. Smlouva mezi Československou socialistickou republikou a Socialistickou federativni republikou Jugoslávii o úpravě právnich vztahů ve věcech občanských, rodinných a trestních zed ne 20. ledna 1964 [Treaty between the Czechoslovak Socialist Republic and the Socialist Federal Republic of Yugoslavia on Legal Relations in Civil, Family and Criminal Matters of 20 January 1964], mit englischer Übersetzung in: Dutta/Wurmnest, Annex Treaty 13. Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Volksrepublik Polen über die wechselseitigen Beziehungen in bürgerlichen Rechtssachen und über Urkundenwesen vom 11.12.1963 mit Zusatzprotokoll vom 25.1.1973, öBGBl. 79/1974.

Rechtsaktverzeichnis

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Freundschafts- und Niederlassungsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Kaiserreich Iran vom 9.9.1959, öBGBl. 45/1966 mit Zusatzprotokoll vom 30.12.1968, öBGBl. 111/1970. Konsularvertrag zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 28.2.1959, öBGBl. 21/1960, Fortgeltung im Verhältnis zur Russischen Föderation, öBGBl. 257/1994. Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958, BGBl. 1959 II 232. Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Dominikanischen Republik vom 23.12.1957, BGBl. 1959 II 1468. Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik vom 21.11.1957, BGBl. 1959 II 950. Niederlassungs- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik vom 27.10.1956, BGBl. 1957 II 1662. Vertrag über Handel und Schiffahrt zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 17.10.1955, öBGBl. 193/1956. Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über den wechselseitigen rechtlichen Verkehr vom 16.12.1954, öBGBl. 224/1955. Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954, BGBl. 1956 II 487. Türkiye Cumhuriyeti ile Macaristan Krallığı Arasında Konsolosluk Mukavelesi, 18 Haziran 1938 [Consular Treaty between the Kingdom of Hungary and the Republic of Turkey of 18 June 1938], mit englischer Übersetzung in: Dutta/Wurmnest, Annex Treaty 24. Convention consulaire entre le Royaume d’Italie et la République Turque du 9 septembre 1929, mit englischer Übersetzung in: Dutta/Wurmnest, Annex Treaty 21. Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929, RGBl. 1930 II, 747. – Deutsch-türkisches Nachlassabkommen (Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reiche und der Türkischen Republik vom 28.5.1929), RGBl. 1930 II 758. Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen der Republik Österreich und dem Königreiche der Niederlande vom 28.3.1929, öBGBl. 299/1930, mit Notenwechsel, öBGBl. 299/ 1985. Freundschaftsvertrag und Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929, RGBl. 1930 II 1002, wieder in Kraft gesetzt am 4.11.1954, BGBl. 1955 II 829. Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 19.6.1928, öBGBl. 192/1931. Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag zwischen Lettland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20.4.1928, Mitteilung gemäß Art. 29 Abs. 1 Rom II-VO, ABl. 2010 C 343, 8. Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Japan vom 20.7.1927, RGBl. II 1087. Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12.1.1927, RGBl. 1927 II 76. Traité d’établissement et consulaire entre l’Italie et la Suisse du 22 juillet 1868, mit englischer Übersetzung in: Dutta/Wurmnest, Annex Treaty 20.

Materialienverzeichnis Materialverzeichnis Materialverzeichnis

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1. Europäische Union Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme öffentlicher Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats, COM(2022) 695 final. Commission Expert Group Recognition of parenthood between Member States, . Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, COM(2022) 71 final. Schlussfolgerungen des Rates über den Schutz schutzbedürftiger Erwachsener in der Europäischen Union vom 7.6.2021, ABl. 2021 CI 330, 1. Study on the Rome II Regulation (EC) 864/2007 on the law applicable to non-contractual obligations, JUST/2019/JCOO_FW_CIVI_0167. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, COM(2018) 96 final. Private International Law in a Context of Increasing International Mobility: Challenges and Potential, Study for the European Parliament (Committee on Legal Affairs), 12.6.2017, PE 583.157, abrufbar unter . Facilitating Cross-Border Family Life – Towards a Common European Understanding (EUFams II), JUST-AG-2017/JUST-JCOO-AG-2017, 800780. Cross-Border Litigation in Central-Europe: EU Private International Law before National Courts (CEPIL), JUST-AG-2017/JUST-JCOO-AG-2017, 800789. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 1. Juni 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zum Schutz schutzbedürftiger Erwachsener, P8_TA(2017)0235. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Frage, ob die Übertragung einer Forderung Dritten entgegengehalten werden kann, und über den Rang dieser Forderung gegenüber einem Recht einer anderen Person, 29.9.2016, COM(2016) 626 final. Planning the future of cross-border families: a path through coordination (EUFams), JUST/2014/JCOO/AG/CIVI/7729. European Private International Law: Legal Application in Reality (EUPILLAR), JUST/ 2013/JCIV/AG/4635.

