Das bestimmbare Deliktsstatut: Zur Zurechnung im internationalen Deliktsrecht [1 ed.] 9783428471683, 9783428071685

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Das bestimmbare Deliktsstatut: Zur Zurechnung im internationalen Deliktsrecht [1 ed.]
 9783428471683, 9783428071685

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Schriften zum Internationalen Recht Band 55

Das bestimmbare Deliktsstatut Zur Zurechnung im internationalen Deliktsrecht

Von

Benedict Czempiel

Duncker & Humblot · Berlin

BENEDICT CZEMPIEL

Das bestimmbare Deliktsstatut

Schriften zum Internationalen Recht Band 55

Das bestimmbare Deliktsstatut Zur Zurechnung im internationalen Deliktsrecht

Von Benedict Czempiel

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Czempiel, Benedict: Das bestimmbare Deliktsstatut: zur Zurechnung im internationalen Deliktsrecht / von Benedict Czempiel. Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 55) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07168-9 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-07168-9

Für Christa und Ernst-Otto die Eltern

Czempiel,

Vorwort Anregung und Förderung verdankt diese Arbeit Prof. Dr. Jochen Schröder. An seinem Bonner Lehrstuhl war ich von 1985-1988 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig; von ihm habe ich gelernt, seinen Ansprüchen gerecht zu werden habe ich mich bemüht. Die Erinnerung an diese Zeit ist schön. Nach dem jähen Tod von Jochen Schröder im Herbst 1987 erklärte sich Prof. Dr. Freiherr Marschall von Bieberstein trotz einer beträchtlichen Anzahl eigener Doktoranden bereit, die weitere Betreuung der Arbeit zu übernehmen. Von ihm habe ich zahlreiche Hinweise und tatkräftige Unterstützung bei der Drucklegung erhalten. Dafür möchte ich mich bedanken. Der Arbeitskreis Wirtschaft und Recht des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hat die Drucklegung durch einen Druckkostenzuschuß gefördert, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin. Im Sommersemester 1990 lag die Arbeit der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn als Dissertation vor. Rechtsprechung und Schrifttum habe ich bis dahin berücksichtigt. Berlin, im Herbst 1990

Benedict Czempiel

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

Erstes Kapitel Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung als Zurechnungsprinzip im internationalen Deliktsrecht I. Kollisionsrechtlicher Vertrauensschutz als Ausprägung von Rechtssicherheit

26

1. Allgemeine Voraussetzungen

26

2. Spezielle Unsicherheitsfaktoren im internationalen Deliktsrecht

27

a) forum Shopping

27

b) renvoi

28

II. Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts als anknüpfungsleitendes Interesse ..

28

III. Das maßgebliche Zurechnungsprinzip: Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung

31

IV. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung und Vorhersehbarkeit

33

V. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung und Kausalität / Verschulden VI. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung und materiellrechtliches Zurechnungsprinzip VII. Konsequenzen für deliktsrechtliche Kollisionsnormen VIII. Anknüpfungen, die kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung gerecht werden können

35 36 38 39

1. Tatortrecht (lex loci delicti commissi)

39

2. Rechts wähl

41

3. Akzessorietät

41

4. Weitere Anknüpfungen

42

5. Ausdrückliche Regelung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung

44

IX. Kollision der Selbstbestimmung von Schädiger und Geschädigtem X. Zusammenfassung: Drei Thesen XI. Das Untersuchungsprogramm

44 46 46

10

nsverzeichnis

Zweites Kapitel Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstößen I. Fall

48

II. Einführung

48

III. Zusammenstöße in hoheitsfreiem Gebiet 1. Anknüpfungen mit Beeinflussungsmöglichkeit für die Parteien a) Gemeinsames Heimatrecht b) Internationale Übereinkommen 2. Der Problemfall: Zusammenstoß bei verschiedenem Heimatrecht a) RG 12.11.1932, RGZ 138, 243 (Casablanca) b) Kritik c) Kollisionsrechtliche Prävisionsinteressen d) Anknüpfungsvorschläge aa) Heimatrecht des Geschädigten bb) lex fori cc) Heimatrecht des Schädigers dd) Art. 38 EGBGB ee) Rechtswahl ff) Besonderes Kriterium: Vorhersehbarkeit gg) Sonderanknüpfung der Haftungsbeschränkung

49 49 49 49 50 50 51 52 56 56 56 58 59 59 60 60

IV. Zusammenstöße in Territorialgebieten 1. Grundsatz: Tatortrecht (lex loci delicti commissi) 2. Unsicherheit: Abgrenzung des Küstenmeeres 3. Unsicherheit: Gleiches Heimatrecht a) Zusammenstöße in ausländischen Hoheitsgebieten b) Zusammenstöße im deutschen Hoheitsgebiet 4. Unsicherheit: IÜZ 5. Kollisionsrechtliche Bevorzugung des Schädigers über kollisionsrechtliche Selbstbestimmung hinaus?

63 63 63 64 64 66 66

V. Zusammenfassung

67 69

Drittes Kapitel Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Wettbewerbsverletzungen I. Fall II. Einführung

71 71

ID. Universalitätsprinzip

72

IV. Tatortrecht (lex loci delicti commissi)

75

nsverzeichnis

V. Die Nussbaumsche Regel 1. Ihre Bedeutung 2. Ihre Überwindung 3. Ihre Nachwirkung

77 77 79 81

VI. Parteiautonomie und akzessorische Anknüpfung VII. Ort der wettbewerblichen Interessenkollision 1. Grundsatz: Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung 2. Im Ausland veranlaßter Inlandswettbewerb a) Wettbewerbliche Interessenkollision und Vorhersehbarkeit der Inlandswirkung b) Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung Vin. Zusammenfassung

82 82 82 84 84 86 90

Viertes Kapitel Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Kartelldelikten I. Fall

91

II. Einführung

91

III. Begrenzungen des Auswirkungsprinzips 1. Spürbare Auswirkungen 2. Tatsächliche Auswirkungen 3. Unmittelbare Auswirkungen 4. Differenzierung zwischen in- und ausländischen Unternehmen 5. Vorhersehbare Auswirkungen 6. Selbstbestimmte Auswirkungen

94 94 95 96 97 99 104

IV. Zusammenfassung

107 Fünftes Kapitel

Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Immaterialgüterrechtsverletzungen I. Fall II. Einführung 1. Grundlagen: Territorialitätsprinzip und Assimilationsgrundsatz 2. Kollisionsrechtliche Aussage des Schutzlandprinzips

108 108 108 112

III. Schutzlandprinzip und kollisionsrechtliche Selbstbestimmung

113

IV. Zusammenfassung

117

V. Exkurs: Kollisionsrechtliche Zurechnung als materiellrechtliches Problem? 1. Der Ansatz 2. Nachteile materiellrechtlicher Einordnung a) Nachteil: Dogmatische Schwierigkeiten b) Nachteil: Uneinheitliche Auslegung im materiellen Recht c) Nachteil: Völliger Ausfall der Zurechenbarkeitsbeschränkung möglich

117 117 119 119 120 122

nsverzeichnis

12

Sechstes Kapitel Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Produkthaftung I. Fall

126

II. Einführung III. Kollisionsrechtliche Prävisionsinteressen 1. Prävisionsinteressen des Haftpflichtigen

126 128 128

a) Versicherungstechnische Interessen

128

b) Andere Interessen

131

2. Prävisionsinteressen des Geschädigten

133

3. Ergebnis

136

IV. Zu den Möglichkeiten, die Selbstbestimmungsinteressen beider Seiten zu berücksichtigen 136 1. Tatortrecht (lex loci delicti commissi)

136

2. Differenzierung zwischen Käufern / Benutzern und Dritten

137

a) Grundsatz

137

b) Akzessorische Anknüpfung

137

c) Marktort

138

d) Recht des Herstellerlandes

139

3. Der Problemfall

140

V. Regelungsmodelle

140

1. Die Haager Konvention vom 2.10.1973 über das auf die Produktenhaftpflicht anwendbare Recht

140

a) Befragung der Regierungen

140

b) Der Vorentwurf der Sonderkommission

142

c) Verhandlungen der 12. Haager Konferenz vom 2.10.197221.10.1972

144

aa) Vorhersehbarkeitsklausel

144

bb) Sonderregelung für Sicherheitsvorschriften

146

d) Die endgültige Regelung

147

2. Der Quebecer IPR-Entwurf von 1977

149

3. Das Schweizer IPR-Gesetz von 1987

149

4. Ergebnis

150

VI. Auf dem Weg zur Verwirklichung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung Vn. Zusammenfassung

153 156

nsverzeichnis

Siebentes Kapitel Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen I. Fall

157

IL Einführung

157

III. Kollisionsrechtliche Prävisionsinteressen

159

IV. Von Deutschen begangene Persönlichkeitsrechtsverletzungen 1. Anknüpfung an das Heimatrecht des Verletzten 2. Begrenzung des Haftungsstatuts

161 161 163

V. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 38 EGBGB 1. Möglichkeiten der Berücksichtigung a) Berücksichtigung im Rahmen der Tatortregel b) Berücksichtigung durch das Vorhersehbarkeitskriterium c) Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung 2. Berücksichtigung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung in der Entscheidung des BGH v. 3.5.1977 (profil) VI. Multistate-Persönlichkeitsrechtsverletzungen VII. Zusammenfassung

165 165 165 166 168 169 170 172

Achtes Kapitel Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Umweltdelikten I. Fall

173

II. Einführung

173

III. Berücksichtigung der Prävisionsinteressen des Schädigers

175

IV. Tatortrecht (lex loci delicti commissi)

176

V. Zusammenfassung

179 Neuntes Kapitel

Zum Inhalt des Zurechnungskonzepts "kollisionsrechtliche Selbstbestimmung" I. Das Vorhersehbarkeitskriterium II. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung

180 180

III. Kollisionsrechtliche „Bevorzugung" des Schädigers

181

IV. Zurechnung des Deliktsstatuts und materielles Recht

182

V. Weitere Konkretisierungen des Zurechnungskonzepts „kollisionsrechtliche Selbstbestimmung" 1. Konkretisierung: Zurechnungsausschluß bei räumlicher Bezugnahme durch Dritte

182 182

14

nsverzeichnis

2. Konkretisierung: Zurechnung bei fehlender räumlicher Bezugnahme durch Dritte 3. Konkretisierung: Zurechnungsausschluß bei ungeklärter räumlicher Bezugnahme 4. Konkretisierung: Zurechnung bei selbstbestimmter Rechtsvielfalt

188 188

VI. Ausblick: Zurechenbarkeit des Deliktsstatuts und maßgeblicher Anknüpfungspunkt

190

186

Verzeichnis der zitierten Gerichtsentscheidungen I. Deutsche Gerichtsentscheidungen 1. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 2. Entscheidungen des Reichsgerichts 3. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes 4. Entscheidung des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone 5. Entscheidungen des Kammergerichts 6. Entscheidungen der Oberlandesgerichte 7. Entscheidungen der Landgerichte II. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes ID. Ausländische Gerichtsentscheidungen 1. Anglo-amerikanische Gerichtsentscheidungen 2. Französische Gerichtsentscheidungen 3. Entscheidung des niederländischen Höge Raad 4. Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes 5. Schweizerische Gerichtsentscheidungen

192 192 192 193 194 194 195 196 197 198 198 200 200 200 200

Literaturverzeichnis I. Werke mit Verfasserangabe oder Sachtitel II. „Notes" m. Sonstige Werke ohne Verfasserangabe oder Sachtitel

201 238 238

Abkürzungsverzeichnis a. A., A. A. AB1EG AcP ADS a. F. affd AfP AG AHB AIDI Antitrust L. J. App. Ct. AtomG AWD BB BB1. BerDtGesVR BeschluBabt. BG BGB, BGB. BGB1. BGE BGH BGHSt BGHZ BKartA Bolze BT-Drucks. BVerfG BVerfGE Cal. 2d, 3d Cal. L. Rev. Cal. Rptr.

= = = = = = =

=

= = = —

=

= = = = = = =

= = = = = =

= = = = = =

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen alte Fassung affirmed Archiv für Presserecht — Zeitschrift für das gesamte Medienrecht Die Aktiengesellschaft Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Annuaire de 1' Institut de Droit international Antitrust Law Journal Court of Appeal Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters. Recht der Internationalen Wirtschaft Betriebsberater. Zeitschrift für Recht und Wirtschaft (schweizerisches) Bundesblatt Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschlußabteilung (schweizerisches) Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeskartellamt Die Praxis des Reichsgerichts in Zivilsachen, bearbeitet von A. Bolze Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts California Reports, second series bzw. third series California Law Review California Reporter (West)

16

Abkürzungsverzeichnis

Can. Bar Rev. C. E. A. cert. den. Cir. CLC

= = = = =

Clunet

=

Co. Código Bustamente

= =

Colo Colum. L. Rev. Conf. Cornell Int. L. J. CRISTAL

= = = = =

D. DAR DB

= = =

D. C. = D. C. Cir. = Deutscher Rat für IPR =

Dir. int.

=

D. L. R. D. Mass. Doc. trav dpa DTV d. Verf. E. D. EGBGB EPÜ

= = = = = = = = =

EuGH EuGVÜ

= =

EuZW EvBl. EWG

= = =

The Canadian Bar Review Comité Européen des Assurances certiorari denied United States Court of Appeals, Circuit „Civil Liability Convention" = Convention on Civil Liability for Oil Pollution Damage Journal du droit international privé et de la jurisprudence comparée Company Gesetzbuch des Internationalen Privatrechts vom 20. Februar 1928 (Havanna) (Código Bustamente) Colorado Reports Columbia Law Review Conférence Cornell International Law Journal Contract Regarding an Interim Supplement to Tanker Liability for Oil Pollution (1971) United States District Court Deutsches Autorecht Der Betrieb. Wochenschrift für Betriebswirtschaft, Steuerrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht District of Columbia District of Columbia Circuit Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Privatrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse, vorgelegt im Auftrag der Zweiten Kommission des Deutschen Rates für internationales Privatrecht von Emst von Caemmerer Diritto Internazionale. Rivista trimestrale di dottrina e documentazione Dominion Law Reports District of Massachusetts Document de travail Deutsche Presse-Agentur Deutscher Transport-Versicherungs-Verband e. V. der Verfasser Eastem District Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5.10.1973, BGBl. 1976 n 826 Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

Abkürzungsverzeichnis

EWGV F. 2d FamRZ FAZ Fed. Reg. FIW Fordham L. Rev. FS F. Supp. FuR GBl. DDR GG GIK GK GPÜ GRUR GRUR Ausl.

GRUR Int. GS GWB Handb. AusstattungsR Handb. StaatsR Handb. WettbewerbsR Hansa HansGZ HansRGZ Harv. L. Rev. Hastings L. J. Hauptbl. HGB h. M. HNS HUK-Verband 2 Czempiel

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Federal Reporter, second series Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Federal Register/National Archives of the United States, Washington, DC: US Government Printing Office Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e. V., Köln Fordham Law Review Festschrift Federal Supplement Film und Recht. Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Gesetzblatt der DDR Grundgesetz Gewerbe- und Industrie-Kommentar Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht: Gemeinschaftskommentar Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt (Gemeinschaftspatentübereinkommen) vom 15.12.1975, BGBl. 1979 II 834 Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Auslands- und Internationaler Teil (bis 1966) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Internationaler Teil (seit 1967) Gedächtnisschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handbuch des Ausstattungsrechts Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Wettbewerbsrechts, herausgegeben von Wolfgang Gloy Hansa: Zentralorgan für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen Hanseatische Gerichtszeitung Hanseatische Rechts- und Gerichts-Zeitschrift Havard Law Review The Hastings Law Journal Hauptblatt Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Hazardous and Noxious Substances Verband der Haftpflichtversicherer, Unfallversicherer, Autoversicherer und Rechtsschutzversicherer

18

Abkürzungsverzeichnis

Ibid. I. C. L. Q. i. d. F. ILA III. 2d I. L. M. IMCO Inc. Ins. L. J. Int. Wb.

= = = = = = = = = =

JPG

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IPR IPRax IPRspr.

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LR i. S. d. IÜR 1957

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IÜZ

=

i. V. m. J. Air L. & Comm. JB1. JherJb

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JuS JW J. W. T. L. JZ Kap. K. B. KG Kümo landwirtschaftl. L. Ed. 2d

= = = = = = = = = =

LG lit. LM

= = =

LS 1. Sp.

= =

Ibidem The International and Comparative Law Quaterly in der Fassung The International Law Association, Report of Conferences Illinois Reports, second series International Legal Materials Inter-Governmental Maritime Consultative Organization Incorporation Insurance Law Journal Internationaler Wettbewerb. Mitteilungen der Deutschen Landesgruppe der Internationalen Liga gegen unlauteren Wettbewerb e. V. Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts Irish Reports im Sinne des Internationales Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen vom 10.10.1957 Internationales Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen vom 23.9.1910 in Verbindung mit Journal of Air Law and Commerce Juristische Blätter Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Journal of World Trade Law Juristenzeitung Kapitel Law Reports, King's Bench Division Kammergericht Küstenmotorschiff landwirtschaftlichen Lawyers' edition, second series, United States Supreme Court Reports Landgericht litera Lindenmaier-Möhring. Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Leitsatz linke Spalte

Abkürzungsverzeichnis

Ltd. LU LZ Mass. MDR Mich. L. Rev. Minn. Minn. App. Minn. L. Rev. MMA

Mod. L. Rev. MuW Nachw. N. E. 2d Ned. Jur. NiemeyersZ N. J. NJW No. N. W. 2d N. Y. N. Y. S. 2d N. Y. U. L. Rev. NZZ ÖB1. öst. öst. BGBl, öst. IPRG OGH OGHBrZ OGHZ Okla. OLG OLGE 2*

19

= Limited = Londoner Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen von 1976 = Leipziget Zeitschrift für Deutsches Recht = Massachusetts = Monatsschrift für Deutsches Recht = Michigan Law Review = Minnesota = Court of Appeals of Minnesota = Minnesota Law Review = Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken vom 14.4.1891, für die Bundesrepublik verbindlich in der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967, BGBl. 1970 D 418 = Modern Law Review = Markenschutz und Wettbewerb. Monatsschrift für Marken-, Patent- und Wettbewerbsrecht. Organ der Gesellschaft für Weltmarkenrecht = Nachweise, Nachweisen = North Eastern Reporter, second sériés. = Nederlandse Jurisprudentie = Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht mit besonderer Berücksichtigung der Rechtshülfe (Bände 1-11); Zeitschrift für internationales Recht (Bände 20-24) = New Jersey = Neue Juristische Wochenschrift = Number, Numéro = North Western Reporter, second sériés = New York = New York Supplement, second sériés = New York University Law Review = Neue Zürcher Zeitung = Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht = österreichisch(es) = Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich = österreichisches Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), öst. BGBl. Nr. 304/ 1978 = Oberster Gerichtshof (Österreich) = Oberster Gerichtshof für die Britische Zone = Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen = Supreme Court of Oklahoma = Oberlandesgericht = Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts

20

OLGZ P. 2d P&I Clubs ProdHaftG Prot. PÜ

PVÜ

RabelsZ RAG

RBÜ

Ree. des Cours RechtsanwendungsVO 1942 Referentenentwurf 1984 Rev. crit. dr. int. Rev. crit. dr. int. priv. RG RGBl. RGRK RGZ RIW/AWD Rn. Rspr. Schulze Schweiz. IPRG SchwJblntR

Abkürzungsverzeichnis

Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Pacific Reporter, second sériés Protection and Indemnity — Clubs Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz — ProdHaftG) vom 15. Dezember 1989 (BGBl. 1989 I 2198) Protokolle Pariser Übereinkommen vom 29.7.1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28.1.1964 und des Protokolls vom 16.11.1982, BGBl. 1985 II 963, 964. Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.3.1883, verbindlich für die Bundesrepublik in der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967, BGBl. 1970 II 391 Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwendungsgesetz. Gesetz über die Anwendung des Rechts auf internationale zivil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf internationale Wirtschaftsverträge vom 5. Dezember 1975, GBl. DDR I Nr. 46, S. 748 Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9.1886, für die Bundesrepublik verbindlich in der Pariser Fassung vom 24.7.1971, BGBl. 1973 II 1069, 1071, mit Änderungen vom 2.10.1979, BGBl. 1985 II 81 Académie de Droit international, Recueil des Cours Verordnung über die Rechtsanwendung bei Schädigungen deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets. Vom 7. Dezember 1942, RGBl. 1942 I 706 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts (außervertragliche Schuldverhältnisse und Sachen; Stand: 15.5.1984) Revue critique de droit international Revue critique de droit international privé Reichsgericht Reichsgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes. Kommentar, 12. Aufl. 1974 ff. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft — Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Randnummer Rechtsprechung Rechtsprechung zum Urheberrecht. Entscheidungssammlung mit Anmerkungen herausgegeben von Erich Schulze schweizerisches Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG), BB1. 1988 I 5-60 Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht

Abkürzungsverzeichnis

S. Ct. S. D. Sect. SeuffA

= = = =

SJZ Slg.

= =

SRÄG 1972

=

Stat. SZ

= =

TB TD/RBP/Conf.

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TOVALOP

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TranspR Trib. Tul. L. Rev. UFTTA UNESCO

= = = = =

UN. Sales Publ. U. Pa. L. Rev. US, U. S. USA U. S. C. A. UVV UWG v. VersR VW Wash. 2d Wash. App. WB1.

= = = = = = = = = = = = =

WIPO WM World Comp. WRP WUA

= = = = =

Supreme Court; Supreme Court Reporter Southern District Section J. A. Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Schweizerische Juristen-Zeitung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Seerechtsänderungsgesetz) vom 21.6.1972, BGBl. 1972 I 966, 1300 Statutes Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen Tätigkeitsbericht United Nations Conference on Restrictive Business Practices (Unctad Documents) Tanker Owners' Voluntary Agreement Concerning Liability for Oil Pollution (1969) Transportrecht Tribunal Tulane Law Review Archiv für Urheber- Film- Funk- und Theaterrecht United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization United Nations Sales Publications University of Pennsylvania Law Review United States bzw. United States Supreme Court Reports United States of America United States Code Annotated Unfallverhütungsvorschriften Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom, von; versus Versicherungsrecht Versicherungswirtschaft Washington Reports, second series Washington Appellate Reports Wirtschaftsrechtliche Blätter (= Beilage zu Juristische Blätter) World Intellectual Property Organization Wertpapiermitteilungen World Competition. Law and Economics Review Wettbewerb in Recht und Praxis Welturheberrechtsabkommen vom 6.9.1952, für die Bundesrepublik verbindlich in der Pariser Fassung vom 24.7.1971, BGBl. 1973 H 1069, 1111, mit Änderungen vom 2.10.1979, BGBl. 1985 II 81

22

WuR WuW WuW/E WZG Yale L. J. ZaöRV ZfRV ZGR ZHR ZIP zit. ZLR ZLW ZRP ZSR N. F. ZUM ZVglRWiss ZVR

Abkürzungsverzeichnis

= Wirtschaft und Recht. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsrecht mit Einschluß des Sozial- und Arbeitsrechts = Wirtschaft und Wettbewerb = Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungen zum Kartellrecht = Warenzeichengesetz = Yale Law Journal = Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht = Zeitschrift für Rechtsvergleichung = Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht = Zeitschrift für das Gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht = Zeitschrift für Wirtschaftsrecht = zitiert = Zeitschrift für Luftrecht = Zeitschrift für Luftrecht und Weltraum-Rechtsfragen; ab 1975: Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht = Zeitschrift für Rechtspolitik = Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Neue Folge = Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht / Film und Recht = Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft = Zeitschrift für Verkehrsrecht

Wer in Rom lebt, muß wie ein Römer leben — und darf es auch. Raape, § 55 IV. (S. 577) Hervorhebung im Original

Einleitung Eine neue Frage wird gestellt im internationalen Deliktsrecht: Muß bei einem Distanzdelikt der Erfolgsort „vorhersehbar" sein? Im „jüngeren Schrifttum", so kann man lesen, wird eine Einschränkung der hergebrachten Ubiquitätsregel durch Vorhersehbarkeit bzw. Zurechenbarkeit des Erfolgsortrechts gefordert. 1 Noch kann man den Gedanken als „seltsam" abtun.2 Aber er greift um sich. Art. 45 Abs. 2 des portugiesischen Zivilgesetzbuchs3 lautet bereits seit 1966: „Wenn das Gesetz des Staates, in welchem die schädigende Wirkung eingetreten ist, den Handelnden als haftbar ansieht, aber das Gesetz des Landes, in welchem seine Tätigkeit erfolgt ist, ihn nicht so ansieht, ist das erste Gesetz anwendbar, sofern der Handelnde den Eintritt eines Schadens in jenem Land als Folge seiner Handlung oder Unterlassung voraussehen mußte."4 In Peru bestimmt Art. 2097 Abs. 2 des Zivilgesetzbuchs5 vom 24. Juli 1984: „Hält das Recht des Ortes, wo der Schaden eingetreten ist, den Handelnden für haftbar, aber nicht das Recht des Ortes, wo die Tätigkeit oder Unterlassung stattfand, die den Schaden herbeiführte, so ist das erstere Recht anwendbar, falls der Handelnde den Eintritt des Schadens an besagtem Ort als Folge seiner Handlung oder Unterlassung vorhersehen mußte."6 Das Schweizer IPR-Gesetz vom 18. Dezember 1987 (schweiz. IPRG) 7 kennt in Art. 133 Abs. 2 S. 2 folgende Anknüpfungsregel:

1 Vgl. die Feststellung von Kreuzer, IPRax 1982, 1, 3. 2 So die Bemerkung Kegels, § 18 IV. 3. b) (S. 475), zu Art. 7 der Haager Konvention vom 2.3.1973 über das auf die Produktenhaftpflicht anwendbare Recht. 3 In der Fassung der Gesetzesverordnungen Nr. 47 344 v. 25.11.1966 und Nr. 496/ 77 v. 25.11.1977, beide (teilweise) abgedruckt bei Andrade Pires de Lima/Matos Antunes Varela, S. 13-49. 4 Übersetzung nach Makarov, Nationale Kodifikationen, S. 196 ff., 209, textgleich mit RabelsZ 32 (1968) 513, 519. 5 Ausführlich zum neuen Código Civil von Peru: Samtleben, RabelsZ 49 (1985) 486 ff. 6 Übersetzung nach RabelsZ 49 (1985) 522, 537; der Artikel geht zurück auf den umfassend rechtsvergleichend erarbeiteten Alternativentwurf von Delia Revoredo de Debakey, vgl. Samtleben, RabelsZ 49 (1985) 486, 517 und RabelsZ 45 (1981) 800.

24

Einleitung

„Tritt der Erfolg nicht in dem Staat ein, in dem die unerlaubte Handlung begangen worden ist, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Erfolg eintritt, wenn der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolges in diesem Staat rechnen mußte." In Österreich war „Vorhersehbarkeit" als Einschränkung der Anwendbarkeit des Erfolgsortrechts schon für die Zeit vor Inkraftreten des IPR-Gesetzes von 1978 (öst. IPRG) 8 höchstrichterlich anerkannt. Bei Distanzdelikten konnte das Recht des Erfolgsortes nur dann in Anspruch genommen werden, „wenn der Schädiger — objektiv gesehen — damit rechnen mußte, daß sein Verhalten dort Auswirkungen zeitigen werde." 9 Das öst. IPRG hat auf die Anknüpfung an den Erfolgsort sogar völlig verzichtet 10 , weil der Erfolgsort zufällig und unvorhersehbar sei. 11 Was ist das für ein Gedanke? Wird mit solchen Regelungen nicht ein materiellrechtliches Kriterium in die kollisionsrechtlichen Erwägungen hineingezogen? Muß man die Frage der Vorhersehbarkeit nicht dem jeweiligen Statut zu eigener — materiellrechtlicher — Berücksichtigung überlassen?12 Etwa dergestalt, daß jeder Irrtum über den Tatort ein Irrtum über Tatortrecht und damit ein Verbotsirrtum ist? 13 Was eigentlich verbirgt sich hinter der Forderung nach einer Vorhersehbarkeit des Erfolgsortes? Ausgangspunkt der in dieser Untersuchung angestellten Überlegungen ist die Vermutung, daß hinter der neuerdings auftauchenden Forderung nach Vorhersehbarkeit des Erfolgsortes ein allgemeines Prinzip steht. Es geht nicht nur um die alte Streitfrage, ob an Handlungsort oder Erfolgsort anzuknüpfen ist, wobei von den Gegnern der Erfolgsortanknüpfung oft eingewandt wurde, daß der Erfolgsort unvorhersehbar sei. 14 Es geht um mehr. Es geht um mehr, weil, so die Vermutung, nicht nur die Vorhersehbarkeit des Erfolgsortes in Frage steht, sondern letztlich die Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts selbst: „Die Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts ist nicht allein ein traditionelles Ziel des Kollisionsrechts, sondern unter der Geltung des Grundgesetzes auch ein elementares Rechts- und

7 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG), BB1. 1988 15-60, in Kraft seit dem 1.1.1989, abgedruckt z. B. in IPRax 1988, 376-388. s Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz), öst. BGBl. Nr. 304/1978, in Kraft seit dem 1.1.1979, abgedruckt z. B. in RabelsZ 43 (1979) 375 ff. 9 OGH 29.4.1981, JB1. 105 (1983) 380. 10 Vgl. § 48 Abs. 1 S. 1 öst. IPRG. n Vgl. Beitzke, RabelsZ 43 (1979) 245, 271. 12 Vgl. etwa die kritischen Bemerkungen von Beitzke, RabelsZ 43 (1979) 245, 271, zum öst. IPRG; vgl. weiterhin Kreuzer, IPRax 1982, 1, 3; W. Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 177; Schmidt, FS Lehmann, S. 181; Stoll, FS Kegel, S. 130. 13 Vgl. dazu Bär, S. 374 mit Nachw. in Fn. 40; Schikora, S. 148. 14 Vgl. dazu etwa L. v. Bar, II, Nr. 287 (S. 120); L. Müller, S. 29; Walker, S. 526. Ausführliche Darstellung des früheren Meinungsstreits z. B. bei Grußendorf, S. 5 ff.; Roßbach, S. 93 ff.; Schneeweiss, S. 34 ff.

Einleitung

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Sozialstaatsgebot. Denn es geht im Kollisionsrecht nicht nur letztendlich auch um die Rechtssicherheit der materiellrechtlichen Beurteilung einer Einzelfrage, sondern — bildlich gesprochen — großflächig um die Vorhersehbarkeit des zugrunde liegenden Sockels der anzuwendenden Rechtsordnung." 15 Wenn es aber um die Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts selbst geht, dann ist die Vorhersehbarkeit des Erfolgsortes nur ein Teilaspekt dieser übergeordneten Fragestellung. Die alte Streitfrage, ob an Handlungs- oder Erfolgsort anzuknüpfen ist, braucht in diesem Rahmen nicht entschieden zu werden, wenn und solange sowohl Handlungsort als auch Erfolgsort als Anknüpfungspunkte in einem insgesamt vorhersehbaren Deliktsstatut denkbar sind. Auch ansonsten soll zu der Frage, welche Anknüpfung in einer bestimmten Fallkonstellation die beste ist, nicht Stellung genommen werden. Es geht also nicht nur um mehr, es geht auch um weniger. Mit der Forderung nach Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts soll offenbar einer bestimmten Erwartungshaltung der Parteien Rechnung getragen, einem Prävisionsinteresse entgegengekommen werden. Dann aber muß es eine Rechtsordnung geben, deren Anwendbarkeit im internationalen Deliktsrecht berechtigterweise erwartet werden darf. Das "plötzlich" und „überraschend" angewandte Deliktsstatut enttäuscht diese Erwartung und führt dazu, daß der Ruf nach „Vorhersehbarkeit" laut wird. Welches Recht, aber, darf man im internationalen Deliktsrecht erwarten? Die folgenden Ausführungen untersuchen diese Frage aus dem Blickwinkel eines konventionellen IPR-Verständnisses, wie es mit den Namen v. Savigny und v. Wächter verbunden wird. Sie beschränken sich weitgehend auf deutsches IPR. Auf die — heutzutage übliche — Auseinandersetzung mit den „Alternativen" 16 , den „Ersatzmodeilen" 17 oder „Auflockerungstendenzen" 18 vornehmlich amerikanischer Provenienz wird verzichtet. Solche Ansätze, so glaubt der Verfasser, könnten letztlich nur zu einer „Atomisierung des Deliktsstatuts"19 führen, zu dem „judiziellen Chaos" 20 , in dem Amerika schon versunken scheint. Er vertraut darauf, daß es sich dabei nur um Sirenenklänge 21 handelt, die zudem immer leiser werden, daß der größte Ansturm vorüber ist und man heute schon sagen kann: Diese Zitadelle hat gehalten.22

15 Müller-Graf, RabelsZ 48 (1984) 289, 300/301. 16 Buciek, S. 73. 17 Schurig, S. 23 ff. iß Vgl. Schwiegel-Klein, S. 26 ff.; Urwantschky, S. 38 ff. 19 Hohloch, S. 2. 20 Drobnig, in: Deutscher Rat für IPR, S. 307. 21 Kegel, § 3 X. 2. a) (S. 128). 22 Zu der gefallenen Zitadelle vgl. Prosser, 69 Yale L. J. 1099 (1960) und 50 Minn. L. Rev. 791 (1966).

