Das englische Drama der Spätrenaissance: (Shakespeares Nachfolger)
 9783111404387, 9783111040899

Table of contents :
Vorwort
Allgemeine Bibliographie
A. Ben(jamin) Jonson
B. George Chapman
C. John Marston
D. Thomas Dekker
E. Thomas Heywood
F. Thomas Middleton
G. William Rowley (1585?—1642)
H. Francis Beaumont und John Fletcher
I. Philip Massinger
J. Cyril Tourneur
K. John Webster
L. Kleinere Dramatiker vorwiegend aus der Zeit des Königs Jakob I. (1603—1625)
M. Einzeldramen aus der Zeit Jakobs I. (1603—1625)
O. James Shirley
P. Kleinere Dramatiker aus der Zeit Karls I. (1625—42)
Q. Einzeldramen aus der Zeit Karls I. (1625—1642)
R. Ueberblick über das Drama der Spätrenaissance
Anhang. Die Maskenspiele
Schlüssel zu den Abkürzungen der Dramentitel
Register
Berichtigungen und Zusätze
Inhaltsverzeichnis

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GESCHICHTE DER ENGLISCHEN LITERATUR IM GRUNDRISS

DAS ENGLISCHE DRAMA DER SPÄTRENAISSANCE

BERLIN UND LEIPZIG

WALTER D E G R U Y T E R & CO. VORM. G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT 4 COMP. 1929

DAS ENGLISCHE DRAMA DER SPÄTRENAISSANCE (SHAKESPEARES NACHFOLGER)

VON

Dr. EDUARD ECKHARDT OBERBIBLIOTHEKAR UND A. O. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT FREIBURG I. BR.

BERLIN UND LEIPZIG

WALTER DE GRUYTER & CO. VORM. G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT 4 COMP. 1929

Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten.

Printed in Germany.

Druck von H. Laupp jr, Tübingen.

JOHANNES H O O P S IN ALTER F R E U N D S C H A F T

VORWORT.

VII

Vorwort. Diese Arbeit sollte ursprünglich zusammen mit meinem Buch »Das englische Drama im Zeitalter der Reformation und der Hochrenaissance«, Berlin und Leipzig 1928 (zitiert als RHR) ein einheitliches Werk bilden, das die ganze Zeit von 1500 bis 1642 umfaßte. Auf Wunsch des Verlages wurde aber das ganze Werk in zwei äußerlich voneinander unabhängige Teile geteilt, wovon der frühere (als RHR) schon erschienen ist, während der vorliegende Band nur den das Ganze abschließenden späteren Teil enthält. Freiburg i. Br., im März 1928.

Eduard Eckhardt

VIII

ALLGEMEINE

Allgemeine

BIBLIOGRAPHIE.

Bibliographie.

Indem ich auf die „allgemeine Bibliographie« von RHR verweise, führe ich hier nur solche Werke an, die sich ausschließlich oder vorwiegend auf das Drama der Spätrenaissance beziehen. Emil K o e p p e 1: Quellen-Studien zu den Dramen George Chapmans, Philip Massingers und John Fords. Straßburg 1897 (Koeppel B). — E. K o e p p e l : Quellen-Studien zu den Dramen Ben Jonsons, John Marstons und Beaumonts & Fletchers. Erlangen und Leipzig 1895 (Koeppel A). — E. M ü h l b a c h : Die englischen Nerodramen des 17. Jahrhunderts. Leipziger Diss. 1912. — Adele O t t : Die italienische Novelle im englischen Drama von 1600 bis zur Restauration. Züricher Diss. 1904. — Marie P ab i s c h : Picaresque Dramas of the i7th and i8th Centuries. Berlin 1910. — H. S a r t o r i u s : Die klassische Götter- und Heldensage in den Dramen Beaumonts & Fletchers, Chapmans, Jonsons und Massingers. Straßburger Diss. 1912. — A . L . S t i e f e l : Die Nachahmung spanischer Komödien in England unter den ersten Stuarts. Roman. Forschungens (1890) (Stiefel). — J . S t r u v e : Das Traummotiv im englischen Drama des 17. Jahrhunderts. Kieler Diss. 1913.

A.

BEN(JAMIN)

JONSOH.

I

1. Wir haben schon beim Uebergang der Vorstufen des eigentlichen Dramas zu diesem selbst gesehen, daß eine zeitliche Grenze zwischen beiden dramatischen Entwickelungsstufen sich nicht feststellen läßt, daß vielmehr jene Vorstufen sich vereinzelt noch erhielten, nachdem das regelrechte Drama der Hochrenaissance sich schon längst ausgebildet hatte (vgl. auch RHR § 618). Ebensowenig können wir zwischen dem Drama der Hochrenaissance als der in Shakespeare gipfelnden eigentlichen Blüte der dramatischen Renaissance-Literatur in England und den Dramen, die ich unter der Bezeichnung »Spätrenaissance« zusammenfassen möchte, eine scharfe zeitliche Grenze ziehen. »Hochrenaissance« und «Spätrenaissance« bedeuten also nicht zwei verschiedene Zeitabschnitte in der Geschichte des englischen Dramas, sondern vielmehr nur zwei verschiedene Richtungen desselben, von denen die eine freilich jünger ist, aber in ihren ersten Anfängen sich schon bemerkbar macht, noch ehe die Hochrenaissance in Shakespeares größten Dramen ihren Höhepunkt erreicht hatte. Zur Spätrenaissance rechne ich alle Dramen, in denen irgendwelche Verfalls- oder Zersetzungserscheinungen der englischen RenaissanceDramatik zutage treten, oder die wenigstens einen Abstieg von der durch Shakespeare erreichten Höhe, ein Epigonentum darstellen.

A. Ben(jamin) Jonson. 2. a) Neuere Ausgaben. The Works with Notes b y William G i f f o r d ed. b y Francis C u n n i n g h a m . 3 vols. London 1875. — Dramen im Neudruck nach der Folio von 1616 von W. B a n g . Teil 1. 2. I.ouvain 1905. 1908 (unvollendet). — Works ed. by C. H. H e r i o r d & Percy S i m p s o n . Vol. 1, 1925 ff. London & Oxford (noch im Erscheinen begriffen). Einzelausgaben der meisten Dramen sind in den Yale Studies in English erschienen, alle mit Einleitung, Anmerkungen und Glossar. b) Werke über B. J . A. C. S w i n b u r n e: A Study of B. J. 1889. — H. H o f f s c h u l t e : Ueber B. J.s ältere Lustspiele. Münster 1894. — H. G r o ß m a n n: B . J. als Kritiker. Berlin 1898. — H . R e i n s c h : B . J.s Poetik und seine Beziehungen zu Horaz. Münchener Diss. Naumburg 1898. — Elizabeth W o o d b r i d g e : Studies in J.'s Comedy. Boston 1898. — E. B r e n n e c k e : Kulturhistorisches aus B. J.'s Dramen. Diss. E c k h a r d t , Geschichte des englischen Dramas. I

2

I I . D A S E I G E N T L I C H E D R A M A DER

HOCHRENAISSANCE.

Halle 1899. — R . A . S m a l l : T h e Stage-Quarrel between B . J. and t h e So-called Poetasters. Breslau 1899. — Phil. A r o n s t e i n : B . J. Berlin 1906. — Emil K o e p p e l : B . J.s Wirkung auf zeitgenössische Dramatiker. Heidelberg 1906 (Koeppel C). — Maurice C a s t e l a i n : L a vie et l'oeuvre de B . J. Thèse. Paris 1907. — Charles Read B a s k e r v i l l : English Elements in J.'s Early Comedy. Austin 1911. — Mina K e r r : Influence of B . J. on English Comedy 1598—1642. New York 1912 (wenig Neues). — J. G u t m a n n : Die dramatischen Einheiten bei B . J. Münchener Diss. 1913. — O t t o H i n z e : Studien zu B . J.'s Namengebung in seinen Dramen. Diss. Leipzig 1918. — G. Gregory S m i t h : B . J. London 1919. — Nicol. Z w a g e r : Glimpses of B . J.'s London. Diss. Amsterdam 1926.

3. B . J., der größte dramatische Nebenbuhler Shakespeares, stammte aus einer schottischen Familie, die sich in London niedergelassen hatte. Sein Vater, ein Geistlicher, starb 1573, einen Monat vor der Geburt des Sohnes. Die in ärmlichen Verhältnissen zurückgelassene Mutter verheiratete sich wieder, und zwar mit einem Maurermeister. Der Knabe erhielt trotz der Armut seiner Eltern eine sehr gute klassische Bildung in der berühmten Westminsterschule. Ob er eine Universität besucht hat, ist sehr zweifelhaft ; er scheint eher nach Verlassen der Schule bei seinem Stiefvater in die Lehre getreten zu sein. Dann kämpfte er als gemeiner Soldat unter Moritz von Nassau gegen die Spanier. Um 1592 kehrte er nach England zurück, wo er ebenso wie Shakespeare Schauspieler wurde. Er schloß sich der Truppe des Lord-Admirals an, die unter Leitung von Henslowe stand. Seit 1597 verfaßte er, wie so viele andere Dramendichter der Zeit, Dramen in dessen Sold. Ein Zweikampf, den er 1598 zu bestehen hatte, und der mit dem Tode seines Gegners endete, trug ihm eine kurze Gefängnisstrafe ein. Während seiner Haft bekehrte ihn ein katholischer Priester zum Katholizismus. J. blieb 12 Jahre lang katholisch, aber ohne daß in seinem dichterischen Schaffen irgendwelche Spuren des Religionswechsels wahrzunehmen wären. Mit dem Jahre 1598 beginnt zugleich die Zeit seiner großen dramatischen Erfolge. Er geriet nun bald in einen literarischen Streit, hauptsächlich mit Marston und Dekker, den sogenannten Theaterstreit, der drei Jahre (1598—1601) gedauert hat; in mehreren seiner älteren Lustspiele verspottet J. jene beiden Dichter mit hohnvoller Satire. Der Kampf muß aber schließlich mit der Versöhnung der Gegner geendet haben; denn 1605 verfaßte J. zusammen mit Marston (und Chapman) das Lustspiel Eastw. Die Verspottung der Schotten in diesem Stücke brachte ihn und seine Mitarbeiter zeitweilig in Ungelegenheiten ; -bald aber gewann er in steigendem Maße die Gunst des Königs, der ihn 1616 zum Poeta laureatus ernannte. Eine Fußreise nach Schottland, die er unternahm, und auf der er im Januar 1619 den schottischen Dichter William Drummond auf Schloß Hawthornden besuchte, ist literarisch

A.

BEN(JAMIN)

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JONSON.

bedeutsam geworden dadurch, daß dieser sich über die mit J. geführten Gespräche Notizen gemacht und sie veröffentlicht hat; sie bilden eine Hauptquelle unserer Kenntnis vom Leben und Charakter J.s. Das große Ansehen, das J. in ganz England genoß, prägt sich auch darin aus, daß die Universität Oxford ihm 1621 ehrenhalber den Grad eines M. A. verlieh. 4. Zwischen 1616 und 1625 trat eine Pause in der Tätigkeit J.s als Dramendichter ein, und als er 1625 wieder zu dichten begann, war die frühere Schaffenskraft erlahmt. Seine späteren Stücke stehen an künstlerischem Wert im allgemeinen tief unter seinen früheren Schöpfungen. Krankheit und Armut verbitterten ihm vollends die letzten zwölf Jahre seines Lebens. Er starb am 6. Aug. 1637 a n den Folgen eines Schlaganfalls und wurde drei Tage später in der Dichterecke der Westminster-Abtei beigesetzt. a) Die Lustspiele 1598—1616. 5. The Case is Altered (1598, wahrscheinlich älter als In\ 4 0 , 1609). Case wurde in die von J. selbst besorgte erste Folio-Ausgabe seiner Werke von 1616 nicht mit aufgenommen 1). Das könnte J.s Verfasserschaft zweifelhaft machen; aber in der Folio von 1616 fehlt auch Barth., ein Drama, das sicher von J. herrührt; außerdem zeigt Case deutliche Spuren von J.s Stil. Vielleicht ist es nur die Bearbeitung eines älteren fremden Stückes, und J. mag es deshalb aus der Folio von 1616 ausgeschlossen haben, oder auch deshalb, weil es seinen eigenen späteren Ansprüchen an eine comedy of humours, deren Begründer er wurde, nicht entsprach. Einen Anhaltspunkt für die Datierung gewinnen wir aus der Anspielung auf das Lob Mundays durch Meres in dessen Pattadis Tamia (1598). Das Stück ist eine geschickte Verschmelzung der Captivi und der Aulularia des Plautus, mit Anklängen an Shakespeares Gent, und Merch. Der klassische Stoff tritt im Gewände der Romantik auf; romantisch ist schon der Schauplatz: Mailand. Munday wird als Antonio Balladino verspottet; die Satire gegen diesen Dichter ist wahrscheinlich erst nachträglich hinzugefügt worden, da sie nicht mit dem übrigen Stücke zusammenhängt. 6. Every Man in His Humour (1598; 4 0 , 1601). H g . v o n W . B a n g u n d W . W . G r e g n a c h d e r Quarto von i ö o i . L o u v a i n 1905 ( = Bangs Materialien, B d . 10); — von H . H . C a r t e r , N e w H ä v e n 1921 ( = Yale Studies in English. 52); — von R. S. K n o x. London 1923; — von Percy S i m p s o n , Oxford 1919; — In Malone Soc. Reprints. 1922.

In der Quarto von 1601 war Florenz der Schauplatz, und die auftretenden Personen trugen italienische Namen. In der Folio ') Wir finden das Stück erst in der Folio von 1692. I*

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HOCHRENAISSANCE.

von 1616 ist der Schauplatz nach London verlegt; alle Personen sind englisch umgetauft. Der Prolog sagt dem romantischen Drama den Kampf an und verspottet dessen UnWahrscheinlichkeiten. I m Gegensatz dazu steht das realistische Lustspiel, die comedy of humours, als deren Schöpfer J. mit dem vorliegenden Stück auftritt. Er will ein echtes Bild der damaligen Wirklichkeit bieten und die menschlichen Schwächen in satirischen Charakterbildern an den Pranger stellen. Dies ist dem Dichter gut gelungen; sein Lustspiel ist lebenswahr und echt englisch in Auffassung und Durchführung, dabei aber zeitlich und örtlich begrenzt, zu wenig allgemein menschlich. So kann es heute nur noch dem literarischen Kenner, nicht dem unbefangenen Leser, Genuß bereiten. Den großen Eindruck, den das Stück auf die Zeitgenossen gemacht hat, können wir also nicht ohne weiteres nachempfinden. Die sehr dürftige Handlung ist J.s eigene Erfindung und besteht aus einer Reihe von szenischen Bildern, die, ohne viel Zusammenhang untereinander, nur dazu dienen, einer Reihe von typischen Charakteren Gelegenheit zum Auftreten zu geben. Von diesen vertritt jeder einzelne irgend eine besondere Schwäche (humour), die bei manchen auf die Spitze getrieben erscheint, und ihren Träger zum Zerrbild entstellt. Ihr Wesen wird schon durch die redenden Namen gekennzeichnet, die der Dichter ihnen beigelegt hat. Wir erkenen deutlich die Verbindungslinie, die von den hier dargestellten Typen zu den alten Moralitätenfiguren zurückführt. Für die Charaktere war Plautus das Vorbild; sie sind aber mit großer Selbständigkeit gezeichnet. Die Hauptgestalten sind der Miles gloriosus Bobadill, der schlaue und gewandte Diener Brainworm, der Intrigant des Stückes, der die Fäden der Handlung in der Hand behält und seinem jungen Herrn Ed. Knowell gegen dessen Vater beisteht, der eifersüchtige Ehemann Kitely, zwei Gimpel (gulls), der Städter Matthew, ein eitler gezierter Stutzer und Dichterling, der sich mit fremden Federn schmückt, aber schließlich als Plagiator entlarvt wird, vermutlich eine satirische Verkörperung des Hofdichters Daniel, und der reiche Dummkopf vom Lande Stephen, der durchaus den feinen Stadtherrn spielen will und dabei elend gefoppt wird, der lustige Wasserträger Cob, der an den verschiedenen Vertretern der Narrheit seine ergötzliche Clownkritik übt, endlich als Sprachrohr für J.s eigenen Standpunkt der muntere Richter Clement, der am Schluß mit seinem gesunden Menschenverstand alle Verwickelung entwirrt. Das Drama wurde von Shakespeares Truppe aufgeführt; der Ueberlieferung nach soll Shakespeare dabei die Rolle des alten Knowell gespielt haben. Im Jahre 1845 wurde es unter Leitung von Dickens neu einstudiert; dieser übernahm die Rolle Bobadills.

A.

BEN(JAMIN)

JONSON.

7. Every Man out of His Humour (1599; 4 1. von Holme, 2. von Linge.)

5 1600; 2 Ausgaben:

Hg. von W . B a n g und W. W. G r e g nach Holme's Quarto von 1600, Louvain 1907 (Bangs Materialien, Bd. 16); nach Linge's Quarto von 1600, Louvain 1907 (Bangs Mater. Bd. 17).

Das Stück befriedigt noch weniger als In, obgleich es sorgfältiger ausgearbeitet ist. Sein Grundgedanke, daß jede Schwäche durch ihre eigene Uebertreibung heilbar sei, wird schon durch den Titel ausgedrückt; am Schluß werden dem entsprechend alle Vertreter solcher Schwächen der Ungereimtheit ihres Gebarens überführt. Ein schwerfälliger Apparat mit Vorspiel, Chor und einer vom Verfasser selbst beigefügten Charakteristik der einzelnen Personen zeigt J. als trockenen Pedanten, der dies Drama nicht aus einem Ueberströmen dichterischer Schöpferkraft geschaffen, sondern zur Darlegung seiner dramatischen Theorien ausgeklügelt hat, der außerdem gern mit seiner klassischen Gelehrsamkeit prunkt. Auch hier werden die Personen schon durch ihre redenden Namen gekennzeichnet. Diese sind meist italienisch; als Schauplatz wird aber an einer Stelle (V. 1939) ausdrücklich London genannt. Die Handlung ist noch armseliger als in In; die Charaktere wirken wie geschickt gehandhabte Marionetten 2 ). Da die Satire des Stückes sich gegen Modetorheiten der Zeit richtet, ist es für den Uneingeweihten nur mit Hilfe eines fortlaufenden Kommentars verständlich. Als Vorbild hat J. nicht ein antiker Dramatiker, sondern der römische Satiriker Juvenal vorgeschwebt. 8. Vor allem fesseln die Charaktere viel weniger als die von In: sie sind nicht dem Leben abgelauscht, sondern bei der Studierlampe erdacht und erinnern noch mehr an die Moralitätenfiguren. Sie entsprechen zum Teil den Personen in In: Asper-Clement, Deliro-Kitely, Fastidious Brisk-Matthew, Sogliardo und FungosoStephen, Shift-Brainworm. Asper, der seine Meinung mit schulmeisterlicher Anmaßung vorzutragen pflegt, ist der Vertreter J.s selbst. G. G. Smith vermutet in den Hauptgestalten satirische Verkörperungen zeitgenössischer Dichter: Carlo Buffone-Marston, Brisk-Daniel (vgl. auch RHR § 161), Fungoso-Lodge, PuntarvoloMunday; doch scheint die Richtigkeit solcher Gleichsetzungen recht unsicher. Macilente ist der schadenfrohe Intrigant des Dramas, dem es, wie dem Vice der Moralitäten, besondere Freude macht, die andern Personen möglichst in Ungelegenheiten zu bringen und ihre Torheit bloßzustellen, um sie so von dieser zu heilen; aber auch er ist nicht frei von einer persönlichen Schwäche, dem Neide, von dem er am Schluß ebenfalls geheilt wird. Am originellsten wirkt der Höfling Puntarvolo als eine Art Vorläufer ') G. G. Smith, p. 103.

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HOCHRENAISSANCE.

Don Quixotes in seiner Vorliebe für die ritterliche Romantik, mit der er die nüchternste Alltagswelt umkleidet. 9. Das anonyme Drama Every Woman in Her Humour (vor 1600; 4°, 1609; Bullen IV) knüpft im Titel an In an, berührt sich jedoch dem Inhalt nach eher mit Ont\ wir begegnen aber auch zahlreichen Anklängen an Shakespeare. Schauplatz ist das antike Rom zur Kaiserzeit; Caesar und Cicero treten auf; von antikem Geist ist aber nicht eine Spur vorhanden. Nach Jonsons Vorbild bietet das geschickt und witzig abgefaßte Stück nur eine bunte Reihe verschiedener Charaktertypen, die kaum durch eine Handlung zusammengehalten werden.

10. Cynthia's Revels; or, The Fountain of Self-Love (1600; 4°, 1601). Hg. nach der Quarto von 1601 von W . B a n g und L. K r e b s , Louvain 1908 (Bangs Mater., Bd. 22, bloße Textausgabe); — von Alex. Corbin J u d s o n , New York 1912 (Yale Studies in Engl. 45).

J.s Cynth. ist ein satirisches Gemälde der gezierten Modetorheiten am Hofe der Königin Elisabeth; diese wird als Cynthia gefeiert, aber die von J. erstrebte königliche Gunst wurde ihm erst unter ihrem Nachfolger zuteil. Die Handlung ist rein allegorisch; auch die Personen tragen allegorische Namen. Damit knüpft auch dies Drama an die Moralitäten an; echt moralitätenmäßig ist auch der Zug, daß die Vertreter der schlimmen Eigenschaften sich andere harmlos klingende Namen beilegen. Während sonst J.s Lustspiele durchaus realistisch gehalten sind, erhält dies Stück schon durch seinen allegorischen Charakter ein unrealistisches Gepräge. Dem entspricht auch der Schauplatz: Gargaphy, ein unbestimmtes phantastisches Land. In der allegorischen Darstellung des Hoflebens ahmt J. Lyly nach. Auch hier dient eine Person, Crites, dem Verfasser als Sprachrohr für seine eigenen Ansichten. Die starke Selbstüberschätzung J.s äußert sich in wenig geschmackvoller Weise in den Lobsprüchen, die jenem Crites von den edlen Charakteren des Dramas, Cynthia und Arete, dargebracht werden 3 ). Manche Typen von Out wiederholen sich. Zum ersten Male erhebt J. hier seine Stimme im Theaterstreit, indem er Marston als Hedon ( = Brisk in Out) und Dekker als Anaides ( = Carlo Buffone) verspottet; ersterer wird als Dichterling hingestellt, der jedes seltsame Wort begierig aufschnappt, um es bei der ersten Gelegenheit verkehrt anzuwenden. Das übermäßig lange Stück wirkt durch den völligen Mangel einer spannenden Handlung, den geringen Zusammenhang der einzelnen Szenen untereinander und die Anhäufung von Abgeschmacktheiten sehr ermüdend und langweilig. 11. Poetaster; or, The Arraignment. A Comical Satire (1601; 4 0 , 1602). ') Creizenach V 200.

A.

BEN(JAMIN)

H g . von Herb. S. M a l l o r y 1905.

JONSON.

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(Yale Studies in English. 27). N e w Y o r k

Dies Drama spielt im alten Rom zur Zeit des Augustus; dieser selbst, Maecenas, Vergil, Ovid und Horaz treten auf. Auch der Stoff selbst ist aus altklassischen Quellen geschöpft. Der Dichter bietet uns aber keineswegs ein Bild des Altertums, sondern eine literarische Satire auf die Verhältnisse seiner eigenen Zeit in antiker Verhüllung. Horaz vertritt J. selbst; er wird von zwei Dichterlingen, Crispinus ( = Marston) und Demetrius ( = Dekker), die auf seinen Ruhm eifersüchtig sind, verleumdet, hält aber am Schluß ein Strafgericht über seine Gegner ab. Dem Crispinus wird ein Brechmittel eingegeben, das ihn zwingt, eine Fülle seltsamer unverdauter Worte zu erbrechen; damit soll die Vorliebe Marstons für eine geschwollene Ausdrucksweise gegeißelt werden. Dies Motiv stammt aus dem Lexiphanes Lucians. Aus den Satiren des Horaz sind die ergötzlichen Szenen entlehnt, wie dieser von einem aufdringlichen Menschen (bei J. von Crispinus) verfolgt wird (III 1), und wie der Sänger Hermogenes sich sehr lange zum Singen nötigen läßt, dann aber gar nicht aufhören will. Dem Schwulst des Crispinus steht die dichterische Flachheit des Demetrius gegenüber, der ebenso wie jener schließlich als Dichterling entlarvt wird. Die bedeutendste Leistung auf dem Gebiet der Charakterkomik ist aber in Poet, der Hauptmann Pantilius Tucca, eine originelle Gestalt, nicht nur Miles gloriosus, sondern zugleich Wüstling und dreister Schmarotzer, mit einer ganz eigenartigen drastischen und sprunghaften Sprechweise. Seine bombastischen Reden dienen dazu, den Redeschwulst mancher älterer Dichter, Kyds, Peeles u. a., zu parodieren. — Poet, ist zwar auch mangelhaft im Aufbau und arm an Handlung, die eigentlich erst im letzten Aufzug richtig beginnt, aber doch viel erfreulicher als Cynth. dadurch, daß J. hier einige wirklich komische Charaktere und Situationen gelungen sind. Sein maßloses Selbstbewußtsein und die Geringschätzung seiner Gegner äußert sich hier aber in womöglich noch schrofferen Formen 4). 12. A Tale of a Tub (1601?; 2°, 1640). Hg. von Hans S c h e r e r nach dem Druck von 1640 ( = Bangs Mater., B d . 39). Louvain 1913; — von Florence M. S n e l l mit Einleitung, A n merkungen und Glossar als Diss. von Yale. N e w York 1915.

Die Datierung dieses Stückes macht Schwierigkeiten. Es wurde im Mai 1633 lizensiert, und erschien erst nach J.s Tode in der zweiten Folio-Ausgabe seiner Werke, wird aber von manchen Forschern unter die frühesten Dramen J.s gerechnet. Freilich wird die frühe Entstehung nicht dadurch bewiesen, daß die Handlung *) Creizenach V 203.

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HOCHRENAISSANCE.

in die Zeit der Königin Elisabeth gelegt ist 5 ); aber manche andere Spuren weisen doch darauf hin, daß wir hier die späte Ueberarbeitung eines Jugenddramas vor uns haben6). Schauplatz ist Finsbury Hundred bei London; das Stück ist eine derbrealistische Bauernkomödie, und größtenteils in der für englische Bauern typischen südwestlichen Mundart abgefaßt, die zu Anfang besser durchgeführt ist als später. J . knüpft hier deutlich an Gurt. an. Als Typen treten u. a. auf: mehrere Bauernlümmel, ein Landedelmann mit seiner Familie, ein ländlicher Polizist, ein derber Diener. Sie vermögen uns aber nicht besonders zu fesseln ; auch die Komik, die sie entfalten, ist ziemlich ungenießbar. Seiner satirischen Laune läßt J . auch hier die Zügel schießen; sein Spott richtet sich diesmal gegen den berühmten Architekten Inigo Jones, dessen Feind unser Dichter zeitlebens war und der hier als unwissender und eingebildeter Küfer und Dorfpolizist In-and-In Medlay und in der nachträglich unterdrückten Rolle des Vitruvius Hoop verspottet wird, beides spöttische Anspielungen auf das Handwerk, das Jones ursprünglich erlernt hatte. Ein von Medlay verfaßtes Maskenspiel in fünfffüßigen jambischen Reimpaaren wird aufgeführt, das die Handlung von Tub nochmals kurz zusammenfaßt: eine Anspielung auf Jones als Nebenbuhler J . s bei der Abfassung von Hofmasken. Die inhaltliche Leere jenes Maskenspiels soll die Wertlosigkeit von Jones' Kunstbestrebungen ausdrücken, ebenso auch der Titel des Stückes; er stellt eine sprichwörtliche Redensart dar, und bedeutet ungefähr »eine dumme sinnlose Geschichte«. 13. Volpone; or, The Fox (1605; 4 0 , 1607). Hg. von John de R e a , New Häven & London 1920 ( = Yale Studies in English. 59); von H . B . W i 1 k i n s als Pariser These von 1906, beide Ausgaben mit Einleitung, Anmerkungen und Glossar.

Das Stück spielt in Venedig und geißelt im Anschluß an Horaz, Lucian und Petronius, aber in durchaus origineller Auffassung, die Erbschleicherei mit dem Grundton eines zynischen Pessimismus. Im Prolog rühmt sich J . selbst der strengen Einhaltung der drei dramatischen Einheiten und der kurzen Zeit von fünf Wochen, die er zum Niederschreiben des Werkes gebraucht habe. Der Titelheld ist ein reicher lüsterner alter Hagestolz, der zu den schlimmsten Schurkenstreichen bereit ist; williger Helfershelfer ist ihm dabei sein schmarotzender listenreicher Diener Mosca. Dieser benutzt die Habgier der erbschleicherischen Verwandten seines Herrn, um jedem einzelnen von ihnen unter dem Vor wände, er ') Aronstein S. 228. •) Baskervill p. 79.

A . BEN(JAMIN)

JONSON.

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sei alleiniger Erbe, reiche Geschenke abzupressen. Um die wahre Gesinnung seiner vermeintlichen Freunde zu erkunden, läßt Volpone sich tot sagen, und beobachtet nun, hinter einem Vorhang versteckt, das Benehmen jener, nachdem die Nachricht seines Todes sie erreicht hat. Der dramatische Knoten wird schließlich dadurch gelöst, daß Volpone und Mosca sich entzweien; nun kommen alle ihre Schändlichkeiten an den Tag, und beide erhalten ihre gerechte Strafe. Die Verwandten Volpones, Corvino, Corbaccio und Voltore (Krähe, Rabe und Geier) sind in ihrer maßlosen Gier nach seinem Gelde trefflich gezeichnet; eine psychologische Ungeschicklichkeit liegt freilich in der erstaunlichen Leichtgläubigkeit, mit der sie sich ebenso wie die andern Opfer Moscas von ihm betrügen lassen. Neben den Venezianern treten auch drei Engländer auf, Sir Politic Would-be, seine Gattin, und ein Reisender Peregrine. Ersterer ist ein Schwätzer und politischer Neuigkeitskrämer, der sich mit der intimen Kenntnis angeblicher Staatsgeheimnisse brüstet. Seine ebenso schwatzhafte Gattin, ein koketter Blaustrumpf, gehört mit zu den Erbschleichern, dient also dazu, die Gruppe der drei Engländer mit der Hauptfabel lose zu verknüpfen. Peregrine ist ein wunderlicher Plänemacher, der sich stets durch Vorzeichen leiten läßt und eine sonderbare Redeweise an sich hat. Eine Nachwirkung der Moralitäten ist auch hier erkennbar in den redenden Namen, die den meisten Personen beigelegt sind; diese sind aber keine Abstraktionen, sondern wirkliche, mit lebendiger Charakteristik gezeichnete Menschen. Das Stück ist das erste bedeutende Drama J.s, das auch unserer Gegenwart etwas zu bieten vermag 7 ). Die Bitterkeit der Satire wirkt nicht so abstoßend wie in den älteren Stücken, weil ihr jede persönliche Spitze fehlt. 14. Epicoene; or, The Silent Woman (1609; 4 0 , 1609). Hg. von Aurelia H e n r y , New York 1906 ( = Yale Studies inEnglish. 31).

Hier kehrt J . wieder nach London als Schauplatz zurück; die Einheiten werden wieder sorgfältig eingehalten.Der Stoff entstammt altklassischen Quellen, erscheint aber völlig J.s eigener Zeit angepaßt. Der lärmfeindliche Morose, den die Schwatzhaftigkeit seiner Frau bis zu Selbstmordgedanken treibt, ist einer Rede des Sophisten Libanius entnommen; die Scheinheirat dieses Morose mit der vermeintlich stummen Epicoene, die nach der Hochzeit zu seinem Schmerze ein sehr geräuschvolles Wesen an den Tag legt, sich aber schließlich als ein Knabe entpuppt, wurde durch ') In einer Neubearbeitung von Stefan Zweig wurde Volp. zuerst im Winter 1926/27 zu Berlin, und seither auch an anderen Orten mit Erfolg aufgeführt.

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II. D A S EIGENTLICHE

D R A M A DER

HOCHRENAISSANCE.

die Casina des Plautus angeregt. Die geschickt herbeigeführte Entwirrung des dramatischen Knotens ist ganz eigene Erfindung des Dichters. Das Stück ist eine sehr derbe Posse, aber trotz der großen Unwahrscheinlichkeit der Handlung von überaus wirksamer Komik. Hier begegnen wir zuerst in J.s Dramen satirischen Ausfällen gegen die Puritaner (II i und II 2), die er in späteren Stücken mit sich steigernder Schonungslosigkeit zu verspotten pflegte. In einer Nebenhandlung treten als gelungene Zerrbilder des Adels die beiden Tröpfe Sir John Daw und Sir Amorous LaFoole auf. Ersterer ist ein Stutzer und hat trotz seiner Unwissenheit schriftstellerischen Ehrgeiz: er will den Tacitus fortsetzen und urteilt absprechend über die berühmtesten Schriftsteller des Altertums, ohne sie wirklich zu kennen. La-Foole ist stolz auf seinen alten Adel und berühmten Stammbaum; sein redender Name deutet seine Geistesverfassung ebenso an, wie bei den übrigen Personen. Beide werden von True-Wit, dem lustigen Intriganten des Stückes, gegeneinander gehetzt. Es wird ihnen eingebildet, daß ein Zweikampf untereinander für sie notwendig sei; beide haben aber gegenseitig voreinander eine fürchterliche Angst, und lassen sich öffentlich mißhandeln, weil sie dadurch dem Zweikampf entgehen zu können glauben. Der Pantoffelheld Otter ist nur die Wiederholung eines schon früher von J. dargestellten Typus. Außerdem lernen wir eine Gesellschaft von gelehrten Damen kennen, die getrennt von ihren Männern leben, und bei denen das gelehrte Treiben nur ein Deckmantel der Unzucht ist. Obgleich auch Epic. reich an Satire ist, nähert sich doch J. in keinem andern seiner Stücke so sehr der reinen Komik. Diese bildet den Kern der Haupthandlung; die Satire tritt nur an den Nebenpersonen hervor. Das Stück ist durchweg in Prosa abgefaßt. 15. The Alchimist

(1610; 40, 1612).

Hg. von Charl. M. H a t h a w a y , in English. 17).

New York 1903 ( = Yale Studies

Hier gießt J. die Lauge seines Spottes aus über den damals weit verbreiteten alchimistischen Aberglauben. Die alchimistischen Gauner, die diesen Aberglauben dazu benutzen, um sich auf Kosten ihrer Mitmenschen in betrügerischer Weise zu bereichern, sind Subtle, der Titelheld, sein Helfershelfer Face, der Hausverwalter des abwesenden Love-Wit, in dessen Hause sich die Spitzbuben eingenistet haben, und Dol Common, deren Gewerbe schon durch ihren Namen bezeichnet wird. Die Eröffnungsszene, die Subtle und Face miteinander im Streit begriffen darstellt, wobei jeder rücksichtslos die Spitzbubenstreiche des andern aufdeckt, ist eine Nachahmung der Mostellaria des Plautus; aus

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dem gleichen Stücke ist auch der Zug entlehnt, daß der Besitzer des Hauses unerwartet zurückkehrt und die Gauner alle möglichen Schliche anwenden, um ihn von der Entdeckung ihrer Schwindeleien abzuhalten. Natürlich schützt das alles sie doch nicht vor der schließlichen Entlarvung. Eine andere, unserem Drama noch näherstehende Quelle ist Giordano Brunos italienische Komödie II Candelaio (1583). — Den schlauen Betrügern stehen, wie auch sonst bei J., die dummen Betrogenen gegenüber. An ihnen entfaltet J. seine glänzende Charakterisierungskunst; er läßt eine bunte Reihe von Gestalten an uns vorüberziehen, von denen jede das Gepräge persönlicher Eigenart aufweist. Unter ihnen sind am bemerkenswertesten zwei Vertreter des Puritanertums, Tribulation Wholesome, ein Pastor aus Amsterdam, und Ananias, sein Küster. Sie sind scheinbar allen irdischen Dingen völlig abgewandt, und eifern selbst gegen die harmlosesten Vergnügungen; auf das Anerbieten der schwindelhaften Goldmacher, ihnen falsches Geld zu verschaffen, gehen sie aber freudig ein. Trotz des ihnen gemeinsamen Puritanertums sind sie unter sich verschieden: Tribulation ist ein heuchlerischer Kasuist, Ananias ein verbohrter Fanatiker. Die Puritaner werden hier von J. zum ersten Male schärfer angepackt. — Aich, ist als satirisches Lustspiel ein Meisterwerk, gleich ausgezeichnet im geschlossenen Aufbau seiner spannenden Handlung und in der Charakteristik seiner Personen, die zwar englische Zeittypen darstellen, aber doch über die zeitlichen und örtlichen Grenzen ins Gebiet des allgemein Menschlichen hinausragen. J. kehrt hier wieder zum Blankverse zurück; das Stück ist durchweg in solchen Versen abgefaßt. 16. Bartholomew Fair (1614; 4°, 1631). Hg. von Carroll Storr A I d e n , New York 1904 ( = Yale Studies in English. 25).

Das Stück ist sonderbarerweise trotz seiner unzweifelhaften Echtheit nicht in die Folio-Ausgabe von 1616 mit aufgenommen worden. Der Titel bezieht sich auf den Jahrmarkt, der seit dem Mittelalter alljährlich am Bartholomäustage, d. h. am 24. August, zu Smithfield in London abgehalten wurde. Wir erhalten ein farbenreiches, sehr lebendiges und anschauliches Bild des Lebens und Treibens bei einem solchen Jahrmarkt, der mit einem kräftigen gesunden Realismus geschildert wird. Barth, war seinerzeit ganz besonders beliebt und hat als breit ausgeführtes kulturgeschichtliches Sittengemälde auch noch Gegenwartswert. Zugleich ist es vollgespickt mit literarischen Anspielungen. Wem der darin enthaltene Spott gelten soll, ist nicht immer deutlich; aber Kyds Span. Trag, und Shakespeares Wint. und Temp. sind als Zielscheiben dieses Spottes

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erkennbar. Das durch das Puppentheater im fünften Akt aufgeführte Stück ist eine Parodie der geschmacklosen Verknüpfung altklassischer Berühmtheiten mit der plattesten Alltäglichkeit der unmittelbaren Gegenwart in Stücken wie Prestons Camb. oder Edwards' Dam.8). Die Puritaner werden auch hier wieder gehörig aufs Korn genommen. Ihre Haupt Vertreter sind die Witwe Purecraft und deren Freier, der Rabbi Zeal-of-the-Land Busy, ein Vorläufer von Dickens' Stiggins 9 ). Die salbungsvolle Sprache der Puritaner wird in den Reden dieser beiden sehr gelungen parodiert. Busy versteht es, selbst seiner schmarotzerhaften Gefräßigkeit ein moralisches Mäntelchen umzuhängen. Mit dem Leiter des Puppentheaters Lanthorn Leatherhead ist augenscheinlich J.s alter Feind Inigo Jones gemeint, der Nebenbuhler des Dichters beim Entwerfen von Hofmaskenspielen. — Das Stück blendet durch seinen verwirrenden Reichtum an scharf gezeichneten Gestalten; aber seine Fabel ist schwach. Die Handlung löst sich in eine Reihe mehr oder weniger possenhafter Einzelheiten auf, die durch eine gemeinsame Grundidee nur ganz lose zusammengehalten werden. Diese Grundidee ist: jeder Mensch trägt, sich selbst meist unbewußt, eine Narrenkappe; auch die sich selbst weise dünken, erweisen sich schließlich als Toren. Dem realistischen Gesamtcharakter des Dramas entspricht die Form der Prosa, die durch das ganze Stück durchgeführt ist. Eine literarische Quelle ist nicht anzunehmen; J. schöpft hier unmittelbar aus dem wirklichen Leben seiner Zeit. 17. The Devil is an Ass (1616; 20, 1641). Hg. von William Savage J o h n s o n , New York 1905 (= Yale Studies in English. 29). Devil besteht aus einer doppelten Handlung, die nicht sehr geschickt zusammengefügt ist. Die eine enthält die Geschichte des Unterteufels Pug, der von Satan, seinem Herrn, die Erlaubnis erhält, in menschlicher Gestalt einen Tag auf der Erde zuzubringen; er zieht aber gegenüber menschlicher Schlauheit und Schlechtigkeit den Kürzeren, und erklärt schließlich, er wolle lieber in der Hölle die schwersten Dienste verrichten, als noch länger auf der Erde verweilen. Arg gedemütigt kehrt er zur Hölle zurück. Pugs Schicksale berühren sich hier mit denen des Teufels Belphegor in Grim. Hauptperson der andern Handlung ist der dumme und boshafte Geizhals Fitzdottrel, der von zwei Gaunern geprellt wird. Durch die Charakteristik dieser Gauner verspottet J. eine damalige Zeitkrankheit: die schwindelhafte Projektenmacherei. Der •) Aronstein S. 153. •) Schelling, Eliz. Dr. X 532,

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Hauptprojektenmacher ist Meercraft; ihm steht Ever-IIl als Gehilfe zur Seite. Sie bilden Fitzdottrel ein, er werde durch Fruchtbarmachung von Oedland Millionen verdienen und könne Herzog der neu gewonnenen Ländereien werden. Natürlich werden die beiden Spitzbuben am Schluß als Betrüger entlarvt. — Der Teufel Pug tritt in Fitzdottrels Dienste und stellt so die Verbinbindung zwischen beiden Handlungen her. Mit den Teufeln und dem Vice Iniquity, die zu den auftretenden Personen gehören, knüpft J . hier auch äußerlich an die alten Misterien und Moralitäten an. — Der Ablauf der Handlung ist matt; in diesem Stücke bemerken wir zuerst eine Abnahme von J.s dichterischer Schöpferkraft. In den Gaunern und ihren Opfern wiederholt er nur schon in früheren Dramen mit lebhafteren Farben und größerem Geschick gezeichnete Typen. E s scheint, daß das Stück nur geringen Bühnenerfolg hatte, und daß dieser Mißerfolg den Dichter so verstimmte, daß er in den nächsten neun Jahren kein einziges Drama mehr verfaßt hat. b) Die Trauerspiele

1598—1616.

