Darstellungen aus dem Gebiete der Pädagogik: Band 2 [Reprint 2020 ed.] 9783111604893, 9783111229690

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Darstellungen aus dem Gebiete der Pädagogik: Band 2 [Reprint 2020 ed.]
 9783111604893, 9783111229690

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Darstellungen aus dem

Gebiete der Pädagogik. Herattsgegebeu und zum Theil selbst verfaßt

von

Fr. Sj. Chr. Schwär), Doctor der Theologie und Philosophie, Großherzoglich Vadenschem Geheimem Kirchenrath und Comthur de- Zähringer LöwmordenS,

ordentl. Prof. der Theol. zu Heidelberg, Ritter de-Königl. Preufi.

rothm AdlerordenS 3ter Classe,

Mitglied der historisch­

theologischen Gesellschaft zu Leipzig.

Alö Nachträge zur Erziehungölehre.

Zweiter Band.

Leipzig, bei Georg Joachim Göschen, 1834.

>2-6 ist dieselbe, welche vor dem ersten Bande die­ ser Darstellungen steht. Kein Wort findet der Vers, darin zn andern, alles ist auch ans diesen zweiten Band zu beziehen, und die Ueberzeugung, aus wel­ cher die dort nicdergeschri ebenen Gedanken stoffen, hat sich bisher nur verstärkt. Wenn der Vers, über das Unheil der Zeit gesprochen hat, und immer noch spricht, so waren diejenigen Leser, welche es per­ sönlichen Eindrücken ungünstiger Art znschriebcn, sehr übel berichtet. Nichts weniger; sondern er kennt die Verhältnisse unserer Cultur nicht bloß aus einem Kreise der nächsten Umgebung und Literatur, sondern aus einem ziemlich weiten Bereiche; auch sind ihm seine Aussichten nicht etwa getrübt und seine prak­ tischen Bemühungen nicht verkümmert worden. Er redet nur aus wohl erwogener Ueberzeugung. Ob er von allen, die das pädagogische Werk zu Hause oder in der Schule treiben, oder die nur für heute und morgen erziehen, verstanden und gerne gehört werde, muß ihm insofern gleichgültig seyn, als kein Schrift­ steller, der eine Idee ausspricht, erwarten darf, daß dieselbe alle anspreche, die im Einzelnen arbeiten und ihren eingelernten Gang so fortgehen, auch wohl manchen Grundsatz oder Handgriff dabei auf­ nehmen. Dem Verf. liegt es nur an derjenigen

IV

Faßlichkeit, welche von der Sache selbst vergönnt wird, und insoweit wünscht er möglichst klar an Geist und Gemüth zu sprechen. Eben dieser Wunsch machte ihm denn auch die Nachträge zur Ergänzung und Erweiterung seiner Erziehungslehre in ihrem ganzen Umfange nothwen­ dig, und bestimmte ihn, auf den ersten Band dieser Darstellungen (1833) den gegenwärtigen zweiten fol­ gen zu lassen. Er enthält biographische Aufsätze, welche die Lücken in seiner Geschichte der Erziehung neuer und neuester Zeit auszufüllen geeignet sind; er enthält aber auch in den Reden des Herausgebers, und in dem eingefügten Gespräch, eine Entwicklung seiner Hauptidee. Die Rede zu Anfang dieses Jahrs, welche schon damals durch die gefällige Aufmerksam­ keit der Verlagshandlung mit einem besondern und zwar eleganten Abdruck geehrt ist, wurde dem Vers, von seinem deutschen Gefühle eingegeben und schien ihm zeitgemäß, worin er auch bereits durch Urtheile, welche gerade hierin die entscheidendsten sind, bestärkt worden. Die drei letzten Reden führen seine Idee in einigen Puncten bis dahin aus, daß ihre völlige AusWstbarkeit dem Unbefangenen einleuchten wird; vowMchen hofft er nicht das Wort wiederholt: „gut gemeint, nur zu wenig praktisch!" — Die Schul­ reden , von einigen unserer ausgezeichnetesten Schul­ männer, welche ebenfalls dieser Band enthält, wer­ den die Gedanken des Herausgebers unterstützen, und die ihrigen dem Leser zu Dank mittheilen.

Heidelberg, zu Michaelis 1834. Schwarz.

Inhalt. Sekte I. Unsere Nationalbildung. Eine Rede an die deut­

schen Erziehungsfreunde zu Anfang de- Jahres 1834. Von dem Herausgeber II. Dürfen wir auf ein Befferwerden durch die Erziehung sicher hoffen? Von dem Herausgeber III. Einige Schulreden; bei den Prüfungsfeierlichkeiten des Gymnasiums zu Frankfurt a. M. gehalten von Theo­ dor Vömel, Director dieser Gelehrtenschule. 1. Ueber daS Verhältniß der Gymnasialbildung zur christ­ lichen -------2. Die Freuden unsers Standes ----3. Die rechte Art des StudirenS. Gezeigt an RuhnkenS Leben -------IV. Zur neuern Erziehungsgeschichte. Von dem Herausgeber V. Zur Geschichte der pädagogischen Literatur von der Mitte deS 16. bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts. (AIS Nachtrag zur Geschichte der Erziehung II. S. 379 fg. 383). Bon dem Herausgeber ----VI. Zur neuesten Geschichte. Die religiöse Erziehung und d«S Studium der Alten betreffend. Bon dem Herausgeber VII. Rede am Geburtstag deS Königs im Ulmschen Gy­ mnasium gehalten vom Rector und Prof. D. Moser. „Die Erziehung durch den Unterricht" -

1.

61.

87. 104. 116. 129.

169.

197.

VI

Sekte Drei Reden zum Frieden der Schulen. Von dem Her­ ausgeber. Erste Rede. FriedenSvorschläge - 235. Zweite Rede. Bild von zwei Musterschulen - 266. Dritte Rede. Segenswünsche; zum Schluß des Jahres 1834 * 294.

VIII.

I. Unsere

Nation atbil-ung.

Eine Rede an die deutschen Erziehungsfreunde zu Anfang des Jahres 1834.

«Ln der Zeit eines Verderben

heiligen

Ernstes,

welcher

drohendes

abwehrend und unserer Ration Heil bringend,

auf die Zugendbildung sein vorzügliches Augenmerk richtet, fühlt sich auch einer der ältesten Erziehnngsväter in Deutsch­

land berufen, mit einem berathenden Worte öffentlich aufzutreten. Mit Freimuth wird es gesprochen, mit Unbefan­

genheit werde es vernommen. Zeder liebt von Natur sein Vaterland,

und der Ge­

danke an das Wohlergehen desselben, der den Jüngling be­

feuert, erwärmt noch den Greis. Er möchte gerne bei sei­ nem Hinscheiden ein glückliches Geschlecht hinterlassen, welches sich

der Aussicht auf stetes

Besserwerden

erfreuen

könne.

Worauf ist aber diese Hoffnung ander- gegründet, als auf

die wachsende Bildung? Der verständige Familienväter sörgt für dieselbe bei den

Deinigen; der Lehrer, der Gesetzgeber, der Staatsmann erweitert diese Fürsorge über das ganze Volk; und wo ein Regent den Willen ausgesprochen, sein Land durch Bil­ dungsanstalten zu erheben, so klingt das erwecklich und freu­

dig in allen Herzen wieder, und es erwacht ein edleres und reicheres Leben. Wohl uns, daß wir das unter uns er­ fahren !

Es

ist der Verfasser von Erziehungßschriften,

welcher

hier redet, und nicht wiederholen will, was er in denselben

gesagt hat, aber doch auf sie verweisen muß. Zunächst be­ zieht er sich, indem er über die Rationalbildung der Deutschen spricht, auf sein Buch, die Schulen, wo die­

l'

4 scr Gegenstand jedoch nur im Allgemeinen behandelt ist4);

wir ihn für unsere bestimmte Verhältnisse be­ Wir müssen aber auch einige Grundsätze hervor­

jetzt wollen trachten.

heben, und hier ausdrücklich voranstellen. 1. Wir stehen fest auf dem Standpunkte des Chri­ stenthums; in der christlichen Religion ist allein das Heil der Menschheit, der Geist aller wahren Bildung zu finden4a). Das ist unsere unwandelbare Ileberzeugung, und keine Oppo­ sition, welche sich gegen diesen Grundsatz immer wieder zu

erneuern pflegt, konnte sie je erschüttern; noch weniger macht

Mann, welcher der Wahrheit gewiß ist, irgend ein Achselzucken, oder ein Zauberwort, oder ein Volksgeschrei in den

seiner Behauptung

irre.

Man wirft jenem

Standpunkt

Einseitigkeit vor: wir geben diesen Vorwurf zurück. ist denn Euer Standpunkt?

Was

Ihr meint auf einem höheren

Welcher ist der? Seht Euch doch einmal um, und — in hochtönenden Worten, wie Freiheit, Sittlichkeit,

zu stehen?

Aufklärung, Humanität, meint Ihr das Höchste für den

Geist gefunden zu haben? Fragt Euch mir einmal z. B. was Ihr unter dem letzteren dieser Worte denkt, und — dann laßt es Euch vom Christenthume lehren, lleberhaupt lernt erst diese Religion kennen, bevor Zhr über sie und ihr Verhältniß zur Bildung aburtheilt. Ist aber nun einmal

•) Die Schulen. Die verschiedenen Arten derselben;c. von F. H. C. Schwarz :c. Jur Vollständigkeit der Erziehungslehre. Leipzig, bei Göschen, 1832. In dem 5. Abschnitte handelt das 2. Cap. von der Nationalbildung (S. 422—433.) und giebt den Begriff von Nation, nämlich „das Volk, inwiefern es Einen Stamm hat, und durch angeerbte Gestalt, Sprache, Sitte, gleich als eine grosse Familie verbunden ist-," erinnert aber dabei, daß die Bermischnng der Stämme unter den kultivirteu Völkern den Begriff der Nation billig erweitern läßt. *•) Auch hierbei müssen wir auf das verweisen, was der Verfasser in seiner Erziehungslehre an mehreren Orten gesagt hat, ausführlich aber in den Nachträgen, Darstellungen aus dem Gebiete der Pädagogik, 1833, in einer eigenen Abhandlung: das Christen­ thum der höchste Standpunkt rc. (S. 179 ff.) entwickelt hat.

3 der Menschenwelt in der christlichen Religion der Weg zn

ihrer höchsten Bildungsstufe eröffnet, und ist uns nun einmal das "Glück geworden, ihn zu betreten, so erkennt das auch dankbar, und so laßt uns dann auch diesen Weg nicht wie­ der verlieren. Die rathen Euch nur zu Rückschritte», die Euch z. B. zurufen: „streift alles Positive ab, uns leuchtet jetzt das hellere Licht, zu welchem die Menschheit voran­ geschritten ist, uns Glücklichen! auch über die christliche Reli­

gion müßt Ihr Euch nunmehr erheben, das ist die höhere Stufe, worauf unsere Zeit über allen vorhergehenden steht!" — So kann nur der Unverstand sprechen, den» es ist damit nichts andres gesagt, als: „setzt Eure Füße in die Luft, und stürzt in den Abgrund."

Doch wir reden hier nicht weiter

gegen diese armselige Verblendung, mit welcher der Zeitgeist

sich selbst zu bestrafen vcrurtheilt ist.

Warum ist es doch keinem jener weisen Gesetzgeber der vorchristlichen Zeit gelungen? Sie wußten wohl klar, was sie wollten; aber sie wollten nicht das Höchste der Mensch­

heit.

Hatte ein Solon ein Athen gewollt, wie wir uns jetzt

jene mit geistigen Kräften unter günstigem Himmel wohl ausgestattcte Bildungsmutter idealisiren, und hätte er seine

Gesetze so bestimmt, daß sie, den Umständen seiner Zeit an­ gemessen, den Keim enthielten, der im Verlaufe der Zeiten etwas immer Bollkommncres entfaltete: so wäre seine Stadt nicht schon während seiner Zeit in eine andere Richtung gerathen, und wäre nicht schon so bald nach der höchsten Blüthe der Kunst untergegangcn. Indessen etwas Großes hatte er doch bewirkt. „Alles hat seine Zeit!" und so ge­ hörten die Solone wie die Salomone ihrer Zeit an. Auch Lykurgus wußte was er wollte; Höheres aber wollte er nicht, als daß seine Spartaner ein Volk würden, das gesund an

Leib und Seele wäre und sich kriegskräftig behauptete. Zu diesem Bildungsziele ließ er sie schon durch die Erziehung gewöhnen; sie wurden abgehärtet, und das Leben des Ein­

zelnen mußte wie aus, so auch mit dem Gesammtleben ver­ wachsen. Es wurde erreicht, dieses Ziel, und so lange blü-

6 Here die spartanische Kraft, als ihr der Krieg Nahrung gab; wie diese aufhörte, rostete sie wie ihr Eisen. Weil aber doch Lykurgus das Rationale des dorischen, und Solon das des

ionischen

Stammes

erkannt hatte, so waren ihre Gesetze

nicht todt geboren, wie sie es gewesen seyn würden, wenn

man die Stellen beider verwechseln wollte, und sie brachten auch Jahrhunderte hindurch schöne Früchte der Bildung. Eine schöpferische Kraft kann diesen und auch manchen an­

dern Bildnern die Geschichte nicht absprechen. Aber warum doch hewirkteir sie keine bleibende Nationalbildung? Beleh­ rend ist hierzu weiter die Geschichte der römischen Gesetz­ gebung, besonders seit sie näher zu uns hereintrat. Ein edler Titus wollte das Wohlergehen seiner Römer; und daß auch die mancherlei Völker vom Euphrat bis zum Rhein und zum Ocean, die dem gewaltigen Herrscherstab unterlagen,

daß auch diese alle seiner Güte so viel möglich sich erfreuen sollten, mochte wohl ebenfalls der Wunsch dieses Menschen­ geworden seyn, der die Freude des Menschen­ geschlechtes genannt wurde. Ob es aber dazu gekommen

freundes

wäre, wenn er länger gelebt hätte? Und wie er es hätte anfangen müssen? Alle die vielen Nationen, jede in ihrer Eigenthümlichkeit zu civilisiren, zu kultiviren und zu einem

großen Verein in jenem Weltreiche zu bilden? Und wie sollte er zunächst die herrschende Ration zu jener hohen

Stufe führen?

Konnte ein Völkerhirte in jener Zeit diese

große Aufgabe lösen? Das Licht war freilich schon damals aufgegangen, aber auch als es später um jenen Thron leuch­

tete, hatte es noch zu wenig die Gemüther durchdrungen, um das Reich vom Untergange zu retten, wenn

anders

eine solche Machthaberei, wie die Römerherrschaft war, ge­

rettet werden konnte. Dagegen erscheint in der Geschichte des Wiederherstel­

lers von einem Theile dieses Reiches schon eine ganz andere Karl der Große behält seinen Ruhm, besonders

Kraft.

darin, daß er seine Völker bilden wollte, und daß er in der christlichen Religion das Mittel dazu ersah. Daß er jedoch

7 diese Religion nicht tief genug in ihrem Wesen begriff, und

nicht die Anwendung dieses heiligen Mittels richtig genug traf, davon mag jene Zeit der Berdünkelung die Schuld

tragen.

Und doch hat dieser Herrscher etwas begründet, das

in unserer Nationalbildung fortlebt; Karl der Große ist der

eigentliche Stifter von unserm deutschen Schulwesen^). Man

preist einen Franklin; er hat äußere Freiheit, materiellen Wohlstand, gewaltige Geldmacht für seine nordamerikanischen Freistaaten begründet: aber lebt er denn in einer eigentlichen Volksbildung fort? Was ist jenes andere ohne diese? Hatte

er den Wohlstand dort weiter hinaus als auf einige Gene­ rationen berechnet, so mußte er die Entwicklung der inneren Freiheit, der religiösen Sittlichkeit, der geistigen Vollkommen­ heit als die Aufgabe der Gesetzgebung gleich von Anfang ins Auge fassen, um wenigstens das organische Princip

hierzu dem neuen Staate einzupflanzen. „Wie kann eine Republick bestehen," klagte uns einst ein Freund seines dor­ tigen Vaterlandes, „wenn nicht für die Bildung der Nation gesorgt ist!" Ob indessen das so möglich war, wo eben jenes Histonsche fehlte, worin der Keim schon lebend vor­ handen seyn muß, das ist nicht Sache unserer Ilntcrsuchung;

wir wollten hier nur bemerken, daß Franklin kein Schul­ wesen gestiftet hat. Das hat aber Karl der Große gethan; und wenn das Mittelalter was er angelegt, nicht so, wie es zu wünschen war, fortsetzte, vielmehr vieles entstellte oder zu Grunde gehen ließ, so ist doch seine Idee nicht unterge­ gangen.

Sie lebt, wir wiederholen es, in der deutschen

Nationalbildung fort.

•) Werf, tiefes bezieht sich auf seine Geschichte der Erzie­ hung II. S. 114 ff. und wünscht, daß die Leser, die etwa nicht in tas Lob dieses für die deutsche Bildung so wichtigen Regenten mit einstininicn, ihn mir, wie er sich selbst in seinen Briefen zeigt, kenne» lernen. Mag der Geschichtsforscher — wir meinen darumcr nicht die Zeilmenschcn, welche durch ihre Befangenheit überall in einem Anachrouismu« der Denkart begriffen sind, — sonst auch vieles zu tadeln finden, groß ist und bleibt Karl, denn er trug eine große Idee in sich und setzte sein« Heldeukraft daran.

8 Doch die neueren Zeiten bieten uns so manches noch

Bessere dar, was weise Regierungen für die Fortschritte der Menschheit verfügt haben. Wir könnten hier auch an einen Heinrich IV. in Frankreich denken, der den Wunsch für den Wohlstand seiner Nation bekanntlich als einen gemüthlichen Sinnsprnch aussprach, und mehr noch an seine schöne Idee

von einem Staatenbunde zum bleibenden Friedensstande*). Aber warum wollen wir uns nicht lieber in der Geschichte unserer Zeit umsehen, die uns mit so vielem Erfreulichen hierin um und um aufmuntert? Leben wir nicht in einem Wetteifer der Staaten für die Bildung der Völker? llnb müssen wir nicht manchen Regenten darum preisen? Und ist

das nicht der Segen des Christenthums? Wo ein Fürst durch weise Anordnungen in allen Zweigen seinen göttlichen Beruf beweiset, daß er in dem Reiche des Herrn n*ft, wo er, nach den langen Kriegsläuften, als Stifter und Erhalter des Friedens, als Beschützer der Künste und Wissenschaften,

als Wohlthäter auch für Auswärtige, den Zustand der Welt kräftig verbessern hilft, wo die fortschreitende Bildung seiner Völker seine Veranstaltungen mit dem besten Erfolge krönt:

ist das nicht alles der Segen für den Regenten, der in dem Christenthum selbst steht, und in dieser Religion auch das

*) Heere» sagt In seinem Handbuch der Geschichte des rnrop. Staatensystems re. von dieser Idee jenes meuschenfreundltchen König«: „Gewiß hatte da« Herz von Heinrich nicht weniger An­ theil daran, als sein Kopf. Menschen seiner Art bedürfen eines Ziels, das bei dem Aufwand ihrer Kraft ihnen wohlthätig vorlenchtet." Aber wie kann da« anders leuchten, als in dem Lichte, welche« da« wahre Licht der Menschen ist! Wir erinnern hierbei auch an die Idee de« Philosophen Kant in seiner Schrift: Zum ewigen Frieden. Er sagt hier unter andern: „Die wahre Politik kann also keinen Schritt thun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben,------ sie kann aber dafür hoffen, obzwar langsam, zu der Stufe zu gelangen, wo sie beharr­ lich glänzen wird." Wir hoffen da« mit diesem tiefen Denker, der indessen den rechten Ankergrund für diese Hoffnung übersah. Denn wa« giebt doch der Moral, so strenge und folgerichtig sie auch sey, Geist und Kraft? Rur da« Christenthum. Das hätte auch jenen Philoso­ phen hier und da tiefer sehen lassen.

9 Heil seiner Länder sieht? Zeitgenossen, Deutsche, in welchem der Staaten Ihr auch lebt! o laßt uns das Glück einer Bildung nicht verkennen, die unsere Regierungen, und die wir alle in dem Reiche Gottes gefunden haben, und im­ mer zunehmend zu finden hoffen dürfen. Christliche Erzie­

hung — christliche Familien — christliche Staaten — ge­ heiligte Verbindung der Mächtigen, zur Erhaltung des Völkerfricdens und zur höheren Entwicklung der Menschheit

gesegnet — christlicher Staatenbund — welche herrliche Ideen! welche Aussicht auf eine allgemeine, unvergängliche, fort­ wachsende Nationalbildung! 2. Wir fassen hiernach das Ziel ins Auge, welches in dem Reiche Gottes als das höchste dieser Bildung vorgesteckt Die Kultur erhebt sich stufenweise von einem Ziele zum bis ihr das herrlichste der Menschheit auflenchtet. Auf der untern Stufe ist es Genuß, Ruhe, physisches Wohl­ befinden, alles nur für die jetzige und nächste Gegenwart. Das pflegt so dem genieinen Manne in seinem Hausstande ist.

andern,

und in der Fürsorge für seine Kinder vorzuschwebcn;

wenn Gesetzgebungen nicht weiter sehen,

noch sehr zurück,

und

und

so sind sie selbst

auch ohne Bestand.

Etwas höher

stehen schon diejenigen Völker, welche die Kräfte aufrcgen,

um sie zu üben. So einst der rohere Rormann, wenn er gegen Stürme, Wogen und Schwerdter kämpfte, und sich etwa über die Meere hin ein milderes Land suchte; so auch der kultivirtere Römer, welcher die Welt erobern wollte, damit sie ihre Schätze in seine Roma lieferte. Rur um

etwas höher möchten wir diejenigen Staaten setzen, welche ihrem Volke einen Zustand des friedlichen und genußreichen Lebens bereiten, aber den Zustand anderer Völker dem ihrigen

insoweit unterwerfen wollen, als es ihnen hierzu dient, jedoch

ohne sie gerade im Kriege zu unterjochen.

Weiter hinauf

stehen diejenigen, die Landbau, Gewerbfleiß, Handel u. s. w. befördern, um einen möglichst bleibenden Wohlstand herbei­

zuführen.

und so

So wohlthätig auch eine solche Regierung ist, immer weitere Fortschreiten solcher

sehr uns das

40 Kultur erfreuen muß, so ist da doch noch nicht die. Stufe,

auf welcher das höchste Ziel ins Auge gefaßt wird.

Bil­

dung der Menschheit, so daß in ihr überall das göttliche

Ebenbild erscheint,

immer wachsende Fortbildung in dieser

immer sieigeiiden Vollkommenheit: das ist das höchste Ziel, das Gott selbst so wie dem einzelnen Menschen, so den Ra­ tionen der Erde angewiesen hat.

Eine hohe und herrliche

Bestimmung. Alles andere gehört nur in so weit zum Wohlergehen, als es zu diesem höchsten Wohlstand führt. Hierin findet denn auch jedes einzelne Volk, jeder Staat seine besondere, gleichsam individualisirte Bestimmung, sein

Gemeinbestes, und jeder Rationalität steht hierin ihr Urbild vor. Da spricht denn das Ehrisienherz herein: „es gehe unserm Volke wohl, und allen Völkern der Erde!" und es

weiß, daß es dem nur wahrhaft wohl geht, welches zu jenem

Auf dem Wege dahin liegt nun allerdings auch das, was zu dem leiblichen Wohlbefinden,

höchsten Ziele hinstrebt.

wie alles das, was zu der vermehrten Industrie, und zu der geistigen Bildung in der Nation gehört. Dabei wird zugleich

die Eintracht aller Staaten in dem gemeinsamen Streben zu der Verherrlichung der Menscheuwelt gefördert. Jede

Nation

hat ihre Eigenthümlichkeit, in welcher sie sich für

diesen großen Staat, das Reich Gottes auf Erden, auSbilden soll; jede hat somit ein Urbild, das derjenige, welcher sie zum Ziele zu lenken berufen ist, erschauen muß, gleichwie der wahre Erzieher in seinem Zögling den Zdealmenschen muß durchblicken sehen, dessen Entwicklung seine Aufgabe ist,

und wozu er eine Art Weihe bedarf"). Die Betrachtung der verschiedenen Nationen könnte hiernach dem Dichter wie dem

geweiheten Politiker einen herrlichen Stoff darbieten,

jenem zum bloßen Zdealisiren, diesem zu einer Staatskunst,

welche in seinem Volke das Urbild desselben zu verwirklichen

sucht.

Daß hierzu die genaue Kenntniß der Rationalität

•) Die 1. Abhandlung in den Darstellungen au« dem Ge­ biete der Pädagogik :c. von dem iöerf. redet hiervon.

11 in ihren Anlagen, in ihrem Guten, in ihren Mängeln und

Verdorbenheiten u. s. w. gehöre, brauchen wir nicht zu er­ innern. Was aber leitet uns auch hierin richtig? Was schließt unS in dem Menschen sein Höheres auf?

theil?

und Niederes

Was giebt uns die Liebe und den Ernst in dem Ur­ Was stellt unS das reinste Ideal der Menschheit

Und was giebt uns den richtigen Takt in der Anwendung auf die menschliche Natur? Wir wollen das Wort hier nicht wiederholen, es hat sich schon in dem überhaupt dar?

Herzen des unbefangenen Lesers ausgesprochen. 3. Und der Weg, der sicher zum Ziele führt? Er hat sich unS zwar, indem wir dieses ins Auge faßten, so eben dargelegt,

doch müssen wir ihn noch bestimmter bemerken.

Der Punkt, von welchem

alle Bildung nach dem in der

Natur heilig gehaltenen Gesetze auSgeht, ist das, was so­

wohl in der Anlage als in dem bis jetzt Gewordenen bereits vorhanden ist, in beiden aber das Gute, das zur Bestim­ mung des Menschen entwickelt werden soll. Darauf beruht der Grundsatz,

daß bei einem Volke, das keine Geschichte

hat, noch keine Nationalbildung erwachsen kann, es müßte

denn erst eine eigene Schöpfungskraft eintreten.

Noch ent­

schiedener beruht darauf die Erfahrung, daß jede Revolution

ein Volk zurückwirft, und was sie aufsiellt, ein Machwerk ist, das seine Zerstörung in sich selbst trägt, und daß sie vielmehr

eigentlichen

Lebenskeim

in der

Volksbildung niederdrückt, wenn nicht gar vergiftet.

Za, es

die organische Kraft, den

ist nie anders zu erwarten, als daß das revolutionäre Prin­ zip der Nationalbildung feindselig entgegen wirke. Die Men­ schen, welche es geltend machen wollen, sind verblendet, meist durch Eitelkeit und Herrschsucht geleitet, oder wenigstens aus Ilnkunde bethört.

Der vernünftige Bildner kann sie nicht

hören, indem er das Ziel und die Natur des Menschen bes­ ser kennt.

Für düs Fortschreiten auf dem Wege gilt das Gesetz der Stetigkeit.

Ein Volk in seiner Bildung vorwärts stoßen wollen, ist ebenso Unverstand, wie es zurückziehen wollen;

12 beides ist gegen das Gesetz der Natur, und die Natur läßt

keine Ilebertretung ungestraft.

Wie bei dem Kinde so bei

dem Volke läßt das Treibhaus nur eine Schcinbildung be­ wundern, die nur zum baldigen Hinwelken so schnell auf­ blühen mußte; aber dem reinen Wachsthum Fesseln anlegen,

bringt nur ein Verwachsen hervor, welches die schlimmsten Krankheiten befürchten läßt. Der Mensch ist das einzige Geschöpf auf der Erde, welches eine eigentliche Zugend hat,

und

der Schöpfer hat ihm hiermit ungefähr den

dritten

Theil seines Lebens als die Zeit seiner Erziehung angewiesen.

So verhält es sich auch mit der Nation.

Sie ist nicht wie

die einjährige Pflanze, auch nicht wie die in wenigen Zäh­ ren aufschießende Pappel, sondern der Eiche vergleichbar,

braucht sie Jahrhunderte zu ihrer jugendlichen Entwickelung, und dann beginnt erst ihre innere Kraft sich auszubilden,

welcher ebenfalls die Natur ein stetiges Fortschreitcn vorgcschrieben hat. Und ist das nicht gerade das Gesetz für das Reich Gottes, welches alles so recht von innen heraus er­

wachsen läßt? Leider bringen die Kriege den Völkern gsoße Hemmun­ gen, oft mitten in ihren besten Fortschritten; indessen einigen Trost gewährt schon die Erfahrung, daß die Fricdenssonne

größere» Eifer anregt, um das Unheil bald auszutilgen, und daß dann oft die Nation einen neuen Aufschwung zu höhe­ rem Wachsthum nimmt. dessen Hand schlägt und

Das ist dann Gnade von Gott, wieder heilt. Der vollkommene Trost liegt aber in dem, was uns das Ehristenthum ver­ heißt. Christliche Regenten machen die Kriege seltener, und

wird diese Religion einmal völlig in den Regierenden »und Regierten herrschen, und so in allen gebildeten Völkern, so wird gar kein Krieg hinfort mehr seyn.

4. Endlich ist es auch die Dauer, welche der Rational­ bildung gesichert werden soll. Einer unserer genialsten Ge­ schichtsforscher^) hat von einem Völkerleben gesprochen, für

•) Niebuhr, Römische Geschichte.

15 dessen Dauer Sekula das Maaß sind.

Ein großer Beob­

achter im Alterthum") bemerkt, daß es wechselnde Perioden in dem Wohlstand und Zurücksinken der Völker, ja in der Fruchtbarkeit von Länderstrecken gebe. Die gemeine Erfah­ rung will in Familien gewöhnlich mit der dritten Generation

eine llmkehr der Bermögensnmstände finden.

Wie dem auch

sey, cs wäre nicderschlagend für den vernünftigen Erzieher,

Gesetzgeber, Regenten, Wohlthäter des Volks, wenn er etwas Vergängliches begründen sollte, denn das Ziel aller dieser Berufsarten ist doch jenes höchste der Menschheit, ihre stets

fortwachscnde Entwickelung. „Wie?" denkt der Vater in tiefem Ernst, „mein wohlgerathener Sohn sollte unsere Hoff­ nungen dennoch täuschen? sollte einst ein schlechter Mensch werden--------- ?

Furchtbares Bild! weg damit!"

Der weise

Regent sicht seine Anstalten und durch sie sein Volk herrlich aufblühen;

er sieht diesen Wohlstand auch auf mehrere Ge­

nerationen hin gesichert; aber nun tritt ihm aus künftigen

Jahrhunderten ein schreckendes Rachtgesicht von Verwüstung der schönen Länder, von Versunkenheit der jetzt aufgeklärten Völker vor die Seele--------- und da naht sich die Verzweif­

lung. Rein, nicht so, Ihr Gottesmänner!

Was Ihr begrün­

Im Reiche Gottes geht überhaupt nichts verloren, aber Euer Werk, wenn Ihr es für dieses Reich bewirkt, wird auch als solches bestehen. Auch das ist uns durch das Christenthum verheißen, weil die Menschheit ihr Ziel durch dasselbe zu erreichen bestimmt ist. Die wahre Nationalbildung führt eben dahin, und der christlich-bestimmte det, ist für die Ewigkeit.

Glaube an die Vorsehung gewährleistet uns die Dauer und das beständige Fortschreiten derselben.

In diesem Glauben

wird Euer Werk gedeihen, von Gott geleitet, geschützt, ge­ segnet, und wird Eure Hoffnung immer in stärkere Freude der Zuversicht übergehen. Es ist ein alter Spruch heidnischer Weisen, und ein

*) AriststtleS Rhet. 2, 15., angef. in meiner Erziehungs­ lehre S. 76.

14 heiliges Wort der Offenbarung, daß Böses Fluch,

Gutes

Segen auf Kinder und Kindeskinder oft bis auf ferne Ge­ schlechter hin vererbt; aber das ist der Trost der Erlösung, die das ganze Menschengeschlecht umfaßt, aber auch ihr Heil der Nation, der Familie und jedem Einzelnen zugedacht hat, daß sie den Segen wahrer Bildung unvergänglich macht, und jedem der Nachkommen zusichert; denn sie will nicht, daß Eins verloren werde.

Gebt Euern Kindern die wahr­ haft christliche Erziehung, so hinterlaßt Ihr ihnen den sicheren

Reichthum; fördert das christliche Leben in dem Volke, und Ihr sorgt für sein unvergängliches Heil. Das ist das Ziel und der Weg aller wahren Bildung.

Mit diesen vorausgeschickten Gedanken glauben wir uns über den Begriff der Nationalbildung verständigt zu haben. Wir müssen ihn nun weiter in Beziehung auf die deutsche

entwickeln, und sodann sehen, was von Seiten der Religion und was von Seiten der Wissenschaft für dieselbe zu wün­

schen und zunächst zu thun seyn möge.

Denn beide sind

die Duellen, die in unserer Nationalbildung zusammenfließen.

1.

Die deutsche Nationalität in dieser Beziehung. Alle die Völkerschaften, welche Deutsch reden, werden So sehr sie auch in der Mundart und Lebensweise verschieden seyn mögen, wie auch

hier unter der Nation begriffen.

in größeren oder kleineren Staaten

gesondert, so ist doch

eine gewisse Einheit der Sprache und der Sitten, welche in

allen von der Ostsee bis zu den Alpen, und zur östlichen und

westlichen Seite hin, einen gemeinsamen Nationalzug erblikken läßt; und was die Gemeinschaft der Bildung betrifft, so

theilt diese mit uns auch Dänemark und Holland.

Wir wollen kein Gemälde des Nationalcharakters ver­ suchen; das möchte ein Albrecht Dürer in seiner Art, wel­

cher etwa auch Volks- und Dichterworte in seine Zeichnung aufzunehmen hätte, z. B. „ein Wort, ein Mann; redlich spricht der Mund, redlich ist des Herzens Grund; — der

13 Deutsche kennt den Deutschen bald am offenen Gesicht" —

u. bergt

Es wird zu unserem Zweck hinreichen, wenn wir

nur einige Grundzüge der deutschen Natur und Art andeuten. Die allgemeine Beobachtung zeigt uns den Deutschen als ernst, bedächtlich, fleißig, wobei er gern spricht und singt und gesellig ist. Er liebt ein Leben, das wohl bemessen zwi­ schen Arbeit und Ruhe, häuslicher Stille und belebter Ge­

sellschaft eingctheilt ist; er bedenkt sich oft lange, bevor er handelt, aber dann geht er auch tapfer auf sein Vorhaben los und nicht leicht zurück, und meist zeigt er Muth und

Beharrlichkeit. So finden wir ihn stätte, am Schreibtische, in dem ländlichen Dache, in der Stadt. gastliche Freundlichkeit, bereitwillige

am Pfluge, in der Werk­ Lehrzimmer, unter dem Und überall kommt uns Diensifertigkeit entgegen;

überall waltet die Hausfrau, versorgt die Familie und be­ wahrt die Sitte, und die so vieles wegschwemmende Kultur des öffentlichen Verkehrs hat den Heerd bis jetzt noch stehen lassen, bei dem sich Eltern und Kinder daheim fühlen.

Auch

finden wir in den Stadt- und Landbewohnern offenen Sinn, gesunden Verstand, gute Urtheilskraft, lebhafte, aber nicht leicht über die Linie sich versteigende Phantasie, sinnreiches

Denken, erfinderisches Arbeiten, Geist und Gemüth in jener

Einheit*), um die der Deutsche von allen andern Völkern

•) Nicht- widerspricht «ehr der gesunden Beobachtung, al« jene« Urtheil: „der Norddeutsche hat mehr Geist, der Süddeutsche mehr Ge­ müth." Da« hat wohl einmal ein genialer Kopf so hingcworfen, nun wird es von beschränkten Köpfen so nachgesprocheu. Bedächten die gu­ ten Leute nur, was jene« „mehr" eigentlich heißen solle; denn da« sagt immer ein „weniger" auf der andern Seite au«. Also hätte der Süd­ deutsche weniger Geist, der Norddeutsche weniger Gemüth? Beide wür­ den gegen diese Zutheiluug wie gegen die einer nicht geringen Schuld protestiren, und da« mit allem Recht. Aber wie da« gemeine Volk manchmal diese Worte eben versteht; j. V. in der leidenschaftlichen Aufregung viel Gemüth findet, und am wenigsten an di« Sache denkt, worin pch Geist und Gefühl einigt. Diese Einigung ist es, die wir dem Deutschen an der Küste der Ostsee wie am Fuße der Alpen al« Charakterzug zuerkeudeo müssen.

16 Anerkannt ist ja auch von andern Nationen die Frömmigkeit und Tiefe seines Gemüths und die Forschungskraft seines Geistes, so wie das Erzcugniß von beidcm, sein rastloser Bildungstricb. Der Deutsche will beneidet werden könnte.

gern von allen Seiten lernen, vom Inland und Ausland das Beste seinem Geiste aneignen, will immer lernen und

lehren, und findet so recht in der Selbstbildung sein höheres

Leben. Daher zeichnet sich unsere Ration durch ihre Bil­ dungsfähigkeit aus. — Mit diesem Grundzuge kann es uns hier genügen, und wir heben ihn als den wichtigsten für unsern Zweck hervor.

Natürlich findet sich auch mancher beklagenswerthe Zug, in welchen jene Anlagen ausgeschlagen sind; wie ja auch bei jedem Kinde neben der guten Art die Unart, und dann leicht weiter neben der Tugend das Laster erwächst, wenn die sitt­

liche Kraft nicht wacht.

Die Geschichte und die alltägliche

Erfahrung erinnern uns genugsam auch an Rational-Laster; insbesondere blickt noch manche Verdorbenheit früherer Zeiten

in vielen Wörtern unserer Sprache hindurch,

die jedoch,

Gott sey Dank, veraltet sind, z. B. Trunkenbold, Raufbold,

oder die nur noch in den Schimpfwörtern des Pöbels vor­ Daß solche Worte aus dem Gebrauche gekommen

kommen.

sind, beurkundet eben, daß sich auch die Sache ziemlich ver­ loren hat, und so giebt uns das zugleich einen augenschein­

lichen Beweis von fortgeschrittener Bildung.

Möchten nur

nicht auch die Worte der Nationaltugenden außer Gebrauch kommen! Sorgt, Zeitgenossen, daß wir nichts der Art ver­ lieren;

Worte wie: Glaube,

Frömmigkeit,

Gottseligkeit, Wir

Treue ic. mögen stets im geheiligten Umlauf bleiben.

klagen wohl manchmal über die Beharrlichkeit, womit der

gemeine Mann bei dem Alten hält; aber wir bedenken nicht, daß darin auch ein lobenswerther Zug liegt, der nicht aus

dem deutschen Charakter herausgerissen werden darf, und der nur recht behandelt seyn will, um gerade aus ihm den Trieb zur wahren Bildung zu ernähren; und eben so verhält eS sich z. B. mit der Neigung gerne Neues zu hören. Zn

47 allem diesem sey man vorsichtig, um nicht mit dem Unkraut den Weizen auszuraufen.

Das deutsche Gemüth läßt sich nicht leicht den Glauben, jene Mitgabe frommer Mütter, entreißen, ja es würde durch Unglauben wie durch sein ärgstes Gift schnell ertödtet; aber

es denkt gerne auf den Grund, wendet sich auch nicht von Zweifeln ab, und sucht dann mit getroster Ahndung bessere

Belehrung.

Seine Bildungskraft führt daher immer wieder

durch alle solche Anfechtungen hindurch zum wahren Glau­

ben der Frömmigkeit, und sichert eben hiermit zugleich gegen

Aberglauben. Seine Treue gegen Fürst und Vaterland, seine Ehrfurcht gegen die Obrigkeit und die bestehende Ord­ nung, seine Achtung des Alters und des Lehrstandcs — die­

ses Löbliche kann der Deutsche nie verlieren, so lange er sich nicht selbst verliert. Die Aufregungen in der neuesten Zeit haben darum auch trotz aller Macht, womit diese furchtbare moralische Seuche auch hier und da in deutsche Gauen ein­

dringen wollte, doch am Kern der Nation nichts vermocht, und werden nichts vermögen, so lange unser Grundeharakter

Diesem aber droht das Unheil der Zeit allerdings in der Ueppigkeit, in der Genußsucht, in der Auflösung des Familiensinnes; gegen dergleichen ist der ganze

übrigens gesichert wird.

Ernst der kirchlichen und bürgerlichen Heilmittel nöthig, damit sich auch in diesen Versuchungen unsere Nationalbildung siegend bewähre. Weniger noch vermochte bis jetzt die Rich­ tung der europäischen Kultur die Geistesthätigkeit in Deutsch­ land aus ihrer glücklichen Bahn herauszulenken. An Ver­ suchen hierzu hat es zwar nicht gefehlt, z. B. wenn man

die gelehrten Studien herabsetzen und die materiellen vorzie­ hen,

wenn man die Universitäten in Schulen verwandeln

wollte; Gott verhüte, daß es dahin bei uns Deutschen nicht

komme!