Erstes Kapitel

Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung als Zurechnungsprinzip im internationalen Deliktsrecht I. Kollisionsrechtlicher Vertrauensschutz als Ausprägung von Rechtssicherheit 1. Allgemeine Voraussetzungen Erwartungen der Parteien und Vorhersehbarkeit des anwendbaren Deliktsstatuts werden — sofern im Schrifttum überhaupt erörtert — häufig mit dem „kollisionsrechtlichen Vertrauensprinzip", mit kollisionsrechtlichem Vertrauensschutz in Verbindung gebracht. 1 So kann man lesen: „Die Parteien . . . mußten mit der Maßgeblichkeit des österreichischen Rechts des Unfallortes rechnen und durften auf seine Anwendung vertrauen.. ." 2 Ist Vertrauensschutz das gesuchte allgemeine Prinzip, das hinter der Forderung nach Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts steht? Man wird definieren dürfen: Kollisionsrechtlicher Vertrauensschutz bedeutet im internationalen Deliktsrecht den Schutz der Erwartung, daß der Beurteilung einer deliktsrechtlich qualifizierbaren Handlung eine bestimmte staatliche Rechtsordnung zugrundegelegt werde. Vertrauen verlangt nach Grundlage. Erwartung bedarf der Berechtigung. Geschützt werden kann das Vertrauen, das sich auf die Verwirklichung einer gegebenen Rechtsordnung richtet.3 Dann geht es um Sicherheit durch Recht, um die Verläßlichkeit der Rechtsordnung. 4 Vertrauensbasis ist also ein im Recht definierter Tatbestand.5 Dieser kann sich auch aus mehreren Rechtsnormen zusammensetzen. So schützt die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes „das Vertrauen auf das durch die verfassungsmäßigen Gesetze ausgeformte Eigentum". 6 Vertrauens1 Vgl. Botschaft Bundesrat, 284.221, 284.32; Firsching, FS Zajtay, S. 146; Gosenbach, S. 5 ff.; Heini, ZSR N. F. 86 (1967 I) 265, 280; derselbe, RabelsZ 40 (1976) 350, 352; derselbe, FS Mann, S. 197; W. Lorenz, FS Coing, S. 266; Mansel, VersR 1984, 97, 103 f.; Rolf Wagner, S. 81. So auch der Verf. in VersR 1987, 1069, 1074. 2 Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 601, 610. 3 Vgl. Rümelin, S. 7. 4 Schmidt-Aßmann, in: Handb. StaatsR, § 24 Rn. 81. 5 Pieroth, JZ 1984, 971, 972 1. Sp.

I. Kollisionsrechtlicher Vertrauensschutz

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schütz kann der Rückwirkung von Gesetzen entgegenstehen.7 Vertrauen kann sich vielleicht auch auf eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung8 oder auf das Nichtvorhandensein eines Verbots gründen: Niemand muß damit rechnen, daß sein dem jeweils geltenden Recht entsprechendes Verhalten nachträglich als rechtswidrig eingestuft wird. Art. 103 Abs. 2 GG hat den Grundsatz der lex praevia für das Strafrecht festgeschrieben, er gilt aber auch für zivilrechtliche Delikte. 9 Dabei kann Vertrauensschutz als die subjektive, auf den einzelnen bezogene Ausprägung von Rechtssicherheit verstanden werden. 10 Denn „für den Bürger bedeutet Rechtssicherheit in erster Linie Vertrauensschutz." 11 Rechtssicherheit kann sich aber auch (ex ante) als Vorhersehbarkeit staatlicher Entscheidungen darstellen. 12 Gemeint ist dann die hinreichende Bestimmtheit der Rechtsnormen. Bestimmtheit führt zu Normenklarheit, Verständlichkeit und Praktikabilität und gilt als Funktion der Rechtssicherheit. 13 Die Frage nach der Verwirklichung dieser Rechtssicherheit stellt sich im internationalen Deliktsrecht nicht anders als in anderen Rechtsbereichen auch. 14 Sie steht stets in Spannung zu Einzelfall- und Sachgerechtigkeit. 15

2. Spezielle Unsicherheitsfaktoren im internationalen Deliktsrecht a) forum Shopping Hinzu kommt: Im internationalen Deliktsrecht ist speziellen Unsicherheitsfaktoren Rechnung zu tragen. Die Divergenz nationaler Rechtsordnungen und die damit verbundene durchschlagende Wirkung der Gerichtsstandswahl führen für die Parteien zu großer Ungewißheit über das anwendbare Recht. Rechtsunsicherheit entsteht also nicht nur durch unscharf abgefaßte nationale Kollisionsnormen, sondern vor allem auch durch die Unmöglichkeit vorherzusehen, welchen Landes Gerichte den Rechtsstreit beurteilen werden. Zu begegnen ist dieser Rechtsunsicherheit durch das Streben nach internationalem Entscheidungseinklang16 und

6 BVerfG 15.1.1974, BVerfGE 36, 281, 293. 7 Zur neueren Rechtsprechung des BVerfG vgl. z. B. Pieroth, JZ 1990, 279 ff. 8 Nachw. zum Diskussionsstand bei Burmeister, S. 26 ff. 9 Vgl. BVerfG 22.3.1983, BVerfGE 63, 343, 357. 10 Vgl. Pieroth, JZ 1984, 971, 977 f. 11 BVerfG 19.12.1961, BVerfGE 13, 261, 271. 12 Schmidt-Aßmann, in: Handb. StaatsR, § 24 Rn. 81. 13 Vgl. Kunig, S. 396 ff. 14 Vgl. Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67,70 (Nr. 4); eine allgemeine Äußerung zur Bedeutung von Vorhersehbarkeit, Vertrauensschutz und Berechenbarkeit der Entscheidung im IPR findet sich auch bei Neuhaus, S. 162 f. 15 Dazu vgl. Wiedemann, FS Larenz, S. 199 ff. 16 Vgl. nur z. B. Braga, RabelsZ 23 (1958) 421, 442.

1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

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in diesem Rahmen durch die ausdrückliche Betonung der Vorhersehbarkeit der Entscheidungen als „Grundinteresse" des IPR, wobei intemationalprivatrechtliche Gerechtigkeit als „Funktion der Vorhersehbarkeit" aufgefaßt werden kann 17 , der auch im internationalen Deliktsrecht gewichtige Bedeutung beizumessen ist. 18 b) renvoi Spezielle Unsicherheit entsteht auch durch renvoi. Gestritten wird über seine grundsätzliche Zulässigkeit im internationalen Deliktsrecht. Die Rechtsprechung ist tendenziell dafür 19 , der Referentenentwurf 1984 übernimmt ihn dagegen nicht. 20 Die Unsicherheit, die der renvoi ins Spiel bringt, zeigt sich in der Schwierigkeit, den Inhalt ausländischen Kollisionsrechts zu ermitteln 21 ; das zunächst berufene ausländische Kollisionsrecht enthält vielleicht seinerseits nur unbestimmte (Weiter-)Verweisungsregeln 22, jedenfalls wird Rechtsunsicherheit für die Parteien bei Zulassung eines renvoi befürchtet. 23 Auch Raape betont den Verlust für die Rechtssicherheit durch den renvoi, wenn er meint, daß „ein Mensch bezüglich der Frage, ob er Unrecht tat oder nicht, nach dem Recht seiner Umwelt beurteilt werden" solle. 24 Freilich: Auch das Kollisionsrecht, also gegebenenfalls auch der renvoi, gehört zur Umwelt des Handelnden, auch damit müßte man rechnen. 25 Immerhin läßt sich aber insgesamt sagen: Rechtssicherheit im internationalen Deliktsrecht erleidet Beeinträchtigung durch allzu subtile Anknüpfungsregeln. 2 6

I I . Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts als anknüpfungsleitendes Interesse Versteht man „Vorhersehbarkeit" als kollisionsrechtlichen Vertrauensschutz im bislang skizzierten Sinn, also als subjektive Ausprägung der allgemeinen 17

So etwa der Ansatz von Buciek, S. 60 ff. 18 Ibid., S. 66. 19 Vgl. z.B. BGH 9.11.1965, VersR 1966, 283, 284; OLG Hamburg 14.11.1974, VersR 1975, 761, 762 (Aquarius); weitere Nachw. bei W. Bauer, S. 151 Fn. 675. Ausdrücklich offengelassen wurde die Frage von BGH 13.3.1984, BGHZ 90,294, 296/297. 20 Vgl. § 42 Abs. 2 des Entwurfs; abgedruckt z. B. bei Basedow, NJW 1986, 2971, 2972 Fn. 11. Weitere Nachw. zum Meinungsstand bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 25; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 78 Fn. 14. 21 Vgl. OLG Karlsruhe 7.12.1978, IPRspr. 1978 Nr. 29 (S. 47). 22 Vgl. Nanz, VersR 1981, 212, 217. 23 So z. B. von Trenk-Hinterberger, in: Sturm (Hrsg.), S. 91/92 Fn. 58. 24 Staudinger /Raape, Einleitung E. VI. 2. a) (S. 23). 25 Dessauer, ZVglRWiss 81 (1982) 215, 235; Hilgenberg, S. 178 f.; IPG 1978 Nr. 11, S. 103 (München); 1973 Nr. 9, S. 65 Fn. 9 (Bonn). 26 Vgl. Chr. v. Bar, JZ 1984, 671, 673.

II. Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts

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Forderung nach Rechtssicherheit, dann ist die Bedeutung dieses Kriteriums eng begrenzt. Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts könnte selbst nur Folge einer Rechtssicherheit gewährleistenden Kollisionsnorm sein. 27 Wo keine hinlänglich feststehende und bestimmte Kollisionsnorm erkennbar ist, wo das Recht unklar und verworren ist, da kann auch kein Vertrauen entstehen.28 Wer hier Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts mit Vertrauensschutz verbindet, gerät in die Nähe eines Zirkelschlusses. 29 Dieser läuft auf den letztlich inhaltsleeren Satz hinaus: Geschützt wird nur das schutzwürdige Vertrauen. 30 Es kann sogar paradox werden, wenn die Forderung nach Vorhersehbarkeit des Erfolgsortes die verhältnismäßig klare und traditionelle Anknüpfungsregel selbst unvorhersehbar macht! 31 Anscheinend geht es aber um mehr. Vorhersehbarkeit des Statuts wird von ihren Befürwortern nicht nur als begrüßenswerte Folge, sondern vor allem als Anforderung an deliktsrechtliche Kollisionsnormen verstanden. 32 Die Kollisionsnormen selbst werden daran gemessen, ob sie den berechtigten Erwartungen der Parteien entgegenkommen. Aber haben denn die Parteien überhaupt berechtigte Erwartungen? Mancher meint, nein. Im Gegensatz zu vertraglicher Haftung komme deliktische Haftung fast immer unerwartet. Der Schädiger habe die schädigende Handlung zu unterlassen, aber kein legitimes Interesse zu wissen, nach welchem Recht seine Haftung beurteilt werde. 33 Und der Geschädigte habe erst recht vor der Tat keine Überlegungen zum anwendbaren Recht angestellt. Dies tue er allenfalls danach.34 Erbarmungslos der Kommentar zum Restatement (2d): „In such situations the parties have no justified expectations to protect, and this factor can play no part in the decision of a choice-of-law question." 35 Dem treten die Befürworter von „Vorhersehbarkeit" entgegen. Auch im internationalen Deliktsrecht seien berechtigte Erwartungen der Parteien zu berücksichtigen. Der Schädiger orientiere sich nämlich vor allem an den Vorschriften desjenigen Landes, in dem er handele. Zusätzlich erwarte er eine Haftung auch nach dem Recht des Landes, in dem er einen Erfolgseintritt seiner Handlung 27 Vgl. Steinebach, S. 52 Fn. 69. 28 Vgl. BVerfG 19.12.1961, BVerfGE 13, 261, 272. 29 Vgl. Schack, Jurisdictional Minimum Contacts, S. 25 mit Nachw. in Fn. 208. 30 Dazu vgl. Pieroth, S. 123 f., mit weiteren Nachw. 31 Vgl. die Befürchtung von Kreuzer, IPRax 1982, 1, 3. 32 Vgl. das Zitat von Müller-Graf, oben Einleitung. 33 J. H. C. Morris, 64 Harv. L. Rev. 881, 895 (1951); vgl. weiterhin Leflar, 54 Cal. L. Rev. 1584, 1592 f. (1966); derselbe, 41 N. Y. U. L. Rev. 267, 310 f. (1966); Dicey & Morris, II, Rule 205 (S. 1378). 34 Delachaux, S. 110; auch Nützel, S. 62, spricht dem Geschädigten jedwedes Prävisionsinteresse ab; vgl. weiterhin Cheatham / Reese, 52 Colum. L. Rev. 959, 971 (1952), die auf den Einzelfall abstellen. 35 Restatement (2d), Conflict of Laws, § 6, Comment on Subsection (2) g.

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

vernünftigerweise vorhersehen konnte. 36 Und auch der Geschädigte könne Erwartungen an das anwendbare Recht stellen.37 Er dürfe auf die Rechts- und Sozialordnung des Landes vertrauen, in dem er der Gefahr einer Rechtsgutverletzung ausgesetzt sei. 38 Binder meint, man erwarte das Recht seiner Umwelt, dadurch werde das Verhalten beeinflußt. 39 Allein: Solche Überlegungen greifen kurz. Ob mit ihnen die Forderung nach einer Vorhersehbarkeit des Erfolgsortes oder des Deliktsstatuts überhaupt begründet werden kann, erscheint zweifelhaft. Der Verdacht liegt nahe, daß eine solche Argumentation letztlich doch dem bereits erwähnten Zirkelschluß verfallen ist. Denn man muß schließlich fragen: Warum wohl erwartet der Schädiger das Recht des Landes, in dem er handelt? Warum orientiert sich der Geschädigte am Recht seiner Umwelt? Doch nur deshalb, weil entsprechende Kollisionsnormen gerade daran anknüpfen! Man nehme eine Kollisionsnorm an, die deliktische Handlungen mit Auslandsbezug grundsätzlich und stets römischem Recht unterstellte. Wäre dann römisches Haftungsstatut für die Parteien überraschend, da unvorhersehbar? Keineswegs! Die Parteien könnten doch immer auf römisches Recht setzen, ob sie nun in Schottland handeln oder in der Türkei leben. Mehr noch, jedes andere Statut würde ihre berechtigten Erwartungen enttäuschen. Sie würden eben nicht auf das Recht des Handlungsortes, nicht auf das Recht des Erfolgsortes, sondern stets auf die Anwendung römischen Rechts vertrauen. Man sieht: Gibt es erst einmal den Rechtssatz „when in Rome do as the Romans do", dann läßt sich auch sagen: „Those engaging in activities which may involve liability should be able to calculate the risk they are incurring. They should be able to feel safe in Rome if they do these as the Romans do." 4 0 Vorher aber nicht! Wenn also der Vorhersehbarkeit im internationalen Deliktsrecht eine Bedeutung zukommen soll, die über die allgemeine Forderung nach Rechtssicherheit hinausgeht, darf es nicht auf die vertrauensbildende Funktion solcher Anknüpfungspunkte ankommen, die ihrerseits erst einer Rechtfertigung bedürfen. Denn gerade um diese Rechtfertigung geht es! Die berechtigten Erwartungen sind der Anknüpfung selbst vorgelagert. Und nur die Anknüpfung erscheint akzeptabel, die diese Erwartungen berücksichtigt. Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts ist damit nicht ein Ausfluß des allgemeinen Vertrauensprinzips. Sie wird vielmehr selbst zum „anknüpfungsleitenden Interesse". Wenn von den berechtigten Erwartungen der Parteien, von ihrem Interesse an der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts

36 Rheinstein, 19 Tul. L. Rev. 4, 25 f. (1944); Trutmann, S. 86 ff. 37 Kahn-Freund, Ree. des Cours 124 (1968 II) 5, 44; Trutmann, S. 87. 38 Vgl. Kahn-Freund ibid. 39 RabelsZ 20 (1955) 401,470/471; ähnlich Kegel, § 18 IV. 1. a) aa) und bb) (S. 455 und 457); Trutmann, S. 89; vgl. auch das Zitat von Staudinger / Raape oben sub I. 2. b) (Fn. 24). 40 Kahn-Freund, Ree. des Cours 124 (1968 II) 5, 43.

III. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung

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die Rede ist, geht es demnach nicht um die Frage, auf welches Recht man vertrauen darf. Vielmehr heißt die richtige Frage, welches Recht den Parteien zugerechnet werden darf. 41 Das anknüpfungsleitende Interesse betrifft nicht den Vertrauensschutz, sondern die Frage der Zurechenbarkeit des anwendbaren Rechts.42 I I I . Das maßgebliche Zurechnungsprinzip: Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung „Zurechnung" („imputatio") ist ein im Zivilrecht nach wie vor nicht vollständig erhellter normativer Begriff. 43 Er wird schon bei Pufendorf behandelt44 und war noch im gemeinen Recht viel erörtert, wobei man zwischen Zurechnung zur Tat (imputatio facti) und Zurechnung zur Schuld (imputatio iuris) unterschied. 45 Dann aber ging er weitgehend verloren, längere Zeit kündeten nur noch Begriffe wie „Zurechnungsfähigkeit" und „Zurechnungsunfähigkeit" von ihm. 4 6 Heute wird „Zurechnung" zumeist für den Bereich des Schadensersatzrechts erörtert, es stellt sich im Zivilrecht aber ganz allgemein die Frage, für welches Verhalten und für welchen Erfolg eine Person im Hinblick auf eine bestimmte Rechtsfolge verantwortlich ist. Damit ist das Korrelat zivilrechtlicher Zurechnung bezeichnet: die Selbstverantwortung der Person. 47 „Zurechnung ist Verantwortung, genauer Verantworten-Können und Verantworten-Müssen". 48 Was man zu verantworten hat, ergibt sich aus den maßgeblichen Zurechnungsprinzipien. Im einzelnen ist hier vieles streitig, auch terminologisch ungeklärt. 49 Larenz etwa unterscheidet im Schadensersatzrecht vier Zurechnungsprinzipien: Verschulden, Risikozurechnung, zivilrechtliche Aufopferung und Garantie- und Vertrauenshaftung 50. Im materiellen Deliktsrecht dienen solche Zurechnungsprinzipien dazu, den Bezug zwischen dem Gegenstand der Zurechnung und dem Inanspruchgenommenen zu beschreiben. Im internationalen Deliktsrecht nun ist Gegenstand der Zurechnung eine Rechtsordnung, die ihrerseits Zurechnungsprin41 Ähnlich vielleicht Vischer, FS Germann, S. 302: „Das Prinzip der Honorierung berechtigter Erwartungen steht in engem Zusammenhang mit dem Grundsatz der Zumutbarkeit der Rechtsanwendung für die Rechtssubjekte." 42 Allenfalls könnte man sagen, das Vertrauen beziehe sich auf die Erwartung, nur zurechenbarem Recht zu unterliegen. Eine eigenständige Bedeutung kommt solcher Aussage aber nicht zu. 43 Vgl. Canaris, S. 467 f. 44 Vgl. Hruschka, S. 2. 45 Deutsch, Haftungsrecht, S. 23; Larenz, S. 60 f.; jeweils mit weiteren Nachw. 46 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 23; Hruschka, S. 1 und 3. 4 ? Vgl. Canaris, S. 468; Deutsch, Haftungsrecht, S. 23. 48 Deutsch, Haftungsrecht, S. 23. 4 9 Vgl. z. B. Canaris, S. 469 Fn. 7. so JuS 1965, 373, 374 ff.; vgl. auch Esser / Schmidt, § 8 IL (S. 110 ff.).

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

zipien zur Verfügung stellt. Es geht also um die Zurechnung einer Zurechnungsordnung. 51 Welches ist das maßgebliche Zurechnungsprinzip? Wenn überhaupt, dann wird diese Frage aus der Sicht des Rechtsanwenders, des mit einem bestimmten Sachverhalt konfrontierten Richters, gestellt und beantwortet. Dieser, ausgerichtet auf die Anwendung eigenen Rechts, fragt nach einer Rechtfertigung für die Anwendbarkeit ausländischen Rechts. Das ist die „kollisionsrechtliche Frage". 52 Die Antworten sind bekanntlich heterogen und zahlreich. So werden zum Beispiel herangezogen der Gedanke der Comitas 53 , der Gleichheitssatz54, sogar die Vorhersehbarkeit der Entscheidungen55 oder die Bereitschaft, ausländische Rechtsordnungen grundsätzlich zu respektieren. 56 Die Frage der Zurechenbarkeit ausländischen Rechts wird also aus Sicht des Forums unter Berücksichtigung verschiedener internationalprivatrechtlicher Interessen dieses Forums und der den Parteien von diesem Forum zugebilligten Interessen beantwortet. 57 Die Antwort fällt zwar heutzutage nicht mehr „statutistisch" aus, aber v. Savignys „Sitz des Rechtsverhältnisses" 58 wird doch aus Sicht des Forums untersucht, bestimmt und festgelegt. Die Blickrichtung läßt sich jedoch verkehren. Man kann nicht nur vom Forum auf das Rechtsverhältnis schauen, sondern umgekehrt auch von dem Rechtsverhältnis, im Deliktsrecht also von den Parteien und der Handlung, ausgehen. Diese Umkehrung der Blickrichtung ist sogar naheliegend und angebracht, wenn man davon ausgeht, daß in erster Linie Parteiinteressen zu dienen ist. Vor allem den privaten Parteiinteressen will das internationale Privatrecht Rechnung tragen. 59 Die Parteien nun blicken nicht auf ein bestimmtes Forum, sondern sehen sich weit mehr als hundert verschiedenen Fora und deren Rechtsordnungen in ihrer räumlichen Abgegrenztheit gegenüber. Welche dieser bereitstehenden und grundsätzlich als gleichwertig zu denkenden60 Rechtsordnungen ist ihnen zuzurechnen? Darauf darf man nicht sogleich mit dem Tatortrecht oder etwa mit dem Heimatrecht antworten. Das wären ja nur Anknüpfungspunkte wie viele andere auch. Nach ihrer Berechtigung, nach dem Zurechnungsgrund ist ja gerade gefragt. 61

51 Vgl. E. Lorenz, FS Duden, S. 264. 52 Vgl. E. Lorenz, S. 56 f. 53 So insbesondere die niederländische Schule, vgl. dazu Gamillscheg, S. 176 ff. 54 E. Lorenz, S. 57 ff.; derselbe, ZRP 1982, 148, 149 f. 55 Buciek, S. 64 ff. 56 Schurig, S. 52 ff. 57 Zu den einzelnen Interessen vgl. Kegel, § 2 II. (S. 82 ff.). 58 Vgl. v. Savigny, S. 28. 59 Vgl. für viele Chr. v. Bar, Rn. 512 (S. 436/437), der einen betont „an den Bedürfnissen und den schützenswerten Verkehrserwartungen der Parteien . . . vor allen Dingen nicht an den Rechtsanwendungsinteressen des oder der Staaten" ausgerichteten Ansatz vertritt. 60 Vgl. Kegel, FS Beitzke, S. 554; Schurig, S. 54 und passim.

IV. Selbstbestimmung und Vorhersehbarkeit

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Es gibt vielmehr nur eine Antwort, die dem Menschenbild des Grundgesetzes, den Interessen der Parteien und den Zurechnungsprinzipien des Zivilrechts entspricht: Zugerechnet wird die Rechtsordnung, die man selbst bestimmt. Das frei und selbstverantwortlich handelnde Individuum muß selbst bestimmen können, welche der zahlreichen Rechtsordnungen auf sein Verhalten anwendbar sein soll. Zurechnungsgrund ist im internationalen Deliktsrecht das Verantworten-Können und Verantworten-Müssen der Beziehung zwischen der zuzurechnenden Zurechnungsordnung und den Parteien. Diese Beziehung darf aus Sicht der Betroffenen nicht zufällig sein. Sie muß rückführbar sein auf das, wofür man zivilrechtlich stets verantwortlich ist: eigenes Verhalten und eigener Geschäftskreis. 62 Angesprochen sind Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortung. Im internationalen Verlagsrecht ist dieses Zurechnungsprinzip durch Anerkennung der Parteiautonomie weitgehend verwirklicht. Diese ist nicht nur Verlegenheitslösung63, sondern Ausdruck der Selbstverantwortung der Person vor dem Hintergrund zahlreicher als gleichwertig gedachter Rechtsordnungen. Im internationalen Deliktsrecht, das ist die erste These dieser Arbeit, liegen die Dinge nicht anders. Als Grundanforderung internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit geht es darum, dem Inanspruchgenommenen und dem Geschädigten nur solches Recht zuzurechnen, für dessen Anwendbarkeit sie selbst verantwortlich sind. Man mag es auch das Prinzip der „freien Unterwerfung" nennen.64 Dieses Zurechnungsprinzip ist der jeweils anwendbaren Kollisionsnorm vorgegeben. Es muß berücksichtigt werden, soll das internationale Deliktsrecht zu internationalprivatrechtlich gerechten Lösungen führen.

IV. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung und Vorhersehbarkeit Dies also ist der Punkt, an dem die zunehmend erhobene Forderung nach Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts eigentlich einsetzen will. 6 5 Das in dieser Forderung zum Ausdruck kommende Prävisionsinteresse der Parteien hat jedoch keinen eigenständigen Wert. Es erlangt Bedeutung nur als Voraussetzung für

öi Das hat wohl auch J. A. C. Smith gefühlt, wenn er meint, das Gefühl, man müsse sich in Rom wie ein Römer verhalten, sei weniger eine Rechtsfrage und mehr „an undeniable fact", vgl. (1957) 20 Mod. L. Rev. 447, 460. ö2 Vgl. Canaris, S. 468. 63 So heute noch Kegel, § 18 I. 1. c) (S. 421). 64 Vgl. dazu v. Savigny, S. 109 ff. 65 Zur Ausprägung des Prinzips der „freien Unterwerfung" als „Vorhersehbarkeit des Haftungsstatuts" im internationalen Deliktsrecht vgl. auch die Bemerkung bei Joerges, RabelsZ 36 (1972) 421, 447. v. Savigny hat „Unterwerfung" letztlich aber nur als Anerkennung eines ohnehin zur Anwendung gelangenden Gesetzes verstanden, vgl. Neuhaus, RabelsZ 15 (1949/50) 364, 373 f. 3 Czempiel

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

Selbstbestimmung. „Zurechnung zur Tat ist Beziehung eines Geschehens auf den Willen" 6 6 — nicht auf das Wissen. Zwei Beispiele mögen der Veranschaulichung dienen. Man stelle sich eine Kollisionsnorm vor, derzufolge Verkehrsunfälle nach dem Personalstatut des Geschädigten abzuwickeln sind. Wenn nun ein Deutscher in Deutschland einen Verkehrsunfall mit einem Türken verursacht, müßte nach dieser Kollisionsnorm türkisches Recht anwendbar sein. Wäre er mit einem Jugoslawen, Italiener, Griechen zusammengestoßen, würde jugoslawisches, italienisches, griechisches Recht gelten. Eine solche Anknüpfung mag Bedenken wegen des Gleichheitssatzes wecken 67 , sie mag zu unerwünschter Anwendung ausländischen Rechts führen und auch ansonsten viele Nachteile haben. Aber wäre das anwendbare Recht unvorhersehbar? In der Bundesrepublik lebten im ersten Halbjahr 1988 4,717 Millionen Ausländer, darunter 1,511 Millionen Türken, 603.000 Jugoslawen, 548.000 Italiener, 287.000 Griechen. 68 Einen Zusammenstoß mit einem der zahlreichen Ausländer kann man angesichts solcher Zahlen doch nicht für unwahrscheinlich halten. Und bei welcher Zahl sollte man die Grenze ziehen? Etwa bei den 178.000 Österreichern oder erst bei den lediglich 145.000 Spaniern oder gar nur bei den ganz wenigen Chinesen, die auch in Deutschland leben? Oder soll man darauf abstellen, ob die Beteiligten eines Autounfalls beim Herannahen kurz vor dem Zusammenprall noch ihre jeweilige Nationalität erkannten? 69 Nein, das Vorhersehbarkeitskriterium kann nicht erklären, warum eine solche Kollisionsnorm auch internationalprivatrechtlich ungerecht ist. Stellt man dagegen auf die Bestimmbarkeit des Deliktsstatuts durch den Haftpflichtigen ab, wird das deutlich. Ihm würden auch solche Zurechnungsordnungen zugerechnet, deren Anwendbarkeit er weder beinflussen noch vermeiden konnte. Dagegen kann man auch nicht einwenden, daß der Inanspruchgenommene die Anwendbarkeit ausländischen Rechts dadurch hätte vermeiden können, daß er den Unfall selbst vermied. Das hieße kollisionsrechtliche und materiellrechtliche Zurechnung verwechseln. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung meint eine Zurechnung, die der eigentlichen Haftungsfrage vorgelagert, von dieser unabhängig ist. Beide Zurechnungsfragen werden zwar oft gleichzeitig auftreten — insbesondere bei Vorsatztaten —, sie stehen aber dennoch unabhängig nebeneinander. Nach türkischem Recht wird gehaftet, wenn der Bezug zu der türkischen Rechtsordnung von dem Inanspruchgenommenen zu verantworten ist, nicht weil dieser für die schädigende Handlung selbst verantwortlich ist.

66 Larenz, S. 63. 67 Vgl. W. Lorenz, FS Coing, S. 270. 68 Mitteilung des Statistischen Bundesamtes, abgedruckt in FAZ Nr. 162 v. 15.7.1988, S. 4. 69 So tatsächlich Seetzen, NJW 1972, 1643, 1646.

V. Selbstbestimmung und Kausalität / Verschulden

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Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung läßt sich, so scheint es, in gewisser Weise auch für den Geschädigten verwirklichen. 70 Sähe die Kollisionsnorm für Verkehrsunfälle eine Anknüpfung an das Personalstatut des Schädigers vor, würde der Geschädigte Ersatz nach deutschem oder türkischem oder jugoslawischem oder einem anderen Recht erlangen. Vorhersehbar mag das für ihn sein. Weil er aber auf die Anwendbarkeit dieser Rechte keinen Einfluß nehmen konnte, ist eine solche Anknüpfung internationalprivatrechtlich fragwürdig. Ihm würde Zufall, nicht Selbstverantwortung zugerechnet. Als zweites Beispiel möge nochmals angenommen werden, daß stets an römisches Recht anzuknüpfen sei. Das bedeutete beste Vorhersehbarkeit für Geschädigten wie Schädiger. Diese Anknüpfungsregel negierte jedoch die Tatsache, daß auch andere Rechtsordnungen existieren, und nähme den Beteiligten die Möglichkeit, die Anwendbarkeit römischen Rechts zu vermeiden, sich für eine der anderen Rechtsordnungen zu entscheiden. Wohin man mit seinem Wagen auch führe, man unterläge römischem Recht. „Wo immer man lebt, man muß wie ein Römer leben" ist aber ein internationalprivatrechtlich ungerechter Satz — solange römisches Recht nicht einziges Recht ist. Die Forderung nach Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts ist demnach zwar in ihrem Ausgangspunkt begrüßenswert, „Vorhersehbarkeit" als maßgebliches Zurechnungskriterium letztlich aber unbrauchbar. Es geht nicht um die Frage, ob man mit einem bestimmten Recht rechnen muß, weil dessen Anwendbarkeit vorhersehbar, vielleicht sogar wahrscheinlich ist. Vielmehr muß man mit einer bestimmten Zurechnungsordnung rechnen, weil man selbst zu ihrer Anwendbarkeit beigetragen hat.

V. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung und Kausalität / Verschulden Ähnliche Einwände müssen gegen den Versuch erhoben werden, auf eine Kausalbeziehung zwischen Handlung und Erfolgsort 71 oder gar auf vorsätzliches oder fahrlässiges Hinüberwirken in eine andere Rechtsordnung 72 abzustellen. Zum einen müßte im Rahmen einer Kausalitätsprüfung doch wieder ein Vorhersehbarkeitstest erfolgen, etwa dergestalt, ob nach allgemeiner Lebenserfahrung mit dem Erfolgseintritt an diesem Ort gerechnet werden mußte. 73 Die Einwände, die gegen „Vorhersehbarkeit" als Zurechnungskriterium vorzubringen sind, gel-

70 Dazu vgl. unten sub IX. 71 So Grußendorf, S. 32 ff. 72 In die Nähe materiellrechtlicher Verschuldenskriterien wird kollisionsrechtliche Zurechnung gerückt von Grußendorf, S. 33; Habicht, Art. 12 II. (S. 95 f.). Vgl. auch Schnee weiss, S. 77 f. 73 Vgl. die Formulierung bei Grußendorf, S. 32. 3*

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

ten also auch hier. 74 Zum anderen ist aber auch grundsätzlich festzustellen, daß kollisionsrechtliche Zurechnung einer Zurechnungsordnung weder etwas mit Kausalität zu tun hat 75 , noch es auf „Verschulden" ankommt. Das Hinüberwirken in eine andere Rechtsordnung ist für sich genommen nicht vorwerfbar, sondern wertneutral. Es geht vielmehr darum, eine eigenständige kollisionsrechtliche Zurechnungslehre zu entwickeln. 76 In diesem Rahmen wird hier vorgeschlagen, als maßgebliches Kriterium allein und ausschließlich auf die Entscheidungsfreiheit und Verantwortungsmöglichkeit der betroffenen Rechtssubjekte vor dem Hintergrund konkurrierender Rechtsordnungen abzustellen.