18. Mortimer His Fall (1602; 2°, 1640). Das Stück wurde von J . unvollendet hinterlassen, und umfaßt in dieser Gestalt nur 72 Verse. Es wurde von William Mountfort vollendet und 1 7 3 1 in vollständiger Gestalt herausgegeben. E s sollte eine Tragödie im rhetorischen Stile der Nachahmer Senecas werden, mit Chören am Schluß jedes Aufzugs. Die Handlung spielt zur Zeit König Eduards I I I . Aus den Inhaltsangaben am Schluß der Chorreden ersehen wir, wie das Stück enden sollte: mit der Hinrichtung Mortimers, des Grafen von March, der durch die Gunst der Königin emporgestiegen, dadurch übermütig geworden war und schließlich im Schlafzimmer seiner Gönnerin überrascht wird. 19. Sejanus His Fall (1603; 4 0 , 1605). Sej. wurde 1603 von der kgl. Schauspielertruppe aufgeführt, der auch Shakespeare angehörte. Das Stück erschien 1605 mit einem empfehlenden Epigramm Marstons, das die inzwischen erfolgte Aussöhnung der einstigen Gegner bezeugt. J . s Pessimismus und die satirische Grundrichtung seines Geistes macht sich darin geltend, daß er sich zum Helden dieses Dramas gerade eine der düstersten Gestalten der römischen Geschichte ausgesucht hat, den verbrecherischen Günstling des finsteren Kaisers Tiberius. Er stellt einen Zeitabschnitt aus der römischen Kaisergeschichte dar, dem es an jedem Lichtblick mangelt, und bei dem wir es als einzigen Trost empfinden, daß das Böse sich schließlich selbst

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11. D A S E I G E N T L I C H E

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verzehrt. Sej. ist ohne Zweifel ein bedeutendes Werk. Jene schreckliche Zeit wird mit großer Anschaulichkeit geschildert; das Zeitbild ist noch echter als in Shakespeares Römerdramen, mit denen J. offenbar in Wettbewerb treten wollte. J.s gelehrte Pedanterie kommt aber doch zum Vorschein: er hat das ganze Drama mit einem fortlaufenden Kommentar versehen, worin er immer wieder auf die von ihm benutzten Quellen hinweist. Unter diesen stehen Tacitus und Dio Cassius obenan. 20. Den charaktervollen Republikanern als den Vertretern der alten Zeit stehen die entarteten gesinnungslosen Schmeichler des Kaisertums gegenüber. Die Despotenherrschaft des Tiberius droht aber, auch ehrenfeste Charaktere in Sklaven zu verwandeln. Eine Meisterleistung der Charakteristik ist vor allem die Gestalt desTiberius selbst; als vollendeter Heuchler weiß er auch den schlimmsten Auswüchsen seiner Tyrannei den Anschein der Volkstümlichkeit und Gesetzlichkeit zu geben 10). Sejanus ist ein bloßer Schurke ohne Größe; sein maßloser Ehrgeiz steht in gar keinem Verhältnis zu seiner geistigen Bedeutung. Er stürzt, weil er diesen Ehrgeiz bis zur Unverschämtheit gesteigert hat, indem er die Hand der Livia, der verwitweten Schwiegertochter des Kaisers, zu erringen sucht. Als mittelmäßige gemeine Natur ohne jeden sympathischen Zug ist er zum tragischen Helden ganz ungeeignet. Meisterhaft wird das allmähliche Abrücken der Senatoren von dem verwöhnten Günstling dargestellt, als das erste Wetterleuchten der kaiserlichen Ungnade über ihm sichtbar wird. 21. Vom klassischen Stil weicht J. darin ab, daß er auf die Chöre und die Einheit der Zeit verzichtet: er schildert vielmehr die letzten acht Jahre aus dem Leben des Sejanus. Andererseits vermeidet der Dichter aber alle Komik innerhalb seines Trauerspiels als eine von seinem Standpunkt aus stilwidrige Störung. Das ganze Stück ist in eher platten korrekten als schwungvollen Blankversen oder in fünffüßigen jambischen Reimpaaren abgefaßt. Es wurde von der großen Masse der Zuschauer nicht mit dem Beifall aufgenommen, den J. beansprucht hatte; um so größer war aber die Anerkennung der gebildeten Kreise. 22. Catiline His Conspiracy ( i 6 u ; 40, 1611). Hg. von L . H . H a r r i s , N e w Y o r k 1921 ( = Yale Studies in English. 53). Vgl. auch M e i n c k R H R § 247 e.

Dies Trauerspiel soll gegenüber geschmacklosen Stücken wie Lodges Wounds oder Thom. Heywoods Lucr. eine wirkliche Tragödie darstellen, so wie sie J. als Muster vorschwebte. Die Anlehnung an antike Vorbilder, namentlich an Seneca, ist viel enger 10) Ward I I 337.

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als in Sej: zu Anfang erscheint der Geist Sullas; die Chöre werden in den Zwischenakten wieder eingefügt; kalte Rhetorik ersetzt den dichterischen Schwung. Die Einheit der Zeit und des Ortes wird aber doch nicht gewahrt. Die geschilderte letzte Zeit der römischen Republik ist nicht weniger unerfreulich wie die Kaiserzeit in Sej. Die Zeichnung der Charaktere, besonders auch des Titelhelden, besitzt keine plastische Schärfe. Cato und Cäsar wirken nicht wie Menschen von Fleisch und Blut, sondern wie blasse Verkörperungen politischer Grundsätze. Geradezu unerträglich ist es, daß J. den Cicero fast seine ganze erste katilinarische Rede in 290 Versen vortragen läßt. In den Mitverschworenen Catilinas dagegen entfaltet der Dichter große Kunst in der unterscheidenden Charakteristik einer ganzen Reihe von Menschen der gleichen Gattung. Die Handlung ist ohne rechtes Leben. Dem ganzen Stück merkt man die große Mühe an, die seine Ausarbeitung verursacht hat. Hauptquellen waren Ciceros katilinarische Reden, Sallusts De conjuratione Catilinae und Plutarchs Leben Ciceros. Das Stück hatte auf der Bühne keinen Erfolg. c) Die späteren Dramen (1625—1637). 23. The Staple of News (1625; 2°, 1631). Hg. von De W i n t e r , New York 1905 ( = Yale Studies in English. 28).

Nach der neunjährigen Pause im dramatischen Schaffen J.s, die offenbar durch die szenischen Mißerfolge seiner letzten Stücke veranlaßt worden war, kehrt er hier wieder zu seiner durch Cynth. vertretenen älteren Lustspielmanier zurück, Satire in allegorischem Gewände mit einer satirischen Darstellung der Wirklichkeit zu verknüpfen. Die allegorische Satire richtet sich gegen die Geldgier. Aus dem Plutus des Aristophanes, neben dem J. auch die »Wespen« des gleichen Dichters benutzt hat, stammt die allegorische Hauptidee, die Verkörperung des Geldes durch L a d y Pecunia, die schon durch ihren Namen an Argurion in Cynth. erinnert. Ihr Beiname Infanta of the Mines enthält zugleich eine politische Anspielung auf die spanische Prinzessin, deren Heirat mit dem englischen Prinzen Karl, dem späteren König Karl I., damals geplant wurde. Ein origineller Gedanke, der uns ganz modern anmutet, war es, im nichtallegorischen Teil die Neuigkeitskrämerei der Leute durch die Darstellung eines Nachrichtenamts zu verspotten, das zugleich auch dem ganzen Stück den Namen gab. Die Satire richtet sich hier gegen die Leichtgläubigkeit des Publikums, das selbst die unwahrscheinlichsten Nachrichten glaubte, wenn sie ihm nur möglichst brühwarm mitgeteilt wurden. Die lebhafte Schilderung des Nachrichtenstapelplatzes wird durch das allegorische Beiwerk beeinträchtigt, das sich an Pecunia und ihr Gefolge heftet. Die A b -

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nähme der dichterischen Erfindungsgabe ist auch hier wahrnehmbar; je mehr sie schwand, desto mehr griff J. zu frostiger Allegorie und Manieriertheit 11 ). Die Handlung ist im ganzen etwas mager und zum Teil auch recht unwahrscheinlich. 24. The New Inn; or, The Light Heart (1629; 8°, 1631). Hg. von Gge. Bremner T e n n a n t , N e w Y o r k 1908 ( = Yale Studies in English. 34).

Nach den Mißerfolgen seiner letzten Stücke beschloß der verärgerte Dichter, seine dramatische Richtung zu wechseln, und sich als Nachahmer Fletchers im romantischen Drama zu versuchen, worin jener so große Triumphe gefeiert hatte. Besonders Fletchers Bush hat das vorliegende Stück beeinflußt. Unter Fletchers Einwirkung verschob J. den dramatischen Schwerpunkt von den Charakteren auf die Handlung. Er übernahm aber vom romantischen Drama nur die Mängel: die Unwahrscheinlichkeit dieser Handlung und die zusammenhanglose Verknüpfung ganz verschiedenartiger, nicht zueinander passender Bestandteile, ohne sich auch seine Vorzüge anzueignen: die heitere Leichtigkeit, Lebhaftigkeit und Anmut. Der Dichter bedient sich abgenutzter Motive: vornehme Personen in niederer Stellung, ein Mädchen, das für einen Knaben gehalten wird, Trennung und unerwartete Wiedervereinigung von Familiengliedern. Ein Lord, der Gastwirt geworden ist, eine irische Bettlerin, die sich schließlich als die Frau des Lords entpuppt, und eine Tochter beider, die vom Wirt als Sohn auferzogen wird, alle drei zu Anfang des Stückes unter einem Dache, ohne voneinander zu wissen, das ist eine starke Zumutung für die Zuhörerschaft. Die frühere Manier J.s erkennen wir im geschmacklosen Auskramen von Gelehrsamkeit und in der satirischen Darstellung der betrügerischen Kniffe verschiedener Stände. Das Stück wurde so unfreundlich aufgenommen, daß es nicht einmal zu Ende gespielt werden konnte; es erschien im Druck mit einem zornigen Vorwort des Dichters. Der Verfall der dichterischen Kraft J.s hing ohne Zweifel auch mit seinem körperlichen Zustand zusammen; denn er hatte zu Anfang 1626 einen Schlaganfall erlitten. Im Epilog bittet er den neuen König Karl I. und die Königin um Unterstützung. Seine Bitte wurde erhört; er erhielt ein Geschenk von 100 £, und sein Jahresgehalt wurde auf 100 £ erhöht. f f 2 5 . The Magnetic Lady; or, Humours Reconciled (1631; 2°, 1640). H g . von H a i v e y Whitefield P e c k , in English. 47). u)

Aronstein S. 218.

New Y o r k 1914 ( = Yale Studies

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N a c h d e m a u c h der R i t t ins r o m a n t i s c h e L a n d sich f ü r J. als F e h l s c h l a g erwiesen h a t t e , k e h r t er hier w i e d e r z u seiner a l t e n H u m o u r - K o m ö d i e z u r ü c k . W i e in Cynth., m a c h t er in e i n e m V o r s p i e l a u f d a s eigentliche S t ü c k a u f m e r k s a m , m i t Seitenhieben a u f d a s r o m a n t i s c h e D r a m a . Die s c h l e p p e n d e H a n d l u n g ist m a n g e l h a f t a u f g e b a u t u n d o h n e L e b e n ; a u c h dies S t ü c k h a t t e keinen Erfolg. 26. The Sad Shepherd (um 1634). Hg. von*,W. W. G r e g , Louvain 1905 ( = Bangs Materialien, Bd. 11). D a s S t ü c k ist ein H i r t e n d r a m a u n d m i t d e n Maskenspielen v e r w a n d t . A l s Hirtenspiel n i m m t es i n n e r h a l b der D r a m e n J.s eine g a n z v e r e i n z e l t e S t e l l u n g ein. A u c h i m T o n u n d in der B e h a n d l u n g des S t o f f e s ist es v o n seiner sonstigen A r t so v ö l l i g v e r s c h i e d e n , d a ß m a n in V e r s u c h u n g k o m m e n k ö n n t e , a n seiner V e r f a s s e r s c h a f t z u z w e i f e l n , w e n n diese n i c h t d u r c h a u s sicher b e z e u g t w ä r e . A l l e g o r i e u n d Satire f e h l e n v ö l l i g ; d a g e g e n e n t f a l t e t der D i c h t e r eine lyrische Z a r t h e i t u n d A n m u t i m dichterischen A u s d r u c k , die u n s bei s e i n e m sonst so r a u h e n W e s e n g a n z f r e m d a r t i g b e r ü h r t . Diese E i g e n s c h a f t e n sind m i t einem g e s u n d e n R e a l i s m u s g e p a a r t , der a u c h K o m i k n i c h t v e r s c h m ä h t , u n d sich g e g e n die s ü ß l i c h e U n n a t u r d e r sonstigen H i r t e n d i c h t u n g w o h l t u e n d a b h e b t . I m M i t t e l p u n k t der e r n s t e n H a n d l u n g s t e h t der T i t e l h e l d A e g l a m o u r . E i n e z w e i t e G r u p p e bildet R o b i n H o o d m i t seinen L e u t e n ; hier zeigt sich der E i n f l u ß der v o l k s t ü m l i c h e n Maispiele. D i e K o m i k w i r d d u r c h die schottisch redende H e x e M a u d l i n v o n P a p l e w i c k m i t i h r e m Sohne L o r e l u n d ihrer T o c h t e r D o u c e v e r t r e t e n . — D i e F r i s c h e der D a r s t e l l u n g p a ß t gar n i c h t z u J . s A l t e r s s t i l u n d l e g t die V e r m u t u n g n a h e , d a ß der erste E n t w u r f des S t ü c k e s in eine viel frühere L e b e n s z e i t des D i c h t e r s z u r ü c k r e i c h e , und d a ß er es in seinen l e t z t e n J a h r e n nur ü b e r a r b e i t e t habe. D i e ä l t e r e F a s s u n g w i r d in der v e r l o r e n g e g a n g e n e n H i r t e n d i c h t u n g The May Lord v e r m u t e t , die u m 1 6 1 3 e n t s t a n d e n w a r , u n d b e i m B r a n d e v o n J . s B i b l i o t h e k i m J a h r e 1623 v e r n i c h t e t w o r d e n sein m a g . A u c h die E i n f l e c h t u n g der nördlichen M u n d a r t d e u t e t auf eine f r ü h e r e E n t s t e h u n g s z e i t , e t w a i m A n s c h l u ß a n die schottische Reise (1618/19). D a s S t ü c k liegt u n s n u r als B r u c h s t ü c k v o r , d a s i m d r i t t e n A u f z u g a b b r i c h t . O b ein S c h l u ß u r s p r ü n g l i c h v o r h a n d e n g e w e s e n w a r u n d a b h a n d e n g e k o m m e n ist, oder o b J. selbst d a s S t ü c k u n v o l l e n d e t z u r ü c k g e l a s s e n h a t , l ä ß t sich schwer e n t scheiden. d) Jonson als Mitarbeiter anderer Dramendichter. 27. U e b e r J.s Z u s ä t z e z u K y d s Span. Trag. s. R H R § 226. J. w a r M i t a r b e i t e r C h a p m a n s u n d M a r s t o n s a n d e m t r e f f l i c h e n Lustspiel E c k h a r d t , Geschichte des englischen Dramas.

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II. D A S EIGENTLICHE DRAMA

DER

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Eastw., s. Chapman § 46. J. wird ferner auch eine Beteiligung an der Verfasserschaft der Komödie Widow zugeschrieben, a l s deren andere Verfasser Middleton und Fletcher gelten, s. Middleton § 125. e) Jonsons Maskenspiele. 28. Sehr fruchtbar war J. als Verfasser v o n Maskenspielen. A l s Hofdichter (poeta laureatus) hatte er die Pflicht, jedes Jahr ein oder mehrere Maskenspiele für die Hoffestlichkeiten a b z u fassen. J. hat das Verdienst, den künstlerischen Wert jener nicht sehr hochstehenden Dichtungen beträchtlich erhöht zu h a b e n . Hier zeigt er sich als Romantiker und als Dichter v o n starker Einbildungskraft, die in seinen eigentlichen Dramen so oft hinter dem kritischen Verstände zurücktreten muß. Wir lernen J. hier auch als Lyriker kennen, freilich ohne bedeutende Leistungen auf diesem Gebiete. In der Maske waren Allegorien und mythologische Anspielungen wesentliche Bestandteile. D a s entsprach auch J . s dichterischer E i g e n a r t ; er fügte noch satirische Bilder des d a m a ligen Lebens hinzu. Durch Erfindung der Antimaske als einer komischen Parodie der eigentlichen Maske innerhalb des Maskenspiels schuf J. für dieses eine willkommene Gelegenheit, die Handlung abwechslungsreicher zu gestalten. J.s umfassende Gelehrsamkeit, vor allem seine genaue Kenntnis des klassischen Altertums kommt ihm gerade in der Maskendichtung besonders zugute, aber ebenso auch seine Vertrautheit mit den Volksüberlieferungen und dem volkstümlichen Aberglauben seines eigenen Vaterlandes. Natürlich treten in J.s Masken auch seine dichterischen Mängel deutlich hervor: sein pedantisches und übermäßiges Prunken mit Gelehrsamkeit und seine übertriebene Verwendung der Allegorie 12 ). A u c h fehlt ihm die Geschmeidigkeit und anmutige Leichtigkeit der äußeren Form. A u f seine Maskenspiele im einzelnen einzugehen liegt außerhalb des Rahmens dieses Buches. f) Allgemeines über Jonson als Dramatiker. 29. J.s starke Persönlichkeit war von ausgesprochener Eigenart. E r war ein literarischer Draufgänger, ein rücksichtsloser Kämpfer, dessen Schriftstellerei mit beständigen Angriffen auf seine Gegner v e r k n ü p f t war. Hierbei ließ er sich aber weniger von persönlicher Mißgunst leiten als von sachlichen Gesichtspunkten. A u c h seine Teilnahme am Theaterstreit und seine Bosheiten gegen Munday, Daniel, Marston und Dekker galten i m wesent,2)

Castelain p. 573.

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liehen einem Kampf um Grundsätze; am ehesten scheint persönliche Abneigung und literarische Eifersucht bei seinem Streit mit Inigo Jones im Spiele gewesen zu sein. J. trat für die realistische Komödie ein und bekämpfte leidenschaftlich das romantische Drama mit all seinen Unwahrscheinlichkeiten und Geschmacklosigkeiten, dem jähen Szenenwechsel, den zeitlichen Sprüngen und den Anachronismen. Hierbei stritt er mit der ehrlichen Schroffheit des überzeugungstreuen charakterstarken Mannes. 30. J. ist schon mehrfach mit Lessing verglichen worden; in der Tat gleichen sich beide in mancher Hinsicht. Beiden fehlt die Naivität des wahrhaft großen Künstlers; beider Schaffen ist allzu bewußt und absichtlich; beide sind eher Kritiker als Schöpfer; bei beiden überwiegt der Verstand über die Einbildungskraft; beide neigen zur Tendenzdichtung, zur Didaktik und zur Satire. Wer aber J. allein nach seinen Lustspielen beurteilt, gelangt zu einem unvollständigen Bilde seiner dichterischen Eigenart. Er war nicht nur ein kritisch veranlagter witziger Verstandesmensch, sondern besaß auch eiae romantische Ader, wie besonders Sad und seine Maskenspiele beweisen. Das unterscheidet ihn sehr wesentlich von Lessing. Wenn er es im allgemeinen vermieden hat, romantische Lustspiele zu schreiben, so lag dies weniger an einseitiger Veranlagung, als vielmehr an theoretischen Erwägungen: er schrieb seine Lustspiele einer Theorie zuliebe, die er sich selbst über den Zweck dieser Dramengattung gebildet hatte. 31. In seinen Lustspielen ist J. vor allem ein Schildernder Sitten seiner Zeit und seines Landes; als scharfer realistischer Beobachter zeichnet er mit schneidender Satire die Torheiten und Laster seiner Mitmenschen. Seine Stücke sind daher eine reiche Fundgrube für Kulturgeschichte. Als satirischer Sittenschilderer geht J. von der römischen Komödie aus. Seine Dramen sind vollgespickt mit Gelehrsamkeit und Lesefrüchten aus der römischen Literatur, deren vorzüglicher Kenner er war. Der gelehrte Charakter seiner Dramen verhinderte ihre Volkstümlichkeit. Dabei war J. aber, bei aller altklassischen Gelehrsamkeit, durch und durch Engländer; als solcher verstand er es, dem aus dem Altertum übernommenen fremden Gut den Stempel englischen Geistes aufzudrücken. Die Antike war auch gar nicht die einzige Quelle, aus der er seine Stoffe schöpfte; er entnahm diese zugleich auch unmittelbar dem vollen Menschenleben seiner eigenen Zeit und seines eigenen Landes, und auch in der Methode seiner satirischen Charakteristik folgte er einheimischen Bahnen. Denn als Schöpfer der comedy of humours ist J. ein Fortsetzer der Moralitäten. Der Schwerpunkt seiner Stücke liegt nicht in ihrer Handlung, die meist recht dürftig ist, sondern in den Charakteren. 2*

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HOCHRENAISSANCE.

Diese erhalten eine von der Handlung mehr oder weniger unabhängige Bedeutung. J.s Gestalten sind nahe Verwandte der abstrakten Personen der Moralitäten; sie sind oft keine wirklichen Menschen, sondern als Träger eines humour Verkörperungen eines einzigen Charakterzuges, irgendeiner besonderen Torheit. Der Begriff humour in diesem Sinne ist freilich keine Erfindung J.s, sondern begegnet schon vor ihm, z. B. bei Lyly. J.s humourDichtung wurde später durch die englischen Humoristen, namentlich durch Dickens, im Roman fortgesetzt. Auch J.s Humor ist echt englisch in seiner Vorliebe für das Bizarre, für groteske Uebertreibung. 32. Die Menschen in J.s Lustspielen zerfallen im allgemeinen in drei Gruppen: 1. schlaue Betrüger, die aber schließlich entlarvt werden, gewöhnlich erst im letzten Aufzug; 2. dumme Betrogene, die der Intrige der Vertreter der ersten Gruppe zum Opfer fallen; 3. außerhalb der Intrige stehende mehr oder weniger verständige Menschen, die gleichsam aus der Vogelperspektive das Treiben der andern beobachten. Zu ihnen gehören Personen, die J. zum Sprachrohr seiner eigenen Meinung dienen, so Asper in Out, Crites in Cynth., Horaz in Poet. J.s Stücke stellen also nicht, wie die Dramen Shakespeares, einen Zusammenprall von Leidenschaften dar, sondern einen Kampf des Witzes gegen die Dummheit, der begabten Schlauheit gegen die unbegabte Harmlosigkeit. 33. Als Satiriker war J. durchaus Pessimist; in seinen Dramen begegnen nur wenige durchaus sympathische, sittlich und geistig hochstehende Menschen, und namentlich seine Frauengestalten stellen fast durchweg Zerrbilder dar. Ihm fehlte das warmfühlende Herz, das menschenfreundliche Wohlwollen. Er stand als Dichter in sehr hohem Ansehen und übte, trotzdem ihm die Volkstümlichkeit mangelte, einen mächtigen Einfluß auf die Literatur seiner Zeit aus; aber sein Dünkel verleitete ihn dazu, sich die Rolle eines unfehlbaren Literaturpapstes anzumaßen. Durch seine dick aufgetragene Gelehrsamkeit wirkt J. auch oft pedantisch und geschmacklos; er war nicht Künstler genug, um das gelehrte Beiwerk ganz in Poesie aufzulösen. Diese Mängel, treten besonders in seinen beiden Römerdramen hervor. Sie sind trotz aller Vorzüge im Grunde verfehlt, weil ihre Handlung in Gelehrsamkeit geradezu erstickt, und J. es nicht verstanden hat, den überkommenen Stoff mit der Freiheit des echten Dichters zu wirklichen Kunstwerken zu gestalten. Er verwechselt Dichtung und Geschichtswissenschaft. Der Mangel an Leidenschaft in diesen Trauerspielen läßt sie kalt und mehr rhetorisch als wuchtig erscheinen 13). Die Rede überwiegt über die Handlung. a)

G. G. Smith, p. 186.

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34. Mit dem Zurücktreten der Handlung hinter den Charakteren hängt es auch zusammen, daß ein eigentlicher Held, der die ganze Handlung beherrscht, J.s Dramen zu fehlen pflegt. Auch wo das Stück nach einem Titelhelden benannt ist, stehen diesem Personen von gleicher Bedeutung zur Seite, so in Volp. neben Volpone selbst Mosca, in Aich, neben Subtle Face; in Sej. spielt Tiberius keine geringere Rolle als Sejanus selbst. Innerhalb der Grenzen seiner Kunst entfaltet J. aber eine große Mannigfaltigkeit ; die Zahl der von ihm dargestellten verschiedenartigen Typen ist ganz erstaunlich groß. Auch schon bei J.s Vorläufern werden die Personen oft durch ihre Namen charakterisiert. Shakespeare hat ebenfalls eine gelegentliche Anwendung dieses Kunstmittels nicht verschmäht 14 ); kein anderer Dichter hat aber von den »redenden Namen« einen so ausgedehnten Gebrauch gemacht wie J., bei dem fast alle Personen solche Namen tragen. Das ist auch alte Moralitätenüberlieferung; die Gestalten erhalten durch eine solche ihnen gleichsam aufgeklebte Etikette etwas Starres, Unabänderliches, und dem entspricht es auch, daß den Personen J.s als starren Typen alle Charakterentwickelung fehlt. Der Charakter erhält trotz seiner UnVeränderlichkeit Abwechslung nur dadurch, daß er in verschiedene Situationen hineingestellt wird, um darin immer wieder die gleichen Eigenschaften zu entfalten 15 ). 35. Wohl aber bemerken wir in den Lustspielen J.s selbst einen künstlerischen Fortschritt im Uebergang von der mehr persönlichen Satire der meisten seiner älteren Lustspiele zu der satirischen Verspottung ganzer Menschenklassen, wie z. B. der Puritaner, der alchimistischen Schwindler oder der Projektenmacher, in den Komödien aus seiner mittleren Zeit. In dieser erreicht der Dichter den Höhepunkt seines Könnens: Volp., Epic., Aich, und Barth, sind seine dramatischen Glanzleistungen. 36. Wir besitzen Kunde von verloren gegangenen Stücken aus J.s Frühzeit. Page of Plymoulh (1599), von ihm in Gemeinschaft mit Dekker geschrieben, gehört zu den häuslichen Tragödien in der Art wie Arden oder Yorksh., worin eine kürzlich geschehene Mordtat dramatisch ausgeschlachtet wird. Im gleichen Jahre wandte sich J. mit Robert II. King of Scols der heimischen Geschichte zu; seine Mitarbeiter waren hierbei Dekker und Chettle. 1602 schrieb J. allein seinen Richard Crookback, womit König Richard III. gemeint ist. Neben diesen Trauerspielen steht als Lustspiel das gemeinsam mit Chettle und Porter verfaßte Drama Hot Anger soon Cold (1598). Wie wir aus diesen Stücken ersehen " ) Z. B . Proteus in Gent., Sir Oliver Martext und Sir Andrew Aguecheek in Tw., u. a. m. " ) Smith p. 16.

in As,

Sir T o b y Belch

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können, bewegte sich J. zu Anfang seiner Laufbahn als Dramendichter durchaus in eingefahrenen Geleisen, und erst mit In eröffnete er dem Lustspiel durch seine Comedy of homours neue Bahnen. Die romantischen Bestandteile von Case sind noch der einzige übrig gebliebene Rest von J.s anfänglicher Kunstrichtung. 37. J. schrieb alle seine in Versen abgefaßten Stücke zuerst in Prosa nieder 1 6 ). Ganz in Prosa sind nur Epic. und Barth, geblieben. In den fünf ersten Lustspielen wechseln Prosa und Verse ab; die übrigen Dramen sind, abgesehen von der prosaischen Form der Induction, durchweg in Versen geschrieben. J.s metrische Kunst ist in ihrer männlichen Schlichtheit und K r a f t ein Bild seines Charakters 17). Wie ein Vorläufer Byrons erscheint uns der Dichter in seiner Verwendung auffallender Reimwörter zu komischen Zwecken 18). B. George Chapman. 38. T h e Works: Plays. Ed. with Notes by Rieh. Herne S h e p h e r d New Edition. London 1889. — Plays and Poems: the Tragedies. Ed. with Introduction and Notes b y Thom. M. P a r r o 1 1 . London 1890. — - R o b e r t s o n , vgl. R H R § 460. — Algemon Charles S w i n b u r n e : Essay on the Poetical & Dramatic Works of G. Ch. In Dessen Works: Poems and Minor Translations, London 1875, p. I X — L X X I .

Ch. wurde 1559 in oder bei Hitchin (Hertfordshire) geboren. Ob er studiert hat, ist zweifelhaft; jedenfalls war er aber ein vorzüglicher Kenner des klassischen Altertums. Er hat eine ganze Re.he von Uebersetzungen antiker Dichtungen verfaßt; unter diesen ist seine Homer-Uebersetzung die bedeutendste Leistung. Jonson stand mit ihm stets in gutem Einvernehmen; dagegen ist wahrscheinlich, daß Shakespeare in seinen Sonetten mit dem dichterischen Nebenbuhler, der ihn aus der Gunst seines vornehmen Freundes verdrängt haben soll, Ch. gemeint habe. Sonst wissen wir über sein Leben recht wenig. In Bedürftigkeit starb er 1634. 39. Unter seinen L u s t s p i e l e n ist das älteste The Blind Beggar of Alexandria (um 1595/96; 4 0 , 1598). Der Titelheld dieses zur Zeit des Königs Ptolemäus spielenden Stückes ist der reine Verwandlungskünstler: er tritt abwechselnd als blinder Bettler Irus, als reicher Wucherer Leon, als Graf Hermes und in se'ner wirklichen Gestalt als Cleanthes auf. In seinen Verkleidungen, die natürlich zu beständigen Verwechslungen führen, begeht er die schlimmsten Verbrechen, Betrug, Ehebruch, j a sogar Mord; das alles wird aber nicht ernsthaft behandelt, sondern im Stil einer Posse, deren Komik auf der Verwandlungskunst der Hauptperson " ) Ward I I 332. " ) Courthope I V 302. 1S ) Creizenach I V 366.

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beruhen soll, aber durchaus verfehlt ist u n d nur abstoßend wirkt. Die Streiche und Verwandlungskünste des Cleanthes k o m m e n a m Schluß für die L e u t e seiner U m g e b u n g g a r nicht an den T a g , da er die anderen Personen, deren Rollen er gespielt hat, für tot ausgibt. Der lebhaften, aber sehr unwahrscheinlichen Handlung fehlen alle v e r m i t t e l n d e n U e b c r g ä n g e : eben erst erfahren wir, d a ß A e g y p t e n durch den Ueberfall v o n vier K ö n i g e n in große Schwierigkeiten geraten sei, und d a ß nur der v e r b a n n t e Cleanthes d a s Reich retten könne, da hat u n m i t t e l b a r darauf derselbe Cleanthes auch schon jene vier Könige besiegt. Inzwischen ist P t o l e m ä u s gestorben, und Cleanthes wird nun selbst z u m K ö n i g e gewählt. V o n einer wirklichen Charakterzeichnung k a n n weder beim Titelhelden noch bei den andern Personen die R e d e sein. Der T e x t des Stückes ist m a n g e l h a f t überliefert. 40. A Humorous Day's Mirth (1597; 4 0 , 1599) besteht nur aus einer Reihe v o n einzelnen roh gezimmerten Szenen, die unter sich nur sehr lose zusammenhängen. Die H a n d l u n g dreht sich u m die Eifersucht, die in den E h e n zweier P a a r e e n t s t e h t : ein alter Mann, der eine junge F r a u h a t , und eine alte F r a u , die mit einem jungen Manne verheiratet ist, beargwöhnen nicht ohne Grund ihre jüngeren E h e h ä l f t e n ; diese bekehren sich aber a m Schluß z u einer strengeren A u f f a s s u n g ihrer ehelichen Pflichten. S c h a u p l a t z ist Paris. W i e in Alex. Cleanthes, ist hier L e m o t , ein Günstling des französischen Königs, die treibende K r a f t , die alle Verwickelungen herbeiführt. In der Gräfin Florilla, die sehr f r o m m t u t , aber fern v o n ihrem G a t t e n sich sehr leicht v o n L e m o t verführen läßt, stellt Ch. das den D r a m a t i k e r n jener Zeit so v e r h a ß t e P u r i t a n e r t u m an den Pranger. Der T y p u s des Gull, des törichten j u n g e n Mannes, wird hier in der Gestalt des K a v a l i e r s L a b e s h a zuerst in das Lustspiel eingeführt. Der ursprüngliche Titel des Stückes w a r The Comedy of Humours; angeregt 19 ). Jonson wurde dadurch z u seinen Humour-Komödien 41. May-Day (1600?; 4 0 , 1611) ein unbedeutendes S t ü c k , ist eine Bearbeitung des italienischen Lustspiels Alessandro v o n Alessandro Piccolomini. Die verwickelte unübersichtliche H a n d l u n g dieser Verkleidungs- u n d Verwechlungskomödie ist wenig originell und besteht aus lauter abgenutzten Motiven, die in ungeschickter Weise zu einem G a n z e n verbunden sind. W i r stoßen auf die üblichen L u s t s p i e l t y p e n : Lorenzo ist der geprellte Pantalone, Angelo der verschmitzte Diener und zugleich der H a u p t a n s t i f t e r aller Intrigen, usw. A u c h Ch. läßt das S t ü c k in Italien spielen, aber a m ersten Mai; darin liegt eine v o m italienischen Original abweichende Annäherung an englische Sitte. In der äußeren F o r m herrscht durchaus die Prosa v o r . ") Bayne, Cambr. Hist. V 331.

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42. All Fools (um 1601; 4 0 , 1605) hat eine raffiniert ersonnene recht unwahrscheinliche Handlung. Valerio hat ohne Wissen seines Vaters Gostanzo Gratiana geheiratet. Rinaldo, der Sohn seines Nachbars Marcantanio, gibt Gratiana als Frau seines Bruders Fortunio aus, und veranlaßt Gostanzo, Gratiana selbst in sein Haus aufzunehmen, angeblich um sie und Fortunio vor dem Zorn von dessen Vater zu schützen. Gostanzo schilt Valerio, weil er gegen Gratiana so spröde sei; er hält seinen Sohn, der in Wirklichkeit ein durchtriebener Schelm ist, für einen rechten Duckmäuser. Schließlich muß natürlich Gostanzo die Ehe Valerios und Gratianas gutheißen, und auch Marcantonio kann nicht verhindern, daß sein Sohn Fortunio die von ihm begehrte Bellonora, die Tochter Gostanzos, zur Frau bekommt. Das Stück ist eine Umgestaltung des Heautontimorumenos von Terenz. Der selbstquälerische Hauptcharakter des römischen Dichters wird bei Ch. zum lächerlich eifersüchtigen Ehegatten Cornelio. Rinaldo hält als lustiger Intrigant die Fäden der Handlung in Händen; aber auch er wird, dem Titel entsprechend, am Schluß selbst geprellt. 43. Sir Giles Goosecappe (um 1601; gedr. 1606). Hg. von B a n g & B r o t a n e k , Auch bei Bullen I I I .

Bangs Mater., Bd. 26, Teil I (1909).

Das anonyme Drama Goosec. wurde zuerst von Fleay Ch. zugeschrieben. In der T a t sprechen äußere und innere Gründe für diese Verfasserschaft; Ch.s Eigenart tritt aber in den ernsten Szenen eher hervor als in den komischen 20 ). Der Stoff ist z. T. aus Chaucers Epos Troilus and Criseyde entlehnt 2 1 ). In beiden Dichtungen sucht ein Oheim (hier Monford) eine Verbindung seiner Nichte (Eugenia) mit einem jungen Freunde (Clarence) zustande zu bringen; doch ist hier das Verhältnis aus der niederen Sinnlichkeit der Vorlage in eine edlere Sphäre emporgehoben. Im übrigen wendet sich Ch. hier zuerst der Humour-Komödie mit englischem Schauplatz im Sinne Jonsons zu. Zwei Hauptvertreter der humours sind Foulweather und Goosecappe, ersterer ein gezierter Reisender, der auf alles Französische schwört und beständig als affektiertes Lieblingswort emphatical sagt, letzterer geschickt in weiblichen Nadelarbeiten, und außerdem von einer ganz unglaublichen Dummheit: er löscht nachts das Licht aus, damit die Flöhe ihn nicht sehen können, wenn sie beißen wollen; stolz darauf, rauchen zu können, will er seinen Tabak mit Glühwürmchen in Brand setzen, usw. Beide machen den Eindruck, als ob sie Abbilder wirklicher Personen seien. Das Stück vermag nicht beVgl. Bullens Einleitung zu seiner Ausgabe des Stückes p. 93. " ) Creizenach V 234.

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sonders zu fesseln; die Handlung ist recht dürftig, und der Komik fehlt die zündende Kraft Jonsons, dessen Einfluß deutlich zu erkennen ist. 44. The Gentleman Usher (1601/02; 4 0 , 1606) hat, im Gegensatz zu Ch.s älteren Lustspielen, einen romantischen Anstrich. Der Titelheld Bassiolo, Hausverwalter beim Grafen Lasso, ist in seiner wichtigtuerischen Selbstgefälligkeit eine Nachahmung von Shakespeares Malvolio. Eine zweite komische Gestalt ist die alte verliebte trinklustige Witwe Corteza, die Schwester des Grafen. Die Haupthandlung dreht sich um eine Nebenbuhlerschaft zwischen Vater und Sohn in der Liebe zu Margaret, Lassos Tochter. Alphonso, der Vater, ein italienischer Herzog, wird von dem Intriganten Medice beherrscht; dieser wird aber am Schluß entlarvt und vom Hofe unter Prügeln verjagt. Natürlich ist Vincentio, der Sohn, schließlich der glückliche Gewinner der Braut. Ein eigenartiger Zug, der aber auch schon in Dramen vorkommt, die älter sind als das vorliegende Stück (Chiv., Drum), ist es, daß Margaret, um nicht vergewaltigt zu werden, durch Einreibung mit einer giftigen Salbe ihre Schönheit in abschreckende Häßlichkeit verwandelt 22). Im übrigen begegnen die üblichen Typen des Dummkopfs (Pogio) und des Pedanten (Sarpego). Dieser ist Hauptdarsteller in dem eingelegten Maskenspiel, das durch seine burlesken Reime an das Rüpelspiel in Shakespeares Mids. erinnert. 45. The Widow's Tears (um 1604; 4 0 , 1612) behandelt einen dankbaren Vorwurf für satirische Darstellung: die Kürze der Trauer von Witwen um ihre verstorbenen Gatten. Dies wird in originellen, aber abstoßenden Situationen gezeigt an Cynthia, die Lysander verloren zu haben glaubt; dieser ist aber in Wirklichkeit gar nicht gestorben, sondern gibt sich für tot aus, um die Liebe seiner Frau auf die Probe zu stellen. Er kommt als Soldat verkleidet zu Cynthia, behauptet, Lysander getötet zu haben, und bringt sie so weit, daß sie sich ihm hingibt, ohne ihn als ihren eigenen Gatten erkannt zu haben. Er teilt ihr mit, er habe als Soldat die Leichen von hingerichteten Verbrechern zu bewachen gehabt, und eine dieser Leichen, für die er mit seinem eigenen Leben haften müsse, sei gestohlen worden. Nun schlägt Cynthia vor, um ihren, wie sie meint, neuen Buhlen vor Unheil zu bewahren, an Stelle der gestohlenen Leiche die ihres Gatten Lysander unterzuschieben. Diese zynische Grundidee des Stückes stammt aus den Libri satiricon des Petronius 23 ); die altklassischen Namen der Personen deuten auf einen antiken Schauplatz, der aber nicht " ) Koeppel B 22. **) Der Stoff berührt sich auch mit dem von Chamissos Gedicht »Ein Lied von der Weibertreue«.

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n ä h e r b e z e i c h n e t w i r d . D i e s c h l i m m e M e i n u n g des D i c h t e r s über die F r a u e n o f f e n b a r t sich n o c h s t ä r k e r a n L y s a n d e r s B r u d e r T h a r s a l i o : seine W e r b u n g u m E u d o r a , eine v e r w i t w e t e » Gräfin«, w i r d v o n i h r a n f a n g s a b g e w i e s e n ; er g e w i n n t sie aber schließlich d o c h d a d u r c h , d a ß es i h m m i t H i l f e einer K u p p l e r i n gelingt, ihr eine V o r s t e l l u n g v o n seiner f a b e l h a f t e n m ä n n l i c h e n L e i s t u n g s f ä h i g k e i t b e i z u b r i n g e n . D i e f r i v o l e G e r i n g s c h ä t z u n g der F r a u e n h a t Ch. g e g e n ü b e r seiner a n t i k e n Quelle n o c h g e s t e i g e r t . D e r S t o f f ist z u widerlich, u m z u komischen Z w e c k e n verwendet werden zu können. 46. U m so erfreulicher ist Eastward Hoe (1604/05; 4 0 , 1605), d a s g e m e i n s a m e W e r k Ch.s, J o n s o n s u n d M a r s t o n s ; es g e h ö r t z u d e n L u s t s p i e l e n , in d e n e n sich d a s englische W e s e n in seiner f r i s c h e n b e h ä b i g e n b r e i t e n B e h a g l i c h k e i t a m liebensw ü r d i g s t e n e n t f a l t e t . E s ist a u c h k u l t u r g e s c h i c h t l i c h w e r t v o l l d u r c h seine S i t t e n s c h i l d e r u n g e n des L o n d o n e r L e b e n s j e n e r Z e i t . W i r lernen hier z w e i e i n a n d e r e n t g e g e n g e s e t z t e T y p e n des d a m a l i g e n B ü r g e r t u m s k e n n e n : einerseits die über ihren S t a n d h i n a u s s t r e b e n d e n B ü r g e r , die es d u r c h a u s den E d e l l e u t e n g l e i c h t u n wollen, Mrs. T o u c h s t o n e , die F r a u eines L o n d o n e r G o l d s c h m i e d e s , ihre T o c h t e r G e r t r u d u n d Q u i c k s i l v e r , den L e h r l i n g ihres G a t t e n ; andererseits die V e r t r e t e r des e h r s a m e n soliden B ü r g e r t u m s , d a s i n n e r h a l b der G r e n z e n seines S t a n d e s bleiben will, d e n Golds c h m i e d selbst, seine a n d e r e T o c h t e r Mildred u n d G o l d i n g , seinen z w e i t e n L e h r l i n g . D i e v o n diesen gepredigte h a u s b a c k e n e M o r a l w i r d freilich g a r z u d i c k a u f g e t r a g e n . Die l e b h a f t e H a n d l u n g w i r k t n i r g e n d s e r m ü d e n d ; a l l e r d i n g s v e r f o l g e n die V e r f a s s e r keinerlei h ö h e r e k ü n s t l e r i s c h e Ziele. E i n e Stelle i m S t ü c k e , w o v o n d e n sich ü b e r a l l i m L a n d e a u s b r e i t e n d e n S c h o t t e n die R e d e ist, die n a c h V i r g i n i e n v e r w ü n s c h t w e r d e n , erregte d e n Z o r n d e s K ö n i g s J a k o b , u n d t r u g Ch. G e f ä n g n i s h a f t ein. D i e S c h i c k s a l e des bes c h e i d e n e n u n d t ü c h t i g e n G o l d i n g , der sich v o m G o l d s c h m i e d e lehrling z u h o h e n s t ä d t i s c h e n W ü r d e n e m p o r s c h w i n g t , gleichen d e n e n D i c k W h i t t i n g t o n s . D a s G a n z e ist d u r c h t r ä n k t v o n einem d r a s t i s c h e n u r w ü c h s i g e n H u m o r , dessen H a u p t t r ä g e r der Golds c h m i e d T o u c h s t o n e ist. D i e G e s t a l t e n sind u n m i t t e l b a r a u s d e m L e b e n g e g r i f f e n . E s ist k a u m möglich, die A n t e i l e der drei D i c h t e r a m S t ü c k e d e u t l i c h z u scheiden. T i t e l u n d D a r s t e l l u n g k n ü p f e n a n d a s s c h o n f r ü h e r erschienene Lustspiel Westw. v o n D e k k e r u n d W e b s t e r an. D e r T a u g e n i c h t s Quicksilver, der schließlich z u m V e r b r e c h e r h e r a b s i n k t , stellt einen A u s l ä u f e r des T y p u s v o m V e r l o r e n e n S o h n e dar. E r e r g r e i f t z u s a m m e n m i t s e i n e m S p i e ß gesellen Sir P e t r o n e l F l a s h , d e m G a t t e n G e r t r u d s , die F l u c h t auf e i n e m F a h r z e u g die T h e m s e a b w ä r t s ; d a r a u f b e z i e h t sich der N a m e des S t ü c k e s .

