Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht 9783161550188, 9783161556296, 3161550188

Wer hat einen entstandenen Schaden zu tragen? Dies ist die zentrale Frage des Haftungsrechts. Conrad Waldkirch untersuch

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Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht
 9783161550188, 9783161556296, 3161550188

Table of contents :
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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einführung
I. Hintergrund und Ziel der Untersuchung
II. Stand der Forschung
III. Gang der Darstellung
Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht
§ 1 Bedarf für eine juristische Erfassung des Zufalls
I. Zufall – eine ambivalente Erscheinung
II. Der Zufall als gesellschaftliches Phänomen
1. Der Zufall als Unsicherheitsfaktor im Leben
2. Realität oder Illusion?
3. Der Zufall als Gestaltungsaufgabe
III. Zufall und Recht
IV. Erscheinungsformen des Zufalls im Zivilrecht
1. Der Zufall als Gegenstand gesetzlicher Regelung
2. Der Zufall in Argumentation und Methodik
3. Der Zufall als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal
V. Zufall, Haftung und Risikozuweisung
VI. Staat und Versicherung als Schutz vor Zufallsrisiken
§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“
I. Vom Fluch der Götter zum blinden Walten des Zufalls
II. Das griechischen Recht als Quelle des Verschuldensprinzips und des Zufalls
1. Die beginnende Abkehr von der reinen Erfolgshaftung durch Drakon
2. Der Zufall in den solonischen Kodifikationen – Antiphon
3. Der Zufall als etablierte Rechtsfigur
III. Der Zufall im römischen Recht
1. Zwölftafelgesetz und frühe Republik
2. Der Zufall als neue Rechtsfigur in der vorklassischen und klassischen Jurisprudenz
3. Zufall und Verantwortung im Corpus Iuris Civilis
§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht
I. Der Begriff des Zufalls im Haftungsrecht
1. Zufall und Kausalität
2. Zufall und Zurechnung
a. Max Rümelin
b. Der Stand der Diskussion
c. Die Kritik an der herrschenden Meinung
aa. Der vermeintlich zu vertretende Zufall in § 287 S. 2 BGB
bb. Gefahrtragung und Vertretenmüssen
cc. Zwischenergebnis
d. Genese des bürgerlich-rechtlichen Zufallsbegriffs
aa. Unterschiedliche Begriffsbildung im Haftungs- und Gefahrtragungsrecht
bb. Zweifel an der haftungsrechtlichen Begriffsbildung wegen §§ 649, 623 E I
cc. Weitere systematische Bedenken gegen eine getrennte Begriffsbildung
dd. Keine Vorgaben für die heutige Begriffsbildung
e. Argumente für eine antithetische Verbindung von Zufall und Zurechnung
aa. Begriffliche Rahmenbedingungen
bb. Haftungssystematische Vorgaben
f. Ergebnis
II. Die Ambivalenz des juristischen Zufallsbegriffs
1. Vertretenmüssen und Zufall
2. Die Relativität des Zufalls
a. Die interpersonelle Relativität des Zufalls
b. Die Relativität infolge der Negativität des Zufalls
aa. Die funktionelle Relativität des Zufalls
bb. Die zurechnungssystematische Relativität des Zufalls
c. Die institutionelle Relativität
d. Ergebnis
III. Die Bedeutung des Zufallsbegriffs
Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien
§ 4 Theoretische Grundlagen der Zurechnung
I. Die Zurechnung
1. Haftungsrechtliche Verantwortung
2. Verantwortungsbegründung jenseits des Willens
3. Grenzen der Zurechnung
II. Grundlagen der Haftung: Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip
III. Rechtsprinzipien und Zurechnungsprinzipien
1. Die Rechtsprinzipien
a. Prinzipien als relative Sollensgebote
b. Kollisionsverhalten von Prinzipien
c. Abgrenzung von Wertprinzipien und Strukturprinzipien
d. Bindungswirkung der Prinzipien für die Regelungsebene
2. Die Zurechnungsprinzipien
a. Die Rechtsnatur der Zurechnungsprinzipien
b. Die Wertungsgrundlagen der Verschuldenszurechnung
aa. Selbstverantwortungsprinzip und Selbstbestimmungsprinzip
bb. Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil
cc. Prinzip des Güterschutzes
dd. Vertrauensprinzip
c. Wirkung der Prinzipienabwägung am Beispiel der Verschuldenszurechnung
IV. Zusammenfassung
§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung
I. Das Verschuldensprinzip als Zurechnungsprinzip
II. Das Risikoprinzip als Zurechnungsprinzip
1. Theoretische Grundlagen
2. Struktur der Risikozurechnung
3. Risikoprinzip und Rechtswidrigkeit
a. Beurteilung des abstrakten Risikos
b. Beurteilung des Eingriffs
c. Zwischenergebnis
4. Grenzen der Risikozurechnung – höhere Gewalt
a. Grund des Zurechnungsausschlusses
aa. Zuordnung zu höheren Sphären?
bb. Rückführbarkeit des Erfolgs auf den Willen
cc. Prinzip der Gefahrbeherrschung und Betriebsfremdheit .
b. Inhalt der höheren Gewalt
aa. Alternativitätsthese
bb. Außergewöhnlichkeit und Unabwendbarkeit
cc. Objektiv-risikoorientierte Betrachtung
c. Ergebnis
III. Das Begünstigtenprinzip als Zurechnungsprinzip
1. Das äußere System der Aufopferungshaftung
a. Die Tatbestände der Aufopferungshaftung
b. Die faktischen Duldungszwänge
2. Das Meinungsspektrum zum Verhältnis von Aufopferungshaftung und Begünstigtenprinzip
3. Stellungnahme
4. Ergebnis
IV. Die Billigkeitshaftung
1. Die Problematik der systematischen Einordnung
2. Ergänzende Defizite der an die Erfolgsverantwortlichkeit anknüpfenden Ansätze
3. Schadensverteilung aus Billigkeit
4. Anwendungsbereich der Billigkeitshaftung
5. Ergebnis
V. Veranlassungsprinzip und Verursachungsprinzip
§ 6 Casum sentit dominus – ein eigenständiges Zurechnungsprinzip?
I. Historische Beurteilung
II. Die Diskussion unter dem BGB
1. Die Qualifikation als Zurechnungsprinzip
2. Die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko
3. Casum sentit dominus als § 254 BGB legitimierendes Rechtsprinzip
4. Die Gegner der Qualifikation als Zurechnungsprinzip
III. Die Eignung zum Zurechnungsprinzip
1. Die Zurechnung zufälliger Beeinträchtigungen
2. Ein Zurechnungswertprinzip?
a. Kein casus in casum sentit dominus
b. Das Fehlen einer tragenden Wertung
3. Ergebnis
Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip
§ 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung
I. Die Stellung des Verschuldensprinzips
1. Das Verschuldensprinzip als Leitprinzip im deutschen Recht
2. Ein vergleichender Blick auf andere Rechtsordnungen
3. Ergebnis
II. Die Legitimität der Verantwortungszuweisung
1. Die Verschuldenszurechnung als Gebot unserer Privatrechtsordnung
2. Die Alternativlosigkeit des Verschuldensprinzips als Leitbild
III. Die Rechtfertigung der Risikozuweisung des Verschuldensprinzips
1. Einige Vorüberlegungen
2. Ökonomische Analyse der Zuweisung des Zufallsrisikos
a. Rechtsökonomische Grundlagen
b. Schadensprävention
aa. Schädigung anderer
bb. Umgang mit den eigenen Rechtsgütern
cc. Zwischenergebnis
c. Folgenallokation
aa. Die Ansätze der Folgenallokation
bb. Der superior risk bearer
cc. Der cheapest insurer
dd. Zwischenergebnis
d. Reduktion tertiärer Kosten
e. Ergebnis
3. Die Risikozuweisung als Ausdruck von Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne
a. Der Beurteilungsmaßstab
b. Der Gerechtigkeitsgehalt der Risikozuweisung
aa. Die Verbindung von Rechtsträgerschaft und Zufallsrisiko
bb. Die Risikozuweisung durch das Verschulden
c. Ergebnis
§ 8 Abkehr vom Verschulden?
I. Die objektive Fahrlässigkeit – Zufallshaftung und schreiende Ungerechtigkeit?
1. Bedenken gegen ein objektives „Verschulden“
2. Objektive Fahrlässigkeit ist zivilrechtliches Verschulden
a. Der Zweck des Verschuldens im Straf- und Zivilrecht
b. Das Vertrauensprinzip als Grund der Objektivität
3. Ergebnis
II. Die Verkehrspflichten – Risiko- und Zufallshaftung?
1. Die Verkehrspflichten im System des Deliktsrechts
2. Das Verhältnis von Verkehrspflichten und Verschulden
a. Das Konzept der zweischichtigen Sorgfalt
b. Die Identitätsthese
c. Die Verkehrspflichten als Garantiepflichten
d. Zwischenergebnis
3. Die Handhabung der Verkehrspflichten durch die Rechtsprechung
4. Ergebnis
Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall
§ 9 Die Schadens- und Folgenzurechnung
I. Das Risikoprinzip als maßgebliches Zurechnungsprinzip
1. Das Prinzip des Totalersatzes
2. Die Schadenszurechnung als Zurechnung nach dem Risikoprinzip
3. Risikozurechnung und Totalersatz
II. Die Konkretisierungsbedürftigkeit der Schadenszurechnung
III. Ergebnis
§ 10 Die allgemeinen Zurechnungskriterien
I. Grundlagen der Zurechnungskonkretisierung
II. Die Adäquanztheorie
1. Grundlage der Adäquanztheorie
2. Das foreseeability-Kriterium auf europäischer Ebene
3. Die Entbehrlichkeit des Adäquanzkriteriums
a. Entbehrlichkeit in der Haftungsbegründung
b. Unanwendbarkeit in der Haftungsausfüllung
c. Von der Wahrscheinlichkeit zum teleologischen Gefahrzusammenhang zur Irrelevanz
d. Ergebnis
III. Die Schutzzwecktheorie
1. Zweifel an der Schutzzwecktheorie
a. Die Anwendbarkeit der Schutzzwecktheorie
b. Eignung zur Konkretisierung der Zurechnung
aa. Haftungsbegründende Zurechnung
bb. Haftungsausfüllende Zurechnung
2. Der Schutzzweck von Verhaltensgeboten
a. Konkrete Verhaltensgebote
aa. Herleitung aus der Gefährdung ex ante und Bewertung des Verhaltens ex post
bb. Der Gefährdungsgrad in der haftungsbegründenden Zurechnung
cc. Der Gefährdungsgrad in Haftungsausfüllung
b. Abstrakte Verhaltensgebote
aa. Haftungsbegründende Zurechnung
bb. Haftungsausfüllende Zurechnung
c. Spezielle Zurechnungskriterien als Produkt der Schutzzwecktheorie
3. Ergebnis
IV. Das allgemeine Lebensrisiko
1. Inhalt der Lehre
2. Die Entbehrlichkeit des allgemeinen Lebensrisikos
a. Inhaltsleere des allgemeinen Lebensrisikos
b. Fehlende Eigenständigkeit des Kriteriums
3. Ergebnis
§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien
I. Zurechnungskonkretisierung und ergänzende Zurechnungskriterien
II. Zurechnungskriterien und -formeln im Verschuldensprinzip
1. Die besondere Verletzlichkeit des Betroffenen
a. Defizite des gegenwärtigen Lösungsansatzes
b. Grenzen der haftungsbegründenden Zurechnung
aa. Die grundsätzliche Irrelevanz besonderer Verletzlichkeit
(1.) Die allseitige Objektivität von Sorgfaltspflichten
(2.) Verankerung im Vertrauensprinzip
bb. Zurechnungsbegründende Wirkung besonderer Verletzlichkeit
cc. Abgrenzung bei abstrakt sorgfaltswidrigem Verhalten
c. Haftungsausfüllung und insbesondere Folgenzurechnung
d. Ergebnis
2. Schockschäden
a. Schockschäden als Zurechnungsproblem
b. Die Schockschadensformel
aa. Die personelle Beschränkung des Schutzbereichs
bb. Die Schwere der Beeinträchtigung
cc. Das Verständlichkeitskriterium als einzig konstitutives Zurechnungskriterium
c. Die Verständlichkeit der Reaktion
aa. Die Funktion des Verständlichkeitskriteriums
bb. Ausfüllung des Verständlichkeitskriteriums
d. Zurechnung nicht verständlicher Reaktionen
e. Genereller Ausschluss der Zurechnung von Schockschäden?
f. Ergebnis
3. Psychisch vermittelte Kausalität
a. Psychisch vermittelte Kausalität als Zurechnungsproblem
b. Die Herausforderungsformel
aa. Die überwiegend deklaratorische Natur der Formel
bb. Das Herausforderungskriterium als einzig konstitutives Zurechnungskriterium
c. Das Kriterium des „Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens“
aa. Die Funktion des Kriteriums
bb. Ausfüllung des Kriteriums
d. Zurechnung bei nicht vernünftigen Reaktionen
e. Ergebnis
4. Das System der Zurechnungskriterien
III. Die Zurechnung in der Risikohaftung
1. Die besondere Verletzlichkeit
2. Rein psychisch vermittelte Beeinträchtigungen
a. Psychisch vermittelte Kausalität
b. Schockschäden
3. Ergebnis
§ 12 Zurechnung des Unzurechenbaren – die Zufallshaftung
I. Der Gedanke des versari in re illicita
II. Die Zufallshaftung im bürgerlichen Recht
1. Die Haftung gem. §§ 287 S. 2, 848 BGB
a. Der Zufall in §§ 287 S. 2, 848 BGB
b. §§ 287 S. 2, 848 BGB als Kodifizierung des versari in re illicita
c. Entbehrlichkeit der §§ 287 S. 2, 848 BGB
2. Die weiteren Konstellationen einer Haftung für Zufall
a. Die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag gem. § 678 BGB
b. Die Haftung bei Gebrauchsüberschreitungen
aa. Begründung der Haftung „auch für Zufall“ bei Gebrauchsüberschreitung
bb. Statthaftigkeit der Analogie zu § 287 S. 2 BGB
c. Verwandte Haftungskonstellationen
III. Ergebnis
Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
I. Der Zufall im Haftungsrecht
1. Der Zufall und das Recht
2. Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“
3. Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht
II. Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien
1. Grundlagen der Zurechnung
2. Die Zurechnungsprinzipien
a. Das Verschuldensprinzip
b. Das Risikoprinzip
c. Das Begünstigtenprinzip
d. Die Billigkeitshaftung
e. Veranlassungs- und Verursachungsprinzip
3. Casum sentit dominus – kein Zurechnungsprinzip
III. Zweifel am Verschuldensprinzip
1. Verschuldensprinzips und Risikozuweisung
2. Keine Abkehr vom Verschuldensprinzip
IV. Die Zurechnung im Einzelfall
1. Die Schadenzurechnung
2. Allgemeine Zurechnungskriterien
3. Die speziellen Zurechnungskriterien
4. Zurechnung des Unzurechenbaren – die Zufallshaftung
Literatur
Sachverzeichnis

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Studien zum Privatrecht Band 75

Conrad Waldkirch

Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht

Mohr Siebeck

Conrad Waldkirch, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Mannheim; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Privatversicherungsrecht, Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung der Universität Mannheim; seit 2016 Akademischer Rat a. Z. ebenda.

e-ISBN PDF 978-3-16-155629-6 ISBN 978-3-16-155018-8 ISSN 1867-4275 (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­tung außer­halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und gebunden.

Meiner Familie

Vorwort Diese Arbeit beruht auf einer Dissertationsschrift, die von der Abteilung Rechtswissenschaft der Fakultät Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim im März 2016 angenommen wurde. Für die Drucklegung konnten Literatur und Rechtsprechung lediglich bis April 2017 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Oliver Brand, LL.M. (Cantab.). Seine hervorragende Betreuung und sein steter Rat haben mir sehr geholfen. Ihm bin ich über das nun abgeschlossene Projekt „Dissertation“ hinaus in ewigem Dank verbunden. Die Tätigkeit an seinem Lehrstuhl, bei der er mir den größtmöglichen Freiraum gewährte, war eine wundervolle Erfahrung und auch Schule für meinen weiteren Lebensweg. Prof. Dr. Ulrich Falk danke ich für die äußerst zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich zudem den ehemaligen und gegenwärtigen Mitarbeitern des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Privatversicherungsrecht, Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung von Prof. Brand, auf deren Hilfsbereitschaft ich mich stets verlassen konnte. Besonders erwähnen möchte ich zudem meine Freunde und Leidensgenossen Dres. Jonas Baier und Ingo Reinke, mit denen ich meine Thesen diskutieren konnte und für deren hilfreiche Kritik ich dankbar bin. Meiner Familie, der diese Abhandlung gewidmet ist, danke ich für ihr Verständnis, ihren Beistand und ihre Geduld, ohne die diese Arbeit in der vorliegenden Gestalt nicht hätte entstehen können. Besonders möchte ich dabei meiner Mutter Barbara Waldkirch und Patricia Kappenstein danken, die mich selbstlos und sogar zur Unzeit unterstützt haben. Zuletzt möchte ich dem Verein zur Förderung der Versicherungswissenschaft in Hamburg e.V. danken, der diese Arbeit mit dem Excellence Award 2016 ausgezeichnet hat. Über diese Ehrung habe ich mich sehr gefreut. Mannheim im Juli 2017

Conrad Waldkirch

Inhaltsverzeichnis Vorwort ...................................................................................................... VII Einführung .................................................................................................... 1 I. Hintergrund und Ziel der Untersuchung.............................................. 1 II. Stand der Forschung ........................................................................... 4 III. Gang der Darstellung ........................................................................ 10

Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht ......................................... 17 § 1 Bedarf für eine juristische Erfassung des Zufalls ................................... 18 I. Zufall – eine ambivalente Erscheinung ............................................. 19 II. Der Zufall als gesellschaftliches Phänomen ...................................... 22 1. Der Zufall als Unsicherheitsfaktor im Leben ............................... 23 2. Realität oder Illusion? ................................................................. 23 3. Der Zufall als Gestaltungsaufgabe ............................................... 24 III. Zufall und Recht ............................................................................... 25 IV. Erscheinungsformen des Zufalls im Zivilrecht.................................. 27 1. Der Zufall als Gegenstand gesetzlicher Regelung ........................ 27 2. Der Zufall in Argumentation und Methodik ................................ 29 3. Der Zufall als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal .................. 33 V. Zufall, Haftung und Risikozuweisung............................................... 34 VI. Staat und Versicherung als Schutz vor Zufallsrisiken ....................... 36 § 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“ .............................................. 39 I. Vom Fluch der Götter zum blinden Walten des Zufalls .................... 39 II. Das griechischen Recht als Quelle des Verschuldensprinzips und des Zufalls ........................................................................................ 42 1. Die beginnende Abkehr von der reinen Erfolgshaftung durch Drakon ........................................................................................ 43 2. Der Zufall in den solonischen Kodifikationen – Antiphon ........... 44 3. Der Zufall als etablierte Rechtsfigur ............................................ 48 III. Der Zufall im römischen Recht ......................................................... 48

X

Inhaltsverzeichnis

1. Zwölftafelgesetz und frühe Republik........................................... 49 2. Der Zufall als neue Rechtsfigur in der vorklassischen und klassischen Jurisprudenz ............................................................. 51 3. Zufall und Verantwortung im Corpus Iuris Civilis ...................... 54 § 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht ........................................ 58 I.

Der Begriff des Zufalls im Haftungsrecht ......................................... 58 1. Zufall und Kausalität ................................................................... 59 2. Zufall und Zurechnung ................................................................ 63 a. Max Rümelin ......................................................................... 63 b. Der Stand der Diskussion ....................................................... 64 c. Die Kritik an der herrschenden Meinung ............................... 65 aa. Der vermeintlich zu vertretende Zufall in § 287 S. 2 BGB ................................................................ 65 bb. Gefahrtragung und Vertretenmüssen ................................ 67 cc. Zwischenergebnis ............................................................. 71 d. Genese des bürgerlich-rechtlichen Zufallsbegriffs ................. 71 aa. Unterschiedliche Begriffsbildung im Haftungs- und Gefahrtragungsrecht ......................................................... 71 bb. Zweifel an der haftungsrechtlichen Begriffsbildung wegen §§ 649, 623 E I ...................................................... 74 cc. Weitere systematische Bedenken gegen eine getrennte Begriffsbildung ................................................................ 74 dd. Keine Vorgaben für die heutige Begriffsbildung .............. 76 e. Argumente für eine antithetische Verbindung von Zufall und Zurechnung ..................................................................... 78 aa. Begriffliche Rahmenbedingungen .................................... 78 bb. Haftungssystematische Vorgaben ..................................... 79 f. Ergebnis ................................................................................. 82 II. Die Ambivalenz des juristischen Zufallsbegriffs............................... 82 1. Vertretenmüssen und Zufall ........................................................ 83 2. Die Relativität des Zufalls ........................................................... 85 a. Die interpersonelle Relativität des Zufalls ............................. 87 b. Die Relativität infolge der Negativität des Zufalls ................. 89 aa. Die funktionelle Relativität des Zufalls ............................ 90 bb. Die zurechnungssystematische Relativität des Zufalls...... 91 c. Die institutionelle Relativität ................................................. 93 d. Ergebnis ................................................................................. 95 III. Die Bedeutung des Zufallsbegriffs.................................................... 96

Inhaltsverzeichnis

XI

Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien ............. 99 § 4 Theoretische Grundlagen der Zurechnung .......................................... 102 I.

Die Zurechnung .............................................................................. 103 1. Haftungsrechtliche Verantwortung ............................................ 103 2. Verantwortungsbegründung jenseits des Willens....................... 106 3. Grenzen der Zurechnung ........................................................... 108 II. Grundlagen der Haftung: Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip . 111 III. Rechtsprinzipien und Zurechnungsprinzipien ................................. 117 1. Die Rechtsprinzipien ................................................................. 118 a. Prinzipien als relative Sollensgebote .................................... 119 b. Kollisionsverhalten von Prinzipien ...................................... 121 c. Abgrenzung von Wertprinzipien und Strukturprinzipien ...... 123 d. Bindungswirkung der Prinzipien für die Regelungsebene .... 124 2. Die Zurechnungsprinzipien ....................................................... 126 a. Die Rechtsnatur der Zurechnungsprinzipien ........................ 126 b. Die Wertungsgrundlagen der Verschuldenszurechnung ....... 130 aa. Selbstverantwortungsprinzip und Selbstbestimmungsprinzip .............................................. 130 bb. Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil ......................................... 134 cc. Prinzip des Güterschutzes ............................................... 136 dd. Vertrauensprinzip........................................................... 137 c. Wirkung der Prinzipienabwägung am Beispiel der Verschuldenszurechnung ..................................................... 139 IV. Zusammenfassung .......................................................................... 143

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung ................. 145 I. Das Verschuldensprinzip als Zurechnungsprinzip........................... 145 II. Das Risikoprinzip als Zurechnungsprinzip...................................... 150 1. Theoretische Grundlagen .......................................................... 151 2. Struktur der Risikozurechnung .................................................. 152 3. Risikoprinzip und Rechtswidrigkeit .......................................... 154 a. Beurteilung des abstrakten Risikos ...................................... 154 b. Beurteilung des Eingriffs ..................................................... 156 c. Zwischenergebnis ................................................................ 158 4. Grenzen der Risikozurechnung – höhere Gewalt ....................... 158 a. Grund des Zurechnungsausschlusses.................................... 159 aa. Zuordnung zu höheren Sphären? .................................... 159 bb. Rückführbarkeit des Erfolgs auf den Willen................... 161 cc. Prinzip der Gefahrbeherrschung und Betriebsfremdheit . 162 b. Inhalt der höheren Gewalt .................................................... 165

XII

Inhaltsverzeichnis

aa. Alternativitätsthese ......................................................... 166 bb. Außergewöhnlichkeit und Unabwendbarkeit .................. 168 cc. Objektiv-risikoorientierte Betrachtung ........................... 171 c. Ergebnis ............................................................................... 175 III. Das Begünstigtenprinzip als Zurechnungsprinzip ........................... 176 1. Das äußere System der Aufopferungshaftung ............................ 177 a. Die Tatbestände der Aufopferungshaftung ........................... 177 b. Die faktischen Duldungszwänge .......................................... 178 2. Das Meinungsspektrum zum Verhältnis von Aufopferungshaftung und Begünstigtenprinzip ......................... 181 3. Stellungnahme........................................................................... 183 4. Ergebnis .................................................................................... 187 IV. Die Billigkeitshaftung .................................................................... 187 1. Die Problematik der systematischen Einordnung ....................... 188 2. Ergänzende Defizite der an die Erfolgsverantwortlichkeit anknüpfenden Ansätze .............................................................. 191 3. Schadensverteilung aus Billigkeit.............................................. 192 4. Anwendungsbereich der Billigkeitshaftung ............................... 195 5. Ergebnis .................................................................................... 197 V. Veranlassungsprinzip und Verursachungsprinzip............................ 198 § 6 Casum sentit dominus – ein eigenständiges Zurechnungsprinzip? ....... 201 I. Historische Beurteilung .................................................................. 202 II. Die Diskussion unter dem BGB ...................................................... 206 1. Die Qualifikation als Zurechnungsprinzip ................................. 206 2. Die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko ................................. 208 3. Casum sentit dominus als § 254 BGB legitimierendes Rechtsprinzip ............................................................................ 209 4. Die Gegner der Qualifikation als Zurechnungsprinzip ............... 210 III. Die Eignung zum Zurechnungsprinzip ............................................ 211 1. Die Zurechnung zufälliger Beeinträchtigungen ......................... 211 2. Ein Zurechnungswertprinzip?.................................................... 212 a. Kein casus in casum sentit dominus ..................................... 212 b. Das Fehlen einer tragenden Wertung ................................... 213 3. Ergebnis .................................................................................... 216

Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip .............................. 219 § 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung........................................... 220 I.

Die Stellung des Verschuldensprinzips ........................................... 221 1. Das Verschuldensprinzip als Leitprinzip im deutschen Recht .... 221

Inhaltsverzeichnis

XIII

2. Ein vergleichender Blick auf andere Rechtsordnungen .............. 223 3. Ergebnis .................................................................................... 225 II. Die Legitimität der Verantwortungszuweisung ............................... 225 1. Die Verschuldenszurechnung als Gebot unserer Privatrechtsordnung .................................................................. 225 2. Die Alternativlosigkeit des Verschuldensprinzips als Leitbild ... 227 III. Die Rechtfertigung der Risikozuweisung des Verschuldensprinzips...................................................................... 229 1. Einige Vorüberlegungen............................................................ 229 2. Ökonomische Analyse der Zuweisung des Zufallsrisikos .......... 231 a. Rechtsökonomische Grundlagen .......................................... 232 b. Schadensprävention ............................................................. 236 aa. Schädigung anderer ........................................................ 237 bb. Umgang mit den eigenen Rechtsgütern .......................... 240 cc. Zwischenergebnis ........................................................... 241 c. Folgenallokation .................................................................. 242 aa. Die Ansätze der Folgenallokation ................................... 242 bb. Der superior risk bearer.................................................. 245 cc. Der cheapest insurer ....................................................... 245 dd. Zwischenergebnis .......................................................... 247 d. Reduktion tertiärer Kosten ................................................... 248 e. Ergebnis ............................................................................... 250 3. Die Risikozuweisung als Ausdruck von Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne ................................................................. 251 a. Der Beurteilungsmaßstab ..................................................... 251 b. Der Gerechtigkeitsgehalt der Risikozuweisung .................... 255 aa. Die Verbindung von Rechtsträgerschaft und Zufallsrisiko ................................................................... 255 bb. Die Risikozuweisung durch das Verschulden ................. 258 c. Ergebnis ............................................................................... 260 § 8 Abkehr vom Verschulden? ................................................................... 261 I.

Die objektive Fahrlässigkeit – Zufallshaftung und schreiende Ungerechtigkeit? ............................................................................ 263 1. Bedenken gegen ein objektives „Verschulden“ ......................... 264 2. Objektive Fahrlässigkeit ist zivilrechtliches Verschulden .......... 266 a. Der Zweck des Verschuldens im Straf- und Zivilrecht ......... 266 b. Das Vertrauensprinzip als Grund der Objektivität ................ 267 3. Ergebnis .................................................................................... 272 II. Die Verkehrspflichten – Risiko- und Zufallshaftung? ..................... 274 1. Die Verkehrspflichten im System des Deliktsrechts .................. 274 2. Das Verhältnis von Verkehrspflichten und Verschulden............ 276

XIV

Inhaltsverzeichnis

a. Das Konzept der zweischichtigen Sorgfalt ........................... 276 b. Die Identitätsthese ............................................................... 278 c. Die Verkehrspflichten als Garantiepflichten ........................ 279 d. Zwischenergebnis ................................................................ 281 3. Die Handhabung der Verkehrspflichten durch die Rechtsprechung ......................................................................... 282 4. Ergebnis .................................................................................... 285

Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall .................................. 287 § 9 Die Schadens- und Folgenzurechnung ................................................. 289 I.

Das Risikoprinzip als maßgebliches Zurechnungsprinzip ............... 291 1. Das Prinzip des Totalersatzes .................................................... 291 2. Die Schadenszurechnung als Zurechnung nach dem Risikoprinzip ............................................................................. 293 3. Risikozurechnung und Totalersatz............................................. 296 II. Die Konkretisierungsbedürftigkeit der Schadenszurechnung .......... 296 III. Ergebnis ......................................................................................... 298

§ 10 Die allgemeinen Zurechnungskriterien .............................................. 299 I. Grundlagen der Zurechnungskonkretisierung ................................. 300 II. Die Adäquanztheorie ...................................................................... 301 1. Grundlage der Adäquanztheorie ................................................ 301 2. Das foreseeability-Kriterium auf europäischer Ebene ................ 302 3. Die Entbehrlichkeit des Adäquanzkriteriums............................. 303 a. Entbehrlichkeit in der Haftungsbegründung ......................... 303 b. Unanwendbarkeit in der Haftungsausfüllung ....................... 307 c. Von der Wahrscheinlichkeit zum teleologischen Gefahrzusammenhang zur Irrelevanz ................................... 308 d. Ergebnis ............................................................................... 309 III. Die Schutzzwecktheorie ................................................................. 309 1. Zweifel an der Schutzzwecktheorie ........................................... 310 a. Die Anwendbarkeit der Schutzzwecktheorie ........................ 311 b. Eignung zur Konkretisierung der Zurechnung...................... 311 aa. Haftungsbegründende Zurechnung ................................. 312 bb. Haftungsausfüllende Zurechnung ................................... 313 2. Der Schutzzweck von Verhaltensgeboten .................................. 316 a. Konkrete Verhaltensgebote .................................................. 316 aa. Herleitung aus der Gefährdung ex ante und Bewertung des Verhaltens ex post .................................................... 316

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XV

bb. Der Gefährdungsgrad in der haftungsbegründenden Zurechnung .................................................................... 318 cc. Der Gefährdungsgrad in Haftungsausfüllung .................. 319 b. Abstrakte Verhaltensgebote ................................................. 322 aa. Haftungsbegründende Zurechnung ................................. 323 bb. Haftungsausfüllende Zurechnung ................................... 325 c. Spezielle Zurechnungskriterien als Produkt der Schutzzwecktheorie ............................................................. 326 3. Ergebnis .................................................................................... 327 IV. Das allgemeine Lebensrisiko .......................................................... 329 1. Inhalt der Lehre ......................................................................... 329 2. Die Entbehrlichkeit des allgemeinen Lebensrisikos ................... 331 a. Inhaltsleere des allgemeinen Lebensrisikos .......................... 331 b. Fehlende Eigenständigkeit des Kriteriums ........................... 333 3. Ergebnis .................................................................................... 335 § 11 Die speziellen Zurechnungskriterien .................................................. 337 I.

Zurechnungskonkretisierung und ergänzende Zurechnungskriterien ...................................................................... 337 II. Zurechnungskriterien und -formeln im Verschuldensprinzip .......... 341 1. Die besondere Verletzlichkeit des Betroffenen .......................... 342 a. Defizite des gegenwärtigen Lösungsansatzes ....................... 342 b. Grenzen der haftungsbegründenden Zurechnung ................. 347 aa. Die grundsätzliche Irrelevanz besonderer Verletzlichkeit ................................................................ 347 (1.) Die allseitige Objektivität von Sorgfaltspflichten ..... 347 (2.) Verankerung im Vertrauensprinzip .......................... 350 bb. Zurechnungsbegründende Wirkung besonderer Verletzlichkeit ................................................................ 351 cc. Abgrenzung bei abstrakt sorgfaltswidrigem Verhalten ... 352 c. Haftungsausfüllung und insbesondere Folgenzurechnung .... 353 d. Ergebnis ............................................................................... 356 2. Schockschäden .......................................................................... 357 a. Schockschäden als Zurechnungsproblem ............................. 358 b. Die Schockschadensformel .................................................. 361 aa. Die personelle Beschränkung des Schutzbereichs ........... 362 bb. Die Schwere der Beeinträchtigung ................................. 365 cc. Das Verständlichkeitskriterium als einzig konstitutives Zurechnungskriterium .................................................... 366 c. Die Verständlichkeit der Reaktion ....................................... 366 aa. Die Funktion des Verständlichkeitskriteriums ................ 367 bb. Ausfüllung des Verständlichkeitskriteriums ................... 369

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d. Zurechnung nicht verständlicher Reaktionen ....................... 371 e. Genereller Ausschluss der Zurechnung von Schockschäden? ................................................................... 372 f. Ergebnis ............................................................................... 375 3. Psychisch vermittelte Kausalität ................................................ 376 a. Psychisch vermittelte Kausalität als Zurechnungsproblem ... 376 b. Die Herausforderungsformel ................................................ 380 aa. Die überwiegend deklaratorische Natur der Formel ........ 381 bb. Das Herausforderungskriterium als einzig konstitutives Zurechnungskriterium .................................................... 382 c. Das Kriterium des „Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens“ .. 383 aa. Die Funktion des Kriteriums .......................................... 383 bb. Ausfüllung des Kriteriums ............................................. 386 d. Zurechnung bei nicht vernünftigen Reaktionen .................... 388 e. Ergebnis ............................................................................... 393 4. Das System der Zurechnungskriterien ....................................... 393 III. Die Zurechnung in der Risikohaftung ............................................. 395 1. Die besondere Verletzlichkeit ................................................... 396 2. Rein psychisch vermittelte Beeinträchtigungen ......................... 398 a. Psychisch vermittelte Kausalität .......................................... 399 b. Schockschäden..................................................................... 402 3. Ergebnis .................................................................................... 403 § 12 Zurechnung des Unzurechenbaren – die Zufallshaftung .................... 404 I. Der Gedanke des versari in re illicita .............................................. 405 II. Die Zufallshaftung im bürgerlichen Recht ...................................... 406 1. Die Haftung gem. §§ 287 S. 2, 848 BGB................................... 406 a. Der Zufall in §§ 287 S. 2, 848 BGB ..................................... 407 b. §§ 287 S. 2, 848 BGB als Kodifizierung des versari in re illicita .................................................................................. 411 c. Entbehrlichkeit der §§ 287 S. 2, 848 BGB ........................... 414 2. Die weiteren Konstellationen einer Haftung für Zufall .............. 416 a. Die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag gem. § 678 BGB ........................................................................... 416 b. Die Haftung bei Gebrauchsüberschreitungen ....................... 420 aa. Begründung der Haftung „auch für Zufall“ bei Gebrauchsüberschreitung ............................................... 420 bb. Statthaftigkeit der Analogie zu § 287 S. 2 BGB ............. 422 c. Verwandte Haftungskonstellationen..................................... 423 III. Ergebnis ......................................................................................... 425

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XVII

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 427 I.

Der Zufall im Haftungsrecht ........................................................... 427 1. Der Zufall und das Recht........................................................... 427 2. Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“ ................................... 427 3. Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht ............................ 428 II. Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien ...................................... 429 1. Grundlagen der Zurechnung ...................................................... 429 2. Die Zurechnungsprinzipien ....................................................... 430 a. Das Verschuldensprinzip ..................................................... 430 b. Das Risikoprinzip ................................................................ 431 c. Das Begünstigtenprinzip ...................................................... 433 d. Die Billigkeitshaftung .......................................................... 433 e. Veranlassungs- und Verursachungsprinzip........................... 434 3. Casum sentit dominus – kein Zurechnungsprinzip..................... 435 III. Zweifel am Verschuldensprinzip .................................................... 435 1. Verschuldensprinzips und Risikozuweisung .............................. 435 2. Keine Abkehr vom Verschuldensprinzip ................................... 437 IV. Die Zurechnung im Einzelfall ......................................................... 438 1. Die Schadenzurechnung ............................................................ 438 2. Allgemeine Zurechnungskriterien ............................................. 439 3. Die speziellen Zurechnungskriterien ......................................... 441 4. Zurechnung des Unzurechenbaren – die Zufallshaftung ............ 443 Literatur .................................................................................................... 445 Sachverzeichnis ......................................................................................... 469

Einführung I. Hintergrund und Ziel der Untersuchung Die Zurechnung ist ein höchst umstrittener Bereich der haftungsrechtlichen Dogmatik. Es wäre vielleicht sogar angemessener den gegenwärtigen Zustand der Zurechnungstheorie als „chaotisches Durcheinander“1 zu beschreiben. Das heutige Verständnis der haftungsrechtlichen Zurechnung wird von einer fast unüberschaubaren und teils widersprüchlichen Kasuistik geprägt. Die sehr facettenreiche Spruchpraxis der Rechtsprechung führte zu einer Vielzahl von Einzelentscheidungen und Zurechnungsfiguren, die in mancher Hinsicht miteinander unvereinbar sind. Die Wissenschaft vermochte es bisher nicht, dieses gewachsene Sammelsurium zu einem umfassenden System der Zurechnung aufzuarbeiten. Sie beschränkt sich vorrangig darauf, die Rechtsprechung in Fallgruppen zusammenzufassen und diese teilweise fortzuentwickeln. Derzeit gibt es nicht wirklich eine einheitliche Dogmatik der haftungsrechtlichen Zurechnung. Dass zunehmende wissenschaftliche Einzelerkenntnisse und eine andauernde Spruchpraxis die Systematisierung einer Rechtsmaterie erschweren, ist nicht ungewöhnlich. Insbesondere das Haftungsrecht, das eine unendliche Vielfalt von Lebenssachverhalten bewältigen muss, erweist sich insoweit als besonders anfällig. Dies bewegte Laufs zu einer Mahnung, die besonders für die Zurechnung zutrifft: 2 „Die Jurisprudenz darf sich aber nicht in der Kasuistik verlieren, sondern sie hat – wenn sie ihren Namen weiterhin mit Grund tragen will – die Aufgabe, die Materie dogmatisch zu durchdringen und zu ordnen und damit nicht zuletzt auch den Gerichten Wege und Grenzen aufzuzeigen.“ Eines der wesentlichen Hemmnisse für die Fortentwicklung der Zurechnungsdogmatik dürfte die zunehmende Distanz zu den Grundlagen der Zurechnung sein. Die Wertungen und die Zusammenhänge, die dem Zurechnungssystem des Haftungsrechts zugrunde liegen, geraten mit der fortschreitenden Spruchpraxis und Lehre immer weiter aus dem Blick. Diese sind es jedoch, die die Rechtsmaterie einen und darüber hinaus jeder einzelnen Entscheidung zu dieser Tragfähigkeit und Überzeugungskraft verleihen und sie letztendlich als

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So Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3. Laufs, Unglück, S. 5.

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Einführung

„richtig“ legitimieren. Und so fügt sich ins Bild, dass grundsätzliche Erwägungen zu Wesen und Inhalt der Zurechnung heute nur noch selten zu finden sind. Insbesondere in den Lehrbüchern und Kommentaren werden solche kaum noch angestellt. Dies veranlasste Deutsch dazu, gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine „zunehmende Stille“ um den Grundsatz der Zurechnung selbst zu beklagen.3 Als Folge des Desinteresses am Wesen der Zurechnung ist diese – wieder einmal 4 – zu einem eher technischen Vorgang degeneriert.5 Konkrete Einzelfälle werden weitestgehend losgelöst von einem dogmatischen Fundament entschieden. Die Entscheidungen erfolgen pragmatisch und rein kasuistisch oder bestenfalls topisch. Als Rechtfertigung dienen dabei mehr oder weniger konsensfähige Erfordernisse der Schadensverteilung. Die hinter den unterschiedlichen Einzelfallentscheidungen oder Topoi stehenden gemeinsamen Grundgedanken werden kaum mehr beachtet und, soweit diese noch nicht entwickelt waren, nicht wirklich gesucht. So ist beispielsweise eine einheitliche Begründung bis heute nicht gefunden, wer und unter welchen Voraussetzungen Ersatz für psychische Beeinträchtigungen (Schockschäden im weitesten Sinne) verlangen kann. 6 Rechtsprechung und Lehre operieren insoweit mit Fallgruppen, die bei Bedarf immer weiter erweitert werden. Bezüge zwischen den einzelnen Fallgruppen werden kaum hergestellt und die Suche nach dem maßgeblichen System der Zurechnung unterbleibt eigentlich vollkommen. Hierfür dürfte vorrangig ursächlich sein, dass es realistischerweise ein höchst schwieriges, wenn nicht gar aussichtsloses Unterfangen ist, diese Grundgedanken aus dem gegenwärtigen Sammelsurium von weitestgehend autonomen Zurechnungsfiguren zu ermitteln. Es erscheint vielmehr als sicher, dass es nicht möglich sein wird, die Zurechnung überhaupt konsistent und überzeugend zu begründen, ohne einzelne dieser Zurechnungsfiguren zu verwerfen oder zumindest systemkonform fortzuentwickeln. Die Zurechnung wird zudem heute häufig nicht mehr entsprechend ihrer Funktion wahrgenommen. Es dominieren mittlerweile zwei Ansätze, mit denen konkrete Zurechnungsentscheidungen begründet werden. Entweder werden diese darauf gestützt, dass es ökonomisch effizient ist, dem „Schädiger“ 7 oder eben dem Geschädigten den Schaden zuzuweisen. Alternativ wird danach ent-

Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 428. Hierzu Deutsch, a.a.O. unter Bezugnahme auf Kelsen, Rechtslehre, S. 85. 5 Befürwortend E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 139 und öfter. 6 Dazu eingehend S. 357 ff. 7 Streng genommen ist der Haftungsadressat erst dann ein „Schädiger“, wenn die Zurechnung bejaht wurde und er entsprechend für das Schadensereignis verantwortlich ist. Andernfalls steht er trotz Kausalität dem Schadensereignis nicht näher, als andere unbeteiligte Personen, wie etwa die Eltern des Geschädigten, die man kaum als „Schädiger“ bezeichnen würde. 3

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I. Hintergrund und Ziel der Untersuchung

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schieden, ob die Grenze des für den Haftungsadressaten gerade noch Zumutbaren überschritten wird, wenn die Zurechnung bejaht wird. Es scheint allenfalls noch von nachrangiger Bedeutung zu sein, warum der Haftungsadressat überhaupt für den konkreten Schadenserfolg verantwortlich ist und weshalb es legitim und vor allem sogar geboten ist, genau diesen mit der Ersatzpflicht zu belasten. Diese Fragen zu beantworten, ist jedoch der eigentliche Zweck der Zurechnung. Die Zurechnung entfernt sich tatsächlich immer weiter von den gesetzlichen Grundlagen der Haftung und wird zur autonomen Dogmatik ohne Rückkopplung zum Gesetz. Unter der Bezeichnung „objektive Zurechnung“ ist so eine Art verselbstständigtes Recht jenseits des Normgefüges entstanden. Die Bezüge dieses zersplitterten Parallelrechts zu den gesetzlichen Zurechnungsprinzipien Verschulden, Risiko und Begünstigung und den Gründen für die jeweilige Haftungsanordnung sind kaum noch erkennbar. Dies befördert Wertungsinkonsistenzen bei Zurechnungsentscheidungen und gipfelt in Widersprüchen zum kodifizierten Recht. Nicht nur die Dogmatik der Zurechnung weist Schwächen auf. Um die komplementäre Rechtsfigur „Zufall“, die mit der Zurechnung in besonderer Weise verwoben ist, ist es kaum besser bestellt. Es besteht im Haftungsrecht seit dem Anbeginn des BGB ein kaum beachteter Dissens über den Gehalt des Zufalls. Während ein Teil der Lehre eine strenge Antithese von Zufall und Verschulden vertritt, stehen sich nach der Gegenansicht der Zufall und die Zurechenbarkeit als solche gegenüber. Um die argumentative Aufarbeitung des Streits bemüht sich jedoch keine der Seiten ernsthaft. Darüber hinaus werden die für das Recht elementaren Fragen nicht wirklich beantwortet, nämlich wer das Risiko des Zufalls eigentlich tragen soll und warum die allgemein anerkannte Zuweisung zum Rechtsträger überhaupt richtig ist. Es wird insoweit zumeist auf drei Worte verwiesen – casum sentit dominus8. Es ist bedauerlich, dass nicht mehr Eifer darauf verwendet wird, die Zurechnungsdogmatik grundlegend fortzuentwickeln. Als hinderlich erweisen sich dabei vermeintlich sinnträchtige Lehrsätze, die vorschnell anstelle einer Begründung vorgebracht werden. Die „Rechtsregeln“ casum sentit dominus und

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Zufall spürt der Eigentümer (vgl. Liebs, Rechtsregeln, S. 42), eingehend S. 201 ff.

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Einführung

casus a nullo praestantur9, das Gebot des neminem laedere 10 sowie die Haftung infolge versari in re illicita11 sollen materiellen Begründungen ersetzen, obwohl der Aussagegehalt der lateinischen Sätze seinerseits begründungsbedürftig ist. Diese können lediglich Stellvertreter bestimmter Grundentscheidungen sein, die ihrerseits aus dem Gesetz abzuleiten sind. Anstatt sich apodiktisch auf teilweise Jahrtausende alte Lehrsätze zu berufen, gilt es die hinter den lateinischen Sätzen stehenden Normzusammenhänge zu verstehen und – soweit überhaupt statthaft – anzuwenden. Diese Studie möchte dazu beitragen, die Defizite der Zurechnungsdogmatik abzutragen und diese fortzuentwickeln. Hauptziel soll dabei sein, die Zurechnung an das Gesetz und die einschlägigen Prinzipien der Erfolgszurechnung und deren Wertungsgrundlagen zurückzuführen. Ein konsequentes Herangehen an dieses Unterfangen setzt voraus, dass auch die Rechtsfigur des Zufalls begrifflich und inhaltlich fixiert wird, die untrennbar mit der Zurechnung verbunden ist.

II. Stand der Forschung Zurechnung und Zufall sind zeitlose Probleme. Eine weitreichende und grundlegende Untersuchung derselben erfolgte bereits am Ende des vorletzten und Anfang des letzten Jahrhunderts durch Max Rümelin. Dieser beleuchtete sowohl den Zufall als auch die Gründe der Zurechnung.12

Für Zufall steht niemand ein (vgl. Liebs, Rechtsregeln, S. 42). Es handelt sich um eine Kurzfassung von Ulp. D. 50.17.23: Animalium vero casus mortesque, quae sine culpa accidunt, fugae servorum qui custodiri non solent, rapinae, tumultus, incendia, aquarum magnitudines, impetus praedonum a nullo praestantur – Für die Zufälle aber und die Todesfälle, welche sich bei den Tieren ohne Verschulden ereignen, für die Flucht von Sklaven, welche nicht bewacht zu werden pflegen, für Raub, Aufruhr, Feuersbrunst, hohes Wasser, Überfälle von Räubern wird von niemandem gestanden (Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, CJC 4, S. 1267, Rechtschreibung durch den Verfasser angepasst). 10 Das Gebot wird aus Ulp. D. 1.1.10.1 entnommen: Iuris praecepta sunt haex: honeste vivere, alternum non laedere, suum cuique tribuere – Die Gebote des Rechts sind folgende: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren (Text und Übersetzung nach Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, CIC II, S. 94). 11 Die Rechtsregel lautet: Versanti in re illicita imputantur omnia, quae sequuntur ex delicto – Wer sich auf verbotenem Felde bewegt, dem werden alle schlimmen Folgen, die das mit sich bringt, zugerechnet (vgl. Liebs, Rechtsregeln, S. 242). Eingehend hierzu § 12. 12 Vgl. Rümelin, Der Zufall im Recht, 1896; Gründe der Schadenszurechnung, 1896; Die Verwendung der Causalbegriffe in Straf- und Civilrecht, AcP 90 (1900), 171; Das Verschulden in Straf- und Zivilrecht, 1909; Schadensersatz ohne Verschulden, 1910. 9

II. Stand der Forschung

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Mit dem Begriff des Zufalls und dessen Gehalt setzten sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lediglich Krückmann13, Wolff14 und Esser15 näher auseinander. Daraufhin wurde noch das Verhältnis des Zufalls zu spezifischen Einzelausprägungen des Rechts und dieses auch nur sporadisch untersucht. So behandelte etwa 1993 Depenheuer16 den Zufall aus der Perspektive des öffentlichen Rechts oder 1996 Looschelders17 diesen aus der Perspektive des Versicherungsrechts. Eine gewisse thematische Annäherung an den Zufall im Haftungsrecht erfolgte noch durch die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko. Wegbereiter dieser Lehre waren Lange 18 und vor allem Mädrich19. Letzterer erarbeitete erstmals umfassend deren dogmatisches Fundament in seiner gleichnamigen monographischen Untersuchung von 1980. Den wohl letzten substantiellen Beitrag zur Entwicklung dieser durchaus populären Lehre steuerte Deutsch bei, der die Ergebnisse Mädrichs fortentwickelte, aber auch modifizierte.20 Gleichwohl bewirkte das allgemeine Lebensrisiko keine Fortentwicklung der Zufallsdogmatik, da die Vertreter der Zurechnungsfigur darum bemüht waren, diese vom Zufall abzugrenzen. 21 Die andauernde Stille in der Auseinandersetzung mit dem eigentlich umstrittenen Zufallsbegriff erfährt nur seltene Ausnahmen. Das Schweigen um den Zufall durchbrechen insoweit lediglich die vereinzelt gebliebenen Beiträge von Knütel 22 aus dem Jahr 1993 und von Hirsch23 aus dem Jahr 2003. Zum Thema Zurechnung gibt es demgegenüber eine Unzahl an Veröffentlichungen. Allein die unermessliche Anzahl der Quellen schließt es aus, jede einzelne in dieser Untersuchung zu berücksichtigen. Die zahlreichen Einzelfälle der Zurechnung und Spezialprobleme wurden vielfach untersucht, zumeist jedoch ausschließlich aus einzelnen Blickwinkeln und nur höchst selten umfassend. Nahezu ausnahmslos wurde dabei von den Autoren die Perspektive

Krückmann, JherJb 55 (1909), 1, 45 ff. Wolff, Verbotenes Verhalten, 1923, S. 111 ff. 15 Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 2. Aufl. 1969, S. 70. Zu Esser und der Vorhersehbarkeit, nicht aber zum Verhältnis von Zufall und Zurechnung als solche, auch Kaden, RabelsZ 31 (1967), 606, 610 ff. 16 Depenheuer, JZ 1993, 171. 17 Looschelders, VersR 1996, 529. 18 Lange, JZ 1976, 198, 206 f. 19 Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980. 20 Deutsch, VersR 1993, 1041 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 596 ff. Weitere Vertreter sind Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn. 225 f.; Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus, § 249 Rn. 77; Soergel12 /Mertens, Vor § 249 Rn. 131; Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 79; Pick, Verkehrspflichten, S. 203 f. 21 Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041, 1042. 22 Knütel, NJW 1993, 900. 23 Hirsch, Jura 2003, 42, 45. 13

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Einführung

des Verschuldensprinzips zugrunde gelegt. Die Zurechnung psychisch vermittelter Beeinträchtigungen in der Form der sog. psychischen Kausalität wurde etwa monographisch von Niebaum24, Leitermeier25 und zuletzt im Jahr 2000 von Forst 26 und durch die Beiträge insbesondere von Larenz, 27 Zimmermann,28 Strauch29 und Spickhoff30 intensiv aufgearbeitet.31 Auch die sog. Schockschäden, als weiterer Fall psychisch vermittelter Beeinträchtigungen, wurden durch Bick32, R. Schmidt33, Karczewski 34 und zuletzt 1997 von Park 35 monographisch sowie vielfach in Aufsatzform behandelt. 36 Untersuchungen zu den Grundfragen der Zurechnung sind hingegen selten. Ein Meilenstein war die Dissertation von Larenz aus dem Jahre 192737, welche die Hintergründe der Zurechnung hinterfragte. Nahezu ausschließlich die Lehrbücher zum Schuld- oder Haftungsrecht älterer Generation, wie die von Larenz38, Canaris39, Deutsch40 und E. Schmidt 41, erachten die ethischen oder wenigstens strukturellen Grundlagen der Zurechnung überhaupt als erörterungsbedürftig. 42 Im Übrigen wird diese meist als etwas Gegebenes hingenommen und die Zurechnung funktional und zweckmäßig verstanden.

Niebaum, Die deliktische Haftung für fremde Willensbetätigung, 1977. Leitermeier, Die deliktsrechtliche Haftung des Verfolgten für Schäden bei der Verfolgung, 1978. 26 Forst, Grenzen der deliktischen Haftung bei psychisch vermittelter haftungsbegründender Kausalität, 2000. 27 Larenz, NJW 1955, 1009. 28 Zimmermann, JZ 1980, 10. 29 Strauch, VersR 1992, 932. 30 Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 58 ff. 31 Vgl. auch Dunz, NJW 1966, 134; Niebaum, NJW 1976, 1673 ff.; Weber, Festschrift Steffen, 507 ff.; Coester-Waltjen, Jura 2001, 412 ff. 32 Bick, Die Haftung für psychisch verursachte Körperverletzungen und Gesundheitsschäden im deutschen und anglo-amerikanischen Deliktsrecht, 1970. 33 R. Schmidt, Die Haftung für Schockschäden nach § 823 Abs. 1 BGB als Problem der wertenden Normenkonkretisierung, 1991. 34 Karczewski, Die Haftung für Schockschäden, 1992. 35 Park, Grund und Umfang der Haftung für Schockschäden nach § 823 I BGB, 1997. 36 Adelmann, VersR 2009, 449, 453; Deubner, NJW 1957, 1269 f.; E. Lorenz, Festschrift G. Müller, 147, 157; U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 318 f.; E. Schmidt, MDR 1971, 538; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 54 ff.; Stöhr, NZV 2009, 161, 165; Teichmann, JZ 2007, 1156. 37 Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927. 38 Larenz, Schuldrecht I, § 20, S. 275 ff. 39 Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 349 ff. 40 Deutsch, Haftungsrecht, S. 1 ff. 14 ff., 58 ff. und öfter. 41 Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 114 ff., 127 ff. 42 Eine Ausnahme ist bspw. das Lehrbuch Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 2 ff. 24

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II. Stand der Forschung

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Die einzelnen höchst unterschiedlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung werden meistens nur als Unteraspekt einer Untersuchung bestimmter Haftungskonstellationen oder Haftungsnormen behandelt. Übergreifende Darstellungen finden sich außerhalb der Lehrbuchliteratur in den Aufsätzen von Larenz43, Deutsch44 und Canaris45. Die wohl letzte grundlegende theoretische Untersuchung des Zurechnungsprinzips Verschulden erfolgte 1993 durch Meder46. In der jüngeren Zeit wurde lediglich die Wirksamkeit des Verschuldens im geltenden Recht und dessen Zukunftsfähigkeit untersucht. Zu nennen sind insbesondere die Monographien von Schneider47 aus dem Jahr 2007 und von Kolb48 aus dem Jahr 2008. Deutlich ausführlicher wurden hingegen Unteraspekte wie die objektive oder subjektive Natur der Fahrlässigkeit bzw. der Sorgfaltspflichten untersucht. Nach der frühen grundlegenden Kritik von Brodmann49 und später Nipperdey 50 an der objektiven Fahrlässigkeit verfochten zuletzt 1996 Koziol 51 und 2009 Wilhelmi 52 einen subjektiven Ansatz. Diesem stehen vor allem der Aufsatz von Kramer53 aus dem Jahre 1971 und die Monographie von Deutsch zur Fahrlässigkeit und erforderlichen Sorgfalt 54 gegenüber. Mit den Verkehrspflichten als Teil der Verschuldensdogmatik setzte sich v. Bar55 in seiner bekannten Schrift aus dem Jahre 1980 besonders intensiv und grundlegend auseinander. Neuere monographische Untersuchungen erfolgten 2005 durch Pick,56 2007 durch Voss57 und 2009 durch Wilhelmi58. Bedeutung und Funktion der Verkehrspflichten im Haftungsgefüge wurden auf grundsätzlicher Ebene zudem durch eine ganze Reihe von Aufsätzen, vor allem aus den

Larenz, JuS 1965, 373; ders. Festschrift Honig, 1970, 79 ff. Deutsch, Festschrift Honig, 1970, S. 30 ff. 45 Canaris, VersR 2005, 577 ff. 46 Meder, Schuld, Zufall, Risiko, 1993. 47 Schneider, Abkehr vom Verschuldensprinzip?, 2007. 48 Kolb, Auf der Suche nach dem Verschuldensgrundsatz, 2008. 49 Brodmann, AcP 99 (1906), 327, 354. 50 Nipperdey, NJW 1957, 1777. 51 Koziol, AcP 196 (1996), 593 ff. 52 Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, 2009, S. 314 ff. 53 Kramer, AcP 171 (1971) 422 ff. 54 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 2. Aufl. 1995. 55 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 1980. 56 Pick, Verkehrspflichten und Handlungsfreiheit des Schädigers, 2005. 57 Voss, Die Verkehrspflichten, 2007. 58 Wilhelmi, Risikoschutz durch Privatrecht, 2009, 141 ff.

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Einführung

1980er Jahren, beleuchtet, von denen insbesondere die Beiträge von Mertens59, Steffen60, Canaris61 und Stürner62 zu nennen sind. 63 Mit dem Zweck und der Wirkweise der Risikozurechnung setzt sich leider kaum eine Monographie dezidiert auseinander. Auf einer grundsätzlichen Ebene nähert sich der Haftung für Risiken wiederum insbesondere Meder.64 Gewisse Ansätze finden sich auch bei Esser65, Heß66 und Wo. Lorenz67 sowie fragmentarisch in einigen der unzähligen Veröffentlichungen zur Gefährdungshaftung. 68 Überproportional häufig war hingegen der Haftungsausschluss der höheren Gewalt, der spezifisch mit der Risikohaftung verbunden ist, zentraler Gegenstand monographischer Abhandlungen oder von Aufsätzen.69 Um die Dogmatik der Zurechnung bei der Aufopferungshaftung ist es hingegen deutlich besser bestellt, deren Durchdringung in regelmäßigen Abständen vorangetrieben wird. Als richtungsweisend erweist sich dabei nach wie vor die Studie von Konzen70 von 1969. Auch zahlreiche neuere Beiträge zur Aufopferungshaftung und der Haftung für faktische Duldungszwänge entwickeln die Dogmatik stetig fort.71 Mit der Billigkeitshaftung und deren Zurech-

Mertens, VersR 1980, 397 ff. Steffen, VersR 1980, 409 ff. 61 Canaris, Festschrift Larenz 80, 27 ff. 62 Stürner, VersR 1984, 297 ff. 63 Dazu auch Westen, Festschrift v. Hippel, 591 ff.; Schröder, AcP 179 (1979), 567 ff.; Stathopoulus, Festschrift Larenz 80, 631 ff.; v. Bar, JuS 1988, 169 ff.; Raab, JuS 2002, 1041 ff. 64 Meder, JZ 1993, 1993; ders., Schuld, S. 252 ff. 65 Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 2. Aufl. 1969. 66 Heß, Die Bestimmung des Ersatzpflichtigen in der Gefährdungshaftung, 1978. 67 Wo. Lorenz, Die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB, 1992, S. 35 ff. 68 Vgl. etwa Kötz, AcP 170 (1970), 1 ff.; Deutsch, VersR 1971, 1 ff.; ders. Festschrift Larenz 70, 885 ff.; Schünemann, NJW 1981, 2796; Hübner, Karlsruher Forum 1983, 126 ff.; Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184 ff.; Leßmann, JA 1989, 117 ff.; Medicus, Jura 1996, 561 ff. 69 Vgl. etwa Stobbe, Höhere Gewalt, 1963; Spaeth, Der Begriff der höheren Gewalt im deutschen und französischen Recht, 1970; Städtler, Schadensersatz im Falle höherer Gewalt?, 1986; Doll, Von der vis maior zur höheren Gewalt, 1989; Häußer, Der Tatbestand der höheren Gewalt im Straßenverkehrsgesetz, 2006; Weiß, Höhere Gewalt als Haftungsausschluss, 2009; Leonhard, Festschrift Träger, 12; Meder, JZ 1994, 485 ff.; Rebler, SVR 2011, 246; vgl. auch Will, Quellen erhöhter Gefahr, 1980, S. 287 ff. 70 Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, 1969. 71 Vgl. etwa aus der jüngeren Zeit Hogenschurz, Die Entwicklung des Prinzips der Aufopferungshaftung in den zivilrechtlichen Notstandsfällen, 1997; Deutsch, Festschrift Steffen, 101 ff.; Roth, in: ders. u.a. (Hrsg.), Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Problem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, 2001, 1 ff.; Bensching, Nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche – zulässige Rechtsfortbildung oder Rechtsprechung contra 59

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II. Stand der Forschung

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nungsdogmatik erfolgt wiederum jenseits der Kommentar- und Lehrbuchliteratur kaum eine nennenswerte Auseinandersetzung. Eine Ausnahme bildet lediglich das 2007 von Flachbarth72 veröffentlichte Werk zur Billigkeitshaftung. Die weiteren „Kriterien objektiver Zurechnung“ in der Form der Adäquanztheorie und der Normzwecklehre, die die Prinzipien der Erfolgszurechnung ergänzen oder konkretisieren, stehen heute nicht mehr im Fokus einzelner Publikationen. Als grundlegende Untersuchungen sind etwa die Monographie von Sourlas73 zu Adäquanztheorie und Normzwecklehre aus dem Jahre 1974, sowie die zu Unrecht wenig beachtete rechtsvergleichende Untersuchung von Lang74 zur Schutzzwecklehre aus dem Jahr 1983 zu nennen.75 Schutzzwecklehre und Adäquanztheorie werden heute nur noch im Rahmen übergreifender Werke oder Beiträge behandelt, wie etwa im Beitrag von Spickhoff zum Karlsruher Forum 2007. 76 Eine besonders intensive Aufarbeitung erfolgt im schon etwas in die Jahre gekommenen Buch zum Schadensersatz von Lange und Schiemann aus der Reihe des Handbuchs des Schuldrechts. 77 Nur höchst selten ist die Folgenzurechnung als Element der Haftungsausfüllung zentrales Motiv einer dogmatischen Abhandlung. Die Diskussion findet insoweit nahezu vollständig in der Kommentarliteratur statt. Eine relevante Ausnahme ist das Werk von Roussos78 aus dem Jahr 1992, das neue Impulse in die Diskussion einbrachte. Weitere erwähnenswerte Beiträge zu diesem Thema in der Folgezeit stammen von Egon Lorenz79, der 1999 die gängigen Begründungsansätze der Folgenzurechnung kritisch hinterfragte und Inkonsistenzen der herrschenden Dogmatik aufzeigte, sowie – aus der europäischen Perspektive – von Jansen80 aus dem Jahr 2005. Im Übrigen ist festzustellen, dass sich auch bezüglich der Folgenzurechnung das bekannte Bild wiederholt. Spezielle

legem?, 2002; Neuner, JuS 2005, 487; Benecke, Grundlagen und Grenzen verschuldensunabhängiger Haftung, VersR 2006, 1037; Maultzsch, Zivilrechtliche Aufopferungsansprüche und faktische Duldungszwänge, 2006; Klöhn, Das System der aktien- und umwandlungsrechtlichen Abfindungsansprüche, 2009. 72 Flachbarth, Die Billigkeitshaftung, 2007. 73 Sourlas, Adäquanztheorie und Normzwecklehre bei der Begründung der Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB, 1974. 74 Lang, Normzweck und Duty of Care, 1983. 75 Des Weiteren auch Stoll, Kausalzusammenhang und Normzweck im Deliktsrecht, 1968; Bernert, AcP 169 (1969), 421 ff.; v. Caemmerer, DAR 1970, 283; Schickedanz, NJW 1971, 916; U. Huber, Festschrift Wahl, 301; Lange, JZ 1976, 198 ff.; Kramer, JZ 1976, 340 ff.; Schack, JZ 1986, 305 ff. 76 Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 2008, 7 ff. 77 Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl. 2003. 78 Roussos, Schaden und Folgeschaden, 1992. 79 E. Lorenz, Festschrift Deutsch, 251. 80 Jansen, JZ 2005, 160 ff., insbes. 171 ff.

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Einführung

Problemfälle werden häufiger und intensiver untersucht und fortentwickelt,81 während die grundlegende Dogmatik ein Schattendasein fristet.

III. Gang der Darstellung Gegenstand dieser Studie ist die haftungsrechtliche Zurechnung einschließlich der Komplementärrechtsfigur Zufall. Zur Definition des „Haftungsrechts“ wird hier ein enger Begriff der Haftung herangezogen, welcher auf Rechtsinstitute mit der Rechtsfolge Schadensersatz 82 beschränkt ist. 83 Terminologisch verwandte aber inhaltlich fremde Streitthemen, wie die insbesondere zwischen Picker und Canaris intensiv geführte Auseinandersetzung, ob im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung eine systemwidrige „Haftung für Zufall“ in § 275 Abs. 2 BGB und § 313 BGB normiert wurde, 84 bleiben aus dieser Studie bewusst ausgeklammert. Die vertraglichen Erfüllungsansprüche, deren Schicksal diese „Haftung“ berührt, beruhen auf anderen Wertungsgrundlagen und sind nicht in gleicher Weise mit einem Zurechnungserfordernis belegt, da sie auf einer privatautonomen Verbindung der Parteien beruhen. Keine Haftung im hier zugrunde gelegten Sinne begründen deshalb auch die Normen der Gefahrtragung. 85 Für die anzustellende Untersuchung sind diese gleichwohl höchst relevant. Ihre systematische Wechselbezüglichkeit zur haftungsrechtlichen Zurechnung macht es erforderlich, diese mehrfach in die Betrachtung einzubeziehen. Es liegt nahe in dieser Studie zunächst den Problemkreis der Zurechnung anzugehen und sodann das jenseits derselben und somit den Zufall zu beleuchten. Hier wird bewusst ein anderer Weg gewählt. Als Ausgangspunkt der Untersuchung soll der Zufall und somit das Fehlen rechtlicher Verantwortung dienen. Dieser Ansatz erscheint vorzugswürdig, entspricht er doch dem theoretischen Grundmodell: Verantwortung und Haftung sind stets positiv zu begründen und werden nicht vorgefunden. Die bloße Existenz eines Verletzungserfolgs und eines möglichen Haftungsadressaten begründet – sogar in Verbindung mit Kausalität – noch keine Verantwortung, welche in einem zweiten 81 Vgl. etwa Brandt, VersR 2005, 616 ff.; Müller, VersR 1998, 129 ff.; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 2008, 7, 51 ff.; Stöhr, NZV 2009, 161 ff. 82 Auch bzgl. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB wird hier vertreten, dass Rechtsfolge der Ausgleich des entstandenen Schadens nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB ist (wie hier Palandt/Herrler, § 906 Rn. 29; MünchKommBGB6/Säcker, § 906 Rn. 166; OLG Hamm, NJW-RR 2014, 328; BGH, NJW 1990, 3195, 3197; a.A. Staudinger/Roth, § 906 Rn. 262; MünchKommBGB/Brückner, § 906 Rn. 187 f.; BGH, NJW 2009, 762 Tz. 32). 83 Zu den verschiedenen Verständnisformen von „Haftung“ vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 2 IV, S. 21 ff. 84 Picker, JZ 2003, 1035; Canaris, JZ 2004, 214. 85 Vgl. etwa §§ 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, 446 f., 644, 2380 BGB.

III. Gang der Darstellung

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Schritt eingeschränkt werden müsste. Ein Verletzungserfolg oder ein Schaden ist somit grundsätzlich Zufall, es sei denn, die Zurechnung lässt sich aus der Beziehung der Rechtssubjekte zueinander rechtfertigen. Zunächst ist im ersten Kapitel (§§ 1–3) dem juristischen Zufall zu Leibe zu rücken. Insoweit ist auch das Verhältnis vom rechtlichen zum tatsächlichen Zufall zu beleuchten, da diese keineswegs deckungsgleich in Erscheinung treten. Der tatsächliche Zufall wirkt auf das gesetzliche Verantwortungskonzept ein, ohne jedoch stets rechtlich Zufall zu begründen. Das Unvorhersehbare und damit Zufällige vermag sowohl Verantwortung zu begründen als auch auszuschließen, weswegen hier ein behutsames Herantasten an das Mysterium Zufall angezeigt ist. In § 1 dieser Bearbeitung soll zunächst aufgezeigt werden, wie der tatsächliche Zufall als real existierendes Phänomen auf jeder Ebene des Rechts präsent ist und dieses beeinflusst. Insoweit werden die alternativen Ansätze des Rechts beleuchtet, wie mit dem Phänomen Zufall umzugehen ist. Dem tatsächlichen Zufall wird zum einen durch Maßnahmen der Ordnung in der Form von gesetzlichen oder methodischen Instrumenten die Wirksamkeit genommen. Zum anderen wird diesem begegnet, indem der Zufall als Rechtsfigur bzw. als Gegenstand der Risikozuweisung ins Recht integriert wird. Diese Ansätze schlagen sodann die Brücke zum Haftungs- und Gefahrtragungsrecht. In diesen Rechtsmaterien wird der tatsächliche Zufall zur geregelten Erscheinung, indem entweder Verhaltensgebote formuliert werden, die diesen berücksichtigen, oder das Risiko zufälliger Ereignisse wird bedacht einer Person zugewiesen. Den zufälligen Schicksalsschlägen begegnet das Recht darüber hinaus noch durch die private und die soziale Versicherung. Auch diese sollen – obwohl nicht unmittelbar Gegenstand dieser Studie – aufgrund des thematischen Sachzusammenhangs kurz beleuchtet werden. Im Anschluss ist auf die Entstehung der Rechtsfigur Zufall einzugehen. Diese bildete sich im Zuge eines Wandels in der strafrechtlichen Zurechnung im griechischen Recht des fünften vorchristlichen Jahrhunderts aus. Diese Entwicklung eröffnete erstmals die Möglichkeit, mangels eines Verschuldens für einen verursachten Erfolg nicht verantwortlich zu sein. Es bedurfte deshalb einer neuen Kategorie nicht zu verantwortender Schäden – den Zufall. § 2 beleuchtet diese durch religiöse und gesellschaftliche Umbrüche ausgelöste Geburt des rechtlichen Zufalls im griechischen Recht und dessen kontinuierliche Fortentwicklung im römischen Recht. Die auf die Kodifikation des Corpus Iuris Civilis nachfolgende Entwicklung wird nicht behandelt. Deren Untersuchung ist für das Ziel dieser Studie nicht erforderlich und infolge des für die Darstellung erforderlichen Umfangs auch nicht angezeigt. In § 3 wird der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungs- und Gefahrtragungsrecht bestimmt. Das Verhältnis des Zufalls auf der einen und Kausalität, Verschulden und Zurechnung auf der anderen Seite birgt zahlreiche Unklarheiten. Insbesondere der kaum wahrgenommene und nicht ausgetragene Streit, ob der

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Einführung

Zufall begrifflich auf das fehlende Verschulden fixiert ist oder der Zurechnung als solche gegenübersteht, bedarf einer intensiven Aufarbeitung. Schlussendlich soll auch die besondere Relativität des juristischen Zufalls, die eine Eigentümlichkeit dieser Rechtsfigur ist, beleuchtet und deren Hintergrund und Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden. Sodann gilt es sich vom Zufall aus der Zurechnung und somit der Verantwortungsbegründung zuzuwenden. Das zweite Kapitel (§§ 4–6) soll die theoretischen Grundlagen haftungsrechtlicher Zurechnung erhellen. Dabei werden die grundlegenden Strukturen und Wertungen der Zurechnungsprinzipien beleuchtet. In § 4 werden zunächst die theoretischen Grundlagen der Zurechnung veranschaulicht. Das Rechtsinstitut der Zurechnung verfügt über ein eigenes dogmatisches und vor allem auch ethisches Fundament, das zu wenig beachtet wird. Deshalb werden eigentlich selbstverständliche Aspekte wieder in Erinnerung gerufen, die aufgrund des heutigen ergebnisorientierten Denkens allzu oft ignorierte werden. Dies betrifft insbesondere das Erfordernis der zweiseitigen Rechtfertigung von Pflichten. Zudem sollen die Wertungsgrundlagen der Zurechnung aufgearbeitet werden. Dafür gilt es einen Blick auf das überpositivistische Recht und somit die Prinzipienebene zu werfen. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse sind für die später erfolgende dezidierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Zurechnungsprinzipien sehr bedeutsam. Darüber hinaus können diese genutzt werden, um Zurechnungsentscheidungen wertungsmäßig folgerichtig und überzeugend zu begründen. § 5 konkretisiert die haftungsrechtliche Zurechnung sodann eine Ebene weiter. Dazu werden die einzelnen Zurechnungsprinzipien des „dreispurigen“ Systems der Erfolgszurechnung untersucht. Dieses wird hier im Anschluss an Canaris86 vertreten. Das System umfasst die Verschuldens-, Risiko- und Begünstigtenzurechnung. Neben diesem steht noch die eine Sonderstellung einnehmende Billigkeitshaftung. Nach der Darstellung des Verschuldensprinzips wird das Risikoprinzip und der zugehörige Zurechnungsausschluss der höheren Gewalt eingehend beleuchtet. Sodann wird zugunsten einer notwendigen Verbindung der Aufopferungshaftung und der Zurechnung nach dem Begünstigungsprinzip argumentiert. Dies beschränkt die Anzahl der Prinzipien der Erfolgszurechnung auf drei. Außerhalb dieses Systems der Haftung für Erfolge steht noch die Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB. Es wird eingehend dargelegt, warum diese keine „vierte Spur“ der Erfolgszurechnung begründet. Diese atypische Haftung knüpft vielmehr an fehlende Verantwortung und damit die Unzurechenbarkeit des Erfolges an. Es soll deshalb erklärt werden, wie dieses Kuriosum mit dem hier vertretenen System der Haftung zu vereinbaren ist.

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Canaris, VersR 2005, 577 f., 580.

III. Gang der Darstellung

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Den Prinzipien der positiven Erfolgszurechnung wird von einigen Autoren87 ein Zurechnungsprinzip casum sentit dominus gegenübergestellt. Dieses Prinzip soll zur Wirkrichtung, die die haftungsbegründende Zurechnung grundsätzlich aufweist, gegenläufig wirken und Verantwortung des Geschädigten begründen. § 6 setzt sich deshalb mit dieser einzigartigen „negativen“ Erfolgszurechnung auseinander, die erheblichen systematischen Bedenken ausgesetzt ist. Von den zuvor beschriebenen Zurechnungsprinzipien ist das Verschuldensprinzip das bedeutsamste. Das dritte Kapitel (§ 7 und § 8) beleuchtet dessen einzigartige Funktion als Leitbild der Zurechnung und versucht, die gegen das Verschuldensprinzip und seine Rolle vorgebrachten Zweifel zu zerstreuen. Das deutsche Haftungsrecht gründet auf der Verschuldenshaftung. Das Verschuldensprinzip hat deshalb auch heute noch die zentrale Stellung in der Haftungsbegründung inne. Diese wird allerdings mittlerweile als bedroht angesehen und es mehren sich die Stimmen, die fordern, das Verschuldensprinzip aufzugeben. Bereits bevor unser Haftungssystem im BGB niedergeschrieben wurde, ist bezweifelt worden, dass das Verschulden ein effizienter oder gerechter Haftungsmaßstab sei.88 In § 7 wird untersucht, ob die mit der Verschuldenshaftung verbundene Verantwortungs- und Risikozuweisung gerechtfertigt und überzeugend ist und ob folglich am Verschulden als Grundpfeiler des Haftungsrechts festzuhalten ist. In § 8 wird der Frage nachgegangen, ob das Verschuldensprinzip nicht tatsächlich längst in weiten Teilen überwunden wurde. Es besteht der Verdacht, dass unter der nunmehr irreführenden Bezeichnung „Verschulden“ seit Langem eine Haftung für Zufall praktiziert wird, die nicht auf der Grundlage von Schuld, sondern durch Risikoerwägungen begründet wird. Diesem Vorwurf sind Rechtspraxis und herrschende Lehre in zweierlei Hinsicht ausgesetzt. Zum einen wird der herrschend vertretene objektive Fahrlässigkeits- bzw. Sorgfaltsmaßstab seit der Entstehung des BGB als mit diesem unvereinbar erachtet. Zum andern wird der praktische und theoretische Umgang mit den Verkehrspflichten als weiteres Mittel ausgemacht, mit dem das Verschulden zugunsten einer risikogestützten Zurechnung heimlich überwunden wird. Es soll deshalb untersucht werden, ob diese Vorwürfe zutreffend sind. Der vierte Teil dieser Bearbeitung (§§ 9–12) setzt sich mit der Zurechnung im Einzelfall auseinander. Es erweist sich oftmals als schwierig, festzustellen, ob ein konkretes Ereignis eine Schadensersatzpflicht auslöst. Die Frage nach der Zurechenbarkeit eines Schadensereignisses lässt sich nicht schon dadurch beantworten, dass man das anzuwendende Zurechnungsprinzip benennt. Diese äußert abstrakten Zurechnungstatbestände müssen ausgefüllt und präzisiert Allen voran Hübner, Schadenszurechnung, S. 60, insbes. S. 65 ff. Vgl. etwa Mataja, Das Recht des Schadensersatzes vom Standpunkt der Nationalökonomie, 1888, S. 19 ff.; v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, S. 25. 87

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Einführung

werden, wofür eine Vielzahl höchst unterschiedlicher und umstrittener Zurechnungskriterien und -formeln genutzt werden soll. Es wechselt zudem im Laufe der tatbestandlichen Anspruchsbegründung der Bezugspunkt der Zurechnung. Deshalb müssen gleich mehrere Zurechnungsebenen überwunden werden, damit der eingetretene Schaden als Rechtsfolge für ersatzpflichtig erklärt werden kann. Dieser Wechsel wirft neue Probleme auf. An die haftungsbegründende Zurechnung schließt sich die haftungsausfüllende Zurechnung an. Diese bestimmt, ob die zu vertretende Pflichtverletzung, die schuldhaft herbeigeführte Rechtsgutsverletzung oder ein anderer Haftungsgrund zum Ersatz des erlittenen Schadens verpflichtet. Es soll in § 9 aufgezeigt werden, nach welchen Prinzipen die verschuldensunabhängige Schadenszurechnung erfolgt. Dabei ist insbesondere zu klären, welche Rolle das Prinzip des Totalersatzes spielt, das zuweilen als das maßgebliche Zurechnungsprinzip angeführt wird. Obwohl die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Zurechnungsprinzips erfüllt sind, kann ein konkretes Schadensereignis materiell ein nicht zu verantwortender Zufall sein. Deshalb sind Rechtspraxis und Lehre dazu gezwungen, die Zurechnungsprinzipien durch konkretisierende Instrumente zu ergänzen. Dafür werden zuvorderst die Adäquanztheorie, die Schutzzwecktheorie und das allgemeine Lebensrisiko herangezogen. Bezüglich jeder dieser Zurechnungsfiguren werden jedoch Zweifel geäußert, ob diese überhaupt mit dem Gesetz zu vereinbaren oder dazu geeignet sind, die angestrebten Ergebnisse zu produzieren. Deshalb werden diese drei Zurechnungskriterien in § 10 eingehend beleuchtet. Sodann gilt es, einzelne Problemfälle der Zurechnung zu beleuchten. Um in diesen die Zurechnung zu begründen oder auszuschließen, werden jeweils weitere Zurechnungskriterien und -formeln, sowie scheinbar mit Rechtswirkung versehene Faustregeln oder Lehrsätze herangezogen, die die Zurechnungsprinzipien ergänzen sollen. Es bestehen Bedenken, dass dieses Sammelsurium von Zurechnungsfiguren in seiner gegenwärtigen Form berechtigt und erforderlich ist. In § 11 soll dargelegt werden, dass hinter diesen zahlreichen Kriterien und Formeln tatsächlich eine sehr begrenzte Auswahl übereinstimmender Zurechnungserwägungen steht. Diese können zu wenigen tragenden Zurechnungskriterien umformuliert werden, die ein einheitliches System verwirklichen. Schlussendlich soll auch noch gezeigt werden, inwieweit die Zurechnungskriterien, die historisch für die Verschuldenszurechnung und die anschließende Schadenszurechnung entwickelt wurden, in der Risikohaftung anwendbar sind. Die bis zu diesem Punkt aufgezeigten Regeln der Zurechnung werden in einigen Fällen offenbar vom Gesetz selbst aufgegeben. In den gesetzlichen Tatbeständen der Zufallshaftung erfolgt die Zurechnung scheinbar ohne die zahlreichen Schranken aufgrund reiner Kausalität. In § 12 soll die Haftung für Zufall untersucht werden, wie sie insbesondere in den §§ 287 S. 2, 848 BGB vor-

III. Gang der Darstellung

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gesehen ist und sogar über diese Normen hinaus eintreten soll. Es ist zu hinterfragen, ob es sich insoweit wirklich um eine undifferenzierte Kausalhaftung aufgrund rechts- oder pflichtwidrigen Vorverhaltens handelt, die der historischen Rechtsfigur der Haftung für versari in re illicita entspricht. Zudem gilt es diese ungewöhnlichen Tatbestände im System der Haftung bzw. der Zurechnung zu verorten.

Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

§ 1 Bedarf für eine juristische Erfassung des Zufalls „Keiner der Menschen hat je ein verläßliches Zeichen von Gott her ausfindig machen können über einen zukünftigen Ausgang. Für das, was kommt, sind die Sinne blind. Vieles ergibt sich für die Menschen wider Erwarten, einmal wider freudiges Erwarten, ein andermal tauschen in kurzer Zeit manche, die bedrückende Stürme bestehen müssen, ein tiefes Glück gegen Leid.“ (aus dem 12. Olympischen Lied Pindars 1)

Der Mensch ist schon immer mit dem Zufall konfrontiert und versucht diesen zu verstehen. Viele wissenschaftliche Disziplinen beschäftigen sich deshalb, teilweise bereits seit Jahrtausenden, mit dem Zufälligen, etwa die Philosophie, die Mathematik, die Physik und auch die Rechtswissenschaft. Für den Einzelnen von ungemein größerer Bedeutung als die akademische Auseinandersetzung mit dem Zufall ist allerdings dessen Wirken als gesellschaftliches Phänomen. Trotz aller Fortschritte ist der Zufall auch heute noch präsent im Leben eines jeden. Lediglich die Auffassung über dessen Ursprung hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Während früher wankelmütige Schicksalsgöttinnen (beispielweise Tyche oder Fortuna) Glück und Unglück, Freud und Leid nach ihrem Gutdünken zuwiesen,2 wird der Zufall heute eher als Produkt irdischen Chaos, statt als Sendung aus göttlichen Sphären verstanden. Die fortdauernde Existenz des Zufalls zwingt die Menschen Wege zu finden, um diesem zu begegnen. Dem kann sich das Recht nicht entziehen. Es ist dazu berufen, Ordnung in die Unordnung des Zufalls zu bringen und dem Einzelnen zu helfen, wenn das Schicksal ihn allzu hart getroffen hat.

1

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Übersetzung nach Dönt, Pindar, S. 71. Vgl. hierzu Mainzer, Zufall, S. 20 f.

§ 1 Bedarf für eine juristische Erfassung des Zufalls

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I. Zufall – eine ambivalente Erscheinung Ausgangspunkt einer Untersuchung des Phänomens Zufall ist das natürliche Verständnis desselben. Der natürliche Sprachgebrauch spiegelt nicht nur die verschiedenen Bedeutungsvarianten wider, mit denen der Zufall bedacht wird. Er steckt auch den Rahmen der theoretischen juristischen Bedeutungsinhalte des Begriffs ab, da dieser im Zuge des juristischen Bestimmungsprozesses lediglich eine Verengung erfährt. 3 Der Begriff Zufall wird im allgemeinen Sprachgebrauch vielfältig verwendet. Dabei erfährt der Zufall seinen Gehalt ausschließlich in Abgrenzung oder Relation zu verschiedenen anderen Begriffen und Erscheinungen. Der Begriff des Zufalls ist also ein relativer. Es hängt zudem in erheblichem Umfang von der individuellen Weltanschauung ab, ob ein Ereignis als Zufall erachtet wird. Je deterministischer das Weltbild, desto weniger Raum verbleibt für den Zufall. Auch die individuellen Erkenntnisfähigkeiten und Erwartungen beeinflussen die Wahrnehmung des Zufalls und entsprechend auch den Gebrauch des Begriffs. Je größer die intellektuellen und rezeptiven Fähigkeiten des Einzelnen ausgeprägt sind, desto mehr versteht dieser die Zusammenhänge, die zu einem bestimmten Ereignis führen. Dies hat zur Folge, dass sich der Bereich dessen, was als zufällig erachtet wird, verringert. 4 Obwohl es variiert, wo individuell die Grenzen des Zufalls gezogen werden, hat sich ein mehr oder weniger standardisiertes Strukturverständnis des Zufallsbegriffs etabliert. Zunächst tritt der Zufall im allgemeinen Sprachgebrauch in Gegensatz zur Kausalität. Zufällig ist ein Ereignis, das ohne (erkennbare) Ursache eintritt. Ist ein Ereignis die notwendige Folge eines Umstandes, spricht der Volksmund dessen Eintritt die Zufälligkeit ab.5 So ist beispielsweise der Zusammensturz einer fehlerhaft konstruierten Brücke bei einem leichten Erdbeben oder einer normalen Belastung nach allgemeiner Redensart „kein Zufall“. Als Zufall werden hingegen zwei voneinander unabhängige Kausalverläufe wahrgenommen, die in einem Ereignis zusammentreffen. 6 Beispielsweise trifft man „zufällig“ nach Jahrzehnten einen alten Schulfreund in Sydney. Doch erweist sich der Zufallsbegriff insoweit – in einer weiteren Dimension – als relativ. Der Bezugspunkt entscheidet über die Zufälligkeit, wie etwa Schopenhauer7 klarstellte: 3 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141 ff.; Bydlinski, Methodenlehre, S. 441; Zippelius, Methodenlehre, S. 38 f.; kritisch hierzu Wank, Begriffsbildung, S. 23 ff. Zum Zufall als Rechtsbegriff noch eingehend S. 58 ff. 4 Zur Gedankenfigur des „laplaceschen Dämons“ als vollkommene, das Zufällige überwindende Intelligenz, vgl. S. 23. 5 Vgl. etwa Meyers Lexikon: „Es ist kein Z[ufall] (ist nicht zufällig, hat seinen Grund), dass ...“ (kursiver Einschub im Original). 6 Vgl. G. Koch, Kausalität, S. 106. 7 Schopenhauer, Wille I, S. 522.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

„[J]ede Begebenheit in der wirklichen Welt, ist allemal notwendig und zufällig zugleich: notwendig in Beziehung auf das Eine, das ihre Ursache ist; zufällig in Beziehung auf alles Uebrige.“

So beruht etwa das Zusammentreffen eines abgeirrten Schusses eines Jägers mit einem Pilzsammler auf Zufall, da weder der Schuss die Präsenz des Sammlers, noch umgekehrt der Schuss dessen Präsenz bedingt. Zugleich sind das Getroffenwerden sowie das Versterben des Sammlers durch den Fehlschuss ebenso wie durch seine Anwesenheit bedingt, sodass der Tod insoweit nicht als Zufall beurteilt würde. Ein Ereignis ist somit im üblichen Sprachgebrauch Zufall und notwendige Folge zugleich. Eine weitere Ausprägung des Zufallsbegriffs setzt diesen in den Gegensatz zur Vorhersehbarkeit. So neigen wir dazu, ex ante unvorhersehbare Umstände als zufällig zu bezeichnen. Klassische Beispiele sind der Wurf einer Münze oder eines Würfels ebenso wie die Ziehung der Lottozahlen. Ex ante ist nur die jeweilige Wahrscheinlichkeit eines möglichen Ereignisses bestimmt bzw. bestimmbar, nicht jedoch das genaue Ergebnis bekannt oder (sicher) herbeiführbar.8 Dieses Verständnis des Zufalls als unvorhersehbares Ereignis liegt auch den anderen Wissenschaften zugrunde, etwa der Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Mathematik. Als absolut zufällig in dem Sinne, dass wir das Ergebnis eines Prozesses nicht vorhersehen können, selbst wenn wir alle Einflussfaktoren kennen, können dabei nur noch sehr wenige Vorgänge, wie der radioaktive Zerfall oder der Zustand quantenmechanischer Systeme, qualifiziert werden. Zwar lassen sich die einzelnen Prozesse in ihrer Gesamtheit als geregelt beschreiben, etwa durch eine Halbwertszeit oder etwa die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons in der Form einer Wellenfunktion. Wo sich ein konkretes Elektron jedoch genau befinden wird oder welches Atom wann zerfällt, können wir nicht vorhersagen. Das einzelne Ergebnis einer Messung dieser Vorgänge ist aus unserer Sicht „purer Zufall“. Auch zur Wahrscheinlichkeit steht der Zufall in einer besonderen Verbindung. Sehr unwahrscheinliche Ereignisse werden gebräuchlich mit dem Begriff des Zufalls versehen. Häufig wird dabei der Begriff des Zufalls entsprechend der Erwünschtheit des unwahrscheinlichen Ereignisses eingefärbt und als glücklicher Zufall, Glück oder Wunder9 bzw. Pech, Unglück etc. bezeichnet. Etwa schaffte es die blinde Golferin Sheila Drummond im Jahr 2007 in

Vgl. insoweit auch Innami, Festgabe Möller, 301, 305. Wird jedoch alles menschliche Wirken und jedes Ereignis auf Gott zurückgeführt, so muss das Wunder als planmäßige göttliche Intervention geradezu als Gegensatz zum Zufall qualifiziert werden, vgl. Rümelin, Zufall, S. 8. Ein umfassend göttlich-deterministisches Verständnis der Welt schließt – wie im Hinblick auf die homerische Zeit aufzuzeigen sein wird (vgl. S. 39 ff.) – die Existenz des Zufalls aus. 8

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§ 1 Bedarf für eine juristische Erfassung des Zufalls

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Lehington (Pennsylvania), unmittelbar mit dem Abschlag die Bahn zu beenden. Die Mehrheit wird diesen – sehr unwahrscheinlichen – Erfolg als Zufall oder Glück bezeichnen. Ein weiteres, keineswegs klares Verhältnis weisen der Zufall und der Wille auf. Geläufig werden Zufall und Indeterminismus in engen Zusammenhang gestellt oder gar gleichgesetzt. Dem gegensätzlichen Determinismus wird sodann der freie Wille gegenübergestellt, sodass als mehr oder weniger konsequenter Schluss hieraus die Existenz des freien Willens von der Existenz des Zufalls – und umgekehrt – abhängig gemacht wird.10 Jenseits der philosophischen Theorie werden als Zufall zuweilen Ereignisse qualifiziert, die sich unabhängig vom Willen ereignen. 11 Unbeabsichtigte Ereignisse, beispielsweise Nebenfolgen einer planmäßigen Handlungen, werden regelmäßig als zufällig empfunden und bezeichnet. 12 So stößt man etwa bei der Recherche für ein Thema „zufällig“ auf eine Information, die als Lösung für ein anderes Problem dienen kann, das einen schon lange beschäftigt und nach der man schon lange, nur nicht zu diesem Zeitpunkt, gesucht hat. In diesem Sinne können auch die „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus oder des Penicillins durch Fleming als Zufälle bezeichnet werden. In gewisser Weise ein Produkt der vorangegangenen Ausprägungen des allgemeinen Zufallsverständnisses ist der Umstand, dass der Zufall häufig mit Beherrschbarkeitsdefiziten verknüpft wird.13 Vorgänge, die wir nach unserem Willen ablaufen lassen und die wir beeinflussen können, werden nur selten als Zufall beurteilt. Genauer kann man sagen, dass die Bereitschaft, ein Ereignis als zufällig zu bezeichnen zunimmt, je weniger es beherrscht werden kann. Häufig treffen verschiedene der hier aufgezeigten, nicht abschließenden Ausprägungen des allgemeinsprachlichen Zufallsbegriffs auf ein Ereignis vereint zu. Teilweise beeinflussen sich diese auch wechselseitig und rechtfertigen erst in der Summe für den Einzelnen, ein Ereignis als Zufall zu beurteilen. Beispielsweise nimmt die Bereitschaft, eine unbeabsichtigte Nebenfolge eines Verhaltens als zufällig zu bezeichnen ab, wenn diese Folge vorhersehbar und von nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit war. Regelmäßig setzen sich deshalb die Beschreibungen des Zufalls in Wörterbüchern und Lexika aus einer ganzen Reihe der hier ausgeführten Ausprägungen zusammen, bzw. derartige Werke beschränken sich darauf, verschiedene Aspekte schlicht aufzuzählen. 14

Vgl. hierzu etwa Koch, Kausalität, S. 68 ff., 101 ff. Vgl. Erbrich, Zufall, S. 11 ff.; Klein, Zufall, S. 25. 12 Vgl. hierzu Windelband, Zufall, S. 57 f. 13 Vgl. auch Klein, Zufall, S. 26. 14 Vgl. etwa Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch: „Der Zufall bezeichnet das unberechenbare Geschehen, dass sich unserer Vernunft und unserer Absicht entzieht“. Nach dem Duden ist der Zufall „etwas, was man nicht vorausgesehen hat, wofür keine Ursache, kein Zusammenhang, keine Gesetzmäßigkeit erkennbar ist“. Der Brockhaus definiert den Zufall 10

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

Die Umstände, zu denen der Zufall in Relation gesetzt wird, deuten auf eine weitere Bedeutungsvariante hin. Kausalität, Vorhersehbarkeit, Wahrscheinlichkeit, Beherrschbarkeit und Wille sind wesentliche Bestandteile der individuellen Verantwortung. Diese Komponenten bilden mit variabler Gewichtung die Bausteine des Verschuldens, das die Verantwortung für ein Schadensereignis begründet, und darüber hinaus die Grundlage weiterer Zurechnungsprinzipien. Und tatsächlich wird der Zufallsbegriff auch im Zusammenhang mit Verantwortung gebraucht. So sprechen Ausdrücke wie Zufallstreffer oder Glückstreffer die individuelle Verantwortung für das positive Ereignis ab. Nicht der Spieler hat den Ball ins Tor geschossen, sondern Fortuna höchst selbst beförderten diesen hinein. Des Weiteren ist niemand für ein Ereignis im positiven oder negativen Sinne verantwortlich, wenn dieses im Volksmund „reiner“ oder „bloß“ Zufall war. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es im allgemeinen Sprachgebrauch „den“ Zufall nicht gibt. Der Zufallsbegriff ist mehrfach relativ und subjektiv. Der Zufall weist mit der Kausalität, der Wahrscheinlichkeit, der Vorhersehbarkeit, dem Willen, der Beherrschbarkeit und der Verantwortung verschiedene Bezugspunkte oder Bezugsgrößen auf, denen er antithetisch gegenübertritt. Ob ein Ereignis im Einzelfall letztendlich als zufällig bezeichnet wird, ist ergänzend von der Perspektive und auch der individuellen Wahrnehmung der Realität durch den Beurteilenden abhängig.

II. Der Zufall als gesellschaftliches Phänomen Der Zufall in der Gestalt von unvorhersehbaren Ereignissen hat einen erheblichen Einfluss auf das Leben der Menschen (1.). Es ist allerdings keineswegs klar, ob es diesen Zufall tatsächlich gibt oder ob der Mensch nicht lediglich als „das, was ohne erkennbaren Grund und ohne Absicht geschieht, das Mögliche, das eintreten kann, aber nicht eintreten muss [...]“. Etwa für die Philosophie: Eisler, Wörterbuch: „Zufall (tychê, automaton, casus) ist 1) das Walten unbeabsichtigter, unvorhergesehener Ereignisse, 2) das Zusammentreffen zweier Ereignisse, das einer Berechnung nicht zugänglich ist, so aber, da[ss] sowohl jeder der Vorgänge Wirkung einer Kausalreihe, als auch das Zusammentreffen beider Kausalreihen im Weltzusammenhang an sich begründet sein mu[ss]. Das Zufällige [...] in diesem Sinne ist das für uns nicht gesetzlich Bestimmbare, nicht zur Allgemeinheit und Notwendigkeit des Gesetzes Erhebbare“. Kirchner, Wörterbuch: „Zufall (casus) nennt man alles, was durch keine Gründe und Ursachen bedingt zu sein scheint, also das Unbeabsichtigte und das Unerklärliche. Der Begriff des Zufalls ist jedoch ein bloß subjektiver; denn tatsächlich ist alles Wirkliche durch Ursachen bedingt. Aber ein Kausalzusammenhang kann für uns unter Umständen dunkel und unbekannt oder auch unbeabsichtigt sein. Zufällig heißt demnach dasjenige Ereignis, welches aus einem System von Ursachen entspringt, das nicht in der Macht des Wollenden oder der Kenntnis des Auffassenden liegt, z.B. eine Folge, die weder von uns beabsichtigt noch auch vorhergesehen ist.“ (Hervorhebungen jeweils im Original).

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infolge seiner Unzulänglichkeit den Zufall erfährt (2.). Da die Menschen in jedem Fall mit dem für sie Zufälligen konfrontiert sind, besteht das Bedürfnis das Wirken dieses Zufalls einzuschränken (3.). 1. Der Zufall als Unsicherheitsfaktor im Leben Der Zufall, in der Form unvorhersehbarer Ereignisse, ist eine notwendige Folge der Gegenwartsbezogenheit des menschlichen Seins. Die Unfähigkeit des Menschen, die Zukunft vorherzusehen, schließt es aus, dass er sein Schicksal umfassend allein bestimmt. Das Handeln anderer Menschen und scheinbar willkürliche Vorgänge der Natur bewirken, dass wir uns niemals bezüglich des Zukünftigen sicher sein können. Geschmiedete Pläne können schnell durch Entscheidungen oder das Verhalten anderer oder sonstige Umwelteinflüsse durchkreuzt werden. Beispielsweise fällt genau dann, wenn ein wichtiger Termin in einer anderen Stadt ansteht, der Zug wegen einer Selbsttötung auf der Bahnstrecke aus. Auch ein herabstürzender Ziegel, der eine schwere Verletzung bei einem Passanten hervorruft, macht dessen Pläne, ebenso wie die anderer Personen mit ihm, hinfällig. Dabei ist es für den Geschädigten zunächst gleichgültig, ob der Unfall auf einem unerwartet starken Windstoß in Verbindung mit Materialermüdung und somit einem Unglücksfall, oder der Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit des Eigentümers des Gebäudes beruht. Für den Menschen ist die Wahrnehmung der zukünftigen Welt ein Gebilde aus Wahrscheinlichkeiten und das Fortschreiten in dieser Welt ist für ihn mit Chancen und Risiken verbunden. Der Mensch hat deshalb nur die Möglichkeit, sich auf diese Situation einzulassen. Dabei wird er bzw. die Gesellschaft versuchen soweit möglich auf die Unsicherheit Einfluss zu nehmen und hinsichtlich unerwünschter Ereignisse Vorsorge treffen. 2. Realität oder Illusion? Obwohl es sich nicht leugnen lässt, dass sich der Mensch mit dem Zufall konfrontiert sieht, kann man sich die Frage stellen, ob es nicht eigentlich das Menschsein ist, das den Zufall in die Welt bringt. Die metaphysische Frage über die reale Existenz des Zufalls beschäftigt die Philosophie schon seit Jahrtausenden. So berichtet bereits Aristoteles in der Physik über die intensive Diskussion über Existenz und Bedeutung des Zufalls. 15 Ist der Zufall nur das Produkt des beschränkten Erkenntnisvermögens des Menschen? Dieser Auffassung war etwa Spinoza, der den Zufall als Asyl der Unwissenheit („asylum ingnorantiae“)16 bezeichnete und behauptete, dass es in der Natur gar keinen

15 Aristoteles, Physik, 196 a (Text und Übersetzung, Prantl, Physik, S. 72 ff.). Eingehend zur aristotelischen Diskussion in der Physik Vogt, Kontingenz, S. 73 ff. 16 Spinoza, Ethik, S. 88.

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Zufall gebe.17 Ist die Realität tatsächlich deterministisch, müsste es theoretisch möglich sein, die Zukunft frei von der Illusion des Zufalls wahrzunehmen. Fähig dazu wäre allerdings wohl nur das von Laplace beschriebene übernatürliche Wesen, das als „laplacescher Dämon“ bekannt ist: „Wir müssen daher den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines vorigen Zustandes und die Ursache des noch folgenden Zustandes ansehen. Gäbe es einen Verstand, der für einen gegebenen Augenblick alle die Natur belebenden Kräfte und die gegenwärtige Lage der sie zusammensetzenden Wesen kennte und zugleich umfassend genug wäre, diese Data der Analyse zu unterwerfen, so würde ein solcher die Bewegungen der größten Weltkörper und des kleinsten Atoms durch ein und dieselbe Formel ausdrücken; für ihn wäre nichts ungewiß; vor seinen Augen ständen Zukunft und Vergangenheit.“ 18

Die notwendige Verbindung sämtlicher Zustände und Vorgänge in der Welt blieb stets populär. Doch der von wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Form immer neuer Naturgesetze getragene Siegeszug deterministischer Weltanschauung sieht sich uneinnehmbaren Trutzburgen des Zufalls gegenüber. Insbesondere die Quantenphysik ist untrennbar mit der Existenz des Zufalls verknüpft und bestätigt diesen als eine fundamentale Eigenschaft der physikalischen Grundlagen unserer Welt.19 Mit den philosophischen Folgen der Quantenmechanik vermochten sich jedoch viele Physiker nicht abfinden, so auch der Determinist Einstein: „Die Theorie [die Quantenmechanik] liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten [Gott] bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht würfelt.“ 20

So interessant metaphysische Erwägungen über die Existenz des Zufalls auch sein mögen, so unergiebig sind sie jedoch für den Einzelnen dabei, sein Dasein zu bewältigen. Der Mensch verfügt nun einmal nicht über die von Laplace beschriebene Intelligenz. Eine weiterführende metaphysische Auseinandersetzung mit dem Zufall soll aus diesem Grund unterbleiben. 3. Der Zufall als Gestaltungsaufgabe Der Zufall stellt als real existierende Kraft im menschlichen Zusammenleben nicht nur für den einzelnen Menschen einen wichtigen Faktor dar, sondern er stellt auch die Gesellschaft und damit das Recht vor Herausforderungen. Kann das, was als Zufall betrachtet wird, nicht oder nicht vollständig kontrolliert werden, so muss die Gesellschaft einen Weg finden, mit diesen unvermeidbaren Ereignissen umzugehen und deren Folgen in geregelte Bahnen zu lenken. Vgl. etwa Lehrsatz 29 (Spinoza, Ethik, S. 63). Abgedruckt bei Langsdorf, Versuch, S. 3 f. 19 Grundlegend bspw. Heisenberg, Zeitschrift für Physik 33 (1925), 879 ff. und Zeitschrift für Physik 43 (1927), 172 ff. – Heisenbergsche Unschärferelation. 20 Brief an Max Born v. 4. Dezember 1926, Briefwechsel, S. 154; Hervorhebung im Original. 17

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Nur so sind die unvermeidbaren Unwägbarkeiten für den Einzelnen und die Gesellschaft erträglich und zu bewältigen. Die hiermit verbundenen Gestaltungsaufgaben für das Recht sind mannigfaltig und komplex. Vorrangig ist das Recht berufen, so weit wie möglich die Manifestation unerwünschter zufälliger Ereignisse, etwa in der Form von Unglücksfällen, durch Verhaltensanordnungen zu verhindern. Soweit dies nicht möglich ist, hat es deren Auswirkungen zum Wohle – oder geringst möglichen Übel – der Gemeinschaft zuzuweisen. Diese fundamentale Aufgabe des Rechts wird durch eine Vielzahl von Regeln und nicht zuletzt auch durch die in dieser Untersuchung relevanten Haftungs- und Gefahrtragungsnormen erfüllt. Eine zentrale Rolle nehmen auch Versicherungen in der Form der Privat- und Sozialversicherung ein, da sie es ermöglichen, die unerwünschten Folgen eines zufälligen Ereignisses auf ein Kollektiv abzuwälzen und so die Auswirkungen für den Einzelnen entscheidend abzumildern. 21

III. Zufall und Recht Der chaotische Zufall hat auch im Recht, das ein Instrument der Ordnung ist, einen besonderen Stellenwert. Das Recht kann den Zufall nicht ignorieren. Es muss eine Antwort auf den alltäglichen Einfluss des Unberechenbaren und Unbeherrschbaren bieten. Das mit den Leitgedanken des Rechts – Vernunft und Gerechtigkeit – implizierte Gebot von Sicherheit und Notwendigkeit ist vielfach nur schwerlich mit dem Zufall zu vereinbaren. Recht und Zufall scheinen auf den ersten Blick zwei gegensätzliche Dinge zu sein. 22 In jedem Fall muss jedoch das Recht verhindern, dass es selbst dem Zufall unterworfen ist.23 Und auch mit dem Gerechtigkeitsgebot drohen immer dann Friktionen, wenn das Zufallsrisiko nicht gerecht verteilt ist. 24 Den Einfluss des Zufalls aus dem Leben durch das Recht vollkommen zu verbannen ist jedoch eine Utopie. 25 Dies stellte bereits Platon fest: „[D]em Zufall zu gebieten ist kein Gesetzgeber imstande“. 26

Vgl. hierzu Looschelders, VersR 1996, 529 ff. Vgl. hierzu S. 36 ff. Vgl. dazu auch Depenheuer, JZ 1993, 171, 172; Looschelders, VersR 1996, 529, 534 spricht von „der Inkompatibilität von Recht und Zufall“. 23 Hierzu auch S. 29 ff. und S. 33 ff. 24 Hierzu auch S. 251 ff. 25 Vgl. auch Bydlinski, System, S. 227. 26 Nomoi IX 879ab, Übersetzung nach Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 82. Passend auch Schoemann, Lehre I, S. 25: „Freilich kann der eigentliche Zufall, das unabänderliche Geschick, keiner Gesetzgebung unterworfen werden, eben weil dessen Verhütung von Thätigkeit menschlicher Kraft nicht abhängt“. 21

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Soweit erforderlich27 und möglich, hat das Recht die Wirksamkeit des Zufalls durch Regelungen auszuschließen. Vorrangiges Mittel sind Verhaltensgebote, die den Normadressaten zu einem Verhalten anhalten, das auch unerwartete Entwicklungen berücksichtigt. Beispielsweise sollen Sicherheitsabstände Unfälle vermeiden, unabhängig davon, welche Ursache die Annäherung auslöst, sei es nun ein freiverantwortliches Bremsen oder ein von niemandem zu verantwortender Wildunfall des Voranfahrenden. Dies ist freilich nicht in jedem Fall möglich. Zudem wird mit zunehmendem Umfang der Verhaltensregeln die Handlungsfreiheit der Normunterworfenen immer weiter eingeschränkt. Darüber hinaus ist die Prävention zufälliger Schadensereignisse häufig lediglich mit unwirtschaftlichem Aufwand möglich. Dies sind Grenzen, jenseits derer sich das Recht anstelle der Vermeidung zufälliger Schadensereignisse der Zuweisung von deren Folgen zuwenden muss. Der Gesetzgeber steht dabei vor dem Dilemma, einer Partei die Last des Zufalls als Risiko aufzuerlegen. Obwohl der Zufall immer irgendeine Person bzw. Partei schon rein tatsächlich „trifft“,28 muss der Gesetzgeber stets hinterfragen, ob dieses Ergebnis auch richtig und wünschenswert ist oder ob es geboten ist, das Zufallsrisiko abweichend zuzuweisen. Das Produkt ist in beiden Alternativen eine planmäßige Zuweisung des Zufallsrisikos. Die verteilungsbedürftige Last Zufall beim schon tatsächlich Betroffenen zu belassen, entsprechend einer Risikozuweisung nach dem Lehrsatz casum sentit dominus,29 ist deswegen nicht notwendig eine Folge gesetzgeberischen Versagens oder gar eine „Kapitulation des Rechts“. 30 Der Gesetzgeber muss irgend jemanden mit dem Zufall belasten. 31 Bei dieser Entscheidung kann er etwa berücksichtigen, dass es ein wirksames Mittel zur Verhaltenssteuerung sein kann, bestimmte Risiken zuzuweisen. 32 Aber nicht nur Verhaltenssteuerung und Effizienzerwägungen vermögen dem Gesetzgeber eine Hilfe zu bieten, welchen von zwei gleich Unschuldigen er belasten soll. Von essentieller Bedeutung ist das Ziel, mit der Verteilung von Zufallsrisiken Gerechtigkeit herzustellen.33

27 Kein Zwang für einen Ausschluss der Wirksamkeit des Zufalls besteht etwa bei den aleatorischen Verträgen (Spiel und Wette, § 762 BGB). Insoweit haben sich die Parteien bewusst und einvernehmlich dem Zufall ausgesetzt. 28 Hierzu auch S. 211. 29 Eingehend zu diesem Lehrsatz S. 201 ff. 30 In diese Richtung Rümelin, Schadenszurechnung, S. 14; v. Schenk, Sphäre, S. 81. 31 In seiner fürsorgenden Funktion kann der Staat seine Bürger in bestimmtem Umfang vom Zufall (wieder) entlasten. Etwa vermindert das Sozialrecht die Auswirkungen der zufälligen Schicksalsschläge des Lebens, indem es die Risiken auf die Gemeinschaft verteilt. Hierzu auch S. 36 ff. 32 Vgl. hierzu eingehend S. 231 ff. 33 Hierzu eingehend S. 251 ff.

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In Ausnahmefällen kann es sogar Gerechtigkeit schaffen, den Zufall planvoll im Recht wirken zu lassen. Beispielweise kann durch das „Zufallsprinzip“ dem Gerechtigkeitspostulat in seiner Ausprägung als Gleichheitsgebot (Art. 3 GG) entsprochen werden. Das Zufallsprinzip ist etwa anzuwenden, wenn Kontrollen kapazitätsbedingt nur stichprobenartig durchführbar sind, weil das Zufallsprinzip das Kontrollrisiko gleichmäßig verteilt.34 Ebenso ist die Zuteilung von begrenzten Leistungen nach dem Losverfahren ein gerechter Verteilungsmaßstab, wenn die Auswahl zwischen den Bewerbern nicht nach objektiven Kriterien durchgeführt werden kann. 35 In anderen Konstellationen kann die Wirksamkeit des Zufalls trotz eines bestehenden Gerechtigkeitsdefizits auch aus vorrangigen Gründen gerechtfertigt sein. So etwa bei Stichtagsregelungen aus Gründen der Rechtssicherheit.36 Es ist jedoch stets rechtfertigungsbedürftig, dem Zufall Einfluss auf das Recht zu gewähren.

IV. Erscheinungsformen des Zufalls im Zivilrecht Durchleuchtet man das deutsche Zivilrecht auf den Zufall, so stößt man auf diesen in mannigfaltiger Weise. Zum einen ist der Zufall zum Regelungsinhalt einzelner Bestimmungen geworden (1.). Zum andern ist er als Element juristischer Argumentation und Diskussion anzutreffen. Er dient insoweit als Argument für eine bestimmte Auslegung einer Norm und gelegentlich darüber hinaus als Anknüpfungspunkt für eine Rechtsfortbildung (2.). Damit wiederum in unmittelbarem Zusammenhang steht das gelegentliche Erscheinen des Zufalls als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal oder als hinter einem solchen stehendes Motiv (3.). 1. Der Zufall als Gegenstand gesetzlicher Regelung Vereinzelt hat der Zufall explizit Eingang in das Gesetz gefunden. Im bürgerlichen Recht ist er etwa in den §§ 287 S. 2, 732, 848 BGB anzutreffen. Dabei variiert die Wirkweise des Zufalls in den Normen erheblich. Während die Haftung in § 732 BGB ausdrücklich ausgeschlossen wird, wenn die Beeinträchtigung der Sache auf Zufall beruht, 37 ordnen die §§ 287 S. 2, 848 BGB gegensätzlich hierzu eine Haftung für Zufall ausdrücklich an. Zufällige Schadensereignisse sind zudem in den §§ 446, 582a, 588, 644, 2380 BGB oder etwa § 56 ZVG, §§ 536, 630, 633, 639 HGB, § 33 VerlG Gegenstand der Regelung. Vgl. BVerfG, NJW 1995, 581. Vgl. etwa BVerwG, NVwZ-RR 2006, 786; eingehend zu diesem „Rechtsprinzip Zufall“ Depenheuer, JZ 1993, 171 ff. 36 Dazu und zum Prioritätsprinzip unten S. 32. 37 Interessant ist auch § 92a BinSchG, der eine Haftung für durch Zufall oder höhere Gewalt herbeigeführte Schiffskollisionen ausdrücklich ausschließet. Dazu sogleich. 34

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Ebenso trifft man den Zufall auch im Zusammenhang mit Hindernissen bei der Teilnahme an Prozessen (§ 247 ZPO) und bei der Wahrung von Fristen (§ 34 ArbNErfG38) an. Ein genauerer Blick offenbart, dass die maßgeblichen Normen als Haftungsnormen oder Gefahrtragungsnormen Teil des Systems der schadensrechtlichen Risikozuweisung sind. Auch die wenigen Normen mit abweichendem Regelungsinhalt betreffen die Zuweisung spezifischer Risiken. Vom Zufall spricht das Gesetz in Anbetracht der Tatsache, dass dieser nur dann regelungsbedürftig ist, wenn er sich der individuellen Beeinflussbarkeit entzieht,39 immer nur im Zusammenhang mit Risikozuweisung. Es bedürfte beispielsweise der Gefahrtragungsnormen nicht, sofern nur die beherrsch- und damit vermeidbaren Beeinträchtigungen einer Sache Inhalt der Regelungen sein sollten. Diese haben durch das verschuldensabhängige Haftungsrecht bereit eine interessengerechte Regelung erfahren. Bereits an dieser Stelle kann also festgestellt werden, dass der Zufall untrennbar mit der Risikozuweisung verbunden ist. In einem speziellen Verhältnis zum Zufall steht das Institut der höheren Gewalt. Dieses Verhältnis ist allerdings aus der Normsystematik nicht sofort ersichtlich. Legt man den Wortlaut des § 92a BinSchG oder des zum 25.04.2013 aufgehobenen § 734 HGB40 zugrunde, handelt es sich scheinbar um zwei Rechtsfiguren, die einen unterschiedlichen Anwendungsbereich aufweisen. Nach dem Wortlaut dieser Normen ist die Haftung im Falle von Zufall oder höherer Gewalt ausgeschlossen. Dies deutet darauf hin, dass der Zufall entsprechend dem klassischen römischrechtlichen Verständnis nur den „niederen Zufall“41 erfasst, von dem der „höhere Zufall“ bzw. die höhere Gewalt abzugrenzen ist. Jenseits dieser Normen unterscheidet das Gesetz jedoch nicht vergleichbar zwischen Zufall und höherer Gewalt und ein systembildender Charakter ist der Differenzierung auch nicht zuzubilligen. Die missglückte und für § 92a BinSchG schlicht übernommene Formulierung des § 734 HGB entstammt Art. 2 des Internationalen Übereinkommens vom 23. September 1910 zur einheitlichen Feststellung bestimmter Regeln Andere vergleichbare Normen stellen dagegen auf höhere Gewalt (§§ 206 BGB, 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG) ab oder verlangen schlicht fehlendes Verschulden (z.B. § 233 ZPO). § 110 AO verlangt hingegen nach Abs. 1 für die Wiedereinsetzung im Ausgangspunkt ebenfalls ausschließlich fehlendes Verschulden, nach einem Jahr ab Ende der versäumten Frist jedoch gem. Abs. 3 ein auf höherer Gewalt beruhendes Hindernis. 39 Anders die Konzeption etwa in § 1311 ABGB, der zwischen dem haftungsfreien „bloßen Zufall“ in dessen Satz 1 und dem haftpflichtigen „durch ein Verschulden veranlasst[en]“ Zufall in Satz 2 unterscheidet. Diese Differenzierung ist jedoch vom Standpunkt der heutigen Dogmatik aus überflüssig, was wohl auch überwiegend von der österreichischen Rechtswissenschaft anerkannt wird, vgl. dazu Koziol/Bydlinski/Bollenberger/Karner, § 1311 ABGB Rn. 2. 40 Aufgehoben durch das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts, BGBl I 2013, S. 831. 41 Hierzu unten S. 53. 38

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über den Zusammenstoß von Schiffen. 42 In seiner vorherigen Fassung sah § 734 HGB eine Unterscheidung zwischen Zufall und höherer Gewalt nicht vor. Die Norm knüpfte die Haftung vielmehr positiv an Verschulden. Dies entsprach der übrigen deutschen Kodifikationspraxis. Veränderungen in der deutschen Haftungsrechtsdogmatik waren mit der unbedarften Übernahme der Regelung des Abkommens weder intendiert noch verbunden. Im Ergebnis besteht entsprechend auch Einigkeit, dass der Differenzierung in den §§ 734 HGB a.F., 92a BinSchG keine Aussage über die Eigenständigkeit der höheren Gewalt gegenüber dem Zufall entnommen werden kann. Vielmehr erweist sich die – wohl versehentlich – ausdrücklich erwähnte höhere Gewalt lediglich als Unterfall des haftungsfreien Zufalls. 43 Dies deckt sich mit der herrschenden Ansicht im bürgerlichen Recht.44 Ist nicht Verschulden das maßgebliche Zurechnungsprinzip – und auch nur dann – gewinnt die höhere Gewalt45 erstmals an eigenständiger Bedeutung. Ausschließlich die verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände, wie etwa die der Gefährdungshaftung oder die Garantiehaftung des Gastwirts für eingebrachte Sachen nach § 701 BGB, sehen diesen Haftungsausschluss vor. Das Rechtsinstitut der höheren Gewalt erfasst lediglich einen Teilbereich des Zufalls in der Risikozurechnung. 46 2. Der Zufall in Argumentation und Methodik Der Zufall hat im Recht einen weiteren festen Platz als Element juristischer Argumentation. Führt die Anwendung eines Rechtssatzes bei wertungsmäßig gleichgelagerten Sachverhalten scheinbar zufällig zu unterschiedlichen Ergebnissen, so zweifelt der Jurist zu recht an Sinnhaftigkeit und Legitimität der Regelung. Diesem bedenklichen Zustand wird primär im Wege der Auslegung (im engeren Sinne) und somit im Rahmen der Rechtsanwendung entgegengewirkt. Dies geschieht etwa, indem eine bestimmte Auslegungsvariante des 42 Dazu Rabe, Seehandelsrecht, § 734 HGB Rn. 1; Schaps/Abraham, Seerecht, § 734 HGB Rn. 12. 43 Vgl. Rabe, Seehandelsrecht, § 734 HGB Rn. 2; Schaps/Abraham, Seerecht, § 734 HGB Rn. 5. 44 Vgl. etwa Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 472, 646; Palandt/Grüneberg, § 287 Rn. 1; U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 127; Knütel, NJW 1993, 900 f.; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 10; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, § 287 Rn. 3; a.A. wohl nur Jauernig/Stadler, § 276 Rn. 11; Bamberger/Roth/Unberath, § 276 Rn. 36, allerdings ohne Begründung. 45 Eingehend unten S. 161 ff. Die Neufassung des § 734 HGB war deswegen besonders unglücklich formuliert, da die Norm als Verschuldenshaftung (Rabe, Seehandelsrecht, § 734 HGB Rn. 1) eine zum sonstigen Haftungsrecht abweichende Bestimmung des – in diesem Zusammenhang überflüssigen – Begriffs der höheren Gewalt (dazu Schaps/Abraham, § 734 HGB Rn. 5) erzwang. Diese Misere besteht in § 92a BinSchG bedauerlicherweise fort. 46 A.A. die sog. Alternativitätsthese, vertreten etwa von Deutsch, Haftungsrecht, S. 425, 442 f. und Kötz, Gutachten, 1779, 1807. Eingehend zu dieser unten S. 166 f.

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Rechtssatzes, die zu zufälligen Ergebnissen führt, im Rahmen der juristischen Diskussion kritisiert oder verworfen wird.47 Ein Rechtssatz gerät mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 GG in Konflikt und widerspricht der mit einem jeden Gesetz angestrebten Rechtssicherheit, wenn die Rechtsanwendung in gleich gelagerten Fällen unterschiedliche Ergebnisse erzeugt. 48 So ist eine Auslegung eines Tatbestandsmerkmals, welche die Anwendbarkeit der Norm lediglich an bestimmte äußere Umstände knüpft, ohne wertungsmäßig gleichwertige Alternativen zu berücksichtigen,49 in vielen Fällen untragbar, weil diese zu zufälligen Normanwendungsergebnissen führt. Dies ist insbesondere problematisch, wenn die Norm lediglich an ein bestimmtes Verhalten anknüpft und der Normadressat bei der Wahl der Verhaltensalternativen, die nur teilweise erfasst sind, frei ist und diese unbewusst bzw. willkürlich und damit objektiv zufällig fällt. Beispielsweise entfällt im Falle einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 BGB der Maklerlohnanspruch nach § 652 Abs. 1 S. 1 BGB, weil diese ex tunc wirkt und der Hauptvertrag deshalb nicht wirksam zustandegekommen ist. Die arglistige Täuschung berechtigt den Vertragspartner des Maklers jedoch nicht nur zur Anfechtung. Sie begründet auch ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht desselben und gewährt diesem einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo, die allesamt den Vertrag, allerdings mit Wirkung ex nunc, entfallen lassen. Es ist aus der Sicht des Maklers reiner Zufall, welche Variante der Vertragsauflösung der Berechtigte wählt und es wäre willkürlich, den Fortbestand des Lohnanspruchs von dieser Wahl abhängig zu machen. 50 Deshalb wird es beim Mak-

47 Vgl. BGHZ 108, 179, 183 f.; NJW 2009, 437 zum sog. „Wettlauf der Sicherungsgeber“; vgl. auch BGH, NJW 2002, 2875, 2876, bei der die vom Senat vertretene Auslegung des § 1001 S. 1 BGB dessen Sinn und Zweck widersprechende Ergebnisse vermeidet, die vom Zeitpunkt des Erhalts der Erklärung abhängig und deshalb zufällig sind. Ausdrücklich etwa AG München, NZV 2004, 474, 475: „[...] verstößt eine solche Auslegung [des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB] auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil sie es letztendlich dem Zufall überlässt, ob der Geschädigte die im Brutto-Wiederbeschaffungswert enthaltene Mehrwertsteuer voll, nur zum Teil oder gar nicht erhält“; vgl. auch BGHZ 47, 224, 230; 132, 328, 335; 164, 336, 340 sowie Prot. II, S. 2718 f. (Mugdan II, S. 1075 f.). 48 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 135; vgl. auch Fikentscher, Methoden IV, S. 203 f. 49 So z.B. der Vorwurf von Gursky, JZ 1996, 683, 685 gegenüber der herrschenden Meinung bzgl. der selektiven Anwendbarkeit der negatorischen Haftung bei der aktuellen räumlichen Überlagerung des Eigentumsraums durch Sachen. Zu diesem Problem auch Katzenstein, AcP 211 (2011), 58, 71 f. Vgl. auch BGH, NJW 1975, 47: Ablehnung der Anknüpfung an den Baufortschritt zu einem bestimmten, i.E. jedoch zufälligen Zeitpunkt; BayOLGZ 1992, 247, 259 f.: von der zufälligen Reihenfolge der Anträge abhängige Gebührenhöhe. 50 So explizit BGH, NJW 2001, 966, 967 und im Anschluss daran etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 07.12.2011 – 3 U 135/11 Tz. 34 nach juris.

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lervertrag überwiegend anerkannt, dass unabhängig von der Art der Vertragsaufhebung der Maklerlohnanspruch entfällt, wenn die Unvollkommenheit des Hauptvertrages eine Aufhebung mit Wirkung ex tunc ermöglicht hätte.51 Als problematisch erweist sich jedoch der Umgang mit Normen, deren Wortlaut eigentlich keinen Spielraum dafür bieten, den Zufall durch Auslegung im engeren Sinne aus der Norm zu verbannen. Ist es nicht möglich, dem planwidrig in der Norm wirksamen Zufall durch Auslegung im engeren Sinne zu begegnen, so führt dies zu einem anderen Wirkungsfeld des Zufalls im juristischen Arbeiten: der Zufall als Anknüpfungspunkt methodischen Wirkens52 in der Form der Rechtsfortbildung (Auslegung im weiteren Sinne). Zufällige Rechtsanwendungsergebnisse können ein Ansatzpunkt dafür sein, die Norm im Wege der Rechtsfindung praeter legem zu ergänzen. 53 Die juristische Methodik gibt dem Richter das Werkzeug an die Hand, einen Rechtssatz zu berichtigen, der bei wortlautgetreuer Anwendung trotz wertungsmäßiger Gleichartigkeit der Sachverhalte für den Normadressaten zufällige Ergebnisse erzeugt. Solch eine für den Normadressaten zufällige Ungleichbehandlung liegt etwa vor, wenn ein Rechtssatz zufällig unanwendbar ist, obwohl die Sachverhalte gleichbehandlungsbedürftig sind. 54 Ist die Lückenhaftigkeit des Gesetzes seinem Zweck nach planwidrig, was bei nicht im Wege der reinen Auslegung korrigierbaren zufälligen Rechtsanwendungsergebnissen stets der Fall sein dürfte, hält die Methodik mit Analogie und teleologischer Reduktion die zur Lückenfüllung erforderlichen Mittel bereit.55 Beispielsweise bewirkt die strikte Anwendung des Gesetzes, dass der Ausgleich zwischen gleichrangigen Sicherungsgebern infolge der lückenhaften Ausgestaltung der Ausgleichssysteme im BGB teilweise unterschiedlich erfolgt und dabei vom zufälligen Umstand der zeitlich ersten Inanspruchnahme und Befriedigung der Forderung abhängig ist (sog. Wettlauf der Sicherungsgeber). 56 Als Reaktion auf diesen Missstand hat der Bundesgerichtshof die zu

51 Vgl. Palandt/Sprau, § 652 Rn. 39; Bamberger/Roth/Kotzian-Marggraf, § 652 Rn. 36; Rücktritt: BGH, NJW 2001, 966, 967; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.12.2011 – 3 U 135/11 Tz. 34 nach juris; a.A. Würdinger, NZM 2010, 305, 309 (Ergebnis); Aufhebungsvertrag: OLG Köln, NJW-RR 1997, 693; OLG Celle, NJW-RR 1999, 128; culpa in contrahendo: OLG Hamm, NJW-RR 2000, 1724; Kündigung: BGH, NJW 1979, 975. 52 Dazu, dass die Norminterpretation ihrerseits gewisse Elemente der Zufälligkeit aufweist, Depenheuer, JZ 1993, 171. 53 BGHZ 108, 179, 186 („Wettlauf der Sicherungsgeber“). 54 In diese Richtung etwa v. Caemmerer, Festschrift Deutscher Juristentag, 49, 82 f. 55 Vgl. z.B. BGH, NJW 2001, 966, 967: Entfallen des Anspruchs auf Maklerlohn unabhängig von der aus der Sicht des Maklers zufälligen Wahl des Gestaltungsrechts beim Kaufvertrag im Falle der Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung. 56 BGHZ 108, 179, 183 ff.; MünchKommBGB/Bydlinski, § 426 Rn. 46; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 16; a.A. Staudinger/Wolfsteiner, § 1143 Rn. 39 ff., der die Zufallsfolge ausdrücklich billigt (Rn. 46).

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zufälligen Ergebnissen führende Gesetzeslücke im Wege einer Analogie zu den Regeln über die Gesamtschuld geschlossen.57 Variiert das Rechtsanwendungsergebnis aufgrund tatsächlich zufälliger Gegebenheiten, obwohl die Sachverhalte wertungsmäßig gleichbehandlungswürdig sind, so erscheint dem Rechtsanwender der Verstoß gegen den Gleichheitssatz als besonders gravierend. Dies ist selbstverständlich, handelt es sich schließlich beim Zufall doch um den Paradefall unbegründeter Differenzierung. Darüber hinaus genügt die zufällig differenzierende Norm auch dem Gebot der Rechtssicherheit nicht. Der allgemeine und grundlegende Zweck einer jeden Rechtsnorm ist es, eine bestimmte Gruppe gleichwertiger Fallkonstellationen einheitlich zu regeln und damit zugleich die Rechtssicherheit zu fördern. Dies ist sozusagen der „abstrakte“ Telos von Normen bzw. des gesamten Rechts. Dieser Zweck wirkt auf die innere Teleologie einer konkreten Norm oder Normengruppe ein, wodurch der „individuelle“ Regelungszweck mit definiert wird. Erfüllt eine Norm bereits diesen allgemeinen Zweck nicht, ist sie klar lückenhaft. Eine Norm oder ein Normkomplex, der ungerechtfertigt zufällige Rechtsanwendungsergebnisse produziert, steht auch im Widerspruch zur Rechtsidee58 (Radbruch59) bzw. der Gerechtigkeit (Kaufmann60) selbst, da sie deren essentiellen Ausprägungen in der Form der Gleichheit61 und der Rechtssicherheit nicht genügt. Selbst wenn man derartigen rechtsphilosophischen Erwägungen „richtigen Rechts“ nicht anhängt, 62 muss dennoch zugestanden werden, dass eine Norm, die dem angesprochenen abstrakten Zweck von Normen nicht genügt, auch in ihrer immanenten Teleologie lückenhaft ist. Die Verfassung gibt mit dem Gleichheitsgebot und dem Rechtstaatsprinzip (Rechtssicherheit, Verständlichkeit, Voraussehbarkeit) dem einfachen Recht eben diese Rahmenbedingungen positiv vor. Das Recht als solches ist dementsprechend bereits seiner Natur nach zufallsavers, und diese Aversion prägt und beeinflusst stets – bewusst oder unbewusst – das juristische Denken und Wirken. Gerade dieser Umstand dürfte dafür ursächlich sein, dass es sich bei Normen, die zu grundlos zufälligen Ergebnissen führen, um seltene Ausnahmeerscheinungen handelt. Es soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, dass an tatsächlich zufällige Umstände anknüpfende Normen stets zu missbilligungswürdigen zufälligen Rechtsanwendungsergebnissen führen. Vielmehr vermag das Recht in aller Regel das tatsächlich Zufällige auf der Grundlage BGHZ 108, 179, 186. So zutreffend Depenheuer, JZ 1993, 171, 172 bzgl. der zufälligen Zuerkennung von Rechten und Pflichten. 59 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 29 ff.; vgl. auch Henkel, Rechtsphilosophie, S. 389 ff.; Larenz, Recht, S. 33 ff. 60 Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 152 ff. 61 Häufig als Gerechtigkeit im engeren Sinn bezeichnet. 62 Kritisch etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 916 ff. 57

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§ 1 Bedarf für eine juristische Erfassung des Zufalls

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von Wertungen einer ordnenden Regelung zuzuführen. Ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit bzw. der Verstoß gegen das Gleichheitsgebot ergibt sich erst, wenn keine legitime Rechtfertigung der unterschiedlichen Rechtsfolgen gegeben ist, die aus tatsächlich zufälligen Umständen folgen. Tatsächlich zufällige Ergebnisse, die jedoch gerechtfertigt sind, erzeugen beispielsweise die bereits angesprochenen Stichtagsregeln oder auch das Prioritätsprinzip. Obwohl bei diesen Rechtsfiguren, die an den Zeitpunkt eines Ereignisses anknüpfen, viele zufällige Umstände wirksam sind, wie etwa ein unbeherrschbarer und voraussehbarer Ereigniseintritt oder die Geschwindigkeit der postalischen Übermittlung eines Antrags im konkreten Einzelfall, rechtfertigt die durch die Institute bewirkte Rechtssicherheit das zufällige Rechtsanwendungsergebnis. Die „Gretchenfrage“ ist also stets die nach dem materiellen Grund für unterschiedliche Behandlung bei der Normanwendung, die auf tatsächlich zufälligen Vorgängen beruht.63 3. Der Zufall als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Vordergründig scheint der Zufall als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, wie er seit langem in der Schadensliquidation im Drittinteresse bekannt ist, aber auch als ein Motiv hinter einer Reihe von Ausnahmen vom Prinzip der Vorteilsausgleichung wirkt, 64 zwischen den beiden zuvor dargestellten Domänen des Zufalls im Recht zu stehen. Eine genauere Betrachtung offenbart jedoch, dass lediglich eine Gesetzeslücke mit methodischen Mitteln geschlossen wurde, die durch zufällige Rechtsanwendungsergebnisse begründet war. Nicht die sonst übliche Zuweisung eines Risikos ist Gegenstand der Regelung, sondern der Ausschluss zufälliger Einflüsse auf das Ergebnis der Rechtsanwendung. Im Rahmen der Drittschadensliquidation wird dem Schädiger verwehrt, sich auf das Fehlen eines Schadens beim Geschädigten zu berufen. Dafür wird das

Vgl. etwa BGH, NJW 1975, 382, 384. Etwa werden Leistungen gesetzlicher oder vertraglicher Versicherungen, Lohnfortzahlung etc. nicht angerechnet. Diese sollen dem Geschädigten zugutekommen und keine für den Schädiger entlastende zufällige Schadensverlagerung auf Dritte bewirken (in diese Richtung auch MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 257; vgl. auch Staudinger/Vieweg, § 843 Rn. 43). Eine berechtigte Ausnahme wird jedoch gemacht, wenn die Leistung den Schädiger begünstigen sollte (vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 8 Rn. 16), etwa wenn eine Haftpflicht- oder Unfallversicherung mit entsprechender Zwecksetzung abgeschlossen wurde (vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 254 m. umf. Nachw.). Dies ist zwar auch ein glücklicher Zufall für den Schädiger, aber die Schadensverlagerung ist in diesem Fall durch den Willen des Leistenden (bzw. des die Prämien zahlenden Versicherungsnehmers) gerechtfertigt. 63

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

Dogma vom Gläubigerinteresse als „Rechtsprinzip“ 65 teleologisch reduziert.66 Diese teleologische Reduktion ist notwendig, weil es zu zufälligen Ergebnissen führt, wenn das Prinzip in Verbindung mit der Differenzhypothese ausnahmslos angewendet wird. Zugleich ist es nicht wirklich erforderlich, das Dogma anzuwenden, weil bei den maßgeblichen Fällen der Schadensverlagerung gerade keine Gefahr der Schadenspotenzierung besteht. Durch die teleologische Reduktion wird vermieden, dass zwischen den Schäden, die beim formell berechtigten Rechtsinhaber eintreten und denjenigen, die zufällig auf einen anderen, nicht anspruchsberechtigten Dritten verlagert werden,67 gleichheitssatzwidrig und damit willkürlich differenziert wird. Dies verhindert, dass der Schädiger zufällig privilegiert bzw. spiegelbildlich der tatsächlich Geschädigte benachteiligt wird. Durch die teleologische Reduktion wird eine verdeckte Lücke im Gesetz durch einen Ausnahmetatbestand ausgefüllt, 68 der die Zufälligkeit des Rechtsanwendungsergebnisses ausschließt. Dies geschieht genauer dadurch, dass der die Gesetzeslücke begründende Zufall selbst zum Ausnahmetatbestand des Rechtssatzes erhoben wird. Wird die zufällige Privilegierung des Schädigers durch das Dogma vom Gläubigerinteresse ausgeschlossen, so werden die Schädiger wie geboten gleichbehandelt und der Zufall aus dem Recht verbannt. Auch der Rechtssicherheit wird Genüge getan, da der verantwortliche Schädiger stets haftet und das (wahre) Opfer stets Ersatz erhält. Dabei kann man freilich darüber streiten, ob die Drittschadensliquidation in ihrer gegenwärtigen Form zu überzeugen vermag oder ob nicht eine systemkohärentere Lösung der Problemlage erreicht werden kann. 69 An dieser Stelle soll mit ihrer Hilfe lediglich verdeutlicht werden, dass der Zufall als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal lediglich die gebotene Rechtsfortbildung umsetzt, die der im Recht wirksame Zufall erforderlich macht.

V. Zufall, Haftung und Risikozuweisung Der Zufall hat im Recht der Schadenszuweisung eine doppelte Funktion. Zum einen zeigt er die Grenzen der Schadenszuweisung aufgrund haftungsrechtlicher Verantwortung auf. Beispielsweise verpflichten nicht verschuldete Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht zum Schadensersatz. Zum andern eröffnet 65 Dabei handelt es sich jedoch normtheoretisch nicht um ein Rechtsprinzip, sondern um eine echte (ungeschriebene) Regelung. Vgl. zu den Rechtsprinzipien S. 118 ff. 66 Vgl. auch Canaris, Lücken, S. 156 ff.; krit. Hagen, Drittschadensliquidation, S. 65 ff. 67 Zum Zufallsbegriff in der Drittschadensliquidation S. 94. 68 Vgl. hierzu Bydlinski, Methodenlehre, S. 480; Canaris, Lücken, S. 151; Zippelius, Methodenlehre, S. 55 f. 69 Dazu Staudinger/Schiemann, Vorbem zu §§ 249–254 Rn. 62 f. m. w. Nachw.

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der Zufall den Anwendungsbereich der alternativen Risikozuweisung, vorrangig entsprechend des Lehrsatzes casum sentit dominus. Der casus führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Belastung des dominus, die aus der „Nichthaftung“ resultiert. Etwa können Gefahrtragungsnormen, wie die §§ 446 f. BGB, einer anderen Person als dem Rechtsträger das Risiko zufälliger Beeinträchtigungen ausnahmsweise auferlegen. Das Recht der Gefahrtragungsnormen wirkt zwischen der Schadenszuweisung durch Haftung und der lediglich reflexhaften Belastung des Rechtsträgers durch deren Ausbleiben.70 Die mit den Gefahrtragungsnormen verbundene Belastung mit dem Zufallsrisiko, die zur Haftung alternativ ist, 71 beruht freilich auf unterschiedlichen Grundgedanken und Wertungen, welche hier allein schon wegen des erforderlichen Umfangs nicht dargestellt werden können. Funktion und systematische Einordnung der Gefahrtragung als solche werden jedoch bereits dadurch offenbar, dass diese tatbestandlich an die Zufälligkeit der Leistungsstörung anknüpfen. Sie bezwecken ausschließlich den Fall fehlender haftungsrechtlicher Verantwortung zu erfassen und sind deshalb konzeptionell zur Haftung subsidiär.72 Das Zusammenwirken von Haftung und Gefahrtragungsnormen ist ein Paradebeispiel für den bedachten Umgang des Gesetzes mit dem Zufall. Den tatsächlichen Zufällen des Lebens wird zuvorderst durch das Haftungsrecht begegnet, das den Einzelnen anhält, die rechtlichen Verhaltensgebote – unabhängig von deren Einklagbarkeit – einzuhalten. Diese sind darauf ausgerichtet, den Eintritt von Schadensereignissen zu verhindern, auch wenn diese ausschließlich auf dem Zusammentreffen verschiedener zufälliger oder auch unglücklicher Umstände beruhen. Soweit dem Zufall nicht durch Verhaltensgebote begegnet werden kann und es keinen Grund gibt, einer Person ausnahmsweise bestimmte Risiken73 im Wege der Risikohaftung aufzuerlegen, ist mit dem Ausbleiben der Haftung eine bewusste Risikozuweisung zum Träger des Rechtsguts verbunden. 74 Lediglich in Ausnahmefällen ist dennoch geboten, von der haftungsrechtlichen Risikozuweisung, die mit dem nunmehr auch rechtlichen Zufall verknüpft ist, im Weg der Gefahrtragungsnormen abzuweichen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Gläubiger den Kaufgegenstand schlicht nicht abholt oder sich diesen zusenden lässt, wodurch jeweils für den

Zur Belastung des Rechtsträgers S. 211 f. und S. 216 f. Vgl. Hager, Gefahrtragung, S. 35; Veelken, Dogmatik, S. 12. 72 Umfassender hierzu S. 67 ff. 73 Mit der Risikohaftung ist keineswegs eine umfassende Belastung des Haftungsadressaten mit dem Zufallsrisiko verbunden, sondern bestimmte, aus der Gefahrenquelle herrührende (auch im Sinne des Verschuldensprinzips zufällige) Schadensereignisse werden der Risikosphäre des Betreibers oder Halters der Quelle besonderer Gefahr zugeordnet. Eingehend zur Risikohaftung S. 150 ff. 74 Vgl. hierzu S. 226 f., 229 ff. 70

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Schuldner zusätzliche Risiken von zufälligen Störungen der Leistungsbeziehung erzeugt werden. 75 In diesem Fällen ist es grundsätzlich gerechtfertigt, den Gläubiger mit eben diesen zusätzlichen Risiken zu belasten, wie es in § 446 S. 3 und § 447 Abs. 1 BGB vorgesehen ist. Aus diesem hier nur grob skizzierten Zusammenspiel von Haftung, Gefahrtragungsnormen und grundsätzlicher Risikozuweisung ergibt sich ein in sich stimmiges System. Dabei lässt sich natürlich darüber streiten, wo die Grenzen zwischen den einzelnen Risikobereichen zu ziehen sind, ebenso wie über Gegenstand und Reichweite der Instrumentarien der ausdifferenzierten Risikozuweisung diskutiert werden kann. Und zu eben dieser Diskussion soll die vorliegende Untersuchung einen Beitrag leisten, wobei sie sich jedoch auf die bedeutendere haftungsrechtliche Risikozuweisung beschränkt.

VI. Staat und Versicherung als Schutz vor Zufallsrisiken Die Bedrohung durch den Zufall hat sich im Laufe der Zeit verändert. Schlug in früheren Zeiten das Schicksal zu und traf ein Unglück eine Person, das nicht zu einer Ausgleichspflicht durch einen Schädiger führte, stand diese nicht selten vor den Trümmern ihrer Existenz. War der Einzelne oder der Familienverband nicht imstande, dieses Ereignis zu bewältigen, so blieb den Betroffenen nur, auf die Mildtätigkeit anderer zu hoffen. Zukünftige Unglücke wie Krankheit, Naturkatastrophen, Krieg oder auch ein schlichter Unfall hingen wie das Damoklesschwert über dem Haupt eines jeden. In dieser Situation der Hilflosigkeit konnte der Einzelne sich nur um die Gunst der für die Zuteilung des Schicksals zuständigen göttlichen Instanz bemühen. Auf diese Last für die menschliche Existenz, die der Zufall begründete, reagierte zum einen der Staat durch Einrichtungen, die die Herrschaft des Zufalls bekämpfen und dessen Schrecken vermindern sollten. 76 Einrichtung der Armenfürsorge und in der Fortentwicklung die Sozialversicherung77 in ihren unterschiedlichen Ausprägungen halfen die schlimmsten Folgen von Schicksalsschlägen, aber auch die weniger einschneidenden Folgen unerwarteter Ereignisse des Lebens zu bewältigen. Es muss als geradezu herausragender Fortschritt bezeichnet werden, dass sogar die Kumulation unglücklicher Zufälle, 75 Vgl. hierzu Bamberger/Roth/Faust, § 447 Rn. 1; MünchKommBGB/H. P. Westermann, § 447 Rn. 2. 76 Vgl. etwa Schoberlechner, Zufall, S. 33. 77 Vgl. etwa auch BVerfG, NJW 2009, 2033 Tz. 171: Der Schutz der Bevölkerung vor dem Risiko der Erkrankung ist in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine Kernaufgabe des Staates. Die gesetzgeberische Absicht, einen Krankenversicherungsschutz für alle Einwohner zu schaffen, ist von dem Ziel getragen, ein allgemeines Lebensrisiko abzudecken, welches sich bei jedem und jederzeit realisieren und ihn mit unabsehbaren Kosten belasten kann.

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wie das Schicksal einer schweren Behinderung zusammen mit einer Geburt in Armut, heute – zumeist – nicht mehr zu einem Leben in Abhängigkeit von der Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft anderer zwingt. Stattdessen tritt die Gemeinschaft unbedingt für den einzelnen vom Zufall Getroffenen ein. Die Gemeinschaft, und diese repräsentierend der Staat, wurde so zum ersten Bollwerk gegen den Zufall. Als weitere, den Schutz vor dem Zufall verstärkende Institution, sind die privaten Versicherungen zu benennen, 78 mit deren Hilfe mittlerweile den allermeisten Risiken begegnet werden kann. Grenzen bestehen eigentlich nur dort, wo Risiken einer mathematischen Berechnung nicht zugänglich sind – wie etwa bei Schäden durch Kernenergie. Diese Entwicklung ist alles andere als selbstverständlich. Dem Zufall die Stirn zu bieten, setzt eine fortschrittliche Geisteshaltung voraus. Staatliche Einrichtungen und Versicherung gegen unvorhersehbare oder unbeherrschbare Schadensereignisse wie Naturkatastrophen, aber auch Krankheit, sind nur dann moralisch gerechtfertigt, wenn in diesen Ereignissen nicht göttlicher Wille mit dem Ziel der Strafe oder Prüfung, sondern der Zufall wirkt. 79 Der Wunsch, sich durch rationale und planende Konstruktion vor dem blinden Walten des Zufalls zu schützen, setzt notwendig voraus, dass das Individuum von der alles lenkenden göttlichen Sphäre emanzipiert ist. So erleichtert es zwar, schicksalhafte Ereignisse zu erdulden, wenn diese nicht das Produkt willkürlicher, eben zufälliger Vorgänge, sondern eines planenden höheren Geistes und damit mit einem Sinn ausgestattet sind. 80 Folge dieser Weltanschauung ist jedoch, dass das Bestreben, diesen Ereignissen mit menschlichen Mitteln die Macht zu nehmen, als verwerflich angesehen werden muss. 81 Beruhen Unglück und Leid hingegen nicht auf göttlichem Willen, so kann der Mensch seine Zukunft gestalten und Vorsorge für das drohende Ungewisse treffen. Erst als die Vorstellung von der Verbindung von Schicksalsschlägen und göttlicher Schickung im 19. und 20. Jahrhundert vollständig überwunden wurde, eröffnete sich entsprechend die Möglichkeit, dem schädigenden Zufall durch den Versicherungsgedanken die Wirkung einer „Geißel der Menschheit“ zu nehmen und diesen als handhabbares, sittlich neutrales Risiko zu erfassen und zu bewältigen. Versicherung bietet sowohl in der Form der Privat- als auch der Sozialversicherung dem Einzelnen die Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit vom blinden und willkürlichen Walten des Zufalls zu befreien. Esser sieht in dem modernen Versicherungswesen gar die „weitaus schärfste Waffe [...] im Kampfe gegen die Herrschaft des Zufalls oder Schicksals“.82 Versicherung ist dabei natürlich nicht imstande, zufällige Schäden zu verhindern oder ungeschehen zu 78 Gewissermaßen als Vorstufe wirkten Schicksalsschläge abmildernde Zusammenschlüsse, wie etwa die mittelalterlichen Gilden und Zünfte. 79 Vgl. Bonß, Risiko, S. 178; Looschelders, VersR 1996, 529, 531. 80 Vgl. Meder, Schuld, S. 16. 81 Vgl. Looschelders, VersR 1996, 529, 531. 82 Esser, Grundlagen, S. 84.

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machen. Sie kann den Zufall nicht aus dem Leben verbannen oder verhindern, dass der Rechtsträger den Schaden erst einmal spürt. 83 Sie kann ausschließlich die negativen wirtschaftlichen Folgen ausgleichen. Die Wirkung dieses Umstandes auf den so „geschützten“ Versicherten ist jedoch enorm. Die Versicherung ermöglicht es dem durch den Zufall bedrohten Individuum, einen Teil dieser Last auf den Versicherungsträger und damit ein Kollektiv, in der Form einer Versichertengemeinschaft oder des Staates bei der Sozialversicherung, abzuwälzen. Der so Entlastete muss nicht mehr ständig fürchten, durch ein zufälliges Schadensereignis in seiner wirtschaftlichen Existenz vernichtet 84 oder in seinen Plänen für die Zukunft empfindlich gestört zu werden. Durch Versicherung erlangt der Versicherte also Sicherheit und auch Handlungsfreiheit. Das nunmehr mit dem Risiko des Zufalls belastete Kollektiv ist seinerseits imstande, den Zufall durch das – erstmals von Bernoulli im 18. Jahrhundert formulierte – Gesetz der großen Zahl zu marginalisieren, wenn nicht gar zu bezwingen. Das Gesetz der großen Zahl besagt, dass die relative Häufigkeit zufälliger Ereignisse sich zu einer stabilen Wahrscheinlichkeitsgröße verdichtet, je größer die Anzahl der in die Betrachtung einbezogenen Personen oder Objekte ist, bei denen derartige Ereignisse eintreten können. Durch das Bündeln von Risiken vermindert sich mit zunehmender Größe der Unsicherheitsfaktor. „Das ungeregelte Walten des Zufalls im Leben des Einzelnen wird so bezogen auf die Gesamtheit der Versicherten zu einer ‚geregelten Erscheinung’“.85 Als zwar immer noch mit zufälligen Schwankungen behaftete, im Großen und Ganzen jedoch feste Größe kann die Versicherung den zum berechenbaren Risiko gewordenen Zufall auf die Versichertengemeinschaft wirtschaftlich verteilen. Das für den Einzelnen bedrohliche Zufallsrisiko eines Schadens wird – soweit das Gesetz der großen Zahl anwendbar ist – durch Versicherung zu einer relativ geringen, gleichförmigen wirtschaftlichen Belastung, etwa in der Form einer Versicherungsprämie, transformiert und so seines Schreckens beraubt.

Vgl. v. Schenk, Sphäre, S. 80 f. Vgl. Looschelders, VersR 1996, 529, 532. 85 Looschelders, VersR 1996, 529, 530.

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§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“ „Keine Zufälligkeit irgendwo in der Welt; keine Gleichgültigkeit; keine Freyheit. Weil wir handeln und wirken, werden wir zu gleicher Zeit von einer anderen Kraft und Ursache getrieben und bewegt. Der endliche und letzte Urheber von allem unserm Wollen ist der Schöpfer der Welt [...]“. (David Hume 1)

Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“ ist untrennbar mit der Entwicklung des Verschuldens verbunden und kann deshalb nicht ohne diese erläutert werden. Der Zufall im Rechtssinne entstand als Folge des Wandels von religiöser Schuld und Sünde hin zum rechtlichen Verschulden als Zurechnungsgrund, gewissermaßen als „dogmatisches Nebenprodukt“ 2.

I. Vom Fluch der Götter zum blinden Walten des Zufalls Ein Bedarf für den Zufall als Rechtsfigur besteht nur, wenn ein schadensursächliches Verhalten des Einzelnen im Raum steht und einer rechtlichen Beurteilung im Sinne von Sanktion oder Haftung aufgrund individueller Verantwortung zugeführt werden soll. Deshalb verwundert es nicht, dass die frühen Rechtsordnungen, welche über ein System reiner Kausalhaftung verfügten, die Frage nach dem Zufall nicht aufgeworfen haben, wenn die Kausalität des Verhaltens für den Schaden gefehlt hat. Es bedurfte nicht des Einwandes, das Schadensereignis beruhe auf einem jenseits individueller Verantwortung liegenden Unglücksfall, denn der Täter hatte den Erfolg schlicht nicht verursacht. Erst die Existenz von individueller Verantwortung im Sinne von Verschulden begründet und erfordert zugleich einen Bereich, in dem sich das für das Schadensereignis kausale Verhalten des Einzelnen nicht als vorwurfswürdiger Akt realisiert. Trotz der Ursächlichkeit des menschlichen Handelns führt nicht der Schädiger, sondern letztendlich höhere, unkontrollierbare Kräfte den Verletzungserfolg herbei. Solch ein Schadensereignis erscheint dann als Missgunst 1

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Zitat nach Hume, Schriften, S 225 f. Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 18.

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der Götter oder des Schicksals. Zu diesem hat eine Person zwar, vielleicht sogar durch ein Fehlverhalten, einen Beitrag geleistet. Das Schadensereignis kann dieser im Ergebnis nicht vorgeworfen und sie nicht verantwortlich gemacht werden. Es muss vielmehr den jenseits der Einflusssphäre der Person liegenden Kräften zugeschrieben werden. 3 Als Produkt menschlicher Zivilisation sind selbstgeschaffene Regeln der Gemeinschaft sowie Verstöße gegen diese so alt wie die Zivilisation selbst. Während „Schuld“ im Sinne eines schlichten Normverstoßes als Ausgangspunkt für Strafe schon in den frühesten Gesellschaftsformen zu finden ist, handelt es sich bei der Verknüpfung von Schuld im Sinne von Vorwerfbarkeit des Verhaltens und daraus resultierender Verantwortung um eine Errungenschaft fortgeschrittener Zivilisationsstufen. 4 So wurde in der homerischen Zeit (ca. 750–700 v. Chr.) zwischen Fahrlässigkeit und schuldloser Kausalität noch nicht unterschieden. Ebenso hatte der Vorsatz keine rechtliche oder ethische Bedeutung. Für den homerischen Griechen begründete eine Handlung, durch die er geschädigt wurde, Schuld des Täters, ohne dass die Frage der Zurechnung aufgeworfen wurde. 5 Diese Unbeachtlichkeit des Verhältnisses des Subjekts zur Tat spiegelte die gesellschaftlichen und religiösen Verhältnisse wieder. Die Zuteilung von Freud und Leid nach himmlischem Ratschluss, deren Gründe man weder kannte noch suchte, wurde ebenso wie die eigenen Taten und ihre Folgen als etwas Gegebenes hingenommen, ohne dass die Frage aufgeworfen wurde, ob es möglich gewesen wäre, anders zu handeln.6 Ein Unglück zu erleiden oder herbeizuführen, war in der homerischen Zeit entweder nur göttliche Bestrafung oder Prüfung des Geschädigten, oder eben auch des Täters, je nachdem, ob eine Sanktion vorgesehen war. Der den Schaden verursachende Mensch wurde als bloßes Werkzeug der Götter angesehen, das deren Willen lediglich ausführte, weshalb der Wille und die Einstellung des Menschen zur Tat schlicht unerheblich waren. In einer Welt, in der jedem Entschluss des Einzelnen ein Rat der Götter zugrunde lag7 – unabhängig davon, 3 Die Einbeziehung höherer Sphären in das Haftungs- und Verantwortungssystem wirkt noch bis heute sprachlich fort. So kommt weiterhin im Begriff der „höheren Gewalt“ das unkontrollierbare und deshalb unvermeidbare Walten höherer Mächte bzw. Gottes zum Ausdruck. Noch deutlicher wird dies etwa im englischen Recht, in dem ein Ausschnitt der höheren Gewalt (force majeure) mit dem Begriff „act of God“ bezeichnet wird (insbesondere Naturereignisse bzw. -katastrophen), vgl. Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik, Bd. 1, S. 10 und 335. 4 Vgl. HKK/Schermaier, §§ 276-278 Rn. 7. 5 Vgl. Maschke, Willenslehre, S. 6; vgl. auch Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 3, 4 f.: „Rechtliches und sittliches Empfinden begreifen auf dieser Stufe Verantwortlichkeit ausschließlich unter der Denkform der Erfolgshaftung: Die Tat und nicht ihre Gründe sind es, für die der Mann einzustehen hat; sie allein bestimmen das Urteil“. 6 Vgl. Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 3, 4. 7 Dazu Maschke, Willenslehre, S. 2.

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ob dieser zu Gedeih oder Verderb führte – und somit immer ein von den Göttern eingegebener Entschluss das Produkt der individuellen Entscheidungsfindung war, machte es keinen Unterschied, ob die Schädigung vorsätzlich, unvorsätzlich oder gar durch einen Unglücksfall herbeigeführt wurde. Die Verantwortung lag stets ausschließlich bei einer höheren Instanz, die aufgrund ihrer Allmacht keinen ethischen Schranken unterlag. Der Zufall war damit kein solcher, sondern immer planmäßiger Erfolg eines höheren Willens. Folglich war auch die unglückliche Begehung einer mit „irdischer“ Strafe bedrohten Tat durch den Täter dessen gezielte göttliche Bestrafung und somit ein planmäßiger Erfolg und ein Einwand im Sinne eines haftungs- oder sanktionsausschließenden Zufalls unvorstellbar. Für den Zufall als Rechtsfigur bestand zu dieser Zeit weder Raum noch Bedarf. Der Schritt hin zur Schuld in der Form von vorwerfbarer Verursachung und individueller Verantwortung für ein Schadensereignis setzt ein mündiges Individuum voraus. Dem Menschen musste eine relevante individuelle Willensfreiheit zuerkannt werden, damit die Schuld des Individuums Anknüpfungspunkt für dessen Verantwortung und somit der Haftung sein konnte. Es bedurfte deshalb einer passiveren Götterwelt, welche dem Einzelnen selbstbestimmtes Verhalten gestattete und diesem ermöglichte, sich erstmals frei zum Verstoß gegen ein Ver- oder Gebot zu entscheiden. Gesellschaftliche und wissenschaftliche Fortschritte, insbesondere in den Naturwissenschaften, der Medizin und der Philosophie, bewirkten eine fortschreitende Emanzipation des Menschen von den Göttern. Die allmächtigen, alles lenkenden höheren Kräfte traten immer weiter in den Hintergrund. Dabei wandelten sich die griechischen Götter im Laufe der Zeit von der alle Geschicke aktiv lenkenden Instanz zunächst zu einer reagierenden Kontrollinstanz. Sie wurden zu den Hütern der Rechtsordnung, sodass jeder Verstoß gegen diese zugleich religiösen Frevel bedeutete und entsprechende Ahndung nach sich zog. 8 Dennoch blieb zunächst die Handlung des Täters und somit das äußere Geschehen für dessen „Schuld“ maßgeblich. Schaden und Strafe waren weiterhin schlicht hinzunehmen. Es dauerte noch lange, bis sich durchsetzte, dass das Recht und die Götter den hinter der Tat stehenden Willen beachteten und bewerteten. Erst mit dieser Entwicklung begründete der Wille des Täters dessen Schuld und damit auch dessen ethische und haftungsrechtliche Verantwortung. Diese Entwicklung spiegelte sich entsprechend sprachlich wieder. So bedeutete das griechische ἀιτία zunächst (nur) ursächlich [für einen eingetretenen Erfolg zu] sein und erhielt erst nach dem Entstehen des subjektiven 8 Vgl. Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 3, 12. Die göttliche Sanktionierung konnte auch auf den Täter folgende Generationen treffen. Ebenso kannte das irdische Recht eine Gesamthaftung der Familie für die Taten der Angehörigen, vgl. ders., ebenda. Dies verdeutlicht, dass Schuld im Sinne individueller Vorwerfbarkeit in der Vorstellung der frühen Griechen für die Bestrafung keine Rolle spielte. Zur sakralen Verankerung des früher Rechts auch Barta, Graeca II 1, S. 64 ff.

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Schuldvorwurfs die weitere Bedeutung von [eines vorwerfbaren Verhaltens] schuldig sein. 9 Im Zuge der stetig schwindenden Dominanz der Religion entstand der Bedarf, die neu gefundene individuelle Freiheit durch Recht zu ordnen und die dabei entstandene „Verantwortungslücke“ zu füllen. Diese Entwicklung des religiösen Weltbildes und Selbstverständnisses fand ihren Höhepunkt in der hellenistischen Zeit (334–30 v. Chr.). In dieser wandelte sich der Volksglaube stark und die Götterwelt rückte in immer weitere Ferne. Die ursprünglich lenkenden göttlichen Kräfte verloren an Bedeutung und der blinde Zufall, die Tyche,10 regierte nunmehr das Geschehen auf der Welt.11 Das Unglück wurde nicht mehr als Strafe der Götter wahrgenommen, sondern der „neuen Macht“, eben der Tyche, zugeschrieben. 12 Dieser Wandel wirkte auf das Recht ein. Die Sünde gegen die Götter war zu einem subjektiven Verschulden geworden, für das der Täter die Verantwortung trug. Mit der sich in diesem Zuge entwickelnden Beschränkung der Einstandspflicht auf den Bereich schuldhafter Verantwortung entstand ein neuer Freiraum, der einen neuen Begriff für das Beschreiben schuldlos-kausaler Verursachung erforderlich machte.13 Die Zeiten der schlichten Erfolgshaftung14 wurden zugunsten einer Haftung für Verschulden überwunden und der Zufall zog ins Recht ein.

II. Das griechischen Recht als Quelle des Verschuldensprinzips und des Zufalls Während das Verschulden und dessen Ausdifferenzierung in Vorsatz, Fahrlässigkeit und Zufall zuweilen als Errungenschaft römischer Rechtsgelehrter gepriesen wurde, 15 haben griechische Rechtsgelehrte diese Entwicklung bereits zuvor im fünften Jahrhundert v. Chr. vollzogen. Die Differenzierung dürfte dabei ihren Ursprung bei Antiphon16 haben. Da das griechische Recht und dessen Einflüsse auf die europäische Rechtskultur ein unverdientes Schattenda-

Vgl. Barta, Graeca I, S. 240. Zum Verhältnis des Zufalls (tyche) zur Göttin Tyche vgl. Vogt, Kontingenz, S. 90 ff. 11 Vgl. Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 3, 28. 12 Vgl. Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 3, 29. 13 Vgl. Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 48. 14 Vgl. Maschke, Willenslehre, S. 9; Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 3, 4. 15 Vgl. Binding, SZ 39 (1918), 1, 30; a.A. Barta, Graeca I, S. 64. 16 Ob „der Sophist“ Antiphon aus Athen und „der Redner“ Antiphon aus Rhamnous (oder Rhamnus) identisch sind, ist immer noch umstritten. Dafür z.B. Maschke, Willenslehre, S. 69 f.; dagegen Zucker, in: Kleinere attische Redner, S. 27 ff. jew. m. w. Nachw. 9

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sein fristen, weil sie von der Strahlkraft des römischen Rechts überblendet werden,17 soll hier die wegweisende Leistung der griechischen Rechtsgelehrten ausführlicher dargestellt werden. 1. Die beginnende Abkehr von der reinen Erfolgshaftung durch Drakon Die Abkehr von der reinen Kausal- bzw. Erfolgshaftung, bei der weder subjektive Elemente noch die besonderen Umstände der Tat Berücksichtigung fanden,18 erfolgte schrittweise. Subjektive Elemente wurden im altgriechischen Recht erstmals in der drakonischen Gesetzgebung im Athen des siebten vorchristlichen Jahrhunderts berücksichtigt.19 Drakon kodifizierte in seinen Gesetzen erstmals die Unterscheidung zwischen vorsätzlicher (φόνος ἑϰούσιος) und unvorsätzlicher (φόνος ἀϰούσιος) Tötung. 20 Dabei unterschied das Gesetz für den Bereich der unvorsätzlichen Tötung – wie das frühe römische Recht auch – nicht zwischen Fahrlässigkeit und rechtlichem Zufall, sodass weiterhin eine reine Kausalhaftung die Grundlage der Sanktion bildete. Eine bedeutende Neuerung stellte die Entwicklung der drakonischen Sondertatbestände dar, bei denen die Verbannung als übliche Sanktion der unvorsätzlichen Tötung entfiel. Zu diesen gehörten die unabsichtliche Tötung eines anderen bei einem Wettkampf sowie die versehentliche Tötung eines Soldaten oder Mitkämpfers im Kampf oder bei Waffenübungen. Diese verschuldensunabhängigen Privilegierungen, die auch häufig Fälle schuldloser Tötung erfassen, zeigen, dass das Bedürfnis nach einer besonderen Behandlung dieser Bereiche erkannt wurde.21 Barta22 hat die einleuchtende Vermutung geäußert, dass die Ungerechtigkeit, die der pauschalierenden Behandlung des Unvorsätzlichen innewohnt, den Anstoß für die weitere Ausdifferenzierung dieses Bereichs und damit für die Entwicklung des schuldlos-kausalen Zufalls gegeben haben könnte. Denn für den Bereich jenseits der privilegierten Sondertatbestände galt immer noch eine reine Erfolgshaftung.

Dazu jüngst umfassend Barta, Graeca, passim; dabei insbesondere Bd. 1, S. 59 ff. Latte, in: Gigon u.a. (Hrsg.), Schriften, 380, 382; Maschke, Willenslehre, 5 ff.; Barta, Graeca II 1, S. 213, 265. 19 Dazu und zu möglichen Vorbildern der drakonischen Gesetzgebung Barta, Graeca II 1, S. 81 ff. und 111 ff. 20 Eine Übersetzung der entsprechenden Stelle der drakonischen Gesetze findet sich bei Barta, Graeca II 1, S. 121. 21 So Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 45. Maschke, Willenslehre, S. 62, verneint demgegenüber kategorisch jeden Zusammenhang von Privilegierung und Schuld. 22 Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 45. 17

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

2. Der Zufall in den solonischen Kodifikationen – Antiphon An die drakonischen Gesetze zu den Tötungsdelikten knüpften die Gesetzeskodifikationen von Solon an. Diese dürften der Ursprung des Zufalls sein. Die solonischen Gesetze sind Gegenstand der Zweiten Tetralogie des Antiphon. 23 In dieser ist folgender Sachverhalt Gegenstand des Verfahrens: Bei einer Speerwurfübung24 unter der Aufsicht von Lehrenden wurde ein Knabe, der auf die Wurfbahn läuft um die geschleuderten Speere einzusammeln, vom Speer eines Jugendlichen tödlich getroffen. Der Ankläger (der Vater des Getöteten) begehrt vom Gericht die Verurteilung des Angeklagten wegen unvorsätzlicher Tötung. Dabei legt dieser der Anklage die auf reiner Kausalität beruhende solonische Erfolgshaftung zugrunde. Demgegenüber vertritt die Verteidigung (der Vater des Angeklagten), dass der Werfer des Speeres mangels Schuld nicht verurteilt werden dürfe. Die Position der Verteidigung dürfte der Rechtsmeinung Antiphons entsprechen. 25 Dabei führt die Verteidigung zur Rechtslage aus: 26 (4) Εἰ µὲν γὰρ τὸ ἀκόντιον ἔξω τῶν ὅρων τῆς αὑτοῦ πορείας ἐπὶ τὸν παῖδα ἐξενεχθὲν ἔτρωσεν αὐτόν, οὐδεὶς ἡµῖν λόγος ὑπελείπετο µὴ φονεῦσιν εἶναι· τοῦ δὲ παιδὸς ὑπὸ τὴν τοῦ ἀκοντίου φορὰν ὑποδραµόντος καὶ τὸ σῶµα προστήσαντος, (ὀ µὲν εκωλύθη) τοῦ σκοποῦ τυχεῖν, ὁ δὲ ὑπὸ τὸ ἀκόντιον ὑπελθὼν ἐβλήθη, καὶ τὴν αἰτἰαν οὐχ ἡµετέραν οὖσαν προσέβαλεν ἡµῖν. (5)… (6) Ἀκονσίου δὲ τοῦ φόνου ἀµφοῖν ἡµῖν ὁµολογουµένου γενέσθαι, ἐκ τῆς ἁµαρτίας, ὁποτέρου αὐτῶν ἐστίν, ἔτι δὲ σαφέστερον ὁ φονεὺς (ἂν) ἐλεγχθείη. Οἵ τε γὰρ ἁµαρτάνοντες ὧν ἄν ἐπινοήσωσί τι δρᾶσαι,

(4) Wäre nämlich der Speer über die Linien seiner Bahn hinaus auf den Knaben geschleudert worden und hätte ihn so verwundet, dann gäbe es für uns keine Ausrede: Wir wären Mörder; es war aber der Knabe, der in die Wurfbahn des Speeres lief und ihm seinen Körper in den Weg stellte, so dass mein Sohn das Ziel nicht erreichen konnte, der Knabe aber, der vor den Speer trat, getroffen wurde und uns die Schuld vorwarf, die nicht die unsrige war. (5) ... (6) Sind wir nun beide, mein Gegner und ich, darüber einig, dass die Tötung unvorsätzlich geschah, so kann durch die Zuweisung des

23 Text und Übersetzung nach Schirren/Zinsmaier, Die Sophisten, S. 158 ff.; Tetralogien sind zur juristisch-rhetorischen Schulung aufgearbeitete – und wenigstens zum Teil erfundene – Fälle. Sie behandelten dabei, neben herkömmlichen und gelösten Rechtsfragen, wohl auch bestehende rechtsdogmatische und rechtspolitische Probleme. Dazu insgesamt Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 28 ff. Zur Echtheit der Tetralogien vgl. Maschke, Willenslehre S. 69 f. Bei der Interpretation der Übersetzung ist zu beachten, dass es sich bei Schirren/Zinsmeier nicht um Juristen handelt, weshalb die juristische Durchdringung des Textes nur eingeschränkt erfolgte. So bezeichnen sie z.B. die Gesetzeslage, wohl in Unkenntnis der drakonisch-solonischen Sondertatbestände, in der Kommentierung als „fiktiv“ (Die Sophisten, S. 129). 24 Interessant sind die auf einem fast identischen Sachverhalt beruhenden Erläuterungen des gleichen Rechtsproblems in den Institutiones Iustiniani (Inst. 4.3.3f.), welche eine Antiphons Lösung entsprechende Rechtslage belegen, und in den Digesten (Ulp. D. 9.2.9.4). 25 Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 35; Maschke, Willenslehre, S. 74. 26 Es wurde die Absatz-Textgliederung von Schirren/Zinsmeier, Sophisten, übernommen.

§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“

οὗτοι πράκτορες τῶν ἀκονσίων εἰσίν· οἵ τε ἀκούσιόν τι δρῶντες ἤ πάσχοντες, οὗτοι τῶν παθηµάτων αἴτιοι γίγνονται. (7) Τὸ µὲν τοίνυν µειράκιον περὶ οὐδένα οὐδὲν ἥµαρτεν. Οὔτε γὰρ ἀπειρηµένον ἀλλὰ προστεταγµένον ἐξεµελέτα, οὔτε ἐν γυµναζοµένοις ἀλλ᾽ἐν τῆ τῶν ἀκοντιζόντων τάξει ἠκόντιζεν, οὔτε τοῦ σκοποῦ ἁµαρτών, εἰς τοὺς ἀφεστῶτας ἀκοντίσας, τοῦ παιδὸς ἔτυχεν, ἀλλὰ πάντα ὀρθῶς ὡς ἐπενόει δρῶν ἔδρασε µὲν οὐδὲν ἀκούσιον, ἔπαθε δὲ διακωλυθεὶς τοῦ σκοποῦ τυχεῖν. (8) Ὁ δὲ παῖς βουλόµενος προδραµεῖν, τοῦ χώρου διαµαρτὼν ἐν ᾧ διατρέχων οὐκ ἄν ἐπλήγη, περιέπεσεν οἷς οὐκ ἤθελεν, ἀκουσίως δὲ ἁµαρτὼν εἰς ἑαυτὸν οἰκείαις συµφοραῖς κέχρηται, τῆς δ᾽ ἁµατίας τετιµωρηµένος ἑαυτὸν ἔχει τὴν δίκην, οὐ συνηδοµένων µὲν οὐδὲ συνεθελόντων ἡµῶν, συναλγούντων δὲ καὶ συλλυπουµένων. Τῆς δὲ ἁµαρτίας εἰς τοῦτον ἡκούσης, τό (τ᾽) ἔργον οὐχ ἡµέτερον ἀλλὰ τοῦ ἐξαµαρτόντος ἐστί, τό τε πάθος εἰς τὸν δράσαντα ἐλθὸν ἡµᾶς µὲν ἀπολύει τῆς αἰτίας, τὸν δὲ δράσαντα δικαίως ἅµα τῇ ἁµαρτία τετιµώρηται.

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Fehlers noch deutlicher ermittelt werden, wer von beiden der Mörder ist. Wer nämlich etwas, was er zu tun beabsichtigt, falsch ausführt, ist Urheber unbeabsichtigter Handlungen, und wer etwas unabsichtlich tut oder erleidet, ist verantwortlich für das Leid. (7) Nun hat aber mein Sohn keinem Menschen gegenüber irgendeinen Fehler begangen. Denn er verstieß beim Training nicht gegen ein Verbot, sondern folgte genau den Anordnungen, und er warf den Speer nicht bei den Turnern, sondern in der Reihe der anderen Speerwerfer; auch traf er den Knaben nicht etwa, indem er sein Ziel verfehlte und so den Speer gegen die abseits Stehenden schleuderte, sondern er führte alles korrekt aus, wie er es beabsichtigte, und tat somit nichts Unbeabsichtigtes, sondern erlitt es, indem er verhindert wurde, das Ziel zu treffen. (8) Der Knabe jedoch wollte losrennen, verpasste aber den Augenblick, indem er hätte hinüber laufen können, ohne getroffen zu werden, und viel einem Unfall zum Opfer. Indem er unvorsätzlich einen Fehler gegen sich selbst beging, hat er sich die unglücklichen Folgen selbst zugezogen; und indem er sich für seinen Fehler selbst bestraft hat, hat er seine Genugtuung bereits erhalten; nicht dass wir uns darüber freuten und es ihm wünschten, sondern zu unserem eigenen Schmerz und Bedauern. Da der Fehler also auf seine Rechnung geht, ist das Ergebnis nicht unser Werk, sondern das Werk dessen, der den Fehler beging, und das Leiden, das auf den Täter zurückfiel, entlastet uns von der Schuld; den Täter aber hat es füglich im Augenblick seiner Fehlhandlung bestraft.

Darüber hinaus führt die Verteidigung im zweiten Plädoyer aus: (5) Θέλω δὲ µὴ πρότερον ἐπ᾽ἄλλον λόγον ὁρµῆσαι, ἢ τὸ ἔργον ἔτι φανερώτερον καταστῆσαι, ὁποτέρου αὐτῶν ἐστί. Τὸ µὲν µειράκιον οὐδενὸς µᾶλλον τῶν συµµελετώντων ἐστὶ τοῦ σκοποῦ ἁµαρτόν, οὐδε τῶν ἐπικαλουµένων τι διὰ τὴν αὑτοῦ ἁµαρτίαν δέδρακεν· ὁ δὲ παῖς οὐ ταὐτὰ τοῖς συνθεωµένοις δρῶν, ἀλλ᾽ εἰς τὴν ὁδὸν τοῦ ἀκοντίου ὑπελθών, σαφῶς δηλοῦται παρὰ

(5) Ehe ich zu einem anderen Punkt komme, möchte ich zuerst noch deutlicher herausstellen, wer von den beiden für den Unfall verantwortlich ist. Der Junge hat ebenso wenig wie irgend ein anderer von denen, die mit ihm trainierten, sein Ziel verfehlt, noch hat er sonst etwas von den Dingen, die ihm vorgeworfen werden, aus eigenem Verschulden getan. Der Knabe aber tat nicht dasselbe

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

τὴν αὑτοῦ ἁµαρτίαν περισσοτέροις ἀτυχήµασι τῶν ἀτρεµιζόντων περιπεσών. Ὁ µὲν γὰρ ἀφεὶς ουδὲν ἂν ἥµαρτε, µηδενὸς ὑπὸ τὸ βέλος ὑπελθόντος· αὐτὸς δ’ οὐκ ἂν ἐβλήθη µετὰ τῶν θεωµένων ἑστώς.

wie die anderen Zuschauer, sondern trat in die Bahn des Speeres. Damit ist klar erwiesen, dass er aus eigenem Verschulden einem Unglück zum Opfer fiel, von dem die, die sich nicht von der Stelle bewegten, verschont blieben. Denn der Werfer hätte keinen Fehler begangen, wenn ihm niemand vor das Geschoß getreten wäre; jener wiederum wäre nicht getroffen worden, wenn er bei den Zuschauern stehen geblieben wäre.

Hervorzuheben ist zunächst, dass die Verteidigung sich nicht auf den weiterhin gültigen drakonischen Sondertatbestand der Tötung bei Wettkampfunfällen beruft. 27 Sie erachtet vielmehr den Anwendungsbereich der unvorsätzlichen Tötung als nicht eröffnet, indem sie diesen auf den Bereich der in diesem Zuge entwickelten Fahrlässigkeit beschränkt. So führt die Verteidigung im zweiten Plädoyer zum solonischen Gesetz aus: 28 (8) Τὸ µὲν οὖν µειράκιον, ἀναµάρτητον ὂν, οὐκ ἂν δικαίως ὑπὲρ τοῦ ἁµαρτόντος κολάζοιτο· ἱκανὸν γὰρ αὐτῶ ἐστὶ τὰς αὑτοῦ ἁµαρτίας φέρειν·

(8) Nun ist der Junge aber schuldlos; es wäre daher ungerecht, wenn er bestraft würde anstelle dessen, der den Fehler beging.

Dem Angeklagten kann kein Fahrlässigkeits- bzw. Verschuldensvorwurf gemacht werden (zweites Plädoyer der Verteidigung Abs. 8), weil er die beim Speerwurf erforderliche Sorgfalt beachtet hat (erstes Plädoyer der Verteidigung Abs. 7). Zugleich wird die (schlichte) Kausalität des Speerwurfs für den Tod des Knaben nicht bestritten (zweites Plädoyer der Verteidigung29).30 Der Ausschluss der Einstandspflicht für die unstrittig kausale unvorsätzliche Tötung setzt voraus, dass neben dem haftungsbegründenden Bereich des unvorsätzlichen Handelns (Fahrlässigkeit) noch ein Bereich existiert, in dem eine Verantwortung des Handelnden trotz kausaler Verursachung nicht gegeben ist, weil es am Verschulden fehlt – den Zufall. In diesem Bereich wird das nicht verschuldete schadensstiftende Ereignis als Unglück bezeichnet (vgl. erstes Plädoyer der Verteidigung Abs. 8 und 11 und zweites Plädoyer Abs. 5). Um das Unglück zu beschreiben verwendet Antiphon den Terminus ἀτυχήµα, der auch im Sinne von rechtlichem Zufall verwendet wird. 31 Zu den Gründen, vgl. Barta, Graeca II 1, S. 245 f. Text und Übersetzung nach Schirren/Zinsmeier, Sophisten, S. 177. 29 Schirren/Zinsmaier, Sophisten, S. 175. Andeutungsweise auch erstes Plädoyer der Verteidigung Abs. 3 (Schirren/Zinsmeier, Sophisten, S. 161). 30 Maschke, Willenslehre, S. 73 ff.; Barta, Graeca II 1, S. 162. Antiphons Ausführungen erscheinen etwas schwankend im Hinblick auf Verursachung im Sinne von Kausalität und Verschulden. Dies wird jedoch darauf zurückzuführen sein, dass zu dieser Zeit Verschulden und Kausalität noch nicht sauber getrennt wurden. Dazu Barta, Graeca II 1, S. 164, 166. 31 Vgl. Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 35 und 49. 27

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§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“

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Maschke 32 sieht hingegen in der zweiten Tetralogie keine Abkehr von der Erfolgshaftung, sondern (lediglich) eine Fortentwicklung der Kausalitätslehre. Er verkennt insoweit, dass Antiphon die subjektive Zurechnung aufgrund des fehlenden Verschuldens verneint und nicht die objektive als Kausalität im weiteren Sinne 33. Zwar ist entsprechend dem frühen Entwicklungsstand der Rechtsordnung die sprachliche Trennung von (derartigen) Kausalitäts- und Verschuldensaspekten nicht ganz eindeutig. Jedoch wird die objektive Ursächlichkeit des regelkonformen Speerwurfs nicht bestritten, denn die Verteidigung behauptet nicht, der Speer bzw. der Wurf habe den Knaben nicht getötet, wie es Maschke glaubt. 34 Auch die Lösung mittels einer „Unterbrechung der Kausalität“35 erscheint gekünstelt. Vielmehr sind die Ausführungen Antiphons so zu verstehen, dass er, statt von einem die Zurechnung überlagerndem (Mit-)Verschulden, von einer von vornherein exklusiven Verantwortung des getroffenen Knaben ausging und so seine Argumentation bzgl. des fehlenden Verschuldens des Werfers untermauern wollte. Dafür spricht die Positionierung der entsprechenden Argumentation im Text und auch die wiederholte Betonung des fehlenden Verschuldens des Werfers deutet in diese Richtung. Es liegt gerade kein Fall konkurrierenden Verschuldens vor.36 Antiphon gebraucht die Rechtsfigur Zufall nicht nur in der Zweiten Tetralogie. Auch in seiner Gerichtsrede über den Choreuten37 beruft er sich zur Verteidigung mehrfach ausdrücklich auf den Zufall 38: Καὶ οὐ τούτου ἕνεκα ταῦτα (οὕτω) σφόδρα λέγω, ὡς ἐµαυτὸν ἔξω αἰτίας καταστήσω, ἕτερον δέ τινα εἰς αἰτίαν ἀγάγω. οὐ δῆτα ἔγωγε, πλήν γε τῆς τύχης, ἥπερ οἶµαι καὶ ἄλλοις πολλοῖς ἀνθρώπων αἰτία ἐστὶν ἀποφανεῖν.

Und nicht deswegen behaupte ich das (so) sehr, damit ich mich selbst außerhalb der Schuld hinstellen werde, einen anderen aber beschuldige. Ich jedenfalls (beschuldige) bestimmt nichts außer dem Zufall, der gerade, so glaube ich, auch für viele andere Menschen Grund zu sterben ist.

Die regelmäßige Verwendung des Zufalls als Gegenstand juristischer Argumentation durch Antiphon deutet darauf hin, dass dieser als Rechtsfigur zumin-

Maschke, Willenslehre, S. 73 ff. Die Trennung zwischen wertungsfreier Kausalität und wertender (objektive) Zurechnung erfolgte erst Jahrtausende später. 34 So Maschke, Willenslehre, S. 76, unter Verweis auf Abs. 4 der ersten Verteidigerrede. 35 Maschke, Willenslehre, S. 76. 36 So auch Barta, Graeca II 1, S. 164. 37 Text nach Anastassiou/Irmer, Kleinere attische Redner, S. 41, Fn. 3. 38 Hierzu Barta, Graeca II 1, S. 142 ff. 32

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

dest bekannt war, obwohl das nicht heißt, dass sie sich in der Praxis der Gerichte bereits durchgesetzt hatte.39 Auch das Fehlen weiterer rechtlicher Erläuterungen zur Rechtsfigur in der sechsten Gerichtsrede deutet in diese Richtung. 40 3. Der Zufall als etablierte Rechtsfigur Nach Antiphon lässt sich die Rechtsfigur Zufall häufiger nachweisen. Die Unterscheidung zwischen Fahrlässigkeit (ἁµάρτηµα) und Zufall (ἀτυχία) findet sich etwa knapp 80 Jahre später in der Rhetorik an Alexander von Anaximenes wieder. 41 Auch Aristoteles führt zu ungefähr der gleichen Zeit in der Rhetorik I, 13, 1374b aus: 42 ἔστιν ἀτυχήµατα µὲν ὅσα παράλογα καὶ µὴ ἀπὸ µοχθηρίας, ἁµαρτήµατα δὲ ὅσα µὴ παράλογα καὶ µὴ ἀπὸ πονηρίας, ἀδικήµατα δὲ ὅσα µήτε παράλογα ἀπό πονηρίας τε ἐστίν· τὰ γὰρ δι᾽ ἐπιθυµίαν ἀπὸ πονηρίας.