VI. Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung und materiellrechtliches Zurechnungsprinzip Es ist vermutet worden, daß zwischen materiellrechtlichem Zurechnungsprinzip und kollisionsrechtlicher Entscheidung ein Zusammenhang bestehe. Bekannt sind die Überlegungen Rabeis und Ehrenzweigs. Nach Rabel folgt Verschuldenshaftung dem Recht des Handlungsortes, Gefährdungshaftung dagegen dem Recht des Erfolgsortes. 77 Ehrenzweig unterschied zwischen kompensatorischer und admonitorischer Haftung. Nur bei admonitorischer Haftung, worunter er Vorsatzhaftung und Fahrlässigkeitshaftung „mit admonitorischem Zweck" verstand 78, wollte er Handlungsortrecht gelten lassen.79 Weniger bekannt ist, daß solche Überlegungen immer wieder angestellt werden, wenn auch oft mit gerade umgekehrtem Ergebnis. Ähnlich wie Rabeis Ansicht klingt noch die Überlegung des OGH, ob bei Gefährdungshaftung nicht von der grundsätzlichen Anknüpfung an den Handlungsort in § 48 Abs. 1 öst. IPRG abgewichen werden solle. 80 Nützel dagegen hält gerade bei Vorsatztaten die Anknüpfung an den Erfolgsort für möglich. Dabei liege der Haftung schließlich ein willensgetragenes und gegebenenfalls sogar zielgerichtetes Verhalten zugrunde. Bei Gefährdungshaftung sei die Anknüpfung an den Erfolgsort jedoch bedenklich.81 Ähnlich hatte Zitelmann 74 Erstaunlich wirkt in diesem Zusammenhang, daß Roßbach, S. 118 f., dem Ansatz Grußendorfs zwar ablehnend gegenübersteht, seinerseits dann aber doch auf „Vorhersehbarkeit" abstellt. 75 Ablehnend auch Bourel, S. 76; Bröcker, S. 100; Roßbach, S. 118 f. 76 Darum hat sich in Deutschland bislang am ausführlichsten Bröcker, S. 93 ff., bemüht. 77 Rabel, II, S. 334. 78 Ehrenzweig, FS Rabel, S. 657 mit weiteren Nachw. 7 9 Ehrenzweig, FS Rabel, S. 682.; grundsätzlich zustimmend Trutmann, S. 92 ff. so OGH 29.4.1981, JB1. 105 (1983) 380, 381, unter Hinweis auf Koziol, ZVR 1980, 1,4. 8i Nützel, S. 58 f.; bei Gefährdungshaftung differenziert die Autorin zwischen stationären und beweglichen Objekten. Nur bei ersteren hält sie eine Anknüpfung an den Erfolgsort noch für möglich.

VI. Selbstbestimmung und materiellrechtliche Zurechnung

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Quasidelikte grundsätzlich an das Personalstatut des Inanspruchgenommenen angeknüpft, weil jede andere Anknüpfung nur zufällig sein könne. 82 E. Lorenz geht bei vorsätzlichen Verletzungen von der unwiderleglichen Vermutung aus, daß der Schädiger mit Verletzungen am Erfolgsort rechnen mußte, und knüpft an Erfolgsortrecht an. In anderen Fällen hält er dagegen eine Anknüpfung an das Handlungsortrecht noch für möglich. 83 Der Código Bustamente entscheidet sich bei einem verschuldeten Schiffszusammenstoß für das Recht des geschädigten Schiffes, bei „zufälligen" Kollisionen stellt er dagegen eine materiellrechtliche Ausgleichsregel auf. 84 Klumb hat sogar ein sorgfältig ausdifferenziertes System entwickelt, um materiellrechtlichen Zurechnungsprinzipien auf kollisionsrechtlicher Ebene Rechnung zu tragen. 85 Schließlich läßt sich generell im Schrifttum die Tendenz nachweisen, jedenfalls bei Gefährdungshaftung eine etwas andere Definition des Tatortes zu verwenden. 86 Gegen solche Unterscheidungen ist eingewandt worden, daß es erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann, ausländische Haftungskonzepte dogmatisch eindeutig zu klassifizieren. 87 Die Unterschiede sind oft nur gradueller Natur 88 , Grenzverschiebungen zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung sind stets zu befürchten. 89 Insgesamt gesehen haben sich solche Unterscheidungsversuche nicht durchgesetzt. 90 Unabhängig davon aber steht die zweite These dieser Arbeit, daß es jedenfalls für die Frage der Bestimmbarkeit des anwendbaren Rechts durch die Parteien auf das materiellrechtliche Haftungskonzept nicht ankommt. 91 Vielleicht mögen einzelne kollisionsrechtliche Fragen damit in einen Zusammenhang zu bringen sein. Ob aber eine bestimmte Rechtsordnung als solche überhaupt zugerechnet werden kann, hängt von der Bestimmung desjenigen ab, dem sie zugerechnet werden soll. Materiellrechtliche Haftungskonzepte können dafür keine Rolle spielen.

82 Zitelmann, II, S. 531 ff. 83 E. Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 443 und passim. 84 Vgl. Artt. 293 und 294, abgedruckt bei Makarov, Quellen II, S. 66. 85 Klumb, S. 278 ff. 86 Dazu Stoll, FS Ferid, S. 399 f. 87 Bourel, S. 86; Gonzenbach, S. 46; Lukoschek, S. 127 ff.; Stoll, FS Ferid, S. 402; zu den unterschiedlichen Zurechnungsgründen in einzelnen Ländern vgl. auch die rechtsvergleichenden Bemerkungen v. Caemmerers, RabelsZ 42 (1978) 5, 12 ff. 88 Institut de Droit international, Session d'Edimbourg 1969, AIDI 53 II (1969) 370, 371. 89 Stoll, FS Ferid, S. 402. 90 Vgl. Kühne, NJW 1986, 2139, 2142. 91 Vgl. dazu auch Bröcker, S. 86 f.; Gonzenbach, S. 42 ff., 46; Roßbach, S. 120 ff., 126.

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

V I I . Konsequenzen für deliktsrechtliche Kollisionsnormen Die Bestimmung des Haftungsstatuts durch den einzelnen erfolgt unter Rechtsordnungen, die sich — kollisionsrechtlich gesehen — nur in einem Punkt in relevanter Weise unterscheiden 92: Sie haben eine unterschiedliche Anordnung im Raum. Der einzelne kann also nur eine „räumliche Entscheidung" treffen. Der Bezug, den er zu einer Rechtsordnung herstellen kann und dann zu verantworten hat, ist räumlicher Natur. Man kann sich in den Geltungsbereich einer Rechtsordnung begeben, vielleicht auch nur in ihre „Nähe", und man kann mit den eigenen Handlungen auf eine Rechtsordnung räumlich Bezug nehmen, in sie „hineinwirken". Schließlich kann man auch erklären, daß man mit seiner Handlung einer bestimmten Rechtsordnung unterliegen wolle. Dann findet die „räumliche Bezugnahme" auf einer abstrakten Ebene statt. Ähnlich ist es, wenn man sich um eine bestimmte Staatsangehörigkeit bemüht, um auf diese Weise „Nähe" zu einer Rechtsordnung herzustellen. Eine internationalprivatrechtlich gerechte Kollisionsnorm muß solche Bestimmungsmöglichkeiten reflektieren und die getroffene Entscheidung des einzelnen respektieren. Ihre Anknüpfungspunkte müssen so ausgestaltet sein, daß sie jeder Person die Möglichkeit einer kollisionsrechtlichen Bestimmung gewähren. Sie muß also räumliche Kriterien heranziehen 93 oder der ausdrücklichen abstrakten Bestimmung desjenigen folgen, dem ein Deliktsstatut zugerechnet werden soll. Verwendet sie dagegen andere Anknüpfungspunkte, knüpft sie etwa an Staatsinteressen oder materiellrechtlich „beste" Ergebnisse an, ist sie internationalprivatrechtlich ungerecht. 94 Das gleiche gilt, wenn sie zwar räumliche Bezugnahmen verwendet, dabei aber nicht der Bestimmung des einzelnen folgt, sondern aus seiner Sicht „zufällige" Anknüpfungspunkte verwendet. Wann ein räumlicher Bezug zufällig ist und wann er noch als vom Rechtssubjekt bestimmt und damit verantwortbar zu gelten hat, ist eine schwierige Abgrenzungsfrage. Sie soll erst gegen Ende dieser Untersuchung nochmals aufgenommen werden. 95 Immerhin wird man schon an dieser Stelle als zufällig auszuscheiden haben, was auch sonst im materiellen Recht grundsätzlich nicht zugerechnet wird: vis absoluta und das Verhalten Dritter. 96 Zur Bestimmbarkeit des einen Rechts gehört die Vermeidbarkeit eines anderen Rechts. Die Kollisionsnorm muß grundsätzlich auch die Entscheidung gegen ein Recht ermöglichen und akzeptieren. Sie sollte nach Möglichkeit demjenigen, dem das Recht des Landes A aufgrund eigener Bestimmung zuzurechnen ist, 92 Erst der ordre public erklärt nach herkömmlichem IPR-Verständnis auch andere Faktoren für relevant. 93 Z. B. Tatort, Aufenthaltsort, Wohnort. 94 Dazu vgl. Gonzenbach, S. 13 ff. 95 Vgl. 9. Kapitel. 96 Vgl. Canaris, S. 468 f.

VIII. Anknüpfungen mit Selbstbestimmungsmöglichkeit

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nicht das Recht des Landes B aufzuzwingen versuchen, nur weil geringfügige, unvermeidbare „Auswirkungen" der Handlung auch in B auftreten. Da sie im Grunde die Rechtsordnungen von A und B als gleichwertig anerkennt, sollte sie die Selbstbestimmung des Rechtssubjekts so weit wie möglich akzeptieren.

V I I I . Anknüpfungen, die kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung gerecht werden können 1. Tatortrecht (lex loci delicti commissi) Es gibt Anknüpfungspunkte, die der Forderung nach kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung gleichermaßen für Schädiger und Geschädigten gerecht werden. Von größter Bedeutung ist dabei die Anknüpfung an das Tatortrecht. Eigentlich genießt diese Regel einen schlechten Ruf. Zwar respektiert man ihr ehrwürdiges Alter: Sie gelte seit dem Mittelalter 97 , seit dem 13. Jahrhundert 98, sei ein „seit vielen Jahrhunderten zum selbstverständlichen Bestand gehörender Grundsatz" 99 , „klassisch" 100 , nachgerade „uralt" 1 0 1 , aber warum sie eigentlich gilt, vermag man auf Anhieb nicht zu sagen. Das sei „schwer zu begründen" 102 , es gebe gar keinen richtigen Grund 103 , jedenfalls kein anderes, festeres Kriterium als den zufälligen Deliktsort 104 , es sei eine Verlegenheitslösung. 105 Geradezu resignativ wirkt das Argument, man solle Tatortrecht anwenden, weil die anderen Länder das auch machten. 106 Der Begründungszwang 107 kann sogar zum Alptraum werden: „An obligation springing to birth out of the soil at the possibly unsuspecting actor's feet and hanging itself round his neck like an albatross." 108 Der Grundsatz der kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung bietet eine Begründung an: Die Anknüpfung an den Tatort ist eine der wenigen Möglichkeiten, gleichzeitig sowohl dem Schädiger als auch dem Geschädigten Einflußnahme

97 Mayer, Nr. 671 (S. 410).

98 Lukoschek, S. 39 mit weiteren Nachw.; Rabel, II, S. 235. 99 E. Lorenz, FS Duden, S. 235. 100 Hohloch, S. 7. 101 Raape, § 55 I. (S. 571); das genaue Alter ist aber dann doch umstritten. Eine ausführliche Darstellung bei Hohloch, S. 9 ff. 102 Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 601, 609; genauso Schwind, S. 326. 103 Vgl. die Darstellung bei Rabel, II, S. 251-254. 104 Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 601, 609. 105 Vgl. die Nachw. bei Hohloch, S. 267. 106 Vgl. Hancock, S. 59. 107 Zu den Begründungsversuchen vgl. Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67, 80 ff. (Nrn. 16 ff.); Hohloch, S. 259 ff.; Rabel, II, S. 251 ff.; J. A. C. Smith, (1957) 20 Mod. L. Rev. 447, 454 ff. los J. A. C. Smith, (1957) 20 Mod. L. Rev. 447, 457.

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

auf das anwendbare Recht zu ermöglichen. Praktisch gesehen ist sie die wichtigste. Bei Vorsatztaten kann sich der Schädiger aussuchen, an welchem Ort er die Tat begehen möchte, und damit das anwendbare Recht festlegen. 109 Er kann aber auch andere Inanspruchnahmemöglichkeiten, etwa aufgrund fahrlässiger Pflichtverletzung, im voraus durchspielen und gegebenenfalls dafür Sorge tragen, daß bestimmte Länder nicht zum Tatort werden können. Vielleicht möchte ja der amerikanische National Park Service alle Grizzlybären aus Yellowstone Park und Glacier National Park entfernen und nach Kanada verschiffen, um dort einen neuen Park zu eröffnen, weil das amerikanische Haftungsrisiko zu groß geworden ist. 1 1 0 Vielleicht möchten aus demselben Grund Skifahrer und Rodler aus Denver in Zukunft ihrem Hobby lieber in der Schweiz nachgehen.111 Tatortrecht ermöglicht in solchen Fällen dem potentiell Inanspruchgenommenen die Bestimmbarkeit des Haftungsstatuts. Gleiches kann auch dem Geschädigten geboten werden. Ist er Bärenfreund, fürchtet aber, im Verletzungsfall nicht genug Schadensersatz zu bekommen, wird er Grizzlybären nicht im Frankfurter Zoo, sondern im Yellowstone Park aufsuchen. Er kann Schweizer Skipisten meiden und seinen Skiurlaub in Amerika verbringen. Die Tatortregel ermöglicht also beiden Parteien zugleich die Bestimmbarkeit des anwendbaren Rechts. Nur das von ihnen gemeinsam bestimmte Recht gelangt zur Anwendung. Dieser Vorzug der Tatortanknüpfung muß letztlich auch gemeint sein, wenn es heißt, die vernünftigen Erwartungen der Parteien seien für die Anwendung des Tatortrechts entscheidend112, die „Vorhersehbarkeit des Haftungsrahmens . . , " 1 1 3 , die Tatsache, daß es „an einem überzeugenderen Anknüpfungspunkt fehlt, der dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit in gleichem Maß wie das Tatortprinzip Rechnung trägt". 114 Nicht zufällig sei Tatortrecht, sondern diene dem Vertrauensschutz 115, „le principe de la lex loci d e l i c t i . . . repose notamment sur un souci de prévisibilité de la loi applicable: l'essentiel est, pour l'auteur de l'acte, de connaître les conséquences légales. Nulle loi autre que celle du lieu Ganz deutlich auch Ferid, Rn. 6-146: Diese Auswahl steht dem Schädiger zu. no Vgl. ähnliche Befürchtungen bei Reid, International Herald Tribune 5.3.1986, S. 8. in In Denver wurde aus haftungsrechtlichen Gründen mittlerweile das Rodeln in städtischen Anlagen verboten, vgl. auch dazu Reid ibid. 112 Am deutlichsten bislang vielleicht Rheinstein, 19 Tul. L. Rev. 4, 24 (1944): „That rule serves . . . the purpose of preventing a person from being subjected to liability under a law whose application he could not foresee when he engaged in the conduct for which he is sought to be held responsible." Vgl. weiterhin Mummenhoff, NJW 1975, 476, 478 1. Sp.; Roßbach, S. 78 f.; J. A. C. Smith, (1957) 20 Mod. L. Rev. 447, 459 ff.; Vischer, FS Moser, S. 119 (Tatortanknüpfung hat Vorteil der „Voraussehbarkeit des anwendbaren Rechts"). 113 v. Hoffmann, IPRax 1986, 90. 114 BGH 13.3.1984, BGHZ 90, 294, 298; vgl. genauso BGH 8.3.1983, BGHZ 87, 95, 97. us Koziol, FS Beitzke, S. 577 f.

VIII. Anknüpfungen mit Selbstbestimmungsmöglichkeit

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où l'acte est accompli ne répondrait mieux à cette exigence, tout en sauvegardant un équilibre entre les intérêts des parties." 116 Kurz: Anwendung des Tatortrechts sei eine elementare Frage der Gerechtigkeit für die Parteien. 117

2. Rechtswahl Anerkennung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung bedeutet Würdigung eines bestimmten Verhaltens, das Bezug zu einer Zurechnungsordnung herstellt. Es bedeutet nicht Zulässigkeit einer einseitigen Rechtswahlerklärung. Die Anerkennung einer einseitigen Rechtswahlerklärung könnte sonst häufig zu einem venire contra factum proprium führen. Tun sich Schädiger und Geschädigter jedoch zusammen, vermögen sie mehr als der einzelne. Einzeln können sie die Bestimmung des anwendbaren Rechts nur durch ihr Verhalten bewirken. Gemeinsam können die Parteien dagegen eine Rechtswahlvereinbarung treffen. In der älteren Lehre häufig abgelehnt118, ist sie nach heute fast einhelliger Meinung vor und nach dem schädigenden Ereignis grundsätzlich zulässig. 119 Sie ist ein Fall einvernehmlicher kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung.

3. Akzessorietät Akzessorisch knüpft an, wer das anwendbare Deliktsrecht dem Statut einer zwischen den Deliktsbeteiligten bereits bestehenden Sonderverbindung entnimmt. 1 2 0 Auch akzessorische Anknüpfung kann einen Unterfall kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung bilden. 121 Ursprünglicher Ansatzpunkt dieser Anknüpii6 Fallon, Nr. 287 (S. 487). in Robertson, (1940-41) 4 Mod. L. Rev. 27, 39 f. Iis Vgl. dazu Stoll, FS Kegel, S. 115 Fn. 8; ablehnend z. B. Bröcker, S. 75 f.; Raape, § 55 VI. (S. 579 f.); eher ablehnend auch Trutmann, S. 137 f. 119 BGH 24.9.1986, BGHZ 98, 263, 274; 8.3.1983, BGHZ 87, 95, 103; 26.11.1964, BGHZ 42, 385, 389; Ferid, Rn. 6-180; Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 601, 639 ff.; W. Lorenz, FS Coing, S. 272 ff., 275; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 57 ff. mit weiteren Nachw.; Mummenhoff, NJW 1975, 476, 479; Reichert-Facilides, FS Hartmann, S. 210; Palandt / Heldrich, Art. 38 EGBGB Anm. 2) b) hh) mit weiteren Nachw. Weitere Nachw. auch bei Stoll, FS Kegel, S. 115 Fn. 8. In Österreich: § 35 öst. IPRG; in der Schweiz wird die Rechtswahl auf die lex fori beschränkt, vgl. Art. 132 Schweiz. IPRG. 120 Vgl. MünchKomm/Kreuzer, Art. 38 Rn. 65. 121 Mangels Rechtsprechungsmaterials läßt sich die genaue Bedeutung akzessorischer Anknüpfung zur Zeit noch nicht abschätzen. Befürworter im Schrifttum sind nachgewiesen bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 65 Fn. 191; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 45 Fn. 46; Gegner z. B. bei Firsching, FS Zajtay, S. 146. Der Referentenentwurf 1984 übernimmt die akzessorische Anknüpfung in Art. 41 Abs. 2, insoweit abgedruckt z. B. bei Basedow, NJW 1986, 2971, 2972 Fn. 10 und 11. In Österreich: OGH 29. 10.1987, IPRax 1988, 363, 364. Akzessorische Anknüpfung ist ebenfalls in Art. 133 Abs. 3 Schweiz. IPRG vorgesehen.

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

fung ist zwar das Bestreben nach einheitlicher kollisionsrechtlicher Beurteilung eines Lebenssachverhaltes. 122 Es ist jedoch interessant zu beobachten, wie der Gedanke kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung im Schrifttum zunehmend als Grundlage akzessorischer Anknüpfung herangezogen wird. 1 2 3 Der „Erwartungshorizont der Parteien" soll maßgeblich sein. 124 Gonzenbach meint sogar, die Legitimität akzessorischer Anknüpfung stehe und falle mit dem internationalprivatrechtlichen Vertrauensprinzip. 125 Solange vertragsakzessorische Anknüpfung in Frage steht, wird man dem grundsätzlich zustimmen können, da damit nur die schuldvertragsrechtliche Parteiautonomie auf das internationale Deliktsrecht übertragen wird. Bei Anknüpfung an andere Sonderverbindungen und bei Verträgen, die in keiner Weise den Schutz des Integritätsinteresses einbeziehen, ist es aber angebracht, im Einzelfall zu untersuchen, welche deliktsrechtlichen Bestimmungsmöglichkeiten den Parteien tatsächlich verbleiben. Gegebenenfalls ist umgekehrt an eine deliktsakzessorische Bestimmung des Sonderverbindungsstatuts zu denken. 126 4. Weitere Anknüpfungen Es gibt viele weitere Möglichkeiten, gleichermaßen für Schädiger und Geschädigten kollisionsrechtliche Selbstbestimmung zu verwirklichen. Diese Möglichkeiten hängen von dem jeweiligen Delikt ab. So kann man beispielsweise für die Ansprüche, die nach einem Flugzeugunfall von Passagieren und Ladungsbeteiligten gegen den Luftfrachtführer geltend gemacht werden, an das Hoheitszeichen des Flugzeuges127, an die Hauptniederlassung des Luftfrachtführers 128 , an Abflug- oder Bestimmungsort 129 oder akzessorisch 130 anknüpfen. 131 122 Vgl. Kropholler, RabelsZ 33 (1969) 601, 629 ff.; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 66. 123 Unter dem Stichwort: Verwirklichung des kollisionsrechtlichen Vertrauensprinzips. Vgl. z. B. Botschaft Bundesrat, 284.221; Firsching, FS Zajtay, S. 146; Heini, FS Mann, S. 197; Kropholler, § 53 V 3. (S. 438); W. Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 284 ff.; derselbe, FS Coing, S. 266. 124 Stoll, IPRax 1989, 89, 91 f.; vgl. auch P. Fischer, S. 151 ff. 125 Gonzenbach, S. 4. 126 Vgl. dazu MünchKomm/Kreuzer, Art. 38 Rn. 68; Vischer, FS Moser, S. 125 f. 127 Vgl. z. B. Grußendorf, S. 35; E. Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 446 f.; Lukoschek, S. 92 ff. und S. 98 f.; Gegen die Anknüpfung an das Hoheitszeichen wird aber oft eingewandt, daß es dem Reisenden vor Reiseantritt häufig nicht bekannt sei, sich kurzfristig ändern könne etc., vgl. H. Müller, S. 77; Riese, ZLR 7 (1958) 271, 281; Urwantschky, S. 133 mit weiteren Nachw. in Fn. 188. 128 Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67, 140 (Nr. 92); Riese, ZLR 7 (1958) 271, 281 f.; Urwantschky, S. 207 f. Für das Vertragsstatut wird diese Anknüpfung wohl überwiegend vertreten, vgl. die Nachw. für die Rechtsprechung bei Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, 2.5.3. (S. 29); weitere Nachw. bei Urwantschky, S. 110 Fn. 116 und 117. 129 Der Bestimmungsort hat trotz Art. 28 Abs. 2 EGBGB immer noch Bedeutung bei vertraglichen Ansprüchen. Zahlreiche Nachw. bei Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag,

VIII. Anknüpfungen mit Selbstbestimmungsmöglichkeit

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Auf solche Anknüpfungspunkte haben beide Seiten vor Flugbeginn durch Wahl z. B. der Flugroute oder der Fluggesellschaft Einfluß. 132 Dieser Gesichtspunkt steht in der Diskussion um die richtige Anknüpfung bei Flugzeugunglücken denn auch ganz im Vordergrund. Dagegen werden gemeinsames Heimatrecht 133 , Heimatrecht des Geschädigten134, lex fori 1 3 5 oder auch Tatortrecht bei Ansprüchen der Passagiere gegen den Luftfrachtführer zumeist für weniger geeignet gehalten. Insbesondere der Anknüpfung an Tatortrecht werden „Zufälligkeit" 136 , mangelnde Vorhersehbarkeit der Ergebnisse 137 und Schwierigkeiten bei der Tatortbestimmung 138 vorgeworfen. Insgesamt gesehen lassen sich in einer Vielzahl von Fallkonstellationen Anknüpfungen finden, die dem Selbstbestimmungsinteresse beider Parteien gerecht werden. Andererseits können traditionelle Anknüpfungspunkte wie etwa die Tatortregel in dieser Hinsicht durchaus auch versagen.

2.5.3. (S. 30), und bei Urwantschky, S. 112 ff., 120. Zu Unsicherheiten für den Luftfrachtführer führt diese Anknüpfung bei unterschiedlichen Zusteigeorten und Reisezielen der Passagiere. 130 Vgl. z. B. Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 493; Frings, ZLW 26 (1977) 8, 20 ff.; Kropholler, § 53 VI 2. a) (S. 441); MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 186; Palandt/ Heldrich, Art. 38 EGBGB Anm. 2) c) ee); Trutmann, S. 177; Urwantschky, S. 208. 131 Ein Überblick über die in verschiedenen Ländern vertretenen Anknüpfungsmethoden findet sich bei Cagle, 51 J. Air L. & Comm. 953, 973 ff. (1986). 132 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß aufgrund der Zwischenvereinbarung von Montreal (dazu Diederiks-Verschoor, ZLW 19 (1970) 25 ff.) im Flugverkehr von und nach den USA besondere Beförderungsbedingungen vereinbart werden, vgl. die Besondere[n] Beförderungsbedingungen für den USA-Verkehr in der Fassung der Genehmigung des Bundesministers für Verkehr vom 11.6.1971 (L 3 — 315 5 03 87/ L 71), abgedruckt bei Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, 9.5. (S. 248 f.) 133 Dagegen Lukoschek, S. 84 f., 101 f.; vgl. auch Urwantschky, S. 135 ff.; Der BGH hat aber bei dem Absturz eines Privatflugzeuges in Frankreich deutsches Heimatrecht von Pilot und Passagier angewandt, vgl. BGH 27.11.1979, ZLW 29 (1980) 143. 134 Dafür in Deutschland nur Bröcker, S. 224 f.; vgl. auch Ehrenzweig, FS Rabel, S. 663, und Bentivoglio, Ree. des Cours 119 (1966 III) 75, 163 f.; in Amerika ist dieser Anknüpfungspunkt bedeutsamer, vgl. die Rechtsprechungszusammenstellung bei Urwantschky, S. 217 ff. 135 Die Anknüpfung an die lex fori wird in Deutschland nicht vertreten, vgl. Lukoschek S. 75 f. und S. 82. 136 Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67, 140 (Nr. 92); Bröcker, S. 222; Cagle, 51 J. Air L. & Comm. 953, 975 (1986); Frings, ZLW 26 (1977) 8, 20; Lukoschek, S. 82; Seetzen, VersR 1970, 1, 8/9. 137 Frings ibid.; Lukoschek, S. 83; Seetzen, VersR 1970, 1, 9. 138 Vgl. z. B. Cagle, 51 J. Air L. & Comm. 953, 975 (1986); vielzitiert ist der Satz von Knauth, 49 Colum. L. Rev. 1, 19 (1949): „The ice began to form on the wings over Pennsylvania; the wrong handle was pulled in the air over Maryland so that the de-icer broke down over West Virginia and the plane fell in Virginia".

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

5. Ausdrückliche Regelung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung Eine weitere Möglichkeit, kollisionsrechtliche Selbstbestimmung zu gewährleisten, besteht in ausdrücklicher Regelung. Wenn durch die Kollisionsnorm selbst den Parteien keine Einflußnahme auf das anwendbare Recht ermöglicht ist, kann man das durch Einführung eines zusätzlichen Kriteriums sicherstellen. In diese Richtung zielen die eingangs zitierten IPR-Gesetze139, wenn sie die Anwendung des Rechts des Erfolgsortes mit der Einschränkung versehen, daß der Erfolgseintritt an jenem Ort vorhersehbar gewesen sein müsse. Es wird im Laufe der weiteren Untersuchung zu zeigen sein, daß der Ruf nach Vorhersehbarkeit immer dann laut wird, wenn die eigentlich anwendbare Kollisionsnorm anderenfalls den Parteien, insbesondere dem Schädiger, keine kollisionsrechtliche Selbstbestimmung ermöglichte.

IX. Kollision der Selbstbestimmung von Schädiger und Geschädigtem „ Z u r e c h n u n g " ist im materiellen Deliktsrecht ein auf den Schädiger bezogenes Konzept. Nur der Schaden, der einem anderen zugerechnet werden kann, fällt nicht in die Sachzuständigkeit des Geschädigten, ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz: casum sentit dominus. Im internationalen Deliktsrecht scheint das anders zu sein. Mit gewisser Berechtigung läßt sich hier auch nach der Zurechenbarkeit der Zurechnungsordnung für den Geschädigten fragen: Von welcher Rechtsordnung darf der Geschädigte den Schutz seiner Rechtsgüter billigerweise erwarten? 140 Den Protokollen läßt sich entnehmen, der Sinn der Tatortregel sei, „daß derjenige, welcher sich gegen die Schutzvorschriften verfehle, die ein Staat zur Sicherung der seiner Herrschaft unterworfenen Güter aufstelle, nach den Normen dieser Gesetze für Schadensersatz hafte." 141 Das ist zwar noch etatistisch gedacht. Der Geschädigte kann sich den Ansatz aber zunutze machen. Er kann seine Rechtsgüter der Herrschaft eines bestimmten Staates unterstellen. Dadurch kann er das anwendbare Recht bestimmen, denn es ist „grundsätzlich Sache desjenigen Staates, in welchem sich ein Rechtsgut befindet, diesem auch schadensrechtlichen Schutz zu gewähren." 142 Das Zurechnungsprinzip der kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung gilt also auch für den Geschädigten. Hat er sich ausgesucht, welcher Rechtsordnung er seine Rechtsgüter unterstellen möchte, hat er sie einer bestimmten Rechtsordnung „anvertraut", dann hat er damit das im Fall einer Schädigung anwendbare Recht bestimmt. 143

139 Oben Einleitung. 140 Diese Frage stellen z. B.: OGH 29.4.1981, JB1. 105 (1983) 380; Heini, FS Mann, S. 197 Fn. 20; Koziol, FS Beitzke, S. 578 ff.; W. Lorenz, FS Coing, S. 270 = derselbe, in: Deutscher Rat für IPR, S. 116; Stoll, FS Ferid, S. 413 und passim. 141 Prot. VI, S. 43. 142 Deutscher Rat für IPR, S. 11.

IX. Kollision der Selbstbestimmung

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Damit ist aber auch die Kollision vorgezeichnet. Wie ist zu entscheiden, wenn die Selbstbestimmungsinteressen der Parteien divergieren, wenn der Geschädigte seine Rechtsgüter einer Rechtsordnung anvertraut hat, die dem Schädiger mangels Bestimmbarkeit nicht zurechenbar ist? Muß dann der Geschädigte auf den Schutz „seiner" Rechtsordnung verzichten? Oder trägt in solchem Fall der Schädiger das Rechtsanwendungsrisiko, muß er dann haften nach einer Zurechnungsordnung, mit der er nicht gerechnet, die er nicht vorhergesehen hatte, weil er sie nicht bestimmen konnte? Die Antwort, die man auf diese Frage eigentlich erwarten muß, lautet: Im Zweifel muß der Schädiger das Rechtsanwendungsrisiko tragen. Denn im internationalen Deliktsrecht ist „die Sympathie mit dem Opfer ... im allgemeinen größer als die mit dem Täter" 144 . In erster Linie müssen die Interessen des Verletzten berücksichtigt werden. 145 Das zeigt nicht zuletzt die Ubiquitätsregel, die in Verbindung mit dem Günstigkeitsprinzip den Geschädigten bevorzugt: Bei einem Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort ist das dem Geschädigten günstigere Recht anzuwenden.146 Manche geben dem Geschädigten sogar die Wahl. 1 4 7 Indes: Diese Antwort wäre falsch. Der Satz „casum sentit dominus" gilt vielmehr auch im Kollisionsrecht: Im materiellen Deliktsrecht trägt grundsätzlich jeder seinen Schaden allein. Nur wenn—ausnahmsweise — die Schadensverursachung einem anderen zurechenbar ist, findet eine Überwälzung der Schadensfolgen statt. 148 Wie für jeden anderen Nachteil auch kann nun für die Verteilung des Rechtsanwendungsrisikos im Kollisionsrecht nichts anderes gelten. Läßt sich dieses Risiko nicht dem Schädiger zurechnen, muß es derjenige tragen, der auch sonstige Nachteile zu spüren bekommt: der Geschädigte.149 Insbesondere im Wirtschaftsrecht entspricht ein solches Ergebnis durchaus auch realistischer Unternehmensplanung. Man setzt nicht darauf, daß etwaige Schadensfolgen über das Deliktsrecht abgewälzt werden können, sondern verfolgt von vornherein eine bewußte Strategie der Schadensvorsorge. 150 Die dritte These dieser Arbeit lautet 143 Daß es nicht nur — wie zumeist hervorgehoben — um die Prävisionsinteressen des Schädigers geht, sondern daß durch Tatortrecht die Prävisionsinteressen beider Parteien berücksichtigt werden, betonen besonders auch: Koziol, FS Beitzke, S. 577 f.; derselbe, ZVR 1980, 1, 4; Roßbach, S. 78 f. 144 Kegel, § 18 IV. 1. a) aa) (S. 457). Zustimmend z. B. OLG Saarbrücken 5.3.1963, IPRspr. 1962-63 Nr. 38 (S. 97); Ferid, Rn. 6-146; Rest, VersR 1987, 6, 13; Sturm, Deutscher Rat für IPR, S. 359 Fn. 75. 145 Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67, 85 (Nr. 25); Grußendorf, S. 21 und 30. 146 BGH 17.3.1981, NJW 1981, 1606/1607 (Benomyl), insoweit nicht in der amtl. Sammlung abgedruckt; weitere Nachw. bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 50. 147 Vgl. Kreuzer, IPRax 1982, 1, 3; K. Müller, JZ 1986, 212, 213 f.; weitere Nachw. bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 51. 148 Vgl. für viele: Deutsch, JZ 1968, 721. 149 Genauso Bröcker, S. 102; Rheinstein, 19 Tul. L. Rev. 4, 25 ff. (1944); Roßbach, S. 119.