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Materialverzeichnis

Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, 16.3.2011, KOM(2011) 126 endg. Empfehlung zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 10.6.2010 [Berichterstatter: Tadeusz Zwiefka], A7-0194/2010. Comparative Study on the situation in the 27 Member States as Regards the Law Applicable to Non-contractual Obligations Arising Out of Violations of Privacy and Rights Relating to Personality, JLS/2007/C4/028, Final Report. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18. Dezember 2008 mit Empfehlungen an die Kommission zum Rechtsschutz von Erwachsenen: grenzübergreifende Auswirkungen, ABl. 2010 C 45E, 71. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), 15.12.2005, COM(2005) 650 final. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, RabelsZ 38 (1974), 211–219.

2. Deutschland Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat / Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: Eckpunkte zur Reform des Namensrechts, 11.2.2020, . Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 18.11.2020, BT-Drs. 19/24445. Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 10.10.2018, BT-Drs. 19/4852. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe vom 5.6.2018, BR-Drs. 249/18. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 25.4.2017, BT-Drs. 18/ 12086. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts vom 20.12.2016, BT-Drs. 18/10714. Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 4.3.2015, BT-Drs. 18/4 201. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vorschriften des Internationalen Privatrechts vom 17.10.2012, BT-Drs. 17/11049.

3. Frankreich Projet de code de droit international privé, abrufbar unter (zuletzt besucht am 11.3.2023) Projet de code de droit international privé, Rapport du groupe de travail présidé par JeanPierre Ancel, abrufbar unter (zuletzt besucht am 11.3.2023)

Materialverzeichnis

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4. Sonstige Conseil des Notariats de l’Union Européenne: Couples in Europe: The law for couples in the 27 EU countries, . European Association of Private International Law, EAPIL Working Groups, . – Working Group on the Feasibility of a European Private International Law Act, . – Working Group on International Property Law, Groupe européen de droit international privé (GÉDIP): – The law applicable to rights in rem in tangible assets, Provisional draft, 31.10.2020, abrufbar unter . – Proposition de règlement relatif à la compétence, la loi applicable et la reconnaissance en matière de divorce, 15.9.2019, abrufbar unter . – Declaration on the Legal Status of Applicants for International Protection from Third Countries to the European Union, IPRax 2016, 400. – Proposal for a European convention on the law applicable to non-contractual obligations / Proposition pour une convention européenne sur la loi applicable aux obligations non contractuelles, 27.9.1998, mit Kommentar abrufbar unter . Haut Comité Juridique de la Place financière de Paris: Rapport sur le rattachement des sociétés vom 21.3.2021 (RA41 – Rapport), abrufbar unter . Open-Ended Intergovernmental Working Group (UN Human Rights Council): Legally Binding Instrument to Regulate, in International Human Rights Law, the Activities of Transnational Corporations and other Business Enterprises, Third Revised Draft 17.8.2021, abrufbar unter .