Mag man uns immer einen Hang zum Grübeln

vorwerfen, mag der Ausländer über die Zdeologieen und Theorieen der Deutschen immer lächeln, er lernt doch von ihnen, er kommt doch zu uns, er bewundert doch die Anstal­

ten und Werke in Deutschland; und auch im Ausland sieht Schwarz: Darstelt. a. d. Gebiete d. Pädagogik. II. 2

18 man, wie rührig, erfinderisch und kunstreich der Deutsche sey. Zn allem diesem erscheint uns immer wieder jener Hauptzug

unserer Nation, die geistige Bildungskraft. Ob hier nicht ein Nationalstolz spricht? Run, man rechnet es uns Deutschen ja doch zum Fehler an, daß wir zu wenig auf uns hielten, so möge denn jene Aeußerung

beweisen, daß es so gar arg mit diesem Fehler nicht sey. Wir setzen aber unsern Stolz in dem erfolgreichen Streben

nach Bildung.

Lernen und Lehren liegt in unserer Natur,

und hiermit erkennen wir zugleich die Stelle, welche die Vor» sehung der deutschen Nation im geistigen Organismus der

Richt Länder zu erobern, nicht auf der See heimisch zu seyn, weder zu herrschen über andere Nolker angewiesen hat.

Völker, noch irgend Sclaven zu seyn, sind wir bestimmt. Zn Vielem, das ja dem Ganzen der Menschheit ehrenwerth und wohlthätig ist, erkennen wir manchen anderen Völkern gerne und dankbar den Vorzug zu; für Deutschland hat die

Natur selbst eine neben einander bestehende und in einander

greifende Vielfachheit der Beschäftigungen angewiesen.

Den Gewerbfieiß neben dem Landbau, tüchtige Handarbeit neben

darauf hat es die äußere Natur wie unsere innere angelegt, und die Geschichte hat dieses Kunst und Wissenschaft,

Nationalleben so fest begründet, daß nichts abgerissen werden darf, ohne dieses Leben selbst in seiner Wurzel zu verletzen.

Wie schon Klima und Boden den Bewohnern dieses Landes diese Bestimmung gegeben, läßt sich von dem Geographen

Reiche Gebirgszüge, von unendlich vielen Thä­ lern durchschnitten, dichte Waldungen, fruchtbar? Ebenen, überall Brunnen und Bäche, alles in der mannigfaltigsten bemerken^).

Abwechselung, hierzu die schiffbaren Ströme, die bequemen

Landstraßen (nun bald auch Eisenbahnen), die Heilquellen aller Art, u. s. w. „Welches schöne Land!" ruft der Rei­ sende jeden Tag aufs neue aus, wenn er so eine herrliche

*) Wir erinnern uns an die Ideen unsere« genialen Geographen 6. Ritter.

49 Gegend nach der andern sieht, und ihm die gefälligen Ve« wohner sie noch freundlicher machen.

Wenn also nur fort­

hin Wissenschaft, Kunst, Gewerbe, Landbau, Handel und

Wandel gefördert werden, — wie wir es ja täglich erfahren, — wenn «ns dabei Gott den äußeren Frieden erhält, und wir unS dessen durch innere Eintracht würdig machen,

so

befindet sich fortwährend unser Deutschland in einem Wachs­

thum seiner Bildungskraft, daß wir uns das Ziel derselben nicht hoch genug stecken können. sicht im Wege?

kunft?

Und was steht dieser Aus­

Ihr verlangt Gewährleistung für die Zu­

Wohl, sie ist in Euere Hände gegeben.

Zch Meine

hier nicht die Constitutionen; die mögen wohl mit dazu bei­ tragen; aber sie helfen nichts, und seyen sie Meisterwerke der Politik, wenn das fehlt, was auch ihnen, was allem Guten allein die Dauer verheißt, und was jedem, der nur will/ Gott zuverlässiig gewährt. Ihr wisset ja, worin diese Ver­ sicherung besteht: laßt sie uns treulich in Unserer Bildung

festhalten.

Und hat es sich denn nicht bisher so bewährt?

Vermochten doch alle die Stürme nicht, den Baum zu ent­

blättern, und kein Orkan der Revolution den Stamm um­ zureißen. Es lebt noch immer das fromme Gemüth, der forschende Geist, der betriebsame Fleiß in unserm Volke: nun so laßt uns nicht verkennen, was Gott uns gegeben, und keinen Finger breit von dem gesicherten Wege zu dem herr­

lichen Ziele abweichen. Da nun die Grundbildung von der güten Naturanlage ausgehen muß, und wir so glücklich sind, eine recht erwünschte in unserer Nation vorzufinden; da auch die Fortbildung immer an das bisher erwachsene Gute sich anschließen muß, um dasselbe zu heben und zu fördern; und da wir auch hierin so vieles vorfinden, so sehen wir uns nicht in der mindesten

Verlegenheit, von welchem Punkt aus wir den Weg zu jenem Ziele betreten sollen. Wir sind schon auf dem Wege, wir erkennen ihn schon als den richtigen. Die Natur selbst hat ihn uns vorgezeichnet, und die Geschichte hat uns auf demselben schon eine schöne Strecke fortgeführt.

2*

Da bran-

20 chen wir nichts erst zu machen: es erwächst aus dem In­

nern, wenn wir nur Unheil abwehren, und in der nährenden Pflege nicht nachlässig sind; da ist an kein Umkehren oder

Umstürzen zu denken; der edle Baum steht festgewurzelt auf gutem Grund und Boden; und der Deutsche, welcher sein Heil im Revolutioniren suchte, wäre zum mindesten ein Toll­ kopf. Laßt uns also nur den sicheren Weg immer wahr­ und manches zeigt uns hier warnend unsere Geschichte. Sie lehrt uns nämlich den Erfolg von diesem und nehmen, denn Irren ist menschlich,

jenem Mittel, wodurch man glaubte das Gemeinbeste zu fördern, und sie läßt uns klar erkennen, daß nie Zwang, nie Verfinsterung, nie Ueppigkeit, nie Unglaube irgend zum Besseren führte, und je vom Verderben rettete; daß vielmehr Freiheit, in dieser die Aufklärung, in dieser die Sittlichkeit, in dieser und in allem die Gottesfurcht Heil brachte, so wie es Gott geordnet, und in der Führung seines lieben deutschen

Volkes auch

herrlich bewiesen hat.

Eben

diese Geschichte

zeigt uns auch die Abwege, auf welche die Deutschen leicht

verleitet wurden, und zeigt den bösen Feind, der in dem Innern unsers Nationalrharakters lauert, um auch die gute

Richtung in eine böse zu verkehren. Denken wir nur an den Zank, Streit, Widersprechungsgeist, über den wir schon bei den Kindern oft klagen müssen. Gegen solches hat haupt­ sächlich die Erziehung zu wirken; aber die Gesetzgebung hat

ebenfalls hierzu nicht wenig zu thun. Das Verbieten ist bekanntlich nicht gerade das sicherste Mittel, schon das Ge­ bieten wirkt selten nach Wunsch, aber die regierende Weis­ heit verhütet, begünstigt, regt an, lenkt, und wie würdig er­ scheint unS hier die Aufgabe der polizeilichen Einrichtung. Weiß sie z. B. den Ausbrüchen der Streitsucht und Bos­

heit zu wehren, so kann sie auch meist schon die Ursachen

abschneiden, z. B. Trunkenheit, Müssiggang, Spielsucht, ja

sie kann noch tiefer einwirken, so daß auch solche Ursachen nicht einmal entstehen, indem

sie dafür manches in dem

Volksleben veranstaltet, was bessere Neigungen und Richtun-

21 gen Hervorrufe.

So sollte man insbesondere bei der so viel­

fach behandelten Frage über die Preßfreiheit doch hauptsäch­

lich in Betracht ziehen, inwiefern der deutsche National­ charakter durch solche beständige Aufregung der Streitsucht und Schmähsucht gewinne oder verliere,

und erst hiernach Reben der

sollte man ihren politischen Werth würdigen.

polizeilichen hat auch die juridische Gesetzgebung ihre große Aufgabe, damit sie schlechte Gesinnungen verhüte, und die

guten begünstige. Ob dieses alle Civilgesetze vor Augen ha­ ben? Ob nicht unter einer anscheinenden Vollkommenheit sich oft jene tiefere Unvollkommenheit verberge, die dem Buch­ staben des Gesetzes eine Gewalt giebt, welche den Geist er­ drückt, während sie die Chikane aufruft? Ob nicht die an­ scheinende Menschenfreundlichkeit der modernen Eriminalgrundsätze am Ende die Lage des rechtlichen Menschen unsichrer

mache, als die des Mörders und Diebes? Doch was der Staat zu thun habe, ist nicht Sache unseres Urtheils, und

wir mußten nur erinnern an die Wichtigkeit, welche in allem die Gesetzgebung hat, um die Ration gegen bösartige Rich­ tungen möglichst zu sichern, und überhaupt ihre Bildung zu begünstigen. Wir wenden uns zu unserer Alifgabe. Diese

ist, daß wir das angeben, was für die Bildung unserer Na­ tion durch die Kirche, die Schule und die Universitäten zu thun sey.

2. Wünsche für Bildung unserer Jugend durch die Kirche. Zst das deutsche Volk in der neueren Zeit christlicher

geworden?

Wir wollen uns keine Antwort auf diese wahre

Lebensfrage anmaaßen, auch nicht in die lauten Wehklagen einstimmen, womit sie verneint wird, aber eben so wenig in

die Loblieder über die Fortschritte in der Religion.

Wir

fordern vielmehr zu einer ernsten Untersuchung auf, weil die Zeit selbst hierzu dringend auffordert, welche in der Beant­ wortung folgender specieller Fragen die richtige auf jene allgemeine begründen wird.

22 Erste Frage:

Haben in Deutschland die Verbrechen ab-

und hat die äußere Sittlichkeit zugenommen? Beides ist die nothwendige Folge des Christenthums, denn es ist die Reli­ gion der Lebensbesserung, und wo diese letztere nicht erscheint, da fehlt es zuverlässig an der ersteren. Die Abnahme des Gesetzwidrigen und die Zunahme des Gesetzmäßigen dürfen wir aber nicht trennen, weil Negatives und Positives im Leben zusammen sind, und jedes llrtheil, das sich nur auf das eine bezieht, einseitig bleibt.

Manches wird dann weni­

ger als Verbrechen angesehen, z. B. der Selbstmord, denn das Unsittliche, das in der ganzen Lebensweise liegt, die so

herbeiführt, wird dann nicht in Betracht gezogen. Dagegen geht manches als sittlich durch, weil es mit der Ordnung und dem Anstand sich ganz gut zusammenfindet,

etwas

während es eine geheime Ouelle von Gesetzwidrigkeiten und Ruhestörungen unterhält,

z. B. die Schwelgerei und das Wir müssen also

Lossagen von der Religionsgemeinschaft.

in beiden! den tieferen Grund erfassen, der das Gemüth ge­

gen Lasier verwahrt, und es im Innersten versittlicht.

Die

statistischen Tabellen über Criminalsälle u. dgl. zeigen nur die eine Seite; es muß aber auch die andere Seite vorgelegt, es müssen die Seelsorger, die Richter gehört, die Familien, die Gemeinden besucht werden. Herrschen Lasier, herrscht

Zank, Streit, Widersetzlichkeit noch wie vor 50 Jahren, wird nicht mehr Häuslichkeit, Ordnung, Liebe gefunden als ehedem: so darf man auch nicht sagen, daß das Christenthum Indessen um gerecht und billig zu ur­ theilen, muß man die Kriegs- und Revolutionszeiten wäh­

zugenommen habe.

rend dieser Periode in Anschlag bringen, denn „der Krieg

macht mehr böse Leute als er wegnimmt," und die Revo­

lution wirft die unglücklichen Zeitgenossen nicht nur zurück, vielleicht mehrere Generationen,

sondern zerstört auch viele

Wurzeln des Guten. Da die Erziehung und Religiosität samt dem öffentlichen Wohlstand hierdurch so sehr leiden, so müssen diese Folgen in unserer Zeit in Abzug gebracht wer­

den, und dafür muß die allgemeine Regsamkeit in dem Frie-

25 densstande, womit uns Gott schon seit einer halben Gene­ ration begnadigt hat, als Folge der nicht untergegangenen

christlichen Denkart in Anrechnung kommen. Auf solche Art müßte vorerst die Wagschale gleichgestellt werden, um dann ihren richtigen Ausschlag zu sehen, und das in jedem Lande, in jeder Gemeinde. , Auffallende Erscheinungen von Gräucl-

thatcn und Edelthaten sind bei dieser Prüfung zwar nicht zu

übersehen, aber sie sind nicht an sich entscheidend, sondern werden es nur, indem sie auf das Nationale oder Fremd­

artige, das in ihnen vorkommt, Hinweisen.

Ferner darf nicht

der politische, der polizeiliche, der physische Zustand (z. B. die

krankhafte allgemein verbreitete Reizbarkeit der Nerven), das vermehrte Lesen u. dgl. außer Acht gelassen werden, um das Urtheil rein und entscheidend zu fällen. Wir sehen also, wie

schwer es ist, und wie anmaaßend es wäre, sohin auf jene Frage mit einem runden Ja oder Nein zu antworten. Auf jeden Fall wird gewiß jene Wehklage gemildert, eben so ge­ wiß aber jenes Loblied herabgestimmt, und die Anforderung an die Väter der christlichen Bildung geschärft werden. Zweite Frage: Geschieht in der christlichen Erziehung zu Hause, was geschehen soll und kann?

Hierauf antworten wir, ohlie anmaaßend zu seyn, gera­ dezu Rein. Denn das liegt allgemein vor Augen, und kommt von allen Seiten her zu Ohren. Ausnahmen giebt es auch hierin,

Gott sey Dank, und sie werden allerdings weniger bemerkt, indessen sind es doch nur Ausnahmen von dem, was sich im Allgemeinen der Beobachtung darbietet. Wie viele Eltern klagen, daß sie in unsern Zeiten gar nicht mehr wissen ihre

Kinder im Christenthum zu erhalten.' Andere wissen nicht die rechte Wahl zu treffen unter den so sehr verschiedenen

Wegen, welche Männer von Ansehen Vorschlägen, ob von dem Verstände zum Herzen? oder von dem Herzen zum Ver­ stände? oder ob und wie aus der Tiefe des Gemüths?

Zn

ihrem Bedauern haben Biele erfahren, daß z. B. ein Campe nicht ihr rechter Führer war, und die Erfahrung, welche die

24 Menge der Schulleute an den Grundsätzen z. B. eines Din-

ter machen, fängt schon an ihnen und den Eltern unerfreu­ lich zu werden. Da nehmen denn manche ihre Zuflucht zu

dem veralteten Pietismus, der sich ebenfalls für den Anfang erfolgreich beweiset, und zwar von einer besseren Seite als jene kalte Berstandesentwickelung, aber sich dann gemeiniglich wie der Same zeigt, der in keinem tiefen Boden wurzelt, und schon bei der jugendlichen Hitze verdorret. Viele Eltern

— auch Lehrer in den Familien

und in den Schulen —

kümmern sich gar nicht um die Eindrücke, womit das Chri­

stenthum schon in die Kindesseele eindringen will, oder sie lassen so nebenbei,

etwa mit dem Christbaum oder irgend

einem Büchlein, unter vielem andern auch dann und wann eine fromme Regung auftauchen, die aber bald wieder unter­ geht. — Doch wir wollen hier den Leser nicht weiter auf­ halten*), jeder sehe sich nur vorerst in seinem Kreise, dann aber auch weiterhin um, ob er sich dann berechtigt finden möge, an die Stelle von unserem entschiedenen Rein das er­ wünschte Za zu setzen. Dritte Frage: Geschieht es in den Volksschulen? Wir antworten mit gleichem Rechte Rein.

Zwar wird da Unterricht in der christlichen Religion er­

theilt, aber wie?

Mögen die Ausnahmen, wo Lehrer von

christlicher Weihe denselben ertheilen, in unsern Tagen viel­

leicht häufiger vorkommen, wahr ist es doch, daß die besseren Grundsätze für diesen wichtigen Unterricht erst in der neue­

sten Zeit zur Bildung der Schullehrer ausgesprochen worden,

und noch sehr wenig in Anwendung gekommen sind. Wie viel ein ächt christlicher Lehrer, selbst wenn er nicht von manchen Mängeln in der Lehrerbildung weniger frei ist, als

*) Zu der Erziehung«- und Unterrichlslehre und In den Nachträgen hat der Vers. au mehreren Drleu darüber gesprochen; zuletzt in den Darstellungen ic., durch die Beantwortung der Frage: Warum ist manchmal ein« Erziehung von christliche» Eltern so uuwirksawi

23 viele, die wohl zugestutzt aus Seminarien kommen*), denen

er aber an jenem tiefern Duell und dessen belebender Kraft

voransteht, wirkt, das kann keinem fremd bleiben, der sich in unsern Volksschulen umsieht. Was man aber hier da und dort findet, warum könnte es nicht in allen Schulen so seyn? Zst es ja doch das Natürliche, was hierin gewünscht wird; gerade das ist der Weg für die Kinderherzen in das Reich

Gottes, und jenes, das ihnen einzutreten wehrt, ist das Ge­ künstelte der verirrten Kultur. Besuche man nur christlich beseelte Kleinkinderschulen, und vernehme man nur, wie manch­ mal die Kleinen, die kaum reden gelernt haben, ihren Mund

aufthlln, um ein Wort Gottes an Väter und Mütter hören zu lassen. Da stimmt man ganz in jenen Preisgesang ein: „aus dem Munde der Säuglinge hast du dir ein Lob berei­

tet." Aber wie würden wir staunen — ein prophetischer Geist eröffnet uns solche Lichtblicke — wenn wir die herrliche

Zugend sähen, die aus einem allgemein christlich gewordenen Volksschulwesen hervorgehen wird! Vierte Frage: So wird denn doch wohl von den Geist­ lichen das gethan, was zur christlichen Bildung der Zugend geschehen kann und soll?

Und auch hierauf müssen wir mit einem Nein ant­ worten. Schon das, was im Hause und in der Schule hierin vermißt wird, berechtigt uns zu diesem Urtheil, denn der kirchliche Einfluß hätte da etwas viel Besseres bewirken müs­ sen. Roch immer sind ja auch die von der Kirche ange­ stellten Lehrer selten, welche mit Lust und Liebe in der

Schule weilen;

und wenn gleich viele den lobenswerthen

•) Daß auch Seminarien durch Bildung zur Frömmigkeit in Ver­ bindung mit andern Kennlniffeu und Geschicklichkeiten sich auszeichneu können, beweisen bekannte Erfahrungen und würdige Vorsteher. Auch wird in der Schrift: Neber den Religionsunterricht in Voltsschullehrer-Seminarten ic. von C. A. Hasert, Dr. d. Philos. ii. Diak. an der Nik. K. zu Greifswald (1832), durch eine gründliche, klar« Entwickelung dieser wahre Fortschritt dargelegt.

26 Verordnungen nachkommen, und sich der Schulen annehmen, so ist es doch mehr jenes Aeußere, z. B. Unterricht in der

deutschen Sprache, in diesen und jenen Kenntnissen, auch

neue Methoden u. dgl. was sie beachten, und wodurch sie sich auch wohl Belobungen erwerben. Das ist wohl gut, aber für den Geistlichen der Gemeinde nicht die Hauptsache.

Du aber, frommer Seelenhirte, der Du in den gedrängten Kinderhaufen eintrittst, verkündigst sogleich schon durch Drin

Angesicht das Evangelium,

und versiehst die Sprache der

Einfalt, und siehst wie das Wort mit Freuden ausgenom­ men wird, und erfährst die Wirksamkeit des Geistes mit 'jedem Zahre mehr in der Gemeinde, in welcher auch die

Eltern von Dir die Erziehung in der Furcht und Ermahnung zum Herrn recht verstehen lernen; und von Dir reden viel­ leicht die Schulberichte kaum. Solche Geistliche sind die ge­ segneten Schul- und Erziehungsmänner in ihrem Kreise, und Gott sey Dank, sie finden sich hier da und dort, das Salz der Erde, das der Fäulniß im Volke widersteht. Möchten

sie nur überall zu finden seyn, wie herrlich würde da die christliche Kirche aufleben!

Der hier redet, denkt zwar als

evangelischer Protestant hierbei zunächst an seine Kirche, er weiß aber, daß es sich in jeder Kirche so verhält, und daß

in jeder das Christenthum leben soll und leben wird, wenn die Geistlichen hierzu wirken wie sie sollen"). Wahrlich nicht das Streiten um Lehrsätze, um Schriftauslegungen, um Ge­ rechtsame, um Einkünfte, um kirchliche Macht u. dgl. ist es, womit es der christlichen Kirche gedient ist, als nur so weit,

wie es an seinem Orte und zu seiner Zeit nöthig und mit christlichem Geiste geführt wird, — der zu unserer Freude

mehr und mehr in der neueren theologischen Polemik durch-

") So müssen auch protestantische Theologen die Trefflichkeit einer Katechetik anerkennen, in welcher der würdige Theologe au« der ka­ tholischen Kirche, Hr. Prof. vr. Hirsch er zu Tübingen, den wahrhaft in da« Christenthum einführenden Zugendunterricht den Geistlichen lehrt. Auf die 1. Aust. 1831 folgte auch schon 1833 die 2te.

27 bricht — und als darüber nicht die Hauptsache zurücksteht.

Das aber ist und bleibt das innere Leben der Kirche, daS

geistliche Leben. Dieses muß den Mann vor allem andern erfüllen, durch welchen es in die Gemeinde einströmen soll,

und hierin muß sein Sinnen, sein Denken, sein Studiren,

seine ganze Geisteskraft als in dem Stralenpunkte sich verei­ nigen. Gewiß auch werden uns nicht nur die Geistlichen, sondern

auch alle fromme Herzen zustimmen; wir wenden

uns daher zum Belege für unsere obige Antwort zu jener

kirchlichen Amtsthätigkeit, wodurch die Zugend in die Kirche kingeführt wird. Diese ist der Katechumenenunterricht. Da fragen wir nun

kühnlich:

Wo wird dieser genügend ertheilt?

Wo ist die

so glückliche Gemeinde, deren Zugend ihn durchaus und voll­

kommen genieße? Schon die kurze Zeit, welche für densel­ ben gewöhnlich angewiesen wird, beweiset, wie wenig diese hochwichtige Bildungsthätigkeit genug gewürdigt werde. Daß mindestens zwei Zahre erforderlich seyen, bis der Katechu­ mene, wenn er auch übrigens an Alter, Verstand und Vor-

kenntniffen reif wäre, die christliche Religion gehörig erfaßt, das heißt, in ihrem ganzen Umfang und in ihrer ganzen

Tiefe kennen gelernt habe, das kann keinem Zweifel mehr unterliegen, der die Sache versteht. Selbst bei schnellen Fortschritten, welche ein Schüler in diesen Kenntnissen macht, ist doch eine längere Zeit nöthig, auf ähnliche Weise wie bei dem Sprachunterricht, damit der Schüler diese Lehren ganz in sein Gemüth aufnehme. Denn sie müssen mit sei­ nem inneren Leben verwachsen, sie müssen in den innersten Grund und Trieb desselben eingehen, sie müssen den inneren

Menschen umschaffen, so daß er all sein Thun und Trachten, sein Sinnen, Denken, Handeln, seine ganze Lebensweise durch

den Geist des Christenthums heilige. Christ.

Erst dann ist er ein

Daß nun der junge Mensch dahin geführt und ge­

übt werde, dazu gehört Zeit. Die christliche Erziehung wirkt im Ganzen zu diesem Ziele hin, aber bestimmter jener Un­ terricht; und daß derselbe die Geistestaufe für das Christen-

28 kind werde, das kann nicht die Sache von wenigen Wochen seyn. Die Zeit für den Confirmandenunterricht müßte also nothwendig auf einige Jahre gesetzt, und dürfte dem Geist­ lichen ferner nicht so verkümmert und verkürzt werden. Daß dieses bei seinen übrigen Amtsgeschäften große Schwierigkei­

ten hat, wollen wir nicht übersehen, allein das hebt nicht

den Grund auf, welcher es nothwendig macht.

Unüberwind­

lich sind jedoch die Hindernisse keineswegs; und sie müssen überwunden werden, wenn der in das Christenthum einfüh­ rende Unterricht so seyn soll, wie ihn unsere übrigens vorge­ schrittene Bildung bedarf. Es ist hier nicht der Ort, von

der Einrichtung zu reden, welche die Kirche hierzu verfügen müßte. Genug, so lange sie es nicht thut, geschieht von ihrer Seite nicht, was geschehen soll. So viel schon in diesem Aeußerlichen vermißt wird, so ist doch der Mangel im Inneren, in der Art dieses Unter­ richts, noch fühlbarer. Denke man nur an die Lehrbücher: wie Vieles ist an diesen oft zu tadeln! Zwar kann der Leh­ rer vieles gut machen, denn von seiner lebendigen Kraft und Fülle hängt das Meiste ab, indessen sollte ihm das doch nicht

durch das Lernbuch, das Kinder und Eltern in die Hand Wie aber fin­ den wir es bei den Lehrern? Der Missionair, welcher das Evangelium den Heiden bringt, wird von einer apostolischen Gesinnung getrieben; sie muß auch denjenigen Lehrer erfül­ len, der die Lhristenkinder in die Gemeinschaft der Gläubigen einführt, und er bedarf noch dazu, außer seinen Studien, Kenntniß des jugendlichen Herzens, eindringende Lehrkraft^ nehmen, wenigstens nicht erschwert werden.

die noch weit mehr ist als die schulmeisterliche Katechisirkunst, und eine Liebe, wie er sie nur von unserm Herrn und Mei­ ster in sich ausnehmen kann. Wer Christen bilden will,

muß selber ein Christ seyn. Der Geistliche muß es für jenes schwere, heilige und selige Geschäft in einer vorzüglichen Kraft

und Ausbildung seyn, wenn es ihm gelingen soll; und wenn das Biele kaum zu ahnen scheinen, und wenn es nach Ver­ hältniß nut Wenige mit Demuth und gesegneter Thätigkeit

29 fühlen, so hat die Kirche nur an diesen ihre Säulen, und jene verschulden an ihr mehr als man glaubt. Denn grade in unsern Zeiten der allgemein verbreiteten Aufklärung muß auch die Lehre des Evangeliums ganz in ihr Licht gesetzt,

und so den Gemüthern mitgetheilt werden; hierzu aber ist vornehmlich der Unterricht bestimmt, welcher der Confirmation vorausgeht. Wer so glücklich war, ihn von einem wahr­ haften Geistlichen vollständig zu erhalten, er hat einen in­ nern Reichthum für sein Leben gewonnen, der ihm seine

Ueberzeugung festhält, und ihn täglich mehr erfahren läßt, daß der Mensch nichts Höheres seyn kann, als ein Christ. Sehe man sich nur um unter denen, die über das Christen­ thum spotten, wenigstens die Achsel zucken,

oder von ihm abgefallen sind, ob es nicht meist solche seyen, die nicht in dasselbe wahrhaft eingeführt worden. Ach, wenn wir auch

unter den Gebildeteren Nachfrage halten könnten, wie wür­ den wir oft über ihre Unkunde in der Heilslehre erstaunen! Wie manche, die in hohen Stellen stehen, wo sie vielleicht sogar in kirchlichen Angelegenheiten urtheilen, ja wie manche im geistlichen Berufe selbst möchten sich finden, welche die christliche Religion nicht kennen!

Wenigstens trifft dieser

Borwurf manche, auch unter den Theologen, die als Geg­

ner dieser Religion auftreten; sie haben sie nicht in ihrem

Wesen, das eine Gotteskraft ist, kennen gelernt. Und warum? Wahrscheinlich fehlte es ihnen an dem rechten Katechumenen^ unterricht. Wäre dieser bisher besser gewesen, so hätten wir jetzt nicht über den Abfall so viele Klage zu hören. Grade diesen Mangel in der kirchlichen Wirksamkeit mußten wir daher vor allem in das Auge fassen; was noch

sonst zu rügen wäre, gehört nicht hierher. Kommen wir nun nach obigen spezielleren Fragen auf unsere Hauptfrage zurück, so liegt uns die bestimmtere Antwort vor: Unser Volk ist in der neueren Zeit nicht so viel christlicher gewor­ den, als es hätte werden können; und hieran tragen Kirche, Schule,

häusliche Erziehung ihre Schuld.

Aber daß hat

unsere Zeit gewonnen, daß man dieses zu erkennen anfängt,

50 auch zu verbessern, und baß das Göttliche, das immer wie­ der nach Ilnterdrückungen siegend empordrang, in einem neuen Frühling aufleben will. Die deutsche Nationalbildung wird hierdurch in ihrem Wachsthum erst recht gefördert wer­

den, welchen sie zugleich durch die wissenschaftliche Bildung

gewinnt.

Bon dieser nun müssen wir jetzt reden.

3. Bildung der Zilgeod iu den Schule», vornehmlich für die bildenden Staude. Wir haben Schulen aller Art und ein lebenvolles, zu­

sammenwirkendes Schulwesen.

Alle Kinder in den deutschen

Staaten sind für schulfähig erklärt, sobald sie das 6. oder

7, Lebensjahr zurückgelegt haben, und die Eltern sind strenge dazu verpflichtet, daß sie hiernach ihre Fürsorge für den Un­

Auch werden in den neueren Zeiten die dahin gehörigen Gesetze mit ernster Sorgfalt aus­ geübt; und mehrere Negierungen haben bereits in den auf­

terricht ihrer Kinder treffen.

gestellten Tabellen der Schulstatistik die Genugthuung, daß die Zahl der die Schule besuchenden Kinder jener des dazu fähigen Alters so ziemlich gleich kommt"). Zn dieser Hin­ sicht ist also geschehen, was wir nur wünschen können. noch mehr haben wir zu rühmen.

Za

Auch für die Kleinsten

wird gesorgt durch die bekannten und sich vermehrenden Be­ wahranstalten; Armenschulen sind auch da, und für die ver­ wahrloste Zugend sind in der neuesten Zeit die menschen­ freundlichsten Anstalten errichtet; und so ließe sich noch meh­

reres höchst Erfreuliche nennen; und dann wäre noch den

•) Der Natur nach kommt 1 Kind zwischen 6 und 14 Jahren seiner 7jährigen Zeit) auf 6 bis 7 Einwohner, welches aber vielleicht nicht iu allen Ländern gleich ist. Nun findet sich wirklich in Schul­ tabellen, daß in manchen Staaten auf 7 bis 8 Einwohner 1 Kind kommt, das die Schule besucht, die nicht gerechnet, die Privatunterricht genießen. Man sehe die ausführlichen Tabelle» von D. Kröger, welche dieser Schulmann seiner Schrift: Ueber das neue französisch« Unterricht-gesetz re., Altona 1834, «»gefügt hat.

31 trefflichen Lehrmethoden, Schuleinrichtungen u. s. w. ihr ge­ bührendes Lob zu ertheilen. noch weiter zu thun?" Wenig, aber viel!

„Nun, was bleibt uns denn

Eins ist noth.

Dieses Wenige ist

viel und mehr als wir auf den ersten Augenblick meinen.

Die Visitationsberichte lauten vielleicht mit jedem Zahre gün­ stiger; Ausländer, die wir in unsere Elementarschulen führen, können sich nicht genug verwundern, und wir selbst, wenn wir sie besuchen, treten meist befriedigt, ja erfreut heraus. Aber haben wir denn auch eine christliche Schule gefunden?

Werden die Kinder als solche aus der Schule entlassen, von

denen zu erwarten ist, daß sie als wohlgesittete, fleißige, edle Menschen leben und sich fortbilden? Flößt ihnen die Schule täglich diese Gesinnungen ein? Weihet sie das zarte Gemüth durch die Religion so, daß diese aller Bildung Ein­ heit und Tiefe gebe?

Wo aber das noch nicht ist, da ist es

noch keine christliche Volksschule, und da fehlt noch viel, da

fehlt noch der rechte Grund für die Rationalbildung. verlangt nicht solche grade das deutsche Gemüth?

Und

Doch in unserm Zweck liegt es, daß wir hier nur die­ jenigen Schulansialten in Betracht ziehen, jene Bildungsorte für die künftigen Lehrer und Staatsbeamten, von denen die

Volksbildung, und zwar für die Zukunft, abhängt.

Dieses

sind unsere Gelehrtenschulen, gewöhnlich Gymnasien genannt.

Sie haben so viel Rationales und sind so sehr mit dem

Leben der deutschen Staaten verwachsen, daß sie nicht ohne

Gefahr für das Herz der Ration nach den Formen anderer Länder umgeändert werden könnten; aber sie sind hier und

da von dem Verderben des Zeitgeistes angesteckt worden, sie

entsprechen nicht überall den (wahren) Fortschritten der Bil­ dung, und bedürfen in diesen beiden Beziehungen mancher Verbesserung. Daß sie diese unbeschadet ihres Grundwesens erhalten, müssen wir um so mehr wünschen, weil sie den Keim zu ihrer reineren Gestaltung wirklich in sich tragen. Auch geben uns bereits die neuesten Verordnungen in meh­

reren Ländern hierzu eine frohe Aussicht.

32 Diese Schulen waren eigentlich die früheren, insbeson­ dere in Europa seit dem Christenthum; und sie standen durch das Gemeinsame der Kirche in Großbritannien, Frankreich, Oberitalien, Deutschland so ziemlich auf gleicher Stufe. Man

weiß, wie viel alle diese Länder hierin den Bencdictinern, so wie die meisten derselben ebenfalls einem Karl d. Gr. und seinem Alcuin u. s. w. zu verdanken haben*). ••) Wir werfen dabei auch dankbare Blicke au sdie Stiftungen von Dom­ schulen, wie auch auf manche Klöster, welche die Lichtpunkte in finstrer Zeit gewesen, auch wohl den geistigen Keim vor völligem Ersterben verwahrten, der bei der Wiederherstellung der Wissenschaften zu einem frischen Leben gelangte. Ilnd wo war ihm Boden und Wärme für sein fröhlichstes Ge­ deihen beschicken? Die Geschichte spricht es klärlich aus""). Da nun auch in England die lateinische und griechische

Literatur schon von früheren Zeiten her gelehrt wurde, und in Frankreich wenigstens die lateinische, so fällt es auf, daß doch eben diese Rationen, die übrigens in der Kultur so voranstanden, grade hierin zurückgeblieben sind. Bon den einzelnen großen Gelehrten, die in diesen Ländern hervor­ glänzen, und auch den deutschen Gelehrten Lehrer wurden und noch sind, ist hier nicht die Rede. Für Deutschland haben wir vornehmlich an einen Erasmus zu denken, und wenn gleich zu Paris der griechischen Sprache ein Lehrstuhl

vergönnt worden, so war es doch unserm von Reuchlin erweck­ ten Melanchthon beschieden, daß er, noch Jüngling an Zähren, den Homer Tausenden von Zuhörern zu Wittenberg vortrug, und der Bildner von Schulmännern wurde, die in alle Ge-

•) S. meine Geschichte der Erziehung, welche diese« alles ausführ­ lich und au« Quellen augiedt, im II. 25. S. 87 f., 118 ff., 153—168. ••) Wie von Italien aus, schon von Petrarcha an, daun noch lebeuvoller von den Niederlanden au«, schon von Geert Groote an, der Aufschwung zu dem classischen Alterthum und den eigentliche» Bildungs­ studien aufing, und sich vornehmlich in Deutschland — die Niederlaud« witbegriffeu — verbreitete und höher stieg, ist in dem augef. II. B. S. 227 ff. gezeigt.

53 genbeit Deutschlands die classischen Studien brachten. Ueberall wurden nun die lateinischen Schulen, worin noch jene alten

Stifts-, Kloster-, Trivial-, Stadtschulen re. ihr armes Leben

fortgeschleppt hatten, in ein neues Leben gerufen, durch Lan­ desverordnungen verbessert, mit neuen vermehrt, und so konnte man schon in jener Zeit über 100 Gelehrtenschulen in Deutsch­ land aufzählen.

Sie wurden sehr besucht, das Bedürfniß

solcher Anstalten immer weiter in Deutschland gefühlt, und dieses Gemcingefühl auch

nicht durch die Kirchentrennnng

gestört; in katholischen wie in protestantischen Ländern nahm

die Zahl derselben zu, bis sie gegen die Mitte des 18. Zahrhundcrts ihr Maximum mochte erreicht haben").

Bon die­

ser Zeit an ging die eigentliche Bolksschule zum Theil aus jenen hervor, ungefähr wie in unserer Zeit zum Theil ans

den Gelehrtenschulen die höhere Bürgerschule sich bildet. In diesem Entwicklungsgänge erwuchs unser deutsches Schul­ wesen. Dieser Begriff, welcher ein Ganzes der Schulanstalten bezeichnet,

worin das Volk in allen Classen und Ständen

gebildet wird, und in seiner geistigen Kraft aus sich fort, wächst, ist uns also auf historischem Wege geworden, und keine Ration in der Welt hat dieses aufzuzeigen*"). Darum ist auch keine so sehr wie die deutsche in ihrer Bildung be­ günstigt, da diese so ganz aus unserer Geschichte, wie die Bäume die Gott gepflanzt hat, aus vaterländischem Boden entsproßt ist, und nun in alle Zweige entfaltet dasieht. Was ist es denn nun, das den deutschen Staaten die­ sen Borschritt verschafft hat? Die äußeren Ursachen waren doch in anderen Ländern dieselben, es muß also im Znneren

liegen-, d. h. in der Rationalität der Deutschen.

Wir be­

merkten oben den Grundzug derselben in jener Bildsamkeit,

*) Die Vermehrung der Gelehrtenschulen im 16., 17., 18. Jahrh, läßt sich so ungefähr durch da- Verhältniß 30 : 5 : 1 ausdrücken. Gesch. der Er;. II. S. 518.

ee) In dem Buche die Schulen das Mehrere S. 351 ff. Schwarz: Darstcll. a. d. Gebiete d. Pädagogik. 11.

3

54 welche lernbegierig und lehrhaft zugleich ist.

Grade dieser

Zug war es, welcher Gemüth und Geist der Deutschen immer

so stark zu dem Tieferen hinzog, und er grade mußte bei jenem Aufleben des Alterthums die classische Literatur als­ bald mit Liebe hereinziehen und einbürgern als in ihre neue

Heimath. Da sehen wir denn in jener Zeit eine Begeiste­ rung höherer Art, als jede politische; es war die für die innere Freiheit, für das geistige Leben. Da entzündete sich ein freudiger Trieb, der Lehrende und Lernende verband, ein

reger Wetteifer, worin es auch kleinere Staaten, selbst ge­

ringe Städte, manchmal den größeren zuvorthaten. Bald blüheten überall Gymnasien auf, und die Knaben eilten selbst auch aus Dörfern fleißig in diese Schulen.

Und so begrün­ dete sich hauptsächlich durch diese Anstalten eine allgemeinere

und doch tüchtige Bildung eines Gelehrtenstandes, der über

alle Volksklaffen Licht verbreitete; die Deutschen wurden, bis auf die abgelegensten Landbewohner herab, ein aufgeklärtes

Volk. Zeitgenossen!

Denkt an jenes Königswort, das dem

Trübsinne eines Rousseau gesagt wurde, und seyd nicht das Kind, das, stark geworden, seine Amme schlägt. Laßt Euch auch hierin nicht von dem — vielleicht von dem Auslande herüberwehenden — Zrrgeist bethören, der die Schulen der

classischen Literatur, der am Ende den ganzen Gelehrtenstand nicht mehr mag. Bedenkt, daß uns das Ausland in seinem

edlen Streben wegen unserer Vorbereitungsanstalten für die wissenschaftliche Bildung glücklich preist. Aber zwei Entgegnungen müssen wir, obwohl nicht un­ beschränkt, gelten lassen. Die eine sagt: die Zahl der Gym­ nasien ist in Deutschland zu groß; die andere: sie enthalten viel Verderben für die Jugend; beide beziehen sich auf die neueste Zeit. Was die erste betrifft, so mag wohl in manchen Län­ dern nach Verhältniß der Studirenden, oder vielmehr der

Aemter, die mit solchen besetzt werden, eine oder mehrere solcher Schulen zu viel seyn. Das richtige Verhältniß läßt

33 sich ans die Einwohnerzahl leicht berechnen, wobei man zugleich in Anschlag bringen muß, daß muthmaßlich künftig manche

Aemter im Staate, die bisher akademische Studien voraus­ setzten, von Männern, welche diese nicht gemacht haben, ver­ waltet werden. Es ist also eine billige Fürsorge für die Jugend, daß man nicht zu viele zum Studiren anreizt, wel­ ches durch die überall vorhandenen Gelehrtenschnlen leicht ge­ schieht. Unrecht würde nian aber verfahren, 1) wenn man

die Frequenz

in diesen Schulen zu groß werden ließe; 2)

wenn man sie in Zwitteranstalten verwandelte, so daß sie zugleich höhere Bürgerschulen wären»

Denn je weniger der

Zahl nach der Anstalten für die Vorbereitung zum Gelehr­ tenstande sind, desto mehr ist zu verlangen, daß sie ihrem

Zwecke aufs vollkommenste entsprechen. Unsere Rationalbildung verlangt das, und besteht gegen die oben gerügten Ten­ denzen fest darauf, daß der Gelehrtenstand nicht im Minde­ sten sinke, und daß also auch eher eine Auswahl der jungen Leute für denselben bleibe, als daß der llntüchtige auf Ver­

sorgung hoffen dürfe. irgend eine Weise

Ucbrigens hat noch keinem, der ansi

in dem Staate auftritt,

das klassische

Studium geschadet, und wie sehr es dem parlamentarischen Reden diene, sieht man in England. Die zweite Klage ist, daß die ZugeNd in den Gymna­

sien, wie sie bisher an mehreren Orten sich gezeigt haben, häufig verdorben werde. Wir können nicht läugnen, was besonders auch die Beobachtungen auf der Universität bestä­

tigen, daß die Jünglinge von diesen Schulen öfters einen Hang zum lüderlichen Leben, zum Unfleiß, zur Frechheit, auch Unglauben, Nichtachtung aller Auctorität, selbst der väterlichen, politische Schwärmereien, Freiheitsfieber, verwor­ rene Köpfe und verwilderte Herzen an den Ort mitbringen,

wo sie nunmehr völlig emaneipirt, allem dem freien Lauf lassen, was als inneres Verderben bis dahin noch nicht so auSbrechcn konnte.