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1. Kap.: Das maßgebliche Zurechnungsprinzip

daher: „casum sentit dominus" ist auch im internationalen Deliktsrecht seit langem Wirklichkeit. Zwar bemüht man sich häufig, den Selbstbestimmungsinteressen auch des Geschädigten gerecht zu werden. Kommt es aber zu einer unvermeidbaren Interessenkollision, wird der Schädiger bevorzugt. Ihm wird grundsätzlich kein Statut zugerechnet, auf dessen Anwendbarkeit er keinen Einfluß nehmen konnte. Diese These der kollisionsrechtlichen Bevorzugung des Schädigers mag zunächst ungewohnt klingen. Ihre Realität zu belegen ist ein Anliegen dieser Untersuchung. Vorerst soll ein Beispiel aus dem Schrifttum den Weg weisen: Kegel ist Anhänger der Ubiquitätsregel. Auf ihn geht das Argument der Sympathie mit dem Opfer zurück, er entscheidet sich für das dem Geschädigten günstigere Recht, wenn es bei einem Distanzdelikt zum Auseinanderfallen von Handlungsund Erfolgsort kommt. 151 Welche Anknüpfung soll aber gelten, wenn der beiden Beteiligten zurechenbare Tatort entfällt? Was gilt, wenn Schädiger und Geschädigter sich in der Antarktis aufhalten, dort die Schädigung stattfindet? Bestimmbar ist dann für Schädiger wie für Geschädigten zunächst nur das eigene Personalstatut. Daran knüpft Kegel auch an. 152 Aber an welches? An das für den Geschädigten günstigere? Mitnichten: „Bei verschiedenem Personalstatut sollte dasjenige des Täters entscheiden."153 X. Zusammenfassung: Drei Thesen Erste These: Zurechnungsgrund für das Deliktsstatut ist der Grundsatz der kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung. Zweite These: Materiellrechtliche Zurechnungsprinzipien haben auf die kollisionsrechtliche Zurechnung keinen Einfluß. Dritte These: Kollidieren die Selbstbestimmungsinteressen von Schädiger und Geschädigtem, wird der Schädiger bevorzugt.

XI. Das Untersuchungsprogramm Im folgenden Hauptteil der Untersuchung sollen die drei Thesen praktisch überprüft werden. Es soll einerseits gezeigt werden, daß der Grundsatz der 150 Vgl. 151 Vgl. 152 Vgl. 153 Vgl.

Gärtner, JZ 1988, 579, 583. Kegel, § 18 IV. 1. a) aa) (S. 456 f.). Kegel, § 18 IV. 1. d) (S. 468). auch Kegel, § 1 IV. 2. a) (S. 13).

XI. Das Untersuchungsprogramm

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kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung den kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien entspricht, und zum anderen, daß dieser Grundsatz im internationalen Deliktsrecht bereits Rechtswirklichkeit ist. Dabei kann nicht das internationale Deliktsrecht in vollständigem Umfang überprüft werden. Auswahl tut not, ist aber auch möglich. Ausgeschieden werden zunächst solche Fälle, in denen kollisionsrechtliche Selbstbestimmung beiden Parteien gewährleistet ist. Insbesondere bei Verkehrsunfällen können beide Seiten durch Wahl ihres Aufenthaltsortes Einfluß auf das anwendbare Recht nehmen. 154 Ausgeschieden wird weiterhin, was (noch) zu selten vorkommt. Internationales Datenschutzrecht wird ausgelassen. 1 5 5 Der vielzitierte Schuß über die Grenze, dem Theoretiker seit Jahrhunderten höchste Lust 1 5 6 , wird nicht behandelt.157 Was bleibt ist das Distanzdelikt, vornehmlich aus dem Wettbewerbs-, Produkthaftungs-, Persönlichkeits-, Umweltrecht. Hier kommt es zur Kollision der Selbstbestimmungsinteressen von Schädiger und Geschädigtem. Die Unterteilung in einzelne Bereiche dient dabei nur der Übersichtlichkeit. Oft lassen sich die Rechtsgebiete nicht genau trennen, insbesondere im Wettbewerbsrecht kann ein und dieselbe Verletzungshandlung wettbewerbsrechtliche, kartellrechtliche und zeichenrechtliche Sanktionen auslösen, die sich wechselseitig überlappen mögen, deren Übergänge fließend sind. 158 Systematisierung aber ist nicht Aufgabe dieser Arbeit. Es sollen lediglich die in Rechtsprechung und Schrifttum erörterten Anknüpfungspunkte zusammengestellt und auf kollisionsrechtliche Selbstbestimmung hin untersucht werden. Soweit Anknüpfungspunkte oder bestimmte Argumentationen Bedeutung in mehreren Bereichen haben (z. B. Schutzlandprinzip bei Immaterialgüterrechts- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen) werden sie denn auch nur in dem Bereich erörtert, für den sie besonders typisch erscheinen (Immaterialgüterrecht). Den Kapiteln ist der Anschaulichkeit halber ein Fall vorangestellt, der die Bedeutung der Frage nach kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung unterstreicht. Begonnen wird die Darstellung mit einer Untersuchung der Kollisionsnormen bei Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstößen. 154 Dabei wird nicht verkannt, daß in Einzelfällen auch bei Verkehrsunfällen ein Distanzdelikt denkbar ist, etwa bei der Explosion eines Tanklastwagens in der Nähe der Grenze, dazu vgl. Beitzke, RabelsZ 33 (1969) 204, 220; derselbe, SchwJblntR 35 (1979) 93, 99, 101; Sieg, RIW 1984, 346. 155 Zur Forderung nach Vorhersehbarkeit des Statuts in diesem Bereich vgl. Bergmann, S. 323 und S. 246 f. 156 Im 17. Jahrhundert stand noch der Pfeilschuß im Vordergrund der Diskussion; zum damaligen Streitstand vgl. die Erörterung der Problematik bei Voet, Sectio XI. caput I. Nr. 8. 157 Es lassen sich immerhin Fälle finden: RG 30.3.1903, RGZ 54, 198; The County Council of Fermanagh v. Henry Farrendon [1923] 2 IR 180; vgl. auch den Bericht in Clunet 14 (1887) 597. 158 Vgl. Handb. AusstattungsR / Pfaff, S. 1157/1158; Sandrock, GS Constantinesco, S. 627 f.

Zweites Kapitel

Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstößen I. Fall Im Oktober 1905 stieß auf dem Ärmelkanal der französische Dampfer „Seine" mit dem schwedischen Segler „Svea" zusammen. Der Unfall war unstreitig von der Besatzung der „Seine" verschuldet und hatte den Untergang der „Svea" zur Folge. Das Reichsgericht wandte französisches Recht an.1

II. Einführung Die Regeln, die Rechtsprechung und Lehre für Schiffs- und Flugzeugzusammenstöße entwickelt haben, sind für den Beginn der Untersuchung besonders anschaulich. Zum einen liegt das an der Einfachheit und Anschaulichkeit der Sachverhalte: Zwei Schiffe stoßen zusammen; welches Recht ist ihnen zuzurechnen? Zum anderen spielen Zufälligkeit und Austauschbarkeit von Schädiger und Geschädigtem eine Rolle. Da geht es meist nicht um die Verletzung eines „armen" Verbrauchers durch einen multinationalen Konzern, nicht um David gegen Goliath, betroffen ist vielmehr die internationale Interessengemeinschaft der Reeder: Wer heute versehentlich ein anderes Schiff rammt, kann morgen selbst durch den losgerissenen Anhang eines Schleppers geschädigt werden. Nicht anders ist es, betrachtet man die Ansprüche, die zwei Fluggesellschaften nach einem Zusammenstoß gegeneinander erheben können. Wo Schädiger und Geschädigter prinzipiell austauschbar sind, wo „Sympathie mit dem Opfer" keine oder nur geringe Rolle spielt, wo der „typischerweise sozial Schwächere" 2 nicht ohne weiteres auszumachen ist, kann kollisionsrechtliche Selbstbestimmung als maßgebliches Anknüpfungskriterium zutage treten. Die Darstellung folgt dabei der im Schrifttum üblichen Unterteilung in Zusammenstöße in hoheitsfreiem und in Staatsgebiet.

1 RG 6.7.1910, RGZ 74, 46 mit Anm. Beauchet, Clunet 39 (1912) 247. 2 Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 474.

III. Zusammenstöße in hoheitsfreiem Gebiet

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I I I . Zusammenstöße in hoheitsfreiem Gebiet 1. Anknüpfungen mit Beeinflussungsmöglichkeit für die Parteien a) Gemeinsames Heimatrecht

3

Bei Zusammenstößen auf hoher See ist erste Regel: Fahren beide Schiffe unter gleicher Flagge, gilt für die beiderseitigen Ansprüche das Recht der gemeinsamen Flagge als Deliktsstatut.4 Bei Flugzeugen, die über hoheitsfreiem Gebiet zusammenstoßen, knüpft man ebenfalls an das gemeinsame Heimatrecht an.5 In hoheitsfreiem Gebiet, wo ein locus delicti ohne weiteres nicht ersichtlich ist, ist es die Anwendung gemeinsamen Heimatrechts, die etwas Anknüpfungssicherheit mit sich bringt: Wo die Zahl der Kollisionsgegner und in Betracht kommenden Rechtsordnungen beliebig groß zu sein scheint, läßt sich immerhin für einen kleinen Teil der möglichen Fälle eine Rechtsordnung im voraus festmachen: die eigene. Sie kann man vor dem Zusammenstoß wählen. Dennoch soll nicht übersehen werden, daß es sich hier nicht um eine durch die Beteiligten selbst vollständig bestimmbare Anknüpfung handelt, sondern nur um eine (geringe) Wahrscheinlichkeit. Man kann das anwendbare Recht nicht bestimmen, man kann es nur zu beeinflussen versuchen. Und es sind sicherlich nicht Zurechenbarkeitserwägungen, die die h. M. zu dieser Anknüpfung bewegen, sondern Genugtuung darüber, überhaupt einen sinnvollen Anknüpfungspunkt in die Hand zu bekommen. b) Internationale

Übereinkommen

Praktisch wichtiger sind denn auch internationale Übereinkommen. Sie vor allem beugen den größten Überraschungen vor. Gehören beide Schiffe den Vertragsstaaten des Internationalen Übereinkommens zur einheitlichen Feststellung

3 Zur Ermittelung des gemeinsamen Heimatrechts kann man auf Flagge, Hoheitszeichen, lex stabuli, Registrierungsort etc. abstellen. Soweit solche Unterschiede für den hier erörterten Gesichtspunkt kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung bedeutungslos sind, wird ihnen nicht weiter nachgegangen, wird im folgenden zumeist nur von „Heimatrecht" gesprochen. 4 Allgemeine Meinung, vgl. RG 18.11.1901, RGZ 49, 182, 187; Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67, 135 (Nr. 87), 141 (Nr. 93); Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 491; Erman/Arndt, Art. 12 EGBGB Rn. 9; Kegel, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968) 393, 413; E. Lorenz, FS Duden, S. 268; Palandt / Heldrich, Art. 38 EGBGB Anm. 2) c) ff); Prüßmann/Rabe, Vor § 734 HGB III. D. 1.; Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 671 mit Nachw. auch zum ausländischen Recht; Schaps / Abraham, Vor §734 HGB Rn. 25; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 40. 5 Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 493; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 183; Raape, § 55 VIII. 3. (S. 584); Ruhwedel, Flugzeugkommandant, S. 182; Schwenk, S. 522/523; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 43; Werro, S. 29. 4 Czempiel

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße

von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen (IÜZ) 6 an, findet dieses Übereinkommen in erster Linie Anwendung. 7 Fast immer gilt auch das Übereinkommen über die internationalen Regeln zur Verhütung von Zusammenstößen auf See vom 20. Oktober 19728. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit und in gewissem Umfang können also die Beteiligten einer Kollision das anwendbare Recht antizipieren. Sie können, wenn sie wollen, ihr Schiff in einem der Vertragsstaaten registrieren lassen und damit die Anwendbarkeit solcher Übereinkommen wahrscheinlich machen, die auf die Zugehörigkeit zu einem Vertragsstaat abstellen. Im Flugverkehr freilich fehlen rechtsvereinheitlichende Übereinkommen. Das Warschauer Abkommen vom 12. Oktober 19299 betrifft nur die Haftung des Luftfrachtführers gegenüber den eigenen Passagieren und Ladungsbeteiligten. Die Römer Haftungsabkommen 10, für die Bundesrepublik ohnehin nicht in Kraft, erfassen keine Zusammenstöße in der Luft.

2. Der Problemfall: Zusammenstoß bei verschiedenem Heimatrecht a) RG 12.11.1932, RGZ 138, 243 (Casablanca) Nicht immer läßt sich also abschichten, kann man die eigentliche Brisanz der kollisionsrechtlichen Fragestellung so umgehen. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes von Parteien aus Nichtvertragsstaaten, zu lückenhaft sind die internationalen Übereinkommen selbst.11 Daher kann es durchaus zum „kompliziertesten aller Fälle" 12 kommen, zu einem Anknüpfungsproblem „von ungewöhnlichem Reiz" 1 3 : zum Zusammenstoß zweier Schiffe verschiedener Flagge auf hoher See. Die Frage, welches Recht auf diese Fallkonstellation anzuwenden ist, ist in der deutschen Rechtslehre ein seit jeher umstrittenes Problem gewesen und muß 6 Übereinkommen vom 23.9.1910, für Deutschland in Kraft seit dem 1.3.1913 (RGBl. 1913, 49, 89 f.); abgedruckt z. B. bei: Schaps / Abraham, § 739 HGB Anhang I; Prüßmann/Rabe, § 739 HGB Anhang I. 7 BGH 7.11.1960, VersR 1961, 77, 78; 11.3.1976, VersR 1976, 681; Prüßmann/ Rabe, Vor § 734 HGB III. D. 1. s BGBl. 1976 H 1017, 1018, 1023, in Kraft seit dem 15.7.1977, BGBl. 1977 II 623, 788 (= Neufassung der Anlage B des Schiffssicherheitsvertrages von 1960). 9 RGBl. 1933 II 1039, 1040, reformiert durch das sog. Haager Protokoll vom 28.9.1955 (BGBl. 1958 H 291, 292, 312), klarstellend ergänzt durch das Zusatzabkommen von Guadalajara vom 18.9.1961 (BGBl. 1963 II 1159,1161); alle Texte abgedruckt z. B. bei Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, 9.2. (S. 200 ff.). 10 Vom 29.5.1933 und vom 7.10.1952, abgedruckt z. B. bei Schleicher / Reymann / Abraham, S. 588 ff. 11 Vgl. E. Lorenz, FS Duden, S. 233, 234; Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 667. 12 Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 673. 13 Raape, § 55 VII. 3. (S. 582); Rabel, II, S. 349: „The case is desperate".

III. Zusammenstöße in hoheitsfreiem Gebiet

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auch heute noch als offen gelten. Und dabei schien es für einen Moment, als habe das Reichsgericht in seiner bekannten Casablanca-Entscheidung von 1932 14 eine zufriedenstellende und eigentlich auf der Hand liegende Lösung gefunden: Es übertrug einfach die Grundregel des deutschen internationalen Deliktsrechts auf den Zusammenstoß des deutschen Dampfers „Casablanca" mit dem alleinschuldigen englischen Motorschiff „Henry Stanley" im englischen Kanal: Auf dem englischen Schiff sei die zum Zusammenstoß führende Handlung vorgenommen worden, der schadenstiftende Erfolg habe sich aber auf dem Dampfer Casablanca ausgewirkt. Da ein Schiff auf hoher See als Bestandteil seines Heimatstaates anzusehen sei, komme als Begehungsort sowohl deutsches als auch englisches Rechtsgebiet in Betracht. Der Richter müsse, da der Anspruch vollständig nur nach deutschem Recht begründet sei 15 , zugunsten des Klägers deutsches Recht anwenden.16 b) Kritik Diese Judikatur des RG hat vereinzelt — vor allem im älteren Schrifttum — Beifall gefunden. 17 Giemulla möchte sie auch auf den Luftverkehr übertragen. 18 Heute aber überwiegen die kritischen Stimmen weitaus.19 Zumeist wird dem RG vorgeworfen, es übertrage eine völkerrechtliche Fiktion in das internationale Privatrecht, um dort einen realen Tatort zu konstruieren. 20 Es handele sich um eine rein formalistische Begründung. 21 Außerdem werde die Tat nicht auf, sondern mit dem Schiff begangen.22 14 RG 12.11.1932, RGZ 138, 243. 15 Die Beklagte machte eine Haftungsbeschränkung nach englischem Recht in Höhe von 8 £ pro Tonne des eigenen Schiffes, insgesamt fast 30.000 £ geltend. 16 RGZ 138, 243, 246. 17 OLG Hamburg 14.11.1974, VersR 1975, 761 („Aquarius"); LG Oldenburg 10.5.1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 46; Grebner, AWD 1974, 75, 81/82; Himmelmann, Hansa 1958, 631, 632; Lang, S. 16; Siehr, AWD 1973, 569, 580; Wolff, § 32 (S. 168); weitere Nachw. bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 162 Fn. 425, und bei E. Lorenz, FS Duden, S. 244 Fn. 56, die zumeist aber knapp und wenig aussagekräftig sind. 18 ZLW 29 (1980) 119,125. Die internationalprivatrechtlichen Folgen eines internationalen Flugzeugzusammenstoßes haben bislang offenbar noch nie die Gerichte beschäftigt, vgl. Lukoschek, S. 109. 19 Ausdrücklich ablehnend: Beitzke, Mélanges Maury, S. 61 ff.; Kegel, § 18 IV. 1. d) (S. 468); Prüßmann/Rabe, Vor §734 HGB III. D. 1.; Rabel, II, S. 350 f.; Roth/ Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 677; Schaps / Abraham, §485 HGB Rn. 35; Schikora, S. 110; Schröder, S. 12 ff.; Soergel / Siebert / Kegel, Art. 12 Rn. 36. Zu zahlreichen anderslautenden Vorschlägen vgl. noch unten sub d) cc)-gg). 20 Beitzke, Mélanges Maury, S. 61/62; vgl. auch E. Lorenz, FS Duden, S. 261; ausführlich zum völkerrechtlichen Hintergrund der Casablanca-Entscheidung vgl. Schröder, S. 4 ff. 21 Soergel / Siebert / Kegel, Art. 12 Rn. 17; vgl. auch Roth / Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 687. 22 Hillgenberg, S. 168 Fn. 35; Rabel, II, S. 350/351; vgl. auch E. Lorenz, FS Duden, S. 261; Schröder, S. 4, hält aber auch dieses Argument nur für „Bildersprache". 4*

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße

Diese Kritik ist berechtigt. Sie erklärt aber noch nicht, warum die Kernaussage der allgemeinen Regel des deutschen internationalen Deliktsrechts, die Anwendung des dem Verletzten günstigeren Rechts, bei Verletzungen an Land, nicht aber bei Schiffszusammenstößen auf hoher See Geltung beanspruchen soll. 23 Dies wird vielmehr erst dann deutlich, wenn man unter dem besonderen Blickwinkel kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung beide Fallkonstellationen einander gegenüberstellt. Dann erst zeigt sich, daß bei einem Zusammenstoß auf hoher See die Interessenlage eben doch eine „grundsätzlich andere" 24 ist. Denn während der Täter an Land abschätzen kann, wo sich seine Handlung auswirken wird, und damit das anwendbare Recht selbst zu bestimmen vermag, ist dies auf See gerade nicht der Fall. Die Nationalität des Kollisionsgegners kann man sich nicht aussuchen.25 Diese Unsicherheit wirkt sich vor allem zu Lasten des schuldigen Teils aus. Er vermag vor der Kollision nicht zu bestimmen, ob er nur nach seinem Heimatrecht oder darüber hinaus noch nach einer weiteren Rechtsordnung haften wird. Der Geschädigte weiß dagegen in jedem Fall, daß er Ersatz nach den Regeln seines Heimatrechts erlangen kann. Und wenn er Glück hat, bekommt er sogar noch mehr. Zugunsten des Geschädigten steht damit das Minimum des Ersatzes fest, zu Lasten des Schädigers bleibt jedoch das Maximum der Haftung unbestimmt. Die hergebrachte Ubiquitätsregel bei Distanzdelikten wird einer wesentlichen Funktion beraubt: der Orientierungsfunktion für den Täter. Wie die Kritik zeigt, die der Casablanca-Entscheidung des RG zuteil geworden ist, kann ein solches Ergebnis offenbar nicht hingenommen werden. Es scheint der Interessenlage der Parteien nicht gerecht zu werden. c) Kollisionsrechtliche

Prävisionsinteressen

Die kollisionsrechtlichen Interessen der Beteiligten eines Schiffszusammenstoßes auf hoher See werden — sofern überhaupt — im Schrifttum zunächst nicht anders beschrieben als für andere Fallkonstellationen im internationalen Deliktsrecht auch. Die meisten Autoren sehen eine Art Pattsituation. Der Geschädigte habe ein Interesse daran, nach den am Erfolgsort geltenden Richtmaßen, nach dem Recht der Flagge seines Schiffes Schadensersatz zu erhalten. 26 Das Interesse des Täters sei hingegen am Handlungsort (Recht der Flagge des Schädigerschiffes) lokalisiert. Zwar sei der Erfolgsort für den Täter zufällig, andererseits könne 23 So denn auch LG Oldenburg 10.5.1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 46 (S. 149). 24 Entgegen LG Oldenburg 10.5.1967, IPRspr. 1966-67 Nr. 46 (S. 149), und Schulz, S. 89. 25 Diesen Unterschied betonen auch Roth/Plett, RabelsZ42 (1978) 662, 677, und Schaps / Abraham, § 485 HGB Rn. 35; vgl. weiterhin Schikora, S. 110; eine Ausnahme bilden Vorsatztaten, die im Seerecht jedoch keine Rolle spielen. 26 So Schulz, S. 82/83; der Autor überträgt die übliche Terminologie bei Delikten an Land auch auf Schiffszusammenstöße, vgl. ibid. S. 77/78.

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auch der Geschädigte die Nationalität eines möglichen Schädigers nicht vorhersehen. 27 Auch Roth / Plett halten die beiden Anknüpfungspunkte (Flagge des Schädigers / Flagge des Geschädigten) für grundsätzlich gleichwertig und finden es auffällig, daß sich zwar viele für eine Anknüpfung an das Schädigerrecht, außer Schulz sich aber niemand für eine Anknüpfung an das Recht des Geschädigten ausgesprochen habe.28 Nun ist zwar Schulz nicht völlig allein geblieben, großen Anklang hat seine Auffassung aber in der Tat nicht gefunden. 29 Von der Rechtsprechung ist sie in wohl keinem Land jemals angewandt worden. 30 Auch bei Flugzeugzusammenstößen wird sie nicht diskutiert. 31 Der Verdacht drängt sich auf, daß beide Anknüpfungspunkte sich doch nicht so gleichwertig gegenüberstehen, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Mit Ablehnung der Anknüpfung an das Geschädigtenrecht wird nämlich eine Anknüpfung verworfen, die genau wie die Casablanca-Entscheidung des RG zwar für den Geschädigten, nicht aber für den Schädiger kollisionsrechtliche Orientierungsmöglichkeit zur Verfügung stellt. 32 Konsequent wäre es, sich an dieser Stelle offen anders zu entscheiden und ausdrücklich zu sagen: Das kollisionsrechtliche Interesse des Schädigers überwiegt. Offenbar bedarf es aber einiger Überwindung, eine solche Feststellung zu treffen. Immer wieder werden materiellrechtliche Erwägungen bemüht, um eine kollisionsrechtliche Entscheidung zugunsten des Geschädigten begründen zu können: Ausschlaggebend müsse sein, daß das materielle Recht in erster Linie die Wiedergutmachung eines Schadens zugunsten des Verletzten regele. „En realité, le point de départ de tout raisonnement pour la détermination de la loi compétente, doit être à notre avis, que le but social de la réglementation de l'abordage est la protection de la victime." 33 Diese materiellrechtliche Weitung sei in das Kollisionsrecht dahingehend zu übertragen, daß im Interesse des Geschädigten an den Erfolgsort angeknüpft werde. 34

27 Schulz, S. 88 und S. 89/90. 28 Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 683, 684. 29 Vgl. E. Lorenz, FS Duden, S. 262. Für das Recht des Gechädigten haben sich noch ausgesprochen: Delachaux, S. 192; Grußendorf, S. 35; zuletzt noch Neuhaus, S. 250; im Ausland z.B.: Höge Raad 16.3.1979, Ned. Jur. 1979 Nr. 540; Art. 293 des Código Bustamente, abgedruckt bei Makarov, Quellen II, S. 66; Guyot, Rev. crit. dr. int. 1935, 400, 404 f. Die Ansicht Puttfarkens, S. 32, man stelle in Deutschland überwiegend auf das Recht des geschädigten Schiffes ab, dürfte ein Versehen sein. 30 Vgl. Bourel, S. 100 Fn. 32. Eine Ausnahme bildet die soeben zitierte (Fn. 29) Entscheidung des Höge Raad, in der jedoch noch zahlreiche andere Faktoren für die Anwendbarkeit des (niederländischen) Heimatrechts des Geschädigten maßgeblich waren. 31 Lediglich Neuhaus, S. 250, möchte wie bei Schiffszusammenstößen auch hier an das Recht des Geschädigten anknüpfen. 32 Gesehen von Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 688. 33 Guyot, Rev. crit. dr. int. 1935, 400, 405/406. 34 Guyot, Rev. crit. dr. int. 1935, 400, 404 ff.; Schulz, S. 87-90.

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Eine solche Haltung kann vielleicht dann verständlich sein, wenn man die kollisionsrechtliche Entscheidung ausdrücklich in den Dienst materiellrechtlicher Erwägungen stellt. 35 Dies wird in Deutschland jedoch gerade nicht getan, vielmehr weist man dem Kollisionsrecht lediglich die Aufgabe zu, eine internationalprivatrechtlich gerechte Rechtsordnung zu Verfügung zu stellen 36 . Zudem läßt sich im Seerecht eine eindeutig materiellrechtliche Wertung zugunsten des Geschädigten gar nicht finden. Man macht es sich zu einfach mit der Feststellung, in erster Linie gehe es um den Schutz des durch die Rechtsgüterverletzung Betroffenen. Die jahrhundertealte 37, weltweit verbreitete 38 Möglichkeit der Haftungsbeschränkung für Reeder zeigt vielmehr, daß im Seerecht auch Interessen des Schädigers in erheblichem Maße mitberücksichtigt werden. Wie auch immer man dazu stehen mag. 39 Dennoch ist der Hinweis auf materiellrechtliche Regelungen nicht ganz unbeachtlich. Man muß ihn lediglich verkehren und feststellen, daß der Schutz des durch die Rechtsgüterverletzung Betroffenen vor allem auf materiellrechtlicher Ebene zu bewirken ist. Sein Interesse richtet sich auf Ausgleich des ihm entstandenen Schadens. Es handelt sich um ein Restitutionsinteresse, bezogen auf eine bestimmte Rechtsgüterverletzung, demgegenüber das Prävisionsinteresse an der anwendbaren Rechtsordnung deutlich zurücktritt. Dementsprechend wird sich die von ihm abzuschließende Kasko- oder Frachtversicherung an einem bestimmten Schaden orientieren 40, nicht an der auf den Schadensfall anwendbaren Rechtsordnung. Anders der Schädiger! Er kann den möglicherweise entstehenden Schaden nicht vorher abschätzen. Er könnte auf seiner Seereise ein kleines Küstenmotorschiff („Kümo") oder einen Supertanker rammen. Deshalb muß es ihm vor allem darauf ankommen, den möglichen Umfang seiner Haftung und der in Frage kommenden Haftungshöchstsummen zuverlässig abstecken zu können. Dabei ist es entscheidend, das gegebenenfalls anwendbare Recht bereits vor Antritt der Seereise zu kennen.41 Vor Inkrafttreten des Brüsseler Reederhaftungsüberein35 Roth / Plett, RabelsZ 42 (1978) 662,689 f., etwa befürworten eine Lösung im Sinne eines „better law approach". 36 Im Rahmen des Seerechts findet sich eine ausführlichere Erörterung bei E. Lorenz, FS Duden, S. 263 ff. 37 Zur historischen Entwicklung vgl. Sotiropoulos, S. 4-42; Wüstendörfer / Capelle, HansRGZ 22, A 1 ff. 38 Rodifcre, Rn. 139; Wüstendörfer, § 14 A I. (S. 125). 39 Sehr krit. z. B. Puttfarken, S. 26 ff.; grundsätzlich positiv dagegen z. B. Cleton, FS Erades, S. 15 f.; Herber, VersR 1973, 981 f.; Seward, in: Limitation of Shipowners' Liability, S. 161 ff. 40 In der Seeversicherung ist die Vereinbarung einer Taxe üblich, vgl. § 6 Abs. 2 ADS i. V. m. Nr. 3 DTV-Kaskoklauseln 1978 (i. d. F. v. November 1985). Die DTVKaskoklauseln sind abgedruckt z. B. bei Zeller, Anhang I. 41 Anderer Ansicht ist offenbar Braekhus, Ree. des Cours 164 (1979 III) 259, 271 f.; ihm zufolge tritt das grundsätzlich vorhandene Interesse an der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts angesichts der Unvorhersehbarkeit von Häufigkeit und Ausmaß der Schadensfälle zurück.

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kommens von 1957 (IÜR 1957) 42 war die Anwendung eines fremden Rechts in der Praxis der wichtigste Fall einer Überhaftung von Kasko- und Frachtversicherer durch Inanspruchnahme der sog. Separathaftungsklauseln. 43 Auch heute orientieren sich die P&I Clubs 44 an der beschränkten Reederhaftung für den Umfang des von ihnen gewährten Versicherungsschutzes. 45 In diesem Rahmen werden die entsprechenden Haftpflichtversicherungen abgeschlossen. Soweit in Deutschland — anders als etwa in England — der sog. mittelbare Kollisionsschaden vollständig durch die Seekaskoversicherung abgedeckt wird 4 6 , ist auch für den Kaskoversicherer die Frage des anwendbaren Rechts für seine allgemeine Haftungs- und Leistungskalkulation von Bedeutung.47 Das selbstverständlich auch vorhandene Interesse der Reeder, die Haftungshöchstsummen und damit die Versicherungsbeiträge möglichst niedrig zu halten, ist hingegen materiellrechtlicher Natur und muß auf materiellrechtlicher Ebene mit den Interessen des Geschädigten ausgewogen werden. Im Zeitalter der Risikoverlagerung durch Versicherungsschutz überwiegt demnach das Prävisionsinteresse der Schädigerseite an der anwendbaren Rechtsordnung deutlich. 48 Dieses Interesse ist spezifisch kollisionsrechtlicher Natur, dem gleichrangige kollisionsrechtliche Interessen des Geschädigten nicht gegenüberstehen. Im Luftverkehr gibt es allerdings keine besondere Haftungsbeschränkung. Dennoch dürfte sich die Interessenlage der beteiligten Luftfrachtführer doch ähnlich darstellen. Es läßt sich also für den Zusammenstoß in hoheitsfreien Gebieten sagen: Schutz der kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung gilt vor allem dem Schädiger.

42 Übereinkommen vom 10.10.1957, BGBl. 197211653,672; war für die Bundesrepublik in Kraft seit dem 6.4.1973, BGBl. 1973 II 161, gekündigt mit Wirkung vom 1.9.1987, BGBl. 1987 II 409; abgedruckt bei Schaps / Abraham, Anhang I nach § 487 d HGB, und bei Prüßmann / Rabe, Vor § 484 HGB III. B. 4. 43 Argyriadis, VersR 1963,605, 607; vgl. ibid. auch S. 608 zur Kollisionsexcedentenversicherung. Zu den Unsicherheiten der Reederhaftung vor Inkrafttreten des IÜR 1957 vgl. Helm, RabelsZ 24 (1959) 639, 640 f. 44 Protection and Indemnity-Clubs, dazu allgemein Kebschull mit weiteren Nachw. zum einschlägigen Schrifttum. Zahlreiche Nachw. auch bei Zeller, S. 653 Fn. 293. 45 Vgl. Brunn, VersR 1982, 410, 411; Kebschull, S. 98, 99 ff.; Zeller, S. 656. 46 Dieser Eigentümlichkeit der deutschen Seeversicherung ist die Monographie von Zeller gewidmet. Vgl. weiterhin etwa Brunn, VersR 1982, 410, 411; Janzen, S. 81 ff. 47 Vgl. Zeller, S. 348-350. 48 Auch dem LÜ läßt sich dieser Gedanke entnehmen: Vergleichsweise hohe Haftung der Reeder, aber nur eingeschränkte Möglichkeiten einer unvorhersehbaren Durchbrechung dieser Haftung, vgl. Herber, Transportrecht 1986, 326, 328 f.; Seward, in: Limitation of Shipowners' Liability, S. 161 ff.