Sachverzeichnis Sachverzeichnis Sachverzeichnis

Abkommen siehe Staatsverträge Abstammung 19, 301, 374, 380, 400, 403, 523, 529 Abtretung siehe Forderungsabtretung AbtrVO-E 19, 37, 42, 55, 211, 279 ff., 530 siehe auch Forderungsabtretung allgemeine Ehewirkungen 45 f., 71 ff., 80 f., 84 f., 86 f., 255, 293 ff. Allgemeiner Teil des IPR 22 f., 435 f. siehe auch Anpassung; Flüchtlinge; ordre public; Qualifikation; Vorfrage Anerkennung siehe auch Brüssel IIa-VO; Brüssel IIb-VO – Anerkennungsprinzip siehe Rechtslagenanerkennung – kollisionsrechtliche Anerkennung 158 f., 164 f., 312, 319, 321, 550, 560 f., 561 ff., 568 ff. – Rechtslagenanerkennung siehe Statusanerkennung – Statusanerkennung 360 ff., 382 ff., 416, 419 ff. – Verfahren 551 ff., 568 ff. Anpassung 96, 97, 103, 107, 109, 113, 183, 545 f. Anwendungsbereich des EU-IPR – räumlich-persönlich 34 f. – sachlich 35 ff., 118 ff., 132 ff., 176 ff., 181 ff., 305 ff., 427, 581 ff. – zeitlich 247 ff. siehe auch intertemporales Recht Asylberechtigte 474 ff. Atomhaftung 57, 60, 191 f., 231, 232, 277 f., 283 f. Auslegung – Auslegungskompetenz 3, 6 f., 13 f., 26, 184, 234 – Auslegungsprotokolle 7, 516 f. – Staatsverträge 6, 26 f., 239 f., 453 ff., 462 ff., 606

– Unionsrecht 13, 68 f., 79, 119, 121 ff., 135 ff., 148 ff., 180 f., 183 f., 327 f., 599 ff. siehe auch EuGH außergerichtliche Scheidung siehe Privatscheidung Belegenheitsortrecht siehe lex rei sitae Betreuung siehe Fürsorge Binnenmarkt 10, 414 ff. Brautgabe 85, 464 f. Brüssel IIa-VO 135, 137 ff., 238 f., 551, 553 ff., 556 ff. Brüssel IIb-VO 135, 139, 555 f. CIEC 5, 197 f., 532 f. culpa in contrahendo 50 Deliktskollisionsrecht 282 f. siehe auch Rom II-VO depeçage 94 ff., 102, 103 Doppelstaater siehe Mehrstaater Ehe, gleichgeschlechtliche siehe gleichgeschlechtliche Ehe Ehebegriff 124 ff., 371 f., 373 f. Ehegatteninnengesellschaft siehe Nebengüterrecht Ehegüterrecht siehe GüVO/PartVO Eheschließung 302 ff., 530 Ehewirkungen siehe allgemeine Ehewirkungen Ehewirkungskollisionsrecht 70 ff., 76 f., 87, 93 siehe auch allgemeine Ehewirkungen eingetragene Partnerschaft siehe Partnerschaft Einheitsrecht 189 f., 191 Elternschaft siehe Abstammung

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Sachverzeichnis

Entkoppelungsklauseln siehe Rücksichtnahmeklauseln Erbkollisionsrecht 17, 65 f., 83, 101 f., 306 ff., 439 f. siehe auch ErbVO ErbVO 17, 36, 40, 102 f., 105 ff., 112 f., 119 ff., 218, 248, 257 ff., 439 f., 451 ff., 458 ff., 483 f., 485, 515 siehe auch Erbkollisionsrecht Erstfrage siehe Vorfrage EuGH 13 f., 183 f., 327 ff., 424 f., 602 ff. – Bogendorff 343, 345 f., 355 f., 400, 402 – Coman 136 f., 369 ff., 372 ff., 400, 402 f. – Kubicka 109 ff., 392 f., 544 – Mahnkopf 119 ff., 464 f., 548 f. – OKR 229 f., 451 ff. – Sahyouni 163 ff., 318, 557 f., 562 f. – Sayn-Wittgenstein 343, 344 f., 400, 402 EVÜ 15, 54 f., 215 f., 251 Flüchtlinge 198, 225, 446, 471 ff. Forderungsabtretung 19, 54 ff., 179, 190, 276 f., 278 ff., 530 siehe auch AbtrVO-E Freizügigkeit 147, 180, 337 f., 366 ff., 370 f., 372 ff. siehe auch Grundfreiheiten Fürsorge 301 f. siehe auch Haager Übereinkommen, Erwachsenenschutzübereinkommen; Haager Übereinkommen, Kinderschutzübereinkommen Gesamtstatut siehe Statuteneinheit Geschäftsfähigkeit 301 f. Geschlechtsdiskriminierung 317 ff., 448, 565 ff. Gesellschaftskollisionsrecht 19, 47 f., 64 f., 231 f., 340, 348 ff., 360, 415, 418, 520, 583 f. Gesetzgebungskompetenz siehe Kompetenz, Gesetzgebung Gewaltschutz 73, 77, 83 f., 85, 308 gleichgeschlechtliche Ehe 18, 125 ff., 137 ff., 179, 255, 256, 295, 303, 367, 369 ff., 372 ff., 400, 401, 402 f., 545 Grundbuch siehe Registrierung (Immobilien) Grundfreiheiten 335 ff. siehe auch Freizügigkeit