Zu den Unglücksfällen rechnen wir alles, was entgegen der vernünftigen Erwartung und ohne böse Absicht passiert, zu den Verfehlungen alles, was zwar nicht unerwartet, aber ohne böse Absicht passiert, zu den Rechtsverletzungen, was nicht unerwartet, aber in böser Absicht passiert.

Im vierten Jahrhundert vor Christus scheint sich der haftungsfreie Zufall bereits etabliert zu haben. Die bahnbrechende Unterscheidung zwischen Vorsatz (ἀδίκηµα), Fahrlässigkeit (ἁµάρτηµα (schuldhafte Verfehlung) oder ἀµέλεια (Sorgfaltsverstoß)) und Zufall (ἀτύχία/ἀτύχηµα) kann deshalb als eine große Errungenschaft griechischer Rechtsgelehrter bezeichnet werden.

III. Der Zufall im römischen Recht Das römische Recht hat über die Jahrhunderte eine ähnliche Entwicklung erfahren, wie sie das griechische Recht durchlaufen hat. Im Folgenden wird beleuchtet, wie der Zufall in der Entwicklung vom Zwölftafelgesetz hin zu den justinianischen Kodifikationen Eingang in das römische Recht gefunden hat. 39 Vgl. Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 25 f. und 55; auch Maschke, Willenslehre, S. 92, führte zusammenfassend „die Abgrenzung der zurechenbaren Kausalität gegen Zufall“ auf Antiphon zurück; a.A. Erbse, Hermes 91 (1963), 17, 18 und 25, der die Berufung auf den Zufall lediglich als rhetorisch fragwürdige Reaktion auf eine aussichtlose Rechtssituation qualifiziert. 40 Siehe dazu, mit weiteren Argumenten, Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 25 f. 41 Vgl. Kübler, Festgabe Binder, 63, 66, mit griechischem Originaltext, der allerdings davon ausgeht, dass es sich um die früheste Unterscheidung dieser Art handle. 42 Text nach Roemer, Aristotelis, S. 73, Übersetzung nach Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 81; siehe dazu auch Aristoteles, Nikomachische Ethik, 10, 1135b.

§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“

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Dabei wird aufgezeigt, welch ein ausdifferenziertes System der Risikozuweisung das römische Recht mittels des zivilrechtlichen Haftungs- und Gefahrtragungsrechts entwickelt hat. Dieses wirkt sogar in Teilen im heutigen Recht über Regelungen, Rechtsprinzipien oder als tragende Rechtsgedanken noch fort. 43 1. Zwölftafelgesetz und frühe Republik Das frühe römische Deliktsrecht der Zwölftafeln44 fungierte als Institut sühnenden Ausgleichs. Es beinhaltete sowohl Elemente von Strafe, wie private Tötung, Talion (spiegelbildliche Übelszufügung) oder fixe Bußgeldzahlung (poena), als auch von Schadensersatz in der Form von Wertersatz. Dabei wurde, im Widerspruch zum heutigen juristischen Verständnis, in keiner Weise zwischen den verschiedenen Zwecken der „Haftung“ unterschieden, sondern schlicht eine das Unrecht sühnende Sanktionierung durch die Gemeinschaft bzw. den Betroffenen bezweckt. 45 Das römische Recht unterschied dabei, ebenso wie das frühe griechische Recht und das germanische Recht, im Hinblick auf die individuelle Verantwortung des Täters lediglich zwischen vorsätzlichem und unvorsätzlichem Verhalten.46 Das unvorsätzliche Handeln umfasste dabei sowohl die Fahrlässigkeit als auch den Zufall, ohne dass insoweit differenziert wurde. 47 So bestimmt etwa Tab. 8.24a: 48 Si telum manu fugit magis quam iecit, aries subicitur.

Wenn eine Waffe mehr ohne Absicht des Werfenden aus der Hand gelangt, als dass er sie (bewusst) geworfen hat, wird ein Sühnebock gestellt.

Im Gegensatz zur vorsätzlichen Tötung widerfuhr dem Handelnden bei einer unvorsätzlichen Tötung keine Strafe, sondern er hatte nur das in Tab. 8.24a

43 Vgl. zum „Rechtsprinzip“ casum sentit dominus § 6 (S. 201 ff.) und zur Haftung für versari in re illicita § 12 (S. 404 ff.). 44 451/450 v. Chr.; zur Datierung vgl. Düll, Zwölftafelgesetz, S. 8; Honsell, Römisches Recht, S. 4; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 4 I; Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 28. 45 Jansen, Struktur, S. 192; vgl. auch Kaser, Privatrecht I, S. 147. 46 Vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 II; Kaser, Privatrecht I, S. 504; Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 7; Hagemann, Iniuria, S. 44 f., Honsell, Römisches Recht, S. 91. Diese Unterscheidung dürfte auch schon vor dem Zwölftafelgesetz existiert haben. Zum germanischen Recht Brunner, Rechtsgeschichte, S. 214. 47 Vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 II; Kaser, Privatrecht I, S. 155. Dies deckt sich mit dem germanischen Ungefährwerk, das sowohl den Zufall als auch die Fahrlässigkeit umfasste, vgl. dazu Brunner, Rechtsgeschichte, S. 214. 48 Text und Übersetzung nach Düll, Zwölftafelgesetz, S. 55.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

vorgeschriebene Sühneopfer zu erbringen.49 Bei der unvorsätzlichen Brandstiftung war hingegen als Rechtsfolge Schadensersatz oder eine geringere Sanktion vorgesehen (Tab. 8.10), während die vorsätzliche Brandstiftung mit dem Tode bedroht war. Die Zwölftafelgesetze wiesen ein Nebeneinander von Erfolgs- und beschränkter Verschuldenshaftung auf, das keinen Bedarf für eine Rechtsfigur Zufall hatte. Auch die lex Aquilia50 sanktionierte ursprünglich, unter Fortführung der dominanten Straffunktion des Zwölftafelgesetzes, 51 lediglich die vorsätzliche – im Sinne von bewusste – Deliktsverwirklichung. 52 Erst die spätrepublikanischen Juristen wie Alfenus Varus bezogen in die aquilinische injuria die culpa und in diesem Zuge auch den Zufall als Zurechnungsgrenze ein (Alf. D. 9.2.52.3 f.). 53 Die Differenzierung zwischen Vorsatz (dolus), Fahrlässigkeit (culpa) und Zufall (casus) im römischen Recht entwickelte sich also erstmals in der Periode der Vorklassik. 54

Vgl. Düll, Zwölftafelgesetz., S. 94. Bei der Interpretation der Quelle ist zu beachten, dass die Verpflichtung zur Hingabe eines Sühnebocks weder der Sanktion noch der Kompensation diente, sondern ein Instrument religiöser Sühne darstellte, vgl. Düll, a.a.O., S. 94; Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 7; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 II. 50 286 v. Chr.; zur Datierung vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 130 II; Kaser, Privatrecht I, S. 161; Manthe, Geschichte, S. 83. 51 Vgl. Jansen, Struktur, S. 207 m. umf. Nachw. zum Streit um die Funktion der lex Aquilia; v. Lübtow, Untersuchungen, S. 36 ff.; Kaser, Privatrecht I, S. 621. 52 Vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 504; Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 8 und § 51 Rn. 11; H. Roth, Digesta, S. 31. Nach v. Lübtow, Untersuchungen, S. 86 verlangte die lex Aquilia ursprünglich sogar lediglich objektive Rechtswidrigkeit. Auch das Erfordernis des dolus malus sei ein Produkt späterer Rechtsentwicklung. Ähnlich Kübler, Festgabe Binder, 63, 65. Dieses – einen Rückschritt im Verhältnis zu den Zwölftafelgesetzen darstellende Verständnis – ist jedoch fragwürdig. Die lex Aquilia litt zudem ursprünglich noch an weiteren Defiziten. So erfasste sie ausschließlich die aktive und unmittelbare Erfolgsverursachung, während mittelbare und durch Unterlassen verursachte Schäden keine Haftung begründeten. Vgl. dazu Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 9. 53 Vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 504 f.; Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 9; H. Roth, Digesta, S. 31; v. Lübtow, Untersuchungen, S. 83, 86. 54 Vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 504; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 III; Classen, Literatur, S. 117, dessen Hinweis auf S. 118, dass Cicero in pro Tullio 51 zwischen culpa und casus unterschieden habe, nicht zutrifft. Der Stelle kann diese Differenzierung nicht entnommen werden, sondern nur die Differenzierung zwischen vorsätzlichem und unvorsätzlichem Handeln. Fahrlässigkeit und Zufall wurden nicht unterschieden. Vgl. dazu Text und Übersetzung bei Flach, Zwölftafelgesetz, S. 134 f. 49

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2. Der Zufall als neue Rechtsfigur in der vorklassischen und klassischen Jurisprudenz Die Existenz des Zufalls als eigenständige Rechtsfigur lässt sich seit der Periode der Vorklassik in den Quellen belegen. 55 So urteilt Alfenus Varus im Hinblick auf die lex Aquilia (D. 9.2.52.4): 56 Cum pila complures luderent, quidam ex his servulum, cum pilam percipere conaretur, impulit, servus cecidit et crus fregit: quaerebatur, an dominus servuli lege Aquilia cum eo, cuius impulsu ceciderat, agere potest. Respondi non posse, cum casu magis quam culpa videretur factum.

Als mehrere Ball spielten, stieß einer von ihnen, als er den Ball zu fangen versuchte, gegen einen jungen Sklaven; der Sklave stürzte und brach sich ein Bein. Man fragt an, ob der Eigentümer des jungen Sklaven gegen denjenigen nach der lex Aquilia klagen könne, durch dessen Stoß der Sklave gestürzt war. Ich habe gutachtlich entschieden, dass er nicht klagen kann, weil die Verletzung ersichtlich eher zufällig als fahrlässig zugefügt worden ist.

Der Zufall war seit dieser Zeit als Rechtsfigur etabliert und in der Zeit des Prinzipats zum festen Bestandteil des Haftungssystems der klassischen Jurisprudenz geworden. So unterscheidet etwa Gaius (Gai. Inst. 3.211)57 im Hinblick auf die lex Aquilia: Is iniuria autem occidere intellegitur, cuius dolo aut culpa id acciderit; nec ulla alia lege damnum, quod sine iniuria datur, reprehenditur, itaque inpunitus est, qui sine culpa et dolo malo casu quodam damnum committit.

Begreiflicherweise tötet derjenige widerrechtlich, durch dessen Vorsatz oder Fahrlässigkeit dies vorgekommen ist; ein Schaden, der nicht widerrechtlich zugefügt wird, wird auch durch kein anderes Gesetz gebüßt, und so ist straffrei, wer ohne Fahrlässigkeit und Vorsatz durch einen unglücklichen Zufall einen Schaden herbeigeführt hat.

Die Hintergründe für die Entwicklung des differenzierten Verschuldensbegriffs und die Begrenzung des individuellen Verantwortungsbereichs durch den Zufall als Rechtsfigur können wohl nicht mehr genau ermittelt werden. Ein Grund für diese Entwicklung könnte gewesen sein, dass die Römer das Kausalitätserfordernis zwar erfasst, aber nur eingeschränkt theoretisch ausgebildet

55 Z.B. durch Alfenus Varus in D. 9.2.52.5; Gai. D. 10.2.26; bereits davor, aber weniger deutlich und lediglich mittelbar durch die Erwähnung der culpa unter Verweis auf Quintus Mucius Scaevola, in Paul. D. 9.2.31. Vgl. insoweit auch Paul. D. 9.2.29.3 unter Verweis auf Pacuvius Labeo Antistius; Iav./Lab. D. 9.2.57. 56 Text und Übersetzung nach Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, CIC II, S. 768. Rechtschreibung durch den Verfasser angepasst. 57 Text und Übersetzung nach Manthe, Gaius Institutiones, S. 310 f. Rechtswidrigkeit (injuria) und Schuld (culpa) werden dabei von Gaius noch nicht getrennt.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

hatten,58 wodurch Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Kausalitätsproblemen entstanden. 59 In Verbindung mit der Einstandspflicht für typisiertes Verschulden, d.h. der Bestrafung unabhängig vom individuellen, sondern aufgrund des in der Tat erfahrungsgemäß zum Ausdruck kommenden Willens,60 begründete dies ein erhebliches Ungerechtigkeitspotenzial. Dies widersprach dem sich in der römischen Gesellschaft entwickelnden und durch die griechische Philosophie, welche der Gleichbehandlung von dolus und culpa sowie culpa und casus ablehnend gegenüberstand,61 geförderten62 Moralverständnis. Alternativ könnte auch das griechische Recht, welches die Differenzierung zwischen dem Verschulden in der Form von Vorsatz und Fahrlässigkeit und dem Zufall bereits seit über 300 Jahren kannte, den Anstoß gegeben haben. Für beide Ansätze spricht, dass die großen Rechtswissenschaftler der Vorklassik wie Quintus Mucius Scaevola und Servius Sulpicius Rufus, der Lehrer des Alfenus Varus (Gai. D. 1.2.2.44), erheblich hellenistisch beeinflusst waren.63 Anlass für die Übernahme griechischen Rechts durch das römische könnte die Eroberung Griechenlands Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gewesen sein, in deren Zuge eine große Zahl gebildeter Griechen als Sklaven nach Rom kam und neben der Philosophie wahrscheinlich auch rechtswissenschaftliche Erkenntnisse mitbrachten.64 Die konkrete Übernahme griechischen Rechts, bzw. der Grad der Beeinflussung des römischen Rechts durch dieses, kann zwar nicht bewiesen werden, jedoch darf eine Einwirkung des griechischen Rechts als wahrscheinlich erachtet werden.65 Zugleich muss es allerdings Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 3. Dazu Kaser, Privatrecht I, S. 503. 60 Vgl. Kaser, Privatrecht I, S. 503. 61 Vgl. Aristoteles, Rhetorik, I. 13, p. 1374a; dazu Kübler, Einflüsse, 79, 95; Behrends, in: Behrends/Sellert (Hrsg.), Gesetz, 135, 241 ff. 62 Vgl. Kübler, Einflüsse, 79, 85 ff.; Behrends, in: Behrends/Sellert (Hrsg.), Gesetz, 135, 136 ff. 63 Vgl. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, S. 596 ff.; Behrends, Scaevola, S. 281 (zu Mucius Scaevola) und S. 271 f. (zu Servius Sulpicius Rufus, der z.B. mit Cicero eine zweijährige Bildungsreise nach Griechenland unternahm); Manthe, Geschichte, S. 59; Kübler, Einflüsse, passim. Auch spätere Rechtgelehrte wie Gaius waren dem Griechischen zugewandt. Dieser beherrschte die griechische Sprache (vgl. Gai. Inst. III 93), verwendete in seinen Werken Gräzismen (vgl. Gai. Inst. III 196, dazu Manthe, Gaius Institutiones, S. 12; Barta, Graeca Bd. 1, S. 553) und war mit griechischem Recht vertraut (vgl. Gai. D. 10.1.13). 64 Dazu Manthe, Geschichte, S. 59. Eine erhebliche Bedeutung dürfte auch die athenische Gesandtschaft (155/154 v. Chr.) gehabt haben, von welcher und von deren Einfluss u.a. auch Cicero berichtete, dazu Kübler, Einflüsse, S. 81 ff. 65 Dazu Barta, in: Barta u.a. (Hrsg.), Rechtsgeschichte, 16, 68; Kübler, Festgabe Binder, 63, 71 ff., unter Verweis auf Inst. 4.4; ders., Einflüsse, 79, 89, geht von der Übernahme der drei Stufen der Haftung, die Aristoteles in der Rhetorik benannt hat, durch Scaevola aus. Schon das Zwölftafelgesetz wurde vom griechischen Recht beeinflusst. Vor der Kodifikation wurde eine Abordnung nach Athen entsandt, um die einschlägigen Gesetze Solons zu studieren (Liv. 3,31,8). Dazu Düll, Zwölftafelgesetz, S. 8 f.; Flach, Zwölftafelgesetz, S. 3; 58

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§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“

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als Verdienst römischer Jurisprudenz betrachtet werden, dass diese die strafrechtliche Verschuldensdifferenzierung in das Zivilrecht übertragen und in kurzen und prägnanten Formeln nutzbar gemacht haben. So formuliert der Spätklassiker Ulpian treffend (D. 50.17.23): 66 Animalium vero casus mortesque, quae sine culpa accidunt, fugae servorum qui custodiri non solent, rapinae, tumultus, incendia, aquarum magnitudines, impetus praedonum a nullo praestantur.

Für die Zufälle aber und die Todesfälle, welche sich bei den Tieren ohne Verschulden ereignen, für die Flucht von Sklaven, welche nicht bewacht zu werden pflegen, für Raub, Aufruhr, Feuersbrunst, hohes Wasser, Überfälle von Räubern wird von niemandem gestanden.

Aus dieser Quelle entwickelte sich die prägnante und noch heute populäre Kurzformel casus a nullo praestantur – für den Zufall wird von niemandem [ein]gestanden. Im Laufe der fortschreitenden Rechtsentwicklung fasste der Begriff Zufall nicht mehr sämtliche unzurechenbare Geschehensabläufe zusammen. Jenseits der Regelhaftung für culpa – insoweit bildete der casus weiter das Negativum – wurde zwischen dem niederen Zufall (casus oder casus minor67) und dem höheren Zufall (casus maior oder casus fortuitus), welcher auf höherer Gewalt (vis maior) beruht, unterschieden. Für niederen Zufall hatte der Schuldner insbesondere im Rahmen der custodia-Haftung68 einzustehen, während höhere Gewalt die Haftung ausschloss. Dagegen haftete man auch für Fälle höherer Gewalt im Verzug, den Fällen des versari in re illicita69 (die Rechtsfigur des versari in re illicita selbst entstammt dem kanonischen Recht70) und bei Garantieübernahme. 71 Dieses differenzierte Bild von Verschulden und Zufall, von haftungsrechtlicher Verantwortung und Schicksal bildet historisch die Grundlage der heutigen Risikozuweisung im Haftungssystem.

Honsell, Römisches Recht, S. 5; daran zweifelnd, aber den griechischen Einfluss bejahend Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 4 III. 66 Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, CJC 4, S. 1267; Rechtschreibung durch den Verfasser angepasst. 67 Am Gebrauch des Begriffs durch die römischen Rechtsgelehrten bestehen Zweifel, vgl. etwa Kaser, Privatrecht I, S. 512 Fn. 75. 68 Zum Anwendungsbereich der Haftung für Bewachung (custodia), Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 15–17 m. w. Nachw. 69 Versanti in re illicita omnia imputantur, quae sequuntur ex delicto – wer sich im verbotenen Bereich aufhält, dem wird alles zugerechnet, was sich aus seiner unerlaubten Handlung ergibt; vgl. Lab./Paul. D. 14.2.10.1. Dazu Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 4. Zur Geltung im heutigen Recht siehe unten S. 404 ff. 70 Vgl. Wacke, Festschrift Hübner, 669, 692. 71 Vgl. dazu Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 26.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

3. Zufall und Verantwortung im Corpus Iuris Civilis Das römische Recht setzt sich seit der Entwicklung des Zufalls als eigenständige Rechtsfigur in der späten Republik mit der nun notwendig gewordenen Zuweisung des Zufallsrisikos mittels Haftungsnormen und auch Gefahrtragungsregeln auseinander. Das Haftungssystem war bis zur justinianischen Kodifikation über Jahrhunderte gewachsen und von Tradition und mehr oder weniger autonomen Entwicklungen der einzelnen Institute durchsetzt, die durch die kasuistische Denkweise der römischen Jurisprudenz bedingt waren. Justinians Kompilatoren waren deshalb bemüht, die für sie unverständliche Mannigfaltigkeit des Haftungssystems zu reduzieren und das klassische Recht zu systematisieren. Dabei stellten sie, entsprechend ihrer von Philosophie und Christentum geprägten moralischen Haltung, den subjektiven Tatbestand und somit das Verschulden in das Zentrum des Haftungssystems. 72 Wegen der Wechselbeziehung zwischen casus und culpa blieb die Betonung des Verschuldens freilich nicht ohne Einfluss auf die Risikozuweisung. Für den Bereich deliktischer Eigentumsverletzung war die Zuweisung des Zufallsrisikos seit der Einführung der culpa in die lex Aquilia dem Eigentümer (dominus) der Sache, entsprechend dem nicht kodifizierten Grundsatz casum sentit dominus, zugewiesen, 73 bzw. richtete sich nach der Regel res perit domino – die Sache geht dem Eigentümer unter. Letztere wird insbesondere aus Dio./Max. Cod. Just. 4.24.9, einer Regelung zum Pfand, abgeleitet.74 Pignus in bonis debitoris permanere ideoque ipsi perire in dubium non venit.

Dass das Pfand im Eigentum des Schuldners verbleibt und somit ihm untergeht, leidet keinen Zweifel.

Regelungsgehalt ist dabei lediglich die Pfandsache als Eigentum des Schuldners. Sie wird durch Regelungen zur Haftung des die Pfandsache besitzenden Gläubigers75, insbesondere zum Ausschluss derselben beim zufälligen Untergang der Sache (Dio./Max. Cod. Just. 4.24.5 f.), ergänzt.76 Davon zu unterscheiden ist die Zuweisung des Risikos bzgl. des zufälligen Untergangs der Vgl. Kaser, Privatrecht II, S. 325, wobei teilweise nur eine bereits in der Klassik einsetzende Entwicklung fortgeführt wurde, dazu ders. a.a.O., S. 348; Honsell/MayerMaly/Selb, Römisches Recht, § 93 III 2 a. 73 Vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 92 I 1. Zur Bedeutung von casum sentit dominus im heutigen Recht vgl. S. 203 ff. 74 Übersetzung nach Otto/Schilling/Sintenis, CJC 5, S. 586. Rechtschreibung durch den Verfasser angepasst. 75 Es bestand neben dem Besitzpfand (pignus datum) auch die Möglichkeit, ein besitzloses Pfandrecht (hypotheca) zu gewähren. Die fiducia, die treuhänderische Sicherungsübereignung, wurde bewusst in die justinianischen Kodifikationen nicht übernommen. Dazu Kaser, Privatrecht II, S. 313. 76 Die Zuweisung des Zufallsrisikos bzgl. der Pfandsache ist nur konsequent. Zum einen befindet sich die Sache mit dem Willen des Schuldners beim Pfandgläubiger (dazu Wacke, 72

§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“

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Sache als Pfandobjekt, d.h. des damit verbundenen Untergangs des an die Sache anknüpfenden dinglichen Rechts. Den Pfandgläubiger trifft das Zufallsrisiko im Hinblick auf den Bestand (bzw. die Erreichbarkeit) des Pfandobjekts als Sicherheit (Mar. D. 20.1.16.3), also bzgl. des Fortbestands und der Realisierbarkeit des Pfandrechts. Die grundsätzliche Zuweisung des Zufallsrisikos zum Eigentümer findet auch beim Darlehen seine Bestätigung. So wurden beim Darlehen das Geld oder die vertretbaren Sachen dem Empfänger übereignet, und diesen traf umfassend das Zufallsrisiko (Inst. 3.14.2). Anders war dies etwa bei der Leihe, bei der das Eigentum beim Entleiher verblieb (dazu sogleich). Deckungsgleich zur Eigentumsbeeinträchtigung trug der Inhaber des Rechtsguts auch bei der Haftung für iniuria das Risiko zufälliger Beeinträchtigungen. 77 Die besondere Betonung des Verschuldens als Schlüsselmoment des Haftungssystems der justinianischen Kodifikation führte dazu, dass verschuldensunabhängige Haftungstatbestände, wie die actio de deiectis vel effusis (Ulp. D. 9.3, Haftung des Bewohners für das Hinauswerfen oder -fallen von Gegenständen), die sozusagen ursprünglich eine pönale Gefährdungshaftung begründete, 78 nun mit einer Haftung für typisiertes Verschulden79 begründet

Festschrift Hübner, 669, 690). Dem Pfandgläubiger kommt zudem eine zufällige Verbesserung der Pfandsache lediglich mittelbar zugute, da dieses unverändert uneingeschränkt als Sicherheit dient (Mar. D. 20.1.16). Da jedoch der Bestand und die Höhe der gesicherten Forderung durch die Entwicklung der Pfandsache nicht betroffen sind (insbes. Cod. Just. 4.24.6) und die Forderung im Hinblick auf die Haftung des Pfandes limitierend wirkt (Ulp. D. 20.1.21.3), ist bzgl. der positiven und negativen Entwicklung im Ergebnis das Zufallsrisiko nicht dem Pfandgläubiger, sondern stets dem Eigentümer zugewiesen (Ulp. D. 20.1.21.2; Dio./Max. Cod. Just. 4.24.5 f.) und dieser erscheint weiter als Herr des Pfandobjekts, unabhängig davon, ob ein Recht zur Nutzung durch den Pfandgläubiger vereinbart wurde. Im Ergebnis besteht insoweit eine dem heutigen Recht entsprechende Risikoverteilung. 77 Vgl. Hagemann, Iniuria, S. 113; Kaser, Privatrecht I, S. 624. 78 Vgl. Zimmermann, Festschrift Lange, 301, 306 f.; Kaser, Privatrecht I, S. 628 f. Weitere Fälle der Haftung für die Kontrolle einer Quelle erhöhter Gefahr für Leben, Eigentum oder Vermögen anderer und damit ursprünglich verschuldensunabhängige Haftungstatbestände sind die für Stallwirte, Gastwirte und Schiffer (Ulp. D. 4.9) sowie für Richter. Allen Tatbeständen widerfuhr insoweit das gleiche Schicksal wie der Haftung aus effusum vel deiectum, vgl. Inst. 4.5. Dazu Zimmermann, Festschrift Lange, 301, 313, m. w. Nachw.; Kaser, Privatrecht II, S. 408. 79 Bei der Haftung für deiectis vel effusis des Bewohners (Ulp. D. 9.3.1.4) oder seiner Leute (Paul. D. 9.3.6.2).

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

wurden. 80 Da jedoch bei der Haftung für deiectis vel effusis auch Fälle schuldlosen Verhaltens von dem Haftungstatbestand erfasst wurden81 und das Verschulden weiterhin kein Tatbestandsmerkmal bildete, 82 haftete der Bewohner trotz der Herleitung über das Verschulden materiell auch für Zufall im Sinne fehlenden Verschuldens. Bei den Realkontrakten bzw. Konsensualkontrakten in der Form von Überlassungsverträgen verbanden die klassischen Juristen, jenseits der vertraglichen Garantieübernahme – worunter für den Bereich des niederen Zufalls wohl auch teilweise die custodia-Haftung fallen dürfte – das Risiko bzgl. des niederen Zufalls dem Grunde nach mit dem Nutzen des Schuldverhältnisses (sog. Utilitätsprinzip). 83 Verblieb der Nutzen zumindest teilweise beim Eigentümer, wie bei der Miete oder der Gesellschaft, hatte dieser das Zufallsrisiko zu tragen, da der Schuldner nur für dolus und culpa haftete (Ulp. D. 13.6.5.2 f.).84 Es galt insoweit der Grundsatz casus a nullo praestantur bzw. res perit domino. War allerdings das Rechtsgeschäft lediglich für den Schuldner von Nutzen,85 wie bei der Leihe, haftete dieser über das Verschulden hinaus für custodia und somit nach den Maßstäben des klassischen Rechts sogar für niederen Zufall, nicht jedoch für höhere Gewalt (Gai. Inst. 3.206; Ulp. D. 13.6.5.3 f.; Inst. 3.14.2; 4.1.16). 86 Die custodia-Haftung wies ursprünglich keine einheitliche Grundlage auf. So stellte sie teilweise eine Haftung für typisiertes Verschulden dar oder aber eine ausdrücklich oder konkludent übernommene Garantie für den Bewachungserfolg. 87 Mit der justinianischen Gesetzgebung erfolgt eine Umdeutung oder Umwandlung der custodia-Haftung in eine sehr Vgl. etwa Ulp. 9.3.1.4: culpa enim penes eum est – denn das Verschulden liegt bei jenem [dem Bewohner]. 81 Etwa hafteten alle Bewohner des Stockwerks, unabhängig davon, wer geworfen oder gegossen hatte, als Gesamtschuldner. Dazu und auch zu den Ausnahmen Zimmermann, Festschrift Lange, 301, 304, 306. 82 Vgl. Jansen, Struktur, S. 268. Das Verschulden wurde schlicht unterstellt. In diese Richtung auch Zimmermann, Festschrift Lange, 301, 306 und 311 ff., der den Nachweis von Verschulden für entbehrlich hält. Zur Haftung des Schiffers, Gastwirts oder Stallwirts siehe auch Kaser, Privatrecht II, S. 408. 83 Vgl. Kaser, Privatrecht II, S. 346; Bd. 1, 512; Kübler, Einflüsse, 79, 89; Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 20.; Zimmermann, Law, S. 198 ff.; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 III 2 a und b. 84 War der Nutzen ausschließlich dem Eigentümer zugewiesen, etwa bei der Verwahrung, so erleichterte sich der Haftungsmaßstab und der Schuldner hat nur für Vorsatz einzustehen. 85 Dazu Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 20. Das Prinzip versagt jedoch bei der unentgeltlichen Geschäftsführung. 86 Für fehlerhafte custodia wurde z.B. auch bei Schäden gehaftet, die ein anvertrautes Tier angerichtet hat, Paul. D. 9.1.2 ff., dazu Kaser, Privatrecht I, S. 507 f. 87 Dazu Kaser, Privatrecht I, S. 507; Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 16; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 III 2 a; Zimmermann, Law, S. 194. 80

§ 2 Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“

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strenge Verschuldenshaftung (sog. culpa in custodiendo). 88 Die Haftung für custodia war zwar wegen des Verschuldenserfordernisses damit formell keine für (niederen) Zufall mehr, aber wegen der Schärfe der Pflichten der früheren Erfolgshaftung und somit der selektiven Haftung für niederen Zufall doch stark angenähert. Im Verzug haftete der Schuldner entsprechend der heutigen Rechtslage auch für Zufall, sogar in der Form höherer Gewalt, 89 es sei denn, der Schaden wäre auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten. 90 Der Verzug setzte voraus, dass der Grund für die Verzögerung einer fälligen und klagbaren Leistung beim Schuldner lag, wobei dies insbesondere durch Mahnung herbeigeführt werden konnte. Ein Verschulden des Schuldners war jedoch nicht erforderlich.91 Der Verzug konnte aber auch ohne Mahnung eintreten, etwa bei der Delikts-mora wie beim Sachentziehungsdelikt Diebstahl (fur semper in mora – der Dieb ist immer im Verzug, Ulp. D. 13.1.8.1 a.E.). Eine vom Regelfall abweichende Zuweisung des Zufallsrisikos fand darüber hinaus bei vertragswidrigem Gebrauch statt. So haftete bei der abredewidrigen Gebrauchsüberschreitung der Entleiher für jeden Zufall, auch in der Form höherer Gewalt (Ulp. D. 13.6.5.7; Gai. D. 13.6.18; Inst. 3.14.2). Gleiches galt bei andern Vertragstypen, etwa bei der Miete (Alf. D. 19.2.30.2) oder dem Dienstvertrag (Ulp. D. 19.2.13.3, Ausbildung eines Sklaven). Im Ergebnis liegt dieser umfassenden Haftung eine dem Verzug vergleichbare Wertung zugrunde. Das schuldhafte 92 Verletzen einer wesentlichen Vertragspflicht begründete die Überwälzung des Zufallsrisikos. 93 Entsprechend ist auch die hypothetische Kausalität – wie beim Verzug – zu berücksichtigen, d.h. es wird kein Ersatz geschuldet, wenn das Schadensereignis ebenso bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre (Lab./Paul. D. 14.2.10.1).

88 Vgl. Jansen, Struktur, S. 268; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 93 III 2; Kaser, Privatrecht II, S. 352 ff. 89 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 36 Rn. 26. 90 Vgl. Kaser, Privatrecht II, S. 358; Honsell, Römisches Recht, S. 98; Honsell/MayerMaly/Selb, Römisches Recht, § 96 III 2 a. 91 Vgl. Kaser, Privatrecht II, S. 358 Fn. 9; Honsell, Römisches Recht, S. 97; dagegen spricht Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 7 von bewusster Verzögerung, wobei sich der gemahnte Schuldner bei bestehender Schuld und Fälligkeit nicht mit Unkenntnis entschuldigen können soll. 92 Das Verschulden dürfte, sofern es nicht ausdrücklich verlangt wurde (Lab. D. 14.2.10.1) oder tatsächlich vorlag, in gewissem Umfang typisiert angenommen worden sein, da dem vereinbarungswidrigen Gebrauch fremder Sachen in aller Regel Vorsatz zugrunde liegt. 93 Dazu Zimmermann, Law, S. 196 f. Zur heutigen Rechtslage vgl. unten S. 411 ff. und S. 416ff.

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht Auch der Zufall ist nicht unergründlich – er hat seine Regelmäßigkeit. (Novalis 1)

Der juristische Zufall hat die Jahrtausende überdauert und ist zu einem festen Bestandteil des Rechts und der Rechtswissenschaft geworden. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich zwar über die Zeit erheblich geändert. Aber auch in unserer heutigen, von technischem und gesellschaftlichem Fortschritt geprägten Risikogesellschaft lauert noch immer der alles beherrschende aber seinerseits unbeherrschbare Zufall. Den rechtlichen Zufall in allen seinen Facetten umfassend zu erforschen, wäre reizvoll. In Anbetracht des erforderlichen Umfangs einer solchen Untersuchung muss der Gegenstand dieser Arbeit jedoch auf einen Teilbereich beschränkt bleiben. Es soll der Versuch unternommen werden, den Rechtsbegriff des Zufalls, wie er Gegenstand des geltenden Haftungsrechts ist, zu bestimmen und ihm Kontur zu verleihen. Mangels einer Legaldefinition wird der Begriff zunächst auf systematischer und teleologischer Grundlage hinsichtlich seines Verhältnisses zu Kausalität und Zurechnung inhaltlich bestimmt (I.). Im Anschluss soll seine besondere Unbestimmtheit und inhaltliche Variabilität untersucht und deren Gesetzmäßigkeiten aufgezeigt werden (II.).

I. Der Begriff des Zufalls im Haftungsrecht Der Zufall wird nicht nur im allgemeinen Sprachgebrauch und in anderen Wissenschaften mit unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. 2 Bedenkt man die Jahrtausende umfassende Tradition von ἀτυχία, casus und Zufall in der Rechtswissenschaft, so muss es verwundern, dass heute kein Konsens über den Gehalt des rechtlichen Zufalls besteht. Das bürgerliche Recht verwendet den Begriff des Zufalls insbesondere in den hier relevanten Rechtsinstituten der Haftung und der Gefahrtragung. Und in beiden Instituten bestehen mit der Kausalität 1 Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg. Zitat nach Tieck/v. Schlegel, Novalis Schriften, S. 274. 2 Hierzu bereits S. 19 ff.

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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(1.) und der Zurechnung (2.) einheitliche Bezugspunkte des Zufalls, die hier dazu dienen sollen, dem Gehalt desselben auf den Grund zu gehen. 1. Zufall und Kausalität Um den Rechtsbegriff Zufall zu ergründen, gilt es zunächst, das Verhältnis von Zufall und Kausalität zu bestimmen. Der Kausalzusammenhang hat die Funktion, im Rahmen haftungsrechtlicher Verantwortung die Verbindung zur Ebene des Tatsächlichen herzustellen und so zu verhindern, dass die Haftung allein der Wertung unterworfen wird. 3 Haftungsrechtliche Verantwortung für ein Tun setzt voraus, dass der Erfolg auch tatsächlich das Resultat des Verhaltens ist. Ist Kausalität nun Mindestbedingung der haftungsrechtlichen Verantwortung, 4 könnte man auf den ersten Zugriff annehmen, dass es ausgeschlossen ist, ein Ereignis als Zufall zu qualifizieren, sofern eine Kausalbeziehung besteht. Dieser Schluss von der Kausalität eines Verhaltens für einen Beeinträchtigungserfolg gegen den Zufall wird jedoch zutreffend nahezu ausnahmslos abgelehnt.5 Ein Ereignis kann notwendige Folge, etwa im Sinne der conditio sine qua non-Formel,6 und dennoch Zufall im rechtlichen Sinne sein. Dies wird beispielsweise durch die §§ 287 S. 2, 848 BGB belegt. Diese Normen, welche die Haftung auf den zufälligen Untergang des Leistungsgegenstandes erweitern, sind nur dann anwendbar, wenn der Untergang nicht auch beim Gläubiger ein-

Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 77. Motive II, S. 18 (Mugdan II, S. 10); so auch Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 4; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 223. 5 Vgl. Esser, Grundlagen, S. 71 und auch Motive II, S. 65 (Mugdan, S. 35) und insbes. Prot. II, S. 656 (Mugdan II, S. 538): „Es kommt auf den Kausalzusammenhang zwischen dem Verzuge und dem [zufälligen] Schaden an“; a.A. wohl nur Köbler, Festschrift Söllner, 551, 556. 6 Die verbreitete Gleichsetzung von Kausalität mit der conditio-Formel zwingt dazu, dass bei kumulativer Kausalität das maßgebliche Verhalten nur als ursächlich fingiert werden kann, da „echte“ Kausalität nicht gegeben ist. Diese Konstruktion liegt etwa Art. 3:101 f. PETL zugrunde, bei denen Art. 3:101 die conditio-Formel als Kausalität definiert („is a cause“), während Art. 3:102 bestimmt, dass kumulative Kausalität als solche lediglich angesehen wird („regarded as a cause“). Nach den PETL kann also ausnahmsweise ohne „echte“ Kausalität gehaftet werden, vgl. Spier, PETL, Art. 3:101 Rn. 4. Richtigerweise muss Kausalität jedoch weiter als die conditio sine qua non-Formel verstanden werden und dieser auch die kumulative Kausalität hinzugerechnet werden (vgl. dazu eingehend Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 5 f.). Entsprechend weiter ist auch VI.–4:101 Abs. 1 DCFR formuliert: „A person causes legally relevant damage to another if the damage is to be regarded as a consequence of that person’s conduct or the source of danger for which that person is responsible“. 3

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

getreten wäre (§§ 287 S. 2, 848 jew. Hs. 2 BGB). Erfassen diese Ausnahmetatbestände jedoch das Fehlen von Kausalität, 7 so kann logisch die den Zufall umfassende Haftung nicht ihrerseits das Fehlen von Kausalität voraussetzen. Demgemäß ist nach allgemeiner Ansicht für die Anwendbarkeit der §§ 287 S. 2, 848 BGB ein schlicht zeitlich-kausaler Zusammenhang8 zwischen dem Verzug oder der Sachenziehung und dem zufälligen Untergang sowohl erforderlich als auch hinreichend. 9 Als weitere Bestätigung ist anzuführen, dass es allgemein anerkannt ist, dass die Gefahrtragungsnormen wie § 446 BGB, die eine zufällige Beeinträchtigung tatbestandlich voraussetzen, auch dann anwendbar sind, wenn etwa der Untergang der Leistungspflicht einfach fahrlässig herbeigeführt wurde und der Erfolg wegen einer Haftungsprivilegierung, wie beispielsweise § 300 Abs. 1 BGB, nicht zugerechnet werden kann.10 Trotz kausaler, einfach fahrlässiger Herbeiführung des Untergangs ist das Ereignis dennoch Zufall im Sinne der Gefahrtragungs- und auch der Haftungsnormen des BGB. Für die Systembildung viel relevanter als das soeben behandelte Verhältnis bestehender Kausalität zum Zufall ist das fehlender Kausalität zum Zufall. Ist jede Beeinträchtigung, für die das fragliche Verhalten nicht kausal ist, als nicht zu verantwortender und somit haftungsfreier Zufall zu qualifizieren?11 Dagegen könnte man versucht sein einzuwenden, dass ausnahmsweise das Kausalitätserfordernis gem. § 830 Abs. 1 S. 2 BGB überwunden und die Haftung bereits bei lediglich möglicher Kausalität angeordnet zu werden scheint. 12 Im 7 Die Ausschlusswirkung geht sogar über das Fehlen von Kausalität hinaus, da die Ausschlusstatbestände auch dann eingreifen, wenn ein anderes Ereignis den zufälligen Untergang beim Gläubiger bewirkt hätte; vgl. dazu Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 Rn. 20; U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 129 ff.; MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 4. Ursprünglich war der Ausnahmetatbestand des § 251 E I auf die fehlende Kausalität beschränkt. „[D]erselbe Zufall“ (Motive II, S. 65 = Mugdan II, S. 36) musste den Untergang herbeigeführt haben. „Mit dieser Feststellung ist der Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verzug zerschnitten“ (Motive II, S. 65 = Mugdan II, S. 35). Die 2. Kommission änderte dann die Fassung des ersten Entwurfs ab (Prot. II, S. 655 f. = Mugdan II, S. 538) und erweiterte den Ausschlusstatbestand bewusst. 8 Dazu, dass die Normen über den zeitlich-kausalen Zusammenhang sogar einen teleologischen Zusammenhang zur verletzten Pflicht voraussetzen, eingehend S. 411 ff. 9 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 3; Erman/Hager, § 287 Rn. 3; Bamberger/Roth/Unberath, § 287 Rn. 3; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 16; Schur, Leistung, S. 91; Soergel/Benicke/Nalbantis, § 287 Rn. 6; U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 126 und 128 ff. 10 Statt aller vgl. Staudinger/Beckmann, § 446 Rn. 26. 11 Auf die auf Kausalität in der Haftungsausfüllung verzichtende Rechtsprechung (Übersicht bei Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 109 ff., zur Kritik Rn. 117 ff.) wird hier nicht eingegangen. Haftungsnormen verlangen insoweit ausnahmslos Kausalität (unten S. 295). 12 So etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 75. Den anderen Fallgruppen vermeintlicher Zurechnung ohne Kausalität, etwa bei kumulativer Kausalität oder der Kausalität von Unterlassen, das ontologisch keine Ursache sein kann (hierzu Esser/E. Schmidt, Schuldrecht

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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Falle der Alternativtäterschaft nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB wird gesamtschuldnerische Haftung begründet, wenn erwiesenermaßen einer der Haftungsadressaten die Beeinträchtigung nicht verursacht hat, es aber unklar ist, wessen Verhalten nun tatsächlich ursächlich wurde und wessen nicht. Damit scheint § 830 Abs. 1 S. 2 BGB über eine bloße Kausalitätsvermutung hinauszugehen. Dies wiederum impliziert, dass entweder entgegen dem einleitend Ausgeführten auf der Grundlage des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB doch ausnahmsweise ohne Verantwortung für Zufall gehaftet wird, 13 oder aber der Schluss von fehlender Kausalität auf den Zufall ein irriger ist. Bedeutung und Wirkweise des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB werden jedoch klar, wenn man die alternativen Taten jeweils einer Einzelbetrachtung zuführt und in eben dieser Beziehung die Kausalität vermutet 14 und schließlich die Einzelbeziehungen entsprechend § 830 Abs. 1 S. 1 BGB („[d]as gleiche gilt“) zusammenfasst. Dadurch, dass jedem Beteiligten der haftungsausschließende Kausalitätsgegenbeweis umfassend offen steht, wird im Ergebnis lediglich das prozessuale Unaufklärbarkeitsrisiko verlagert und die materiellen Haftungsvoraussetzungen werden nicht tangiert. 15 Infolgedessen beschränkt sich die Wirkung des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB auf das Beweis- bzw. Prozessrecht.16 Entsprechend wird überwiegend angenommen, dass § 830 Abs. 1 S. 2 BGB weder einen eigenständigen Haftungsgrund beinhaltet, der auf Zurechnung verzichtet, noch ein eigenständiges, von der tatsächlichen Ebene entkoppeltes Zurechnungssystem begründet. 17 Dass das Verständnis des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB als I 2, 229 f.; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 5), liegt ebenfalls Kausalität zugrunde. Es versagen nur die klassischen Instrumentarien juristischer Kausalitätsverifizierung, wie etwa im Falle der kumulativen Kausalität die conditio-Formel in ihrer allgemeinen Ausprägung. Abzulehnen ist auch der herrschend propagierte Verzicht auf das Kausalitätserfordernis bei Mittäterschaft und Beihilfe gem. § 830 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Alt. 2 BGB (so etwa BGHZ 63, 124, 130; BGHZ 164, 50, 57; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 5; Erman/Schiemann, § 830 Rn. 3), der die Grenze zwischen § 830 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 auf den einen und § 830 Abs. 1 S. 2 BGB auf der anderen Seite verwischt (zur systemfremden Haftung ohne Kausalität sogleich im Haupttext). Es ist auch bei Mittäterschaft und Beihilfe Kausalität für den Erfolg in seiner konkreten Gestalt zu fordern (so auch Staudinger/Eberl-Borges, § 830 Rn. 25, 42 ff.; Kreutziger, Haftung, S. 211 ff., insbes. 232 f.; Bamberger/Roth/Spindler, § 830 Rn. 7, 11, jew. mit eingehender Begründung. 13 Auf diese Gefahr weist zutreffend Jauernig/Teichmann, § 830 Rn. 8 hin. 14 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 572. 15 Dazu, dass eine Modifikation der Beweislast die Natur der Verschuldenshaftung nicht berührt, vgl. Canaris, VersR 2005, 577, 579. 16 Vgl. Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 502 ff.; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 19; Soergel/Krause, § 830 Rn. 16; Spindler, AcP 208 (2008), 283, 310; MünchKommBGB/Wagner, § 830 Rn. 46; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 229, 231 f.; BGHZ 101, 106, 111. 17 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 830 Rn. 46.; Staudinger/Eberl-Borges, § 830 Rn. 68; Deutsch, NJW 1981, 2731, 2732; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 232; Gottwald,

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

Beweislastverteilung bezüglich eines Beteiligten durchaus das Risiko eines – materiellrechtlich betrachtet – „Fehlurteils“ beinhaltet, ist keine zweifelhafte Eigenheit nur dieser Haftung. Derartige Entscheidungen, die mit der materiellen Rechtslage nicht übereinstimmen, sind regelmäßige Folge der notwendigen Beweislastverteilung in Verbindung mit einer immer möglichen non liquet-Situation im Prozess. 18 Der Verzicht auf eine tatsächliche Verbindung zwischen dem Zurechnungssubjekt und dem Erfolg kann auch generell nicht überzeugen. Mit diesem wäre verbunden, dass die so begründete Haftung für reine Pflichtwidrigkeit ausschließlich eine Sanktion für Fehlverhalten wäre und eben nicht zum Ausgleich eines herbeigeführten Beeinträchtigungserfolgs verpflichten würde. Solch eine Haftung wäre mit den Zielen des Delikts- bzw. Haftungsrechts nicht zu vereinbaren.19 Generell ist materielle Haftung ohne Kausalität bloße Sanktion der Pflichtwidrigkeit, weil es an der Verantwortung für den konkreten Verletzungserfolg mangelt, sodass der in keinem tatsächlichen Zusammenhang stehende Erfolg im Ergebnis lediglich das zufällige „Strafmaß“ bestimmt. Bei erwiesen fehlender Kausalität muss Haftung stets ausscheiden, weshalb das zuweilen geforderte statistisch-probabilistische Verständnis der Kausalität nur beschreiben kann, wann das Gericht trotz Unsicherheiten „strenge“ Kausalität annehmen darf. 20 Bloß wahrscheinliche Kausalität vermag materiell keine Zurechnung zu legitimieren. Materiellrechtlich kann somit die Aussage, dass nicht kausale Schadensereignisse stets zufällig sind, durchaus bejaht werden. 21 Kausalität ist Voraussetzung der Zurechnung und damit Haftung, sodass ein Ereignis für den potenziellen Haftungsadressaten zufällig ist, wenn diese fehlt.22 Damit ist jedoch lediglich ein Teilbereich des Zufalls erfasst. Eine umfassende Bestimmung des Karlsruher Forum 1986, 3, 19; Spindler, AcP 208 (2008), 283, 310; BGHZ 101, 106, 111; a.A. Deutsch, Haftungsrecht, S. 337 f.; BGH, NJW 1994, 932, 934; 1979, 544. 18 Eine Besonderheit ist vielmehr, dass dieses Risiko infolge der gesamtschuldnerischen Haftung zwischen den Parteien, die jede für sich den Erfolg hätte herbeiführen können, durch den Innenausgleich geteilt wird, statt dass der Geschädigte einseitig und umfassend damit belastet wird. Vgl. eingehend hierzu Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 511 f. Dies ist auch angemessen. Der Beitrag der Partei, der tatsächlich nicht ursächlich wurde, ist aus deren Sicht lediglich infolge eines glücklichen „Zufalls“ nicht kausal geworden und deshalb eine umfassende Haftung ausgeblieben. 19 Ähnlich und zu Recht kritisch Steffen, Karlsruher Forum 1986, 32 f., in einem Wortbeitrag zum Vortrag von Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3 ff. 20 Vgl. hierzu Spindler, AcP 208 (2008), 283, 290 ff.; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 6. 21 So auch Wolff, Verhalten, S. 112. 22 Anders etwa Art. 3:104 Abs. 3 PETL, der vorsieht, dass bei fortdauernden Schäden eine spätere hypothetische Ursache, die den Schaden ebenso herbeigeführt hätte, zu einer Haftung des Zweitschädigers als Gesamtschuldner (Art. 9:101 PETL) führt. Nach deutschem Recht kann bei hypothetischen Schadensereignissen, die zu einer Ersatzpflicht eines Dritten

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Zufalls ist auf der Grundlage der hier angestrengten Kausalitätserwägungen selbstverständlich noch nicht möglich. Es gilt nun die kausalen, aber dennoch zufälligen Schadensereignisse in den Blick zu nehmen. 2. Zufall und Zurechnung Eine genauere Bestimmung des Zufallsbegriffs erfordert den Schritt von der einfachen Kausalität hin zur rechtlichen Verantwortung und so das Augenmerk auf die Zurechnung zu richten. Die Zurechnung ist jedoch eine ebenso unklare wie umstrittene Rechtsmaterie, 23 weswegen sich die Erkenntnis, dass die Lösung des Rätsels „Zufall“ in dieser zu finden ist, als Pyrrhussieg erweisen könnte. Und in der Tat erzeugt es Probleme und Unklarheiten, den Zufall mit der Zurechnung zu verbinden. Gleichwohl lässt sich das Verhältnis der beiden Rechtsinstitute zueinander, unabhängig von den einzelnen Streitfragen der Zurechnungsdogmatik, auf ganz grundsätzlicher Ebene bestimmen. Die maßgebende Frage ist dabei, ob der Zufall umfassend der Zurechnung in ihrer Gesamtheit und somit theoretisch einem jeden Zurechnungsprinzip in jedweder Ausgestaltung spiegelbildlich gegenübersteht, oder ob er durch ein spezielles Zurechnungsprinzip, namentlich das Verschuldensprinzip, bestimmt und entsprechend begrifflich und inhaltlich fixiert ist. a. Max Rümelin Große Verdienste um die Bestimmung des Zufallsbegriffs im deutschen Recht24 erwarb Max Rümelin. In seiner akademischen Antrittsrede zum „Zufall im Recht“25 befasste er sich eingehend mit dem Begriff des Zufalls und setzte diesen zu den verschiedenen Haftungssystemen in Bezug. Er erkannte dem Zufall im Haftungsrecht gleich drei Bedeutungen zu. Zum einen definierte er den Zufall als Gegensatz zur Schuld. 26 Als zweite Ausprägung des Zufalls entwickelte er dessen Funktion als Gegensatz zur subjektiv voraussehbaren Gefahr im Sinne der Betriebsgefahr. Dabei verband er den Zufall mit der höheren Gewalt bei der Gefährdungshaftung. 27 Diese wurde allerdings relativ zum heuti-

geführt hätten, mangels Ursächlichkeit für den Beeinträchtigungserfolg der hypothetisch ersatzpflichtige Dritte nicht im Wege der Gesamtschuld haften (vgl. Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 247; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 196; Larenz, Schuldrecht I, § 30 I, S. 527 Fn. 12 m. Nachw. zur eine Haftung analog § 830 Abs. 1 S. 2 BGB befürwortenden Gegenansicht). 23 Vgl. Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3. 24 Zum österreichischen Recht Schoberlechner, Zufall, 1897. 25 Rümelin, Der Zufall im Recht, 1896. 26 Dabei äußert Rümelin durchaus Bedenken gegen die Gegensätzlichkeit von Verschulden und Zufall, vgl. dens., Zufall, S. 19 ff. 27 Rümelin, Zufall, S. 40 Fn. 59.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

gen Verständnis umfassender verstanden und umfasste alles, was nicht Betriebsgefahr ist, sowie die nicht voraussehbaren und die unabwendbaren Betriebsgefahren. 28 Zuletzt stellte er den Zufall auch noch der Adäquanz gegenüber. 29 Rümelin blieb jedoch nicht bei der Betrachtung der einzelnen Verhältnisse stehen, sondern warf auch die Frage nach dem gemeinsamen übergeordneten Gedanken auf. Insoweit summiert er, dass der Begriff des Zufalls die Rolle „eines Grenzbegriffs für irgendwelche Verantwortlichkeit“ spielt. 30 Der so zur Sprache gebrachte kontradiktorische Zusammenhang von Zufall und Verantwortung bestimmt auch heute noch die dogmatische Auseinandersetzung. b. Der Stand der Diskussion Solch ein weites Verständnis des Zufalls, wie es in Rümelins Resümee anklang, fand keineswegs uneingeschränkte Zustimmung. Die herrschende Meinung definiert entsprechend Rümelins These den Zufall als fehlendes Vertretenmüssen31 und somit als das Unzurechenbare. 32 Der Zufall tritt dem jeweiligen Zurechnungsprinzip gegenüber, das das Vertretenmüssen bestimmt. Dies ist im Regelfall das Verschuldensprinzip (vgl. §§ 276 Abs. 1, 823 Abs. 1 und 2 BGB). Der Zufall kann aber auch dem Risikoprinzip gegenübertreten, etwa im Falle einer Garantie gem. § 276 Abs. 1 BGB. Zufall und Zurechnung schließen sich nach dieser Theorie wechselseitig aus. Eine Vielzahl von Autoren vertritt hingegen, dass der Zufall exklusiv dem Verschulden gegenübertritt, auch wenn die Haftung nicht ausschließlich an das Verschuldensprinzip geknüpft ist. 33 Nach dieser Antithese von Zufall und Ver-

Ders., a.a.O. Rümelin, Zufall, S. 53 (Zusammenfassung). 30 Ders. a.a.O. 31 Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 1 f.; Gebauer, Kausalität, S. 312; U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 127, anders jedoch ders., Leistungsstörungen I, S. 175 f.; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 Rn. 10; Pallasch, JA 1994, 504, 505; v. Schenk, Sphäre, S. 40; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, § 287 Rn. 3; Staudinger/Vieweg, § 848 Rn. 7; Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 428; Bamberger/Roth/Faust, § 446 Rn. 16; Staudinger/Beckmann, § 446 Rn. 26; MünchKommBGB/H. P. Westermann, § 446 Rn. 2, 10; Jauernig/Berger, § 446 Rn. 8; Erman/Grunewald, § 446 Rn. 10; Staudinger/Emmerich/Schaub, § 582a Rn. 11; MünchKommBGB/Busche, § 644 Rn. 1; Staudinger/Peters/Jacoby, § 644 Rn. 1; OLG München, NJW 2011, 3375, 3377; so wohl auch Wacke, Festschrift Hübner, 669, 679; widersprüchlich Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 1349 Fn. 17 (Vertretenmüssen) gegenüber dem Haupttext („Schadensersatzhaftung ohne Verschulden“). 32 Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 579; Wolff, Verhalten, S. 113; vgl. auch Larenz, Zurechnungslehre, S. 61 f.; Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 41 f.; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 9; I.E. auch Meder, JZ 1993, 539, 543. 33 So Deutsch, VersR 1993, 1041, 1042; Esser, Grundlagen, S. 70; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 646; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 276 Rn. 36; Jauernig/Stadler, 28

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§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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schulden kann ein Ereignis Zufall – da unverschuldet – und dennoch zurechenbar im Sinne von zu vertreten sein. Dies kann eintreten, wenn das Zurechnungssubjekt ausnahmsweise verschuldensunabhängig haftet, etwa bei der Gefährdungshaftung oder der Haftung nach § 231 BGB. Trotz der unterschiedlichen Auffassungen zum Gehalt des Zufallsbegriffs wird kaum die argumentative Auseinandersetzung gesucht. Lediglich die Vertreter der Antithese von Zufall und Verschulden, und von diesen in der jüngeren Zeit auch nur Hirsch34 und Knütel35, bemühen sich, ihr Verständnis des Zufalls überhaupt zu begründen. c. Die Kritik an der herrschenden Meinung Für die Interpretation des Zufalls als fehlendes Verschulden werden verschiedene Argumente vorgebracht. Diese erschöpfen sich, bis auf ein genetisches Argument Knütels36, auf das erst im Rahmen der Genese des Zufallsbegriffs im BGB (d.) eingegangen wird, bei genauerer Betrachtung in der Kritik an der alternativen Definition der herrschenden Meinung. Angeführt wird, dass die Definition als ein nicht zu vertretendes und damit nicht zurechenbares Ereignis falsch sei, da zufällige Ereignisse doch zu vertreten seien, wie § 287 S. 2 BGB belege.37 Daneben soll wohl für Zufall gem. § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB einzustehen und dieser somit zu vertreten sein. 38 aa. Der vermeintlich zu vertretende Zufall in § 287 S. 2 BGB Von der Kritik an der herrschenden Meinung soll zunächst dem Argument entgegengetreten werden, dass die Definition des Zufalls als nicht zu vertretendes Ereignis falsch sei. Der Einwand verkennt die Relativität des Zufallsbegriffs. Der Zufall steht in den Hilfsnormen § 287 S. 2 BGB und § 848 BGB39 auf der Rechtsfolgenseite. Ausgehend von der unmodifizierten Regelhaftung gem. § 276 Rn. 11; Städtler, Schadensersatz, S. 4; Schlosser, Jura 1985, 479; Kaden, RabelsZ 31 (1967), 606 und 610 f.; Coester-Waltjen, Jura 2006, 829; Palandt/Weidenkaff, § 446 Rn. 8, der allerdings zugleich auf die §§ 276, 278 BGB verweist; ähnlich auch RGRK/Johannsen, § 203 Rn. 3. 34 Hirsch, Jura 2003, 42, 45. 35 Knütel, NJW 1993, 900. 36 Knütel, NJW 1993, 900. 37 So Hirsch, Jura 2003, 42, 45. Knütel, NJW 1993, 900 bezeichnet das abweichende herrschende Verständnis des Zufalls deswegen als widersprüchlich. 38 Vgl. Hirsch, a.a.O. Die nicht ganz eindeutigen Ausführungen dazu, dass für den Zufall einzustehen sei, sind im Zusammenhang mit dem folgenden Satz wohl so zu verstehen, dass die „Einstandspflicht“ gem. 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB ein Vertretenmüssen begründet. Diese Interpretation von Hirschs Aussage liegt auch deshalb nahe, weil bei einem abweichenden Verständnis dessen Argumentation nicht zielführend wäre. 39 Bei § 848 BGB handelt es sich nicht um eine Anspruchsgrundlage. Die Rechtsfolgenanordnung „ist auch [...] verantwortlich“ deutet entgegen den Rechtsfolgenanordnungen der

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

§§ 280, 283 BGB oder § 823 BGB wird die Haftung durch die §§ 287 S. 2, 848 BGB für den Bereich erstmals umfassend angeordnet, der „ursprünglich“ keine Haftung begründete, eben den „Zufall“ im Sinne des Normtextes. Relativ zu der Haftung, die dem Tatbestand zugrunde liegt, handelt es sich sprachlich zutreffend um zufällige, da noch nicht zu vertretende Ereignisse. 40 Im „Vollzug“ der erweiterten Haftung handelt es sich dann allerdings nicht mehr um Zufall. Auf der Grundlage der §§ 287 S. 2, 848 BGB ist niemals Zufall zu vertreten, ebenso wenig wie ein zu vertretendes Ereignis ein Zufall ist. Vielmehr wird das Vertretenmüssen von ehemals zufälligen, da nicht zu vertretenden Ereignissen, lediglich erstmals angeordnet. Dieses Verständnis der Normen ist keineswegs widersprüchlich, da die Zufälligkeit des Ereignisses gerade nicht zur Tatbestandsvoraussetzung der erweiterten Haftung wird.41 Dies wäre Voraussetzung für die Unvereinbarkeit des herrschend vertretenen Zufallsbegriffs mit der Zurechnungsdogmatik im Rahmen des § 287 S. 2 BGB. 42 Der Schuldner haftet, vorbehaltlich des jeweiligen zweiten Halbsatzes der Normen, schlicht für jede Beeinträchtigung. Dies entspricht exakt der ursprünglichen Konzeption des § 287 S. 2, der als § 22 von TE-OR Nr. 22 vorsah43: „Von Beginn des Verzuges an haftet der Schuldner, auch wenn er vorher in beschränkter Weise verantwortlich war, für jede Fahrlässigkeit, sowie für jede während des Verzuges ganz oder theilweise eintretende Unmöglichkeit.“

Die späteren Änderungen am Vorentwurf von Kübels durch die erste Kommission, in deren Zuge die Worte „durch Zufall“ eingefügt wurden, bezweckten nicht, den Inhalt des Entwurfs zu modifizieren. 44 deliktsrechtlichen Anspruchsgrundlagen (§§ 823 Abs. 1 und 2, 824–826, 829, 831–833, 836) „hat den Schaden zu ersetzen“ oder der verweisenden Einbeziehung derselben (§§ 834, 837, wobei der Wortlaut des § 834 BGB missglückt ist) auf eine reine Hilfsfunktion bei der Verantwortungsbestimmung (Zurechnung) hin. Konzeptionell modifiziert § 848 BGB das Vertretenmüssen gem. § 276 BGB bei Ansprüchen wegen Störung des deliktischen Herausgabeanspruchs (vgl. Soergel/Krause, § 848 Rn. 1; Bamberger/Roth/Spindler, § 848 Rn. 1; Staudinger/Vieweg, § 848 Rn. 2). Es kann den Motiven zu § 848 BGB (§ 716 E I) entnommen werden, dass die Norm sich auf eine anderweitig durch unerlaubte Handlung „begründete“ Schadensersatzpflicht bezieht, vgl. Motive II S. 740 (Mugdan II, S. 413). Heute beschränkt sich die Funktion des § 848 BGB jedoch darauf, die Reichweite der Folgenzurechnung in der Haftungsausfüllung klarzustellen, da die Störung des deliktischen Herausgabeanspruchs neben § 251 BGB und der Folgenzurechnung nicht zum Tragen kommt, vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 848 Rn. 2 und eingehend S. 414 f. 40 Diese Perspektive beachtet Knütel, NJW 1993, 900 nicht hinreichend. 41 Dazu, dass der Zufall in § 287 S. 2 BGB ausschließlich das fehlende Vertretenmüssen des Schuldners meint, vgl. S. 89 und S. 407 ff. 42 Eingehend hierzu S. 408. 43 Vgl. Schubert, Vorentwürfe I, S. 853. 44 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 307. Die Genese des § 251 E I (§ 287 S. 2 BGB) wird im Zusammenhang mit der Genese des Zufallsbegriffs (unten S. 71 ff.) noch eingehender zu behandeln sein.

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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Bestärkt wird die hier vertretene Auslegung der Normen durch den Wortlaut des § 287 S. 2 BGB, der davon spricht, dass der Schuldner auch für Zufall „haftet“ und nicht entsprechend § 287 S. 1 BGB anordnet, dass der Schuldner auch Zufall „zu vertreten“ hat. Dem steht zwar der Wortlaut des § 848 BGB gegenüber, der von Verantwortung für Zufall spricht. Dieser kann jedoch nicht als Gegenargument herangezogen werden, da die deliktischen Bestimmungen seit dem Anbeginn des BGB nicht sauber zwischen Verantwortung im Sinne von Zurechnung, wie etwa in den §§ 827 f., 830 BGB, und allgemein in Sinne von Haftung, wie beispielweise in den §§ 834, 837 BGB, differenzieren. § 848 BGB kann und muss entsprechend § 287 S. 2 BGB so ausgelegt werden, dass der deliktisch Herausgabepflichtige für Zufall „haftet“. Lediglich zur Klarstellung sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass der Zufall in der verschärften Haftung nicht „verschwindet“. Er beschränkt sich lediglich auf den weiterhin nicht zurechenbaren Bereich (§ 287 S. 2 Hs. 2 BGB und § 848 a.E. BGB). Dies hat zur Folge, dass etwa die tatbestandlich an den Zufall anknüpfende Gefahrtragungsnorm § 446 S. 1 BGB eingreift, wenn trotz Verzug der Untergang vom Schuldner nicht gem. §§ 276 Abs. 1, 287 S. 2 Hs. 2 BGB zu vertreten ist und dieser auch dem Gläubiger nicht zugerechnet werden kann. bb. Gefahrtragung und Vertretenmüssen Auch ein Verweis auf § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB als Anwendungsfall eines Vertretenmüssens zufälliger Beeinträchtigungen würde fehlgehen. § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB und Vertretenmüssen gleichzusetzen, wäre schief, da die grundlegenden strukturellen und teleologischen Unterschiede zwischen der auf Schadensersatz gerichteten Haftung und der Risikozuweisung mittels echter Gefahrtragungsnormen45 nicht beachtet würden. § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 45 Diese beschränken sich auf Regelungen zur sog. Gegenleistungsgefahr. Die sog. Leistungsgefahr ist keine Gefahrtragungsregel. Sie beschreibt lediglich das Schicksal der Leistungspflicht nach § 275 BGB und ist bloßer Reflex des natürlichen Risikos des Gläubigers, ein Recht durch Untergang zu verlieren, vgl. v. Schenk, Sphäre, S. 185 f.; Möller, Festschrift Bötticher, 261, 262 Fn. 5. Die Leistungsgefahr hat als Gefahrtragungsnorm keine Bedeutung, da der Untergang des Leistungsgegenstandes, in Anbetracht des Leistungsversprechens, nur dann auf die Leistungsbeziehungen einwirkt, wenn Unmöglichkeit eintritt bzw. überhaupt eintreten kann. Letzteres wird häufig unzutreffend mit dem „Übergang“ der Leistungsgefahr beschrieben und damit zugleich die Natur der Leistungsgefahr als Gefahrtragungsregel vermeintlich belegt. Erstmals eintreten kann beispielsweise die Unmöglichkeit durch die Konkretisierung bei Gattungsschulden, infolge des zuvor relativ unbestimmten Leistungsgegenstandes (hierzu Larenz, Schuldrecht I, § 11 I, S. 150 ff.). Erst durch diese ist die Leistungspflicht auf einen Gegenstand beschränkt, wodurch nach dem herrschenden Verständnis die „Gefahr“ übergeht. Gleichwohl trägt der Gläubiger bereits anfänglich die „Gefahr“ des Untergangs der gesamten Gattung bzw. des Vorrats bei der beschränkten Gattungsschuld. In diesen Fallgruppen kann jedoch – wie bei der Stückschuld – die Leistungspflicht

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BGB entlastet – wie alle echten Gefahrtragungsnormen – den Schuldner lediglich vom Risiko der Beeinträchtigungen, die nicht auf fremder haftungsrechtlicher Verantwortung für ein Schadensereignis beruhen und deshalb keine Ersatzpflicht auslösen, indem die Leistungspflicht des Gegenleistungsschuldners aufrechterhalten wird. Die Risikozuweisung mittels Gefahrtragungsnormen ist eine subsidiäre und inhaltlich begrenzte, die an das Ausbleiben von Haftung gekoppelt ist 46 und entsprechend gerade nicht mit dieser gleichgesetzt werden darf. Die Gefahrtragung ist strikt von der dem Vertretenmüssen zugrunde liegenden Zurechnung eines Erfolges im Rahmen der Haftung zu unterscheiden. Vertretenmüssen beruht, sowohl bei Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip als auch nach dem Risikoprinzip, auf dem Gedanken der Erfolgszurechnung und damit auf Erfolgsverantwortlichkeit. 47 So muss sich etwa bei der Gefährdungshaftung gem. § 833 S. 1 BGB der Verletzungserfolg als Realisierung der

schlicht bereits anfänglich untergehen. Das gleiche Ergebnis zeigt sich auch bei der Wahlschuld als Schuldverhältnis mit relativ unbestimmtem Leistungsgegenstand (Larenz, Schuldrecht I, § 11 II, S. 156 ff.). Ab der Beschränkung auf einen Leistungsgegenstand kann erstmals Unmöglichkeit eintreten. Davor trägt der Gläubiger bereits die „Gefahr“ des Untergangs aller Wahlleistungen. Bei der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld (§ 270 BGB) kann ebenfalls erst ab der Konkretisierung der vorherigen Geldsummen- oder Geldwertschuld (hierzu Staudinger/Bittner, § 270 Rn. 7) auf bestimmte Scheine und Münzen überhaupt Unmöglichkeit eintreten. Und auch beim Werkvertrag ist ausschließlich maßgeblich, ob das noch nicht abgenommene Werk überhaupt untergehen kann. Bereits vor der Abnahme trägt der Besteller die „Gefahr“, dass ein notwendiger Baustoff untergeht und die Erstellung des Werks so tatsächlich unmöglich wird, und erst nach der Abnahme beschränkt sich die Verpflichtung auf das konkrete Werk (Bamberger/Roth/Voith, § 640 Rn. 1; Jakobs, AcP 183 (1983), 145). Dass „die“ Leistungsgefahr als Gefahrtragungsregel zugleich verschiedene Personen belastet und zudem je nach Träger auch noch einen unterschiedlichen Gehalt aufweist, scheint merkwürdigerweise nicht als Widerspruch empfunden zu werden. Zudem ist der Schaden des Schuldners vor „Übergang der Leistungsgefahr“ (d.h. ohne dass Unmöglichkeit eintritt) auch nicht das Resultat der Störung des Leistungsverhältnisses, sondern ausschließlich des Rechts- oder Sachverlustes. Geht alternativ die Leistungspflicht gem. § 275 BGB unter (nach dem „Übergang“ der Leistungsgefahr oder soweit diese den Gläubiger sowieso trifft), so richtet sich die Zuweisung der Beeinträchtigungsfolgen für beide Parteien ausschließlich nach der Gegenleistungsgefahr (§ 326 BGB) in Verbindung mit der jeweiligen Rechtsgefahr der nicht durch erstere begünstigten Partei, womit das Risiko der wirtschaftlichen Beeinträchtigung (periculum aestimationis) unverändert bleibt oder abgewälzt wird; vgl. v. Schenk, Sphäre, S. 81. Die „Leistungsgefahr“ hat deshalb keinen relevanten Aussagewert und ist als Gefahrtragungsregel überflüssig. 46 Vgl. Hager, Gefahrtragung, S. 35; Veelken, Dogmatik, S. 12. In diese Richtung auch Pallasch, JA 1994, 504, 505; Coester-Waltjen, Jura 2007, 110 f.; vgl. auch Schlosser, Jura 1985, 479, der anmerkt, dass sich die Frage nach der Gefahrtragung nicht erhebt, wenn eine Partei die Leistungsstörung zu vertreten hat. 47 Eingehend unten S. 103 ff.

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spezifischen Tiergefahr erweisen. 48 Die Zuweisung des Zufallsrisikos durch Gefahrtragung knüpft hingegen an die beiderseitig fehlende haftungsrechtliche Erfolgsverantwortlichkeit49 und im Falle des § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB sogar explizit an das fehlende Vertretenmüssen an. Der Anwendungsbereich dieser Gefahrtragungsnorm ist, neben der Voraussetzung des Annahmeverzugs, der Bereich vom Gläubiger nicht „zu verantwortender“ und vom Schuldner nicht zu vertretender Beeinträchtigungen, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB50 ergibt. Nach richtiger Ansicht 48 Vgl. RGZ 60, 65, 69; 80, 237, 238 f.; 141, 406, 407; BGHZ 67, 129, 130; Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 31; Bamberger/Roth/Spindler, § 833 Rn. 5; MünchKommBGB/Wagner, § 833 Rn. 13. 49 Damit scheint § 645 Abs. 1 S. 1 BGB auf den ersten Blick nur schwer vereinbar. Insoweit ist jedoch zu beachten, dass § 645 Abs. 1 S. 1 BGB eher als Haftungsnorm in der Form einer Risikohaftung denn als Gefahrtragungsnorm zu qualifizieren ist. Dafür spricht, dass der Anspruch, der Gegenstand der Norm ist, abweichend zu § 644 BGB neben den aus § 632 BGB treten kann (vgl. Staudinger/Peters/Jacoby, § 645 Rn. 6; Veelken, Dogmatik, S. 97 ff.; Bamberger/Roth/Voit, § 645 Rn. 4, 30; Kohler, NJW 1993, 417, 418 f.) und somit von der Primärleistungspflicht entkoppelt ist (vgl. dazu, dass § 645 Abs. 1 S. 1 BGB nicht die Gegenleistungsgefahr regelt, Veelken, Dogmatik S. 100; i.E. auch Beuthien, Zweckerreichung, S. 129), sowie die strukturelle Übereinstimmung mit den klassischen Tatbeständen der Risikohaftung hinsichtlich der Haftungsbegründung. Alternativ müsste § 645 Abs. 1 S. 1 BGB als nicht verallgemeinerungsfähige Sonderbestimmung der Gefahrtragung verstanden werden, die den Besonderheiten des Werkvertragsrechts geschuldet ist und deren Regelungsgegenstand ein sehr enger Bereich spezieller haftungsrechtlich zufälliger (vgl. MünchKommBGB/Busche, § 645 Rn. 3; Soergel/Teichmann, § 645 Rn. 1) Vertragsstörungen ist. 50 § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB selbst ist keine Gefahrtragungsnorm, sondern eine spezielle Haftungsnorm, vgl. Canaris, Festschrift Picker, 113, 114 f. Abweichender Auffassung ist insbesondere Dötterl, ZGS 2011, 115, 116 ff.; ders., Unmöglichkeit, S. 28 ff., der jedoch zu sehr auf die Anknüpfung an § 326 Abs. 1 BGB fixiert ist und dabei die Unterschiede des § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB zu den Gefahrtragungsnormen nicht hinreichend berücksichtigt. Zur Gefahrtragungsnorm würde § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB lediglich in Verbindung mit der abzulehnenden „Sphärentheorie“, da auf diese Weise eine Belastung mit einem Risiko begründet würde. Die Qualifikation als Gefahrtragungsnorm würde, neben der zweifelhaften Anknüpfung an die individuelle Verantwortung einer Partei, zur Folge haben, dass ein den Schaden herbeiführendes Verhalten im Nachhinein eine Belastung mit der dann schon realisierten Gefahr bewirken würde. Auch die alternative Norminterpretation als Belastung mit dem Risiko einer selbst zu vertretenden Störung der Leistungsbeziehung überzeugt nicht. Sie würde ohne legitimen Grund und systematisch zweifelhaft den Umstand, der im Übrigen die Gefahrtragung gerade ausschließt, zum Gegenstand der Gefahrtragung machen, indem die positive Erfolgsverantwortlichkeit in die Gefahrtragung eingeführt würde. In der zutreffenden Auslegung regelt die Norm ausschließlich den durch die Besonderheiten der Austauschsituation hinsichtlich der Schadenshöhe bereits festgelegten Schadensersatzanspruch. Die inhaltliche Fixierung der Schadenshöhe ergibt sich daraus, dass der subjektive Schaden des Schuldners stets der Gegenleistung entspricht (vgl. Huber, Leistungsstörungen II, S. 750) und der Gläubiger infolge seiner weit überwiegenden Verantwortlichkeit nach Maßgabe des § 254 BGB allein zum Ersatz verpflichtet ist (vgl. zu Letzterem Canaris, Festschrift Picker, 113, 115, 126; Staudinger/Otto, § 326 Rn. C6 m. w. Nachw.).

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

ist das vom Gläubiger zu Verantwortende, entgegen der „Sphärentheorie“51 und deren Abwandlungen, 52 analog den §§ 276, 278 BGB zu bestimmen, d.h. entsprechend dem Vertretenmüssen einschließlich der Möglichkeit einer verschärften Haftung infolge von Risikoübernahme bzw. Garantie.53 § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB bestätigt somit, dass Gefahrtragungsnormen beiderseitig fehlendes Vertretenmüssen voraussetzen und nur anwendbar sind, wenn keine Partei im Sinne des Haftungsrechts für das Schadensereignis verantwortlich ist. Die Belastung mit dem Zufallsrisiko mittels Gefahrtragungsnormen kann auch nicht ihrerseits ein Vertretenmüssen begründen. Dies würde, konsequent fortgedacht, zu einer systematisch verfehlten Einflussnahme auf § 276 Abs. 1 BGB führen. Die an die ausbleibende Haftung anknüpfende Gefahrtragung würde den Anwendungsbereich der in den Rechtsfolgen gem. §§ 249 ff. BGB weitergehenden Haftung (wieder) eröffnen. Deswegen spricht das Gesetz im Zusammenhang mit Gefahrtragungsnormen bezüglich der Rechtsfolge lediglich davon, dass die Gefahr getragen oder der Anspruch auf die Gegenleistung aufrechterhalten wird und gerade nicht von Verantwortung für das Schadensereignis. § 644 Abs. 1 S. 3 BGB, der unter der amtlichen Überschrift „Gefahrtragung“ ausspricht, dass der Unternehmer für eine zufällige Beeinträchtigung des vom Besteller überlassenen Stoffes „nicht verantwortlich [ist]“, steht dem nicht entgegen. Die Norm betrifft ausschließlich die sog. Sachgefahr54 und beschreibt die Selbstverständlichkeit, dass der Unternehmer bei einer zufälligen Beeinträchtigung des überlassenen Stoffes nicht auf Schadensersatz haftet.55 Auf die Gegenleistung kann diese „Pseudogefahrtragungsregel“ schon deshalb keinen Einfluss haben, weil der systematische Zusammenhang mit Satz 1 ergibt, dass der Stoff noch nicht Teil des Werkes sein darf. Ist das Werk also nicht betroffen, so wäre es verfehlt, auf die Beeinträchtigung des Stoffes mittels einer wie auch immer gearteten Einwirkung auf die Gegenleistungspflicht zu reagieren. Nur in der auf das Haftungsrecht bezogenen deklaratorischen Funktion macht § 644 Abs. 1 S. 3 BGB wirklich Sinn. Eine echte Gefahrtragung ist in der Norm nicht geregelt. 51 Vgl. Beuthien, Zweckerreichung, 80 ff.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 27 ff.; Koller, Risikozurechnung, S. 280 ff. 52 Vgl. hierzu Staudinger/Otto, § 326 Rn. C5 m. w. Nachw. 53 Vgl. Staudinger/Otto, § 326 Rn. C5, C19; Canaris, Festschrift Picker, 113, 116, 117 ff.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 541; Erman/H. P. Westermann, § 326 Rn. 11; i.E. auch Emmerich, Leistungsstörungen, § 11 Rn. 2, 5 ff. 54 Vgl. Erman/Schwenker, § 644 Rn. 5; Bamberger/Roth/Voit, § 644 Rn. 1 f.; Staudinger/Peters/Jacoby, § 644 Rn. 4; MünchKommBGB/Busche, § 644 Rn. 1 f. 55 Entsprechend auch Bamberger/Roth/Voit, § 644 Rn. 8; Staudinger/Peters/Jacoby, § 644 Rn. 14; i.E. auch Palandt/Sprau, §§ 644, 645 Rn. 4, der allerdings (unnötigerweise) klarstellt, dass die Leistungsansprüche unberührt bleiben. Unklar hingegen MünchKommBGB/Busche, § 644 Rn. 5 durch die Bezugnahme auf die Gefahrtragung nach S. 1.

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cc. Zwischenergebnis Es ist somit festzustellen, dass die herrschende Definition des Zufalls weder durch das Haftungs- noch durch das Gefahrtragungsrecht ausgeschlossen wird. § 287 S. 2 BGB regelt nicht, dass tatbestandlich zufällige, im Sinne von nicht zu vertretende, Schadensereignisse gem. § 276 Abs. 1 BGB zu vertreten sind. Die Regelungswirkung beschränkt sich vielmehr darauf, dass auch „ehemals“ zufällige und somit sämtliche Störungen des Leistungsverhältnisses zugerechnet werden, soweit nicht wiederum § 287 S. 2 Hs. 2 BGB eingreift. Ebenso begründet die an den Zufall anknüpfende Gefahrtragung nicht, dass nicht zu vertretende Ereignisse doch zu vertreten sind. Bei der Gefahrtragung handelt es sich um ein zur Haftung alternatives Rechtsinstitut, das zwar an die haftungsrechtliche Zurechnung anknüpft, diese aber unberührt lässt. d. Genese des bürgerlich-rechtlichen Zufallsbegriffs Betrachtet man die Genese des bürgerlich-rechtlichen Zufallsbegriffs, so muss man feststellen, dass die Begriffsbildung in unterschiedlichem Zusammenhang abweichend erfolgte, obwohl die entsprechenden Regelungskomplexe systematisch verbunden sind. aa. Unterschiedliche Begriffsbildung im Haftungs- und Gefahrtragungsrecht Hinsichtlich des Zufalls in § 287 S. 2 BGB verweist Knütel zutreffend darauf, dass die erste Kommission von einem antithetischen Verständnis von Zufall und Verschulden ausging. 56 Dies wird in den Protokollen zu deren Beratungen zu § 251 E I57 (§ 287 BGB) deutlich: „[...] obschon nicht verkannt wurde, daß der Ausdruck ‚Zufall’ doppelsinnig sei, indem er sowohl bedeuten könne: ein von dem Schuldner nicht verschuldetes Ereigniß als ein von dem Schuldner nicht zu vertretendes Ereigniß. Die Mehrheit war der Ansicht, nach dem juristischen Sprachgebrauch könne die Richtigkeit der ersteren Bedeutung nicht zweifelhaft sein.“

Neben der von der ersten Kommission intendierten Verbindung von Zufall und Verschulden in dieser Norm offenbart diese Textstelle, dass der Zufall in anderem Zusammenhang sehr wohl dem Vertretenmüssen gegenüberstehen kann. Ein weiterer Fall, bei dem die erste Kommission explizit von der Verbindung von Verschulden und Zufall ausging, ist der ebenfalls zum Leistungsstörungsrecht gehörende § 649 Abs. 1 S. 2 E I (§ 732 S. 2 BGB)58: „Das Wort „Zufall“ im zweiten Satze hielt man für richtig, indem es genügend ausdrücke, daß der Untergang u.s.w. nicht von den übrigen Gesellschaftern und auch nicht von einem Vgl. Knütel, NJW 1993, 900. Prot. I, S. 1207 (Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 308). 58 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen III, S. 339.

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einzelnen Gesellschafter verschuldet sein dürfe und daß der Gesellschafter, welcher die Sache eingebracht, nach den allgemeinen Grundsätzen, im ersten Falle von den übrigen Gesellschaftern, im zweiten Falle von dem schuldigen Gesellschafter Schadensersatz fordern könne. Nicht minder galt es als zweifellos, daß die Bestimmung des zweiten Satzes nicht Platz greife, wenn und soweit ein anders vereinbart worden, wodurch man zugleich das Bedenken für erledigt hielt, ob nicht in Übereinstimmung mit § 185 der Zusammenstellung der das Obligationenrecht betreffenden Beschlüsse (...) für „Zufall“ zu setzen sei: ‚ein von den Gesellschaftern als solchen nicht zu vertretender Umstand’.“

Die in den Protokollen zu § 251 E I angedeutete alternative Auslegung des Zufalls als ein „nicht zu vertretendes Ereigniß“ war im Recht der Gefahrtragung statthaft. Der Zufall als Gegensatz zum Vertretenmüssen wurde etwa § 463 E I (§ 446 BGB a.F.) zugrunde gelegt.59 Ergänzend wird diese Definition des Zufalls auch mehrfach in den Motiven erwähnt, insbesondere in denen zu § 237 E I (§ 275 BGB a.F.)60: „Daß diese [nachträgliche Unmöglichkeit], so lange und so weit sie reicht und vom Schuldner nicht zu vertreten ist, die Verbindlichkeit des Schuldners ausschließt, entspricht der Natur der Sache und dem geltende Rechte. Es bleibt jedoch die Grenze für die dem Schuldner obliegende Vertretung der Unmöglichkeit zu bestimmen. Es ist zu enge oder mißverständlich, wenn die in Abs. 1 bezeichnete Wirkung dem zufälligen oder nicht verschuldeten Eintritte der Unmöglichkeit beigelegt wird. Der Zufall (im civilrechtlichen Sinne) in Ansehung der Erfüllung der Verbindlichkeit beginnt da, wo die Haftung des Schuldners aufhört. Letztere kann durch Gesetz oder Rechtsgeschäft über die Fahrlässigkeit hinaus bis zur Garantieübernahme für den Erfolg gesteigert, andererseits aber auch milder, als die Regel mit sich bringt, festgesetzt sein (vgl. §§ 224, 225, 442, 550). Der Entw. wählt deshalb mit dem schweiz. ObligR. 145 den Ausdruck: „ein vom Schuldner – nach dem Inhalte des zur Beurtheilung stehenden Schuldverhältnisses – nicht zu vertretender Umstand.“

Durch die Definition des Zufalls und der Darstellung der Reichweite der den Zufall begrenzenden Haftung wird deutlich, dass in den Motiven der Zufall mit 59 § 8 Abs. 1 von TE-OR Nr. 32 lautete: „Der Verkäufer trägt die Gefahr des zufälligen Unterganges und der zufälligen Verschlechterung der verkauften Sache nach Maßgabe der Vorschriften in §§ 189, 190 bis zur Uebergabe der verkauften Sache an den Käufer, im Falle des Verkaufes einer unbeweglichen Sache aber, bis die Sache entweder dem Käufer übergeben, oder die Eintragung des Eigenthumsüberganges auf den Käufer im Grundbuch erfolgt ist.“ (vgl. Schubert, Vorentwürfe II, S. 2). Der Verfasser des Vorentwurfs von Kübel führt in den Motiven zu § 8 aus: „In Ansehung der Tragung der Gefahr, d. h. der Frage, ob dann, wenn dem Verkäufer in Folge eines nach dem Kaufabschluss eingetretenen, von ihm nicht zu vertretenden Umstandes die Leistung des Kaufgegenstandes dauernd unmöglich geworden ist, der Käufer den Kaufpreis dennoch zahlen muß oder ob er solchenfalls von der Verbindlichkeit zur Entrichtung befreit ist, [...]“ (Schubert, Vorentwürfe II, S. 24). Der Zufall als Gegenstand der Gefahrtragung wurde somit durch von Kübel als fehlendes Vertretenmüssen definiert. Zweifel an einer entsprechenden Begriffsbestimmung im Rahmen des § 463 E I kamen in den Beratungen und dem übrigen Gesetzgebungsprozess nicht auf, vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen III, S. 77 ff. 60 Motive II S. 45 (Mugdan II, S. 24).

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dem Überschreiten des Zurechenbaren gleichgesetzt wird. 61 Der Gebrauch des Begriffs Zufall als Alternative zum fehlenden Vertretenmüssen wurde jedoch als „mißverständlich“, nicht jedoch als inhaltlich unzutreffend angesehen. Die Beurteilung als verkürzend („zu enge“) bezieht sich hingegen ausschließlich auf das fehlende Verschulden. Dies wird zwar nicht auf den ersten Blick, wohl aber aus den Aussagen der nachfolgenden Sätze deutlich. Der gemäß der Definition bestimmte Zufall kann nämlich schon gar nicht „zu eng“ sein, weil sich die den Zufall bestimmende Reichweite der Haftung gerade mit dem letztendlich normierten Vertretenmüssen deckt. Zufall ist also (auch) fehlendes Vertretenmüssen. Diese Definition des Zufalls wird durch die Motive zu § 10 von TE-OR Nr. 22 (§§ 275, 323 BGB a.F.) bestätigt. 62 Weitere Passagen, in denen der Zufall bezogen auf das Vertretenmüssen gebraucht wird, finden sich in den Motiven zu § 323 BGB a.F.63 und § 325 BGB a.F. So steht etwa in den Motiven zu § 325 BGB a.F. 64: „Die bei zufälliger Unmöglichkeit der Leistung eintretende Befreiung von der Gegenleistung hat als nothwendige Konsequenz das Recht des Gläubigers, die Gegenleistung auch im Falle der vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit zu verweigern. Der Schuldner würde sonst mehr Rechte haben, wenn die Unmöglichkeit von ihm zu vertreten ist, als bei zufälliger Unmöglichkeit.“

Bezogen auf das gesamte bürgerliche Recht lässt der „juristische Sprachgebrauch“ also zu, den Zufall sowohl als ein nicht verschuldetes, wie auch als ein

61 Vgl. auch Prot. II, S. 630 f. (Mugdan II, S. 528 f.); wie hier auch Evans-von Krbek, AcP 177 (1977), 37, 42; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 2. 62 Die Motive führen aus: „Der Zufall im civilrechtlichen Sinne beginnt, soweit die Verpflichtung des Schuldners zur Erfüllung bezw. zur Leistung des Erfüllungsinteresses in Frage steht, da, wo die Haftung des Schuldners in dem konkreten Schuldverhältnisse aufhört. Gemeinhin wird gelehrt, daß die Verbindlichkeit und das derselben entsprechende Forderungsrecht erlischt, wenn und soweit dem Schuldner die Leistung durch Zufall oder ohne seine Schuld unmöglich wird (Windscheid, Band. [sic!] §§. 264, 360; Mommsen, Beiträge I S. 241 ff., 304 ff.; preuß. Landrecht I. 5 §§. 364 ff.; österr. G. B. §. 1417; sächs. G. B. §§. 1009, 1010; züricher G. B. §. 1006; Entwürfe von Hessen Art. 144, 145, 360, Bayern Art. 119, 120, Dresden Art. 388, 389; code civil art. 1302, 1303, Zachariä a. a. O. II §. 311). Es kommt also lediglich darauf an, inwieweit der Schuldner in dem betreffenden Falle zu haften hat, ob nur für dolus und culpa lata, ob auch für culpa levis oder über diese hinaus für jeden Umstand, welcher die Erfüllung hindert oder unmöglich macht, bezw. für gewisse Umstände und Ereignisse, wenn ihm auch an deren Eintreten oder Eingreifen kein Verschulden beigemessen werden kann. Der Entwurf drückt dies in Übereinstimmung mit dem schweizer Bundesgesetz Art. 145 dahin aus, daß der Schuldner, wenn und soweit ihm die Erfüllung in Folge eines von ihm nicht zu vertretenden Umstandes unmöglich wird, von seiner Leistung befreit werde. In solch einem Falle hat der Schuldner dem Gläubiger demnach keinen Schadensersatz zu leisten.“ (Schubert, Vorentwürfe I, S. 873 f.). 63 Motive II, S. 208 (Mugdan II, S. 114 f.). 64 Motive II, S. 209 (Mugdan II, S. 115).

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nicht zu vertretendes Ereignis zu verstehen. Die erste Kommission ging scheinbar von unterschiedlichen Zufallsbegriffen für Haftung und Gefahrtragung aus. bb. Zweifel an der haftungsrechtlichen Begriffsbildung wegen §§ 649, 623 E I Die erste Kommission verkannte bei ihrer haftungsrechtlichen Begriffsbildung, dass in dem Entwurf von § 649 (§ 732 S. 2 BGB) der verwendete Zufall dem Vertretenmüssen gegenübertrat. Obwohl die Kommission die Möglichkeit der privatautonomen Haftungsverschärfung im Gesellschaftsvertrag berücksichtigt hatte, vernachlässigte sie, dass es infolge der Haftungsprivilegierung zugunsten der Gesellschafter auf die diligentia quam in suis gem. § 623 E I (§ 708 BGB) geboten gewesen wäre, dem Zufall in der Norm das Vertretenmüssen zugrundezulegen. So wie die Norm konzipiert war, musste in Anbetracht des intendierten Systems der Haftung, die als Gesellschafterhaftung eine Beeinträchtigung des Anspruchs aus § 732 S. 1 BGB a.F. sanktionierte, der Zufall in § 649 E I als fehlendes Vertretenmüssen verstanden werden. Dem Zufall stand in dieser Norm nämlich gerade nicht das objektive Verschulden gem. § 276 BGB a.F. gegenüber, sondern ein milderer Haftungsmaßstab. cc. Weitere systematische Bedenken gegen eine getrennte Begriffsbildung Die Kommission hätte selbst Bedenken bezüglich ihrer Begriffsbildung haben müssen, weil diese durch die systematisch verfehlte Gleichsetzung des § 251 E I mit § 716 E I (§ 848 BGB)65 beeinflusst wurde. Die Kommission war sehr bemüht, Harmonie zwischen § 251 E I und seinem „deliktischen Pendant“ § 848 BGB herzustellen. 66 Dieser Ansatz war jedoch unglücklich, da § 716 E I ausschließlich an das schuldhafte Delikt anknüpfte, während § 251 E I von der Kommission stets als Norm des auf das Vertretenmüssen bezogenen Leistungsstörungsrechts (§§ 275 ff., 323 ff. BGB a.F.) konzipiert worden war. Dass bzgl. § 251 E I keine Friktionen bemerkt wurden, ist vor dem Hintergrund verständlich, dass die Begriffsbildung innerhalb des Gefüges der §§ 250 f. E I durchaus konsistent war. § 250 E I (§ 287 S. 1 BGB) bestimmte, dass bisherige Haftungserleichterungen entfielen und mit Eintritt des Verzuges somit umfassend für Verschulden gehaftet wurde. § 251 E I erstreckte darüber hinaus die Haftung auf den unverschuldeten Bereich. Infolge der Kombination der §§ 250 f. E I vermochte die Kommission zu gewährleisten, dass keine Lücken im Haftungssystem durch die Verbindung von Zufall und Verschulden 65 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 307. Interessant ist auch der Antrag von Planck, statt einer eigenständigen Regel einen Verweis auf den späteren § 848 BGB zu normieren (vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 307). Dabei ist zu beachten, dass die Beratungen zu § 716 E I (Prot. I, S. 1042 ff.) auch vor denen zu § 251 E I (Prot. I, S. 1207 ff.) erfolgten, da dieser ursprünglich den heutigen §§ 249 ff. BGB zugeordnet werden sollte. 66 Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 307.

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entstanden. Dies wurde jedoch unnötig kompliziert erreicht und war, in Anbetracht der Regelungssystematik des § 22 von TE-OR Nr. 22, so anfänglich auch gar nicht intendiert. Die Haftungserweiterung (auf „jede [...] Unmöglichkeit“) sollte vielmehr unabhängig vom damaligen Hs. 1 des § 22 von TE-OR Nr. 22 (§ 250 E I) erfolgen. Die Kommission hatte offenbar nicht hinreichend durchdrungen, welche Konsequenzen damit verbunden waren, dass das Leistungsstörungsrecht umfassend am Vertretenmüssen ausgerichtet wurde. Der zu § 251 E I entwickelte Zufallsbegriff versagte jenseits der §§ 250 f., 716 E I. Dies stellte die Kommission etwa bzgl. § 211 E I (§ 265 BGB a.F.) selbst fest, der als Entwurf (§ 7 von TE-OR Nr. 22) ursprünglich ebenfalls das Tatbestandsmerkmal Zufall enthielt.67 Als die Regelung dahingehend überprüft wurde, ob sie mit dem § 251 E I zugrunde gelegten Zufallsbegriff vereinbar sei, hat die erste Kommission den Zufall entsprechend den systematischen Vorgaben des Leistungsstörungsrechts durch fehlendes Vertretenmüssen ersetzt. 68 Und auch für das Recht der Gefahrtragung war der § 251 E I zugrunde gelegte Zufallsbegriff ungeeignet und die Verbindung des Zufalls mit dem Vertretenmüssen wurde entsprechend auch niemals angezweifelt. Zudem erzwang, wie bereits ausgeführt, § 649 E I in Verbindung mit den systematischen Vorgaben des Haftungsrechts, den Zufall auch in diesem zumindest partiell als fehlendes Vertretenmüssen zu verstehen. Die erste Kommission verkannte darüber hinaus, dass das von ihr entwickelte System eine abweichende Bestimmung des Zufallsbegriffs bereits für § 251 E I BGB implizierte. Als Norm des Leistungsstörungsrechts, die das Vertretenmüssen in den Haftungsnormen §§ 280, 325 BGB a.F.69, den Gefahrtragungsnormen §§ 323 f. BGB a.F. 70 und vor allem auch in der zwischen diesen Instituten stehenden Zentralnorm § 275 BGB a.F. 71 modifizierte, hätte es 67 § 7 von TE-OR Nr. 16: (Abs. 1) Ist die Bewirkung einer von mehreren wahlweise geschuldeten Leistungen durch Zufall unmöglich geworden, so beschränkt sich das Schuldverhältnis auf die übrigen Leistungen. (Abs. 2) Ist die Bewirkung der sämtlichen wahlweise geschuldeten Leistungen durch Zufall unmöglich geworden, so ist die Verbindlichkeit des Schuldners erloschen.“ (vgl. Schubert, Vorentwürfe I, S. 30). 68 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 163. 69 Vgl. Soergel12/Wiedemann, § 287 Rn. 4; MünchKommBGB3/Thode, § 287 Rn. 3; U. Huber, Leistungsstörungsrecht II, S. 126 f.; RGRK/Alf, § 275 Rn. 27; Erman10/Battes, § 325 Rn. 3; RGZ 97, 6, 9. 70 Vgl. Soergel12/Wiedemann, § 323 Rn. 12; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 20. 71 So auch U. Huber, Leistungsstörungsrecht II, S. 127; Larenz, Schuldrecht I, § 23 II a, S. 355; Staudinger13/Löwisch, § 287 Rn. 7; MünchKommBGB3/Thode, § 287 Rn. 3; Erman10/Battes, § 287 Rn. 2. Larenz, Schuldrecht I, § 23 II a, S. 355 qualifiziert § 287 S. 2 BGB a.F. mit der Begründung, dass die haftungsrechtliche Verantwortung nur schwerlich soweit ausgedehnt werden könne, wohl als echte Gefahrtragungsregel statt als haftungsrechtliche Zurechnungsregel. Da es den Parteien z. B. unbenommen ist, eine § 287 S. 2 BGB abbildende Garantie zu übernehmen, verfängt diese Begründung jedoch kaum. Gemeint

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nahegelegen, den Zufall entsprechend der in den Motiven zu § 275 BGB a.F. verwendeten Definition mit fehlendem Vertretenmüssen gleichzusetzten. Das Leistungsstörungsrecht war als ein einziges geschlossenes System konzipiert gewesen. Der Anwendungsbereich der Haftung gem. §§ 280, 325 BGB a.F. war zu dem des § 275 BGB a.F. alternativ ausgestaltet, 72 während § 275 BGB a.F. für die Anwendung der Gefahrtragung gem. §§ 323 f. BGB a.F. (und auch für die übrigen Gefahrtragungsregeln, wie die §§ 446 f. BGB a.F.) konstitutiv war. 73 Die Verfasser des BGB verbanden durch § 275 BGB a.F. den Fortbestand der Leistungspflicht trotz Unmöglichkeit mit der Haftung bzw. der Zurechenbarkeit des Leistungshindernisses, 74 während der Schuldner nur von der Leistungspflicht befreit wurde und die Gefahrtragung (§§ 323 f., 446 f., 644 BGB a.F.) eingreifen konnte, wenn die Leistungsstörung nicht zurechenbar war. Die das System verbindende Zurechenbarkeit richtete sich dabei ausweislich der §§ 275, 280, 323 f., 325 BGB a.F. explizit nach dem variablen Vertretenmüssen. Diese Systematik erfasste auch § 251 E I, da dieser die Defizite in diesem System aus Haftung und Gefahrtragung kompensieren sollte, die durch den zu vertretenden Verzug begründet wurden, indem er das Vertretenmüssen modifizierte. Das Haftungs- und Gefahrtragungssystem bedurfte jedoch überhaupt nur dann einer Modifikation, sofern die Unmöglichkeit nicht bereits zu vertreten war. Haftete der Schuldner sowieso verschuldensunabhängig, etwa weil der Erfolg privatautonom garantiert wurde, so war es systematisch schief, für die Erweiterung der Haftung auf das Verschulden zurückzugreifen, zumal diese Erweiterung zumindest teilweise redundant ausgestaltet wäre. Demgegenüber hätte sich der Zufall in § 251 E I als fehlendes Vertretenmüssen absolut präzise und stimmig in das System des Leistungsstörungsrechts eingefügt. Warum diese systematischen Vorgaben von der ersten Kommission nicht berücksichtigt wurden, lässt sich wohl nicht mehr aufklären. dd. Keine Vorgaben für die heutige Begriffsbildung In Anbetracht der systematischen Friktionen innerhalb der historischen Begriffsbildung der ersten Kommission ist es zweifelhaft, ob diese für den Zufallsbegriff im gegenwärtigen Haftungsrecht maßgeblich sein kann. Die „richtungsweisende“ Bestimmung des Zufalls in § 251 E I war bereits ursprünglich kann lediglich die „Leistungsgefahr“ sein (vgl. U. Huber, Leistungsstörungsrecht II, S. 127; MünchKommBGB3 /Thode, § 287 Rn. 3), die jedoch keine Gefahrtragung ist (dazu bereits Fn. 46) und die (Schadensersatz-)Haftung gerade unberührt lässt. 72 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 21 I b, S. 308; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 13; Staudinger13/Löwisch, § 275 Rn. 56; MünchKommBGB3/Emmerich, Vor § 275 Rn. 21. 73 Vgl. Soergel12/Wiedemann, § 323 Rn. 10; Larenz, Schuldrecht I, § 21 I b, S. 309; Erman10/Battes, Vor § 323 Rn. 1. 74 Dazu auch Lobinger, Grenzen, S. 231.

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nicht zwingend und erwies sich zumindest teilweise als Irrweg. Vielmehr fügte sich schon damals nur der Zufall als fehlendes Vertretenmüssen reibungslos in das System der Haftung. Dem widerspricht Knütel, indem er andeutet, dass die Begriffsbildung der Kommission bei § 251 E I darauf beruht, dass das als widersprüchlich erkannte Ergebnis vermieden werden sollte, dass der Schuldner „für ein nicht zu vertretendes – also seine Haftung gerade nicht begründendes – Ereignis haften“ würde. 75 Ein widersprüchlicher Regelungsgehalt des § 251 E I drohte jedoch keineswegs. Die Rechtsfolge „Haftung für die bisher nicht zu vertretende Unmöglichkeit“ bedeutete in der Anwendung schlicht, für jede Unmöglichkeit zu haften, 76 wie es der ursprüngliche Entwurf für den späteren § 251 E I (§ 22 von TE-OR Nr. 22) vorsah. 77 Die heute Verwirrung stiftenden Worte „durch Zufall“ wurden erst im Laufe der Beratungen eingefügt. Diese Ergänzung erfolgte dabei nicht, um die Regelung zu modifizieren, sondern lediglich „der Harmonie [zu § 161 RedVorl/ZustOR = § 848 BGB] halber“ und „zur Verdeutlichung“. 78 Es wurde sogar der (erfolglose) Antrag gestellt, die Worte „durch Zufall“ in § 251 E I gerade durch die Worte „durch einen vom Schuldner nicht zu vertretenden Umstand“ zu ersetzen, 79 womit der von Knütel befürchteten Widerspruch sogar explizit normiert worden wäre. Zwar muss Knütel zugestimmt werden, dass die Genese des Zufallsbegriffs für § 287 S. 2 BGB eine antithetische Verbindung von Zufall und Verschulden nahelegt. Zugleich ist jedoch festzustellen, dass der Zufall nach der Konzeption der ersten Kommission auch dem über das Verschulden hinausgehenden Vertretenmüssen gegenübertreten konnte und in § 649 E I (§ 732 BGB), der eine Norm des Haftungsrechts ist, und in den Gefahrtragungsnormen sogar musste. Zudem gibt das auf dieser Ebene des Entstehungsprozesses entwickelte System eine einheitliche Begriffsbildung für das gesamte BGB einschließlich des § 287 S. 2 BGB a.F. (§ 251 E I) vor, und zwar auf der Grundlage des Zufalls als Gegensatz zum Vertretenmüssen. In Anbetracht dieser Umstände erweist sich die inkonsistente Begriffsbildung der ersten Kommission als für das gegenwärtige Recht nicht maßgeblich.

Knütel, NJW 1993, 900. Hierzu auch bereits S. 65 ff. 77 § 22 von TE-OR Nr. 22: „Von Beginn des Verzuges an haftet der Schuldner, auch wenn er vorher in beschränkter Weise verantwortlich war, für jede Fahrlässigkeit, sowie für jede während des Verzuges ganz oder theilweise eintretende Unmöglichkeit.“ (vgl. Schubert, Vorentwürfe I, S. 853). 78 Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 307. 79 Jakobs/Schubert, Beratungen II, S. 309 Fn. 1. Wer den Antrag warum stellte, ist leider nicht vermerkt. Auch nicht vermerkt ist, warum der Antrag abgelehnt wurde. Bei § 211 E I (§ 265 BGB) wurde die Ersetzung tatsächlich vorgenommen. 75

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

e. Argumente für eine antithetische Verbindung von Zufall und Zurechnung Sucht man nach Argumenten für die vorzugswürdige Bestimmung des Zufallsbegriffs durch die herrschende Meinung, so muss man feststellen, dass von dieser keine vorgebracht werden. In Anbetracht dieses Schweigens soll hier dafür argumentiert werden, Zufall und Vertretenmüssen antithetisch zu verbinden. Für diese Verbindung spricht, dass nur so ein einheitlicher haftungsbezogener Zufallsbegriff im BGB möglich ist (aa.), der zudem durch die Systematik des BGB auch geboten ist (bb.) aa. Begriffliche Rahmenbedingungen Für das Gefahrtragungsrecht ist die Definition des Zufalls als nicht zu vertretendes Ereignis unumgänglich. Würde man den Zufall im Gefahrtragungsrecht als fehlendes Verschulden verstehen, so würden die Gefahrtragungsnormen bei schuldhaften, aber nicht zu vertretenden Leistungsstörungen nicht eingreifen. Führt beispielsweise der im Annahmeverzug befindliche Käufer einfach fahrlässig die Unmöglichkeit herbei, so ist diese schuldhaft verursacht. § 446 S. 3 BGB wäre unanwendbar, da diese Norm auf § 446 S. 1 BGB Bezug nimmt und somit Zufall voraussetzt. Die Sonderregelungen der Gefahrtragung im Annahmeverzug (§§ 446 S. 3, 644 Abs. 1 S. 2 BGB und allgemein § 326 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB) zeigen jedoch, dass § 300 Abs. 1 BGB als Rechtsfolge des Annahmeverzugs in der Zurechnung, die den Gefahrtragungsnormen immanent ist, berücksichtigt werden muss. Dass die Privilegierung nicht die durch den Annahmeverzug begründete Gefahrtragung des Gläubigers erfassen soll, kann nicht überzeugen und wird auch nicht behauptet. Es besteht also allenfalls im Haftungsrecht die Möglichkeit, den Zufall entsprechend der Gegenauffassung zu verstehen. Dies lässt sich schwerlich damit vereinbaren, wie das Gesetz den Begriff des Zufalls verwendet. Die Vertreter der Antithese sind bei verschuldensunabhängigen Haftungsinstituten gezwungen, zwischen dem haftungsfreien und dem haftpflichtigen Zufall zu unterscheiden. Im gesetzlichen Zufallsbegriff ist eine inhaltliche Differenzierung zwischen zu verantwortendem und nicht zu verantwortendem Zufall jedoch nicht angelegt. Den zu verantwortenden Zufall auf Tatbestandsebene sieht das Gesetz nicht vor. Sogar in den §§ 287 S. 2, 848 BGB ist nur der (bisher) nicht zu verantwortende Zufall Regelungsgegenstand. In der verschärften Haftung ist jedoch nicht mehr der Zufall, sondern ein erweitertes Risiko zu verantworten.80 Demgegenüber unterscheidet das Gesetz in § 276 Abs. 1 BGB explizit zwischen schuldlos herbeigeführten, aber nicht zu vertretenden und schuldlos herbeigeführten, aber dennoch zu vertretenden Ereignissen. Der Gebrauch des Begriffs Zufall im Haftungsrecht impliziert also, diesen ebenfalls einheitlich als nicht zu verantwortendes Ereignis zu verstehen. 80

Zur rein deklaratorischen Natur des § 848 BGB vgl. S. 414 f.

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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Die Vertreter der Antithese von Verschulden und Zufall treffen zudem keine Aussage dazu, wie denn schuldhafte, aber unzurechenbare Kausalverläufe in der Haftung bezeichnet werden sollen. Scheidet etwa bei einer einfach fahrlässig herbeigeführten Beeinträchtigung die Zurechnung aus, weil eine gesetzliche Haftungsprivilegierung wie § 300 Abs. 1 BGB oder § 708 BGB eingreift, so handelt es sich nach den Maßstäben dieser Auffassung nicht um Zufall. Wie ist nun aber das Ereignis zu benennen, das Zufall im Sinne der Gefahrtragungsnormen wie § 446 S. 1 BGB oder § 582a Abs. 1 BGB ist und dessen Folgen jenseits der Gefahrtragungsregeln entsprechend dem Lehrsatz casum sentit dominus81 zuzuweisen sind? Spürt der Herr also etwas anderes als den Zufall (casus)? Sollte es sich dennoch um Zufall handeln, so müssten Bedenken aufkommen, dass es innerhalb des geschlossenen Systems des vertraglichen Leistungsstörungsrechts, das sich aus Haftungsrecht und Gefahrtragungsrecht zusammensetzt, zwei unterschiedliche „Zufälle“ geben soll. Ist also der Zufallsbegriff im systematisch verbundenen Rechtsinstitut Gefahrtragung82 fixiert und fügt er sich im Haftungsrecht schwerlich in die begrifflichen Rahmenbedingungen, während eine einheitliche Begriffsbildung möglich ist und diese sich friktionsfrei mit dem Haftungsrecht vereinbaren lässt, 83 so erscheint es vorzugswürdig, von einem einheitlichen Zufallsbegriff auszugehen. Es gibt schlicht keinen Grund dafür, den Zufall in diesen wechselbezüglichen Instituten abweichend zu bestimmen, sodass eigentlich nur eine einheitliche Begriffswahl überzeugen kann. bb. Haftungssystematische Vorgaben Die Verbindung von Zufall und fehlendem Vertretenmüssen wird durch die gegenwärtige Systematik des BGB vorgegeben, sofern man anstrebt, den Zufall wenigstens im Haftungsrecht einheitlich zu bestimmen. Wie bereits zur Zeit der Entstehung des BGB wird der Begriff des Zufalls heute im Schuldrecht und hierbei im Leistungsstörungsrecht gebraucht. Das Leistungsstörungsrecht knüpft jedoch die haftungsrechtliche Zurechnung über die Zentralnorm des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB oder die speziellen Haftungsgrundlagen84 nicht unmittelbar an das Verschuldensprinzip, sondern an das nicht auf dieses fixierte Vertretenmüssen gem. § 276 Abs. 1 BGB an.85 Die Verortung Der Herr (oder Eigentümer) spürt den Zufall. Vgl. oben S. 67 ff. 83 Dazu, dass der einzige befürchtete Widerspruch nicht besteht, bereits S. 65 ff. 84 Dies betrifft insbesondere die nicht im Zuge der Schuldrechtsreform angepassten Gewährleistungssysteme, bspw. die Ansprüche gem. § 536a Abs. 1 Alt. 2 BGB oder § 651f Abs. 1 BGB. 85 Die anderen, nicht von Vertretenmüssen sprechenden Tatbestände sind hingegen solche der Garantiehaftung. Das Verschulden wird der Haftung bewusst nicht unmittelbar zugrunde gelegt. 81

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

im Leistungsstörungsrecht legt es zumindest nahe, den Zufall in § 287 S. 2 BGB entsprechend der herrschenden Meinung zu definieren. Es ist zunächst schon nicht einsichtig, warum sich der Zufall als zurechnungsbezogener Rechtsbegriff ausgerechnet im ebenfalls zum Leistungsstörungsrecht gehörenden § 287 S. 2 BGB nicht auf § 276 Abs. 1 BGB beziehen soll. Auch der Zweck des § 287 S. 2 BGB, die Haftung für zufällige Leistungsstörungen erstmals anzuordnen und zugleich die Anwendung der an die haftungsrechtliche Unzurechenbarkeit anknüpfenden Gefahrtragungsnormen86 auszuschließen, legt es nahe, den Zufall mit dem Vertretenmüssen zu verbinden. Es besteht nämlich nur dann Bedarf, die Zurechnung zu erweitern, wenn und soweit die Unmöglichkeit nicht bereits vor dem Verzug gem. § 276 Abs. 1 BGB zu vertreten ist. Man könnte insoweit natürlich einwenden, dass es unschädlich sei, wenn § 287 S. 2 BGB teilweise redundant Verantwortung zuweist. Dieser Einwand wäre zwar zutreffend, aber auch wenig überzeugend. Es ist nämlich durchaus möglich den Zufall in § 287 S. 2 BGB so auszulegen, dass sich dieser präzise in das System der Verantwortungszuweisung einfügt. Ergänzend ist anzuführen, dass die Verbindung von Zufall und Vertretenmüssen normsystematisch auch § 732 S. 2 BGB und § 644 Abs. 1 S. 3 BGB zugrunde liegt. Beide Normen bestimmen, dass beim zufälligen Untergang oder der zufälligen Verschlechterung des jeweiligen Gegenstandes kein Ersatz geschuldet ist. 87 Diese haftungsrechtlichen Regelungen, 88 die zumeist dem überflüssigen Institut der „Sachgefahr“ zugeordnet werden,89 wirken rein deklaratorisch. Die positive Haftung richtet sich nach den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB bzw. den §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB, jeweils in Verbindung mit § 276 BGB und somit dem Vertretenmüssen. Den Zufall in diesen Normen mit fehlendem Verschulden gleichzusetzen ist bedenklich, weil es keinen Sinn macht, dass die deklaratorische Haftungsfreistellung bei Zufall nicht spiegelbildlich zur positiven Haftung ausgestaltet sein soll. Die Antithese von Zufall und Verschulden ruft zudem im Zusammenhang mit § 732 S. 2 BGB und § 644 Abs. 1 S. 3 BGB einige systematische Friktionen hervor. Sofern eine verschärfte vertragliche Haftung in Rede steht, ist mit der Definition des Zufalls als fehlendes Verschulden noch kein systematischer

Vgl. dazu Hager, Gefahrtragung, S. 35; Veelken, Dogmatik, S. 12; in diese Richtung auch Pallasch, JA 1994, 504, 505; Coester-Waltjen, Jura 2007, 110 f., sowie bereits oben S. 67 ff. 87 Zu Rechtsnatur und Inhalt des § 644 Abs. 1 S. 3 BGB bereits S. 70 f. 88 Vgl. Bamberger/Roth/Voit, § 644 Rn. 8; Erman/Westermann, § 732 Rn. 4; Soergel/Hadding/Kießling, § 732 Rn. 5; Bamberger/Roth/Schöne, § 732 Rn. 6; Staudinger/Habermeier, § 732 Rn. 5. 89 Vgl. etwa Bamberger/Roth/Voit, § 644 Rn. 2; Staudinger/Peters/Jacoby, § 644 Rn. 4; Bamberger/Roth/Schöne, § 732 Rn. 6; Soergel/Hadding/Kießling, § 732 Rn. 5; Staudinger/Habermeier, § 732 Rn. 5; MünchKommBGB/Schäfer, § 732 Rn. 5. 86

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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Widerspruch verbunden. Erfolgt die Haftungsverschärfung privatautonom aufgrund einer Garantie für die Integrität der jeweiligen Sache, so wäre eine entsprechende Auslegung des Zufalls unschädlich, da mit der Garantie zugleich die dispositiven §§ 644 Abs. 1 S. 3, 732 S. 2 BGB90 abbedungen wären. Bezieht man jedoch die verschuldensunabhängige außervertragliche Haftung in die Betrachtung der §§ 644 Abs. 1 S. 3, 732 S. 2 BGB ein, so ist der Normbefehl, dass für schuldlose Beeinträchtigungen nicht gehaftet wird, unzutreffend. Beschädigt etwa das Luxustier des Werkunternehmers das überlassene Baumaterial, ohne dass dieser die Beeinträchtigung zugleich verschuldet hat, so haftet der Unternehmer dennoch gem. § 833 S. 1 BGB. Dieses Ergebnis würde grundsätzlich § 644 Abs. 1 S. 3 BGB widersprechen. Letztendlich wäre allerdings auch dieser Widerspruch unbedenklich, da § 833 S. 1 BGB, ebenso wie jede andere verschuldensunabhängige Haftungsnorm, als Ausnahmetatbestand zu den entsprechenden Regelungen der „Sachgefahr“ qualifiziert werden könnte. Zu überzeugen vermag diese „Rettung“ der hier abgelehnten Auslegung des Zufalls in §§ 644 Abs. 1 S. 3, 732 S. 2 BGB jedoch nicht, da durch die herrschend vertretene Auslegung des Zufallsbegriffs wiederum ein sich nahtlos zusammenfügendes Regelungssystem möglich ist. Systematische Bedenken gegen die Antithese von Zufall und Verschulden begründet allerdings § 732 S. 2 BGB in anderer Hinsicht. Diese Begriffsbildung versagt, sofern die GbR als bloße Innengesellschaft besteht und mangels Rechtsfähigkeit die Gesellschafter gesamthänderisch gebundene Schuldner des Herausgabeanspruchs gem. § 732 S. 1 BGB sind. Dies setzt jedoch voraus, dass man anerkennt, dass eine Innengesellschaft auch dann bestehen kann, wenn durch die Einlage des Gebrauchsrechts ein Gesellschaftsvermögen gem. § 718 BGB entsteht. 91 Die Gesellschafter als Schuldner des Herausgabeanspruchs haften, solange sie aufgrund des Gesellschaftsvertrages tätig sind bzw. die Sache nutzen, 92 gem. § 708 BGB nur für die diligentia quam in suis.93 Bei Beeinträchtigungen des Herausgabeanspruchs, die die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzen und somit gem. § 276 Abs. 2 BGB fahrlässig sind, aber zugleich der eigenüblichen Sorgfalt entsprechen, wird nicht gehaftet. Der Zufall in § 732 S. 2 BGB müsste auf § 708 BGB bezogen sein, da § 732 S. 2 90 Vgl. Bamberger/Roth/Voit, § 644 Rn. 25; Staudinger/Peters/Jacoby, § 644 Rn. 29; Soergel/Hadding/Kießling, § 732 Rn. 6. 91 Wie hier Bamberger/Roth/Schöne, § 705 Rn. 138; Erman/Westermann § 718 Rn. 2; Soergel/Hadding/Kießling, Vor § 705 Rn 28; a.A. BGH, NJW 1982, 99, 100; 1994, 2536, 2537; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1290, 1697. Dazu, dass durch die Überlassung eines Gegenstandes zum Gebrauch Gesamthandvermögen im Sinne des § 718 BGB entsteht, vgl. MünchKommBGB/Schäfer, § 718 Rn. 17 und § 706 Rn. 13 m. w. Nachw. 92 Vgl. MünchKommBGB/Schäfer, § 708 Rn. 6; Staudinger/Habermeier, § 708 Rn. 6; Soergel/Hadding/Kießling, § 708 Rn. 4; Erman/Westermann, § 708 Rn. 4; RGZ 89, 99, 102. 93 Zur Anwendbarkeit auf die Innengesellschaft Bamberger/Roth/Schöne, § 708 Rn. 7; Henssler/Strohn/Servatius, § 708 BGB Rn. 2; offengelassen von BGH, NJW 1990, 573, 575.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

BGB als Regelung der Innenhaftung in der GbR nicht die maßgeblichen Regelungen zum Zurechnungsmaßstab in dieser ignorieren kann. Um den systematischen Vorgaben zu genügen, muss § 732 S. 2 BGB deshalb die schuldhaften, aber nicht zu vertretenden Beeinträchtigungen erfassen, sodass der Zufall nur mit dem fehlenden Vertretenmüssen ausgefüllt werden kann. f. Ergebnis Als Ergebnis bleibt somit festzustellen, dass der Zufall auch im Haftungsrecht dem Vertretenmüssen gegenübertritt. Die Antithese von Zufall und Schuld fügt sich nicht in das System des BGB. Sofern man anerkennt, dass § 732 S. 2 BGB auf Innengesellschaften anwendbar ist, kann die Definition des Zufalls als ein nicht verschuldetes Ereignis nur beibehalten werden, wenn bereits innerhalb des Haftungsrechts von einer einheitlichen Definition des Zufalls abgesehen und dieser für jede Norm individuell bestimmt wird. Selbst unter dieser Prämisse, aber auch wenn § 732 S. 2 BGB auf die Innengesellschaft unanwendbar wäre, ist festzustellen, dass die Systematik des Haftungsrechts bei jeder den Begriff des Zufalls gebrauchenden Norm nahelegt, diesen als ein nicht zu vertretendes Ereignis zu bestimmen. Nur die herrschende Definition des Zufalls fügt sich friktionsfrei sowohl in das Haftungs- als auch das Gefahrtragungsrecht und passt vom Eigenrisiko des Rechtsträgers (casum sentit dominus) bzw. von der „Sachgefahr“, über die Haftung des Schädigers, bis hin zur vertraglichen Gefahrtragung. Vor diesem Hintergrund sollte die Antithese von Zufall und Verschulden aufgegeben werden und der Zufall als das Unzurechenbare bzw. als nicht zu vertretendes Ereignis definiert werden.

II. Die Ambivalenz des juristischen Zufallsbegriffs Versucht man den Begriff des Zufalls in seiner gesamten Weite zu erfassen und dessen Aussagegehalt in jedem Einzelfall zu bestimmen, so stellt man fest, dass diese Aufgabe der des Sisyphos ähnelt. Der Zufall erweist sich als schemenhafte Gestalt, deren wahre Ausmaße sich nicht umfassend erfassen lassen. Windelband beschrieb den Begriff des Zufalls wegen seiner Wandlungsfähigkeit treffend als „proteusartigen Gesellen“. 94 Auch wenn hier bereits herausgearbeitet wurde, dass der Zufall im Gegensatz zur Zurechnung als solche steht, so ist allein schon mit diesem Umstand verbunden, dass eine beachtliche Bedeutungsvielfalt des Begriffs anzuerken-

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Windelband, Zufall, S. 3 f.

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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nen ist. Obwohl mit dem Unzurechenbaren eine vollwertige Definition des Zufalls gefunden ist, 95 welche dessen Abgrenzung eindeutig festlegt, wird dessen Inhalt durch diese nicht unmittelbar bestimmt. Der Inhalt des Zufalls bestimmt sich vielmehr rein relativ durch den Gehalt seines Spiegelbilds: der Zurechnung. Zurechenbarkeit oder Vertretenmüssen sind zwei höchst unbestimmte Rechtsbegriffe, deren wahrer Gehalt sich erst im Zusammenhang mit dem maßgeblichen Zurechnungsprinzip und seinem jeweiligen Bezugspunkt ergibt. Positiv zu bestimmen, was Inhalts des Zufalls ist, ist auf der Grundlage der hier zugrunde gelegten Definition gar nicht möglich. Dies entspricht jedoch dem Wesen des Zufalls, 96 auch in seinem allgemeinen, natürlichen Verständnis. 97 Ziel der folgenden Ausführungen ist es, den Zufallsbegriff dennoch mit Inhalt zu füllen und diesen so juristisch nutzbar zu machen. Dafür sollen zunächst die mit dem Begriff des Vertretenmüssens verbundenen Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Zufall beseitigt werden (1.). Sodann soll die dem Zufallsbegriff immanente Relativität dargestellt sowie deren Auswirkungen untersucht werden (2.) und so der Begriff greifbar gemacht werden. 1. Vertretenmüssen und Zufall Den Begriff des Vertretenmüssens und sein Verhältnis zum Institut der Zurechnung als solche wirft – je nach Verständnis desselben – Probleme auf. Er-

95 Wirft man die berechtigte Frage auf, ob es sich beim herausgearbeiteten Verhältnis von Zufall und Zurechnung um eine taugliche Grundlage für eine Definition handelt, bzw. ob mit der Unzurechenbarkeit bereits die Definition des Zufalls gefunden und formuliert ist, so stößt man auf begriffslogische Bedenken. Ausgehend von der aristotelischen Definitionslehre handelt es sich nämlich bei der Inhaltsbestimmung des Zufalls durch die Negation der Zurechnung nicht um eine Definition desselben, da die Begriffe sich auf derselben Stufe befinden und unter Beibehaltung der Negation beliebig austauschbar sind (eingehend zu den Schwächen dieser Definitionslehre Wank, Begriffsbildung, S. 51 ff.; vgl. auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 197). Weder beim Zufall noch bei der Zurechnung handelt es sich um einen Gattungsbegriff, der dem jeweils anderen übergeordnet ist, sodass eine Definition des Zufalls nach der genus-differentia-Methode auf dieser Grundlage nicht zu erreichen wäre. Den Zufall deswegen als undefinierbar zu bezeichnen, wäre jedoch verfehlt. Den juristischen Zufallsbegriff rein negativ auszufüllen, ist eine vollwertige Definition im Sinne der moderneren Definitionslehren (vgl. hierzu Wank, Begriffsbildung, S. 58 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 200). Obwohl im Rahmen einer Begriffsbestimmung durch reine Negation des kontradiktorischen Gegenbegriffs keine Präzisierung erreicht wird, handelt es sich um eine Realdefinition, da eine inhaltliche Aussage über das Definiendum Zufall getroffen wird (eingehend zu Nominal- und Realdefinition in der Rechtswissenschaft Wank, Begriffsbildung, S. 60 ff.). Definiendum und Definiens stehen sich als Gleichung nur mit umgekehrtem Vorzeichen gegenüber, wodurch die Relation der Begriffe festgestellt wird, was für eine Realdefinition hinreichend ist. 96 Hierzu noch eingehend S. 89 ff. 97 Vgl. hierzu bereits S. 19 ff.

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

achtet man § 276 Abs. 1 S. 1 BGB als abschließende Regelung des Vertretenmüssens, so ist eine auf außervertraglicher Risikozurechnung beruhende Zurechnung nicht geeignet, ein Vertretenmüssen im Sinne der Norm zu begründen, da diese von einem bestehenden Schuldverhältnis losgelöst besteht. Dem Schuldner wird die Verantwortung nicht infolge seiner Schuldnerstellung zugewiesen, sodass für das konkrete Schuldverhältnis keine strengere Haftung „bestimmt“ ist. Ein solches Verständnis des Vertretenmüssens würde zu Friktionen und Wertungswidersprüchen führen, wenn der Schuldner ein Ereignis nicht gem. § 276 Abs. 1 S. 1 BGB zu vertreten hat, ihm dieses aber etwa gem. § 833 Abs. 1 S. 1 BGB oder § 7 StVG zugerechnet wird. Es stellt sich beispielsweise die Frage, ob ein Ereignis als zufällig im Sinne des § 446 BGB zu beurteilen ist, wenn der Verkäufer den Käufer in Annahmeverzug gesetzt hat und die noch nicht übereignete Kaufsache sodann schuldlos mit dem Kfz überfährt oder diese unverschuldet von seinem Luxustier zerstört wird. Setzt man Zufall mit beiderseitig fehlendem Vertretenmüssen gleich und beschränkt dieses auf § 276 Abs. 1 BGB, würde der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises mangels Vertretenmüssens erhalten bleiben. Dies kann jedoch aufgrund der Zwecksetzung der Gefahrtragungsnormen nicht überzeugen, die an die allseitig fehlende Erfolgsverantwortlichkeit der Beteiligten anknüpfen.98 Die Tatbestände der Risikohaftung machen den Verkäufer für die entsprechende Beeinträchtigung – Realisierung der Betriebs- bzw. Tiergefahr – gerade verantwortlich. 99 Die Risikozuweisung durch die Gefahrtragungsregeln hat lediglich eine Auffangfunktion, weswegen die gesetzlich intendierte Umgestaltung der Risikozuweisung durch die Gefährdungshaftung100 teleologisch gegenüber der subsidiären durch die Gefahrtragungsnormen vorrangig ist. Die gesetzgeberische Zielsetzung, dem Betreiber oder Halter die Verantwortung für das Schadensereignis wegen der besonderen Gefährlichkeit der Gefahrenquelle umfassend zuzuweisen,101 muss sich auch auf das Komplementärinstitut der Gefahrtragungsnormen erstrecken. Eine auf Schadensersatz gerichtete Haftung scheitert in diesem Fall nur am Fehlen einer Rechtsgutsbeeinträchtigung. Auch wertungsmäßig vermag die Annahme von Zufall trotz der außervertraglichen Risikoverantwortung nicht zu überzeugen. Würde eine geeignete Rechtsgutsverletzung vorliegen, müsste der Verkäufer den Kaufpreis als Schaden aufgrund der Risikohaftung sogleich wieder herausgeben. In einer Drei-

Hierzu bereits S. 67 ff. Eingehend hierzu S. 150 ff. 100 Vgl. Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 266; Esser, Grundlagen, S. 1, 75 ff.; Laufs, Unglück, S. 10 f.; Leßmann, JA 1989, 117; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 188, 1440; RGRK/Steffen, Vor § 823 Rn. 15. 101 Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 607; Leßmann, JA 1989, 117, 118; Medicus, Jura 1996, 561, 563; Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 343; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 138; Will, Quellen, S. 280 ff.; krit. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 53 ff., 69 ff. 98

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§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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Personen-Konstellation wäre zudem wegen der obligatorischen Gefahrentlastung eine Drittschadensliquidation statthaft,102 sodass der Verkäufer den Schaden des Käufers beim Risikoverantwortlichen liquidieren könnte. In dem Beispiel fallen schadensloser Rechtsgutsträger und grundsätzlich verantwortlicher Drittschädiger lediglich zusammen. Ein substantieller Grund für eine Besserstellung des Verkäufers ist in der in Rede stehenden Konstellation nicht ersichtlich. Die ganze Problematik entfällt jedoch, sofern man das Vertretenmüssen richtig versteht und es mit haftungsrechtlicher Zurechenbarkeit gleichsetzt.103 Dies hat zur Folge, dass § 276 Abs. 1 BGB lediglich den Grundfall dieses Vertretenmüssens normiert. 104 Bei solch einer Gleichsetzung entfällt in dem Beispiel die Gegenleistungspflicht gem. § 326 Abs. 1 BGB mangels Zufalls. Auf diese Weise wird der gesetzlich intendierten Risikoverteilung vollumfänglich entsprochen und es drohen keine widersprüchlichen Ergebnisse. Zufall ist entsprechend das Unzurechenbare oder (synonym) ein nicht zu vertretendes Ereignis. 2. Die Relativität des Zufalls Dass der Zufall kein absolutes, sondern stets ein relatives Phänomen ist, hat bereits Max Rümelin weitreichend erläutert. 105 Schon zuvor betonte Windelband, dass wir es beim Zufall „mit einem Begriffe von sehr relativer Bedeutung zu thun haben“.106 Krückmann formulierte sogar überspitzt, dass es „nichts Subjektiveres und Relativeres als den Zufall [gibt]“. 107 Der variierende Gehalt des Begriffs Zufall steht in einem komplexen Verhältnis zur konkreten Norm, die die Frage nach seinem Gehalt aufwirft, und dem Zurechnungsprinzip, das den Zufall ausfüllt. Aus diesem Umstand ergibt sich, dass der Begriff des Zufalls als solcher notwendig ein relativer ist. Die Relativität von Rechtsbegriffen ist eine schon lange bekannte Erscheinung in der Rechtsdogmatik.108 Anerkanntermaßen weisen rechtliche Begriffe je nach Zusammenhang eine abweichende Bedeutung auf. Ursächlich für den abweichenden Begriffsgehalt in verschiedenen Normen ist die teleologische Begriffsbestimmung, d.h. die notwendige Verbindung von Regelungszweck

Vgl. BGHZ 40, 91, 100 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 289, 299 ff. MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 4. 104 In diese Richtung Staudinger/Caspers, § 276 Rn. 18; Erman10/Battes, § 275 Rn. 4. Anders etwa Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 348. 105 Rümelin, Zufall, passim. 106 Windelband, Zufall, S. 3. 107 Krückmann, JherJb 55 (1909), 1, 51. 108 Vgl. etwa Müller-Erzbach, JherJB 61 (1912), 343 ff.; Wank, Begriffsbildung, S. 110 ff. 102

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

und Begriff. 109 Exemplarisch hierfür ist die abweichende Begriffsbildung in unterschiedlichen Rechtsgebieten, die einem anderen Zwecken dienen. So unterscheiden sich etwa das strafrechtliche Verschulden und das zivilrechtliche Verschulden aufgrund der unterschiedlichen Teleologie der beiden Rechtsgebiete.110 Während das Erstere an der Strafwürdigkeit des Individuums ausgerichtet ist und entsprechend individuelle Vorwerfbarkeit voraussetzt, ist das zivilrechtliche Verschulden auch den Verkehrsinteressen (Vertrauensprinzip) verpflichtet und knüpft an einen objektiven „Vorwurf“ an. Über die Relativität der Begriffsbildung in unterschiedlichen Rechtsgebieten hinaus kann sogar innerhalb desselben Rechtsgebiets oder Gesetzes die Bedeutung eines Begriffs variieren, auch wenn zunächst eine Vermutung für den gleichförmigen Gebrauch eines Begriffs spricht. Beispielsweise besteht Einigkeit, dass die Bedeutung des Begriffs Sache in § 90 BGB und § 119 Abs. 2 BGB voneinander abweicht. 111 Die Phänomenologie der Relativität des juristischen Zufallsbegriffs ist jedoch wegen dessen spezifischen Relativitätseigenschaften noch deutlich komplexer. Die bisher vorgenommene Bestimmung des Zufalls als Gegenstand der Haftungs- und Gefahrtragungsnormen als das haftungsrechtliche Unzurechenbare ist damit keineswegs abgeschlossen. Spricht das Gesetz von der „Gefahr des zufälligen Unterganges“ oder einer Haftung „auch für Zufall“, so erweist sich die Verbindung von Zufall und gescheiterter Zurechnung bzw. fehlendem Vertretenmüssen nur als erster, ergänzungsbedürftiger Schritt. Es drängen sich weitere Fragen auf, insbesondere die nach dem personellen Anknüpfungspunkt des Zufallsurteils und damit der gescheiterten Zurechnung. Aus wessen Perspektive muss das Ereignis zufällig sein? Zudem erzeugt die Funktion des Zufalls als negativer Grenzbegriff weitere Formen der Relativität. Der Zufall erweist sich als offen und grenzenlos, sodass er – obwohl durch Tatbestand und Tatsachen fixiert – nicht positiv erfasst werden kann. Der Inhalt des Zufalls ist ausschließlich negativ und damit relativ zur Zurechnung beschreibbar. Da der Zufall somit stets durch einen Maßstab in der Form zumindest eines Zurechnungsprinzips ausgefüllt werden muss, wird er in einer weiteren Ausprägung variabel. Eine weitere, mit der Negativität des Zufalls verbundene Folge ist, dass sogar aus der Perspektive des gleichen Zurechnungssubjekts ein Ereignis Zufall im Sinne des einen Zurechnungssystems und zugleich aufgrund eines anderen zu verantworten und deshalb kein Zufall sein kann. Zuletzt wird der Zufall in anderem Zusammenhang mit einem anderen Gehalt gebraucht, wodurch dieser in einer weiteren Dimension relativiert wird.

109 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 111; vgl. dazu auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 441 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 142; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 730a. 110 Vgl. Kramer, AcP 171 (1971), 422, 425 ff.; eingehend hierzu S. 263 ff., insbes. 266 f. 111 Vgl. dazu Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 142.

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Zunächst soll die erste Ausprägung der Relativität des Zufallsbegriffs als „interpersonelle Relativität“ bezeichnet und untersucht werden (a.). Sodann sollen die beiden mit der Negativität des Zufalls verbundenen Relativitätseigenschaften beleuchtet werden (b.). Abschließend wird die abweichende Bedeutung des Zufalls im Rahmen verschiedener Rechtsinstitute kurz aufgezeigt (c.), was der „klassischen“ Relativität der Rechtsbegriffe entspricht. a. Die interpersonelle Relativität des Zufalls Die interpersonelle Relativität dürfte die wohl bekannteste Ausprägung der Relativität des Zufallsbegriffs sein. Ein aus der subjektiven Perspektive einer oder mehrerer Personen zufälliges Ereignis kann für andere nicht zufällig sein. Schoberlechner beschränkt in seiner Monographie „Der Zufall im Straf- und Civilrechte“ die Relativität des Zufallsbegriffs sogar ausschließlich auf die interpersonelle Dimension. 112 Und auch die Verfasser des BGB waren sich dieser Besonderheit des Zufallsbegriffs bewusst. So findet sich beispielsweise in den Motiven113: „Wenn die Leistung in Folge eines vom Gläubiger zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden ist, so liegt hierin für den Schuldner an sich ein Zufall, welcher ihn selbstverständlich befreit“.

Dem auf § 369 E I (in modifizierter Form § 324 Abs. 1 S. 1 BGB a.F., heute § 326 Abs. 2 S. 1 BGB n.F.) bezogenen Zitat ist zu entnehmen, dass ein aus der Sicht des Gläubigers zu vertretendes und damit gerade nicht zufälliges Ereignis für den Schuldner durchaus zugleich Zufall sein kann. Maßgeblich für das Urteil über die Zufälligkeit eines Schadensereignisses ist also stets die subjektive Position zu diesem. Greift das Gesetz auf den Begriff des Zufalls zurück und knüpfen beispielsweise an diesen als Tatbestandsmerkmal Rechtsfolgen an, ist stets anhand des Zwecks der Norm zu ermitteln, aus wessen Perspektive das Ereignis zufällig sein muss. Dabei ist im Haftungsrecht und im Recht der Gefahrtragung niemals die objektiv-absolute Zufälligkeit des Schadensereignisses in dem Sinne maßgeblich, dass niemand für das Ereignis verantwortlich sein darf. Nach dem Zweck dieser Teilbereiche des Schuldrechts ist stets nur das Verhältnis der konkret beteiligten Parteien zum Schadensereignis ausschlaggebend. Entsprechend hindert fremde Verantwortung, etwa das Verschulden eines Dritten, nicht daran, den Erfolg als für das Zurechnungssubjekt zufällig zu beurteilen. Der Zweck der Gefahrtragungsnormen, das Risiko einer von keiner der Parteien zu verantwortenden Beeinträchtigung zuzuweisen, setzt entsprechend le-

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Vgl. Schoberlechner, Zufall, S. 108. Motive II, S. 208 (Mugdan II, S. 115).

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diglich voraus, dass eben diese das Schadensereignis nicht zu vertreten haben.114 Dieses muss „relativ objektiv“ oder „beiderseitig subjektiv“ zufällig sein. Ob ein Dritter den Schaden schuldhaft oder sonst zurechenbar herbeigeführt hat, ist für die Zufälligkeit des Schadensereignisses in der Gefahrtragung im Verhältnis Schuldner–Gläubiger vollkommen unerheblich. Zugleich bedingt der Zweck der Gefahrtragungsnormen, dass das Ereignis zwingend für beide Parteien Zufall sein muss, da andernfalls ausschließlich die Schadensersatzhaftung115 anwendbar ist, die an die individuelle Verantwortung anknüpft. Die einseitige Zufälligkeit des Ereignisses genügt entsprechend nicht. Abweichend zu den Gefahrtragungsnormen ist hinsichtlich der auf Schadensersatz gerichteten Haftung lediglich relevant, ob das Schadensereignis aus der Sicht des Schädigers zufällig ist. Nach dem Zweck der Haftungsnormen ist in der Haftungsbegründung nur dessen Verantwortung durch Zurechnung positiv zu begründen. Ob das Ereignis zugleich für den Geschädigten als Zufall erscheint, oder ob dieser den Erfolg wegen eines eigenen Verschuldens oder einer diesbezüglichen Risikoverantwortung allein oder mit zu verantworten hat, ist für die Haftungsbegründung – im Gegensatz zu § 254 BGB – belanglos. Auch den lediglich deklaratorischen §§ 644 S. 3, 732 S. 2 BGB liegt, bei zutreffender dogmatischen Einordnung, 116 eine entsprechende Perspektive zugrunde. 117 Hat etwa der Werkunternehmer den Untergang des Stoffes schuldhaft herbeigeführt oder hat er für dessen Integrität garantiert, so haftet er gem. § 280 Abs. 1 BGB. Dagegen haftet er nicht, wenn weder ihm noch dem Besteller ein Verschulden zur Last fällt und ebenso, wenn ausschließlich den Besteller ein solches trifft. Aus § 644 S. 3 BGB den Schluss zu ziehen, dass der Unternehmer für die Beeinträchtigung des gelieferten Werkstoffs mangels Zufalls haftungsrechtlich verantwortlich sein soll, wenn ausschließlich der Besteller diese schuldhaft herbeigeführt hat, ist fernliegend. Zufall im Sinne des § 644 S. 3 BGB ist entsprechend bereits dann gegeben, wenn ausschließlich aus der Perspektive des Unternehmers als potenziellem Haftungsadressaten die Zurechnung scheitert. Die den Zufallsbegriff im Rahmen der Rechtsfolge verwendenden §§ 287 S. 2, 848 BGB erweitern die Haftung ihrem Zweck nach ebenfalls auf den „Zufall“ im Sinne von aus der Perspektive des Schuldners zufällige Ereignisse. Die Normen sollen den Gläubiger von den Risiken, die mit dem Verweilen der Leistung (bzw. Sache) in der Sphäre des Schuldners verbunden sind, und auch

114 Bamberger/Roth/Faust, § 446 Rn. 16; Staudinger/Beckmann, § 446 Rn. 26; MünchKommBGB/H. P. Westermann, § 446 Rn. 2, 10; Erman/Grunewald, § 446 Rn. 10. 115 Dazu, dass § 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB eine Haftungsnorm ist, bereits Fn. 50. 116 Zum Verständnis von § 644 Abs. 1 S. 3 BGB bereits S. 70 f. 117 Richtig etwa Erman/H. P. Westermann, § 732 Rn. 4; Erman/Schwenker, § 644 Rn. 5 a.E.; Staudinger/Peters/Jacoby, § 644 Rn. 14; unzutreffend hingegen Bamberger/Roth/Voith, § 644 Rn. 8: beiderseitig nicht zu vertreten.

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nur insoweit, entlasten.118 Nicht bezweckt ist hingegen, den Schuldner im Verhältnis zu der (hypothetischen119) Schadensersatzpflicht gem. §§ 280, 286 BGB sowie der Haftung gem. §§ 989, 990, 992, 823 BGB, jeweils in Verbindung mit der Folgenzurechnung, zu privilegieren. Würden sich die Haftungsverschärfungen lediglich auf beiderseitig fehlendes Vertretenmüssen erstrecken, würde der Schuldner von der Haftung frei, wenn für ihn die Beeinträchtigung zufällig und zugleich dem Gläubiger zurechenbar wäre.120 Demgegenüber würde er im Rahmen der Folgenzurechnung in Verbindung mit § 254 BGB noch entsprechend seinem Verantwortungsbeitrag haften. Dies wäre eine merkwürdige Folge einer „Haftungsverschärfung“. 121 Der Zufall in den Haftungsverschärfungen erfasst somit lediglich das fehlende Vertretenmüssen des Schuldners. Es verbleibt zu resümieren, dass der Umgang mit der interpersonellen Relativität des Zufallsbegriffs auf der Grundlage der Erkenntnis erfolgen muss, dass das Urteil der Zufälligkeit eines Ereignisses auf die individuelle Beziehung einer Person zu diesem beschränkt ist. Die Zufälligkeit wird also subjektiv bestimmt. Konsequenz dessen ist, dass ein Ereignis als Zufall und zugleich nicht als Zufall zu qualifizieren sein kann, jeweils abhängig von der maßgeblichen Perspektive. Welche Perspektive der an den Zufall anknüpfenden Norm zugrunde liegt, muss infolge der Relativität der Rechtsbegriffe teleologisch aus dem Regelungszusammenhang bestimmt werden. Dabei kann eine einseitige Betrachtung geboten sein, wie in der Haftung, oder aber eine beiderseitige, wie bei der echten Gefahrtragung. b. Die Relativität infolge der Negativität des Zufalls Der Begriff des Zufalls weist einen negativen Gehalt auf, der zur Zurechnung entgegengesetzt ist. Aus dieser Besonderheit resultieren zwei weitere Relativitätseigenschaften. Als gewissermaßen allgemeine Relativitätseigenschaft kann der Umstand bezeichnet werden, dass der Zufall im Gegensatz zur Zurechnung keinen positiven Aussagegehalt hat, sondern stets relativ zur Zurechnung nur „das Andere“, im Sinne des nicht Zurechenbaren, beschreibt (aa.). Diese funktionelle Relativität ist logische Folge der Negativität des Zufalls, da der reinen Negation der Zurechnung notwendig ein rein relativer Aussagehalt immanent ist. Als spezielle Relativität kann man den Umstand bezeichnen, dass der Zufall auch jeweils zu einem bestimmten Zurechnungsprinzip in Relation tritt 118 Vgl. Bamberger/Roth/Unberath, § 287 Rn. 1; MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 1; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 569; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 682. 119 Schadensersatz statt der Leistung kann nach § 280 Abs. 3 BGB nur gem. §§ 281, 283 BGB und nicht als Verzugsfolgeschaden gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB verlangt werden. 120 Zu dieser Wirkung als Folge der Systematik des Leistungsstörungsrechts eingehend S. 409. 121 Eingehend hierzu S. 409 ff.

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(bb.). Diese „spezielle“ zurechnungssystematische Relativität ist wiederum Konsequenz daraus, dass die den Zufall ausfüllende Zurechnung variabel ist. aa. Die funktionelle Relativität des Zufalls Der Zufall beschreibt den Bereich, der räumlich betrachtet außerhalb der Verantwortungssphäre 122 liegt, die durch die einschlägigen Zurechnungsprinzipien bestimmt wird. Dieser subjektiv-absolute Zufall erfasst die nicht zurechenbare Außenwirkung des vermeintlichen Haftungsadressaten sowie die Kausalverläufe, die schon gar nicht mit diesem in Verbindung zu bringen sind. Der Begriff des Zufalls dient als lediglich scheinbar positiver Ersatzbegriff für eine Negativabgrenzung zu den individuellen Verantwortungssphären, die in vielen Bereichen notwendig und sinnvoll ist. Der Zufall ordnet dabei im Gegensatz zur Zurechnung das Ereignis nicht selbst zu, sondern er beschreibt nur das durch Zurechnung Zugeordnete. Diese rein deskriptive Funktion des Zufallsbegriffs folgt aus dem Phänomen, dass es gar nicht möglich ist, den Bereich des Zufalls positiv zu bestimmen. Der Zufall erweist sich stets als grenzenlos und bedarf eines Fixpunktes in der Form der Verantwortungssphäre des Zurechnungssubjekts, damit er überhaupt fassbar ist. Bildlich ist der Zufall der Weltraum, der die individuellen Verantwortungssphären gleich den Sternen oder Planeten umschließt. Die Funktion des Zufalls als Negativabgrenzung macht es auch verständlich, warum es so naheliegt, ihn in der Gefahrtragung zu gebrauchen. Die Gefahrtragungsnormen bezwecken, genau die Schadenereignisse als Risiko zuzuweisen, die keiner der Verantwortungssphären der Parteien des Schuldverhältnisses zugehörig sind. Im Haftungsrecht, das auf positiver Zurechnung beruht, besteht hingegen keine derartige funktionelle Nähe zwischen dem Zufall und dem Zweck der Haftungsnormen. Gleichwohl ist auch in den §§ 287 S. 2, 848 BGB der Begriff des Zufalls treffend gewählt. Diese Normen bezwecken nämlich, dem Schuldner sämtliche bisher nicht zu verantwortenden Beeinträchtigungen durch Haftung positiv zuzuordnen. Indem der zusätzlich zu verantwortende Bereich als Zufall bezeichnet wird, wird die Funktion der Normen sehr deutlich. Gleichwohl hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, das Zuzurechnende positiv zu benennen. So könnte der Wortlaut des § 287 S. 2 BGB auch lauten: „Der Schuldner haftet wegen der Leistung für jeden Schaden, es sei denn, dieser wäre auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten“.123 Mit dieser Formulierung wäre kein materieller Unterschied zur gegenwärtigen Regelung verbunden. Bis auf die Sonderfälle der §§ 287 S. 2, 848 BGB beschränkt sich die Bedeutung des Zufalls im Haftungsrecht jedoch darauf, zu beschreiben,

Zum Begriff der Sphäre vgl. v. Schenk, Sphäre, S. 19 ff. So war auch der ursprüngliche Entwurf für die Haftungsbegründung in § 287 BGB a.F. konzipiert. Dazu bereits S. 66. 122

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wann die Haftung endet und entsprechend das Eigenrisiko oder die Gefahrtragung zur Anwendung berufen sind. Dies sind jedoch außerhalb des positiven Haftungsrechts liegende Aspekte.124 Die kumulative Anwendbarkeit von Zurechnungsprinzipien erschwert es freilich, den Zufall selbst in seinem relativen Aussagegehalt zu fassen. So sind etwa im Sinne eines Zurechnungsprinzips zufällige Ereignisse doch kein Zufall, wenn ein anderes Zurechnungsprinzip die Zurechnung anordnet. Ein plakatives Beispiel ist ein schuldlos herbeigeführter Unfall mit einem Kfz. Der Halter und Führer des Fahrzeugs haftet mangels Verschuldens nicht gem. § 823 Abs. 1 BGB. Das Schadensereignis ist im Sinne des maßgeblichen Verschuldensprinzips Zufall. Der Halter haftet jedoch daneben verschuldensunabhängig gem. § 7 Abs. 1 StVG. Das Ereignis ist, da es zu verantworten ist, somit im Ergebnis doch kein haftungsfreier Zufall. Hiermit ist eine weitere Relativitätseigenschaft des Zufalls angesprochen, die hier als zurechnungssystematisch bezeichnete Relativität. bb. Die zurechnungssystematische Relativität des Zufalls Die bereits dargestellte Anhängigkeit des Zufalls vom einschlägigen Zurechnungsprinzip bewirkt, dass ein Ereignis im Sinne des einen Zurechnungssystems ein Zufall und zugleich nach einem anderen Zurechnungsprinzip zu verantworten ist und somit kein Zufall sein kann. Absolut betrachtet handelt es sich, infolge der zurechnungsbedingten Verantwortung, nicht um ein zufälliges Schadensereignis. Dennoch kann in gewissem Umfang von einer – an sich paradoxen – „Zurechnung von Zufall“ gesprochen werden, was häufig unbewusst erfolgt. 125 Neben dem subjektiv-absoluten Zufall gibt es also – bezogen auf die einzelnen Zurechnungsprinzipien – mehrere subjektiv-konkrete Zufälle. Etwa kann ein Ereignis Zufall im Sinne des Verschuldensprinzips und zugleich, etwa infolge einer Garantie gem. § 276 Abs. 1 BGB, dennoch zu vertreten und entsprechend kein Zufall sein. Sind mehrere Systeme der Risikohaftung zugleich anwendbar, so erhöht sich die Zahl theoretisch denkbarer Zufälle. Tritt etwa neben die Garantie noch eine Gefährdungshaftung gem. § 7 StVG, so ist ein unverschuldetes Schadensereignis auch noch im Sinne dieser zusätzlichen Risikozurechnung Zufall, wenn das Ereignis auf höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG beruht. Ist die Perspektive in der Form des maßgeblichen Zurechnungsprinzips erkennbar, so ist es unbedenklich, ein Ereignis bei parallel bestehender Verantwortung auf abweichender Grundlage als Zufall zu bezeichnen. Diese häufiger Dazu, dass Nichthaftung und Risikozuweisung auch bezüglich des Eigenrisikos theoretisch getrennt werden können, etwa bei einer Zuweisung des Zufallsrisikos zum Staat oder einer (Sozial-)Versicherung, vgl. S. 229 ff. 125 Vgl. etwa Westen, Festschrift Hippel, 591, 605; Meincke, JZ 1980, 677 für die Haftungsausfüllung. 124

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auftretende Situation ist dabei nicht auf die wissenschaftliche Diskussion beschränkt, 126 sondern hat auch Eingang in das Gesetz gefunden. So ordnen die §§ 287 S. 2, 848 BGB eine Haftung „auch für Zufall“ an. Da der Zufall in der Rechtsfolge der Normen vorgesehen ist, kann diesen entnommen werden, dass das Zufallsurteil auf die noch unmodifizierte Zurechnung bezogen ist, die dem haftungsbegründenden Tatbestand zugrunde liegt, beispielsweise auf das Verschuldensprinzip als Regelzurechnung (§ 276 Abs. 1 BGB) im Rahmen der Haftung gem. §§ 280, 283 BGB. Die haftungsrechtliche Verantwortung soll auf den in diesem Sinne nicht zu verantwortenden Bereich erstreckt werden. Die hierdurch begründete oder gegebenenfalls erweiterte Risikohaftung erstreckt sich entsprechend auf die nach Maßgabe der zuvor einschlägigen unmodifizierten Zurechnung zufälligen Schadensereignisse, sodass im Ergebnis (subjektiv-absolut) dennoch keine Haftung für Zufall vorgesehen ist. 127 Die zurechnungssystematische Relativität kann in Verbindung mit der interpersonellen leicht zu vordergründig plausiblen Fehlannahmen führen, etwa bei der Erfolgsverursachung durch mehrere Personen. Wird etwa ein Schadensereignis im Zusammenwirken zweier Zurechnungssubjekte verursacht und die Haftung des einem im Wege des Verschuldens und die des anderen ausschließlich auf der Grundlage der Zurechnung nach dem Risikoprinzip begründet, so stoßen im Gesamtschuldnerausgleich (§§ 426, 840 Abs. 1 BGB128) zwei unterschiedliche Zurechnungssysteme aufeinander. Obwohl der Verletzungsbeitrag des für das Risiko Haftenden nach den Maßstäben des für Verschulden Haftenden Zufall ist, befreit dies den Ersteren – mit Ausnahme des § 840 Abs. 3 BGB129 – im Binnenausgleich nicht davon, einen Teil des Schadens tragen zu müssen. Man könnte zwar erwägen, dass der fahrlässig handelnde Fahrradfahrer, der den schuldlos handelnden Kfz-Führer und -Halter zu einem das Opfer schädigenden Ausweichmanöver gezwungen hat, im Innenausgleich alleine den Schaden tragen müsse. Denn schließlich haftet der Kfz-Halter lediglich auf der Grundlage eines Ereignisses, für das der schuldhaft handelnde Radfahrer nicht verantwortlich wäre. Die Zufälligkeit des Schadensereignisses für den Fahrradfahrer entlastet den Kfz-Halter jedoch richtigerweise nicht, da auch er für das Ereignis verantwortlich ist, obwohl dies für den Radfahrer ein „glücklicher Zufall“ ist. Eine vergleichbare Situation ist im Rahmen der Mitverantwortlichkeit des Geschädigten gem. § 254 BGB anzutreffen. So muss sich der 126 Vgl. etwa die Ausführungen von Städtler, Schadensersatz, S. 4 f.; Kaden, RabelsZ 31 (1967), 606, 607 zur „Haftung für Zufall“, die stets von der Perspektive der Verschuldenshaftung aus erfolgen. Ebenso beispielsweise Esser, Grundlagen, S. 69 ff.; Westen, Festschrift Hippel, 591, 605; Staudinger/Werner, Vorbem zu §§ 701 ff. Rn. 5; vgl. auch Larenz, Recht, S. 107 f. 127 Vgl. zu § 848 BGB Meincke, JZ 1980, 677. Eingehend S. 407 f. 128 Vgl. zur Anwendbarkeit des § 840 BGB in dieser Konstellation Erman/Schiemann, § 840 Rn. 2; MünchKommBGB/Wagner, § 840 Rn. 5. 129 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 840 Rn. 20 f.

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Geschädigte seine eigene Risikoverantwortung anrechnen lassen, 130 auch wenn sein Beitrag nach den Maßstäben des für Verschulden haftenden Schuldners Zufall ist. Ein aus der Perspektive des einen Zurechnungssubjekts und nach dem für ihn maßgeblichen Zurechnungsprinzip zufälliges Ereignis entfaltet, obwohl es als Zufall eigentlich außerhalb der rechtlichen Relevanz für den Haftungsadressaten liegt, dennoch rechtliche Wirkung, wenn auch nur zu seinen Gunsten. 131 Bei der Rede über den Zufall ist vor dem Hintergrund der zurechnungssystematischen Relativität des Zufallsbegriffs stets darauf zu achten, dass der Bezugspunkt deutlich wird, aufgrund dessen ein Ereignis als Zufall beurteilt wird. Dabei erweist sich diese Form der Relativität sogar als äußerst nützlich. Ein die Relativität des Zufallsbegriffs ausnutzender Sprachgebrauch, insbesondere die Rede vom „Zufall im Sinne des Verschuldensprinzips“, mahnt an, dass stets eine besondere Rechtfertigung für eine über das Verschulden hinausgehende Haftung erforderlich ist. Materiellrechtliche Konsequenzen sind mit der zurechnungssystematischen Relativität jedoch nicht verbunden. c. Die institutionelle Relativität Als letzte Relativitätseigenschaft soll nun der abweichende Gehalt des Zufallsbegriffs in verschiedenen Rechtsinstituten kurz beleuchtet werden. Hierbei handelt es sich um die „klassische“ Relativität der Rechtsbegriffe. Interessanterweise tritt der Zufall, obwohl Rechtsbegriffe vom Zweck der entsprechenden Norm abhängig sind, auch in anderen Rechtsgebieten zumeist in Gegensatz zur Verantwortung für Ereignisse und damit zur Erfolgszurechnung, weswegen der Begriff kongruent zu Haftungs- und Gefahrtragungsrecht zu bestimmen ist. So beschreibt beispielsweise der Zufall im Sinne des § 247 ZPO ebenfalls, dass keine Verantwortung für die Umstände, die die Kommunikation mit dem Gericht verhindernden, und damit keine Zurechnung derselben begründbar sein darf. 132 Die teleologische Ausfüllung von Rechtsbegriffen bewirkt jedoch, dass der Zufall dann abweichend verstanden werden muss, wenn der Begriff im Zusammenhang mit einem anderen Normzweck gebraucht wird. Von Bedeutung für diese Untersuchung ist dabei lediglich der Zufallsbegriff im Tatbestandsmerkmal der „zufälligen Schadensverlagerung“ 133 in der Drittschadensliquidation,

Vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 135 ff.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 369. Dazu, dass § 830 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB auf die Risikohaftung nicht anwendbar ist, vgl. Eberl-Borges, AcP 196 (1996), 491, 499 f.; MünchKommBGB/Wagner, § 830 Rn. 14. 132 Vgl. etwa MünchKommZPO/Stackmann, § 247 Rn. 3; Musielak/Voit/Stadler, § 247 ZPO Rn. 1. 133 BGH, NJW 2016, 1089, 1090; OLG München, NJW 2011, 3375, 3377; Brand, Schadensersatzrecht, § 4 Rn. 9, 14; Verweyen, Jura 2006, 571, 572; Weiss, JuS 2015, 8, 10. 130

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die ein ungeschriebener Ausnahmetatbestand zum ebenfalls nicht positiv normierten sog. „Dogma vom Gläubigerinteresse“ ist. 134 Auch wenn das Institut der Drittschadensliquidation erheblichen dogmatischen Bedenken ausgesetzt ist,135 so besteht doch im Ergebnis Einigkeit, dass eine „zufällige“ Schadensverlagerung den Schädiger nicht entlasten soll, 136 weshalb sich der Streit auf die dogmatische Konstruktion dieses allseitig gebilligten Ergebnisses beschränkt. Ansatz der Einschränkung des Dogmas vom Gläubigerinteresse ist dabei die Erkenntnis, dass der Schaden auf eine oder mehrere andere Personen verlagert wird, ohne dass der Ausschluss der Haftung nach der Zwecksetzung des „Dogmas“ zwingend erforderlich wäre und dass in den anerkannten Fallgruppen keine Rechtfertigung für diese Begünstigung des Schädigers besteht. Teilweise wird im Rahmen der Drittschadensliquidation die subjektive Zufälligkeit der Schadensverlagerung für den Schädiger als Zweck der Drittschadensliquidation angesehen und entsprechend zur Voraussetzung gemacht. Infolgedessen wird der Zufallsbegriff abweichend zum Haftungs- und Gefahrtragungsrecht mit subjektiver Unvorhersehbarkeit der Schadensverlagerung ausgefüllt.137 Legt man jedoch den Zweck der Drittschadensliquidation zugrunde, so erscheint es vorzugswürdig nicht an die subjektive Einstellung des Schädigers zur Schadensverlagerung anzuknüpfen. Passender wäre es, an das Fehlen eines rechtlichen Grundes für dessen Entlastung und damit die relativ zur Zwecksetzung der einschlägigen Prinzipien objektiv-teleologische Zufälligkeit der Entlastung zur Voraussetzung zu machen.138

Hierzu bereits S. 33 f. Eingehend Hagen, Drittschadensliquidation, passim; Peters, AcP 180 (1980), 329 ff.; Büdenbender, NJW 2000, 986 f. Dazu auch, aber für die Beibehaltung plädierend, Staudinger/Schiemann, Vorbem zu §§ 249–254 Rn. 62 f. m. w. Nachw. 136 Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 105; Brand, Schadensersatzrecht, § 4 Rn. 9; Larenz, Schuldrecht I, § 27 IV b, S. 462; Verweyen, Jura 2006, 571, 572; Weiss, JuS 2015, 8, 10. 137 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 4 Rn. 14; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1024; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 611; Verweyen, Jura 2006, 571, 572; OLG Hamm, BeckRS 2011, 26209. 138 In diese Richtung auch Brand, Schadensersatzrecht, § 4 Rn. 9, der jedoch an anderer Stelle fordert, dass der Schädiger mit dem Eintritt des Schadens beim Geschädigten rechnen müsse (Rn. 14), sowie MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 289, der wiederum zugleich die Unerkennbarkeit der Verlagerung erwähnt. Für die hier vertretene Lösung spricht zum einen die dogmatische Begründung der Rechtsfigur daraus, dass zufällige Rechtsanwendungsergebnisse entstehen, wenn das Dogma vom Gläubigerinteresse ausnahmslos angewendet wird (vgl. S. 33 f.). Zudem gibt es auch bei einer tatsächlich vom Schädiger vorhergesehenen Schadensverlagerung schlicht keinen Grund dafür, die Drittschadensliquidation auszuschließen und so die nicht zu rechtfertigende Begünstigung des – eigentlich sogar noch weniger schutzwürdigen – Schädigers aufrecht zu erhalten. Führt etwa der mit der Dogmatik der Drittschadensliquidation und der Gefahrtragungsnormen bestens vertraute, halbtags bei ei134

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Übereinstimmende Konsequenz beider Ansätze ist, und nur darauf kommt es hier an, dass der Zufall im Tatbestandsmerkmal der zufälligen Schadensverlagerung nicht mit dem Zufall im Sinne des Haftungsrechts und der Gefahrtragungsnormen identisch ist. Die fehlende Verantwortung des Schädigers für die Schadensverlagerung kann nicht relevant sein. Vielmehr ist entweder ein objektives Urteil über das Fehlen einer Rechtfertigung dafür, dass der Schädiger vollständig oder teilweise befreit wird, wenn das Dogma vom Gläubigerinteresse uneingeschränkt anwendbar ist, erforderlich oder aber die bloße subjektive Unvorhersehbarkeit der Schadensverlagerung. d. Ergebnis Mit dem Begriff des Zufalls lassen sich somit vier Relativitätseigenschaften verbinden. Davon weisen lediglich die interpersonelle und die (allgemeine) institutionelle Relativität unmittelbar materiellrechtliche Relevanz auf. Die anderen Relativitätseigenschaften, namentlich die funktionelle und die zurechnungssystematische Relativität, die aus der Negativität des Zufalls folgen, sind als Quelle für materiellrechtliche oder sprachliche Missverständnisse allerdings ebenfalls von erheblicher praktischer Bedeutung. Die interpersonelle Relativität des Zufallsbegriffs bedingt, dass infolge der Subjektivität des Zufalls ein Ereignis je nach Perspektive für eine Person zufällig und für eine andere nicht zufällig sein kann. Wegen dieser Unschärfe des Rechtsbegriffs muss immer aus dem Normzweck bzw. Regelungszusammenhang ermittelt werden, aus wessen Perspektive der im Normtext vorgesehene Zufall überhaupt zu bestimmen ist. Mit der negativen Natur des Zufalls ist verbunden, dass sein Inhalt überhaupt nicht positiv bestimmt werden kann und sich dieser lediglich aus seinem Gegenteil, also der Zurechnung, ableitet. Der Zufall tritt funktionell der positiven Zurechnung gegenüber und beschreibt lediglich das nicht zu Verantwortende im Sinne einer Negativabgrenzung. Mit der Negativität des Zufalls ist es auch verbunden, dass es neben dem subjektiv-absoluten Zufall, im Sinne der Unzurechenbarkeit, theoretisch eine Mehrzahl von „Zufällen“ gibt, da der Zufall sämtlichen Zurechnungsprinzipien gegenübertritt. Infolge dieser zurechnungssystematischen Relativität kann ein Ereignis für dasselbe Zurechnungssubjekt Zufall im Sinne des einen und zugleich im Sinne eines anderen Zurechnungssystems zu verantworten und somit kein Zufall sein. Diese Besonderheiten machen den Zufall zu einer der kuriosesten Rechtsfiguren. Neben die drei spezifischen Relativitätseigenschaften des Zufalls tritt noch die allgemeine Relativität der Rechtsbegriffe. Diese bedingt, dass der jeweilige Normzweck bestimmt, ob der „Zufall“ überhaupt entsprechend dem Haftungsnem Paketdienst arbeitende Jurastudent den Untergang der versendeten Sache fahrlässig herbei, vermag es nicht zu überzeugen, den Besteller der Waren auf dem durch die obligatorische Gefahrentlastung (§ 447 BGB) herbeigeführten Schaden sitzen zu lassen.

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und Gefahrtragungsrecht als Gegenteil der haftungsrechtlichen Zurechnung oder vollkommen abweichend zu bestimmen ist. Der Rechtsbegriff des Zufalls kann deshalb im Zusammenhang mit unterschiedlichen Rechtsinstituten einen unterschiedlichen Gehalt aufweisen.

III. Die Bedeutung des Zufallsbegriffs Nachdem das Auftreten des Zufallsbegriffs und dessen Relativität untersucht wurden, soll abschließend der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung dieser in unserer Rechtsordnung und in der Rechtswissenschaft überhaupt hat. Erfährt der Zufall seinen Gehalt ausschließlich durch Negativabgrenzung zur Zurechnung, 139 so stellt sich die berechtigte Frage nach Bedarf und Nutzen dieses unscharfen Spiegelbilds derselben. Rümelin140 stellte am Ende des vorletzten Jahrhunderts im Hinblick auf das Haftungsrecht fest, dass der Zufallsbegriff an Bedeutung verliert, sobald der „positive Haftungsgedanke“ einmal erkannt ist. Diese zutreffende Aussage könnte sogar noch dahingehend gesteigert werden, dass der Zufall als Rechtsfigur vollkommen unbrauchbar ist, sofern nicht das konkrete Zurechnungsprinzip benannt wird. Die Zufälligkeit eines Ereignisses kann nämlich nicht aus sich heraus bejaht werden. Man könnte sich sogar zu der Aussage hinreißen lassen, dass der Zufall eigentlich insgesamt entbehrlich ist. Trotz der Funktion des Zufalls als Sammelbegriff für das nicht Zurechenbare, gibt es weder Rechtsinstitute noch Normen, die den Gebrauch desselben zwingend erfordern. Sogar in den Normen der Gefahrtragung wäre es konstruktiv und begriffslogisch möglich, auf den Zufall zu verzichten und stattdessen auf das Vorliegen eines von keiner Partei zu vertretenden Ereignisses abzustellen. Ein positiver Nebeneffekt dieser Gestaltung wäre, dass die mit der Relativität des Zufallsbegriffs verbundenen Unsicherheiten beseitigt würden. Sollte also die an sich leere Hülse Zufall als Relikt vergangener Zeiten aus dem juristischen Sprachgebrauch verbannt werden? Gegen den Verzicht auf den Zufallsbegriff lässt sich natürlich einwenden, dass nicht ohne Not mit der mit dem Zufall verbundenen Rechtstradition gebrochen werden sollte. Zwingende materiellrechtliche Gründe dafür, den Begriff des Zufalls beizubehalten, gibt es jedoch nicht. Ein Plädoyer zu seinen Gunsten muss entsprechend an andere Umstände anknüpfen. Die Bedeutung des Zufallsbegriffs liegt in der ihm immanenten Verpflichtung dazu, dogmatisch korrekt die Grenzen zwischen der Verantwortung und eben dem nicht zu Verantwortenden (Zufall) zu ziehen. Die Dogmatik ist berufen, die im einzelnen Haftungsfall gefundene Lösung daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den gesetzlichen Regelungen und Prinzipien und damit zugleich 139

140

Siehe oben S. 90 f. Rümelin, Zufall, S. 53.

§ 3 Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht

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mit dem System der Haftung und der gesetzlichen Risikozuweisung vereinbar ist. Schon Rümelin erachtete den Zufallsbegriff in dieser Hinsicht als fruchtbar, da dieser den Rechtsanwender auffordere, die positive Bestimmung des „Haftungsprincips“ vorzunehmen. 141 Der Zufall stößt uns sowohl bei seiner Verwendung im Gesetz als auch im übrigen juristischen Sprachgebrauch einschließlich der rechtswissenschaftlichen Diskussion darauf, sich die Grundlagen von Haftung und Risikozuweisung, in der Form des hinter den Haftungsgründen und Zurechnungsprinzipien stehenden inneren Systems, 142 zu vergegenwärtigen und alle Ergebnisse vor der gesetzlichen Risikozuweisung zu rechtfertigen. Warum muss jemand ein Ereignis verantworten und warum ist die konkrete Abweichung von der Risikozuweisung zum Rechtsträger (casum sentit dominus) geboten? Ist in einer Konstellation, in der der Gesetzgeber die Risikoverteilung selbst modifiziert hat, wie beispielsweise in § 446 BGB, der Eintritt bzw. die Herbeiführung eines Ereignisses wirklich zu den planmäßig verlagerten Risiken (Zufall) zugehörig oder muss doch eine Partei als verantwortlich bezeichnet werden? Das Beispiel des Verkäufers, der den Käufer in Annahmeverzug gesetzt hat und sodann schuldlos die Kaufsache mit seinem Kfz überfährt, 143 macht deutlich, dass das Zufallserfordernis besonders prägnant das absolute Fehlen irgendeiner Verantwortung der Parteien hervorhebt. Das mit dem Zufallsbegriff verbundene Erfordernis der Legitimation einer jeden Schadenszuweisung erinnert zudem an die Aufgabe der Dogmatik, der Rechtsprechung bei einer ihre Kompetenz überschreitenden Rechtsetzung entgegenzutreten. Dies ist dann erforderlich, wenn diese mit dem inneren System des Haftungsrechts nicht zu vereinbarende neue Haftungsinstitute, wie etwa die Ersatzpflicht aufgrund sog. „faktischer Duldungszwänge“,144 einführt oder bestehende Haftungsinstitute über die gesetzlichen Grenzen ausdehnt. Nur wenn das Recht systemkonform gehandhabt wird, werden Einheit und Ordnung gewährleistet und es wird zugleich der Gedanke der wertungsmäßigen Folgerichtigkeit verwirklicht, womit dem Gleichheitssatz und damit auch der Gerechtigkeit in ihrer generalisierenden Tendenz, also mittelbar der Rechtsidee selbst, Genüge getan wird.145 Auf der Grundlage des hier vertretenen Begriffsverständnisses besagt das Urteil, es handle sich um eine (echte) Haftung für Zufall, dass eine gesetzeswidrige, den Gleichheitssatz und das Gewaltenteilungsprinzip verletzende Haftung begründet wird. Der Zufallsbegriff erfährt demnach seine Existenzberechtigung vorrangig durch seine Warn- und Kontrollfunktion, mit der die Grenzen und das ÜberRümelin, Zufall, S. 53. Vgl. zu diesem Bydlinski, System, S. 31 ff.; Canaris, Systemdenken, 35 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 474 ff. 143 Eingehend oben S. 84 f. 144 Eingehend zu dieser Haftung unten S. 178 ff. 145 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 155. 141

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Erster Teil: Der Zufall im Haftungsrecht

schreiten der systematischen Grundlagen des Haftungsrechts verdeutlicht werden. Damit diese Aufgabe erfüllt werden kann, muss natürlich Klarheit über Umfang und Grenzen der Haftungsinstitute und der Konzeption der Risikozuweisung bestehen, wozu diese Bearbeitung im Folgenden einen Beitrag leisten soll. Der Zufallsbegriff wirkt entsprechend seiner eingangs beschriebenen Natur wie ein Spiegel zur die Haftung legitimierenden Verantwortung und eben dieser Spiegel führt uns die – im Falle eines dogmatischen Fehlgriffs bittere – Realität vor Augen.

Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien Eine zufällige Beeinträchtigung verbleibt kompensationslos bei der Person, die sie trifft. Diese Aussage des Lehrsatzes „casum sentit dominus“ beschreibt den Grundsatz, dass jeder eine zufällige Beeinträchtigung seiner Rechte, seines Vermögens oder seiner Interessen selbst zu tragen hat, sofern nicht das Zufallsrisiko auf einen anderen ausdrücklich übergewälzt ist. Geht eine zufällige Beeinträchtigung auf das Handeln oder Unterlassen einer Person zurück, so gilt die auf das römische Recht zurückgehende Regel „casus a nullo praestantur“ (Ulp. D. 50, 17, 23) – für Zufall wird nicht gehaftet. Dass man sich darüber weitgehend einig ist, 1 vermag durchaus zu überraschen, denn das deutsche bürgerliche Recht kennt keine dem österreichischen § 1311 ABGB vergleichbare positive Regelung des Zufallsrisikos. § 1311 S. 1 ABGB sieht ausdrücklich vor: „Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet.“ 2

Vgl. Deutsch, Haftungsrecht I, Rn. 1 f.; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 129; Heß, Bestimmung, S. 6; Larenz/Canaris, Schuldrecht II, S. 351; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 187; Schlosser, Jura 1985, 479; Schmidt-Salzer, Festschrift Steffen, 429, 446; Weyers, Unfallschäden, S. 487; Rümelin, Schadenersatz, S. 61; ders. Schadenszurechnung, S. 13 f.; v. Schenk, Sphäre, S. 80 f.; Staudinger13/Hager, Vorbem. zu §§ 823 ff., Rn 24; E. Lorenz, in: ders (Hrsg.), Karlsruher Forum 2006, S. 2 f.; Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 113; Roussos, Schaden, S. 7; MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 43; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 392 ff.; dens., Haftungsrecht, S. 23; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 123; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 349; Jauernig/Berger, Vor §§ 446 f., Rn. 4; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 5; Lüer, Begrenzung, S. 124 f.; Pallasch, JA 1994, 504, 506; H. P. Westermann, JA 1978, 481; Coester-Waltjen, Jura 2006, 829, 830; vgl. hist. Katzenmeier, AcP 203 (2003), 79, 92; BVerwGE 13, 17, 22. 2 Interessanterweise ist keineswegs geklärt, ob diese viel zitierte und heute als Verkörperung des Satzes casum sentit dominus ausgelegte Norm eine entsprechende Zwecksetzung schon immer hatte und nicht vielmehr ursprünglich als Haftungsnorm in der Form einer – hier strikt abgelehnten – Verursachungshaftung konzipiert war, vgl. hierzu Karollus, Funktion, S. 7 ff. Eine entsprechende historische Zwecksetzung nehmen bspw. Windelband, Zufall, S. 5; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 316 an. Heute besteht Einigkeit, dass die Norm im Einklang mit ihrem Wortlaut entsprechend des Lehrsatzes ausgelegt wird, vgl. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 316; Koziol/Bydlinski/Bollenberger/Kraner, § 1311 ABGB Rn. 1; Karollus, Funktion, S. 10. 1

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

Das Schweigen des BGB zu diesem fundamentalen Grundsatz fügt sich in die nahezu umfassende Stille zum Zufall und seinen Folgen.3 Dennoch wird die Belastung des Geschädigten bei zufälligen Beeinträchtigungen wie selbstverständlich angenommen. Die Risikozuweisung wird sogar über die bloße Hinnahme hinaus hofiert. So attestiert etwa Canaris dieser Zuweisung einen „elementaren Gerechtigkeitsgehalt“, 4 während Picker den Satz casum sentit dominus als alternativlos richtig bezeichnet. 5 Ob der Regel bzw. dem Lehrsatz casum sentit dominus ein materiellrechtlicher Gehalt zuzuerkennen ist, wurde durch die Rechtswissenschaft im Laufe der Jahrhunderte höchst wechselhaft beurteilt und die Diskussion darüber dauert an. So reicht der Gehalt, den man casum sentit dominus zuweist, von absoluter teleologischer Inhaltsleere 6 bis hin zu einem Rechtsprinzip, das gegenüber den übrigen Zurechnungsprinzipien gleichrangig ist. 7 Die Risikozuweisung, die im Satz casum sentit dominus nach herrschender Meinung zum Ausdruck kommt, begründet eine umfassende „Opferhaftung“ bei zufälligen Schadensereignissen. Dies ist eine Härte für den durch den Zufall Betroffenen. Die Versagung rechtlichen Schutzes bei Unglücksfällen kann daher durchaus hinterfragt werden.8 Sofern eine andere Person zu dem Schadensereignis beigetragen oder dieses gar maßgeblich hervorgerufen hat, erscheint es keineswegs selbstverständlich, ausschließlich das Unglücksopfer wirtschaftlich zu belasten. In der Literatur wird nur sehr sporadisch der Versuch unternommen, eine Begründung für das grundsätzlich gebilligte Ergebnis der umfassenden Schadenstragung durch den Geschädigten zu finden, die über rechtspolitische Erwägungen hinausgeht. Zumeist wird schlicht unreflektiert auf den lateinischen Lehrsatz und dessen Geltung verwiesen. 9 Der kritische Hinweis Weyers, die häufig praktizierte apodiktische Berufung auf den Satz „casum sentit dominus“ verhindere die Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden Wertungen, 10 ist deshalb berechtigt. Nachdem zuvor die Bedeutung des rechtlichen Zufalls aufgedeckt wurde, gilt es nun, das spiegelbildliche Rechtsinstitut der Zurechnung zu beleuchten. Zunächst sind die dogmatischen und Wertungsgrundlagen der Zurechnung im Haftungsrecht zu erhellen (§ 4). Sodann wird die „technische Durchführung“ des haftungsrechtlichen Zurechnungskonzepts auf der Ebene der Haftungsbegründung11 durch die verschiedenen Zurechnungsprinzipien genauer Zum Zufall als Gegenstand gesetzlicher Regelung bereits S. 27 ff. Canaris, iustitia, S. 91. 5 Picker, JZ 1985, 693, 706. 6 Rümelin, Schadenszurechnung, S. 13 f. 7 Hübner, Schadenszurechnung, S. 56 ff., insbes. S. 60. 8 Für die Verschuldenshaftung vgl. § 7 (S. 220 ff.). 9 Dies kritisiert auch Meder, Schuld, S. 21. 10 Weyers, Unfallschäden, S. 488. 11 Zur Zurechnung auf der Ebene der Haftungsausfüllung eingehend § 9 (S. 289 ff.).

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

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beleuchtet (§ 5). Sich mit Zurechnung und Zufall auseinanderzusetzen gebietet zudem, den Inhalt von casum sentit dominus zu ergründen (§ 6). Ist dieser lediglich die deklaratorische Feststellung des „Alles-oder-Nichts“ in der Zurechnung, oder handelt es sich um ein der Verantwortung potenzieller Haftungsadressaten entgegenlaufendes Zurechnungsprinzip? Ein solches Zurechnungsprinzip anzuerkennen hätte zur Folge, dass über die Verantwortung des potenziellen Schädigers hinaus stets auch die „Nichtverantwortung“ des geschädigten Rechtsgutsträgers positiv zu begründen wäre.

§ 4 Theoretische Grundlagen der Zurechnung C’est ce que j’exprimerai en disant que l’homme est condamné à être libre. Condamné, parce qu’il ne s’est pas créé lui-même, et par ailleurs cependant libre, parce qu’une fois jeté dans le monde, il est responsable de tout ce qu’il fait. (Jean-Paul Satre 1)

Die gesetzliche Anordnung von Haftung und damit die Belastung eines Rechtssubjekts mit einer Schadensersatzpflicht setzt eine besondere Verbindung zwischen dem Rechtssubjekt und der zu ersetzenden Beeinträchtigung voraus.2 Erst dieses Bindeglied zwischen haftender Person und Beeinträchtigung rechtfertigt es, den konkreten Haftungsadressaten als „Schädiger“ für das Ereignis und dessen Folgen einstehen zu lassen. Ohne solch eine Verbindung wäre die Zuweisung der Schadenslast zum Haftungsadressaten willkürlich. Die für die Haftung notwendige Verbindung besteht in der Erfolgsverantwortlichkeit, die durch Zurechnung begründet wird. Zurechnung begründet Verantwortung und verantwortlich zu sein bedeutet, die Folgen des eigenen Verhaltens auf sich nehmen zu müssen und den hiermit verbundenen Schaden des Geschädigten wiedergutzumachen. 3 Um solch eine Verantwortung zu begründen, ist das deutsche Haftungsrecht keineswegs auf das althergebrachte Verschuldensprinzip beschränkt.4 Es verfügt vielmehr über eine Auswahl grundsätzlich gleichwertiger, 5 aber keineswegs in gleichem Umfang umgesetzter Zurechnungsprinzipien. Allein das Verschuldensprinzip ist durch die drei deliktischen und die vertragliche Haftungsgeneralklausel umfassend zur Anwendung berufen. Dem gegenüber werden die Risiko- und die Begünstigtenhaftung nach dem Enumerationsprinzip angeordnet und bleiben daher auf einzelne Haftungstatbestände begrenzt. Sie sind zudem nur eingeschränkt durch Satre, L’existentialisme est un humanisme, S. 37. Zum identischen Erfordernis einer Verbindung zwischen Subjekt und Schaden auf der Ebene der Haftungsausfüllung vgl. S. 295. 3 Vgl. Larenz, JuS 1965, 373. 4 Hierzu Canaris, VersR 2005, 577, 578. 5 Larenz, JuS 1965, 373; Schmidt-Salzer, Festschrift Steffen, 429, 435; vgl. auch Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123, 141. 1

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§ 4 Theoretische Grundlagen der Zurechnung

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Analogie erweiterungsfähig. 6 Die verschiedenen Prinzipien der Erfolgszurechnung weisen jeweils einen eigenen dogmatischen Unterbau auf. Ihr Ziel ist allerdings dasselbe: die Begründung von Verantwortlichkeit. Dieser Abschnitt wird sich mit dem inneren Kern des zivilrechtlichen Verantwortungsurteils auseinandersetzen. Dabei ist neben dem Zweck und der Wirkweise der Zurechnung (I.) deren Wechselbezüglichkeit zum Grund des Zurechnungsbedürfnisses (II.) in den Blick zu nehmen. Sodann gilt es zu zeigen, dass die Zurechnung, obwohl sie selbst ein essentielles Element der Haftung ist, 7 ihrerseits auf noch grundlegenderen Prinzipien beruht (III.).