Za, um gerecht zu seyn, muß man den

größten Theil des Verderbens, wegen

dessen man die Uni­

versitäten anklagt, den Gymnasien zur Schuld schreiben. Aber 3e

56 liegt denn das im Wesen

dieser vorbereitenden Anstalten?

Ilnd könnten sie nicht wenigstens eben so gut ihre Jünglinge zu allem Edeln bilden? dazu geeignet?

Sind sie nicht vielmehr eben recht

Wir läugnen nicht, daß sie im Ganzen

genommen — mit nicht wenigen erfreulichen Ausnahmen — der Verbesserung bedürfen; wir widersprechen aber der Be­

hauptung, daß diese große Schwierigkeiten habe, und nur durch gänzliche llmgestaltung möglich sey. Laßt uns also betrachten, was gethan werden kann, und was die Natur

des Jünglings möglich macht. Ueber die Lehrgegenstände der Gelehrtenschulen haben wir hier am wenigsten zu reden*). Gegen den eindringen­ den Realismus wollen wir nur an die Biographieen von mehreren unserer großen Männer erinnern. Ein Kant hatte auf seiner Schule wohl wenig von Geographie, noch weni­ ger von Astronomie gelernt, und doch wußte er auf der Erde und an dem Himmel sehr guten Bescheid, ward Lehrer für

Männer des Faches, und sagte die Entdeckung eines Plane­ ten jenseit des Saturnus vorher. Ein Herder hatte in sei­ nen Schutstudien wohl wenig in der Geschichte gethan, und

doch lernten die Lehrer der, Geschichte noch aus seinen Ideen; in anderer Hinsicht lernten sie von einem Schiller, der in seinen Schulen wohl wenig Unterricht darin gehabt. Ein Lichtenberg hatte das Gymnasium zu Darmstadt besucht,

wie da noch an keinen Unterricht in der Naturkunde zu den­ ken war, und doch wurde er der große Lehrer der Physik. So könnten wir Beispiele auf Beispiele häufen, um das

Vorurtheil des neueren Pedantismus zu zeigen, daß alles in der Schule müsse gelernt werden, da wir doch das meiste erst im Leben lernen, und oft so besser; und wann am besten? Gewiß dann, wenn der Schüler formell gut vorbereitet ist;

das aber ist der, welcher in seinen classischen Studien tüchtig geworden. Hierbei gestehen wir indessen gerne den Forde-

") S. die Schulen S. 106 ff., wo ausführlich davon gehan­ delt wird.

37 rungen der Zeit auch die Einführung anderer Lehrgegenstände

in die Gelehrtenschulen zu. Näher liegt uns hier das, was zur Verbesserung der Sittlichkeit auf diesen Anstalten geschehen soll. Sie bedür­ und 2) nicht blos gelehrter, sondern auch pädagogisch gebildeter und religiös-sittlicher Leh­ fen 1) einer guten Disciplin,

rer. Bei dem ersten Punkt wollen wir uns hier nicht auf­ halten; er ist vielfältig in der neuesten Zeit besprochen"),

und durch weise Verordnungen haben die Regierungen be­ reits hier und da schon vieles in der Schulzucht verbessert.

Es ist so ziemlich anerkannt, was zu einer heilsamen Orga­ nisation hierin gehört, und an der Ausführbarkeit ist nicht

mehr zu zweifeln.

Die individuelle Behandlung des Schü­

lers, welche freilich oft noch zu sehr durch die Fesseln der buchstäblichen Gesetze gehemmt wird, der pädagogische Zweck

und die Beschaffenheit der Strafen, die Schuleonferenzen, die obersten Schulbehörden, an welchen auch der Kirche der ihr gebührende Antheil nirgends versagt seyn sollte, und so

viele andere Verbesserungen der Art haben begonnen, und werden bald ihren guten Erfolg zeigen. Der Hauptpunkt, von dem hier zu reden ist, betrifft die Gymnasiallehrer. Da ruft man uns alsobald schon bei den angedeuteten Forderungen zu: „Wie? Zhr wollt subordinirte Köpfe?

Richt so! Gute Philologen wollen sie sind das Heil der Gymnasien." — Wohl! gute

wohl gar Pietisten?

wir;

Philologen; die wolle» wir auch; recht gute. Und können diese nicht auch gute Christen seyn? Oder wollt Ihr sie

daun Pietisten nennen?

Weg mit dem Schmähworte, das

Zhr Euch doch scheuen werdet bei dem Vater jener Schule, dem großen Francke, zu gebrauchen!

Und mancher treffliche

Schulmann machte sich bei seinem gründlichen Unterricht in

den Griechen und Römern, auch als ein religiös bildender christlicher Lehrer um seine Schüler verdient; wir haben maii-

*) Auch vvu dem Berfasser des Buches die Schuleo .

S. 19.

89 Nationalbildnng, bei dem Unterricht im Christenthum vorerst verweilen, sodann aber den Gang unserer wissenschaftlichen Bildungsthätigkeit in den Gelehrtenschulen und auf den Uni­

versitäten ins Auge fassen. Unser Standpunkt ist das Christenthum, der ewig feste für die Menschheit; von diesem aus glauben wir folgerichtig

den Gang unserer Rationalbildung

angezeichnet zu haben.

Wer von einem andern Standpunkt ausgeht, wird wenig auf unsern Rath zu achten geneigt seyn; wer aber denselben mit uns so glücklich war zu erwählen, wird freundlich unsere

Vorschläge betrachten, und das, was er etwa Besseres weiß,

gerne zur Berathung mittheilen.

Nachwelt.

Es betrifft das Heil der

II.

Dürfen wir auf ein Sesserwerden durch die Erziehung sicher hosten?

Bon dem Herausgeber.

Gespräch zwischen Nein und Za. N. llnb Ihr lebt noch in Euern Träumen? Z.

Zn Träumen lebt man nur schlafend, wer wacht

hat die Wirklichkeit um sich. N. Aber nicht immer vor sich.

So ist es bei Euch,

die Zhr mit einem Bessermachen der Welt Euch abmüht,

und

eine schöne Zukunft Eurer Erziehung vorbildert;

am

Ende doch nur ein unruhiger Traum!

Z. Nun beunruhigt hat er uns wenigstens noch nicht, Bon wem wäre so etwas eher zu sagen,

und abgemüht?

von dem, der nichts Besseres vor sich sieht, wofür er seine Kräfte anstrengt, oder von dem, welcher an seiner Garten­ arbeit seine Lust findet, indem er an das Gedeihen deS Bau­

mes denkt, den er pflanzt? N. Das Gleichniß lautet schön, nur schade,

daß —

Träume keine Bäume sind — Z. Sondern Schäume. Die lassen wir wer sie will. Es ist die Wirklichkeit, in der wir leben, und die wirkliche

Zukunft, für die wir wirken. N. Die Zhr wünscht; was man wünscht, das glaubt man gern. , Z. Nicht immer; denn auch Zhr wünscht eine Zukunft,

wo alles besser sey, als jetzt: warum glaubt denn Zhr nicht

daran? N.

Weil wir nur aus Gründen etwas glauben und

erwarten; hier aber ist vielmehr ein starker Grund, das nicht sohin zu glauben, was das Herz so gerne zu seiner Täu­ schung auch begründet sehen möchte.

64 Z. Wohl, das ehren wir. Wie aber, wenn die Wün­ sche selbst aus Gründen erzeugt wären, und zwar aus solchen,

die gegen alle Täuschung sichern?

N.

Biel gesagt!

Das müßte die Wahrheit selbst seyn.

Die Ihr der Vernunft nicht abläugnen, aber doch Euch allein nicht ausschließlich zusprechcn werdet. Unsere Z.

Gründe scheuen nie das Licht, laßt auch die Eurigen hören.

R.

Die sind klar und kurz zu sagen: Die Menschen Die Zeiten wechseln, bald bessere,

bleiben sich immer gleich.

bald schlechtere, die Völker wechseln,

die Kultur wechselt.

Kaum bis in die dritte Generation können wir hinaussehen.

Wir veranstalten etwas aufs beste, und von tausend Zu­ fällen hängt es doch ab. Man thue also nur eben, was grade jetzt als daS Beste erscheint.

Es geht dann so lang' es

geht, von bleibendem Bestehen kann gar nicht die Rede seyn.

Da glaubt mancher etwas recht Gutes gestiftet zu haben, und siehe, es wird zur Duelle großer Uebel. Ein Thor, der sich etwas auf so ein Thun einbildet. Nur der jetzige Au­ genblick ist unser, und er ist es dann recht, wenn wir ihn zugleich für den nächsten benutzen. Wollt Ihr übrigens bei

den Menschen etwas ausrichten, so könnt Zhr nur auf ihren

Egoismus rechnen.

Darauf läuft doch am Ende alle Kul­

tur hinaus. Z. Welche schlagende, ja niederschlagende Gründe! Die

junge Welt möchten sie freilich nicht grade niederschlagen, sondern für ihre Zeit begeistern, indem sie übrigens von der Traumwelt entgeistern. Da muß wohl nunmehr alles unser Streben nach dem erträumten Besserwerden erlöschen.

R.

Ist das Zronie oder Ernst?

Z.

Beides.

R. Wie das? Wir meinen es im Ernst. Z. Wir auch, wissen aber, daß wir Euern Gründen nicht zu widersprechen haben, so lange Zhr nicht einscht,

daß Zhr Euch selbst widersprecht. R. Wir bitten um deutlichere Erklärung. Z. Und wir vorerst um Beantwortung

der Frage,

63 warum Ihr dock so eifrig darauf anS seyd, unser Hoffen für rin Träumen zu erklären ? 9t. Aus der besten Meinung, um Euch unuöthige Muhe

und Sorge zu ersparen. I.

So

glaubt Ihr doch

wenigstens bei uns

etwas

auszurichtc», lins eines Besseren zu belehren? 9t. Wir trauen Euch noch so viel gesunde Bernunft zu. I.

Das heißt, Ihr sprecht uns nicht gar alle Vernunft

ab. Große Gunst schon gegen uns! wie viel größere müßt Ihr erst allen den Andern gewähren, die noch nicht in unsere Träumereien versunken sind! 9t. Das ist es eben- weßhalb wir Euch nur bedauern, denn Ihr richtet doch nichts aus»

I.

Aber Ihr richtet etwas aus, und wie Ihr meint,

etwas Besseres als wir.

Ihr bringt die Welt zur besseren

Einsicht, Ihr lenkt das Treiben von einem erträumten Ziele ab, Ihr weiset es zu dem wahren hin, Ihr seyd der Errei­ chung desselben gewiß, Ihr seht darin ein Besserwerdcn der

Menschen voraus, Ihr arbeitet ernstlich daran, uns und alle Andere aus diesen rechten Weg zu fuhren: und doch —

N. Und doch bleibt Ihr hartnäckig in Eurer Täuschung» Z. Und doch — wollte ich sagen — seyd Ihr die Ge­ täuschten, denn alle Eure Muhe und Arbeit ist verloren. 9t. Wer sagt das? I. 9t»

Ihr selbst. Vielmehr sagen wir Euch wiederholt, von einem

Bcsserwerden der Menschen kann man nur träemien. Z.

Run, so sagt Euch das selbst»

Ihr sprecht ja auch

von Erreichung eines Ziels, und zwar eines noch besseren als das unsrige ist; das habt Ihr fest und eifrig im Sinne» Also träumt auch Ihr, und — widerlegt Euch selbst» 9t. Da wären wir freilich im Widerspruch mit uns selbst, wenn es so wäre, wie Ihr es da stellt. I.

So ist cs auch, und nicht anders.

Wir lassen Euch

damit Euer» Weg geben, bis Ihr Euch selbst zurecht findet;

aber den nnsrigen sollt Ihr uns nicht vertreten» Schwarz: Darstell, a. S. Gebiete d. Pädagogik. II.

5

6G N.

So ist es nicht, sagen wir.

Unser Weg geht sicher,

weil er im wirklichen Leben richtig führt; gescheidte Leute zie­ hen das Gewisse dem Ungewissen vor.

Z.

Und dieses Gewisse, das Zhr verzieht^ wäre?

N.

Auch das läßt sich klar und kurz sagen.

Betrach­

tet den Gang der Dinge. klärter.

Die Welt wird alle Tage aufge­ Unsere Schulknaben wissen mehr als unsere Väter

wußten, oft mehr als die ihrigen. klüger seyn als wir, und so fort.

Unsere Enkel werden noch Welche unglaubliche Fort­

schritte haben doch die Wissenschaften nur allein seit den letz­ ten zwanzig Zähren gemacht, ganz besonders in der Natur­ kunde! Das alles wird jetzt schon in den Schulen gelehrt, so daß von den Kirchen bald nicht mehr die Rede seyn wird,

nur Schulen wird man brauchen.

Z.

Alles geht vorwärts! — Also doch ein Fortschreiten, worauf Zhr rechnet —

N. Unterbrecht mich nicht. Die Menschen werden hier­ mit freier. Sie lassen sich dann kein Zoch mehr auflcgen, weder von Zwingherrn noch von Gewiffensräthen.

Keine

Fessel wird dann mehr ertragen, kein Vorurtheil mehr ge­

duldet, keine Auctorität mehr anerkannt.

Schon die Kinder

sind dann über den blinden Gehorsam erhoben, jedermann

wird emancipirt seyn, alles steht in Hellem Sonnenlichte. — Z.

Zronie? N.

Da möchte ich auch fragen: ist das Ernst oder Laßt mich nur ausreden; der Ernst wird Euch viel­

leicht schwer auf die Seele fallen.

Denn wir sehen die Men­

schen wie sie sind, und erkennen den Gang, den das Licht

unter ihnen wirklich nimmt.

Da wird es denn freilich noch

genug zu klagen geben. Wenn das Gesetz die einzige Aucto­ rität und jeder vor demselben gleich seyn wird, dann wird der Buchstabe des Gesetzes vielleicht gewaltig herrschen und

die Chicane ihre Macht in Ueberlistungen üben, die Gerech­

tigkeit wird in Klugheit, die Klugheit in Verschmitztheit, alle Bildung in Verfeinerung des Egoismus ausschlagen — Z.

Sich erheben, wollt Zhr sagen;

wäre ja ein Vollkommnerwerdeu.

denn das alles

67 N. Meinethalben! Denn was Zhr mit Ellerm Ver­ vollkommnen der Menschheit wollt, und wohin Zhr unser Ge­ schlecht zu erheben vermeint, das ist doch am Ende nichts

andres.

Der Egoismus bleibt; er ist der wahre Proteus,

in der Kultur wird er nur zu den vielerlei gefälligen Gestal­ ten gewandter.

Z. Zhr habt recht; das ist die Logik derer, die an den Egoismus glauben. Darum wundert mich, daß Zhr dersel­

ben doch nicht so ganz fplgt, und warum Zhr nicht etwa bei

einem Helvetius in die Schule geht. N.

Versteht uns recht, wir verkennen nicht das Gute

der menschlichen Natur.

Sie ist durchaus gut; was wäre

sonst gut, wenn sie es nicht wäre? Z.

„Niemand ist gut, denn der einige Gott," würde

Euch das Bibelwort zurufen, wenn das noch in Auctorität

bei Euch stünde; aber ein inneres Wort, Euer eignes Herz, könnte Euch auch wohl so was sagen. Indessen auf diesem Felde laßt Zhr Euch nicht gerne finden, und so mag es denn

vor der Hand bei der Natur des Menschen bleiben, die auf gut Nousscauisch gut wäre. Nur ist es ihr schlimm ergan­

gen, daß sie mit allem ihrem Grundguten eine Pandora her­ eingelassen, ja die Kultur mit ihrem Bösen gar in sich auf­ genommen, hat. Da möchte doch der Egoismus nach HelvctiuS über die Gutmüthigkeit eines Rousseau den Sieg da­

von tragen, und Zhr gescheidten Leute müßtet dann einen Ausruf über die maudite race des armen Menschengeschlechts vielleicht zur ungelegenen Zeit als die rechte Weisheit Euch

gefallen lassen.

N.

Nicht so arg! wiederhole ich.

Sonst müßten wir

den Vorwurf, als verkennten wir das Gute, welches unver­ tilgbar in der menschlichen Natur liegt, Euch verdoppelt und

verstärkt zurückgeben. Denn wir kennen Euern Standpunkt, da habt Zhr immer Eure Sündhaftigkeit im Sinne —

Z. Unsere und Eure; doch hier reden wir ja von der Gutheit, die Zhr — anerkennt und doch nicht anerkennt. 5"

68 A.

zeihen ? Z.

Wollt Zhr uns etwa wiederum eines Widerspruchs

Dessen Ihr Euch wirklich schuldig macht.

Es ist

eigentlich noch jener erste, dessen Lösung Zhr noch schuldig seyd, und der jetzt noch etwas stärker hereintritt. N.

O der vorurtheilsvollen, beschränkten Leute!

Z. O der urlheilsmächtigen, gewaltigen Gegner! — Doch nicht so! Zhr meint es ja redlich mit unS, und wir gewiß auch mit Euch. Also der Widerspruch? A. Zst keiner. Wir erkennen in dem Menschen Gutes und Schlechtes an; beides ist gemischt.

Z. N. Z.

Wird eins über das andere siegen?

R. Z.

Das Schlechte macht sich auch geltend. Zn der That, ein schlechtes Gute, das keine Kraft

Bald dieses, bald jenes. Zum Obsiegen hat also Euer Gutes keine Kraft?

über das Schlechte hat, und ein wahrhaft gutes Schlechte, das sogar über das Gute so Dkl vermag! N. Zch sage: eS ist in dem Menschen gemischt.

Z.

lind ich wiederhole, daß ich Euer Gutes nicht be­

greife. R. Es ist die Natur des Menschen. Z. Die sowohl Schlechtes als Gutes in sich hat, bald

eine gute bald eine schlechte ist, wie es eben kommt, deren

Gutes kraftlos ist, die sich durch die Kultur verschlechtert, ein Baum, der sich in seinen Blüten verblutet, und dem man weiter nicht helfen kann.

Ma» läßt es also gehen, so gut

es gehen will, und so treibt Ihr denn Euer Kultiviren, Mo-

ralisiren, Civilisircii, Eure Erziehungskunst, Eure Sta^lskunst so gut Zhr könnt — in allem gestützt auf die Selbstsucht, wir wollen nicht sagen auf die Eurige, sondern Euch zu-

trauen, daß Zhr hierin nicht folgerichtig seyd. R. Und Zhr? — Immer bleibt Zhr bei Euerm Mor­ gentraume; ein lieblicher Tag geht Euch da herauf, und immer einer schöner als der andere — herrlich! — göttlich! — Draußen ist es nicht so.

69 I.

Ist es bei Euch anders, so ist nur das der Unter­

schied, daß Ihr nach Euerm Sinne die Welt anscht, wie eben jeder nach dem seinigen. R. Richt jeder hat einen gesunden Sinn.

Keiner hat ihn, wenn Ihr doch einmal darüber ur­ Oder aus welchem Rechtsgrunde wollt Ihr Euch den gesunden Sim« allein zusprechen? Wollt Ihr ihn Z.

theilen wollt.

dem Egoismus zusprechen, so dürft Ihr ihn uns wohl nicht versagen. Wer die Menschen nimmt wie sie sind, der sieht

R.

sie mit gesundem Sinne an. Z. Auch sich selbst. Da nun alle Menschen Egoisten

find, so wäre denn der gesunde Sinn, mit welchem jeder jeden, auch sich selbst ansehen soll,

von

der Selbstsucht geleitet?

Oder läugnet Eure Logik diese Folgerung? nicht von der Hauptsache abkommen.

Doch laßt uns

R. So will ich denn mit der Frage einlenken: wor­ auf stützt Ihr denn Eure Verbesserung des Menschengeschlechts? Z. Ich dächte, die Antwort sey schon längst gegeben.

R. Ihr meint im Christenthum. Das ist wohl eine ganz gute Sache, und wir find ihm viel Dank schuldig; daß aber auch dieses nicht immer den Erwartungen der Gut­ müthigen entsprochen hat, werden wir Euch nicht erst anf-

zuzeigcn brauchen. Z. So wenig, als die Meinung der uneigentlichen Christen und der eigentlichen Nichtchristen zu wiederholen, daß es auch mit dieser Religion nunmehr vorüber sey, und

daß unsere Kultur zu der Reife gelangt sey, wo sie sich über alles Positive der Religionen erheben soll.

Nun, wenn Ihr das wisset, worauf hofft Ihr denn

N. noch?

Z.

Oder träumt Ihr noch von weiteren Dingen?

Weil unser Wissen das wahre ist, so stehen wir

auch fest in unserer Gewißheit. N. So ist Euch denn freilich nicht bcizukommen. Z. Würde sich auch, wie schon gesagt, der Mühe nicht

verlohnen.

Versuchen wir indessen noch einen andern Weg.

70 Vergönnt uns eine Frage au Euch:

Zhr hofft also ernstlich

von der verfeinerten Selbstsucht die Verbesserung der Welt?

N.

Zch will mit Za antworten, und so vertauschen

wir einmal die Rollen.

Za, wir wollen vorläufig einmal

an eine solche Verbesserung glauben.

Das heißt doch an eine fortschreitende?

Z.

N. Auch das zugegeben, denn sonst würdet Zhr es nicht für Verbesserung halten. Z. Zhr auch nicht, sondern höchstens nur für einen Zustand auf heut und morgen, welcher vielleicht übermorgen schon einen schlechteren herbeiziehen würde, also dann nicht als ein verbessernder, sondern als ein verschlimmernder er­

kannt würde. Oder meint Zhr nicht, daß sich die Einsicht auch bald dahin erweitere? k N.

Gewiß wird sie das.

Man

lernt

immer besser

rechnen, und am Ende kommt man sogar zu weit aussehen­

den Assecuranz-Berechnungen.

So wird man auch gar bald

zu der Einsicht gelangen, daß das dauernde Wohlbefinden besser als das vorübergehende sey. Z.

net?

Wie aber, wenn der Einzelne das nur für sich berech­

Auf seine Lebenszeit hinaus wäre das manchem we­

nigstens nicht unmöglich. R. Bloß für sich wird das etwa nur der Hagestolze oder so jemand, oder ein Egoist der gröberen Art; der fei­

nere denkt zum wenigsten an das Wohlseyn auch der Seinigen, ohne welches sein eignes nicht besteht.

Z.

So wird er denn für die Erziehung seiner Kinder

sorgen, das heißt für ihr gutes Fortkommen in der Welt;

er wird daraus aus seyn, sie zu Egoisten zu bilden.

Aber

der Erfolg? — was gewährleistet ihm den?

R.

Der Egoismus selbst, welcher seinen Vortheil recht

zu verstehen gelernt hat. Z.

Dieser Grund scheint wieder schlagend.

Rur ist

mir das bedenklich, wie Zhr der Selbstsucht so sicher trauen

möget, und doch Gutes und Schlechtes in dem Menschen

71 zusammen gesellt; wie wäre es nun, wenn das Gute ein­ mal siegte?

N. Z.

Das Gute ist der vernünftige Egoismus. So trifft freilich der Schlag besser, lind Ihr trauet

wirklich diesem Guten, wie Ihr es nennt, so sehr, daß Ihr

Eure Kinder zu vollendeten Aristippen zu erziehen gedenkt? Da nimmt es mich doch Wunder, warum der alte Epiku­ reismus kein größeres Glück in der Welt gemacht hat, nicht Ite Wcltreligion, wenn ich so sagen darf, geworden ist.

N.

Darauf ließ sich antworten, daß für jene Weisheit

die Leute noch nicht reif waren; aber sie werden schon dahin

kommen. Z. Meint Ihr?

Nun erst, nach mehr als zwei Jahr­ tausenden! nachdem seit Jahrhunderten ganze Völker so weit in der Kultur vorgeschritten, auch dergleichen Weisheitslehren so recht popularisirt worden sind!

Warum leben doch nicht

schon ganze Länder, z. B. Frankreich, England, Deutschland

in diesem Lichte? Oder muß noch irgend ein neues hinzu kommen? Etwa ein Kometenschweif, der, weil unser liebes Sonnenlicht jenem Egoismus nicht so ganz zuträglich zu seyn scheint, um unsern Planeten her ein glücklicheres gießen

möge? N.

Wozu das alles?

Das Licht ist da, die Vernunft,

der gesunde Menschenverstand. Z. Nun, wenn er der gesunde ist, so wird er auch der vernünftige seyn, und ist er das, so ist er auch der alles wohl berechnende, und da er seine Rechenkunst versteht, so

wird er sie auch auf sein eignes Capital anwenden, und er Da hätten wir also, was wir

wird der fortwachsende seyn. suchen;

die große Aufgabe ist auf einmal gelöst.

Was

braucht denn nun noch zu kommen? N. Wir sagten: Die Leute werden schon dahin komme». Z.

Also eine Zeit soll kommen, wo sich die Leute bes­

ser allf ihren Vortheil verstehen, und hiermit auch ihre Kin­ der darin unterrichten.

Das wird dann die rechte Kultur

seyn und der vollkommenste Egoismus wird ganz Eins wer-

72 den mit der vollkommensten Aufklärnng. Diese Zeit wird Das läßt sich hören.

kommen; da wird alles besser werden.

Zwar eine geheime Freude kann ich nicht bergen,

daß es

doch bis daher nicht so ganz damit hat glücken wollen.

R. Die Freude wird nicht lange dauern. Wege wird, muß es endlich ganz glücken.

Z.

Herrliche Menschheit!

Auf diesem

Zwar sagt Euch der Dichter:

„auch dem Guten folgt das Uebel," lind die alltägliche Prosa des Lebens sagt das auch; allein Ihr sagt, die Zeit werde kommen, wo es anders sey, und Eure Gewährleistung ist

die allersicherste,

ist — der Egoismus selbst. Run wohl! So seyd Zhr denn auch zu der erfreulichen Ueberzeugung ge­

langt, daß kein Egoist den andern stören werde? N.

ist bedingt durch das

Das Wohl des Einzelnen

Wohl Aller. I.

Schade, daß das nicht jeder Einzelne einsehen will.

R.

Eben diese Einsicht wird durch die Aufklärung all­

gemein werden.

5.

Dann Heil der Welt!

unzählichen Einzelheiten,

Wie aber, wenn unter den

das heißt Ichheiten, hier da und

dort sich ein Zch fände, das nicht in diese herrliche Harmonie mit zusammenstimmte? N. Zn dem Gemeinwohl stimmen sie alle zusammen; die Einzelheit strebt zum Ganzen hin. Z. Welch' ein erwünschtes Streben und Leben!

Und

wie tröstlich für jedermann, so sehr auch jemand Egoist seyn

mag! warten. N. I.

Von der Selbstsucht ist ja alles dieses Heil zu er­ Von der aufgeklärten. Von der sich selbst ansklärendcn; sie treibt sich selbst

zu dem Fertschrciten der Kultur, wie Zhr uns lehrt.

Also

hättet Zhr doch auch eine sichere Erwartung von einem Vcs-

ferwerden des Menschengeschcchts?

Wir aber mußten uns

bisher Euer mitleidiges Lächeln gefallen lassen,

von einer sicheren Erwartung rebeteu.

wenn wir

75 N.

Die Eure ist eine erträumte, die unsere hat die

Helle, wahre Wirklichkeit vor sich. I. Eure ersten Aeußerungen lauteten nun zwar an­ ders, und die sichere Erwartung scheint Euch erst auf ein­ mal gekommen zu seyn; ich traue nicht dem, was so schnell

kommt. N. Das, worauf wir trauen, ist nicht eben erst ge­ kommen, und es ist das, was so alt ist und so lange bleibt, als die menschliche Natur. Z. Nun ja, es ist deutsch gesagt die Selbstsucht.

N. Z.

Nämlich, die geordnete, die gebildete. Wohl denn! So wäre denn hiermit alle Klage

über die Kultur, aller Zweifel an dem Besserwcrden, alles

Bedauern über das vergebliche Abmühen für die Nachwelt, alles das, worüber wir bisher stritten, auch bei Euch ver­ stummt. Hiermit wäre denn auch jener Widerspruch, dessen

wir Euch zeihen mußten, völlig von Euch zurückgenommen;

ob aber nicht durch einen größer»?

R.

Wie Ihr es eben meint.

Doch wir wissen, was

wir wissen. Z. Daß die Selbstsucht der Welt, von der man sonst sagt, daß sie im Argen liege, Heil bringen werde, nämlich durch die in ihr begründeten Fortschritte der Kultur. Gegen die menschlichen Leidenschaften wird sie wohl auch helfen? lernt sich

Sie verschwinden vor der Aufklärung; der Mensch selbst beherrschen, so wie er nur zur Vernunft

kommt. 3.

Da werdet Ihr denn auch wohl Mittel wissen, den

N.

Einfluß der Neigungen und der in den Falten des Herzens lauernden Gefühle abzuschneiden, damit sich nicht, wie das

bisher gefunden wurde, die Vorurtheile, die Einseitigkeiten, die Täuschungen immerfort erzeugen, damit das Selbstbetrü-

gen und Selbstbelügcn endlich einmal aufhöre. Versagt doch nicht länger dieses Arcanum der Welt, da wäre ihr ja mit einem Male geholfen, und wir hätten das Glück, noch das zu erlebe».

74 R. DaS kann nur durch die Erziehung in den folgen­ den Geschlechtern kommen. Z.

Da kämen wir doch in einem Punkte zusammen,

in der Hoffnung auf die Erziehung. Aber ob wir da lange bei einander bleiben? Es ist also auch hier der zu Verstand

und Vernunft gekommene Egoismus, auf den Zhr hofft? N.

Allerdings; dazu wird das Kind erzogen.

Z.

Bevor es nun dazu gelangt und erzogen ist, wird

es also noch nicht über seine Gefühle und Neigungen Mei­ ster seyn? R. Sonst wäre es schon vernünftig; weil es das noch nicht ist, so muß es eben erzogen werden.

Z. Vermuthlich doch durch Vernunft, nämlich durch die seinige, — die es noch nicht hat! N.

Die wird es bekommen, durch die Vernunft der

Eltern, die eS zum vernünftigen Denken gewöhnen. Z. Versteht sich, daß es sich gewöhnen lasse; es wird am Gängelbande geführt nicht nur zum Laufenlernen, son­ und dazu wird sich das

dern auch zum Selbstbeherrschen,

fromme Lämmchen dem Führer hingeben, meint Zhr.

so müßt Zhr es doch

Nun,

wenigstens soweit seiner Auctorität

hingeben, und die Emancipation, die Zhr in dem hohen Ziele jener Fortschritte erblickt, nicht so gar frühe eintreten lassen. N.

schon

Sie hört erst mit der Kindheit auf.

Z. A.

Ilnd die Kindheit? — Dauert bis zur Reife.

Z.

Die der Natur nach zwar allmählig kommt, aber

bis in die Kinderjahre hereingezogen

werden wird,

wenn man einmal so eine Zacototsche Methode auch bis in

das Ganze der Erziehung wird gewonnen haben, woran uns

die Fortschritte der Zeit gar nicht zweifeln lassen. Da wird dann die Kultur der Selbstheit, um nicht mehr das gehässige Wort Selbstsucht zu gebrauchen, ihren Triumph feiern, wenn

das Kind schon auf dem Mutterschooß nach seinen Grund-

73 säßen handelt.

DaS wäre dann das große Jubeljahr der

Emancipation. N. Wozu Eure Ironie?

Ihr ändert damit weder die

Natur, noch ihren Gang im Menschengeschlecht. Z. So erlaubt denn noch eine Frage:

Ihr denkt

doch wohl, daß ein natürliches Gefühl das Kind zu seinem Führer die Hand ausstrecken lehre.

R. werde. Z.

Damit es durch ihn zur Selbstständigkeit geleitet Ganz recht.

Rur ist das noch bedenklich, daß ein

Gefühl, ein geheimer Zug

der Neigung dieses Erste seyn soll, das zur Vernunft leitet; denn wir haben gehört, — und

wer wollte es auch in Abrede stellen? — daß die Gefühle und Neigungen die O-uelle aller Vorurtheile und Täuschun­

gen seyen, und, weit entfernt die Vernunft in ihrer Reinheit

hereinleuchten zu lassen, vielmehr den Himmel derselben trüben. N. Die Führer werden jenes Gefühl nicht misbrauchen, denn dadurch würden sie das heiligste Recht verletzen, einen geistigen Kindermord begehen, etwas Aergeres vielleicht, als

in alter Zeit das Aussetzen der Neugebornen.

Z.

Der Vorwurf wenigstens ist ärger, als noch einer,

den Ihr irgend gemacht habt; aber wir sind auf dergleichen mehr gefaßt. Doch laßt uns hier bei der Sache bleiben,

und darum mich weiter die Bedenklichkeit äußern, daß doch das erste Gefühl, das die Kinder zu den Eltern hinzieht, durch das' ganze Leben hindurch wenigstens im Stillen fort­ wirken könne, wie ja der Natur nach alles Erste fortwirkt. Da möchte denn doch, und wir glauben bei den meisten, auch bei der emancipirten Jugend noch so etwas vorwalten, das wir zwar ehrend Pietät, frommen, kindlichen Sinn nen­ nen, das aber doch der Freiheit und Selbstständigkeit immer

einige Fesseln anlegt, die, so schön sie auch seyen, doch Fes­ seln sind. N. Dafür wird es wohl Rath werden, wenn die also erzogenen Kinder wieder Kinder erziehen; dann werden sie

schon wissen einer solchen Fortwirkung beizeiten zu begegnen,

76 und frühe genug den Grundsatz geltend zu machen, daß Ge­ rechtigkeit mehr sey, als Frömmigkeit, wie ja bekanntlich auch

Cicero sagt:

pictas est Justitia erga deos — also auch

auf Eltern und Kinder anznwenden.

Z.

Sehr gelegen erinnert Ihr mich da an die Römer,

wo Väter, wie jener Brutus, als Muster galten, und wo — endlich eine Zeit kam, daß Väter und Söhne gegensei­ tig völlig unter den Rechtsgesctzen und feindselig gegen ein­

Das wäre also Euer Erziehungsziel! R. Rur daß wir höher in der Aufklärung stehen, als

ander im Hails und vor Gericht standen.

jene Römer.

Z.

Zn einer Aufklärung, welche nichts Angelegentliche­

res zu thun hat, als alle fromme Gefühle endlich zu vertil­

gen, und das nicht nur in dem Kinde gegen die Eltern, sondern in dem Vater, ja in der Mutter gegen das Kind.

Da haben wir nun weiter nichts mehr Euch entgegen zu

sagen, denn wir sind im Princip himmelweit verschieden; aber voraus können wir etwas sagen. R.

So würdet Ihr gar aus Träumern Propheten.

Z.

Ohne das erste und

das

zweite zu seyn,

reden

wir bloß aus dem, was jedem vernehmlich die Ratur des

Menschen als ihr ewiges Gesetz ausspricht.

„Ehre Vater

und Mutter!" Für die Elternliebe braucht nicht einmal ein Wort ausgesprochen zu werden. Käme es dahin, wie Ihr meint, wogegen aber die Ratur schon selbst Euch schützen wird, so würde nach dreißig Zähren noch etwas Aergcrcs als Bür­ gerkrieg wüthen. Die Kinder würden in den Eltern nichts

weiter anerkennen,, als in jedem andern Menschen, mit dem sie allenfalls

diesen

oder jenen Vertrag eingegangen sind,

und die Eltern würden nicht im Stande seyn, den Kindern

ein Gefühl einzuflößen, das in ihren Herzen selbst frühzeitig vertilgt worden; und wollte dann etwa ein Vater, wenn er von seinem Knaben übel angegangen wird, sich an ein sol­

ches Gefühl wenden,

so würde der Knabe ihn auslachen,

denn er weiß nicht, wovon Der Vater spricht.

Wehe dann

77 solchen Vätern!

dreifaches Wehe den Greisen!

Gott wird

es für Erich und für uns verhüten, daß auch nicht einmal

solche Probeversuche der inneren Familienzerrüttung gelingen. R. Z.

Ihr treibt die Folgerung weit. Nicht weiter, als die gesunde Vernunft sie vorlcgt.

Was Ihr sucht, gibt keinen Trost. Eure wirkliche Welt ist nicht die wahre der Menschheit. Eure Arbeit hat keinen

Lohn. Die Selbstsucht bringt kein Heil. Das Gute kommt nicht aus dem Bösen. Nur aus dem guten Keime läßt sich Gutes erwarten.

Ihr havt also ganz recht, wenn Ihr auf

diesem Wege an kein Befferwcrden glaubt.

R. I.

Geht ihr sicherer? Za, wir gehen sicherer.

An das Gute halten wir

uns, und aus ihm, hoffen wir zu Gott, wird sich Gutes ent­

wickeln kaffen. Wir übersehen nicht den Wechsel der Dinge, wir wenden unsere Blicke nicht weg vor der drohenden Ge­ fahr, es schlägt uns

auch keine Raturbeobachtung nieder,

denn ein Lichtstrahl leuchtet uns von oben durch alles hin­ durch, der uns den Sieg des Guten verkündet, und jeden Kämpfer mit immer neuem, mit immer freudigerem Muthe belebt.

R. O Ihr glücklichen — nicht jenes Wort mehr, das Euch beleidigen könnte — also lieber: Ihr glücklichen Käm­ pfer! Rur laßt uns doch hören, worauf Ihr solche Zuver­ sicht stützt? I. Das sagen wir gerne immer wieder laut: vorerst auf Gott, dann auf die Natur, dann auf das Heil, das der Menschheit erschienen ist.

R.

Alls Gott — nun ja, das thun wir alle; aber die

Welt geht ihren Gang fort.

Lassen wir also jetzt das erste,

und was das letzte betrifft, so lassen wir Euch mit Euerm

Heil der Menschheit Euern Gang gehen; nur von dem zwei­ ten haben wir hier zu reden, wie Ihr Eure Zuversicht auf dieses, auf die Natur setzen möget, das wäre ich begierig

zu hören. I.

Weil es nicht ohne das erste und nicht ohne das

78 dritte ist. Die Natur ist Gottes Ordnung, und der Mensch lebt in dieser Ordnung durch jenes Heil. N. Unter dem Sternenhimmel und auf der Pflanzen­ decke wandeln die Menschenkinder.

Z.

Als Gottes Kinder.

N.

Wollte Gott!

Z.

Er wird schon wollen, wenn wir nur wollen. Auch

hat er uns genug dazu gegeben.

Thun wir nur das lln-

srige, der Segen kommt dann auch von ihm, und das Ge­ deihen kann daun nicht fehlen.

N.

So seht Zhr nun einmal Euer Geschäft der Er­

ziehung an. Aber richtet doch nur Eure Blicke etwas wei­ ter hinaus, so seht Zhr ein Geschlecht, das Zhr zwar klüger gemacht habt, und das sein Fortkommen noch besser zu su­

chen weiß, als das unsrige; indessen das, was Zhr suchet, habt Zhr daniit doch nicht gefunden, und wir kommen immer wieder auf den Egoismus. Z. Dessen Keim es nicht ist, was wir hegen und pfle­

gen wollen,

sondern

an

die edlere Anlage des Menschen

wendet sich unsere Thätigkeit. R. Doch ist es kein anderes Wesen als der Mensch. Er soll allerdings gebildet,

der Rohheit entrissen werden;

hiermit geschieht alles, und das Höchste, was wir wollen, ist die Humanität. Höheres gibt es nicht, und Zhr selbst müßt froh seyn, wenn es Euch nur gelingt, die Zugend zur Humanität zu erziehen. Damit hat die menschliche Natur, die Zhr doch nicht umwandeln könnt, das gefunden, worin sich ihre Selbstheit — meinethalben Selbstsucht — vernünf­

tig bewegen kann. Z. Damit hätte sie denn alles gefunden, was sie su­ chen mag, wenn Eure Humanität das Höchste wäre.

Arm­

seliges Geschöpf, das nichts Höheres kennt, als sich selbst,

und dieses Selbst mit nichts Besserem nährt, als mit dem Herumbewegen und Arbeiten in diesem Ameisenhaufen. Was

wollt Zhr denn mit Eurer Vernunft, die Zhr so gern im Munde führt, wenn sie Euch nicht über das niedere Trei-

79 ben hinaufblicken läßt?