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d) Anknüpfungsvorschläge Hat man dieses Prinzip einmal ausdrücklich etabliert, läßt sich leicht feststellen, daß in der Rechtslehre nur solche Anknüpfungsvorschläge Anklang finden, die kollisionsrechtliche Selbstbestimmung, wie sie die Tatortregel dem Täter an Land bietet, auch in hoheitsfreien Gebieten gewährleisten. aa) Heimatrecht des Geschädigten Eine Anknüpfung an das Heimatrecht des Geschädigten wird dem Prävisionsinteresse des Schädigers nicht gerecht. Genausowenig wie das in der CasablancaEntscheidung des RG dem Geschädigten gewährte Wahlrecht. Erwartungsgemäß haben sich solche Ansätze nicht durchgesetzt. 49 Lediglich im älteren Schrifttum findet sich die Ansicht, daß bei der Beschädigung eines Schiffes durch ein Luftfahrzeug das Heimatrecht des Schiffes anzuwenden sei. 50 Dahinter dürfte noch die Vorstellung stehen, daß zwar Schiffe als „schwimmendes Territorium", Flugzeuge aber nicht als „schwärmende Parzelle" 51 ihres Heimatstaates angesehen werden können. bb) lex fori Traditionellerweise hat die Anknüpfung an die lex fori in Deutschland nur geringe Bedeutung.52 Frühe Reichsgerichtsurteile haben sich bei Schiffszusammenstößen zwar dafür ausgesprochen53, teils aber auch nur als möglichst zu vermeidende Notlösung in Betracht gezogen.54 Später wurde diese Anknüpfung ausdrücklich abgelehnt55, im Schrifttum wird sie nur für den Fall beiderseitigen Verschuldens oder sonstiger Unzuträglichkeiten anderer Anknüpfungen erörtert. 56 Diese ablehnende Haltung ist verständlich. Die Anknüpfung an die lex 49 Vgl. oben sub 2. c). so v. der Mühll, S. 52; Riese, ZLR 7 (1958) 271, 282; Ruhwedel, Flugzeugkommandant, S. 182. Für Flaggenrecht des geschädigten Schiffes in diesem Fall auch: MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 188. 51 Zum Begriff vgl. Lütkehaus, S. 39. 52 Frankenstein, II, S. 162: „Asyl aller gescheiterten Theorien". Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 673, halten eine „wachsende Abneigung" gegen diese Anknüpfung für „deutlich spürbar". Puttfarken, S. 109: „Beelzebub . . . der klassischen Lehre des internationalen Privatrechts". 53 RG 30.5.1888, RGZ 21, 136, für Zusammenstoß in deutschen Hoheitsgewässern; RG 10.11.1900, NiemeyersZ 11 (1902) 62, für Zusammenstoß auf hoher See; RG 22.10.1902, JW 1902, 635. Weitere Nachw. zu früherer Rechtsprechung und Schrifttum bei Schikora, S. 110 Fn. 2. 54 Vgl. RG 18.11.1901, RGZ 49, 182, 187; zuletzt noch so: LG Bremen 8.2.1962, IPRspr. 1964-65 Nr. 59 b. 55 RG 6.7.1910, RGZ 74, 46. 56 Beitzke, Mélanges Maury, S. 59, 61; Binder, RabelsZ 20 (1955) 401,492; Schaps / Abraham, § 485 HGB Rn. 36; Schedel, S. 10.

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fori wird den oben erörterten Anforderungen an kollisionsrechtliche Selbstbestimmung des Schädigers nicht gerecht. 57 Soweit dennoch in jüngerer Zeit eine Anknüpfung an die lex fori erwogen wird, versucht man denn auch unterschwellig, gerade diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen. Entweder man verweist darauf, daß Haftung und Haftungsbeschränkung im Seerecht einheitsrechtlichen Charakter trügen — womit erklärt ist, warum der Schädiger mit entsprechenden Regelungen rechnen mußte. 58 Oder man versucht, auf prozessualer Ebene ein Korrektiv einzuschalten, um für den Schädiger unvorhersehbares Recht abzuwenden. 5 9 Befürwortung der lex fori unter ausdrücklicher Hintansetzung des Prävisionsinteresses des Schädigers findet sich praktisch nicht. 60 Lex fori ist freilich im Ausland ein weitverbreiteter Anknüpfungspunkt. 61 Vielfach fällt dort allerdings die wesentliche kollisionsrechtliche Entscheidung mit der Entscheidung über die zuständige Jurisdiktion 62 — worauf im Schrifttum denn auch hingewiesen wird. 63 Anders als bei Schiffszusammenstößen wird Anknüpfung an die lex fori bei Flugzeugzusammenstößen häufiger vorgeschlagen. 64 Aus unterschiedlichsten Gründen: Hieber 65 und Delachaux 66 meinen, wegen der hohen Geschwindigkeiten und der Tatsache, daß meist keine Zeugen überlebten, sei eine Untersuchung illusorisch und deshalb könne anders als bei Schiffen nicht auf das Heimatrecht des einen oder anderen Flugzeugs zurückgegriffen werden. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, daß die Rechtswahlfrage der Verschuldensfrage vorgelagert 57 Anders RGRK / Wengler, § 15 Anm. 67: Er lehnt zwar auch die Anknüpfung an die lex fori ab, ausdrücklich aber nicht wegen mangelnder Vorhersehbarkeit für den Schiffseigentümer. 58 MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 163; genauso bereits Rudolf Wagner, S. 128 ff., 142; hier steht das „general maritime law" des anglo-amerikanischen Rechts Pate, dazu vgl. O'Connell, II, S. 877 ff.; Berlingieri, 51 Tul. L. Rev. 866, 871 (1977). 59 Roth / Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 693, befürworten die lex fori-Anknüpfung in Verbindung mit einer Zuständigkeitsregelung nach Art der forum non conveniens-Doktrin. 60 Weitgehend bedingungslos hat sich dafür lediglich ausgesprochen: Reinbeck, HansRGZ 1933 A, 337, 345; in Frankreich z. B.: Mayer, Nr. 677 (S. 414), mangels eines „rattachement objectiv". Neuerdings auch: Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 40; an anderer Stelle hat Lüderitz aber eingeschränkt: Bei „Zufallszuständigkeit" (§ 23 ZPO) solle an das Heimatrecht des Schädigers angeknüpft werden, vgl. Lüderitz, Rn. 304. 61 Nachweise bei E. Lorenz, FS Duden, S. 244/245; Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 691; Puttfarken, S. 49/50: international herrschende Praxis. Einen knappen Überblick über die Rechtslage in anderen Rechtsordungen bei O'Connell, II, S. 881 ff. und bei E. Lorenz ibid., S. 245 f. 62 Vgl. Basedow, VersR 1978, 495, 496. 63 Vgl. z. B. E. Lorenz, FS Duden, S. 251 ff. 64 Binder, RabelsZ 20 (1955) 401,493; v. der Lieth, S. 43/44; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 183; Raape, § 55 VIII. 3. (S. 584); Ruhwedel, Flugzeugkommandant, S. 182; Schwenk, S. 522/523; Werro, S. 29/30. 65 S. 178. 66 S. 196.

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ist. 67 Andere glauben, nur so die Frage etwaigen Mitverschuldens lösen zu können. 68 Aber auch bei Flugzeugunglücken versuchen jedenfalls die Anhänger einer Anknüpfung an die lex fori, die Konsequenzen für die Bestimmbarkeit des Deliktsstatuts durch den Haftpflichtigen abgemildert darzustellen. Man weist darauf hin, daß mindestens teilweise eine materielle Rechtsvereinheitlichung erreicht sei 69 , oder man nimmt an, daß damit in der Regel doch eine Anknüpfung an das Heimatrecht des schädigenden Flugzeuges bewirkt werde. 70 cc) Heimatrecht des Schädigers Einige Anknüpfungen können von dem potentiellen Schadensverursacher antizipiert werden. Dazu gehören die Anknüpfung an die Flagge seines Schiffes, an das Hoheitszeichen seines Flugzeuges, an den Heimathafen, an den Sitz des Reeders. Diese Anknüpfungen, die hier unter der Überschrift „Heimatrecht des Schädigers" zusammengefaßt sind 71 , werden dem Selbstbestimmungsinteresse des Schädigers gerecht. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß sie in Rechtsprechung und Schrifttum weitaus die meisten Fürsprecher gewonnen haben. Das Reichsgericht hielt in seiner eingangs zitierten Entscheidung von 1910 72 die Anknüpfung an die Flagge des schuldigen Schiffes für „der Natur der Sache entsprechend" und stellte fest, diese Anknüpfung werde überwiegend so vertreten. 73 Dem haben sich das OLG Hamburg 74 und zahlreiche Stimmen im Schrifttum 7 5 angeschlossen. Anknüpfung an das Heimatrecht des Schädigers war Kollisionsregel in der D D R 7 6 und ist auch im Ausland weit verbreitet. 77 Manchmal 67 Ausführlicher Lukoschek, S. 116. 68 MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 183; Ruhwedel, Flugzeugkommandant, S. 182; Werro, S. 29/30. Diesem Argument ist freilich bereits Frese, S. 42, entgegengetreten. 69 So Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 493 Fn. 445. 70 So MünchKomm/Kreuzer, Art. 38 Rn. 183. 71 Vgl. oben Fn. 3). 72 Oben Fn. 1). 73 RG 6.7.1910, RGZ 74, 46, 47.; in der Tendenz bereits ebenso: RG 18.11.1901, RGZ 49, 182, 184. 74 OLG Hamburg 27.9.1973, VersR 1974, 566 ff. 75 Vgl. Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 455; F. Fischer, S. 51; Frankenstein, II, S. 545 ff.; Hieber, S. 173 f.; Hillgenberg, S. 170 f. mit vielen Nachw. in Fn. 53 zum ausländ. Schrifttum; Kegel, § 18 IV. 1. d) (S. 468); ders., Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968) 393, 414 f.; Lewis, ZHR 32 (1886) 87, 99/100; E. Lorenz, FS Duden, S. 266 ff.; Lüderitz, Rn. 304 (für den Fall der „Zufallszuständigkeit"); Neumeyer, S. 34; Nussbaum, S. 292; Palandt / Heldrich, Art. 38 EGBGB Anm. 2) c) ff); Prüßmann / Rabe, Vor § 734 HGB III. D.; Schaps / Abraham, Vor § 734 HGB Rn. 25 und § 458 HGB Rn. 35; Schedel, S. 9; Schikora, S. 110; Schwenk, ZLW 19 (1970) 125, 126; Soergel / Siebert / Kegel, Art. 12 Rn. 36. Weitere Nachw. bei E. Lorenz, FS Duden, S. 243 Fn. 54, und bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 162 Fn. 423. 76 Vgl. § 17 Abs. 2 RAG, der von seinem Wortlaut her zwar nicht eindeutig, dennoch ebenfalls in diesem Sinne auszulegen war, vgl. Lübchen / Posch S. 64/65; RichterHannes / Richter / Trotz, 3.3.6. (S. 93).

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wird sogar ausdrücklich betont, daß man sich für diese Anknüpfung aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Ergebnisse für den Schädiger entscheide.78 Ganz besonders deutlich ist die Anknüpfung an das Heimatrecht des Schädigers in jüngerer Zeit von Lukoschek für Flugzeugzusammenstöße gefordert worden. Da Lukoschek diese Anknüpfung sogar dann vertritt, wenn der Zusammenstoß über dem Hoheitsgebiet eines bestimmten Staates erfolgte, soll auf seine Ansicht an späterer Stelle näher eingegangen werden. 79 dd) Art. 38 EGBGB Auch die Regelung des Art. 38 EGBGB ist dazu angetan, Selbstbestimmung des potentiellen — deutschen — Schädigers kollisionsrechtlich zu schützen. Zwar sichert sie ihm nicht die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung, zieht aber jeder anwendbaren Rechtsordnung eine sichere Grenze: Mit schärferer Haftung, als sie sein Heimatrecht kennt, muß der deutsche Schädiger nicht rechnen. Mag Art. 38 EGBGB umstritten sein, im Seerecht wird er gerne akzeptiert 80 — wenn auch nur zugunsten deutscher Schadensverursacher. 81 ee) Rechtswahl Die Möglichkeit einer Rechtswahl wird im Schriftum weitgehend anerkannt. 82 Da aber Schiffs- und Flugzeugzusammenstöße nicht verabredet werden, kann die Zulassung einer Rechtswahl zu kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung der Parteien nicht viel beitragen; und nachträgliche Rechtswahl steht immer unter der Voraussetzung, daß man sich einigt.

77 Nachw. bei Bourel, S. 100/101 Fn. 35 und 36; Hilgenberg, S. 170 f. Fn. 53; E. Lorenz, FS Duden, S. 245 f. 78 Vgl. Schaps/Abraham, § 485 HGB Rn. 35; Schikora, S. 110. 79 Vgl. unten sub IV. 5. so Vgl. BGH 29.1.1959, BGHZ 29, 237, 243; 17.1.1983, BGHZ 86, 234, 236 ff.; Feldhaus, S. 74; F. Fischer, S. 38 ff.; Frankenstein, H, S. 501; Prüßmann / Rabe, § 485 HGB M. 2. c); Roth / Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 670; Schaps / Abraham, § 485 HGB Rn. 34, § 734 HGB Rn. 27; Schulz, S. 30. 81 OGHBrZ 1.6.1950, OGHZ 4, 194, 197 f.; Kegel, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968) 393, 412; Prüßmann / Rabe, § 485 HGB M. 2. c). 82 MünchKomm/Kreuzer, Art. 38 Rn. 161; Prüßmann / Rabe, Vor § 734 HGB HI. B.; Roth / Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 668 Fn. 32; Schaps / Abraham, Vor § 734 HGB Rn. 22; alle mit weiteren Nachw. Einschränkend Reinbeck, HansRGZ 1933 A, 337, 346 Fn. 19.

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ff) Besonderes Kriterium: Vorhersehbarkeit Schließlich bleibt die Möglichkeit, kollisionsrechtliche Selbstbestimmung von der Wahl der eigentlichen Anknüpfung abzukoppeln und gesondert zu normieren. Dies ist bisher vor allem von E. Lorenz vorgeschlagen worden. 83 Sein Ansatz, der sich auf Schiffs- und Flugzeugzusammenstöße gleichermaßen bezieht, zeigt besonders deutlich, wie sehr sich hinter verschiedenen Anknüpfungsvorschlägen die Frage nach kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung verbirgt. E. Lorenz hatte sich zunächst dafür ausgesprochen, aus Gründen der Orientierungssicherheit an das Recht des schädigenden Schiffes anzuknüpfen 84, wobei die obere Grenze des Ersatzanspruches aber durch das Recht des geschädigten Schiffes bestimmt werden sollte. 85 Später veränderte er diesen Vorschlag: In erster Linie solle das Recht des geschädigten Schiffes gelten. 86 Damit wird auf den ersten Blick seine früher vorgeschlagene Anknüpfung an das Recht des Schädigers in ihr genaues Gegenteil verkehrt. Tatsächlich ist der Unterschied jedoch gering. Denn E. Lorenz fügt dem neuen Vorschlag eine wesentliche Einschränkung bei: Das Recht des geschädigten Schiffes solle nur gelten, wenn der Schädiger mit Schäden an einem Schiff dieser Flagge rechnen mußte. Anderenfalls gelte Schädigerrecht. Bei vorsätzlichen Schädigungen sei allerdings unwiderleglich zu vermuten, daß der Schädiger mit der Anwendung des Rechts des Geschädigten rechnen mußte. Insgesamt haftet also der Schädiger auch bei dem neuen Vorschlag nur nach einem Recht, mit dessen Anwendbarkeit er rechnen konnte. Es wird deutlich: Führt man eine ausdrückliche Vorhersehbarkeitsklausel zugunsten des Schädigers ein, kann man anschließend beliebige Anknüpfungspunkte wählen, ohne die kollisionsrechtliche Selbstbestimmung des Schädigers zu gefährden. gg) Sonderanknüpfung der Haftungsbeschränkung Eine weitere Möglichkeit, für den Schädiger das Haftungsrisiko besser abschätzbar zu machen, bestünde darin, seine Haftungsbeschränkung gesondert anzuknüpfen. Hierfür müßte eine Anknüpfung gewählt werden, die es ihm ermöglichte, das auf seine Haftungsbeschränkung anwendbare Recht vorherzusehen bzw. — im Sinne des hier vertretenen Ansatzes — von vornherein selbst zu bestimmen. Dem würde eine Sonderanknüpfung etwa an das Recht der eigenen Flagge gerecht, wie sie z. B. Kegel vorgeschlagen hat. 87 Damit könnte auch bei 83 E. Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 440 ff. 84 E. Lorenz, FS Duden, S. 267 f. 85 Auf diese Weise sollte vor allem wechselseitigen Ansprüchen begegnet werden, vgl. E. Lorenz ibid.; dies war auch bereits die Lösung des Kongresses von Antwerpen im Jahre 1885 (dazu Lewis ZHR 32 (1886) 87, 98) und des Vertrages von Montevideo im Jahre 1940 (Titel II. Art. 7, abgedruckt bei Makarov, Quellen II, S. 775). 86 E. Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 452/453. Dieser Ansatz klingt aber auch schon in seiner früheren Stellungnahme an.

III. Zusammenstöße in hoheitsfreiem Gebiet

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völliger Ungewißheit über das auf den Schiffsunfall anwendbare Recht die praktisch sehr wichtige Frage der Haftungsbeschränkungsanknüpfung 88 im Sinne kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung für den Schädiger gelöst werden. Vordergründig betrachtet haben sich solche Überlegungen in Deutschland allerdings nicht durchsetzen können, vielmehr bemühte man sich bislang um eine einheitliche Anknüpfung und unterstellte die Frage der Haftungsbeschränkung dem Schiffskollisionsstatut, dem Recht des gegen den Schädiger geltend gemachten Anspruchs. 89 Damit hätte dieser sich auf für ihn in Betracht kommende Haftungsmodalitäten und -höchstgrenzen nur dann einstellen können, wenn er auch alle möglicherweise gegen ihn geltend gemachten Ansprüche und die Rechtsordnungen, nach denen sich diese Ansprüche richteten, bereits im voraus sicher hätte abschätzen können. Untersucht man jedoch den Anwendungsbereich genauer, den bereits das IÜR 1957 durch Art. 3 § 1 Abs. 1 des 1. Seerechtsänderungsgesetzes von 1972 (SRÄG 1972) 90 erfahren hatte, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Dort wurde nämlich einem Reeder, der Angehöriger eines Vertragsstaates des IÜR 1957 war 91 , gestattet, seine Haftung unter den Voraussetzungen dieses Übereinkommens auch für solche Ansprüche zu beschränken, die nicht nach den deutschen Gesetzen zu beurteilen waren. Dabei war mit „diesem Übereinkommen" zwar nicht die in das deutsche HGB übernommene Version, sondern der Originaltext des Übereinkommens gemeint. 92 Es war also nicht vorhersehbar, ob aufgrund deutschen Anspruchsrechts die in das HGB eingearbeitete Version des IÜR 1957 oder aufgrund der besonderen Regel des Art. 3 § 1 Abs. 1 SRÄG 1972 der Originaltext des Übereinkommens zur Anwendung gelangen würde. In jedem Fall aber konnte sich der Vertragsstaatsreeder grundsätzlich auf die Haftungsregelung des Übereinkommens einstellen. Die Kündigung des IÜR 1957 und die Übernahme 93 des Londoner Übereinkommens über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (LÜ) 9 4 haben daran 87 Kegel, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968) 393, 401 ff.; vgl. auch Soergel / Siebert / Kegel, Art. 12 Rn. 50. Vorher bereits so: Nussbaum, S. 292, 213; Raape, § 55 VII. 1. (S. 581 Fn. 170); weitere Nachw. zu dieser Auffassung bei Puttfarken, S. 33 Fn. 143. 88 Vgl. Sundström, Arkiv for S0rett 11 (1971 -72) 5, 138: most outstanding problem; Puttfarken, S. 32. 89 Ausdrücklich gegen Kegel bereits BGH 29.1.1959, BGHZ 29, 237, 240/241; vgl. weiterhin BGH 2.2.1961, BGHZ 34, 227; zahlreiche weitere Nachw. bei Czempiel, VersR 1987, 1069, 1070 Fn. 22. 90 Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Seerechtsänderungsgesetz) vom 21.6.1972, BGBl. 1972 I 966, 1300. 91 Dazu zählte auch der deutsche Reeder, vgl. Art. 3 § 1 Abs. 2 S. 2 SRÄG 1972. 92 Einzelheiten zu der komplizierten Regelung bei Puttfarken, S. 35 ff. 93 Durch das Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) vom 25.7.1986, BGBl. 1986 I 1120. Das LÜ ist für die Bundesrepublik am 1.9.1987 in Kraft getreten, vgl. BGBl. 1987 II 407. 94 Gesetz zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen vom 23. Juli 1986, BGBl. 1986 II 786, 787.

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße

nichts geändert. Art. 15 L Ü verlangt grundsätzlich von den Vertragsstaaten die Anwendung des Übereinkommens für die Haftungsbeschränkung von Vertragsstaatsmitgliedern. 95 Damit ist eine gesonderte Anknüpfung der seerechtlichen Haftungsbeschränkung jedenfalls für Vertragsstaatsangehörige bereits geltendes Recht. Man sollte jedoch noch einen Schritt weitergehen und dem Bedürfnis der weltumspannenden Seefahrt nach einem kalkulierbaren Haftungsrecht 96 grundsätzlicher Rechnung tragen. Dies müßte durch endgültige Aufgabe der praktisch unbrauchbaren 97, in ihren Auswirkungen für die Beteiligten kaum jemals abschätzbaren bisherigen Kollisionsregel geschehen.98 Möglich ist auch nach der Übernahme des L Ü die grundsätzliche Anknüpfung an das Flaggenrecht des schädigenden Schiffes. 99 Für Schädiger aus Nichtvertragsstaaten hätte dies den Vorteil, nicht mit einem Haftungssystem konfrontiert zu werden, auf das sie sich nicht einstellen konnten. 100 Aber auch für Vertragsstaatsangehörige kann es einen erheblichen Unterschied bedeuten, ob das L Ü in der ihnen bekannten, von ihnen antizipierten Version angewendet wird oder ob das L Ü als lex fori eines ganz anderen Staates, der es vielleicht nur in umgearbeiteter Form übernommen hat, zur Anwendung gelangt. 101 Dagegen greift auch nicht der Einwand, daß dann den potentiellen Schädigern die Wahl von Billigflaggenländern ermöglicht würde. 102 Zum einen sind viele der sogenannten Billigflaggenländer in ihrem Haftungsrecht keinesfalls besonders „billig". 1 0 3 Der Ausflaggung liegen steuerrechtliche, arbeitsrechtliche Motive zugrunde, kaum jemals aber haftungsrechtliche Beweggründe. 104 Zum anderen sollte man fraudulöser Gesetzesumgehung oder unerträglich niedrigen Haftungshöchstbeträgen mit den dem IPR dafür allgemein zur Verfügung stehenden Mitteln begegnen.105 95 Vgl. dazu Czempiel, VersR 1987, 1069, 1072 ff. 96 Basedow, VersR 1978, 495. 97 Dazu ausführlich Puttfarken, S. 46 bis 94. 98 Sofern man nicht mit Puttfarken, S. 104 f. und S. 128 f., davon ausgeht, daß diese Regel bereits durch Übernahme des IÜR 1957 obsolet geworden ist, oder mit Basedow, IPRax 1987, 333, 336, meint, daß sie nunmehr durch Übernahme des LÜ aufgegeben sei. Zu dieser Frage vgl. auch Czempiel, VersR 1987, 1069, 1074. 99 Diesen Gedanken habe ich ausführlicher entwickelt in VersR 1987, 1069, 1072 ff. 100 Zur Haftungsbeschränkung von ausländischen Reaktorschiffen nach § 40 Abs. 2 AtomG vgl. Beemelmans, RabelsZ 41 (1977) 1,28 f.; Beemelmans spricht sich ebenfalls grundsätzlich für eine Anknüpfung an das Flaggenrecht des schädigenden Schiffes aus, vgl. ibid., S. 10 f. 101 Die rechtsvereinheitlichende Wirkung des LÜ wird bezweifelt von Lord Brandon of Oakbrook im Vorwort zu: Limitation of Shipowners' Liability; Herber, TranspR 1986, 326, 327; Martucci, 10 Lawyer of the Americas 839, 864 (1978). 102 So etwa Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 675. 103 Liberia, das 1974 als „Billigflaggenland" ein Viertel der Weltöltankertonnage angezogen hatte (Nachw. bei Juda, (1977) 26 I. C. L. Q. 558, 577), verwies z. B. auf das amerikanische Recht (vgl. Nützel, S. 71, und Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 466) und hat jetzt das LÜ ebenfalls ratifiziert, vgl. BGBl. 1987 II 407. 104 Vgl. auch Puttfarken, S. 122. los Vgl. auch Nützel, S. 73 f.

IV. Zusammenstöße in Territorialgebieten

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IV. Zusammenstöße in Territorialgebieten 1. Grundsatz: Tatortrecht (lex loci delicti commissi) Im Grundsatz unangefochten herrscht das Recht des Tatortes sowohl bei Schiffs- 106 als auch bei Flugzeugzusammenstößen107. Die Regel der lex loci delicti entfaltet ihre allseits als befriedigend empfundene Wirkung. Eine genauere Erörterung der kollisionsrechtlichen Interessenlage von Schädiger und Geschädigtem findet nicht statt. Warum auch? Beide können in dem Hoheitsgebiet des eigenen oder eines fremden Staates zuverlässig abschätzen, nach welchem Recht sie im Falle eines Zusammenstoßes haftpflichtig bzw. ersatzberechtigt sind. Allerdings: Es gibt auch Unsicherheiten.

2. Unsicherheit: Abgrenzung des Küstenmeeres Wie weit reichen die Hoheitsgewässer? Drei Seemeilen oder zweihundert? 108 Eine allgemein verbindliche Grenze des Hoheitsgebiets zum offenen Meer hin gibt es nicht. Das mag Unsicherheiten mit sich bringen und manchen veranlassen, anstelle des Ortsrechts einen anderen Anknüpfungspunkt zu wählen. 109 Diese Schwierigkeiten entstehen jedoch nicht bei der Antizipation tatsächlicher Gegebenheiten durch Geschädigten oder Schädiger, liegen vielmehr letztlich im Anwendungsanspruch der deutschen IPR-Norm begründet. Dort sind sie auch zu lösen: Es handelt sich um ein Subsumtionsproblem. 110

106 BGH 6.11.1951, BGHZ 3, 321 (für Zusammenstöße in deutschen Hoheitsgewässern); 29.1.1959, BGHZ 29, 237 (für Zusammenstöße in ausländischen Hoheitsgewässern); F. Fischer, S. 38; Palandt / Heldrich, Art 38 EGBGB Rn. 2) c) ff); Raape, § 55 VII. 1. und 2. (S. 580,581); zahlreiche weitere Nachw. bei Schaps / Abraham, Vor § 734 HGB Rn. 23, 24. 107 Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67,141 (Nr. 93); Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 493; Frese, S. 44; Giemulla, ZLW 29 (1980) 119, 122; v. der Lieth, S. 42/43; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 183; Ruhwedel, Flugzeugkommandant, S. 184; Schwenk, S. 522; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 43; Staudinger / Raape, Art. 12 Anm. C VI. 1. c) (S. 222). 108 Zu den zahllosen unterschiedlichen Ansätzen vgl. Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 669 und die Nachw. dort in Fn. 39,40; Ausführlich zu Geschichte und Problematik der Abgrenzung auch O'Connell, I, Kap. 4 (S. 124 ff.). 109 Reinbeck, HansRGZ 1933 A, 337,348/349, schlug eine Anknüpfung an das Recht der Flagge vor, ist damit aber allein geblieben. Interessanterweise taucht dieser Gedanke heute bei Flugzeugzusammenstößen wieder auf. Dazu sub 5. no Zu allgemeinen Anforderungen an die Bestimmtheit von Kollisionsnormen vgl. oben 1. Kapitel sub I.

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße 3. Unsicherheit: Gleiches Heimatrecht a) Zusammenstöße in ausländischen Hoheitsgebieten

Kollidieren zwei deutsche Schiffe in ausländischen Hoheitsgewässern, soll dem BGH zufolge nicht Tatortrecht, vielmehr gemeinsames Heimatrecht als Deliktsstatut gelten. 111 Die ganz überwiegende Meinung stimmt zu 1 1 2 und zieht eine Parallele bei Flugzeugzusammenstößen113. Mit der Anwendung seines Heimatrechts muß man offenbar immer rechnen — und flöge man noch so weit. Es gibt jedoch auch andere Auffassungen, die sich für strikte Anwendung des Tatortrechts und gegen eine Auflockerung aussprechen. 114 Soweit sie die Fortgeltung der RechtsanwendungsVO 1942 ablehnen oder Praktikabilitätserwägungen in den Vordergrund rücken 115 , soll ihnen hier nicht weiter nachgegangen werden. Interessant sind aber diejenigen Argumentationen, die sich gegen die Anknüpfungsunsicherheit wenden, die die Auflockerung des Deliktsstatuts ins Spiel bringt. Beitzke hält die Anwendung gemeinsamen Heimatrechts dort für unangebracht, wo der Geschädigte nur zufällig ein Deutscher sei, genausogut auch ein Ausländer hätte sein können. 116 Ähnlich hatte sich Binder geäußert. 117 Schulz er-

m Grundlegend BGH 2.2.1961, BGHZ 34, 222 mit Anmerkungen von Makarov (Rev. crit. dr. int. priv. 50 (1961) 732), Sieg (MDR 1962, 115), Wengler (JZ 1961,424). Zur früheren Rechtsprechung vgl. BGH ibid., S. 226; Beitzke, NJW 1961, 1993; Schulz, S. 31 f., und die Nachw. bei Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 39 Fn. 15. 112 Die meisten berufen sich wie der BGH auf die Fortgeltung der RechtsanwendungsVO 1942, vgl. Grebner, AWD 1974, 75, 81; MünchKomm / Kreuzer, Art 38 Rn. 164; Prüßmann/Rabe, Vor § 734 HGB HL 2. c); Schaps / Abraham, Vor § 734 HGB Rn. 24; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 39; andere stellen auf Gewohnheitsrecht ab, z. B. F. Fischer, S. 41; ähnlich Liesecke, Anm. zu BGH LM, RechtsanwendungsVO, Nr. 1 (1961); dagegen aber ausdrücklich BGH 2.2.1961, BGHZ 34, 222, 226, und Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 411/412. Teilweise stützt man sich auch auf Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 des IÜZ, vgl. z. B. RG 5.4.1938, JW 1938,1903, und Raape, § 55 VII. 2. (S. 581/ 582). Wengler, JZ 1961, 424, 425, erreicht das Ergebnis, indem er den Heimathafen als Handlungsort auffaßt. Ohne Begründung für Anwendung gemeinsamen Flaggenrechts: Palandt / Heldrich, Art. 38 EGBGB Anm. 2) b) ff). 113 Frese, S. 44; Giemulla, ZLW 29 (1980) 119, 123 f.; Ruhwedel, Flugzeugkommandant, S. 184; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 43; Werro, S. 31, besonders für das schweizerische Recht. 114 Bei Schiffen: Beitzke, MDR 1959, 881, 883; derselbe, NJW 1961, 1993 ff. (bes. S. 1998); Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 491; Schaps / Abraham, § 485 HGB Rn. 35 (anders aber Rn. 24 Vor § 734 HGB). Bei Flugzeugen: Einschränkend bereits Staudinger / Raape, Art. 12 Anm. C. VI. 1. c) (S. 221/222); ausdrücklich ablehnend Delachaux, S. 195; vgl. weiterhin v. der Lieth, S. 42; Schwenk, S. 522. 115 Beide Gesichtspunkte z. B. bei Beitzke, NJW 1961, 1993 f. 116 Beitzke, MDR 1959, 881, 883; derselbe, NJW 1961, 1993, 1994; derselbe, Ree. des Cours 115 (1965 II) 65, 133 (Nr. 83). Zustimmend Schaps / Abraham, § 485 HGB Rn. 35. 117 Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 491. Die Zufälligkeit der Anwendung gemeinsamen Flaggenrechts betont auch Wengler, JZ 1961, 424.