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47. In Monsieur d'Olive (1605; 4 0 , 1606) kommt Ch.s sonst besonders in seinen Trauerspielen hervortretende Vorliebe für französische Schauplätze zum zweiten Male (vgl. HDM § 40) auch i m Lustspiel zum Vorschein. Der Titelheld dieser romantischen Komödie, Mittelpunkt einer komischen Nebenhandlung, stellt eine wohlgelungene Variation der Gestalt Bassiolos in Usher dar, und erinnert auch wieder an Malvolio. Die breit ausgeführte Charakteristik dieser Persönlichkeit — im Grunde mehr ein spaßhafter Sonderling als ein Dummkopf — ist für Ch. die Hauptsache. Der ernste Teil, der sich aus einer Doppelhandlung zusammensetzt, ist eine Mischung herkömmlicher Motive. Ueber B a l l

(1632) s. J. Shirley § 311.

48. Two W i s e M e n , and AU t h e R e s t Fools ( 1 6 1 9 ; 4 0 , 1 6 1 9 ) e r s c h i e n a n o n y m , und ist zu Unrecht Ch. zugeschrieben worden, weil Winstanley e s 1687 u n d L a n g b a i n e 1691 i n eine L i s t e v o n C h . s S c h r i f t e n a u f g e n o m m e n h a b e n . O f f e n b a r l i e g t h i e r b e i eine V e r w e c h s l u n g m i t C h . s Fools v o r . D a s kleine D r a m a , fast ganz in P r o s a a b g e f a ß t , enthält in seinen sieben A k t e n nur w e n i g H a n d l u n g ; es besteht aus einer Reihe v o n Gesprächen, i n denen t y p i s c h e C h a r a k t e r e als Vertreter verschiedener B e r u f e u n d N e i g u n g e n a u f t r e t e n . Die beiden i m T i t e l g e n a n n t e n W e i s e n begleiten die R e d e n und T a t e n d e r ü b r i g e n P e r s o n e n m i t i h r e r K r i t i k , u n d s t e l l e n so e i n e A r t C h o r dar, u n d zugleich das einzige Bindeglied, w o d u r c h das G a n z e notdürftig z u s a m m e n g e h a l t e n wird. A m S c h l u ß w i r d als lehrhafter Z w e c k des S t ü c k e s b e t o n t , d a ß d a s S c h l e c h t e a n d e n P r a n g e r g e s t e l l t w e r d e n soll. W i r h a b e n e s a n s c h e i n e n d hier m i t e i n e m b l o ß e n a k a d e m i s c h e n S c h e r z z u t u n , bei d e m e s z w e i f e l h a f t ist, o b er j e m a l s a u f g e f ü h r t w u r d e .

49. In seinen T r a u e r s p i e l e n legt Ch. eine besondere Vorliebe für ein ganz bestimmtes Stoffgebiet an den T a g , für die neuere französische Geschichte. Hierher gehört Bussy d'Ambois (1598 ?; 4 0 , 1607), die Dramatisierung einer Liebesgeschichte, die a m Hofe des Königs Heinrich I I I . von Frankreich vorgefallen war. Die Quelle des Stückes läßt sich nicht genau feststellen. Der Titelheld ist ein verarmter Landjunker im Gefolge Monsieurs, des französischen Thronerben, Herzogs v o n Alengon und Bruders des Königs. B u s s y liebt T a m y r a , Gräfin von Montsurry, die seine Liebe erwidert. Sie hat in ihrem Hause ein geheimes Grabgewölbe, das sie zu heimlichen Zusammenkünften mit dem Geliebten benutzt. D a sie aber auch von Monsieur geliebt wird und dieser ihr Verhältnis z u Bussy schließlich entdeckt, entsteht zwischen beiden erbitterte Feindschaft. B u s s y wird v o n seinem Gegner in einen Hinterhalt gelockt und auf dessen Anstiften von Montsurry im Verein mit gedungenen Mördern in T a m y r a s Gegenwart umgebracht. V o n der Geschichte ist Ch. insofern abgewichen, als in Wirklichkeit nicht Monsieur, sondern der König selbst den T o d B u s s y s veranlaßt hat. B u s s y wird als rauflustiger Draufgänger geschildert ; als er den sicheren T o d vor A u g e n hat, steigert sich seine

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R e d e z u großartigem Schwünge. Die Stoffbehandlung steht deutlich unter der Einwirkung Marlowes. Wenn auch das Pathos nicht selten geschwollen klingt, so ist doch die feurige K r a f t der Sprache der wilden R o m a n t i k der Handlung wohl angepaßt. A u c h der Versbau ist v o n großer Schönheit. 50. D e m Stoffe nach wird Bussy fortgesetzt durch das i m übrigen selbständige D r a m a The Revenge of Bussy d'Ambois (1604; 4°, 1613). Die Rache für Bussys Ermordung wird hier seinem Bruder Clermont d ' A m b o i s übertragen. Clermonts Charakter ist dem seines Bruders völlig entgegengesetzt; er ist wie Hamlet ein mit der Rache zögernder Grübler, dessen Gedankenwelt der Philosophie Epiktets entstammt. Merkwürdig ist die Schwenkung des Dichters in seinem Urteil über den Herzog von Guise. Dieser, das anerkannte Haupt der katholischen Partei in Frankreich, gehört in Bussy z u den entschiedenen Gegnern des Titelhelden und wird als anrüchiger Charakter dargestellt; in Rev. Buss. steht er auf Seiten Clermonts, und wird er auf einmal, sehr abweichend von der Geschichte, in ein günstiges Licht gerückt. Vielleicht war Ch. in der Zeit zwischen der Abfassung beider Dramen katholisch geworden; jedenfalls treten in seinen späteren Stücken auffallende Sympathien für den Katholizismus hervor. Die Wandlung ist u m so merkwürdiger, als Ch. in seinem Urteil über Guise auch v o n seiner Quelle abweicht: Jean de Serres' Inventaire général de l'histoire de France, englisch von E d w a r d Grimstone (gedruckt 1607). Serres ist ein Gegner des Herzogs und zeichnet sein Charakterbild von hugenottischem Standpunkt aus. Der Vollzug der Blutrache an Montsurry durch Clermont ist ungeschichtlich; als unser Stück geschrieben wurde, lebte jener in Wirklichkeit noch 2 1 ). In ganz äußerlicher ungeschickter Weise folgt Ch. dem Beispiel Shakespeares in Haml., indem er durch das Erscheinen v o n B u s s y s Geist den säumigen Clermont an seine Rachepflicht erinnern läßt. I m übrigen ist das Stück eine Nachahmung v o n Marlowes und K y d s Rachedramen ; die Botenberichte und reichlich eingestreuten moralischen Betrachtungen sind sogar nur Fortsetzung der Ueberlieferungen von Senecas Dramatik. Gegenüber Bussy übt diese Fortsetzung eine viel schwächere W i r k u n g aus; ein Mangel ist auch das völlige Stocken des Fortschritts der Handlung im 3. und 4. Aufzug. 51. The Conspiracy and Tragedy of Charles Duke of Byron (1602 und 1605; 4 0 , 1608, 1625) stellt ein in sich zusammenhängendes Doppeldrama in 10 A k t e n dar und führt Verhältnisse a m französischen Hofe aus der unmittelbaren Gegenwart des ") Creizenach V 378.

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Dichters vor. In beiden Stücken wird der zur Zeit ihrer Abfassung noch lebende König Heinrich IV. von Frankreich leibhaftig vorgeführt. Der Text ist in der uns vorliegenden Gestalt arg verstümmelt. Im 4. Aufzug des ersten Teils hat der Zensor eine Szene gestrichen, worin Biron als französischer Gesandter in London eine Audienz bei der Königin Elisabeth hat und diese ihm als Warnung vor seinem maßlosen Ehrgeiz die Schädel mehrerer hochgestellter Herren zeigt, die sie als Hochverräter hatte hinrichten lassen, darunter auch den des Grafen von Essex. Im 2. Aufzuge von Teil II ist ebenso eine andere Szene dem Zensor zum Opfer gefallen: in ihr wurde dargestellt, wie die Königin von Frankreich das Frl. von Verneuil, eine Maitresse ihres Gatten, ohrfeigt. Bei der Aufführung nahm Beaumont, der französische Gesandte in London, an der Szene Anstoß; er verhinderte ihren Abdruck und ihre fernere Aufführung. Ch. führt seinen Stoff in engem Anschluß an seine geschichtlichen Quellenwerke vor, zu denen neben Serres vor allem Pierre Matthieu (Histoire de France, 1605) gehört, daneben auch Pierre Vict. P. Cayet (Chronologie septenaire de Vhistoire de la paix entre les rois de France et d'Espagne, 1605). Ihre Spuren zeigen sich auch in Ch.s Stil; die Stücke sind eher episch als dramatisch, was uns auch sonst als ein Mangel von Ch.s Dramen auffällt. Andere Mängel sind: das Fehlen einer Charakterentwicklung bei den beiden Hauptpersonen, dem König und Biron, sowie das zu langsame Voranschreiten der Handlung. Im übrigen hat sich Ch. hier von dem Schwulst der Nachahmer Marlowes freigemacht; das Stück stellt einen Fortschritt zum echten Pathos hin dar. Der Charakter des Titelhelden gleicht dem von Shakespeares Coriolan: beide sind unbändig stolz; beide gehen unter als Verschwörer gegen ihr eigenes Vaterland. Biron wurde als Verräter hingerichtet 1602. Sein Sturz und Tod bildet den Inhalt des 2. Teils, der größtenteils nur eine Uebertragung von Matthieus französischer Prosa in dramatische Form ist. 52. The Tragedy of Chabot Admiral of France (1635; 4 0 , 1639) von Ch. und J. S h i r 1 e y ist das tragische Meisterwerk des ersteren. Es ist der Hauptsache nach wahrscheinlich als sein Werk anzusprechen, und von Shirley wohl nur überarbeitet worden, da Ch. zur Zeit seines ersten Erscheinens schon tot war. Shirley war viel eher als Ch. ein gewiegter Bühnenpraktiker, während Ch. es liebt, seinen Gedankenreichtum in gewichtigen Sentenzen zu entfalten, die zwar oft bedeutend sind, aber die dramatische Wirkung hemmen 2S ). Solche gedankenschwere Sentenzen begegnen auch hier und sind ein Zeugnis für Ch. als Haupt Verfasser. *•) Neilson, Cambr. 'Hist. V I 207.

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II. D A S E I G E N T L I C H E

D R A M A DER

HOCHRENAISSANCE.

D i e s e r s c h ö p f t a u s d e m S a m m e l w e r k v o n E t i e n n e P a s q u i e r : Les recherches de la France. C h a b o t s S t u r z g e s c h a h 1 5 4 1 . E r fiel in d e r G u n s t des K ö n i g s auf B e t r e i b e n des C o n n é t a b l e M o n t m o r e n c y ; a u c h die K ö n i g i n w a r i h m u n f r e u n d l i c h g e s i n n t . N a c h s e i n e m S t u r z w e n d e n i h m beide j e d o c h auf e i n m a l ihre G u n s t zu, o h n e d a ß dieser plötzliche W a n d e l der G e s i n n u n g b e g r ü n d e t wird. C h a b o t w i r d z u m T o d e v e r u r t e i l t , aber b e g n a d i g t , n a c h d e m h e r a u s g e k o m m e n ist, d a ß die R i c h t e r sein T o d e s u r t e i l nur unter d e n Drohungen des Kanzlers unterschrieben haben. Die Begnadigung r i c h t e t a b e r C h a b o t n i c h t wieder a u f ; er s t i r b t a m S c h l u ß a n g e b r o c h e n e m H e r z e n . Dieser S c h l u ß w e i c h t v o n P a s q u i e r s D a r s t e l l u n g a b . D a s S c h i c k s a l C h a b o t s soll die W a n d e l b a r k e i t k ö n i g licher G u n s t v e r a n s c h a u l i c h e n . E r ist ein H e l d v o n g e r a d e z u g r o ß a r t i g e r R e c h t s c h a f f e n h e i t ; a b e r N e i d u n d V e r l e u m d u n g seiner Feinde bereiten ihm den Untergang. 53. A b s e i t s v o n Ch.s ü b r i g e n T r a u e r s p i e l e n s t e h t d e m S t o f f e n a c h The Tragedy of Caesar and Pompey (um 1604/08; 4 0 , 1 6 3 1 ) , ein S t ü c k a r m a n H a n d l u n g , m i t l a n g e n G e s p r ä c h e n u n d A u s einandersetzungen über theoretische Fragen, das mit Shakespeares Caes. w e d e r i m I n h a l t n o c h in der B e h a n d l u n g des S t o f f e s irgendw e l c h e A e h n l i c h k e i t h a t . Hier k o n n t e Ch. seine G e l e h r s a m k e i t frei e n t f a l t e n ; es ist i h m aber nicht gelungen, d e n a u s P l u t a r c h ü b e r n o m m e n e n S t o f f z u l e b e n d i g e n C h a r a k t e r b i l d e r n u n d z u einer fesselnden H a n d l u n g u m z u g e s t a l t e n . E s zeigt sich a u c h hier w i e d e r , d a ß Ch. eher E p i k e r als D r a m a t i k e r ist. N a c h seiner eigenen M i t t e i l u n g in der W i d m u n g ist dies D r a m a nie a u f g e f ü h r t w o r d e n . B e i d e r D a r s t e l l u n g des G e g e n s a t z e s zwischen Caesar u n d P o m p e j u s n i m m t Ch. d u r c h a u s f ü r l e t z t e r e n P a r t e i . A m w e r t v o l l s t e n sind die Szenen, in d e n e n C a t o die H a u p t r o l l e spielt ; in i h m v e r k ö r p e r t der D i c h t e r sein eigenes F r e i h e i t s i d e a l 2 6 ) . U e b e r Revenge for Honour (1624) s. G l a p t h o r n e § 429. 54. C h a p m a n w a r k e i n D u r c h s c h n i t t s d i c h t e r , w e n n w i r i h m a u c h die v o n S w i n b u r n e zugeschriebene dichterische G r ö ß e n i c h t z u b i l l i g e n k ö n n e n . E r s t s p ä t h a t t e er sich d e m D r a m e n dichten zugewandt, offenbar durch Geldnot d a z u gezwungen. E r s t r e b t e n i c h t , w i e e t w a F l e t c h e r , n a c h d e m B e i f a l l der g r o ß e n Menge. E r w a r ein G e i s t e s v e r w a n d t e r Jonsons, der ihn a u c h i m m e r g e s c h ä t z t h a t . B e i d e g l e i c h e n sich in ihrer D u r c h s ä t t i g u n g m i t klassischer B i l d u n g , in d e r N e i g u n g , m i t ihrer G e l e h r s a m k e i t z u p r u n k e n , in einer gewissen schwerfälligen P e d a n t e r i e , in i h r e m s t a r k e n S e l b s t b e w u ß t s e i n , d a s a b e r sich bei C h . nicht in so v e r l e t z e n d e r F o r m ä u ß e r t w i e o f t bei Jonson, endlich in der D a r ») Ward IX 426.

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Stellung der humours worin Ch. seinem Freunde sogar vorangegangen ist. Ch. bemüht sich mit Erfolg, ungewöhnliche Situationen zu erfinden. Seine Stücke sind allzusehr beschwert mit gedankenreichen Sentenzen, auffallenden Vergleichen, rhetorischem Pathos. Hierin ist er ein Schüler Senecas, während sich in seiner Vorliebe für breit ausgesponnene Vergleiche der Einfluß Homers offenbart. Ihm fehlt die flotte Leichtigkeit flacherer Dramatiker, die sich den Bedürfnissen der Bühne besser anzupassen verstanden. Er versteht es nicht recht, den ihm dargebotenen Stoff in dramatischer Straffheit zu verarbeiten, die Epik seiner Quelle in Dramatik aufzulösen. Epische Spuren sind in seinen Stücken häufig anzutreffen; Botenberichte und bloße Erzählungen müssen nicht selten die dramatische Handlung ersetzen, die so zur Nebensache wird. 55. Eigentümlich ist Ch.s Vorliebe für den Katholizismus. In Usher werden Wallfahrten und Weihgeschenke verteidigt, in TCDB Philipp II. von Spanien wegen seiner Verdienste um den katholischen Glauben gepriesen. Auch die günstige Charakterzeichnung des Herzogs von Guise in Rev. Buss. gehört hierher. In der metrischen Form ist Ch. sehr sorgfältig; seine Verse sind schön gebaut und wohllautend. 56. In Ch.s ersten Lustspielen vermischen sich Nachwirkungen der altrömischen Komödie mit italienischen Einflüssen; seine romantischen Lustspiele enthalten Anklänge an Shakespeare. Die Charaktere sind in allen Lustspielen Ch.s nicht scharf umrissen; ihre Zeichnung ist matt. — Das eigentliche tragische Spezialgebiet des Dichters war die neuere französische Geschichte; hierbei macht sich der Hang, allerlei Skandalgeschichten der französischen Hofkreise zu verwerten, unliebsam bemerkbar. Obgleich Ch. in seinen Trauerspielen viel mehr von seinen Quellen abhängig ist als in den Lustspielen, hinterlassen jene doch durch die tragische Wucht des Stoffes einen nachhaltigeren Eindruck; sie übertreffen an Kunstwert die Lustspiele.

C. John Marston. 57. T h e Works ed. b y A . H . B u l l e n . Vol. 1 — 3 . London 1887. — B u l l e n's Introduction, Vol. I, p. X X — L X . — Philipp A r o n s t e i n , lieber M., Engl. Stud. 20, 377 ff. — F r i e d r i c h R a d e b r e c h t : Shakespeares Abhängigkeit von J. M., Cöthen 1918. — C. W i n c k l e r : J. M.s literarische Anfänge. Diss. Breslau 1903.

M. war der Sprößling einer alten Shropshirer Familie. Er wurde wahrscheinlich zu Coventry um 1575 als Sohn eines Juristen geboren; seine Mutter war die Tochter eines italienischen Arztes in London. 1591/92 bezog er die Universität, gab aber das von ihm

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ergriffene juristische Studium auf, u m sich g a n z der Schriftstellerei zu widmen. 1598 begann er mit Satiren seine dichterische L a u f b a h n ; seit 1599 wird er als Dramatiker erwähnt. Aber schon 1607 wandte er sich von der Schriftstellerei wieder ab, u m Geistlicher z u werden. E r erhielt eine Pfarre z u Christchurch (Hants), heiratete M a r y Wilkes, die Tochter eines Geistlichen in Wilts., und starb 1634 zu Aldermanbury. 58. W e n n wir uns zunächst seinen L u s t s p i e l e n zuwenden, so ist zuerst zu erwähnen Histriomastix; or, The Player Whipped (vor 1599; 4 0 , 1610. Simpson II). D a s Stück erschien zwar anonym, wird aber von den meisten Kritikern als ein W e r k angesehen, an d e m M. wenigstens als Bearbeiter beteiligt war. Wenn diese A n n a h m e richtig ist, wäre das vorliegende Stück sein erster dramatischer Versuch. Wer der ursprüngliche Verfasser gewesen sei, darüber gehen die Meinungen auseinander. Für die Datierung ergibt sich ein Anhaltspunkt daraus, d a ß Jonson in Out (1599) darauf anspielt. Die Haupthandlung ist rein allegorisch; der in ihr niedergelegte Gedanke des allegorischen Kreislaufs: Friede erzeugt Reichtum, Reichtum Stolz, Stolz Streit, Streit Krieg, Krieg A r m u t , A r m u t Demut, Demut Frieden, war schon im Mittelalter bekannt. Seiner Tendenz nach ist das Stück eine dürftige Satire gegen den Schauspielerstand. Posthaste, der Theaterdichter einer im D r a m a auftretenden Wandertruppe, wird als ein minderwertiger Schmierer gekennzeichnet. D a ß mit ihm Shakespeare gemeint sei, wie Simpson annimmt ist unwahrscheinlich; die Anspielungen auf Posthastes Balladendichtung passen eher auf Munday, den auch Jonson in Case als Antonio Balladino verspottet hatte. A l s eine Art Chor wirkt der außerhalb der Handlung stehende Chrisoganus, der langatmige Reden hält und wahrscheinlich Jonson verkörpern soll, aber ohne jede satirische Absicht. Dieser sehr empfindliche Dichter scheint aber in einigen harmlos gemeinten Worten, durch die Chrisoganus gekennzeichnet wird, eine boshafte Charakteristik seiner selbst erblickt z u haben 2 8 ). So ist der dreijährige Theaterstreit zwischen M. und Jonson anscheinend von Histr. ausgegangen; dieser Umstand ist eine Hauptstütze für die Vermutung, daß M. an Histr. beteiligt war. Wie Jonson sich an diesem gerächt hat, haben wir gesehen: er suchte besonders in Cynth. und Poet. M.s geschraubte Sprache lächerlich z u machen und stellte ihn als bloßen Dichterling hin. Die Ueberarbeitung des ursprünglichen Textes von Histr. ist in so flüchtiger Weise geschehen, daß ein verworrener Gesamteindruck entsteht. 27) In der Einleitung zu seiner Ausgabe p. X I und 89. " ) Creizenach V 218.

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59. Auch Jack Drum's Entertainment; or, The Comedy of Pasquil and Katherine (1600; 4 0 , 1601. Simpson II) ist wohl trotz der Anonymität seines Erscheinens M. zuzuschreiben. Der Anfang des Titels stellt eine sprichwörtliche Redensart dar, die so viel bedeutet wie »schlechte Behandlung«. Daß M. als Verfasser gelten darf, ergibt sich daraus, daß Jonson in Poet, einige abgeschmackte Redewendungen aus Drum zitiert, um M. zu verspotten. Obgleich Jonson hier durch den anmaßenden Krittler Brabant Senior dargestellt wird, gehört das Stück doch als satirische Komödie zu seiner Schule. Auch der Euphuismus wird an den Pranger gestellt durch eine Menge lächerlicher Vergleiche, die der Tölpel John Ellis bei den unpassendsten Gelegenheiten anbringt. Der Titelheld Jack Drum spielt eine ganz untergeordnete Rolle; Hauptpersonen dieses uninteressanten Intrigenlustspiels sind Pasquil und Katherine. Daß der Wucherer Mammon sich an Katherine, die seine Werbung abgewiesen hat, dadurch rächt, daß er ihr Gesicht durch Beschmieren mit Krötengift entstellt, ist ein aus Sidneys Arcadia entlehnter Zug 29 ). Das Stück ist reich an hochtrabendem Wortschwall und in dem großsprecherischen Tone abgefaßt, der für M.s Jugendstil charakteristisch ist. 60. In The Malcontent (um 1600/01; 4 0 , 1604) tritt M.s dichterische Persönlichkeit schon in schärferen Umrissen hervor. Der Hauptheld, ein verkleideter früherer Doge von Genua, der sich in seiner Verkleidung den Namen Malevole beilegt, ist ein zynischer, allen Leuten bittere Wahrheiten sagender halbnärrischer Sonderling; in ihn hat M. offenbar ein Stück von seinem eigenen Wesen hineingelegt. Das Stück ist eine sehr verwickelte Intrigenkomödie, die zwar glücklich endet, bei der aber ein tragischer Ausgang angemessener gewesen wäre. Die Entwirrung des dramatischen Knotens geschieht durch ein von Mercury eröffnetes Maskenspiel. Manche Züge Malevoles erinnern an Hamlet, während der schurkische Usurpator Mendoza mit Shakespeares Richard III. Aehnlichkeit hat. Eine Quelle für den italienischen Stoff ist nicht bekannt. Die kraftvolle, wenn auch unwahrscheinliche Handlung enthält neben mancherlei Geschmacklosigkeiten auch dichterische Feinheiten in epigrammatisch zugespitzter Sprache. Die Form ist teils Prosa, teils Blankverse. Daß während und trotz des Theaterstreits dem Stücke eine an Jonson gerichtete, ihn ehrende lateinische Widmung vorangestellt ist, erklärt sich wohl so, daß deren Verfasser nicht in M., sondern in W e b s t e r zu suchen ist; von letzterem rührt auch das Vorspiel her, worin Mitglieder der kgl. *•) Creizeaach V 225; vgl. auch Chapmans E c k h a r d t ,

Geschichte des englischen Dramas.

Usher

§ 44.

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Truppe auftreten, und das eine Satire auf die Zeitsitten darstellt. Am eigentlichen Drama war Webster dagegen nicht beteiligt. 61. Die magere Haupthandlung des flüchtig gearbeiteten Stückes What you will (wahrscheinlich 1601; 40, 1607) mit seinen Verkleidungen und Verwechslungen ist ganz im Stil eines italienischen Intrigenlustspieles gehalten 30 ); sie beruht auf den Morli vivi (1576) von Sforza d'Oddi. Jonson wird auch hier wieder satirisch vorgenommen in der Person des Lampatho Doria, eines armen, aber dünkelhaften Gelehrten, der, ganz auf die Unterstützungen wohlhabender Gönner angewiesen, sich trotzdem nicht scheut, seine Bosheit an ihnen in der Form von übler Nachrede auszulassen. In der Gestalt des Quadratus, der den andern gegenüber als überlegener Weltmann auftritt, und ihr Treiben mit seiner ironischen Kritik begleitet, hat M. sich selbst geschildert. Die übrigen Personen: der Dummkopf Simplicius Faber, der französische Windbeutel Laverdure u. a. sind Wiederholungen feststehender Typen. 62. The Dutch Courtezan (1604; 40, 1605) besteht aus einer ernsten Haupt- und einer komischen Nebenhandlung, die beide zwar lose, aber doch geschickt zur Einheit verbunden sind. Hauptrollen der ersteren sind die Titelheldin Franceschina, der leichtsinnige Lebemann Freevill und sein Freund Malheureux. Dieser ermahnt Freevill zur Tugend, erliegt aber selbst auf den ersten Blick den Reizen Franceschinas. Seine Gier nach ihrem Besitz wird so groß, daß er zeitweilig sogar bereit ist, den Freund zu töten, als sie diesen Mord als Bedingung für ihre Liebe hinstellt. Er kommt aber noch rechtzeitig zur Besinnung und verrät selbst den Mordplan seinem Freunde. Als so leicht der Versuchung erliegender Tugendbold erinnert Malheureux an Angelo in Shakespeares Meas. In der unterhaltenden Nebenhandlung entfaltet Cocledemoy ein wahres Spitzbubengenie beim Begaunern des puritanischen Winzers Mulligrub; dies gelingt ihm immer wieder durch neue Verkleidungen. Er betrügt und stiehlt aber nicht eigentlich aus Gewinnsucht, sondern gleichsam als Sport, um seinen Witz zu erproben. M. hat mit Geschick und Selbständigkeit ältere Motive verarbeitet und umgestaltet: aus How übernahm er den Gegensatz zwischen der ehrbaren Frau (Beatrice) und der Dirne (Franceschina), aus einer Novelle Bandellos den Verrat des Mordplans an den Freund, und aus Painters Palace of Pleasure einen der lustigen Streiche Cocledemoys, nämlich wie dieser dem Winzer einen Becher und einen Lachs entlockt. Schauplatz der stellenweise recht unwahrscheinlichen, aber geschickt aufge*•) Creizenach V 227 ff.

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bauten Handlung ist London. Da auch die Charakteristik der Personen wohl gelungen ist, stellt das Stück einen künstlerischen Fortschritt gegenüber den früheren Dramen M.s dar. 63. Parasitaster; or, The Fawn 31) (1604; 4 0 , 1606) setzt sich gleichfalls aus einer geschickt miteinander verknüpften doppelten Handlung zusammen. Auch hier ist die Haupthandlung zum Teil wenig wahrscheinlich; sie dreht sich, ähnlich wie in Male., um einen Herzog Hercules von Ferrara, der in Verkleidung in einer seinem wahren Wesen nicht entsprechenden Rolle auftritt, aber nicht wie der Titelheld von Male, als zynischer Spötter, sondern als parasitischer Ohrenbläser. Der Rollentausch hat in beiden Stücken aber doch einen gemeinsamen Zweck, nämlich den, die Laster und Fehler der andern Personen bloßzustellen. Die Charakteristik ist vortrefflich; namentlich ist der eitle, aber einfältige Herzog Gonzago von Urbino, eine Nachahmung des Polonius, gut gezeichnet. Er fordert immer wieder seinen Trabanten Granuffo auf, den Witz seiner Rede zu bewundern; dabei ist seine TochterDulcimelihm an Verstandeskräften bedeutend überlegen. Die Komik ist von feinerer Art als in Dutch. Sehr geschickt ist die Intrige, wodurch Dulcimel ihren Vater Gonzago überlistet und den von ihr geliebten, aber ihre Liebe nicht erwidernden Tiberio, Hercules' Sohn, schließlich doch für sich gewinnt, ein Motiv, das M. dem Decamerone Boccaccios verdankt. In der Nebenhandlung wird ein krankhaft eifersüchtiger Ehemann Don Zuccone vorgeführt, dessen Eifersucht von seiner übermütigen Frau Donna Zoya dadurch bis zur Siedehitze gesteigert wird, daß sie ihm mit Hilfe eines Kissens eine von ihm nicht verursachte Schwangerschaft vortäuscht. Ueber Eastw s. Chapman § 46. 64. M.s T r a u e r s p i e l e werden eingeleitet durch Antonio and Meilida (1599; 4°, 1602; hg. Malone Soc. Reprints 1923), mit seiner Fortsetzung Ant. Rev. Meli, ist im Aufbau verfehlt: die ganze Handlung schon dieses ersten Teils ist von vornherein auf einen tragischen Ausgang angelegt. Das nichttragische Ende ist psychologisch ungenügend begründet, um so eher, als es durch Ant. Rev. Lügen gestraft wird. Die künstlerische Unreife des jugendlichen Dichters offenbart sich in seiner Unselbständigkeit: wir werden auf Schritt und Tritt an ältere Dramen erinnert. Das Hauptmotiv, das Liebesverhältnis zwischen den beiden Titelhelden, den Kindern einander feindlicher Häuser, ist ein Nachklang von Shakespeares Rom.; Rosaline, Meilidas Base, wirkt wie eine matte Nachahmung der Beatrice in Shakespeares Ado. Bei aller Abhängigkeit von M ) Fawn ist ein von M. geprägtes Wort, eine Ableitung aus fawner — kriechender Schmeichler.

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seinen Mustern läßt aber das Stück doch schon erkennen, daß M. kein unbedeutender Dichter ist; neben manchen Geschmacksverirrungen stoßen wir hier und da auch auf Stellen von poetischer Feinheit, auf glücklich geprägte Wendungen. Auf eine italienische Quelle läßt Venedig und Umgebung als Schauplatz schließen; doch ist eine solche Quelle nicht bekannt, und es wäre auch möglich, daß M. den Stoff frei erfunden hat, wenn auch die geschmacklose Verkleidung Antonios als Amazone eine Entlehnung aus Sidneys Arcadia ist, und wenn auch Spuren von Senecas Einfluß vorhanden sind, freilich im Gewände der Renaissanceromantik. Der damaligen literarischen Mode entsprechend gießt M. die Schale seines Spottes über den Euphuismus und über Kyis Span. Trag. aus; die Vorliebe des Euphuismus für Gleichnisse wird lächerlich gemacht dadurch, daß der Dummkopf Balurdo mit Vergleichen von trivialer Selbstverständlichkeit um sich wirft; aus Span. Trag. wird eine Szene von durchaus tragischem Charakter parodiert 32 ). 65. Antonio's Revenge (1602; 4 0 , 1602; hg. Malone Soc. Reprints 1922) enthält noch zahlreichere Anklänge an ältere Vorbilder. An das klassizistische Trauerspiel erinnern die dumb shoivs und die Stichomythie in der Wechselrede zwischen Piero Sforza, dem Dogen von Venedig und Vater der Mellida, und Pandulfo, dem Vater des ermordeten Höflings Feliche. Die Handlung gleicht der von Senecas Thyestes; zugleich erkennen wir aber auch die Einwirkungen von Haml. (Rache eines Sohnes [Antonio] für die Ermordung seines Vaters [Andrugio, des Dogen von Genua]) und Span. Trag. (Pandulfo will den Tod seines Sohnes Feliche rächen). Aehnlich wie in Haml. will auch hier der Mörder (Piero) die Witwe seines Opfers heiraten; auch hier erscheint der Geist des Ermordeten dem Sohne, und teilt ihm mit, daß Piero ihn vergiftet habe; auch hier umnachtet sich Antonios Geist ob der Grausamkeit solcher Nachricht. Die Katastrophe, welcher der Bösewicht Piero zum Opfer fällt, wird wie in Span. Trag, durch ein in das eigentliche Drama eingelegtes Maskenspiel herbeigeführt, wobei auch die Verschwörer erscheinen und ihr Rachewerk vollziehen. Die Strafe, die Piero zuteil wird, übertrifft an Grauenhaftigkeit frühere Greuel: ihm wird, ehe er umgebracht wird, auf offener Bühne die Zunge ausgerissen; auch werden ihm die zerstückelten Glieder seines Sohnes Lucio gezeigt. Offenbar wollte der jugendliche Dichter seine Vorbilder noch übertrumpfen, indem er die dichterischen Mittel, deren sie sich bedient hatten, noch steigerte. Das Ergebnis war die Verzerrung von Shakespeares großartigem Trauerspiel Haml. zu einem bloßen Schauerdrama ohne tieferen **) Koeppel A 22.

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Ideengehalt. An die Stelle tragischer Wucht treten hier maßloser Schwulst und grelle Effekte. Vielleicht aber hat dem Dichter gar nicht Shakespeares Drama, sondern Kyds Urhamlet als Muster vorgeschwebt; dann wären die künstlerischen Mängel unseres Stückes zum Teil auf Rechnung Kyds zu setzen. Neben solchen Mängeln sind auch manche Vorzüge zu buchen: so wird z. B. Antonios Schmerz um den Tod seines Vaters mit Kraft und Nachdruck geschildert. 66. The Wonder of Women; or, The Tragedy of Sophonisba (1602/03; 4 0 , 1606), ist ein rohes, an Grausamkeiten und blutigen Greueln überreiches Stück. Die realistische Strömung jener Zeit tritt hier in ihrer widerwärtigsten Gestalt auf. Die Charakteristik der Hauptpersonen ist sehr übertrieben. Als solche werden vorgeführt: die Karthagerin Sophonisba, eine Tochter Hasdrubals, starken Herzens, aber ein Mannweib, in deren Reden eher Rhetorik als echte Leidenschaft zum Vorschein kommt, die beiden Feinde Masinissa König von Numidien und Syphax, die sich abwechselnd den Besitz der Sophonisba streitig machen, ersterer eine steife hölzerne Gestalt, die sich in moralischen Gemeinplätzen ergeht, letzterer der Bösewicht des Stückes mit einem fast unmöglichen Schurkentum. In der Verwertung des geschichtlichen Stoffes folgt M. eher Appian als Livius 3 3 ); er hat aber den klassischen Vorwurf mit geschmacklosen romantischen Zutaten aufgeputzt, die er ebenfalls einer altklassischen Dichtung, Lucans Pharsalia, entnommen hatte: Syphax sucht Sophonisbas Liebe mit Hilfe der abschreckend häßlichen Zauberin Erichtho zu gewinnen; diese verspricht ihm ihre Hilfe, verkleidet sich aber selbst als Sophonisba und nimmt im Schlafgemach des Syphax deren Stelle ein. Der Stoff wäre zur Darstellung ergreifendster Tragik wohl geeignet gewesen, wird aber durch M.s verfehlte Zusätze gründlich verdorben, und auch in der Darstellung der eigentlichen Handlung muß vielfach hochtrabender Bombast den Schwung echter Leidenschaft ersetzen. 67. The Insatiate Countess (1604; 40, 1613). E . F r i e d r i c h : J. M.s Tragödie Insat. Verhältnis zu den Quellen, Charakterzeichnung und Stil. Königsberger Diss. 1913.

Hier ist M.s Verfasserschaft umstritten. Das Stück erschien 1613 mit M.s Namen auf dem Titelblatt, ebenso in einem Neudruck von 1631. Von beiden Auflagen sind aber in der Bibliothek des Herzogs von Devonshire Exemplare vorhanden, in denen M.s Name nicht erwähnt wird; das von 1613 nennt überhaupt keinen ,s)

Creizenach V 365.

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II. D A S EIGENTLICHE

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Verfasser, das von 1631 gibt als solchen William B a r k s t e a d an. Auch fehlt Insat. in der Ausgabe der gesammelten Werke M.s von 1633. A m wahrscheinlichsten ist es, daß M., als er 1607 Geistlicher wurde, das Stück unvollendet liegen ließ, und daß der Schauspieler Barkstead es vollendet hat. Bei alledem ist M.s Stil unverkennbar. Die Haupthandlung gruppiert sich um eine schöne Verbrecherin, die italienische Gräfin Isabella, deren Geschichte von Bandello und im Anschluß an ihn von Painter erzählt wird. Die Titelheldin wird von zügelloser Leidenschaft beherrscht, und sucht sich immer wieder neue Liebhaber zu verschaffen. M. macht hier eine Anleihe bei sich selbst, nämlich aus Dutch: mehrmals bemüht sich Isabella, um sich dafür zu rächen, daß ihre Buhlen ihr untreu geworden sind, die neuen Liebhaber zur Ermordung der früheren zu überreden. Ihre Strafe ereilt sie am Schluß: sie wird auf offener Bühne enthauptet. Isabella ist ein echter Renaissancecharakter in der Hemmungslosigkeit ihrer sinnlichen Triebe; solche Frauen waren auch in der damaligen Wirklichkeit, besonders in Italien, vielfach vorhanden. Der Kunstwert der Haupthandlung, an der wir die K r a f t der Charakteristik und das Feuer der Sprache bewundern, wird durch eine breit ausgesponnene Nebenhandlung beeinträchtigt, die ebenfalls aus Bandello stammt. Hier begegnen uns zwei befreundete Frauen, von denen jede auf die Liebeswerbungen des Gatten der andern scheinbar eingeht, aber beim nächtlichen Stelldichein mit der Freundin die Rolle tauscht, außerdem ein vornehmer Jüngling, der, um seine Dame nicht bloßzustellen, als Dieb bei ihr eingedrungen zu sein behauptet. Ueber die Folgen dieser galanten Lüge für den vermeintlichen Dieb erfahren wir nichts. Diese Nebenhandlung stört auch dadurch, daß ein Teil von ihr sich erst nach Isabellas Hinrichtung abspielt. Anlehnungen an Shakespeare sind: das Schauspiel im Schauspiel sowie die Erörterungen über den Schauspielerberuf nach Haml., die Nachahmung der Rüpelszenen nach Ado. 68. M a r s t o n s dramatische Begabung war bedeutend: er besaß Erfindungsgabe, Geist, Witz und Sprachgewalt, hat aber leider durch allerlei Mätzchen die Wirkung seiner Kunst selbst gemindert. Hierher gehört besonders seine Sucht, durch einen überladenen Stil und durch ungewöhnliche Wörter fesseln zu wollen. Als Dichter hat er einige Aehnlichkeit mit Oscar Wilde: bei beiden ist edler echter Kunst auch viel Pose und Ziererei beigemengt; beider Geistreichigkeit und Originalität ist nicht naiv und unbewußt, sondern oft nur allzu gesucht und absichtlich, und wirkt dann gespreizt und unnatürlich. M. war als Dramatiker zu ungleichmäßig: neben glänzenden Stellen stoßen wir auch auf ungeheuerliche Geschmacklosigkeiten, hohle Rhetorik, maßlose

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Greuel und Unanständigkeiten. Sein Ehrgeiz war noch größer als sein Können; oft hat er einen glücklich gewählten Stoff in der Ausführung verdorben. Er war im Grunde eine unharmonische Natur; seine innere Zerrissenheit äußert sich in einem frivolen Zynismus, dem eine sittliche Unterlage mangelt, bei dem uns aber auch immer wieder Zweifel an der vollkommenen Echtheit seiner zynischen Bitterkeit und seines sauertöpfischen Pessimismus beschleichen. Ein solcher Charakter war natürlich zur Darstellung reiner Komik nicht geeignet. 69. Kyd und Shakespeare waren seine Lieblingsvorbilder; von letzterem lernte er die Technik der Verknüpfimg zweier verschiedener Handlungen innerhalb eines Dramas. Doch hat M. gerade in diesem Punkte die Kunst seines großen Meisters auch nicht entfernt erreicht; namentlich sündigt er darin, daß er der Nebenhandlung zu viel Raum gewährt und dadurch die Wirkung der Haupthandlung stört. Als Sohn einer italienischen Mutter wurde M. schon durch seine Herkunft auf die italienische Literatur hingewiesen, die in seiner Stoffwahl eine noch größere Rolle spielt als bei den meisten andern Dramendichtern. Seine Sittenkomödien stehen daher, auch wenn sie einen englischen Schauplatz haben, mehr oder weniger unter italienischem Einfluß. In ihnen verband M. die Romantik einer mehr oder weniger fremdartigen Fabel mit einer realistischen Aufmachung34). In seinen Rachetragödien vermischen sich Einflüsse Senecas und Shakespeares. D. Thomas Dekker. 70. The Dramatic Works in 4 vols. [ed. by S h e p h e r d ] , London 1873. — Kate L. G r e g g : Th. D. (Univ. of Washington Publ., Langu. & Lit. Vol. 2, Nr. 2, 1925). — Mary Leland H u n t : Th. D. Diss. der Columbia Univ. New York 1 9 1 1 . — Frederick Erastus P i e r c e : The Collaboration of Webster & D. (Yale Studies in English. 37). New York 1909. — W. S c h e f f l e r : Th. D. als Dramatiker. Diss. Leipzig 1910.