– Drittstaaten 390 f., 414 ff. – Grenzen 338 f., 381 ff. siehe auch ordre public Grundrechte 178, 408 Güterkollisionsrecht 70 ff., 77, 87, 93 f., 103, 256 f., 309 f. siehe auch GüVO/PartVO Güterrecht siehe GüVO/PartVO GüVO/PartVO 17 f., 36, 40 f., 70 ff., 79 ff., 104, 105 ff., 113, 119 ff., 135 f., 142 ff., 214 f., 216 f., 218, 248, 251 ff., 482 f., 485 siehe auch Güterkollisionsrecht Haager Konferenz für IPR 5, 16, 470, 521, 531 f., 598 Haager Übereinkommen 5 – Ehegüterrechtsübereinkommen 194, 216 f. – Erbrechtsübereinkommen 196, 239, 529 – Erwachsenenschutzübereinkommen (ESÜ) 60, 195 f., 213, 233 f., 529 – Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) 60, 195, 213, 233, 238, 503, 529 – Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) 195, 238, 496, 499 – Produkthaftungsübereinkommen (HProdHaftÜ) 191, 224, 437 f., 445 – Stellvertretungsübereinkommen (HStÜ) 189, 224 – Straßenverkehrsunfallübereinkommen (HStVÜ) 190, 224, 226 f., 438, 445, 515 f. – Testamentsformübereinkommen (HTestFormÜ) 64, 196, 225, 236, 307 – Trustübereinkommen 192, 231 – Unterhaltsprotokoll (HUP) 16, 26, 36 f., 41, 64, 128 f., 139 f., 195, 237 f., 240, 259 f., 261 ff., 481, 529 – Unterhaltsübereinkommen (HUÜ) 16, 195 HUP siehe Haager Übereinkommen, Unterhaltsprotokoll Internationale Kommission für das Zivilstandswesen siehe CIEC Internationales Abtretungsrecht siehe AbtrVO-E; Forderungsabtretung

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Internationales Deliktsrecht siehe Deliktskollisionsrecht; Rom II-VO Internationales Eheschließungsrecht siehe Eheschließung Internationales Ehewirkungsrecht siehe allgemeine Ehewirkungen; Ehewirkungskollisionsrecht Internationales Erbrecht siehe Erbkollisionsrecht; ErbVO Internationales Gesellschaftsrecht siehe Gesellschaftskollisionsrecht Internationales Güterrecht siehe Güterkollisionsrecht; GüVO/PartVO Internationales Namensrecht siehe Namenskollisionsrecht Internationales Sachenrecht siehe lex rei sitae; Sachenkollisionsrecht Internationales Scheidungsrecht siehe Rom III-VO; Scheidungskollisionsrecht Internationales Schuldvertragsrecht siehe Rom I-VO; Schuldvertragskollisionsrecht Internationales Unterhaltsrecht siehe Haager Übereinkommen, Unterhaltsprotokoll; UnthVO Internationales Zivilverfahrensrecht 238 f., 549 ff., 590 f., 597 Interpretation siehe Auslegung intertemporales Recht 216, 247 ff. IZVR siehe Internationales Zivilverfahrensrecht

lex rei sitae 88, 93 ff., 112 f., 114 ff., 382 ff. siehe auch Sachenkollisionsrecht loi uniforme 8, 30, 34 f., 238 f., 262, 415 ff., 438, 469 f., 526 f., 597

Kernenergieschäden siehe Atomhaftung Kinderehe siehe Minderjährigenehe (Gesamt-)Kodifikation – europäisch 23, 585 ff., 590 ff., 593, 607 ff. – national 3, 28, 429, 431 Kollisionsrechtsspaltung siehe loi uniforme Kompetenz – Außenkompetenz der EU 25, 234, 495 ff., 505 f., 588, 593 – Binnenkompetenz der EU 10 f., 495 – Gesetzgebungskompetenz 3, 9 ff. – geteilte Kompetenz 11, 502 ff., 584 f. Kreditsicherungsrecht 382 ff., 546 f.

