IPR – leicht gemacht: Das Internationale und Europäische Privatrecht [1 ed.] 9783874407021, 9783874403023

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IPR – leicht gemacht: Das Internationale und Europäische Privatrecht [1 ed.]
 9783874407021, 9783874403023

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Hans-Dieter Schwind Peter-Helge Hauptmann Sascha Gruschwitz

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Das Internationale und Europäische Privatrecht

leicht gemacht ® Der prägnante, verständliche Überblick zu Recht und Steuer mit Beispielen, Fällen, Übersichten und Leitsätzen. Die leicht gemacht ®-SERIEN haben Generationen von Studierenden erfolgreich in die verschiedenen Themenbereiche eingeführt. Sie richten besonderes Augenmerk auf didaktische Erfordernisse und sind auf die Bedürfnisse des Anfängers zugeschnitten. Die Bände sind so angelegt, dass Vorkenntnisse nicht erforderlich und nach dem Durcharbeiten des Textes die wichtigen Grundlagen vermittelt sind. Sie eignen sich als Einstieg, aber auch zur Wiederholung vor der Abschlussprüfung. Die Bände wenden sich nicht nur an diejenigen, für die die jeweiligen Themen in Recht und Steuer ein Hauptfach darstellen, sondern auch an jene, die Fachkenntnisse im Nebenfach erwerben müssen. Begeisterte Leser sind Studierende an Universitäten, Hochschulen und Berufsakademien, aber auch die Teilnehmer vieler weiterer berufsbezogener Ausbildungen. Schließlich vermitteln die Bände auch jedem Interessierten auf verständliche und kurzweilige Weise die Grundlagen unseres Rechts- und Steuersystems. Die leicht gemacht ®-SERIEN erscheinen im

Ewald v. Kleist Verlag, Berlin

Reihe Herausgeber: Professor Dr. Hans-Dieter Schwind Richter am AG Dr. Peter-Helge Hauptmann

IPR leicht gemacht Das Internationale und Europäische Privatrecht

von

Ass. jur. Sascha Gruschwitz Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Leipzig

Ewald v. Kleist Verlag, Berlin

Besuchen Sie uns im Internet: www.leicht-gemacht.de

Umwelthinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt Autoren und Verlag freuen sich über Anregungen Gestaltung: Michael Haas, www.montalibros.eu; J. Ramminger, Berlin Druck & Verarbeitung: Druck und Service GmbH, Neubrandenburg leicht gemacht ® ist ein eingetragenes Warenzeichen © 2013 Ewald v. Kleist Verlag, Berlin ISBN 978-3-87440-302-3

Inhalt I.

Grundlagen des Internationalen Privatrechts

Lektion 1: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 2: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lektion 3: Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Allgemeiner Teil des IPR Lektion Lektion Lektion Lektion

4: Die Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5: Die Tatbestandsseite im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 6: Die Rechtsfolgenseite im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 7: Anwendung und Korrektur des gefundenen Rechts . . . 42

III. Besonderer Teil des IPR Lektion 8: Recht der natürlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Lektion 9: Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Lektion 12: Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Lektion 13: Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Lektion 14: Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

IV. Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Lektion 15: Gegenstand und Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Lektion 16: Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Lektion 17: Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

Übersichten Übersicht 1 Aufbau des Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . .

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Übersicht 2 Ziele des Internationalen Privatrechts . . . . . . . . . . . . 12 Übersicht 3 Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Übersicht 4 Aufbau des IPR im EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Übersicht 5 Normenhierarchie im internationalen Recht . . . . . . . . 22 Übersicht 6 Rückverweisung und Weiterverweisung . . . . . . . . . . .

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Übersicht 7 Voraussetzungen eines ordre public-Verstoßes . . . . . . 44 Übersicht 8 Sitztheorie – Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Übersicht 9 EuGH-Rechtsprechung zum internationalen Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Übersicht 10 Anwendungsvoraussetzungen des UN-Kaufrechts . . . 60 Übersicht 11 Prüfungsreihenfolge im internationalen Schuldvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Übersicht 12 Rechtsquellen des internationalen gesetzlichen Schuldrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Übersicht 13 Offene Tatbestände – Geschlossene Tatbestände . . . . . 85 Übersicht 14 Das Anknüpfungssystem im internationalen Familienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Übersicht 15 Prinzipien des internationalen Erbrechts . . . . . . . . . . 108 Übersicht 16 IZVR im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Übersicht 17 Zusammenspiel internationale Zuständigkeit und IPR . 117 Übersicht 18 Prüfungsreihenfolge der internationalen Zuständigkeit nach der Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . . 127 Übersicht 19 Zuständigkeiten nach dem autonomen IZVR . . . . . . . 128 Übersicht 20 Anerkennungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Übersicht 21 Ablauf der Anerkennung und Vollstreckung nach Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Übersicht 22 Ablauf der Anerkennung und Vollstreckung nach autonomem IZVR (ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

I.

Grundlagen des Internationalen Privatrechts

Lektion 1: Überblick Erste Gedanken zum Internationalen Privatrecht Das Internationale Privatrecht, kurz IPR, gehört ohne Zweifel zu interessantesten und zugleich ungewöhnlichsten Rechtsgebieten, die eine Rechtsordnung zur Verfügung stellen kann. Normalerweise interessiert sich eine Rechtsordnung nicht für grenzüberschreitende Fälle, ihre Gesetze sind für gewöhnlich streng auf nationale Sachverhalte beschränkt. Nicht so im IPR. Seine Bedeutung liegt gerade darin, internationale Sachverhalte zu regeln. Auf diese Weise bietet sich dem Juristen die seltene Gelegenheit, über den juristischen Tellerrand seines ihm bekannten nationalen Rechts hinaus zu blicken. Dies wird allgemein als willkommene und lehrreiche Abwechslung gesehen. Dennoch gilt: Dem IPR haftet nicht ohne Grund der Ruf eines äußerst anspruchsvollen Rechtsgebietes an. Durch sein „Schweben über dem materiellen Sachrecht“ ist es in seiner Ausdrucksweise und Formulierung besonders abstrakt angelegt. Statt aus Paragraphen bestehen die gesetzlichen Vorschriften aus Artikeln. IPR gebraucht sonderbare Rechtsbegriffe, mit denen Juristen, die sich noch nicht näher mit diesem Rechtsgebiet befasst haben, wenig vertraut sind. Oder haben Sie schon etwas von Anknüpfung, Qualifikation, Vorfragen, Verweisung usw. im Zusammenhang mit der allgemeinen juristischen Arbeitsweise gehört? Stellen wir einen Vergleich zu anderen internationalen Rechtsgebieten an: Europarecht und Völkerrecht. Beide Rechtsbereiche stehen bei Studierenden „hoch im Kurs“, während IPR lange Zeit als juristischer Sonderling galt, der nur in den Randbereichen der Ausbildung zum Tragen kam. Dieses Verständnis hat sich nicht zu letzt auch durch die voranschreitende Europäisierung des Rechts gewandelt. Man muss sich nur eines verdeutlichen: Nahezu im gesamten IPR wird seit Jahren praktisch umgesetzt, was in der Vorlesung zum Europarecht mit Art. 3 II EUV nur als blanke Theorie vermittelt wird: Die Verwirklichung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen – dazu trägt europaweit vereinheitlichtes IPR wesentlich bei.

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts Um gleich zu Anfang mit einem Vorurteil aufzuräumen: Die Befassung mit IPR hat nicht zur Voraussetzung, zuvor eine fremde Rechtsordnung oder Sprache erlernen zu müssen. Vom Grundsatz ausgehend ist es Teil einer nationalen Rechtsordnung. Erst dann, wenn nationales IPR auf ausländisches Recht verweist, wird der Rechtsanwender mit fremden Rechtsordnungen in Berührung kommen. Dann beginnt die Auslegung und Anwendung ausländischen Rechts. Auch in der juristischen Ausbildung können Prüfungsarbeiten ausländisches Recht zum Gegenstand haben. Sicherlich werden Sie sich jetzt wundern und fragen, wie Sie die benötigten Kenntnisse zum ausländischen Recht erlangen (Bsp.: codice civile – italienisches Zivilgesetzbuch). Hierbei besteht kein Grund zur Sorge. Im Rahmen der Ausbildung werden Studierende mit den Grundzügen des IPR vertraut gemacht. Dann kann es neben der Anwendung des eigenen IPR zwar auch vorkommen, ausländisches Recht (IPR und Sachrecht) in der Sache selbst prüfen zu müssen. Wenn eine Prüfungsarbeit tatsächlich ausländisches Recht zum Gegenstand haben sollte, werden die einschlägigen Gesetze und deren Übersetzung dem Prüfungssachverhalt angeschlossen sein oder zur anderweitigen Kenntnis der Prüfungsteilnehmer/innen gereicht werden. Andernfalls werden die Aufgaben so gestellt sein, dass neben nationalem auch ausländisches Kollisionsrecht zu prüfen ist, nach dessen Anwendung Sie dann wieder ins deutsche Recht gelangen werden.

Zur Arbeit mit diesem Buch Wie sonst in der Rechtswissenschaft gilt auch hier: Die Arbeit mit dem Gesetz begleitend zu dieser Darstellung sollten Sie für sich zur Pflicht statuieren. Gerade weil der Normenbestand des IPR im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten besonders abstrakt ist, sollte auf die Gesetzeslektüre höchste Sorgfalt gelegt werden. Aufgrund seiner verstreuten gesetzlichen Regelung existiert leider kein in sich geschlossenes Gesetz, sondern viele Einzelgesetze. Die bekannten Gesetzessammlungen „Schönfelder“ und „Sartorius“ helfen hier nur bedingt weiter. Die wichtigen Gesetze zum IPR lassen sich aber über das Internet abrufen (z.B. http://dejure.org/) oder in besonderen Gesetzessammlungen nachschlagen (z.B. Beck’sche Textausgabe „Internationales Privat- und Verfahrensrecht“).

Lektion 1: Überblick Wer Interesse daran hat zu erfahren, wie Gerichte in der Rechtspraxis IPR anwenden, dem sei die gelegentliche Lektüre solcher Gerichtsentscheidungen empfohlen – einen einfacheren Weg, die Fallpraxis nachzuvollziehen, gibt es kaum. Gerichtliche Entscheidungen und Abhandlungen zum IPR und ausländischen Recht finden sich in der eigens dafür publizierten Fachzeitschrift IPRax, der NJW sowie in den gerichtlichen Entscheidungssammlungen des BGH (BGHZ). IPR lässt sich in einen Allgemeinen Teil (AT) und Besonderen Teil (BT) gliedern. Dieses Verklammerungsprinzip wird Ihnen bereits aus dem BGB bekannt sein. Der AT beinhaltet die kollisionsrechtlichen Systembegriffe und Arbeitsmethoden, der BT betrifft die Spezialmaterien. Ebenso wichtig und regelmäßig im Zusammenhang mit dem IPR zu erlernen ist das Internationale Zivilverfahrensrecht (IZVR), welches sich mit der verfahrensrechtlichen Durchsetzung von Rechten im internationalen Rechtsverkehr befasst. An dieser Vorgehensweise orientiert sich auch der inhaltliche Aufbau des Buches: Während unter I. die Grundlagen des IPR vermittelt werden, widmen sich II. und III. dem AT und BT. Unter IV. wird das IZVR dargestellt.

Übersicht 1: Aufbau des Internationalen Privatrechts IPR

Allgemeiner Teil (AT) ––Grundbegriffe und allgemeingültige Regeln

Verklammerung

Besonderer Teil (BT) ––spezielle Rechtsbereiche (Schuldverhältnisse, Rechtsbeziehungen)

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts

Lektion 2: Einführung Wozu ein Internationales Privatrecht? Der Zugang zu einem unbekannten Rechtsgebiet erschließt sich am ehesten über eine Begriffsdefinition. Im Falle des IPR hilft sogar das Gesetz weiter – Art. 3 EGBGB lautet vereinfacht formuliert: Es ist das Recht, welches bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Recht das anzuwendende Recht bestimmt. Menschen reisen und wohnen in fremden Ländern, bestellen ausländische Waren über das Internet, kehren ihrem Heimatland aus privaten oder beruflichen Gründen den Rücken zu und wandern aus, wieder Andere heiraten eine/n ausländische/n Partner/in. Im Wirtschaftsleben agieren Unternehmen welt- und europaweit, indem sie neue Absatzmärkte erschließen und Zweigstellen sowie Niederlassungen auf die ganze Welt verteilt gründen. Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie sich unser tägliches Leben mehr und mehr gewandelt hat. Wie selbstverständlich ist für uns der kulturelle Austausch geworden. Die Globalisierung hat zu einer engen Vernetzung der einzelnen Völker und Kulturkreise geführt. Was früher als kaum überwindbare Entfernung galt, ist heute meist nur einen „Mausklick“ oder wenige Flugstunden entfernt. So groß der Nutzen und die Bereicherung dieser grenzüberschreitenden Kontakte auch ist, so umfangreiche rechtliche Probleme können sie nach sich ziehen.



Fall 1

Der Deutsche D befindet sich im Sommerurlaub in Spanien. Vor Ort mietet er sich für drei Tage einen Kleinwagen bei dem nach französischem Recht gegründeten Mietwagenunternehmen M. Während einer Fahrt durch das Gebirge gerät D in einen Autounfall, indem er mit dem Pkw des unvorsichtigen Österreichers Ö zusammenprallt. D wird verletzt. Er fragt sich, nach welchem Recht sich seine Ausgleichsansprüche richten. Fall 1 verdeutlicht Ihnen gleich zu Beginn, wie schnell sich aus einer alltäglichen Situation Berührungen mit einer fremden Rechtsordnung ergeben können. Eine Internationalisierung des gesellschaftlichen Lebens führt auch immer zu einer Internationalisierung im Rechtsleben. Das

Lektion 2: Einführung Beispiel hat einen Autounfall am Urlaubsort zum Gegenstand, betrifft also keinesfalls ein lebensfernes Szenario. Potentielle rechtliche Schnittpunkte sind hier gleich zu vier Rechtsordnungen gegeben: Es bestehen Bezüge zu Deutschland (D als Geschädigter ist Staatsangehöriger), Spanien (Ort des Unfalls), Frankreich (französisches Recht ist Gründungsrecht von M) und Österreich (Ö als Schädiger ist Staatsbürger Österreichs). Bei jeder der genannten Rechtsordnungen könnte man zumindest möglicherweise an ihre Anwendung auf den Sachverhalt zur rechtlichen Entscheidung denken. Welcher einen (!) Rechtsordnung ist dann aber der Vorrang einzuräumen und aus welchen Gründen erfolgt dies? Hier setzt das IPR mit seiner rechtlichen Konfliktbewältigung an.

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Leitsatz 1 Warum ein Internationales Privatrecht? Andersrum gesehen: Ein IPR wäre nicht erforderlich, ––wenn es keine Rechtsunterschiede zwischen den Staaten gäbe, sondern alle Staaten dieser Erde ein und dasselbe Recht anwenden würden, ––wenn jeder Staat immer nur sein eigenes materielles Recht berücksichtigen würde oder ––wenn jeder Staat schließlich allen grenzüberschreitenden Sachverhalten den Rechtsschutz verweigerte.  Da nichts davon zutrifft, muss es einen rechtlichen Kompromiss geben. IPR hat den Ordnungsauftrag, das auf den jeweiligen Fall anwendbare Recht aufzufinden.

Nun interessieren Sie sich doch sicherlich für die Lösung von Fall 1 und wollen wissen, wie der Fall zu entscheiden ist? Bei einem Autounfall handelt es sich um ein schädigendes Ereignis. Die rechtliche Einordnung hat als unerlaubte Handlung in das Deliktsrecht zu erfolgen. Da der Fall nicht in Deutschland, sondern Spanien spielt, liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt mit einer Berührung zu mehreren ausländischen Rechtsordnungen vor. Weil die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen möglicherweise zu unterschiedlicher rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes kommen könnten, kann zur Lösung nicht einfach willkürlich ein nationales Recht gewählt werden. Sie müssen zunächst in einer Art Vorprüfung herausfinden, welches Recht das anwendbare

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts ist. Hierzu muss das IPR herangezogen werden. Man gelangt in Fall 1 zu Art. 4 I Rom II-VO (gesprochen: Rom-2-Verordnung). Dieser wendet auf eine unerlaubte Handlung das Recht des Staates an, in dem der Schaden eingetreten ist. Dieses „Tatortprinzip“ führt zu der Anwendbarkeit spanischen Rechts. D’s Ausgleichsansprüche richten sich nach dem spanischen Schadensrecht, obwohl weder er noch Ö sonst nähere Bezüge zu Spanien haben. Nachdem Sie nun das Ergebnis der Falllösung kennen: Hätten Sie sich auch für das spanische Recht entschieden? Fall 1 bricht durch die bestehende Auslandsberührung des Sachverhalts mit den vertrauten rechtlichen Fallschilderungen, in denen der deutsche Rechtsraum nicht verlassen wird. Bei letzteren wird z.B. nach der Wirksamkeit eines Kaufvertrages zwischen einem deutschen Käufer und deutschem Verkäufer gefragt. Die Anwendbarkeit des deutschen bürgerlichen Rechts auf solche Fälle erscheint wie selbstverständlich und steht außer Frage. Warum auch sollte daran gezweifelt werden? Sobald sich aber mehrere Rechtsordnungen in einen Fall „einmischen“, wird das gewohnte Muster durchbrochen.

Die Arbeitsweise im IPR Wer den Einstieg in das IPR sucht, wird regelmäßig schon über erste Vorkenntnisse zum deutschen Zivilrecht verfügen. Umso überraschter ist der Leser dann, wenn er merkt, wie unterschiedlich die rechtliche Herangehensweise des IPR im Vergleich zum materiellen deutschen Zivilrecht ist. Im IPR geht es zwar wie sonst auch in der Rechtswissenschaft um die Rechtsanwendung, also Definition und Subsumtion von Rechtsnormen und Lebenssachverhalten. Das Ergebnis, welches am Ende steht, ist aber gänzlich anders. Im materiellen Recht dreht sich die Rechtsprüfung um Ansprüche, im IPR steht am Ende als Ergebnis, welche Rechtsordnung auf einen Sachverhalt anwendbar ist – das sogenannte Statut. Es geht vorrangig nicht um das Auffinden einer Anspruchsnorm des materiellen Sachrechts, sondern um die Ermittlung der „zuständigen“ Rechtsordnung an sich. Aus diesem Grund kann man ohne weiteres im IPR ein dem materiellen Sachrecht vorgelagertes Recht sehen.

Lektion 2: Einführung Wenn die Rede von Sachrecht ist, ist damit nicht etwa Sachenrecht, das Recht der beweglichen und unbeweglichen Sachen, gemeint. Sachrecht lässt sich am einfachsten negativ umschreiben: Jedes Recht der Rechtsordnung eines Staates mit Ausnahme des IPR. Während natio­ nales Sachrecht, beispielsweise BGB-Kaufrecht darüber entscheidet, ob eine Kaufsache mangelfrei ist oder nicht (also in der Sache selbst eine Entscheidung trifft), beantwortet IPR „lediglich“ die Frage, nach welcher nationalen Rechtsordnung die Mangelhaftigkeit der Kaufsache zu beurteilen ist. Das IPR trifft keine Aussage in der Sache selbst, diese bleibt vielmehr dem zur Anwendung berufenen Recht überlassen. Letztgenannte Frage kann und will IPR nicht beantworten. Es trifft nur ein rechtliches Zwischenergebnis.

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Leitsatz 2 Sachrecht Sachrecht (nicht Sachenrecht!) ist materielles Recht einer Rechtsordnung, welches eine bestimmte Rechtsmaterie in der Sache regelt. Im Gegensatz dazu bestimmt Kollisionsrecht (IPR) nur, welches Recht (damit auch Sachrecht) Anwendung findet. Das vom IPR berufene Recht wird auch als Statut bezeichnet (Bsp.: Erbstatut, Scheidungsstatut).

Welche Ziele verfolgt IPR? Warum bemühen sich Staaten darum, in aufwendiger Weise gesetzlich zu regeln, welches Recht für bestimmte Sachverhalte anwendbar sein soll? Wäre es nicht einfacher, übersichtlicher und wirtschaftlicher, wenn jeder Staat ohne Rücksicht auf fremde Rechte bedingungslos seinem eigenen Recht den Vorzug einräumt? Auf den ersten Blick mag vieles für diese Annahme sprechen. Es würde jedoch in erheblichem Maße völkerrechtlichen Grundsätzen (Bsp.: Anerkennung fremder Staaten und Respekt vor deren eigenen Rechtsordnungen) widersprechen. IPR will einen Sachverhalt demjenigen Recht eines Staates zuführen, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Gleichzeitig sollen parallele und sich widersprechende Gerichtsentscheidungen über ein und denselben Fall durch Anwendung unterschiedlichen Rechts vermieden werden. Das nennt man Entscheidungseinklang. „Hinkende Rechtsverhältnisse“

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts sollen verhindert werden. Ein und dasselbe Rechtsverhältnis soll nicht aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Würdigung nach der Rechtsordnung eines Staates als gültig, nach der Rechtsordnung eines anderen Staates als ungültig behandelt werden. Das Ziel eines weitgehenden Entscheidungseinklangs kann nur erreicht werden, wenn möglichst viele Rechte „mitspielen“. Dementsprechend gibt es nicht nur in Deutschland IPR, sondern in den meisten souveränen Staaten auf der Welt. Schließlich steht die Rechtssicherheit im Vordergrund. Betroffene sollen vor willkürlichen Aburteilungen internationaler Sachverhalte geschützt werden, deren rechtliche Lösung ohne IPR dem Zufall überlassen bliebe.

Übersicht 2: Ziele des Internationalen Privatrechts XX Entscheidungseinklang

(Gleichbehandlung eines Rechtsverhältnisses)

XX engste Verbindung

(Geltung jenes Rechts mit dem größten Bezug)

XX Rechtssicherheit

(Schutz vor willkürlicher Aburteilung)

Begriff Die Bezeichnung „Internationales Privatrecht“ (engl. private international law) wird zu Vereinfachungszwecken häufig schlicht „IPR“ abgekürzt. Der Begriff erweckt auf den ersten Blick den Anschein, als existiere zwischen vielen Staaten und Kontinenten ein allumfassendes Weltrecht oder zwischenstaatliches Recht für den privaten Rechtsverkehr. Diese Vermutung ist irreführend. IPR als solches ist weder international, noch privat. Kommen wir zurück auf den eingangs genannten Art. 3 EGBGB. Er enthält eine Legaldefinition (zu erkennen an der Verklammerung) zu der Frage, was IPR ist. Lesen Sie diese Norm nochmals aufmerksam durch. Der letzte Halbsatz dieses Artikels sagt alles Wesentliche über die Funktion des IPR aus, bedarf aber dennoch einer Klarstellung:

Lektion 2: Einführung Das IPR ist entgegen seiner Bezeichnung grundsätzlich Teil der nationalen Rechtsordnung. International ist es in Bezug auf die ihm zugrunde liegenden Sachverhalte, denen eine Auslandsberührung innewohnen muss, um zum Gegenstand des IPR zu werden. Erst in den letzten Jahren hat die Rechtsentwicklung tatsächlich zu einer echten Internationalisierung bzw. Europäisierung des IPR geführt (siehe Lektion 3), indem die Rechtsquellen zunehmend europäischen Ursprungs sind. Auch muss man mit Blick auf die Privatheit des IPR differenzieren: Mit einem privaten, nichtstaatlichen Recht hat es nichts gemeinsam. Es ist – wie auch das deutsche BGB – rein staatliches Recht. Privat ist es hinsichtlich seiner Regelungsbereiche. Es betrifft Rechtsverhältnisse, die dem privaten Lebensbereich von Personen zuzuordnen sind (Verträge, Eheschließungen und -scheidungen, Erbfälle etc.). Die Privatheit soll lediglich die Abgrenzung zu den internationalen Rechten herstellen, die sich mit öffentlich-rechtlichen Sachverhalten (siehe am Ende der Lektion) befassen und nicht Gegenstand des IPR sind.

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Leitsatz 3 Kollisionsrecht Gelegentlich werden Sie nicht nur den Begriff „Internationales Privatrecht“ oder „IPR“ lesen, sondern inhaltsgleich auch „Kollisions­ recht“ – im anglo-amerikanischen Rechtsraum spricht man von conflict of laws. Der Ausdruck Kollisionsrecht ist sehr verbreitet und spielt auf die Funktion des IPR an: Was geschieht aus rechtlicher Sicht, wenn mehrere Rechtsordnungen hinsichtlich eines Rechtsfalles miteinander kollidieren?

Rechtliche Folge der Existenz

Fall 2

S fragt Sie hinsichtlich folgenden Sachverhalts um ihre Meinung: Ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin titelte dramatisch: „Deutsche Gerichte wenden Scharia an“. Der Artikel berichtete über ein Gerichtsverfahren, in dem ein deutsches Gericht die Ehe eines jordanischen Ehepaares unter Anwendung jordanischen Rechts geschieden hatte. S vertritt den Standpunkt, vor deutschen Gerichten müsse zwingend deutsches Recht angewendet werden. Liegt S richtig?

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts S unterliegt einem Irrtum. Wir müssen uns im Ausgangspunkt fragen: Wer wendet IPR überhaupt an? Da nur Gerichte einen Rechtsstreit mit bindender Wirkung entscheiden, sind sie es, bei denen sich die verbindliche Anwendungsfrage stellt. Tagtäglich haben Gerichte in Deutschland in den vielfältigen Bereichen des Zivilrechts mit grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten zu tun. Die Folge dessen ist der Umgang mit IPR und ausländischem Recht. Wenn IPR deutsches Recht zur Anwendung beruft, stellen sich für den deutschen Richter keine Probleme – das deutsche Recht ist ihm vertraut. Was aber passiert, wenn die Anwendung des IPR eine ausländische Rechtsordnung beruft? Darf oder muss der Richter sogar eine solche berücksichtigen und den Rechtsstreit anhand dieser entscheiden? Antwort: Ja, er muss. Fall 2 ist mit der zuvor getroffenen Feststellung schon beantwortet. Zur Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts sind deutsche Gerichte verpflichtet. Dies folgt aus § 293 S. 1 ZPO: „Das in einem anderen Staat geltende Recht, die Gewohnheitsrechte und Statuten bedürfen des Beweises nur insofern, als sie dem Gericht unbekannt sind.“ Das Gericht in Fall 2 hat also weder gesetzesbrüchig noch willkürlich gehandelt, als es das jordanische Recht zur Entscheidung heranzog. Weil die Prüfung des IPR in diesem Fall die Anwendbarkeit jordanischen Rechts ergeben hat, beurteilt sich nach ihm die Scheidung der Ehe. Hinweis: Nachdem der Rechtsanwender die Hürde genommen hat herauszufinden, nach welcher Rechtsordnung er einen Rechtsstreit beurteilen muss, kommt ein weiterer Schritt. Nun muss er ein gegebenenfalls zur Anwendung berufenes ausländisches Recht in der Sache selbst prüfen und die konkrete Rechtsfrage (Ist eine Ehe wirksam?; Ist ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegeben?) beantworten.

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Leitsatz 4 Ausländisches Recht vor deutschen Gerichten Deutsche Gerichte wenden nicht zwangsläufig deutsches Recht an. Die Anwendung ausländischen Rechts durch ein deutsches Gericht mag auf den ersten Blick verblüffend und abwegig erscheinen, ist aber zulässig und sogar geboten. Übrigens: Das Einzige, was vor deutschen Gerichten wirklich zwingend „deutsch“ sein muss, ist die Gerichtssprache – so steht es in § 184 S. 1 GVG.

Lektion 2: Einführung

Abgrenzung ähnlicher Rechtsgebiete Wenn Sie nun einen ersten Eindruck von dem erhalten haben, was IPR ist, werden Sie sich vermutlich auch fragen, welche Rechtsgebiete nicht dem IPR zuzurechnen sind. Hier gilt es, einige, zum Teil Ähnlichkeiten aufweisende Rechte, auseinanderzuhalten. International vereinheitlichtes Sachrecht (materielles Recht) stellt eine noch intensivere Form der internationalen Rechtsvereinheitlichung dar und geht in seinen Wirkungen über das IPR hinaus. Materielles Einheitsrecht stellt im Vergleich zu Kollisionsrecht ein „Mehr“ da und ist diesem gegenüber vorrangig zu prüfen. Es bestimmt nicht lediglich das anwendbare Recht, sondern entscheidet bereits in der Sache selbst. Wo es internationales Einheitsrecht gibt, wird Kollisionsrecht überflüssig. Weil die Vereinheitlichung von Sachrecht ein hohes Maß an Einigungsund Kompromissbereitschaft voraussetzt, ist es noch die Ausnahme. Im internationalen Handelsverkehr gibt es vereinheitlichtes Sachrecht. Es gilt dort für Kaufverträge und heißt UN-Kaufrecht (Lektion 10).

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Leitsatz 5 International vereinheitlichtes Sachrecht Über das IPR hinaus geht das hin und wieder vorzufindende international vereinheitlichte Sachrecht. Hier wird nicht nur bestimmt, welches Recht Anwendung findet. Hier wurde von den Staaten ge­ meinsames materielles Recht beschlossen. Wo ein solches vorhanden ist, da erübrigt sich das IPR.

Europarecht hat mit dem IPR den grenzüberschreitenden Bezug gemeinsam. Als Europarecht wird das Recht der EU und EG samt ihrer Institutionen und Politikbereiche verstanden. Es handelt sich um ein Rechtsgebiet, dessen Inhalt dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Völkerrecht ist ähnlich dem Europarecht ein überstaatliches Recht. Im Gegensatz zu diesem regelt es nicht nur die Beziehungen der europäischen Staaten zueinander, sondern sämtlicher Völkerrechtssubjekte (souveräne Staaten, internationale Organisationen). Während IPR Rechtsverhältnisse von Personen des Privatrechts (Menschen, Gesellschaften) regelt, betrifft

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts Völkerrecht die Rechtsbeziehungen von Staaten und sonstiger Hoheitsträger zueinander. Die Rechtsvergleichung befasst sich mit der vergleichenden Analyse verschiedener Rechtsordnungen zur Aufdeckung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Sie ist in dieser Funktion eng mit dem IPR verknüpft. Das Internationale Zivilverfahrensrecht (IZVR) bezeichnet den Teil des Verfahrensrechts einer nationalen Rechtsordnung, der sich mit der Gerichtsbarkeit, der Zuständigkeit von Gerichten, Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen befasst (Lektionen 15 – 17). IZVR dient der Durchsetzung von Ansprüchen, während IPR mit der Ermittlung des auf die Sache anwendbaren Rechts den Weg der Rechtsfindung betrifft.

Übersicht 3: Abgrenzungen Nicht konkret zum IPR gehören: XX International vereinheitlichtes Sachrecht (materielles Recht)

(geht über die Wirkung hinaus)

XX Europarecht

(Recht der EU und EG; ist öffentliches Recht)

XX Völkerrecht

(Rechtsbeziehungen von Staaten u.ä. zueinander)

XX Rechtsvergleichung

(rechtsvergleichende Analyse)

XX Internationales Zivilverfahrensrecht (IZVR)

(Weg der Rechtsdurchsetzung; Lektionen 15 – 17)

Lektion 3: Rechtsquellen

Lektion 3: Rechtsquellen Mit Rechtsquellen sind die gesetzlichen Grundlagen des IPR angesprochen. Bedauerlicherweise gibt es kein in sich geschlossenes Gesetzeswerk, in dem der Gesetzgeber sämtliche Vorschriften zum IPR aufgenommen hat. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gesetze sind teils verstreut und einzeln geregelt. Damit nicht genug. Es gibt auch ein Nebeneinander von nationalen, internationalen und europäischen IPR-Vorschriften sowie geschriebenem und ungeschriebenem Recht.

Viele Länder – viele IPR-Vorschriften

Fall 3

Der in Deutschland lebende Russe R klagt gegen den US-Amerikaner A vor einem deutschen Gericht auf Erfüllung aus einem gemeinsamen Vertrag, den die Parteien seinerzeit in Frankreich geschlossen haben. Nach welchem IPR beurteilt sich das anwendbare Recht? IPR gibt es nicht nur in Deutschland. Annähernd alle souveränen Staaten haben ein Recht, welches bei der Kollision verschiedener Rechtsordnungen eingreift. Das mag zunächst verwirrend klingen. Wie kann der Ordnungsauftrag des IPR erfüllt werden, wenn jedes Land diese Aufgabe anhand seines eigenen IPR beurteilt? Das Prinzip des IPR kann nur funktionieren, wenn einerseits viele Staaten „mitziehen“ und auch nur dann, wenn sie einem ähnlichen System folgen, welches gleichgelagerte Ergebnis fördert. Es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass unterschiedliche IPR-Gesetze zu unterschiedlichen rechtlichen Ergebnissen führen; eine solche Divergenz muss hingenommen werden. Wenn nun annähernd jeder Staat eigene IPR-Gesetze hat, welches davon nimmt der Rechtsanwender dann zur Hand? Hat er womöglich die Wahl? Nein. Nehmen Sie Fall 3: R klagt vor einem deutschen Gericht. Dieses muss zunächst das in Deutschland geltende IPR anwenden. Das ist nachvollziehbar, muss das Gericht doch den Sachverhalt aus dem Blickwinkel seiner Rechtsordnung angehen. Unbedeutend für die Wahl des IPR ist, dass der Sachverhalt auch Bezüge zu Russland, den USA und Frankreich aufweist. Deren IPR-Gesetze spielen für den Richter zunächst keine Rolle (bei einer Verweisung aber sehr wohl!). Das eigene IPR ist immer das Tor zur Welt! Dieses Prinzip wird lex fori (Recht des Gerichts)

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts genannt. Es ist das am Ort des Gerichts geltende Kollisionsrecht. Bei einem internationalen Sachverhalt darf das Gericht nicht einfach sein eigenes materielles Sachrecht anwenden, sondern muss anhand seines eigenen Kollisionsrechts vorab prüfen, welches materielle Recht, die lex causae, in Frage kommt. Bis hierhin ist nur entschieden, welches IPR jeweils anzuwenden ist. Es wurde noch nicht gesagt, welche Rechtsquellen es zum IPR überhaupt gibt.

Völkervertragliches IPR Eine international-rechtliche Quelle ist das Völkerrecht. Staatsverträge sind internationale Verträge zwischen mindestens zwei, in der Regel sogar mehreren Staaten betreffend völkerrechtliche Angelegenheiten. Auch Deutschland ist Vertragspartner vieler völkerrechtlicher Verträge zum IPR. Sie haben den großen Vorteil einer Vereinheitlichung bestimmter Rechtsbereiche. Nicht jeder Staat „kocht sein Süppchen“, sondern viele Staaten streben nach einem Konsens. Auf diese Weise kann ein gewisses Maß an Rechtseinheit entstehen. Hier sind insbesondere die Abkommen der Haager Konferenzen für Internationales Privatrecht (HCCH) zu nennen, einer internationalen Einrichtung mit über 70 Mitgliedstaaten, die sich mit der Ausarbeitung von vereinheitlichtem IPR befasst. Dadurch wird die Rechtsanwendung übersichtlicher. Der Richter muss sich nicht erst auf eine langwierige Suche nach einem einzelnen nationalen ausländisches IPR begeben, sondern wendet, sofern bestehend, den völkerrechtlichen Vertrag an. Wer sich einen vollständigen Überblick hinsichtlich aller völkerrechtlichen Verträge, an denen Deutschland beteiligt ist, verschaffen will, wird im Amtlichen Nachweis der Bundesgesetzgebung mit dem einfachen Namen „Bundesgesetzblatt II – Fundstellennachweis B“ (kurz FNB), fündig. Dieser wird jährlich zum Stichtag 31. 12. vom Justizministerium mit rotem Umschlag herausgegeben (auch im Internet einsehbar). Zur Information: Der Fundstellennachweis A ist hellblau und betrifft das innerstaatliche Bundesrecht.

Lektion 3: Rechtsquellen

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Leitsatz 6 Fundstellennachweis B Der Fundstellennachweis B des Bundesgesetzblatts II (FNB) verzeichnet die von der Bundesrepublik Deutschland und ihren Rechtsvorgängern abgeschlossenen völkerrechtlichen Vereinbarungen, die im Bundesgesetzblatt, Bundesanzeiger und deren Vorgängern veröffentlicht wurden.

