Bekenntnis und Sakrament: Ein Beitrag zur Entstehung der christlichen Konfessionen [Reprint 2021 ed.] 9783112455920, 9783112455913

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Bekenntnis und Sakrament: Ein Beitrag zur Entstehung der christlichen Konfessionen [Reprint 2021 ed.]
 9783112455920, 9783112455913

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Bekenntnis und Sakrament Ein Beitrag zurEntstehung der christlichen Konfessionen

Teil I: Über die treibenden Kräfte

in der Bekenntnisentwicklung der abendländischen Kirche

bis zum Ausgang des Mittelalters

Von Wilhelm Maurer

Verlag von Alfred Töpelmann, Berlin W 35 1939

DruckvonWal le rdeGruyterLCo., Berlin W 35 Printed in Germ any

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort....................................................................................................................................

V

Einleitung....................................................................................................................................

1

Über bas innere Gesetz der kirchlichen Bekenntnisentwicklung.....................................

1

Kapitel I. Der Ursprung deö Bekenntnisses aus dem Sakrament nach dem Zeugnis des Neuen Testaments..................................................

3

Sakramentale Praxis und Lehre...................................................................... 4 önoÄoyta als Taufbekenntnis.......................................................................... 5 äpoXoyla als Lobpreis Gottes.......................................................................... 7 Der sakramentale Kultus als Stätte des Lobbekenntniffes............................. 11 Communio und Bekenntniörecht.......................................................................... 12 Geist und Recht; die Lehrhaftigkeit des Bekenntnisses als Folge seines sakra­ mentalen Rechtöcharakterö................................................................................... 15 VII. Die Eigenart des neutestamentlichen Bekenntnisrechtes................................. 18 VIII. DaS Bekenntnis als napTupia.......................................................................... 21 I. II. III. IV. V. VI.

Kapitel II. Die Beziehungen zwischen Bekenntnis und Sakrament unter dem Zeichen der frühmittelalterlichen Mysterientheologie................. I. Die Sakramentalisierung der uap'rupta.......................................................... II. Das Märtyrerbekenntniö in der Liturgie.......................................................... III. Die Erstarrung der Bekenntnisentwicklung im Osten und die vorwärts­ drängenden Elemente im Westen: Die Spannung zwischen Wort und Sakrament........................................................................................................... IV. Der Streit um das filioque und damit um die Freiheit der Bekenntnis­ entwicklung ........................................................................................................... V. Die Verbindung von Bekenntnis und Meßliturgie........................................ VI. Die Einheit von Wort und Sakrament in der frühmittelalterlichen Mysterien­ theologie und ihr Zerfall durch den Sieg der augustinischen Sakraments­ definition ............................................................................................................... a) Die Bedeutung des Begriffs „Mysterium" für die Einheit von Wort und Sakrament....................................................................................................... b) Die frühmittelalterliche Mysterientheologie............................................. c) Der Vorstoß der augustinischen Sakramentsbefinition und der Wider­ stand dagegen................................................................................................... d) Die Bedeutung des Transsubstantiationödogmas von 1215 für das Ver­ hältnis von Wort und Sakrament.............................................................. e) Die fortdauernde Wirkung der Mysterientheologie.................................

24 24 TI

31

37 42

46 46 49

50 54 56

Kapitel III. Bekenntnis und Ketzerrecht..................................................

60

I. Die Wesensänderung des Kanonischen Rechts unter Innozenz III. und ihre Folgen für das Ketzerrecht.................................................................................. II. Das frühmittelalterliche Ketzerrecht als sakramentales Recht..................... a) Die Theorie....................................................................................................... b) Die Praxis unter der Einwirkung der Volksjustiz.....................................

60 64 64 67

IV

Inhaltsverzeichnis. Seite III. Das Ketzerrecht unter den Wirkungen des Jnveftiturstreites und bei den Glossatoren............................................................................................................ 71 a) Jnvestiturstreit und Ketzerrecht...................................................................... 71 b) Der trinitarische Glaube als die Grundlage der sakramentalen Einheit 73 c) Das päpstliche Ketzerrecht als Ergänzung zum sakramentalen................. 77 d) Ketzerei als Majestätsbeleidigung: Das Ketzerrecht unter dem Einfluß des Römischen Rechts............................................................................................ 80 IV. Die Fortwirkung des sakramentalen Ketzerrechts bis 1215......................... 83 Exkurs: Der christliche Eid als ein Glied des Sakramentsrechts .... 87 V. DaS kirchliche Ketzerrecht seit Innozenz III....................................................... 90 a) Innozenz III....................................................................................................... 90 b) Das Dekretalenrecht....................................................................................... 92 c) Die Stellung der Theologen....................................................................... 94 d) Spätmittelalterliche Juristen...................................................................... 98 VI. Theologische Einzelfragen des spätmittelalterlichen Ketzerrechts......................... 100 a) Bekenntnis, Heilige Schrift und Kirche........................................................... 100 b) Die Entwicklungsfähigkeit deS Bekenntnisses...............................................103 c) Bekenntnis und päpstliche Autorität: Der Zwiespalt zwischen Tradition und Schrift.............................................................................................................104 d) Bekenntnis und Naturrecht...............................................................................108 VII. Das staatliche Ketzerrecht.................................................................................... 110 a) Im Banne des altkatholischenSakramentsrechts......................................... 110 b) Im Banne des Römischen Rechts.................................................................... 113 1. Dessen ketzerrechtliche Bestimmungen .......................................................113 2. Sein Einbringen in bas frühmittelalterliche Ketzerrecht.......................... 114 3. Innozenz III. und Friedrich II........................................................................116 4. Reste sakramentalen Ketzerrechts im spätmittelalterlichen Reichsrecht 118 5. Das Ketzerrecht unter Karl V......................................................................... 119

Vorwort Wer es unternimmt, auf wenigen Bogen quellenmäßig «ine Frage zu behandeln, die im Mittelpunkt der Geschichte von mehr als anderthalb Jahrtausenden steht, ist darüber Rechenschaft schuldig, in welcher Weise er sich sein Thema begrenzt hat. Es handelt sich im folgenden nicht um die Darstellung der dogmengeschichtlichen Voraussetzungen, unter denen sich die christlichen Bekenntnisse entwickelt haben. ES werden keineswegs die treiben­ den Kräfte dieser Entwicklung sämtlich nebeneinandergestellt und gegenein­ ander abgewogen, sondern eS wird ausschließlich das Sakrament in den Mittelpunkt gerückt und von ihm behauptet, daß es in seiner kultischen^ lehrhaften und rechtlichen Entfaltung das eigentlich dynamische Element in der Bekenntnisentwicklung ausmache. Das dadurch gewonnene Bild mag insofern einseitig sein, als des Anteil, den die theologische Arbeit im einzelnen an der Entwicklung ge­ nommen hat, nicht deutlich zutage tritt. Aufs Ganze gesehen ergibt sich aber aus der gewählten Methode der Vorteil, daß sie die großen Ein­ schnitte der Theologiegeschichte deutlicher sichtbar und von ihren frömmig­ keitsgeschichtlichen Voraussetzungen aus verständlicher werden läßt. Daß das Sakrament von den treibenden Kräften der christlichen Bekenntnis-, entwicklung diejenige ist, die immer wieder den entscheidenden Anstoß ge­ geben hat, — diese Behauptung wird hoffentlich durch die folgende Dar­ stellung ihre Bestätigung finden. Natürlich konnte auf dem engen Raume nicht alles angeführt werden, was an Tatsachen für diese Behauptung spricht oder gegen sie zu zeugen scheint. Ebensowenig war es möglich, die unübersehbare Fülle der Literatur über den Zeitraum durchzuarbeiten und alles, was davon eingesehen wurde, im einzelnen anzugeben. Die Anmerkungen beschränken sich vielmehr auf diejenige Literatur, die entweder besonders entlegen ist, oder die auf den Gang der Darstellung hauptsächlich eingewirkt hat. In diesem Zusammenhang« müssen besonders hervorgehoben werden die Forschungen Lietzmanns über die Entstehung des christlichen Symbols; sie bieten die Grundlage der ganzen Arbeit. Ähnliche Bedeutung haben für ihren Fortgang die Werke Rudolf Sohms. Wenn im ersten und dritten Kapitel des Buches ein Widerspruch gegen seine grundsätzliche Auffassung vom Kirchenrecht und gegen seine Deutung des Neuen Testaments geltend gemacht wurde, so soll hier noch einmal in aller Deutlichkeit hervorgehoben werden, daß dadurch nicht im geringsten das Verhältnis dankbarer Abhängigkeit betroffen wird, in dem Maurer, Bekenntnis und Sakrament.

b

VI

Vorwort.

diese Arbeit zu seinem großen Lebenswerke steht. Der Begriff des sakra­ mentalen Rechtes, den Sohm in die wissenschaftliche Debatte eingeführt hat, wird zwar von ihm enger begrenzt, als es im folgenden geschieht, wird vor allem von ihm nicht auf das Neue Testament ausgedehnt. Aber daß der sakramentale Kultus Recht erzeugt, das ist eine Entdeckung Sohms, die in ihrer Bedeutung noch ihre wissenschaftliche Würdigung finden muß. Und daß dieses Recht von Anfang an in der christlichen Kirche eine eigenständige Wurzel hatte, ist eine Folgerung, die mit gutem Ge­ wissen aus Sohm gegen Sohm gezogen werden kann. Erst durch die Er­ kenntnis, daß zwischen Bekenntnis und Sakrament ein enger, wesentlicher Zusammenhang besteht, dürfte die verwickelte Frage des Verhältnisses von Bekenntnis und Recht einer Lösung näher geführt werden. So will diese Untersuchung, deren Gegenstände uns heute scheinbar so ferne liegen, der unmittelbaren Gegenwart dienen. Die Funktion des Bekenntnisses in der Kirche, das Verhältnis von Bekenntnis und Recht — das sind beides heute Probleme der Gesamtchristenheit, nicht nur der evangelischen Kirche in Deutschland. Jene Gegenwartsbedeutung würde noch klarer hervortreten, wenn mit diesem ersten Teile zugleich der zweite erscheinen könnte, der die Bekenntnisentwicklung der Reformation be­ handeln soll. Er liegt indessen erst teilweise im Manuskript vor und wird erst dann herauskommen können, wenn die großen Ereignisse dieser Wochen eine neue deutsche Zukunft erschlossen und damit wieder Raum und Mög­ lichkeit zu wissenschaftlicher Kontemplation eröffnet haben. Am Westwall, im September 1939.

W. Maurer.

Einleitung Das Bekenntnis ist die Antwort der Kirche auf die ihr von Gott ge­ schenkte Christusoffenbarung. Daß die Kirche darauf mit „Za" antworten kann, vermag sie nicht aus sich selbst; es ist Gabe des Heiligen Geistes. Wohl ist das Bekenntnis eine menschliche Antwort, von Menschen ausge­ hend, eine Tat, zu der Menschen sich entschließen. Aber eS hat seinen Ur­ sprung nicht in menschlichen Meinungen und Willensentschlüssen, sondern in GotteS Erbarmen. Wenn der Vater seine Gnadenoffenbarung in seinem Sohne schenkt, sendet er zugleich seinen Geist in menschliche Herzen. Das Bekenntnis ist geistgewirkte Antwort auf die göttliche Gnadentat. Die antwortende Kirche ist die betende Kirche. Geistgewirktes Bekennt­ nis ist immer Gebet. Darum gilt von ihm, was Paulus von allem Beten sagt: „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt. Aber der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen" (Röm. 8,26). Das Bekenntnis ge­ schieht immer in menschlicher Schwachheit. Aller Lobpreis der göttlichen Gnadentat ist begleitet von viel kreatürlichem Seufzen; die Geschichte der kirchlichen Bekenntnisbildung kündet davon auf mannigfaltige Weise. Aber nur so geschieht das Bekenntnis in der Kraft deö Geistes. Zu unsrer menschlichen Schwachheit gehört es auch, daß wir die ganze Fülle göttlicher Heilsoffenbarung nie auf einmal erfassen können. Denn „Gott ist größer als unser Herz" (1. Joh. 3,20). Das erfahren wir nicht nur, wenn es uns verklagt, sondern auch dann, wenn wir Gottes Barm­ herzigkeit preisen. Damit aber hängt es zusammen, daß die Kirche niemals bloß eine Antwort auf Gottes Gnadentat hat geben können, sondern daß in ihr eine Mehrheit von Bekenntnissen vorhanden ist. Sie sind im Laufe der Kirchengeschichte entstanden; die geschichtlichen Besonderheiten einander sich bekämpfender Konfessionskirchen sind darin zum großen Teile begründet. Es gibt also in der Kirche nicht ein Bekenntnis, sondern eine Bekenntnis entwicklung. Keine einzelne Bekenntnisschrift darf für sich genommen werden; jede hat nur im Zusammenhang der ganzen Entwicklung ihren Sinn. Es ist daher wichtig und muß versucht werden, das Gesetz dieser Entwicklung auf­ zufinden und anschaulich zu machen. Wenn das Bekenntnis wirklich geistgewirkte Antwort der Kirche auf die Offenbarung Gottes in Christus ist, so muß es als ausgeschlossen erscheinen, daß im Laufe der Geschichte sein Inhalt ein wesentlich anderer geworden sei, Mallrer, Bekenntnis und Sakrament.

1

2 daß also sachliche Widersprüche zwischen den einzelnen BekenntniSschristen vorhanden sein sollten. Und doch liegen sie offen zutage; und die Kon­ fessionen machen davon die Wahrheit der Christusoffenbarung, je in ihrer Weise, abhängig. Kann aber Christus sich selbst widersprechen? Gerade darin, daß alle Bekenntnisse auf ihn gerichtet sind, liegt ihre Einheit. Das Gesetz, das der Bekenntnisentwicklung der Kirche zugrunde liegt, ist das Lebenögesetz des Leibes, an dem Christus das Haupt ist. Darum gibt «S den Glauben an die eine allgemeine heilige christliche Kirche trotz aller bekenntnismäßigen Verschiedenheiten. Diese stellen den Einzelkirchen vielmehr die Aufgabe, an deren Lösung sie ihre Daseinsberechtigung zu erweisen haben. Sie werden durch die Widersprüche, die sich zwischen ihren Sonderbekennt­ nissen finden, gezwungen, die Christuöoffenbarung immer tiefer und reiner zu erfassen und sich in Christus mit den Brüdern, die anders bekennen, zu vereinen, ohne dabei das bekenntnismäßige Anliegen ihrer Väter zu ver­ leugnen. Beides muß vorhanden sein: die Treue, die den Glauben der Väter nicht leichtfertig preisgibt, und die Liebe, die mit denen die Einheit sucht, für die Christus gestorben ist. Beides bildet die unerläßliche Voraus­ setzung für den Fortschritt in der Bekenntnisentwicklung der Kirche. Bei solchen Überlegungen aber drängt sich uns die Frage auf: Gibt es denn einen gemeinsamen Punkt, an dem die Bekenntnisentwicklung aller Sonderkirchen sich treffen und von dem aus sie in einem gemeinsamen Bette, ohne die verschiedene Herkunft zu verleugnen, weiter fließen kann? Und die Frage lenkt den Blick zurück in die Geschichte: gibt es da ein gemeinsames Anliegen, von dem alle Sonderkirchen in ihrer Auseinandersetzung auSgegangen sind, einen gemeinsamen Ort, wo sie alle die Christusoffenbarung auf Erden gesucht haben? Und wenn es ihn gibt, sollte «6 möglich sein, daß sie an diesem Orte nicht alle dasselbe, nämlich Christus gefunden hätten? Nun aber rufen die einen: „Hier" und die andern: „Da ist Chri­ stus". Sollte dieser Widerspruch nicht etwa daher kommen, daß die dispu­ tierenden Gegner in ihrer Erregung wohl von demselben Orte ausgegangen nun aber weggegangen sind, ihn wirklich verlassen haben? Das ist es in der Tat, was wir behaupten und im Folgenden zu cheweisen trachten: der gemeinsame Ort, wo die Christenheit von Anfang an der Christusoffenbarung begegnete und zur Antwort darauf herausge­ fordert wurde, ist das Sakrament. Das Bekenntnis ist die Antwort, die die Kirche dem im Sakrament sich ihr schenkenden und sie zu seiner Ge­ meinschaft rufenden Christus gibt. Und das Gesetz der Bekenntnisentwick­ lung ist das Gesetz des sakramentalen Lebens der Kirche.

I.

Der Ursprung des Bekenntnisses aus dem Sakrament

nach dem Zeugnis des Neuen Testaments Die landläufige Meinung läßt bad Bekenntnis aus der mündlichen Verkündigung der Kirche erwachsen sein. Sie findet in ihm den Niederschlag der Gottespredigt Jesu auf der Grundlage des prophetischen Zeugnisses des Alten Bundes und die Zusammenfassung der Missionspredigt der Apostel von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen; schließlich habe dann die entstehende altkatholische Kirche den Inhalt dieser apostolischen Lehre rechtlich fixiert; und so sei eö zu dem ältesten Bekenntnis gekommen, von dem die weitere Entwicklung ihren Ausgang nehme. Ist demnach das Bekenntnis nichts anderes als die knappe Zusammen­ fassung der christlichen Lehre, so liegt die vorwärtstreibende Kraft seiner Entwicklung nicht in ihm selbst. Sie liegt in der Welt, die seiner Wahrheit die Lüge in immer wechselndem Gewände entgegenstellt, liegt bei den Ketzern, die diese Wahrheit leugnen oder in immer neuen Bemühungen verdrehen und dadurch unwirksam zu machen suchen. Das so entstehende Bild von der Bekenntnisentwicklung der Kirche entbehrt nicht der Größe und Geschlossenheit: Gott bewährt die fürsorgende Leitung seiner Kirche dadurch, daß er ihre Feinde ihr dienstbar macht. Wider ihren Willen tragen sie dazu bei, daß die Kirche die ihr verliehene Wahrheit immer klarer ans Licht bringe und immer reiner entfalte. Satan muß Gottes Tempel bauen. Obwohl diese Anschauung vom Werden des Bekenntnisses sich weit in die Vergangenheit zurückverfolgen läßt, gibt sie doch seinen Ursprung nicht zutreffend wieder. Und wo sie in den ersten Jahrhunderten vertreten wird, steht sie doch nicht allein da und nicht an erster Stelle. Auf das Neue Testament kann sie sich jedenfalls nicht berufen. Wenn die Urgemeinde ihren Glauben bekannte, ließ sie sich dazu weder von den Jrrlehrern trei­ ben 9/ noch von der Welt reizen. Sie hatte auch noch nicht die Neigung, x) Paul Feine: Die Gestalt des apostolischen Glaubensbekenntnisses in der Zeit des Neuen Testaments, Leipzig 1925, stellt zusammenfassend fest: „Antihäretische Gedanken... haben wir in der von uns verfolgten Entwicklungsperiode nicht deutlich zu greifen gehabt."

(S. 145.) — So sehr man das Buch in seiner Gesamtkonstruktion und seinen Einzeluntersuchungen ablehnen muß, so sehr muß man seinen methodischen Ausgangspunkt anerkennen, die Ge­ stalt des Taufbekenntniffeö aus dem Wesen der christlichen Taufe abzuleiten.

4 daS, waS ihr von Christus her durch die Apostel überliefert war, einheitlich in einem System zusammenzufassen. Und wo das katechetische Interesse obwaltete, wo die Gemeinde denen, die aus dem Heidentum Anschluß suchten, Wegweisung zu geben hatte, da war sie sich dessen wohl bewußt, daß alle Lehrunterweisung etwas sehr Vorläufiges ist, und daß die christ­ liche Lehre nur von dem richtig verstanden werden kann, der in der Christus­ gemeinschaft lebt. Die Gemeinschaft mit Christus wird erfahren in den Sakramenten. Wegweisung zur Kirche hin bedeutet Einführung in ihre Sakramentspraxis. Sic zu geben war der Sinn des urchristlichen Katechumcnats. Soweit das Bekenntnis dabei eine Rolle spielt — und es ist wichtig! — ist es ein Bestandteil dieser sakramentalen Praxis. Im Zusam­ menhang mit ihr ist cs entstanden.

So liegt die eine Wurzel der christlichen Bekenntniöbildung im Sakra­ ment der Taufe. Hier gehört die sakramentale Handlung des Eingetaucht­ werdens unauflöslich mit dem Wortbekenntnis deö Täuflings zusammen. Die ganze Handlung ist ein Bekenntnisakt; Gemeinde und Täufling be­ kennen sich zu der Wirklichkeit des dreieinigen Gottes[). Das Wortbekennt­ nis spricht aus, waü im Tatbekenntnis geschieht. ES bedarf dazu nur we­ niger Worte. Der Kämmerer-) bekennt sich zu Christus als dem Sohn Gottes, der Kerkermeister zu Philippi3*)4 2zu * Christus als dem Herrn x). Aber das Bekenntnis ist beim Sakrament unerläßlich; Wort und Handlung ge­ hören zusammen. Die vorangehende Lehrunterweisung hat keinen selbständigen Charakter. Sie dient nicht der Einübung im Christentum, noch weniger der apologeti­ schen Schulung. Sie soll den Taufbewerber vorbereiten auf das, waö in der Taufe an ihm geschehen wird. Dann tritt er in den Zusammenhang mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus und soll sich darin bewähren3). Der Taufunterricht muß deshalb „angewandte Christologie"6) sein. Das, was mit Christus in seinem Leben und Sterben geschehen ist, soll in der *) F. Kattenbusch: Das Apostolische Symbol II, 1900, S. 288f. weist diese aktuelle Bedeutung deö Taufbekenntnifseö noch für Justin nach und knüpft daran (Anm. S. 289) die grundsätzliche Begriffsbestimmung von önoXoyia: „Das Wort homologia hat immer den Grundsinn eines Handelns. So auch das lateinische Wort „confessio“ ... Das Tauf­ bekenntnis war der Akt des Bekennens bei der Taufe." 2) Apg. 8, 37. 3) Apg. 16,31. 4) Die Stellen, an denen dieses kurze Bekenntnis vorausgesetzt wird, bei Feine a. a. O. S. 43 f., 95. 6) Röm. 6, 3—11. 6) Feine a. a. O. S. 74.