IV. Zusammenstöße in Territorialgebieten

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kennt sogar, daß die Vorhersehbarkeit der anzuwendenden Rechtsordnung betroffen ist, betont aber seinerseits die Zufälligkeit der Tatortanknüpfung, um im Ergebnis die RechtsanwendungsVO 1942 als sachgerecht rechtfertigen zu können. 118 Insgesamt wird hier ein Unbehagen artikuliert, wenn auch nicht über allgemeine Kritik an der „Zufälligkeit" der Anknüpfung hinaus präzisiert. Unter dem besonderen Blickwinkel der Frage nach kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung zeigt sich aber das eigentliche Problem: Durch die Möglichkeit der Anknüpfung an gemeinsames Heimatrecht wird den Beteiligten die Möglichkeit genommen, sich auf die Geltung nur eines Rechts einzustellen. Zwar versagt der Vorhersehbarkeitstest auch hier: Für das in holländischen Küstengewässern kreuzende deutsche Schiff ist die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit einem anderen deutschen Schiff und damit die Anwendbarkeit deutschen Rechts durchaus vorhersehbar, kaum anders als die Anwendung holländischen Rechts unter der Regel der lex loci delicti. Vorhersehbar sind aber auch Zusammenstöße mit Schiffen anderer Nationalität. Bei dem hier vorgeschlagenen Kriterium der kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung aber wird der Unterschied deutlich: Den Beteiligten wird die Möglichkeit genommen, das auf sie und ihr Verhalten anwendbare Privatrecht selbst zu bestimmen. Sie müssen vielmehr jederzeit damit rechnen, daß abhängig von Flagge oder Heimathafen ihres Kollisionsgegners ein anderes als das von ihnen selbst bestimmbare Tatortrecht zur Anwendung gelangt: das eigene Heimatrecht. Dessen Anwendung steht zwar nicht von vornherein fest, man haftet nicht immer nach seinem Heimatrecht 119 , aber man muß damit rechnen. Für Schiffszusammenstöße ist dies in der letzten Zeit am deutlichsten von Roth / Plett betont worden, die erkennen, daß die Anwendung gemeinsamen Heimatrechts der Orientierungsfunktion des Tatortrechts zuwiderläuft. 120 Ihre Feststellung, die Beteiligten könnten sich ex ante nicht auf die Anwendung gemeinsamen Heimatrechts einstellen 121 , geht freilich zu weit. Man kann sich durchaus noch auf die letztlich zur Anwendung gelangende Rechtsordnung einstellen, nur ist grundsätzlich und stets mit zwei Möglichkeiten zu rechnen. Der deutsche Reeder muß deutsches Recht immer in Betracht ziehen. Das ist das „natürlichste" und „beschwert" keine der Parteien. 122 Die Unterwerfung des Schädigers unter sein Heimatrecht gibt diesem „keinen Grund zur Beschwerde". 123

Iis Schulz, S. 39 ff. 119 So offenbar die Befürchtung von Beitzke, NJW 1961, 1993, 1995. 120 Roth/Plett, RabelsZ 42 (1978) 662, 678. 121 Roth / Plett, ibid. 122 So z. B. RG 18.11.1901, RGZ 49, 182, 184. 123 BGH 2.2.1961, BGHZ 34, 222, 227. 5 Czempiel

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße

b) Zusammenstöße im deutschen Hoheitsgebiet Sofern sich der Zusammenstoß innerhalb deutschen Hoheitsgebiets ereignet, kommt eine Auflockerung des Deliktsstatuts durch Anknüpfung an gemeinsames Heimatrecht nach überwiegender Meinung nicht in Betracht. 124 Also auch dann nicht, wenn die kollidierenden Fahrzeuge dem gleichen Staat angehören 125 oder ihre Heimatrechte sich ähneln 126 . Dadurch werden unter dem Gesichtspunkt kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung ausländische Fahrzeuge gegenüber deutschen bevorzugt: Während letztere in ausländischem Hoheitsgebiet die Möglichkeit der Anwendbarkeit ihres Heimatrechts einkalkulieren müssen, können Ausländer sich auf die alleinige Geltung (deutschen) Tatortrechts verlassen. 127 Dies wird jedoch nicht als „Benachteiligung" deutscher Schiffe und Flugzeuge empfunden. Im Gegenteil, man betont den „Vorzug" der Anwendung des (gemeinsamen) Heimatrechts.

4. Unsicherheit: IÜZ Sowohl deutsche als auch ausländische Schiffe werden von einer weiteren Abschwächung der Orientierungsfunktion des Tatortrechts betroffen: Kollidieren in in- oder ausländischen Hoheitsgewässern zwei Schiffe, deren Heimatstaaten zu den Unterzeichnerstaaten des IÜZ gehören, so gilt dieses Abkommen vorrangig vor dem jeweiligen Tatortrecht. 128 Auch auf die Anwendbarkeit dieses Abkommens können die Parteien im voraus keinen direkten Einfluß nehmen. Eine Unsicherheit bedeutet dies aber nur aus dem schmalen Blickwinkel des Tatortrechts. Das weltweit geltende IÜZ bietet ansonsten ein Optimum an Rechtanwendungssicherheit. Und der praktische Unterschied von (deutschem) Tatortrecht und IÜZ ist gering. 129 124 RG 30.5.1888, RGZ 21, 136, 140; OGHBrZ 1.6.1950, OGHZ 4, 194, 197. Vgl. auch BGH 6.11.1951, BGHZ 3, 321, 324; 29.1.1959, BGHZ 29, 237, 239; 22.3.1962, VersR 1962, 514, 515; Palandt / Heldrich, Art. 38 EGBGB Anm. 2) c) ff); Prüßmann/ Rabe, Vor § 734 HGB in. C. 2.; Raape, § 55 VII. 1. (S. 580); Schaps / Abraham, Vor § 734 HGB Rn. 23, 24; Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 16. 125 So lag es in RG 30.5.1888, RGZ 21, 136; vgl. auch OLG Hamburg 3.3.1977, VersR 1978, 618, 620. 126 So lag es in OGHBrZ 1.6.1950, OGHZ 4, 194. 127 Für Anknüpfung an gemeinsames Heimatrecht bei Schiffszusammenstößen auch in deutschen Hoheitsgewässern: MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 165; Schulz, S. 52/ 53; Soergel / Siebert / Kegel, Art. 12 Rn. 35. Bei Flugzeugen: MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 183; Soergel / Siebert / Kegel, Art. 12 Rn. 30, 38. 128 BGH 7.11.1960, VersR 1961, 77; 6.7.1961, VersR 1961, 785; 29.3.1973, VersR 1973, 613; auch bereits RG 22.6.1929, RGZ 125, 65, 66; weitere Nachw. zur ständigen Rspr. bei Prüßmann / Rabe, Vor § 734 HGB in. A. 1. und 3. 129 Vgl. BGH 22.3.1962, VersR 1962, 514, 515; 24.5.1962, VersR 1962, 716, 717; Feldhaus, S. 71.

IV. Zusammenstöße in Territorialgebieten

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5. Kollisionsrechtliche Bevorzugung des Schädigers über kollisionsrechtliche Selbstbestimmung hinaus? Bei Zusammmenstößen in Hoheitsgebieten steht mit dem Tatortrecht eine Anknüpfung zur Verfügung, die beiden Parteien Bestimmbarkeit des anwendbaren Rechts ermöglicht. Um so bemerkenswerter ist es, daß sich im Schrifttum die Tendenz nachweisen läßt, durch Wahl anderer Anknüpfungspunkte diese Bestimmbarkeit noch weiter zu erleichtern. Für Schiffe und Flugzeuge ist Ortsveränderung typisch. Das führt zu sequentieller Rechtsvielfalt. In solchem Fall möchte man offenbar den Parteien nicht zumuten, alle Ortsrechte einer bestimmten Reiseroute durchzumustern und auf ihre jeweiligen Haftungsregelungen hin zu untersuchen. Man neigt dann doch eher zur Anwendung des Heimatrechts des Transportmittels. Unproblematisch ist die Anwendung dieses Rechts bei sogenannten Borddelikten. Hier streiten die Prävisionsinteressen von Schädiger und Geschädigtem nicht gegeneinander. Bei langsamen Schiffen sind einige 130 , bei schnellen Flugzeugen viele 131 dafür. Bei Kollisionen aber bedeutet die Abkehr vom Tatortrecht zugunsten der Anknüpfung an das Heimatrecht eines der Beteiligten, daß ein Opfer gebracht werden muß. Einer verliert die Bestimmungsmöglichkeit des anwendbaren Rechts. Dies müsse der Geschädigte sein, meinen E. Lorenz und Lukoschek. Grundsätzlich komme als Deliktsstatut zwar die Rechtsordnung in Betracht, die das geschädigte Rechtsgut schütze.132 Wenn jedoch aufgrund eines „Zufälligkeitsmoments" der Schädiger sich nicht auf die Schutzordnung einstellen könne, diese nicht „vorhersehbar" sei, dürfe sie dem Schädiger auch nicht zugerechnet werden. Dann müsse vielmehr auf eine ihm vorhersehbare, nämlich seine eigene Rechtsordnung abgestellt werden. Auf das Tatortrecht könne der Schädiger sich aber nicht einstellen. Der Unfallort sei zufällig, bei zwei Flugzeugen auf internationalem Flug hätte sich die Kollision statt über dem einen Land auch über staatenlosem Gebiet oder über einem anderen Land ereignen können. 133 Mithin komme als 130 Beitzke, Ree. des Cours 115 (1965 II) 67, 130 f. (Nr. 82); Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 483/484, 491; Himmelmann, Hansa 1958, 631, 632; Melchior, §347; einschränkend MünchKomm / Kreuzer, Art. 12 Rn. 170: im Hafen Ortsrecht. Gegen Heimatrecht z. B. Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 36. 131 Binder, RabelsZ 20 (1955) 401, 492/493; Frese, S. 61 f.; Kegel, § 1 IV. 2. a) (S. 13); The Law Commission, S. 205 f.; Melchior, §349; H. Müller, S. 16 ff., 24; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 184; Neumeyer, S. 580 Anm. 3; Raape, § 55 VIII. 1. (S. 584); Soergel / Lüderitz, Art. 12 Rn. 43; Staudinger / Raape, Art. 12 Anm. C VI. 1. a) (S. 220 f.). Sogar Delikte zwischen in der Transit-Lounge wartenden Passagieren werden nicht dem Tatortrecht, sondern dem Heimatrecht des Flugzeuges unterstellt, vgl. Kahn-Freund, Ree. des Cours 124 (1968 II) 1, 83; J. A. C. Smith, (1957) 20 Mod. L. Rev. 447, 460. Anders Novak, S. 76 f. 132 E. Lorenz, FS Duden, S. 263 ff.; Lukoschek, S. 121. 133 Lukoschek, S. 114. Vgl. auch schon RG 12.7.1886, RGZ 19, 7, 11/12: Deutscher Reeder haftet nur nach deutschem Recht ohne Rücksicht auf den zufälligen Umstand, daß sich das Schiff temporär in verschiedenen Rechtsgebieten befindet. 5*

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße

Deliktsstatut nur das Recht des schädigenden Flugzeuges in Frage. 134 Anders entscheidet Lukoschek, wenn der Schädiger ein Flugzeug rammt, das sich auf reinem Inlandsflug befindet, oder wenn er Schäden am Boden anrichtet. Hier bilde Tatortrecht die Schutzordnung, auf die sich die Geschädigten eingestellt, der sie ihre Rechtsgüter anvertraut hätten. Diese sei auch dem Schädiger vorhersehbar, er begebe sich auf eine vorher festgelegte Flugroute und habe damit den Kontakt mit der entsprechenden Rechtsordnung einkalkuliert. 135 Im einzelnen kann man an diesem Anknüpfungsvorschlag vielleicht Kritik üben. 136 Interessant ist aber, daß dem Prävisionsinteresse des Schädigers ein Vorrang eingeräumt wird, der sich sogar gegenüber dem grundsätzlich von beiden Parteien antizipierbaren Tatortrecht durchsetzt. Eine Vielzahl in Betracht kommender Tatorte kann offenbar dazu führen, daß eine Vorauskalkulation der Haftungsfolgen für den Schädiger nicht mehr zumutbar erscheint. Wie viele Rechtsordnungen von dem Schädiger zu überprüfen sind, bevor zu seinen Gunsten Quantität in neue Qualität umschlägt, läßt sich bei dem gegenwärtigen Stand der Diskussion allerdings noch nicht sagen. In jedem Fall wird ihm zugemutet, mit einem Tatortrecht und mit seinem eigenen Heimatrecht zu rechnen. Mit einer Zurechnungsbeschränkung im Sinne kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung hat der Anknüpfungsvorschlag von Lukoschek aber nichts mehr zu tun. Er geht vielmehr darüber hinaus. Die Zahl grundsätzlich zurechenbarer — da aufgrund der Reiseroute selbstbestimmter — Haftungsstatute wird zugunsten des Haftpflichtigen weiter reduziert, sogar auf Kosten der kollisionsrechtlichen Selbstbestimmung des Geschädigten. Daß diese Bevorzugung des Schädigers nur einsetzen soll, wenn beide Flugzeuge sich auf internationalem Flug befinden, hat weniger mit Vorhersehbarkeit der Reiseroute zu tun 1 3 7 , dürfte vielmehr einem

134 Lukoschek, S. 121; die Frage etwaigen Mitverschuldens des Geschädigten soll dadurch gelöst werden, daß der Geschädigte grundsätzlich nicht mehr erhält, als ihm auch sein eigenes Recht gewährte, vgl. Lukoschek, S. 121 ff. Zum ähnlichen Ansatz von E. Lorenz vgl. schon oben sub III. 2. d) ff). 135 Lukoschek, S. 124 und S. 131 f. Den umgekehrten Fall, daß ein Flugzeug auf Inlandsflug ein Flugzeug mit internationaler Route schädigt, entscheidet Lukoschek ebenfalls nach Tatortrecht. 136 So will nicht recht verständlich erscheinen, warum Tatortrecht einmal als zufällig und nicht vorhersehbar abgelehnt wird (bei Zusammenstößen zweier Flugzeuge auf internationalem Flug), andererseits dann aber doch wieder herangezogen wird (falls sich nur ein Flugzeug auf internationalem Flug befindet), weil aufgrund vorher festgelegter Flugroute der Kontakt mit anderen Rechtsordnungen einkalkuliert sei. Der Grund für diese Unstimmigkeit dürfte darin liegen, daß hier das Vorhersehbarkeitskriterium mit einer Aufgabe befrachtet wird, die es letztlich nicht erfüllen kann. Nach Lukoscheks Anknüpfungsvorschlag müßte holländisches Recht angewendet werden, wenn ein Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach München im deutschen Luftraum ein deutsches Flugzeug rammt, das sich auf dem Weg von München nach Kopenhagen befindet. Dagegen wäre deutsches Recht anzuwenden, wenn das deutsche Flugzeug sich lediglich auf dem Weg nach Hamburg befunden hätte. 137 Vgl. vorige Fn.

V. Zusammenfassung

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Gedanken der Chancengleichheit entspringen: Wo sich beide Fluggesellschaften freiwillig mit dem Problem sequentieller Rechtsvielfalt belastet haben, erscheint die Bevorzugung des Schädigers berechtigter, als wenn nur er die Internationalität des Zusammenstoßes zu verantworten hätte. Über den Umweg der seerechtlichen Haftungsbeschränkung ist dieselbe Tendenz zu einseitiger Bevorzugung des Schädigers auch bei Schiffskollisionen nachweisbar. Weder das IÜR 1957 noch das L Ü unterscheiden für die den Vertragsstaatsreedern gewährte Haftungsbeschränkung danach, ob die Kollision auf hoher See oder in Territorialgewässern stattfand. Die Übernahme beider Übereinkommen hat das für beide Parteien berechenbare Tatortrecht durch eine nur dem Schadensverursacher vorhersehbare Haftungsbeschränkungsmöglichkeit ergänzt — sofern der Schadensverursacher einem der Vertragsstaaten angehört. Folgt man der oben vorgeschlagenen gesonderten Anknüpfung der Haftungsbeschränkung an das Heimatrecht des in Anspruch genommenen Schiffes, gilt diese Bevorzugung des Schädigers auch für Schiffe aus Nichtvertragsstaaten.

V. Zusammenfassung Im internationalen Deliktsrecht der Schiffs- und Flugzeugzusammenstöße werden vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten erwogen. Die Vorschläge reichen vom Recht des Schädigers über Anwendung der lex fori bis hin zur Sonderanknüpfung der Haftungsbeschränkung. Große Übereinstimmung läßt sich nur in der Anwendung des Tatortrechts bei Zusammenstößen in Hoheitsgebieten feststellen. Dennoch ist allen Vorschlägen gemeinsam: Man bemüht sich auf den unterschiedlichsten Wegen, zur Anwendung eines Rechts zu gelangen, auf das sich der Schädiger bereits vor der eigentlichen schadenstiftenden Handlung einstellen konnte. Eine gewisse Sonderstellung hat freilich das eigene Recht: Damit muß man immer rechnen, seine Anwendbarkeit können jedenfalls deutsche Schädiger nicht vermeiden. Besonders weitgehend wird neuerdings sogar dann zugunsten des Schädigers auf dessen Heimatrecht abgestellt, wenn die Anknüpfung an Tatortrecht eigentlich ein von beiden Parteien bestimmbares Statut zur Verfügung stellen könnte. Vorhersehbarkeit mehrerer in Betracht kommender Rechte reicht offenbar nicht aus. Vielmehr soll sich der Schädiger auf ein bestimmtes Recht einstellen können. Indem auf diese Weise den kollisionsrechtlichen Interessen des Schädigers Rechnung getragen wird, werden die Erwartungen des Geschädigten hinsichtlich der Anwendbarkeit eines bestimmten Rechts vernachlässigt. Dies ist zwangsläufig so, wenn es auch selten offen eingestanden wird. Dies ist aber auch richtig so, weil der Geschädigte kein nennenswertes Interesse an der Antizipation der Anwendbarkeit eines bestimmten Rechts haben kann. Sein Interesse richtet sich auf Kompensation seines Schadens und ist materiellrechtlicher Natur. Versucht er

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2. Kap.: Seeschiffs- und Flugzeugzusammenstöße

dagegen, dieses Interesse auf kollisionsrechtlicher Ebene, durch Wahl des Gerichtsorts durchzusetzen, wendet sich dagegen sofort die Lehre: forum Shopping sei kein Recht des Klägers. 138

138 Basedow, VersR 1978, 495, 496 f.; Lorenz, Deutscher Rat für IPR, S. 455.

Drittes Kapitel

Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Wettbewerbsverletzungen I. Fall Die Beklagte, die die Vertriebsrechte für den Tampax-Tampon besaß, den sie unter anderem in der Schweiz absetzte, hatte für ihr Produkt in deutschsprachigen Schweizer Zeitschriften geworben und wurde vom deutschen Kläger auf Unterlassung in Anspruch genommen. Der BGH stellte fest, daß die inkriminierten Werbeaussagen in Druckerzeugnissen vorgenommen worden waren, die im regelmäßigen Geschäftsverkehr auch in das Gebiet der Bundesrepublik versandt würden. Diese grenzüberschreitende Wirkung der Werbung sei „in Fällen der hier in Betracht kommenden Art jedenfalls für den Bereich des deutschen Sprachgebiets voraussehbar und daher bei der Gestaltung der Werbung zu berücksichtigen."1 I I . Einführung Allgemeiner Ausgangspunkt des internationalen Deliktsrechts ist die Tatortregel. Sie vermag kollisionsrechtliche Orientierung zu bieten, verspricht im Grundsatz Rechtsanwendungssicherheit. Erst in der zunehmend interdependenten Welt tauchen Deliktsformen auf, die einen eigentlichen und leicht auszumachenden Begehungsort nicht mehr kennen. Neue Anknüpfungsmöglichkeiten werden daher gesucht, „Auflockerungen" des Deliktsstatuts greifen Platz. Was die Tatortregel ursprünglich so sicher bot, Rechtsanwendungssicherheit, muß neu gesucht und ausdrücklich gefordert werden. Geradezu umgekehrt ist die Entwicklung im internationalen Wettbewerbsrecht verlaufen. Am Beginn stand nicht die „sichere" Tatortregel, sondern ihr in dieser Hinsicht denkbar krasses Gegenteil: das Universalitätsprinzip. Deshalb ist die Untersuchung der Anknüpfung von Wettbewerbsverletzungen von hohem Interesse. Hier gab es am Anfang keine Anknüpfungsregel, die den Parteien, insbesondere dem Schädiger, eine kollisionsrechtliche Selbstbestimmung ermöglicht hätte. Daher tauchte auch bereits sehr früh in der Rechtsprechung die Frage auf, die Anwendung welchen Rechtes dem Schädiger überhaupt zuzumuten sei. Zugun-

i BGH 23.10.1970, GRUR 1971, 153 mit Anm. Droste = JZ 1971, 731/732 mit Anm. Deutsch (Tampax). Hervorhebung vom Verf.

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

sten deutscher Schädiger wurde diese Frage dadurch beantwortet, daß man regelmäßig deutsches Recht anwandte. Daß diese Methode der Gewährleistung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung auf die Dauer keinen Bestand haben konnte, liegt auf der Hand. Und so versuchen, ausgehend von dem Universalitätsprinzip, Rechtsprechung und Schrifttum seit nunmehr hundert Jahren, bei der Anknüpfung von Wettbewerbsverletzungen zu mehr Rechtsanwendungssicherheit zu gelangen. Dabei kommt den Stellungnahmen im Schrifttum besondere Bedeutung zu, denn Gerichtsentscheidungen auf dem Gebiet des internationalen Wettbewerbsrechts sind selten.2 Obwohl ein Ende der Entwicklung noch nicht abzusehen ist, läßt sich doch wohl schon feststellen: Die Geschichte der Anknüpfung von Wettbewerbsverletzungen ist auch eine Geschichte der Durchsetzung des Zurechnungsgedankens. Das gilt es zu belegen.

I I I . Universalitätsprinzip Daß das deutsche Warenzeichenrecht dem Inhaber eines in Deutschland eingetragenen Warenzeichens weltweit geltenden Schutz gewährt, ist vom RG erstmals in der berühmten Hoff-Entscheidung ausgesprochen worden. 3 Das Recht des Tatortes tat das RG dagegen als „angeblichen Rechtssatz" ab. 4 Es könne keinen Unterschied machen, ob eine nachgeahmte Bezeichnung noch im Inland oder erst im Ausland auf der Ware angebracht werde. 5 Das RG konnte sich für seine Auffassung vor allem auf Kohler 6 stützen, der die damals vorherrschende Anknüpfung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen auch auf das Warenzeichenrecht übertragen hatte.7 Das Universalitätsprinzip besagte in seiner reinen Form: „Wo immer . . . die verletzende Handlung erfolgte und von wem immer, sobald dieser nur einem deutschen Gericht unterworfen ist, kann er auch vor einem deutschen Gericht aus Ansprüchen nach den deutschen Gesetzen zum Schutz der gewerblichen Tätigkeit belangt werden." 8 Deutsches Warenzeichenrecht gilt weltweit, universal. 9 Damit wurde der Inhaber eines deutschen Zeichenrechts in seiner Erwartungshaltung zunächst optimal geschützt: In jedem Fall konnte er Schutz nach der deutschen Rechtsordnung beanspruchen. Dagegen mußten etwaige Kon2 Dazu und zu den Gründen vgl. Schricker, zitiert bei Paefgen, GRUR Int. 1988, 345, und W. Weber, S. 15 ff. 3 RG 2.10.1886, RGZ 18, 28 (Hoff). 4 Ibid. S. 30. 5 Ibid. S. 34. 6 Kohler, S. 446. 7 Dazu vgl. Burmann, WRP 1968, 258, 259; Kohler hat seine Auffassung später erheblich geändert, vgl. Dernburg / Kohler, S. 342 ff. s Lobe, S. 399. 9 Vgl. auch Körner, AWD 1970, 211.

III. Universalitätsprinzip

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kurrenten, auf welchem Markt sie sich auch immer betätigen mochten, stets auch die in Deutschland registrierten Warenzeichen beachten. Dem Universalitätsprinzip schien zunächst ein rascher Siegeszug beschieden. Vom RG für Warenzeichen und Firma mehrfach bestätigt10, wurde es auch für die Anknüpfung von Verstößen gegen das UWG 1 1 herangezogen 12 und stieß im Schrifttum vielfach auf Zustimmung. 13 In „reiner Form" allerdings ist es nie zu höchstrichterlicher Anwendung gelangt. Vor allem zwei Einschränkungen verdienen Aufmerksamkeit. Einmal hatten die Gerichte ausschließlich mit Fällen zu tun, in denen die Inanspruchgenommenen deutscher Nationalität waren oder jedenfalls ihren Sitz in Deutschland hatten. 14 So hatte denn das RG auch bereits in der Hoff-Entscheidung ausdrücklich offengelassen, ob der Universalitätsgrundsatz auch dann Anwendung beanspruche, wenn der Verletzer des Markenrechts ein Ausländer sei. 15 Daß Inländer sich auf die Anwendbarkeit deutschen Zeichenrechts, also ihres Heimatrechts, sehr viel leichter einstellen können, liegt auf der Hand. Zum anderen ist schon sehr früh und wiederholt betont worden, daß deutsches Zeichenrecht dort zurückzutreten habe, wo der Inanspruchgenommene sich berechtigterweise auf ein entsprechendes ausländisches Zeichenrecht berufen könne. 16 Damit war die Gefahr unvorhersehbarer Inanspruchnahme aufgrund deutscher Rechtsvorschriften bereits erheblich eingeschränkt. Bekanntlich hat sich das Universalitätsprinzip letztlich nicht durchgesetzt. 17 Die schon früh einsetzende Kritik richtete sich vor allem gegen die Ungleichbe-

10 RG 14.11.1889, SeuffA 45 Nr. 264 (S. 442) (Faber); 7.11.1899, RGZ 45, 143, 145 (Genever); 2.5.1902, RGZ 51, 263, 267 (Mariani); 12.5.1903, RGZ 54, 414, 416 (Acier Diamant). 11 Bis zum heute noch geltenden Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7.6.1909 (RGBl. 499) war dies das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27.5.1896 (RGBl. 145). 12 RG 22.10.1901, JW 1901, 851, 852 (Schnittmuster); 16.6.1903, RGZ 55, 199 (Üble Nachrede); 31.3.1916, RGZ 88, 183, 184 (Sackpflüge); 2.12.1921, MuW 1922/ 23, 61, 62 (Baltic-Domo); 19.6.1923, RGZ 108, 8 (Saccharin); 2.12.1924, JW 1926, 46, 47 (Aspirin). 13 Allfeld, IV. § 12 Anm. 6. d); Finger, § 24 Rn. 20 und 21; Schmid, S. 87; A. Seligsohn, § 12 Anm. 5; weitere Nachw. bei: Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 238 Fn. 17; Schikora, S. 66; M. Seligsohn, in: Abhandlungen, S. 195; Wirner, S. 45/46 Fn. 15. 14 Vgl. Körner, AWD 1970, 211; Sack, GRUR Int. 1988, 320, 321; E. Ulmer, JW 1931, 1906, 1908. 15 RG 2.10.1886, RGZ 18, 28, 36 (Hoff); im Schrifttum allerdings unterstellte man auch Ausländer mit Hilfe des Universalitätsgrundsatzes deutschem Zeichenrecht, vgl. z. B. Allfeld, IV. § 12 Anm. 6. d). 16 Offengelassen noch von RG 14.11.1889, SeuffA 45 Nr. 264 (S. 442, 444) (Faber); dann aber RG 7.11.1899, RGZ 45, 143, 145 (Genever); 12.5.1903, RGZ 54, 414, 417 (Acier Diamant). 17 Aufgegeben mit der Hengstenberg-Entscheidung, RG 20.9.1927, RGZ 118, 76 (Springendes Pferd).

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

handlung ausländischer und inländischer Marken 18 , gegen die Unvereinbarkeit 19 mit Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) 2 0 und Madrider Markenabkommen ( M M A ) 2 1 und gegen den Übergriff in die Rechtssphäre anderer souveräner Staaten. 2 2 Aber auch die Unsicherheiten der Rechtsanwendung, die das Universalitätsprinzip für die wegen einer Wettbewerbsverletzung Inanspruchgenommenen mit sich brachte, wurden bald erkannt. Schon 1924 bemerkte das RG: „Danach ist die Verletzung des Zeichenrechts der Kl. durch die Bekl. im Inlande begangen. Das mußte der Verkäuferin ohne besondere Überlegung klar sein. Nicht so nahe mag ihr der von der Rechtsprechung des RG. vertretene Grundsatz gelegen haben, daß das aus dem Rechte der Persönlichkeit fließende Zeichenrecht . . . nicht territorial beschränkt ist und das deutsche Warenzeichen daher auch über die Grenzen des Reiches geschützt i s t . . . " 2 3 In der Tat: „Nahe" konnte diese Rechtsprechung keinem Gewerbetreibenden liegen, wobei deutsche Firmen mit Sitz im Inland durchaus noch bevorzugt schienen. M. Seligsohn wies darauf hin, daß als Folge des Universalitätsprinzips der Gewerbetreibende sich nicht nur um die Zeichenrechte des Auslandes, wohin er seine Waren liefere, zu kümmern habe, sondern letztlich die Zeichenrechte aller Länder und den von diesen gewährten Rechtsschutz kennen müsse.24 Bei konsequenter Durchführung des Universalitätsprinzips müßten auch in Deutschland alle ausländischen Marken stets beachtet werden. 25 In der HengstenbergEntscheidung griff das RG diesen Gedanken auf: „Dem deutschen Verkäufer . . . kann nicht schlechthin angesonnen werden, zu vermeiden, daß durch eine ihm erlaubte Inlandsbetätigung die Verletzung eines fremden Zeichenrechts in irgendeinem fremden Lande ermöglicht oder dem Inhaber dieses Rechts Konkurrenz gemacht werde. Denn zu den Pflichten, die dem deutschen Kaufmann . . . obliegen, gehört es jedenfalls nicht ohne weiteres, daß er vor oder beim Verkauf der Ware feststellt, an wen und wohin die belieferten Firmen die Ware ausführen werden und ob die Ausfuhr in ein Land stattfinden soll, in dem eine andere Person für ein gleiches Bildzeichen den Schutz des Madrider Abkommens genießt. Das wäre praktisch nicht einmal durchführbar . . , " 2 6 Etwas anderes sollte 18 Vgl. Adler, S. 376. 19 Vgl. M. Seligsohn, in: Abhandlungen, S. 204. 20 Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums vom 20.3.1883, jetzt verbindlich für die Bundesrepublik in der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967, BGBl. 1970 II 391. 2 1 Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken vom 14.4.1891, jetzt verbindlich für die Bundesrepublik in der Stockholmer Fassung vom 14.7.1967, BGBl. 1970 II 418. 22 Vgl. GIK-Hagens, § 12 Anm. 6 (S. 188). 2 3 RG 2.12.1924, JW 1926, 46, 47 (Aspirin). 2 4 M. Seligsohn, in: Abhandlungen, S. 200; vgl. auch Osterrieth, S. 344 f., 346 Fn. 1. 2 5 Auch gesehen von GIK-Hagens, § 12 Anm. 6 (S. 189/190), mit Hinweis auf eine entsprechende frühere schweizerische Praxis. 2 6 RG 20.9.1927, RGZ 118, 76, 83 (Springendes Pferd).

IV. Tatortrecht

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nach Auffassung des RG allerdings dort in Betracht kommen, wo „die Klägerin es geflissentlich unternommen hätte, die Ausfuhr gerade nach solchen Ländern zu betreiben oder zu unterstützen, in denen das Bildzeichen der Beklagten international registriert ist." 2 7 Es war also nicht zuletzt das für den Inanspruchgenommenen untragbare Rechtsanwendungsrisiko, das das RG zur Aufgabe des Universalitätsprinzips bewog.

IV. Tatortrecht (lex loci delicti commissi) Nach der Hengstenberg-Entscheidung gingen Warenzeichenrecht und unlauterer Wettbewerb verschiedene Wege. Für ersteres setzte sich das sog. Schutzlandprinzip durch. 28 Unlauterer Wettbewerb dagegen wurde dem Recht des Tatortes unterstellt. Der Übergang vom Universalitätsprinzip zur Anwendung des Tatortrechts verlief fließend und läßt sich zeitlich nicht genau fixieren. 29 Schon ein frühes Urteil des RG hatte sich für Tatortrecht bei Wettbewerbsverletzungen ausgesprochen30, manche Entscheidungen stellten Universalitätsprinzip und Anknüpfung an das Tatortrecht nebeneinander. 31 Jedenfalls im Jahre 1931 hatte sich die Anknüpfung an den Begehungsort durchgesetzt. 32 Damit war ein großer Schritt zur Verwirklichung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung getan, die Tatortregel, wesentliche Ausprägung dieses Prinzips, auch im Wettbewerbsrecht eingeführt. Wenn heute dennoch die Tatortregel im Wettbewerbsrecht nicht in reiner Form zur Anwendung gelangt, so liegt dies an der „unglaublichen Dehnbarkeit" 33 , mit der von den Gerichten der Begriff „Begehungsort" ausgestattet wurde. Dies hat die theoretisch mögliche Rechtsanwendungssicherheit der Tatortregel stark beeinträchtigt und einmal mehr deutlich gezeigt, daß die Tatortregel beim Distanzdelikt ihre Orientierungsfunktion weitgehend einbüßen kann. Angefangen von der Beauftragung eines ausländischen Anwalts in Deutschland., was als „entscheidende Initiativhandlung" gewertet wurde 34 , über die inländische Veranlassung einer 27 Ibid. S. 84. 28 Dazu vgl. 5. Kapitel. 29 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Wirner, S. 47 ff. 30 RG 21.12.1900, SeuffA 56 Nr. 175 (S. 308). 31 Vgl. z. B. RG 16.6.1903, RGZ 55, 199 (Üble Nachrede); 2.12.1921, MuW 1922/ 23, 61, 62 (Baltic-Domo); KG 13.11.1914, OLGE 30, 256 (Preislisten). 32 Vgl. RG 31.3.1931, JW 1931, 1904 (Standard) mit Anm. Raape, JW 1932, 593, 594; vgl. weiterhin RG 17.2.1933, RGZ 140, 25, 29 (Hohner); 15.11.1935, JW 1936, 923; 28.1.1939, SeuffA 93 Nr. 90 (S. 239, 240) (Grabdenkmäler); weitere Nachw. bei Wimer, S. 50 Fn. 9 und 10, auch zum damaligen Schrifttum. 33 K. Troller, S. 68 Fn. 4. 34 BGH 13.7.1954, BGHZ 14, 286, 291 (Farina).