I. Die Zurechnung Die Zurechnung (imputatio) als Rechtsbegriff beinhaltet die Zuordnung eines Umstandes zu einem Subjekt im Verhältnis zu anderen bzw. der Rechtsgemeinschaft. Etymologisch liegt der Begriff im Vorgang begründet, einen Umstand jemandem bzw. etwas „zuzuschreiben“ oder „anzurechnen“ (imputare). 8 Ethisch wird der Begriff mit dem Gedanken der Verantwortung verbunden. Diese ethische Belegung des Begriffs hat im Recht eine besondere Bedeutung und tritt neben die ordnende Funktion der Zurechnung. Gegenstand der haftungsrechtlichen Zurechnung ist einerseits formell die Zuordnung eines Schadensereignisses zu einem oder mehreren Rechtssubjekten. Andererseits rechtfertigt die Zurechnung materiell, warum Zurechnungssubjekte überhaupt gegenüber der Rechtsgemeinschaft für den Verletzungserfolg verantwortlich sind und auch sein sollen. 9 1. Haftungsrechtliche Verantwortung Auch heute verwirklicht sich im Gedanken der Zurechnung das rechtsethische Prinzip der Verantwortung der Person.10 Als Folge der Anerkennung der Person und deren Befähigung Träger von Rechten und Pflichten zu sein, muss dieses Subjekt für seine selbstbestimmten Entscheidungen die Verantwortung Dazu S. 222 f. Deutsch, Festschrift Honig, 33 erachtet die Zurechnung sogar als „das wesentliche Moment des Haftungsrechts“. 8 Vgl. Köbler, Wörterbuch, S. 479. 9 Zutreffend Deutsch, Haftungsrecht, S. 59; anders Kelsen, Rechtslehre, S. 85, der die Zurechnung auf die Verknüpfung von Verhalten und Rechtsfolge beschränkt. 10 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 468; dens., Systemdenken, S. 57; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 890; dens., Festschrift Honig, 33, 34; dens., Fahrlässigkeit, S. 64; Larenz, Schuldrecht I, § 20 I, S. 276; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 16; ähnlich Kelsen, Rechtslehre, S. 96, jedoch ausgehend von anderen Prämissen; a.A. E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 139, der jegliche ethische Dimension bestreitet. 6

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

übernehmen. 11 Diese Begründung der Zurechnung ist maßgebend durch kantisches Denken beeinflusst. So liest man bei diesem: „Zurechnung (imputatio) in moralischer Bedeutung ist das Urtheil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann That (factum) heisst und unter den Gesetzen steht, angesehen wird“. 12

Die auf Selbstbestimmung gründende Verantwortung beruht auf der ethischen Prämisse, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, den Sollensanforderungen des Rechts zu genügen und sich für oder wider diese zu entscheiden.13 Anknüpfungspunkt und Grundlage der Verantwortungszuweisung ist demnach der Gebrauch oder eben Nichtgebrauch des individuellen Willens. Larenz, und im Anschluss an diesen auch Deutsch, erachtet deswegen als konstitutives Element einer jeden Zurechnung, dass ein Erfolg in der Außenwelt auf den Willen des Subjekts rückführbar ist. Dies soll nicht nur die Zurechnung zur Schuld (imputatio iuris), sondern bereits die objektive Zurechnung im Sinne der Zurechnung zur Tat (imputatio facti) umfassen.14 Der von Larenz und Deutsch vertretenen These des zurechnungskonstituierenden Willens kann allerdings in dieser Absolutheit nicht zugestimmt werden. Das Recht kennt auch haftungsrechtliche Verantwortung des Individuums jenseits des selbstbestimmten Verhaltens, welche gleichfalls dadurch bedingt ist, dass dieses als Person anerkannt wird. 15 So haftet beispielsweise bei der sog. Aufopferungshaftung nach § 904 S. 2 BGB (richtigerweise) nicht derjenige, der willentlich aber gerechtfertigt in fremde Rechtsgüter eingegriffen hat, sondern der Begünstigte, der keinen Willen bezüglich der Aufopferung gebildet haben muss. 16 Das Rechtssubjekt kann also Adressat gesetzlicher Verantwortungszuweisung sein, die von dessen Willen vollkommen unabhängig ist. Gleichwohl handelt es sich um Verantwortung begründende, ethisch fundierte Zurechnung. In aller Regel begründet jedoch der Wille des Subjekts die Zurechnung zumindest mit.

Vgl. hierzu Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 10, 16; krit. Kelsen, Rechtslehre, S. 97 ff., infolge seiner deterministischen Weltanschauung. 12 Kant, in: von Kirchmann (Hrsg.), Metaphysik, S. 28. 13 Vgl. Henkel, Festschrift Larenz 70, 3; Larenz, NJW 1955, 1009, 1011; BGHSt (GS) 2, 194, 200. 14 Vgl. Larenz, Zurechnung, S. 61; dens., NJW 1955, 1009, 1011; Deutsch, Haftungsrecht, S. 59, 60; dens., Fahrlässigkeit, S. 428; krit. zum Willensbezug, Esser, Grundlagen, S. 50 ff. 15 Dazu im Anschluss, S. 106 ff. 16 Eingehend zu dieser Haftung S. 176 ff. 11

§ 4 Theoretische Grundlagen der Zurechnung

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Soll ein Subjekt für einen Erfolg verantwortlich sein, bedarf es zur Vermeidung von Willkür stets der Zurechnung des Erfolges zum konkreten Zurechnungssubjekt und einer Rechtfertigung der Zurechnung aus diesem Subjekt heraus. Mit diesem abstrakten Zurechnungserfordernis wird die Notwendigkeit einer besonderen Beziehung zwischen dem zuzurechnenden Ereignis und dem Haftungsadressaten ausgedrückt, welche es rechtfertigt, genau diesen für das Ereignis und seine Folgen einstehen zu lassen. 17 Die formale Zuordnung bedarf also der inneren Rechtfertigung, etwa der persönlichen Schuld des Zurechnungssubjekts. Dieses Erfordernis wird durch das Zurechnungsprinzip erfüllt. Die Zurechnung darf dabei keinesfalls mit Kausalität verwechselt oder gar gleichgesetzt werden, denn bloße Kausalität vermag keine rechtliche Verantwortung zu begründen. 18 Merkel konstatierte zutreffend, dass von der bloßen Verursachung noch „keine Brücke zur Verantwortung hinüber führt“.19 Schlichte Kausalität ist infolge der unendlich vielen, zufällig in einem Ereignis zusammenlaufenden Ursachenbeiträge nicht imstande, die erforderliche Alleinstellung des konkreten Haftungsadressaten zu bewirken und so die Verantwortung genau des einen konkreten Subjekts zu legitimieren. Zurechnung setzt deshalb eine über Kausalität hinausgehende, besondere Verbindung zwischen dem zuzurechnenden Ereignis und dem Zurechnungssubjekt und damit dessen Verhalten, Geschäftskreis oder Risikosphäre voraus, die nach normativen Maßstäben zu ermitteln ist. Sie bildet das Mittel, um die individuelle Verantwortung des Subjekts zu begründen und das Ereignis vom Zufall abzugrenzen, der außerhalb der Verantwortungssphäre liegt. 20 Ausgangspunkt aller Zurechnungserwägungen und erster Ansatz der Verantwortungsbegründung ist – insoweit ist Larenz und Deutsch beizupflichten – das Prinzip personaler Selbstverantwortung. 21 Es geht dabei um die Frage, ob der Haftungsadressat im kantischen Sinne menschlich verantwortlich ist und damit als Urheber des Ereignisses erscheint oder ob er nur einen schlicht kausalen Beitrag geleistet hat und lediglich eine von unendlich vielen im Schadensereignis zusammenlaufenden Ursachen ist. Personale Selbstverantwortung ist dementsprechend im Ausgangspunkt auf Individualautonomie grün-

Vgl. Larenz, JuS 1965, 373; Deutsch, Haftungsrecht, S. 3, 59. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 469; Deutsch, Festschrift Honig, 33, 50 f.; Görgens, JuS 1977, 709, 711; Larenz, NJW 1955, 1009, 1011; ders. Zurechnungslehre, S. 61. Zur Kausalhaftung auch unten S. 198 ff. 19 Merkel, Lehre, S. 58. Ebenso Rümelin, Schadenszurechnung, S. 26: „Von der blossen Causalität führt keine Brücke zur Verantwortlichkeit“. 20 Vgl. Deutsch, Festschrift Honig, 33; Larenz, Zurechnung, S. 61; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 9; Jansen, AcP 202 (2002), 517, 540. Zu den rechtsphilosophischen Aspekten vgl. auch Henkel, Festschrift Larenz 70, 3 ff. 21 Vgl. Larenz, Zurechnungslehre, 75 ff.; Bydlinski, System, S. 99, 105 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 59; ders. Fahrlässigkeit, S. 65, 428. 17

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

dende Zurechnung, welche ein spezifisches ethisches Urteil über die Verbindung von Ereignis und Individuum ausspricht. Zugerechnet werden auf dieser Grundlage lediglich Willensfolgen, woraus sich auch die Grenzen einer so gerechtfertigten Zurechnung ergeben. Was nicht auf den Willen rückführbar ist, weil es nicht vom Individuum beherrscht werden kann, ist nicht zu verantworten.22 Das Verschuldensprinzip als Zurechnungsprinzip verkörpert – zumindest im Grundsatz – eben diesen Gedanken. 2. Verantwortungsbegründung jenseits des Willens Das Recht ist nicht auf die restriktive Verantwortungsbegründung durch Selbstverantwortung beschränkt. Das Gesetz ordnet vielfach Haftung auch jenseits der Verantwortung für selbstbestimmtes Verhalten an. Das Urteil über die Verbindung zwischen Zurechnungssubjekt und Erfolg, das dieser Haftung zugrunde liegt, ist jedoch nicht mehr zuvorderst ein durch den Willen begründetes moralisches, sondern primär ein normatives und teleologisches. Verzichtet die Rechtsordnung darauf, über den Willensbezug der Individualität des Zurechnungssubjekts vollkommen oder überhaupt Rechnung zu tragen, so ist die Bezeichnung der Zurechnung als objektive gebräuchlich, die zur subjektiven Zurechnung abzugrenzen ist, die ausschließlich auf individualistischer Selbstverantwortung beruht. 23 Die Wirksamkeit der personalen Selbstverantwortung wird am geringsten im Rahmen des „objektiven Sorgfalts- oder Fahrlässigkeitsbegriffs“ eingeschränkt. Dieser ist das Produkt des im Zivilrecht allgegenwärtigen Konflikts zwischen der Individualität und den Verkehrsinteressen und damit der Kollision von Selbstbestimmung und Vertrauensschutz auf der Prinzipienebene. Die Objektivierung der Zurechnung, die dieser Fahrlässigkeit zugrunde liegt, mit der die vom Selbstverantwortungsprinzip eigentlich begründeten Zurechnungsschranken zum Teil überwunden werden, wird durch das auf Objektivität gerichtete und damit gegenläufige Vertrauensprinzip gerechtfertigt. 24 Als Folge werden für das konkrete Individuum nicht mehr beherrschbare Vorgänge zugerechnet und sind von ihm zu verantworten. Dies rechtfertigt beispielsweise die Zurechnung, wenn das Zurechnungssubjekt aufgrund individueller Eigenschaften gar nicht in der Lage war, dem nach Verkehrskreisen bestimmten Sorgfaltsmaßstab gem. § 276 Abs. 2 BGB zu genügen. In diesem Bereich nähert sich die Verschuldenszurechnung einer Risikohaftung25 an, wie sie etwa durch die Tatbestände der Gefährdungshaftung normiert wird. Vgl. etwa Larenz, NJW 1955, 1009, 1011 f. Vgl. etwa Deutsch, Haftungsrecht, S. 59 f. Die Terminologie ist sehr uneinheitlich, da das individuelle Verständnis häufig von damit verbundenen Fragen, wie der Anerkennung des objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs und des Deliktsaufbaus, abhängig ist. 24 Hierzu eingehend S. 138, 141 ff. und S. 267 ff. 25 Eingehend zu dieser S. 150 ff. 22

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Auch die reine Risikohaftung ist zumeist nicht vollkommen frei von Selbstverantwortung. Bei dieser erfolgt die Erfolgszurechnung nach dem Risikoprinzip entpersonalisiert und willensunabhängig. Entsprechende Haftungstatbestände, etwa die der Gefährdungshaftung, beinhalten allerdings weiterhin Elemente von Selbstverantwortung, wenn auch lediglich in abgeschwächter Form. Die der Risikozurechnung zugrunde liegende Zuständigkeit für bestimmte Risiken (Risikoverantwortung)26 knüpft ihrerseits an menschliches Verhalten an, das auf den Willen zurückführbar ist. Beispielsweise bildet das Hervorrufen, Aufrechterhalten oder Betreiben einer Quelle besonderer Gefahr, und somit willensgetragener Umstand, den Grund für die Gefährdungshaftung. 27 Im Verhältnis zur objektivierten Verschuldenszurechnung ist bei der Zurechnung im Rahmen der Gefährdungshaftung die Verknüpfung vom zuzurechnenden Erfolg und dem Willen des Zurechnungssubjekts jedoch schwächer ausgeprägt und die Selbstbestimmung in noch geringerem Umfang realisiert. Die Zurechnung kann – wie bereits angedeutet – auch vollkommen unabhängig von Selbstverantwortung und damit dem Willen des Subjekts erfolgen. Ein Beispiel ist die Zurechnung des Verhaltens gesetzlicher Vertreter (§ 278 S. 1 Alt. 1 BGB),28 bei der kein Willensakt und keine Handlung des Zurechnungssubjekts, sondern der Zufall der Geburt oder ein Hoheitsakt die Verantwortung für fremdes Verhalten nach dem Risikoprinzip begründet. 29 Zurechnungslehren, die rein auf Willen und Handlung abzielen, können diese Form der Zurechnung nicht erklären. 30 Die Loslösung der Zurechnung von der Person ist jedoch weder willkürlich noch Selbstzweck. Sie ist einer besonderen Interessenlage geschuldet und findet gerade auch in der Person des Zurechnungssubjekts die erforderliche Rechtfertigung. So wird der gesetzliche Vertreter im Interesse des Vertretenen, beispielsweise des Kleinkindes, tätig und ermöglicht diesem überhaupt am rechtsgeschäftlichen Verkehr teilzunehmen. Deshalb hat der durch die Rechtskreiserweiterung Begünstigte die Folgen dieses Tätigwerdens – aber auch eben nur diese – zu verantworten.31 Ein weiteres Zu Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip im Anschluss, S. 111 ff. Vgl. Esser, Grundlagen, S. 94; Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 43, 220 f. 28 Zum missverständlichen, verunglückten Wortlaut des § 278 BGB vgl. Staudinger/Löwisch/Caspers, § 278 Rn. 118; Fundel, Gehilfenverhalten, S. 18 f.; E. Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 515 f. 29 Sogar eine willensbezogene Legitimation als – hier nicht weiter zu behandelnde – „außerordentliche“ Zurechnung (actio libera in causa, vgl. dazu Unberath, Vertragsverletzung, S. 300 ff.) scheidet aus, da das Zurechnungssubjekt, mangels Verhaltens als Anknüpfungspunkt, auch nicht für einen selbstbestimmten Ausschluss der auf den freien Willen bezogenen „ordentlichen“ Zurechnung verantwortlich gemacht werden kann. 30 Diese spezielle Zurechnung wird deshalb auch zumeist ignoriert. Vgl. dazu etwa HKK/Schermaier, Vor § 276 Rn. 32, insbes. Fn. 219, der bei seinem Konzept der objektiven Zurechnung nur auf § 278 S. 1 Als. 2 BGB (Erfüllungsgehilfe) Bezug nimmt. 31 Vgl. E. Schmidt, AcP 170 (1970), 502, 514 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 20 VII, S. 295. 26

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

Beispiel ist die Zurechnung nach dem Begünstigtenprinzip32 im Rahmen der Haftung für die Aufopferung von Rechtsgütern (insbesondere § 904 S. 2 BGB), die ebenfalls vollkommen losgelöst vom Willen des Zurechnungssubjekts erfolgt.33 Diese Grenzfälle der Zurechnung zeigen, dass die zivilrechtliche Zurechnungsdogmatik nicht bei Verhalten, Willen aber auch Pflichten stehenbleibt. Verantwortung kann vielmehr vom Gesetz auch jenseits dieser angeordnet werden. Wird die Zurechnung allerdings vom Willen des Subjekts entkoppelt, ergibt sich daraus der Bedarf nach einer besonderen Rechtfertigung, welche die Verantwortungszuweisung legitimiert. Denn warum soll das Zurechnungssubjekt für eine von ihm unbeherrschbare und unvermeidbare Beeinträchtigung Dritter verantwortlich und letztendlich ersatzpflichtig sein und nicht etwa der Staat, ein Versichertenkollektiv oder der Verletzte selbst? Insoweit vermögen die – noch eingehend zu behandelnden34 – Zurechnungswertprinzipien, die der entsprechenden Zurechnung zugrunde liegen, die erforderliche Rechtfertigung zu leisten. Diese können die personale Selbstverantwortung35 überlagern oder ersetzen und so die Zurechnung jenseits des Willens begründen. 3. Grenzen der Zurechnung Trotz der im vorangegangenen Abschnitt offenbar gewordenen Vielgestaltigkeit der Zurechnung, ist der Gesetzgeber in deren Ausgestaltung nicht vollkommen frei. Der Gleichheitssatz verpflichtet ihn dazu, die Zurechnung von Subjekt zu Subjekt auf einen hinreichenden Grund zu stützen. Dieses von Bydlinski als Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung bezeichnete Strukturprinzip des Zivilrechts36 bedingt, dass absolute, einseitige, nur auf ein Subjekt bezogene Argumente, vollkommen unabhängig von ihrer Stärke, niemals zivilrechtliche Ansprüche zwischen den gleichwertigen und gleichberechtigten Subjekten begründen können. Die Ansprüche müssen auch – d.h. zumindest gerade noch – durch das spezifische Verhältnis der konkreten, rechtlich gleichgestellten Normadressaten zueinander gerechtfertigt sein.37 Eine Person mag noch so schutz- oder verachtungswürdig sein, allein daraus Verpflichtungen einer bestimmten anderen Person herzuleiten, die zu ihr in keinerlei Beziehung steht, vermag als Akt der Willkür nicht zu überzeugen. Ist beispielsweise eine Person ohne eigene Leistung, etwa durch einen Zufall wie eine Erbschaft, mo-

Hierzu S. 176 ff. So auch Canaris, VersR 2005, 577, 580. 34 Hierzu S. 117 ff. 35 Vgl. Henkel, Festschrift Larenz 70, 3; BGHSt (GS) 2, 194, 200. 36 Bydlinski, System, S. 94 ff.; ders., AcP 204 (2004), 309, 341 ff. 37 Vgl. hierzu Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 341 f.; ders., System, S. 93 ff.; Riesenhuber, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 1, 9 f. 32

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netär besonders begünstigt und widerfährt zur gleichen Zeit einer anderen Person existenzbedrohendes Leid, so rechtfertigt dieser Umstand allein noch keine Ansprüche der benachteiligten Person gegen den konkreten Vermögenden. Besteht keine eine Umverteilung rechtfertigende Verbindung zwischen den Beteiligten – auch § 829 BGB beinhaltet eine solche 38 – kann der Staat zwar indirekt durch Steuer und Sozialleistung die Umverteilung bewirken. Ein unmittelbarer zivilrechtlicher Anspruch des Benachteiligten gegen genau diesen Vermögenden ist aber nicht zu rechtfertigen. Die Zurechnung soll genau diese Elementaranforderung zivilrechtlicher Pflichtenlegitimation erfüllen und die erforderliche qualifizierte Verbindung zwischen den Subjekten begründen. Innerhalb der durch das Gesetz gezogenen Grenzen besteht theoretisch ein erheblicher Gestaltungsspielraum für die zur Rechtsanwendung und -konkretisierung berufenen Gerichte. In der Theorie sind unendlich viele graduelle Abstufungen der Zurechnung zwischen vollkommener Selbstverantwortung und absolut entpersonalisierter objektiver Zurechnung möglich. Dennoch können die Gerichte bei der Verantwortungsbegründung nicht frei innerhalb dieses bzw. des durch die Norm äußerlich begrenzten Spektrums wählen und sich im Einzelfall auf das scheinbar gerechtere oder zweckmäßigere Zurechnungsprinzip in einer spezifischen Schattierung stützen. Sie sind zunächst verpflichtet, das gesetzlich vorgeschriebene Verantwortungskonzept konsequent und methodenehrlich umzusetzen. Sofern etwa das Gesetz die Sorgfaltswidrigkeit zur Zurechnungsvoraussetzung erhebt, ist es dem Rechtsanwender versagt, über „allgemeine Zurechnungserwägungen“ diesen Maßstab im Interesse des Geschädigten zu unterschreiten. 39 Dabei darf natürlich nicht verkannt werden, dass auch das Zurechnungsprinzip „Verschulden“ als Rechtsbegriff seinerseits konkretisierungsbedürftig ist. Soweit es jedoch möglich oder sogar erforderlich ist, die Zurechnung zu präzisieren oder zu begrenzen, verpflichten die gesetzlichen, durch die Prinzipienebene vorgegebenen Wertungen die Gerichte, dies systemkonform40 und in den gesetzlichen Grenzen vorzunehmen. 41 Das mit dem Gebot der Systemkonformität verbundene Erfordernis wertungsmäßiger Folgerichtigkeit 42 hat durchaus praktische Konsequenzen. Dies offenbart sich beispielsweise deutlich bei der Berücksichtigung von Zurechnungshindernissen, wenn und soweit die Zurechnung auf personaler Selbstverantwortung beruht. Diese Hindernisse wirken über die subjektive Verschuldenszurechnung hinaus auch im objektiven Fahrlässigkeitsbegriff, der eine objektive Zurechnung ist, infolge gesetzlicher Anordnung. Die durch das SelbstSiehe unten S. 192 ff. Hierzu auch S. 300 f., 337 ff. 40 Vgl. hierzu Canaris, Systemdenken, S. 86 ff., 116 ff. 41 Zur Bindung des Gesetzgebers an den Systemgedanken über Art. 3 GG vgl. Canaris, Systemdenken, S. 121 ff. und insbes. 125 ff. 42 Vgl. hierzu Canaris, Systemdenken, S. 13 ff., 97 ff. 38

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verantwortungsprinzip bedingten Grenzen der Zurechnung haben im Zurechnungsausschluss bei fehlender Verantwortungs- und damit Zurechnungsfähigkeit gem. den §§ 827 f. BGB, und zwar über die deliktische Haftungsbegründung hinaus (§§ 276 Abs. 1 S. 2, 254 Abs. 2 S. 2 BGB), eine gesetzliche Umsetzung erfahren. Zugleich wirken die Einschränkungen im Ausschluss der Zurechnung bei vis absoluta mangels Verhaltens des Zurechnungssubjekts und bei autonomem Verhalten von Dritten, die nicht zum Geschäftskreis des Zurechnungssubjekts gehören. 43 Diese für die Verschuldenszurechnung aufgezeigten Zurechnungshindernisse durchziehen darüber hinaus, teilweise ausdrücklich kodifiziert und teilweise ungeschrieben, das gesamte Recht, soweit Zurechnung zumindest auch auf personaler Selbstverantwortung beruht. Sie finden sich etwa in der Beschränkung der Zurechnung von Erklärungsfolgen – trotz aller Objektivität dieser Zurechnung44 – in den §§ 164 ff. (Vertretung ohne Vertretungsmacht), dem Handlungswillen als konstitutive Voraussetzung einer Willenserklärung oder speziell den §§ 104 ff. BGB wieder. Soweit Zurechnung auf der Grundlage der personalen Selbstverantwortung erfolgt und die Hindernisse relevant werden, aber keine ausdrückliche Regelung erfahren haben, muss ihnen systemkonform, d.h. entsprechend deren Wirkweise und des Verwirklichungsgrades des Prinzips, im Zweifel im Wege der Rechtsfortbildung, Geltung verschafft werden. 45 Ein anschauliches Beispiel liefert die Risikohaftung. Auch in der Gefährdungshaftung wirkt das Prinzip personaler Selbstverantwortung, 46 ohne jedoch eine dem § 828 BGB vergleichbare Einschränkung der Zurechnung aufzuweisen. Infolge dieses Umstandes drohen bei Minderjährigen, die sich infolge individueller Reifedefizite ihrer Verantwortung nicht bewusst sind und sein können, Wertungswidersprüche. Es ist deshalb allgemein anerkannt, dass die Haftung insoweit einer Einschränkung bedarf. Dabei ist im Rahmen der Gefährdungshaftung nicht die vollkommen entpersonalisierte Erfolgszurechnung nach dem Risikoprinzip der richtige Anknüpfungspunkt der Rechtsfortbildung. Richtigerweise müssen die individuellen Defizite der Selbstbestimmungsfähigkeit im Haftungsgrund, der zumindest Spuren von Selbstverantwortung enthält, und über diesen in der Halter- oder Betreibereigenschaft zur Geltung ge-

Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 468. Vgl. Canaris, System, S. 55; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 13 ff. 45 Das innere System dient hierbei zunächst der Feststellung der Lückenhaftigkeit (Canaris, Systemdenken, S. 99 ff.) und sodann als Grundlage der Lückenfüllung (hierzu ders., Systemdenken, S. 95 ff.). 46 Dazu bereits S. 107. 43

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bracht werden. Die konkrete Ausgestaltung ist hier allerdings nicht von Belang.47 Beruht demgegenüber die Zurechnung ausschließlich auf verhaltensunabhängiger gesetzlicher Verantwortungszuweisung, wie bei der Begünstigtenhaftung im Rahmen des § 904 S. 2 BGB, sind die an die Selbstverantwortung anknüpfenden Zurechnungshindernisse unbeachtlich48 und es wäre verfehlt und wertungswidersprüchlich, diese im Wege der Rechtsfortbildung einzuführen.

II. Grundlagen der Haftung: Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip Die Haftung für ein Schadensereignis lässt sich in zwei unterschiedliche Komponenten untergliedern, den Haftungsgrund und das Zurechnungsprinzip. Erst gemeinsam legitimieren sie einen Schadensersatzanspruch. Diese Differenzierung, die dieser Bearbeitung zugrunde liegt, geht auf Canaris49 zurück. Der Haftungsgrund gibt dabei an, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung die eine Partei schützt und ihr damit als Gläubiger einen Anspruch gewährt. 50 Haftungsgründe sind etwa der Schutz der absoluten Rechtsgüter vor rechtswidrigem, schädigendem Verhalten (Delikt) oder die Verletzung des Leistungsversprechens51. Das Zurechnungsprinzip gibt die Antwort auf die vom Haftungsgrund strikt zu unterscheidende Frage, warum das konkrete Zurechnungssubjekt mit der (Ersatz-)Pflicht belastet werden soll. 52 Ein solches Zurechnungsprinzip ist beispielsweise das Verschuldensprinzip. Dieses stellt die zur Haftungsbegründung erforderliche Verbindung zwischen dem Verhalten und dem Verletzungserfolg und somit den Subjekten her, wenn der

47 Vgl. hierzu etwa Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 609; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 272; Bamberger/Roth/Spindler, § 833 Rn. 14, die die Risikoverantwortung (Haftungsgrund) an den §§ 104 ff. BGB messen wollen. Erman/Schiemann, § 827 Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 833 Rn. 40; Soergel/Spickhoff, § 833 Rn. 12 möchten hingegen die § 828 BGB analog auf die Halter- oder Betreibereigenschaft anwenden. Eberl-Borges, VersR 1996, 1070, 1075; Staudinger/Oechsler, § 828 Rn. 6 wollen bei Minderjährigen ohne normative Grundlage auf den jeweiligen Reifegrad abstellen. 48 Zutreffend Canaris, Systemdenken, S. 96. 49 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 467 ff. Zustimmend etwa Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 14 f.; Kirsten, Schadensersatzhaftung, S. 19; Riehm, Festschrift Canaris I, 1079, 1082; vgl. auch Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 80. 50 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470; ders., Festschrift Heldrich, 11, 26; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 352. 51 Vgl. Canaris, Festschrift Heldrich, 11, 27; ähnlich U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 529. 52 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470; ders., Festschrift Heldrich, 11, 26; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 352.

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Verletzungsverfolg durch einen vermeidbaren Sorgfaltsverstoß verursacht wurde. Diese Darstellung kann leicht den Schein erzeugen, es könne absolut klar und eindeutig zwischen Haftungsgrund und Zurechnung unterschieden werden. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass die Bausteine der Haftung in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit und Ergänzung stehen, weshalb etwa der Haftungsgrund nicht ausschließlich an die Person des Gläubigers anknüpft. 53 Beispielsweise liegt dem Aufopferungsgedanken als Haftungsgrund des § 904 S. 2 BGB54 der auf einer Abwägung beruhende Vorrang der Interessen des Schuldners gegenüber denen des Gläubigers zugrunde. 55 Es ist zudem zu beachten, dass auch der Haftungsgrund Zurechnungsprozesse beinhalten kann. Besonders deutlich wird dies im Rahmen der Risikohaftung. Bei dieser begründen die dem Haftungsgrund immanenten Zurechnungsprinzipien, warum und für welche Risiken das Haftungssubjekt überhaupt abstrakt verantwortlich ist.56 Sie legitimieren die von der konkreten Erfolgsverantwortlichkeit strikt zu trennende abstrakte Risikoverantwortung. 57 Zur Zurechnung eines bestimmten Verletzungserfolges zum konkreten Zurechnungssubjekt und dem Inhalt der Ersatzpflicht treffen sie hingegen keine unmittelbare Aussage. Die für den Ersatz einer konkreten Beeinträchtigung maßgebliche Erfolgsverantwortung richtet sich ausschließlich nach dem Risikoprinzip als Zurechnungsprinzip. Eine solche „Vorstufe“ der Erfolgszurechnung ist auch der Verschuldenshaftung geläufig. Beispielsweise ist bei der Verantwortung für Erfolge, die durch pflichtwidriges Unterlassen verursacht werden, die Pflichtigkeit und damit die Zurechnung der Pflichtengrundlage zu begründen. 58 Erst aus dem eingetretenen Erfolg auf das Bestehen einer entsprechenden Verkehrspflicht zu Deshalb sind die perspektivischen Ausführungen von Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470 mit Vorsicht zu genießen, was er allerdings selbst andeutet (Fn. 12). In diese Richtung auch ders., Festschrift Heldrich, 11, 26. 54 Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 4; Deutsch, Festschrift Steffen, 101 ff.; Bamberger/Roth/Fritzsche, § 904 Rn. 1; Konzen, Aufopferung, S. 107 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 655; Roth, in: Roth/Lemke/Krohn (Hrsg.), Aufopferungsanspruch, 1; MünchKommBGB/Brückner, § 904 Rn. 1; Erman/Wilhelmi, § 904 Rn. 1; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 6; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 4. 55 Vgl. Deutsch, Festschrift Steffen, 101, 102; Konzen, Aufopferung, S. 101 ff.; Roth, in: ders. u.a. (Hrsg.), Aufopferungsanspruch, 1; MünchKommBGB/Brückner, § 904 Rn. 1; Erman/Schiemann, Vor § 823, Rn. 7 sowie die Nachw. in der Fußnote zuvor. Zu Aufopferungsgedanke und Begünstigtenprinzip S. 176 ff. 56 Vgl. etwa Deutsch, Haftungsrecht, S. 406 f.; Hübner, Karlsruher Forum 1983, 126, 127 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 604 ff. 57 Hierzu eingehend S. 152 ff. 58 Vgl. hierzu etwa Wilhelmi, Risikoschutz, S. 182 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 412. Zur Verantwortung für Gefahrenquellen als Grundlage der Verkehrspflichten vgl. auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 400 f., 403. 53

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schließen, wäre zirkelschlüssig und wertungswidersprüchlich, weil die Pflicht nicht im Subjekt gründet. Es muss deshalb bereits eine Gefahr, die dem Erfolg vorgelagert ist, dem Haftungsadressaten zugerechnet werden können, damit die entsprechende Gefahrbeherrschungspflicht entsteht. 59 Denn nur, weil eine Gefahr für die Rechtsgüter anderer besteht und eine Person fähig ist, diese Gefahr abzuwenden, erwächst dieser Person noch keine Pflicht zur Gefahrenabwehr. Positive Regelungen dazu, wann auf Schadensvermeidung gerichtete Pflichten bei „fremden“ Gefahren entstehen, sieht das deutsche Zivilrecht, im Gegensatz zu Art. 4:103 PETL 60, nicht vor. Lediglich aus § 323c StGB ergeben sich Verhaltenspflichten bei eingetretenen Unglücksfällen und die Allgemeinheit betreffenden Gefahren- oder Notlagen61. Die Zurechnung auf der Ebene des Haftungsgrundes bildet in beiden Beispielen die ethische Legitimation der abstrakten Verantwortung für Schadensrisiken, die in der Verschuldenshaftung in einer Verhaltenspflicht mündet, die diese Risiken zu vermeiden bezweckt. 59 Plakativ sind etwa die §§ 836 ff. Diese Vorschriften beinhalten explizit normierte Verkehrspflichten (allgemeine Ansicht, vgl. etwa Erman/Schiemann, § 836 Rn. 1; Bamberger/Roth/Spindler, § 836 Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 836 Rn. 2; BGHZ 55, 229, 235; 58, 149, 156). Die Zurechnung der Pflicht gründet dabei jeweils auf dem Willen, zum einen in der Form des Eigenbesitzwillens (§ 836 Abs. 3 BGB), zum andern in der Form der Übernahme der Pflicht. 60 Gem. Art. 4:103 PETL kann, neben dem Bestehen gesetzlicher Vorgaben, dem Hervorrufen oder Kontrollieren einer gefährlichen Situation und dem Bestehen einer besonderen Beziehung zwischen den Parteien (Garantenstellung), auch die zu erwartende Schwere des Schadens bei einem zeitgleichen geringen Aufwand, diesen zu vermeiden, eine Pflicht begründen. Die European Group on Tort Law erweiterte insoweit den Pflichtenkreis bewusst über die nationalen Haftungssysteme hinaus, vgl. Widmer, PETL, Art. 4:103 Rn. 2. Obwohl diese Zurechnung wegen der konkreten Gegebenheiten den Mindestanforderungen der Zurechnung genügt, ist dieser Ansatz nicht frei von Bedenken. Er reduziert die Lenkungswirkung der Pflicht für die primär Verpflichteten und die Vielzahl und unklare Reichweite der so begründeten Pflichten wirkt stark belastend für die „sekundär“ Verpflichteten. Muss etwa der Grundstückseigentümer, der seinen eigenen Gehweg räumt, auch bei einem oder gar allen seinen sorglosen Nachbarn ebenfalls den Schnee beseitigen, nur weil dies maximal fünf Minuten pro Grundstück dauert? Und wenn nicht bei allen, bei wie vielen und welchen? Muss er zudem im Supermarkt das auf dem Boden liegende Salatblatt (BGHZ 66, 51) entfernen, sodass der Supermarktbetreiber im Vertrauen auf die Angst der Kunden vor Haftung untätig bleiben kann? Kann dieser einfach Handfeger und Kehrblech sowie einen Wischmopp zur Verfügung stellen, auf dass die Kunden auch Pfützen, Glasscherben und andere Risikoquellen entfernen? Da aufgewendete Zeit bzw. die Arbeitsleistung nur eingeschränkt gem. §§ 670, 677 BGB ggf. in Verbindung mit § 679 BGB ersatzfähig ist, wird der primär Verpflichtete zur Untätigkeit angereizt. Zudem dürften eventuelle ersatzfähige Kleinstbeträge kaum eingefordert oder eingeklagt werden, was zu einer Verlagerung der Kosten vom Primär- auf die Sekundärverpflichteten führt. Der richtige Ansatz, um das Problem „fremder Gefahren“ zu bewältigen, dürfte deshalb in der positiven Normierung besonders wichtiger Pflichten liegen. 61 Vgl. dazu Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, § 323c Rn. 8.

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Eine grundlegende Untersuchung der zivilrechtlichen Zurechnung wird durch den Umstand erschwert, dass in der Rechtswissenschaft keine Einigkeit bzgl. der Struktur von Haftungstatbeständen, der korrespondierenden Terminologie oder auch nur dem Wesen der Zurechnung als solcher besteht. Zumeist wird überhaupt nicht zwischen Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip unterschieden und beide Aspekte werden schlicht unter „Zurechnung“ gefasst. 62 Nur teilweise wird versucht, die strukturellen Grundlagen der Haftung freizulegen. Ein durchaus ähnliches Verständnis der Struktur der Haftung, wie es hier zugrunde gelegt wird, vertritt Eike Schmidt in Fortsetzung der Lehren von Esser. 63 Er unterscheidet dabei zwischen Zurechnungsprinzipien und Haftungstatbeständen. Er ordnet allerdings die Garantie-, Vertrauens- und Gefährdungshaftung den Zurechnungsprinzipien zu, 64 während diese hier den Haftungsgrund bilden. Die hier befürwortete Unterscheidung zwischen Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip weist den Vorteil auf, dass sie eine konsistentere Systembildung ermöglicht. Die formelle Fassung von beispielsweise Delikts-, Vertrauens- und Gefährdungshaftung als Haftungsgründe berücksichtigt, dass die auf einer anderen Ebene einzuordnenden Zurechnungsprinzipien nicht immer zwingend mit einem bestimmten Haftungsgrund verbunden sind. Während beispielsweise Aufopferungshaftung und Begünstigungsprinzip, aber auch Gefährdungshaftung und Risikoprinzip, ausschließlich in diesen Kombinationen auftreten, kann die Vertrauenshaftung als Haftungsgrund sowohl in Kombination mit dem Risikoprinzip (§§ 122, 179 BGB65, § 1 Abs. 1 ProdHaftG und § 84

So etwa Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123 ff.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 58 ff.; Larenz, JuS 1965, 373 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 454; Erman/Schiemann, Vor § 823 Rn. 4 ff. 63 Esser/E. Schmidt, Schuldrecht, I 1, S. 129 ff. 64 Dies., a.a.O. 65 Zur Rechtsnatur als Vertrauenshaftung vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532 ff.; vgl. auch dens., Festgabe BGH, 129, 171 f.; Bamberger/Roth/Schäfer, § 179 Rn. 1; Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 932; MünchKommBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 3; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 36 Rn. 114, § 49 Rn. 17; Soergel/Leptien, § 179 Rn. 1; MünchKommBGB/Schubert, § 179 Rn. 2; Staudinger/Schilken, § 179 Rn. 2; Staudinger/Singer, § 122 BGB Rn. 1; BGH, NJW 2000, 1407, 1408. Zurückhaltend bzgl. § 179 BGB dagegen Prölss, JuS 1986, 169; explizit dagegen Picker, JZ 1987, 1041, 1045 f.; allgemein gegen das Rechtsinstitut der Vertrauenshaftung Flume, Allgemeiner Teil II, § 10.5, S. 132 f. 62

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Abs. 1 AMG66) als auch mit dem Verschuldensprinzip (§§ 21 ff. WpPG67) als zugehöriges Zurechnungsprinzip angetroffen werden. Welches Prinzip der Erfolgszurechnung anwendbar ist, bestimmt der jeweilige Haftungstatbestand. So 66 Bei den Risikohaftungstatbeständen § 1 ProdHaftG und § 84 AMG handelt es sich, entgegen der zumeist vertretenen Auffassung (vgl. Taschner, NJW 1986, 611, 612; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1476; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 644, 649; Marburger, AcP 192 (1992), 1, 14; Rehmann, AMG, § 84 Rn. 1; Rolland, ProdHaftG, § 1 Rn. 7; BGH, VersR 2007, 72, 73), nicht um Tatbestände der Gefährdungshaftung, sondern um solche der Vertrauenshaftung. Es fehlt an der für die Gefährdungshaftung konstitutiven besonderen Gefahr (vgl. Staudinger/Oechsler, Einl. ProdHaftG Rn. 30; MünchKommBGB/Wagner, Einl. ProdHaftG Rn. 20; Marburger, AcP 192 (1992), 1, 13; vgl. dazu BT-Drs. 11/2447, 7). Auch die relativ gesteigerten Gefahren der industriellen Massenproduktion können nicht herangezogen werden, da das ProdHaftG auch Produkte handwerklicher oder gastronomischer Kleinbetriebe (MünchKommBGB/Wagner, Einl. ProdHaftG Rn. 20) und § 84 AMG die nichtindustrielle Produktion erfasst (vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 426). Auch die alternativen Ansätze einer verschuldensunabhängigen Unrechtshaftung (Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103, 1104, 1008; ders., Festschrift Steffen, 429, 441; v. Bar, Festschrift Lange, 373, 389, 390; Schlechtriem, VersR 1986, 1033; Wieckhorst, VersR 1995, 1005, 1014) oder eines Mischsystems aus einer Haftung für Verhaltensunrecht und Gefahr (Soergel/Krause, Vor § 1 ProdHaftG Rn. 5; Staudinger/Oechsler, Einl. ProdHaftG, Rn. 27; Jenke, Haftung, S. 92; Spickhoff, Medizinrecht, § 84 AMG Rn. 2) verfangen bei der fehlverhaltensunabhängigen Risikohaftung nicht. Ein Produktfehler im Sinne des § 3 ProdHaftG kann zwar auf einer Verkehrspflichtverletzung beruhen, muss es aber nicht, da die Norm nach allgemeiner Ansicht auch die nicht auf Fehlverhalten beruhenden sog. Ausreißer (zum Deliktsrecht Soergel/Krause, Anh. III zu § 823 Rn. 20; Marburger, AcP 192 (1992), 1, 12; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 699; Wieckhorst, VersR 1995, 1005, 1014; BGHZ 80, 186, 196) erfasst (Staudinger/Oechsler, Einl. ProdHaftG, § 3 Rn. 104 m. umf. Nachw.). Auch die Theorie einer Haftung für den objektiv fehlerhaften Zustand des Produkts (Heitz, Arzneimittelsicherheit, S. 178) ist abzulehnen, da diese darauf verzichtet, einen wirklichen Haftungsgrund zu benennen. Für die Qualifikation als Vertrauenshaftung spricht § 3 ProdHaftG, der die Haftung ausschließlich an die Verletzung berechtigter Verkehrserwartungen knüpft und auch § 84 AMG liegen verletzte Sicherheitserwartungen der Konsumenten zugrunde (vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1473 ff.). Ebenso kann die Haftung anderer Personen neben dem Hersteller nach § 4 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3 ProdHaftG, die durch Fehlverhalten kaum erklärbar ist, durch die Qualifikation als Vertrauenshaftung stimmiger begründet werden (für die Haftung des Scheinherstellers gem. § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG bejahend Staudinger/Oechsler, § 4 ProdHaftG Rn. 54; BT-Drs. 11/2447, S. 19 f.; a.A. Soergel/Krause, § 4 ProdHaftG Rn. 4; MünchKommBGB/Wagner, § 4 ProdHaftG Rn. 27 m. w. Nachw.). Der im Normtext nicht vorgesehene, für die Vertrauenshaftung konstitutive Haftungsausschlusstatbestand bei Bösgläubigkeit, wie ihn etwa die §§ 122 Abs. 2, 179 Abs. 3 BGB vorsehen, lässt sich über eine teleologische Reduktion entsprechend der herrschenden Lehre zur Gefährdungshaftung (dazu Looschelders, Festschrift G. Müller, 129, 137; ders., Schuldrecht AT, Rn. 1042; Brand, Schadensersatzrecht, § 9 Rn. 20; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 642) schaffen, da der Schutzzweck der Haftung nicht eingreift, wenn der Verbraucher positiv die Fehlerhaftigkeit des Produkts kennt. Dies begründet die erforderliche verdeckte Lücke (dazu Bydlinski, Methodenlehre, S. 480; Canaris, Lücken, S. 151). Nach Canaris (FG BGH, 129, 175) würde zwar bereits die „flexiblere Lösung des

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ist die verschuldensunabhängige Zurechnung von Erfolgen, in denen sich spezifische Risiken realisiert haben, gemeinsames Element einer Vielzahl von Haftungsinstituten, die auf unterschiedlichen Gedanken beruhen. Dies umfasst etwa die Garantie- (z.B. §§ 536a68, 70169 BGB), die Gefährdungs- (z.B. § 833 S. 1 BGB, § 7 StVG, § 1 HPflG, § 33 LuftVG; § 114 BBergG70) und die Vertrauenshaftung, die Haftung für Handeln auf unsicherer Rechtsgrundlage (z.B. § 231 BGB, 71 § 717 Abs. 2 ZPO72 und dessen Parallelregelungen in §§ 302 Abs. 4 S. 2, 600 Abs. 2, 799a ZPO73 oder § 945 ZPO74) sowie die hier nicht näher zu untersuchenden unbedingten Zurechnung von fremdem Verhalten und Verschulden beim Einsatz von Hilfspersonen (§§ 31, 278 BGB). Die Vielzahl der Haftungsgründe, die mit der Zurechnung nach dem Risikoprinzip verbunden sind, verdeutlicht, dass dieses ein gegenüber den die Haftung abstrakt begründenden Gedanken verselbstständigtes und damit von ihnen zu unterscheidendes Prinzip ist.

§ 254 BGB“ (§ 6 ProdHaftG) genügen, damit die Bösgläubigkeit berücksichtigt und eine Vertrauenshaftung begründet werden kann. Es überzeugt jedoch nur ein „Alles-oder-NichtsPrinzip“, da Vertrauen als Haftungsgrund entweder schutzwürdig ist, oder eben nicht. 67 Zur Qualifikation als Vertrauenshaftung vgl. Groß, Kapitalmarktrecht, § 21 WpPG Rn. 9 m. w. Nachw.; zu §§ 44 f. BörsG a. F. vgl. Schwark/Zimmer/Schwark, §§ 44, 45 BörsG, Rn. 7; BGH, NJW 1982, 2823, 2826. 68 Vgl. Staudinger/Emmerich, § 536a Rn. 2; Erman/Lützenkirchen, § 536a Rn. 3. 69 Vgl. MünchKommBGB/Henssler, § 701 Rn. 4; Heß, Bestimmung, S. 16; Larenz, Schuldrecht II 1, § 59, S. 462; Staudinger/Werner, Vor §§ 701 ff. Rn. 5. 70 Bei § 114 BBergG handelt es sich nach umstrittener aber zutreffender h.M. um einen Tatbestand der Gefährdungshaftung (a.A. Staudinger/Kohler, § 121 BBergG Rn. 2, 35 m. w. Nachw. zum Streitstand). Die Annahme eines Mischtatbestandes aus Aufopferung- und Gefährdungshaftung überzeugt nicht. Auch die Begründung der Aufopferungshaftung mittels einer genuin bergrechtlichen Duldungspflicht gem. §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 BBergG vermag mangels einer Stütze derselben im Gesetz, sowie systematisch in Anbetracht der Haftungshöchstsumme gem. § 117 BBergG und der gem. § 121 BBergG zugelassenen Konkurrenz zu anderen Haftungstatbeständen nicht zu überzeugen. Die mit der Duldungspflicht korrespondierende Rechtfertigung würde andere und somit auch die summenmäßig unbegrenzten Ansprüche gerade ausschließen. 71 Vgl. MünchKommBGB/Grothe, § 231 Rn. 2; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 21 Rn. 79; Staudinger/Repgen, § 231 Rn. 4; Soergel/Fahse, § 231 Rn. 4; Erman/E. Wagner, § 231 Rn. 1. 72 Vgl. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 15 Rn. 8; MünchKommZPO/Götz, § 717 Rn. 2, 7; Stein/Jonas/Münzberg, § 717 ZPO Rn. 9 m. w. Nachw. 73 Vgl. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 15 Rn. 44; Stein/Jonas/Münzberg, § 717 ZPO Rn. 58. 74 Vgl. MünchKommZPO/Drescher, § 945 Rn. 3; Stein/Jonas/Gursky, § 945 Rn. 2; BGH, NZM 2017, 68 Tz. 9.

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III. Rechtsprinzipien und Zurechnungsprinzipien Die Rechtsprinzipien kamen schon mehrfach zur Sprache. In diesen besonderen Normen sind Wertungen verkörpert, 75 die es ermöglichen, das Recht zu ordnen und zu einem kohärenten, dem Ziel der Einheit und Folgerichtigkeit entsprechenden System zu verbinden. 76 Sie dienen in der heute herrschenden Wertungsjurisprudenz 77 als Leitgedanken,78 welche das Ziel und den Zweck von Normen mitbestimmen. 79 Als richtungsgebende Maßstäbe stehen sie hinter rechtlichen Normierungen und vermögen infolge ihrer eigenen Überzeugungskraft Entscheidungen zu legitimieren. 80 Sie bilden gewissermaßen die „Tiefenstrukturen“ des Rechts. 81 Auch für diese Untersuchung sind die Rechtsprinzipien wichtig. Missverständnisse, die zu Unschärfen in der Zurechnungsdogmatik führen, wie die vermeintliche Abwägungsfähigkeit der Zurechnungsprinzipien82 oder der angebliche normative Gehalt des Lehrsatzes casum sentit dominus83, rühren zumeist daher, dass die Rechtsnatur der Prinzipien missverstanden und deren Wirkung überfordert wird. Es wird häufig nur unzureichend zwischen den echten Regelungen mit prinzipieller Bedeutung, wie etwa die Zurechnungsprinzipien, 84 den für ein Rechtsgebiet charakteristischen, aber keinen unmittelbaren Regelungsgehalt aufweisenden Abwägungsergebnissen auf der Wertungsebene, wie etwa der Lehrsatz casum sentit dominus, 85 und den echten Rechtsprinzipien, wie beispielsweise das Selbstbestimmung- oder das Vertrauensprinzip,86 unterschieden. Die daraus resultierende Verwirrung, was denn nun ein „Prinzip“ ist und welche Bedeutung als Prinzipien bezeichnete Institute oder Konstellationen für das Recht aufweisen, erschweren es erheblich, die Zurechnung zu strukturieren. Es drängt sich daher auf, zunächst Klarheit über die Rechtsnatur und die Wirkweise der in der Zurechnung so bedeutsamen Rechtsprinzipien zu schaffen. Dies ist auch deshalb angezeigt, weil häufig mit Prinzipien argumentiert Canaris, Systemdenken, S. 50. Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 46 ff., 52 ff. 77 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 119 ff. 78 Vgl. Larenz, Recht, S. 23; dens., Festschrift Wilburg 70, 217, 223; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 37; Riesenhuber, System, S. 13; Canaris, Systemdenken, S. 46 „Grundwertungen“. 79 Vgl. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 8, 37; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240; Canaris, Lücken, S. 93 f. 80 Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 240; Riesenhuber, System, S. 13. 81 Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 283; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 8. 82 Dazu S. 126 ff. 83 Hierzu S. 206 ff., 211 ff. 84 Zu diesen S. 126 ff. und S. 145 ff. 85 Zu dieser Natur des Lehrsatzes S. 211 ff. und insbesondere § 216 f. (Ergebnis). 86 Zu diesen S. 130 ff., 137 ff. 75

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wird, um konkrete Zurechnungsentscheidungen zu begründen, etwa mit der Selbstbestimmung des Opfers als Grenze der Zurechnung bei den sog. Verfolgungs- und Herausforderungsfällen87 oder dem Fehlen der Selbstbestimmung beim Betreiber der Gefahrenquelle als Rechtfertigung für den Zurechnungsausschluss bei höherer Gewalt 88. Im Folgenden werden deshalb zunächst die Rechtsprinzipien grundsätzlich beleuchtet (1.). Dies ermöglicht es, Rechtsnatur und Wirkung der „Zurechnungsprinzipien“ und die daraus folgenden Vorgaben für die Zurechnungsdogmatik zu erklären (2.). Auf dieser Grundlage ist es dann möglich, das System der Zurechnung zu ordnen und immer weiter zu konkretisieren sowie zu legitimieren. 89 Schlussendlich können so sogar einzelne Zurechnungsentscheidungen in Sonderkonstellationen wertungskonsistent gerechtfertigt werden. 90 1. Die Rechtsprinzipien In der Rechtstheorie gehen die Auffassungen auseinander, inwieweit sich Prinzipien trotz ihres Normcharakters von Regelungen qualitativ unterscheiden. Regelungen sind dem positiven Recht unmittelbar zu entnehmen und werden häufig im Anschluss an Dworkin91 und Alexy92 missverständlich als Regeln („rules“)93 bezeichnet. Im Anschluss an die sogenannte strenge Trennungsthese 94 werden hier Prinzipien als Normen verstanden, die – anders als Regelungen – keine definitive, sondern lediglich relative Sollensgebote vermitteln. Sie sind abwägungsoffen und müssen mit den übrigen Prinzipien, die der Rechtsordnung immanent sind, abgestimmt werden. 95 Im Konfliktfalle wirken sie nur insoweit, wie nicht anderen Prinzipien der Vorrang zukommt. Auch

Zu den Herausforderungsfällen siehe S. 376 ff. Dazu S. 162 ff. 89 Zur Rechtfertigung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs durch die Prinzipienabwägung vgl. S. 141 ff. und insbesondere S. 267 ff. und S. 350 f. 90 Eingehend S. 341 ff. 91 Dworkin, Rights, S. 22 ff. 92 Alexy, Theorie, S. 71 ff. 93 Zur Kritik am Begriff der Regel S. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 9 Fn. 14 m. w. Nachw. 94 Im Ergebnis haben sich drei Theorien zum Verhältnis von Regelungen und Prinzipien entwickelt. Die Vertreter der sog. „strengen“ oder „starken“ Trennungsthese erachten Regelungen und Prinzipien als zwei strukturell und nicht nur graduell unterschiedliche Kategorien von Normen (vgl. Alexy, Recht, S. 177, 184). Die sog. Übereinstimmungsthese leugnet hingegen das Bestehen von Unterschieden (vgl. hierzu Alexy, Recht, S. 177, 184). Zwischen diesen Theorien steht die sog. „schwache“ Trennungsthese, welche die von der strengen Trennungsthese vorgebrachten Unterschiede zwischen den Normkategorien als überzeichnet und die Unterscheidung als eine lediglich graduelle erachtet (vgl. etwa Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 289; Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 122 f.). 95 Vgl. Alexy, Theorie, S. 75 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 36. 87

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innerhalb der strengen Trennungsthese ist freilich vieles im Fluss und umstritten. In den essentiellen Punkten besteht jedoch trotz der Vielzahl der vertretenen Nuancierungen weitgehend Einigkeit. a. Prinzipien als relative Sollensgebote Der Unterschied zwischen Prinzipien und Regelungen zeigt sich zunächst durch ihren Gebotscharakter. Dieser ist bei Prinzipien nicht definitiv ausgestaltet, sondern kann mehr oder weniger erfüllt werden. Regelungen sind im Unterschied zu Prinzipien hingegen stets definitive Gebote, die nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können. Beispielsweise ist der Regelung des § 3 S. 1 Ziff. 1 LadSchlG zu entnehmen, dass bestimmte Verkaufsstellen an Sonnund Feiertagen geschlossen sein müssen. Dabei handelt es sich um eine Regelung, da der Norm nur entsprochen oder nicht entsprochen werden kann. Prinzipien sind hingegen relative Gebote lediglich „idealen“ Sollens,96 die bestmöglich zur Anwendung gebracht werden müssen. Beispielsweise ist mit dem Selbstbestimmungsprinzip das Gebot verbunden, 97 dass der Einzelne in möglichst großem Umfang entsprechend seinem eigenen Willen handeln darf. Gebote realen Sollens entstehen erst, wenn das Prinzip oder das Ergebnis der Abwägung kollidierender Prinzipien in einer Regelung umgesetzt wird.98 Prinzipien sind Normen, die gebieten, dass eine bestimmte Rechtsfolge in einem lediglich relativ zu den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maß realisiert wird. 99 Alexy bezeichnete Prinzipien deswegen auch als Optimierungsgebote. 100 Auf berechtigte Kritik101 hin stellte er klar, dass zwischen dem zu optimierenden Gebot – dem Prinzip – und dem auf der Metaebene angesiedelten Gebot zu optimieren zu unterscheiden sei, das seiner Rechtsnatur nach eine Regelung ist.102 Die rechtlichen Grenzen der möglichen Realisierung eines Prinzips werden durch die anderen Prinzipien definiert, die 96 Ein ideales Sollen ist (nach Alexy, Recht, S. 204) jedes Sollen, das nicht voraussetzt, dass das, was gesollt ist, in vollem Umfang tatsächlich und rechtlich möglich ist, das dafür aber möglichst weitgehende oder approxiomatische Erfüllung verlangt. 97 Zu diesem Prinzip Flume, Allgemeiner Teil II, § 1.1 S. 1; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 14 ff.; Singer, Selbstbestimmung, passim. 98 Vgl. Alexy, in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 31, 38 f.; dens., Recht, 177, 203 f.; vgl. auch Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 38. 99 Vgl. Alexy, Theorie, S. 75 f.; ders., in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 31, 32; Sieckmann, Regelmodelle, S. 78; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 329; vgl. auch dens., Rechtsgrundsätze, S. 122; krit. für privatrechtliche Rechtsprinzipien Riesenhuber, System, S. 13. 100 Vgl. Alexy, Theorie, S. 75 f. 101 Vgl. Sieckmann, Regelmodelle, S. 65, der zutreffend darauf hinweist, dass Optimierungsgebote die für Regelungen charakteristischen Eigenschaften strikter Geltung bzw. definitiver Erfüllbarkeit aufweisen. 102 Vgl. Alexy, in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 31, 38 f.; vgl. auch Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 330.

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zu berücksichtigen und in der Abwägung vorrangigen sind. 103 Das tatsächlich Mögliche bestimmt der maßgebliche Realitätsausschnitt. Beispielsweise kann die Selbstbestimmung mit dem Prinzip des Güterschutzes in Konflikt geraten, wodurch Schranken der möglichen Selbstbestimmung, wie insbesondere Verhaltensverbote, begründet werden, beispielsweise wenn mit einem anlasslosen Verhalten ein hohes Risiko schwerer Verletzungen anderer verbunden ist. Prinzipien weisen als Normen, im Gegensatz zu reinen Werten, bereits eine Zweiteilung in Anwendungsbereich und implizierte Rechtsfolge auf, 104 die jedoch noch nicht zu Tatbestand und Rechtsfolge konkretisiert sind. 105 Sie sind der unmittelbaren Anwendung nicht zugänglich, sondern bedürfen der Transformation auf die Regelungsebene.106 Dies gilt auch für – regelmäßig bereichsspezifische – Konkretisierungen grundlegender Prinzipien, die zumeist einen sehr hohen Abstraktionsgrad aufweisen. Diese werden häufig als Unterprinzipien bezeichnet. Solch ein Unterprinzip, und damit Konkretisierung der Privatautonomie,107 ist beispielsweise die Vertragsfreiheit im Schuldrecht. Diese Unterprinzipien können einen eigenständigen rechtsethischen Gehalt aufweisen. Sie teilen allerdings stets die Rechtsnatur der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien.108 Mit dem zuvor Ausgeführten darf jedoch nicht die Aussage verbunden werden, dass für die Annahme einer Regelung auch stets eine positive Kodifikation erforderlich wäre. Es ist etwa allgemein anerkannt, dass das Prinzip der Vertragsfreiheit unmittelbar anwendbar ist. Larenz bezeichnet diese Prinzipien als „rechtssatzförmige Prinzipien“, die nicht nur ratio legis, sondern selbst lex seien. 109 Spezifische Unterprinzipien können also auch ohne positive Normierung als Regelung wirksam sein. 110 Der Gesetzgeber erachtete diese Grundsätze, beispielsweise das bereits erwähnte Prinzip der Vertragsfreiheit oder das

Vgl. Alexy, Recht, S. 204. Vgl. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 51. 105 So jedoch Canaris, Systemdenken, S. 51; ders. Lücken, S. 124; ähnlich Riesenhuber, System, S. 13 „im Ansatz tatbestandsmäßige Ausbildung“; krit. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 122; dagegen auch Larenz, Festschrift Wilburg 70, 217, 222. 106 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 57; Larenz, Festschrift Wilburg 70, 217, 222. 107 Die Privatautonomie ist wiederum ein Unterprinzip des Selbstbestimmungsprinzips. 108 Vgl. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 50 f. In diese Richtung auch Bydlinski, System, S. 36. Grund- und Unterprinzip dürfen allerdings nicht zugleich in die Abwägung als eigenständige Abwägungsfaktoren mit eigenem Gewicht einbezogen werden, sofern im Unterprinzip kein eigener Wertgehalt zum Ausdruck kommt, da dies die Abwägung verfälschen würde. 109 Larenz, Methodenlehre, S. 479. 110 Vgl. Canaris, Lücken, S. 94. Für die Anwendbarkeit als Prinzip Riesenhuber, System, S. 13. Nach Larenz, Methodenlehre, S. 480 soll der „Unterschied“ der rechtssatzförmigen Prinzipien zu Rechtsnormen mit sehr weit gefassten Tatbeständen darin bestehen, dass ihnen im Gesamtzusammenhang einer Regelung eine „herausragende, eben prinzipielle Bedeutung 103

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der Formfreiheit von Verträgen, als so selbstverständlich, dass er sich darauf beschränkt hat, deren Ausnahmen zu normieren. Infolgedessen handelt es sich jedoch gerade nicht mehr um abwägungsoffene, zu optimierende Prinzipien. Vielmehr hat der Gesetzgeber, durch das Normieren der Ausnahmen, diese Unterprinzipien – mittelbar – selbst zur Regelung und somit zu Geboten realen Sollens erhoben. Den positiv normierten oder im Wege der Rechtsfortbildung gewonnenen Ausnahmetatbeständen zu diesen „Prinzipien“,111 wie beispielsweise den gesetzlichen Kontrahierungszwängen oder Formvorschriften, liegt dabei jeweils eine Abwägung mit den Prinzipien zugrunde, die die Grundlage der ungeschriebenen Regelung bilden und mit diesen teilweise deckungsgleich sind. Prinzip und korrespondierende ungeschriebene Regelung sind dabei allerdings stets zu unterscheiden. b. Kollisionsverhalten von Prinzipien Aufgrund ihrer Natur als relative Sollensgebote, die auf Optimierung gerichtet sind, unterscheiden sich Rechtsprinzipien von Regelungen auch durch ihr Kollisionsverhalten. Der Konflikt von Regelungen bedingt, dass stets eine der widerstreitenden Normen unwirksam wird, sofern nicht ein Ausnahmetatbestand vorhanden oder die Norm eine Ausnahme zur anderen112 ist.113 Die maßgeblichen Kollisionsregeln sind etwa lex posterior derogat legi priori oder lex superior derogat legi inferiori. Prinzipienkonflikte werden hingegen auf andere Weise aufgelöst. Im Konfliktfall zwischen zwei Rechtsprinzipien einer Rechtsordnung114 setzt sich dasjenige durch, dem in der konkreten Konstellation das größere Gewicht („dimension of weight“)115 zukommt (bedingte Vorrangrelation). Die widerstreitenden Prinzipien bleiben jedoch unverändert gültig und der Konflikt kann unter anderen Umständen abweichend aufgelöst werden.116 Infolge der Abwägungsoffenheit sowie des Gebots optimierter Realisierung zukommt“. Ihr Sinngehalt weise über den rechtsatzförmig formulierten Inhalt hinaus auf das Grundprinzip hin. 111 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 480, dessen Annahme, dass das Fehlen eines Ausnahmetatbestandes zu den rechtssatzförmigen Rechtsprinzipien eine Gesetzeslücke darstellen könne, deren Regelungscharakter belegt. 112 Dies begründet zwar auch eine für Prinzipien typische Vorrangrelation. Diese ist aber im Unterschied zur Prinzipienkollision keine vom Einzelfall abhängige, sondern eine absolute, die weitere Normkonflikte ausschließt. Vgl. hierzu Alexy, Recht, S. 193. 113 Vgl. hierzu Alexy., in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 31, 33; dens., Recht, S. 193 f. 114 Bei der Frage der Zugehörigkeit von Prinzipien zur Rechtsordnung dürfte es sich um das größte Problem der Prinzipientheorie handeln. Die zugehörigen Prinzipien müssen methodisch korrekt, insbesondere durch Induktion aus der Gesamtheit der geltenden Regeln, ermittelt werden. Vgl. hierzu Canaris, Lücken, S. 97 ff. 115 Dworkin, Right, S. 26 f. 116 Vgl. Alexy, in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 31, 33 f.; Riesenhuber, System, S. 14; vgl. auch Canaris, Systemdenken, S. 53, 115.

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hat dies zugleich zur Folge, dass situativ nachrangige Prinzipien stets nur soweit zurücktreten, wie dies unbedingt erforderlich ist. 117 Der Vorgang lässt sich als Abwägungsgesetz formulieren: Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, desto wichtiger muss es sein, das andere Prinzip zu erfüllen. 118 Insbesondere im Zivilrecht liegen Regelungen häufig verschiedene Prinzipien zugrunde. 119 Die beteiligten Prinzipien können aufgrund einer gleichen Ausrichtung ergänzend und verstärkend wirken, aber auch zueinander in Gegensatz oder Widerspruch treten. 120 Gegensatz und Widerspruch sind allerdings nicht in dem Sinne zu verstehen, dass unterschiedliche Prinzipien mit diametralen Wertungen zugleich Bestandteil der Rechtsordnung sein können.121 Die widerstreitenden, aber grundsätzlich zu vereinbarenden Prinzipien können jedoch in der konkreten Situation jeweils eine abweichende Entscheidung implizieren. Canaris stellte deshalb zutreffend fest, dass „Prinzipien ihren eigentlichen Sinngehalt erst in einem Zusammenspiel wechselseitiger Ergänzung und Beschränkung [entfalten]“. 122 Diese komplexe Abwägungssituation bei der Kollision mehrerer Prinzipien weckt Assoziationen zur Lehre vom beweglichen System Wilburgs. 123 Bei der Prinzipienabwägung handelt es sich jedoch nicht um einen Anwendungsfall des beweglichen Systems, 124 sondern genau umgekehrt bei diesem um ein Mittel, um die Vorgaben der Prinzipienebene zu verwirklichen. 125

Vgl. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 330. Vgl. Alexy, Theorie, S. 146; ders., in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 31, 36; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 330. 119 Vgl. Bydlinski, System, S. 25 ff.; Canaris, Systemdenken, S. 53 ff. Allgemeiner Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 27. 120 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 53; Sieckmann, Regelmodelle, S. 167; Bydlinski, System, S. 26; Riesenhuber, System. S. 14; vgl. auch Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 52. 121 Vgl. Larenz, Recht, S. 24; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 42. 122 Canaris, Systemdenken, S. 55; so auch Riesenhuber, System, S. 14. 123 Vgl. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 126 f.; dens., in: Schilcher u.a. (Hrsg.), Regeln, 9, 19; dens., AcP 204 (2004), 309, 331 ff.; grundlegend zum beweglichen System, Wilburg, Elemente, 1941; dens., AcP 163 (1964), 346. 124 So aber Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 127. 125 So Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 27. Englisch (a.a.O.) stellt diesbezüglich fest, dass eine Übertragung der Erkenntnisse vom beweglichen System es ermöglicht, auf ein ausgearbeitetes Konzept zur Abwägung komplexer, weil vielseitiger Prinzipienkollisionen zurückzugreifen. 117

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c. Abgrenzung von Wertprinzipien und Strukturprinzipien Durch Prinzipienabwägung gewonnene Ergebnisse (Vorrangrelationen) erfahren teilweise eine gewisse Verselbstständigung, wie beispielsweise das „Prinzip objektiver Auslegung“ von Willenserklärungen. 126 Diese häufig als „Prinzipien“ bezeichneten Abwägungsergebnisse weisen jedoch keinen eigenständigen ethischen Gehalt auf und sind keine wiederum abwägungsfähigen Prinzipien. Würden sie als Prinzip qualifiziert werden, hätte dies zur Folge, dass diese Prinzipien ihrerseits in die Abwägung im Einzelfall einzubeziehen wären und diese durch das „neue“, ebenfalls zu optimierende Gebot verfälscht würde. 127 Würde man beispielsweise das „Prinzip objektiver Auslegung“ und verstärkend Vertrauensprinzip, das dieses mitbegründet, zugleich berücksichtigen, etwa um die Lückenhaftigkeit einer Regelung aufzuzeigen, käme dem doppelt berücksichtigten Vertrauen ein nicht gerechtfertigtes Gewicht zu. Hierdurch würden gegenläufige Prinzipien, wie etwa die Selbstbestimmung, übermäßig eingeschränkt. Diese als Prinzip bezeichneten Abwägungsergebnisse haben zwar keine rechtsgestaltende, aber dennoch eine wichtige deskriptive Funktion. So beschreibt etwa das „Prinzip objektiver Auslegung“ das Ergebnis einer durch die Prinzipienebene vorgegebenen Auslegung der Normen §§ 133, 157 BGB. Englisch bezeichnet derartige Prinzipien, in Abgrenzung zu den axiologischen, Rechtsnormcharakter aufweisenden „Wertprinzipien“, als „Strukturprinzipien“, die lediglich deskriptive Sätze sind. 128 Dieser überzeugenden Begriffswahl wird hier gefolgt. Strukturprinzipien lassen sich aus mehreren Wertprinzipien, die sich ergänzen oder kollidieren, ableiten, 129 und charakterisieren einen gesetzgeberischen Grundansatz, der für eine bestimmte Rechtsmaterie prägend ist. Beispiele sind etwa der numerus clausus der Sachenrechte und die Typenfreiheit im Schuldrecht. 130 Auch das bereits mehrfach angesprochene Strukturprinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung beschreibt lediglich

Hierzu noch S. 138 f. Vgl. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 50 f.; Sieckmann, Regelmodelle, S. 168. Natürlich ist es möglich, das Abwägungsergebnis als „Repräsentant“ der ihm zugrunde liegenden Wertungen in die Abwägung einzubeziehen, um zu vermeiden, dass die Abwägungen von Grunde auf durchgeführt werden müssen. Es wäre jedoch verfehlt, das Abwägungsergebnis und zur Verstärkung die ihm zugrunde liegenden Wertungen zu berücksichtigen. 128 Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 34 ff.; ähnlich Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 284. 129 Canaris, Lücken, 95, unterscheidet hingegen zwischen Prinzipien mit axiologischem Charakter und solchen „rechtstechnischer Art“, wobei Letztere nur der Verwirklichung der hinter ihnen stehenden Grundentscheidungen dienen und wertneutral seien; vgl. auch Larenz, Recht, S. 28. 130 Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 34 f. 126

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die Wertungen für das gesamte Zivilrecht, die durch die Anerkennung der Person131 und den Gleichheitssatz als Wertprinzipien vorgegeben werden. Strukturprinzipien beschreiben also bereichsspezifische Vorrangentscheidungen zwischen im Konflikt stehenden Wertprinzipien und treffen – insoweit zutreffend – „prinzipielle“ Aussagen. Gerade weil sie Ausdruck einer bereichsspezifischen Vorrangentscheidung sind, können sie auch anstelle der hinter ihnen stehenden Wertprinzipien genutzt werden, um Lücken im Gesetz festzustellen.132 Die Bedeutung der Strukturprinzipien im Recht ist entsprechend, trotz ihrer rein deskriptiven Natur, immens. d. Bindungswirkung der Prinzipien für die Regelungsebene Welche Wertprinzipien in welcher Gewichtung in einer Regelung verwirklicht sind oder zur Systemkonformität verwirklicht sein sollten, ist nicht nur von theoretischer Bedeutung. 133 Vielmehr kann, mit der gebotenen Zurückhaltung, 134 durch diese Erkenntnis festgestellt werden, dass eine Regelung lückenhaft ist und gegebenenfalls diese Lücke auch geschlossen werden. 135 Eine auf die Prinzipienebene gestützte Rechtsfortbildung ist jedoch mit erheblichen Anforderungen verbunden. Wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers ist eine solche nur dann gerechtfertigt, wenn das mit dem Normtext nicht übereinstimmende Ergebnis der Prinzipienabwägung eine Korrektur der lückenhaften Norm zwingend erforderlich macht, damit die wertungsmäßige Einheit und Folgerichtigkeit des Gesetzes wiederhergestellt wird. 136 Aus der Prinzipienebene folgt zudem eine relevante Bindungswirkung für die Regelungsebene. Diese variiert jedoch abhängig vom Adressaten erheblich. Der Gesetzgeber ist bei der Rechtssetzung nur durch Art. 3 GG in der Form des Willkürverbots an das innere, auf Prinzipien beruhende System137 eines einfachgesetzlichen Regelungskomplexes gebunden und verfügt deshalb über einen erheblichen Gestaltungsspielraum. 138 Dem Richter kommt ein derartig

Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 9 ff.; vgl. auch Larenz, Recht, S. 46. So auch Canaris, Lückenfeststellung, S. 95 zu den von ihm sog. Prinzipien „rechtstechnischer Art“. 133 Vgl. etwa S. 106 ff. 134 Vgl. Röhl/Röhl, Rechtslehre, S. 289. 135 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 95 ff.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 55 f.; Riesenhuber, System, S. 16 f. 136 Vgl. hierzu Canaris, Lücken, S. 93 ff. 137 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 46 ff.; Bydlinski, System, S. 31–51; einschränkend Riesenhuber, System, S. 19 ff. 138 Vgl. hierzu Canaris, Systemdenken, S. 125 ff.; Bydlinski, System, S. 33 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 18; Riesenhuber, System, S. 13 f.; BVerfGE 18, 315, 334; 81, 156, 206 f.; 104, 74, 87. Nach BVerfGE 104, 74, 87 und BVerfGE 124, 199, 223 indiziert die Systemwidrigkeit einer Regelung einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und das 131

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weiter Spielraum nicht zu. Grenzen setzen ihm seine verfassungsmäßige Stellung und insbesondere seine Gesetzesbindung gem. Art. 20 Abs. 3 GG. Der Richter ist deshalb bei der Auslegung von Normen und der Rechtsfortbildung durch die im einfachen Recht verwirklichten Vorrangrelationen und die anzuwendenden Prinzipien im inneren System einer Normgruppe oder sogar einer einzelnen Regelung gebunden. Besonders relevant wird diese Bindung des Richters bei Normen, die tatbestandlich an ein Merkmal anknüpfen, dem ein bewegliches System zugrunde liegt. Diese bedürfen in besonderem Maße einer Konkretisierung durch den Richter. Solch ein bewegliches (Sub-)System liegt beispielsweise durch die Sorgfaltspflichten dem zivilrechtlichen Verschulden als Regelung139 zugrunde, 140 dessen „Elemente“ die dem Verschulden zugrunde liegenden Prinzipien umsetzen und auch umsetzen müssen. 141 Das in einzelnen Regelungen grundsätzliche „starre“ Verhältnis der Prinzipien (Vorrangrelation) ist in solchen Subsystemen aufgelockert und die Abwägung seiner Elemente muss anhand des relativen Gewichts der in diesen verkörperten Prinzipien vorgenommen werden. Der Richter ist dabei verpflichtet, bei der Formulierung von konkreten Verhaltensgeboten – also den Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflichten – dem jeweiligen relativen Gewicht der dem Verschuldensprinzip zugrunde liegenden Prinzipien zu entsprechen, das durch die konkrete Situation bestimmt wird. Es ist ihm verwehrt, einzelne Prinzipen willkürlich unbeachtet zu lassen. 142 Das konkrete Verhaltensgebot kann zwar, wegen der lediglich die Richtung vorgebenden Prinzipien oder Elemente im Subsystem, nicht im Wege strenger Deduktion ermittelt werden. 143 Durch eine „rahmenhafte Deduktion“ lässt sich

BVerfG stellt erhebliche Anforderungen an die Rechtfertigung der Abweichung vom System. 139 Hierzu unten S. 126 ff. 140 Allgemein Riesenhuber, System, S. 15 f. Vgl. zum beweglichen System der Verkehrspflichten v. Bar, in: Bydlinski u.a. (Hrsg.), System, 63, 69 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 414; Pick, Verkehrspflichten, S. 112; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 88; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 168; dagegen Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 184 f. 141 Eingehend S. 138 ff. Allgemein zur Wirkung von Prinzipien im beweglichen System Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 27. Die „Ersetzbarkeit“ von Elementen ist nur insoweit gegeben, wie die Abwägung derselben den Vorgaben der Prinzipienschicht noch genügt, vgl. etwa Canaris, Systemdenken, S. 78 f. 142 Natürlich können theoretisch einzelne Prinzipien vollkommen zurücktreten. Dies muss aber durch die erfolgte Abwägung infolge des relativen Gewichts der Prinzipien begründet sein. 143 Vgl. Riesenhuber, System, S. 16; a.A. Dworkin, Rights, S. 105, 117, nach dem theoretisch die konkrete Regelung bereits aus dem relativen Gewicht der Prinzipien bestimmt wird. Fähig zu dieser Deduktionsleistung ist aber nur ein übermenschlicher Jurist, den Dworkin als „Hercules“ bezeichnet.

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allerdings den Vorgaben der Prinzipienebene ein begrenztes Spektrum systemkonformer Regelungen entnehmen. 144 Dem Richter verbleibt deshalb lediglich ein gewisser, auf eben diesen Rahmen beschränkter Abwägungsspielraum. 2. Die Zurechnungsprinzipien Der Versuch, die verschiedenen „Zurechnungsprinzipien“ einer bestimmten Klasse von Normen zuzuordnen, erweist sich als schwierig. Dies resultiert aus dem Umstand, dass „Zurechnungsprinzipien“ in verschiedener Form und mit verschiedener Funktion im Haftungsrecht anzutreffen sind. Dabei ist die Bezeichnung als „Prinzip“ im Hinblick auf deren Rechtsnatur nicht immer gerechtfertigt. Es ist insoweit zunächst zwischen den unmittelbar dem Haftungstatbestand zugehörigen Zurechnungsprinzipien und den hinter diesen stehenden Wertungen in der Form von Zurechnungswertprinzipien zu unterscheiden. Als weitere Ausprägung sind auch die dem Haftungsgrund immanenten Zurechnungsprinzipien in die Betrachtung einzubeziehen. Eine präzise Unterscheidung ist dabei nicht nur von rein akademischem Interesse, da ausschließlich Wertprinzipien unmittelbar der Abwägung zugänglich sind. Ausnahmen von als Regelungen zu qualifizierenden „Prinzipien“ können nicht durch reine Abwägung gewonnen und zur Anwendung gebracht werden. Diese müssen im Wege der Rechtsfortbildung begründet werden. Eine auf die Prinzipienebene gestützte Rechtsfortbildung ist wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers jedoch nur dann zulässig, wenn das nicht mit dem Normtext übereinstimmende Ergebnis der Prinzipienabwägung es zwingend erforderlich macht, die festgestellte Lückenhaftigkeit des Gesetzes zur Wiederherstellung wertungsmäßiger Einheit und Folgerichtigkeit zu korrigieren.145 Dies dürfte nur selten gegeben sein. Ergänzend muss die Rechtsfortbildung im Einzelfall auch zulässig und möglich sein.146 a. Die Rechtsnatur der Zurechnungsprinzipien Betrachtet man die Zurechnungsprinzipien147 in der Form des Verschuldensprinzips, des Risikoprinzips und des Begünstigtenprinzips genauer, so muss man feststellen, dass diese keine Wertprinzipien sind. Sie geben eine definitive Aussage über die Verantwortung des Zurechnungssubjekts ab. Ist ihr Tatbe-

Vgl. Bydlinski, System, S. 37 ff.; Riesenhuber, System, S. 16; ähnlich Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 66 f., 68. 145 Vgl. hierzu Canaris, Lücken, S. 93 ff. 146 Vgl. insoweit Canaris, Systemdenken, S. 116 ff.; dens., Lücken, S. 172 ff. 147 Zu den einzelnen Zurechnungsprinzipien noch eingehend S. 145 ff. 144

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stand erfüllt, tritt die Rechtsfolge rechtliche Verantwortung und damit die Erfolgszurechnung ein. 148 Hat beispielsweise das Zurechnungssubjekt vermeidbar sorgfaltswidrig gehandelt, ist es nach dem Verschuldensprinzip für den Erfolg verantwortlich.149 Das Gleiche gilt bei der Zurechnung nach dem Risikoprinzip, sofern sich ein dem Zurechnungssubjekt zugewiesenes Risiko realisiert, und ebenso im Falle der Aufopferung gem. § 904 BGB bei der Zurechnung zulasten des Begünstigten. Die Prinzipien der Erfolgszurechnung sind keiner Abwägung zugänglich. So ist es nicht möglich, dass infolge kollidierender Wertprinzipien aus der Risikozurechnung eine Zurechnung aufgrund von Fehlverhalten wird. Wertprinzipien wie das Selbstverantwortungsprinzip bzw. das Prinzip des Schutzes der in der Selbstbestimmungsfähigkeit besonders beschränkten Personen sind nicht geeignet, die Risikozurechnung durch Abwägung einzuschränken. Beispielsweise haftet der Halter und Fahrzeugführer, der beim Betrieb des Kfz schuldlos einen krampfanfallbedingten Unfall verursacht, obwohl dessen Selbstbestimmung und damit dessen Selbstverantwortung in diesem Fall gegen null tendiert. Infolge ihrer Rechtsnatur als Regelung ist auch die Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip, sofern diese in den Haftungsnormen angeordnet ist, entgegen vielfacher Ansicht nicht unmittelbar der Abwägung zugänglich,150 auch nicht mit dem Risikoprinzip. Die verbreitete Sympathie für die Abwägungsfähigkeit des Verschuldensprinzips dürfte daher rühren, dass die inhaltliche Variabilität sowie die – vom Strafrecht abweichende – weitreichende Objektivität der Verschuldenszurechnung auf die Prinzipienebene rückführbar sind. Von den inhaltlich fixierten Prinzipien der Erfolgszurechnung als Regelungen abzuweichen, ist jedoch nur zulässig, wenn ein Ausnahmetatbestand vorhanden oder aber im Wege der Rechtsfortbildung geschaffen wird, was wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers151 nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist.

148 So andeutungsweise auch Alexy, in: Alexy u.a. (Hrsg.), Elemente, 217, 224, wenn er anführt, dass es sich um eine Regel handle, wenn nur ein bestimmtes Maß an Sorgfalt gefordert werde. Dagegen geht er von einem Prinzip aus, wenn ein relativ zu den rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohes Maß an Sorgfalt gefordert wird. Zwar ist der Sorgfaltsmaßstab aufgrund der Prinzipien, die diesem und somit der Verschuldenszurechnung zugrunde liegen, variabel. Dies wird noch darzulegen sein. „Geschuldet“ ist aber immer nur ein bestimmtes und eben kein optimales Maß an Sorgfalt. 149 Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Zurechnungssubjekt einen Schaden, für den es verantwortlich ist, auch zwingend zu ersetzen hat. Insoweit können Ausnahmetatbestände eine Ersatzpflicht dennoch ausschließen. 150 Anders jedoch Canaris (ders., Systemdenken, S. 54, 56, 57 f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 303 f.), Larenz, Festschrift Wilburg 70, 217, 223; Bydlinski (ders., System, S. 189 f., 201 ff.; ders., AcP 204 (2004), 309, 329, 333), welche das Verschuldensprinzip wohl auf der Prinzipienebene einordnen möchten. 151 Hierzu bereits S. 124.

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Diese regelungsförmigen Zurechnungsprinzipien selbst sind, wie alle Regelungen, ihrerseits das Produkt der auf der Prinzipienebene erfolgten Abwägung von Wertprinzipien. Dabei können einige der in die Abwägung einfließenden Prinzipien, infolge ihrer auf Verantwortungsbegründung gerichteten Zwecksetzung, als echte Zurechnungswertprinzipien bezeichnet werden. Dies lässt sich am deutlichsten am Beispiel des Verschuldensprinzips veranschaulichen. Hinter diesem stehen insbesondere die abwägungsoffenen Wertprinzipien der Selbstbestimmung und der Selbstverantwortung, ersteres im Sinne von Handlungsfreiheit, zweiteres im Sinne der Einstandspflicht für die Folgen selbstbestimmten Verhaltens, sowie die teilweise gegenläufigen Wertprinzipien des Verkehrs- bzw. Vertrauensschutzes und des Schutzes persönlicher Güter. Auf das Wertprinzip der Selbstverantwortung, als auf Verantwortungsbegründung gerichtetes und im Ausgangspunkt subjektives Zurechnungswertprinzip,152 wirken die in die Abwägung einbezogenen anderen Prinzipien ein, die ebenfalls auf optimierte Geltung ausgerichtet sind. Die Abwägung wird zutreffend dahingehend vorgenommen, dass dem zivilrechtlichen Verschulden ein objektiver Sorgfaltsmaßstab zugrunde liegt.153 Die grundsätzliche Objektivität des zivilrechtlichen Verschuldens ist dabei Folge des zivilrechtsspezifischen Kanons berücksichtigungspflichtiger Wertprinzipien, und nicht eines außerordentlichen, auf das Zivilrecht beschränkten Konflikts eines abwägungsfähigen Verschuldensprinzips mit anderen Prinzipien. Das Kollisionsresultat „objektiver Sorgfaltsmaßstab“ selbst ist ebenfalls kein eigenständiges Wertprinzip, da es keinen Wert verkörpert, der über die ihm zugrunde liegenden Prinzipien hinausgeht. Es drückt lediglich eine Prinzipienrelation aus. Es handelt sich somit um ein Strukturprinzip, das durch § 276 Abs. 2 BGB zu einem definitiven Sollensgebot und damit zur Regelung transformiert wurde. Die Regelungsqualität der objektiven Verschuldenszurechnung wird besonders durch deren Einschränkungen verdeutlicht. Von ihr wird ausschließlich durch Ausnahmetatbestände abgewichen, mit denen besonderen Realitätsausschnitten geschuldeten Vorrangrelationen auf der Prinzipienebene entsprochen wird. Dies sind beispielsweise die Haftungsanordnung nur für Vorsatz (etwa § 826 BGB) oder für eigenübliche Sorgfalt (etwa §§ 708, 1664 BGB). Das geringere Gewicht des Güterschutzes im zu § 823 Abs. 1 BGB relativ erweiterten Schutzbereich des § 826 BGB oder das geringere Gewicht des Vertrauensprinzips bei personalistischen Gesellschaften154 (§ 708 BGB) führen zu qualifizierten Anforderungen an die individuelle Verantwortung des Zurechnungssubjekts und so zu gesteigerten Voraussetzungen in der Zurechnung. Die Qualität der Ausnahmen als definitive Sollensgebote und somit Regelungen bestätigt den Regelungscharakter der Erfolgszurechnung. Auch die auf rein subjektive Hierzu bereits S. 103 ff. Zu diesem und dessen Legitimation umfassend S. 263 ff. 154 Siehe unten S. 274 Fn. 57.

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Elemente gestützten Ausnahmen innerhalb der objektiven Verschuldenszurechnung werden gerade nicht durch den situativen Vorrang gegenläufiger Prinzipien, die etwa den Schutz Unzurechnungsfähiger bezwecken, unmittelbar durch Abwägung gewonnen und somit mittels einer Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs begründet. Sie sind ebenfalls ausschließlich in der Form von Ausnahmetatbeständen kodifiziert, wie etwa die §§ 827 f. BGB. 155 Gegen die Regelungsnatur der Prinzipien der Erfolgszurechnung lässt sich auch nicht ins Feld führen, dass die Verschuldenszurechnung infolge der einzelfallabhängigen Bestimmung derjenigen Verhaltensgebote (Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflichten), die das Fehlverhalten begründen, variabel ist. Der einzelfallabhängige Inhalt dieser Sollensnormen ist zwar auf Prinzipien zurückzuführen. 156 Auch diesen Normen liegt eine Abwägung sämtlicher berücksichtigungspflichtiger Wertprinzipien zugrunde, die aufgrund der tatsächlichen Umstände in ihrem relativen Gewicht stark variieren. Die Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip selbst ist dennoch eine definitive für vermeidbares Fehlverhalten, nur eben auf der Basis eines objektiven Maßstabes. Die „Prinzipien“ der Erfolgszurechnung weisen stets ein definitives Sollensgebot auf und sind deshalb nicht als Wertprinzipien, sondern als Reglungen zu qualifizieren.157 Echte Wertprinzipien sind hingegen die dem Haftungsgrund immanenten Zurechnungsprinzipien158, die im Zusammenwirken den Haftungsgrund konstituieren. Sie geben nur berücksichtigungspflichtige Wertungen an, warum das Zurechnungssubjekt für bestimmte Risiken verantwortlich sein soll. 159 Die Bezeichnung als Zurechnungsprinzipien ist zutreffend, weil sie den Zweck verfolgen, Verantwortung zu begründen. Bezugspunkt dieser Zurechnungsprinzipien ist jedoch nicht der Verletzungserfolg, sondern beispielsweise bei der Risikohaftung ein abstraktes Risiko, etwa die spezifische Betriebsgefahr. Es muss also auch insoweit zwischen den gesetzlichen Zurechnungsprinzipien als Regelungen und den abwägungsoffenen, dem Haftungsgrund zuzuordnenden Zurechnungsprinzipien unterschieden werden.

155 Auch im Übrigen können auf das Prinzip des Schutzes der in der Selbstbestimmung besonders eingeschränkten Personen gestützte Ausnahmen nur durch Analogien zu entsprechenden Regelungen erzeugt werden, welche diese Rechtsnatur natürlich teilen. Zur Risikohaftung bereits S. 110 f. 156 Hierzu S. 139 ff. 157 In diese Richtung auch Alexy, Recht, S. 202 Fn. 91. 158 Vgl. etwa S. 112 f., 152 ff. und S. 186 f. 159 Diese Formulierung des abstrakten Wertgehalts – eigentlich ein Aussagesatz – in Gebotsform ist zwar genau genommen unpräzise. Sie ist jedoch sprachlich möglich und fördert die Verständlichkeit. Vgl. hierzu Sieckmann, Regelungsmodelle, S. 84 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 85.

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b. Die Wertungsgrundlagen der Verschuldenszurechnung Um die Wirkung der Zurechnungswertprinzipien und sonstigen Prinzipien in der haftungsrechtlichen Zurechnung zu verdeutlichen, sollen zunächst die Wertprinzipien kurz beleuchtet werden, die der Verschuldenszurechnung zugrunde liegen. Auf eine gesonderte Darstellung der Wertungsgrundlagen der Risikozurechnung wird bewusst verzichtet, da diese als Element des Haftungsgrundes stark von den einzelnen Haftungsnormen abhängig sind, die in dieser Arbeit nicht zu untersuchen sind. Auch die Wertungsgrundlagen der Zurechnung nach dem Begünstigungsprinzip werden an dieser Stelle nicht erörtert. Aus Gründen des Sachzusammenhangs erfolgt eine Auseinandersetzung mit diesen erst im Zuge der Darstellung des Begünstigtenprinzips. 160 Die Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip lässt sich auf zumindest vier Wertprinzipien zurückführen, welche sowohl dem Individuum, als auch den Interessen des Verkehrs als abstrahierte Sammlung von Individualinteressen geschuldet sind. Dies sind namentlich das Selbstbestimmungsprinzip, das Prinzip des Güterschutzes, sowie das Selbstverantwortungsprinzip und das Vertrauensprinzip. Ergänzend wirken in der Abwägung auch diverse Unterprinzipien, wie etwa das Beherrschbarkeitsprinzip oder das Prinzip des Schutzes der in der Selbstbestimmungsfähigkeit besonders beschränkten Personen. Über die vier erwähnten fundamentalen Prinzipien hinaus wird auch noch die Wirksamkeit weiterer, ebenso grundlegender Prinzipien vertreten. Angeführt werden insoweit das Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil als Ausdruck ausgleichender Gerechtigkeit und das Zurechnungsprinzip casum sentit dominus. 161 Da bezüglich Inhalt und Rechtsnatur des „Prinzips“ casum sentit dominus stark abweichende Positionen vertreten werden, wird die Rechtsfigur an dieser Stelle aus der Untersuchung ausgeklammert und einer eigenständigen, eingehenden Untersuchung (§ 6) unterzogen. aa. Selbstverantwortungsprinzip und Selbstbestimmungsprinzip Der Verschuldenszurechnung liegt vor allem das Selbstverantwortungsprinzip zugrunde. Dieses ist mit dem Selbstbestimmungsprinzip verbunden, 162 das die Siehe S. 181 ff. Das Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil befürworten etwa v Bar, in: Bydlinski u.a. (Hrsg.), System, S. 63, 69; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 400; Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 292 f.; ders. System, S. 202; Deutsch, Haftungsrecht, S. 411; Esser, Grundlagen, S. 94 f., 97 ff.; vgl. auch die Nachweise zu bb (S. 133). Für ein Zurechnungsprinzips casum sentit dominus etwa Hübner, Schadenszurechnung, S. 60, insbes. S. 65 ff. 162 Vgl. zu diesem Prinzip Flume, Allgemeiner Teil II, § 1.1 S. 1; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 14 ff.; Singer, Selbstbestimmung, passim. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 291; ders. System, S. 147 f. spricht insoweit vom Freiheitsprinzip und verbindet die 160

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individuelle Handlungsfreiheit zu optimieren sucht und eine der wichtigsten Grundwertungen der Privatrechtsordnung darstellt. 163 Das Selbstverantwortungsprinzip ist dabei das Korrelat dieser individuellen Freiheit, indem es die Wertung ausführt, dass die Folgen der individuellen Freiheitsausübung von demjenigen Rechtssubjekt zu tragen sind, das seine Freiheit gebraucht. Das Selbstverantwortungsprinzip ist auf die Zurechnung von Willens- und damit Verhaltensfolgen gerichtet.164 Es schränkt zugleich das Selbstbestimmungsprinzip ein. Die mit dem Zurechnungswertprinzip verfolgte Verantwortung für die eigenen Willensfolgen erzeugt dabei die notwendige Pflichtendimension individueller Freiheit. Erst das Wechselspiel der beiden Prinzipien bewirkt einen verantwortungsvollen Umgang mit Freiheit und bildet so einen der Grundbausteine der Abgrenzung der individuellen Freiheitssphären, welche das Privatrecht bezweckt. 165 Bedeutung und Wirkung des Prinzipienpaares werden jedoch leider, ebenso wie das im Zusammenhang mit ihnen relevante Vertrauensprinzip, vorrangig in der Auseinandersetzung um die Bindungswirkung von Willenserklärungen diskutiert,166 während die haftungsrechtliche Dimension dieser Prinzipien stark vernachlässigt wird. Dies entspricht nicht deren Bedeutung in der haftungsrechtlichen Zurechnung. Sämtliche Zurechnungserwägungen müssen infolge der Anerkennung der Subjektsqualität der Beteiligten ihren Ausgangspunkt im Selbstverantwortungsprinzip nehmen. Es wäre mit unserer Werteordnung nicht zu vereinbaren, wenn der Einzelne zum bloßen Objekt hoheitlicher Verantwortungszuweisung würde, indem sein Wille und seine Interessen vollkommen ignoriert werden. Es ist zwar aufgrund der Vielzahl regelungsbedürftiger Lebenssachverhalte nicht ausnahmslos möglich, in der Zurechnung in vollem Umfang dem Willen des selbstbestimmten Subjekts zu genügen. Ausnahmen davon, die Zurechnung über die Selbstverantwortung zu begründen, müssen Selbstbestimmung mit der Privatautonomie. Zur Unbeachtlichkeit der neuropsychologischen Zweifel an der Willensfreiheit für die an die Selbstbestimmung anknüpfende Privatrechtsordnung vgl. Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 12 ff. und speziell für die Willenserklärung Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 173 ff., jew. m. w. Nachw. 163 Vgl. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 291; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 351; Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 94 ff. Als für das Zivilrecht relevante Unterprinzipien lassen sich etwa die Privatautonomie (vgl. hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, S. 414; Flume, Allgemeiner Teil II, § 1.1, S. 1; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 17; Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 126) oder die Dispositionsmaxime im Zivilprozess anführen. 164 Vgl. auch Bydlinski, System, S. 100. Allgemein Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 106; Canaris, VersR 2005, 577, 580. Hierzu bereits S. 103 ff. 165 Vgl. hierzu Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 15; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 13 f. Speziell zum Haftungsrecht unten S. 225 ff. 166 Vgl. etwa MünchKommBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 3; Bydlinski, System. S. 150 ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 412 ff.; Flume, Allgemeiner Teil II, § 4, 8, S. 59 ff.; Hepting, Festschrift Universität Köln, 209 ff.; Singer, Selbstbestimmung, passim; Staudinger/Singer, Vorbem. zu §§ 116 ff. Rn. 14 ff.

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jedoch durch eine abweichende Vorrangrelation legitimiert sein, die den besonderen Umständen geschuldet ist.167 Die besondere Bedeutung des Selbstverantwortungsprinzips betont Bydlinski und versucht vor diesem Hintergrund – ähnlich wie Larenz und Deutsch168 – die gesamte Zurechnung auf dieses zurückzuführen. Um das zu ermöglichen, möchte er das Selbstverantwortungsprinzip weit verstehen und auf die Verantwortung für die eigene bereits rechtlich zugeordnete Interessenund Herrschaftssphäre erweitern. 169 Ein solches Verständnis der Selbstverantwortung ist jedoch nicht erforderlich. Soweit die Zurechnung nicht an den Gebrauch oder eben Nichtgebrauch des Willens anzuknüpfen vermag, wird die Verantwortung unabhängig von der Selbstbestimmung des Einzelnen zugewiesen. Erkennt man an, dass Verantwortung unabhängig vom Willen des Subjekts begründet und so dem Prinzip zweiseitiger Rechtfertigung von Pflichten genügt werden kann, ist ein Rückgriff auf solch ein überdehntes Selbstverantwortungsprinzip nicht erforderlich. Ohne eine derartige Überdehnung bleibt der Blick für die wahren Wertungen frei, welche die Grundlagen der entsprechenden Verantwortung bilden. Das Selbstverantwortungsprinzip ist ein Rechtsprinzip, dass aufgrund seiner Weite stets mit anderen Wertprinzipien kollidiert. Das Prinzip erfährt infolgedessen in der Abwägung stets Einschränkungen und setzt sich aufgrund seiner Abstraktionshöhe gegen die gegenläufigen Wertprinzipien, die ebenfalls auf Optimierung ausgerichtet sind, niemals vollumfänglich durch. Dem Zivilrecht ist entsprechend eine undifferenzierte Zurechnung sämtlicher Willensfolgen fremd. Bydlinski beschreibt es deshalb treffend als wichtiges, aber „besonders ‚schwaches’ Prinzip“. 170 Woran genau das positive Recht die individuelle Verantwortung knüpft, erhellt das Prinzip nicht, sondern es diktiert insoweit die Wertung, dass diese auf den Willen des Subjekts, und zwar als Folge seiner Qualität als solches und der damit verbundenen Freiheit, zurückführbar sein muss. 171 Bestimmend für das relative Gewicht der Selbstverantwortung sind deswegen die aus diesem Prinzip gewonnenen Unterprinzipien mit höherem Konkretisierungsgrad. Für die haftungsrechtliche Zurechnung ist dabei das Prinzip der Gefahrbeherrschung oder Beherrschbarkeitsprinzip von besonderer Bedeutung. 172 Dieses Prinzip wird zumeist vorgebracht, um die Risikoverantwortung

Hierzu auch bereits S. 106 ff. Hierzu bereits S. 103 ff. 169 Vgl. Bydlinski, System, S. 100. 170 Vgl. Bydlinski, System, S. 100 Fn. 98. 171 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 23. 172 Zur parallelen Wirksamkeit dieses Prinzips in der Rechtsgeschäftslehre vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rn. 14; als Kriterium der Verkehrspflichtendogmatik vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 122. 167

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in der Zurechnung nach dem Risikoprinzip zu begründen. 173 Es legitimiert im Zusammenspiel mit anderen Wertprinzipien eine Verantwortung für Schadensrisiken wie die Betriebs- oder Tiergefahr, aber beispielsweise auch für Erklärungsrisiken (§ 122 BGB). Es ist auch in der Verschuldenshaftung wirksam und beinhaltet einen eigenen rechtsethischen Gehalt. Beide Zurechnungsregime beinhalten die Wertung, dass derjenige für die Schadensfolgen verantwortlich sein soll, auf dessen Willen das Entstehen oder der Fortbestand einer Quelle erhöhter Gefahr, sei dies eine Anlage, das eigene Verhalten oder ein durch Untätigkeit fortbestehendes, aus der eigenen Sphäre stammendes Schädigungspotenzial, 174 zurückzuführen ist. Dabei ist es offensichtlich, dass in diesem Gedanken die Selbstverantwortung der Person wirkt.175 Die Gefahrbeherrschung vermag das relative Gewicht des Selbstverantwortungsprinzips über seine tatsächliche Dimension in der Abwägung mit anderen Wertprinzipien zu verkörpern. Je größer die durch den Willen begründete Gefahr ist, wobei auch vermeidbare gefahrerhöhende Beherrschbarkeitsdefizite zu berücksichtigen sind, und je besser die Gefahr – in verschiedenen Stadien, insbesondere bereits in der Entstehung – beherrscht werden kann, desto eher ist es angezeigt, das Zurechnungssubjekt für die Gefahrverwirklichung verantwortlich zu machen. Ein weiteres, das relative Gewicht des Selbstverantwortungsprinzips verwirklichendes Unterprinzip ist das Prinzip des Schutzes der in der Selbstbestimmungsfähigkeit besonders beschränkten Personen. 176 Es hat in Regelungen des positiven Rechts wie den §§ 104 ff., 682, 827 f. BGB Ausdruck gefunden und gerät insbesondere mit dem Vertrauensschutz im Rechtsverkehr177 in Konflikt. Der generelle Vorrang des Schutzes Geschäfts- oder Deliktsunfähiger gegenüber dem Vertrauensschutz ist sogar eine zum Strukturprinzip erstarkte Vorrangentscheidung des Zivilrechts.178 Intellektuelle oder emotionale Störungen und altersbedingte Reifedefizite verwehren es dem dennoch vollwertigen Rechtssubjekt, seine Freiheit vollkommen selbstbestimmt im Bewusstsein der 173 Vgl. Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 21; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 605; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 400; Deutsch, Haftungsrecht, S. 411; Esser, Grundlagen, S. 94 f., 97 ff.; Staudinger13/Hager, Vorbem. zu §§ 823 ff. Rn. 28; Hübner, Karlsruher Forum 1983, 126, 128 f. Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21, 25; Koziol, Festschrift Wilburg 70, 173, 178; Wilburg, AcP 163 (1964), 346. 174 Nicht die reine Herkunft der Gefahr, sondern die Befähigung des formell Zuständigen, diese zu unterdrücken, begründet die Verantwortung. Maßgeblich ist insoweit der – freilich objektivierte – Wille des Zurechnungssubjekts. 175 In diese Richtung auch Bydlinski, System, S. 203, der allerdings die von ihm vertretene Erweiterung der Selbstverantwortung für die eigene Sphäre als konstitutiv erachtet, sowie Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 608. Kritisch hinsichtlich der Gefährdungshaftung Wilhelmi, Risikoschutz, S. 18. 176 In diese Richtung Bydlinski, System, S. 139 f. 177 Zum Vertrauensprinzip unten S. 137 ff. 178 Bydlinski, System, S. 140 f. erachtet diese Vorrangrelation hingegen als materielles Prinzip.

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Eigenverantwortung auszuüben. Diese Defizite schließen es aus, dem Subjekt die Folgen seines Verhaltens gleich einer durchschnittlichen (volljährigen) Person zuzurechnen. Eine umfassende Verantwortung jenseits der individuellen Verständnisfähigkeit käme im Ergebnis vielmehr einer Aberkennung der individuellen Freiheit gleich. Wann und inwieweit das redliche Schutzbedürfnis gegenüber dem Vertrauensprinzip zurücktreten muss, bestimmt sich wiederum nach dem relativen Gewicht der Prinzipien. bb. Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil Nicht zum Kanon der auf haftungsbegründende Verantwortung gerichteten Prinzipien der Verschuldenszurechnung gehört – entgegen vielfacher Ansicht – das Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil.179 Es handelt sich durchaus um ein Wertprinzip. In der Verschuldenshaftung wirkt das Prinzip jedoch nicht, da es seinem Zweck nach nicht anwendbar ist. Das liegt daran, dass es selbst voraussetzt, dass der Schadenserfolg der Rechtssphäre des Zurechnungssubjekts zuzurechnen ist und nicht derjenigen des Beeinträchtigten. Setzt das Prinzip die zuordnende Verbindung zwischen den Rechtssubjekten voraus, kann es sie nicht zugleich erstmals legitimieren. Das Zurechnungsprinzip macht auf dieser Ebene unklare oder sogar widersprüchliche Vorgaben. Der Zuordnung entstandener Risiken oder Nachteile zu den Vorteilen der Freiheitsausübung des potenziellen Schädigers steht nämlich immer die alternative Zuordnung derselben zum Vorteil der Güterzuordnung oder der simultanen Freiheitsausübung des Geschädigten gegenüber. Den potenziellen Schädiger über die Verbindung der Schäden mit der Freiheitsausübung verantwortlich zu machen, setzt bereits die Antwort auf die Zurechnungsfrage voraus, da diese Verbindung erst durch die wertende Zurechnung als Folge der Freiheitsausübung bestimmt wird. Auch die zutreffende Einordnung des Gedankens in der ausgleichenden Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne 180 bestätigt diese Einschätzung. Die ausgleichende Gerechtigkeit betrifft stets eine konkrete Interaktion zwischen den 179 Teilweise wird auch von der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Risiko gesprochen. Für solch ein Prinzip etwa v. Bar, in: Bydlinski u.a. (Hrsg.), System, S. 63, 69; ders. Verkehrspflichten, S. 125; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 400; Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 292 f.; ders. System, S. 202; Deutsch, Haftungsrecht, S. 411; Esser, Grundlagen, S. 94 f., 97 ff.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, S. 817; Staudinger13/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff. Rn. 28; Hübner, Karlsruher Forum 1983, 126, 127 f.; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21, 25; Larenz, VersR 1963, 593, 597; ders., Recht, S. 107 f. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 413; Leser, AcP 183 (1983), 568, 598; Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 340 f.; Röthel, Jura 2012, 444; HKK/Schermaier, Vor § 276 Rn. 15; Erman/Schiemann, Vor § 823 Rn. 5. In diese Richtung auch Medicus, Jura 1996, 561, 563: Zusammenhang zwischen Nutzen und Schaden. 180 Vgl. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 292 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 605.

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Beteiligten.181 Ohne hinreichende Verbindung zwischen dem potenziellen Schädiger und dem Erfolg beim Geschädigten fehlt jedoch bereits der Anknüpfungspunkt für die logisch nachrangige Frage, ob die Interaktion ausgleichsbedürftig ist. Ob und wie ein gerechter Ausgleich zu erfolgen hat, kann überhaupt erst auf der Grundlage der durch die Zurechnung begründeten Verbindung und der so erstmals definierten maßgeblichen Interaktion beurteilt werden. 182 Wer gerechterweise für den Schaden verantwortlich und deshalb zum Ausgleich oder zum Erdulden verpflichtet ist, muss deshalb sowohl aus normtheoretischer, als auch aus rechtsphilosophischer Sicht anhand von Erwägungen bestimmt werden, die außerhalb des Prinzips liegen. Reine Kausalität vermag insoweit wegen der Äquivalenz der Verursachungsbeiträge von Geschädigtem und potenziellem Schädiger die erforderliche Verantwortung – wie auch generell – nicht zu begründen. 183 Die Unterscheidung, mit wessen Vorteilen die Nachteile „korrespondieren“, die dafür erforderlich ist, dass das Prinzips überhaupt anwendbar ist, vermag das Prinzip also nicht selbst zu leisten. Da die haftungsbegründende Zurechnung außerhalb seines Anwendungsbereichs liegt, vermag es auch keinen Beitrag zur Abwägung – auch nicht „im Nachhinein“ – zu leisten. Die haftungsbegründende Zurechnung kann nicht auf dieses Prinzip gestützt werden, und zwar weder in der Verschuldens- noch in der Risikozurechnung. 184 Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es zu misslichen

Vgl. Jansen, Struktur, S. 81. Eingehend unten S. 249 ff. In diese Richtung auch Makowsky, Einfluss, S. 13, 20 f. 183 Zur inhaltlichen Unzulänglichkeit von Kausalhaftung, Verursacher- oder Veranlassungsprinzip eingehend S. 198 ff. 184 Auch im Haftungsgrund der Risikohaftungstatbestände hat dieses Prinzip keinen eigenständigen Anwendungsbereich. Lediglich in Verbindung mit der These, dass die Anordnung der Gefährdungshaftung mit der Erlaubnis der an sich zwingend zu verbietenden, abstrakt gefährlichen Tätigkeit verbunden bzw. „deren Preis“ sei (so etwa v. Bar, Festschrift Lange, 373, 385; Deutsch, Haftungsrecht, S. 406, 408, 410; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S, 134; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, S. 817; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21; Larenz, VersR 1963, 593, 596 f.; Leßmann, JA 1989, 117, 118; Meder, JZ 1993, 539, 544; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 140 f.; BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 367; zurückhaltend Medicus, Jura 1996, 561, 564), wäre es legitim, mit dem Vorteil „Erlaubnis“ ein besonderes Gebot der Risikozuständigkeit zu verbinden. Die mit einer Gefährdungshaftung belegten Verhaltensweisen waren jedoch keineswegs verboten oder müssten dies zwingend werden (Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 46 ff. insbes. S. 48; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 606; in diese Richtung auch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 499; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 29 Fn 72). Eine generelle Verbotswürdigkeit des Betriebs von Kraftfahrzeugen, des Flug- und Bahnverkehrs, des Betriebs von Berg-, Elektrizitäts- und Wasserwerken und entsprechend der ursprünglichen Kodifikationslage jeder Form von Tierhaltung (dazu Seiler, Festschrift Zeuner, 279, 282 ff.) und heute der Haltung von Luxustieren kann auch nicht überzeugen (zu dem tatsächlich in diese Richtung deutenden RegE, BT-Drs 11/5622, S. 33, im Zusammenhang mit dem GenTG eingehend Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 49). Ebenso erscheint die Idee der Verbotswürdigkeit bei den meisten anderen Tatbeständen der Risiko181

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Ergebnissen führen würde, wenn das Prinzip auf der Ebene der Haftungsbegründung anwendbar wäre. Dieses Prinzip würde – konsequent fortgedacht – die Wertung ausdrücken, dass stets sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte für den Schaden zugleich verantwortlich sein sollen. Das vermag nicht zu überzeugen. Einen von diesem Wertungswiderspruch befreiten Anwendungsbereich hat das Prinzip im Rahmen der Haftungsbegründung bei der Aufopferungshaftung. In dieser erfolgt die Zurechnung nach dem Begünstigtenprinzip. Das Prinzip der Zusammengehörigkeit vermag infolge der Besonderheiten der den Haftungsgrund bildenden Aufopferungssituation, die in gewisser Weise „bereicherungsähnlich“ ist, die haftungsbegründende Zurechnung mit zu legitimieren.185 cc. Prinzip des Güterschutzes Zu den Wertungsgrundlagen der Verschuldenszurechnung gehört auch das Prinzip des Güterschutzes186 oder des Schutzes wohlerworbener Rechte 187. Da Geltung und grundlegende Bedeutung dieses Prinzips allgemein anerkannt sind, soll hier nur kurz auf dessen Grundlagen und seinen Einfluss auf die Zurechnung eingegangen werden. Freiheit kann nur gewährt werden, wenn auch die durch die Freiheitsausübung bedrohten oder betroffenen Rechtspositionen der anderen berücksichtigt werden. 188 Es ist eine der Grundwertungen unserer Rechts- und Sozialordnung, dass die Güterzuweisung zu achten189 und Einschränkungen individueller Freiheit aus Rücksichtnahme auf die Rechte und Interessen anderer gleichgestellter Personen hinzunehmen sind.190 Diese grundlegende Wertentscheidung steht auch hinter dem viel bemühten Grundsatz neminem laedere 191.192 Sein relatives haftung, wie beispielsweise der für Erklärungsrisiken (§ 122 BGB), der Haftung der Hersteller von Produkten (§ 1 Abs.1 ProdHaftG) oder Arzneimitteln (§ 84 Abs. 1 AMG), fernzuliegen. Ohne solch eine besondere Erlaubniswirkung begründet das Prinzip keine über das Selbstverantwortungsprinzip bzw. das Unterprinzip der Gefahrbeherrschung (dazu S. 130 ff.) hinausgehende Legitimation bzgl. der Risikozuweisung. 185 Vgl. hierzu unten S. 186 f. 186 Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 7; Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 143, der jedoch der Fehlvorstellung unterliegt, dass Normen stets ein einzelnes Rechtsprinzip zugrunde liegt. 187 Vgl. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 293. 188 Vgl. Bydlinski, System. S. 140. 189 Vgl. zum Prinzip gegenseitigen Achtens Larenz, Recht, S. 45 ff. 190 Vgl. hierzu Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 20 f.; Picker, JZ 1987, 1041, 1049; vgl. auch Prot. II, S. 2711 f. (Mugdan II, S. 1073). 191 Vgl. etwa Kant, in: von Kirchmann (Hrsg.), Metaphysik, S. 39: „Thue niemanden Unrecht (neminem laede), [...]“ unter Bezugnahme auf Ulpian (Ulp. D. 1.1.10.1.). 192 Auch Picker, JZ 1987, 1041, 1049 qualifiziert neminem laedere als Prinzip, das mit anderen gegenläufigen Prinzipien in Einklang zu bringen sei. Als Beispiel für ein gegenläufiges Prinzip nennt er für das Haftungsrecht die „Betätigungsfreiheit“. Neminem laedere

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Gewicht erfährt das Wertprinzip in der Zurechnung durch die Wertigkeit des bedrohten Rechts193 und die Intensität der das Schutzbedürfnis begründenden Gefahr. Die gegenläufige Wirkrichtung zur Handlungsfreiheit und damit zur Selbstbestimmung bedingt einen steten Konflikt, 194 der durch Abwägung der Prinzipien einschließlich des Selbstverantwortungsprinzips und dessen Unterprinzipien aufgelöst wird. dd. Vertrauensprinzip Ein weiteres wichtiges Prinzip ist das Vertrauensprinzip. 195 Das Vertrauensprinzip als Wertprinzip wirkt im Zivilrecht in zweierlei Gestalt. Es tritt zunächst als Produkt eines konkreten, zurechenbar gesetzten Vertrauenstatbestandes auf. Dieses „konkrete“ Vertrauen, wie es grundlegend von Canaris beschrieben wurde, 196 ist für diese Untersuchung nicht weiter relevant.197 Das Vertrauen wirkt darüber hinaus als abstraktes bzw. generalisiertes, verkehrsbezogenes Vertrauen. In dieser Ausprägung ist es für die Zurechnung höchst bedeutsam. Dieses Vertrauen erfordert weder einen zurechenbar gesetzten Vertrauenstatbestand, noch eine Vertrauensinvestition des sich darauf Berufenden, sondern es wird unmittelbar aus den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs legitimiert. Dieses Wertprinzip bedient gerade im Haftungsrecht ein essentielles Bedürfnis der Rechtsunterworfenen. 198 Es ist dem Menschen als sensorisch und kognitiv begrenztem Wesen, das weder alle gegenwärtigen noch die zukünftigen Gegebenheiten kennt, nicht möglich, sich in jedem Einzelfall objektiv wird auch von Riesenhuber, System, S. 16 als Prinzip qualifiziert. Tatsächlich deckt sich das Prinzip mit dem Wertprinzip des Güterschutzes. Sofern man die „Güter“ hingegen auf die Schutzgüter des § 823 Abs. 1 BGB beschränkt, kann man neminem laedere als das umfassende Prinzip verstehen. 193 Vgl. hierzu Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 144 ff.; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 141. 194 Vgl. hierzu Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 350; Staudinger13/Hager, Vorbem. zu §§ 823 ff. Rn. 12. 195 Vgl. etwa Bydlinski, System, S. 198; Canaris, Systemdenken, S. 55; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 137 f.; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 140; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 84; Larenz, Recht, S. 104; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 32; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 252; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 15; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276 Rn. 29; Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 127, der allerdings unzutreffend hohe Anforderungen an die Wirkung des Prinzips stellt (S. 128 f.); Erman/Schiemann, § 823 Rn. 80; Schneider, Abkehr, S. 127; Jauernig/Stadler, § 276 Rn. 29; Soergel12/Wolf, § 276 Rn. 75; zurückhaltend Wilhelmi, Risikoschutz, S. 234. Allgemein Bork, Allgemeiner Teil, Rn. 107. 196 Canaris, Vertrauenshaftung, 1971. 197 Relevanz weist diese Ausprägung des Vertrauensprinzips allerdings als Haftungsgrund in der Vertrauenshaftung auf, etwa in den §§ 122, 179 BGB. Dort wirkt es nicht modifizierend, sondern ausnahmsweise haftungskonstituierend und systemprägend, vgl. hierzu Canaris, ZHR 163 (1999), 206, 221; dens., Festgabe 50 Jahre BGH, 129, 193. 198 Zur Bedeutung im Übrigen vgl. etwa Larenz, Recht, S. 80 ff.

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„richtig“ zu verhalten. Eine selbstbestimmte Entscheidung zugunsten der Freiheitsausübung wäre erheblich erschwert, wenn nicht das Vertrauen in die erkennbaren oder erwartbaren Umstände geschützt wäre, weil unzählige Unwägbarkeiten zu beachten wären. Das Selbstbestimmungsprinzip drohte wegen der vielzähligen und umfangreichen Haftungsrisiken leerzulaufen. Zugleich droht ohne den Schutz des Vertrauens eine Abkehr von der Verbindung von Verhalten und Selbstverantwortung. Das Überschreiten der Sollensanforderungen des Rechts beruht nämlich nicht auf einer Entscheidung, wenn diese individuell ex ante unerkennbar waren, sodass der Verstoß dem Subjekt nicht vorgeworfen werden kann.199 Einer der moralischen Grundwerte unseres Rechts würde verblassen. Infolge des auf Optimierung gerichteten Vertrauensprinzips strebt das Zivilrecht zu Objektivität und Typisierung, wenn das Verhalten in nichtpersonalistischen Beziehungen200 bewertet werden soll, die mit diesen Defiziten belastet sind, wodurch es überhaupt erst entsprechend seiner Zweckbestimmung verkehrsfreundlich und massentauglich wird.201 Der hier relevante generalisierte 202 Vertrauensschutz steht deshalb zugleich mit dem Prinzip der Rechtssicherheit in Verbindung203 und ist mit der sozial-kollektiven Ausrichtung des Zivilrechts notwendig verknüpft. Wie beim zurechenbar erzeugten Vertrauen steht auch der generalisierte Vertrauensschutz stets unter dem Vorbehalt der Schutzwürdigkeit.204 Diese beschränkt als rechtliche, aber auch tatsächliche Grenze des Optimierungsgebots die Anwendbarkeit des Vertrauensprinzips. Die tatsächliche Grenze erfährt das Vertrauen dadurch, dass konkret fehlendes Vertrauen, im Sinne tatsächlicher Kenntnis oder objektiver Erkennbarkeit des Nichtvorliegens der Vertrauensgrundlage, die Schutzwürdigkeit des generalisierten Vertrauens und so dessen verantwortungsbeschränkende Wirkung beseitigt. Dies lässt sich anschaulich am Recht der Willenserklärungen verdeutlichen.205 So scheidet beispielsweise die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont als Zurechnung einer Willenserklärung206 aus, die ebenfalls auf einer Abwägung zwischen Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Vertrauen beruht, wenn der Erklärungsempfänger den vom Erklärenden intendierten subjektiven Erklärungsinhalt – sogar lediglich zufällig – kennt. 207 Der Erklärungsempfänger ist bezüglich der Zu den Grundlagen der Selbstverantwortung S. 103 ff., 130 ff. Siehe unten S. 271 Fn. 57. 201 In diese Richtung auch Bydlinski, System, S. 140. 202 Vgl. Hepting, Festschrift Universität Köln, 209, 223. 203 In diese Richtung Bydlinski, System, S. 198; Larenz, Recht, S. 80 f., 83. 204 Vgl. zum konkreten Vertrauen Singer, Selbstbestimmung, S. 91. 205 Zur haftungsrechtlichen Konstellation vgl. S. 131 ff., 351 f. 206 Dazu Canaris, Systemdenken, S. 55; Bydlinski, System, S. 154; MünchKommBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 3. 207 Vgl. Staudinger/Singer, § 133 Rn. 13; ders. Selbstbestimmung, S. 46; Flume, Allgemeiner Teil II, § 16.1 lit. d), S. 299 ff., § 16.2, S. 302 ff. Vgl. auch die §§ 116 S. 2, 117 199

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finalen Willensbestimmung des Erklärenden nicht schutzwürdig und zugleich ist eine Einschränkung der Selbstbestimmung des Erklärenden nicht gerechtfertigt. Rechtliche Grenzen erfährt das Vertrauen durch andere vorrangige Prinzipien oder eine nicht willkürliche Ausübung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. Derartige Grenzen des Vertrauensschutzes setzen zahlreiche Regelungen um. Beispielsweise ist infolge des absoluten Schutzes Geschäftsunfähiger gem. §§ 104 f. BGB208 weder generelles noch konkretes Vertrauen in die Geschäftsfähigkeit des Gegenübers beachtlich. Das Vertrauensprinzip tritt ebenso in den Konstellationen vollständig zurück, in denen der Gesetzgeber einem Rechtssubjekt ein „besonderes“ Risiko unabhängig von dessen Erwartungshaltung und Verhalten zuweist, weil der bedrohte Personenkreis besonders schutzwürdig ist. Dies ist etwa bei der Risikohaftung in der Form der Gefährdungshaftung anzutreffen. 209 Für verhaltensbezogene Vertrauenserwägungen ist in der Risikozurechnung von vornherein kein Raum. c. Wirkung der Prinzipienabwägung am Beispiel der Verschuldenszurechnung Die Abwägung zwischen den Wertprinzipien setzt sich innerhalb der Verschuldenszurechnung im Einzelfall fort. Die den Sorgfalts- oder Verkehrspflichten zugrunde liegende Abwägung, die schon häufiger als bewegliches System erkannt wurde, 210 erweist sich bei genauerer Betrachtung als Fortsetzung der Prinzipienabwägung, bei der das tatsächliche Moment durch die konkreten Umstände besonders betont ist. 211 Bei der Formulierung von Sorgfalts- und Verkehrspflichten handelt es sich stets um das Feststellen von Verhaltensnormen, und zwar unabhängig davon, ob dies durch formelle oder rein materielle Gesetze oder durch den Richter erfolgt. Diese Verhaltensnormen sind auch immer echte Normen, 212 gleichgültig, ob man sie als Instrument bloßer Risikozuweisung in der Form eines Ver-

Abs. 2, 118 BGB. Dazu, dass auch die objektive Erkennbarkeit den Vertrauensschutz bereits ausschließt, dieser Umstand jedoch der objektiven Auslegung bereits immanent ist, vgl. Staudinger/Singer, § 133 Rn. 13. 208 Zum Prinzip des Schutzes der in der Selbstbestimmungsfähigkeit besonders beschränkten Personen und dem zum Strukturprinzip erstarkten Vorrang des Schutzes Geschäfts- oder Deliktsunfähiger bereits oben S. 133 f. 209 Siehe hierzu S. 395 ff. 210 V. Bar, in: Bydlinski u.a. (Hrsg.), System, 63, 69 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 414; Pick, Verkehrspflichten, S. 112; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 88; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 168; dagegen Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 184 f. 211 Grundlegend oben S. 125. 212 So natürlich auch die abzulehnende Ansicht, welche Verkehrspflichten den Schutzgesetzen im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zuordnet. Für diese, vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff.; Larenz, Festschrift Dölle, 169, 193 f.; Leser, AcP 183 (1983), 568, 585 f.

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haltensstandards oder besser stets als verbindliche Verhaltensgebote versteht 213. Bestätigt wird diese Einschätzung dadurch, dass mit dem Verletzen der Verhaltensgebote anerkanntermaßen das Rechtswidrigkeitsurteil einhergeht. Sie bestimmen also, wann ein Verhalten rechtlich gebilligt oder aber missbilligt und mit Sanktion belegt ist und definieren entsprechend abschließend die Grenze legalen Verhaltens. Dies gilt natürlich vorbehaltlich vorrangiger Sonderregeln, die als Ausnahmetatbestände fungieren, wie etwa die §§ 227 f. BGB oder § 904 S. 1 BGB. Handelt es sich um Normen, so sind die maßgeblichen Wertprinzipien bei der Normsetzung in vollem Umfang berücksichtigungspflichtig und diese innerhalb ihrer tatsächlichen und rechtlichen Grenzen zur optimalen Geltung zu bringen. Deshalb ist es auch selbstverständlich, dass bei solch einer vielseitigen Abwägungssituation einzelne Prinzipien das Abwägungsergebnis nicht alleine bestimmen können. Dies wird häufig nicht hinreichend berücksichtigt, weswegen zu hohe Erwartungen an die Prinzipienebene gestellt werden. Repräsentativ bezweifelt etwa Wilhelmi die Relevanz von „übergreifenden Wertungen“. 214 Diese könnten durch andere Wertungen relativiert werden und würden nur einzelne zu berücksichtigende Aspekte betonen, ohne den Anspruch erheben zu können, allein für die Abwägung und damit auch das Ergebnis maßgeblich zu sein.215 Diese Wirkung der Wertprinzipien ist jedoch zwingende Folge ihrer Rechtsnatur in der Abwägungssituation. Bedenkt man Rahmenbedingungen, so wird es verständlich, dass die abwägungsoffenen Wertprinzipien bei der Formulierung der konkreten Verhaltensnorm (Sorgfaltsgebot) durch die tatsächlichen Gegebenheiten in ihrem relativen Gewicht variieren. Es bedarf weiterer, von Rechtsprechung und Lehre zu entwickelnder konkretisierender Kriterien, um anwendungsfähige einzelfallbezogene Verhaltensgebote überhaupt formulieren zu können. 216 Eine Deduktion der konkreten Norm allein aus den Prinzipien ist nicht möglich,217 und selbst in Verbindung mit den ergänzenden Kriterien verbleibt dem Richter, der zur Festsetzung der Norm berufen ist, noch ein gewisser Abwägungsspielraum. Trotzdem bestimmt der für ihn verbindliche Prinzipienkanon die berücksichtigungspflichtigen Wertungen und das relative Gewicht der Prinzipien den Rahmen zulässiger Regelungen. 218 Die zur Normkonkretisierung im beweglichen

213 Vgl. Soergel/Krause, § 823 Anh. II, Rn. 12; Mertens, VersR 1980, 397, 405; i.E. auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 147, 151 ff. 214 Wilhelmi, Risikoschutz, S. 231. 215 Vgl. Wilhelmi, Risikoschutz, S. 231. 216 Vgl. hierzu auch Riesenhuber, System, S. 16 f.; Canaris, Systemdenken, S. 57 f. 217 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 57 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 64f.; Larenz, Methodenlehre, S. 475; Riesenhuber, System, S. 16 f. 218 Zur „rahmenhaften“ Deduktion bereits S. 125 f.

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System verwendeten „Elemente“ bzw. Kriterien leiten sich auch aus eben diesen Prinzipien ab und finden entsprechend in diesen ihre Rechtfertigung.219 So bestimmt sich etwa das relative Gewicht des Prinzips des Güterschutzes nach dem tatsächlichen Gewicht der aus diesem Prinzip abgeleiteten Kriterien der Beeinträchtigungswahrscheinlichkeit, der voraussichtlichen Schwere der Beeinträchtigung und der Wertigkeit der bedrohten Güter in der konkreten Situation, die der Verhaltensnormsetzung zugrunde liegt. Das relative Gewicht der mit dem Selbstbestimmungsprinzip zu optimierenden Handlungsfreiheit wird insbesondere durch den Aufwand der Sorgfaltsmaßnahmen und durch die Zumutbarkeit des mit der Regelung einhergehenden Zwangs zu pflichtgemäßem Verhalten bestimmt. Das Vertrauensprinzip wirkt in diesem Zusammenhang – gelegentlich sogar unmittelbar – relativ zu seinem Gewicht auf den Sorgfaltsmaßstab ein. 220 Es wirkt beispielsweise pflichtverschärfend, indem das schützenswerte Vertrauen des Verkehrs in die Fähigkeiten der Verkehrsteilnehmer einen objektiven Mindeststandard an zu erwartender Sorgfalt begründet. 221 In anderem Zusammenhang wirkt es hingegen verantwortungsbegrenzend, etwa wenn das berechtigte Vertrauen in die Selbstschutzmöglichkeiten der Bedrohten die Anforderungen an die Sicherheitsmaßnahmen des Sorgfaltspflichtigen vermindert.222 Gerade die Selbstschutzmöglichkeiten der Bedrohten bieten die Möglichkeit, die ambivalente Wirkung des Vertrauens im Haftungsrecht zu verdeutlichen und zugleich dessen Wirksamkeit zu bestätigen. Sind die Fähigkeiten zum Eigenschutz des erwartungsgemäß durch eine Gefahrenquelle Bedrohten erkenn- oder erwartbar vermindert, beispielsweise weil dieser minderjährig oder die drohende Gefahr atypisch und unvorhersehbar ist, so erhöhen sich anerkanntermaßen die Sorgfaltsanforderungen an den Sorgfaltsverpflichteten.223 Dies ist die Konsequenz des geringeren Gewichts des Vertrauensprinzips zugunsten des Sorgfaltspflichtigen, nicht jedoch eines besonderen Gewichts des Vertrauens der Bedrohten in der entsprechenden tatsächlichen Situation. Infolge des geringeren Gewichts des Vertrauens des Sorgfaltspflichtigen erhöht

219 Die Prinzipien geben deswegen nicht nur vor, welche Elemente einzubeziehen sind, sondern begründen auch, warum das bewegliche System nicht beliebig durch weitere Elemente ergänzt werden kann. Vgl. zu Letzterem Canaris, Systemdenken, S. 79. 220 Vgl. etwa MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 427; Larenz, Recht, S. 104. 221 Eingehend S. 270 ff. 222 Vgl. Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 32; Geigel/Wellner, Haftpflichtprozess, Kap. 14 Rn. 12; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 307. 223 Vgl. etwa MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 426 ff.; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 311 f.; MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 72; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 117 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 415; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 80 f.; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 146; Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 27 mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen (Rn. E 28); Geigel/Wellner, Haftpflichtprozess, Kap. 14 Rn. 12.

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sich in der Abwägung das relative Gewicht des Güterschutzes und der Selbstverantwortung für die Folgen eigenen Verhaltens, wodurch die erhöhte Pflichtenschärfe gerechtfertigt ist. Der Sorgfaltspflichtige kann und darf nicht darauf vertrauen, dass der Gefährdete im ersten Fall die durchschnittlichen und im zweiten Fall überhaupt risikovermindernde Maßnahmen zum Eigenschutz ergreift. Gehören die in den Selbstschutzmöglichkeiten Beschränkten jedoch nicht zum erwartbar bedrohten Personenkreis, erhöhen sich hingegen die Sorgfaltsanforderungen anerkanntermaßen nicht.224 Deswegen müssen beispielsweise ein wissenschaftliches Labor oder eine Werft nicht kindersicher ausgestaltet sein. Spiegelbildlich zum zuvor Gesagten verringert sich anerkanntermaßen die Schärfe der Sorgfaltspflichten bei berechtigtem Vertrauen in die bestehenden überdurchschnittlichen Selbstschutzmöglichkeiten225, bis hin zum möglichen Ausschluss der Verantwortung bei offensichtlichen oder bekannten Gefahren, denen ausgewichen werden kann.226 Beispielsweise kann bei gut erkennbaren Schäden eines Gehwegs, die problemlos umgangen werden können, es ausgeschlossen sein, eine Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde anzunehmen. 227 Das durch die tatsächlichen Gegebenheiten relativ größere Gewicht des Vertrauensprinzips zugunsten des Haftungsadressaten bewirkt entsprechend eine Beschränkung der Zurechnung. Die in der Verschuldenszurechnung wirkenden Prinzipien geben entsprechend die berücksichtigungspflichtigen Wertungen vor und erklären, warum die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien überhaupt in die Abwägung einzubeziehen sind. 228 Auf dieser Grundlage lässt sich die Variabilität

224 Vgl. hierzu Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 415; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 318. Wäre das Vertrauen der Bedrohten bzw. Geschädigten maßgeblich, müsste eine Verschärfung der Pflichten eintreten. 225 Hierunter fällt auch der Verzicht, sich der Gefahr auszusetzen. Hierzu sehr anschaulich BGH, NJW 1978, 1628 („Tarzanschwung“ auf Spielplatz). 226 Vgl. MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 71; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 80; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 307; Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 32; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 143 f.; Voss, Verkehrspflichten, S. 55; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 426; BGH, VersR 2012, 1434 ff.; NJW 1985, 1076, 1077; 1978, 1628; OLG Hamm, NJW-RR 2016, 400, 401; OLG Stuttgart, VersR 2011, 1535, 1536; OLG Saarbrücken, NJWRR 2005, 1336. 227 Dieses Beispiel hat der BGH (VersR 2012, 1434 Tz. 11) formuliert. Im konkreten Fall hat er die offensichtliche Erkennbarkeit der Gefahr jedoch für unbeachtlich gehalten, da es der Geschädigten nicht möglich war, der Gefahr auszuweichen (vgl. BGH, VersR 2012, 1434 Tz. 11). Dies ist nur konsequent, da ausschließlich bei bestehenden Ausweichmöglichkeiten die Befähigung zum Selbstschutz besteht und das Vertrauen in diese überhaupt nur schutzwürdig sein kann. 228 So wirkt der Ansatz von Wilhelmi, Risikoschutz, S. 244, 269, den Vertrauensschutz aus § 906 Abs. 2 S. 1 BGB herzuleiten, sehr gekünstelt und kann im Ergebnis auch nicht überzeugen.

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des objektiven Sorgfaltsmaßstabs bei der Bestimmung des konkreten Sorgfaltsgebots erklären und die für den Einzelfall gebildete Verhaltensnorm auf ihre wertungsmäßige Folgerichtigkeit überprüfen. Erst die Kombination aus den maßgeblichen abwägungsbedürftigen Wertprinzipien in Verbindung mit den tatsächlichen Umständen ermöglicht so eine Bestimmung der individuellen Sorgfaltspflichten im konkreten Einzelfall, die wertungsmäßig konsistent und auch folgerichtig ist. Unterlässt es etwa der Richter, ein Wertprinzip zu berücksichtigen, so ist die festgestellte Verhaltensnorm wertungswidersprüchlich und vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes teleologischen und verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.

IV. Zusammenfassung Zurechnung im haftungsrechtlichen Sinne besagt neben der formellen Zuordnung eines Schadensereignisses zum Haftungsadressaten, dass das Zurechnungssubjekt für den Beeinträchtigungserfolg und seine Folgen verantwortlich ist und sein soll. Zurechnung erfordert eine besondere Verbindung zwischen dem Zurechnungssubjekt und dem zuzurechnenden Erfolg, die es rechtfertigt, genau dieses für ersatzpflichtig zu erklären. Bloße Verursachung im Sinne von Kausalität ist hierfür nicht hinreichend. Diese ist nicht imstande, die für die Zurechnung erforderliche Differenzierung zwischen den unendlich vielen im Schadensereignis zusammenlaufenden Ursachen und so die erforderliche Alleinstellung des Zurechnungssubjekts zu bewirken. Wann jemand für den Beeinträchtigungserfolg verantwortlich und somit „Urheber“ und nicht bloß eine weitere „Ursache“ desselben ist, bestimmen die Zurechnungsprinzipien. Die Zurechnung erfolgt zuvorderst über den Willen und somit die Selbstbestimmung des Zurechnungssubjekts. Die auf diesem Prinzip gründende Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip ist im Zivilrecht umfassend vorgesehen. Darüber hinaus ist es jedoch möglich und im Gesetzt verwirklicht, die Zurechnung willensunabhängig zu begründen. Theoretisch sind unzählige Zurechnungsbegründungen denkbar. Grundsätzliche Grenzen folgen jedoch aus der Verfassung, namentlich dem Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung von Pflichten, das das Gleichheitsgebot gem. Art. 3 GG verwirklicht. Eine nicht willkürliche Zurechnung setzt voraus, dass diese aus dem spezifischen Verhältnis der konkreten Personen zueinander gerechtfertigt ist (Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung). Darüber hinaus ist der Gesetzgeber innerhalb der Grenzen des Willkürverbots durch das von ihm selbst normierte System der Haftung gebunden. Demgegenüber wird der Richter durch das Zurechnungssystem deutlich stärker in seinen Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt. Infolge seiner Gesetzesbindung muss er das gesetzliche System bei der Rechtsanwendung konsequent und methodenehrlich umsetzen und darf dieses auch bei der Rechtsfortbildung nicht verlassen.

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Die Haftung beruht auf dem Zusammenspiel von Haftungsgrund und dem Zurechnungsprinzip. Der Haftungsgrund gibt vor, warum und unter welchen Voraussetzungen die Rechtsordnung eine Partei schützt und ihr gegebenenfalls als Gläubiger einen Anspruch gewährt. Das Zurechnungsprinzip gibt an, warum das Zurechnungssubjekt mit der Ersatzpflicht belastet werden soll. Haftungsgründe sind etwa das Delikt, die Garantie, die Aufopferung und das konkrete Vertrauen, während Zurechnungsprinzipien das Verschuldens-, das Begünstigten- oder das Risikoprinzip sind. Zurechnungserwägungen sind dabei nicht nur auf der Ebene des Zurechnungsprinzips – durchaus mehrstufig – vorhanden, sondern darüber hinaus auf der Ebene des Haftungsgrundes. „Zurechnungsprinzipien“ treten in verschiedenen Erscheinungsformen auf. Die Prinzipien der Erfolgszurechnung, namentlich das Verschuldens-, das Begünstigtenund das Risikoprinzip, sind nicht abwägungsfähige Regelungen. Ist ihr Tatbestand erfüllt, ist das Zurechnungssubjekt vorbehaltlich einer Ausnahmeregelung für den Erfolg verantwortlich. Von den Prinzipien der Erfolgszurechnung sind die Zurechnungswertprinzipien zu unterscheiden, die abwägungsoffene Rechtsprinzipien sind. Diese begründen durch Abwägung mit anderen Wertprinzipien die regelungsförmigen Zurechnungsprinzipien. Sie stehen zudem hinter den regelungsförmigen Verkehrs- oder Sorgfaltspflichten, die das maßgebliche Verhaltensgebot der Verschuldenszurechnung definieren. In dem beweglichen System der Sorgfaltspflichten bestimmen das Selbstverantwortungsprinzip, das Selbstbestimmungsprinzip, das Prinzip des Güterschutzes und das Vertrauensprinzip sowie die im Einzelfall wirksamen Unterprinzipien, warum und mit welchem Gewicht die in der Abwägung maßgeblichen Kriterien bzw. Elemente der Sorgfaltspflichtendogmatik zu berücksichtigen sind. Nicht zum Kanon der in der Verschuldenszurechnung wirksamen Zurechnungswertprinzipien gehört hingegen das Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil.

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung „Zurechnung ist Verantwortung, genauer Verantworten-Können und Verantworten-Müssen.“ (Erwin Deutsch 1)

Als nächster Schritt bei der Untersuchung der Zurechnung gilt es das Augenmerk auf die Zurechnungsprinzipien zu richten. Die „Prinzipien“ der Erfolgszurechnung2 weisen jeweils einen eigenständigen Regelungsgehalt auf und werden ihrerseits durch die Abwägung verschiedener Wertprinzipien legitimiert. 3 Diese Abwägung begründet, warum es richtig bzw. ethisch geboten ist, das konkrete Subjekt als für den Erfolg verantwortlich zu erklären, und dies gegebenenfalls sogar ohne individuelle Schuld desselben. Wie zuvor ausgeführt, stehen Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit und Ergänzung.4 Die hier relevante Frage, warum das Zurechnungssubjekt für den konkreten Erfolg verantwortlich ist, erfordert deshalb teilweise den Haftungsgrund mit in die Betrachtung einzubeziehen. Beispielsweise wird die wechselbezügliche Abhängigkeit der Bausteine der Haftung bei der eher technischen Zurechnung nach dem Risikoprinzip auf die Spitze getrieben. Bei dieser wird die Zuständigkeit für den Beeinträchtigungserfolg zuvorderst durch die Verantwortung für das Risiko selbst legitimiert, die dem Haftungsgrund zugehörig ist, und eben nicht durch die Umstände der Erfolgsherbeiführung. Die folgende Darstellung der Zurechnungsprinzipien versucht dem gerecht zu werden.

I. Das Verschuldensprinzip als Zurechnungsprinzip Das Verschuldensprinzip ist das historisch älteste Mittel, mit dem heute wie damals die individuelle Verantwortung vom Zufall abgegrenzt wird. 5 Es bestimmt, wann die Verletzung z.B. absoluter Rechtsgüter, von Schutzgesetzen Zitat nach Deutsch, Haftungsrecht, S. 59. Zu deren Rechtsnatur siehe oben S. 126 ff. 3 Allgemein hierzu S. 125 f., 128 und S. 139 ff. speziell für das Verschuldensprinzip. 4 Vgl. S. 111 ff. 5 Zu dieser Funktion auch Larenz, Zurechnungslehre, S. 61; Deutsch, Haftungsrecht, S. 58. Das Verschuldensprinzip fungiert natürlich nur insoweit als (alleiniges) Scheidemittel 1

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oder auch des Leistungsversprechens als Haftungsgrund zu einer Ersatzpflicht eines bestimmten Zurechnungssubjekts führt. In Anbetracht der zentralen Funktion des Verschuldens soll an dieser Stelle noch offengelassen werden, ob die mit dem Zurechnungsprinzip verbundene Verantwortungs- und auch Risikozuweisung überhaupt überzeugend ist. Dies wird später eingehend untersucht. 6 Das Verschulden untergliedert sich in Vorsatz und Fahrlässigkeit. Im Rahmen der Verschuldenshaftung wird nicht jede Folge selbstbestimmten Verhaltens zugerechnet. Insbesondere in der Deliktshaftung kann die Zurechnung nicht dabei stehen bleiben, den Willen des Zurechnungssubjekts zu beurteilen. Das Verhalten, an das die Haftung anknüpfen soll, muss deshalb zusätzlich als Unrecht und der Erfolg als missbilligte Folge desselben beurteilt werden können. Mindestvoraussetzung der Verschuldenszurechnung ist deshalb – unabhängig vom Verschuldensgrad – die Sorgfaltspflichtverletzung. 7 Beispielsweise rechtfertigt das vom Wunsch eines tödlichen Unfalls getragene Verschenken von Flugtickets nicht die Zurechnung eines durch einen Flugzeugabsturz eingetretenen Tötungserfolges, da sich in diesem lediglich ein erlaubtes Risiko8 realisiert. Ebenso begründet der Versuch, jemanden durch Gebete zu töten, keine Zurechnung, selbst wenn das Opfer dies wahrnimmt und aus Sorge vor göttlicher Heimsuchung oder aus Wut über den Vorgang einen tödlichen Hirnschlag erleidet. 9 Verantwortung für einen Beeinträchtigungserfolg setzt voraus, dass das Verhalten rechtswidrig ist. Die für die Zurechnung notwendige Rechtswidrigkeit begründet dabei, nach der hier vertretenen Lehre vom Verhaltensunrecht 10, einzig die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens. 11 In den

zwischen dem zu erduldenden Zufall und fremder Verantwortung, wie es nicht von anderen Zurechnungsprinzipien, insbesondere von der Risikozurechnung, überlagert wird. Zur Entwicklung von der undifferenzierten Kausalhaftung zur individualisierten Verantwortung durch das Verschulden und zur Entstehung des Zufalls in diesem Zuge vgl. § 2 (S. 39 ff.). 6 Dazu § 7 (S. 220 ff.). 7 Zur Identität von Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten, vgl. S. 278 f. 8 Hierzu U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 303 ff.; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 24, 57. 9 Dazu, dass die Kenntnis oder Erkennbarkeit einer entsprechenden besonderen Schadensanfälligkeit den Pflichtenkatalog verschärfen kann, wodurch die Zurechnung des Erfolges ermöglicht wird, vgl. S. 351 f., 371 f., 395. 10 Vgl. zu dieser Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 89; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 68 f.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 105; Münzberg, Verhalten, S. 109 ff.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276 Rn. 13; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 5 ff.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 112 ff.; Zeuner, JZ 1961, 41 ff. 11 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 58; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 105, 107 f.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276 Rn. 13. Eine zurechnungsbegründende Funktion der Verkehrspflichten nehmen etwa Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 15; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 647; Schack, Festschrift Reuter, 1167, 1173; Münch-

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Beispielsfällen scheidet deshalb mangels sorgfaltswidrigen Verhaltens die Zurechnung des Erfolges trotz Vorsatzes aus. Neben der reinen objektiven Pflichtwidrigkeit erfordert die Zurechnung ein bestimmtes subjektives Verhältnis zum Verhaltensgebot und zum Erfolgseintritt. Damit Verschulden begründet werden kann, müssen das Verhaltensgebot und die Gefahr des Erfolgseintritts für das Zurechnungssubjekt zumindest erkennbar sein. Vorsatz setzt sogar den subjektiven Willen voraus, das Verhaltensgebot zu verletzen und den rechtswidrigen Erfolg12 herbeizuführen. 13 Der zivilrechtliche Vorsatz ist deckungsgleich zum Strafrecht als echte, mit einem Unwerturteil verbundene Willensschuld konzipiert.14 In der Fahrlässigkeit erlangt das subjektive Zurechnungserfordernis hingegen neben der objektiven Pflichtwidrigkeit regelmäßig keine eigenständige Bedeutung. Nach dem im Zivilrecht herrschenden objektiven Fahrlässigkeitsbegriff15 handelt derjenige fahrlässig und damit schuldhaft, der die im Verkehr objektiv

KommBGB/Wagner, § 823 Rn. 391, 58, 68, 82; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 143 an. Zur Identität von Verkehrspflichten und deliktischen Sorgfaltspflichten vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 396; Stathopoulus, Festschrift Larenz 80, 631, 633; v. Caemmerer, Festschrift Deutscher Juristentag, 49, 72; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 173 f. m. w. Nachw. sowie unten S. 281 f. Vgl. auch Erman/H. P. Westermann, § 276 Rn. 4, der allerdings der Lehre vom Erfolgsunrecht anhängt. Jansen, AcP 202 (2002), 517, 541 weist deswegen der Rechtswidrigkeit eine eigene originäre Zurechnungsfunktion zu. Zur Differenzierung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt: Deutsch, Haftungsrecht, S. 248 ff.; ders. Fahrlässigkeit, S. 94 ff.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 172 ff.; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 16 f.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 53; Pick, Verkehrspflichten, S. 70; Raab, JuS 2002, 1041, 1047. 12 Dazu, dass sich der Vorsatz auf den Schaden als Element der Haftungsausfüllung nicht zu erstrecken braucht, vgl. S. 293 f. 13 Vgl. Erman/Westermann, § 276 Rn. 7 f.; MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 154 ff.; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 276 Rn. 10; Jauernig/Stadler, § 276 Rn. 15. 14 Vgl. HKK/Schermaier, Vor § 276 Rn.10. 15 Vgl. etwa Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 59; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 904; ders. Haftungsrecht, S. 259 f.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 74 f. 82 ff.; Larenz, Schuldrecht I, § 20 III, S. 285 ff.; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 248; Erman/H. P. Westermann, § 276 Rn. 10; Wieacker, JZ 1957, 535, 537; Soergel12/Wolf, § 276 Rn. 75; RGZ 95, 16, 17; 127, 313, 315; BGHZ 24, 21, 27; BGH, NJW 2001, 1786, 1787; NJW 2003, 2022, 2024; a.A. etwa Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1780; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 1321; U. Huber, Festschrift E. R. Huber, 251, 269 ff.; Leser, AcP 183 (1983), 568, 590; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 314 ff.

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erforderliche Sorgfalt 16 nicht beachtet. 17 Bereits das Entstehen der Sorgfaltspflicht und auch deren Umfang sind an die objektiv-typisierte Erkennbarkeit der Gefahr aus der ex ante-Sicht des Sorgfaltspflichtigen gekoppelt. 18 Entsteht die Sorgfaltspflicht, so sind Gefährdung und Verhaltensgebot nach den Maßstäben des objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs auch für das konkrete Zurechnungssubjekt erkennbar und der Erfolg ist entsprechend zurechenbar. Dies trifft ebenso auf die nicht gesetzlich normierten Verkehrspflichten zu. 19 Nur bei den durch hoheitliche Normen bestimmten Sorgfalts- bzw. Verkehrspflichten, die relativ „zum Üblichen“ verschärft sind, sowie bei Fehlinformationen durch (rechtskundige) Dritte über Bestand oder Inhalt der Pflichten, wird die objektiv-typisierte Erkennbarkeit des Verhaltensgebots als Irrtumsproblematik relevant. Der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab, der nur nach Verkehrskreisen differenziert, nimmt dabei auf individuelle Unzulänglichkeiten grundsätzlich keine Rücksicht. 20 § 276 Abs. 2 BGB verbindet die Haftung gerade nicht mit persönlicher Vorwerfbarkeit des Verhaltens, sondern sanktioniert die objektiv vermeidbare Verletzung eines Verhaltensgebots. 21 Dieses Verständnis der Fahr-

Zunächst wurde erwogen, in Fortsetzung römisch-rechtlicher Tradition auf die Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters (pater familias) abzustellen, vgl. Mot. I, 279 (Mugdan I, S. 507); Mot. II, S. 27 (Mugdan II, S. 15). Auch der Alternativvorschlag der im Verkehr üblichen Sorgfalt fand letztendlich keinen Eingang ins Gesetz, Prot. I, 375 f. (Mugdan I, S. 765); vgl. dazu HKK/Schermaier, §§ 276–278, Rn. 78 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 243. 17 Nach der Gegenansicht begründet die Verletzung der objektiven Sorgfaltsanforderungen lediglich die Rechtswidrigkeit. Eine Haftung setzt zudem Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit voraus. Dazu Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1780 f.; zuletzt wohl Wilhelmi, Risikoschutz, S. 314 ff. und Koziol, AcP 196 (1996), 593, 602 ff., allerdings beschränkt auf das Deliktsrecht. 18 Vgl. RGZ 163, 132; BGHZ 12, 161, 167; 80, 186, 193; BAG, NJW 1999, 996; Erman/Westermann, § 276 Rn. 10. 19 Dass der BGH in der Skilift-Entscheidung (BGH, NJW 1985, 620, 621) zwar das Vorliegen einer Verkehrspflicht bejaht, zugleich aber die Erkennbarkeit des Pflichtverstoßes verneint hat, weil eine solche nicht von den Obergerichten ausgesprochen worden war, vermag deshalb nicht zu überzeugen. 20 Vgl. Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 59; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 82 ff.; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 890; MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 55; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 248; Schneider, Abkehr, S. 127; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 405; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Abs. 1, Rn. 38; Soergel12 /Wolf, § 276 Rn. 75. Sogar ein Zurückbleiben des gesamten maßgeblichen Verkehrskreises hinter dem objektiv erforderlichen Sorgfaltsmaß befreit nicht vom Fahrlässigkeitsverdikt, vielmehr muss ein „eingerissener Schlendrian“ eben korrigieret werden (Protokolle II, S. 604); MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 38; RGZ 105, 80, 83; 128, 39, 44). 21 Vgl. BGH, NJW 2001, 1786, 1787; 2003, 1128, 1130; VersR 1991, 469, 470; 2003, 1128, 1130; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276 Rn. 29; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 415. 16

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lässigkeit rückt die Zurechnung in die Nähe der Risikozurechnung als rein objektive Haftung und ist deswegen erheblicher Kritik ausgesetzt.22 Es kann durchaus angezweifelt werden, ob die Zurechnung von Erfolgen aufgrund von „Verschulden“, die unabhängig davon erfolgt, ob das Zurechnungssubjekt überhaupt fähig ist, den Verhaltensanforderungen zu genügen, mit dem Verschuldensprinzip zu vereinbaren ist. 23 Würde die Zurechnung über das Verschuldensprinzip hinausgehen, so würde tatsächlich durch die objektive Fahrlässigkeit eine systemwidrige Haftung für Zufall begründet und diese wäre entsprechend zu verwerfen. 24 Es wird an anderer Stelle noch eingehend zu begründen sein, dass und warum die objektive Fahrlässigkeit dem Verschuldensprinzip entspricht und tatsächlich im Zivilrecht sogar geboten ist.25 Das zivilrechtliche Verschulden ist somit im Ausgangspunkt ein Instrument objektiver Zurechnung. 26 Lediglich ausnahmsweise verlangt das Gesetz ergänzend echte subjektive Vorwerfbarkeit des zuzurechnenden Schadensereignisses. Dies ist beispielsweise bei der Haftung für Vorsatz gem. § 826 BGB oder der Haftung für die diligentia quam in suis der Fall, allerdings bei Letzterer wiederum nur bis zur Grenze der objektiven Verantwortung in der Form von grober Fahrlässigkeit 27 (§ 277 BGB). 28 Im Regelfall ist bereits ein durch objektiv sorgfaltswidriges Verhalten herbeigeführter Erfolg nach dem Verschuldensprinzip zurechenbar. Zivilrechtliches Verschulden beruht also, jenseits der Ausnahmen gesetzlich geforderter subjektiver Zurechnung, auf normativ begründeter Verantwortung für Fehlverhalten im Sinne eines objektiviert vermeidbaren Verstoßes gegen objektive Verhaltenspflichten. Dies ist bedeutend, da diese Begründung der objektiven Verschuldenszurechnung einen ihrer essentiellen Unterschiede zur Eingehend unten S. 264 ff. So beispielsweise das Urteil von Canaris, VersR 2005, 577, 579 im Hinblick auf „echtes“ Verschulden im Sinne subjektiver Vorwerfbarkeit. 24 Vgl. etwa die entsprechende Feststellung bei Meder, Schuld, S. 156. 25 Dazu S. 267 ff. 26 So auch Kramer, AcP 171 (1971), 422 ff. Häufig ist bei objektiv fahrlässigem Verhalten die subjektive Zurechenbarkeit des Erfolges ebenfalls möglich, aber eben nicht für die Haftungsbegründung konstitutiv. Hierzu auch Laufs, Unglück, S. 31. 27 Obwohl bei der groben Fahrlässigkeit eine verstärkt subjektive Betrachtung angezeigt ist (vgl. MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 95, 104 ff.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276 Rn. 100 ff.; Erman/H. P. Westermann, § 276 Rn. 16; BGH, NJW 2003, 1118, 1119; 2007, 2988, 2989), ist ihr Bezugspunkt weiterhin die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB. Es findet jedoch eine Öffnung dahingehend statt, dass subjektiv entlastende Umstände in erheblichem Umfang die Zurechnung auf der Verschuldensebene auszuschließen vermögen. Dass der rein subjektive Maßstab der diligentia quam in suis nicht in der groben Fahrlässigkeit statthaft ist, offenbart schon die Zwecksetzung des § 277 BGB, die Privilegierung der eigenüblichen Sorgfalt einzuschränken. 28 Vgl. dazu Müller-Graff, AcP 191 (1991), 475, 476 und 478 ff.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 277 Rn. 1, 3; Erman/H. P. Westermann, § 277 Rn. 2. 22

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ebenfalls rein objektiven Risikozurechnung offenbart. Verhaltenspflichten, die ein Verhalten gebieten, sind durch die Erfüllbarkeit begrenzt. Gleichwohl können sie, entsprechend der Natur der Verantwortung, durchaus objektiv-typisiert bestimmt werden. 29 Das die Zurechnung bestimmende Unterschreiten eines geforderten Verhaltensprogramms rechtfertigt es, von objektivem Fehlverhalten zu sprechen und daran, auch ohne individuellen ethischen Vorwurf, die normative begründete Pflicht zum Ersatz der Folgen zu knüpfen. Demgegenüber fehlt der Risikozurechnung die Anknüpfung an einen Norm- oder Pflichtenverstoß. Sie ist unabhängig davon, ob Pflichten – sogar objektiv – erfüllbar sind oder der Erfolg überhaupt abgewendet werden kann. Die Legitimation der Risikozurechnung beruht deswegen nicht auf objektivem Fehlverhalten, sondern auf verschiedenen anderen, den Haftungsgrund konstituierenden Prinzipien und auch Gerechtigkeitsgedanken, welche die jeweilige Risikoverantwortung begründen.

II. Das Risikoprinzip als Zurechnungsprinzip Die Verantwortung für ein Risiko weist wesentliche Unterschiede zur Verantwortung infolge Verschuldens auf. Letztere ist untrennbar mit Pflichtverstößen, Fehlverhalten und Unrecht verknüpft. Die Haftung für Risiken greift hingegen losgelöst von derartigen Erwägungen in die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Verantwortungs- und Risikozuweisung ein und modifiziert diese. Spezifische Ereignisse, die auf der Grundlage des Verschuldensprinzips nicht zu verantworten und damit in dessen Sinne zufällig sind, werden zugerechnet. Wirkung und Bedeutung des Risikoprinzips werden erst im Vergleich zum Verschuldensprinzip in vollem Umfang deutlich. Die verantwortungserweiternde Wirkung bewegt etwa Meder dazu, aus der Perspektive des Verschuldensprinzips von der Haftung für Risiken als eine zwischen Verschulden und dem nicht zu verrechtlichenden Zufall zu sprechen. 30 Versucht man die Risikozurechnung vor diesem Hintergrund zurechnungssystematisch einzuordnen, so erscheint es angemessen, von einem notwendigen und berechtigten Kompromiss zu sprechen, der zwischen einer nicht überzeugenden Dogmatisierung des Verschuldens und der unabgrenzbaren Haftung für bloße Verursachung liegt.31

Zum Maßstab der objektiven Sorgfaltspflichten vgl. S. 263 ff. Vgl. Meder, JZ 1993, 539, 541 f. 31 In diese Richtung Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 317.

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1. Theoretische Grundlagen Die Risikozurechnung existiert, weil die unmodifizierte Risikozuweisung, die durch das Verschuldensprinzip bewirkt wird, in einigen Fällen nicht interessengerecht ist und die rechtlichen Rahmenbedingungen deshalb korrekturbedürftig sind. Um die dogmatischen Grundlagen der Risikohaftung hat sich insbesondere Josef Esser verdient gemacht, der die Grundlagen der Gefährdungshaftung eingängig beschrieben32 und viel Anerkennung erfahren hat. Das mit den verschiedenen Instituten der Risikohaftung – nicht nur der Gefährdungshaftung – befriedigte Bedürfnis, die individuellen Risiko- und Verantwortungssphären zu modifizieren,33 ist schon viel älter als das Institut der Gefährdungshaftung. 34 Diese Modifikation wurde seit jeher in einer Vielzahl von verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen realisiert, die bestimmte Risiken für den Bedrohten bzw. den Verkehr in die Verantwortung eines Haftungsadressaten übergeleitet haben. Jeder individuelle Eingriff in die grundsätzliche Risiko- und Verantwortungszuweisung bedarf allerdings einer spezifischen Rechtfertigung. Diese kann nicht alleine in der besonderen Schutzbedürftigkeit der Bedrohten gesehen werden.35 Vielmehr muss, neben dem Grund für die Entlastung des einen Rechtssubjekts im Wege der Haftung, zugleich ein Grund für die damit korrelierende Belastung gerade des konkreten Haftungsadressaten vorhanden sein. Andernfalls wäre der Risikotransfer auf genau diese Person willkürlich. Auch insoweit ist das Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung36 zu beachten. Die Risikoverschiebung mag zwar überwiegend durch Verkehrsinteressen oder die gesellschaftlichen Verhältnisse begründet sein. Sie muss allerdings – zumindest gerade noch – durch das spezifische Verhältnis der beiden rechtlich gleichgestellten Normadressaten zueinander gerechtfertigt sein, das durch das in Rede stehende Risiko begründet wird. 37 Dies erfolgt durch die im Haftungsgrund zum Ausdruck kommende Verantwortung des Zurechnungssubjekts für die spezifischen Risiken, welche in Verbindung mit der Schutzwürdigkeit der

Esser, Grundlagen, passim. Diese Darstellung ist streng genommen rechtshistorisch inkorrekt, da es zunächst – bis zur Dogmatisierung des Verschuldens im Corpus Iuris Civilis (hierzu S. 54 ff.) – unterlassen wurde, die Haftung umfassend dem einschränkenden Verschuldensprinzip zu unterwerfen. Ausgehend von der durch die iustinianischen Juristen verabsolutierten Leitidee, dass grundsätzlich nur für Verschulden gehaftet wird, die sich zumindest unterschwellig bis heute behauptet hat, ist die Bezeichnung als Modifikation jedoch zutreffend. 34 Zu deren Entwicklungsgeschichte im deutschen Recht vgl. Bürge, Festschrift Canaris I, 59 ff. 35 Vgl. zur Verfehltheit solcher einseitigen absoluten Begründungen Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 342. 36 Bydlinski, System, S. 94 ff.; ders. AcP 204 (2004), 309, 341 ff. 37 Vgl. hierzu Bydlinski, System, S. 95 f. Dazu bereits oben S. 108 f. 32

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Bedrohten oder des Verkehrs den Eingriff in die grundsätzliche Verantwortungs- und Risikosphäre rechtfertigt. 2. Struktur der Risikozurechnung Bei der Risikohaftung richtet sich die Zurechnung eines Verletzungserfolgs nach dem sog. Risikoprinzip. Die Verantwortung des Haftungsadressaten bestimmt sich ausschließlich danach, ob sich in dem Verletzungserfolg ein Risiko realisiert, das diesem im Vorhinein zugewiesen war.38 Ein Fehlverhalten, welches für die Verschuldenszurechnung konstitutiv ist, ist dabei nicht erforderlich. Die Verantwortung bestimmt sich vielmehr nach einer verhaltensunabhängigen Zuordnung des Verletzungserfolges zu den jeweiligen Risikosphären. Die individuelle Risikosphäre wird wiederum durch den Haftungsgrund und die Zurechnungswertprinzipien bestimmt, die ihm zugrunde liegen. 39 Daran wird deutlich, dass sich mit der bloßen Ermittlung des Zurechnungssystems noch keine abschließende Entscheidung über die Haftung treffen lässt. 40 Zu bestimmen, welche Risiken dem Zurechnungssubjekt auferlegt werden, darin liegt, worauf Canaris zutreffend hinweist, 41 die entscheidende Aufgabe einer „Lehre von der Risikozurechnung“. Bei der dogmatischen Auseinandersetzung mit der Risikozurechnung ist stets zwischen der dem Haftungsgrund zugehörigen Risikoverantwortlichkeit, etwa der abstrakten Verantwortung für eine individuell beherrschte „besondere Gefahr“ bei der Gefährdungshaftung, 42 und der durch das Zurechnungsprinzip bestimmten Erfolgsverantwortlichkeit zu unterscheiden. 43 Die Frage, welche Risiken dem Zurechnungssubjekt zugewiesen sind, muss dabei mit Blick auf den Haftungsgrund beantwortet werden, der die Risiken bestimmt, die auf den Haftungsadressaten überzubürdenden sind, und so die Risikosphäre definiert. 38 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 480; Esser, Grundlagen, S. 40 ff.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 134 f.; Meder, JZ 1993, 539, 542 ff.; Müller-Erzbach, AcP 106, 309 ff.; Rümelin, Zufall, S. 30 ff.; Stoll, Haftungsfolgen, S. 398; allgemein Hepting, Festschrift Universität Köln, 209, 219 f. 39 Vgl. hierzu bereits S. 111 ff. 40 Darauf weist Canaris, Vertrauenshaftung, S. 481 explizit hin. Ebenso Hepting, Festschrift Universität Köln, 209, 220. 41 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 481. 42 Vgl. zur besonderen Gefahr als Haftungsgrund Canaris, VersR 2005, 577, 579; Deutsch, Haftungsrecht, S. 410 f.; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 607; Leßmann, JA 1989, 117, 118; Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 36 f.; Medicus, Jura 1996, 561, 563; Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 343; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 138; Will, Quellen, S. 280 ff.; krit. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 53 ff., 69 ff. 43 Vgl. Heß, Bestimmung, S. 34: Die besondere Gefahr kennzeichne nur den „Haftungsanlass“ und bestimme jedoch nicht die „Richtung der Überwälzung“ des Schadens. Zutreffend auch die mit anderer Gewichtung erfolgende Differenzierung bei Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 43 ff. insbes. S. 45.

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Man kann insoweit von der Zuständigkeit für ein Risiko oder der Risikoverantwortung des Zurechnungssubjekts sprechen. Dabei kommt im zweiten Begriff die dem Haftungsgrund innewohnende Zurechnung deutlicher zum Ausdruck. Denn nur bezüglich der Risiken, für deren Entstehung oder Fortbestand der Haftungsadressat verantwortlich ist, kann das Zurechnungssubjekt im Falle ihrer Realisierung – und auch nur dann – für den Verletzungserfolg verantwortlich gemacht werden. Bestünde hingegen keinerlei Verbindung zwischen dem Zurechnungssubjekt und den Risiken, so wäre seine Belastung mit denselben willkürlich und somit unzulässig. 44 Die Zurechnung der Risiken im Rahmen des Haftungsgrundes kann dabei auf mannigfaltigen Gründen beruhen.45 Beispiele sind die privatautonome Übernahme einer Garantie (§ 276 Abs. 1 Var. 3 BGB) oder der Schutz berechtigten Vertrauens (§§ 122, 179 BGB). Im Rahmen der Gefährdungshaftung legitimiert hingegen die Bedrohung des Verkehrs durch eine besondere Gefahr, welche auf den Willen des Zurechnungssubjekts zurückgeht, weil dieses die Gefahr begründet hat bzw. aufrechterhält, die Zuweisung genau der mit der Gefahrenquelle verbundenen Risiken (die Betriebs- oder Tiergefahr). 46 Das Risikoprinzip als Zurechnungsprinzip stellt wiederum die notwendige Verbindung zwischen dem Verletzungserfolg als Gegenstand der Zurechnung und der durch den Haftungsgrund konstituierten Risikosphäre des Risikoträgers her. Diese Verbindung begründet die normative Verantwortung für das konkrete Schadensereignis, welche wiederum die Ersatzpflicht für den konkreten Schaden legitimiert. Die Erfolgszurechnung beschränkt sich – nachdem Haftungsgrund und damit die Risikosphäre bestimmt sind – auf die Frage nach der Zugehörigkeit zu den übernommenen oder zugewiesenen Risiken sowie dem teleologischen Risikozusammenhang. Der Risikozusammenhang ist das funktionale Äquivalent zum Rechtswidrigkeitszusammenhang im Sinne des Deliktsrechts und ist somit eine Präzisierung des Schutzzwecks der Norm,47 der durch den Haftungstatbestand in Verbindung mit dem Haftungsgrund bestimmt wird. Realisiert sich in dem konkreten Verletzungserfolg ein dem Risikoträger zugewiesenes Risiko, so ist dieser für das Schadensereignis haftungsrechtlich verantwortlich.48 Verliert etwa der Führer und Halter eines Kraftfahrzeuges infolge eines unvorhersehbaren Ohnmachtsanfalls die Kontrolle über Vgl. hierzu bereits S. 108 f. Vgl. hierzu bereits S. 111 ff. 46 Vgl. die Nachweise in Fn. 42. 47 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 604; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 114; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 270; Röthel, Jura 2012, 444, 445. Unzutreffend hingegen Schünemann, NJW 1981, 2796, 2797: Kausalnexus zwischen Schaden und Betriebsgefahr. Eingehend zum Schutzzweck der Norm S. 313 ff. 48 Vgl. etwa Stoll, Haftungsfolgen, S. 398; BGHZ 79, 259, 263; 115, 84, 87; BGH, NJW 1982, 1046, 1047; 1982, 2669; so grundsätzlich auch Lange, JZ 1976, 198, 205; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 119 ff. 44

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dieses und überfährt einen Passanten, so realisiert sich im Erfolg ein Betriebsrisiko des Kfz mit einer Haftung nach § 7 StVG als Folge. Demgegenüber scheidet eine deliktische Haftung mangels Handlung und mangels Verschuldens aus. Stößt das Kfz jedoch im Anschluss auch noch mit einem Baum zusammen und geraten infolge des Lärms die Tiere eines 50 Meter entfernten Schweinestalls in Panik, wodurch ein Teil der Tiere verendet,49 so wirft die Feststellung des Risikozusammenhangs und somit die Zugehörigkeit des Schadensereignisses zum dem Halter zugewiesenen Betriebsrisiko erheblich mehr Probleme auf. 50 Trotz einiger Schwierigkeiten im Einzelfall kann durchaus festgestellt werden, dass die Erfolgszurechnung nach dem Risikoprinzip im Grunde recht einfach und eindeutig erfolgt. Deshalb liegt der Fokus bei der Risikohaftung in aller Regel, und ganz im Gegensatz zur stark einzelfallabhängigen Verschuldenshaftung, auf dem Haftungsgrund und dem Umfang des spezifischen Risikos. Auch in dem Beispielsfall ist der Kern der Problematik der Umfang der Betriebsgefahr – erfasst diese über den unmittelbaren Unfall hinaus die durch ihn akustisch vermittelten Beeinträchtigungen? –, der in der konkreten Erfolgszurechnung fortwirkt. Die Risikozurechnung bietet deshalb den Vorteil weitestgehend klarer Verantwortungszuweisung, vollkommen losgelöst von der Beherrschbarkeit und Steuerungsfähigkeit der Abläufe im Einzelfall. Gerade dieser Wesenszug der reinen Risikorealisierung bedingt, dass sich die Risikozurechnung teilweise als verkehrsfreundlicher erweist als die Verschuldenshaftung. 3. Risikoprinzip und Rechtswidrigkeit Mit dem Wesen der Zurechnung nach dem Risikoprinzip ist als weitere spezifische Eigenheit verbunden, dass die Verantwortung von der Rechtswidrigkeit unabhängig ist. a. Beurteilung des abstrakten Risikos Mit der gesetzlichen Umverteilung eines Risikos durch Haftung geht einher, dass dieses vom Gesetz als „normal“ oder sozialadäquat und nicht verbotswürdig beurteilt wird. 51 Die gegenständliche Gefahr wird gelöst von Gedanken des Nach BGHZ 115, 84. Zu den Grenzen der Risikohaftung in Sonderkonstellationen siehe auch S. 395 ff. 51 Vgl. Meder, Schuld, S. 254 ff. Dieses Urteil trifft auf die §§ 287 S. 2, 848 BGB nicht notwendig zu. Die mit diesen Normen verbundene Risikobelastung des Schuldners beruht auf einem vorangegangenen pflichtwidrigen Verhalten. Sie ist inhaltlich eigentlich der Folgenzurechnung zuzuordnen und teilt damit die Qualifikation des „wahren“ Haftungsgrundes. Sie beruht entsprechend in der Regel – nicht jedoch bei einer Garantie (§ 276 I 1 BGB) für die Rechtzeitigkeit der Leistung beim Verzug – auf missbilligtem Verhalten. Zur Natur der §§ 287 S. 2, 848 BGB eingehend unten S. 406 ff. 49

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Unrechts, der Normwidrigkeit oder des Pflichtverstoßes und als grundsätzlich tolerierbares Risiko zugewiesen. 52 Das Risiko ist – wie auch die Verantwortung für dessen Realisierung – grundsätzlich vollkommen frei von jedem ethischen Vorwurf. 53 Zu Recht käme wohl niemand auf die Idee, die unvorhersehbare inhaltsverändernde Verzerrung einer Erklärung durch die Übermittlungseinrichtung (§ 120 Alt. 2 BGB) als Normverletzung oder Unrecht zu betrachten. Vielmehr wird ein unvermeidbares und zu tolerierendes Kommunikationsrisiko durch Haftung verlagert (§ 122 Abs. 1 BGB). Auch wenn vom Gesetz eine riskante Tätigkeit oder eine Gefahrenquelle als sozialadäquat erachtet wird, ist damit nicht verbunden, dass ebenso die Risikorealisierung positiv erlaubt und damit umfassend gerechtfertigt ist. Nur weil der Gesetzgeber den Betrieb von Atomkraftwerken und Kraftfahrzeugen gestattet und die Risiken als hinnehmbar beurteilt, ist nicht etwa der Strahlenoder Unfalltod einer anderen Person in jedem Fall von der Rechtsordnung gedeckt. Vielmehr kann sich das abstrakt gebilligte Risiko durchaus zur konkreten missbilligten Gefährdung verdichten. Dieser kann mittels negatorischer oder quasinegatorischer Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche präventiv entgegengewirkt 54 und für deren Folgen auch durch Schadensersatzansprüche

Vgl. auch Laufs, Unglück, S. 9. Vgl. Laufs, Unglück, S. 9. 54 Richtigerweise sind die negatorische und die quasinegatorische Haftung umfassend als Instrumente rein präventiven Rechtsschutzes zu verstehen, die zukünftige Beeinträchtigungen zu verhindern bezwecken (vgl. Wilhelmi, Risikoschutz, S. 56 ff.; Erman10/Hefermehl, § 1004 Rn. 20). Auch der Beseitigungsanspruch gem. § 1004 S. 1 BGB (ebenso die gem. § 862 Abs. 1 S. 1 BGB und § 12 S. 1 BGB) dient dazu, künftige Beeinträchtigungen zu vermeiden, indem die Beeinträchtigung als Quelle weiterer Störungen beseitigt wird (vgl. Wilhelmi, Risikoschutz, S. 58, 73 f.), weswegen dieser lediglich ein Unterfall des allgemeinen Unterlassungsanspruchs ist (vgl. E. Wagner, Unterlassungsansprüche, S. 270, 273 f.; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 58; Erman10/Hefermehl, § 1004 Rn. 20), bei dem die Beseitigung einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung notwendig ist, um das Unterlassen im Sinne des Verhinderns einer drohenden Beeinträchtigung zu bewirken. Die negatorische Haftung unterscheidet sich deshalb ihrem Zweck nach von der restitutiven Haftung und ist darauf gerichtet, die Störung absoluter Rechte für die Zukunft zu verhindern (vgl. dazu Picker, Beseitigungsanspruch, S. 157). Die negatorische Haftung bezweckt keine Kompensation oder Wiederherstellung, wie es auch die Vertreter der Usurpationstheorie (vgl. etwa Picker, Beseitigungsanspruch, S. 53 ff.; ders. Festschrift Lange, 659; Staudinger/Gursky, § 1004 Rn. 97 ff.; Buchholz/Radke, Jura 1997, 454, 459 ff.; Lobinger, JuS 1997, 981, 982 f.) annehmen. Eine entsprechende Wirkung ist – sofern sie eintritt – lediglich ein Rechtsreflex der Verhinderung drohender Beeinträchtigungen durch Beseitigung der Störquelle. Für einen Beseitigungsanspruch nicht ausreichend ist, dass eine Beeinträchtigung auch noch in der Zukunft fortbesteht. Droht keine weitergehende Beeinträchtigung durch die Störquelle selbst, ist der Anwendungsbereich der negatorischen Haftung nicht eröffnet. Solch eine weitergehende Beeinträchtigung ist auch der aktuelle und fortdauernde Ausschluss von der Rechtsposition (Rechtsusurpation) als sich permanent „erneuernde“ Beeinträchtigung. Der 52

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aus unerlaubter Handlung Ausgleich verlangt werden. Die Beurteilung des abstrakten Risikos als nicht verbotswürdig wird durch die mögliche Bewertung einer konkreten Gefährdung als Unrecht nicht berührt. b. Beurteilung des Eingriffs Dadurch, dass die Zurechnung nach dem Risikoprinzip vom Fehlverhalten unabhängig ist, verwirft das deutsche Haftungsrecht die dogmatisch überkommene Antithese von ersatzlosem Unglück und ersatzfähigem Unrecht. 55 Das alte Credo, dass ein Verhalten, das kein Unrecht ist, Unglück und entsprechend von Betroffenen zu ertragen sei, erfährt in der Risikohaftung eine Absage. Die Risikohaftung und damit auch die Zurechnung nach dem Risikoprinzip werden deswegen von der herrschenden Lehre und dem IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs als „rechtswidrigkeitslos“ und somit als unabhängig von Erfolgsoder Verhaltensunrecht beurteilt. 56 Der strukturellen Unabhängigkeit von Risikohaftung und Rechtswidrigkeit widerspricht jedoch eine beachtliche Gegenauffassung einschließlich des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, wenn auch vorrangig in Bezug auf die Gefährdungshaftung. 57

herrschenden Auffassung, die die Störungen durch in der Vergangenheit liegende Handlungen einbezieht und versucht, einen Systembruch zum Haftungsrecht zu vermeiden, der aus der Verschuldensunabhängigkeit der negatorischen Haftung resultiert, indem sie vor allem die Rechtsfolgen der negatorischen Haftung beschränkt (sog. actus contrarius-Theorie: Baur, AcP 160 (1961), 465, 489; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 12 Rn. 20; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 698; MünchKommBGB/Baldus, § 1004 Rn. 225; krit. Armbrüster, NJW 2003, 3087, 3088; Waas, VersR 2002, 1205, 1207; anders die Wiedernutzbarkeitstheorie der Rechtsprechung: BGH, NJW 2005, 1366, 1367; BGHZ 97, 231, 236; 135, 235; BGH NJW 1995, 395, 396; 2004, 603 f.; dieser zustimmend Wenzel, NJW 2005, 241, 243; Benecke, VersR 2006, 1037, 1040), muss vorgeworfen werden, dass deren Verständnis dem Gesetz unterstellt, es regle einen nahezu identischen Sachverhalt an zwei unterschiedlichen Stellen fundamental abweichend (vgl. Katzenstein, AcP 211 (2011), 58, 66, m. w. Nachw.; Picker, Festschrift Gernhuber, 315 ff.). 55 Vgl. Jansen, AcP 202 (2002), 517, 540 ff., dessen Schluss, dass auch das Deliktsrecht nicht notwendig den Ausgleich von Unrecht zum Ziel hat, nicht zutrifft. Ähnlich wie hier auch Laufs, Unglück, S. 9. 56 Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 354, 610; Canaris, VersR 2005, 577, 578; Soergel/Spickhoff, Vor § 823 Rn. 46; Esser, Grundlagen, S. 90; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 266 f.; Staudinger13/Hager, Vorbem. zu 823 ff. Rn. 30; Deutsch, Haftungsrecht, S. 412; Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 38; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1441; Medicus, Jura 1996, 561, 564; BGHZ 105, 65, 68; i.E. auch der IX. Zivilsenat in BGHZ 169, 308 Tz. 19 f., wenn dieser ausführt, § 717 Abs. 2 ZPO knüpfe „an ein vom Gesetz ausdrücklich erlaubtes Verhalten an“ und die Haftung setze „daher weder ein schuldhaftes noch auch ein rechtswidriges Handeln“ voraus. 57 Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 30; Seiler, Festschrift Zeuner, 279, 292; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 131 ff.; Palandt/Sprau, § 833 Rn. 9, anders wohl § 852 Rn. 2 („An-

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Dass das Zurechnungsprinzip unabhängig von einem wie auch immer gearteten Rechtswidrigkeitsurteil ist, ergibt sich, wie zuvor ausgeführt, bereits aus dessen Struktur und Teleologie. Es rechnet Verletzungserfolge vollkommen unabhängig von der rechtlichen Bewertung des Verhaltens zu und bietet, mit Ausnahme der von der Rechtsordnung gebilligten Risikobegründung, keinen das Verhalten einer Person beurteilenden Anknüpfungspunkt für das Rechtswidrigkeitsurteil. Bestätigt wird dies auch durch eine systematische Betrachtung der Tatbestände der Risikohaftung. In vielen Fällen knüpfen die Tatbestände der Risikohaftung an objektiv rechtmäßiges Verhalten an. Beispielsweise ist die Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil rechtmäßig, unabhängig von der materiellen Rechtslage bezüglich des vollstreckten Anspruchs. 58 Dennoch ordnet § 717 Abs. 2 ZPO eine Ersatzpflicht für die eingetretene Risikorealisierung an, die in der Aufhebung des noch nicht rechtskräftigen Urteils liegt. 59 Ebenso vermag es nicht zu überzeugen, die Risikohaftung nach § 122 BGB, besonders im Falle einer schuldlos entstandenen Anfechtungssituation, als eine für rechtswidrige Beeinträchtigungen zu verstehen. In der Ausübung des von der Rechtsordnung gewährten Gestaltungsrechts eine rechts- oder pflichtwidrige Normverletzung zu sehen, wäre bedenklich.60 Würde man ernsthaft die Haftung als eine für rechtswidrige Schädigungen erachten, wäre damit die zweifelhafte Aussage verbunden, dass Normen wie die §§ 708 ff. ZPO oder 119 f. BGB, welche die Rechtsmacht zum haftungsauslösenden Verhalten einräumen, eine „gesetzliche Ermunterung zum Rechtsbruch“ enthielten.61 Die Haftung bezweckt ausschließlich, einen Ausgleich für die grundsätzlich rechtmäßigen Handlungen zu schaffen, die aufgrund von Verkehrsinteressen, gesamtgesellschaftlichen oder sozialen Interessen sowie sonstigen ethischen fundierten Gründen62 erwünscht sind oder zumindest toleriert werden müssen.

sprüche, die lediglich an eine rechtlich erlaubte Handlung eine Risikohaftung knüpfen, insbesondere aus Gefährdungshaftung“; BGHZ 117, 110, 111 f.; Henckel, Prozeßrecht, S. 265; Konzen, Rechtsverhältnisse, 163. 58 Vgl. BGHZ 54, 74; 85, 110, 113; 169, 308 Tz. 19 sowie MünchKommZPO/Götz, § 717 Rn. 7; Stein/Jonas/Münzberg, § 717 Rn. 10; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 15 Rn. 7, jew. m. Nachw. auch zur Gegenansicht. 59 Vgl. BGHZ 169, 308 Tz. 19. 60 Zutreffend wird auch nicht die Anfechtungserklärung, sondern das Erzeugen eines Vertrauenstatbestandes als Grund für die Haftung benannt, vgl. etwa Soergel/Hefermehl, § 122 Rn. 1; MünchKommBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 1; Staudinger/Singer, § 122 Rn. 1. 61 Vgl. Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 15 Rn. 7 und Stein/Jonas/Münzberg, § 717 Rn. 10 Fn. 33. 62 Während die verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht nach dem Risikoprinzip das Vertrauen des Erklärungsempfängers schützt (Vertrauenshaftung, MünchKommBGB/Armbrüster, § 122 Rn. 3; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 532 ff.; Staudinger/Singer,

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Gerade weil das Zurechnungsprinzip von der Rechtswidrigkeit unabhängig ist, kann der jeweilige Haftungstatbestand in Verbindung mit dem dahinterstehenden Haftungsgrund gleichwohl die Ersatzpflicht (ausnahmsweise) dennoch an einen Normverstoß koppeln. Dies ist beispielsweise bei der privatautonom vereinbarten oder gesetzlich angeordneten Garantiehaftung der Fall, wie sie etwa § 536a Abs. 1 Alt. 1 BGB normiert, weil diese tatbestandlich an einen Pflichtverstoß anknüpft.63 Auch bei der Haftung nach § 231 BGB wird dies angenommen,64 obwohl die Norm bei dem hier befürworteten verhaltensunrechtlichen Verständnis des Haftungsrechts auch bei nicht rechtswidrigen Beeinträchtigungen eine Haftung anordnet. Dies zeigt die klarstellende Einbeziehung von nicht fahrlässigen Irrtümern über die Voraussetzungen der Selbsthilfe. c. Zwischenergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Zurechnung nach dem Risikoprinzip und die Rechtswidrigkeit des haftungsauslösenden Verhaltens oder Zustandes zwei voneinander unabhängige Umstände sind. Die Realisierung des abstrakt gebilligten Risikos kann sowohl rechtswidrig als auch rechtmäßig erfolgen, ohne dass dies die Zurechnung oder die Haftung berührt. Die Risikozurechnung erfolgt stets „rechtswidrigkeitslos“. Gerade weil die Risikozurechnung vollkommen unabhängig von der Rechtswidrigkeit ist, ist es gleichwohl möglich, dass die Haftungsnorm die Einstandspflicht an eine rechtswidrige Erfolgsherbeiführung knüpft. Dies ist jedoch für die Risikohaftung weder eine Voraussetzung, noch die Regel. 4. Grenzen der Risikozurechnung – höhere Gewalt Die Zurechnung von Verletzungserfolgen nach dem Risikoprinzip erfährt eine spezifische Beschränkung durch das Institut der höheren Gewalt. Dieser Zurechnungsausschluss65 ist in seinem haftungsrechtlichen Anwendungsbereich § 122 BGB Rn. 1), bezweckt das die Haftung auslösende Anfechtungsrecht – soweit es gewährt wird – der Selbstbestimmung des Erklärenden gegenüber dem Vertrauen des Rechtsverkehrs zum Durchbruch zu verhelfen (vgl. Singer, Selbstbestimmung, S. 2, 69; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. Rn. 25). 63 Vgl. zur Verbindung von Pflicht- und Rechtswidrigkeit Erman/H. P. Westermann, § 276 Rn. 4. 64 Vgl. etwa Erman/E. Wagner, § 231 Rn. 1; MünchKommBGB/Grothe, § 231 Rn. 1; Staudinger/Repgen, § 231 Rn. 1, 4. 65 Die Principles of European Tort Law weichen von der im deutschen Recht praktizierten Alternativität von umfänglicher Haftung und dem Ausschluss wegen höherer Gewalt ab. Der Einwand der höheren Gewalt kann nach Art. 7:102 Abs. 1 PETL, abhängig von dem Gewicht der äußeren Einflüsse und dem Umfang der drohenden Haftung (dieser richtet sich danach, inwieweit die Schäden gem. Art. 3:201 PETL zugerechnet werden können), entweder die Haftung ausschließen oder aber zu einer Beschränkung derselben führen.