Europäisches IPR Genauso wie der Einfluss der EU auf die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten hinsichtlich des bürgerlichen Rechts, öffentlichen Rechts und Strafrechts zugenommen hat, ist er auch für das IPR immer wichtiger geworden. In den letzten Jahren hat die europäische Gesetzgebung im IPR einen großen Bedeutungszuwachs erfahren. Sie hat das völkervertragliche und deutsche IPR zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit galt die Regel: Gesetze werden im eigenen Land geschaffen. Heutzutage hat sich dieser Grundsatz gewandelt. Auch das IPR ist in erheblichem Umfang davon betroffen. So sind in den letzten Jahren eine Fülle von europäischen IPR-Vorschriften erlassen worden. Europäisches IPR gibt es zum Beispiel bereits für das internationale vertragliche und gesetzliche Schuldrecht sowie für das Ehescheidungsrecht (siehe die Lektionen 10, 11, 13). Die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass dieser und künftiger Rechtsinstrumente wird auf Art. 81 AEUV gestützt (Vorgängerregelung: Art. 65 EGV). Europäisches IPR wird heutzutage in Form der EU-Verordnung (VO) erlassen. Das Besondere an einer VO ist ihre unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten. Hinweis: Viele Juristen aus Wissenschaft und Praxis kritisieren schon heute, dass der europäische Gesetzgeber – trotz seiner Bemühungen um Rechtsvereinheitlichung – mit dem Erlass immer neuer Rechtsinstrumente der Übersichtlichkeit mehr schadet als nutzt. In der Tat fällt es nicht immer leicht, den aktuellen Gesetzgebungsstand sowie den Anwendungsbereich der einzelnen VOen auseinanderzuhalten. Auch die Namensgebung der EU-Rechtsakte, bei der bis heute keine einheitliche Linie erkennbar ist, trägt zur Verwirrung bei (Rom-VOen, Brüssel-VOen, EuUntVO etc.).

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts

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Leitsatz 7 Europäisches IPR ––Rom I (Vertragliche Schuldverhältnisse)

in Kraft

––Rom II (Außervertragliche Schuldverhältnisse)

in Kraft

––Rom III (Internationales Ehescheidungsrecht)

in Kraft

––EuErbRVO (Internationales Erbrecht)

ab 2015

––EuEhegüterRVO (Internationales Ehegüterrecht) ––EuUntVO (Internationales Unterhaltsrecht)

in Planung in Kraft

Aber Achtung: Halten Sie die Regelungsbereiche unbedingt auseinander! Die Rom-VOen vereinheitlichen nur das IPR der Mitgliedstaaten. Aus vielen IPR-Gesetzen wird eins. Das materielle Recht der einzelnen Mitgliedstaaten bleibt unangetastet. Jeder Mitgliedstaat behält auch weiterhin sein eigenes materielles Recht (Bsp.: Erbrecht in Deutschland: 5. Buch des BGB §§ 1922 – 2385 contra EuErbRVO). Daran zeigt sich, warum es sich bei der IPR-Vereinheitlichung um eine Kompromisslösung handelt. Wenn schon kein einheitliches materielles Recht durchgesetzt werden kann, soll doch zumindest ein einheitliches Kollisionsrecht darüber befinden, welche nationale Rechtsordnung über den Sachverhalt entscheidet.

Nationales IPR Das deutsche IPR hat der Gesetzgeber im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, abgekürzt EGBGB, geregelt. Infolge seines selbständigen, nationalen Ursprungs wird es auch als autonomes IPR bezeichnet. Im EGBGB betreffen die Art. 3 – 46c EGBGB das IPR. Der Standort gerade in diesem Gesetz ist relativ ungewöhnlich, enthält es doch ansonsten kein auslandsbezogenes Recht. Ebenso gut oder vielleicht sogar besser hätte man sich für die Regelung in einem eigenständigen „IPR-Gesetzbuch“ entscheiden können, wie es beispielsweise in der Schweiz mit dem IPRG geschehen ist. Nicht alle Vorschriften des autonomen IPR sind noch in Kraft. Viele mussten im Zuge der IPR-

Lektion 3: Rechtsquellen Europäisierung weichen (Bsp.: Art. 17 EGBGB a.F. – Ehescheidungsrecht; Art. 27 ff. EGBGB a.F. – Schuldvertragsrecht).

Übersicht 4: Aufbau des IPR im EGBGB EGBGB (1. Teil, 2. Kapitel) 1. Abschnitt: Allgemeine Vorschriften Art. 3 – 6 2. Abschnitt:

Recht der natürlichen Personen und der Rechtsgeschäfte Art. 7 – 12

3. Abschnitt:

Familienrecht Art. 13 – 16; 17a – 24

4. Abschnitt:

Erbrecht Art. 25 – 26

5. Abschnitt:

Außervertragliche Schuldverhältnisse Art. 38 – 42

6. Abschnitt:

Sachenrecht Art. 43 – 46

7. Abschnitt:

Besondere Vorschriften zur Durchführung von Regelungen der Europäischen Gemeinschaft Art. 46a – 46c

Ungeschriebenes IPR Die bisher genannten Rechtsquellen haben den Charakter eines geschriebenen Rechts gemeinsam. Daneben treten ungeschriebene Rechtsregeln. Meistens sind diese Ergebnis der Rechtsprechung durch Gerichte (EuGH, BGH). Auch heute haben einige dieser ungeschriebenen IPR-Regeln Bedeutung. Dies mag überraschen. Wird ansonsten die Verrechtlichung aller Lebensbereiche kritisiert, ist das autonome IPR der Art. 3 – 46c EGBGB teilweise unvollständig geregelt. Lücken bestehen bspw. im Gesellschaftsrecht.

Normenhierarchie Die Existenz vieler unterschiedlicher Rechtsquellen bedarf eines Rangverhältnisses. Rechtsquellen stehen nicht unsystematisch nebeneinander,

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Grundlagen des Internationalen Privatrechts sondern folgen einer logischen Reihenfolge. Oft ist es so, dass es zu ein und demselben Sachbereich verschiedene Regelungen von verschiedenen Gesetzgebern gibt. Wie Art. 3 EGBGB klarstellt, wird nationales IPR von europarechtlichen und völkerrechtlichen Regelungen in seinem Anwendungsbereich verdrängt. Diese Rechtsakte bestimmen in der Regel selbst ihr Verhältnis zu anderen Rechtsakten (Bsp.: Art. 23 – 25 Rom I – VO betreffen die Abgrenzung zu konkurrierenden Rechtsinstrumenten). Ansonsten gilt auch hier der Grundsatz: Das besondere Gesetz verdrängt das allgemeine (lat. lex specialis derogat legi generali).

Übersicht 5: Normenhierarchie im internationalen Recht

In­ ter­ natio­ nal verein­ heitlichtes Sachrecht (UN-Kaufrecht) IPR des Völkerrechts (Übereinkommen) geschriebenes nationales IPR (EGBGB)

IPR des Europarechts (Verordnungen) ungeschriebenes IPR (Richterrecht, Gewohnheitsrecht)

Lektion 4: Die Kollisionsnorm

II.

Allgemeiner Teil des IPR

Lektion 4: Die Kollisionsnorm Begriff Zwei Begriffe gilt es – wie schon angedeutet – auseinanderzuhalten: Sachnormen und Kollisionsnormen. Sachnormen sind für bestimmte Sachgebiete erlassene Rechtsvorschriften einer Rechtsordnung (Bsp.: BGB). Kollisionsnormen klären in einer Rechtsordnung für Situationen, in denen auf einen einheitlichen Sachverhalt verschiedene Rechte bzw. Gesetze anwendbar sein können, welches der in Frage kommenden Rechte den Vorrang gegenüber den anderen erhält. Eine Kollision von Rechten kann ihren Ursprung in der unterschiedlichen Herkunft, der unterschiedlichen zeitlichen Geltung und schließlich der unterschiedlichen Rangfolge haben. Im IPR bestehen Kollisionsregeln für die unterschiedliche Herkunft, nämlich bei konkurrierenden internationalen Rechtsordnungen. Der Begriff der Kollision beschreibt nicht das Ziel, sondern den Ausgangspunkt. Sinn und Zweck von Kollisionsnormen ist es, eine möglicherweise drohende Kollision von Rechten einer konfliktfreien Lösung zuzuführen. Sie besitzen ausgleichende Funktion und treffen eine Entscheidung über die Anwendbarkeit von Rechten, wenn diese miteinander in Kollision treten. Hinweis: IPR enthält zwar ausschließlich Kollisionsnormen; Kollisionsnormen existieren aber nicht ausschließlich im IPR. Selbst im Verfassungsrecht sind sie zu finden – Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht“).

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Allgemeiner Teil des IPR

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Leitsatz 8 Arten von Rechtsnormen Die Normen einer Rechtsordnung lassen sich aus IPR-Sicht grob untergliedern in => Kollisionsnormen (ein Sachverhalt – verschiedene Rechte bzw. Gesetze) => Sachnormen

(Rechtsvorschriften einer Rechtsordnung für Sachgebiete).

Die Sachnormen wiederum zerfallen in materielle und formelle Normen.

Aufbau

Fall 4

In der Einführungsvorlesung zum IPR stellt Dozent D den Zuhörern zwei Rechtsnormen gegenüber. Zum einen § 433 I BGB. Dieser lautet: „Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.“ Und zum anderen Art. 4 I lit. a Rom I – VO: „(...) Kaufverträge über bewegliche Sachen unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Was müssen die Anwesenden antworten, wenn sie von D zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Vorschriften befragt werden? Maßgebliches Merkmal jeder Rechtsnorm ist ihre abstrakt-generelle Wirkung. Abstrakt, weil eine Vielzahl von Fällen betreffend und generell, weil für eine Vielzahl von Personen geltend. Vergleichen Sie die in Fall 4 genannten Normen. § 433 I BGB betrifft nicht Kaufverträge bestimmter Personen, sondern ganz allgemein alle Kaufverträge. Es gibt aber noch eine weitere wichtige Übereinstimmung: Die meisten Rechtsnormen folgen von Grund auf einem einheitlichen Aufbau. Einem Tatbestand steht eine Rechtsfolge gegenüber. Zur Erinnerung: Der Tatbestand beschreibt in abstrakter Form einen Lebenssachverhalt. Wenn sich konkreter Lebenssachverhalt und abstrakter Tatbestand decken, tritt die Rechtsfolge

Lektion 4: Die Kollisionsnorm ein. Die Rechtsfolge ist der gesetzliche Anordnungsbefehl, der meistens in einem bestimmten Verhalten liegt. Anspruchsnormen lassen sich gedanklich in einen „wenn, dann“-Aufbau zerlegen. In Fall 4 würde es für § 433 I BGB heißen: Wenn ein Kaufvertrag besteht, dann wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet (…). Die genannten Grundsätze können Sie ohne weiteres auch im IPR anwenden. Wie bereits angesprochen, enthält IPR im Gegensatz zum Sachrecht keine Sachnormen, sondern Kollisionsnormen. Trotz dieses sprachlichen Unterschieds (Sachnorm – Kollisionsnorm) ähneln sich beide. So unterscheidet man auch bei Kollisionsnormen zwischen Tatbestand und Rechtsfolge. Zurück zu Fall 4: Art. 4 I Rom I-VO gilt als Kollisionsnorm für alle Kaufverträge mit Auslandsbezug. Wenn ein Kaufvertrag über bewegliche Sachen vorliegt (= Tatbestand), dann richtet sich dieser nach dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (= Rechtsfolge). In Fall 4 wird D hören wollen, dass den Gemeinsamkeiten hinsichtlich des Aufbaus die Unterschiede in der sachlichen Regelung, vor allem auf der Rechtsfolgenseite, gegenüberstehen. Die Unterschiede zwischen Sachnorm und Kollisionsnorm werden an einem Fallbeispiel deutlich: Wenn Parteien darüber streiten, ob ein bestimmter Vertrag zustande gekommen ist, würde eine Sachnorm die Frage nach der Wirksamkeit eines Kaufvertrages anhand des materiellen Sachrechts abschließend entscheiden, während eine Kollisionsnorm danach fragen würde, nach welcher Rechtsordnung sich die Wirksamkeit beurteilt.

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Leitsatz 9 Aufbau von Kollisionsnormen Kollisionsnorm Tatbestand Rechtsfolge

Recht des Staates X

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Allgemeiner Teil des IPR

Arten Auch innerhalb der Gruppe der Kollisionsnormen gibt es verschiedene Arten, die es auseinanderzuhalten gilt. Die Bedeutung dieser Unterscheidung ist aus normtheoretischer Sicht interessant, zumal die Kenntnisse der dogmatischen Grundlagen das systematische Verständnis eines Rechtsgebiets erheblich erleichtern. Fall 5 Wie Fall 4. Nun fragt D seine Zuhörer, ob es unterschiedliche Kollisionsnormen gibt? Was müssten Sie ihm antworten? Eine erste Unterscheidung lässt sich in einseitige und allseitige Kollisionsnormen treffen. Einseitige Kollisionsnormen enthalten eine Inlandsbeziehung und heißen so, weil sie lediglich eine Rechtsanwendung für das eigene Recht treffen, was an der Bezugnahme auf eine bestimmte Rechtsordnung zu erkennen ist (Bsp.: Art. 7 II EGBGB – „Rechtsstellung als Deutscher“; Art. 13 II EGBGB – „deutsches Recht“; Art. 25 II EGBGB – „Inland“). Allseitige Kollisionsnormen lassen neben eigenem Recht auch fremde Rechtsordnungen zur Anwendung gelangen. Sie sind hinsichtlich der anwendbaren Rechtsordnung neutral formuliert. Allseitige Kollisionsnormen sind u.a. Art. 14, 19 EGBGB („dem Recht des Staates“). Die Existenz einseitiger und allseitiger Kollisionsnormen ist historisch bedingt. Das EGBGB enthielt zu Anfang fast ausschließlich einseitige Kollisionsnormen. Allseitige Normen sah der Gesetzgeber ursprünglich als aus völkerrechtlicher Sicht unstatthaften Eingriff in die Souveränität fremder Staaten an. Nach und nach wandelte sich das Verständnis. Ein modernes, zeitgemäßes IPR zeichnet sich durch die Existenz von allseitigen Kollisionsnormen aus. Um die noch vorhandenen einseitigen Kollisionsnormen des EGBGB international zu öffnen, werden einige von ihnen allseitig ausgebaut (Bsp.: Art. 7 II EGBGB). Der allseitige Ausbau bedeutet eine Analogie des Anwendungsbereichs. Art. 7 II EGBGB wird so gelesen, als käme das Wort „Deutscher“ nicht vor und gilt auch für ausländische Staatsangehörige. Eine weitere Unterscheidung findet in selbständige und unselbständige Kollisionsnormen statt. Selbständige Kollisionsnormen sind Normen des BT und verweisen auf die anwendbare Rechtsordnung. Sie sind mit den Anspruchsnormen des BGB (§ 433 BGB) vergleichbar, weil Ihnen eine eigene Rechtsfolge (= Verweisung) zu entnehmen ist (Bsp.: Art. 14 EGBGB).

Lektion 4: Die Kollisionsnorm Unselbständige Kollisionsnormen, auch Hilfsnormen genannt, können für sich allein keine Verweisung begründen. Sie beziehen sich auf eine oder mehrere selbständige Kollisionsnormen, indem sie sie inhaltlich ergänzen. Folgerichtig sind sie im AT angesiedelt (Bsp.: Art. 4, 6 EGBGB). Schließlich kann man versteckte Kollisionsnormen und Exklusivnormen unterscheiden. Versteckte Kollisionsnormen sind solche, die in prozessualen oder materiellen Normen enthalten sind, als solche aber nicht offensichtlich bezeichnet werden. Ihre Bedeutung ist praktisch gering. Ein Bsp. für eine Sachnorm, die gleichzeitig eine Kollisionsnorm ist, finden Sie in § 32b UrhG. Als Exklusivnormen gelten Kollisionsnormen, die in bestimmten Fällen eine Privilegierung des inländischen Rechts zugunsten eigener und zulasten fremder Staatsangehöriger darstellen. Art. 13 III S. 1 EGBGB ist ein Bsp. einer Exklusivnorm („nur in der hier vorgeschriebenen Form“). Sie verfolgen den Zweck der Stärkung nationaler Ordnungsinteressen. In Fall 5 muss D auf jeden Fall geantwortet werden, dass es einseitige und allseitige sowie selbständige und unselbständige Kollisionsnormen gibt. Weiterhin können versteckte Kollisionsnormen und Exklusivnormen genannt werden.

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Leitsatz 10 Arten von Kollisionsnormen Auch wenn wir von einem einheitlichen Begriff der Kollisionsnorm sprechen, gibt es innerhalb dieser Gruppe verschiedene Arten. Unterscheiden Sie: ––einseitige von allseitigen

(nur eigenes Recht?)

––selbständige von unselbständigen

(eigene Rechtsfolge oder nur Ergänzung?)

––versteckte

(in Sachnormen; wenig Bedeutung)

––Exklusivnormen

(Privilegierung eigener Staatsangehöriger)

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Allgemeiner Teil des IPR

Lektion 5: Die Tatbestandsseite im IPR In Lektion 4 haben Sie die Grundlagen zu den Kollisionsnormen kennengelernt. In dieser Lektion geht es nun um deren inhaltlichen Aufbau.

Anknüpfungsgegenstand Selbständige Kollisionsnormen enthalten auf der Tatbestandsseite einen Anknüpfungsgegenstand und ein Anknüpfungsmoment. Der Anknüpfungsgegenstand bezeichnet die Rechtsmaterie, für die Kollisionsnormen eine Regelung vorsehen. Er gibt als materiell-rechtlicher Systembegriff Auskunft darüber, für welchen sachlichen Bereich des Rechts die Kollisionsnormen gelten. Bspw. ist der Anknüpfungsgegenstand von Art. 13 EGBGB die Eheschließung. Art. 13 EGBGB gilt aber nur für den Akt des Zustandekommens der Ehe. Er umfasst nicht die sonstigen eherechtlichen Fragen; für diese (allgemeine Ehewirkungen, Güterrecht, Unterhalt, Scheidung) gibt es wiederum eigenständige Kollisionsnormen. Weitere Bsp. für Anknüpfungsgegenstände (Sachbereiche) sind Schuldverträge, Erbrecht, Sachenrecht etc.

Anknüpfungsmomente Die soeben dargestellten Anknüpfungsgegenstände, die den sachlichen Anwendungsbereich bestimmen, müssen nun der Rechtsordnung zugewiesen werden, zu der der Sachverhalt die engste Verbindung aufweist. Jede Kollisionsnorm enthält (mindestens) ein Anknüpfungsmoment. Es ist das Herzstück der Suche nach dem anwendbaren Recht. Durch die Wahl des Anknüpfungsmoments legt der Gesetzgeber fest, welches Merkmal des Sachverhalts die engste Verbindung zu der maßgeblichen Rechtsordnung darstellt. Das Anknüpfungsmoment besteht aus mehreren Elementen: Einem Subjekt (Personen, Sachen, Handlungen) wird eine bestimmte Eigenschaft (Staatsangehörigkeit, Aufenthalt, Leistungsort, Handlungsort) in einer zeitlichen Beziehung (Zeitpunkt der Eheschließung) zugeordnet. Hierzu ein Beispiel:

Lektion 5: Die Tatbestandsseite im IPR An Art. 25 I EGBGB sehen Sie die normpraktische Umsetzung des Anknüpfungsmoments: Die Rechtsnachfolge von Todes wegen unterliegt dem Recht des Staates (Eigenschaft), dem der Erblasser (Subjekt) im Zeitpunkt seines Todes (Zeitmoment) angehörte (Eigenschaft). Die Anknüpfungsmomente gelten für einen Sachverhalt typisiert und vom Einzelfall losgelöst. Der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des jeweiligen Anknüpfungsmoments davon aus, dass dieses auf den zu entscheidenden Sachverhalt am ehesten passt. Dem muss nicht immer so sein. Weil Rechtsnormen für eine unbestimmte Zahl von Sachverhalten gelten, können sie nicht in jedem Einzelfall zu dem gerechtesten Ergebnis (gibt es das überhaupt?) führen. Dies hat der Gesetzgeber auch bei der Schaffung der Kollisionsnormen erkannt. Als einzelfallbezogenes Korrektiv enthalten viele Kollisionsnormen mehrere Anknüpfungsmomente in Form einer „Anknüpfungsleiter“, die in einem Stufenverhältnis zueinander stehen, indem ein Anknüpfungsmoment erst greift, wenn das näherliegende nicht einschlägig ist. Und hier ein Beispiel für eine solche Anknüpfungsleiter: Allgemeine Ehewirkungen – Art. 14 I EGBGB Die allgemeinen Wirkungen der Ehe unterliegen 1. dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören oder während der Ehe zuletzt angehörten, wenn einer von ihnen diesem Staat noch angehört, sonst 2. dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder während der Ehe zuletzt hatten, wenn einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, hilfsweise 3. dem Recht des Staates, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind. In anderen Fällen können die Beteiligten selbst im Wege einer Rechtswahl aus einer Reihe vorgegebener Anknüpfungsmomente das für sie passende Recht bestimmen.

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Allgemeiner Teil des IPR Auch zur Rechtswahl ein Beispiel: Güterstand – Art. 15 II EGBGB Die Ehegatten können für die güterrechtlichen Wirkungen ihrer Ehe wählen 1. das Recht des Staates, dem einer von ihnen angehört, 2. das Recht des Staates, in dem einer von ihnen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder 3. für unbewegliches Vermögen das Recht des Lageorts.

Die wichtigsten Anknüpfungsmomente Auf die wichtigsten Anknüpfungsmomente wird nun näher eingegangen.

Staatsangehörigkeit Die Staatsangehörigkeit gilt im deutschen IPR nach wie vor als Hauptanknüpfung (Art. 7, 9, 10 I, II Nr. 1, III Nr. 1, 13 I, 14 I Nr. 1, 15 I, 17 I a.F., 19 I S. 2 und S. 3, II, 20, 22 I, 23 S. 1, 24 I S. 1, 25 I EGBGB), wird aber seit der IPR-Reform von 1986 zugunsten der Aufenthaltsanknüpfung (dazu sogleich) zurückgedrängt. Sie gilt im deutschen IPR, wo personenrechtliche Verhältnisse natürlicher Personen betroffen sind (Familien-, Kindschafts- und Erbrecht). Wenn das IPR an die Staatsangehörigkeit anknüpft, ist sie nach dem Recht des Staates zu ermitteln, dessen Staatsangehörigkeit in Rede steht (in Deutschland nach dem StAG). Die Staatsangehörigkeit ist ein rechtlicher Umstand. Sie vermittelt zwischen einer Person und einem Staat ein Rechte- und Pflichtenverhältnis kraft hoheitlicher Anordnung. Der Gesetzgeber geht bei ihr von einer identitätsstiftenden Wirkung aus; eine Person verspüre regelmäßig die engste Integration zu der Rechtsordnung des Staates, dem sie angehört. Über Vor- und Nachteile der Staatsangehörigkeitsanknüpfung wird viel diskutiert. Ein Vorteil gegenüber bloßen Aufenthaltsanknüpfungen ist ihre eindeutige und manipulationssichere Bestimmung. Gegen ihre

Lektion 5: Die Tatbestandsseite im IPR Geltung wird vorgebracht, sie erlaube keine flexible Anknüpfung und berücksichtige nicht die tatsächliche Verbundenheit des Trägers der Staatsangehörigkeit zu diesem Recht. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit fühlten sich Menschen oft dort integriert, wo sie leben und ihren Daseinsmittelpunkt haben. Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit versagt dort, wo eine Person mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt oder gar staatenlos ist. Für solche Fälle finden sich in Art. 5 I S. 1, II EGBGB entsprechende Anknüpfungen.

Aufenthalt



Fall 6

Der italienische Jurastudent X mit Wohnsitz in Bologna kommt für ein Auslandsstudium (zwei Semester) an die Universität Leipzig. Wo hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt? Besonders im völker- und europarechtlichen Kollisionsrecht erfolgt die Anknüpfung in der Regel nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern dem Aufenthalt. Auch im IZVR wird diese Art der Anknüpfung gebraucht. Eine Legaldefinition gibt es weder im nationalen noch internationalen IPR. Als Vorbild für die Aufenthaltsanknüpfung fungiert das im anglo-amerikanischen Rechtskreis dominierende „domicile“, wenn auch Unterschiede bestehen. Im Vergleich zur Staatsangehörigkeit stellt der Aufenthalt nicht auf rechtliche Aspekte ab, sondern folgt einer wertend-tatsächlichen Betrachtung. Der Aufenthalt darf auch nicht mit dem Wohnsitz verwechselt werden. Wohnsitz ist wie auch die Staatsangehörigkeit ein rechtlich geprägter Begriff. Im deutschen IPR spielt die Wohnsitzanknüpfung keine Rolle.

Gewöhnlicher Aufenthalt Zu unterscheiden ist der gewöhnliche vom schlichten Aufenthalt. Nach überwiegender Ansicht liegt der gewöhnliche Aufenthalt dort, wo die Person ihren Lebensmittelpunkt hat. Schwierig zu beantworten ist die Frage, wie verfestigt und von welcher Dauer er zu sein hat. In der Regel ergibt eine Kombination aus tatsächlicher Aufenthaltsdauer (objektives, in die Zukunft gerichtetes Element) und Aufenthaltswillen (subjektives Element) den gewöhnlichen Aufenthalt. Wenn der Aufenthaltswille vor-

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Allgemeiner Teil des IPR liegt, kann auch schon eine kurze Dauer ausreichen, um einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Umgekehrt kann ab einer gewissen Dauer (etwa sechs Monate) auch gegen den Willen des Betroffenen (Stichwort: Kindesentführung) ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt entstehen. Im Fall 6 hat X seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach wie vor in Bologna/Italien. Daran ändert auch sein Studienaufenthalt in Leipzig nichts. Zwar ist dieser von gewisser Dauer (ca. ein Jahr). X fehlt aber der Wille, diesen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens zu machen (Rückkehrabsicht). Er beabsichtigt von vornherein, nur eine begrenzte, wenn auch nicht unerhebliche Zeit, im Ausland zu verbringen und anschließend nach Bologna zurückzukehren.



Fall 7

Nachdem X aus Fall 6 die Hälfte des Auslandsjahres hinter sich gebracht hat, ist er der Rechtswissenschaft überdrüssig. Stattdessen beginnt er in einer Leipziger Pizzeria die Ausbildung zum Koch. Dort lernt er K, eine Kollegin, kennen und verliebt sich in sie. Sie suchen sich in Leipzig eine gemeinsame Wohnung. In Fall 7 hat X durch den Abbruch seines Studiums, den Beginn der Kochlehre und die Aufnahme der Beziehung mit K einen neuen Lebensmittelpunkt begründet. Seine soziale Integration findet nun in Leipzig statt. Bologna kann nicht mehr als gewöhnlicher Aufenthalt angesehen werden.

Schlichter Aufenthalt Der schlichte Aufenthalt zeichnet sich allein durch die tatsächliche körperliche Anwesenheit aus. Auch eine (kurze) Urlaubsreise oder bloße Durchreise (umstr.) begründen den schlichten (tatsächlichen) Aufenthalt. Hierin liegt auch die Schwäche begründet, weshalb er kaum als Anknüpfungsmoment vorkommt (Ausnahme: Art. 5 II EGBGB a.E. – „Aufenthalt“).

Sonstige Anknüpfungen Nicht nur Personen, sondern auch Handlungen und Sachen können Gegenstand der Anknüpfung ein. Dann kommt es für die Bestimmung des anwendbaren Rechts auf den Ort an, an dem die Handlung vorge-

Lektion 5: Die Tatbestandsseite im IPR nommen wurde, ein Ereignis eingetreten ist oder sich eine Sache befindet. Gebräuchlich sind diese Formen im Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse (Art. 38 II, 39 I, 40 I S. 1 EGBGB) und dem Sachenrecht (Art. 43 I EGBGB). Schließlich werden auch Formfragen (Art. 11 I EGBGB) ortsbezogen angeknüpft.

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Leitsatz 11 Anknüpfungsmomente Staatsangehörigkeit

rechtliches Statusverhältnis

Aufenthalt   Gewöhnlicher Aufenthalt

(Lebensmittelpunkt)

  Schlichter Aufenthalt

(tatsächliche Anwesenheit)

Sonstige

(u.a. Ort der Handlung, Belegenheit einer Sache)

Qualifikation



Fall 8

M und F sind marokkanische Staatsangehörige. Sie haben vor drei Jahren in Rabat geheiratet. M hat sich vor der Eheschließung zur Zahlung einer Morgengabe (mahr) verpflichtet. Nun leben sie in Deutschland, dessen Staatsangehörigkeit M angenommen hat. Jetzt verlangt F anlässlich der muslimischen einseitigen Auflösung der Ehe durch M (talaq = Verstoß) von ihm die Zahlung der Morgengabe. Welche Kollisionsnorm entscheidet über das anwendbare Recht? Der Anknüpfungsgegenstand beschreibt den sachlichen Anwendungsbereich einer Kollisionsnorm. Er bezieht sich meistens auf einen Teilbereich des materiellen Rechts. Bevor eine Kollisionsrechtsprüfung erfolgen kann, muss der zu beurteilende Lebenssachverhalt einer Kollisionsnorm zugeordnet werden. Diesen Vorgang nennt man Qualifikation (dies auch gleich als Leitsatz).

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Leitsatz 12 Qualifikation Die Zuordnung eines Lebenssachverhalts zu einer Kollisionsnorm heißt Qualifikation.

In vielen Fällen bereitet die Zuordnung des Lebenssachverhalts keine Probleme. So ist es offensichtlich, den Streit zweier Vertragsparteien um Rechte aus einem Kaufvertrag dem internationalen Schuldvertragsrecht zuzuordnen. Ebenso würde man nicht daran zweifeln, die Frage der Eigentümerstellung an einer Sache dem internationalen Sachenrecht zuzuordnen. Fall 8 betrifft jedoch ein typisches Problem aus dem Bereich der Qualifikation. Wie gehen wir im deutschen IPR mit unbekannten Rechtsinstituten um? Durch die Vielzahl von Rechtsordnungen und der dort unterschiedlichen rechtlichen Systembegriffe kann es zu Zuordnungsproblemen kommen. Vielfach enthalten fremde Rechtsordnungen dem deutschen Recht unbekannte Rechtsinstitute. Diese zu lösen, ist Aufgabe der Qualifikation. Sie qualifiziert, also bewertet, den materiellen Kern des Lebenssachverhalts, um ihn der passenden Kollisionsnorm zuweisen zu können. Dies ist auch notwendig, weil auch der ungewöhnlichste Sachverhalt nicht ungeregelt bleiben darf. Nach überwiegender Ansicht erfolgt die Qualifikation autonom, will heißen, die in deutschen Kollisionsnormen enthaltenen Systembegriffe sind nach Maßgabe des deutschen Sachrechts auszulegen. Eine andere Ansicht schlägt eine rechtsvergleichende Betrachtung vor. Eine weitere Meinung kombiniert beide Theorien zu einer funktionellen Lösung. Betrachten wir uns wieder die Morgengabe aus Fall 8. Nach islamischem Recht ist die Morgengabe eine aus Anlass der Ehe vorgenommene vermögenswerte Zuwendung des Mannes an die Frau. Oft wird sie auch erst im Falle der Scheidung fällig. Sie ist dem deutschen Recht fremd. Daher muss man fragen, ob sie mit bestehenden Rechtsinstituten des deutschen Rechts zumindest Ähnlichkeiten aufweist und diesen gleichgestellt werden kann. Man könnte sie als Ehewirksamkeitsvoraussetzung, als allgemein-eherechtliche, güterrechtliche, unterhaltsrechtliche oder auch als Folge der Scheidung ansehen (qualifizieren). Insofern kämen Art. 13 – 15 EGBGB sowie Art. 17 f. EGBGB (die Rom III-VO ist zeitlich

Lektion 5: Die Tatbestandsseite im IPR nicht anwendbar, vgl. Art. 18 I Rom III-VO) zur Bestimmung des Statuts in Betracht. Wegen der Vielzahl der der Morgengabe innewohnenden Funktionen sollte geprüft werden, auf welchem Aspekt im Einzelfall der Schwerpunkt liegt. Erhebt die Ehefrau den Anspruch auf die Morgengabe als Wirksamkeitsvoraussetzung der Eheschließung, würde Art. 13 EGBGB gelten, während des Bestehens der Ehe kann die Morgengabe entweder nach Art. 14 EGBGB oder Art. 15 EGBGB angeknüpft werden. Steht sie – wie in Fall 8 – als Folge der Scheidung in Rede, würde Art. 17 EGBGB a.F. gelten.

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Leitsatz 13 Tatbestand der Kollisionsnorm Tatbestand Sachverhalt

Qualifikation

Anknüpfungsgegenstand Anknüpfungsmoment

Vorfragen

Fall 9

M und F, beide griechische Staatsangehörige, heiraten in Deutschland in ihrer griechischen Gemeinde. Die Ehe wird nach griechisch-orthodoxem Brauch vor dem Geistlichen P geschlossen. Nach drei Jahren begehrt F die Scheidung vor einem deutschen Gericht. Wie wird es entscheiden? Wenn im IPR sog. Vorfragen auftreten, sind damit präjudizielle Rechtsverhältnisse im Rahmen von Kollisionsnormen gemeint. Präjudiziell ist ein Rechtsverhältnis, wenn seine Klärung zur Beantwortung eines anderen Rechtsverhältnisses vorab notwendig ist. Einer Vorfrage steht immer eine Hauptfrage gegenüber. Für die Hauptfrage ist die Vorfrage Voraussetzung. Vorfragen werden nach überwiegender Meinung unabhängig von der Hauptfrage selbstständig nach dem deutschen IPR angeknüpft. Die Vorfrage wird im Ergebnis wie eine Hauptfrage beantwortet.

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Leitsatz 14 Vorfragen Vorfragen im IPR sind nicht einfache Vorfragen, nein, sie sind präju­ dizielle Rechtsverhältnisse zur Hauptfrage. Sie werden selbständig im IPR angeknüpft.

Fall 9 behandelt die (Haupt)-frage, ob die Ehe von M und F geschieden werden kann. Das anwendbare Recht bestimmt sich in Ermangelung einer Rechtswahl nach Art. 8 lit. a Rom III-VO. Hier wird das Recht des Aufenthaltsortes berufen, mithin deutsches materielles Scheidungsrecht, weil die Verweisungen nach der Rom III-VO Sachnormverweisungen sind (Art. 11 Rom III-VO). Als Vorfrage stellt sich, ob überhaupt eine wirksame Ehe zwischen M und F besteht. Denn nur eine wirksam eingegangene Ehe kann geschieden werden. Das Bestehen einer Ehe ist Vorfrage zur Ehescheidung. Ohne Beantwortung der kollisionsrechtlichen Vorfrage kann die kollisionsrechtliche Hauptfrage nicht geklärt werden. Weil die Rom III-VO nicht für Vorfragen der wirksamen Eheschließung (Art. 1 II lit. b Rom III-VO) gilt, muss man zunächst die Eheschließung selbständig nach Art. 13 I EGBGB anknüpfen und gelangt zum griechischen Recht. Allerdings enthält Art. 13 III EGBGB als Exklusivnorm (Lektion 4) eine Einschränkung: Die Form der Eheschließung bei Heirat im Inland wird gesondert angeknüpft. Eine Ehe kann im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden (vor dem Standesbeamten). Das ist hier nicht erfolgt. Auch ist Art. 13 III S. 2 EGBGB nicht einschlägig, weil P keine „ordnungsgemäß ermächtigte Person“ ist. Mag P als Priester nach griechischem Recht allgemein befugt sein, religiöse Ehen zu schließen, so müsste er auch im Voraus durch die Regierung Griechenlands dazu ermächtigt worden sein („Verbalnote“). Das ist nicht erfolgt. Eine Scheidung kommt aufgrund des Formmangels (Art. 13 III S. 1 EGBGB) der Eheschließung Fall 9 nicht in Betracht. Ganz so einfach ist es mit dem schlichten Begriff „Vorfrage“ aber nicht. Die Bezeichnung Vorfrage kann als Oberbegriff aller präjudiziellen Rechtsverhältnisse aufgefasst werden. Nach a.A. sollen nur präjudizielle Rechtsverhältnisse in Sachnormen als „echte“ Vorfragen gelten, während solche, die bereits im Tatbestand von Kollisionsnormen auftreten, Erstfragen heißen. Hingegen sollen sog. Teilfragen Teilbereiche einer Anknüpfung im Rahmen umfangreicher Rechtsverhältnisse betreffen.

Lektion 5: Die Tatbestandsseite im IPR Hinweis: Weil die Meinungen darüber auseinander gehen, inwieweit diesen drei Begriffen (Vorfrage, Erstfrage, Teilfrage) nebeneinander eigenständige Bedeutung beizumessen ist, können Sie auch im Gesamtzusammenhang schlicht von Vorfragen sprechen.