Taufe und von der Taufe ab in dem Christenleben sich wiederholen. Das Taufbekenntnis „will zusammenfassen, was der Täufling in der Taufe ver­ siegelt erhält"^). Darum geht es aus von dem Gott, der Christus von den Toten erweckt hat; eö bekennt sich zu Christus als dem Urbild des christ­ lichen Heilsgeschehenö und bezeugt damit zugleich, was auch an uns sich vollzieht; es zählt schließlich dankbar die Heilsgüter auf, die uns in ihm geschenkt werden. Das neutestamentliche Grundwort für Bekenntnis ist onoÄoyia. Es bedeutet ursprünglich eine freie Zustimmung in wechselseitigem Gespräch, also eine Rede, die immer als Antwort auf ein Gegenüber gerichtet ist, ein Versprechen, ein Zugeständnis oder ein Eingeständnis-). In der Sprache des Neuen Testamentes läßt es sich am besten als Bekenntnis wicdergebcn. Es kann vor Gott und den Menschen abgelegt werden, eigne Schuld oder das, was dem andern zukommt, umfassen. SXte zugehörige Zeitwort kann auch im Sinne lobpreisenden Bekennens gebraucht werden; und fast immer, wo diioAoyia nicht als Schuldgeständnis vorkommt, schwingt der Ton freudiger Dankbarkeit mit. An einzelnen Stellen wird es in dem festgcprägten, fast technischen Sinne des Taufbekcnntnisscs verstanden '). So Hebr. "l023ff. In den vor­ ausgegangenen Versen wurde darauf hingcwiescn, daß der Christ durch die Taufe mit reinem Wasser abgewaschcn und frei geworden sei vom bösen Ge­ wissen, daß er also in der gewissen Zuversicht des Glaubens und auf dem Wege über den lebendigen Christus, der sein Fleisch für uns dahingegcben hat, vor Gott ins Heiligtum treten kann. Darauf folgt die Mahnung: „Lasset uns das Bekenntnis der Hoffnung unbeugsam festhalten"H; sie erinnert also jedes einzelne Gcmcindeglied an sein Taufbekenntnis. Inhaltlich angesehen ist es das „Bekenntnis der Hoffnung"; und auf die Erkenntnis, daß „der Tag nahe ist" (25), gründet sich der Ernst der Mahnung, an ihm festzuhalten. Wer sie aber befolgen will, dem wird nicht *) Feine a. a. £. S. 146. 2) Wie dieser ursprüngliche Sinn sich in der philosophischen Entwicklung von Sokrates bis zur Stoa wandelt, wird einleuchtend dargelegt von G. Born kämm: Homologia. Zur Geschichte eines politischen Begriffs. Hermes 71, 1936, S. 377 ff. 3) Daß dieser Sinn noch in der Mitte des 3. Jahrhunderts keineswegs allein herrschend war, zeigt Kattenbusch a. a. O. II S. 152 im Hinblick auf Origenes: „01^0X0710 bedeutet, ganz wie bei Tertullian, die verschiedensten Arten beö Verhaltens des Christen, die cs offenbar machen, daß er ein Christ ist. Das Christentum ist in allen Lebensäußerungen ein ,Bekenntnis'". 4) Eine ähnliche Mahnung begegnet 4, 14. — Daß an unserer Stelle der Inhalt des Bekenntnisses nicht „wesentlich" auf die eschatolog. Erwartung beschränkt werben darf, wie Win di sch (Handbuch z. NT. 14, 19312 S. 93) annimmt, sondern auch von Verö 19—22 aus bestimmt werben muß, wie wir im folgenden tun werden, gibt Win di sch selbst zu, wenn er zu 3,1 erklärt (a. a. O. S. 29): „homologia ist ein in Worte gefaßtes Bekenntnis, in dem die Heilsüberlieferungcn (von mir gesperrt) und Heilserwartungen der christ­ lichen Gemeinde zum Ausdruck kommen." Vgl. jetzt auch Michel zur Stelle.

6 in erster Linie die Bewahrung der apostolischen Lehre, sondern die Erhaltung der brüderlichen Gemeinschaft und der Eifer in der Liebe ans Herz gelegt (24). Wer diesen Zusammenhang aufgibt und damit das in der Taufe ge­ knüpfte Band wieder löst — und nicht der Irrlehrer, den der Hebräerbrief wohl kennt (vgl. 13g) — hat das Bekenntnis preisgegeben. Das Taufbekcnntnis stellt also die Gemeinschaft mit Christus bis zum Tage seiner Wiederkunft her und bindet damit zugleich die Getauften an­ einander. Es hat somit eine fortdauernde Bedeutung für das ganze christ­ liche Leben. Als das „gute Bekenntnis" „vor vielen Zeugen" verpflichtet es zu dem „guten Kampf des Glaubens", wie er 1. Ztm. 6,11-16 be­ schrieben ist v). Es schließt in sich die Flucht vor dem Bösen und damit die Absage an Teufel und Welt -). Nach beiden Richtungen hin enthält also das Bekenntnis eine praktische Bindung. Wortbekcnntnis und Tatbekennt­ nis bilden eine unauflösliche Einheit. Denn das Sakrament der Taufe, in das beide eingebettet sind, bedeutet ja nicht nur eine einmalige Handlung, sondern den Anfang einer Lebensvcrbindung, die auf den Tag der Erschei­ nung Christi hinweist (15) und die an dem unvergänglichen Leben des erhöhten Herrn ein für allemal Anteil verleiht^). Damit wird nun der Gläubige zugleich auch in die Gemeinschaft des leidenden Christus ausgenommen. Der hat sein „gutes Bekenntnis" einst vor Pilatus abgelegt (13) und bald darauf durch die Hingabe seines Lebens bekräftigt. Wer daher mit Ihm in solche Jcugcnschaft cintritt, der muß des Leidenskampfes gewärtig sein *)• Mag auch die völlige Gleichsetzung deS Martyriums mit der Blutzeugenschaft späteren Ursprungs sein-): da­ durch, daß daS Bekenntnis von Anfang an als Ausdruck tätiger Christus­ gemeinschaft verstanden wurde, war auch die Gemeinschaft mit dem leiden­ den Christus ursprünglich darin cingeschlossen. Durch daö Taufbekenntnis wird die wechselseitige Verbindung zwischen drei Größen, dem gekreuzigten und erhöhten Herrn, seiner Gemeinde und dem Täufling hergestcllt und bekräftigt. Es ist Wortbekenntnis und macht insofern erst die Taufe zu einem hcilswirksamcn Sakrament. ES schließt *) Die Bezugnahme dieser Stelle auf das Qrdinationsgelübdc ist wohl nicht mehr aufrecht zu erhalten. 2) In ähnlicher Weise setzt auch Hebr. 6,1 f., wo der Inhalt des Katechumenenunterrichtü (nicht primär des Taufbekenntnisses) zusammengefaßt wird, eine „bußfertige Abkehr von den toten Werken" als Vorbedingung der Taufe voraus. 3) Möglich, daß der Hinweis auf die lebenwcckende Macht Gottes (13) und der Hymnus auf die Vollendung aller Dinge in Christus (15f.) Stücke einer alten Taufliturgie darstellcn. 4) Für die doppelte Bedeutung: bezeugen und dafür leiden in 12 und 14 tritt u. a. Kattenbusch ein (a. a. O. II 343). Doch vgl. H. von Campenhausen: Die Idee des Mar­ tyriums in der alten Kirche. Göttingen 1936, S. 50f. 5) Vgl. unten S. 21 ff. An unserer Stelle wird übrigens auch der innere Zusammenhang der Begriffe onoÄoyia und pap-rupia von der Chriftusgemcinschaft her deutlich.

ein Tatbekenntnis ein, insofern die Taufe eine Handlung ist, die Leben und Sterben des Gläubigen bis zum Jüngsten Tag bestimmt. Es ist aufö engste verbunden mit dem Christuögcschehen im Taufsakrament. Das wird durch das Bekenntnis in Wort und Tat ausgedrückt und somit in der Ge­ meinde verwirklicht.

Nun ist freilich öuoÄoyia nur an diesen beiden Stellen sicher auf die Taufe zu beziehen*). Das Wort hat an sich iin Neuen Testament einen um­ fassenderen Sinn. Der Hcbräcrbrief macht 3,1 ff. und 4,14 die höhen­ priesterliche Würde Jesu zum Gegenstand unseres Bekenntnisses. Die beiden Verse umrahmen einen Abschnitt, in dem der Unterschied zwischen den „Teil­ habern an Christus" (3,14) und dem alttcstamentlichen Gottesvolk, zwi­ schen dem Hause des Mose und dem Hause Christi herausgearbeitet wird. Wer sich zu ihm bekennt, muß sich diesen Unterschied gegenwärtig halten. Christus, „der durch die .Himmel gedrungen ist" (4,14), hat ein ewiges Haus bereitet für die, die „die Zuversicht und den Ruhm der Hoffnung fest bewahren" (3,6). Wer an dem Bekenntnis zu ihm in Glauben und Gehor­ sam fcsthält, bleibt in der Gemeinschaft seiner Kirche und wird eingehen zur wahren Sabbatruhc des Volkes Gottes. Das Bekenntnis ist der Akt, durch den die Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche begründet und immer neu befestigt wird. Eine Beziehung zum Taufbckenntniö ist dabei nicht unmittelbar gegeben; bei welcher Gelegenheit das Bekenntnis zu Chri­ stus, dem Hohenpriester, ausgesprochen wird, bleibt im Dunkeln. In Hebr. 13,15 finden wir einen.Hinweis, der uns hilft, das Dunkel zu erhellen. Die Stelle redet von dem Lobopfer, das wir Gott allzeit dar­ bringen sollen; es ist die Frucht der Lippen, „die sich zu seinem Namen be­ kennen". Das Bekenntnis ist also hier der Lobpreis, der Lobgesang Gotteö. So dürfen wir nun auch jenes ChristuSbekenntniö von 3,1 bzw. 4,14 als den Lobpreis seines hohenpriestcrlichcn Opfers und seiner nunmehr er­ langten göttlichen Herrlichkeit verstehen. Freilich, zunächst ist die o^oAcyia ein Dankgebet, das von Gottes Herrlichkeit kündet. Schon das Judentum kannte solche Gebete, die in dank­ barer Erinnerung Gottes Wundertaten aufzählten und damit bekenntnis­ mäßigen Charakter besaßen; sie hatten ihren festen Platz im Gottesdienst der Synagoge und des jüdischen Hauses. Vielleicht wirkt eine solche aus dem Judentum stammende Formel noch Hebr. 11,6 nach, wo von dem, der zu Gott kommen, d. h. doch wohl im Gebet und Kultus sich ihm nahen-) will, die Anerkennung des Daseins Gottes und seines Vergeltungswillenö ge­

fordert wird. *) In Röm. 10/ 9 f. ist die Beziehung fraglich. -) Kultischen Sinn hat daö „vor Gott treten" auch z. B. Hebr. 4,16; 10,22.

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Damit rückt aber das Lobbekenntnis der ersten Christenheit in den Zu­ sammenhang mit der alttestamentlichen Psalmendichtung. Die Hymnen und Lieder, die das Neue Testament nicht ohne ihr Vorbild hervorgebracht hat, sind als urchristliche Bekenntnisse zu werten. So finden wir Offbg. 15,3f. in deutlicher Anlehnung an 2. Mose 15 einen Lobpreis der Schöpferhcrrlichkeit Gottes, wie er auch in Naturpsalmen des Alten Testaments stehen sonnte1). Aber unter dem Seherblick des Propheten wandelt sich das Bild der Natur. Nicht wird in erster Linie Gott der Schöpfer gepriesen, sondern der schreckliche Weltenkönig, der in seinem Grimm die 7 Zornschalen über die Erde ausgießen läßt (15,1s., 5 ff.), unter dessen Allmacht die alte Welt vergeht und eine neue sich gestaltet. Sein Zorngericht wird gepriesen, weil aus ihm die neue Schöpfung hervorgeht. Damit weist das christliche Be­ kenntnis über die Naturpsalmen des Alten Testaments hinaus. Auch wo es von der Natur redet, preist es den Gott, der sich in Christus offenbart hat und durch ihn die Welt der Vollendung entgegenführt. Es hebt oic Schöpferherrlichkeit Gottes nicht auf, sondern sieht sie in dem erhöhten und wiederkommenden Herrn sich erfüllen. Darum ist das christliche Lobbekenntnis in der Offenbarung des Johan­ nes „das neue Lied", zu dem die alttestamentlichen Psalmen ermunterten. Im engsten Kreise derer, die dem Lamme zunächst stehen, wird eS anfäng­ lich angestimmt (5,9). Bald indessen nimmt die ganze Himmelswelt eS auf (5,11 ff.). Und schließlich dürfen auch die Menschen mit einstimmen (14,3), freilich nur die 144 000, die als Erstlinge aus den Menschen erkauft wur­ den für Gott und das Lamm (14,4). Damit erfüllt es nun wie Meeres­ rauschen mit Donnergetön Himmel und Erde. Es preist die Herrlichkeit, die Gott durch Christus seiner ganzen Schöpfungöwelt zugute kommen läßt; es ist das Lied Moses und des Lammes (15,3). So ist der eigentliche Sinn christlichen Bekennens der Lobpreis der Heilstaten Gottes durch Christus. In der Kindheitsgeschichte Jesu, den Lob­ gesängen, die Maria (Luk. 1,46-56), Zacharias (Luk. 1,68-79), Simeon (Luk. 2,29-32) und die Engel (Luk. 2,14) anstimmen, beschränkt er sich auf das Heil, das aus den Erwartungen der alttestamentlichen Propheten vertraut war. In der Endgeschichte dagegen, in den Liedern der Offen­ barung, ergreift er mit dem erhöhten Herrn den ganzen Kosmos, steigt mit Ihm durch alle Himmel hindurch und vereinigt alle Kreaturen in der lob­ preisenden Anbetung Gottes. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß die im Himmel gesungenen Loblieder auch im Schoße der noch auf Erden weilenden Gemeinde ange­ stimmt werden. Ist sie doch im Geiste mit der Himmelswelt verbunden, ist doch ihr Gottesdienst schon ein Abglanz der himmlischen Herrlichkeit. Und Dgl. auch Offbg. 4,11.

wie die himmlischen Ältesten mit den Engeln, die Engel mit den irdischen Geschöpfen im Lobpreis des Lammes, das erwürgt ist, gegenseitig wett­ eifern (Offbg. 5,9-14), so erschallt derselbe Lobgesang durch die Versamm­ lung der irdischen Kirche 0. Die Ältesten stimmen ihn an; die Geistträger nehmen, sich gegenseitig ablösend, ihn auf; die Gemeinde fällt int Chor ein und bekennt sich damit zu dem pneumatischen Zeugnis. In der Darstellung, die Paulus von dem Wirken der Geisteögaben innerhalb der korinthischen Gemeinde gibt, erhalten wir ein ähnliches Bild. Es zeigt sich damit, daß unsre Auffassung vom Wesen deö Bekenntnisses, die, dem Ouellenbefund entsprechend, vornehmlich aus den späteren Schrif­ ten des Neuen Testaments erhoben werden mußte, auch für die Zeit deö Paulus sich schon rechtfertigen läßt. Desscir Hauptanliegen ist dabei, daß alles in der Ordnung geschehe (1. Kor. 14,40). Damit es kein ekstatisches Gestammel gebe, soll jeder sich zu Hause vorbereiten auf das, was er zu sagen hat (14,2b)-). Es braucht auch nicht alles völlig neu zu sein, was vorgebracht wird. Zum Zeugnis des Geistes gehört auch die SiSayr], die aus der Tradition überlieferte und von ihr geprägte Lehre (14,26). Auch insofern das Bekenntnis sic enthält, braucht es also seinen Charakter als geisterfüllten Lobpreis Gottes in Christus keineswegs abzustreifen. So dürfen wir von dieser Einsicht aus im Neuen Testament die Worte als „Bekenntnisse" ansprcchen, die in ihrer fcstgeprägten Form den Charakter des gottesdienstlichen Hymnus an der Stirne tragen H, auch wenn sie nicht dcit offiziellen Namen önoAoyia tragen. Das ist wenig­ stens andeutend der Fall bei dem Christuölied von dem „Mysterium der Gottseligkeit" l.Tim. 3,16. Unter dieser Überschrift wird hier in feier­ lichen Wendungen der ganze Lauf Christi von seiner Menschwerdung bis zur Erhebung in die göttliche Herrlichkeit besungen. „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis", so übersetzt Luther die einführenden Worte; „so groß, daß es bekannt werden muß — „bekannt" dabei in doppeltem Sinn verstanden —, so könnten wir sie wohl umschreiben. Trägeritt aber dieses wundersamen Gottesgeheimnisses ist, indem sie es bekennend ausspricht, „die Kirche deö lebendigen Gottes, Säule und Pfeiler der Wahrheit" (3,15). Sie verschmilzt gleichsam mit dem Mysterium, das sie bekennt. Sie trägt die Christuswahrheit, wie der Pfeiler das Haus; sie wird von ihr getragen, so wie der Pfeiler auf dem Fundament des Hauses ruht. Und „int Hause Gottes wandeln" (3,15), heißt nichts anderes als dem „guten Bekenntnis" *) Ernst Lohmeyer zur Stelle (Hdb. z. NT. 16, 1926, S. 55): „Die Stelle ist eine schöne Illustration zu dem späteren Wort deö Pliniuö: carmen Christo quasi deo dicere secum invicem." 2) Walter Bauer: Der Wortgotteöbienst der ältesten Christen. Tübingen 1930. 3) ohne dabei im folgenden Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Das Thema ist schon eine eigene Untersuchung wert.

10 treu bleiben und den „guten Kampf" des Glaubens kämpfen (6,12 ff.)1).2 3 4 Nicht nur das Taufbekenntnis, sondern auch das lobpreisende Christus­ bekenntnis schließt in sich die Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche. Die beiden Seiten dieser Gemeinschaft sind durch Tod und Auferstehung Christi gekennzeichnet. Das wird in dem Hymnus 2. Tim. 2,11 f. in par­ allelen Wendungen hervorgehoben. Es wird dabei zugleich deutlich ge­ macht, daß jene Verbindung nicht nur durch den Lobpreis, sondern vor­ nehmlich durch daö Bekenntnis der Tat bezeugt werden muß. Das Lied ist als eine wechselseitige Ermunterung zum Auöharren bei Christus zu ver­ stehen. Auch angesichts des Verleugners wird die Treue Christi gepriesen, der die Gemeinschaft mit uns festhält. „Denn er kann unmöglich sich selbst verleugnen" (2,13), so faßt der Briefschreiber den Inhalt des Lobgesanges zusammen. Daö lobpreisende Bekennen gesteht in demütiger Beugung ein, daß nicht unser Tatbekenntnis, sondern Christi barmherzige Liebe die Ge­ meinschaft mit uns begründet. DaS größte und für die Folgezeit wichtigste Christusbekenntnis der Urchristenheit hat Paulus Phil. 2,6-11 überliefert. Es hat zum Aufbau des zweiten Artikels des später sog. Apostolischen Glaubensbekenntnisses das Wesentliche beigetragen-). Sein Inhalt gipfelt darin, daß Jesus Christus der Herr ist, daß ihm damit der Name verliehen ist, der über alle Namen ist; es greift also wie die Hymnen der Offenbarung Johannis über die irdi­ sche Welt hinaus lind umfaßt alle Kreaturen. Und diese Herrlichkeit Jesu ist begründet durch seine Erniedrigung am Kreuz H; die Einheit der beiden Seiten des Christuszeugnisses wird hier besonders energisch betont. Daß «S mit alledem ein Lobpreis Gotteö des Vaters sei, spricht es selber aus. Der Preis des sich selbst entäußernden Gehorsams Christi ist das Lob des Got­ tes, der den Gekreuzigten zum Herrn erhöht hat1). x) Vgl. oben S. 6. 2) Karl Holl: Zur Auslegung des 2. Artikels des sog. apostolischen Glaubensbekennt­ nisses = Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. II. Der Osten. Tübingen 1928/ S. 115 ff 3) Wie das „deswegen" von 2,9 entscheidend im Mittelpunkt des ganzen Liedes steht, hat Holl mit Recht hervorgehoben; a. a. O. S. 118. 4) Daß solcheS Bekenntnis zu Christus in der Gemeinschaft der Christen mit ihm und unter­ einander begründet ist, wird in dem oft übersehenen Rahmen deS Liedes zur Geltung gebracht. Paulus ermahnt die Philipper, ihr Gemeinschaftsleben deS Evangeliums würdig zu führen (1/ 27 ff.). Er erinnert sie daran, daß sie wie er selbst schon in die Gemeinschaft der Christus­ leiden haben eintrctcn dürfen (1, 28—30). Er ruft ihnen ins Gedächtnis zurück die mahnende Liebe, die er ihnen erwiesen, und die Gemeinschaft deS Geistes, in der sie sein Zeugnis ange­ nommen haben (2,1). Und nun bittet er sie, diese Gesinnung auch fernerhin zu bewähren in der Liebe, die die Einheit erstrebt und die Demut übt (2,2—4). Für diese Gesinnung soll Christus ihnen das Vorbild sein (2,5). Er hat die Einheit mit dem Menschengeschlecht ge­ sucht und sich dazu in demütigem Gehorsam bis in tiefste Tiefen erniedrigt (2,6—8). Die ihm in diesen Stücken gleich werden mit Furcht und Zittern, werden auch mit dem erhöhten Herrn (2, 9—11) die Seligkeit (2, 12) und das göttliche Wohlgefallen (2, 13) erlangen; sie

Wir fassen zusammen. Wie daö Tausbekenntnis, so hat auch daö int Kultus laut werdende lobpreisende Christusbekenntnis eigentlich nur einen Inhalt: Den Dank für die Gemeinschaft mit dem erniedrigten und erhöhten

Herrn. Es versteht sich dabei noch deutlicher als bei der Taufe von selbst, daß dieses Bekenntnis nicht von außen her kommt, nicht eine äußerlich über­ mittelte Lehre aufnimmt, sondern aus der Gemeinschaft mit ihm heraus­ gesprochen ist. Im Taufbekenntnis ist sie hergestellt durch das Handeln Christi im Sakrament. Sollte es mit jenem „Lobopfcr" (Hebr. 13,15) anders sein?