Parteiautonomie siehe Rechtswahl Partnerschaft 126 f., 142 f., 151, 295, 303 f. Partnerschaftsgüterrecht siehe GüVO/PartVO PartVO siehe GüVO/PartVO Persönlichkeitsrechtsverletzungen 53, 277 f., 278 f., 283 Personalstatut 44, 299 ff., 439, 446 ff., 479 ff. Polygamie 125, 137 ff. Pressedelikte siehe Persönlichkeitsrechtsverletzungen Primärrecht siehe Grundfreiheiten Privatscheidung 152 ff., 311 ff., 322 ff., 378 f., 547, 550 ff.

Legalhypothek (Ehegatten) 75, 78, 82, 90

materielles Recht 90, 392 f., 394 f., 544 ff., 591 f. Mehrebenensystem 2 ff., 27 ff., 579 ff. Mehrehe siehe Polygamie Mehrstaater 340, 467 f. Meistbegünstigungsgrundsatz 202, 421 Migration siehe Asylberechtigte; Flüchtlinge; Staatenlose; subsidiär Schutzberechtigte Minderjährigenehe 404 ff. Nachlassspaltung 94, 99, 439 f., 449, 455, 458 ff. Namenskollisionsrecht 19, 301, 340 ff., 350 ff., 360 f., 379 f., 420, 583 f. Nebengüterrecht 75 f., 78, 82 f., 549 Nießbrauch (Ehegatten) 90, 96, 115, 544 ff. Nuklearhaftung siehe Atomhaftung öffentliche Ordnung siehe ordre public ordre public 315 ff., 338 f., 344 ff., 354, 371, 379, 391, 397 ff., 420 f., 457, 461, 551, 552, 555, 560, 561, 565 ff. Organisationen der regionalen Wirtschaftsintegration 261, 498, 531, 534 f.

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Sachverzeichnis

Publizität 89 ff., 96 ff., 106 ff., 383 ff. siehe auch Registrierung (Immobilien) Qualifikation 65 f., 67 ff., 132 f., 134 ff., 464 f., 473, 583 rechtsgeschäftliche Vertretung siehe Stellvertretung Rechtslagenanerkennung siehe Anerkennung, Statusanerkennung Rechtsspaltung siehe depeçage; loi uniforme Rechtswahl 77, 93 f., 101 f., 103, 294 ff., 450 ff., 484 ff., 517 régime primaire 78, 81 registrierte Partnerschaft siehe Partnerschaft Registrierung (Immobilien) 89 ff., 96 ff., 103, 106 ff., 113, Richtlinien-IPR 9, 51, 348, 425 Rom 0-VO siehe Allgemeiner Teil des IPR Rom I-VO 15, 36, 39, 188 ff., 247, 250 f., 437 siehe auch Schuldvertragskollisionsrecht Rom II-VO 15 f., 36, 39 f., 190 ff., 226 f., 247, 437 f., 445, 515 siehe auch Deliktskollisionsrecht Rom III-VO 16 f., 36, 41 f., 135 f., 140 ff., 159 ff., 171 ff., 214 f., 216, 248, 481 f., 485, 562 ff. siehe auch Scheidungskollisionsrecht Rücksichtnahmeklauseln 61 ff., 213 ff., 220 ff., 452 ff., 594 Sachenkollisionsrecht 20, 48 f., 88, 382 ff. siehe auch lex rei sitae Sachrecht siehe materielles Recht Scheckrecht siehe Wertpapierkollisionsrecht Scheidungsbegriff 152 ff. siehe auch Privatscheidung Scheidungskollisionsrecht 16 f., 19, 157 ff., 162, 167 ff., 308 f., 311 ff. siehe auch Rom III-VO Scheidungsmonopol 156 f., 158, 159, 312, 550, 562, 564 f. Schuldvertragskollisionsrecht 64 f. siehe auch Rom I-VO