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Lektion 6: Die Rechtsfolgenseite im IPR Umfang der Verweisung

Fall 10

In einer Klausur erhält Jurastudent S folgende zwei Kollisionsnormen gestellt: Art. 4 I Rom II-VO: „Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“ Art. 7 I S. 1 EGBGB: „Die Rechtsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit einer Person unterliegen dem Recht des Staates, dem die Person angehört.“ Die Frage zu dieser Aufgabe lautet: Worin liegt der normtheoretische Unterschied der beiden Vorschriften? Wie soll S die Frage beantworten? Auf den ersten Blick lassen sich in Fall 10 keine Unterschiede in den Kollisionsnormen erkennen. Natürlich sind die Normen unterschiedlich beziffert und entstammen verschiedenen Rechtsmaterien. Art. 4 Rom II-VO gehört zum internationalen Deliktsrecht, Art. 7 EGBGB zum internationalen Namensrecht. Auch mit Blick auf den Aufbau ähneln sie sich. Der Unterschied muss mit Blick auf die Art der Verweisungstechnik gesucht werden. Als Rechtsfolge verweisen selbständige Kollisionsnormen auf ein Recht. Wenn die Kollisionsnorm auf ausländisches Recht verweist, ist fraglich, welchen Umfang die Verweisung hat. Man unterscheidet zwischen Gesamtverweisung und Sachnormverweisung. Wenn eine Gesamtverweisung vorliegt, verweist die Kollisionsnorm auf das Kollisionsrecht und das materielle Sachrecht der ausländischen Rechtsordnung, bei der Sachnormverweisung nur auf letzteres. So meint „Recht des Staates“ in Art. 4 Rom II-VO nationales materielles Deliktsrecht (Bsp.: §§ 823 ff. BGB), während Art. 7 EGBGB auch auf ein IPR zum internationalen Namensrecht verweist. Wenn aber dem Wortlaut der Kollisionsnorm nicht unmittelbar zu entnehmen ist, welche Verweisung ihr zugrunde liegt, woraus ergibt sich

Lektion 6: Die Rechtsfolgenseite im IPR dann dieser Umstand? Die Antwort ist in seltenen Fällen der Einzelkollisionsnorm (Bsp.: Art. 11 I EGBGB „Formvorschriften“) zu entnehmen oder – das ist die Regel – im Gesamtkontext des Gesetzes zu suchen, in das die jeweilige Norm eingebettet ist. Die entsprechenden Kollisionsgesetze (EGBGB, Rom-VOen) ordnen selbst an, in welchem Umfang ihre Normen eine Verweisung aussprechen. Für die genannten Normen in Fall 10 geben Art. 4 I S. 1 Hs. 1 EGBGB und Art. 24 Rom II-VO Auskunft. Art. 7 EGBGB enthält eine Gesamtverweisung – das folgt aus Art. 4 I S. 1 Hs. 1 EGBGB; wird auf das Recht eines anderen Staates verwiesen, so ist grundsätzlich auch dessen IPR anzuwenden. Hingegen ist Art. 4 Rom II-VO gemäß Art. 24 Rom II-VO eine Sachnormverweisung, weil mit dem nach dieser VO anzuwendenden Recht eines Staates die in diesem Staat geltenden   unter Ausschluss derjenigen des IPR zu verstehen sind. In Fall 10 kommt es im Ergebnis darauf an, die beiden unterschiedlichen Verweisungsarten zu erkennen und kurz zu beschreiben. Das deutsche IPR ist im Sinne der Berücksichtigung des internationalen Entscheidungseinklangs vom Grundsatz der Gesamtverweisung geprägt. Nur ausnahmsweise existieren dort Sachnormverweisungen (Art. 3a I EGBGB), etwa dann, wenn eine Gesamtverweisung dem Sinn der Verweisung widerspräche (Art. 4 I S. 1 Hs. 2 EGBGB) oder im Falle einer Rechtswahl zwischen den Parteien (Art. 4 II EGBGB). Im europäischen Kollisionsrecht ist es genau umgekehrt. Dort dominieren Sachnormverweisungen (Art. 20 Rom I-VO; Art. 24 Rom II-VO; Art. 11 Rom III-VO).

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Leitsatz 15 Gesamtverweisung – Sachnormverweisung Gesamt- und Sachnormverweisungen betreffen eine wichtige Wei­ chenstellung im Gefüge der Kollisionsrechtsprüfung und haben für die Rück- und Weiterverweisung Bedeutung. Welche Art der Verweisung eine Vorschrift ausspricht, wird jeweils durch das Gesetz bestimmt.

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Allgemeiner Teil des IPR

Rück- und Weiterverweisung Bis hierin wurde geklärt, was Gesamt- und Sachnormverweisungen sind. Was aber ist der Grund und die Folge dieser unterschiedlichen Verweisungen? Sofern die verwiesene Rechtsordnung die Verweisung annimmt, bricht die Verweisungskette ab und das kollisionsrechtliche Endergebnis ist gefunden. Es kann aber auch sein, dass das berufene Recht zurückoder weiterverweist. Rückverweisungen oder Weiterverweisungen kommen ausschließlich dann in Betracht, wenn IPR eine Gesamtverweisung ausspricht. Unter Sachnormverweisungen sind Rück- und Weiterverweisungen nicht denkbar, weil Sachrecht in der Sache selbst entscheidet. Die Rückverweisung (frz. renvoi – Verweisung) beschreibt die Situation, in der infolge Anwendung des fremden IPR dieses auf das erste, verweisende IPR zurückverweist. Zu einer solchen Rückverweisung kommt es dann, wenn ausländisches IPR einer vom deutschen IPR abweichenden Anknüpfung folgt. Als Folge landet die Kollisionsrechtsprüfung wieder dort, wo sie begonnen hat. Wenn ein ausländisches Recht auf das deutsche Recht zurückverweist, wäre das aus deutscher Sicht eigentlich eine Gesamtverweisung. Der deutsche Rechtsanwender würde erneut sein autonomes IPR prüfen und eine Verweisung auf das zuvor zurückverweisende Recht aussprechen. Es käme zu einem unendlichen „hin und her“. Für diese Fälle des Rückverweises auf deutsches Recht ordnet Art. 4 I S. 2 EGBGB eine Sachnormverweisung an, mit der die Verweisungskette ebenfalls abbricht. Bei der Weiterverweisung kommt es zu einer „Verweisungskette“, weil das IPR der verwiesenen Rechtsordnung die erste Verweisung nicht annimmt, sondern seinerseits auf eine weitere Rechtsordnung (entweder als Gesamt- oder Sachnormverweisung) verweist. So kann es auch zu mehrfachen Weiterverweisungen kommen. In einigen Fällen kann auch zu einer gespaltenen Rück- und Weiterverweisung kommen. Es stellt eine Ausnahme von der grundsätzlich einheitlichen Anknüpfung von Lebenssachverhalten dar. Vor allem im Anwendungsbereich des Erbrechts sind solche Fälle möglich, wenn bewegliches und unbewegliches Vermögen unterschiedlichen Anknüpfungsregeln unterliegt. Konsequenz einer gespaltenen Verweisung ist eine gespaltene Rechtsanwendung.

Lektion 6: Die Rechtsfolgenseite im IPR

Übersicht 6: Rückverweisung und Weiterverweisung Rückverweisung Gesamtverweis Rückverweis

Abbruch der Verweisung Art. 4 I S. 2 EGBGB Weiterverweisung Deutsches IPR

Gesamtverweis

IPR X

Gesamtverweis

IPR Y



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Allgemeiner Teil des IPR

Lektion 7: Anwendung und Korrektur des gefundenen Rechts Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts

Fall 11

Der couragierte Richter R steht kurz vor einer Erschöpfungsdepression. Nun muss er sich auch noch mit einem ausländischen Rechtsstreit befassen. Die Prüfung des eigenen IPR hat er selbst erledigen können, an der Gesamtverweisung ist er dann allerdings gescheitert und hat zur Ermittlung ausländischen Kollisionsrechts ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Nun steht er vor der Anwendung des ausländischen Sachrechts. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten weist den R darauf hin, dass die ausländische Rechtsfrage in Wissenschaft und Praxis des betreffenden Landes bisher hoch umstritten war und kürzlich durch das oberste Gericht höchstrichterlich geklärt wurde. R geht das alles zu weit. Zur Auswertung der ausländischen Rechtsprechung sei er nun nicht auch noch verpflichtet? Stimmt das? Lektion 6 behandelte die Rechtsfolgenseite der IPR-Prüfung. Diese stellt aus kollisionsrechtlicher Sicht die Rechtsanwendung dar. Mit Rechtsanwendung ist in diesem Zusammenhang nur die Entscheidung über die Anwendbarkeit eines Rechts gemeint. Eine Prüfung in der Sache selbst unter Anwendung des materiellen Rechts erfolgt noch nicht. Die Ermittlung und Prüfung des Sachrechts findet erst auf zweiter Stufe statt, wenn der Rechtsanwender weiß, welche Rechtsordnung gilt. Für die Frage, ob deutsches oder ausländisches Sachrecht anwendbar ist, muss der Richter das eigene IPR befragen, und wenn es sich um eine Gesamtverweisung handelt, auch das ausländische IPR. Sowohl die Ermittlung als auch Anwendung ausländischen Kollisions- und Sachrechts obliegen ihm (siehe Lektion 2). Für sie gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Auf welche Weise er sich Kenntnis vom fremden Recht verschafft, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Soweit hat R in Fall 11 keinen Fehler begangen. Das deutsche IPR konnte er selbst anwenden, die Ermittlung des ausländischen IPR hat er einem Sachverständigen überlassen. Er kann sich gemäß § 293 S. 1 ZPO aller unserer Strengbeweismittel (Sachverständige, Augenschein, Partei, Urkunden und Zeugen – merke

Lektion 7: Anwendung und Korrektur des gefundenen Rechts „SAPUZ“) bedienen. Sollte dies zu keinem Ergebnis führen, muss das Gericht sich aller sonst ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen bedienen (Freibeweis), § 293 S. 2 ZPO. Die Anwendung des ausländischen Rechts in der Sache selbst erfolgt wie die Anwendung deutschen Rechts. Der Richter muss die gefundenen Normen definieren, auslegen und subsumieren. Auch insoweit hat R keinen Fehler begangen. Die Anwendung ausländischen Rechts verlangt indes noch mehr: Der Richter ist nicht nur zur Anwendung der geschriebenen Gesetze verpflichtet, sondern hat auch ungeschriebene Rechtsgrundsätze, Rechtsprechung und sonstige Besonderheiten der fremden Rechtsordnung zu beachten. In Fall 11 hätte R sich auch mit der umstrittenen Rechtslage und der neuen Rechtsprechung auseinandersetzen müssen. Hinweis: Verletzt das Gericht seine Pflicht zur Ermittlung ausländischen Rechts nach § 293 ZPO, kann dieser Verstoß mit der Revision geltend gemacht werden. Hingegen ist die fehlerhafte Anwendung des ermittelten ausländischen Rechts nicht revisibel (§ 545 I ZPO).

Nichtermittelbarkeit ausländischen Rechts

Fall 12

Wie Fall 11. Es ist nun zu unterstellen, dass das fremde Recht nicht zu ermitteln ist. Welche Möglichkeiten hat R in einer solchen Situation? Wie Fall 12 zeigt, kann es auch bei allen Bemühungen um Erkenntnis Fälle geben, in denen die Ermittlung und als Folge die Anwendung eines Rechts nicht möglich ist. Der Richter darf dann nicht einfach den Streitentscheid unter Hinweis auf die Unkenntnis hinsichtlich der bestehenden Rechtslage verweigern. Der BGH will für solche Fälle die lex fori (deutsches materielles Recht) als Ersatzrecht angewendet wissen. Ebenso wäre es möglich, ein eng verwandtes Recht heranzuziehen; unsicher ist dann, welches Recht eng oder am engsten verwandt ist. Drittens könnte man die Lösung auf kollisionsrechtlicher Ebene suchen, indem bei Kollisionsnormen mit gestuften Anknüpfungsvarianten bzw. Anknüpfungsleitern (Art. 14 I EGBGB) eine eigentlich nicht einschlägige subsidiäre Anknüpfung (Art. 14 I Nr. 2 statt Nr. 1 EGBGB) herangezogen wird, um so in ein anwendbares Recht zu gelangen.

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Allgemeiner Teil des IPR

Ordre public Das Nebeneinander vieler Rechtsordnungen führt zum Nebeneinander vieler Vorstellungen darüber, was Recht und Gerechtigkeit bedeuten. Am Ende der kollisionsrechtlichen Prüfung steht die Anwendung des Sachrechts. Wenn das ausländische IPR die Verweisung annimmt und sein Sachrecht zur Anwendung beruft, wird die Rechtsfolge diesem Recht entnommen. Der Gesetzgeber eines jeden Staates definiert für sich selbst und teilweise in Abweichung zu anderen Rechtsordnungen, welchen fundamentalen Prinzipien seine Rechtsordnung folgt. IPR gibt es nur, weil Staaten von der Existenz und Beachtlichkeit fremder Rechtsordnungen ausgehen. Unterschiede zum eigenen Recht werden also ausdrücklich akzeptiert. Dann aber, wenn die Rechts- und Gerechtigkeitsinteressen einer fremden Rechtsordnung über das hinausgehen, was nach dem eigenen Rechtsverständnis vertretbar erscheint, greift der ordre public als Korrektiv ein. Der ordre public (frz. für öffentliche Ordnung) ist ein tragendes Rechtsprinzip des IPR. Im deutschen IPR ist er in Art. 6 EGBGB geregelt.

Übersicht 7: Voraussetzungen eines ordre public-Verstoßes Korrektur der Rechtsanwendung wenn 4. offensichtliche Unvereinbarkeit mit der deutschen Rechtsordnung und 5. Inlandsbezug des Sachverhalts und 6. untragbares Ergebnis der Rechtsanwendung dann Ersatzrecht lex fori

eng verwandtes Recht

Lektion 7: Anwendung und Korrektur des gefundenen Rechts



Fall 13

M und F sind afghanische Staatsangehörige und haben 1994 in Pakistan die Ehe geschlossen. Seit 2008 leben sie getrennt. M, der mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat, erklärt nun von Deutschland aus den Verstoß (talaq) seiner vor drei Jahren nach Pakistan zurückgekehrten Frau. Weil die Privatscheidung nicht anerkannt wurde, beantragte M vor einem deutschen Gericht die Scheidung. Nach mehreren erfolglosen Zustellungsversuchen des Scheidungsantrags wurde eine öffentliche Zustellung durchgeführt. Das Gericht sprach sodann die Scheidung infolge von M erklärten talaq aus. Was ist davon zu halten? Die Scheidung richtet sich gemäß Art. 8 lit. c Rom III-VO nach afghanischem Recht. Talaq meint die im islamischen Recht existierende Form der Privatscheidung durch einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann (Art. 135 ff. afghan. ZGB). Der Verstoß erfolgt durch einseitige Erklärung in mündlicher oder schriftlicher Form. Weder die Anhörung noch die Zustimmung der Ehefrau sind Wirksamkeitsvoraussetzung. Fraglich ist, ob die Rechte der F in Fall 13 durch talaq derart verletzt wurden, dass ein Verstoß gegen den deutschen ordre public vorliegt. Aus deutscher Sicht wird im islamischen talaq überwiegend ein Verstoß gegen den ordre public gesehen. Hierzu wird als Begründung Art. 3 II GG (Gleichberechtigung von Mann und Frau) vorgebracht. Über Art. 6 S. 2 EGBGB sind die Grundrechte maßgebliche Wegweiser des ordre public. Weil talaq als Recht zur Auflösung der Ehe einseitig dem Mann zustehe, stelle er eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Mann und Frau dar. Des weiteren wird argumentiert, talaq verstoße gegen Art. 103 I GG (Anspruch auf rechtliches Gehör), weil die Ehefrau ohne vorherige Anhörung nicht ihre Rechte wahren könne, sondern zu einem Objekt des Verfahrens herabgestuft werde. Diese Argumentation ist hingegen zu allgemein. Die vorgebrachten Argumente können zutreffen, müssen aber nicht. Entscheidend bei der Anwendung des ordre public ist, ob ein ausländisches Rechtsinstitut bezogen auf den konkreten Einzelfall zu untragbaren Ergebnissen führt. Allein die abstrakte offensichtliche Unvereinbarkeit mit der deutschen Rechtsordnung genügt nicht. Überträgt man diese Grundsätze auf Fall 13, so war die Auflösung der Ehe durch talaq wirksam. Denn auch unter Anwendung deutschen Scheidungsrechts käme man zu dem Ergebnis, dass die Scheidung aus-

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Allgemeiner Teil des IPR gesprochen werden müsste (§ 1566 II BGB). Über die Verstoßung wurde im Rahmen eines staatlichen Gerichtsverfahrens entschieden, alle Förmlichkeiten (Zustellung) wurden beachtet und ein Urteil erlassen. Wenn ein Ergebnis deutschem Recht entspricht, kann es nicht gleichzeitig gegen dessen eigene Grundsätze verstoßen. Art. 3 II, 103 I GG sind in Fall 13 also nicht verletzt.

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Leitsatz 16 ordre public 1. Der ordre public dient der endgültigen Kontrolle des Ergebnisses der Rechtsanwendung und ist nicht nur im Kollisionsrecht zu finden, sondern spielt auch im IZVR eine bedeutende Rolle, Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO, Art. 22 lit. a Brüssel IIa-VO (Lektion 17) und §  328 I Nr.  4 ZPO. Man spricht folgerichtig von einem kolli­ sionsrechtlichen und anerkennungsrechtlichen ordre public. Auf beiden Ebenen kann es zu Verstößen gegen den ordre public kommen. 2. Als Folge der ordre public-Widrigkeit wird die ausländische Rechtsvorschrift nicht angewendet. Um den Sachverhalt nicht ungeregelt zu lassen, muss eine Ersatzlösung gefunden werden. Entweder wendet man das ausländische Sachrecht nach ordre public-konformer Auslegung an oder greift auf die lex fori als Ersatzrecht zurück.

Lektion 8: Recht der natürlichen Personen

III.

Besonderer Teil des IPR

Lektion 8: Recht der natürlichen Personen Das IPR der natürlichen Personen trifft Regelungen zu Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit und Name. Sie finden diese Bereiche in Art. 7 – 10 EGBGB. Es handelt sich überwiegend um gesondert anzuknüpfende Vorfragen (Lektion 5), weil sie sich im Zusammenhang mit Rechtsverhältnissen (meist Verträge) stellen.

Personalstatut

Fall 14

Der 17-jährige S verbringt mit seinen Eltern den Urlaub auf Djerba/ Tunesien. S möchte seiner Freundin ein Souvenir mitbringen und kauft kurzerhand am Urlaubsort bei einem tunesischen Juwelier eine Kette für umgerechnet 500 €. Eine Anzahlung leistet er sofort, der restliche Kaufpreis wird per Rechnung fällig. Als kurz nach Ende des Urlaubs die Rechnung im heimischen Briefkasten landet, erfahren die Eltern das erste Mal vom Kauf und sind strikt dagegen. Ist der Kaufvertrag wirksam? In Fall 14 geht es um die Frage, ob S sich wirksam durch Willenserklärung rechtsgeschäftlich verpflichten konnte. Ein gültiger Kaufvertrag setzt einen wirksamen Vertragsschluss voraus. Dies wiederum erfordert die Geschäftsfähigkeit der Vertragsparteien. Der Kaufvertrag wurde nicht in Deutschland, sondern Tunesien geschlossen. Aufgrund der Verbindung zu einem ausländischen Staat muss das IPR berufen werden. Regelungen zur Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit im deutschen IPR finden sich in Art. 7 I EGBGB. Die Rechts- und Geschäftsfähigkeit einer Person bestimmt sich nach dem Recht des Staates, dem diese Person angehört (Heimatrecht). Im IPR nennt man dieses Recht Personalstatut. S gehört der Bundesrepublik Deutschland an. Nach deutschem Recht beurteilt sich seine Rechts- und Geschäftsfähigkeit. S hat mit seiner Geburt die Rechtsfähigkeit erlangt (§ 1 BGB). Er ist mit 17 Jahren nach § 106 BGB erst beschränkt geschäftsfähig. Der Kaufvertrag ist zunächst schwebend unwirksam. Die Wirksamkeit des Vertragsschlusses hängt von der Zustimmung der Eltern ab (§§ 107 f. BGB). Da beides nicht vor-

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Besonderer Teil des IPR liegt und auch § 110 BGB nicht einschlägig ist, ist der Vertragsschluss in Fall 14 endgültig unwirksam. Fall 14 zeigt deutlich, wie es in der Hauptsache um die Wirksamkeit des Kaufvertrages geht, zu der die Geschäftsfähigkeit eine vom Vertragsstatut gesondert anzuknüpfende Vorfrage ist.



Fall 15

Der nun 17-jährige Kirgise K ist nach der Scheidung seiner Eltern vor zwei Jahren nach Deutschland gezogen und hat die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt. Nach dem Recht von Kirgisistan tritt die Volljährigkeit bereits mit der Vollendung des 16. Lebensjahres ein. Angenommen, K beabsichtigt in Deutschland den Kauf eines Motorrollers. Dürfte er einen solchen Vertrag auch gegen den Willen seiner Eltern schließen? K aus Fall 15 ist deutscher Staatsangehöriger. Deutsches Recht als Personalstatut entscheidet über die Geschäftsfähigkeit (Art. 7 I S. 1 EGBGB). Nach seinem Heimatrecht war K bereits mit 16 Jahren volljährig und konnte wirksam Verträge schließen. Nach deutschem Recht ist er mit 16 Jahren in der Geschäftsfähigkeit beschränkt (§ 106 BGB). Nicht lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte kann er nur mit Zustimmung (§§ 107 f. BGB) seiner gesetzlichen Vertreter oder in den Grenzen von § 110 BGB schließen. Zur Erlangung der vollen Geschäftsfähigkeit müsste er noch ein Jahr bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres warten. Aufgrund der rechtlichen Nachteiligkeit könnte er gegen den Willen der Eltern nicht wirksam den Kaufvertrag über die Eigentumswohnung schließen. K hilft hier Art. 7 II EGBGB weiter: Eine einmal erlangte Rechts- und Geschäftsfähigkeit geht mit einem Wechsel der Staatsangehörigkeit auch dann nicht verloren, wenn das Recht der neuen Staatsangehörigkeit hierfür strengere Voraussetzungen aufstellt. Das deutsche Recht stellt im Vergleich zum Recht von Kirgisistan strengere Voraussetzungen auf (Vollendung des 18. Lebensjahres statt des 16.). Art. 7 II EGBGB schützt den K vor dem Verlust seiner einmal erlangten Geschäftsfähigkeit. Vor Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit war er bereits nach kirgisischem Recht volljährig. Diese Volljährigkeit nimmt K in Fall 15 in das deutsche Personalstatut mit.

Lektion 8: Recht der natürlichen Personen



Fall 16

Die 17-jährige Französin F heiratet einen volljährigen Deutschen. Spielt es für ihre Geschäftsfähigkeit eine Rolle, ob sie die französische Staatsangehörigkeit behält oder die deutsche annimmt? Nach Art. 413-1 code civil (französisches Zivilgesetzbuch) wird F durch die Heirat voll geschäftsfähig. Trotz ihrer 17 Lebensjahre kann sie sich rechtsgeschäftlich ohne Einschränkungen verpflichten. Sollte sie sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden, fällt sie nicht in die beschränkte Geschäftsfähigkeit zurück, sondern nimmt ihre einmal erworbene Geschäftsfähigkeit in das deutsche Recht mit. In Fall 16 spielt es also keine Rolle.

Leitsatz 17

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Art. 7 II EGBGB Wer einmal nach dem Recht eines Staates rechts- und geschäftsfähig war, bleibt es auch nach einem Wechsel der Staatsangehörigkeit. Als Schlagwort können Sie sich merken: Art. 7 II EGBGB dient dem „Schutz wohlerworbener Rechte“. Obwohl als einseitige Kollisionsnorm formuliert, ist seine Anwendbarkeit auch über das deutsche Personalstatut hinaus anerkannt.

Name

Fall 17

I, indischer Staatsbürger, ist Angehöriger der Volksgruppe der SikhReligion. Er führt als Eigennamen Rajinder und zusätzlich den von allen männlichen Sikhs getragenen religiösen Namenszusatz „Singh“ (Löwe). I erwirbt nun die deutsche Staatsangehörigkeit. Hat der Wechsel der Staatsangehörigkeit Auswirkungen auf I’s Namen? Art. 10 EGBGB betrifft das internationale Namensrecht natürlicher Personen. Der Name beurteilt sich gemäß Art. 10 I EGBGB nach dem Heimatrecht der Person, nach Art. 10 II, III EGBGB sind für bestimmte Fälle auch Rechtswahlmöglichkeiten vorgesehen. Im deutschen IPR folgt der Gesetzgeber der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit. Das Namensstatut ist also wandelbar. I war zunächst indischer Staatsbürger. Nachdem er die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hat, ist deutsches Recht sein

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Besonderer Teil des IPR Namensstatut. „Singh“ ist dem deutschen Namensrecht nicht bekannt. Als bloßer Namenszusatz besitzt er keine individuelle Kennzeichnungswirkung und ist folglich kein Name im engeren Sinn. Die rechtliche Behandlung von Namen und Namenszusätzen, die nach ausländischem Recht wirksam erworben wurden, bereitet Schwierigkeiten. Grundsätzlich gilt im internationalen Namensrecht die Kontinuität des Namenswortlauts – ein einmal begründetes Recht darf dem Inhaber nicht entzogen werden. Das neue Statut kann aber eine Anpassung an die geänderte rechtliche Situation verlangen. Dies erfolgt nach Art. 47 EGBGB. Art. 47 EGBGB steht in enger Verbindung mit Art. 10 EGBGB. Er bewirkt eine Angleichung ausländischer Personennamen an deutsches Recht, sofern deutsches Recht Namensstatut wird. Art 47 I Nr. 1 – 5 EGBGB hält für die unterschiedlichen Konstellationen Regelungen bereit. In Fall 17 kann I den Namenszusatz „Singh“ als Familiennamen wählen. Durch den Statutenwechsel wird der bloße Namenszusatz zu einem echten Namen. I kann aber auch die Transposition in einen Vornamen wählen oder ganz auf die Führung des Zusatzes verzichten, sofern überhaupt ein Name als Familienname geführt wird.

Lektion 9: Gesellschaftsrecht

Lektion 9: Gesellschaftsrecht Das internationale Gesellschaftsrecht regelt die rechtlichen Beziehungen von Kapital- und Personengesellschaften. Kapitalgesellschaften sind nach deutschem Recht juristische Personen (Aktiengesellschaft, rechtsfähiger Verein), während sonstige rechtsfähige Gesellschaften zwar rechtsfähig, aber keine juristischen Personen sind (BGB-Gesellschaft, OHG, KG).

Rechtsquellen In Art. 3 – 46c EGBGB lassen sich keine Vorschriften zum internationalen Gesellschaftsrecht finden. Die Rom-VOen klammern ebenfalls gesellschaftsrechtliche Belange aus ihrem Anwendungsbereich aus (Art. 1 II lit. f Rom I-VO; Art. 1 II lit. d Rom II-VO). Die Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea) und Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) hat ebenfalls keine umfassende Vereinheitlichung bewirkt. Das internationale Gesellschaftsrecht gründet sich überwiegend auf die Rechtsprechungsgrundsätze des BGH und EuGH, die beide durch wichtige Leitentscheidungen prägenden Einfluss auf das Rechtsgebiet ausgeübt haben. Im internationalen Gesellschaftsrecht gibt es auch Staatsverträge. So gibt es den Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 29.10.1954 zwischen Deutschland und den USA. Gemäß dessen Art. 25 V S. 2 gelten Gesellschaften, die nach den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils – ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt.

Ermittlung des Gesellschaftsstatuts Vergegenwärtigen Sie sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen natürlichen und juristischen Personen. Was den natürlichen Personen das Personalstatut, ist den Gesellschaften das Gesellschaftsstatut. Das Gesellschaftsstatut entscheidet, nach welchem Recht sich die innere Organisation der Gesellschaft und ihr Auftreten im Rechtsverkehr bestimmen.

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Besonderer Teil des IPR

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Leitsatz 18 Gesellschaftsstatut Das Gesellschaftsstatut beschreibt das Recht, nach dem die Gesellschaft „entsteht, lebt und vergeht“ (BGHZ 25, 134, 144).

Fall 18

Im Handelsregister von Istanbul ist eine Aktiengesellschaft türkischen Rechts (Anonim Şirket) eingetragen. Verwaltung und Geschäftsführung der Gesellschaft liegen in der Türkei, während Produktionsanlagen und Zweigstellen in Deutschland bestehen. Welches Recht ist Gesellschaftsstatut? Aufgrund des Fehlens von Kollisionsnormen ist umstritten, welche Anknüpfungsmomente zur Ermittlung des Gesellschaftsstatuts zur Anwendung gelangen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass eine Gesellschaft im Gegensatz zu einer natürlichen Person ein rein fiktives Gebilde ist, deren fehlende Verkörperung eine Anknüpfung schwierig erscheinen lässt. Aufgrund der Bedeutung und Verbreitung von Gesellschaften als juristische Personen im Rechts- und Wirtschaftsleben darf diese Frage nicht unbeantwortet bleiben. Als Anknüpfungsmomente werden das Recht des Sitzlandes („Sitztheorie“) und das Recht des Gründungslandes („Gründungstheorie“) der Gesellschaft vertreten. Die Gründungstheorie stellt allein und maßgeblich auf das Recht des Staates ab, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Ob die Gesellschaft dorthin immer noch Verbindungen hat, ist nicht von Bedeutung. Die Gründungstheorie erlaubt einerseits die Gründung in einem Land, während andererseits die geschäftliche Tätigkeit ganz oder teilweise in einem anderen Land ausgeübt wird. Die Gesellschaft nimmt ihr einmal erworbenes Personalstatut bei Sitzverlegung mit auf Reisen. Solche Konstruktionen bergen das Risiko von „Scheingesellschaften“ und „Briefkastenfirmen“. Die Gründungstheorie trägt maßgeblich den Interessen der Gesellschafter Rechnung. Das von den Gesellschaftern einmal zur Gründung ausgewählte Recht bleibt als Gesellschaftsstatut fortan immer vorhanden. Die Gründungstheorie ist im anglo-amerikanischen Rechtskreis verbreitet, findet aber auch in den Niederlanden und der Schweiz Anwendung.

Lektion 9: Gesellschaftsrecht Die Sitztheorie verfolgt einen gänzlich anderen Ansatz. Sie will das Recht des Staates zur Anwendung berufen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Mit Sitz ist der Ort der Hauptverwaltung gemeint. Die Hauptverwaltung einer Gesellschaft ist dort angesiedelt, von wo aus sie nicht nur eine untergeordnete oder scheinbare Verwaltung betreibt, sondern wo der tatsächliche Schwerpunkt der Geschäftsführung liegt. Unterscheidet sich der in der Satzung genannte Sitz vom tatsächlichen, geht der tatsächliche aus Gründen der Rechtsklarheit und des Missbrauchsschutzes vor. Der Sitztheorie folgen viele kontinental-europäische Länder, unter anderem Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich. In Fall 18 wirkt sich der Meinungsstreit nicht aus. Türkisches Recht ist nach beiden Theorien Gesellschaftsstatut. Nach der Sitztheorie, weil die Hauptverwaltung in Istanbul liegt und nach der Gründungstheorie, weil die Gesellschaft in der Türkei nach türkischem Recht gegründet wurde.

Übersicht 8: Sitztheorie – Gründungstheorie Problem des Anknüpfungsmoments Sitztheorie

Gründungstheorie

Anknüpfung

Recht des Sitzlandes

Recht des Gründungslandes

Vorteile

Schutz der Interessen des Rechtsverkehrs und der Gläubiger

Berücksichtigung der Interessen der Gesellschafter; Beständigkeit, Rechtssicherheit

Nachteile

Behinderung der EUFreizügigkeit, Inländerdiskriminierung

Missbrauchsgefahren durch Scheingesellschaften, Erschwerung des Gesellschaftsverkehrs

Sitzverlegung

infolge Statutenwechsels nicht ohne weiteres möglich

Unwandelbarkeit des Statuts, problemlos möglich

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Besonderer Teil des IPR

Anerkennung ausländischer Gesellschaften

Fall 19

S ist eine in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft. Der Verwaltungssitz befindet sich in Deutschland. Sie vermietet in Deutschland Grundstücke. Aus einem mit M geschlossenen Mietvertrag verlangt sie rückständige Mietzahlungen, die sie vor einem deutschen Gericht einklagt. M beantragt Klageabweisung wegen Unzulässigkeit und führt zur Begründung aus, dass S weder rechts- noch parteifähig sei. Wie wird das Gericht entscheiden? Die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften ist für ihr Auftreten im Rechtsverkehr von großer Bedeutung. Beide Bereiche sind dem Gesellschaftsstatut zuzuordnen. Die Frage nach der Anerkennung einer ausländischen Gesellschaft stellt sich immer dann, wenn sie grenzüberschreitend am Rechtsverkehr teilnimmt, indem sie im Ausland rechtsgeschäftliche Verpflichtungen eingeht oder gar ihren Sitz dorthin verlegt (zu letzterem siehe den nachfolgenden Fall 20). Die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften aus Nichtmitgliedstaaten der EU beurteilen deutsche Gerichte nach der Sitztheorie (zur Behandlung von Gesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten siehe Fall 21). Maßgeblich ist das Recht des Sitzstaates. Die Rechtsfähigkeit der in der Schweiz gegründeten S richtet sich nach dem Recht des Ortes, an dem sie ihren Verwaltungssitz hat. Eine in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft ist nur dann in Deutschland rechtsfähig, wenn sie im deutschen Handelsregister eingetragen ist. Dies setzt eine Neugründung der Gesellschaft in Deutschland voraus. Daran fehlt es vorliegend. S ist als Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Verwaltungssitz im Inland nicht als Aktiengesellschaft rechtsfähig. Nach der Rechtsprechung ist sie als Folge einer Anpassung als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts zu behandeln, entweder als OHG oder als BGB-Gesellschaft. Beide Gesellschaftsformen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit keiner Eintragung ins Handelsregister. Dieses Ergebnis ist auch interessengerecht. Wenn S in Deutschland am Geschäftsverkehr teilnimmt und ihr die Stellung als Aktiengesellschaft versagt wird, sollten ihr zumindest die erfüllten Voraussetzungen einer schwächeren Gesellschaftsform zuerkannt werden. Das Gericht in Fall 19 wird die Klage als zulässig ansehen, weil S rechts- und parteifähig ist.

Lektion 9: Gesellschaftsrecht

Sitzverlegung

Fall 20

Die nach deutschem Recht gegründete G-GmbH hat bisher ihre gesellschaftliche Tätigkeit ausschließlich auf Deutschland ausgerichtet. Nun beabsichtigt sie die Verlegung ihres Gesellschaftssitzes nach Israel. Würde das deutsche Recht einen Wegzug der G-GmbH unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit als GmbH gestatten? In Fall 20 geht es um die rechtlichen Folgen einer Sitzverlegung der Gesellschaft. Deutschland folgt der Sitztheorie. Der ursprüngliche Sitz der G-GmbH liegt in Deutschland. Gesellschaftsstatut ist deutsches Recht. Aus Sicht der Sitztheorie ist das Gesellschaftsstatut wandelbar (Statutenwechsel). Durch die Sitzverlegung nach Israel würde sich das Gesellschaftsstatut vom deutschen Recht hin zu israelischem Recht ändern. Eine Sitzverlegung unter Beibehaltung der Rechtspersönlichkeit wäre nur dann möglich, wenn sowohl das alte Statut (deutsches Recht) als auch das neue Statut (israelisches Recht) eine Sitzverlegung gestatten (= kumulative Statutenprüfung). Im Falle eines Sitzwechsels ins Ausland hätte dies für die G-GmbH die Auflösung und Abwicklung zur Folge gehabt. Nach der Reform des Gesellschaftsrechts durch das MoMiG (§§ 4a GmbHG n.F. und § 5 AktG n.F.) wird aus deutscher Sicht die Sitzverlegung gestattet. In §§ 4a GmbHG a.F. und § 5 AktG a.F. war das Erfordernis des Zusammenfallens von Satzungs- und Verwaltungssitz festgeschrieben. Mit deren Neufassung wird nun auch für deutsche Gesellschaften eine Wegzugsfreiheit ins Ausland angenommen. Nach dieser Sichtweise hat die Sitzverlegung der G-GmbH keine Änderung der Rechtspersönlichkeit zur Folge. Unabhängig davon muss zusätzlich das Recht des neuen Sitzes eine Sitzverlegung gestatten. Dies ist dann jeweils nach dem Gesellschaftsrecht des neuen Statuts zu prüfen.