Es läßt sich in der Tat Nachweisen, daß der bekennende Lobgesang vor­ nehmlich bei der Feier des Herrenmahlcs seine kultische Stätte haN). Zwar mag auch int Wortgotteodicnst der vom Geist Erfüllte sein Bekenntnis ztl Jesus dem Herrn hervorkehren, um die Gegner durch unmittelbares Zeugnis zu gewinnen; aber er setzt sich dabei dem Gegenangriff der Läste­ rung Christi aus: „verflucht sei Jesus" sagen die, die den Geist nicht be­ sitzen (1. Kor. 12, z)-). Darum gehört das Bekenntnis in den geschlossenen Sakramentsgottesdienst der Gemeinde. Hier haben die vielen Geister tmd Herreit keine Macht. Das Abendmahl wird genossen im Aufblick zu dem „Einen Gott, dem Vater, dem Schöpfer aller Dinge" und zu dem „Einen Herrn Jesus Christus, dem Mittler aller Dinge, der auch tinser Mittler ist" (1.Kor.8,5f.); mit'Ihm treten wir im Sakrament in Gemeinschaft (1. Kor. 10, 15-21). Wie schon der jüdische Hausvater vor der Spendung des Kelches beim Passahmahl einen Lobgesang Gottes des Schöpfers und seiner Taten für sein Volk sprach, so kannte auch die Christenheit den Lobpreis des Schöpfers3* )2 vor der Darbringung der Elemente. Eö folgte daö Dreimalheilig mit dem werden wie die Sterne leuchten mitten in einer verkehrten Welt (2,15) und am Tag des Herrn offenbar werden (2,16). Auf die Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn, wie sie durch das lobpreisende Bekenntnis zu ihm bezeugt wird, gründet sich die Freude des Paulus und seiner Gemeinde (2,17 f.). J) Zum folgenden Hans Lietzmann: Die Anfänge des Glaubensbekenntnisses = Fest­ gabe für Harnack 1921, S. 226ff.; ders.: Symbolstudien = Z. N. W. 21, 1922, S. 1 ff.; 22, 1923, 257ff.; ders.: Messe und Herrenmahl. Bonn 1926. 2) Walter Bauer a. a. O. S. 59ff. — Lietzmann macht (Messe u. Herrenmahl 166, 257ff.) es höchstwahrscheinlich, das; das Preis- nnb Dankgebet zu Gott dem Schöpfer, das jetzt dem Dreimalheilig vorangeht, samt diesem aus dem Gottesdienst der Synagoge über­ nommen worden ist, zunächst im Wortgott eödienst seine Stelle gehabt hat und erst durch die Zusammenlegung der Eucharistie mit diesem in die Sakramentsfeier der römischen Gemeinde eingcdrungen ist. Doch mag die Sache je nach den örtlichen Verhältnissen verschieden liegen. 3) Das „Lied Moses und des Lammes" Offbg 15,3 f. mit feinen Anspielungen auf den Auszug aus Ägypten macht den Zusammenhang ganz deutlich.

12 Dankgebet, das die HeilStaten Gottes in Christus aufzähltc. Zu Gottes Lob und Preis bekennt hier der Leiter des Herrenmahls, „was Gott an der Gemeinde durch Christi Menschwerdung getan hat; er bekennt sich mit der Gemeinde zu dem im Himmel thronenden Herrn, dessen Parousie die Sehnsucht der Gläubigen erwartet"4*).2 3Und wenn auch dieses Christus­ bekenntnis im Munde des Leiters der Sakramentöfcier — das dem später mit „dignum est“ eingeleiteten Eucharistiegebct entspräche — nur eine Vermutung wäre-), wenn sich auch das gläubige Gedenken nicht nur des gekreuzigten, sondern auch des auferstandenen und wiederkommenden Herrn in der später so genannten Anamnese im Neuen Testament nicht sicher nach­ weisen ließet, so sind doch die Christushymnen, wie die Gemeinde sie sang, sowohl auf die spätere Fassung der Präfatio wie der Glaubensbekenntnisse von Einfluß gewesen4). Ihre bekenntniSmäßige Haltung sowohl wie ihre Entstehung aus dem Sakrament geht aus dieser Tatsache einwandfrei her­ vor. Wenn also das Bekenntnis später direkt als commemoratio, als lob­ preisende Vergegcnwärtigmachung Christi bezeichnet wird''), so wird damit die Erfahrung ausgedrückt, die auch schon die urchristliche Gemeinde am Sakrament gemacht hat. Waö hier geschieht, daö jubeln die Bekenntnisrufe der Geistträger hervor. Das Bekenntnis tritt nicht als eine lehrhafte Aus­ deutung zu dem Sakrament hinzu, eö bricht aus ihm heraus. Es ist ein Teil davon. Ohne das Wortbckenntnis wäre die sakramentale Handlung nicht nur sinnlos, sie könnte garnicht sein; denn sie ist niemals für sich allein etwas, sondern immer nur so, daß sie durch den Geist die Gemeinschaft zwischen Christus und den Gläubigen herstellt. Und ohne die Handlung wäre das Wortbekenntnis beziehungslos, grundlos; eö hat nur Sinn in der Gemein­ schaft mit Christus, die durch die Handlung begründet wird. Wort und Sa­ krament gehören zusammen.

*

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* Daö Bekenntnis entstammt dem Sakrament — daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für sein Wesen. Zunächst sein „Communio-Charakter". Eö stellt die sakramentale Gemeinschaft des Christusleibs dar; es beschreibt daö verborgene Christusleben, das die Kirche zusammenhält. Es „beschreibt" es nicht, wie man einen objektiven Tatbestand beschreibt. Sondern es ist unmittelbar Ausdruck des Pneuma, das den ganzen Leib 4) Hans Lietzmann Z. N.W. 22, 1923, S. 262. 2) Vgl. Lictzmann: Messe u. Herrenmahl S. 179. 3) Vgl. Lictz mann a. a. O. S. 50.— 1. Kor. 11,26 läßt freilich eine entsprechende liturgische Form vermuten. 4) Lietzmann a.a.O. ). Also auch da, wo wir in der Heiligenliturgie komplizierte christologische oder trinitarische Formeln finden, sind sie mehr als Formel; sie künden von einer Wirklichkeit, die sich als Lebenskraft auf den dem Tode geweihten Bekenner herabsenkt. So preisen die unschuldig gemordeten Kind­ lein von Bethlehem mit ihrem stammelnden Todesgeschrei den Mann aus Nazareth. Gott hat sich darin aus dem Munde der Unmündigen Lob zu­ bereitet. Gottes Geist läßt sie den erkennen, von dem die Schriftgelchrten nichts wußten H. So ist das Bekenntnis als Lobpreis Gottes von ihm selbst gewirkt. Wer es ausspricht, ist in die Sphäre versetzt, da Gott mit sich selber redet. Indem der Märtyrer schon auf Erden in himmlischer Glorie vor Gott lebt, ist er der wahre Bekenner; sein Wort ist der Aus­ druck dieser Lebenswirklichkcit. Das Sakrament aber verleiht Anteil an jener Glorie. Wir treten darin mit Christus und seinen Heiligen in Verbindung. Durch die sakramentale Speise wird diese Gemeinschaft hergestcllt. Gott segnet durch Intervention des Heiligen die Elemente, so daß die, die sie empfangen, frei werden von ihrer Sündenlast und in der Gemeinschaft der selig Vollendeten „die Süßig­ keit des reinen Bekennens" erlangen '). Auch der liturgische Akt des Be­ kennens hier auf Erden ist eine Vorwegnahme der himmlischen Seligkeit, die Ewigkeit ist ein fortdauerndes Bekennen. Und jener Akt ist nicht auf ein Wort oder einen Augenblick der kultischen Feier beschränkt. Der ganze Vollzug der Messe ist vielmehr ein solcher Bekenntnisakt. Er gipfelt aber in der Kommemoration des Märtyrers. Da fließen sein und unser Be­ kenntnis zusammen. Wir, die Lebenden, werden dadurch vor Gott ange­ nehm, und die Geister der Verstorbenen gelangen dadurch zur Ruhe in der Schau und dem Lobpreis Gottes4*).5 23 In der Gemeinschaft mit allen Heiligen, die das Sakrament vermittelt, vollzieht sich nun auch unser Bekennen; dabei in ihren Lobpreis Gottes cinzustimmen macht unsere Seligkeit aus. „Wer die Gnade der Märchrer be­ wahrt, gelangt zum Triumph des Bekennens. Mit dem Bekenntnis seiner Lippen preist er die Macht deines eingeborenen Sohnes, den er sich nicht schämte, vor den Menschen zu seinen Lebzeiten zu bekennen"-). Darum ist das Trishagion das eigentlich Meßbekcnntnis. Alle sonstigen trinitarischen Formeln umschreiben nur näher seinen Inhalt. Wie der Märtyrer Se­ bastian Gott durch die Tat seiner Hingabe verherrlicht hat, „so wollen

*) 2) 3) 4) 5)

Ferotin a. a. O. S. 520. A. a. O. S. 100. A. a. O. S. 388. A. a. O. S. 470. A. a. O. S. 471.

auch wir ihn mit der Stimme unseres eigenen Bekenntnisses preisen und rufen und sprechen: Heilig, heilig, heilig..."4) Wer aber diesen heiligen Namen in den Mund nimmt, steht immer vor Gott in demütiger Beugung2). Der Lobpreis ist zugleich ein Buß­ bekenntnis, das Dreimalheilig ein „Bekenntnis unserer Zerknirschung"2). ouoAoyia und confessio, das lateinische Gegenstück, bezeichnen ja auch das Beichtbekenntnis. Dabei will die Alte Kirche nicht etwas Verschiedenes in einem Wort zusammenfassen, sondern es handelt sich für sie um zwei Seiten derselben Sache. Echter Lobpreis Gottes entspringt immer aus der Demut. Darum betet die Gemeinde im Blick auf ihre Märchrer: „Daö, was ihnen einen ewigen Kran; verschafft hat, möge uns Vergebung bringen; und der unter ihren Füßen die steinharten Felsen erweicht hat, möge unsere Herzen durch das Bekenntnis wahrer Reue weich machen"4). Besonders in der Fastenzeit ist das Bekenntnis der Ausdruck solcher Demütigung; und die Gemeinde bittet den Herrn, er möge das Bekenntnis ihrer Demut gnädig ansehen und ihr gebeugtes Gewissen wieder aufrichten5). Die Bußgesinnung aber soll sich nicht nur in Worten zeigen, sondern durch die Tat. Daö Bußbekenntnis als Lobopfer ist wie das Blutopfer des Märtyrers zugleich ein Opfer der Tat. Fasten, Gebet und Almosen sind die Gaben, die Gott wohlgefällig sind und an denen er sieht, daß wir sein Erbarmen ernstlich suchen6). Indem Gott durch die Messe am Mär­ tyrerfeste die Glorie seines Zeugen erneuert, ruft er bei den Lebenden das Gelöbnis hervor, es ihm gleichzutun. Indem wir uns mit unserem Bekennt­ nisse dem Opfer des Märtyrers konform machen, wecken wir in uns den Willen, ihm ähnlich zu handeln. Und wer zu solchem Tatopfer bereit ist, für den wird der Lobpreis Gottes, mit dem er sich zu dem Märtyrer be«. kennt, eine Ursache des Heils7). Das Tatbekenntnis hat also verdienstlichen Charakter, aber doch nur so, daß Gott es gnädig annimmt. Gnade und Verdienst wirken zusammen. Der Gott, der sich das Blutopfer der Märchrerin Agathe hat als Weih­ gabe gefallen lassen, der wird auch uns durch unser Bekenntnis recht­ fertigen2). Darum befiehlt sich die Gemeinde der rechtfertigenden und heiligenden Kraft des Gottes, der sein Erbarmen an den Märtyrern kund getan hat. „Er, der seinen Bekenner heute zu sich nahm in den Himmel, der möge auch uns, die wir glauben und bekennen, von den Sünden recht*) 2) 3) 4) 5) «) ’) «)

A. a. O. S. 102. . . supplici confessione dicentes: Sanctus ... a. a. O. S. 321. A. a. O. S. 551. A. a. O. S. 503. A. a. O. S. 179. A. a. O. S. 178. A. a. O. S. 471. A.a.O. S. 129.

30 fertigen, so daß wir, die wir heute das Gedächtnis seines Zeugen ehr­ fürchtig feiern, der Krone des Bekenntnisses mögen gewürdigt werden"*). Im sakramentalen Geschehen wird das Blutopfer der Märtyrer und das Opfer der Hingabe von feiten der Gemeinde hineingenommen in Christi Opfer auf Golgatha. Das Bekenntnis des Lobpreises, der Buße und der Tat besiegelt die Gemeinschaft mit der himmlischen Welt, in der Christus allen seinen Heiligen, die die Leiden dieser Zeit überwunden haben, An­ teil gibt an seiner himmlischen Herrlichkeit. Wenn wir auch unser Auge nicht vor der Gefahr moralistischer Ver­ flachung und mechanistischer Veräußerlichung des Märtyrerkultes ver­ schließen-), so müssen wir doch anerkennen, daß in Verbindung mit ihm wichtige Bestandteile der neutestamentlichen Bekenntnisanschauung gewahrt worden sind. Das Bekenntnis steht auch hier im Zusammenhang mit dem Sakrament und spricht aus, was in ihm geschieht. Es erwächst aus der Gemeinschaft mit dem im Gottesdienst unsichtbar gegenwärtigen Herrn. Als Bekenntnis tätiger Reue bezeugt es das Mitleiden mit Christus und seinen Märtyrern; als Lobpreis der göttlichen Herrlichkeit verkündigt es die Wirklichkeit und Nähe der Auferstehungswelt. Sein 0ommurüo-Charakter tritt auch den Brüdern gegenüber hervor. Einst hatte es so ge­ schienen, als hätte der Märtyrer einsam vor dem Richterstuhl, im Gefäng­ nis, in der Arena seinen Glauben bekennen müssen, ein versprengter Posten inmitten der feindlichen Welt. Nun ist er ausgenommen üi die triumphierende Kirche; und durch das Sakrament ist der Ring der Gemeinschast geschlossen- Die kämpfende Kirche auf Erden tritt damit ein in die Nachfolge Christi und seiner Blutzeugen und macht sich deren Be­ kenntnis zu eigen. Im Vollzug des Sakraments bekennt sie fortan die gött­ lichen Geheimnisse, die der Märtyrer schon schauen darf und die sie selber zu schauen begehrt. So ist der Inhalt des Bekenntnisses im letzten Grunde das unaus­ sprechliche Christusmysterium, das, vor den Augen der Welt verborgen, nur durch die Erleuchtung des heiligen Geistes innerhalb der'christlichen Kirche offenbar wird. Und daß es bekannt wird, ist zugleich der größte Beweis christlicher Liebe gegenüber der verlorenen Welt, ein Zeichen dafür, daß die Gemeinde aufgegangen ist in der Christusliebe. „Des heiligen Geistes voll", so heißt es von Stephanus3*), 2 „spie er die göttlichen Ge­ heimnisse aus (sacramenta ructabat — weil vor Ungläubigen) und trank willig den Kelch, der ihm dargereicht wurde... O unsagbar sehnsüchtiges 9 A. a. O. S. 469. 2) Daß die Liturgie gegenüber den volkstümlichen Verzerrungen des Heiligcnkultes außerordentlich zurückhaltend war, betont Ernst Lucius: Die Anfänge des Heiligenkultö in der christlichen Kirche 1904, S. 280 f. 3) A. a. O. S. 557.

Brennen der Christusliebe! Was gibt es Größeres als freiwillig sich morden lassen für den Herrn und die Liebe deö Gekreuzigten unter seinen Mördern mit unerschrockener Hingabe bekennen!" Das Bekenntnis ist Ausdruck der Liebesgemeinschaft des Bekenners mit Christus und der von ihm zur Er­ lösung bestimmten Welt.

So hat die Heiligenliturgie das urchristlichc Bekenntnis als Akt des Glaubens und der Liebe für die kommenden Jahrhunderte lebendig er­ halten. Freilich, in dem Maße als die Liturgie ihre endgültige Form ge­ wann, in der Prägung der Römischen Kirche ihre ursprüngliche quellende Fülle in strengste Straffheit zusammcirfaßte, mußte sich auch die Spontaneität und Produktivität des Bekennens erschöpfen. Haben wir bis­ her die Entfaltung des Bekenntnisses innerhalb der kultischen Entwicklung behandelt, so müssen wir jetzt, da von einer solchen in der früheren Weise nicht mehr die Rede sein kann, das Verhältnis von Bekenntnis und Sakra­ ment von einer neuen Seite betrachtcir. Wir haben dieses Verhältnis so bestimmt, daß das Bekenntnis den gött­ lichen Tatbestand beschreibt, der im Sakrament für den Glauben Wirklich­ keit geworden ist. Ist unter dieser Voraussetzung eine Bekenntnisentwick­ lung überhaupt möglich? Muß sic sich nicht zum mindesten auf einen eng begrenzten Zeitraum beschränken? Muß nicht einmal der Augenblick kom­ men, wo jene Beschreibung als erschöpfend, das Wachstum des Bekennt­ nisses darum als abgeschlossen angesehen werden muß? Und muß nicht in demselben Augenblick die Anschauung herrschend werden, daß das Bekennt­ nis als vollkommene Darstellung des wesensmäßig unveränderlichen sakra­ mentalen Vorgangs in sich selbst auch unwandelbar sei, und daß dieser sein Charakter der Unveränderlichkeit den richtigen Vollzug des Sakramentes garantiere? Ist das Bekenntnis verändert, so ist das Sakrament nicht mehr gültig; die Ketzer haben Teufelssakramcnte. Diese gefährliche Lehre konnte sich freilich nicht in allen Stücken, etwa im Blick auf das Taufsakrament, durchsetzen. Aber sie stand doch drohend im Hintergrund, wenn Kirchen­ fürsten sich gegenseitig exkommunizierten, wenn kirchliche Gruppen sich gegenseitig die sakramentale Gemeinschaft aufsagten. So konnte die Bindung des Bekenntnisses an daö Sakrament zur Er­ starrung der Bekenntnisentwicklung führen. Und in der Ostkirche ist diese Möglichkeit zur Wirklichkeit geworden. Die 5. ökumenische Synode von Konstantinopel 553 hat den Beschlüssen der 4 ersten ökumenischen Konzilien die oberste Entscheidung aller Glaubensfragen zuerkannt. Und innerhalb der so festgelegten Tradition billigte man dem Konstantinopolitanum von 381, daö man als eine ergänzende Bearbeitung des Nizänums von 325 an-

32 sah, die höchste Autorität zu; es ist seitdem das Bekenntnis der Anatolischen Kirche l). Diese Regelung, die den endgültigen Abschluß der Bekennt­ nisentwicklung im Osten bedeutet, schien eine Zeitlang auch im Westen bestimmend werden zu sollen. Jedenfalls hängt mit ihr die allgemein ver­ breitete Anschauung zusammen, daß alle späteren Lehrformulierungen nur eine dienende Rolle gegenüber dem alten Bekenntnis zu spielen hätten, dem allein das Merkmal des Apostolischen zukomme. Die spätere Kirche hat diesen Abschluß ihrer Bekenntnisentwicklung da­ mit zu rechtfertigen gesucht, daß von den 4 ersten Konzilien alle nur mög­ lichen Ketzereien überwunden und ausgeschicden seien, daß sie also alle mit dem Konstantinopolitanum widerlegt werden könnten. Damit erscheint die­ ses Bekenntnis als der Inbegriff der christlichen Wahrheit. Es ist unüber­ bietbar. Es kann zwar, dem jeweiligen Falle entsprechend, interpretiert und angewandt werden. Aber keine Auslegung kann es ergänzen, geschweige denn verbessern. Sein Wortlaut ist sakrosankt. Zwar hat der Kampf gegen die Ketzer das Bekenntnis hervorgebracht; aber sie sind nicht wichtig ge­ nug, als daß um ihretwillen eine dauernde Bekenntnisentwicklung statt­ finden müßte. Diese Anschauung ist sicherlich sachlich richtiger als die moderne, wo­ nach Bekenntnis und Dogma — ihrem Inhalt und nicht nur ihrer Form nach — aus der Auseinandersetzung zwischen Christentum und antiker Philosophie entstanden sein sollen, ihre Erstarrung also die Folge eines Schwächezustandes sei, der die Antike ergriffen und jenem lebendigen Aus­ tausch ein Ende gemacht habe; das Versinken der antiken Kultur habe dann Dogma und Bekenntnis vollends zum Abschluß geführt. Damit erscheint die Bekcnntnisbildung rein als ein am Rande des Christentums sich ab­ spielender Prozeß. Die Kirche aber hatte die Erfahrung gemacht, daß die Ketzerei, auch wenn sie sich als Rückfall in daS Heidentum und dessen Philosophie ma­ nifestierte, immer aus ihrem eigenem Schoße entstand, daß ihr aber stets von neuem die Kräfte der Abwehr dagegen geschenkt wurden; sie hat daher die Entfaltung ihres Bekenntnisses immer als den Ausdruck ihres innersten Lebens verstanden. Sic hat nicht weiter über die Art dieser Kraft nachzu­ denken brauchen, die sich in ihr und aus ihr heraus scheidend und bekennend betätigte. Wer lebt, reflektiert nicht über das Leben, sondern denkt und handelt aus dem Leben heraus; das gilt auch von der Kirche. Sofern sie in der Welt ist, lebt sie mit den Kräften, die die Zeit bewegen, und entnimmt ihnen den Anstoß zum Handeln; die äußeren Umstände, unter denen sie ihr Bekenntnis durchsetzte, bezeugen das. Aber ihr eigentliches Leben hat sie in der sakramentalen Gemeinschaft mit Christus. Aus ihr schöpft sie *) Vgl. Ferd. Kattenbusch: Lehrbuch der vergleichenden Konfessionskunde I, 1892 S. 252 ff.