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auf die Risikozurechnung beschränkt und wäre im Zusammenhang mit anderen Zurechnungsprinzipien auch keiner sinnvollen Anwendung zugänglich. Entsprechend beschränkt auch Art. 7:102 Abs. 1 lit. a PETL den Einwand der force majeure66 ausschließlich auf die Haftung für strict liability. Der vereinzelt vorgesehene Haftungsausschluss des unabwendbaren Ereignisses, 67 der im Zuge des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften nahezu vollständig aus dem System der haftungsrechtlichen Risikozurechnung verbannt wurde, wird hier nicht weiter behandelt. a. Grund des Zurechnungsausschlusses Zweck des Instituts der höheren Gewalt ist nach der herrschenden Ansicht, die Risikozurechnung zu begrenzen.68 Bei der anlassbezogenen Zuweisung von speziellen Risiken durch Haftung erachtet es das Gesetz in einigen Fällen für nötig, bestimmte Realisierungsformen aus der Verantwortungssphäre des Zurechnungssubjekts auszusondern, die durch die Risikozurechnung geschaffen wird. Einen einheitlichen Grundgedanken für diese Privilegierung zu benennen, die keineswegs selbstverständlich ist und auch nicht ausnahmslos gewährt wird, erweist sich als schwierig. Dies beruht darauf, dass der Zurechnungsausschluss zum Teil auf Rechtstradition, der Einflussnahme von Interessengruppen auf den Gesetzgebungsprozess, anderen gesetzgeberischen Zufälligkeiten und auch schlichten Fehlannahmen des Gesetzgebers und nur teilweise auf Erwägungen beruht, die wirklich aus der Natur des Risikos folgen. aa. Zuordnung zu höheren Sphären? Eine auf den ersten Blick einleuchtende Erklärung der haftungsausschließenden Zwecksetzung und Wirkung lässt sich dem Begriff der „höheren“ Gewalt entnehmen. Aus diesem kann man die Vorstellung ableiten, es gäbe einen Bereich von höheren Sphären zuzuordnenden Schicksalsschlägen, die von den Menschen schlechterdings nicht zu verantworten sind.69 Noch deutlicher wird

66 Art. 7: 102 Abs. 1 PETL differenziert zwischen Naturereignissen als force majeure (lit. a) und dem Verhalten externer Dritter (lit. b), die im deutschen Recht einheitlich der höheren Gewalt zugeschrieben werden, vgl. S. 168. 67 Zur Kritik vgl. etwa Deutsch, Haftungsrecht, S. 443; Kötz, Gutachten, 1779, 1803 ff.; Will, Quellen, S. 297. 68 Vgl. Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG Rn. 1; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 604; Meder, JZ 1994, 485, 486, 491; Staudinger/Werner, § 701 Rn. 72. Allgemein hinsichtlich der Haftpflicht Weiß, Höhere Gewalt, S. 117. Zur Gegenansicht in der Form der Alternativitätsthese, vgl. unten S. 166 f. 69 Vgl. Spaeth, Begriff, S. 14; Jansen, Struktur, S. 607, der selbst diese Einordnung nicht befürwortet. Krit. Leonhard, Festschrift Träger, 12, 19.

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ein solcher Zuordnungsgedanke in dem Begriff „act of God“ im englischen Recht, der einen Teilbereich der höheren Gewalt umfasst. 70 Dass der höheren Gewalt ursprünglich durchaus eine entsprechende Zuordnungsfunktion zugrunde lag, kann aus heutiger Sicht als gesichert gelten. Während der Zufall schrittweise dem göttlichen Einfluss entzogen wurde,71 verblieb durch die höhere Gewalt ein nicht zu verantwortender Bereich göttlichen Wirkens. Dies wird durch den Begriff ϑεοῦ βία schön veranschaulicht, der als wörtlich „göttliche Gewalt“ oder „göttliche Macht“ deutlich aufzeigte, worin die historischen Griechen die Quelle der Schicksalsschläge sahen.72 Die Vorstellung des göttlichen Ursprungs bestimmter Ereignisse herrschte durchaus auch im deutschen Rechtsraum zeitweise vor. 73 Sie ist jedoch sowohl gesellschaftlich als auch auf gesetzlicher Ebene längst überwunden. 74 Entsprechend lässt das heutige Recht den Einzelnen häufig ohne Einschränkung bei höherer Gewalt für Risiken haften, etwa gem. §§ 122, 179, 231, 833 S. 1 BGB75, § 1 ProdHaftG, § 35 GenTG, § 33 LuftVG, § 114 BBergG, oder es ordnet sogar die Unbeachtlichkeit derselben explizit an, etwa in § 25 Abs. 3 AtG76 oder § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG. Derartige Ereignisse der Sphäre des schlechterdings Unverantwortbaren zuzuordnen scheitert daran, dass dasselbe Ereignis, etwa der früher als „Strafe

70 Zum Begriff „act of God“ vgl. Dietl/Lorenz, Wörterbuch für Recht, Wirtschaft und Politik, Bd. 1, S. 10 und 335. 71 Hierzu bereits S. 42 ff. 72 Hierzu Barta, Graeca II 1, S. 250 ff.; vgl. auch Gai. D. 19.2.26.6, der Bezug auf den griechischen Begriff nimmt. 73 Vgl. allgemein Doll, vis maior, S. 8 ff., 139 ff.; Stobbe, Höhere Gewalt, S. 41; Spaeth, Begriff, S. 25. 74 So im Ergebnis auch Jansen, Struktur, S. 608. 75 Der häufig befürwortete Ausschluss der Haftung für höhere Gewalt, vgl. etwa Deutsch, JuS 1981, 317, 324; MünchKommBGB/Wagner, § 833 Rn. 16, findet im Gesetz keine Stütze und beruht häufig auf falschen Annahmen. Tatsächlich besteht die vermeintliche höhere Gewalt und damit der Ausschluss der Haftung in der Nichtrealisierung der Tiergefahr und ist entsprechend gerade nicht höhere Gewalt. Richtig insoweit Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 54, die den unzutreffenden Begriff der höheren Gewalt vermeidet. Unpräzise RGRK/Kreft, § 833 Rn. 33; Will, Quellen, 303. Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 53 f. weist zutreffend darauf hin, dass die Haftung keineswegs ausscheidet, wenn die Einwirkung mit „übermächtiger Gewalt“ auf das Tier Anlass für ein natürliches Verhalten und damit der Realisierung der Tiergefahr ist, etwa wenn das geworfene Tier – so ein häufiges Beispiel für vermeintliche „höhere Gewalt“ (vgl. etwa Deutsch, NJW 1978, 1998, 1999 m. w. Nachw.) – aus Panik unmittelbar nach der Landung einen Unbeteiligten beißt oder ein infolge eines in unmittelbarer Nähe erfolgten Blitzeinschlages flüchtender Hund eine unbeteiligte Rentnerin anstößt und zu Fall bringt. Vgl. insoweit auch RGRK/Kreft, § 833 Rn. 22 und 24. 76 Vgl. hierzu Staudinger/Kohler, § 40 AtomG Rn. 4.

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und Rute Gottes“ 77 betrachtete Blitzschlag, je nach Grundlage der Risikozuweisung mal der nicht zu verantwortenden höheren Gewalt, 78 mal der Verantwortungssphäre des Haftungsadressaten79 zugewiesen wird. Eine „göttliche Berührung“ (§ 266 Kodex Hammurapi 80) oder ein „von Gott kommendes Geschoß“ (Platon81) wäre jedoch konsequent fortgedacht absolut nicht zu verantworten. Die Begründung für die lediglich selektiv die Zurechnung ausschließende Wirkung muss deswegen auf einer anderen – irdischen – Ebene liegen. bb. Rückführbarkeit des Erfolgs auf den Willen Bei zu Schadensereignissen führenden Eingriffen in den gefahrenträchtigen Betrieb von außen oder sonstigen Störungen, die von außerhalb desselben herrühren, erscheint es auch ohne göttliche Intervention vielfach zweifelhaft und schwer zu rechtfertigen, dass das Zurechnungssubjekt verantwortlich sein soll. Bei solchen Ereignissen wirkt die innere Verbindung zwischen Subjekt, Risiko und Erfolg als von geringerer Intensität. Die Gefahr, obwohl diese vom Willen des Zurechnungssubjekts getragen ist, wird letztendlich durch einen externen, außerhalb dieses Willens des Zurechnungssubjekts liegenden Umstand realisiert. Dies allein rechtfertigt jedoch noch keine Begrenzung der Zurechnung. Das Risikopotenzial, das die fehlverhaltensunabhängige Haftung legitimiert, wird häufig durch externe Umstände wie Naturvorgänge oder das Verhalten Dritter mitbegründet. 82 Beispielsweise wird die Gefährlichkeit von Kfz in erheblichem Umfang durch die Interaktion zwischen den Verkehrsteilnehmern bestimmt, ebenso wie das Gefährdungspotenzial des Bahnbetriebs durch den Einfluss von Naturkräften mitgeprägt ist, die auf die schienengebundene Bewegung einwirken. Zudem kann selbst bei höherer Gewalt der Erfolg, der ein dem Haftungsadressaten zugewiesenes Risiko realisiert, auf die Selbstverantwortung desselben zurückgeführt werden. Auch bei dieser knüpft die Zurechnung zum Subjekt ausschließlich daran an, ob das Schadensereignis dem selbstbestimmt geschaffenen und deshalb zu verantwortenden Risiko zugehörig ist und eben nicht, ob der Erfolg selbstbestimmt herbeigeführt wurde. Der Grund für die zurechnungsausschließende Wirkung höherer Gewalt kann also nicht in der

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Vgl. Looschelders, VersR 1996, 529, 531. Vgl. BGH, NJW 1988, 2733 (aber wegen § 2 III Nr. 3 HPflG dennoch zu verantwor-

ten). Vgl. Staudinger/Werner, § 701 Rn. 74. Hierzu Doll, vis maior, S. 12. 81 Platon, Nomoi IX, 873 E, Übersetzung nach Schöpsdau, in: Heitsch/Müller/Sier (Hrsg.), Platon, S. 59. 82 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 443; Esser, Grundlagen, S. 113; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 271; Meder, JZ 1994, 485, 487; Koch, PETL, Art. 7:102 Rn. 3. 79 80

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fehlenden Wirksamkeit des Willens im Erfolg liegen, sondern allenfalls in der geringen Intensität derselben. Eine in der höheren Gewalt zum Ausdruck kommende „Unwirksamkeit“ des Willens im Erfolg oder gar eine „Evidenz der Schuldlosigkeit“ des für die Gefahrenquelle Verantwortlichen vermag den Zurechnungsausschluss also nicht zu legitimieren. Bezugspunkt des Willens in der Risikozurechnung ist stets nur der Anknüpfungspunkt der Risiken – ein Betrieb, das Halten oder ein Zustand – und nicht die Umstände, die das Risiko realisieren. Solch eine willensgestützte Begründung verkennt das (fehl-)verhaltensunabhängige Wesen der Risikohaftung. Sie wäre zudem widersprüchlich. Es existieren zahlreiche innere Vorgänge, die vergleichbar willensfern oder „evident schuldlos“ sind und die dennoch unzweifelhaft eine Haftpflicht auslösen. 83 Beispielsweise steht der durch unvorhersehbare und unvermeidbare Sabotage eines Mitarbeiters herbeigeführte Tod der Nachbarn einer explodierten Raffinerie als „innerer Vorgang“ dem Willen des Haftungsadressaten auch nicht signifikant näher, als eine identisch ausgeführte Sprengung der Anlage durch mit Waffengewalt eindringende „externe“ Terroristen. 84 Scheidet es also aus, die zurechnungsausschließende Wirkung der höheren Gewalt auf das Verhältnis von Willen und Erfolg zurückzuführen, so kann letztendlich nur das Verhältnis der vom Willen getragenen Quelle des Risikos zur Ursache der Risikorealisierung diese rechtfertigen. cc. Prinzip der Gefahrbeherrschung und Betriebsfremdheit Die Qualifikation als höhere Gewalt kommt lediglich bei Ereignissen in Betracht, die nicht mehr wesensgemäß mit der spezifischen Grundlage der Risikohaftung verbunden sind. Es besteht dahingehend Einigkeit, dass nur solche Ereignisse als höhere Gewalt beurteilt werden können, die „von außen“ auf den Anknüpfungspunkt der Risikozurechnung, etwa die Anlage, die Einrichtung oder das Verkehrsmittel, einwirken. 85 Über die bloße Einwirkrichtung hinaus

Zu Letzterem Wilburg, Elemente, S. 208 f. Zur abweichenden Behandlung vgl. Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG, Rn. 11 f. 85 Vgl. BGHZ 7, 338, 339; 62, 351, 354; BGH NZV 1988, 100; 2004, 245, 248; 2008, 79, 80; OLG Hamm, NZV 2005, 41; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 158; Häußer, Tatbestand, S. 60; MünchKommBGB/Henssler, § 701 Rn. 34; Giesberts/Reinhardt/Hilf, § 89 WHG Rn. 60; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 530; Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG Rn. 4, 5; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1455; Medicus, Jura 1996, 561, 565; Erman/Graf v. Westphalen, § 701 Rn. 16. 83

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geht es jedoch im Ergebnis um die Unterscheidung zwischen „betriebsfremden“86 und „betriebsimmanenten“ Eingriffen. 87 Nur bei betriebsfremden Ereignissen besteht ein anerkennungswürdiges strukturelles (abstraktes) Beherrschbarkeitsdefizit. Dieses verleiht der Selbstverantwortung des Subjekts ein geringeres Gewicht. Dieses findet in der verhaltensunabhängigen Erfolgszurechnung jedoch grundsätzlich keine Berücksichtigung und kann deshalb den Bedarf für eine Korrektur in der Form des Zurechnungsausschlusses erzeugen. Das relative Gewicht der Selbstverantwortung, die in der Risikoverantwortung die Verbindung zwischen Risiko und Zurechnungssubjekt herstellt, beruht auf dem Prinzip der Gefahrbeherrschung.88 Die Verantwortung knüpft daran an, dass ein abstraktes Risiko erzeugt oder aufrechterhalten wird, sowie an der Befähigung zur Kontrolle desselben, nur eben – bedingt durch den Anknüpfungspunkt der Verantwortung – unabhängig von der konkreten Beherrschbarkeit des individuellen Erfolgseintritts. Die stets zu verantwortenden „betriebsimmanenten“ Risiken erzeugen dabei die obligatorische Verantwortungssphäre. Die Risikoverantwortung geht jedoch über diese hinaus und weist grundsätzlich undifferenziert und insoweit überschießend sämtliche (Schadens-)Risiken zu, die abstrakt mit einer derartigen Gefahrenquelle verbunden sind. Diese umfassende Zuweisung erfolgt dabei weder willkürlich noch planwidrig.89 Sie findet ihre Legitimation im jeweiligen Haftungsgrund. Denn auch in den Schadensereignissen, die auf höherer Gewalt beruhen, wirkt im Rahmen der Gefährdungshaftung die „besondere Gefährlichkeit“ der Gefahrenquelle.90 Infolge der Verantwortung des Haftungsadressaten für die Risikoquelle besteht vor diesem Hintergrund stets eine für 86 Häufig wird der Begriff der Betriebsfremdheit mit den interferierenden Ereignissen gleichgesetzt, vgl. etwa Deutsch, Haftungsrecht, S. 443; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 530 und die Nachweise in der Fn. zuvor. Vorzugswürdig erscheint es jedoch, als betriebsfremd jene Eingriffe zu bezeichnen, die nicht mehr wesensgemäß mit dem Betrieb verbunden sind und somit nicht als betriebsimmanent qualifiziert werden können. Diese sind der höheren Gewalt zuzuweisen. Wie hier bereits Esser, Grundlagen, S. 112. 87 Eingehend noch unten S. 171 ff. 88 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 605; Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 400; Deutsch, Haftungsrecht, S. 411; Esser, Grundlagen, S. 94 f., 97 ff.; Staudinger13/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff. Rn. 28; Hübner, Karlsruher Forum 1983, 126, 128 f. Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21, 25. Zum Prinzip bereits oben S. 132 f. 89 Diese bezogen auf die reine Selbstverantwortung planmäßig überschießende Risikozuweisung schließt es aus, mit methodischen Mitteln, etwa im Wege der teleologischen Reduktion des Haftungstatbestandes, einen generellen Ausschluss der Zurechnung betriebsfremder, interferierender Ereignisse herbeizuführen. 90 Vgl. zur besonderen Gefahr als Haftungsgrund Canaris, VersR 2005, 577, 579; Deutsch, Haftungsrecht, S. 410 f.; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 607; Leßmann, JA 1989, 117, 118; Medicus, Jura 1996, 561, 563; Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 343; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 138; Will, Quellen, S. 280 ff.; krit. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 53 ff., 69 ff.

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die Zurechnung – im Sinne der Mindestvoraussetzung – hinreichende Verbindung des konkreten Erfolgs zum Subjekt, welche es ermöglicht, diesen für den Erfolg trotz höherer Gewalt verantwortlich zu machen. Dennoch ist bezüglich der außerhalb des zu beherrschenden und zu verantwortenden Betriebs liegenden Vorgänge festzustellen, dass das geringere Gewicht der Verantwortung des Subjekts berücksichtigungsfähig sein kann. Der selbstbestimmte Vorgang der Gefahrbegründung erzwingt weder ethisch noch konstruktiv den Haftungsadressaten ausnahmslos und uneingeschränkt zu belasten. Konstruktiv wäre eine Haftung nur dann zwingend geboten, wenn das Beherrschbarkeitsdefizit, das die Selbstverantwortung vermindert, bzgl. betriebsfremder Eingriffe seinerseits das ethische Gebot begründen würde, für dessen Folgen einzustehen. Das Beherrschbarkeitsdefizit müsste somit stets als „neuer“ Anknüpfungspunkt für das Verantwortungsurteil dienen. Bei der Verschuldenshaftung wird etwa die Verantwortung für das Schadensereignis, dessen Eintritt unbeherrschbar war, regelmäßig dadurch begründet, dass an den vorgelagerten Willensentschluss zum Verhalten angeknüpft wird, der die unbeherrschbare Situation herbeiführt (außerordentliche Zurechnung, actio libera in causa91). Häufig gebietet die Gefährlichkeit eines solchen Verhaltens die Zurechnung zum Subjekt sogar besonders. Eine entsprechende „Voranknüpfung“ scheidet jedoch bei der Risikohaftung aus. Exklusiver Anknüpfungspunkt der Risikohaftung ist der willentliche (Fort-)Bestand des abstrakten Risikos. Ein alternativer Anknüpfungspunkt, der stets zu einer „außerordentlichen“ Risikohaftung führen würde, existiert nicht. Vor dem Hintergrund der Voranknüpfung soll noch kurz verdeutlicht werden, warum die höhere Gewalt in der Verschuldenshaftung keine Bedeutung zu erlangen vermag. 92 Die in ihrem Bezugspunkt variablen Sorgfaltspflichten bewirken, dass Natur und Einwirkrichtung des den Schaden hervorrufenden Ereignisses vollkommen irrelevant sind. Bringt der zur Obhut verpflichtete Verwahrer die eingelagerte Sache nicht in Sicherheit, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist, so ist es für dessen Verantwortung gleichgültig, ob die Beeinträchtigung durch alltägliche Vorgänge oder aber Naturkatastrophen, kriegerische Handlungen oder andere „Stereotypen“ höherer Gewalt herbeigeführt wird. Das Ereignis mag als solches noch so außergewöhnlich, unbeherrschbar und unabwendbar sein. Der Umstand, dass der Erfolgseintritt beherrsch- und vermeidbar ist, begründet das Verschulden und somit die Haftung. Ebenso wenig kommt es auf die Natur des Ereignisses an, wenn sich der Erfolgseintritt der Beherrschbarkeit entzieht. Die Verletzung ist nicht deswegen „schuldloser“ oder weniger zurechenbar eingetreten, nur weil ein besonders gewaltiges Ereignis den Erfolg herbeigeführt hat. Es mag zwar mehrere Grade der Schuld

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Vgl. hierzu Unberath, Vertragsverletzung, S. 300 ff. Vgl. etwa Spaeth, Begriff, S. 76; a.A. Weiß, Höhere Gewalt, S. 119.

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung

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geben, der Zustand der Schuldlosigkeit ist jedoch keiner entsprechenden Abstufung zugänglich. Das Verantwortenmüssen erscheint im Falle betriebsfremder, als höhere Gewalt zu qualifizierender Ereignisse also weniger geboten. Ist nun das Wertprinzip der Gefahrbeherrschung als Ursache für die verantwortungsbegrenzende Wirkung der höheren Gewalt offengelegt, so kann auch deren partielle Unbeachtlichkeit begründet werden. Nur weil die erfolgsbezogene Verantwortung vermindert ist, die aus der Risikoverantwortung abgeleitet wird, begründet dies wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers93 keinen Zwang zur Haftungsfreistellung. Auf der Prinzipienebene vermag vielmehr das relativ höhere Gewicht anderer Prinzipien, die auf Verantwortungsbegründung gerichtet sind, diese Schwäche zu kompensieren. Deren erhöhtes Gewicht legitimiert in Verbindung mit der auf die – im Erfolg sodann realisierte – Gefahr bezogene Selbstverantwortung auch bei betriebsfremden Ereignissen die haftungsrechtliche Zurechnung. So bildet bei extremen oder schlicht unkalkulierbaren Gefahren (§ 26 AtG, § 33 LuftVG, § 35 GenTG, § 114 BBergG) das besondere Gewicht des Güterschutzes die Rechtfertigung dafür, dass die höhere Gewalt unbeachtlich ist. Auch ein besonderes Gewicht des Vertrauensschutzes (§§ 122, 179 BGB, § 1 ProdHaftG und § 84 AMG94) vermag die Zurechnung zu rechtfertigen. Bei derartigen Prinzipienrelationen ist deshalb eine unbeschränkte Risikozurechnung eher geboten oder sogar zwingend, weswegen der Ausschluss der Haftung bei höherer Gewalt tendenziell bis zwingend abzulehnen ist. b. Inhalt der höheren Gewalt Der Begriff der höheren Gewalt ist gesetzlich nicht definiert. Der historische Gesetzgeber ging bei der Normierung der Rechtsfigur davon aus, dass der Begriff bekannt und hinreichend geklärt sei. 95 Dies war jedoch schlicht unzutreffend. 96 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Anhängern des insbesondere von Goldschmidt 97 geprägten subjektiven Verständnisses der höheren Gewalt, das an die äußerste Sorgfalt anknüpfte, und den Anhängern des durch Exner98 wiederbelebten, rein objektiven Verständnisses derselben, tobte damals aufs Heftigste. So stellte etwa Rümelin 1896 fest, es herrsche „über das Princip der Abgrenzung dieses Begriffs bis auf den heutigen Tag Zu diesem oben S. 124. Zur Rechtsnatur der Haftung gem. § 1 ProdHaftG und § 84 AMG als Vertrauenshaftung bereits S. 114 Fn. 66. 95 Mot. I, S. 317 f. (Mugdan I, S. 527); Prot. I, S. 437 (Mugdan I, S. 784). 96 Hierzu Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 11 ff.; Städtler, Schadensersatz, S. 14 ff., insbes. 19 ff.; Weiß, Höhere Gewalt, S. 13 ff.; Will, Quellen, S. 286 f. 97 Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 58 ff., 331 ff. 98 Exner, Grünhuts Zeitschrift 10 (1883), 497 ff. 93

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erbitterter Streit“ 99 und der 22. Deutsche Juristentag riet 1893 vom Gebrauch des Begriffs im BGB ab. 100 Es überrascht nicht, dass auch heute keineswegs Einigkeit über den Inhalt der höheren Gewalt besteht. Aufgrund der Vielzahl der sich mit der objektiven und subjektiven Theorie beschäftigenden Abhandlungen wird hier auf eine Auseinandersetzung mit dem Theorienstreit verzichtet und auf die entsprechende Literatur verwiesen. 101 Stattdessen soll eine Untersuchung auf grundlegender Ebene erfolgen und lediglich die Entbehrlichkeit des Begriffs der höheren Gewalt (aa.) und die Berücksichtigungsfähigkeit subjektiver Elemente in demselben (bb.) kritisch hinterfragt sowie schließlich die Vorzüge eines objektiven, rein risikobezogenen Ansatzes (cc.) dargestellt werden. aa. Alternativitätsthese Vereinzelte Stimmen in der Literatur erachten einen Haftungsausschluss für höhere Gewalt als überflüssig und stützen dies darauf, dass spezifisches Risiko und höhere Gewalt nur alternativ verwirklicht sein können. 102 Im Falle höherer Gewalt fehle es schon am Zurechnungszusammenhang zwischen dem Risiko und dem Schaden. 103 Zudem werde die höhere Gewalt ausschließlich durch die komplementäre Betriebsgefahr definiert und ausgefüllt. 104 Dies bedingt nach der Alternativitätsthese, dass die höhere Gewalt keinerlei die Zurechnung beschränkende Wirkung aufweist. Diese These scheint auf den ersten Blick durchaus plausibel. Es wäre zumindest denkbar, den Bereich der höheren Gewalt aus dem zu verantwortenden Risiko herauszudefinieren. Ein solches Unterfangen wäre jedoch lediglich bei einer gewandelten Gesetzeslage möglich. Der Gesetzgeber hat nunmal gegenwärtig die höhere Gewalt als Ausschlusstatbestand in der Haftungsbegründung positiv normiert. § 2 Abs. 3 Ziff. 3 HPflG, der einen selektiven Fortbestand der Risikohaftung trotz höherer Gewalt anordnet, belegt zudem ein Verhältnis von spezifischem Risiko und höherer Gewalt, das mit der Alternativitätsthese unvereinbar ist. Nach dieser Norm haftet der Anlagenbetreiber nicht nach § 2 Abs. 1 HPflG, wenn der Schaden durch höhere Gewalt verursacht wurde, es sei denn, der Schaden ist auf herabfallende Leitungsdrähte zurückzuführen. Wendet man die Alternativitätsthese auf diese Norm an, würde diese entweder Vgl. Rümelin, Zufall, S. 27. Verhandlungen des 22. Deutschen Juristentages, Band IV, S. 121. 101 Vgl. etwa Doll, vis maior, S. 166 ff.; Esser, Grundlagen, S. 111 ff.; Leonhard, Festschrift Träger, 12 ff.; Spaeth, Begriff, S. 36 ff.; Weiß, Höhere Gewalt, S. 20 ff.; Will, Quellen, S. 287 ff. 102 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 425, 442 f.; Kötz, Gutachten, 1779, 1807; Wilburg, Elemente, S. 215 f.; Will, Quellen, S. 296 ff. 103 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 425 anders jedoch S. 443. 104 Vgl. Will, Quellen, S. 302 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 443. 99

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ein Paradoxon regeln, indem für die Betriebsgefahr jenseits derselben gehaftet würde. Oder aber § 2 Abs. 3 Ziff. 3 HPflG würde eine Haftung jenseits des spezifischen Risikos anordnen, womit das System der Risiko- bzw. Gefährdungshaftung verlassen wäre. Es erscheint nach der Alternativitätsthese kaum möglich, die Haftung nach § 2 Abs. 3 Ziff. 3 HPflG zu rechtfertigen, da nach ihren Prämissen gerade keine Verbindung zwischen Betrieb und zu verantwortendem Risiko besteht. Auch inhaltlich verfängt die Alternativitätsthese nicht. 105 Zwar haben höhere Gewalt und das zu verantwortende Risiko den gleichen Anknüpfungspunkt, nämlich den Betrieb der Quelle des Risikos. Sie beruhen jedoch nicht auf der gleichen teleologischen Erwägung106 und haben deshalb keinen entgegengesetzten Regelungsgehalt. Der Betreiber der Gefahrenquelle ist, infolge seiner abstrakten Verantwortung für das mit dem Haftungsgrund verbundene Risiko, zunächst auch für den Erfolg verantwortlich, der durch ein Ereignis höherer Gewalt herbeigeführt wird. Die Zurechnung wird erst auf einer „zweiten Stufe“ ausgeschlossen. Dies erfolgt, weil das Ereignis betriebsfremd ist und das, obwohl die besondere Gefahr im Erfolg wirksam ist. So realisiert sich beispielsweise durchaus die mit dem Bahnbetrieb verbundene besondere Gefahr, wenn ein Zug infolge seiner Schienenbindung, seiner hohen Geschwindigkeit und seines Gewichts von einer Brücke abstürzt, die durch eine unerwartete, bergbaubedingte Bodensenkung eingestürzt ist. Ebenso realisiert sich stets die Betriebsgefahr eines fahrenden Kfz, unabhängig davon, ob der Führer desselben die Gruppe von Fußgängern überfährt, weil er einen Ohnmachtsanfall erleidet oder durch den Schuss eines Heckenschützen niedergestreckt wird. Der Haftungsgrund „besondere Gefahr“ begründet in Verbindung mit der Verantwortung für die Risikoquelle planmäßig eine umfassende Risikozuständigkeit. Das spezifische Risiko und die höhere Gewalt sind deshalb nicht die gegensätzlichen Seiten der Betriebsgefahr, sondern die höhere Gewalt deckt sich zumindest in Teilbereichen mit dem spezifischen Risiko. 107 Zutreffenderweise messen deswegen die herrschende Lehre sowie die Rechtsprechung der höheren Gewalt einen eigenständigen Gehalt gegenüber der Betriebsgefahr zu.108

105 Vgl. Jansen, Struktur, S. 609; Leonhard, Festschrift Träger, 12, 24 f.; Städtler, Schadensersatz, S. 143. 106 Hierzu bereits S. 162 ff. 107 Vgl. Jansen, Struktur, S. 609; Leonhard, Festschrift Träger, 12, 25; i.E. auch Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 270 f. 108 Vgl. Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 270 f.; Häußer, Tatbestand, S. 21; Jansen, Struktur, S. 609; Leonhard, Festschrift Träger, 12, 25; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 624; Medicus, Jura 1996, 561, 565; Städtler, Schadensersatz, S. 143, m. umf. Nachw. zur älteren Rspr.; BGH, NZV 1988, 100; 2008, 79 f.

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

bb. Außergewöhnlichkeit und Unabwendbarkeit Verneint man zutreffend die Alternativität von Betriebsgefahr und höherer Gewalt und spricht dieser somit eine konstitutive Wirkung als Haftungsbegrenzung zu, so umfasst die höhere Gewalt ausschließlich Eingriffe von außen in den Betriebsablauf, welche die Betriebsgefahr realisieren. 109 Störungen „von innen heraus“ sind dem Betrieb ausweislich der Wirkrichtung zugehörig. Die herrschende Meinung füllt den Begriff der höheren Gewalt über dieses objektive Kriterium hinaus mit subjektiven Elementen auf.110 Höhere Gewalt setzt nach dieser Auffassung ein außergewöhnliches,111 betriebsfremdes, von außen durch elementare Kräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis voraus, das nach menschlicher Einsicht oder Erfahrung unvorhersehbar ist und mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann. 112 Sowohl das Erfordernis der Außergewöhnlichkeit, als auch das der – zusammengefasst – Unabwendbarkeit des Ereignisses führen subjektive bzw. verhaltensbezogene Elemente in den Zurechnungsausschluss ein. Die Außergewöhnlichkeit des Ereignisses setzt nach der herrschenden Meinung voraus, dass dieses nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar war. 113 Es müsse sich geradezu als Schicksalsschlag erweisen. 114 Hö-

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Vgl. Städtler, Schadensersatz, S. 67. Vgl. Doll, vis maior, S. 167; Meder, JZ 1994, 485, 487; Städtler, Schadensersatz,

S. 24. 111 Teilweise wird ergänzt, dass das Ereignis nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Rechnung zu stellen ist, etwa BGH NZV 1988, 100; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 158. Dabei handelt es sich lediglich um die negative Formulierung des Merkmals der Außergewöhnlichkeit, vgl. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 39. 112 Vgl. BGHZ 7, 338, 339; 62, 351, 354; BGH, NJW 1986, 2312, 2313; NZV 1988, 100; 2004, 245, 248; 2008, 79, 80; OLG Hamm, NZV 2005, 41; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 158; Giesberts/Reinhardt/Hilf, § 89 WHG Rn. 60; Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG Rn. 4; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1455; Medicus, Jura 1996, 561, 565. Art. 7:102 Abs. 1 PETL verlangt vergleichbar, dass der durch ein außergewöhnliches Naturereignis (lit. a) oder das Verhalten eines Dritten (lit. b) verursachte Schaden unvorhersehbar und unabwendbar war. 113 Vgl. Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, Kap. 25, Rn. 94, Kap. 26 Rn. 29; Städtler, Schadensersatz, S. 70; OLG Hamm, NJW-RR 2005, 393, 394. 114 Vgl. BGH, NZV 1988, 100, 101; OLG Hamm, NJW-RR 2005, 393, 394; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 172; Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, Kap. 26 Rn. 35; Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG Rn. 7; RGRK/Steffen, Vor § 823 Rn. 22.

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here Gewalt erfordert also, widersprüchlicher Weise jedoch keineswegs immer, 115 ein zurechnungsdogmatisch „inadäquates“ Schadensereignis. 116 Die Adäquanz ist jedoch ein Element des Verschuldens117 und als solches mit der Zwecksetzung der Risikozurechnung kaum zu vereinbaren und findet in dieser eigentlich auch keine Anwendung. 118 Tatsächlich dürfte dieses widersprüchliche Merkmal deshalb lediglich die äußerste Grenze der Pflicht des Haftungsadressaten beschreiben, den Betrieb ordnungsgemäß zu organisieren und zu betreiben, die nach der herrschenden Meinung wohl eigentlich maßgeblich ist. Das ergänzende Erfordernis, dass das Schadensereignis nicht mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln durch die äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt abwendbar sein darf, löst den Haftungsausschluss vom reinen Risiko. Die Unabwendbarkeit des Schadensereignisses verknüpft die höhere Gewalt scheinbar mit subjektiven Pflichten des Betreibers der Gefahrenquelle, auch wenn diese einen objektiven Maßstab aufweisen. Dem ist zuzugeben, dass dieses Tatbestandsmerkmal, das die Berücksichtigungsfähigkeit äußerer Eingriffe zu relativieren bezweckt, durchaus eine innere Logik 115 So sollen regelmäßig wiederkehrende Ereignisse mangels Ausnahmecharakters – grundsätzlich – keine höhere Gewalt darstellen (vgl. Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 172). Zugleich betont der BGH, dass es auf die numerische Häufigkeit nicht ankomme, weshalb auch seltene oder auf einer außergewöhnlichen Verkettung von unglücklichen Umständen beruhende Schadensereignisse aufgrund einer wertenden Betrachtung nicht als höhere Gewalt zu beurteilen sein können, wenn diese zu dem Ergebnis führt, dass es sich noch um ein Betriebsrisiko handle (vgl. BGH, NZV 1988, 100 f.; OLG Hamm, NZV 2005, 41; zust. Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 172). Diese von der Rechtsprechung vollzogene selektive Überwindung des Inadäquanzerfordernisses weist dabei große Ähnlichkeit zur selektiven Überwindung der Adäquanztheorie durch die Schutzzwecklehre bei der Verschuldenshaftung auf (hierzu unten S. 309), welche belegt, dass Adäquanz als konstitutives Zurechnungskriterium verfehlt und überflüssig ist. Dass neuerdings auch häufig auftretende Ereignisse, wie Selbsttötungen unter Zuhilfenahme des Bahnbetriebs, als außergewöhnlich beurteilt werden (vgl. OLG Hamm, NZV 2005, 41; OLG Schleswig, VersR 2010, 258, 259; zust. Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 172) ist im Hinblick auf die Maßstäbe des BGH zwar konsequent. Es offenbart aber zugleich, dass die Außergewöhnlichkeit im Wortsinne irrelevant ist. Vielmehr wird das Merkmal ad absurdum geführt und als reine Billigkeitskorrektur genutzt (vgl. auch Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 41, der das Kriterium zutreffend als „untauglich“ bezeichnet), was auch durch die eine einheitliche Linie vermissenlassende Kasuistik belegt wird (hierzu Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 42 f.; Städtler, Schadensersatz, S. 70 ff.). 116 Vgl. Blaschczock, Gefährdungshaftung, S. 43 f.; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 11; Städtler, Schadensersatz, S. 72. 117 Hierzu unten S. 303 ff. 118 Vgl. hierzu Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 24; Deutsch, Haftungsrecht, S. 99; dens., Festschrift Honig, 33, 48; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 233; Staudinger/Kohler, § 1 UmweltHG Rn. 55; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 94 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 1 b, S. 439; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 987; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 18, 25; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 80; BGHZ 79, 259, 262 f.; BGH, NJW 1982, 2669. Missverständlich Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 32; a.A. Schünemann, NJW 1981, 2796, 2797; Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184, 185. Hierzu noch unten S. 306.

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

aufweist. Der Betriebsunternehmer soll auf jeden Fall für die Realisierungen der Betriebsgefahr haften, die auf externen Ursachen beruhen und dennoch durch die pflichtgemäße Sorgfalt und somit einen ordnungsgemäßen Betrieb vermieden werden können. Diese Begrenzung der höheren Gewalt liegt besonders nahe, wenn man die Hauptaufgabe der Gefährdungshaftung nicht im Ausgleich, sondern in der Prävention sieht. 119 An Verhaltenspflichten anzuknüpfen, stößt jedoch in der Risikohaftung auf Bedenken. Eine Folge dieses Ansatzes ist, dass Verschulden die Annahme von höherer Gewalt ausschließen soll. 120 Dies ist von der Begründungsrichtung her nicht ganz richtig, weil nun doch das Verhalten in der Risikozurechnung berücksichtigt und bewertet wird. Es wäre ein Systembruch, die Risikozurechnung in ihren Außengrenzen von pflichtgemäßem Verhalten abhängig zu machen, denn dies widerspricht ihrer verhaltensunabhängigen Natur. 121 Es ist gerade ihr Zweck, eine Risikozuweisung unabhängig von der konkreten Beherrschbarkeit der Gefahr zu statuieren. Diese dogmatischen Bedenken hat der Gesetzgeber auch für die Abschaffung des Entlastungsgrundes des unabwendbaren Ereignisses in § 7 Abs. 2 StVG a.F. und § 1 Abs. 2 HPflG angeführt.122 Auf die ominöse, über Verschulden hinausgehende äußerste Sorgfalt abzustellen, vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, sofern dies die höhere Gewalt mit Verhaltenspflichten verbindet. Dass an die abstrakte Gefährlichkeit als Haftungsgrund angeknüpft wird, verträgt sich schwerlich mit den an eine konkrete Gefährdung anknüpfenden, situationsabhängigen Sorgfaltspflichten, mögen diese auch noch so objektiviert sein. Die Gefährdungshaftung als Risikohaftung knüpft ausschließlich an die Begründung der Gefahr, die Sorgfaltspflichten hingegen an die tatsächliche Beherrschung der Gefahr im Einzelfall

So etwa Wagner, AcP 206 (2006), 352, 454. Dagegen BT-Drs. 14/7752, S. 30: „Die Gefährdungshaftung dient [...] dem Ausgleich von Schäden, nicht der Schadensprävention“. Dazu auch Deutsch, JuS 1981, 317, 324; ders., Haftungsrecht, S. 443; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 609. Zur Präventionswirkung der Haftung vgl. auch unten S. 238 ff. 120 Vgl. Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, Kap. 25 Rn. 95, Kap. 26 Rn. 39; Rebler, SVR 2011, 246, 247; Städtler, Schadensersatz, S. 25; Staudinger/Werner, § 701 Rn. 73; Erman/Graf v. Westphalen, § 701 Rn. 16. 121 Ähnlich Kötz, Gutachten, 1779, 1805; Will, Quellen, S. 297. 122 BT-Drs. 14/7752, S. 30; ebenso Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 107; Deutsch, Haftungsrecht, S. 443; Kötz, Gutachten, 1779, 1805. 119

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an.123 Soweit mit der Gefährdungshaftung echte Verhaltenspflichten verbunden werden sollen,124 ist dies mit ihrer Natur als Risiko- und eben nicht Fehlverhaltenshaftung schlicht unvereinbar. Sie kann Verhaltensanreize setzen,125 aber sie verpflichtet nicht zu einem bestimmten Verhalten. cc. Objektiv-risikoorientierte Betrachtung Vergegenwärtigt man sich die Risikoverantwortung als Grund der Haftung126 und die verminderte Selbstbestimmung bei betriebsfremden Eingriffen als den Grund der Beschränkung der Zurechnung, 127 so erscheint es vorzugswürdig, den Bereich der höheren Gewalt vom Betriebsrisiko ausgehend negativ zu bestimmen. 128 Die höhere Gewalt beschränkt das umfassend zugewiesene spezifische Risiko hinsichtlich der äußeren Eingriffe, die nicht mehr wesensgemäß mit dem Betrieb verbunden sind. Ausnahmslos zu verantworten sind also die mit dem konkreten Betrieb verbundenen und somit „betriebsimmanenten“ Schadensrisiken. Die höhere Gewalt ist auf die „betriebsfremden“ Schadensereignisse beschränkt. Problematisch ist jedoch, welche Schadensereignisse noch zum konkreten Betrieb gehören. Ein störungsfreier Betrieb erfordert nicht nur, die inneren Abläufe zu kontrollieren und zu beherrschen, sondern auch externe Einflüsse und Störungen abzuwehren. 129 Deshalb muss die Grenzziehung zwischen der höheren Gewalt und den stets zugewiesenen Risiken an die Anziehungskraft und Anfälligkeit des konkreten Betriebs für externe Einflüsse mit Schädigungspotenzial geknüpft sein. Dies ist der Kern der Unterscheidung zwischen betriebsfremden und betriebsimmanenten Ereignissen. Es erweist sich dabei als kontraproduktiv, dass mit dem Begriff der höheren Gewalt pauschal bestimmte Ereignisse wie Naturkatastrophen (Erdbeben, Wirbelstürme, Überschwemmungen) oder Gewalthandlungen (Terrorismus oder

Vgl. Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 400; dens., Haftungsrecht, S. 139; ähnlich Deutsch, JuS 1981, 317, 318. 124 So wohl Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 176: „Die Sorgfaltspflichten erstrecken sich darauf, das Ereignis nicht eintreten zu lassen oder seine Folgen unschädlich zu machen“. Zutreffend dagegen der Hinweis von Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 271, allerdings zu § 7 Abs. 2 StVG a.F. Vgl. auch BGHZ 79, 259, 262: „Einer Gefährdungshaftung liegen keine Verhaltenspflichten zu Grunde [...]“. 125 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 19 f., 55. 126 Vgl. S. 152 ff. 127 Vgl. S. 162 ff. 128 So bereits Esser, Grundlagen, S. 112 ff. 129 Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 271; Esser, Grundlagen, S. 113; Deutsch, JuS 1981, 317, 324; Meder, JZ 1994, 485, 487. 123

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

Krieg) und dergleichen mehr verbunden werden,130 ohne dass die Betriebsart und die Umstände des konkreten Betriebes berücksichtigt werden. 131 Diese Aufzählungen leiden an der Schwäche, dass auch die abstrakte Gefährlichkeit eines Betriebes nichtsdestoweniger eine individuelle 132 und der Grenzverlauf zwischen höherer Gewalt und dem haftungsbewehrten Betriebsrisiko entsprechend kein feststehender ist.133 Deshalb müssen die gebräuchlichen Aufzählungen der „Stereotypen höherer Gewalt“ wieder eingeschränkt werden, 134 damit die wertungsmäßige Konsistenz wiederhergestellt werden kann. Zu betriebsimmanenten Risiken gehören auch diejenigen natürlichen oder menschlichen Eingriffe von außen, welche die spezifische Risikorealisierung herbeizuführen vermögen und denen objektiv im Eigeninteresse für einen störungsfreien Ablauf entgegengewirkt werden müsste. Ein erforderliches Entgegenwirken liegt auch darin, wenn der Betrieb der Risikoquelle der Organisation bedarf, um eingetretene Störungen wieder zu beseitigen, sodass sich auch das Betriebsrisiko realisiert, und dies unabhängig davon, ob der Eintritt der entsprechenden Störungen abstrakt oder im konkreten Einzelfall überhaupt beherrschbar ist. Betriebsimmanent sind, abhängig von den Umständen des Betriebes, etwa normale Wetterextreme oder -anomalien, wie Eisregen, Nebel, langanhaltende Hitze oder extreme Windböen135 und auch Naturkatastrophen und ähnliche seltene Ereignisse können dies sein.136 Der Bau einer Raffinerie in einer erdbeben- und tsunamigefährdeten Region137 begründet notwendig das Risiko entsprechender Naturereignisse und erfordert objektiv Maßnahmen, um diesen zu begegnen. Dabei ist gleichgültig, ob Zweck der Maßnahmen die Prävention der Schadensereignisse ist oder deren Folgen zu begrenzen. Wenn etwa ein Betrieb ein mit seiner Lage verbundenes Ereignis nicht verhindern kann, wie etwa ein Erdbeben, aber bereits mit seiner Aufnahme organisatorisch Vorkehrungen zur 130 Dabei dürfte es sich in gewissem Umfang um eine Nachwirkung des römischen Rechts handeln, vgl. Doll, vis maior, S. 171. Vgl. zur kasuistischen Handhabung der höheren Gewalt bis zur Spätklassik auch Stobbe, Höhere Gewalt, S. 13 f. Ein Blick in die einschlägige Kommentarliteratur bestätigt diese Praxis. 131 Darauf hat schon Esser, Grundlagen, S. 113 hingewiesen. 132 In diese Richtung auch die European Group of Tort Law, vgl. Koch, PETL, Art. 7:102 Rn. 3. 133 Vgl. Esser, Grundlagen, S. 112 f. 134 Vgl. etwa Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG Rn. 12; Staudinger/Werner, § 701 Rn. 73; Soergel/Bruß, § 701 Rn. 36. 135 Vgl. etwa Staudinger/Kohler, § 4 UmweltHG Rn. 10; RGRK/Steffen, Vor § 823 Rn. 22, der jedoch unangebrachte Einschränkungen macht. 136 Vgl. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 13; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 11. 137 Das Beispiel ist der Aktualität der Katastrophe von Fukushima und der Anschaulichkeit des Vorfalls im Hinblick auf die Wirkung seltener extremer Umwelteinflüsse geschuldet.

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung

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Aufrechterhaltung oder zügigen Wiederaufnahme der Betriebsabläufe im Ereignisfalle treffen muss, etwa Vorkehrungen zur Notabschaltung der Anlage im Erdbebenfall und das Vorhalten von Mitteln und Know-how zur Beseitigung von nicht verhinderbaren Kontaminationen aus unvermeidbaren Lecks, handelt es sich trotz der Unabwendbarkeit des Ereignisses um ein zum konkreten Betrieb gehöriges Risiko von Eingriffen von außen. Der Betriebsunternehmer hat deshalb für die mit dem Ereignis zugleich verbundenen Gefahren für Dritte, die vom Betrieb ausgehen, einzustehen. Dabei ist es gleichgültig, ob die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden oder nicht, es handelt sich bei entsprechenden Ereignissen um das originäre Betriebsrisiko und die Haftung bleibt entsprechend unberührt. Entsprechend hat sich etwa in Fukushima, 138 trotz der Kombination zweier als Stereotypen höherer Gewalt dienender Naturgewalten, das dem Betrieb des konkreten Atomkraftwerks immanente Risiko und eben nicht höhere Gewalt realisiert. Dass es sich um katastrophale Eingriffe von außen handelte, ändert daran nichts. Nicht entlasten kann sich der Betriebsunternehmer, indem er darauf verweist, dass er das Erdbeben und den darauffolgenden Tsunami nicht verhindern oder den Eintrittszeitpunkt nicht vorhersehen konnte, etwa weil sich Beben unregelmäßig im Abstand mehrerer Jahrzehnte ereignen. Ebenso wenig kann er mit dem Einwand gehört werden, es habe sich um ein außergewöhnlich starkes Beben oder einen ungewöhnlich hohen Tsunami gehandelt.139 Auf Fälle jenseits der Anlagenhaftung übertragen, ist mit dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges im Verkehr das unvermittelte Betreten der Straße durch Kleinkinder oder Rotwild, ebenso wie das durch Gegenstände auf der Fahrbahn verursachte Platzen eines Reifens verbunden, unabhängig davon, ob das Ereignis oder der folgende Unfall abwendbar war. Unabhängig davon, ob das konkrete Ereignis vorherseh- oder vermeidbar war, liegt es objektiv im Eigeninteresse des Halters, dass diesem präventiv durch Vorsichtsmaßnahmen begegnet wird. Auch wird man terroristische Eingriffe, etwa das Entgleisenlassen von Zügen durch eine Brückensprengung, als mit dem Bahnbetrieb als öffentlichem Massenverkehrsmittel mit hohem Anziehungspotenzial für Terroristen verbundenes Risiko betrachten müssen.140 Dabei ist wiederum unerheblich, ob diese

Gem. § 25 Abs. 3 AtG ist bei Atomkraftwerken die Haftung auch im Falle höherer Gewalt nicht ausgeschlossen. Dennoch bietet sich das Beispiel aus der jüngeren Zeit an, um an diesem die Systematik zu verdeutlichen. 139 Vgl. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 13. 140 Für möglich erachtet von Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, Kap. 26, Rn. 31, 38; a.A. auf Grundlage der Formel der herrschenden Meinung Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht II, Rn. 1383. Krit. beim Missbrauch von Verkehrsmitteln als Waffe bzw. Mittel terroristischer Handlungen, wie etwa beim Angriff auf das World Trade Center mit gekaperten Flugzeugen, Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 531. Vorzugswürdig dürfte sein, insoweit den Haftungsausschluss für Schwarzflüge und Schwarzfahrten für maßgeblich zu erachten (§ 33 138

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

Eingriffe durch die Anwendung äußerster Sorgfalt überhaupt abwendbar sind. 141 Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei einem explosionsbedingten Verkehrsunfall mit einem Kfz, der infolge einer am Straßenrand gezündeten Autobombe erfolgt, in unseren Breiten nicht um ein mit dem motorisierten Straßenverkehr verbundenes Risiko. Als Indizien dafür, welche Eingriffe noch betriebsimmanent sind, können etwa technische, gesetzliche oder versicherungstechnische Erfordernisse und Vorgaben sowie die betriebsinterne Organisation herangezogen werden. Natürlich vermögen insoweit die individuell tatsächlich vorgenommenen Vorsorgemaßnahmen nicht den Bereich der betriebsfremden Eingriffe abschließend zu bestimmen. Bei der objektiv-konkreten und somit betriebsbezogenen Betrachtung sind jedoch all diejenigen Risiken für den Betrieb dem betriebsimmanenten Risiko zuzuordnen, bzgl. derer der Betriebsunternehmer selbst ex ante Handlungsbedarf sieht. Eine gewisse Überlappung mit den objektiven Gefahrbeherrschungspflichten (Verkehrspflichten) bzgl. der möglichen Außenwirkung der besonderen Gefahrenquelle, die vom Bertreiber zu beachtende Normen sind, 142 ist dabei nicht abzustreiten. Die risikobezogenen Gefahrbeherrschungspflichten sind allerdings Bestandteil der Risikozuweisung. 143 Genauer belegt das Be- oder Entstehen einer Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflicht, die auf das spezifische Risiko bezogen ist, dass das zugrunde liegende Schadensrisiko derart eng mit dem konkreten Betrieb verbunden ist, dass dieses nicht als betriebsfremd beurteilt werden kann. Der hier befürwortete Ansatz deckt sich weitgehend mit den Ergebnissen des Ansatzes der herrschenden Meinung. In Einzelfällen ergeben sich jedoch erhebliche Unterschiede, da nach diesem Ansatz auch seltene unabwendbare Eingriffe von außen eine Haftung auslösen können. Nur weil ein Ereignis unabwendbar war, handelt es sich nicht zwingend um höhere Gewalt. Sofern das Ereignis zum konkreten Betrieb in einem inneren Zusammenhang steht, welcher es erforderlich macht, dieses bei der Organisation des Betriebes zu berücksichtigen, handelt es sich gleichwohl um ein betriebsimmanentes Risiko. Durch betriebsimmanente Eingriffe verursachte Schäden sind dem Betriebsunternehmer stets zugewiesen, sogar wenn sie selbst bei Aufwendung der denkbar höchsten Sorgfalt nicht verhütet werden können und vor allem unabhängig davon, ob diese extreme Sorgfalt letztendlich aufgewendet wird. Die für eine objektive Risikohaftung einzig maßgeblichen Umstände sind die abstrakte individuelle Betriebsgefahr und die Affinität und Anfälligkeit des Betriebs bzgl.

Abs. 2 LuftVG, § 7 Abs. 3 StVG) und nicht die Zugehörigkeit zur Betriebsgefahr anzuzweifeln. 141 Anders etwa BGH, NJW 1988, 2733 zu § 2 HPflG. 142 Zur Rechtsnatur der Sorgfaltspflichten bereits S. 139 f. 143 In diese Richtung Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 271.

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung

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Eingriffen von außen, wodurch die Haftung für schuldhaftes Unrecht und die Risikohaftung getrennt werden. c. Ergebnis Der Zurechnungsausschluss der höheren Gewalt beruht auf der Schwäche des Prinzips der Gefahrbeherrschung bei der Zurechnung betriebsfremder Schadensereignisse. Die höhere Gewalt rechtfertigt sich weder daraus, dass es höheren Sphären zuzuordnende, schlechterdings nicht zurechenbare Schadensereignisse gibt, noch daraus, dass derartige Ereignisse nicht auf den Willen des Zurechnungssubjekts rückführbar sind. Die Schwäche der Gefahrbeherrschung bei höherer Gewalt führt zudem nicht zwingend zum Ausschluss der Zurechnung. Sie ist allerdings berücksichtigungsfähig und kann in der Form des Zurechnungsausschlusses umgesetzt werden, wenn nicht das relativ höhere Gewicht anderer Umstände, wie etwa die Prinzipien des Güter- oder des Vertrauensschutzes, eine Haftung dennoch gebietet. Die höhere Gewalt als Zurechnungsausschluss umfasst entgegen der Alternativitätsthese einen Teilbereich des spezifischen Risikos, das dem Haftungsadressaten grundsätzlich umfassend zugewiesen ist. Sie erfasst ausschließlich die betriebsfremden Eingriffe von außen, und dies unabhängig davon, ob diese selbst bei Aufwendung der höchstmöglichen Sorgfalt überhaupt abwendbar sind. Die herrschende Meinung ist abzulehnen, soweit diese auf die individuelle Befähigung des Betreibers abstellt, den konkreten Eingriff abzuwehren. Dieses Vorgehen ist mit der verhaltensunabhängigen Natur der Risikozurechnung nicht zu vereinbaren. Die betriebsfremden Eingriffe, welche die höhere Gewalt bilden, sind mittels Negativabgrenzung zu den stets zur Haftung verpflichtenden betriebsimmanenten Risiken zu bestimmen. Betriebsimmanent sind diejenigen Ereignisse und Eingriffe in den Betrieb von außen, die wesensgemäß mit dem konkreten Betrieb verbunden sind. Dies erfasst Eingriffe von außen, denen der Betreiber schon aus purem Eigeninteresse durch organisatorische Maßnahmen entgegenwirken müsste, unabhängig davon, ob diese Maßnahmen präventiver Natur oder auf Schadenseindämmung oder Störungsbeseitigung gerichtet sind. Das tatsächliche Verhalten des Betreibers indiziert die Zugehörigkeit zum Betrieb. Das Gleiche gilt, wenn gesetzliche Vorgaben bzgl. solcher Eingriffe bestehen, worunter auch die auf das spezifische Risiko bezogenen Gefahrbeherrschungspflichten (Sorgfalts- und Verkehrspflichten) gehören. Diese sind allerdings Bestandteil der Risikozuweisung, d.h. deren Bestand bestätigt bereits die Zugehörigkeit zum zu verantwortenden Risiko. Die tatsächliche Beherrschbarkeit des Ereignisses im Einzelfall bestimmt hingegen nicht, ob es sich um höhere Gewalt handelt.

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

III. Das Begünstigtenprinzip als Zurechnungsprinzip Das dritte haftungsbegründende Zurechnungsprinzip ist das Begünstigtenprinzip. Dieses steht in unmittelbarem Zusammenhang zum Aufopferungsprinzip144, das den korrespondierenden Haftungsgrund stellt. 145 Die Zurechnung zum Begünstigten bildet gewissermaßen neben der Verschuldens- und der Risikozurechnung die „dritte Spur“ des Haftungsrechts. 146 Dass, wie hier angenommen wird, die Zurechnung bei den Tatbeständen der Aufopferungshaftung zwingend nach dem Begünstigtenprinzip erfolgt, wird vielfach angezweifelt.147 Einigkeit besteht lediglich dahingehend, dass die Einstandspflicht unabhängig davon eintritt, ob der Begünstigte – oder nach der Gegenansicht der Eingreifende – und nunmehr Ersatzverpflichtete die Aufopferungslage schuldhaft oder schuldlos herbeigeführt hat. Dies bedeutet, dass die Aufopferungshaftung verschuldensunabhängig ist, sodass auch für im Sinne des Verschuldensprinzips zufällige Ereignisse gehaftet wird. Der Aufopferung als Haftungsgrund kann keine unmittelbare Aussage über den Ausgleichspflichtigen entnommen werden. Vielmehr ist die haftungsrechtliche Verantwortung auf der Grundlage des korrespondierenden Zurechnungsprinzips zu bestimmen. Nennt die eine Ausgleichspflicht anordnende Norm, wie § 904 S. 2 BGB, das Zurechnungssubjekt nicht und besteht somit eine „echte“ oder „offene“ ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke148, muss deshalb zunächst ermittelt werden, welches Zurechnungsprinzip bei aufopferungsbedingten Verletzungen überhaupt anwendbar ist. 149

144 Beim Aufopferungsprinzip handelt es sich um ein verselbstständigtes Wertprinzip des Zivilrechts, das mit einem eigenen ethischen Gehalt ausgestattet ist und das Ausdruck der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia correctiva) ist. 145 Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, 16 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 670; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 136; Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 80; in diese Richtung auch Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 4; i.E. wohl ebenso Erman/Wilhelmi, § 904 Rn. 1 „Konkretisierung des allgemeinen Aufopferungsgedankens“. 146 Canaris, VersR 2005, 577, 580. 147 Vgl. Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, 39 ff., 296; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38; i.E. natürlich auch die Vertreter der Eingriffshaftung: etwa RGRK/Augustin, § 904 Rn. 9; Bamberger/Roth/Fritzsche, § 904 Rn. 20; Soergel/Baur, § 904 Rn. 23; Jauernig/Berger, § 904 Rn. 5; RGZ 113, 301, 303; BGHZ 6, 102, 105. Eingehend S. 180 f. 148 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 847; Canaris, Lücken, S. 60 inkl. Fn. 14; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 198. 149 Zur insoweit unergiebigen Genese des § 904 BGB vgl. Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38; Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 86 ff., jew. m. w. Nachw.

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung

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1. Das äußere System der Aufopferungshaftung Es muss zunächst das äußere System der Aufopferungshaftung bestimmt werden, um nachzuweisen, dass die Aufopferungshaftung ausnahmslos mit der Zurechnung nach dem Begünstigtenprinzip verbunden ist. Dies erfordert einen eingehenden Blick auf die Tatbestände der Aufopferungshaftung. a. Die Tatbestände der Aufopferungshaftung In die Untersuchung sind die zwei gesetzlich geregelten Gruppen der zivilrechtlichen150 Aufopferungshaftung einzubeziehen. Der Aufopferungshaftung sind dabei all diejenigen Haftungsnormen zugeordnet, die auf dem Aufopferungsprinzip als Haftungsgrund beruhen. Grundlage des Aufopferungsprinzips ist, dass ein subjektives Recht 151 zum Wohle eines vorrangigen fremden Interesses zurücktreten musste, obwohl dieses grundsätzlich gegen einen entsprechenden Eingriff geschützt ist. 152 Bestandteil des äußeren Systems sind zunächst die „Notstandsregeln“, wie etwa § 904 BGB,153 die dazu dienen, unverhältnismäßige Schäden zu vermeiden. Die zweite Gruppe bilden die Normen, die das Konfliktpotenzial in Nachbarschaftsverhältnissen durch einen kodifizierten Interessenausgleich auflösen sollen, beispielsweise § 906 BGB und § 14 BImSchG. 154

150 Trotz augenfälliger Verwandtschaft der zivilrechtlichen zur öffentlichrechtlichen Aufopferungshaftung lassen sich keine substanziellen Erkenntnisse aus dem öffentlichen Recht herleiten, vgl. Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 296; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 670; Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 133 ff. 151 Zum umfassenden Schutz höchstpersönlicher subjektiver Rechte mittels Analogie zu § 904 S. 2 BGB i. V. m. § 34 StGB und § 16 OWiG, vgl. Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 48; MünchKommBGB/Säcker, § 904 Rn. 24. 152 Vgl. Deutsch, Festschrift Steffen, 101, 102; Konzen, Aufopferung, S. 101 ff.; Hubmann, JZ 1958, 489, 491; Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 38 f.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 136. 153 Umfasst sind zudem die §§ 867, 1005, 962 BGB und ebenso § 917 BGB. Außerhalb des BGB sind dies z.B. § 25 LuftVG, § 588 HGB und § 78 Abs. 1 BinSchG. Lediglich § 904 S. 1 BGB beinhaltet das Gebot einer Güterabwägung im Einzelfall. Die anderen Normen enthalten diese Abwägung bereits in den tatbestandlichen Voraussetzungen und den Beschränkungen in der Rechtsfolge, etwa auf ein Recht zur Betretung. 154 Vgl. zu § 906 BGB Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 43 ff.; Staudinger/Roth, § 906 Rn. 1, 65; Hagen, Festschrift Lange, 483. Einen Sonderfall stellt § 912 BGB dar, der wertvernichtende Zerstörung vermeiden soll, vgl. MünchKommBGB/Brückner, § 912 Rn. 1 m. w. Nachw. Abweichend zu den Notstands- und Nachbarrechtsnormen bewirkt dieser jedoch keineswegs den Ausschluss der negatorischen Haftung, sondern nur eine „ex post-Legalisierung“ des Zustandes, wodurch eine deliktische Haftung sowie der Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen wird, vgl. MünchKommBGB/Brückner, § 912 Rn. 25. Der Zwecksetzung nach ist § 912 BGB mit der ersten Fallgruppe verwandt, nur dass mangels Gefahrenlage keine Notstandssituation vorliegt.

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

Der teilweise befürwortete „allgemeine Aufopferungsanspruch“ 155 ist hingegen nicht Bestandteil des äußeren Systems, da er nicht anzuerkennen ist. Der ungeschriebene Haftungstatbestand könnte nur unter Inkaufnahme von schwerwiegenden dogmatischen Systembrüchen realisiert werden, weswegen er zumeist abgelehnt wird. 156 Neben der praktischen Schwierigkeit, dass es bisher nicht gelungen ist, die Aufopferungstatbestände auf eine einheitliche Grundlage zu stellen,157 wodurch es an einem geeigneten Fundament für den übergeordneten allgemeine Aufopferungsanspruch fehlt, gerät der verschuldensunabhängige Anspruch in Konflikt mit dem grundsätzlich geltenden Verschuldensprinzip und stößt deshalb auf schwerwiegende systematische Bedenken.158 Die Entwicklung einer Aufopferungsgeneralklausel ist zudem wegen der ausnahmetatbestandlichen Ausgestaltung der Aufopferungshaftung methodisch unzulässig. 159 Folge der enumerativen Ausgestaltung ist ein gesetzessystematisch begründetes Induktionsverbot, 160 weswegen es ausgeschlossen ist, das Aufopferungsprinzip zu einer Generalklausel im Wege der Rechtsanalogie (Gesamtanalogie) zu den Ausnahmetatbeständen zu erheben. Nicht ausgeschlossen ist hingegen eine Gesetzesanalogie (Einzelanalogie) zu einzelnen Haftungstatbeständen. 161 b. Die faktischen Duldungszwänge Nicht in das äußere System einzubeziehen sind zudem die Ausgleichsansprüche bei sog. „faktischen Duldungszwängen“. Das von der Rechtsprechung entwickelte Haftungsinstitut, das auf eine Analogie zum Tatbestand der Aufopferungshaftung § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gestützt wird, soll einen Ersatzanspruch bei rechtswidrigen Eingriffen in fremde Rechtsgüter gewähren, sofern der Inhaber des Rechtsguts rein tatsächlich nicht die Möglichkeit hatte, den Eingriff

155 Für diesen Hubmann, JZ 1958, 489, 491 ff.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, S. 827 f.; MünchKommBGB6/Säcker, § 904 Rn. 1, 23. 156 Vor allem Konzen, Aufopferung, S. 154 ff.; Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 81 ff.; Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 39; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 670; Mühl, NJW 1960, 1133, 1135; Roth, in: ders. u.a. (Hrsg.), Aufopferungsanspruch, 1, 6; SchulzeOsterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 16 ff., 310; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38. 157 Vgl. Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 39; Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 81 ff.; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 16 ff., 310; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 4. 158 Vgl. Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 39; Konzen, Aufopferung, S. 156, 159 f.; Roth, in: ders. u.a. (Hrsg.), Aufopferungsanspruch, 1, 6. 159 Vgl. Canaris, Lücken, S. 181, 188; Konzen, Aufopferung, S. 159. 160 Canaris, Lücken, S. 184. 161 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 440; Canaris, Lücken, S. 181; Konzen, Aufopferung, S. 159.

§ 5 Die haftungsrechtlichen Prinzipien der Erfolgszurechnung

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mit zumutbaren Mitteln zu verhindern. 162 Weil der Eingriff rechtswidrig erfolgt und entsprechend keine rechtliche Duldungspflicht besteht, handelt es sich bei den faktischen Duldungszwängen gerade nicht um eine Haftung mit dem Aufopferungsgedanken als Haftungsgrund. 163 Diese Haftung ist mangels planwidriger Regelungslücke 164 schon gar nicht durch Analogie begründbar und kann erst recht nicht auf die Tatbestände der Aufopferungshaftung gestützt werden, die einen gegensätzlichen Regelungsgehalt aufweisen.165 Die Haftung für faktische Duldungszwänge ist tatsächlich eine Risikohaftung. Der Versuch, sie von der Risikohaftung abzugrenzen, indem auf das Erfordernis einer rechtswidrigen, eine „Sicherungspflicht“ verletzenden Störung verwiesen wird,166 erweist sich als reine Fassade. Die Rechtsprechung übersteigert in diesem Zusammenhang die Sicherungspflichten zu irrealen, von der Erfüllbarkeit unabhängigen Erfolgspflichten. Tatsächlich hat sie eine reine Risikohaftung etabliert, weil das menschliche Verhalten im Ergebnis vollkommen irrelevant ist und der bloße Erfolg die Verantwortung begründet. So formulierte der BGH hinsichtlich der durch eine verletzte Sicherungspflicht begründeten Störereigenschaft bei technischen Defekten repräsentativ: 167 „Denn sie [die Beklagte] war es, die die Gefahrenquelle, das [mit elektrischen Motoren versehene] Bettelement, benutzte und beherrschte. Sie war für den ordnungsgemäßen Zustand sämtlicher Teile, insbesondere der Elektromotoren und der elektrischen Leitungen, verantwortlich. Da der Brand nicht Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses war, sondern auf Umständen beruhte, auf die die Bekl. Einfluss nehmen konnte, auch wenn konkret kein Anlass für ein vorbeugendes Tätigwerden bestanden haben mag, ist es gerechtfertigt, sie als Störer i. S. von § 1004 BGB anzusehen.“

Grundlegend BGHZ 72, 289 ff.; vgl. auch BGHZ 90, 255, 262 f.; 142, 66 ff.; BGH, VersR 1985, 740 ff.; NJW 2003, 2377 ff.; 2004, 1037 ff.; NZM 2008, 256 ff.; 2011, 495 ff. Zustimmend etwa Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 29; Deutsch, Festschrift Steffen, 101, 111; Bamberger/Roth/Fritzsche, § 906 Rn. 84; Hagen, Festschrift Lange, 483, 499 ff.; Jauernig/Berger, § 906 Rn. 15; MünchKommBGB/Brückner, § 906 Rn. 195; Wendehorst, Anspruch, S. 190; Wenzel, NJW 2005, 241, 246 f.; einschränkend Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 664 f.; Staudinger/Roth, § 906 Rn. 69; ders., in: ders. u.a. (Hrsg.), Aufopferungsanspruch, 1, 16 f. 163 Vgl. Knoche, Festschrift Canaris I, 571, 574 f., der von einer Verkehrung des Aufopferungsgedankens ins Gegenteil spricht; Neuner, JuS 2005, 487, 491; Wilhelm, Sachenrecht, Rn 781. 164 Eingehend Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 229 ff. 165 Vgl. Benecke, VersR 2006, 1037, 1041; Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 222 ff., 273 ff.; Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 114 ff.; Neuner, JuS 2005, 487, 491. Ähnlich wie hier auch Erman/Wilhelmi, § 906 Rn. 43a, ders., Risikoschutz, S. 98 ff. 166 So BGH, NZM 2011, 495 f. sowie der frühere Vorsitzende des V. Zivilsenats Wenzel, NJW 2005, 241, 247. 167 BGH, NZM 2011, 495, 496. 162

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Zweiter Teil: Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

Da der Nutzer der „Gefahrenquelle“, der diese beherrscht, für die von dieser ausgehende Gefahren verantwortlich sein soll, auch wenn diese ex ante realistischerweise für niemanden erkenn- und vermeidbar waren, bezieht sich die Verantwortung nicht auf ein (pflichtwidriges) Verhalten, sondern nur auf den „Betrieb dieser Gefahrenquelle“ selbst. Versucht man die „Sicherungspflicht“ als echte Verhaltenspflichten zu formulieren, so wird deutlich, wie irrational diese sind. Die Rechtsprechung würde nicht weniger verlangen, als dass ein jeder ohne konkreten Anlass andauernd jedes elektrische Gerät im Haushalt öffnet und – wie auch immer – Bauteile und Verkabelungen überprüft, und dies unabhängig von Aufwand, Kosten und sonstigen Rechtsfolgen der „Pflichterfüllung“, wie etwa dem Verlust vertraglicher Garantieansprüche. Die weitgehende Übereinstimmung der von der Rechtsprechung etablierten Haftung für faktische Duldungszwänge mit der Gefährdungshaftung wird in diesem Bereich sehr deutlich. Paradoxerweise hat der schuldlos handelnde Haftungsadressat jedoch, im Unterschied zur Gefährdungshaftung, keine „besondere“, sondern lediglich eine „gewöhnliche“ Gefahr durch „die Gefahrenquelle“ geschaffen bzw. beherrscht diese. Die Haftung für faktische Duldungszwänge wird von keinem der enumerativen verschuldensunabhängigen Tatbestände direkt gestützt und findet in keinem derselben eine taugliche Grundlage für eine Analogie. Sie steht deshalb im Widerspruch zum Verschuldensprinzip168 und ist mit dem System der Haftung unvereinbar. Schon der Ansatz der Rechtsprechung, mit dem das Haftungsinstitut legitimiert werden soll, kann nicht überzeugen, da das Verschuldensprinzip schlicht zum selektiv unbilligen Rechtsnachteil für den Geschädigten umqualifiziert wird, 169 obwohl es auch in den Fällen der faktischen Duldungszwänge entsprechend seiner ethisch fundierten170 Zwecksetzung171 die Haftung begrenzt und so die individuelle Handlungsfreiheit schützt. 172 Ein fingierter „Missstand“ bildet die Rechtfertigung dafür, die mit dem Enumerationsprinzip verbundene Sperrwirkung für verschuldensunabhängige Haftung,

168 Ablehnend deshalb Bensching, Ausgleichsansprüche, S. 222 ff. 273 ff.; Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 107 ff.; Neuner, JuS 2005, 487, 491; Schlechtriem, Festschrift Gernhuber, 407, 416 ff.; Wilhelm, Sachenrecht, Rn. 781, 783; Erman/Wilhelmi, § 906 Rn. 43a, ders., Risikoschutz, S. 98 ff.; Würdinger, JZ 2014, 690, 691; auf der Basis einer Qualifikation als Gefährdungshaftung im Ergebnis auch Katzenstein, Festschrift Picker, 425, 432, 441 f.; für Teilbereiche auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 665 f.; Staudinger/Roth, § 906 Rn. 69. 169 Vgl. Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 62; andeutungsweise in BGHZ 72, 289, 295; 85, 375, 384; 90, 255, 262. 170 Vgl. oben S. 130 ff. 171 Vgl. hierzu unten S. 225 ff. 172 Vgl. Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 62; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 99.

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trotz schwerwiegender methodischer und systematischer Bedenken, zu überwinden. Diese gesetzeswidrig entwickelte echte Zufallshaftung173, die weder dogmatisch noch wertungsmäßig überzeugen kann, vermag entsprechend generell keinen Beitrag zur zivilrechtlichen Zurechnungsdogmatik zu leisten und ist insgesamt aufzugeben. 2. Das Meinungsspektrum zum Verhältnis von Aufopferungshaftung und Begünstigtenprinzip Nach der überwiegenden Meinung in der Literatur erfolgt die Zurechnung immer zum Begünstigten des Eingriffs, sodass das für die Aufopferungshaftung maßgebliche Zurechnungsprinzip das Begünstigtenprinzip oder das Prinzip der Begünstigtenhaftung ist.174 Ein anderer Teil des Schrifttums175 verneint zwar aus systematisch-teleologischen Gründen eine strukturelle Verbindung von Aufopferungs- und Begünstigtenhaftung. Infolge einer teleologischen Auslegung der individuellen Normen wird jedoch ebenfalls eine Zurechnung zum Begünstigten angenommen. 176 Auch Maultzsch, der die Problematik aus einem rechtsökonomischen Blickwinkel betrachtet, gelangt zu diesem Ergebnis. Er begründet die Ersatzpflicht bei der Aufopferungshaftung mit dem theoretischen Modell der Marktimitation, also dem Gedanken, dass die Rechtsordnung ein Eingriffsrecht gewährt, das die Beteiligten unter optimalen Marktbedingungen vertraglich vereinbart hätten.177 Ausgleichspflichtig soll demgemäß Vgl. hierzu S. 98. Vgl. Canaris, VersR 2005, 577, 580; Erman12/A. Lorenz, § 904 Rn. 10; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 136 f.; Hubmann, JZ 1958, 489, 493; Staudinger/Kohler, Einl. Umwelthaftungsrecht, Rn. 91; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 670; Horn, JZ 1960, 350, 352; Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 168 ff.; Konzen, Aufopferung, S. 108 ff.; Kraffert, AcP 165 (1965), 453, 454 f., 460 f.; MünchKommBGB6 /Säcker, § 904 Rn. 17 f.; Wendehorst, Anspruch, S. 188; Westermann/Gursky/Eikmann, Sachenrecht, § 27 Rn. 16. 175 Vgl. Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, 39 ff., 185, 296; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38; differenzierend, Deutsch, Haftungsrecht, S. 467. Die haftungssystematische Kritik von Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 92 ff. am Begünstigungsgedanken verfängt insoweit nicht, da sich diese auf die Einbeziehung faktischer Duldungszwänge stützt (zu diesen bereits S. 178 ff.). 176 So etwa Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38. 177 Vgl. Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 141 ff.; Posner, Analysis, § 6.4, S. 203 f. Der Ansatz der Marktimitation ist jedoch bei der Aufopferung immaterieller Güter auf der Grundlage des § 34 StGB, die bekanntermaßen eine Aufopferungshaftung analog § 904 S. 2 BGB begründet (vgl. Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 48 m. w. Nachw.), Bedenken ausgesetzt. Gerade bei Eingriffen in Körper und Gesundheit stößt die Marktimitation an ihre Grenzen, da tatsächlich nicht nur prohibitiv hohe Transaktionskosten einen Vertragsschluss verhindern, sondern auch die mangelnde Bereitschaft des kraft Gesetzes Aufopferungspflichtigen seine Güter preiszugeben. Die von der ökonomischen Analyse modelltheoretisch benötigte indifferente Einstellung der Geschädigten zur Verletzung höchstpersönlicher Güter ist insoweit eine zweifelhafte Fiktion. 173

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derjenige sein, der unter optimalen Marktbedingungen die Duldungspflicht „erkauft“ hätte, 178 wodurch ebenfalls ein System der Begünstigtenhaftung begründet wird. 179 Die Gegenauffassung einschließlich der Rechtsprechung bestimmt das maßgebliche Zurechnungsprinzip ebenfalls von der konkreten Norm aus, die die Zurechnungsfrage aufwirft. Sie verneint – teilweise ausdrücklich und teilweise unbenannt – einen Zusammenhang von Aufopferung und Begünstigtenhaftung und befürwortet demgegenüber die Zurechnung zum Eingreifenden. 180 Zur Begründung wird insoweit angeführt, dass der Erlaubnistatbestand gerade auf die Einwirkungshandlung abstelle. 181 Ergänzend wird die leichtere Ermittelbarkeit des unmittelbar Eingreifenden ins Feld geführt. 182 Der seine Güter Aufopfernde müsse davor geschützt werden, dass der Regress daran scheitert, dass der Begünstigte nicht aufgefunden werden kann. Die Haftung begründet allerdings eine Härte für den altruistisch eingreifenden Dritten. Diese wird mit einem Verweis auf die seinerseits bestehenden Regressmöglichkeiten nach den Bestimmungen der Geschäftsführung ohne Auftrag und des Bereicherungsrechts abgetan. 183 Zuletzt verbindet eine Mindermeinung die Gedanken der Eingriffs- und Begünstigtenhaftung und lässt sowohl den Eingreifenden als auch den Begünstigten als Gesamtschuldner haften. 184 Dieser Ansatz leidet allerdings bereits daran, dass die Vertreter das Entstehen der Gesamtschuld nicht begründen können und dies auch gar nicht versuchen, 185 weswegen diese Ansicht hier nicht weiterverfolgt wird.

Vgl. Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 236 ff. Vgl. Maultzsch, Aufopferungsansprüche, S. 240. 180 Vgl. RGRK/Augustin, § 904 Rn. 9; Bamberger/Roth/Fritzsche, § 904 Rn. 20; Soergel/Baur, § 904 Rn. 23; Jauernig/Berger, § 904 Rn. 5; Erman/Wilhelmi, § 904 Rn. 10; MünchKommBGB/Brückner, § 904 Rn. 19; RGZ 113, 301, 303; BGHZ 6, 102, 105; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 8. 181 Vgl. etwa Bamberger/Roth/Fritzsche, § 904 Rn. 20; RGRK/Augustin, § 904 Rn. 9. 182 So Bamberger/Roth/Fritzsche, § 904 Rn. 20; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 8; Soergel/Baur, § 904 Rn. 23; Palandt/Herrler, § 904 Rn. 5. 183 Vgl. etwa Bamberger/Roth/Fritzsche, § 904 Rn. 20; Palandt/Herrler, § 904 Rn. 5; Jauernig/Berger, § 904 Rn. 5; Erman/Wilhelmi, § 904 Rn. 10, der sogar die „Wertungen der Geschäftsführung ohne Auftrag“ als Argument anführt. 184 Vgl. etwa Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 135, Wieling, Sachenrecht, S. 91 für § 904 S. 2 BGB; Deutsch, Haftungsrecht, S. 468 ohne Einschränkungen. 185 Eine Analogie zu den §§ 830, 840 BGB als Deliktsnormen scheidet infolge der Rechtsmäßigkeit des Eingriffsverhaltens und mangels Beitrags des Begünstigten aus (so auch Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 85 als Vertreter der Ansicht). Ebenso muss anerkanntermaßen letztendlich der Begünstigte den Schaden allein tragen, weswegen mangels Gleichstufigkeit (vgl. hierzu MünchKommBGB/Bydlinski, § 421 Rn. 12 ff.) die Annahme einer Gesamtschuld zweifelhaft ist. 178

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3. Stellungnahme Die von den Vertretern der Eingriffshaftung vorgebrachten Argumente vermögen im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zunächst wird mit dem Verweis auf die Verbindung von Einwirkungshandlung und Erlaubnistatbestand nur ein Teil der Norm beachtet. Dieser lässt zudem kaum Rückschlüsse auf die Ausgleichspflicht zu. Sowohl § 904 S. 1 BGB als auch § 906 Abs. 2 S. 1 BGB beinhalten eine Interessenabwägung, welche unstreitig gerade nicht auf die Interessen des Eingreifenden, sondern auf die des Begünstigten Bezug nimmt, der allenfalls zufällig mit dem Eingreifenden identisch ist. Die Einwirkungshandlung wird erlaubt, weil die Interessen des Begünstigten gegenüber denen des Betroffenen überwiegen. Auch das Argument der leichteren Ermittelbarkeit des Einwirkenden verfängt nicht. Es mangelt an diesbezüglichen Erfahrungswerten186 und auch die von den Vertretern der Eingriffshaftung als „sicherer“ präferierte Ermittlung des Eingreifenden ist, ebenso wie dessen Solvenz, mit vergleichbaren Unwägbarkeiten verbunden.187 Beispielsweise ist es leichter und sicherer, die Eltern des aus dem Fenster der Mietswohnung stürzenden Kleinkindes bzw. dieses selbst zu ermitteln, als den zufällig vorbeikommenden Passanten, der das Kind auf Kosten des vor der dem Haus angelegten Blumenbeets auffangen konnte und sodann die Ereignisstätte verlässt. Die Vertreter der Eingreifendenhaftung befürworten zudem einen Regress beim Begünstigten insbesondere nach §§ 670, 683 S. 1 BGB. Es gibt keinen Grund, den „Umweg“ über den Eingreifenden zu gehen, zumal das Auseinanderfallen von Begünstigtem und Eingreifendem aus der Sicht des Duldungspflichtigen lediglich Zufall ist. 188 Trotz der theoretischen Möglichkeit des Eingreifenden, Regress zu nehmen, stößt es auf erhebliche Bedenken, diesen mit keinen Vorteilen Bedachten unnötigerweise mit dem Insolvenzrisiko189 des Begünstigten sowie dem Risiko zu belasten, dass sonstige Anspruchshindernisse bestehen. Eine derartige Belastung des Eingreifenden, der in den Notstandsfällen altruistisch handelt, entfaltet eine bedenkliche Signalwirkung gegen die gewünschte Hilfsbereitschaft 190 und droht in Verbindung mit der strafbewehrten Hilfeleistungspflicht zur Perversion zu verkommen. Gerade die strafbewehrte

Vgl. dazu Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38; Erman12/A. Lorenz, § 904 Rn. 10. Vgl. MünchKommBGB6/Säcker, § 904 Rn. 17; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38; vgl. auch die Kritik von Kraffert, AcP 165 (1965), 453, 457. 188 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 655 f. 189 Vgl. Konzen, Aufopferung, S. 111; Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 38; a.A. Erman/Wilhelmi, § 904 Rn. 10, der sich insoweit auf die Wertungen der Geschäftsführung ohne Auftrag beruft. 190 Vgl. MünchKommBGB6 /Säcker, § 904 Rn. 17; Konzen, Aufopferung, S. 111; Wendehorst, Anspruch, S. 188. 186

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Hilfeleistungspflicht gem. § 323c StGB bewegt dann auch einen Teil der Vertreter der Eingriffshaftung dazu, eine systematisch fragwürdige Ausnahme von der Ersatzpflicht des Eingreifenden zu machen. 191 Dabei wird verständlicherweise nicht ausgeführt, ob an die Stelle der entfallenen Eingriffshaftung eine Begünstigtenhaftung tritt, oder ob der Eingriff schlicht ausgleichslos bleibt. Es lässt sich nämlich vom Standpunkt der Eingriffshaftung aus weder erklären, warum ein Wechsel des Zurechnungsprinzips stattfinden soll, noch warum das Ausgleichsbedürfnisses des Aufopferungspflichtigen entfallen soll. Auf einen weiteren gegen die Annahme einer Eingriffshaftung sprechenden Aspekt weist Klöhn hin. Zweifelt man an der notwendigen Verbindung von Aufopferungshaftung und Begünstigtenhaftung, so muss man die haftungsrechtliche Verantwortung des Eingreifenden dennoch positiv begründen.192 Da der Eingriff gerechtfertigt und entsprechend sorgfaltsgemäß ist, lässt sich die Zurechnung nicht mittels eines Fehlverhaltens legitimieren. 193 Ebenso scheidet es aus, an die Störereigenschaft im Sinne des ausgeschlossenen negatorischen Rechtsschutzes anzuknüpfen,194 da ein rechtmäßig Einwirkender kein Störer sein kann. 195 Die Zurechnung anhand der aus der Tat gewonnenen Vorteile des Eingreifenden oder dessen „größerer Nähe“ zum Schaden zu legitimieren, ist ebenfalls nicht möglich. Der zugunsten eines Dritten Eingreifende hat bereits keine Vorteile und der Begünstigte, der allein durch das Opfer profitiert, steht dem Schaden auch wertungsmäßig näher. Insbesondere kann die Erlaubnis zum Eingriff bzw. die damit verbundene Erweiterung der Handlungsfreiheit des Eingreifenden nicht als geeigneter Vorteil herangezogen werden, 196 denn dieser „Vorteil“ ist nicht auf den Eingreifenden beschränkt, sondern erstreckt

191 Vgl. Palandt/Herrler, § 904 Rn. 5; a.A. und somit für eine Haftung des Eingreifenden etwa Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 8; Soergel/Baur, § 904 Rn. 23. 192 Vgl. Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 170. In diese Richtung auch Canaris, NJW 1964, 1987, 1993. Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 296 fordert dies ebenfalls, lässt die Frage der Zurechnung insoweit aber offen. Zum Erfordernis einer entsprechenden Rechtfertigung als Strukturprinzip des Zivilrechts Bydlinski, System, S. 92 ff. und bereits oben S. 107 f. 193 Vgl. Canaris, NJW 1964, 1987, 1993; Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 170. 194 So etwa Palandt/Herrler § 904 Rn. 5; Jauernig/Berger, § 904 Rn. 5. 195 Vgl. Staudinger/Roth, § 906 Rn. 269; Jauernig/Berger, § 906 Rn. 7; vgl. auch Wagner, Festschrift Medicus, 589, 599 ff. Die herkömmliche Begründung der (Handlungs-)Störereigenschaft bei unmittelbaren Eingriffen mittels der adäquaten Verursachung durch Verhalten (BGH NJW 2007, 432; BGHZ 144, 200, 203) ist, wie auch die Adäquanztheorie selbst, inhaltsleer und verschleiert lediglich den tatsächlich hinter der Verantwortung stehenden Zurechnungsgrund (Sorgfaltswidrigkeit bzw. Verhaltensunrecht). 196 In diese Richtung aber Baur/Stürner, Sachenrecht, § 25 Rn. 8; damit sympathisiert Wendehorst, Anspruch, S. 187.

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sich auch auf den Begünstigten sowie alle Nothilfewilligen.197 Sind die Interessen des Begünstigten vorrangig, darf schlicht jeder rechtmäßig in die Rechtsgüter des Aufopferungspflichtigen eingreifen. Eine Haftung ausschließlich des Eingreifenden lässt sich so nicht begründen. Schlussendlich kann natürlich auch nicht an die „Verursachung“ und damit die bloße Kausalität des Handelns des Eingreifenden angeknüpft werden, da diese, wie bereits ausgeführt, 198 nicht geeignet ist, die notwendige Unterscheidung zwischen den unendlich vielen im Erfolg zusammenlaufenden kausalen Beiträgen zu bewirken und so die Verantwortung zu begründen. Insbesondere wird die Aufopferungslage ebenso durch den Begünstigten und den Aufopferungspflichtigen erzeugt, sodass diese immer für den konkreten Eingriff kausal sind, bzw. diesen „verursacht“ haben. Die Erfolgsverantwortung des Eingreifenden lässt sich somit nicht wirklich begründen. Über die Kritik an dem Konstrukt der Eingriffshaftung hinaus muss natürlich noch die Zurechnung zum Begünstigten positiv begründet werden. Diese kann nicht auf das Prinzip personaler Selbstverantwortung gestützt werden, da die Zurechnung unabhängig von dessen Willen erfolgt. 199 Diese Zurechnung ist dennoch angezeigt, weil der die Aufopferung begründende Vorrang bestimmter Interessen eine Haftung genau desjenigen nahelegt, zu dessen Gunsten das eigentlich geschützte Gut des Aufopferungspflichtigen zurücktreten musste. Diese Annahme wird dadurch bestärkt, dass die Anspruchsgrundlagen systematisch und teilweise explizit über die Eingriffsbefugnis auf die Interessenabwägung Bezug nehmen. 200 Auch der Zweck der Normen, einen Ausgleich für die Beeinträchtigung zu gewähren, die aus dem Zurücktreten eines Interesses gegenüber dem vorrangigen gegenläufigen Interesse folgt, gebietet einen Ausgleich zwischen den Interessenträgern, und dies unabhängig davon, wer die Auflösung des Interessenkonflikts letztendlich vollzieht. 201 Besonders deutlich wird dies bei § 904 S. 1 BGB, welcher Schadensminderung und nicht Schadensabwälzung bezweckt. Der Schaden, insbesondere wenn dieser eigentlich auf Zufall beruhen würde, soll und muss beim ursprünglich bedrohten Träger des vorrangigen Interesses verbleiben. 202 Es überzeugt nicht, dieses teleologisch gebotene Ergeb-

Vgl. Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 91; Konzen, Aufopferung, S. 112; Kraffert, AcP 165 (1965), 453, 456 f.; Klöhn, Abfindungsansprüche, S. 170. 198 Dazu oben S. 107. 199 Vgl. Canaris, VersR 2005, 577, 580. 200 Vgl. Forkel, JZ 1969, 7, 8; Hubmann, JZ 1958, 489, 491 f.; Konzen, Aufopferung, S. 108 f.; Kraffert, AcP 165 (1965), 452, 456 und 460; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 670. 201 Kraffert, AcP 165 (1965), 453, 460; Konzen, Aufopferung, S. 109 f. 202 Auf diesen wichtigen Aspekt im Hinblick auf § 904 S. 1 BGB weisen Horn, JZ 1960, 350, 352; Konzen, Aufopferung, S. 110; MünchKommBGB6/Säcker, § 904 Rn. 17; Canaris, 197

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nis erst durch einen Rückgriff des Eingreifenden nach den Regeln der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag zu erreichen. Diese weist zudem eigenständige, vom Aufopferungshaftungssystem unabhängige Beschränkungen und Hindernisse auf. Der Weg über den Rückgriff des Eingreifenden erscheint auch deswegen eher fernliegend, weil § 904 S. 2 BGB den unmittelbaren Ausgleich nicht ausschließt. Das Gebot der Zurechnung zum Begünstigten wird dadurch bekräftigt, dass die Aufopferungshaftung allgemein als Institut ausgleichender Gerechtigkeit203 verstanden wird. Die damit verbundenen Wertungen geben bereits für sich genommen ein entsprechendes Ausgleichsregime vor. 204 Es handelt sich bei der Aufopferung um eine Interaktion mit bis zu drei Beteiligten,205 die den Bedarf für einen Ausgleich erzeugt, der die Verzerrung des distributiv gerechten Urzustandes206 korrigiert. Diese Korrektur durch eine Ersatzpflicht des vom Begünstigten unterschiedlichen Eingreifenden anzustreben ginge fehl, weil so die Verwerfung in der Güter- oder Interessenlage nicht beseitigt, sondern bloß „weiterverlagert“ wird. Hieran wird ersichtlich, dass eine Ausgleichspflicht des Eingreifenden nicht das optimale Mittel darstellt, um eine gerechte Güterlage wiederherzustellen. Dem steht eine Ausgleichspflicht des Begünstigten als Alternative gegenüber, welche die Korrektur unmittelbar erreicht. Die Begünstigtenhaftung ist deswegen die gerechtere Lösung. Zuletzt gibt auch das in der Zurechnung berücksichtigungspflichtige Wertprinzip der Verbindung von Vorteil und korrespondierendem Nachteil 207 vor, dass der Begünstigte für das Schadensereignis verantwortlich und damit haftpflichtig sein soll. Dieses ursprünglich aus der ausgleichenden Gerechtigkeit abgeleitete Wertprinzip liegt der Zurechnung in der Aufopferungshaftung – abweichend zur Verschuldenszurechnung – mit zugrunde, da die erforderliche Verbindung von Vorteil und Nachteil durch die Güterabwägung hergestellt wird, die der Aufopferung zugrunde liegt. Bei der Aufopferung entsteht stets ein Nachteil auf der Seite des Aufopferungspflichtigen, dem wiederum ein

NJW 1964, 1987, 1993 hin. Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 98 missinterpretiert diese Argumentation hingegen. 203 Vgl. Deutsch, Festschrift Steffen, 101, 116; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 411, 414; Hogenschurz, Aufopferungshaftung, S. 78. 204 Zum Einfluss von Gerechtigkeitserwägungen auf Wertungen und damit zugleich auf die Auslegung von Normen vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 389 f., 395 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 60. 205 Auch der Begünstigte ist als Bedrohter oder Nutzender stets tatsächlich, sowie als Konfliktpartei der Interessenabwägung stets rechtlich beteiligt. Eine Beschränkung der Betrachtung auf das Verhältnis Eingreifender-Verletzter ist folglich zwangsweise unvollständig und irreführend. 206 Vgl. zur Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne unten S. 251 ff. 207 Zu diesem Prinzip bereits S. 134 ff.

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Vorteil des Begünstigten gegenübersteht. Vorteil und Nachteil sind wechselbezüglich und somit „korrespondierend“. Der Vorteil besteht dabei entweder in einem Transfer von Schadensrisiken auf den Aufopferungspflichtigen208 oder in einer Erweiterung der Nutzungsbefugnis auf Kosten des anderen. Aus diesem Umstand ergibt sich, dass die Prinzipienebene durch das Prinzip der Verbindung von Vorteil und korrespondierendem Nachteil vorgibt, dass der Begünstigte vor allen anderen potenziellen Haftungsadressaten und auch dem Aufopferungspflichtigen, für die Beeinträchtigung verantwortlich sein soll. 4. Ergebnis Im Ergebnis ist die notwendige Verbindung von Aufopferung als Haftungsgrund und dem Begünstigtenprinzip als Zurechnungsprinzip zu bejahen. Die Argumente für eine Haftung des Eingreifenden erweisen sich als nicht stichhaltig und die Zurechnung nach dem Begünstigtenprinzip ist durch die besondere Interessenlage gerechtfertigt, die in der Aufopferungshaftung gesetzlich umgesetzt wurde. Sie wird zudem durch den Gedanken der ausgleichenden Gerechtigkeit sowie das Prinzip der Verbindung von Vorteil und korrespondierendem Nachteil geboten.

IV. Die Billigkeitshaftung Die in § 829 BGB normierte Billigkeitshaftung stellt in mehrfacher Hinsicht ein Kuriosum im bürgerlichen Recht dar. Indem § 829 BGB an den Zurechnungsausschluss durch die §§ 827 f. BGB anknüpft, setzt die Haftungsnorm explizit voraus, dass das die Haftpflicht auslösende Schadensereignis Zufall im Sinne des Verschuldensprinzips ist. Ergänzend verlangt der Tatbestand, dass es aus Billigkeitsgründen erforderlich ist, vom Grundsatz casum sentit dominus abzuweichen. 209 Es überrascht deshalb nicht, dass der Platz dieser einzigartigen Haftungsbestimmung, die von Kadecka sogar als „Gegenteil eines Rechtssatzes“210 gescholten wurde und harsche Kritik erfahren hat, im System der Haftung ebenso unklar ist, wie ihr dogmatischer Gehalt.

208 Hierzu Horn, JZ 1960, 350, 352; Konzen, Aufopferung, S. 110, in diese Richtung bereits Rümelin, Schadensersatz, S. 28, der jedoch aus Zweckmäßigkeitsgründen zunächst den Nothelfer haften lassen möchte (S. 29). 209 Vgl. hierzu Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 2; a.A. Jansen, Struktur, S. 139, der allerdings, anknüpfend an ein weites Verständnis von Erfolgsverantwortlichkeit, ein fundamental abweichendes System von Zurechnung, Verantwortung und Zufall zugrunde legt. 210 Kadecka, Verhandlungen II, 508, 510.

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1. Die Problematik der systematischen Einordnung Infolge der Atypizität 211 dieser Norm bilden die Versuche, die Haftung gem. § 829 BGB dogmatisch einzuordnen, ein breit gefächertes Spektrum. Dieses reicht von einer „in außerordentlicher Weise abgeschwächte[n] Kulpahaftung“,212 über eine Gefährdungshaftung für die durch die eigenen Defizite begründete Gefahr213, einen aufopferungsähnlichen Billigkeitsanspruch214, ein Instrument effizienter215, distributiv gerechter216 oder „fairer“217 Schadensverteilung, eine Verursachungshaftung infolge der von subjektiver Zurechnung unabhängigen Ausgleichsbedürftigkeit des Schadens218, bis hin zu einer Haftung auf der Grundlage von Billigkeit als eigenständiges, neben Verschuldensund Gefährdungshaftung stehendes Zurechnungsprinzip219. Die größte Ähnlichkeit weist die Billigkeitshaftung zur Aufopferungshaftung auf.220 Eine gewisse Parallele zu dieser begründet, dass die Billigkeitshaftung an den Ausschluss der Verschuldenshaftung anknüpft und eine Ersatzpflicht des „Begünstigten“ anordnet. Die Begünstigung, die der Billigkeitshaftung zugrunde liegt, besteht darin, dass in der objektiven Verschuldenszurechnung221 ausnahmsweise die individuellen Defizite durch die §§ 827 f. berücksichtigt werden. Ähnlich ist auch, dass die Billigkeitshaftung, wie die Aufopferungshaftung, unabhängig von der Selbstverantwortung des Haftungsadressaten konzipiert ist. 222 Dies wird daran deutlich, dass die Billigkeitshaftung die individuelle Zurechnungsunfähigkeit voraussetzt. Damit sind jedoch die Gemeinsamkeiten mit anderen Haftungs- und Zurechnungssystemen bereits erschöpft. Ein gravierender Unterschied zur Aufopferungshaftung besteht darin, dass nicht etwa ein Eingriff aufgrund vorrangiger Interessen erlaubt und zum Ausgleich mit einer obligatorischen Ersatzpflicht versehen wird, die quasi der „Preis“ der Erlaubnis ist. Stattdessen erfolgt die Privilegierung bedingungsund ausnahmslos, während hinsichtlich der Haftung lediglich im Nachhinein 211 Die fehlende Systemkonformität des Haftungsinstituts war schon bei dessen Entstehung bekannt, vgl. Mot. II, S. 734 (Mugdan II, S. 410). 212 Vgl. Heinsheimer, AcP 95 (1904), 234, 254 f. 213 So Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 653; vgl. auch Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 177: „absolute Haftung für die eigene Persönlichkeit“. 214 Deutsch, Haftungsrecht, S. 308. 215 MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 2. 216 Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 1; Bamberger/Roth/Spindler, § 829 Rn. 1. 217 Jansen, Struktur, S. 143, der ergänzend an die – abweichend zum hier vertretenen Ansatz – verstandene Erfolgsverantwortlichkeit als Zurechnung im schwächsten Sinne (S. 139) und Ausdruck ausgleichender Gerechtigkeit anknüpft. 218 Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 59, 65. 219 RGRK/Steffen, § 829 Rn. 2 f. 220 Zu dieser bereits S. 176 ff. 221 Hierzu bereits S. 147 ff. und unten S. 263 ff. 222 Zutreffend Bydlinski, System, S. 219. Vgl. hierzu auch RGRK/Steffen, § 829 Rn. 2.

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hinterfragt wird, ob es unbillig wäre, den nicht zu verantwortenden Schaden vollumfänglich beim Betroffenen zu belassen, bzw. bis zu welcher Grenze.223 Ein weiterer, einzigartiger Umstand der Billigkeitshaftung ist, dass das normalerweise haftungsbegründende Verhältnis des privilegierten Schädigers zum Verletzungserfolg, das infolge der Unzurechnungsfähigkeit des Haftungsadressaten die Erfolgszurechnung nicht zu begründen vermag, durch die Billigkeitserwägungen des § 829 BGB nicht berührt wird und gerade keine abweichende Beurteilung erfährt. Gleichgültig, ob die Haftung eintritt oder nicht, der Haftungsadressat ist für den Erfolg nicht verantwortlich. Um die gängige Redensart zu bemühen, die hinsichtlich der Zurechnungsbegründung zweifelhaft ist, hier aber passt: nur dadurch, dass der Ersatz aus Billigkeit geboten ist, etwa weil der minderjährige Schädiger unermesslich reich und das schwer verletzte Opfer bettelarm ist, steht der Schädiger dem Verletzungserfolg nicht „näher“ bzw. genauso „nah“, wie im gegenteiligen Fall, wenn also das Opfer reich und der Täter arm ist. Ebenso steht der Schädiger dem Verletzungserfolg nicht „ferner“, wenn gegen einen Aufsichtspflichtigen realisierbare Ansprüche bestehen, wodurch die Haftung ausgeschlossen wird. Deshalb kann die Haftpflicht konsequenterweise nicht von eben diesem Verhältnis abhängig sein. Ist aber nicht das Verhältnis des Haftungsadressaten zum Verletzungserfolg für die Ersatzpflicht maßgeblich, sondern die – sonst der Haftungsausfüllung zugewiesenen – Verletzungsfolgen sowie die individuellen Bedingungen der Beteiligten, kann nicht hieraus wiederum auf die Erfolgsverantwortung geschlossen werden. Deshalb ist es unzutreffend, bezüglich der Billigkeitshaftung von einer Erfolgshaftung224 oder Erfolgsverantwortung zu sprechen. Diese Bezeichnung stützt sich auf ein Verhältnis, welches für die Haftung nur in hypothetischer Form – dazu sogleich – von Bedeutung ist. Aber auch auf dieser Grundlage betrachtet, erscheint die Billigkeitshaftung als paradox, da der Unzurechnungsfähige nun doch ausweislich seiner Ersatzpflicht („hat gleichwohl [...] den Schaden insoweit zu ersetzen“) haften soll, ohne jedoch für den Verletzungserfolg verantwortlich zu sein. 225 Eine echte Haftung für Zufall aus Gründen der Billigkeit stünde in der Tat außerhalb des normalen Systems der Haftung, das auf der Erfolgszurechnung gründet.226 Solch eine extraordinäre Natur wird, neben den dargestellten Zweifeln an einer Begründung der Ersatzpflicht über den Verletzungserfolg, dadurch nahegelegt, dass die Haftung atypischerweise doppelt bedingt ist. Im Gegensatz zu den anderen Zurechnungssystemen ist die Ersatzpflicht sowohl bezüglich ihres In diese Richtung RGRK/Steffen, § 829 Rn. 2. Vgl. etwa Deutsch, Haftungsrecht, S. 307; so auch Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 53 ff., wenn er an die Urheberschaft anknüpfen möchte; vgl. auch Jansen, Struktur, S. 139 f., der jedoch ein erweitertes Verständnis von Erfolgsverantwortung vertritt. 225 So krit. zu nicht auf Erfolgsverantwortung beruhenden Ansätzen Jansen, Struktur, S. 140. 226 Zutreffend Jansen, Struktur, S. 140. 223

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Eintritts, als auch bezüglich ihres Umfangs davon abhängig, ob und inwieweit sie aus Billigkeitsgründen erforderlich ist. 227 Knüpft die Haftung sowohl hinsichtlich ihrer Statthaftigkeit, als auch des Umfangs des Ersatzes an die individuellen Verhältnisse der Beteiligten an, so deutet dies auf einen Akt der Schadensverteilung hin und gerade nicht auf einen Ausgleich wegen der Verantwortung für das Entstehen einer Verletzung. Bestätigend wird in diesem Zusammenhang häufig der Gedanke der iustitia distributiva, also der verteilenden Gerechtigkeit bemüht. 228 Darüber hinaus deutet die Subsidiarität der Billigkeitshaftung gegenüber der Haftung eines erfolgsverantwortlichen Aufsichtspflichtigen, die nicht vom bloßen Bestehen eines Anspruchs, sondern von dessen Realisierbarkeit abhängig ist,229 auf eine reine Verteilungsentscheidung außerhalb der üblichen Haftungssystematik hin. Nicht die Verantwortung der am Schadensereignis Beteiligten bestimmt die Haftpflicht, sondern ob und inwieweit es unbillig wäre, den Geschädigten letztendlich auf seinen Schäden „sitzen zu lassen“. Es wird also nicht der gerechte Ausgleich für die konkrete Interaktion angestrebt, die in der Schadensherbeiführung durch den Zurechnungsunfähigen und den Aufsichtspflichtigen liegt, sondern eine gerechte Verteilung des nun einmal entstandenen Schadens. Die distributive Natur der Haftung wird zuletzt dadurch bestätigt, dass anerkanntermaßen ein Mitverschulden des Geschädigten nicht zu einer nachträglichen Kürzung des aus Billigkeit erforderlichen Ersatzes führt, sondern zum Abwägungsfaktor im Rahmen der Billigkeitserwägungen wird.230 Dies ist schon deswegen richtig, weil § 254 BGB nach zutreffender Ansicht auf eine Abwägung der Verantwortungsbeiträge ausgerichtet ist 231 und ein solcher beim Verantwortungsunfähigen nicht gegeben ist. Ist der Geschädigte vor dem Gesetz sogar alleine für den Verletzungserfolg verantwortlich, so kann die Haftung nur auf einer Verteilung der Verletzungsfolgen zwischen dem durch die §§ 827 f. BGB Privilegierten und dem Geschädigten beruhen, freilich unter Berücksichtigung der Eigenverantwortung des Verletzten.

227 Vgl. Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 64; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 22; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 24; Palandt/Sprau, § 829 Rn. 4; vgl. auch Deutsch, Haftungsrecht, S. 311. 228 Vgl. Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 1; Bamberger/Roth/Spindler, § 829 Rn. 1; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 653; vgl. auch, aber krit. insoweit, Jansen, Struktur, S. 140. 229 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 12; RGRK/Steffen, § 829 R. 10; Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 39; Erman/Schiemann, § 829 Rn. 2; Palandt/Sprau, § 829 Rn. 3. 230 Vgl. Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 60; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 16. 231 Vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 125 (Fazit); Brand, Schadensersatzrecht, § 9 Rn. 5; Staudinger/Schiemann, § 254 Rn. 4, jew. m. Nachw. zur den Gegenansichten.

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2. Ergänzende Defizite der an die Erfolgsverantwortlichkeit anknüpfenden Ansätze Die alternativen Ansätze, die auf Erfolgsverantwortlichkeit beruhen, überzeugen auch im Übrigen nicht. Den Haftungsgrund auf gedankliche Anleihen bei der Gefährdungs- oder Aufopferungshaftung zu stützen, verfängt nicht. § 829 BGB qualifiziert keineswegs den Haftungsadressaten als eine „Quelle besonderer Gefahr“, die für eine Gefährdungshaftung erforderlich ist.232 Die Natur als besondere Gefährdungshaftung würde zudem eine ausnahmslose Ersatzpflicht nahelegen, da deren Grund permanent gegeben ist. 233 Von der Aufopferungshaftung unterscheidet sich die Haftungsnorm, über die bereits erwähnten Unterschiede hinaus, 234 auch dadurch, dass diese die Haftung nicht an einen im überwiegenden Interesse des Privilegierten zu duldenden Eingriff knüpft.235 Denn Notstandshandlungen gem. § 34 StGB sind auch gegen Gefährdungen durch Minderjährige, Geisteskranke oder Bewusstlose zulässig. Auch den Normzweck ausschließlich in einer effizienten Schadenszuweisung zu sehen, weil die Norm die sekundären Kosten236 durch einen „deep pocket approach“ im Sinne Calabresis237 reduziere, kann nicht überzeugen.238 Die Vermögensverhältnisse der Beteiligten sind zwar der durchaus wichtigste, aber eben nicht der einzige Umstand, der in der Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist. Dies legt der Normtext durch den Gebrauch des Wortes „insbesondere“ fest. 239 Zuletzt vermag auch der von Flachbarth angenommene schlichte „Verzicht“ auf die „subjektive“ Zurechnung, unabhängig vom hier zugrunde gelegten Verständnis von Deliktsaufbau und Rechtswidrigkeit, nicht zu überzeugen. Zu seinem Ansatz steht im Widerspruch, dass § 827 S. 1 BGB in die Haftung nach § 829 BGB einzubeziehen ist, was er auch selbst befürwortet 240. § 827 S. 1 BGB erfasst Konstellationen ohne ein haftungsrechtlich relevantes Verhalten, etwa in den Fällen der Bewusstlosigkeit (§ 827 S. 1 Alt. 1 BGB). Deshalb kann kein noch so objektiver Sorgfaltsverstoß durch den potenziellen Haf-

232 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 1; a.A. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 653. 233 Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 2 bezeichnet entsprechend die Einschränkung aus Billigkeitserwägungen als „für die Gefährdungshaftung tatbestandlich untypisch“. 234 Vgl. S. 188 ff. 235 So auch MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 1. 236 Hierzu eingehend S. 232 f. und S. 242 ff. 237 Calabresi, Costs, S. 40 ff. 238 So aber MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 2; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 147. 239 In diese Richtung auch Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 48; Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 14; BGHZ 127, 186, 192. 240 Vgl. Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 105 ff.

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tungsadressaten als Grundlage der objektiven Zurechnung angenommen werden, was Flachbarth auch selbst anerkennen muss. 241 Es stellt sich dann allerdings die Frage, wie die von ihm nicht näher spezifizierte objektive Zurechnung erfolgen soll. Diese auf Adäquanz- und Schutzzweckerwägungen zu beschränken, führt ebenfalls nicht weiter. Adäquanztheorie und Schutzzwecklehre sind bestenfalls unselbstständige Elemente des jeweils einschlägigen Zurechnungsprinzips,242 weshalb diese die Zurechnung des Verletzungserfolges nicht eigenständig begründen können. Auf den maßgeblichen Aspekt weist hingegen Steffen hin. Er stellt klar, dass der Haftungsadressat trotz der Billigkeitshaftung für den Schaden nicht verantwortlich ist und die Haftung auch keineswegs den Ausschluss der Verantwortung durch die §§ 827 f. BGB korrigieren soll. 243 § 829 BGB ist insoweit bestätigend formuliert, dass der Haftungsadressat „für einen von ihm verursachten Schaden [...] nicht verantwortlich ist“. 244 Steffen spricht deswegen von der Billigkeit als eigenständigem Zurechnungsgrund. 245 Zutreffenderweise ist im Rahmen des § 829 BGB ein anderes Verständnis von Zurechnung angezeigt, wodurch das Paradoxon des „zu verantwortenden nicht zu verantwortenden Ereignisses“ vermieden werden kann. 3. Schadensverteilung aus Billigkeit Das Mittel, um dieses nur scheinbar unauflösbare Problem zu bewältigen, findet sich in den unterschiedlichen Bezugspunkten der Zurechnung. Der Haftungsadressat hat den Verletzungserfolg nicht zu verantworten. Stattdessen wird ihm wegen seiner privilegierungsbedingten Haftungsfreistellung aufgrund einer Verteilungsentscheidung die Verantwortung für einen Teil des Schadens, also der Verletzungsfolgen, aus Billigkeitsgründen auferlegt. Aber auch dieses Verständnis erzeugt Erläuterungsbedarf. Begründungsbedürftig ist etwa, warum die Haftung an den Ausschluss der deliktischen anknüpft und warum die Haftung nur bei derartig zufälligen Beeinträchtigungen und zudem nur gegenüber dem Privilegierten als bloßem Verursacher eingreifen soll. 246 Die ersten beiden Aspekte lassen sich beantworten, indem man den Haftungsgrund benennt. Haftungsgrund ist, dass eine unbillige Schadensverteilung dadurch begründet würde, dass ausnahmsweise die Individualität des Zurechnungssubjekts in der Haftung berücksichtigt wird und deshalb ein eigentlich 241 Vgl. Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 106 f., der dies eingesteht, indem er die Annahme von Verhaltensunrecht zutreffend ablehnt. 242 Eingehend hierzu S. 300 f. 243 Vgl. RGRK/Steffen, § 829 Rn. 2. 244 Jansen, Struktur, S. 140 Fn. 332 möchte diese Formulierung, infolge des inkonsequenten Wortlauts im Deliktsrecht durchaus vertretbar, als nicht „haftbar“ verstehen. 245 RGRK/Steffen, § 829 Rn. 2. 246 Jansen, Struktur, S. 140.

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ersatzpflichtiger Schaden beim Geschädigten belassen würde. Hinter der Billigkeitshaftung steht somit, dass eine Erfolgshaftung des Zurechnungsunfähigen infolge der Subjektivierung der Zurechnung ausgeschlossen ist, während bei einer unmodifizierten objektiven Zurechnung (hypothetisch) dessen Haftung247 begründet wäre. 248 Die hypothetische Ersatzpflicht ist essentiell, da § 829 BGB nicht bezweckt, eine über die Haftung Zurechnungsfähiger hinausgehende Ersatzpflicht zu begründen und so Zurechnungsunfähige zu diskriminieren.249 Erst die Kombination aller Umstände, namentlich Verletzung, Privilegierung und hypothetische Haftung, rechtfertigt die Frage nach einer Ersatzpflicht als Gebot ausgleichender Gerechtigkeit für die Privilegierung. Die Privilegierung besteht in der ausnahmsweise erfolgten Berücksichtigung der Individualität des Schädigers.250 Der Haftungsgrund ist entsprechend stark vom Gedanken ausgleichender Gerechtigkeit geprägt. Infolge dieses spezifischen Haftungsgrundes ist die Billigkeitshaftung auf sonstige, nicht privilegierungsbedingt zufällige Schadensereignisse von vornherein nicht anwendbar. Schwerwiegender sind die berechtigten Zweifel, ob die Haftung auf den Privilegierten beschränkt werden kann. Handelt es sich bei dem Verletzungserfolg um Zufall, so steht doch theoretisch auch jeder Dritte diesem „gleich nahe“. Diese Frage kann und muss auf Grundlage der spezifischen Zurechnung der Billigkeitshaftung erklärt werden. Wie auch sonst genügt die bestehende tatsächliche Verbindung im Sinne von Kausalität nicht zur Zurechnungsbegründung. 251 Die für die Zurechnung erforderliche Alleinstellung des Haftungsadressaten kann jedoch über die hypothetische Ersatzpflicht erreicht werden. Die Zu diesem Erfordernis der Haftung auch MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 7; Erman/Schiemann, § 829 Rn. 1; Bamberger/Roth/Spindler, § 829 Rn. 2; BGHZ 39, 281, 284. 248 Der Ansicht, die verlangt, dass außer der Zurechnungsfähigkeit alle Voraussetzung der deliktischen Haftung, insbesondere Handlung und Rechtswidrigkeit, vorliegen müssen (vgl. etwa Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 176; Jansen, Struktur, S. 143; Palandt/Sprau, § 829 Rn. 2), kann in Anbetracht des Verweises des § 829 BGB auf § 827 S. 1 BGB nicht gefolgt werden. Das teilweise behauptete Rechtswidrigkeitserfordernis ist freilich immer im Zusammenhang mit dem jeweils vertretenen Rechtswidrigkeitsverständnis und dem korrespondierenden Deliktsaufbau zu sehen. Berücksichtigt man dies, ergeben sich im Ergebnis keine Unterschiede. Die durchaus erforderliche Einschränkung bezüglich Beeinträchtigungen, die nicht auf Handlungen beruhen (§ 827 S. 1 BGB), ergibt sich jedoch ausschließlich aus dem Erfordernis hypothetischer deliktischer Ersatzpflicht (dazu sogleich im Haupttext) und ist keine unmittelbare Voraussetzung des § 829 BGB. 249 Vgl. hierzu RGRK/Steffen, § 829 Rn. 7; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 7; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 10; ähnlich Deutsch, Haftungsrecht, S. 306. Nimmt man dieses Erfordernis ernst, entfallen die meisten der bedenklichen, an § 827 S. 1 BGB anknüpfenden Haftungsfälle mangels hypothetischer Ersatzpflicht. 250 Dies erkennen unbenannt auch die Befürworter einer analogen Anwendung der Billigkeitshaftung im Falle des Haftungsausschlusses infolge gruppen- bzw. verkehrskreisspezifischer Privilegierung im Rahmen des Fahrlässigkeitsbegriffs an. Hierzu im Anschluss. 251 Vgl. hierzu S. 105 und S. 198 ff. 247

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durch das Schadensereignis manifestierten Schadensfolgen – worunter auch die immateriellen Einbußen im Sinne des § 253 BGB252 fallen253 – können exklusiv dem Ersatzpflichtigen zugewiesen werden, weil die tatsächliche Verbindung254 und die hypothetische Ersatzpflicht den privilegierten Ersatzpflichtigen von allen anderen hinreichend abgrenzen. Diese Zurechnung bezweckt jedoch nicht den Zurechnungsunfähigen für den Verletzungserfolg verantwortlich zu machen, sondern eine Verteilung der Schadensfolgen zwischen den Beteiligten nach Billigkeitsgesichtspunkten zu ermöglichen. Bei der Billigkeitshaftung handelt es sich somit um eine Haftung für zufällige Beeinträchtigungen nach distributiven Gesichtspunkten. Systematische Probleme treten allerdings dann auf, wenn der gem. §§ 827 f. BGB Privilegierte aus anderer Grundlage zum Ersatz verpflichtet ist. Wegen des Erfordernisses einer hypothetischen Ersatzpflicht kann dieses Szenario jedoch nur in Verbindung mit den Tatbeständen der Risikohaftung und nicht denen der Aufopferungshaftung auftreten. Haftet beispielsweise ein Minderjähriger gem. § 833 S. 1 BGB aus Gefährdungshaftung, weil er mit Zustimmung der gesetzlichen Vertreter ein Luxustier hält, so ist das Verhältnis dieser Haftung zur Billigkeitshaftung fraglich. Ist die Billigkeitshaftung eine für zufällige Schadensereignisse, so müsste diese ausscheiden, da der in der Verschuldenshaftung Privilegierte für den Schaden infolge der Risikozurechnung doch verantwortlich ist. Die Billigkeitshaftung soll nach der herrschenden Meinung neben der Gefährdungshaftung – interessanterweise nur dieser – anwendbar sein. 255 Dabei wird jedoch sehr zurückhaltend formuliert und konsequenterweise verlangt, 252 Zur allgemein bejahten Anwendbarkeit des § 253 BGB vgl. Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 22; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 24; BGHZ 76, 279, 282. 253 Auch für den Ersatz immaterieller Einbußen gilt im Grundsatz das Bereicherungsverbot. Sie sind deshalb schlicht Teil des zu verteilenden Schadens. Die je nach Verständnis über reine Kompensation hinausgehende sog. Genugtuungsfunktion ist spätestens obsolet geworden, als die Ersatzpflicht auf die absolut fehlverhaltensunabhängigen Tatbestände der Gefährdungshaftung erstreckt wurde, vgl. hierzu etwa Brand, Schadensersatzrecht, § 7 Rn. 5; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 706; a.A. MünchKommBGB/Oetker, § 253 Rn. 13. Im Übrigen gäbe es für eine Genugtuung, die über den reinen Ausgleich hinausgeht und der moralischen Befriedigung dient, im Rahmen der Billigkeitshaftung sowieso keinen Anwendungsbereich, da die Beeinträchtigung einem Verantwortungsunfähigen nicht vorgeworfen werden kann. 254 Hierin unterscheidet sich die Zurechnung in der Billigkeitshaftung von der zur Haftungsbegründung nicht geeigneten lediglich hypothetischen Kausalität, da hypothetische Schadensereignisse tatsächlich nicht wirksam werden konnten. Vgl. hierzu Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 93, 95; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 208; Larenz, Schuldrecht I, § 30 I, S. 527 Fn. 12; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 196. 255 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 4; RGRK/Steffen, § 829 Rn. 4; Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 21; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 7; Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 74 f.; BGHZ 23, 90, 98 f.; 127, 186, 193.

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dass der Ersatzanspruch in die Billigkeitsprüfung einbezogen wird.256 Gibt es jedoch ein zur Billigkeitshaftung alternatives einschlägiges Ausgleichssystem für das gleiche Schadensereignis, so entfällt die Rechtfertigung für ihre Anwendung. Durch die alternative Zurechnung verliert die Rücksichtnahme auf die Individualität des Schädigers ihre Bedeutung und sie erscheint, da der Betroffene gerade nicht mit dem Schaden von der Rechtsordnung „allein gelassen“ wird, lediglich als ein Äquivalent zu all den anderen Fällen, in denen es am Verschulden oder am Verhalten fehlt. Des Weiteren kann schon gar kein Bedürfnis für den Billigkeitsausgleich entstehen, soweit die verschuldensunabhängige Haftung nicht durch Haftungshöchstgrenzen limitiert ist. Der gesamte Schaden wird schließlich ersetzt. Bestehen derartige Grenzen, so sollten diese als überflüssig und verfehlt kritisiert werden, 257 statt an der zweifelhaften ergänzenden Anwendung der Billigkeitshaftung festzuhalten. Ob es die befürchtete „Schutzlücke“ wirklich gibt, die für die parallele Anwendbarkeit von Gefährdungs- und Billigkeitshaftung vorgebracht wird, ist in Anbetracht der Lebenssachverhalte, die von den mit Haftungshöchstgrenzen ausgestatteten Haftungstatbestände erfasst werden, und der Berücksichtigungspflichtigkeit des auf anderer Grundlage erlangten Ersatzes in den Billigkeitserwägungen sowieso höchst zweifelhaft. Folgt man dem hier vertretenen Ansatz, so ist die Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB eine Haftung für Zufall und eben nicht nur für Zufall im Sinne des Verschuldensprinzips. 4. Anwendungsbereich der Billigkeitshaftung Auf der Basis eines fixierten Haftungsgrundes kann über eine erweiterte Anwendung der Billigkeitshaftung nachgedacht werden. Dabei ist zunächst festzustellen, dass eine umfassende Billigkeitshaftung für sämtliche schlicht zufällige, im Sinne von nicht verschuldete, Beeinträchtigungen, die im Gesetzgebungsverfahren explizit diskutiert und verworfen wurde, 258 vor dem Hintergrund des dem § 829 BGB zugrunde liegenden Haftungsgrundes ausscheidet. Auch im Rahmen der Vertragshaftung findet die Billigkeitshaftung, infolge einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung gegen diese, mangels Regelungslücke keine entsprechende Anwendung.259 256

Vgl. Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 7; andeutungsweise auch RGRK/Steffen, § 829

Rn. 4. 257 So z.B. v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 15; Kötz, Gutachten, 1824, 1830; Stoll, Haftungsfolgen, S. 24; eingehend Will, Quellen, S. 305 ff. Zur Verfehltheit aus ökonomischer Sicht vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 237 f. 258 Vgl. hierzu Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 8; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 3, jew. m. Nachw. 259 Vgl. hierzu MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 6; Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 71 f.

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Eine zum Haftungsgrund des § 829 BGB identische Interessenlage ist jedoch gegeben, wenn ausschließlich aufgrund einer privilegierenden Subjektivierung des objektiven Fahrlässigkeitsbegriffs nach Verkehrskreisen, 260 namentlich für Kinder und Greise, die Verschuldenszurechnung ausscheidet. Wäre ein hypothetischer, nicht privilegierter Schädiger in der gleichen Situation zum Ersatz verpflichtet, so ist eine Analogie zu § 829 BGB angezeigt. Entsprechend ist die analoge Anwendung der Billigkeitshaftung auf diese Konstellationen auch allgemein anerkannt.261 Eine planwidrige Regelungslücke liegt hingegen nicht vor, soweit der Gesetzgeber oder die Parteien privatautonom vom objektiven Sorgfaltsmaßstab abweichen und die Verantwortung auf die subjektive diligentia quam in suis beschränken, weswegen nicht immer zugleich noch subsidiär eine mögliche Billigkeitshaftung eingreift. Nicht deckungsgleich zum Haftungsgrund des § 829 BGB ist ebenfalls der Ausschluss der Haftung bei individueller Unzumutbarkeit. Insoweit verhindern zwar auch individuelle Umstände die Haftung, es fehlt jedoch an der Ausnahmenatur des Einwandes, der – sofern man ihn überhaupt anerkennt – jedem zusteht. Das von den Vertretern dieser Analogie 262 vorgebrachte argumentum a maiore ad minus verfängt nicht. Der Normzweck des § 829 BGB ist gerade nicht, über diese allgemeinen Zurechnungshindernisse, mögen diese auch individueller Natur sein, hinwegzuhelfen, sondern Sonderbehandlungen einzelner privilegierungswürdiger Gruppen zu kompensieren. 263 Entsprechend passt der Normzweck des § 829 BGB ebenfalls nicht auf entschuldigende Irrtümer. 264 Eine analoge Anwendung kommt also lediglich dann in Betracht, wenn die Haftung infolge einer §§ 827 f. BGB entsprechenden Berücksichtigung der Individualität scheitert. Dies ist etwa im Rahmen der Gefährdungshaftung zu erwägen, soweit die Halter- oder Betreibereigenschaft aus Gründen des Minderjährigenschutzes verneint wird, 265 und die übrigen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind. Hält beispielsweise ein wohlhabendes Kind ein Luxustier ohne die Hierzu auch unten S. 264 f. Vgl. Soergel/Spickhoff, § 249 Rn. 11; Erman/Schiemann, § 829 Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 8; RGRK/Steffen, § 829 Rn. 9; Deutsch, Haftungsrecht, S. 309; Koziol, AcP 196 (1996), 593, 609 f.; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1198; Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht II, Rn. 1268; BGHZ 39, 281, 286; i.E. auch Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 33, allerdings zurückhaltend bei Konstellationen, die nicht Jugendliche betreffen (Rn. 35). Dagegen möchte Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 86 und ff. wenig überzeugend die analoge Anwendung auf Jugendliche beschränken. 262 Deutsch, Haftungsrecht, S. 309; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 12; a.A. Flachbarth, Billigkeitshaftung, S. 92. 263 Ähnlich Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 37. 264 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 310; Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 38; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 12. 265 Vgl. etwa Erman/Schiemann, § 829 Rn. 1. Allgemein dazu oben S. 110 f. 260

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Zustimmung seiner Eltern und in Verkennung der damit verbundenen Gefahren, ist eine Billigkeitshaftung analog § 829 BGB angezeigt, wenn dieses Luxustier ein anderes Kind schwer verletzt, sich im Verletzungserfolg die Tiergefahr realisiert und die Billigkeit einen Ausgleich erfordert. Eine unzulässige Analogie ist hingegen die „spiegelbildliche“ Anwendung des § 829 BGB im Rahmen des Mitverschuldens, die allgemein befürwortet wird. 266 Diese verfehlte Rechtsfortbildung muss kritisiert werden, da § 254 BGB, wie bereits angedeutet, auf eine Abwägung der Verantwortungsbeiträge ausgerichtet ist. 267 Die nicht auf Verantwortung für den Verletzungserfolg abstellende Billigkeitshaftung ist bereits vom Normzweck des § 254 BGB nicht erfasst und es mangelt an einer vergleichbaren Interessenlage. Infolge des Normzwecks des § 254 BGB scheidet auch eine (ergänzende) Analogie zu § 254 BGB selbst aus. Dieses Ergebnis mag zwar auf den ersten Blick hart erscheinen, es ist aber durchaus berechtigt. § 829 BGB bezweckt den durch die Privilegierung betroffenen Geschädigten vor einer nicht vom Gerechtigkeitsempfinden gedeckten Verfestigung der Belastung bei diesem zu schützen. Daraus abzuleiten, dass „spiegelbildlich“ auch der voll verantwortliche Schädiger vor der Pflicht zum umfassenden Ersatz ihm zurechenbarer Schädigungen bewahrt werden soll, ist von vornherein schief. Es bestehen auch deswegen Bedenken bezüglich der allgemein befürworteten entsprechenden Anwendung, weil die über den bloßen Vermögensvergleich hinausgehenden, im Billigkeitserfordernis zu berücksichtigenden tatbezogenen Umstände, wie die Schwere der Verletzung, das Zurückbleiben von Dauerschäden oder auch der Anteil des Eigenrisikos des nicht privilegierten Opfers, 268 sich nicht wirklich auf die Anspruchskürzung übertragen und spiegelbildlich anwenden lassen. Beschränkt sich die spiegelbildliche Anwendung des § 829 BGB entsprechend auf den schlichten Vermögensvergleich, verzerrt die „spiegelbildliche“ Anwendung den Gerechtigkeitsgehalt erheblich, der § 829 BGB innewohnt. 5. Ergebnis Als Ergebnis ist festzustellen, dass es sich bei der Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB tatsächlich um eine Haftung für aus der Perspektive des HaftungsFür diese RGRK/Steffen, § 829 Rn. 20; Erman/Schiemann, § 829 Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 829 Rn. 5; Soergel/Spickhoff, § 829 Rn. 8; Palandt/Sprau, § 829 Rn. 1; Deutsch, Haftungsrecht, S. 366; BGHZ 37, 102, 106; BGH, NJW 1973, 1795. Vgl. eingehend Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 66 ff. 267 Vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 125 (Fazit); Brand, Schadensersatzrecht, § 9 Rn. 5; Staudinger/Schiemann, § 254 Rn. 4, jew. m. N. zur den Gegenansichten. Der gelegentlich anzutreffende ergänzende Verweis auf die Verursachungsbeiträge geht fehl, da Verursachung Kausalität bedeutet und diese keiner Abstufung unterliegt, sondern immer gleichwertig (äquivalent) ist. 268 Vgl. hierzu Staudinger/Oechsler, § 829 Rn. 57; RGRK/Steffen, § 829 Rn. 11 f. 266

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adressaten zufällige Schadensereignisse handelt. Sie ist immer dann anwendbar, wenn die Individualität des Einzelnen privilegierend berücksichtigt wird. Der Gesetzgeber befolgt ein Gebot der Gerechtigkeit, wenn er den Richter verpflichtet, die Folgen dieser Privilegierung auf ihre Tragbarkeit zu überprüfen und gegebenenfalls durch eine gerechte Schadenszuweisung zu korrigieren, die mittels Verteilung des Schadens zwischen dem Betroffenen und dem Privilegierten erfolgt. Trotz der Qualifikation als Haftung für Zufall ist die Billigkeitshaftung mit dem System der auf Erfolgsverantwortung beruhenden Haftungstatbestände vereinbar. Da die zugrunde liegende Zurechnung nicht an den Verletzungserfolg anknüpft, sondern auf distributiver Grundlage die Schadensfolgen verteilt, ist die Billigkeitshaftung nicht Teil des Systems der auf dem Prinzip der Erfolgszurechnung beruhenden Haftung. Die Billigkeitshaftung steht vielmehr, trotz ihrer Abhängigkeit von der Haftung für Erfolgsverantwortlichkeit, neben dem übrigen Haftungssystem.

V. Veranlassungsprinzip und Verursachungsprinzip Obwohl die Kausalhaftung mangels Zurechnung bereits aus teleologischen Gründen nicht funktionieren kann269 und in ihrer Reinform zumeist als zu Willkür270 oder absurden271 bzw. untauglichen Ergebnissen führend abgelehnt wird, 272 erfreut sie sich weiterhin unter der Bezeichnung als Haftung nach dem Veranlassungsprinzip oder als Verursachung- oder Erfolgshaftung erheblicher Beliebtheit.273 Es handelt sich bei dem häufig als angebliches Zurechnungsprinzip bemühten „Veranlassungsprinzip“ um nichts Weiteres als „das Prinzip der reinen Kausalhaftung unter einem anderen Namen“. 274 Auch dem durchaus Vgl. oben S. 105. Esser, Grundlagen, S. 73. 271 Jansen, Struktur, S. 377. 272 Etwa Larenz, Schuldrecht I, § 27 III a, S. 434 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 12 f., 89; Staudinger13/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff. Rn. 24; Picker, AcP 183 (1983), 369, 470 f.; Rümelin, Schadenszurechnung, S. 26. Wilhelmi, Risikoschutz, S. 123; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 103; Giesen, NJW 1968, 1401, 1405. 273 Vgl. aus der neueren Zeit Köbler, Festschrift Söllner, 551, 565; die Maßgeblichkeit derartiger „Zurechnungsprinzipien“ behaupten etwa in Einzelbereichen: Palandt/Ellenberger, § 122 Rn. 1; Erman/Arnold, § 122 Rn. 1; RGZ 91, 395, 398; BGH NJW 1969, 1380. Vgl. auch Schmidt-Salzer, Festschrift Steffen, 429 ff.; Stürner, VersR 1984, 297 die diesen Anschein erwecken. 274 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 474; vgl. auch Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 130; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 190; Marburger, AcP 173 (1973), 137, 154; Staudinger/Singer, § 122 Rn. 2; so bereits G. Rümelin, AcP 88 (1898), 285. Dieses Verständnis des Veranlassungsprinzips ist auch Prot. II, S. 2713 f (Mugdan II, S. 1074) zu entnehmen; vgl. auch Rümelin, Schadenszurechnung, S. 24 ff. 269

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populären „Verursachungsprinzip“ wohnt kein weitergehender materieller Gehalt inne.275 Soweit mit dem Begriff der Erfolgshaftung276 ausgedrückt werden soll, dass für die bloße Erfolgsverursachung gehaftet werden soll, handelt es sich ebenfalls um ein Synonym für die reine Kausalhaftung. Mit den entsprechenden „Zurechnungsprinzipien“ wird zumeist ein Opferschutz „um jeden Preis“ verfolgt. Zu dessen Begründung wird beispielsweise angeführt, dass das Opfer der Schadensursache immerhin ferner als der Täter stehe 277 oder es noch unschuldiger als der unschuldige Täter sei 278.279 Ergänzend wird die ausgleichende Gerechtigkeit bemüht, welche gebieten soll, alle Beeinträchtigungsfolgen überzuwälzen, soweit dies tunlich und nicht mit unbilligen Härten für die Gegenseite verbunden sei. 280 Diesen vermeintlichen „Zurechnungsprinzipien“ liegt jedoch tatsächlich der Verzicht auf das Zurechnungserfordernis zugrunde, und die entsprechende Haftung entbehrt einer Rechtfertigung durch die Verantwortung des Zurechnungssubjekts und ist ihrerseits ungerecht, weil sie willkürlich ist. Die herrschende Ablehnung der als Zurechnung ausgegebenen Kausalhaftung ist umfassend berechtigt und die zu deren Gunsten angeführten Argumente können nicht überzeugen. Der Gedanke, dass das Opfer unschuldiger als der unschuldige Täter sei, erweist sich als Fehlschluss. Es gibt zwar mehrere Grade der Schuld, aber keine Abstufung des absoluten Zustands der Unschuld. Zudem bestimmt die Zurechnung erst, wer denn Täter ist, sodass eine Rechtfertigung der Zurechnung aus der Täterschaft zirkelschlüssig wäre. Und auch die Erwägungen zur Nähe zum Schaden erweisen sich bei der Kausalhaftung als fruchtlos. Das System der Kausalhaftung versagt bereits zwingend aufgrund seiner unsäglichen Weite. Unendlich viele Personen wären für einen Verletzungserfolg aufgrund verschiedenster Tatbeiträge haftungsrechtlich verantwortlich, da die bloße Kausalität keine relevante Alleinstellungswirkung aufweist. Gerade die Mitverantwortlichkeit des Opfers, die bei konsequenter Umsetzung zwingend ist, weil dieses notwendig für den Verletzungserfolg mit

275 Vgl. Marton, AcP 162 (1963), 1, 17; Rümelin, Schadensersatz, S. 63; vgl. auch Adams, JZ 1989, 787 ff., der dem Verursachungsprinzip als Zurechnungsprinzip zutreffend inhaltliche Leere attestiert. 276 Der Begriff ist als Klassifizierung redundant, da dem deutschen Haftungsrecht stets eine Einstandspflicht für die Verursachung eines Erfolges zugrunde liegt, vgl. S. 105 ff. Zur Sonderrolle der Billigkeitshaftung S. 187 ff. 277 So Esser, Grundlagen, S. 71, der sich jedoch von der reinen Kausalhaftung distanziert. 278 So Binding, Normen I, S. 471 f.; Esser, Grundlagen, S. 72; v. Gierke, Aufgabe, S. 25; Köbler, Festschrift Söllner, 551, 565. 279 Vgl. auch die zutreffende, harte Kritik von Bydlinski, System, S. 94 an einer derartigen, auf das Opfer beschränkten rein einseitigen Argumentation. 280 Vgl. v. Gierke, Aufgabe, S. 25; Binding, Normen I, S. 471; Esser, Grundlagen, S. 74.

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ursächlich ist,281 führt den Gedanken einer Haftung für reine Kausalität ad absurdum. Das Opfer wäre auf der Grundlage einer reinen Kausalhaftung stets ebenfalls Täter einer Selbstschädigung und stünde, entgegen anderer Behauptungen, wegen der Äquivalenz der Ursachenbeziehung dem Schaden immer genauso nah oder fern, wie jedes andere über die Kausalität verbundene Subjekt. In dieser Hinsicht verkehrt sich der vermeintlich erweiterte Schutz des Opfers ins Gegenteil und wird zur außerordentlichen Belastung. Haftung kann nur auf der Grundlage von Wertungen sinnvoll begründet und eingegrenzt werden. Kausalität ist aber nun einmal wertblind, 282 weshalb diese als einzig tragendes Element der Haftung ungeeignet ist. Bei der Bewertung der Rede von „Veranlassungs-, Verursachungs-, Kausaloder Erfolgshaftung“ sowie vom „Veranlassungs- oder Verursachungsprinzip“ ist jedoch zu berücksichtigen, dass insoweit ein fast schon babylonisches Sprachgewirr herrscht. Mit den Begriffen werden häufig variierende materiellrechtliche Konsequenzen verbunden. 283 In den meisten Fällen handelt es sich lediglich um sprachliche Fehlgriffe, teilweise sogar um fortgeschleppte Begriffsrelikte aus einer Zeit, in der noch Unkenntnis über die Existenz weiterer positiver Zurechnungsprinzipien neben dem Verschuldensprinzip herrschte.284 Bei genauerer Betrachtung stellt man auch regelmäßig fest, dass die „Zurechnungsprinzipien“ und Haftungssysteme nicht entsprechend ihrer Bezeichnung vertreten, sondern mit zahlreichen wertenden Einschränkungen verknüpft werden.285 Leider wird von den Verwendern der Begriffe nicht erkannt, dass mit diesen Einschränkungen bereits offen zutage tritt, dass die Begriffswahl verfehlt ist.

281 Hierzu Marton, AcP 162 (1963), 1, 59; Deutsch, Haftungsrecht, S. 13; Adams, JZ 1989, 787 ff.; E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 143. Diese Symmetrie hat bereits Coase, Journal of Law and Economics, Vol. 3 (1960), 1 ff. umfassend beschrieben. 282 Vgl. v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 22; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 608. 283 Bereits 1910 wies Rümelin Haftung, S. 4 auf diesen bedenklichen Umstand bezogen auf Veranlassungsprinzip und Erfolgshaftung hin. 284 Vgl. dazu Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123, 139. 285 Dazu Bydlinski, System, S. 185 Fn. 184; Rümelin, Schadensersatz, S. 62; ders. Schadenszurechnung, S. 26; Wilburg, Elemente, S. 2. Dies erkennt auch Marton, AcP 162 (163), 1, 37 ff. insbes. 53 ff. bei der von ihm entwickelten „Verursachungshaftung“ an.

§ 6 Casum sentit dominus – ein eigenständiges Zurechnungsprinzip? „Weil Tugend nicht, noch Geistesgabe den Eigensinn des Schicksals rührt.“ (Wilhelm Gotter 1)

Im Zusammenhang mit Zurechnung und haftungsrechtlicher Verantwortung wird nicht selten casum sentit dominus als Regel, Rechts- oder Zurechnungsprinzip, Grundsatz oder schlichter Lehrsatz angeführt. Zumeist wird mit dem Satz beschrieben, dass der Rechtsträger als dominus für das Schadensereignis zuständig ist, wenn dieses mangels Verantwortung einer anderen Person auf Zufall beruht, also ein casus ist. Teilweise wird darüber hinaus die Zurechnung des Schadensereignisses zum möglichen Schädiger unter Berufung auf den Satz eingeschränkt und dieses so erstmals zum Zufall. Dahinter steht der Gedanke, dass der Rechtsträger für sein Rechtsgut zuständig ist und entsprechend den Schaden tragen soll. Sodann wird, mehr oder weniger konsequent, der Rechtsträger für das nunmehr zufällige Ereignis wiederum gemäß dem Lehrsatz verantwortlich gemacht. Die Idee, über die rechtliche Zuständigkeit des Rechtsträgers für das Rechtsgut auf die Zurechnung zum potenziellen Schädiger Einfluss zu nehmen und so das gewünschte Ergebnis zu begründen, erscheint wohl allzu verlockend. Versucht man die Rechtsnatur und Inhalt von casum sentit dominus zu ergründen, so stößt man heute im Ergebnis auf drei Qualifikationen des Lehrsatzes (II.). Am weitesten geht der Ansatz, der casum sentit dominus als zu den Zurechnungsprinzipien äquivalente Zurechnungsnorm erachtet (1.). Daneben wird der Satz auch als mit der Verantwortung des potenziellen Schädigers kollidierendes, abwägungsfähiges Zurechnungswertprinzip aufgefasst (3.). Zuletzt wird er als lediglich deklaratorische Aussage zur faktischen Belastung des Rechtsträgers mit dem Zufallsrisiko verstanden, die schlicht aus der Nichthaftung anderer resultiert (4.). Bevor der Rechtsnatur des juristischen Sprichwortes nachgegangen wird (III.), soll zunächst ein Blick darauf geworfen werden,

1

Gotter, Gedichte, 5.

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welche Bedeutung casum sentit dominus im Laufe der Zeit bis zum Inkrafttreten des BGB zugemessen wurde (I.). Dabei ist es leider nicht möglich, über eine kursorische Betrachtung hinauszugehen.

I. Historische Beurteilung Für das römische Recht lässt sich, wie bereits zuvor angemerkt,2 die Existenz einer positiv normierten Rechtsregel casum sentit dominus nicht mehr feststellen. Lediglich die Rechtsregel casus a nullo praestantur (Ulp. D. 50.17.23) ist sicher im Corpus Iuris Civilis belegt und neben dieser auch die reflexhafte Belastung des Inhabers eines Rechtsguts durch das Ausbleiben von Haftung (vgl. etwa Cod. Just. 4.24.9). Die Risikotragung des Eigentümers wurde später vielfach im Zusammenhang mit der Gefahrtragung erörtert. Die Diskussion erfolgte im Anschluss an die römischrechtliche Regel der Gefahrtragung periculum est emptoris3 (Paul. D. 18.6.8; Inst. 3, 23, 3), die an die Stelle der Risikotragung nach der Risikozuweisung res perit domino4 tritt. Mit dieser Risiko- bzw. Gefahrtragung setzten sich unter anderem die Naturrechtslehrer auseinander. So führte Hugo Grotius (1583–1645) in seinem Werk „De jure Belli Ac Pacis“ aus, dass der Eigentümer mit der Gefahr belastet und die Gefahrtragung des Käufers vor dem Eigentumsübergang lediglich eine Bestimmung des positiven Rechts sei. 5 Samuel v. Pufendorf (1632–1694) kritisierte die Regelung periculum est emptoris, weil diese der Regel res perit domino widerspreche. 6 Auch die Autoren des Usus modernus stießen sich an der Unvereinbarkeit von periculum est emptoris und res perit domino und der Ungerechtigkeit der Gefahrtragung. 7 Um die Gefahrtragung des Käufers zu rechtfertigen, mussten sie die des Eigentümers überwinden, wofür sie sich – mehr oder weniger explizit – der Fiktion bedienten, der Käufer sei wegen seines Anspruchs als Eigentümer zu behandeln. 8 Die weitreichende und lang andauernde Diskussion hatte jedoch die Gefahrtragung zum Gegenstand, also die Risikotragung in durch vertragliche Sonderbeziehung begründeten Leistungsverhältnisse. Die durch das (außervertragliche) Haftungsrechts geprägte übergeordnete Risikozuweisung casum sentit dominus stand nicht im Fokus der Auseinandersetzung mit der Gefahrtragung.

Vgl. oben S. 54. „Die Gefahr trägt der Käufer“, vgl. Liebs, Rechtsregeln, S. 170. 4 „Die Sache geht dem Eigentümer unter“, vgl. Liebs, Rechtsregeln, S. 212. 5 Grotius, De jure Belli Ac Pacis, Buch 2, Kap. XII, XV, 1. 6 V. Pufendorf, De iure naturae et gentium, Buch 5, Kap. 5 § 3. 7 Dazu Siems, Festschrift Landau, 715, 721 ff. 8 Vgl. Siems, Festschrift Landau, 715, 737 (Ergebnis), der allerdings die Gefahrtragung des Eigentümers insoweit mit casum sentit dominus bezeichnet. 2

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§ 6 Casum sentit dominus

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Eine haftungsrechtliche Dimension verlieh casum sentit dominus etwa Franz Conradi 9 (1701–1748). Dieser meinte in casum sentit dominus den maßgeblichen Grund der Haftung bei der der römischrechtlichen fiducia10 ausgemacht zu haben. 11 Dabei beschränkte er allerdings die Ersatzpflicht des Sicherungsnehmers beim zufälligem Untergang des Sicherungsguts als Eigentümer – und damit den Anwendungsbereich von casum sentit dominus – auf den zufälligen Untergang der Sache, während Conradi bei der zufälligen Verschlechterung den Sicherungsgeber als Gläubiger als mit der Gefahr belastet erachtete.12 Dass für die Risikozuweisung zum Sicherungsgeber beim Untergang der Sache genau das Eigentum ursächlich war, vermochte er dabei nicht zu belegen.13 Auch Franz Schoemann14 (1782–1813) erkannte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zumindest die faktische Gültigkeit von casum sentit dominus an, wenn er ausführte: „Leiden und Verlust bringt der Zufall allerdings, aber eine wahre Verletzung des Eigenthumes birgt er nicht; darum an Ersatz derselben, an Entschädigung für den Druck des Zufalls, kein Gedanke ...“.15 Die der Vernunftsepoche angehörenden Väter des österreichischen ABGB gingen zur gleichen Zeit von der Gültigkeit „der Regel des gemeinen Rechts: casum sentit is, in cujus persona accidit“ aus. 16 Sie attestierten dem Lehrsatz für das gemeine Recht Normcharakter, obwohl sie nicht von dessen uneingeschränkter Gültigkeit ausgingen.17 Zwei Jahrzehnte später differenzierte Karl Wächter (1797–1880) bei seiner Einschätzung des Satzes casum sentit dominus.18 Außerhalb obligatorischer Verhältnisse erkannte er die rechtstatsächliche Gültigkeit des Satzes an, die nicht auf den dominus im Sinne von Eigentümer beschränkt sei.19 Allerdings spricht er dabei vom „Grundsatz“ casum sentit dominus und verweist zugleich (Fußnote 39) auf das Schweigen der Quellen, sodass er dem Satz wohl lediglich eine deklaratorische Funktion beimaß. Innerhalb vertraglicher Verbindung sprach er dem Lehrsatz explizit jedwede teleologische Wirkung bezüglich der 9 Conradi, De pacto fiduciae, Exercitatio I, 1732; ders., De pacto fiduciae, Exercitatio II, 1733. 10 Bei der fiducia handelt es sich um ein der heutigen Sicherungsübereignung sehr ähnliches Rechtsinstitut. Vgl. hierzu Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 31 Rn. 3 ff. und 7 ff. 11 Conradi, pacto I, §§ 11–17; ders., pacto II, §§ 9 f. 12 Conradi, pacto II, § 10. 13 S. Wächter, AcP 15 (1832), 97, 135 f. 14 Schoemann, Lehre vom Schadensersatze, Band I, 1806. 15 Schoemann, Lehre I, S. 25. 16 Vgl. Ofner, Ur-Entwurf II, S. 190. 17 Vgl. Ofner, Ur-Entwurf II, S. 190. 18 Vgl. Wächter, AcP 15 (1832), 97, 115 ff.; zustimmend Schoberlechner, Zufall, S. 122. 19 Vgl. Wächter, AcP 15 (1832), 97, 118.

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Zuweisung des Zufallsrisikos ab. 20 Gleichwohl erkannte er an, dass häufig eine entsprechende Risiko- und damit Schadenszuweisung eintrete. Dies sei allerdings lediglich Reflex der Wirkung der Prinzipien impossibilium nulla obligatio est und casus a nullo praestantur. Insoweit führte er aus: „Allein es [casum sentit dominus] ist dann kein Princip, aus welchem man Etwas für die Frage: wer den Zufall trage? folgern und entscheiden kann, das Eigentum ist nicht der Grund, weßhalb der Zufall zu tragen ist, sondern dieser Grund ist ein anderer, aus dem sich nur in manchen Verhältnissen zufällig ergibt, dass der dominus rei es ist, der nun den Zufall wirklich trägt“. 21 Auch Ferdinand Hepp22 (1800–1851) stand bei seiner Untersuchung des römischen Rechts einer Regel casum sentit dominus sehr kritisch gegenüber. Neben umfassenden Zweifeln am materiellen Gehalt dieses Satzes23 kommt er zu dem Ergebnis: „[...] es soll damit [casum sentit dominus], aber freilich auf ganz unpassende Weise, das Prinzip ausgedrückt werden, daß das Recht auf Entschädigung aus Verletzungen in und ausser dem Obligationennexus durch das Verschulden oder die Zurechnungsfähigkeit des Gegners bedingt sey“. 24 Hepp gelangte also ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Satz lediglich das Ergebnis der Nichthaftung beschreibt und diesem kein eigenständiger materieller Gehalt im Sinne eines Zurechnungsprinzips oder eines sonstigen Rechtsatzes innewohnt. Den richtungweisenden Ausführungen Wächters schlossen sich viele weitere bedeutende Rechtswissenschaftler dieser Zeit an. So beurteilte Friedrich Mommsen25 (1818–1892) unter Bezugnahme auf Wächter die Annahme einer Regel casum sentit dominus in Bezug auf schuldrechtliche Leistungsversprechen als unzutreffend. 26 Darüber hinaus betrachtete er den Lehrsatz auch für den Bereich deliktischer Beeinträchtigung als völlig unbrauchbar.27 Dies folgte seines Erachtens aus dem Umstand, dass bereits der Begriff des casus für die Haftung keine Relevanz aufgewiesen habe, weswegen eine an den Zufall anknüpfende Risikozuweisung mit normativem Charakter im System der Delikte und Quasidelikte verfehlt gewesen wäre. Im Anschluss an Wächter und Mommsen bezeichnet etwa auch Bernhard Windscheid28 (1817–1892) in seinem

Vgl. Wächter, AcP 15 (1832), 97, 118 ff. Wächter, AcP 15 (1832), 97, 119. 22 Hepp, Die Zurechnung auf dem Gebiete des Civilrechts insbesondere die Lehre von den Unglücksfällen, 1838. 23 Vgl. Hepp, Zurechnung, S. 13 ff. 24 Hepp, Zurechnung, S. 15. 25 Mommsen, Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf die obligatorischen Verhältnisse, 1853. 26 Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit, S. 251 f. 27 Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit, S. 248. 28 Windscheid, Pandektenrecht II, 1865. 20

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Lehrbuch zum Pandektenrecht die Regel casum sentit dominus als „[u]nbrauchbar und in dieser Allgemeinheit [...] unrichtig“. 29 Dennoch verstummten die Gegenstimmen nie. So vertrat unter anderem Christian Mühlenbruch30 (1785–1843) die grundsätzliche Gültigkeit von casum sentit dominus auch im Rahmen der vertraglichen Leistungsbeziehungen.31 Die exakte Natur des von ihm als „Prinzip“ bezeichneten Satzes erläuterte Mühlenbruch jedoch nicht genauer. 32 Später sprach sich Victor Mataja33 (1857–1934) ebenfalls für die Gültigkeit von casum sentit dominus aus. 34 Dieser Satz war seines Erachtens, wie das ebenfalls als „Satz“ bezeichnete Verschuldensprinzip, Konsequenz eines „tieferen Prinzips“, was beiden Rechtsfiguren einen gemeinsamen Charakterzug verleiht, der mit der gesamten Rechtsund Wirtschaftsordnung zusammenhängt. „[D]er Schaden bildet eine streng individuelle Belastung der in ihrer Vereinzelung aufgefaßten Privatwirtschaften, er bleibe an der Person haften, zwischen welcher und dem Schaden eine streng individuelle Beziehung besteht, mag diese nun durch den Besitz oder durch das Verschulden des Individuums hergestellt werden“. 35 Ob Mataja nun casum sentit dominus die Wirkung einer Zurechnungsnorm beimaß, wofür die von ihm angenommene Gleichstellung mit dem Verschulden spricht, oder lediglich als das Produkt der Nichthaftung und damit des Verschuldensprinzips ansah, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Dies dürfte jedoch dem Umstand geschuldet sein, dass diese dogmatische Frage für seine Untersuchung auch nicht wirklich von Bedeutung war. Mataja, ein „Urvater“ der ökonomischen Analyse des Rechts, nutzte die seines Erachtens mit Defiziten behaftete Risikozuweisung im Sinne von casum sentit dominus lediglich als Ausgangspunkt dafür, eine auf Prävention gestützte Risikozuweisung zu entwickeln, die volkswirtschaftlich vorzugswürdig sei. 36 Eindeutige Stellung bezog hingegen Rümelin. 37 Er erkannte zwar die faktische Geltung des Lehrsatzes an, bestritt aber explizit dessen Qualität als Rechts- bzw. Zuweisungsprinzip: „Ist dieser Satz [casum sentit dominus] nun wirklich ein Princip im gleichen Sinn wie dasjenige der Culpahaftung gewesen? Oder könnte es gar jetzt noch für ein solches gelten? Keineswegs. Es ist eine grundverkehrte Auffassung, wenn man hinter jenen Worten ein Princip

Windscheid, Pandektenrecht II, § 264 Fn. 5. Mühlenbruch, Lehrbuch II, 2. Aufl. 1838. Die erste Auflage war dem Verfasser leider nicht zugänglich. 31 Vgl. Mühlenbruch, Lehrbuch II, § 365, S. 312. 32 Vgl. Mühlenbruch, Lehrbuch II, § 365, S. 312 f. 33 Mataja, Recht, 1888. 34 Vgl. Mataja, Recht, S. 11 f. 35 Mataja, Recht, S. 11. 36 Mataja, Recht, S. 19 ff. und passim. 37 Rümelin, Schadenszurechnung, 1896. 29

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von selbstständigem legislatorischem Werthe sucht [...]“.38 Weiter führte er aus: „So lange keine präcisirbaren Gründe für die Zuweisung entstandenen Schadens an andere Vermögen sich aufzeigen lassen, wird der Schaden eben da haften bleiben müssen, wo er zunächst eingetreten ist“. 39 Für Rümelin war die dogmatische Fragestellung eindeutig dahingehend zu beantworten, dass die rein faktische Gültigkeit des Satzes casum sentit dominus ausschließlich auf dem privatrechtlichen Zurechnungserfordernis und der Unzurechenbarkeit zufälliger Schadensereignisse beruht.

II. Die Diskussion unter dem BGB Im Anschluss an diesen rechtshistorischen Abriss gilt es nun zu belegen, dass Rümelins Urteil auch heute noch zutreffend ist. Unter der Geltung des BGB fand der schon tot geglaubte Lehrsatz gleichwohl neue Anhänger, welche die Grenzen der Zurechnung zu legitimieren versuchen, indem sie sich auf einen materiellen Gehalt von casum sentit dominus berufen. 1. Die Qualifikation als Zurechnungsprinzip Als energischster Gegner von Rümelins Verständnis des Satzes casum sentit dominus hat sich Hübner hervorgetan. Er verweist darauf, dass Rümelins dogmatische Einordnung als Aussage lediglich der „Natur der Sache“ entspreche.40 Dessen Ausführungen würden lediglich sehr formal und in hoher Abstraktion besagen, „daß ein beliebiger Geschädigter allen Schaden zu tragen habe, für den andere ihm nicht ersatzpflichtig sind“.41 Hübner möchte deshalb den seines Erachtens inhaltleeren Satz, aufgefüllt im Sinne von „Verantwortlichkeit für die eigene Rechtssphäre“ und als eine bewusste Risikozuweisung durch die Rechtsordnung verstanden, 42 zu einem eigenständigen Zurechnungsprinzip erheben.43 Es handle sich bei casum sentit dominus um „das Zurechnungsprinzip, um dessen Formulierung sich Adäquanz, Normzwecktheorie und die Fortentwicklung beider bemühen“. Diese Theorien sind nach Hübner nichts anderes als das Produkt der Konkurrenz der Prinzipien der Zurechnung zum Haftungsadressaten mit dem zulasten des Geschädigten wirkenden Zurechnungsprinzip

Rümelin, Schadenszurechnung, S. 13. Rümelin, Schadenszurechnung, S. 14. 40 Vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 56. 41 Vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 57. 42 Vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 57 f.; v. Schenk, Sphäre, S. 80 f.; ähnlich Lüer, Begrenzung, S. 124 und passim: „allgemeines soziales Risiko“; vgl. auch Mädrich, Lebensrisiko, S. 108 ff. 43 Vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 60. 38

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casum sentit dominus. 44 Der zum Prinzip erhobene Lehrsatz beinhalte dabei eine „Risikozurechnung“ zulasten des Geschädigten, welche die Ersatzpflicht des Schädigers einschränke. 45 Gefolgschaft fand er soweit ersichtlich nur durch Lang, der den Lehrsatz sogar zu einem tragenden Gestaltungsprinzip unserer Rechtsordnung erhebt. 46 Auch er qualifiziert den Satz, im Anschluss an Hübner, als „Zurechnungsprinzip“ zu Lasten des Geschädigten, das mit der Zurechnung zum Schädiger konkurriere und durch die Normzwecklehre seine Umsetzung erführe.47 Entwickelt wurde der Gedanke einer Zurechnung zum Geschädigten bereits zuvor von Gernhuber.48 Dieser erachtete eine Schadenszurechnung zum Rechtsträger – die Ausführungen beschränkten sich auf das Eigentum – als notwendige Folge von dessen Zuständigkeit für das Recht. Er formulierte insoweit überspitzt, „daß der Sachzuständige sich stets selbst zum Schadensersatz verpflichtet ist“. 49 Auch Gernhubers These einer zuständigkeitsbedingten Schadensverantwortung impliziert eine „aktive“ Zurechnung des Schadens zum Rechtsträger. Er verzichtete jedoch darauf, diese Zurechnung in das Gewand des lateinischen Lehrsatzes zu kleiden. Neben Ansätzen wie denen von Hübner oder Gernhuber sind auch recht häufig Formulierungen anzutreffen, die zwar nicht so weit gehen, eine echte, zur Zurechnung zum potenziellen Täter äquivalente Zurechnung zum Geschädigten zu vertreten, die aber dennoch in diese Richtung deuten. Beispielsweise führte Rother aus: „Der Grundsatz casum sentit dominus ist über die eigene Sachherrschaft hinaus, die das Wort dominus andeutet, im Sinne einer allgemeinen Verantwortlichkeit für das eigene Verhalten und Handeln, für die eigene Lebensführung und für das eigene Dasein zu verstehen“. 50 In derartigen Formulierungen kommt ein gewisser Hang zum Ausdruck, den Schaden dem Geschädigten, eben wegen seiner Verantwortung für seinen Lebensbereich, positiv zuzuordnen und damit wohl zurechnen zu wollen.

44 Vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 60, insbes. S. 65 ff. In diese Richtung auch Lüer, Begrenzung, S. 124 f.: Abwägung der allgemeinen Schadensgefahr und des besonderen Risikos. 45 Vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 65 ff. 46 Vgl. Lang, Normzweck, S. 93. 47 Vgl. Lang, Normzweck, S. 94. 48 Vgl. Gernhuber, AcP 152 (1952/1953), 69, 77. 49 Gernhuber, AcP 152 (1952/1953), 69, 77. 50 Rother, Haftungsbeschränkung, S. 87.

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2. Die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko In eine ähnliche Richtung wie Hübner deutet die sog. „Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko“. 51 Diese in der Literatur52 vertretene Lehre betrachtet das „allgemeine Lebensrisiko“ als eigenständiges negatives Zurechnungskriterium, das von Adäquanz und Schutzzwecklehre zu unterscheiden sei.53 Mit dem allgemeinen Lebensrisiko soll nach den Vertretern dieser Lehre ein spezifischer teleologischer Aussagegehalt und eine eigenständige normative Wirkung verbunden sein. Es soll gerade nicht lediglich dem Ergebnis der Nichthaftung, im Sinne des rein deklaratorischen Verständnisses von casum sentit dominus, ein besonderer, modernerer Ausdruck verliehen werden. 54 Das allgemeine Lebensrisiko, das als ein die Zurechnung ausschließendes Kriterium fungieren soll, erfasst nach den Vertretern dieser Lehre all diejenigen Risiken, die mit der menschlichen Existenz notwendig verbunden sind und anderen Personen nicht zugewiesen werden können. 55 Es umfasst also die Schadensereignisse, die exklusiv der Risikosphäre des Geschädigten zugehörig sind.56 Die hiermit verbundene Zuweisung eines Schadens zur Sphäre des Opfers stelle eine „besondere Form der Garantiehaftung des Herrschers für seinen Machtbereich dar“. 57 Trotz gewisser Parallelen, insbesondere in der intendierten Wirkung und einem irreführend ähnlichen Sprachgebrauch, erkennt die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko jedoch keineswegs ein umfassendes Prinzip casum sentit dominus unter dem Namen allgemeines Lebensrisiko an, das eine echte, aktive Zurechnung eines Schadens beinhaltet. Stattdessen verficht sie ein absolutes Zurechnungshindernis, das auf Sphärenerwägungen gestützt wird, mit dem allerdings keine normative Verantwortung des Geschädigten begründet werden soll. 58 Im Gegensatz zu Hübner und Gernhuber sollen also keine Schäden „aktiv“ zugerechnet werden, sondern bestimmte Risiken dem Träger des Interesses vorbehalten bleiben und deren Realisierungsfolgen der Zurechnung zum Schädiger entzogen werden. Das allgemeine Lebensrisiko konkurriert entsprechend nicht als gegenläufiges Prinzip mit der positiven Zurechnung, sondern

Eingehend zu dieser Lehre im System der Zurechnung S. 329 ff. Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn 225 f.; Lange, JZ 1976, 198, 206 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148; Mädrich, Lebensrisiko, S. 74 ff., 89 ff.; Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus, § 249 Rn. 77; Pick, Verkehrspflichten, S. 203 f.; Stoll, Kausalzusammenhang, S. 26 f. 53 Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041, 1044 ff.; Mädrich, Lebensrisiko, S. 96 ff. 54 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1043 f. 55 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1043; Mädrich, Lebensrisiko, S. 110. 56 Mädrich, Lebensrisiko, S. 108 ff. 57 Mädrich, Lebensrisiko, S. 109. 58 Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 110. 51

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es beschreibt rein kasuistisch59 von vornherein nicht zurechenbare Beeinträchtigungen. 3. Casum sentit dominus als § 254 BGB legitimierendes Rechtsprinzip Insbesondere in der älteren Literatur wurde der Versuch unternommen, § 254 BGB ausschließlich auf casum sentit dominus zurückzuführen.60 Allein durch die Qualifikation des Satzes als – vermeintlich taugliche – Legitimationsgrundlage der Anspruchskürzung erklären die Vertreter dieser Ansicht implizit, dass der Satz zumindest als Rechtsprinzip auf der Prinzipienebene wirksam sein muss. Casum sentit dominus würde entsprechend Normcharakter aufweisen und somit ein Sollensgebot in dem Sinne ausdrücken, 61 dass der dominus infolge seiner Stellung für den Schaden verantwortlich ist und diesen deshalb zu tragen hat. Erkennt man dies an, ist der Schluss auf die Rechtsnatur von casum sentit dominus als ein Zurechnungswertprinzip, welches dem Rechtsträger einen erlittenen Schaden zurechnet, weil er diesen tragen soll, 62 ein zwingender. Diese Einschätzung wird auch dadurch bestätigt, dass der Lehrsatz als Grundlage eines argumentum a maiore ad minus dienen soll. Der Rechtsträger, wenn er denn schon zufällige Rechtsverletzungen zu schultern habe, müsse doch erst recht solche auferlegt bekommen, für die er verantwortlich sei.63 Dieser Schluss ist nur dann richtig, wenn er auf eine positive Verantwortungszuweisung zum Rechtsträger und somit eine entsprechende Sollens-Bestimmung gestützt wird. Demgegenüber wäre die Aussage des Satzes als rein deklaratorische Erkenntnis, dass derjenige den Schaden tragen müsse, bei dem kein hinreichender Grund dafür besteht, diesen auf einen möglichen Haftungsadressaten zu verlagern, kaum eine taugliche Grundlage für solch einen der Herstellung von Gleichmaß dienenden Erst-Recht-Schluss. Einem solchen „Rechtssatz“ würde es bereits an einem geeigneten bzw. überhaupt einem Regelungszweck mangeln. Nun muss die hinter § 254 BGB stehende Legitimationsgrundlage, auch weil sie für diese Untersuchung nicht relevant ist, nicht umfassend belegt werden. Insbesondere Looschelders hat bereits überzeugend hergeleitet, dass die

Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041, 1044; Pick, Verkehrspflichten, S. 203. In diese Richtung Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148. 60 So etwa Lorenz-Meyer, Haftungsstruktur, S. 104; Rother, Haftungsbeschränkung, S. 87; Wieling, AcP 176 (1976), 334, 349; Gernhuber, AcP 152 (1952/1953), 69, 77. Sympathisierend, aber die Eignung als alleinige Legitimation anzweifelnd etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 547; in diese Richtung auch Soergel12/Mertens, § 254 Rn. 2; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 274. 61 Zu Rechtsnatur und Gebotswirkung der Rechtsprinzipien bereits S. 118 ff. 62 In diese Richtung deutet auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 119. 63 So etwa Soergel12/Mertens, § 254 Rn. 2. 59

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Anspruchskürzung des § 254 BGB auf der Schädigerseite entsprechenden Zurechnungsprinzipien und damit Verantwortungserwägungen beruht. 64 Obwohl es nicht möglich ist, die Regelung des § 254 BGB über casum sentit dominus zu begründen, so befürworten die Vertreter der Gegenansicht es dennoch, dem Lehrsatz normative Kraft zuzusprechen, was für die hier angestrebte Untersuchung durchaus von Interesse ist. 4. Die Gegner der Qualifikation als Zurechnungsprinzip Die kaum formulierte, wohl aber trotzdem herrschende Gegenauffassung sieht in casum sentit dominus und dessen Abwandlungen kein eigenständiges Zurechnungsprinzip, sondern lediglich einen Lehrsatz rein deklaratorischer Natur. Dieser beschreibt das Ergebnis gescheiterter Zurechnung eines Schadensereignisses zum möglichen Schädiger. Besonders deutlich sprach Rümelin dem Lehrsatz die Qualität eines Zurechnungsprinzips sowie jedweden teleologischen Gehalt ab. 65 Es wird jedoch nur selten zur Natur des Satzes Stellung genommen, sondern zumeist – so scheint es zumindest – die Formel implizit als Feststellung gescheiterter Haftung verstanden. Mit v. Schenk,66 Weyers67 und Bydlinski 68 sprechen nur vereinzelte Stimmen explizit aus,69 dass jedweder teleologische Gehalt des Satzes abzulehnen ist. Weyers weist dabei zutreffend darauf hin, dass hinter dem Ergebnis des Lehrsatzes von ihm unabhängige Wertungen stehen, welche die Risikozuweisung lediglich als Reflex begründen.70 Diese werden uns später noch eingehend beschäftigen. 71 Die unzureichende Auseinandersetzung mit der Rechtsnatur des Lehrsatzes ist bedauernswert und auch kontraproduktiv. Die hiermit verbundene Unklarheit lädt dazu ein, den Lehrsatz nach Belieben oder genauer nach Bedarf mit vermeintlichem teleologischen Gehalt anzureichern, um so das gewünschte Ereignis unter Berufung auf den Satz begründen zu können. Casum sentit dominus wird dabei zum Scheinargument, das eine zweiseitige Begründung von Rechten und Pflichten, die im Zivilrecht stets erforderlich und häufig kompliziert ist, durch eine einfache einseitige Betrachtung und Argumentation ersetzen soll. 72 Dem gilt es entgegenzutreten.

Vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 116 ff. m. umf. Nachw. Vgl. Rümelin, Schadenszurechnung, S. 13 f. 66 Vgl. v. Schenk, Sphäre, S. 80. 67 Vgl. Weyers, Unfallschäden, S. 486. 68 Vgl. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 333 Fn. 50. 69 Unklar Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 121 ff. 70 Weyers, Unfallschäden, S. 485 ff. 71 Dazu eingehend § 7 (S. 220 ff.). 72 Zum Prinzip der zweiseitigen Rechtfertigung von Pflichten bereits S. 108 f.

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III. Die Eignung zum Zurechnungsprinzip Möchte man casum sentit dominus als Zurechnungsprinzip qualifizieren, so stellt sich die Frage nach dessen Rechtsnatur und dessen Gehalt. Zunächst wird der Satz im Sinne seines Wortlauts und somit als Prinzip der Zurechnung zufälliger Beeinträchtigungen untersucht (1.). Sodann soll Hübners Ansatz einer inhaltlichen „Anreicherung“ des Lehrsatzes und dessen mögliche Natur und Wirkung hinterfragt und verworfen werden (2.). 1. Die Zurechnung zufälliger Beeinträchtigungen Wäre casum sentit dominus ein Prinzip der Zurechnung zufälliger Beeinträchtigungen und somit der Erfolgszurechnung, so müsste es seiner Rechtsnatur nach als Regelung73 qualifiziert werden. Das Zurechnungsprinzip würde tatbestandlich daran anknüpfen, dass das Schadensereignis auf Zufall beruht, und würde als Rechtsfolge anordnen, dass der Geschädigte für das Schadensereignis verantwortlich ist. Dieser auf den ersten Blick durchaus sympathisch wirkende Ansatz ist kollisionsrechtlich74 durchaus legitimierbar, weil die casum sentit dominus widersprechende Erfolgszurechnung zum Schädiger, etwa wenn dieser infolge Verschuldens gem. § 823 BGB haftet, als Ausnahmeregelung zu diesem „Prinzip“ verstanden werden könnte. Der Ansatz ist jedoch aus anderen Gesichtspunkten verfehlt. Knüpft man die Zurechnung an den Zufall an, so erweist sich das vermeintliche Zurechnungsprinzip als inhaltsleer. Dass die Rechtsbeeinträchtigung den Rechtsträger bereits deswegen trifft, weil diesem das Recht zugeordnet ist, hat von Schenk eingehend dargestellt. 75 Wer außer dem Rechtsträger sollte denn sonst das Recht einbüßen oder die Beeinträchtigung erleiden? Die angestrebte Zurechnung zum Rechtsträger, die an den Zufall als Tatbestandsmerkmal und somit an die gescheiterte Zurechnung zum Haftungsadressaten anknüpfen soll, macht diese zur Tautologie, zu einer sinnfreien Gedankenübung ohne eigenen Aussagegehalt. Sie erfordert es, den Schaden vom naturgemäß bereits Geschädigten künstlich abzuspalten, nur um eben diesen Schaden sodann wieder mit dem Geschädigten durch Zurechnung zu verbinden. Ein Bedürfnis für solch eine Zurechnung lässt sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass mit dieser eine Schadenszuweisung zu anderen möglichen Zurechnungssubjekten ausgeschlossen wird. Jede Zuweisung des Schadens zu einem anderen Individuum wäre willkürlich, da es einer zurechnungsgestützten Verbindung zwischen diesem und dem Erfolg fehlt, denn es handelt sich schließlich um eine zufällige

73 Zur Unterscheidung zwischen Regelungen als definitive Sollensgebote und echten (Wert-)Prinzipien als relative, der Abwägung zugängliche Sollensgebote, vgl. S. 119 ff. 74 Zur Kollision von Regelungen bereits S. 121. 75 Vgl. v. Schenk, Sphäre, S. 80 ff.

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Beeinträchtigung.76 Wenn aber nun der Schaden dem vermeintlichen Zurechnungssubjekt bereits zugewiesen ist und dieser auch nicht auf Dritte verlagert werden kann, so verbleibt dem Zurechnungsprinzip überhaupt kein konstitutiver Regelungsgehalt. Für ein Prinzip der Zurechnung zufälliger Beeinträchtigungen besteht also weder Bedarf noch Raum. 2. Ein Zurechnungswertprinzip? Wenn Hübner den Satz casum sentit dominus als Zurechnungsprinzip verstanden wissen möchte, das die Zurechnung durch Abwägung einschränkt, kann dieses nicht als gleichwertig zur Verschuldenszurechnung und damit als Regelung verstanden werden. 77 Der Satz muss vielmehr ein abwägungsfähiges Wertprinzip beinhalten, das dem Prinzipienkanon angehörig ist, der den Zurechnungsmaßstab bestimmt. Diese Rechtsnatur würde mit dem von Hübner angenommenen „Kollisionsverhalten“ durchaus harmonieren.78 Casum sentit dominus als ein derartiges Zurechnungswertprinzip zu verstehen, setzt jedoch voraus, dass diesem Satz ein zu optimierendes Gebot relativen Sollens zu eigen ist. Andernfalls kann der Satz allenfalls ein rein deskriptives Strukturprinzip sein. 79 a. Kein casus in casum sentit dominus Ein Wertprinzip anzunehmen, wie es auch implizit von den älteren Theorien zur Begründung von § 254 BGB behauptet wird,80 setzt voraus, dass man sich wie Hübner vom Zufall löst und mit dem Satz das Gebot „der Rechtsträger ist für die Beeinträchtigung seiner Rechte verantwortlich“ verbindet. Dieses Verständnis lässt allerdings die Bezeichnung des vermeintlichen Wertprinzips als zweifelhaft erscheinen, denn erst durch die Abwägung mit dem Zurechnungswertprinzip casum sentit dominus wird das Ereignis überhaupt zum zu spürenden Zufall (casus). Der Zufall ist entsprechend nicht Gegenstand der Zurech-

76 So auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 123. Zum Prinzip der zweiseitigen relativen Rechtfertigung als Strukturprinzip des Zivilrechts und Grenze der Zurechnung bereits S. 108 f. 77 Zur Rechtsnatur des Zurechnungsprinzips Verschulden als Regelung vgl. S. 126 ff. 78 Hübners Konzeption der Abwägung setzt zwei konfligierende, d.h. zugleich anwendbare Zurechnungsprinzipien voraus, die nach seiner Vorstellung „analog § 254 BGB“ abgewogen werden sollen (vgl. Hübner, Schadenszurechnung, S. 69). Die Anknüpfung an § 254 BGB ist jedoch schon im Ausgangspunkt schief. Obwohl die Norm durchaus die Abwägung der beiderseitigen Verantwortungsbeiträge bezweckt, lässt dieser Vorgang die Zurechnung selbst aber gerade unberührt. 79 Zur rein deskriptiven Funktion von Strukturprinzipien siehe oben S. 123 f. 80 Vgl. oben S. 209 f.

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nung, sondern erst das Produkt derselben. Ignoriert man diese sprachlichen Bedenken, so ist das bereits erheblich umgestaltete Wertprinzip noch immer nicht vollständig. b. Das Fehlen einer tragenden Wertung Das Gebot „der Rechtsträger ist für die Beeinträchtigung seiner Rechte verantwortlich“ verdeckt die tragenden Gedanken der Zurechnung, indem es an die formelle Rechtsträgerschaft anknüpft. Es müsste noch benannt werden, warum der Rechtsträger denn nun verantwortlich sein soll. Kann eine entsprechende Wertung ausgemacht werden, müsste zudem noch das der Metaebene zugeordnete Gebot zu optimieren berücksichtigt werden, das mit dem Wesen des Rechtsprinzips notwendig verbunden ist. 81 In Gebotsform formuliert, würde dieses Prinzip dann ausdrücken, warum gerade der geschädigte Rechtsträger den Schaden stets und, in Anbetracht der Ausrichtung des Wertprinzips, auch alleine tragen soll. Der von Hübner lediglich angedeutete Gedanke der Gefahrbeherrschung als Schadensabwendungsmöglichkeit 82 erweist sich als untaugliche Grundlage für das vermeintliche Zurechnungswertprinzip. Die Fähigkeit zur Gefahrbeherrschung wohnt nämlich der Rechtsträgerschaft nicht notwendig inne. So verfügt etwa nicht der Rechtsträger, sondern der die tatsächliche Sachherrschaft innehabende Besitzer über die Möglichkeit der Schadensabwendung, wenn Eigentum und Besitz auseinanderfallen. 83 Besteht hingegen eine Möglichkeit der Schadensabwendung, so liegt die Rechtfertigung dafür, dass der Geschädigte den Schaden wegen der Befähigung zur Gefahrbeherrschung tragen soll, in dessen selbstbestimmtem Verhalten. Maßgeblich ist, dass dieser den Schaden nicht abgewendet oder herbeigeführt hat. Das Selbstverantwortungsprinzip wirkt jedoch nicht wie von Hübner intendiert. Selbstverantwortung begründet anerkanntermaßen und nach den gesetzlichen Vorgaben zwingend ausschließlich Mitverantwortung des Geschädigten und lässt die Verantwortung des Schädigers unberührt. Denn nur, weil mehrere Personen für ein Ereignis verantwortlich sind, entfällt oder verringert sich nicht die Verantwortung eines bestimmten Schädigers für dieses. Es werden lediglich die Folgen auf einer nachgelagerten Ebene unter den Verantwortlichen angemessen, in der Regel nach deren Verantwortungsbeiträgen, verteilt, wie etwa den §§ 254, 255, 426, 830, 840, 846 BGB zu entnehmen ist. Die Gefahrbeherrschung vermag das gesuchte vermeintliche Zurechnungswertprinzip, das hinter der formellen Rechtsträgerschaft als Grund der Zurechnung steht, also nicht zu rechtfertigen.

Hierzu oben S. 119 ff. Hübner, Schadenszurechnung, S. 59. 83 Eingehend hierzu S. 241.