Schaut gen Himmel, freut Euch,

daß uns die Sonne von oben scheint. N.

Seyd Ihr gegen Sturm und Donnergewölk ge­

sichert? Z. Wir selbst nicht, aber die Pflanze, die wir pflegen, ist es; mag immerhin böse Zeit dazwischen treten, ihr Ge­ deihen ist gesichert. N. So gründet Ihr wohl gar Eure Hoffnung auf eine

innere Kraft der Menschheit, ich dachte nur auf die Vor­ sehung.

Z.

Auf beides, eins mit dem andern, und jenes durch

dieses. Vorjetzt reden wir ja nur von jenem, dem Göttlichen in dem Menschen, welches nicht vergehen kann, sondern be­ stimmt ist, heller aufzuleuchten.

N. Das hätte sich doch schon längst zeigen müssen, denn das Göttliche kommt nicht erst herein, sonst wäret Zhr auch nicht sicher, daß es nicht wieder herausschwände.

Z.

Erinnert Euch doch nur an das, was auch die alte

Welt schon fühlte und aussprach.

Daß Göttliches in der Menschheit sey, dieses Bewußtseyn lebte schon in der ersten

Menscheubrust, nur war es zu sehr verdunkelt, bis jene Sonne aufging, die nicht mehr untergehen wird, und deren Licht uns auch die Wahrheit erkennen läßt, welche unserer Hoff­ nung Gewißheit gibt. N. Die eben nicht viele mit Euch theilen, und die Zahl der Eurigen, fürchte ich, wird sogar täglich noch kleiner. Das, worauf Zhr so sehr vertraut, hat den Egoismus der

Menschen bisher nicht ausgetilgt, und wird ihn nicht aus­

tilgen. Z.

Aber heilen wird sie jeden von demselben, der sich

nur will heilen lassen, und deren werden sich schon mit der Zeit immer mehrere finden.

Die Zammerzeiten,

wo die

Voltaire, die Mirabeaus und wen man sonst der Art nen­ nen mag, ihre Brandraketen unter die Völker schleuderten,

wo die Flamme des Aufruhrs alles Gute bis auf das letzte zu verzehren drohte, oder wo von den Feuerschlünden die

80 Erde erdröhnte, sie konnten nicht austilgen daS Vertrauen «ns den, der alles zum Besten lenkt, und der auch seine Kirche schützt; und was auch noch komme, dieses Vertrauen erstirbt

Der siegreiche Eroberer ward besiegt, so­

nicht auf Erden.

bald die moralische Macht, die er noch nicht gekannt, in den Völkern gegen ihn erwachte, und hier ist mehr.

Za, wenn

auch die Mächtigen der Erde, wenn auch ganze Völker sich

gegen den Herrn deS ewigen Reichs empören wollten, ihre Macht ist wie das Stäubchen gegen das Weltall; und scheint

Euch auch die Zahl derer, die an ihm fcsihalteii, klein jit so wird sein Werk doch zu

seyn, und kleiner zu werden,

Stande kommen, und das Heil wird der Menschenwelt end­ lich völlig erscheinen. R. Starkes Vertrauen! Schöne Zukunft! Wir müs­ sen Euch bewundern, wie Ihr Euch so über die jammervol­ len Episoden in dem Wclrepos hinausschwingen könnt. Rur leider ist un-s damit nicht geholfen. Wir bedürfen der Hülfe

schon für uns und unsere Kinder und unsere Enkel. Z. Die Euch der Egoismus gewähren soll? O lernt

die wahre Hülfe kennen!

Ihr habt sic in den Händen; Ihr

könnt durch sic, und nur durch sie, das gewünschte Besierwerden beschleunigen.

R. Das wäre doch etwas! freilich Großes bewirkt! Wer wollte Aber laßt doch hören, wie Ihr das J. Hegt und pflegt den guten

Da würde mit Kleinem dazu nicht geneigt seyn! so nahe legt. Keim, so wird er wach­

sen und erstarken.

R.

Auch

wenn

das

Pflänzchen zertreten,

oder

der

Baum zerschmettert wird? Z.

Es ist nicht bloß Eins, es ist eine ganze Saat,

und der Same, welcher ferner ausgesireut wird, ist geistiger Art und gedeiht mit geistiger Kraft. Kann doch selbst die

Raturkraft nicht untergehen, und wirkt sie doch, wenn auch noch so viele ihrer Schöpfungen zerstört werden, unermüdet

fort, wie vielmehr wird die Geisteskraft immer siegen; und

fließt vollends Leben und Licht aus ihrem Urquell in sic ein,

81 so muß sie, auch wenn sie noch so mächtig niedergedrückt

worden, sich dennoch wieder und noch herrlicher erheben. A.

Vielleicht hier oder da, während sie anderswo grade

Niederlagen erleidet. Z. Die doch nur aufhalten den Hauptsieg, und viel­ leicht nur auf kurze Zeit.

Wäre es nur eine Person, die dem Todesstreich erliegen müßte, dann freilich wäre alles zu

fürchten, aber es sind derer, die feststehen, noch viele; und eS ist hier mehr als Persönliches. Gebt Zhr nur zu, daß eine GotteSkraft es ist, die in dem Menschengeiste wirkt, so müßt Zhr auch zugeben, daß, nachdem sie einmal angefan­ gen hat, sie auch fortwirke, und endlich über alle Hindernisse

obsiegen werde. Zn den unendlich vielen Einzelnen muß sich das unendliche Ganze entfalten, und gegen dieses Ganze ver­ schwindet das

Einzelne,

verschwinden

auch ganze Massen,

welche widerstreben, in nichts. Das Göttliche ist es, das in dem Ganzen des Menschengeschlechts sich zu entwickeln

bestimmt ist, und in einem schönen Gesammtleben erschei­ nen soll. N.

DaS sind so metaphysische Theorieen; um denselben

eine physische entgegen zu setzen, so erinnere ich nur an das

Naturgesetz, nach welchem alles seinen Gipfelpunkt zu errei­ chen bestimmt ist, und alsdann zurücksinkt. Anders wird eS auch nicht mit der lieben Menschheit seyn; wie nun, wenn

sie jetzt oder bald ihr Höchstes erreicht hätte? Z. Dieß bestünde nämlich nach Eurer Ansicht in der höchsten Verfeinerung des Egoismus; nun, da wollen wir Euch das Zurücksinken gerne zugestehen. Hier aber ist etwas, das über alle Naturgesetze hinausreicht, der Geist ist es; ihm

ist seine Fortbildung zur Aufgabe gesetzt, was nie voll­ endet ist, und das Göttliche, das er in sich trägt, ist kein

Namrgewächs. N. So sagt denn kurz und gut, wie ihr eS anfangt, um zu Euerm herrlichen Ziele zu gelangen. Z. Leicht zu sagen und leicht zu verstehen.

Wir thun

waS wir können zur Erziehung der kleinen und großen KinEchwarz: Darstell, a. d. Gebiete d. Pädagogik.

II.

6

62 der; wir setzen das fort, was dafür begonnen ist, und ver« bessern, je nachdem es sich findet; den Eltern legen wir an

das Her;, was ihnen die Natur in die Hand gegeben hat

und Gott von ihnen fordert; unter dem Volke suchen wir den Segen einer christlichen Erziehung zu verbreiten; auch

benutzen wir möglichst die Fortschritte der Kultur für die wahre Bildung. Auf diesem Wege wird das Bessere doch wenigstens bei einem Theile der jüngeren Generation iuS Leben gerufen, von dieser bei der folgenden, und so fort, wenn auch nicht in geometrischer Progression, und nicht ohne

Störungen, doch in zunehmendem Verhältniß. Denn der Kraft des Guten dürfen wir das schon zutrauen, daß die Zahl seiner Anhänger sich eher vermehren als vermindern

werde.

An Gegenwirkungen kann und darf es nicht fehlen,

denn alles Gute muß sich läutern, und jede Entwicklung hat ihre Uebergangsperioden. N. Wie aber, wenn Euch gar der Weg abgeschnitten

würdet Ihr haltet doch an der Offenbarung fest; wie nun, wenn die Fortschritte der Naturwissenschaften Euch den Glau­ ben an dieselbe, wenigstens an die Heiligkeit der Urkunde, zernichten?

Z. Das vermögen sie nie. So wenig wie das Licht der Offenbarung aus der Naturwissenschaft hervorgegangcn ist, so wenig hängt es auch von derselben ab.

Was Gott den Men­

schen von oben herab offenbaren wollte, betrifft bloß ihr Verhält­

niß zu ihm, und seine Liebe zu ihnen. Die Natur selbst hat er ihrer eigenen Verstandeskraft angewiesen, darin zu forschen ist der Menschengeist befähigt und bestimmt. So wurde den

vernünftigen Bewohnern unsers Planeten von Anfang ge­ sagt: „herrschet über die Erde." Darin wollte das höhere Licht nicht im mindesten den natürlichen Fortschritten des menschlichen Geistes vorgreifen, auch wollte die Wahrheit,

die vom Himmel kam und in dem Stifter unserer Religion

uns den Weg des Lebens zeigte, nicht im mindesten ein Wort auch nur der Hindeutung zur Sternen-, Länder-, oder Völkerkunde aus dem Munde gehen lasse», der nur das Hei-

85 lige zu lehren bestimmt war.

Aber durch dieses höhere Licht

hat der Geist der Menschen einen Aufschwung erhalten, der ihn auch zur Naturforschung fähiger macht; und was wäre

er ohne dieses Licht geworden?

Zn demselben lebend fliegt

er von Sternen zu Sternen, scheut er nicht das Dunkel der Tiefe, und gewinnt hellere Blicke in die Völkergeschichte. Wohl denn! Sucht denn nur recht die Weltgesetze zu er­ fassen, und wenn Zhr jetzt doch nur erst in die äußere Schale unserer Erdrinde eingrabt, dringt denn wo möglich bis in

ihren Mittelpunkt, wandelt mit bewaffneten Augen auf der Sonne, auf Planeten, Kometen, Fixsternen herum — und auch keine künftigen Keppler, oder Herschel, oder La PlaceS

werden es weiter bringen, als das älteste Offenbarungswort: „im Anfang schuf Gott Himmel und Erde."

geworden sey,

Wie das alles

und wie groß die Zeiträume waren, in wel­

chen unsere Erde das wurde, was sie jetzt ist, das lasset Euch

immer die Mutter Erde selbst erzählen; die heilige Urkunde sollte darauf nicht eingehen, und was sie angedeutet, das wird sich

immer

bestätigen.

Schreitet also

nur muthig

in Euern Kenntnissen der Natur fort, aber überhört nicht

den Herrn der Natur, dessen Stimme Euch von innen und

von außen zuruft. Ihn sollt Ihr anbeten. N. Wer wollte das nicht thun! Wir dächten auch, die Natur ruft das laut genug jedem zu, so daß es keiner Offenbarung weiter bedürfte.

Z. Da kommt Zhr auf etwas anderes zu sprechen, und eS Aber laßt uns nicht davon abkommen, wovon wir jetzt reden, da wäre Euch darüber manches zu Gemüthe zu führen. wäre unter mehreren nur noch an Eins zu erinnern.

N.

lind das wäre? Z. Nichts andres als die natürliche Selbstsucht deS Menschen. Gegen diese bedarf auch der Naturforscher Hülfe.

Sein Sinn sinkt sonst leicht selbst in die Materie herab, in welcher er sein Zerlegen und Zerschneiden treibt, und auch der

Dünkel ist ihm gefährlich, daß er keines höheren Lichtes außer seinem gesunden Verstände bedürfe. Ze weiter in dem, 6«

84 was zu dem materiellen Leben gehört, fortgeschritten wird, desto mehr will auch das geistige Leben genährt und geho­

ben werden, wenn der ganze Mensch in harmonischer Bildüng fortschreiten soll. Das ist es, was grade jetzt unserem Schulunterricht mehr Noth thut, und darum fordern wir

so dringender für die Familien Stände die christliche Erziehung.

um

auch der gebildeten

N. Auf diesen Punkt kommt Ihr also auch hier wie­ der zurück; den haltet Ihr fest von Anfang bis zu Ende, und so können wir bei Euch freilich nichts ausrichten. Z. Das sagten wir Euch ja schon vorn herein. DaS

müßt Ihr uns aber wenigstens zugestehen, daß wir unS nur an das Gute halten, und daß wir nur von dem Guten Gutes erwarten. Da wir dieses Heil aber nur in dem Ehristenthum erkennen, so erwarten wir auch von die­ sem die beste Erziehungsweise, und eine bessere, als sie bis

jetzt noch ausgeführt worden. R. Und diese wäre? Z. Jene tiefere Einsicht auch in die menschliche Natur, welche die weiteren Fortschritte herbeiführen, jene heilige Kunst, das Geistesleben aus seinem tiefsten Grunde Hervor­ zurufen, jene gewissenhafte Uebung der Eltern und Erzieher

in dieser Kunst — und in allein die bildende Kraft der himmlischen Liebe. N. Gestehen muß man, daß Zhr Euch getreu bleibt, und folgerichtig in Euern Hoffnungen seyd. Zst Euer Prin­ zip das rechte, so habt Ihr den Sieg. Z. Und so werden wir ihn haben, denn der Grund, auf dem wir stehen, ist der ewig feste. So wahr der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, ja wir dürfen sagen, so wahr Gott lebt,

so gewiß wird die christliche Bildung

siegen, und deßhalb leben und sterben wir darauf, daß es mit dem Menschengeschlecht durch das Christenthum

immer besser wird.

III.

Einige Sehulre - en; bei den Prüfung sfeierlichkeiten des Gymnasiums zu Frankfurt a. M. gehalten v»u

Theodor Nömel, Director dieser Gelehrtenschule.

1. Ueber dar BerhLltniß der Epmnaflalbilduiig zur christlichen.

Unser Zeitalter,

welches so manche bisher bestandene Ein­

richtung vernichtete, stellte auch die Behauptung auf: „die

classische Bildung sey unbrauchbar; man solle nicht die alten Sprachen, sondern nur Sachen lehren." Während die Ei­ nen Erziehungsanstalten, Philanthropine, errichteten, welche nur Gemeinnützlichkeit, Trivialität, bezweckten, hielten Andere

an der allgemeinen Menschenbildung, an der Humanitäts­

bildung fest. Daraus entspann sich der bekannte Streit des Philanthropinismus und des Humanismus. Die classische Bildung wurde gerettet. Jetzt droht ihr ein anderer, vielleicht entscheidender Stoß. Man sagt nämlich: der Zweck eurer Schulen soll doch nicht

seyn, den Schüler zu einem Griechen oder Römer, nicht zu einem Heiden, sondern zu einem Deutsche», und vor allem zu einem Christen zu bilden; und doch schlagt ihr durch eure classische Bildung solche Abwege ein ! Sollte die harmonische Bildung der Griechen nicht selbst ein besseres Beispiel seyn?

Wie kann griechisches und römisches Heidenthum je mit dem Christenthum, der einzigen Grundlage aller wahren Weis­ heit und Bildung, vereinbar seyn?

Hierauf ließe sich im Allgemeinen antworten: Bedenk­ lichkeiten gegen die classische Literatur seyen schon im ersten

Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung zum Vorschein ge­ kommen und bei wiederholter Anregung seyen sie auch bisher

immer wieder verschwunden; was so lange gegolten, werde sich auch ferner behaupten.

88 Allein wir wollen uns bet diesen allgemeinen Aeußerun­ gen nicht beruhigen, sondern ernstlich in die Sache eingehend,

sie von beiden Seiten erwägen, denn ein Erzirhungssystem, das sich jeder Rücksicht auf zeitgemäße Einwendungen hart­ näckig widersetzen wollte, könnte keine Wohlthat seyn und sich nicht länger behaupte».

Einen Einheitspunkt zu finden für die hetero­ gen scheinenden Elemente der Gymnasial- und der christlichen Bildung sey

die Aufgabe meines heutigen

Bortrages, für welchen ich, Hochgeehrteste Anwesende! Ihre Nachsicht um so mehr erbitte, je schwieriger der Gegenstand ist; er berührt das Wesen der alten Literatur, unserer Na­ tionalbildung, der ganzen Erziehung und der christlichen Re­

ligio». Vorerst will ich nun die Vorzüge der classischen oder,

was uns gleichbedeutend sey, der Gymnasialbildung darlegen, welche beruht aus der alten classischen Literatur, auf der Mathematik und auf der Geschichte. Man könnte zwar vieles zur Empfehlung der classischen

Bildung von Seiten ihres praktischen Nutzens und mit vol­ lem Rechte anführen, wenn man den Einfluß der alten Sprachen auf die neuen und auf die Kunstausdrücke nach­ wiese; wenn man den Vortheil der Mathematik von der gemeinen Rechenkunst an bis zur Berechnung der Himmels­

sphären auseinander setzte; wenn man die Annehmlichkeit der Geschichte und die Unterhaltung durch sie, schilderte. Allein dies alles sind relative Vorzüge und wäre im Geiste des dem Unglauben hervorgcgangenen PhilanthropinismuS

aus

gedacht, welcher keine höhere Rücksicht kennt.

Der Werth

der classischen Bildung ist ein absoluter, er besteht an sich,

indem dieselbe nicht durch einzelne Zwecke für den Brod­ erwerb bedingt ist, auch nicht für den Broderwerb des Ge­ lehrten, dessen Leben vielmehr dadurch erst würdige Haltung

bekommt.

Gymnasien sind daher nicht Schulen für den

künftigen Gelehrten allein, welcher sie nur nicht entbehren

89 kann;

sondern

sie geben die höhere allgemeine Bildung.

Lassen Sie uns dies im Einzelnen sehen. Die classische Bildung ist ideal.

Die Schriften der

Alten sind es, welche die oft dürftige Gegenwart den studirenden Jüngling vergessen lassen. Hier öffnet sich ein wei­

terer Gesichtskreis, größere Verhältnisse stellen sich dar in der größer» alten Welt; das öffentliche Leben zeigt da hochher­

zige Gesinnungen, und das Privatleben ist einfach. Dies ist daher auch das Gepräge der alten classischen Literatur; sie

weist namentlich in ihren Tragödien auf große Charaktere hin, weßhalb es nicht fehlen kann, daß derjenige, welcher in den entscheidenden Zähren durch die Schriften der Alten die hingeschwundene Größe anschaut, sich von ihr ergriffen fühle und das Gemüth zu würdigen Entschließungen erheben lerne.

Wer sich von

der anziehenden Macht der alten Literatur

überzeugen will, der komme in die Studienkammer eines mit Noth kämpfenden Jünglinges, welcher bei der Lectüre eines alten Schriftstellers seine arme Wirklichkeit verläßt und im Zauber der idealen Vergangenheit lebt. Bedauern müssen

wir wenigstens, ruft der große Alterthumsforscher ans, be­ dauern müssen wir einen jeden, dessen Leben dieses goldene

Zeitalter niemals hatte. — Das Alterthum wirkt schon deß­ wegen, weil es in den Hintergrund getreten ist, großartiger und idealer, als die großartigste Gegenwart. Wir dürfen überhaupt nicht bloß in unserer Zeit leben, wenn man nicht selbst im

vornehmsten Stande gemein zu werden Gefahr laufen will; aber nur in der kolossalen alten Zeit erhält man den Eindruck, welcher mitten im gemeinsten Alltagsleben nicht

mehr vertilgt wird.

Der Geist des durch das classische Alter­

thum Gebildeten lebt in einer Reihe erwählter großer Gei­ ster, — Lieblingsnamen seiner Phantasie; in allen Geschäf­ ten und Lagen des Lebens kommen sie ihm wieder als alte

Lehrer und Freunde entgegen.

Mit jedem Jahre unseres

Lebens fällt ein beträchtlicher Theil der Bilder hin, welche unsere Zugend schmückten; die Gemälde des Alterthums allein verlöschen nicht.

Durch die alten Dichter erschließt sich der

90 höhere Sinn für die Kunst.

Die alten Geschichtschreiber sind

an Wahrheit der Darstellung vollendet.

Die Redner stehen

mitten im Leben der rechten Vaterlandsliebe und des leben­ digen Rechts, und dies Leben legen sie lebendig dar; sind sie

etwa von der neuen Beredsamkeit, welche doch einen viel erhabenern Gegenstand zu behandeln hat, übertroffen ? Die Philosophen, namentlich Plato, in welchem wir den Tief­ blick mit dem Scharfblick, das Morgenland mit dem Abend­ lande vereinigt sehen, ist er von den Neuern, denen doch die

ewige Wahrheit geöffnet ist, auch nur erreicht worden? — Wenn Plato'S Schriften mehr und allgemeiner gelesen wür­

den, so würde man bald aufhören, etwas für Philosophie

zu halten, was nichts weniger als Philosophie ist; denn die­

ser große Geist weckt in der schönsten Darstellung den Sinn für Speculation, seine Welt ist die Welt der Ideen.

Ueber« Haupt war, wie Clemens Alex.") behauptet, die Philosophie den Griechen, was den Hebräern das Gesetz, der Erzieher

auf Christus. Wollte man nun sagen, daß dieses ideale Element der

alten Literatur eigentlich nur von der griechischen gelte, so

geben wir zu, daß nur auf alt griechischem Boden jene ge­ sunden

und vollen Gewächse in

der lebendigen Fülle der

Natur aufkommen konnten; allein auch in der römischen Literatur lebt ein ideales Element, das sogar der griechischen

fehlt.

Einmal macht die römische Nation — natürlich nur

so lange sie Ration war — den Eindruck von größerer Sitt­ lichkeit und Würde, als das weit leichtere griechische Volk.

Die Römer hatten nach den hetrurischen Bestandtheilen ihrer religiösen Verfassung mehr vom orientalischen Geiste behal­ ten, als die Griechen; daher das feste Wesen im römischen Staate. Sodann spricht in der römischen Literatur noch

eine Idee an, um welche sich Alles dreht, das ist die Idee der großen Roma. Diese Roma, so bewunderungswürdig in

) Tom I. Lib. I, 5. p. 331. ed. Gotter. Oxou.

91 der alten Titten» und Gesetzes-Strenge, ist der Geist, welcher aus allen römischen Schriften cfthmet. Aber nicht allein die Bildung durch die alten Sprachen und die classische Literatur, auch die durch Mathematik ist ideal; von dem noch übrigen Bildungsmittel, der Geschichte,

hernach. Die Mathematik stellt immer eine Zdee ans, in welcher die Möglichkeit und die Wirklichkeit Eins ist, und übt die

Fertigkeit, die Möglichkeit als Wirklichkeit zu erkennen. So giebt sie ein Aobild der höchsten Zdee, in welcher ja, was möglich, auch wirklich ist. Denn der Mathematiker gründet sein Wissen auf die absolute Realität des Idealen, er findet eS

nicht durch Vergleichung concreter Dinge, sondern er weiß

es unmittelbar aus dem Wissen, welches darum real und ideal zugleich ist. So giebt denn jeder zu, daß der ganze Gymnasialunter­ richt auf idealen Principien ruhe; „allein (diese Frage lesen

wir in den ängstlichen Zügen) wird unser Kind dadurch nicht

unpraktisch, unbrauchbar für die Welt?" Zudem der Gymnasialunterricht die höhere allgemeine Bildung giebt, giebt er zugleich die beste Vorbereitung für jeden künftigen besondern Beruf; er ist ja von dem andem, auf den Grundsätzen der Menschenbildung gebauten, ErziehungSunterricht nicht der Art, sondern nur dem Grade und

den angewandten Mitteln nach verschieden, oder es müßte denn jemand wähnen, nur wer auf einem Gymnasium ge­ Sodann hat die Gymnasialbildung al­ lerdings einen praktischen Zweck, nämlich eben den auf eine

wesen, sey gebildet!

höhere Bildung berechneten, ist.

obgleich er selbst wieder ideal

Elidlich sind die Alten mitten in ihrer Zdealität zugleich

praktisch, ihr Wissen und Handeln ist nie getrennt.

Auch

versteht es sich von selbst, daß jede Zdee erst Inhalt bekomme

durch ihre Anwendung auf die objective Welt.

Und wenn

daS alles nicht wäre: wollen wir denn unsere Kinder bloß

für die Welt, für einen engen und engherzig bestimmten Beruf erziehen?

Was weiß denn ein Sterblicher, wer oder

92 wozu er da ist; zu welchem Zwecke er im großen Plane ge­ Darum seyen Sie ruhig, theuere El­ tern! wenn wir Ihre Kinder für eine ideale Welt gewinnen braucht werden soll?

wollen. Da nun die Gymnasialbildung also durchaus ideal ist, Daß sich der Schüler die classische

so ist sie auch formal.

oder antike Form aneigne, ist ihre Aufgabe. Es wäre hier an seinem Orte, eine bis ins Einzelne gehende Vergleichung zwischen der antiken und der modernen Zeit und Literatur zu ziehen; ich kann sie aber nur andeuten. Zn der antiken

ist das Schöne, in der modernen das Interessante Prin­ zip der Darstellung, daher in dieser: Willkür der Form und Anarchie, Mangel an Einheit, bis ins Unendliche ausgedehnte

Grenzlosigkeit, unruhiges Streben, Subjektivität, und, waS der schärfste Gegensatz gegen das Ideale ist, Reflexion. Mit allem dem will ich der modernen Literatur keinen dircctett Borwurf machen; sie hat vielleicht eine sehr hohe Bestim­ mung, wenn sie das höchst Interessante, wie Griechenland

das höchst Schöne, in objektiver Form darzustellen erreicht. Allein dies spricht gerade am lautesten für die Nothwendig­ keit, die klassische Form allgemein zu studiren, die feste Gesetz­ mäßigkeit des Schönen, wo kein Mehr und kein Weniger statt finden kann. Denn das Gesetz, nach welchem sich die Form der alten Schriftsteller ausgeprägt hat, ist die Zdee der Schönheit selbst. Nur von der Natur sicher geleitet, brachten jene Meister des alten Griechenlands ihre Werke hervor.

Fern von aller Reflexion tragen ihre glühendsten

Dichtungen das Gepräge der Nothwendigkeit, und die Erzeug­

nisse der höchsten Besonnenheit sind freie Ergießungen ihrer

begeisterten Urheber, welche von einer Zdee besessen, mit ihrer Persönlichkeit und Individualität gänzlich zurücktreten. Zm ruhigen Anschauen der ewigen Schönheit verloren, verschwin­ det das dastellende Subject, denn nicht der Dichter will er­

scheinen, sondern die Zdee, welche in ihm geboren ist. ein Gott steht Homer unsichtbar über seiner Schöpfung.

Wie

93 Es kann nicht fehlen, daß diese reine Objektivität, diese göttliche Sinnesart des Sich-selbst-VerläugnenS, sobald sie

mit Klarheit angeschaut wird, fähig macht, vom Endlichen und Zufälligen zum Unendlichen und Nothwendigen hinauf zu steigen, und somit den Menschen zur Idee der Menschheit zu erheben; nur der Mensch kann die Schönheit empfinden.

Hieraus entspringt der dritte Vorzug, welchen die classische Bildung hat, sie ist Bildung zur Idee der Menschheit, Hu­

manitätsbildung. Humanität nehmen wir nicht in dem engern Sinne, sondern in dem weitern für das Gesammtseyn dessen, wo­ durch sich der Mensch vom Thiere unterscheidet.

Er unter­

scheidet sich aber wesentlich von diesem durch zwei Stücke: durch das Urbewußtseyn von Gott, dessen Ausbildung der hö­ here Grad von Humanität ist, und durch die Sprache, welche der erstem untergeordnet ist. vorzugsweise die Bildung

Bildung durch Sprachen wird durch die Humaniora genannt.

Sprache soll aber hier nicht bloß Fertigkeit der Sprachorgane

seyn, articulirte Laute und Worte hervorzubringen, sondern Erscheinungen der Zdeen, Aoyo?, der Geist, welcher, um sich auszudrücken, diese Organe spielt. Da er Worte, als

nun von seinen Organen so wenig getrennt werden kann, als die Seele von dem Leibe, ohne das Leben selbst zu ver­ nichten, so stehen beide in inniger Wechselwirkung, indem Sprachen erlernt werden, welche die Stufen der harmonischen Vollendung erreicht haben ,. bildet sich auch der Geist harmo­ nisch aus. Die Bildung durch die alten Sprachen ist also

Humanitätsbildung. Lassen Sie uns dabei noch einen Augen­ blick verweilen. Durch die rein objectiv gehaltene Form der alten Sprachen oder der alten Literatur lernt man sein In­

So wie sich der humanste Kaiser, Mark Aurel, zuruft: „Sieh zu, daß du nicht verkaiserst!" so lernen wir überhaupt am Alterthum, daß nicht dividuum einer Idee unterwerfen.

das Individuum irgend eines Standes heraustreten soll, son­ dern daß lediglich der Mensch, in seiner besten Idee aufgegefaßt, welcher er sich immer mehr und mehr nähern muß,

94 nur als solcher handeln und sich benehmen dürfe.

Diese

Humanität, auf welchen Begriff man sie gewöhnlich allein

beschränkt, ist Charakterzug des Alterthums; da galt nicht der Stand und nicht die Person, sondern jeder Bürger so viel,

als er durch sich selbst oder durch die Umstände werth war.

Daher Achtung vor allen Mitbürgern, welche alle ihres Glei­

chen waren,

daher großartiges und großmüthiges Handeln

gegen den Staat, daher jener einzige Gemeinsinn, diese prakti«

sche Humanität.

Aber auch

die theoretische, wie wir sie

jetzt einmal nennen wollen, bildet sich durch die alte Litera­ tur. Während sich die Individualität einer Idee unterwirft, geht sie doch nicht in ihr auf; sie behauptet selbstständig ihren Entwicklungsgang und bleibt selbstständig in der ganzen Gei­

stesthätigkeit. Geschmack bildet sich schon durch die klassische Form, Vielseitigkeit dadurch, daß man in den Sinn und Geist einer andern Zeit eingehen muß; die Gymnasialbildung macht, ob sie gleich zur Zdealität steigert, doch nüchtern für alle Forschung; sie bildet Willenskraft und Gehorsam durch die Natur ihres Unterrichts: man muß auf jeder Stufe so lange verweilen, bis man sich auf ihr fest fühlt; sie verhin­

dert alles Desultorische, Lückenhafte, und giebt wahre Soli­ dität. „Zch kenne keine Beschäftigungsart, sagt Schelling, welche mehr geeignet wäre, dem erwachenden Verstände, Scharf­ sinne und Gedächtnisse die erste Uebung zu geben, als die mit den alten Sprachen und mit der Mathematik. Da hilft kein Dilettantismus, da muß man ganz hinein, da ist keine Halbheit, kein Kapituliren möglich. Wo gäbe es ein besseres und kürzeres Mittel zum Aechten, zum Wahren, zum Religiösen? Denn was hat der Religion mehr gescha­

det, wenn ihr etwas schaden kann, als das halbe Wissen?" Aus diesen drei Vorzügen erhellt, daß die classische Bil­ dung der christlichen nicht entgegengesetzt seyn könne. Wäre sie das, führte sie geradezu vom einzigen Wege zur Seligkeit ab, so müßte sie weichen, und der Theologe, welcher sie am wenigsten entbehren kann, müßte sie am ersten meiden. Möchte man auch anführen, daß ein großer Theil unserer

SS Bildung auf dem historischen Boden des Alterthums ruhe,

und stets wieder an das Alterthum geknüpft werden müsse. Unsere Religion hat ihre Wurzel keineswegs in dem clas­ sischen Alterthume.

Alles Einzelne, Was sich als Vortheil

der classischen Bildung anführen ließe, wäre kein Ersatz; hier

gilt es das Prinzip, das wollen wir uns nicht verhehlen. Allein schon die Erfahrung spricht dagegen, daß die

classische Bildung dem Christenthume hinderlich

sei.

Die

Wissenschaften insgesammt lagen gänzlich darnieder, als die

classische Literatur wie verschwunden war, alle Form zerfloß oder erstarrte, Seichtigkeit und Unwissenheit waren im Ge­ folge, und Gemeinheit war der Wissenschaft Grab. Die

Theologie war alles, nur nicht Gotteserkenntniß; geschmack­ lose Scholastik war sie oder leere Aufklärungssucht. Mit der Rückkehr der alten Literatur kehrte auch die warme und die

geistige Behandlung der Theologie zurück. — Ferner bekommt man durch das Lesen der Alten überhaupt Geschmack an ern­ ster Lektüre, und die Forschungen des Alterthums führen auf das Studium der Kirchenväter und der Bibel; und dies, fleißig getrieben, versagt nie seine Wirkung. Das Christenthum leitet also sogar auf das classische

Studium; dieses ist aber auch seine beste Vorschule. Augustinus ist durch den Platonismus zum Christenthum gekommen. Erinnern wir uns doch nur, daß die classische Bildung zur Idealität erhebt. Ze idealer ein Mensch ge­ stimmt, je geistiger er gebildet ist, desto mehr wächst seine Erkenntniß des Christenthums. Wer alle Wissenschaften und alle philosophische Systeme durchgeprüst hätte, und den Glau­ ben errungen oder doch behalten, der hätte ihn am festesten; noch fester freilich und schöner bewahrt dies Kleinod, wer in frommer Einfalt von den Gefahren des Zweifels nie waS

vernommen, oder vor dessen reiner Seele sie verschwinden. Die klassische Bildung ist eine Vorschule zum Christen­ thum auch durch ihre classische Form. Die Zdee der Schön­ heit ist nächst der Religion am fähigsten, die höhere Welt zu erschließen, denn die letzte Zdee des Schönen und die letzte

96 Zdee des Wahren und Heiligen sind in ihrem tiefsten Wesen Eins. Es kann sich zwar der Christ auch ohne die metho­ dische klassische Bildung die Schönheit der Objektivität, Selbst­ verleugnung, Mäßigung, Ordnung, Klarheit, Einfalt und

Besonnenheit in der Darstellung bloß durch einen kindlichen Sinn erwerben.

Aber Muster der schönen Form konnte doch

nur ein Volk werden, bei welchem selbst die Religion in diese

Form aufgegangen war, was eben dadurch geschehen konnte, daß die Zdee des Schönen und des Religiösen so nahe ver­

Das Christenthum ist viel zu unbegrenzt, als DaS Reich Gottes, sagt ein großer Kenner der alten und der neuen Zeit, liegt jenseits deS ästhetischen Horizontes. Wir wandt sind.

daß es sich in den Formen der Kunst begrenzen ließe.

bedürfen der classischen Form, nach dem Unendlichen,

damit der angeborne Trieb

welchem das Christenthum genügt,

nicht ausarte in unbegrenzte Geschmacklosigkeit.

Darum hat die Vorsehung uns gerade diesen Weg der Bildung ange­ wiesen, welchen sich keine Zeit und keine Nation selbst an­

weiset. Nachdem sie das eine Volk zum höchsten Gipfel der Kunst und Wissenschaft, namentlich der Philosophie, und baS andere zur Weltherrschaft erzogen, war die Welt für das Christenthum reif, welches im Schoose des auserwählten Volkes gekeimt hatte. Auch mit der neuen Zeit, und viel­ leicht mit Deutschland insbesondere, hat der göttliche Rath

Großes vor (das ist die große Zdee deutscher Nationalbibdung): die classische mit der christlichen Bildung zu vereini­ gen. Nicht umsonst ist unser ganzer formaler Bildungs­ gang auf das classische Alterthum, der innere, die Bildung

des

Urbewußtseins

von

Gott, auf das Christenthum ge­

gründet. Auch zu dieser allerdings höchsten Zdee der Humanität

ist die Bildung der niedern durch die alten Sprachen eine gute Vorschule. Freilich kommt jene, die höhere, erst durch den Centralpunkt aller Humanität, denn das llrbewußtseyn von Gott kann mit aller möglichen Entwickelung der einzel­

nen Seelenkräfte nicht befriedigt werden, und die praktische

97 Humanität kann durch

die

christliche Liebe erst recht ge­

deihen. Gut, wird man sagen, die tiefe, freilich nicht oberfläch­ liche classische Bildung mag den Glauben fördern, wenn das

Christenthum die Seele schon erfüllt; wie aber da, wo es noch nicht feste Wurzel geschlagen? wo den für Sinnlichkeit empfänglichen Gemüthern die lockenden Gestalten mehr zusa­ gen, als der Ernst des Christenthums: ist auch da keine Gefahr? Zn sittlicher Hinsicht kann das Heidenthum keinen Werth haben, denn es ist seinem Inhalt und Wesen nach von

dem Christenthum verschieden. t Man wird daher an diese Quelle nrcht gehen, weder um das innere Leben des Herzens zu stärken, noch um den Verstand in den Beziehungen deS Lebens und der Wissenschaft zu leiten. Himmlische Gesin­

nung, sagt man mit Recht, fehlt dem Dichter der alten Welt; die väterliche Hand des liebenden GotteS und den durchdringenden Blick in die sündige Natur unsers Herzens kennt der Geschichtschreiber nicht; fremd ist dem Philosophen der Glaube und die Demuth; allen fehlt die Einkehr in die Innenwelt. Die Grundsätze des Alterthums also, welche dem Chri­

stenthum

geradezu widerstreben, kann

und darf man sich

nicht aneignen wollen. Das classische Alterthum ist nur Mittel und Vorschule, nicht Zweck. Den Inhalt desselben von seiner Form trennend, nehmen wir nicht von ihm den Lehrstoff, sondern nur das geistige Band der Wissenschaften und der formalen Bildung; die christliche Bildung bleibt letz­ tes Ziel. Welches ist nun daß positive Mittel, daß die Aneignung

des Alterthums diesem Zwecke nicht schade? Bedeutende Männer finden es im Lesen der Kirchenväter; andere mit allem Rechte in dem historischen Unterricht, welcher in histo­ rischer Kunst mit ächt christlichem Sinne gegeben würde.

Hier sollen die Schüler die Oekonomie Gottes nach und nach kennen lernen; sie sollen sehen, wie die Weltgeschichte Schwarz: Darstell, a. d. Gebiete d. Pädagogik. II.

7

98 auf die Verbreitung des Reiches GotteS hinweiset.

Alles in

dieser Idee zu betrachten, ist der wahre Einheitspunkt für die Widerspruche in der Erschcinungswelt.

Sonst wirke die­

ser Unterricht, sagen sie, sogar höchst nachtheilig, indem man nur das Treiben der Gewalt und der List, des Eigennutzes und des Ehrgeizes sehe. Zugleich verbinde die Geschichte die alte mit der neuen Zeit. Endlich werde durch die Geschichte das Alterthum selbst erst recht verstanden; denn so wenig die Gegenwart erkannt werden möge ohne die tausend Fäden, mit welchen sie an die Vergangenheit geknüpft sey, so wenig könne die Vergangenheit ohne die Gegenwart begriffen wer­

Dies ist aber noch nicht genug.

den.

Unsere Meinung ist, daß, wenn Christenthum und christ­ liche Erziehung aus dem Leben und aus den Familien ge­ schwunden ist, so wird man es vergeblich allein von der

Schule fordern.

Diese muß das Ihrige thun; allein sie muß

auch verlangen können, daß ihr ausgesireuter Saame, zu Hause, von der Kirche und von dem Staate gepflegt werde.

Wenn aus einem christlichen Leben ein Jüngling einer christ­

lichen Schule übergeben wird,

wie sollte da das Evange­

lium nicht stärker seyn, als die ihrer Form wegen behandel­ ten Schriftsteller? Wenn das Heidenthum richtig gewürdigt wird, wozu nur das Christenthum den Maaßstab giebt; wenn man seine Flecken sicht, aber auch den Abglanz des ihm zu

Theil gewordenen Lichtes; wenn die Philosophie und die My­

thologie zum Belege dient der Uroffenbarung, die an das Menschengeschlecht erging: wie sollte die Vollendung und

Concentrirung in der Erscheinung Christi nicht cinleuchten! Wir müssen eS nur machen, wie schon der fromme Plutarch will:

Man müsse, sagt er, den Jüngling ans das Falsche

der Vorstellungen bei dem Lesen der Schriftsteller aufmerk­ sam machen, und nicht seyn wie die, welche an verehrten Gegenständen alles bewundern; man müsse das Wesentliche vom Zufälligen unterscheiden. Dazu kommt das andächtige Lesen der Bibel mit einer für den gebildeten Stand berech-

99 neten Erklärung und Belehrung und endlich das geistigste Bil«

dungsmittel, warmes und gläubiges Gebet. Ilebersehen wir nun das Gesagte,

so finden wir, daß

die in christlichem Sinne ertheilte classische Bildung die beste deutsche Nationalbildung sey.

Schreiben eine« gelehrten Freunde« über vorstehende Rede. Indem ich Ihnen für die schriftliche Mittheilung dieser Rede verbindlichst danke, erlaube ich mir, Ihnen so kurz als

möglich meine Ansicht über diesen Gegenstand mitzutheilen. Ich denke über die Sache so: Der Mensch ist mit einem ewigen Geiste, obwohl ge« trübt durch Erb- und eigne Sünde, in die Zeit gesetzt.