die Kraft, mit der sie den Inhalt ihres Bekenntnisses in wachstümlicher Entwicklung entfaltet. Wir müssen heute in der Rückschau auf die Bekennt­ nisentwicklung der Alten Kirche anerkennen, daß ihr ein Leitbild von der an ihr in Christus geschehenen Heilsoffenbarung vorschwebte, daß sie nicht ruhte und rastete, bis sie es in ihrem Bekenntnis verwirklicht hatte, und daß sie, als sie dies Ziel erreicht zu haben glaubte, ihre Bekenntnisentwicklung als abgeschlossen betrachtete. Jenes Leitbild aber entsprach der Wirklich­ keit der Christuögegenwart, in die sie im Sakrament versetzt wurde. Darum hat sie auch weiterhin ihr formuliertes Bekenntnis in ihren Kultus hineingestellt. Der Abschluß der Bekenntnisentwicklung bedeutet zu­ gleich die Vereinheitlichung des liturgischen Bekennens. Die Zeiten sind endgültig vorüber, wo jeder Bischof seine dogmatische Sonderlehre oder Lehrformeln seiner kirchenpolitischen Gruppe dem Symbol seiner Kirche einfügen konnte. Die Reichskirche schuf hier Ordnung. Das Konstantinopolitanum wird das Taufsymbol. Und es ist, wie wir gesehen haben, keine absolute Neuerung, wenn Patriarch Timotheus I. von Konstantinopel 511 auch im Meßgottesdienst seiner Kirche das offizielle Bekenntnis einführte *). Der Westen folgte dem Beispiel, freilich, in den jungen Germanenreichen außerhalb der Reichskirche, mit bemerkenswerter Selbständigkeit. Überall tritt hier zu dem altüberlieferten Taufbekenntniö, dem sogen. Apostolikum, daö freilich in Rom selbst nach östlichem Vorbild lange Zeit hindurch durch das Konstantinopolitanum verdrängt war, diese jüngere Formel als Meß­ bekenntnis. Auf der Synode von Toledo 589 besiegelte das Westgotenreich in Spanien seinen Übertritt vom arianischen zum katholischen Glauben durch die Einfügung des Konstantinopolitanums in den Meßgottesdienst; und zwar mit dem für die augustinische Trinitätslehre charakteristischen Zusatz filioque im dritten Artikel, sodaß also im Unterschied von der Ostkirche der Ausgang des Geistes vom Vater und dem Sohne gelehrt, die Einheit und Gleichartigkeit der drei göttlichen Personen schärfer hervorgehoben wird. Damit war ein lehrhafter Unterschied kultisch festgelegt, der für die Folgezeit entscheidend werden sollte; im Zeichen Augustins geschah das. Dem Einfluß des afrikanischen Kirchenvaters dürfen wir es überhaupt zuschreiben, daß das 6. und 7. Jahrhundert für die westliche Kirche — vor­ allem in Spanien und Gallien — eine Zeit besonders lebendiger Bekennt­ nisentwicklung geworden ist*2). Indem man den dogmatischen Ertrag des Ostens übernahm, verschmolz man ihn mit der Theologie Augustins und goß ihn in die Formen neuer Bekenntnisse. Von ihnen haben zwei bleibende und x) Zuerst war eö daö Nizänum, dann daö Konstantinopolitanum; Kattenbusch a. a. O. S. 267. 2) Hanö von Schubert: Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter 1921, S. 76 setzt sie in Parallele mit dem 2. Jahrhundert, der Zeit, da im antignostischen Kampfe die Glau­ benöregel entstand. Maurer, Bekenntnis und Sakrament.

34 für den gesamten Westen maßgebende Bedeutung behalten: Das noch von Luther so hochgeschätzte Te Deum und das sog. Athanasianum *)• Sie ver­ danken das vornehmlich der Aufnahme in den kultischen Gebrauch. Beide hatten ihre Stelle in den Horen, das Te Deum außer in der Matutin auch bei besonderen festlichen Gelegenheiten im Mcßgottcödienst -). Der Sieg Augustins im Westen, wie er sich durch die Neubildung der genannten Bekenntniöformeln (einschließlich des Filioquc) dokumentierte und durch deren Eindringen in den Kultus verfestigte, ist für die gesamte Entwicklung der westlichen Kirche, auch der Reformation, von ausschlag­ gebender Wichtigkeit geworden. Nicht nur, weil das Abendland unter die­ sem Zeichen seinen besonderen Weg angetreten hat, auf dem eö sich so weit von der östlichen Kirche entfernen sollte, sondern vor allem, weil die aus persönlichen Erfahrungen und Kämpfen herausgcwachsene augustinische Theologie selbst nicht so ausgeglichen ist wie die der durch die Tradition strenger gebundenen östlichen Kirchenlehrer. Wir können hier auf die in­ neren Spannungen des AugustiniSmuö nicht eingchen. Sie lassen sich alle zurückführen auf den Unterschied zwischen sakramentaler Gnade und prädestinatianisch wirkender Wortgnade, zwischen traditionellem Katholizismus und Paulinismus. In diesen Zwiespalt ist die abendländische Kirche durch Augustin hineingezogcn worden; und seine Lösung ist eines der großen Themen, daö die mittelalterliche Theologie der Reformation hinterlassen hat. In unserem Zusammenhang ist dabei die Tatsache am wichtigsten, daß das Abendland die Aufnahme des Augustinismus und damit eine neue Stufe seiner Bekenntnisentwicklung in dem Augenblicke vollzog, da die öst­ liche Kirche die ihrige abschloß. Man war dabei des guten Glaubens, daß man gemeinsam die eine apostolische Wahrheit besitze. Man war sich einig in der Überzeugung, daß es nur ein christliches Bekenntnis geben könne. Und eö dauerte lange, bis man im Westen einsah, daß tatsächlich ein Unter­ schied eingetreten, daß die Griecheit nicht nur Schismatiker, sondern Ketzer seien. Die Unsicherheit wirkte sich in der Bckenntnisentwicklung aus. Die Bin­ dung an das Sakrament schien das Haften an dem einmal erreichten Bcx) Den Ursprung des Tedcumö aus der Anaphora der Meßliturgie hat Paul Gagin: L’euchologie latine, Te Deum ou illatio, Abbaye de Solesmes 1906 (vgl. dazu Peter Wagn er in Gregorianische Rundschau VI, 1907) nachgewiesen; sein hymnischer Charakter ist von daher bestimmt. Daß man es im Mittelalter biö hin zu Luther als offizielles kirchliches Bekenntnis empfand, ist kennzeichnend für die Auffassung der Zeit vom Wesen des Bekenntnisses. — Für die Entstehung des Athanasianums haben wir wohl an eine formelhaft geprägte lehrhafte Umschreibung und Entfaltung des Taufsymbolö mit den Ausdrucksmitteln der augustinischen Theologie zu denken; sofern sie sich im Taufunterricht und zur Vorbereitung auf den Sakra­ mentsempfang vollzog, haben wir nur eine indirekte kultische Beziehung anzunehmen. 2) Aus de fide catholica des Petrus Damiani (-f 1072) geht hervor, daß zu seiner Zeit die Einfügung des Athanasianums in den ersten Frühgottcsdienst als eine Neuerung empfunden wurde, die er freilich zu rechtfertigen verstand. MSL 145, 224 D.

kenntnisstand zu fordern, den man mit der Ostkirche gemeinsam hatte. Die lebendige Entwicklung aber, die Theologie sowohl wie die praktische Aufgabe der Erziehung der jungen Völker und der Abwehr der verschiedensten Ketze­ reien, die aus der Zeit der Reichskirche und des germanischen Arianismus herübcrwirkten, drängten über den bisherigeil Stand hinaus. Eine behar­ rende und eine vorwärtsdrängende Tendenz drohten die bisher einheitlich verlaufene Bekenntnisentwicklung innerlich aufzuspalten. Der Drang nach Sicherung des Bestehenden und nach fortschreitender Erkenntnis der Wahr­ heit durchkreuzen sich seitdem in der Entfaltung der abendländischen Be­ kenntnisse. Und sehr oft erwies sich dabei das Element, das das Alte wahren wollte, als eine Kraft bekenntnismäßigen Fortschritts; und die die Entwicklling vorwärts drängen wollten, blieben, auf das kirchliche Bekenntnis ge­ sehen, unfruchtbar. Aber mit dem Nachweis einer derartigen Spannung konservativer und fortschrittlicher Tendenzen wäre die Bekcnntnisentwicklung der abendländi­ schen Kirche nur oberflächlich dargestcllt. Die Kräfte, die in Wirklichkeit das Gesetz der Polarität alles Lebendigen erfüllten und in gegenseitigem Kampf das Bekenntnis neu erzeugten, liegen in der Tiefe verborgen. Wir sahen schon: die Kraft der Beharrung war im Sakrament; wie es selber die ewige Herablassung der göttlichen Liebe immer neu repräsentierte, so verlangte es auch ein Bekenntnis, daö nach Forin und Inhalt ewig gleich bliebe. Und die Kraft, die nach vorwärts drängte, liegt im Wort. Als Worttheologie in den Bahnen der Propheten und des Paulus die göttliche Gnadenbotschaft zu verkündigen war daS eigentümliche Anliegen des Augustinismus. In der Verkündigung des Wortes hatte er seine praktische Verwendbarkeit im Dienste der Heidenmission und Völkererziehung zu erweisenH. Zn der Spannung von Wort und Sakrament liegt das eigentümliche Gesetz der Bekenntnisentwicklung innerhalb der abendländischen Kirche beschlossen. Diese Spannung trat zwar jetzt unter dem Einfluß Augustins zum ersten Male in der Geschichte der Kirche in die Erscheinung; aber sie ist be­ reits im Neuen Testament selbst angelegt. Nur war sie zunächst nicht akut geworden. Denn die apostolische Verkündigung hatte das Wort, wie wir gesehen haben H, doppelt verstanden, es gleichsam auf zwei Sphären, die esoterische und die exoterische, verteilt. Zn ihrem Innern hegte die Kirche des Neuen Testaments daö Sakrament als das Geheimnis der ihr verliehe­ nen Gottesoffenbarung; und aus dem Sakrament empfing sie das göttliche Wort, und das Wort empfing sie als Sakrament. Nach außen hin teilte sie der Welt zwar dasselbe Wort mit. Aber es war nur inhaltlich dasselbe Wort, Es wäre eine reizvolle Aufgabe, unter diesem Gesichtspunkt nach Unterschieden zwischen der lateinischen Germanenmission und der griechischen Slawenmission zu suchen. 2) S. 17.

36

es wirkte anders. ES wirkte nicht innerhalb einer vom Geist erfüllten Ge­ meinschaft an allen Gliedern, sondern nur an denen, die der Geist zur Ge­ meinde hinzutun würde. Inzwischen war dieses Verständnis von der Doppelseitigkeit dcö Wortes verloren gegangen. Die Kirche stand nicht mehr in der Welt, sondern die Welt stand in der Vorhalle der Kirche. Und das Wort, daö sie an die Welt unter der Kanzel richtete, war nicht mehr der freie, geistgewirkte Lobpreis der göttlichen Herrlichkeit, der sonst in der Kirche laut geworden war, auch nicht mehr das prophetische, zur Entscheidung drängende Verkündigungs­ wort, vor das der Eifer der urchristlichen Missionare ehedem die Welt ge­ stellt hatte; sondern eS war das pädagogische Wort der Völkerhirten, die mit unendlicher Geduld die Generationen äußerlich christianisierter Völker an christliche Lehre und Sitte gewöhnen mußten. Dieses Wort aber drohte sich immer wieder von seinem sakramentalen Urgrund zu lösen und ihm als selbständige Macht gegenübcrzutreten. In dieser Lage kam cs zur Spannung zwischen Wort und Sakrament. Aber nur die westliche Kirche hat sie auogetragen und konnte daö, weil sie daö augustinische Erbe empfangen hatte. Die Ostkirche hat sich damit begnügt, die Welt mit dem Sakramente zu segnen. So blieb ihr das Wort in seiner esoterischen Weihe und Würde geborgen; aber es durchlief nicht die Welt, sie zu durchchristen. Die Kirche deö Westens dagegen bleibt der Welt, die sie in sich ausgenommen hatte, das Wort nicht schuldig; sie er­ trägt die Spannung von Wort und Sakrament, die damit gegeben ist. Sie nimmt damit mancherlei Beschwerlichkeit auf sich. Sie gibt daö Wort, das sie predigt, hin an die Welt und verliert eS; und empfängt von ihr nur ein verzerrtes Echo zurück. Sie verliert sich selbst mit dem Wort, das ihr anvertraut ist. Aber niemals verliert sie es auf die Dauer; immer wieder von neuem wird es ihr geschenkt aus der Kraft der Gegenwart Christi im Sakrament. Und darum kann sie sich selbst nicht für immer verlieren. Im Sakrament findet sic Christus, und damit findet sie sich selbst wieder als Christi Leib. Und ihr Bekenntnis ist der Lobpreis dieser gnadcnspendenden Nähe. Sie gebraucht das Wort ihres Bekenntnisses als ein Schwert, die Über­ macht der Welt, die sich in ihrer Mitte breit macht, abzuwehren. Und tvcnn ihr Auge sie ärgert, weil es sich in die Welt vergafft hat, und ihre Hand, weil sie mit der Welt verräterischen Handschlag tauschte, dann haut sie das ärgerliche Glied an ihrem Leibe mit dem Schwerte ab. Das Bekenntnis ist ein Schwert, soweit es Wort ist. Es deckt die scharfen Grenzen auf und ver­ dammt, was jenseits der Grenze ist. Aber eö kündet doch dabei von der heil­ bringenden Gegenwart des Erlösers, die im Sakrament erfahren wird. Weil es mit diesem zusammenhängt, ist eS ein Heilmittel; es schließt die Wunden, die eö selbst geschlagen hat.

Das Bekenntnis, das aus der Spannung von Wort und Sakrament er­ wächst, ist das Lebenszeichen der abendländischen Christenheit. Damit ist nun das Bekenntnis in ein neues Verhältnis zum Sakrament getreten. Es begnügt sich nicht mehr mit einer bloßen Beschreibung der göttlichen Gnadenoffenbarung, die im Sakrament geschieht. Es hat viel­ mehr den sakramentalen Vorgang so durch das Wort zu verdeutlichen, daß er dem Verständnis der Welt zugänglich werde. Sie will sich nicht mehr mit dem ungedeuteten Sakrament zufrieden geben, sie verlangt das Wort. Nicht nur das Wort der lobpreisenden Liturgie, das von innen her den ge­ heimnisvollen Sachverhalt erleuchtet, so daß das Bekenntnis mit feurigen Jungen vor der Gemeinde der Geisterfülltcn die großen Taten Gottes redet. Sondern die Welt verlangt das Wort, das sie bis unmittelbar an den ge­ heimnisvollen Vorgang heranführt und ihn erklärt, so wie der kirchliche Baumeister seinem staunenden adligen Patron die wunderbaren Maßvcrhältnisse der auf dessen Grund und Boden erbauten Kirche erläutert haben mag. Und die Kirche bietet dieses erklärende Wort, das die Welt zum Heiligtum der Gnade einlädt. Ihr Bekenntnis ist nicht mehr bloßer Lobpreis Gottes; es preist das Gnadcnwunder an, das sich in der Kirche vollzieht. Noch weiß sie, daß ihr Wort zu schwach dazu ist, es auszudrücken. Auch indem das Bekenntnis das göttliche Gnadcnwunder nicht mehr bloß um­ schreibt, sondern ehrfurchtsvoll in sein Inneres einzudringen sucht, um den Zugang dazu zu erschließen, will es sich nicht anmaßen, seine Breite und Länge und Tiefe und Höhe zu ergründen. Noch beugt sich das Wort des Be­ kenntnisses vor dem sakramentalen Geheimnis, dem es nicht einen Sinn gibt, sondern von dem es seinen Sinn empfängt. Wohl steht es ihm gegen­ über, aber es weist darauf hin und führt dadurch zu ihm hin. Und nur durch solchen Dienst erfüllt es seinen Sinn; nur so kann es die Wahrheit durch das Wort enthüllen. Verliert daö Bekenntnis sein Gegenüber, so wird cs beziehungslos und sinnlos. Nur in der echten Spannung zwischen aus­ deutendem Wort und Leben spendendem Sakrament gibt es eine Bekennt­ nisentwicklung.

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Nur ganz allmählich ist dem christlichen Abendlande diese Spannung zum Bewußtsein gekommen. Sie äußert sich dann in einer inneren Un­ sicherheit, die sich sowohl dem altüberlieferten wie den neuaufkommenden Bekenntnissen gegenüber geltend macht. Wir verfolgen diese Schwierig­ keiten zunächst in den Auseinandersetzungen mit der griechischen Kirche. Hier hat uns vornehmlich der Streit um das Filioque zu beschäftigen. Die fränkischen Mönche, die zur Zeit Karls des Großen im alten Mittel­ punkte der orientalischen Christenheit, in Jerusalem, weilten, sind als erste von den genannten Schwierigkeiten in Mitleidenschaft gezogen worden und

38 haben sie 809 in einem beweglichen Schreiben an den Papst beklagt')- Sie haben das Filioque in ihrer Messe gebraucht und sind nun völlig fassungs­ los über die Dorwürfe, mit denen sie deswegen und um anderer kultischer Besonderheiten willen von den Orientalen überhäuft werden. Sie fühlen davon nicht nur sich, sondern die gesamte westliche Kirche betroffen, deren Gebräuche sie zu teilen glauben und auf die sic sich ihren Feinden gegen­ über berufen. Und ihr Schmerz ist umso größer, als sie noch ganz unmittel­ bar im Bewußtsein der kirchlichen Einheit — sowohl der Vorzeit wie der Gegenwart gegenüber — leben. Darum steht ihnen auch die dogmatische Frage außer Diskussion; einer grundsätzlichen Verschiedenheit in der Trinitätölehre sind weder sie noch ihre Jerusalemer Gegner, die über sie zu Ge­ richt sitzen, sich bewußt. Das Bekenntnis ist ihnen einfach ein Stück der Meßliturgie-); wie in allen andern kultischen Dingen, so sind sie auch in diesem Punkte bereit, sich der Autorität des Papstes zu fügen und das Filioque aufzugeben, wenn er es befiehlt. Leo III. kannte das Filioque nicht im kultischen Gebrauch seiner römi­ schen Kirche. Aber er befahl garnichts und hatte auch wohl weder die Macht noch den Willen dazu. Er umging die entscheidende Frage und ließ damit die fränkischen Mönche im Stich. Denn indem er ihnen eine Lehrformel übersandte, die den Ausgang des Geistes vom Vater und dem Sohne be­ hauptete, schwieg er über den Kernpunkt der Angelegenheit, ob man nämlich dieser Lchrform solches Gewicht zuerkcnncn dürfe, daß man sie in den ge­ heiligten Wortlaut deö Meßbekenntnisscs einführte. Er überließ die ganze Entscheidung der fränkischen Kirche, d. h. aber in letzter Instanz dem Kaiser, und trug damit Unruhe in die gesamte westliche Kirche hinein. Zwar hatten die Theologen deö FrankcnrcicheS gerade an diesem Punkte mit zunehmender Klarheit die westliche Eigenart ausgesprochen. Schon auf der Synode von Gentilli 767 hatten sic die dogmatische Differenz in der Trinitätslehre den Griechen gegenüber hervorgehoben. Sodann hatten die zwischen 789 und 791 entstandenen Libri Carolini nicht nur das Filioque an sich, sondern auch — im vollen Gefühl dafür, eine Neuerung vorzuneh­ men — seine Einführung in das Meßsymbol verteidigt; und der Widerspruch des Papstes war wirkungslos verhallt. Ja, 794 hatte der Vertrauensmann Kaiser Karls im italischen Klerus, Patriarch Paulinus von Aquileja, den Gegensatz noch dadurch verschärft, daß er ziemlich unverblümt die griechische Trinitätslehre als Ketzerei bezeichnete. Wer diese Anschauung teilte, für den mußte das Meßbekenntnis jedesmal eine feierliche sakramentale Ver3) M. G. Ep. 5/ 64ff. Über die ganze Frage vgl. Albert Hauck, Kirchengesch. Deutsch­ lands II, 19123/4, S. 345ff.; Hans von Schubert: Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter, 1921, 389f.; an beiden Stellen sind auch die weiteren hier benutzten Quellen angegeben.