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Auch das von Hübner angedeutete Interesse an der Gefahrenlage 84 überzeugt als tragender Grund für das vermeintliche Zurechnungsprinzip nicht. Solch ein Interesse würde wiederum nur bestehen, wenn es auf Verhalten und damit der Selbstbestimmung des Rechtsträgers beruht. Was für ein Interesse an der Gefahrenlage hat denn der Rechtsträger, sofern er nicht etwas mit einem weiteren Ziel oder Zweck unternimmt oder bewusst unterlässt und so sein Rechtsgut für etwas riskiert? Mit der bloßen Rechtsträgerschaft ist jenseits der selbstbestimmten Nutzung des Rechtsguts lediglich das Interesse des Rechtsträgers verbunden, dass dieses nicht beeinträchtigt wird bzw. geschützt sein soll (Prinzip des Schutzes persönlicher Güter). Dieses bestärkt jedoch die Verantwortung des Schädigers und beschränkt sie gerade nicht zulasten des Geschädigten. Die Rechtsträgerschaft selbst ist Ausdruck der aus dem Prinzip der Anerkennung der Person resultierenden Zuordnung von subjektiven Rechten.85 Mit der Anerkennung der Person ist untrennbar das Prinzip des Schutzes persönlicher Güter verbunden,86 das im geltenden Recht unbestritten wirksam ist. Dieses gibt aber eine zu Hübners Konzept genau gegenteilige Wertung vor. Es bestimmt, dass gerade derjenige, der in die fremde Rechtssphäre in eigenverantwortlicher Weise eingreift, für die Folgen des Eingriffs einzustehen hat. Wie damit eine zugleich bestehende Verantwortung des Geschädigten vereinbar sein soll, die auf dessen Rechtsträgerschaft beruht und den verantwortlichen Schädiger entlastet, wird nicht verständlich. Die Verantwortung desjenigen, der das Rechtsgut selbstbestimmt gefährdet, beruht wiederum auf dem Selbstverantwortungsprinzip und ist nicht untrennbar mit der formellen Rechtsträgerschaft verbunden. Es verbliebe deshalb lediglich, dass Interesse an der Gefahrenlage als die Verbindung von Vorteil und korrespondierendem Nachteil, also des Rechtsguts mit dem Risiko von dessen Beeinträchtigung, zu verstehen. Dies überzeugt jedoch ebenfalls nicht. Dieser Gedanke ist – wie bereits dargelegt 87 – unbrauchbar, um die Zurechnung des Schadensereignisses zu begründen, sofern ein Schädiger und der Rechtsträger an diesem beteiligt sind. Dessen Aussagegehalt wäre insoweit stets unergiebig. Selbst wenn das Prinzip anwendbar wäre, stünde dem Vorteil der Rechtsträgerschaft beim Geschädigten immer der Vorteil der Freiheitsausübung des Schädigers gegenüber, die beide in einem Beeinträchtigungserfolg münden, sodass dieses Prinzip sich in seiner Gebotswirkung bzw. Verantwortungszuweisung stets aufheben würde.

Hübner, Schadenszurechnung, S. 59. Vgl. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 11. 86 Vgl. etwa Larenz, Recht, S. 47. 87 Siehe oben S. 134 ff.

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Auch ohne die hinter dem vermeintlichen Zurechnungsprinzip casum sentit dominus stehende Wertung zu kennen, muss festgestellt werden, dass es rechtstheoretisch ausgeschlossen ist, dieses im geltenden Recht zu verankern. Als Wertprinzip dürfte die nicht benannte Wertung des Zurechnungswertprinzips casum sentit dominus nicht im Widerspruch zu den im Recht verwirklichten Wertungen stehen. Eine zu den wirksamen Wertungen genau kontradiktorische Wertung kann, wie bereits dargelegt, in derselben Rechtsordnung nicht verwirklicht sein. 88 Soll nun aber derjenige, der selbstbestimmt in fremde Rechtsgüter eingreift, für die Folge seines Verhaltens verantwortlich sein (Selbstverantwortungsprinzip), muss eine wie auch immer geartete Wertung, dass zugleich, also trotz der Verantwortung des Eingreifenden, ausschließlich (Optimierungsgebot) der Rechtsträger für die Beeinträchtigung verantwortlich sein soll (casum sentit dominus), als widersprüchlich beurteilt werden. Infolge der unbestrittenen Verwirklichung des Selbstverantwortungsprinzips im geltenden Recht, wie auch des insoweit parallel wirkenden Schutzes persönlicher Güter, kann das Prinzip casum sentit dominus mit der von Hübner intendierten Wirkung nicht der Rechtsordnung zugehörig sein. 89 Die Idee, einen Schaden dem Rechtsträger bereits wegen dessen Verantwortung für seine eigene Rechtssphäre nach dem Prinzip casum sentit dominus zuzuweisen, widerspricht auch in anderer Hinsicht den Wertungen des Gesetzes.90 So unterwirft § 254 BGB den Geschädigten einem System spiegelbildlicher Verantwortung zu der des Schädigers. Es wäre widersprüchlich, den geschädigten Rechtsträger ergänzend zur in § 254 BGB unstreitig verwirklichten Selbstverantwortung, die an selbstbestimmtes Verhalten anknüpft, noch einer ergänzenden universellen Verantwortungszuweisung zu seinen Lasten zu unterwerfen, die allein an seine formelle Stellung anknüpft. Diese würde nicht nur in widersprüchlicher Weise die Verantwortung des potenziellen Schädigers einschränken. Das Wertprinzip müsste, da es als solches berücksichtigungspflichtig ist, auch in der Abwägung der Mitverantwortungsbeiträge im Rahmen des § 254 BGB zulasten des Geschädigten wirken. Casum sentit dominus würde neben die Verantwortung, die durch ein selbstbestimmtes Verhalten des Geschädigten begründet wird, hinzutreten und wegen der identischen Ausrichtung der beiden Sollensgebote die Abwägung zu dessen Lasten beeinflussen. Der Verantwortungsbeitrag durch das eigene Verschulden oder die eigene Betriebs- oder Tiergefahr wäre entsprechend nicht spiegelbildlich und proportional, sondern asymmetrisch und überproportional zulasten des Geschädigten zu bestimmen. Tollen beispielsweise zwei Hunde Vgl. hierzu Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 42; Larenz, Recht, S. 24 und bereits oben S. 122. 89 Vgl. zur Zugehörigkeitsproblematik Alexy, Recht, S. 197 f. 90 Zum Wertungsgehalt gesetzlicher Konstruktionen vgl. Canaris, Systemdenken, S. 100 ff. 88

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miteinander herum und beißt sodann, ohne vorherige Anzeichen und erkennbaren Anlass, der eine Hund den anderen, wodurch dieser verletzt wird, kann es nicht überzeugen, ausschließlich aufgrund der Rechtsträgerschaft des Halters des geschädigten Hundes bei der verantwortungsbeitragsabhängigen Quotenbildung, trotz des identischen Beitrags der Tiergefahr, zu differenzieren, wenn oder gerade weil das Verhalten der Halter keinen Grund für eine Differenzierung bietet. Ein solches, mit zweierlei Maß messendes Modell der Verantwortungsabwägung kann nicht überzeugen und würde zu Recht als ungerecht empfunden werden. Es besteht auch schlicht kein Bedarf, in den „Grenzfällen“ der Erfolgszurechnung, wie etwa den Herausforderungs- oder Verfolgungsfällen, in denen nach Hübner das Prinzip casum sentit dominus insbesondere wirken soll, 91 die eingeschränkte Zurechnung über eine Abwägung mit dem vermeintlichen Wertprinzip zu erklären. Geeigneter und vollkommen hinreichend ist es, ausschließlich die erforderliche Zurechnung zum potenziellen Schädiger zu beachten, bzw. genauer deren Schwäche, statt eine gegenläufige Zurechnung zum Geschädigten zu bemühen. Beispielsweise beruht, wie später noch eingehend zu behandeln sein wird, 92 die Unterscheidung zwischen dem eine Zurechnung begründenden „besonderen“ oder „gesteigerten“ Risiko einer Verfolgung93 und dem eine Zurechnung ausschließenden „normalen“ Risiko, das vom verfolgenden Verletzten zu tragen ist, darauf, dass der Verfolgte wegen des beschränkten Schutzzwecks der Sorgfaltspflichten nur für die missbilligten gesteigerten Verfolgungsrisiken verantwortlich gemacht werden kann. Die Verantwortung des geschädigten Verfolgers wird ausschließlich im Mitverschulden berücksichtigt und beschränkt dabei nicht die Verantwortung des Schädigers, sondern nur den Umfang der Ersatzpflicht. Maßgeblich ist dabei dessen Verhalten und nicht ein durch dessen Rechtsträgerschaft begründetes Eigenrisiko. 3. Ergebnis Eine genauere Untersuchung hat ergeben, dass casum sentit dominus nicht der Gehalt eines Zurechnungsprinzips zukommt. Ein solches Prinzip der Erfolgszurechnung, das an die Zufälligkeit des Schadensereignisses anknüpft, wäre substanzlos. Auch vermeintlich angereichert mit materiellem Gehalt, lässt es sich als potenzielles Wertprinzip nicht sinnvoll in die Rechtsordnung einfügen. Trotz dieses Urteils sollte man den Lehrsatz nicht als überflüssig oder überkommen verwerfen und in die Geschichtsbücher verbannen. Casum sentit dominus beschreibt vielmehr eingängig und klar, als rein deklaratorisches Strukturprinzip, die durch andere Prinzipien vorgegebene Risikoverteilung im Haftungsrecht. Casum sentit dominus drückt entsprechend keine eigene Wertung Hübner, Schadenszurechnung, S. 65 ff. Vgl. hierzu S. 281. 93 Vgl. BGH, NJW 1971, 1980.

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aus und weist weder einen eigenen ethischen Gehalt, noch eine normative Wirkung auf, sondern ist selbst das durch die Unzurechenbarkeit begründete Produkt der Verantwortungszuweisung. Der Lehrsatz ist lediglich die Wirkung, nicht jedoch die Ursache von Zurechnungsentscheidungen.

Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip Nachdem die einzelnen Zurechnungsprinzipien beleuchtet wurden, soll in diesem Teil der Studie das Verschuldensprinzip genauer beleuchtet werden. Dieses Zurechnungsprinzip hat im Haftungsrecht eine zentrale Stellung inne, die es von allen anderen abhebt. Obwohl es den Grundpfeiler der zivilrechtlichen Haftung bildet, ist dieses Prinzip erheblicher Kritik ausgesetzt und sein Ende scheint eingeleitet, wenn nicht sogar bereits eingetreten zu sein. Erhebliche Bedenken werden dahingehend geäußert, wie das Prinzip Verantwortung und Risiko zuweist. Die mit dem Prinzip verbundene Risikozuweisung wird als ungerecht und ineffizient empfunden und es wird sogar von einer „Kapitulation der Rechtsordnung vor dem Zufall“ 1 gesprochen. Zunächst soll deshalb untersucht werden, ob hinter der Verantwortungs- und Risikozuweisung des Verschuldensprinzips nicht doch ein tieferer Sinn oder Gerechtigkeitsgehalt steht, der diese rechtfertigt (§ 7). Im Anschluss wird dem schon häufiger geäußerten Verdacht nachgegangen, dass das eigentlich so selbstverständliche Verschuldensprinzip heute kaum noch wirksam ist (§ 8). Infolge des vorherrschenden objektiven Verständnisses der Fahrlässigkeit, erfolgt die Zurechnung in den allermeisten Fällen unabhängig von echter Schuld. Es ist jedoch die Schuld, die dem Prinzip seinen Namen verleiht. Deswegen erscheint es zweifelhaft, ob diese Zurechnung mit dem Verschuldensprinzip überhaupt zu vereinbaren ist. Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass die Rechtsprechung sogar das objektive „Verschulden“ in erheblichem Umfang zugunsten einer echten Risikozurechnung überwunden hat, die vom gesetzlichen Verschuldenserfordernis vollständig entkoppelt ist.

1 Rümelin, Schadenszurechnung, S. 14; v. Schenk, Sphäre, S. 81 bezeichnet die Schadenszuweisung, die mit dem Lehrsatz verbunden ist, nicht weniger kritisch als „Resignation“ der Rechtsordnung.

§ 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung „Nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld. Ein einfacher Satz, ebenso einfach wie der des Chemikers, dass nicht das Licht brennt, sondern der Sauerstoff der Luft.“ (Rudolph von Jhering 1)

Das Verschuldensprinzip weist für das System der Haftung eine besondere Bedeutung auf (I.). Es definiert grundlegend die individuelle Freiheits- und Verantwortungssphäre und auch das Eigenrisiko der Rechtsträger, weil das Verschuldensprinzip eine verantwortungsbegründende, wie auch -begrenzende Funktion hat. Wo die Verantwortung des Einen endet wird das schädigende Ereignis zum Zufall und zum persönlichen Unglück des Betroffenen. Diese negative Aussage des Zurechnungsprinzips weist neben der positiven, dass ein Subjekt für den Schaden verantwortlich ist, entsprechend erhebliche Relevanz auf. Die Härte für den durch den Zufall Betroffenen, welche das Verschuldensprinzip durch die Grenzen heraufbeschwört, die es zwischen Verantwortung und Eigenrisiko zieht, ist seit langem Anlass für Kritik.2 Und eben diese Zweifel am Gerechtigkeitsgehalt der fundamentalen Verantwortungs- und Risikozuweisung3 durch das Verschulden geben Anlass, das Zurechnungsprinzip kritisch hinsichtlich seiner Legitimität zu hinterfragen (II. und III.). Dabei ist, über reine Gerechtigkeitserwägungen hinaus, die ökonomische Effizienz als ein weiterer möglicher Begründungsansatz bedenkenswert.

Zitat nach v. Jhering, Schuldmoment, S. 40. Vgl. etwa v. Gierke, Aufgabe, S. 25. 3 Vgl. etwa Rümelin, Schadenszurechnung, S. 14; Esser, Grundlagen, S. 73; v. Gierke, Aufgabe, S. 25; Köbler, Festschrift Söllner, 551, 565. 1

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I. Die Stellung des Verschuldensprinzips 1. Das Verschuldensprinzip als Leitprinzip im deutschen Recht Dem deutschen Haftungssystem liegt das Verschuldensprinzip zugrunde.4 Die Kodifizierung des BGB bestätigte die historisch gewachsene zentrale Stellung des Prinzips und schrieb diese fest. 5 Dabei wurde dem Verschuldensprinzip, auch unter dem fortwirkenden Eindruck des sanktionsorientierten Denkens der Literatur in der Pandektistik, 6 sogar der Status eines höheren juristischen Axioms zugesprochen. 7 Diese Betonung des Verschuldens im deutschen Recht vermag durchaus zu überraschen. Denn während Verschulden als Anlass für Sanktion im Sinne von Strafe und Buße eine selbstverständliche Voraussetzung ist, bestand für den Bereich der auf Ausgleich gerichteten Haftpflicht kein gleichartig zwingender Grund, diese an das Verschulden zu knüpfen. Gleichwohl erschien dem historischen Gesetzgeber das Verschuldenserfordernis zusammen mit der Rechtswidrigkeit und dem vertraglichen Pflichtenkatalog als das geeignete Mittel, um zwischen erlaubter und gewünschter Selbstentfaltung und missbilligter Freiheitsnutzung zu Lasten anderer zu unterscheiden. Dem modernen deutschen Zivilrecht wurde – zumindest ursprünglich8 – kein an Risiko oder schlichter Verursachung orientiertes Haftungssystem zugrunde gelegt. Es beruhte vielmehr auf einem System der Einstandspflicht für das vermeidbare Verletzen von Verhaltensstandards, die darauf gerichtet sind, Schäden zu verhindern. Gleichwohl wurde die bürgerlich-rechtliche Verschuldenshaftung bereits von Anfang an in erheblichem Umfang durch spezielle Vgl. Motive S. 727 (Mugdan II, S. 406); Prot. II S. 2713 f. (Mugdan II, S. 1074); BTDrs. 14/6040, S. 131 f.; v. Caemmerer, Karlsruher Forum 1961, 19, 25 f.; Kramer, AcP 171 (1971), 422, 427; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, S. 320; Lange, AcP 156 (1957), 114, 116; Rümelin, Schadensersatz, S. 6; BGH, NJW 1960, 1345, 1346, „das bürgerliche Recht beherrschende Verschuldensprinzip“; für das Vertragsrecht etwa Emmerich, Leistungsstörungsrecht, S. 146; Larenz, Schuldrecht I, § 20 I, S. 276 f.; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 468; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 3; Riehm, Festschrift Canaris I, 1079 f.; Röthel, Jura 2012, 444; für das Deliktsrecht Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 41 f. und 92; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 351; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 247; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1168; Erman/Schiemann, Vor § 823 Rn. 4; MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 17; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 12; vgl. auch Bürge, Festschrift Canaris I, 59, 75, das Deliktsrecht sei monistisch auf das Verschulden ausgerichtet. 5 Vgl. Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 15 f.; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 130; vgl. auch die Nachweise in Fn. 7. 6 Vgl. etwa Windscheid/Kipp, Pandektenrecht II, § 326; dazu Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 10; Jansen, Struktur, S. 363 f., 445. 7 So Motive II, S. 28 (Mugdan II, S. 15); vgl. hierzu auch Jansen, Struktur, S. 365; Jhering, Verschuldensmoment, S. 40; Rümelin, Zufall, S. 17; HKK/Schermaier, Vor § 276 Rn. 5. 8 Dazu § 8 (S. 261 ff.). 4

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Haftungsmodelle ergänzt, die vom grundsätzlichen Erfordernis einer rechtswidrigen und schuldhaften Schädigung eine Ausnahme machten.9 Die außervertragliche Haftung des BGB war bereits anfänglich um die Institute der Gefährdungshaftung (§ 833 S. 1 BGB)10 und der Aufopferungshaftung (insbesondere § 904 S. 2 BGB)11 bereichert. Auch das vertragliche Haftungssystem kannte mit der Garantiehaftung (etwa § 701 BGB) und der Vertrauenshaftung (§§ 122, 179 BGB) eine Ersatzpflicht jenseits des Verschuldens. In diesen „Exklaven der Verschuldenshaftung“ 12 stützt sich die Ersatzpflicht mit dem Risikoprinzip und dem Begünstigtenprinzip auf Zurechnungsprinzipien, die von der Idee des Fehlverhaltens losgelöst sind. Diese speziellen Zurechnungssysteme bezweckten zumeist bewusst eine alternative Zuweisung der Schadenslast herbeizuführen, die mit im Sinne des Verschuldensprinzips zufälligen Schadensereignissen verbunden ist.13 Das gegenwärtige Haftungssystem hält weiter am Verschulden als zentralem Zurechnungsprinzip fest. Dies wird dadurch bestätigt, dass das Verschulden als Grundsatz der Zurechnung in der Vertragshaftung in § 276 Abs. 1 BGB und der Deliktshaftung in § 823 BGB ausdrücklich vorgesehen ist. Insbesondere § 823 Abs. 2 S. 2 BGB betont die Stellung eindrücklich, indem er vorgibt: „Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein“. Daneben definiert die Normierung der verschuldensunabhängigen Haftungsnormen in Einzeltatbeständen bzw. nach dem Enumerationsprinzip statt in Generalklauselform das System der Haftung als eines im Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Verschuldensprinzips. 14 Obwohl die Anzahl dieser verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände stetig zunimmt, wird das gesetzliche Regelungskonzept in seiner Grundentscheidung durch diese Entwicklung nicht berührt. Diese Regelungssystematik darf jedoch nicht zu der Einschätzung verleiten, dass die auf anderen Zurechnungsprinzipien beruhenden Haftungstatbestände nachrangig oder gar minderwertig wären. Alle Zurechnungsprinzipien sind gleichwertig und jeweils ethisch fundiert. Die Grundsatzentscheidung zugunsten des Verschuldensprinzips bedingt allerdings, dass sehr sorgfältig zu prüfen und begründen ist, ob ein Sachverhalt im Wege der Rechtsfortbildung einer verschuldensunabhängigen Haftung unterworfen werden kann und soll. Dies

Siehe oben S. 150 ff. und S. 176 ff. Dagegen ist § 835 BGB a.F. (Haftung für Wildschäden) eher als Aufopferungshaftung zu qualifizieren. 11 Weitere Beispiele sind die §§ 867, 1005, 962 BGB und ebenso § 917 BGB. 12 So Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1781, im Hinblick auf die Gefährdungshaftung. 13 Anders etwa § 701 BGB, der – nicht überzeugend – durch die Beweisschwierigkeiten des Gastes legitimiert wurde. Dazu MünchKommBGB/Henssler, § 701 Rn. 1. 14 A.A. etwa Schmidt-Salzer, Festschrift Steffen, 429, 435. 9

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ist, entgegen einem verbreiteten Irrglauben, 15 theoretisch durchaus möglich, da auch „Ausnahmevorschriften“, worunter die enumerativ normierten Haftungstatbestände zu fassen sind, der Analogie zugänglich sind. 16 Erforderlich ist jedoch, dass die Rechtsfortbildung infolge der Lückenhaftigkeit des Gesetzes geboten ist und ein vergleichbarer Lebenssachverhalt einer entsprechenden Haftung bereits unterworfen wurde. Etwa muss § 904 S. 2 BGB analog angewendet werden, wenn entsprechend der Situation des § 904 S. 1 BGB in andere absolut geschützte Rechte als das Eigentum eines Unbeteiligten eingegriffen wird und dieser Eingriff über § 34 StGB gerechtfertigt ist. 17 Methodisch unzulässig ist es hingegen, die verschuldensunabhängigen Haftungstatbestände im Wege der Gesamtanalogie mittels Induktion zur Generalklausel zu erheben und so die Ausnahme gegen den Willen des Gesetzgebers zur Regel zu verkehren. Deswegen kann beispielsweise die vielfach geforderte Gefährdungshaftungsgeneralklausel18 nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen werden, sondern müsste vom Gesetzgeber normiert werden. 2. Ein vergleichender Blick auf andere Rechtsordnungen Richtet man den Blick auf die europäische Ebene, so wird deutlich, dass das am Verschulden ausgerichtete deutsche Haftungssystem keineswegs einzigartig oder außergewöhnlich ist. So gründen alle Rechtsordnungen die außervertragliche Haftung auf das Verschuldensprinzip und die verschuldensunabhän-

15 Vgl. dazu, dass die Gefährdungshaftungstatbestände nicht der Analogie zugänglich seien, etwa BGHZ 63, 234, 237; BGH, NJW 1971, 607, 609; Abeltshauser, JuS 1991, 365; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 78; Staudinger/Eberl-Borges, § 833 Rn. 17; Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht I, Rn 349. 16 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, S. 440; Canaris, Lücken, S. 181; Larenz, Methodenlehre, S. 355 f. jew. m. w. Nachw. Der (bisherige) rechtstatsächliche Ausschluss der analogen Anwendbarkeit der Gefährdungshaftungstatbestände beruht vielmehr auf der Spezialität der einer solchen Haftung unterworfenen Lebenssachverhalte, der Unbestimmtheit des für die Gefährdungshaftung zentralen Merkmals der „besonderen Gefahr“ als Haftungsgrund, sowie dem mit einer Ausnahme zum Verschuldensprinzip verbundenen Bedürfnis potenzieller Haftungsadressaten nach Rechtssicherheit, welchem nur durch strenge Anforderungen an den erforderlichen Ähnlichkeitsschluss genügt werden kann. Hierzu eingehend Staudinger13/Hager, Vorbem zu §§ 823 ff. Rn. 29; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 601 f., jew. m. w. Nachw. Als Reaktion auf die Vorbehalte der meisten nationalen Rechtsprechungen (vgl. Koch, PETL, Art. 5:102 Rn. 5) wurde die Analogiefähigkeit der strict liability von der European Group of Tort Law in Art. 5:102 PETL positiv festgeschrieben. 17 Allg. A., vgl. statt aller Staudinger/Althammer, § 904 Rn. 48; MünchKommBGB/Brückner, § 904 Rn. 24, jew. m. w. Nachw. 18 Vgl. Will, Quellen, S. 277 f.; Kötz, Gutachten, S. 1785 ff.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 450 ff.

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gige Haftung ist zumeist, genau wie im deutschen Recht, in einzelfallbezogenen Sondertatbeständen als Ausnahme dazu normiert. 19 Dieser Systematik entspricht auch der europäische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen, der in VI.–1:101 Abs. 1 DCFR den Grundsatz der Verschuldenshaftung und über VI.–1:101 Abs. 2 DCFR in Verbindung mit VI.–3:201 ff. DCFR einzelne verschuldensunabhängige Haftungstatbestände vorsieht, die explizit als Ausnahme konzipiert sind. In einzelnen europäischen Rechtsordnungen und den Principles of European Tort Law wird hingegen mittels „kleiner“ Haftungsgeneralklauseln, die auf bestimmte Sachverhaltsgattungen beschränkt sind, wie etwa bei Schäden durch außergewöhnlich gefährliche Tätigkeiten (Art. 5:101 PETL), in größerem Umfang von der Verschuldenshaftung abgewichen. Obwohl mit diesem Ansatz die verschuldensunabhängige Haftung durchaus gestärkt wird, ist auch in diesen Rechtsordnungen eine Abkehr vom Vorrang der Verschuldenshaftung in der außervertraglichen Haftung gerade nicht vollzogen. Dem gesamteuropäischen Konsens hinsichtlich der Bedeutung des Verschuldens in der außervertraglichen Haftung stehen jedoch strukturelle Unterschiede in der vertraglichen gegenüber. Die einzelnen europäischen Rechtsordnungen unterscheiden sich erheblich darin, wie bedeutsam das Verschulden in der vertraglichen Haftung ist.20 Während einige Rechtsordnungen, wie etwa die Schweizer (Art. 97 Abs. 1, 103 OR) und österreichische (§ 920 ABGB) Zivilrechtsordnung, ein System grundsätzlicher Verschuldenshaftung vorsehen, gehen andere, wie beispielsweise das englische Common Law, vom Grundsatz der Garantiehaftung aus. 21 Und auch die europäischen Rechtsvereinheitlichungsprojekte weichen vom deutschen Modell ab. Etwa sieht der europäische Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen in III.–3:101 DCFR eine Haftung des Schuldners bei Nichterfüllung vor, sofern diese nicht „entschuldigt“ ist. Dies entspricht zwar auf den ersten Blick der Regelung des § 280 Abs.1 BGB. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die vertragliche Haftung tatsächlich als eine für Risiken in der Form einer Garantiehaftung ausgestaltet ist, da die „Entschuldigung“ nicht bereits bei bewiesener Schuldlosigkeit – im Sinne von nicht einmal fahrlässigem Verhalten – eingreift. Vielmehr ist der Schuldner gem. III.–3:104 Abs. 1 DCFR nur entschuldigt, wenn das Schadensereignis nach der im deutschen Recht herrschenden Auslegung22 bzw. gem. Art. 7:102 PETL als höhere Gewalt zu qualifiziert wäre. Eine dem DCFR vergleichbare vertragliche Haftung sehen schließlich 19 Vgl. Wurmnest, Grundzüge, S. 145 ff.; Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen, 189, 270 ff. 20 Eingehend hierzu Ranieri, Obligationenrecht, S. 572 ff. 21 Vgl. Ranieri, Obligationenrecht, S. 708. Krit. zu dieser Aussage Sutschet, Garantiehaftung, S. 191. 22 Vgl. dazu S. 167 ff.

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auch die Principles of European Contract Law in Art. 8:101 PECL und Art. 9:501 PECL vor. 3. Ergebnis Die vorangegangenen Ausführungen sollten verdeutlicht haben, dass es sich im deutschen Recht bei dem Verschuldensprinzip nicht um ein Dogma handelt und niemals handelte, sondern um eine wohldurchdachte Grundsatzentscheidung, die begründeten Ausnahmen zugänglich ist. Das deutsche Recht richtet sich am Verschulden als Haftungsvoraussetzung aus, wobei partiell abweichende Gestaltungen zulässig und geboten sind. Es wäre sogar theoretisch möglich, wie der Blick auf die europäische Ebene gezeigt hat, das Verschuldensprinzip in der vertraglichen Haftung23 zugunsten einer umfassenden Garantiehaftung vollständig aufzugeben. Die gegenwärtige Stellung des Verschuldens und die daraus resultierenden Grenzen haftungsrechtlicher Zurechnung gilt es bei allen haftungssystematischen Erwägungen zu berücksichtigen.

II. Die Legitimität der Verantwortungszuweisung Die gegenwärtige Ausrichtung des Haftungssystems am Verschuldensprinzip ist nicht das Produkt einer zufälligen historischen Entwicklung. Vor dem Hintergrund der Grundentscheidungen unserer Gesellschafts- und Privatrechtsordnung ist die Haftung nach dem Verschuldensprinzip selbstverständlich (1.) und zumindest in Teilbereichen des Privatrechts, sofern man an einem System echter Haftung festhalten möchte, wohl auch alternativlos (2.). 1. Die Verschuldenszurechnung als Gebot unserer Privatrechtsordnung Das Verschuldensprinzip ist Ausdruck eines liberalen Staates.24 Es dient auch heute noch als das normativ-konstruktive Mittel, um die Rechtskreise der Einzelnen voneinander abzugrenzen, innerhalb derer sie jeweils ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen. 25 Es verbindet auf der

23 Zur Problematik einer umfassenden „Gefährdungshaftung“ im außervertraglichen Haftungsrecht sogleich. 24 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrecht, S. 40 f.; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 892; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 9; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 124; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 1. 25 Vgl. Prot. II, S. 2711 (Mugdan II, S. 1073), Canaris, VersR 2005, 577, 578; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 350; Deutsch, Haftungsrecht, S. 4 ff.; Rohe, AcP 201, (2001), 117, 124.

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Prinzipienebene die teilweise widerstreitenden Prinzipien der Selbstverantwortung mit dem der Selbstbestimmung26 und auch dem des Güterschutzes und bringt diese in Einklang. Diese Abwägung begründet die – bereits eingehend beschriebene27 – ethische Legitimation des Verschuldens. Da eben diese Prinzipien einen unsere Privatrechtsordnung prägenden Charakter aufweisen, ist es auch nur konsequent, die Zurechnung an das Verschulden zu knüpfen. 28 Gerade weil das Zivilrecht liberal ausgerichtet ist, ist dieses mit dem Verschuldensprinzip in besonderer Weise verbunden. Das Verschulden verwirklicht die korrespondierenden Wertprinzipien der personalen Selbstverantwortung und der Selbstbestimmung, relativ zu den anderen Prinzipien der Erfolgszurechnung im Zivilrecht, 29 am weitestgehenden. Wegen dieser besonderen Harmonie attestiert Canaris der Verschuldenshaftung sogar eine zu den anderen Haftungsinstituten relativ höhere rechtsethische Überzeugungskraft. 30 Dabei darf freilich nicht verkannt werden, dass der Verwirklichungsgrad der Selbstverantwortung im zivilrechtlichen Verschulden abnimmt, je weiter die Zurechnung in der Fahrlässigkeit objektiviert wird.31 Dies mag Anlass zu Kritik bieten, wie sie von den Vertretern eines subjektiven Verständnisses der Fahrlässigkeit erhoben wird. 32 Gleichwohl ist diese Einschränkung gerechtfertigt, weil andere Wertprinzipien, die ebenfalls in unserer Rechts- und Werteordnung verankert sind, ebenso verwirklicht werden müssen. 33 Man mag trefflich darüber streiten können, ob für derartiges objektives Verschulden, das von Nipperdey als „Kryptoverschulden“ gescholten wurde,34 gehaftet werden soll. 35 Dass für real selbstbestimmtes und damit subjektiv verschuldetes Unrecht gehaftet wird, ist jedoch wegen der Grundwertungen unserer Rechtsordnung selbstverständlich. 36 Einen Teil seiner Legitimität leitet das Verschuldensprinzip aus seiner haftungsbegrenzenden Wirkung ab. Sein Zweck, den Ausgleich zwischen der individuellen Freiheitssphäre und den schützenswerten Interessen von Dritten mittels Verhaltensgeboten herbeizuführen, beinhaltet, dass die Haftung plan26 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 351; ähnlich Bydlinski, System, S. 189, 196 f.; allgemeiner Zöller, AcP 188 (1988), 85, 95. 27 Eingehend hierzu bereits S. 130 ff. und S. 139 ff. 28 Vgl. Canaris, VersR 2005, 577, 578. 29 Zum geringeren Gewicht und der partiellen Entbehrlichkeit der Prinzipien in der Risiko- und der Begünstigtenzurechnung vgl. oben S. 106 ff. 30 So Canaris, VersR 2005, 577, 578; ebenso Makowsky, Einfluss, S. 13. 31 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 20 I, S. 276 f. 32 Vgl. Koziol, AcP 196 (1996), 593, 595 ff.; Pfeiffer, Entwürfe, S. 24 f.; Brodmann, AcP 99 (1906), 327, 354. 33 Vgl. hierzu bereits S. 139 ff. und S. 267 ff. 34 Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1781. 35 Hierzu unten S. 264 ff. 36 So auch v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 6; Canaris, VersR 2005, 577, 578.

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mäßig begrenzt wird. Erst hierdurch gewährleistet das Verschuldensprinzip individuelle Freiheitsräume und damit Handlungsfreiheit 37 und vermeidet so, dass der Grundsatz neminem laedere 38 im Sinne eines absoluten Schädigungsverbots übersteigert wird. Die im Verschuldensprinzip vollzogene Abwägung zwischen dem Interesse am unbeeinträchtigten Fortbestand von Gütern und der Handlungsfreiheit wird vom Gesetzgeber hinsichtlich der Ersatzpflichtigkeit durch das Verschuldensprinzip bewusst zugunsten der Letzteren vorgenommen. 39 Das Verschuldensprinzip beinhaltet somit eine gewisse „Bevorzugung des Werdenden vor dem Bestehenden“ 40 und privilegiert bewusst den Handelnden und fördert so menschliche Initiative. Es ist aber gerade dieser Dualismus, im Sinne einer Haftung desjenigen, der vermeidbar verbotswidrig jemanden schädigt und der Nichthaftung derjenigen, die schon gar nichts falsch gemacht haben oder den Verhaltensanforderungen nicht genügen konnten, der das Verschulden als Haftungsmaßstab einem jeden plausibel macht. 2. Die Alternativlosigkeit des Verschuldensprinzips als Leitbild Zum Verschuldensprinzip gibt es im außervertraglichen Haftungsrecht keine echte Alternative, zumindest in der Form der Haftung für objektiv sorgfaltswidriges Verhalten. Ein rein auf Risikozuweisung beruhendes Haftungssystem wäre Nicht-Juristen kaum zu vermitteln und würde wohl auch als ungerecht empfunden. Füttert beispielsweise die Großmutter ihre Enkelin mit neu erworbenem Babybrei, der aufgrund eines Fehlers im Produktionsprozess unerkennbar giftig ist, so wird sie – wie auch jeder anderer in ihrer Rolle – kaum Verständnis dafür aufbringen, dass sie auf der Grundlage einer umfassenden Risikohaftung für eigenes Verhalten für die Gesundheitsschäden ihrer Enkelin ersatzpflichtig sein bzw. den Regress der Krankenversicherung fürchten soll. Das Gleiche gilt freilich für die Eltern, die den Brei erworben und der das Kind hütenden Großmutter zur Verfügung gestellt haben, wenn diese etwa aufgrund einer umfassenden „Sachhaftung“ als Eigentümer des Breis ersatzpflichtig oder regressbedroht wären. Die Verantwortung vollkommen von zumindest objektiviertem Fehlverhalten zu lösen und somit Haftung unabhängig davon anzuordnen, ob man etwas „falsch“ gemacht hat, wird die Haftungsadressaten 37 Rohe, AcP 201 (2001), 117, 124; Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123, 125; Deutsch, Haftungsrecht, S. 4; Bydlinski, System, S. 189. 38 Zu diesem und dessen Entwicklung Schiemann, JuS 1989, 345 ff. und Picker, JZ 1987, 1041, 1049. Zur Rechtsnatur auch bereits oben S. 139. 39 Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass im Rahmen der Verschuldenszurechnung gerade kein Interesse absoluten Vorrang auf Kosten des anderen erlangt. Vielmehr verwirklicht die der Verschuldenszurechnung immanente Begrenzung der haftungsrechtlichen Verantwortung einen schonenden Ausgleich der konkurrierenden Interessen im Sinne einer „praktischen Konkordanz“ und genügt so dem Optimierungsgebot auf der Prinzipienebene (zu diesem S. 119 f.). 40 Zutreffend Deutsch, Haftungsrecht, S. 17.

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kaum überzeugen und würde verhindern, dass diese ihre Einstandspflicht als legitim anerkennen. Eine umfassende, fehlverhaltensunabhängige Risikohaftung wäre auch nicht wirklich praktikabel. Befürworter derselben, wie etwa Adams, der auf die Verschuldenshaftung verzichten und an dessen statt ein umfassendes System der Gefährdungshaftung einführen möchte, 41 stoßen auf unüberwindliche konstruktive Schwierigkeiten. Eine umfassende Risiko- oder Gefährdungshaftung würde zur bereits als impraktikabel erwiesenen Kausalhaftung für eigenes Verhalten führen. 42 Ist jeder für die Schadensfolgen seines Verhaltens haftpflichtig, so wäre die Folge, dass stets beide Parteien für den Schaden verantwortlich sind, da sich im Erfolg auch immer ein aktives oder zumindest passives Risiko des Verhaltens des Geschädigten realisiert. Eine Schadensteilung entsprechend § 254 BGB wäre folglich der Ausgangspunkt der Ersatzpflicht. Es ist schließlich auch nicht möglich, ausschließlich auf der „Opferseite“ auf das Mitverschulden zurückzugreifen, da dies zu einer asymmetrischen Beurteilung der Mitverantwortung des Geschädigten führt. Gerade bei Unfällen mit wechselseitiger Beeinträchtigung wären grotesque und ungerechte Ergebnisse vorprogrammiert, da das gleiche Ereignis aus unterschiedlichen Blickwinkeln nach unterschiedlichen Maßstäben beurteilt würde. Von den Befürwortern der umfassenden „Gefährdungshaftung“ auch nicht erörtert, wie die Fernwirkung des eigenen Verhaltens, etwa im Sinne von kausalen Folgen in ferner Zukunft oder die Beeinflussung des Verhaltens Dritter oder andere mittelbare Schädigungen, bei einer anfänglich nicht beschränkten Risikoverantwortung haftungsrechtlich bewältigt werden können. Woraus sollen die zwingend erforderlichen Grenzen der Zurechnung bei einer umfassenden Risikohaftung denn abgeleitet werden? Die Zurechnung zu begrenzen widerspräche vielmehr dem Zweck der umfassenden Haftung sogar. Erfolgt keine Eingrenzung, so ist jedoch die anerkannt irrationale Weite der Kausalhaftung die bedenkliche Konsequenz. Ob mit einem System der reinen Risikohaftung überhaupt eine überzeugende Schadenszuweisung möglich ist, muss deshalb bezweifelt werden. Sinnvolle Ergebnisse ließen sich wohl nur auf der Grundlage ergänzender bzw., entlarvt man die umfassende Verantwortung „für alles“ als Verzicht auf echte Zurechnung, erstmaliger Zurechnungskriterien herbeiführen. Diese Einschränkung der Zurechnung würde allerdings den Charakter der Haftung als „umfassende Gefährdungshaftung“ (wieder) beseitigen.

41 Vgl. Adams, Analyse, S. 112 ff. und öfter. Mit dem Gedanken sympathisierend etwa MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 55. 42 Zu dieser bereits S. 198 ff.

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III. Die Rechtfertigung der Risikozuweisung des Verschuldensprinzips Das Verschuldensprinzip als Zurechnungsprinzip begründet eine spezifische Risikozuweisung zulasten des Rechts- oder Interessenträgers. Nicht verschuldete Beeinträchtigungen verbleiben ersatzlos beim Betroffenen. Obwohl es selbstverständlich ist, dass verschuldete Beeinträchtigungen zugerechnet werden, ebenso wie es überzeugend ist, dass für unverschuldete Beeinträchtigungen nicht gehaftet wird, kann man Zweifel daran hegen, dass die korrespondierende Belastung des Rechtsträgers angemessen ist. Die Bedenken liegen nahe, weichen doch die Tatbestände der verschuldensunabhängigen Haftung von der grundsätzlichen Zuweisung des Zufallsrisikos ebenso wie die Gefahrtragungsnormen bewusst ab, um diverse Gerechtigkeitsdefizite zu beseitigen. 43 Aber auch jenseits dieser Sonderfälle, die vom Gesetzgeber als korrekturbedürftig erkannt wurden, ist es um den Leumund der mit dem Verschuldensprinzip verbundenen Risikozuweisung nicht gut bestellt. Etwa konstatiert Esser, dass diese der Gerechtigkeitsidee widerstreite.44 Und bereits zuvor erachtete Rümelin diese Zuweisung der Beeinträchtigungsfolgen als „Verzicht auf eine im höchsten Sinn gerechte Verteilung der Lebensgüter“. 45 Die Berechtigung der Risikozuweisung des Verschuldensprinzips soll in Anbetracht dieser Zweifel auf ihre Legitimität überprüft werden. 1. Einige Vorüberlegungen Die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Zuweisung des Risikos zufälliger Beeinträchtigungen zum Rechtsträger könnte in zweierlei Hinsicht legitimierbar sein. Zum einen könnte sie ökonomisch effizient und deshalb erstrebenswert sein. Daneben könnte die Risikozuweisung aus Gerechtigkeitsgründen geboten oder zumindest eine mögliche Verwirklichung von Gerechtigkeit46 sein. Zu untersuchen, ob die Risikozuweisung berechtigt ist, darf nicht mit der Suche nach der bereits verworfenen Rechtfertigung einer echten Zurechnung von Beeinträchtigungen zum Rechtsträger mittels eines Zurechnungsprinzips casum sentit dominus verwechselt werden.47 Eine derartige Zurechnung sagt

43 Esser, Grundlagen, S. 1; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 266; Laufs, Unglück, S. 9 ff.; Leßmann, JA 1989, 117; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1439; RGRK/Steffen, Vor § 823 Rn. 15. 44 Vgl. Esser, Grundlagen, S. 71 ff. 45 Rümelin, Schadenszurechnung, S. 14. 46 Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass mehr als eine Gestaltung als „gerecht“ qualifiziert werden kann. 47 Vgl. hierzu bereits S. 211 ff.

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aus, dass der Rechtsträger den Schaden tragen soll, obwohl ein anderer für diesen verantwortlich ist. Diese Untersuchung hinterfragt und beantwortet lediglich, ob es „richtig“ im Sinne von effizient oder gerecht ist, den Schaden beim Rechtsträger zu belassen, für den kein Dritter auf der Grundlage von Fehlverhalten verantwortlich ist. Sie bietet entsprechend keine Rechtfertigung für ein eigenständiges Zurechnungsprinzip casum sentit dominus. Darüber hinaus soll hier auch nicht der Versuch unternommen werden, zu belegen, dass die durch das Verschuldensprinzip begründete Risikozuweisung die einzig „richtige“ Gestaltungsform ist. Alternative Gestaltungsformen, wie etwa eine umfassende Versicherungslösung, bei welcher der Staat oder private Versicherungen statt dem Rechtsträger das Risiko zufälliger Beeinträchtigungen tragen, bleiben unberücksichtigt. Die gesetzliche Risikozuweisung zumindest auch durch genuin ökonomische Erwägungen zu legitimieren, ist keineswegs als von vornherein fernliegend zu verwerfen. Die Rechtsordnung bildet in ihrem Bestreben sich zu optimieren durchaus Prinzipien, Institute und Strukturen aus, die zumindest auch eine den gesellschaftlichen Gesamtwohlstand fördernde bzw. erhaltende Wirkung oder gar Zwecksetzung haben oder zumindest einen Teil ihrer Legitimation aus diesem Umstand ziehen. Eine Vielzahl von Autoren48 hat bereits das Haftungsrecht und damit auch mittelbar die Risikozuweisung ökonomisch untersucht, weswegen das Haftungsrecht als eines der von der Rechtsökonomie am besten durchdrungen Rechtsgebiete gilt. Dass allerdings die Risikozuweisung zum Rechtsträger als solche ökonomisch wenig hinterfragt wird, dürfte dadurch zu erklären sein, dass der Umstand kaum beachtet wird, dass das Zufallsrisiko, statt als reiner Annex einer Haftung zu dienen, von dieser modelltheoretisch auch entkoppelt und abweichend zugewiesen werden kann. Eine der grundsätzlichen Belastung des Rechtsträgers entsprechende, nur eben spiegelbildliche Belastung eines anderen Rechtssubjekts durch Risikozuweisung (dem „Risikoträger“) wird erreicht, wenn die Haftung des Rechtsträgers durch eine Nichthaftung des Risikoträgers begründet und diese von einer Sorgfaltspflichtverletzung des Rechtsträgers abhängig gemacht wird, und der Schadensersatzanspruch des Rechtsträgers im Falle beiderseitigen Verschuldens nicht ausgeschlossen, sondern lediglich gekürzt wird (einseitige Kulpakompensation). Brown49 hat eine derartige Haftung eines Schädigers, allerdings mit beiderseitig haftungsausschließendem Mitverschulden, ökonomisch 48 Etwa aus dem deutschen Schrifttum Adams, Analyse, 1985; Blaschczok, Gefährdungshaftung, 1993; Endres, Grundlagen, 1991; Mataja, Recht, 1888; Schäfer/Ott, Analyse, S. 148 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114 ff.; Wehrt, KritV 75 (1992), 358 ff. Aus dem weit umfangreicheren englischsprachigen Schrifttum etwa Brown, Journal of Legal Studies, Vol. 2 (1973), 323 ff.; Calabresi, Costs, 1970; Landes/Posner, Journal of Legal Studies, Vol. 12 (1983), 109 ff.; Posner, Analysis, § 6.1, S. 191 ff.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1 ff. 49 Brown, Journal of Legal Studies, Vol. 2 (1973), 323, 329.

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untersucht – die „strict liability with dual contributory negligence“. Auch das bürgerliche Recht kennt eine ähnliche Kombination aus Risikozuweisung und Haftung. Durch Gefahrtragungsnormen, wie etwa die §§ 446 f. BGB im Kaufrecht, kann ein Rechtsträger vom Zufallsrisiko entlastet und dessen Vertragspartner mit diesem belastet werden.50 Hat der Verkäufer-Rechtsträger sorgfaltswidrig den Untergang herbeigeführt, handelt es sich bei dem Schadensereignis nicht mehr um Zufall im Sinne der §§ 446 f. BGB, weshalb dieser durch den Untergang der Gegenleistungspflicht gem. § 326 Abs. 1 BGB mit dem Schaden belastet wird. Fällt dem Käufer ebenfalls ein Sorgfaltsverstoß bzgl. der Rechtsbeeinträchtigung zur Last, so haftet er – wegen dieser – gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und der Schadensersatzanspruch wird gem. § 254 BGB gekürzt. 51 Dies entspricht in Verbindung mit dem Verlust des Anspruchs auf den Kaufpreis gem. § 326 Abs. 1 BGB bilanziell dem zuvor erwähnten Haftungsmodell. Mit einem derartigen, in Vertragsverhältnissen praktikablen Haftungssystem sind allerdings bei außervertraglichen Beziehungen, wie insbesondere Delikten, von Brown vernachlässigte Schwierigkeiten verbunden. Der alternative Risikoträger müsste nämlich zuerst durch Zurechnung bestimmt werden. Wer von den unzähligen, einen Kausalbeitrag – beispielsweise zu einem Unfall – Leistenden soll denn das Haftungs- bzw. Zufallsrisiko tragen? Im Rahmen dieser Untersuchung soll gar nicht erst der Versuch unternommen werden, derartige Haftungssysteme darauf zu untersuchen, ob diese realisierbar sind, oder ein entsprechendes Zurechnungskriterium oder auch mehrere Zurechnungskriterien zu entwickeln. Vielmehr wird lediglich einseitig hinterfragt, ob mit der Risikozuweisung zum Rechtsträger als solche ein gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn verbunden52 und ob diese gerecht ist. 2. Ökonomische Analyse der Zuweisung des Zufallsrisikos Der ökonomischen Analyse des Rechts wird von Teilen der juristischen Literatur mit erheblichen Vorbehalten begegnet.53 Den grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Rechtsökonomie kann hier jedoch nicht nachgegangen werden. 50 Die Gefahrtragungsnormen betreffen freilich auch Konstellationen, in denen der Verkäufer nicht Rechtsträger ist. 51 So die vorzugswürdige Theorie der beiderseitigen Schadensersatzansprüche, vgl. Canaris, Festschrift E. Lorenz, 147, 157 ff. Einen umfassenden Überblick über den Streitstand zur beiderseitig zu vertretenden Unmöglichkeit gibt Brade, JA 2013, 413 ff. Der Anspruch des Käufers gem. §§ 280, 283 BGB wurde hier bewusst außenvorgelassen, da lediglich Haftung und Risikoverteilung bzgl. der Integritätsbeeinträchtigung von Belang sind. 52 Zur deskriptiven Funktion der ökonomischen Analyse des Rechts vgl. Eidenmüller, Effizienz, S. 21; Posner, Analysis, § 2.2, S. 31 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 121 f. 53 Besonders kritisch Fezer, JZ 1986, 817 ff.; ders., JZ 1988, 223 ff. Probleme und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts zeigt im Zusammenhang mit dem Haftungsrecht etwa Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 155 ff. zutreffend auf.

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Dem Effizienzpostulat soll für die folgende Untersuchung vielmehr zugestanden werden, dass es ein tauglicher Ansatz ist, die gesetzliche Risikozuweisung zu legitimieren. a. Rechtsökonomische Grundlagen Haftungsregeln und auch Risikozuweisung leisten aus der Sicht der Ökonomie einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung, indem sie Anreize setzen, den durch Schadensereignisse drohenden Wohlfahrtsverlust zu vermindern und so den effizienten Einsatz knapper Ressourcen fördern. 54 Die ökonomische Analyse des Rechts bezweckt entsprechend das Haftungsrecht so auszugestalten, dass der gesellschaftliche Nutzen aus einer Tätigkeit, etwa dem stets mit Risiken verbundenen Gebrauch einer Sache, abzüglich der damit verbundenen Kosten, in der Form des Schadensvermeidungs- bzw. Sorgfaltsaufwands und der Beeinträchtigungskosten, maximiert wird. Der Wohlfahrtverlust, den ein Schadensereignis hervorruft, realisiert sich dabei in drei Ausprägungen. Zum einen in der Form der sog. primären Kosten, welche die durch das Schadensereignis bei allen Geschädigten vernichteten Nutzwerte umfassen, also sämtliche materiellen und immateriellen, unmittelbaren und mittelbaren Schäden, sowie den aufgewendeten Schadensvermeidungsaufwand. 55 Primäre Kosten werden durch Anreize zur optimalen – nicht etwa maximalen – Schadensprävention vermieden. Deshalb stellt die ökonomische Analyse, abweichend zur klassischen deutschen Haftungsrechtsdogmatik,56 nicht die Ausgleichsfunktion, sondern die Präventionswirkung des Haftungsrechts in den Vordergrund. 57 Die ergänzend auftretenden, sog. sekundären Kosten sind solche, die sich aus einer ungünstigen Schadensverteilung ergeben.58 Grundlage dieser Kosten ist die aus dem Prinzip des abnehmenden Grenznutzens des Einkommens59 gewonnene Erkenntnis, dass der individuelle

54 Vgl. Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 137 ff.; Ott/Schäfer, JZ 1990, 563, 566; MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 51 f.; Shapiro, Journal of Economic Perspectives, Vol. 5 (1991), 3, 5. Zur Ressourcenallokation allgemein Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 218. 55 Vgl. hierzu Calabresi, Costs, S. 68 ff.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 153 f.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 138. 56 Im Gegensatz zur deutschen Haftungsdogmatik erklärt etwa Art. 10.101 S. 2 PETL die Prävention explizit zum Ziel des Haftungsrechts. 57 Vgl. Calabresi, Costs, S. 68 ff., 95 ff.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 151; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 138 ff.; Wagner, AcP 206 (2006), 352, 451 ff.; so bereits Mataja, Recht, S. 19 im Jahre 1888. 58 Vgl. Calabresi, Costs, S. 39 ff.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 159 f. 59 Vgl. dazu Schäfer/Ott, Analyse, S. 160 ff.; Eidenmüller, Effizienz, S. 43 f. Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 140 f.

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Nutzenverlust mit zunehmender Schadenshöhe überproportional zunimmt.60 So sind etwa die individuellen Auswirkungen eines Schadens in Höhe von 1.000 Euro bei einem monatlichen Einkommen von 1.500 Euro überproportional größer, als bei einem von 3.000 Euro. Während im ersten Fall schlimmstenfalls sogar eine Wahl zwischen Nahrung und Miete getroffen werden muss, können im zweiten Fall bereits geringere Einschränkungen in der Lebensführung den Vermögensverlust ausgleichen. Entsprechend sind die Einbußen in der Lebensqualität geringer, wenn sich der Schaden gleichmäßig auf 10 Personen oder bei einer Person auf 10 Monate verteilt, als wenn er sich auf einmal in einer Person realisiert. Das Mittel, die sekundären Kosten zu vermindern, ist also vorrangig das Prinzip der – interpersonellen oder intertemporalen – Schadensstreuung. Schlussendlich sind mit einem Schadensereignis noch die sog. tertiären Kosten verbunden. Hierunter werden alle Aufwendungen gefasst, die damit verbunden sind, die Schäden abzuwickeln oder zu verteilen, wie etwa die Anwalts- und Gerichtskosten eines anschließenden Rechtsstreits. 61 Es handelt sich dabei um die Transaktionskosten des Schadensausgleichs. 62 Das Ziel, mittels des Haftungsrechts die Allokationseffizienz zu fördern, umfasst notwendig das Zwischenziel, die gesellschaftlichen Kosten, bestehend aus den primären, sekundären und tertiären Kosten, zu minimieren. Die Gesamtkosten zu vermindern setzt, wegen der häufig diametralen Wirkung der Reduktion eines Kostentyps zulasten eines anderen, stets einen Kompromiss voraus. Werden etwa die sekundären Kosten durch Schadensstreuung mittels Versicherung reduziert, erhöhen sich zugleich die tertiären durch die Kosten des Streuungsvorgangs, beispielsweise in der Form von Verwaltungskosten, die über die Versicherungsprämie an die Versicherungsnehmer weitergeleitet werden. Die tertiären Kosten werden wiederum minimiert, wenn das Haftungssystem eine unumstößliche Risikozuweisung zu einer Person begründet. Folge dessen ist jedoch, dass für die nicht mit dem Risiko belasteten Personen jeglicher Anreiz entfällt, selbst Schadensverhütungsaufwand zu betreiben, wodurch sich die primären Kosten durch vermehrte Schadensfälle erhöhen. 63 Neben der zuvor dargestellten Kostenreduktion erfordert das Leitziel der Allokationseffizienz auch, dass stets ein positiver Nettonutzen der gefährlichen Aktivität gewährleistet 64 bzw. dieser zugleich maximiert wird.65 Dies zwingt Calabresi, Costs, S. 36 f.; vgl. auch Kötz, Karlsruher Forum 1983, 145, 147; Ott/Schäfer, JZ 1990, 563, 566; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 140 f.; MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 59; Weyers, Unfallschäden, 517 f. 61 Calabresi, Costs, S. 28; Schäfer/Ott, Analyse, S. 164. 62 Vgl. Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 141. Zu den Transaktionskosten eingehend Behrens, Grundlagen, S. 106 ff.; Eidenmüller, Effizienz, S. 91 ff. 63 Hierzu Adams, Analyse, S. 48 ff.; Taupitz, AcP 196 (1996), 114, 142 f.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 165. 64 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 157. 65 Vgl. Adams, Analyse, S. 42. 60

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dazu, den vom Aktivitätsniveau abhängigen Nutzen der Tätigkeit für alle Parteien in die Betrachtung einzubeziehen und Anreize dazu zu setzen, das optimale Aktivitätsniveau zu wählen. Als vereinfachtes Beispiel soll ein Betrieb mit schädlichen Umwelteinwirkungen dienen. Dieser erzeugt bei optimalem Sorgfaltsniveau bei 50 % Auslastung 100 Einheiten Nutzen und einen Umweltschaden von 15 Einheiten, bei 75 % Auslastung 130 Einheiten Nutzen und einen Umweltschaden von 35 Einheiten sowie bei 100 % Auslastung 165 Einheiten Nutzen und einen Umweltschaden von 75 Einheiten. Im Beispielsfall ist das Aktivitätsniveau von 0,75 (Auslastung 75 %), das einen Nettonutzen von 95 Einheiten erzeugt, den anderen mit einem Nettonutzen von 85 und 90 Einheiten vorzuziehen. Das Haftungsrecht muss entsprechend Anreize setzen, dass der Betreiber das effizienteste Aktivitätsniveau wählt, was durch eine strikte Haftung für sämtliche Emissionsschäden66 erreicht würde.67 Die ökonomische Analyse des Rechts hält dabei drei – keineswegs unumstrittene 68 – quasidogmatische Kriterien der Risikozuweisung bereit, anhand derer überprüft werden kann, ob die Zuweisung des Zufallsrisikos zum Rechtsträger ökonomisch effizient ist. Die Denkfiguren des cheapest cost avoiders auf der einen und des cheapest insurers einschließlich des superior risk bearers auf der anderen Seite dienen dazu, jeweils eine Kostenform möglichst effizient zu reduzieren und vermögen entsprechend theoretisch zu belegen, dass die Risikozuweisung effizient ist. Natürlich beschränkt sich das Portfolio der ökonomischen Analyse nicht auf diese Denkfiguren. Sie sind lediglich Maßstäbe zweier kostenminimierender Ansätze, namentlich der durch Normen gesetzten Anreize zur effizienten Schadensprävention und zur effizienten Verteilung der Schäden. Die Allokationswirkung der Risikozuweisung wird hier entsprechend in diesen beiden Stoßrichtungen, vorrangig anhand der drei ökonomischen Denkfiguren, untersucht. Innerhalb einer Vertragsbeziehung kann dabei auf der Suche nach einer möglichst effizienten Risikozuweisung mit dem Gedankenkonstrukt des vollständigen Vertrages gearbeitet werden. In diesem hypothetischen Vertrag würden die Parteien jedes Risiko bedenken und sich vor Vertragsschluss ohne Transaktionskosten rational dahingehend einigen, wem jedes spezifische Risiko zuzuweisen ist, damit der wechselseitige Nutzen aus dem Vertag optimiert Die Gefährdungshaftungstatbestände wie § 1 UmweltHG oder § 114 BBergG erreichen die durchaus intendierte ökonomische Anreizwirkung (für das UmweltHG vgl. BT-Drs. 11/7104, S. 1 u. 14) schon deshalb nicht, weil diese auf die Beeinträchtigung von bestimmten Individualrechtsgütern beschränkt sind. Dadurch können die Betriebe die reinen Umweltschäden externalisieren, was zu einem zu hohen Aktivitätsniveau führt. Insgesamt zur Problematik der Umwelthaftung aus ökonomischer Sicht, vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 387 ff. 67 Zu den Auswirkungen einer strikten Haftung auf das Aktivitätsniveau vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 234 ff.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 3 und sogleich. 68 Krit. etwa Adams, Analyse, S. 20 ff.; Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 183 ff., jew. m. w. Nachw. 66

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wird. 69 Effizientester Risikoträger ist entsprechend die Partei, die das spezifische Risiko mit dem geringsten Aufwand vermeiden (cheapest cost avoider), versichern oder abweichend bewältigen kann (cheapest insurer und superior risk bearer). Auf diese Weise wird die Preisrelevanz des in Rede stehenden Risikos in der Form von Preisauf- oder -abschlägen für die Übernahme desselben relativ vermindert und so der zu erreichende Nutzengewinn für beide Parteien relativ vergrößert. 70 Diesem effizienten hypothetischen Konsens sollte aus wohlfahrtsökonomischer Sicht auch das dispositive und zwingende Gesetzesrecht entsprechen (mimic the market). 71 Da das dispositive Recht – will man es nicht zur bloßen Auslegungsregel herabstufen – nicht nach Belieben durch eine ergänzende Vertragsauslegung überwunden werden kann, bestimmt es in seinem Anwendungsbereich gleich dem zwingenden Recht die Risikozuweisung endgültig. 72 Möchte man die grundsätzliche Risikozuweisung zum Rechtsträger also ökonomisch legitimieren, ist zu überprüfen, ob diese im Rahmen vertraglicher Verhältnisse, wie den Gebrauchsüberlassungsverträgen, im Einklang zur hypothetischen Risikozuweisung bei einem vollständigen Vertrag steht. Aber auch außerhalb vertraglicher Verbindung sollte jede gesetzliche Haftungsordnung aus wohlfahrtsökonomischer Sicht eine analoge Risikozuweisung vorsehen. In einer hypothetischen Welt ohne Transaktionskosten wäre es ohne Bedeutung, wem das Risiko zunächst zugewiesen ist, da bei rational nutzenorientiertem Verhalten stets einvernehmlich eine wohlfahrtsmaximierende und damit effiziente Risikozuweisung vertraglich ausbedungen würde (CoaseTheorem73).74 In der realen Welt mit Transaktionskosten und unperfekten Märkten muss jedoch das Gesetzesrecht diesen Beitrag leisten. Auch die Bestimmungen über die gesetzlichen Schuldverhältnisse, wie das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis und die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag, aber eben auch die Risikozuweisung durch das Ausbleiben von Haftung sollten also 69 Schäfer/Ott, Analyse, S. 431 ff.; Wehrt, KritV 75 (1992), 358, 359 ff.; vgl. auch Behrens, Grundlagen, S. 159; Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 89 ff.; Posner, Analysis, § 4.1, S. 100 f. 70 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 431 f.; Posner, Analysis, § 4.1, S. 100 ff.; vgl. auch Behrens, Grundlagen, S. 159. 71 Vgl. Coase, Journal of Law and Economics, Vol. 3 (1960), 1, 16; Eidenmüller, Effizienz, S. 65; Schäfer/Ott, Analyse, S. 466 f. 72 Dabei ist es wegen der damit verbundenen Transaktionskosten auch häufig nicht ökonomisch sinnvoll, wirklich jedes Risiko, insbesondere solche mit sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, zu regeln, sodass die gesetzlichen Bestimmungen auch insoweit eine ökonomisch sinnvolle Lückenfüllung nach Maßgabe des vollständigen Vertrages bewirken sollten. Vgl. hierzu Schäfer/Ott, Analyse, S. 455; Wehrt, KritV 75 (1992), 358, 360 f.; Posner, Analysis, § 4.1, S. 98 f. 73 Vgl. Coase, Journal of Law and Economics, Vol. 3 (1960), 1 ff. 74 Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 143; Calabresi, Costs, S. 135; Schäfer/Ott, Analyse, S. 166 f.

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– kongruent zum Vertragsrecht – eine entsprechende Risikozuweisung bereits vorsehen. Die außervertragliche Risikozuweisung greift schließlich auch nur dann ein, wenn infolge prohibitiv hoher Transaktionskosten von vornherein überhaupt kein Vertrag zustandekommen wird. Bei der hier zu untersuchenden Risikozuweisung auf der Grundlage abstrakt genereller Normen verbietet sich allerdings die – im Vertragsrecht theoretisch propagierte 75 – individuelle Zuweisung jedes erdenklichen Risikos und somit jeder einzelnen Ausprägung des hier in Rede stehenden Zufallsrisikos. Während es theoretisch möglich wäre, das Risiko der Beeinträchtigung durch Blitzschlag an A, das durch unbekannte „Vandalen“ an B und am Ende gar das amoklaufender Zirkuselefanten wiederum an A auf der Grundlage des auf Optimierung ausgerichteten hypothetischen Parteiwillens zuzuweisen, scheitert eine derartig differenzierte Risikozuteilung durch Normen bzw. Haftungssysteme. Diesem Unterfangen stünden wegen der abstrakt generellen Natur der Normen bereits unüberwindliche Formulierungshindernisse entgegen. Aber auch der alternative Ansatz, die Risiken durch eine an die ökonomische Effizienz anknüpfende Generalklausel zuzuweisen, was die zuvor aufgezeigten Schwierigkeiten umgehen würde, könnte in unserer Rechtsordnung keinen Bestand haben. Diese wäre mit dem Gebot der Rechtssicherheit nicht zu vereinbaren. Es ist nämlich zumeist im Vorhinein gar nicht erkennbar, wer Adressat einer solchen Norm wäre, die beispielsweise an die individuellen risikospezifischen Fähigkeiten anknüpft, den Schaden in der konkreten Situation zu vermeiden oder das entsprechende Risiko zu streuen. Folge einer praktikablen, normbasierten Risikozuweisung ist entsprechend zwingend eine Abstraktion in der Form einer typisierten Erfassung von Risiken bzw. des Zufallsrisikos. Die wohlfahrtssteigernde Wirkung einer solchen Risikozuweisung ist zwar durch selektive Fehlanreize vermindert. Gleichwohl kann diese in der Summe fördernd wirken. Deshalb vermag die nun folgende Untersuchung, welche die Risiken typisiert betrachtet, dennoch zumindest theoretisch Aussagen dazu zu treffen, ob die grundsätzliche Risikozuweisung effizient ist. b. Schadensprävention Als potenzielle ökonomische Legitimationsgrundlage soll die Zuweisung des Zufallsrisikos zum Rechtsträger zunächst dahingehend untersucht werden, ob diese die primären Kosten reduziert.

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Vgl. etwa Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 90 und 96.

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aa. Schädigung anderer Die Risikozuweisung zum Rechtsträger könnte zunächst mittels der Denkfigur des cheapest cost avoiders als effizient belegt werden. Die auf Calabresi 76 zurückgehende Figur beruht auf dem Gedanken, dass von den möglichen Haftungsadressaten derjenigen Person das Risiko und entsprechend der Schaden zuzuweisen ist, die diesen und damit die Kosten mit dem geringsten Aufwand vermeiden kann. 77 Diese wird in Anbetracht der drohenden Haftung als rationaler Nutzenmaximierer78 ökonomisch sinnvolle, schadensvermeidende bzw. -reduzierende Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Der Anwendungsbereich dieser in ihrer Bedeutung häufig überschätzten Gedankenfigur ist jedoch äußerst begrenzt, da sie nur dann eine dem Effizienzpostulat entsprechende Aussage über den optimalen Haftungsadressaten geben kann, wenn entweder die Schadensvermeidungsmaßnahmen oder eine Veränderung des Aktivitätsniveaus der einen oder alternativ der anderen Partei bereits die primären Kosten optimal reduziert. Dies beschränkt sich auf die sehr seltenen Konstellationen, in denen nur eine Partei Einfluss auf den Schadenseintritt hat oder es nur eine einzige, von beiden potenziellen Risikoträgern durchführbare Maßnahme gibt. In den allermeisten Fällen wird jedoch erst das Zusammenwirken der Schadensvermeidungsmaßnahmen beider Parteien die primären Kosten optimal reduzieren, weswegen es in derartigen reziproken Schadenskonstellationen nicht „den“ cheapest cost avoider gibt, sodass die Gedankenfigur versagt.79 Die Rechtsordnung muss vielmehr beide Parteien dazu anreizen, die jeweiligen Schadensvermeidungsmaßnahmen vorzunehmen, die in Kombination optimal wirken. Präventive Schadensvorsorge erscheint dabei im Hinblick auf im Sinne des Verschuldensprinzips zufällige Beeinträchtigungen grundsätzlich ausgeschlossen. Aus schadenspräventiven Erwägungen die Haftung zuzuweisen, versagt bei Risiken, die nicht mit ökonomisch sinnvollem Aufwand vermieden werden können. Ist der Schadensvorsorgeaufwand größer als der Schadenserwartungswert 80, etwa bei unverhältnismäßigen Informationskosten, die aufgewendet Calabresi, Costs, S. 135 ff. Vgl. Calabresi, Costs, S. 135 ff.; Landes/Posner, Journal of Legal Studies, Vol. 12 (1983), 109, 110; Posner, Analysis, § 6.4, S. 198; Schäfer/Ott, Analyse, S. 252 ff.; Taupitz, AcP 196, 114, 160 f.; beschränkt auf das Vertragsrecht auch Behrens, Grundlagen, S. 159; Wehrt, KritV 75 (1992), 358, 363. 78 Vgl. hierzu Ott/Schäfer, JZ 1988, 213, 218, 219; Posner, Analysis, § 1.1, S. 3 ff. 79 Vgl. Adams, Analyse, S. 21 f., 30; Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 167 ff., und insbes. 185 ff.; Brown, Journal of Legal Studies, Vol. 2 (1973), 323 ff.; Endres, Grundlagen, S. 33. Schäfer/Ott, Analyse, S. 252 sprechen deswegen von einem „methodischen Grenzfall“. 80 Der Schadenserwartungswert bestimmt sich aus der Höhe des zu erwartenden Schadens multipliziert mit dessen Eintrittswahrscheinlichkeit. Vgl. hierzu Posner, Analysis, § 6.1, S. 191. 76

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werden müssen, um die Gefahr überhaupt erkennen zu können, hat nach der ökonomischen Theorie die Vorsorge als wohlfahrtsvermindernd zu unterbleiben. Beispielweise muss niemand Schadensvorsorge betreiben, dass ein auf einer Koppel oder in einem Stall verwahrtes Pferd nicht von einem auf die Erde zurückstürzenden Satelliten oder einem Meteoriten erschlagen wird. Die Kosten, ein entsprechendes Risiko überhaupt zu erkennen, sind prohibitiv hoch. Das Unterlassen ineffizienter Schadensvorsorgemaßnahmen begründet nach den Vertretern der ökonomischen Analyse keinen Sorgfaltspflichtverstoß (vgl. etwa die Learned-Hand-Formel)81, sodass diese Schadensereignisse überhaupt erst als Zufall zu qualifizieren sind. Ist also das Schadensereignis für die konkreten Beteiligten nur mit unverhältnismäßig hohen Transaktionskosten vorhersehbar oder abwendbar und somit ein Zufall, verbietet es sich ökonomisch, diesen Schadensereignissen vorsorgend zu begegnen, weshalb es ausgeschlossen ist, auf dieser Grundlage das Zufallsrisiko aus Präventionserwägungen zuzuweisen. 82 Die vorangegangenen Ausführungen stehen jedoch unter der Prämisse, dass das Aktivitätsniveau des potenziellen Haftungsadressaten konstant bzw. statisch ist. Ist das Aktivitätsniveau variabel, besteht durchaus die Möglichkeit auch bzgl. konkret unvorhersehbarer oder unbeherrschbarer Risiken auf die Schadenswahrscheinlichkeit bzw. den Schadensumfang und so auf den Schadenserwartungswert Einfluss zu nehmen. Beispielsweise erhöht jeder gefahrene Kilometer mit einem Kfz das Risiko, Opfer eines in seinem konkreten Eintritt unvorhersehbaren und von niemandem zu verantwortenden Steinschlags zu werden. Entsprechend kann durch die Gebrauchsintensität auf Schadenswahrscheinlichkeit Einfluss genommen werden. Ebenso hat der Gebrauch des Kfz mit geringerer Geschwindigkeit als der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durchaus einen positiven Einfluss auf die Schadenshöhe, gerade auch bei einem an sich unvermeidbaren Unfall. Folglich kann auch hinsichtlich zufälliger Beeinträchtigungen über das Aktivitätsniveau dennoch Prävention betrieben werden. Schäfer/Ott, Analyse, S. 183. Von dieser Ineffizienz entsprechender präventiver Maßnahmen ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob ein angestrebtes, mit dem Risiko zufälliger Beeinträchtigungen verbundenes Verhalten ebenfalls zu unterbleiben hat. Ist der zu erwartende Nutzwert des Verhaltens größer als der Schadenserwartungswert, so ist dieses infolge des Nettowohlfahrtsgewinns für die Gesellschaft trotz der Gefahren wünschenswert und die Vornahme, infolge der durch den Nettonutzenüberschuss theoretisch bestehenden Befähigung des Handelnden zum Ausgleich der zu erwartenden Schäden, effizient im Sinne des Kaldor-Hicks-Kriteriums (vgl. Kaldor, Economic Journal, Vol. 49 (1939), 549 ff. und Hicks, Economic Journal, Vol. 49 (1939), 696 ff.; hierzu auch Eidenmüller, Effizienz, S. 51 ff.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 19 ff.). Das gefährliche Verhalten hat also zu erfolgen und die drohenden Schäden sind hinzunehmen. Nur wenn der Nettonutzwert gleich oder geringer Null ist, sollte das Verhalten insgesamt unterbleiben. 81

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Ziel der Haftungsordnung muss also sein dazu anzureizen, das optimale und somit effiziente Aktivitätsniveau zu wählen. Setzt man nicht die Wahl eines zu hohen und damit ineffizienten Niveaus gefährlicher Aktivität mit Sorgfaltspflichtverletzung gleich,83 erreicht lediglich eine strikte Haftung84 die entsprechende Anreizwirkung, 85 da die Verschuldenshaftung ungeeignet ist, das Aktivitätsniveau des Haftungsadressaten zu beeinflussen. 86 Die strikte Haftung kann dabei durch eine fehlverhaltensunabhängigen Haftung im engsten Sinne, also eine Risikohaftung, wie auch durch eine reine Risikozuweisung entsprechend einer Gefahrtragungsnorm erzeugt werden, denn auch die reine Risikozuweisung begründet Haftung im ökonomischen Sinne. Die Verschuldenshaftung beinhaltet deswegen eine strikte Haftung des Rechtsträgers, da dieser die Schäden wirtschaftlich tragen muss, wenn dem möglichen Schädiger kein Sorgfaltsverstoß zur Last fällt. 87 Bei einer strikten Haftung wird der Haftungsadressat infolge seiner Ersatzpflicht das Aktivitätsniveau nur solange anheben, bis der hierdurch erreichte Nutzengewinn gerade gleich der Erhöhung des Schadenserwartungswertes ist oder er wird alternativ ein zu hohes Aktivitätsniveau auf das optimale Maß absenken. 88 Folglich wird bei der Verschuldenshaftung der risikobelastete Rechtsträger, sofern und soweit sein Aktivitätsniveau disponibel ist, 89 sein Aktivitätsniveau modifizieren bzw. reduzieren, 90 etwa weniger am Verkehr teil-

83 So z.B. Adams, Analyse, S. 36 ff., insbes. S. 39 ff., 165 ff.; kritisch hierzu Schäfer/Ott, Analyse, S. 155 f., 202 f.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 22 ff. 84 In der einschlägigen deutschen Literatur wird zumeist fälschlicherweise der Begriff der Gefährdungshaftung als alternatives Haftungsmodell zur Verschuldenshaftung gebraucht. Zutreffender wäre eine Bezeichnung als strikte Haftung (entsprechend dem englischen Sprachgebrauch: strict liability) bzw. Risikohaftung, da die Aussagen der ökonomischen Analyse auf sämtliche Formen der Risikohaftung, also beispielsweise auch die Vertrauenshaftung, gleichermaßen zutreffen. 85 Die Auswirkungen auf das Aktivitätsniveau sind für die mit dem Risiko belastete Partei immer gleich, vollkommen unabhängig davon, wie die Risikozuweisung genau ausgestaltet ist. Vgl. hierzu Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 170 ff., insbes. S. 175 f.; Posner, Analysis, § 6.5, S. 206 f.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 7. 86 Grundlegend Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1 ff.; vgl. auch Adams, Analyse, S. 130. 87 Zutreffend Coleman, Risks, S. 225 f.; vgl. auch Posner, Analysis, § 6.5, S. 206 f.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 6 f. 88 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 155 f.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 3. 89 Theoretisch ist stets die Möglichkeit in die Betrachtung einzubeziehen, dass Aktivitätsniveau auf Null zu setzen, d.h. sich von der entsprechenden Gefahr fernzuhalten oder zu entfernen. 90 Vgl. Posner, Analysis, § 6.5, S. 206 f.; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 6 f.; Adams, Analyse, S. 133.

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nehmen oder gefährliche Gebiete vollständig verlassen und so sein Aktivitätsniveau auf Null reduzieren. Im Falle der Risikozuweisung zum Schädiger wird hingegen dieser sein Aktivitätsniveau entsprechend anpassen.91 Problematisch ist jedoch, dass durch Haftung immer nur auf das Aktivitätsniveau lediglich einer Partei Einfluss genommen werden kann. Kein praktikables Haftungssystem ist imstande, bei einem beiderseitig variablen Aktivitätsniveau beide Seiten zu einer optimalen Wahl desselben zu veranlassen (Shavells Theorem).92 Die Rechtsordnung ist infolge dieses Umstandes vor die aus ökonomischer Perspektive unlösbare Aufgabe gestellt, abstrakt zu bestimmen, wessen Aktivitätsniveau wohlfahrtsökonomisch vorzugswürdiger Weise beeinflusst werden sollte. 93 Die grundsätzliche Risikozuweisung zum Rechtsträger kann, da die empirischen Daten für die erforderliche globale Betrachtung nicht ermittelt werden können, nicht ökonomisch, sondern nur auf abweichender, insbesondere auf ethischer Grundlage gerechtfertigt werden, wie es die Väter des Bürgerlichen Gesetzbuchs getan haben.94 Die mit der Risikozuweisung verbundene Externalisierung der negativen Folgen, die trotz sorgfaltsgemäßen Verhaltens eintreten, soll Freiräume gewähren und erhalten sowie die Antriebskräfte einer solchen freien Entfaltung nutzbar machen. Diese Grundeinstellung unserer Rechtsordnung erscheint als die einzig richtige, da sie Handlungsfreiheit, Fortschritt und Entwicklung privilegiert. Die Risikozuweisung des Zivilrechts ist in Anbetracht der anerkannten, als Hemmnis wirkenden Risikoaversion der Menschen, welche sich auch auf Haftungsrisiken erstreckt, angezeigt. Unter dem Damoklesschwert der unausweichlichen Haftung droht die Initiative der – doch nicht ganz rational handelnden – Menschen zu verkümmern. Aber, das sei an dieser Stelle nochmals betont, die Entscheidung beruht nicht auf ökonomischen Erwägungen und belegt nicht, dass die mit der Risikozuweisung verbundene Einflussnahme auf das Aktivitätsniveau gerade des Rechtsträgers effizient ist. bb. Umgang mit den eigenen Rechtsgütern Die Risikozuweisung kann sich hinsichtlich der Schadensprävention allenfalls noch insoweit als effizient erweisen, dass sie die „zweitbeste“ Lösung verwirklicht, indem sie wenigstens Anreize zum effizienten Umgang mit den eigenen Rechtsgütern jenseits der – allerdings kaum trennscharf auszugrenzenden – Fälle der Fremdschädigung setzen. Ein derartiges Streben wäre in Anbetracht 91 Vgl. Adams, Analyse, S. 137 ff.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 503; Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 2f., 10 ff.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 269 f.; Posner, Analysis, § 6.5, S. 206. 92 Vgl. Shavell, Journal of Legal Studies, Vol. 9 (1980), 1, 6 ff., 17 ff. 93 Vgl. hierzu allgemein Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 175 f.; Posner, Analysis, § 6.5, S. 206 f. 94 Vgl. hierzu S. 221, 225 ff.

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dessen, dass die ökonomischen Erwägungen in den Fällen der Fremdschädigung versagen, sogar durchaus legitim. In solch einer Situation vermag die mit der Risikozuweisung verbundene Anreizwirkung theoretisch sogar durchaus dazu beizutragen, einen ineffizienten Güterverzehr zu vermeiden und so die Gesamtwohlfahrt zu steigern. Aber auch dieser Ansatz vermag die Risikozuweisung zum Rechtsträger kaum ökonomisch zu legitimieren. Richtiger Anknüpfungspunkt wäre vielmehr die mit der tatsächlichen Herrschaft real verbundene Dispositionsbefugnis über das Aktivitätsniveau, wie ein Blick auf das Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz verdeutlicht. Hält sich der Gebrauch einer Sache in den Grenzen rechtlicher Gestattung, etwa der vertraglichen Vereinbarung bei Gebrauchsüberlassungsverträgen, trägt der Rechtsträger das Risiko, obwohl eine andere Person über das Aktivitätsniveau bestimmen und so das Schadensrisiko beeinflussen kann. Die wohlfahrtsökonomisch wünschenswerte Anreizwirkung durch Risikozuweisung wird insoweit ausgehebelt. Soweit Rechtsträger und Dispositionsbefugter nicht auseinanderfallen, kann auf Grundlage der ökonomischen Analyse des Rechts lediglich – aber immerhin – begründet werden, dass es ökonomisch verfehlt wäre, einer anderen, völlig unbeteiligten Person oder dem Staat das Risiko des zufälligen Untergangs zuzuweisen. Würde der Rechtsträger von dem Risiko zufälliger Beeinträchtigungen entlastet und haftet er lediglich, sofern er sorgfaltswidrig gehandelt hat, wird er ein zu hohes Aktivitätsniveau wählen. Ob man diese „Erkenntnis“ dabei zugleich auf den cheapest cost avoider-Gedanke stützt, ist unerheblich, da dieser in einer derartigen unilateralen Situation zur bedeutungslosen Trivialität verkommt. cc. Zwischenergebnis Mit der Risikozuweisung zum Rechtsträger ist hinsichtlich der zufälligen Schädigung anderer keine relevante Präventionswirkung verbunden, bzw. diese entfaltet sich in den Konstellationen, in denen sowieso nur der Rechtsträger Prävention betreiben kann. Lediglich hinsichtlich des Umgangs mit den eigenen Gütern erweist sich die Risikozuweisung als eingeschränkt effizient, weil es verfehlt wäre, einem unbeteiligten Dritten oder dem Staat das Zufallsrisiko aufzuerlegen, da in diesen Szenarien ein ineffizienter Güterverzehrt droht. Der vom Zufallsrisiko entlastete Rechtsträger hätte keinen Grund mehr, beim Umgang mit seinen Rechtsgütern ein effizientes Aktivitätsniveau zu wählen. Die Risikozuweisung vor diesem Hintergrund als effiziente Gestaltung der Rechtsordnung zu bezeichnen, wäre jedoch der Ehre zu viel. Da es bei einigen Rechtsgütern möglich ist, dass die mit der tatsächlichen Herrschaft verbundene Dispositionsbefugnis über das Aktivitätsniveau von der formellen Rechtsträgerschaft abweicht, wäre es effizienter, die Zuweisung des Zufallsrisikos an die Dispositionsbefugnis zu knüpfen. Infolge des unzutreffenden Anknüpfungspunktes der Risikozuweisung ist diese allenfalls „zufällig“ effizient.

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c. Folgenallokation Die grundsätzliche Risikozuweisung zum Rechtsträger kann nicht schon deshalb als effizient beurteilt werden, weil mit dieser nicht eine Anreizwirkung verbunden ist, die die primären Kosten optimal reduziert. Es ist gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass durch die Risikozuweisung eine wohlfahrtsökonomisch wünschenswerte Allokation der Realisierungsfolgen eintritt, was ebenfalls die gesuchte ökonomische Legitimation begründen könnte. Da es in der Welt zwangsläufig unbeherrschbare, unvorhersehbare und nicht mit ökonomisch vertretbarem Aufwand vermeidbare Risiken gibt, liegt es nahe, dass die Rechtsordnung wenigstens deren Folgen so zuweist, dass der hiermit verbundene Gesamtwohlstandsverlust möglichst gering ausfällt. Zu untersuchen ist somit, ob die Risikozuweisung zum Rechtsträger die sekundären Kosten effizient reduziert. aa. Die Ansätze der Folgenallokation Die Anhänger der ökonomischen Analyse des Rechts erachten bzgl. der Effizienz der Folgenallokation die Denkfigur des cheapest insurers95 bzw. – in nicht wirklich geklärtem Verhältnis hierzu – die des superior risk bearers96 für aussagekräftig. 97 Koller stellt hingegen auf das zu diesen beiden Prinzipien in Kombination deckungsgleiche, von ihm sog. Absorptionsprinzip ab. 98 Einfachster Lösungsansatz wäre freilich die Belastung der Partei mit den Kosten der Risikorealisierung, die jeweils relativ vermögender ist. Der Umkehrschluss

95 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 437 f.; Kötz, Karlsruher Forum 1983, 145, 147; Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 90; Posner, Analysis, § 4.5 S. 111. Kritisch etwa Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 199, der den cheapest insurer als „im Ergebnis nicht verwertbar“ bezeichnet. Zurückhaltend auch MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 61. 96 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 442 ff. 97 Diese begriffliche Differenzierung scheint eine Eigenheit der deutschsprachigen Literatur zu sein. In der englischsprachigen Literatur werden alle hier angesprochenen ökonomischen Denkfiguren (cheapest cost avoider, cheapest insurer und die z.B. von Schäfer/Ott mit der Figur des superior risk bearers verknüpften Gedanken) unter dem Oberbegriff des superior oder cheapest risk bearer zusammengefasst, vgl. etwa Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 90 ff.: „self-insurance“ und „market insurance“ sind entsprechend beides Ausprägungen des superior bzw. cheapest insurers. Zutreffend Behrens, Grundlagen, S. 160. Die im deuten Schrifttum vorherrschende Differenzierung wird zutreffend etwa von Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 210 kritisiert, der beiden Gedankenfiguren zudem vollumfänglich abspricht, für die Zuweisung von Risiken geeignet zu sein. Hier wird – ausschließlich um Missverständnisse zu vermeiden – im Folgenden das durchaus kritikwürdige, aber wohl mittlerweile in der deutschen Literatur weitgehend etablierte Begriffsverständnis zugrunde gelegt. 98 Koller, Risikozurechnung, S. 89 ff.

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aus dem abnehmenden Grenznutzen des Geldes offenbart, dass der relativ geringere Wohlstandsverlust der wohlhabenderen Partei die sekundären Kosten reduziert. Dieser deep pocket approach im Sinne Calabresis99 ist jedoch in der gesetzlichen Risikozuweisung und auch generell im Haftungsrecht nicht – auch nicht in § 829 BGB100 – verwirklicht. Ist ein Schaden nicht vermeidbar oder soll er nicht vermieden werden, weil dies mit ökonomisch sinnwidrigen Kosten verbunden wäre, so verbleibt nur die Möglichkeit derjenigen Partei das Risiko zuzuweisen, die eine Schadensstreuung am günstigsten bewirken kann. Ausgehend vom cheapest insurer-Gedanken ist dies derjenige, der das Risiko zu den niedrigsten Kosten, bestehend aus Transaktionskosten101 und Prämie, versichern kann. 102 Alternativ103 erfolgt die Risikostreuung beim superior risk bearer als „Selbstversicherung“, auf der Grundlage entweder der relativ besseren Fähigkeit der Partei zur interpersonellen Schadensstreuung104 oder alternativ der besseren Befähigung, die Risiken zu erkennen und Risikovorsorge durch Rückstellungen zu betreiben. 105 Auch durch die zweite Alternative wird eine, nur eben rein zeitliche,106 Schadensstreuung erreicht. Welche Form der Schadensstreuung betrieben wird, also ob Fremdversicherung oder die in der Regel mit geringeren Kosten verbundene Alternative der Selbstversicherung107, ist dabei von den jeweiligen Umständen und eben auch den Transaktionskosten abhängig. Durch Schadensstreuung wird der gesamtgesellschaftliche Nutzenverlust durch das Schadensereignis in der Form der sekundären Kosten reduziert,108 indem die mit der Höhe des Schadens als individueller Wohlstandsverlust überproportional zunehmende Nutzeneinbuße durch die Verteilung auf eine Vielzahl von Personen oder in der Zeit in der Summe vermindert wird.109 Die Anreizwirkung, die Schadensstreuungsmaßnahmen tatsächlich vorzunehmen,

Calabresi, Costs, S. 40 ff.; vgl. auch Weyers, Unfallschäden, S. 526 ff. Vgl. dazu S. 191. 101 Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 91. 102 Vgl. Koller, Risikozurechnung, S. 91; Schäfer/Ott, Analyse, S. 437; Wehrt, KritV 75 (1992), 358, 366 f. 103 Nach Schäfer/Ott, Analyse, S. 442 f. soll und wird die Risikozuweisung nach dem superior risk bearer-Gedanken nur erfolgen, wenn die Risikostreuung nicht in der Form der Fremdversicherung möglich ist. 104 Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 91 f.; Werth, KritV 75 (1992), 358, 371 f. 105 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 443 f.; Koller, Risikozurechnung, S. 92. 106 Vgl. hierzu Calabresi, Costs, S. 42; Weyers, Unfallschäden, S. 517. 107 Vgl. Posner/Rosenfield, Journal of Legal Studies, Vol 6 (1977), 83, 92; Schäfer/Ott, Analyse, S. 443. 108 Vgl. Ott/Schäfer, JZ 1990, 563, 566; Schäfer/Ott, Analyse, S. 438, 159 ff. 109 Calabresi, Costs, S. 36 ff.; vgl. auch Kötz, Karlsruher Forum 1983, 145, 147; Weyers, Unfallschäden, 517 f. 99

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ergibt sich für den rationalen Nutzenmaximierer daraus, 110 dass auch individuell der sichere Erwartungsnutzen mit den „sicheren“ Kosten der Schadensstreuungsmaßnahme grundsätzlich höher liegt, als der Erwartungsnutzen bei fortdauernder Belastung mit dem Risiko. 111 Dies bedeutet, dass die Belastung mit einem Risiko als solche Kosten in der Form von Opportunitätskosten begründet, die der potenziell Geschädigte, etwa durch den Transfer auf eine Versicherung, vermindern kann. Mit der Risikozuweisung wird deshalb zugleich der 110 Auf den Einfluss der individuellen Einstellung zum Risiko (Risikoaversion, Risikofreude und Risikoneutralität) auf die Bereitschaft zur Risikostreuung in Vertragsbeziehungen wird im Folgenden nicht weiter eingegangen. Vgl. dazu Schäfer/Ott, Analyse, S. 438 ff.; Posner, Analysis, § 1.2, S. 13 ff. Hier wird, entsprechend der realen Haltung der Mehrheit der Gesellschaft zu Rechtsbeeinträchtigungen, von einer risikoaversen Grundeinstellung der Individuen ausgegangen. Vgl. hierzu Looschelders, VersR 1996, 529, 531; Meder, Schuld, S. 16; Posner, Analysis, § 1.2, S. 13 ff. 111 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 159 ff.; Posner, Analysis, § 4.5, S. 110. Dazu auch Behrens, Grundlagen, S. 158 f. Theoretische Rahmenbedingung ist wiederum das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens des Einkommens. Der Erwartungsnutzen mit Risikobelastung (zu errechnen aus der Schadenswahrscheinlichkeit multipliziert mit dem durch das Schadensereignis verminderten Nutzwert, addiert mit der Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens des Schadensereignisses multipliziert mit Nutzwert ohne Schaden) ist, infolge des überproportionalen Nutzenverlusts bei zunehmender Schadenshöhe, geringer als der sich aus dem Einkommen abzüglich des Schadenserwartungswerts ergebende konstante Erwartungsnutzen bei einer kostenfreien Risikoentlastung. Zur Verdeutlichung ein Beispiel (Beispiel und Zahlenwerte nach Schäfer/Ott, Analyse, S. 159 ff.). Ein Weizenbauer erreicht im Normalfall einen Ertrag von 20.000 Euro pro Jahr. Im Durchschnitt wird alle fünf Jahre die Hälfte der Ernte durch Hagelschlag vernichtet, was einem drohenden Schaden in Höhe von 10.000 Euro mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 20 % entspricht.

Einkommen in Tausend € 10 11 12 13 14 15

Nutzeneinheiten aus dem Einkommen 10.000 10.488 10.954 11.401 11.823 12.247

Einkommen in Tausend € (Fortsetzung) 16 17 17,723 18 19 20

Nutzeneinheiten aus dem Einkommen (Fortsetzung) 12.649 13.038 13.313 13.416 13.784 14.142

Der Erwartungsnutzen mit der Belastung mit dem Risiko beträgt 0.2 ´ 10.000 + 0,8 ´ 14.142 = 13.313. Dies entspricht einem sicheren Einkommen von 17.723 Euro. Im Falle einer kostenfreien Schadensstreuung ergibt sich hingegen bei einem konstanten Erwartungseinkommen von 20.000 – 0,2 ´ 10.000 = 18.000 Euro ein Erwartungsnutzen von 13.416 Euro. Die entsprechenden Mehrkosten der ungestreuten Risikobelastung bilden zugleich die ökonomische Obergrenze der Kosten – inkl. der Transaktionskosten – einer möglichen Schadensstreuungsmaßnahme, da bei höheren Streuungskosten eine solche für den Belasteten nicht sinnvoll wäre.

§ 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung

245

Anreiz zu der volkswirtschaftlich wünschenswerten Schadensstreuung begründet. bb. Der superior risk bearer Untersucht man die Risikozuweisung auf der Grundlage des superior risk bearer-Gedankens, kann nicht festgestellt werden, dass das Risiko entsprechend diesem und somit effizient zugewiesen ist. Dass interpersonelle Risikostreuung aufgrund bestehender Vertragsbeziehungen erfolgen kann, ist eher eine auf bestimmte Bereiche des Zivilrechtsverkehrs beschränkte Ausnahmeerscheinung. Sie trifft primär auf Unternehmen in Lieferketten zu, etwa Hersteller von Waren, welche die mit der Risikorealisierung verbundenen Kosten über die Preise abwälzen und so streuen können. Im „allgemeinen“ Verkehr, insbesondere zwischen Privatpersonen, besteht diese Möglichkeit hingegen nicht wirklich. Auch verfügen die wenigsten Verkehrsteilnehmer über die nötige „Größe“, um das Gesetz der großen Zahl für sich arbeiten zu lassen.112 Lediglich staatliche Einrichtungen und große Unternehmen bzw. Teilbereiche derselben, wie etwa deren Fuhrparks, bedürfen allein aufgrund ihrer Größe keiner Fremdversicherung. Auch anhand der Fähigkeit, Rücklagen zu bilden, kann nicht bestätigt werden, dass die grundsätzliche Risikozuweisung effizient ist. Wer zur Schadensvorsorge durch Rücklagenbildung „besser“ befähigt ist, bestimmt sich nach den Vertretern der ökonomischen Analyse danach, wer die Risiken zu geringeren Transaktionskosten präzise bewerten und so risikoadäquate Rückstellungen bilden kann. 113 Im Ergebnis handelt es sich somit lediglich um eine Transaktionskostenproblematik, welche mit der Fähigkeit, Risiken zu tragen, allenfalls periphere Berührungspunkte aufweist. 114 Es soll vielmehr diejenige Person mit dem Risiko belastet und hierdurch dazu angereizt werden, die erforderlichen Transaktionskosten aufzuwenden, die dies am relativ günstigsten bewerkstelligen kann. Da jedoch die hier maßgeblichen Risiken der grundsätzlichen Risikozuweisung unüberschaubar und entsprechend die Transaktionskosten in der Form von Informationskosten zwangsläufig prohibitiv hoch sind, verbietet sich dieser Ansatz, um zu bewerten, ob die Zuweisung der Zufallsrisiken effizient ist. cc. Der cheapest insurer Letzter Ansatz, um die grundsätzliche Risikozuweisung als ein Modell zu qualifizieren, das die sekundären Kosten effizient reduziert, wäre es nachzuweisen, dass der Rechtsträger der cheapest insurer ist. Auf den Punkt gebracht Vgl. hierzu Schäfer/Ott, Analyse, S. 442 ff. Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 444; Koller, Risikozurechnung, S. 92 f. 114 Vgl. Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 212; Behrens, Grundlagen, S. 158 ff.

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

läuft dieser Gedanke jedoch auf die Frage hinaus, ob eine umfassende Haftpflichtversicherung gegenüber einer umfassenden Versicherung der eigenen Güter (Unfallversicherung, Sachversicherung etc.) vorzugswürdig wäre. Neben den berechtigten Zweifeln, ob eine derartig abstrakte Betrachtung einen verwertungsfähigen Aussagegehalt hat, vermindert auch der unklare Umfang der Haftpflicht, der der Haftpflichtversicherung zugrunde läge, den Erkenntnisgewinn erheblich. Der Haftpflichtversicherung müsste ein hypothetisches System der Haftung sowohl für verschuldete als auch nicht verschuldete und damit zufällige Schadensereignisse zugrunde liegen. Eine derartige hypothetische Haftung wäre – wie bereits angedeutet 115 – mit dem Problem verbunden, dass sie zwingend durch ein (unbekanntes) objektives Zurechnungskriterium beschränkt werden müsste, um sie von der vollkommen uferlosen und unpraktikablen Kausalhaftung abgrenzen zu können. Es ist zu vermuten, dass die hypothetische, nahezu umfassende 116 und summenmäßig unlimitierte Haftung gegenüber jedermann von im Wettbewerb stehenden privaten Versicherungsunternehmen als unversicherbar eingeschätzt wird, weil das individuelle Risiko versicherungsmathematisch nicht fassbar ist. Akzeptiert man diese Annahme, ist zwangsläufig der Rechtsträger cheapest – da einziger – insurer und damit „effizientester“ Risikoträger, wobei diese Begründung der Effizienz einen faden Beigeschmack behält. Erachtet man das Risiko als theoretisch versicherbar, so erweist sich die Gedankenfigur als unbrauchbar, um eine derartig globale Risikozuweisung zu beurteilen, die infolge der Funktion und Perspektive insbesondere des Deliktsrechts jedoch notwendig ist. Der cheapest insurer-Gedanke liefert bei der Zuweisung spezifischer, beide Parteien gleichförmig treffender Einzelrisiken, etwa spezifischer Störungen beim Leistungsaustausch, 117 mehr oder weniger brauchbare Ergebnisse. 118 Er versagt jedoch bei der grundsätzlichen Risikozuweisung infolge der unterschiedlichen Risiken, die in die Betrachtung einzubeziehen sind. Obwohl im konkreten Einzelfall, etwa in der Form eines Zufallskontakts, bezüglich des speziellen, sich realisierenden Schadensrisikos eine Zuweisung zum korrespondierenden cheapest insurer zwar theoretisch durchgeführt werden könnte, stehen sich bei der globalen Betrachtung verschiedene Risiken bzw. Risikokreise gegenüber. Die erst durch die möglichen Beziehungen der potenziellen Risikoträger zu einer unbestimmten Vielzahl Siehe S. 228, 231. Die Haftung soll bestimmungsgemäß möglichst jedes Verhalten und dessen Folgen erfassen, um das Risiko des Rechtsträgers möglichst spiegelbildlich abzubilden. 117 So etwa die Beispiele bei Schäfer/Ott, Analyse, S. 437 ff. 118 Erachtet man die Erlangung identischen Versicherungsschutzes als Ausgangspunkt des cheapest insurer-Gedankens, verengt sich die Betrachtung sogar ausschließlich auf die Transaktionskosten, da die Versicherungsprämie nach dem Äquivalenzprinzip (vgl. Dreher, Versicherung, S. 129; MünchKommVVG/Looschelders, § 1 Rn. 99) theoretisch für alle potenziellen Haftungsadressaten identisch wäre. 115

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§ 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung

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von Personen erzeugten Risikokreise überlappen sich zwar durchaus in der konkreten Einzelbeziehung, welche die Entscheidung über eben dieses konkrete Einzelrisiko zulassen würde. Im Übrigen stehen sie sich aber unverbunden gegenüber. Der Rechtsträger müsste als „sein“ Risiko sämtliche nicht auf Fehlverhalten beruhende Beeinträchtigungen seiner Güter versichern, also jede zufällige Einwirkung Dritter ebenso wie alle sonstigen zufälligen Beeinträchtigungen. 119 Demgegenüber müsste sich der Schädiger umfassend gegen die zufälligen Folgen seines Verhaltens gegenüber jedermann versichern, also die umfassende Außenwirkung seines Verhaltens. Die Verschiedenheit der Risiken in Inhalt und Reichweite bietet schon keine taugliche Grundlage dafür, eine Seite als cheapest insurer bezüglich „des“ – welches? – Risikos zufälliger Beeinträchtigungen zu qualifizieren. Weil das individuelle, aus sämtlichen zukünftigen Interaktionen des potenziellen Haftungsadressaten resultierende Haftungsrisiko in keiner Weise greifbar ist, sind zudem die Transaktionskosten, die notwendig sind, um einen den individuellen Risiken genau entsprechenden Versicherungsschutz zu erlangen, zwangsläufig prohibitiv hoch. dd. Zwischenergebnis Es verbleibt festzustellen, dass bei der globalen Betrachtung der Risikozuweisung, die beispielsweise das Deliktsrecht erforderlich macht, diese auch nicht deswegen als effizient beurteilt werden kann, weil sie die sekundären Kosten optimal reduziert. Zunächst erweist sich der Rechtsträger nicht notwendig als superior risk bearer. Die individuelle Fähigkeit, eine interpersonelle Risikostreuung herbeizuführen, besteht lediglich in seltenen Ausnahmefällen. Die Risikozuweisung ist somit lediglich zufällig effizient. Und auch hinsichtlich der Fähigkeit zur intertemporalen Schadensstreuung kann keine Effizienz bescheinigt werden, weil insoweit der superior risk bearer-Gedanke versagt. Die Transaktionskosten, die aufgewendet werden müssen, um alle Zufallsrisiken überhaupt erkennen und so risikoadäquate Rücklagen bilden zu können, sind zwangsläufig prohibitiv hoch. Auch auf der Grundlage des cheapest insurer-Gedankens kann die Risikozuweisung zum Rechtsträger nicht wirklich als effizient beurteilt werden. Sie ist lediglich deswegen „effizient“, weil ausschließlich der Rechtsträger überhaupt imstande ist, den erforderlichen umfassenden Versicherungsschutz zu erlangen, weshalb dieser einziger und somit zwangsläufig auch „cheapest“ insurer ist. Und selbst dann, wenn man annimmt, dass eine umfassende Haftpflichtversicherung theoretisch möglich sei, erweist sich der cheapest insurer119 Ist das Zufallsrisiko dem Rechtsträger zugewiesen, steht der Schädiger einer durch sein Verhalten verursachten zufälligen Beeinträchtigung zwangsläufige ebenso nahe oder fern, wie einem sonstigen Zufall in der Form eines Naturereignisses. Er ist für beide Ereignisse nicht verantwortlich zu machen.

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Gedanke als unbrauchbar, da nicht deckungsgleiche Risikospektren verglichen werden müssten. Ob mit der Risikozuweisung zum Rechtsträger – relativ zur Risikozuweisung zum Schädiger –tatsächlich dennoch ein Wohlfahrtsgewinn verbunden ist, kann keineswegs ausgeschlossen werden. Bestätigt werden kann diese empirisch nicht belegte und wohl auch nicht belegbare Annahme aber auch nicht. Dass es sich bei der Zuweisung des Zufallsrisikos zum Rechtsträger um eine effiziente Gestaltung handelt, weil die sekundären Kosten reduziert werden, lässt sich somit nicht bestätigen. d. Reduktion tertiärer Kosten Ein deutlich erfolgversprechenderer Ansatz ist, die Risikozuweisung dahingehend zu untersuchen, ob sie die tertiären Kosten von Schadensereignissen120 in effizienter Weise reduziert. Die mit der Abwicklung von Schadensereignissen und Verteilung von Schäden verbundenen Transaktionskosten verbrauchen über die primären Kosten hinausgehende Ressourcen, welche auf andere Weise sinnvoller eingesetzt werden könnten. Um darstellen zu können, wie sich die Zuweisung des Zufallsrisikos auf die tertiären Kosten auswirkt, ist es ratsam, sich die Wirkweise der Risikozuweisung als solche nochmals zu vergegenwärtigen. Erster natürlicher Schadensträger eines Schadensereignisses ist notwendig der Rechtsträger, dessen Rechtsposition beeinträchtigt wird. 121 Der bloße Eintritt des Schadensereignisses erzeugt gerade noch keine relevanten tertiären Kosten, 122 sondern es entstehen nur primäre Kosten. Erst auf der zweiten Stufe, im Rahmen der Zuweisung der wirtschaftlichen Folgen des Schadensereignisses, entstehen die mit der Abwicklung und Verteilung des Schadens verbundenen Transaktionskosten. Hierunter fallen die Informationskosten um den Schaden festzustellen bzw. zu beziffern, beispielsweise in der Form von Gutachterkosten, aber auch die mit der eigentlichen Umverteilung verbundenen Kosten. Die tertiären Kosten werden durch eine Risikozuweisung zum Rechtsträger in erheblichem Umfang vermieden, weil der in seiner genauen Höhe unklare Schaden ersatzlos bei diesem verbleibt, weshalb dieser in der Regel nicht genau festgestellt oder beziffert werden muss. Ebenso entfällt der mit Kosten, etwa in der Form von Gebühren oder auch bloßen Zeitaufwand, verbundene Zahlungsvorgang. Natürlich erfährt die Kostenersparnis diverse Einschränkun-

Calabresi, Costs, S. 28. Dazu bereits S. 211. 122 Unmittelbar mit dem Beeinträchtigungsereignis verbundene tertiäre Kosten, beispielsweise die Unfallaufnahme durch die Polizei, bei einem unvermeidbaren Unfall mit Rotwild oder bei Personenschäden, entstehen aufgrund außerhalb der Risikozuweisung liegender Motive (z.B. zur Feststellung potenzieller Straftaten) und damit unabhängig davon, wer das Risiko trägt, weshalb diese aus der Betrachtung ausgeklammert werden können. 120

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gen und Ausnahmen. Etwa müssen Umfang und Höhe des Schadens auch festgestellt werden, wenn der Rechtsträger die Sache gegen zufällige Beeinträchtigungen versichert hat. Doch sind diese tertiären Kosten dann der „Preis“ einer zeitgleichen Reduktion der sekundären Kosten, die wohlfahrtsökonomisch wünschenswert ist. Demgegenüber werden im Falle der Ausgleichspflicht lediglich bereits eingetretene Schäden ohne einen entsprechenden Effekt verlagert und so ökonomisch sinnwidrig zusätzliche bzw. unnötige Kosten generiert.123 Im Übrigen dürfte der Rechtsträger die mit Kosten verbundene Schadensfeststellung nur beim Vorliegen eines triftigen Grundes betreiben. Rechtsstreitigkeit über das Bestehen einer Ersatzpflicht und die hiermit verbundenen tertiären Kosten in der Form von Gerichtskosten, Anwaltskosten und zeitlichem Aufwand aller Beteiligten, können lediglich hinsichtlich evident zufälliger Ereignisse durch die Zuweisung des Zufallsrisikos verhindern werden, da bei diesen kein potenzielles Verschulden oder Mitverschulden gerichtlich festgestellt werden muss. Dies funktioniert tendenziell besser durch Risikobelastung des Rechtsträgers. Während auch bei einem bestehenden Ausgleichsanspruch, der aus einer Risikobelastung des Schädigers resultiert, kein Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen bzgl. des Bestands des Anspruchs gegeben ist, muss jedoch gleichwohl die Höhe desselben festgestellt werden. Dies kann Anlass für kostenintensive Streitigkeiten bieten. Die in diesem Fall durchaus wahrscheinliche Möglichkeit, dass ein Prozess durch außergerichtlichen Vergleich vermieden wird, verursacht dennoch relativ zur Risikozuweisung zum Rechtsträger weitergehende Transaktionskosten, insbesondere in der Form von Informationskosten und den mit den Verhandlungen verbundene Kosten, beispielsweise für den Einsatz von Anwälten. Im Übrigen richtet sich das Potenzial, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, nach der Ausgestaltung des Haftungssystems im klassisch juristischen Sinne (Verschuldens- oder Risikohaftung, Mitverschulden) und dabei insbesondere danach, wer zur Verbesserung seiner Rechtsposition ein Verschulden der anderen Partei nachweisen muss. 124 Welches Haftungssystem dabei grundsätzlich besser geeignet ist tertiäre Kosten zu verhindern, ist empirisch noch nicht belegt,125 und muss für die Risikozuweisung, die hier ausschließlich interessiert, auch nicht theoretisch untersucht werden. Ausgehend vom geltenden Recht, mit der Grundsatzentscheidung für das Verschuldensprinzip und der Risikozuweisung zum Rechtsträger, kann festgestellt werden, dass durch die Beweislast des geschädigten Rechtsträgers für eine Sorgfaltspflichtverletzung ein weiteres Hemmnis für einen Prozess bei objektiv zufälligen Schadensereignissen besteht, wodurch die positiven Effekte der Risikozuweisung zum Rechtsträger, Zu den Kosten des Schadensausgleichs Schäfer/Ott, Analyse, S. 164. Zu den ökonomischen Auswirkungen der Beweislastverteilung auf das Verhalten und die Kosten in Verbindung mit der Risikozuweisung vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 219 ff. 125 Vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 235 f. 123

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

die hinsichtlich der evident zufälligen Schadensereignisse festgestellt wurden, bei nicht eindeutig zufälligen Schadensereignissen ebenfalls eintreten. Ist aus der Sicht des Rechtsträgers ein Verschulden der anderen Partei nicht ausgeschlossen, wird er bei einer Entscheidung für und wider einen Prozess einkalkulieren, wie wahrscheinlich ein beweislastbedingtes Unterliegen ist und welche ergänzenden Kosten damit verbunden sein können. Gerade bei kleineren Schäden wird er deswegen auf einen risikobehafteten Prozess verzichten, wodurch in der Gesamtschau die tertiären Kosten zusätzlich vermindert werden. e. Ergebnis Die grundsätzliche Risikozuweisung zum Rechtsträger kann im Ergebnis nur eingeschränkt als effizient beurteilt werden. Mit ihr werden die primären Kosten kaum in relevanter Weise reduziert. Auch die mit der Risikozuweisung verbundene Einflussnahme auf das Aktivitätsniveau des Rechtsträgers bestätigt nicht, dass die Risikozuweisung effizient ist, da die Rechtsträgerschaft lediglich zufällig mit der maßgeblichen tatsächlichen Befähigung zusammenfällt, das Aktivitätsniveau zu beeinflussen. Es handelt es sich somit nicht um die effizienteste Gestaltungsform. Und auch bezüglich der Allokation der Schadensfolgen kann der Risikozuweisung keine Effizienz bescheinigt werden. Eine effiziente Reduktion der sekundären Kosten tritt keineswegs planmäßig ein, da der Rechtsträger nicht zwangsläufig die Schadensrisiken am besten zu streuen vermag. Weil jedoch bereits die Gedankenfiguren versagt haben, die hier verwendet wurden, um die Effizienz der Risikozuweisung zu überprüfen, lässt sich nicht ausschließen, dass die Zuweisung des Zufallsrisikos zum Rechtsträger tatsächlich doch eine effiziente Reduktion der sekundären Kosten bewirkt. Es fehlen jedoch die für diese Aussage erforderlichen empirischen Daten. Ausschließlich hinsichtlich der Reduktion der tertiären Kosten lässt sich bestätigen, dass die Risikozuweisung zum Rechtsträger sicher eine wohlfahrtssteigernde Wirkung zu entfalten vermag. Sie verhindert unnötigen Kostenaufwand, da die zufälligen Schäden nicht vom Rechtsträger wegverlagert werden, der zwangsläufig von diesen zunächst betroffen ist. Der genaue Umfang des Schadens muss deswegen häufig bereits nicht genau festgestellt werden und auch die sonstigen Kosten der Schadensabwicklung, wie etwa der erforderliche Zeitaufwand, entfallen zumeist.

§ 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung

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3. Die Risikozuweisung als Ausdruck von Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne Die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Zuweisung des Zufallsrisikos wäre auch dadurch legitimierbar, dass diese Gerechtigkeit verwirklicht. 126 Die Zivilrechtswissenschaft konzentriert sich vorrangig auf die von Aristoteles im 5. Buch der Nikomachischen Ethik entwickelte Idee der Gerechtigkeit, um Regelungen hinsichtlich ihres Gerechtigkeitsgehalts zu beurteilen.127 Im Anschluss an diese Tradition soll die Risikozuweisung dahingehend hinterfragt werden, ob diese im aristotelischen Sinne „gerecht“ ist. a. Der Beurteilungsmaßstab Als Kernelement der Gerechtigkeit erkannte und lehrte Aristoteles die Gleichheit.128 Das Gleichheitsprinzip besagt zunächst formal, dass Gleiches gleich und Ungleiches den Unterschieden entsprechend verschieden zu behandeln ist. Doch ist auf der Welt kaum etwas völlig gleich oder völlig unterschiedlich, sodass das Gleichheitsgebot auf Erwägungen der Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit gestützt werden muss.129 Aristoteles erkannte, dass es sich bei der Gerechtigkeit um eine Frage der Proportionalität, Geometrie und Analogie handelt.130 Kaufmann resümiert insoweit treffend: „Gleichheit ist entsprechend eine Gleichheit der Verhältnisse, ein Entsprechendes, ein Analoges“. 131 Aristoteles unterschied dabei zwei Formen von Gerechtigkeit, welche Ausprägungen des Gleichheitsgedankens in unterschiedlicher Gestalt sind, die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) und die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa oder iustitia correctiva132). Die folgenden Ausführungen sollen sich darauf beschränken, zu diskutieren, ob die grundsätzliche Risiko- und Schadenszuweisung in diesem aristotelischen Sinne gerecht ist.

126 So auch Canaris, iustitia, S. 91; Larenz/Canaris, Schuldrecht II, S. 351, vgl. auch die teilweise gegenteiligen Ansichten in Fn. 3. Allgemein zur Legitimation von Entscheidungen und Normen auf der Grundlage von Gerechtigkeitserwägungen, vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 389 f., 395 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 60. 127 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1130b bis 1133a. 128 Vgl. Jansen, Struktur, S. 78; Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 157; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 88. 129 Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 156. 130 Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 157. 131 Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 157. 132 Häufig wird die ausgleichende Gerechtigkeit mit dem Begriff der kommutativen Gerechtigkeit (iustitia commutativa) bedacht (so z.B. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 157). Dies beschränkt die ausgleichende Gerechtigkeit auf die Austauschgerechtigkeit und verkürzt so deren Weite unangemessen, insbesondere im Hinblick auf außervertragliche Haftungssysteme (hierzu Jansen, Struktur, S. 77 Fn. 4; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 404 Fn. 25; vgl. auch Canaris, iustitia, S. 30).

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Die Gerechtigkeitsfrage ist mit dem Recht untrennbar verwoben und deren Verwirklichung ein hehres Ziel. Dabei ist es Gerechtigkeitserwägungen immanent, dass ihnen konkrete normative Aussagen nur eingeschränkt entnommen werden können, da diese notwendig sehr abstrakt und grundsätzlich sind.133 Bestehende Normen und Entscheidungen können jedoch dahingehend hinterfragt werden, ob diese (noch) als gerecht qualifiziert werden können. Bei der distributiven und der ausgleichenden Gerechtigkeit handelt es sich dabei um zwei unterschiedliche Kategorien, in denen normative Erwägungen einordnend gefasst werden. Es ist jedoch noch keine konkrete Aussage getroffen, ob und wie Gerechtigkeit verwirklicht wird, wenn eine Materie schlicht der einen oder anderen Kategorie der Gerechtigkeitsgrundsätze zugewiesen wird. Vielmehr drohen die moralischen Maßstäbe durch die scheinbare Evidenz der Begrifflichkeiten verdeckt zu werden. 134 Die begriffliche Trennung beschreibt lediglich Wertungsaspekte, die zu berücksichtigen sind, wenn ein Sachverhalt im Hinblick auf die Gerechtigkeit beurteilt wird.135 Die distributive Gerechtigkeit bewertet Verteilungsfragen innerhalb der Gesellschaft.136 Dabei soll die Gerechtigkeit durch Zuweisung in Ansehung der Person (deren „Würdigkeit“) verwirklicht werden. 137 Die distributive Gerechtigkeit umfasst sowohl die Verteilung138 von Gütern und Rechten, als auch die Zuweisung von Lasten.139 Nicht zu Unrecht verweist Canaris darauf, dass die Zuteilung von Belastungen als Akt distributiver Gerechtigkeit sich in vielerlei Hinsicht spiegelbildlich zu derjenigen von Gütern verhält.140 Dennoch können der Zuweisung von Lasten und Gütern verschiedene normative Grundsätze zugrunde liegen und die Lasten auch unabhängig von der Güterzuordnung zugewiesen werden. Besonders eng mit der distributiven Güterzuordnung ist dabei die Zuweisung der mit den Gütern verbundenen Schadensrisiken verbunden. Vgl. Henkel, Rechtsphilosophie, S. 400, 416 f.; Larenz, Festschrift Nikisch, 275, 304; Looschelders/Roth, Methodik, S. 33 ff.; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 90. 134 Vgl. Jansen, Struktur, S. 80. 135 Vgl. Jansen, Struktur, S. 81; ähnlich Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 90. 136 Vgl. Canaris, iustitia, S. 10; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 404; Jansen, Struktur, S. 81; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 89. 137 Vgl. Canaris, iustitia, S. 11; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 89. 138 Teilweise wird noch das Erfordernis einer höheren, die Verteilung im Rahmen eines Über-Unterordnungsverhältnisses vornehmenden Instanz für die Qualifikation als Ausdruck distributiver Gerechtigkeit für erforderlich gehalten, vgl. etwa Canaris, iustitia, S. 10. Dagegen Jansen, Struktur, S. 83 f., der zutreffend darauf hinweist, dass dieses Verständnis die zweifelhafte Aussage beinhaltet, dass eine einvernehmliche Verteilung etwa eines Kuchens unter Geschwistern keine Verteilungsgerechtigkeit verwirklichen könnte. Den Ausführungen Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1131a f. ist dieses Erfordernis auch nicht zu entnehmen. 139 Vgl. Canaris, iustitia, S. 24; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 404, 409; Jansen, Struktur, S. 82; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 89. 140 Vgl. Canaris, iustitia, S. 24 f.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 403. 133

§ 7 Verschuldensprinzip und Risikozuweisung

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Die Verteilung des Zufallsrisikos kann als Gerechtigkeitsfrage jedoch nicht ohne ein ganzes Bündel an einfließenden distributiven und ausgleichenden Gerechtigkeitserwägungen beurteilt werden, da die Risikozuweisung selbst das komplexe Produkt aus gesellschaftlicher Struktur, Wirtschaftsordnung, zwischenmenschlicher rechtsgeschäftlicher Interaktionen141 und Haftungsrecht ist. Die ausgleichende Gerechtigkeit betrifft und beurteilt im Gegensatz hierzu eine konkrete Interaktion zwischen den Beteiligten. 142 Gegenstand kann eine konsensuale Interaktion wie ein Vertrag, aber auch eine ein- oder beiderseitig unfreiwillige Beziehung wie ein Delikt sein. Dabei soll die Gerechtigkeit gerade ohne Ansehung der beteiligten Personen beurteilt werden.143 Der ausgleichenden Gerechtigkeit liegt entsprechend sowohl eine andere Wertentscheidung, als auch eine andere Perspektive zugrunde. Ob eine Problemlage als gerecht oder ungerecht zu beurteilen ist, ergibt sich dabei – wie bereits angedeutet – nicht aus der iustitia distributiva oder commutativa bzw. correctiva selbst und kann deshalb nicht ohne Blick auf die Gesellschaftsstruktur und Verfassung erfolgen, welche als Bezugspunkt und Maßstäbe dem Gerechtigkeitsurteil zugrunde liegen. 144 Es ist beispielsweise unserer liberalen und auf Gleichheit ausgerichteten Gesellschaft sowie der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung geschuldet, dass die Güter- und Risikozuweisung, die nach dem aristotelischen Verständnis gerade in Ansehung der Person erfolgen sollte, größtenteils doch ohne Ansehung der Person erfolgt. Zwar soll der besonders Tüchtige und große Wagnisse Eingehende ein großes Vermögen anhäufen und behalten können, aber die Güterzuweisung nach Stand oder Herkunft wird heutzutage zu Recht als ungerecht empfunden. Es wurde bereits angesprochen, dass die Risikozuweisung als distributive Entscheidung durch das Haftungsrecht mitgestaltet wird, welches nach weit

141 Hierunter fallen etwa die meisten Gefahrtragungsnormen, die dem Ausgleich konkreter Interaktionen der Beteiligten dienen und somit vorrangig Ausdruck der ausgleichenden Gerechtigkeit sind. Diese Gefahrtragungsnormen beinhalten dabei, ähnlich wie das Haftungsrecht, allerdings durchaus auch distributive Wertungen und Wirkungen. Zu § 446 BGB als Ausprägung der ausgleichenden Gerechtigkeit Canaris, iustitia, S. 54 f. 142 Vgl. Jansen, Struktur, S. 81. 143 Vgl. Canaris, iustitia, S. 11; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 404; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 88. 144 So bezüglich der Gesellschaftsordnung bereits Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1131a; eingehend Canaris, iustitia, S. 16 f.; in diese Richtung auch Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 89 f.

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überwiegender Auffassung vorrangig der ausgleichenden Gerechtigkeit zugewiesen ist. 145 Nun ist schon häufiger146 und zuletzt eingehend von Jansen147 dargelegt worden, dass dem Haftungsrecht, obwohl es dem gerechten Ausgleich von Interaktionen dient, auch distributive Elemente immanent sind. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die ausgleichende Gerechtigkeit zwingend Bezugspunkte, die außerhalb des ausgleichspflichtigen Vorgangs liegen, wie einen Schaden, die Verletzung eines subjektiven Rechts oder eine Vermögensverschiebung, voraussetzt.148 Diese distributiven Umstände, die aus der Zuweisung von Gütern und Lasten in der Gesellschaft folgen, sind notwendige Bestandteile des Ausgleichs und es ist deshalb nicht möglich, das Haftungsrecht ausschließlich anhand der ausgleichenden Gerechtigkeit zu erklären. Jansen extrahierte aus dem Haftungsrecht – über die Güterverteilung als Anknüpfungspunkt – zwei distributive Vorentscheidungen.149 Zum einen die Bestimmung der Schutzinteressen, deren Beeinträchtigung grundsätzlich als ausgleichsbedürftig gilt, und zum andern die Bestimmung des Haftungsmaßstabs als Reichweite der haftungsrechtlichen Verantwortung. Dieser zutreffenden Erkenntnis lässt sich jedoch noch eine weitere Aussage distributiver Zuordnung entnehmen. Aus der Bestimmung des Haftungsmaßstabes ergibt sich nämlich als Kehrseite zugleich die Grenze fremder Verantwortung. Dies deutet auch Jansen an, indem er den Schuldgrundsatz als Verteilungsentscheidung bewertet. 150 Mit der angesprochenen positiven Bestimmung der Schutzgüter des Haftungsrechts geht zugleich eine positive Bestimmung der nicht geschützten Güter und Interessen einher. Fasst man die von Jansen herausgearbeiteten distributiven Entscheidungen des Haftungsrechts zusammen, so ergibt sich aus der Grenze fremder Verantwortung und damit der Einstandspflicht und der Versagung rechtlichen Schutzes durch Ausgleich das Eigenrisiko der Person als distributive Komponente des Haftungsrechts. 151

145 Vgl. Esser, Grundlagen, S. 69 ff.; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 411; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 354, 607; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 165, 189. 146 Vgl. Blaschczock, Gefährdungshaftung, S. 47; Canaris, iustitia, S. 14; Henkel, Rechtsphilosophie, S. 406, 413 f.; Schiemann, Argumente, S. 188. Andeutungsweise bei Wieacker, JZ 1957, 535, 537. 147 Vgl. Jansen, Struktur, S. 76 ff., insbes. 89 ff. und 123 f. 148 Vgl. Jansen, Struktur, S. 106. Die Ausgleichspflichtigkeit kann auch aus distributiven Gründen Einschränkungen erfahren, etwa um den Schutz bestimmter besonders schützenswerter Personengruppen zu erreichen (etwa §§ 827 f. BGB). 149 Vgl. Jansen, Struktur, S. 106. 150 Vgl. Jansen, Struktur, S. 106. Auch Bydlinski, Methodenlehre, S. 358 erachtet die Voraussetzungen der Haftung als Verteilungsentscheidung. 151 Dies beachtet Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 122 nicht hinreichend. Die Risikozuweisung als distributive Entscheidung klingt auch bei Leser, AcP 183 (1983), 568, 569 an.

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Es wäre aber auch überraschend, wenn das Haftungsrecht auf der einen Seite und die Güter- und Lastenzuordnung auf der anderen Seite nicht diese Verteilungsentscheidung als gemeinsamen Bezugspunkt hätten. Dem Haftungsrecht ist also die Zuweisung des Zufallsrisikos als distributive Entscheidung stets immanent. Man könnte auch sagen, dass die Verweigerung rechtlichen Schutzes durch Haftung und somit des Ausgleiches eine genuin distributive Entscheidung ist. Die Zuweisung der Last „Eigenrisiko“ ist dabei das Produkt zweier Verteilungsentscheidungen und entsprechend in diesen beiden Beziehungen auf ihren Gerechtigkeitsgehalt zu untersuchen. b. Der Gerechtigkeitsgehalt der Risikozuweisung Bei der Untersuchung des Gerechtigkeitsgehalts der mit dem Verschuldensprinzip verbundenen Risikozuweisung muss zweistufig vorgegangen werden. Zunächst ist zu hinterfragen, ob es überhaupt eine gerechte Risikoverteilung ist, das Zufallsrisiko kongruent zur Güterzuweisung zuzuweisen. Erst danach kann überprüft werden, ob die mit dem Zurechnungsprinzip Verschulden verbundene Zuweisung von Verantwortung und dazu spiegelbildlich des Eigenrisikos mit dem Gedanken der iustitia distributiva zu vereinbaren ist. Nur wenn beide Verteilungsentscheidungen als gerecht zu beurteilen sind, kann die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Risikozuweisung mit dem Prädikat distributiv gerecht versehen werden. aa. Die Verbindung von Rechtsträgerschaft und Zufallsrisiko Die Zuweisung von Lasten wie Erhaltungskosten, Steuern, aber auch Verlustund Beeinträchtigungsrisiken zu dem mit den Vorteilen der Güterzuordnung Bedachten kann und wird, zumindest soweit aus diesen keine Existenzvernichtung droht, als gerechte Verteilung verstanden werden. Demjenigen, der die Vorteile einer Position umfassend zugeteilt bekommt,152 sollten im Ausgangspunkt 153 gerechterweise auch die mit dieser Position verbundenen Nachteile proportional und somit ebenfalls umfassend zugewiesen sein. Ausnahmsweise kann sich jedoch aus den Eigenschaften der Person, wie deren Hilfs- oder Schutzbedürftigkeit, das Bedürfnis einer abweichenden Verteilung der Lasten

Vgl. etwa den Zuweisungsgehalt des Eigentums gem. § 903 BGB. Greift eine andere Person eigenverantwortlich (zurechenbar) in die Güterzuordnung ein, so ist es ein Gebot ausgleichender Gerechtigkeit, dass der hierdurch begründete Schaden von ihr getragen werden muss. An diesem Verhältnis kann nochmals verdeutlicht werden, dass sich aus der Qualifikation der Risikozuweisung zum Rechtsträger als gerecht keine Wertung zugunsten einer Zurechnung des Schadens trotz Verantwortlichkeit des Schädigers entnehmen lässt. Ein entsprechendes Wertprinzip lässt sich hieraus nicht begründen. 152

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ergeben. 154 Ohne solch einen rechtfertigenden Grund würde eine von der Güterzuordnung abweichende Zuteilung der Lasten zu einer anderen Person, etwa im Sinne einer Regelung „Den As sind die Güter der Gattung X zugewiesen. Sie dürfen mit dieser nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Die Kosten der Erhaltung tragen die Bs und diese leisten Ersatz im Falle des zufälligen Untergangs“,

wohl von jedem zu Recht als grob ungerecht empfunden werden. Durch die Güterzuteilung erlangt der Rechtsträger die Rechtsmacht und auch die Möglichkeit, das Gut zu nutzen. Die zu diesen Vorteilen korrespondierenden Nachteile, also Pflichten und Risiken, kongruent zu den Vorteilen zu verteilen, kann, wenn man an der Zuteilung des Guts anknüpft, als Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit verstanden werden. 155 Da die Existenz der Güter das Risiko bedingt, erscheint es legitim, die Folge mit der Ursache, den Nachteil mit dem Vorteil zu verbinden. Derartige Erwägungen ausgleichender Gerechtigkeit, bei der Bewertung der Zuweisung des Zufallsrisikos als Verteilungsentscheidung zu berücksichtigen, ist keineswegs ungewöhnlich oder verfehlt,156 da beide Gerechtigkeitsformen häufig wechselbezüglich wirken. Es stellt sich regelmäßig anlässlich von Verteilungsvorgängen die Frage der Ausgleichsbedürftigkeit, ebenso wie der Ausgleich von Interaktionen Verteilungsfragen aufwerfen kann. 157 Zugleich verwirklicht diese Zuweisung der Risiken als solche Verteilungsgerechtigkeit im Sinne von Belastungsgerechtigkeit. 158 Zunächst ist die Zuweisung des Risikos nicht distributiv ungerecht, weil es keine überzeugende Rechtfertigung dafür gibt, das spezifische Risiko einer anderen Person zuzuweisen. Wer von all den grundsätzlich Gleichen soll das Risiko tragen und vor allem warum? Mit dieser Erkenntnis ist jedoch noch nicht positiv begründet, warum gerade der Rechtsträger das Risiko tragen soll. Insoweit ist festzustellen, dass der durch die Güterzuordnung Begünstigte hinsichtlich der Belastung mit dem mit den Gütern verbundenen Risiko relativ am würdigsten erscheint. 154 Ausnahmen und somit eine abweichende Zuteilung des Risikos auf der Grundlage individueller „Würdigkeit“ sind insbesondere bei stark benachteiligten Personen geboten. Deren Hilfsbedürftigkeit rechtfertigt etwa eine an sich ungleiche, aber gerade dadurch gerechte Verteilung in der Form einer leistungsunabhängigen Garantie des für das Existenzminimum notwendigen Güterstandes in Verbindung mit einer versicherungsgleichen Verlagerung des Verlustrisikos auf das Kollektiv auf der Basis des Sozialstaatsprinzips. 155 Vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 122. In diese Richtung auch Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 292 f. 156 Vgl. hierzu Canaris, iustitia, S. 14; Bydlinski, Methodenlehre, S. 360; Henkel, Rechtsphilosophie S. 406, 413. 157 Zu Letzterem Jansen, Struktur, S. 119. 158 Anders Rümelin, Schadenszurechnung, S. 14, der die Risikozuweisung (casum sentit dominus) als „nothwendiger Verzicht auf eine im höchsten Sinne gerechte Vertheilung der Lebensgüter“ betrachtet.

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Der Rechtsträger erlangt durch die Güterordnung, über die formelle Stellung hinaus, die rechtliche Befähigung, auf der Grundlage seines Rechts zu wirtschaften, sowie tatsächlich Vorsorge für den Beeinträchtigungsfall zu betreiben, etwa durch die risikorelevante Wahl des Gebrauchs des Rechts, oder durch Versicherung oder Rückstellungen. Ob der Rechtsträger diese Möglichkeit nutzt oder im konkreten Einzelfall überhaupt nutzen kann, ist dabei unerheblich, da ihm durch seine Stellung zum einen die allein maßgebliche Chance dazu und zum andern die erforderliche Rechtsmacht 159, um diese Chance zu verwirklichen, exklusiv zugewiesen ist. Auch die Grenzen des auf Ausgleich von Interaktionen ausgerichteten Haftungsrechts bestätigen diese Beurteilung als distributiv gerecht. Die Überwälzung eines Schadens auf eine andere Person bedarf als Akt ausgleichender Gerechtigkeit einer rechtfertigenden Verbindung zwischen dem Nachteil und dem Haftungssubjekt (Interaktion). Ohne eine diese Verbindung herstellende normative Verantwortung für den Beeinträchtigungserfolg wäre die Folgenabwälzung auf genau dieses Subjekt willkürlich und somit ungerecht.160 Nur, wenn der Haftungsadressat für den Erfolg verantwortlich ist, also zurechenbar in die zu achtende Güterlage einer anderen Person eingreift, ist es gerechtfertigt, von genau diesem einen der Gleichen zu verlangen, die Folgen des Eingriffs auszugleichen. Dies gilt natürlich auch, wenn eine Person unabhängig von Fehlverhalten für ein bestimmtes Risiko verantwortlich gemacht werden soll. Ohne eine hinreichende Verbindung zwischen dem konkreten Haftungssubjekt und dem auferlegten Risiko wäre diese Belastung, unabhängig davon, ob sie ihrerseits auf Verteilung161 oder Ausgleich beruht, dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt. Deswegen müssen auch mit einer Haftpflicht belegte Risiken, beispielsweise im Rahmen der Gefährdungshaftung, stets dem Haftungsadressaten zugerechnet werden, was hier an anderer Stelle als Risikoverantwortung bezeichnet wurde.162 Erst über diese Brücke kann der konkrete Verletzungserfolg seinerseits zugerechnet und so dessen Ausgleichpflicht für das bestimmte Haftungssubjekt gerechtfertigt werden. Die vorangegangenen Ausführungen bestätigen somit den absoluten Gerechtigkeitsgehalt des bereits mehrfach angesprochenen Strukturprinzips der zweiseitigen relativen Rechtfertigung im 159 Hierunter fallen sowohl die negatorischen als auch die quasinegatorischen Ansprüche sowie etwa Vindikation, Nichtleistungskondiktion, Haftung und weitere Ansprüche. 160 Vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit, S. 123; Zippelius, Rechtsphilosophie, S. 172; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 472. Dies verkennt v. Gierke, Aufgabe, S. 25, wenn er es als Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit erachtet, dass der Verursacher für den Schaden haften solle, soweit dies nicht mit einer unbilligen Härte verbunden ist. Zur Ungeeignetheit von Verursachung und damit Kausalität zur Verantwortungsbestimmung bereits oben S. 105 und S. 198 ff. 161 Deswegen ist es unzutreffend, wenn Esser, Grundlagen, S. 74 behauptet, dass die Zurechnungsmöglichkeit gar keine Essentialia der Schadensverteilungsfrage sei. 162 Siehe oben S. 153.

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Zivilrecht.163 Das Gleichheitsgebot erzwingt entsprechend, sofern ein Individuum und nicht etwa das Kollektiv belastet werden soll, die Zuweisung des Risikos grundsätzlich entsprechend der Güterordnung vorzunehmen, um dem Ziel der Gerechtigkeit zu entsprechen. bb. Die Risikozuweisung durch das Verschulden Der Gerechtigkeitsgehalt der Risikozuweisung, die durch das Verschuldensprinzip begründet wird, leitet sich aus den Verteilungsentscheidungen ab, die dem Zurechnungsprinzip selbst zugrunde liegen. Maßgeblich ist nicht, wie zuweilen formuliert wird, dass ein jeder sein allgemeines Lebensrisiko und sein Schicksal selbst zu tragen hat. 164 Insoweit handelt es sich lediglich um eine unselbstständige Aussage anderer Wertungen, die durch unsere Gesellschaft, Wirtschaftsordnung und Verfassung vorgegeben werden. 165 Maßgeblich ist die dem Verschuldensprinzip zugrunde liegende Abwägung aller wechselseitigen Interessen, die als gerecht zu beurteilen ist. Indem die diese Interessen verkörpernden Wertprinzipien, 166 die auf der Prinzipienebene kollidieren, entsprechend ihrem relativen Gewicht in Ausgleich gebracht werden, werden die Verantwortung durch Fehlverhalten und das spiegelbildliche Eigenrisiko gerecht zugewiesen. 167 Der Grenzverlauf zwischen der Verantwortung des einen Individuums und dem Risiko des anderen spiegelt eine Verteilung von Gütern, Schutz und Freiheiten wieder, die mittels Abwägung, die die relative Position des Einzelnen in der Gemeinschaft berücksichtigt, in Ausgleich gebracht werden muss. Ist die Gerechtigkeitsfrage vor dem Hintergrund unserer Gesellschaft- und Wirtschaftsordnung sowie der Verfassung, die gerade keinen schematischen Vorrang einer grundrechtlich geschützten Position anordnet, 168 zu beurteilen, so kann nur eine entsprechende Zuweisung von Verantwortung und Risiko als distributiv gerecht beurteilt werden. Der Konflikt zwischen Güterschutz und 163 Vgl. Bydlinski, System, S. 92 ff.; dens., AcP 204 (2004), 309, 341 ff.; Canaris, iustitia, S. 91 Fn. 192. Dabei ist zu beachten, dass dieser Gerechtigkeitsgehalt nicht aus dem Prinzip selbst herrührt, sondern aus den ihm zugrunde liegenden Wertprinzipien und dabei insbesondere dem Gleichheitsgebot. Zu diesem Strukturprinzip bereits S. 108 f. 164 Vgl. etwa Canaris, iustitia, S. 91; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 351. 165 So auch Weyers, Unfallschäden, S. 487. 166 Die Wertprinzipien werden ihrerseits aus der Rechtsidee und insbesondere dem Gerechtigkeitsgedanken selbst gewonnen, vgl. Englisch, Wettbewerbsgleichheit, S. 37; Canaris, Systemdenken, S. 46 f. i. V. m. S. 13 ff., 21 f. 41. 167 Die Verbindung zwischen den Gerechtigkeitsgedanken, Prinzipienebene, Abwägungsund Optimierungsgebot sieht auch Canaris, iustitia, S. 22 f. Bydlinski, Rechtsgrundsätze, S. 140 ff., 156 f., 157 ff., 291 f.; ders., System, S. 87 ff., ders., Methodenlehre, S. 337 ff. ordnet die Gerechtigkeit selbst der obersten fundamentalen Prinzipienschicht zu. 168 Zu der Wirkung der Grundrechte als abwägungsbedürftige Prinzipien eingehend Alexy, Theorie, passim.

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individueller Handlungsfreiheit, Selbstverantwortung und wechselseitigem Vertrauen, der durch die Zuweisung von Gütern und Freiheiten begründet wird, wird durch den inhaltlich flexiblen Sorgfaltsmaßstab in ausgewogener Weise aufgelöst. Keine der widerstreitenden Positionen kann absolut gewährt werden. Vielmehr ist das Abwägungsgebot in Verbindung mit dem Gebot zur Optimierung bereits darin enthalten, dass die Positionen selbst anerkannt und zugewiesen werden. Nur eine Abwägung relativ zum Gewicht der gleichwertigen Positionen, die entsprechend ihrer Betroffenheit erfolgt, verwirklicht das allgemeine Gleichheitsgebot im Sinne von Proportionalität und begründet so Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne. So würde beispielsweise ein absoluter Güterschutz die Handlungsfreiheit der anderen massiv beschränken, wenn nicht sogar durch die Summe der Beschränkungen leerlaufen lassen. Etwa wäre die gewerbliche Herstellung von Küchenmessern, Baseballschlägern oder anderen gefährlichen Gegenständen bei einem absoluten Integritätsschutz, wegen dem mit diesen Gegenständen verbundenen Verletzungspotenzial, schlicht ausgeschlossen. Die Abwägung und die Optimierung kollidierender Positionen sind zwingend einzubeziehen, wenn der Gerechtigkeitsgehalt beurteilt wird, weil eine Betrachtung, die auf eine einzelne zugewiesene oder zuzuweisende Position beschränkt ist, infolge des bereits vorprogrammierten Konflikts innerhalb der Gesellschaft zwangsläufig defizitär wäre und ihrerseits das Gleichheitsgebot verletzen würde.169 Bereits aus der Zuweisung des Schutzgutes selbst resultieren Spannungen zwischen den Rechtsträgern. Beispielsweise kollidieren die Nutzungsbefugnisse von individuell exklusiv zugewiesenem Eigentum regelmäßig, was in den §§ 903 ff. BGB und dabei insbesondere in § 906 BGB eine eingehende und notwendige Regelung erfahren hat. Sogar beschränkt auf das einzelne Subjekt müssen die kollidierenden Interessen in die Abwägung einbezogen werden, um die Würdigkeit zu bestimmen. Etwa wirkt sich eine zugewiesene Last auf die Güterordnung und Handlungsfreiheit des Belasteten aus, weswegen die Zuweisung überhaupt nur angemessen beurteilt werden kann, wenn dieser Einfluss berücksichtigt wird. Ob distributive Entscheidungen als solche gerecht und die Interaktionen aus entsprechenden Erwägungen ausgleichsbedürftig sind, lässt sich somit nur aufgrund einer umfassenden Abwägung beurteilen. Zwar könnten deswegen Bedenken am Gerechtigkeitsgehalt der Verschuldenszurechnung bestehen, weil es aufgrund des durch Abwägung gewonnenen Verschuldensbegriffs170 variiert, „wie viel“ Zufallsrisiko der Einzelne zu tragen hat. Gerade diese flexible Zuweisung nach dem relativen Gewicht der Schutzgüter, Freiheitsinteressen usw. im Einzelfall berücksichtigt jedoch die 169 Bydlinskis Behauptung (ders., Methodenlehre, S. 362), dass im von Gleichordnung geprägten Zivilrecht sich das Problem der Freiheitssicherung nicht stelle, erweist sich insoweit als unzutreffend. 170 Vgl. hierzu S. 139 ff.

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wechselseitigen Interessen angemessen und weist die Belastungen nach einem gerechten, da auf Proportionalität und Verhältnismäßigkeit bedachten Verteilungsschlüssel zu. Deshalb muss das Urteil von Esser, die Verschuldenszurechnung verzichte auf eine Ordnung des Zufallsschadens, 171 als unzutreffend zurückgewiesen werden. Die Zuweisung erfolgt wertungsmäßig fundiert und grundsätzlich distributiv gerecht. Es kann und soll allerdings nicht behauptet werden, dass die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Risikoverteilung ausnahmslos gerecht ist.172 Der Verteilungsschlüssel der Verschuldenshaftung versagt in bestimmten Konstellationen, die uns unter anderem aus der Gefährdungshaftung, der Aufopferungshaftung oder der Vertrauenshaftung bekannt sind. In diesen Konstellationen hat die Abwägung der Interessen durch ein größeres Gewicht unterschiedlicher Wertprinzipien abweichend zu erfolgen. Deshalb ist eine abweichende Verantwortungszuweisung angezeigt und eine verschuldensunabhängige Haftung indiziert. Fehlen geeignete Haftungstatbestände, so muss dies im jeweiligen Einzelfall als Gerechtigkeitsdefizit kritisiert werden. Der Umfang dieses Defizits wird allerdings – insbesondere hinsichtlich der Überspannung von Verkehrspflichten173 – deutlich überschätzt. Als Grundsatzentscheidung und ebenfalls in den allermeisten Fällen ist die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Risikozuweisung als gerecht zu beurteilen. c. Ergebnis Als Ergebnis ist festzustellen, dass zum einen die Zuweisung des Zufallsrisikos zum Träger des jeweiligen Rechtsguts als gerecht im Sinne der iustitia distributiva beurteilt werden kann. Der mit den Vorteilen einer Rechtsposition Bedachte ist am würdigsten, die mit der Existenz derselben verbundenen Last des Zufallsrisikos zu tragen. Und auch die Grenzziehung, die durch das Verschuldensprinzip zwischen Verantwortung und Zufall begründet wird, kann als korrespondierende, eigenständige Verteilungsentscheidung174 als im Grunde gerecht beurteilt werden. Diese berücksichtigt alle widerstreitenden Positionen umfassend und gleicht diese durch Abwägung aus. Da sowohl die personelle Zuweisung des Zufallsrisikos als auch dessen Umfang jeweils das Prädikat verwirklichter Gerechtigkeit verdienen, muss auch die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Zuweisung des Zufallsrisikos als solche als distributiv gerecht beurteilt werden.

Esser, Grundlagen, S. 73. Vgl. etwa Looschelders, VersR 1996, 529, 534. 173 Vgl. zu den Verkehrspflichten auch eingehend S. 274 ff. 174 Vgl. Jansen, Struktur, S. 106.

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§ 8 Abkehr vom Verschulden? „Niemand ist für seine Taten verantwortlich, niemand für sein Wesen; richten ist soviel als ungerecht sein.“ (Friedrich Nietzsche 1)

Die konzeptionelle Vorherrschaft des Verschuldensprinzips wird mittlerweile als bedroht und in der Auflösung befindlich angesehen. 2 Ein Blick auf das Gesetz und die Rechtsprechung erweckt den Eindruck, dass sich das Haftungsrecht vom Verschuldensprinzip abzuwenden scheint. So wird in der vertraglichen Haftung das Verschulden generell vermutet und die Garantieelemente nehmen stetig zu. Zugleich vermehren sich in der außervertraglichen Haftung die Gefährdungshaftungstatbestände immer weiter und die Verkehrspflichten, die der Gefährdungshaftung scheinbar stark angenähert sind,3 werden immer stärker betont. Vor diesem Hintergrund drängt sich das Gefühl auf, dass die Aussage Jherings, „nicht der Schaden verpflichtet zum Schadensersatz, sondern die Schuld“4 zur Rechtsgeschichte zu werden droht. 5 So wie im römischen

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Zitat nach Schlechta, Werke I, S. 481 (Nr. 39). Aus die Fabel von der intelligiblen Frei-

heit. 2 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn. 21, „Korrosion der Culpa-Doktrin“; ders. Haftungsrecht, S. 16 und 21 „in seiner Bedeutung stark eingeschränkt“; v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 12: Es bestehe die Gefahr, dass die Verschuldenshaftung denaturiere und zur Haftung für „negligence without fault“ umgestaltet werde; Edlbacher, Festschrift Wilburg 60, 81, „Krise des Haftungsgrundes des Verschuldens“; Jansen, Struktur, S. 376 ff. „Krise des Verschuldensaxioms“; Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123, 126 „Erosion des Schuldprinzips“; ähnlich Meder, JZ 1993, 485, 490, „Erosion des Verschuldensprinzips“; HKK/Schermaier, Vor § 276 Rn. 12 ff. „Die Krise des Verschuldensprinzips“. 3 OLG Düsseldorf, VersR 1975, 159; vgl. auch Laufs, Unglück, S. 21 und bes. 23 f., der von einer Annäherung an die Gefährdungshaftung durch Beweisregeln und verschärfte Verkehrspflichten spricht; Pick, Verkehrspflichten, S. 3: „Aufgrund der hohen Sorgfaltsanforderungen, die die Rechtsprechung an die Verkehrspflichtigen stellt, kommen sie nicht selten einer Gefährdungshaftung gleich“. 4 V. Jhering, Verschuldensmoment, S. 40. 5 So für das Vertragsrecht Schneider, Abkehr, S. 479.

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Recht, unter dem Eindruck einer gewandelten Moralvorstellung, das Verschulden zum vorrangigen Zurechnungsgrund erhoben wurde, 6 so tritt heute scheinbar eine gegenteilige Entwicklung ein. Bedingt durch eine erneut gewandelte Moralvorstellung sowie Erwartungshaltung der Gesellschaft wird verstärkt befürwortet, dass der Geschädigte auch ohne Schuld des Schädigers seinen Schaden ersetzt bekommen soll. 7 Das Verschuldensprinzip als Leitbild scheint sich überlebt zu haben. Sogar das Verschuldensprinzip als solches scheint nur noch ein Schatten seiner selbst zu sein. Ursprünglich beinhaltete das zivilrechtliche Verschulden, wie das strafrechtliche, das dessen Wurzel ist, 8 den ethischen und sittlichen Vorwurf falschen Verhaltens gegenüber dem Täter. Es stellte somit ein Zurechnungsprinzip mit subjektiven Maßstäben dar, 9 das am Haftungssubjekt als Individuum anknüpfte. Es galt, wie Nipperdey es ausdrückte: „Das Verschulden begründet nicht ein Unwerturteil über die Tat, sondern über den Täter“.10 Im Laufe der Fortentwicklung des Zivilrechts hat sich das zivilrechtliche Verschulden jedoch, als Folge der Trennung von Strafe und Schadensersatz, von dem an persönliche Vorwerfbarkeit anknüpfenden subjektiven Verschulden wegentwickelt. Folge dessen war ein Funktionswandel des Verschuldensgedankens, weg von subjektiver Vorwerfbarkeit und damit individualistischer, pönal-präventiver Orientierung, 11 hin zu normativ begründeter Verantwortung, die daran anknüpft, dass objektive Verhaltensgebote verletzt wurden. Man könnte deshalb auf die Idee kommen zu behaupten, das zivilrechtliche Verschuldensprinzip selbst sei – zumindest in Teilen – zu einem System der Zurechnung anhand von reinen Risikoerwägungen degeneriert. Dieses sei also von der die Schuld tragenden Selbstverantwortung entkoppelt. Der Name des

Dazu S. 54 ff. Dazu Großfeld, Zivilrecht, S. 20 f.; Jansen, Struktur, S. 9; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 8; Katzenmeier, AcP 203 (2003), 79, 114; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 8; Laufs, Unglück, S 11; Leser, AcP 183 (1983), 568, 569; Meder, Schuld, S. 27 f.; Pick, Verkehrspflichten, S. 10 ff., der auch zu weiteren Ursachen Stellung nimmt; Zöllner, AcP 188 (1988), 85, 95. 8 Vgl. § 2 (S. 39 ff.). 9 Bereits zu dieser Zeit beinhaltete das Verschulden jedoch Elemente objektiver Zurechnung. Eine Tat auf den Willen des Täters im Falle unbewusster Fahrlässigkeit – also des „Wissen-müssens“ – zurückzuführen, ist nicht möglich, ohne zu beurteilen, was – unabhängig vom tatsächlichen Gebrauch – als Gegenstand der Willensbildung möglich gewesen wäre. Da der Täter unter den gleichen Umständen immer gleich handeln würde, muss der subjektive Vorwurf entsprechend in erheblichem Umfang an objektive Umstände anknüpfen. In diese Richtung bereits Larenz, Zurechnungslehre, S. 68, 78 ff.; Deutsch, Festschrift Honig, 31, 36. 10 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 1321 f. 11 Kramer, AcP 171 (1971), 422, 428. 6

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§ 8 Abkehr vom Verschulden?

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Prinzips wäre dann sogar irreführend. Handelt es sich bei diesem Verschuldensprinzip also tatsächlich um das eigentlich alternative Risikoprinzip, nur eben unter dem „Deckmantel“ des Verschuldens? 12 In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, ob sich die zivilrechtliche Zurechnungsdogmatik in der Verschuldenshaftung vom Verschuldensprinzip gelöst hat. Dazu soll untersucht werden, ob ein objektiver Sorgfalts- und damit Fahrlässigkeitsmaßstab nicht am Ende eine Haftung für Schadensereignisse begründet, die aus der Sicht des Haftungssubjekts nicht verschuldet und somit zufällig sind (I.). Diese Vermutung drängt sich insbesondere hinsichtlich derjenigen auf, die aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften hinter den Fähigkeiten des Durchschnittsmenschen oder sogar ihres Verkehrskreises zurückbleiben. Diesen kann nämlich ihre Unzulänglichkeit nicht vorgeworfen werden. Eine selektive Zufallshaftung ausgerechnet der Schwächsten der Gesellschaft müsste dabei, schon aus moralischer Sicht, als besonders bedenklich erscheinen. Zudem soll hinterfragt werden, ob die formell der Verschuldenshaftung zugeordneten Verkehrspflichten das Deliktsrecht vom Verschulden teilweise entkoppelt haben (II.). Es wird insoweit dem schon häufiger geäußerten Verdacht nachgegangen, dass diese Pflichten aufgrund ihrer Schärfe eine systemwidrige Haftung für Schadensereignisse begründen, die nach dem Verschuldensprinzip eigentlich nicht zu verantworten sind, wodurch eine „versteckte“ Risiko- oder Gefährdungshaftung etabliert wird. 13

I. Die objektive Fahrlässigkeit – Zufallshaftung und schreiende Ungerechtigkeit? Dem Haftungssubjekt kann kein persönlicher Vorwurf gemacht werden, wenn dieses aufgrund seiner individuellen Fähigkeiten nicht imstande war, den objektiven Verhaltensgeboten des Rechts zu genügen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine verantwortungsbegründende Zurechnung gerechtfertigt ist, wenn die Haftungsnorm doch Verschulden voraussetzt. Ein objektiver Fahr-

So etwa Jansen, Struktur, S. 444, der darauf verzichtet, dem Schädiger einen rechtlichen oder gar moralischen Vorwurf zu machen, sondern stattdessen eine rein ersatzorientierte Zuweisung von Schadensrisiken vertritt, wodurch er das Risikoprinzip als einziges Zurechnungsprinzip anerkennt: „[das] heute tatsächlich geltende Haftungsrecht, das ersatzorientiert die Zuweisung von Schadensrisiken leistet“. Ders., a.a.O. S. 445: „Es geht nicht darum, ob eine Haftung eine angemessene Sanktion für ein Fehlverhalten bildet, sondern um die Entscheidung, ob bestimmte Risiken dem Geschädigten oder seinem Schädiger zugewiesen werden sollten“. Im Hinblick auf die Verkehrspflichten vgl. dens., a.a.O. S. 557. 13 Vgl. Esser, JZ 1953, 129; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 130; Stürner, VersR 1984, 297, 299; Laufs, Unglück, S. 21; Westen, Festschrift Hippel, 591 ff.; Will, Quellen, S. XXXIV. 12

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

lässigkeitsmaßstab würde die Individualität des Zurechnungssubjekts nicht berücksichtigen und unabhängig von der subjektiven Vorwerfbarkeit eine Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip begründen. Dies erscheint aufgrund der allgemeinen Vorstellung von Verschulden bedenklich. Solch eine Fahrlässigkeit erweckt eher den Eindruck, eine bloße Risikohaftung bei objektiv nicht „verkehrsgerechtem“ Verhalten zu sein. Deckt sich das objektive Verschulden nicht mit dem gesetzlichen Verschuldensbegriff, der echte Schuld voraussetzt, so wäre die Rechtsanwendung dem Vorwurf ausgesetzt, Verantwortung ohne das erforderliche normative Fundament zuzuweisen und letztendlich für Zufall haften zu lassen. 14 1. Bedenken gegen ein objektives „Verschulden“ Zunächst muss die Aussage, dem deutschen Haftungssystem liege ein objektiver Fahrlässigkeitsmaßstab zugrunde, relativiert werden. Es handelt sich nicht um einen rein objektiven Maßstab. Vielmehr ist es, wie Wagner es ausdrückt, ein komplexes Mischsystem, das von den Fähigkeiten eines verständigen Durchschnittsmenschen ausgeht und mehrere Einfallstore für Subjektivierungen bereithält, durch welche die objektiven Anforderungen an die Fähigkeiten des Handelnden angepasst werden.15 Die wichtigste dieser Subjektivierungen ist, dass die Sorgfaltsanforderungen nach Verkehrskreisen bestimmt werden. 16 Dieser typisiert-objektive Sorgfaltsmaßstab ist für das Vertragsrecht allen europäischen Rechtsordnungen gemein und auch für das außervertragliche Haftungsrecht vorherrschend. 17 Er wurde entsprechend in Art. 4:102 Abs. 1 PETL und VI.–3:102 lit. b DCFR vorgesehen. 18 Durch die Anzahl und die Ausdifferenzierung der Verkehrskreise im deutschen Recht nähert sich der typisiert-objektive Sorgfaltsmaßstab19 dem subjektiven Sorgfaltsmaßstab erheblich an. 20 Haberstroh beschreibt dies passend als einen unausgesprochenen Kompromiss zwischen einem rein objektiven Sorgfaltsmaßstab und dem Verständnis von Verschulden im Sinne von Vorwerfbarkeit.21 Weitere subjektive Momente werden über die §§ 827 f. Dies deutet Meder, Schuld, S. 156 an. In diese Richtung auch Brodmann, AcP 99 (1906), 327, 345 f. 15 MünchKommBGB/Wagner, § 823, Rn. 40; vgl. auch dens., in: Zimmermann (Hrsg.), Grundlagen, 189, 260 f. 16 Vgl. Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 905; MünchKommBGB/Wagner, § 823, Rn. 40; Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 87 ff., 91. 17 Vgl. Ranieri, Obligationenrecht, S. 608 Fn. 96 und S. 1442 ff.; Wagner, in: Zimmermann (Hrsg.), Grundstrukturen, 189, 256 ff. 18 Vgl. Widmer, PETL, Art. 4:102 Rn. 5. 19 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 259; ders. AcP 202 (2002), 889, 894. 20 Larenz, Schuldrecht I, § 20 III, S. 285; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 45 f.; zurückhaltender Koziol, AcP 196 (1996), 593, 599. 21 Haberstroh, VersR 2000, 806, 807. 14

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BGB berücksichtigt, indem die Haftung bei besonders gravierenden Defiziten bei der Selbststeuerung ausgeschlossen wird. Gleichwohl vermag ein gewisser Anteil des maßgeblichen Verkehrskreises, dessen Defizite unterhalb der Schwelle der §§ 827 f. BGB verbleiben, die Sorgfaltsanforderungen nicht zu erfüllen. Diese Personen sind deshalb aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften stets mit Haftung bedroht. Diese Konsequenz der objektivierten Sorgfaltspflichten war schon immer Anlass heftigster Kritik. So beklagte etwa Brodmann22: „Daß aber Jemanden die Außerachtlassung einer Sorgfalt zugerechnet werden soll, deren er nach seiner Anlage einfach unfähig ist, erscheint mir als schreiende Ungerechtigkeit. Auch hier läuft die ganze Lehre auf jene barbarische Haftung für reine Verursachung hinaus.“

Diesem scheinbaren Gerechtigkeitsdefizit wird von den Befürwortern der objektiven Fahrlässigkeit entgegengehalten, dass eine Objektivierung des Verschuldens im Zivilrecht aufgrund des Vertrauensgrundsatzes notwendig und auch geboten sei. 23 Jeder Teilnehmer am Rechtsverkehr müsse darauf vertrauen können, dass jeder andere Teilnehmer mit derjenigen Sorgfalt vorgeht, die man von dem entsprechenden Personenkreis erwarten dürfe. 24 Deshalb bewertet etwa Rümelin den objektiven Verschuldensbegriff im Privatrecht als „technische[n] Fortschritt allerersten Ranges“.25 Die Objektivierung der Zurechnung bewegt einige Vertreter der Literatur dazu, hinsichtlich der Grundlagen der „Verschuldenshaftung“ zu differenzieren. Die Einstandspflicht wird, soweit das schadensstiftende Ereignis individuell vermeidbar war, von den entsprechenden Autoren weiterhin als Verschuldenshaftung aufgefasst. In ihrer objektiven Ausprägung wird die Fahrlässigkeit, wie repräsentativ durch Brüggemeier, als „Nicht-Mehr-Verschuldenshaftung“ verstanden. 26 Es soll sich um eine Garantie- oder Risikohaftung hinsichtlich der erforderlichen Durchschnittsfähigkeiten handeln. 27 Derartige Qualifi-

Brodmann, AcP 99 (1906), 327, 354. Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 137 f.; Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 60 f.; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 140 und 310; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 84; Larenz, Festschrift Wilburg 60, 119, 126; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 252; Leser, AcP 183 (1983), 568, 588 ff.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 29; dazu sogleich. 24 Vgl. Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 252; Leser, AcP 183 (1983), 568, 588 ff.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 29; Schneider, Abkehr, S. 127. Andeutungsweise auch Widmer, PETL, Art. 4:102 Rn. 9. 25 Rümelin, Schadensersatz, S. 19. 26 Brüggemeier, AcP 182 (1982), 385, 441. 27 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrecht, Rn 113; dens. AcP 182 (1982), 385, 441; Jansen, Struktur, S. 445; Soergel12/Wolf, § 276 Rn. 76; für das Vertragsrecht U. Huber, Leistungsstörungen I, S. 670 f.; Schneider, Abkehr, S. 127 f.; vgl. auch Larenz, Schuldrecht I, § 20 III, S. 287, „Risikohaftung für den Mangel an Leistungsfähigkeit“; ebenso Hübner, Scha22

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

kationen weisen auf den bedenklichen Umstand hin. Nicht die persönliche Vorwerfbarkeit des Verhaltens und damit individuelle Schuld, sondern ein anderer, objektiver Zurechnungsgrund soll die objektivierten Sorgfaltspflichten und somit die Haftung rechtfertigen, womit die eingangs geäußerten Bedenken bestätig würden. 2. Objektive Fahrlässigkeit ist zivilrechtliches Verschulden Innerhalb der Verschuldenshaftung zwischen dem subjektiven Verschuldensprinzip und einem anderen Prinzip rein objektiver Erfolgszurechnung zu differenzieren, ist nicht erforderlich. Das vereinzelt verspürte Bedürfnis, die objektive Verschuldenshaftung als Garantie- oder Risikohaftung zu verstehen, beruht darauf, dass der Begriff „Verschulden“ scheinbar unauflöslich mit echter Willensschuld verbunden wird, obwohl diese Verknüpfung im Zivilrecht längst überholt ist. Es ist infolge der Relativität der Rechtsbegriffe durchaus möglich, das zivilrechtliche Verschulden vom strafrechtlichen zu unterscheiden und auf persönliche Vorwerfbarkeit zu verzichten. 28 Dem zivilrechtlichen Verschulden liegt schlicht ein im Ausgangspunkt objektiver Maßstab zugrunde. Rechtsbegriffe sind stets teleologisch zu bestimmen, 29 weswegen insbesondere in unterschiedlichen Rechtsgebieten die Begriffsbildung abweichend erfolgen kann.30 Maßgeblich ist demnach, welcher Zweck mit der Verschuldenszurechnung jeweils verfolgt wird. Dabei ist wiederum entscheidend, welche Vorgaben die dem jeweiligen Verschulden zugrunde liegende Prinzipienrelation macht. 31 a. Der Zweck des Verschuldens im Straf- und Zivilrecht Zunächst ist festzustellen, dass sich Strafrecht und ziviles Haftungsrecht sowohl in der Zwecksetzung, als auch in der Perspektive grundlegend voneinander unterscheiden. Dem Strafrecht liegt das Verhältnis Staat – Bürger zu-

denszurechnung, S. 74 f., „Schadenszurechnung nach Risikosphären“; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 52 „Risikohaftung“; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 161: „Element einer Risikohaftung“; auch Meder, JZ 1993, 539, 543 erkennt in dem objektiven Sorgfaltsmaßstab eine Zurechnung nach dem Risikoprinzip; vgl. auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 138 „Gefährdungshaftung“. 28 Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 71 ff.; Kramer, AcP 171 (1971), 422, 426 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 20 III, S. 285; Koziol, AcP 196 (1996), 593, 600, der jedoch de lege lata ein subjektives Verständnis befürwortet; Wieacker, JZ 1957, 535, 536 f.; RGZ 129, 55, 60. 29 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 86 ff., 90 ff. 30 Vgl. Wank, Begriffsbildung, S. 113 ff.; Kramer, AcP 171 (1971), 422, 425. 31 Zur Bedeutung der Prinzipienebene für die Regelungsebene bereits S. 117 ff. und zur Wirkung der Prinzipien in der Verschuldenszurechnung S. 139 ff.

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grunde, das den Strafanspruch des Staates zum Gegenstand hat und eine individualistische Betrachtung gebietet. 32 Demgegenüber regelt das Zivilrecht die sozial-kommunikative Existenz des Menschen, wodurch eher eine auch an den Verkehrsinteressen orientierte und somit objektivierte Betrachtung angezeigt ist.33 Das heutige zivilrechtliche Haftungssystem fußt gerade nicht auf dem Prinzip von Strafe und Buße, sondern bezweckt stattdessen einen gerechten Schadenausgleich. 34 Die zivilrechtliche Pflicht zum Ersatz von Schäden, die aus der Zurechnung folgt, bedarf eben nicht eines äquivalent starken Bezuges zum Willen des Zurechnungssubjekts, gerade weil die „Hafttiefe“ nicht bis in den Grund des Menschlich-Persönlichen hinabreicht, 35 wie die in die Person einschneidenden Konsequenzen der Zurechnung im Strafrecht.36 Diese abweichende Zwecksetzung ermöglicht es, die früher deckungsgleichen Rechtsbegriffe unterschiedlich zu handhaben.37 b. Das Vertrauensprinzip als Grund der Objektivität Nachdem die teleologischen Unterschiede des zivilrechtlichen Verschuldensbegriffs vom strafrechtlichen festgestellt sind, muss zusätzlich die Objektivität der zivilrechtlichen Fahrlässigkeit noch positiv begründet werden. Um das zivilrechtliche Verschulden als Zurechnungsregelung inhaltlich zu bestimmen, bedarf es eines Blicks auf die diesem zugrunde liegenden Wertungen und somit auf die Prinzipienebene. Die Objektivität der zivilrechtlichen Zurechnung beruht dabei auf der besonderen Bedeutung des Vertrauensprinzips, das im Strafrecht nicht vergleichsweise wirksam ist. 38 Larenz, Zurechnungslehre, S. 99; Kramer, AcP 171 (1971), 422, 426, m. w. Nachw. So zutreffend Kramer, AcP 171 (1971), 422, 429. 34 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 14; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 74; Larenz, Schuldrecht I, § 20 III, S. 286; Wieacker, JZ 1957, 535, 536 f.; Jansen, Struktur, S. 444. Hierzu auch bereits S. 221 ff. 35 Henkel, Recht, S. 78. 36 So zutreffend Deutsch, Haftungsrecht, S. 59. 37 So bereits Rümelin, Verschulden, S. 40 ff. Dies konstatierte auch der Gesetzgeber bei der Schaffung des BGB (Prot. II, S. 604) und die Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts (Abschlussbericht, S. 123). Dazu auch Kramer, AcP 171 (1971), 422, 427 f., m. w. Nachw. 38 Vgl. Canaris, Systemdenken, S. 55 spricht insoweit vom Prinzip des Verkehrs- und Vertrauensschutzes; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 137 f.; Bydlinski, System, S. 198; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 140; ders., Haftungsrecht, S. 257 f. Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 84; Larenz, Recht, S. 104; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 252; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 15; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276 Rn. 29; Schneider, Abkehr, S. 127; Jauernig/Stadler, § 276 Rn. 29; Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 83. Vgl. auch MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 54, „Vertrauens- und Verkehrsschutzaspekte“; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 476 „Verkehrsschutzgründe“; Schur, Leistung, S. 114 „Verkehrsschutz“; Erman/H. P. Westermann, § 276 Rn. 10 es gehe hauptsächlich um „Interessenausgleich im Verkehr und nicht um Sanktion für Schuld“. Vgl. zur Begründung, dass im 32

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Das Vertrauensprinzip wirkt auf das subjektive Zurechnungsprinzip der personalen Selbstverantwortung ein und begrenzt die Zurechnung „nach unten hin“, indem ein objektiver Mindeststandard der Sorgfalt gewährleistet wird. Es weist eine Rechtsfolgenanordnung auf, die darauf gerichtet ist, gerade entindividualisiert Verantwortung aus Verkehrsinteressen zuzuweisen. Die Verkehrsoder Opferinteressen im Strafrecht entsprechend zu berücksichtigen, wäre wegen dessen pönaler und spezialpräventiver Ausrichtung ausgeschlossen. Derartige Prinzipienkollisionen, die aufgrund einer Abwägung mit dem Vertrauensprinzip eine objektivierende Wirkung entfalten, sind im Zivilrecht durchaus üblich. Eine vergleichbare Konstellation liegt etwa dem Grundsatz objektiver Auslegung zugrunde, der ebenfalls Zurechnung, allerdings einer Willenserklärung, zum Gegenstand hat.39 Dass durch die objektive Natur der Auslegung die Selbstbestimmung beschränkt wird, rechtfertigt sich ebenfalls durch die Wirkung des Vertrauensprinzips. 40 Dieses Abwägungsergebnis der Prinzipienkollision wurde – wie der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab in § 276 Abs. 2 BGB – in § 157 BGB zur definitiv geltenden Regelung erhoben. 41 Die gegen die Wirkung des Vertrauensprinzips vorgebrachte Kritik geht zumeist fehl. Von den Kritikern wird missachtet, dass das Vertrauensprinzip insoweit weder der Haftungsgrund42 noch ein eigenständiges Zurechnungsprinzip ist.43 Das Haftungssubjekt haftet nicht nur deshalb, weil es das Vertrauen in seine Fähigkeiten verletzt. Es haftet für selbstbestimmtes Verhalten, das allgemeingültige Verhaltensgebote verletzt. Das Vertrauensprinzip wird lediglich im Rahmen der Abwägung auf der Prinzipienebene berücksichtigt, wo es als ein Interesse bei der Formulierung des Verhaltensgebots zu beachten und bewerten ist. Dort wirkt es als zu optimierendes Wertprinzip entsprechend seinem relativen Gewicht. Ein rein subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff ließe sich deshalb normtheoretisch lediglich auf zwei Wegen begründen. Entweder dürfte

Privatrecht ein objektiver Fahrlässigkeitsmaßstab gelte, Prot. I, S. 376 (Mugdan I, S. 765): „Wer mit einem Anderen in rechtlichen Verkehr trete, müsse darauf vertrauen dürfen, daß dieser bei Erfüllung seiner Obliegenheit mit der im Leben üblichen Sorgfalt eines ordentlichen Mannes zu Werke gehe“. 39 Vgl. Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 35 Rn. 19; MünchKommBGB/Armbrüster, Vor § 116 Rn. 3. 40 Dazu Canaris, Systemdenken, S. 55; Bydlinski, System, S. 154. 41 Bestätigend wirken insoweit wieder die Ausnahmen in der Form der Unanwendbarkeit bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen durch Testament (vgl. Staudinger/Otte, Vorbem zu §§ 2064–2086, Rn. 5, 24) oder dem Vorrang subjektiver Kenntnis (vgl. oben S. 138 f.), da insoweit jeweils das Vertrauen nicht schutzwürdig ist. 42 In diese Richtung deuten die Ausführungen bei Koziol, AcP 196 (1996), 593, 604 und Pfeiffer, Entwürfe, S. 25. 43 So der Vorwurf von U. Huber, Festschrift E. R. Huber, 251, 274, „Deliktshaftung ist Verschuldenshaftung, nicht Vertrauenshaftung“.

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das Vertrauensprinzip überhaupt nicht wirksam sein, wie es etwa Koziol beschränkt auf das Deliktsrecht vertritt. 44 Oder aber der Vertrauensgrundsatz müsste gegenüber dem Selbstverantwortungsprinzip bzw. dessen Unterprinzipien vollkommen zurücktreten. 45 Koziol zweifelt etwa daran, dass das Vertrauensprinzip im Deliktsrecht wirksam ist, weil niemand darauf vertrauen könne, dass es infolge der Fähigkeiten der anderen Verkehrsteilnehmer zu keiner Schädigung komme, da auch Personen mit unterdurchschnittlichen Fähigkeiten am Verkehr teilnehmen und auch Täter mit durchschnittlichen Fähigkeiten Schäden verursachen würden. 46 Zudem setzte sich normalerweise niemand einem gefährlichen Verhalten aus, weil er auf die typischen Fähigkeiten des Schädigers und dessen Ersatzpflicht im Verletzungsfalle vertraue, zumal er in diesem Falle regelmäßig dem Einwand des Mitverschuldens ausgesetzt sein würde. 47 Dass das Vertrauensprinzip im Zivilrecht überhaupt nicht wirksam sei, wird verständlicherweise gar nicht erst vertreten. Ob es jedoch in einem spezifischen Rechtsgebiet schützenswertes Vertrauen geben kann, ist – und insoweit ist Koziol zuzustimmen – von dessen Bezugspunkt abhängig, der durch den Zweck des maßgeblichen Rechtsgebiets bestimmt wird. Das Deliktsrecht soll in Verbindung mit dem Verschuldensprinzip die Interessen des Einzelnen schützen und zugleich größtmögliche Bewegungs- und Betätigungsfreiheit der Teilnehmer des Rechtsverkehrs ermöglichen.48 Diese duale Zielsetzung, die in den Wertprinzipien der Selbstbestimmung und des Schutzes subjektiver Rechte verkörpert wird, kann nur auf optimalem Niveau verwirklicht werden, wenn der Einzelne seine natürlich beschränkten Kapazitäten nicht vollkommen darauf konzentrieren muss, seine eigenen Güter zu erhalten. Er muss diese weitestgehend darauf richten können, seine Freiheit auszuüben, zu gestalten und zu erschaffen. 49 Deshalb ist es erforderlich, dass ein jeder sich darauf verlassen 44 Koziol, AcP 196 (1996), 593, 604; im Anschluss an diesen auch Pfeiffer, Entwürfe, S. 25. 45 In diese Richtung Wilhelmi, Risikoschutz, S. 336 f., der den Vertrauensschutz als Wertung anerkennt, aber die individuellen Verantwortungshindernisse als stets vorrangig erachtet. 46 Vgl. Koziol, AcP 196 (1996), 593, 605. Ebenso Pfeiffer, Entwürfe, S. 25. 47 Vgl. Koziol, AcP 196 (1996), 593, 604 f. 48 Vgl. hierzu S. 227 ff. Vgl. auch Art. 2:102 Abs. 6 PETL, der explizit die individuelle Handlungsfreiheit und die Interessen der Allgemeinheit dem Schutzinteresse des Geschädigten gegenüberstellt. 49 Aus ökonomischer Sicht ermöglicht diese Objektivierung eine effiziente(re) Wahl des individuellen reziproken Sorgfaltsniveaus. Das bei der Prävention relevante Sorgfaltsniveau der jeweils anderen Partei kann auf diese Weise unter weitgehender Vermeidung von Transaktionskosten besser bestimmt und das eigene darauf abgestimmt werden, wodurch der zur Schadensprävention erforderliche Gesamtsorgfaltsaufwand optimiert werden kann. Vgl. hierzu MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 42; MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 55.

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kann, dass die anderen Teilnehmer des Rechtsverkehrs die Verhaltensstandards einhalten, die darauf gerichtet sind Schäden zu vermeiden, oder aber verpflichtet sind die Schäden zu ersetzen, die dadurch entstehen, dass diese nicht eingehalten werden. Die bloße Teilnahme am Verkehr aufgrund dieses Vertrauens kann entgegen Koziol auch keine Grundlage für einen Mitverschuldensvorwurf bilden. Andernfalls würde etwa auch der Abschluss eines Vertrages zwangsläufig ein Mitverschulden bei Leistungsstörungen begründen, weil ein gewisser Anteil der Schuldner bekanntermaßen seiner Leistungspflicht nicht ordnungsgemäß nachkommt. Nur wenn Sorgfaltsstandards objektiv und vereinheitlicht bestimmt und es unabhängig von den individuellen Fähigkeiten sanktioniert wird, wenn diese verletzt werden, kann der Einzelne seinem – dennoch weiterhin nötigen – Selbstschutz ein kalkulierbares Maß zugrunde legen. Zugleich kann er sich im Übrigen darauf beschränken, die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten einzuhalten, wodurch er einen größeren Teil seiner Kapazitäten für gewünschte gestaltende Tätigkeiten aufwenden kann. Es ist diese aus dem Vertrauen resultierende Balance aus Schutz und Ersatzpflicht, die auf objektive Maßstäbe angewiesenen ist, die menschliche Initiative und Fortschritt fördert.50 Es ist generell, wie Larenz zutreffend anmerkte, eines der elementarsten Gebote, denen die Rechtsordnung nachzukommen hat, Vertrauen zu ermöglichen und gerechtfertigtes Vertrauen zu schützen. 51 Dass dies ausgerechnet im Deliktsrecht nicht gelten soll, obwohl gerade dieses das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben in besonderem Maße regelt, überzeugt nicht. Der Einwand, dass im Deliktsrecht eine Vertrauensbildung nicht möglich sei, weil auch nicht haftende Unzurechnungsfähige im Sinne der §§ 827 f. BGB am Verkehr teilnehmen, kann nicht überzeugen. Er verkennt, dass der selektive Ausschluss der Haftung das Prinzip des Schutzes eingeschränkt Selbstbestimmungsfähiger umsetzt, das zum abwägungsoffenen Vertrauensprinzip gegenläufig ist.52 Ab der Schwelle der §§ 827 f. sind die individuellen Defizite so gravierend und ist infolgedessen das relative Gewicht der Schutzwürdigkeit so groß, dass der Vertrauensschutz zurücktreten muss (Strukturprinzip des absoluten Schutzes Zurechnungsunfähiger)53. Deshalb hat der Gesetzgeber die Haftung durch Regelung ausgeschlossen und nur außerordentlich auf der Grundlage von Billigkeit zugelassen. 54 Dass das Vertrauensprinzip ausnahmsweise 50 Vgl. auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 339 ff., der insoweit genau zum gegenteiligen Ergebnis gelangt (S. 343). 51 Larenz, Methodenlehre, S. 477; vgl. auch dens., Recht, S. 80. 52 Vgl. hierzu Bydlinski, System, S. 140. Zum rechtgeschäftlichen Verkehr auch Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 306. Dies verkennt Wilhelmi, Risikoschutz, S. 327 ff., 332 ff., der aus § 827 f. BGB die umfassende Subjektivität des Verschuldens herleiten möchte. 53 Hierzu bereits S. 133 f. 54 Zu § 829 BGB vgl. S. 187 ff.

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zurücktritt, weil das relative Gewicht des gegenläufigen Prinzips dies gebietet, berührt dessen Wirksamkeit jedoch nicht.55 Jenseits dieser konkreten Prinzipienrelation, die durch die tatsächlichen Umstände bestimmt wird, erfolgt die Prinzipienabwägung abweichend. Dies hat zur Folge, dass unterhalb der Schwelle der §§ 827 f. BGB das Schutzbedürfnis der vermindert Selbstbestimmungsfähigen zum reinen Abwägungsfaktor bei der Bestimmung des konkreten Verhaltensgebots wird, der beispielsweise im Widerstreit mit dem Vertrauensprinzip den Sorgfaltsmaßstab verschärfen kann. 56 Wirkt nun aber das Vertrauensprinzip im Zivil- und auch im Deliktsrecht, so kann es nicht überzeugen davon auszugehen, dass dieses zwangsläufig gegenüber der individuellen Selbstverantwortung subsidiär ist. Dagegen spricht schon, dass in der Verschuldenszurechnung subjektive Maßstäbe lediglich ausnahmsweise und nur aufgrund positiv normierter Regelungen wirksam sind, etwa durch die §§ 827 f. BGB und wenn die Haftung auf die diligentia quam in suis beschränkt ist. 57 Findet in diesen Fällen das Vertrauen anderer keine (§ 827 f. BGB) oder nur begrenzt (§ 277 BGB) Berücksichtigung, so ist es wertungsmäßig folgerichtig davon auszugehen, dass es grundsätzlich wirksam ist. Normtheoretisch ist das Vertrauensprinzip, als ein in der Rechtsordnung verwirklichtes Wertprinzip, zwingend bei der Abwägung zu berücksichtigen und zu optimieren. Dies schließt zwar nicht absolut aus, dass die Selbstbestimmung und in deren Folge die Selbstverantwortung das Vertrauensprinzip im Wege der Vorrangrelation verdrängen, weil diese im Einzelfall ein überragendes Gewicht aufweisen. Das Zurücktreten eines Prinzips ist jedoch nur soweit gerechtfertigt, wie dies unbedingt erforderlich ist, damit gewichtigere Prinzi-

Vgl. hierzu S. 121 f. Vgl. hierzu bereits S. 141 ff. 57 Sind Verkehrsinteressen und das daraus resultierende Vertrauensbedürfnis nicht betroffen, ist regelmäßig eine subjektive Zurechnung mittels der Beschränkung der Verantwortung auf die diligentia quam in suis angeordnet. Dies trifft auf die personalistisch geprägten Verhältnisse zu, in denen sich die Parteien aufgrund ihrer besonders engen Beziehung so nehmen müssen, wie sie nun mal sind (Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 90; MünchKommBGB/Grundmann, § 277 Rn. 1), etwa innerhalb der Familie (§§ 1359, 1664 BGB), dem Verhältnis der Gesellschafter einer Personengesellschaft untereinander (§ 708). Mangels Verkehrsrelevanz derartiger interner Vorgänge und in Ermangelung berechtigten Vertrauens ist eine rein objektive Zurechnung nicht erforderlich und widerspräche auch den Bedürfnissen derartiger von Individualität geprägter Verhältnisse. Werden aber insoweit dennoch Verkehrsinteressen berührt – etwa bei der Ausgestaltung einer Personengesellschaft als Publikumsgesellschaft (BGHZ 69, 207, 209; 76, 160; U. Schneider, ZGR 1978, 1, 31; Bamberger/Roth/Schöne, § 708, Rn. 6; MünchKommBGB/Schäfer, § 708 Rn. 5) oder im Straßenverkehr (BGHZ 53, 352; BGH, NJW 1988, 1208; Palandt/Grüneberg, § 277 Rn. 2; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 277 Rn. 9) – bestätigt die erforderliche teleologische Reduktion der die Haftungsprivilegierung anordnenden Normen und die daraus resultierende „Reobjektivierung“ die entsprechende Wirkung des Vertrauensprinzips in der Haftung. 55

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

pien, die eine gegenläufige Wirkrichtung aufweisen, entsprechend ihrem Gewicht verwirklicht werden können. 58 Da sowohl der Vertrauensschutz als auch die Selbstbestimmung grundsätzlich kompromisshaft verwirklicht werden können, wie der herrschend vertretene objektive Sorgfaltsmaßstab gerade belegt, ist ein genereller Vorrang des individuellen Freiheitsinteresses nicht zu rechtfertigen. Ein zwingend subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff lässt sich zuletzt auch nicht auf die Argumentation stützen, den unterdurchschnittlich Befähigten dürfe die Teilnahme am Verkehr nicht verwehrt werden. 59 Diese Personen sind vielmehr vor die Wahl gestellt, entweder die sie überfordernde Tätigkeiten zu unterlassen oder – und das wird regelmäßig ignoriert – die Verkehrstauglichkeit herzustellen, indem sie Hilfe oder Hilfsmitteln in Anspruch nehmen. Nicht nur die Selbstbestimmung und damit die Handlungsfreiheit des unterdurchschnittlich Befähigten ist zu optimieren, sondern auch der Schutz der subjektiven Rechte60 sowie die Handlungsfreiheit der durch diese Bedrohten. Die unterdurchschnittlich Befähigten können Hilfe in Anspruch nehmen und so ihre Handlungsfreiheit weitestgehend und nicht auf Kosten der Rechtsgüter anderer erhalten. Demgegenüber müssten die durch diese Bedrohten ihre Aktivität zum Eigenschutz reduzieren und wären im Beeinträchtigungsfalle darauf angewiesen, dass ein Ausgleich ihrer Schäden aus Billigkeitsgründen erforderlich wäre (§ 829 BGB). 61 Mit der Objektivierung der Zurechnung wird also keineswegs die Handlungsfreiheit der unterdurchschnittlich Befähigten nivelliert oder am Ende gar deren Würde als Person aberkannt,62 sondern es wird ein praktikabler Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen erreicht. 3. Ergebnis Der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab ist mit dem Verschuldensprinzip vereinbar. Er definiert die Mindestanforderungen an das zivilrechtliche Verschulden. Mit der objektivierten Fahrlässigkeit geht zwar ein Teil der moralischen Dimension der individuellen Verantwortung im Verschulden verloren. Dieser „Eingriff“ rechtfertigt sich aber aus dem ebenfalls ethisch fundierten Vertrauensprinzip. Das objektive Verschulden knüpft weiterhin an die Prinzipien personaler Selbstbestimmung und Selbstverantwortung an. Der Haftungsadressat Hierzu S. 121 f. So Wilhelmi, Risikoschutz, S. 340; Koziol, AcP 196 (1996), 593, 603 und 605; Pfeiffer, Entwürfe, S. 25; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 1324. 60 Andeutungsweise auch Bydlinski, System, S. 198. 61 Ob § 829 BGB überhaupt analog anwendbar wäre, ist wegen der entfallenen exzeptionellen Natur des Haftungsausschlusses eher zweifelhaft. So aber Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, S. 1325; Koziol, AcP 196 (1996), 593, 609. Wilhelmi, Risikoschutz, S. 343 f. gelangt über eine extensive Anwendung der §§ 827 f. BGB wohl zu einer direkten Anwendung. 62 In diese Richtung Wilhelmi, Risikoschutz, S. 339 ff. 58

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haftet weiterhin auf der Grundlage seines Handlungswillens, den er als selbstbestimmtes Wesen auf der Grundlage innerer und äußerer Einflüsse bildet, weswegen er sich letztendlich für die Einflussnahme auf den Kausalverlauf entscheidet. Berücksichtigt man alle Wertungen des Gesetzes und bringt diese zum Ausgleich, so kann man nicht nur feststellen, dass es mit dem Verschuldensprinzip zu vereinbaren ist, die Fahrlässigkeit objektiv zu bestimmen. Der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab ist vielmehr im Zivilrecht sogar durch die Prinzipienebene geboten, da andernfalls das Vertrauensprinzip als Wertprinzip missachtet würde. Das zivilrechtliche Verschulden ist somit, obwohl es an das Prinzip personaler Selbstverantwortung anknüpft, im Ausgangspunkt ein Prinzip rein objektiver Zurechnung. 63 Es ist verfehlt daraus zu schließen, dass unterhalb der Schwelle echter Vorwerfbarkeit ein anderes Zurechnungsprinzip, etwa im Sinne einer Risikozurechnung anwendbar ist, da auch objektive Fahrlässigkeit zivilrechtliches Verschulden ist. Diesem liegt ebenfalls Fehlverhalten zugrunde, weil die Verantwortung keineswegs schlicht dadurch begründet wird, dass sich die individuellen Defizite realisieren. Die Verantwortung wird ausschließlich durch objektiv sorgfaltswidriges Verhalten begründet und zwar unabhängig davon, ob individuelle Defizite zum Erfolg beigetragen haben. Geht man von dieser objektiven Zurechnung für objektives Fehlverhalten als Grundform des zivilrechtlichen Verschuldens aus, so begründet der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab keine „versteckte“, systemwidrige oder gar barbarische64 Haftung für Zufall. Vielmehr fügt sich auch diese Zurechnung vorzüglich in das System haftungsrechtlicher Verantwortung. Kritisierbar ist somit allenfalls, dass der verwirrende Begriff „Verschulden“ dafür gebraucht wird, diese objektive Zurechnung zu beschreiben. Etwa äußert Meder nachvollziehbare Bedenken dagegen, die sozial wertvollen, transformierenden Momente des Schuldbegriffs dafür heranzuziehen, um Ereignisse zu bewältigen, „die auf der Struktur von Zufall und Risiko beruhen“.65

Die für das Zivilrecht vorbehaltlich ausdrücklicher abweichender Anordnung für die Haftung konstitutive objektiv-typisierte Sorgfalt wird auch von Larenz, Zurechnungslehre, S. 97; ders., Schuldrecht I, § 20 III, S. 287; Deutsch, AcP 202 (2002), 889, 893; ders, Haftungsrecht, S. 60 als Prinzip objektiver Zurechnung verstanden; a.A. Soergel12/Wolf, § 276 Rn. 75; Görgens, JuS 1977, 709, 710 f. 64 So Brodmann, AcP 99 (1906), 327, 354. 65 Meder, Schuld, S. 343; vgl. auch Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 258; deutlich ders, Unglück. S. 31: „Das unentbehrliche alte Rechtswort Verschulden sollte durch Fehlgebrauch auf dem Felde der durch die berechtigte Verkehrserwartung, den objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab bestimmten Einstandspflicht für schädigendes Unrecht nicht verschlissen werden“. Auch Wieacker, JZ 1957, 535, 537 kritisiert, dass das bequeme Wort „Verschuldenshaftung“ die vom Handlungsunwert unabhängigen distributiven Aspekte des Schadensersatzrechts verdeckt. 63

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Das Gesetz gibt jedoch, insbesondere durch § 823 Abs. 2 S. 2 BGB, unumstößlich vor, die Zurechnung infolge objektiver Fahrlässigkeit als Verschulden zu bezeichnen.