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Leitsatz 19 MoMiG Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) wurde im Jahre 2008 das GmbH-Recht reformiert. Neben vielen anderen gesellschaftsrechtlichen Neuerungen wurde auch die Verwaltungssitzverlegung deutscher Gesellschaften geregelt.

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Besonderer Teil des IPR

Einfluss der EU-Grundfreiheiten

Fall 21

U, Unternehmer aus Großbritannien, beabsichtigt die Gründung einer Limited Company (Kapitalgesellschaft nach britischem Gesellschaftsrecht). Sein Geschäftsmodell sieht vor, die eigentliche geschäftliche Tätigkeit nicht im Vereinigten Königreich, sondern in Deutschland zu betreiben. Die Gründung nach englischem Recht soll vielmehr aus Kostengründen und zur Haftungserleichterung erfolgen. Er will wissen, ob der Gründung der Gesellschaft in Großbritannien mit anschließender Verlegung des Sitzes nach Deutschland kollisionsrechtliche Grundsätze entgegenstehen könnten. Fall 21 ähnelt auf den ersten Blick Fall 19, weist aber dennoch einen gravierenden Unterschied auf. In Fall 19 wurde die Gesellschaft nach schweizerischem Recht gegründet, hier nach englischem Recht. Großbritannien ist im Gegensatz zur Schweiz Mitglied der EU. Der uneingeschränkten Anwendung der aus deutscher Sicht maßgeblichen Sitztheorie könnte Unionsrecht entgegenstehen. Eine der europäischen Grundfreiheiten ist die Niederlassungsfreiheit nach den Art. 49, 54 AEUV. U’s Gesellschaft könnte sich hier auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Über einen Zeitraum von vielen Jahren hat der EuGH in seinen Entscheidungen (siehe Übersicht 9) das europäische Gesellschaftsrecht geprägt. Aus der Niederlassungsfreiheit hat er schließlich gefolgert, dass die Sitztheorie eine Behinderung der genannten Grundfreiheit darstelle. Um das Auftreten der Gesellschaften im europäischen Wirtschaftsraum nicht zu behindern, ist der EuGH der Gründungstheorie gefolgt. Eine in einem EU-Mitgliedstaat wirksam gegründete Gesellschaft müsse in jedem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden. Auch für Deutschland, sonst der Sitztheorie folgend, ist diese Rechtsprechung verbindlich. Im Verhältnis zu Nichtmitgliedstaaten (wie in Fall 19) darf aus deutscher Sicht weiterhin der Sitztheorie gefolgt werden, weil zu „Drittstaaten“ die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH nicht gelten. Als Ergebnis zu Fall 21 können Sie U raten, dass die britische Limited Company in Deutschland wegen Art. 49, 54 AEUV anerkannt wird. Hinweis: Eigentlich sollte man U raten, von der Gründung einer Limited Company abzusehen. Seit dem MoMiG hält das deutsche Recht in § 5a GmbHG mit der Unternehmergesellschaft (UG) ein ähnliches Gesellschaftsmodell (geringes Stammkapital) bereit.

Lektion 9: Gesellschaftsrecht

Übersicht 9: EuGH-Rechtsprechung zum internationalen Gesellschaftsrecht Die aufgeführten Entscheidungen gehören zum kleinen Einmaleins des internationalen Gesellschaftsrechts. Sie sollten sich deren Namen, die zeitliche Reihenfolge und die tragenden Aussagen einprägen. Name der Entscheidung/ Aktenzeichen

Hauptaussage

„Daily Mail“ (27.9.1988) Rs. 81/87

Eine Gesellschaft hat jenseits der Rechtsordnung, nach der sie gegründet wurde, keine Realität.

„Centros“ (9.3.1999) Rs. C-212/97

Nur dringende Gründe des Allgemeinwohls erlauben die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit

„Überseering“ (5.11.2002) Rs. C-208/00

Die Niederlassungsfreiheit gebietet die Anerkennung einer Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten

„Inspire Art“ (30.9.2003) Rs. C-167/01

Das Recht des Gründungsstaates gilt nicht nur für die Partei- und Rechtsfähigkeit, sondern für sämtliche, dem Gesellschaftsrecht unterstehende Belange

„Cartesio“ (16.12.2008) Rs. C-210/06

Der Niederlassungsfreiheit steht es nicht entgegen, wenn ein Mitgliedstaat es einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft verwehrt, ihren Sitz unter Beibehaltung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft zu verlegen (= zulässige Inländerdiskriminierung).

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Besonderer Teil des IPR

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht Grundlagen Das internationale Schuldvertragsrecht bildet im IPR einen Schwerpunkt der in der Rechtspraxis vorkommenden Fälle. Eine Orientierungshilfe bietet Ihnen das besondere Schuldrecht des deutschen BGB: Alle dort geregelten Schuldverhältnisse (Kaufverträge, Mietverträge, usw.) sind Gegenstand des internationalen Schuldvertragsrecht, darüber hinaus auch die nicht kodifizierten atypischen Schuldverträge (Leasing, Factoring).



Fall 22

K, Student der Rechtswissenschaft, beschäftigt sich das erste Mal mit IPR. Er hat etwas vom EVÜ, EGBGB und der Rom I-VO gelesen und ist sich nun nicht sicher, welche Rechtsnormen für das internationale Schuldvertragsrecht maßgeblich sind. Alle Gesetze scheinen ihre Bedeutung zu haben. Was können Sie K raten? K aus Fall 22 hat recht. Sämtliche von K angesprochenen Gesetze haben bzw. hatten ihre Bedeutung für die vertraglichen Schuldverhältnisse im IPR. Das IPR der internationalen Schuldverträge ist seit dem 17.12.2009 in der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17.6.2008, kurz Rom I-VO, geregelt. Erinnern Sie sich? Die Rom I-VO dürfte Ihnen nach der Lektüre von Lektion 3 nicht mehr gänzlich unbekannt sein. Sie hat das „Römische EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ vom 19.6.1980, kurz EVÜ, abgelöst, Art. 24 I Rom I-VO. Das EVÜ war ein völkerrechtliches Übereinkommen und bisher im deutschen Recht in die Art. 27 – 37 EGBGB a.F. eingegliedert (inkorporiert). Mit der Ablösung des EVÜ sind auch die Art. 27 – 37 EGBGB a.F. weggefallen. Die Rom I-VO bildet als maßgebliche Rechtsgrundlage das Herzstück des schuldvertraglichen Kollisionsrechts. Sie hat jedoch nicht das Kollisionsrecht zum internationalen Schuldvertragsrecht von Grund auf neu entwickelt. Es fand lediglich eine inhaltliche Weiterentwicklung des EVÜ statt. So haben bestimmte Bereiche nun eine ausführlichere gesetzliche Ausgestaltung erfahren. Auf die zum EVÜ ergangene Rechtsprechung

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht und Literatur kann und muss folglich zur Auslegung der Rom I-VO auch weiterhin zurückgegriffen werden.

Exkurs: UN-Kaufrecht

Fall 23

K wundert sich nun erneut. Er hat gehört, dass neben den Kollisionsregeln zum Schuldvertragsrecht auch immer wieder die Rede von vereinheitlichtem internationalen Kaufrecht ist. Was lässt sich ihm nun raten? Auch in Fall 23 liegt K richtig. Wie beschrieben, vereinheitlicht die Rom I-VO innerhalb der EU nur das Kollisionsrecht. Für den Bereich der Schuldverträge gibt es aber auch vereinheitlichtes Sachrecht. Sachrecht (zum Begriff siehe Lektion 2) unterscheidet sich von Kollisionsrecht, indem es eine eigene Entscheidung in der Sache ausspricht. Insbesondere im Handelskaufrecht gibt es das von der UNCITRAL (engl. United Nations Commission on International Trade Law) geschaffene Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11.4.1980. (kurz UN-Kaufrecht). Es stellt Einheitsrecht für internationale Warenverkäufe zwischen Kaufleuten dar und gilt mittlerweile in über 70 Vertragsstaaten. Hinweis: Das UN-Kaufrecht wird teilweise unterschiedlich benannt und abgekürzt. Alle Begriffe meinen aber dasselbe. Die engl. Bezeichnung lautet „United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods“, kurz CISG. Im deutschsprachigen Raum sind neben UNKaufrecht ebenso CISG, Wiener Kaufrecht oder Wiener UN-Kaufrecht gebräuchlich.

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Leitsatz 20 Internationale Sachrechtsvereinheitlichung Die Regelungen des CISG bilden nur eine Form der Sachrechtsvereinheitlichung. Weitere Bsp. sind die Übereinkommen der UNIDROIT (engl. International Institute for the Unification of Private Law = internationale Organisation zur Privatrechtsvereinheitlichung) zum Factoring und Finanzierungsleasing. Außerhalb dieser vorrangig anwendbaren Sonderrechte untersteht der weit überwiegende Teil der Sachverhalte den Vorschriften der Rom I-VO.

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Besonderer Teil des IPR

Übersicht 10: Anwendungsvoraussetzungen des UN-Kaufrechts 1. Kaufvertrag über Waren Art. 1 I 2. Kein Anwendungsausschluss (persönlicher/häuslicher Gebrauch, Versteigerung, Zwangsvollstreckung u.a.) Art. 2 3. Niederlassung der Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten oder Art. 1 I lit. a 4. IPR führt zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates Art. 1 I lit. b 5. Übereinkommen zur Zeit des Vertragsschlusses in den Vertragsstaaten in Kraft Art. 100 6. Kein Ausschluss des Übereinkommens durch die Vertragsparteien Art. 6 7. Rechtsfrage betrifft sachlichen Geltungsbereich des Übereinkommens Art. 4 a. Abschluss des Vertrages

b. Rechte und Pflichten aus

––Pflichten des Verkäufers Art. 30 – 44

––Rechtsbehelfe des Käufers Art. 45 – 52

––Pflichten des Käufers Art. 53 – 60

––Rechtsbehelfe des Verkäufers Art. 61 – 65

Anwendungsbereich der Rom I-VO

Fall 24

Die Privatleute A aus Deutschland und B aus Italien stehen in Vertragsverhandlungen über einen Grundstückskaufvertrag. Bei einem Besichtigungstermin auf dem Grundstück nahe Turin verletzt sich A an dort gelagerten Baumaterialien, die B als Grundstückseigentümer nicht ordnungsgemäß gesichert hatte. A verlangt von B Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen. Ist die Rom I-VO anwendbar?

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht



Fall 25

Wie Fall 24, A und B sind sich nun vertragseinig. B zweifelt an der Geschäftsfähigkeit des A zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Findet auf die Geschäftsfähigkeit die Rom I-VO Anwendung? Um die Rom I-VO überhaupt anwenden zu können, muss die VO auf den konkreten Sachverhalt anwendbar sein. Die Anwendbarkeit der Rom-VOen wird üblicherweise dreistufig geprüft: –– sachlich

(= thematisch)

–– räumlich (= territorial) –– zeitlich

(= historisch)

Der sachliche Anwendungsbereich umfasst alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen (Art. 1 Rom I-VO). Diese Begriffe sind weit auszulegen und meinen jede freiwillig eingegangene Verpflichtung. Art. 1 I S. 1 bis III Rom I-VO nennt Bereiche, die nicht in den Anwendungsbereich fallen. Bei diesen handelt es sich zum Teil schon nicht um Zivil- und Handelssachen (Steuer- und Zollsachen, verwaltungsrechtliche Angelegenheiten, Art. 1 S. 2 Rom I-VO) oder es sind schuldrechtliche Materien (familien- und güterrechtliche Verträge), die bewusst nicht der Rom I-VO unterstellt sind. Gemäß Art. 1 I lit. i Rom I-VO sind Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags als Bereichsausnahme vom Anwendungsbereich ausgeschlossen (siehe Lektion 11). Die Rom I-VO ist auf Fall 24 nicht anwendbar. Merken Sie sich: Neben den positiven Anwendungsvoraussetzungen muss immer auch geprüft werden, ob eventuell Ausschlusstatbestände der Anwendung entgegenstehen. Auf Fall 25 findet die Rom I-VO ebenfalls keine Anwendung. Art. 1 II lit. a Rom I-VO steht diesmal entgegen. Die Geschäftsfähigkeit ist eine Materie, die vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen ist und sich, von Art. 13 Rom I-VO abgesehen, allein nach Art. 7 EGBGB beurteilt (siehe Lektion 9).

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Besonderer Teil des IPR



Fall 26

Der in Deutschland wohnende Brasilianer A schließt in München mit dem US-Amerikaner B einen Kaufvertrag über einen Pkw und klagt in München auf Erfüllung. Ist die Rom I-VO hier anwendbar? Warum könnten hier Bedenken bestehen? Räumlich gilt die Rom I-VO in allen Mitgliedstaaten der EU unter Ausschluss von Dänemark (Art. 1 IV Rom I-VO). Die Zivil- und Handelssache muss eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen (internationaler Bezug des Sachverhalts). Im Fall 26 ist ein grenzüberschreitender Bezug vorhanden. Fraglich ist, ob die Rom I-VO als europäischer Rechtsakt nicht nur einen internationalen Bezug (Brasilien und USA), sondern einen speziell unionsrechtlichen erfordert. Die Antwort darauf ist Art. 1 I, 2 Rom I-VO zu entnehmen: Die Rom I-VO verlangt die Verbindung zum Recht mehrerer Staaten – diese müssen nicht zwingend Mitgliedstaaten der EU sein. Die Rom I-VO hat universelle Geltung („loi uniforme“ – frz. einheitliches Recht). Voraussetzung ist lediglich die Anhängigkeit des Rechtsstreits vor einem mitgliedstaatlichen Gericht. Dass dann möglicherweise wie im Fall  26 brasilianisches oder US-amerikanisches Recht durch die Rom I-VO berufen wird, schadet nicht. Art. 2 Rom I-VO lässt ausdrücklich die Berufung auch drittstaatlicher Rechte zu. Die Vertragsparteien müssen ebensowenig Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sein. In Fall 26 wird der internationale Bezug des Sachverhalts aufgrund der unterschiedlichen Nationalitäten der Parteien hergestellt. Die räumliche Anwendbarkeit der Rom I-VO ist eröffnet.



Fall 27

Ein Deutscher und ein Österreicher schließen am 16.12.2009 einen Getränkelieferungsvertrag über eine Vertragsdauer von zehn Jahren ab. Nun, nach einigen Jahren Laufzeit, fragen sich die Vertragsparteien, nach welchem Kollisionsrecht sich das auf den Vertrag anwendbare Recht bestimmt? Aus zeitlicher Sicht gilt die Rom I-VO für Schuldverträge, die ab dem 17.12.2009 geschlossen wurden (Art. 28, 29 S. 2 Rom I-VO). Für die zeitliche Beurteilung kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Fall 27 liegt insofern besonders, als hier der Vertrag noch unter Geltung der Art. 27 – 37 EGBGB a.F. geschlossen wurde und zusätzlich als Dauerschuldverhältnis auch in den zeitlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO fällt. Hier könnte an die Aufspaltung des Vertrags in einen

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht Alt- (nach EGBGB) und Neuteil (nach Rom I-VO) gedacht werden. Dies wäre aber nicht praktikabel. Für Dauerschuldverhältnisse gilt das Recht, welches im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Anwendung berufen ist. Bei Fall 27 wurde der Vertrag am 16.12.2009 geschlossen. Zu dieser Zeit galten noch die Art. 27 ff. EGBGB a.F. Nur nach ihnen bestimmt sich das anwendbare Recht. Fall 27 zeigt beispielhaft die Geltung von Übergangsrecht (intertemporales Recht) mit Blick auf sogenannte „Altfälle“. Im Rahmen der kollisionsrechtlichen Lösung eines Falles ist neben der Anwendung des aktuell geltenden Rechts manchmal ein Rückgriff auf „Altrecht“ erforderlich.

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Leitsatz 21 Anwendungsbereich Rom I-VO Im nationalen materiellen Recht wird wie selbstverständlich von der Anwendbarkeit eines Rechts ausgegangen, während auf Ebene des IPR ausdrücklich die Prüfung erfolgt, ob eine Rechtsordnung überhaupt auf den Sachverhalt anwendbar ist. Die Anwendung der Rom I-VO kann in vielerlei Hinsicht Probleme aufwerfen: Hier sind der Gegenstand des Sachverhalts, der Ort an dem er spielt und sein zeitlicher Ablauf zu nennen. Um all diese Faktoren berücksichtigen zu können, orientiert man sich bei der Fallprüfung als Vorfrage zur eigentlichen Kollisionsrechtsprüfung am Dreiklang der sachlichen, räumlichen und zeitlichen Anwendbarkeit.

Rechtswahl

Fall 28

Der Japaner J ist technischer Sachverständiger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Tokio. Für das deutsche Unternehmen U erstellt er hauptsächlich von Tokio aus Gutachten im Rahmen der Produktentwicklung. J und U vereinbaren die Geltung japanischen Rechts. Nach einiger Zeit stellt U die Rechtswahl in Frage, weil aus seiner Sicht deutsches Recht viel passender sei. Dazu führt er aus, dass J oft zu gemeinsamen Besprechungen in Deutschland gewesen sei, der vertragliche Erfolg der Gutachten erst in Deutschland eintrete und generell ein engerer Bezug zum deutschen Recht vorhanden sei. Zu recht?

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Besonderer Teil des IPR



Fall 29

Zunächst wie Fall 28. Der Vertrag wurde unter Verwendung eines in deutscher Sprache abgefassten Formulars geschlossen. Als Gerichtsstand wurde München vereinbart. Ebenfalls fand die geschäftliche Korrespondenz in deutscher Sprache statt. Nachdem es zu geschäftlichen Unstimmigkeiten gekommen ist, klagt J in München rückständiges Honorar ein und fragt sich, welches Recht überhaupt anwendbar ist, wenn keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen wurde? Das internationale Vertragsrecht misst der Parteiautonomie große Bedeutung zu. Der Grundsatz der freien Rechtswahl findet sich in Art. 3 Rom I-VO. Eine Rechtswahl hat für die Parteien den Vorteil, innerhalb des gesetzlich zulässigen Rahmens die Rechtsordnung wählen zu können, die sie für ihren Vertrag als besonders geeignet erachten. Die Anforderungen an eine wirksame Rechtswahl gibt Art. 3 I S. 2 Rom I-VO vor: Sie muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben. Im Fall 28 ist die Rechtswahl hinsichtlich des japanischen Rechts möglich und zulässig. Die Parteien haben sich ausdrücklich auf japanisches Recht geeinigt (Art. 3 I S. 2 Var. 1 Rom I-VO). Dass dies im Nachhinein U anders beurteilt, ist für die Rechtswahl unbeachtlich. Da die Rechtswahl frei ist, muss der Sachverhalt auch keine rechtlich oder sachlich enge Beziehung zum gewählten Recht aufweisen. U’s Einwände greifen nicht. U spielt hier aber möglicherweise auf Art. 3 III Rom I-VO an. Die Parteien können, wenn lediglich ein reiner Inlandssachverhalt vorliegt, nicht von materiell zwingenden Bestimmungen abweichen (gemeint sind nichtdispositive Vorschriften). Auf zwingendes Recht kann nicht – auch nicht freiwillig – verzichtet werden. Davon gehen auch eine Reihe von Vorschriften der Rom I-VO aus. Art. 3 III, IV, 5 II S. 3, 6 II S. 2, 7 III, 8 I S. 2 und 9 Rom I-VO statuieren Grenzen der Rechtswahl. Dies hätte allerdings nur eine Begrenzung des Umfangs der Rechtswahl zur Folge und würde nicht deren grundsätzliche Wirksamkeit betreffen. Im Fall 28 liegt aber kein reiner Inlandssachverhalt vor. Das erforderliche Auslandselement folgt aus dem Bezug zu Japan (gewöhnlicher Aufenthalt von J, Ausführung der Tätigkeit). Möglich erscheint es schließlich, im Verhalten des U ein Änderungsverlangen hinsichtlich der Rechtswahl hin zu deutschem Recht zu erblicken.

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht Nach Art. 3 II S. 1 Rom I-VO ist auch eine Abänderung der Rechtswahl bzw. nachträgliche Rechtswahl möglich. Dazu ist ein Konsens der Parteien erforderlich. Lässt sich J hierauf nicht ein, bleibt es bei der Wahl japanischen Rechts. Im Fall 29 besteht die Besonderheit, dass die Parteien mit der Durchführung des Vertrages begonnen haben, ohne sich vorher ausdrücklich auf ein Recht zu einigen. Fraglich ist, ob in solchen Konstellationen dennoch eine Rechtswahl angenommen werden kann. Art.  3 I S.  2 Rom I-VO erlaubt neben einer ausdrücklichen Vereinbarung auch eine stillschweigende Rechtswahl, sofern sich diese eindeutig den Vertragsbestimmungen entnehmen lässt oder sich aus den Umständen ergibt. Diese Merkmale sind anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände zu ermitteln. Bei Fall 29 sprechen die Gegebenheiten (Indizien) für eine stillschweigende Rechtswahl zugunsten deutschen Rechts: Der Vertrag ist in deutscher Sprache abgefasst, die Korrespondenz fand in deutscher Sprache statt und schließlich klagt J abredegemäß in München. Weitere Anhaltspunkte für eine stillschweigende Rechtswahl können die Wahl einer bestimmten Währung, die Kontenherkunft oder auch der Abschlussort darstellen, wobei nicht vorschnell aus den äußeren Umständen auf den subjektiven Willen der Parteien geschlossen werden darf. Bei Zweifeln sollte objektiv angeknüpft werden.

Form

Fall 30

Zunächst wie Fall 28. Nun kommt es zwischen den Parteien zum Streit, ob überhaupt eine gültige Rechtswahl vorliegt. U beharrt auf der Anwendung deutschen Rechts, J sieht japanisches Recht als wirksam gewählt. Welches Recht müsste das Gericht anwenden, um über die Wirksamkeit der Rechtswahl zu entscheiden? Bei der Rechtswahl gilt es eine Besonderheit zu beachten, die auf den ersten Blick nicht offensichtlich erscheint: Die Rechtswahl als solche ist ebenso wie der Hauptvertrag eine vertragliche Vereinbarung und muss einem bestimmten Recht unterliegen. Für das Zustandekommen der Rechtswahl gilt gemäß Art. 3 V, 10 I Rom I-VO grundsätzlich das für den Vertrag gewählte Recht (hypothetisches Vertragsstatut). Hypothetisch ist

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Besonderer Teil des IPR das Vertragsstatut deshalb, weil zu seiner wirksamen Begründung eine wirksame Rechtswahl vorliegen muss, deren Wirksamkeitsprüfung aber zu einer Zeit ansetzt, zu der noch nicht feststeht, ob der Hauptvertrag auch wirksam nach dem favorisierten Recht zustande gekommen ist. In Fall 30 gilt japanisches Recht auch für die Rechtswahlvereinbarung. Welchen Formvorschriften die Rechtswahl unterliegt (schriftlich, mündlich), ist nach Art. 3 V, 11 Rom I-VO losgelöst vom Hauptvertrag zu beurteilen.

Objektive Anknüpfung

Fall 31

A aus Deutschland möchte seinen Pkw verkaufen. Während einer Urlaubsreise durch Italien lernt er den Franzosen B kennen, der sogleich sein Interesse am Pkw bekundet. Beide werden sich noch am Urlaubsort einig. Welches Recht ist auf den Kaufvertrag anwendbar, wenn keine Rechtswahl getroffen wurde? Sofern keine Rechtswahl vorliegt, eine solche unwirksam ist und die Sondervorschriften der Art. 5 – 8 Rom I-VO (dazu sogleich) keine Anwendung finden, sind Schuldverträge nach der Grundnorm des Art. 4 Rom I-VO objektiv anzuknüpfen. Objektiv, weil die Anknüpfung äußeren Merkmalen folgt. Mit dieser Objektivität soll der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit Rechnung getragen werden. Art. 4 Rom I-VO besteht aus vier Absätzen, die der Reihe nach zu prüfen sind. Zunächst müssen Sie feststellen, ob eine der in Art. 4 I lit. a – h Rom I-VO beschriebenen Anknüpfungen einschlägig ist. Diese enthalten für eine Reihe von wichtigen Vertragstypen (Kaufverträge über bewegliche Sachen, Dienstleistungsverträge, Grundstückskaufverträge) eigene Anknüpfungsregeln. Zu beachten ist der Dienstleistungsbegriff in Art. 4 I lit. b Rom I-VO; er ist wesentlich weiter zu verstehen als im deutschen Recht. Gemeint sind hierbei alle Verträge, die eine Tätigkeit oder einen Erfolg als Leistungspflicht zum Gegenstand haben (Bsp.: Werkvertrag, Mäklervertrag). Subsidiär ist Art. 4 II Rom I-VO zu prüfen. Hier gilt es auch die Korrekturmöglichkeit aus Art. 4 III Rom I-VO zu beachten, die der Einzelfallgerechtigkeit dient und nur in seltenen Ausnahmefällen das anhand der

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht ersten beiden Absätze gefundene Ergebnis korrigieren kann. Schließlich ist an die Hilfsanknüpfung aus Art. 4 IV Rom I-VO zu denken. Bei Fall 31 gelangt mangels Rechtswahl Art. 4 Rom I-VO zur Anwendung. In Rede steht ein Kaufvertrag. Nach Art. 4 I lit. a Rom I-VO unterliegen Kaufverträge über bewegliche Sachen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Bei dem Pkw handelt es sich um eine bewegliche Sache. Deutsches Recht ist anwendbar, da A als Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.



Fall 32

Zunächst wie Fall 31. Diesmal will A seinen Pkw nicht verkaufen, sondern lediglich für ein paar Tage vermieten. Welches Recht wäre auf den Mietvertrag anwendbar? Sollte kein Fall des Art. 4 I Rom I-VO vorliegen (Bsp.: Schenkungs-, Darlehens- und Bürgschaftsverträge), muss anhand von Art. 4 II Rom I-VO weiter geprüft werden. Dann gelangt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Charakteristisch ist die Leistung, die bei gegenseitigen Verträgen dem Vertrag seine Eigenart verleiht und seine Unterscheidbarkeit von anderen Verträgen ermöglicht. Es ist immer die Sach- oder Dienstleistung, nicht die bloße Geldleistung, weil eine bloße Zahlung äußerlich neutral ist. Im Fall 32 muss mangels Erwähnung des Mietvertrages über bewegliche Sachen in Art. 4 I Rom I-VO auf Art. 4 II Rom I-VO zurückgegriffen werden. Hiernach kommt man zur Anwendung des deutschen Rechts. Die charakteristische Vertragsleistung bei der Miete ist die Vermietung und A als Vermieter hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.



Fall 33

A aus Deutschland und B aus Italien tauschen auf einem Flohmarkt in Rom ihre wertvollen Vasen. Welches Recht ist auf den Tausch anwendbar? Einige Vertragsarten lassen sich nicht unter Art. 4 I – II Rom I-VO fassen. Als Generalklausel fungiert dann Art. 4 IV Rom I-VO. Hier wird geprüft, zu welcher Rechtsordnung der Vertrag die engste Verbindung aufweist. Gemeint ist eine vom Einzelfall abhängige Beurteilung, die sämtliche mit dem Vertrag zusammenhängenden Aspekte berücksichtigt. Im Fall 33

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Besonderer Teil des IPR gelangt man nach Ablehnung von Art. 4 I – II Rom I-VO zu Art. 4 IV Rom I-VO und dort unter Würdigung aller Umstände zum italienischen Recht. B hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Italien, der Tauschvertrag wurde in Rom geschlossen und dort erfüllt. Die engste Verbindung besteht zum italienischen Recht.

Sonderanknüpfung – insbesondere Verbraucherverträge

Fall 34

Hausfrau A aus Deutschland bestellt beim Versandhandel S mit Sitz in Bern/Schweiz Gesundheitsschuhe. Auf S wurde A durch eine Postwurfsendung mit angelegter Bestellkarte aufmerksam, die S eigens für den deutschen Markt bereithält. A überlegt es sich schon kurz nach Vertragsschluss anders und will den Vertrag widerrufen. S meint, dass auf den Kaufvertrag schweizerisches Recht anwendbar sei und es dort kein dem deutschen Recht vergleichbares Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen gebe. Welches Recht ist anwendbar? Eine Rechtswahl bzw. objektive Anknüpfung bedeutet nur dann eine gerechte Interessenverteilung, wenn sich die Vertragspartner aus struktureller Sicht auf Augenhöhe begegnen. Sofern einer von ihnen gegenüber dem anderen schutzwürdiger ist (bspw. aus Geschäftsunerfahrenheit), muss das Gesetz besondere Regeln für die Anwendbarkeit eines Rechts aufstellen. Dies ist im internationalen Schuldvertragsrecht mit den Art. 5 – 8 Rom I-VO in Form von Sonderanknüpfungen geschehen. Eine eigene Behandlung erfahren diese Materien hinsichtlich der Rechtswahl und objektiven Anknüpfung. Die Rechtswahl ist innerhalb der Art. 5 II Unterabsatz 2, 6 II S. 2, 7 III, 8 I S. 2 Rom I-VO begrenzt und die objektive Anknüpfung folgt nicht dem allgemeinen Art. 4 Rom I-VO. In Fall 34 ist mangels Rechtswahl Art. 3 Rom I-VO nicht einschlägig. Würde man Art. 4 I lit. a Rom I-VO anwenden, käme man zum Recht der Schweiz. Schweizer Schuldvertragsrecht kennt in den Art. 40a ff. OR (Obligationenrecht) Widerrufsrechte nur für Haustürgeschäfte, hingegen nicht für – wie hier vorliegend – Fernabsatzverträge. A könnte nicht widerrufen. Art. 6 Rom I-VO geht aufgrund der Sonderanknüpfung Art. 4 Rom I-VO vor. Ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ist gegeben (Art. 6 I Rom I-VO): A schloss als Hausfrau den Vertrag zu nicht gewerblichen/beruflichen Zwecken mit S, der wie-

Lektion 10: Vertragliches Schuldrecht derum ein Versandgewerbe betreibt (Unternehmer). Die Anwendbarkeit deutschen Rechts als Aufenthaltsrecht von A erfordert zusätzlich gemäß Art. 6 I lit. a – b Rom I-VO einen besonderen Bezug zu Deutschland. Art. 6 I lit. a Rom I-VO ist einschlägig. S hat seine gewerbliche Tätigkeit nach Deutschland ausgeübt. „Ausüben“ meint die aktive Beteiligung am Wirtschaftsleben und ist hier in der Postwurfsendung mit Bestellkarte, die eigens für den deutschen Markt erstellt wurde, zu sehen. Zum Schutze der A ist deutsches Recht samt Verbraucherschutzrecht anwendbar.

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Leitsatz 22 Sonderanknüpfungen nach der Rom I-VO Sonderanknüpfungen sind für abschließende Rechtsbereiche geregelte Anknüpfungen und bestehen für: 1. Beförderungsverträge

(Art. 5)

2. Verbraucherverträge

(Art. 6)

3. Versicherungsverträge

(Art. 7)

4. Individualarbeitsverträge

(Art. 8)

Reichweite des Vertragsstatuts

Fall 35

Der deutsche A hat gegen den Italiener I eine Kaufpreisforderung aus einem früheren Kaufvertrag, der deutschem Recht untersteht. I wiederum hat aus einer aktuellen Geschäftsverbindung mit A ebenfalls einen Kaufpreisanspruch – dieser folgt italienischem Recht. A erklärt gegenüber I die Aufrechnung mit seiner Kaufpreisforderung gegenüber dessen Forderung. Welches Recht ist hinsichtlich der Aufrechnung anwendbar? Es wurde noch nicht die Frage beantwortet, für welche Bereiche des Schuldverhältnisses das gewählte Recht überhaupt gilt. Hier hilft Art. 12 Rom I-VO weiter. Nach Art. 12 I Rom I-VO ist das Vertragsstatut insbesondere maßgeblich für die in lit. a – e genannten Bereiche. Das berufene Recht entscheidet über sämtliche Stationen des Vertrag von dessen Aus-

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Besonderer Teil des IPR legung, über das Erlöschen bis hin zu Leistungsstörungen. Die in Fall 35 erklärte Aufrechnung fällt nicht unter Art. 12 lit. d Rom I-VO. Zwar führt eine Aufrechnung zum Erlöschen der Schuld. Ebenso wie die Abtretung (Art. 14 f. Rom I-VO) und der Gesamtschuldnerausgleich (Art. 16 Rom I-VO) folgt sie eigenen Anknüpfungsregeln (Art. 17 Rom I-VO). Art. 17 Var. 2 Rom I-VO ordnet sie dem Vertragsstatut der Hauptforderung zu („gegen die aufgerechnet wird“). Im Fall 35 gilt nicht deutsches, sondern italienisches Recht. Der Aufrechnungsgegner I ist wegen des Verlustes seiner Forderung infolge der Aufrechnung schutzwürdiger als der Aufrechnende A. Wegen dieser Schutzwürdigkeit gilt das Recht, dem die Forderung des Aufrechnungsgegners I zuzuordnen ist.

Übersicht 11: Prüfungsreihenfolge im internationalen Schuldvertragsrecht I. Vorrang des vereinheitlichten Sachrechts UN-Kaufrecht? Wenn (–), II. Subjektive Anknüpfung Art. 3 Rom I-VO? Wenn (–), III. Objektive Anknüpfung 1. Art. 5 – 8 Rom I-VO? Wenn (–), 2. Art. 4 I, II, III oder IV Rom I-VO? IV. Sonderanknüpfung 1. Besondere Anknüpfung nach Rom I-VO   (Form, Art. 10; Aufrechnung, Art. 17)? 2. Besondere Anknüpfung nach EGBGB   (Geschäftsfähigkeit, Art. 7 EGBGB)?

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht Rechtsquellen

Fall 36

Jurastudent S ist beim Erlernen des außervertraglichen Schuldrechts. Hier ist ihm etwas aufgefallen: Neben der Rom II-VO gibt es auch noch die Art. 38 – 42 EGBGB. Beide Normenbereiche befassen sich mit den außervertraglichen Schuldverhältnissen. Können Sie S hinsichtlich des Rangverhältnisses weiterhelfen? Das IPR der gesetzlichen bzw. außervertraglichen Schuldverhältnisse bildet seinem Inhalt nach das rechtliche Gegenstück zu den vertraglichen Schuldverhältnissen. Es umfasst das Recht der unerlaubten Handlung, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigten Bereicherung. Die Rom II-VO ist die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 11.7.2007 und ist seit 11.1.2009 in Kraft. Sie vereinheitlicht das IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse für die Mitgliedstaaten der EU und geht den nationalen Vorschriften vor (vgl. Art. 3 Nr. 1 lit. a EGBGB). Anders als im Vertragsrecht, wo die Rom I-VO an die Stelle der korrespondierenden nationalen IPR-Regeln getreten ist, ist das autonome IPR (Art. 38 – 42 EGBGB) nicht gänzlich aufgehoben, sondern gilt auch nach Inkrafttreten der Rom II-VO und nicht nur für Altfälle fort. In Fall 36 können Sie S weiterhelfen, indem Sie sich mit dem sachlichen Anwendungsbereich der jeweiligen Vorschriften näher befassen. Sie werden feststellen, dass die Rom II-VO einige Bereiche aus dem Anwendungsbereich der Rom II-VO herausnimmt (Bereichsausnahmen). Solche Bereichsausnahmen gibt es bspw. betreffend die Kernenergie, das Staatshaftungsrecht und den Schutz der Persönlichkeitsrechte, Art. 1 I S. 2, II lit. f, g Rom II-VO. Um solche Bereiche dennoch in den Schutzbereich des IPR einzubeziehen, muss das nationale IPR fortgelten, vor allem jenes der unerlaubten Handlung, weil sie nur dort mitumfasst sind. Aus diesem Grund wird bei der Darstellung der nachfolgenden Fälle auch dort, wo das EGBGB nicht Anwendung findet, die Lösung zusätzlich nach den Art. 38 ff. EGBGB beschrieben. Die Rom II-VO enthält Sachnormverweisungen (Art. 24 Rom II-VO), Art. 38 ff. EGBGB hingegen Gesamtverweisungen.

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Besonderer Teil des IPR Für spezielle Teilbereiche gibt es auch völkervertragliches Kollisionsrecht (Bsp.: Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971), das im Rahmen der Ausbildung kaum von Bedeutung ist.