2) species sacramcnti.

wcrfung des dogmatischen Gegners enthalten; selbstverständlich würde das Echo aus den Gottesdiensten der Ostkirche nicht ausbleiben. Nicht die Lehr­ verschiedenheit als solche, aber ihre Kundgabe im Sakramentsgottesdienst mußte die Einheit der Kirche zerreißen. Wie ist die kecke, sich dauernd steigernde Selbstsicherheit der karo­ lingischen Kirchenmänner zu erklären? Politische Rücksichten spielen ohne Frage mit, sind aber ebensowenig allein entscheidend wie das unbestreitbare wissenschaftliche Selbstgefühl der Wortführer der karolingischen Renaissance. Die Begründung, die sie selbst ihrem Vorgehen geben, weist jedenfalls in eine andere Richtung. Sowohl die Libri Carolini wie Paulinus berufen sich für die Notwendigkeit eines neuen Bekenntnisses auf die Aufgabe der Ketzcrabwehr und der Volksbelehrung; und als Dokument deö Sieges über den spanischen AdoptianiSmus hat auch die spätere abendländische Tradition noch die Einführung des Filioque verstanden *). Daö Verständnis des Be­ kenntnisses vom Wort der Lehre her wehrt sich gegen die Mumifizierung einer sakrosankten Formel. Daß das der Sinn jenes kecken Angriffs war, tritt in den Verhand­ lungen zutage, die die Abgesandten des Konzils von Aachen in Rom 809 mit Papst Leo III. führten, und in denen die durch den Brief der Jerusalemer Mönche aufgeworfenen Fragen noch einmal besprochen wurden. Das Kon­ zil erwartete vom Papst eine Billigung der fränkischen Lehre und Prario in bezug auf baö Filioque und zwang ihn damit zu der Entscheidung, die er so gerne umgangen hätte. Er fällte sie entgegengesetzt den fränkischen Wünschen. Daö Haupt der westlichen Kirche stimmte mit der wichtigsten seiner Landeskirchen in der Wertung deö Bekenntnisses nicht mehr überein-). Auch der Papst beruft sich auf das Volk, das der Lehre und Erziehung der Kirche anvertraut ist; aber er tut es im entgegengesetzten Sinne wie die Franken. Das Bekenntnis ist nicht dazu da, Belehrungen auszusprcchen. Der einfache Mann kann die Feinheiten der Trinitätslehre garnicht be­ greifen. Darum darf man ihn mit Änderungen des Wortlauts nicht beun­ ruhigen. Zudem hat das Bekenntnis garnicht die Aufgabe, alle Glaubens­ wahrheiten zu explizieren; ja, der liturgische Gebrauch verbietet direkt solche lehrhafte Redseligkeit. Darum hat die Kirche Recht gehabt, seinen Wortlaut für sakrosankt zu erklären. Erläuterungen und theologische Anwendungen sind selbstverständlich erlaubt, gehören aber nicht in die Liturgie. ’) Vgl. Walahfrid Strabo: Liber de exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis rerum, ed. Al. Knöpfler, München 1890, S. 61 f. 2) Ich kann die Stellungnahme Lcoö nicht so „komisch" finden, wie Hauck a. a. O. sie charakterisiert. Der Papst verteidigte mit der Tradition zugleich die Einheit der Kirche; und verfügte dazu weder über die Waffen der Wissenschaft noch der Politik. In solcher Lage bleibt nur der Grundsatz: Quieta non movere. Er ist dann zwar nicht leicht durchzuführen, aber doch kein Zeichen von Trägheit.

40 Damit ist der Gegensatz in der Anschauung vom Bekenntnis klar her­ ausgestellt. Es dient nicht zur Belehrung des Volkes, sondern zur Anbetung Gottes. Dessen gnadenreiche, ewig unwandelbare Nähe verherrlicht eS in ewig unveränderlichen Worten. Für beide Gesprächspartner ist es das aacramentum fidei — der Ausdruck fällt mehrere Male. Aber nur der Papst macht ganz ernst mit dieser Bezeichnung. Ist daö Bekenntnis ein Sakrament, so ist es selbst ein Heilsmittel. Als solches aber ist es nichttx-gänzungsbedürftig. Ein Heilsmittel enthält entweder das ganze Heil, öder­ es ist nichts. Damit sucht der Papst nicht nur die Anschauung des Ostens richtig wiederzugeben, sondern zugleich auch die ältere sakramentale Auffassung vom Bekenntnis rein zu erhalten. Indessen, es gelingt nicht. Die erstarrte Form vermag den ursprünglichen Sinn nicht mehr zu wahren. Die Um­ schreibung des Sakraments ist mit dem beschriebenen Inhalt identisch geworden. Der Lobpreis des Heils, den der Mensch anstimmt, gilt zugleich als das Heilsmittel, das Gott dargereicht hat uird von dem er den Empfang der Gnade abhängig macht. Die heilige Formel wird wie die Ikonen der Ostkirche zum Kusse der Verehrung dargereicht; aber auf ihr Verständnis wird dabei verzichtet. Sie ist Mysterienwort; aber das Wort ist nicht mehr dazu da, den Glauben an das göttliche Geheimnis zu bekräftigen. Man darf es doch wohl nicht als einen Verlust bezeichnen, daß das junge Christentum der germanischen Völker diese Anschauung vom Be­ kenntnis überwunden hat. Schon der Langobarde Paulinus hatte sich auf das Vorbild des Konzils von Konstantinopel vom Jahre 381 berufen, daö nach der anderthalb Jahrtausende herrschend gebliebenen Auffassung den dritten Artikel des Nizänums erläutert und ergänzt hatte, und hat gleiches Recht für die nachfolgenden Zeiten und damit auch für die seine in Anspruch genommen. Daö mag Selbstgefühl sein. Aber es ist nicht das des Gelehrten, der auf seine wissenschaftliche Überlegenheit pocht; sondern es ist der Stolz des Dieners der Kirche, der weiß, daß Gotteö Geist sie in alle Wahrheit leitet. Darum hat die abendländische Kirche behaupten können, daß daö Be­ kenntnis entwicklungsfähig sei; nur so konnte sie den Zusatz des Filioque dem Osten gegenüber verteidigen. Der Streit, den sie darüber führte, hat ihr die Freiheit ihrer Bekenntnisentwicklung gesichert. Aber noch war diese Sicherung nicht vollendet, solange wohl eine wage­ mutige Theologie, nicht aber die offizielle Leitung der Kirche jene Freiheit anerkannte. Daß diese Billigung zunächst auf sich warten ließ, hatte die wichtige Folge, daß der Fortschritt der Bekenntnisentwicklung zunächst von der theologischen Schule erkämpft wurde, und daß die Gemeinde erst lang­ sam nachfolgte. Wo der Gesichtspunkt der Lehre voransteht, wird daö un­ vermeidlich sein. Die nachkarolingischen Theologen haben die Bahnen inne gehalten, die

das Zeitalter Karls des Großen erschlossen hatte. Im Kampf gegen Photius haben sie mit den alten Argumenten ihre Position weiter ausgebaut *). Was bedeutete es dabei, daß ein freier Geist wie Johannes Eriugena inhalt­ lich mehr der griechischen Fassung des Trinitätsdogmas zuneigte! In dem für uns entscheidenden Punkte empfindet er ganz wie die Abendländer; ja, er eilt ihnen weit voraus: Der Text des Bekenntnisses in seinen verschiede­ nen Fassungen ist ihm nebensächlich; er dient ihm nur als Ausgangspunkt für die Betätigung seines spekulativen Scharfsinnes?). Was nützte es schließ­ lich, daß Papst Leo III. den ursprünglichen Wortlaut deö Konstantinopolitanums auf silbernen Tafeln in der Peterskirche zum ewigen Gedächtnis aufstellen ließ. Der Strom der Entwicklung war damit nicht aufzuhalten. 200 Jahre später, 1014, hat der fromme deutsche König Heinrich II. das Filioque auch in der Liturgie der stadtrömischen Kirchen durchgesetzt. Die Selbständigkeit der abendländischen Bekenntnisentwicklung war damit end­ gültig gesichert, ihre Geschlossenheit wiedergewonnen. Bis zum Streit mit Kerullarius hat die Frage des Filioque dann keine besondere Rolle mehr gespielt H. Dagegen ist in der Bannbulle, die 1054 auf dem Altar der Hagia Sophia niedergelegt wurde, unter den verdam­ mungswürdigen Irrtümern der Griechen auch die „Verstümmelung" des Symbols erwähnt, und sind sie darum mit Kctzcrnamcn belegt worden'). Und seitdem ist der Kampf um das Bekenntnis wieder zu vollen Flammen entfacht. Die Abendländer kämpfen mit den alten Beweisgründen. Sic be­ rufen sich auf das lebendige Fortschrcitcn des Bekenntnisses in der Väter­ kirche und nehmen für die Neuzeit dieselbe Fähigkeit in Anspruch, die alte Wahrheit neu auösprechen. Bemerkenswert ist dabei die Energie, mit der Leute wie Anselm von Havelberg H und Etherianus°) sich gegen einen formalen Biblizismus wehren, der sich in der Polemik der Griechen gelegentlich breit machte; indem diese das Filioque vom Buchstaben der Schrift her als unbiblisch ablehnen, nehmen sie im Grunde jeder bekenntnis­ mäßigen Zusammenfassung der biblischen Wahrheit die Möglichkeit. Alle bisher genannten Gesichtspunkte finden sich vereint bei Anselm von Canterbury ’)• Aus ihm stammt das meiste, was die späteren Scho*) Vgl. Ratramnus: Contra Graecorum opposita, MSL 121, 225ffv bes. 242ff. 2) De divisione naturae MSL 122, 601C. 3) Vgl.die neueste Zusammenfassung des Streites mit dem Osten bei I. R. Geiselmann: Die Abendmahlslehre an der Wende der christlichen Spätantike zum Frühmittclalter. Isidor von Sevilla und bas Sakrament der Eucharistie, 1933, und die dort angegebene Literatur. 4) Cornelius: Acta et scripta, quae de controversiis ecclesiae Graecae et Latinae saeculo undecimo composita extant. 1861. 5) In seinen zwischen 1135 und 1158 geschriebenen Dialogi bei d’Acherv, Spicilegium, 1723*2,3S. 4 5161 6 7 ff., bes. Buch II, cap. 22. 6) De haeresibus Graecorum, geschrieben vor 1177, MSL 202, 227ff. 7) De proccssione Spiritus Sancti contra Graecos, MSL 158, 279ff., vgl. bes. cap. 22,

317 f.

42 lastiker zur Frage beigetragen haben. WaS sie aus eigenem hinzubringcn und immer weiter ausbauen, sind kirchenrechtliche Erwägungen. Immer deutlicher wird die im Filioque bezeugte Fähigkeit, neue Bekenntnisse zu formulieren, dem Papste zugeschrieben; man hat keine Ahnung mehr da­ von, wie sehr sich der gegen diese Möglichkeit gewehrt hatte. Schon der Kirchenrechtler Wilhelm Durantis (7 1296), eins der führenden Mit­ glieder des Konzils von Lyon von 1274, aus dem die Griechen zu Konzessio­ nen in der Trinitätsfrage genötigt worden waren, sieht in der angeblichen Tatsache, daß der Papst das Filioque einfügen konnte, dessen Lehrgcwalt über die ganze Kirche bekenntnismäßig ausgesprochen *)• Nur weil es eine lebendige Bekenntnisentwicklung in der abendländischen Kirche gab, war hier die Ausbildung der Lehre von der Unfehlbarkeit deö Papstes möglich. Es sollten dadurch die gefährlichen Möglichkeiten jener Entwicklung von der Römischen Kirche abgewandt werden. Tatsächlich ist sie dadurch selbst zu einem Ende gekommen. Das Recht der Kirche hat sich ihres Bekenntnisses endgültig bemächtigt. Eine Rechtsentwicklung mag es in der Römischen Kirche noch geben; ihr Bekenntnis ist endgültig festgelegt.

So hat sich in der Römischen Kirche trotz aller Betonung der Entwick­ lungsfähigkeit des Bekenntnisses cm statischer Bekenntnisbegriff behaup­ tet 2). Das hängt nicht zum geringsten Teile mit der Tatsache zusammen, daß die alten Bekenntnisse durch den sakramentalen Kultus geschützt und dadurch allen neueren Lehrbildungen gegenüber bevorzugt blieben2). Die Verbindung von Bekenntnis und Sakrament wurde damit dauernd fest­ gehalten. Aber an den Meßerklärungen, die zumal das frühe Mittelalter in reicher Fülle hervorgebracht hat, läßt sich erkennen, daß die Spannung zwi­ schen Wort und Sakrament, zwischen anbetendem Kultus und Lehre auch die liturgische Stellung des Symbols in Mitleidenschaft gezogen hat. Selbstverständlich hat Isidor von Sevilla (j- 636), dessen Name mit der Geschichte der mozarabischen Liturgie so eng verknüpft ist, die Stellung, die die Kirche seiner Heimat zuerst von allen westlichen Landeskirchen dem Meßsymbol zuerkannt hatte, auch theologisch zu begründen gewußt. Wir finden bei ihm indessen kaum einen Gedanken über Wesen und Aufgabe deö Bekenntnisses, der uns von früher her geläufig ist, wohl aber die HauptT) In sacrosanctum Lugdunense Concilium . . commcntarius, ed. Simon Maiolus, Fani 1569, Bl. 2bff. Ähnlich in der Auseinandersetzung Ulrichs von Straßburg (t bald nach 1277) mit den Griechen; vgl. Albert Stohr, Die Trinitätslchrc U/s v. Str. 1928, S. 44, Anm. 34. 2) Über die Wandlungen der Rechtsbedeutung des Bekenntnisses s. u. Kap. III. 3) Iu dem ganzen folgenden Abschnitt vgl. A. Franz: Die Messe im Mittelalter; 1902.

gesichtspunkte, die für die Folgezeit bestimmend wurden *). Sie sind alle an der Lehrfunktion des Bekenntnisses gewonnen: 1. Als Glaubenöregcl widerlegt es alle nur möglichen Ketzereien; in­ dem das Volk es im Gottesdienst feierlich aufnimmt, entsagt es dem Un­ glauben der Abtrünnigen und dem gotteslästerlichen Aberglauben der Heiden. 2. Damir ist es das Losungswort der Kirche in ihrem Kampfe gegen den Teufel. Die alte, von Tertullian geprägte Auffassung vom Taufbekennt­ nis alö dem Erkennungszeichen der Christen ist hier auf das Meßbekenntnis übertragen; der Bekenntnisakt in der Messe bedeutet eine Bekräftigung der Taufverpflichtung. 3. Daö Bekenntnis enthält die Summe aller Heilswahrheiten -); eö ist der Inbegriff der biblischen Lehre, daö verbum abbreviatum3*).* Diese Bestimmungen Isidors von Sevilla konnten da nicht wirksam werden, wo man zunächst die Aufnahme des Konstantinopolitanums in die Messe nicht mitgemacht hatte. So vermissen wir eö z. B. in der Darstellung, die Amalar von Metz (j- 850 od. 851), die große liturgische Autorität des frühen Mittelalters, der sich im Kampf um die kölnische Liturgie einen großen Namen und viele Feiirde gemacht hat, vom Gange des Gottes'' dienstes gibt4)-* Wohl aber erscheint es ihm als notwendig, daß daö Volk durch Akklamation seine Zustimmung zum verlesenen Gottesworte zum Ausdruck bringe3). Auch der Mönch Remigius von Auxerre (f 908 od. bald darauf) kennt noch kein formuliertes Glaubensbekenntnis in der Meß­ liturgie. Wie in den Anfangszeiten der Kirche, so vertritt auch bei ihm das Trishagion diese Stelle. Es ist der von Engeln übernommene Lobpreis der göttlichen Majestät, die demütige Danksagung für die Offenbarung Gottes in seiner Dreifaltigkeit6). Hier begegnen uns noch urchristliche Klänge, die seit Isidor verloren zu gehen drohten. Immerhin, darin sind sich alle Beteiligten einig: ein BekcnntniSakt gehört in den Sakramentsgottesdienst. Daß das durch die ’) De ecclcsiasticis officiis. MSL 83, 737ff., des. 753f. u. 816f. Hrabanuö Mauruö hat die zuletzt genannte Stelle in dc institutione clericorum bzw. de ecclesiastica disciplina übernommen. 2) in quo quidem pauca sunt verba, sed omnia continentur sacramenta. Der Satz stammt wörtlich auö der Symbolauölegung dcö Nikctas von Remesiana (ca. 335 bis ca. 414); der Gedanke ist also alt, nur seine Anwendung auf daö Meßbek. neu. ?) Den Allödruck finde ich zuerst in dem um 1180 entstandenen Rationale divinorum officio mm beö Pariser Lchrerö Johannes Velcthuö. 4) Sein Gegner Floruö dagegen zählt eö mit auf; MSL 119, 25 C. 3) de ecclcsiasticis officiis (MSL 105, 985 ff.) und die ecloge dc officio niissae (MSL 105, 1315fr.) kennen kein Meßbckenntniö; doch vgl. den Bekenntniöakt a. a. O. 1323B). 6) Expositio de cclebrationc missae = Bibl. Mar. Lugd. 1677, 955H; die Schrift ist auch erhalten in cap. 40 deö pselldoalklnnischcn Traktats de divinis officiis, MSL 101, 1246 ff.; vgl. Neuß in LThK. Vl l l, 816).

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Tradition geheiligte Bekenntnis von Konstantinopel schließlich sich in der ganzen Kirche dafür durchsetzte, haben wir schon gesehen. Und die unmittel­ bare Zuordnung zur Schriftverlesung im Gang der Liturgie mochte immer mehr die Meinung aufkommen lassen, das Bekenntnis sei die Antwort der Gemeinde auf das vom Diakon verlesene, vom Priester bzw. Bischof auögelegte Gotteswort. Daß diese Antwort immer häufiger dem priesterlichen Chore anstatt dem Volke zufiel, erschien nur alö eine unwesentliche Nnde-> rung. Als Zusammenfassung der göttlichen Wahrheit bezeugt daö Bekenntnis also im Munde der Gemeinde ihre Rechtgläubigkeit gegenüber der Ketzerei. Mit dieser Begründung haben die Römer im Jahre 1014 zunächst Hein­ rich II. gegenüber die Einführung des Filioque in ihren Gottesdienst ab­ zulehnen versucht: sie hätten solche Neuerung nicht nötig, denn ihre Ortho­ doxie sei zu allen Zeiten fleckenlos rein geblieben^). Aber je mehr der Kampf mit der Ketzerei die mittelalterliche Kirche beschäftigte, desto notwendiger erwies sich eine solche Bekenntnisverpflichtung der Laien. WaS die Kinder in der Taufe durch den Mund ihrer Paten mit den Worten des Apostoli­ kums bekannt haben — so predigt Ivo von Chartres (f 1117) ein­ mal —, das nehmen sie, wenn sie mündig geworden sind, mit dem Meß­ bekenntnis wieder auf und entsagen damit der Pest der Ketzerei. ES sam­ melt sich damit um den „himmlischen Tisch" herum die Schar der Be^ kenner als eine geistliche Gemeinschaft (sodalitium spirituale). Der Communio-Gedanke des Bekenntnisses erwacht zu neuem Leben. Er übernimmt das Gewand der neuen ritterlichen Zeit der Kreuzzüge. Das Bekenntnis ist der LehnSeid, der die Glieder der Kirche an ihren himmlischen König bindet. In der Messe verpflichten sie sich ihm zum geistlichen Kampfe. Und die Kirche hat das Recht, solch öffentliches Gelöbnis zu verlangen und dafür ein festes Bekenntnis aufzustellen*2).3 4 Man muß sich klar machen, daß dieser ritterliche Gemeinschaftsgedanke — aller Romantik zum Trotz — eine Verflachung des ursprünglichen Gutes bedeutet2). Andererseits konnte diese kampfesfreudige Stimmung hinüberführen zu der altchristlichen Haltung, die das Bekenntnis aufnimmt als den Lobpreis Gottes. Eö ist der Siegesjubel, den das gläubige Volk an seinen Festtagen H anstimmt — so charakterisiert Stephan von Bauge den Symbolgesang des Chors in der Messe. Die christlichen Kämpfer sollen Verno von Reichenau: Libellus de quibusdam rebus ad missae officium pertinentibus, MSL 142, 1055ff., bes. 1061A. 2) Ivo von Chartres, Sermo XXIII, MSL 162, 604ff. 3) Durch den Gesang bes Bek. zeigt die Kirche, was ihr bas verlesene Evangelium genutzt hat (profecerit), kann Ivo sagen (a. a. O. 550 B). 4) Eö war Brauch geworben, das Bek. an allen Sonntagen und an den Festtagen zu singen, deren Gegenstand ausdrücklich in ihm erwähnt ist; vgl. Honorius von Au tun: Gemma animae, MSL 172, 583 A.

dadurch zu größerem Eifer angespornt werden. Zugleich bezeugen sie damit, daß sie in der Gemeinschaft des christlichen Glaubens treu verharren wollen!). Indessen ist dieser Siegesjubel nicht nur der Lobpreis der gött­ lichen Gnadenoffenbarung; er drückt zugleich die — oft sehr weltlich ver­ standene — Freude über den irdischen Sieg der Kirche aus. Für Honoriuö von Autun (1. Hälfte des 12. Jahrh.) ist der FriedenSkuß, der unter dem Symbolgesang des Pricsterchors dem Evangeliumbuche vom Volk auf­ gedrückt wird, das Zeichen der Dankbarkeit für das Heil, das Christus der Welt gebracht hat*2); 3 4der Friede ist der Christusfriede. Wenn Thomas von Aquin dagegen den kultischen Gebrauch des Konstantinopolitanums an Stelle des Apostolikums rechtfertigen will, weist er darauf hin, daß dieses noch aus der Verfolgungszeit stamme und daher in den stillen BreviergotteSdiensten des frühen Morgens und des späten Abends allein vom Priester gebetet werde, während das Meßsymbol als Zeichen des Sieges über die dunklen Mächte der Verfolgung öffentlich und am Tage gesungen werde2); der Friede, den es preist, ist der Weltfriede der Kirche, die pax Romana. So läuft das Bekenntnis immer Gefahr, zur Verherrlichung des Menschen mißbraucht zu werden, anstatt die Herrlichkeit Gottes zu be­ zeugen. Aber es fehlt nicht an Gegenwirkungen; das urchristliche Verständ­ nis ist nicht ganz vergessen. Besonders klar wird es ausgesprochen von dem treuherzigen Rupert von Deutz (j-1135), der unter der Fülle desMirakulösen so manches altkirchliche Gut gewahrt hat'). Er hat das Meßbekennt­ nis nicht auf das Wort des Evangeliums, sondern in erster Linie auf das sakramentale Geschehen bezogen. Er lehrt es verstehen als die Vorbereitung auf die Gegenwart des Gekreuzigten und Auferstandenen. Als feiernde Vor­ wegnahme der Nähe Christi ist es das Jubellied seiner Kirche. Deren Söhne werden dadurch wieder eingetaucht in den Quell lebendigen Was­ sers, den ihnen die Taufe erschlossen hat. In Einigkeit des Geistes jauch­ zen sie dem himmlischen Bräutigam und Vorsänger zu und bezeugen ihm, daß sie sein süßes Liebeswort verstanden haben5). Was hier die Phantasie des Mönches in blühender Rhetorik auömalt, das legt der strenge Kirchentractatus de sacramento altaris, MSL 172/ 1273 ff./ bes. 1284 C. 2) Gemma animae a. a. O. 552 C, 583 A; ähnlich Sicard von Cremona im Mitrale, MSL 213/ 95 C. 3) Summa theoL II, II, 1, IX, ad scxtum. 4) de divinis officiis, MSL 170, 13ff., bef. 33. 5) Diese überschwängliche Sprache muß dem am Jahrhundertenbe lebenden RobertuS Paululuü so gefallen haben, daß er sie saft wörtlich in seine unter den Werken Hugos von Skt. Viktor erhaltene Schrift de caeremoniis, sacramentis, officiis et observationibus ecclesiasticis übernahm; MSL 177,424 A. Berührungen finden sich auch mit der einflußreichen Meßerklärung de sacro altaris mysterio deö späteren Papstes Innozenz III.; MSL 207, 773 ff., bef. 827.