II. Die Verkehrspflichten – Risiko- und Zufallshaftung? Auch wenn mit dem objektiven Fahrlässigkeitsmaßstab das Verschuldensprinzip noch nicht überwunden wurde, ist keineswegs ausgeschlossen, dass auf andere Weise ein schleichender Wandel der an sich fehlverhaltensabhängigen Verschuldenshaftung zu einer Risikohaftung erfolgt. Diese Wirkung wird insbesondere den Verkehrspflichten66 nachgesagt. Formulierungen wie die des OLG Düsseldorf, das von einer Annäherung der Verschuldenshaftung an die Gefährdungshaftung im Zusammenhang mit Verkehrspflichten spricht, 67 bestärken den Verdacht einer rechtstatsächlichen Zurechnung von Schadensereignissen nach dem Risikoprinzip unter dem „Deckmantel des Verschuldens“. Auch Aussagen von Vertretern der Rechtspraxis, wie die des renommierten Bundesrichters Steffen, deuten in diese Richtung. Dieser beschreibt seine Eigenwahrnehmung der Verkehrspflichten dahingehend, dass deren Bedeutung zuvorderst in der Zuweisung von Schadenslasten liege und deren Erfüllbarkeit – bzw. die Zumutbarkeit der Erfüllung – bewusst überschritten werde. 68 Dies alles legt nahe, dass sich die Verschuldenszurechnung, zumindest in einigen Bereichen, vom objektiv-typisierten Fehlverhalten hin zu einer reinen Umverteilung des Zufallsrisikos nach distributiven Gesichtspunkten entwickelt hat. Diese scheint von echten Verhaltensgeboten und der sogar objektiven Beherrschbarkeit der Schadensereignisse vollkommen entkoppelt zu sein. 1. Die Verkehrspflichten im System des Deliktsrechts Seit ihrer Entwicklung durch die Rechtsprechung69 versucht die Rechtswissenschaft, die haftungsrechtsdogmatisch äußerst relevanten Verkehrspflichten zu fassen und in das haftungsrechtliche System zu integrieren. Das Konfliktpotenzial dieser dem BGB begrifflich fremden Pflichten wird dadurch deutlich, Eingehend zur Terminologie vgl. Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 1; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 380. 67 OLG Düsseldorf, VersR 1975, 159; vgl. auch Laufs, Unglück, S. 21 und bes. 23 f., der von einer Annäherung an die Gefährdungshaftung durch Beweisregeln und verschärfte Verkehrspflichten spricht; Pick, Verkehrspflichten, S. 3: „Aufgrund der hohen Sorgfaltsanforderungen, die die Rechtsprechung an die Verkehrspflichtigen stellt, kommen sie nicht selten einer Gefährdungshaftung gleich“. 68 So Steffen, VersR 1980, 409, 410. 69 Grundlegend RGZ 52, 373, 377 ff.; 54, 53, 56 ff.; eingehend zu dem Urteil des Reichsgerichts vom 30.10.1902 (RGZ 52, 373) siehe Bohrer, Baum, S. 33 ff. 66

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dass bereits darüber gestritten wird, ob diese überhaupt mit dem Gesetz vereinbar sind. Teilweise werden etwa die Verkehrspflichten als „aus wilder Wurzel entsprungen“ 70 bezeichnet oder ihre Entwicklung wird als eine contra legem beurteilt 71 bzw. es wird sogar ein vom „legislativen“ zu unterscheidendes „judizielles Konzept“ des § 823 BGB ausgemacht. 72 Demgegenüber geht die ganz herrschende Meinung davon aus, dass die Verkehrspflichten mit dem gesetzlichen Haftungssystem vereinbar sind.73 Über die Grundfrage der Legalität hinaus bergen die Verkehrspflichten auch bezüglich ihrer Verortung im Deliktssystem dogmatisches Konfliktpotenzial. So wird darüber gestritten, ob diese im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB74 oder aber, wegen deren strukturellen Verwandtschaft zu Schutzgesetzen, im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB75 zu berücksichtigen sind. Ausgehend von der vorzugswürdigen Zuordnung zu § 823 Abs. 1 BGB setzt sich der Streit um die Verkehrspflichten fort, da wiederum darüber diskutiert wird, ob diese bereits auf der Ebene des Unrechtstatbestandes76 oder der Rechtswidrigkeit77 zu berücksichtigen oder doch der Verschuldensprüfung zuzuweisen sind. Die Unsicherheit, wie die Verkehrspflichten im Deliktsaufbau zu verorten sind, steht dabei wiederum in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kontroverse um das erfolgsbezogene oder verhaltensbezogene Verständnis der Rechtswidrigkeit. Ist entsprechend der insoweit herrschenden Ansicht zumindest bei der Deliktsbegehung durch Unterlassen und lediglich mittelbaren Beeinträchtigungen erforderlich, dass Verkehrspflichten verletzt wurden, damit 70 Esser, JZ 1953, 129, 132; ähnlich Deutsch, JuS 1967, 152, 157: „Wildwuchs im System des Deliktsrechts“. 71 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 25; Vgl. auch Schröder, AcP 179 (1979), 567, 571 (praeter legem). 72 Mertens, VersR 1980, 397 ff. 73 Vgl. etwa Canaris, Festschrift Larenz 80, 27, 77 ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 146; Jansen, Struktur, S. 395 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 404 f.; Marburger, AcP 192 (1992), 1, 26; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 7 ff.; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 381 ff. 74 Canaris, Festschrift Larenz 80, 27, 77 ff.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 46; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 405; Marburger, VersR 1983, 597, 605; Medicus, JZ 1986, 778, 780; Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 4 f.; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 7; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 140; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 389; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 135; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 291; BGH NJW 1987, 2671, 2672. 75 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff.; Larenz, Festschrift Dölle, 169, 193 ff.; Mertens, AcP 178 (1978), 227, 251 f. 76 Vgl. Soergel/Krause, Anh. II zu § 823 Rn. 15; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1177; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 76; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 391; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 116. Beschränkt auf mittelbare Beeinträchtigungen und solche durch Unterlassen Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 406; Raab, JuS 2002, 1041, 1042 und 47. 77 V. Bar, JuS 1988, 169, 173; Stathopoulus, Festschrift Larenz 80, 631, 637; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 140; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 69.

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die Tat objektiv zurechenbar und rechtswidrig ist, 78 müssen diese bereits bei der haftungsbegründenden Zurechnung berücksichtigt werden. Dabei wird von den Vertretern des subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs logischerweise zwischen der objektiven Verkehrspflichtwidrigkeit und der dem Verschulden zugewiesenen subjektiven Sorgfaltswidrigkeit unterschieden. 79 Bei einer unmittelbaren Verletzung verschiebt sich nach der herrschenden Meinung hingegen der Standort der Verkehrspflichten umfassend auf die Verschuldensebene. 2. Das Verhältnis von Verkehrspflichten und Verschulden Um beurteilen zu können, ob die Verkehrspflichten mit dem Verschuldensprinzip zu vereinbaren sind, erscheint es erforderlich, zunächst ein Blick auf deren Funktion in der Haftung zu werfen. Die unterschiedlichen Ansätze führen jeweils zu einem abweichenden Verhältnis von Verkehrspflichten und Verschulden. Schwierigkeiten bereiten die Verkehrspflichten bei der Zurechnung von vorsätzlichen Schädigungen. Häufig wird beim vorsätzlichen Delikt die Reichweite der geschuldeten Sorgfalt und der Rechtswidrigkeit gar nicht beachtet, weil diese als durch den subjektiven Willen zur Tat überlagert erachtet werden.80 Da jedoch trotz Vorsatz nur unerlaubte Risiken eine Haftung im Schadensfalle zu begründen vermögen, 81 müssen die Verkehrspflichten im Vorsatzdelikt in gleicher Weise wie beim Fahrlässigkeitsdelikt berücksichtigt werden. Entsprechend sind die folgenden Ausführungen unabhängig von der subjektiven Einstellung zur Tat gültig. a. Das Konzept der zweischichtigen Sorgfalt Insbesondere beim Fahrlässigkeitsdelikt wird von der herrschenden Meinung zwischen der äußeren und der inneren Sorgfalt unterschieden.82 Während die 78 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 154 f.; ders. Fahrlässigkeit, S. 225 ff.; Larenz, Festschrift Dölle, 169, 193; Stoll, AcP 162 (1963), 203, 206 und 228 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 368 und S. 406; Raab, JuS 2002, 1041, 1047 f.; Mertens, VersR 1980, 397 ff.; Staudinger13/Hager, § 823 Rn. A 9; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 12 ff. 79 Vgl. U. Huber, Festschrift E. R. Huber, 253, 267 f. und 274 ff.; Nipperdey, NJW 1957, 1777, 1780 f.; Stoll AcP 162 (1963), 203, 230; Mertens, VersR 1980; 397, 407. Zu einer entsprechenden Verteilung kommt auch die zwischen „äußerer“ und „innerer“ Sorgfalt differenzierende, aber vom objektiven Sorgfaltsbegriff ausgehende herrschenden Meinung. Hierzu sogleich. 80 Vgl. v. Caemmerer, Karlsruher Forum 1961, 19; dens., Festschrift 100 Jahre DJT, Bd. II, 49, 131; dazu MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 7, 23 f. 81 Dazu bereits S. 146 f. 82 Vgl. etwa Deutsch, Haftungsrecht, S. 248 ff.; ders. Fahrlässigkeit, S. 94 ff.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 172 ff.; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 16 f.; Staudinger/Löwisch/Caspers, § 276, Rn. 50; Pick, Verkehrspflichten, S. 70; Raab, JuS 2002, 1041, 1047; Soergel12/Wolf, § 276 Rn. 73; BGHZ 116, 60, 70 ff.; 65, 304, 306; 80, 186, 193 ff.; BGH

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äußere Sorgfalt das von außen erkennbare Verhalten und somit das Nichteinhalten des streng objektiven Verhaltensprogramms erfasst, betrifft die innere Sorgfalt die Zurechnung des objektiv pflichtwidrigen Erfolges zum Willen.83 Umstritten ist jedoch der Maßstab der durch Verkehrspflichten konstituierten äußeren Sorgfalt. Teilweise wird ein sehr strenger Maßstab angelegt und nicht weniger als sachgemäßes Verhalten84 bzw. ein „Höchstmaß an äußerer Sorgfalt“85 verlangt. Die äußeren Sorgfaltsanforderungen sollen sogar davon unabhängig sein, ob diese durch den Verkehrsteilnehmer überhaupt erfüllt werden können. 86 Dies wird wiederum von einem Teil der Literatur wegen des objektiven Sorgfaltsbegriffs des § 276 Abs. 2 BGB abgelehnt, der die Verhaltensanforderungen schon auf der Ebene der äußeren Sorgfalt auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beschränke. 87 Im Ergebnis bleiben die unterschiedlichen Maßstäbe der äußeren Sorgfalt jedoch für die Haftung ohne Konsequenz. Verschulden im Sinne von Fahrlässigkeit und damit Zurechnung setzt voraus, dass sowohl die äußere wie auch die innere Sorgfalt verletzt wurden. 88 Wird die innere Sorgfalt beachtet, scheidet eine Haftung mangels Verschuldens aus. Die innere Sorgfalt als Zurechnung des norm- bzw. verkehrspflichtwidrigen Erfolges zum Willen beschränkt somit die Zurechnung. Die innere Sorgfalt führt als weitere Haftungsvoraussetzung ein, dass über das Übertreten der Verhaltensnorm bzw. Verkehrspflicht hinaus ein inneres Fehlverhalten vorliegen muss. 89 Die Zurechnung setzt somit

VersR 1978, 869, 870; 2006, 233, 235; 2008, 1083, 1084. Eine entsprechende Differenzierung findet sich auch im Rahmen der vertraglichen Haftung für die Verletzung von Schutzund Rücksichtnahmepflichten. Da die Pflichtverletzung insoweit einen Sorgfaltsverstoß voraussetzt, wird ebenfalls zwischen der äußeren Sorgfalt bei der Zurechnung des pflichtwidrigen Erfolges und der inneren Sorgfalt im Rahmen des Vertretenmüssens unterschieden, vgl. Staudinger/Schwarze, § 280 Rn. C 45. Die Gegenansicht ordnet den Sorgfaltsverstoß umfassend der Zurechnung der Pflichtverletzung zu, vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 280 Rn. 14 f., 23; Grigoleit, Festschrift Canaris I, 276, 286 f. 83 Deutsch, Haftungsrecht, S. 249; ders., Fahrlässigkeit, S. 94; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 175 ff. 84 Deutsch, Haftungsrecht, S. 248; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 175; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 369: „wesentlich abstraktere und strengere Maximen“ als der Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB; ebenso Staudinger13/Hager, § 823 Rn. A 7. 85 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 249; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 172 ff.; Soer12 gel /Wolf, § 276 Rn. 36 und 73. 86 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 369; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 173; Soergel12/Wolf, § 276 Rn. 36. 87 So etwa Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 17; im Ergebnis auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 393. 88 Vgl. Deutsch, JZ 1988, 993, 994 f.; dens., Haftungsrecht, S. 238; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1184; Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 81; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 175. 89 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 249; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 178; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823 Rn. 17.

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auf dieser Ebene voraus, dass die subjektive Möglichkeit normbefehlkonformer Willenssteuerung bestand, wobei allerdings wegen des objektiv-typisierten Sorgfaltsbegriffs die Fähigkeiten eines Durchschnittsmitglieds des entsprechenden Verkehrskreises maßgeblich sind. Konsequenterweise wird demgemäß die äußere Sorgfalt dem Unrechtstatbestand90 bzw. der Rechtswidrigkeit91 und die innere Sorgfalt der Verschuldensebene zugewiesen. Die innere Sorgfalt bewirkt somit, dass nach den Vertretern der zweischichtigen Sorgfalt die Haftung keinesfalls vom Verschulden entkoppelt wird. Die der herrschenden Differenzierung folgende Rechtsprechung differenziert sogar regelmäßig ausdrücklich zwischen der objektiven Verletzung der Verkehrspflichten und dem Verschulden. 92 Selbst wenn die Verkehrspflichten irrational scharf ausgestaltet sind, setzt die Haftung ein inneres Fehlverhalten bzgl. der Verhaltenspflicht nach den Maßstäben des § 276 Abs. 2 BGB voraus, wodurch dem Verschuldensprinzip strukturell entsprochen wird. b. Die Identitätsthese Ein Teil der Literatur lehnt die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt gänzlich ab, allerdings mit variierenden Auswirkungen auf den Deliktsaufbau und den Gehalt des Verschuldens. 93 Diese Auffassung bezweifelt, dass es des herrschenden doppelten Sorgfaltsmaßstabs bedarf und dass dieser einen relevanten Nutzen hat. Als Konsequenz wird angenommen, dass die Sorgfaltswidrigkeit einheitlich und nach dem Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB

90 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 368; Raab, JuS 2002, 1041, 147, jeweils allerdings beschränkt auf mittelbare Verletzungen und solche durch Unterlassen. 91 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 173 ff.; ders., JuS 1988, 173; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 171 ff. 92 BGHZ 116, 60, 70 ff.; 65, 304, 306; 80, 186, 193 ff.; BGH VersR 1978, 869, 870; 2006, 233, 235; 2008, 1083, 1084; vgl. auch die umfangreichen Nachweise bei Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 79 ff., insbes. S. 83 Fn. 384. 93 Brüggemeier, Haftungsrecht, S. 59 ff.; ders. Deliktsrecht, S. 95; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 34 ff.

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zu bestimmen sei. 94 Verkehrspflichten sind somit deliktische Sorgfaltspflichten95 und begründen, ebenso wie Sorgfaltspflichten im Übrigen, die haftungsbegründende Zurechnung. 96 Infolge der rechtlichen Identität von Verkehrspflichten und „allgemeinen“ Sorgfaltspflichten entsprechen sich diese in ihrer Gebotswirkung und Schärfe, wodurch sich die Verkehrspflichten problemlos mit dem Verschuldensprinzip vereinbaren lassen. c. Die Verkehrspflichten als Garantiepflichten Eine echte, partielle Überwindung des Verschuldensprinzips durch Verkehrspflichten wird nur selten befürwortet. So versteht etwa v. Bar die Verkehrspflichten als selektive Garantiepflichten und löst diese aus dem Verschuldenskonzept. 97 Er begründet dies mit der Untrennbarkeit von Fahrlässigkeits- und Gefährdungshaftung. Ähnlich dazu versteht auch Jansen die Verkehrspflichten als „Lückenfüller“ zwischen der Gefährdungshaftung und der Verschuldenshaftung, durch die der Belastete für die Mangelfreiheit der eigenen Sphäre und die äußerste zumutbare Sorgfalt garantiemäßig einzustehen hat.98 Obwohl in Grenzbereichen eine gewisse Nähe der objektiven Fahrlässigkeit zu den Tatbeständen der Risikohaftung durchaus besteht, ist es jedoch nicht zutreffend, dass diese nicht getrennt werden können. 99 Das Gesetz gibt diese Trennung sogar eindeutig vor, weswegen es schwierig ist, einen Haftungstatbestand zu benennen, der die angestrebte Garantiehaftung durch Verkehrspflichten begründet. So ordnet v. Bar die Verkehrspflichten § 823 Abs. 2 BGB zu. 100 Infolge dieser Zuweisung ist eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung durch Verkehrspflichten jedoch ausgeschlossen. § 823 Abs. 2 S. 2 BGB ist in seinem Wortlaut insoweit eindeutig, dass eine Haftung trotz einer verletzten Verhaltensnorm „nur im Falle des Verschuldens ein[tritt]“.101 Über die Ver-

94 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 57, 394; Schack, Festschrift Reuter, 1167, 1172; Stathopoulus, Festschrift Larenz 80, 631, 636; i.E. wohl auch E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 144. 95 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 57, 395; Stathopoulus, Festschrift Larenz 80, 631, 633; v. Caemmerer, Festschrift Deutscher Juristentag, 49, 72; Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 173 f. m. w. Nachw. In diese Richtung auch Canaris, Festschrift Larenz 80, 27, 79 f. 96 Vgl. Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 15; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 646 f.; Schack, Festschrift Reuter, 1167, 1173; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 391, 58, 68, 82; Wilhelmi, Risikoschutz, S. 143. 97 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 128 ff. 98 Jansen, Struktur, S. 614 ff. 99 Eindrücklich Canaris, VersR 2005, 577, 578 f. 100 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff. 101 Vgl. auch Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 17.

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kehrspflichten als das maßgebliche Gebot lässt sich das Verschuldenserfordernis also nicht umgehen, da dieses zum bloßen Normverstoß stets noch hinzutritt. Einzig denkbarer Lösungsansatz ist deshalb, die Fahrlässigkeit als Verschuldenskategorie aufzulösen und der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die angestrebte Garantiewirkung zuzuweisen. Ein Verhaltensgebot ist mit derartigen Sorgfaltsanforderungen jedoch nicht mehr verbunden. Solch ein abweichendes Modell des Haftungsrechts vertritt lediglich Jansen. Dieses beruht auf einer umfassenden „Garantiehaftung“ für den Bestand geschützter Güter, 102 die sämtliche außervertragliche Haftungsformen des BGB umfasst. Schadensereignisse sollen bereits dann zurechenbar sein, wenn die Rechtsgutsverletzung aus dem Gefahren- oder Verantwortungsbereich103 des Schädigers stammt und dies die Gefahr der konkreten Schädigung erhöht hat. 104 Lediglich wenn die von ihm sog. „Sorgfaltsobliegenheiten“ beachtet oder andere haftungsausschließende Einwände vorliegen, ist die Haftung ausgeschlossen.105 Die Sorgfaltsobliegenheiten fungieren dabei als Korrektiv der sehr weiten Zurechnung und beschränken die Haftpflicht auf das „Zumutbare“. Die Sorgfaltsanforderungen sind dabei nicht darauf beschränkt, ein echtes Fehlverhalten zu vermeiden. Sie können vielmehr weiterreichende Garantien für objektive Schadensrisiken mit einschließen, 106 wodurch die Verkehrspflichten – als solche Garantien – nur eine eingeschränkte Exkulpation gestatten. Dieses in sich stimmige Haftungssystem ist jedoch mit der gegenwärtigen Gesetzeslage unvereinbar, 107 weshalb die von ihm angenommene Garantiewirkung der Verkehrspflichten einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Jansen verbannt das Einhalten der objektiven Sorgfaltsanforderungen als Haftungsausschluss auf die Einwendungsebene, was sowohl im Hinblick auf die Normstruktur des § 823 Abs. 1 BGB als auch auf die damit verbundene Beweislastverteilung nicht überzeugt. So kann dem Wortlaut des § 823 Abs. 1 BGB, sowie in systematischer Hinsicht dem § 823 Abs. 2 S. 2 BGB, entnommen werden, dass fahrlässiges Handeln positive Voraussetzung der Haftung ist. Da Jansen, Struktur, S. 591 f., 445 ff., 479 ff. Wie dieser „Verantwortungsbereich“ ohne vorgeschaltete Zurechnung bestimmt werden soll, wird allerdings nicht klar. Die von Jansen (Struktur, S. 578 Fn. 173) vorgenommene Präzisierung des Verantwortungsbereichs im Hinblick auf das Unterlassen durch die Erstreckung auf „echtes Unterlassen“, bei dem die Zurechnung nach allgemeiner Ansicht die Verletzung einer allgemeinen Verhaltenspflicht voraussetzt, trägt nicht zur Klarheit bei. Offenbar soll nicht „jedes Unterlassen“ zu verantworten sein, wie aber das zu verantwortende bestimmt werden soll, kann den Ausführungen nicht wirklich entnommen werden. 104 Jansen, Struktur, S. 577 f. 105 Jansen, Struktur, S. 581 ff., insbesondere S. 591 ff. Hierunter fallen nach Jansen auch die Rechtfertigungsgründe, ders. a.a.O., S. 582 f. und 584 ff. 106 Jansen, Struktur, S. 591. 107 Canaris, VersR 2005, 577, 580 spricht sogar von einem Vorschlag zum Contra-legemJudizieren. 102

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gem. § 276 Abs. 2 BGB die Annahme von Fahrlässigkeit von einem Sorgfaltsverstoß abhängig ist, ist ein solcher Sorgfaltsverstoß Voraussetzung der Haftung, nicht dessen Fehlen ein Hindernis. Die Einwendungsnatur des sorgfaltskonformen Verhaltens hätte zudem zur Folge, dass der Ausschluss der Haftung vom Haftungsadressaten zu beweisen wäre.108 Dies würde zu einer nicht zu begründenden Beweislastumkehr zulasten des Haftungsadressaten führen. Die von Jansen dennoch angenommene Beweispflichtigkeit des Anspruchstellers109 widerspricht seinem eigenen dogmatischen Modell. Zudem möchte Jansen durch sein monistisches Modell die Gefährdungshaftung und die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB vereinen, was auf strukturelle Bedenken stößt. Die Gefährdungshaftung ist eine einzeltatbestandliche für erlaubte Gefährdung, während die Verschuldenshaftung das vermeidbare rechtswidrige Verletzen anderer sanktioniert.110 Der Verweis von Jansen darauf, dass gem. §§ 228 S. 2, 904 S. 2 BGB trotz Rechtmäßigkeit der Verletzung anderer durchaus gehaftet wird, 111 vermag es nicht zu rechtfertigen, die strukturelle Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Haftungssystemen aufzulösen. So liegt § 904 S. 2 BGB mit der Aufopferung sowohl ein anderer Haftungsgrund als auch mit dem Begünstigtenprinzip ein anderes Zurechnungsprinzip zugrunde. 112 Und auch die Haftung gem. § 228 S. 2 BGB ist keine für eine rechtmäßige Schädigung, sondern beruht auf einer Voranknüpfung nach den allgemeinen Grundsätzen der Verschuldenshaftung (actio illicita in causa), die an das schuldhafte und somit verhaltensunrechtlich durchaus rechtswidrige Erzeugen einer Rechtfertigungslage gekoppelt ist. Ein fließender Übergang zwischen der Haftung für rechtswidrige und rechtmäßige Schädigung kann diesen Haftungstatbeständen nicht entnommen werden. Vielmehr bestätigen diese, dass das Gesetz trennscharf zwischen der Haftung für rechtswidrige Schädigung, der von der Rechtswidrigkeit unabhängigen Haftung (Risikohaftung) und der Haftung aufgrund ausnahmsweise erlaubter Schädigung (Aufopferung) differenziert. d. Zwischenergebnis Die Verkehrspflichten sind somit nach allen Ansätzen, die mit dem Gesetz übereinstimmen, mit dem Verschuldensprinzip zu vereinbaren. Unabhängig von deren Schärfe wird gewährleistet, dass letztendlich lediglich bei Verhalten gehaftet wird, das im Sinne des objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs schuldhaft So im Ergebnis auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 12. Jansen, Struktur, S. 588. 110 Vgl. Canaris, VersR 2005, 577, 569 f.; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 12; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 12. 111 Jansen, Struktur, S. 585 f. 112 Darauf weist auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 12 hin. Hierzu bereits umfassend oben S. 176 ff. 108

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ist. Dies wird entweder dadurch erreicht, dass über die strenge äußere Sorgfalt hinaus ein Verstoß gegen eine ergänzende innere Sorgfalt verlangt wird, die den Vorgaben des § 276 Abs. 2 BGB entspricht, oder aber die Zurechnung unmittelbar und ausschließlich an diesem Maßstab gemessen wird. Die alternativen Ansätze, die den Verkehrspflichten eine über das Verschulden hinausgehende Garantiefunktion beimessen, gelangen hingegen in einen unüberwindlichen Konflikt mit den Vorgaben des gesetzlichen Haftungssystems und stehen im Widerspruch zum positiven Recht. 3. Die Handhabung der Verkehrspflichten durch die Rechtsprechung Vom systematischen Ausgangspunkt her sind die Verkehrspflichten, so wie diese durch die Rechtsprechung verstanden werden, mit dem Verschuldensprinzip vereinbar. Dieses Systemverständnis schließt es jedoch nicht aus, dass die Rechtsprechung tatsächlich das formell fortbestehende Verschuldenserfordernis durch überzogene Sorgfaltsanforderungen umgeht und so unter dem Deckmantel der Verschuldenshaftung eine systemwidrige Risikozurechnung praktiziert. 113 Insoweit begründen Formulierungen wie die des OLG Düsseldorf den Verdacht einer vom Rechtstheoretischen abweichenden Praxis. Dieser Verdacht wird auch von Teilen der Rechtswissenschaft gehegt, welche infolge überspannter Verkehrspflichten eine Entwicklung der formellen Verschuldenshaftung zu einer „Garantie- und Risikohaftung“ 114 oder „illegalen Gefährdungshaftung“ 115 festzustellen glauben. 116 Der Umgang der Rechtsprechung mit den Verkehrspflichten wurde dabei umfassend in der Aufsatzliteratur117 und in vielen Monographien118 diskutiert. Rechtsprechungsanalysen erfolgten insbesondere durch Esser119, Blaschczok120 113 Vgl. auch insoweit Stürner, VersR 1984, 297, 299: „Es bleibt [...] der Eindruck einer risikoüberwälzenden Rechtsprechung, die unter der falschen Flagge der Verschuldenshaftung segelt [...]“. 114 Vgl. Westen, Festschrift Hippel, 591 ff. insbes. S. 604 ff. 115 So Esser, JZ 1953, 129; Will, Quellen, S. XXXIV spricht von „heimlichen Gefährdungstatbeständen“. 116 Vgl. auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 130; Stürner, VersR 1984, 297, 299; Laufs, Unglück, S. 21: „Hochgespannte objektive Verkehrspflichten, verbunden gar mit der bei immer zahlreicheren Konstellationen richterlich angeordneten Umkehr der Beweislast für Rechtswidrigkeit, Verschulden und Kausalität führen in eine ‚Grauzone zwischen Deliktsund Gefährdungshaftung’, zwischen Schadenszurechnung und bloßer Schadensverteilung“. Ders., a.a.O., S. 23 f. stellt allerdings auch fest, dass die Gerichte noch nicht offen zur judiziellen Gefährdungshaftung übergegangen sind, obwohl sie sich dieser annähern. 117 Vgl. etwa Esser, JZ 1953, 129 ff.; Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123, 26; Mertens, VersR 1980, 397 ff.; Stürner, VersR 1984, 297 ff.; Westen, Festschrift Hippel, 591 ff. 118 V. Bar, Verkehrspflichten, S. 128 ff.; Voss, Verkehrspflichten, S. 91 ff.; Bohrer, Baum, S. 231 ff. sowie die folgenden Fußnoten. 119 Esser, Grundlagen, S. 30 ff. 120 Blaschczock, Gefährdungshaftung, S. 97 ff.

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und jüngst durch Kolb121. In Anbetracht der Fülle der Abhandlungen kann auf eine eigenständige Untersuchung verzichtet und auf die dortigen Ergebnisse verwiesen werden. Es sind unbestreitbar höchstrichterliche Urteile festzustellen, in denen es zu einer Überspannung der Sorgfaltsanforderungen gekommen ist.122 So ist z. B. die viel kritisierte Balkonsturz-Entscheidung des BGH123 symptomatisch für die überspannten Sorgfaltsanforderungen an den Reiseveranstalter im Reisevertragsrechts. Es müssen allerdings auch gegenläufigen Tendenzen in diesem Bereich berücksichtigt werden, wie die sich im Animateur-Urteil andeutende Relativierung der viel zu strengen Anforderungen für Reiseveranstalter. 124 Ein generelles Übersteigern der Sorgfaltsanforderungen durch die Rechtsprechung konnte jedoch bisher nicht festgestellt werden. 125 Dass es sich bei überspannten Sorgfaltsanforderungen um eine Ausnahmeerscheinung handelt, überrascht im Ergebnis nicht. Die Rechtsprechung betont hinsichtlich der Verkehrssicherungspflichten regelmäßig, dass nicht jeder Gefahr vorbeugend begegnet werden könne und gerade nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintrittes Vorsorge getroffen werden müsse. Es werde der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB bereits dann genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht sei, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.126 Dies präzisiert die Rechtsprechung in den angesprochenen Entscheidungen dahingehend, dass es anerkanntermaßen ausreiche, diejenigen 121 Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 57 ff. und dabei insbesondere die Rechtsprechungsanalyse S. 62 ff. 122 Vgl. hierzu v. Bar, Verkehrspflichten, S. 130; Blaschczock, Gefährdungshaftung, S. 97; Canaris, VersR 2005, 577, 579; Kreuzer, Festschrift W. Lorenz, 123, 26; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 134; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 85; Steffen, VersR 1980, 409, 410; MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 28; Bauer, Festschrift Ballerstedt, 305, 309; Laufs, Festschrift Gernhuber, 245, 250. 123 BGHZ 103, 298 ff.: Alle sicherheitsrelevanten Teile (unter anderem jedes Balkongitter) des Hotels müssen regelmäßig durch einen sachkundigen und pflichtbewussten Beauftragten des Reiseveranstalters überprüft werden. Der BGH bestätigte den strengen Maßstab nochmals ausdrücklich in der Reitunfall-Entscheidung (NJW 2000, 1188 ff.). Eine weitere Verschärfung erfolgte mit der Wasserrutschen-Entscheidung (NJW 2006, 3268 ff.) in welcher die Verkehrssicherungspflichten auf nicht im vom Reiseveranstalter geschuldete, separat kostenpflichtige Einrichtungen auf dem Hotelgelände (Wasserrutsche) erstreckt wurden. Vgl. dazu MünchKommBGB/Tonner, § 651f Rn. 18 ff. 124 Vgl. BGH, NJW 2007, 2549, 2550. 125 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, Vor § 823 Rn. 28; Marburger, AcP 192 (1992), 1, 26. Für einzelne Bereiche ein regelmäßiges Überspannen bejahend Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 85, etwa in der Rechtsprechung zu Reiseveranstaltern (jedoch vor dem bereits erwähnten Animateururteil), (Konzert-)Veranstaltern und Supermarktbetreibern. Voss, Verkehrspflichten, S. 124 f. vertritt hingegen, dass es bisher nicht zu einer Überspannung der Sorgfaltspflichten durch die Rechtsprechung gekommen sei. 126 Aus der jüngeren Zeit: BGH, VersR 2008, 1551 f.; 2007, 72, 73; 2003, 1319; NJW 2010, 1967; 2008, 3775, 3776; 2007, 1683, 1684; 2006, 610; 1990 1236.

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Zugleich tritt sie in zahlreichen Entscheidungen ausdrücklich überspannten Sorgfaltsanforderungen entgegen.127 Ein Systemwechsel hin zur Gefährdungs- oder Risikohaftung durch die Verkehrspflichten kann somit nicht festgestellt werden.128 Dennoch werden Urteilen gelegentlich und in einigen Bereichen sogar vergleichsweise regelmäßig im Zusammenhang mit Verkehrspflichten überspannte Sorgfaltsanforderungen zugrunde gelegt. Es muss jedoch bezweifelt werden, dass dies eine zwingende Konsequenz bestimmter Strukturprinzipien des Deliktsrechts ist, etwa der Verkehrspflichten oder der eingeschränkten Analogiefähigkeit der Gefährdungshaftungstatbestände. Die Ursachen für das unregelmäßige Übersteigern der Sorgfaltsanforderungen durch die Rechtsprechung dürften eher im menschlichen und nicht im dogmatischen Bereich anzusiedeln sein. Einen nicht unerheblichen Einfluss dürfte das menschlich nachvollziehbare, von Mitleid getriebene Bedürfnis haben, einem vom Schicksal hart getroffenen Geschädigten Ersatz zukommen zu lassen. Ist dies infolge einer bestehenden Haftpflichtversicherung möglich, ohne dass dies ruinöse Folgen für den Schädiger hat, dürfte die Hemmung der Gerichte, Ersatz zuzusprechen, erheblich vermindert sein. 129 Eine weitere wichtige Triebfeder überspannter Sorgfaltsanforderungen ist der sog. Rückschaufehler (hindsight bias). Die Kognitionspsychologie beschreibt damit die Neigung des Menschen, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen erheblich zu überschätzen, wenn und weil sie bereits eingetreten sind. 130 Auch die Gerichte unterliegen dem Phänomen, dass die für die Höhe der Sorgfaltsanforderungen relevante Wahrscheinlichkeit und die mögliche Schwere des Schadensereignisses aufgrund der ex post-Betrachtung überschätzt werden, weshalb der Sorgfaltsmaßstab zu hoch ansetzt wird. 131 Entsprechende Bedenken äußerte etwa Esser bereits sehr früh, der kri127 BGH, VersR 2003, 1319; 1994, 1128, 1129; NJW-RR 1995, 1173; NJW 1993, 2989, 2992; OLG Nürnberg, VersR 1967, 1083; OLG Hamm, MDR 1979, 1022; LG Dortmund, NJW-RR 1988, 865 f. 128 Vgl. dazu Blaschczok, Gefährdungshaftung, S. 99 ff., mit umf. Nachw.; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 79 ff. insbes. 83 ff., m. umf. Nachw.; vgl. auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 177: Das Verschuldensprinzip sei rechtstechnisch gewahrt. 129 So auch Pick, Verkehrspflichten, S. 12; v. Bar, AcP 181 (1981), 289, 292; Looschelders, VersR 1996, 529, 537. 130 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 81 unter Hinweis auf Rachlinsky, A Positive Psychological Theory of Judging in Hindsight, in: Sunstein (Hrsg.), Behavioral Law and Economics (2000), S. 95, 99 ff.; dazu auch, Schäfer/Ott, Analyse, S. 106 f.; Bohrer, Baum, S. 243 ff.; Falk, in: Brodersen (Hrsg.), Vincere Scis, 9, 12 ff. 131 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, S. 81; Schäfer/Ott, Analyse, S. 106; Viscusi, American Law and Economics Review Vol. 1 (1999), 26, 46 ff.; Bohrer, Baum, S. 255 ff.

§ 8 Abkehr vom Verschulden?

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tisch auf die Tendenz der Rechtsprechung hingewiesen hat, die Angemessenheits- und Zumutbarkeitsfrage (ex post) vom eingetretenen Schadenserfolg abhängig zu machen. 132 Einen weiteren Umstand benennt schließlich Steffen. Er als Betroffener identifiziert das Problem, dass die bei der Bestimmung der Sorgfaltspflichten in der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Schutzgüter asymmetrisch greifbar sind.133 Das durch das Schadensereignis plastische Integritätsinteresse muss mit dem kaum greifbaren, sehr abstrakten Freiheitsinteresse des Schädigers abgewogen werden. Eine gelegentliche Überbewertung des Integritätsinteresses liegt da trotz aller Professionalität nahe. Die menschlichen Einflüsse in der Rechtsfindung begünstigen somit eine übersteigerte Schärfe der Verkehrspflichten. Es besteht sowohl hinsichtlich des Integritätsinteresses als auch der Schadenswahrscheinlichkeit eine Tendenz, diese in der den Sorgfaltspflichten zugrunde liegenden Abwägung überzubewerten. In Verbindung mit den emotionalen Einflüssen kann es deshalb nicht verwundern, dass in Einzelfällen und in bestimmten Konstellationen sogar regelmäßig das Verschuldensprinzip nicht beachtet wird. Eine dogmatische Lösung dieser Problemlage ist jedoch nicht möglich und auch nicht nötig. Vielmehr müssen die einzelnen Entscheidungen kritisiert und die Bereiche regelmäßig überspannter Sorgfaltspflichten identifiziert werden. 4. Ergebnis Es bleibt zusammenfassend festzustellen, dass die Rechtsprechung und auch nahezu die gesamte Lehre – trotz verschiedener Konstruktionen – im Zusammenhang mit den Verkehrspflichten strukturell am Verschuldensprinzip festhalten. Zumeist wird zwischen Verkehrspflichtwidrigkeit und Verschulden differenziert, indem die reine Verkehrspflichtwidrigkeit des Verhaltens und damit die Verletzung der äußeren Sorgfalt noch kein Verschulden und somit keine Haftung begründet. Alternativ werden zwar Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten gleichgesetzt, aber die Verkehrspflichten auf das Maß des § 276 Abs. 2 BGB beschränkt und das individuelle Verhältnis zu diesen berücksichtigt, wodurch das Verschuldensprinzip ebenfalls gewahrt bleibt. Die Auffassung, die in den Verkehrspflichten über das Verschuldensprinzip hinausgehende Garantiepflichten sieht, lässt sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren und ist deshalb abzulehnen. Auch in der Praxis wird das Verschuldensprinzip durch die Rechtsprechung zu den Verkehrspflichten nicht strukturell überwunden. Das gelegentliche und in einigen, sehr selektiven Bereichen sogar regelmäßige Überspannen der Sorgfaltsanforderungen durch die Rechtsprechung ist nicht legitimierungsfähig und -bedürftig. Ursächlich für diese Fehlentscheidungen sind dabei keine rechtlich-konstruktiven, sondern menschliche Umstände. Statt diese verfehlte 132

133

Vgl. Esser, JZ 1953, 129, 133; beipflichtend v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 15. Vgl. Steffen, VersR 1980, 409, 410.

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Dritter Teil: Zweifel am Verschuldensprinzip

Rechtsprechung über die Verkehrspflichten zu rechtfertigen, sollten die entsprechenden Urteile kritisiert 134 und auf eine Korrektur durch die Rechtsprechung hingewirkt werden.

So auch Bauer, Festschrift Ballerstedt, 305, 309; Canaris, VersR 2005, 577, 579 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 427 f.; Kolb, Verschuldensgrundsatz, S. 85. 134

Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall Nachdem Funktion und Inhalt der Zurechnungsprinzipien dem Grunde nach geklärt wurden, 1 gilt es im Folgenden zu beleuchten, inwieweit die Zurechnung ergänzt werden muss, damit im Einzelfall wirklich eine Haftung eintritt, wie sie das Gesetz bezweckt. Damit die vom Haftungsrecht vorgesehene Rechtsfolge „Schadensersatz“ eintreten kann, bedarf es noch einer zweiten Stufe der Zurechnung. Auf dieser wechselt das Zurechnungsobjekt von der Rechts- bzw. Schutzgutbeeinträchtigung oder der Pflichtverletzung zum Schaden. Es bedarf deshalb der Schadens- bzw. Folgenzurechnung, damit der Schädiger für den konkreten Schaden und eventuelle Folgeschäden verantwortlich gemacht und zu deren Ersatz verpflichtet werden kann. Weder die theoretische Grundlage noch die genaue Reichweite dieser zweiten Zurechnungsebene sind wirklich geklärt, weswegen diese in § 9 beleuchtet werden. In § 10 soll untersucht werden, wie die Zurechnung konkretisiert werden muss, damit Schadensereignisse ausgeschieden werden, die materiell gleichwohl Zufälle sind, obwohl die Voraussetzungen eines Zurechnungsprinzips erfüllt sind. Insoweit werden drei Zurechnungskriterien oder -figuren bemüht, die umfassend oder zumindest bereichsweise gültig sein sollen. Dabei handelt es sich um das Adäquanzkriterium, die Schutzzwecktheorie und das allgemeine Lebensrisiko. Diese „allgemeinen“ Zurechnungskriterien unterscheiden sich von den „speziellen“ Zurechnungskriterien, die jeweils für ein spezielles Zurechnungsproblem entwickelt wurden und im Anschluss noch eingehend beleuchtet werden. In § 11 werden die bereits erwähnten speziellen Zurechnungskriterien behandelt. Die scheinbar zusammenhanglos nebeneinanderstehenden Kriterien, Formeln und scheinbar mit materieller Rechtswirkung versehenen Faustregeln sind auf allen Ebenen der Zurechnung anzutreffen. Es soll der Versuch unternommen werden, den einheitlichen Grundgedanken dieser Zurechnungsfiguren und das ihnen innewohnende System zu erhellen. Auf diese Weise sollte es möglich sein, deren Anzahl zu reduzieren und zugleich die Dogmatik der Zurechnung weiter zu vereinheitlichen.

1

Dazu § 4 (S. 102 ff.) und § 5 (S. 145 ff.).

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Zuletzt scheint das Gesetz selbst die Zurechnung in einigen wenigen Fällen von den bisher aufgezeigten Fesseln zu befreien und diese scheinbar grenzenlos zuzulassen. Es sieht in einigen Konstellationen, die im Wege der Analogie noch erweitert werden, das eigentlich Unvorstellbare vor: Die Zurechnung des Unzurechenbaren – eine Haftung für Zufall. Diese Haftung knüpft an vorangegangenes rechts- oder pflichtwidriges Verhalten an. Es stellt sich die Frage, ob diese Haftung wirklich eine grenzenlose für versari in re illicita ist, die frei von materiellen Zurechnungserwägungen erfolgt. Dies gilt es in § 12 zu untersuchen.

§ 9 Die Schadens- und Folgenzurechnung „Herr, die Noth ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd’ ich nun nicht los.“ (aus der Goethes Zauberlehrling 1)

Die Schadenszurechnung wird von wenigen grundsätzlichen „Prinzipien“ 2 beherrscht. Neben diese tritt das positiv normierte Schadensersatzrecht, das mit den §§ 249 ff. BGB und wenigen Sonderregelungen eine sehr geringe Kodifikationsdichte aufweist. Die schadensersatzrechtlichen Vorschriften vermögen allerdings nicht wirklich Hilfe dabei zu leisten, konkrete Zurechnungsprobleme zu bewältigen.3 An die Stelle der fehlenden positiven Regelungen ist deshalb ein richterliches „System“ der Haftungsausfüllung getreten, das aus unzähligen Einzelentscheidungen gewachsen ist und sich bei genauerer Betrachtung auch heute noch als Ansammlung „fundamentlose[r] Kasuistik“ 4 erweist. Mangels einer grundlegenden Durchdringung der haftungsausfüllenden Zurechnung durch die Lehre, ist die Rolle der Rechtsprechung auch heute noch so dominant, dass von einer absoluten „Vorherrschaft des Richterrechts“ 5 in diesem Bereich gesprochen werden muss. Weil es kein dogmatisches Fundament gibt, ist es schwierig, eine einheitliche Theorie der Folgenzurechnung zu entwickeln. Hinderlich ist auch, dass schon hinsichtlich grundsätzlicher struktureller Aspekte erheblicher Dissens bestehen. So wird bereits die Unterscheidung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Zurechnung angezweifelt. 6 Diese Skepsis ist nicht

Goethe, Werke I, S. 220. Bei vielen der als Prinzipien bezeichneten Institute der Haftungsausfüllung handelt es sich normtheoretisch um Regelungen, von denen nur auf der Grundlage konkreter Ausnahmetatbestände abgewichen werden darf. Zur wichtigen Unterscheidung von Prinzipien und Regelungen und den daraus folgenden Konsequenzen bereits S. 118 ff. 3 Vgl. hierzu Roussos, Schaden, S. 2. 4 Hagen, AcP 182 (1982), 577. 5 Vgl. Grunsky, Karlsruher Forum 1983, 101; Roussos, Schaden, S. 3. 6 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 108; Wendehorst, Anspruch, S. 82 ff.; Zimmermann, JZ 1980, 10, 16; krit. auch Kramer, JZ 1976, 343; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 121. 1

2

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

verwunderlich. Viele europäische Rechtsordnungen und auch die Rechtsvereinheitlichungsprojekte, wie etwa der Entwurf eines gemeinsamen Referenzrahmens (DCFR), kennen eine solche Differenzierung nicht. Für das deutsche Recht kommt man jedoch nicht umhin, die Schadenszurechnung als eigenständige Zurechnungsebene zu erfassen. Es ist nicht möglich, diese zugunsten einer einheitlichen, wie auch immer gearteten Zurechnung über Bord zu werfen. Die Schadenszurechnung ist im Gesetz, und dabei insbesondere in § 823 Abs. 1 BGB, strukturell angelegt. 7 Sie sollte auch zukünftig nicht als überkommener dogmatischer Ballast verworfen werden. Erst die Trennung zwischen Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung ermöglicht es, das Verhalten und seine Folgen wirklich präzise zu bewerten. Eine präzise Bewertung der haftungsrechtlichen Verantwortung ist auch geboten. Jede Einschränkung der Ersatzpflicht von tatsächlich entstandenen Schäden bedeutet im Ergebnis, dass dem nicht verantwortlichen Geschädigten eine proportionale „Haftung“ auferlegt wird. Der unter Umständen existenzvernichtenden Haftung des Schädigers, die in der Argumentation zugunsten von Zurechnungsbeschränkungen gelegentlich bemüht wird,8 steht notwendig gegenüber, dass alternativ der Geschädigte einen ebenso existenzvernichtenden Schaden zu erleiden droht. Deswegen leuchtet es ein, dass derjenige, der für den schädigenden Kausalverlauf verantwortlich ist, dem Geschädigten die negativen Folgen desselben abnehmen muss. Es wäre verfehlt, dem Geschädigten diese Schäden als realisiertes Eigenrisiko zuzuweisen. Ebenso unangemessen wäre es freilich, den Schädiger für Schäden einstehen zu lassen, die nicht Folgen seines Verhaltens sind. 9 Die Gretchenfrage der Schadenszurechnung ist deshalb, was genau „die Folgen“ des zurechenbaren Verhaltens sind. Und eben diese Frage bedingt und beschreibt das Erfordernis einer haftungsausfüllenden bzw. Folgen-Zurechnung. Gegenstand dieser Untersuchung ist nur ein Teilbereich des Gesamtkomplexes der Haftungsausfüllung. Von der Schadenszurechnung sind die schlichte Schadensfeststellung und -bemessung zu unterscheiden, sowie die wichtige Vorfrage, ob eine Interessenbeeinträchtigung überhaupt als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen ist. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Schadens- bzw. Folgenzurechnung. Diese beschreibt das Erfordernis einer normativen Verbindung zwischen dem konkreten, abstrakt ersatzfähigen Schaden und dem Haftungsadressaten.

7 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 108; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 10; Jansen, JZ 2005, 160, 171. 8 Vgl. Schack, JZ 1986, 305. 9 Plakativ U. Huber, Diskussionsbeitrag, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 156: „Für die Nichtfolgen will ihn [den Schädiger] niemand haften lassen.“ (Hervorhebung im Original).

§ 9 Die Schadens- und Folgenzurechnung

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I. Das Risikoprinzip als maßgebliches Zurechnungsprinzip Auf der Ebene der Haftungsausfüllung ist die Zurechnung von essentieller Bedeutung. Allein der Umstand, dass ein Schädiger einen Haftungstatbestand erfüllt und der Geschädigte einen Schaden erlitten hat, begründet noch keine Ersatzpflicht. Der Schädiger muss für den Schaden, der Inhalt des Ersatzanspruches sein soll, verantwortlich sein. 10 Das Prinzip der zweiseitigen relativen Rechtfertigung ist auch bezüglich eines jeden Schadens zu beachten.11 1. Das Prinzip des Totalersatzes Der Gesetzeswortlaut sieht grundsätzlich hinsichtlich der Schadensfolgen keine Einschränkung der Zurechnung vor, sofern diese nur aus der haftungsbegründenden Verletzung resultieren. 12 Die Haftungsnormen ordnen etwa an, dass derjenige, der den Haftungstatbestand erfüllt, „den daraus entstehenden Schaden“ zu ersetzen hat oder der Geschädigte Ersatz „des hierdurch entstandenen Schadens“ verlangen kann. Dem Wortlaut der Normen kann deshalb lediglich entnommen werden, dass zwischen dem haftungsbegründenden Tatbestand und dem Schaden ein Kausalzusammenhang bestehen muss. Ebenso enthält die Zentralnorm des Schadensersatzrechts § 249 Abs. 1 BGB keine Einschränkung der Ersatzpflicht und auch § 251 Abs. 2 BGB beschränkt lediglich den Umfang der Naturalrestitution, nicht aber den der Ersatzpflicht als solche. In der Haftungsausfüllung gilt das „Prinzip des Totalersatzes“.13 Dieses „Prinzip“ 14 wird häufig zum maßgeblichen Zurechnungsprinzip erklärt. Der

Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 27 I, S. 424; HKK/Jansen, §§ 249–253, 255, Rn. 63. Vgl. zu diesem oben S. 110 f. 12 Vgl. Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 222; U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321, 328; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b, S. 435; E. Lorenz, Festschrift Deutsch, 252, 252; Kramer, AcP 156 (1957), 114, 126. 13 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 32; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 4; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 167; HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 39; Laufs, Unglück, S. 10; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 14; Roussos, Schaden, S. 80 ff.; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 2; Schack, JZ 1986, 305; Stoll, Haftungsfolgen, S. 179; Wendehorst, Anspruch, S. 156; Gisawi, Totalreparation, S. 1 ff.; Motive II, S. 17 f. (Mugdan II, S. 10). Eingehend zu den historischen und naturrechtlichen Grundlagen der Totalreparation Gisawi, Totalreparation, passim. 14 Dieses „Prinzip“ erweist sich bei genauerer Betrachtung nicht als abwägungsfähiges Rechtsprinzip im Sinne der Prinzipientheorie, sondern als nicht ausdrücklich normierte (HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 73) Regelung (für die Prinzipiennatur hingegen Bydlinski, System, S. 220, 225 ff.; Gebauer, Kausalität, S. 258 f.). Um abwägungsfähige Prinzipien handelt es sich hingegen bei den sog. „Zielen des Schadensersatzes“, in der Form des Ausgleichsprinzips (vgl. Bydlinski, System, S. 188; Roussos, Schaden, S. 15 f.) und des Präventionsprinzips (vgl. Bydlinski, System, S. 190; zu weitgehend Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff.). Ob darüber hinaus ein Versorgungsprinzip (vgl. Schiemann, Argumente, S. 234 ff.) 10

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Haftungsadressat wird für alle entstandenen Schäden verantwortlich gemacht und jede Beschränkung der Zurechnung für in jedem Einzelfall begründungsbedürftig erachtet. 15 Sämtliche Einschränkungen der umfassenden Zurechnung, wie etwa die Schutzzwecktheorie, seien notwendige „Korrekturen“, die allerdings die Position des Gesetzes mit seinem Prinzip des Totalersatzes zu unterlaufen bezwecken. 16 Ein solches Verständnis der Verantwortungszuweisung in der Haftungsausfüllung ist jedoch mit dem Gedanken der Zurechnung nur schwer zu vereinbaren. Ändert sich in der Haftungsausfüllung der Gegenstand der Zurechnung von der Verletzung zum Schaden, so muss die Verantwortlichkeit des Zurechnungssubjekts für dieses „neue“ Zurechnungsobjekt ebenfalls positiv begründet werden. Das Prinzip des Totalersatzes für die Zurechnung von Schäden und insbesondere Folgeschäden heranzuziehen, kann schon aufgrund des materiellen Gehalts des vermeintlichen Zurechnungsprinzips nicht überzeugen. Die Zurechnung würde nämlich auf der Grundlage reiner Kausalität erfolgen17 und

anzuerkennen ist, muss hier nicht entschieden werden. Gleichwohl erscheint es vorzugswürdig, dieses als Unterprinzip dem Ausgleichsprinzip zuzuordnen, soweit es anerkennungsfähig ist (vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 11; Larenz, Schuldrecht I, § 27 I, S. 425). Kein Bestandteil des Haftungssystems im engeren Sinne ist das Pönalprinzip, dessen vermeintlich festgestellte Wiederkehr (vgl. etwa Ebert, Elemente, S. 409 ff., 442 ff.) auf der Missinterpretation präventiver Zielsetzungen beruht (vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 25; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 12 f.). Etwa bezweckt § 15 Abs. 2 AGG keine Sanktion im Sinne von Strafe, sondern Prävention (vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 2 Rn. 27; MünchKommBGB/Thüsing, § 15 AGG Rn. 13). Das Prinzip des Totalersatzes ist, ebenso wie das Bereicherungsverbot (hierzu Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 10; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 20), Ausdruck und Umsetzung einer grundsätzlichen Vorrangrelation des Ausgleichsprinzips, welches ein Unterprinzip des Güterschutzes als Wertprinzip ist (so auch Bydlinski, System, S. 188), auf der Prinzipienebene, insbesondere gegenüber dem Präventionsprinzip. Auch das Präventionsprinzip lässt sich auf den Güterschutz und dessen Konflikt mit der Handlungsfreiheit zurückführen. Ausnahmen von der Regelung des Totalersatzes sind lediglich dann angebracht, wenn das relative Gewicht anderer Wertprinzipien eine teleologische Reduktion oder eine Analogie zu einem ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestand erforderlich macht (vgl. hierzu bereits S. 124). Derartige Ausnahmetatbestände sind etwa die Haftungshöchstbeträge bei der Gefährdungshaftung, § 254 BGB sowie die Beschränkung der Haftung von Arbeitnehmern im Innenverhältnis (sog. innerbetrieblicher Schadensausgleich). 15 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 124; in diese Richtung auch Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 12. 16 Lang, Normzweck, S. 94, 103; Lange, JZ 1976, 198, 205; U. Huber, Festschrift Wahl, 321 ff. 17 So noch Mommsen, Interesse, S. 115 ff.; 137 ff. „Kausalnexus“; hierzu auch Stoll, Kausalzusammenhang, S. 35; HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 72.

§ 9 Die Schadens- und Folgenzurechnung

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letztendlich eine Haftung für versari in re illicita begründet.18 Eine solche umfassende „Kausalhaftung“ für Verletzungsfolgen aus versari in re illicita war für das BGB niemals intendiert. 19 Zu Recht wird das Verständnis der Folgenzurechnung als echte Kausalhaftung auch grundsätzlich abgelehnt.20 Da Kausalketten kein Ende aufweisen, würde eine strikte Umsetzung des Prinzips des Totalersatzes zu einer irrational weiten Haftung führen, die weder zu rechtfertigen, noch praktikabel wäre. Es wären sämtliche schlicht kausalen Folgeschäden zu ersetzen. Bloße Kausalität vermag jedoch, wie bereits ausgeführt, 21 niemals rechtliche Verantwortung zu begründen. 22 Mit dem Prinzip des Totalersatzes als Zurechnungsprinzip ist solch eine inhaltsleere Begründung der Zurechnung jedoch notwendig verbunden. Adäquanz und Schutzzwecktheorie schränken die auf anderer Grundlage begründete Zurechnung lediglich ein und begründen diese nicht positiv. 23 Damit ist das Kernproblem der Schadenszurechnung aufgedeckt. Erst wenn man von der Kausalität und damit dem Prinzip des Totalersatzes als vermeintlich tragendem Zurechnungsprinzip ablässt, ist es möglich, sich über die Strukturen der Schadenszurechnung Gedanken zu machen. Indem man sich von der umfassenden Ersatzpflicht distanziert, kann die Frage nach der Verantwortung des Zurechungssubjekts für den einzelnen, konkreten Schaden gestellt und die positiven Gründe für die erforderliche Zurechnung zum Subjekt können benannt werden. 2. Die Schadenszurechnung als Zurechnung nach dem Risikoprinzip Dreh- und Angelpunkt einer Dogmatik der Schadenszurechnung ist es, das für die Haftungsausfüllung einschlägige Zurechnungsprinzip zu ermitteln. Weitestgehend Einigkeit besteht dahingehend, dass es entsprechend dem Willen

Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321; Lang, Normzweck, S. 92 f.; Lange, Verhandlungen I, S. 24. Zur Haftung für versari in re illicita vgl. unten § 12 (S. 409 ff.). 19 Hierzu Roussos, Schaden, S. 82, 84 sowie sogleich. 20 Vgl. Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 228; Lang, Normzweck, S. 92; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 81; HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 64 ff.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 107; Roussos, Schaden, S. 82 f. 21 Siehe S. 105. 22 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 469; Deutsch, Festschrift Honig, 33, 50 f.; Görgens, JuS 1977, 709, 711; Larenz, NJW 1955, 1009, 1011; ders. Zurechnungslehre, S. 61. 23 Hierzu eingehend S. 300 f. 18

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

des historischen Gesetzgebers24 für die Zurechnung auf die subjektive Vorhersehbarkeit des Schadens nicht ankommt. 25 Dennoch werden teilweise gegenläufige Bestrebungen durch die Literatur verfolgt. 26 Die Vorhersehbarkeit als Grenze der Zurechnung ist in anderen Rechtsordnungen durchaus geläufig, etwa in der Form der „foreseeability doctrine“, die unter anderem im Common Law27 vorherrscht und in III.–3.703 DCFR und Art. 9:503 PECL normiert ist. Das deutsche Recht hat sich für einen anderen Weg entschieden. Dies belegt die Obliegenheit des Geschädigten gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB, auf die unbekannte Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen. 28 Diese Regelung setzt die Zurechnung unvorhersehbarer Schäden logisch voraus und schränkt lediglich im Nachhinein die Ersatzpflicht ein, wenn die Obliegenheit verletzt wurde. Die Schadenszurechnung erfolgt zudem nicht nach dem maßgeblich an die Vorhersehbarkeit anknüpfenden Verschuldensprinzip. 29 Und auch das haftungsbegründende Verschulden muss sich nicht auf den Schaden und damit den Haftungsumfang beziehen, 30 zumal dieses bei der Risiko- und Begünstigtenhaftung sowieso unanwendbar ist. Die Schadenszurechnung erfolgt richtigerweise nach dem Risikoprinzip.31 Es besteht heute wohl im Ergebnis auch Einigkeit, dass sich im Schaden noch ein mit dem haftungsbegründenden Umstand verbundenes Risiko realisieren

Vgl. Motive II, S. 18 (Mugdan II, S. 10). Vgl. Jansen, JZ 2005, 160, 171; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 72; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III, S. 436; Erman/Ebert, § 249 Rn. 43; BGHZ 59, 30, 39; BGH, NJW 1989, 767. Zur bewegten Entstehungsgeschichte dieses Umstandes vgl. HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 43. 26 Für das Vertragsrecht bereits Rabel, Recht I, S. 491 ff., 495 ff.; sympathisierend Jansen, JZ 2005, 160, 171; zur ökonomischen Wirkung vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 509 ff. 27 V. Bernstorff, Einführung, S. 98. 28 Im Ergebnis führt § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zu einer entsprechenden Wirkung wie die materielle Begrenzung der Ersatzpflicht auf vorhersehbare Schäden (vgl. dazu Schäfer/Ott, Analyse, S. 510). 29 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 85; dens., Festschrift Honig, 33, 52; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 4; Lang, Normzweck, S. 92; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 81; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 353; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 107; Stoll, Kausalzusammenhang, S. 25. 30 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 85; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, § 33 I 1 b, S. 214; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 11; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 353; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 141, 144; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1228; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 892; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 152; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 83. 31 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470, Fn. 8; Friese, Haftungsbegrenzung, S. 142; U. Huber, JZ 1969, 677 ff.; dens, Festschrift Wahl, 301, 321 ff.; Stoll, Haftungsfolgen, S. 403 f.; dens., Kausalität, S. 26; in diese Richtung auch Lang, Normzweck, S. 93 f.; Lange, JZ 1976, 198, 205. 24

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§ 9 Die Schadens- und Folgenzurechnung

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muss. 32 Dieser Risikozusammenhang ist mehr als bloße Kausalität. Der Schädiger soll dem Geschädigten ausschließlich die materiellen (Schadens-)Folgen seines zu verantwortenden Handelns33 abnehmen. Er soll hingegen nicht für die zukünftige Integrität fremder Güter und Interessen über die Kausalbeziehung garantieren. Gegenstand der Schadenszurechnung ist dementsprechend nicht zu bestimmen, welche schlicht kausalen Schäden dem Schädiger „gerade noch zumutbar“ als Ersatzpflicht auferlegt werden können. Die Zurechnung soll stattdessen feststellen, für welche Schäden er infolge seines haftungsbegründenden Verhaltens überhaupt verantwortlich gemacht werden muss, sodass er den Geschädigten von diesen zu befreien hat. Die Schäden, die zurechenbare Folge des Verhaltens des Schädigers sind, und auch nur diese,34 müssen dem Zurechnungssubjekt angelastet werden. Wie generell bei der Risikozurechnung, muss zunächst das abstrakt zu verantwortende Risiko bestimmt werden. Erst dann kann entschieden werden, ob eine konkrete Schadensposition diesem Risiko und entsprechend dem Verantwortungsbereich des Schädigers zugehörig ist. 35 Die abstrakte Risikoverantwortung wird durch den haftungsbegründenden Tatbestand definiert. Die haftungsbegründende Norm und insbesondere das verletzte Verhaltensgebot 36 bestimmen das Ersatzfähige und -pflichtige und somit das abstrakt zu verantwortende Risikospektrum. Die Schadenszurechnung bestätigt dabei, dass sich dieses im tatsächlichen Geschehen realisiert hat. Bei der Verschuldenshaftung muss sich deshalb auch im Schaden oder der Folgebeeinträchtigung ein missbilligtes Schadensrisiko des Verhaltens realisieren, das durch das Verhaltensgebot zu verhindern bezweckt wurde. Bei der Risikohaftung muss hingegen im Schaden oder der Folgebeeinträchtigung „noch“ das dem Haftungsadressaten zugewiesene spezifische Risiko – also die Tier- oder Betriebsgefahr – wirken. Schlussendlich bestimmt in der Begünstigtenhaftung das durch die Eingriffsbefugnis überwundene Verhaltensgebot bzw. -verbot, was die hypothetisch missbilligten Schäden sind. Diese sind infolge der Aufopferung ersatzpflichtig. Denn nur diejenigen Schäden, die ohne die Eingriffsbefugnis als vom Verhaltensgebot umfasste missbilligte Folgen zu ersetzen wären, werden tatsächlich aufgeopfert. In der Verschuldenshaftung hypothetisch nicht ersatzpflichtige und somit „erlaubte“ Beeinträchtigungen sind realisiertes Eigenrisiko und können nach dem Zweck der Aufopferungshaftung, mangels eines „Sonderopfers“,

32 Vgl. Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 137; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 120 f. 33 Bei der Risikohaftung bezieht sich dies freilich auf die Risikorealisierung. 34 Vgl. U. Huber, Diskussionsbeitrag zum Karlsruher Forum 2007, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 156: „Für die Nichtfolgen will ihn [den Schädiger] niemand haften lassen“ (Hervorhebung im Original). 35 Zu dieser Zweigliedrigkeit der Risikozurechnung bereits S. 152 ff. 36 Eingehend hierzu S. 316 ff.

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nicht ersatzpflichtig sein. Die genaue Reichweite der jeweiligen Schadenszurechnung wird aus Gründen der Übersichtlichkeit später noch eingehend dargestellt. 3. Risikozurechnung und Totalersatz Ist nun das Zurechnungsprinzip ausgemacht, so stellt sich die Anschlussfrage, welche Auswirkungen dies für das „Prinzip“ des Totalersatzes hat. Durch das Risikoprinzip, als das allein maßgebliche Zurechnungsprinzip, wird das Prinzip des Totalersatzes weder verdrängt noch entbehrlich. Dessen Aussagegehalt beschränkt sich lediglich auf eine engere Rechtsfolgenanordnung, die aber auch stimmiger ist. Es besagt nicht, dass sämtliche schlicht kausal verbundenen Schäden zu ersetzen sind, sondern dass die zurechenbaren Schäden grundsätzlich umfassend zu ersetzen sind. Das Prinzip des Totalersatzes ist richtigerweise kein Zurechnungsprinzip, sondern ein Mittel der Schadensbemessung, welches den Umfang der Ersatzpflicht festlegt. Die Zurechnung ist deshalb, wie Jansen feststellt, gegenüber der das Mittel des Totalersatzes darstellenden Differenzermittlung teleologisch vorrangig. 37

II. Die Konkretisierungsbedürftigkeit der Schadenszurechnung Die größte Schwierigkeit der Schadenszurechnung besteht darin, die Risikoverantwortung im Sinne der abstrakt zu verantwortenden Schadensrisiken zu bestimmen. Sämtliche haftungsausfüllenden Zurechnungserwägungen versuchen lediglich, den Zusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und dem Schaden festzustellen. Haftungsbegründende Ereignisse sind beispielweise sorgfaltswidrige Rechtsgutsverletzungen oder zu vertretende Pflichtverletzungen. Nur wenn man das Erfordernis der Schadenszurechnung ernst nimmt, wird sowohl der befürchteten Überkompensation des Geschädigten entgegengewirkt, 38 als auch dem spiegelbildlichen Risiko, diesen auf real erlittenen und ausgleichsbedürftigen Schäden „sitzen zu lassen“. Gegenstand der Schadenszurechnung sind dabei, neben reinen Vermögensschäden und -folgeschäden, insbesondere Folgeverletzungen39, welche infolge ihres inneren Zusammenhangs zur „Primärverletzung“ keiner erneuten haftungsbegründenden Bewertung unterworfen werden müssen. Die Zurechenbarkeit materieller und immaterieller Folgeschäden begründet jedoch erhebliche Probleme. Da die haftungsbegründende Beeinträchtigung und die Schadensposition nicht identisch sind, muss die normative Verbindung zwischen Schaden Vgl. Jansen, JZ 2005, 160, 172; ähnlich Larenz, Schuldrecht I, § 27 I, S. 424. Hierzu Roussos, Schaden, S. 23 ff. 39 Vgl. Roussos, Schaden, S. 41; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 81 f.; Stoll, Kausalzusammenhang, S. 25 f. 37

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und Schädiger, die für die Ersatzpflicht notwendig ist, ebenfalls über den haftungsbegründenden Tatbestand vermittelt werden. Gleichzeitig muss sich jedoch die haftungsbegründende Zurechnung, wie etwa ein Verschulden, nicht auf die Folgen erstrecken. Es stellt sich deshalb die Frage, was genau Bezugspunkt der Schadenszurechnung nach dem Risikoprinzip ist. Häufig wird im Hinblick auf § 823 Abs. 1 BGB formuliert, dass die haftungsausfüllende Zurechnung den Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung und dem Schaden umfasst. 40 Dem Ansatz, die Zurechnung ausschließlich auf der Grundlage der Rechtsgutsbeeinträchtigung zu begründen, ohne auf das Verhalten des Zurechnungssubjekts Bezug zu nehmen, fehlt jedoch von vornherein die innere Überzeugungskraft. Die reine Rechtsgutsverletzung trifft nämlich hinsichtlich der Schadenszurechnung und dabei insbesondere bezüglich der Zurechnung von Folgeschäden an anderen Rechtsgütern oder Interessen kaum eine brauchbare Aussage. 41 Bezugspunkt einer teleologisch begründeten Schadenszurechnung kann entsprechend nur der haftungsbegründende Tatbestand als solcher sein. Der haftungsbegründende Tatbestand beinhaltet auch die maßgebliche Verhaltensnorm, also die verletzte Sorgfaltsbzw. Verkehrspflicht. Erkennt man wie Rechtsprechung und herrschende Lehre an, dass die Schutzzwecktheorie im Rahmen der Haftungsausfüllung anwendbar ist, 42 so wird über den Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm das Verhalten des Zurechnungssubjekts zum Bezugspunkt der Zurechnung. Sogar die Adäquanztheorie birgt, zumindest sofern sie auf die Beherrschbarkeit des Geschehensverlaufs als deren innere Legitimation zurückgeführt wird43 oder mit dieser objektiv die Gefahrerhöhung bestätigt werden soll, 44 eine Bezugnahme auf das haftungsbegründende Verhalten. Die Risikoverantwortung, die der Schadenszurechnung zugrunde liegt, wird also durch die Rechtsgutsverletzung und das haftungsbegründende Verhalten bestimmt. Die Rechtsgutsverletzung ist dabei genauer gesagt lediglich ein Bestandteil bzw. ein Durchgangsstadium des tatsächlich maßgeblichen Verhaltens. 40 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 27 III a, S. 432; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 77; Jauernig/Teichmann, Vor §§ 249-253 Rn. 24. 41 Viel zu weit Stoll, Haftungsfolgen, S. 426. Die Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns, der infolge einer Körperverletzung durch die beeinträchtigte (Erwerbs-)Tätigkeit entsteht, aus dem Rechtsgut zu begründen, muss erhebliche Zweifel hervorrufen. Nicht einmal die Unterscheidung zwischen ersatzfähigen erlaubten und nicht ersatzfähigen verbotenen Erwerbsgeschäften (etwa Drogenhandel) lässt sich dem Rechtsgut herleiten, sondern ausschließlich aus den diesbezüglichen Verbotsnormen. 42 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 123; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 29; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 26 f.; BGH, NJW-RR 2003, 1036; 2009, 3025, 3026 und die Nachweise in S. 314 Fn. 49. 43 Vgl. Larenz, Zurechnungslehre, S. 83; dens., NJW 1955, 1009, 1011; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 86; Cantzler, AcP 156 (1957), 29, 48; Schickedanz, NJW 1971, 916, 920. 44 Vgl. Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 132, 140.

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Knüpft die Schadenszurechnung an die Verschuldenszurechnung an, definiert der Schutzzweck des Verhaltensgebots deren äußere Grenzen. Dies gilt im Ergebnis auch für die Folgenzurechnung, die auf die haftungsbegründende Zurechnung nach dem Begünstigtenprinzip folgt. Haftungsgrund ist bei dieser die Aufopferung, die den haftungsbegründenden Tatbestand prägt. 45 Daraus folgt, dass der Schutzzweck des überwundenen Verhaltensgebots die Reichweite der Folgenzurechnung vorgibt. Nur Schäden, die hypothetisch auf der Grundlage der Verschuldenshaftung einschließlich der Schadenzurechnung ersatzpflichtig wären, werden infolge der Erlaubniswirkung der Eingriffsbefugnis aufgeopfert und müssen deshalb als „Sonderopfer“ ersetzt werden. Soweit ein Verhaltensgebot niemals existiert hat, namentlich bei der Risikohaftung, etwa gem. § 833 S. 1 BGB, definiert ausschließlich der Schutzzweck der Haftungsnorm als solche die Grenze und somit die besondere Betriebs- oder Tiergefahr. Wie weit die Zurechnung im Einzelfall reicht, das ist Gegenstand der folgenden Ausführungen (§§ 10 f.).

III. Ergebnis Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Zurechnung von Schäden auf der Ebene der Haftungsausfüllung nach dem Risikoprinzip erfolgt. Die Bestimmung des Schadensumfangs nach dem Prinzip des Totalersatzes ist der Schadenszurechnung teleologisch nachgeordnet. Konkretisiert wird die Reichweite der Schadenszurechnung durch den Schutzzweck der jeweiligen Haftungsnorm, und bei der Verschuldenshaftung ergänzend durch den des verletzten Verhaltensgebots. Bei der Aufopferungshaftung ist hingegen der Schutzzweck des hypothetischen Verhaltensgebots für den Umfang der Schadenszurechnung maßgeblich, die durch die Erlaubniswirkung des Aufopferungstatbestandes überwunden wurde.

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Hierzu S. 176 ff.

§ 10 Die allgemeinen Zurechnungskriterien „Aus Schicksal und Schuld ist das Unglück geschmiedet.“ 1

Die Zurechnungsprinzipien werden durch weitere Kriterien, Formeln oder „Prinzipien“ objektiver Zurechnung ergänzt. Es handelt sich bei diesen Instrumenten der Zurechnungskonkretisierung jedoch nicht um abwägungsfähige Prinzipien, 2 sondern um methodisch begründete Ausnahmetatbestände zu den regelungsförmigen Zurechnungsprinzipien bzw. um den methodischen Ansatz der Konkretisierung selbst. Im Folgenden wird deshalb nur von Zurechnungskriterien oder -formeln, die eine Kombination mehrerer Kriterien sind, gesprochen. Diese Instrumente der Zurechnungskonkretisierung sind erforderlich, weil die abstrakten Zurechnungsprinzipien alleine nicht imstande sind, das Zurechenbare vom Zufall entsprechend den Wertungen des Gesetzes zu trennen. Zurechnungskriterien bzw. -formeln werden zahlreich und in sehr unterschiedlicher Form vertreten. Eine gewisse Sonderrolle nehmen dabei das Adäquanzkriterium, die Schutzzwecktheorie und das allgemeine Lebensrisiko ein. Während die meisten Zurechnungsfiguren, wie etwa die sog. Herausforderungsformel, entwickelt wurden, um eine bestimmte Konstellation problematischer Zurechnung zu bewältigen, sollen Adäquanzkriterium, Schutzzwecktheorie und allgemeines Lebensrisiko problemübergreifend anwendbar und teilweise sogar der Ursprung der speziellen Zurechnungsfiguren sein. 3 Die auf spezielle Konstellationen gemünzten Zurechnungskriterien und -formeln werden aus Gründen des Sachzusammenhangs an anderer Stelle einer umfassenden Untersuchung zugeführt. 4 Im Folgenden sollen lediglich die drei „allgemeinen“ Zurechnungskriterien untersucht werden.

Verfasser unbekannt, Blätter, Band 95, S. 56. Zum Unterschied zwischen Prinzipien und Regelungen vgl. S. 118 ff. 3 Hierzu Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 26. Die Zugehörigkeit der speziellen Zurechnungsfiguren zur Schutzzwecklehre bejahend etwa Sourlas, Adäquanztheorie, S. 165 ff.; Zimmermann, JZ 1980, 10 12; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1226; diese der Adäquanz zuordnend etwa Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 139 ff.; für deren Eigenständigkeit etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 152 f. Weitere Nachw. bei den einzelnen Zurechnungsproblemen. 4 Vgl. zu diesen § 11 (S. 337 ff.). 1

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I. Grundlagen der Zurechnungskonkretisierung Die „ergänzenden“ Zurechnungskriterien unterscheiden sich kategorial von den Zurechnungsprinzipien. Während die Zurechnungsprinzipien die Zurechnung begründen und damit die haftungsrechtliche Verantwortung des Zurechnungssubjekts erstmals anordnen, 5 haben die ergänzenden Zurechnungskriterien eine gegenteilige Wirkrichtung. Sie beschränken die grundsätzlich begründete Zurechnung auf teleologischer Grundlage, indem sie den Zurechnungstatbestand weiter präzisieren oder einen Ausnahmetatbestand zu diesem schaffen. Diese rein einengende Wirkung ist eigentlich selbstverständlich, da das gesetzlich vorgegebene Zurechnungsprinzip stets die äußerste Grenze der Zurechnung bilden muss. Würden etwa bei der Verschuldenszurechnung über die ergänzenden Zurechnungskriterien weitere Kausalverläufe in die Haftung einbezogen, die materiell nicht auf der Sorgfaltspflichtverletzung beruhen, wäre die Erfolgszurechnung nicht mehr vom Gesetz gedeckt und es würde eine systemwidrige Haftung für Zufall begründet.6 Aus den grundsätzlich zurechenbaren Kausalverläufen, die in einem Schadensereignis münden, werden in der objektiven Zurechnung lediglich diejenigen ausgesondert, bei denen eine Haftung aus materiellrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten ist. Die Zurechnung positiv anzuordnen, bezwecken die ergänzenden Zurechnungskriterien hingegen nicht. Durch die Zurechnungskriterien werden also bestimmte Kausalverläufe aus der Zurechnung ausgesondert, die bei undifferenzierter Anwendung des Zurechnungsprinzips eine Haftpflicht begründen würden. Verstößt etwa jemand gegen ein Verhaltensgebot, wie ein Verkehrsschild, und verursacht so einen Schaden, ist trotz der Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens eine Haftung nicht angezeigt, wenn das Verhaltensgebot den konkreten Schaden gar nicht zu verhindern bezweckte.7 Verleitet beispielsweise die Geschwindigkeitsübertretung einen cholerischen Beobachter dazu, aus Wut einen Pflasterstein auf das nächste Fahrzeug zu werfen, so wäre es unangemessen, den Führer des ersten Fahrzeugs für diesen haften zu lassen, obwohl dieser sorgfaltswidrig gehandelt und kausal zum Schaden beitragen hat. Erst durch die Zurechnungskonkreti-

5 Die Kausalität bestätigt lediglich die tatsächliche Verbindung zwischen Erfolg und Verhalten und trifft zur Urheberschaft im Sinne der Zurechnung gerade keine positive Aussage. Ihr Fehlen schließt jedoch die Zurechnung aus (dazu S. 59 ff.). Eingehend zu den Prinzipien der Erfolgszurechnung § 5 (S. 145 ff.). 6 Zu diesem Urteil S. 98. 7 Zur Schutzzwecklehre S. 309 ff. Neben dem besonderen Verhaltensgebot kann nach den allgemeinen Regeln des § 276 Abs. 2 BGB, wegen der übermäßigen Gefährdung fremder Rechtsgüter, ein Sorgfaltsverstoß und somit die Zurechnung begründet sein. Die Zurechnung erfolgt in diesem Fall lediglich auf abweichender Grundlage.

§ 10 Die allgemeinen Zurechnungskriterien

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sierung mittels des Schutzzwecks der Verhaltenspflicht können derartige „materielle“ Zufälle ausgesondert werden, wodurch dem gesetzlich intendierten System der Verantwortungs- und Risikozuweisung entsprochen wird. Zutreffender Anknüpfungspunkt der ergänzenden objektiven Zurechnungskriterien ist das maßgebliche Prinzip der Erfolgszurechnung. Bei der Verschuldenszurechnung sind dies die Sorgfaltspflichten des Haftungsadressaten, die die objektive Zurechnung begründen. Dies wird etwa daran deutlich, dass die speziellen Zurechnungskriterien die Voraussetzungen der Sorgfaltspflichtverletzung weitestgehend vorwegnehmen8 bzw. diese konstellationsspezifisch konkretisieren. Dies wird später insbesondere anhand der „Herausforderungsformel“ noch eingehend aufzuzeigen sein. 9 Durfte sich etwa der Geschädigte zu seinem selbstschädigenden Verhalten herausgefordert fühlen, oder war seine psychische Reaktion im Sinne der Schockschadensdogmatik verständlich, handelte der Haftungsadressat – vorbehaltlich von Rechtfertigungsgründen – sorgfaltswidrig und der Erfolg wird objektiv zugerechnet.

II. Die Adäquanztheorie Die durch v. Kries10 für das Strafrecht entwickelte und insbesondere von Rümelin11, Träger12 und Eneccerus13 für das Zivilrecht fortentwickelte Adäquanztheorie wird von ihren Anhängern als ein die Haftung beschränkendes Kriterium objektiver Zurechnung gehandelt. 14 1. Grundlage der Adäquanztheorie Das Adäquanzkriterium bezweckt, gänzlich unwahrscheinliche Kausalverläufe auszusondern und soll hierdurch eine Haftung für als rein zufällig empfundene Folgen ausschließen. 15 Die innere Legitimation soll darin liegen, dass inadä-

Für die Herausforderungsformel etwa Jansen, Struktur, S. 576 f. Dazu eingehend S. 381 f. 10 V. Kries, VjSchr. f. wiss. Philosophie 1888, 179 ff. 11 Rümelin, AcP 90 (1900), 171 ff. 12 Träger, Kausalbegriff, 1904. 13 Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, § 15 III 2, S. 66 ff. 14 Vgl. Larenz, Zurechnungslehre, S. 81 ff., insbes. S. 83. Deutsch, Festschrift Honig, 33,

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35. 15 So Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 87; Larenz, Zurechnungslehre, S. 83 f.; Erman/Ebert, Vor §§ 249-253 Rn. 31; Schünemann, NJW 1981, 2796, 2797; Träger, Kausalbegriff, S. 166; BGH, NJW 1984, 41.

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quate Folgen mangels Beherrschbarkeit nicht auf den Willen eines Täters zurückgeführt werden können, weshalb die Zurechnung ausscheiden müsse.16 Mittels der Adäquanztheorie sollen dabei all diejenigen Bedingungen aussortiert werden, die nicht im Allgemeinen, sondern nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sind, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen.17 Maßgeblich soll hierbei eine ex ante-Beurteilung vom Standpunkt des Schädigers aus sein, wobei nicht dessen individuelle Erkenntnismöglichkeiten, sondern die eines optimalen Beobachters in der Lage des Täter zugrunde gelegt werden. 18 2. Das foreseeability-Kriterium auf europäischer Ebene Die der Adäquanz zugrunde liegende objektive Vorhersehbarkeit der Schäden ist auch auf der europäischen Ebene als Zurechnungsbegrenzung geläufig. Eine dem Adäquanzkriterium ähnliche Funktion hat beispielsweise das foreseeability-Erfordernis in den europäischen Rechtsvereinheitlichungsprojekten. Unvorhersehbare Schäden werden ebenfalls grundsätzlich nicht zugerechnet. Dieses Kriterium wurde in Art. 3:201 lit. a PETL, Art. 9:503 PECL und III.–3:703 DCFR als Zurechnungsschranke positiv festgeschrieben. Abweichend zum Adäquanzkriterium greift das foreseeability-Kriterium der Principles of European Tort Law jedoch bereits dann ein, wenn der Schaden aus der ex ante-Sicht eines objektiven Beobachters (reasonable person) unter wertender Berücksichtigung der Umstände nicht erkennbar war. Das foreseeability-Kriterium der Principles of European Contract Law knüpft ebenfalls an die objektiv-typisierte Vorhersehbarkeit für die nichtleistende Partei an (foresaw or could reasonably have foreseen), wie auch das des Draft Common Frame of Reference (foresaw or could reasonably be expected to have foreseen). Die Unvorhersehbarkeit in den Principles of European Tort Law ist jedoch lediglich ein Faktor in der Zurechnung, weswegen auch nicht vorhersehbare

16 Vgl. Larenz, Zurechnungslehre, S. 83; dens., NJW 1955, 1009, 1011; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 86; Cantzler, AcP 156 (1957), 29, 48; Schickedanz, NJW 1971, 916, 920. 17 BGHZ 7, 198, 204; 57, 137, 141; 137, 11, 19; BGH NJW 1995, 126, 127; 2002, 2232, 2233; weitere Ausprägungen der Adäquanzformel bei Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 86 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 110; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 13 ff. 18 BGHZ 3, 261, 266 f.; BGH VersR 1972, 67, 69; Musielak, JA 2013, 241; Schack, JZ 1986, 305, 306; Spindler, AcP 208 (2008), 283, 286; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 111 m. w. Nachw.

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Schäden, wie durch die außergewöhnliche Verletzlichkeit des Opfers entstandene (egg shell-cases), 19 in Einzelfällen dennoch zugerechnet werden können.20 Insbesondere kann der Schutzzweck der Norm (the protective purpose of the rule that has been violated) gem. Art. 3:201 lit. e PETL eine Zurechnung unvorhersehbarer Schadensereignisse gebieten. Auch im Rahmen der Principles of European Contract Law und des Draft Common Frame of Reference ist die ausnahmsweise Zurechenbarkeit unvorhersehbarer Schäden vorgesehen. Der Tatbestand von Art. 9:503 PECL und von III.–3:703 DCFR sieht vor, dass das foreseeability-Kriterium unanwendbar ist, wenn die Pflichtverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Es ist also festzustellen, dass die bloße Vorhersehbarkeit des Schadens, der ein für den Schuldner großzügigerer Maßstab als dem deutschen Adäquanzkriterium zugrunde liegt, in keinem der Rechtsvereinheitlichungsobjekte eine absolute Aussage über die Zurechenbarkeit des Ereignisses trifft. 3. Die Entbehrlichkeit des Adäquanzkriteriums Das Adäquanzkriterium ist auf jeder Ebene der Zurechnung erheblichen Bedenken ausgesetzt. Die Stimmen, die die Adäquanz umfassend oder zumindest in Teilbereichen für überflüssig halten, werden immer zahlreicher. 21 Würde über die Zurechnung letztendlich andere Erwägungen als die Adäquanz entscheiden, müsste die Adäquanztheorie teilweise oder sogar vollständig aufgegeben werden. a. Entbehrlichkeit in der Haftungsbegründung Blickt man auf die Anforderungen des Adäquanzkriteriums, so wird zunächst deutlich, dass inadäquate Ereignisse grundsätzlich keinen Sorgfaltsverstoß zu begründen vermögen, weil die Beeinträchtigung nicht vorherseh- oder beherrschbar ist. 22 Alternativ ist der Kausalverlauf nicht mehr vom Schutzbereich der verletzten Sorgfaltspflichten erfasst.23 Weil Sorgfaltspflichten in ihrem Bestand und ihrem Umfang davon abhängig sind, inwieweit das Schadensereignis vorhersehbar ist und wie wahrscheinlich dessen Eintritt ist, begründet das Adä-

Zur besonderen Verletzungsanfälligkeit des Geschädigten eingehend S. 342 ff. Vgl. Spier, PETL, Art. 3:201 Rn. 8 f. 21 Vgl. Bernert, AcP 169 (1969), 421 ff.; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 233 ff.; U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 310 ff.; Lange, AcP 156 (1957), 114 ff.; Jansen, Diskussionsbeitrag, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, S. 131 f.; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 193; Lüer, Begrenzung, S. 127 ff.; E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 144 f.; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 94 ff. 22 Vgl. dazu Deutsch, Haftungsrecht, S. 85; Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184; Träger, Kausalbegriff, S. 219 ff.; BGH. NJW 1993, 2234 (obiter). 23 Dazu umfassend S. 309 ff., insbes. S. 316 ff. 19

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quanzkriterium im Ergebnis keinen über die Sorgfaltspflichten als Zurechnungskriterium hinausgehenden Erkenntnisgewinn. 24 Deutsch attestiert entsprechend, dass Sorgfalt und Adäquanzurteil dasselbe Bezugsmoment, formal denselben Inhalt und prinzipiell die gleiche Funktion haben, und betrachtet die Adäquanz deshalb als bloße „Vorstufe des Verschuldens“.25 Genauer gesagt ist diese Adäquanz allenfalls ein teilweise wirksamer, unselbstständiger Bestandteil der Sorgfaltspflichten. 26 Das Adäquanzkriterium wirft die Frage auf, ob das Verhalten „im Allgemeinen“ dazu geeignet war, den konkreten Erfolg hervorzurufen. Dies bezweckt nichts anderes, als in sehr unpräziser Form zu ergründen, ob der Erfolg zum missbilligten Risiko des sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens und damit letztendlich zum Schutzbereich der verletzten Verhaltenspflicht zugehörig ist. Dies zu hinterfragen ist legitim, insbesondere wenn unglückliche Umstände mit einem Kausalverlauf zusammentreffen, der durch abstrakt sorgfaltswidriges Verhalten angestoßen wurde. Erweisen sich Kausalverläufe als zurechnungshindernd eigenartig oder ungewöhnlich, so liegt dem Zurechnungsausschluss allerdings tatsächlich zugrunde, dass das konkrete Verhaltensgebot die in Rede stehende Beeinträchtigung nicht verhindern sollte und nicht bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen. Wirft etwa jemand seinen vertrockneten Christbaum aus dem Fenster im dritten Stock, der in einem vor einer Ampel haltenden Fahrzeug einschlägt, so handelt der Werfer bzgl. des Schadens am Kfz sorgfaltswidrig. Lacht nunmehr ein Augenzeuge über den in der Windschutzscheibe steckenden Baum, worauf der Fahrer außer sich gerät und einen Ast des Baumes nutzt, um diesen zu verprügeln, so ist die Verletzung des Augenzeugen dem Werfer nicht zurechenbar. Ursächlich dafür ist nicht, dass ein solcher Verlauf höchst unwahrscheinlich ist, sondern der Schutzzweck des Verhaltensgebots, das den Wurf ausschließlich wegen bestimmter Schadensrisiken zu verhindern bezweckte. Maßgeblich ist ausschließlich, ob sich im konkreten Erfolg (noch) das missbilligte Risiko realisiert hat oder ob Sorgfaltspflichtverletzung und Beeinträchtigung trotz Kausalität lediglich zufällig zusammenfallen. 24 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 85; Bernert, AcP 169 (1969), 421, 426 f.; Jansen, Diskussionsbeitrag, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, S. 131 f.; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 984; E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 145; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 70. In diese Richtung auch BGHZ 79, 259, 262. Den gleichen Bedenken ist die foreseeability in Art. 3:201 lit a PETL bei der Entstehung von Rechtsgutsverletzungen ausgesetzt, da der im Verschulden gem. Art. 4:101 PETL maßgebliche Sorgfaltsmaßstab gem. Art. 4:102 Abs. 1 PETL nach entsprechenden Maßstäben bestimmt wird. Deshalb ist es sehr zweifelhaft, ob im Sinne des Art.3:201 lit. a PETL nicht vorhersehbare Beeinträchtigungen überhaupt eine Sorgfaltspflichtverletzung begründen können. 25 Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 118 f.; Ähnlich RGRK/Steffen, § 823 Rn. 80; Marton, AcP 162 (1963), 1, 55 spricht von einer Projektion der Verschuldensidee auf den Ursachenbegriff. In dieser Richtung auch MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 111. Eine inhaltliche Überschneidung stellt auch Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 10 fest. 26 Vgl. Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 119.

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Handelt es sich hingegen bei dem Erfolg um ein missbilligtes Risiko, und dies trotz der sehr geringen Wahrscheinlichkeit, so kann die Zurechnung wiederum nicht auf der Grundlage von Adäquanzerwägungen ausgeschlossen werden. Das „missbilligte Risiko“ ist nämlich der Schutzzweck von Sorgfaltspflichten, sodass dieser eine Zurechnung gerade gebietet. Es ist entsprechend allgemein anerkannt, dass auf inadäquaten Kausalverläufen beruhende Ereignisse aufgrund des Schutzzwecks der Norm bzw. der einschlägigen Verhaltensnorm und insbesondere der Verkehrs- und damit Sorgfaltspflichten dennoch zugerechnet werden können. 27 Ist beispielsweise wegen des hohen Risikos einer Explosion das Rauchen auf dem Raffineriegelände verboten, 28 so ist es unerheblich, ob der Raucher eine Explosion auslöst, indem er seine Zigarette direkt in eine Pfütze mit entzündlichen Flüssigkeiten wirft, oder aber in einen Busch, wodurch eine Ratte, deren Fell mit diesen Flüssigkeiten durchtränkt ist, Feuer fängt und in die Betriebsanlage rennt und die Explosion verursacht. Das Rauchverbot soll Brandrisiken absolut und somit gerade auch derartige unwahrscheinliche Kausalverläufe verhindern. Bezweckt die spezifische Verkehrspflicht auch extrem unwahrscheinliche Beeinträchtigungen zu verhüten, so kann und darf die Adäquanztheorie die Zurechnung nicht vereiteln. Der die Beeinträchtigung umfassende Schutzzweck muss gegenüber der Adäquanz als „allgemeine Zurechnungserwägung“ stets vorrangig sein. Erkennt man dies an, so verbleibt für die Adäquanz neben dem Schutzzweck der Norm in der Verschuldenszurechnung keinerlei konstitutiver Anwendungsbereich, da immer die Zugehörigkeit zum missbilligten Risiko, also der Schutzzweck der verletzten Verhaltenspflicht, über die Zurechnung abschließend entscheidet. Die Adäquanztheorie selbst vermag keinerlei normative Begründung dafür zu bieten, unwahrscheinliche oder atypische Verläufe auszuschließen.29 Kann aber das Adäquanzurteil die Entscheidung für oder gegen die Haftung nicht beeinflussen, muss eine eigenständige Adäquanztheorie als entbehrlich bezeichnet und in der Konsequenz verworfen werden. Als beschränkendes Zu-

27 Vgl. hierzu U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 330; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 96 f.; Görgens, JuS 1977, 709, 712; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b 2, S. 445 f., ders., Festschrift Honig, 79, 92; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 987; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 117; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 19, 28, 32; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 41; Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184, 186; Weitenauer, Festgabe Oftinger, 321, 345; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 133, 137. 28 Es ist insoweit gleichgültig, ob dieses Gebot aus einer positiv normierten Verhaltenspflicht oder aus allgemeinen Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflichten folgt. 29 Zutreffend Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 987.

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rechnungskriterium bleibt für das Adäquanzkriterium neben den Sorgfaltspflichten kein Raum mehr, sodass dieses im Ergebnis als eigenständiges Zurechnungskriterium abzulehnen ist. 30 Dass das Adäquanzkriterium in der haftungsbegründenden Erfolgszurechnung generell überflüssig ist, wird auch daran deutlich, dass es in den anderen Haftungssystemen unanwendbar ist oder ebenfalls keine Bedeutung erlangt. Zutreffenderweise ist es mittlerweile nahezu anerkannt, dass die Adäquanz in der Risikohaftung keine Anwendung findet. 31 Bei der Erfolgszurechnung nach dem Risikoprinzip werden das Verhalten und die damit verbundene Schadenswahrscheinlichkeit gar nicht beurteilt. 32 Es wird ausschließlich darauf abgestellt, ob sich im konkreten Erfolg das dem Zurechnungssubjekt zugewiesene Risiko – in der Form des Betriebsrisikos oder der Tiergefahr – realisiert hat. Im Übrigen gebietet es der Zweck der Tatbestände der Risikohaftung sogar, dass auch für höchst unwahrscheinliche und unbeherrschbare und damit inadäquate Kausalverläufe 33 gehaftet wird. 34 Ebenso bedarf es in der negatorischen Haftung, die auf das Verschulden verzichtet und lediglich Rechtswidrigkeit voraussetzt, der Adäquanz nicht. Die gegenteiligen Erwägungen35 bestätigen lediglich, dass auch in dieser ein verhaltensunrechtliches Verständnis der Rechtswidrigkeit angezeigt ist. 36 Auf dieser zutreffenden Grundlage erweist sich der Adäquanzgedanke wiederum als unselbstständiges und überflüssiges Element der Sorgfaltspflichten.

30 Deutsch, Haftungsrecht, S. 85; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 233 f.; U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 312; Kramer, JZ 1976, 338, 342; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 193; Zimmermann, JZ 1980, 10, 12; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 80. 31 Vgl. hierzu Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 24; Deutsch, Haftungsrecht, S. 99; dens., Festschrift Honig, 33, 48; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 233; Staudinger/Kohler, § 1 UmweltHG Rn. 55; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 94 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 1 b, S. 439; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 987; Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 49; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 18, 25; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 80; BGHZ 79, 259, 262 f.; BGH, NJW 1982, 2669; missverständlich Erman/Ebert, Vor §§ 249– 253 Rn. 32; a.A. Schünemann, NJW 1981, 2796, 2797; Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184, 185. 32 Vgl. zur Risikozurechnung S. 150 ff. 33 Lediglich über den Zurechnungsausschluss der höheren Gewalt wird bei bestimmten unwahrscheinlichen Schadensereignissen die Zurechnung ausgeschlossen, allerdings auch nur, wenn diese als „betriebsfremd“ zu qualifizieren sind (vgl. hierzu S. 171 ff.). 34 In diese Richtung deuten auch die Ausführungen von Wo. Lorenz, Gefährdungshaftung, S. 39 f.; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 25. 35 Vgl. Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 41. 36 So jüngst auch Wilhelmi, Risikoschutz, S. 118 ff., 124 ff., 141 ff.; Wagner, Festschrift Medicus, 589, 599 ff.; Schack, Festschrift Reuters, 1167, 1174 ff.

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b. Unanwendbarkeit in der Haftungsausfüllung Um eine uferlose Zurechnung zu vermeiden, wird teilweise vertreten in der Haftungsausfüllung die fehlenden verantwortungsbeschränkenden Korrektive Verschulden und Rechtswidrigkeit durch das Adäquanzkriterium zu ersetzen.37 Richtigerweise ist die Adäquanztheorie auch auf dieser Ebene der Zurechnung nicht anwendbar. Der Zurechnungsausschluss für inadäquate Folgen rechtfertigt sich nach seinen Vertretern aus dem Umstand, dass diese vom Handelnden nicht mehr beherrscht und auf dessen Selbstbestimmung zurückgeführt werden können.38 Diesbezüglich hat jedoch schon Egon Lorenz nachgewiesen, dass in der Verschuldenshaftung die Beherrschbarkeit der Schäden, die für die Schadenszurechnung erforderlich sein soll, ausnahmslos besteht und zwar sowohl bei adäquaten, wie auch bei inadäquaten Schadensfolgen. Diese ergibt sich daraus, dass der Eintritt der Primärbeeinträchtigung beherrschbar sein muss, damit die Frage nach der Schadenszurechnung überhaupt aufgeworfen werden kann.39 Kann die Primärbeeinträchtigung verhindert werden, so trifft dies auch auf sämtliche Folgebeeinträchtigungen zu. Dies bedingt, dass die Beherrschbarkeit, die für die haftungsbegründende Zurechnung im Rahmen des Verschuldens maßgeblich ist, stets den Anlass dafür widerlegt, die Zurechnung von Schäden auszuschließen. Die Adäquanztheorie gerät darüber hinaus mit der variablen haftungsbegründenden Zurechnung in Konflikt, an die die Schadenszurechnung anknüpft. Liegt der haftungsbegründenden Zurechnung ein anderes Zurechnungsprinzip als das Verschuldensprinzip zugrunde, kann die Adäquanz als Kriterium der Folgenzurechnung nicht überzeugen. Ihr steht entgegen, dass es schlicht widersprüchlich wäre, bei der haftungsbegründenden Zurechnung nach dem Risikoprinzip, bei der es gerade nicht auf die Beherrschbarkeit oder Vorhersehbarkeit der Primärbeeinträchtigung ankommt, nun ausgerechnet bei der Schadenszurechnung strengere Maßstäbe anzulegen. Zudem würden wiederum Folgeschäden, die nicht im Wege der Folgezurechnung zu verantworten sind, dennoch zugerechnet werden, sofern sie die Qualität einer Rechtsgutsverletzung aufweisen. Diese wären weitere mittelbare Primärschäden, deren Zurechnung wiederum befreit vom Adäquanzerfordernis erfolgt. Diesen Umweg zu erzwingen erscheint zweifelhaft, handelt es sich doch materiell eigentlich um Folgeschäden.

37 Vgl. Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 10 f.; für deren Anwendbarkeit auch Larenz, Festschrift Honig, 84, 85; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 128, 133 ff.; Weitenauer, Festgabe Oftinger, 321, 343 f. 38 Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b, S. 439; ders. JuS 1955, 1009, 1011; ähnlich Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 429 (Zurechnung zum Willen); ders., Haftungsrecht, S. 506. 39 Vgl. E. Lorenz, Festschrift Deutsch, 251, 253 f.

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c. Von der Wahrscheinlichkeit zum teleologischen Gefahrzusammenhang zur Irrelevanz Unabhängig von der Zurechnungsebene bestehen weitere grundlegende Bedenken gegen die Adäquanztheorie, soweit diese ausschließlich an die Wahrscheinlichkeit anknüpft. Sie leidet an einem zu Willkür einladenden Mangel an Präzision und Trennschärfe. Dies wird durch die höchst wechselhafte Rechtsprechung bestätigt, die eine einheitliche Linie vermissen lässt.40 Die Adäquanzprüfung erscheint eher als „Appell an das Billigkeitsgefühl“ der Gerichte,41 denn als ein echtes Zurechnungskriterium. Da sämtliche Unfälle auf einer Verkettung zumeist gleich mehrerer unglücklicher Umstände beruhen, wird jeder Unfallhergang immer unwahrscheinlicher, mit je mehr Details man ihn beschreibt. 42 Wird etwa der verkehrspflichtwidrig aus dem dritten Stock geworfene Christbaum von einer starken Windböe auf die Straße geweht, weswegen der vom Baum plötzlich getroffene Kfz-Führer die Kontrolle verliert und einen Passanten überfährt, so handelt es sich bei den Unfallverletzungen durchaus um einen Erfolg, den die verletzte Sorgfaltspflicht zu verhindern bezweckte, obwohl man den Verlauf als ungewöhnlich bezeichnen kann. Der Schutzzweck der Verkehrspflicht, keine Objekte unbesehen aus dem Fenster zu werfen, umfasst nicht nur das Risiko „direkter Treffer“, sondern auch das von „Kollateralschäden“, in der Form von mit dem Einschlag unmittelbar verbundenen Unfallereignissen. Die statistische Wahrscheinlichkeit des Ereignisverlaufs in diesem Beispiel ist bereits verschwindend gering. Ergänzt man den Beispielsfall dahingehend, dass sich der Vorgang spät in der Nacht und in einem Dorf ohne nennenswerten Verkehr ereignete, so verringert sich die Wahrscheinlichkeit nochmals beträchtlich. Gleichwohl kann sich die rechtliche Bewertung nicht wirklich verändern. Auch wegen dieser inhärenten Schwäche überzeugt die Adäquanztheorie nicht. Als wahrscheinlichkeitsbezogene Zurechnungstheorie steht diese zudem quer zum relativen Wahrscheinlichkeitserfordernis der Zurechnung mittels Sorgfaltspflichten, das an die Wertigkeit der Rechtsgüter und die Größe der Gefahr anknüpft. Deshalb wird versucht, die Adäquanz über die bloßen Wahrscheinlichkeitserwägungen hinaus normativ anzureichern und so zu rechtfertigen. Etwa möchten Ekkenga und Kuntz das Zurechnungskriterium auf die „Gefahrerhöhung“ zurückführen.43 Neben der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit mittels einer generalisierten Betrachtung soll es für die Zurechnung noch eines 40 Vgl. die anschaulichen Rechtsprechungsnachweise bei MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 114 f. Eindrücklich auch Musielak, JA 2013, 241, 242, der darauf hinweist, dass es „dem Rechtsanwender weitgehend überlassen bleibt, ob er einen Kausalzusammenhang für wahrscheinlich halten [und damit Adäquanz annehmen] will“. 41 Vgl. Schack, JZ 1986, 305, 307. 42 Vgl. Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 10. 43 Vgl. Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 132; Hübner, Schadenszurechnung, S. 64.

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teleologischen Gefahrzusammenhangs bedürfen.44 Dies erreicht zwar durchaus eine gewisse Harmonie mit der Sorgfaltspflichtendogmatik und einer materiell begründeten Folgenzurechnung. Es drängen sich allerdings Zweifel auf, ob solch eine Adäquanztheorie gegenüber der Schutzzwecktheorie überhaupt einen eigenen Aussagegehalt aufweist. Im Ergebnis wird nämlich überprüft, ob die Rechtsgutsverletzung oder der Schaden vom verletzten Verhaltensgebot als gesteigertes Schadensrisiko ebenfalls verhindert werden sollte. Dieser Ansatz weist zwar den Vorteil auf, dass er den Grund zu benennen vermag, warum gegebenenfalls das Zurechnungssubjekt von der Haftung freizustellen und damit der Geschädigte mit dem Schaden zu belasten ist. Beantwortet die Adäquanzprüfung aber lediglich, ob ein Erfolg im Sinne des verletzten Verhaltensgebots ersatzpflichtige Folge des normwidrigen Verhaltens ist, weil eine mit der Verhaltensnorm zu unterbindende bezweckte Gefahr erhöht wurde, so erweist sich diese „teleologische Adäquanz“ oder „Normadäquanz“ bei genauerer Betrachtung als reine Schutzzweckprüfung. Die teleologische Adäquanz geht also vollkommen in der Schutzzwecktheorie auf und ist deshalb entbehrlich. d. Ergebnis Zusammenfassend bleibt somit festzustellen, dass die Adäquanz als Zurechnungskriterium überflüssig ist. Das von Köck attestierte „stille Wegsterben“ der Adäquanz 45 sollte dadurch zu Ende gebracht werden, dass diese endgültig beerdigt wird. 46

III. Die Schutzzwecktheorie Einen vorzugswürdigen Ansatz, die Zurechnung auf teleologischer Grundlage zu beschränken, verfolgt die von Rabel für das Vertragsrecht entwickelte

So Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 132; ähnlich Roussos, Schaden, S. 70 f.; Schickedanz, NJW 1971, 916, 919; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 41. 45 Köck, in: Lübbe (Hrsg.), Kausalität, 9, 15. 46 Trotz erkannter fehlender Relevanz möchten Teile der Literatur (so etwa Görgens, JuS 1977, 709, 712; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 119; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 20; in diese Richtung auch Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 28; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 42) wegen der langen Rechtstradition der Adäquanz, und weil sie angemessene Ergebnisse liefere, sofern sie nicht das einzige einschränkende Zurechnungskriterium bilde, am Adäquanzkriterium festgehalten. Diesem soll als „salomonische Lösung“ die Aufgabe eines „ersten Tests“, also einer Art „Vorprüfung“ zugewiesen werden, wodurch der Rechtspraxis komplizierte Normzweckerwägungen erspart werden sollen (vgl. die Nachw. zuvor). 44

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Schutzzwecktheorie. 47 Der Schutzzwecktheorie liegt der Gedanke zugrunde, dass sowohl vertragliche Pflichten als auch Haftungsnormen und die hinter ihnen stehenden Verhaltenspflichten nur dem Schutz bestimmter Interessen vor bestimmten Beeinträchtigungen dienen. 48 1. Zweifel an der Schutzzwecktheorie Für die Ebene der Haftungsbegründung in der deliktischen Haftung wird heute nicht mehr angezweifelt, dass die Schutzzwecktheorie anwendbar ist. Auch gegen deren Anwendbarkeit in der vertraglichen Haftung werden kaum noch Einwände vorgebracht. 49 Wirklich umstritten ist lediglich, ob die Schutzzwecktheorie mit der Schadenszurechnung vereinbar ist. Der Schutzzwecklehre wird insoweit entgegengehalten, diese sei unanwendbar, weil § 249 Abs. 1 BGB keine Einschränkung der Zurechnung vorsehe und das Prinzip des Totalersatzes gelte.50 Vielfach wird allerdings angezweifelt, ob die Schutzzwecklehre überhaupt zweckdienlich ist. Sie soll bei unerlaubten Handlungen und insbesondere § 823 Abs. 1 BGB in der Haftungsbegründung51 wie auch der Schadenszurechnung generell52 vollkommen ungeeignet sein, die Zurechnung zu beschränken. Der Gesetzgeber habe den Rechtsgütern und subjektiven Rechten, die von den Haftungstatbeständen erfasst sind, einen möglichst umfassenden Schutz gewähren wollen, weswegen sich dem Gesetz keine Einschränkungen der Zurechnung Rabel, Recht des Warenkaufs I, S. 495 ff. Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 28; U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 312 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 101; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 988 f.; Musielak, JA 2013, 241, 242; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 120 ff.; Roussos, Schaden, S. 94 f.; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 27. 49 Für die Anwendbarkeit etwa Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 29; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 238 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 104 ff.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III b 2, S. 441 (begrenzt auf die Haftungsbegründung); Raiser, Haftungsbegrenzung, S. 23 ff. und passim; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 26 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 123; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 29; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 92, 472 ff.; BGH, NJW-RR 2003, 1036, 1036; 2007, 742, 743; VersR 2009, 1499, 1500; NJW 2009, 3025, 3026; dagegen Schack, JZ 1986, 305 ff.; Schickedanz, NJW 1971, 916 ff. 50 So etwa E. Lorenz, Festschrift Deutsch, 251, 255; Schickedanz, NJW 1971, 916 ff.; Stoll, Haftungsfolgen, S. 402 ff.; Spindler, AcP 208 (2008), 283, 288. 51 Vgl. etwa Soergel12/Mertens, Vor § 249 Rn. 123; Larenz, Festschrift Honig, 79, 84; Schickedanz, NJW 1971, 916, 919; kritisch bei unmittelbaren Beeinträchtigungen im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 32; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 126. 52 Vgl. Friese, Haftungsbegrenzung, S. 50 ff. insbes. 60 ff.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 2, S. 443 f.; dens., Festschrift Honig, 79, 85; Schickedanz, NJW 1971, 916, 919; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 137; Stoll, Kausalzusammenhang, S. 27; zurückhaltend MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 126. 47

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entnehmen ließen. 53 Des Weiteren wird hinsichtlich der Schadenszurechnung behauptet, der Zweck von Haftungs- und Verhaltensnormen sei unergiebig, weil dieser sich darin erschöpfe, das haftungsbegründende Ereignis zu vermeiden.54 a. Die Anwendbarkeit der Schutzzwecktheorie Bereits im Ansatz nicht zu überzeugen vermag der Einwand, das Prinzip des Totalersatzes schließe die Anwendung der Schutzzwecktheorie in der Schadenszurechnung aus. Wie bereits ausgeführt, 55 berührt der Zweck des Prinzips des Totalersatzes, das das vorrangige Mittel der Schadensbemessung ist, die Schadenszurechnung schon gar nicht. Dessen teleologisch nachrangiger Anwendungsbereich verbietet es sogar, Rückschlüsse auf die vorgelagerte Zurechnung zu ziehen. 56 Die Schutzzwecktheorie ist zudem weniger ein selbstständiges Zurechnungskriterium, sondern vielmehr ein methodisches Instrument, das das maßgebliche Zurechnungsprinzip auf teleologischer Grundlage präzisiert. 57 Sie hilft zu definieren, was die Haftungsnorm, gegebenenfalls in Verbindung mit der maßgeblichen Verhaltensnorm oder Pflicht, als zu verantwortend auferlegt. Infolge dieser Natur ist die Schutzzwecktheorie auf jede Form der Zurechnung uneingeschränkt anwendbar. b. Eignung zur Konkretisierung der Zurechnung Zutreffend könnten deshalb allenfalls die Bedenken sein, ob der Normzweck überhaupt geeignet ist, die angestrebte Zurechnungskonkretisierung zu bewirken. Dem könnten durchaus die Eigenheiten der Materie entgegenstehen, auf die die Schutzzwecktheorie angewendet werden soll. Dies erweist sich jedoch als unzutreffend, wenn man nur den richtigen Anknüpfungspunkt wählt.

Vgl. Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 2, S. 444 f.; Schickedanz, NJW 1971, 916, 919. Vgl. Stoll, Haftungsfolgen, S. 403; Lange, JZ 1976, 198, 205; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 89. 55 Dazu oben S. 291 ff. 56 Vgl. oben S. 296. 57 Vgl. HKK/Jansen, §§ 249–253, 255 Rn. 70; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 22; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 166; Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 682 f.; Roussos, Schaden, S. 74. Im Ergebnis erkennt dies auch Lang, Normzweck, S. 75 an, wenn er die Schutzzwecktheorie als „Auslegungsproblem besonderer Art“ qualifiziert. 53

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aa. Haftungsbegründende Zurechnung Der Zweck der Haftungsnorm ist, den Rechtsgutsträger vor den Gefahren zu schützen, die jeweils die Haftpflicht begründen. 58 Für § 823 Abs. 1 BGB bedeutet dies, dass der eingetretene Erfolg sowohl vom Schutzzweck der Haftungsnorm selbst, als auch dem des verletzten Verhaltensgebots erfasst sein muss. Der Zweck „der Haftungsnorm“ darf dabei nicht zu eng verstanden werden. Neben dem jeweiligen Haftungsgrund definieren die normsystematische Stellung sowie die Zwecke des Haftungs- und des Schadensersatzrechts den Schutzzweck mit.59 Die größte Bedeutung für die Zurechnung weist jedoch der Schutzzweck der Verhaltensnorm auf. Diese ist dem haftungsbegründenden Tatbestand zugehörig. Der „möglichst umfassende“ Schutz der Rechtsgüter als Zweck der Deliktsnormen und insbesondere des § 823 Abs. 1 BGB ist eine Fehlannahme, die aus einer zu oberflächlichen Betrachtung „der Norm“ herrührt. Die Deliktsnormen bezwecken lediglich, die Rechtsgüter vor sorgfaltswidrigen Beeinträchtigungen mittels Haftung zu schützen. Die Sorgfaltspflichten sind wiederum in ihrer Schutzwirkung beschränkt, da das jeweilige Verhaltensgebot im Hinblick auf bestimmte Gefahren entweder als Norm erlassen oder für den Einzelfall formuliert wurde. Auf Schadensverhütung gerichtete Verhaltensgebote bezwecken nicht die Verpflichtung zu begründen, im Verletzungsfalle undifferenziert jede mit einem Sorgfaltsverstoß schlicht kausal verbundene Beeinträchtigung grundsätzlich geschützter Interessen zu ersetzen. 60 Dies gilt sowohl für die Verkehrspflichten61 als auch für die situationsabhängigen allgemeinen Sorgfaltspflichten. Sie be- bzw. entstehen wegen einer bestimmten Gefährdung bestimmter

Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321; Lang, Normzweck, S. 96. Die ergänzende Wirkung der Systematik auf die Schutzzwecklehre betonen Lang, Normzweck, S. 41; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 166 f. Auch der Schichtaufbau des § 823 Abs. 1 BGB begründet keine besonderen systematischen Konsequenzen, vgl. Roussos, Schaden, S. 97 ff. 60 Vgl. U. Huber, JZ 1969, 677, 679; dens., Festschrift Wahl, 301, 317; Lang, Normzweck, S. 57; Lange, JZ 1976, 198, 201 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 101, 113; Lüer, Begrenzung, S. 124 f.; v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 288; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 120. 61 Die Verbindung des Schutzbereichs von Verhaltensnormen im Sinne von Sorgfaltspflichten und der Zurechnung wurde unter anderem bereits früh von U. Huber (JZ 1969, 677, 679; ders., Festschrift Wahl, 301, 312 f.), Stoll (Kausalzusammenhang, S. 19), Sourlas (Adäquanztheorie, S. 161 ff.) und Lange (JZ 1976, 198, 201 f., 203; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 113) verfochten, wenn auch beschränkt auf die Verkehrspflichten. Diese gehen, abweichend zum hier vertretenen Standpunkt, noch nicht von der Identität von Verkehrspflichten und Sorgfaltspflichten aus (in diese Richtung bereits v. Caemmerer, Karlsruher Forum 1961, 19, 22). 58

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Schutzgüter durch ein bestimmtes Verhalten. Genau diese Umstände definieren den Schutzzweck dieser Verhaltensgebote und begrenzen so das Zurechenbare. Würde hingegen für Schutzgüter gehaftet, die das Verhaltensgebot nicht zum Gegenstand hat, würde der Sorgfaltsverstoß eine umfassende Garantie für alle mit ihm schlicht kausal verbundenen Beeinträchtigungen und damit die vom Gesetz nicht angestrebte und auch allgemein nicht erwünschte Haftung für versari in re illicita62 begründen. Niemand möchte den sorgfaltswidrig Handelnden derartig umfassend haften lassen, nur weil er sich auf „verbotenem Grund“ befindet. Den beschränkten Schutzzweck der Verhaltensgebote erkennt deshalb im Ergebnis auch die Fortentwicklung der Adäquanztheorie an, die einen teleologischen Gefahrzusammenhang verlangt. 63 Dieser bezweckt ebenfalls festzustellen, ob das Schadensereignis noch zu den von der Verhaltensnorm und somit Sorgfaltspflicht missbilligten gesteigerten Schadensrisiken gehört. Lediglich eine Abwandlung davon ist es, auf der Grundlage des „Rechtswidrigkeitszusammenhangs“ zu überprüfen, ob die teleologische Verbindung zwischen dem gegen ein Verhaltensgebot verstoßenden Fehlverhalten und dem Erfolg besteht. 64 bb. Haftungsausfüllende Zurechnung Als problematisch erweist sich der Aussagegehalt der Schutzzwecklehre in der Schadenszurechnung. So ist der Kritik zuzugestehen, dass die Normen des Schadensersatzrechts über die Schadenszurechnung und deren Begrenzung keinerlei Aussage treffen, sondern diese bereits voraussetzen.65 Und auch die Haftungsnormen als solche bilden in der Verschuldenshaftung kaum eine taugliche Grundlage dafür, ein teleologisches Urteil über die Zurechnung zu treffen. Deren unmittelbarer Aussagegehalt beschränkt sich weitestgehend darauf, die mit der Verletzung unmittelbar verbundenen Beeinträchtigungen für ersatzpflichtig zu erklären. Ob bestimmte Schäden und insbesondere Folgeschäden

62 Hierzu U. Huber, JZ 1969, 677, 679; Lang, Normzweck, S. 57; Lange, JZ 1976, 198, 201 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 101, 113; Schickedanz, NJW 1971, 916, 917; v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 288; Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 195. Eingehend zu dieser Rechtsfigur, S. 405 ff. 63 So etwa Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 132. 64 Früher wurde zwischen der Lehre vom Schutzzweck der Norm und der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang differenziert. Heute werden die Termini synonym verwendet, bzw. es wird schlicht von der Schutzzwecklehre gesprochen und der Gehalt der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang als miterfasst angesehen. Vgl. dazu Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 29; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 102; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 121. 65 Hierzu oben S. 291.

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zurechenbar sind, geben sie grundsätzlich nicht vor. 66 Der entsprechende Einwand von Teilen der Lehre erweist sich gleichwohl als zu kurzgreifend.67 Mittelbar weist der haftungsbegründende Tatbestand, der die zu verantwortenden Schadensrisiken definiert, 68 durchaus einen geeigneten Anknüpfungspunkt auf, um die Zurechnung teleologisch zu konkretisieren. Zweck der Schadenszurechnung als solche ist, den Geschädigten von den spezifischen Folgen zu befreien, die mit dem haftungsbegründenden Ereignis verbunden sind. Eine „freie“ Folgenzurechnung, die unabhängig von den haftungsbegründenden Umständen erfolgt, wird niemals bezweckt. Auch bei der Schadenszurechnung kann sich die Verantwortlichkeit des Schädigers nicht nach dem Gedanken des versari in re illicita über die Primärbeeinträchtigung schrankenlos fortsetzen, 69 geschweige denn die Schadensersatzpflicht unabhängig davon festgelegt werden, welche teleologischen Schranken der Haftungstatbestand vorgibt. Es geht somit darum, die missbilligten und deshalb ersatzpflichtigen Folgen von schlicht kausalen Schäden abzugrenzen, in denen sich lediglich das Eigenrisiko des Geschädigten realisiert. Stoll deutet dies an, indem er ausführt, dass die Primärverletzung „nicht etwa nur zufällige Durchgangsstation auf dem kausalen Weg zur Folgeverletzung sein [darf]“. Die Verbindung zwischen haftungsbegründendem Tatbestand und Schadensfolge muss also mehr sein als bloße Kausalität. Erforderlich ist ein bestimmter „innere[r] Zusammenhang“.70 Roussos hat insoweit zutreffend festgestellt, dass sich die teleologischen Grenzen der haftungsbegründenden Zurechnung in der Folgenzurechnung fortsetzen müssen. 71 Deutsch spricht bildlich davon, dass Zurechnungskomponenten – hier eben Zurechnungsschranken – aus dem haftungsbegründenden in den haftungsausfüllenden Tatbestand „transportiert“ werden. 72 Die konkreten Schranken der Zurechnung ergeben sich nicht aus der Normzwecklehre selbst, 73 sondern sie sind dem haftungsbegründenden Gesamttatbestand zu entnehmen. Die Quelle der teleologischen Zurechnungsschranken va66 Beispielsweise wäre es etwa ein Fehlschluss, der Haftungsnorm § 823 Abs. 1 BGB zu entnehmen, Vermögensfolgeschäden seien nicht zu ersetzen, weil diese keine Ersatzpflicht für fahrlässige primäre Vermögensschäden begründet. Dies zeigt der rein deklaratorische (hierzu Brand, Schadensersatzrecht, § 5 Rn. 36; Erman/Ebert, § 252 Rn. 1; MünchKommBGB/Oetker, § 252 Rn. 1) § 252 BGB, der deren Ersatzfähigkeit bereits voraussetzt und unstreitig auf § 823 Abs. 1 BGB anwendbar ist. 67 Insoweit kritisch Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 126. 68 Dazu bereits S. 295. 69 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321 f.; Lang, Normzweck, S. 92; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 107. Dazu bereits oben S. 291 ff. 70 Vgl. Lang, Normzweck, S. 96. 71 Roussos, Schaden, S. 97. 72 Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 429; ähnlich HKK/Jansen §§ 249–253, 255 Rn. 72. 73 Vgl. Roussos, Schaden, S. 97.

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riiert dabei je nach Art der Haftung. Während bei den Tatbeständen der Risikohaftung ausschließlich die spezifische Risikoverantwortung als Teil der Haftungsnorm die Zurechnungsschranken und damit die Grenzen der Risikozurechnung definiert, 74 können diese Grenzen bei der Verschuldenshaftung zumeist nur der jeweiligen konkret verletzten Verhaltensnorm, also insbesondere der Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflicht, entnommen werden. 75 Schutzzweck eines jeden Verhaltensgebots ist der Schutz bestimmter gefährdeter Personen oder Güter vor bestimmten Beeinträchtigungen. Wird ein Rechtsgut verletzt, weil ein Verhaltensgebot missachtet wurde, so ist die Verletzung anderer Güter als Folgen der Primärbeeinträchtigung nur dann zurechenbar, wenn die Gefährdung auch dieses Guts von dem verletzten Verhaltensgebot gleichfalls unterbunden werden sollte. Vom Schutzzweck der Verhaltensnorm sind also nur solche Schadensfolgen erfasst, die durch sie verhindert werden sollten, womit sich die vom Verhaltensgebot begründeten Zurechnungsschranken über die Haftungsbegründung auf die Folgenzurechnung erstrecken. 76 Dies gilt nicht nur für Folgebeeinträchtigungen, sondern ebenso für Folgeschäden, die eigenständig die haftungsbegründende Zurechnung nicht zu rechtfertigen vermögen. Bei reinen Vermögensfolgeschäden muss die Zurechnung bei Delikten zwar zunächst das Nadelöhr der Rechtsgutsverletzung in § 823 Abs. 1 BGB oder der Schutzgutverletzung in § 823 Abs. 2 BGB passieren. Der auf bestimmte Schutzgüter beschränkte Schutzzweck der Haftungsnormen begrenzt allerdings nur die haftungsbegründende Zurechnung. Hinsichtlich der Vermögensfolgeschäden, die an die Schutzgutverletzung anknüpfen, entfalten die Haftungsnormen anerkanntermaßen keine Sperrwirkung. Dies bestätigt der unbestritten auf diese Normen anwendbare und eigentlich rein deklaratorische77 § 252 BGB, der die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensfolgeschäden bereits voraussetzt. Die Schutzwirkung der Verhaltensgebote erstreckt sich entsprechend auf sämtliche missbilligte Schadensfolgen der Primärbeeinträchtigung, unabhängig vom Schutzgüterkatalog des jeweiligen Haftungstatbestandes. Die entscheidende Frage der teleologisch begründeten Schadenszurechnung ist nun die, was denn die „missbilligten Schadensfolgen“ des Verhaltensgebots sind.

Vgl. v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 287; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 124. Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 120; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 137; BGH, NJW-RR 2012, 567 Tz. 28. 76 Vgl. Roussos, Schaden, S. 97; ähnlich R. Schmidt, Schockschäden, S. 144, allerdings bezogen auf die Rechtswidrigkeit. 77 Brand, Schadensersatzrecht, § 5 Rn. 36; Erman/Ebert, § 252 Rn. 1; Palandt/Grüneberg, § 252 Rn. 1; MünchKommBGB/Oetker, § 252 Rn. 1; Bamberger/Roth/J. Flume, § 252 Rn. 1. 74

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2. Der Schutzzweck von Verhaltensgeboten Die Zurechnung durch den Zweck der Haftungsnormen selbst und der vertraglichen Primärpflichten zu begrenzen, erzeugt vergleichsweise wenige Schwierigkeiten. Deren Schutzbereich lässt sich mit methodischen Mitteln relativ klar ermitteln. Deswegen wird dieser Aspekt hier ausgeblendet und auf die entsprechende Literatur verwiesen. Dogmatisch interessant und praktisch relevant ist hingegen der Schutzzweck von Verhaltensgeboten, und dabei insbesondere von denen, die vom Richter aufgrund einer konkreten Gefährdung für den Einzelfall ermittelt werden. Diese konkreten Verhaltensgebote offenbaren ihren Schutzbereich nicht so deutlich wie die abstrakten Verhaltensgebote, die auf bestimmte typisierte Gefahren reagieren und einen – mehr oder weniger – feststehenden Inhalt haben. Verhaltensgebote machen, je nach ihrer Art, unterschiedliche Vorgaben für die Zurechnung, und zwar sowohl für die haftungsbegründende als auch die Schadenszurechnung. a. Konkrete Verhaltensgebote Sogar die für den konkreten Einzelfall formulierten Sorgfaltspflichten bedürfen einer Konkretisierung durch die Schutzzwecktheorie. Der Sorgfaltspflichtverletzung liegt stets ein verletztes Verhaltensgebot zugrunde, das spezifische Gefährdungen auf ein sozialadäquates Maß reduzieren sollte. Dieses bestimmt die Reichweite der Zurechnung über seinen Schutzzweck. 78 Es ist in jedem Einzelfall festzustellen, welche Gefahren für welche Personen, Rechtsgüter und Interessen von dem Verhaltensgebot, das ex ante anhand der tatsächlichen Gegebenheiten konkret formuliert und sodann verletzt wurde, verhütet werden sollten. 79 aa. Herleitung aus der Gefährdung ex ante und Bewertung des Verhaltens ex post Der Zurechnung liegt immer ein verletztes Verhaltensgebot zugrunde. Ein solches Verhaltensgebot, das ein Verhalten verbietet oder ein bestimmtes gebietet, entsteht bereits, wenn ein Schutzgut über das gem. § 276 Abs. 2 BGB Hinnehmbare hinaus gefährdet wird. Jedes Verhaltensgebot wird allerdings in sei-

78 So bereits Lang, Normzweck, S. 61, 69, allerdings beschränkt auf Verkehrspflichten. In diese Richtung auch bereits U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 312 f.; Lüer, Begrenzung, S. 135, der diese Gedanken jedoch nicht in die Schutzzwecklehre einordnet (S. 133 f.). Kritisch MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 126, der es „methodisch ehrlicher“ findet, insoweit auf die Adäquanz abzustellen. 79 Diese Zweckbindung von Sorgfaltsanforderungen erkennen auch Huber, JZ 1969, 677, 679; Lang, Normzweck, S. 68 ff. an.

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ner konkreten Ausgestaltung aus dem Gesamtgefährdungspotenzial des Verhaltens gebildet, d.h., es wird über den Grad der realen Bedrohung sämtlicher geschützter Güter und Interessen bestimmt. Das Verhaltensgebot antizipiert sämtliche möglichen Kausalverläufe und ver- oder gebietet das Verhalten im Hinblick auf alle übermäßig gefährlichen und deshalb missbilligungswürdigen Verläufe. Die Gebotswirkung und dementsprechend der Schutzzweck des Verhaltensgebots erstreckt sich deshalb auf alle Beeinträchtigungen, die einen der missbilligten Kausalverläufe realisieren. Ein einziges Verhaltensgebot kann also zugleich mehrere verschiedene Schutzgüter sogar unterschiedlicher Personen zu schützen bezwecken. Wurde ein Verhaltensgebot verletzt, hat das Verhalten deshalb jedes der Schutzgüter, bezüglich dessen das Verhaltensgebot bestand, in missbilligter Weise gefährdet. Der Schutzzweck erfasst exakt die ex ante individuell übermäßig gefährdeten Schutzgüter hinsichtlich der spezifischen Verletzungsgefahr, die durch das gegenständliche Verhalten für diese begründet wird. Weiter reicht die Schutzwirkung des Verhaltensgebots nicht. Es ist deshalb möglich, bezüglich jedes einzelnen Schadens aus der ex post-Perspektive zu prüfen, ob dieser vom Verhaltensgebot zu verhindern bezweckt wurde. Jede Einzelbeziehung zwischen Erfolg und Verhalten kann dahingehend hinterfragt werden, ob mit dem Verhalten ex ante eine übermäßige Gefahr des konkreten Erfolgseintritts verbunden war, sodass sich das Verhaltensgebot in seiner Gebots- und damit Schutzwirkung auch auf diesen erstreckt hat. Dieser Gedankengang kann auch für die Schadens- und Folgeschadenszurechnung fruchtbar gemacht werden. Das Verhaltensgebot bezweckt, das mit dem Verhalten insgesamt verbundene missbilligte Schadensrisiko und somit sowohl die Primärbeeinträchtigung als auch deren drohende Schadensfolgen inklusive der Folgebeeinträchtigungen zu unterbinden. Dass auch die Schadensfolgen in das Verhaltensgebot einbezogen werden, kommt etwa darin zum Ausdruck, dass es allgemein anerkannt ist, dass das Ausmaß der drohenden Schädigung bei der Bestimmung der Sorgfaltspflicht zu berücksichtigen ist.80 Dies bedeutet, die Folgen der möglichen Schädigung bestimmen mit, ob bzw. ab wann ein Verhalten verboten ist. Auch bezüglich jeder individuellen Schadensfolge kann deshalb geprüft werden, ob eine übermäßige Gefahr derselben bestand und sich im Schadenserfolg somit ein missbilligtes Schadensrisiko realisiert hat. Verhaltensgebote sind modelltheoretisch perfekt, womit die menschliche Erkenntnisfähigkeit nicht mithalten kann. Es ist wohl nur ein hypothetischer Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 27; Soergel/Krause, § 823 Anh. II Rn. 29, 33; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 276 Rn. 25; Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 101; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 424; MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 62; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 21; Larenz, Schuldrecht I, § 20 III, S. 283; BGH NJW 2007, 762; BGH, VersR 2005, 279, 280; NJW-RR 1986, 899, 900. 80

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„Superrichter“ 81 dazu imstande, den genauen Schutzbereich eines solchen Gebots im Vorfeld bezogen auf jedes Risiko absolut präzise zu formulieren. Es ist jedoch gar nicht erforderlich, den gesamten Schutzbereich des verletzten Verhaltensgebots zu kennen. Es genügt, wenn wir uns darauf beschränken, aus der ex post-Perspektive des Richters die Gefahr des konkret eingetretenen Verlaufs zu bewerten. Dies beleuchtet zwar nur einen Teilbereich der Verhaltensnorm. Das ist jedoch unschädlich, weil nur diese spezifische Gefährdungslage über die Zurechnung im konkreten Einzelfall entscheidet. Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, den Gefährdungsgrad zu bestimmen, der erforderlich ist, damit der Schutzzweck ein Rechtsgut, eine Folgebeeinträchtigungen oder einen Schaden erfasst. Insoweit ist sowohl für die haftungsbegründende Zurechnung als auch die haftungsausfüllende Zurechnung erforderlich, dass bezüglich des konkret verletzten Rechtsguts, der Folgebeeinträchtigungen oder des Schadens die Gefährdung durch das Verhalten geeignet sein muss, einen eigenständigen objektiven Sorgfaltsverstoß zu begründen. Wie diese Verknüpfung der Sorgfalt mit der Schadenszurechnung nach dem Risikoprinzip zu vereinbaren ist, wird noch auszuführen sein (cc.). bb. Der Gefährdungsgrad in der haftungsbegründenden Zurechnung Wer sich bei der Festsetzung von Verhaltensgeboten am Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB orientiert 82 und an das Gefährdungspotenzial für durchschnittliche Betroffene anknüpft 83, kann die vom Schutzzweck des Verhaltensgebots erfassten und nicht mehr umfassten Beeinträchtigungen angemessen unterscheiden. Damit ein Verletzungserfolg vom Schutzzweck umfasst ist, muss die Gefährdung dieses konkreten Rechtsguts geeignet sein, (auch) bzgl. diesem einen eigenständigen objektiven Sorgfaltsverstoß zu begründen. Dass der hier vorgeschlagene Grad an Gefährdung erforderlich ist, um die Zurechnung zu ermöglichen, folgt aus dem Haftungssystem selbst. Es vermag nämlich nicht zu überzeugen, wenn der in Bezug auf ein Rechtsgut sorgfaltswidrig Handelnde für eine Beeinträchtigung eines anderen Rechtsguts haften soll, obwohl er diese Beeinträchtigung infolge der geringen Gefährdung gar nicht zu verhindern verpflichtet gewesen wäre. 84 Man könnte zwar darauf verweisen, dass er sowieso verpflichtet war, sein Verhalten insgesamt zu unterlassen oder sich auf eine andere Art zu verhalten. Dies wäre jedoch eine Argumentation im Sinne der abzulehnenden Haftung für versari in re illicita. Derjenige, der sich im verbotenen Bereich aufhält, würde konsequent fortgedacht für alle kausalen Folgen haften.

Etwa der Superrichter „Hercules“ von Dworkin, Rights, S. 105. Vgl. oben S. 278 f. 83 Vgl. hierzu S. 347 ff. 84 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 313.

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Eine solche Argumentation würde etwa auch dann verfangen, wenn zugleich die Rechtsgüter unbeteiligter Dritter identisch marginal gefährdet wären, obwohl insoweit wegen des noch sozialadäquaten Niveaus der Gefährdung gerade kein Verhaltensgebot bestünde. Verhält sich etwa derjenige, bei dem ein nicht verschuldeter Kurzschluss den Brand seines Hauses verursacht hat, gegenüber dem Schaulustigen sorgfaltswidrig und soll haften, wenn diesem beim Filmen der Löscharbeiten das Mobiltelefon aus der Hand fällt oder jener beim Verlassen des Schauplatzes über einen ausgerollten Schlauch stolpert und sich verletzt? Lehnt man dies zutreffenderweise ab, kann man schwerlich die Zurechnung bejahen, nur weil der Brand fahrlässig verursacht wurde. Ob der Verursacher nun fahrlässig oder schuldlos gehandelt hat, ist für die Ersatzpflicht gegenüber einem derartigen „Dritten“ nicht maßgeblich. Das Gleiche muss wiederum gelten, wenn durch das sorgfaltswidrige Verhalten ein anderes oder sogar dasselbe Rechtsgut desselben Rechtsträgers lediglich sozialadäquat gefährdet und nur dieses verletzt wird. Lässt etwa jemand vermeidbar einen schweren Gegenstand aus dem Fenster fallen, der einen Fußgänger fast erschlägt, so ist trotz der übermäßigen Gefährdung die Verletzung nicht zurechenbar, die der Fußgänger bei einem Sturz auf der Treppe des Wohnhauses erleidet, während er sich zu beschweren versucht. Das für die körperliche Integrität durchaus gefährliche Verhalten hat bezüglich der Sturzverletzungen kein relevant gesteigertes Verletzungsrisiko begründet. Der Schutzzweck des Verhaltensgebots beschränkt sich deshalb ausschließlich auf diejenigen Rechtsgüter, 85 die in einem Grad gefährdet sind, der das Entstehen einer auf sie bezogenen Sorgfaltspflicht rechtfertigt. cc. Der Gefährdungsgrad in Haftungsausfüllung Wie Primärbeeinträchigungen werden Schäden und Folgeschäden durch konkrete Verhaltensgebote nur dann zu verhindern bezweckt, wenn auch bezüglich dieser eine zur Begründung des Sorgfaltsverstoßes hinreichende Gefahr im haftungsbegründenden Verhalten mit enthalten ist. 86 Dabei ist maßgeblich, in welchem Umfang mit der Primärbeeinträchtigung die Gefahr des entsprechenden Schadens oder Folgeschadens verbunden ist. Beispielsweise ist mit schweren Körperverletzungen das Risiko von psychischen Folgebeeinträchtigungen, wie etwa schwere Depressionen, verbunden. 87 Dieses Risiko für die Gesundheit, das an die Primärbeeinträchtigung anknüpft, ist so erheblich, dass es selbstständig missbilligungswürdig ist. Das missbilligungswürdige Risiko der Folgebeeinträchtigung ist dabei ein Bestandteil der Gefahr einer entsprechenden Primärbeeinträchtigung. Das gegen die Primärbeeinträchtigung gerichtete 85 Das einheitliche Verhaltensgebot kann, wie bereits ausgeführt, die Rechtsgüter verschiedener Rechtsträger umfassen. 86 Ähnlich auch U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321. 87 Zur Zurechnung psychischer (Folge-)Beeinträchtigungen unten S. 354 f. und S. 366 ff.

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Verhaltensgebot bezweckt deshalb auch die ex ante bestehende Gefahr derartiger Folgebeeinträchtigungen zu verhindern. Diese hier befürwortete Gefährdungsschwelle ist für alle Schadensfolgen angezeigt. Sie ist bei Folgeverletzungen wie Gesundheits- oder Körperschäden schon deswegen angemessen, weil die Verhaltensnorm nicht bezweckt, den Schädiger in der Folgenzurechnung für Folgeverletzungen verantwortlich zu machen, die dieser haftungsbegründend erlaubt herbeiführen dürfte.88 Bei geringeren Anforderungen würde die Primärbeeinträchtigung für den Geschädigten zum unverdienten Glücksfall, denn das zufällige Durchgangsstadium derselben würde den Schaden umqualifizieren. Dieser würde auf einmal vom schlicht kausalen Eigenrisiko zum missbilligten Fremdrisiko. Nur bei einem Ausmaß des Risikos entsprechender Schäden, das im Sinne der Sorgfaltspflichtendogmatik relevant ist, dient das ex ante gebildete, einheitliche Verhaltensgebot auch dem Schutz des als Folge beeinträchtigten Guts oder Interesses. Dabei erweist sich die Zurechnung der unmittelbaren Schäden als unproblematisch. Der Schaden, der in der Einbuße am Schutzgut selbst liegt, ist immer mit der identischen Primärbeeinträchtigung missbilligt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um einen immateriellen Schaden, 89 etwa der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität, oder eine Einbuße am Vermögen handelt, etwa weil das Eigentum zerstört und deshalb das Vermögen verringert ist. Die Zugehörigkeit von Folgeschäden zum missbilligten Risiko, also von Folgebeeinträchtigungen und Vermögensfolgeschäden, bedarf demgegenüber einer weitergehenden Begründung im Einzelfall, die auf den jeweiligen Folgeschaden bezogen ist. Eine Gefährdung, die hinreichend ist, um einen Sorgfaltsverstoß zu begründen, ist auch bei reinen Vermögensfolgeschäden erforderlich. Dies gilt sogar, wenn die Haftungsbegründung nach § 823 Abs. 1 BGB erfolgt. Das allgemeine Gebot, niemanden sorgfaltswidrig zu schädigen, wird zwar erheblich durch § 823 Abs. 1 BGB, den lediglich selektiven Schutz des Vermögens durch Schutzgesetzte und Vertragspflichten sowie die gesteigerten Anforderungen des § 826 BGB hinsichtlich reiner Vermögensprimärbeeinträchtigungen aufgelockert. Hierdurch soll wirtschaftliche Handlungsfreiheit gewährleistet werden. Dieses Ziel erfordert jedoch nur, die haftungsbegründende Zurechnung zu begrenzen. Die haftungsausfüllende Zurechnung bleibt davon unberührt. Deshalb setzen sich das Vorsatzerfordernis bei § 826 BGB oder der begrenzte Schutzgüterkatalog bei § 823 Abs. 1 und 2 BGB unbestritten nicht in der Schadenszurechnung fort. Das Vermögen kann deshalb ebenfalls in missbilligungswürdiger Weise (mit) gefährdet werden. 88 U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321. Davon ist der begrenzte Schutzgüterkatalog in der Haftungsbegründung zu unterscheiden. 89 Ob ein immaterieller Schaden überhaupt gem. § 253 BGB ersatzfähig ist, muss von der Zurechnung des Schadens unterschieden werden. Dazu bereits S. 290.

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Für die hier befürwortete Gefährdungsschwelle spricht zunächst die Gleichbehandlung der Vermögensfolgeschäden mit den Folgeverletzungen. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, das Vermögen stärker zu schützen als die Rechtsgüter, die sonst einen weitergehenden Schutz erfahren, wie etwa die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit. Darüber hinaus ist unterhalb der Schwelle eine Gefährdung generell haftungsrechtlich irrelevant. Dass dieser Grad an Gefährdung auch für das Vermögen maßgeblich ist, zeigt etwa die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB, wenn vermögensschützende Schutzgesetze verletzt wurden, sowie die Haftung gem. §§ 280, 241 Abs. 2 BGB für verletzte vertragliche Schutzpflichten, die fremdes Vermögen schützen. Diese Haftungskonstellationen zeigen, dass unterhalb der Gefährdungsschwelle, die durch § 823 Abs. 2 S. 2 BGB besonders betont wird, ein missbilligtes Risiko von Vermögensschäden nicht besteht. Entsprechend muss die Zurechnung analog den Folgeverletzungen bei einer geringeren Gefährdungsintensität ausscheiden. Ein missbilligtes Begleit- bzw. Folgerisiko einer Primärverletzung kann etwa dahingehend bestehen, dass sich der Geschädigte aufgrund der Primärbeeinträchtigung zu weiteren vermögensschädigenden Handlungen gezwungen sieht. Es besteht etwa ein erhebliches Risiko, dass der Geschädigte erfolglos Aufwendungen tätigt, von denen er ausgehen konnte, diese würden den Schaden durch die Schutzgut- oder Pflichtverletzung verringern. 90 Das Gleiche gilt hinsichtlich der Kosten, die der Verletzte aufwendet, um die mit der Primärbeeinträchtigung verbundenen Rechte wahrnehmen zu können.91 Voraussetzung für die Zurechnung ist bei diesen Fällen psychisch vermittelter Kausalität allerdings, dass das vermögensschädigende Verhalten vernünftig ist.92 Durch das Vernünftigkeitserfordernis, das in vielerlei sprachlichen Fassungen daher kommt, 93 wird aus der ex post-Perspektive bestätigt, dass mit der Rechtsgutsoder Pflichtverletzung ex ante ein übermäßiges und damit im Sinne des Verhaltensgebots missbilligtes Risiko eben dieser Vermögensfolgeschäden verbunden war. 94 Die Zurechnung der Schadensfolgen erfolgt unabhängig davon, ob die diesbezügliche weitere Zwecksetzung der verletzten Verhaltensnorm für den Adressaten erkennbar ist. Für die haftungsbegründende Zurechnung ist hinreichend, dass das einheitliche Verhaltensgebot wegen der voraussehbaren Gefährdung eines Schutzgutes erkennbar und es zugleich vermeidbar ist, dieses zu verletzen. Die Folgenzurechnung erfolgt sodann unabhängig von derartigen 90 BGH, NJW 1990, 2060; 2005, 1041, 1042; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 44; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 178. 91 BGH, NJW 1995, 446; 2004, 444, 446; 2006, 1065; 2010, 3456, 3457; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 180 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 137. 92 Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 165. 93 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 137; BGH, NJW-RR 2007, 742, 743. 94 Umfassend hierzu S. 383 ff.

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Begrenzungen, anhand des gesamten Schutzzwecks des verletzten einheitlichen Verhaltensgebots. Aus diesem Grund wird auch nicht systemwidrig die Verschuldenszurechnung auf die Ebene der Haftungsausfüllung erstreckt oder gar übertragen. Es wird lediglich der Gefährdungsgedanke als Grundlage einer teleologisch begründeten Risikozurechnung fortgesetzt. Elementare Aspekte der Verschuldenszurechnung, wie die individuelle Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit der konkreten Schadensfolge, sind gerade nicht von Belang. Die Zurechnung auf dieser Ebene erfolgt rein objektiv und verhaltensunabhängig nach dem Risikoprinzip. 95 Maßgeblich für die Zurechnung ist ausschließlich die Zugehörigkeit des Schadens zu den missbilligten Schadensrisiken, die durch den Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots bestimmt werden. Beinhaltete etwa das Verhalten des Schädigers das Risiko schwerer Verletzungen, so ist vom Schutzzweck des ex ante gebildeten Verhaltensgebots auch das gesteigerte Risiko von Folgeverletzungen bei einer „Blaulichtfahrt“ in das Krankenhaus umfasst. 96 Für die Zurechnung der Folgeverletzung ist dabei gleichgültig, ob zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung individuell vorhersehbar war, dass eine solche wirklich erforderlich sein oder dass der Krankenwagen verunfallen würde. Ebenso ist unbeachtlich, dass der Schädiger die konkrete Folgebeeinträchtigung nicht verhindern konnte. b. Abstrakte Verhaltensgebote Die abstrakten Verhaltensgebote, die von einer konkreten Gefährdung unabhängig sind, treten entweder als formelle oder materielle Gesetze sowie als typisierte Verkehrs- bzw. Schutzpflichten auf und beinhalten abstrakte Gefährdungsverbote. Deliktische Sorgfaltspflichten in der Form von Verkehrspflichten sind häufig, ebenso wie viele vertragliche Schutzpflichten, in ihrer Gebzw. Verbotswirkung vergleichbar den Schutzgesetzten im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ausgestaltet. 97 Es hängt zudem vielfach vom Zufall ab, ob solch ein abstraktes Gefährdungsverbot vom Gesetzgeber positiv normiert oder erstmals von der Rechtsprechung als Verkehrs- oder Schutzpflicht formuliert wird. 98 Wie weit der Schutzzweck des entsprechenden Verhaltensgebots reicht, lässt sich dabei aus den abstrakten Gefahren ableiten, aufgrund derer das Verhaltensgebot vom Gesetzgeber erlassen oder es von der Rechtsprechung formuliert wurde. Vgl. dazu bereits S. 294 ff. Vgl. Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 66; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 158; BGHZ 55, 86, 92. 97 Vgl. Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 33; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 27 f.; vgl. auch Lüer, Begrenzung, S. 97; Mertens, VersR 1980, 397, 401; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff. 98 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 197; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 165 ff. 95

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aa. Haftungsbegründende Zurechnung Deckungsgleich zu den gesetzlich normierten Verhaltensgeboten bezwecken auch Verkehrspflichten ausschließlich den Schutz bestimmter Interessen vor bestimmten Beeinträchtigungen. 99 Derartige Verkehrspflichten sind deshalb wie die Schutznormen des § 823 Abs. 2 BGB100 mehrfach relativ, da ihre Schutzwirkung in personeller, sachlicher und funktionaler Hinsicht beschränkt ist.101 Eine solche personelle Beschränkung der Zurechnung ist beispielsweise, dass sich derjenige, der sich unbefugt auf einem fremden Grundstück und somit in einem fremden Gefahrenkreis aufhält, nur eingeschränkt von den Verkehrssicherungspflichten geschützt wird. 102 Sachlich sind häufig nur bestimmte Interessen durch die jeweilige Verhaltenspflicht geschützt. Etwa soll das Verbot Straßen zu blockieren nicht das Eigentum der Anlieger schützen, das durch Fahrzeuge beschädigt wird, die die Blockade umfahren. 103 Die größte Relevanz weist jedoch die dritte Einschränkung auf, nämlich die Zugehörigkeit des Erfolges zur Gefahr, die mit dem Verhaltensgebot abgewendet bzw. verringert werden soll. 104 So bezweckt beispielsweise die Verkehrspflicht, Schusswaffen sicher zu verwahren, deren Funktion entsprechende unfallbedingte Selbst- oder Fremdschädigungen sowie den Missbrauch durch Dritte, etwa als Raub- oder Mordwerkzeug, zu verhindern. 105 Nicht vom Schutzzweck umfasst sind hingegen Verletzungen durch das Stolpern über die Schusswaffe oder durch deren Gebrauch als gewöhnliches Wurfgeschoss. In diesen Erfolgen realisiert sich nicht die besondere Gefährlichkeit der Waffe, die durch die Verkehrspflicht begrenzt werden soll. Folglich werden die Wurf- und die Sturzverletzung nicht auf der Grundlage dieser Verkehrspflichtverletzung – gegebenenfalls aber anderer Sorgfaltspflichtverletzungen – zugerechnet. Wie bereits angedeutet, bedürfen auch die Schutzpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB im Rahmen der vertraglichen Haftung einer entsprechenden 99 Vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 197 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 113; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 2, S. 444; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 989; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 28; Stoll, Kausalzusammenhang, S. 17 f.; zum Schutzzweck von Verkehrspflichten vgl. auch BGH, VersR 2007, 78 f.; NJW 1987, 2671 f. 100 Vgl. hierzu etwa Lang, Normzweck, S. 47; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 520. 101 Dazu MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 452 ff.; Lang, Normzweck, S. 82; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 113 f.; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 28; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 423 ff.; BGH, VersR 2007, 78 f.; zweifelnd bzgl. der Erforderlichkeit v. Bar, Verkehrspflichten, S. 181 ff. 102 Eingehend hierzu MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 436 ff. m. umf. Nachw. 103 Dazu, dass die entsprechende Gefahr auch nicht bereits von der Sorgfaltspflicht umfasst ist, deren Verletzung den Unfall und somit die Blockade verursacht, vgl. S. 390. 104 Zum zu verantwortenden Gefahrenspektrum vgl. Lang, Normzweck, S. 84 ff. 105 Dazu Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 400.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Einschränkung der Zurechnung. Schutzpflichten entsprechen, soweit sie auf die Integrität des Vertragspartners oder zukünftiger potenzieller Vertragspartner (§ 311 Abs. 2 BGB) gerichtet sind, inhaltlich weitestgehend den deliktischen Verkehrspflichten. 106 Die Rechtsprechung nähert sich sogar inhaltlich der Identität der Pflichten an. Sie lässt Tendenzen erkennen, den Umfang vertraglicher Schutzpflichten, die auf das Integritätsinteresse bezogen sind, nach dem Maßstab deliktischer Verkehrspflichten zu bestimmen. 107 Schutzpflichten sind handlungsbezogen ausgestaltet, ganz im Gegensatz zu den erfolgsbezogenen Leistungspflichten, weswegen die schlichte Beeinträchtigung eines geschützten Interesses noch keine Pflichtverletzung begründet.108 Wird beispielsweise ein Mieter durch ein auf das Mietobjekt abstürzendes Flugzeug verletzt, begründet die bloße Kausalität des Mietverhältnisses für den Erfolg natürlich noch keine Pflichtverletzung des Vermieters. Eine Pflichtverletzung anzunehmen setzt vielmehr eine weitergehende Zurechnung des Beeinträchtigungserfolges durch eine Sorgfaltspflichtverletzung voraus. 109 Erforderlich ist somit, dass die Anforderungen des – grundsätzlich von dem Parteiwillen in Entstehung und Umfang unabhängigen110 – abstrakten oder konkreten Pflichtenkatalogs konkret vermeidbar unterschritten werden. 111 Insbesondere wenn integritätsbezogene Schutzpflichten als abstrakte Gefahrbeherrschungsgebote ausgestaltet sind, kann bei Beeinträchtigungen, die kausal auf sorgfaltswidrigem Verhalten beruhen, eine Einschränkung der Zurechnung geboten sein. Eine solche ist immer dann erforderlich, wenn sich im Erfolg ein vom Schutzzweck der Schutzpflicht nicht erfasstes Risiko realisiert. Hält beispielsweise ein Vermieter eines Mehrparteienhauses die Zugänge zum Mietobjekt aus Geiz oder Gleichgültigkeit nicht im vertraglich gebotenen

Vgl. Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 480; Bamberger/Roth/Sutschet, § 241 Rn. 92. Nach MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 57 werden die deliktischen Sorgfaltspflichten durch § 241 Abs. 2 BGB „als Schutzpflichten in das Vertragsrecht gespiegelt“, sodass dieselben Maßstäbe gelten (Rn. 396). 107 So ausdrücklich BGH, NJW 2008, 3778; OLG München, NZV 2009, 561; OLG Hamm, NJW 2010, 2591. 108 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 280 Rn. 14 f.; S. Lorenz, NJW 2005, 1889, 1890; Riehm, Festschrift Canaris I, 1079, 1082, 1091 f. 109 Vgl. S. Lorenz, NJW 2005, 1889, 1890; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 280 Rn. 15; MünchKommBGB/Ernst, § 280 Rn. 15, 23; Zieglmeier, JuS 2007, 701, 703. 110 Hierzu und zur umstrittenen Frage der Rechtsnatur der Schutzpflichten Grigoleit, Festschrift Canaris I, 275, 281 ff. 111 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 280, Rn. 15, 23. Die damit verbundene Beweispflichtigkeit des Gläubigers für den Sorgfaltsverstoß unterscheidet sich von der grundsätzlichen Beweislastverteilung bei leistungsbezogenen Pflichten, bei denen der Schuldner sich im Hinblick auf das Vertretenmüssen exkulpieren muss, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Diese Ungleichbehandlung wurde jedoch vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen, vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 136. Dazu auch Grigoleit, Festschrift Canaris I, 275, 287; Ernst, ebenda. 106

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Zustand und gefährdet so die Sicherheit der Mieter, so verletzt er diesen gegenüber sorgfaltswidrig eine Schutzpflicht in der Form einer vertraglichen „Verkehrssicherungspflicht“ im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, wenn es zu einer Integritätsbeeinträchtigung kommt. 112 Nutzt allerdings ein Mieter Fragmente der zerbrochenen Steintreppe, um einen anderen ungeliebten Mieter, der in demselben Mietobjekt wohnt und den gleichen Vermieter hat, durch einen Wurf zu verletzen, so ist die haftungsrechtliche (Mit-)Verantwortlichkeit des Vermieters mangels entsprechender Schutzrichtung der Schutz- und Sorgfaltspflichten abzulehnen. Diese dienen ausschließlich dazu, die Gefahren zu vermeiden, die mit den Einwirkungsmöglichkeiten bei der Vertragsdurchführung verbunden sind. Während sturzbedingte Beeinträchtigungen unzweifelhaft umfasst sind, muss die eigenverantwortliche, 113 in schlicht kausalem Zusammenhang stehende Fremdschädigung als pflichtfremdes Ereignis beurteilt werden, das folglich nicht zurechenbar und somit ein Zufall ist. bb. Haftungsausfüllende Zurechnung Versucht man die Reichweite der Folgenzurechnung teleologisch zu bestimmen, so ist zwischen gefährdungsbezogenen und zustandsbezogenen Verhaltensgeboten zu unterscheiden. Diese gebieten die Folgenzurechnung nach dem Risikoprinzip in unterschiedlichem Ausmaß, obwohl sie auf den gleichen Grundgedanken beruhen. Die Verhaltensgebote geben vor, dass die spezifischen Schadensfolgen nach dem Risikoprinzip zu verantworten sind, die das Verhaltensgebot zu verhindern bezweckt hat. Mittels der Schutzzwecktheorie als methodisches Mittel wird festgestellt, was diese nach dem Risikoprinzip abstrakt zu verantwortenden missbilligten Schadensrisiken sind. Bezüglich der gefährdungsbezogenen Verhaltensgebote, die eine abstrakte gesteigerte Gefahr zu verhindern bezwecken, sind die zu den konkreten Verhaltensgeboten entwickelten Maßstäbe übertragbar. Die mit der Primärbeeinträchtigung unmittelbar verbundenen Vermögensschäden und immateriellen Schäden sind ausnahmslos vom Schutzzweck umfasst. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass das Verhaltensgebot, das bestimmte Primärschäden vermeiden soll, auch die mit dem Primärschaden verbundenen missbilligungswürdigen Risiken von Folgeschäden mit zu verhindern bezweckt. Dass etwa die Körperverletzung verhindert, aber die regelmäßig eintretenden psychischen Folgeschäden oder Vermögensfolgeschäden nicht verhindert werden sollen, ist kaum begründbar. Schließlich sind diese Schadensrisiken mit der Gefahr der Primärbeeinträchtigung untrennbar verbunden bzw. bilden ein einheitliches Schadensrisiko.

Vgl. Staudinger/Emmerich, § 535 Rn. 29. Der Mieter durfte sich auch nicht zu dem rechtswidrigen Verhalten „herausgefordert“ fühlen. Dazu unten S. 387. 112

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

In Ausnahmefällen können Verhaltensgebote sogar darauf abzielen, einen bestimmten Zustand absolut zu verhindern. Sie bezwecken dann sämtliche aus diesem Zustand resultierenden Folgen und damit Folgeschäden zu verhindern und zwar unabhängig davon, ob mit dem Zustand eine gefahrsteigernde Wirkung verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist das Verbot unberechtigter Sachentziehung. Dieses soll die Bestimmungsbefugnis des Sachinhabers unabhängig davon schützen, ob mit dem gebotswidrigen Verhalten bzw. der herbeigeführten Besitzlage überhaupt ein erhöhtes Risiko des Unterganges oder der sonstigen Beeinträchtigung der Sache verbunden ist. 114 Dieser Schutzzweck erzwingt eine grundsätzliche umfassende Folgenzurechnung, die sich tatsächlich dem Gedanken der Haftung für versari in re illicita annähert. Der Eigentümer oder berechtigte Besitzer soll gänzlich von fremden Risiken freigehalten werden, und eben nicht nur von gesteigerten. Dementsprechend kann sich der Dieb nicht mit dem Einwand entlasten, das Diebesgut sei mitsamt dem gewählten Versteck bei einem blitzschlagbedingten Brand untergegangen. Der definitive Schutzzweck des Verhaltensgebots verbietet es, an die Zurechnung der Folgebeeinträchtigung weitere Anforderungen zu stellen. Lediglich vom missbilligten Zustand losgelöste Beeinträchtigungen, etwa der natürliche Tod des rechtswidrig entzogenen Tieres, verbleiben beim Beeinträchtigten, wie etwa § 848 Hs. 2 BGB verdeutlicht. 115 Diese zustandsbezogenen Verhaltensgebote, deren Schutzzweck die Schadenszurechnung in einzigartiger Weise beeinflusst und teilweise sogar eine anschließende haftungsbegründende Zurechnung modifiziert, werden später noch eingehend behandelt. 116 c. Spezielle Zurechnungskriterien als Produkt der Schutzzwecktheorie In schwierig gelagerten Fällen ist es erforderlich, das Überschreiten der Gefahrenschwelle, das die Zurechnung begründet, mittels eines besonderen Zurechnungskriteriums festzustellen. Derartige Problemfälle sind insbesondere die psychisch vermittelten Beeinträchtigungen. Mit den Zurechnungskriterien wird zugleich festgestellt, ob ein Folgeschaden oder ein Schaden bei einem Dritten vom Schutzzweck des Verhaltensgebots umfasst ist, das im Hinblick auf die Primärbeeinträchtigung verletzt wurde. 117 War etwa eine psychische Reaktion der Mutter „verständlich“118, weil diese mitansehen musste, wie ihr Sohn bei einem fahrlässig verursachten Unfall Hierzu unten S. 412 f. Zu der Berücksichtigungspflichtigkeit hypothetischer Kausalverlaufe, vgl. S. 413 f. 116 Diese Verhaltensgebote werden in § 12 (S. 404 ff.) eingehend untersucht. 117 Zu dieser Zweckbestimmung vom Erfolg her, allerdings beschränkt auf Verkehrspflichten, bereits Lang, Normzweck, S. 69. 118 Vgl. zu diesem Merkmal Adelmann, VersR 2009, 449, 453; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; OLG Nürnberg, NZV 2008, 38 f.; BGHZ 93, 351, 355. 114

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schwer verletzt wurde, so hat das gegenüber dem Sohn verletzte Sorgfaltsgebot, wegen der übermäßigen Gefährdung der Gesundheit naher Angehöriger, ebenfalls die Gesundheitsverletzung der Mutter zu unterbinden bezweckt. Der Schädiger hat die Verletzung ihres Rechtsguts deshalb ebenso sorgfaltswidrig verursacht.119 Das Gleiche gilt, wenn sich ein Verfolger des Bankräubers zu seinem gefährlichen Verhalten, das schlussendlich zu seiner Verletzung führt, „herausgefordert fühlen durfte“. Infolge der bestätigten Anreizwirkung, die das Verhalten des Zurechnungssubjekts entfaltet, begründete dieses eine übermäßige Gefahr für die Rechtsgüter des Verfolgers. Der Erfolg kann wegen der so festgestellten Sorgfaltspflichtverletzung zugerechnet werden, sofern sich in diesem das Risiko der Verfolgung realisiert. 120 Die speziellen Zurechnungskriterien, über deren Ursprung, Funktion und genauen Inhalt heftig gestritten wird, leiten sich aus den Anforderungen für die Zurechnung ab, die aus den Sorgfaltspflichten und deren begrenztem Schutzzweck folgen. Jedes Kriterium dient dazu, einen bestimmten Problemkreis problematischer Zurechnung zu bewältigen und so der gesetzlichen Verantwortungs- und Risikozuweisung zur Geltung zu verhelfen. Infolge der vielschichtigen Fragestellungen, die mit den speziellen Zurechnungskriterien verbunden sind, soll es an dieser Stelle mit dem kurzen Hinweis auf deren Ursprung im System der Zurechnung sein Bewenden haben. Eine umfassende Darstellung derselben erfolgt im Anschluss an dieses Kapitel.121 3. Ergebnis Die Schutzzwecktheorie ist eigentlich kein selbstständiges Zurechnungskriterium, sondern ein methodisches Instrument. Sie präzisiert das maßgebliche Zurechnungsprinzip auf teleologischer Grundlage und hilft so zu ermitteln, was die Haftungsnorm, gegebenenfalls in Verbindung mit der maßgeblichen Verhaltensnorm oder Pflicht, als zu verantwortend auferlegt. Als methodisches Instrument ist die Schutzzwecktheorie auf jede Form und auf jeder Ebene der Zurechnung uneingeschränkt anwendbar. Bei der Verschuldenshaftung lässt sich die genaue Reichweite sowohl der haftungsbegründenden, als auch der haftungsausfüllenden Zurechnung dem Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots entnehmen. Ein Erfolg darf dem sorgfaltswidrig handelnden Haftungsadressaten nur dann zugerechnet werden, wenn das verletzte Verhaltensgebot diesen zu verhindern bezweckte. Die Reichweite der Schutzwirkung ist bei den Verhaltensgeboten, die vom Richter aufgrund einer konkreten Gefährdung für den Einzelfall ermittelt werden, nicht wirklich erfassbar. Diese einzelfallbezogenen Verhaltensgebote sind modell-

Eingehend hierzu S. 367 f. Hierzu S. 383 ff. 121 Vgl. § 11 (S. 337 ff.).

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theoretisch perfekt und verbieten oder gebieten ein bestimmtes Verhalten infolge seines Gesamtgefährdungspotenzials, also wegen aller möglichen, für fremde Schutzgüter übermäßig gefährlichen Kausalverläufe. Der Richter kann deshalb aus der ex post-Perspektive schlicht für jede Beeinträchtigung individuell prüfen, ob hinsichtlich dieser eine im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB missbilligte Gefahr derselben bestand. Ist solch eine Gefährdung zu bejahen, wird der Erfolg zugerechnet. Das Gesamtgefährdungspotenzial umfasst ebenfalls die mit einer Beeinträchtigung verbundenen übermäßigen Schadens- und Folgeschadensrisiken. Deshalb kann die haftungsausfüllende Zurechnung ebenfalls über den Schutzzweck des Verhaltensgebots bestimmt werden. Es muss auch insoweit ein zur Begründung eines Sorgfaltsverstoßes hinreichendes Risiko der konkreten Schadensfolge bestanden haben, damit das verletzte Verhaltensgebot diese zu verhindern bezweckt hat und der Schaden zugerechnet werden kann. Gleichwohl richtet sich die Schadenszurechnung nach dem Risikoprinzip, da die Zurechnung verhaltensunabhängig anhand des gesamten Schutzzwecks des verletzten einheitlichen Verhaltensgebots erfolgt. Die Zurechnung wird entsprechend nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Schädiger nicht erkennen konnte, dass sich die Schutzwirkung auch auf den eingetretenen Folgeschaden erstreckt hat. Ebenso unerheblich ist es, dass der Schädiger die konkrete Schadensfolge selbst nicht voraussehen oder verhindern konnte. Die Reichweite des Schutzzwecks abstrakter Verhaltensgebote lässt sich aus den abstrakten Gefahren ableiten, aufgrund derer das jeweilige Verhaltensgebot vom Gesetzgeber erlassen oder es von der Rechtsprechung formuliert wurde. Die haftungsausfüllende Zurechnung erfolgt grundsätzlich nach den identischen Maßstäben wie bei den einzelfallbezogenen Verhaltensgeboten. Ein Verhaltensgebot, das bestimmte Primärschäden zu vermeiden bezweckt, soll auch die mit den Primärschäden verbundenen missbilligungswürdig hohen Risiken von Schäden und Folgeschäden verhindern. Missbilligungswürdige Schadensrisiken entstehen grundsätzlich erst bei dem für die konkreten Verhaltensgebote erarbeiteten Gefährdungsgrad. Lediglich ausnahmsweise kann ein abstraktes Verhaltensgebot bezwecken, einen Zustand sowie sämtliche kausal mit diesem verbundene Schadensfolgen absolut zu verhindern. Bei derartigen zustandsbezogenen Verhaltensgeboten erfolgt deshalb die Schadenszurechnung unabhängig von der gefahrsteigernden Wirkung des haftungsbegründenden Verhaltens und diese ist nahezu umfassend ausgestaltet.

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IV. Das allgemeine Lebensrisiko Das „allgemeine Lebensrisiko“ 122 als eigenständiges, die Zurechnung ausschließendes Zurechnungskriterium, ist ein umstrittenes Kuriosum der Zurechnungsdogmatik. Es soll nach seinen Befürwortern ein bestimmtes Spektrum von Beeinträchtigungen und Schäden als unzurechenbar und damit nicht ersatzfähig definieren. Ein derartiges Zurechnungshindernis „allgemeines Lebensrisiko“ beschreibt somit einen Bereich exklusiven Eigenrisikos, in dem der Geschädigte die Beeinträchtigungen gewissermaßen als „verfestigter“ Zufall stets endgültig tragen muss. Aufgrund dieser einzigartigen Zwecksetzung soll und kann das allgemeine Lebensrisiko auch keineswegs identisch mit dem Zufall sein. 123 Es müsste vielmehr einen Teilbereich desselben beschreiben, der – und darin liegt die Besonderheit – die von der positiven Zurechnung abhängige Natur des Zufalls124 nicht teilen würde. 1. Inhalt der Lehre Wie bereits im Zusammenhang mit dem Lehrsatz casum sentit dominus ausgeführt, 125 wird von einem Teil der Literatur das „allgemeine Lebensrisiko“ als

122 Der Begriff des allgemeinen Lebensrisikos geht auf v. Caemmerer zurück, der den Begriff des „eigenen Lebensbereiches“ zur Erläuterung der Schutzzwecklehre erstmals einführte (v. Caemmerer, Problem, S. 18). Dabei verband v. Caemmerer jedoch mit diesem Begriff keinen besonderen normativen Einfluss auf die Zurechnung. Der Bundesgerichtshof (BGHZ 27, 137, 141) verneinte kurze Zeit später in einer Entscheidung die Haftung und verwendete im Rahmen der Begründung den Begriff des allgemeinen Risikos (eines jeden Staatsbürgers). Es war schließlich Lange, der den Begriff des „allgemeinen Lebensrisikos“ in seiner endgültigen Form prägte (Lange, Verhandlungen I, S. 52). Wie auch schon v. Caemmerer verbanden jedoch weder der BGH noch Lange mit dem allgemeinen Lebensrisiko einen eigenständigen zurechnungsbezogenen, teleologischen Gehalt. Erst deutlich später erhob Lange das allgemeine Lebensrisiko in den Rang eines eigenständigen negativen Zurechnungskriteriums (Lange, JZ 1976, 198, 206 f.). Daraufhin unternahm es erstmals Mädrich, das allgemeine Lebensrisiko in seiner gleichnamigen Monographie als eigenständige Rechtsfigur dogmatisch zu erfassen und eingehend zu begründen (Mädrich, Das allgemeine Lebensrisiko, 1980). Mit Deutsch fand die durch Lange und Mädrich gebildete Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko einen weiteren namhaften Anhänger (Deutsch, VersR 1993, 1041 ff.; ders., Haftungsrecht, S. 596 ff.). 123 Vgl. hierzu Deutsch, VersR 1993, 1041, 1042, der allerdings den Zufall begrifflich mit dem Verschulden verbindet und dessen Anwendungsbereich so auf die Haftungsbegründung beschränkt. 124 Hierzu bereits S. 90 f. und öfter. 125 Vgl. oben S. 208 f.

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eigenständiges negatives Zurechnungskriterium betrachtet,126 das von Adäquanz und Schutzzwecklehre zu unterscheiden sei. 127 Dieses soll, obwohl die sonstigen Haftungsvoraussetzungen vorliegen, die Zurechnung insoweit ausschließen, wie die Beeinträchtigung als Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos beurteilt werden muss. 128 Hinter dem Zurechnungskriterium soll dabei der fundamentale Gedanke stehen, dass Einbußen, die daraus resultieren, dass sich mit dem Leben zwangsläufig verbundene Gefahren realisieren, nicht auf andere Personen abgewälzt werden können. 129 Um das allgemeine Lebensrisiko aus der Zurechnung auszuscheiden, differenziert die entsprechende Lehre danach, ob das jeweilige menschliche Verhalten oder die zu verantwortende Risikoquelle lediglich solche Beeinträchtigungen oder Schäden hervorgerufen hat, die sich auch sonst im Leben des Betroffenen üblicherweise zu ereignen drohen, oder ob die genannten Umstände die Möglichkeit, einen rechtlich relevanten Nachteil zu erleiden, über das Normalmaß hinaus gesteigert haben. 130 Gehört die Beeinträchtigung zur ersten Gattung, soll die Zurechnung ausgeschlossen sein, weil sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert habe. Der Anwendungsbereich des allgemeinen Lebensrisikos soll sich dabei auf die Folgen von Ereignissen beschränken, die grundsätzlich den Anknüpfungspunkt eines geltend gemachten Haftungsanspruchs bilden würden. 131 Gegenstand des allgemeinen Lebensrisikos sind entsprechend ausschließlich mittelbare Beeinträchtigungen. Dies umfasst beispielsweise Verletzungen, die während des Transports des Opfers in das Krankenhaus entstehen, der durch eine 126 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1044 ff.; Mädrich, Lebensrisiko, S. 96 ff.; Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 79 sprechen hingegen von einem nicht der Zurechnung zuzuordnenden, eigenständigen „Haftungsbegrenzungselement“. Vgl. auch die Nachweise in der folgenden Fußnote. Dagegen etwa Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 69; Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 2, S. 66; Gottwald, Karlsruher Forum 1986, 3, 8; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 54; U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321; Lang, Normzweck, S. 152 f.; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 3, S. 448 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 194; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 89; Bamberger/Roth/J. Flume, § 249 Rn. 293. 127 Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041; Deutsch/Ahrens, Deliktsrecht, Rn 225 f.; Lange, JZ 1976, 198, 206 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148; Mädrich, Lebensrisiko, S. 74 ff., 89 ff.; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 147; Möllers, Rechtsgüterschutz, S. 79; Pick, Verkehrspflichten, S. 203 f.; Stoll, Kausalzusammenhang, S. 26 f. 128 Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 38; Deutsch, VersR 1993, 1041, 1044. Eine positive Regelung dieses Ausschlusstatbestandes der Zurechnung sehen etwa die Principles of European Tort Law vor. In Art. 3.201 lit. d PETL ist das „ordinary risk of life“ normiert, das eine der deutschen Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko entsprechende Wirkung entfaltet. 129 Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 38; Deutsch, VersR 1993, 1041, 1043; dens., Haftungsrecht, S. 383; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 147; ähnlich Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 146; Lange, JZ 1976, 198, 206. 130 Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 37 f., 43, 96; ähnlich auch Spier, PETL, Art. 3.201 Rn. 19. 131 Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 38.

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fahrlässige Körperverletzung notwendig wurde, oder solche während einer Verfolgungsjagd mit einem flüchtigen Handtaschenräuber. „Gewöhnliche“ Beeinträchtigungen sollen hingegen nicht erfasst sein, etwa solche aus unmittelbaren Unfallereignissen. Diese können und dürfen gerade nicht als (haftungsfreie) Realisierung des „allgemeinen“ Lebensrisikos qualifiziert werden, das nun einmal mit der Teilnahme am Straßenverkehr verbunden ist, wenn der Unfall durch fahrlässiges Verhalten ausgelöst wurde.132 Deutsch sieht deswegen den Hauptanwendungsbereich des allgemeinen Lebensrisikos in der Haftungsausfüllung. 133 2. Die Entbehrlichkeit des allgemeinen Lebensrisikos Der auf den ersten Blick durchaus sympathischen Idee einer Risikoverteilung, die aus dem gesellschaftlichen Zusammenleben begründet wird und die daraus resultierenden Gegebenheiten und Zwänge berücksichtigt, muss jedoch in mehrfacher Hinsicht widersprochen werden. Die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko beschreibt zwar in vielen Fällen durchaus zutreffend die Grenzen der Fremdverantwortung. Sie vermag jedoch ihre behauptete Wirkung und damit zugleich ihren Geltungsanspruch nicht selbst zu begründen. Ihr fehlt es insoweit nicht nur an Schärfe. 134 Es mangelt ihr auch an einem hinreichenden wertungsgestützten Gehalt, der es erlauben würde, das allgemeine Lebensrisiko einer grundsätzlich begründeten Zurechnung entgegenzuhalten. Zudem offenbart eine genauere Betrachtung der Zurechnung zum potenziellen Schädiger, dass die durch die Lehre vom allgemeinen Lebensrisiko aufgezeigten Grenzen nicht durch diese definiert, sondern ausschließlich aus der Schwäche der jeweiligen Zurechnung zum Zurechnungssubjekt abgeleitet werden. Dies zeigt, dass die Lehre keinen konstitutiven Anwendungsbereich aufweist und entsprechend entbehrlich ist. a. Inhaltsleere des allgemeinen Lebensrisikos Der Theorie eines haftungsfreien allgemeinen Lebensrisikos ist zunächst entgegenzuhalten, dass es sich bei diesem um eine Leerformel handelt. Dass das allgemeine Lebensrisiko substanzlos ist, ergibt sich schon daraus, dass dieses widersprüchlich hergeleitet wird. Bestimmte Beeinträchtigungen und Beeinträchtigungsformen sollen die Natur eines allgemeinen Lebensrisikos bereits in sich tragen. Was ein allgemeines Lebensrisiko ist, soll aber zugleich ausschließlich anhand des Verhaltens oder der Risikoverantwortung des potenziellen Schädigers bestimmt werden. Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 38 f. Deutsch, VersR 1993, 1041, 1042. 134 Spier, in PETL, Art. 3:201 Rn. 19 bezeichnet das allgemeine Lebensrisiko deshalb zu recht als „amorphous concept“. 132

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Mit der Idee genuin eigener Risiken ist nicht vereinbar, dass die Folgen entsprechender Beeinträchtigungen, die ja eigentlich unabwälzbar sein sollen, auch nach den Vertretern der entsprechenden Lehre in Ausnahmefällen dennoch abgewälzt werden können. Diese Folgen sind etwa bei einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, 135 deren vertraglichen Übernahme136 und natürlich auch, wenn das Gesetz diese im Wege der Gefahrtragung oder Haftung, etwa gem. § 287 S. 2 BGB, auferlegt, 137 sehr wohl von einer anderen Person zu schultern. Garantiert etwa der Entleiher für die Integrität der Sache oder befindet er sich mit der Rückgabe in Verzug, so haftet er im Beeinträchtigungsfalle, auch wenn die Beschädigung beispielsweise durch einen aus biologischen Gründen erfolgenden Astabbruch hervorgerufen worden ist,138 obwohl es sich bei derartigen, „durch Gegebenheiten der Natur“ verursachte Schäden doch um den „gesicherten Kernbereich“ des allgemeinen Lebensrisikos handeln soll.139 Ebenso wird sich derjenige, der in Kenntnis einer extremen psychischen Anfälligkeit einer Person140 diese vorsätzlich mit eigentlich sozial üblichem – da objektiv ungefährlichem – Verhalten in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, kaum auf das haftungsausschließende allgemeine Lebensrisiko dieser Person berufen können. Hieran wird deutlich, dass das allgemeine Lebensrisiko nicht auf dem Wesen des spezifischen Risikos oder der spezifischen Beeinträchtigung beruht. Es beschreibt vielmehr ausschließlich eine bestimmte Beziehung zwischen dem Verhalten oder Risikobereich des Zurechnungssubjekts und dem Erfolg bzw. Schaden. Zweifeln ist die Lehre auch vor dem Hintergrund ausgesetzt, dass sie eine Wertung impliziert, dass der beeinträchtigte Rechtsträger den Schaden gerade auch bei bestehender Verantwortung des möglichen Zurechnungssubjekts tragen soll. Es existiert jedoch keine entsprechende Wertung, die auf der Prinzipienebene wirksam ist, wie bereits im Zusammenhang mit Hübners Idee eines negativen Zurechnungsgrundes casum sentit dominus dargelegt wurde. 141 Dass eine entsprechende normative Wertung nicht Teil des geltenden Rechts ist, gesteht auch Deutsch als Befürworter des allgemeinen Lebensrisikos im Ergebnis ein. Er beurteilt dieses selbst als „unspezifischen negativen Zurechnungsgrund, der eher zuordnend als material ausgestaltet ist“. 142 Zudem erkennen die meisten Vertreter der Lehre an, dass noch keine Kriterien gefunden wurden, welche

Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041, 1046. Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 91. 137 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 328; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 27. 138 Vgl. OLG Hamm, VersR 1997, 1148; NJW-RR 2010, 537, 538. 139 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148, die selbst auf die erste Entscheidung des OLG Hamm verweisen (Fn. 427). 140 Hierzu noch S. 371 f. 141 Vgl. S. 213 ff. 142 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1046. 135

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das Rechtsinstitut ausmachen. 143 Da noch nicht einmal eine Wertung benannt werden kann, die hinter dem Zurechnungshindernis steht und begründet, warum die Belastung des Geschädigten vor der bestehenden Verantwortung des möglichen Schädigers vorrangig sein soll, verwundert es nicht, dass brauchbare Kriterien nicht gefunden wurden. Auch der einzige Ansatz, die Zurechnung inhaltsträchtig und wertungsgestützt zu beschränken, namentlich die mangelnde Gefahrerhöhung des potenziellen Schädigers, erweist sich als Widerspruch zu den Grundlagen der eigenen Lehre. Das allgemeine Lebensrisiko und damit die Belastung des Geschädigten so zu begründen, bedeutet nichts anderes, als auf die Schwäche der Zurechnung zum Haftungsadressaten abzustellen und gerade nicht auf eine exklusive Verantwortung des Rechtsträgers, die nach der Lehre ja eigentlich maßgeblich sein soll. Warum der Geschädigte die Beeinträchtigungen trotz grundsätzlicher Verantwortung des Haftungsadressaten tragen soll, vermag das allgemeine Lebensrisiko also nicht zu erklären. b. Fehlende Eigenständigkeit des Kriteriums Abzulehnen ist die Theorie eines zurechnungsausschließenden allgemeinen Lebensrisikos auch deshalb, weil dieses neben der positiven Zurechnung, die mittels der Schutzzwecklehre pflicht- oder risikospezifisch bestimmt wird, keinen konstitutiven Anwendungsbereich aufweist. Die vermeintliche Eigenständigkeit gegenüber der Schutzzwecklehre wird primär dadurch begründet, dass diese in einigen Bereichen der Haftung unanwendbar sein soll. 144 Dieser Einwand trifft jedoch nicht zu, weil richtigerweise die Schutzzwecklehre in allen Bereichen und bei allen Formen der Haftung anwendbar ist und auch sein muss. 145 Durch den Schutzzweckzusammenhang wird festgestellt, dass das Verhalten die Gefahr des konkreten Verletzungserfolgs nicht in haftungsrelevanter Weise erhöht hat. Somit werden die Beeinträchtigungen aus der Zurechnung ausgeschieden, bezüglich derer keine missbilligungswürdige Gefahrerhöhung festgestellt werden kann und die entsprechend mit dem sorgfaltswidrigen Verhalten rein zufällig zusammenfallen. Ein deckungsgleiches Zurechnungskriterium „allgemeines Lebensrisiko“ ist deshalb nicht erforderlich. 146 Dementsprechend haftet bereits aus Schutzzweckerwägungen heraus der Brandstifter nicht, wenn ein Feuerwehrmann beim Aufrollen des Schlauches nach den abgeschlossenen 143 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1046; ähnlich Lange, Festschrift Zöllner, 1175, 1191; andeutungsweise Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148. 144 Vgl. Mädrich, Lebensrisiko, S. 89 ff., 84 ff. 145 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 29; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 35; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 101 ff.; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 27 ff.; Bamberger/Roth/J. Flume, § 249 Rn. 294. Dazu bereits S. 311. 146 Zutreffend Lang, Normzweck, S. 152 f.; Park, Schockschäden, S. 85 ff.