Übersicht 12: Rechtsquellen des internationalen gesetzlichen Schuldrechts Ungerechtfertigte Bereicherung

Art. 38 EGBGB Art. 10 Rom II-VO

Geschäftsführung ohne Auftrag

Art. 39 EGBGB Art. 11 Rom II-VO

Recht der unerlaubten Handlung

Art. 40 EGBGB Art. 4 – 9 Rom II-VO

Verschulden bei Vertragsverhandlungen

– Art. 12 Rom II-VO

Ausweichklausel Art. 41 EGBGB Nachträgliche Rechtswahl Art. 42 EGBGB, Art. 14 Rom II-VO

Anwendungsbereich der Rom II-VO

Fall 37

Der Deutsche D, ein aus Film und Fernsehen bekannter Prominenter, wurde am Neujahrstag 2009 vom italienischen Paparazzo P im Badeurlaub auf den Malediven in einer „privaten Situation“ fotografiert. P will die äußerst delikaten Aufnahmen nun in einem Boulevardmagazin veröffentlichen. Unterstellt, P’s Verhalten erfüllt den Tatbestand einer unerlaubten Handlung, wäre die Rom II-VO hier auf mögliche Ansprüche des D anwendbar?

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht In Lektion 2 haben Sie erfahren, wie der Anwendungsbereich der Rom I-VO bestimmt wird. Dort ging es um vertragliche Schuldverhältnisse. Hier stellt sich nun die Frage nach der Anwendbarkeit der Rom II-VO. Die Prüfung weist große Ähnlichkeiten mit der Rom I-VO auf. Lediglich die Artikel unterscheiden sich. Blättern Sie bei Bedarf ein paar Seiten zurück und wiederholen die Ausführungen ab Fall 24. Die Anwendung der Rom II-VO folgt dem Schema der sachlichen, räumlich-persönlichen und zeitlichen Anwendbarkeit. Die räumlichen Anwendungsvoraussetzungen enthält Art. 3 Rom II-VO. Die Rom II-VO ist – wie die Rom I-VO – universell anwendbares Recht (loi uniforme), ohne einen sonstigen Gemeinschaftsbezug des Sachverhalt zu verlangen. Auch auf Nichtmitgliedstaaten findet sie Anwendung. Unschädlich ist bei Fall 37, dass sich der Vorfall auf den Malediven ereignete. Das meint Art. 3 Rom II-VO, indem auch ein Recht für maßgeblich erachtet wird, welches nicht das Recht eines EU-Mitgliedstaates ist. Sofern D nur den Rechtsstreit vor einem zuständigen mitgliedstaatlichen Gericht anhängig macht, greift die Rom II-VO ein. Der sachliche Anwendungsbereich ergibt sich aus Art. 1 I Rom II-VO, wonach ein außervertragliches Schuldverhältnis in Zivil- und Handelssachen gegeben sein muss. Vertragliche Beziehungen liegen zwischen D und P erkennbar nicht vor, womit auch die Rom I-VO nicht in Betracht kommt. Im Kern geht es D um das rechtliche Vorgehen gegen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird im deutschen Recht als unerlaubte Handlung (§§ 823 ff. BGB) qualifiziert. Ein Eingriff in dieses Recht stellt eine deliktische Handlung, also ein außervertragliches Schuldverhältnis dar. Auch Art. 2 I Rom II-VO stellt klar, dass eine unerlaubte Handlung ein außervertragliches Schuldverhältnis ist und also solches von der Rom II-VO erfasst wird. Neben Art. 1 II Rom II-VO sind die Bereichsausnahmen in Art. 1 II Rom II-VO zu beachten. Hier ist lit. g einschlägig. In sachlicher Hinsicht greift die Rom II-VO nicht. Auch aus zeitlicher Sicht muss die Anwendbarkeit der Rom II-VO verneint werden. Gemäß Art. 31 f. Rom II-VO gilt sie für alle schadensbegründenden Ereignisse, die ab dem 11.1.2009 eintreten. P hat D bereits am 1.1.2009 fotografiert. Das schädigende Ereignis liegt damit vor dem genannten Stichtag. Im Ergebnis zu Fall 37 ist die Rom II-VO nicht anwendbar.

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Unerlaubte Handlung Grundanknüpfung



Fall 38

Der Deutsche D befindet sich für zwei Wochen im Sommerurlaub auf Mallorca. In der Diskothek „Unterbayern“ trifft er zu später Stunde auf den stark angetrunkenen Polen P. Als P sich von D provoziert fühlt, schlägt dieser ihm unvermittelt seine Bierflasche auf den Hinterkopf. D wird verletzt und verlangt Schadensersatz sowie Schmerzensgeld. Nach welchem Recht richten sich die Ersatzansprüche? Das Verhalten des P erfüllt eine Körperverletzung und stellt eine unerlaubte Handlung dar. Art.  4 I Rom  II-VO knüpft bei unerlaubten Handlungen an das Recht des Staates an, in dem der Schaden eintritt. Grundanknüpfung ist der Erfolgsort. Der Erfolgsort liegt dort, wo der Handlungserfolg, also der Schaden, eingetreten ist. Dies ist in Fall 38 spanisches Recht, weil sich das schädigende Ereignis in Spanien zugetragen hat. Die Art. 40 ff. EGBGB sind hier aufgrund des Vorrangs der Rom II-VO nicht anwendbar. Das EGBGB folgt in Art. 40 I S. 1 EGBGB einer anderen Grundanknüpfung. Anders als die Rom II-VO wird dort an den Ort der Handlung (Handlungsort) angeknüpft. Zusätzlich stellt Art. 40 I S. 2 EGBGB das Recht des Erfolgsortes als Optionsmöglichkeit für den Geschädigten zur Verfügung. Das ist der Ort, an dem der Schädiger die für den Schaden ursächliche Handlung vornimmt. Unterschiedliche Ergebnisse infolge der Anknüpfung an den Handlungs- und Erfolgsort ergeben sich nur, wenn die Orte räumlich auseinanderfallen (siehe Fall 40). In Fall 38 sehen Sie noch ein weiteres: Weil hier die Verletzungshandlung und der Verletzungserfolg an ein und demselben Ort eintreten, spricht man in solchen Fällen von einem Platzdelikt. In Art. 40 III EGBGB finden Sie eine Vorbehaltsklausel als spezialgesetzliche Ausprägung des ordre public. Die Vorschrift geht in ihrem Anwendungsbereich dem allgemeinen Art. 6 EGBGB vor. Darunter fällt z.B. der im US-amerikanischen Recht existierende Strafschadensersatz (punitive damages), der ein Fall von Art. 40 III Nr. 2 EGBGB wäre. Im Rahmen der Rom II-VO wird mangels ausdrücklicher Vorbehaltsklausel über Art. 26

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht Rom II-VO auf Art. 6 EGBGB zurückgegriffen und das gleiche Ergebnis erreicht.

Ausweichklausel



Fall 39

Wie Fall 38. Nun haben beide Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Welches Recht ist anwendbar? Haben Geschädigter und Schädiger wie in Fall 39 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, bestimmt Art. 4 II Rom II-VO (ebenso Art.  40 II S.  1 EGBGB) das Recht dieses Staates auf die unerlaubte Handlung für anwendbar. Hier wäre ein Festhalten an der Erfolgsortanknüpfung für die Parteien sehr misslich, weil der Sachverhalt durch ihre gemeinsame Staatszugehörigkeit quasi zum „Inlandsfall“ verkommt. Warum also sollten sich zwei Deutsche vor einem deutschen Gericht nach spanischem Recht streiten? Auf den Erfolgsort darf dann nicht zurückgegriffen werden. Deutsches Recht ist deshalb in Fall 39 anwendbar. Zwischen Rom II-VO und EGBGB ergeben sich keine Unterschiede.

Distanzdelikte



Fall 40

Kurz hinter Passau betreibt U in Österreich eine am Inn gelegene Zellulosefabrik. Die Abwässer pumpt er aus Kostengründen kurzerhand in den Fluss. Von dort fließen sie über die deutsche Grenze nach Passau und fügen der anliegenden Fischzucht des B erheblichen Schaden zu. B verlangt Schadensersatz. Nach welchem Recht? Bei einer schädigenden Handlung kann man zwischen dem Ort der Schadenshandlung und dem Ort des Schadenserfolges unterscheiden. Diese Orte können zeitlich und räumlich zusammenfallen, müssen es aber nicht. In Fall 38 fielen die Orte zusammen (Platzdelikt). In Fall 40 haben wir die Besonderheit des Auseinanderfallens von Handlungs- und Erfolgsort: Die Handlung (Einleiten der Abwässer in den Inn) erfolgt in Österreich, der Erfolg (Schädigung der Zucht) tritt in Deutschland ein. Welches Recht gilt nun, wenn, anders als bei Platzdelikten, Handlungs- und Erfolgsort an unterschiedlichen Ort liegen (Distanzdelikt)? Mit der Grundanknüpfung nach Art. 4 I Rom II-VO gilt das Recht des Erfolgsortes. Für B ergäbe sich so die Anwendung deutschen Rechts.

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Besonderer Teil des IPR Vergleichen Sie dazu Art. 40 EGBGB: Art. 40 I S. 2 EGBGB enthält das Ubiquitätsprinzip (lat. ubiquitär – überall vorkommend). Der Geschädigte kann das Recht des Handlungs- oder Erfolgsortes bestimmen. B hätte – wenn Art. 40 EGBGB anwendbar wäre – das Bestimmungsrecht zwischen österreichischem Recht (Handlungsort, Art. 40 I S. 1 EGBGB) und deutschem Recht (Erfolgsort, Art. 40 I S. 2 EGBGB). Art. 40 I S. 3 EGBGB enthält die aus zeitlicher Sicht zu beachtenden Vorgaben für die Wirksamkeit des Bestimmungsrechts. Die Rom II-VO hat hier allerdings Anwendungsvorrang. Grundsätzlich enthält sie keine dem Art. 40 EGBGB vergleichbare Option hinsichtlich Handlungs- und Erfolgsortes, so das B auch kein Bestimmungsrecht ausüben kann. Zusätzlich kann bei Umweltschädigungen an die Sonderanknüpfung aus Art. 7 Rom II-VO gedacht werden. Über Art. 7 Rom II-VO erhält das durch Art. 4 I Rom II-VO verbannte Ubiquitätsprinzip ausnahmsweise Einkehr in die Rom II-VO. Dann hätte der Geschädigte in diesem speziellen Fall doch ein Bestimmungsrecht (beachte Art. 46a EGBGB).

Pressedelikte



Fall 41

Der S-Verlag mit Sitz in der Schweiz hat sich auf Presseerzeugnisse spezialisiert, die vornehmlich über das Leben prominenter Personen in Wort und – hauptsächlich – Bild berichten. Das vom S-Verlag herausgegebene B-Magazin, welches in Deutschland, der Schweiz und Österreich erscheint, zeigt in seiner aktuellen Ausgabe Bilder des Schauspielers P, wie er und seine weibliche Begleitung nur leicht bekleidet am Strand von Phuket liegen. Die Bilder wurden vor Ort heimlich von einem Fotografen des S-Verlags geschossen. Gegen die Veröffentlichung geht P vor, weil sie – was zutrifft – sein Persönlichkeitsrecht verletzt. Nach welchem Recht bestimmen sich die Schadensersatzansprüche? Die Rom II-VO ist im Fall 41, weil es sich um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt, gemäß Art. 1 II lit. g Rom II-VO nicht anwendbar. Art. 40 ff. EGBGB sind zu befragen. Vorab muss geklärt werden, an welche Handlung anzuknüpfen ist (Art. 40 I S. 1 EGBGB). Hier kommen das Fotografieren in Thailand, die Herstellung des Presseartikels und deren endgültiges Inverkehrbringen in Betracht. Das Herstellen der Bilder vor Ort ist lediglich unbeachtliche Vorbereitungshandlung – Thailand kann nicht als Handlungsort angesehen werden. Gleiches gilt für den

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht Herstellungsvorgang (Satz, Druck etc.). Eigentliche Verletzungshandlung ist das Inverkehrbringen des Magazins. Handlungsort ist der Verlagssitz (Schweiz). Probleme bereitet die Feststellung des Erfolgsortes oder besser gesagt der Erfolgsorte (Art. 40 I S. 2 EGBGB), die P alternativ zum Handlungsort als Deliktsstatut bestimmen könnte (Art. 40 I S. 3 EGBGB). Das Magazin erscheint in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In diesen drei Staaten wird es vertrieben, verkauft und gelesen. Somit gibt es drei Erfolgsorte. P kann bestimmen, ob das Recht der Schweiz als Handlungsort oder jeweils schweizerisches, österreichisches und deutsches Recht als jenes des Erfolgsortes gelten soll (Mosaiktheorie), letzterenfalls allerdings begrenzt auf die im jeweiligen Staat konkret entstandenen Schäden. Im Ergebnis kann P in Fall 41 entweder für den gesamten Schaden schweizerisches Recht als Handlungsortsrecht oder für die regional begrenzten Einzelschäden das jeweilige Einzelrecht als Erfolgsortsrecht wählen.

Geschäftsführung ohne Auftrag

Fall 42

Die Pensionäre O und D sind beide deutsche Staatsangehörige und verbringen ihren Ruhestand auf Mallorca. Dort liegen ihre Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft. O ist gerade für ein paar Tage auf Besuch in Deutschland, als durch einen Kabelbrand in seinem Haus ein Feuer ausbricht. D bemerkt O’s Abwesenheit, schlägt kurzerhand die Eingangstür ein und kann den Brand rechtzeitig löschen. Am Gebäude entsteht nur ein geringer Schaden. D muss mit einer Rauchvergiftung stationär behandelt werden. Zudem ist seine Kleidung durch den Brand zerstört. Er verlangt von O Ersatz. Welches Recht ist anwendbar? Die Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) meint kein einheitliches Rechtsverhältnis bzw. einheitlichen Tatbestand, sondern ist ein Sammelbegriff, der verschiedene materiell-rechtliche Anspruchsnormen vereint. Vergleichen Sie mit dem deutschen Recht: So wird dort – mehr oder weniger deutlich in §§ 677 ff. BGB – unterschieden zwischen: –– echter (berechtigte/unberechtigte) GoA –– unechter (irrtümliche/angemaßte Eigengeschäftsführung) GoA

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Besonderer Teil des IPR Für diese aus systematischer Sicht sehr unterschiedlichen Bereiche muss auch das IPR der GoA Lösungen bereithalten. Fall 42 zeigt einen klassischen Fall der GoA. Ein Geschäftsführer wird für einen Geschäftsherrn in dessen Rechtskreis ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung tätig. Das Löschen des Hauses durch D entsprach dem Willen und Interesse von O. Hier kommt der internationale Bezug des Sachverhalts hinzu. Die GoA findet sich in und Art. 11 Rom II-VO und Art. 39 EGBGB Art. 11 I – III Rom II-VO knüpft in einem Stufenverhältnis an ein bestehendes Vertragsverhältnis (akzessorische Anknüpfung), den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt oder den Ort der Geschäftsvornahme an. Art. 39 I EGBGB knüpft stattdessen an das Recht des Ortes an, an dem das Geschäft vorgenommen wurde. Die Anknüpfung an den Vornahmeort ist insofern sachgerecht, weil dieser Ort wenig manipulierbar ist und durch seine Neutralität keine Partei bevorzugt wird. Im Fall 42 kämen beide Vorschriften zu demselben Ergebnis. Der Ort der Geschäftsführung führt nach Art. 39 I EGBGB zum spanischen Recht, während man in der Rom II-VO dieses Ergebnis über Art. 11 II Rom II-VO erreicht. Art. 11 II Rom II-VO greift ein, weil Art. 11 I Rom II-VO nicht einschlägig ist und O und D in Spanien leben. Darüber hinaus könnte man auch überlegen, den Sachverhalt nach Art. IV Rom II-VO (deutsche Staatsangehörigkeit als offensichtlich engere Verbindung?) anzuknüpfen. Auch hier geht die Rom II-VO dem EGBGB vor. Ergänzung: Die GoA im IPR wirft kaum Probleme auf. Wenn Zweifelsfälle auftreten, sind das jene, in denen sich die Geschäftsführung über mehrere Territorien erstreckt oder eine Hilfeleistung (Schiffsrettung) auf staatsfreiem Gebiet (Hohe See) erfolgt. Im ersten Fall ist aus Gründen der Rechtssicherheit das Recht des Staates maßgeblich, in dem die Geschäftsführung begonnen wurde, im zweiten Fall, da kein Staatsgebiet betroffen ist, sollte an das Recht des Staates angeknüpft werden, dessen Flagge das gerettete Schiff führt.

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht

Ungerechtfertigte Bereicherung

Fall 43

Engländer V verkauft dem Deutschen K seinen Pkw zum Preis von 5.000 €. Der Vertrag unterliegt infolge wirksamer Rechtswahl deutschem Recht. K bezahlt den Kaufpreis. Bei der Online-Überweisung ist er unaufmerksam und gibt in das Eingabefeld statt 5.000 € 50.000 € ein. Der Mehrbetrag wird dem Konto des V gutgeschrieben. Nach welchem Recht bestimmt sich die bereicherungsrechtliche Rückforderung? Das internationale Bereicherungsrecht gehört zu den weniger relevanten Bereichen des IPR. Auch im Bereicherungsrecht besteht ein Nebeneinander der Regelungen des EGBGB (Art. 38, 41 f. EGBGB) einerseits sowie der Rom II-VO (Art. 10, 14 Rom II-VO) andererseits. Die in Art. 38 EGBGB vorgenommene Unterscheidung zwischen Leistungskondiktion und Nichtleistungskondiktion (Bereicherung in sonstiger Weise) findet sich nicht ausdrücklich in der Rom II-VO, Art. 10 Rom II-VO erfasst aber auch die Gruppe der Nichtleistungskondiktionen. Wichtig: Art. 12 I lit. e Rom  I-VO enthält für den Fall  der Nichtigkeit eines Vertrages eine bereicherungsrechtliche Sonderregelung – durch ihn wird eine an sich bereicherungsrechtlich relevante Fallkonstellation in das Schuldvertragsstatut ausgelagert. Nach der Grundanknüpfung unterliegen Ansprüche aus Leistungskondiktion dem Recht des Staates, das auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis anzuwenden ist. Dieser akzessorischen Anknüpfung folgen Art. 38 I EGBGB und Art. 10 I Rom II-VO. Neben der Abwicklung nichtiger Verträge, die, wie gesehen, nicht dem Bereicherungsstatut unterliegen, werden von der Leistungskondiktion hauptsächlich Rückforderungen rechtsgrundloser Zuvielleistungen umfasst. So auch in Fall 43. V hat durch Leistung (Veranlassung der Überweisung) eines anderen (K) etwas ohne rechtlichen Grund (der Kaufvertrag ist Rechtsgrund nur bis zur Höhe von 5.000 €) erlangt (= Leistungskondiktion). Art. 38 I EGBGB und Art. 10 I Rom II-VO knüpfen akzessorisch an den zwischen V und K bestehenden Kaufvertrag an. Dieser unterliegt deutschem Recht. Ebenso richten sich K’s Bereicherungsansprüche aus Leistungskondiktion nach diesem Recht. Art. 41 EGBGB bzw. Art. 14 Rom II-VO spielen hier keine Rolle.

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Fall 44

B ist Viehwirt in Tirol. Er treibt seine Rinderherde im Sommer auf die Alm. Dieb D, der aus Deutschland kommt und gerade auf Streifzug durch Österreich ist, stiehlt einen Jungbullen aus B’s Herde, überführt ihn nach Deutschland und lässt ihn dort zu Dosenwurst verarbeiten, die er anschließend einem Händler verkauft. B erfährt davon und verlangt Herausgabe des Veräußerungserlöses. Nach welchem Recht? Art. 38 III EGBGB knüpft die Nichtleistungskondiktionen (Eingriffs-, Verwendungs- und Rückgriffskondiktion) an das Recht des Staates an, in dem die Bereicherung eingetreten ist. Für den wichtigen Sonderfall der Eingriffskondiktion (Bsp.: Eingriff in fremdes Eigentum) enthält Art. 38 II EGBGB eine Sonderanknüpfung an den Ort des Eingriffs. Mit dieser Anknüpfung wird regelmäßig ein Gleichlauf mit sachen- und deliktsrechtlichen Anknüpfungsgrundsätzen erreicht. Abgesehen von straf-, sachen- und deliktsrechtlichen Ansprüchen, die ebenfalls zu prüfen wären, geht es im Fall 44 um Bereicherungsrecht. Es liegt eine Eingriffskondiktion vor. Dieser Bereicherungsanspruch richtet sich wegen Art. 38 II EGBGB (Ort des Eingriffs) nach deutschem Recht. D hat in das Eigentum des B an dem Bullen eingegriffen. Durch die Verarbeitung des Bullen zu Dosenwurst hat D Eigentum an dem Wursterzeugnis erlangt. Als Ausgleich für den Eigentumsverlust kann B verlangen, was wiederum D infolge des Eingriffs erlangt hat. Am Veräußerungserlös setzt sich die ehemalige Eigentumsposition des B fort. Art. 10 I Rom II-VO knüpft die Eingriffskondiktion anders als Art. 38 II EGBGB akzessorisch an das Rechtsverhältnis an. Als Rechtsverhältnis kommt hier das gesetzliche Schuldverhältnis der unerlaubten Handlung in Betracht. D hat mit seiner Handlung gleichzeitig eine deliktische Eigentumsverletzung begangen. Dieses Delikt dient als Rechtsverhältnis der akzessorischen Anknüpfung (Art. 10 I Rom II-VO). Die schädigende Handlung (Töten des Tieres, Verarbeitung) erfolgte in Deutschland. Deutsches Recht ist Deliktsstatut und entscheidet über die Bereicherungsansprüche.

Lektion 11: Gesetzliches Schuldrecht

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Leitsatz 23 Ungerechtfertigte Bereicherung Differenzieren Sie wie auch im deutschen Recht zwischen Leistungsund Nichtleistungskondiktionen. Art. 38 EGBGB und Art. 10 Rom IIVO unterscheiden sich in Aufbau und Anknüpfung, kommen dennoch regelmäßig zu gleichen Ergebnissen. Bedenken Sie auch die Möglichkeiten zur Auflockerung der Anknüpfung und nachträglichen Rechtswahl (Art. 41 f. EGBGB; Art. 10 IV, 14 Rom II-VO).

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Lektion 12: Sachenrecht Das internationale Sachenrecht (nicht Sachrecht) befasst sich mit den rechtlichen Beziehungen von Personen zu beweglichen und unbeweglichen Sachen bei Fällen mit Auslandsbezug. Die Rechtsquellen sind Art. 43 – 46 EGBGB zu entnehmen (Gesamtverweisungen). Europa- und völkerrechtliche Kollisions- oder Vereinheitlichungsnormen existieren kaum bzw. nur in für die Ausbildung weniger relevanten Bereichen. Auch zukünftig wird dieser Rechtsbereich von vereinheitlichenden (europäischen) Reformprozessen ausgeklammert bleiben.

Belegenheit der Sache

Fall 45

D, wohnhaft in München, schließt mit N, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Utrecht hat, einen Grundstückskaufvertrag über ein dem N gehörendes, auf Mallorca belegenes Grundstück. Nach welchem Recht beurteilt sich der Eigentumsübergang an dem Grundstück? Zur Lösung von Fall 45 müssen sie vorab zwischen der schuldrechtlichen und sachenrechtlichen Seite des Rechtsverhältnisses unterscheiden. Die Frage, welchem Recht der Grundstückskaufvertrag untersteht, wird von der den Eigentumsübergang regelnden Rechtsordnung getrennt betrachtet. Das aus dem deutschen Recht bekannte Trennungs- und Abstraktionsprinzip unterscheidet zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften. Dieses Prinzip setzt sich im deutschen IPR fort. Gefragt ist bei Fall 45 nach dem auf den Eigentumsübergang anzuwendenden Recht, dem Sachstatut. Nach dem Vertrags- bzw. Schuldstatut des Grundstückskaufvertrags wurde weder gefragt noch wäre es für die Verfügung von Belang. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft können demselben Recht unterliegen, müssen aber nicht. Die Grundanknüpfung im internationalen Sachenrecht erfolgt nach dem Ort der Belegenheit der beweglichen/unbeweglichen Sache (lat. lex rei sitae). Das Grundstück im Fall 45 ist eine unbewegliche Sache. Sein Lageort ist in Spanien auf Mallorca. Auf den Eigentumsübergang ist spanisches Recht anwendbar. Niederländisches und deutsches Recht spielen keine Rolle.

Lektion 12: Sachenrecht

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Leitsatz 24 Vorteile der lex rei sitae 1. Der Lageort der Sache ist meistens einfach zu bestimmen, ebenso unkompliziert gestaltet sich dann die Ermittlung des anwendbaren Rechts. 2. Auf die Sache einwirkende Störungen finden häufig am Belegenheitsort statt und können dort wirksam beseitigt werden. 3. Es findet ein Gleichlauf von anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit durch die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte (Art. 22 Nr. 1 Brüssel I-VO) des Belegenheitsortes statt. 4. Der Rechtsverkehr muss sich nur auf solche dinglichen Belas­ tungen (Hypothek etc.) einstellen, die am Lageort der Sache existieren.

Statutenwechsel beweglicher Sachen

Fall 46

S verkauft und übereignet an D in Berlin eine teure Vase. D verbringt anschließend die Vase nach Genf. Dem S kommen plötzlich Zweifel an der Wirksamkeit der Übereignung, da er im Nachhinein erfährt, dass D im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses unerkannt geisteskrank war. Während der dinglichen Einigung befand er sich in einem lichten Augenblick. Welches Recht ist anwendbar? Die lex rei sitae gilt auch für bewegliche Sachen. Bei ihnen kann im Vergleich zu unbeweglichen Sachen der Lageort meist problemlos verändert werden (Statutenwechsel). Die Sache unterliegt dann dem Recht des neuen Belegenheitsortes. Das Interesse einer Vertragspartei sowie des Rechtsverkehrs erfordern in manchen Fällen eine Einschränkung dieses Grundsatzes. Im IPR unterscheidet man zwischen offenen Tatbeständen und abgeschlossenen Tatbeständen. Im Sachenrecht vollziehen sich Rechtsänderungen in mehraktigen bzw. zeitlich gestreckten Abläufen (Bsp.: bei beweglichen Sachen gliedert sich der Eigentumserwerb im deutschen Recht in Einigung und Übergabe nach § 929 S. 1 BGB; bei dem gesetzlichen Eigentumserwerb der Ersitzung muss sich die Sache

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Besonderer Teil des IPR zehn Jahre im Eigenbesitz befunden haben, § 937 I BGB). Wie wirkt es sich auf das Statut aus, wenn vor vollendetem Rechtserwerb die Sache an einen anderen Ort verbracht wird? Betrachten Sie Fall 46: S und D haben einen Kaufvertrag geschlossen sowie eine Einigung und Übergabe vorgenommen. Der Kaufvertrag ist aber nichtig, weil D geschäftsunfähig war. Der Mangel im Verpflichtungsgeschäft wirkt sich aufgrund des Trennungs- und Abstraktionsprinzips nicht auf das Verfügungsgeschäft aus. Der dingliche Erwerbsvorgang erfolgte ordnungsgemäß (D war aufgrund eines „lucidum intervallum“ geschäftsfähig) und einheitlich unter der deutschen Rechtsordnung. Erst im Anschluss an die dingliche Rechtsänderung wechselte die Vase ihren Lageort. Es handelt sich um einen abgeschlossenen Tatbestand. Die Rechtsfolge ordnet indirekt Art. 43 II EGBGB: D hat wirksam (wenn auch ohne Rechtsgrund) Eigentum erworben. Der Erwerbsvorgang beurteilt sich nach deutschem Recht.



Fall 47

Wie wäre Fall 46 zu beurteilen, wenn der Kaufvertrag wirksam ist, S die Vase an D übergeben hat, eine dingliche Einigung zwischen den Parteien aber vergessen wurde? Bei Fall 47 fehlt die Einigung nach § 929 S. 1 BGB. Die Einigung ist eine Erwerbsvoraussetzung beim Eigentumserwerb beweglicher Sachen. Wird eine Sache vor Abschluss des Rechtserwerbs an einen anderen Ort verbracht, spricht man von einem offenen Tatbestand (Art. 43 III EGBGB). Entgegen des Wortlauts ist die Kollisionsnorm allseitig anwendbar, gilt also auch im umgekehrten Falle des Gelangens ins Ausland. Auf offene Tatbestände findet nur das neue Sachstatut Anwendung, hier das Recht der Schweiz. Die bereits in Deutschland wirksam vorgenommenen Rechtsakte (Kaufvertrag, Übergabe) werden unter dem neuen Statut nicht entwertet, sondern „mitgenommen“. Dies ist für den vorliegenden Fall auch wichtig, denn im Recht der Schweiz geht mangels Geltung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips Eigentum nur bei vorhandenem Kausalgeschäft als Rechtsgrund (Bsp.: Kaufvertrag) über.

Lektion 12: Sachenrecht

Übersicht 13: Offene Tatbestände – Geschlossene Tatbestände Offener Tatbestand Rechtsordnung X

Rechtsordnung Y

Beginn des Rechtserwerbs

Beendigung des Rechtserwerbs

Geschlossener Tatbestand Rechtsordnung X Beginn des Rechtserwerbs Beendigung des Rechtserwerbs

Grundstücksimmissionen

Fall 48

A ist Eigentümer eines in der Nähe von Füssen gelegenen Grundstücks, welches unmittelbar an Österreich grenzt. Daran an schließt sich das auf der österreichischen Seite gelegene Grundstück des H, auf dem ein großer Räucherofen steht, dessen dicke Rauchschwaden mehrmals täglich auf das Grundstück des A ziehen und dort hängen bleiben. A fühlt sich durch den beißenden Geruch und die eingeschränkte Sicht gestört. Er fragt nach dem anwendbaren Recht hinsichtlich zu ergreifender Abwehrmaßnahmen und würde gerne nach deutschem Recht vorgehen. Wie sind die Aussichten? Die Aussicht auf Rechtsschutz nach deutschen Rechtsvorschriften ist gut. A beschwert sich über den Rauch. Aus rechtlicher Sicht stellt Rauch, der von einem Grundstück ausgeht und störende Wirkungen erzeugt, eine

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Besonderer Teil des IPR Immission dar. Im deutschen Recht kommen bei Grundstücksimmissionen Ansprüche auf Abwehr, Beseitigung und Unterlassung nach §§ 862, 906 f., 1004 BGB in Betracht. Das EGBGB knüpft bei von Grundstücken ausgehenden Einwirkungen nicht nach der lex rei sitae an, sondern verweist durch Art.  44 EGBGB auf die Rom  II-VO (Lektion  11). Die dinglichen Abwehransprüche weisen Ähnlichkeiten zu den deliktischen Schadensersatzansprüchen von unerlaubten Handlungen auf. Bei beiden werden störende Eingriffe auf von der Rechtsordnung geschützte Güter und Interessen verübt. Von daher ist ein Gleichlauf beider Instrumente sachgerecht. Im Fall 48 wird durch den Verweis von Art. 44 EGBGB auf die Rom II-VO nach Art. 4 I Rom II-VO das Recht des Erfolgsortes (Deutschland) berufen. A kann bzw. muss sogar auf deutsches Recht zurückgreifen. Müsste man hier die lex rei sitae anwenden, wäre in vielen Fällen der Störer bevorteilt. Durch die Belegenheit der Sache könnte er regelmäßig auf die Anwendung seines Heimatrechts vertrauen, während der Beeinträchtigte, um seinen Schutz durchzusetzen, sich in eine fremde Rechtsordnung begeben müsste.

Transportmittel

Fall 49

L mit Wohnsitz in München ist mit seinem in Deutschland zugelassenen Pkw in Frankreich unterwegs. Dort trifft er den in Paris wohnenden F. F findet Gefallen am Pkw des L. Beide werden sich hinsichtlich der „Formalitäten“ schnell einig. Nach welchem Recht beurteilt sich der Eigentumsübergang? Der Pkw ist eine bewegliche Sache. Es würde im Fall 49 aufgrund der Belegenheit des Pkw in Frankreich französisches Recht Anwendung finden. Hier stößt man auf folgendes Problem: Bewegliche Sachen, Kraftfahrzeuge ganz besonders, lassen sich problemlos von einem Ort zum anderen bewegen. Verbunden damit sind Missbrauchsgefahren. Eine bewegliche Sache könnte dorthin verschoben werden, wo das Statut dem angestrebten Ergebnis besonders entgegenkäme. Böte Art. 45 EGBGB hier womöglich Schutz? Bestimmte Fortbewegungsmittel werden durch Art. 45 I EGBGB dem Recht ihres Herkunftsstaates

Lektion 12: Sachenrecht unterstellt. Als Herkunftsstaat gilt jener Staat, in dem sie registriert sind (Eintragung in ein amtliches Register). Ausdrücklich gilt Art. 45 I S. 2 EGBGB nur für Luft-, Wasser- und Schienenfahrzeuge (Flugzeuge, Schiffe und Eisenbahnen). Warum weicht das EGBGB hier von der lex rei sitae ab? Zum einen lässt sich der Staat der Registrierung einfach ermitteln. Zum anderen sind die genannten Fortbewegungs- und Transportmittel gerade dazu bestimmt, ständig (international) in Bewegung zu sein. Eine analoge Anwendung auf sonstige Kraftfahrzeuge (Pkw) wird zum Teil gefordert. Eine andere Ansicht will zumindest Art. 46 EGBGB auf solche Kraftfahrzeuge anwenden, die dauerhaft im internationalen Personen- und Güterverkehr unterwegs sind (Lkw, Reisebus). Gegen eine Analogie von Art. 45 EGBGB spricht indessen der eindeutige Wortlaut. Es werden abschließend die in Betracht kommenden Transportmittel aufgezählt. Da es sich im Fall 49 nicht um einen speziell international eingesetztes Kfz handelt, würde auch Art. 46 EGBGB nicht greifen. Es verbleibt beim französischen Recht.

Ausweichklausel

Fall 50

Wie zuvor Fall 49. Doch haben nun L und F ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. In Fall 50 wäre die Anknüpfung an französisches Recht umständlich. Weder L noch F haben Bezüge zu dieser Rechtsordnung. Durch ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland stehen sie beide dem deutschen Recht nahe. Den Parteiinteressen würde es entsprechen, wenn deutsches Recht zur Anwendung käme. Hier hilft Art. 46 EGBGB weiter, indem eine wesentlich engere Verbindung mit einem anderen als dem durch die Art. 43 – 45 EGBGB berufenen Recht Berücksichtigung findet (Auflockerung). Art. 43 I EGBGB führt zur Anwendbarkeit französischen Rechts. Art. 46 EGBGB lässt in Abweichung zu diesem Grundsatz die Anwendung deutschen Rechts zu.

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Leitsatz 25 Ausweichklausel Ausweichklauseln verwirklichen das Prinzip der Einzelfallgerechtig­ keit. Dies ist nötig, weil das internationale Sachenrecht in Art. 43 – 45 EGBGB nach objektiven Kriterien anknüpft. Objektive Anhaltspunkte führen in den meisten Fällen zu interessengerechten Ergebnissen. Nicht jeder Sachverhalt lässt sich jedoch verallgemeinernd lösen. Um hier ein Korrektiv zu schaffen, bedarf es der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB.

Sachen auf dem Transport

Fall 51

L befindet sich mit einem Kreuzfahrtschiff auf dem Weg von Hamburg nach New York. Im Gepäck hat er eine antike Münzsammlung, die er in New York verkaufen will. An Bord des Schiffes trifft er auf den japanischen Münzsammler M. L verwirft seine ursprünglichen Pläne und wird sich stattdessen auf halber Strecke der Reiseroute mit M über den Verkauf der Münzen einig. Nach welchem Recht beurteilt sich der Eigentumsübergang? Die Münzsammlung ist eine Sache auf dem Transport (lat. res in transitu). Wie ist zu entscheiden, wenn während des Transports über die Sache verfügt wird? Ursprünglich war Deutschland Lageort der Münzen. Durch den Antritt der Reise sind die Beziehungen der Münzen zum Absendeland Deutschland endgültig abgebrochen. Die USA waren als künftiges Bestimmungsland geplant, scheiden aber durch die zwischenzeitlich vorgenommene Verfügung ebenfalls aus. Der Lageort der Münzen während der Verfügung war auf hoheitsfreiem Gebiet. Deutsches IPR trifft für solche Fallkonstellation keine ausdrückliche Regelung. Hier kommt wie in Fall 51 ein Rückgriff auf Art. 46 EGBGB in Betracht. Regelmäßig wird es sachgerecht sein, das Recht des zukünftigen Bestimmungsortes zur Anwendung zu berufen. In Fall 51 wäre dann japanisches Recht Sachstatut.