Th. D. wurde um 1570 zu London geboren. Von seinen Eltern ist nichts bekannt; die Schreibweise des Namens deutet auf niederländische Herkunft. Eine Universität scheint er nicht besucht, dagegen die Durchschnittsbildung eines Engländers jener Zeit in einer Grammar School empfangen zu haben. Er widmete sich ganz der Schriftstellerei; seit 1596 begegnet uns sein Name unter den Lohnschreibern Henslowes. Sein Leben war ein beständiger Kampf mit Entbehrungen; die Jahre von 1613 bis 1616 verbrachte er im Schuldgefängnis, und seine beständigen Geldverlegenheiten ließen ihn kaum jemals aus den Schulden herauskommen. Sein ihm " ) Schelling, Eliz. Dr. I 542.

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angeborener Leichtsinn hat jedenfalls viel zu dem ihn dauernd verfolgenden Unglück beigetragen. Als Schriftsteller war er ungemein fruchtbar und vielseitig, nicht nur auf dramatischem Gebiet. Sein Name wird mit 76 Dramen in Verbindung gebracht, von denen die Mehrzahl verloren gegangen ist. Eine Menge Stücke verfaßte er zusammen mit andern Dramatikern. Er beteiligte sich auch an der Abfassung von Festspielen für den Hof und von City Pageants für die alljährlichen Lordmayors-Feste. Seit 1638 wird sein Name nicht mehr genannt; wir dürfen daraus schließen, daß er um 1638 gestorben sein muß. 71. D. h a t sich in den meisten Gattungen des Dramas betätigt. Als eine Art H i s t o r i e könnte Sir Thomas Wyat (1602; 4 0 , 1607) gelten, das gemeinsame Werk D.s und W e b s t e r s , Leider ist der Text sehr verstümmelt überliefert; aber auch in seiner ursprünglichen Gestalt hat das Stück kaum zu den wertvollen Erzeugnissen der dramatischen Literatur gehört. Die Technik ist noch von altmodischer Art: hierher gehören die vielen Reime und die Kindlichkeit der Charakteristik. Das Hauptinteresse richtet sich nicht auf den Titelhelden, sondern auf die tragische Gestalt der Lady J a n e Grey. Wir besitzen Nachricht vom Vorhandensein d n e s älteren zweiteiligen Stückes über sie (1602 aufgeführt); wahrscheinlich ist das vorliegende Drama dessen ungeschickte Bearbeitung. Als Quelle hat Holinshed gedient. Der streng protestantische Standpunkt der beiden Verfasser zeigt sich besonders in der Charakterschilderung Gardiners, des Bischofs von Winchester, der als erbarmungsloser Fanatiker gekennzeichnet wird; auch wird Spanien als der katholische Erbfeind Englands hingestellt. Die Anteile der beiden Dichter zu unterscheiden wäre ein müßiges Unterfangen. 72. Im L u s t s p i e 1 erreicht D. mit dem ältesten einschlägigen Drama The Shoemaker's Holiday; or, The Gentie Craft (1597; 4°, 1600) schon gleich von vornherein den Gipfel seiner Kunst. Der Stoff stammt aus Deloneys Novellensammlung The Gentie Crafi. Meisterhaft ist die Charakteristik besonders des wackeren Schuhmachermeisters Simon Eyre mit seinem derben behaglichen Humor, und seiner eitlen Frau, die lächerlich stolz ist auf ihren bis zur Würde eines Lordmayors emporsteigenden Mann. Zu beider Charakteristik gehört es auch, daß sie immer wieder dieselben Redensarten gebrauchen, ein Kunstgriff, den schon Shakespeare bei der Zeichnung des Wirtes in Wiv. angewandt hatte, und der in der englischen Literatur überhaupt zu den stehenden Mitteln der Komik gehört. Von den meisten übrigen Dramen jener Zeit unterscheidet sich Shoem. durch den demokratischen Standpunkt des Verfassers, der darin übrigens durchaus seiner Quelle Deloney

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f o l g t . D a s S t ü c k ist eine V e r h e r r l i c h u n g des H a n d w e r k e r s t a n d e s . S c h o n hier o f f e n b a r t D . seine besondere S t ä r k e a l s D r a m a t i k e r in der l i e b e n s w ü r d i g e n a n z i e h e n d e n S c h i l d e r u n g des L o n d o n e r A l l t a g s l e b e n s , d a s er m i t e i n e m e t w a s o b e r f l ä c h l i c h e n O p t i m i s m u s u n d m i t kindlicher T e c h n i k in einer R e i h e b u n t e r B i l d e r sehr l e b e n d i g zeichnet. A e h n l i c h w i e Greene v e r k n ü p f t er seine realistische S c h i l d e r u n g des A l l t a g s l e b e n s m i t einer gewissen leichten R o m a n t i k , i n d e m er d e n v o r n e h m e n J ü n g l i n g L a c y a u s L i e b e z u E y r e s T o c h t e r bei d i e s e m a l s L e h r l i n g eintreten l ä ß t . A n Greenes Green erinnert es a u c h , d a ß S i m o n E y r e sich selbst v o r d e m K ö n i g m i t u n e r s c h r o c k e n e m F r e i m u t b e n i m m t . D a s S t ü c k gehört d u r c h seine F r i s c h e u n d L e b e n s w a h r h e i t , seine g e l u n g e n e C h a r a k t e r i s t i k u n d seine fesselnde H a n d l u n g z u d e n besten E r z e u g n i s s e n der L o n d o n e r S i t t e n k o m ö d i e . D . v e r s t e h t den G e s c h m a c k des d a m a l i g e n B ü r g e r t u m s sehr g l ü c k l i c h z u t r e f f e n , freilich ohne den V e r s u c h , ihn auf eine h ö h e r e K u n s t s t u f e z u h e b e n . A b e r g e r a d e d u r c h d a s N a i v e und P r i m i t i v e , d a s seiner t e n d e n z l o s e n K u n s t eigen ist, ü b t sie einen e i g e n a r t i g e n R e i z auf u n s aus. 73. E i n e besondere A b a r t des L o n d o n e r Sittenlustspiels schufen D. und W e b s t e r d u r c h Westward Hoe (1603/04; 4 0 , 1607). D i e anstößige H a n d l u n g dieses z u m g r o ß e n T e i l a u s P r o s a b e s t e h e n d e n S t ü c k e s schildert d a s a u s s c h w e i f e n d e L e b e n v o n drei L o n d o n e r B ü r g e r f r a u e n , d e n e n a b e r ihre Männer n i c h t s a n h a b e n k ö n n e n , w e i l diese es selbst n i c h t besser treiben. Die K u p p l e r i n Mrs. B i r d l i m e u n d der italienische K a u f m a n n J u s t i n i a n o sind die t r e i b e n d e n K r ä f t e des S t ü c k e s . A m S c h l u ß k o m m t heraus, d a ß die drei F r a u e n mit ihren L i e b h a b e r n nur g e t ä n d e l t , also m i t ihrer U n t r e u e nur g l e i c h s a m k o k e t t i e r t h a b e n . Die n u n erfolgende allg e m e i n e V e r z e i h u n g b e f r i e d i g t u n s nicht, d a die G r e n z e n zwischen S i t t l i c h k e i t u n d U n s i t t l i c h k e i t d a d u r c h nur v e r w i s c h t erscheinen. D i e N e b e n h a n d l u n g b e t r i f f t ein L i e b e s a b e n t e u e r der Mrs. J u stiniano, die v o n e i n e m a l t e n G r a f e n v e r f o l g t w i r d , aber seinen N a c h s t e l l u n g e n d a d u r c h e n t g e h t , d a ß ihr G a t t e in F r a u e n k l e i d e r n a n ihre Stelle t r i t t u n d d e n W ü s t l i n g z u r R e c h e n s c h a f t zieht. D a s S t ü c k ist älter a l s Eastw.; d e n n dessen P r o l o g spielt d a r a u f an. D e r T i t e l bezieht sich a u f die J/oe-Rufe der K a h n f ü h r e r auf der T h e m s e ; in diesem F a l l e ist B r e n t f o r d d a s Ziel. E i n e b e s t i m m t e Quelle ist nicht n a c h w e i s b a r ; v e r m u t l i c h ist die d a m a l i g e W i r k lichkeit selbst u n m i t t e l b a r e Quelle gewesen. 74. Northward Hoe (1605; 4 0 , 1607), ebenfalls v o n D . u n d W e fas t e r , zeigt s c h o n i m T i t e l seine n a h e V e r w a n d t s c h a f t m i t Westw., u n d ist o f f e n b a r eine E r w i d e r u n g auf d a s K o n k u r r e n z s t ü c k Eastw. C h a p m a n , einer v o n dessen V e r f a s s e r n , w i r d a l s ein D i c h t e r B e l l a m o n t mit g u t m ü t i g e r S a t i r e v e r s p o t t e t . E s h a n d e l t sich in

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diesem ebenfalls meist in Prosa geschriebenen Stücke wieder u m einen Angriff auf die Tugend einer Londoner Bürgerfrau durch zwei Lebemänner. Der eine reißt ihr einen Ring vom Finger und zeigt ihn ihrem Gatten als Beweis ihrer Untreue; der Gatte aber überzeugt sich bald von ihrer Unschuld und findet Gelegenheit, die beiden Wüstlinge gebührend zu bestrafen. Das Ringmotiv ist den Novellen Malespinis entlehnt. Die Entwirrung des Knotens geschieht ebenso wie in Westw. durch Zusammentreffen der Hauptpersonen an ein und demselben Orte, diesmal in Ware im Norden Londons. Die überladene Handlung ist ebenso unwahrscheinlich wie in Westw. 75. The Roaring Girl; or, Moll Cut-Purse (1610; 40, 1611) von D. und M i d d l e t o n zeigt seine stoffliche Verwandtschaft mit Westw. und Northw. in der Nebenhandlung: hier werden auch wieder lüsterne Londoner Bürgerfrauen vorgeführt, die sich aber schließlich zu ehelicher Treue bekehren. In der Haupthandlung ist die wichtigste Gestalt die Titelheldin Mary Frith, auf die der Beiname cut-purse eigentlich nicht paßt, da sie als durchaus ehrlich geschildert wird. Ihre originelle Persönlichkeit wird mit lebendiger Frische dargestellt. Moll war eine wirkliche Person, ein damals in London stadtbekanntes Mannweib, das in Männerkleidern, rauchend und mit einem Schwert bewaffnet, aufzutreten pflegte. Sie ist in unserem Stücke sehr derb in ihrer Sprache, läßt aber ihre Frauenehre nicht antasten. Wir dürfen annehmen, daß ihr dramatisches Charakterbild eine starke Idealisierung des Originals darstellt. Eine solche Gestalt ist eher eine Schöpfung D.s, während Middleton wohl die Nebenhandlung zuzuschreiben ist. 76. Auch auf dem Gebiet der r o m a n t i s c h e n Komödie hat sich D. mit Erfolg betätigt, wovon gleich das erste einschlägige Stück Old Fortunatus (1596; 4 0 , 1600) Zeugnis ablegt. Seine dichterische Begabung kommt hier bei einem Märchenstoff noch besser zur Geltung als in den Sittenkomödien. Das Stück ist eine Dramatisierung des deutschen Volksmärchens von Fortunatus, das damals in Gestalt eines Volksbuches verbreitet war. Mit lebendiger Frische werden die rein märchenhaften Abenteuer des Fortunatus und seiner beiden Söhne, des guten Ampedo und des lasterhaften Andelocia, geschildert, wobei das Wunschhütlein und die unerschöpfliche Börse eine große Rolle spielen. Shadow, der Begleiter der Söhne, bedeutet als eine Art Vice die bewußte Rückkehr zu der schon veralteten Kunst der Moralitäten, an die auch viele allegorische Szenen, zum Teil freilich im Anschluß an das Volksbuch, erinnern. Echt moralitätenmäßig ist auch das Thema des Stückes: der Kampf zwischen Gut und Böse um die Herrschaft über den Menschen. Der allegorische Grundgedanke wird hier

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aber in der anmutigen Form des Märchens dargeboten und verschafft dadurch den poetischen Bestandteilen das Uebergewicht über die Lehrhaftigkeit, die sonst in den Moralitäten fast stets die Poesie beeinträchtigt. Das Stück war ursprünglich zweiteilig; der erste Teil handelte von Fortunatus, der zweite von dessen Söhnen. Beide Teile sind aber von D. zu einem einzigen Drama verschmolzen worden. Shadow knüpft nicht nur an die Moralitäten an, sondern ist zugleich auch eine Fortsetzung des Typus des witzigen vorlauten, aber seinem Herrn treu ergebenen Pagen Lylys 35 ); dessen Einfluß offenbart sich auch im Stil der prosaischen Dialoge. In den Situationen erkennen wir mehrfach Anklänge an die Kunst Marlowes: daß Fortunatus statt der Weisheit den Reichtum wählt, erinnert an Fausts verhängnisvollen Vertrag mit dem Teufel; ähnlich wie in Tamb. muß eine Königin der Glücksgöttin als Stuhl dienen 35). Im Aufbau der Handlung ist D. nicht sehr geschickt; auch ist seine Kunst der Charakteristik gering; die Lebenswahrheit der Personen wird allerdings schon durch den Märchencharakter des Stückes eingeschränkt. Der kindliche echt poetische Märchenton und die anmutige Komik verleihen aber diesem Drama eine besondere Anziehungskraft. Am Schluß gehen beide Söhne des Fortunatus, auch der tugendhafte Ampedo, unter; aber der Grundton des Stückes und die ganze Behandlung des Stoffes ist nicht tragisch, so daß die Bezeichnung comedy wohl berechtigt erscheint. Schauplatz ist teils Famagosta auf Zypern, teils England zur Zeit des angelsächsischen Königs Aethelstan. 77. The Honest Whore, Part I (1604; 4 0 , 1604), I I (1608; 4 0 , 1630) erweckt durch den Titel eine falsche Vorstellung vom Inhalt des Stückes, das trotz mancher anstößiger Stellen vom Geiste einer durchaus gesunden Sittlichkeit erfüllt ist. Wie ein Eintrag in Henslowes Tagebuch bezeugt, hatte auch M i d d l e t o n einen freilich unbeträchtlichcn Anteil an diesem Drama; der Hauptsache nach ist es aber ein Werk D.s, zu dessen besseren Schöpfungen es gehört. In der Haupthandlung dieses zu Mailand spielenden romantischen Lustspiels wird die Bekehrung der Dirne Bellafront zur Tagend geschildert. Hier wird die Moral allzudick aufgetragen. Auch ist die Entwickelung Bellafronts von einer öffentlichen Dirne zu einer Heiligen wenig wahrscheinlich; ebenso daß ihr Vater Orlando Friscobaldo, der jahrelang ihr unsittliches Treiben geduldet hatte, als Diener verkleidet in ihre Dienste tritt, um sie zu bessern, und daß der vornehme Hippolito, der sie bekehrt hatte, sich nun selbst in sie verliebt und nun seiner eigenen Gattin " ) Hunt p. 3 2 ff.

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Infelice, der Tochter des Herzogs, untreu wird. Auch sonst finden sich in der Charakteristik der Personen auffallende Widersprüche, so bei diesem Herzog, der durch Vergiftung eines unerwünschten Freiers (Hippolito) eine Verbindung zwischen ihm und seiner Tochter zu verhindern versucht, am Schluß aber als gerechter und tugendhafter Herrscher hingestellt wird 3 6 ). D.s Manier, einen romantischen Stoff mit Einzelheiten von grobem Realismus auszumalen, wird uns hier deutlich veranschaulicht. Diese Realistik zeigt sich besonders in der lebenswahren Schilderung des elenden Lebens einer öffentlichen Dirne. Der eigenartige Charakter der Bellafront ist ein Meisterstück der Charakteristik, ebenso der ihres Verführers und späteren Gatten Matteo, eines gewissenlosen Wüstlings. Die Nebenhandlung mit dem übergeduldigen Candido und seiner übermütigen Gattin Viola berührt sich kaum mit der Haupthandlung; sie soll nur als Folie zu ihr dienen. Gegenstand beider Handlungen sind die wechselvollen mannigfachen Beziehungen zwischen Mann und Weib. 78. If it be not Good, the Devil is in it (um 1610; 4 0 , 1612) hat als Teufelskomödie Aehnlichkeit mit Grim. Das Stück hat eine dreifache Handlung: drei Teufel werden auf die Erde gesandt, um den Adel, die Geistlichkeit und das Bürgertum zur Sünde zu verleiten; der Erfolg dieses Unternehmens wird dann an allen drei Ständen geschildert. Der Kernpunkt der Handlung liegt in den Abenteuern des zur Geistlichkeit abgeschickten Teufels; hier liegt die Erzählung The Pleasant History of Friar Rush (1567) zugrunde. Der Teufel Shackle-soul ist in ein Kloster eingetreten. Der einzige tugendhafte Mann, der hier seinen Versuchungen widersteht, ist der Subprior. In der Aufzählung aller der Leckerbissen, die für die Mönche bestimmt sind, steckt eine Satire gegen die Ueppigkeit des Klosterlebens. D. hätte aus dem dankbaren Stoff viel mehr machen können; er arbeitete aber zu flüchtig, um die Keime der darin enthaltenen Komik voll ausreifen zu lassen. 79. Das eben erwähnte Drama enthält milde Satire von allgemeiner Art, gegen ganze Stände gerichtet; dagegen stellt SatiroMastix; or, The Untrussing of the Humorous Poet (1601; 4 0 , 1603; Einzelausgabe von S c h e r e r , Bangs Mater. 20, 1907) eine rein persönliche Satire dar. Das Stück war D.s Antwort auf die Angriffe Jonsons in Cynth. und besonders in Poet.\ der humorous •poet ist natürlich Jonson selbst. Anknüpfend an Poet, wird Jonson auch hier als Horaz dargestellt, aber natürlich in lächerlicher Weise. Die schwerfällige Art seines Dichtens wird verspottet; seine Selbstgefälligkeit wird dadurch lächerlich gemacht, daß der *•) Courthope I V 226.

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von D. erfundene alberne Dummkopf Asinius Bubo ihn höchlich bewundert. Sogar auf das Maurerhandwerk, das Jonson in seiner Jugend im Hause seines Stiefvaters ausgeübt hatte, wird angespielt, ferner auf seine Nachlässigkeit in der Kleidung, sein Duell, seinen Glaubenswechsel, sein blatternarbiges Gesicht. Am Schluß wird Horaz eine Krone aus Nesseln aufgesetzt, ein Hinweis auf Jonsons Bemühungen, gekrönter Dichter (poeta laureatus) zu werden. Demetrius und Crispinus, die in Poet, lächerliche Figuren sind, begegnen auch hier, natürlich als verdienstvolle Männer, und auch der Hauptmann Tucca wird aus Poet, übernommen. Die Satire ist plump und schwach; es ist D. nicht gelungen, sie über den Bereich kleinlicher rein persönlicher Rache emporzuheben. Zugleich kommt seine Gutmütigkeit immer wieder zum Durchbruch: er läßt mehrfach durchblicken, daß seine Satire gar nicht so böse gemeint sei (Z. 523. 2018). Das Stück beweist, daß D. zum Satiriker wenig geeignet war. Der ganze Theaterstreit fand damit seinen Abschluß; Jonson scheint D.s Angriff nicht besonders übel genommen zu haben. Die Handlung ist aus der römischen Kaiserzeit von Poet, in die Zeit des englischen Königs Wilhelm Rufus verlegt. Dies dient D. dazu, mit der satirischen Haupthandlung eine romantische Liebesgeschichte zu verbinden, worin der König die Hauptrolle spielt. Diese Geschichte hatte D. ursprünglich in einem besonderen Drama behandeln wollen. Er verwertete dann die Bruchstücke seiner angefangenen Arbeit, indem er sie in sehr unkünstlerischer Weise in seine Satire gegen Jonson hineinflocht und so zwei ganz ungleichartige Bestandteile zu einem unharmonischen Ganzen verknüpfte. 80. The Whore of Babylon (1604; 4 0 ,1607) hat eine ausgesprochen antikatholische Tendenz. Mit der Titelheldin ist die römische Kirche gemeint; Rom wird aber weniger aus konfessionellen als aus nationalen Gründen als Feind Englands bekämpft. Zahlreiche allegorische Gestalten setzen die Moralitätenüberlieferung fort; auch die dumb shows gehören zum Apparat einer altmodisch gewordenen Bühnentechnik. Das Leben der Königin Elisabeth wird in allegorischer Verhüllung dargestellt, wozu Namen aus Spensers Fairy Queen und aus Mids. herhalten müssen. Das Stück ist durchaus minderwertig, sein Aufbau formlos. 81. Von D.s T r a g i k o m ö d i e n haben sich zwei erhalten, LoncL. und Wond. Match me in London (1611; 40, 1631) ist eine Nachahmung der inzwischen Mode gewordenen Dichtungsart Fletchers, nicht, wie der Titel vermuten läßt, eine Londoner Sittenkomödie; weder im Stoff noch im Schauplatz (Cordoba und Sevilla) ist ein Grund für den Titel erkennbar. Ein König von Spanien hat mit Hilfe der Kupplerin Dildoman die Kaufmanns-

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frau Tormiella in seinen Palast gelockt, um hier seine Lust an ihr zu befriedigen; sie widersteht zuerst tapfer der Versuchung, wird aber dann doch die Geliebte des Herrschers. Eine Nebenhandlung spielt sich zwischen dem Bruder des Königs und dem Vater der Königin ab, der des ersteren Verrat entdeckt hat. Das Stück ist so angelegt, daß man einen tragischen Schluß erwartet; statt dessen erfolgt eine schwächlich wirkende allgemeine Versöhnung. Das Ganze setzt sich aus einer Kette von Unwahrscheinlichkeiten zusammen. 82. The Wonder of a Kingdom (1623?; 40, 1636) erweist sich in der Verwendung abgenutzter Motive und der Schwunglosigkeit der Handlung als ein Werk aus D.s Alter, wo seine schöpferischen Kräfte schon erlahmt waren. Es wird von Fleay identifiziert mit einem 1623 unter dem Titel Come, see a Wonder lizensierten verlorenen Drama von Day. Die Handlung besteht aus einer dreifachen Fabel: 1. der romantischen Liebesgeschichte von Angelo und Fiammetta, der Tochter des Herzogs von Florenz; 2. einer doppelten Intrige nach Fletchers Vorbild, wobei Alphonsina, indem sie die schlechten Absichten ihres Bruders Tibaldo Neri fördert, selbst in verfängliche Situationen gerät; 3. der Verschwendung des Signor Torrenti und der unbegrenzten Gastlichkeit des Jacomo Gentiii, zusammen mit den Abenteuern von Torrentis Bruder, einem armen Matrosen. Ein Nachklang Lylys ist das Gespräch zwischen Tibaldo und seiner Schwester, ein geistreiches Wortgeklingel, das nichts zur Handlung beiträgt und nur den Zweck hat, die Redenden als witzig zu kennzeichnen. 83. T r a u e r s p i e l e lagen der heiteren Gemütsart D.s fern. Es ist nur ein einziges einschlägiges Drama überliefert, das ihm zusammen mit H a u g h t o n und D a y zugeschrieben wird: The Spanish Moor's Tragedy (1599/1600; gedruckt 1657; Dodsley 4 XIV). Das Stück wird für identisch gehalten mit dem anonymen Trauerspiel Lust's Dominion; or, The Lascivious Queen. Wir finden hier die bei allen Tragödien mit orientalischem Schauplatz übliche Anhäufung blutiger Greuel und die rohesten Mittel zur Erregung von Sensation. Durch das Liebesverhältnis zwischen einer wollüstigen weißen Königin (von Spanien) und einem Mohren erinnert das Stück insbesondere an Shakespeares Tit. Dieser Mohr Eleazar, Fürst von Fez und der Berberei, ist kein Mensch mehr, sondern ein unnatürliches Scheusal, das aber als Verbrecher einen grausigen Zynismus entfaltet, der als eigenartiger Humor gelten könnte. Ehrgeiz und Rachedurst sind seine Beweggründe; in der Hauptsache ist ihm aber das Böse Selbstzweck. Dabei fehlt seinem Charakter alle Größe. Als das Stück als Lust's Dominion 1657 im Druck erschien, wurde Marlowe im Titel als Verfasser angegeben,

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ein bei der Aebnlicbkeit Eleazars mit Marlowes Barabas begreiflicher Irrtum. Die beiden grotesk-komischen Mönche Cole und Crab sind außerdem Nachahmungen gleichartiger Gestalten in Marlowes Jew. Das Stück ist den übrigen Werken D.s so unähnlich, daß wir nur annehmen können, er habe es nicht aus eigenem Antrieb, sondern als Lohnschreiber Henslowes auf dessen Bestellung hin zusammen mit den beiden andern Dichtern verfaßt 3 7 ). Uebr D. als Mitarbeiter an Griss. B. s. R H R Chettle § 583, an Virg. Marl. s. Massinger § 222, an Sold. s. S. Rowley § 247, an IVitch. Edrn. und an Barl. s. Ford § 300. 304. 84. D e k k e r ist ein Geistesverwandter des mit ihm gleichaltrigen Thomas Heywood; beide sind Fortsetzer der Kunst Greenes. Der englische Volksgeist, das merry old England offenbart sich in den Stücken dieser Dramatiker von seiner liebenswürdigsten Seite. D. war eine Art Naturkind mit der Naivität eines echten Dichters von bedeutender Begabung, mit starker Einbildungskraft, Leichtigkeit der Erfindung, Frische der Darstellung, aber zugleich auch großer Subjektivität und daher auch sehr schwankend in seiner Stimmung. Er war als Dichter sehr fruchtbar und arbeitete mit erstaunlicher Leichtigkeit, aber wenig sorgfältig. Seine Werke sind daher im Werte sehr ungleich. Neben Stellen von warmherziger, zarter Empfindung und edler Sprache stoßen wir auf ganz erstaunliche Geschmacklosigkeiten. E r besaß nur geringe Ausdauer; daher ist der Aufbau seiner flüchtig hingeworfenen Stücke meist wenig durchdacht und seine Technik nicht groß. Seine Stärke lag mehr in reizvollen Einzelheiten als in der Gesamtanlage einer Handlung oder eines Charakters 38 ). Straffheit und Geschlossenheit der Handlung pflegt in seinen Dramen zu fehlen. Er war kein wirklich großer Geist, aber innerhalb der Grenzen seiner Kunst hat er Bedeutendes geleistet, und gerade die Anspruchslosigkeit seiner Dichtung fesselt uns oft mehr als die größere Kunst anderer Dramatiker. Manche seiner Mängel sind gewiß auch daraus zu erklären, daß er aus Not Arbeiten übernehmen mußte, für die seine Eigenart gar nicht veranlagt war. Sein dichterisches Hauptarbeitsfeld war das Alltagsleben der Londoner Mittelklassen; als ein Vorläufer von Dickens hat er es verstanden, hier lebendigen Realismus der Sittenschilderung mit dem Schimmer der Romantik zu verklären. Im Unterschied gegen die meisten übrigen Dramatiker seiner Zeit war seine Gesinnung eher demokratisch. Den Herrschern gegenüber bewahrte er stets eine unabhängige Haltung; er enthielt sich der ") Creizenach V 164. ") Ward II 471.

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Schmeicheleien, mit denen andere Dichter so oft den höheren Gewalten huldigten. 85. Ein künstlerischer Fortschritt ist in D.s dichterischer Laufbahn nicht wahrzunehmen; seine beiden ältesten Stücke Shoem. und Fort, sind durch seine späteren Leistungen nicht mehr übertroffen worden. — Eine Persönlichkeit wie D. war wohl veranlagt zur Zeichnung humoristischer Charaktere und Situationen und zur Entfaltung wirksamer reiner Komik. Für scharfe Satire war er zu gutmütig. In den Streit mit Jonson wurde er gewiß gegen seinen eigenen Willen, offenbar unter dem Einfluß Marstons, hineingezogen, nachdem er noch zuvor Jonsons Mitarbeiter an Page of Plymouth und Robert II. King of Scots gewesen war. E. Thomas Heywood. 86. The Dramatic Works in 6 vols. London 1874. — In Vol. I, p. I X bis X L I V : Memoir of Th. H.

Th. H. wurde um 1572 geboren als Sprößling einer angesehenen Familie aus Lincolnshire. Mit seinem Namensvetter John H. scheint er nicht verwandt gewesen zu sein. Er studierte in Cambridge, wurde aber, anscheinend ohne sein Studium beendet zu haben, Schauspieler und seit 1594 auch Schriftsteller. Als solcher war er von einer ganz gewaltigen Fruchtbarkeit, welche die Dekkers noch bedeutend übertraf. Man hat ihn den englischen Lope de Vega genannt, weil er an 221 Stücken beteiligt gewesen sein soll. Von diesen haben sich aber nur 23 erhalten, die bis auf drei von ihm allein verfaßt sind. Seit 1598 stand er in Henslowes Diensten. In seinem späteren Leben beteiligte er sich auch eifrig an der Abfassung von City Pageants für den Lordmayors-Tag.; zwischen 1630 und 1640 ist er sogar alleiniger Verfasser solcher Werke. In geldlicher Hinsicht scheint er ein bequemeres Auskommen gehabt zu haben als Dekker. Er besaß eine ausgedehnte Belesenheit, insbesondere beträchtliche Kenntnisse vom klassischen Altertum, die er aber nicht in so aufdringlicher Weise zur Schau stellte, wie so viele seiner Kunstgenossen, namentlich Jonson. Die Zeit seines Todes ist nicht sicher bekannt; um 1648 scheint er noch am Leben gewesen zu sein. 87. Als Dramatiker ist H. noch vielseitiger als Dekker. Unter seinen H i s t o r i e n steht der Zeit nach obenan das Doppeldrama King Edward IV. (1594; 4°, 1600). Der erste Teil handelt hauptsächlich von den Liebesabenteuern des verkleideten Königs; der zweite berührt sich inhaltlich mit Shakespeares R 3. In beiden Stücken wird die Ermordung Clarences und der beiden jungen Prinzen dargestellt; H. malt aber das Rührende im tragischen

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Schicksal der beiden Königskinder noch genauer aus und läßt auch das Bürgertum stärker hervortreten. Den Pöbel schildert er aber mit den gleichen Kunstmitteln und in der gleichen Auffassung wie Shakespeare, dessen Einfluß auf H.s Stück überhaupt leicht erkennbar ist. Beide Teile werden durch die Person des Königs nur ganz äußerlich zusammengehalten; ein wirkliches Bindeglied ist eher die Gestalt der Jane Shore, die sich aus einer ehrsamen Bürgerfrau in eine Geliebte des Königs verwandelt. Dies wird vom Dichter durchaus als Schande aufgefaßt; sie hat auch nach Eduards Tod schwer für ihre befleckte Vergangenheit zu büßen und sühnt so ihren Fehltritt. Schließlich stirbt sie gleichzeitig mit ihrem Gatten, der ihr verziehen hat, an gebrochenem Herzen. Ihr Schicksal wird mit ergreifendem Pathos dargestellt, das aber nichts Weichliches und Ungesundes an sich hat. Es ist offensichtlich, daß H. Mitleid mit ihr empfindet. Die Komik nimmt in E 4 breiten Raum ein; sie wird durch einige Bürger vertreten: Josselin bleibt regelmäßig in seiner Rede stecken und hilft sich dann durch and so forth ; Hobs, der biedere Gerber von Tamworth, benimmt sich bei seiner Begegnung mit dem König ganz unbefangen mit freimütiger Derbheit. Die Charakteristik der Personen ist oberflächlich und die Handlung eine bunte Reihe mehr epischer als dramatischer Szenen. Die politische Geschichte tritt in der Darstellung stark zurück und wird außerdem frei umgestaltet; H. weiß aber die volkstümlichen Lieblingsgestalten der Geschichte geschickt zu verwerten. 88. If you know not me, you know Nobody; or, The Troubles of Queen Elizabeth in zwei Teilen (I um 1604; 40, 1605; II 1605/06; 4°, 1606). R. G . M a r t i n : The Sources of H'.s I f , Part I., M L N . 39, 4 (1924).

Der Titel bedeutet anscheinend ein Sprichwort. Das Stück ist sehr schlecht überliefert, besonders Teil I, der im Anschluß an H.s eigenes Werk England's Elizabeth sowie an die Chroniken von Holinshed und Stow die Drangsale der Prinzessin Elisabeth während der Regierung ihrer Stiefschwester Maria schildert. In Teil I I werden die Hauptereignisse aus Elisabeths Regierung dargestellt, vor allem die Erbauung der Londoner Börse durch Thomas Gresham, und der durch Boten berichtete Sieg über die Armada. H. zeigt sich als guter Protestant in seiner ausgesprochen antikatholischen Stellungnahme. In Teil II tritt die große Politik ganz hinter der Ausmalung des Lebens der Londoner Kaufmannswelt zurück, auf deren Beifall offenbar das Stück hauptsächlich berechnet war. Die Darstellung ist sprunghaft; ein Chor dient dazu, in Teil II ganze Jahrzehnte der Regierungsgeschichte ElisaE c k h a r d t , Geschichte des englischen Dramas.

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beths in wenigen Worten zusammenzufassen, wählend in Teil I Pantomimen und Clownspäße als Füllsel der mageren Handlung herhalten müssen. Das ganze minderwertige Drama setzt sich aus einem wirren Durcheinander lose aneinander gereihter Szenen zusammen. 89. Die Reihe von H.s L u s t s p i e l e n wird eröffnet durch die Londoner Sittenkomödie How a Man may choose a Good Wife from a Bad (1601; 4 0 , 1602. Hg. von S w a e n , Bangs Mater. Bd. 35 (1912); auch Dodsley 4 IX), die zwar anonym überliefert ist, aber von Fleay und im Anschluß an ihn von ihrem letzten Herausgeber Swaen H. zugeschrieben wird. Stil, Metrik und Stoffbehandlung passen gut zu den übrigen Stücken H.s 39 ). Die Haupthandlung beruht auf einer Novelle Cinthios; aber die Befreiung der scheintoten jungen Mrs. Arthur aus dem Grabe stammt aus einer Erzählung Love in a Grave in der Sammlung The Pleasant Companion; natürlich hat zugleich auch Rom. als Muster gedient. Der junge Arthur behandelt seine übergeduldige treue Gattin mit grausamer Niedertracht. Er versucht sogar, sie zu vergiften; es gelingt ihm nur deshalb nicht, weil das vermeintliche Gift unwirksam ist und die Frau nur in einen todesähnlichen Schlaf versenkt. Nach dem vermeintlichen Tode seiner Frau, die nach ihrer Rettung aus dem Grabe ohne sein Wissen fern von ihm lebt, heiratet Arthur eine Dirne Mary; diese behandelt ihn aber schlecht und läßt ihn sogar wegen Mordes verfolgen, nachdem er ihr gestanden hat, seine erste Frau vergiftet zu haben. In armseliger Kleidung verirrt er sich auf der Flucht vor den gerichtlichen Verfolgern, ohne es zu ahnen, zu seiner ersten Frau; diese verzeiht ihm und nimmt ihn wieder bei sich auf, mit einer Großmut, deren er gar nicht wert ist. Das Stück ist auf grobe Wirkungen berechnet: die engelgleiche Milde der jungen Mrs. Arthur erscheint uns übertrieben und unnatürlich. Um den ernsten Kern der Handlung gruppiert sich eine Reihe von komischen Gestalten: der alte Arthur, der beständig seine Ansichten wechselt, von der einen unmittelbar zu ihrem Gegenteil übergeht, wobei ihm der ganz kritiklose alte Lusam immer zustimmt; der pedantische Schulmeister Anrnadab mit seiner recht fragwürdigen lateinischen Schulweisheit; der Richter Reason, der immer wieder im Tone tiefster Weisheit Gemeinplätze auftischt, und der clownartige Diener Pipkin, der seinem Herrn, dem jungen Arthur, gegenüber das enfant terrible spielt. Alles in allem: eine geschickte Mache; Rührseligkeit mit wirksamer Komik verbrämt. " ) Swaen p. V I I . In einem alten Exemplar wird handschriftlich Joshua Cooke als Verfasser genannt; wahrscheinlich ist John Cooke, der Verfasser v o n Quoqu., gemeint.

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90. The Fair Maid of the Exchange, with the Pleasant Humours of the Cripple of Fanchurch (um 1602; 4 0 , 1607) ist als Drama H.s überliefert, wird ihm aber neuerdings von der Kritik abgesprochen 4 0 ). Die Situation erinnert an die in Shakespeares Wiv. Der alte Kaufmann Flower will seine Tochter Phillis, die Titelheldin, mit einem jungen Manne Anthony Golding verheiraten. Sie aber liebt den Krüppel wegen seines edlen Sinnes, und als Anthonys Bruder Frank, der auch um sie werben will, auf den R a t des Krüppels dessen Gestalt angenommen hat, hält sie ihn für den Krüppel und erklärt ihm ihre Liebe. Er erlangt auch wirklich ihre Hand, obgleich sein Betrug entdeckt wird. In einer Nebenhandlung befreit sich ein Kavalier Barnard aus den Schlingen des wucherischen Kaufmanns Berry dadurch, daß er dessen Tochter Mal zur Frau gewinnt. Die originellste Gestalt ist der Krüppel, der wegen seiner Krüppelhaftigkeit großmütig auf sein eigenes Glück zugunsten von Frank Golding verzichtet. Die Hauptreize von H.s Stücken, Frische und Naivität, fehlen hier; an H.s Art werden wir überhaupt nur selten erinnert. Das Stück vermag nicht besonders zu fesseln. Die Liebe der Phillis für den Krüppel wirkt unnatürlich. Der abgebrochene Schluß erweckt den Eindruck verstümmelter Ueberlieferung.

91. The Wise Woman of Hogsdon (1604; 4 0 , 1638) ist ein wirksames Bühnenstück mit einer lebhaften Handlung und verwickelten Intrige; H. besaß überhaupt großes Geschick darin, altes Erbgut an komischen Charakteren und Situationen in neuer Gruppierung vorzuführen. Wir begegnen auch hier wieder dem ausschweifenden jungen Manne (Chartley), der sogar als Heiratsschwindler entlarvt wird, dem aber trotzdem seine schlechten Streiche am Schluß nur zu leicht verziehen werden; ferner dem unwissenden pedantischen Schulmeister (Sir Boniface), usw. L y l y s Mother Bombie wird von der Titelheldin selbst als eine ihrer Vorgängerinnen bezeichnet. Das Stück ist eine hastige liederliche Arbeit; die Sprache ist stellenweise roh, ja sogar schmutzig; die Spaße sind flach; das Ganze bietet aber doch ein lebendiges Bild des Alltagslebens jener Zeit. 92. The Captives; or, The Lost Recovered (1624; Hds.; hg. von Bullen I V ; auch von Alex. Corbin J u d s o n , New Häven 1921) ist in der Haupthandlung eine Uebertragung von Plautus' Rudens ins Gewand einer Londoner Sittenkomödie. Ein Verfasser wird im Titel nicht genannt; auf H.s Verfasserschaft deutet aber der Umstand, daß in der Handschrift gleich auf unser Stück Szenen aus seinen mythologischen Dramen folgen. In der Haupthandlung handelt es sich um Trennung einer Familie (des Kaufmanns Ashburnham) durch Schiffbruch, um Entführung der Tochter Ashburnhams und ihrer Gefährtin in ein Bordell, wo beide wunderbarerweise ihre Unschuld bewahren, und um schließliche Wiedervereinigung der ganzen Familie, ganz ähnlich wie in Shakespeares Per. Die sehr originelle Nebenhandlung von den beiden feindlichen " ) Creizenach V 322.

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Mönchen ist aus einem altfranzösischen fabliau Le •prêtre qu'on porle übernommen 41). Der Protestantismus H.s zeigt sich darin, daß er die beiden Mönche mit possenhafter Komik umkleidet, obgleich der eine von ihnen bei einem Stelldichein mit der Frau eines Lords, der ihn dabei überrascht, vom erzürnten Gatten erdrosselt wird. Der Lord kennt das feindliche Verhältnis des ermordeten Mönches John zu seinem Klostergenossen Richard, und schafft die Leiche Johns ins Kloster, um den Verdacht des Mordes auf Richard abzuwälzen. Dort stellt er die Leiche so auf, daß sie den Eindruck eines lebenden Menschen macht, und als Richard nach einer schlaflosen Nacht am andern Morgen die Leiche anredet, als keine Antwort erfolgt, nach ihr schlägt, und nun erst entdeckt, daß er eine Leiche vor sich hat, hält er sich selbst für den Mörder. Er bringt die Leiche wieder in das Haus des Lords, um den Verdacht auf diesen zu lenken. Der Lord bindet die Leiche in reitender Stellung auf einen Hengst aus seinem Stalle; gleichzeitig hat sich Richard vom Müller eine Stute zum Reiten geborgt. Als nun der Hengst die Stute wittert und ihr nachläuft, glaubt sich Richard vom Geiste Johns verfolgt und gesteht in seiner Bestürzung ein, John ermordet zu haben. Er wird nun zum Tode verurteilt und auch schon zur Hinrichtung geführt; diese wird aber im letzten Augenblick durch das Bekenntnis des Lords vom wirklichen Sachverhalt verhindert, und auch der Lord wird schließlich auf Betreiben seiner Gemahlin begnadigt. Das Stück hat die Vorzüge der meisten Werke H.s: der Frische und Natürlichkeit der Darstellung; verfängliche Situationen, an denen unser Drama besonders reich ist, schildert er nicht aus Freude am Schmutz, sondern weil sie nun einmal zu dem von ihm übernommenen Stoff gehören. 93. The Late Lancashire Witches (1633 ; 40,1633) ist Bearbeitung eines älteren Stückes von H. durch R. B r o m e und knüpft an zwei Hexenprozesse an, die 1612 und 1633 von Pendle Forest in Lancashire ihren Ausgang nahmen und großes Aufsehen erregten. Das zum Teil recht abgeschmackte Stück hat wenigstens großes kulturgeschichtliches Interesse; es bietet ein anschauliches Bild damaligen Landlebens und Hexenglaubens. Als echter Tagesschriftsteller hatte H. eine feine Witterimg für die dramatische Verwertbarkeit aktueller Ereignisse; er bemächtigte sich also sogleich nach 1612 des Stoffes, um aus ihm Kapital zu schlagen, mit Benutzung von Prozeßakten und mündlichen Nachrichten. Beim ersten Prozeß waren wirklich 12 Frauen wegen Hexerei hingerichtet worden; beim zweiten wurden die Angeklagten frei41)

Schelling, Eliz. Dr. I 352.