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Löscharbeiten umknickt. 147 In dem Erfolg Bänderriss hat sich kein gesteigertes Risiko realisiert, das durch die fahrlässige Brandstiftung hervorgerufen wurde. Ebenso sind durch eine fahrlässig verzögerte Leistung bedingte Unfälle mit Ersatzfahrzeugen148, Taxen149 oder infolge einer Verspätung genommenen Zügen und Flugzeugen150 mangels einschlägiger Gefahrerhöhung vom Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots nicht erfasst. 151 Soweit der Schutzzweck der Verhaltenspflicht hingegen die Zurechnung unabhängig von einer Gefahrerhöhung gebietet, etwa im unmittelbaren oder durch Analogie erzeugten Anwendungsbereich des § 287 S. 2 BGB, 152 würde sich der gesetzliche Schutzzweck der jeweiligen Pflicht gegen die allgemeine Zurechnungsfigur generell durchsetzen, was auch die Vertreter der entsprechenden Lehre im Ergebnis anerkennen. Auch im Rahmen der haftungsausfüllenden Folgenzurechnung bedarf es keines Kriteriums des allgemeinen Lebensrisikos. 153 Erkennt man an, dass der haftungsbegründende Tatbestand, und dabei insbesondere die verletzten Sorgfaltspflichten bzw. Verhaltensnormen, den Haftungsumfang beschränken, 154 so erweisen sich die dem allgemeinen Lebensrisiko zugesprochenen Fälle ausgeschlossener Zurechnung ebenfalls als solche, bei denen die kausalen Folgebeeinträchtigungen lediglich zufällig mit dem Primärschadensereignis zusammenfallen. Diese werden bereits durch die Schutzzwecklehre aus der Folgenzurechnung ausgeschlossen. Mangels Missbilligung durch das verletzte Verhaltensgebot besteht etwa kein Zurechnungszusammenhang zwischen einer fahrlässigen Verletzung und den sonstigen Gebrechen des Geschädigten, die bei der Behandlung der Verletzung entdeckt werden und deren Behandlung zu weiteren Vermögensschäden führt.155 Dasselbe gilt bei einem fahrlässigen Unfall im Straßenverkehr, der zum Verlust des Führerscheins und zu daraus resultierenden Vermögensschäden des unverschuldet Geschädigten führt, dessen Alkoholisierung bei der Unfallaufnahme durch die Polizei bemerkt wurde.156 Welche Schadenspositionen im Einzelfall dem – gesteigerten – Risiko der Primärbeeinträchtigung noch zugehörig sind, bedarf eingehender Argumentation

Vgl. BGH, VersR 1993, 843. Eine vergleichbare Konstellation beschreiben Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 146. 149 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 146. 150 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 325. 151 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 195. 152 Vgl. hierzu unten S. 411 ff. und S. 416 ff. 153 Vgl. Lang, Normzweck, S. 153. 154 Vgl. hierzu S. 314 ff., 319 ff. und S. 325 f. 155 BGH, JZ 1969, 702 ff. 156 Hierzu auch U. Huber, Festschrift Wahl, 307, 322; wie hier MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 195. 147

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und Begründung. Pauschalurteile nach dem „Risikotyp“ sind dabei ebenso irreführend wie unangebracht. 3. Ergebnis Mit dem Begriff des allgemeinen Lebensrisikos ist, wie sich gezeigt hat, kein besonderer materieller Gehalt verbunden. Dies entspricht dessen ursprünglichem Gebrauch in Lehre und Rechtsprechung, 157 der sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Die Intention eines Teils der Lehre, in diesen Begriff eine eigenständige teleologische Bedeutung hineinzulesen, 158 missachtet die eigentliche mit ihm verbundene Aussage. Formulierungen wie die, dass das allgemeine Lebensrisiko nicht auf andere Personen abgewälzt werden dürfe, 159 weisen darauf hin, dass die Grenzen der Zurechnung beachtet werden müssen. So müsste etwa das im Rahmen der sog. „Herausforderungsformel“ zuweilen explizit formulierte Erfordernis, dass sich im Erfolg ein herausforderungsspezifisches Risiko160 und nicht das allgemeine Lebensrisiko realisiert haben muss, 161 als selbstverständliches Gebot der allgemeinen Zurechnungsdogmatik eigentlich nicht besonders erwähnt werden.162 Derartige Formulierungen erinnern lediglich daran, dass stets ein innerer teleologischer Zusammenhang zwischen der verletzten Sorgfaltspflicht oder dem Risikobereich des Schädigers und der in Rede stehenden Beeinträchtigung erforderlich ist. Betrachtet man diesen Aussagegehalt des allgemeinen Lebensrisikos, so drängt sich ein Vergleich mit dem Rechtsbegriff Zufall auf. Dabei kann festgestellt werden, dass die Begriffe in weiten Teilen synonym verwendet werden können. Ein essentieller Unterschied besteht allerdings darin, dass lediglich der Zufall als Rechtsbegriff im Gesetz umgesetzt ist und etwa als Tatbestandsmerkmal der Gefahrtragungsnormen dient. Mit dem allgemeinen Lebensrisiko kann hingegen ausschließlich das Ergebnis der Nichthaftung verbunden werden. Das allgemeine Lebensrisiko erscheint dabei als eine moderne Variante des eher nüchternen Zufallsbegriffs, die mehr am Individuum orientiert ist und deshalb eher dem Zeitgeist entspricht. Daneben erneuert der Begriff den – Vgl. hierzu Fn. 122. Symptomatisch sind etwa die Ausführungen von Deutsch, VersR 1993, 1041, 1044. 159 Vgl. Mertens, VersR 1980, 397, 399; OLG Saarbrücken, Urteil v. 10.01.2012, Az. 4 U 480/10 – 145, 4 U 480/10. 160 BGHZ 57, 25, 32; 63, 189, 196; BGH NJW 1990, 2885; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 43; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 173; Bamberger/Roth/J. Flume, § 249 Rn. 323. 161 Vgl. BGH, NJW 1996, 1533; Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 38. Hierzu eingehend S. 381. 162 So kann etwa den Formulierungen des BGH in BGHZ 57, 25, 32; 63, 189, 196 deutlich entnommen werden, wie selbstverständlich dieser Umstand ist. Das allgemeine Lebensrisiko wird insoweit überhaupt nicht ausdrücklich erwähnt. 157

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

ebenso deklaratorischen163 – Lehrsatz casum sentit dominus, der heute schon fast als Anachronismus erscheint. Darin dürfte auch in erheblichem Umfang die Attraktivität des Begriffs „allgemeines Lebensrisiko“ begründet liegen. Gegen dessen Gebrauch ist an sich nichts einzuwenden, solange man sich vergegenwärtigt, dass das allgemeine Lebensrisiko keinen teleologischen Gehalt aufweist, der die Zurechnung und damit die Haftung modifiziert. Der Begriff ist durchaus dazu geeignet eingängig zu beschreiben, dass der Geschädigte den Schaden tragen muss. Warum dem so ist, vermag das allgemeine Lebensrisiko jedoch nicht zu erklären, geschweige denn zu bestimmen.

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Vgl. hierzu S. 216 f.

§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien „So ist es auch mit dem Menschen: durch seine Individualität ist das Maß seines möglichen Glückes zum voraus bestimmt.“ (Arthur Schopenhauer 1)

Die Prinzipien der Erfolgszurechnung und auch die Schadenszurechnung sind naturgemäß äußerst abstrakt und müssen ausgefüllt und präzisiert werden. Dies kann nur sinnvoll erreicht werden, wenn die Reichweite der Zurechnung anhand des Schutzzwecks der Haftungsnorm sowie der maßgeblichen Verhaltensnorm teleologisch bestimmt wird. 2 Das Adäquanzkriterium ist hingegen nicht geeignet, die Zurechnung zu konkretisieren. 3 In problematischen Konstellationen werden häufig spezielle Zurechnungskriterien oder -formeln bemüht, die es ermöglichen sollen, die Zurechnung zweckmäßig und überzeugend zu begründen oder eben auszuschließen. Gemein ist allen dieser Zurechnungsfiguren, dass mit ihnen den Schwierigkeiten in der Zurechnung begegnet wird, die aus der Individualität der Menschen folgt. Ziel dieser Darstellung ist es, diese Mittel der Zurechnungskonkretisierung auf wenige Grundgedanken zurückzuführen. Dabei sollen die genutzten Kriterien und Formeln sowie die scheinbar mit materieller Rechtswirkung bedachten „Faustregeln“ kritisch hinterfragt und dahingehend überprüft werden, ob und inwieweit es dieser wirklich bedarf. Zugleich soll aufgezeigt werden, welches System hinter den verbleibenden Zurechnungskriterien steht.

I. Zurechnungskonkretisierung und ergänzende Zurechnungskriterien Haftungsrechtliche Zurechnung begründet, warum der Geschädigte einen bei ihm entstandenen Schaden auf das konkrete Zurechnungssubjekt abwälzen

Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, S. 66. Vgl. S. 309 ff. 3 Vgl. S. 301 ff.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

kann.4 Die Haftungstatbestände geben das einschlägige Prinzip der Erfolgszurechnung5 sowie die Schadenszurechnung nach dem Risikoprinzip6 vor. Diese gesetzlichen Vorgaben untersagen es dem an das Gesetz gebundenen Richter, die mit dem jeweiligen Prinzip verbundenen Grenzen der Zurechnung zu verlassen. Ebenso ist es ihm verwehrt, das Zurechnungsprinzip aus rechtspolitischen Gründen oder gestützt auf das individuelle Billigkeitsgefühl zu ersetzen. Soll die Zurechnung durch ergänzende Kriterien weiter präzisiert werden, folgt aus dem Gesetz und der Methodik ein bestimmter Rahmen des Möglichen. Zurechnungskriterien und -formeln, wie auch jede einzelne ihrer Komponenten, müssen stets dahingehend hinterfragt werden, ob diese mit dem maßgeblichen Prinzip der Zurechnung überhaupt zu vereinbaren sind. Insbesondere muss beachtet werden, dass durch diese Kriterien nicht letzten Endes die Grenzen des einschlägigen Zurechnungsprinzips überschritten werden. Dies würde eine nicht mehr vom Gesetz gedeckte Haftung für Zufall 7 begründen. Eine solche droht, wenn diese Zurechnungskriterien auf Erwägungen gestützt werden, die einem anderen Zurechnungsprinzip entspringen. Etwa kann eine legitime Präzisierung der Verschuldenszurechnung nicht einfach unbedarft auf die fehlverhaltensunabhängige Risikozurechnung übertragen werden. Diese Zurechnungsprinzipien sind nun einmal wesensverschieden. 8 Dass das Schadensereignis vorhersehbar oder vermeidbar war, rechtfertigt keine Risikohaftung. Deshalb darf ein Ereignis, das dem zu verantwortenden Risikospektrum in der Risikohaftung nicht zugehörig ist, nicht aufgrund von Fehlverhaltenserwägungen bzw. Fehlverhalten repräsentierenden Zurechnungsfiguren dennoch zugerechnet werden. 9 Durch solch ein Kriterium würde systemwidrig das Risiko durch Verschulden ersetzt und die Zurechnung letztendlich ausgedehnt werden. Ergänzende Zurechnungskriterien und Zurechnungsformeln können lediglich konkretisierend, niemals jedoch zurechnungserweiternd wirken. Keinesfalls dürfen diese das gesetzlich vorgegebene Zurechnungsprinzip durch ein anderes vertauschen. Eine weitere Grenze folgt aus dem jeweiligen Prinzip selbst. Es wäre mit den einfachgesetzlichen Vorgaben wie auch dem Gleichheitsgebot nicht zu vereinbaren, wenn die Zurechnung durch Kriterien und Formeln systemwidrig beschränkt wird. Lässt sich etwa bei der Verschuldenshaftung ein einschlägiger Sorgfaltsverstoß bzgl. des verletzten Rechtsgutes begründen, so ist es mit dem gesetzlichen Verschuldensprinzip und der Haftungsnorm nicht zu vereinbaren, wenn die Zurechnung ausgeschlossen wird. Eine solche Wirkung hat Hierzu § 4 (S. 102 ff.). Zu diesen § 5 (S. 145 ff.). 6 Hierzu eingehend S. 291 ff. 7 Vgl. hierzu S. 98. 8 Vgl. zum Verschuldensprinzip S. 145 ff. und zum Risikoprinzip S. 150 ff. 9 Dies betrifft nur die Haftung nach dem Risikohaftungstatbestand. Eine konkurrierende Verschuldenshaftung, etwa nach § 823 Abs. 1 BGB, bleibt natürlich unberührt. 4

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§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien

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beispielsweise das Merkmal des Angehörigen bei der Zurechnung von Schockschäden, das eine personelle Beschränkung des Schutzbereiches begründet.10 Kann ein Zurechnungskriterium nicht aus dem Schutzzweck der Haftungsoder Verhaltensnorm, also der Verkehrs- bzw. Sorgfaltspflicht, hergeleitet werden, handelt es sich tatsächlich um eine teleologische Reduktion der Verhaltensnorm bzw. des Zurechnungsprinzips11 und im Ergebnis auch des Haftungstatbestandes. Insoweit fehlt es jedoch an der erforderlichen planwidrigen verdeckten Regelungslücke. Dass etwa § 823 Abs. 1 BGB nicht vor einer Beeinträchtigung eines der aufgezählten Rechtsgüter schützen soll, wenn dieses in einem Ausmaß gefährdet wird, das gem. § 276 Abs. 2 BGB missbilligt ist, lässt sich kaum begründen. Vielmehr erstreckt sich der Schutzzweck der Sorgfaltspflicht gerade auf dieses Rechtsgut, sodass eine teleologische Reduktion des Verhaltensgebots oder des Verschuldensprinzips ausscheiden muss. In dem engen Korsett, das durch die gesetzlichen Vorgaben und die Methodik geschnürt wird, gilt es verschiedenste Zurechnungsprobleme zu bewältigen. Solche gibt es in der Verschuldenszurechnung und in der Risikozurechnung sowie mittelbar in der Aufopferungshaftung12. Die Verschuldenszurechnung erfolgt theoretisch eindeutig auf der Grundlage von Sorgfaltspflichten und der objektiv-typisierten Befähigung, diese in der konkreten Situation zu befolgen. 13 Mit dieser strukturellen Erkenntnis ist jedoch noch nicht vorbestimmt, was genau Inhalt und Schutzbereich der konkreten Sorgfaltspflicht ist. Eben diese definieren jedoch, ob das konkrete Schadensereignis zugerechnet werden muss. Klärungsbedürftig ist beispielweise, unter welchen Bedingungen sich der Schutzbereich der Sorgfaltspflichten auf psychische Beeinträchtigungen als Primärverletzungen oder Folgeschäden erstreckt. Ebenso bedarf es in einigen Fällen einer genauen Prüfung nach dem Normzweck, um die Reichweite der theoretisch relativ einfach strukturierten14 Risikoverantwortung festzustellen. Die Zurechnung ist problematisch, wenn nicht dem „Kernbereich“ des spezifischen Risikos zugehörige Schadensereignisse in Rede stehen. So ist es etwa keineswegs eindeutig, ob Sturzverletzungen noch der Betriebsgefahr im Sinne des § 1 HPflG zuzuordnen sind, wenn diese entstehen, weil der Geschädigte wegen des bloßen Herannahens eines Zuges erschrickt und eine unvernünftige Ausweichhandlung vornimmt.15 Betrachtet man, wie Rechtsprechung und Lehre den einzelnen Fallgruppen kritischer Zurechnung begegnen, so zeigt sich ein unbefriedigendes Bild. Es entsteht der Eindruck, dass die Zurechnung einzelfallorientiert erfolgt und eher 10 Dazu, warum diese personelle Beschränkung des Schutzbereiches bei den sog. Schockschäden verfehlt ist, vgl. S. 362 ff. 11 Zur Rechtsnatur von Zurechnungsprinzipien als Normen (Regelung) vgl. S. 126 ff. 12 Hierzu sogleich im Haupttext. 13 Eingehend hierzu S. 145 ff., 261 ff., 312 ff., 316 ff. 14 Vgl. S. 152 ff. 15 Vgl. RG EE 37, 69; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 92.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

von individuellen, mehr oder weniger konsensfähigen Billigkeitserwägungen getragen, 16 denn teleologisch begründet wird. Ein Teil der Lehre weigert sich sogar, die konkretisierenden Zurechnungskriterien auf die Schutzzwecktheorie als einheitlichen Grundgedanken zurückzuführen. 17 Die gegenteilige Position der herrschenden Lehre 18 ist zu begrüßen, denn alle Zurechnungskriterien müssen ihre Wurzeln im Zweck der jeweiligen Haftungsnorm – insbesondere Haftungsgrund und Zurechnungsprinzip – haben. 19 Freilich ist es kein Allheilmittel, die Zurechnungskonkretisierung auf den Normzweck zurückzuführen. Die Verlockung ist groß, Erfolge auszusortieren oder zuzurechnen und sich dabei auf den vermeintlichen Schutzweck zu berufen, ohne diesen wirklich zu bemühen.20 Dieses stets gegenwärtige „Missbrauchsrisiko“ ist jedoch kein Grund, davon abzusehen, die Zurechnung normzweckgeleitet zu begründen und zu begrenzen. An dieser Stelle soll nicht der Versuch unternommen werden, sämtliche Zurechnungskriterien durch ein „Superkriterium“ oder eine „Weltformel der Zurechnung“ zu ersetzen. Derartige Unterfangen dürften generell zum Scheitern verurteilt sein, da die verschiedenen Zurechnungsprinzipien einfach zu unterschiedlich sind. Es sollen die Strukturen und Wertungen ans Licht gebracht werden, die hinter den gegenwärtig genutzten Zurechnungskriterien und -formeln stehen. Sie offenbaren, was die tatsächlich tragenden Gründe der jeweiligen Zurechnungskonkretisierung sind. Dies bietet einen Anhaltspunkt dafür, wie das jeweilige Zurechnungskriterium aussehen muss, das durch den Schutzbereich der Haftungsnorm vorgegeben wird und das dem Zweck und der Art der jeweiligen Zurechnung entspricht. Mittels der Schutzzwecktheorie kann sodann ein geeignetes Kriterium bestimmt bzw. bestehende „Formeln“ können auf das wirklich tragende Zurechnungskriterium verschlankt werden. Die Schutzzwecktheorie selbst benennt nicht unmittelbar das konkrete Kriterium, das zur Lösung des Zurechnungsproblems dienen kann. 21 Sie gibt aber die Methode vor, um dieses zu ermitteln. 22 Mit diesem teleologischen Ansatz sollte es 16 So auch Mädrich, Lebensrisiko, S. 54 Fn. 62, der jedoch das abzulehnende allgemeine Lebensrisiko als normatives Fundament der Zurechnungsbeschränkung fruchtbar machen möchte. 17 Vgl. Lange, JZ 1976, 198, 207; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 152 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 104 ff., 578; Görgens, JuS 1977, 709, 713. 18 Vgl. Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 22; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 165 ff.; Zimmermann, JZ 1980, 10 12; Looschelders, Schuldrecht BT, Rn. 1226; i.E. auch Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 198 ff. 19 Vgl. hierzu auch Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 22. 20 Vgl. den zutreffenden kritischen Hinweis von Deutsch, Haftungsrecht, S. 198 sowie Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 2, S. 445; ähnlich Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 127. 21 Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 22. 22 Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 22. Hierzu bereits oben S. 311.

§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien

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möglich sein, die Anzahl der Zurechnungskriterien zu reduzieren, die dazu genutzt werden, die verschiedenen Fallgruppen kritischer Zurechnung zu bewältigen. Auf die Weise kann der Zerfaserung der Zurechnung entgegengewirkt werden, die durch die gegenwärtige kasuistische Handhabung der Materie immer weiter voranschreitet. 23 Die folgende Untersuchung erfolgt unter zwei Einschränkungen. Zum einen wird auf die Zurechnung nach dem Begünstigtenprinzip nicht weiter eingegangen. Dies ist unschädlich, da die Maßstäbe der Verschuldenszurechnung problemlos übertragen werden können. Nur Erfolge, die hypothetisch auf der Grundlage des Verschuldensprinzips zu verantworten wären, werden infolge der Erlaubniswirkung der Eingriffsbefugnis aufgeopfert und müssen deshalb als „Sonderopfer“ in der Begünstigtenhaftung ersetzt werden.24 Zum andern werden die einzelnen Tatbestände der Risikohaftung nicht im Detail dahingehend untersucht, ob und inwieweit diese jeweils vor psychisch vermittelten Beeinträchtigungen schützen sollen. Eine derartige Untersuchung würde den Rahmen dieser Bearbeitung sprengen, sodass im Folgenden lediglich die gemeinsamen Strukturen dargestellt werden.

II. Zurechnungskriterien und -formeln im Verschuldensprinzip Im Rahmen der Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip steht im Vordergrund, den einschlägigen Sorgfaltsverstoß festzustellen. Die Zurechnung setzt ein Urteil über die spezifische Gefährdung des jeweiligen betroffenen Rechtsguts durch das Verhalten des Zurechnungssubjekts voraus. 25 Erhöht das Verhalten die Gefahr für fremde Rechtsgüter über das erlaubte und damit hinzunehmende Maß hinaus, sind die Realisierungsfolgen objektiv – und zumeist auch subjektiv26 – zuzurechnen. Die zurechnungsbegründende Gefährdung festzustellen erweist sich allerdings als schwierig, sofern die Gefährdungslage durch die Individualität des Bedrohten oder von Dritten, die die unmittelbare Gefahr begründen, geprägt wird. Dieser Problematik sollen die speziellen Zurechnungskriterien begegnen. Zunächst wird anhand der besonderen Verletzlichkeit des Betroffenen, die für dieses Unterfangen prädestiniert ist, verdeutlicht werden, wie diese Problematik aufgelöst werden kann (1.). In Verbindung mit den hieraus gewonnenen

Im Gegensatz zur hier vertretenen Position plädiert E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 157 f. dafür, die typologische Struktur der Zurechnung beizubehalten. 24 Für die Schadenszurechnung bereits S. 298. 25 Dazu bereits S. 316 ff. 26 Hierzu bereits S. 147 f. 23

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Erkenntnissen können sodann andere Fallgruppen problematischer Zurechnung, in der Form rein psychisch vermittelter Beeinträchtigungen, 27 aufgearbeitet werden (2. und 3.). Im Anschluss soll das maßgebliche System hinter den speziellen Zurechnungskriterien aufgezeigt werden (4.). 1. Die besondere Verletzlichkeit des Betroffenen Die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten erweist sich als ein Paradebeispiel für einen zu undifferenzierten Umgang mit der Zurechnung. Der Problematik wird mithilfe von allgemeinen Leitsätzen und eingängigen Faustregeln zu Leibe gerückt. Betrachtet man das daraus folgende Zurechnungssystem genauer, so muss man feststellen, dass es Widersprüche erzeugt und mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. a. Defizite des gegenwärtigen Lösungsansatzes Nach allgemeiner Ansicht kann sich das Zurechnungssubjekt nicht mit dem Einwand entlasten, dass der Schaden nur deshalb eingetreten oder vergrößert worden sei, weil der Geschädigte besonders schadensanfällig ist.28 Dies deckt sich mit dem europäischen Entwurf für einen gemeinsamen Referenzrahmen. Dieser regelt in VI.–4:101 Abs. 2 DCFR, dass für Körperverletzungen und Tötungen die Prädispositionen der verletzten Person unbeachtlich sind. Im deutschen Recht treten an die Stelle einer entsprechenden gesetzlichen Regelung Formulierungen wie „der Schädiger habe das Opfer so zu nehmen wie es ist“ oder „der Schädiger könne nicht verlangen, so gestellt zu werden, als habe er einen gesunden Menschen verletzt“. 29 Diese „Regeln“ vermitteln allerdings ein Bild der Zurechnung, das nur teilweise zutrifft. Dies verdeutlicht bereits

27 Diese umfassen die sog. Schockschäden sowie die sog. Herausforderungsfälle. Bei Letzteren wird teilweise zwischen Verfolgungsfällen, Hilfeleistungsfällen und der Veranlassung Dritter zu rechtswidrigem fremdschädigenden Verhalten und dergleichen mehr unterschieden (vgl. etwa Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 56 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 131 ff.). Diese verschiedenen Fallgruppen lassen sich jedoch auf den gemeinsamen Gedanken der psychischen Veranlassung fremden Verhaltens zurückführen (so auch Zimmermann, JZ 1980, 10, 11). 28 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 128; Lang, Normzweck, S. 141; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 47, 49; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 35; BGHZ 132, 341, 345; BGH, r + s 2006, 38, 39; ebenso v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 292, allerdings wohl beschränkt auf Folgeschäden (S. 291). 29 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 35; Lang, Normzweck, S. 141; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 128 ff.; G. Müller, VersR 2003, 137, 142; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 138 f.; Bamberger/Roth/J. Flume, § 249 Rn. 296; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 54; Stöhr, NZV 2009, 161, 163; Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158; BGHZ 132, 341, 345; ähnlich Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 47.

§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien

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die ebenso anerkannte Einschränkung, dass in Fällen „extremer“ Schadensgeneigtheit die Zurechnung gleichwohl ausscheiden müsse. 30 Der Schädiger hat das Opfer also doch nicht stets so zu nehmen, „wie es nun einmal ist“. Die Einschränkung, mit der die zu weit geratende Zurechnung nach den „Faustregeln“ korrigiert werden soll, ist jedoch keine Lösung des Problems, sondern vielmehr ein Teil desselben. Sucht man ein System, mit dessen Hilfe man die variierende Verletzungsresistenz des Geschädigten bewältigen kann, so wird man enttäuscht. Es mangelt bereits an einer teleologischen Begründung dafür, warum die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten grundsätzlich unbeachtlich oder doch ausnahmsweise beachtlich ist. Dass die Zurechnung systemlos erfolgt, offenbaren die diesbezüglichen Entscheidungen von Reichsgericht, Bundesgerichtshof und den Obergerichten sowie die Beispiele der einschlägigen Literatur. Ein genauerer Blick zeigt, dass nicht benannt werden kann, wann eine noch nicht die Zurechnung hindernde „besondere“ Verletzlichkeit vorliegt oder eine „extreme“ Verletzlichkeit, die die Zurechnung ausschließen soll. Die Unterscheidung zwischen den Verletzlichkeitsgraden beruht nicht wirklich auf materiellen Kriterien. Es müsste zunächst eine teleologische Begründung dafür gefunden werden, warum die verminderte Verletzungsresistenz des Geschädigten grundsätzlich unbeachtlich ist. Die rein rechtspolitischen Erwägungen, die anstelle einer materiellen Begründung bemüht werden, 31 rechtfertigen es nicht, ein mit dem gesetzlichen Verschuldensprinzip unvereinbares System objektiver Zurechnung zu schaffen. Es muss vielmehr aus dem Verschuldensprinzip selbst ein stimmiges System entwickelt werden, warum die besondere Verletzlichkeit für die Zurechnung grundsätzlich irrelevant ist und wann diese doch relevant werden kann und warum. Dies setzt allerdings voraus, dass man das bisherige „System“ verwirft. Der Rechtssatz, dass eine besondere Verletzlichkeit in der Zurechnung unbeachtlich ist, weist in seiner Pauschalität Schwächen auf. Über die Begründungsdefizite hinaus könnten nach dem Rechtssatz Beeinträchtigungen zugerechnet werden, die auf einem Verhalten beruhen, das für den allgemeinen Rechtsverkehr nicht so gefährlich ist, dass ein Sorgfaltsverstoß begründbar wäre. Die Zurechnung würde also materiell ausschließlich darauf beruhen, dass es wegen der verminderten Verletzungsresistenz des Geschädigten dennoch zu

Vgl. Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 48; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 36; Lang, Normzweck, S. 142; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 130 f.; Lüer, Begrenzung, S. 41; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 140; RGZ 158, 34, 38 f.; BGH, NJW 1976, 1143; BGHZ 107, 359. 31 Vgl. etwa Park, Schockschäden, S. 99. 30

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einer Beeinträchtigung gekommen ist. 32 Es geht insoweit um ein Verhalten, das für einen durchschnittlichen und damit objektiven Betroffenen nicht übermäßig gefährlich und damit eigentlich verkehrsgerecht ist. Warum dieses zu einem missbilligten Verhalten werden soll, nur weil es infolge der besonderen Verletzlichkeit einer Person ausnahmsweise doch eine Verletzung zur Folge hatte, ist fraglich. Kann die Zurechnung wirklich lediglich deshalb anders beurteilt werden, weil dieser spezielle unglückliche Umstand statt eines sonstigen zu dem Schaden führt? Worin genau das maßgeblich „Mehr“ an Unrecht liegen soll, aufgrund dessen in diesem besonderen Fall kein Unglück vorliegt, das wie üblich vom Geschädigten zu ertragen ist, wird nicht klar. Die Problematik verschärft sich, wenn solch ein objektiv nicht hinreichend gefährlicher Verlauf mit dem Verstoß gegen ein anderes Verhaltensgebot zusammenfällt. Während man zuvor noch darauf verweisen konnte, dass wenigstens das Verschulden fehlt und deshalb die Haftung letztendlich ausscheidet, besteht diese Möglichkeit in diesem Fall nicht wirklich. Es erscheint nicht überzeugend, in diesen Fällen den erforderlichen Ausschluss der Haftung ausschließlich auf einen Irrtum über den Umfang der Pflichten oder die Vorhersehbarkeit der Beeinträchtigung zu stützen. Dieser Weg über die „subjektive“ Zurechnung wird wegen des weiten Verständnisses der Vorhersehbarkeit zudem regelmäßig versperrt sein. 33 Die Rechtsprechung nutzt diesen auch kaum, um die zu weite Zurechnung auf der Grundlage ihrer Leitsätze zu korrigieren.34 In jedem Fall wäre der „Schädiger“ gleichwohl für eine rechtswidrige Schädigung eines Dritten verantwortlich, wenn er auch im Ergebnis nicht haftet. Richtigerweise muss die Haftung bereits im Rahmen der objektiven Zurechnung ausgeschlossen werden. Der Zurechnungsausschluss bei „extremer“ Verletzlichkeit hilft dabei in keiner der Konstellationen weiter. Der allgemein befürwortete ausnahmsweise Ausschluss der Zurechnung bei „extremer“ Schadensgeneigtheit stößt ebenfalls auf Bedenken. Das Zurechenbare mittels der „besonderen“ und der „extremen“ Verletzlichkeit abzugrenzen, ist bereits deswegen zweifelhaft, weil die Begriffe die erforderliche Trennschärfe vermissen lassen. Wie zuvor ausgeführt, ist es Rechtsprechung und Lehre bisher nicht gelungen, diesen Begriffen die benötigte Kontur zu verleihen. Zudem ist nicht wirklich begründbar, warum nur in den Fällen extremer Darauf weist auch Mädrich, Lebensrisiko, S. 53 ff. hin, der dem Problem allerdings mit der abzulehnenden Rechtsfigur des allgemeinen Lebensrisikos begegnen möchte. Einschränken insoweit auch Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 150, 142. 33 Auf diese Schwäche des Merkmals der Vorhersehbarkeit hat schon U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 313 hingewiesen. Diesen Effekt beschreibt allgemeiner auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 54. 34 Ausnahmen bilden etwa BGH, NJW 1976, 1143, 1444; KG, VersR 1987, 105; OLG Köln, NJW 2007, 1757 f.; OLG Karlsruhe, NZV 2012, 41, 42. Zutreffend auch Karczewski, Schockschäden, S. 383; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 379 f.; Park, Schockschäden, S. 68 f., 100 f. 32

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Verletzlichkeit die Zurechnung ausgeschlossen sein soll. 35 Dies erscheint wertungswidersprüchlich. Führt man die Schutzwürdigkeit der besonders verletzlichen Personen an, um zu begründen, warum „die besondere Verletzungsanfälligkeit“ in der Zurechnung unbeachtlich sein soll, müssten die noch verletzlicheren Personen eigentlich besonders weitgehend geschützt sein. Ausgerechnet diesen wird jedoch der Schutz verwehrt. 36 Der pauschale Ausschluss der Zurechnung erscheint zudem in einigen Fällen verfehlt. Zweifelhaft ist dieser etwa, wenn jemand eine solche „extreme“ Verletzlichkeit des Opfers zu einer vorsätzlichen Schädigung ausnutzt und sich dabei bewusst eines Verhaltens bedient, das für einen normalen Menschen vollkommen ungefährlich ist. Verletzt also jemand einen anderen planmäßig durch leichtes Erschrecken oder sozial üblichen physischen Kontakt, so kann der Ausschluss der Zurechnung wegen einer „extremen“ Schadensanfälligkeit nicht wirklich überzeugen. Die Einschränkung der „extremen“ Schadensanfälligkeit erweist sich zudem in der anknüpfenden Schadenszurechnung als nicht gerechtfertigt. Erfolgte die Beeinträchtigung sorgfaltswidrig, so ist in der Haftungsausfüllung zu beachten, dass ein Körper- oder Gesundheitsschaden normale und somit zurechenbare Folge der Primärverletzung ist. Bezüglich des Schadensumfangs, der durch die Schadensanfälligkeit betroffen ist, gilt das „Prinzip“ des Totalersatzes37. Es ist unerheblich, ob der Schaden deswegen besonders hoch ausfällt, weil die verletzte Person ein besonders hohes Einkommen hatte und einen entsprechend hohen Verdienstausfall erleidet, 38 der Schaden aufgrund bestehender vertraglicher Verpflichtungen besonders hoch39 oder aber die Verletzung infolge konstitutioneller oder gesundheitlicher Schwächen besonders schwer ausfällt.40 Den Haftungsnormen und den Normen zum Umfang der Ersatzpflicht (§§ 249 ff. BGB) kann der Normzweck, dass ausgerechnet der Geschädigte entgegen dem Prinzip des Totalersatzes besonders hohe Schäden tragen soll,

35 Und in der Tat wird auch nicht der Versuch unternommen, diese Grenzziehung zu begründen. Der Hinweis darauf, dass bei diesen Fällen das Schadensrecht „an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stößt“ (so Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 131; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 32; vgl. auch Mädrich, Lebensrisiko, S. 53), vermag als „Begründung“ kaum zu überzeugen. Lüer, Begrenzung, S. 41 spricht insoweit von einer rechtspolitischen Wertung, dass jeder ein Minimum an Widerstandkraft aufbringen müsse. 36 Dies merken auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 131 an. 37 Zu diesem S. 291 ff., 296. 38 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 130; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 139. 39 Vgl. BGH, VersR 1963, 1161, 1162; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 139. 40 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 128 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 138 f. Vgl. etwa OLG Koblenz, VRS 72 (1987), 403 (Bluter); BGH, NJW 1976, 1143, 1144 (außergewöhnlich dünne Schädeldecke). Eine solche Konstellation war Gegenstand der ersten reichsgerichtlichen Entscheidungen zur besonderen Vulnerabilität des Opfers, RGZ 6, 1, 3.

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nicht entnommen werden. 41 Vielmehr macht dieses Prinzip die gegenteilige Vorgabe, nämlich dass der vollverantwortliche Schädiger die Folgen, die mit der Beeinträchtigung verbunden sind, umfassend zu tragen hat.42 Diesen Gedanken bestätigt auch die Obliegenheit gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB, den Schuldner auf die Gefahr eines „ungewöhnlich hohen Schadens“ aufmerksam zu machen. Die Anspruchskürzung im Verletzungsfall setzt voraus, dass die ungewöhnlich hohen Schäden grundsätzlich ersatzpflichtig sind. Zwischen einem ungewöhnlich „hohen“ und einem ungewöhnlich „schweren“ Schaden zu unterscheiden, überzeugt nicht. Die Schadenszurechnung wird entsprechend nicht durch eine besondere oder gar extreme Verletzlichkeit verhindert, durch die der grundsätzlich ersatzpflichtige Schaden ausschließlich vergrößert wird. Der herrschende Ansatz, bei der besonderen Verletzlichkeit als Zurechnungsproblem ausschließlich nach der Verletzungsanfälligkeit zu differenzieren, weist eine grundsätzliche Schwäche auf. Er ignoriert vollkommen das Verhalten des Zurechnungssubjekts, das den Bezugspunkt der Zurechnung bildet, sowie dessen Relevanz für den Erfolg. Die Zurechnung muss, soll sie denn überzeugen, die mit dem Verhalten verbundene Gefährdung berücksichtigen. Die Gesamtproblematik der variierenden Verletzungsanfälligkeit lässt sich konsistenter bewältigen, wenn auf die allgemeinen Grundsätze der Zurechnung anstelle der apodiktischen Leitsätze zurückgegriffen wird. Die Sorgfaltspflichtendogmatik als Mittel der haftungsbegründenden Zurechnung und der Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots sowie die allgemeine Dogmatik der Folgenzurechnung stellten insoweit die erforderlichen Mittel bereit. Besonderer Zurechnungskriterien bedarf es insoweit grundsätzlich nicht. Knüpft man die Zurechnung an objektivierte Sorgfaltspflichten an, die sich an einem objektiv-durchschnittlichen Bedrohten orientieren, so lässt sich zunächst widerspruchsfrei begründen, warum die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten grundsätzlich irrelevant ist. Der Schädiger hat nicht etwa „das Opfer so zu nehmen wie es ist“, sondern für die Zurechnung ist der konkrete Geschädigte grundsätzlich nicht maßgeblich. Die Sorgfaltspflichtendogmatik begründet auch, wann und warum ausnahmsweise die Zurechnung doch geboten ist, wenn objektiv ungefährliches Verhalten gleichwohl zu einer Schädigung führt. Dies ist der berechtigte Kern des Satzes „der Schädiger kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als habe er einen gesunden Menschen verletzt“. Zuletzt kann über den Schutzzweck des Verhaltensgebots – also der Sorgfaltspflicht – begründet werden, warum die Zurechnung ausscheidet, wenn ein objektiv ungefährliches Verhalten gegen ein Verhaltensgebot verstößt und zu einer Beeinträchtigung führt, die ausschließlich der verminderten Verletzungsresistenz des Geschädigten geschuldet ist. Dieses zufällige Zusammen-

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Zutreffend MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 139. Vgl. oben S. 296.

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fallen von Sorgfaltsverstoß und einer materiell schlicht kausalen Beeinträchtigung ist die problematischste Fallgestaltung. Nur in dieser Konstellation muss die Zurechnung trotz sorgfaltswidrigem Verhalten wegen der gesteigerten Schadensanfälligkeit methodisch ausgeschlossen werden. Dies gilt sowohl für die haftungsbegründende Zurechnung, als auch für die Zurechnung von Folgeschäden. Die Sorgfaltspflichtendogmatik in Verbindung mit der Schutzzwecklehre erreicht so, was der Zurechnungsausschluss bei „extremer“ Verletzlichkeit eigentlich bezweckt, nur eben mit einem teleologischen Fundament. b. Grenzen der haftungsbegründenden Zurechnung In der haftungsbegründenden Zurechnung zeigt sich ein differenziertes Bild, wann die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten zu beachten ist und wann nicht. Sie ist grundsätzlich für die Zurechnung schlicht irrelevant (aa.). Ausnahmsweise kann die besondere Verletzlichkeit jedoch die Zurechnung erstmals begründen (bb.). Beachtlich, im Sinne von die Zurechnung ausschließend, ist diese darüber hinaus, wenn der Haftungsadressat wegen des Verstoßes gegen ein Verhaltensgebot sorgfaltswidrig handelt und mit dem Verhalten bezüglich des verletzten Rechtsguts keine die Zurechnung rechtfertigende Gefahr verbunden ist (cc.). aa. Die grundsätzliche Irrelevanz besonderer Verletzlichkeit Im Rahmen der Haftungsbegründung gibt die Sorgfaltspflichtendogmatik vor, dass die Verletzungsanfälligkeit des konkret Geschädigten grundsätzlich keinen Einfluss auf die Zurechnung hat. Es werden die Kausalverläufe ausgeschieden, in denen die Beeinträchtigung ausschließlich dann zurechenbar ist, wenn die besondere Verletzungsanfälligkeit des letztendlich Geschädigten berücksichtigt wird.43 (1.) Die allseitige Objektivität von Sorgfaltspflichten Ein Verhalten, das für durchschnittliche Verkehrsteilnehmer keine übermäßige und somit missbilligungswürdige Gefahr begründet, ist nicht sorgfaltswidrig. Kommt es dennoch zu einer Schädigung, ist diese nicht zurechenbar und es realisiert sich das Eigenrisiko des Geschädigten. Ein Verletzungserfolg ist entsprechend immer dann unzurechenbar, wenn das Verhalten für einen objektiven Bedrohten ungefährlich oder unerheblich gefährlich ist. Sorgfaltspflichten sind grundsätzlich anhand eines durchschnittlichen Gefährdeten des konkret bedrohten Verkehrskreises zu bestimmen. Sie sind also nicht nur hinsichtlich der Anforderung an den Sorgfaltspflichtigen,44 sondern 43

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In diese Richtung Mädrich, Lebensrisiko, S. 53 ff. Hierzu bereits S. 147 ff., 266 ff.

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ebenso hinsichtlich der Bedrohten objektiv-typisiert.45 Solch ein objektiver Pflichtengehalt ist jenseits des Problemkreises der besonderen Verletzlichkeit auch zu Recht anerkannt.46 Diese Objektivität kommt etwa in der Formel des Bundesgerichtshofs zum Ausdruck, dass sich der Verkehrssicherungs- und somit Sorgfaltspflichtige auf die Maßnahmen beschränken könne, „die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren“. 47 Entsprechend wird nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB bereits genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die im entsprechenden Verkehrskreis herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.48 Ein „in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch“ bzw. die Verkehrsauffassung orientiert sich bei der Wahl des Verhaltens redlicherweise an dem Gefährdungspotenzial, das dieses für „normale“ Bedrohte entfaltet. Der Sorgfaltspflichtige muss andere keineswegs stets „so nehmen, wie sie sind“ und diesen jeweils ein Schutzniveau bieten, dass deren individuellen Gefährdung entspricht. So orientieren sich etwa Informations- und Warnpflichten an der bestimmungsgemäßen oder zumindest erwartungsgemäßen Zielgruppe,49 wobei allerdings deren schutzwürdigste Mitglieder den Sorgfaltsmaßstab bestimmen.50 Dass ausnahmsweise Personen mit derselben Gefahr in Berührung kommen, die infolge ihrer Individualität besonders gefährdet sind, begründet nicht die Pflicht- und damit Rechtswidrigkeit des sonst sorgfaltsgemäßen Verhaltens.51 Die zur Pflichterfüllung genutzten Informationen müssen nicht so gestaltet sein, dass etwa eine Gefährdung unterdurchschnittlich intelligenter Nutzer eines Produkts ausgeschlossen ist. Ein weiteres Beispiel sind Sicherungsvorkehrungen. Diese müssen nicht so ausgestaltet sein, dass jede Beeinträchtigung ausgeschlossen wird, die der Individualität der Bedrohten geschuldet ist, die mit der Gefahrenquelle in Kontakt kommen. 52 Es sind allerdings wiederum von den erwartungsgemäß Bedrohten die schutzbedürftigsten Personen dafür maßgeblich, welches Ausmaß an Sicherheit geschuldet ist.53 Ebenso besteht keine Grundlegend hierzu bereits S. 138, 141 ff. Vgl. Soergel/Krause, Anh. II zu § 823 Rn. 32; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 414 f.; Erman/Schiemann, § 823 Rn. 80; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 427; BGH, NJW 1990, 906, 907 („durchschnittlicher Nutzer eines Produkts“). 47 BGH, NJW 2013, 48; 2010, 1967; 2006, 610; NJW-RR 2011, 888, 889; 2002, 525, 526; VersR 2006, 1083, 1084. 48 Vgl. BGH, NJW 2013, 48; 2010, 1967; 2006, 610; NJW-RR 2011, 888, 889. 49 Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 713 f.; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 831. 50 BGH, NJW 1994, 932, 934; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 832, 811. 51 OLG Hamm, NJW-RR 2001, 1248, 1249; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 832. 52 BGH, NJW-RR 2011, 888, 889; 2002, 525, 526; NJW 2010, 1967; 2006, 610; VersR 2006, 1083, 1084. 53 Vgl. Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 27; Bamberger/Roth/Förster, § 823 Rn. 320; BGHZ 103, 338, 340. 45

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Pflicht, sich stets so verhalten, dass sich andere nicht zu irrationalem selbstoder fremdgefährdendem Verhalten herausgefordert fühlen. Jeder muss im Ausgangspunkt nur vernünftiges Verhalten anderer in Rechnung stellen, sowie naheliegendes Fehlverhalten. 54 Ein objektiver Bedrohter wird ebenso bei den sogenannten Schockschäden überwiegend als Maßstab anerkannt, indem die Verständlichkeit der psychischen Reaktion55 gefordert wird. 56 Mit diesem Merkmal wird ebenfalls dem hier relevanten Problemkreis der variierenden Verletzungsresistenz der Betroffenen begegnet. Ereignisse, die für einen durchschnittlichen Betroffenen nicht mit einer übermäßigen Gefahr entsprechender psychische Reaktion verbunden sind, vermögen keine Zurechnung zu begründen.57 Eine individuelle Überempfindlichkeit geht dabei nicht zulasten des Schädigers. 58 Bestimmt man Verhaltensgebote entsprechend objektiviert, ist die besondere Verletzungsanfälligkeit des Geschädigten grundsätzlich unbeachtlich. Die Zurechnung ist nur bei Verletzungserfolgen ausgeschlossen, die auf einem Verhalten beruhen, das aus der maßgeblichen ex ante-Perspektive die objektive Gefährdungsschwelle des § 276 Abs. 2 BGB nicht überschreitet. Der Erfolg ist mangels Sorgfaltspflichtverletzung weder zurechenbar noch rechtswidrig. Die besondere Verletzlichkeit wird ebenso nicht relevant, wenn mit dem Verhalten eine Gefährdung des betroffenen Rechtsguts eines objektiven Bedrohten verbunden ist, die einen diesbezüglichen Sorgfaltsverstoß begründet. Der Verletzungserfolg ist haftungsbegründend zurechenbar und die Schwere der Beeinträchtigung wird zu einem Problem der Folgenzurechnung.59 Die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten schließt also weder die Zurechnung aus, noch begründet sie diese. Vielmehr ist sie im Ausgangspunkt bedeutungslos. Aus diesem Grund erlangt die „extreme Verletzlichkeit“ oder – so die alternative Formulierung – das Fehlen eines Minimums an physischer oder psychischer Widerstandskraft 60 ebenfalls keine Bedeutung.

Hierzu noch eingehend S. 383 ff., 388 ff. Hierzu noch eingehend S. 366 ff. 56 Vgl. etwa Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 53; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 159; R. Schmidt, Schockschäden, S. 129. Teilweise wird im Hinblick auf die unzutreffend befürwortete pauschale Unbeachtlichkeit besonderer Vulnerabilität auch der Verzicht auf diese Einschränkung gefordert, vgl. Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 52 f. und 55; i.E. wohl auch Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158. 57 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 453; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; OLG Nürnberg, NZV 2008, 38 f.; BGHZ 93, 351, 355. 58 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 453; Mädrich, Lebensrisiko, S. 56 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; OLG Nürnberg, NZV 2008, 38, 39. 59 Zur Haftungsausfüllung sogleich (S. 353 ff.). 60 Vgl. Lang, Normzweck, S. 148; Lange, JZ 1976, 198, 207; Lüer, Begrenzung, S. 41. 54

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(2.) Verankerung im Vertrauensprinzip Der objektive Pflichtenmaßstab, der die Zurechnung an eine übermäßige Gefährdung eines objektiven und somit durchschnittlichen Bedrohten knüpft, lässt sich auf die Prinzipienebene des Zivilrechts und dabei auf die Wirksamkeit des Vertrauensprinzips als Wertprinzip im beweglichen System der Sorgfaltspflichten zurückzuführen. 61 Als Wertprinzip muss dieses normtheoretisch berücksichtigt werden, wenn das konkrete Verhaltensgebot festgelegt wird.62 Selbst wenn man dem hier vertretenen Verständnis der Wirkweise von Wertprinzipien nicht folgt, müsste positiv begründet werden, warum ein Verkehrsteilnehmer nicht berechtigterweise darauf vertrauen können soll, dass sein normalerweise sorgfaltsgemäßes Verhalten keine Haftung begründet, sofern diesem Vertrauen nicht Anzeichen einer atypischen Gefährdung entgegenstehen.63 Wäre das Vertrauen in die durchschnittliche Verletzungsresistenz des Bedrohten generell nicht zu berücksichtigen, müsste ein jeder sein Verhalten anhand zweifelhafter Maßstäbe wählen, damit sicher keine Haftung droht. Es müsste sich konsequenterweise jeder Teilnehmer am Verkehr so verhalten, als litten alle anderen (möglicherweise) an der Glasknochenkrankheit sowie einer maximalen Veranlagung für psychische Störungen und wiesen die Krankheitsresistenz eines AIDS-Kranken im Endstadium auf. Selbst wenn man die „extreme“ Verletzungsanfälligkeit als Grenze zugrunde legt, kann in physischer, psychischer und gesundheitlicher Hinsicht jeweils lediglich ein Minimum an Widerstandskraft „verlangt“ werden. Es wird wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass dies nicht der allgemeingültige Maßstab für das Verhalten im menschlichen Zusammenleben sein kann. Deshalb ist es überzeugender, dass jeder grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass ein Verhalten, das objektiv nicht oder nicht übermäßig gefährlich ist, keine missbilligte Gefährdung begründet und folglich als sorgfaltsgemäß auch keine Haftpflicht erzeugt. Das Vertrauensprinzip bewirkt in vielfacher Hinsicht eine entsprechende verantwortungsbegrenzende Objektivierung, indem durchschnittliche gefährdete Personen als Maßstab zugrunde gelegt werden, wenn die erforderliche Sorgfalt ex ante bestimmt wird. 64 Dies ist etwa in Bezug

Hierzu bereits S. 141 ff. und S. 267 ff. Hierzu S. 124 ff. und 143. 63 Vgl. Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 142. 64 Hierzu bereits S. 137 f., 141 ff.

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auf das Verhalten des potenziellen Opfers bezüglich Eigenschutz 65 und Fehlverhalten anerkannt. 66 Ebenso verdeutlicht der Vertrauensgrundsatz, insbesondere im Straßenverkehr67 oder bei vertraglicher Pflichtenübernahme 68, den grundsätzlichen Vertrauensschutz. Dass das Vertrauensprinzip nicht auch in der hier angedachten Dimension wirken sollte, erscheint zweifelhaft. Wirkt das Vertrauensprinzip, was auch die herrschende Ansicht durch die Einschränkung der Zurechnung bei „extremer“ Schadensgeneigtheit wertungsmäßig anerkennt, kann eigentlich nur eine umfassend objektive, am bedrohten Verkehrskreis orientierte Bestimmung der Sorgfaltspflichten überzeugen. Ausnahmen sind nur geboten, wenn das die Objektivität rechtfertigende Vertrauen nicht besteht oder nicht schutzwürdig ist. bb. Zurechnungsbegründende Wirkung besonderer Verletzlichkeit Bei objektiven Sorgfaltspflichten, die an die missbilligungswürdige Gefährdung eines objektiven Bedrohten anknüpfen, ist die individuelle Verletzungsresistenz des Geschädigten grundsätzlich unbeachtlich. Erkennt man das Vertrauensprinzip als Grundlage der Objektivität von Sorgfaltspflichten an, so ergeben sich allerdings zwei notwendige Einschränkungen von diesem Grundsatz. Die erste Einschränkung ist begründet, wenn das Vertrauen, das der Objektivität der Zurechnung zugrunde liegt, erkennbar nicht gerechtfertigt ist. 69 Das ist dann der Fall, wenn die besondere Verletzungsanfälligkeit eines anderen bekannt oder erkennbar ist. Selbstverständlich ist es dennoch sorgfaltswidrig, den bekanntermaßen herzkranken Nachbarn – auch ohne Verletzungsvorsatz – heftig zu erschrecken oder als Wachmann greise Personen so fest wie einen widerborstigen Jugendlichen anzupacken oder mit physischem Zwang vor sich herzutreiben. Mangels schutzwürdigem Vertrauen verschärfen sich durch das vergrößerte Schädigungspotenzial, das nunmehr zu berücksichtigen ist, konsequenterweise die Sorgfaltspflichten über das „normale“ Maß hinaus. Die Grenze bildet wiederum die Zumutbarkeit, die in diesen Fällen jedoch höher liegt.70 Es entstehen „subjektivierte“ konkrete Verhaltensgebote, deren Schutzzweck die jeweilige individuelle Schwäche umfasst, weswegen die Zurechnung teleologisch geboten ist. Hierzu bereits S. 141 ff. Vgl. auch v. Caemmerer, Problem, S. 19. 67 Vgl. MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 140 ff.; BGHZ (VGS) 14, 232. Für die Verallgemeinerungsfähigkeit MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 427, der den Vertrauensgrundsatz allerdings ökonomisch begründet; Deutsch, Fahrlässigkeit, S. 140; a.A. BGH, NJW 1980, 2194, 2196. 68 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 120 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 410. 69 Vgl. hierzu bereits S. 138 f. 70 Zur Zumutbarkeit bzw. dem Aufwand als limitierender Faktor vgl. S. 141. 65

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Damit korrespondiert die zweite Einschränkung. Die besondere Verletzlichkeit ist bei abstrakt formulierten Verhaltensgeboten beachtlich, die gerade besonders labile Personen schützen sollen. Beispielsweise ist es sorgfaltswidrig, einem Achtjährigen den Zugang zu Horrorfilmen („Keine Jugendfreigabe“, § 14 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 6 JuSchG) zu ermöglichen. Das Verbot bezweckt den Schutz der relativ zu Erwachsenen noch nicht so soliden Psyche von Kindern, auch wenn die hierdurch begründete Angststörung als Gesundheitsverletzung lediglich Folge einer geringeren Verletzungsresistenz des Kindes ist. Beide Einschränkungen sind das Produkt der allgemeinen Sorgfaltspflichtendogmatik in Verbindung mit der Prinzipientheorie, deren Zusammenwirken bereits zuvor eingehend beschrieben wurde. 71 Die erste Einschränkung verwirklicht die allgemeine Wirkung, die das relative Gewicht des Vertrauensprinzips im beweglichen System der Sorgfaltspflichten entfaltet. Die zweite Einschränkung ist hingegen Ausdruck des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Dieser kann bis an die Grenze der Willkür darüber disponieren, inwieweit er den Schutz des Vertrauens zulässt. 72 Er kann deshalb Sorgfaltspflichten normieren, die vom Vertrauen unabhängige Verhaltensgebote beinhalten, ohne damit das Zurechnungssystem zu verletzen. Beide Konstellationen sind zudem mit einem Zurechnungsausschluss wegen „extremer“ Schadensanfälligkeit nicht zu vereinbaren. Der Schutzzweck der jeweiligen Verhaltensnorm erfasst das Rechtsgut gerade unter Berücksichtigung der individuellen Schadensanfälligkeit. Dieser Normzweck verbietet es, die Zurechnungswirkung genau entgegen der vorgegebenen Schutzwirkung zu beschränken und somit auszuschließen. cc. Abgrenzung bei abstrakt sorgfaltswidrigem Verhalten Problematisch ist die Zurechnung, wenn ein das Rechtsgut verletzendes Verhalten, das für dieses objektiv nicht übermäßig gefährlich ist, zugleich gegen ein sonstiges durch Normen oder Verkehrspflichten begründetes Verhaltensgebot verstößt. Beispielsweise streift ein Fahrradfahrer, der im Schritttempo in der Fußgängerzone fährt, einen sich verkehrsgerecht verhaltenden Fußgänger objektiv ungefährlich am Oberarm, was infolge einer Schadensanlage zu einer arteriellen Störung führt, woraufhin der gesamte Arm amputiert werden muss. 73 Das Verhalten ist abstrakt sorgfaltswidrig und ein kausaler Erfolg ist eingetreten. Die Zurechnung ist gleichwohl nicht gerechtfertigt. Mögliche Anknüpfungspunkte der Zurechnung sind nur das verletzte abstrakte Verhaltensgebot, in der Form der Norm bzw. normähnlichen Verkehrs-

Eingehend dazu S. 125 f. und S. 139 ff. Zur abweichenden Bindungswirkung des Systems für Gesetzgeber und Richter vgl. S. 124 f. 73 Das Beispiel ist eine Abwandlung von OLG Karlsruhe, VersR 1966, 741. 71

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pflicht, und das stets parallel bestehende allgemeine (konkrete) Verhaltensgebot, einen anderen nicht übermäßig zu gefährden. Bei Letzterem handelt es sich um die „allgemeine“ Sorgfaltspflicht im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB. Wird der konkrete Verletzungserfolg von keinem der beiden Verhaltensgebote missbilligt, scheidet die Zurechnung aus. Ist mit dem Verhalten also für einen objektiven Bedrohten keine Gefahr verbunden, die einen eigenständigen Sorgfaltsverstoß begründen könnte, und ist die Sorgfaltspflicht nicht ausnahmsweise subjektiviert, müsste es sich bei dem verletzten (abstrakten) Verhaltensgebot um eine der seltenen Regelungen handeln, die der besonderen Verletzlichkeit des Bedrohten Rechnung tragen sollen. Eine entsprechende Schutzwirkung muss dabei stets positiv begründet werden, da Normen und normähnliche Verkehrspflichten primär den Regelverkehr gestalten sollen. Im Beispielsfall ist die Beeinträchtigung nicht vom Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots umfasst. Das mit dem Verkehrszeichen 242.1 (Fußgängerzone) verbundene Verhaltensgebot bezweckt nicht ein „allgemeines Berührungsverbot“ für andere Verkehrsteilnehmer als Fußgänger zu begründen, um besonders verletzliche Personen zu schützen. Vielmehr sollen lediglich die Gefahren durch solche Kontakte unterbunden werden, in denen sich die gesteigerte Geschwindigkeit oder Masse der ausgeschlossenen Verkehrsteilnehmer auswirkt. Dies wird daran deutlich, dass ein identisch „intensiver“ Zusammenstoß mit einem geschobenen Fahrrad keine Haftung begründen würde. Eine Garantie für verletzungsfreies Flanieren wird vom Verhaltensgebot nicht bezweckt. Da das Verhalten für einen durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer keine übermäßige Gefahr begründet und die Schadensanlage auch nicht erkennbar war, scheidet die Zurechnung wegen des Verstoßes gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot des § 276 Abs. 2 BGB ebenfalls aus. c. Haftungsausfüllung und insbesondere Folgenzurechnung Im Rahmen der Haftungsausfüllung gilt es hinsichtlich der Verletzlichkeit der Person zu differenzieren. Wenn das Verhalten auch gegenüber einem durchschnittlichen Bedrohten sorgfaltswidrig ist oder das verletzte Verhaltensgebot besonders verletzliche Personen schützen sollte, bzw. wegen der Erkennbarkeit der besonderen Verletzlichkeit individuell verschärft war, ist es nicht geboten, die Ersatzpflicht einzuschränken. Der Schutzzweck der verletzen Sorgfaltspflicht schließt in all diesen Varianten eine Einschränkung sogar zwingend aus. Ein infolge besonderer Schadensanfälligkeit besonders großer bzw. schwerwiegender Schaden ist, wie bereits ausgeführt, entsprechend des Prinzips des Totalersatzes ausnahmslos umfassend zu ersetzen. 74 Schwierigkeiten wirft lediglich die Zurechnung von Folgebeeinträchtigungen auf, die nicht mit der Primärbeeinträchtigung identisch sind. Problematisch 74

Dazu bereits S. 345 f.

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sind etwa auf einer Primärbeeinträchtigung beruhende körperliche und auch psychische Folgebeeinträchtigungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle,75 Neurosen, 76 Psychosen77 oder posttraumatische Belastungsstörungen78. Hierunter fällt auch regelmäßig die Problematik eines „Schockschadens“ bei der Tötung eines geliebten Haustieres. 79 Insoweit ist nach den hier vertretenen allgemeinen Grundsätzen der Folgenzurechnung wiederum zu hinterfragen, ob bzgl. der konkreten Folgebeeinträchtigung eine zur Begründung eines Sorgfaltsverstoßes hinreichende Gefährdung bestand. 80 Diese wäre dann vom Schutzzweck der Sorgfaltspflicht umfasst, die hinsichtlich der Primärbeeinträchtigung verletzt wurde, sodass sich ein missbilligtes Schadensrisiko realisiert hat. Herrschend wird bei solchen psychischen Folgebeeinträchtigungen ein Regel-Ausnahme-Schema propagiert, das von der grundsätzlichen Zurechenbarkeit der auf besonderer Labilität beruhender Beeinträchtigungen ausgeht 81 und die Zurechnung ausnahmsweise ausschließt, sofern diese auf einer als „Bagatelle“ zu beurteilenden Ursache beruht. 82 Dabei handelt es sich lediglich um eine abweichende sprachliche Fassung des in der Haftungsbegründung angewendeten Zurechnungskonzepts. Der Bagatellvorbehalt vermag teilweise sogar zu systemkonformen Ergebnissen zu führen. 83 Er erregt jedoch den Eindruck einer Behelfslösung. Zudem wird er dadurch wieder konterkariert, dass KG, VersR 1987, 105; BGHZ 107, 359 ff. BGHZ 132, 341, 345; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 141; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 190. 77 Vgl. OLG Nürnberg, VersR 1999, 1117, 1118 (Schwere Psychose nach leichtem Auffahrunfall). 78 Vgl. BGH, NJW 2007, 2764 ff., m. Anm. Elsner = JZ 2007, 1154 ff. m. Anm. Teichmann. 79 Vgl. hierzu MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 150; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 56; BGH, VersR 2012, 634. 80 Zu diesem Maßstab bereits S. 319 ff., 325 f. 81 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 191; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 42; BGHZ 132, 341, 346 sowie die Nachw. in der folgenden Fn. 82 Vgl. Palandt/Grüneberg, § 249 Rn. 37 f.; Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 29; G. Müller, VersR 2003, 137, 143; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 42; Stöhr, NZV 2009, 161, 163; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 192; BGHZ 132, 341, 346; 137, 142, 146. Dass der „Bagatellursache“ eigentlich ein pauschaliertes Gefährdungsurteil zugrunde liegt, zeigen die Bestrebungen, die Zurechnung auf dessen Grundlage auch im Rahmen der Haftungsbegründung auszuschließen, vgl. etwa G. Müller, VersR 2003, 137, 147; OLG Hamm, VersR 2002, 992. Die vom BGH propagierte Anleihe bei § 847 BGB a.F. (BGHZ 137, 142, 147) überzeugt nicht, da die Norm zur Zurechnung von Folgebeeinträchtigungen keine Aussage trifft und auf anderen Grundlagen beruht. 83 Genau zutreffend das OLG Köln, NJW-RR 2000, 740, das als „Bagatelle“ ein Ereignis versteht, das nicht geeignet ist, bei einem durchschnittlichen Empfindenden eine krankhafte seelische Reaktion hervorzurufen. Dies deckt sich mit dem hier vertretenen Ansatz. Das 75

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§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien

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die Einschränkung bei Bagatellursachen doch nicht eingreifen soll, wenn diese eine besondere Schadensanlage „getroffen“ haben. 84 Auch die Reichweite der Folgenzurechnung muss anhand der Schutzzwecklehre bestimmt werden. 85 Wie bereits dargelegt, erstrecken sich die durch die Haftungsnorm oder die Sorgfaltspflicht bestimmten Zurechnungsschranken über die Haftungsbegründung auch auf die Folgenzurechnung, d.h. sie setzten sich in Letzterer fort. 86 Dem auf die Primärbeeinträchtigung bezogenen Sorgfaltsverstoß lässt sich deshalb die Grenze der Folgenzurechnung entnehmen.87 Folgebeeinträchtigung sind nur dann zurechenbar, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht diese ebenfalls zu unterbinden bezweckte. Dies setzt voraus, dass mit der zu erwartenden Primärverletzung eine übermäßige Gefahr einer entsprechenden Folgebeeinträchtigung verbunden war, die einen Sorgfaltsverstoß88 auch bezüglich des Folgeschadens zu rechtfertigen geeignet ist. 89 Dabei ist die von der Primärbeeinträchtigung ausgehende Gefahrerhöhung mit einzubeziehen. Nur dann realisiert sich in der Folgebeeinträchtigung noch das spezifische missbilligte Schadensrisiko.90 Dabei ist ebenfalls grundsätzlich ein durchschnittlicher Betroffener zugrunde zu legen. Bei der Zurechnung von psychisch vermittelten Folgeschäden ist entsprechend die Verständlichkeit der entsprechenden Reaktion91 zu hinterfragen, womit das spezifische Gefährdungspotenzial bestätigt oder widerlegt wird. Eben dies drückt im Ergebnis, wenn auch etwas vereinfacht, der Bagatellvorbehalt der Rechtsprechung aus. Beispielsweise beinhaltet eine geringfügige Beleidigung für einen objektiven Bedrohten keine hinreichende Gefahrerhöhung hinsichtlich eines erregungsbedingten Stammhirnschadens92 oder ein leichter Auffahrunfall hinsichtlich einer schweren Psychose.93 Demgegenüber

OLG Köln verweist aber zur Begründung auf zwei Entscheidungen des BGH, die dieses Verständnis von „Bagatellen“ nicht tragen (BGH, NJW 1998, 810 und NJW 1998, 813). 84 BGHZ 132, 341; 137, 142, 148; BGH, VersR 1997, 752, 753; 1996, 990, 991; 1998, 201, 202; 2000, 372, 373; G. Müller, VersR 2003, 137, 143; Stöhr, NZV 2009, 161, 163; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 42; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 192; krit. Brandt, VersR 2005, 616, 618 f. 85 Zur Folgenzurechnung eingehend S. 296 f., 313 ff., 319 ff., 325 f. 86 Vgl. Roussos, Schaden, S. 97 und auch Stoll, Kausalzusammenhang, S. 26; ähnlich R. Schmidt, Schockschäden, S. 144, allerdings bezogen auf die Rechtswidrigkeit. 87 Vgl. S. 313 ff., 319 ff., 325 f.; a.A. etwa Sourlas, Adäquanztheorie, S. 89. 88 Ähnlich auch U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 321. 89 Vgl. S. 314 ff., 319 ff., 325 f. 90 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 337. 91 Hierzu S. 366 ff. 92 Vgl. BGH, NJW 1976, 1143, 1144. 93 OLG Nürnberg, VersR 1999, 1117, 1118.

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ist fahrlässigem Verhalten, das die Gefahr schwerer Unfälle mit schweren Verletzungen birgt, 94 durchaus ein übermäßiges Risiko weitreichender Folgen zu eigen. Über eine Primärbeeinträchtigung hinaus besteht ein erhebliches Risiko, dass etwa posttraumatische Belastungsstörungen oder Komplikationen bei einer notwendigen medizinischen Behandlung auftreten. Diese Folgeschäden sind deshalb ein missbilligtes Risiko im Sinne des Verhaltensgebots95 und folglich zurechenbar. d. Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass es nicht überzeugt, das Problem der variierenden Verletzungsresistenz zu bewältigen, indem danach unterschieden wird, ob eine unbeachtliche „besondere“ oder eine beachtlich „extreme“ Verletzungsanfälligkeit vorliegt. Es mangelt insoweit bereits an einer überzeugenden Abgrenzung zwischen den Graden der Schadensanfälligkeit. Dieser Ansatz ist zudem wertungswidersprüchlich und führt infolge der einseitigen Fixierung auf den Geschädigten teilweise zu Ergebnissen, die mit dem gesetzlichen Zurechnungssystem nicht zu vereinbaren sind. Die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten ist für die Zurechnung grundsätzlich schlicht irrelevant. Sie trifft keine Aussage darüber, ob ein Erfolg zuzurechnen ist, oder eben nicht. Maßgeblich ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Verschuldens- und Folgenzurechnung in Verbindung mit der Schutzzwecktheorie alleine, ob hinsichtlich der konkreten zuzurechnenden Beeinträchtigung ein Maß an Gefährdung für einen objektiven Bedrohten hervorgerufen wurde, das geeignet ist, auch bzgl. dieser einen Sorgfaltsverstoß zu begründen. Bei Folgebeeinträchtigungen ist dabei das gesteigerte Risiko eines entsprechenden Folgeschadens, das aus der Primärbeeinträchtigung folgt, in der Risikozurechnung zu berücksichtigen. Maßstab des Gefährdungsurteils ist dabei ein objektiver und somit durchschnittlicher Bedrohter. Abweichendes gilt, wenn die besondere Verletzlichkeit des konkreten Bedrohten bekannt oder erkennbar ist. In diesem Fall verschärfen sich insoweit die Sorgfaltspflichten entsprechend den allgemeinen Regeln, wodurch der Schutzzweck des konkreten Verhaltensgebots, das nunmehr „subjektiviert“ ist, auch den Schutz der besonders verletzlichen Person umfasst. Daneben können abstrakte Verhaltensgebote den Schutz besonders verletzlicher Personen bezwecken und so die Zurechnung gebieten. Derartige Verhaltensgebote sind jedoch selten.

Zur Gefährdungen als Anknüpfungspunkt für psychisch vermittelte Beeinträchtigungen, vgl. S. 360. 95 Ggf. muss noch theoretisch zwischen dem Schutzzweck des abstrakten und des konkreten Verhaltensgebots differenziert werden. Auf das Ergebnis bleibt dies ohne Auswirkungen. 94

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Der Zurechnungsausschluss der „extremen“ Schadensanfälligkeit ist generell entbehrlich. In der Regelzurechnung ist sie, wie bereits die „besondere“ Verletzlichkeit des Geschädigten, irrelevant. In den Fällen, in denen die individuelle Verletzungsanfälligkeit die Zurechnung erstmals begründet, verbietet es der Schutzzweck des jeweiligen Verhaltensgebots, die Zurechnung auszuschließen. Ist ausnahmsweise nicht ein durchschnittlicher Bedrohter bei der Bewertung der Gefährdung zugrunde zu legen, so ist es der Zweck des Verhaltensgebots, entweder generell besonders Verletzliche oder aber den konkreten zu schützen. Zuletzt verbleibt der extremen Schadensanfälligkeit auch in der Haftungsausfüllung kein Anwendungsbereich. Zunächst ist es mit dem Prinzip des Totalersatzes unvereinbar, mittels dieser Rechtsfigur den Schadensumfang zu begrenzen. Darüber hinaus gibt der Schutzzweck des Verhaltensgebots gleichfalls vor, dass die individuelle Schadensanfälligkeit in der Folgenzurechnung entweder ebenso unbeachtlich ist oder es ausgeschlossen ist, diese zurechnungsausschließend zu berücksichtigen. Nur bei psychischen Beeinträchtigungen bedarf es eines ergänzenden objektiven Zurechnungskriteriums, um das Gefährdungspotenzial für einen objektiven Bedrohten zu bestätigen, das die Zurechnung legitimiert. Dafür ist das Kriterium der Verständlichkeit heranzuziehen. 96 Nur, wenn der konkrete Primäroder Folgeschaden eine verständliche Reaktion auf das Verhalten des Schädigers ist, bezweckte das verletzte Verhaltensgebot (auch) diesen zu verhindern, sodass der Schutzzweck desselben die Zurechnung vorschreibt. 2. Schockschäden Die sog. Schockschäden umfassen verschiedene Formen von psychischen Beeinträchtigungen, die durch ein Ereignis vermittelt werden. Es wird insoweit zutreffend nicht danach differenziert, ob die Beeinträchtigungen rein psychischer Natur sind oder zugleich somatische Auswirkungen entfalten.97 Soweit ein eigenständiger Anspruch des Schockgeschädigten das Ziel der Zurechnung ist, handelt es sich bei der Schockschadensproblematik, unabhängig davon, ob ein Zwei- oder ein Drei-Personen-Verhältnis vorliegt, nicht um ein Problem der Folgenzurechnung,98 sondern um eines der Haftungsbegründung. 99 Anlass-

Eingehend zu diesem S. 366 ff. Vgl. etwa BGH, r + s 2015, 152 Tz. 6; Teichmann, JZ 2007, 1156 ff. 98 Dahin tendiert offenbar Stoll, Haftungsfolgen, S. 412 ff. 99 Vgl. Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 30, 34; R. Schmidt, Schockschäden, S. 20; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 83 Fn. 38 und S. 84; Park, Schockschäden, S. 38; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 55; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 187; BGH, NJW 1996, 2425, 2426. 96

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bezogene psychische Folgebeeinträchtigungen sind als Gegenstand der Folgenzurechnung in den Grundzügen bereits angesprochen worden. 100 Die folgenden Ausführungen zur Verständlichkeit der Reaktion, mit denen die erforderliche Gefahrerhöhung bestätigt wird, sind auf die Folgezurechnung vollumfänglich zu übertragen. a. Schockschäden als Zurechnungsproblem Schockschäden werden durch ein Anlassereignis hervorgerufen. Entsprechende Auslöser können etwa der Tod oder die Verletzung einer anderen Person, aber auch eine reine Gefährdung derselben oder sogar des Schockgeschädigten selbst sein. Ein solches Ereignis liegt etwa vor, wenn eine Fußgängerin an einer Kreuzung durch ein Kfz getötet wird, das vermeidbar das Rotlicht missachtet, woraufhin sowohl der anwesende Ehemann als auch ein zufällig anwesender Passant sowie ein als Anhalter mitgenommener Beifahrer als Zeugen des tödlichen Unfalles eine posttraumatische Belastungsstörung101 erleiden. Es stellt sich die Frage der Haftung des Fahrers sowohl gegenüber dem Ehemann, als auch gegenüber Beifahrer und Passant.102 Eine Gesundheitsverletzung ist bei allen Geschädigten gegeben, wie auch eine kausale und sorgfaltswidrige Handlung des Fahrers. Die Frage der Haftung gegenüber allen drei psychisch Betroffenen, die von der Rechtsprechung für Angehörige, Unfallbeteiligte und zufällig anwesende Passanten unterschiedlich beantwortet wird,103 ist anhand des Schutzzwecks des verletzten Verhaltensgebots sowie der Haftungsnorm zu entscheiden. 104 Eine Haftung des Schädigers ist des Weiteren gegenüber nicht unmittelbar am Anlassereignis beteiligte Dritten möglich, die durch die Information über

Oben S. 354 ff. Der BGH (JZ 2007, 1154; r + s 2015, 152 Tz. 6) hat die Möglichkeit einer Gesundheitsverletzung durch eine posttraumatische Belastungsstörung anerkannt. 102 Der Anwendungsbereich der Schockschadensproblematik ist dabei nicht auf das außervertragliche Haftungsrecht beschränkt. Die gleichen Zurechnungsprobleme stellen sich auch bei der Verletzung vertraglicher Schutzpflichten gegenüber in den Schutzbereich des Vertrages Einbezogenen, etwa bei einem Schock des Mieters als Folge eines tödlichen Sturzes seines Kindes wegen eines vom Vermieter schutzpflichtwidrig nicht angebrachten Geländers. Auch hier stellt sich die Frage, ob die Beeinträchtigung der Interessen im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB in der Form der Gesundheitsbeeinträchtigung dem pflicht- und sorgfaltswidrigen Verhalten und somit dem Vertragspartner zugerechnet werden kann. 103 RGZ 133, 267, 270; 162, 316, 321; BGH, JZ 2007, 1154, 1156. 104 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 318 f.; Park, Schockschäden, S. 54 ff., 79 ff.; BGH, NJW 1971, 1883, 1884; BGH, JZ 2007, 1154, 1155, m. Anm. Teichmann, JZ 2007, 1156 ff. Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 55 erachtet demgegenüber unbenannte „allgemeine Zurechnungserwägungen“ für einschlägig. Zweifelnd Deutsch, Haftungsrecht, S. 578; ablehnend Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158. 100

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dieses einen Schaden erleiden (sog. „Fernwirkungsschäden“105). Es handelt sich ebenfalls um eine rechtswidrige und schuldhafte Schädigung, sodass das Schadensereignis auch gegenüber dem Schockgeschädigten sorgfaltswidrig verursacht sein muss. 106 Dies setzt, wie bei den anwesenden Schockgeschädigten, voraus, dass die psychisch vermittelte Beeinträchtigung vom Schutzzweck des gegenüber dem „Erstgeschädigten“ verletzten Verhaltensgebots mit umfasst ist oder die Herbeiführung der psychischen Beeinträchtigung ihrerseits den Vorwurf eines sorgfaltswidrigen Verhaltens gegenüber den „Zweitgeschädigten“ ermöglicht. In allen Konstellationen handelt es sich nicht um eine „Drittschädigung“ oder „Drittfolgenzurechnung“ und somit um eine derivative Haftung entsprechend den §§ 844 f. BGB. Vielmehr steht eine unmittelbare Beeinträchtigung und folglich eine autonome 107 Haftung108 des Schädigers gegenüber dem jeweiligen Schockgeschädigten in Rede. 109 105 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 32; E. Lorenz, Festschrift G. Müller, 147, 148; RGZ 157, 11, 14; BGH, NJW 1971, 1883, 1884. 106 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 381; Sourlas, Adäquanztheorie, S. 84; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 43. 107 Eine Einschränkung besteht dahingehend, dass bzgl. der (nicht zwingend erforderlichen) „Erstschädigung“ notwendig Rechtswidrigkeit vorliegen muss. Hierzu jüngst eingehend E. Lorenz, Festschrift G. Müller, 148, 152 ff.; vgl. auch Bick, Haftung, S. 182. Nur dann handelt der Schädiger überhaupt sorgfaltswidrig und somit grundsätzlich zurechenbar. 108 Ein hier nicht unmittelbar relevantes Folgeproblem dieses Umstandes ist, inwieweit ein eventuelles Mitverschulden des Erstbeeinträchtigten hinsichtlich des Schockschadens des Zweitbeeinträchtigten zu berücksichtigen ist. Dabei wird eine unmittelbare bzw. entsprechende Anwendung des § 254 BGB über § 242 BGB mit dem Ergebnis der Anspruchskürzung für den Schockgeschädigten vertreten (Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 33; Palandt/Grüneberg, § 254 Rn. 56; E. Lorenz, Festschrift G. Müller, 147, 157; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 192; BGHZ 56, 163, 169; das Reichsgericht wendete systemwidrig mit dem gleichen Ergebnis § 846 BGB entsprechend an, RGZ 157, 11, 13). Verzichtet man allerdings wie hier auf die personelle Beschränkung des Schutzbereichs auf nahe Angehörige und erachtet man die Schockbeeinträchtigung als unmittelbare, psychisch vermittelte Beeinträchtigung der Gesundheit durch den Schädiger, besteht vorbehaltlich eines tatsächlich bestehenden Schuldverhältnisses (§§ 254 Abs. 1, 2 S. 2, 278 BGB) und damit einer Zuordnung des Verhaltens des Erstbeeinträchtigten zur Risikosphäre des Schockgeschädigten kein Raum und kein Bedarf, das Mitverschulden zu berücksichtigen. Vielmehr ist konsequenterweise zu fragen, ob das Verhalten des Erstbeeinträchtigten seinerseits gegenüber dem Schockgeschädigten bzw. dessen Rechtsgütern sorgfaltswidrig war. Ist dies der Fall, entsteht eine Gesamtschuld zwischen Schädiger und Erstgeschädigtem (§ 840 BGB), bzw. im Falle einer einschlägigen Haftungsprivilegierung eine „gestörte Gesamtschuld“ (Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 39; Park, Schockschäden, S. 122 f.; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 49; für eine Lösung über die Gesamtschuld bereits Deubner, NJW 1957, 1269 f.; a.A. etwa Karczewski, Schockschäden, S. 389 f.: mangels Pflichtwidrigkeit der Selbsttötung immer Alleinhaftung). 109 Vgl. Deubner, NJW 1957, 1269 f.; Deutsch, Haftungsrecht, S. 369, 578; Diedrichsen, NJW 2013, 641, 647; Larenz/Canaris, Schuldrecht II, 2, S. 380; Staudinger13/Hager, § 823

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Sofern der Schockschaden als Folgeschaden durch eine Erstschädigung ausgelöst wurde, muss zweistufig geprüft werden, ob eine Beeinträchtigung zurechenbar ist. Zunächst muss festgestellt werden, ob die Gesundheitsbeeinträchtigung des Schockgeschädigten vom Schutzzweck der gegenüber dem Erstbeeinträchtigten verletzten Sorgfaltspflicht erfasst ist. 110 Sofern dem nicht so ist, ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob der Schädiger sich auch gegenüber dem Schockgeschädigten bzgl. dessen Rechtsgut Gesundheit sorgfaltswidrig verhalten hat, indem er die schockauslösende Situation geschaffen hat. Scheidet die Zurechnung auf beiden Stufen aus, fallen Sorgfaltsverstoß und Rechtsgutsbeeinträchtigung lediglich rein zufällig zusammen und es realisiert sich das Eigenrisiko des Schockgeschädigten. Ohne Erstschädigung, also wenn die psychisch vermittelte Gesundheitsschädigung auf einer bloßen Gefährdung einer anderen Person oder des Schockgeschädigten selbst 111 oder auf eine tatsächliche oder sogar vermeintliche Eigenschädigung des Schädigers zurückgeht, muss die Prüfung direkt bezogen auf Sorgfaltspflichten erfolgen, die gegenüber dem Schockgeschädigten bestehen. In jedem Fall ist hinsichtlich der Zurechnung von rein psychisch vermittelten Beeinträchtigungen Vorsicht geboten, da die individuelle Reaktion auf derartige Erfahrung höchst verschieden ausfällt und mangels einer physischen Einwirkung eine Haftung gegenüber einer Vielzahl von Personen droht. 112 Rn. B 30, 35.; Karczewski, Schockschäden, S. 328; E. Lorenz, Festschrift G. Müller, 147, 149 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 149; Park, Schockschäden, S. 40; R. Schmidt, Schockschäden, S. 36 ff.; Stöhr, NZV 2009, 161, 165; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 44; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 45 ff.; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 187; BGH, NJW 1971, 1883, 1884; OLG München, NJW 1959, 819. 110 Hiervon scheint der BGH, VersR 1986, 240, 241; JZ 2007, 1154, 1155 ohne nähere Begründung auszugehen, wenn er das Aufzwingen der Rolle als unmittelbar am Unfall Beteiligter genügen lässt. 111 Eine zu bedenkende Konsequenz der Natur der Beeinträchtigung als unmittelbar ist, dass eine Erstschädigung in der Form einer Rechtsgutsverletzung für die grundsätzliche Zurechnung des „Fernwirkungsschadens“ nach dem Verschuldensprinzip nicht vorliegen muss (vgl. etwa Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 150; Park, Schockschäden, S. 70 f.; E. Schmidt, MDR 1971, 538, 539; Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 34). Es genügt bereits eine sorgfaltswidrig herbeigeführte Gefahrenlage, etwa der Beinahetod eines Kindes auf einer Spielstraße, das sorgfaltswidrig durch einen Lkw „überrollt“ wird, aber infolge seiner mittigen Positionierung unter den Achsen glücklicherweise nicht zu Schaden kommt (Bsp. nach MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 154). Im Anschluss ist natürlich die Frage zu stellen, ob ein hierdurch bedingter Schock der Mutter vom Schutzzweck der bereits verletzten Sorgfaltspflicht umfasst ist oder alternativ die Zurechnung nach den allgemeinen Regeln zu bejahen oder auszuschließen ist. Die Haftung bejahend Oetker, a.a.O.; a.A. R. Schmidt, Schockschäden, S. 177. 112 Dies bewegt einen Teil der Literatur dazu, eine Haftung gegenüber Beobachtern eines Unfalls generell auszuschließen. Vgl. etwa R. Schmidt, Schockschäden, S. 159 f. Dazu sogleich.

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Im eingangs erwähnten Beispiel kann die Zurechnung der psychisch vermittelten Beeinträchtigungen zum sorgfaltswidrigen Verhaltens des Fahrzeugführers bereits über das mit dem Rotlicht verbundene Verhaltensgebot bergründet werden. Auf Unfallverhütung gerichtete abstrakte Verhaltensgebote, die durch Normen oder Verkehrspflichten begründet werden, bezwecken nicht nur den Schutz der physischen Integrität der durch einen möglichen Unfall betroffenen Personen und Sachwerte. Sie bezwecken darüber hinaus die psychische Integrität von Unfallbeteiligten, Zeugen und den Unfallopfern nahestehenden Personen vor den mit dem Unfallereignis verbundenen übermäßigen und deshalb ebenso missbilligungswürdigen Gefahren (verständliche Schockschäden) zu schützen. 113 Selbst wenn man dies ablehnt, ist stets noch nach den allgemeinen Grundsätzen zu prüfen, ob das Verhalten die Gesundheit objektiver Dritter derartig gefährdet hat, dass eine (allgemeine) Sorgfaltspflichtverletzung begründet werden kann. Nur weil ein als Norm oder normgleich ausgestaltetes (Verkehrspflicht) Verhaltensgebot das Rechtsgut Gesundheit nicht in entsprechender Weise unter besonderen Schutz stellt, hat dies nicht zur Folge, dass die Gesundheit als absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB hinsichtlich dieser Einwirkungsform im Übrigen vollkommen schutzlos gestellt ist. b. Die Schockschadensformel Die von Teilen der Lehre gestützte Rechtsprechung beschränkt den Schutzbereich deliktischer Sorgfaltspflichten personell auf nahe Angehörige 114 und unmittelbar am schockauslösenden Ereignis Beteiligte. 115 Ergänzend wird die Ersatzpflicht an weitere Kriterien geknüpft. Gefordert wird eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung, die nach der Verkehrsanschauung als Gesundheitsverletzung anzuerkennen ist, 116 sowie die Verständlichkeit der psychischen Reaktion des Betroffenen.117 Diese so gebildete Formel, bestehend aus

113 So auch Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158; a.A. Bick, Haftung, S. 189; Karczewski, Schockschäden, S. 338. Bzgl. Folgeschäden bereits oben S. 354 f. 114 Vgl. BGH NJW 1971, 1883; 1984, 1405; Adelmann, VersR 2009, 449, 451 f.; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 54; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; Park, Schockschäden, S. 48, 55 ff. 115 Vgl. BGH NJW 1986, 777, 778; 2007, 2764, 2765; Adelmann, VersR 2009, 449, 452; Stöhr, NZV 2009, 161, 163 f. 116 BGHZ 56, 163, 165; BGH, NJW 1971, 1883, 1884 f.; NJW 1989, 2317, 2318; Urteil vom 27.01.2015 – VI ZR 548/12 Tz. 7; dem zustimmend: Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148 f.; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 52; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40. 117 BGHZ 56, 163, 170; BGH NJW 1984, 1405; JZ 2007, 1154, 1156; Adelmann, VersR 2009, 449, 453; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 56; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 148 ff.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; Selb, JZ 1972, 122 ff.; R. Schmidt, Schockschäden, S. 129 ff.

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dem geschützten Personenkreis und der Verständlichkeit, wie auch das Erfordernis einer qualifizierten Rechtsgutsverletzung, das der vorgelagerten Schadensfeststellung zugehörigen ist, vermag nur eingeschränkt zu überzeugen. aa. Die personelle Beschränkung des Schutzbereichs Rechtsprechung und Teile der Lehre beschränken den Schutzbereich verletzter Verhaltenspflichten auf nahe Angehörige 118 oder unmittelbar am Unfall Beteiligte.119 Bei sonstigen zufällig anwesenden Zeugen hat der BGH, nachdem er die Frage in einer früheren Entscheidung noch offen gelassen hat, 120 mittlerweile die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen ausgeschlossen und diese dem – rein deklaratorischen – allgemeinen Lebensrisiko zugeordnet.121 Geschützt werden soll entsprechend nur ein sehr enger Personenkreis. Als nahe Angehörige werden dabei nicht nur solche im familienrechtlichen Sinne, sondern auch weitere Personen mit einer besonderen persönlichen Nähebeziehung zum Erstgeschädigten gefasst. In den Schutzbereich sollen etwa Verlobte und nichteheliche Lebenspartner fallen,122 nicht aber Gelegenheitsbeziehungen oder Freunde. 123 Diese Einschränkung wird auf die rechtspolitische Wertung zurückgeführt, dass ein Ausufern der Haftung auf einen unüberschaubaren Kreis von Anspruchsstellern zu vermeiden ist. 124 Normativ wird dies damit begründet, dass Angehörige ebenfalls das Ziel des rechtswidrigen Angriffs seien, unbeteiligte Dritte hingegen nicht. 125 Alternativ wird angeführt, dass Schockschäden von Angehörigen keine fernliegende Folge seien, wenn eine Pflicht zum Schutz von Leib und Leben anderer verletzt werde. 126 Des Weiteren wird vorgebracht, dass Angehörige den Integritätsverlust des Opfers als Beeinträchtigung der eigenen Integrität und nicht als „normales” Lebensrisiko der Teilnahme an den Erman/Ebert, Vor §§ 249–253, Rn. 54; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40; Lang, Normzweck, S. 134; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; Park, Schockschäden, S. 48, 55 ff., 182 ff.; BGHZ 56, 163, 170; BGH, NJW 1984, 1405; OLG Nürnberg, VersR 1999, 1501, 1502. 119 Vgl. Stöhr, NZV 2009, 161, 164; BGHZ 56, 163; BGH, NJW 1986, 777, 778; 2007, 2764, 2765; r+s 2015, 151 Tz. 10. 120 BGH, NJW 1986, 777, 778. 121 BGH, NJW 2007, 2764, 2765; dazu auch Diedrichsen, NJW 2013, 641, 647. 122 Vgl. dazu Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 32; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 153, jew. m. w. Nachw.; OLG Köln, VersR 2011, 674, 675. 123 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 450. Weitergehend, auf die tatsächliche persönliche Nähe abstellend, etwa R. Schmidt, Schockschäden, S. 170 ff.; ähnlich Karczewski, Schockschäden, S. 353 ff. 124 Vgl. Lang, Normzweck, S. 134; Park, Schockschäden, S. 182. Eingehend Karczewski, Schockschäden, S. 332 ff. 125 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 319. 126 Vgl. Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 381; Park, Schockschäden, S. 57. 118

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Ereignissen der Umwelt empfänden. 127 Bei sonstigen, am schockauslösenden Ereignissen unmittelbar Beteiligten, wird die Zurechnung darauf gestützt, dass der Schädiger diesen die Rolle eines solchen aufgezwungen habe und sie das Ereignis psychisch nicht verkraften konnte.128 Sonstige Zeugen oder durch die Information von einem Ereignis Geschädigte, die nicht Angehörige sind, sollen hingegen nicht vom Schutzbereich der Haftungs- oder Verhaltensnorm erfasst sein. Die Wahrnehmung schlimmer Ereignisse sei wegen deren Allgegenwärtigkeit hinzunehmen und deshalb dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen.129 Die personelle Beschränkung des Schutzbereiches der Verhaltensnorm vermag nicht zu überzeugen und wird deswegen auch vielfach abgelehnt. 130 In Anbetracht der Natur der psychischen Vermittlung der Beeinträchtigung als unmittelbare Gesundheitsverletzung gibt es keine sachliche Grundlage dafür, zwischen unmittelbar Beteiligten, Angehörigen und sonstigen Zeugen zu unterscheiden. Insbesondere der Ausschluss anwesender unfreiwilliger Zeugen stößt auf Bedenken, da der sorgfaltswidrig den Unfall verursachende Schädiger diesen – schlimmstenfalls mit dem Blut der „unmittelbar“ Beteiligten Bespritzten131 – ihre Rolle genauso wie jedem anderen privilegierten Betroffenen aufzwingt. Zudem kann es keinen Unterschied machen, ob der beim Unfall zufällig anwesende Zeuge von den Bildern, Schreien, Geräuschen und Gerüchen „getroffen“ und in seiner Gesundheit nachhaltig verletzt wird, oder ob er zugleich132 oder alternativ von einem bei dem Unfall fortgeschleuderten Teil des Kfz getroffen wird. 133 Dass derartige „Kollateralschäden“ bei physischer, nicht aber bei rein psychischer Wirkung vom Schutzzweck erfasst sein sollen, hat keine normative Grundlage. Die herrschend befürwortete personelle Unterscheidung lässt sich weder der Haftungsnorm noch dem verletzten Verhaltensgebot methodenehrlich entnehmen. 134

BGH, NJW 2005, 2614, 2618; Diedrichsen, NJW 2013, 641, 647. BGH, VersR 1986, 249, 242; JZ 2007, 1154, 1155; r + s 2015, 151 Tz. 10; Stöhr, NZV 2009, 161, 164; krit. Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158. 129 Vgl. R. Schmidt, Schockschäden, S. 156 ff.; allgemeiner Adelmann, VersR 2009, 449, 451; ohne Begründung BGH, NJW 2007, 2764, 2766. 130 Vgl. Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 35; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 157; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46; E. Schmidt, MDR 1971, 538, 540; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 57. 131 So plastisch Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 57. 132 In diesem Fall wäre der Betroffene wohl unmittelbarer Unfallbeteiligter und die Gesundheitsbeeinträchtigung dem Schädiger nach den Maßstäben des BGH zurechenbar. Nach BGH, r + s 2015, 151 Tz. 10 f. scheint es für eine unmittelbare Beteiligung am Unfall schon zu genügen, dass „unmittelbare Lebensgefahr“ für den Schockgeschädigten bestanden hat, auch wenn dieser „um Haaresbreite“ verfehlt wurde (BGH, a.a.O. Tz. 10). 133 Ähnlich Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 381. 134 Vgl. E. Schmidt, MDR 1971, 538, 540. 127

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Zutreffend sind zwar Schockschäden von Angehörigen keine fernliegende Folge. Das Gleiche gilt aber auch für Schockschäden von Augenzeugen, sofern das schockauslösende Ereignis hinreichend gravierend ist.135 Beispielsweise sind posttraumatische Belastungsstörungen bei Schülern und Lehrern keineswegs fernliegend, wenn diese während eines Amoklaufs in einer Schule miterleben mussten, wie ihre Klassenkameraden oder Schützlinge getötet wurden, auch wenn sie selbst nicht angeschossen wurden. Das Risiko, eine psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung zu erleiden, wird für Augenzeugen durch das fahrlässige oder vorsätzliche Töten, Verletzen oder Gefährden einer anderen Person in der konkreten Situation durchaus signifikant erhöht. Es ist deshalb verfehlt, insoweit pauschal davon zu sprechen, das allgemeine Lebensrisikos habe sich realisiert. Eine entsprechende physische Einwirkung im Zusammenhang mit einem identischen Ereignis, etwa erneut ein fortgeschleuderter Bestandteil eines Unfallwagens, würde im Falle eines verletzenden Treffers zutreffenderweise wohl niemand als „allgemeines Lebensrisiko“ abtun. 136 Der Vergleich von physischen und psychischen Streu- oder Kollateralschäden zeigt auch, dass es vollkommen unerheblich ist, ob der Zweitgeschädigte den Erstgeschädigten bzw. dessen Rechtsgüter seiner eigenen Integritätssphäre zuordnet. Vielmehr erachtet jeder Schockgeschädigte das unfreiwillig miterlebte Schadensereignis als Eingriff in die eigene Integritätssphäre, wenn dieses tatsächlich einen Gesundheitsschaden bei ihm hervorruft. Dementsprechend verzichtet der BGH auf ein solches Erfordernis bei sonstigen unmittelbaren Unfallbeteiligten, bei denen gerade kein Näheverhältnis besteht, und verlangt lediglich, dass diese das Unfallereignis nicht verkraften konnten.137 Es überzeugt auch nicht, für die unterschiedliche Behandlung von Schockgeschädigten auf das Ziel eines Angriffs zu verweisen, das über den unmittelbar Geschädigten hinausgehen soll. Derartige Zielerwägungen sind jenseits von Vorsatztaten verfehlt. Zudem könnte diese Begründung der Zurechnung bei Vorsatztaten gleichfalls herangezogen werden, um andere, ebenso schutzwürdige Personen aus dem Schutzbereich auszusondern. Vermögen etwa hinreichend präzise Zielvorstellungen des Täters die Zurechnung auszuschließen, wenn diese den konkreten Schockgeschädigten nicht umfasst haben? Es kann freilich nicht überzeugen, den planmäßig vorgehenden Täter derartig zu privilegieren. Man muss sich stets vergegenwärtigen, dass zwar regelmäßig Angehörige von derartigen Schadensereignissen betroffen sind. Diese treffen jedoch

135 Vgl. E. Schmidt, MDR 1971, 538, 540. Die Annahme von Park, Schockschäden, S. 183 f., dass diese niemals vorhersehbar und deshalb verschuldet sein können, ist zweifelhaft. 136 Hieran offenbart sich erneut die inhaltliche Leere des allgemeinen Lebensrisikos sowie die Ungeeignetheit desselben als Kriterium zur Bestimmung der Zurechnung. 137 BGH, VersR 1986, 249, 242; JZ 2007, 1154, 1155. Unklar die Ausführungen in BGH, r + s 2015, 151 Tz. 11, obwohl der Grundsatz in Tz. 10 wiederholt wird.

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ebenfalls regelmäßig auch Personen, die lediglich zufällig anwesend sind, wenn sich der Vorfall in der Öffentlichkeit ereignet. bb. Die Schwere der Beeinträchtigung Auch die Anforderungen, die insbesondere von der Rechtsprechung an die Schwere der Beeinträchtigung gestellten werden, vermögen nicht zu überzeugen. Für die Zurechnung handelt es sich dabei allerdings nur um eine Vorfrage. Ob überhaupt eine Rechtsgutsverletzung oder ein ersatzfähiger Schaden vorliegt, ist von der Zurechnung desselben zu trennen. Gleichwohl soll kurz dazu Stellung genommen werden. Soweit ein pathologischer, behandlungsbedürftiger Zustand für die Annahme einer Rechtsgutsverletzung gefordert wird, 138 kann dem vorbehaltlos zugestimmt werden, da dies die generelle Voraussetzung einer Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist.139 Auf der Ebene der Folgezurechnung sind die gleichen Anforderungen an die Beeinträchtigung zu stellen, um einen ersatzfähigen Gesundheitsschaden annehmen zu können. 140 Dies lässt sich § 253 Abs. 2 BGB entnehmen, der die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden an das Vorliegen einer Körper- oder Gesundheitsverletzung knüpft. Es werden jedoch noch weitergehende Anforderungen an Rechtsgutsverletzung und Schaden gestellt. Diese sollen verhindern, dass anlassbezogene negative Folgen wie Trauer, Verzweiflung und seelischer Schmerz eine Ersatzpflicht auslösen. Diese Auswirkungen erfüllen allerdings die vorgenannten Anforderungen von vornherein nicht. 141 Es ist deshalb überflüssig, dass ergänzend gefordert wird, die gesundheitliche Beeinträchtigung müsse medizinisch fassbar sein und über das Maß hinausgehen, was bei entsprechenden Ereignissen normalerweise erlitten wird, 142 sowie dass diese auch nach der Verkehrsauffassung als eine Gesundheitsbeeinträchtigung anerkannt werden müsse 143.144

138 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 450; Erman/Ebert, Vor §§ 249–254 Rn. 52; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; BGHZ 56, 163, 165 f.; BGH, r + s 2015, 151 Tz. 7. 139 Entsprechend Diedrichsen (NJW 2013, 641, 647): Die Haftung setze eine „echte“ körperliche oder geistig/seelischen Gesundheitsschädigung voraus. 140 Zur Differenzierung zwischen Gesundheitsverletzung und Gesundheitsschaden Park, Schockschäden, S. 14 ff. 141 Vgl. Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 34; Karczewski, Schockschäden, S. 342; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 151; Park, Schockschäden, S. 26. 142 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449; Lang, Normzweck, S. 144; BGH, NJW 1986, 777, 778; r + s 2015, 152 Tz. 7, sowie die Nachweise in der folgenden Fußnote. 143 Adelmann, VersR 2009, 449, 450; BGHZ 56, 163, 165 f.; BGH, NJW 1989, 2317 f.; 2006, 3268. Grundsätzlich zustimmend R. Schmidt, Schockschäden, S. 30. 144 Kritisch zu Recht Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 34; Karczewski, Schockschäden, S. 342; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 157; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46;

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Diese zusätzlichen Anforderungen sind auch inhaltlich zweifelhaft. Schiemann und Spickhoff weisen zutreffend auf die Gefahr hin, dass durch diese Vorgaben eine laienhafte „Alltagstheorie“ an die Stelle eines medizinischfachwissenschaftlichen Urteils über das Vorliegen psychischer Verletzungen gesetzt wird. 145 Zugleich kann die Ungleichbehandlung der unterschiedlichen Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB und der unterschiedlichen Beeinträchtigungsformen nicht überzeugen. 146 Vergleichbare ergänzende Anforderungen an die Beeinträchtigung stellt die Rechtsprechung weder an die Körperverletzung noch an andere Rechtsgutsverletzungen. Die erschwerte Nachweisbarkeit psychischer Beeinträchtigungen oder das erhöhte Manipulationsrisiko rechtfertigen es nicht, die materiellen Haftungsvoraussetzungen zu verschärfen.147 Vielmehr muss und darf ausschließlich die medizinische Beurteilung in Verbindung mit der Beweislastverteilung maßgeblich sein. 148 Über das Erfordernis eines pathologischen, behandlungsbedürftigen Zustandes hinausgehende Einschränkungen sind deshalb abzulehnen. cc. Das Verständlichkeitskriterium als einzig konstitutives Zurechnungskriterium Von der Schockschadensformel ist lediglich das Verständlichkeitskriterium geeignet und auch erforderlich, um die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen zu rechtfertigen. Das Kriterium ist sowohl in der haftungsbegründenden Zurechnung, als auch in der haftungsausfüllenden bei Folgeschäden anwendbar. c. Die Verständlichkeit der Reaktion Voraussetzung der Zurechnung von psychischen Gesundheitsverletzungen ist, dass es im Hinblick auf den Anlass aus der Sicht eines durchschnittlich Empfindlichen verständlich ist, eine solche zu erleiden. 149Als hinreichender Anlass werden dabei insbesondere der Tod oder eine schwere Verletzung eines nahen Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 54; Bamberger/Roth/Schubert, § 249 Rn. 70; Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 190. 145 Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 54. 146 Vgl. Karczewski, Schockschäden, S. 344 ff.; E. Schmidt, MDR 1971, 538, 540. 147 MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 190. 148 Vgl. Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 54; Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158. 149 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 453; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 149; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 149; OLG Nürnberg, NZV 2008, 38 f.; BGHZ 93, 351, 355; a.A. Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 52 f. und 55; Teichmann, JZ 2007, 1156, 1158, die einen Verzicht auf das Merkmal der Verständlichkeit fordern. Krit. bzgl. des Erfordernisses des Kriteriums Staudinger13/Hager, § 823 Rn. B 36.

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Angehörigen, 150 nicht hingegen leichte Verletzungen wie der Armbruch eines Kindes,151 die Beschädigung des Familien-Kfz 152 oder die Tötung eines Tieres153 anerkannt. Dabei soll es hinsichtlich der anerkannten Fälle unerheblich sein, ob das Anlassereignis als Zeuge beobachtet oder eine Nachricht von diesem übermittelt wurde.154 Diese durchaus konsensfähigen Ergebnisse, die von der Rechtsprechung bisher rein topisch ermittelt wurden, lassen sich durch ein System begründen, dass ausschließlich an das Verständlichkeitserfordernis anknüpft und seine Begründung in der Sorgfaltspflichtendogmatik findet. aa. Die Funktion des Verständlichkeitskriteriums Das Zurechnungskriterium der Verständlichkeit bezweckt tatsächlich, eine Gefährdung fremder Rechtsgüter festzustellen, die hinreichend ist, um einen Sorgfaltsverstoß bzgl. des betroffenen Rechtsguts zu begründen. Dabei ist – wie generell zu fordern ist – ein objektiver und somit durchschnittlicher Betroffener als Maßstab zugrunde zu legen. 155 In dem Urteil über die Verständlichkeit der Reaktion kommt zum Ausdruck, dass das Verhalten insgesamt, also einschließlich des für die Gesundheit gefahrerheblichen Umstands des (wahrscheinlichen) Erstschädigungserfolges, eine übermäßige und deshalb nicht mehr gebilligte Gefahr für das Rechtsgut des Zweitgeschädigten begründet. Auch ohne Erstbeeinträchtigung, also bei einer reinen Gefährdung des Schockgeschädigten oder einer anderen Person, fällt die Verständlichkeit ein Urteil über die Gefährlichkeit des Verhaltens hinsichtlich psychisch vermittelter Gesundheitsbeeinträchtigungen. Auf dieser Grundlage kann ebenfalls festgestellt werden, ob eine schockbedingte Zweitschädigung vom Schutzzweck eines Verhaltensgebots erfasst ist, das abstrakt auf Unfallverhütung gerichtet ist oder für den Einzelfall formuliert

150 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 453; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 151; BGHZ 93, 351, 356. 151 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 453; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155. 152 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; LG Hildesheim, VersR 1970, 720. 153 Vgl. Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 155; BGH, VersR 2012, 634; KreisG Cottbus, NJW-RR 94, 804. 154 Vgl. Adelmann, VersR 2009, 449, 453; BGHZ 93, 351, 355. Unklar nunmehr der BGH in r + s 2015, 151 Tz. 10, worin denn die „maßgebliche Bedeutung“ der Unterscheidung liegen soll, ob der tödliche Unfall der Ehefrau miterlebt oder die Nachricht übermittelt wurde. Der BGH hat bisher beide Wahrnehmungsformen explizit gleichgestellt (BGH, NJW 1971, 1883, 1884 und i.E. BGHZ 93, 351, 355. Zudem hat der BGH in den in r + s 2015, 151 Tz. 10 selbst zitierten Entscheidungen stets einen Schadensersatzanspruch gewährt, wenn die übrigen Voraussetzungen, also eine hinreichend schwere Beeinträchtigung und die Angehörigen- oder die Beteiligteneigenschaft vorlagen. Zu den weiteren Widersprüchen dieser Entscheidung vgl. Thora, NJW 2015, 1452 f. 155 Hierzu bereits S. 347 ff.

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und das hinsichtlich der Rechtsgüter eines Erstbetroffenen verletzt wurde. Lediglich wenn die Reaktion des Zweitgeschädigten verständlich war, hat das gegenüber dem Erstgeschädigten sorgfaltswidrige Verhalten zugleich eine so erhebliche Gefahr für die Rechtsgüter des Zweitgeschädigten hervorgerufen, dass das Verhaltensgebot, das stets gegen sämtliche missbilligten Gefahren gerichtet ist, zugleich wegen dieses unterbindungswürdigen Verletzungsrisikos besteht. 156 Das Verhaltensgebot bezweckt dann ebenfalls das Rechtsgut des Zweitgeschädigten zu schützten. Ein objektives Verständnis der Verständlichkeit rechtfertigt sich wiederum dadurch, dass Gegenstand die genauere Bestimmung des ex ante bestehenden Verhaltensgebots und dessen Reichweite ist, und die Abwägung im beweglichen System der Sorgfaltspflichten den Anforderungen der Prinzipienebene gerecht werden muss, die durch das Vertrauensprinzip geprägt sind. 157 Diese Herleitung begründet auch, wann es, entsprechend den bereits herausgearbeiteten Ausnahmen zum objektiv Bedrohten, nicht auf die Verständlichkeit der Reaktion ankommt. 158 Das Verständlichkeitsmerkmal ermöglicht es zudem zu berücksichtigen, dass ein und dasselbe Ereignis für unterschiedliche Personengruppen und je nach der Art der Vermittlung unterschiedlich gefährlich wirkt. Der erwartbar betroffene Personenkreis setzt sich nunmal aus den Personen in verschiedenster Nähebeziehung, etwa Angehörigen, Freunden und unbeteiligte Dritten zusammen, die das Anlassereignis auch noch verschieden wahrnehmen. Bezüglich dieser Umstände kann es deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen geben. Dieses beschränkt sich ausschließlich auf die Verletzungsresistenz. Dass die individuelle Verletzlichkeit grundsätzlich unbeachtlich ist, ändert aber nichts daran, dass auch objektivierte Personen in einer besonderen Nähebeziehung zur erstbeeinträchtigten Person, wie insbesondere Angehörige, einem gegenüber sonstigen Personen relativ erhöhten Risiko ausgesetzt sind, in ihrer Gesundheit verletzt zu werden. Ebenso wirkt sich das Medium der Ereigniswahrnehmung sogar bei objektiven Betroffenen auf das Schadensrisiko aus. Etwa birgt es weitergehende Risiken für die Gesundheit, wenn der Feuertod einer vierköpfigen Familie, die in einem brennenden Kfz eingeschlossenen ist, unmittelbare miterlebt wird, statt dieselbe Information durch die Zeitung zu erfahren. Mit der unmittelbaren optischen und sensorischen Wahrnehmung ist höhere psychische Belastung verbunden. 159

Vgl. hierzu grundlegen S. 316 ff. Vgl. S. 125 f., 139 ff., 350 f. 158 Vgl. S. 351 f. 159 So explizit BGH, r + s 2015, 151 Tz. 11.

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bb. Ausfüllung des Verständlichkeitskriteriums Wann eine psychische Reaktion „verständlich“ ist, muss noch präzisiert werden. Indem das Zurechnungskriterium ausgefüllt wird, tritt die eigentliche zurechnungskonkretisierende Wirkung ein. Dabei erwies sich die Dissertation von Park als hilfreich, der die Schockschadensfälle umfassend typologisch aufgearbeitet hat. 160 Dieser hat bereits die wesentlichen gefahrerheblichen Abwägungsfaktoren herausgearbeitet, welche nach dem hier vorgeschlagenen Modell die Verständlichkeit im Zusammenwirken zu bestimmen vermögen. Dieses Modell beruht auf einem beweglichen System auf der Grundlage von komparativen Sätzen. Park benennt insoweit Art des erstgefährdeten Rechtsguts in Verbindung mit Art und Ausmaß der Bedrohung oder Verletzung, die Nähe des Schockgeschädigten zu diesem Gut bzw. der Person sowie das Medium der Schockvermittlung, 161 die hier als Abwägungsfaktoren genutzt werden sollen. Wie hier möchte auch Spickhoff 162 das Näheverhältnis und die auf die Wahrnehmung bezogene „Betroffenheit des Opfers“ als Abwägungsfaktoren in der Verständlichkeit berücksichtigen. Die unterschiedlichen Abwägungsfaktoren stehen in keinem Rangverhältnis zueinander. Entsprechend ihrer komparativen Natur bewirkt ein Mehr an Verwirklichung des einen Faktors, dass die anderen Faktoren in geringerem Umfang verwirklicht sein müssen, damit die Reaktion als verständlich und das Verhalten hinsichtlich des Schockschadens als sorgfaltswidrig bewertet werden kann. Setzt man die Anforderungen an die Verständlichkeit und damit die Gefährdung nicht zu niedrig an, können auf der Grundlage dieses Systems angemessene Ergebnisse erzielt werden. Diese sind auch nicht auf eine rein rechtspolitische Legitimation angewiesen, sondern verfügen mit der Sorgfaltspflichtendogmatik über ein normatives Fundament. Wird etwa die Lebensgefährtin, der Ehemann oder das Kind als in einer besonderen Nähebeziehung stehende Person getötet, so sind keine besonders hohen Anforderungen an das schockvermittelnde Medium zu stellen. Entsprechend können etwa ein Anruf, eine Textnachricht oder eine Todesanzeige hinreichend sein, um die Verständlichkeit zu begründen. Mit abnehmender Gefährdungs- oder Beeinträchtigungsintensität, bei einem identischen Näheverhältnis, sind höhere Anforderungen an das schockvermittelnde Medium zu stellen, sodass zwar nicht die Nachricht von leichten oder mittelschweren Verletzungen, wohl aber die von schweren Verletzungen (etwa ein Koma infolge schwerer Traumata, Querschnittslähmung, Verlust von Gliedmaßen oder des Augenlichts) hinreichend wäre. Ist hingegen eine Person betroffen, zu der Vgl. Park, Schockschäden, S. 124 ff.; vgl. auch R. Schmidt, Schockschäden, S. 132 ff. Vgl. Park, Schockschäden, S. 82, 204. 162 Vgl. Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 57. Eine vergleichbare Abhängigkeit von Näheverhältnis und der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung bejaht etwa MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 153. 160

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keine Nähebeziehung besteht, so sind die Anforderungen im Übrigen gesteigert, sodass schwerste oder tödliche Folgen bei gleichzeitiger Anwesenheit für die Verständlichkeit der Beeinträchtigung erforderlich sind. Die bloße Wahrnehmung über das Fernsehen oder Printmedien ist wegen der eingeschränkten sensorischen Wirkung wohl selbst bei tödlichen Folgen nicht hinreichend. Deshalb lässt sich etwa durch die Berichterstattung von einem blutigen Selbstmordanschlag keine Haftung des reichen Anstifters (§§ 823 Abs. 1, 830 Abs. 2 Alt. 1 BGB) gegenüber dem nunmehr schwer depressiven Nachrichtenkonsumenten begründen. Anderes gilt allerdings gegenüber unmittelbaren Augenzeugen. Dieser Ansatz vermag auch das befürchtete Ausufern der Haftung zu verhindern, obwohl der geschützte Personenkreis relativ zur gegenwärtigen Rechtsprechung erweitert wird. Als weiterer gefahrerheblicher Abwägungsfaktor sollte die Typizität des Umgangs des Betroffenen mit entsprechenden schockauslösenden Ereignissen erwogen werden. 163 Bei einem längerfristigen berufsbedingten Umgang mit entsprechenden Ereignissen, etwa bei hauptberuflichen Rettungskräften, ist eine psychische Reaktion weit weniger verständlich als etwa bei unfreiwilligen Zeugen oder freiwillig nach einem Unfall Hilfeleistenden. Natürlich kann man gegen dieses flexible Modell Bedenken haben. Es ist in einem gewissen Umfang unbestimmt, woraus ein Verlust an Rechtssicherheit folgen könnte. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nicht unbestimmter ist als die „übliche“ Festsetzung von Sorgfaltspflichten und es würde wie diese durch die Rechtsprechung stetig konkretisiert werden. Tatsächlich fügen sich viele der bereits ergangenen Entscheidungen nahtlos in das System ein. Im Gegenzug führt das bewegliche System, das dem Verständlichkeitskriterium zugrunde liegt, zu gerechteren Ergebnissen als das bisherige Tatbestandsmodell. Ob dabei der vorgeschlagene Katalog der Abwägungsfaktoren abschließend ist, wird bewusst offengelassen. Die hier angestellten Erwägungen lassen sich – sogar deutlich vereinfacht – auf Zwei-Personen-Verhältnisse übertragen. Dies umfasst die Fälle, in denen der Schockgeschädigte selbst lediglich gefährdet oder die Beeinträchtigung durch eine Selbstschädigung des Zurechnungssubjekts hervorgerufen wird. Verbrennt sich etwa ein Aktivist aus politischen oder religiösen Motiven auf einem stark frequentierten Platz selbst, mit dem Ziel, durch Passanten wahrgenommen zu werden, sind die psychischen Schäden der Augenzeugen dieses Vorgangs zurechenbar. Die schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Folgen anwesender Beobachter, die durch die schrecklichen Bilder und Schreie 163 Vgl. auch MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 191. Der BGH hat Ersatzansprüche von Helfern im Gegensatz zu zufällig anwesenden Zeugen nicht absolut ausgeschlossen, vgl. BGH, JZ 2007, 1154, 1155 f. (der Leitsatz spricht von „regelmäßig“); dazu Teichmann, JZ 2007, 1156.

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hervorgerufen werden, sind auch ohne Nähebeziehung verständlich, da das gravierende Anlassereignis unmittelbar wahrgenommen wurde. Das Verhalten ist sorgfaltswidrig, weil vermeidbar eine übermäßige Gefährdung der Gesundheit anderer hervorgerufen wird. Teilweise wird zwar vertreten, die Zurechnung sei im Falle der Selbstschädigung absolut ausgeschlossen, weil gegen diese Verhaltenspflichten bestünden.164 Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Auf den maßgeblichen Umstand weist der BGH – im Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung – selbst hin. Der sich selbst Schädigende hat nämlich „kein Recht“ dazu, anderen eine Situation aufzuzwingen, die deren Rechtsgüter gefährdet.165 Diese Betrachtung ist auch keineswegs systemwidrig. Inhalieren etwa Jugendliche Lösungsmittel, um sich zu berauschen, woraufhin einer das Bewusstsein verliert und beim Umfallen einen seiner Kameraden vom Fahrrad reißt, so würde auch niemand auf die Idee kommen, dass die Sturzschäden des Umgerissenen nicht zugerechnet werden, weil eine Selbstschädigung als Auslöser dient und gegen diese kein Verbot bestehen könne. Die zuvor ausgeführten Maßstäbe gelten auch im Falle der reinen Gefährdung des Schockgeschädigten. Übergießt etwa der Aktivist unerwartet und unabgesprochen einen Miteiferer mit Benzin und versucht im Anschluss erfolglos, den um sein Leben Bettelnden anzuzünden, so ist wegen der präsenten und unmittelbaren Bedrohung von Leib und Leben ein Schockschaden desselben verständlich und das Verhalten hinsichtlich des Rechtsguts Gesundheit sorgfaltswidrig. d. Zurechnung nicht verständlicher Reaktionen Das Verständlichkeitskriterium ist dem Vertrauensprinzip geschuldet. Dieses hat zur Folge, dass als Maßstab für das Gefährdungsurteil ein objektiver Bedrohter zugrunde zu legen ist, etwa ein durchschnittlich psychisch stabiler Angehöriger oder Zeuge des schockauslösenden Ereignisses. Es handelt sich lediglich um eine Sonderkonstellation der verminderten Verletzungsresistenz, sodass die bereits herausgearbeiteten Ausnahmen von den allseitig objektiven Sorgfaltspflichten166 ebenfalls anwendbar sind. Mangels schutzwürdigen Vertrauens können nicht verständliche Beeinträchtigungen zugerechnet werden, wenn die Sorgfaltsanforderungen wegen der erkennbaren psychischen Verletzungsanfälligkeit des konkreten Schockgeschädigten subjektiviert sind. Ein auf die individuelle psychische Schadensanfälligkeit bezogenes Verhaltensgebot ist immer dann gegeben, wenn die kon-

164 Vgl. R. Schmidt, Schockschäden, S. 139 f.; Karczewski, Schockschäden, S. 388 f.; BGHZ 56, 163, 170 f. 165 Vgl. BGH, NJW 1986, 777, 778. 166 Zu diesen Ausnahmen oben S. 351 f.

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krete Labilität ex ante bekannt oder erkennbar war. Da die individuelle psychische Verfassung allerdings nur selten äußerlich erkennbar ist, dürfte zumeist nur die positive Kenntnis eine entsprechende Wirkung entfalten. Beispielsweise ist dem Nachbarn die psychische Anfälligkeit einer alten Dame bezüglich Verletzungen ihrer Katze bewusst, weil sie bei früheren Vorkommnissen bereits einen Nervenzusammenbruch erlitten hat. Er handelt deshalb bezüglich der Gesundheit der Eigentümerin sorgfaltswidrig, wenn er das in seinen Garten kotende Tier aus Wut erschießt oder vergiftet und die Rentnerin deshalb einen Schock mit anschließender schwerer Depression erleidet. 167 Das Gleiche gilt, wenn der Nachbar wiederum ohne Verletzungsvorsatz im „Scherz“ der alten Dame erklärt, er habe das Kotproblem gelöst, weil er soeben die Katze aus Versehen überfahren habe, woraufhin die gleichen Folgen eintreten. Unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einer Primärbeeinträchtigung durch den Tod der Katze gekommen ist, muss der Nachbar nicht das durchschnittliche, sondern das konkret bekannte Verletzungspotenzial bei seinem Verhalten berücksichtigen. Da die individuelle Gefährdung dem Verhaltensgebot in der Form der Sorgfaltspflicht zugrundezulegen ist, erzeugt er jeweils ein missbilligtes Risiko für das Rechtsgut Gesundheit der Dame, sodass der realisierte Erfolg zuzurechnen ist. Nicht verständliche psychische Reaktionen sind darüber hinaus zurechenbar, wenn ein abstraktes Verhaltensgebot gerade auch vor diesen schützen soll. Das Verbot der Weitergabe von Medien mit der Einstufung „keine Jugendfreigabe“ gem. §§ 12 Abs. 3, 14 JuSchG dient dem Schutz von Jugendlichen auch vor psychischen Schäden, die deren verminderter Verletzungsresistenz geschuldet sind. Wird eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung durch den verbotswidrig ermöglichten Konsum verursacht, so ist es für die Zurechnung unerheblich, dass eine derartige psychische Reaktion bei einem Erwachsenen nicht verständlich gewesen wäre. Weitere abstrakte Verhaltensgote, die eine entsprechende Schutzrichtung aufweisen, sind dem Verfasser allerdings nicht bekannt, weswegen dieses Beispiel erneut verwendet wurde. e. Genereller Ausschluss der Zurechnung von Schockschäden? Teilweise wird in der Literatur angezweifelt, ob Schockschäden in den Schutzbereich von Normen oder Sorgfaltspflichten einzubeziehen sind. Es wird somit im Ergebnis zugleich die Möglichkeit abgelehnt, dass gegen die psychisch vermittelte Gesundheitsbeeinträchtigung gerichtete Verhaltensgebote bestehen können. Die Zurechnung von Schockschäden wird kritisiert, weil die Haftung denjenigen begünstige, der sich seinem Leid ergebe, und demgegenüber denjenigen benachteilige, der tapfer dem Schicksalsschlag begegne.168 Dabei 167 Dazu, dass die Tötung eines Haustieres grundsätzlich keine Zurechnung des Schockschadens begründet, vgl. BGH, VersR 2012, 634; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 40. 168 Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 35; ders., FS Jaeger, 191, 195.

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schwingen augenscheinlich Zweifel an der hier zugrunde gelegten Erwägung mit, auch ein objektiver bzw. durchschnittlicher Betroffener könne infolge schrecklicher Ereignisse unfreiwillig eine psychische Beeinträchtigung erleiden.169 Brand wirft insoweit die Frage auf, ob es sich beim Schockschadensersatz sogar um eine „Weicheiprämie“ handle. 170 Der Kritik ist zuzugeben, dass gravierende psychisch vermittelte Beeinträchtigungen nicht die Regel sind. Diejenigen, die eine solche erleiden, entscheiden sich allerdings nicht für die psychische Beeinträchtigung, sondern diese ereilt sie letztendlich unfreiwillig. Das Risiko ihres Eintritts ist mit dem schockauslösenden Ereignis untrennbar verbunden. Schockgeschädigten generell einen Ersatzanspruch zu verweigern ließe sich deshalb allenfalls rechtfertigen, wenn psychische Beeinträchtigungen infolge traumatischer Erlebnisse stets auf einer besonderen Labilität des Geschädigten beruhen.171 Dann bestünde grundsätzlich keine hinreichende Gefahr entsprechender Gesundheitsverletzungen, die die Zurechnung des Beeinträchtigungserfolges über Sorgfaltspflichten rechtfertigen könnte.172 Zunächst ist insoweit klarzustellen, dass es nicht erforderlich ist, dass stets oder zumeist eine psychische Beeinträchtigung entsteht, um Sorgfaltspflichten zu begründen bzw. deren Schutzzweck auf psychische Beeinträchtigungen zu erstrecken und so die Zurechnung zu rechtfertigen. Ebenso ist es nicht maßgeblich, ob wirklich jeder eine Gesundheitsschädigung, bspw. in der Form eines anlassbedingten Psychotraumas, erleiden kann. Sorgfaltspflichten werden bereits durch eine erhebliche objektive Gefährdung eines aus der Gesamtschau der potenziell Betroffenen zu ermittelnden Durchschnittsbedrohten erzeugt. Legt man beim Gefährdungsurteil nicht das „Musterbeispiel seelischer Gefasstheit“, sondern einen Durchschnittsmenschen zugrunde, besteht bei einem hinreichenden Anlass durchaus ein relevantes Risiko. Nach einem Blick in die einschlägige Literatur muss der Verdacht, die psychisch vermittelte Beeinträchtigung beruhe stets auf einer besonderen Labilität des Geschädigten, als wohl unzutreffend zurückgewiesen werden. Dass eine S. 366 ff. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 35; ders., FS Jaeger, 191, 195; krit. dazu, dass seelische Erkrankungen ein Ausdruck von Schwäche, mangelnder Selbstbeherrschung oder des Kontrollverlustes seien Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 46; zur historisch-gesellschaftlichen Bewertung von Psychotraumata eingehend Seidler, in: Maerker (Hrsg.), Belastungsstörung, 4 ff. und Eckart, in: Seidler/Eckart (Hrsg.), Seelen, 85 ff. 171 In diese Richtung Brand, FS Jaeger, 191, 195; R. Schmidt, Schockschäden, S. 4 attestiert individuellen Prädispositionen ein hohes Maß an Einfluss bezüglich der Entstehung von Schockschäden; so auch, allerdings bzgl. psychischer Folgeschäden, G. Müller, VersR 1998, 129, 132. 172 Vgl. oben S. 349, 367; zum Ausnutzen einer besonderen Verletzungsanfälligkeit und den anderen Konstellationen der Zurechnung nicht verständlicher Reaktionen (oben S. 371 f.) wird von den Kritikern keine ausdrückliche Aussage getroffen. 169

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zur Begründung von Sorgfaltspflichten hinreichende Gefährdung bei einem geeigneten Anlassereignis durchaus besteht, kann anhand der posttraumatischen Belastungsstörungen173 veranschaulicht werden, die – wie die Rechtsfigur Schockschäden – an das Erleben eines traumatischen (Anlass-)Ereignisses anknüpfen. Wegen der Häufigkeit anlassbedingter Psychotraumata und der Vielzahl der „Risikofaktoren“ 174, die die Wahrscheinlichkeit eines solchen erhöhen, 175 muss davon ausgegangen werden, dass bei einem durchschnittlichen Bedrohten bei einem hinreichenden Anlass ein missbilligungswürdig hohes Risiko besteht. Dies wird etwa dadurch deutlich, dass die Wahrscheinlichkeit eines Psychotraumas (Einjahresprävalenz) bei Opfern von Vergewaltigungen über 35 %, bei schweren Gewalthandlungen 10,5 % und bei schweren Verkehrsunfällen 12,8 % beträgt.176 Dabei besteht bei ereignisbezogenen psychischen Beeinträchtigungen durchaus ein direkter Zusammenhang zwischen der Art und der Schwere der Ursache auf der einen Seite und der Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung auf der anderen Seite.177 Ein erhebliches Risiko eines Psychotraumas besteht zudem nicht nur für die Personen, die dem Ereignis unmittelbar ausgesetzt sind, sondern ebenso für Zeugen des Ereignisses178 und bei der Übermittlung der Information, dass eine nahestehende Person von solch einem schweren Ereignis betroffen war. 179 In Anbetracht des erheblichen Eintrittsrisikos ist ein pauschaler Ausschluss psychischer Beeinträchtigungen aus dem Schutzbereich der Haftungsnormen somit nicht gerechtfertigt. Sofern sich allerdings der Schockgeschädigte in dem

Nach ICD 10 (International Classification of Diseases, 10. Fassung) bzw. DSM 5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5. Fassung). 174 Der Begriff der Risikofaktoren ist dabei medizinisch-statistisch zu verstehen. Er umfasst Prädispositionen, wie etwa frühere Traumata, aber auch andere Umstände wie bspw. ein geringes Alter, einen geringen sozioökonomischen Status, mangelnde Bildung, eine geringere Intelligenz oder das Geschlecht. Vgl. zu diesen Faktoren Brewin/Andrews/Valentine, Journal of Consulting and Clinical Psychology 68 (2000), 748, 751. 175 Vgl. Brewin/Andrews/Valentine, Journal of Consulting and Clinical Psychology 68 (2000), 748 ff.; Friedmann, in: Friedmann u.a. (Hrsg.), Psychotrauma, S. 14, 20; Lautenbacher/Gauggel, Neuropsychologie, S. 244 ff. Zu den Risiko- und Schutzfaktoren, sowie anderen Einflüssen auf den Verlauf auch Maercker, in: ders. (Hrsg.), Belastungsstörung, 36 ff. 176 Epidemiologie nach Maercker/Forstmeier/Wagner/Glaesmer/Brähler, Nervenarzt 2008, 577 ff. 177 Vgl. Maercker, in: ders. (Hrsg.), Belastungsstörung, 36 ff.; Brewin/Andrews/Valentine, Journal of Consulting and Clinical Psychology 68 (2000), 748, 751. 178 Vgl. Maercker/Forstmeier/Wagner/Glaesmer/Brähler, Nervenarzt 2008, 577, 584. 179 Zur entsprechenden Traumadefinition Maercker, in: ders. (Hrsg.), Belastungsstörung, 14 f. 173

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Sinne „seinem Leid ergibt“, dass er sich vorwerfbar den Schockschaden verstärkend oder dessen Heilung hindernd verhält 180, ist dieses Verhalten unter dem Aspekt des Mitverschuldens gem. § 254 BGB zu berücksichtigen. f. Ergebnis Die Zurechnung von psychischen Beeinträchtigungen beruht nicht auf einem eigenständigen System, sondern sie folgt den allgemeinen Regeln. Schockschäden sind im Ausgangspunkt zurechenbar, wenn die Beeinträchtigung als psychische Reaktion verständlich ist. Dieses konkretisierende Merkmal objektiver Zurechnung hinterfragt, ob mit dem Verhalten des Zurechnungssubjekts eine Gefahr bezüglich der konkreten Gesundheitsschädigung für einen objektiven, durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer verbunden ist, die einen Sorgfaltsverstoß bzgl. dieses psychisch vermittelten Erfolges und somit dessen Zurechnung zu rechtfertigen vermag. Das Merkmal bestätigt die zurechnungsbegründende Gefährdung sowohl für Primärbeeinträchtigungen (Haftungsbegründung), als auch für aus einer solchen resultierende Folgeschäden (Haftungsausfüllung bzw. Folgenzurechnung). Ob die Reaktion verständlich ist, bestimmt sich anhand eines beweglichen Systems aus den gefahrerheblichen Umständen. Dies sind die Art des erstgefährdeten Rechtsguts in Verbindung mit Art und Ausmaß der Bedrohung oder Verletzung, die Nähe des Schockgeschädigten zu diesem Gut bzw. der Person sowie das Mediums der Schockvermittlung. Ergänzend ist noch eine mögliche Typizität des Umgangs mit derartigen schockauslösenden Ereignissen zu berücksichtigen. Im Gegensatz zur herrschenden Tatbestandslösung bestimmen diese Merkmale das Gefährdungspotenzial komparativ, um die Zurechnung im Zusammenwirken der Elemente letztendlich zu rechtfertigen. Eine stärkere Ausprägung bzw. ein größeres Gewicht eines Merkmals führt zu geringeren Anforderungen an die anderen Merkmale. Lediglich die Typizität des Umgangs mit entsprechenden Ereignissen führt, aufgrund ihrer rein gefahrvermindernden Natur, ausschließlich zu gesteigerten Anforderungen an die anderen Faktoren.

180 Zur Bedeutung von posttraumatischen Umständen vgl. Maercker, in: ders. (Hrsg.), Belastungsstörung, 36, 38 ff. Dabei ist zu beachten, dass die häufig unbewussten, als Aufrechterhaltungsfaktoren (Maercker, in: ders. (Hrsg.), Belastungsstörung, 36, 38) wirkenden Vorgänge, wie bspw. das Entwickeln unangemessener Schuldgefühle, etwa die sog. Überlebensschuld („eigentlich hätte ich (mit) sterben müssen“) oder die negative Reattributierung des Ereignisses („hätte ich mich auf diese Weise anders verhalten, wäre es nicht passiert“), selten den Vorwurf eines Verschuldens gegen sich selbst rechtfertigen werden. Anderes kann gelten, wenn medizinische Hilfe oder angebotene soziale Unterstützung (zu deren großen Bedeutung Maercker, in: ders. (Hrsg.), Belastungsstörung, 36, 39; Brewin/Andrews/Valentine, Journal of Consulting and Clinical Psychology 68 (2000), 748, 751) nicht in Anspruch genommen und so der Krankheitsverlauf negativ beeinflusst wird.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Nicht verständliche Schockschäden sind nur ausnahmsweise zurechenbar. Dies ist zunächst der Fall, wenn das Verhaltensgebot subjektiviert ist, weil die besondere psychische Anfälligkeit des konkreten Schockgeschädigten dem Schädiger bekannt oder erkennbar ist. Daneben können abstrakte Verhaltensgebote den Schutz bestimmter besonders anfälliger Personen vor bestimmten Beeinträchtigungsformen bezwecken. In beiden Ausnahmefällen ist es nicht geboten und methodisch sogar unzulässig, die Zurechnung über das Verständlichkeitskriterium auszuschließen. 3. Psychisch vermittelte Kausalität Eine weitere Fallgruppe kritischer Zurechnung ist die sog. psychisch vermittelte Kausalität. Der Problemkreis wird zuweilen unter dem Begriff der Herausforderungsfälle 181 gefasst. 182 Er unterscheidet sich von den zuvor behandelten Schockschäden dadurch, dass zwischen das Verhalten des Zurechnungssubjekts, das den Anknüpfungspunkt der Haftung bildet, und die Beeinträchtigung des Opfers noch der Willensentschluss entweder des Geschädigten selbst 183 oder der eines Dritten184 tritt.185 Gerade dieser Umstand macht es besonders prekär, die Verantwortung des lediglich einen Anreiz setzenden Schädigers zu begründen. Die folgende Untersuchung beschränkt sich darauf, die psychisch vermittelte Kausalität als Zurechnungsproblem zu erfassen und diese in die Zurechnungs- und Sorgfaltspflichtendogmatik einzuordnen. a. Psychisch vermittelte Kausalität als Zurechnungsproblem Einen Erfolg zuzurechnen erscheint problematisch, wenn dieser erst durch einen fremden Willensentschluss herbeigeführt wurde und der letztendliche 181 Ebenso Mädrich, Lebensrisiko, S. 102 ff.; Zimmermann, JZ 1980, 10,13. Häufig wird auch – mit unterschiedlichem Gehalt – von der Unterbrechung des Haftungs-, Ursachenzusammenhangs oder Zurechnungszusammenhang gesprochen, vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 104 ff.; Larenz, NJW 1955, 109 f.; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 58. 182 Vgl. Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 161; Niebaum, NJW 1976, 1673; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 58. 183 Insbes. die „Verfolgungsfälle“ und „Retterfälle“. 184 Hierunter fallen die sog. „Grünstreifenfälle“. 185 Vgl. Forst, Grenzen, S. 19 f.; Lang, Normzweck, S. 156; Niebaum, Haftung, S. 19. Ist der fremde Willensentschluss nicht Durchgangsstadium des Kausalverlaufs, handelt es sich nicht um einen Fall psychisch vermittelter Kausalität. So beispielsweise bei „normalen“ Kettenunfällen. Wird ein Fahrzeugführer jedoch durch einen Unfall zum Anhalten gezwungen, woraufhin ein Fahrzeug in das nunmehr stehende Kfz fährt, ist hinsichtlich der Haftung des Verursachers des Erstunfalls ein Fall psychisch vermittelter Kausalität gegeben, da das Anhalten auf einem – wenn auch wenig freiwilligen – Entschluss des Geschädigten beruht.

§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien

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Schädiger in seiner Willensbildung frei war. Wieso sollte man für eine autonome Entscheidung anderer verantwortlich sein? Man könnte natürlich daran zweifeln, ob es so etwas wie Willensfreiheit wirklich gibt. Ist durch die Umstände vorbestimmt, wie wir auf ein Anlassereignis reagieren, so erscheint der vom Zurechnungssubjekt angestoßene und letztendlich zwingende Kausalverlauf in einem ganz anderen Licht. Die (rechts-)philosophische Auseinandersetzung über die Existenz oder eben Nichtexistenz menschlicher Willensfreiheit hat im Ergebnis gleichwohl keinen Einfluss auf die Zurechnung. 186 Auch die neuropsychologischen Zweifel an der Willensfreiheit 187 erfordern (derzeit) kein neues, willenskritisches Verständnis des Privatrechts188 und in dessen Zuge der Zurechnung. Für die Annahme rechtlicher Verantwortung ist im Ausgangspunkt von einer freien Willensbildung des Menschen auszugehen, die jedoch der mehr oder weniger bestimmenden Einflussnahme nicht entzogen ist. Obwohl unter diesen Rahmenbedingungen das Ergebnis der Willensbildung ex ante nicht feststeht, ist es diese Möglichkeit der Einflussnahme, die die Zurechnung zu rechtfertigen vermag. Sie ist bei der psychisch vermittelten Kausalität der maßgebliche Anknüpfungspunkt des Gefährdungsurteils der Sorgfaltspflichten- und damit Zurechnungsdogmatik der Verschuldenshaftung. Für die haftungsrechtliche Verantwortung ist die Zurechnung des Verletzungserfolges zum Verhalten des psychisch Einflussnehmenden maßgeblich. Dieses erschöpft sich darin, eine zu gefährlichem Verhalten anreizende Situation zu schaffen. Zwischen der haftungsbegründenden Rechtsbeeinträchtigung und dem Verhalten steht allerdings noch der autonome, freiwillige Entschluss des Verletzten oder des Dritte Verletzenden. Das über die bloße Ursächlichkeit des Verhaltens hinausgehende Urteil der Urheberschaft für den zunächst fremden Verletzungserfolg setzt deshalb voraus, dass wegen des ex ante bestehenden Gefährdungspotenzials der Erfolg zumindest auch als die Tat des Zurechnungssubjekts erscheint. 189

186 Vgl. dazu den Überblick bei Forst, Grenzen, S. 3 ff. und hierzu auch Henkel, Festschrift Larenz 70, 3, 14 ff.; Deutsch, Festschrift Honig, 33, 35 f.; Larenz, Zurechnungslehre, S. 66. 187 Vgl. Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 160 ff. m. umf. Nachw. 188 Vgl. allgemein Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil, § 10 Rn. 12 ff. und zum Recht der Willenserklärung Mankowski, AcP 211 (2011), 153, 173 ff., jew. m. w. Nachw. 189 Soweit behauptet wird, dass die Zurechnung eine Zuweisung der Verantwortung zwischen ausschließlich alternativ verantwortlichen Subjekten bezweckt (vgl. Forst, Grenzen, S. 123; in diese Richtung auch Larenz, NJW 1955, 1009, 1012; ders. Schuldrecht I, § 27 III 4, S. 450 und III 5, S. 453), kann dem nicht zugestimmt werden. Ein derartiges Verständnis der Zurechnung, das in Zwei-Personen-Verhältnissen zwischen dem Einflussnehmenden und dem sich selbst schädigenden Beeinflussten vordergründig einleuchtend wirkt, muss bei Drei-Personen-Verhältnissen in die Irre führen. Es kann für die Verantwortlichkeit des Zurechnungssubjekts gegenüber dem Geschädigten nicht darauf ankommen, in welcher Relation dessen Beitrag zu dem des die Schädigung unmittelbar Herbeiführenden steht, wer also

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Es mangelt insoweit an zumeist speziellen Verhaltensgeboten, wodurch es schwierig ist, die Zurechnung zu begründen. Ein allgemeines Verbot, andere zu selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten zu veranlassen, das als möglicher Anknüpfungspunkt eines Sorgfaltsverstoßes dienen könnte, besteht nämlich nicht.190 Auch die meisten abstrakt formulierten Verhaltensgebote, deren Verletzung die anreizende Situation begründet, beinhalten ihrem Schutzzweck nach nicht zugleich das Verbot, andere zu gefährlichem Verhalten zu verleiten.191 Beispielsweise soll ein Rotlicht an einem Fußgängerüberweg lediglich die Selbstgefährdung von Fußgängern sowie die Fremdgefährdung bzgl. des kreuzenden Verkehrs ausschließen. Es enthält hinsichtlich der Einflussnahme auf eine fremde Psyche jedoch kein Verhaltensgebot, etwa im Sinne einer „Vorbildpflicht“. Wann sind nun aber ein fremder Willensentschluss und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen zu verantworten? Die echte fremde Willensherrschaft, in der Form mittelbarer Täterschaft, und die vorsätzliche Anstiftung bei Drittschädigungen werfen keine besonderen Probleme auf. Insoweit bestehen Verhaltensverbote, die gegen die Einflussnahme gerichtet sind. Derartige Verbote beinhalten etwa §§ 25 Abs. 1 Alt. 2, 26 StGB und § 830 Abs. 2 BGB, jeweils im Zusammenspiel mit anderen Verhaltensgeboten für den Handelnden, etwa aus dem StGB oder dem BGB. Das Gleiche gilt, wenn die anreizende Situation geschaffen und dabei ein spezielles Verhaltensgebot verletzt wird, das selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten unterbinden soll. Die Zurechnung wird dann bereits mit dem entsprechenden Sorgfaltsverstoß begründet. Eine weitergehende Zurechnungsbeschränkung ist weder erforderlich noch dogmatisch zulässig. Der Schutzzweck des Verhaltensgebots gebietet – soweit er einschlägig ist – die Zurechnung gerade uneingeschränkt. In allen anderen Fällen muss die Zurechnung, trotz der Eigenverantwortlichkeit desjenigen, der

„mehr“ verantwortlich ist. Es kommt ausschließlich darauf an, ob eine hinreichende Beziehung zwischen Zurechnungssubjekt und Geschädigtem besteht, also ob dieser „genug“ verantwortlich ist. 190 Zur Selbstgefährdung BGH, VersR 1978, 183, 184; NJW 1986, 1865 mit dem zutreffenden Hinweis auf die Ausnahme im Falle der Herausforderung; NZV 1991, 109, 110; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823, Rn. 30. 191 Zuweilen existieren entsprechende Verhaltensgebote, etwa infolge Normen (z.B. § 22 Abs. 1 und 3 SprengG; § 21 I Nr. 2 StVG (nur für mittelbare Fremdgefährdung, vgl. BGH, NZV 1991, 109) oder Verkehrspflichten die gerade selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten ausschließen sollen. Etwa muss der Veranstalter eines Radrennens auf einer öffentlichen Straße richtig positionierte und instruierte Ordner aufstellen, welche das zulässige Queren der Rennstrecke durch Zuschauer sichern und bei Gefahr unterbinden (OLG Stuttgart, VersR 1984, 1098). Insoweit ist die psychisch veranlasste Eigen- (Fußgänger) und Fremdgefährdung (Radfahrer) Inhalt der Verkehrspflicht geworden. Eine ähnliche Verpflichtung besteht für die Betreiber einer Trampolinanlage, die Benutzer von Sprüngen abhalten müssen, die für diese erkennbar gefährlich sind (BGH, NJW 2008, 3775). Eingehend hierzu weiter unten.

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die Beeinträchtigung letztendlich herbeiführt, besonders gerechtfertigt werden.192 Die Zurechnung richtet sich dann ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen des Verschuldensprinzips, sodass das Verhalten des Einflussnehmenden eine vermeidbare übermäßige Gefährdung für fremde Rechtsgüter und somit eine eigenständige Sorgfaltspflichtverletzung begründet haben muss. 193 Sinnvollerweise kann jedoch nicht jede Einflussnahe auf die fremde Willensbildung die Zurechnung auslösen, die eine Gefahr eines Willensentschlusses erzeugt, der zu Schäden führen kann. Die Gretchenfrage ist dabei die, welches Erwartungsspektrum bezüglich des Verhaltens Dritter in das Gefährdungsurteil einzubeziehen ist, das aus der ex ante-Perspektive zu bilden ist. Man könnte insoweit auf die Idee kommen, Anleihen bei der allgemeinen Ansicht zur besonderen Verletzlichkeit der Person zu nehmen. Man könnte entsprechend behaupten, ein jeder müsse die Personen, auf deren Verhalten er Einfluss nimmt, „so nehmen, wie sie nun mal ist“ oder man habe „keinen Anspruch darauf, so behandelt zu werden, als habe man eine vernünftige, rational handelnde Person beeinflusst“. Sinnfreie Folge wäre jedoch, dass etwa ein Professor, der durch seine Notengebung die Exmatrikulation eines Studenten bewirkt hat, rechtswidrig dessen Selbstmord oder sogar Amoklauf herbeigeführt hätte. Den gleichen Vorwurf träfe übrigens die Lebensgefährtin, die mit ihrer Trennung von dem erfolgslosen Karrierejuristen einen Beitrag zu dessen psychischem Zusammenbruch geleistet hat. Die drohende Haftung ausschließlich an der Vorhersehbarkeit des Erfolges scheitern zu lassen, erscheint nicht überzeugend und auch nicht hinreichend.194 Dass ein derartiges sozialadäquates Verhalten weder rechtswidrig, noch der Erfolg zurechenbar ist, ist eigentlich selbstverständlich und wird auch nicht wirklich behauptet.195 Zugleich darf aber auch ein entsprechendes rechtswidriges Verhalten, etwa eine nicht gerechtfertigte Notengebung aus bloßer Antipathie, die Haftung noch nicht begründen. Im Ergebnis besteht dabei weitestgehend Einigkeit, dass eine Verletzung zugerechnet wird, die durch schädigendes Verhalten einer anderen Person ver-

192 Zu weitgehend Lang, Normzweck, S. 156, der wohl annimmt, es gäbe stets ein bereits verletztes Verhaltensgebot, das als Grundlage einer schutzzweckorientierten Zurechnungsbeschränkung dienen könne. 193 Vgl. v. Caemmerer, DAR 1970, 283, 291; Zimmermann, JZ 1980, 10, 12. 194 Ob beispielsweise amoklaufbedingte Fremdtötungen durch frustrierte Schüler stets unvorhersehbar sind, kann in Zeiten, in denen die Gefahr allgemein bekannt ist, es an Schulen teilweise Übungen zum richtigen Verhalten bei solchen Ereignissen und spezielle Einsatzpläne der Polizei gibt, keineswegs eindeutig beantwortet werden. 195 Zu diesem Ergebnis könnte jedoch Forst (Grenzen, S. 147) gelangen, der bei der Bestimmung der fremdhandelnsbezogenen Sorgfaltspflichten das gesamte der Menschheit zum Handlungszeitpunkt zur Verfügung stehende Wissen zugrunde legen möchte.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

ursacht wurde, sofern sich diese zu ihrem gefährlichen Verhalten „herausgefordert fühlen durfte“. 196 Dieses auf Larenz197 zurückgehende Zurechnungskriterium drückt aus, dass die grundsätzlich freie und autonome Entscheidung eines anderen durch externe Einflüsse ausgelöst und in ihrer Tendenz in spezifischer Weise beeinflusst wurde, ohne dass dabei Fremdkontrolle bestand. Gerade das Fehlen von Fremdkontrolle macht es erforderlich, die getroffene Entscheidung daraufhin zu überprüfen, ob der Beitrag des Zurechnungssubjekts auch wirklich die übermäßige und damit zu missbilligende Gefahr begründet hat, einen Entschluss hervorzurufen, der seinerseits in der Umsetzung gefährlich war. Nur dann wird sorgfaltswidrig ein Risiko für fremde Rechtsgüter begründet. Diese wertende Entscheidung soll anhand der aus dem larenzschen Kriterium fortentwickelten „Herausforderungsformel“ 198 gefällt werden. b. Die Herausforderungsformel Die Zurechnung nach der Herausforderungsformel wird mit teilweise unterschiedlicher Akzentuierung und leicht abweichenden Formulierungen unter folgenden kumulativen Voraussetzungen bejaht: Die Reaktion auf eine – zwar in der Regel, aber nicht notwendig bereits sorgfaltswidrig – herbeigeführte Situation muss im Hinblick auf Anlass und Risiken vernünftig und angemessen gewesen sein, sodass sich der Reagierende deshalb „herausgefordert fühlen durfte“. 199 Darüber hinaus müssen sich die besonderen Gefahren des herausgeforderten Verhaltens realisiert haben200 und die herausgeforderte Reaktion muss für das Zurechnungssubjekt vorhersehbar gewesen sein.201 Ein genauerer Blick auf die einzelnen Komponenten der Herausforderungsformel offenbart, dass deren Merkmale zumeist lediglich die allgemeinen Anforderungen des

196 Vgl. Görgens, JuS 1977, 709, 714; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 41; Lang, Normzweck, S. 156; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1005 ff.; Mädrich, Lebensrisiko, S. 102 ff.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 170; RGRK/Steffen, § 823 Rn. 95; Weber, Festschrift Steffen, 507, 515; Zimmermann, JZ 1980, 10, 12 ff.; BGH NJW 1998, 2830, 2832; 2000, 3358, 3360; 2001, 512, 513; 2002, 2232, 2233; kritisch zum Herausforderungskriterium, Niebaum, Haftung, S. 59 f.; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 49. 197 Vgl. Larenz, Karlsruher Forum 1959, 10, 11; dens, Festschrift Honig, 79, 87; dens., Schuldrecht I § 27 III 5, S. 452 ff. 198 Vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10; Strauch, VersR 1992, 932, 934; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 20; Deutsch, Haftungsrecht, S. 106. 199 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 38; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 6, S. 457; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1007; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 171 f. 200 Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 653 ff.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 173. 201 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 38; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 174; BGHZ 132, 164, 171.

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Sorgfaltspflichtensystems wiederholen. Ausschließlich das Merkmal der Herausforderung ist ein spezielles Zurechnungskriterium, das den Besonderheiten der psychischen Vermittlung Rechnung trägt. aa. Die überwiegend deklaratorische Natur der Formel Als überflüssig erweist sich zunächst das Merkmal, dass sich im Verletzungserfolg die spezifischen Risiken realisiert haben müssen, die mit dem herausgeforderten Verhalten verbunden sind. Es wiederholt lediglich das allgemeine Erfordernis des Schutzzweckzusammenhangs. Der Zweck des Merkmals, das „allgemeine Lebensrisiko“ aus der Zurechnung auszuscheiden, ist präziser formuliert zu bestätigen, dass der Erfolg vom Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots umfasst ist.202 Zwar ist es bei den Fällen psychisch vermittelter Kausalität besonders sinnfällig, diesen Umstand zu betonen. Dies gilt insbesondere, wenn es um „Berufsrisiken“ als Sonderfall des „allgemeinen Lebensrisikos“ geht, das durch den fehlenden Schutzzweckzusammenhang begründet wird. Fällt etwa einem Rettungstaucher, der zu einer Rettungsmission aufbrechen will, eine Sauerstoffflasche auf den Fuß und bricht diesem einige Zehen203 oder erleidet der zu einem Unfall gerufene, normal fahrende Streifenwagen einen Verkehrsunfall, so realisiert sich lediglich das Berufsrisiko der Rettungskräfte und nicht ein gesteigertes Risiko des Verhaltens des Zurechnungssubjekts. 204 Lediglich für die gesteigerten Risiken der Berufsausübung, wie etwa eine „Blaulichtfahrt“,205 hat der Schädiger einzustehen. 206 Trotz der hohen Relevanz kommt diesem Merkmal also keine Wirkung zu, die über die allgemeingültigen teleologischen Zurechnungsschranken hinausgeht. Es ist folglich entbehrlich. Auch das nur teilweise geforderte letzte Kriterium der Herausforderungsformel, die Vorhersehbarkeit des angereizten Verhaltens und der Schädigung,

202 Zutreffend Forst, Grenzen, S. 72 f.; Görgens, JuS 1977, 709, 713; Zimmermann, JZ 1980, 10, 14. 203 Die Zurechnung wurde deswegen etwa vom BGH (NJW 1993, 2234) zutreffend bei einem Feuerwehrmann verneint, der nach dem Löschen beim Aufrollen des Schlauches umknickt und sich verletzt. 204 Ähnlich RGRK/Steffen, § 823 Rn. 94. 205 Vgl. Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 66; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 158; BGHZ 55, 86, 92. 206 Vgl. Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 40; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 51; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 173; BGHZ 132, 164, 167. Soweit bei den Verfolgungsfällen das „normale“ Verfolgungsrisiko dem Berufsrisiko zugeordnet werden soll (vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 135; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 173), kann dem nicht zugestimmt werden. Da die Verfolgung von der Rechtsordnung gebilligt (vgl. Lang, Normzweck, S. 160; Zimmermann, JZ 1980, 10, 13) und das Risiko erheblich gesteigert wird, ist auch für diese missbilligte Risikoerhöhung einzustehen.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

beinhaltet nichts anderes als die objektiv-typisierte Vorhersehbarkeit des Verhaltensgebots und der Beeinträchtigung. Es beschreibt somit eine Grundvoraussetzung der Verschuldenszurechnung, sei es im Sinne der „inneren Sorgfalt“ oder allgemein der „subjektiven“ Komponente des Verschuldens. Es ist somit ebenfalls überflüssig. bb. Das Herausforderungskriterium als einzig konstitutives Zurechnungskriterium Einen eigenständigen materiellen Gehalt weist lediglich das Herausforderungskriterium auf. 207 Hinsichtlich der „Herausforderung“ ist ein differenzierter Blick erforderlich. Der Umstand der Herausforderung selbst beschreibt nur, dass der fremde Willensentschluss, der zu einem Schaden führt, durch das Verhalten des Zurechnungssubjekts hervorgerufen und somit psychisch vermittelt wurde. Dies bestätigt lediglich die (psychische) Kausalität zwischen Verhalten, Willensentschluss und Erfolg, die für die Zurechnung noch nicht hinreichend ist. Das Kriterium wird entsprechend über die bloße Verursachung hinaus wertend angereichert. Es wird gefordert, dass sich die psychisch beeinflusste Person zu ihrem Verhalten herausgefordert oder veranlasst „fühlen durfte“, und dies überhaupt wie auch hinsichtlich eines Verhaltens in der gewählten Art und Weise.208 Das eigentliche Zurechnungskriterium des „Sich-herausgefordertfühlen-Dürfens“ überprüft somit den Entschluss zum konkreten Verhalten auf seine Vernünftigkeit hin. 209 Gegen diese wertende Zurechnungsbestimmung werden jedoch Vorbehalte geltend gemacht. So wird behauptet, dieses Merkmal sei in vielen Fällen begrifflich verfehlt. Insbesondere würde es bei der psychischen Veranlassung drittschädigenden Verhaltens versagen, da man sich zu diesem, zumindest in der Form vorsätzlicher und rechtswidriger Fremdschädigung, niemals „herausgefordert fühlen dürfe“.210 Entsprechend werden die „Herausforderungsfälle“ auf bestimmte Konstellationen der Selbstschädigung (Nothilfe, Verfolgung) beschränkt und insbesondere die Fälle der sog. „drittvermittelten Kausalität“ einer eigenständigen Behandlung zugeführt. Darüber hinaus wird teilweise vorgeschlagen, den Begriff der Veranlassung an die Stelle der Herausforderung zu setzen, um sprachlichen Friktionen zu vermeiden.211 Doch auch 207 Vgl. Lang, Normzweck, S. 156; Soergel/Ekkenga/Kuntz, Vor § 249 Rn. 161; Zimmermann, JZ 1980, 10, 13. 208 Vgl. BGH NJW 1971, 1980, 1981; 1971, 1982, 1983; 1973, 12929, 1930; Weber, Festschrift Steffen, 307, 315; Zimmermann, JZ 1980, 10, 13. 209 Vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 653; Zimmermann, JZ 1980, 10, 13. 210 Vgl. BGHZ 58, 166; 59, 144; NJW 1980, 223, 224; Forst, Grenzen, S. 109; Jansen, Struktur, S. 576; Lange, JZ 1976, 198, 206; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 145; Niebaum, NJW 1976, 1673, 1674. Zustimmend auch Zimmermann, JZ 1980, 10, 15. 211 Vgl. Niebaum, NJW 1976, 1673, 1674; Zimmermann, JZ 1980, 10, 13.

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diese Begriffswahl stößt bei Drittschäden auf Bedenken, da nicht die Verursachung, sondern die wertende Einschränkung („fühlen dürfen“) vorbehaltsbehaftet ist. c. Das Kriterium des „Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens“ Das Kriterium des „Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens“ ist materiell eine Vernünftigkeitskontrolle. Bei anderen Fällen psychisch vermittelter Kausalität werden unzählige anderslautende Kriterien genutzt, ohne dass damit ein Unterschied in der Sache verbunden ist. Etwa werden die Schäden zugerechnet, die durch erfolgreiche oder auch erfolglose Aufwendungen zur Schadensabwehr oder -minderung entstehen, sofern diese für erforderlich gehalten werden durften. 212 Ebenso sind die Schäden zurechenbar, die durch einen Vergleich entstehen, wenn ein rechtfertigender Anlass bestand oder diese durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurden. 213 Die Kosten einer Rechtsverfolgung, die ebenfalls auf einem eigenständigen Willensentschluss beruhen, werden hingegen zugerechnet, wenn diese nach Lage der Dinge verständigerweise für erforderlich gehalten werden durften.214 In all diesen Fällen psychisch vermittelter Kausalität könnte man einheitlich formulieren, der Schaden ist zurechenbar, wenn sich der Geschädigte zu seinem selbstschädigenden Verhalten herausgefordert fühlen durfte. aa. Die Funktion des Kriteriums Sich dem teleologischen Gehalt des Zurechnungskriteriums anzunähern setzt voraus, dass man sich dessen Funktion vergegenwärtigt. Zimmermann hat besonders deutlich darauf hingewiesen, dass das Herausforderungskriterium im Zusammenhang mit der Verhaltensnorm steht und dazu bestimmt ist festzule-

Vgl. BGH, NJW 1990, 2060, 2061 f.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 178 f.; Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249 Rn. 44, jew. m. w. Nachw. 213 BGH, NJW 1989, 99, 100; 1988, 1143, 1145; 1988, 1262; 1993, 1139. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Geschädigten im Falle einer gerichtlichen Entscheidung und sein Interesse an einer raschen Streitbeendigung zu berücksichtigen, vgl. BGH, NJW 1989, 99, 100. Dafür ist maßgeblich, ob der Entschluss zum Vergleich infolge einer vertretbaren Würdigung der Sach- und Rechtslage erfolgt ist (vgl. BGH, NJW 1989, 99, 100; 1993, 1139, 1141; 2012, 3165 Tz. 44; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2005, 67). Drohte beispielsweise durch eine anwaltliche Pflichtverletzung, wie etwa unzureichender Tatsachenvortrag, eine Abweisung des geltend gemachten und tatsächlich bestehenden Anspruchs, können die vergleichsbedingten Schäden als Regress geltend gemacht werden. 214 St. Rspr., vgl. BGH, NJW 2012, 3165 Rn. 48 m. w. Nachw.; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 181. 212

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gen, wann das Zurechnungssubjekt durch sein Verhalten eine über das Hinzunehmende hinausgehende Gefahr für Rechtsgüter anderer geschaffen hat.215 Zimmermann identifiziert zutreffend die Funktion des Merkmals, einen Sorgfaltsverstoß zu begründen oder alternativ die Zugehörigkeit des Erfolges zum Schutzzweck eines bereits verletzten Verhaltensgebots festzustellen. Ebenso erkennt Jansen die Zugehörigkeit des Merkmals zur Sorgfaltspflicht an, 216 indem er darauf hinweist, dass für eine Rechtswidrigkeits- und Verschuldensprüfung kein Platz mehr sei, wenn die Voraussetzungen der Herausforderungsformel erfüllt sind.217 Auch der BGH verbindet die Herausforderung als Element der objektiven Zurechnung mit der erhöhten Gefährdung. 218 Jüngst hat er sogar indirekt die Zuordnung der Herausforderungsproblematik zu den Sorgfaltspflichten bestätigt, indem er bei einem Verfolgungsfall mit einem Kfz die Zurechnung zum Betriebsrisiko einfach bejaht und die Beschränkung der Zurechenbarkeit „unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns“ der Unabwendbarkeit gem. § 17 Abs. 3 StVG zugewiesen hat, die an Sorgfaltspflichten anknüpft. 219 Aus der Literatur hat des Weiteren Forst erkannt, dass die Verantwortung für fremdes Verhalten auf der Grundlage objektiver Sorgfaltspflichten begründet werden muss. 220 Herrschend wird insoweit im Hinblick auf die Verfolgungs- und Nothilfefälle formuliert, dass eine Zurechnung nur dann in Betracht kommt, wenn die Reaktion des sich herausgefordert Fühlenden wertend betrachtet bei dem gegebenen Anlass unter Abwägung der betroffenen Interessen als vernünftig und angemessen erscheint. 221 Die Schwierigkeit, die Zurechnung durch Sorgfaltspflichten zu begründen, und zugleich der Zweck des Zurechnungskriteriums besteht darin, dass ein aus der ex ante-Perspektive zu formulierendes Verhaltensgebot festgestellt werden muss, dessen Regelungsgegenstand das zukünftige Verhalten des Beeinflussten ist. Maßgeblich ist somit ein außerhalb des Zurechnungssubjekts liegender, gefahrerheblicher Faktor, der naturgemäß höchst unbestimmt ist. Die jeweilige Entscheidung, ob und wie auf ein Anlass215 Vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10,12. In diese Richtung auch Lang, Normzweck, S. 156, 160; hinsichtlich der Nothilfefälle ebenfalls Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 132; Lange JZ 1976, 198, 206. 216 Er selbst verfolgt jedoch eine andere Konzeption der deliktischen Haftung; vgl. oben S. 280 f. 217 Vgl. Jansen, Struktur, S. 576 f. 218 Vgl. BGHZ 57, 25, 29; 101, 215, 221; BGH, NJW 75, 168; 1976, 568. 219 Vgl. BGH, NJW 2012, 1951, 1953, insbes. Tz. 20. Ein unabwendbares Ereignis liegt nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 3 S. 2 StVG vor, wenn sowohl der Halter als auch der Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. 220 Vgl. Forst, Grenzen, S. 143 ff. 221 Vgl. Lang, Normzweck, S. 160; Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 38; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 171 f.; Zimmermann, JZ 1980, 10, 13; BGH, VersR 1977, 430, 431.

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ereignis reagiert wird, ist stark von den individuellen Umständen des Angereizten geprägt, was es noch schwieriger macht, das Gefährdungspotenzial des anreizenden Verhaltens zu bewerten. Das Kriterium des Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens stellt fest, ob ein Verhalten einen Anreiz für andere durchschnittliche Personen gesetzt hat, auf das diese verständlicherweise mit gefährlichem Verhalten reagieren. Dies begründet die missbilligungswürdige übermäßige Gefährdung anderer im Sinne der Sorgfaltspflichtendogmatik. Zwar gibt es kein allgemeines Verhaltensgebot, niemanden zu selbst- oder fremdgefährdendem Verhalten zu veranlassen. Soweit jedoch ex ante objektiv erkennbar ein entsprechendes Verhalten anderer wahrscheinlich ist, muss nach der Sorgfaltspflichtendogmatik hinterfragt werden, ob nicht ein dem entgegengerichtetes Verhaltensgebot aufgrund der Verantwortung für das eigene Verhalten im Einzelfall dennoch anzunehmen ist. Ist ein gefährliches Verhalten anderer ex ante in Rechnung zu stellen, gebieten Rechtsgüterschutz und Selbstverantwortung222 ein Verhaltensgebot anzunehmen, das das Verhalten zu unterbinden bezweckt. 223 Das Kriterium beschreibt also, wann ein Verhaltensgebot angenommen und die Zurechnung begründet werden kann und zugleich die Grenze des Schutzbereichs dieser Verhaltensgebote. Bietet das Verhalten keinen Anlass für verständliches gefährliches Verhalten, so besteht im Ausgangspunkt kein gegen das anreizende Verhalten gerichtetes Verhaltensgebot und der Erfolg ist weder auf der Ebene der Haftungsbegründung noch im Rahmen der Folgenzurechnung zurechenbar. Auch wenn ein Verhalten einen entsprechenden Anreiz begründet und der Erfolg somit abstrakt zurechenbar wäre, ist ein nicht mehr verständliches Verhalten – einschließlich der durch es hervorgerufenen Beeinträchtigungen – nicht vom Schutzzweck des entsprechenden verletzten Verhaltensgebots erfasst. 224 Das tatsächlich angereizte Verhalten muss sich im Rahmen des Verhaltensspektrums halten, das für den Angereizten ge- und für den Anreizenden missbilligt ist, damit der Erfolg zurechenbar ist. Andernfalls ist die anreizende Situation bloßer Anlass für ein schädigendes Verhalten, das nicht im inneren Zusammenhang mit dem missbilligten Verhalten des Zurechnungssubjekts steht. Handelt das Zurechnungssubjekt bereits aus einem anderen Grund sorgfaltswidrig, so zeigt das Kriterium, dass wegen der gleichzeitigen übermäßigen Gefährdung des herausforderungsbedingt bedrohten Rechtsguts dieses vom Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots225 mit umfasst

222 Es erfolgt freilich die allgemeine, der Entstehung von Sorgfaltspflichten bzw. Verkehrspflichten zugrunde liegende umfassende Abwägung. Auf der Wertungsebene gebieten allerdings Rechtsgüterschutz und Selbstverantwortung aufgrund ihres relativen Gewichts die Entstehung der Sorgfaltspflicht. Vgl. hierzu auch bereits S. 130 ff. und insbes. S. 139 ff. 223 Vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10, 13. 224 Vgl. MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 172; BGH, NJW 1996, 1533. 225 Hierzu Lang, Normzweck, S. 156.

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ist.226 Verhaltensgebote sind theoretisch perfekt und bezwecken, alle ex ante bestehenden, übermäßigen Risiken zu verhindern. 227 So begründet etwa ein – sorgfaltswidriger – Diebstahl zugleich das Risiko einer verhältnismäßig gefährlichen Verfolgung durch den Kaufhausdetektiv oder ein sorgfaltswidrig herbeigeführter Verkehrsunfall das Risiko gefährlicher Rettungshandlungen Dritter. Das entsprechende Verhaltensgebot dient deshalb immer zugleich dem Schutz der Rechtsgüter, die durch die Anschlusshandlungen bedroht sind. Betrachtet man die Wirkweise des Herausforderungskriteriums, so wird deutlich, dass dieses mit dem Verständlichkeitskriterium bei Schockschäden verwandt ist. Beide Kriterien gründen auf demselben Prinzip und weisen infolgedessen auch die gleichen Grenzen auf. Das Herausforderungskriterium hinterfragt das Verhalten auf seine Vernünftigkeit. Wie schon beim Verständlichkeitskriterium 228 kann die mit dem Kriterium verbundene Beschränkung der Zurechnung auf die objektivierende Wirkung des Vertrauensprinzips zugunsten des Sorgfaltspflichtigen zurückgeführt werden. Jeder kann sein Verhalten am zu erwartenden Verhalten einer objektiven bzw. durchschnittlich vernünftigen Person ausrichten und muss – vorbehaltlich entgegenstehender Anzeichen oder Regelungen – nicht damit rechnen, dass andere sich zu unvernünftigem Verhalten hinreißen lassen. Nur so können überhaupt sinnvolle Verhaltensgebote aufgestellt werden. Welchen Inhalt hätte schon ein Gebot, das ein oder gegebenenfalls sogar jedes mögliche irrationale Verhalten unterbinden soll? Es ist vielmehr zweifelhaft, welches Verhalten denn nicht sorgfalts- und rechtswidrig wäre, wenn irrationale und unvernünftige Reaktionen zu berücksichtigen wären. Die Verantwortungszuweisung für Verhalten, das durch einen legitimen Anlass hervorgerufen wurde, darf sinnvollerweise auch nicht in das Belieben der gefährlich handelnden Person gestellt werden. Andernfalls dürfte sich etwa ein zufällig anwesender rettungswilliger Passant „herausgefordert fühlen“, in ein lichterloh brennendes Haus zu stürmen, von dessen Betreten sogar die erfahrene und optimal ausgerüstete Feuerwehr bereits Abstand genommen hat. bb. Ausfüllung des Kriteriums Zu einem gefährlichen Verhalten darf man sich nur herausgefordert fühlen, wenn ein legitimer Anlass für dieses besteht und die eingegangenen Risiken in einem angemessenen Verhältnis zum jeweiligen Anlass stehen. Solch ein legitimer Anlass („billigungswürdige Motivation“229) zu gefährlichem Verhalten kann stets angenommen werden, wenn eine rechtliche oder sittliche Pflicht

Zur entsprechenden Problematik bei den Schockschäden vgl. S. 367 f. Hierzu bereits S. 316 f. 228 Oben S. 366 ff. 229 BGH, NJW 1978, 421, 422; BGHZ 70, 376.

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oder Obliegenheit zu entsprechendem Handeln besteht oder aber ein entsprechendes Recht zum Handeln mit dem auslösenden Ereignis verbunden ist. 230 Infolge der billigungswürdigen Motivation erhöht sich das Gefahrenpotenzial des psychisch anreizenden Verhaltens, da die Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden gefährlichen Verhaltens von durchschnittlichen Personen erhöht ist, wie regelmäßig auch deren Bereitschaft Risiken einzugehen. Zugleich ist eine entsprechende Reaktion anderer auf den Anreiz – da typisch – auch objektiv vorhersehbar. Verursacht etwa jemand eine akute Lebensgefahr für eine Person, so ist das rettende Eingreifen von Dritten wegen der bestehenden rechtlichen (§ 323c StGB) und der darüber hinausgehenden sittlichen Pflicht sogar bei erheblichen Risiken selbstverständlich. In diesen Herausforderungsfällen ist deshalb infolge der impulsvermittelnden Wirkung für angemessen gefährliches Verhalten ein Verhaltensgebot anzunehmen, das gegen die psychische Anreizwirkung gerichtet ist. 231 Dessen Verbotswirkung ist gleichwohl auf die im Hinblick auf Anlass und Risiken vernünftigen und angemessenen Reaktionen beschränkt, 232 da aus der ex ante-Perspektive grundsätzlich nur solche in Rechnung zu stellen sind. Durch unvernünftiges Verhalten herbeigeführte Beeinträchtigungen sind – vorbehaltlich noch auszuführender Ausnahmen – trotz eines legitimen Anlasses nicht zurechenbar. Als zutreffend erweisen sich die Bedenken gegen das Kriterium des Sichherausgefordert-fühlen-Dürfens bei angereiztem rechtswidrigem Verhalten. Die Verwirrung einschließlich der vermeintlichen materiellen Widersprüche entfällt jedoch, sofern man zutreffend die „herausforderungsgestützte“ Zurechnung auf die Fälle entsprechender gebilligter Impulsvermittlung beschränkt und wie Zimmermann die Zurechnung auf dieser Grundlage ablehnt, sofern das veranlasste Verhalten rechtswidrig ist.233 Die Zurechnung muss sogar bei einem billigungswürdigen Anlass ausscheiden, da ein jeder die durch das Recht gesetzten Grenzen in seine Willensbildung aufnehmen muss. Man darf sich entsprechend niemals zu rechtswidrigem Verhalten herausgefordert fühlen.

Vgl. Forst, Grenzen, 128 ff. So für die Nothilfefälle Lang, Normzweck, S. 157; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 132; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 53. 232 Vgl. zum entsprechenden Erfordernis der Zurechnung Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 6, S. 457; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 1007; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 172; Brand, Schadensersatzrecht, § 3 Rn. 38. 233 Vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10, 13. 230

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Dass dennoch unter bestimmten Bedingungen auf naheliegendem Fehlverhalten234 und teilweise sogar vorsätzlichem rechtswidrigem Verhalten235 beruhende Beeinträchtigungen zugerechnet werden können, begründet hierzu keinen Widerspruch. Vielmehr erfolgt in den Fällen, in denen kein legitimer Anlass gegeben oder das angereizte Verhalten rechtswidrig ist oder die Risiken unverhältnismäßig sind, die Zurechnung nach den allgemeinen Regeln. Es sind auch insoweit speziell gegen das entsprechende anreizende Verhalten gerichteten Verhaltensgeboten möglich. d. Zurechnung bei nicht vernünftigen Reaktionen Schäden, die durch nicht vernünftige Reaktionen verursacht werden, sind in den Konstellationen zurechenbar, in denen das Vertrauen nicht oder nur eingeschränkt wirkt. Die Zurechnung erfolgt übereinstimmend mit den Fällen besonderer Verletzlichkeit und deren Sonderfall der Schockschäden immer dann, wenn die Sorgfaltspflichtendogmatik zu subjektivierten Sorgfaltspflichten führt oder abstrakte Verhaltensgebote bestehen, die vor unvernünftigem Verhalten schützen sollen. Diese Verhaltensgebote können so weit gehen, dass deren Schutzzweck rechtswidriges oder sogar strafbares fremdgefährdendes Verhalten Dritter umfasst. Subjektivierte und somit im Ergebnis verschärfte Sorgfaltspflichten entstehen, wenn die anlassbezogene Motivation, unangemessene Risiken einzugehen, aus der Perspektive des Handelnden objektiv erkennbar war. In diesen Konstellationen darf sich der Geschädigte zwar nicht zu seinem Verhalten herausgefordert fühlen. Gleichwohl ist die Zurechnung wegen der Gefahrbeherrschung des Zurechnungssubjekts gerechtfertigt. Wirft etwa ein Bruder das letzte Erinnerungsstück an den verstorbenen Vater, das seiner Schwester unendlich viel bedeutet, vor deren Augen in einen Fluss, um dieser seelisches Leid zuzufügen, so muss er mit einem unvernünftigen Sprung hinterher rechnen. Ebenso muss der Entführer eines Säuglings, der das Kind der Mutter aus den Armen reißt, berechtigterweise mit einer Verfolgung durch die Eltern „um jeden Preis“ rechnen. In diesen Fällen ist richtigerweise ein gegen das anreizende Verhalten gerichtetes Verhaltensgebot anzunehmen, weil die erhöhte Gefahr von objektiv unverhältnismäßigen Reaktionen ex ante zumindest erkennbar war. Dementsprechend ist der auf dem entsprechenden irrationalen Verhalten beruhende Erfolg dennoch zurechenbar. Die Grenze derartiger subjektivierter Verhaltensgebote ist allerdings wiederum das „noch“ in Rechnung 234 Vgl. Niebaum, NJW 1976, 1673, 1674; allgemein: Soergel/Krause, Anh. II zu § 823 Rn. 30; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 157; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 429, 430 ff. 235 Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 142; MünchKommBGB/Oetker, § 249 Rn. 157; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 61 f.; Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 61.

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zu Stellende. Deswegen muss der Bruder im vorangegangenen Beispiel, vorbehaltlich entgegenstehender Anzeichen, wohl nicht mehr mit dem Sprung von einer 60 Meter hohen Brücke rechnen, der mit dem sicheren Tod enden würde. Erwartungsgemäßes unvernünftiges Verhalten liegt auch vielen abstrakten Verhaltensgeboten zugrunde, die eben dieses Verhalten zu verhindern bezwecken. Etwa gibt es zahlreiche Verkehrspflichten, die vor gefährlichem Verhalten schützen sollen, für das kein rechtfertigender Anlass besteht bzw. das mit unverhältnismäßigen Risiken verbunden ist. Beispielsweise muss der Betreiber einer Trampolinanlage mit naheliegendem selbstgefährdendem Sprungverhalten der Besucher rechnen. Deswegen muss er der Anreizwirkung der bereitgestellten Anlage aktiv mit Verhaltensgeboten, also insbesondere Verbote, etwa von Salti, und Warnhinweisen entgegenwirken. 236 Ein billigungswürdiger Anreiz zur Selbstgefährdung besteht nicht und die Risiken sind unverhältnismäßig, weswegen keine Herausforderungssituation für die Nutzer der Anlage besteht. Die Zurechnung beschränkt sich allerdings auf eben das spezielle unvernünftige Verhalten, wegen dem das Verhaltensgebot besteht. Der Schutzzweck derartiger abstrakter Verhaltensgebote kann sogar rechtswidriges Verhalten umfassen. 237 Sofern die Rechtsgüter Dritter vor rechtswidrigem Verhalten schützende Verhaltensgebote bestehen, gebietet deren Schutzzweck die Zurechnung zwingend und abschließend238 und zwar gerade unabhängig von einem berechtigten Vertrauen und somit der Frage, ob sich der Dritte herausgefordert fühlen durfte. Die Zurechnung kann auf dieser Grundlage sehr weit gehen und sogar vorsätzliche Straftaten umfassen. Beispielsweise soll die Verkehrspflicht Schusswaffen sicher vor fremdem Zugriff zu verwahren auch vor deren Missbrauch schützen, 239 weswegen der Erfolg vorsätzlicher Tötungsdelikte zurechenbar sein kann. Die Veranstalter einer Flugshow oder anderer Freiluftveranstaltungen müssen etwa damit rechnen, dass Besucher nicht nur die vorgesehenen Wege hin zum Ereignisort und weg von diesem benutzen, sondern unter rechtswidriger Verletzung fremden Eigentums über angrenzende Flächen abkürzen und diese beschädigen.240 Diese auf das Verhalten des Veranstalters zurückzuführende Gefahr begründet eine Verkehrspflicht desselben, die dem rechtswidrigen Verhalten der Besucher entge-

Vgl. BGH, NJW 2008, 3775, 3776 f. In diesem Fall thematisiert der BGH deshalb zutreffend die Herausforderungsproblematik nicht und berücksichtigt die Eigenverantwortung konsequenterweise ausschließlich auf der Ebene des Mitverschuldens. 237 Vgl. Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 33; Soergel/Krause, Anh. II zu § 823 Rn. 36. 238 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 112; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 27; dens., in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 61. 239 Vgl. auch § 36 Abs. 1 S. 1 WaffG: „Wer Waffen oder Munition besitzt, hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhandenkommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen“. 240 Vgl. BGH, NJW 1980, 223. 236

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gengerichtet ist. Unterlässt es der Veranstalter hinreichende Sicherungsvorkehrungen zu ergreifen, etwa in der Form von geeigneten Zäunen und Ordnern, so ist infolge der Verletzung eines Verhaltensgebots ein Verletzungserfolg zurechenbar, obwohl die Besucher sich nicht zu ihrem rechtswidrigen Verhalten herausgefordert fühlen dürfen. 241 Als Grenze der Zurechnung ist die in der Sorgfaltspflichtendogmatik stets zu beachtende Zumutbarkeit wirksam. 242 Sofern kein beachtenswertes besonderes Interesse an der Vornahme des anreizenden Verhaltens besteht oder die Anreizsituation als unwillkürliche Folge entsteht, ist in der Regel die Zumutbarkeit zu bejahen, da das anreizende Verhalten schlicht unterlassen werden kann. Besteht ein berechtigtes Interesse am anreizenden Verhalten, etwa bei einer gesellschaftlich erwünschten Veranstaltung wie der Flugschau im Beispielsfall, einem Volksfest oder auch dem Betrieb einer Disco, beschränkt die Zumutbarkeit das Ausmaß der Sicherungsmaßnahmen. Dabei kann, insbesondere bei mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Veranstaltungen, die Grenze des Unzumutbaren sehr hoch liegen, vor allem, wenn mit der Veranstaltung eine hohe Wahrscheinlichkeit von rechtswidrigem und zu großen Schäden bei Dritten führenden Verhalten verbunden ist. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch das zutreffende Ergebnis des BGH in den berühmten Grünstreifenfällen243 konsistent begründen. So durften sich die den Unfall umfahrenden Fahrzeugführer nicht zur rechtswidrigen Verletzung des Eigentums der Anlieger herausgefordert fühlen. Der Verletzungserfolg hätte lediglich deshalb zurechenbar sein können, wenn das naheliegende Umfahrungsrisiko eine Verkehrspflicht des Unfallverursachers begründet hätte, die auf das Eigentum der Anlieger gerichtet ist. Deren Entstehen scheitert jedoch daran, dass es diesem nicht möglich und auch nicht zumutbar ist, das Umfahren der Unfallstelle effektiv zu verhindern. 244 Infolgedessen hat der BGH die Zurechnung zutreffend verneint. Ebenso können subjektivierte Sorgfaltspflichten, die auf eine bestimmte Person oder Personengruppe im Einzelfall gerichtet sind, rechtswidriges und sogar strafbares Verhalten umfassen. Ein Verfolger, der sein Festnahmerecht (§ 127 StPO) ausüben möchte, darf sich nicht herausgefordert fühlen, unbeteiligte Personen zu verletzen oder diese auch nur übermäßig zu gefährden. Eine davon wiederum zu unterscheidende Frage ist, ob sich der Verfolgte den Erfolg infolge von durch sein Verhalten begründeten drittbezogenen Sorgfaltspflichten dennoch zurechnen lassen muss. Etwa setzt der beobachtete Entführer eines Knaben im Grundschulalter, wegen der enormen Gefahr für das Opfer, den Vgl. BGH, NJW 1980, 223, 224. Vgl. etwa BGH, NJW 2013, 48, 49; NJW-RR 2011, 888, 889; NJW 1993, 654, 655; 1984, 233, 234; 1983, 1108, 1109. 243 BGHZ 58, 162; LG Düsseldorf, NJW 1955, 1031. 244 Zutreffend Forst, Grenzen, S. 190. 241

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voraussehbaren Anreiz für Zeugen, zum Schutz des Jungen die Verfolgung aufzunehmen, auch wenn diese für unbeteiligte Passanten übermäßig gefährlich ist. Der Entführer haftet deshalb wegen der erkennbaren Gefährlichkeit seines Verhaltens für Dritte. Er und der Verfolger sind Nebentäter (§ 840 Abs. 1 BGB), wobei im Gesamtschuldnerausgleich eine Alleinhaftung des Entführers statthaft wäre. Die Zurechnung von Erfolgen, die rechtswidrig durch Dritte verursacht wurden, lässt sich ebenso an der Folgenzurechnung verdeutlichen, die nach den gleichen Maßstäben funktioniert. Grundsätzlich scheidet die Verantwortung bei rechtswidrig in den Verlauf intervenierenden Taten grundsätzlich aus. Sie sind im Ausgangspunkt kein spezifisches Risiko des zur Primärbeeinträchtigung führenden Verhaltens. Beispielsweise muss sich der Verursacher eines Verkehrsunfalls nicht die Tötung des Unfallopfers zurechnen lassen, die durch das Wirken eines „Todesengels“ im Krankenhaus herbeigeführt wird. Das Gleiche gilt für die Eigentumsbeeinträchtigung, die aus einem Diebstahl durch das Krankenhauspersonal oder einen Besucher erfolgt. Abweichendes kann allerdings aus Schutzzweckgründen geboten sein, 245 sofern das rechtswidrige (Folge-)Verhalten erkennbar war. Die objektive Erkennbarkeit des Folgeschadens ex ante bewirkt, dass das auf die Primärverletzung bezogene Verhaltensgebot den Erfolg auch wegen der rechtswidrigen Folgerisiken unterbinden soll. Zerstört also jemand zurechenbar Sicherungsmittel oder bringt er eine andere Person zurechenbar in eine hilflose Lage, kann deshalb das Verhaltensgebot, das gegen die zurechenbare Primärbeeinträchtigung gerichteten ist, auch eine entsprechende Zwecksetzung hinsichtlich erwartbaren rechtswidrigen Beeinträchtigungen durch Dritte aufweisen. Etwa muss sich der Verursacher eines Unfalls mit einem Geldtransporter den Diebstahl eines Geldkoffers aus dem nunmehr offen stehenden Panzerwagen zurechnen lassen. 246 Ebenso muss der Geiselnehmer gegebenenfalls mit der Misshandlung oder Vergewaltigung der wehrlosen Geisel durch einen Mittäter rechnen und ist für diese mit verantwortlich. 247 Ebenso muss sich derjenige, der einen das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten verletzenden Beitrag im Internet zum Abruf bereithält, die durch die Weiterverbreitung des Ursprungsbeitrags verursachten Persönlichkeitsrechtsverletzungen zurechnen lassen, da mit einer solchen zu rechnen ist. 248 Dabei ist immer ein sorgfältiger Blick auf die Gesamtsituation erforderlich. Droht etwa ein Rentner dem Vermieter glaubhaft an, dass er sich und seine behinderte Ehefrau tötet, wenn die störende energetische Modernisierung des Mietshauses fortgesetzt wird und kommt es dann zu dem erweiterten Suizid, 245 Vgl. Lang, Normzweck, S. 161; Zimmermann, JZ 1980, 10, 15, jeweils jedoch direkt bezogen auf das verletzte Verhaltensgebot. 246 BGH, NJW 1997, 865, 866. 247 Vgl. BGH, NJW 1992, 1381, 1382; Soergel/Spickhoff, § 823 Rn. 27. 248 Vgl. BGH, NJW 2014, 2029 Tz. 55 f., wobei der BGH darauf abstellt, dass eine „internettypische besondere Gefahr“ geschaffen wurde, die sich realisiert hat.