Lektion 12: Sachenrecht

Internationaler Versendungskauf

Fall 52

Wie ist zu entscheiden, wenn nicht – wie in Fall 51 – während, sondern vor dem Transport verfügt wurde? Wenn die Versendung bestimmungsgemäß im Anschluss an die Verfügung über das Eigentum erfolgt, spricht man von einem internationalen Versendungskauf. So könnte es auf dem Transport zu einem mehrfachen Statutenwechsel kommen, je nachdem, wie viele Staaten sich aneinanderreihen. Zur Lösung von Fall 52 gibt es zwei Wege: Die wohl h.M. knüpft hier nach der lex rei sitae an. Eine andere Ansicht möchte in diesen Situationen die Ausweichklausel aus Art. 46 EGBGB anwenden. Letzteres ist vor allem dann vorzugswürdig, wenn die Durchreise schlicht aus Transportgründen erfolgt und der Aufenthalt eher zufälliger Natur ist – dann fehlt jeglicher Bezug zur Rechtsordnung des Transitlandes. Vergegenwärtigen Sie sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Versendungskaufs und der Sachen auf dem Transport (res in transitu). Gemeinsam ist ihnen, dass sich Sachen, über die verfügt wird/wurde, auf einem Transport befinden. Der Unterschied liegt in der zeitlichen Abfolge. Beim Versendungskauf wurde über die Sache vor dem Transport verfügt. Der Versand erfolgt anschließend und gezielt als Folge der Verfügung. Bei res in transitu wird erst im Verlauf des Transports verfügt. Der Versand ist Anlass der Verfügung, nicht bloß deren Folge.

Gutgläubiger Erwerb

Fall 53

A ist Trickdieb und stiehlt dem B in der Schweiz eine wertvolle Armbanduhr. A bringt die Uhr nach Italien und übergibt sie in Rom dem Deutschen D. Ist D Eigentümer geworden? Das internationale Sachenrecht befasst sich auch mit gutgläubigem Erwerb von Eigentum. Er liegt vor, wenn ein Dritter gutgläubig vom Nichteigentümer eine Sache erwirbt. Im Fall 53 ist die Uhr eine bewegliche Sache, es muss wieder an das Recht des belegenen Ortes gedacht werden. Die Uhr ist dem B in der Schweiz abhandengekommen und D hat sie in Italien erworben. Weil A weder Eigentümer noch zur Verfügung

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Besonderer Teil des IPR über die Uhr ermächtigt war, konnte D nicht vom Berechtigten erwerben. Es kommt nur ein gutgläubiger Eigentumserwerb in Betracht. Der Erwerb vom Nichtberechtigten wird weit überwiegend anhand von Art. 43 I EGBGB angeknüpft und beurteilt sich nach dem Lageort im Zeitpunkt des Erwerbs. Dies ist Italien. Das italienische Sachenrecht erlaubt einen gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen auch bei Abhandenkommen (Art. 1153 I codice civile). B hätte folglich sein Eigentum an D verloren. Dieses Ergebnis zeigt, wie missbrauchsanfällig die Anknüpfung an den aktuellen Lageort sein kann. Ein Dieb hätte es in der Hand, auf die Rechtsordnung auszuweichen, in der ein gutgläubiger Erwerb abhandengekommener Sachen in Betracht kommt. Eine andere Ansicht will folglich auf den Lageort abstellen, an dem sich die Sache im Zeitpunkt des Abhandenkommens befand und begründet dieses Ergebnis mit Art. 46 EGBGB. Dann käme schweizerisches Recht zur Anwendung, welches nach Art. 934 ZGB die Rückforderung abhandengekommener Sachen in den ersten fünf Jahren erlaubt. Gegen eine Auflockerung über Art. 46 EGBGB sprechen die Interessen des Rechtsverkehrs, insbesondere des Erwerbers der Sache – er weiß regelmäßig nicht um die ausländische Herkunft der Sache.

Transposition

Fall 54

Der Franzose F erwirbt in Frankreich einen Pkw. Verkäufer V lässt sich zur Sicherung der Kaufpreisforderung ein Registerpfandrecht nach französischem Recht an dem Pkw bestellen. F bringt den Pkw nach Deutschland und nutzt ihn dort. Gläubiger G des F pfändet den Pkw nach § 808 I ZPO. V begehrt nun unter Hinweis auf sein Registerpfandrecht vorzugsweise Befriedigung. Zu recht? Bisher war hauptsächlich das Eigentum Gegenstand der Darstellung. Neben dem Vollrecht Eigentum gibt es noch andere dingliche Rechte. Denken sie nur an die im deutschen Recht vorhandenen Pfandrechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Die sog. beschränkt dinglichen Rechte können sich von Rechtsordnung zu Rechtsordnung unterscheiden. Die nationalen Sachenrechte folgen dem Grundsatz des Typenzwangs – es gibt nur einen bestimmten, nicht erweiterbaren Katalog vorhandener Sachenrechte. Was geschieht, wenn ein beschränkt dingliches Recht

Lektion 12: Sachenrecht unter einem früheren Statut wirksam erworben wurde, aber unter dem neuen Statut unbekannt ist? In Fall 54 befindet sich der Pkw in Deutschland. Wendet man richtigerweise die lex rei sitae an, so gilt deutsches Recht. Das deutsche Recht kennt im Gegensatz zum französischen kein Registerpfandrecht. Im deutschen Sachenrecht gibt es an beweglichen Sachen nur Faustpfandrechte, bei denen der Pfandgläubiger das Pfand in Besitz nimmt. Hier setzt die Transposition an. Durch sie wird ein dem inländischen Recht unbekanntes dingliches Recht in ein vorhandenes und vergleichbares Sachenrecht transponiert (lat. transponere „versetzen“). Im deutschen Sachenrecht ist die Sicherungsübereignung von Eigentum anerkannt. Das französische besitzlose Registerpfandrecht ist mit der Sicherungsübereignung zumindest vergleichbar. Bei beiden Instituten wird zur Sicherung einer Forderung ein Recht an einer beweglichen Sache auf den Gläubiger übertragen, während der Besitz beim Schuldner verbleibt, damit dieser die Sache weiter nutzen kann. In Fall 54 ist eine Umdeutung möglich. Das Registerpfandrecht wird in Deutschland wie eine Sicherungsübereignung behandelt. Der Sicherungsnehmer V erhielt ein Sicherungsmittel und Sicherungsgeber F blieb im Besitz der Sache. V kann zu recht auf vorzugsweise Befriedigung klagen.

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Leitsatz 26 Transposition Transposition ist ein allgemeines kollisionsrechtliches Rechtsins­ titut. Praktisch tritt es weit überwiegend in sachenrechtlichen Fallgestaltungen wegen des dort geltenden Typenzwangs auf. Aus Sicht des Gesetzgebers sind Sachenrechte zwingend und abschließend zugleich. Daher bedarf es im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr einer Umdeutung dinglicher Rechte, sofern zwischen ihnen genügend dogmatische Ähnlichkeiten bestehen.

Rechtswahl

Fall 55

Zurück zum Mallorca-Grundstücksfall Fall 45. Nun vereinbaren die Parteien D (München) und N (Utrecht) für den Eigentumserwerb die Anwendung deutschen Rechts. Was ist davon zu halten?

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Besonderer Teil des IPR Die Parteien haben hier im Wege der Parteiautonomie eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts getroffen. Für den Bereich des Schuldvertragsrechts ist eine Rechtswahl problemlos möglich. Der Grundstückskaufvertrag wäre einer Rechtswahl zugänglich gewesen. Wie sieht es mit dem dinglichen Rechtsgeschäft aus? Zu einer Rechtswahlmöglichkeit im internationalen Sachenrecht enthält das EGBGB keine Hinweise. Das Schweigen des Gesetzes ist nicht zufällig, sondern gewollt. Sachenrecht wirkt anders als Schuldrecht nicht nur relativ zwischen den Vertragsparteien, sondern erfüllt auch Verkehrsinteressen mit absoluter Wirkung gegenüber jedermann. Für den Rechtsverkehr muss Sachenrecht objektiv erkennbaren Kriterien folgen. Auch aus Art. 46 EGBGB lässt sich keine Zulässigkeit einer Rechtswahl folgern. D und N in Fall 55 können nicht wirksam deutsches Recht wählen. Es bleibt bei der objektiven Anknüpfung nach Art. 43 I EGBGB.

Lektion 13: Familienrecht

Lektion 13: Familienrecht Allein in Deutschland wird heute annähernd jede achte Ehe unter Beteiligung mindestens eines nichtdeutschen Partners geschlossen (Quelle: Statistisches Bundesamt – www.destatis.de). Damit gehört das internationale Familienrecht neben dem Schuldrecht zu einem wichtigen Gebiet des IPR. Es umfasst sämtliche Rechtsbereiche der Ehe, Familie und Verwandtschaft. Das Eherecht regelt die Entstehung der Ehe (Verlöbnis, Eheschließung), deren Wirkungen (Name, allgemeine Wirkungen) sowie die durch sie entstehende Rechts- bzw. Pflichtenbegründung (Güterstand, Unterhalt) bis hin zu ihrer Beendigung (Scheidung, Auflösung). Familie und Verwandtschaft betreffen Fragen des Kindschaftsrechts (insbesondere Schutz vor Entführungen), der Abstammung, Adoption sowie Vormundschaft und Pflegschaft – in der Praxis allesamt wichtige Bereiche, während für diese Lektion der inhaltliche Schwerpunkt auf dem prüfungsrelevanten Eherecht liegen wird.

Rechtsquellen Zu den Rechtsquellen des internationalen Familienrechts sollten Sie folgendes wissen: Weit überwiegend ist es im EGBGB geregelt – Art. 13 – 24 EGBGB bilden den Beginn des vierten Abschnitts. Einzig Art. 17 EGBGB a.F. wird seit dem 21.6.2012 von der Rom III-VO verdrängt (siehe Fall 58). Außerdem existieren diverse völkerrechtliche Verträge (Bsp.: Münchener CIEC-Übereinkommen über die Ausstellung von Ehefähigkeitszeugnissen vom 5.9.1980), die im Rahmen der Ausbildung von untergeordneter Bedeutung sind.

Eheschließung

Fall 56

Der Italiener M und die Schweizerin F studieren in Deutschland. Seit geraumer Zeit sind sie ein Paar und haben vor, in naher Zukunft die Ehe miteinander einzugehen. M ist zeitlich sehr eingespannt und möchte die Formalitäten auf dem Standesamt nicht selbst vornehmen, sondern sich bei der Eheschließung von einem Bekannten vertreten lassen. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts und der zu erfüllenden formellen und

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Besonderer Teil des IPR materiellen Voraussetzungen sind sie noch im Unklaren. Können Sie ihnen weiterhelfen? Wenn es um die Eheschließung geht, muss die formelle und materielle Seite der Wirksamkeit beachtet werden. Nach Art. 13 I EGBGB unterliegen die (materiellen) Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Das EGBGB folgt hier ganz klassisch der Anknüpfung nach der Staatsangehörigkeit (Lektion 5). Zu den materiellen Voraussetzungen gehören die Ehemündigkeit und das Fehlen von Ehehindernissen bzw. Eheverboten (Bsp.: bereits bestehende Ehe, Verwandtschaftsverhältnis). Sie lassen sich in einseitige und zweiseitige Ehevoraussetzungen unterscheiden. Einseitige Ehevoraussetzungen müssen nach dem Recht nur eines der Verlobten vorliegen, während die zweiseitigen von beiden Rechten erfüllt sein müssen (Bsp.: § 1306 BGB – Verbot der Doppelehe). In Fall 56 ist von dem Vorliegen der Ehevoraussetzungen mangels entgegenstehender Sachverhaltsangaben auszugehen. Zu dieser Feststellung sind beide Heimatrechte getrennt voneinander zu befragen. Hinzutreten müssen auch die bereits eingangs erwähnten formellen Eheschließungsvoraussetzungen. Bei ihnen wird unterschieden, ob die Eheschließung im Inland oder im Ausland erfolgen soll. Im Inland muss die Ehe zwingend in der von Art. 13 III S. 1 EGBGB vorgeschriebenen Form (vor dem Standesbeamten, § 1310 I S. 1 BGB) geschlossen werden und zwar selbst dann, wenn die Heimatrechte der Ehegatten eine erleichterte Form vorsehen (Ausnahme: Art. 13 III S. 2 EGBGB). Art. 13 III S. 1 EGBGB ist in seinem Anwendungsbereich zur sonst geltenden, allgemeinen Formvorschrift von Art. 11 EGBGB vorrangig zu beachten. Bei Eheschließung im Ausland bleibt es hingegen bei der großzügigeren Anknüpfung nach Art. 11 EGBGB (wahlweise Eheschließungs- oder Ortsrecht). In Fall 56 fehlen Angaben darüber, wo M und F die Eheschließung beabsichtigen. M und F müssen sich also entscheiden, wo sie sich trauen lassen wollen; davon hängt dann ab, welche Formvorschriften welches Staates zu beachten sind. Auch sind sie nicht gezwungen, unter einem ihrer Heimatrechte bzw. dem deutschen Recht als Aufenthaltsrecht zu heiraten. Genauso gut können sie während eines gemeinsamen Urlaubs oder sonstigen Aufenthalts in einem beliebigen Land heiraten, sofern sie die dortige Ortsform beachten, Art. 11 I Alt. 2 EGBGB.

Lektion 13: Familienrecht M spricht auch den Wunsch einer Stellvertretung bei der Eheschließung an. Nach deutschem Recht ist die Eheschließung ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft, bei dem eine Stellvertretung unzulässig ist (§ 1311 S. 1 BGB). Auch im italienischem Recht gilt grundsätzlich die gleichzeitige Anwesenheit beider Partner vor dem Standesbeamten. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann darauf verzichtet werden. Eine Vertretung bei der Eheschließung ist bei der „Handschuhehe“ (matrimonio per procura) statthaft (Art. 111 codice civile). Einer der Verlobten bekundet seinen Willen zur Eheschließung nicht in Person, sondern durch einen bevollmächtigten Dritten. Dies ist u.a. dann zulässig, wenn der Vertretene seinen Wohnsitz im Ausland hat (Art. 111 II codice civile). Die Handschuhehe wird als formelle Voraussetzung qualifiziert und damit Art. 11 I EGBGB unterstellt, der bei Rechtsgeschäften auch die Wirksamkeit des Ortsrecht genügen lässt. M’s Wohnsitz ist in Deutschland. Er könnte (nur) bei einer Eheschließung in Italien seinen Bekannten wirksam als Vertreter einsetzen. In Deutschland wäre die Vertretung bei der Eheschließung nicht zulässig. Schließlich sollten Sie im Zusammenhang mit dem Eheschließungsrecht Art. 13 II EGBGB beachten. Dieser Absatz wurde als Folge einer Entscheidung des BVerfG („Spanier-Beschluss“ – BVerfG NJW 1971, 2121) nachträglich in das Gesetz aufgenommen. Zwischenfrage: Wie wird in der Praxis geprüft, ob die Eheschließungsvoraussetzungen vorliegen? Wenn infolge Anwendung von Art. 13 I EGBGB die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen nach ausländischem Recht erfolgt, soll der Betroffene die Ehe nicht eingehen, bevor er ein Zeugnis der inneren Behörde seines Heimatstaats darüber beigebracht hat, dass der Eheschließung nach dem Recht dieses Staates kein Ehehindernis entgegensteht (vgl. § 1309 I S. 1 BGB), sog. Ehefähigkeitszeugnis. Ein Ehefähigkeitszeugnis ist ein amtliches Dokument des Heimatstaates, eine hoheitliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, mit der das Nichtvorliegen von Ehehindernissen bestätigt wird. Sie entlastet den Standesbeamten bei der Prüfung. Weil das Recht eines anderen Staates über die Voraussetzungen der Eheschließung anwendbar ist, soll auch dieser Staat selbst entscheiden, ob die Voraussetzungen erfüllt sind. Wenn aus berechtigten Gründen die Einholung eines solchen Zeugnisses nicht möglich ist, kann der Präsident des OLG, in dessen Bezirk das Standesamt, bei dem die

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Besonderer Teil des IPR Eheschließung angemeldet worden ist, seinen Sitz hat, Befreiung erteilen (§ 1309 II S. 1 BGB). Übrigens: Auf das Verlöbnisrecht werden die Art. 13 I – II, 11 EGBGB in Ermangelung eigener Kollisionsnormen analog angewandt.

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Leitsatz 27 Eheschließung Das wirksame Zustandekommen der Ehe erfordert eine zweischich­ tige Kollisionsrechtsprüfung. Die Eheschließung muss materiell wie formell wirksam sein. Materielle Erfordernisse sind das Vorliegen von (einseitigen/zweiseitigen) Eheschließungsvoraussetzungen und das Fehlen von Ehehindernissen. Formelle Eheschließungsvoraussetzungen betreffen die Formfragen (Standesbeamter, Privatehe, religiöse Ehe).

Allgemeine Ehewirkungen

Fall 57

M und F aus Fall 56 haben nun erfolgreich die Ehe geschlossen und leben in Leipzig zusammen. F kauft allerhand sinnfreien und wenig brauchbaren Hausrat in ihrem und im Namen des M. M geht das allmählich zu weit. Er fragt, ob sich F überhaupt auf § 1357 I BGB berufen könne? Was unter allgemeine Ehewirkungen zu verstehen ist, lässt sich am ehesten negativ bestimmen: Es sind alle den ehelichen Lebensbereich betreffende Wirkungen, die nicht nach einer gesonderten Kollisionsnorm angeknüpft werden. Ihr Anwendungsbereich ist eingeschränkt wenn man bedenkt, dass wichtige Bereiche wie Ehename, Ehegüterrecht, Unterhalt, Scheidung sowie Regelungen der Ehewohnung und Haushaltsgegenstände bei Getrenntleben speziellen Vorschriften folgen. Zieht man vergleichend das deutsche Familienrecht heran, verbleiben als Anwendungsbereich die §§ 1356 f., 1359, 1362 BGB. In Fall 57 kann sich M nur dann auf § 1357 I BGB berufen, wenn als Ehewirkungsstatut deutsches Recht Anwendung findet. Art. 14 EGBGB regelt in Form einer Anknüpfungsleiter die allgemeinen Ehewirkungen. Anders als bei Art. 13 EGBGB, wo die Eheschließungsvoraussetzungen beider

Lektion 13: Familienrecht Ehegatten geprüft werden, geht Art. 14 EGBGB von einem einheitlichen Recht aus. In Ermangelung einer aktuellen oder früheren gemeinsamen Staatsangehörigkeit (Art. 14 I Nr. 1 EGBGB) greift hier das Recht des Staates des gemeinsamen Aufenthaltes beider Ehegatten (Art. 14 I Nr. 2 Var. 1 EGBGB). Der gemeinsame Aufenthalt von M und F besteht in Deutschland. § 1357 BGB („Schlüsselgewalt“) gehört zu den allgemeinen Ehewirkungen. F kann sich also prinzipiell auf diese Vorschrift berufen. Aber auch M kann von § 1357 I BGB Gebrauch machen, sollten die von F getätigten Geschäfte nicht zur Deckung des Lebensbedarfs geeignet sein. M und F können auch eine Rechtswahl in Betracht ziehen. Art. 14 III Nr. 1 EGBGB ist einschlägig. Weder M noch F sind deutsche Staatsangehörige, haben aber in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt und Art. 14 I Nr. 1 EGBGB liegt nicht vor. Sie können entweder italienisches oder schweizerisches Recht zum Ehewirkungsstatut wählen. Eine Rechtswahl müsste den Formerfordernissen des Art. 14 IV EGBGB genügen. Hinweis: Vielleicht ist es Ihnen bei der Lektüre des EGBGB schon aufgefallen. Art. 14 EGBGB gilt nicht nur unmittelbar für das allgemeine Ehewirkungsstatut, sondern auch mittelbar. Andere Kollisionsnormen bedienen sich seiner als Verweisungsnorm. So wird in Art. 15 I, II, 17 I a.F., 19 I S. 3, 22 I EGBGB jeweils – teils unterschiedlich – auf das Ehewirkungsstatut verwiesen.

Ehegüterrecht

Fall 58

Nun wollen M und F aus Fall 56 eine Klärung hinsichtlich der Vermögensverhältnisse im Rahmen ihrer Ehe. Wie sich schon jetzt abzeichnet, wird M später der Hauptverdiener sein. Im Hinblick darauf wollen sie ihre güterrechtlichen Verhältnisse regeln. Am liebsten wäre ihnen ein Ehevertrag. Welche Rechtsordnung müsste zu den güterrechtlichen Fragen geprüft werden? Das ehegüterrechtliche Kollisionsrecht enthält Art. 15 EGBGB. Ehegüterrecht ist dann betroffen, wenn eine Ordnung des Vermögens der Ehegatten aus Anlass der Ehe erfolgt. Es gibt Antworten auf die Frage, wie das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Ehegatten bei Bestehen der

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Besonderer Teil des IPR Ehe zugeordnet und verwaltet und ob bzw. wie es bei Beendigung des Güterstandes aufgeteilt wird. Man unterscheidet zwischen gesetzlichem und vertraglichem Güterrecht bzw. Güterständen. Gesetzliche Güterstände sind die vom materiellen Familienrecht der jeweiligen Rechtsordnung abschließend zur Verfügung gestellten Modelle. In der Regel handelt es sich um einen Güterstand, der von selbst gilt, wenn die Ehegatten bei Eheschließung keinerlei abweichende vertragliche Regelungen getroffen haben. Vertragliches Güterrecht betrifft die parteiautonome Modifizierung des Güterrechts. Für Fall 58 muss zunächst die güterstandsrechtliche Lage geklärt werden: In Deutschland ist der gesetzliche Güterstand die Zugewinngemeinschaft. Daneben gibt es in nahezu sämtlichen europäischen Rechtsordnungen Modelle der Gütertrennung und Gütergemeinschaft, die von Staat zu Staat inhaltlich mehr oder weniger voneinander abweichen. Der gesetzliche (ordentliche) Güterstand im schweizerischen Recht ist die Errungenschaftsbeteiligung (Art. 181, 196 ff. ZGB), im italienischen Recht die Gütergemeinschaft (Art. 159, 177 ff. codice civile – comunione legale). Die Schweiz kennt als vertragliche Güterstände ebenfalls die Gütergemeinschaft (Art. 221 ff. ZGB) und die Gütertrennung (Art. 247 ff. ZGB). Auch im italienischen Recht existiert eine Gütertrennung (Art. 215 ff. codice civile – regime di separazione dei beni) und es kann die Gütergemeinschaft vertraglich modifiziert werden (Art. 210 codice civile). Alle drei Rechtsordnungen gehen also von gesetzlichen und vertraglichen Güterständen aus. Die objektive Anknüpfung erfolgt über Art. 15 I EGBGB, der wiederum auf Art. 14 EGBGB verweist. Wie schon bei den allgemeinen Ehewirkungen gelangt man wegen des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von M und F zur Anwendung deutschen Rechts. Zu beachten ist allerdings, dass das Güterrechtsstatut im Gegensatz zu dem allgemeinen Ehewirkungsstatut unwandelbar ist (zu erkennen an der Formulierung: „... dem bei der Eheschließung ...“). Es bleibt bei einem späteren Statutenwechsel unverändert. Die Unwandelbarkeit besteht im Sinne einer Vorhersehbarkeit und vermeidet Komplikationen bei der Vermögensauseinandersetzung infolge Statutenwechsels, mit dem die Entstehung unterschiedlicher Vermögensmassen und Auseinandersetzungsregeln einhergehen kann. Allerdings können die Ehegatten eine Rechtswahl für die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe treffen. Im Bereich des Güterrechts findet

Lektion 13: Familienrecht die Rechtswahl im Familienrecht ihre größte Ausprägung. Weil es vorrangig um Vermögensinteressen als um Schutzaspekte geht, wird die Privatautonomie gefördert. Zu erkennen ist dies an einem Vergleich von Art. 14 EGBGB zu Art. 15 EGBGB. In Art. 14 EGBGB ist die Rechtswahl nur subsidiär zulässig, während sie in Art. 15 EGBGB gleichrangig neben der objektiven Anknüpfung steht. Über Art. 15 II Nr. 1 EGBGB können M und F eines ihrer Heimatrechte (italienisches oder schweizerisches Recht) als Güterstatut wählen; Nr. 2 ist nicht einschlägig, mangels Sachverhaltsinformationen ebensowenig Nr. 3. Die Rechtswahl bedarf der Form des Art. 15 III EGBGB i.V.m. Art. 14 IV EGBGB. Die Rechtswahlmöglichkeit meint nur die Wahl der Rechtsordnung und darf nicht mit der nach der jeweiligen Rechtsordnung möglichen vertraglichen Modifizierung des Güterrechts verwechselt werden. Erst wird die Rechtsordnung feststeht stellt sich die Frage, ob eine vertragliche Gestaltung möglich ist. In Fall 57 müssen sich M und F also – weil alle drei Rechtsordnungen Eheverträge erlauben – entscheiden, nach welcher sie einen vertraglichen Güterstand vereinbaren wollen.

Ehescheidung

Fall 59

Die uns nun schon etwas bekannten M und F aus Fall 56 haben sich schon nach wenigen Jahren auseinandergelebt und empfinden nur noch wenig Sympathie füreinander. Nachdem sie bereits seit einigen Monaten Tisch und Bett trennen, zieht M aus der gemeinsamen Ehewohnung aus. Beide wollen so schnell wie möglich geschieden werden. Welches Recht ist anwendbar? Käme auch die Möglichkeit einer Rechtswahl in Betracht? Im Bereich der Ehescheidung gilt es, die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts vom 20.12.2012 (Rom III-VO) zu kennen. Sie hat europaweit das Kollisionsrecht zur Bestimmung des auf die Ehescheidung anwendbaren Rechts vereinheitlicht. Art. 17 EGBGB a.F. gilt nur noch für Altfälle, die vor dem 21.6.2012 eingeleitet worden sind. Die Rom III-VO ergänzt die Brüssel IIa-VO, die lediglich

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Besonderer Teil des IPR für Zuständigkeits- und Verfahrensfragen gilt (siehe Lektion 16). An der Rom III-VO nehmen nicht alle 27 EU-Mitgliedstaaten teil. Weil man sich im Gesetzgebungsverfahren nicht auf einen Standpunkt einigen konnte, haben sich 14 Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) für eine Verstärkte Zusammenarbeit (Rechtsgrundlagen: Art. 20 EUV und Art. 326 ff. AEUV) verständigt. Die Verstärkte Zusammenarbeit ist ein auf europäischer Gesetzgebungsebene bestehendes Verfahren, welches einer Gruppe von Mitgliedstaaten (mindestens neun) den Weg einer begrenzten Rechtsvereinheitlichung ermöglicht. Eine Bewertung dieses politischen Instruments fällt nicht leicht. Folgt man dem Leitspruch: „Ein bisschen Integration ist besser als gar keine“, überwiegen die Vorteile; von Nachteil ist es, weil die damit einhergehende zusätzliche Rechtszersplitterung den Umgang mit der ohnehin verzweigten europäischen Gesetzgebung zusätzlich erschwert. Die gesetzliche Regelanknüpfung der Rom III-VO an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bedeutet eine Abkehr vom im deutschen Scheidungskollisionsrecht bisher geltenden Staatsangehörigkeitsprinzip (Art. 17 I S. 1 EGBGB a.F. i.V.m. Art. 14 I Nr. 1 EGBGB). Der Geltungsbereich der Rom III-VO ist, wie bei anderen VOen auch, universell ausgestaltet, so dass auch das Recht eines an der Verstärkten Zusammenarbeit nicht teilnehmenden Mitgliedstaates oder Drittstaates berufen werden kann (Art. 4 Rom III-VO). Art. 5 – 7 Rom III-VO regeln die Rechtswahl, die der Parteiautonomie im Scheidungskollisionsrecht zur Geltung verhilft. In Ermangelung einer solchen wird nach Art. 8 Rom III-VO objektiv angeknüpft. Nun zur Lösung von Fall 59: Die Verweisung – egal auf welches der drei Rechte – wäre eine Sachnormverweisung (Art. 11 Rom III-VO). Daher muss untersucht werden, nach welchem der in Betracht kommenden nationalen Rechte am einfachsten und schnellsten eine Ehescheidung möglich ist und ob dieses günstige Recht dann auch auf die Scheidung zur Anwendung gelangen kann. Das deutsche materielle Scheidungsrecht findet sich §§ 1564 ff. BGB. Voraussetzung der Ehescheidung ist das Scheitern der Ehe (Zerrüttungsprinzip), § 1565 I BGB. Nach einem Jahr des Getrenntlebens wird, wenn beide Ehegatten die Scheidung beantragen, das Scheitern der Ehe vermutet (§ 1566 I BGB).

Lektion 13: Familienrecht Das schweizerische Familienrecht kennt die Scheidung auf gemeinsames Begehren (Art. 111 ZGB). Nach Art. 111 I ZGB wird die Ehe geschieden, wenn die Ehegatten gemeinsam die Scheidung verlangen und sie eine vollständige Vereinbarung über die Scheidungsfolgen einreichen. Nach italienischem Eherecht gibt es die gerichtliche (separazione giudiziale) und einvernehmliche Ehetrennung (separazione consensuale) sowie die Ehescheidung (divorzio). Der wichtigste Scheidungsgrund ist die Scheidung nach vorhergehender Trennung der Ehe. Die Trennung muss sich zuvor ununterbrochen über drei Jahre vollzogen haben. Im Vergleich der Scheidungsrechte ließe sich nach schweizerischem Recht, dem Wunsch der Ehegatten folgend, die Ehescheidung am zügigsten herbeiführen. Das objektive Scheidungsstatut wäre in Fall 59 gemäß Art. 8 lit. a Rom III-VO deutsches Recht. Im Wege der Rechtswahl könnten M und F über Art. 5 I lit. c Rom III-VO zum schweizerischen Recht als Scheidungsstatut gelangen, wenn die Rechtswahl ihrerseits den materiellen und formellen Anforderungen der Art. 6 f. Rom III-VO entspräche. Unschädlich ist, dass die Schweiz nicht Mitgliedstaat der EU ist (Stichwort: loi uniforme).

Exkurs: Unterhalt Zum internationalen Unterhaltsrecht sollten sie sich Folgendes merken: Das Unterhaltsrecht betrifft Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen. In der Praxis geht es hauptsächlich um nachehelichen Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt. Die Rechtsquellenlage erschwert die Arbeit mit der Materie. Art. 18 EGBGB a.F. ist als unterhaltsrechtliche Kollisionsvorschrift entfallen. An ihre Stelle ist die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen vom 18.12.2008 (EuUntVO) getreten. Sie enthält nicht nur Kollisionsregeln, sondern auch das im Zusammenhang mit dem Unterhalt stehende Verfahrensrecht (Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung). Das anwendbare Recht wird allerdings nicht direkt von der EuUntVO bestimmt; es ergibt sich für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwen-

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Besonderer Teil des IPR dende Recht vom 23.11.2007 (HUntProt 2007) gebunden sind, nach jenem Protokoll (Art. 15 EuUntVO). Am 18.6.2011 ist dieses Haager Protokoll in Kraft getreten (die EU ist hier selbst Vertragspartner des Protokolls und nicht die Mitgliedstaaten). Die Unterhaltsbeziehungen werden in Art. 3 – 6 HUntProt 2007 angeknüpft. Die Grundsatzanknüpfung erfolgt nach dem Aufenthaltsrecht des Unterhaltsgläubigers, Art. 3 HUntProt 2007. Überdies erlauben Art. 7 f. HUntProt 2007 eine Rechtswahl.

Übersicht 14: Das Anknüpfungssystem im internationalen Familienrecht Anknüpfungsgegenstände Eheschließung Inhalt

Allgemeine Ehewirkungen

Güterstand

Scheidung

Unterhalt

ZustandeAlle Wirkommen der kungen, Ehe in madie nicht terieller und eigenständig formeller angeknüpft Hinsicht werden

Sonderordnung des Vermögens der Ehegatten aus Anlass der Ehe

gerichtliche Auflösung und Trennung der Ehe

Versorgungsleistungen kraft Familien-, Ehe- oder Verwandtschaftsverhältnis

Art. 17 I EGBGB Art. 8 Rom III-VO

Art. 15 EuUntVO i.V.m. Art. 3 – 5 HUntProt 2007

Art. 17 I S. 1 i.V.m. Art. 14 II, III EGBGB, Art. 5 – 7 Rom III-VO

Art. 15 EuUntVO i.V.m. Art. 7 f. HUntProt 2007

objektiv Art. 13, 11 EGBGB

Anknüpfung Rechtswahl



Art. 14 I EGBGB

Art. 15 I EGBGB

Art. 14 II – IV Art. 15 II, III EGBGB EGBGB

Lektion 14: Erbrecht

Lektion 14: Erbrecht Das internationale Erbrecht trifft Regelungen zur Rechtsnachfolge von Todes wegen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Die Rechtsgrundlagen finden Sie in Art. 25 f. EGBGB. Für eingetragene Lebenspartnerschaften ist Art. 17b I S. 2 EGBGB zu beachten.

Objektive Anknüpfung

Fall 60

Der spanische Staatsangehörige S ist in München verstorben. Dort hatte er seit vielen Jahren seinen Wohnsitz. Zu seinem Vermögen gehören zwei Grundstücke, wovon eins in München und eins in Madrid liegt. Außerdem werden in seiner Münchner Wohnung wertvolle Schmuckstücke gefunden. Eine Verfügung von Todes wegen hat S nicht hinterlassen. Nach welchem Recht wird die Erbfolge bestimmt? Zur Lösung des Falles 60 sehen wir uns das internationale Erbrecht an. S hat keine Verfügung von Todes wegen (Testament) hinterlassen. Das Erbstatut ist objektiv anzuknüpfen. Art. 25 I EGBGB bestimmt die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Recht des Staates, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. S war zum Zeitpunkt seines Todes spanischer Staatsangehöriger. Deutsches IPR verweist auf das spanische Recht. Hier handelt es sich um eine Gesamtverweisung (Art. 4 I S. 1 EGBGB) unter Einschluss des spanischen Kollisionsrechts. Die Rechtsnachfolge von Todes wegen richtet sich im spanischem IPR gemäß Art. 9 Nr. 8 código civil nach dem Heimatrecht des Erblassers (Gesamtverweisung). Das spanische IPR folgt dem Staatsangehörigkeitsprinzip und nimmt die Verweisung an. Spanisches Recht ist Erbstatut. Nach Art. 9 Nr. 8 código civil spielt es keine Rolle, ob es sich um bewegliche oder unbewegliche Sachen handelt und ob sie im In- oder Ausland belegen sind (Prinzip der Nachlasseinheit, Art. 661 código civil). Eine kollisionsrechtliche Nachlassspaltung findet nicht statt. Alle Nachlassgegenstände werden einheitlich nach spanischem Recht beurteilt.

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Besonderer Teil des IPR

Rechtswahl

Fall 61

Wie Fall 60. Im Nachlass des S findet sich nun ein Testament, das S zu Lebzeiten vor einem Notar in München errichtet hatte. Dort hat er eine Rechtswahl für beide Grundstücke zugunsten deutschen Rechts getroffen. Welches Recht ist Erbstatut? Die Rechtswahlmöglichkeiten im internationalen Erbrecht sind eingeschränkt. Dort, wo staatliche Ordnungsinteressen ein Rechtsgebiet besonders stark beeinflussen, treten Parteiinteressen in den Hintergrund. Das haben Sie bereits im Familienrecht (Lektion 13) und gesetzlichen Schuldrecht (Lektion 11) unterschiedlich stark ausgeprägt kennengelernt. Im Erbrecht ist dieses Prinzip noch weiter eingeschränkt. Lediglich Art. 25 II EGBGB erlaubt eine gegenständlich begrenzte Rechtswahl. Begrenzt ist die Rechtswahl auf unbewegliches in Deutschland befindliches Vermögen. Unbewegliches Vermögen meint sämtliche dinglichen Rechte an Grundstücken (Eigentum, beschränkt dingliche Rechte). Für die Form der Rechtswahl verweist Art. 25 II EGBGB auf Art. 26 EGBGB. Die in Fall 61 getroffene Wahl deutschen Rechts für das in Deutschland belegene Grundstück ist zulässig. Das spanische Grundstück ist davon nicht erfasst. Zwar hat S auch dafür die Rechtswahl getroffen. Art. 25 II EGBGB gilt als einseitige Kollisionsnorm nur für inländisches unbewegliches Vermögen. Ein allseitiger Ausbau der Norm kommt nach h.M. nicht in Betracht. Die Rechtswahl ist also teilweise unwirksam. Als Folge kommt es in Fall 61 zu einer Nachlassspaltung, weil S neben seinem unbeweglichen Vermögen auch bewegliches (Schmuck) hinterlässt. Für dieses Vermögen bleibt es bei der Anwendbarkeit spanischen Rechts als Erbstatut, ebenso für das Grundstück in Spanien wegen teilweise unwirksamer Rechtswahl. Zur Nachlassspaltung im internationalen Erbrecht nun ein Leitsatz, der das Wesentliche direkt aufzeigt.