Je­

des Individuum steht in der Gegenwart, von der man nie sagen kann, wann sie Vergangenheit war und Zukunft ist,

denn sie ist diese in jedem Augenblicke.

thum

Mit dem Christen­

ist dem ewigen Geiste des Menschen Alles gegeben,

was für ihn bestimmt seyn kann; seine Weisheit hat nie ein

sterbliches Auge erforscht und sein Licht Niemand im vollen

Glanze geschaut:

darum ist es nicht vom Menschen erfun­

den, sondern ihm offenbart, und es leuchtet wie die Sonne dem Wurm und dem Menschen,

so

dem Einfältigen und

Weisen ganz gleich, und beide müssen reinen Herzens und einfältigen Auges seyn, wenn sie im Glauben schauen wol­

len.

Aeußere, d. h. solche Mittel, welche nicht selbst christ­

lich sind, um dazu zu gelangen, sind immer mißlich, also auch das Studium der classischen Literatur. Zudem sind alle Schüler eines Gymnasiums Christen, oder sollen es seyn, es bedarf daher des Studiums der Alten hiezu nicht. Desto mehr bedarf es aber desselben für den Menschen, so weit er in der Zeit steht. Er sieht, wie die alte Welt

vor der Menschwerdung Christi zwei Seiten darbietet.

Die

eine, daß sie bei dem Sündenfall die Verheißung der Erlö­ sung hatte, daran glaubte, und daß in allen Mythologien der alten Welt die urälteste Offenbarung, die das Menschen-



400 geschlecht aus dem Paradiese her und vor dem Thnrmbau

durchleuchtet, daß Alles, was die alte Welt Wahres hat,

Reminiscenz dieser Offenbarung ist, wie es Plato selbst bei­ nahe wörtlich nennt und beschreibt.

Die andere, wie hoch

und wie tief die Menschen da, wo sie ihren eignen Weg ge­ hen, kommen können.

Dies scheint mir der Inhalt alles

historischen Wissens, wozu ich auch die Sprachen rechne, zu seyn. Und ist die neuere Geschichte, nach Christus, anders gewesen? Das geoffenbarte Wort haben die Menschen bald verdlinkelt, bald ist es klar erschienen, und die Zeit, wo der Mensch ohne dasselbe seinen eigenen Weg gehen wollte, ist, denke ich, nicht so entfernt, daß sie uns nicht im Gedächtniß seyn sollte.

Der Mensch nun, in dessen Willen die Zukunft minde­ stens so weit gelegt ist, daß sie ihm im Guten und Bösen

zugerechnet wird, muß es sich zur ersten Pflicht machen, die Vergangenheit zu kennen. Was er für menschliche Fertig­

keiten und Tugenden dabei gewinnen mag, ist nicht Haupt­ zweck, obwohl alles dieses zu beachten.

Er lernt aber zweier­

lei aus der Vergangenheit. Das Erste, daß nur Ein Geist von Anfang gewesen, der noch jetzt ist, und seyn wird, daß nur bci ihm Wahrheit und Liebe ist. Er ist im Heidenthum gewesen, wie er im Christenthum ist, dort noch nicht offen­ bart, hier im Sohne Mensch geworden. Von daher kann also dem Christen kein Nachtheil aus der Kenntniß des Heidcnthums kommen.

Das Zweite: wie hoch und tief der sich

allein anerkennende Mensch komme. Wie hoch: er wird sehen, wie dunkel alle menschliche Weisheit gegen das Licht

des Evangeliums sey, mag sie auch noch so hoch stehen, und daß sie nichts sey, wenn nicht derselbe Geist sie erleuchtet, der das ewige Wort gesprochen. zur furchtbaren Warnung dienen.

Wie tief: das wird ihm

Wer sich also der höchsten menschlichen Bildung hin­ geben will, hat die gründlichste Kenntniß der Alten nöthig, denn ohne sie wird er das nicht erkennen, was, wie ich eben sagte, ihm zur Erkenntniß Roth thue. Er wird kein besserer

in ihr wird der Geist mit geheimen Fesseln umstrickt, so daß er sich selbst belügen würde, wenn er sich für frei hielte. Auch in diesem tieferen Sinne muß das Wort verstanden werden, daß uns nur die Wahrheit

*) Die oben angeführte Schrift denkt hieran, wenn sie sagt (S.7.): „Auch in den Einöden des Wissens wohnt alsdann ein erhabener Geist,

der den Schüler alle Hindernisse überwinden lehrt, indem er ihm am Ziele den herrlichen Kranz zeigt, der

Ehre,

sondern

aber nicht von der Hand der

von der Hand der Religion

gewunden ist und dem

Sieger der Bahn nur von der himmlischen Liebe dargebvten wird.

So

führt alle rechte Lehre ins wahre Leben, und aus dem Leben blühet eins höhere Erkenntniß in allen Wissenschaften hervor." •') Der Verf. hat den Versuch gemacht, in seiner christlichen

Ethik 1830, B. 1. §. 74. S. 290fg., um zu zeigen, daß daS Wahre daS Gute ist im Denken,

und daß das Böse in dem Menschen in

sein Denken Schwäche und Verblendung gebracht hat; wobei Joh. 3,

13 — 21 angeführt ist.

Im 2. B. ist im Cap. von der Wahrhaftig­

keit dcS Christen in dieser Hinsicht von der Sittlichkeit

der Sprache

S- 218 fgg. und in den Capp. von der Seelenreinheit und Heiligung von der Sittlichkeit des Denkens die Rede.

239 frei macht. Wie viel Zeit gehr nicht im Geistesleben durch alles das nichtige Sinnen, Phantasiren und Denken verlo­ ren ! Wie leer bleibt da der fruchtbare Boden, indem Stun­ den auf Stunden in der kostbaren Saatzeit ungenutzt ver­ streichen! Groß ist schon dieser Verlust, wo das Land un­

bebaut, das Talent vergraben liegt, aber noch größer ist der po­ sitive Schaden, welcher in der Gewöhnung an ein passives Hingeben besteht, wo man den Seelenthätigkeiten ein Spiel

einräumt, das sie sogar mit der Vernunft treiben, und das

den Geist das ganz Leben hindurch in Träumereien herum­ treibt. Wie kann er da zum wachen Leben kommen! Und noch augenfälliger ist das Unheil, das er durch den zahllosen Unkrautssamen der falschen Vorstellungen und dgl. erleidet. Das alles ruht wie ein Fluch auf der menschlichen Freiden­

kerei und somit auf dem Gang der Wissenschaft; nur das Ethistren der Denkthätigkeit kann ihn abwenden, und das geschieht durch die tiefere Erziehung im Christenthum.

„Welch ein Seelenzwang!" hören wir ausrufen, „der

ärger ist als alles, was je die mönchische Zucht vermochte! Wie? den Geist, der nur als freies Wesen leben kann, sei­ ner freien Bewegung entreißen, und ihn zum Galeerensclaven machen?" — Nicht so,

Freund. Wenn das unsere Meinung wäre, so müßten wir in der That den Verstand ver­ Wir bitten, uns recht zu verstehen. Es gibt ein Denken, das aus reinem Triebe und auf geradem Wege

loren haben.

die Wahrheit sucht, es gibt eine Geistesthätigkeit, die in ihrer völlig freien Bewegung von selbst nur im Wahren, Schönen und Guten lebt; und in einem himmlisch reinen Wesen ist nichts als solche Thätigkeit, solches Denken und Sinnen, solche ungetrübte und harmonische Lebendigkeit aller Seelenvermögen; seine Natur ist nicht anders.

So ist es

freilich bei keinem unserer Kinder, aber es steht uns doch

vor als ein Zdeal der Erziehung. So gut wir dafür sorgen, daß das Kind vom frühesten an die beste Richtung in allem erhalte, so daß ihm das Sittliche zur Natur werde, und daß es in seiner Bildung eben recht frei werde: so gut wol-

17*

260 len wir diese Sorgfalt auch aufs vollkommenste ansführen,

indem

den Anfangspunct

wir

dieser Richtungen

erfassen.

Lehrer sonst durch äußere Zucht, durch Worte des Tadels, Lobes, ZurechtweisenS zu bewirken sucht, nm

Was der

zu unterhalten, das wird doch wohl besser von innen heraus bewirkt. Statt über das Hcrumfiattern der Aufmerksamkeit und die Störung der Ge­

die Lernthätigkeit des Schülers

danken zu klagen, ist es doch wohl besser, das alles zu ver­ hüten. Wie aber kann das besser verhütet werden, als wenn die Lust und Liebe des Schülers so ganz gewonnen wird, so daß er aus dem reinsten Triebe seine Kraft an­ strengt? Das ist es, was wir wollen, das ist die Heiligung aller Seelenkräfte,

eben

die

Weihe,

die rechte Geistestaufe. welche

nur

das

Das ist denn

Christenthum

der

Bildung ertheilt, denn da wirkt Gottes Geist in dem Men­

Die Denkfreiheit, der Schönheitssinn, die Poesie und

schen.

jede schöneKunst, die Wissenschaftlichkeit, die Industrie u.s.w.—

das alles muß dann zur Vollkommenheit gedeihen. einmal die christliche Erziehung diese Stufe wird

haben,

und

so

zu jener

höheren

Wenn erreicht wird geworden seyn,

welche sie mit der Zeit werden soll, dann erst wird sich alles

Wissen und Können auf der Erde verklären;

wir würden

erstaunen, wenn wir jetzt schon die durch das Christenthum

verherrlichte Menschheit erblicken könnten. **) Es ist aber in allen, diesem, auch in dem Lehren, nur eine Annäherung zum Ziele unsere Aufgabe.

Doch genug von diesem Inneren, eS sollte uns nur den Mittelpunct zeigen, von welchem aus das Aeußere für die Lernthätigkeit hervorgeben soll. Das nun ist eben das Schwierige.

Was

wir bisher betrachteten, ist das Subje­

ktive in dieser Thätigkeit, wir suchen aber das Objective für

dieselbe, die eneyklopädische Ordnung der Lehrgegenstände;

°) Der Berf. hat tni 1. B. dieser Darstellungen S. 335 fgg. ausdrücklich, und vorher gelegentlich, auch in diesem 2. B. oben

S. 63 fgg. und auch an anderen Orten davon gesprochen.

261 und diese soll sich aus christlichem Leben in dem Schüler so

entfalten, wie es seiner Naturentwicklung und seiner Lebens­

bestimmung entspricht.

Da scheint es nun ganz

an

dem

Wege zu fehlen, auf welchem wir den Stoff finden, wel­ chen jene innere Thätigkeit des Schülers empfangen soll. Vielleicht scheint es nur so, wir wollen wenigstens versuchen, diesen Weg zu finden. Er muß sich in der Entwicklung der Zugend finden lassen, denn cs handelt sich ja nicht um ein Verzrichniß von dem Lernstoff für ein bestimmtes Alter, son­ dern um die Aufeinanderfolge desselben von dem frühesten Alter an bis zur Reife, so daß er für das Ganze der Lern­ zeit geordnet wird; eS wird hiernach in jedem Lehrcurs schon einer

vorausgesetzt, aus welchem

dieser hervorgeht.

Ein

Kreis fließt aus dem andern, von dem Centralpuncte aus bewegen sich diese Kreise immer weiter und weiter in den Lehrstoff, den das Leben därbietet, nach allen Seiten hin herein.

Wie sich nun hieraus eine methodische Encyklopädie

ergebe, dazu mögen folgende Andeutungen dienen. Die Kindheit tritt aus der Einfalt in das Mannigfaltige der

Entwicklung heraus; darum ist der erste Unterricht noch bloß formal, jedoch alsobald schon in der Richtung zum materia­ len hin begriffen, und das ist es, was wir als den Grund­

unterricht bezeichnen. Er bewegt sich in den Sinnen- und Verstandesübungen u. s. w. Das wäre denn die Ausfüllung

für den ersten Kreis, und wenn aus dem Mittelpunct der Geist des Christenthums als frommer Sinn und edler Bil­ dungstrieb hervorwirkt, so wird sich die Aufmerksamkeit rich­ ten und anstrengen, wie sie soll, und wird immer neue Llist

und Liebe zum Lernen erzeugen,

und

zugleich

wird Folg­

samkeit gegen die Lehrenden und Liebe zu den Menschen um­

her aus derselben Quelle

fließen.

Da ist also an keinen

Widersprechungsgeist des Kindes zu denken, jener unselige

Trieb zur Opposition gegen das, was dem Geiste gegeben werden soll, und den die wohl gar loben, die das mensch­

liche Herz nicht kennen, kann da gar nicht aufleben; und so wird die geheime Widersetzlichkeit der Selbstsucht, z. B. durch

262 falsche Kritik, schon im Keim erstickt.

Die liebevolle Gesin­

nung treibt zur gegenseitigen Mittheilung, und so lernt das Das alles liegt also in Weil nun das Kind seine Aufmerk­ samkeit den Gegenständen der Sinnenwelt zmvendet, so er­

Kind Sprechen, Lesen, Schreiben. diesem ersten Lernkreise.

wächst in ihm der Trieb zu den Kenntnissen, welche sie dar­ bietet, und auch diese liegen innerhalb dieses ersten Kreises, aber mit ihnen geht derllnterricht schon in den zweiten über.

Das Kind hat bis dahin seine Kraft zu einem Selbst­ bewußtseyn entwickelt, in welchem ihm die inneren Anschau­

ungen Stoff des Denkens werden, und so richtet sich die erwachende Geistesthätigkeit nach dem Inneren hin.

Da

kommt denn die Lust, das Zählen, Rechnen, Zeichnen und

dgl. zu lernen, es kommt aber auch zum Urtheilen über das, was recht, was gut, was wahr ist, und in dem frommen kindlichen Gemüth wird hiermit die Sehnsucht nach Gottes­

erkenntniß stärker. Das ist denn die Periode für die Begriffs­ bildung in allen diesen Gegenständen. Zn diesem zweiten Kreis liegt also der Elementarunterricht im Mathematischen

und Grammatischen, wie auch in der Religion, welcher dann recht ertheilt wird, wenn er durchaus den Bildungstrieb er­ greift, der von jenem Mittelpunct ausfließt und sich als der ächte Fleiß gestaltet. Hiermit bildet sich denn auch die christ­

liche Selbstliebe in dem Schüler, welche nunmehr als höhe­

rer und als mächtiger Trieb der Selbstbildung wirkt. Damit tritt unser Schüler in seinen dritten Lehrkreis. Weil nun seine Selbstliebe mit der Nächstenliebe in

dem

Grunde der Gottesliebe verbunden ist, so wird auch der Trieb der Srlbstbildung allseitig.

Er treibt zur Einsammlung von

Kenntnissen in Sprachen, in Wissenschaften, in allem dem, wodurch der Schüler hofft, für sich zur Vollkommenheit zu

gelangen und für die menschliche Gesellschaft ein wohlthätig wirkendes Mitglied zu werden.

Da treten denn alle die von

der Welt verlangten Lehrgegenstände in diesen Kreis herein,

oder vielmehr dieser Kreis bewegt sich aus seinem Mittel­

punct zu denselben nach allen Seiten hin.

Die genauere

263 Ausführung nun überlassen wir dem praktischen Schulmanne. Nur möge er nie den angegebenen Mittelpunkt aus den Au­ gen verlieren, denn nur von diesem aus wird das höchste Princip der Methodik als ein subjektives zugleich zum richtigen

objectiven des gesuchten Eneyklopädismus. Man ist nämlich in Gefahr, bei jedem Schritt von dem rechten Wege abzu­ kommen. So würden wir vielleicht versucht, alsobald den Lehrstoff abzutheilen in den für die Sinnenerkenntniß und in den für das innere Leben; hiermit aber hätten wir schon alles in einen äußeren Gesichtspunkt gestellt, und den Gang

der inneren Bildung verlassen.

Oder wir möchten vielleicht

mit dem Hervordringen der Gottesliebe in unserm Zöglinge die Weltbetrachtung verbinden, um hierdurch seine fromme Gesinnung mit einem Reichthum von Naturkcnntnissen zu

ernähren, und von dieser die Richtung auf seine Selbstbe­ stimmung zu unterscheiden, in welcher wir durch religiöse und sittliche

Begriffe seinen Willen

zu

bilden gedächten.

Aber auch hiermit hätten wir uns von dem richtigen Wege entfernt, weil wir durch unsern abstrakten Theilungsbegriff

trennen würden, was im inneren Leben des Zöglings Eins ist, und weil wir ihn hiermit doch nicht einmal genug in das

äußere Leben führen könnten. Wir wollen die Schulmänner

durch diese Andeutungen nur auf eine Aufgabe, welche uns die neuesten Fortschritte der Pädagogik vorlegen, und die der

vereinten Bemühung

würdig ist,

aufmerksam machen;

kann, und — sie wird gelöset werden. •)

sie

Das Studium

°) Als Vorarbeiten hierzu dienen alle Versuche, die Lehrgegenstande zu verbinden, z. B. Lesen und Schreiben, vornehmlich aber die so eben erschienene Schrift: Der wissenschaftliche Schulunterricht als ein Ganzes, oder die Stufenfolge des naturkundigen Schulunterr. als des organischen Mittelgliedes zwischen dem der Erdkunde u. der Geschichte. Zweiter Beitrag zur welthistor. Ansicht alles Unterrichts von D. Friedr. Kapp, Dir. des Kvnigl. Gymn. zu Hamm, 1834. Zwar geht der Verf. noch von dem äußeren Princip eineö Eneyklopädismus aus, näm­ lich von der Idee für das Wifsey (hier: Formenlehre, Bewegungslehre,

264 der Methodik

wird Größeres leisten,

als man jetzt noch

glauben mag.

Bis auf diesen Punct gehen unsere Friedensvorschläge,

denn nur in ihm läßt sich die endliche Bereinigung finden.

Es ist derselbe, von welchem wir ausgingen, und so müssen wir auch auf ihn wieder zurückkommen,

damit alles das

Bielerlei in dem Unterricht seine Einheit erhalte.

Erziehung und Unterricht wird aber noch so lange dieser Einheit er­ mangeln, als nicht die Lehrgegenstände aus dem gemeinsa­ men Princip ihre organische Verbindung erhalten, und 'so

lange wird auch die Theorie und Praxis nicht genau zusam­

mentreffen, es wird so lange noch Manches in der Schule

nicht ganz der Bestimmung für das bürgerliche Leben entspre­ chen, man wird noch so lange den Unterricht bald zu weit

nach

zu eng nach und der Streit der

außen als materialen ausdehnen, bald

innen als formalen

zusammenziehen,

Humanisten und Realisten wird noch immer fortdauern. Zst aber einmal die rechte Methode gefunden, so sieht jede Par­

tei ihre billigen Wünsche befriedigt. Die wahre Methode ist aber eine Zdce, welche durch die Fortschritte der Lehrkunst mehr und mehr ins Leben treten wird. Dahin, edle Männer, wirkt denn mit Liebe, ihr äl­

teren, wie ihr jüngeren Lehrer und Freunde der Schulen. Sehet,

höret, beobachtet,

wendet euer ganzes Nachdenken

Organologie), aber er nähert fich dem innern, indem er „den gesetzlichen Entwicklungsgang der ganzen Menschheit auf die Entwicklungsstufen des menschlichen Individuums anzuwenden" für das allgemeine Gesetz der Methodik erklärt. Nur einen Schritt weiter, so verwandelt fich dieses wirklich nicht anwendbare Gesetz in den richtigen, göttlichen Ent­ wicklungsgang der Menschheit selbst aus ihrem höchsten LebcnSpunct in dem Menschen. Die Vorschläge deS denkenden Berf. enthalten man­

ches, das verdient erwogen zu werden.

263 darauf, prüfet ohne Vorurtheil das Reue, würdiget ohne Vorliebe das Alte, gestattet keine Schilderhebung, aber auch keine Verbannung irgend einer Lehrart. Dann entwickelt sich auch von dieser Seite die Erjiehungsidee in Euch und durch Euch.

Zweite

Rede.

Bild von zwei M n st e r s ch u l e n. Das Bild, welches wir uns hier zu zeichnen bemühen,

jedoch nur in seinen Grundzügen, soll nicht ein ideales seyn,

sondern so, wie es wenigstens unsere Nachkommen in der Wirklichkeit sehen können. Es soll uns Mnsterschulen sehen lassen, nicht wie man sie schon längst unter diesem Namen

gesehen hat und noch sieht, sondern wie wir sie uns denken. Die Forderungen der Zeit ziehen uns jetzt gerade zu der Idee

der höheren Schulen hin. *) Wir begeben uns zuerst in eine solche Bürgerschule, mit der Feder in der Hand. Es ist frühe, ein schöner Morgen.

Draußen singen die

Vögel, im Saale wird der Choral angestimmt,

der Gesang

ist rein und fromm. Zeßt schweigt er. Die ganze Versamm­

lung, die sämmtlichen Schüler und einige Lehrer, stehen in

andächtiger Stille, und

der Hauptlehrer spricht ein kurzes

Gebet aus seinem und aus Aller Herzen.

Hierauf fragt er

nach dem Bibelspruch. „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr;" — antworten sogleich meh­

rere,

und er fragt nun auch nach dem aus den Psalmen.

„Schaffe in mir Gott ein reines Herz;" — wird ebenfalls alsobald geantwortet. Run geht der Lehrer auf das Kate-

Die Schüler der obersten blasse wissen ihm zu sagen, was die geistliche Armuth sey, die der zweiten, was chisiren ein.

°) Der Verf. bezieht sich auf sein Buch die Schulen S. 41 so. u. S. 88 fgg. (das ganze Zte Cap.), und auf seine Unterrichts!. S. 297 fgg.

267 das Himmelreich, die untersten Schüler wiederholen und verAuch wiederholen diese den andern Spruch, welchen die oberen Schüler dieser Classe erklären, und wor­ auf denn die der ersten Classe den Sinn von den beiden

binden beides.

Das katechetische Erfragen weiß

Sprüchen zusammenfassen.

der Lehrer zu beleben, indem Beispiele, Liederverse und dgl.

von ihm oder von Schülern angeführt werden, und seine Wärme theilt sich allen mit. seyn der Sündhaftigkeit,

Die Demuth in dem Bewußt­

die Dankbarkeit für die erlösende

Gnade, und das Vertrauen auf die reinigende Kraft von oben wird mit diesen Belehrungen in den Schülern erweckt;

einer spricht das aus, was sie jetzt erlernt haben, der Lehrer

sagt ihnen nun nochmals vor: „selig sind re." und hierauf

den andern Spruch „schaffe in mir rc.", mit der Aufforderung, ihn im Herzen mitzubeten, worauf denn die Schüler ein­

stimmig das Amen aussprechen. Das alles hatte etwa eine halbe Stunde gedauert. Nun gehen die Schüler weg in ihre Claffenzimmer. Die

Uebersicht, die uns der Lehrer von dem Gange dieses Unter­ gab, überzeugte uns, daß seine Aufgabe in diesem

richts

Halbjahr, und der ganze Cursus in dem ganzen Schuljahre

gelöst werde; die christliche Glaubenslehre wird mit der Sit­ tenlehre nicht nur biblisch, sondern auch in wissenschaftlicher Beziehung im Zusammenhänge aufgefaßt. Außer dieser täg­

lichen Andachtsstunde findet übrigens noch ein Religionsun­ terricht von einigen Stunden die Woche für jeden Schüler

statt, für die Katechumenen bei dem Geistlichen, und für die andern Schüler bei dem Lehrer in der Schule, wo denn in der Bibel gelesen und die biblische Geschichte gelehrt wird.

Nun besuchen wir die Lehrstunden der beiden einzelnen

blaffen, deren jede zwei Ordnungen hat, welche je nach dem

Gegenstand gesondert oder vereinigt finb. *)

So finden wir

jetzt die beiden Ordnungen in der mathematischen Lehrstunde zusammen.

Denn alle diese Schüler sind in Thätigkeit ge-

•) Unterrichtül. S. 179 fgg.

Die Schulen S. 95 fgg.

268 da dieser Unterricht heuristisch betrieben wird.

setzt,

Dort

zeichnen und vergleichen sie Dreiecke; dort erfinden sie Lehr­

sätze oder Beweise, dort wird die Aehnlichkeit der Figuren mit arithmetischen Aufgaben verbunden u. s. w. — alle sind vertieft, und bald ruft der eine hier, bald der andere dort sein: „gefunden."

Der Lehrer sieht nach

und gibt jedem,

der es richtig gefunden, auf, bei diesem und jenem andern nachzusehen; läßt sich dann darüber berichten und sieht etwa auch selbst nach.

Sämmtliche Schüler sind in ange­

strengter Selbstthätigkeit; der gegenseitige Unterricht ist dabei

in vollem Leben; der Lehrer belobt selbst überall, er spricht zu allen, ohne kaum ein Wort zu sagen. So war es heute in der Raumlehre, morgen wird es ebenso in der Zahlen­ lehre seyn. Da werden in dieser Classe Aufgaben der Regeldetri,

der Brüche,

der Ausziehung

der Quadratwurzel re.

gelöst, mit selbstgedachten Beweisen. Auf diese Art wird mit

der Geometrie und Arithmetik einen Tag um den andern umgewechselt. Die Lection dauert etwa 4 Stunde; sie wird

jedesmal mit einem Lehrsätze beschlossen, welchen einer und

der andere Schüler an der Tafel

wiederholt hat und mit

Denn in der

aller Klarheit und Nettigkeit vortragen muß.

Mathematik wird der Grundsatz des intensiven Lernens mit

unerbittlicher Genauigkeit

ausgeführt,

und

die

extensiven

Fortschritte werden gerade hier weniger beachtet.

Wir benutzen noch die übrige Zeit dieser Stunde, um

auch die obere Classe zu besuchen, wo ebenfalls die beiden Ordnungen in dieser Lection combinirt sind. Sie sind in diesem CurS mit Lehrsätzen aus der Stereometrie und Tri­ gonometrie beschäftigt.

Auch hier ist das Verfahren im Gan­

zen heuristisch, nur tritt manchmal der Lehrer auf, um selbst

einen Satz zu demonstriren, welchen dann einer und der an­ dere der geübteren Schüler nachdemonstriren muß, während

ihn die übrigen nachzeichnen, um ihn zu Hause sauber in ihr Buch einzutragen und den folgenden Tag vorzuzeigen.

Zn dieser Classe wechselt die Geometrie und Arithmetik nicht mehr täglich, sondern halbjährlich; im vorigen Halbjahr hat-

269 ten die Schüler die Lehre von den Gleichungen bis über die

einfachen hinaus erlernt. Zn allen mathematischen Lektionen benutzt der Lehrer

gerne jede Gelegenheit, um die Anwendung des Satzes auf das Leben zu zeigen, im täglichen Verkehr, in dem Maschi­

nenwesen, in der Physik, in der Astronomie — ohne jedoch zu weit in diese Regionen abzuschweifen. Er weiß aber auch an die ewigen Wahrheiten der Vernunft zu erinnern,

welche sich in dem Wcltenraume andeuten, und in dem Gemüthe sich offenbaren. Die Schüler lernen in der Noth­ wendigkeit der Naturgesetze an die Nothwendigkeit des Freiheitsgeseßes denken, und

an

den heiligen Willen, der in

beiden waltet. Sie werden im strengen mathematischen Denken zugleich gewöhnt, ihre Ilrtheilskraft zu schärfen, ihre

Phantasie zu zügeln, ihre Denkthätigkeit rein zu gebrauchen, sich selbst in ihrem Innersten zu beherrschen, und ihre Ver­

nunft auch von der Seite der sinnlichen Erkenntniß im Dienste der Wahrheit zu erhalten. Es war jetzt gegen 9 Uhr. Die jungen Leute bedurften einiger Erholung, die ihnen auf eine Viertelstunde im Freien

vergönnt wurde.

Alle Schüler der oberen Classe sind auch

für diese Leetion wieder vereinigt; sie besteht in Geographie

und Geschichte mit einander verbunden, während beides ge­ trennt, und nach den Tagen wechselnd, in den beiden eben­ falls vereinigten Ordnungen der unteren Classe gelehrt wird.#) Wir treten jetzt in diese untere Classe ein.

die Gebirgszüge

Es werden eben

von Europa beschrieben, von dem

Schüler dieser, von dem andern jener.

einen

Dann gibt einer den

Lauf eines Flusses an, einer bemerkt die Lage einer ansehnlichen

Stadt u. s. w.

Der Lehrer setzte manches hinzu,

mehreres in Zusammenhang,

ließ

Reiserouten

brachte

angeben,

auch hier und da einen geübteren Schüler andere darüber

befragen u. s. w.

Nachdem dieses alles durch Beschreiben

•) Ueber diese Lehrgegenstände siehe Unterrichtöl. S. 186 fgg. und 221 fgg.

270 und Hinzeichnen anschaulich gemacht war, wurde die Land­ karte aufgehängt, an welcher dann einige Schüler alles nach­ wiesen.

Dieser Unterricht

in

der Geographie wurde von

dem Lehrer noch mit manchen Bemerkungen begleitet, z. B.,

wie Berg und Thal und Ebene von den Bewohnern benutzt werden, wie der Fleiß der Menschen dabei nöthig sey, welche Betriebsamkeit erweckt werde, wie besonders unser Deutsch­ land alle Arten von Cultur begünstige, wie das seinen Be­ wohnern Zufriedenheit und gegenseitige Freundlichkeit zur

Pflicht mache, wie zugleich auch die Natur uns mit so vie­ lem Schönen erfreue, wie wir Gottes Weisheit und Güte

überall finden u. dgl. Am andern Tage wird der Unterricht in der Geschichte ertheilt.

Er enthält einzelne biographische und andere Merk­

würdigkeiten, und die biblische Geschichte im Zusammenhang.

Der Lehrer erzählt, läßt das einen oder den andern Schüler wieder erzählen, fragt dazwischen, weiset auf das Geogra­

phische hin, streut auch hier Bemerkungen ein, wie dort, insbesondere über die Führungen Gottes und die Bestim­ mung des Menschen. Am Schluß dieser Lection wird von dem Lehrer den Schülern das Erlernte kurz abgefragt und zusammengestellt, wie sie es zu Hause niederschreiben können, eine Lehre wird aus diesem Ganzen herausgezogen und in

einer Sentenz ausgesprochen,

und hiermit diese Lehrstunde

beschlossen.

Während dessen wird in der oberen Classe die Geschichte

ethnographisch gelehrt, und hiermit das Chorographische und

Statistische, soweit es in dem Bereiche dieser Schüler liegen kann, verbunden und also zugleich als weitere Belehrung in

der Geographie behandelt.

Jedoch sind von diesen 6 Stun­

den in der Woche 2 für die Beziehung alles dieses Einzel­ nen auf das Ganze dieser Lehrgegenstände bestimmt, die eine für die mathematische Geographie, die andere für die univer­

salistische Uebersicht der Geschichte, wobei das Chronologische mnemonisch eingeübt wird.

Die letzte Vormittagsstunde wird, nach einiger Erholung

271 der Schüler, zum Theil auf die deutsche Sprache, °) zum

Theil zum Schreiben und Singen verwendet. Auch hier sind wieder die beiden Ordnungen in jeder Classe in ihrem Schul­ zimmer zusammen,

werden jedoch getrennt beschäftigt,

die

untere Ordnung im ausdrucksvollen Lesen, woran auch die obere noch einigen Antheil nimmt, diese aber hauptsächlich in siylistischen Uebungen, so wie jene in grammatischen. Der Lehrer und sein Gehülfe erhalten die sämmtlichen Schüler in belebter Thätigkeit, beobachten, ermuntern, wissen alle

Störungen zu verhüten, so daß, wenn ein Theil laut liefet, man auch keine bei denen bemerkt, die während dessen schrei­ ben. Auch wird manchen der oberen Schüler dabei ein Ge­ schäft der Aufsicht übertragen. Alle werden in Aufmerksam­

keit erhalten

und empfangen

dabei zugleich manches

Sa­

menkorn in ihr Gemüth.

Die Bormittagsschule wird geschlossen mit der Singü­ bung, worauf der Lehrer noch den Spruch der Morgenan­ dacht wiederholt und mit einem freundlichen Worte die

Schüler entläßt.

Die Nachmittagsstunden fangen im Som­

mer um 2 Uhr an und dauern bis 4, an manchen Tagen bis 5 Uhr, Samstags fallen sie ganz ans. Die erste Stunde

ist 3 mal die Woche der französischen und 2 mal der latei­ nischen Sprache gewidmet. *’) Man geht von dem Grund­ satz aus, daß in keiner Schule die französische Sprache voll­

kommen gelehrt werden kann, wie allgemein die Erfahrung zeigt, und daß man sich begnügen müsse, wenn nur durch

das Lesen und die Grammatik der Grund gelegt wird, daß der Schüler im Umgang die Sprache lebendig desto besser erlernen möge, welches doch der einzige Weg ist, Französisch

sprechen und schreiben zu lernen.

Die lateinische Sprache

e) Unterrichtöl. S. 201 fgg. ••) Der Verf. hat darüber gesprochen in seiner Unterrichtöl. S. 212 fgg. u. in dem B. die Schulen S.93 fg.; von der vergeb­ lichen Bemühung, die franz. Sprache für den Zweck des Lebens in der Schule hinreichend zu erlernen, hat er sich seitdem noch mehrfach überzeugt.

272 ist für die höhere Geistesbildung auch deS Bürgers von so entschiedenem Einfluß, daß man sie auch in die Lehrgegen­ stände dieser Schule aufnehmen muß.

Die zweite Rachmittagsstunde ist für den Unterricht in der Naturkunde bestimmt, und das in folgender Abtheilung. Die beiden Classen sind getrennt, aber die 2 Ordnungen in jeder vereinigt.

Die Schüler der untersten Ordnung werden

mit Kenntniß der Naturprodukte unterhalten, abwechselnd aus den drei Reichen, ohne sie noch systematisch hinzustellen,

mit Belehrungen für das Leben, und mit Eindrücken für das fromme Gemüth. Während dessen werden die Schüler der ersten Ordnung in dieser 2ten Classe auf das Systema­

tische hingewiesen, und sie lernen vorzugsweise die Naturproducte kennen, die durch ihren Nutzen, Schaden, Gebrauch

besonders intereffiren. Bon Zeit zu Zeit, wohl einige Male die Woche, wird dieses mit geographischen Kenntnissen ver, bunden, und hierbei ist die ganze Classe in Thätigkeit ge­

setzt. Zn der ersten Classe erhält während dessen die unterste Ordnung ihren Unterricht in der genauen Systematiflrung der Naturprodukte, wobei denn mitunter ein Schüler eins

und das andere beschreiben muß. Es werden damit tecknolo­ gische, geographische und physikalische Kenntnisse verbunden. Die oberste Ordnung erhält Belehrungen in einzelnen Gegen­ ständen der Naturlehre.

Bon Zeit zu Zeit werden beide Ord­

nungen zur Zusammenstellung ihrer Naturkenntniffe in Ver­ bindung mit den geographischen vereinigt; weßhalb man ihr

Zusammenseyn in dem Einen Zimmer gerathen findet.

Denn

daß der zu gleicher Zeit an 2 Orten ertheilte Unterricht nicht

gegenseitig stört, wissen die Lehrer bei der zweckmäßig einge­ richteten Lokalität zu verhüten.

Rach einigen Wochen oder

Monaten werden die Kenntnisse in der Technologie bei der

obersten Ordnung zusammengestellt, und so noch einiges an­ dere, um zu. der Idee dieser wissenschaftlichen Zweige hinzu­ führen. Ebenso wird in diesen Schülern die Zdee von der Raturgeschichte der Erde begründet, und ihre mathematische

Kenntniß damit in Verbindung gesetzt.

Auch erhalten sie

mitunter Kenntnisse von dem Sternenhimmel,

und

gegen

das Ende des CursuS eine Uebersicht von der Astronomie, so

weit sie ihrer Fassungskraft entspricht; — und das im Geiste eines G. H. Schubert.

Die Hauptpnncte des Erlernten

müssen die Schüler zu Hause niederschreiben. Drei Stun­ den wöchentlich sind für diesen Gegenstand bestimmt, die zwei übrigen in der Woche für Uebungen in der deutschen Spra­ che. Diese verwenden die Lehrer so, wie sie es nach Zeit und Umständen angemessen finden, nur wird das sestgchalten, daß alle Schüler im mündlichen Vortrage und Declamiren geübt werden, Poösteen auswendig lernen, und die der oberen Classe mit den Grundsätzen der Rhetorik und Poetik, auch mit den wichtigsten Schriftstellem der deutschen Literatur be­

kannt werden. Weil die Maxime befolgt wird, so wenig wie möglich einen Lehrgegenstand in auseinander liegenden Stunden zu zersplittem, so bleibt diese Eintheilung den Leh­

rern überlassen, wobei sie die gleichzeitige Beschäftigung der

4

Ordnungen berücksichtigen. Dieses gibt dem ganzen Unter­ richt gerade in diesen Gegenständen eine belebende Abwechse­ lung, da sonst in der auf den ganzen Curs festbestimmtcn Eintheilung der Lektionen die Zerstreuungen in dem Vieler­

lei unvermeidlich sind. Die dritte Rachmittagsstunde ist zu Uebungen im Zeich­ nen, Schreiben, in mancherlei Handgeschicklichkeiten und in

der Gymnastik bestimmt.

Die Schüler der beiden Classen

sind da in Einem Zimmer zusammen und werden von meh­

reren Lehrern zugleich beschäftigt.

Während dieser Beschäfti­

gung werden denn auch die Bücher vorgezeigt, worin das, waS am vorigen Tage erlernt worden, sauber eingetragen ist.

Zur Durchsicht werden geübtere Schüler von den Leh­

rern zugezogen.

Ze nach der Zeit und Witterung wird diese Uebrigens bespre­

dritte Stunde abgekürzt oder ausgesetzt.

chen sich dieLehrer und ihre Gehülfen darüber, wer von ihnen

gegenwärtig seyn müsse, und der gewöhnliche Fall ist, daß nur einige für diese letzte Tagesstunde nöthig sind. Zm Winter wird sie etwa einmal die Woche zu physikalischen

Schwarz: Darstell, a. d. Geriete d. Pa'oagogik. TL

18

274 Experimente» angewendet.

Manchmal finden es

auch

die

Mehrer nöthig, eineLeetion mit manchen Schülern, die darin zurückgeblieben sind,

zu wiederholen.

Es bleibt hierin über­

haupt den Lehrern vieles zur freien Verfügung überlassen.—

Die Schüler werden am Schluß der Tagesstunden mit einer herzlichen Ermahnung entlassen. Die ganze Schule wird von zwei Hauptlehrcrn und zwei

bis drei Hülfslehrcrn besorgt.

lich

bei

Wo möglich sind sie sämmt­ auch etwa bei dem

der Morgcnandacht zugegen,

Schluß der Vormittagsstunden. Alle 14 Tage werden in jeder Classe die Lehrgcgenstände wiederholt, wober mehrere

Lehrer zugegen sind; und jedes Vierteljahr ist ein allgemei­ ner Revisionstag, an welchem in Gegenwart sämmtlicher Lehrer alles,

was während dieser Periode erlernt worden,

durchgegangcn wird, so daß alle Schüler zugleich daran Theil nehmen, und die Lehrer in dieser Prüfung den Zusammen­

hang der Gegenstände und des Lehrganges auch die Schüler erkennen lassen. Dieses gewährt für alle Anwesende eine anziehende und lehrreiche Unterhaltung. Hierbei erscheint so recht die Geschicklichkeit

der Lehrer und der Fortschritt der

Schüler, welche das, was sie bis dahin erlernt haben, auch sicher besitzen.

Die jährliche öffentliche Prüfung zeigt das

noch vollständiger, sie läßt jeden Schüler erfahren, wie er sich zu seinen Mitschülern und zu seinem eignen Wachsthum, und so auch die ganze Schule, wie sie sich zu ihrem vorge-

stecktcn Ziele verhält. Das ganze Zahr hindurch werden die Schüler gewöhnt, sich gegenseitig zu achten, so daß jeder neidlos und bescheiden die Fortschritte des andern erkenne, sich selbst richtig beurtheile, und auch in allem seinem Lernen

Gott vor Augen und im Herzen habe. Es ist der Geist des Christenthums, welcher in dieser Schule waltet, von der

ersten bis zur letzten Stunde, welcher die Schüler empfängt und sic entläßt, und welcher die Lehrer selbst leitet und er­ heitert, und so ist diese Schule eine christliche Erziehungs­ anstalt. Die Lehrcrconferenzen und Schülcrtabellen geben über

273 jede» Schüler die nöthige Kunde und leiten, da wo es nö­ thig ist, zu den Befferungsmitteln, die dann selten ohne den

Verdorbene Knaben hat diese

gewünschten Erfolg bleiben. Schule gar nicht.

Da die Elementarschule vorausgeht und

die Schüler nicht nur in

ihrem Lernen, sondern auch in

ihrem Gemüth ebenso behandelt, so tritt aus derselben kein

unwürdiger Schüler in diese höhere Anstalt ein, welche dann die ihrigen als wohlausgestattete und wohlgesittete Jünglinge den Eltern, der

bürgerlichen

Gesellschaft und ihrer weite­

ren Berufs- und Selbstbildnng übergibt.

Wir treten nun in die andere Musterschule ein, in ein Gymnasium. *) Es ist die höhere Schule der Art, welcher

die niedere, das Progymnasium, oder wie man es nennen

mag, als seinem Zwecke gemäß gut eingerichtet vorausgeht.