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gesprochen, weil der Hauptzeuge gestand, daß er zu seinem falschen Belastungszeugnis angestiftet worden sei 4 2 ). Die Verfasser haben offenbar den Hexenglauben ihrer Zeit geteilt und schildern die durch die Hexen angerichtete Verwirrung in einer Reihe von halb realistischen oder grotesk-komischen Szenen. Die Pseudorealistik der Darstellung wird durch Einflechtung nordenglischer Mundart noch verstärkt. 94. Manche der bisher besprochenen Sittenkomödien H.s sind reich an romantischen Zügen. Durchaus r o m a n t i s c h e K o m ö d i e ist The Four Prentices of London, with the Conquest of Jerusalem (1594?; 4 0 , 1615). Dies Erstlingsdrama H.s überhaupt ist besonders auf Umschmeichelung des Londoner Bürgertums angelegt. Quelle war H. Füllers History of the Holy War. Die vier Söhne des Grafen von Bouillon treten in London als Lehrlinge für verschiedene Handwerke ein. Dann folgen sie einer Aufforderung Wilhelms des Eroberers zu einem Kreuzzuge, wobei jeder von ihnen das Abzeichen seines Handwerks als Wappen annimmt. Auf dem Wege nach Jerusalem erleben alle vier die tollsten Abenteuer und vollbringen unglaubliche Heldentaten; jeder erlangt schließlich ein Königreich. Das Anfängertum des Dichters offenbart sich hier mit besonderer Deutlichkeit. Die lächerlichen Uebertreibungen und UnWahrscheinlichkeiten, von denen dies Stück wimmelt, die Roheit und kindliche Unbeholfenheit seiner Technik forderten den Spott einer späteren Zeit heraus; die Satire in Beaumonts Pestle gilt besonders unserem Stücke und Dramen von ähnlicher Art. 95. Das anonyme Drama The Trial of Chivalry, with the Life and Death of Cavaliero Dick Bowyer (um 1597/1604; 4 0 , 1605; Bullen III) ist ebenfalls kein hervorragendes Stück, altmodisch in der kindlichen Psychologie der Charakterzeichnung, in Sprache und Metrik, mit einer überladenen, nachlässig ausgearbeiteten, sehr unwahrscheinlichen Handlung, ein Sammelsurium abgedroschener Motive (z. B . Entstellung des Gesichts einer schönen Dame durch eine giftige Flüssigkeit). Dick Bowyer ist der Clown des Stückes, dessen pseudogeschichtlichen Hintergrund die K ä m p f e zwischen Frankreich und Navarra bilden. Ein Engländer, Graf von Pembroke, der sich durch Großmut und alle ritterlichen Tugenden sehr vorteilhaft von den Franzosen abhebt, dient dazu, der nationalen Eitelkeit zu schmeicheln. Der Herausgeber Bullen betrachtet Chettle oder Munday als Verfasser (p. 263); Sykes behauptet H.s Verfasserschaft, aber unter Beteiligung noch eines andern unbekannten Dichters (p. 221).

96. Für die zweiteilige Abenteuerkomödie The Fair Maid of the West; or, A Girl Worth Gold (vor 1603; 4 0 , 1631) ist H.s Verfasserschaft sicher bezeugt. Das Stück ist in seinen Vorzügen und Mängeln besonders charakteristisch für seine dichterische Eigenart. Die Heldin ist eine Kellnerin Bess Bridges aus Plymouth, " ) Ward, Cambr. Hist. VI 104.

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die in ferne Länder verschlagen wird, viele wunderbare Abenteuer erlebt, aber stets in der Fremde die Ehre des englischen Namens würdig vertritt. Die Seefahrt, an der sie teilnimmt, ist der Kriegszug des Grafen Essex nach den Azoren ( 1 5 9 7 ) . Ein Ton warmer Vaterlandsliebe durchklingt das ganze Drama. In der tollen Anhäufung von Abenteuern gleicht es Prent., ist aber in künstlerischer Hinsicht viel wertvoller und reifer. Die sehr lebhafte frische Handlung ist überladen und reich an schroffen Wechseln; die Charaktere werden mit groben, aber kräftigen Strichen gezeichnet. Ueber bühnentechnische Schwierigkeiten, z. B. die Darstellung des Meeres, hilft der übliche Notbehelf des Chorberichts hinweg. Der sehr ergötzliche Clown Clem, ein Weinzapfer und treuer Begleiter der Bess, trägt durch seinen keineswegs besonders geistreichen, aber durchaus gesunden Mutterwitz viel zur Belebung der Handlung bei. 97. F ü r d a s a n o n y m e D r a m a Nobody and Somebody (nach 1603; 4 0 , [1607]; S i m p s o n I) h a t zuerst F l e a y H . s V e r f a s s e r s c h a f t v e r m u t e t . Die auf englischen Chroniken beruhende H a n d l u n g ist in die s a g e n h a f t e V o r z e i t Britanniens verlegt. D a s g a n z e S t ü c k hindurch w i r d ein u n d derselbe W i t z z u T o d e g e h e t z t , d a ß die N a m e n Nobody u n d Somebody hier wirkliche Personen bedeuten, zugleich aber als »niemand« u n d »jemand« m i ß v e r s t a n d e n werden. A l t m o d i s c h e T e c h n i k s t e c k t in der s y m m e t r i s c h e n A n o r d n u n g der C h a r a k t e r e , die z u m T e i l G e g e n s ä t z e darstellen, w i e a u c h z. B . die beiden einander feindlichen Titelhelden. Diese sind die H a u p t gestalten des allegorischen Teils der H a n d l u n g , der m i t d e m pseudogeschichtlichen keinen w i r k l i c h e n Z u s a m m e n h a n g h a t . E i n e B r ü c k e z u diesem w i r d nur d a d u r c h geschlagen, d a ß die beiden allegorischen Gegner ihren S t r e i t d u r c h den britischen K ö n i g Elidure entscheiden lassen. Dieser s a n f t e u n d schwächliche Herrscher gleicht S h a k e s p e a r e s K ö n i g Heinrich V I . , seine stolze u n d s e l b s t b e w u ß t e G e m a h l i n der K ö n i g i n M a r g a r e t e v o n A n j o u .

98. A Maidenhead Well Lost (1633; 40, 1634), eine romantische Komödie mit Florenz als Schauplatz, bei der H.s Verfasserschaft sicher bezeugt ist, behandelt den uns schon aus Shakespeares Att's und Meas. bekannten Vorwurf der untergeschobenen Braut. Stroza, der Sekretär des Herzogs von Mailand, erinnert als Intrigant des Stückes an Iago in Oth. Die verfänglichsten Teile der Handlung werden nur pantomimisch angedeutet. 99. Fortune by Land and Sea (1607; 4 0 , 1655) ist eine von H. und W. R o w 1 e y gemeinsam verfaßte fesselnde und im allgemeinen wohlgelungene T r a g i k o m ö d i e , durch welche die Verfasser bezeugen, daß auch sie inzwischen unter den Einfluß Fletchers geraten waren. Romantisch sind an der lebhaften Handlung nur die Abenteuer zweier Seeräuber, die im Anschluß an eine über sie vor 1600 erschienene Schrift vorgeführt werden. Im übrigen ist das Stück ein häusliches Drama, das die wechselnden Schicksale einer englischen Familie darstellt. Unnatürlich erscheint

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es uns, daß der älteste Sohn dieser Familie, weil er eine junge Dame ohne Vermögen geheiratet hat, von seinem Vater nicht nur enterbt, sondern sogar zusammen mit seiner Frau zum Dienstboten der übrigen Familie herabgedrückt wird. Schließlich triumphiert er aber doch über deren andere Glieder. Auch hier ist es kaum möglich, die Anteile der beiden Dichter sauber zu scheiden. 100. Die anonyme Tragikomödie Dick of Devonshire (1625; Hds.; Bullen II) ist stofflich mit Stukel. verwandt; in beiden Dramen ist der Held ein englischer Abenteurer, der auf iberischem Boden große Heldentaten vollbringt. Dieser Held der Nebenhandlung ist eine wirkliche Persönlichkeit namens Richard Pike, der seine Abenteuer in einer kleinen Schrift selbst beschrieben hat. In der Haupthandlung wird uns ein sehr ungleiches spanisches Brüderpaar vorgestellt: der engelhaft gute Manuel und der teuflische Henrico. Das Stück wird von Fleay Davenport, vom Herausgeber Bullen, der es aus seiner handschriftlichen Verborgenheit zuerst ans Licht gezogen hat, H. zugeschrieben. Die Frage der Verfasserschaft ist zweifelhaft. Jedenfalls ist der Verfasser ein geübter Dramendichter, der einen anziehenden Stoff geschickt zu behandeln weiß.

101. The English Traveller (um 1627; 4 0 , 1633) ist in der Nebenhandlung eine auf englische Verhältnisse übertragene Bearbeitung der Mostellaria des Plautus. Der alte Lionel kehrt unerwartet von einer Reise zurück, als sein Sohn gerade ein großes Gelage im väterlichen Hause veranstaltet hat. Auf den Rat des Dieners Reignald verhält sich die ganze Gesellschaft, den Sohn eingeschlossen, totenstill; der Vater findet das Haus verschlossen. Reignald allein begrüßt ihn und sucht ihn vom Betreten des Hauses abzuhalten, indem er ihm eröffnet, es gingen darin Gespenster um. Reignald entspricht dem Typus des schlauen, niemals um ein Auskunftsmittel verlegenen Sklaven der antiken Komödie. E s ist dem Dichter gelungen, dem antiken Stoff echt englische Lokalfarbe zu verleihen. Die Haupthandlung wird erst ganz am Schluß mit jener Nebenhandlung verknüpft und betrifft die Schicksale des jungen Geraldine, seines Freundes Dalavill und der Mrs. Wincot. Geraldine und Mrs. Wincot stehen in einem harmlosen Freundschaftsverhältnis zueinander, das aber von Dalavill gesprengt wird, da dieser es selbst auf sie abgesehen hat. Er tritt nun in unerlaubten intimen Verkehr mit ihr. Schließlich stirbt Mrs. Wincot aus Gram über ihre Schlechtigkeit, die ihr vom jungen Geraldine sehr eindringlich vorgehalten wird. Die auf Rührung berechnete Handlung ist sorgfältig ausgearbeitet und die Charaktere scharf gezeichnet. 102. The Royal King and the Loyal Subject (1597?; 4°, 1637). Hg. von T i b b a 1 s 1906. E. Dietrich: Th. H.s Royal und J. Fletchers Loyal in ihren Beziehungen zueinander und zu ihren Quellen. Königsberger Diss. 1916.

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Während H.s bisher besprochene Tragikomödien mit der zeitgenössischen Sittenkomödie verwandt sind, berührt sich das vorliegende Stück von H. und Wentworth S m i t h eher mit dem romantischen Lustspiel. Es gehört zu den Dramen, die bei der Darstellung einer in einem einzelnen Menschen verkörperten Tugend diese so auf die Spitze treiben, daß die betreffende Persönlichkeit unnatürlich wirkt. Diese Methode ist noch ein Erbteil der Moralitäten. Hier ist eine solche Tugend der Gehorsam des Untertans gegen seinen Herrscher. Grundlage ist ebenso wie für Fletchers stofflich gleichartiges Drama eine von Painter übersetzte Novelle Bandellos, deren Handlung hier auf einen englischen Schauplatz verlegt wird. Der getreue Untertan ist ein Lord und englischer Hofwürdenträger, der von seinem König den abscheulichsten Demütigungen ausgesetzt wird, nur damit er in allen Prüfungen seine Untertanentreue bewähre 43), und das alles, obgleich sein Herrscher von dieser Treue von vornherein überzeugt ist. Das Stück erschien zuerst 1637; die Vermutung ist aber berechtigt, daß es die Bearbeitung eines schon 1597/98 entstandenen verlorenen Dramas Marshai Osric der beiden Verfasser sei. Auch die spätere Bearbeitung selbst zeigt Spuren einer älteren Kunst in der Häufigkeit des Reimes, dem Ungeschick im Aufbau, der schwächlichen und nicht genug verschieden gestalteten Charakterzeichnung. Die Nebenhandlung bringt ein beliebtes literarisches Motiv: die Unterscheidung der wahren und der falschen Freunde durch vorgespiegelte Armut 44 ). Die zu dieser Nebenhandlung gehörige für den Ablauf der Handlung ganz überflüssige Bordellszene ist von einer abstoßenden realistischen Roheit. 103. Der Titel von A Challenge for Beauty (um 1635; 40, 1636), von H. allein, deutet auf ein uns aus »Schneewittchen« wohlbekanntes Märchenmotiv: die Königin Isabella von Portugal verbannt den Hofmann Bonavida; er darf erst dann an ihren Hof zurückkehren, wenn er eine schönere Dame als sie selbst gefunden habe. Es gelingt ihm, als eine solche Dame die Engländerin Helena zu ermitteln, ein Zug, der natürlich auch wieder dazu dienen soll, die nationale Eitelkeit der Landsleute H.s zu befriedigen. Die auf Helenas Schönheit neidische Isabella sucht nun jene auf jede Weise zu verderben, vor allem ihre Tugend zu gefährden. Hier erinnert die Fabel an die Geschichte von Imogen und Jachimo in Cymb. In einer Nebenhandlung begegnet wieder das Motiv der untergeschobenen Braut. Beide Handlungen sind sehr unnatürlich und namentlich diese Nebenhandlung stark theatermäßig. " ) Courthope I V 214. " ) Koeppel A 134.

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104. H. hat in einer ganzen Reihe von Stücken das m y t h o l o g i s c h e D r a m a ausgebaut, das er von seinen Vorgängern, vor allem von Lyly, übernommen hatte. Aehnlich wie in Per. durch Gower, wird in allen diesen Stücken jeder Akt durch Homer eingeleitet, und darauf folgt jedesmal eine Pantomime. Das älteste dieser Dramen ist The Golden Age (1595; 40, 1611). Hier wird, ohne daß ein leitender Grundgedanke vorhanden wäre, die altgriechische Mythologie im losen Stil eines Historienstücks behandelt. Die Geschichte Saturns und Jupiters, dann Jupiters und Danaes wird, im Anschluß an Lefevres von Caxton übersetzten Recueil und an Boccaccios Göttergenealogie, ganz im Geiste mittelalterlicher Romantik und durchsetzt mit vielen Clownspäßen, sehr lebhaft dargestellt. Diese Späße wirken, da sie sich auf die antike Götterwelt beziehen, wie eine Travestie, ebenso auch die Auffassung der Götter selbst. Jupiter z. B. wird als ein lebenslustiger junger Prinz gezeichnet, mit einem bedenklichen Hange zum Ewigweiblichen. 105. The Silver Age (1595; 40, 1613) handelt von der Liebschaft zwischen Jupiter und Alcmene, der Geburt des Hercules, dem Raube der Proserpina und schließlich von der Anklage gegen den Mond. Das Stück ist in der Hauptsache eine Bearbeitung von Plautus' Amphitruo, wobei der Sklave Socia den Clown darstellt ; er wird hier aber nicht, wie bei Plautus, durch Merkur, sondern durch Jupiters Pagen Ganymed dahin gebracht, seine eigene Identität aufzugeben. 106. The Brazen Age (1595; 4°, 1613) ist eine Zusammenstoppelung verschiedener mythologischer Erzählungen: vom Tode des Kentauren Nessus, vom Untergange Meleagers, von Jason und Medea, vom Netze Vulkans, worin er Mars und Venus als Liebespaar fängt, sowie von den Heldentaten und dem Tode des Hercules. Auch die Geschichte von Venus und Adonis wird eingeflochten. Quelle sind diesmal Ovids »Metamorphosen«. Achelous und Hercules kämpfen um die Hand der Dejanira wie zwei mittelalterliche Ritter. Gallus, der Diener des Mars, spottet über den wenig ehrbaren Lebenswandel der Mrs. Vulcan = Venus, deren Liebesverhältnis zu Mars überhaupt mit glücklicher Komik dargestellt wird. 107. The Iron Age (1596; 40, 1632). Käte G 6 b e 1: Die Quellen und die Entstehungszeit von Th. H.s Iron. Jenaer Diss. 1917.

Der erste Teil dieses Doppeldramas führt Szenen und Gestalten aus dem trojanischen Kriege vor. Auch hier sind die homerischen Helden zu mittelalterlichen Rittern geworden, die im Turnier miteinander kämpfen. Im zweiten Teil wird Trojas Untergang

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dargestellt, ferner das tragische Schicksal des mykenischen und spartanischen Königsgeschlechts. Am Schluß findet ein allgemeines Gemetzel statt. H. steht ganz auf dem trojafreundlichen Standpunkt des Mittelalters; die Ilias hat sein Stück nur wenig beeinflußt. Zwischen Troja und London wird eine Brücke hergestellt durch Anspielung auf die sagenhafte Abstammung der alten Briten von den Trojanern. Iron ist durch die größere Einheitlichkeit seiner Handlung, trotz mancher Geschmacklosigkeiten, künstlerisch wertvoller als die übrigen mythologischen Dramen des Dichters. 108. Unter H.s T r a u e r s p i e l e n knüpft The Rape of Lucrece (1603; 40, 1608) durch den antiken Stoff an die mythologischen Dramen an. Die Tragik des bekannten Themas wird hier immer wieder gröblichst gestört durch ganz unglaubliche Geschmacklosigkeiten und ungeheuerliche, offenbar absichtliche Anachronismen. Die Komik des gänzlich überflüssigen Clowns Pompey ist stellenweise geradezu läppisch und stellt in dem Trio mit Horatius Codes und dem beständig lustige Lieder singenden Valerius den Gipfel der Abgeschmacktheit dar. Das Stück als Ganzes ist ein sonderbares Gemisch von albernen Hanswurstiaden und tragischer Feierlichkeit. Quelle war Livius. Ein großer Teil des Stückes ist in Prosa abgefaßt. 109. A Woman Killed with Kindness (1602; 40, 1607). Alwine W i n k l e r : Th. H.s Ktndn. Zeit. Jenaer Diss. 1917.

und das Ehebruchsdrama seiner

Im Gegensatz zu Lucr. stellt diese häusliche Tragödie das tragische Meisterwerk unseres Dichters dar, worin er alle Vorzüge seines liebenswürdigen Talents frei entfaltet. Dies Ehebruchsdrama hat am meisten zum Ruhme H.s als Dramatiker beigetragen. Es hat eine straffe, gut geführte Handlung. Die psychologische Charakteristik des inneren Kampfes zwischen Gut und Böse im Verführer Wendoll ist trefflich gelungen. Die milde Gesinnung des betrogenen Ehemanns Frankford, der an Mr. Shore in E4 erinnert, ist von dem echt christlichen Geist der Vergebung erfüllt; seine Großherzigkeit wirkt daher nicht unnatürlich. Obgleich das Ende der Ehebrecherin, der Mrs. Frankford, die unter dem Edelmut ihres Gatten von Reue überwältigt und zu Tode getroffen wird, etwas Rührendes an sich hat 45), verfällt H. doch nicht in seinen sonstigen Fehler eines Uebermaßes an Gef'ihlsseligkeit, trotzdem der Stoff ihm das nahegelegt hätte. Auch hat er die blutigen Greuel, die sonst in derartigen Stücken gewöhnlich sind, glücklich vermieden. Die Nebenhandlung ist allerdings be" ) Das wird auch durch den eine sprichwörtliche Redensart bedeutenden Titel angedeutet.

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denklich und stört nur den guten Eindruck der Haupthandlung: in jener gibt Sir Charles Mountford die Ehre seiner Schwester Susan dem Sir Francis Acton preis, u m diesem eine Ehrenschuld abzutragen; durch die schließliche Heirat zwischen Susan und A c t o n wird freilich der üble Eindruck des Vorhergehenden wieder e t w a s verwischt. Zugrunde liegen eine französische Novelle der Königin von Navarra und eine italienische v o n Painter übertragene Novelle Bandellos. Die Lebenswahrheit in der Schilderung des englischen Alltagslebens wird wirksam verstärkt durch Einfügung einer Menge von ganz speziellen Einzelzügen. 110. A u c h im M a s k e n s p i e l hat H. seine K r ä f t e versucht m i t Love's Mistress; or, The Qjeen's Masque (1633; 4 0 , 1636) 46). D a s Stück ist eine Dramatisierung des anmutigen antiken Märchens »Amor und Psyche« von Apulejus. Dieser tritt selbst als Chor auf und erklärt den allegorischen Sinn der Fabel. A u c h hier wieder entwickelt H. eine wirkungsvolle K o m i k bei der travestierenden Anwendung der Sprache des Alltagslebens auf die antike Götterwelt. Unter den Maskenspielen, deren Stoffe der altklassischen Mythologie entlehnt sind, ist dies eines der schönsten. H. übertrifft seinen Vorgänger L y l y bei weitem dadurch, d a ß er den mythologischen Gegenstand mit einer lebhaften Handlung umkleidet hat. i n . Endlich ist H. auch Verfasser einer Reihe von dramatischen Dialogen und kurzen zwischenspielartigen Dramen, die 1635 ins Buchhändlerregister eingetragen und 1637 gesammelt unter dem Titel Pleasanl Dialogues and Dramas im Druck erschienen (neu hrsg. v o n B a n g , Louvain 1903, B a n g s Mater. B d . 3). Unter diesen kleinen Stücken nähert sich a m ehesten einem wirklichen D r a m a das Hirtenspiel Amphrisa; or, The Forsaken Shepherdess «). 112. T h o m a s H e y w o o d war nur ein Dichter zweiten Ranges, ohne große und tiefe Gedanken, aber ein liebenswürdiger, leicht verständlicher Schriftsteller; er bietet leicht geschürzte gefällige Dramen, die er mit gewandter Feder, aber geringer Sorgfalt zu entwerfen pflegte. Wie Dekker, als dessen etwas vergröberter Geistesverwandter er uns erscheint, verstand er es, den Geschmack der großen Menge gut zu treffen, ohne sie als Künstler z u überragen. E r dichtete für die bürgerlichen Klassen, nicht, wie die meisten seiner Zunftgenossen, für die oberen Stände. Gern schlägt er Töne an, die der nationalen Eitelkeit gerade jener '•) engl. ") heißt

Vgl. Adolf H o f f m a n n : Das Psyche-Märchen des Apulejus in der Lit. Straßburger Diss. 1908. So lautet der Titel im Inhaltsverzeichnis; in der Sammlung selbst das Stück Pelopaea and. Alope.

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Klassen zu schmeicheln geeignet waren. Höhere künstlerische Zwecke pflegte er hinter dem Zweck der bloßen Belustigung seines Publikums hintanzusetzen; dabei folgte er bereitwillig a l k n Wandlungen der literarischen Mode. Sein dauernder Wert steckt vor allem in seinen lebenswahren farbensatten Heimatschilderungen, in den dramatischen Bildern des englischen Lebens seiner Zeit, Bildern voll urwüchsig frischer Natürlichkeit. Seine Stücke sind von echt englischem Geist erfüllt. In den Mitteln zur Erreichung einer komischen oder rührseligen Wirkung war er durchaus nicht wählerisch. Auch im Aufbau der Handlung, in der Verbindung der einzelnen Züge zu einem Ganzen ist seine Kunst gering. Die Situationen in seinen Dramen fesseln eher als die Charaktere 48). In weiser Selbsterkenntnis und im Bewußtsein der Grenzen seiner Kunst verzichtet er auf die Darstellung starker Leidenschaften, obgleich ein eindrucksvolles Pathos ihm wohl zur Verfügung stand. Dafür verfällt er selten oder nie in den hochtrabenden Ton, den größere Dichter als er so gern anzuschlagen pflegten. Seine Abhängigkeit von Shakespeare ist groß, war aber ihm selbst kaum in ihrem ganzen Umfang bewußt. Bescheidene Natürlichkeit und anspruchslose Einfachheit gehören zu den gewinnendsten Seiten seines Wesens. F. Thomas Middleton. 113. The Works ed. b y A . H. B u 11 e 11 in 8 vols. London 1885. 1886. — B u l l e n s Introduction in Vol. I, p. X I — X C I I I . — K . C h r i s t : Quellenstudien zu den Dramen T h . M.s. Straßburger Diss. 1905. — Wilbur Dwight D u n k e l : Th» Dramatic Technique of Th. M. in His Comedies of London Life. Diss. Chicago 1925. — H . J u n g: Das Verhältnis Th. M.s zu Shakespeare. München 1904. — Martin W . S a m p s o n : T h . M. N e w York 1915. — Pauline G. W i g g i n: A n Enquiry into the Authorship of the M. — Rowley Plays. Boston 1897.

M. wurde um 1570, wahrscheinlich in London, als einziges Kind seiner Eltern geboren. Er entstammte einer gebildeten Familie und erhielt eine sorgfältige Erziehung. Ueber sein Universitätsstudium sind zwar unmittelbare Nachrichten nicht vorhanden; aber er spielt so oft und gern in seinen Dramen auf Cambridge an und zeigt eine solche Vertrautheit mit den dortigen Universitätsverhältnissen, daß wir annehmen müssen, er habe in Cambridge studiert. 1593 wurde er Mitglied der Londoner Juristeninnung Gray's Inn; die meisten seiner Dramen bezeugen eine genaue Kenntnis der englischen Rechtsverhältnisse. Er heiratete auch in eine Juristenfamilie hinein, indem er 1602 oder 1603 «) Ward I I 588.

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Mary Morbsck, die Tochter eines der Clerks in Chancery, ehelichte. Seine schriftstellerische Laufbahn läßt sich von etwa 1596 an verfolgen. Viele seiner Dramen sind verloren gegangen; erhalten sind 22, von denen 15 von ihm allein herrühren. Von 1613 bis 1626 schrieb er auch City Pageants. Seine letzten Lebensjahre verlebte er in Newington Butts, wo er auch 1627 gestorben ist. 114. Unter M.s Dramen überwiegen durchaus die Londoner S i t t e n k o m ö d i e n ; in ihnen bedient er sich ausgiebig der Charakteristik durch redende Namen. Unter diesen Stücken ist das älteste Michaelmas Term (1605; 4 0 , 1607), eine drastische lebenswahre Schilderung des Londoner Alltagslebens mit trefflicher satirisch gefärbter Komik. Der Titel bezieht sich auf den Gerichtstermin zu Michaelis (29. Sept.), zu dem die Landbewohner scharenweise in die Stadt zu strömen pflegten. M. macht uns mit den verschiedenartigsten Typen bekannt, mit wohlhabenden Landbesitzern, die in der Stadt Gaunern zum Opfer fallen, mit Bauernfängern, Dirnen und Kavalieren. Held der Haupthandlung ist der Wucherer Quomodo, der sich mit Hilfe zweier Spießgesellen auf betrügerische Weise in den Besitz eines Landgutes des leichtgläubigen Landedelmanns Easy gesetzt hat, aber schließlich gerade durch seine Genossen entlarvt wird. Daß er sich tot stellt, um die Gesinnung seiner Familienangehörigen zu erproben, stellt anscheinend eine Nachahmung von Jonsons Volp. dar. Quomodo überspannt aber bei diesem Versuch den Bogen und verliert seinen ganzen Besitz; denn seine Frau vermählt sich sofort nach seinem vermeintlichen Tode mit Easy und wendet diesem sein Vermögen zu. Schließlich kommt Quomodo wieder zum Vorschein; aber wie nun die verfahrene Situation geklärt wird, geht aus dem hastig gearbeiteten Schluß nicht deutlich hervor. In der Nebenhandlung tritt der Vater eines zur Dirne herabgesunkenen Bauernmädchens, als Diener verkleidet, in ihre Dienste, nach dem Muster des gleichartigen Motivs in Dekkers Whore. 115. A Trick to catch the Old One (1606; 4 0 , 1608) zeichnet sich gleichfalls durch eine lebhafte, sich immer mehr zuspitzende, freilich sehr unwahrscheinliche Handlung aus. Die Moral ist allerdings, wie oft bei M., sehr fragwürdig. Es ist ihm offenbar mehr darum zu tun, zu unterhalten, als Tugend zu lehren, und jener Zweck ist ihm auch vortrefflich gelungen. Es handelt sich hier darum, daß ein Lebemann (Witgood) sich den Klauen von Wucherern glücklich entwindet. Am wenigsten befriedigt wieder der allzu eilige Schluß; auch wird der Gesamteindruck durch eine Ueberladung mit Nebenpersonen beeinträchtigt. 116. A Mad World, My Masters (1606; 4 0 , 1608) versetzt uns wieder in die Welt des Londoner Gaunertums. Die Spitzbuben,

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zu denen auch Follywit, der Enkel des reichen Sir Bounteous Progress, gehört, erscheinen in dessen Hause als Schauspieler verkleidet, um ein Stück The Slip ( = falsche Münze) aufzuführen. Sie behaupten, zur Aufführung allerlei Kostbarkeiten nötig zu haben; diese werden ihnen von Sir Bounteous bereitwillig ausgehändigt. Als sie eben ihr Spiel beginnen wollen, erscheint die Polizei, um sie zu verhaften. Die Gauner knebeln aber die Polizei und verschwinden mit ihrem Raube. Die Zuschauer halten das alles für einen Teil der Aufführung und regen sich daher nicht weiter darüber auf. Als endlich Follywit und Genossen aber doch als Betrüger entlarvt werden, erklärt jener, es sei alles nur Scherz gewesen. Sir Bounteous selbst ist auch keineswegs ein Musterknabe, sondern ein ältlicher Lebemann, der sich eine Maitresse hält. Follywit wird am Schluß gezwungen, diese zu heiraten, und so wird die sittliche Gerechtigkeit notdürftig hergestellt. In der Nebenhandlung des recht unwahrscheinlichen Stückes will ein Wüstling Sir Penitent Brothel durch Vermittlung einer Dirne eine Ehefrau Mrs. Harebrain verführen; er bekehrt sich aber plötzlich und hält nun dieser Dame eine erbauliche Predigt, die von ihrem eifersüchtigen Gatten belauscht wird und diesen von seiner Eifersucht heilt. 117. The Family of Love (1607; 4 0 , 1608) ist eine schwache langweilige Satire gegen eine von dem Delfter Wiedertäufer David George gegründete fanatische Sekte, die sich von Amsterdam aus, wo sie sich besonders festgesetzt hatte, auch nach England verbreitete. Der Hauptvorwurf, der ihren Anhängern gemacht wurde, bezog sich darauf, daß die christliche Liebe für sie nur ein Deckmantel für sinnliche Ausschweifungen sei. M. scheint von den Grundsätzen und Zielen dieser Sekte keine genaue Kenntnis gehabt zu haben; denn er verwechselt sie mit dem allen Bühnendichtern so verhaßten Puritanertum, und benutzt die Satire gegen die Sekte dazu, um jenen eins auszuwischen. 118. Your Five Gallants (1607; 4 0 , 1609), auch wieder eine Gaunerkomödie, ist am Schluß nur lückenhaft überliefert. Die fünf Titelhelden bilden eine Bruderschaft von Landstreichern, die unter der Maske von Lebemännern allerlei Betrügereien verüben. Sie streben alle nach der Hand einer reichen jungen Dame, aber ein Student Fitsgrave schnappt ihnen die erhoffte Beute weg. Sie werden auf die bei M. übliche Weise bestraft, indem sie gezwungen werden, Dirnen zu heiraten. Die ganze Umwelt dieser üblen Gesellschaft wird mit großer Anschaulichkeit und meisterhafter Realistik gezeichnet. 119. A Chaste Maid in Cheapside (1611/13; 4°. i 6 3°) enthält auch wieder eine bunte Reihe komischer Typen: den grünen Cam-

63 bridger Studenten Tim Yellowhammer, der von seinem Lehrer mißleitet wird und schließlich eine wallisische Dirne heiratet, zwei Polizeispione (Promoters), die ihr Amt zu eigener Bereicherung mißbrauchen, einen alten Sünder Sir Walter Whorehound, dessen Liebesverhältnis zu Mrs. Allwit ihr und ihrem Gatten als schmachvolle Einnahmequelle dient und der durch seine plötzliche reuige Umkehr mit dem Verlust dieser Einnahme das würdige Ehepaar am schmerzlichsten trifft, endlich als Titelheldin, deren Keuschheit erprobt wird, Moll, die Schwester Tims. M.s Satire ist hier gallenbitter, seine Lebensauffassung durchaus pessimistisch. 120. No Wit, No Help like a Woman's (um 1 6 1 3 ; 8°, 1657) verdankt seine Haupthandlung den Captivi des Plautus. Ein junger Taugenichts Twilight vergeudet das Geld, das sein Vater ihm zur Befreiung der Mutter und Schwester aus den Händen von Seeräubern anvertraut hat, für sich selbt, heiratet eine schöne junge Dame und bringt sie als angebliche Schwester ins Vaterhaus, indem er zugleich seine Mutter für tot erklärt. Diese kehrt zurück, schont aber den Sohn, indem sie dessen Frau als wiedergefundene Tochter anerkennt. Neue Verwirrung entsteht sodann durch Rückkehr der wirklichen Schwester. Diese gemütlose Fabel wird mit großem Geschick und starker dramatischer Wirkung vorgeführt. In der Nebenhandlung, auf die der Titel hinweist, verkleidet sich Mrs. Lowwater als Galant und sticht als Freier um die Hand der reichen Lady Goldenfleece alle ihre andern vier Bewerber aus. Sie wird als vermeintlicher Mann mit der Lady tatsächlich getraut, und nachdem in der Brautnacht ihr wahres Geschlecht entdeckt worden ist — eine peinliche Szene, deren genauere Ausmalung M. uns nicht erspart — gelingt es ihr noch, ihren Bruder an ihre Stelle zu setzen. 1 2 1 . Anything for a Quiet Life (vor 1626; 4 0 , 1662), eine nachlässige schlecht überlieferte Arbeit, besteht aus einer doppelten unter sich nicht zusammenhängenden Haupthandlung. Lady Cressingham heilt die Verschwendungssucht ihres Gatten, indem sie ihn veranlaßt, in Befriedigung ihrer eigenen kostspieligen Neigungen noch tollere Verschwendung zu üben; der Jurist Knavesby bemüht sich vergeblich, befördert zu werden auf Kosten der Ehre seiner Frau. In der Nebenhandlung wird das Londoner Leben in einer Ueberfülle possenhafter Szenen dargestellt. Bullen (p. L X X X V I I ) und Schelling (Eliz. Dr. I I 244) vermuten, daß das Stück in der uns vorliegenden Gestalt Bearbeitung eines älteren Dramas sei. 122. An der Spitze der r o m a n t i s c h e n K o m ö d i e n M.smit fremdem Schauplatz steht der Zeit nach Blurt, Master Constable; or, The Spaniard's Night-Walk (1600/01; 4 0 , 1602). Aus den No-

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Vellen Bandellos schöpfte er die Gestalt der berühmten römischen Buhlerin Imperia, deren Wohnsitz er nach Venedig verlegt. Er kennzeichnet sie als nicht unedel. Die Schilderung des Treibens in ihrem Hause, wo noch andere Damen der Halbwelt verkehren, zeigt den Dichter schon hier in dem Element, für das er in seinen späteren Stücken eine ganz besondere Vorliebe an den Tag legt. Zu den Anbetern Imperias gehört der Spanier Lazarillo de Tormes, eine vergröberte Nachahmung Armados in LLL. Der einfältige Polizeihauptmann Blurt und seine Wachmannschaft gehören zu den zahlreichen Nachbildungen der Polizeirüpel in Ado, und endlich stoßen wir auch noch auf Anklänge an ein drittes Stück Shakespeares in der List, die Violetta, eine vornehme Venezianerin, wie Helena in Att's, anwendet, um den gefangenen Franzosen Fontinelle, den sie liebt, zu retten. Auf welche Weise diesem die Flucht aus dem Gefängnis gelingt, ist freilich nicht recht klar, wahrscheinlich weil im 3. Akt eine Szene fehlt 49). Der geschicktc Aufbau und die lebhafte Führung der Handlung werden hier an einen der reichen Kunst nicht durchaus würdigen Stoff verschwendet. 123. More Dissemblers besides Women (vor dem Mai 1622 entstanden; 8°, 1657), ist ein sorgfältig ausgearbeitetes Intrigenlustspiel mit Mailand als Schauplatz. Hauptpersonen sind ein salbungsvoller Kardinal, dessen Arglosigkeit sowohl von seinem liederlichen Neffen als auch von der verwitweten Herzogin von Mailand getäuscht wird, dieser Neffe Lactantio, die Herzogin, ein Mädchen, Lactantios Geliebte, das ihn als Page verkleidet begleitet, und ein lustiger Diener Dondolo. Der Titel bezieht sich auf die Intrige, durch welche die Absichten des Kardinals vereitelt werden. Die Entdeckung des wahren Geschlechts des Pagen geschieht mit der für M.s Darstellung heikler Situationen charakteristischen Roheit. Die Charaktere und die Handlung mit ihren vielen Verkleidungen sind typisch für das italienische Lustspiel, das als Grundlage unseres Stückes vorauszusetzen ist, ohne daß eine bestimmte einzelne italienische Quelle dafür nachweisbar wäre. 124. Das originellste und geistreichste aller Dramen M.s, zugleich eines der merkwürdigsten Stücke der ganzen Zeit überhaupt, ist A Game at Chess (1624; gedr. 1625?). In der allegorischen Verhüllung des Schachspiels, die dem Dichter zur Darlegung seiner politischen Ansichten dient, erkennen wir eine Nachwirkung der Moralitäten. Zu Ende der Regierung Jakobs I. wurde das englische Volk sehr aufgeregt durch den Plan einer Heirat des Prinzen «•) Ward II 502.