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3. Kap.: Wettbewerbs Verletzungen

Anzeige in einer ausländischen Zeitung 35 und den Transport einer Ware durch die Bundesrepublik 36 bis hin zum Eintritt des Schadens bei der inländischen Niederlassung des Wettbewerbsgegners 37 wurden auch noch so unwesentliche Berührungspunkte mit der deutschen Rechtsordnung für ausreichend gehalten, einen inländischen Tatort zu konstruieren. 38 Vor allem diese Unsicherheiten bei der Auslegung des Begriffs „Begehungsort" haben dazu geführt, daß der BGH seit der Kindersaugflaschen-Entscheidung im Jahre 1961 den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision als maßgebliches Anknüpfungskriterium heranzieht. 39 Trotz des weiten Begehungsortverständnisses läßt sich aber auch in der früheren Rechtsprechung zumindest in zweierlei Hinsicht eine Tendenz zu größerer kollisionsrechtlicher Anknüpfungssicherheit für den Schädiger nachweisen. Zum einen fand mit dem Abstellen auf den Begehungsort eine Anknüpfungsverlagerung vom Sitz des angegriffenen Wettbewerbers hin zur Schädigungshandlung des Angreifers statt. 40 Zum anderen ist interessanterweise die Ubiquitätsregel, die für den Schädiger zusätzlich Rechtsanwendungsunsicherheit mit sich bringen kann, niemals angewandt worden. 41 Nie haben RG oder BGH das Vorliegen eines — auch — ausländischen Begehungsortes dazu benutzt, das für den Geschädigten günstigere Recht zu ermitteln, stets wurde vielmehr auf die Anwendbarkeit deutschen Rechts abgestellt.42 Die Ubiquitätsregel hat im internationalen Wettbewerbsrecht keine Rolle gespielt. Und im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum wird auch deutlich betont, daß diese Regel wegen mangelnder Vorhersehbarkeit des im Ergebnis anwendbaren Rechts für den Schädiger abzulehnen sei. 43 Soweit heute überhaupt noch für die Anwendung der Tatortregel in ihrer eigentlichen Bedeutung im Wettbewerbsrecht plädiert wird, unterstreicht man 35 OLG Düsseldorf 7.11.1956, WRP 1957, 121. 36 BGH 15.1.1957, GRUR 1957, 231, 235 (Pertussin / Taeschner), insoweit nicht in der amtl. Sammlung abgedruckt; vgl. auch BGH 15.1.1957, GRUR 1957, 352, 353 (Pertussin / Taeschner II). 37 RG 14.11.1889, SeuffA 45 Nr. 264 (S. 442) (Faber); 16.6.1903, RGZ 55, 199, 200 (Üble Nachrede); 2.12.1921, MuW 1922/23,61,62 (Baltic-Domo); KG 13.11.1914, OLGE 30, 256, 257 (Preislisten); heute offenbar wieder so: Spätgens, GRUR 1980, 473, 476. 38 Vgl. die Darstellung bei K. Troller, S. 68 ff., und bei Wimer S. 98 ff.; Nachw. für die Rechtspr. bei Bröcker, S. 173, und bei Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 240 Fn. 34. 39 BGH 30.6.1961, BGHZ 35, 329; Schwind, FS Demelius, S. 486 Fn. 13, und K. Troller, S. 82 f., sehen diese Anknüpfung bereits in der Zeiß-Entscheidung des BGH (24.7.1957, GRUR 1958, 189) angelegt. 40 Typisch für diese Verlagerung der Betrachtungsweise ist z. B. BGH 2.10.1956, BGHZ 22, 1, 18 (Flava-Erdgold); vgl. auch Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 240. 41 Darauf weist Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 240 und S. 253, hin. 42 Zu vereinzelt anderslautenden Entscheidungen der Instanzgerichte vgl. Schwenn, IV. Kongreß f. Rechtsvergleichung, S. 112. 43 Vgl. Imhoff-Scheier, SchwJblntR 41 (1985) 57, 69; Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 267; Wirner, S. 98 ff.; gegen den Ubiquitätsgrundsatz haben sich weiterhin ausgespochen: Deutsch, Wettbewerbstatbestände, S. 27; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 234; Schneeweiß, S. 32 f.; W. Weber, S. 107 Fn. 22.

V. Die Nussbaumsche Regel

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ganz besonders die Orientierungsfunktion dieser Anknüpfung. Die meist bewußt veranlaßten und oftmals bis an die Grenze des Zulässigen geplanten Wettbewerbshandlungen44 bedürften der Regelung durch eine im voraus erkennbare Rechtsordnung. Schon im Augenblick des Handelns müsse den Beteiligten erkennbar sein, welcher Rechtsordnung ihr Verhalten unterstehe. Die klare und starre Tatortregel werde dem immer noch am besten gerecht. 45 Kreuzer stellt vor allem aufgrund solcher Vorhersehbarkeitserwägungen ausschließlich auf den Wettbewerbshandlungsort ab. 46 Diese Anknüpfung entspreche den Interessen des Marktstaates an der Regulierung des Wettbewerbs, der Erwartungshaltung der Wettbewerbsteilnehmer und dem Charakter des Wettbewerbsrechts als einer Verhaltensordnung. Sie mache das Wettbewerbsstatut vorhersehbar. Bei einer zielgerichteten Wettbewerbshandlung, etwa dem Geheimnisverrat (§§ 17-20 UWG), bei der die Rechtsanwendungsinteressen des Marktstaates und der anderen Mitwettbewerber nicht berührt werden, möchte Kreuzer es dagegen bei der Grundregel des allgemeinen internationalen Deliktsrechts belassen: „Auf mangelnde Voraussehbarkeit des anwendbaren Rechts könnte sich der Verletzer schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil er vorsätzlich einen bestimmten Mitbewerber angreift und daher die Deliktsorte (i. S. der Ubiquitätsregel) selbst bestimmt." 47 V. Die Nussbaumsche Regel 1. Ihre Bedeutung Auflockerung des Deliktsstatuts durch Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht der Parteien etwa im Sinne der RechtsanwendungsVO 1942 hat im internationalen Wettbewerbsrecht eine interessante Parallele: die sogenannte Nussbaumsche Regel. Sie besagt, daß — gewissermaßen als Auflage, die an den inländischen Gewerbebetrieb geknüpft ist — alle im Inland niedergelassenen Gewerbetreibenden auch ihren Auslandswettbewerb nach inländischen Vorschriften ausrichten müssen. Dieser Satz wurde von Nussbaum im Jahre 1932 aufgestellt 48 , vom RG sofort übernommen 49 und hat lange Zeit die Rechtsprechung sowohl des Reichsgerichts 50 als auch des Bundesgerichtshofs 51 beeinflußt. 1963 44

Vgl. Deutsch, Wettbewerbstatbestände, S. 49. 45 So z. B. Sasse, S. 73 f., und Schikora, S. 92 f. 46 Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 274 ff., 278; ähnlich wohl Mänhardt, S. 117. 47 Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 282 f. 48 Nussbaum, S. 339/340. 49 Mit RG 17.2.1933, RGZ 140, 25, 29 (Hohner). so Vgl.RG 19.5.1933,MuW 1933,446,447(Demokrat-Club); 15.11.1935,JW 1936, 923; 10.1.1936, GRUR 1936, 670, 674 (Primeros); 14.2.1936, RGZ 150, 265, 270 (Stecknadeln); 28.9.1940, GRUR 1940, 564, 567 (Lodix). 5i Wohl schon BGH 13.7.1954, BGHZ 14, 286 (Farina); jedenfalls aber BGH 11.1.1955, GRUR 1955, 411, 413 (Zahl 55); 2.10.1956, BGHZ 22, 1, 18 (FlavaErdgold).

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

allerdings hat der BGH diese Rechtsprechung wieder aufgegeben 52, zu einem Zeitpunkt also, zu dem sich die Auflockerung des Deliktsstatuts in anderen Bereichen des internationalen Deliktsrechts gerade erst durchzusetzen begann. Fragt man nach den Gründen für diese eigenartige zeitliche Verschiebung, stößt man sehr bald auf folgende Ursache: In keinem anderen Bereich ist so früh und so deutlich wie im internationalen Wettbewerbsrecht erkannt worden, daß die Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht der Parteien im Grunde dem Prinzip kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung widerspricht. Mehr noch: Während Anknüpfung an gemeinsames Heimatrecht in vielen Bereichen des internationalen Deliktsrechts eine erstmalige Durchbrechung des bis dahin für die Parteien sicher antizipierbaren Tatortrechts darstellt, ist umgekehrt im internationalen Wettbewerbsrecht die Nussbaumsche Regel nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einem Mehr an kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung gewesen. Im internationalen Wettbewerbsrecht hatte die Rechtsprechung ursprünglich mehrfach angenommen, daß beeinträchtigende Rückwirkungen auf den Niederlassungsort des Geschädigten ausreichten, einen „Erfolgsort" im Sinne der Tatortregel zu begründen. 53 Dabei war es stets darum gegangen, die Anwendung deutschen Wettbewerbsrechts auf Wettbewerbshandlungen, die eigentlich im Ausland stattgefunden hatten, zu begründen. Nussbaum nun wollte — neben Baumbach — mit seinem Ansatz vor allem dieser Judikatur entgegentreten. Während aber Baumbach in der weiten Auslegung des Erfolgsortbegriffs vor allem einen Eingriff in fremde Gerichtsbarkeit sah 54 , betonte Nussbaum die seiner Meinung nach untragbaren Folgen dieser Rechtsprechung, die dazu führten, daß auch Ausländer wegen ihrer im Ausland begangenen Handlungen dem deutschen Gesetz unterworfen waren. 55 Damit machte er aber gerade den Gesichtspunkt kollisionsrechtlicher Zurechenbarkeit geltend. Denn die Untragbarkeit dieser Folgen liegt vor allem darin, daß im Ausland tätige Mitbewerber überhaupt keinen Anlaß sehen können, sich auf die Geltung deutschen Wettbewerbsrechts von vornherein einzustellen.56 Nur für den Fall, daß der in Anspruch genommene Gewerbetreibende eine inländische Niederlassung habe, glaubte Nussbaum , die bisherige Praxis rechtfertigen zu können. In solchem Fall allerdings liegt dem Gewerbetreibenden die Anwendbarkeit deutschen Rechts ohnehin sehr viel näher. Mit der Anwendbarkeit des eigenen Rechts müsse jedermann rechnen, heißt heute die allgemeine Regel in vielen anderen Bereichen des internationalen Deliktsrechts. 52 Mit der Stahlexportentscheidung, BGH 20.12.1963, BGHZ 40, 391. 53 Vgl. die Nachweise oben sub IV. (Fn. 37). 54 Baumbach, Buch I. Kap. 10 B. (S. 82). 55 Nussbaum, S. 339/340. 56 Anders z. B. Schmidt, FS Lehmann, S. 183/184, der — zeitbedingt — auf „allgemeine Interessen der deutschen Volkswirtschaft" abstellt und deshalb auch Ausländer grundsätzlich deutschem Wettbewerbsrecht unterwerfen will.

V. Die Nussbaumsche Regel

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Die Nussbaumsche Regel birgt also zwei Aspekte: zum einen die Einführung des gemeinsamen Heimatrechts als Anknüpfungspunkt im internationalen Wettbewerbsrecht. Insofern ist sie eine frühe Ausprägung der heute allenthalben erörterten Auflockerung des Deliktsstatuts. Zum anderen ist sie aber — historisch gesehen — vor allem eine Einschränkung der Anwendbarkeit deutschen Wettbewerbsrechts bezüglich im Ausland veranlaßter Wettbewerbshandlungen gewesen. Insofern stellte sie einen Schritt weiter dar in Richtung größerer Rechtsanwendungssicherheit. Auflockerung des Deliktsstatuts durch Anknüpfung an gemeinsames Heimatrecht und Nussbaumsche Regel sind demnach analog, nicht aber homolog verwandte Erscheinungen. Mit Übernahme der Nussbaumschen Regel hat das RG daher gleichzeitig seine bisherige Ansicht aufgegeben, auch der Niederlassungsort des beeinträchtigten Wettbewerbers komme ohne weiteres als Erfolgsort im Sinne der Tatortanknüpfung in Betracht. 57 In dieser Einschränkung ist der eigentliche Fortschritt für die Fortbildung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung zu sehen.58

2. Ihre Überwindung Der weitere Fortschritt der Rechtsentwicklung bestand darin, die Nussbaumsche Regel nun ihrerseits einzuschränken und schließlich ganz zu überwinden. Eine erste Einschränkung lag bereits in der Tatsache, daß die Nussbaumsche Regel nie allein den tragenden Grund für die Anwendung deutschen Rechts bildete, die Rechtsprechung vielmehr stets hervorhob, daß jeweils auch ein Teil der inkriminierten Handlung in Deutschland stattgefunden hatte. 59 Weiterhin erhob sich bald massive Kritik im Schrifttum. Es wurde festgestellt, daß für die Anwendung der Nussbaumschen Regel weder von Nussbaum selbst noch jemals später irgendeine Begründung gegeben worden war 60 , daß die deutschen Wettbewerber im Ausland gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten erheblich benachteiligt würden, da sie stets das im Regelfall erheblich strengere deutsche Recht zu beachten hätten 61 , daß es nicht Aufgabe des deutschen Wettbewerbs57 RG 17.2.1933, RGZ 140, 25, 29 (Hohner). 58 Ausdrücklich berief sich das RG für diese Einschränkung allerdings vor allem auf Baumbachs Argumentation, vgl. ibid. und auch RG 19.5.1933, MuW 1933, 446, 447 (Demokrat-Club). 59 Ausdrücklich so: RG 14.2.1936, RGZ 150, 265, 271 (Stecknadeln); vgl. weiterhin die oben sub 1. zitierten Entscheidungen des RG (Fn. 50) und des BGH (Fn. 51). Allenfalls die Hohner-Entscheidung des RG (17.2.1933, RGZ 140,25) stützte sich allein auf die Nussbaumsche Regel für die Anwendbarkeit deutschen Rechts. Insgesamt jedenfalls ist das Verhältnis von Nussbaums Regel und der Tatortanknüpfung immer unklar geblieben. 60 So z. B. Bussmann, in: Eranion Maridakis, S. 170; Gloede, GRUR 1960,464, 469; Sasse, S. 53; Burmann, DB 1964,1801, 1804: Für die Anknüpfung an den gemeinsamen Inlandssitz gibt es keine materiellrechtliche Grundlage.

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

rechts sei, ausländische Marktordnungen zu gestalten und ausländische Verbraucher zu schützen62, daß auch in der Nussbaumschen Regel noch ein Eingriff in fremde Gerichtsbarkeit zu sehen sei. 63 Und schließlich wird heute auch deutlich festgestellt: Die Anwendung gemeinsamen Heimatrechts widerspricht dem Interesse der Marktteilnehmer an möglichst großer Rechtsanwendungssicherheit. Der Gewerbetreibende kann nicht vorhersehen, ob ihm auf dem ausländischen Markt zufällig ein deutscher Konkurrent gegenübertreten wird. 6 4 Die Anknüpfung verstoße daher gegen „das Erfordernis der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts." 65 Diese Kritik 6 6 blieb nicht ohne Wirkung. Nachdem der BGH zunächst die Rechtsprechung des RG übernommen hatte 67 , erfolgte 1957 mit der Zeiß-Entscheidung68 eine erste Abschwächung: Trotz grundsätzlicher Anwendung deutschen Rechts sollten über die Generalklausel des § 1 UWG Anschauungen des Auslands mitberücksichtigt werden können. Die Vorhersehbarkeit der im Ergebnis anwendbaren Rechtsordnung war damit freilich noch nicht besonders erleichtert. Dies wurde erst in der Stahlexport-Entscheidung erreicht. 69 Mit dieser Entscheidung stutzte der BGH die Nussbaumsche Regel kräftig zurück. Eine generelle Pflicht für inländische Gewerbetreibende, auch ihren Auslandswettbewerb mit anderen inländischen Konkurrenten nach inländischem Recht auszurichten, bestehe nicht. Denn: „Mit Recht betont die Revision . . . , es müsse für den auf dem Auslandsmarkt Werbung treibenden inländischen Gewerbetreibenden tunlichst von vornherein feststellbar sein, nach welcher Rechtsordnung er seine Werbung einzurichten habe; da aber der Kreis der am Auslandswettbewerb Beteiligten vielfach nicht vollständig zu überblicken sei, entstehe eine untragbare Rechtsunsi61 Das ist das Hauptargument; vgl. Gloede, GRUR 1960, 464, 465 f.; Köhler, MuW 1933, 332, 334; L. Müller, S. 33; Neumann, Int. Wb. 1959 (Nr. 3) 12, 14 ff.; Raape, § 55 V. (S. 579); Rabel, II, S. 298; Sack, GRUR Int. 1988, 320, 326 mit Nachw. in Fn. 66; Spengler, DB 1962, 1397, 1398 ff.; Würffei, S. 38. Zu Österreich vgl. etwa OGH 11.6.1930, SZ 12 (1930) Nr. 142 (S. 439). 62 So z. B. Hefermehl, GRUR 1958, 197, 200. 63 So z. B. Köhler, MuW 1933, 332, 334; Würffei, S. 38. 64 Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 279; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 251; Schikora, S. 88; W. Weber, S. 115; derselbe, GRUR Int. 1983, 26, 29; Wengler, JZ 1964, 372; ähnlich wohl auch Beitzke, JuS 1966, 139, 143/144, 145, und Bussmann, in: Eranion Maridakis, S. 171 f. Im Rahmen des Kartellrechts verwirft Bär, S. 363/364, gerade aus dieser Erwägung heraus jede Anknüpfung an das Domizil des Verletzten. In Osterreich heben dieses Argument hervor: Regierungsvorlage zum öst. IPRG, abgedruckt bei Duchek/Schwind, § 48 Anm. 7 (S. 111); Wiltschek, GRUR Int. 1988, 299, 306. 65 Sack, GRUR Int. 1988, 320, 326 Fn. 70. 66 Weitere Nachweise bei: Sack, GRUR Int. 1988, 320, 325 Fn. 61-64; Schikora, S. 88 Fn. 1; Wirner, S. 88 f. Fn. 21. 67 Nachw. oben sub 1. (Fn. 51). 68 BGH 24.7.1957, GRUR 1958, 189, 197; bestätigt in BGH 18.12.1959, GRUR 1960, 372, 377 (Kodak). 69 BGH 20.12.1963, BGHZ 40, 391.

V. Die Nussbaumsche Regel

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cherheit, wenn der inländische Begehungsort und damit die Anwendbarkeit inländischen Rechtes bereits durch die Beteiligung irgendeines inländischen Mitbewerbers an diesem sich auf dem Auslandsmarkt abspielenden Wettbewerb begründet werden könne." 70 Es ist also vornehmlich die Sicherstellung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung für den deutschen Wettbewerber, die den BGH veranlaßt, die Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht zurückzuweisen! Lediglich in zwei gesondert gelagerten Fällen hält der BGH den Nussbaumschen Ansatz noch für gerechtfertigt. Einmal, wenn sich die Wettbewerbshandlung gezielt gegen einen inländischen Mitwettbewerber richtet.71 Aber auch hier liegt eine Zurechenbarkeitserwägung zugrunde: Dann greife eben nicht der Gesichtspunkt ein, „für den Gewerbetreibenden müsse die anwendbare Rechtsordnung im Augenblick der Vornahme der Wettbewerbshandlung feststellbar sein; denn bei einem ausschließlich oder doch vorwiegend gegen einen bestimmten Mitbewerber gerichteten Verhalten kann der Werbungtreibende über diese Frage füglich nicht in Zweifel geraten." 72 Zum anderen soll deutsches Wettbewerbsrecht dann in Betracht kommen, wenn der Wettbewerb auf dem Auslandsmarkt ausschließlich zwischen inländischen Wettbewerbern stattfindet. Für diesen Fall ist der BGH offenbar nach wie vor bereit, Zurechenbarkeitserwägungen hintanzustellen. Praktische Bedeutung dürfte dieser Möglichkeit allerdings nicht zukommen.73 3. Ihre Nachwirkung Die Regel Nussbaums und ihre baldige Zurückweisung durch das Schrifttum und später auch durch die Rechtsprechung hatten noch einen weiteren Nebeneffekt. Sie führten dazu, daß im internationalen Wettbewerbsrecht die RechtsanwendungsVO 1942 selbst nie Fuß fassen konnte. Zwar erscheint sie ihrem Wortlaut nach, insbesondere durch die Einbeziehung von Handelsgesellschaften und juristischen Personen mit Sitz im Reichsgebiet74, durchaus einschlägig75, dennoch wird ihre Anwendbarkeit im internationalen Wettbewerbsrecht zumeist abgelehnt.76 70 Ibid. S. 396. 71 Ibid. S. 397 ff. 72 Ibid. S. 399. 73 Beitzke, SchwJblntR 35 (1979) 93, 102; v. Gamm, Wettbewerbsrecht, Kap. 15 Rn. 18 (S. 193); Imhoff-Scheier, SchwJblntR 41 (1985) 57, 73; Möllering, WRP 1990, 1, 4; Mook, S. 45; Reuter, WB1. 1988 (Beiheft Juli 1988) 271, 272; W. Weber, S. 115; derselbe, GRUR Int. 1983, 26, 29. 74 § 1 Abs. 2 Ziff. 2. 75 Ausdrücklich für ihre Anwendbarkeit daher z. B. Lütkehaus, S. 61 ff. 76 Baumbach/Hefermehl, Einl UWG Rn. 183; Beitzke, JuS 1966, 139, 144; Bussmann, in: Eranion Maridakis, S. 170/171; Deutsch, Wettbewerbstatbestände, S. 34; v. Gamm, Wettbewerbsrecht, Kap. 15 Rn. 5 (S. 186); Handb. WettbewerbsR / Wilde, § 6 Rn. 11; Henrich, GRUR Ausl. 1963, 313, 314; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 251 mit weiteren Nachw.; Sasse, S. 59; Schwenn, IV. Kongress f. Rechtsvergleichung, 6 Czempiel

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

Der BGH hat diese Frage zwar grundsätzlich offengelassen, aber jedenfalls eine enge Auslegung der Verordnung vorgenommen 77 — eng genug, um sie bislang nie anwenden zu müssen. Bei Inlandswettbewerb von Ausländern hat der BGH die Anwendbarkeit gleichen Heimatrechts sogar von vornherein ausgeschlossen. 7 8 Für das internationale Wettbewerbsrecht läßt sich daher festhalten: Auflokkerung des Deliktstatuts durch Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht kommt nur dann in Betracht, wenn dies für den (deutschen) Wettbewerber vorhersehbar war oder aufgrund eigenen Handelns von ihm selbst bestimmt wurde.

VI. Parteiautonomie und akzessorische Anknüpfung Parteiautonomie und akzessorische Anknüpfung können dagegen im internationalen Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht die Zurechenbarkeit des Statuts nicht sicherstellen helfen. Im Gegenteil, insbesondere Parteiautonomie stößt im Schrifttum durchweg auf Ablehnung. 79 Hauptgrund ist die Tatsache, daß es in diesen Rechtsbereichen nicht nur individuelle Parteiinteressen, sondern auch allgemeine Verbraucher- und Marktinteressen zu wahren gilt. Allenfalls fakultatives Kollisionsrecht wird in Betracht gezogen.80

V I I . Ort der wettbewerblichen Interessenkollision 1. Grundsatz: Kollisionsrechtliche Selbstbestimmung In ständiger Rechtsprechung stellt heute der BGH bei Wettbewerbsverletzungen auf das Recht des Ortes ab, an dem die wettbewerblichen Interessen der Konkurrenten aufeinanderstoßen. 81 Dabei wird diese Anknüpfung vielfach als S. 122 f.; Schricker, IPRax 1983, 103, 105; W. Weber, S. 114 ff.; derselbe, GRUR Int. 1983, 26, 28; Wirner, S. 37 f.; zahlreiche Nachw. auch bei Schikora, S. 89 Fn. 1. 77 BGH 20.12.1963, BGHZ 40, 391, 398 (Stahlexport); 11.3.1982, GRUR 1982, 495, 498 (Domgarten-Brand). 78 Vgl. BGH 4.6.1987, GRUR Int. 1988, 357, 358 (Ein Champagner unter den Mineralwässern). 79 Vgl. ausführlich zum Wettbewerbsrecht: Reichert-Facilides, FS Hartmann, S. 205 ff.; weiterhin: Beier / Schricker / Ulmer, GRUR Int. 1985, 104, 108; ImhoffScheier, SchwJblntR 41 (1985) 57,73 f.; Kropholler, § 53 VII1. (S. 445); Mook, S. 52 f.; MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 249 mit Nachw.; Regelmann, S. 128 f.; Sack, GRUR Int. 1988, 320, 329; Vischer, GRUR Int. 1987, 670, 679; Zweigeit / Puttfarken, GRUR Int. 1973,573,577. Nachw. für Rechtsprechung und Schrifttum in Österreich bei Herzig, WB1. 1988 (Beiheft Juli 1988), 251, 252 Fn. 20 und 21. so Z. B. von Müller-Graf, RabelsZ 48 (1984) 289 ff. 8i BGH 30.6.1961, BGHZ 35, 329 (Kindersaugflaschen); 20.12.1963, BGHZ 40, 391, 395 (Stahlexport); 22.1.1964, IPRspr. 1964-65 Nr. 182 (Feinstimmhalter);

VII. Ort der wettbewerblichen Interessenkollision

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ein Unterfall der Anknüpfung an den Begehungsort verstanden, als eine besondere Ausprägung der Tatortregel, die mit Rücksicht darauf, daß es im Wettbewerbsrecht nicht eigentlich ein bestimmtes Rechtsgut zu schützen gilt, vielmehr die Beachtung bestimmter marktordnender Verhaltensnormen im Vordergrund steht, entsprechend modifiziert wird. 8 2 Damit hat sich der BGH einer Auffassung angeschlossen, die im Schrifttum vor allem von K. Troller propagiert worden war. 83 Dieser hatte mit einem plastischen Beispiel seine Konzeption verdeutlicht: A in der Schweiz, B in Frankreich und C in den USA stellen das gleiche Produkt her. Während B und C sich auf den jeweiligen Inlandsmarkt beschränken, exportiert A nach Frankreich und in die USA. Nun erfährt ein Amerikaner durch ein unwahres Reklameflugblatt in Frankreich von den angeblichen Vorzügen von A's Produkten und kauft ein solches Produkt nach seiner Rückkehr in Amerika. Welches Recht wäre auf eine Klage des C gegen A in der Schweiz anzuwenden? K. Troller geht davon aus, daß hier gar kein unlauterer Wettbewerb vorlag. A habe seine unwahren Behauptungen an einem Ort (in Frankreich) aufgestellt, an dem eine wettbewerbliche Interessenkollision mit C nicht gegeben war. Daran ändere auch der Vorteil nichts, den A gegenüber C in Amerika gewonnen habe. 84 K. Trollers Beispiel macht den grundsätzlichen Vorteil deutlich, den eine Anknüpfung an den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision bieten kann. Die Wettbewerbsteilnehmer müssen sich nur auf das Recht des Landes einstellen, in dem ihre Produkte den Konkurrenzprodukten gegenüberstehen. Nur hier dürfen sie nicht gegen Wettbewerbsbestimmungen verstoßen. Ob dagegen ihr Verhalten u. U. auch Auswirkungen auf andere Märkte hat, spielt keine Rolle. Darum müssen sie sich nicht kümmern, dieses Risiko nicht tragen. Die von den Wettbewerbern in Betracht zu ziehenden Wettbewerbsordnungen sind also beträchtlich eingegrenzt. Und die Wettbewerber sind in der Lage, durch ihre Teilnahme an einem bestimmten Markt das anwendbare Recht selbst festzulegen. Dieser Vorteil seiner Anknüpfungsmethode wurde auch bereits von K. Troller selbst besonders hervorgehoben. Die Anknüpfung an den Ort der wettbewerbli27.3.1968, NJW 1968, 1572, 1574 (Bierexport); 23.10.1970, GRUR 1971, 153, 154 (Tampax); 13.5.1977, NJW 1977, 2211 (Weltweit-Club); 11.3.1982, GRUR 1982,495, 497 (Domgarten-Brand); 4.6.1987, GRUR Int. 1988, 357, 358 (Ein Champagner unter den Mineralwässern). Vgl. weiterhin OLG Hamburg 15.5.1986, GRUR Int. 1987, 105, 107 (ER / UV-Kombinationstrockner), und die Nachweise bei Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 244 Fn. 58, zur Rechtsprechung der Instanzgerichte. 82 Vgl. z. B. BGH 30.6.1961, BGHZ 35, 329, 333 f. (Kindersaugflaschen). 83 Dafür weiterhin: Schwind, FS Demelius, S. 486; Pastor, Kap. 52 IX. 1. (S. 562). Im Schrifttum wird dieser Ansatz zumeist unter dem Stichwort „Marktauswirkung" oder „Markteinwirkung" behandelt, vgl. § 40 Abs. 2 des Referentenentwurfs 1984, abgedruckt z. B. bei Basedow, NJW 1986, 2971, 2972 Fn. 10; Deutscher Rat für IPR, S. 19; Knopp, AWD 1962, 183, 184; Lichtenstein, NJW 1964, 1208, 1213; Sack, GRUR Int. 1988, 320, 322 f.; wohl auch Froriep, S. 59 ff. Weitere Nachw. bei Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 242 Fn. 45, und bei MünchKomm / Kreuzer, Art. 38 Rn. 232. 84 K. Troller, S. 138. 6*

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

chen Interessenkollision mache die Anwendbarkeit eines bestimmten Rechts von vornherein feststellbar. Es sei wünschenswerter denn je, daß der Kaufmann voraussehen könne, nach welchem Recht seine Wettbewerbshandlungen beurteilt würden 85 — eine Einschätzung, die sich heute durchgesetzt hat. Man fordert „strikte Vorhersehbarkeit des Wettbewerbsstatuts" 86 und hält gerade dies für den entscheidenden Vorteil einer Anknüpfung an das Marktortrecht. 87 Das Kriterium der „Vorhersehbarkeit des Deliktsstatuts" ist im Wettbewerbsrecht anerkannt. 88 Nachdem sich der BGH in der Domgarten-Brand-Entscheidung 89 erstmals auch im Ergebnis zur Anwendbarkeit ausländischen Rechts durchgerungen hat 90 , scheint mit der Anknüpfung an die wettbewerbliche Interessenkollision das kollisionsrechtliche Selbstbestimmungsrecht für Inländer beim Auslandswettbewerb gesichert. Sie können sich auf das Recht des Marktes einstellen, an dem sie teilnehmen. Mit der Anwendung ihres deutschen Heimatrechts müssen sie nur noch rechnen, wenn sie dies durch die Zielgerichtetheit ihrer Wettbewerbshandlung selbst herbeigeführt haben oder wenn sich der Wettbewerb ausschließlich zwischen ihnen abspielt, eine durchweg theoretische Annahme. 91

2. Im Ausland veranlaßter Inlandswettbewerb a) Wettbewerbliche und Vorhersehbarkeit

Interessenkollision der Inlandswirkung

Das Prinzip der wettbewerblichen Interessenkollision als maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist von der Rechtsprechung anhand von Fällen entwickelt worden, die ausschließlich den Auslandswettbewerb von Inländern betrafen. Was die inländischen Auswirkungen im Ausland veranlaßter Wettbewerbsverletzungen anbelangt, läßt sich inzwischen jedoch eine ähnliche Festschreibung kollisionsrechtlicher Selbstbestimmung konstatieren. Diese Fallgruppe hat bislang zwar die Gerichte in nur geringem Umfang beschäftigt, was sich mit Einführung der sog. Neuen Medien (Satellitenfernsehen etc.) vielleicht ändert. Daß jedenfalls das anwendbare Recht vorhersehbar sein muß und daß auf den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision abzustellen ist, steht auch in diesen Fällen fest:

85 K. Troller, S. 146 f.; ähnlich auch schon Lichtenstein, NJW 1964, 1208, 1211 ff. 86 Deutscher Rat für IPR, S. 19. 87 Vgl. Sack, GRUR Int. 1988, 320, 323; Trutmann, S. 183. 88 Allgemein wird die Bedeutung vorhersehbarer Anknüpfungen im internationalen Wettbewerbsrecht z. B. von Müller-Graf, RabelsZ 48 (1984) 289, 300 f., und von A. Troller, Unfair Competition, S. 3, hervorgehoben. 89 11.3.1982, GRUR 1982, 495. 90 Vgl. jetzt auch OLG Hamburg 15.5.1986, GRUR Int. 1987, 105, 107 f. (IR/UVKombinationstrockner) . 91 Vgl. oben sub V. 2. (Fn. 73).