Die sämmtlichen Schüler der 4 Classen, gegen 100 an der Zahl, sind zur Morgenandacht versammelt. Der Choral­ gesang ist kurz, auch das Gebet, das einer der Lehrer selbst

spricht.

Hierauf liefet

einer der obersten Schüler in der

Grundsprache den Tagesspruch — es war gerade 1 Kor. 3,

16. 17: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seyd»." — welchen er übersetzt und erklärt. eine Stelle aus

Ebenso wird bisweilen

dem A. T. vorgetragcn, von

einem der hebräisch lernenden Schüler. Der Lehrer richtet nun an die Schüler über den Spruch, je nachdem sie mif einer Stufe im Religionsunterricht stehen, leichtere oder schwerere Fra­ gen, setzt Erklärungen hinzu, gibt Winke für die Anwen­

dung, z. B. jetzt über die Keuschheit, spricht allen ans Herz, und faßt dann aus jenem Spruch den Hauptgedanken auf:

Der Christ fühlt seine Würde in Demuth, indem er all sein Sinnen, Denken und Handeln von dem heiligen Geiste re­

gieren läßt.

Hierauf werden diejenigen Schüler, welche noch

den gewöhnlichen Katechumenen-Unterricht erhalte», auch die bereits eonfirmirten, in ein anderes Schulzimmer geführt,

’) Vgl. Untcrrichtvl. S. 287 fgg. Die Schulen G. 10ß

...

276 während die, welche auf der höheren Stufe stehen, für ih­ ren Religionsunterricht dableiben.

Denn jwei Abtheilungen

fand man nöthig, in welchen dieser Unterricht ertheilt wird, beide gleichzeitig, für die untere in derselben Weise, wie wir sie dort in der höheren Bürgerschule sahen, für die obere

mehr wissenschaftlich und ausführlich. Bei diesem ist ein Lehrbuch zum Grunde gelegt, welches das Leben des Chri­ sten nach der Bibellehre anßspricht, so daß die sittliche Seite der Gesinnungen und Handlungen beständig in der Glau­ benslehre hervorgchoben, von Zeit zu Zeit aber auch die

Sittenlehre in ihrem

Glaubensgrund

der Liebe aus dem Die schon früher aus­

Zusammenhang

vorgetragen wird.

wendig gelernten Sprüche werden gelegenheitlich von den Schülern wiederholt und erklärt, manchmal mit Ablesung des ganzen Abschnitts, worin sie stehen.

Auch wird manch­

mal dieser Religionsunterricht in ein Lesen biblischer Bücher

verwandelt, mit kursorischer Erklärung aus dem Grundtext; manchmal tritt auch die Religions- und Kirchengeschichte auf

einige Monate an diese Stelle.

Da die Schüler dieser Ab­

theilung in ihren beiden obersten Gymnasialclassen etwa 3 Zahre verweilen, so ist dieser ganze Cursus auf diese Zeit

berechnet, wobei es gar nicht darauf ankommt, daß jeder an demselben Punct anfängt. Das wissenschaftliche System eignet sich noch nicht für die Schule, noch nicht für Jüng­

linge, genug daß sie in jedem Abschnitt auf den Mittelpunct zurückgeführt werden, auf den Glaubensgrund, aus welchem dann jeder die Einheit dieses Wissens in sich selbst lebendig erzeugt.

Um ihn aber hierbei 'jit erleichtern, wird ihm von

Zeit zu Zeit eine Uebersicht gegeben, wie die Lehren der christlichen Religion in einander liegen, aus einander hervor­

gehen, und einander ergänzen.

Wenn irgend, so muß hier das Lehren belebend, besee­ lend und begeisiigend seyn. *)

Hier wird nicht mehr der

°) Wie der Sers, das Grundgesetz alles Unterrichts ausgedrückt hat, UirterrichtSl. S. 25—29, und auch auf die Lehrfvrm in den Gelehrtenschulen angewcndet, s. die Schulen S. 161—165.

277 trockne Vortrag, nicht mehr die baare Katechisirkunst, nicht

mehr

die Hebung

der Kritik und Reflexion

geduldet,

wie

man das bisher in solchen Schulen fand. Gemüthlich wird das Nachdenken der Schüler von dem Lehrer unterhalten, dessen Gemüth dabei selbst von dem Geiste des Christenthums erfüllt ist, so daß sich allen dieser Geist mittheilt

und sie

zu jener heiligen Gemeinschaft vereinigt. Die Schule ist jetzt eine Kirche, und der Herr der Kirche ist mitten unter ihnen. Da erfahren sie denn, was ihnen keine Erklärung so nahe zu legen vermochte, was es heiße: „ein Tempel des heiligen

Geistes" zu seyn. Polcmisirt wird hier auch nicht, weder gegen Aberglauben und Unglauben, noch gegen Religions­ parteien, sondern aus der reinen Quelle wird die lautere Wahrheit geschöpft,

und die Schüler werden gewöhnt, sie

selbst aus derselben, aus der heil. Schrift und Vernunft, zu

schöpfen, aber eben darum zu bedenken, daß die Vernunft

durch das menschliche Verderben mehr oder weniger getrübt

sey, daß man also Andere wegen ihrer Irrthümer mehr liebe­ voll zu beklagen und unter Umständen zurechtzuweisen, sich selbst aber zu bewachen und zum Lichte hinznwenden habe.

Aber historisch werden diesen Schülern, in Verbindung mit ihren übrigen historischen und mythologischen Kenntnissen, die Verirrungen der Menschen gezeigt, um die verschiedenen

religiösen chen. *)

Vorstellungen

mit

den

christlichen

zu

verglei­

Sie werden dabei auf den gemeinsamen Typus

hingeführt,

und hiermit

zur

deutlicheren

Erkenntniß

der

Wahrheit der christlichen Religion gebracht, in welcher das Wesen der Religion selbst in seiner himmlischen Gestalt in

®) So eben liest der Verf. in dem Schulprogramm des Iohanneums zu Hamburg zu Herbstexamen 1833 eine interessante Abhand­ lung : Qua ratione institutio rel. christianae in Gynmasiis tradendae feliciora capere possit incrementa, von Hrn. Professor D. K r a m e r, worin z. B. solche Vergleichung nun desto mehr zum Christenthum hinführen könne, wobei sich auf Urtheile von Erasmus u. A. bezogen wird. Ueberhaupt finden wir in dieser Schrift viel, das unö zustimmt.

273 die Menschheit eingetreten ist.

Die schönen Aussprüche der

alten Meisen, und die Sittcnlehren der gebildeteren heidni­ schen Welt kommen hierbei mit in Betracht, wodurch die

Schüler die Einsicht gewinnen, daß die Herrlichkeit des Chri­ stenthums in der noch höheren Kraft besteht,

welche den

Menschen zum vollkommensten sittlichen Leben umschafft.

Rach einer kleinen Panse ging der Lehrer mit denselben Schülern an den Ilnterricht in der Geschichte; *) so auch in der unteren Abtheilung, weil derselbe Grund auch für die­

sen Gegenstand diese Combination verlangt. Zn der unteren wird die Geschichte noch bloß ethnographisch gelehrt, haupt­ sächlich die alte, von Zeit zu Zeit mit chronologischer Ueber­ sicht und Einübung, in der oberen Abtheilung nach Viertel­

oder Halbjahren abwechselnd stisch,

ethnographisch und universali­

ebenfalls mit Einübung der Chronologie.

vorerzählt,

nacherzählt und abgefragt.

Es wird

Auch wird den ge­

übteren Schülern aufgegeben, daß sie zu Hause manches aus O-uellen selbst erforschen, und dieses dann mündlich Vorträ­ gen. Belebt wird dieser Unterricht durch ben lebendigen Bor­ trag des Lehrers, welcher sich sowohl des Dictirens als des

Raisonnircus enthält; beseelt wird er durch die Aufforderung an die Schüler, selbst viel zu sprechen, indem der Lehrer den sonst so häufigen Fehler

des

allzuvielen

oder verworrenen

Erzählens vermeidet; begeistigt wird er, indem weniger der

Lehrer selbst Urtheile vorsagt, als den Schüler urtheilen, wie

auch

das

läßt.

Er macht aber auch dadurch die Geschichte recht er­

Gleichzeitige

und

Zusammenhängende

aufsuchen

weckend für Geist und Gemüth, daß er überall auf die gött­

liche Waltung, und sowie auf das menschliche Verderben, so

auch auf die allmählige Entwicklung der Menschheit hinführt, und dieses so viel möglich die Schüler selbst zu bemerken an­

Zn beständiger Beziehung steht dieser Unterricht in der Geschichte mit dem in der Religion. Wie Gottes Weisheit

regt.

’) Ueber den Geschichtsunterricht s. UnterrichtSl., (3.213 fgg., die S ch ulen S. 156 fgg.

279 in der Natur geschaut wird, so auch in der Historie.

Auch

dienen die Charaktere der geschichtlichen Personen und die Schicksale der Völker als Belege oder vielmehr als Ausfüh­ rung der Sittenlehre, welche doch erst mit der Kenntniß der Lebensverhältniffe ihre Anwendung erhalten und richtig

erlernt werden kann.

Das Christenthum, dessen Geist das

Wesen aller wahren Sittlichkeit enthält, bildet sich bei sol­ cher Behandlung der Geschichte erst recht für das Leben aus, und nur so wird der Jüngling gegen das schwärmerische Zdealisiren, so wie gegen die nüchterne Leerheit der Gemein­

plätze oder abstrakter Formeln gesichert. Nur so wird ihm die Geschichte die Prophetin der Wahrheit, die bildende Leh­ rerin.

Nur so wird er auch in der geziemenden Bescheiden­

heit gehalten, so daß er sich selbst der Vermessenheit ankla­

gen müßte, wenn er sich schon Urtheile in der Politik erlau­

ben wollte, sofern sie ihm noch der Lehrer versagt; er wird erkennen, daß hierzu nur derjenige fähig sey, der die Men­ schen und ihre Gesellschaftßverhältniffe besser kennt,

dem Jünglingsalter möglich ist.

als es

Das alles hängt nun von

einem guten Unterricht in der Geschichte ab,

und

darum

wird er nur von demjenigen Lehrer gut ertheilt, der außer den übrigen Gaben, die er hierzu bedarf, auch den Unterricht in der Religion gut ertheilt.

Damit er aber bei den vielen Schülern hierin unter­ stützt werde, beschäftigt sich während der Lehrstunde ein Ge­

hülfe damit, daß er überall beobachtet, erinnert, fragt und so die sämmtlichen Schüler in der Aufmerksamkeit erhält.

Und damit das Erlernte von jedem Schüler zu Hause wieder­ holt werde, muß er es den andern Tag in seiner Reinschrift der Hauptsache nach niedergeschrieben vorzeigen.

Ebenso wird

die selbstthätige Befestigung des Religionsunterrichts bewirkt. Auf diese Art wird die Verbindung zwischen diesen beiden Gegenständen so recht eine innere und gleichsam die Weihe

des Schultages. Anderthalb Stunden waren so die Schüler in der Betrachtung über Gott und die Menschen vertieft,

260 und das als eine Gemeinde, die sich so eben recht im geisti­ gen Zusammenleben fühlen lernt.

Nunmehr werden sie in ihre besonderen Schulzimmer ent­ lassen, wohin denn nach einem kurzen Ergehen im Freien

jede Classe mit ihrem Lehrer eintritt, um an die alten Spra­ chen zu gehen, wozu ebenfalls ungefähr anderthalb Stunden täglich bestimmt sind. Wie nun die Zeit für die lateinische und griechische Sprache vertheilt und jeder Stufe das Ge­

hörige zugemessen ist, wie die Autoren gewählt, welche statarisch, welche kursorisch behandelt werden, wie sich die gram­

matischen Hebungen,

die Exercitien in der Schule und zu

Hause anschließen, wie mit den höheren Classen auch die

Interpretation zu einer höheren Stufe steigt, mitunter in

lateinischer Sprache, wie im Ganzen so der Buchstabe der

Grammatik in den Geist der Philologie übergeht — das alles finden wir in diesen vier Classen sammt der Selecta nach den bekannten und bewährten Grundsätzen glücklich auS-

geführt, °) denn die Lehrer sind nicht bloß gute Philologen, sondern auch gute Methodiker und Pädagogen.

Es versteht

sich also von selbst, daß sie nicht vom Katheder herab dociren,

sondern alle Schüler ihrer Classe in beständige Selbst­

thätigkeit setzen. ES geht keine Minute in irgend einer Er­ schlaffung oder Zerstreuung verloren, bei keinem Schüler. Bald wird dieser, bald jener gefragt, ein anderer tritt mit einer Berichtigung auf, oder wird zur Erklärung aufgefor­ dert, und indem einer laut übersetzt, nehmen alle übrigen

so aufmerksam Theil, daß augenblicklich der, welcher etwas zu verbessern findet, dieses, mit fragendem Blick gegen den Lehrer gewendet, laut bemerkt. Denn der Lehrer weiß die sämmtlichen Schüler in solcher angestrengten Thätigkeit fort­

während anzufrischcn. Es ist eine Lust, dieses regsame Le­ ben, dieses gegenseitig fördernde Zusammenwirken zu sehen, ein wahres fervet opus, wie bei den eintragenden Bienen. Was jedem nun ein neuer Gewinn dünkt, das sammelt er

*) Vgl. UntcrrichtSl. S. 214 fgg.

281 sich

zu Hause in

das Collectaneenbuch,

welches er von

So gehen diese andert­ halb Stunden hin, man weiß nicht wie, und es schlägt Zeit zu Zeit dem Lehrer vorlegt.

11 llhr.

Jetzt wieder eine kurze Erholungszeit. Hierauf treten die Schüler wieder in jene zwei Abtheilungen

zusammen, für die Lektionen in der deutschen Sprache und

in der Mathematik, welche abwechselnd ertheilt werden, und sich gerade so eignen, um die Schüler sämmtlich zum rech­ ten Lernen zu beschäftigen. Der Hauptlehrer in jeder dieser Abtheilungen hat nämlich einen Gehülfen zur Seite, und die geübteren Schüler werden öfters für die unteren verän­

dert, so daß beide in diesem verbesserten Lancasterianisnius ihre Fortschritte gegenseitig fördern. Weil in jenen Gegen­ ständen manches geschrieben und gezeichnet wird, so kann der

Schüler, der seine Aufgabe gelöst hat, bei dem andern die Lösung nachsehen und corrigiren, auch wohl selbst eine auf­ geben.

So ist es mit den grammatischen und stylistischen

Uebungen in der deutschen Sprache, und mit den Sätzen in der Mathematik. Daß die untere Abtheilung in beiden auf gleichem Niveau mit der höheren Bürgerschule stehe, brau­

chen wir kaum zu erinnern, und daß also die obere dieses

weiter führe, versteht sich ebenfalls von selbst. Sie führt in den deutschen Styl ein und vergleicht den Genius unse­ rer Muttersprache mit dem der griechischen, so wie der rö­ mischen, wobei die Uebersetzungen der Schüler beachtet wer­ den, und der Lehrer diesen Unterricht mit dem in jenen clas­ sischen Sprachen in einer gewissen Verbindung zu erhalten sucht, so daß der eine zugleich den andern fördert. Auch

werden diese Schüler mit den Hauptschriftstellern unserer Li­

teratur, den Prosaikern und Dichtern gelegenheitlich bekannt gemacht.

Zn der Mathematik durchschreiten die Schüler die

ganze Stereometrie, Trigonometrie, die Lehre von den Ke­ gelschnitten, und gelangen bis zu den höheren Gleichungen.

Miillnter werden Berechnungen für die Anwendung aufge-

geben.

Auch

diese

Gegenstände

werden

nicht so isolirt dem

282 Geiste des Schülers übergeben.

Der Lehrer findet immer

Anknüpfungspuncte, worin er sie mit andern Lehrgegenstän­

den verbindet, und er sucht auch diesen Unterricht in die tie­ fere Einheit des geistigen Lebens zurückzuführen, welche er in sich selbst trägt.

Dazu bietet das Gemüth und die Litera­

tur unserer Sprache so manches dar, so manche Erinnerung an das Sittliche in derselben, so manche Erhebung zu from­ men Gefühlen, so manchen Aufschwung der Gedanken zum Höchsten. Das mathematische Denken wird, wie wir schon

bei der Bürgerschule bemerkten, zur inneren Läuterung und Ordnung der Geisteskraft verwendet.

Hierdurch ernährt sich

die Wahrheitsliebe, und die Weltenräume eröffnen sich zum tieferen Einschauen in die ewigen Gesetze der Nothwendigkeit, die zugleich als heiliger Wille im Reiche der freien Wesen

waltet. So ist es denn an dem Lehrer, daß er den Vor­ mittagsunterricht schließt,.wie er ihn anfing, mit der religi­ ösen Geisteserhebung.

Die zwei Rachmittagsstunden sind

theils noch für die alten Sprächen, theils für einige Neben­

wissenschaften bestimmt, nämlich für die ersteren wöchentlich

vier Stunden, zwei für die Naturwissenschaften, und eine für die mathematische und physische Geographie. Die vier übrigen sind als Ilebungsstunden anzusehen. Zn diesen wer­

den Aufgabe» für die Verbindung der verschiedenen Lehrge­ genstände gelöst, z. B. es werden die Bewohner Europas in alter Zeit verglichen mit denen in neuer, ihre Lebens­

weise, Cultur, Religion u. s. w., und so dienen diese Lehr­ stunden unmittelbar der Einheit der Bildung, wozu doch alle die einzelnen Gegenstände dienen sollen. Dabei zeigt denn jeder seine Bücher auf, worin er das gestern Erlernte niedergeschrieben hat. ES sind in allen diesen Stunden die Schüler

wiederum in jenen zwei Hauptabtheilungen zusammengetre­ ten, wodurch die gegenseitige Anregung auch zur Einheit des

Strebens und

der Gemeinschaft in der Bildung hinwirkt.

Die Vielseitigkeit und belebende Geisteskraft der Lehrer, deren mehrere immer in diesen Stunden zusammen da sind, ma­ chen diese Nachmittagsschule zugleich zu einer anziehenden

283 Unterhaltung.

Diese Einrichtung

bietet noch manchen an­

dern Vortheil dar. Wenn nämlich, wie der Fall doch öfters eintritt, in diesem oder jenem Gegenstand eine Lücke geblie­ ben, oder ein Schüler etwas nachzuholen hat, so sind diese Stunden

die beste Gelegenheit,

das auszugleichen.

Noch

wichtiger aber sind sie, um einen guten Ton unter den Schü­

lern in reiner Stimmung zu erhalten, oder vielmehr die brü­ derliche Gemeinschaft als Grundton für dieses bildende Zu­ sammenleben täglich fortzuführen. ") Es ist nicht zu sagen, wie wohlthätig dieses auf die ganze Schule wirkt. Daher werden auch bisweilen alle Schüler in diesen Stunden ver­

eint. Wir sehen da eine Aufgabe gelöst, welche durch alle Strenge der Schulgesetze, und die freundlichste Wachsamkeit einzelner Lehrer nie gelöst werden konnte, so sehr man auch

ihre Nothwendigkeit erkannte.

Was man bisher im Aeuße-

ren zu bewirken suchte, erwächst hier aus dem Innern, ge­ wissermaßen von selbst. Es ist ein Schulleben nicht im Klo­ ster, sondern in der Natur.

Einigemale die Woche kommt eine dritte Nachmittags­

stunde hinzu, in welcher mit physikalischen und chemischen Experimenten die sämmtlichen

Schüler unterhalten werden.

So hat der Schultag vier Vormittags- und zwei bis drei Nachmittagsstunden, Samstags nur eine. Die Selektaner haben 4 — 6 Schulstunden weniger, weil sie für ihre Pri­

vatarbeiten einer freien Zeit bedürfen. Sie haben etwas be­ sondere Lektionen die Woche, die übrigen haben sie mit den

Primanern gemeinsam.

Von den besondern haben sie 4 zu

verwenden für die Interpretation schwererer Stellen aus grie­ chischen und lateinischen Autoren in letzterer Sprache, und

zugleich für die weiteren Sprechübungen in derselben, die 2 übrigen aber für einen wissenschaftlichen Zweck.

Es werden

da die Bemerkungen, welche gelegenheitlich in der Archäolo­ gie, Metrik, Rhetorik und alten Literatur gemacht worden,

) Vgl. die Schulen S. 169 fgg.

284 in ihren Zusammenhang gebracht, und somit jene Wissen­ schaften gebildet; jede für sich in vierteljähriger Abwechselung,

wöchentlich eine Stunde, alles in Beziehung auf das, was

den Schülern in Beispielen vorgekommen. Die andere Höchcntliche Stunde wird das eine Halbjahr auf die Logik ver­ wendet, welche mit Beziehung auf die Sprachkunde und Uebung ihrer Regeln praktisch gelehrt wird/) das andere Halbjahr auf die allgemeine Encyklopädie, welche einerseits alle die bisherigen Lehrgegenstände in einer Uebersicht wiederholt, ande­ rerseits durch

einen

zusammenhängenden Vortrag auf das

Anhören der Collegien vorbereitet.

Das Studium in Se-

lecta ist auf ein Jahr berechnet. Die hebräische Sprache wird für die künftigen Theolo­

gen in den letzten 2 Jahren gelehrt, wöchentlich 2 Stunden. Die neueren Sprachen sind nicht in dem für jeden Schüler gültigen Lectionsverzeichniß begriffen, sondern der Unterricht

im Französischen, Englischen, Ztalienischen ist jedem frei ge­ stellt, und die Einrichtung getroffen, das; er in den freigelaffenen Tagesstunden ertheilt wird. Man hat die Ueberzeu­

gung,

daß doch keine dieser Sprachen auf der Schule bis

zur Fertigkeit im Sprechen und Schreiben erlernt wird, und daß man hier kein anderes Ziel stecken dürfe, als die Be­

gründung im Grammatischen und Uebersetzen, weil nur im

’) Zu einem, wenn auch nur einleitenden CursuS der Philosophie als Wissenschaft würden wir nie rathen, wenn gleich manche Schul­ männer dafür sind. Die Reife fehlt dem Jüngling. Ein Philosoph ohne Bart ist schon ein altes Bild der Ungereimtheit. Dagegen ist die Gewöhnung an das philos. Denken die wahre Einleitung, und die Geschicklichkeit deS Lehrers, den Geist für die Philosophie zu bil­ den. Nur hierin kann der Verfasser der lesenswerthen Abh. deS Hr. Professor D. Glocker, zum Öftere,tarnen 1833 im Magdalenischen Gymnasium zu Breslau, beistimmen, welcher die Philosophie alS Unterrichtsgegenstand auf Gymnasien mit scharfsinnigen Gründen empfiehlt, die unS jedoch nicht weiter überzeugt haben, als daß die Philosophie gerade so auf der Universität zu lehren sey.

283 Umgang jene Fertigkeit erworben werden kann, und von demjenigen Schüler, der so schulmäßig ist begründet worden, vielleicht schon in einigen Monaten erworben wird, z. B.

im Französischen nur unter Franzosen.

Man verbringt also

die Zeit nicht unnütz mit dergleichen.*) Der Schüler, wel­ cher auch die Lehrstunden in diesen Sprachen annimmt, hat mehr als 10 Stunden Tagesarbeit, weil auch das Präpariren und Repetiren täglich einige Stunden für die verschie­ denen Lectionen erfordert.

Indessen erleichtert ihn schon die

Abwechselung, und es bleibt ihm noch Zeit genug zur Erho­

lung übrig. Einige Nachmittagsstunden im Sommer sind für die Gymnastik bestimmt, der Samstags-Nachmittag oder

Abend für die musikalische Unterhaltung, und der SonntagsVormittag dem öffentlichen Gottesdienste. Jünglinge, welche die höchste Schulbildung erhalten sol­ len, können noch ein zweites Zahr in Seleeta bleiben, in

welcher sie dann zwar fortwährend die Lehrstunden besuchen, doch von manchen dispensirt werden können,

selbst im Lehren zu üben,

vatstudien zu gewinnen.

um sich theils

theils mehr. Muße für ihre Pri­

Solcher Schüler werden sich im­

mer nur wenige finden; es find die, welche sich zum Berufe

des Gelehrten, insbesondere für den Lehrstand, bilden, und zugleich in diesem letzten Schuljahr noch die Einheit des gei­ stigen Lebens in sich tiefer begründen. Dahin wirkt denn auch diese Gelehrtenschule in allem, indem sie den Grund dieser Einheit in dem Christenthum festzuhalten versteht. Da

macht man denn auch nicht die betrübende Erfahrung jetziger

Zeit, wie sie leider gerade bei den ausgezeichneteren Schü­ lern gemacht zu werden Pflegt, daß sie aus dem Christen­ thum herausgeführt werden. Unsere Schule führt sie viel-

•) Oder mit täuschenden Erwartungen. dir Schulen 124 fgg.

Was der Derf. in f. B.

über den Unterricht in dieser Sprache gesagt

hat, fand er wiederholt bestätigt, und nur selten ist ihm ein Jüngling

vorgekommen, der auf der Schule französisch sprechen hinlänglich ge­ lernt hätte, cS sey denn, daß er anderSwo besondere Uebung gehabt.

286 mehr tiefer in dasselbe ein, und bildet also wahrhaft den bildenden Stand.

Die vierteljährigen Revisionen und die

öffentlichen Prüfungen dienen ebenwohl, unter der Leitung der würdigen Lehrer, zu dieser Einheit der Bildung in den Wissenschaften, in den Geschicklichkeiten und in dem Charak­

ter.^)

Sie ist der Anfangs- und Endpunkt, und der Geist,

welcher in allem waltet, bewirkt sie auch in allem. So lernt der künftige Gelehrte hier nicht für die Schule, sondern für das Leben. Mancher möchte wohl das nicht so zugeben,

weil es

ihm scheint, als werde irt dieser Gelehrtenschule nur die Ge­ lehrtenbildung bezweckt, aber die allgemeine, die höhere bür­ gerliche zurückgesetzt, wodurch denn ihre Schüler eben nicht für das Leben gebildet werden, und sogar mit ihrer Lebens­

bestimmung in Widerspruch kommen. sagen

Sie lernen ja nicht,

diese Gegner, so viel Geographie

und Naturkunde,

wie die Schüler in der höheren Bürgerschule, und werden also von diesen im gebildeten Leben übertroffen. Dieser Bor­ wurf hat Schein, aber auch nur Schein.

Die Wintersaat

steht erst im künftigen Zahr, so unscheinbar sie jetzt auch ist,

in ihrer Fruchtbarkeit da. *) **)

Wenn der Gymnasialschüler

ebenso viel mit jenen Realien unterhalten würde, wie der Bürgerschüler, so verwöhnte er sich an diese angenehmexe

Unterhaltung, und entzöge sich mehr oder weniger jener trokkenen, bliebe also in seinen ernsteren Studien zurück, und seine Bildung in den beiderlei Arten

wäre doch

am Ende

Ganz anders bei dem Unterricht in die­ ser Musterschule. Lernt er da auch nicht alle Länderstrecken und Städte so genau angeben, wie sie euch der Realschüler auf

nur eine Halbheit.

der Karte zeigt, so urtheilet nur nicht darum geringer von ihm.

Hört ihn nur nach einigen Zähren, wenn er Zeitungen und Reisebeschreibungen liefet, und ihr werdet einen Mann hö-

*) Ueber die Revisionen :c. s. die Schulen S. 190 fgg. ••) Dgl. die Schulen S. 121 fg. den Beleg durch Beispiele.

Man sehe auch oben S. 36

287 reu, der weit besseren Bescheid auf der Erde und unter ihren

Bewohnern weiß, als der, dessen Kopf in der Schule mit allen diesen Wiffereien angefüllt worden, aber der tieferen

Geisteserregung entbehrte. Ihr bewundert den Jüngling, welcher, aus der höheren Bürgerschule tretend — über Licht

nnd Dämpfe viel zu sprechen, die Zubereitung von Mörtel

und Farben anzugeben, Gestein, Gewächs und Gewimmel in reicher Sammlung zu classificiren, die Gebirgsformationen nnd Erdschichten zu erklären weiß n. s. w., und schüttelt

nun den Kopf über unsern Selectaner, der in dieser Prü­ fung weit zurücksteht. e)

fragt,

wer von

beiden

Nur einige Jahre Geduld, dann den stärksten Forschungstrieb, die

fruchtbarste Erkenntnißkraft entwickelt hat, erfahren, daß unser Schüler,

der in

und ihr werdet

seinem Gymnasium

tüchtig geworden, jenem in gar vielem, was das Leben ver­ langt, vorangeschritten ist, und wo irgend sein Beruf auch Kenntnisse jener Art von ihm verlangte, er auch diese sich leicht aneignen wird, so daß er den Praktiker zwar schätzt und benutzt,

aber doch häufig

übersieht.

Wer aus

einer

Gelehrtenschule kommt, lernt oft an einem Tage mehr, als der andere in einem ganzen Zahre.

paradox sagen,

Fast möchten wir es er lerne von allen diesen Dingen im Leben

mehr, «weil er weniger davon in

der Schule gelernt hat. Sein Geist ist durch jene strengeren Studien eben dadurch für alle künftigen gekräftigt und belebt worden, weil er sich in jenen durch nichts stören ließ. Genug, daß unsere Schü-

•) Begreiflich ist cs, daß der Lehrer der Naturwiffenschaften dieses Studium für das höchste zu halten geneigt ist, weil es ihn selbst im­ mer mehr anzieht, und daß er also meint, man könne dem Jüngling keine mehr begeisternde und zugleich süßere GcisteSnahrung reichen. Diese Einseitigkeit ist zu entschuldigen. Er soll aber sich damit noch nicht für einen guten Lehrer, am wenigsten für einen Pädagogen und Schulmann halten. Wenn z. B. die Physik in ihrer wissenschaftlichen Ausführlichkeit für die Gclehrtenschule empfohlen wird, so fehlt cs da gänzlich an Einsicht in Methode und wahre Bildung. Et­ was anderes ist der akademische Hörsaal.

288 ler die Grundkenntnisse erhalten, als Saatkömer, aus wel­

chen ein großer Reichthum erwachsen kann.

Hier, Freunde der Schulen,

seht ihr die Einrichtung

von iwei höheren Schulen, deren jede wir darum für ein

Muster halten, weil wir sie bisher noch nicht so der Zdee entsprechend in der Wirklichkeit angetroffen haben, und weil gerade diese Einrichtung eine fortwachsende Verbesserung ihrer Mängel

organisch

begründet.

Auch

die Methode,

dieses

Wesentliche in der Zugendbildnng, muß sich da immer voll-

kommner entwickeln. Zhr sehet da die günstige Saatzeit benutzt, so daß keine Minute versäumt wird, und kein Samenkorn verloren geht,

während wir in allen unsern Schulen, auch in den besten, den beständigen Verlust in beiden für jeden Schüler beklagen müssen. Und beobachten wir diese, so wird man sie selten alle hinreichend beschäftigt sehen, es wird viel seyn, wenn

unter den etwa 30 Schülern einer Classe sich auch nur drei in die Sache so ganz vertiefen, und etwa zehn bis zwölf nur mit getheilter Seele aufmerken,

die Hälfte aber mit

ihren Gedanken anderswo ist. Der eine verhandelt da et, was mit seinem Nachbar, der andere sinnt für sich über einen Gegenstand hin, der dritte läßt seine Phantasie herum­ flattern, der vierte sitzt ganz gedankenlos da. Nun rechne man zusammen, wie viel Zeit unnütz hingeht, und wie we­

nig eigentlich gelernt wird, und man wird über die Täu­

schung einer solchen Schulstunde erstaunen.

Denn es wird

überall nur so viel gelernt, als die Aufmerksamkeit wirklich empfängt. Da kommt es denn nicht bloß darauf an, daß sie sich auf alles, was gelehrt wird, verbreitet, und unun­

terbrochen dabei verweilt, sondern auch, daß sie mit aller Zntensivität auffaßt, was ihr dargeboten wird; wie viel ge­ bricht es ihr aber schon in dieser letzten Hinsicht! Es ist z. B. eben von dem Himalayagebirge die Rede. Alle Schü-

289 ler hören zwar im ersten Augenblicke mit Interesse davon, aber bald fahren sie mit ihren Vorstellungen hier und da

herum, beantworten auch wohl die Fragen, sind aber gerade nicht daran, sich ein wahres Bild von diesen Gegenden zu entwerfen.

Nur Einer etwa

versetzt sich an

die dortigen

Höhen, an die Quellen, an den Gangesstrom re. und bringt

genau die Angaben in ein zusammenhängendes Ganzes, das ihm denn später die Reisebeschreibung ausmalt, die er nun mit größerem Interesse liefet, und so liefet, als ob er selbst die Reise mache, und alles mit eigenen Augen sähe.

Dabei

bemerkt er denn die Gegenden, die Völker, ihre Sitten mit

praktischem Urtheil.

Sollten wir nicht von jedem Schüler

das wünschen? Das würden wir aber von jedem mehr oder

weniger erfahren, wenn wir seine volle Aufmerksamkeit für jenen geographischen Unterricht gewönnen.

vermöge man nicht?

Ihr meint, das

Da versteht ihr euch auf die Lehr­

kunst noch schlecht.

Noch mehr fällt jener Mangel bei dem Geschichtsunter­ Z. B. es sey von Julius Cäsar die Wie wenige Schüler mögen sich wohl da so ganz

richt in die Augen.

Rede.

in die Zeit und den Gang der Dinge versetzen! wie selten wird der, welcher doch wenigstens so weit aufmerksam ist, weiter über diese Begebenheiten denken! und wenn er das

jetzt thut, wird er auch nachmals noch mit Interesse fortse­ tzen dieses Studium? Zn allen Schulen wird Geschichte ge­ lehrt, Jahr aus Jahr ein, und kaum wird unter allen den Männern, welche in diesen Lehrstunden dagesessen, Einer ge­

funden, der viel aus der Geschichte behalten, oder der auch nur den Werth dieses Studiums schätzen gelernt habe. Gleich­ wohl sollte das ganz anders seyn, und es würde mit die­ sem wichtigen Bildungszweige unter den höheren Ständen ganz anders aussehen,

wenn die Lehrer den Unterricht in

der Geschichte besser zu ertheilen verstünden.

Noch augenscheinlicher ist der Mangel der Lehrkunst bei dem Sprachunterricht. Wir sehen da z. B. mit einer Stelle

des Livius etwa 20 bis 30 Schüler beschäftigt.

Schwarz: Darstell, a. d. Gebiete d. Pädagogik. 11.

19

Es sind da

290 ablativi consequentiae, ein Schüler löset sie ganz richtig ans, aber das wissen wir damit noch nicht, ob er auch mit

ganzer Seele daran ist, um in den Sinn dieser Satzstellung hier einzudringen.

Vielleicht ist seine Aufmerksamkeit mehr

auf den Beifall des Lehrers gerichtet, vielleicht drängen sich

ihm fremdartige Gedanken hinzu, und vielleicht ist er unter allen diesen Schülern doch nur der einzige, der sich soweit in diese Stelle einläßt.

dieselbe vertiefen?

Herzen liegen,

Sollten sich nicht vielmehr alle in

und sollte es nicht jedem so recht an dem

den Sinn völlig herauszubringen?

Es ler­

nen in unsern Gelehrtenschulen so viele Schüler lateinisch,

und bringen gewöhnlich mehrere Stunden des Tages damit zu, und das wohl ein ganzes Zahrzehend hindurch: sehen wir

aber nur auf unsern Universitäten nach, wie selten ist da ein geübter Lateiner zu finden! wie noch seltener ein guter!

Nur wenige sind in den Genius der Sprache eingedrungen,

und eben nicht viele haben sie so weit lieb gewonnen,

nur die Classiker in

derselben fort zu lesen.

Man

um

tadelt

deßhalb die Gymnasien, daß sie so viel Zeit und Mühe auf die alten Sprachen verwenden, welche sich doch so wenig verlohne: daran hat man Unrecht. Man sollte die unge­ schickte Lehrart tadeln, welche nicht die Zeittheilchen zu be­ nutzen versteht, und das durch den Zeitaufwand gut zu ma­

chen vermeint. Die intensive Thätigkeit vielmehr müßte bei jedem Schüler in Anspruch genommen werden, und das kann sie sehr gut, vielleicht nirgends besser als gerade bei

dem Erlernen jener Sprachen. Da könnten die Schüler in kürzerer Zeit weit mehr aufnehmen, es sich fester einprägen, und gründlicher ihr Latein lernen, nach anfinge.

wenn man es nur dar­

So aber, wie es gewöhnlich ist, geht eine

Zeit, die man in Jahre summiren kann, und eine Mühe, die man qualvoll findet, für die Schüler und — die Lehrer verloren. Za, so ist es mit allen Lehrgegenständen.

Samen fällt nebenhin auf den Weg.

Der meiste

Zhr meint, das liege

an dem Schüler, an seinen Naturgaben, an seiner eigen-

291 thümlichen Richtung, und am Ende auch an seinem Wollen oder Nichtwollen.

Wir geben das zu, aber man muß uns

doch auch zugeben, daß es an dem Lehrer liegt, den Schü­

ler hiernach zu erkennen und zu behandeln, und daß nur

dann die Schuld bloß an dem Schüler liege, wenn der Leh­ rer alles gethan hat, was er dabei zu thun hat. Erst dann erscheint die Verschiedenheit der Naturgaben, wenn die Lehr­

kunst sich versucht hat, um sie zu erwecken, und wohin sich

die Individualität des Schülers richtet, das hängt nicht bloß von ihrer ursprünglichen Beschaffenheit ab, sondern von der Gewöhnung, die wenigstens zum Theil in der Macht des

Erziehers steht; selbst auch auf seine Willensbestimmung hat die Art des Unterrichts

einen täglich

bemerkbaren Einfluß.

Wird nun die Aufmerksamkeit des Schülers überall gewonnen, dann ist die Hauptsache gewonnen, und dafür gibt esMittel, und

sie sind in des Lehrers Gewalt.

dings

ihre Gränzen,

der stets

Die Anstrengung hat aller­

gespannte Bogen

erschlafft,

und das rege Wachen sinkt wieder in Schlaf zurück. Die Natur behauptet auch in der Anspannung der Aufmerksam­ keit ihre Rechte, sie verlangt für den folgenden Moment und wir würden ihr nicht ungestraft darin Zwang anthun. Aber auch auf dieses Pulsiren in der Gei­

Nachlassung,

stesthätigkeit muß sich die Lehrkunst verstehen.

Sie benutzt

den Augenblick, wo es gilt, und vergönnt ihr dann den an­ dern der Ruhe, sucht sie aber in diesem Wechsel beständig

im Athem zu erhalten; nur hat diese höhere Lehrkunst hierin noch selbst viel zu lernen. Gewiß ist es, daß auch schon nach den Grundsätzen der

Methodik weit mehr in den Schulen geschehen könnte, als wirklich geschieht,

um die Schüler in der gehörigen Auf­

merksamkeit zu erhalten. Es lastet hierin noch ein schwerer Tadel auf diesem Lehrwesen. Der Verlust an Zeit, wie ge­ sagt, ist schon groß; wir können etwa mit

Ausnahme

von

ihn bei jedem Schüler,

wenigen,

mindestens auf die

Hälfte ihrer Schulzeit anschlagen, beiden meisten gewiß noch viel höher. Und das ist nicht etwa mit der Schlafzeit des 19*

292 Menschen zu vergleichen, die man öfters auf ein Drittheil seiner Lebenszeit berechnen kann; denn diese dient ihm zum

Wachen und zum Leben, jene Bersäumniß aber schadet dem Schüler für jetzt und für die Zukunft, und verdirbt ihm auch

die Augenblicke der Anstrengung.

Selten vertieft er sich so

in den Gegenstand, daß er ihn rein, fest, fruchtbar auffaßt.

Za, mit jedem verlorenen Moment contrahirt er eine größere die verzinst werden muß, so daß allmählig das Capital der Lernzeit angegriffen wird, und daß die Lern­

Schuld,

kraft verkümmert.

Denn soll in die Seele etwas eingehen,

so muß diese zum Empfang entgegen kommen, und das mit

ungestörter Thätigkeit; wo nicht, so mischt sich irgend ein fremdartiger Eindruck hinzu, welcher den rechten verfälscht oder schwächt, und etwas hereinbringt, das wieder herausge­ schafft werden muß. Wie viel Zeit geht aber damit schon hin!

Um die falschen Vorstellungen und die Vorurtheile zu

tilgen, deren Entstehungsart wir eben hierin aufgedeckt haben, dazu reicht ja bekanntlich die längste Lebensdauer nicht ein­

mal hin. So ist es klar, daß jenes innere Schulversäumniß eine Verarmung für das ganze Leben zur Folge hat;

und dafür sind denn alle die unglückseligen Täuschungen her­

Wir müssen auch bei dieser Gelegenheit dar­ auf Hinweisen, daß die Aufmerksamkeit schon in den Kinder­ eingerufen.

jahren ein höchsiwichtiger Gegenstand der Erziehung sey. *) Hierauf zurückgekommen, sind wir zugleich bei dem ei­ gentlichen Lebensprincip aller Bildung wieder angelangt.