46 rechtler Sicard von Cremona (f 1215) nüchtern und sachlich fest: An der Stelle, wo das Symbol von der Menschwerdung Christi redet, „da beugen wir die Knie und beten den für uns Gekreuzigten an"1)-2 3 Das Be-. kenntniö ist die Anbetung des im Sakrament gegenwärtigen Christus'1). Und noch Gabriel Biel (f 1495), der theologische Lehrer Luthers, aus dessen Meßerklärung dieser viele seiner liturgischen Kenntnisse geschöpft hat, sieht den Sinn des kultischen Bekenntnisses in der lobpreisenden Ver­ herrlichung Gottes H. Durch das ganze Mittelalter hindurch geht die Ein­ mütigkeit solchen Bekennens im Angesicht des sakramentalen Gnadenwun­ ders. Die pädagogisch-lehrhafte Ausdeutung des Symbols und seine streit­ bare Anwendung im Kampf gegen die Ketzer haben daran nicbtö ändern können.

Wir haben bisher die Beziehung zwischen Wort und Sakrament kaum über das Frühmittelalter hinaus verfolgt. In dieser Zeit herrscht noch das Verhältnis einer lebendigen Spannung, indem jeder der beiden Pole als dem andern notwendigerweise zugeordnet empfunden wird und das Be­ kenntnis, das aus dieser Spannung erwächst, mit beiden in Berührung steht. Vom Wort her bekommt es seine theologische Begründung und durchschla­ gende Kraft; vom Sakrament her empfängt es seinen Inhalt und sein geist­ liches Leben. Wenn man daher die Bedeutung deö Bekenntnisses in dieser Periode richtig erfassen will, muß man die höhere Einheit begreifen, die Wort und Sakrament hier noch zusammenhält. Sie liegt beschlossen in dem Begriff des Mysteriums. Schon in der vorchristlichen Sprache, aus der ihn die Kirche übernahm, umfaßte er nicht in erster Linie kultische Weihehandlungen, sondern war vornehmlich der In­ begriff aller verborgenen Weisheit, die dem Eingeweihten darin kündbar wurde. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die das Wort in der heidnischen Umwelt vorfand, hatte es aus der Sphäre der Natur, in der es sich zunächst gebildet hatte, auf die prophetische Heilsgeschichte über­ tragen. Das junge Christentum war diesem Sprachgebrauch — teilweise schon im Neuen Testament — gefolgt. Die Menschwerdung Christi (1. Tim. 3,16) und die Hauptereignisse seiner Heilswirksamkeit, sein Leiden und seine Auferstehung zumal, sind Mysterien. Sie sind es, insofern sie schon J) Mitrale, MSL 213/ 113 B. 2) Darum ist schon nach Meginhard von Fulda (i 888) Schändung deö Symbols so schlimm wie Profanierung deö Altarsakraments; de fidez bei C. P. Caöpari, Kirchen­ historische Anecdota, 1883/ S. 252. 3) Lectura super canonem missae, 1488/ lectio 24. Interessant ist bei Biel, wie er das Bek. entstehen läßt aus dem persönlichen todesmutigen Zeugnis der Apostel vor den Tyrannen. Das neue Zeitalter, vor dessen Pforte Biel stand, kündet sich schon an.

jetzt und hier den Einbruch des Gottesreichcs in die Zeit bedeuten. Sie sind es nicht, sofern an ihnen die Existenz einer neuen übernatürlichen Welt hinter der sichtbaren greifbar wird. Sie sind Mysterien immer nur als eschatologische Fakten; das Mysterium im Neuen Testament ist Vorweg­ nahme des eschatologischen Heils *). Von hier aus war es kein weiter Schritt, sowohl das Wort, das von diesem Heile Zeugnis gab, als auch die heilige Feier, in der des Herrn Tod verkündigt und die Macht seiner Auf­ erstehung erfahren wurde, in dern also die Vergegenwärtigung des kom­ menden Heils beschlossen war, als Mysterium zu bezeichnen. DaS Neue Testament hat diesen Schritt noch nicht vollzogen; aber man versteht, daß er nicht als etwas Besonderes empfunden wurde. Für Justin z.B. ist die ganze Christologie ein Mysterium geworden; er ist zu­ gleich der erste, der den Ausdruck auf die christlichen Kulthandlungen an­ gewandt hat-). Damit sind Wort und Sakrament, die Botschaft von Chri­ stus als dem Bringer des Gottesreichcs und der Kultus, in dem der An­ bruch dieses Reiches vorweggenommen wird und auf den sich darum jene Botschaft zum Beweis des Geistes und der Kraft beruft, unter dem einen Begriff des Mysteriums wie unter einem schützenden Dache zusammen-gefaßt. Waö die beiden Elemente innerlich verbindet, hat die Gnosis, die urchristliche Lehre vom Wort charakteristisch verändernd, besonders heraus­ gestellt: Die christliche Verkündigung ist ihr nicht nur eine neue Philoso­ phie, die dem geläuterten Verständnis der Welt ohne weiteres zugänglich gemacht werden kann; sic enthält zugleich eine Gehcimlehre, zu deren Ver­ ständnis es einer durch besondere Weihehandlungen vermittelten Erkennt­ nis bedarf. Von dem Verständnis der eigentümlichen Heilöbedeutung des Wortes aus hat die christliche Gnosis der alexandrinischen Schule die kirchliche Mysterientheologie begründet. Schon vorher hatte Tertullian für das lateinische Sprachgebiet von anderen Voraussetzungen auö eine ähnliche Verbindung von Wort und Sakrament eingeleitet. Er hat den Inhalt deö griechischen pucrrripiov mit dem des lateinischen sacramentum verbunden. Ausgegangen ist er dabei vom Begriff sacramentum3*).2 Der bedeutet für ihn zunächst ein Wort, ins­ besondere daSTaufbekenntnis. Er versteht es als «ine eidliche Verpflichtung^ die dem Täufling beim Eintritt in die Kirche auferlegt wird; bzw. er bezieht Hans von Soden hat das zuerst gesehen und von da auö die frühchristliche Ent­ wicklung verstehen gelehrt; vgl. |W(jTT|piov und sacramentum in den ersten zwei Jahrhunderten -er Kirche = Z.N.W. 12,1911. 2) P. Pourrat: La Theologie Sacramentaire. Paris 1907, S. 5. 3) Das hat schon v. Soden gegenüber der früheren Meinung richtig gesehen. Bestätigt worden ist er durch die genaue lexikographische Untersuchung, die E. de Backer in dem von I. de Ghellinck Hrsg. Sammelwerk: Pour PHistoire du Mot „Sacramentum“, I. Les Anteniceens, Löwen—Paris 1924, über Tertullian angestellt hat; vgl. bes. die zahlenmäßige Zusammenstellung am Schluß seiner Ausführung.

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es auf den Inhalt der Unterweisung, die zur Vorbereitung auf diesen Eid notwendig war. Erst von da aus ist der Name aus die Taufhandlung selbst und schließlich auch auf die anderen kirchlichen Weihehandlungen ausge­ dehnt worden. Solche JnitationSeide waren in den gleichzeitigen Mysterien­ religionen üblich. Die Vorstellung davon konnte daher die Brücke bilden, auf der der ganze Inhalt von Lehren und Handlungen, den der Begriff des Mysteriums beschloß, in die westliche Kirche einzog. Man kann sich die Bedeutung dieser zunächst rein terminologischen Gleichsetzung für die abendländischen Kirche nicht groß genug vorstellen. Mit dem Begriff fand nach und nach die ganze Theologie des Mysteriums Eingang in ihr. Damit ist auch das Bekenntnis nicht nur ein Wort, ein Wort kirchlicher Lehre und der Verpflichtung darauf; es ist auch ein Sakra­ ment, denn sein Inhalt ist dasselbe Christusmysterium, das auch in den kirchlichen Weihehandlungen sich vollzieht. Es spricht die göttlichen Geheim­ nisse aus, die die Gemeinde begründet haben und die in ihrem Kultus Wirklichkeit werden. Die Mysterienthcologie ermöglicht cs, die enge Verbin­ dung von Bekenntnis und Sakrament, die das Neue Testament begründet hatte, in Zukunft festzuhalten. Das Bekenntnis ist ein Sakrament — gerade auch, indem eö die Zu­ sammenfassung der kirchlichen Wortverkündigung darstellt. „In dem Wort der Kirche spricht auf geheimnisvolle Weise, sichtbar und doch unsichtbar, Gott (Christus) selbst. So ist das „Symbol" (das Taufbekenntnis, die GlaubenSregel), diese normgebende Zusammenfassung der Glaubenslehre, ein Sakrament; ein Sakrament auch die Predigt des verordneten Dieners der Kirche (des Bischofs) in der Christenversammlung, überhaupt alles, was die Kirche tut in dieser Zeitlichkeit" — so hat SohmH zutreffend sowohl den sakramentalen Charakter des Bekenntnisses wie dessen Zusammenhang mit den anderen Lebensäußerungen der Kirche dargetan. Alles, was in> der Kirche und durch sie geschieht, ist in die Welt des heiligen Geheimnisses eingetaucht. Das Wort der Lehre ist ein Mysterium, weil es wie alle Sakramente übernatürliche Wirklichkeit entschleiert und wieder verhüllt. ES ist ein Sa­ krament, weil es wie alle Mysterien geladen mit göttlichen Energien aus der jenseitigen Welt in das Diesseits herüberwirkt. Wohl wird im Abend­ land, nachdem sich hier seit dem 4. Jahrhundert durch Männer wie Hilarius und Ambrosius die Mysterientheologie vollends durchgesetzt hatte, ein Unter­ schied zwischen Mysterium und Sakrament leise gefühlt. Aber er fällt nicht zusammen mit dem zwischenWciSheitswort und ritueller Handlung. Son­ dern das Mysterium hebt mehr die der Erkenntnis verborgene Seite des göttlichen Geheimnisses hervor, Sakrament bezeichnet mehr die Fülle der x) Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gratianö 1918, S. 85.

Kraft, deren unbegreifliche Mächtigkeit den Gläubigen erhebt, den Ungläu­ bigen erdrückt. Beide Momente aber können sowohl an der Kulthandlung heraustreten wie an dem Wort, das im Kultus laut wird. Denn das ist die selbstverständliche Voraussetzung für den sakramen­ talen Charakter des Lehrwortes, daß cs hier seine Heimat hat. Das ganze Frühmittelalter kennt die Lehre nie als das Wort der Schule, nur als das Wort der Kirche. Und zwar einer Kirche, die noch nicht selbst zur Schule geworden ist. Noch handhabt ihre Lehrautorität nicht festgeprägte Lehrfor­ meln mit der Sicherheit eines unfehlbaren Richters. Sie weiß sich vielmehr selbst noch als das Sakrament aller Sakramente, als die Stiftung des Hei­ ligen Geistes, als den Leib Christi. Alles, was sie in die Hand nimmt, ist ein Sakrament, weil sie die Christuskraft damit kundtut. Alles, was sie spricht, ist ein Sakrament, weil die Kraft Christi daraus wirkt. Das Be­ kenntnis ist das sacramentum fidei, die Messe ist das mysterium fidei1). Beide Ausdrücke bedeuten dasselbe; beide wollen besagen, daß Bekenntnis­ wort und Kulthandlung die Gegenwart Christi in seiner Kirche bezeugen; sie sind als Gnadenmittel Träger dieser übernatürlichen Wirklichkeit. — Gerade weil die Fülle der Zeugnisse für diese Mysterienthologie, in der Wort und Sakrament zur Einheit zusammengeschmolzen sind, im Früh­ mittelalter so übergroß ist, ist es schwer, sie richtig auözuwählen. Maß­ gebende Bedeutung hat auch in diesem Zusammenhänge wieder die Liturgie. Sie ist in die Wandlungen des theologischen Verständnisses nicht mit hin­ einverwickelt. Als gebetetes Dogma wahrt sie die Theologie ihrer Entste­ hungszeit für kommende Jahrhunderte. Alle großen Heilötatsachen, die das Bekenntnis der Kirche in sich schließt, und alle deren sonstige LebenSäußerungen werden darin als Sakramente bezeichnet. Christi Menschwer­ dung, seine Geburt aus der Jungfrau und seine Beschneidung, seine Passion, Auferstehung und Himmelfahrt; aber auch die Feste, an denen diese Heils­ tatsachen gefeiert, und die Heilsgüter, die uns dadurch mitgeteilt werden, wie Gnade, Friede und die Hoffnung auf eine ewige Vollendung; der Glaube, der diese Güter ergreift und das Fasten, das sich auf ihren Empfang vorbereitet; das heilsame Wort Gottes Alten und Neuen Testaments — kurzum alle Gnadenmittel, das ganze christliche Leben und das ganze kirchliche Handeln, alles ist ein Sakrament. Ähnliche Aufzählungen sind uns auch von frühmittelalterlichen The­ ologen zahlreich überliefert. Als Beispiel diene Paschasius Radbertus (f um 860) 2). Für ihn ist ein Sakrament alles, was unö „in feierlicher Handlung als Pfand des Heils übergeben wird". Er rechnet dazu nicht nur Taufe und Abendmahl, sondern auch — nach dem alten Wortsinn von *) Über Ursache und Bedeutung deö Zusatzes „m. f.“ in der 2. Hälfte der Einsetzungs­ worte in der Meßliturgie vgl. I. Brinktrine in Ephemerides liturgicae 44, 1930, 493ff. 2) De corpore et sanguine Domini, MSL 120, 1275 A. Maurer ,Bekenntnis und Sakrament.

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50 Sakrament, aber nicht im Einklang mit seiner Definition — den Eid, der ja immer eine Beschwörung des heiligen Gottesnamens darstelle *). Von den christologischen Heilstatsachen hebt er besonders die Menschwerdung als das Ursakrament hervor, mit dem alle andern gegeben und in dem alle Heilsgüter beschlossen sind. Und schließlich ist ihm die Schrift ein Sakra­ ment, weil dadurch das Verständnis des Heils eröffnet, der Heilsweg ge­ wiesen und die Kraft zur GotteSkindschast geschenkt wird. An anderen Stellen finden wir besonders den sakramentalen Charakter der Trinitätslehre hervorgehoben. Sowohl die ewige Unveränderlichkeit des Vaters wie die Zeugung deö Sohnes vom Vater und das Hervorgehen des Geistes aus Vater und Sohn sind Sakramente -). Damit hängt es auch zu­ sammen, daß alle Sakramente, die unter Anrufung des Dreieinigen konsekriert worden sind, Gültigkeit haben3*).2 Aber heilswirksam sind sie erst, wo diese Anrufung in Einigkeit des Glaubens mit der ganzen Christenheit erfolgt; denn nur die Übereinstimmung mit der Kirche garantiert die Rein­ heit des Glaubens. Darum ist schließlich die Kirche selbst als Fortsetzung der Menschwerdung Christi das Ursakrament, aus dem alle anderen hervor­ quellen, wie aus seiner vom Speere durchbohrten Seite Wasser und Blut als die sakramentlichen Zeichen für Taufe und Abendmahl hervorsprangen. Man kann hier nicht scharf trennen: Trinität, Menschwerdung Gottes und Kirche Christi bilden zusammen die Grundlage, auf der der Bau der Mystericntheologie errichtet ist. —

Aber diese Theologie und damit daS init ihr gegebene Verhältnis von Wort und Sakrament hat sich schon im Frühmittelalter nicht widerspruchs­ los behaupten können. Wieder stoßen wir dabei in unserer Darstellung auf den großen Namen Augustins, durch den die Bekenntnisentwicklung vor­ wärts getrieben worden ist. War eö früher seine Trinitätslehre, so ist «S jetzt seine Sakramentenlchre, durch die daö Verständnis des Bekenntnisses maßgebend bestimmt worden ist. Denn sie ist die Veranlassung geworden für die Abendmahlsstreitigkeiten des Mittelalters, in denen sich das Ver­ hältnis von Wort und Sakrament entscheidend gewandelt hat.

Augustin kennt zwar auch gelegentlich die Gleichsetzung von Mysterium und Sakrament und damit die weitere Sakramentsanschauung der My­ sterientheologie. Aber seine eigentliche Sakramentsdefinition engt den Be­ griff so ein, daß er notwendig zu dem des Wortes in Gegensatz treten muß. Er kennt daö Sakrament vornehmlich nur in seinem rituellen Sinne und *) Zur Eibeöfrage vgl. unten S. 87 ff. 2) Gezo von Tortona (tkurz vor 1000): Liber de corpore et sanguine Christi, MSL 137, 374ff. 3) Z.B. Alger von Lüttich (tum 1132): de misericordia et iustitia,MSL180, 857ff., des. 932 B.

bestimmt eö als sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Sache *). Als solches ist es zwar Träger der ewigen Heilsgüter; aber es hängt nicht wesensmäßig mit ihnen zusammen, sie können auch ohne das Sakrament vorhanden sein. Hinter ihm steht der Geist Gottes. Er weht, wo er will. Er wirkt durch das äußere Mittel hindurch, ist aber nicht daran gebunden. Und er hat noch da­ neben ein anderes Wirkungömcdium, das Wort. Auch dieses ist an sich nur ein sinnliches Zeichen; heilömächtig wird eS erst durch die Inspiration des Geistes. Wort und Sakrament sind also Mittel desselben Geistes zu demselben Heil. Aber als Mittel sind sic charakteristisch verschieden. Das Sakrament wirkt zunächst nur äußerlich auf den Menschen, direkt auf die Sinne, indirekt auf den Glauben; das Wort wirkt sogleich innerlich auf die Seele. Eö ist klar, daß der Sieg der augustinischen Sakrainentsdefinition die Einheit von Wort und Sakranient zerstören mußte, die die Mysterientheologie hergestellt hatte. Jedoch nur langsam tvard er errungen. Entgegen wirkte die Sakramentsauffassting von Ambrosius, die von der östlichen Theologie her beeinflußt war; auch Isidor von Sevilla, der große Lehr­ meister des christlichen Abendlandes, hat die Anregungen, die er in diesem Lehrstück von Augustin empfangen hat, mit den ambrosianischen verschinolzen und dadurch unschädlich gemacht*2). Im Kampfe der verschicdeneit Abendmahlöthcorien nriteinander können wir zunächst sehen, wie die Mysterientheologie mit Erfolg ihre Stellung im Westen behauptet. Es gelingt ihr fürs erste, das Ergebnis der trinitarischen und christologischen Kämpfe des Ostens auf die westliche Sakramentstheologic anzuwenden. Der Tatsache, daß das altkirchliche Bekenntnis aus dem Sakrament erwachsen war, wird jetzt theologisch Rechnung getragen, indem das fertig geprägte Bekenntnis die Dcnkmöglichkeiten bietet, nun auch den sakrameittalcn Vorgang in seiner Beziehung zum irdischen Element zu erhellen. Hatte zuerst das Sakrament die Bildung des Bekenntnisses hervorgerufen, so beförderte dieses jetzt die Entstehung einer Sakraments­ lehre. Damit erst ist die innere Einheit von Bekenntnis und Sakrament umfassend begründet. So ist also die Sakramentstheologie des Paschasius Radbertuö (t um 860) durchaus keine primitive Konzession an den so oft für alle Mängel der dogmengeschichtlichen Entwicklung haftbar gemachten „Vulgär­ katholizismus", sondern eine durchaus selbständige Weiterbildung der *) signacula rerum divinarum visibilia; vgl. R. Neeberg, Lehrbuch b.Dogmengcsch. II3 S. 454 ff. 2) Zum ersten Male sind diese Entwicklungen durchsichtig geworden durch die For­ schungen I. R. Geiselmannö; vgl. vor allem seine Eucharistielehre der Vorscholastik = For­ schungen zur christl. Lit.- u. Dogmengesch. XV 1—3, 1926; die Abendmahlslehre an der Wende der christlichen Spätantike zum Frühmittelaltcr, 1933.