Lektion 14: Erbrecht

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Leitsatz 28 Nachlassspaltung Der Grundsatz der Nachlasseinheit wird im internationalen Erbrecht häufig zugunsten einer Nachlassspaltung durchbrochen. Bei einer Nachlassspaltung findet auf die zum Vermögen des Erblassers gehörenden Gegenstände nicht nur ein Erbstatut Anwendung, sondern hinsichtlich bestimmter Vermögensgegenstände unterschiedliche Rechte. 1. Wenn infolge objektiver Anknüpfung die Verweisung auf ein Recht fällt, dessen Kollisionsrecht bewegliches Vermögen an die Staatsangehörigkeit und unbewegliches Vermögen an den Belegenheitsort anknüpft. 2. Die gegenständlich begrenzte Rechtswahl zugunsten eines bestimmten Rechts erfolgt. 3. Art. 3a II EGBGB für Sondervermögen eingreift (selten!).

Verfügungen von Todes wegen

Fall 62

Der Österreicher Ö lebt seit vielen Jahren in einer Seniorenresidenz in München. In Erwartung des baldigen Todes möchte er noch schnell ein Testament errichten. Weil ihm die körperlichen Kräfte dazu fehlen, bittet er seine Pflegekraft darum, seinen letzten Willen schriftlich zu Papier zu bringen. Um den Vorgang zu dokumentieren, bittet er außerdem drei Mitbewohner um die Anwesenheit bei der Niederschrift. Nachdem alles niedergeschrieben ist, unterzeichnet Ö die Urkunde. Außerdem unterschreiben alle drei Mitbewohner auf der Urkunde mit dem Zeugenvermerk. Ist das Testament wirksam? Durch letztwillige Verfügung von Todes wegen kann der Erblasser zu Lebzeiten die Erbfolge abweichend von der gesetzlichen Anordnung regeln. Fall 62 geht es um die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen ergeben sich nicht aus Art. 25 I EGBGB, sondern nach der speziellen Vorschrift des Art. 26 EGBGB. Art. 26 EGBGB bezieht sich ausschließlich auf die Form letztwilliger Verfügungen. Art. 26 EGBGB geht Art. 11 EGBGB als lex specialis in der Anwendung

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Besonderer Teil des IPR vor. Die inhaltliche Wirkung der Verfügung richtet sich wieder nach Art. 25 I EGBGB. Art. 26 I EGBGB folgt vom Aufbau her einer alternativen Anknüpfung. Die große Zahl möglicher Anknüpfungsvarianten soll die Wirksamkeit eines Testaments begünstigen (favor testamenti). In Fall 62 ist Art. 26 I Nr. 1 EGBGB erfüllt. Ö hat nach dem Recht des Staates, dem er zum Zeitpunkt der Verfügung angehörte, wirksam verfügt. § 579 ABGB erlaubt ein von fremder Hand geschriebenes Testament, wenn zugleich der Erblasser und drei weitere Zeugen anwesend sind, die am Ende des Vorgangs auf der Urkunde ihr Zeugnis dokumentieren. Laut der Angaben in Fall 62 wurde dies beachtet. Unschädlich ist insbesondere auch, dass eine solche Verfügung von Todes wegen nach deutschem materiellen Erbrecht nicht wirksam wäre (vgl. § 2247 I BGB). Hinweis: In der Wissenschaft wird darüber gestritten, ob Art. 26 I – III EGBGB überhaupt angewendet werden darf. Grund für diese Annahme ist das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5.10.1961. Art. 26 I – III EGBGB ist den Regeln dieses Übereinkommens identisch nachgebildet. Nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB gehen aber völkerrechtliche Vereinbarungen den nationalen Vorschriften immer vor.

Qualifikationsprobleme Bereits in Lektion 5 haben Sie von den Schwierigkeiten rund um das Thema Qualifikation erfahren. Gerade im internationalen Erbrecht stellen sich immer wieder Qualifikationsprobleme. Überschneidungen ergeben sich zum Familien- und Gesellschaftsrecht.



Fall 63

Die im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Eheleute M und F wohnen mit ihren zwei Kindern in Hamburg. M ist Österreicher und F Deutsche. Als M unerwartet stirbt, fragen die Hinterbliebenen nach ihrem Erbrecht. Ein Testament gibt es nicht. Wie ist die Rechtslage? Zur Ermittlung des Erbstatuts ist Art. 25 I EGBGB heranzuziehen. M ist Österreicher. Art. 25 I EGBGB verweist auf M’s Heimatrecht als Erbstatut.

Lektion 14: Erbrecht § 28 I IPRG nimmt die Verweisung an. Nach §§ 730, 731 I, 757 I S. 1 ABGB erben F und die Kinder im Wege der gesetzlichen Erbfolge zu je ⅓. Die Frage ist nun, ob und wie gegebenenfalls das Ehegüterrecht dieses Ergebnis modifizieren kann. Güterrechtliche Fragen werden nach Art.  15  I, 14 I Nr.  2 EGBGB angeknüpft. Als Güterstatut wird deutsches Recht berufen. Der letzte gemeinsame Aufenthalt von M und F war Hamburg; F wohnt immer noch dort. Die Ehegatten lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§ 1363 I BGB). In diesem Güterstand erhöht sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten gemäß § 1371 I BGB (Zugewinnausgleich im Todesfall). Zu diesem Ergebnis käme man in Fall 63 nur, wenn § 1371 BGB eine Norm des Güterrechts wäre. Würde sie hingegen dem Erbrecht zuzuordnen sein, wäre sie mangels Anwendbarkeit des deutschen Erbstatuts nicht anwendbar. Aus systematischer Sicht ist ihr Standort nicht das Erbrecht, sondern Familienrecht. Dies spricht für eine güterrechtliche Regelung, wenngleich § 1371 BGB in enger Verbindung zu § 1931 BGB steht. § 1931 I BGB regelt das gesetzliche Erbrecht des Ehegatten. Unter Anwendung von §§ 1931 I S. 1, III BGB i.V.m. 1371 I BGB erbt der überlebende Ehegatte ½ (¼ aus § 1931 I BGB + ¼ aus § 1371 I BGB). Aus funktionaler Sicht will § 1371 BGB einen güterrechtlichen Ausgleich bewirken. Die Vorschrift ist daher dem Güterstatut zuzuordnen. Das so gefundene Ergebnis in Fall 63 bedarf einer Korrektur. Art. 15, 25 EGBGB verwenden unterschiedliche Anknüpfungsmomente. Die Statute fallen auseinander. F bekäme durch den zusätzlichen güterrechtlichen Zugewinnausgleich mehr zugewendet, als ihr aus erbrechtlicher Sicht zustünde; nach deutschem Recht hätte sie nämlich im Ergebnis ½ und nach österreichischem Recht ⅓. Die Erbquote von ⅓ (§ 757 I ABGB) würde sich zusätzlich um ¼ (§ 1371 I BGB) erhöhen. F bekäme infolge der Kombination von Erb- und Güterstatut mehr, als ihr separat nach den Erbrechten zustünde. In diesem Fall muss eine Anpassung erfolgen. Eine Anpassung stellt ein ungeschriebenes kollisionsrechtliches Korrektiv dar und gleicht materiell-rechtlich gefundene Ergebnisse ausnahmsweise an. Im Ergebnis zu Fall 63 bekommt F maximal ½ der Erbquote, weil sie selbst nach deutschem Erbrecht nicht mehr erhielte.

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Besonderer Teil des IPR

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Leitsatz 29 Angleichung Die Angleichung (bzw. Anpassung) als kollisionsrechtliches Korrektiv dient der Auflösung von Normwidersprüchen, die infolge unterschiedlicher Anknüpfungsmethoden auftreten können. Ihre praktische Bedeutung ist, abgesehen von erbrechtlichen Sachverhalten, gering. Man unterscheidet zwischen Normenhäufung (mehrere Rechtsordnungen lösen den Sachverhalt unterschiedlich, was zu einer ungewollten Vervielfachung von Ansprüchen führt) und Normenmangel (wenn keine der berufenen Rechtsordnungen das Rechtsproblem zu lösen vermag). Eine Angleichung greift auf kollisionsrechtlicher Ebene in das Ergebnis ein, indem die gesamte Rechtsbeziehung einem einheitlichen Statut unterstellt wird: Bildhaft gesprochen findet eine „Neuqualifikation“ statt.

Übersicht 15: Prinzipien des internationalen Erbrechts Prinzip



Umsetzung im EGBGB

Staatsangehörigkeit



Art. 25 I – „Recht des Staates, dem der Erblasser angehörte“

Unwandelbarkeit des Erbstatuts



Art. 25 I – „im Zeitpunkt seines Todes“

Grundsatz der Nachlasseinheit



Art. 25 I – „Die Rechtsnachfolge von Todes wegen“

Gesamtverweisung



Art. 25 i.V.m. Art. 4 I – „Recht des Staates“

Begrenzung der Rechtswahl



Art. 25 II – „im Inland belegenes unbewegliches Vermögen“

Lektion 15: Gegenstand und Rechtsquellen

IV. Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Lektion 15: Gegenstand und Rechtsquellen Bis zum Beginn dieses Kapitels handelte die Darstellung ausschließlich vom IPR. Sie haben gelernt, wie das auf den Fall anwendbare materielle Recht anhand des Kollisionsrecht ermittelt wird. Die verfahrensrechtliche Dimension eines Auslandsfalles blieb bisher unerwähnt. Nur zu Anfang wurde kurz auf die Existenz des Internationalen und Europäischen Zivilverfahrensrechts hingewiesen und schon angedeutet, von welch großer Bedeutung dieser Bereich für grenzüberschreitende Rechtsfälle ist. Auch wenn die Darstellung im Haupttitel „IPR“ heißt, gehören doch IPR und IZVR nahezu untrennbar zusammen. Nachfolgend sollen diese Gedanken weitergeführt und vertieft werden.

Begriffsklärung IZVR ist ein rechtlicher Oberbegriff und betrifft ganz allgemein gesprochen formelles Recht. Es umfasst im Gegensatz zum IPR nicht die materiell-kollisionsrechtliche Seite eines internationalen Sachverhalts, sondern regelt seine verfahrensrechtliche Behandlung vor Gerichten. An der Existenz des IZVR können Sie sehen, dass es keine Rechtsverweigerung hinsichtlich internationaler Sachverhalte vor nationalen Gerichten gibt. Zum einen kann man zwischen IZVR im engeren Sinn sprechen: Dazu gehören das Erkenntnisverfahren XXGerichtsbarkeit XXZuständigkeit XXRechtshängigkeit XXRechtskraft

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht XXZustellung von Schriftstücken XXBeweisaufnahme und das Vollstreckungsverfahren XXAnerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen IZVR im weiteren Sinn umfasst neben dem eigentlichen Prozessrecht auch die internationale Freiwillige Gerichtsbarkeit, die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und das internationale Insolvenzrecht. Wenn im Gegensatz zum IZVR vom Internationalen Zivilprozessrecht, kurz IZPR, die Rede ist, so handelt es sich dabei nur um einen Teilbereich aus dem IZVR. Das Prozessrecht betrifft immer diejenigen Rechtsregeln, die ein streitiges gerichtliches Verfahren betreffen.

Entwicklungstendenzen im IZVR Zur aktuellen Verständlichkeit des Ausdrucks IZVR sind die Entwicklungen von Bedeutung. Wenn wir heute von IZVR sprechen, ist dies nicht mehr ganz korrekt. Nimmt man es genau, müsste man in der Mehrzahl der Rechtsvorschriften vom Europäischen Zivilverfahrens- und Prozessrecht sprechen. In der jüngeren Vergangenheit hat sich – sie merken den Vergleich zum IPR – ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Rechtsquellen zum IZVR, die früher überwiegend völkerrechtlich geprägt waren, wurden nach und nach durch europäische Gesetze ersetzt. Da aber auch die europäischen Gesetze thematisch nach wie vor das IZVR betreffen, sich also nur die Rechtsquelle geändert hat, ist es nicht falsch und nach wie vor gebräuchlich, auch im Zusammenhang mit europäischem Zivilverfahrens- und Prozessrecht von (europäischem) IZVR zu sprechen.

Lektion 15: Gegenstand und Rechtsquellen

Übersicht 16: IZVR im Kontext IZVR im engeren Sinn

im weiteren Sinn

Erkenntnisverfahren

Schiedsgerichtsbarkeit

Gerichtsbarkeit Zuständigkeit Rechtshängigkeit Rechtskraft Zustellung Beweisaufnahme

Freiwillige Gerichtsbarkeit Insolvenzrecht

Vollstreckungsverfahren Anerkennung Vollstreckung

Lex fori

Fall 64

D klagt vor dem zuständigen österreichischen Gericht gegen Ö infolge eines internationalen Vertrages. Ausländisches Recht ist auf den Vertrag anwendbar. Das Gericht wendet auf den Prozess die österreichische Zivilprozessordnung an. D ist der Ansicht, dies sei nicht zulässig. Wenn das Gericht nach dem IPR verpflichtet sei, ausländisches Recht in der Sache zu prüfen und anzuwenden, müsse es auch für das Verfahren ausländisches Prozessrecht heranziehen. Stimmt das? D’s Ausführungen treffen nicht zu. Das tragende Prinzip im IZVR lautet: Das Gericht wendet sein eigenes Verfahrensrecht (lat. lex fori – Recht des Gerichts) an – und das auch, wenn es den Rechtsstreit anhand aus-

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht ländischer Rechtsnormen entscheidet. Beim Recht des Gerichts handelt es sich um das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht. Dieses bestimmt über Fristen, Ladungen, Termine, Vertretungen usw. Wenn bspw. deutsche Gerichte für einen Rechtsstreit international zuständig sind, wenden sie auf das Verfahren immer die ZPO an. Ausländisches Verfahrensrecht ist für inländische Gerichte ohne Bedeutung. Die Geltung der lex fori wird damit begründet, dass es sich bei Verfahrensrecht um formelle Verhaltensregeln für die Prozessbeteiligten handelt. Solche Verfahrensregeln sind in der Regel neutral. Die Gefahr, dass reine Verfahrensregeln eine Partei im Verhältnis zur anderen belasten oder bevorzugen, erscheint im Vergleich zum materiellen Recht geringer. In Fall 64 ist das österreichische Gericht – seine internationale Zuständigkeit unterstellt – dazu verpflichtet, den zwischen D und Ö anhängigen Rechtsstreit anhand der österreichischen ZPO zu gestalten.

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Leitsatz 30 Lex fori Die strikte lex fori-Regel prägt das IZVR. Das Recht des Gerichts ist ein festes Dogma. Seine Geltung wird mit der Neutralität des Verfahrensrechts begründet. Diese Begründung ist nicht zwingend. Auch materielle Rechte sind neutral und gelten für alle Beteiligten gleichermaßen.

Rechtsquellen Die Rechtsquellenlehre hat auch im Rahmen des IZVR große Bedeutung. Wie im IPR, sehen Sie sich hier mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen gibt es ebenso kein einzelnes, umfassendes IZVR-Gesetz, sondern viele Regelwerke. Zum anderen sind diese vertikal hierarchisch strukturiert. Diesen Aufbau gilt es bei der Suche und Anwendung der Norm zu beachten.

Europäisches IZVR Wie bereits zuvor angesprochen, ist das IZVR mehr noch als das IPR von Rechtsakten der EU geprägt.

Lektion 15: Gegenstand und Rechtsquellen Die beiden wohl wichtigsten VOen des europäischen IZVR sind: –– Brüssel I-VO – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 Hinweis: Weitere gebräuchliche Abkürzungen für die Brüssel I-VO sind EuGVO und EuGVVO. –– Brüssel IIa-VO – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27.11.2003 Hinweis: Das „a“ im Verordnungsname lässt erkennen, dass es auch eine Brüssel II-VO gibt. Diese war die Vorgängerregelung und wurde abgelöst. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe weiterer VOen. Ihr Anwendungsbereich ist zum Teil sehr speziell. Für die Vermittlung der Grundzüge zum IZVR ist es ausreichend, wenn Sie von ihrer Existenz wissen: –– EuInsVO – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 29.5.2000 –– EuBewVO – Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen vom 28.5.2001 –– EuVTVO – Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21.4.2004 –– EuMahnVO – Verordnung (EG) Nr.  1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens vom 12.12.2006

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht –– EuBagatellVO – Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen vom 11.7.2007 –– EuZustellVO – Verordnung (EG) Nr.  1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten vom 13.11.2007

Völkervertragliches IZVR Bedeutsames IZVR völkerrechtlichen Ursprungs ist das Übereinkommen
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 – „Luganer-Übereinkommen“ (LugÜ). Es gilt im Verhältnis der EU-Staaten zu Island, Norwegen und Schweiz. Die drei genannten Staaten gehören nicht zur EU, sondern sind Mitglieder der Europäischen Freihandelszone (engl. European Free Trade Association – EFTA). Das LugÜ ist seit 1.1.2010 in revidierter Fassung in Kraft, die äußerlich und inhaltlich an die Brüssel I-VO angepasst ist. Es stellt einen Quasi-Ersatz der Brüssel I-VO für die genannten Staaten dar, weil die Brüssel I-VO als EU-Rechtsakt nur auf Mitgliedstaaten Anwendung findet. Um auch diese Staaten in den Prozess der Rechtsvereinheitlichung im IZVR auch zu Nichtmitgliedstaaten der EU einzubeziehen, existiert das LugÜ. Daneben gibt es verschiedene Haager Übereinkommen auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe. Auch deren Bedeutung hat im Zuge der Europäisierung des IZVR abgenommen. Wichtig ist das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und die Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (KSÜ), welches auch für Deutschland seit 1.1.2011 in Kraft ist.

Nationales IZVR Auch nationale (= autonome) Rechtsvorschriften können Regelungen zum IZVR enthalten. Dazu zählen alle Rechtsquellen des nationalen Rechts, die nicht europa- oder völkerrechtlichen Ursprungs sind. Einerseits sind sie subsidiär, andererseits haben sie in den letzten Jahren aufgrund der Europäisierung des IZVR an Bedeutung verloren. Gänzlich überflüssig

Lektion 15: Gegenstand und Rechtsquellen sind sie allerdings nicht. Die ZPO enthält im Buch 11 ein Kapitel über die „justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union“ (§§ 1067 – 1109 ZPO). Darüber hinaus finden sich Einzelvorschriften über die gesamte ZPO verteilt betreffend das IZVR (§§ 15, 293, 328, 722 f. ZPO). Eine Besonderheit sollten Sie unbedingt beachten: §§ 12 ff. ZPO regeln die örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte und gleichzeitig auch die internationale Zuständigkeit (siehe Fall 73). Schließlich enthalten die §§ 98 – 110 FamFG Regelungen zum autonomen IZVR in Familiensachen.

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit Bedeutung

Fall 65

Der Deutsche D befindet sich im Sommerurlaub in Spanien. Vor Ort mietet er sich für drei Tage einen Kleinwagen. Während der Fahrt durch das Gebirge gerät D in einen Autounfall, indem er mit dem Pkw des unvorsichtigen Österreichers Ö zusammenprallt. D wird verletzt. Seine Schadensersatzansprüche gegen Ö richten sich nach spanischem Recht (Art. 4 I Rom II-VO). Was muss D beachten, wenn er vor einem Gericht Klage erheben will? In Fall 65 haben Sie bereits den Hinweis auf die anzuwendende Rechtsordnung. Nach spanischem Recht beurteilen sich die Ausgleichsansprüche. Wenn Ö nun aber nicht gewillt ist, freiwillig an D zu zahlen, muss D Rechtsschutz vor einem staatlichen Gericht suchen. Welches Gericht ist dann zuständig? Hat D möglicherweise die Wahl oder gibt es nur einen Gerichtsstand? Das IPR ermittelt das anwendbare materielle Recht. Ein schwerer Fehler wäre es, anhand des IPR auch das international zuständige Gericht bestimmen zu wollen. Wer so vorgeht, missachtet die korrekte Reihenfolge der Prüfung: Das international zuständige Gericht wendet nämlich sein IPR an. Dies kann es aber logischerweise erst, wenn zuvor seine internationale Zuständigkeit bejaht wurde. Ebenso verfehlt wäre es, auf die nationalen Zuständigkeiten (örtlich, sachlich) zurückzugreifen – sie setzen die internationale Zuständigkeit voraus und sind ihr nachgelagert. Hinweis: Entgegen dem hier gewählten Aufbau (erst IPR, dann IZVR) prüft ein Richter, bevor er IPR anwendet, ob „sein“ Gericht international zuständig ist. Erst wenn er das bejaht, wird er sich der Rechtsermittlung unter Heranziehung des IPR zuwenden. Der Aufbau dieses Buches wurde aus didaktischen Gründen gewählt. Anders als in der Praxis ist es bei der Einarbeitung in diese Rechtsmaterie von Vorteil, zuerst das IPR zu erlernen und sich dann dem IZVR zu widmen. Auch in den juristischen Pflichtfächern ihres Studiums folgt das Verfahrens- und Prozessrecht auf das materielle Recht.

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit Wenn – wie in Fall 65 – ein Sachverhalt kraft seiner internationalen Ausrichtung Bezugspunkte zu mehreren Rechtsordnungen aufweist, stellt sich die Frage, welches Gericht welchen Staates zuständig ist. Diese Frage muss sich auch D stellen um herauszufinden, wo (in welchem Land) er seine Klage erheben muss.

Übersicht 17: Zusammenspiel internationale Zuständigkeit und IPR IZVR bestimmt Zuständigkeit des Gerichts

Gericht wendet IPR an

Gericht wendet Sachrecht an

Entscheidung des Rechtsstreits

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Leitsatz 31 Internationale Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit ist eine Teilfrage aus dem IZVR und betrifft die Abgrenzung der Zuständigkeit der nationalen Gerichte zur Entscheidung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts. Die internationale Zuständigkeit wird in Zivil- und Handelssachen in den meisten Fällen nach der Brüssel I-VO (innerhalb der EU) und in Ehe- und Kindschaftssachen nach der Brüssel IIa-VO bestimmt. Nach den nationalen Verfahrens- und Prozessrechten (Deutschland: ZPO, GVG, FamFG) richten sich die örtliche, sachliche und funktionelle Zuständigkeit des Gerichts.

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht

Anwendbarkeit der Brüssel I-VO

Fall 66

K aus München kauft vom in Rom ansässigen Feinkosthändler V (Einzelkaufmann) eine Auswahl hochwertiger Olivenöle (Preis: 300 €). Die Lieferung sollte nach München erfolgen. Weil die Lieferung auf sich warten lässt, meldet sich K bei V. V reagiert auch auf weitere Aufforderungen des K nicht, woraufhin K vor dem AG München gegen V auf Erfüllung klagt. Ist die Brüssel I-VO zur Ermittlung der internationalen Zuständigkeit anwendbar? Die internationale Zuständigkeit der Gerichte ist nach der Brüssel I-VO zu bestimmen, wenn sie im Fall 66 auf den Sachverhalt anwendbar ist. Die Anwendbarkeit der Brüssel I-VO wird in sachlicher, räumlichpersönlicher und zeitlicher Hinsicht geprüft. Der sachliche Anwendungsbereich wird nach Art. 1 Brüssel I-VO bestimmt. Voraussetzung ist eine Zivil- oder Handelssache und das Nichtvorliegen einer der Bereichsausnahmen in Art. 1 I S. 1, II Brüssel I-VO. Zivil- und Handelssachen meinen alle privatrechtlichen Ansprüche aufgrund vertraglicher und gesetzlicher Grundlage. In Fall 66 macht K Ansprüche aus einem Kaufvertrag geltend. Hierbei handelt es sich klassischerweise um eine Zivilsache. Eine der genannten Ausnahmen liegt nicht vor. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich ergibt sich aus einem Zusammenspiel der Art. 1 III, 2 – 4 Brüssel I-VO. Der Beklagte muss seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben (Ausnahmen: Art. 22 f. Brüssel I-VO). Welcher Staat Mitgliedstaat ist, ergibt sich aus Art. 1 III Brüssel I-VO: Alle Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks. Im Verhältnis zu Dänemark gilt seit 1.7.2007 ebenfalls die Brüssel I-VO kraft eines Parallelabkommens. Ob die Partei im Mitgliedstaat einen Wohnsitz hat, regeln die Art. 59 f. Brüssel I-VO. Zu unterscheiden ist zwischen natürlichen und juristischen Personen. Bei natürlichen Personen bestimmt das Gericht gemäß Art. 59 I Brüssel I-VO nach der lex fori, ob der Wohnsitz in einem Mitgliedstaat liegt, bei Gesellschaften und juristischen Personen nach Art. 60 I Brüssel I-VO. Weil V als Einzelkaufmann eine natürliche Person ist, gilt Art. 59 I Brüssel I-VO. Das AG München müsste die §§ 7 ff. BGB zur Bestimmung V’s Wohnsitz heranziehen. Weil er in Italien ständig niedergelassen ist, folgt aus § 7 I BGB sein Wohnsitz in Italien.

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit Schließlich muss die Brüssel I-VO auch zeitlich anwendbar sein. Sie gilt nur für solche Klagen, die nach ihrem Inkrafttreten erhoben wurden (Art. 66 Brüssel I-VO). Sie ist seit 1.3.2002 in Kraft (Art. 76 Brüssel I-VO). Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich in Fall 66 nach der Brüssel I-VO. Hinweis: Ab und zu werden Sie im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung der Brüssel I-VO vom EuGVÜ hören. Die Abkürzung EuGVÜ meint das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen vom 27.9.1968. Es war die Vorgängerregelung zur Brüssel I-VO und wurde am 1.3.2002 ersetzt (Art. 68 Brüssel I-VO). Aufgrund der inhaltlichen Ähnlichkeit beider Rechtsakte kann die bereits zum EuGVÜ ergangene Rechtsprechung und Literatur auch für die Arbeit mit der Brüssel I-VO herangezogen werden. Erinnern Sie sich? Eine ähnliche Situation haben sie bereits in Lektion 10, dort im Verhältnis zwischen Rom I-VO und EVÜ, kennengelernt.

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Leitsatz 32 Anwendbarkeit der Brüssel I-VO Ob die Brüssel I-VO anwendbar ist, entscheidet sich im Wege der (1.) sachlichen, Art. 1 Brüssel I-VO, (2.) räumlich-persönlichen, Art. 1 III, 2 – 4 Brüssel I-VO und (3.) zeitlichen, Art. 66, 76 Brüssel I-VO Anwendbarkeit. Vergleichen Sie auch hier die Parallelen zu den Rom-VOen.

Allgemeiner Gerichtsstand

Fall 67

Wie Fall 66. Wo liegt der allgemeine Gerichtsstand von V? Im vorgehenden Fall war lediglich danach gefragt, ob die Brüssel I-VO anwendbar ist. Die Frage nach der konkreten Zuständigkeit des einen oder anderen Gerichts wurde noch nicht gestellt. In der Brüssel I-VO finden sich im Kapitel 2 die Zuständigkeiten. Art. 2 I Brüssel I-VO steht dort zu Beginn und betrifft den allgemeinen Gerichtsstand. Wie auch die deutsche ZPO orientiert sich der allgemeine Gerichtsstand der Brüssel I-VO am Wohnsitz des Beklagten (lat. actor sequitur forum rei). Zum

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Schutze des Beklagten muss der Kläger sich zu ihm begeben. Schließlich ist er es, der einen Anspruch verfolgen will. Darum kann ihm auch zugemutet werden, einige Anstrengungen zu seiner Rechtsdurchsetzung zu unternehmen. Das Prinzip des allgemeinen Gerichtsstands erfährt in der Brüssel I-VO zugunsten des Klägers oder aufgrund diverser Verkehrsinteressen zahlreiche Ausnahmen. In Fall 67 sind italienische Gerichte international zuständig. Ob das Gericht in Rom auch das örtlich zuständige ist, ergibt sich nicht aus Art. 2 Brüssel I-VO. Art. 2 I Brüssel I-VO betrifft nur die internationale, nicht auch die örtliche Zuständigkeit. Insoweit muss das angerufene Gericht auf die Zuständigkeitsvorschriften seiner lex fori zurückgreifen.

Besondere Gerichtsstände

Fall 68

Könnte K in Fall 67 statt vor einem italienischen Gericht auch vor dem AG München klagen? Sie wissen bereits, dass Art. 2 I Brüssel I-VO den allgemeinen Gerichtsstand betrifft und damit eine Art Regelzuständigkeit bereithält. Von diesem Grundsatz wird in bestimmten Bereichen abgewichen. Der allgemeine Gerichtsstand berücksichtigt einseitig die Interessen des Beklagten – im Regelfall ist das angemessen. Es gibt aber auch Sachverhalte, in denen ebenso oder gar stärker der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an einem ihn begünstigenden Gerichtsstand hat. Mit der Bereitstellung besonderer Gerichtsstände in Art. 5 – 7 Brüssel I-VO wird dieser Ausgleich geschaffen. Auch sprechen die Sach- und Beweisnähe dafür, besondere Gerichtsstände zuzulassen. Für bestimmte vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse enthält Art. 5 Brüssel I-VO die Möglichkeit, in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat des Beklagten Klage zu erheben. Merke: Besondere Gerichtsstände schaffen einen klägerfreundlichen Ausgleich vom allgemeinen Gerichtsstand. Der allgemeine Beklagtengerichtsstand ist personenbezogen, die besonderen Gerichtsstände sachbezogen. Fall  68 betrifft die Frage, ob K von der Regel des allgemeinen Gerichtsstands abweichen kann, um ein seinen Interessen besser gerecht werdendes Gericht anrufen zu können. Hier ist der Gerichtsstand des

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 Brüssel I-VO einschlägig. Bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen ist das der Ort in einem Mitgliedstaat, wohin sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen. Dieser einheitliche Gerichtsstand besteht für sämtliche Klagen aus dem Vertrag. Weil hier noch keine Lieferung erfolgt ist, muss man auf den hypothetischen Lieferort (München) abstellen. Art. 5 Brüssel I-VO bestimmt neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit („der Ort in einem Mitgliedstaat“) des AG München. Der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes liegt vor. K kann sich auf Art. 5 Nr. 1 lit. b Spiegelstrich 1 Brüssel I-VO berufen, muss es aber nicht. Er hat die Wahl zwischen allgemeinem Wohnsitzgerichtsstand und besonderem Gerichtsstand. Diese Wahlmöglichkeit folgt aus dem Wortlaut der Art. 2 I, 3 I Brüssel I-VO.



Fall 69

K aus München vermietet an V aus Rom (beide Privatleute) für zwei Wochen seinen Pkw. Existiert für Streitigkeiten aus dem Vertrag (Zahlung des Mietzinses, Überlassung der Mietsache) ein besonderer Gerichtsstand? Auch hier geht es wieder um den Gerichtsstand des Erfüllungsortes. Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO hilft diesmal nicht weiter. Er gilt nur für Kaufverträge über bewegliche Sachen und Dienstleistungsverträge (gemeint sind auch Werkverträge). In Fall 69 geht es K um Ansprüche aus einen Mietvertrag. Weil Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO nicht anwendbar ist, muss gemäß über Art. 5 Nr. 1 lit. c Brüssel I-VO auf den Auffangtatbestand des Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO zurückgegriffen werden. Hiernach wird anhand der lex causae der materiell-rechtliche Erfüllungsort für jede streitige Verpflichtung (Leistung und Gegenleistung) bestimmt. Sie müssen also zuerst das Schuldvertragsstatut ermitteln. Nach der Rom I-VO greift die objektive Anknüpfung aus Art. 4 II Rom I-VO. Maßgebend ist das Recht des Staates, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Verweis erfolgt auf deutsches Recht, weil der gewöhnliche Aufenthalt von K in München ist. Im deutschen Schuldrecht richtet sich der Erfüllungsort nach § 269 I BGB (Wohnsitz des Schuldners). In Fall 69 ist für die Überlassung der Mietsache Erfüllungsort München (§ 269 I Var. 3 BGB). Für die Zahlung der Miete ist nach §§ 270 IV, 269 I Var. 3 BGB Rom Leistungsort. Der besondere Gerichtsstand für K ist Rom und für V München. Die internationale Zuständigkeit bestimmt

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht sich also für beide Hauptleistungspflichten getrennt. Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO führt zu einer Aufspaltung des Gerichtsstands des Erfüllungsortes. Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen nationalen Rechtsordnungen unterschiedliche Regeln hinsichtlich der Bestimmung des Erfüllungsortes enthalten. Nicht umsonst wird an Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO von vielen Autoren kritisiert, wie stark die internationale Zuständigkeit von zuständigkeitsfremden, weil materiell-rechtlichen, Erwägungen bestimmt wird.

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Leitsatz 33 Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO gehört zu den wichtigsten besonderen Gerichtsständen in der Brüssel I-VO. Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO betrifft die Zuständigkeit für Kaufverträge und Dienstverträge. Zu Dienstverträgen gehören auch Werkverträge und Geschäftsbesorgungsverträge. Lit. b enthält einen vertragsautonom auszulegen­ den einheitlichen Gerichtsstand für alle Ansprüche aus dem Vertrag. Alle Vertragstypen, die nicht unter lit. b. fallen, müssen über lit. a nach der lex causae des Vertragsstatuts angeknüpft werden.

Ausschließliche Gerichtsstände

Fall 70

D mit gewöhnlichem Aufenthalt in Berlin ist Eigentümer eines in Spanien gelegenen Grundstücks. Er verkauft es an den Franzosen F. Sie haben für eventuelle Streitigkeiten aus dem Grundstücksgeschäft die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte vereinbart. F klagt nun gegen D auf Auflassung in Berlin. Wie ist die Rechtslage hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit? Art. 22 Brüssel I-VO enthält insgesamt fünf ausschließliche Gerichtsstände. Ausschließliche Gerichtsstände sind vorrangig zu beachten und gehen den allgemeinen und besonderen Gerichtsständen vor. Selbst durch rügelose Einlassung oder Gerichtsstandvereinbarung können sie nicht überwunden werden. Ihre Existenz lässt sich mit Ordnungs- und Verkehrsinteressen begründen. Der enge Bezug des Sachverhalts zu einem bestimmten Ort schafft ein sachnahes Gerichtsforum (anderes Wort für Gerichtsstand). Am „Ort des Geschehens“ lässt sich der Sach-

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit verhalt leichter aufklären und lassen sich Beweise einfacher erheben. In Fall 70 besteht für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen betreffen, nach Art. 22 Nr. 1 Var. 1 Brüssel I-VO ein ausschließlicher Gerichtsstand. Der Belegenheitsort des Grundstücks ist Spanien. D und F müssen zwingend vor spanischen Gerichten klagen. Ebenso ist ihre Gerichtsstandsvereinbarung ohne Bedeutung. Art. 22 Brüssel I-VO regelt nicht auch die örtliche Zuständigkeit – zu ihrer Ermittlung ist auf das autonome Prozessrecht des Mitgliedstaates, dessen Gerichte international zuständig sind, zurückzugreifen.

Sonderzuständigkeiten Art. 8 – 21 Brüssel I-VO enthalten Sondervorschriften betreffend der Zuständigkeit für bestimmte Sachverhalte. Sie betreffen Versicherungsverträge (Art. 8 – 14 Brüssel I-VO), Verbraucherverträge (Art. 15 – 17 Brüssel I-VO) und Individualarbeitsverträge (Art. 18 – 21 Brüssel I-VO). Ihnen liegt eine Vertragssituation zugrunde, an der eine strukturell unterlegene Partei auf eine geschäftserfahrene trifft und sie infolge dieses vertraglichen Ungleichgewichts eines Schutzkorrektivs bedarf. Als Korrektiv werden für den unterlegenen Teil günstige Gerichtsstände geschaffen. Ihre dogmatische Einordnung fällt nicht leicht. Es sind weder allgemeine, noch besondere oder ausschließliche Zuständigkeiten. Vielmehr sind sie Zuständigkeiten eigener Art. Ihr Zuständigkeitssystem ist abschließend und verdrängt im Rahmen ihres Anwendungsbereichs die übrigen Zuständigkeitsvorschriften.