Denn die Aufmersamkeit ist die erste Tugend des Kindes, •") und in ihr beweiset sich fortwährend die sittliche Willenskraft

des Schülers, als sein innerer Fleiß, als seine Folgsamkeit gegen den Lehrer, als sein Streben zum Ideale.

Nun kann

•) Der Sers, hat dieses in seinen Schriften bei jeder Gelegenheit er­ innert, insbesondere in s. Erziehungsl. S. 134. 258. 373. 376 fg. aus den psychischen und ethischen Gründen entwickelt, und möchte es nach jeder weiteren pädagogischen Betrachtung nur nachdrücklicher wiederholen.

•’) Vgl. Erziehungsl. S. 36 fg. 331 fg. Unterrichtslehre 3ter Th. (S. 261 sgg.)

293 sie zwar schon durch psychologische Mittel in hohem Grade gewonnen werden,

die Selbstsucht und hierin der Ehrtrieb

kann sie wunderbar steigern, allein ferne sey von uns jeder Seelenzwang, am fernsten der im Gebrauch unsittlicher Trieb­

federn besteht!

Sie bewirken ja nicht einmal die wahre

Bildung; sie widersprechen schon dem Ziele, das viele in der Humanität aufstellen, noch mehr der sogenannten Divinität,

und durchaus dem höchsten Ziele aller Bildung, dem Eben­

bilde Gottes, in welchem jeder sein Urbild finden soll. Ueberdas versagen auch jene Triebfedern ihren Dienst in manchen Beziehungen, und sie sind nicht von Dauer.

bei

Nur

demjenigen Schüler wird es dem Lehrer gelingen, in

welchem der Trieb lebt, welcher vom Licht kommt und zum

Lichte führt, die Liebe.

Sie aber lebt in der Religion. e)

Das alles ist recht gut — sagt ihr lieben Freunde der

Zugendbildung — und die Bilder der beiden Schulen sind

in ein günstiges Licht hingestellt, aber es ist nicht anwendbar, eS ist zu viel gefordert, — es ist zu strenge geurtheilt u. s. w.

Wir, unserer Sache gewiß, antworten: gebt uns die Leh­ rer, und wir geben euch die Schulen. •) Der Vers, muß hierbei verweisen auf die Begründung und Er­ klärung dieser Sähe in s. Erziehungöl. S. 64. 380 fgg. Unter­ richtöl. S. 262 fgg. die Schulen S. 173 fg.; u. die Persönlichkeit der Lehrer betr. S. 65 — 75.

^er Vater will noch einst vor seinen Kindern bestehen, und der Lehrstand vor der Nachwelt.

Darum, Freunde,

machen wir selbst strenge Forderungen an uns, eben mahnt uns die jetzige Zeit.

und hieran

Hatte der Anfang dieses

die Besorgnisse und Hoffnungen unserer Rational­ so verstärkt der Schluß desselben beides in unserm Gefühle und in unserm Berufe;

Jahres

bildung lebhafter in uns erweckt,

mußten wir uns mit einem ernsten Wort an die Bildner des Volkes wenden, so lautete das letzte Wort unserer vorigen Rede noch ernster, indem es eigentlich einen Borwurf für unsern ganzen Lehrstand enthält. Denn warum haben wir

noch nicht die Lehrer, wie sie verlangt werden, damit alle unsere Schulen das seyen, was sie seyn sollen? Zm Ver­ laufe dieses Jahres ist manches darüber berathen und ge­ wünscht worden, aber noch ist ein Herumschwanken um den

Punct, worauf es ankommt, allzu bemerkbar, jedoch Hoff­ nung gebend, daß die Lehrer, Erzieher und Schulmänner demselben immer näher kommen; und hierzu ihnen und der

Heranwachsenden Jugend unsere Segenswünsche für alle Zu­ kunft!

Darum aber vorerst noch einen Blick auf das, was dem Lehrstande fehlt; und so müssen wir auf jene Anfangsrede zurückkommen.

Unser erster Wunsch ist also, daß ihr euch

293 das selbst vorsagcn möget, was dort gesagt worden, um zu sehen, was etwa noch an euch liege, oder wozu ihr Andere ermahnen sollt. und Noth thut.

Denn es ist dort gesagt, was wahr ist Die Erfahrungen bis daher machen diesen

Wunsch nur noch dringender. Vorerst richtet er sich an die Geistlichen, daß sie beden­ ken,

wie die christliche Religion besser in das Leben einge­

führt werden müsse, und daß das von ihrer Wirksamkeit ab­

hänge.

Die Kirche bedarf solcher Arbeiter, weniger der Ge­

schäftsmänner, als welche so manche, besonders der geistlichen Obe­

ren, gerne gerühmt werden, vielmehr der Geisiesmänner, die, von dem Geiste des Evangeliums selbst erfüllt, diesen Geist schon unter der Schuljugend zu verbreiten wissen.

Das äu­

ßere Ansehen mag dem Kirchenthum dienen, fehlt aber die

innere, die geistliche Weihe, so führt es leicht zum Pfaffenthnm, und aus diesem Wege lassen sich Manche finden, wel­ che gerade als die rationalistischen Gegner des sogenannten

Pietismus auftreten, oder als geistlose Aufseher ihre Herr­ schaft behaupten. So lange es in diesem Stande nicht bes­ ser wird, so ist mit allen Verbesserungen unserer Volksschulen nicht viel gethan, und diejenigen Geistlichen, welche sich von dieser Seite Verdienste erwerben, schmälern sie von der an­

dern Seite gar sehr, wenn sie nicht in demselben Grade das Christenthum in den Herzen beleben.

gegründet war der Einwurf,

Denn nicht ganz un­

der dieses Zahr im Englischen

Parlament gegen den Volksuntcrricht gemacht worden, daß die Menschen dadurch zu Verbrechen geschickter würden; auch erkannte der edle Lordkanzler, dem diese Einrede galt, selbst diese Bemerkung so weit für richtig an, als mit dem Unter­ richt in den Schulen, den er als Mittel gegen das Volks­ verderben mit dem vollkommensten Recht empfahl, nicht die

gute Richtung (tendency) verbunden werde.

Diese aber ist

doch keine andere als die sittliche, und sie kann auf keinem andern Wege unter das Volk kommen, als durch den leben­

digen Christenglauben.

Schein trügt,

Alles andere hält nicht Stand.

Der

wenn ihr hier oder da ohne aus christlichem

296 Grund die Jugend herangebildet seht; wartet nur einige Zeit, ob sich das als wahre Bildung im Leben beweiset, und se­ het, wie lange so etwas in dem Volke hält.

Möchten also

die Geistlichen, denen doch mit Recht und Fug die Aufsicht über die Schulen anvertraut ist, dieses Vertrauen auch vor

der Nachwelt rechtfertigen! und möchten sie ihren Schulleh­

rern Muster in dem Einfluß des christlichen Geistes auf dieZugend seyn! Die kirchlichen Oberen sollten daher von denje­ nigen Schullehrern, die z. B. das Lob geschickter Lehrer im

Lesen, Schreiben oder in der Baumzucht erhalten, bei den Vi­

sitationen um so mehr auch in der christlichen Schulzucht

und Geistesbildung der Zugend fordern; denn sie zeigen eine Lehrgabe, welche mehr als das Gewöhnliche leisten kann, und welche sie zur Hauptsache ihres Berufes zu verwenden

verpflichtet sind.

Ebenso soll man da, wo der Pfarrer sich

um seine Schulen verdient macht, auch einen guten Zustand

in der kirchlichen Gemeinde erwarten, und wenn diese zurück­ steht, ihn um so mehr zur Rechenschaft ziehen, warum er

nicht auch wirksamer seinen Eifer in der Kirche beweise. Denn diese Wirsamkeit ist doch die wichtigste in seinem Be­ ruf.

Darin möge Euch der Herr in Euerm Alter, Ihr seine

treuen Diener, noch reichen Segen erfahren lassen, und Euch, ihr jüngeren Geistlichen, die Zhr durch die vorgeschrittene Theologie zu den tieferen Einsichten für (Stiern Beruf gelangt seyd, auf dieser geheiligten Bahn leiten!

Dieser Segens­

wunsch gilt zugleich Euern geistlichen Kindern und Enkeln.

Run wenden

sich unsere Wünsche zunächst an Euch,

würdige Schulmänner, die Zhr in Euern höheren Schulen gar wohl auch die Mängel einseht.

Darum wollen wir sie

hier nicht wiederholen, *) aber erinnern müssen wir an das, was der persönlichen Lehrerkraft überlassen ist, und das ist, wie Zhr wisset, nicht wenig.

Kenntnißreiche, gelehrte Män­

ner gibt es in Euerm Stande genug, aber wie selten sind

°) Die beiden vorhergehenden Reden, und die erste in diesem Bande

S. 30 fgg. geben diese Mängel an.

297 Bald haben fle sich in'cin äußerli­

noch die guten Lehrer!

ches Treiben; sogar in ein politisches, verloren, bei manchen

psychologisch daraus erklärbar, daß der Mensch das Reich Gottes lieber von außen kommen läßt, als selbst darnach ringet; — bald haben sie nur immer Klagen zu erheben,

über die schlechte Einrichtung, über die bösartige Jugend, über die Misgriffe der Eltern u. s. w., worin sie Recht ha­

ben mögen, aber man legt es immer gerne Andern zur Last, was man selbst wenigstens mit verschuldet. Ilnd doch ist des edlen Mannes nichts würdiger, als zuerst an seine Feh­ ler zu denken, und an seinem Thun zu bessern; das sind ja die gemeinen Seelen, die sich nur immer lieber entschul­

digen.

Warum gibt es denn so wenige Pädagogen unter

den Lehrern? warum zeigen sie so selten auch nur die Haupt­

grundsätze der Methodik in ihrem Lehrgeschäfte?

Viele dün­

ken sich darüber erhaben, von Andern wollen sie darin nichts

lernen, sie meinen, weil sie den Stoff besitzen, so gäbe es sich mit der Form von selbst, oder weil sie gelehrt seyen für

sich, so seyen sie es auch für den Schüler, und wenn dieser

nicht von ihnen genug lerne, so sey das nur seine Schuld, oder sie seyen nun einmal sich selbst das Gesetz für ihr Un­ terrichten,

die Natur,

das Genie gebe ihnen immer das

rechte Verfahren ein, wie sie ihren Unterricht ertheilten, so

müsse das vielmehr Norm für Andere seyn und dgl.

Bei

solcher Denkart treiben denn die Meisten das Lehrgeschäfte entweder nach Schlendrian, oder nach Einfällen, oder mit

Neuerungssucht, und man muß sich nur freuen, wenn ein Schul­

mann ein richtiges Urtheil über eine Unterrichtsweise fällt,

läßt er gleich von seiner Seite noch vieles wünschen.

nicht so, liebe Männer!

Der Dünkel,

Nein,

als ob wir nichts

von Andern lernen könnten, ist ohnehin ferne von uns, nun so sey er es auch hier! Sehe doch keiner auf ein mehr

Studium herab,

das die bisherige Zeit freilich gar wenig

beachtete, das sich aber in der neuesten Zeit geltend macht, und in der kommenden noch geltender machen wird, wie wir bestimmt Voraussagen können. Dieses ist die Lehrkunst. Wie

298 viel darin zu thun sey, haben wir gezeigt, und Ihr werdet

es noch besser einsehen, wenn Zhr in dieTheorie und Praxis hierin ernstlich eingeht.

Verbindet Zhr damit die Gesinnung

des christlichen Lehrers, so ist Euch der Segen gewiß, den wir durch Euch den Söhnen und Nachfolgern Eurer LehrweiSheit wünschen.

Hiermit haben sich unsere Wünsche auf den ganzen Ge­ lehrtenstand gelenkt.

Die reiche Quelle, welche er

unserer

Bildung zuführt, möge sie nur in ihm selbst minder getrübt seyn!

Und er hat gerade in jetziger Zeit nöthig, sich in dem Tem­ pel der lauteren Wahrheit selbst rein und lauter zu bewei­

sen, da er so mächtige Feinde unter der Volkspartei findet, die mit blendenden Gründen auch manche seiner Angehörigen

zum Abfall bewegen; denn man verkennt häufig seinen wah­ ren Beruf und seinen heilsamen Einfluß. Nicht wenige von denen,

die ihm angehören,

denken

mehr an seine äußere

Stellung als an seine innere Weibe,

und finden dann in

ihm eine Art von Priesterthum, das man gleich dem geist­

lichen abschaffen müsse, weil jetzt das Volk selbst mündig ge­ worden, und also die Weisheit nicht mehr ein Vorrecht eines

besondern Standes seyn dürfe, sondern frei durch alle Volks­ classen hindurch sich ergießen solle und werde.

Jene falsche

Scheidung von Theorie und Praxis kommt dieser ungünsti­

gen Meinung zu statten, denn die bloßen Theoretiker eige­ nen sich nicht mehr für das Leben,

welches auch an den

Gelehrten jetzt ganz andere Forderungen macht, als zu den Zeiten der Salmasius u. s. w., und wenn derselbe seine

Hauptsache nunmehr darin setzen will, Praktiker zu seyn, so

verliert er gerade den Vorzug, wodurch er die Routiniers

übertrifft.

Wer sich also diesem Stande widmet, muß seine

Studien auf die Anwendung im Leben beziehen, ohne sie darum in den Broddienst zu geben, und ohne die Begeiste­

rung für den Werth, den sie an sich haben, mit der Ge­ meinheit zu vertauschen. Auf diese Art wird sich der Ge­ lehrtenstand gegen alle die offenen und geheimen Angriffe be­ haupten, und das in seiner lichtvollen Würde.

Unsere deut-

299 schm Universitäten °) entwickeln auch gegenwärtig diese Idee, wir hoffen nicht einseitig, und wünschen diesen Corporationcn

insbesondere die Wachsamkeit gegen die eindringende

Popularität, welche auch die höheren Wissenschaften gerne oder auch platte (gemeine) Leben herab­

in das materielle,

ziehen möchte. Wohl denn, stehen wir nur fest und rein im Dienste der Wissenschaft! Wie wir uns so darin erhalten? Wer nur gerne wi­ derspricht, liebt nicht die Wahrheit; er liebt sich nur selbst,

Gewiß nicht durch Zank und Streit.

denn er will recht haben, weil Er es sagt, und das, was er sagt, soll eben darum gelten. Wie sich in den öffentli­ chen

Verhandlungen die Selbstsucht, oder bestimmter die als Oppositionsgeist kund zu geben pflegt, so

Herrschsucht,

auch in den gelehrten Streitigkeiten der Theologen, Philolo­ gen, Juristen, Historiker, Politiker, Allopathen und Homöo­

Ihr meint, die Wissenschaft werde dadurch

pathen u. s. w.

gefördert.

Wir geben das bis auf einen gewissen Grad zu,

find aber des Glaubens, daß sie noch besser gefördert werde, wenn nicht die Selbstsucht, sondern die Wahrheitsliebe den

Streit erhebt,

führt und

dann

auch schlichtet.

Wie viel

höher würden alle unsere Wissenschaften stehen, wenn diese Liebe, welche eben die wahre himmlische,

die Gottes- und

Menschenliebe ist, in allen Forschungen, Mittheilungen, Be­

richtigungen waltete!

Und sie könnte das so leicht, und sie

wäre so gerne in dem Bildungsstande einheimisch. Ja, möchte nur auf unsern Universitäten, möchte in unserer gan­ zen, weiten Gelehrtenrepublik dieser Geist, der wahrlich aus

dem Christenthum kommt, der Lichtbringer seyn! Dann erst würde der Gelehrtenstand sein Licht leuchten lassen, und we­ der die Regierungen noch das Volk würden ihm ihre Aner­

kennung versagen;

ben.

er würde sich allgemeinen Dank erwer­

Die steigende Cultur würde von ihm ihre Richtung

*) Von diesen sprachen wir oben in der Rede zum Anfänge dieses Jahres,

und unsere Wünsche wiederholen wir am Schluß d. I. mit

verstärkter Hoffnung.

300 als Entwicklung der Humanität erhalten, ohne welche die

künftige Generation alles ihr jetzt Manche weissagen. lige Bestimmung.

das Elend erfahren müßte,

das

Der Gelehrte hat also eine hei­

Daß er diese ganz erkenne und auf die

rechte Weise sie erkennen lehre, wünschen wir zu seinem und

der Menschheit Segen. Die Regierungen gehören selbst diesem Stande an, weil von ihnen alles ausgeht, was zur Bildung des Volkes ge­ schieht, und das Regieren selbst in allen seinen Zweigen,

von oben herab bis zu dem untersten Amt im Staat, nichts anders ist als ein Lehren unmittelbar im Leben. Daher werden mit Recht die Staatsdiener aus dem Gelehrtenstande genommen, bis zu derjenigen Stufe herab, von welcher an die Dienste unter der Leitung dessen, der die höheren Stu­

dien gemacht hat, besser von Männern, welche nur die all­ gemeine Bildung und die besondere Geschäftsübung besitzen, geleistet

werden.

Der Staat

würde übel berathen

seyn,

wenn er wegen der Brauchbarkeit der sogenannten Nichtstu-

dirten für die niederen Verwaltungsstellen auch die höheren

mit solchen besetzen wollte. Denn die Quelle muß aus dem Geiste fließen; je weiter nun der Diener von derselben ent­ fernt ist, um desto weniger Geist fließt ein, oder um desto

trüber wird die Verwaltung.

haben, schöpft.

bis wohin

Es muß also seine Gränzen

diese nur mittelbar aus den Studien

Auf der andern Seite würde es aber der Verwal­

tung nicht zuträglich seyn, wenn sie auch in den untersten Stellen von Männern aus dem Gelehrtenstande besorgt wür­ de, theils weil diese an ihrer geistigen Thätigkeit dabei zu

viel aufgeben müßten, um ihre Dienste mit Freude und Ge­ schicklichkeit zu leisten, und sich mehr in die niederen Kreise, so wie es doch unerläßlich ist, einzulaffen, theils weil es nicht nur zu kostspielig seyn würde, solche Männer zu besol­

den, deren Studienaufwand wenigstens Ersatz verlangt, son­

dern auch zu nachtheilig für so viele tüchtige Arbeiter unter

den übrigen der gebildeteren Classe.

Man kommt also auch

von oben herab bis zu einer Gränze, über welche hinaus

501 keiner aus dem Gelehrtenstande angestellt wird. Seiten her sonach

Bon beiden

wird man sich gegen solche Gränze hin

annähern, und die jetzige Cultur ist eben in der Bestimmung derselben begriffen.

Gehe man nur vorsichtig darin zu Wer­

ke, und neige sich nicht einseitigen Forderungen zu.

Zn der

neuen Gestaltung der Dinge, und bei der steigenden allge­ meinen Bildung wird die Besetzung mancher Stellen,

die

bisher von sogenannten Studirten verwaltet wurden,

auf

Unstudirte fallen, und dahin wird man sich immer mehr nei­ gen. Aber es sind da erst Erfahrungen nöthig, nach wel­ chen eine unparteiische Erwägung den richtigen Ausschlag

geben kann. Der Gegenstand ist nicht unwichtig; möge er von den höchsten Behörden beherzigt werden, und zwar so, daß sie den Erfolg auf die künftigen Generationen hin berechnen! Daß die StaatSdiener in dem Gelehrtenstand aufs beste

vorbereitet werden, ist ebenfalls der Fürsorge der Regierung überlassen; und wir dürfen in Deutschland nicht darüber kla­ gen, daß die Landesverordnungen dieses vernachlässigen. Rur wird die neueste Zeit auch hierin manches anders verlangen. Die Studienfreiheit ist so weit ausgedehnt, daß weder die

Niedrigkeit des Standes noch des Vermögens an sich davon ausschließt, und daß jeder Schul- und Universitätsbann als

ein Druck empfunden wird.

Desto mehr ist von der Regie­

rung zu erwarten, daß sie nur die Tüchtigen zu den Aem­ ter zulasse, und die Unfähigen so frühe wie möglich aus­

schließe, um ihnen den unnützen Zeit- und Kostenaufwand zu ersparen, dagegen für die Unterstützung der ausgezeichnet Fähigen, die unbemittelt sind, väterlich sorge. Zn allem diesem ist noch viel zu verbessern.

Um bei

dem letzten Punct anzufangen, so ist die Zutheilung der Sti­

pendien gewöhnlich nicht diesem eigentlichen Zwecke entspre­ chend, wornach doch billig kein anderer Züngling unterstützt werden sollte, als der bei vorzüglichen inneren Mitteln keine

äußeren besitzt.

Zede andere Begünstigung ist eine Ungerech­

tigkeit, die nicht bloß an der Person, sondern auch an dem

502 Staate begangen wird. Wer aber innerlich ausgezeichnet sey, das kann nach den Fortschritten der Pädagogik ziemlich entschieden schon in den Schuljahren erkannt werden, so daß man sich nicht mehr mit den bisherigen mehr negativen und nur so allgemeinen Zeugnissen begnügen darf. Der sittliche Charakter kommt dabei gar sehr in Betracht. Der zweite Punct sind die Prüfungen der Candidaten. Sie sind selten von der Art, daß man mehr erfährt, als die Kenntnisse des jungen Mannes, die ihm gerade gegenwärtig sind, und woraus man meist nur über sein Gedächtniß, oder wohl auch nur über seine gegenwärtige Stimmung zu urtheilen vermag. Zn denjenigen Staaten, wo auf das Examen nach der Universität für die Theologen, wie für die Zuristen noch ein späteres in praktischer Hinsicht, auch wohl nach einiger Zeit noch ein drittes für die höheren Adspiranten erfolgt, lernt man die Leute viel richtiger kennen. Bei allen diesen Prüfungen sollte die Sittlichkeit, und nicht bloß die nega­ tive, ein entscheidendes Moment seyn. Eine nähere Vorbe­ reitung nach der Universität durch sogenannte Seminarien, die namentlich nur bei Theologen statt finden können, ist in der Regel ein Geisteszwang, der vielmehr aus der geistlichen Wirksamkeit heraus und in ein neues Pfaffenthum herein zu führen droht; die künftige Generation wird gewiß solche Anstalten verwerfen. Das Gesetz der Stetigkeit erklärt die­ jenige Vorbereitung für das Amt, im Staate wie in der Kirche, für die beste, wo der junge Mann zuerst als Ge­ hülfe eines Andern unter seiner Leitung eintritt, das ist als Praktikant oder Vicarius. Ganz besonders wird sich solche Vorbereitung, die zugleich die erst völlig entscheidende Prü­ fung ist, für alle Schulcandidaten, sowohl der Gelehrten­ als der Volksschulen, als nothwendig bewähren. Auch hierin fordert die Zeit bei dem gesteigerten Bedürfniß und der ver­ mehrten Adspirantenzahl weit mehr, als sie noch vor etwa zehn Zähren forderte. Die weltlichen und geistlichen Behör­ den haben also die Aufgabe, das ehemalige Verfahren in den Prü­ fungen größtentheils zu verbessern, auch wohl umzuwandeln.

505 Nicht minder ist das der Fall mit dem sogenannten Ma­

turitätsexamen.

An die

Mängel,

welche darin bisher zu

bemerken waren, haben wir schon anderswo erinnert, *) hier möchten wir die Aufmerksamkeit besonders noch

auf einen

Sollte ein Staat den Jünglingen, welche die Universität besuchen wollen, nicht vielleicht ganz dieses Punkt lenken.

Examen frei stellen, so daß sie hiernach ermessen könnten, ob sie durch das akademische Studium ihren Zweck zu er­

reichen hoffen dürfen oder nicht, und nur zum Voraus an die strengen Forderungen ihres dereinstigen Candidaten-Exa­ mens erinnert würden? Dieser Vorschlag hat vieles für sich. Einmal würde bei dieser Freistellung die Studienfreiheit fol­

gerichtig durchgeführt; fürs andere würde kein talentvoller Mann gehindert, der erst später und auf außerordentliche Weise seine Schulbildung erhalten hat, in den Dienst der treten, sofern er nur in der

Kirche oder des Staates zu Prüfung für diesen besteht,

da

sonst gerade manche

der

ausgezeichnetsten Köpfe diesem Dienste entzogen würden. Drit­ tens könnte sich doch auch keiner, der bei dem Staats- oder Kirchen-Examen abgewiesen würde, beklagen, weil er sich vorher darüber versichern konnte.

Indessen würden wir nicht

rathen, jetzt dieses so anzuorbnen, da die Maturitätsprüfun­ gen nun einmal eingeführt sind, und bis jetzt ihren über­ wiegenden Nutzen beweisen; ob die Zukunft dieses so gut finden werde, stehet dahin,

und bis dahin erlauben außer­

ordentliche Fälle auch Ausnahmen.

Uebrigens versteht sich die

Aufsicht auf die Amtsführung von selbst, und unsere Wün­

sche gehen nur noch dahin, daß es ihr gelingen möchte, die

christliche Gesinnung auch hierin zu beleben,

damit der heil­

bringende Geist in allem wirke, insbesondere aber in dem

*) Oben in der Rede über unsere Nationalbildung S. 42 u. in dem B. die Schulen S. 206.; wir verweisen aber besonders noch auf die Verbesserungen solcher Prüfungen, wie sie das Köngl. Preuß. Reglement für die Prüfung der zu den Universitäten übergehenden Schüler, Berlin 1834, enthält.

504 Lehramt. ’)

Die Begünstigung guter Anstalten bereitet un­

sern Regierungen den Dank der Nachwelt, und wir wün­ schen ihnen zu diesem gesegneten Eifer Glück. Es ist vor­ trefflich , daß sie überhaupt in wohlthätigen Anordnungen den Wünschen der Verständigen im Volke sogar zuvorkommen.

Kein besseres Mittel gibt eß gegen den Oppositionsgeist und die Herrschsucht der Demagogen, und auf diesem so glück­ lich eingeschlagenen Wege werden auch die bethörten Herzen gleichsam gezwungen, sich wieder der Regierung zuzuwenden, welche ihre Männer bis zu den höchsten Staatsämtern hin­

Das deutsche Gemüth kommt dann wieder in seine Pietät, denn es liebt so gerne seine auf gut zu wählen weiß.

Regenten, und jubelt dem entgegen, dessen väterliche Weis­ heit es erkennt.

Unser Wort Landesvater spricht diesen Na­ tionalzug aus, das Bild der väterlichen Regierung, dieses

Zdeal von alten Zeiten

her,

wollen wir nicht untergehen

lassen; und ist es nicht durch das Christenthum zur Verklä­ rung erhoben?

Das sind also unsere Wünsche und Hoff­

nungen in einer noch immer verworrenen Zeit. Nun eröffnet sich unserm Blick noch eine weite Aussicht für die Volksbildung, und hierhin und dorthin wird es gar

düster. Zurückwenden dürfen wir diesen Blick nicht, denn war es je die Pflicht der Erziehung, auf die künftige Zeit ihr Augenmerk zu nehmen, so ist sie es jetzt.

welche drohen,

Die Uebel, ob sie können zurückgehalten werden? das

Gute, welches im Wachsen begriffen ist, ob und wie es uns bleiben möge,

das ist vorjetzt ernstlicher zu bedenken,

und

wir bedenken es gerne, weil uns die frühere Hoffnung nicht •) Erfreulich ist die Anordnung in dcr Kön. Preuß. Provinz West­ phalen, daß die Directoren der Gelehrtenschulen jährliche Zusammen­ künfte halten, um sich über die Schulangelegenheiten zu besprechen; ein wahrer Fortschritt! Denn hiermit entwickelt sich ein SchulorganiSmuS tut Ganzen aus seinem LebenSpuncte, und hoffentlich aus dem rechten Geist. Dieses Erfreuliche vermehrt sich durch die Nachfolge. ES hat sich nunmehr ein Verein norddeutscher Schulmänner gebildet, deren Ite Versammlung am 30. Sept. d. I. zu Lübeck war, und die nächstes I. zu Hamburg seyn wird. ES ist noch weitere Nachfolge zu wünschen.

50a verlassen hat.

Vor allem weisen wir also die grämlichen

Gesinnungen zurück, welche das Wirken zum Besseren nur

dem Christenthum widersprechen. °) Vielmehr fasse man die Besorgnisse nur richtig und herzhaft lähmen, und geradezu

ins Auge, und hüte sich vor der Täuschung, welche sich das

Schlimme verhehlt, ebensowohl als vor der, welche an dem Guten verzweifelt. Wir wollen indessen von denjenigen Uebeln absehen, welche vorübergehend sind, oder auch nur die Folgen der tiefer liegenden; nur diese, die Grundübel der jetzigen und

folgenden Zeit, sind hier näher zu

betrachten. Sie sind nicht schwer aufzufinden, denn sie erscheinen leider überall, und wir hören schon länger her darüber klagen: eS ist die

Abnahme der Religiosität und die Zunahme des Luxus, im Ganzen die Richtung zum materiellen Leben, welche mit je­ dem Tage vorherrschender wird. Geht das so fort, so wer­ den die Völker unfehlbar zerrüttet, so gut wie die Familien. Auf eine Zeitlang ist da wohl bei Einzelnen Reichthum, int Ganzen aber Verarmung, dort Genuß, Uebermuth, Ueberdruß,

hier Elend und Verzweiflung, die dort suchen die hier im Druck zu erhalten, und die hier bereiten in geheimer Erbit­ terung gewaltsamen Gegendruck. Die Vorgänge in vollge­ drängten Städten und industriösen Ländern wie Frankreich,

England, Nordamerika, Belgien u., die noch erst in diesem Jahre die Zeitungen füllten, zeigen uns das schon jetzt, und lassen noch immer Aergeres befürchten. Denn wo ist das Ende abzusehen? Der wohlthätigen Macht der Negierungen

ist es bisher gelungen, diese Bewegungen niederzuschlagen,

wird es ihr immer gelingen? so fragen viele ängstlich, und wird nicht mit der Zunahme der Ursache, die doch uuläug-

bar ist, auch die Wirkung mächtiger und vielleicht bald schon unüberwindlich werden?

Wer kann da retten?

Denn es

e) Der Detf. muß immer wieder darauf zurückkommcn, was er an mehreren Orten, besonders oben in dem Gespräch S. 63 fgg. ge­ zeigt hat; denn «S ist ein Hauptpunct, an dem alles hängt.

Schwarz: Darstell. a. d. Gebiete d. Pädagogik. H.

20

506 fehlt ja auch die Hülfe, auf welche man sonst rechnen konn­ te, die Macht der Gottesfurcht.

Die Menschen wollen sich ja nicht mehr durch den Geist Gottes strafen lassen; sie ha­

bens ihren Spott, wenn man sie an den Wcltrichter erin­

nert, von dem Gewissen ist gar nicht mehr die Rede, man spricht dafür freilich von Ehre, Loyalität, Moralität, aber was sind diese Worte! Eben das gehört zu allem diesem Unheil, daß man das Wort will, und immer nur das Wort. Und wenn ihr zugebt, daß diese abgenommen habe, meint aber, jene habe dafür zngenommen, wie versteht ihr denn das? Die Lügenhaftigkeit der Zeit möchte gerne alles beschönigen. Nein, sie soll uns nicht betrügen; wir nennen das Böse

Was ist denn eure Moralität ohne Religiosität?

nicht gut, sondern alles mit seinem rechten Namen.

den falschen Propheten,

„Wehe

die das Volk täuschen!" *)

Wie

die Gottesfurcht abnimmt, so nimmt das Verderben zu, und wer erschrickt nicht vor dem Vulkan, dessen Feuerstrom dem schönen Lande droht! Erspart uns das Ausmalen, aber er­ spart es nicht euch, nur tragt die Farben nicht greller auf, als die Wirklichkeit sie darbicte.

So ganz ist doch Reli­

gion und Sitte nicht aus dem Br ‘e entwichen, und immer noch sind der frommen Herzen, di. Gott im Stillen und öffentlich die Ehre geben, nicht wenige, ja sie scheinen sich zu vermehren, so wie die Noth drohender wird. Schon

ein großer Schritt zum Heil ist damit gethan, daß man die Roth erkennt, und also an die Rettung denkt. Wir müssen zurück von dem Luxus — so viel es uns

nämlich vergönnt ist.

Diese Rückschritte muß man aller­

dings dem Volke wünschen, nur sind sie nicht so möglich,

wie man gerne wollte, und wir dürfen auch darin keine überspannten Forderungen machen. Denn die Bildung selbst, die Betriebsamkeit, der Nahrungsstand, alles dieses ist durch und durch mit dem Luxus verwebt; auch ist es die Bestim­ mung der Menschheit, daß sie alles entwickele, was zurVer-

°) Jes. 5, 20.

Ice. 14, 13 fg. 23, 22.

Ezcch. 13, 3. u. a. m.

307 vielfältigung der Erdengüter und zur Annehmlichkeit des Le­

bens dient.

Doch wir wollen nicht bei bekannten Dingen

verweilen. Denken wir nur an das, was die Erziehung hierin thun kann. Gewöhnt eure Kinder an Einfachheit, und ihr erwerbt ihnen größeren Reichthum als an den Ca­

pitalien, welche nur ihre Bedürfnisse vermehren. ES ist er­ freulich, zu sehen, daß viele in den höheren Ständen diese

Fürsorge für ihre Kinder beweisen, möge ihr Beispiel die niederen von ihrer Verkehrtheit ablcnken! Den Strom kön­ nen wir nicht aufhalten, und unsere Nachkommen müssen

mit fortschwimmen,

aber ihnen die Kraft zu geben, daß

er sie nicht fortreiße, das steht zum Theil in unserer Ge­

walt. Die Triebfeder der äußeren Ordnung und Rechtlichkeit

ist in unserem Volke noch zur Zeit ziemlich allgemein wirk­

sam, Gott gebe, daß sie es fortdauernd bleibe,

und dazu

muß die Sitte und Gewöhnung möglichst beitragen.

Auch

diejenigen, welche auf die höhere Triebfeder halten, dürfen

jene in der häuslichen und öffentlichen Erziehung nicht unbe­

nutzt lassen; sie bereitet das Gemüth für jene vor, sie unter­ stützt sie auch, und sie ist unentbehrlich. Ebenso verhält es Es ist von großem Belang, daß das Ehrenwort heilig gehalten werde, wenn wir gleich das be­

sich mit der Ehre.

klagen,

daß

es heiliger gehalten wird als der Eid;

besser

doch, daß noch hierin ein Band des Vertrauens die Gesell­

schaft verbindet.

Nur glaube man nicht,

daß da§ gerade

auf Gewissenhaftigkeit hindeute, denn die Begriffe der Ehre sind sehr verschieden, und werden selten von dem Gefühl der sittlichen Würde hergenommen.

Man billigt z. B. das Duell,

die Weltklugheit, den industriösen Verstand, das Reichwer­

den re., ja man lobt dergleichen sogar, ohne an das zu den­ ken, was die Stimme Gottes dazu sagt.

Gar nicht ferne

liegt die Möglichkeit, daß die Schelmerei Ehre bringt, inwieferne sie sich nur den äußeren Gerichten entziehen kann. Die Gewandtheit, mit welcher oft der Misbrauch der Presse vertheidigt wird, die Chicane, womit sich die Berläumdung

20'

508 straffrei zu machen versteht, die Leichtigkeit, womit der Ver­ schmitzte dem ehrlichen Mann etwas anhängen, sich selbst aber Ansehen verschaffen kann, das alles sind nur die ersten

Schritte zu viel ärgeren Dingen, welche kommen werden, wenn nicht die Triebfeder der Ehre in der rechten Richtung erhalten wird.

Genugsam hören wir schon jetzt die Klagen,

z. B. über die Demoralisirung, welche durch das Mauthwesen unter dem Volke so eingeriffen ist, daß sich hierin kaum jemand noch des Betruges schämt. Das führt weiter; denn was man an einem Ort gelernt hat, wendet man gerne auch anderswo an, und so werden sich bald noch in ganz andern Verhältnissen

lassen.

die Künste des Betruges bewundern

Und wo die Gesetze dergleichen vorsehen wollen, ru­

fen sie oft nur feinere Kniffe unter gewissenlosen Rechtsver­

drehern hervor.

Auch in dem sogenannten Philanthropis­

mus, womit man jetzt die Verbrecher zu behandeln pflegt, erscheint, wenn uns nicht alles trügt, ein Zeichen, welches die völlige Verkehrung des Ehrbegriffs verkündigt. „Wie so?" fragt ihr. Der ehrliche Mann wird bald seines Besitzthums, ja seines Lebens nicht mehr sicher seyn, wenn der Schelm es auch in seiner Bestrafung gut hat, und wenn man die Menschenliebe in einem Wohlthun setzt, das auf Unkosten der Menschenachtung ausgeübt wird; diese aber ver­

langt, daß man die physische Person nicht höher halte als

die ethische, nicht höher als ihre Vernunft und deren Ge­ setz. Ueber alles das wäre noch viel zu sagen, doch wir kommen zurück zu dem Wunsch, daß Vorkehrungen gegen das getroffen würden, was wir fürchten müssen. Sie lassen sich treffen, denn das Ehrgefühl und die gute Sitte läßt sich

in der rechten Richtung und Stärke erhalten.

Was sich jetzt

noch Gutes darin findet, ist aus einer höheren Quelle noch

nachhaltig, und daß diese immerfort hereinfließe, dafür muß man sorgen. Geschieht das nicht, so wird das Gute, um

deffentwillen jene Triebfedern dem geselligen Leben bis jetzt noch wohlthätig sind, bald versiegen, und das befürchtete Unheil bricht unaufhaltsam herein. Dieses Gute aber ist die

509 Gewissenhaftigkeit, die noch in dem Gemeinflnne lebt, und

das Mittel, sie fortwährend zu erhalten, ist und bleibt ewig die Religion. Werdet nicht verdrossen, dieses immer wieder zu hören, wir dürfen auch nicht verdrossen werden, es im­

mer wieder zu sagen, selbst auf die Gefahr hin, daß uns

Viele gar nicht mehr hören mögen; es ist die Stimme der Wahrheit, die Sache ist nicht anders, cs ist sonst nirgends Heil. Wir wünschen also, daß sich niemand täuschen lasse, oder gar selbst das Volk täusche, durch das Vorziehen jener

Triebfedern, als seyen sie der Grund, welcher die Ordnung im Staat und Haus erhalte, sondern daß der rechte Grund, durch welchen sie selbst erst von rechter Art und beständiger Dauer sind, erkannt und festgehalten werde.

Unsere Hoff­

nung für unser Volk beruht auf dieser thätigen Anerkennung, Gott wolle also diesen Gemeinsinn unter uns schützen und stärken!

Bis dahin haben wir den bereits eingetretenen Zustand der Bildung in seinem nächsten muthmaßlichen Erfolge be­

trachtet, wir müssen aber noch weiter hinaussehen auf eine

Zeit, die ganz neue Entwicklungen bringen wird.

Obwohl

dieses gewagte Blicke sind, weil die Zukunft verhüllt ist, und

wir keine prophetische Gabe besitzen, so ist uns doch in dem

Gesetze der Menschheit einiger Aufschluß gegeben, und wir müssen nur logisch gewiß seyn, daß wir keine ihrer Hauptrichtun­

gen aus

den Augen

lassen.

Wir gehen daher wohl am

sichersten, wenn wir uns an jene alte Einthcilung halten, welche den Menschen nach Leib, Seele und Geist betrachtet, denn in diesem Dreifachen spricht sich sein Leben, obwohl un­ getrennt, aus.

Die bevorstehende Entwicklung der Mensch­

heit, welche sich durch die dermalige Cultur sogar als nahe

bevorstehend ankündigt, wird dem Leben eine große Verän­ derung

in jener dreifachen Hinsicht bringen,

im leiblichen

Zustand, im inneren der Seele, und selbst in dem höheren des Geistes. Dieses wollen wir nach einander betrachten.

510 1. Das

leibliche Leben wird unter den Menschen

eine große Aenderung erfahren, zunächst in den Ländern der

Europäischen Cultur, die sich aber, vielleicht mit Riesenschrit­ Der Philo­ soph Fichte sprach in seinem Buche über die Bestimmung ten, über alle Völker der Erde verbreiten wird.

des

Menschen

das Wort aus,

dem Menschengeschlechte

müsse die Erde das werden, was dem Einzelnen sein Leib; zu diesem schönen Gedanken fügte er den prophetischen hinzu, daß sich noch neue Kräfte in dem Menschen entwickeln würden, und dieser war ihm von seinem Glauben an die Menschheit

eingegeben. Das fängt sich nun schon an zu bestätigen, und die Fortschritte in den praktischen Naturwissenschaften sind so reißend, daß selbst der gemeine Mann dem mensch­ lichen Verstand Dinge zuschreibt, wovon man dermalen noch

gar keine Begriffe hat, und seiner Verwunderung kein Ende

findet. Alle jene neuen Mittel, die Raturkräfte zu benutzen, sind auch wirklich Erweiterungen der Menschenkrast zur Herr­ schaft über die Erde, und eine Vergrößerung des Reichthums in den LebenSgütern.

Das leibliche (materielle) Leben wird

hierdurch eine große Veränderung erfahren. Der Landmann geht jetzt noch bei uns mit der Hacke in der Hand zu einem schweren Tagewerk, wird er das noch in 50 Zähren?