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so ist die Zurechnung der Tötungserfolge problematisch. Obwohl theoretisch subjektivierte Sorgfaltspflichten entstehen könnten, dürfte diesen § 556d BGB entgegenstehen. Die Norm räumt dem Vermieter das Recht zu seinem Handeln ein und begründet eine Duldungspflicht der Mieter, sodass die Erlaubniswirkung das Entstehen einer Sorgfaltspflicht ausschließen müsste. Im Falle des entführten Knaben könnte hingegen § 904 S. 1 BGB oder § 34 StGB die Verletzung Dritter gestatten, wodurch die Barriere der Rechtswidrigkeit entfällt und die Schäden der unbeteiligten Passanten dem Entführer bereits nach dem Herausforderungskriterium zurechenbar sind. Problematisch sind allerdings die Nötigungsfälle, in denen jemand die ernstzunehmende Drohung ausspricht, einen anderen rechtswidrig zu schädigen, wenn das Zurechnungssubjekt nicht eine Handlung vornimmt oder unterlässt. Dies vermag theoretisch subjektivierte Verhaltenspflicht zu begründen, da das drohende rechtswidrige Verhalten bekannt ist. Dass der Erfolg gleichwohl nicht zurechenbar ist, auch wenn es keine Norm gibt, die das Verhalten oder Unterlassen des Zurechnungssubjekts explizit legalisiert, dürfte allerdings nicht zweifelhaft sein. Es kann keine zivilrechtliche Pflicht entstehen, einer Straftat zur Vollendung zu helfen, indem der Nötigung Folge geleistet werden muss. Dem Entstehen einer Sorgfaltspflicht mit einem entsprechenden Verhaltensgebot als Inhalt dürfte insoweit entgegenstehen, dass dem potenziell Sorgfaltspflichtigen nicht zumutbar ist, den Erfolg zu vermeiden. Zwar wird der Zumutbarkeit bei Sorgfaltspflichten primär der erforderliche Aufwand zugeordnet 249 und dieser die individuelle Unzumutbarkeit gegenübergestellt, die der subjektiven Zurechnung zugewiesen ist.250 Es erscheint überzeugender, bereits das Entstehen eines Verhaltensgebots und somit der Sorgfaltspflicht zu verneinen, sofern ein Verhalten für jeden unzumutbar ist, wie bei der in Rede stehenden Nötigung. 251 Dem entspricht es, dass bei Verkehrspflichten allgemein anerkannt ist, dass diese ihre Grenze in der objektiven Zumutbarkeit finden.252 Sollte man nicht den hier bevorzugten Weg gehen, müsste zumindest wegen der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens das Verschulden entfallen. 253

249 Vgl. MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 423, 424 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 474; dagegen Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 106. 250 Vgl. MünchKommBGB/Grundmann, § 276 Rn. 77, 81; BGH, NJW 1989, 2808, 2809; in diese Richtung auch Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 126, 216. 251 Vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 279. Wohl auch Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 106. 252 Vgl. Soergel/Krause, Anh. II zu § 823 Rn. 32; Staudinger/Hager, § 823 Rn. E 35, 29; MünchKommBGB/Wagner, § 823 Rn. 422; Palandt/Sprau, § 823 Rn. 46; Deutsch, Haftungsrecht, S. 282; BGH, NJW 2013, 48 Tz. 6; 2007, 762 Tz. 11; 1989, 2808, 2809. 253 Vgl. Soergel/Pfeiffer, § 276 Rn. 126, einschränkend Rn. 216.

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e. Ergebnis Psychisch vermittelte Beeinträchtigungen werden zugerechnet, wenn das Verhalten des Zurechnungssubjekts eine im Sinne der Sorgfaltspflichtendogmatik übermäßige Gefahr eines selbst- oder Dritte schädigenden Verhaltens begründet. Dies setzt voraus, dass sich der Geschädigte zu seinem selbstschädigenden Verhalten herausgefordert fühlen durfte, oder ein Verhaltensgebot besteht, dass auch nicht mehr vernünftige Reaktionen zu verhindern bezweckt. Von der herrschend vertretenen Herausforderungsformel weist nur das Merkmal des Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens einen Gehalt auf, der der psychischen Vermittlung geschuldet ist und die Zurechnung beeinflusst. Durfte sich der Geschädigte zu seinem Verhalten herausgefordert fühlen, weil eine billigenswürdige Motivation für dieses bestand und das Risiko des Verhaltens im Verhältnis zum Anlass angemessen war, so ist der Erfolg zurechenbar. Das Kriterium stellt fest, dass eine für einen Sorgfaltsverstoß hinreichende und somit missbilligungswürdige Gefahr bestand, weil ein objektiver „Herausgeforderter“ vernünftigerweise mit solch einem selbstgefährdenden Verhalten reagieren würde. Da das Kriterium zugleich belegt, dass ein Erfolg vom Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots umfasst ist, gibt es ebenfalls die Reichweite der Schadens- bzw. Folgenzurechnung bei psychisch vermittelten (Folge-)Schäden vor. Auf der Grundlage dieses Kriteriums können jedoch keine rechtswidrigen Drittschädigungen zugerechnet werden. Jeder psychisch Beeinflusste muss die Verbote der Rechtsordnung in seine Willensbildung aufnehmen. Man darf sich deshalb niemals zu rechtswidrigem Verhalten „herausgefordert fühlen“. Das Zurechnungskriterium wird durch das Vertrauensprinzip gerechtfertigt, das bei der Bestimmung der Sorgfaltspflichten wirkt. Seine zurechnungsbeschränkende Wirkung entfällt entsprechend, wenn das Vertrauen nicht wirkt oder nicht schutzwürdig ist. Ohne eine legitime Herausforderung können Verhaltensgebote nach den allgemeinen Regeln der Sorgfalts- bzw. Verkehrspflichtendogmatik entstehen, wenn die entsprechende Gefahr nicht vernünftigen Verhaltens bekannt oder erkennbar war. Neben diesen subjektivierten konkreten Verhaltensgeboten können auch abstrakte Verhaltensgebote bestehen, die eine Zurechnung des Erfolges gebieten. Beide Arten von Verhaltensgeboten, die jeweils bestimmte unvernünftige Reaktionen in ihren Schutzzweck aufnehmen, können sogar gegen rechtswidriges bzw. strafbares Verhalten gerichtet sein. 4. Das System der Zurechnungskriterien Die speziellen Zurechnungskriterien dienen dazu, der Problematik der gefahrerheblichen Individualität zu begegnen. Sie ermöglichen es, den primären

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Sorgfaltsverstoß hinsichtlich des verletzten Schutzguts zu begründen. 254 Daneben kann mit ihrer Hilfe festgestellt werden, ob der Erfolg vom Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots (Sorgfaltspflicht) umfasst ist, das im Hinblick auf ein anderes Schutzgut und sogar eine andere Person verletzt wurde. 255 Sorgfaltspflichten, die aus der ex ante-Perspektive gebildet werden, sind theoretisch perfekt und bestehen zum Schutz sämtlicher Schutzgüter, die in einem nicht mehr hinzunehmenden Ausmaß gefährdet werden. Der Richter kann mittels des jeweiligen Zurechnungskriteriums aus der ex post-Perspektive diesen Gefährdungsgrad feststellen, der die Zurechnung der missbilligten Beeinträchtigung rechtfertigt. 256 Der durch die Kriterien festgestellte Schutzzweck des Verhaltensgebots bestimmt auch die Reichweite der Schadens- bzw. Folgenzurechnung, 257 sodass die Zurechnungskriterien in der Haftungsausfüllung genutzt werden können. Sofern der Haftungsadressat ein abstraktes Verhaltensgebot (Norm oder normähnlich ausgestaltete Verkehrspflicht) verletzt hat, dessen Schutzzweck das maßgebliche Schutzgut nicht umfasst, wirken die Zurechnungskriterien in der zuvor beschriebenen Form. Sie vermögen einen Sorgfaltspflichtverstoß festzustellen, der aus der Verletzung eines konkreten Verhaltensgebots folgt, das gegebenenfalls parallel zum abstrakten besteht. Es hat sich gezeigt, dass den speziellen Zurechnungskriterien inhaltlich ein einheitliches System zugrunde liegt. Ursprung der Kriterien ist das Vertrauensprinzip, 258 das über die Prinzipienebene im beweglichen System der Sorgfaltspflichten wirkt. Das Prinzip gibt vor, dass grundsätzlich ein objektiver Bedrohter zugrundezulegen ist, wenn das Gefährdungspotenzial des Verhaltens im Rahmen der Sorgfaltspflichten bewertet wird. Das Vertrauensprinzip bewirkt so, dass die Sorgfaltspflichten grundsätzlich umfassend objektiv259 bestimmt werden, wodurch eine gefahrerhebliche Individualität des Bedrohten, sei diese physischer oder psychischer Natur, grundsätzlich unbeachtlich ist. Während der physischen Schadensanfälligkeit ohne besondere Zurechnungskriterien begegnet werden kann, 260 bedarf es bei der psychischen Schadensanfälligkeit des speziellen Zurechnungskriteriums der Verständlichkeit, mit dem die übermäßige Gefährdung eines durchschnittlichen Bedrohten festgestellt wird. 261 Bei der psychisch vermittelten Kausalität wird die gefahrerhebliche Individualität des Bedrohten, die aus der individuell variierenden Anreizwirkung auf das Verhalten folgt, durch das Zurechnungskriterium des Vgl. S. 347 ff., 367 f., 383 ff. Vgl. S. 352 f., 367, 385 f. 256 Vgl. S. 316 ff., 367 f., 385. 257 Grundlegend S. 316 ff., 319 ff. sowie S. 353 ff., 383. 258 Vgl. S. 368, 386, 350 f. 259 Zur objektivierenden Wirkung hinsichtlich des Sorgfaltspflichtigen vgl. S. 347 ff., S. 267 ff., 141 ff. 260 Vgl. S. 347 ff. 261 Vgl. S. 367 ff. 254

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„Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens“ ausgeschlossen. 262 Auch dieses Kriterium dient dazu festzustellen, dass mit dem Verhalten des Zurechnungssubjekts eine Anreizwirkung für eine durchschnittliche Person verbunden ist, die eine übermäßige Gefahr für oder durch den Angereizten begründet. Der durch die beiden Zurechnungskriterien festgestellte Schutzzweck des Verhaltensgebots rechtfertigt auch die jeweilige Schadens- bzw. Folgenzurechnung. Die zurechnungsbeschränkende Wirkung der Zurechnungskriterien entfällt immer dann, wenn das Vertrauen, das diese Kriterien trägt, nicht wirksam oder nicht schutzwürdig ist.263 Die Zurechnung erfolgt zum einen, wenn die Sorgfaltspflichten subjektiviert und somit verschärft sind, weil die gefahrerhöhende Individualität bekannt oder erkennbar ist. 264 Zum andern können abstrakte Verhaltensgebote bestimmte Personen aufgrund ihrer gefahrerhöhenden Individualität zu schützen oder objektiv unvernünftiges Verhalten zu verhindern bezwecken.265 Abstrakte oder konkrete Verhaltensgebote, die im vorgenannten Sinne auf die Individualität der Gefährdeten bezogen sind, gebieten die Zurechnung ohne weitergehende Einschränkungen, sofern und soweit der Erfolg dem personellen und funktionellen Schutzzweck des jeweiligen Verhaltensgebots noch zugehörig ist.

III. Die Zurechnung in der Risikohaftung Sucht man nach einer Begründung dafür oder dagegen, dass die zu den Grenzfällen der Zurechnung in der Verschuldenshaftung entwickelten Zurechnungskriterien in der Risikohaftung anwendbar sein sollen, so wird man enttäuscht. Die monographischen Untersuchungen, die sich mit diesen Zurechnungskriterien beschäftigen, beschränken sich auf die Haftung für deliktisches Unrecht.266 Auch die sonstige Literatur nimmt selten explizit dazu Stellung, ob die zur deliktischen Haftung entwickelten Grundsätze auf die Risikohaftung überhaupt übertragbar sind. Wenn dies erfolgt, so wird die Anwendbarkeit – zumeist bezogen auf einzelne Fallgruppen – pauschal bejaht, ohne auf die strukturellen Unterschiede der Zurechnungssysteme einzugehen.267 Und auch Vgl. S. 383 ff. Allgemein zu den Grenzen des Vertrauensschutzes auf der Prinzipienebene, vgl. S. 138 f. 264 Vgl. S. 371 f. und S. 388 f. und grundlegend S. 351 f. 265 Vgl. S. 372 und S. 389 ff. 266 Genannt seien etwa Karczewski, Schockschäden; Leitermeier, Haftung; Lüer, Begrenzung; Niebaum, Haftung; Park, Schockschäden; R. Schmidt, Schockschäden. Aus der Aufsatzliteratur etwa Coester-Waltjen, Jura 2001, 412 ff.; Görgens, JuS 1977, 709 ff.; Zimmermann, JZ 1980, 10 ff. 267 So z.B. Deutsch, Haftungsrecht, S. 438; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 92, 93–95; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 603; Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 56; Larenz, 262

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die Rechtsprechung erweist sich in diesem Zusammenhang zumeist als wenig hilfreich, da sie dazu tendiert, die maßgebliche Anspruchsgrundlage schlicht offen zu lassen. 268 1. Die besondere Verletzlichkeit Im Rahmen der Tatbestände der Risikohaftung, wie insbesondere der Gefährdungshaftung, wirft die Erfolgszurechnung bei einer besonderen Verletzungsanfälligkeit wenige Probleme auf. Da dem Halter oder Betreiber der Gefahrenquelle das spezifische Verletzungsrisiko umfassend bzw. regelmäßig bis an die Grenze höherer Gewalt zugewiesen ist, entlastet diesen eine besondere ebenso wie eine „extreme“ Verletzungsanfälligkeit der verletzten Person nicht. Springt etwa der Luxushund des Halters im Park einen gebrechlichen Rentner an und wirft diesen zu Boden, so realisiert sich im Verletzungserfolg Oberschenkelhalsbruch die spezifische Tiergefahr, auch wenn ein Erwachsener mittleren Alters den Sturz unbeschadet überstanden hätte oder gar nicht erst gestürzt wäre. Dies gilt auch bei psychischen Beeinträchtigungen. Solche sind infolge dieser Risikozuweisung unabhängig davon zurechenbar, ob diese „verständlich“ im Sinne des objektiven Zurechnungskriteriums sind. Der Erfolg muss lediglich noch als Realisierung des zu verantwortenden Risikos zu qualifizieren sein, also etwa der Betriebsgefahr einer Eisenbahn. Schwierigkeiten bereitet eigentlich nur die Frage, ob bestimmte Einwirkungsformen noch dem zu verantwortenden Risikospektrum zugehörig sind, etwa die Geräusche eines Verkehrsunfalls. 269 Dies ist jedoch im Hinblick auf den jeweiligen Haftungsgrund des Risikohaftungstatbestandes zu beantworten, was nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist und deswegen nicht weiter vertieft wird. Schuldrecht I, § 27 III 5, S. 453; anders etwa Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184, 187, der jedoch die Existenz struktureller Unterschiede verneint. 268 Vgl. etwa BGH NJW 1998, 810 ff.; 2000, 862 ff.; anders jüngst BGH, NJW 2012, 1951, 1953 zu § 7 StVG. 269 Vgl. BGHZ 115, 84 ff. Der Lösungsansatz des BGH, der die Haftung für das durch Unfallgeräusche panikbedingte Verenden der Tiere eines nahegelegenen Schweinestalls deswegen verneint hat, weil sich in dem Erfolg in erster Linie ein vom Geschädigten zu verantwortendes Risiko der Massentierhaltung realisiert habe, obwohl er zugleich die Zugehörigkeit der Schalleinwirkung durch Unfallgeräusche zur Betriebsgefahr zugeordnet hat (BGHZ 115, 84, 87 f.), vermag nicht zu überzeugen. Allein maßgeblich ist, ob sich in dem Erfolg das Betriebsrisiko realisiert (vgl. E. Schmidt, Festschrift Esser, 137, 164 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 621) und kein Fall der höheren Gewalt vorliegt (§ 7 Abs. 2 StVG). Der Verantwortungsbeitrag des Geschädigten, der aus eigenem (Fehl-)Verhalten oder der ihm zugewiesenen besonderen Gefahr – in diesem Fall handelte es sich jedoch um Nutztiere im Sinne des § 833 S. 2 BGB – resultieren kann, vermag die Verantwortung des Haftungsadressaten gerade nicht zu beseitigen, sondern kann lediglich den Anspruch auf der Grundlage des § 254 Abs. 1 BGB wegen seines überragenden Gewichts ausschließen. Eine teleologische Einschränkung der Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der eigenverantwortlichen

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Die besondere Schadensanfälligkeit ist ausnahmslos unbeachtlich, weil in der Risikohaftung das Vertrauensprinzip nicht wirkt, da diese nicht an Fehlverhalten anknüpft. Dies wird etwa dadurch verdeutlicht, dass der Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr im Rahmen der Haftung nach § 7 StVG unanwendbar ist. 270 Ist das Verhalten des Zurechnungssubjekts für die Zurechnung nicht relevant, kann kein berechtigtes Vertrauen in die Umstände gebildet werden, die für den Inhalt und die Grenzen von Verhaltensgeboten maßgeblich sind. Weder der mit der Gefährdungshaftung bezweckte Rechtsgüterschutz, der in seinem Umfang zum Deliktsrecht identisch ist, noch das Zurechnungsprinzip und die diesem zugrunde liegenden Wertungen bieten eine Grundlage dafür, die Zurechnung aufgrund von Schutzzweckerwägungen einzuschränken. Für die Zurechnung nach dem Risikoprinzip ist allein maßgeblich, ob der Erfolg der spezifischen Gefahr zugehörig ist, die die Grundlage des Haftungstatbestands bildendet.271 Die Unbeachtlichkeit besonderer Verletzlichkeit erstreckt sich als Folge des zuvor Ausgeführten auch auf die Folgenzurechnung. Solange sich in der Folgeverletzung die spezifische Gefahr noch realisiert, sind die Folgen umfassend zuzurechnen. Es gibt schließlich keine Zurechnungsschranken, welche sich in der Folgenzurechnung fortsetzen könnten. Ebenso bietet die Risikozurechnung der Haftungsausfüllung selbst keine eigenständige Grundlage dafür, die Folgenzurechnung zu beschränken. Deshalb werden auch auf nicht verständlichen psychischen Reaktionen beruhende Folgebeeinträchtigungen zugerechnet. Diese weitreichende Haftung ist konsequent und folgerichtig, wenn man bedenkt, dass der Gesetzgeber dem Halter oder Betreiber das Risiko seiner Gefahrenquelle – mit wenigen positiv normierten Ausnahmen – nun einmal umfassend zugewiesen hat. Der Schutzzweck unterscheidet nur nach der Beeinträchtigungsform, also der Zugehörigkeit zum Risiko zur Gefahrenquelle. Eine Binnendifferenzierung in diesen Risiken hinsichtlich der bedrohten Personen, deren Konstitution oder deren Verhalten sieht die Risikohaftung nicht vor. Der für das Risiko Verantwortliche kann lediglich durch Versicherung Vorsorge Selbstgefährdung (hierzu Brand, Schadensersatzrecht, § 9 Rn. 20; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 642 f.; Looschelders, Festschrift G. Müller, 129, 137; dens., Schuldrecht AT, Rn. 1042) war in diesem Fall nicht angezeigt, da sich der Stall in ländlicher Gegend und nicht unmittelbar an der Straße befand. Und auch die besondere Verletzlichkeit des Eigentums hindert die Risikozurechnung im Gegensatz zur Verschuldenszurechnung nicht (Zutreffend BGHZ 79, 259, 263). 270 Missverständlich OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.02.2011 – I-1 U 103/10, das davon spricht, dass das Vertrauen der Zurechnung der Betriebsgefahr entgegengehalten werden kann. Das OLG meint jedoch, wie das Zitat von §§ 7, 17 StVG und die folgenden Ausführungen zeigen, dass das Vertrauen im Rahmen des Zurechnungsausschlusses unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG wirksam ist. Dazu sogleich im Haupttext. 271 Vgl. BGHZ 79, 259, 263; 115, 84, 87; BGH, NJW 1982, 1046, 1047; 1982, 2669; NZV 2011, 179, 180; NJW 2012, 1951, Tz. 17; Stoll, Haftungsfolgen, S. 398; so grundsätzlich auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 119 ff.

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für den Haftungsfall betreiben. Eine Einschränkung der Folgenzurechnung ist des Weiteren entbehrlich, weil Folgebeeinträchtigungen, sofern sie die Qualität einer Rechtsgutsverletzung aufweisen und sich in ihnen das spezifische Risiko realisiert, sowieso als Primärbeeinträchtigung zurechenbar wären. Da bei psychischen Folgebeeinträchtigungen stets die Qualität einer Gesundheitsverletzung erforderlich ist, 272 besteht für die Beschränkung der Zurechnung auch insoweit kein Bedarf. Berücksichtigungsfähig sind die an Verhalten und Sorgfaltspflichten anknüpfenden teleologischen Zurechnungsgrenzen bei der Risikozurechnung lediglich ausnahmsweise, sofern der Risikohaftungstatbestand einen Haftungsausschluss bei unabwendbaren Ereignissen aufweist, wie etwa § 17 Abs. 3 S. 1 StVG. In diesen Ausschlusstatbeständen, die an Sorgfaltspflichten anknüpfen (§ 17 Abs. 3 S. 2 StVG), findet anerkanntermaßen das Vertrauensprinzip Anwendung.273 Auf dieser Ebene – und auch nur dieser – besteht eine der Verschuldenszurechnung entsprechende Situation.274 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei den entsprechenden Sorgfaltspflichten ein äußerst strengerer Maßstab gilt. Gleichwohl dürfte der Erfolg als unabwendbares Ereignis zu beurteilen sein, wenn das Verhalten für einen durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer keine übermäßige Gefährdung begründet und ein Schaden nur deshalb eintritt, weil der Geschädigte besonders verletzlich ist. Dies umfasst insbesondere nicht mehr verständliche psychische Beeinträchtigungen, beispielsweise krankhafte Angststörungen bei einem leichten Auffahrunfall.275 2. Rein psychisch vermittelte Beeinträchtigungen Die Übertragungsfähigkeit der für die psychische Vermittlung von Beeinträchtigungen entwickelten Zurechnungskriterien wird, soweit dazu Stellung genommen wird, allgemein befürwortet. Die Literatur geht überwiegend davon aus, dass die entsprechenden Zurechnungserwägungen anwendungsfähig und -bedürftig sind, ohne diese aus den Tatbeständen der Risikohaftung und dem

Vgl. auch S. 365. BGH, NJW 1961, 266; 1985, 2757, 2758; 1986, 183, 184; 1998, 2816, 2817; OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.02.2011 – I-1 U 103/10; vgl. dazu auch Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, Kap. 25 Rn. 119 ff., 326 m. w. Nachw.; Rebler, SVR 2011, 246, 247. 274 So nicht ausdrücklich, aber im Ergebnis auch BGH, NJW 2012, 1951, 1953. 275 Vgl. OLG Köln, NJW-RR 2000, 760. 272

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abweichenden Zurechnungsprinzip zu begründen. 276 Es wird insoweit argumentiert, dass für die Risikohaftung nichts anderes gelten dürfe oder es nicht sinnvoll sei, zwischen den Zurechnungssystemen zu differenzieren.277 Stützt man die Zurechnungsbeschränkungen schlicht auf „allgemeine“ Zurechnungserwägungen, 278 die wohl im Wesen der Zurechnung angelegt und allgemeingültige sein sollen, oder rechtspolitische Gründe,279 so besteht kein Bedarf dafür, deren Anwendbarkeit zu begründen. Versucht man hingegen richtigerweise die Zurechnungsbeschränkungen auf den Zweck der Haftungsnormen zurückzuführen, so erweisen sich diese als unanwendbar, da die auf die Sorgfaltspflichtendogmatik in Verbindung mit dem Vertrauensprinzip gestützten Zurechnungsschranken in den verhaltensunabhängigen Haftungstatbeständen keinen Anknüpfungspunkt finden. Sie müssten sich vielmehr aus der die Risikoverantwortung bestimmenden Betriebs- oder Tiergefahr280 ergeben. 281 Eine grenzenlose Zurechnung von mit der spezifischen Gefahr verbundenen, psychisch vermittelten Erfolgen wäre jedoch nicht sinnvoll. Beispielsweise muss die Zurechnung einer Körperverletzung zu einem Tierhalter sinnvollerweise ausscheiden, wenn der in den Hundehaufen getretene Fußgänger sich bei einem anderen zufällig angetroffenen Hundeführer durch Gewalt „revanchiert“, obwohl ein zur Tiergefahr gehörendes Ereignis (Koten des Hundes)282 den Anlass für die entsprechende Willensbildung bildete. Es stellt sich deshalb die Frage, wie weit die Zurechnung nach dem Risikoprinzip reicht. a. Psychisch vermittelte Kausalität Als schwierig erweist sich eine normzweckgestützte Zurechnungsbeschränkung bei psychisch vermittelten Ereignissen, wenn nicht unmittelbar in das 276 Zu psychisch vermittelten Beeinträchtigungen vgl. Deutsch, Haftungsrecht, S. 438; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 93–95; Staudinger/Kohler, § 1 UmweltHG Rn. 16; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 603; a.A. Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 273 (beschränkt auf die Übermittlung von Nachrichten); RGZ 133, 270, 274; zur psychisch vermittelten Kausalität vgl. Erman/Ebert, Vor §§ 249–253 Rn. 56; Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 92; Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 53; Larenz, Schuldrecht I, § 27 III 5, S. 453; Stoll, Karlsruher Forum 1983, 184, 187; in diese Richtung auch RGZ 50, 219, 222 f.; 164, 125 f.; zurückhaltend MünchKommBGB/Wagner, § 1 ProdHaftG Rn. 21; insgesamt auch Jansen, Struktur, S. 575 ff., der allerdings von der Identität von Delikts- und Risikohaftung ausgeht. 277 Vgl. die Nachweise zuvor. 278 So Spickhoff, in: E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2007, 7, 55, 60. 279 So etwa Lang, Normzweck, S. 134. 280 Vgl. zur besonderen Gefahr Canaris, VersR 2005, 577, 579; Deutsch, Haftungsrecht, S. 410 f.; Kötz, AcP 170 (1970), 1, 21; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 607; Leßmann, JA 1989, 117, 118; Medicus, Jura 1996, 561, 563; Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 309, 343; Rohe, AcP 201 (2001), 117, 138; Will, Quellen, S. 280 ff. 281 Vgl. BGHZ 79, 259, 263; BGH, NJW 1982, 1046, 1047; 1982, 2669; 2012, 1951 Tz. 17; RGZ 68, 47, 48. 282 Vgl. hierzu MünchKommBGB/Wagner, § 833 Rn. 22.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

Unfallereignis involvierte Personen beteiligt sind und wenn kein physisch wirksames Primärereignis vorhanden ist. Ohne physisch wirksames Primärereignis stellen Rechtsprechung und die sich mit der Problematik auseinandersetzende Lehre insoweit zutreffend lediglich darauf ab, ob sich in dem Schadensereignis noch die spezifische Gefahr verwirklicht. 283 Es genügt, wenn der Betrieb oder das tierische Verhalten im Erfolg wirksam sind. Deshalb findet etwa die Zurechnung auch statt, wenn jemand durch den Betrieb einer Eisenbahn oder tierisches Verhalten erschrickt und stürzt. 284 Auch bei echter psychisch vermittelter Kausalität verzichtet der BGH zumeist darauf, die Zurechnung zu beschränken, soweit es um die Selbstgefährdung des Verletzten geht. Statt von Herausforderung spricht er zutreffend von bloßer Veranlassung und verlangt, gestützt auf den Schutzzweck, lediglich ergänzend, dass sich in dem Schadensereignis die besondere Betriebsgefahr ausgewirkt hat, ohne dass es insoweit darauf ankäme, ob die Reaktion erforderlich, verständlich oder vernünftig sei.285 Diese Rechtsprechung erweist sich als wertungsmäßig folgerichtig, da – wie bereits ausgeführt – in der fehlverhaltensunabhängigen Risikohaftung das Vertrauensprinzip nicht zugunsten des Zurechnungssubjekts wirkt. Der Schutzzweck der Gefährdungshaftung umfasst die der Gefahrenquelle verbundenen spezifischen Unfall- bzw. Schadensrisiken. 286 Das von Individualität geprägte Fehlverhalten ist diesem zu verantwortenden Risikospektrum zuzuordnen. Bestätigend hat der BGH bei einem Verfolgungsfall die Zurechnung gem. § 7 Abs. 1 StVG ausschließlich auf das Betriebsrisiko gestützt und die Frage nach dem Ausschluss der Zurechnung „unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns“, die „vergleichbar zu beantworten [ist] wie die Frage einer Haftung nach § 823 BGB“, als eine des Haftungsausschlusses unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG (bzw. § 7 Abs. 2 StVG a.F.) beurteilt. 287 In diesem wirkt das Vertrauensprinzip über die dort zu berücksichtigenden Sorgfaltspflichten.

283 Vgl. Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 92; BGH, NZV 1988, 17; 1988, 63; NJW 2010, 3713, 3174; i.E. auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 132 (für Rettungsfälle); noch generell für Schockschäden abgelehnt RGZ 68, 49; 133, 270, 274. 284 Vgl. Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 92; BGH, VersR 1972, 1074; NJW 1982, 1046, 1047; NZV 1988, 63. 285 Vgl. BGH, VersR 1971, 1060 f.; 1973, 83; NZV 1988, 63; NJW 2005, 2081; 2010, 3713, 3714; 2012, 1531, 1553. 286 Die Gefährdungshaftung gem. § 89 Abs. 1 WHG (vgl. Staudinger/Kohler, § 89 WHG Rn. 2 m. umf. N.) knüpft als Gefahrenquelle an zweckgerichtetes Verhalten (vgl. Giesberts/Reinhardt/Hilf, § 89 WHG Rn. 10; Staudinger/Kohler, § 89 WHG, Rn. 32; BGHZ 124, 394), nicht aber Fehlverhalten an. Da der Schädigungserfolg weder intendiert noch vorhersehbar sein muss (vgl. Giesberts/Reinhardt/Hilf, § 89 WHG Rn. 10; Staudinger/Kohler, § 89 WHG Rn. 37; BGHZ 124, 394, 396), ist es legitim hinsichtlich diesem von einem Unfall zu sprechen. 287 BGH, NJW 2012, 1951 Tz. 20.

§ 11 Die speziellen Zurechnungskriterien

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Höchst problematisch ist jedoch das sonstige Verhalten, das durch die Betriebsgefahr psychisch vermittelt wird, insbesondere vorsätzliche rechtswidrige Schädigungen Dritter. Dies gilt vor allem, sofern kein Ausschluss der Haftung bei unabwendbaren Ereignissen statthaft ist. Dass vorsätzliches rechtswidriges Verhalten nicht vom Schutzzweck der Gefährdungshaftung umfasst ist,288 leuchtet zwar auf Anhieb ein. Fraglich ist jedoch die Begründung. Insoweit gilt es zu hinterfragen, ob das noch der spezifischen Gefahr zuzuordnende Ereignis lediglich zufälliger Anlass des ausgelösten Willensentschlusses ist oder ein innerer Zusammenhang zur Gefahr und damit zum zugewiesenen Risiko besteht. Dies umfasst die mit einem drohenden Unfall, aber auch die mit dem eingetretenen Unfall verbundenen Risiken. Flucht- und Ausweichreaktionen, mögen diese auch unnötig und unvernünftig gewesen sein, stehen als Aktionen, die gegen das Unfallrisiko gerichtet sind, in einer inhaltlichen Beziehung zur spezifischen Gefahr. 289 Zwar ist für die Risikozurechnung von psychischen vermittelten Beeinträchtigungen kein tatsächlicher Unfall als auslösendes Ereignis erforderlich. Erforderlich ist jedoch, dass das Unfallrisiko kausal für die – den Unfall im Sinne der Norm begründende – Beeinträchtigung war und darüber hinaus in dieser materiell fortwirkt. Das angereizte Verhalten muss somit selbst Bestandteil des spezifischen Risikos sein. Deswegen sind beispielweise durch einen Beinaheunfall „provozierte“ Rachehandlungen nicht der Betriebsgefahr zugehörig. Das Zerkratzen des Lacks des vermeintlichen „Raserwagens“, der tatsächlich einer unbeteiligten Person gehört, oder die Gewalt gegen den falschen Tierhalter aus dem eingangs erwähnten Beispiel sind deshalb dem Fahrzeug- oder Tierhalter nicht zuzurechnen, der tatsächlich die Ursache gesetzt hat. In diesen Beeinträchtigungen wirkt nicht das spezifische Unfallrisiko bzw. ein mit einem eingetretenen oder beinahe eingetretenen Unfall verbundenes Begleit(unfall)risiko. Konsequenz des hier vertretenen Ansatzes ist eine im Einzelfall durchaus weitreichende Haftung. So ist etwa die von einer Flucht- oder Amokfahrt ausgehende Gefährlichkeit des Kfz ursächlich für die durch Maßnahmen zum Stopp der Fahrt, wie etwa ein bewusstes Rammen und den daraus folgenden Schaden am Streifenwagen sowie Schäden, die aus dem anschließenden Kontrollverlust mit einen Folgeunfall bei Dritten entstehen. 290 Ebenso wirkt in den durch einen Unfall veranlassten Rettungshandlungen noch die spezifische Betriebsgefahr. 291 Einschränkungen, etwa bei unvernünftigen Rettungshandlungen oder unverhältnismäßig riskanter Verfolgung, lassen sich aus dem Schutz288 Vgl. Jansen, Struktur, S. 576. Dies betrifft jedoch nicht die Fälle, in denen die Quelle der besonderen Gefahr das Mittel der rechtswidrigen Schädigung ist. 289 Vgl. BGH, VersR 1971, 1060 f.; 1973, 83 f.; NZV 1988, 63; NJW 2005, 2081; 2010, 3713, 3714. 290 Zum Rammen des Fluchtfahrzeugs BGH, NJW 2012, 1951, 1953. 291 So auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 132.

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Vierter Teil: Die Zurechnung im Einzelfall

zweck der Haftungsnorm nicht begründen und sind – wie beim Ausweichverhalten – auch nicht erforderlich. In allen Fällen kann über das Mitverschulden bzw. den Gesamtschuldnerausgleich, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des § 680 BGB, eine angemessene Verteilung der Schadenslast erreicht werden, die der gesetzgeberischen Intention entspricht. Mit der hier gegenständlichen Problematik verwandt, aber kein echter Fall psychischer Vermittlung, sind noch unmittelbare Beeinträchtigungen durch die Gefahrenquelle, bei denen die Gefahr zugleich Anlass für fremdes Verhalten gebildet hat. Diese sind unproblematisch zurechenbar. Platzieren Verbrecher ihr gefesseltes oder betäubtes Opfer auf den Schienen, so ereignet sich der Tötungserfolg „beim Betrieb“ der Bahn und es realisiert sich somit das spezifische Risiko im Sinne des § 1 HPflG. 292 Dabei ist für die Haftung unerheblich, dass eine vorsätzliche rechtswidrige Tat Dritter vorliegt, die durch die Gefahrenquelle angereizt wurde. Dieser Umstand wird beim Regress relevant. Ebenso realisiert sich die Tiergefahr, sofern unbeteiligte Personen Bissverletzungen erleiden, weil sie während eines Kampfes zwischen zwei Hunden zu intervenieren versuchen. 293 Dass unter Umständen die bewusste Aufsichnahme der Gefahr einen Ausschluss der Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erforderlich machen kann, 294 braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. b. Schockschäden Auch psychische Beeinträchtigungen bei Dritten („Schockschäden“) sind der Betriebs- oder Tiergefahr zuzuordnen, sofern diese aus einem Unfall oder Beinaheunfall herrühren. Die Verständlichkeit der Reaktion ist dabei unerheblich, sodass lediglich eine Beeinträchtigung mit der Qualität einer Gesundheitsverletzung als Rechtsgutsverletzung erforderlich ist. Zwischen den durch Miterleben und Übermittlung vermittelten Beeinträchtigungen zu differenzieren, 295 ist ebenfalls nicht angezeigt. In beiden Konstellationen realisiert sich ein Risiko, das von der Gefahrenquelle ausgeht und mit dem Unfall verbunden ist. Beschränkt wird diese weitgehende Haftung für Verkehrsunfälle freilich wiederum durch § 17 Abs. 3 StVG, da eine psychische Reaktion nicht vom Schutzzweck der Sorgfaltspflichten erfasst ist, die im Sinne der allgemeinen Dogmatik nicht mehr verständliche ist. Diese löst als unabwendbares Ereignis keine Bsp. nach Filthaut, HPflG, § 1 Rn. 88. Vgl. OLG Celle, VersR 1981, 1057, 1058; OLG Hamm, Urteil v. 17.10.2011 – Az. 6 U 72/11. 294 Vgl. hierzu Brand, Schadensersatzrecht, § 9 Rn. 20; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 642 f.; Looschelders, Festschrift G. Müller, 129, 137; dens., Schuldrecht AT, Rn. 1042; im konkreten Fall (Hundebiss während Intervention) verneinend OLG Celle, VersR 1981, 1057, 1058; bejahend OLG Koblenz, VersR 1986, 247. 295 So Esser/Weyers, Schuldrecht II 2, S. 273. 292

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Haftpflicht aus. Soweit eine solche Haftungsschranke nicht existiert, verbleiben als Begrenzung der Haftung nur die eigenverantwortliche Selbstgefährdung, das Mitverschulden und der Gesamtschuldnerausgleich. 3. Ergebnis Das zur Verschuldenshaftung entwickelte System der Zurechnung ist auf die wesensverschiedene Risikozurechnung nicht übertragbar. Ursächlich dafür ist, dass dieses aus der Sorgfaltspflichtendogmatik in Verbindung mit dem Vertrauensprinzip folgt. In der verhaltensunabhängigen Risikohaftung ist das Vertrauensprinzip jedoch unanwendbar. In der Risikohaftung ist die besondere Verletzlichkeit des Geschädigten ausnahmslos unbeachtlich. Solange in der Primär- oder Folgebeeinträchtigung das dem Zurechnungssubjekt zugewiesene Risiko wirkt, ist der Erfolg zurechenbar. Das die Zurechnung konkretisierende Merkmal der Verständlichkeit bei psychischen Beeinträchtigungen ist deshalb unanwendbar. Es kann allerdings begründen, dass die Haftung infolge eines unabwendbaren Ereignisses ausgeschlossen ist. Dieser Haftungsausschluss knüpft an Sorgfaltspflichten an, sodass das Vertrauen und somit das Verständlichkeitskriterium anwendbar ist. Die Zurechnung von psychischen Primärbeeinträchtigungen, sowohl als Eigenals auch als Drittbeeinträchtigung (Schockschaden), und von psychischen Folgeschäden erfolgt jenseits dieses Haftungsausschlusses ausschließlich nach dem unmodifizierten Risikoprinzip. Entsprechend lassen sich auch die zur psychisch vermittelten Kausalität in der Verschuldenshaftung und der daran anknüpfenden Folgenzurechnung gefundenen Ergebnisse nicht auf die Risikohaftung übertragen. Aus den vorgenannten Gründen ist ausschließlich maßgeblich, ob ein entsprechendes Verhalten und somit der Erfolg dem spezifischen Risiko zuzuordnen ist. Das ist dann der Fall, wenn das Verhalten auf dem entsprechenden zu verantwortenden Risiko, etwa dem Betrieb eines Kfz, beruht und das zu verantwortende Risiko im konkreten Erfolg materiell fortwirkt. Das veranlasste Verhalten, das den Schaden herbeiführt, muss selbst dem spezifischen Risiko zuzuordnen sein. Das Kriterium des Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens ist lediglich im Rahmen des Haftungsausschlusses unabwendbares Ereignis anwendbar. Es sind somit durch unvernünftiges oder rechtswidriges Verhalten verursachte Erfolge zurechenbar, solange in diesen die Betriebs- oder Tiergefahr wirkt.

§ 12 Zurechnung des Unzurechenbaren – die Zufallshaftung „Denn Frevel geht nicht aus der Erde hervor, und Unheil wächst nicht aus dem Acker; sondern der Mensch erzeugt sich selbst das Unheil, wie Funken hoch empor fliegen.“ (Buch Hiob, Kapitel 5, Verse 6 und 7 1)

Die vorangegangenen Ausführungen sollten das komplexe System der Zurechnung erhellen, mit dem die haftungsrechtliche Verantwortung vom Zufall unterschieden wird. Vielschichtige Normzweckerwägungen sollen es ermöglichen, die missbilligten Schadensrisiken für andere, die eine Ersatzpflicht auslösen, vom realisierten Eigenrisiko der Geschädigten, das dieser zu tragen hat, zu trennen. Das Gesetz ordnet dabei nicht bereits deshalb Haftung an, weil ein Schaden verursacht wurde, sondern weil der Schädiger das konkrete Schadensrisiko zu verantworten hat. 2 Von diesem Grundsatz macht das Gesetz jedoch scheinbar Ausnahmen. Vereinzelt öffnen die sog. Tatbestände der Zufallshaftung, wie etwa § 848 BGB, die „Schleusentore“ der Haftung. Dem Schädiger wird eine nahezu unbegrenzte Haftung auferlegt, die sogar das eigentlich niemals zu Verantwortende zu erfassen scheint. Den seltenen Tatbeständen der Zufallshaftung ist gemein, dass sie voraussetzen, dass der Schädiger bereits rechtswidrig bzw. pflichtwidrig gehandelt hat. Deshalb soll er nunmehr für schlicht kausale und sogar abwegig fernliegende Schadensereignisse haften, obwohl die bloße Kausalität normalerweise keine Zurechnung begründet. Die Tatbestände der Zufallshaftung wecken Erinnerungen an eine historische Rechtsfigur, die Haftung für versari in re illicita, die nach eben diesen Modalitäten erfolgte und eigentlich überwunden schien. Es soll im Folgenden untersucht werden, ob das deutsche Zivilrecht wirklich diese strenge Haftung aus einer anderen Zeit fortführt. Dabei sollen die Tatbestände der Zufallshaftung zugleich dahingehend durchleuchtet werden, was de-

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Bibel, nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung von 1984. Eingehen dazu S. 103 ff.

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ren tragenden Gründe sind und wie sie sich in das System der Haftung einfügen. Zuletzt gilt es noch zu beleuchten, wie weit das Phänomen der Haftung für Zufall genau reicht.

I. Der Gedanke des versari in re illicita Der auf das kanonische Recht zurückgehende 3 Gedanke des versari in re illicita4 besagt, dass derjenige, der sich auf unerlaubtes Gebiet begibt, für sämtliche Folgen dieses Verhaltens aufkommen muss. 5 Als „Folgen“ des rechts- bzw. pflichtwidrigen Verhaltens werden dabei alle Schadensereignisse verstanden, die kausal auf diesem beruhen, einschließlich der zufällig eingetretenen. Ein vorschneller Blick erweckt den Eindruck, dass diese Rechtsfigur im geltenden Recht präsent und explizit normiert ist. Neben den §§ 287 S. 2, 848 BGB scheint auch § 678 BGB diese umzusetzen. 6 Darüber hinaus wird vielfach eine Haftung für Zufall nach dem Gedanken des versari in re illicita bei vertragswidrigem Gebrauch befürwortet,7 und diese auf eine Analogie zu § 287 S. 2 BGB gestützt 8 oder diese Haftung als der verletzten Pflicht bereits immanent erachtet.9 All diese Fallgruppen „verschärfter“ Haftung können auf eine lange Rechtstradition verweisen, die über das kanonische Recht hinausgeht und sich bis ins römische Recht zurückverfolgen lässt. Die Haftung des Schuldners für Zufall im Verzug (vgl. etwa Ulp. D. 6.1.15.3; Ulp./Lab. D. 30.47.6)10 und des deliktischen Besitzers (Try. D. 13.1.20, Ulp. D. 13.1.8.1, fur semper in mora – der Dieb ist immer im Verzug11) hat sich bis heute erhalten. Abweichend zum heutigen Recht sah das römische Recht auch bei der Gebrauchsüberschreitung vielfach explizit eine Haftung für als zufällig zu beurteilende Ereignisse vor.

Vgl. Wacke, Festschrift Hübner, 669, 692. Vollständig: versanti in re illicita imputantur omnia, quae sequuntur ex delicto. 5 Vgl. Wacke, Festschrift Hübner, 669, 691. 6 So Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 3; Gebauer, Kausalität, S. 348; Knütel, NJW 1993, 900, 901; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 691. 7 Grundlegend Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694; Gebauer, Kausalität, S. 303; Palandt/Weidenkaff, § 603 Rn. 2; vgl. auch Staudinger/Reuter, § 603 Rn. 3; a.A. etwa MünchKommBGB/Häublein, § 603 Rn. 4; Erman/Graf, § 603 Rn. 1. 8 Vgl. Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694; Gebauer, Kausalität, S. 330 ff. 9 Vgl. Erman/Graf v. Westphalen, § 603 Rn. 1 und Staudinger/Emmerich, § 540 Rn. 38, der jedoch ausweislich der Anführungszeichen um das Wort Zufallshaftung Zweifel an dieser Begriffswahl hat. 10 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsee, Römisches Privatrecht, § 37 Rn. 8. 11 Ulp. D. 13.1.8.1 a.E.: semper enim moram fur facere videtur – Der Dieb ist nämlich anerkanntermaßen immer im Verzug. 3

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Dies umfasste auch solche Ereignisse, die der höheren Gewalt zugezählt wurden (Ulp. D. 13.6.5.7; Gai. D. 13.6.18; Alf. D. 19.2.30.2; Ulp. D. 19.2.13.3; Inst. 3.14.2). Die insoweit zugrunde liegenden Wertungen entsprechen dabei denen des Verzugs. Das schuldhafte Verletzen einer wesentlichen Vertragspflicht begründete die Überwälzung des Zufallsrisikos. 12

II. Die Zufallshaftung im bürgerlichen Recht Die folgende Darstellung soll belegen, dass die Haftung für versari in re illicita im geltenden Recht nicht verwirklicht ist. Diese Haftung müsste, wie ihr historisches Vorbild, auf dem Gedanken echter Kausalhaftung beruhen. 13 Sie würde gerade nicht durch Elemente einer objektiven Zurechnung – wie die Schutzzwecktheorie – beschränkt, 14 wodurch der Schuldner umfassend das Risiko zufälliger Störungen tragen müsste.15 Gegenstand einer „echten“ Haftung für versari in re illicita ist somit eine umfassende Haftung für den Zufall, der durch zurechenbares pflicht- bzw. rechtswidriges Verhalten ermöglicht wurde. 1. Die Haftung gem. §§ 287 S. 2, 848 BGB Grundsätzlich erscheint eine Auseinandersetzung mit den „Tatbeständen der Zufallshaftung“ müßig, denn deren Bedeutung wird zutreffend als gering erachtet.16 Trotz der geringen praktischen Relevanz weisen die beiden Bestimmungen ein erhebliches dogmatisches Konfliktpotenzial auf. Da beide Haftungsnormen §§ 287 S. 2, 848 BGB tatbestandlich an zurechenbares Verhalten anknüpfen, das bereits eine Haftpflicht begründet, namentlich den Verzug (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB) und die deliktische Sachentziehung (insbesondere §§ 989, 990, 992 BGB und § 823 Abs. 1 BGB), ist deren Verhältnis zur Folgenzurechnung klärungsbedürftig. Es bestehen berechtigte Zweifel, ob die Normen überhaupt einen konstitutiven Anwendungsbereich aufweisen. Um ihren Gehalt und ihre Bedeutung aufzuzeigen, muss zunächst die Bedeutung des „Zufalls“ im Sinne der Rechtsfolgenanordnung der Normen beleuchtet werden (a.). Im Anschluss soll überprüft werden, ob die haftungsbegründende Haftung „auch für Zufall“ die Kausalhaftung nach dem Vorbild der für versari in re Dazu Zimmermann, Law, S. 196 f. Zur Kausalhaftung bereits S. 198 ff. sowie S. 291 ff. Die allgemeinen Bedenken sollen hier außer Acht gelassen werden. 14 So zu § 848 BGB etwa Gebauer, Kausalität, S. 305; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 593. Zur Unvereinbarkeit von Schutzzwecklehre und der Haftung für versari in re illicita vgl. Kötz/Wagner, Deliktsrecht, Rn. 195. 15 Vgl. Larenz, Schuldrecht I § 23 II, S. 354 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II 2, S. 593. 16 Vgl. Erman/Hager, § 287 Rn. 3: „eher gering“; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 2 „keine große Rolle“; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, § 287 Rn. 3. 12

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illicita regelt (b.). Sodann soll der praktische Bedarf für die Normen festgestellt werden (c.). a. Der Zufall in §§ 287 S. 2, 848 BGB Der Regelungsgehalt der §§ 287 S. 2, 848 BGB ist nach allgemeiner Lesart der einer Haftungsverschärfung. Sie modifizieren den Maßstab des Vertretenmüssens gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit § 276 Abs. 1 BGB. Dies gilt im Grundsatz auch für § 848 BGB, da § 280 BGB und über diesen § 276 BGB ebenso wie die §§ 281 ff. BGB grundsätzlich auf gesetzliche Schuldverhältnisse anwendbar sind, 17 worunter auch die deliktischen Ansprüche fallen.18 Der Begriff des Zufalls in der Rechtsfolgenanordnung der Normen drückt in seiner Relativität zunächst aus, dass über den Zurechnungsmaßstab des Tatbestandes hinaus gehaftet werden soll, der die Haftungsverschärfung ausfüllt. Zufall ist, wie bereits umfassend ausgeführt, das Gegenteil der Zurechnung und somit des Vertretenmüssens im Sinne des § 276 Abs. 1 BGB.19 Zu verantworten sind entsprechend die im Sinne des Haftungstatbestandes noch nicht zu vertretenden Ereignisse. Die Relativität des Zufallsbegriffs bedingt jedoch, dass zusätzlich bestimmt werden muss, ob die Normen voraussetzen, dass die Leistungsstörung für beide Parteien des Schuldverhältnisses zufällig sein muss. 20 Dies wird vorbehaltlos bejaht. 21 Es wird nur selten überhaupt explizit dazu Stellung genommen, ob die Haftung wirklich ausgeschlossen sein soll, sofern das Ereignis vom Gläubiger zu vertreten ist, 22 und eine Begründung dafür sucht man vergeblich. Die vermeintliche Nähe dieser Normen zu denen des Gefahrtragungsrechts dürfte für die Annahme verantwortlich sein, der Zufall setze ein beiderseitig nicht zu vertretendes Leistungshindernis voraus. 23 Die Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 280 Rn. 6; Staudinger/Schwarze, § 280 Rn. B 8; Palandt/Grüneberg, § 280 Rn. 9; Medicus/S. Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 323; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 280 Rn. 2; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 515; Erman/Westermann, § 280 Rn. 5; BGH, NJW-RR 2013, 1057. 18 Vgl. Staudinger/Olzen, § 241 Rn. 62; Bamberger/Roth/S. Lorenz, § 241 Rn. 5. 19 Hierzu oben S. 63 ff., 83. 20 Vgl. zur interpersonellen Relativität bereits S. 87 ff. 21 Vgl. Erman/Hager, § 287 Rn. 3; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 10; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, § 287 Rn. 3; explizit beiderseits fehlendes Verschulden verlangen Hirsch, Jura 2003, 45 und Jauernig/Stadler, § 287 Rn. 2, was jedoch in Anbetracht des flexiblen Zurechnungsmaßstabs des § 276 BGB verfehlt ist. An dieser Stelle interessiert jedoch lediglich, dass beiderseitige Unzurechenbarkeit verlangt wird. 22 So etwa Erman/Hager, § 287, Rn. 6; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 10; Soergel12/Wiedemann, § 287 Rn. 5; RGZ 125, 196, 200; OLG Oldenburg, NZG 2002, 98, 100. 23 So Gebauer, Kausalität, S. 304; Larenz, Schuldrecht I, § 23 II a, S. 355; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 1; U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 127; Soergel/Benicke/Nalbantis, § 287 Rn. 1. 17

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Gefahrtragungsnormen verlangen tatsächlich die beiderseitige Unzurechenbarkeit des Ereignisses. 24 Die gedankliche Verknüpfung mit den Gefahrtragungsnormen erweist sich jedoch als irreführend. Die Normen §§ 287 S. 2, 848 BGB begründen haftungsrechtliche Verantwortung und schließen so gerade aus, dass die Gefahrtragungsnormen anwendbar sind. Hat der Schuldner den „Zufall“ zu vertreten, so liegt gerade kein Zufall im Sinne der Gefahrtragungsnormen vor. Rechtsfolge der §§ 287 S. 2, 848 BGB ist auch nicht, dass die Gegenleistungspflicht aufrechterhalten wird. Stattdessen gewähren die Normen in Verbindung mit den §§ 280, 281, 283 BGB einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Schadensersatzanspruch. Bedenken gegen das herrschende Verständnis des Zufalls als ein beiderseitig nicht zu vertretendes Ereignis bestehen auch deshalb, weil dieser zur Tatbestandsvoraussetzung würde.25 Der Schuldner hat nach dieser Ansicht neben dem Verschulden – oder einer beschränkten Risikohaftung – ausschließlich den beiderseitig nicht zu vertretenden Zufall nach § 276 Abs. 1 BGB zu vertreten. Dies beinhaltet das Paradoxon der vom Schuldner „zu vertretenden nicht zu vertretenden“ Pflichtverletzung. Demgegenüber hat bei der Auslegung des Zufalls als ein Ereignis, das ausschließlich vom Schuldner nach dem die verschärfte Haftung begründenden Haftungstatbestand nicht zu vertreten ist, dieser schlicht jede Leistungsstörung zu vertreten, sofern sie nicht auch ohne die eigene Pflichtverletzung eingetreten wäre (§§ 287 S. 2, 848 BGB jew. a.E.). Die zurechnungssystematische Relativität des Zufallsbegriffs26 verhindert so, dass § 280 Abs. 1 S. 2 BGB in Verbindung mit den Haftungsverschärfungen widersinnige Anforderungen stellt. Die Haftungsverschärfungen ordnen nur an, dass der Schuldner auch die vormals zufälligen Ereignisse nunmehr zu vertreten hat. Folge der §§ 287 S. 2, 848 BGB ist somit eine grundsätzlich umfassende Risikozurechnung. Nach der herrschenden Auffassung muss hingegen stets positiv Zufall für das Vertretenmüssen vorliegen. Dies hat die zweifelhafte Konsequenz, dass der nunmehr zu vertretende „Zufall“ im Sinne der §§ 287 S. 2, 848 BGB, kein „Zufall“ im Sinne der Gefahrtragungsnormen, wie etwa der §§ 446 f. BGB, ist. Darüber hinaus wäre der trotz Haftungsverschärfung haftungsfreie Zufall, im Sinne der nicht zurechenbaren hypothetischen Kausalverläufe (§§ 287 S. 2, 848 BGB jew. a.E.), weiterhin „Zufall“ im Sinne der Gefahrtragungsnormen. Dieses Verständnis des Zufalls kann wegen der Wechselbezüglichkeit der Rechtsinstitute Haftung und Gefahrtragung nicht überzeugen. Weil die Institute Haftung und Gefahrtragung simultan wirken, vermag diesen systematischen Widerspruch auch keine „juristische Sekunde“ zu vermeiden.

Hierzu bereits S. 67 ff., 88. Zur abweichenden Konzeption der §§ 287 S. 2, 848 vgl. oben S. 65 ff. 26 Zu dieser S. 91 ff.

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Neben dieser – zugegeben recht spitzfindigen – Kritik gibt es jedoch weitere teleologische Gründe dafür, den Zufallsbegriff auf die Ereignisse zu beschränken, die ausschließlich vom Schuldner nicht zu vertreten sind. Bedenken gegen die herrschende Auslegung bestehen insofern, dass durch diese die Haftung für den Schuldner relativ zur Haftungsausfüllung gemildert wird. Dies ist mit dem Zweck der §§ 287 S. 2, 848 BGB schwerlich vereinbar. Die Haftung für die (Folge-)Pflichtverletzung der Unmöglichkeit erfolgt ausschließlich gem. §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB. 27 Wirkt in der Unmöglichkeit die primäre Pflichtverletzung wie der Verzug fort, die die Haftungsverschärfung auslöst, so entfällt infolge der Zuordnung der Haftung zu §§ 280, 283 BGB diese vollkommen, wenn der Gläubiger zurechenbar, also beispielsweise geringstfügig fahrlässig, den Untergang der Leistungspflicht herbeiführt. Trotz der fortwirkenden zurechenbaren Pflichtverletzung wird der Schuldner also von der Haftung frei, statt gem. § 254 BGB wenigstens noch entsprechend seinem Verantwortungsbeitrag weiterhin zu haften. An die Stelle der Quotelung bei Mitverschulden in der Haftungsausfüllung tritt also eine echte Kulpakompensation in der Haftungsbegründung. Gerade wenn der Schuldner vorsätzlich und der Gläubiger lediglich geringstmöglich fahrlässig gehandelt hat, kann es nicht überzeugen, die Ersatzpflicht gem. §§ 280, 283 BGB vollständig auszuschließen. Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Zwei langer Geschäftsbeziehung stehende Geschäftsleute, ein Antiquitätenhändler und sein Lieferant, zerstreiten sich. Der Lieferant weigert sich daraufhin, das bei ihm bestellte Gemälde (Stückschuld) vereinbarungsgemäß zu liefern. Nachdem der Antiquitätenhändler mehrfach zur Leistung aufgefordert hat, erhebt er einige Monate später Klage. Der Lieferant erkennt, wie aussichtslos seine vorsätzliche Leistungsverweigerung ist, und möchte nun doch erfüllen. Bei der Anlieferung verursacht ein neu angestellter und unerfahrener Mitarbeiter des Antiquitätenhändlers einen Unfall mit dem Transportfahrzeug des Lieferanten, durch den das noch nicht übereignete Gemälde irreparabel beschädigt und unverkäuflich wird. Der Lieferant hat die Unmöglichkeit nicht fahrlässig herbeigeführt und nach der herrschenden Lehre liegt, infolge des gem. § 278 BGB zugerechneten Verschuldens, kein Zufall im Sinne des § 287 S. 2 BGB vor. Als Folge würde der Lieferant nicht gem. §§ 280, 283 BGB haften. Auch der vorsätzliche Verzug des Schuldners würde sich, obwohl ohne diesen – das sei unterstellt – das Schadensereignis überhaupt nicht eingetreten wäre, nicht in einer Ersatzpflicht niederschlagen. Diese Schwäche des herrschenden Verständnisses des Zufalls in § 287 S. 2 BGB lässt sich trotz des Verzuges auch nicht durch eine Haftung nach §§ 280, 286 BGB umgehen. Die Haftung bei Unmöglichkeit richtet sich, wie in § 280

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Dazu sogleich.

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Abs. 3 BGB positiv angeordnet und in § 275 Abs. 4 BGB deklaratorisch festgestellt wird, ausschließlich nach § 283 BGB. 28 Eine Haftung gem. §§ 280, 283 BGB in Verbindung mit § 254 BGB, die auf den Ersatz der aus der Unmöglichkeit folgenden Schäden gerichtet ist, scheidet nach der herrschenden Meinung jedoch aus. Die Unmöglichkeit – als maßgebliche Pflichtverletzung – ist für den Schuldner weiterhin zufällig und damit nicht zu vertreten. Insbesondere beim Verzug verwehrt es die Systematik des Leistungsstörungsrechts, die überflüssigerweise die Unmöglichkeit einer Sonderbehandlung zuführt, die Problematik des zufälligen Untergangs der Leistungspflicht als Verzugsfolgeschaden zu bewältigen. 29 § 287 S. 2 BGB fügt sich deshalb nur in das System des Leistungsstörungsrechts, wenn der Zufall als vom Schuldner nicht zu vertretendes Ereignis bestimmt wird. Auf diese Weise hat der Schuldner gem. § 276 Abs. 1 BGB im Wege der Risikozurechnung sämtliche kausalen Schadensereignisse zu vertreten, deren Zurechnung nicht gem. § 287 S. 2 Hs. 2 BGB ausgeschlossen ist. Theoretisch gilt hinsichtlich der Haftungsverschärfung des § 848 BGB das Gleiche, wie das folgende Beispiel verdeutlicht: Ein Einbrecher entwendet aus dem Haus des verreisten Eigentümers zwei sehr wertvolle Hyazintharas, die in separaten Volieren gehalten wurden. Er sperrt diese allgemein geselligen Tiere in seinem Versteck zusammen in eine einzige Voliere. Er beabsichtigt, die Tiere gegen ein angemessenes Lösegeld zeitnah an den zahlungsbereiten Halter30 herauszugeben. Bereits in der ersten Nacht verletzt jedoch das Weibchen, das vom Eigentümer wegen seines spontan aggressiven Verhaltens getrennt gehalten wurde, das Männchen so schwer, dass dieses verendet. Diese Eigenheit des Weibchens ist äußerlich nicht erkennbar. Da sich der Halter den Tod des Männchens als realisierte Tiergefahr des Weibchens zurechnen lassen muss (§ 833 S. 1 BGB), liegt kein Zufall im Sinne der herrschenden Meinung vor. Nun bedingt § 251 Abs. 1 BGB, dass im Zusammenhang mit § 848 BGB nicht die gleichen Probleme wie beim Verzug auftreten. Bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution im Wege der Herausgabe tritt eine Kompensationspflicht nach den allgemeinen Grundsätzen der Folgenzurechnung ohne ergänzende Voraussetzungen ein. Die herrschende Auslegung des Zufalls führt dennoch 28 Vgl. etwa Stieper, ZGS 2011, 557, 563; MünchKommBGB/Ernst, § 286 Rn. 120 f. Eingehend hierzu unten S. 414 ff. 29 Die Systematik beachten etwa Erman/Hager, § 287 Rn. 3; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 Rn. 16; Bamberger/Roth/Unberath, § 287 Rn. 3 nicht ausreichend. Staudinger/Löwisch/Feldmann, Vorbem zu §§ 286-292 Rn. 2 und § 286 Rn. 181 stellen etwa selbst fest, dass Schadensersatz statt der Leistung nur nach Maßgabe der §§ 281–283 BGB gewährt wird. Zutreffend MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 3. 30 Während bei einem Diebstahl die Haltereigenschaft des Eigentümers enden und eine des Diebes begründet würde (vgl. Eberl-Borges, VersR 1996, 1070, 1071; Staudinger/EberlBorges, § 833 Rn. 109 f. m. umf. Nachw.), endet diese bei einer nur vorübergehenden Besitzentziehung nicht, vgl. etwa § 7 Abs. 3 S. 1 StVG.

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dazu, dass auch diese – überflüssige – sogenannte Haftungsverschärfung in ihrer Rechtsfolgenanordnung hinter der allgemeinen Folgenzurechnung zurückbleiben würde. Dies bestätigt, dass das herrschende Verständnis des Zufalls verfehlt ist. b. §§ 287 S. 2, 848 BGB als Kodifizierung des versari in re illicita Auf der Grundlage der Erkenntnis, was der Zufall im Sinne der Haftungsverschärfungen ist, kann nun der Frage nachgegangen werden, ob diese Bestimmungen eine Haftung für versari in re illicita normieren. Nach allgemeiner Ansicht soll im Rahmen der verschärften Haftung für die Zurechnung die rein zeitlich-kausale Verknüpfung von Pflichtverletzung und Folgeleistungsstörung hinreichend sein. 31 Diese Normen begründen eine Haftung des Schuldners für den durch sein widerrechtliches Verhalten ermöglichten Zufall, 32 und kodifizieren so nach allgemeiner Ansicht die alte Rechtsfigur, die eben solche schlicht kausalen, zufälligen Leistungsstörungen sanktioniert. Der vermeintliche Verzicht auf materielle Zurechnung erweist sich jedoch als Trugschluss. Die Tatbestände der Haftungsverschärfung bewirken keineswegs solch einen Verzicht, sondern setzen eine materielle Zurechnung in ihrem Tatbestand – nunmehr33 – im Ansatz explizit voraus. Die Haftung für Zufall beschränkt sich tatsächlich auf die Ereignisse, bei denen ein Pflichtwidrigkeitsbzw. Risikozusammenhang zwischen der „Primärpflichtverletzung“ und Folgepflichtverletzung besteht. Gem. § 287 S. 2 BGB haftet der Schuldner nur „wegen der Leistung auch für Zufall“ und gem. § 848 BGB ausschließlich „für den zufälligen Untergang, eine aus anderem Grunde eintretende zufällige Unmöglichkeit der Herausgabe oder eine zufällige Verschlechterung der Sache“. Beide Haftungsverschärfungen knüpfen somit an die spezifische Pflichtverletzung an. Sie verlangen einen teleologischen Zusammenhang zwischen dieser und der zu sanktionierenden Beeinträchtigung, der über die bloße Kausalität hinausgeht. So ist es allgemein anerkannt, dass trotz Kausalzusammenhang zwischen Verzug und (Folge-)Rechtsgutsverletzung die Haftungsverschärfung keine Anwendung findet, wenn der Gläubiger eine unfallbedingte Körperverletzung erleidet, etwa beim Versuch einer Ersatzbeschaffung. 34 Der Gläubiger soll nur 31 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 3; Erman/Hager, § 287 Rn. 3; Bamberger/Roth/Unberath, § 287 Rn. 3; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 16; Schur, Leistung, S. 91. 32 Vgl. U. Huber, Leistungsstörungsrecht II, S. 128; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 691 f. 33 Mit der Anpassung des Wortlauts des § 287 S. 2 BGB an das neue Leistungsstörungsrecht war keine Veränderung der Rechtslage intendiert (BT-Drs. 14/6040, S. 148) und auch nicht verbunden (vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 1; Erman/Hager, § 287 Rn. 1). 34 Vgl. Gebauer, Kausalität, S. 302; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 Rn. 14.

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vor den mit der Verzögerung verbundenen Risiken hinsichtlich des Ausbleibens des Leistungserfolges geschützt und keine darüber hinausgehende Garantie für dessen Güter über eine Kausalhaftung gewährt werden. Entsprechend löst nach allgemeiner Ansicht die Verletzung einer Schutzpflicht oder sonstigen leistungsbezogenen Nebenpflicht keine Haftung aus, 35 auch wenn die Pflichtwidrigkeit für die Folgepflichtverletzung kausal war. Ist aber nun doch ein Zurechnungszusammenhang erforderlich, um die Zurechnung zu legitimieren, so handelt es sich nicht um eine Haftung für – beliebige – schlicht zeitlichkausale Zufälle. Bedenken, dass der verschärften Haftung stets ein Zurechnungszusammenhang zugrunde liegt, könnten wegen einer anderen Eigenart der Haftung bestehen. Die Haftung gem. §§ 287 S. 2, 848 BGB setzt zutreffenderweise keine Gefahrerhöhung durch das pflichtwidrige Verhalten voraus.36 Eine Risikozurechnung zur zu vertretenden Pflichtverletzung erscheint insoweit bedenklich. Diesbezüglich ist jedoch der Schutzzweck der spezifischen Verhaltensgebote zu beachten.37 So soll die Pflicht bei Fälligkeit zu leisten38 ebenso wenig ausschließlich vor einer gefahrerhöhenden Leistungsverzögerung schützen, wie die Pflicht, das fremde Eigentum oder den fremden (berechtigten) Besitz zu achten, ausschließlich vor gefahrerhöhenden Sachentziehungen schützen soll. Es wird wohl niemand ernsthaft behaupten, dass die gefahrlose Sachentziehung rechtmäßig sei, wie auch niemand das Vorliegen einer Leistungspflichtverletzung verneinen würde, nur weil mit der Nichtleistung trotz Fälligkeit kein erhöhtes Risiko einer weitergehenden Leistungsstörung verbunden wäre. Positiv formuliert, bezwecken die Pflicht zur rechtzeitigen Leistung und der Schutz 35 Vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 148; Gebauer, Kausalität, S. 301; Palandt/Grüneberg, § 287 Rn. 1; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 Rn. 14; Bamberger/Roth/Unberath, § 287 Rn. 4. 36 Vgl. U. Huber, Festschrift Wahl, 301, 329; ders., Leistungsstörungsrecht II, S. 126; Larenz, Schuldrecht I, § 23 II, S. 355. 37 Hierzu für die Folgenzurechnung bereits S. 325 f. 38 Dazu, dass der Schuldner bei der Nichtleistung trotz Fälligkeit bereits pflichtwidrig handelt, vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 135 f.; MünchKommBGB/Ernst, § 286 Rn. 159; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rn. 462; BGH, NJW 1985, 320, 324. Schadensersatz wegen der Verzögerung der Leistung zu verlangen, ist gem. § 280 Abs. 2 BGB ausschließlich und abschließend unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 286 BGB möglich (vgl. dazu MünchKommBGB/Ernst, § 286 Rn. 159; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 286 Rn. 181 ff.), sodass nach der gesetzlichen Konzeption eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB bereits durch die Nichtleistung trotz Fälligkeit vorliegt. Dies wird auch durch § 281 Abs. 1 S. 1 BGB bestätigt, da ein zu vertretendes Nichterbringen der fälligen Leistung auch dann eine Schadensersatzpflicht begründet, wenn die – keineswegs zwingend erforderliche (Abs. 2) – Nachfrist aus nicht zu vertretenden Gründen erfolglos verstreicht (vgl. Tetenberg, JA 2009, 1, 3 f.; Staudinger/Schwarze, § 281 Rn. B 55, jew. m. umf. Nachw.). Bezugspunkt des Vertretenmüssens und damit (hinreichende) Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB ist somit die Nichtleistung trotz Fälligkeit.

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des absoluten Rechts Eigentum bzw. des Besitzes (§§ 861 f., 1007 BGB) den Berechtigten von fremden Risiken gänzlich frei zu halten, weswegen die Zurechnung gerade keine relative Gefahrerhöhung erfordert. Nicht umsonst wird die Ratio des § 287 BGB darin gesehen, dass die Leistung bei rechtzeitiger Erbringung der Risikosphäre des Schuldners entzogen gewesen wäre. 39 Dabei handelt es sich eigentlich nur um ein Abbild des Schutzzwecks der Pflicht zur rechtzeitigen Leistung. Die hier zugrunde gelegte Zwecksetzung der Pflicht zur Leistung bei Fälligkeit wird auch dadurch bestätigt, dass die Risikobelastung des Schuldners endet, 40 wenn der Gläubiger den Versuch zur rechtzeitigen Leistung vereitelt. Der Annahmeverzug verhindert nämlich – reziprok zur Leistungsverzögerung durch den Schuldner – dass die Leistung den Risikobereich des Schuldners rechtzeitig verlassen und so die bestimmungsgemäße rechtliche oder tatsächliche Zuordnung entsprechend den Risikosphären eintreten konnte. Die §§ 287 S. 2, 848 BGB bezwecken somit ausschließlich, den Schuldner mit den spezifischen missbilligten Risiken zu belasten, die mit der Pflichtverletzung verbundenen sind. Dass die §§ 287 S. 2, 848 BGB einen Zurechnungszusammenhang voraussetzen, wird auch durch die Freistellung der hypothetischen Kausalverläufe (§§ 287 S. 2, 848 BGB jew. a.E.) sowie deren Einschränkung bestätigt. Bei diesen entfällt der Zurechnungszusammenhang, da der Gläubiger den gleichen Verlust erlitten hätte, wenn die pflichtgemäße Güterlage bestanden hätte oder der Leistungserfolg eingetreten wäre.41 Es hätte sich also das Eigenrisiko des Gläubigers realisiert. Die spezifischen Pflichten bezwecken, wie bereits angedeutet, nicht, dem Gläubiger zu garantieren, dass ihm die Sache oder das Leistungssubstrat sicher verbleibt, indem dem Schuldner auch die Risiken auferlegt werden, die den Gläubiger auch ohne die Leistungsverzögerung getroffen hätten.42 Sie bezwecken nur die ordnungsgemäße Zuordnung gemäß den Risikosphären zu erhalten, herbeizuführen oder wiederherzustellen. Der Zurechnungsausschluss erfasst entsprechend dem Schutzzweck der Pflichten nur Schadensereignisse, die während der Leistungsverzögerung bzw. Sachentziehung und vor der tatsächlichen Beeinträchtigung eintreten. 43 39 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 1; Gebauer, Kausalität, S. 302; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 682; BT-Drs. 14/6040, S. 148. 40 BGH, NJW 1996, 1745 f., NJW-RR 1994, 1469, 1470; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 286 Rn. 56; Bamberger/Roth/Unberath, § 286 Rn. 62; MünchKommBGB/Ernst, § 286 Rn. 98. 41 Vgl. auch BT-Drs. 14/6040, S. 148. 42 So zutreffend Gebauer, Kausalität, S. 322, der insoweit von einer „immanenten Grenze der Risikoverlagerung“ spricht. 43 Vgl. U. Huber, Leistungsstörungsrecht II, S. 131; Soergel/Benicke/Nalbantis, § 287 Rn. 18 f.; Palandt/Grüneberg, § 287 Rn. 4; Erman/Hager, § 287 Rn. 7; Staudinger/Löwisch/Feldmann; § 287 Rn. 20 ff. Die Problematik der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Schadensanlage soll hier außer Betracht bleiben.

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Vor dem Hintergrund dieser Schutzzweckerwägungen leuchtet auch ein, warum die Berücksichtigungspflicht hypothetischer Kausalverläufe teleologisch reduziert werden muss, wenn der Untergang des Leistungsgegenstandes bei hypothetischem Erfolgseintritt mit der Ersatzpflicht eines Dritten verbunden wäre.44 Insoweit realisiert sich nämlich gerade nicht das ursprüngliche Eigenrisiko des Gläubigers, mangels Haftungssubjekts ersatzlos eine Einbuße zu erleiden. Stattdessen realisiert sich ein spezifisch mit der Verzögerung oder Sachentziehung verbundenes Risiko. Auch diese Ausnahme zum Ausschluss der Haftung bei hypothetischen Schadensereignissen offenbart also, dass die Zurechnung nicht undifferenziert auf der Grundlage von Kausalität, sondern stets teleologisch durch die Pflicht begründet erfolgt. Den Haftungsverschärfungen liegt also doch ein Zurechnungszusammenhang zugrunde, der durch den Schutzzweck der verletzten Pflichten bestimmt und als Risikozurechnung entsprechend diesem umgesetzt wird. Deshalb scheidet es aus, diese Bestimmungen als solche der Haftung für versari in re illicita zu beurteilen.45 Sofern man nicht davon ablassen kann oder möchte, die §§ 287 S. 2, 848 BGB mit der Rechtsfigur zu verbinden, so ist zu beachten, dass diese keinen materiellen Gehalt aufweist. Das versari in re illicita beschreibt lediglich rein deklaratorisch aus der allgemeinen Zurechnungsdogmatik resultierende Folgen. Ob mit dieser Erkenntnis der Schluss verbunden werden kann, dass die Normen der Haftungsverschärfung generell entbehrlich sind, soll im Folgenden beleuchtet werden. c. Entbehrlichkeit der §§ 287 S. 2, 848 BGB In Anbetracht des Regelungsgegenstandes der §§ 287 S. 2, 848 BGB bestehen erhebliche Bedenken, ob diese Bestimmungen überhaupt einen konstitutiven Anwendungsbereich aufweisen. Entsprechend wird vertreten, dass die Haftungsverschärfung in § 848 BGB entbehrlich sei. 46 Die „Haftungsverschärfung“ ergebe sich bereits aus der Dogmatik der Folgenzurechnung in Verbindung mit § 251 Abs. 1 BGB. 47 Die herrschende Auffassung, die den Normen

44 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 5; Gebauer, Kausalität, S. 328: Erman/Hager, § 287 Rn. 7; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 Rn. 24; Soergel/Benicke/Nalbantis, § 287 Rn. 20. 45 Auch nach Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 101 steht die Anwendbarkeit der Schutzzwecklehre – die bei den gegenständlichen Normen inzident umgesetzt wurde – gerade im Gegensatz zur Zurechnung aller denkbaren Folgen des versari in re illicita. 46 Meincke, JZ 1980, 677, 678; MünchKommBGB/Wagner, § 848 Rn. 2; i.E. auch Wacke, Festschrift Hübner, 669, 686, der jedoch für eine Beibehaltung der Norm aus Gründen der Klarstellung und Allgemeinverständlichkeit plädiert. 47 MünchKommBGB/Wagner, § 848 Rn. 2; i.E. auch Jauernig/Stadler, § 287 Rn. 2, der das Eintreten des Leistungshindernisses zutreffend der Haftungsausfüllung zuweist; andeutungsweise auch Esser/E. Schmidt, Schuldrecht I 1, S. 136.

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lediglich bezüglich inadäquater Beeinträchtigungen bzw. Schäden eigenständige Bedeutung zuerkennt,48 leitet deren Existenzberechtigung ausschließlich aus dem Verzicht auf das Adäquanzerfordernis ab. Da dieses als Zurechnungskriterium jedoch generell entbehrlich ist 49 bzw. durch den vorrangigen Schutzzweck der verletzten Pflichten sowieso überspielt würde, wenn es anwendbar wäre,50 ist § 848 BGB tatsächlich überflüssig. Dieses Ergebnis erzeugt Zweifel hinsichtlich der Relevanz des § 287 S. 2 BGB. Die Neuorganisation des Leistungsstörungsrechts durch die Schuldrechtsmodernisierung von 2002 hat allerdings zur Folge, dass über § 287 S. 2 BGB nicht das gleiche Urteil wie über § 848 BGB gesprochen werden kann. Die Systematik des § 280 BGB bestimmt, dass über §§ 280 Abs. 1, 286 BGB lediglich reine Verzögerungsschäden geltend gemacht werden können. Die aus der Unmöglichkeit resultierenden Schäden, als solche statt der Leistung gem. § 280 Abs. 3 BGB, sind ausschließlich über §§ 280, 283 BGB ersatzfähig.51 Obwohl es sich eigentlich durchaus um Verzögerungsschäden im weitesten Sinne handelt, ist der Ersatz der aus dem Ausbleiben der Leistungserfüllung resultierenden Schäden – statt und nicht neben der Leistung – „nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen [...] des § 283“ begründet und die §§ 280, 286 BGB sind unanwendbar. Da die Haftung abschließend § 283 BGB zugewiesen und so die Unmöglichkeit zum ausschließlichen Bezugspunkt des Vertretenmüssens wurde, 52 bedarf es der Haftungsverschärfung über §§ 276 Abs. 1, 287 S. 2 BGB, um die gem. §§ 280, 286 BGB in Verbindung mit der Folgenzurechnung eigentlich selbstverständliche Rechtsfolge zu erreichen.53 Die Systematik des Leistungsstörungsrechts erfordert somit die Regelung des § 287 S. 2 BGB.

48 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 287 Rn. 3; Gebauer, Kausalität, S. 305; Palandt/Grüneberg, § 287 Rn. 3; Gebauer, Kausalität, S. 305; Erman/Hager, § 287 Rn. 3; U. Huber, Leistungsstörungen II, S. 126; Larenz, Schuldrecht I, § 23 II a, S. 354 f.; Staudinger/Löwisch/Feldmann, § 287 BGB Rn. 16; Soergel12/Mertens, Vor § 249 Rn. 121; Prütting/Wegen/Weinreich/Schmidt-Kessel, § 287 Rn. 3; Bamberger/Roth/Unberath, § 287 BGB Rn. 3; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 683; unpräzise Jauernig/Stadler, § 287 Rn. 2, der vom fehlenden „Kausalzusammenhang“ spricht. 49 Vgl. S. 303 ff. 50 Zum Vorrang der Schutzzwecklehre gegenüber der Adäquanz vgl. S. 305. 51 So auch Stieper, ZGS 2011, 557, 563; Arnold, ZJS 2009, 22, 27. 52 Vgl. MünchKommBGB/Ernst, § 283 Rn. 6; Staudinger/Schwarze, § 283 Rn. 46; Stieper, ZGS 2011, 557, 563; Palandt/Grüneberg, § 283 Rn. 4; Bamberger/Roth/Unberath, § 283 Rn. 3. 53 A.A. Soergel/Benicke/Nalbantis, § 287 Rn. 3, 7, 14 ff.

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2. Die weiteren Konstellationen einer Haftung für Zufall Als weitere Fallgruppen der Haftung für versari in re illicita werden insbesondere § 678 BGB54 und die Haftung bei schuldhafter Gebrauchsüberschreitung angeführt. 55 Die mit diesen Instituten bzw. Konstellationen verbundene „Haftung für Zufall“, die Folge schuldhaft pflichtwidrigen Verhaltens ist, findet dabei keine explizite Erwähnung im Gesetz. Die entsprechende Haftung wäre nur dann eine für versari in re illicita, wenn diese auf materielle Zurechnungsschranken verzichten würde. Dies scheidet für all die Fallgruppen von vornherein aus, die auf eine Analogie zu § 287 S. 2 BGB gestützt oder unmittelbar aus der Folgenzurechnung hergeleitet werden. § 287 S. 2 BGB verwirklicht die Rechtsfigur nicht 56 und die Folgenzurechnung selbst kann nicht auf bloßer Kausalität beruhen57. Als potenzielle Verwirklichung der historischen Rechtsfigur verbleibt somit lediglich § 678 BGB. Bezüglich der Haftung bei unberechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gilt es entsprechend zu belegen, dass auch diese Haftung auch für Zufall entsprechend § 287 S. 2 BGB auf einer teleologisch begründeten Zurechnung beruht (a.). Im Anschluss soll aufgezeigt werden, dass die Haftung bei schuldhafter Gebrauchsüberschreitung aus den gleichen Vorgaben folgt (b.). § 678 BGB und die schuldhafte Gebrauchsüberschreitung sind allerdings nur Beispielsfälle einer ganzen Gruppe von Konstellationen, in denen der Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots eine Haftung entsprechend § 287 S. 2 BGB gebietet. Von diesen werden mit der vereinbarungswidrigen Verwahrung und der Abweichung von Weisungen im Auftragsverhältnis die wichtigsten dargestellt (c.). a. Die unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag gem. § 678 BGB Die Haftung für die schuldhafte 58 Übernahme fremder Geschäfte, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn widerspricht, soll auch Zufallsschäden umfassen. 59 Der Geschäftsführer ist gem. § 678 BGB auch dann für die Schäden verantwortlich, die während der Geschäftsführung 54 Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 3; Gebauer, Kausalität, S. 348; Knütel, NJW 1993, 900, 901; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 691. 55 Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694; Gebauer, Kausalität, S. 303, 330 ff.; vgl. auch Staudinger/Reuter, § 603 Rn. 5. 56 Dazu, dass die Haftung gem. § 287 S. 2 BGB keine für versari in re illicita ist, vgl. S. 411 ff. 57 Hierzu S. 291 ff. 58 Vgl. Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 1; Erman/Dornis, § 678 Rn. 1; MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 1 f. 59 Vgl. Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 17; Erman/Dornis, § 678 Rn. 5; Gebauer, Kausalität, S. 303, 347; Jauernig/Mansel, § 678 Rn. 2; Soergel/Beuthien, § 678 Rn. 5; kritisch hinsichtlich der Bezeichnung als Haftung für Zufall MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 2.

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entstehen, wenn ihn bezüglich diesen kein weitergehendes Verschulden trifft. Betrachtet man diese Schäden aus der Perspektive der Haftungsbegründung, so umfasst die Haftung durchaus zufällige Erfolge. 60 Der historische Gesetzgeber verzichtet dabei bewusst darauf, diese Rechtsfolge mit dem Begriff des Zufalls zu versehen, da er mit diesem eine Erweiterung der Haftung verband. 61 Diese Annahme beruhte allerdings auf einem Irrtum. Selbst wenn man zulässigerweise von einer Haftung (auch) für Zufall spricht, ist festzustellen, dass es sich nicht um eine undifferenzierte auf der Grundlage von versari in re illicita handelt. § 678 BGB begründet keine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen der Folgenzurechnung verschärfte Haftung. Es bestehen bereits berechtigte Bedenken, ob § 678 BGB überhaupt selbst eine Haftung konstituiert.62 Der Gleichlauf der Folgenzurechnung wird auch dadurch deutlich, dass bereits im Stadium seiner Entstehung bekannt war, dass die vermeintliche Haftungsentschärfung gem. § 678 BGB a.E. entbehrlich ist, weil diese Regelung die Haftung nicht erweitert. So wird in den Motiven zu § 749 Abs. 2 E I ausgeführt: 63 „Hat der Geschäftsführer bei der ihm hiernach obliegenden Prüfung [des Willens des Geschäftsherrn] die gebührende Sorgfalt verletzt, so hat er nach den allgemeinen Grundsätzen für alle, nicht bloß für die voraussehbaren Folgen der von ihm zu vertretenden Handlung oder Unterlassung einzustehen.“

§ 749 Abs. 2 E I stellte lediglich die allgemeine Wirkung der mit der Pflichtverletzung verbundenen Folgenzurechnung fest.64 Der Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots, der die Reichweite der Folgenzurechnung bestimmt, bezweckt einen umfassenden Schutz vor den Risiken einer unberechtigten Geschäftsführung, unabhängig von weiterem Fehlverhalten. Wie bei § 287 S. 2 BGB ist so eine umfassende Zurechnung der korrespondierenden Schäden geboten. Die aus § 678 BGB – oder bereits aus § 677 BGB65 – resultierende Pflicht, sich nicht gegen den Willen in fremde Geschäfte einzumischen und so

60 Zur zurechnungssystematische Relativität des Zufallsbegriffs, die dieser Terminologie zugrunde liegt, vgl. S. 91 ff. 61 Motive II, S. 858 (Mugdan II, S. 479). 62 Vgl. Prot. II S. 3029 f. (Mugdan II, S. 1193), die Vorschrift sei überflüssig, deren Normierung aber zur Klarstellung zweckmäßig. So heute auch Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 3; MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 1; Loyal, AcP 212 (2012), 365, 367 ff.; a.A. etwa Soergel/Beuthien, § 678 Rn. 1. 63 Motive II, S. 857 (Mugdan II, S. 479); vgl. auch Prot. II 3029 (Mugdan II, S. 1193). 64 Entsprechend zur Reichweite der Haftung bei § 233 E I die erste Kommission, vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen IV, S. 120, 122. 65 Versteht man § 678 BGB als lediglich deklaratorisch normierten Unterfall des Ausführungsverschuldens, folgt die Pflicht bereits aus § 677 BGB.

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in den fremden Rechtskreis einzubrechen, 66 bezweckt bezogen auf drohende Schäden, den Geschäftsherrn von sämtlichen nicht von dessen Willen gedeckten Risiken einer Fremdgeschäftsführung freizuhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob mit der Geschäftsführung überhaupt ein gesteigertes Schadensrisiko verbunden ist. Der Schutzzweck umfasst deshalb sämtliche mit der pflichtwidrigen Geschäftsführung im Zusammenhang stehenden Schadensrisiken. Der zu verantwortenden Risikobereich deckt sich in seiner teleologischen Begründung mit der Haftung gem. §§ 276, 287 S. 2 BGB in der hier vertretenen Auslegung67.68 Deswegen wäre eine entsprechende Formulierung als Haftung „auch für Zufall“ durchaus möglich gewesen, ohne dass die Haftung erweitert worden wäre. Übereinstimmend mit § 287 S. 2 BGB ist die Haftung gem. § 678 BGB in Verbindung mit der Folgenzurechnung auf Schäden beschränkt, bei denen ein teleologischer Zurechnungszusammenhang zwischen Schadensposition und Pflichtverletzung besteht. Für Schäden, die nur „bei Gelegenheit“ der Geschäftsführung entstanden sind, ist der Geschäftsführer nicht verantwortlich.69 Etwa haftet dieser trotz Kausalität nicht, wenn der Geschäftsherr nach Abschluss der Geschäftsführung auf dem Weg zum Geschäftsführer, um den „Störenfried“ noch einmal richtig zurechtzuweisen, einen Unfall erleidet oder dem Geschäftsherrn der durch die Geschäftsführung erlangte Gegenstand Monate nach der Übergabe auf den Fuß fällt und die Zehen bricht. Entsprechend § 287 S. 2 BGB a.E. muss der Geschäftsführer ebenfalls nicht für Schäden einstehen, die dem Geschäftsherren auch ohne sein Eingreifen entstanden wären und richtigerweise ferner nicht für solche, die durchaus kausal auf dem Eingreifen beruhen, aber in anderer Form ebenfalls eingetreten wären. 70 Wegen des Schutzzwecks der spezifischen verletzten Pflicht können aber nur solche hypothetischen Kausalverläufe berücksichtigt werden, bei denen der Schaden auch bei 66 Vgl. Erman/Dornis, § 678 Rn. 1; Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher, § 678 Rn. 1; Soergel/Beuthin, § 678 Rn. 1; Bamberger/Roth/Gehrlein, § 678 Rn. 1; MünchKommBGB/Seiler, § 678 Rn. 1. 67 Im Sinne eines vom Schuldner nicht zu vertretenden Ereignisses als Rechtsfolge. 68 Vgl. etwa Soergel/Beuthien, § 678 Rn. 5; Erman/Dornis, § 678 Rn. 5; sowie Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 17, der von der Entbehrlichkeit des § 678 BGB ausgeht. Zumeist wird noch ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen Geschäftsübernahme und Schaden gefordert (Soergel/Beuthien, § 678 Rn. 5; Erman/Dornis, § 678 Rn. 5; Bamberger/Roth/Gehrlein, § 678 Rn. 4; a.A. Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher, § 678 Rn. 4, der alle kausalen Schäden zurechnen möchte). Dies würde zwar eine Einschränkung gegenüber der Zurechnung nach § 287 S. 2 BGB entsprechend der herrschenden Lehre bedeuten (dazu oben S. 411, 415). Richtigerweise ist jedoch das Adäquanzkriterium, wie bereits ausgeführt, generell verfehlt und wäre auch bei § 678 BGB durch den gegenüber der Adäquanz vorrangigen, umfassenden Schutzzweck der verletzten Pflicht sowieso unanwendbar (allgemein hierzu S. 305). 69 Staudinger/Bergmann, § 678 Rn. 17. 70 Vgl. Gebauer, Kausalität, S. 349.

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mit dem Willen des Geschäftsherren konformem Verhalten durch alternative „Zufälle“ ebenfalls eingetreten wären, und zwar ausschließlich solche während der Geschäftsführung bis zum Eintritt des tatsächlichen Schadensereignisses. Füttert beispielsweise jemand die Wasserschildkröten im Teich des Nachbarn gegen dessen erkennbaren Willen mit unerkennbar giftigem Futter, woraufhin diese verenden, so haftet der Geschäftsführer grundsätzlich gem. § 678 BGB bzw. §§ 280 Abs. 1, 677 BGB. Die Haftung scheidet auch dann nicht aus, wenn bei einem Unfall eines Gefahrguttransporters zwei Tage später Chemikalien austreten und in den Teich fließen, die alle Schildkröten ebenfalls zwangsläufig getötet hätten. Eine abweichende Beurteilung ist jedoch angezeigt, wenn der Nachbar die Schildkröten während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Geschäftsherrn gegen dessen Willen wegen eines vermeintlichen Frostrisikos aus dem Teich entnommen hat, sich dann der Unfall ereignet und im Anschluss die in einem Aquarium untergebrachten Tiere durch die fehlerhafte Fütterung umkommen. Die Zurechnung findet entsprechend der teleologischen Reduktion des § 287 S. 2 BGB weiterhin statt, wenn das hypothetische Schadensereignis mit einer Ersatzpflicht eines Dritten verbunden gewesen wäre. Hat etwa im abgewandelten Beispielsfall der Führer des Gefahrguttransporters den Unfall fahrlässig verursacht, würde der Geschädigte bei Berücksichtigung des hypothetischen Kausalverlaufs leer ausgehen, da der Zweitschädiger den Schaden tatsächlich nicht verursacht hat. In diesem Fall realisiert sich doch ein spezifisches Risiko der unberechtigten Fremdgeschäftsführung, gerade weil der Geschäftsherr wegen des pflichtwidrigen Verhaltens des Geschäftsführers keinen Anspruch gegen den hypothetischen Zweitschädiger hat. In diesem Fall gebietet der Schutzzweck der Pflicht, dass der Schädiger trotz der hypothetischen Schadensverursachung haftet. Dies bestätigt ebenfalls, dass § 678 BGB einen teleologischen Zurechnungszusammenhang voraussetzt. Es bleibt festzustellen, dass § 678 BGB entweder kodifiziert oder schlicht beschreibt, dass der Geschäftsführer bei der unberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag auch für Schadensereignisse über die Folgenzurechnung haftet, die im Sinne des Haftungstatbestandes nicht verschuldet und somit zufällige sind. Bei dieser Haftung handelt es sich nicht um eine undifferenzierte, die auf dem Gedanken des versari in re illicita fußt und sämtliche Zufälle umfasst. Vielmehr ist stets ein teleologischer Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und dem jeweiligen Schaden erforderlich. Dieser erfordert, dass sich ein nicht vom Willen des Geschäftsherrn gedecktes und somit missbilligtes Risiko realisiert haben muss. Es wird lediglich nicht für solche willensfremden Schäden gehaftet, bei denen die Berücksichtigung des Willens eine Garantie für den Bestand der Interessen und Güter des Geschäftsherrn begründen würde, die von der Pflicht oder § 678 BGB nicht bezweckt wird. Dies betrifft die hypothetischen Kausalverläufe, wie sie in § 287 S. 2 BGB – deklaratorisch – normiert sind und andere Realisierungen

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des Eigenrisikos, die in einem lediglich schlicht kausalen Zusammenhang zur Geschäftsführung stehen. b. Die Haftung bei Gebrauchsüberschreitungen Auch bei der schuldhaften Gebrauchsüberschreitung stellt sich die Frage, ob für eine kausale aber nicht ihrerseits zu vertretende Beeinträchtigung der Sache gehaftet wird. Bei den Gebrauchsüberlassungsverträgen dürfen der Mieter und der Entleiher von der Sache keinen anderen als den vertragsgemäßen Gebrauch machen, wie in § 603 S. 1 BGB für die Leihe positiv normiert und für die Miete aus den §§ 538, 541, 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB ersichtlich ist.71 Bei der separat normierten einverständnislosen Gebrauchsüberlassung an Dritte (§ 540 Abs. 1 S. 1, 603 S. 2 BGB) handelt es sich lediglich um einen Unterfall der Gebrauchsüberschreitung. aa. Begründung der Haftung „auch für Zufall“ bei Gebrauchsüberschreitung Die herrschende Meinung bejaht bei der Gebrauchsüberschreitung eine Haftung des Schuldners auch für Zufall. 72 Etwa haftet der Mieter bei unerlaubter Untervermietung unabhängig vom Verschulden des Untermieters für die Beeinträchtigung der Mietsache aus eigenem Verschulden, 73 sofern diese im Zusammenhang mit dem Mietgebrauch steht. 74 Teilweise wird diese Haftung auf eine Analogie zu § 287 S. 2 BGB gestützt. 75 Zumeist wird diese Analogie für entbehrlich gehalten, weil diese Problematik durch die Folgenzurechnung zu Allgemeine Ansicht, statt aller Stieper, ZGS 2011, 557, 558 m. w. Nachw. Bei Gebrauchsüberlassung im Rahmen echter Gefälligkeitsverhältnisse lehnt der BGH es bereits ab, die Pflicht aus § 603 S. 1 BGB analog anzuwenden (BGH, NJW 2010, 3087). Dies überzeugt zumindest bei Gefälligkeitsverhältnissen mit rechtsgeschäftlichem Charakter nicht (a.A. BGH, a.a.O., obiter dictum), da Schutzpflichten unabhängig vom Willen der Parteien entstehen (dazu Grigoleit, Festschrift Canaris I, 275, 281 ff.) und diese den hier vertretenen Grundsätzen entsprechend ausgestaltet sein müssen. 72 Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694; Gebauer, Kausalität, S. 330 ff.; Staudinger/Reuter, § 603 Rn. 5; Stieper, ZGS 2011, 557, 563; Bamberger/Roth/C. Wagner, § 603 Rn. 2; ähnlich Knütel, NJW 1993, 900, 901; Erman/Graf v. Westphalen, § 603 Rn. 1; Staudinger/Emmerich, § 540 Rn. 38; Palandt/Weidenkaff, § 540 Rn. 14, § 603 Rn. 2; i.E. auch Soergel/Heintzmann, § 602 Rn. 2; a.A. Larenz, Schuldrecht II 1, § 50, S. 295; RGRK/Gelhaar, § 602 Rn. 1. 73 Vgl. MünchKommBGB/Bieber, § 540 Rn. 25; Staudinger/Emmerich, § 540 Rn. 38; Soergel/Heintzmann, § 540 Rn. 27; Erman/Lützenkirchen, § 540 Rn. 16 Palandt/Weidenkaff, § 540 Rn. 14; zur Leihe etwa BGH, NJW 2010, 3087 Tz. 9. 74 Vgl. MünchKommBGB/Bieber, § 540 Rn. 25. 75 Vgl. Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694; Gebauer, Kausalität, S. 330 ff.; Staudinger/Reuter, § 603 Rn. 5; Stieper, ZGS 2011, 557, 563; ähnlich Bamberger/Roth/C. Wagner, § 603 Rn. 2: „nach dem Rechtsgedanken der §§ 287 S. 2, 848 BGB“ und Knütel, NJW 1993, 900, 901: „Gedanke“ des § 287 S. 2 BGB. 71

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bewältigen sei. 76 Beiden Ansichten kann jedoch lediglich im Ergebnis zugestimmt werden. Der Schuldner haftet infolge der schuldhaften Pflichtverletzung bezogen auf die verletzte Pflicht umfassend für Zufall. Die jeweilige Herleitung dieses Ergebnisses trifft den Kern der Problematik jedoch nur zum Teil und kann als absolute Aussagen nicht überzeugen. Die Haftung für nicht verschuldete Beeinträchtigungen der Sache bei Gebrauchsüberschreitungen wird, wie bei § 287 S. 2 BGB und auch § 678 BGB, durch den Schutzzweck der Pflicht vorgegeben, von der überlassenen Sache keinen anderen als den objektiv vereinbarten Gebrauch zu machen. Die Pflicht bezweckt, dass der Leistungsgegenstand keinen weiteren Risiken ausgesetzt wird, als die vertraglich vom Überlassenden übernommenen, wodurch letztendlich dessen Dispositionsbefugnis geschützt wird. Dieser Schutzzweck bedingt im Umkehrschluss, dass sämtliche mit dem pflichtwidrigen Gebrauch – aber auch nur diesem – verbundenen Risiken zugerechnet werden, die sich sodann als Schäden realisieren. Die Zurechnung erfolgt dabei unabhängig davon, ob mit dem vertragswidrigen Gebrauch überhaupt ein gesteigertes Schadensrisiko verbunden ist. Beispielsweise überlässt der Eigentümer seinem Freund aufgrund eines Leihvertrages gem. § 598 BGB sein Kfz für einen Besuch bei dessen Großmutter in der Nachbargemeinde. Macht dieser noch einen Abstecher in eine andere Stadt, um dort einzukaufen, so hat dieser für die Unfallschäden einzustehen, die auf dem Supermarktparkplatz durch einen flüchtigen Dritten am ordnungsgemäß geparkten Fahrzeug verursacht werden. Während unverschuldete Unfälle auf dem Weg zur und von der Großmutter nach dem vertraglichen Willen des Eigentümers ein gebilligtes Risiko sind und nicht von seinem Freund verantwortet werden müssen (vgl. § 602 BGB), sind die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachten Schäden nicht von dessen Willen gedeckt. Dass sich im Schaden ein omnipräsentes Risiko des Straßenverkehrs realisiert hat, entlastet den Freund wegen dessen schuldhaft vertragswidrigem Verhalten nicht. Diese Haftung ausschließlich über die Folgenzurechnung zu begründen, funktioniert gleichwohl nicht. Problematisch sind die Fälle, in denen durch die Beeinträchtigung der Sache der Herausgabeanspruch in einer Weise gestört wird, bei der der Gläubiger sein Interesse nur im Wege des Schadensersatzes statt der Leistung liquidieren kann. In diesen Konstellationen ist der Weg über die Folgenzurechnung aufgrund der Haftungssystematik des § 280 BGB mit den variierenden Bezugspunkten des Vertretenmüssens versperrt.77 Insoweit 76 Vgl. Erman/Graf v. Westphalen, § 603 Rn. 1; Staudinger/Emmerich, § 540 Rn. 38; Palandt/Weidenkaff, § 540 Rn. 14, § 603 Rn. 2; i.E. auch Soergel/Heintzmann, § 602 Rn. 2: „Ersatz jedes aus der Pflichtverletzung entstehenden Schadens“, sowie MünchKommBGB/Häublein, § 603 Rn. 4, der jedoch wegen des (vermeintlichen) Adäquanzerfordernisses der Folgenzurechnung nicht von Zufall spricht. 77 Hierzu bereits S. 409 f., 415.

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bedarf es der Analogie zu § 287 S. 2 BGB, um die anerkannt angemessene Zurechnung der Beeinträchtigungen zu erreichen, die über die versperrte Folgenzurechnung eigentlich begründet wäre. Das Bedürfnis besteht insbesondere, wenn die Beeinträchtigung die vollständige oder teilweise Unmöglichkeit der Herausgabe zur Folge hat.78 Die Haftung ist insoweit exklusiv den §§ 280, 283 BGB zugewiesen und der Bezugspunkt des Vertretenmüssens ist ausschließlich die Unmöglichkeit und gerade nicht die Gebrauchsüberschreitung. 79 Andererseits ist der Weg über die alternative Analogie zu § 287 S. 2 BGB nicht immer nötig und möglich. Eine mit § 287 S. 2 BGB übereinstimmende Haftung wird bei Schadensersatzansprüchen „neben“ der Leistung (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) bereits über die Folgenzurechnung in Verbindung mit der Schutzzwecklehre erreicht. Dies hat zur Folge, dass die Analogie mangels Regelungslücke schon gar nicht statthaft ist. Aus dem Schutzzweck der Verhaltenspflicht folgt zugleich, dass in der Folgenzurechnung die Haftung kongruent zu § 287 S. 2 Hs. 2 BGB bzgl. hypothetischer Kausalverläufe ausgeschlossen sein muss. bb. Statthaftigkeit der Analogie zu § 287 S. 2 BGB Die Analogie zu § 287 S. 2 BGB ist zulässig und geboten, weil das Gesetz planwidrig lückenhaft und die Interessenlage, die der verschärften Haftung beim Verzug zugrunde liegt, mit der im Falle der Gebrauchsüberschreitung vergleichbar ist. Die hierfür erforderliche Unvollständigkeit des Gesetzes ergibt sich aus der unterschiedlichen Behandlung gleichwertiger Vorgänge durch § 280 Abs. 1 bis 3 BGB. Die Planwidrigkeit der Regelungslücke ist durch die mit der Schuldrechtsmodernisierung erfolgte Neuordnung des Leistungsstörungsrechts begründet. Die Haftung für Zufall bei Gebrauchsüberschreitung erfuhr im BGB niemals eine eigenständige Regelung, weil der historische Gesetzgeber davon ausging, dass diese selbstverständlich sei. So führen etwa die Motive zur Leihe (§ 554 E I) aus80: „Daß der Entleiher, wenn er von der geliehenen Sache schuldvoller Weise einen vertragswidrigen Gebrauch macht, auch wegen des Zufalls haftet, welcher die Folge dieses vertragswidrigen Gebrauches ist [...], braucht nicht besonders hervor gehoben zu werden, da es sich

78 Beim Schadensersatzanspruch statt der Leistung gem. §§ 280, 281 BGB liegt im Anwendungsbereich des Fristsetzungserfordernisses zumeist (unzutreffend BT-Drs. 14/6040, S. 138) auch zugleich Verzug vor, sodass § 287 S. 2 BGB bereits unmittelbar anwendbar ist. Darüber hinaus gibt es jedoch zahlreiche Konstellationen, bei denen eine Analogie – u.a. schon aus Gründen der Gleichbehandlungsbedürftigkeit mit dem Regelfall – ebenso erforderlich ist. 79 Zutreffend Stieper, ZGS 2011, 557, 558; Palandt/Weidenkaff, § 602 Rn. 2; andeutungsweise MünchKommBGB/Häublein, § 603 Rn. 4. 80 Motive II, S. 450 (Mugdan II, S. 251).

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aus den allgemeinen Grundsätzen über Schadensersatz wegen schuldhafter Nichterfüllung ergibt (vgl. §§ 240, 224).“

Auch die Motive zu § 540 Abs. 2 BGB (§ 516 E I)81 sprechen unter Verweis auf die Regelungen des Verzugs von einer aus den allgemeinen Grundsätzen resultierenden Haftung des Mieters für Zufall, wenn dieser unberechtigt den Gebrauch der Mietsache an Dritte überlassen hat. Diese historische Einschätzung erweist sich als nicht mehr zutreffend. Die Schuldrechtsmodernisierung, die die Systematik des Leistungsstörungsrechts mit den verschiedenen Anknüpfungspunkten der Pflichtverletzung im Rahmen des § 280 BGB umgestaltete, bezweckte nicht, den Schuldner gegenüber der Folgezurechnung besserzustellen. 82 Auch die Interessenlage ist mit der des Verzuges vergleichbar. Es handelt sich in beiden Konstellationen um eine Gebrauchsüberschreitung, das eine Mal in zeitlicher und das andere Mal in sachlicher Hinsicht. 83 Dabei ist jedoch nicht der Umstand maßgeblich, dass bei beiden Formen der Gebrauchsüberschreitung ein „Dauerzustand des Unrechts“ 84 geschaffen wird, der nach dem Gedanken des versari in re illicita eine umfassende Haftung rechtfertigt. 85 Wie beim Verzug86 bezweckt die Pflicht, von der Sache nur den vertraglich vereinbarten Gebrauch zu machen, den Gläubiger von allen Risiken frei zu halten, die nicht von dessen vertraglichem Willen gedeckt sind. Dies rechtfertigt die Zurechnung unabhängig davon, ob mit dem vertragswidrigen Gebrauch überhaupt ein gesteigertes Beeinträchtigungsrisiko verbunden ist. c. Verwandte Haftungskonstellationen Über die Gebrauchsüberschreitung hinaus gibt es noch weitere Fälle einer Haftung „auch für Zufall“, die durch schuldhaft pflichtwidriges Verhalten begründet werden. Im Folgenden sollen ausgewählte weitere Ausprägungen dieses Phänomens kurz dargestellt werden, allerdings ohne dass damit ein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden wäre. Eine zur Gebrauchsüberschreitung identische Interessenlage liegt etwa bei der vereinbarungswidrigen Verwahrung von Gegenständen vor. Auch insoweit soll über die Pflicht das übernommene Risiko – vorbehaltlich mutmaßlich vom Willen gedeckter Änderungen bei Gefahr im Verzug (§ 692 S. 2 Hs. 2 BGB)87

Motive II, S. 397 (Mugdan II, S. 221). BT-Drs. 14/6040, S. 133 ff. schweigt dazu. 83 Vgl. Gebauer, Kausalität, S. 331; Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694. 84 So Stieper, ZGS 2011, 557, 564; Staudinger/Reuter, § 602 Rn. 3. 85 Vgl. Wacke, Festschrift Hübner, 669, 694. 86 Hierzu S. 412 f. 87 Es erscheint gerechtfertigt, jenseits der Gefahr im Verzug bei erfolgter Anzeige nach S. 2 Hs. 1 eine Obliegenheit des Hinterlegers zur Entscheidung anzunehmen, sodass es die81

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– abschließend definiert werden. Entsprechend wird deckungsgleich zur Gebrauchsüberschreitung bei der unbefugten Drittverwahrung88 und der unbefugten Änderung der Verwahrung89 eine Haftung analog § 287 S. 2 BGB befürwortet. So kann sich etwa der Verwahrer, der es vertraglich übernommen hat, den wertvollen Schmuck in seinem Wandsafe zu verwahren, nicht mit dem Einwand entlasten, ihm sei der von seiner Frau während eines festlichen Opernball getragene Schmuck bei einem spektakulären Raubüberfall mit vorgehaltener Waffe abgenötigt worden. Er haftet, obwohl er hinsichtlich der Unmöglichkeit der Herausgabe schuldlos gehandelt hat. Abweichendes gilt entsprechend § 287 S. 2 Hs. 2 BGB freilich, wenn neben dem vertragswidrig als Verwahrstelle gewählten Schreibtisch auch der Safe von den nächtlichen Einbrechern geleert wurde. Eine Analogie zu § 287 S. 2 BGB ist geboten, wenn pflichtwidrig und zu vertretend von der vereinbarten Verwahrung abgewichen wird, sofern der Ersatz als Schadensersatz statt der Leistung geltend gemacht werden muss. Die Begründung der Analogie entspricht exakt der bei der Gebrauchsüberschreitung, weswegen hier auf eine erneute Darstellung verzichtet wird. 90 Für den Schadensersatz neben der Leistung ergibt sich der entsprechende Haftungsmaßstab bereits aus der Dogmatik der Folgenzurechnung, sodass kongruent zur Gebrauchsüberschreitung die Analogie mangels Regelungslücke ausscheidet. Wird etwa der zur Verwahrung überlassene Oldtimer vertragswidrig für eine sonntägliche Ausfahrt genutzt und unverschuldet bei einem Unfall reparaturfähig beschädigt, so haftet der Verwahrer richtigerweise bereits vor dem Herausgabeverlangen gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Folgenzurechnung für den Schaden. Des Weiteren besteht bei Auftragsverhältnissen regelmäßig eine entsprechende Interessenlage. Diese ist beispielsweise gegeben, wenn der Gegenstand durch das unberechtigte Einschalten von Hilfspersonen (§ 664 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB)91 oder bei der pflichtwidrigen Abweichung von der Vereinbarung oder Weisungen (§ 665 BGB)92, etwa konkreten Vorgaben hinsichtlich Aufbewahrung oder Transport eines auftragsgemäß erworbenen Gegenstandes, unverschuldet untergeht. Der Auftragnehmer haftet grundsätzlich bereits aus den sem nach dem Verstreichen einer angemessenen Bedenkzeit verwehrt ist, sich auf den Widerspruch zum tatsächlichen Willen und somit die Verletzung der Pflicht nach § 692 BGB zu berufen. 88 Erman/Herrmann, § 691 Rn. 3; Staudinger/Reuter, § 691 Rn. 10; auf die Analogie verzichten MünchKommBGB/Henssler, § 691 Rn. 7: „nach den in den §§ 287 S. 2, 848 verankerten Grundgedanken“ und Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher, § 691 Rn. 1. 89 MünchKommBGB/Henssler, § 692 Rn. 6; Erman/Herrmann, § 692 Rn. 3; Staudinger/Reuter, § 692 Rn. 6; OLG Dresden, OLGRspr 9, 24; durch die Bezugnahme auch Henssler wohl auch Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher, § 691 Rn. 1. 90 Zu den Voraussetzungen der Analogie vgl. S. 422 f. 91 Vgl. Staudinger/Martinek, § 664 Rn. 18. 92 Die Abweichungsbefugnis entspricht der bei der Verwahrung.

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allgemeinen Erwägungen der Folgenzurechnung für im Sinne des Haftungstatbestandes zufällige Schadensereignisse. 93 Soweit zur Befriedigung des beeinträchtigten Gläubigerinteresses Schadensersatz statt der Leistung erforderlich ist, bedarf es wiederum wegen des Bezugspunktes des Vertretenmüssens der Analogie zu § 287 S. 2 BGB. 94 Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Der Beauftragte hat den letzten Oldtimer seiner Art in Japan erworben und versendet diesen entgegen der ausdrücklichen Weisung des Auftraggebers im Container auf einem Schiff statt per Flugzeug. Das Schiff wird auf der Reise von einer 25 Meter hohen Riesenwelle getroffen und schwer beschädigt, wobei es Teile der Ladung, darunter auch den Container mit dem Oldtimer, verliert. Beim Schadensersatzanspruch wegen des Untergangs des Herausgabeanspruchs nach §§ 280, 283 BGB95 offenbart sich das Problem, dass der Beauftragte die Unmöglichkeit mangels Risikosteigerung nicht verschuldet hat. Durch die gewählte Transportweise wurde das Transportrisiko nicht signifikant erhöht. Da der Auftraggeber jedoch nur die – gleichwertigen – Risiken des Lufttransports zu tragen bereit war, haftet der Beauftragte aufgrund des Schutzzwecks der verletzten Pflicht dennoch analog § 287 S. 2 BGB, weil er schuldhaft von der Weisung abgewichen ist.

III. Ergebnis Zusammenfassend ist festzustellen, dass infolge Verschuldens auch für Zufall im Sinne des haftungsbegründenden Tatbestandes gehaftet wird. Die im BGB normierten Tatbestände solch einer Haftung (§§ 287 S. 2, 848 BGB) und die durch Analogie zu diesen gewonnenen, begründen jedoch keine undifferenzierte Kausalhaftung für versari in re illicita. Die bezogen auf die verletzte Verhaltenspflicht umfassende Haftung, die das vom Schuldner Verschuldete und auch das für diesen Zufällige erfasst, rechtfertigt sich aus dem Schutzzweck der Pflicht, den späteren Haftungsgläubiger von bestimmten Risiken vollkommen frei zu halten. Dies umfasst etwa alle mit der Leistungsverzögerung verbundenen Risiken für die Erfüllung der Leistungspflicht (§ 287 S. 2 BGB), die nicht vom Willen des Geschäftsherrn gedeckten Schadensrisiken bei der unberechtigten Fremdgeschäftsführung (§ 678 BGB), ebenso wie die mit der Gebrauchsüberschreitung, der vereinbarungswidrigen Verwahrung oder 93 RGZ 78, 310, 315; Erman/Berger, § 664 Rn. 8 und § 665 Rn. 13; Bamberger/Roth/Fischer, § 664 Rn. 10 und § 665 Rn. 13 f.; Staudinger/Martinek, § 664 Rn. 18 und § 665 Rn. 27; MünchKommBGB/Seiler, § 664 Rn. 14 und § 665 Rn. 36 f. 94 A.A. offenbar Erman/Berger, § 664 Rn. 8 und § 665 Rn. 13; Bamberger/Roth/Fischer, § 664 Rn. 10 und § 665 Rn. 13 f.; Staudinger/Martinek, § 664 Rn. 18 und § 665 Rn. 27; MünchKommBGB/Seiler, § 664 Rn. 14 und § 665 Rn. 36 f., die ausschließlich auf die allgemeinen Regeln oder Erwägungen abstellen. 95 Bamberger/Roth/Fischer, § 667 Rn. 15; BGH, NJW 2006, 986, 987.

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dem Abweichen von leistungsbezogenen Weisungen verbundenen Risiken für den Leistungsgegenstand. Eine zum pflichtgemäßen Verhalten relative Gefahrerhöhung ist für die Zurechnung in Anbetracht dieses Schutzzwecks der jeweiligen Pflicht nicht erforderlich. Lediglich hypothetische Kausalverläufe im Sinne des § 287 S. 2 BGB und eine pflichtfremde Realisierung des Eigenrisikos schließen die Zurechnung aus, weil die jeweils maßgebliche Pflicht nicht bezweckt, den Gläubiger von seinem Eigenrisiko zu entlasten. Im Falle des § 287 S. 2 BGB und den notwendigen Analogien zu diesem wird der eigentlich durch die Folgenzurechnung begründete Verantwortungsmaßstab auf die Ebene der Haftungsbegründung „vorgezogen“. Dies ist erforderlich, weil § 280 BGB beim Schadensersatz statt der Leistung und dabei insbesondere der Haftung bei Unmöglichkeit nicht an die vorgelagerte schuldhafte Pflichtverletzung, wie etwa den Verzug, die Gebrauchsüberschreitung oder das unberechtigte Abweichen von Weisungen, sondern an die Unmöglichkeit oder die nicht erfüllte Herausgabepflicht anknüpft (§ 280 Abs. 3 BGB). Erst durch den Transfer des Verantwortungsmaßstabs wird der erforderliche Gleichlauf zwischen den verschiedenen Konstellationen hergestellt, wodurch zugleich die unterschiedlichen Analogien legitimiert werden.

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse I. Der Zufall im Haftungsrecht 1. Der Zufall und das Recht Das Recht ist ein Instrument der Ordnung. Als solches ist es dazu berufen eine Antwort auf den Zufall zu bieten und zugleich auszuschließen, dass es selbst dem Zufall unterworfen ist. 1 Der Zufall, der über die tatsächliche Ebene die rechtliche beeinflusst, lässt sich allerdings nur begrenzt regeln. Dem Recht verbleibt deshalb häufig nur dessen Folgen zum Wohle der Gesellschaft zuzuweisen. Der Zufall erscheint im Recht in vielerlei Formen. 2 Überwiegend weisen die zivilrechtlichen Normen, die den Zufall regeln, das Risiko zufälliger Begebenheiten zu. Die meisten von ihnen, wie etwa die §§ 446, 287 S. 2 und 848 BGB, regeln als Gefahrtragungs- und Haftungsnormen, wen das Risiko zufälliger Schadensereignisse trifft. Daneben dient der Zufall als Mittel der rechtlichen Argumentation und als Anknüpfungspunkt methodischen Wirkens. Zufällige Rechtsanwendungsergebnisse, folgen diese nun aus der Norm selbst oder einer Auffassung zu deren Auslegung, sollen aus dem Recht verbannt werden, indem die Zufälligkeit angeprangert oder die Norm korrigiert wird. Eine weitere Antwort auf die Problematik des Zufalls sind die risikoentlastende Institutionen in der Form von der Privatversicherung und der Sozialversicherung. 3 Diese ermöglichen es dem Einzelnen, obwohl ihn das Haftungsrecht scheinbar hinsichtlich des Zufalls im Stich lässt, sein Leben frei und ohne die permanente Angst vor zukünftigen Schicksalsschlägen zu gestalten. 2. Die Entstehung der Rechtsfigur „Zufall“ Die Rechtsfigur Zufall entstand wahrscheinlich im fünften Jahrhundert v. Chr. in Griechenland. 4 Der Zufall ist lediglich beiläufig, im Zuge der Entwicklung S. 24 f., 25 ff. S. 27 ff. 3 S. 36 ff. 4 S. 42 ff.

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des Verschuldens als Zurechnungsgrund, die durch einen Wandel der Gesellschaft in kultureller und vor allem religiöser Hinsicht geschuldet war, entstanden. Die Strafe für Verschulden löste die bisher geltende Kausalhaftung ab und erforderte eine neue Rechtsfigur, die den neuen Bereich der kausal-schuldlosen Schädigungen beschrieb, die erstmals nicht mit einer Sanktion bedacht wurden. Eine entsprechende Entwicklung lässt sich auch für das römische Recht beobachten. 5 An die Stelle der Kausalhaftung, die im Zwölftafelgesetz und der lex Aquilia bis in die Periode der Vorklassik vorherrschte, trat eine Verschuldenshaftung und der Zufall (casus) zog ins Recht ein. Ob diese Entwicklung durch das griechische Recht angestoßen oder gefördert wurde, lässt sich nicht belegen. Es erscheint aber durchaus wahrscheinlich. Die römischen Rechtsgelehrten entwickelten in der Folge ein äußert komplexes System der zivilrechtlichen Haftung und Risikozuweisung. Dieses wirkt bis heute nach und viele der mit dem Zufall verbundenen Regelungen und Rechtsfiguren des bürgerlichen Rechts lassen sich bis in diese Zeit zurückverfolgen. 3. Der Rechtsbegriff „Zufall“ im Haftungsrecht Im Haftungsrecht und dem Recht der Gefahrtragung, die untrennbar miteinander verbunden sind, tritt der Zufall in Gegensatz zur Zurechnung. 6 Kausalität schließt die Qualifikation eines Ereignisses als Zufall nicht aus, während nicht kausale Ereignisse hingegen stets Zufall sind.7 Dem steht § 830 Abs. 1 S. 2 BGB nicht entgegen, da dieser keine materielle Haftung für nicht kausale Ereignisse regelt, sondern sich in seiner Wirkung auf das Beweisrecht beschränkt. Die früher vorherrschende antithetische Verbindung von Zufall und Verschulden ist im BGB nicht verwirklicht. 8 Der Zufall tritt dem Vertretenmüssen in einem weiten Verständnis, als haftungsrechtliche Zurechnung in ihrer Gesamtheit, gegenüber. 9 Der Rechtsbegriff des Zufalls ist mehrfach relativ.10 Die Zufälligkeit eines Ereignisses als fehlendes Vertretenmüssen ist ein Urteil über die subjektive Beziehung zwischen dem Erfolg und dem Zurechnungssubjekt. Ein Ereignis kann deshalb für eine Person Zufall und für eine andere zurechenbar und damit zu verantworten sein (interpersonelle Relativität des Zufalls). 11 Aus diesem Grund zwingt der Gebrauch des Begriffs im Gesetz dazu, anhand des Normzwecks zu ermitteln, für wen ein Ereignis zufällig sein muss. Der Zufall kann

S. 48 ff. S. 58 ff. 7 S. 59 ff. 8 S. 63 ff. 9 S. 84 f. 10 S. 85 ff. 11 S. 87 ff.

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II. Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

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zudem nicht positiv bestimmt werden, sondern muss stets durch ein Zurechnungsprinzip ausgefüllt werden (funktionelle Relativität). 12 Der Begriff des Zufalls dient dabei als lediglich scheinbar positiver Ersatzbegriff für eine Negativabgrenzung zu den individuellen Verantwortungssphären. Die kumulative Anwendbarkeit von Zurechnungsprinzipien erschwert es, „den“ Zufall selbst in seinem relativen (negativen) Aussagegehalt zu fixieren. Damit ist eine dritte Relativitätseigenschaft verwandt. Dasselbe Ereignis kann für die gleiche Person, je nach zugrunde gelegtem Zurechnungsprinzip, Zufall und zugleich zu verantworten sein (zurechnungssystematische Relativität).13 Zuletzt teilt der Rechtsbegriff des Zufalls die allgemeine Relativitätseigenschaft von Rechtsbegriffen. 14 Ein abweichender Normzweck der Regelung, die den Begriff gebraucht, kann eine abweichende Bestimmung des Inhalts erforderlich machen.

II. Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien 1. Grundlagen der Zurechnung Die Zurechnung verwirklicht das rechtsethische Prinzip der Verantwortung der Person.15 Durch Zurechnung wird eine besondere Beziehung zwischen dem zuzurechnenden Ereignis und dem Haftungsadressaten geschaffen, welche es rechtfertigt, genau diesen für das Ereignis und seine Folgen einstehen zu lassen. Das Zurechnungserfordernis folgt aus dem Prinzip der relativen zweiseitigen Rechtfertigung von Pflichten. Dieses drückt aus, dass Ansprüche und Pflichten nicht willkürlich auferlegt werden können, sondern über das spezifische Verhältnis der konkreten, rechtlich gleichgestellten Normadressaten zueinander gerechtfertigt werden müssen. Die Zurechnung wird erheblich durch die Rechtsprinzipien beeinflusst. Prinzipien sind abwägungsfähige und -bedürftige relative Sollensgebote, die Werte verkörpern.16 Regelungen sind demgegenüber nicht abwägungsfähig, sondern haben einen absoluten Geltungsanspruch (definitive Sollensgebote). Kollidieren zwei Regelungen wird eine der beiden unwirksam, es sei denn, es handelt sich bei einer der Regelungen um einen Ausnahmetatbestand zu einer anderen. Von Regelungen abzuweichen, die keinen ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestand vorsehen, ist nur möglich, wenn ein solcher durch eine teleologische Reduktion begründet werden kann.

S. 90 f. S. 91 ff. 14 S. 93 ff. 15 S. 103 ff. 16 S. 118 ff. 12

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Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Die Zurechnungsprinzipien sind keine Prinzipien.17 Sie sind Regelungen, die als Rechtsfolge Verantwortung für ein Schadensereignis definitiv anordnen, wenn ihr Tatbestand erfüllt ist. Den Zurechnungsprinzipien liegt jeweils eine Abwägung von echten Wertprinzipien und deren Unterprinzipien zugrunde, die diese rechtfertigen. Teilweise haben Wertprinzipien eine verantwortungsbegründende Wirkung und können deshalb als Zurechnungswertprinzipien bezeichnet werden. Dem Verschuldensprinzip liegen das Selbstbestimmungsprinzip, das Selbstverantwortungsprinzip, das Prinzip des Güterschutzes (neminem laedere) und das Vertrauensprinzip zugrunde.18 Die Verhaltensgebote der Sorgfaltspflichten können jedoch nicht unmittelbar aus den Prinzipien ermittelt werden. Es bedarf weiterer konkretisierender Kriterien, um anwendungsfähige einzelfallbezogene Verhaltensgebote überhaupt formulieren zu können. Die zur Gebotsbestimmung im beweglichen System verwendeten „Elemente“ bzw. Kriterien leiten sich allerdings aus den Prinzipien ab und finden in diesen ihre Rechtfertigung.19 Die Prinzipien geben zugleich das relative Gewicht der Elemente in der Abwägung vor. Insbesondere das Vertrauensprinzip bewirkt in vielerlei Hinsicht eine Objektivierung der Verhaltensgebote.20 Es wirkt pflichtverschärfend, etwa indem das schützenswerte Vertrauen des Verkehrs in die Fähigkeiten der Verkehrsteilnehmer einen objektiven Mindeststandard an zu erwartender Sorgfalt begründet. Es wirkt aber auch verantwortungsbegrenzend, etwa bei berechtigtem Vertrauen in die nach den tatsächlichen Umständen gegebenen Selbstschutzmöglichkeiten der Bedrohten. Dem Richter, der zur Feststellung der Norm berufen ist, verbleibt ein gewisser Abwägungsspielraum.21 Unterlässt er es jedoch, ein Wertprinzip überhaupt oder seinem Gewicht entsprechend zu berücksichtigen, so ist die ermittelte Verhaltensnorm wertungswidersprüchlich und vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes teleologischen und verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. 2. Die Zurechnungsprinzipien a. Das Verschuldensprinzip Das Verschuldensprinzip ordnet die Zurechnung bei Vorsatz und Fahrlässigkeit an. Unabhängig vom Verschuldensgrad wird die Zurechnung lediglich dann begründet, wenn das Verhalten missbillig und somit rechtswidrig ist. Dies

S. 124 ff. S. 130 ff. 19 S. 139 ff. 20 S. 141 ff., 267 ff., 350 f. 21 S. 124 ff., 140 f. 17 18

II. Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

431

erfordert, dass das potenziell haftungsbegründende Verhalten pflicht- bzw. sorgfaltspflichtwidrig ist.22 Die Zurechnung erfordert darüber hinaus ein bestimmtes subjektives Verhältnis des Zurechnungssubjekts zum Erfolg und zum verletzten Verhaltensgebot.23 Während der Vorsatz den subjektiven Willen erfordert, den Erfolg entgegen dem erkannten Verhaltensgebot herbeizuführen, geht die subjektive Beziehung bei der Fahrlässigkeit grundsätzlich in der objektiven Sorgfaltspflicht auf. Bereits das Entstehen der Sorgfaltspflicht ist an die objektiv-typisierte Erkennbarkeit der Gefahr und somit des Erfolges aus der ex ante-Sicht eines Sorgfaltspflichtigen gekoppelt, weswegen der eingetretene Erfolg nach dem objektiven Fahrlässigkeitsbegriff zugleich zurechenbar ist. Ein darüber hinausgehendes subjektives Verhältnis zu Verhaltensgebot und Erfolg wird allenfalls als Irrtumsproblematik relevant. Echte subjektive Zurechnung verlangt das Gesetz lediglich, sofern diese besonders angeordnet ist, etwa indem die Haftung an Vorsatz oder an die Verletzung der diligentia quam in suis gekoppelt wird.24 Jenseits dieser Fälle ist die Zurechnung eine rein objektive aufgrund des objektiv vermeidbaren Verletzens eines Verhaltensgebots. b. Das Risikoprinzip Die Risikohaftung existiert, weil die mit dem Verschuldensprinzip verbundene Risiko- und Verantwortungszuweisung in einigen Konstellationen korrekturbedürftig ist. Über das Risikoprinzip werden die Verantwortungssphären modifiziert, indem bestimmte Schadensrisiken fehlverhaltensunabhängig zugewiesen werden.25 Gerechtfertigt wird dies durch die Verantwortung des Zurechnungssubjekts für das entsprechende Risiko, die in dem jeweiligen Haftungsgrund zum Ausdruck kommt.26 Erst in Verbindung mit dieser „Risikoverantwortung“, die ebenfalls durch Zurechnung – nur eben von Risiken – begründet wird, ist die Belastung genau des entsprechenden Haftungsadressaten im Sinne des Prinzips der zweiseitigen relativen Rechtfertigung gerechtfertigt. Die Erfolgszurechnung nach dem Risikoprinzip beschränkt sich auf die Prüfung, ob der konkrete Verletzungserfolg der Risikosphäre des Zurechnungssubjekts zugehörig ist.27 Ein wesensbestimmender Unterschied zur Verschuldenszurechnung ist, dass die Risikozurechnung strukturell von der Rechtswidrigkeit des Verhaltens

S. 146 f. S. 147 ff. 24 S. 149. 25 S. 150 ff. 26 S. 152 f. 27 S. 153 f. 22 23

432

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

oder des Erfolges unabhängig ist.28 Das abstrakte Risiko wird durch seine Zuweisung als sozialadäquat beurteilt und ist somit rechtmäßig. Gleichwohl kann sich dieses zu einem missbilligten konkreten Risiko verdichten. Realisiert sich das Risiko, so kann deshalb zugleich die Verschuldenshaftung eingreifen. Bereits zuvor kann dem missbilligten konkreten Risiko präventiv, im Wege des negatorischen oder quasinegatorischen Rechtsschutzes, entgegengewirkt werden Die Risikozurechnung erfährt eine spezifische Einschränkung durch das Rechtsinstitut der höheren Gewalt.29 Was genau Inhalt der höheren Gewalt ist, war schon vor dem BGB umstritten und die Kontroverse dauert weiterhin an. Die Alternativitätsthese,30 die der höheren Gewalt nur das zuordnet, was nicht mehr Betriebsrisiko und somit überhaupt zurechenbar ist, ist mit der Regelungssystematik des Haftungsrechts und mit § 2 Abs. 3 HPflG nicht zu vereinbaren. Auch die herrschende Meinung,31 die über das Einwirken von außen und die Betriebsfremdheit hinaus verlangt, dass das Ereignis außergewöhnlich und unabwendbar ist, stößt auf systematische Bedenken. Vorzugswürdig erscheint es, die höhere Gewalt rein objektiv zu bestimmen und ausschließlich danach zu unterscheiden, ob betriebsimmanente oder betriebsfremde Ereignisse den Erfolg herbeigeführt haben.32 Es gibt nicht bestimmte Ereignisse, die ausnahmslos der höheren Gewalt zugeordnet werden, wie etwa Naturkatastrophen, Krieg und Terror. Betriebsimmanente Ereignisse sind, gleichgültig wie gewaltig oder unbeherrschbar diese sind, stets zuzurechnen. Die höhere Gewalt beschränkt sich auf die betriebsfremden Ereignisse, also solche, die nicht wesensgemäß mit dem konkreten Betrieb verbunden sind, und ist entsprechend negativ zu bestimmen. Betriebsimmanent sind dabei auch diejenigen Einwirkungen von außen, denen im Eigeninteresse für einen störungsfreien Betrieb entgegengewirkt werden muss, sei nun in präventiver Hinsicht oder um eingetretene Störungen wieder zu beseitigen. Indizien dafür, dass ein Ereignis betriebsimmanent ist, sind etwa technische, gesetzliche oder versicherungstechnische Erfordernisse und Vorgaben, die betriebsinterne Organisation sowie die auf das besondere Risiko bezogenen Gefahrbeherrschungspflichten. Letztere sind allerdings ausschließlich als Bestandteil der Risikozuweisung zu betrachten. Ein Ereignis, bzgl. dessen eine Verkehrspflicht bestand, ist derartig eng mit dem konkreten Betrieb verbunden, dass es als betriebsimmanent beurteilt werden muss.

S. 154 ff. S. 158 ff. 30 S. 166 f. 31 S. 167 ff. 32 S. 171 ff. 28 29

II. Die Dogmatik der Zurechnungsprinzipien

433

c. Das Begünstigtenprinzip Das Begünstigtenprinzip ist das zum Haftungsgrund der Aufopferungshaftung gehörende Zurechnungsprinzip.33 Es bestimmt, dass derjenige, der seine Güter zugunsten eines Dritten aufopfern musste, seine Schäden bei dem durch die Aufopferung Begünstigten liquidieren kann. Die Zurechnung erfolgt dabei unabhängig von einem Verschulden des Begünstigten und sogar vollkommen unabhängig von dessen Willen. Die zur Begünstigtenhaftung alternative Zurechnung des Beeinträchtigungserfolges zu demjenigen, der in die Rechtsgüter des Aufopferungspflichtigen eingreift, überzeugt nicht.34 Der Regress beim Begünstigten nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Bereicherungsrechts, der als „Ausgleich“ für die Belastung des Eingreifenden befürwortet wird, vermindert die mit der Haftung verbundene Härte nur unzureichend. Die Eingreifendenhaftung erzeugt zudem eine abzulehnende Anreizwirkung gegen die gewünschte Hilfeleistung, indem der altruistisch Handelnde mit dem Insolvenzbzw. Durchsetzungsrisiko beim Regress belastet wird. Die Haftung des Eingreifenden ist auch kaum begründbar, weil dieser weder sorgfaltswidrig gehandelt hat, noch als einziger zum Eingriff berechtigt war, da die Erlaubniswirkung ebenso zugunsten anderer bestand, insbesondere auch für den Begünstigten. Die Abwägung der Interessen des Aufopfernden mit denen des Begünstigten, die den Eingriff gestattet, sowie der Zweck der Haftung, einen Ausgleich für das Zurücktreten der Interessen und die damit verbundenen Schäden zu gewähren, zeigt, dass der Ausgleich zwischen den Interessenträgern erfolgen muss.35 Die Haftung des Begünstigten ist zudem nach den Maßstäben der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia correctiva) gerechter, da nur diese die mit dem Eingriff verbundene Verzerrung des distributiv gerechten Urzustandes unmittelbar und endgültig beseitigt. Auch das Wertprinzip der Verbindung von Vorteil und korrespondierendem Nachteil gibt als anerkanntes Prinzip des Zivilrechts vor, dass der Begünstigte den Schaden tragen soll. d. Die Billigkeitshaftung Die Billigkeitshaftung deckt sich mit keinem der anerkannten Prinzipien der Erfolgszurechnung und lässt sich generell nicht in das entsprechende System einfügen.36 Sie setzt atypischerweise voraus, dass der Erfolg nicht zurechenbar und dieser somit Zufall ist. Der Haftungsgrund besteht darin, dass ausnahmsweise die Individualität des Haftungsadressaten berücksichtigt und deshalb die S. 176 ff. S. 181 ff. 35 S. 185 ff. 36 S. 187 ff. 33 34

434

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Zurechnung ausgeschlossen wird, während hypothetisch ohne diese Privilegierung eine Haftung aus Verschulden begründet wäre. Diese der Aufopferung ähnliche Begünstigung des Zurechnungsunfähigen rechtfertigt es, die Schadensfolgen zwischen dem Geschädigten und dem Haftungsadressaten zu verteilen, sofern dies aus Billigkeitsgründen geboten ist.37 Die nach dem Prinzip der zweiseitigen relativen Rechtfertigung erforderliche Verbindung zwischen Geschädigtem und Haftungsadressaten, die Voraussetzung einer jeden Ersatzpflicht ist, wird dabei durch die Kausalität als tatsächliche Verknüpfung zusammen mit der hypothetischen Haftpflicht hergestellt. Aus der Natur als rein distributive Zuweisung der Schadensfolgen erklärt sich auch, warum die Haftung sowohl bzgl. ihres Eintritts als auch bzgl. ihres Umfangs dahingehend bedingt ist, dass sie aus Billigkeitsgründen geboten sein muss. Als echte Haftung für Zufall ist die Billigkeitshaftung unanwendbar, wenn der Haftungsadressat aus einem anderen Grund verschuldensunabhängig haftet. Die Haftung nach § 829 BGB ist über die Fälle der §§ 827 f. BGB hinaus analog anwendbar.38 Die Analogie ist gerechtfertigt, sofern die Zurechnung der Beeinträchtigung ausschließlich an der Subjektivierung der objektiven Fahrlässigkeit durch die Verkehrskreisdogmatik scheitert. Das Gleiche gilt, sofern die Risikohaftung infolge einer Subjektivierung der Halter- bzw. Betreibereigenschaft ausgeschlossen ist und ohne diese eine Haftung hypothetisch begründet wäre. Innerhalb des Mitverschuldens gem. § 254 BGB kann § 829 BGB hingegen nicht „spiegelbildlich“ im Wege der Analogie angewendet werden. Dem steht entgegen, dass § 254 BGB eine Abwägung der wechselseitigen Verantwortungsbeiträge bezweckt und § 829 BGB gerade an fehlende Verantwortung anknüpft. e. Veranlassungs- und Verursachungsprinzip Das Veranlassungs- und das Verursachungsprinzip sind keine Zurechnungsprinzipien.39 Diese sollen an die schlicht kausale Erfolgsherbeiführung anknüpfen. Als bloße Kausalhaftung verzichten sie allerdings auf ein materielles Zurechnungserfordernis. Das Veranlassungs- und das Verursachungsprinzip versagen dabei, die für die Haftung erforderliche Alleinstellung genau des Haftungsadressaten gegenüber den unendlich vielen anderen Personen zu begründen, die ebenfalls einen Ursachenbeitrag zum Verletzungserfolg gesetzt haben.

S. 192 ff. S. 195 ff. 39 S. 198 ff. 37 38

III. Zweifel am Verschuldensprinzip

435

3. Casum sentit dominus – kein Zurechnungsprinzip Der historische Satz casum sentit dominus enthält weder ein echtes Prinzip der Erfolgszurechnung, noch ist er ein abwägungsfähiges Zurechnungswertprinzip.40 Die Qualifikation als Prinzip der Erfolgszurechnung und damit als Norm ist zwar theoretisch und vor allem kollisionsrechtlich durchaus möglich. Ein Tatbestand, der an die Zufälligkeit der Beeinträchtigung anknüpft und die Zurechnung des Schadensereignisses zum Rechtsträger als Rechtsfolge anordnet, ist jedoch überflüssig.41 Der Rechtsträger trägt die zufälligen Beeinträchtigungen bereits infolge der Zuordnung des betroffenen Rechts. Er muss diesen entsprechend nicht erst zugeordnet bekommen. Darüber hinaus besteht bei zufälligen Schadensereignissen auch nicht die Möglichkeit, den Schaden einem anderen Rechtssubjekt durch Haftung zuzuweisen, weil die zugrundeliegende Zurechnung willkürlich und deshalb unzulässig wäre. Ein Zurechnungswertprinzip casum sentit dominus, das mit der Zurechnung zum Schädiger auf der Prinzipienebene kollidiert und abgewogen werden muss, kann ebenfalls nicht überzeugen.42 Bereits die Bezeichnung ist irreführend, da es das Gebot enthalten würde, „der Rechtsträger ist für die Beeinträchtigung seiner Rechte verantwortlich“. Der Zufall würde zudem vom Objekt der Zurechnung zum Produkt derselben. Es kann auch nicht der wahre Grund dafür benannt werden, warum der Rechtsträger für den Schaden verantwortlich sein und den Schaden alleine tragen soll. Einem Wertprinzip casum sentit dominus wäre zu anerkannten Prinzipien des Zivilrechts genau entgegengerichtet und kann deshalb nicht Bestandteil derselben Rechtsordnung sein. Casum sentit dominus kann lediglich als rein deskriptives Strukturprinzip verstanden werden.43 Es beschreibt ohne Regelungswirkung und ohne eigenen ethischen Gehalt, was das Produkt der Risiko- und Verantwortungszuweisung bei unzurechenbaren (zufälligen) Schadensereignissen ist.

III. Zweifel am Verschuldensprinzip 1. Verschuldensprinzips und Risikozuweisung Das Verschuldensprinzip ist das Leitprinzip haftungsrechtlicher Zurechnung im deutschen Zivilrecht.44 Es definiert grundlegend die individuellen Freiheitsund Risikosphären. Während das Verschulden in der außervertraglichen Haf-

S. 201 ff. S. 211 f. 42 S. 212 ff. 43 S. 216 f. 44 S. 221 ff. 40 41

436

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

tung alternativlos ist, könnte die vertragliche Haftung durchaus verschuldensunabhängig als Garantie- und somit Risikohaftung ausgestaltet werden, wie es andere europäische Rechtsordnungen und auch die europäischen Rechtsvereinheitlichungsprojekte vorsehen.45 Die Verschuldenszurechnung ist in einem liberalen Staat selbstverständlich und außerhalb vertraglicher Beziehungen unumgänglich, sofern man an einem Haftungssystem festhalten und dieses nicht durch ein reines Versicherungssystem ersetzen möchte. Es verfügt über eine besondere ethische Überzeugungskraft und gewährt Handlungsfreiheit, indem es die individuelle Verantwortung begrenzt. Weil nur derjenige haftet, der vermeidbar gebotswidrig jemanden schädigt, nicht aber derjenige, der nichts „falsch“ gemacht hat oder der die Verhaltensanforderungen des Rechts nicht erfüllen konnte, ist die Verantwortungszuweisung für jeden plausibel. Demgegenüber würde eine umfassende Risikohaftung, die von einem Fehlverhaltensvorwurf unabhängig ist, wohl als ungerecht empfunden werden. Solch eine Haftung, die durchaus befürwortet wird, ist auch konstruktiv ausgeschlossen. Die von der Haftung zu unterscheidende Zuweisung des Zufallsrisikos durch das Verschuldensprinzip ist ebenfalls gerechtfertigt.46 Die Belastung des Interessenträgers ist zumindest in Teilbereichen mit einem gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn verbunden und somit effizient. Sie ist zudem gerecht im Sinne der distributiven Gerechtigkeit (iustitia distributiva). Eine effektive Reduktion der primären Kosten konnte nicht festgestellt werden.47 Mit der Zuweisung des Zufallsrisikos zum Rechtsträger ist keine belegbare Präventionswirkung hinsichtlich zufälliger Schadensereignisse verbunden, bzw. diese entfaltet sich in den Konstellationen, in denen sowieso nur der Rechtsträger Prävention betreiben kann. Weder über die Gedankenfigur des cheapest cost avoiders, noch über den Einfluss auf das Aktivitätsniveau kann die Risikozuweisung gerechtfertigte werden. Aus schadenspräventiver Sicht hat sich nicht die Rechtsträgerschaft, sondern vielmehr die tatsächliche Dispositionsbefugnis über das Aktivitätsniveau als der richtige Anknüpfungspunkt für die Zuweisung des Zufallsrisikos erwiesen. Auch eine effiziente Reduktion der sekundären Kosten konnte nicht festgestellt werden.48 Eine bessere Befähigung des Interessenträgers zur Schadensstreuung konnte weder über die Gedankenfigur des superior risk bearers, noch die des cheapest insurer festgestellt werden. Ausschließlich hinsichtlich der tertiären Kosten lässt sich bestätigen, dass die Risikozuweisung zum Rechtsträger sicher eine wohlfahrtssteigernde Wirkung zu entfalten vermag.49 Sie verhindert unnötigen Kostenaufwand, da die zufälligen Schäden nicht vom Rechtsträger wegverlagert werden, S. 227 f.; 223 ff. S. 229 ff. 47 S. 236 ff. 48 S. 242 ff. 49 S. 248 ff. 45 46

III. Zweifel am Verschuldensprinzip

437

der zwangsläufig von diesen zunächst betroffen ist. Weitere Transaktionskosten werden vermieden, weil kein Bedarf entsteht, den genauen Schaden festzustellen und zu beziffert. Zudem verringert die Risikozuweisung in gewissem Umfang den Anreiz zu Rechtsstreitigkeiten, die mit weiteren Kosten verbunden wären. Sowohl die Zuweisung des Zufallsrisikos zum Rechtsträger, wie auch der Umfang derselben, der aus dem Verschuldensprinzip folgt, muss als distributiv gerecht beurteilt werden.50 Die Zuweisung der Last des Verlust- und Beeinträchtigungsrisikos zu dem mit den Vorteilen der Güterzuordnung Bedachten begründet eine gerechte Verteilung. Der durch die Güterzuordnung Begünstigte erscheint als am relativ würdigsten, die Belastung mit dem mit den Gütern verbundenen Zufallsrisiko zu tragen. Daneben bestätigen die Grenzen des Haftungsrechts, das auf den Ausgleich von Interaktionen ausgerichtet ist, dass die Zuweisung distributiv gerecht ist. Einen Schaden auf eine andere Person überzuwälzen, bedarf als Akt ausgleichender Gerechtigkeit einer rechtfertigenden Verbindung zwischen dem Nachteil und dem Haftungssubjekt (Interaktion). Ohne eine solche wäre die Folgenabwälzung auf genau dieses Subjekt willkürlich und somit ungerecht. Bei zufälligen Schadensereignissen, die nicht zurechenbar sind, lässt sich solch eine Verbindung nicht begründen. Der Umfang der Risikozuweisung, die mit dem Verschuldensprinzip verbunden ist, ist ebenfalls gerecht, weil diese aus den Verteilungsentscheidungen gerechtfertigt ist, die dem Zurechnungsprinzip zugrunde liegen.51 Der durch die Zuweisung von Gütern und Freiheiten begründete Konflikt zwischen Güterschutz und individueller Handlungsfreiheit, Selbstverantwortung und wechselseitigem Vertrauen wird durch den inhaltlich flexiblen Sorgfaltsmaßstab in ausgewogener Weise aufgelöst. 2. Keine Abkehr vom Verschuldensprinzip Das Haftungsrecht hat sich nicht vom Verschulden abgewendet.52 Sowohl der objektive Fahrlässigkeitsmaßstab, als auch die Verkehrspflichtendogmatik sind mit dem Verschuldensprinzip vereinbar. Die vom Strafrecht abweichende Zwecksetzung des Zivilrechts, die auf gerechten Schadensausgleich statt auf Sanktion gerichtet ist, ermöglich und gebietet es, die früher deckungsgleichen Begriffe der Fahrlässigkeit in den unterschiedlichen Rechtsgebieten abweichend zu bestimmen. Der objektiv-typisierte Sorgfaltsmaßstab begründet zwar eine Härte für all diejenigen, die aufgrund ihrer Individualität nicht in der Lage sind, den Anforderungen des Rechts zu genügen. Diese ist jedoch wegen des schutzwürdigen Vertrauen der

S. 255 ff. S. 258 ff. 52 S. 261 ff. 50 51

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Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Verkehrsteilnehmer in die Fähigkeiten der anderen gerechtfertigt.53 Dieser Vertrauensschutz ist auch zwingend erforderlich, damit das Zivil- und das Haftungsrecht verkehrsfreundlich sind. Durch die Verkehrspflichten wird die Haftung ebenfalls nicht vom Verschulden entkoppelt. Weder die Herleitung der Verkehrspflichten, noch deren Zweck und der aus diesem folgende Maßstab der Verhaltensgebote bewirken, dass über die im Verkehr erforderliche Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB hinaus gehaftet wird.54 Sie fügen sich deshalb in die Verschuldensdogmatik nahtlos ein. Der Umgang der Rechtspraxis mit den Verkehrspflichten genügt ebenfalls dem Verschuldensprinzip.55 Zwar stellt die Rechtsprechung zuweilen überspannte Anforderungen an den Sorgfaltspflichtigen. Dies erfolgt jedoch keineswegs systematisch. Es handelt sich vielmehr um vereinzelte Fehlentscheidungen, bei denen menschliche und nicht dogmatische Faktoren dazu führen, dass das Verschuldensprinzip verletzt wird. Für die unangemessen hohen Sorgfaltsanforderungen ist zum einen der sog. Rückschaufehler ursächlich, der beschreibt, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens überschätzt wird, weil dieser bereits eingetreten ist. Daneben begründet die unterschiedliche Greifbarkeit der verschiedenen Interessen und Schutzgüter, die in den Sorgfaltspflichten abgewogen werden müssen, dass gelegentlich das Integritätsinteresse überbewertet wird.

IV. Die Zurechnung im Einzelfall 1. Die Schadenzurechnung Die Zurechnung von Schäden auf der Ebene der Haftungsausfüllung erfolgt nach dem Risikoprinzip.56 Das „Prinzip“ des Totalersatzes ist demgegenüber kein Zurechnungsprinzip, sondern ein Mittel der Schadensbemessung. Als solches ist es der Schadenszurechnung teleologisch nachgeordnet. Das abstrakt zu verantwortende Risiko bestimmt dabei der haftungsbegründende Tatbestand. In der Schadenszurechnung wird sodann überprüft, ob das konkrete Schadensereignis dem zu verantwortenden Risiko zugehörig ist.57 Bei der Verschuldenshaftung definiert der Schutzbereich der Haftungsnorm einschließlich des verletzten Verhaltensgebots die äußeren Grenzen der Risikozurechnung. Dies gilt im Ergebnis auch für die Schadenszurechnung in der Begünstigtenhaftung. Die Aufopferung als Haftungsgrund gibt vor, dass der

S. 267 ff. S. 276 ff. 55 S. 282 ff. 56 S. 291 ff. 57 S. 295 f., 296 ff. 53 54

IV. Die Zurechnung im Einzelfall

439

Schutzzweck des überwundenen Verhaltensgebots die Reichweite der Folgenzurechnung definiert. Nur Schäden, die hypothetisch auf der Grundlage der Verschuldenshaftung einschließlich der Schadenzurechnung ersatzpflichtig wären, werden infolge der Erlaubniswirkung der Eingriffsbefugnis aufgeopfert und müssen deshalb als „Sonderopfer“ ersetzt werden. Bei der Risikohaftung definiert hingegen ausschließlich der Schutzzweck der Haftungsnorm als solche und somit das auferlegte Risiko, wie etwa die Betriebs- oder Tiergefahr, die Reichweite der Schadenszurechnung. 2. Allgemeine Zurechnungskriterien Die Zurechnungsprinzipien bedürfen der Konkretisierung, weil diese vielfach zu abstrakt und deshalb alleine nicht imstande sind, das Zurechenbare vom Zufall entsprechend den Wertungen des Gesetzes zu trennen. Von den problemübergreifenden „allgemeinen“ Zurechnungskriterien Adäquanz, Schutzzwecktheorie und allgemeines Lebensrisiko erweist sich lediglich die Schutzzwecktheorie als geeignet, um die angestrebte Konkretisierung der Zurechnung zu bewirken.58 Die Schutzzwecktheorie ist allerdings nicht wirklich ein selbstständiges Zurechnungskriterium, sondern vielmehr ein methodisches Instrument, mit dem auf teleologischer Grundlage ermittelt werden kann, was die Haftungsnorm, gegebenenfalls in Verbindung mit der maßgeblichen Verhaltensnorm oder Pflicht, als zu verantwortend auferlegt. Die Adäquanztheorie ist entweder schon nicht anwendbar, oder aber überflüssig.59 Sofern sie überhaupt anwendbar ist, vermag das Adäquanzkriterium die Zurechnung nicht zu konkretisieren, weil nicht diese, sondern der Schutzzweck des jeweils verletzten Verhaltensgebots abschließend vorgibt, ob eine Beeinträchtigung zugerechnet wird. Soweit mit der Adäquanz über die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung hinaus der teleologische Gefahrzusammenhang festgestellt werden soll, geht diese „Normadäquanz“ vollständig in der Schutzzwecktheorie auf. Die Schutzzwecktheorie ist auf jede Form und auf jeder Ebene der Zurechnung uneingeschränkt anwendbar.60 Bei der Verschuldenshaftung lässt sich die genaue Reichweite sowohl der haftungsbegründenden, als auch der haftungsausfüllen Zurechnung dem Schutzzweck des verletzten Verhaltensgebots entnehmen. Ein Erfolg ist dem sorgfaltswidrig handelnden Haftungsadressaten nur zurechenbar, wenn dieser vom verletzten Verhaltensgebot zu verhindern bezweckt wurde. Bei den Verhaltensgeboten, die vom Richter aufgrund einer konkreten Gefährdung für den Einzelfall ermittelt werden, lässt sich zwar die genaue Reichweite der gesamten Schutzwirkung nicht wirklich erfassen. Dies

S. 299 ff. S. 303 ff. 60 S. 311 ff. 58 59

440

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

ist aber auch gar nicht erforderlich. Diese einzelfallbezogenen Verhaltensgebote verbieten oder gebieten ein bestimmtes Verhalten infolge seines Gesamtgefährdungspotenzials, also wegen aller möglichen, für fremde Schutzgüter übermäßig gefährlichen Kausalverläufe. Es kann deshalb aus der ex post-Perspektive des Richters für jede Beeinträchtigung individuell geprüft werden, ob solch eine übermäßige Gefahr bestand und sich somit eines der unzähligen missbilligten Risiken verwirklicht hat.61 Ist solch eine Gefährdung zu bejahen, wird der Erfolg zugerechnet. Das Gesamtgefährdungspotenzial umfasst ebenfalls die mit einer Beeinträchtigung verbundenen übermäßigen Schadens- und Folgeschadensrisiken, sodass die haftungsausfüllende Zurechnung über den Schutzzweck des Verhaltensgebots bestimmt werden kann.62 Es muss auch insoweit ein zur Begründung eines Sorgfaltsverstoßes hinreichendes Risiko der konkreten Schadensfolge bestanden haben, damit das Verhaltensgebot diese zu verhindern bezweckt. Gleichwohl richtet sich die Zurechnung nach dem verhaltensunabhängigen Risikoprinzip, da die Schadenszurechnung anhand des gesamten Schutzzwecks des verletzten einheitlichen Verhaltensgebots erfolgt. Die Zurechnung wird deshalb nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Schädiger nicht erkennen konnte, dass die Schutzwirkung sich auch auf einen bestimmten Folgeschaden erstreckt hat. Ebenso ist es unerheblich, dass der Schädiger die konkrete Schadensfolge nicht voraussehen oder verhindern konnte. Die Reichweite des Schutzzwecks abstrakter Verhaltensgebote lässt sich aus den abstrakten Gefahren ableiten, aufgrund derer das jeweilige Verhaltensgebot vom Gesetzgeber erlassen oder dieses von der Rechtsprechung formuliert wurde.63 Die haftungsausfüllende Zurechnung erfolgt nach den identischen Maßstäben, die für die einzefallbezogenen Verhaltensgebote gelten. Das Verhaltensgebot, das bestimmte Primärschäden zu vermeiden bezweckt, soll auch die mit dem Primärschaden verbundenen missbilligungswürdigen Risiken von Folgeschäden verhindern. Missbilligungswürdige Schadensrisiken entstehen aber erst bei dem für die konkreten Verhaltensgebote erarbeiteten Gefährdungsgrad. Ausnahmsweise kann ein abstraktes Verhaltensgebot bezwecken, einen Zustand absolut zu verhindern, wie auch sämtliche kausal mit diesem verbundenen Folgen. Bei derartigen zustandsbezogenen Verhaltensgeboten erfolgt deshalb die Schadenzurechnung unabhängig von der gefahrsteigernden Wirkung des haftungsbegründenden Verhaltens. Das allgemeine Lebensrisiko, das ein die Zurechnung ausschließendes, negatives Zurechnungskriterium sein soll, hat sich als inhaltsleer und überflüssig erwiesen.64 Die vermeintlich zurechnungsbeschränkende Wirkung folgt aus-

S. 316 ff. S. 317, 319 ff. 63 S. 322 ff. 64 S. 331 ff. 61 62

IV. Die Zurechnung im Einzelfall

441

nahmslos daraus, dass die Zurechnung des Erfolges mangels relevanter Gefahrerhöhung scheitert. Dafür ist jedoch nicht ein dem Geschädigten stets zugewiesener Bereich exklusiver Eigenverantwortung maßgeblich, sondern tatsächlich der Schutzzweck des jeweils verletzten Verhaltensgebots. 3. Die speziellen Zurechnungskriterien Die speziellen Zurechnungskriterien folgen aus der Sorgfaltspflichtendogmatik in Verbindung mit der Schutzzwecklehre. Sie dienen dazu, die mit der gefahrerheblichen Individualität anderer verbundenen Probleme in der Zurechnung zu bewältigen und beruhen auf den gleichen dogmatischen Erwägungen. Die für die besondere physische und psychische Verletzlichkeit aufgestellten Leitsätze der Rechtsprechung sind nur teilweise zutreffend.65 Grundsätzlich ist die individuelle Verletzungsresistenz für die Zurechnung unerheblich, weil bei der Bestimmung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und dem entsprechenden Verhaltensgebot ein objektiver und somit durchschnittlicher Bedrohter zugrundezulegen ist.66 Gerechtfertigt wird dies, wie sämtliche anderen Objektivierungen in der Sorgfaltspflichtendogmatik, durch die Wirkung des Vertrauens im beweglichen System der Sorgfaltspflichten.67 Wird ein objektiver und damit durchschnittlicher Bedrohter nicht in missbilligungswürdiger Weise gefährdet, ist der Erfolg trotz der besonderen Verletzlichkeit des Geschädigten nicht zurechenbar. Vom Schutzzweck eines Verhaltensgebots, das im Hinblick auf ein Rechtsgut verletzt wurde, sind andere verletzte Rechtsgüter und Folgebeeinträchtigungen ebenfalls nur bei einer missbilligungswürdigen Gefährdung derselben erfasst.68 Dies gilt ebenso für psychische Beeinträchtigungen. Bei diesen bedarf es des ergänzenden Zurechnungskriteriums der Verständlichkeit, um den zurechnungsbegründenden Gefährdungsgrad festzustellen. Die besondere Verletzungsanfälligkeit wirkt ausnahmsweise dann zurechnungsbegründend, wenn das Vertrauen nicht wirkt, das die Objektivierung der Sorgfaltspflichten begründet.69 Die Sorgfaltspflichten verschärfen sich, wenn die besondere Verletzungsanfälligkeit bekannt oder erkennbar ist, oder abstrakte Verhaltensgebote bestehen, die gerade derartig besonders verletzliche Personen zu schützen bezwecken. Der Schutzzweck des jeweiligen Verhaltensgebot erfasst in diesen Fällen entweder den konkreten Schadensanfälligen, oder aber derartige Schadensanfällige, sodass die Zurechnung zwingend erfolgt.

S. 342 ff. S. 347 ff. 67 S. 350 f. 68 S. 352 ff. 69 S. 351 f. 65 66

442

Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Dieses System liegt auch den Schockschäden zugrunde.70 Bei diesen handelt es sich lediglich um einen Sonderfall der Problematik der besonderen Schadensanfälligkeit. Von der Schockschadensformel der Rechtsprechung ist nur das Verständlichkeitskriterium berechtigt. War die durch das Anlassereignis hervorgerufene psychische Reaktion verständlich, wurde durch das Verhalten eine übermäßige Gefahr einer psychischen Beeinträchtigung für einen objektiven Bedrohten hervorgerufen, sodass die entsprechende Gesundheitsverletzung zurechenbar ist.71 Ob die psychische Reaktion verständlich war, bestimmt sich nach einem beweglichen (Sub-)System, in dem die gefahrerheblichen Faktoren abgewogen werden.72 Das Mehr der Verwirklichung eines Elements dieses Systems bewirkt, dass die anderen Elemente in geringerem Umfang verwirklicht sein müssen, damit die Reaktion als verständlich beurteilt werden kann. Diese Elemente sind vorrangig die Art des erstgefährdeten Rechtsguts in Verbindung mit der Art und dem Ausmaß der Bedrohung oder Verletzung, die Nähe des Schockgeschädigten zu diesem Gut bzw. der Person sowie das Medium der Schockvermittlung. Ausnahmsweise können wiederum auch nicht verständliche psychische Reaktionen zugerechnet werden.73 Dies ist übereinstimmend mit der „allgemeinen“ Verletzungsanfälligkeit dann der Fall, wenn ein konkretes Verhaltensgebot wegen der Kenntnis von oder der Erkennbarkeit der psychischen Schadensanfälligkeit subjektiviert ist oder abstrakte Verhaltensgebote entsprechend Verletzungsanfällige zu schützen bezwecken. Sogar die Zurechnung im Falle psychisch vermittelter Kausalität erfolgt nach diesem System.74 Zu bewältigen ist dabei das Problem, dass individuell unterschiedlich auf ein Anlassereignis mit Verhalten reagiert wird. Von der allgemein angewendeten Herausforderungsformel erweist sich wiederum nur das Kriterium des „Sich-herausgefordert-fühlen-Dürfens“ als berechtigt, das die Vernünftigkeit der Reaktion bewertet.75 Dieses Kriterium stellt fest, dass mit dem Verhalten des Zurechnungssubjekts eine Anreizwirkung verbunden ist, auf das ein objektiver Angereizter vernünftigerweise mit einem derartigen gefährlichen Verhalten reagiert, sodass das Verhalten des Zurechnungssubjekts missbilligt werden muss.76 Indem das Kriterium hinterfragt, ob die Reaktion in Anbetracht von Anlass und Risiko überhaupt und in der gewählten Art und Weise angemessen war, wird zugleich die Zugehörigkeit zum Schutzzweck des Verhaltensgebots festgestellt. Ausnahmsweise können wiederum Erfolge zugerechnet werden, die auf nicht vernünftigen Reaktionen beruhen.77 S. 357 ff., 393 ff. S. 367 f. 72 S. 369 ff. 73 S. 371 f. 74 S. 376 ff., 393 ff. 75 S. 382 ff. 76 S. 383 ff. 77 S. 388 ff. 70 71

IV. Die Zurechnung im Einzelfall

443

Dies ist geboten, wenn das Verhaltensgebot wegen der Vorhersehbarkeit entsprechender Reaktionen subjektiviert war oder gegen das unvernünftige Verhalten gerichtete abstrakte Verhaltensgebote bestehen. Auf dieser Grundlage können unter Umständen auch rechtswidrig und sogar strafbar herbeigeführte Erfolge zugerechnet werden, obwohl man sich zu derartigem Verhalten niemals herausgefordert fühlen darf. Die aus der Sorgfaltspflichtendogmatik entwickelten Zurechnungskriterien lassen sich auf die Risikozurechnung nicht übertragen.78 Deren zurechnungsbegrenzende Wirkung leitet sich aus dem Vertrauensprinzip ab, das in der verhaltensunabhängigen Risikozurechnung nicht wirkt. Maßgeblich für die Zurechnung ist ausschließlich, ob im konkreten Erfolg die spezifische Gefahr wirkt, an die die Risikohaftung anknüpft. Deshalb können auch Erfolge zugerechnet werden, die ausschließlich auf einer besonderen physischen oder psychischen Verletzungsanfälligkeit oder auf unvernünftigen Reaktionen beruhen, solange der Erfolg das entsprechende Risiko verwirklicht. 4. Zurechnung des Unzurechenbaren – die Zufallshaftung Die historische Rechtsfigur der Haftung für versari in re illicita ist im bürgerlichen Recht nicht verwirklicht.79 Allen Tatbeständen der Zufallshaftung liegt eine teleologisch begründete Zurechnung zugrunde, die aus dem Schutzzweck der verletzten Pflicht oder des verletzten Verhaltensgebots abgeleitet ist, und eben nicht eine undifferenzierte Kausalhaftung. Der die Zurechnung begründende Schutzweck ist dabei jeweils, eine andere Person von bestimmten Risiken absolut und somit unabhängig von einer gefahrerhöhenden Wirkung der Pflichtverletzung freizuhalten. Die Zurechnung unterscheidet gleichwohl zwischen den der Pflicht zugehörigen Schadensrisiken und den realisierten Eigenrisiken, wie insbesondere die Berücksichtigungspflichtigkeit hypothetischer Kausalverläufe und deren Ausnahmen zeigt. Solch eine teleologisch begründete Zufallshaftung liegt § 287 S. 2 BGB zugrunde.80 Der Schutzzweck der verletzten Pflicht bei Fälligkeit zu leisten ist auch, den Gläubiger von fremden und somit sämtlichen aus einer Leistungsverzögerung folgenden Risiken freizuhalten. Der Zufall in § 287 S. 2 BGB erfasst dabei nur die vom Schuldner bisher nicht zu vertretenden Folgeleistungsstörungen. Eine beiderseitig zufällige Folgeleistungsstörung ist hingegen nicht erforderlich. Entsprechendes gilt theoretisch für § 848 BGB. Dieser hat allerdings infolge des § 251 BGB in Verbindung mit der Folgenzurechnung keinen Anwendungsbereich. § 287 S. 2 BGB ist demgegenüber erforderlich, weil über §§ 280, 286 BGB nur reine Verzögerungsschäden geltend gemacht werden können und bei einem Schadensersatz statt der Leistung gem. § 280 Abs. 3 S. 395 ff. S. 404 ff. 80 S. 406 ff. 78 79

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Fünfter Teil: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

BGB, und dabei insbesondere bei der Unmöglichkeit gem. §§ 275 Abs. 4, 283 BGB, der Bezugspunkt des Vertretenmüssen wechselt. § 287 S. 2 BGB bewirkt, dass der eigentlich bereits aus der Folgenzurechnung folgende Haftungsmaßstab gilt, indem er das haftungsbegründende Vertretenmüssen modifiziert. Die Zufallshaftung gem. § 678 BGB setzt den Schutzzweck der Pflicht um, sich nicht gegen den Willen des Geschäftsherrn in dessen Geschäftskreis zu drängen.81 Diese Pflicht gebietet in der Haftung, den Geschäftsherrn von sämtlichen Risiken der missbilligten Fremdgeschäftsführung freizuhalten. Ein identischer Umfang der Zurechnung wird durch den Schutzzweck der Pflichten begründet, die beinhalten, keine Risiken zu schaffen, die über die vertraglich übernommenen oder vorgegebenen hinausgehen.82 Dieser Schutzzweck liegt der Zufallshaftung bei der zu vertretenden Gebrauchsüberschreitung (§§ 603, 538, 541, 542 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 540 BGB), der vereinbarungswidrigen Verwahrung sowie dem unberechtigten Einschalten von Hilfspersonen (§ 664 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB) und dem Abweichen von gefahrbezogenen Weisungen im Auftragsverhältnis (§ 665 BGB) zugrunde. Bei diesen Fallgruppen wird die Zufallshaftung teilweise durch die Folgenzurechnung begründet. Dies erfolgt jedoch nur, sofern ein Schadensersatzanspruch neben der Leistung Ziel des Anspruchs ist. Soweit ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung erforderlich ist, um das Ersatzinteresse des Gläubigers zu befriedigen, erzwingt die Systematik des Leistungsstörungsrechts durch den wechselnden Bezugspunkt des Vertretenmüssens (§ 280 Abs. 3 BGB) eine Analogie zu § 287 S. 2 BGB.

81 82

S. 416 ff. S. 420 ff., 423 ff.

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Sachverzeichnis Actio de deiectis vel effusis 55 f. Adäquanz/-theorie 64, 169, 297, 301 ff., 337, 415, 439 – Entbehrlichkeit 303 ff. – Verhältnis zur Schutzzwecktheorie 305 f., 308 f. Allgemeiner Aufopferungsanspruch 178 Allgemeines Lebensrisiko 208 f., 258, 329 ff., 362, 364, 381, 440 f. – Entbehrlichkeit 331 ff. Aufopferung/-sprinzip/-haftung 104, 108, 112, 127, 136, 176 ff., 188, 191, 222, 260, 281, 433 – Schadens-/Folgenzurechnung 295, 298 – Verbindung mit dem Begünstigtenprinzip 114, 181 ff. Begünstigtenprinzip/-haftung 102, 108, 111, 126 f., 136, 176 ff., 222, 281, 295, 298, 341, 433 – Spezielle Zurechnungskriterien 341 besondere Verletzlichkeit 303, 342 ff., 371 f., 408 ff., 441 Billigkeitshaftung 109, 187 ff., 272, 443 f. – Anwendungsbereich 195 ff. – Zurechnung 189, 191 f., 193 ff. Casum sentit dominus 3, 26, 34, 54, 79, 82, 97, 100, 187, 201 ff., 229 f., 336, 435 – als Rechtsprinzip 201 ff., 435 Casus 50, 51 ff., 54 ff., 58, 99, 201, 204, 212 – a nullo praestantur 4, 53, 56, 99, 202, 204 Cheapest cost avoider 234, 237 ff., 241, 436

Cheapest insurer 234, 235, 242 f., 245 ff., 436 Corpus Iuris Civilis 11, 54 ff., 202 Custodia 53, 56 f. Deep pocket approach 191, 243 Draft Common Frame of Reference 224, 264, 294, 302 f. Drittschadensliquidation 33 f., 85, 94 f. Eingriffshaftung 181 ff. Erfolgshaftung 42, 43 ff., 57, 189, 193, 198 ff. Erfolgszurechnung 7, 12 f., 68, 103 ff., 111 ff., 126 ff.,145 ff., 211, 300, 301, 338 Fahrlässigkeit 40, 42 ff., 49 ff., 106, 109, 146 ff., 263 ff., 276 ff., 431, 437 f. – objektive 106, 109, 147 ff., 196, 226, 263 ff., 430, 437 f. Faktische Duldungszwänge 97, 178 ff. Folgenallokation 242 ff. Folgenzurechnung 89, 289 ff., 306 f., 313 ff., 317, 325 f., 334, 349, 353 ff., 357, 385, 391, 394 f., 397 f., 414 f., 417, 421 f., 424 f., 438 f. 439, 443 – Verhältnis zur Haftungsbegründung 294 f., 313 ff., 317, 319 ff., 325 f. – Zurechnungsprinzip 291 ff. Foreseeability 294, 302 f. Gebrauchsüberschreitung 57, 405, 420 ff., 444 Gefährdungshaftung 29, 68, 84, 106 f., 110, 114, 139, 150 ff., 180, 191, 194, 196, 222, 223, 228, 261, 274, 279 ff., 282, 395 ff., 400 f

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Sachverzeichnis

– Analogiefähigkeit 223 – Zurechnungsprinzip 150 ff. Gefahrtragung 10, 25, 28, 34 ff., 54 ff., 60, 67 ff., 71 ff., 75 f., 78 ff., 84 f., 87 ff., 90, 93 f., 97, 202, 231, 239, 407 f., 428 Gerechtigkeit 26 f., 32 f., 98, 100, 197, 229, 251 ff., 265 – iustitia correctiva/ausgleichende Gerechtigkeit 130, 134 f., 186, 193, 199, 251 ff., 433, 437 – iustitia distributiva/verteilende Gerechtigkeit 190, 251 ff., 437 Griechisches Recht 39 ff., 42 ff., 52, 160, 429 f. Haftung – für Aufopferung, siehe Aufopferungshaftung – Begriff 10 – aus Billigkeit, siehe Billigkeitshaftung – Gefährdungshaftung, siehe Gefährdungshaftung – für Kausalität, siehe Kausalhaftung – für Verschulden, siehe Verschuldenshaftung – für Zufall 10, 27, 98, 149, 181, 195, 261 ff., 300, 404 ff., 434, 443 f. Haftungsrecht, siehe Haftung Herausforderungsfälle, siehe Psychisch vermittelte Kausalität Herausforderungsformel 380 ff. Höhere Gewalt 28 f., 53, 56 f., 63, 158 ff., 432 Kausalhaftung – frühe Rechtsordnungen 39 ff., 42 ff., 49 f., 405 f. – heute 198 ff., 228, 406 ff. Kausalität – Alternativtäterschaft 60 ff. – als Voraussetzung der Zurechnung 59 ff., 291 – als Zurechnungsprinzip 105, 198 ff., 291 ff., 405 ff. Lex Aquilia 50, 51, 54, 428

Neminem laedere 4, 136, 227, 430 Periculum est emptoris 202 Posttraumatische Belastungsstörung 354, 356, 358, 364, 372 ff. Primäre Kosten 232 f., 236 ff., 248, 436 Principles of European Contract Law 225, 294, 302 f. Principles of European Tort Law 113, 158, 224, 264, 302 f. Prinzip objektiver Auslegung 123, 138 f. Prinzip des Totalersatzes 291 ff., 296, 310, 311, 345, 353, 357, 438 Prinzip der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Nachteil 134 ff., 186 f., 214, 433 Prinzip der zweiseitigen Rechtfertigung von Pflichten/Ansprüchen 108 f., 123 f., 151, 257, 291, 429 Psychisch vermittelte Kausalität 321 376 ff., 399 ff., 442 f. Rechtsidee 32, 98 Rechtsprinzipien 117 ff., 429 f. Rechtswidrigkeitszusammenhang 313 Res perit domino 54, 56, 202 Retterfälle, siehe Psychisch vermittelte Kausalität Risikoprinzip/-zurechnung 112, 150 ff., 291 ff., 395 ff., 408, 431 f. – Besondere Verletzlichkeit 396 ff. – Psychisch vermittelte Kausalität 399 ff. – Rechtswidrigkeit 154 ff. – Risikozusammenhang 153 – Schadens-/Folgenzurechnung 293 ff., 297 f. – Schockschäden 402 f. Römisches Recht 48 ff., 99, 202, 261 f., 405 f., 428 Rückschaufehler 284, 438 Sachgefahr 70, 81 Schadensprävention 26, 170, 232, 236 ff., 436 Schadenszurechnung, siehe Folgenzurechnung Schockschäden 339, 349, 357 ff., 402 f.

Sachverzeichnis Schutzzweck/-theorie 208, 309 ff., 339 f., 346 f., 351 f., 352 f., 353 ff., 358 ff., 367, 378, 381, 384 ff., 393 ff., 397, 400 ff., 402 f., 406, 412 ff., 417 ff., 421 f., 425, 439 f., 441 f., 443 f. – abstrakte Verhaltensgebote 322 ff. – Anwendungsbereich 311 – Haftungsausfüllung 292, 297 f. 313 ff., 319 ff., 325 f. – Haftungsbegründung 312 f., 318 f., 323 ff. – konkrete Verhaltensgebote 316 ff. – spezielle Zurechnungskriterien 326 f., 340 – Verhältnis zur Adäquanz, siehe Adäquanztheorie Sekundäre Kosten 191, 232 f., 242 ff., 436 Selbstbestimmungsprinzip 103 ff., 119 f., 128, 130 f., 138 f., 141, 226, 269, 271, 307, 430 Selbstverantwortungsprinzip 105, 106 ff., 109 ff., 128, 130 ff., 138 f., 142, 162 ff., 185, 188, 213 ff., 226, 268, 271, 385, 430 Sorgfalt/-spflicht – äußere und innere Sorgfalt 276 f. – Objektivität 106, 128, 141, 147 ff., 263 ff., 347 ff. – Schutzzweck, siehe Schutzzwecktheorie – Zurechnung 148 ff., 316 ff., 320 ff. Superior Risk bearer 234, 235, 242 f., 245, 436 Tertiäre Kosten 233, 248 ff., 436 Totalersatz, siehe Prinzip des Totalersatzes Unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag 416 ff., 444 Veranlassungsprinzip, siehe Kausalhaftung Verfolgungsfälle, siehe Psychisch vermittelte Kausalität Verhaltensunrecht 146, 156, 158, 275 f., 306

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Verkehrspflichten – als Garantiepflichten 279 ff. – und Schutzpflichten 323 ff. – sind Sorgfaltspflichten 278 f. – überspannte 282 ff. Vernünftigkeit (herausgeforderten Verhaltens) 321, 383 ff., 442 Versari in re illicita 4, 53, 293, 313, 314, 318, 326, 405 f., 406, 411 ff., 416, 417, 423, 443 Verschulden/-sprinzip/-szurechnung 92, 102, 106, 109, 111, 112 f., 115, 125, 126 ff., 130 ff., 139 ff., 145 ff., 150 f., 178, 188, 220 ff., 273 ff., 294, 322, 338 f., 341 ff., 430, 430 ff., 435 ff., 437 f. – Entstehung 42 ff., 427 f. – Verhältnis zum Zufall 63 ff., 428 Verschuldenshaftung, siehe Verschuldensprinzip Versicherung 25, 36 ff., 230, 233, 243, 427 Verständlichkeit (psychischer Reaktionen) 326, 349, 355, 358, 366 ff., 371, 402, 442, 443 Vertrauen/-sprinzip 106, 123, 128, 133 f., 137 ff., 141 f., 165, 267 ff., 350 f., 351 f., 368, 371, 386, 388, 394 f., 397 f., 399, 400, 430, 437 f., 441, 443 Vertrauenshaftung 114 ff., 153, 222 Vertretenmüssen – Begriff 84 f., 428 – und Gefahrtragung 67 ff., 84 f. – Verhältnis zum Zufall 63 ff., 84 f. – von Zufall 65 ff., 407 ff., 443 Verursachungsprinzip, siehe Kausalhaftung Verwahrung 423 f., 444 Vorsatz 40 f., 42 f., 49 ff., 146 ff., 276, 320, 430 f. Wertprinzipien, siehe auch Rechtsprinzipien – Begriff 123 Wettlauf der Sicherungsgeber 31 zufällige Rechtsanwendungsergebnisse 25, 29 ff., 33 f.

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Sachverzeichnis

zufällige Schadensverlagerung, siehe Drittschadensliquidation Zufall – Begriff, siehe Zufallsbegriff – Entstehung 39 ff. – Existenz 23 f. – als Gestaltungsaufgabe 24 f., 25 ff. – Haftung für, siehe Haftung für Zufall – und Kausalität 19 f., 59 ff., 411 – und Methodik 29 ff., 33 f. – Relativität, siehe Zufallsbegriff – und Zurechnung 63 ff., 84 f. Zufallsbegriff – Entbehrlichkeit 96 ff. – im BGB 58 ff., 83 ff.

– natürlicher Sprachgebrauch 19 ff. – Relativität 85 ff. Zufallshaftung, siehe Haftung für Zufall – Entbehrlichkeit 414 f. Zurechnung, siehe auch Begünstigtenprinzip, Erfolgszurechnung, Folgenzurechnung, Risikoprinzip, Verschuldensprinzip – Grundlagen 103 ff. Zurechnungsprinzipien siehe auch Begünstigtenprinzip, Risikoprinzip, Verschuldensprinzip – Rechtsnatur 126 ff. Zwölftafelgesetz 49 f., 428