Fall 71

S mit gewöhnlichem Aufenthalt in Köln bestellt über das Internet beim in Wien sitzenden österreichischen Onlinehändler O Sportbekleidung, die er für einen privaten Wanderausflug verwenden möchte. Die Website von O ist auf Deutschland ausgerichtet. Die Bestellungen erfolgen direkt über die Website durch ein automatisiertes Bestellsystem. O liefert die Ware an S, die Bezahlung soll auf Rechnung erfolgen. Weil S nicht zahlt, will O die Kaufpreiszahlung vor österreichischen Gerichten einklagen. Wie steht es um die internationale Zuständigkeit? Die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte könnte ausgeschlossen sein, wenn es sich im Fall 71 um eine Verbrauchersache handelt, für die eine abschließende Zuständigkeit vorliegt. Ausgangspunkt

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht ist Art. 15 I Brüssel I-VO. S ist Verbraucher, weil er den Kaufvertrag nicht zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken abgeschlossen hat, Art. 15 I Brüssel I-VO. Darüber hinaus müsste eine Variante der Art. 15 I lit. a – c Brüssel I-VO einschlägig sein. Lit. a und b liegen nicht vor, lit. c ist erfüllt. O als Vertragspartner des S hat seine berufliche/gewerbliche Tätigkeit auf Deutschland, den Wohnsitzstaat des S, ausgerichtet. Dazu muss der Wille des O festgestellt werden, zu einem Vertragsschluss in einem anderen Mitgliedstaat bereit zu sein. Klassisches Indiz dafür sind Werbemaßnahmen (Werbezettel, Prospekte etc.) des Unternehmers im Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Auch das Betreiben einer Website kann nach allgemeiner Ansicht das Merkmal des Ausrichtens erfüllen, zumindest dann, wenn der Unternehmer eine aktive Website betreibt, über die ein Vertragsschluss über Internet erfolgen kann und dies auch geschieht. So ist es hier im Fall 71. Eine Verbrauchersache liegt vor. Als Konsequenz ordnet Art. 16 I Brüssel I-VO an, dass die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedstaates erhoben werden kann, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. O hat nicht die Wahl, sondern muss sich, um zu klagen, nach Deutschland begeben. Ebenso sind die allgemeine und die besonderen Zuständigkeiten gesperrt. Wäre nach den Klagemöglichkeiten des S gefragt, würde Art. 16 I Brüssel I-VO anwendbar sein. S hätte aus Schutzgesichtspunkten die Wahl zwischen den Gerichten seines Wohnsitzstaates oder den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem der Vertragspartner O seinen (Wohn-)sitz hat.

Vereinbarungen über die Zuständigkeit Sofern keine ausschließliche Zuständigkeit oder keine der Sonderzuständigkeiten auf den Rechtsstreit eingreifen, können sich die Parteien des allgemeinen Gerichtsstands oder wahlweise – bei Vorliegen der Voraussetzungen – eines besonderen Gerichtsstandes bedienen. Sie haben aber auch die Möglichkeit, auf die internationale Zuständigkeit aktiv Einfluss zu nehmen, in dem sie diese privatautonom ihren Bedürfnissen anpassen. Durch Gerichtsstandsvereinbarungen können die Parteien selbst bestimmen, welches Gericht welches Mitgliedstaates für ihren Rechtsstreit international zuständig (Prorogation) oder nicht zuständig (Derogation) sein soll. Dies schafft für die Parteien Vorhersehbarkeit und vereinfacht die Prozessführung. Die Brüssel I-VO erlaubt eine solche Möglichkeit unter

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit den Voraussetzungen des Art. 23 Brüssel I-VO. Vor allem im grenzüberschreitenden Wirtschaftsleben zwischen Unternehmern wird von solchen Vereinbarungen häufig Gebrauch gemacht. Einschränkungen ergeben sich aus Art. 23 Brüssel I-VO und Art. 13, 17, 21 Brüssel I-VO (Art. 23 V Brüssel I-VO).



Fall 72

Die Gewerbetreibenden K aus Dresden und B aus Marseille stehen seit vielen Jahren in Geschäftsverbindung. K beliefert B regelmäßig mit Baumaschinen. Als Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten aus den der Geschäftsbeziehung zugrunde liegenden Verträgen wird – wie seit jeher – mündlich die Geltung Marseilles als Gerichtsstand vereinbart. Nachdem es nun zu Unstimmigkeiten kommt, klagt K in Dresden. Er meint, die Gerichtsstandsvereinbarung sei formunwirksam und zudem nicht zwingend, weil sie nur die Wirkung eines zusätzlichen besonderen Gerichtsstands habe. Stimmt das? Da eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung grundsätzlich die Wirkung einer ausschließlichen Zuständigkeit hat, kann sich B im Fall 72 nur dann nicht auf die Vereinbarung berufen, wenn sie an einem formellen oder materiellen Wirksamkeitsmangel leidet. Zunächst müsste die Vereinbarung materiell wirksam sein. Eine Gerichtsstandsvereinbarung hat zwar rein prozessuale Wirkung, ist aber dennoch ein Vertrag. Art. 23 Brüssel I-VO spricht zwar von „vereinbart“, enthält jedoch keinerlei Regelungen über die materiellen Voraussetzungen einer solchen Vereinbarung. Zur Beurteilung der materiellen Wirksamkeit der Vereinbarung (Vertragsschluss, Willensmängel etc.) greift man auf die lex causae (Vertragsstatut) zurück. Dieses bestimmt sich hier nach der Rom I-VO und ist deutsches Recht. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist von der materiellen Wirksamkeit auszugehen. Auch sind die nach Art. 23 I S. 3 Brüssel I-VO zu beachtenden formellen Voraussetzungen erfüllt. Zwar wurde die Vereinbarung nicht in einer Form der lit. a und c geschlossen, doch bedienten sich die Parteien einer zwischen ihnen entstandenen Gepflogenheit (mündliche Vereinbarung), lit. b. Die Vereinbarung ist also gültig und hat die Wirkung – weil anderweitig nichts vereinbart – einer ausschließlichen Zuständigkeit, Art. 23 I S. 2 Brüssel I-VO. In Fall 72 ist die Gerichtsstandsvereinbarung gültig und das Dresdner Gericht international unzuständig.

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht

Rügelose Einlassung

Fall 73

Unternehmer K mit Sitz in Hamburg steht mit dem griechischen Unternehmer B, der seinen Wohnsitz in Athen hat, sich aber öfters in Deutschland aufhält, in regelmäßiger Geschäftsverbindung. K liefert an B Waren und verlangt Zahlung des Kaufpreises. Da B nicht zahlt, klagt K vor dem LG Hamburg auf Kaufpreiszahlung. In der Klageerwiderung beantragt B Klageabweisung. Auch in der mündlichen Verhandlung stellt er diesen Antrag. Ist das Gericht international zuständig? Das LG Hamburg ist in Fall 73 international zuständig, wenn sich aus der Brüssel I-VO seine Zuständigkeit ergibt. Bisher haben Sie verschiedene Gerichtsstände (allgemein; besonders; ausschließlich; Versicherung; Verbraucher; Arbeitnehmer) kennengelernt. Diese sind vorliegend entweder nicht anwendbar oder aber würden nicht die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründen. Hier hilft K Art. 24 Brüssel-VO weiter. Die Gerichte eines Mitgliedstaates werden auch dann zuständig, wenn sich der Beklagte vor dem Gericht auf das Verfahren einlässt, sofern kein ausschließlicher Gerichtsstand besteht. Einlassung meint jede Verteidigungshandlung, die auf Abweisung der Klage gerichtet ist. Die Rüge der Zuständigkeit begründet hingegen kein Einlassen. Im Fall 73 war kein anderes Gericht ausschließlich zuständig gewesen, Art. 24 S. 2 Alt. 2 Brüssel I-VO. Durch den angekündigten und in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Abweisung der Klage hat B sich auf das Verfahren vor dem an sich unzuständigen Gericht eingelassen. Damit hat er zu seinen Ungunsten den Mangel der Zuständigkeit geheilt. Hätte er nur den Mangel der Zuständigkeit gerügt, wäre die Klage des K abgewiesen worden. Für B wäre es vorteilhafter gewesen, auf die Klage überhaupt nicht zu reagieren und auch der mündlichen Verhandlung fern zu bleiben. Das Gericht muss dann nach Art. 26 Brüssel I-VO seine Zuständigkeit von Amts wegen prüfen und bei internationaler Unzuständigkeit die Klage abweisen. Ein Versäumnisurteil kann dann nicht ergehen. Hinweis: Wie Sie sehen, kann es bei grenzüberschreitenden Rechtsstreiten einer Partei eher schaden, auf einen Prozess zu reagieren als untätig zu bleiben. Dies ist aber eine Ausnahme. Ansonsten – besonders im nationalen Prozessrecht der ZPO – drohen bei Untätigkeit regelmäßig Nachteile (Bsp.: §§ 330 f. ZPO).

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit Prüfen Sie Art. 24 Brüssel I-VO streng der Reihe nach. Stellen Sie zu Beginn fest, (1.) dass das Gericht nicht bereits nach anderen Vorschriften der Brüssel I-VO zuständig ist und (2.) kein Gericht nach Art. 22 Brüssel I-VO ausschließlich zuständig ist. (3.) Schließlich muss sich der Beklagte materiell oder formell auf das Verfahren eingelassen haben, ohne die internationale Zuständigkeit zu rügen. Er lässt sich auch dann ein, wenn er bspw. die örtliche oder sachliche Zuständigkeit rügt; anders im Recht der ZPO – dort muss sich die Einlassung auf die Hauptsache beziehen.

Übersicht 18: Prüfungsreihenfolge der internationalen Zuständigkeit nach der Brüssel I-VO Ausschließliche Gerichtsstände Art. 22 Sonderzuständigkeiten Art. 8 – 21 Rügelose Einlassung Art. 24

Gerichtsstandvereinbarung Art. 23 Besondere Zuständigkeiten Art. 5 – 7

Allgemeine Zuständigkeit Art. 2

Autonomes deutsches IZVR

Fall 74

Der in München wohnende M wird bei einem Besuch des Oktoberfestes von dem angetrunkenen Kanadier K, der zu Besuch in München ist, grundlos mit einem Maßkrug am Kopf verletzt. B klagt gegen K vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Sind deutsche Gerichte international zuständig?

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Wenn der Beklagte seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, ergibt sich die internationale Zuständigkeit abschließend aus der Brüssel I-VO. Fehlt es an dieser Voraussetzung, bestimmt sich vorbehaltlich der Art. 22 f. Brüssel I-VO die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaates nach dessen eigenen Gesetzen (Art. 4 I Brüssel I-VO). Mit den „eigenen Gesetzen“ sind die nationalen autonomen Vorschriften des IZVR gemeint. Wie in Lektion 15 angesprochen, verteilen sie sich über die gesamte ZPO und das FamFG (zur Wiederholung: §§ 15, 293, 328, 722 f. ZPO). Neben diesen ausdrücklichen, speziell für Fälle mit Auslandsberührung geltenden Vorschriften enthält die ZPO weitere Vorschriften betreffend die internationale Zuständigkeit. Die Regeln zur örtlichen Zuständigkeit (§§ 12 ff. ZPO) werden einfach „doppelfunktional“ gelesen. Neben der örtlichen regeln sie auch die internationale Zuständigkeit. Der allgemeine Gerichtsstand nach §§ 12 f. ZPO würde M im Fall 74 nicht weiterhelfen. K’s Wohnsitz ist nämlich in Kanada und nicht München. Für M wäre nur ein besonderer Gerichtsstand von Vorteil. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubter Handlung das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. K hat eine unerlaubte Handlung (Körperverletzung) begangen. Im Fall 74 folgt für die Klage des M gegen K aus § 32 ZPO nicht nur die örtliche Zuständigkeit der Münchener Gerichte (Handlungsort), sondern auch deren internationale Zuständigkeit.

Übersicht 19: Zuständigkeiten nach dem autonomen IZVR Zuständigkeiten originär

doppelfunktional

§ 15 ZPO

§ 12 f. ZPO § 17 ZPO

§ 16 ZPO

§ 21 ZPO

§ 23 ZPO

§§ 24 ff. ZPO

§§ 98 – 104 FamFG

§§ 29 ff. ZPO § 105 FamFG

Lektion 16: Internationale Zuständigkeit Wenn dem Kläger weder ein besonderer noch ausschließlicher Gerichtsstand sein eigenes Forum eröffnet, gilt auch im autonomen IZVR nach §§ 12 ff. ZPO der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten als Grundregel. Der Wohnsitz des Beklagten bestimmt sich nach der lex fori (§§ 7 – 11 BGB), nicht nach seinem Personalstatut (Art. 7 EGBGB).

Exkurs: Internationale Zuständigkeit im Familienrecht

Fall 75

Der Italiener M und die Schweizerin F haben vor vielen Jahren in Deutschland die Ehe geschlossen und fortan ununterbrochen in Hamburg gelebt. Nun, nachdem die Liebe verblasst ist, begehrt F die Scheidung. M lebt mittlerweile wieder in Italien, F weiterhin in Hamburg. F stellt Scheidungsantrag vor dem örtlich zuständigen Familiengericht in Hamburg. Ist das Gericht auch international zuständig? Bei der bisherigen Darstellung des IZVR ging es um Zivil- und Handelssachen. Im internationalen Familienrecht treten neben der materiellen Kollisionsrechtsprüfung ebenso prozessuale und verfahrensrechtliche Fragen wie die Zuständigkeiten von Gerichten und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf. Meistens lautet die Fragestellung: Die Gerichte welches Staates sind für die Ehescheidung international zuständig? Der deutlichste Unterschied liegt in den Rechtsquellen begründet. Was die Brüssel I-VO für den Bereich der Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen ist, ist die Brüssel IIa-VO für Ehesachen (Scheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, Ungültigerklärung) und die elterliche Verantwortung (Sorge- und Umgangsrecht), Art. 1 Brüssel IIa-VO. Auf Folgesachen, bspw. nachehelichen Unterhalt, findet sie hingegen keine Anwendung. Die Brüssel IIa-VO ähnelt in ihrem Aufbau sehr der Brüssel I-VO (vergleichen Sie selbst die Verordnungstexte miteinander) und ihre Anwendbarkeit wird ebenso wie diese geprüft (sachlich, räumlich-persönlich, zeitlich). Sie gilt in allen Mitgliedstaaten der EU mit Ausnahme Dänemarks. Räumlich-persönlich ist sie im Umfang des Art. 6 Brüssel IIa-VO anwendbar. In zeitlicher Hinsicht ist sie auf Verfahren anwendbar, die ab dem 1.3.2005 eingeleitet wurden.

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Die allgemeine Zuständigkeit in Ehesachen ergibt sich aus Art. 3 Brüssel IIa-VO, der gleichrangige Zuständigkeitsregeln enthält, die sich sowohl am gewöhnlichen Aufenthalt orientieren (Art. 3 I lit. a Brüssel IIa-VO), als auch der Staatsangehörigkeit (Art. 3 I lit. b Brüssel IIaVO) folgen. Sind zwei oder auch mehrere Varianten einschlägig, ergeben sich konkurrierende Zuständigkeiten, deren Rangverhältnis über die Rechtshängigkeit nach Art. 19 Brüssel IIa-VO entschieden wird. Die Zuständigkeiten aus Art. 3 Brüssel IIa-VO betreffen sämtlich nur die internationale, so dass zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit die lex fori heranzuziehen ist. Die internationale Zuständigkeit in Ehe- und Familiensachen nach autonomem IZVR ist in §§ 98 – 106 FamFG geregelt. Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist wegen Art. 7 Brüssel IIa-VO gering. Art. 7 Brüssel IIa-VO erlaubt nämlich nur dann einen Rückgriff auf autonomes IZVR, wenn sich nach keinem Gericht irgendeines Mitgliedstaates die Zuständigkeit ergibt. In Fall 75 geht es um die internationale Zuständigkeit für eine Ehescheidung. Die Brüssel IIa-VO ist sachlich, zeitlich und räumlich persönlich anwendbar. Aus Art. 3 I lit. a Spiegelstrich 2, 3, 5 Brüssel IIa-VO folgt die internationale Zuständigkeit. Die internationale Zuständigkeit ist entweder am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten (Deutschland), dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners M (Italien) oder der Antragstellerin F (wiederum Deutschland) gegeben. Die Zuständigkeiten konkurrieren miteinander. F kann bzw. muss sich eine der vorliegenden Zuständigkeiten aussuchen. Das Familiengericht Hamburg, worauf es F ankommt, wäre nach Art. 3 I lit. a Spiegelstrich 2, 5 Brüssel IIa-VO international zuständig. Über die materielle Seite der Scheidung ist damit noch nichts gesagt (dazu Lektion 13).

Lektion 17: Anerkennung und Vollstreckung

Lektion 17: Anerkennung und Vollstreckung Wenn endlich die internationale Zuständigkeit eines Gerichts bejaht wurde und der Kläger in einem vor diesem Gericht angestrengten Rechtsstreit aufgrund der Feststellungen in der mündlichen Verhandlung obsiegt hat, endet das Erkenntnisverfahren. Als Ergebnis dieses Verfahrens erlässt das Gericht in der Regel ein Urteil. Sollte der Schuldner nun immer noch nicht freiwillig den Anspruch des Gläubigers erfüllen, muss der Gläubiger mit staatlicher Hilfe aus dem Urteil zwangsweise vollstrecken. Dazu gibt es das sich an das Erkenntnisverfahren anschließende Vollstreckungsverfahren. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist die Grundlage jeder Vollstreckung ein Vollstreckungstitel. Diesen hat der Gläubiger in Gestalt des Urteils in Händen. Die internationale Anerkennung und Vollstreckung ist wünschenswerte und logische Folge der internationalen Zuständigkeit. Letztere wäre ohne Sinn, wenn im Anschluss der Urteilsausspruch nicht anerkannt und vollstreckbar wäre. Wie ein national ergangenes Urteil international anerkannt und vollstreckt wird, ist Gegenstand dieser Lektion.

Problemstellung

Fall 76

Der in Berlin wohnende K hat im Rahmen eines privaten Zwecken dienenden Kaufvertrags mit B, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hat, seinen gebrauchten Pkw verkauft und in Berlin übereignet. Als B nicht zahlt, klagt er vor einem Berliner Gericht auf Kaufpreiszahlung. Die Klage wird B ordnungsgemäß zugestellt und er zum Prozess mit ausreichender Ladungsfrist geladen. B erscheint nicht zur mündlichen Verhandlung. Aufgrund des gegen B erlassenen Versäumnisurteils obsiegt K. Aus dem Urteil will er gegen B vollstrecken und leitet sogleich das Vollstreckungsverfahren nach der ZPO (Vollstreckungsklausel des deutschen Gerichts, Beauftragung eines deutschen Gerichtsvollziehers) ein. Wird er damit Erfolg haben? K aus Fall 76 wird auf diese Weise keinen Erfolg haben. Ein Urteil oder eine andere Entscheidung eines staatlichen Gerichts ist Ausdruck hoheitlicher Gewalt dieses Staates. Die Wirkung solcher staatlichen Aussprüche ist räumlich auf das Staatsgebiet begrenzt. Ein deutsches Vollstreckungsorgan kann nicht einfach auf der Grundlage eines ausländischen

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Titels Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen. Eine grenzüberschreitende Urteilswirkung ist nämlich nicht selbstverständlich und darf nicht aus sich heraus angenommen werden. Würde man eine Urteilswirkung von selbst über den eigenen Rechtskreis hinaus bejahen, wären damit völkerrechtliche Grundsätze verletzt. Da souveräne Staaten ein Interesse haben, ihren Urteilen auch über die eigenen Grenzen hinaus Wirksamkeit beizumessen, ist die internationale Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen seit langem anerkannt und gesetzlich geregelt. In Fall 76 kann K also grundsätzlich auch gegen einen im Ausland ansässigen Schuldner das Urteil eines deutschen Gerichts vollstrecken. Er muss dafür aber ein bestimmtes Verfahren einhalten, welches sich vom innerstaatlichen Vollstreckungsverfahren der ZPO unterscheidet und den Besonderheiten der grenzüberschreitenden Wirkung Rechnung trägt. Im Rahmen dieses Verfahrens muss die Anerkennung und Vollstreckung durch den ausländischen Staat erfolgen. Weiter muss unterschieden werden, ob Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus einem Mitgliedstaat der EU oder im Verhältnis zu Nichtmitgliedstaaten erfolgen sollen. Für den mitgliedstaatlichen Rechtsverkehr regeln Art. 32 – 56 Brüssel I-VO und Art. 21 – 52 Brüssel IIa-VO, je nachdem, ob Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen oder in Ehesachen und der elterlichen Verantwortung anerkannt und vollstreckt werden sollen. Die Anerkennung und Vollstreckung wird in den genannten VOen abschließend und unter erleichterten Voraussetzungen vollzogen. Wenn es um die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Nichtmitgliedstaaten der EU (Drittstaaten) geht, existieren entweder völkerrechtliche Normen (Art. 32 ff. LugÜ; Art. 23 ff. KSÜ) oder es sind die Rechtsquellen des autonomen IZVR heranzuziehen (§§ 328, 722 f. ZPO; in Familiensachen: §§ 107 – 110 FamFG).



Fall 77

Wie Fall 76. K ist nun eines Besseren belehrt und möchte alle notwendigen Schritte einleiten, um sein Urteil auch im Ausland anerkennen zu lassen. Was muss er beachten? B widerspricht der Anerkennung, schließlich stehe sein Fernbleiben vom Prozess entgegen. Dadurch habe er sich nicht ausreichend verteidigen können. Trifft dies zu?

Lektion 17: Anerkennung und Vollstreckung Zunächst muss nach der einschlägigen Rechtsgrundlage gesucht werden. Hier handelt es sich um die Anerkennung eines Urteils in einer Zivilsache innerhalb der EU. Die Brüssel I-VO ist auf die Anerkennung anwendbar (Art. 33 – 37 Brüssel I-VO). Bei dem Urteil handelt es sich um eine anerkennungsfähige Entscheidung (Art. 32 Brüssel I-VO). Die Anerkennung erfolgt automatisch und von selbst, ohne dass es eines gesonderten Anerkennungsverfahrens bedarf. Insbesondere wird die Entscheidung nicht in der Sache selbst überprüft (Verbot der révision au fond), Art. 36 Brüssel I-VO. Die Anerkennung erfolgt nur dann, wenn keine Gründe vorliegen, die ihr entgegenstehen (Anerkennungshindernisse). Anerkennungshindernisse ergeben sich abschließend aus Art. 34 f. Brüssel I-VO.

Übersicht 20: Anerkennungshindernisse Art. 34 Brüssel I-VO 1. Art. 34 Brüssel I-VO:  Nr. 1:  Nr. 2:  Nr. 3 und Nr. 4:

ordre public-Vorbehalt Wahrung der Verteidigungsrechte Entgegenstehende Entscheidung

2. Art. 35 I Brüssel I-VO:  Art. 8 – 14  Art. 15 – 17  Art. 22

Verbrauchersachen Versicherungssachen Ausschließliche Zuständigkeiten

Im Fall 77 stützt sich B augenscheinlich auf das Anerkennungshindernis aus Art. 34 Nr. 2 Brüssel I-VO. Er war im erststaatlichen Verfahren vor dem deutschen Gericht ordnungsgemäß zum Prozess geladen und dennoch säumig. Der geltend gemachte Anerkennungsgrund liegt in der Sache nicht vor. B hatte Gelegenheit, sich zu verteidigen. Wenn er davon keinen Gebrauch macht, muss er die sich daraus ergebenden rechtlichen Nachteile tragen.

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht Selbst die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts wird grundsätzlich nicht nachgeprüft (Art. 35 III S. 1 Brüssel I-VO). Sollte nicht gerade eine ausschließliche Zuständigkeit oder eine Zuständigkeit in Versicherungs- und Verbrauchersachen (Achtung!: Individualarbeitsverträge sind nicht betroffen) oder ein Fall von Art. 72 Brüssel I-VO vorliegen, schadet es der Wirksamkeit einer Entscheidung nicht, wenn ein international unzuständiges Gericht entschieden hat. Der weitgehende Verzicht auf die internationale Zuständigkeit liegt in dem gegenseitigen Vertrauen auf die richtige Anwendung der Gemeinschaftsrechtsakte begründet.

Vollstreckung ausländischer Entscheidungen

Fall 78

K aus Fall 76 will nun über die Anerkennung hinaus sein Urteil im Ausland auch vollstrecken. Welche Schritte müssen eingeleitet werden? Die bloße Anerkennung nützt einem potentiellen Vollstreckungsgläubiger wenig. Erst durch den Vollstreckungsakt erlangt er die begehrte Befriedigung vom Schuldner. Die Vollstreckung ist in Art. 38 – 52 Brüssel I-VO geregelt. Die Vollstreckbarerklärung (Exequatur) findet in einem einseitigen Verfahren ohne Beteiligung des Schuldners statt. Im Fall 78 muss K als Gläubiger das Exequaturverfahren der Vollstreckbarerklärung durch einen Antrag einleiten. Der Antrag ist an ein LG (in Deutschland beim Vorsitzenden einer Kammer des LG) und für vollstreckbare Urkunden bei einem Notar einzureichen (Art. 39 I i.V.m. Anhang II Brüssel I-VO). Sofern der Vollstreckungsgläubiger im Vollstreckungsstaat nicht über eine ladungsfähige Anschrift verfügt (= Wahldomizil), muss er einen Zustellungsbevollmächtigten benennen (Art. 40 II Brüssel I-VO). Dem Antrag muss der Gläubiger eine Ausfertigung der Entscheidung und eine Bescheinigung im Sinne von Art. 54 Brüssel I-VO i.V.m. Anhang V Brüssel I-VO, dass die Entscheidung im Ursprungsstaat vollstreckbar ist, beilegen. Davon kann das Gericht befreien (Art. 55 I Brüssel I-VO) oder auch die Vorlage einer beglaubigten Urkundenübersetzung verlangen (Art. 55 II Brüssel I-VO). Nach Art. 41 Brüssel I-VO wird sodann, wenn der Richter die formalen Voraussetzungen geprüft hat, die Entscheidung durch Beschluss für vollstreckbar erklärt. Dies erfolgt ohne vorherige Anhörung des Schuldners. Die Entscheidung wird dann dem Antrag-

Lektion 17: Anerkennung und Vollstreckung steller mitgeteilt (Art. 42 I Brüssel I-VO) und dem Schuldner zugestellt (Art. 42 II Brüssel I-VO). Erst nach Abschluss des Verfahrens über die Vollstreckbarerklärung können beide Parteien gleichermaßen einen Rechtsbehelf (in Deutschland: Beschwerde zum OLG, Art. 43 II i.V.m. Anhang III Brüssel I-VO) gegen die Vollstreckbarerklärung einlegen. Das Rechtsbehelfsverfahren ist in Art. 43 – 45 Brüssel I-VO geregelt. Erst in diesem Verfahren kann dann der Schuldner die Einwände der bereits oben beschriebenen Art. 34 f. Brüssel I-VO erheben.

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Leitsatz 34 Vollstreckbarerklärung Die Vollstreckbarerklärung dient der inländischen „Aktivierung“ des ausländischen Vollstreckungstitels. Sie ist der richterliche Ausspruch des Vollstreckungsstaates, dass aus ihr gegen den Schuldner im Wege der Zwangsvollstreckung vorgegangen werden darf. Innerhalb der EU ist das Verfahren recht vereinfacht. Dahinter steht der Gedanke eines wechselseitigen Vertrauens mit dem Ziel, einen Rechtsraum ohne Grenzen und Hindernisse zu schaffen.

Hinweis: Verwechseln die Vollstreckung nach der Brüssel I-VO nicht mit dem Instrument des Europäischen Vollstreckungstitels nach der EuVTVO. Hierbei handelt es sich um ein besonderes, vereinfachtes Verfahren zur Erlangung eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen. Auf diese Weise wird ein noch größeres Maß an Freizügigkeit im europäischen Justizraum verwirklicht, weil ohne Exequaturverfahren eine unmittelbare Vollstreckung erreicht werden kann. Weitere vereinfachende Vollstreckungsmöglichkeiten enthalten die EuBagatellVO und EuUntVO. Zum Ablauf von Anerkennung und Vollstreckung nach Brüssel I-VO nun die Übersicht 21. Zum entsprechenden Ablauf nach dem autonomem IZVR (ZPO) dann im weiteren die Übersicht 22.

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht

Übersicht 21: Ablauf der Anerkennung und Vollstreckung nach Brüssel I-VO Ausländische Entscheidung

Anerkennung von selbst

Vollstreckung einseitiges Beschlussverfahren

Art. 32 Brüssel I-VO

Art. 33 I Brüssel I-VO

Art. 38 Brüssel I-VO Prüfung

Formale Voraussetzungen Art. 41, 53 Brüssel I-VO wenn (+) wenn (–) Vollstreckbarerklärung keine Vollstreckung Prüfung von Anerkennungshindernissen

Rechtsbehelfsverfahren

Art. 34, 35 Brüssel I-VO

Art. 43, 45 Brüssel I-VO

Anerkennung und Vollstreckung nach autonomem IZVR

Fall 79

Der in Kalifornien lebende US-Bürger K möchte gegen den in Berlin wohnenden D in Deutschland aus einem Urteil eines kalifornischen Gerichts vollstrecken? Nach welchen Vorschriften richtet sich das Verfahren? Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach der Brüssel I-VO und völkerrechtlichen Übereinkommen ist vorrangig zu prüfen. Insbesondere wenn Entscheidungen aus Nichtmitgliedstaaten im Raum stehen, auf die die Brüssel I-VO nicht anwendbar ist, greift das nationale IZVR. Im Fall 79 ergibt sich die Anerkennung aus § 328 ZPO und die Vollstreckung aus §§ 722 f. ZPO. Allerdings muss K zur Erreichung seines Ziels ein bestimmtes Verfahren bestreiten.

Lektion 17: Anerkennung und Vollstreckung Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren ist im Vergleich zur Brüssel I-VO aufwendiger. § 328 ZPO ähnelt Art. 34 Brüssel I-VO. Beide Normen gehen von der automatischen Anerkennung der Entscheidung aus. Doch sind die Anerkennungshindernisse in § 328 ZPO strenger.

Übersicht 22: Ablauf der Anerkennung und Vollstreckung nach autonomem IZVR (ZPO) Ausländisches Urteil

Anerkennung von selbst

§ 722 I ZPO

§ 328 ZPO

Vollstreckung kontradiktorisches Urteilsverfahren § 722 ZPO

Prüfung von Anerkennungshindernissen § 723 II 2 ZPO wenn (–) Vollstreckungsurteil

wenn (+) kein Vollstreckungsurteil

Rechtsbehelf des Schuldners § 767 ZPO

Gläubiger kann auf Leistung klagen

Im Vergleich beider Vollstreckungsverfahren bestehen noch größere Unterschiede. §§ 722 f. ZPO verlangen ein eigenständiges, kontradiktorisches Urteilsverfahren, in welchem die Klage auf Vollstreckbarerklärung gerichtet wird. Der ausländische Titel wird in diesem Verfahren in ein inländisches Vollstreckungsurteil umgewandelt. Welches deutsche Gericht für diese Klage zuständig ist, bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO). Die Klage ist nur zulässig, wenn die Entscheidung nach dem Recht des Erststaates bereits rechtskräftig ist (§ 723 II S. 1 ZPO). Erst in diesem Verfahren werden die Anerkennungshindernisse des § 723 II S. 2 ZPO

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Internationales und Europäisches Zivilverfahrensrecht geprüft. In der Sache selbst findet – ähnlich der Brüssel I-VO – keine Überprüfung statt (§ 723 I ZPO). Jedoch hat der Schuldner die Möglichkeit, nach § 767 II ZPO analog materielle Einwendungen gegen die Entscheidung vorzubringen.

Exkurs: Anerkennung und Vollstreckung nach der Brüssel IIa‑VO Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in Ehesachen und Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung der Art. 21 – 52 Brüssel IIa-VO weist Ähnlichkeiten zur Brüssel I-VO auf. Der wohl größte Unterschied liegt in der Berücksichtigung von Anerkennungshindernissen bereits im Anerkennungsverfahren. Nach Art. 21 Brüssel IIa-VO erfolgt die Anerkennung von selbst ohne besonderes Verfahren. Anerkennungshindernisse finden sich abschließend in Art. 22 f. Brüssel IIa-VO. Ebenso wird auf die Nachprüfung der Einhaltung der Zuständigkeit (Art. 24 Brüssel IIa-VO) und der Entscheidung in der Sache (Art. 26 Brüssel ­IIa-VO) verzichtet. Der Ablauf des Vollstreckungsverfahrens findet sich in Art. 28 ff. Brüssel IIa-VO. Die Vollstreckung setzt einen Antrag voraus. Nur Entscheidungen hinsichtlich der elterlichen Verantwortung sind vollstreckbar. Ehesachen sind aus sich heraus wirksam und können nicht vollstreckt werden; schon die bloße Anerkennung lässt sie wirksam werden.

Ausblick

Ausblick Mit diesen letzten Gedanken sind Sie am Ende der Darstellung angelangt. Vieles wird Ihnen schon nach dem ersten Lesen einleuchten, anderes wiederum bedarf zu seiner Festigung der Wiederholung. Scheuen Sie sich nicht, alle oder zumindest ausgewählte Lektionen erneut durchzuarbeiten. Jura ist immer auch ein Kampf gegen das Vergessen. Umso wichtiger sind übergeordnete Strukturen und klare Gedankengänge – diese wurden Ihnen mit der vorliegenden Einführung vermittelt. Nachdem Sie das Buch aufmerksam gelesen haben, können Sie bereits ein beachtliches Grundwissen zum IPR vorweisen; dessen ungeachtet ließe sich noch vieles mehr erklären. Ihre individuelle Ausbildungssituation entscheidet darüber, ob und wie Sie zukünftig die Materie vertiefen werden. Den Grundstein dazu haben Sie mit diesem Buch allemal gelegt!

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Sachregister

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A

B

Abgrenzungen 16 Anerkennung 131 ff. Anknüpfungsgegenstand 28 Anknüpfungsmomente 33 Anknüpfungssystem 102 ff. Aufbau des IPR 7 Brüssel I-VO, II-VO 46, 83, 117 ff., 127 ff.

A

E

Eheschließung Erbrecht EuGH-Rechtsprechung

A

F

Familienrecht Fundstellennachweis B FNB

A

G

Gesellschaftsrecht Gefundenes Recht ––Anwendung ––Korrektur Gesamtverweisung Geschlossene Tatbestände Gründungstheorie

A

93 ff. 19 19 51 ff. 42 ff. 42 ff. 39 84 ff. 53

H

„Hinkende Rechtsverhältnisse“

A

93 ff. 103 ff. 57

11 f.

I

Internationales Schuldvertragsrecht Internationale Zuständigkeit

IPR ––Allgemeiner Teil ––Besonderer Teil ––Europäisches ––Grundlagen ––Nationales ––Ungeschriebenes IZVR

A

K

A

L

A

M

A

N

A

O

A

P

A

Q

A

R

Kollisionsnorm ––Aufbau ––Arten Kollisionsrecht lex fori lex rei sitae MoMiG Normenhierarchie Nichtermittelbarkeit Objektive Anknüpfung ordre public-Verstoß Offene Tatbestände Personalstatut Qualifikation

70 116 ff.

Recht der natürlichen Personen

23 ff. 47 ff. 19 f. 5 ff. 20 21 109 ff. 23 ff. 25 27 13 111 f. 83 55 21 f. 43 66 f. 44 ff. 84 ff. 47 34

47 ff.

Sachregister Rechtsfolgenseite 38 ff. Rechtsnormen, Arten von 24 Rom I, II, III 10, 20 ff. Rückverweisung 41

A

S

Sachnormverweisung Sachrecht Sachenrecht Schuldrecht ––vertragliches ––gesetzliches Sitztheorie Sonderanknüpfung Staatsangehörigkeit

A

T

Tatbestandsseite Tatbestände ––offene ––geschlossene

39 15 82 ff. 58 71 ff. 53 68 f. 30 28 ff. 85 85

––der Kollisionsnorm „Tatortprinzip“

A

U

A

V

UN-Kaufrecht Unerlaubte Handlung Verweisung ––Gesamt- ––Sachnorm- ––Rück- ––Weiter- Vollstreckung

A

W

A

Z

Weiterverweisung Zuständigkeit, internationale

35 10 59 f. 74 ff.

39 39 41 41 131 ff. 41

116 ff.

141

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