52 großen Traditionen der griechischen Väter. Er hat die Identität von histo­ rischem und sakramentalem Christusleib behauptet, nicht, wie man ihm vor­ geworfen hat, unter dem Zwange einer grobsinnlichen Sakramcntsmagic, sondern in Anwendung der altkirchlichen Erlösungölehre. Das Sakrament der Menschwerdung Christi wiederholt sich für Paschasiuö im Altarsakrament: „Wie auö der Jungfrau durch den heiligen Geist ohne Mannes Zutun daö wahre Fleisch geschaffen wird, so wird durch ihn aus der Substanz von Brot lind Wein derselbe Leib Christi ,konsefricrt'"1).2 3Indem wir diesen Leib empfangen, werden wir so sehr eins mit Gott, wie in Christus beide Naturen, die göttliche und die menschliche, zu einer Einheit verbunden und der Sohn eins ist mit dem Vater. Der wahre Christus muß sich im Sakrament mit uns vereinen, damit wir mit Gott vereint sein können. Diese Anwendung der athanasianischen Erlösungslehre auf das Sakrament wird noch konsequenter vollzogen von Gezo von Tortona-), der auch sonst sich als ein Fortsctzer des Paschasius Radbertlls erweist. Gezo sieht gerade darin das Grundanliegen des altkirchlichen Be­ kenntnisses, daß der geschichtliche Jcsuö und Christus der Gottessohn nicht auseinandergerissen werden '); daher erhebt er die Forderung, daß auch im Sakrament die Identität des erhöhten und deö geschichtlichen Christus ge­ glaubt werden müsse. Noch Gerbert von Aurillac, der nachmalige Papst Silvester II. (s- 1003), hat die Verbindung zwischen der athanasianischen Erlösungslehre und der Sakramentenlehre gepflegt4)5 und damit die innere Übereinstimmung zwischen dem altkirchlichen Bekenntnis und dem von den neuen Fragen bedrängten Sakramentsglauben festzuhalten versucht. Bis in den 2. Abendmahlöstrcit hinein hat diese Theologie Nachfolger gefunden. Aber schon waren ihre Überwinder auf dem Marsche. Die augustinische Abendmahlsanschauung rückte vor. Jhreir ersten Vertreter hatte sie in Ratramnus (f nach 868) gefunden'). Auf Augustin gestützt, hatte er die Gleichsetzung von historischem und sakramentalem Leibe Christi verworfen und damit eine der Grundlagen der Mysterientheologie verlassen. Zwar ist ihm beides ein Mysterium, der Weg deö geschichtlichen Christus von Ge­ burt bis Himmelfahrt und seine für den Glauben vorhandene heilbringende Gegenwart im Sakrament. Aber es besteht zwischen beiden Mysterien, dem der Vergangenheit und dem der Gegenwart, doch ein Qualitätsunterschied. Daö gegenwärtige ist nur ein Gleichnis des vergangenen; sie unterscheiden sich voneinander wie Urbild und Abbild. *) Geiselmann: Euchariftielehre der Vorscholaftik, S. 159. 2) Liber de corpore et sanguine Christi, MSL 137, 374ff. 3) A. a. O. 381 C. *) De corpore et sanguine Domini, MSL 139, 179 ff., bes. 184 D; über die Gründe, die gegen GerbertÄ Verfasserschaft sprechen, vgl. Hauck a. a. O. III, 319 Anm. 2. 5) De corpore et sanguine Domini, MSL 121, 125 ff.

Der Mystcrientheologic war das gegenwärtige kultische Geschehen als eine gradlinige und innerlich einheitliche Fortsetzung des Heilshandelns! Gottes überhaupt erschienen. Für Ratramnuü dagegen ist die Wirklichkeit gespalten. Die, von der daö Sakrament Zeugnis gibt, liegt hinter der, in der es geschieht; die Wirklichkeit, in der sich das Sakrament vollzieht, ist getrennt von der eigentlichen Welt, in der Gottes Herrlichkeit thront. Ja, Ratramnus kann die ihm von Karl dem Kahlen gestellte Frage ernsthaft erwägen, ob das Mysterium nicht zur Wirklichkeit (veritas) in einem aus­ schließlichen Gegensatze stünde^). Damit hat er das Mysterium in dessen ursprünglichem Sinne überhaupt verneint. Was er noch so nennt, ist viel­ mehr ein bloßes Zeichen für die göttliche Heilswirksamkcit. Es deutet auf sie hin, enthält sie aber nicht in sich. Und die Kraft seines Hinweises liegt nicht in ihm selbst, sondern in der Spontaneität des Glaubens, den cö weckt. Insofern tritt das Sakrament in eine Linie mit dem Wort, das zunr Glauben aufruft. Auch dieses ist nur das irdische Gefäß für ein über ihm stehendes Göttliches, das sich darin ergießen kann, aber eö nicht braucht. Wort und Sakrament sind beide irdische Ausdruckömittel für ein Über­ irdisches. Aber sie sind in dieser ihrer Mittlcrstellung unter sich so ver­ schieden, wie der iin Worte sich einen unmittelbaren Ausdruck verschaffende Geist geschieden ist von den: materiellen Substrat der irdischen Elemente. In dem Augenblicke, wo daö echte Mysterium verfällt, begegnen sich Wort und Sakrament wieder auf der irdischen Ebene; sie sind beide irdische Zeichen für die himmlische Welt. Aber sic sind beide wescnsmäßig von ihr getrennt. Und damit werden sie sich ihres Gegensatzes zueinander bewußt; sie treten dem Range nach auseinander. Das Wort ist unmittelbar Aus­ druck deö Geistes, das sakramentale Zeichen nur ein Stück Materie. Ihre Begegnung wird zum Zusammenstoß; daö Wort, daö sich vom Sakramente gelöst hat, droht dieses in seiner selbständigen Bedeutung aufzuhebcn. Was Ratramnus nur gelegentlich anzudeuten wagte, daö hat Beren­ gar von Tours (f 1088) zur Grundlage seiner Theologie gemacht. Für ihn ist mysterium nichts anderes als figura, andeutendes Gleichnis. Und die Folgezeit hat, auch wo sie seine Abendmahlslehre nicht teilte, mit ihm diesen augustinischen Begriff für den altkirchlichen eingesetzt und sich damit selbst den Zugang zur Mysterientheologie verschlossen. Was nützte es darum, daß seine Abendmahlölehre verworfen wurde? Der Gegensatz zwischen Wesen und Erscheinung, den man aus Augustin herausgelesen hatte, be­ stimmte dennoch die weitere Entwicklung. Damit war die Grundlage der Mysterientheologie verlassen. Wir finden sie noch ausgesprochen bei Beren­ gars Gegnern im 2. Abendmahlsstrcit, aber in der Verteidigung vermag sie sich nicht mehr zu behaupten. Gegenüber den wortgewaltigen Anhängern ’) A. a. 0.129 C.

54 der aufkommenden dialektischen Methode muß sie den Nachweis führen, daß Wesen und Erscheinung im sakramentalen Vorgang sich decken. Sie versucht ihn zu erreichen durch den Begriff der substantiellen Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Der ist z. B. zugrunde gelegt in dem Bekenntniseid, den Gregor VII. 1079 Berengar auferlegte und der sofort den Charakter einer offiziellen Lehrentscheidung in der Sakraments­ frage erhielt. Aber wie sollte eine Substanzverwandlung möglich sein, wo doch weiterhin im Kultus Brot und Wein dargereicht und gegessen wurden? In dieser Schwierigkeit kam die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz zu Hilfe, die Aristoteles die Dialektiker der Scholastik von neuem gelehrt hatte. Von den Voraussetzungen des Aristotelismus aus hat dann das 4. Laterankonzil von 1215, daö auch in andern Fragen den entscheidenden Wendepunkt der mittelalterlichen Geschichte bildet, das TranSsubstantiationsdogma formuliert*). Restlos wird darin das Mysterium erklärt mit den Mitteln der weltlichen Wissenschaft. — War es mit dieser „Erklärung" nicht selbst völlig in Begriffe aufgelöst und damit vernichtet? In der Tat, die Kirche hat einen teuren Preis be­ zahlt, um die augustinische Sakramentödefinition festhalten zu können und dennoch die Realität der Chrisiusgegenwart zu retten, die der alten My­ sterientheologie eine Selbstverständlichkeit gewesen war: sie hat das My­ sterium in eine logische Abstrusität verwandelt. Denn was kann eine Sub­ stanzveränderung unter Beibehaltung der Akzidentien anders sein? Auf dieses „Wunder", das nur für den dialektisch geschulten Verstand ein solches ist, kann die Gemeinde keinen Lobgesang anstimmen; das Bekenntnis, in dem es bezeugt wird, kann nicht in ihren Gottesdiensten verwandt werden. Ja, was wird aus dem Wort, das der Kirche mit ihrem Bekenntnis in den Mund gelegt ist, angesichts dieser Veränderung der Sakramcntsanschauung? Es spielt dabei eine doppelte Rolle. Einmal sucht es den sakramentalen Vorgang restlos auszudcuten. Aber es sieht sich dabei vor eine unmögliche Aufgabe gestellt. Es hat ja nicht mehr lobpreisend zu bekennen, daß das unsagbare Wunder vollzogen, das Gött­ liche in das Vergängliche eingegangen ist; sondern es hat festzustellen, wie das geschah. Wer kann sich wundern, daß es sich bei diesem unfruchtbaren Versuche ebenso selbst aufhebt, wie es das Entscheidende des echten My­ steriums verfehlt: Gott ist nach dem Tranösubstantiationödogma ja gerade nicht in das Irdische eingegangen, sondern hat es vernichtet, verzehrt wie der Blitzschlag, der am Karmel auf Elias Altar fiel. Daß die leere Hülse der irdischen Elemente übrig blieb, geschah doch nur, um den Schein zu wahren. In dem Augenblick, da Wesen und Erscheinung im Sakrament auseinanderx) Was I. C. van Ronkel: Het Symbolum van het vierde Lateraansche Concilie, Proefschrift, Leiben 1897, über die geschichtlichen Beziehungen bcS Ännozentianums heraus­ gearbeitet hat, ist längst nicht umfassend genug.

traten, ist das irdische Element, ist alles Kreatürliche mit ihm substanzlos geworden. Damit ist auch das irdische Wort selbst als Träger der göttlichen Offenbarung getroffen. Es ist zum leeren Gcdankending geworden. Unter dem Schein zu sagen, waö ist, sagt es, was nicht sein kann. Anstatt ein göttliches Faktum in echten, urtümlichen, weil aus der gottgeschafsenen Welt entnommenen Bildern kühn und doch ehrfürchtig auszusprechen, muß es sich selbst überspitzen und überdrehen, wird cs zum Paradoxon. Die echte Mysterientheologie kennt das Paradoxon nur im Lobpreis der sich herab­ lassenden Gnade; die Scholastik pflegt das logische Paradoxon aus der Freude hcraris, daS Unmögliche als möglich hinzustellen. Zum andern hat das Wort nunmehr dem Sakrament gegenüber die Aufgabe, die geheimnisvolle Wandlung hcrbeizuführen. Nicht mehr ist es der ganze Wort- und Gebctögottcsdienst der Messe, hinter dem die Gegen­ wart Christi steht; sondern die Wandlung ist an einen bestimmten Augen­ blick gebunden, bis zu dem hin alles als Vorbereitung gilt. Und das Sakramentöwunder geschieht nicht mehr durch das demütig bittende Wort der Epiklese, sondern durch die Rezitation der Einsetzungsworte Christi. Zwar kann also auch jetzt noch das Sakrament nicht ohne das Wort sein. Aber es wäre eine Täuschung, wollte man diese Verbindung von Wort und Sakrament als besonders innig bezeichnen. Das Wort ist dabei kein Mysterium, sondern es dient nur dabei als wirkende Ursache für einen mysteriösen Vorgang, der in sich selber wortlos verläuft. Es hat mit ihm keinen organischen Zusammenhang mehr, sondern gibt ihm nur von außen den Anstoß, so wie der Billardstock die Kugel ins Rollen bringt. Das Wort dringt nicht mehr ein in die sakramentale Sphäre, sondern führt nur bis an sie heran. Der Bruch mit der Mystcrientheologie und damit die Entmächtigung des Wortes wird besiegelt durch die Festlegung der Siebenzahl der Sakra­ mente. Der Sieg des Augustinismus und die daraus sich ergebende Ver­ engung des Sakramentsbegriffs mußte die Frühscholastik mit Notwendig­ keit dahin führens. Schon seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wird sie bei Theologen und Kanonisten gebräuchlich-). Petrus Lombardus nimmt sie auf; die allgemeine Zustimmung, die sein Werk fand, hat ihr schließlich die Anerkennung in der Gesamtkirche des Westens verschafft. Damit ist die Bezeichnung Sakrament auf einen engen Kreis heiliger Handlungen beschränkt. Viele, die man früher auch darunter verstanden hatte, müssen nun als Sakramentalien davon äußerlich unterschieden Beruh. Geyer: Die Siebenzahl der Sakramente in ihrer historischen Entwicklung; Theologie und Glaube X, 1918, 325ff. 2) A. Debil: L’attestation du nombre septenaire des Sacrements chez Gregoire de Bergame; Revue des Sciences philosophiques et theologiques 1912, 332ff.

56 werden. Alles, was zum Wort der Lehre gehört, ist von jetzt ab völlig da­ von getrennt. Man kann es seitdem'nur als einen ungenauen Sprachge­ brauch entschuldigen, daß man früher das Wort der Lehre und damit auch das Bekenntnis als ein Sakrament bezeichnet hatte. —

Zwar ist der alte Sprachgebrauch noch nicht ganz verschwunden. Hugo von Skt. Viktor (f 1141) hat noch einmal die ganze christliche Heils­ lehre unter der Überschrift: „Von den Sakramenten" zusammengefaßtH. Aber die künstliche Art, wie er durch allegorische Schriftauslegung allerlei „Sakramente" aus dem biblischen Schöpfungsbericht gewinnt, zeigt schon, wie abgeblaßt diese Bezeichnung für ihn ist. Und auf der andern Seite hat gerade diese „erste Dogmatik großen Stils, die das Abendland hervorgebracht hat"-), den neuen, an Augustin orientierten Sakramentsbegriff endgültig geprägt, dessen sieghafte Durchsetzung wir soeben samt ihren Folgen kennen gelernt haben. Hugos Gegenspieler Abaelard (f 1142) ist der Vater der dialekti­ schen Methode. Er hat die Sakramentenlehre als dritten abschließenden Teil seiner „christlichen Theologie" behandelt und sie damit von dem ersten Teil, der die Gotteserkenntnis enthält, grundsätzlich geschieden. Mit dem zweiten, Christi Person und Werk umfassenden Teil schließt er sie freilich unter der gemeinsamen Überschrift: „Von den göttlichen Wohltaten" zu­ sammen, hat also noch ein Gefühl dafür, daß das Heilswirken Gottes in der biblischen Geschichte und im Sakrament innerlich zusammen gehört. Aber er hat in seiner Systematik diesem Gefühl nicht den gebührenden Ausdruck geben können3). Dem entspricht es auch, daß er mit besonderer Betonung von den „tiefen Mysterien der Trinität", vom „Mysterium der Erlösung" redet4), als erster also, soweit ich sehen kann, zwischen My­ sterium und Sakrament terminologisch scheidet. Merkwürdigerweise ist ihm seine unmittelbare Schule darin nicht ge­ folgt, sondern zeigt deutlich das Bestreben des Ausgleichs mit der My­ sterientheologie. So bemüht sich Mag. Omnebene in der Mitte des 12. Jahrhunderts um einen Aufbau der Theologie vom Sakrament her und *) MSL 176,183ff. 2) R. Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte III/ 19304z S. 186; zu dem (von So hm überschätzten) sakramentalen Charakter deö Werks vgl. dessen Altkath. Kirchenrecht S. 84, Anm. 7. 3) Merkwürdigerweise findet R. Seeberg (a. a. O. S. 176) in dieser „gesonderten theologischen Behandlung" der Sakramentenlehrc nicht nur einen wissenschaftlichen Fort­ schritt — das kommt darauf an, welches Ideal von theologischer Wissenschaft man meint — sondern auch eine Rücksichtnahme auf bas religiöse Leben und die Bedeutung, die darin dem Sakrament in theoretischer und praktischer Beziehung zukomme. Das Gegenteil ist der Fall; vgl. S. 57 ff.

4) Opera, ed. Cousin, II, 406.

geht dabei von dem „Sakrament der Inkarnation" ausx). Er ist dabei z. T. abhängig von Kardinal Roland, dem späteren Papst Alexander III. (t 1181), ebenfalls einem Abaelardschüler. Dieser hat in seinen Sen­ tenzen-) noch die ganze Christologie unter der Sakramentötheologie ge­ bracht. Und noch der Kanonist Hugguccio (f 1210), der Lehrer von Innozenz III., kann die Gottesdienste und kultischen Gesänge der Priester als Sakramente bezeichnen, „weil dadurch die Verehrung Gottes verwaltet und ausgeübt wird und weil durch sie die übrigen kirchlichen Sakramente zelebriert werden"3*).2 Aber auch Innozenz selbst, der als Papst 1215 die neue Sakraments­ auffassung kirchcnrechtlich sanktioniert hat, ist als Schriftsteller der her­ kömmlichen Mysterientheologie noch in manchen Stücken verhaftet. In seiner Meßauslegung *), die aus der liturgischen Tradition besonders tief geschöpft hat, läßt sich das erkennen. Er kann gelegentlich noch die Aus­ drücke Sakrament und Mysterium miteinander vertauschen. Er redet noch vom Sakrament der Erlösung, versteht darunter freilich nicht mehr das ganze Werk Christi, sondern das Blut, das aus der Seite des Gekreuzigten floß und am Altar empfangen wird3).5 6Und die kunstvollen Zahlenspiele­ reien, durch die er die Beziehungen zwischen dem Sakrament und der Tri­ nität bzw. der Inkarnation herzustellen sich bemüht, lassen deutlich den Abstand erkennen, der ihn innerlich von der Überlieferung trennt. Wie schwer man sich an die enge Fassung des SakramentübegriffS ge­ wöhnen konnte, zeigen die Glossen zur Sakramentsdefinition des Lom­ barden, die Ghellinck^) aus dem 13. und 14. Jahrhundert veröffentlicht hat und die in mühevollen Distinktionen die ganze Fülle des kultischen Le­ bens der Kirche und ihrer Verkündigung darunter zu begreifen trachten. Und noch die ganze Hochscholastik hindurch lassen sich solche Anklänge an die alte Mysterientheologie verfolgen7). In der Praxis — vor allem der litur­ gischen — hat sie immer ihr Recht behalten. Noch die 1509 erschienene Auf­ lage des liturgischen Handbuchs des älteren Duranti (f 1296) bezeichnet H. Denifle: Die Sentenzen Abaelardö und die Bearbeitungen seiner Theologie vor Mitte des 12. Ih. = Archiv für Litt.- und KG. d. Ma. I 1885, 402 ff. 2) 1891 Hrsg. v. A. M. Gietl. 3) I. de Ghellinck: La „Species quadriformis Sacramentorum“ des Canonistcs du

Xlle siede et Hugues de Saint-Victor, Revue des Sciences philosophiques et thcologiques 1912, 527ff.

4) De sacro altaris mysterio, MSL 207, 773 ff. 5) 2L o. £). 876 A.

6) Les notes marginales du Liber sententiarum — Revue d’histoire ecclesiastique 14 1913, 511 ff. 7) Thomas von Aquin nennt in Anlehnung an 1. Tim. 3,16 das mysterium huma-

nitatis Christi ein sacramentum pietatis (Summa theol. II, II, q. 1, art. VIII, conclusio) und bezeichnet Trinität und Wesen und Werk Christi als Mysterien, unterscheidet freilich begrifflich scharf zwischen Mysterium und Sakrament.

58 Menschwerdung, Leiden, Auferstehung, Himmelfahrt und Wiederkunft als die fünf Sakramente Christi H.

Daß sich diese Reste einer im übrigen längst überwundenen Theologie so lange haben behaupten und damit das ursprüngliche Verständnis des Bekenntnisses hat bewahrt werden können, ist ein Zeichen dafür, daß die praktische Frömmigkeit auch weiterhin von den alten Gedanken zehrte, daß also die „moderne" Theologie deren Erfordernissen nicht mehr gerecht zu werden vermochte. Die Frömmigkeit lebte von der Liturgie, nicht von der Theologie; und in dem Maße, wie diese sich von jener entfernte, wurde sie für den frommen Glauben bedeutungslos. Weil die Liturgie Wort und Sakrament so innig verbunden hatte, darum bleibt das, was die Mysterien­ theologie über diese Verbindung und damit über den sakramentalen Sinn des Bekenntnisses gelehrt hatte, bis zum Ende des Mittelalters unversehrt. Man darf die Beständigkeit der Liturgie für den wirklichen Glauben des Volkes und auch der scholastischen Theologen nicht unterschätzen. Das ur­ sprüngliche Verständnis des Bekenntnisses bleibt darin geborgen. Zugleich aber geht die Bekenntnisentwicklung weiter. Die Auseinander­ setzung zwischen Wort und Sakrament, die wir kennen lernten, hat «ine Fülle von Bekenntnisschriften und bekenntniöartigen Erklärungen hervor­ gebracht^). Die Confessio Berengarii ist das wichtigste Glied dieser Ent­ wicklung, das Jnnozentianum von 1215 ihr krönender Abschluß. Sie alle handeln vom Sakrament und suchen das in ihm gegebene Geheimnis in Worte zu fassen. Ihr Fortschritt besteht in der immer klareren Ausprägung des Sinnes jenes Geheimnisses. Aber auch soweit sie ihn richtig auödrücken sollten, bleiben sie dem Gegenstand, von dem sic handeln, in ihrem eigent­ lichen Wesen fern. Keins dieser Bekenntnisse ist je in kultischen Gebrauch genommen worden; keins war auch seiner Natur nach dazu geeignet. Di­ stinktionen kann man nicht beten; damit bleiben die Menschen unter sich. Echtes Bekenntnis aber ist ein Lobpreis im Angesichte Gottes.

Wir stehen damit an dem entscheidenden Umbruch wie der Geisteögeschichte des Mittelalters, so auch der Bekenntnisentwicklung des Christen­ tums. Im Blick auf das Mittelalter hat man jene Wende längst erkannt, freilich verschieden gewertet; eine Fülle von Gesichtspunkten wurde geltend gemacht, sie aus dem geschichtlichen Zusammenhang zu verstehen. Aber wichtiger als die Ursachen ist es zunächst die Tatsachen zu erforschen. Sie sind nach der Seite der Liturgie hin ziemlich aufgehellt3), nach der Seite x) Rationale divinorum, Hagenau 1509 foL 63b. 2) Einen Überblick gibt I. R. Geisclmann in den Studien zu frühmittelalterlichen Abendmahlsschriften 1926, S. 31. 8) Vgl. die Arbeiten, die aus dem Mitarbeiterkreis des Jahrbuchs für Liturgiewifsenschaft herausgewachsen sind.