Sicherungsrechte siehe Kreditsicherungsrecht Sicherungsübereignung 382 ff., 546 f. situs-Regel siehe lex rei sitae Staatenlose 198, 225, 472 Staatsverträge 3 f., 206 ff., 433 ff. – Änderungen 443 f., 505 f., 512 ff., 595 f. – Anwendungsvorrang – des Staatsvertrags siehe Staatsverträge, Bestandsschutz; Rücksichtnahmeklauseln – des EU-IPR 213 ff. – Bestandsschutz 24 f., 61 ff., 220 ff., 513, 594 ff. – Beteiligung der EU 237 f., 498 ff., 518 ff., 598 – bilateral 4, 200 ff., 438 ff., 441 ff., 445 ff., 463 ff., 508 ff., 516 f., 519 ff., 597 – Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag Deutschland-USA 201 – Konsularvertrag DeutschlandSowjetunion 203 f., 223, 229, 440, 458 ff., 464 – Konsularvertrag ÖsterreichSowjetunion 204, 223, 440, 458 ff. – Konsularvertrag Schweiz-Italien 204 f., 454 – Nachlassabkommen DeutschlandTürkei 205, 223, 439 f., 441, 443, 447, 449, 464 f., 508 – Niederlassungsabkommen Deutschland-Iran 202, 203, 222, 223, 439, 441, 446 ff., 454 f., 464 f., 467, 503 – Niederlassungsabkommen Österreich-Iran 202, 203, 223, 421, 439, 446 ff., 467, 503 – Personen- und Familienstatutsabkommen Frankreich-Marokko 202 f., 223, 439, 448, 451 – Rechtshilfeabkommen Polen-Ukraine 204, 229 f., 440, 451 ff. – Rechtshilfevertrag Österreich-Polen 203, 214 f., 223, 439 – gemischte Konventionen 187, 502 ff. – Koordination mit EU-IPR 228 ff., 230 ff., 259 ff., 434 ff., 451 ff., 457 ff., 525 ff., 592 ff. – Kündigung 444, 505 ff., 595 f.

Sachverzeichnis – multilateral 4 f., 188 ff., 436 ff., 441 f., 444 f., 468 ff., 507, 514 ff., 521, 597 – Flüchtlingskonvention 198, 225 f., 471 ff. – Kapstadt-Konvention 192 f., 502 – Nordische Konventionen 4, 63 f., 193, 196, 218, 224 f., 515 – Staatenlosenübereinkommen 198, 225 f., 472 – Neuschaffung 518 ff. – Reform siehe Änderungen – regional 4, 9, 534 f., 598 Statusanerkennung siehe Anerkennung, Statusanerkennung Statuteneinheit 40, 41, 42, Stellvertretung 53, 190, 285 ff. subjektive Anknüpfung siehe Rechtswahl subsidiär Schutzberechtigte 475 ff. talaq 153 f., 172, 315, 566 Teilungsanordnung 90, 95 ff., 115, 544 ff. Transposition siehe Anpassung Trust 58, 90, 231, 306, 460 Übereinkommen siehe Staatsverträge Überprüfungsklauseln 55, 56, 607 f. unbenannte Zuwendung siehe Nebengüterrecht UnthVO 16, 36 f., 41, 64, 218, 237 f., 247, 259 f. Verfahrensscheidung 152 f. Verfügungsbeschränkungen (ehebedingt) 73 f., 81 siehe auch Zustimmungserfordernisse (ehebedingt)

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Vermächtnis 90 siehe auch Vindikationslegat Versorgungsausgleich 58, 308 Verstärkte Zusammenarbeit 11 ff., 17, 18, 214 f., 222, 504, 608 f. Verstoßung(sscheidung) siehe talaq Vertretungsbefugnis (ehebedingt) 74, 78, 81 f., 84 Vindikationslegat 90, 95 ff., 99 f., 110 ff., 544 ff. Vollharmonisierung siehe (Gesamt-) Kodifikation, europäisch Vorabentscheidungsverfahren 13 f., 602 ff. siehe auch Auslegung, Unionsrecht; EuGH Vorfrage 128 ff. Vormundschaft siehe Fürsorge Vorrangklauseln siehe Rücksichtnahmeklauseln vorvertragliches Schuldverhältnis siehe culpa in contrahendo Wechselrecht siehe Wertpapierkollisionsrecht Wertpapierkollisionsrecht 57, 60, 189, 231 Wertdurchsetzung siehe ordre public Zession siehe Forderungsabtretung Zuständigkeit siehe Kompetenz Zustimmungserfordernisse (ehebedingt) 73 f., 81 siehe auch Verfügungsbeschränkungen (ehebedingt)