Wer

weiß denn, wohin es mit dem Maschinenwesen kommt, und

ob nicht der Landbau ähnliche Erleichterungen erhält wie das Fabrikwesen, so daß er nicht mehr mit Dornen und Disteln gelohnt, und nicht mehr im Schweiße des Angesichts betrieben wird; ja wer weiß, ob man nicht das Land über­

haupt ganz anders benutzen werde, ob nicht die Gaben der Ceres durch ergiebigere Gewächse verdrängt werden? Vor

kaum zNWhundert Zähren dachte noch niemand in Europa

an das wichtige Nahrungsmittel, das schon oft allein gegen Hungersnoth schützte, und jetzt kennt man auch den Brod­ baum und manche andere Gewächse, und erfährt sogar, daß sich manche aeclimatisiren lassen, wovon man es nicht dach­ te. Auch diese Kunst ist im Forts^reiten begriffen, und man

wird vielleicht in fünfzig Jahren in der Gärtnerei, in der

511 Zubereitung des Bodens, ja in einer gewissen Gewalt über

die Witterung, analog den Blitzableitern, Dinge sehen, die

uns jetzt unglaublich vorkommen. Zudem wird man die Beschaffenheit der Nahrungsmittel so erforschen, daß man die gesunden und nahrhaftesten für jede Menschenclaffe er­ wählen, und mit geringerer Quantität die Bedürfnisse be­

friedigen kann.

Die zunehmende Bevölkerung wird noch er­

finderischer in allem dem machen, als bisher, und man wird in der Speise, Wohnung, Kleidung, Sicherung gegen

Krankheit, Feuer, Wasser, Witterung und in allen Bequem­ lichkeiten des Lebens so manches entdecken, was uns jetzt noch verborgen ist, so daß eS vielleicht schon in der nächsten

Generation hierin ganz anders aussieht. Es werden, wie die bisherige Erfahrung zeigt, Seuchen vertilgt, eS

schon

kommen aber auch neue, und es entstehen Krankheiten, die man früher nicht kannte; indessen denken wir auch an eine Verbesserung der Natur des Menschen; die physische Behand­

lung der Kinder, die Diätetik, die Arzneikunde wird für den leiblichen Zustand noch weit günstiger werden. Kurz die ganze Lebensweise wird unter den kommenden Geschlechtern

eine ganz andere seyn.

Man wird da nur erzählen von al­

len den Unbequemlichkeiten, bei welchen sich die armen Groß­ väter und Vorfahren behelfen mußten, wie wir auf die arm­

seligere Lebensweise unserer Voreltern zurücksehen, die uns jetzt nur noch in der niedersten Volksclaffe erscheint. — Oder sind diese Erwartungen überspannt?

Zhr könnt doch keine

Gränzen angeben, wo die Entwicklung der Menschenkraft ihr Höchstes erreicht hätte. Und was wir während unserer Zeit erfahren haben, berechtigt uns doch wahrlich nicht, sol­

che Blicke in die Zukunft für allzukühn

zu halten.

Nur

haben wir daran zu denken, was jetzt schon geschehen müsse, damit nicht alle diese Fortschritte zum endlichen Verderben

führen. ES lassen sich doch wohl Vorkehrungen treffen. Nicht als ob damit von Hemmungen jener Fortschritte die Rede wäre, denn das wäre das thörichtste Beginnen von

der Welt.

Zeder Versuch der Art würde schon im Anfang

512 scheitern, und allenfalls erst unglückliche Aufregungen hervor­

bringen. Der Strom sucht seinen Lauf, nicht wir vermö­ gen ihm einen Damm entgegen zu setzen, und sollen es auch nicht; eS ist die Entwicklung der Menschheit, und sie ist zum

Fortschreiten bestimmt.

Was hierin nun etwa schlimmer Art

ist als ein Durchgang zum Besseren zu betrach­ ten, und auf dieses zu lenken, so viel in unserer Boraus­

seyn mag,

sicht und Macht steht.

leibliche Leben dem

Das aber ist unsere Sache, das geistigen unterzuordnen. Droht dasselbe

den Leib über den Geist zu setzen, so droht es hiermit den und diesem Unheil können und sollen wir vorbeugen. Gesetzt auch, daß das leibliche Wohl­

Untergang der Menschheit,

befinden sich eine Zeitlang losgeriffcn von dem Geistesleben erhielte, so ist das nur Nachwirkung von der bisherigen Ver­ bindung mit demselbeu, und es kann unmöglich lange dauern.

Die Menschen versinken; vorerst in Genuß, dann in Laster­ haftigkeit, dann in Dumpfheit und Unwissenheit, hiermit in Noth und Elend aller Art, wie uns das in alten Geschich­

ten vorgebildet ist. Ein Babel fällt und wird zur Wildniß. Das geistige Hinsterben zieht das leibliche nach sich; der Er­ densohn muß zur Erde werden; das materielle Leben löset sich in den Urschlamm auf. Also müssen die, welche jetzt auf das Fleisch säen, nun desto eifriger sich dahin wenden, um auf den Geist zu säen.

Das leibliche Leben soll ja keineswegs dabei leiden, sondern

vielmehr durch die Geistessaat erhöht werden.

Gegengewicht nothwendig.

Ze reicher

und

ES ist ein der

bequemer

Mensch äußerlich lebt, um desto mehr bedarf er nicht nur des Verstandes, sondern auch der übrigen geistigen Güter, damrt er der leiblichen eben recht froh werde;

wem die Ader

des Geistes reichlich fließt, der wird nicht mit dem Geld­ manne tauschen, der bei seinem Silber und Gold die Kunst des weisen Genusses entbehrt.

Sorgt also ihr, die ihr turnt

Kindern Geld genug hinterlasset,

Ueppigkeit mitzuschwimmen,

um in dem Strome der

daß ihr ihnen den Talisman

des rechten Gebrauches mitgcbet,

und den wahren Reich-

515 thum hinzufüget; dann erst habt ihr für ihr Glück gesorgt.

Auch für das Volk ist auf solche Art zu sorgen.

Der Hang

des Menschen geht ohnehin auf das Sinnliche hin, und er bedarf schon bei einer kärglichen Besriedigung von Jugend

auf des Gegengewichts, wie vielmehr wenn ihn die Mittel und Reize zum Genuß reichlicher umfließen.

dungsanstalten wollen doch

Unsere Bil­

kein verweichlichtes Geschlecht,

unsere Jugend soll zu etwas Höherem heranstreben, als so­ genannte Lebemenschen zu werden; es muß also auch der

Schulunterricht darauf Bedacht nehmen.

Die Kenntnisse für

das materielle Leben beschäftigen die Gedanken leichter und anziehender als die, welche den Geist zu dem llebersinnlichen erheben wollen. Gerade die größten Naturforscher, wie New­ ton oder Sinne, bedurften sonst der Andachtserhcbung, um so geistreiche Naturforscher zu seyn.

haben werden?

Ob sie viel Nachfolger

Die jetzigen bedürfen das noch mehr.

Eben die größeren Fortschritte ihrer Wissenschaft erschweren es schon

den jetzigen, und werden es noch mehr den künftigen erschwe­ ren. Denn so ist nun einmal unsere Natur: das, womit wir uns beschäftigen, das wirkt auf uns zurück.

Das Viel­

fache zieht von dem Einfachen ab, die Natur führt den Sinn

zur Vielgötterei, und den Verstand, der das Licht von oben entbehrt, zum Naturalismus, ja bis in den Abgrund des Atheismus. Die Materie ist ein Mannigfaltiges, und löst sich in unendlich viele Theilchen auf, wenn nicht eine Lebens­ kraft sie zusammenhält. So müssen auch die Menschen in lauter selbstsüchtige Zchheiten auseinandergehen, wenn sie sich

dem materiellen Leben überlassen, und nicht durch die Le­ durch die Einheit der Vernunft, und das göttliche Licht in derselben in dem ewigen Lebens­

benskraft der Menschheit,

quell zusammengchaltkn werden. Denn die Natur ist und bleibt Natur, und in ihren Gesetzen geht der Mensch unter, wenn ihn nicht der Geist über dieselben erhebt. Darum drängt uns der Wunsch, daß dem Gelehrten

wie dem Volke das Uebergewicht der Naturmacht, welches jene Fortschritte drohen, durch das Gegengewicht der Geistes-

514 macht aufgehoben werde.

Wer dieses

physische Gesetz er­

kennt, der kann nicht genug gegen ein Treiben der jetzigen Schulplane warnen, welches nur auf Erhebung der Natur­ kenntnisse und in demselben Grade auf Verdrängung der Sprach- und Gelehrtenbildung hinauSgeht. Es ist Kurzsich­

tigkeit, nochmals sey es laut gesagt, es ist wahrlich Kurz­ sichtigkeit! Zhr lieben Leute meint es recht gut, aber ihr wisset nicht,

wohin ihr die Sache treibt,

kenntet ihr das

menschliche Herz und den Lauf der Dinge besser, so würdet

ihr auch besser für die Humanität der künftigen Geschlechter sorgen. Dann würdet ihr umgekehrt in dem Grade, als die Jugend in die Realien hineingezogen wird, den Unterricht in jbtn Zdealien verstärken, und bei der Zunahme des mate­ riellen Lebens würdet ihr den Gelehrtenstand um so wichtiger

halten, wie man

am wenigsten in

die Aerzte entfernt.

krankhaften Zuständen

Möge unser Zeitalter dieses noch zu

rechter Zeit bedenken, dann erst wollen wir unserm Volke

zu der Zunahme des äußerlichen Wohlstandes und der leib­

lichen Cultur wahrhaft Glück wünschen.

2. Zugleich wird in dem Leben der Seele *) eine große Veränderung bevorstehen; in der Art zu empfinden und zu handeln wird vieles anders werden. Bis daher lebten die Menschen in engeren Kreisen, und ihr Geselligkeitstrieb fand in denselben seine Befriedigung: so wird es in Zukunft

nicht mehr seyn.

Die Menschen kommen jetzt durch das er­

leichterte Reisen zu Wasser und zu Lande in so vielfachen Verkehr, daß am Ende der Chinese dem Europäer und Mexi­ kaner die Hand reicht.

Die Geselligkeit erweitert sich, alle

Nationen lernen mit einander umgehen, und gewöhnen sich zum allgemeinen Wohlwollen. Die Heimath genügt schon jetzt vielen nicht mehr, und da die Räume immer mehr für

*) Der Verf. bezicht sich übrigens auf daS, waS er im ltcn B. dieser Darstellungen unter VIII. fS. 351 fgg.) aus Schuberts Gesch. d. Seel« mitgcthcilt und selbst bemerkt hat.

515 die Reiselustigen schwinden, so möchten dann Manche auf der ganzen Erdkugel als Nomaden herumziehen.

Die ver­

vielfachte Geselligkeit wird zu einem Lebensreiz, an den man sich leicht verwöhnt, wie man bei den Einwohnern in gro­

ßen Städten erfährt; und dieser neue und zunehmende Reiz verlangt, vergleichbar dem geistigen Getränke, immer stärkere

Befriedigung.

Die Unterhaltungen in den gebildeteren Krei­

sen bezeugen das ebenfalls, sie gehen meist über dem Herzen weg, und bewegen sich in artigen Redensarten und Uebun­

gen, über alles zu sprechen.

Selbst Frauen zeigen gerne,

daß sie die Welt gesehen haben/" Bald wird niemand mehr in der Gesellschaft gelten, der sich nicht wenigstens in den

Hauptstädten umgesehen hat, und von diesen spricht,

ehedem der ehrliche Spießbürger von seinem Städtchen.

wie Wie

mag das erst bei unsern Enkeln werden?

Noch mehr wird sich im häuslichen Verhältniß ändern. Der Mann wird in seiner Familie dann noch weniger seine

Erheiterung finden als jetzt,

die Hausmütter,

die nur in

ihren Kinderstuben und Küchen einheimisch sind, werden noch seltner seyn als jetzt, die Kinder werden nicht lange zu Hause weilen mögen, die Geschwister werden sich kaum recht

kennen lernen, — die innigsten Bande werden sich so bald wie möglich lösen. Nur den Dichtern bleibt alsdann noch das Familienleben, gleich dem arkadischen Schäferleben für

ihre Idyllen. Zur Vater-, Mutter-, Gatten-, Kindes-, Geschwisterliebe kann es dann gar nicht mehr recht kommen, und die schönsten Gefühle entfliehen aus den Herzen, mit ihnen entflieht die Liebe selbst von der Erde.

Denn ihr ist

gleich dem Kinde die Familie zur ersten Pflegerin von dem

Schöpfer angewiesen.

Die Folgen dieses Verlustes sind also

unübersehbar, und werden nicht durch den Kosmopolitismus

gut gemacht. Noch immer erfreut sich der größte Theil der Menschen, auch unter uns, des heimischen Landes, seiner Berge und

Wälder, seiner Ebene und Flur, seines Flusses oder Bäch­

leins, seiner Stadt, seiner Hütte, und sogar seiner öden

516 Gegend.

Aber schon ist es bei den Gebildeteren anders ge­

worden, und eS wird noch mehr anders werden, und das so weit die Cultur fortschreitet, bis auf die abgelegenen Dorfbewohner herab. Denn der vermehrte Verkehr treibt immer mehr die Menschen herum, bis ins entferntere Ausland; sie lernen da manche Bedürfnisse kennen, sie finden angenehmere Le­ bensreize, und weil sie schon das Neue zu reizen Pflegt, so

wird ihnen leicht die Heimath verleidet, und die Lebenserfrischung, die jetzt nur etwa der Gelehrte durch Reisen sucht, wird bald von allen gesucht werden, die zu Hause des all­ täglichen Vegetirens — wie ihnen das stilleLeben vorkommt—

müde sind.

Selbst die Naturschönheiten der heimischen Ge­

gend werden dem verwöhnten Geschmack nicht mehr so ge­ fallen; man hört es ja schon jetzt bei denen, die viel schöne Landschaften gesehen haben,

wie sie gerne vergleichen, kriti-

siren, und sich sogar die Freude an ihrem Wohnort verder­

ben mögen. Der Sinn für das Schöne in der Nähe wird abgestumpft, und durch den häufigen Wechsel am Ende verflächt, so daß er in lauter Reflexion untergeht.

Denn der

Hang zum Sinnenreiz läßt ihn ohnehin nicht aufkommen, so lange er selbst nicht von der Richtung zum Ilebersinnli-

chen überwogen wird.

Rehmen wir nun noch ferner hinzu

die Erkaltung der Liebe zwischen den Eltern und Kindern,

wie kann da noch das stille Feuer auf dem häuslichen Altar den Gemüthern heilig seyn? Wo bleibt dann auch die Liebe zum Vaterlande?

Erlischt nun vollends auch das Lebenslicht in

der Kirche, wie sollten da noch die Bewohner mit Gut und

Blut etwas vertheidigen, das sie nicht haben, nicht einmal

ihren Herd?

Da lösen sich im Volke die innigsten Bande.

Und dagegen helfen dann keine Constitutionen, keine Rechts­ formen, keine Aeußerlichkeiten. Die Gesinnungen der Bevöl­ kerung gehen in Selbstsucht auf, und treiben die Menschen

wie Atome auseinander; sie suchen in der trügerischen Fremde,

was sie selbst der mütterlichen Heimath versagen und darum nirgends finden. — Richt anders ist es mit der liebeleeren Weise, wie in solcher Cultur die Landesbewohncr ihre Lan-

317 deSverfaffung und ihre Obrigkeiten immer gegen andere, oder

auch nur erträumte, herabzusetzen geneigt sind. Wie läßt sich da noch auf irgend eine treue Anhänglichkeit rechnen?

Geschichtsforscher sehen oft mit solchen Besorgnissen bange in die Zukunft. Die Provinzialismen in der Sprache sahen wir schon Auch Staatsmänner und

seit dem neuen Schulwesen verschwinden; auf dem entlegen­ sten Dorfe hört man jetzt Hochdeutsch. Auch die National­ trachten sieht man immer weniger, und kaum noch hier und da unter Gebirgsbewohnern. Eben so verliert sich eine alte Sitte nach der andern. Was so im Einzelnen angefangen,

wird sich in immer größere Kreise ausdehnen.

Die Natio­

nalitäten werden allmählig untergehen, mit ihnen die Eigen­ thümlichkeiten, wie man schon jetzt in einer großen Weltstadt

fast alles so findet wie in der andern.

Wohin es mit die­

ser Weltbürgerlichkeit kommen wird, weiß der Himmel, aber

mag man sie anpreißen, wie man will, so viel sehen wir,

auch das Vorzügliche in dem Nationalen mehr und mehr verwischt wird,") und daß unser Dichter in dem Wort daß

„und sie wollen alles verflächen" ein Bild von dem Leben selbst gegeben hat, das aus diesem Culturgang entstehen muß. Zndeffen es ist nun einmal nicht anders; auch durch diese Krisis

Vorsehung

hindurchzugehen

ist

der Menschheit von

der

bestimmt; möchte sie denn nur ein Uebergang

zum Besseren, wir möchten sagen zur Verklärung der Ra-

•) Kant sagt in seiner Anthropologie (S. 163. §. 49.): „DaS Genie scheint auch, nach Verschiedenheit des Nationalschlages und des Bodens, dem cS angeboren ist, verschiedene ursprüngliche Keime in

sich zu haben, und sie verschiedentlich zu entwickeln. ES schlägt bei den Deutschen mehr in die Wurzel, bei den Jtaliänern in die Krone, bei den Franzosen in die Blüte, und bei den Engländern in die Frucht." Abgesehen von dieser Charakteristik, die man wohl nicht ganz getroffen finden möchte, ist doch der Hauptsatz wahr. Verwischt sich nun daS Nationale, was wird dann aus dem Genie?

318 »tonen, °) des Vaterlandes, und der Familienliebe seyn! Daß aber jene Uebel nicht die Gaukeleien einer trüben Phantasie seyen, wird jeder zugeben, der die Menschen kennt; unsere Blicke sind lediglich von den Gesetzen der Psychologie

geleitet. Verbinden wir nun damit die Veränderungen in dem leiblichen Leben, so muß der Psychologe noch viel trüber in die Zukunft sehen. DaS Herabsinken in den Sinnengenuß, die egoistische Betriebsamkeit, der gesteigerte Dünkel der NerstandeSentwicklung, der abgöttische Glauben an die Menschen­ kraft, die zunehmende Nervenschwäche, falls nicht bald Mit­ tel dagegen erfunden werden, u. dgl.: wohin soll daS führin? Selbstmord, Schwermuth, Verzweiflung, Wahnsinn — vermehren sich nicht schon jetzt diese Jammerbilder?

Werden die zukünftigen Geschlechter noch von starken Män­ nern erzeugt, von gesunden Müttern geboren, von kräftigen

Säugerinnen ernährt werden? Ein Heroengeschlecht hat man wenigstens nicht zu fürchten. Und gesetzt auch, die Fort­ schritte in der Leibespflege führten mehr Sicherung gegen jeden krankhaften Zustand und völlige Stärkung der menschlichen

Natur herbei,

so ist vielleicht desto mehr das Dämonenheer

der Leidenschaften zu fürchten, die dann zügellos umher wü­ ten. Oder um an ein Bild zu denken, an den Mythus der geharnischten Drachensaat, durch Gewaltthaten reibt sich

die Schaar der Starken auf. — Doch genug!

Nicht bloß

der, welcher gerne trübe sieht, wird noch mehr sehe».

Wir

wollen uns aber auch nicht durch allzuheiteren Sinn abzie­ hen lassen, das, was die Zukunft wirklich droht, ins Auge zu fassen, um auf die Mittel zu denken, welcke zur Abwen­ dung dieser gefürchteten Seelenzustände uns die Vorsehung

nicht versagt hat.

•) Dies« Idee hat der Verf. entwickelt in seinem B. die Schu­ len, üter Abschnitt 2teS u. 3tes Cap. (S.422 fgg.), und für die Nativnalbildung der Deutschen, in gegenwärtiger Schrift, in der Rede zu Ans. d. I.

519 Za, es ist uns ein vorzügliches Mittel gegeben, und dieses greift durch. Verkennet eß nur nicht, und vernachlässigt es keinen Augenblick.

Es ist das Familienleben.

El­

Lehrer, Gesetzgeber, Staatsmänner, lasset diese Wurzel des Wohlstandes der Völker nicht außer Acht;

tern, Erzieher,

befestigt sie,

wo ihr nur könnt! und ihr Verkündiger des

göttlichen Wortes sprechet den Segen dazu.

Alles das Gu­

te, das die Erdenbewohner von der weltbürgerlichen Denkart zu erwarten haben, wird dabei bestehen, und erst recht be­ stehen, denn die Menschenliebe erwächst in der Liebe unter

den Menschen, deren Herzen die Natur als die nächsten zu­ sammen verbunden hat. Ze mehr sich der Mensch im Aus­ lande herumtreiben muß, um so mächtiger möge ihn sein Gemüth zu der Heimath hinziehen; je mehr er gegen Fremde sein Wohlwollen beweisen soll, desto wärmer möge sein Herz

für die Deinigen schlagen!

sonst ist das Gleichgewicht zer­

stört, und auch alles Gemüthliche verliert sich aus dem Le­

ben.

„Wie ist aber das möglich,

wird eingewendet, bei

jenen Veränderungen, welche die Zukunft in der ganzen Art

zu empfinden und zu handeln, in. der ganzen Lebensansicht, wie ihr meint, unausbleiblich herbeiführen wird?" Wohl ist es möglich, denn die Familienliebe kann durch Sitte und Gesetz in Schutz

genommen

und

sogar gefördert werden;

nur macht es das noch nicht allein aus, die Familienerziehung wirkt noch bestimmter dahin; aber auch sie thut es noch nicht allein, sondern die christliche ist es, welche diese

Segenskraft beweiset; und darum mußten wir von Anfang bis zu Ende sie, die christliche Erziehung, für das Haupt­

mittel erklären, das unsern Nachkommen ihr Heil bereitet. Wir schließen damit nicht alles das Ilebrige aus, was wir als nothwendig hierzu erkannt haben.

3. Auch in Beziehung auf den Geist wird sich vieles im Leben ändern. Es läßt sich nicht läugnen, daß in dem Abendlande das geistige Leben die einseitige Richtung, die es schon in alter Zeit hatte, immer noch behalten. Sie wird zwar nicht umschlagen, aber mehr dem Praktischen zu-

320 wenden.

Noch immer liebt der spekulative Denker seine ab­

strakten

Begriffe, und zwischen ihm und der Wirklichkeit

will sich die Kluft nicht leicht ausfüllen.

den rultivirtesten Rationen „der Baum

hierin

der Wissenschaft

Zwar ist unter

ein großer Unterschied;

wurzelt bei dem Deutschen

mehr in die Tiefe, bei dem Franzosen in die Breite, bei

dem Engländer verzweigt er sich ins praktische Leben," aber der abendländisch-nordische Charakter, die Herrschaft des Be­ griffs, zeigt sich in allen. Wenn der Morgenländer mehr die Zdeen lebendig erfaßt, und theils in mystischer Beschau­

lichkeit, theils in übersteigender Philosophie sich aus dem Volksleben absondert, so ist es bei uns gerade umgekehrt, wir gehen aus den

philosophischen

Schulen gerne in das

Leben, und verarbeiten die Zdeen zum populären Gebrauch.

Hierin nun herrschte bisher jene eine Seite vor, die das Leben in Abstraktionen sucht, und also nur scheinbar in das­

selbe hereinkommt.

Dieser Schein beginnt bei uns zu ver­

schwinden; selbst unsere neuesten Systeme reden meist vom

Leben, als ihrem Princip und Ziel, das sie aber doch nur insoweit bloß im Begriffe erfassen.

Doch dem sey, wie es

wolle, die Denkart wird sich im Ganzen auch hierin ändern, und wir möchten sogar Vortheilhaftes erwarten durch die Verbindung des Orients und Occidents, und aller cultivirten Nationen, auch im geistigen Leben. Nur können wir

einige Besorgnisse nicht unterdrücken, weil der Hang zum materiellen Leben auch den Geist herabzuziehen droht.

Die erste Besorgniß ist, daß die Allgemeinheit der Gei­ stesbildung leicht in Gemeinheit ausarte. Denn wie der Mensch ist, so behandelt er auch die Zdeen, er bildet seine Götter roh, wenn er selbst roher Art ist, und er entstellt auch

das

Erhabenste durch

die

niedrigsten

Vorstellungen,

wenn ihm diese den höheren Schwung versagt haben.

So

gibt es eine falsche Popularisirung in der Wissenschaft wie in der Religion; die letztere erscheint in der Geschichte man­ cher Culte, die erstere in der neuerm Zeit, und sie scheint sich sogar unter dem Namen des Lichts zu verbreiten. Es

521 sieht also zu erwarten, daß die Fortschritte des Geistes we­ niger ihre Richtung zur Einheit des Idealen und Realen,

zum Leben nach Ideen nehmen, als umgekehrt zur Verwech­ selung der genießbaren Welt mit dem Reiche der Vernunft. Die Wissenschaft und die Kunst wird dann noch mehr in den Dienst des Weltgeisies, als es schon jetzt der Falt ist, treten; wie z. B. das Publicum im Theater mit jedem neuen

Stück grellere Eindrücke verlangt; die überreizten Nerven haben schon nicht mehr an Robert dem Teufel genug. Die zweite Besorgniß ist der Verlust der inneren Wahr­

heit.

Die Unterhaltung der Gebildeten soll geistreich seyn,

wo nun der Gehalt fehlt, da müssen die Phrasen das beste

thun.

Diese werden aber leicht erlernt, und das ist ja eine

Hauptaufgabe der modernen Erziehung, welche so künstlich

gelöst wird, daß alles scheint aus dem eigenen Geist und Gemüth zu kommen; eine noch lange nicht genug erkannte Lügenhaftigkeit.") Sie möchte wohl sogar noch im Zuneh­ men begriffen seyn, und sich nur mehr in ihre Schlangen-Wir find wohl schon lange das Ge­ schwätz über Kunst, über Literatur u. dgl. müde, wie man

gleißnerei verstecken.

eS so iü den Blättern und Gesprächen des Tages vernimmt,

aber darauf hält man, wie es scheint, immer mehr, daß

alles im Allgemeinen, oder, wie man es vornehm nennt, in

der Idee gedacht werde. Man weiß sich viel mit der Objek­ tivität, will nichts persönlich nehmen, wie man den Leuten sagt, und meint aller seiner Subjectivität sich entkleidet zu haben, während man unter dem schönen Gewände nur fester

in sie eingeschnürt ist. Diese Bildung des Geistes wird durch ie geheime sinnliche Triebfeder beliebt gemacht, und eß geht

viel durch sie verloren, vor allem das Gemüth. An unter­ haltender Bewegung des Geistes, welcher csprit heißt, an Witz und Feinheit wird die Geselligkeit wahrscheinlich gewin-

•) Siehe ErzichungSl. S. 59. 171. 368 fgg. 466 fg. Un­ terrichts!. S. 127-fgg. 203. 257. 268. 310., wie auch oben unter dem Art. Kant S. 157 fgg. Schwär»: Darsteü. a. 6. Gebiete d. Pädagogik. II. 21

522 uni, aber gewiß an Gemächlichkeit verlieren; lind das wird sich bis in die hanSlicbe Tischgenossenschaft hereinziehcn. Eine dritte Bcsorgniß betrifft die Schriftstcllerci, diesen Die schwergelehrten Werke haben sich erschöpft oder werden sich bald erschöpft haben, Zweig der erweiterten Geselligkeit. selbst

in

den

historischen

Forschungen;

die philosophischen

Systeme verlieren an Bedeutung, je mehr sie wechseln, und

neue von bleibendem Werth sind ohnehin Seltenheiten, so wie auch die großen Geister in der schönen Literatur selten

sind; eben diese möchte leicht in einen Alexandrinismus ent­ arten, und sie bekundet dadurch ihre Verarmung, daß sie das Leere mit den Reliquien der Genies, z. B. den immer noch weiteren Briefsammlungen, ausfüllt.

Die Breite der Volksrednerei will nicht mehr in den Kammern und nicht

mehr in dem Publicum gefallen, und wenn die Schönred­ nerei noch auf der Kanzel gefallt, so kann das auch nicht lange mehr dauern.

Was wird nun aus aller dieser geisti­

gen Lebensthatigkeit werden? Wir sehen es schon: Tages­ blatter, amüsirende Lesereien, immer pikantere Speisen u.s.w. Auf jeden Fall wird die Ausbildung des Geistes nach dem leiblichen Leben hin auch in der Literatur die vorherrschende werden. Endlich, um noch manche Besorgnisse der Art zu über­

gehen, muß eine vierte diejenigen, die auf Religion halten, wohl manchmal ängstigen. Der Geist zwar führt zu Gott, aber nur, wenn er die Richtung nach oben nimmt. Geht sie nach der Erde, so folgt Gottesvergessenheit, und das bis zum Atheismus. Daß auch das geistreichste Volk in diesen Ab­ grund versinken kann, lehrt uns die Geschichte des Alter­

thums- und der Apostel Paulus hat im Itcn Cap. des Br. an die Römer den tiefsten Blick in diesen Unheilsgang er­

Was ist aber nun von einer Zeit zu erwarten, wo ohne das Licht der höchsten Vernunftidee fortsetzt, wo also der Glaube an öffnet.

die Verstandescultur immer den Weg

Freiheit, an Unsterblichkeit, an Gott im Materialismus un­ tergehen muß? Denn das Gesetz der Raturnothwendigkeit

323 läßt den Denker nickt los, so weit er anch hinab und zurück

steige, wenn ihn nicht die Gottesidee frei macht; nur sie zieht ihn von der Erde zum Himmel. — Doch davon rede­ ten wir schon oben, und unsere Blicke treffen hier wieder

auf den PuNrt, von welchem wir anfingen. Wenn nun der Zustand des Geistes, der Seele, des Leibes, jeder an sich schon bedeutenden Veränderungen ent­ gegen geht, wie viel muß also das Leben im Ganzen sich anders gestalten, da das leibliche auf das geistige, wie dieses auf jenes, beides aber auf die Empfindungen und Gemüths­

bewegungen, so

wie diese hinwiederum auf Leib und Geist

Was in dem einen vorgeht, daran und das Ganze Theil, denn das Leben des Menschen ist Einheit. Auch lebt der einzelne Mensch in und mit der ganzen Menschenwclt; jede Verän­ beständig einfließen.

nimmt

das

andere

derung theilt sich von dem Individuum der Gesammtheit, so wie von dieser dem Individuum mit. Der ganzen Mensch­ heit sieht ein Zustand bevor, der von dem bisherigen sehr verschieden ist, und wovon wir uns noch nicht einmal ein Bild machen können. Wollte man diese Vorhersagung für phantastisch halten,

weil sich in menschlichen Dingen alles wieder auszuglcichen pflegt, wie denn auch die Geschichte ein abwechselndes Fal­ len und Steigen in dem Menschengeschlechte zeigt, und wie

es lächerlich wäre, wenn einer die Fluch nach der Ebbe zum erstenmale bemerkte, und er meinte nun, das ganze Meer werde herein fluthen: so antworten wir, daß die Mensch-

heit zwar nach dem Naturgesetze sich entwickelt, aber in der Vernunft einen Keim unendlicher Entfaltung in sich trägt, und daß wir an ein im Ganzen fortwährendes Steigen der menschlichen Vollkommenheit, an ein Reich Gottes auf Er­

den glauben. ’)

Wollte man ferner einwrndcn, daß link

•) Der Verf. hat sich ausführlich darüber oben S. 9 fgg. u. in dem Gespräch unter Nr. II. (S. 63 fgg.) erklärt; auch im Iten B. dieser Darstell, unter Nr. V. (S. 181 fgg.).

524 stände eintrrtcn können, an die kein Mensch denkt, Zufälle,

deren Ursachen wir nicht gesehen haben, Erschütterungen, die alles umwersen oder auf einmal anders, als man erwar­ tete, gestalten: so entgegnen wir, daß doch da, wo die Ur­ sachen am Tage liegen, auf die Wirkungen sicher zu schlie­

ßen sey, und daß wir insofern, aber nur insofern, allerdings in die Zukunft blicken können, wobei wir uns jedoch beschei­ den, daß wir sie darum nicht prophetisch zu verkündigen be­ rechtigt sind, weil wir nicht wissen, was Gott beschlossen

hat. Es können Kriegszeiten kommen, es können Länder untergehen, eS kann ein Erdbrand Strecken zerstöre», ja es kann der ganze Erdball aus seiner Bahn geschleudert oder umge­

staltet werden, ob wir gleich weder einen Halleyschen Kometen noch sonst etwas im Weltgebäude fürchten.

Das versteht

sich von selbst, daß wir darüber nichts wissen, und also nur unter solcher Bedingung sagen, waS zu erwarten steht,

wenn alles unter den Menschen nach dem natürlichen Gange

erfolgt. Endlich könnte man unsere Erwartungen als eine Ver­ messenheit gegen die göttliche Vorsehung tadeln, als wolle man dadurch in ihre Rathschlüsse einschaucn, und durch unsereVor-

kehrungen ihr sogar vorgreifen. Welche Anmaßung, sagt man, wenn der Mensch das Schicksal machen will! Allein

davon sind wir ja weit entfernt.

Auch lassen wir die apo­

kalyptischen Erwartungen, — nicht Berechnungen, denn diese

halten wir für unbegründete Spiele der Combinationsgabe — ganz auf ihrem inneren Werthe bestehen. Wir wollen nur aufmerksam auf die Wege der Vorsehung seyn, und

sehen, was sie uns darin offenbart, und von uns verlangt. Was sie verlangt?

Das, was sie in unsere Hand ge­

geben. Wenn ein Strom auf dem einen Ufer eindringt und das Land wegspült, so dämmt man ihn oberhalb am entge­

gengesetzten

ein,

und die Männer vom Fach

wissen

dem

Lauf der Flüsse die beste Richtung zu geben. Verstehen die Menschen so vorbeugend die Naturgewalt zu lenken, so kön­ nen sie als Werkzeuge dessen, der die Herzen lenket wie Was­ serbäche, auch vieles in dem natürlichen Gange ihres Ge-

323 schlechtes von dem Schlimmen weg- und zum Guten hin­

lenken» Die Zugenderziehunz ist uns von Gott übergeben, und durch sie vermögen wir viel für die künftigen Geschlech­ ter;

wir können msbesondere auch in dem Schulunterricht

den Zug zum Sinnlichen doch im Ganzen durch den zu dem Geistigen beschränken. Zn den vorigen Reden haben wir die reale Möglichkeit von beiden gezeigt,

nur für das letztere

haben wir hier noch etwas hinzuzusetzen.

Das Gegenge­

wicht gegen die sinnliche Richtung in den Lehrgegenständen wird, wie oben bemerkt, durch die Geistesanstrengung in dem mathematischen, logischen, grammatischen Unterricht der

männlichen Zugend in die Seele gegeben, aber es ist nur dann das rechte, wenn diese Gegenstände selbst ia einem Gleichgewicht stehen, und dabei doch die Phantasie ihren

Schwung erhält. Hierzu wirkt denn das Gefühl und der Geschmack, und wie viel beiden das geistige Leben verdanke, ist von alten Zeiten — man denke nur an Athen — be­

stimmt erfahren, in neuer Zeit — man denke z. B. an

Schillers Zdee einer ästhetischen Erziehung — vielfach be­ sprochen, aber noch nicht genug auf jenen Gesichtspunkt be­

zogen, und noch weniger in Harmonie mit dem ganzen Bil­ dungsgeschäfte gebracht worden. Vor allem muß Wahrheit darin seyn; die Gefühle müssen wirklich in dem Herzen, weit weniger in dem Munde seyn, der Sinn für das Schöne

und Edle muß in dem Gemüthe nicht gemacht, sondern na­ türlich erblühen. Die Mittel sind ebenfalls die, welche die Natur selbst in ihrer Einfachheit sicherer darbietet als aller Aufwand von Kunstgebilden, oder von Kunsturthrilen.

DaS

Familienleben bietet auch hierin das Beste in seiner Liebeheimath dar und kann zu jenem musikalischen Leben wer­ den, in welchem die Harmonie des Himmels wiedertönt. •) Das aber würde gerade unsere künftige Generation in ihrer Geistesbildung gegen Schwäche und Gemeinheit sichern, wenn

*) Der Ite B. dieser Darstellungen enthält unter Nr. I. die Entwicklung dieser, gewiß praktischen Idee, des. im 3. Abschn. S.üstfgg.

326 eS auch nicht das einzige Mittel ist.

Wie erprobt es sey,

sieht man an dem schönen Einfluß, welchen gute Lie­ der, vornehmlich geistliche, doch auch andere, schon auf die Schulkinder haben, und welcher bis ans Ende des Lebens oft noch im späten Alter fortzudauern pflegt. Eben diese

Mittel sind auch für das weibliche Geschlecht wichtig, und so

gegründet die Warnung ist, dasselbe nicht zu verbilden, oder von der einfachen Häuslichkeit abzuziehen, so scheint es doch unsere Zett zu fordern,

daß derselben ebenfalls eine solche

Geistesbildung zu Theil werde, deren die künftigen Gattin­ nen und Mütter bedürfen, und welche auf die gesellschaftli­ chen Unterhaltungen einen erhöhenden Einfluß haben kann. Die Lebensweise auch der gebildeteren Classen, besonders in

reichen Städten, will nach der allgemeinen Klage immer weiter in ein sybaritisches Tafeln u. dgl. gerathen, so daß man kein Ende mehr absieht.

Diesem möchte wohl nichts

besser seine Gränzen setzen, als der Sinn für geistige Unter­

haltungen, und dieser wäre bei dem Geschlecht besonders zu

erwecken und zu bilden, welches bestimmt ist, das gesellige Leben durch reine Sitte zu veredeln. Es ist freilich schwer,

das Rechte hierin zu treffen. Eine gewisse Rückkehr zur Natur ist wohl nöthig, aber nicht die Rousseausche, welche schon an sich unmöglich, auch der Bestimmung der Menschheit zuwider ist.

Denn die Cul­

tur soll fortschreiten, sie soll nur zur wahren Bildung füh­

ren, und diese ist eine Heimkehr zu der höheren Natur, in welcher der Geist lebt und waltet.

Sie strebt zur Einfall

des Lebens hin, zur Eintracht mit Allem, zum völligen Cin-

klang.

Jetzt ist so manche Zerrissenheit auch im gebildeteren

Leben, und soll sie denn noch weiter gehen?

Vielmehr soll

sich einigen, was die Natur nicht will getrennt haben, Leib,

Seele, Geist, zum besten Gedeihen des Menschen. So wie z. B. dem Manne, dessen Beruf in Gcisiesbeschäftigung be­ steht, mitunter ländliche Arbeiten zuträglich sind, so soll auch der Landmaun für seinen Geist so recht sonntäglich erhoben werden. Und so in allen Ständen.

327 Der rechte Weg zum Ziel aller Cultur liegt offen vor Er fuhrt zum Guten, in dem Guten zum Wahren,

uns.

in beiden zum Schöne«, im Ganzen zum erhöhten Leben. Aber daß dieses in der Wirklichkeit bestehe, nicht in hohlen Worten, wie sie so häufig uns schön in die Ohren klingen, dazu ist die Liebe zum Grundguten, die Erkenntniß der ewi­ gen Wahrheit, der himmlische Sinn nothwendig. Wäre uns dieser Weg nicht eröffnet, dann wehe dem armen Men­ schengeschlecht!

Alles unser Erdenken und Abmühen in dem

Bildungsgcschäfte — wozu am Ende? —

Liebe Zeitgenossen!

haben.

Lasset uns doch erkennen, was wir

Werdet doch frei von dem großen Vorurthcil, das

so viele von dem wahren Wege zurückhält! Ihr denn, die Ihr diesen Weg erkannt und eingeschlagen habt, Zhr wisset, daß doch alle andere Wege der Bildung entweder zum Ver­ derben führen, oder auf diesen zurückweisen. So lehret denn die Jugend denselben so, daß auch sie, und noch besser als

wir,

auf ihm fortwandeln.

Zhr

werdet dann

in Eurer

Wirksamkeit vieles noch weiter und besser erkennen, als es Euch diese Rede gesagt hat, die am Ende dieses ZahreS nicht anders schließen kann, als die am Anfänge schloß.

Denn der Geist, der uns leiten soll, bleibt ewig derselbe. Daß durch ihn das wahre Leben in dem Bildungsgeschäfte fort und fort aufblühe, darin vereinigen sich alle jene Wün­

sche; der Segen aber kommt von dem Herrn.

Leipzig. Gedruckt, bei I. B. Hirschfcld.

Berichtigungen. 7. Zeile 17, von oben, statt Rcpublick, lies 'Republik.

Seite

9

28.

.

20.

53.



25.

134.



14.

180.

.

6.

• •



, muß das Wort „ nicht" Wegfällen.

-

, statt Colleges, lies Colleges.

unten, ist nach und zu seßen: man wird. -

,

in

der Anmerkung,

statt Atheismus,

lies: Atheismus.

-

-

210.

.

9.

225.



1.

239.

-

3.

257.

*

10.



3.

-

oben, fällt in vor der weg. -

-

, fallen die Worte: nie übt und weg.

unten, ist nach Grund zu seßen: hat. oben, ist nach Herz zu seßen: ihr.

unten, statt Pythagorneismus, lies: Pythago. rcismus.