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Karl, des späteren Königs Karl I., mit einer spanischen Prinzessin; als die Verhandlungen über diesen Plan im Herbst 1623 abgebrochen wurden, herrschte in England, dem Spanien noch immer der Erbfeind war, allgemeine Befriedigung. Diesem protestantischen Empfinden gibt M. im vorliegenden Stücke beredten Ausdruck. Sprecher des Prologs ist Ignatius Loyola, der sich in zynischer Weise über seine eigenen Laster und seine schlimmen Absichten gegen England äußert. Die weißen Schachfiguren stellen die führenden englischen Persönlichkeiten der Zeit dar, die schwarzen ihre spanischen Gegenspieler. Neben dem schwarzen Königspaar stoßen wir auf den schwarzen Turm, der den Premierminister Olivarez, und den schwarzen Springer, der den spanischen Gesandten in London Gondomar bedeutet. A m Schluß wird der schwarze König schachmatt gesetzt und mit allen übrigen schwarzen Figuren in den Sack gesteckt. Das kühne Wagnis einer antispanischen Satire gegen den Katholizismus bekam M. schlecht: auf Antrag Gondomars wurde er, wie es scheint, ins Gefängnis geworfen, zum Glück für ihn nicht auf lange, und die weiteren Aufführungen des Stückes verboten. Viele Anspielungen darin sind uns jetzt nicht mehr ohne weiteres verständlich; wir müssen aber die großartige Grundidee und ihre meisterhafte Durchführung bewundern. Als Quellen hat M. einige politische Flugschriften benutzt 50). 125. The Widow (um 1625; 4 0 , 1652) wird auf dem Titelblatt des ersten Druckes als Werk Jonsons, Fletchers und M.s bezeichnet. Eine Mitarbeiterschaft Fletchers ist nach Fleay abzuweisen; nach ihm ist M. ursprünglich alleiniger Verfasser des Stückes und Jonson nur sein späterer Bearbeiter. In Bullens Exemplar sind die Namen Jonson und Fletcher auf dem Titelblatt ausgestrichen, dagegen in altertümlicher Schrift hinter M. alone hinzugefügt. Schauplatz ist Capo d'Istria und Umgebung. Es enthält weniger anstößige Stellen als die meisten andern Dramen M.s; die Handlung ist sehr klar, spannend und nicht so verwickelt, als das sonst bei ihm der Fall zu sein pflegt. Philippa, die abenteuerlustige junge Gattin des alten Richters Brandino, verwendet diesen selbst, ohne daß er es merkt, als Liebesboten an den jungen Francisco. In der gleichen Nacht, wo sie ihren Liebhaber erwartet, rettet sich ein von Seeräubern ausgeplünderter Jüngling, in Wahrheit ein verkleidetes Mädchen Martia, in ihr Haus, wird von ihr freundlich aufgenommen und mit Kleidern ihres Mannes beschenkt. A m Ende muß aber Philippa auf alle Abenteuer verzichten und zu ihrem Schmerz erleben, daß Francisco sich mit Martia vermählt. M ) Ihr Verzeichnis in Bullens Einleitung zu seiner Ausgabe p. 4. E c k h a r d t , Geschichte des englischen Dramas. 5

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Diese Abenteuer sind aus Boccaccios Decamerone geschöpft. Neben Philippa spielt die vielumworbene Titelheldin Valeria mehr eine Nebenrolle. 126. Die Reihe von M.s T r a g i k o m ö d i e n wird eröffnet durch The Mayor of Queenborough (um 1596; 4°, 1661), das älteste seiner erhaltenen Dramen überhaupt. Das Stück spielt zur Zeit von Hengist und Horsa. Der Titel und die Rolle des Titelhelden sind also grobe Anachronismen; der Dichter überträgt überhaupt seine eigenen Zeitverhältnisse ganz naiv auf die alte Zeit. Wahrscheinlich ist das Stück in der uns vorliegenden Gestalt die etwa 1622 erfolgte Umarbeitung eines älteren Dramas M.s, das von Henslowe als Valteger [ = Vortigern] und als Henges [ = Hengist] zwischen 1596 und 1601 erwähnt wird. Deutliche Spuren unreifen Anfängertums sind die altmodische Technik mit den Pantomimen und mit dem mittelalterlichen Chronisten Raynulph Higden als Sprecher des Prologs, und der hochtrabende Schwulst der tragischen Stellen, der zu der Possenhaftigkeit der komischen Nebenhandlung nur sehr schlecht paßt. Diese gruppiert sich um den Titelhelden, eine clownartige Gestalt, die das Opfer von Gaunem wird. Hauptperson der ernsten Haupthandlung ist der Brite Vortigern, der durch Ermordung des Constantius und durch ein Bündnis mit den Sachsen den britischen Thron erlangt, dann aber von den Britenfürsten gestürzt wird. 127. In The Old Law (1599; 4 0 , 1656), von M., M a s s i n g e r und W. R o w 1 e y , bedeutet der Titel nicht »altes Gesetz«, sondern »Altersgesetz«. In Epirus, dem Schauplatz des Stückes, müssen auf Grund eines solchen neu erlassenen Gesetzes alle alten Leute sterben, die eine bestimmte Altersgrenze überschritten haben. Das Gesetz bringt an einer Reihe von Personen deren wahren, gemeinen oder edlen Charakter unverhüllt zum Vorschein. A m Schluß wird noch rechtzeitig verkündet, ehe Unheil geschehen und das Gesetz wirklich angewandt worden ist, es sei nur zum Scheine erlassen worden, um die Tugend der Bewohner des Landes zu erproben. Der Stoff, der zu merkwürdigen Situationen führt, ist mehr sonderbar als anziehend. Eine eigentliche Quelle für das Stück ist nicht bekannt. Die reichliche Komik, deren Hauptschöpfer wir wohl in Rowley erblicken dürfen, ist zu sehr stofflich getrübt, um wirklich genießbar zu sein. Massinger war zur Zeit der ersten Entstehung des Stückes erst 16 Jahre alt; er kommt daher nur als späterer Bearbeiter, etwa um 1630, in Betracht. 128. The Phoenix (um 1604/06; 4 0 , 1607) spielt in Ferrara. Der Titelheld, Sohn des dortigen Herzogs und Thronerbe, wandert wie Harun-al-Raschid verkleidet im Lande umher und entdeckt dabei die schlimmsten Mißbräuche und Verbrechen, eine An-

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lehnung an Shakespeares Meas. A m Schluß erscheint der Prinz in seiner wahren Gestalt, u m die von ihm ertappten Uebeltäter zu entlarven. Die bürgerlichen Personen des Stückes sind trotz ihrer zum Teil italienischen Namen echt englische T y p e n : der spitzbübische Richter Falso, der bei der Verhandlung gegen einen Angeklagten diesen begünstigt, weil er zuvor von ihm bestochen worden ist, ein Hauptmann, der seine eigene Frau an einen Höfling verkauft und über den Verkauf eine besondere Urkunde aufsetzen läßt, ein Rechtsanwalt Tangle, der sich beständig in juristischen Fachausdrücken bewegt und eine wahre Leidenschaft für Prozesse hat. Das sehr lebendige Stück ist im Kerne eine Darstellung von Mißständen des Rechtslebens; M.s Juristerei offenbart sich hier besonders deutlich. 129. In A Fair Quarrel (1616; 4°, 1617) stoßen wir wieder auf W. R o w 1 e y als Mitarbeiter M.s. Die Haupthandlung, wahrscheinlich von M., wirkt unnatürlich und abstoßend. Der Hauptmann Ager ist von einem Obersten son of a whore geschimpft worden. Er empfindet das zwar als schwere Beleidigung, erkundigt sich aber tatsächlich bei seiner Mutter, ob er ihr ehelicher Sohn sei. L a d y Ager ist anfangs empört, behauptet aber dann fälschlicherweise, er sei ein uneheliches Kind, nur um den Sohn, der eben aus dem Kriege heimgekehrt ist, vor einem Zweikampf zu bewahren. Die vermutlich von Rowley verfaßte Nebenhandlung enthält, im Anschluß an Cinthios Hecatommithi, eine Intrigenkomödie : ein Arzt, Jane Russell und ihr heimlicher Gatte Fitzallen haben die Hauptrollen inne; der Arzt ist der Intrigent, der Jane nachstellt; zugleich wird er durch seine unverständliche Fachsprache als komische Gestalt gekennzeichnet. Eine zweite Nebenhandlung ahmt eine Episode in Jonsons Epic. nach: der cornische Junker Chough und sein Diener Trimtram wollen in London das Roaring erlernen. Diese Kunst wird dem Junker in der Form eines komischen Kauderwelsch beigebracht; er lernt gründlich den Gebrauch der sonderbarsten Schimpfwörter. Eine Szene, in der ein Kuppler und zwei Dirnen vorkommen (IV 4), ist für die Gesamthandlung ganz bedeutungslos, und offenbar nur eingefügt, weil M. gewohnt war, in allen seinen häuslichen Sittendramen Kuppler und Dirnen auftreten zu lassen. 130. Auch The Spanish Gipsy (1623; 4°, 1653) ist das gemeinsame Werk M.s und W. R o w 1 e y s. Der Stoff ist zwei Erzählungen des Cervantes entnommen: 1. La fuerza de la sangre; 2. La giianilla. Fletchers Einfluß zeigt sich in der Wahl eines spanischen Stoffes und in dessen Behandlung. Die erste Erzählung, in unserem Stück die Nebenhandlung, betrifft die Schändung einer reinen Jungfrau, wobei der Uebeltäter auf eigenartige Weise entdeckt 5*

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wird. Der Stoff der Haupthandlung ist uns auch aus Pius Alex. Wolfis Preciosa bekannt. Die Zigeuner sind in Wirklichkeit vornehme Spanier in Verkleidung; ihr wahrer Charakter kommt bei einer Theatervorstellung heraus, die sie im Hause des Corregidors von Madrid, des Vaters der Constanza, geben, die sich als Zigeunerin Pretiosa nennt. Der Corregidor will durch die Vorstellung seinem liedeilichen Sohne Roderigo eine Lehre erteilen, weiß aber nicht, daß dieser einer der Mitspieler unter den verkleideten Zigeunern ist, und verfehlt so seine Absicht. Das Stück fesselt trotz der sehr unwahrscheinlichen Handlung durch seine Frische und Lebendigkeit. Nach Bullen (Introd. p. L X X ) sind die Zigeunerszenen größtenteils Rowlevs Werk. 131. The Witch (um 1623 ?, Hds., erster Druck von R e e d , 8U, 1778) berührt sich in den Beschwörungsszenen der Hexen stofflich mit Shakespeares Mach. Die Bühnenanweisungen dieses Stückes enthalten Anspielungen auf zwei Lieder, die M. in vollem Wortlaut in Witch eingefügt hat. Wahrscheinlich sind es damals allgemein bekannte Volkslieder, die weder Shakespeare noch M. verfaßt hat. Eine Abhängigkeit Shakespeares von M. anzunehmen, geht schon aus chronologischen Gründen nicht an, obgleich die Entstehungszeit von Witch schwer genau zu bestimmen ist. Im übrigen ist M.s Drama von dem Shakespeares völlig verschieden: es spielt in Ravenna und Umgegend. Die Handlung verknüpft eine romantische Erzählung Belleforests mit einer Zaubergeschichte aus Reginald Scots Discovery of Witchcraft, die ihrerseits auf den Maleficiae des deutschen Dominikaners Nider beruht 51 ). Aus Belieferest stammt wohl der Zug, daß der Herzog von Ravenna seine Gemahlin aus dem Schädel ihres eigenen Vaters, seines von ihm erschlagenen Feindes, trinken lassen will, eine Erneuerung der wohlbekannten Geschichte v o m Langobardenkönig Alboin und seiner Gattin Rosamunde. 132. Von den beiden einzigen erhaltenen T r a u e r s p i e l e n M.s ist das ältere Women beware Women (1612; 4 0 , 1657). Die Haupthandlung schildert die Laufbahn einer geschichtlichen Persönlichkeit, der berüchtigten Bianca Capello. Sie ist die Geliebte des Herzogs von Florenz und die Gattin Leantios, der sich für ihre Liebschaft bezahlen läßt. Sie will den Bruder des Herzogs, einen Kardinal, vergiften, weil er ein Gegner ihrer Verbindung mit dem Herzog ist. Durch ein Versehen wird aber statt des Kardinals der Herzog selbst vergiftet, und nun begeht Bianca Selbstmord. Die Hauptkatastrophe, die über die übrigen Personen am Schluß hereinbricht, wird durch ein eingelegtes Maskenspiel herbei51 )

Schelling, Eliz. Dr. I 361.

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geführt. Die Nebenhandlung schildert das blutschänderische Verhältnis Hippolitos zu seiner Nichte Isabella, im Anschluß an einen Roman Hippolito and Isabella. Das Stück beginnt mit einer zwar groben, aber sehr wirksamen Komik, endet aber mit düsterster Tragik. Der abstoßende Stoff wird mit einer erschütternden Realistik vorgeführt. 133. The Changeling (um 1621/23; 4°, 1653), ebenfalls von M. und W. R o w 1 e y , schöpft den tragischen Stoff der Haupthandlung aus Reynolds' God's Revenge against Murder. Die schöne Beatrice-Joanna, die Tochter des Gouverneurs von Alicante, will mit Hilfe des De Flores ihren Verlobten Alonzo beseitigen, um den von ihr geliebten Alsemero heiraten zu können. Dabei verabscheut sie den abschreckend häßlichen widerwärtigen De Flores; um aber ihr Ziel zu erreichen, überwindet sie ihren Abscheu. Nach Alonzos Ermordung trifft sie aber die gräßlichste Strafe: De Flores erzwingt von ihr als Lohn für sein in ihrem Dienst begangenes Verbrechen in einer großartigen Szene, daß sie sich ihm selbst preisgibt. Schließlich finden beide ein schreckliches Ende. Die Nebenhandlung spielt in einem Irrenhause. Der alte, auf seine junge Frau eifersüchtige Irrenarzt Alibius, Isabella, seine junge Frau, die einen andern liebt, Antonio, dieser andere (der Titelheld), der sich blödsinnig stellt, um ins Irrenhaus zu kommen, und so sein Zusammentreffen mit der Geliebten herbeiführt, der Diener Lollio als Mitwisser und Vermittler ihrer heimlichen Liebe, alle diese Gestalten machen den Eindruck von Typen des romanischen Dramas. Eine romanische Quelle für diese Nebenhandlung läßt auch der Schauplatz Alicante vermuten. Sie ist wahrscheinlich Rowley zuzuschreiben, während die ergreifende Haupthandlung ein Meisterwerk M.s ist. 134. Das höfische M a s k e n s p i e l The World Tossed at Tennis (1620; 4 0 , 1620) von M. und W . R o w l e y schildert, wie die Welt wie ein Tennisball zwischen den verschiedenen Berufsarten hinund hergeschleudert wird, bis sie schließlich dem Herrschertum zufällt, wohin sie auch am ehesten gehört. Das Ganze läuft also auf eine Huldigung für den Herrscher hinaus. Ueber Roar. und Whore s. Dekker § 75 und 77. 135. Thomas M i d d l e t o n war ein Dramatiker von vielseitiger Begabung, ein biegsames Talent. Er ist zunächst der Schilderer des Londoner Lebens; als solcher stellt er nicht, wie Dekker und Th. Heywood, die Lichtseiten dieses Lebens dar, sondern betont mit realistischer Schärfe mehr seine Schattenseiten. Er bezeichnet das Laster in seiner ganzen nackten Häßlichkeit, ohne jeden Versuch einer Beschönigung, aber auch ohne Jönsons verzerrende Uebertreibung. Ausschweifende Kavaliere,

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Wucherer, Gauner, Dirnen und deren Opfer kehren in seinen Sittenkomödien immer wieder. E r verfolgte aber mit seinem rücksichtslosen Realismus keinerlei sittliche Ziele, sondern wollte nur unterhalten. Wir werden daher den Verdacht nicht los, daß der Schmutz, dem er in seinen Dramen so viel Raum gewährt, für sein Publikum ein sinnlicher Kitzel sein sollte. Es ist schade, daß er seine große Begabung vielfach auf unwürdige Stoffe verschwendet hat. Er besaß Witz, Gestaltungskraft, Bühnenerfahrung, Geschick i m Aufbau einer straffen spannenden Handlung, aber wenigstens in der früheren Zeit seines Wirkens, nur selten guten Geschmack. Seine Kunst beruht auf einer im wesentlichen pessimistischen zynischen Weltansicht. Eine reine Frauengestalt, die ihre Reinheit allen Angriffen gegenüber siegreich behauptet, begegnet kaum unter den Hauptpersonen seiner Stücke. Heikle Situationen behandelt er nicht mit Zartheit, sondern mit abstoßender Roheit. So war seine Größe, trotz seiner Vielseitigkeit, doch begrenzt; die Höhe wahrer Kunst hat er nicht erreicht. In seiner späteren Zeit wandte er sich, unter dem Einfluß Fletchers und seines Mitarbeiters W . Rowley, mehr dem romantischen Drama zu; hier verfeinert sich seine Kunst, und die Roheit seiner älteren Stücke erscheint gemildert. Gipsy, Beware und Changel gehören zu seinen Meisterwerken. 136. Die meisten Dramen M.s bestehen aus zwei Handlungen, die er gewandt zu verbinden weiß. Seine Erfindungsgabe bewährt er weniger in der Erfindung neuer Motive als in der Verknüpfung althergebrachter zu neuen Wirkungen 62). Seine Verse sind durchweg fließend, seine Prosa lebendig und natürlich. In den früheren Dramen ist der Versbau regelmäßiger; in seiner späteren romantischen Zeit gestattet er sich unter Fletchers Einfluß größere Freiheiten, und ahmt diesen Dichter auch in seinen zahlreicher werdenden Elfsilblern nach. — Wie Dekker und Th. Heywood war M. ein eifriger Protestant, was besonders Chess bezeugt. G. William Rowley

(1585?—1642).

137. Charles Wharton S t o r k : W . R. In: Publ. of the Univ. of Pennsylv., Ser. in Philol. & Lit. Vol. 13 (1910), p. 5—68. — W i g g i n , s. Middleton § 113.

Von W . R.s Leben ist sehr wenig bekannt. Ob er mit Samuel R. verwandt war, ist ungewiß. Wir wissen nur, daß er etwa von 1607 bis 1627 Schauspieler, und zwar Komiker war, und daß er sich spät, erst 1637, verheiratet hat. Als Dramendichter war er sehr fruchtbar: ihm werden 55 Stücke zugeschrieben. Von diesen sind M)

Creizenach V 311.

G.

WILLIAM

ROWLEY.

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aber nur fünf erhalten, die er allein verfaßt hat. Bekannter ist er als Mitarbeiter anderer Dramatiker; als solcher war er an 14 erhaltenen Stücken beteiligt. Besonders häufig hat er, wie wir gesehen haben, mit Middleton zusammengewirkt. 138. A Shoemaker a Gentleman (vor 1610; 4 0 , 1638). Hg. von S t o r k , s. § 137. SA. G. hat mit Dekkers Shoem. die Quelle gemeinsam, greift aber in eine viel frühere Zeit zurück. E s ist in der Haupthandlung «ine Dramatisierung der Legende v o m hl. Crispinus und seinem Bruder Crispianus, im Anschluß an Deloneys gleichnamige Erzählung in The Gentie Craft. R. macht die beiden zu Söhnen eines britischen Königs Allured [ = Alfred ?]; ihre wirklichen Namen sind Offa und Elred. Sie werden vom spätrömischen Kaiser Maximinus verfolgt. Offa tritt unter dem Namen Crispinus bei einem Londoner Schuhmacher in die Lehre, gewinnt aber am Schluß nach wechselvollen Abenteuern die Hand der Tochter jenes Kaisers. In der Nebenhandlung wird eine andere Erzählung aus The Gentie Craft verwertet: die Legende vom hl. Hugo, dem wallisischen Prinzen Hugh, der eine wallisische Jungfrau Winifred liebt und ebenfalls Schuhmacher wird. Winifred wird als Christin hingerichtet, darf sich aber ihre Todesart selbst wählen. Sie wählt den Tod durch Verblutung. Hugh wird von Maximinus gezwungen, ihr vergiftetes Blut zu trinken und stirbt gleichfalls. In seiner Abschiedsrede gibt er noch dem Schuhmacherhandwerk den Namen Gentie Craft, weil er als Prinz auch dazu gehört habe. Das Stück mit seinem pseudogeschichtlichen Durcheinander ist eine Kreuzung von Dekkers Shoem. und Th. Heywoods Prent.', der Stil rohen Bänkelsängertums wird hier auf das Drama übertragen, und Dekkers gemütvolle Schilderung von Londoner Schuhmachern in Anpassung an den Geschmack der Gründlinge des Theaters vergröbert. Die Ungleichmäßigkeit der Stoffbehandlung sowie die sonderbare Mischung von rauher Realistik und ungeheuerlicher Romantik verraten noch die Unreife dichterischen Anfängertums. Das Stück nennt sich comedy, ist aber reich an blutigen Greuelszenen, die mit possenhafter Komik abwechseln, so daß ein geschmackloser Mischmasch entsteht. Ueber Merl. (1622/23) s- Pseudo-Shakespeare R H R § 553. 139. A Match at Midnight (1623; 4 0 , 1633; Dodsley 4 X I I I ) ist eine possenhafte Londoner Sittenkomödie, im Stile von Middletons älteren Lustspielen. Die Situationskomik ist nicht ungeschickt, bewegt sich aber in eingefahrenen Geleisen. Trotzdem London der Schauplatz ist, weisen der Stoff und die Art seiner Behandlung auf ein romanisches Muster hin: ein Vater (Bloodhound), der seine Tochter (Moll) mit einem reichen Greise verheiraten will,

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II.

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während sie einen armen jungen Mann liebt; der vertraute Diener (Sim) heimlich im Dienste der Jugend tätig und die Fäden lustig verwirrend; am Schluß ein tolles Durcheinander von Verwechslungen, wobei natürlich die Jugend zu ihrem Rechte kommt, nicht nur im Falle der Tochter, sondern auch indem ein Sohn Bloodhounds (Tim) seinem Vater die Witwe wegschnappt, die dieser selbst heiraten wollte. 140. A New Wonder, a Woman never Vexed (nach 1630; 4 0 ,1632; Dodsley 4 XII) ist, trotzdem König Heinrich III. von England S3) und mehrere Personen des hohen Adels darin vorkommen, ein bürgerliches Familienlustspiel, mit einer etwas dick aufgetragenen Rührseligkeit. 141. All's Lost by Lust (um 1623; 4 0 , 1633; hg. von S t o r k , vgl. § 137), das einzige erhaltene Trauerspiel R.s, behandelt einen Stoff, den später auch Scott, Southey und Landor verwertet haben. Den geschichtlichen Hintergrund bildet die Zeit des letzten westgotischen Königs in Spanien, Roderich, der von den Mauren geschlagen und vertrieben wurde. Der orientalische Einschlag, den das Stück durch das Hineinspielen der Mauren in die Handlung erhält, macht sich in den für derartige Dramen üblichen Greueln geltend. R. schöpfte hier aus Werken über spanische Geschichte. Die Nebenhandlung von Margarettas Rache stammt aus einer Erzählung Langbaines The JJnfortunate Lovers. Ein LukretiaMotiv ist der Zug, daß ein Vater (Julianus) seine eigene Tochter (Jacinta) ersticht, um sie vor der Schande zu bewahren, die der Maurenkönig ihr bereiten will. Als Charaktere begegnen die in romantischen Dramen üblichen Typen: der wollüstige Tyrann (Roderigo), der humoristische Höfling (Lothario), der tapfere Soldat (Julianus), der falsche Liebhaber und sein noch falscherer Freund, die keusche Jungfrau (Jacinta) und die verlassene Geliebte (Margaretta). R. entfaltet hier als tragischer Dichter eine rauhe ungestüme Kraft. Ueber R. als Mitarbeiter Th. Heywoods s. Land § 99, Middletons s. Old § 127, Quarr. § 129, Gipsy § 130, Changel. § 133 und Tennis § 134, Fletchers s. Mill § 186, Massingers s. Pari. L. § 213 ?, Websters s. Thrac. § 234, Cuck. § 235, Days s. Travels § 251, Fords s. Witch. Edm. § 300. 142. Aus den wenigen Stücken, die William R o w 1 e y allein verfaßt hat, läßt sich deutlich seine künstlerische Eigenart erkennen, die dann auch in den Dramen beobachtet werden kann, an denen er nur als Mitarbeiter beteiligt war. Unter seinem Einfluß ging Middleton von der Londoner Sittenkomödie zum roman") Gemeint ist offenbar Heinrich VI., da auf Personen und Ereignisse aus seiner Regierungszeit angespielt wird.

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tischen Drama über; er hat auch bewirkt, daß Middletons dramatische Hauptmängel später gemildert erscheinen. In den Stücken, die er zusammen mit Middleton schrieb, stammt aus seiner Feder meist die komische Nebenhandlung. R. war gewiß kein großer Dichter; aber seine Tätigkeit als Schauspieler kam auch seinen Dramen zugute. Er besaß Bühnenerfahrung, und einen praktischen Blick für starke Wirkungen, besonders für eine kräftige, wenn auch oft unfeine Komik. Aber auch im Trauerspiel wußte er zu packen. Seine schwache Seite ist die Verstechnik; seine Verse sind oft holprig und nachlässig gebaut. Er läßt die Form der Rede allzusehr hinter den Inhalt zurücktreten; doch ist zu bedenken, daß die Ueberlieferung seiner Stücke sehr mangelhaft ist. Sein Hauptfehler ist die große Ungleichmäßigkeit seiner Kunst. H. Francis Beaumont und John Fletcher. 143. The Works. Variorum Edition. In 12 vols. London 1904 f f . — Works with an Introduction by Gge. D a r l e y . 2 vols. London o. J. — The Works. The T e x t ed. b y Arn. G l o v e r and A. W a l l e r . In 10 vols. Cambridge 1905—1912. — Ed. by Felix E. S c h e l l i n g. N e w York, Cinncinati, Chicago 1912. — Charles Mills G a y l e y : B. the Dramatist. New York 1914. — O. L. H a t e h e r : J. Fl. A Study in Dramatic Method. Diss. Chicago 1906. — G. A. J a c o b i: Die Frauengestalten der B.-Fl.schen Dramen. Diss. Halle 1909. — Henry Jacob M a k k i n k : Philip Massinger and J. Fl. Diss. von Amsterdam 1927. — E . H . C. O Ii p h a n t : The Plays of B. and Fl. N e w Häven 1927 (konnte von mir nicht mehr benuzt werden). — Otto U l r i c h : Die pseudohistorischen Dramen B . s und Fl. s Thierry, Yalent., Proph. und False und ihre Quellen. Diss. Straßburg 1913.

B. und Fl. unterscheiden sich von den bisher besprochenen Dramendichtern sehr wesentlich dadurch, daß sie ihrer Herkunft nach zur gesellschaftlichen Oberschicht gehören, während jene höchstens, wie Marston und Middleton, aus dem gebildeten Mittelstand hervorgegangen sind. 144. Francis B. wurde um 1585 geboren als Sohn des Sir Francis B. von Grace-Dieu in Leicestershire. Er studierte zu Oxford, wurde 1600 Mitglied der Londoner Juristeninnung des Inner Temple, heiratete 1612 oder 1613 Ursula Isley, eine reiche Erbin, starb aber schon 1616, erst 3ijährig. — John Fl. wurde 1579 zu Rye in Sussex geboren als Sohn eines Geistlichen, der später zur Würde eines Bischofs von London emporstieg. Dieser Vater starb 1596 und hinterließ eine zahlreiche Familie in recht ungünstigen Vermögensverhältnissen. Wahrscheinlich wurde Fl., der in Cambridge studiert hatte, durch die Not gezwungen, sich der Schriftstellerei als Broterwerb zu widmen. Ob er verheiratet war, ist unsicher. Er starb 1625 an der Pest. 145. 1647 erschien in Folio die erste 34 Stücke enthaltende Gesamtausgabe der Dramen unter den Namen der beiden Dichter.

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Die nächste Gesamtausgabe von 1679, ebenfalls in Folio, enthielt schon 52 Dramen. Die kurze Lebensdauer B.s gestattet es nicht, ihm auch nur eine Mitarbeit an allen diesen 52 Dramen zuzuschreiben ; außerdem ist ein Teil von ihnen erst nach seinem Tode entstanden. Es ist aber nicht leicht, auch bei den Stücken, an denen B. wirklich beteiligt war, die Anteile der beiden Dichter streng zu scheiden. Gayley, der beste Kenner B.s, nimmt an, daß, ehe sie sich zu gemeinsamer Arbeit verbunden hätten, B. allein Wom.-Hat. und Pestle, Fl. allein Prize und Sheph. geschrieben habe 54 ). 9 Stücke betrachtet er als ihre gemeinsame Arbeit: Cure, One, King, Scornf., Coxc., Cup. Rev., Philast., Maid's Trag. und Capt. Die übrigen Dramen der Folio II seien Fl. allein zuzuschreiben; bei einigen nimmt Gayley (p. 233) eine Mitarbeiterschaft M a s s i n g e r s an. 146. Die Zusammenarbeit der beiden Dichter beruhte auf ihrer vertrauten persönlichen Freundschaft; sie lebten in London sogar in Gütergemeinschaft zusammen 65 ). Sie fühlten sich zueinander hingezogen durch seelische Wahlverwandtschaft, durch Aehnlichkeit ihrer Weltanschauung und Geschmacksrichtung; daher bedeutet ihr gemeinsames Wirken keine bloß äußerliche Gemeinschaft, sondern eine wirkliche innere Verbundenheit. Ihr Verhältnis ist also viel enger als das der übrigen Dichter jener Zeit, die sich nur gelegentlich zu gemeinsamer Abfassung einzelner Stücke vereinigten. Ihre Verbindung umfaßt die Zeit von etwa 1607 bis 1616. Beide gingen ursprünglich unabhängig voneinander von der Nachahmung der Jonsonschen satirischen und Sittenkomödie aus; auch dieser Umstand hat offenbar dazu beigetragen, sie zusammenzuführen 58 ). a) Häusliche Sittenkomödien. 147. The Woman's Prize; or, The Tamer Tamed (1606; 2°, 1647) zeigt schon durch den Titel, daß es ein Gegenstück zu Shakespeares Shrew B. darstellt. In beiden Dramen treten zum Teil dieselben Personen auf; die italienischen Namen passen allerdings nur schlecht zu London als Schauplatz. Petruchios erste Frau Katharina ist gestorben; nun wird er selbst von seiner zweiten Frau, einer Engländerin, gezähmt. Das Stück beginnt mit dem ersten Tage dieser zweiten Ehe, wobei die bis dahin ganz schweigsame Maria eine plötzliche Beredsamkeit entfaltet, ähnlich wie Epicoene bei Jonson. Auch die Bianca-Episode bei Shakespeare M) Fl. in *•) M)

p. 72. Bei Wom.-Hat. vermutet Gayley eine Ueberarbeitung durch 3 Szenen. Macaulay, Cambr. Hist. V I m . Creizenach V 341.

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wird durch die sich um Livia und ihre Freier gruppierende Handlung nachgeahmt, wobei Livia, wie Bianca, ihren Vater überlistend, gegen dessen Willen den ihr selbst erwünschten Freier gewinnt. Es liegt größtenteils rein possenhafte Situationskomik vor, die aber recht wirkungsvoll ist. 148. Wit at Several Weapons (1608/09; 2°, 1647), wohl von Fl. allein, behandelt das beliebte Thema vom betrogenen Betrüger. Ein Vater, Sir Perfidious Oldcraft, lehrt seinen Sohn Wittypate, ohne eigenes Vermögen durch Prellereien auf fremde Kosten zu leben; der Sohn aber wendet die erhaltenen Lehren gegen den eigenen Vater an. Der alte Gauner erleidet auch mit seinem Plane, das Vermögen einer wohlhabenden Nichte an sich zu bringen, infolge ihrer Schlauheit jämmerlich Schiffbruch. 149. The Scornt'ul Lady (um 1609/10; 4 0 , 1616) ist ein Londoner Sittenstück mit verbrauchten Situationen. Der Hauptmann, ein schmarotzerischer Begleiter des jugendlichen Verschwenders Loveless, ist eine armselige Nachahmung Pistols; der puritanisch angehauchte Hausverwalter Savil erinnert an Malvolio. Aus den Adelphi des Terenz stammen die beiden Brüder Loveless, die eine Hauptrolle spielen. Die Gestalt des Wucherers Morecraft wurde durch die des Demea im gleichen Stücke des Terenz angeregt; seine Umwandlung in einen freigebigen Mann am Schluß eis:heint uns als eine psychologische Unmöglichkeit. Die gewandte Technik der beiden Dichter offenbart sich aber in dem geschickten Aufbau und der flotten Führung der lebhaften, wenn auch unfeinen Handlung. 150. Monsieur Thomas (nach 1610; 4 0 , 1639) hat eine doppelte Handlung. Die eine ist eine tolle Verkleidungs- und Verwechslungskomödie mit wirksamer, wenn auch possenhafter Situationskomik. Ihren Mittelpunkt bilden die dummen Streiche des Titelhelden, eines jungen englischen Taugenichtes, der sich Monsieur nennen läßt, weil er in der Fremde gewesen ist. Die Situationen, die dabei entstehen, verdankt Fl., den wir wohl als alleinigen Verfasser dieses Stückes betrachten dürfen, dem Decamerone57). Die tollen Ausschweifungen des Titelhelden sind ein getreues Spiegelbild der zunehmenden Lasterhaftigkeit der vornehmen Kreise zur Zeit der ersten Stuarts. Fl. zeigt sich hier neben Middleton als ein Hauptvertreter der literarischen Dekadenz. Er schildert die verfänglichsten Situationen im Tone übermütigster Ausgelassenheit. — Die zweite Handlung hat einen ernsteren Charakter; ihren Kern bildet ein Kampf zwischen Freundschaft und Liebe in der Seele eines älteren Mannes (Valentine), wobei die Freund") Koeppel A 95 ff.

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schaft den Sieg davonträgt. Diese Geschichte stammt ursprünglich aus Plutarch, von dem sie Bandello und Painter übernommen hatten. 151. Wit without Money (nach August 1614; 40, 1639), wohl auch von Fl. allein, erneuert in der Gestalt Valentines den Typus des glänzenden Lebemanns von der Art des Monsieur Thomas. Neben ihm steht sein leichtsinniger jüngerer Bruder Francisco. Beide sind verarmt, gelangen aber zu Reichtum und Ansehen durch die Heirat mit zwei wohlhabenden Schwestern. Für die Magerkeit der Handlung entschädigen uns die Witzgefechte der beiden Paare, die das Stück zu einem der besten Lustspiele der Zeit machen. Eine Quelle ist bisher nicht ermittelt worden; wahrscheinlich hat der Dichter die Handlung selbst erfunden. 152. The Night-Walker; or, The Little Thief (ursprünglich 1614; 4°, 1640), ist in der jetzigen Gestalt wahrscheinlich die spätere Bearbeitung eines von Fl. unvollendet hinterlassenen Stückes durch J. S h i r 1 e y. In der verwickelten und zum Teil sehr unwahrscheinlichen Doppelhandlung begegnet eine Reihe wohlbekannter Motive. Die Gestalt der Maria, die einer verhaßten Heirat mit dem Wucherer Algripe durch eine scheintodartige Ohnmacht entgeht und am Schluß nach mancherlei Zwischenfällen mit dem Geliebten ihres Herzens (Frank Heartlove) vereint wird, entstammt einer Novelle Bandellos. Der kleine Dieb der zweiten Gruppe von Personen ist Alathe, ein als Knabe und Diener ihres liederlichen Bruders Lurcher verkleidetes Mädchen. Sie will ihn mit Hilfe ihrer Verkleidung vor dem Verderben bewahren, und zugleich auch den ihr ungetreuen Bräutigam Algripe zurückgewinnen. Es wirkt befremdlich, daß ihr an der Liebe einer so abstoßenden Persönlichkeit gelegen ist. Die beiden Handlungen werden auf sonderbare Weise verknüpft: Lurcher und die verkleidete Alathe stehlen den Sarg mit der vermeintlichen Leiche der Maria; diese erwacht und die Diebe fliehen entsetzt. Die eigentümliche Mischung von geschmackloser Posse und Schauerlichkeit wirkt wenig erfreulich. b) Rein satirische Lustspiele. 153. The KnightoftheBurningPestle (1607/08; 4 0 ,1613). Einzelausgaben von C . M . E d m o n t o n , London 1924; Herb. S. M u r c h , New York 1908; W. T. W i 11 i a m s , London 1924. Pestle ist eine sehr witzige Verspottung der längst überlebten Ritterromantik. Der Spott wurde schon von Jonson durch die Gestalt Puntarvolos in Out vorbereitet, vor allem aber durch den Don Quixote nahegelegt. Das ganz eigenartige originelle Stück ist ein satirisches Meisterwerk. Die sehr ergötzliche und wirksame

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Komik beruht wie in jenem Roman darauf, daß immer wieder die hochtrabende Romantik mit der rauhen Wirklichkeit zusammenstößt. Der Spott richtet sich gegen die alberne Romantik in Stücken wie Th. Heywoods Prent., die das Rittertum auch den Londoner Spießbürgern mundgerecht machen wollten, und gegen die Vorliebe der Londoner Bürger für Ritterromane. Hauptperson ist der Lehrling Ralph; das Lesen solcher Romane hat sein Gehirn so verwirrt, daß er als abenteuernder Ritter in die Welt hinauszieht und die alltäglichsten Dinge in romantischer Verklärung erblickt. Im Vorspiel und später im eigentlichen Drama befinden sich der Bürger, bei dem Ralph Lehrling ist, und seine Frau als Zuschauer auf der Bühne. Eine romantische Ironie wie in Tiecks Dramen liegt darin, daß das Ehepaar Schein und Wirklichkeit nicht unterscheiden kann und immer wieder die Aufführung durch Zwischenrufe unterbricht. c) Romantische Lustspiele. 154. Im Prolog zu The Woman-Hater (1606; 4 0 , 1607) ist von einem einzigen Verfasser dieses Stückes die Rede, und zwar sei er derselbe, der Evadne und Aspatia (in Maid's Trag.), Arethusa (in Philast.) und Panthea (in King) gezeichnet habe. Dies sind alles von B. und Fl. gemeinsam verfaßte Stücke. Wir dürfen annehmen, daß B. der Schöpfer der genannten Rollen sei und in ihm auch den alleinigen Verfasser des vorliegenden Stückes vermuten. Es ist sein dramatisches Erstlingswerk. Oriana, die Schwester des Grafen Valore, drängt sich dem Weiberfeind Gondarino geradezu auf. Dieser behauptet dem Herzog von Mailand gegenüber (hier ist der Schauplatz des Stückes), sie habe sich ihm hingegeben, und macht dies wahrscheinlich dadurch, daß er die Ahnungslose in ein Bordell bringt und hier dem Herzog zeigt. Um ihre Keuschheit auf die Probe zu stellen, wird ihr in einer späteren Szene vom Höfling Arrigo mitgeteilt, er müsse sie töten, wenn sie ihm nicht willfährig sei; sie weigert sich aber dessen trotz der Todesdrohung. Der Herzog hat das ganze Gespräch heimlich belauscht und erklärt nun Oriana für rein und keusch. Dieser zum Teil an Tragik streifende widerliche Stoff wird ganz im Tone eines Lustspiels behandelt. Ein großer Teil des sehr unwahrscheinlichen Stückes ist in Prosa abgefaßt. Die Nachahmung von Jonsons ÄMmottr-Komödie tritt vor allem in der Gestalt des Titelhelden hervor, dessen einzige Charaktereigenschaft die Marotte der Weiberfeindschaft ist. In der ergötzlichen Nebenhandlung, die aber mit dem übrigen Drama nur sehr mangelhaft verbunden ist, wird im Anschluß an eine Anekdote in der Schrift des Paulus Jovius De romanis piscibus ein Feinschmecker Lazarillo vorge-

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führt, der auf einen bestimmten Leckerbissen versessen ist, einen Fischkopf, und schließlich sogar eine Dirne heiratet, nur um zum Genuß des ersehnten Gaumenkitzels zu gelangen. Auch Lazarillo gehört zu den Vertretern eines humour im Sinne Jonsons. Kennzeichnend für B. und auch für Fl. ist aber die Ueberleitung dieser humours auf das Gebiet der Romantik. 155. Love's Cure; or, The Martial Maid (um 1606/08; 2°, 1647) gehört zu den Verwechslungskomödien; die immer beliebter werdende Vertauschung der Geschlechter wird hier auf ein Geschwisterpaar angewandt. Lucio, der Sohn des spanischen Granden Don Alvarez, trägt auf Anordnung seiner Mutter Frauenkleider, um den Nachstellungen der Feinde seines Vaters zu entgehen; seine Schwester Clara, die Titelheldin, geht in Männerkleidern einher, weil sie im Kriegslager aufgewachsen ist. Das wirkliche Geschlecht der beiden kommt durch die Liebesleidenschaft zum Vorschein, der die Geschwister verfallen. Die Situation ist sehr gekünstelt und unwahrscheinlich, und gibt Anlaß zu ganz schablonenhaften unrealistischen Antithesen. 156. The Coxcomb (1610?; 2°, 1647) versetzt auch wieder Personen mit meist italienischen Namen auf einen englischen Schauplatz (London). Die komische Haupthandlung, wahrscheinlich hauptsächlich von Fl., entfaltet wirksame Realistik bei der Vorführung eines Kesselflickers und seiner Geliebten sowie bei der Darstellving des Bauernlebens. Zur Haupthandlung gehört auch der Titelheld Antonio, der durch seinen Reisebegleiter Mercury die Treue seiner Frau Maria in frivoler Weise auf die Probe stellen läßt, dabei zum Hahnrei gemacht wird, mit dieser Wendung der Dinge aber schließlich ganz zufrieden ist. Dieser Teil der Handlung ist eine der vielen Varianten von Le Mari cocu, battu et contentss). Der freche Ton der damaligen englischen Kavalierskreise ist vorzüglich getroffen. Die Nebenhandlung, wohl hauptsächlich das Werk B.s, schildert das Liebesverhältnis zwischen dem leichtsinnigen Trinker Ricardo und der zarten lieblichen Viola, einer der wenigen reinen Mädchengestalten in den Dramen der beiden Dichter. Sie hängt mit Hingebung an ihm, auch nachdem er sie verlassen hat, und bessert ihn schließlich durch die Standhaftigkeit ihrer Liebe. Mit den übrigen Teilen ist auch hier wieder diese Nebenhandlung nur sehr lose verbunden. 157. The Captain (1613; 2 0 , 1647) gehört zu den widerwärtigsten Stücken der beiden Dichter. Der Titelheld Jacomo ist ein ganz abscheulich roher Mensch, und durchaus unwert der liebenswürdigen Frank, die unbegreiflicherweise leidenschaftlich in ihn M)

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verliebt ist und ihm am Schluß zuteil wird. Noch abstoßender ist die Dirne Lelia, die sogar ihren eigenen Vater anlockt, als sie erfahren hat, daß er wieder Geld besitze, nachdem sie ihn, als er arm war, zur Tür hinausgeworfen hatte. Ihr Vater schwindelt einem gull Piso vor, sie sei eine vornehme reiche Dame, und veranlaßt ihn dadurch, sie zu ehelichen. Ihre Besserung am Schluß erscheint sehr unglaubwürdig. Jacomo und Lelia bilden die Mittelpunkte der beiden schlecht miteinander verknüpften Handlungen, aus denen sich unser Drama zusammensetzt. 158. The Chances (1613; 2 0 , 1647) schöpfen den Stoff aus der Erzählung La Scitora Cornelia in den Novelas exemplares des Cervantes. Helden des Stückes sind zwei in Bologna studierende Spanier, Don John und Don Frederic, sowie ihre Wirtin Gillian, eine Geistesverwandte der Amme in Rom. Durch einen Zufall, auf den auch der Titel hinweist, werden die Studenten Beschützer einer jungen Dame Constantia, die von ihrem Bruder Petruccio, dem Gouverneur von Bologna, verfolgt wird. Die Charakteristik der beiden Studenten ist meisterhaft. Ein anderer Vorzug des Stückes ist der glänzende Dialog, mit dem Fl. den Ton der Unterhaltung in den vornehmen Kreisen seiner Zeit so gut zu treffen weiß wie kein anderer seiner Zeitgenossen. Ein Zug von Dekadenz steckt in den schmutzigen Zoten, die Don John mit sichtlichem Behagen auftischt. 159. The NiceValour; or, The Passionate Madman (1613; 2°, 1647) ist eine Art Vorläufer der heutigen Problemstücke, insofern als ein bestimmtes einzelnes Problem darin behandelt wird: das Ehrgefühl in seinen verschiedenen Abstufungen. Nur die äußersten Gegensätze in der Stellung zur Ehre werden geschildert, nicht das normale Ehrgefühl, das in der Mitte liegt. Der Wunsch, eine möglichst starke Kontrastwirkung hervorzubringen, führte dazu, einerseits in Shamont, einem Höfling am Hofe des Herzogs von Genua, den Vertreter eines bis auf die Spitze getriebenen krankhaften Ehrgefühls, andererseits in dem feigen Lapet eine Persönlichkeit zu schildern, die überhaupt kein Ehrgefühl hat. Beide sind auch wieder Verkörperungen eines einzelnen humour in Jonsonschem Sinne, aber in romantischer Beleuchtung. Die Komik von Lapets moralischem Molluskentum ist von geradezu verblüffender Originalität, wenn auch freilich nicht gerade geschmackvoll. Er stellt ein unmögliches Zerrbild dar. 160. In The Little French Lawyer (um 1619/22; 2°, 1647) ist der Titelheld, der Winkeladvokat La Writ, nur die Hauptperson der komischen Nebenhandlung. Er wird sehr gegen seinen Willen zu einem Duell verleitet; als er darin ganz unerwartet den Sieg gewinnt, faßt er eine leidenschaftliche Vorliebe für Duelle. Die

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K o m i k ist hier ganz possenhaft. Unmittelbare Quelle der Haupthandlung ist der spanische Schelmenroman Guzman de Alfarache. In ihr wird Lamira, die Gattin des alten Seemanns Champernel, v o n Dinant mit Liebesanträgen verfolgt. Sie sagt ihm ein nächtliches Stelldichein z u ; es glückt ihr aber hierbei, ihn v o n sich fernzuhalten. Wie die meisten Frauen Fl.s in ähnlicher Lage, wahrt sie ihre Frauenehre nur äußerlich, nicht aus Liebe z u ihrem Gatten, sondern aus Furcht vor seinem Zorn. Die schlüpfrige Szene des Stelldicheins wird mit einer gewagten, aber wirksamen K o m i k dargestellt. 161. In The Wild-Goose-Chase (1621; 2 0 , 1652) ist der ehefeindliche Wüstling Mirabel die gejagte Wildgans; Jäger sind die in ihn verliebte Oriana und ihr Bruder De Gard. U m Mirabel für Oriana zu gewinnen, wird eine lustige Intrige angesponnen: seine Sprödigkeit soll dadurch besiegt werden, daß man ihm den Glauben beibringt, Oriana wolle nichts von ihm wissen. Er entdeckt diese Intrige rechtzeitig, unterliegt aber schließlich doch in dem ihm aufgedrungenen Kampfe. Auch hier entfaltet Fl. wieder seine glänzenden Fähigkeiten in der lebhaften Führung der Gespräche und der lebendigen Charakteristik; aber diese reiche Kunst erscheint auch wieder an einen unwürdigen Stoff verschwendet. Der Charakter der Oriana ist aller weiblichen Würde bar in der Art und Weise, womit sie sich dem zynischen rohen, ihr ganzes Geschlecht verachtenden Mirabel aufdrängt. 162. The Pilgrim (1621/22; 2°, 1647) ist eine flüchtig gearbeitete, durch die Buntheit der Handlung verwirrende Komödie v o n ganz südlicher Romantik, worin von dem verbrauchten Motiv der Verkleidung besonders ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Wir erfahren gar nicht, w a r u m der spanische Edelmann Pedro den königlichen Hof verlassen hat und in der Verkleidung eines Pilgers das Land durchzieht, und warum Alphonso Pedros Verbindung mit seiner Tochter Alinda mit allen Mitteln z u hintertreiben sucht, dagegen den zum Räuberhauptmann herabgesunkenen vornehmen Roderigo als Werber u m Alinda begünstigt. Gegenstand der Haupthandlung sind die beständigen Wechselfälle in den Schicksalen des Liebespaares Pedro und Alinda, bis zu ihrer schließlichen dauernden Vereinigung. Der Stoff stammt aus dem 1621 ins Englische übersetzten Prosaroman Lope de Vegas El Peregrino en su Patria. Fl.s dramatisches Geschick bewährt sich auch hier wieder in der gewandten Handlungsführung. 163. The Beggar's Bush (1622; 2 0 , 1647), ein besonders beliebtes Stück, bietet eine echt romantische poetische Verklärung des Räuberlebens. Der Räuberhauptmann Gerrard ist auch wieder ein vornehmer Herr, der Vater des rechtmäßigen Grafen von

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Flandern Florez. Dieser ist von dem Usurpator Wolfort aus seiner Herrschaft vertrieben worden und lebt als reicher K a u f m a n n unter dem N a m e n Goswin in Brügge. U m Wolforts Verfolgungen z u entgegen, sind Gerrard und seine Tochter Jacqueline unter die Räuber gegangen. D a s Räuberleben wird sehr lebhaft geschildert; die Einflechtung von Ausdrücken der Gaunersprache erhöht die Lebenswahrheit der Darstellung. 164. Rule a W i f e and have a W i f e (1624; 4 0 ,1640), ein sehr unterhaltendes Stück mit ergötzlicher Komik, war das beliebteste unter allen Lustspielen Fl.s. Der Vorwurf ist von verwandter A r t wie in Jonsons Epic., nur mit Umkehrung der Geschlechter. Margarita h a t t e Leon geheiratet, weil sie ihn für einen willenlosen Schwächling hielt, mit dem sie würde anfangen können, was ihr beliebe. L e o n hatte sich aber nur verstellt, um eine reiche Heirat zustande zu bringen; nach der Hochzeit ergreift er die Zügel der Herrschaft mit männlicher K r a f t und zwingt Margarita zum Gehorsam. Z u diesen beiden ist in der Nebenhandlung ein zweites P a a r das Gegenbild. Estefania, eine Dienerin der Margarita, hat sich in deren Abwesenheit als Besitzerin ihres Reichtums aufgespielt und sich mit ihrer Hochstapelei einen Hauptmann Michael Perez als E h e g a t t e n eingefangen, der dann, als die Wahrheit an den T a g kommt, als der Geprellte dasteht. Diese Nebenhandlung ents t a m m t auch einer Erzählung der Novelas exemplares des Cervantes, mit dem Titel El casamiento engatioso. 165. Z u den anziehendsten Dramen Fl.s gehört The Eider Brother (Entstehungszeit unbekannt, ein terminus ad quem ergibt sich a u s F l . s T o d im A u g . 1625; 4 0 , 1637; hg. v o n W . H . D r a p e r , Cambridge 1915). Der weltfremde Stubengelehrte Charles Brisac, der ältere Bruder des mit Angellina verlobten Eustace, wird durch die Schönheit seiner angehenden Schwägerin so sehr aus seiner gelehrten Weltentrücktheit herausgerissen, so zu feuriger Liebe entflammt, daß er sich aus einem Stubenhocker in einen tapferen Helden verwandelt und schließlich selbst die Geliebte erringt. Seine Weltfremdheit wird allerdings mit einiger Uebertreibung geschildert. Ein gesunder Geist beherrscht das ganze S t ü c k ; die sonst bei Fl. so aufdringliche Erotik tritt zurück. Greg, der Herausgeber des D r a m a s in der Varior. Ed., vermutet, daß Fl. es unvollendet hinterlassen und M a s s i n g e r es vollendet habe. Die unbekannte Quelle ist die gleiche, aus der auch Calderon sein späteres D r a m a De una causa dos efectos geschöpft hat. 166. Originell ist auch die Handlung von The Noble Gentleman (1626; 2 0 , 1647). Der Titelheld, der törichte Landjunker MountMarine, wird von seiner vergnügungssüchtigen Gattin abgehalten, Paris z u verlassen, indem sie ihm einbildet, ihm stände eine beE c k h a r d t , Geschichte des englischen Dramas.