VII. Ort der wettbewerblichen Interessenkollision

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Schon das RG hatte in diesem Zusammenhang eine vorhersehbare Anknüpfung gefordert. In seiner Entscheidung vom 10.1.1936 92 wandte das RG deutsches Recht zu Lasten eines Prager Herstellers von Präservativen an, der in tschechischen, zum Teil deutschsprachigen Zeitungen geworben hatte. Seine Waren wurden zwar nicht in Deutschland vertrieben, aber das RG nahm einen Tatort überall dort an, wo das Presseerzeugnis verbreitet, Dritten zur Kenntnis gebracht worden war. Dabei machte das RG aber zwei Einschränkungen: Einmal könne von einem Verbreiten des Presseerzeugnisses nicht gesprochen werden, „wenn nur da u. dort einmal durch Dritte ein Stück oder eine Mehrzahl von Stücken der ausländischen Druckerzeugnisse über die Grenze gelangt." 93 Anders stehe es mit Zeitungen, die im regelmäßigen Geschäftsgang in das Ausland versandt würden. Zum anderen stellte das RG fest: „Mit einer derartigen Verbreitung in das gleichsprachige Nachbargebiet muß ein Aufgeber von Anzeigen jedenfalls bei hauptstädtischen Zeitungen, die in der Sprache einer starken örtlichen Minderheit u. des angrenzenden Stammlandes geschrieben sind, jederzeit rechnen." 94 Diese Rechtsprechung ist auch vom BGH mit der eingangs angefühlten Tampax-Entscheidung95 übernommen worden. Hatte das RG das erforderliche Wettbewerbsverhältnis noch in der Möglichkeit gefunden, daß die Hygieneartikel des Prager Herstellers von deutschen Touristen in der Tschechoslowakei (!) gekauft werden könnten 96 , so stellte der BGH dazu in der Tampax-Entscheidung fest, daß die Tampons von der Beklagten zwar nicht in der Bundesrepublik vertrieben wurden, daß aber die wettbewerbliche Position der deutschen Tampax GmbH gefördert worden sei, die die Vertriebsrechte im Gebiet der Bundesrepublik besitze. Auch bei Förderung fremden Wettbewerbs komme es auf den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision an, der dort belegen sei, wo die Interessen des geförderten Wettbewerbers mit denen des Mitwettbewerbers zusammenstießen. 97 Die wettbewerbliche Interessenkollision als maßgebliches Anknüpfungskriterium tritt auch bei der Diskussion um die Auslegung von § 24 Abs. 2 UWG zunehmend in den Vordergrund. 98 Ging man früher davon aus, daß dieser Gerichtsstand allein durch die tatsächliche Verbreitung einer Druckschrift begründet werden könne 99 , so wird jetzt ganz überwiegend angenommen, daß zusätzlich 92 GRUR 1936, 670 (Primeros). 93 Ibid. S. 676; vgl. auch Watson & Sons v. Daily Record (Glasgow), Limited [1907] 1 K. B. 853. 94 RG 10.1.1936, GRUR 1936, 670, 676 (Primeros). 95 Oben sub I. (Fn. 1). 96 RG 10.1.1936, GRUR 1936, 670, 677 (Primeros). 97 BGH 23.10.1970, GRUR 1971, 153, 154 (Tampax). 98 Ausführlich Stapenhorst, GRUR 1989, 176 ff. 99 OLG Düsseldorf 15.1.1971, GRUR 1971, 281; 27.10.1972, GRUR 1973, 324; so auch noch OLG Hamburg 22.10.1981, GRUR 1982, 174; OLG München 27.6.1984, GRUR 1984, 830, 831.

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

die Werbemaßnahme objektiv geeignet sein müsse, eine wettbewerbliche Wirkung zu entfalten. 100 Dies ist nach Ansicht des OLG Stuttgart noch nicht der Fall, wenn die Schweizer Zeitschrift, in der die Werbung stattfand, zwar mit 11 % der Gesamtauflage in das europäische Ausland und mit 400 Exemplaren in das deutsche Bundesgebiet gelangt, im Gerichtsbezirk aber nur der durch die beanstandete Anzeige Verletzte und der Begünstigte diese Zeitschrift beziehen.101 Ort der wettbewerblichen Interessenkollision als Anknüpfungspunkt und zusätzlich das Erfordernis der Vorhersehbarkeit grenzüberschreitender Wirkung der Werbung 102 gewährleisten demnach dem Schädiger auch bei im Ausland veranlaßten Wettbewerbsverletzungen mit Inlandsauswirkung Einflußnahmemöglichkeit auf das anwendbare Recht. b) Kollisionsrechtliche

Selbstbestimmung

Dennoch dürfte es auch bei Kumulation dieser beiden Kriterien gewisse Zweifelsfälle geben. Liegt im Inland eine wettbewerbliche Interessenkollision vor, dann müßte die Anwendbarkeit deutschen Rechts allein von der Vorhersehbarkeit der inländischen Wirkung einer im Ausland veranlaßten Wettbewerbsverletzung abhängen. Wie viele Druckschriftenexemplare sind jedoch erforderlich, damit man von einem „regelmäßigen Geschäftsverkehr", der sich vorhersehen ließe, sprechen kann? Fünfzig oder fünfhundert? Oder genügt doch schon ein einziges Exemplar? 103 Wie ist es, wenn die Werbung nicht durch Druckerzeugnisse, sondern durch Radio und Fernsehen verbreitet wird? Würde dann die Lösung in dem oben angeführten Beispiel von K. Troller „fraglich", wie dieser meint? 104 Soll es auf die Sprache ankommen?105 Reicht die Plakatwand im Fußballstadion

100 So bereits OLG Celle 17.5.1963, NJW 1963, 2131; weiterhin OLG Köln 29.9.1972, WRP 1972,590; OLG Düsseldorf 29.1.1981, BB 1981, 387; OLG Karlsruhe 28.7.1983, GRUR 1985, 556, 557; OLG München 2.4.1986, WRP 1986, 357, unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Ansicht; OLG Stuttgart 22.8.1986, WRP 1987, 136, 137; Baumbach / Hefermehl, § 24 Rn. 6 mit Nachw. zum Streitstand; v. Maitzahn, GRUR 1983,711,716 mit Nachw. in Fn. 34; Handb. WettbewerbsR / Seibt, § 65 Rn. 12. 101 OLG Stuttgart 22.8.1986, WRP 1987, 136, 137. Enger wieder KG 9.6.1988, GRUR 1989, 134, und OLG Frankfurt 11.11.1988, GRUR 1989,136, die aber immerhin auch „bestimmungsgemäße und nicht bloß zufällige" Verbreitung fordern. 102 Einen besonderen Vorhersehbarkeitstest enthält auch die Resolution v. 30.8.1983 des Institut de Droit international, Session de Cambridge 1983, Art. II. 1., AIDI 60-11 (1984), S. 294 ff., und das Memorandum von Vischer, AIDI 60-1 (1983), S. 130 f. Zur Vorhersehbarkeit als eigenständigem Kriterium im Rahmen der Zuständigkeit nach § 24 Abs. 2 UWG vgl. OLG Düsseldorf 29.1.1981, BB 1981, 387; dagegen aber z. B. v. Maitzahn, GRUR 1983, 711, 717, und Mook, S. 58. 103 Dafür obiter OLG Hamburg 15.5.1986, GRUR Int. 1987, 105, 107 (IR/UVKombinationstrockner), und Sasse, S. 83/84, der zu Recht betont, daß der eigentliche Grund für das Erfordernis des „Verbreitens von Druckschriften im regelmäßigen Geschäftsgang" nichts anderes als eben das Vorhersehbarkeitsprinzip ist. 104 K. Troller, S. 138.

VII. Ort der wettbewerblichen Interessenkollision

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von Mexico City, die von der deutschen Kamera eingefangen wird? 1 0 6 Oder genügt der Zeppelin, der zwar jenseits der deutschen Grenze, dennoch auch von Deutschland aus gut sichtbar Rabattgewährungen verkündet, die nach deutschem Recht unzulässig wären? 107 Muß der Wettbewerber mit Touristen rechnen, die von seiner Werbung im Ausland Kenntnis nehmen und daraufhin ihr Konsumverhalten ändern? Optimale Verwirklichung fände der Zurechnungsgedanke in solchen Fällen nur, wenn man auf die Zielrichtung der Wettbewerbshandlung abstellte. Dies ist denn auch der Ausgangspunkt von Deutsch. Er hält das Bedürfnis nach einem vorhersehbaren Statut im Wettbewerbsrecht für noch dringender als im Vertragsrecht 108 und stellt deshalb auf die „Gerichtetheit des Wettbewerbsverhaltens" ab 1 0 9 , dem er jeweils den Schutzzweck einer materiellen Wettbewerbsrechtsnorm zuordnet. Damit erreicht er sein Ziel, ein den Beteiligten vor Setzung ihres Verhaltens erkennbares Wettbewerbsstatut. 110 Allerdings dürften über den Schutzzweck einzelner Sachnormen bisweilen große Meinungsverschiedenheiten herrschen, häufig auch mehrere verschiedene Schutzadressaten existieren. Deshalb hat sich die Zielrichtung der Wettbewerbshandlung als alleiniges Anknüpfungskriterium bislang nicht weiter etablieren können. 111 Der Ansatz von Deutsch weist dennoch in die richtige Richtung. Denn er impliziert, daß es dem Wettbewerber möglich sein muß, das anwendbare Recht selbst zu bestimmen. Daß das Vorhersehbarkeitskriterium allein nicht zu allseits befriedigender Verteilung des Rechtsanwendungsrisikos beitragen kann, macht besonders deutlich eine Fallkonstellation, wie sie z. B. in der Tampax-Entscheidung des BGH gegeben war 1 1 2 : Hier hätte die Beklagte die Anwendbarkeit deutschen Rechts letztlich nur unter Inkaufnahme beträchtlicher Nachteile auf dem Schweizer Markt vermeiden können. Denn wenn sie dort Konkurrenten gegenüberstand, die sich ausschließlich auf den Schweizer Markt beschränkten, hätten diese eine ähnliche Werbung durchaus in deutschsprachigen, auch in Deutschland vertriebenen Zeitschriften veranstalten können, während die Beklagte daran mit Rücksicht auf den deutschen Markt und ihr dortiges Wettbe werbsinter105 Dieses Kriterium wird herausgestellt von Hoth, GRUR Int. 1972, 449, 453 ff.; vgl. auch Deutsch, Wettbewerbstatbestände, S. 54/55; Reuter, WB1. 1988 (Beiheft Juli 1988), 271,274; Sack, GRUR Int. 1988,320,328 mit Nachw. in Fn. 103; Sasse, S. 153 ff. 106 Beispiel bei Hoth, GRUR Int. 1972, 449, und bei Sasse, S. 1. 107 Beispiel bei Sasse, S. 2. los Deutsch, Wettbewerbstatbestände, S. 40. 109 Ibid. S. 45 ff. ho Ibid. S. 42; derselbe, JZ 1971, 732, 733. in Vgl. die Kritik bei Baumbach / Hefermehl, Einl UWG Rn. 183; Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 273; Mook, S. 46 f.; W. Weber, GRUR Int. 1983, 26, 28; vgl. auch schon Knopp, AWD 1962, 183, 184, und Wimer, S. 108 f. ii2 Zum Folgenden ausführlicher Mook, S. 61 f., der auch auf Wengler, RabelsZ 19 (1954) 401, 422, verweist.

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

esse gehindert wäre. In jedem Fall also würde die „par conditio concurrentium", sei es in der Schweiz, sei es in Deutschland, verletzt. Ein Ausweg wäre nur dann denkbar, wenn es der Beklagten möglich wäre, ihre Werbemittel für den deutschen und den Schweizer Markt unterschiedlich zu gestalten, etwa durch eine Beilage, die bei Versendung der Druckschrift nach Deutschland herausgenommen werden könnte. 113 Dies dürfte aber schon aus technischen Gründen nicht immer möglich sein. 114 Da aber natürlich die Verbreitung der Zeitschriften sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland für die Beklagte „vorhersehbar" war, muß das kollisionsrechtliche Abgrenzungskriterium in etwas anderem als einem lediglich kognitiven Erkenntnisakt bestehen. Entscheidend dürfte eine kollisionsrechtliche Zurechnung sein, die neben diesem Erkenntnisakt auch spezielle, auf den jeweiligen Rechtsbereich zugeschnittene normative Zumutbarkeitserwägungen mitumfaßt. In diesem Rahmen erscheint das kollisionsrechtliche Selbstbestimmungsprinzip besonders relevant: Es muß demjenigen, der sich im Rahmen der von einer nationalen Rechtsordnung konzipierten Wettbewerbsordnung bewegt, also lediglich „national" handelt, grundsätzlich möglich sein, sein Verhalten so auszurichten, daß auch nur diese Rechtsordnung Anwendung findet. 115 Es muß möglich sein, im österreichischen oder schweizerischen Rundfunk nach dortigem Recht zulässige Werbung zu betreiben, ohne Gefahr zu laufen, dafür den Sanktionen des in vielerlei Hinsicht strengeren deutschen Wettbewerbsrechts zu unterliegen. 1 1 6 So hat das Handelsgericht Zürich denn auch ausdrücklich festgestellt, es bestehe aus schweizerischer Sicht „ein Interesse daran, daß eine derartige Werbung betrieben werden kann und nicht deshalb auf sie verzichtet werden muß, weil ein für die Schweiz bestimmtes Inserat möglicherweise ins Ausland gelangt." 117 Genauso heißt es in dem schwedischen Regierungsvorschlag zum Gesetz über unlautere Vertriebsmaßnahmen von 1970, es dürfe „nicht möglich sein, gegen eine Annonce in einer ausländischen Zeitschrift einzuschreiten, die primär für die Verbreitung in anderen Ländern vorgesehen ist, selbst wenn gewisse Exemplare der Zeitschrift auch hier erhältlich sind." 118 Auch für die Anwendbarkeit englischen Wettbewerbsrechts genügt es nicht, daß die Werbung in Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen nur unbeabsichtigt und vereinzelt ins Inland gelang-

113 Dies war ein Argument in BG 15.11.1966, BGE 92 II 257, 267 (Sihl / Silbond); vgl. auch LG Mannheim 10.11.1967, WRP 1968, 121, 123 (Tannenzeichen). 114 Vgl. auch Handb. AusstattungsR / Katzenberger, S. 332/333. Iis Diesen Ansatz läßt bereits die Hengstenberg-Entscheidung des RG erkennen, vgl. dazu oben das Zitat sub III. bei Fn. 26. 116 Für dieses Grundprinzip sprechen sich auch Befürworter einer expansiven Anwendung inländischen Wettbewerbsrechts aus, vgl. z. B. Hoth, GRUR Int. 1972, 449, 454/ 455, der in seinem Beispiel, das sich auf die deutsch-holländische Grenze bezieht, allerdings die Bedeutung der Fremdsprache hervorhebt. 117 Handelsgericht Zürich 22.4.1966, SJZ 1967, 145, 146 (Vorinstanz zu BG 15.11.1966). Iis Wiedergegeben bei Kur, GRUR Int. 1989, 368, 379.

VII. Ort der wettbewerblichen Interessenkollision

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te. 1 1 9 Kurzum: Zur Bestimmbarkeit des einen Rechts gehört die Vermeidbarkeit eines anderen Rechts. 120 Hier allerdings entstehen schwierige Abgrenzungsfragen. Es erweist sich, daß die eigentliche kollisionsrechtliche Problematik in der Zurechnungsfrage besteht. Soll dem ausländischen Wettbewerber, der auch auf dem deutschen Markt wettbewerbliche Interessen verfolgt, jede inländische Wirkung einer im Ausland veranlaßten Werbemaßnahme kollisionsrechtlich zugerechnet werden, nur weil sie ihm vielleicht willkommen ist? Soll es genügen, daß die Nähe zu einer anderen Rechtsordnung und das damit verbundene Rechtsanwendungsrisiko durch Dritte, etwa durch Touristen hergestellt wird, auf deren Verhalten der Wettbewerber in dieser Hinsicht keinen Einfluß nehmen kann? Wohl eher nicht. 121 Anders kann es liegen, wenn der Wettbewerber eine Wirkung auf Touristen eines bestimmten Landes gerade beabsichtigt oder sich gezielt solcher Werbeträger bedient, die den Sachverhalt zwangsläufig international werden lassen. In diesen Fallkonstellationen könnte die Zielrichtung des Wettbewerbsverhaltens zur Konkretisierung des Ortes der wettbewerblichen Interessenkollision durchaus beitragen. 122 Das Max-Planck-Institut in München erwägt denn auch eine Art „kollisionsrechtlicher Spürbarkeitsgrenze", die deutsches Wettbewerbsrecht nur bei „erheblichen" oder „gezielten" Inlandsauswirkungen eingreifen ließe. 123 Baudenbacher meint, „die Vorhersehbarkeit wird schon deshalb zu berücksichtigen sein, weil man einen Inserenten nicht nach dem Recht eines Staates verantwortlich machen darf, dessen Anwendbarkeit er nicht einkalkulieren konnte." 124 Vorhersehbarkeit allein reiche aber noch nicht. Darüber hinausgehend schlägt der Autor eine „Interessenabwägung auf kollisionsrechtlicher Ebene" vor. Neben der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Rechts und dem Wettbewerbsinteresse des Beklagten solle dort auch

Zu der einschlägigen Bestimmung des Financial Services Act vgl. Boyle, WRP 1990, 159, 165. 120 Vgl. oben 1. Kapitel sub IV. und VII. 121 Vgl. K. Troller, S. 138, zu dem oben sub 1. (bei Fn. 84) wiedergegebenen Beispiel; Mook, S. 62; Sasse, S. 70; a. A. Hoth, GRUR Int. 1972, 449, 452 f. 122 Vgl. Deutsch, JZ 1971, 732, 733; Hdb. WettbewerbsR / Wilde, § 6 Rn. 36, 37; A. Troller, Unfair Competition, S. 17. Mook, S. 63 f. und S. 68 f., stellt ebenfalls auf eine solche Zielrichtung ab, von der er einen „bloßen Reflex" auf dem Inlandsmarkt unterscheidet. Vgl. weiterhin OLG Karlsruhe 28.7.1983, GRUR 1985, 556, 558, zur örtlichen Zuständigkeit im Rahmen von § 24 Abs. 2 UWG. Das Kriterium der Zielrichtung wird natürlich unbrauchbar, wenn man, wie einmal das OLG München (27.6.1984, GRUR 1984, 830, 831), annimmt, daß sich eine Wettbewerbsabsicht „ohne weiteres" auf jeden Ort erstrecke, an dem eine Druckschrift verbreitet wird. 123 Beier/Schricker/Ulmer, GRUR Int. 1985, 104, 108; genauso Regelmann, S. 151 f.; ähnlich Reuter, WB1. 1988 (Beiheft Juli 1988), 271, 274, der „Entscheidungsvorhersehbarkeit" als ein wichtiges Ziel des internationalen Wettbewerbsrechts herausstellt. Schricker, GRUR Int. 1982, 720, 724, rechnet zu der „kollisionsrechtlichen Spürbarkeit" aber gerade nicht die „Vorhersehbarkeit". Vgl. ausführlicher zu dem Spürbarkeitskriterium auch Sack, GRUR Int. 1988, 320, 328 f. 124 GRUR Int. 1988, 310, 319.

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3. Kap.: Wettbewerbserletzungen

berücksichtigt werden, welche Einflußnahmemöglichkeiten der Beklagte auf die Verbreitung der Werbung hatte und welche Mittel ihm dabei zumutbar waren. 125 Und auch dem BGH scheint es nicht zu genügen, daß lediglich irgendeine Auswirkung der ausländischen Werbemaßnahme im Inland festzustellen ist. Er stützt in der Tampax-Entscheidung die kollisionsrechtliche Zurechnung und die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf die Tatsache, daß „die Beklagte die Förderung des Wettbewerbs der Deutschen Tampax GmbH bewußt in ihre Eigenwerbung einbezogen und damit auch die Folge auf sich genommen hat, ihre Werbung auf dem Gebiet der Bundesrepublik werde für dieses Gebiet nach deutschem Recht beurteilt." 126 Trotz der rechtlichen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der Beklagten und der deutschen Tampax GmbH könne davon ausgegangen werden, daß die Förderung der deutschen Tampax GmbH zumindest als Nebenzweck „beabsichtigt" gewesen sei. 127 Damit ist als letztlich entscheidendes Zurechnungskriterium weniger Vorhersehbarkeit der grenzüberschreitenden Wirkung als vielmehr die Intention des Schädigers benannt. Er hat es in der Hand, das anwendbare Recht zu bestimmen.

V I I I . Zusammenfassung Kollisionsrechtliche Zurechenbarkeit des Statuts für den Wettbewerber, der im internationalen Wettbewerb nach ganz unterschiedlichen Kriterien der einzelnen Rechtsordnungen plötzlich zum „Täter" werden kann, stellt sich als grundlegende, allgemein anerkannte und praktisch in allen Anknüpfungsvorschlägen zum Ausdruck kommende Forderung dar. „Von den internationalprivatrechtlichen Interessen bzw. Anknüpfungsmaximen ist für das internationale Wettbewerbsrecht offensichtlich die Voraussehbarkeit der Anknüpfung (Anknüpfungssicherheit) für die Wettbewerber von größter Bedeutung." 128 Diese Voraussehbarkeit ist durch die Anknüpfung an den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision und die restriktive Rechtsprechung zur Anwendbarkeit gemeinsamen Heimatrechts praktisch vollständig erreicht. Mehr noch: Auch die Möglichkeit, das anwendbare Recht nicht nur als mehr oder weniger naheliegend zu antizipieren, sondern es durch eigenes Verhalten selbst zu bestimmen, ist weithin gegeben.

125 GRURInt. 1988, 310, 318 f. 126 BGH 23.10.1970, GRUR 1971, 153, 155 (Tampax). 127 Ibid. 128 Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 266.

Viertes Kapitel

Kollisionsrechtliche Zurechnung bei Kartelldelikten 1 I. Fall Aufgrund einer Vereinbarung der Bank of Montreal mit der amerikanischen Kreditkartengesellschaft Interbank Card Association kündigte die Kreditkartengesellschaft einen Ausschließlichkeitsvertrag mit der National Bank of Canada. Leonard B. Sand, District Judge, sah unter Anwendung des Timberlane-Tests2 hinreichende Auswirkungen dieser Maßnahme auf dem amerikanischen Markt und wandte den Sherman Act 3 an.4 Dagegen meinte der Court of Appeals: „ . . . the important question for us is whether the termination of appellant as a Master Charge Bank in Canada can bt foreseen to have any appreciable anticompetitive effect on the United States commerce. While we do not say that such effects could not occur, they do not appear from the record before us . . . we do not see that enforcement of the agreement posed a foreseeable threat to United States commerce of a type sufficient to justify assertion of jurisdiction/' 5

I I . Einführung § 98 Abs. 2 S. 1 GWB stellt das Auswirkungsprinzip als maßgeblichen Anknüpfungsgrundsatz für alle vom GWB erfaßten Wettbewerbsbeschränkungen 6 fest. Weitergehend wird es von einigen Autoren auch für alle anderen Wettbewerbsverletzungen vorgeschlagen.7 § 98 Abs. 2 S. 1 GWB ist einseitige8 Kolli1

Der Begriff Kartellrecht wird hier — wie oftmals üblich — in einem weiteren, auf alle Tatbestände des GWB bezogenen Sinne gedacht. 2 Timberlane Lumber Company v. Bank of America 549 F. 2d 597 (9th Cir. 1976). 3 15 U. S. C. A. 1 ff. 4 National Bank of Canada v. Interbank Card Association 507 F. Supp. 1113, 1119 f. (D. S.D. N.Y. 1980). s Timbers, Circuit Judge, in: National Bank of Canada v. Interbank Card Association 666 F. 2d 6, 9 (2d Cir. 1981). Hervorhebungen vom Verf. 6 Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung in § 98 Abs. 2 S. 1 GWB hat keinen eigenständigen materiellen Inhalt, ist vielmehr nur Oberbegriff für alle Einzeltatbestände des GWB, vgl. BGH 29.5.1979, BGHZ 74, 322, 324 (Organische Pigmente); auch im Schrifttum einhellige Meinung, vgl. für alle: Immenga / Mestmäcker / Rehbinder, § 98 Abs. 2 Rn. 11 mit weiteren Nachw. 7 So bereits Wengler, RabelsZ 19 (1954) 401,416 f.; vgl. auch Bussmann, in: Eranion Maridakis, S. 172; Fikentscher, S. 816; Luchterhandt, S. 76; Regelmann, S. 129 f. Das

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4. Kap.: Kartelldelikte

sionsnorm des Privatrechts und öffentlichrechtliche Sachnorm. 9 Das Auswirkungsprinzip gilt als sinnvoll 10 , sachgerecht11 und ist weit verbreitet: Es stammt aus den USA 1 2 , gilt in Frankreich 13, in der Schweiz 14 , in Skandinavien15, in Österreich 16 , ist ein Grundsatz des EG-Kartellrechts 17, und auch der sog. RBP-Kodex der Vereinten Nationen sieht es als Anknüpfungsgrundsatz vor. 18 Nur: Vorhersehbar ist das mit seiner Hilfe gefundene Recht nicht unbedingt. Dafür ist der Begriff „Auswirkung" viel zu allgemein, viel zu weit gefaßt, kurz: uferlos 19 . Wird, wie in dem vielzitierten Beispiel von Würdinger, preiskartellierte Ware von Südamerika nach London geliefert und von dort unter Zugrundelegung des Kartellpreises nach Deutschland weiterverkauft 20, so lassen sich Wirkungen öst. IPRG stellt in § 48 Abs. 2 auf das Recht des Staates ab, auf dessen Markt sich der Wettbewerb auswirkt. Der OGH 8.7.1980, GRUR Int. 1981,401,402, sieht darin keinen Unterschied zur Anknüpfung an den Ort der wettbewerblichen Interessenkollision. Der deutsche Rat für IPR, S. 19, hat sich für den Ort der Markteinwirkung entschieden. s MünchKomm / Immenga, Nach Art. 37 Rn. 15 mit weiteren Nachw.; den Ausbau zu allseitiger Kollisionsnorm befürworten z. B. Bär, Martinek, Immenga / Mestmäcker / Rehbinder, § 98 Abs. 2 Rn. 270 ff. 9 Zur Verzahnung von öffentlichem Recht und Privatrecht in § 98 Abs. 2 GWB vgl. Chr. v. Bar, FS Ferid 80, S. 14 f. und passim. MünchKomm / Immenga, Nach Art. 37 Rn. 25 f.; vgl. weiterhin Immenga / Mestmäcker / Rehbinder, § 98 Abs. 2 Rn. 39 mit weiteren Nachw.; zur Theorie der sinnvollen Anknüpfung als völkerrechtlichem Zuständigkeitsgrundsatz vgl. Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 101 ff., und Immenga / Mestmäcker / Rehbinder, §98 Abs. 2 Rn. 27 ff. mit weiteren Nachw. Handb. WettbewerbsR / Wilde, § 8 Rn. 4. 12 United States v. Aluminium Co. of America 148 F. 2d 416 (2d Cir. 1945); zu diesem berühmten, immer wieder zitierten Alcoa-Fall vgl. für alle Schwartz, S. 109 ff. 13 Vgl. Canenbley, S. 9; Schlußanträge des Generalanwaltes Henri Mayras vom 2.5.1972 in EuGH 14.7.1972, Slg. 1972, 619, 667, 695 (ICI); Goldmann, Ree. des Cours 128 (1969 III) 631, 669. 14 BG 21.3.1967, BGE 93 II 192, 196; genauso zum Kartellgesetz vom 1.7.1986: Schmidhauser, WuR 1986, 361, 365 f. 15 Nachweise bei Kevekordes, S. 82, der Regelungen noch weiterer Staaten zusammengetragen hat, vornehmlich allerdings unter dem Gesichtspunkt der kollisionsrechtlichen Regelung der Zusammenschlußkontrolle. 16 § 6 Abs. 1 Bundesgesetz vom 19. Oktober 1988 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen, öst. BGBl. 1988, 600; abgedruckt z. B. in GRUR Int. 1989, 537. 17 EuGH 27.9.1988, NJW 1988, 3086 (Zellstoff); 25. 11.1971, Slg. 1971, 949, 959 f. (BSguelin); Langen / Niederleithinger / Ritter / Schmidt, § 98 Rn. EG 69; Gleiss / Hirsch, Einleitung, Rn. 38 ff.; Immenga, in: Internationales Privatrecht — Internationales Wirtschaftsrecht, S. 204; Kevekordes, S. 63 mit weiteren Nachw. 18 The Set of Multilaterally Agreed Equitable Principles for the Control of Restrictive Business Practices (UN-Dok. TD/RBP/Conf. 10, Rev. 1, Resolution 35/63, Dec. 5, 1980; UN. Sales Publ. No. E 81. II. D 5.), Abschnitt E Nr. 2; der Kodex ist abgedruckt in 19 I. L. M. 813 ff. (1980), in WuW 1982, 32 ff. und bei Nebel, Anhang II, S. 152 ff. Zahlreiche Schrifttumsnachweise dazu bei Nebel passim, bei Kevekordes, S. 16 Fn. 12, und bei Martinek, S. 69 Fn. 238. 19 Vgl. BGH 12.7.1973, BGHSt 25, 208, 212 (Ölfeldrohre); 29.5.1979, BGHZ 74, 322, 324 (Organische Pigmente).

II. Einführung

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des Kartells auf dem deutschen Inlandsmarkt nicht leugnen. Ob die südamerikanischen Unternehmen diese Wirkung auf dem deutschen Markt vorhersehen konnten, fragt das Auswirkungsprinzip nicht. Es fordert grundsätzlich die Berücksichtigung deutschen Rechts von jedermann an jedem Ort. Auswirkungen im Geltungsbereich des GWB können sich schließlich immer ergeben. Wenn eine Anknüpfungsregel dem Schädiger keine Bestimmbarkeit des anwendbaren Rechts gewährleistet, muß diese explizit eingefordert werden, lautet eine Hypothese dieser Untersuchung. 21 Die kollisionsrechtliche Behandlung von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen bietet dafür einen Anwendungsfall 22 : Mit zahlreichen Einschränkungen versucht man, das Auswirkungsprinzip als Kollisionsregel von potentiell „barbarischer Maßlosigkeit" 23 im Zaume zu halten. Eine völlige Aufgabe des Auswirkungsprinzips kann dabei allerdings nicht in Betracht kommen. 24 Angesichts der klaren Entscheidung des § 98 Abs. 2 S. 1 GWB muß man diesen Anknüpfungspunkt vielmehr hinnehmen und durch Einführung zusätzlicher Kriterien Anknüpfungssicherheit gesondert normieren. 25 Dieser Weg wird in Rechtsprechung und Schrifttum denn auch beschritten: „Eine Eingrenzung und Konkretisierung des Begriffs der Inlandsauswirkung ist aber erforderlich, um angesichts der Vielfalt denkbarer Rückwirkungen ausländischer Wettbewerbsbeschränkungen auf den Inlandsmarkt eine uferlose Ausdehnung des internationalen Anwendungsbereiches der Sachnormen des GWB zu verhindern. Das ist schon im Interesse der Praktikabilität und Justiziabilität des § 98 Abs. 2 GWB, wozu im vorliegenden Falle noch das auf Art. 103 Abs. 2 GG beruhende Erfordernis der Bestimmtheit strafrechtlicher Tatbestände kommt, notwendig." 26 Die Operationalisierung des Auswirkungsprinzips erfordert also auch die Restitution des kollisionsrechtlichen Zurechnungsgedankens.

20 WuW 1960, 313, 315; das Beispiel hat mittlerweile im Schrifttum verschiedene Formen angenommen, oft wird ein südafrikanisches Preiskartell zitiert, das in die Schweiz liefere. 21 Vgl. oben 1. Kapitel sub VIII. 5. Vgl. auch Basedow, RabelsZ 52 (1988) 8, 24: Als „Quelle der Rechtsunsicherheit" muß das Auswirkungsprinzip in einzelne, als „Konditionalprogramme" ausgestaltete Kollisionsnormen aufgelöst werden, die den Beteiligten angeben, ob deutsches Recht anwendbar ist oder nicht. 22 Ein anderes Beispiel kann in dem Anknüpfungsvorschlag von E. Lorenz für Schiffsund Flugzeugzusammenstöße gesehen werden, vgl. oben 2. Kapitel sub III. 2. d) ff). 23 Huber, ZGR 1981, 510, 539. 24- Grundsätzlich gegen das Auswirkungsprinzip etwa Mann, Ree. des Cours 111 (1964 I) 9, 111. 25 Für vom GWB nicht erfaßte Wettbewerbsverletzungen wird das Auswirkungsprinzip allerdings oft grundsätzlich wegen mangelnder Anknüpfungssicherheit verworfen, vgl. z. B. Kreuzer, Deutscher Rat für IPR, S. 271, und Sasse, S. 61. 26 BGH 12.7.1973, BGHSt 25, 208, 212 (Ölfeldrohre).

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4. Kap.: Kartelldelikte

I I I . Begrenzungen des Auswirkungsprinzips 1. Spürbare Auswirkungen Verbreitet ist die Forderung nach „spürbaren" Inlandsauswirkungen. 27 Amerikanische Gerichtsentscheidungen verlangen zum Teil einen „substantial effect". 28 Manche sprechen von „beträchtlichen" 29 , „erheblichen" 30 , „wesentlichen" 31 Auswirkungen oder von „ernsthaften" Störungen der inländischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. 32 Zumeist werden Einschränkungen dieser Art aus völkerrechtlichen Erwägungen vorgenommen: Das Auswirkungsprinzip gewährleiste zwar umfassenden Schutz der heimischen Wettbewerbsordnung, erfordere aber wegen des von der internationalen Staatengemeinschaft dafür abverlangten Opfers eine restriktive Interpretation, die eine gewisse Mindestbetroffenheit des regelnden Staates voraussetze. 33 „Spürbarkeit" als einschränkendes Kriterium des Auswirkungsprinzips unterstützt aber ebenso kollisionsrechtliche Interessen der einzelnen Unternehmen. Entwickelt wurde der Begriff im Rahmen von § 1 GWB. 3 4 Hier dient er unter anderem auch dazu, Unklarheiten im Grenzbereich von § 1 GWB vermeiden zu 27 BGH 29.5.1979, BGHZ 74,322,327 (Organische Pigmente); KG 5.4.1978, WuW / E OLG 1993,1996/1997 (Organische Pigmente); 20.2.1979, WuW / E OLG 2106,2107 (Straßenbaugeräte); BKartA, TB 1963, 69 =