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deutende Rangerhöhung bevor. Dadurch erweckt sie in ihmeinen lächerlichen Ehrgeiz: er träumt schon von einer Herzogskrone, nennt sich selbst Herzog von Burgund, und läßt als solcher seinen Diener eine im Behördenstil gehaltene Bekanntmachung verlesen, die vom 37. Februar datiert ist. Als seine ehrgeizigen Träume den Gipfel erreicht haben, reißt seine Frau ihn aus den Wolken, indem sie gesteht, ihn beschwindelt zu haben. Bei diesem Stück nimmt Fleay an, daß Fl. es unvollendet hinterlassen habe; wer aber als der schließliche Bearbeiter anzusehen sei, darüber gehen die Ansichten der Kritiker auseinander. d) Tragikomödien. 167. Das eigentliche Hauptfeld der Betätigung war für das Dichterpaar und auch für Fl. allein die Tragikomödie. Sie sind zwar nicht die Schöpfer dieser Dramengattung 69 ); wohl aber haben sie, und zwar namentlich Fl., zur Ausbildung und Verbreitung der Tragikomödie am meisten beigetragen. In der Tragikomödie wird eine komische Handlung mit einer mehr oder weniger romantischen, an Tragik streifenden, aber nicht tragisch endenden verknüpft. Weitere Merkmale der Tragikomödie sind ein fremdartiger Schauplatz und eine fernabliegende Zeit. Wir dürfen zu den Tragikomödien auch eine ganze Reihe von Stücken rechnen, die nicht im Titel als solche bezeichnet sind, aber ihrem Wesen nach zu ihnen gehören. 168. In Philaster; or, Love lies a-bleeding (160g; 4 0 ,1620) zeigt sich die künstlerische Unselbständigkeit des Anfängertums der beiden Dichter in den vielen Anklängen an Shakespeare. An Haml. erinnert der Ausgangspunkt der Handlung: der Titelheld, der Sohn des rechtmäßigen Königs von Sizilien, steht in einem ähnlichen Verhältnis zu dem das Land regierenden Usurpator, wie Hamlet zu Claudius. Arethusa, die Tochter des Usurpators, liebt Philaster, soll aber mit dem spanischen Prinzen Pharamond, einem widerwärtigen Gesellen, vermählt werden, ähnlich wie Imogen mit Cloten in Cymb. Endlich ist Euphrasia, die als Page verkleidet den Liebesboten zwischen Philaster und Arethusa spielt, eine Nachahmung der Viola in Tw. Das Stück wurde seinerzeit sehr bewundert, erscheint uns aber höchstens als eine geschickte Mache, deren unnatürliche, zum Teil süßliche Situationen uns eher abstoßen als anziehen60). 169. A King and No King (1611; 40, 1619) beruht auf einer ganz ungewöhnlichen Situation. Arbaces, der König von »Iberia«, einem Lande von romantischer Unbestimmtheit, verliebt sich in 69) M)

Schon Shakespeares Merch. Creizenach V 528 ff.

könnte als Tragikomödie gelten.

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Panthea, die als seine Schwester gilt. Schließlich stellt sich heraus, daß Panthea allerdings die Tochter eines Königs des Landes ist, den auch Arbaces für seinen Vater hält, daß dieser Arbaces aber in Wirklichkeit der Sohn des Lord-Protektors Gobrias, also gar nicht mit ihr verwandt, und eigentlich überhaupt nicht zur Königswürde berechtigt ist. Die Königin Arane, die Mutter der Panthea, hatte ihn als ihr angeblich eigenes Kind untergeschoben; darauf bezieht sich der Titel des Stückes. Arbaces gewinnt aufs neue die Krone durch die schließliche Heirat mit Panthea. Unerquicklich ist das Kokettieren der Dichter mit dem Anschein der Blutschande im Liebesverhältnis zwischen Arbaces und Panthea. Die moralische Schuld des Liebespaares wird dadurch nicht getilgt, daß beide sich am Schluß als nicht miteinander verwandt erweisen. Eine Quelle für diesen Teil der Handlung ist nicht bekannt; wahrscheinlich haben wir es hier mit einer eigenen Erfindung der Verfasser zu tun. Die Namen der meisten Personen sind Xenophons Cyropädie entlehnt. Wenn wir über die Unwahrscheinlichkeiten der Handlung hinwegsehen, ist das Stück ein Meisterwerk kraftvoller Charakteristik und geschickter Schürzung des dramatischen Knotens. Seine Lösung wirkt freilich matt; denn sie wird durch einen bloßen Zufall herbeigeführt. 170. Love's Pilgrimage (ursprünglich 1612; 2°, 1647) ist die Dramatisierung der Erzählung Las dos donzellas aus den Novelas exemplares des Cervantes; wahrscheinlich ist Fl. allein der ursprüngliche Verfasser; 1635 wurde das Stück von J. S h i r l e y neu bearbeitet, der auch die Wirtshausszenen zu Anfang aus Jonsons New Inn übernommen hat. 171. In The Honest Man's Fortune (1613; 2°, 1647) verliert der Titelheld Montague durch die Ränke von Wucherern sein Vermögen; er verdingt sich nun bei der reichen Lamira als Diener, und wird schließlich von dieser zu ihrem Gatten erhoben. In einer Nebenhandlung ist Hauptperson die Herzogin von Orleans, eine tugendhafte Dame, die aber von ihrem Gemahl mit grundloser Eifersucht geplagt wird. Er hat davon Kenntnis erhalten, daß vor ihm selbst Montague einer ihrer Freier gewesen sei. Sein Mißtrauen steigert sich soweit, daß er, wie Leontes in Shakespeares Wint., seine Gemahlin verstößt. Am Ende wird er aber doch durch ihre Treue besiegt: er vereint sich mit ihr wieder. 172. The Faithful Friends (um 1614; Hds.) spielt im alten Rom zur Königszeit, ist aber vollgespickt mit groben Anachronismen. Es handelt sich um das gleiche Motiv wie in der Geschichte von David und Bathseba, nur daß ein tragischer Ausgang vermieden wird. Der König Titus Martius liebt Philadelpha, die Gattin seines Feldherrn Marcus Tullius. Um sie zu gewinnen, schickt er 6*

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jenen in den Krieg und lockt sie an seinen Hof. Der Schluß ist schwach: der König erklärt schließlich, er habe nur Philadelphas Treue erproben wollen, und vergreift sich nicht an ihr. 173. The Knight of Malta (um 1616/19; 2 0 , 1647) ist überladen mit Handlung von einer bunten wechselreichen Romantik. Oriana, die tugendhafte Schwester Valettas, des Großmeisters von Malta, wird von dem schurkischen Franzosen Mountferrat, einem Ritter des Malteser-Ordens, mit Liebesanträgen verfolgt, und als sie ihn zurückweist, des sträflichen Umgangs mit einem türkischen Pascha und zugleich des Hochverrats beschuldigt. Sie wird zum Tode verurteilt, findet aber in dem Spanier Gomera einen Anwalt ihrer Unschuld, die durch seinen Sieg im Zweikampf festgestellt wird. Gomera wird nun mit ihr vermählt. Dieser Teil des Dramas beruht auf einer von Painter übersetzten Novelle Bandellos 6 1 ). Als Oriana schwanger ist, fühlt sie sich einmal durch eine Aufwallung von Eifersucht ihres Gatten so beleidigt, daß sie in Ohnmacht fällt und als vermeintlich Tote in einer Kirche beigesetzt wird. Nun wiederholt sich die uns aus Shakespeares Rom. bekannte Situation. Der Titelheld, der Italiener Miranda, der auch zu ihren Werbern gehört hatte, besucht zufällig nachts jene Kirche. Sein Erscheinen erweckt Oriana aus ihrer Ohnmacht. Er schafft sie in seinen Palast, wo sie von einem Knaben entbunden wird. Als er Ansprüche auf ihren Besitz erheben will, gelingt es ihr, ihn zur Tugend zurückzuführen; er bringt sie mit dem neugeborenen Kinde wieder zu Gomera zurück. Hier schöpft die Erzählung aus Boccaccios Decamerone. 174. The Queen of Corinth (wahrscheinlich 16x7; 2°, 1647) enthält wieder eine Reihe der für Fl. charakteristischen stehenden T y p e n : den lasterhaften Prinzen Theanor, den Sohn der Titelheldin, seinen gleichgesinnten Helfershelfer und schlechten Ratgeber Crates, den Gull und Feigling Lamprias oder Onos, einen Reisenden, der trotz seiner 56 Jahre noch von einem Oheim und einem Lehrer erzogen wird, endlich die tugendhafte Frau (Merione). Sie wird nachts von dem maskierten Theanor überfallen und entehrt, ohne den Schänder ihrer Ehre erkennen zu können. Theanors Freveltat kommt aber schließlich doch an den Tag, und zwar durch einen Ring, den er ihr geraubt hatte. Sehr schwächlich wirkt der Schluß: Merione bewahrt den schurkischen Theanor, der noch ein zweites Mal das Verbrechen der Notzucht begangen hat, vor der ihm gebührenden Strafe, indem sie ihn zum Manne nimmt. Quelle ist wieder eine Erzählung aus Cervantes' Novelas exempiares mit dem Titel La fuerza de la sangre61). Der Schau«') Koeppel A 69.fi. 62) Koeppel A 74.

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platz ist von Spanien nach Korinth verlegt, ohne jede Spur einer korinthischen Lokalfarbe. Mit dem Gull soll der bekannte Reisende Thomas Coryat gemeint sein 63 ). 175. The Loyal Subject (1618; 2°, 1647). E. D i e t r i c h , s. Th. Heywood § 102.

Das Stück gehört, wie Griss. B, zu den Dramen, worin eine einzelne Tugend, hier die Untertanentreue, in einer Person (dem Titelhelden) so einseitig verkörpert wird, daß alle Lebenswahrheit aufhört. Schauplatz ist Moskau und Umgegend; Titelheld ist der Feldherr Archas, der sich von seinem Lehnsherrn, dem »Großherzog« von Moskau, die unglaublichsten Demütigungen gefallen läßt, ohne auch nur im geringsten in seiner Lehnstreue irre zu werden. In der Nebenhandlung begegnet wieder das Motiv des als Mädchen verkleideten Jünglings. Archas, der jüngste Sohn seines gleichnamigen Vaters, bedient sich dieser Verkleidung, weil er die Prinzessin Olympia liebt und seine Verkleidung es ihm ermöglicht, in ihrer Nähe zu weilen. Das Stück berührt sich stofflich mit Th. Heywoods Royal und geht auf dieselbe Quelle zurück. 176. The Mad Lover (um 1618; 20, 1647) spielt in Paphos zur Zeit Alexanders des Großen, und enthält eine sonderbare, ja geradezu unmögliche Handlung. Der Titelheld Memnon, Feldherr des Königs Astorax von Paphos, entbrennt in Liebe zu dessen Schwester Calis. Sie dagegen liebt nicht ihn, sondern seinen Bruder Polydore, und um Memnon loszuwerden, fordert sie ihn auf, ihr sein Herz doch nicht nur mit Worten, sondern wirklich zu schenken. Der liebestolle Memnon will sich nun tatsächlich das Herz aus dem Leibe schneiden lassen, und wird nur mit Mühe und Not auf derbkomische Weise von seinem Wahnsinn geheilt. Er verzichtet auf Calis zugunsten seines Bruders. In der sehr unsauberen Nebenhandlung versucht Cleanthe, eine Kammerfrau der Prinzessin, ihrem ebenfalls in diese verliebten Bruder Siphax die Hand der Angebeteten zu verschaffen, indem sie die Priesterin der Venus dazu anstiftet, ein falsches Orakel zugunsten ihres Bruders zu verkünden. Dies Motiv ist einer auch von Bandello übernommenen Geschichte des Josephus entlehnt. 177. The Humorous Lieutenant (1619; 2 0 , 1647) hat ebenfalls einen griechischen Schauplatz; die Handlung ist in die Zeit der Epigonen des großen Alexander verlegt. Der namenlose Titelheld ist mutig nur so lange, als seine Stimmung krankhaft gereizt ist; in gesundem Zustand ist er ein Feigling, und es gelingt seiner Umgebung nur dadurch, ihn in seine frühere Tapferkeit zurückzuversetzen, daß ihm eingebildet wird, er sei noch krank. Die Komik " ) Ward I I 714.

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dieser absonderlichen Handlung wird noch dadurch erhöht, daß ihm aus Versehen ein Zaubertrank eingeflößt wird, der eigentlich für die Prinzessin Celia bestimmt war, und daß er sich nun infolge dieses Zaubertrankes in den alten König Antigonus verliebt. Der Titelheld ist die Hauptperson nur in der possenhaften Nebenhandlung. Der geschichtliche Hintergrund wird im Anschluß an Plutarchs Leben des Demetrius geschildert. Dieser ist der Sohn des Königs Antigonus; sein Liebesverhältnis zu Celia bildet die Haupthandlung. Diese Liebesgeschichte ist eine der schönsten Schöpfungen Fl.s. 178. The Custom of the Country (um 1619; 2°, 1647) handelt von dem jus -primae noctis, das der Gouverneur einer italienischen Stadt gegenüber jeder neuvermählten Frau des Ortes besitzt. Die mit Arnoldo verlobte keusche Zenocia versteht es, die Anwendung dieses schändlichen Rechtes von sich abzuwenden. In einer weiteren Handlung hat der Wüstling Rutilio seinen Gegner Duarte im Zweikampf getötet. Als er verfolgt wird, gewährt ihm eine Dame Guiomar Zuflucht in ihrem Hause, ohne zu wissen, daß sie, die Mutter Duartes, den Mörder ihres Sohnes bei sich beherberge. Als sie die Sachlage erkannt hat, kämpft sie einen schweren Gewissenskampf zwischen dem Wunsch, den Mörder bestraft zu sehen, und der Scheu, das Gastrecht zu brechen. Schließlich entläßt sie Rutilio ungeschädigt, für eine Mutter eine unnatürliche Handlungsweise. Dieser gerät später in Lissabon in ein männliches Bordell, wo er eine Zeitlang als männliche Hure tätig ist, bis es ihm gelingt, sich loszukaufen. Die Beschreibung dieses Bordells macht das Stück zu einem der schmutzigsten Dramen der ganzen Zeit. Quelle für dies größtenteils widerwärtige Stück ist Cervantes' Roman Persiles y Sigismunda (1619 übersetzt). 179. The Laws of Candy (1619/22; 2°, 1647) ist ein uninteressantes Stück mit einer sehr künstlichen Handlung. Der Titel bezieht sich auf zwei Gesetze von Candia auf Kreta: das eine gestattet dem im Kriege erfolgreichen Feldherrn, sich selbst den Lohn zu bestimmen, und verursacht bitteren Streit zwischen zwei Gliedern derselben Familie, dem Vater (Cassilane) und dem Sohne (Antinous), weil jeder von beiden die Ehre des Sieges für sich beansprucht. Dies Motiv stammt aus einer Novelle Cinthios. Das andere Gesetz bestraft Undankbarkeit mit dem Tode, außer wenn der von ihr Betroffene selbst für den Uebeltäter eintritt. Als drittes Motiv kommt hinzu die Liebe des Prinzen Philander zu der maßlos stolzen Prinzessin Erota; sie verschmäht ihn zunächst, wird aber von ihrem Uebermut geheilt und Philander zugeführt dadurch, daß sie bei dem von ihr geliebten Antinous keine Gegenliebe findet. Diese ganze Situation ist eine Nachahmung des Ver-

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hältnisses zwischen Silvius, Phebe und der als G a n y m e d e verkleideten Rosalind in Shakespeares i4s 64). D a s Stück ist den übrigen D r a m e n Fl.s in Stil und Metrik unähnlich. Während das Ueberwiegen weiblicher Versausgänge ein besonders charakteristisches Merkmal von Fl.s Verstechnik ist, finden sich hier mehr männliche Versschlüsse. Die meisten englischen Kritiker betrachten daher M a s s i n g e r als Hauptverfasser; ob Fl. oder ein anderer Dichter an der Abfassung beteiligt sei, darüber sind die Ansichten verschieden. 180. W o m e n Pleased (um 1620; 2 0 , 1647) hat, wie die meisten Dramen Fl.s, eine doppelte Handlung. In der einen h a t Silvio mit Belvidere, der Tochter der Herzogin von Florenz, ein verbotenes Stelldichein g e h a b t ; er wird dafür auf ein Jahr aus der Stadt verbannt. Grundlage hierfür ist eine französisch-spanische Prosaerzählung: Histoired'Aurelio et Isabelle, fille du roy d'Escoce (1556) 6S ). Silvio soll aber Belvidere schon vor Ablauf jenes Jahres heiraten dürfen, wenn er eine Rätselfrage richtig beantworten könne; könne er das nicht, so soll er seinen Kopf verlieren. E s gelingt ihm mit Hilfe der als alte Hexe verkleideten, v o n ihm nicht erkannten Geliebten, das Rätsel zu lösen. Hier schöpft Fl. aus der Erzählung der F r a u von B a t h in Chaucers Canterbury Tales. Die zweite Handlung ist mit der ersten nur sehr ungeschickt verbunden. In ihr wird die Tugend der Isabella, der G a t t i n des geizigen Juweliers Lopez, v o n ihrem eigenen verkleideten Bruder Claudio aufs äußerste gefährdet, nur weil er sie auf die Probe stellen will. Dieser sehr bedenkliche Teil der Handlung stellt eine Verschmelzung von drei verschiedenen Erzählungen aus Boccaccios Decamerone dar. 181. The Island Princess (1621; 2°, 1647) ist ganz erfüllt von dem Geiste spanischer Ritterlichkeit. Schauplatz ist Tidore, eine Molukkeninsel, und Titelheldin Quisara, die Schwester des Königs dieser Insel. Ihr Bruder ist von dem Beherrscher einer Nachbarinsel gefangen genommen worden. Sie verspricht sich mit seinem Befreier z u vermählen, in der stillen Hoffnung, d a ß der v o n ihr geliebte Portugiese R u y Dias dieser Befreier sein werde. Statt dessen gelingt die R e t t u n g einem andern Portugiesen Armusia. Dieser gewinnt ihre ihm anfangs verweigerte Liebe durch das mutige Bekenntnis zu seinem christlichen Glauben, als dessen Verleugnung von i h m verlangt wurde. D a s Stück ist die Dramatisierung einer französischen Novelle, die z u m A n h a n g der ersten französischen Uebersetzung der Novelas exemplares des Cervantes gehört 6 4 ). M)

Koeppel A 73. «) Koeppel A 87 ff. M) Koeppel A 99.

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182. A Wife for a Month (1621; 2°, 1647) vereinigt wieder eine Reihe von stehenden Typen: den grausamen und wollüstigen Tyrannen (Frederick, Herrscher von Neapel), sein schurkisches Werkzeug (den Höfling Sorano), die tugendhafte Frau (Evanthe, Schwester Soranos und Titelheldin), deren edlen Geliebten und späteren Gatten (Valerio), zu einer raffiniert ersonnenen widerwärtigen und sehr unwahrscheinlichen Handlung. Frederick verfolgt Evanthe mit seinen Liebesanträgen; sie aber liebt den jungen Valerio. Für seine Zurückweisung versucht Frederick an dem Liebespaar eine teuflische Rache: er gestattet, daß sie sich heiraten, aber nur auf einen einzigen Monat; dann müsse Valerio sterben. Auch wird den Neuvermählten nach der Hochzeit eröffnet, daß Valerio bei Todesstrafe seine Vertraulichkeit gegenüber Evanthe auf Küsse beschränken müsse, und daß ihnen strengstens untersagt sei, von dem Verbot größerer Vertraulichkeit irgend jemand etwas mitzuteilen. Das alles verkündet dem Valerio Sorano, Evanthes eigener Bruder. Grundstock dieser Erzählung ist offenbar ein altes Märchenmotiv von einer Ehe nur auf einen einzigen Monat, worauf der Ehemann auf Befehl eines tyrannischen Königs den Tod erleiden soll. Die Entwirrung des Knotens geschieht durch den Sturz des Tyrannen: Frederick war als Herrscher nur Stellvertreter seines geisteskranken Bruders Alphonso. Dieser wird am Schluß ganz unerwartet wieder gesund und bemächtigt sich wieder der Regierung. Damit schwinden alle Valerio und Evanthe bedrohenden Gefahren. Typisch für Fl. ist die sehr milde Bestrafung der beiden Uebeltäter Frederick und Sorano. 183. The Sea-Voyage (1622; 2°, 1647) entfaltet phantastische Romantik in der Schilderung einer stürmischen Seefahrt, wobei ein französisches Schiff auf eine wüste Insel verschlagen wird. Der Hunger, den die schiffbrüchigen Seeleute erleiden, wird mit einer mitunter widerlichen Realistik ausgemalt. Eine männerlose Nachbarinsel ist der Wohnsitz der Amazonen, über die Rosella herrscht. Die Charakterisierung ihres Weiberstaates gibt Fl. wieder Gelegenheit zu schlüpfrigen Andeutungen. Der Schiffbruch erinnert oberflächlich an Shakespeares Temp.; den Weiberstaat verdankt Fl. vielleicht Ariost, dessen Orontea mit Rosella einige Aehnlichkeit aufweist. Der Hauptreiz des Stückes liegt in der Fremdartigkeit des Schauplatzes und der Handlung. 184. The Spanish Curate (1622; 20, 1647) ist eine sehr unterhaltende Satire gegen die Habsucht der Geistlichen und Rechtsgelehrten. Der geldgierige Geistliche Lopez ist der Titelheld, aber nicht die Hauptperson, der Küster und Totengräber Diego sein geriebener Gehilfe. Ein rechtsgelehrter Gauner ist Bartolus, der Gatte der jugendlich schönen Amaranta. Neben dem komischen

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Teil der Handlung, zu dem die genannten Personen (außer Amaranta) gehören, steht ein ernster. Hier bildet den Mittelpunkt Violante, die Gattin des Don Henrique. Dieser hat einen unehelichen Sohn adoptiert, u m die Erbfolge seines Bruders Don Jamie zu verhindern. Die dadurch schwer beleidigte Violante will Don Jamie zu Ermordung des Bruders anstiften; der Mordplan wird aber vereitelt, und Violante mit Einziehung ihres Vermögens und Einsperrung in ein Kloster bestraft. Die Brücke von der einen Handlung zur andern wird durch Bartolus dargestellt, der von Don Henrique als Werkzeug der Intrige gegen seinen Bruder benutzt wird. Bartolus wird auch mit Lopez in Verbindung gebracht dadurch, daß ein vornehmer Herr Leandro Amaranta mit Hilfe des Pfarrers zu gewinnen versucht. Quelle für beide Handlungen ist ein ins Englische übersetzter spanischer Roman des Gonialo de Cespedes Gerardo the Unfortunate Spaniard (1622)"). 185. The Lover's Progress (1623; 2 0 , 1647) unterscheidet sich von den meisten Dramen Fl.s durch den sittlichen Ernst, der es erfüllt; es ist wahrscheinlich Bearbeitung eines Stückes Fl.s durch M a s s i n g e r . Lisander liebt die tugendhafte Calista, die Gattin seines Freundes Cleander; sie widersteht seinem Liebeswerben, obgleich sie seine Liebe im Herzen erwidert. Neben der Liebe spielt die Freundschaft eine große Rolle: beide Freunde wetteifern miteinander in großmütigem Verzicht auf das Liebesglück. Ganz unähnlich Fl.s sonstiger Art ist der sentimentale Anstrich, der den Liebes- und Freundschaftsszenen eigen ist; er ist gewiß Massinger in Rechnung zu stellen. Die Handlung ist einem Roman von d'Audignier entnommen Histoire tragicomique de nostre temps, sous les noms de Lysandre et de Caliste (1616). Aus dieser Quelle erklärt sich offenbar der Umstand, daß Paris und Umgebung der Schauplatz des Stückes ist, obwohl die meisten Personen griechische Namen tragen. 186. The Maid in the Mill (1623; 2°, 1647) verknüpft in mangelhafter Weise zwei schlecht aufgebaute Handlungen. In der einen begegnet uns der ungetreue Freund (Martine), der seinem Freunde (Antonio) die Geliebte (Ismenia) abspenstig machen will, in der andern wird in einer Reihe von anstößigen Szenen die Tugend einer Jungfrau (Florimel) auf die Probe gestellt, und als sie diese siegreich besteht, wird sie durch die Hand des Mannes belohnt, der ihr zuvor nachgestellt hatte (Otrante). Die erste Handlung beruht auf der gleichen Quelle wie Span. Cur.; die Liebenden sind zugleich Glieder zweier feindlicher Familien wie in Rom.; Anklänge an dies berühmte Muster sind auch in Einzelheiten offensichtlich. ") Koeppel A 107 if.

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Die Titelheldin Florimel gilt als K i n d des Müllers Franio, ist aber in Wirklichkeit die Tochter des Edelmanns Julio. Hauptträger der komischen Nebenhandlung, wohl einer Schöpfung W . R o w 1 e y s , ist Franios Sohn, der Clown Bustopha. Die Gruppierung: Vater niedrigen Standes — Sohn (Clown) — Pflegetochter vornehmer A b k u n f t erinnert an Shakespeares Wint. Diese Nebenhandlung entstammt einer v o n Painter übersetzten Novelle B a n dellos. 187. Verwandten Inhalts ist The Fair Maid of the Inn (vor 1625, lic. 1626; 2 0 , 1647). A u c h hier ist die Titelheldin Bianca eine vornehme Jungfrau, die in der Verborgenheit lebt, als angebliche Tochter einer Gastwirtin. Sie wird v o n Cesario umworben, dem Sohne des florentinischen Admirals Alberto. Cesario hat sich mit seinem Jugendfreunde Mentivole entzweit; der Zwist greift auch auf ihre beiderseitigen Familien über, die sich nun in bitterer Feindschaft bekämpfen. Cesarios Mutter Mariana gibt ihren Sohn, u m ihn vor Verfolgung z u bewahren, für ein untergeschobenes K i n d aus. Diese lose gebaute sehr unwahrscheinliche Handlung geht auch wieder auf eine der Novelas exemplares des Cervantes zurück, auf La illustre Fregona. Fesselnder als die Haupthandlung ist die satirische Nebenhandlung, die ein ergötzliches Bild damaligen Quacksalbertums darbietet. e) Trauerspiele. 188. Unter ihnen ist das älteste The Maid's Tragedy (1609/10; 4°, 1619), ein seinerzeit viel bewundertes Stück wegen der Geschlossenheit und K r a f t des A u f b a u s der allerdings unerquicklichen Handlung und der trefflichen Charakteristik der Hauptpersonen. Z u diesen gehört Evadne, die Geliebte des Königs von Rhodus, die ihre Schande schließlich durch Ermordung ihres Verführers rächt, der mit Aspatia verlobte Amintor, der sich auf Zureden des Königs herbeiläßt, E v a d n e zu heiraten, ohne ihr Verhältnis zu jenem zu ahnen, dann sich von ihm betrogen fühlt und nun in einen Zwiespalt zwischen Lehnstreue und Gattenehre hineingerät, endlich Aspatia, die sich in Männerkleidern durch Zweikampf von ihrem treulosen Geliebten Genugtuung verschaffen will, aber dabei von ihm getötet wird. Hauptvertreter der K o m i k ist der geschwätzige feige dumme wichtigtuerische Höfling Calianax, der Vater der Aspatia, ein Geistesverwandter des Polonius. Eine Quelle für die klug ersonnene Handlung ist bisher nicht gefunden worden; wahrscheinlich ist sie eigene Erfindung der Verfasser. 189. Cupid's Revenge (1611 oder früher; 4 0 , 1615) verknüpft zwei Erzählungen aus Sidneys Arcadia. In der einen rächt sich

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Cupido an einer Prinzessin dafür, daß sie alle seine Standbilder in ihrem Lande hatte zerstören lassen: er flößt ihr eine närrische Liebe zu einem niedriggeborenen Manne ein. Die andere Erzählung stellt das Liebesverhältnis eines Königssohnes zu einer liederlichen Bürgerfrau dar. Als sein Vater dies entdeckt, sucht der Sohn sich zu retten, indem er ihre Tugend mit so beredten Worten preist, daß der König selbst sie zu seiner Gemahlin wählt. Sie versucht aber auch dann noch ihre alte Verbindung mit dem Sohne aufrechtzuerhalten, und als ihr das mißlingt, strebt sie danach, ihn zu verderben. Unsere Dichter machen aus der Prinzessin der einen Erzählung (Hidaspes) und dem Königssohn der andern (Leucippus) Geschwister, Kinder des Herzogs Leontius von Lykien. Hidaspes verliebt sich in Zoilus, den zwerghaften Diener ihres Bruders, ähnlich wie Titania in den mit Eselsohren geschmückten Bottom in Shakespeares Miels. Die dämonische Bacha und der schurkische Ohrenbläser Timantus haben als die Intriganten des Stückes die Fäden der sehr unwahrscheinlichen Handlung in Händen. 190. Valentinian (1610/14; 20, 1647), behandelt das gleiche Thema wie Faithf., nur mit tragischem Ausgang. Lucina, die Gattin des römischen Feldherrn Maximus, wird vom Kaiser Valentinian entehrt und geht unter; aber auch dieser selbst wird am Schluß aus Rache vergiftet. Quelle ist die Histoire d'Eudoxe, Valentinian ä Ursace in d'Urfes Roman Astree (1610), daneben der Geschichtschreiber Procopius. Aus diesem stammt das Liebesverhältnis zwischen Maximus, der nach Valentinians Tode Kaiser wird, und dessen Witwe Eudoxia. 191. Bonduca (1614 oder früher; 2°, 1647) behandelt denselben Stoff wie Welshm. und enthält zum Teil dieselben Personen. Die Titelheldin ist Königin eines britischen Stammes; als dieser von cen Römern besiegt und unterworfen wird, nimmt sie mit ihren beiden Töchtern Gift, um nicht in die Hände des Feindes zu fillen. Quelle ist die aus den Annalen des Tacitus schöpfende Chronik Holinsheds; Fl. hat sie aber sehr frei benutzt. 192. The Bloody Brother; or, Rollo Duke of Normandy (um 1616; 4°, 1639) beginnt mit einer Situation, die uns lebhaft an Schillers Braut von Messina erinnert: zwei feindliche Brüder Rollo und Otto, Herzöge der Normandie, mit ihren Parteigängern; zwischen ihnen ihre Mutter Sophia, die sie versöhnt; dann aber wird trotzdem Otto durch Rollo ermordet. Dieser ist ein Wüterich nach der Art Tamerlans. Seine Grausamkeit rächt sich schließlich an ihm selbst: er hatte seinen greisen Erzieher Baldwin töten lassen, weil deser ihn wegen der Ermordung Ottos gescholten hatte. Zu seinem Unglück verliebt sich Rollo nun in Baldwins Tochter Edith. Diese

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verlockt ihn in das Haus ihres Vaters und läßt ihn hier umbringen. Die Handlung ist sehr eindrucksvoll, die Tragik wuchtig und ergreifend. 193. Thierry and Theodoret (1617; 4 0 , 1621) schöpft den Stoff aus der merowingischen Geschichte. Der Dichter arbeitet hier mit den stärksten Kontrastwirkungen. Der mit Thierry vermählten engelhaften Königin Ordella, einer der edelsten unter F l . s Frauengestalten, steht als vollendetes Scheusal, als ein Ungeheuer in Menschengestalt, Brunhalt, die Mutter der beiden Titelhelden, gegenüber. Sie h a ß t ihren eigenen Sohn Theodoret, weil er sie wegen ihrer Lasterhaftigkeit gescholten hatte, läßt ihn ermorden, trachtet aber auch ihrem andern Sohne Thierry nach dem Leben. E r wird durch ein v o n ihr selbst dargereichtes vergiftetes Taschentuch umgebracht ; gleichzeitig mit ihm stirbt in einer Szene von ergreifendem Pathos auch seine Gemahlin Ordella. Die Quelle ist im Geschichtswerk v o n Serres oder in Grimestones Inventory of thc History of France z u suchen. A l s Mitarbeiter wird auch wieder M a s s i n g e r vermutet. 194. The False One (um 1618/19; 2 0 , 1647), ein KleopatraD r a m a mit mancherlei Anklängen an Shakespeare, nicht nur an dessen Ant., sondern auch an andere seiner Stücke, schildert die Zeit vor Ant., als die jugendliche Königin Caesar mit ihren Netzen umgarnte; er spielt hier eine ähnliche Rolle wie Antonius bei Shakespeare. Die Charakterzeichnung ist m a t t ; den Hauptgestalten fehlt jede Größe. E s ist fraglich, ob das Stück als Trauerspiel gelten k a n n ; es sterben nur Nebenpersonen. T r o t z d e m wird es in der Folio v o n 1647 als tragedy bezeichnet. Quellen sind die Pharsalia des Lucanus und Plutarch. A u c h hier gilt M a s s i n g e r als Mitarbeiter. 195. The Double Marriage (um 1620; 2°, 1647). Wieder eine höchst verzwickte verworrene Handlung, mit sehr unwahrscheinlichen Situationen. In der Haupthandlung sind zwei F ä d e n miteinander verschlungen 4 8 ): Virolets Empörung gegen einen tyrannischen Herrscher (Fernand v o n Neapel), und die eigentümliche Verkettung des Schicksals, wodurch Virolet gezwungen wird, seine treue Gattin Juliana zu verlassen und die dämonische Martia zu heiraten. E i n künstlerischer Mangel ist es, daß Virolets schließlicher Untergang durch einen bloßen Zufall herbeigeführt wird. Dieser Teil der Handlung stammt aus den Gesta Romanorum69). Die Erlebnisse des Hofparasiten Castruccio, der auf Befehl Ferrands eine Zeitlang den König spielen darf, dem die schönsten Speisen vorgesetzt, aber sofort wieder abgetragen werden, er" ) Koeppel A 81. " ) Macaulay, Cambr. Hist. V I

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innern an Sancho Pansas Behandlung bei Cervantes. M a s s i n g e r wird auch hier als Mitarbeiter Fl.s vermutet. 196. The Prophetess (1622; 2 0 , 1647), ebenfalls von Fl. und M a s s i n g e r , wird ganz beherrscht von der Gestalt der Titelheldin Delphia, die das Schicksal der übrigen Personen lenkt. Diese sind in ihren Händen bloße Marionetten, auch der aus niedrigem Stande entsprossene Krieger Diocles, der als regierender Kaiser den Namen Diocletian annimmt. Neben dem Kaiser steht als sein Diener und Affe der Clown Geta, das Zerrbild seines Herrn, als clownartiger Würdenträger mit Sancho Pansa als Gouverneur von Barataria vergleichbar. Der geschichtliche Hintergrund ist den Geschichtschreibern jener Zeit entnommen. 197. f). Das einzige erhaltene S c h ä f e r s p i e l Fl.s ist The Faithful Shepherdess (1608; 4 0 , o. J. und 1629). Titelheldin ist die Schäferin Clorin, deren Keuschheit nicht naiv und unbewußt genug ist, um als vollkommen echt zu erscheinen. Manches ist Spensers Fairy Queen entlehnt 70); Hauptvorbild war aber Guarinis berühmtes Hirtendrama 11 Pastor Fido. Pastorales Erbgut sind die vielen mythologischen Anspielungen, die Romantik und der Zauberspuk der Handlung. Ueber dem Ganzen ist eine eigenartige anmutige Schönheit ausgebreitet. Der musikalische Wohllaut der Verse und die vielen eingelegten Lieder verleihen dem Stück einen stark lyrischen Einschlag. Erhebliche Mängel sind eine nachlässige Handlungsführung, die mancherlei Ansätze zu einer Handlung enthält, die nicht fortgesetzt und dadurch bedeutungslos werden, sowie eine unlebendige Charakteristik. Das Stück ist bemerkenswert als das älteste Drama, das als Tragikomödie bezeichnet wird 71 ). Dieser Ausdruck wird hiermit von Fl. als Name für eine besondere Abart ins englische Drama eingeführt. 198. g). Ganz abseits von den übrigen Dramen der beiden Dichter stehen die Four Plays in One (nach Sykes um 1617; 2 0 , 1647): die vier Stücke werden zur Hochzeit des Königs Emanuel von Portugal aufgeführt und so durch einen dramatischen Rahmen zusammengehalten. Für die Reihenfolge der einzelnen Stücke waren Petrarcas Trionfi d'amore das Muster 72 ). Das erste Spiel The Triumph of Honour ist eine Dramatisierung von Chaucers Franklin's Tale: in beiden Fällen wird ein lüsterner Werber von einer tugendhaften Frau dadurch abgewiesen, daß sie ihre Hingabe an ihn von der Erfüllung einer unmöglichen Bedingung abhängig macht. The Triumph of Love knüpft an eine Erzählung in Boccaccios Decamerone an. Hier begegnen uns abgenutzte Motive: der Schlaf,0 )

Koeppel A 39. Creizenach I V 270. " ) Koeppel A 49. n)

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trunk statt des Giftbechers, die Liebe einer vornehmen Dame zu einem Manne scheinbar niedrigen, in Wirklichkeit ihr mehr als ebenbürtigen Standes. The Triumph of Death schöpft aus einer Novelle Bandellos den tragischen Stoff der blutigen Rache einer von ihrem Gatten verlassenen Frau. Das rein allegorische Spiel The Triumph of Time nimmt alte Moralitätenüberlieferung wieder auf: Anthropos als Vertreter des Menschen steht in der Mitte zwischen den Tugenden und den Lastern, wird von letzteren verführt, schließlich aber nicht durch eine Tugend, sondern durch den von Jupiter und Time ihm zugeführten Plutus gerettet. Diesen Zug verdanken die Dichter Lucians Dialog Timon. Ueber Fl. als angeblicher Mitarbeiter an Kinsm. s. R H R § 561, an Widow s. § 125, an Barnav. s. § 221, als ursprünglicher Verfasser von Tarent s. § 218. h. Allgemeines. 199. Man kann den Stil und die dichterische Eigenart eines jeden der beiden Dichter im allgemeinen wohl unterscheiden; denn jeder von ihnen hatte schon vor ihrer Vereinigung zu gemeinsamer Arbeit einige Stücke allein geschrieben, in denen eine solche Eigenart zu beobachten ist. Außerdem sind die meisten der unter ihrem Namen überlieferten Dramen erst nach B.s Tode entstanden; letzterer war also an ihnen nicht beteiligt; und sie sind somit geeignet, Fl.s Eigentümlichkeiten erkennen zu lassen. Doch muß man sich hüten, die Unterscheidung in allen Einzelheiten durchzuführen. Eine Unterscheidung nach Akten und Szenen, wie sie von den englischen Kritikern an ihren wie an andern Dramen mit großer Sicherheit vorgenommen wird, überschreitet m. E . die Grenzen der Möglichkeit einer literarischen Kritik. Der Unterscheidung sind auch Grenzen gesetzt durch die geistige Verwandtschaft der beiden Dichter. 200. B e a u m o n t verfügt über eine größere dichterische Feinheit als Fl. Er übertrifft diesen im Geschick des dramatischen Aufbaus, in der Zartheit der poetischen Empfindung, in der Kraft der Satire, im sittlichen Ernst. Während Fl. ein Dichter von ausgesprochener Dekadenz ist, tritt uns diese bei B. nicht so augenfällig entgegen. Im Lustspiel wird B. von Jonson viel stärker beeinflußt als sein Genosse; im Trauerspiel gehört er zu den erfolgreichsten Nachahmern Shakespeares. Seine Rhythmik ist sorgfältiger als die Fl.s; namentlich ist er genauer im Silbenzählen. Er hat nicht wie Fl. eine besondere Vorliebe für den elfsilbigen Jambus mit weiblichem Versausgang. 201. Im Gegensatz zu B. ist F 1 e t c h e r ein wirklich berufsmäßiger Bühnendichter. Seine große dramatische Fruchtbarkeit ist gewiß auch aus dem Zwang seines Berufs zu erklären. Im Lust-

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spiel ging er eher von Middleton als von Jonson ans. Fl. ist gewiß ein großer Dichter von staunenswerter Sprachgewalt und echter dichterischer Empfindung, aber dabei durchaus d e k a d e n t : zu sehr erpicht auf starke Reizmittel, sensationelle Wirkungen, ungewöhnliche, überraschende, oft sehr künstliche Situationen, vor allem aber durch und durch unsittlich. Sehr häufig ist Sinnenkitzel sein Hauptzweck. Es fehlt ihm die Achtung vor weiblicher Ehre und Reinheit; nur selten begegnen in seinen Stücken keusche Frauen, und deren Keuschheit ist zu redselig, um als echt gelten zu können. Die Liebe bildet bei ihm fast stets den Angelpunkt der dramatischen Handlung; er faßt den Begriff aber in der rein sinnlichen Bedeutung und schildert auch alle möglichen Formen ihrer Entartung. Bei Middleton ergab sich der Schmutz ganz von selbst als notwendiger Bestandteil der von ihm geschilderten Umwelt; durch die Situationen, die Fl. darstellt, war eine innere Notwendigkeit, sittlichen Schmutz vorzuführen, nicht gegeben. Insofern ist Fl.s Schmutz noch schlimmer als der Middletons. Mitunter versucht Fl. zart zu sein, artet aber dann leicht in Süßlichkeit aus (vgl. Philast.). 202. Fl. war zu sehr auf den Beifall der Menge bedacht, obgleich er sie innerlich verachtete, und sich ihr gegenüber ebenso wie B. stets als der große Herr fühlte. Selbst seine besten Werke sind eher das Erzeugnis sehr geschickter Bühnentechnik als wirklich großer Kunst 73 ). Ihm fehlte die wirkliche Tiefe der Auffassung und die Wucht großer Leidenschaft. Nirgends packt er tiefere Probleme an; er bleibt gewöhnlich an der Oberfläche. Es fehlt ihm aller Idealismus. Er vermochte es daher nicht, wie Shakespeare, die Schöpfungen seiner reichen Einbildungskraft zur Höhe des Allgemein-Menschlichen zu erheben. 203. Ein Hauptverdienst Fl.s in s t o f f l i c h e r Hinsicht ist es, die reichen Schätze der spanischen Novellen- und Romanliteratur zuerst in größerem Umfang als Quellen für das englische Drama erschlossen zu haben; was vor ihm nur gleichsam tröpfelnd in die englische Literatur eingedrungen war, das ergoß sich nun in reichem Strome in sie. Vor ihm hatte besonders die italienische Literatur die englische befruchtet; aber das italienische Drama war zu großem Teil in festen Typen und Situationen erstarrt. Die spanische Literatur ist unvergleichlich reicher und origineller als die italienische; ihre Erschließung bedeutete also für das englische Drama einen großen Gewinn. 204. In m e t r i s c h e r Hinsicht ist Fl.s Hauptmerkmal die Vorliebe für weibliche Versausgänge, für den elfsilbigen Jambus. " ) Macaulay, Cambr. Hist. V I

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Die Anhäufung der Elfsilbler gibt seinen Versen einen sanften melodischen Fluß, wirkt aber schlaff. Den Schluß des Verses bildet oft ein einsilbiges Wort. Das Enjambement begegnet nur spärlich; meist decken sich Versschluß und Satzende. Daher klingen Fl.s Verse, trotz seiner starken musikalischen Begabung, auf die Dauer einförmig. Zugleich ist er nachlässig in der Rhythmik: der Ton liegt oft auf einer unbetonten Silbe; die Silbenzählung ist wenig sorgfältig. 205. Zahlreich sind die beiden Dichtern g e m e i n s a m e n E i g e n t ü m l i c h k e i t e n . Beide sind in den Anschauungen der damaligen vornehmen Welt, mit all ihrer Verderbtheit, befangen. Diese Anschauungen spiegeln sich in ihren Stücken wieder, namentlich in der bei ihnen so vielfach hervortretenden Frivolität. Als getreue Spiegelbilder damaliger Sitten haben ihre Dramen besonderen Wert als kulturgeschichtliche Fundgruben. Ihre größte Stärke liegt darin, den damaligen Unterhaltungston der vornehmen Kreise in Dialogen von glänzendem Witz wiederzugeben. Dieser Unterhaltungston ist durchaus natürlich und wirkt dadurch lebenswahr. Der bei früheren Dichtern so häufige Schwulst der Sprache wird sorgfältig vermieden. Die große Beliebtheit beider Dichter bei ihren Zeitgenossen erklärt sich eben daraus, daß diese sich selbst und ihre Zeitverhältnisse in den Dramen B.s und Fl.s besser wiedererkannten als in denen Shakespeares, der seine Zeit überragte, während jene sich auf gleicher Höhe mit ihrer Zeit befanden. Weil das Schaffen der beiden Dichter zeitlich begrenzt war, sich nicht ins Allgemein-Menschliche erhob, wirken beide als Künstler nicht über ihre eigene Zeit hinaus. 206. Ungeheuer ist der Reichtum der Erfindung und die Mannigfaltigkeit der Motive bei beiden Dichter; sie besitzen in ungewöhnlichem Maße die Fähigkeit, eine bunte spannende Handlung zu ersinnen. Diese wird aber bei ihnen so sehr zur Hauptsache, daß die Charakteristik der Personen dabei nicht selten zu kurz kommt. Das Bedürfnis, durch unerwartete Situationen, durch jähen Wechsel zu überraschen, führte oft dazu, die Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit der Charakteristik zu stören, und auch die Handlung selbst unwahrscheinlich zu machen. Obgleich B. und Fl. auch die häusliche Sittenkomödie mit englischem Schauplatz gepflegt haben, liegt doch der Schwerpunkt ihres Schaffens im romantischen Drama mit fremdem, mitunter sehr fremdartigem Schauplatz.

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MASSINGER.

I. Philip Massinger. 207. The Plays from the Text of W. G i f f o r d with the Addition of Believe ed. by Francis C u n n i n g h a m . London 1897. — M. C h e l l i : L e drame de M.Paris 1924. — A. H. C r u i c k s h a n k : Ph. M. Oxford 1920. — M a k k i n k , s. § 143. — R e u s s : M.s dramatische Technik. Diss.in Masch.-Sehr. München 1923. — Irmgard R ö h r i c h t : Frauenprobleme in der engl. Lit. 1. Das Idealbild der Frau bei Ph. M. Diss. München 1920.

Ph. M. wurde 1583 zu Salisbury geboren als Sohn eines Hausverwalters der Grafen von Pembroke, deren Gönnerschaft sich auch auf den Sohn vererbte. Dieser bezog 1602 die Universität Oxford, verließ sie aber wieder 1606, ohne einen akademischen Grad erlangt zu haben. Er tauchte nun im Strudel von London unter, anfangs im Dienste des Theaterunternehmers Henslowe. Um 1619 scheint er zuerst als Dichter aufgetreten zu sein. Von ihm allein sind 15 Dramen überliefert, an 11 andern war er als Mitarbeiter beteiligt, von 12 seiner verlorenen Stücke sind nur die Titel bekannt. Ueber sein Leben wissen wir sonst sehr wenig. Er starb 1640 und wurde auf dem Friedhof der St.-Saviour's Kirche zu Southwark beigesetzt, wo auch John Gower seine letzte Ruhestätte gefunden hat. 208. Am wenigsten Raum nimmt in M.s dramatischem Schaffen die L o n d o n e r S i t t e n k o m ö d i e ein. Hierher gehören nur zwei seiner Stücke, City M. und Debts, beide an Jonson anknüpfend, auch in der Verwendung redender Namen zur Charakteristik ihrer Träger. The City Madam (1619; 4 0 , 1658) verbindet mit Jonsons schwerfälliger satirischer Didaktik die leichtere und gefälligere Art Middletons. Die Satire richtet sich gegen zwei Hauptlaster der Zeit, gegen die Heuchelei, tlie in Luke Frugal wirkungsvoll verkörpert wird, und gegen die Hoffart der reichen Londoner Bürgerfrauen, die in törichter Eitelkeit es mit dem Hofe an Prunk aufnehmen wollen. Hauptvertreterin dieser Modetorheit ist Lady Frugal, Lukes Schwägerin, mit ihren beiden Töchtern. Der Stoff berührt sich hier mit Eastw.\ M. behandelt ihn aber mit großer Selbständigkeit. Das Stück ist geschickt aufgebaut, und die Charakteristik sehr lebendig und eindringlich. 208 a. A New Way to pay Old Debts (1625; 4 0 , 1633). Einzelausgabe von A. H. C r u i c k s h a n k . Oxford 1926. Debts gilt mit Recht als M.s komisches Meisterwerk. Den Grundgedanken des Stückes verdankt M. Middletons Trick; er hat aber die Intrige dieses Lustspiels sehr verfeinert. Der Ruhm von Debts beruht vor allem auf der gelungenen Charakteristik des Sir Giles Overreach, eines reichen Kaufmanns und wucherischen Halsabschneiders, der aber doch kein gewöhnlicher Geizhals, sondern mit ganz individuellen Zügen ausgestattet ist. Er ermuntert sogar E c k h a r d t , Geschichte des englischen Dramas.

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seinen verarmten Neffen Frank Wellborn zur Verschwendung, damit es diesem gelinge, die reiche Witwe Lady Allworth einzufangen, auf deren Vermögen es der alte Gauner selbst abgesehen hat. Als am Schluß alle seine Hoffnungen in nichts zerrinnen, wird er aus Verzweiflung geisteskrank. 209. Auch das r o m a n t i s c h e L u s t s p i e l ist von M. nur wenig gepflegt worden. Hierher gehören nur Flor, und Guard. The Great Duke of Florence (1627; 4 0 , 1636). H. A . S h a n d s : M.s Flor, und seine Quellen. Halle 1902.

Flor, ist die Dramatisierung eines bekannten Stoffes, die Geschichte von dem treulosen Freunde, der als stellvertretender Brautwerber dem andern die Braut wegschnappt. Die Geschichte war schon zuvor im englischen Drama behandelt worden, im anonymen Knack (1592). M. verlegt die Handlung nach Florenz. Die entsprechenden Personen sind bei ihm: Herzog Cozimo von Florenz, sein Neffe Giovanni, und Lidia, die Tochter von Giovannis Erzieher Carolo Charomonte. Die Rolle des treulosen Werbers wird hier aber verdoppelt : neben Giovanni wird auch der vom Herzog abgesandte Graf Sannazaro, ein Günstling Cozimos, durch die Liebreize Lidias gefangen. Der Küchenmagd entspricht Lidias törichte Dienerin Petronella. Die Entlarvung geschieht in viel feinerer Weise als in Knack74). Das Stück ist reich an anmutiger Schönheit, die Charakteristik ist wohl gelungen, und auch die Verstechnik gefällig. Es ist eines der erfolgreichsten und besten Dramen M.s. Eine heitere Stimmung erfüllt das Ganze, wie sie für die Dramatik unseres Dichters ungewöhnlich ist. 210. The Guardian (1633; 8°, .1655), ein in Neapel spielendes Stück, hat eine verwickelte unwahrscheinliche Handlung, und ist reich an anstößigen Szenen. Der Titelheld Durazzo ist ein gewissenloser Mann, dem die Ehre der Frauen nichts gilt, der seinen eigenen Neffen Caldoro, zugleich sein Mündel, zur Unzucht anhält. Die leichte Handlung bedient sich abgedroschener Motive: ein Edelmann (Severino) ist wegen eines vermeintlichen Verbrechens verbannt worden, seine Unschuld kommt aber an den Tag; Liebesverhältnisse kreuzen sich: die Braut (Calista) gewinnt statt ihres ursprünglichen Liebhabers (des Wüstlings Adorio) den Caldoro, während Adorio sich mit ihrer Zofe Mirtilla begnügen muß; die vornehme Abkunft dieser Zofe wird schließlich entdeckt; ein Ehegatte (Severino) kehrt unerwartet nach langer Abwesenheit nach Hause zurück und findet seine Frau (Iolante) bei den Vorbereitungen zum Stelldichein mit einem Liebhaber. Das alles ist aber mit geschickter Bühnentechnik zusammengefügt. ") Koeppel B 119.

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211. Weitaus überwiegen auch bei M., offenbar unter Fletchers Einfluß, die T r a g i k o m ö d i e n . Unter diesen reicht am weitesten zurück Old (1599), vgl. § 127. Ferner gehört dazu: The Maid of Honour (1622; 4 0 , 1632). K . R a e b e 1: M.s D r a m a Maid. Palace of Pleasure. Halle 1901.

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in seinem Verhältnis zu Painters

Titelheldin ist die edle Jungfrau Camiola, die für den von ihr geliebten Malteserritter Bertoldo, den natürlichen Bruder des Königs Roberto von Sizilien, ein ungeheures Lösegeld bezahlt, um ihn aus der Kriegsgefangenschaft zu befreien. Sie tut das unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er sie heirate, und schließt deshalb mit ihm einen förmlichen Ehevertrag ab. Bertoldo wird aber gleich nach seiner Befreiung von einer plötzlichen Liebesleidenschaft für die Herzogin Aurelia von Sienna gepackt, obwohl diese sich ihm geradezu aufdrängt. Er verlobt sich nun mit ihr, trotz seiner Verpflichtungen gegen Camiola, und ist eben im Begriff, mit jener vermählt zu werden, da entlarvt Camiola seine Treulosigkeit. Ihre älteren Rechte werden allgemein anerkannt, auch von Bertoldo selbst. Sie aber verschmäht ihn, entsagt der Welt und tritt als Nonne in ein Kloster ein. Das asketische Ideal des zum Katholizismus hinneigenden Dichters prägt sich in diesem überraschenden Schluß aus. Quelle für diesen Teil der Handlung ist eine Novelle in Painters Palace of Pleasure7S). Anspielungen auf die politischen Verhältnisse von M.s eigener Zeit sind mehrfach erkennbar: Herzog Ferdinand von Urbino hat einen Einfall ins Nachbargebiet gemacht, ist dabei aber schmählich geschlagen worden. In der Weigerung Robertos, ihm zu helfen, wird eine Anspielung auf die mangelnde Unterstützung erblickt, die König Jakob I. seinem Schwiegersohne, dem Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, zu Anfang des Dreißigjährigen Krieges angedeihen ließ. Der lasterhafte Höfling Fulgentio, Robertos Günstling, gilt als Vertreter des Herzogs von Buckingham, dessen Stern damals gerade im Steigen begriffen war. 212. The Bondman (1623; 4 0 , 1624) ist dichterisch freie Umgestaltung eines Stoffes der alten Geschichte: der Befreiung von Syrakus von der Herrschaft der Karthager durch den korinthischen Feldherrn Timoleon, im Anschluß an Plutarchs Leben Timoleons76). Mit dem Feldherrn zieht der Syrakusaner Leosthenes in den Krieg, nachdem er sich von seiner Verlobten Cleora verabschiedet hat. Sie läßt sich von ihm die Augen verbinden, und will sich die Binde erst wieder von ihm selbst bei seiner Rückkehr abnehmen lassen. Auch gelobt sie während seiner Abwesenheit " ) K o e p p e l B 121 f f . ,6 ) K o e p p e l B 96.

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stumm zu bleiben und ihr Zimmer nicht zu verlassen. Wieder eine der vielen übertriebenen unnatürlichen Situationen, die uns besonders im nachshakespearschen Drama so häufig begegnen. Der klassische Stoff wird in dieser Liebesgeschichte ganz im Geiste der Romantik behandelt. Die Entfernung aller streitbaren Männer aus der Stadt benutzen die Sklaven, um die Herrschaft an sich zu reißen. Ihr Anführer ist der Titelheld Marullo; zu spät wird uns enthüllt, daß er in Wirklichkeit ein vornehmer Thebaner namens Pisander ist, dessen Werbung Cleora einst abgewiesen hatte, daß außerdem Cleoras Sklavin Timandra Pisanders Schwester Statilia und die Geliebte des Leosthenes ist, die von diesem treulos verlassen worden war. Seine eigene Verkleidung wie die seiner Schwester sowie auch den Sklavenaufstand benutzt Pisander als Mittel, um sich an Leosthenes und Cleora zu rächen. Er wird aber durch Cleoras Tugend und Schönheit besänftigt und entsagt am Schluß zugleich seiner Liebe und seiner Rache. 213. TheParliament of Love (1624; Hds.), von M. und vielleicht von W. R o w 1 e y , spielt in Paris zur Zeit des Königs Karl VIII. (1483—98). Das Liebesparlament ist ein vom König am französischen Hofe eingesetzter Gerichtshof, der alle Liebesangelegenheiten schlichten soll: Klagen der jungen Männer gegen ihre stolzen Herrinnen, die ihre demütigen Dienste nicht genügend beachten, wie auch Klagen beleidigter Damen gegen ihre Beleidiger. Vielleicht war Rowley der ursprüngliche Verfasser, und M. nur der spätere Bearbeiter") dieses lückenhaft überlieferten, flüchtig gearbeiteten Stückes, dessen verwickelte, zum Teil unwahrscheinliche Handlung sich auf groben Theatereffekten aufbaut. Der Stoff wurde angeregt durch eine Schrift von Martial d'Auvergne Aresla amorum (1555) *8). 214. The Renegado (1624; 4 0 , 1630). T. H e c k m a n n : M.s Reneg. und seine spanischen Quellen. Halle 1905

Das Stück gehört zu den fesselndsten Dramen M.s. Antonio Grimaldi, der Titelheld, hatte in Venedig einst einem Priester a m Altar die Hostie aus der Hand gerissen und sie auf den Boden geschleudert. Er war dann entkommen, trat zum Islam über, wurde Seeräuber, entführte Paulina, die Schwester des Venetianers Vitelli, und betätigte sich überhaupt als wilder Verbrecher im Dienste Asambegs, des Vizekönigs von Tunis. Nachdem er aber bei diesem in Ungnade gefallen war, packte ihn die Reue. Er empfing nun die Verzeihung desselben Priesters, an dem er einst gefrevelt hatte, eines Jesuitenpaters Francisco, und büßte seine ") Hazlitt, Manual p. 175. '") Koeppel B 104.

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früheren Verbrechen dadurch, daß er den Christen beistand, die in die Hände der Mohammedaner fielen. Der Jesuit hat alle Fäden der Handlung in der Hand, und wird als durchaus gewinnende Persönlichkeit gekennzeichnet. M.s Zuneigung zum Katholizismus kommt auch hier wieder zum Vorschein. Vitelli will in der Verkleidung eines Kaufmanns Paulina aus den Händen der Muselmanen befreien. Er verliebt sich aber in die schöne Türkin Donusa, wird bei einem Stelldichein mit ihr überrascht, und mit ihr zusammen zum Tode verurteilt. Er kann sein Leben durch Heirat Donusas und Uebertritt zum Islam erkaufen, weigert sich aber standhaft, selbst unter der Folter, seinen Glauben zu verleugnen, und bekehrt durch seinen Bekennermut auch Donusa zum Christentum. Auch Paulina hatte inzwischen Asambegs Versuchungen siegreich widerstanden. A m Schluß werden alle Christen von Grimaldi, der von Francisco beherrscht wird, auf ein Schiff gebracht und gerettet. Die Handlung beruht auf zwei Werken des Cervantes: der Erzählung des Sklaven in Teil I des Don Quixote, Kap. 39—41, wo Cervantes seine eigene fünfjährige Gefangenschaft bei den Türken literarisch verwertet hat, und seinem Lustspiel Los Banos de Argel (1615) 79 ). 215. The Picture (1629; 4 0 , 1630) ist eine Verherrlichung der ehelichen Treue. Sie wird im böhmischen Ritter Mathias und seiner Gemahlin Sophia verkörpert. Mathias zieht in den Krieg; mit sich nimmt er ein Zauberbild Sophias, das durch Veränderungen seiner Farbe ihm ihre etwaige Untreue anzeigen soll. Er gelangt an den Hof des Königs Ladislaus von Ungarn; hier lobt er gegenüber der Königin Honoria so sehr die Schönheit und Keuschheit seiner Gattin, daß Honoria eifersüchtig wird und zwei höfische Wüstlinge, Ubaldo und Ricardo, zu Sophia absendet mit dem Auftrag, sie zu verführen, während sie selbst Mathias gegenüber alle ihre Reize spielen läßt. In beiden Fällen siegt aber die Gattentreue über alle Versuchungen. Quelle des trefflich aufgebauten Stückes ist eine von Painter übersetzte Novelle Bandellos 80 ). 216. Believe as you list (1630; gedr. zuerst für die Percy Soc. 1844) hat zum Helden einen antiken asiatischen König Antiochus, der, von den Römern verfolgt, beim König Prusias von Bithynien Schutz sucht, aber von ihm an jene ausgeliefert wird. Als Antiochus den Römern gegenüber seine Rechtsansprüche als König geltend macht, bestreiten sie die Echtheit seiner Person, indem sie behaupten, der wirkliche Antiochus sei in der Schlacht umgekommen. Das antike Gewand dient hier nur als Hülle für ein Ereignis der nahen ~») Koeppel B 98 ff. Koeppel B 125.

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Vergangenheit: König Sebastian von Portugal war 1578 auf afrikanischem Boden in einem Kriege gegen die Mauren gefallen. Das herrscherlose Portugal wurde nun 1580 von Philipp II. dem spanischen Reiche einverleibt, was bei den Portugiesen große Unzufriedenheit erregte. Diese nutzten mehrere Betrüger aus, um sich für den in Afrika verschollenen Sebastian auszugeben. Am erfolgreichsten war unter ihnen ein Calabrese Marco Tullio, der fünf Jahre lang seine Prätendentenrolle geschickt durchführte und den Spaniern das Leben sauer machte. Im übrigen Europa glaubten viele an seine Echtheit, so auch M., indem er Antiochus, den Vertreter Sebastians, als durchaus rechtmäßigen Herrscher auffaßt. Er schildert seine Schicksale in genauem Anschluß an den Lebenslauf des Calabresen, wobei er wahrscheinlich das Geschichtswerk Cayets (1605) benutzt hat 81 ). Das schließliche Schicksal des Antiochus wird uns nicht mitgeteilt; der falsche Sebastian wurde 1603 von den Spaniern hingerichtet; die Unbestimmtheit von Antiochus' Ausgang entspricht aber gerade der Darstellung Cayets. Unser Stück ist die Umarbeitung eines älteren verlorenen Dramas M.s The King and the Subjed, das König Karl selbst beanstandet hatte, weil darin Sebastian und Philipp II. unmittelbar, ohne antike Verkleidung, geschildert worden waren. Wahrscheinlich ist mit Antiochus zugleich auch der unglückliche Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, König Karls Schwager, gemeint. Dafür spricht folgender Umstand: die nicht benannte Gemahlin des Prusias von Bithynien tritt warm für Antiochus ein; ihrer Rolle fehlt aber in der Darstellung Cayets jede Grundlage. Mit ihr ist aber Karls Gemahlin Henrietta Maria gemeint, die mit seiner zurückhaltenden Politik gegenüber seinem Schwager nicht einverstanden war. 2x7. The Emperor of the East (1630/31; 4 0 , 1632) spielt zu Konstantinopel in byzantinischer Zeit. Pulcheria, die Schwester des Kaisers Theodosius des Jüngeren, führt ihrem Bruder selbst die schöne Athenais zu; als er sie aber unter dem Namen Eudocia zu seiner Gemahlin erhob und Pulcheria nun eine Verringerung ihres Einflusses auf den Bruder befürchten mußte, verwandelte sie sich in eine Feindin ihrer neuen Schwägerin. Theodosius beginnt an der Treue seiner Gattin irre zu werden; er hat seinen Verwandten Paulinus in Verdacht, ihr heimlicher Liebhaber zu sein, verurteilt diesen ohne weiteres auf den bloßen Verdacht hin zum Tode und verbannt Eudocia von seinem Hofe. Auf diese Weise stellt M. die Tyrannei von Herrschern an den Pranger; daneben geißelt er das kriecherische Benehmen von Höflingen. Als Hauptquelle hat dem Dichter eine französische Uebersetzung 81)

Koeppel B 154 ff.

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{1583) der Annalen des byzantinischen Geschichtschreibers Zonaras gedient 82 ). Der geschichtliche Paulinus wurde wirklich getötet, und Eudocia beschloß ihr Leben fern von Konstantinopel in Jerusalem. M. verwandelte aber den tragischen Stoff in eine Tragikomödie, indem er Theodosius die Unschuld der Angeklagten erkennen läßt; sie kommt freilich auf unglaublich geschmacklose Weise an den Tag, nämlich durch die Entdeckung, daß Paulinus ein Eunuch sei. 218. A Very Woman; or, The Prince of Tarent (1634; 8°, 1655) ist nach dem Prolog die auf Befehl eines hohen Gönners vorgenommene Ueberarbeitung eines älteren Stückes, das in J. F 1 e tc h e r s verlorenem Drama The Woman's Plot; or, A Right Woman {1621) vermutet wird, nach andern in M.s verlorener Komödie The Spanish Viceroy; or, The Honour of Woman (1624). Als Haupteigenschaft des Weibes wird im Charakter der Titelheldin Almira, der Tochter des spanischen Vizekönigs von Sizilien, unberechenbare Launenhaftigkeit hingestellt. Sie verschmäht ihren einen Bewerber Don John Antonio, den Prinzen von Tarent, und sucht ihn auf jede Weise zu demütigen und zu kränken; dagegen schenkt sie ihr Herz dem andern Bewerber Don Martino Cardenes, dem Sohne des Herzogs von Messina. In einem Zweikampf zwischen beiden wird Don Cardenes schwer verwundet. Don Antonio hält sich für seinen Mörder, flieht vor der Rache des Vaters seines Gegners, wird aber von Seeräubern gefangen genommen und als Sklave an Cuculo, den Hausverwalter des Vizekönigs, verkauft. Als solcher gewinnt er Herz und Hand der angebeteten Almira, die ihn als Prinzen abgelehnt hatte. Das Selbstgefühl einer verwöhnten, eigenwilligen, der Macht ihrer Schönheit bewußten jungen Dame vornehmer Abkunft wird in Almira trefflich gezeichnet. Der Stoff entstammt einer der Novelas exempiares des Cervantes, der Erzählung El Amante liberal63). 219. The Bashful Lover (1635; 8°, 1655) hat zum Titelhelden den bis zur Unmännlichkeit schüchternen mailändischen Prinzen Galeazzo, der in Verkleidung unter dem Namen Hortensio trotz seiner Schüchternheit alle übrigen Bewerber um die Hand Matildas, der Tochter des Herzogs Gonzaga von Mantua, aus dem Felde schlägt. In einer Nebenhandlung treten Alonzo, der Neffe des Herzogs von Toskana, und die von ihm verführte und verlassene Maria, die Tochter des mantuanischen Generals Octavio, auf, die als Page verkleidet unter dem Namen Ascanio ihren Verführer durch die Standhaftigkeit ihrer Liebe zur Reue bekehrt und für sich gewinnt, eine der vielen Nachahmungen von Shakespeares •») Koeppel B 128 ff. •*) Koeppel B 144.

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HOCHRENAISSANCE.

Viola in Tw. Die Verbindung beider Handlungen ist sehr geschickt. Eine Quelle für die Haupthandlung ist nicht bekannt. 220. Unter den T r a u e r s p i e l e n M.s ist das älteste The Fatal Dowry (um 1619; 40, 1632; Einzelausgabe von L o c k e r t , Diss. von Princeton 1918), von ihm mit N. F i e 1 d gemeinsam verfaßt. Der edle junge Charolais hat sich an Stelle seines verschuldeten Vaters, eines burgundischen Marschalls, ins Schuldgefängnis werfen lassen, wie Cimon für seinen Vater Miltiades 84 ); er wird aber von Rochefort, dem früheren Vorsitzenden des Parlaments von Dijon, nicht nur daraus befreit, sondern erhält sogar dessen Tochter Beaumelle zur Frau. Diese nimmt Charolais zum Gemahl an, obgleich sie den jungen Stutzer Novall liebt; sie hat aber von vornherein die Absicht, ihr früheres Verhältnis auch in der Ehe fortzusetzen. Als Charolais ihre Liebschaft entdeckt, tötet er im Zweikampf Novall; über Beaumelle dagegen läßt er ihren eigenen Vater richten. Im Kampf zwischen Vaterliebe und Rechtsgefühl siegt bei Rochefort letzteres: er verurteilt Beaumelle zum Tode, und Charolais selbst vollstreckt dies Urteil an ihr sofort. Er wird zwar vom Gericht von der Schuld zweifachen Mordes freigesprochen, erliegt aber dann selbst der Blutrache des Hauses Novall. Eine Quelle für diese folgerichtig aufgebaute Handlung mit ihren gut gezeichneten Charakteren ist bisher nicht bekannt. N. Rowe hat den Stoff später in seinem Drama The Fair Penitent (1703) verwertet. 221. Das anonyme Trauerspiel Sir John Van Olden Barnavelt (1619; Hds.; Einzelausgabe von W. P. F r i j 1 i n c k , 1922; auch Bullen II) gilt als Werk M.s und F l e t c h e r s . Der große niederländische Staatsmann, dessen tragisches Schicksal hier vorgeführt wird, wurde am 13. Mai 1619 hingerichtet. Sein Tod erregte großes Aufsehen auch in England. Das vorliegende Drama ist unter dem frischen Eindruck dieses Ereignisses noch im gleichen Jahre entstanden. Mehrere Umstände haben dazu beigetragen, den Charakter des Helden im Stücke in ungünstigcrem Lichte erscheinen zu lassen, als der geschichtlichen Wahrheit entsprach. Jakob I. war der erbitterte Gegner Barnevelds; unter dem Einfluß des Hofes bestanden in England überhaupt starke Vorurteile gegen den Niederländer; diese Vorurteile haben auch auf die Verfasser des Dramas abgefärbt. Diese wurden auch durch die gleich nach Barnevelds Tode erschienenen Flugschriften seiner niederländischen Gegner beeinflußt, die gegen ihn Partei nahmen und von den englischen Dramatikern als Quelle benutzt wurden. Das Stück war außerdem dem englischen König deshalb nicht genehm, weil es scharf gegen Spanien als Unterdrücker der niederländischen '*) Koeppel B 134 ff.

I. P H I L I P

MASSINGER.

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Freiheit Partei nahm, König Jakob aber gerade damals eine Heirat seines Sohnes Karl mit einer spanischen Prinzessin plante. Eine Aufführung des Stückes fand im August 1619 statt; weitere Aufführungen wurden aber aus Gründen der Politik unterdrückt, und so blieb es verschollen, bis es im Erstdruck Bullens seine Auferstehung erleben durfte. Die dramatische Einheitlichkeit leidet darunter, daß die Sympathien der Verfasser zwischen Barneveld und seinem Hauptgegner, dem Prinzen Moritz von Oranien, hin und her schwanken; auch die doppelte Verfasserschaft hat der Einheitlichkeit von Barnevelds Charakterbild geschadet. Die geschilderten Verhältnisse machen es verständlich, daß die Verfasser die in der geschichtlichen Persönlichkeit Barnevelds, dessen Tod ein Justizmord war, enthaltene großartige Tragik nicht voll ausgeschöpft haben. Das Stück macht überhaupt den Eindruck einer flüchtigen Arbeit; es war ja auch in wenigen Wochen niedergeschrieben worden. Trotzdem tritt die vornehme Größe des Helden auch in dem vielfach entstellten Bilde noch deutlich hervor; diese Größe macht das Stück auch, trotz all seiner Mängel, zu einem der bedeutendsten unter den Dramen, in denen ein nichtbritischer geschichtlicher Stoff der damaligen unmittelbaren Gegenwart vorgeführt wird. 222. T h e Virgin Martyr (1620; 4 0 , 1622) v o n M. u n d D e k k e r

gilt mit Recht wegen seines ergreifenden Inhalts als ein tragisches Meisterwerk. Wahrscheinlich ist es die Bearbeitung eines verlorenen Dramas Dekkers Diocletian (1594) durch M. Es stellt eine Dramatisierung der Legende von der hl. Dorothea dar. Diese bleibt ihrem christlichen Glauben auch in der Todesmarter treu. Ihre Heldenhaftigkeit wirkt bei ihrem Hauptverfolger, dem fanatischen Christenfeinde Theophilus, so nach, daß auch er sich schließlich zum Christentum bekehrt und als Märtyrer stirbt. Vertreter niedriger Komik sind Dorotheas Diener, der whoremaster Hircius und der Trunkenbold Spongius, deren Zugehörigkeit zu ihrem Haushalt eine Störung der Reinheit ihres Charakters darstellt. Ihre Komik ist so unfein, daß sie die Schönheit der ernsten Teile stark beeinträchtigt. Sie erklärt sich aber offenbar aus dem Bedürfnis einer möglichst großen Kontrastwirkung zur Erhabenheit der Heldin. Ganz im Stil der alten Moralitäten werden die guten und die. bösen Mächte in edler Einfachheit des Stiles und der Sprache im Kampfe um die Heldin einander entgegengestellt. Quelle ist wahrscheinlich das Martyrologium des Laurentius Surius (1576)85). Eine ausgesprochen katholische Auffassung zeigt sich nicht; auch ein Protestant konnte eine altchristliche Mär85)

Koeppel B 82 ff.

io6

II.

DAS

EIGENTLICHE

DRAMA

DER

HOCHRENAISSANCE.

tyrerin nicht anders schildern, und so brauchte auch der eifrige Protestant Dekker am Stoffe keinen Anstoß zu nehmen. 223. The Duke of Milan (1620, gedr. 1623). E. G e r h a r d t :

M.s Milan

und seine Quellen. Halle 1905.

Milan versetzt uns in die Zeit des Krieges zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich. Ludovico Sforza, Herzog von Mailand, nimmt an diesem Kriege als Bundesgenosse der Franzosen teil, und um zu verhindern, daß seine heißgeliebte Gattin Marcelia nach seinem etwaigen Tode einen andern heirate, beauftragt er seinen Vertrauten Francisco, sie im Falle seines Todes zu ermorden. Diesen Francisco hatte Sforza besonders begünstigt und zu immer höheren Würden erhoben, um so die Erinnerung an das Unrecht zu ersticken, das er dessen Schwester Eugenia, dem Opfer seiner Verführung, angetan hatte. Francisco macht in Sforzas Abwesenheit Marcelia einen Liebesantrag; um sie ihrem Gatten abspenstig zu machen, erzählt er ihr von seinem Auftrag, sie zu töten; aber sie weist ihn auch jetzt zurück. Nach Sforzas Rückkehr verleumdet Francisco Marcelia durch die Behauptung, sie habe ihm ihre Liebe angeboten. Sforza ersticht sie, überzeugt sich aber noch vor ihrem Tode von ihrer Unschuld. Seine Reue wird vom Geschwisterpaar Francisco und Eugenia zur Rache an ihm benutzt. Francisco verkleidet sich als jüdischer Arzt, behauptet, Marcelia am Leben erhalten zu können, und richtet durch Schminke ihre Leiche so her, daß sie wie eine Lebende aussieht. Er bestreicht ihr Gesicht mit einem starken Gifte, und als Sforza seine Gemahlin küßt, stirbt er an diesem Gifte 86 ). Das Stück krankt an ganz groben psychologischen Mängeln. Eine ganz unmögliche Voraussetzung ist es schon, daß ein liebevoller Ehemann seine Gattin im Falle seines eigenen Todes umbringen lassen will. Sforzas Charakter ist völlig verzeichnet. Sein Tod durch das Küssen einer vergifteten Leiche ist ein plumper Theaterkniff, der im wirklichen Leben kaum denkbar wäre. Den geschichtlichen Hintergrund seiner verwickelten Fabel verdankt M. Guicciardinis Historia d'Italia; die romantischen Bestandteile des Stoffes sind aber aus der von Flavius Josephus in seinem Werke De hello judaico berichteten Geschichte von Herodes und Mariamne entnommen87). Die Vergiftung durch Küsse ist ein typischer Zug der Rachetragödie. 224. Der Titel von The Unnatural Combat (1621; 4 0 , 1639) bezieht sich auf den Zweikampf zwischen Malefort, dem Admiral von Marseille, und seinem Sohne, wobei letzterer getötet wird. Später entbrannt Malefort in unnatürlicher sinnlicher Liebe zu " ) Dies Motiv begegnet innerhalb des Dramas zuerst in K y d s •') Koeppel B 92 f f .

Pers.

I.

PHILIP

MASSINGER.

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seiner Tochter Theocrine. Um sich selbst vor dem Verbrechen der Blutschande zu bewahren, läßt er sie von seinem Vertrauten Montreville an einem sicheren Ort verborgen halten, zu dem ihm selbst unter keinen Umständen der Zutritt gewährt werden soll. Der schurkische Montreville entehrt aber Theocrine und schickt sie darauf zu ihrem Vater zurück. Theocrine stirbt, und Malefort wird von einem Blitz erschlagen. In der Wahl des widerwärtigen Stoffes erkennen wir den unheilvollen Einfluß Fletchers. Das Stück schildert in freier Umgestaltung die Schicksale der Familie Cenci 88 ), die auch Shelley dramatisiert hat. Die Beweggründe für die Handlungsweise der Hauptpersonen enthüllen sich uns erst allmählich; wir wissen zunächst gar nicht, warum der junge Malefort seinen Vater haßt, und warum Montreville Malefort gegenüber ein Rachebedürfnis empfindet. Malefort hatte seine eigene Gattin, die Mutter seines Sohnes, vergiftet, und die Geliebte Montrevilles diesem abspenstig gemacht. Der Tod Maleforts durch den Zufall eines Blitzstrahls ist ein künstlerischer Fehler. 225. The Roman Actor (1626; 4°, 1629) spielt zur Zeit des römischen Kaisers Domitian. Der Titelheld Paris erregt durch sein meisterhaftes Spiel das Wohlgefallen der Domitia, der Geliebten des Kaisers. Dieser wird eifersüchtig und rächt sich an Paris, indem er selbst mit ihm zusammen als Schauspieler auftritt, und ihn dabei nicht zum Scheine, wie es das Spiel erforderte, sondern wirklich ersticht. Am Schluß fällt Domitian selbst als ein Opfer der Feindschaft, die seine Grausamkeit in seiner Umgebung hervorgerufen hat. Die blutdürstige Tyrannei römischer Kaiser wird in Domitian, unter Benutzung von Sueton und Dio Cassius, eindrucksvoll dargestellt. Das Motiv des Schauspiels im Schauspiel verdankt M. K y d s Span. Trag. M. selbst hielt dies Stück für sein bestes; es zeichnet sich in der Tat aus durch seine streng folgerichtig aufgebaute Handlung, seine glänzende Rhetorik und die scharfe Charakteristik der Hauptpersonen. Ueber M. als Mitarbeiter Middletons s. Old § 127, Fletchers s. § 165 (Eid.), 179 (Candy), 185 (Lov. Progr.), 193 (Thierry), 194 (False), 195 (Double), 196 (Proph.). Seine Mitarbeit an vielen der unter den Namen Beaumonts und Fletchers herausgegebenen Dramen wird auch durch das ausdrückliche Zeugnis seines Freundes Sir Aston Cockayne bestätigt 8 9 ). 226. M a s s i n g e r erinnert an Jonson nur in seinen beiden Londoner Sittenkomödien, für die ihm jedoch Middleton noch eher als jener ein Muster war. Seine Nachahmungen Middletons sind aber zugleich Verfeinerungen. In der Tragikomödie und im 8»)

Koeppel B 86 ff. '