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des Rechts hin noch heiß umstrittenl)- Die von uns aufgewiesenen Tat­ sachen aus der Bekenntnisentwicklung sind sowohl von der Liturgie- wie von der Rechtögeschichte abhängig und wirken auf beide Gebiete hinüber. An dem Maße, wie das Bekenntnis die echte Beziehung zum Sakrament ver­ liert, wird eö eine rechtliche Größe, wird seine Entwicklung ein Teil der allgemeinen Fortbildung des kirchlichen Rechts. Darum muß auf die Dar­ stellung der Sakramentölehre und -frömmigkeit «ine Untersuchung über das Verhältnis von Bekenntnis und Recht im Mittelalter folgen. *) Nud. Sohmö epochales Werk über das Dekret hat bisher wohl Kritiker an Einzelheitcn gefunden, aber seine Gesamtkonzeption ist von niemandem erschüttert worben-

III. Bekenntnis und Ketzerrecht Immer wieder sind wir im Gange unserer Darstellung auf die enge Verbindung zwischen Bekenntnis und Recht hingeführt worden. Wir sahen schon, diese Verbindung ist nicht ohne Vermittlung deö Sakraments zu­ stande gekommen; dieses ist vielmehr im Anfang das Band, das beide Lebenöäußerungen der Kirche miteinander verknüpft'). Und ebenso wie die Entfaltung des Bekenntnisses vom Verständnis des Sakraments abhängig ist, ebenso ist auch die rechtliche Entwicklung der Kirche in die Wandlungen der Sakramentsanschauung einbezogen-). Wie das Bckennntnis, so hat sich auch das Recht der Kirche über das erste Jahrtausend ihres Bestehens hinaus innerhalb ihres sakramentalen Lebens entfaltet. Und in demselben Augenblick, da dieses Leben in die starre Formelwelt des Aristotelismuö hineingebannt wird, da sich daö Bekenntnis als begrifflich fixierte Lehre deö sakramentalen Geheimnisses bemächtigt hat, da hat auch das Recht den Schutz und die Geborgenheit des Chors der Kirchen verlassen. Es schickt sich an, die Welt zu erobern. Das Papst­ tum hat unter Innozenz III. nicht nur die Lehrgrundlage der Kirche gegen alle Ketzerei für die Folgezeit festgelegt, sondern auch die Weltherrschaft er­ rungen. Und beiden Zwecken hat der Jünger der Schule von Bologna das Recht dienstbar gemacht. Es sichert die richtige Lehre, es stützt die Herrschaft der Kirche über die Welt; es garantiert ihren Bestand nach innen und nach außen. Damit wirkt nun die Veränderung der Rechtsauffassung wieder unmit­ telbar auf das Bekenntnis zurück. Sie verstärkt die Gefahr seiner begriff­ lichen Erstarrung. Die Formeln, in denen es sich lehrhaft ausspricht, sind nicht nur in der aristotelischen Dialektik hart geschmiedet, sondern auch ein­ gebaut in daö RechtSgefüge der Kirche. Die theologischen Begriffe tragen zugleich rechtlichen Charakter; theologische Lehrsätze sind Lehnsätze für die kirchliche Rechtswissenschaft. *) Vgl. oben S. 12 ff. 2) Das hat Rudolf Sohm nachgewicsen in feinern Beitrag zur Festschrift für Adolf Wach: Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gratians, 1918; sowie in dem posthum Hrsg. 2. Bd. seines Kirchenrechts 1923. Vgl. auch Wcltl. und geistl. Recht, Festgabe für Karl Binding, 1914.

In demselben Maße, wie das Bekenntnis die organische Verbindung mit dem Sakrament verliert, wird es ein Teil des kirchlichen Rechtes. Es ist, als sei es nicht fähig, allein zu stehen. In seiner lehrhaften Begrifflichkeit hat es sich des Sakramentes bemächtigt; in demselben Augenblick fällt es dem Rechte anheim. Damit verliert es seinen gottgewollten Eigenwert. ES hört auf, lobpreisende Antwort auf die in dem lebendigen Christus uns nahe kommende Gnade Gottes zu sein. Es wird ein Zwangsmittel in der Hand der zum Staate gewordenen Kirche und des von der Kirche abhängig gewordenen Staates. Denn das Recht der Kirche ist weltliches Recht geworden. Was sich seit dem Ende des Jnvestiturstreites angebahnt hatte, wird mit Innozenz III. vollends deutlich: Das Kirchenrecht hat sich von seiner ursprünglichen Grundlage entfernt. ES sichert nicht mehr bloß den richtigen Vollzug der Sakramente. Es beschränkt sich folglich auch nicht mehr auf die Priester, die sie verwalten, und läßt die Laien unbehelligt, sofern sie nicht als ihrs Empfänger in Betracht kommen. Sondern als Mittlerin der heilsspendenden Sakramente ist die Kirche zur Stellvertreterin Gottes auf Erden geworden. Durch ihre Rechtsordnungen übt sie im Namen Gottes die Weltherrschaft aus; denn ihnen muß sich unterwerfen, wer an den sakramentalen Heils­ gütern Anteil haben will. Gerade darum beansprucht sie auch fernerhin, daß ihrem Rechte göttlicher Charakter zukomme. Aber je mehr sie eö be­ nutzt, um kämpfend und ordnend in die Dinge dieser Welt einzugreifen, je öfter sie dabei Niederlagen einstecken muß und offenbare Unordnung her­ vorruft, um so weniger vermag sie jenem Anspruch den Schein der Berech­ tigung zu verschaffen. So leidet die Rechtsanschauung der katholischen Kirche vom Hochmittel­ alter an unter einem verhängnisvollen Zwiespalt. Waö bis zu Gratian den Namen des göttlichen Rechtes trug, war das sakramentale Recht, das un­ mittelbar dem Dienst am Heiligtum gewidmet war. Was man seitdem noch so nennt, ist etwas wesentlich Anderes geworden, ohne daß der Unterschied völlig in das Bewußtsein der Kirche getreten wäre. Die Welt steht nicht mehr, wie im Frühmittelalter 9, vor den Toren der Kirche und wartet dar­ auf, missioniert und belehrt zu werden. Sie ist in das Innere eingezogen; die Kuppel des Domes wölbt sich über einer christlich gewordenen Welt. Das göttliche Recht kann also nicht mehr die Aufgabe haben, das sakramen­ tale Heiligtum vor der Profanisierung zu schützen. Es bildet vielmehr die umgrenzende Mauer, die der Menge die Flucht vor Gott und seinem Prie­ ster unmöglich macht. Es stützt und trägt die Kuppel, die sich wuchtig und schwer über der Christenheit aufrichtet und die doch den Himmel symboli­ sieren soll, den Himmel mit seiner duftigen Bläue und seiner ätherischen *) Vgl. oben S. 36.

62 Leichtigkeit. Aus den Rechtsprinzipien der römischen Cäsaren entwickelt die Kirche ein Zwangösystem, das den Papst zum Imperator macht und die sakramentale Heilsanstalt zum Zuchtinstitut. Und wie das antike Heiden­ tum in seiner Sozialphilosophie, so leitet auch die Kirche ihre Ordnungen ab aus dem gemeinschaftlichen Willen ihrer Glieder. Aus dem sakramen­ talen Recht wird ein Körperschafts recht; aus dem Leib Christi eine Korpo­ ration im rechtlichen Sinne. Und die Frage, die die schweren Konflikte am Auögang des Mittelalters hervorrief, ist angesichts dieser Veränderung eigentlich nicht mehr von grundsätzlicher Bedeutung: ob nämlich jenes Recht als Genossenschaftsrecht von unten (Konziliarismus) oder ob es als Herr­ schaftsrecht von oben her (KurialiSmuS) konstruiert werden sollte1). So ist es nicht nur der Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen, der die kirchliche Rechtsentwicklung seit dem Hochmittelalter kennzeichnet, son­ dern der viel tiefer greifende zwischen göttlichem Anspruch und irdischem Interesse, zwischen proklamierter Heiligkeit und dokumentierter Profanität. Das Recht soll angeblich Gott dienen und fördert doch nur das Herrschafts­ gelüste der Hierarchie; eS soll immer noch die Heilöwirkung der Sakra­ mente sichern und dispensiert doch praktisch von ihrer Verbindlichkeit. Ja, wenn daS sakramentale durch das genossenschaftliche Recht spurlos und mit einem Schlage abgelöst worden wäre, dann hätte jener Zwiespalt nicht so zerstörend wirken können. Aber so radikal vollziehen sich ja geschichtliche Entwicklungen niemals. Daö sakramentale Recht wirkt vielmehr — nicht nur dem Anspruch nach, sondern auch im Empfinden der Zeitgenossen und tatsächlich — unter den neuen Verhältnissen ohne Unterbrechung weiter2). Man handhabte mit gutem Glauben ein Recht, das man durch Gott und die Tradition sanktioniert glaubte; und man rechtfertigte so vor der Welt und dem eigenen Gewissen diesen Gebrauch. In Wirklichkeit indessen hielt man nur eine Waffe in der Hand, die man der Welt entrissen hatte und die die Welt sich nicht auf die Dauer nehmen lassen konnte. Daß sich die Entwicklung des weltlichen Rechts im Abendlande in fort­ schreitendem Maße gegen Kirche und Christentum gewandt hat, ist eine Folge jenes Zwiespaltes, an dem die Kirche krankte. Und daß am to. De­ zember 1520 vor dem Elstertor in Wittenberg das Kanonische Recht ver­ brannt wurde, ist mehr als der symbolische Abschluß jener spätmittelalterWie fruchtbar die Sohmschen Ideen vom Sakramentsrecht für das Verständnis der Kirchengeschichte sind, zeigt der Aufsatz von Albert Hauck: Die Rezeption und Umbildung der allg. Synode im Ma = Hift. Vierteljahrsschr. 10, 1907,465 ff. Die grundsiürzende Wand­ lung des Jahres 1215 tritt darin deutlich hervor. 2) Hier liegt die Schranke Sohms, die zu zerbrechen er nicht mehr die Zeit gehabt hat: Er hat das Fortwirken des Sakramentörechts in den letzten Jahrhunderten des Ma nicht mehr darftellen können. Damit hat er es seinen Gegnern im kath. Lager allzu leicht gemacht, feine These der Überspitzung zu zeihen und jede Veränderung zu leugnen. An einem begrenzten Bei­ spiel soll im Folgenden jene Fortwirkung aufgezeigt werden.

lichen Entwicklung. Es ist seitdem der Kirche Christi die Aufgabe gestellt, ihre eigne Ordnung nicht mehr nach den Prinzipien der Welt, sondern von Wort und Sakrament her neu zu gestalten. Auf dem Gebiete des Rechts fing die Verweltlichung der Kirche an — in einer Zeit, da sie sich die Freiheit vom Staate sieghaft erstritten zu haben glaubte. Es ist darum am schwer­ sten, die Verweltlichung hier zu überwinden. Aber es ist nötig, soll die Auf­ gabe der Kirche erfüllt werden und ihre Reformation nicht bloß eine Episode bleiben. Es wird aus dem Zusammenhang ohne weiteres einleuchten, daß hierbei dem Sakrament neben dem Wort eine selbständige Rolle zufällt. Schon am Ausgang des Mittelalters wird das deutlich. Der Theorie nach hat das Sakrament nicht mehr die alles beherrschende Stellung für Theologen und Juristen. Die Praxis der Kirche findet dagegen immer noch in ihm ihren Mittelpunkt. Indem das Sakrament und das aus ihm hervorgegangene Recht ihre ursprüngliche Stelle praktisch behaupten, machen sie den Wider­ spruch zum neuen Recht offenkundig. Und sofern die rechtliche Theorie der Praxis dient, muß sie das Sakramentsrecht nicht nur aus der Vergangenheit übernehmen, sondern auch im Einklang mit ihren neuen Prinzipen fort­ entwickeln. Daö zu zeigen ist die Aufgabe, die diesem Kapitel im Blick auf das Ketzerrecht gestellt ist. Hier war, wie wir gesehen haben, anfänglich die sakramentale Bindung des Rechtes am stärksten; hier zeigt zugleich das Bekenntnis der Kirche seine rechtliche Geltung und kommt zu rechtlicher Wirksamkeit. Indem daö Bekenntnis aus dem sakramentalen Kultus ent­ springt, enthält es auch die Norm, die den Ausschluß von ihm bestimmt. So war eö im Neuen Testament. So ist eö auch die Alte Kirche und das Mittel­ alter hindurch im wesentlichen geblieben bis zu dem großen Umschwung, der in Lehre und Recht daö Sakrament aus dem Mittelpunkt drängte und «S bloß als einen Teil der kirchlichen Praxis betrachten lehrte. Aber es läßt sich auch dann noch die Tatsache feststellcn, daß länger als andere Teil­ gebiete des kirchlichen Lebens das Bckenntnisrecht seinen sakramentaleil Charakter bewahrt hat. Nur darf man dabei nicht einseitig die Lehrbücher der Kanonisten und Theologen befragen, sondern muß die Fühlung halten mit dem Leben des Volkes und seiner Frömmigkeit. Dann sieht man, wie von hier aus die Ver­ bindung von Bekenntnis und Sakrament auch in der Rechtssphäre immer neu gestärkt worden ist. Und es werden dabei nicht nur die rechtlichen, son­ dern auch die volkstümlichen Voraussetzungen für die Bekenntnisentwick­ lung der Reformation verständlich. Auch hier ist ja das Sakrament der entscheidende Faktor für die Bildung der neuen Konfessionen geworden.

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64 Wir wollen zunächst das Bekenntnisrecht in der Prägung kennen ler­ nen, die eS vor dem großen Umschwung des Mittelalters hatte. Und wir schauen dabei nicht so sehr auf die gesetzgeberischen Maßnahmen und recht­ lichen Theorien — beides ist in dieser Periode ohnehin erst schwach ent­ wickelt —, sondern auf die praktische Handhabung des Ketzerrechts. Welche Auffassung vom kirchlichen Recht stand dahinter? Was deutet auf ihre Wandlung hin? Seinen klassischen Ausdruck findet daö frühmittelalterlich« Kirchenrecht im Dekret des Bischofs Burchard von Worms (t 1025)1). Für ihn ist Ketzer jeder Getaufte, der hartnäckig außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft steht. Sofern er sich draußen befindet, ist er nicht Gegenstand des kirchlichen Rechts. Dies kann vielmehr in bezug auf ihn nur eine Aufgabe haben, näm­ lich die, die Gläubigen vor der Befleckung, die jede Verbindung mit ihm im Gefolge hat, zu bewahren. Wer darum mit ihm oder auch nur an einer dem Ketzerkultus geweihten Stätte betet, ist vom kirchlichen Sakrament aus­ geschlossen 2). Die Ketzersakramcnte scheiden von den Sakramenten Christi — das ist der einzige, lapidare Satz, der hinter dem frühmittelalterlichen Bekenntnisrecht steht. Nur ein Mittel gibt es, die kultische Gemeinschaft wiederherzustcllen; nur ein Sakrament steht dem Ketzer, der reumütig in den Schoß der Kirche zurückkehren will, offen: daö Bußsakramcnt. Das sakramental« Ketzerrecht läßt die sakramentale Reinigung zu, setzt sie vielmehr voraus. Darum ist es auch kein Strafrecht, sondern ein Liebesrecht. Der Schuldige unterliegt keinem weltlichen Strafverfahren, geschweige denn einer körper­ lichen Strafe3). Wer sich gegen das Sakrament der Taufe vergangen hat4)5 und darum von den übrigen heilbringenden Sakramenten abgetrennt wer­ den mußte, wird durch das Sakrament der Buße wieder ausgenommen. Wie die Ketzerei selbst, so gehört auch ihre rechtliche Ahndung in die sakra­ mentale Sphäre. Und vor allem hat auch der Recht sprechende Priester in ihr seinen Platz. Seine Hand, die den gekreuzigten und auferstandenen Leib des Herrn umschließt, darf nicht Menschenblut vergießen; sein Mund, der die Weiheworte spricht, darf kein Todesurteil über die Lippen bringen3). Wie könnte er weltliches Recht handhaben, äußerliche Zwangsgewalt aus­ üben? So ist das Ketzerrecht rein geistliches, sakramentales Recht. Das Be­ kenntnis vollzieht sich innerhalb der kultischen Gemeinschaft durch die Teil*) MSL 140, 537 ff. 2) A. a. O. III 208. 3) A.a. O.XIX10S. 4) Im Unterschiede zu später werden auch gegen die Wiedertäufer nur kirchliche Buß­ strafen verhängt; a. a. O. IV 48 u. 51. 5) A. a. 0.1201.

nähme an ihren Sakramenten; der Tatbestand der Ketzerei ist gegeben durch die böswillige und hartnäckige Trennung von ihr. Bekenntnis und Ketzerei bzw. deren Unterlassung oder Verkehrung sind sakramentale Handlungen. ES handelt sich dabei nicht in erster Linie um Lehren. Gewiß spielt auch Irrlehre bei Feststellung der Ketzerei eine Rolle. Wer anders glaubt, als Christus und seine Apostel gelehrt haben und die Kirche in deren Nachfolge überliefert, ist ein Häretiker. Aber er ist es nicht durch die falsche Lehre an sich. Sie ist eine Sünde und kann wie jede andere auch durch Reue und durch die Jnterzession deö Priesters am Altare getilgt werden. Ketzerei wird sie erst da, wo einer solche Vergebung verschmäht, sich um seiner Sonder­ lehre willen von der Gemeinschaft trennt bzw., nachdem er von ihr aus­ geschlossen worden ist, nicht seine Wiederaufnahme durch Empfang des Bußsakramenteö betreibt1).2 Und im Bußverfahren spielt daS Bekenntnis zum trinitarischen Glauben wohl auch eine Rolle. Aber es ist bloß ein Ein­ geständnis schuldhafter Verirrung, hat indessen keine positiv rechtfertigende Bedeutung-). Die kommt allein dem AbsolutionSwort des das Bußsakra­ ment verwaltenden Priesters zu. So gilt also jeder als ein Ketzer, der an den sakramentalen Kultus rührt. Wie gefährlich daö war, hatte schon vorher Amalar von Metz (T 850 ob. 851)3), der Reformator der westfränkischen Liturgie, erfahren müssen. Die schrecklichsten Ketzernamen häufen seine Gegner auf seinem Haupte. Denn Ketzer ist ihnen ein jeder, der an den von Christus und den Aposteln eingesetzten Opferritcn etwas zu verändern, hinzuzufügen oder abzuziehen wagt4). Sie denken nicht im Ernste daran, ihn einer Irrlehre zu überführen; wo sic einen Versuch in der Richtung machen, läuft er von vornherein in eine aussichtslose Konsequenzmacherei aus. Wer eine andere Messe feiert, als die Kirche bisher tat, ist ein Ketzer — diesem Urteil kurz­ sichtiger Beschränktheit liegt doch eine allgemeine Anschauung der Zeit zu­

grunde. Darum wird auch an der Irrlehre der Widerspruch gegen die sakramen­ tale Praxis der Kirche besonders empfunden und als Indizium der Ketzerei angesehen. So geschah es mit den Neumanichäern, die seit Anfang des 11. Jahrhunderts vornehmlich im heutigen Nordfrankreich und Belgien ihr Wesen trieben. Hier handelte es sich um eine Massenerscheinung, der gegenüber die bisherige Praxis der Ketzerbekämpfung sich als machtlos erwies. Es half nichts, sie als außerhalb der Kirche stehend vornehm zu

Abbo von Fleury (t 1004): Apologeticus ad Hugonem et Rodbertum reges Francorum = MSL 139, 461 ff., hier 462 B. 2) Decr. Burch. a. a. O. XIX 4. 3) Vgl. oben S. 43. 4) Vgl. den gegen Amalar gerichteten Rundbrief führender Männer der fränkischen Kirche, MSL 119, 71—80. Maurer, Bekenntnis und Sakrament.

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66 ignorieren. Wollte man die Gläubigen vor Ansteckung schützen, so mußte man die Ungläubigen öffentlich als solche erklären und dann «inen Weg finden, die Böcke säuberlich von den Schafen zu trennen. Für den ersten Teil dieser Aufgabe bot das bisherige sakramentale Ketzcrrccht eine Handhabe, für den zweiten versagte es vollkommen. Natürlich waren die Anschauungen jener Leute gebildeten Theologen aus den antimanichäischen Schriften Augustins bekannt; und sie versäumten nicht, an gelegener Stelle von ihrem geschichtlichen Wissen Zeugnis zu geben. Aber wenn es galt, die Ketzer öffentlich zu überführen, dann genügte es nicht, ihre Übereinstimmung mit längst von der Kirche verurteilten Leh­ ren nachzuweisen. Dann wurde vielmehr ihre Leugnung der kirchlichen Sa­ kramente aller Welt künd getan. Denn ihr Dualismus verbot ja den Katharern, den sinnlichen sakramen­ talen Elementen irgend eine Heilsbedeutung zuzuschreiben. Sie erkannten im Grunde nur das als ein übernatürliches Wunder an, daß ihre „Voll­ kommenen" sich von der Umstrickung durch die Materie hatten lösen kön­ nen, und nur einen irdischen Träger sakramentaler Gnadenkraft, eben je­ nen vollkommenen Heiligen und die von ihm vollzogene Aufnahme in den Stand asketischer Vollkommenheit, das Konsolamentum. Eben darum be­ stritten sie auch die heilbringende Wirkung der kirchlichen Wassertaufe und lehrten, daß in der Kommunion nichts anderes als gewöhnliches Brot und einfacher Wein empfangen werde. Daß eine Steinkirche oder ein Altar durch die Weihe zu besonders geheiligten Stätten werden könnten, war ihnen ein unvollziehbarer Gedanke. Aber andererseits, gerade weil sie von der Nichtigkeit der kirchlichen Sakramente überzeugt waren, machte «S ihnen garnichts aus, Kirchen zu besuchen und kirchliche Weihehandlungen an sich und ihren Kindern vollziehen zu lassenl). Man begreift, wie sehr dieser ketzerische Mißbrauch des Sakramentes als Lästerung empfunden werden mußte, aber auch, wie wehrlos auf Grund des überlieferten Rechtes die Kirche ihm gegenüber war. Dem entspricht die Ratlosigkeit unter den Bischöfen der betroffenen Gebiete. Was half es praktisch, daß sie in altkirchlicher Weise auf ihren Synoden den Glauben an die Heilswirksamkeit Christi unter den sakramentalen Zeichen mit star­ ken Worten bekannten und — wir stehen in der Zeit des zweiten Abend«-mahlsstreites, und die Berengarsche Ketzerei hatte in jener volkstümlichen Bewegung ihre gefährlichen Hintergründe!-) — aus dem Geheimnis der *) Vgl. die Verhandlungen der nordfranzös. Bischöfe untereinander und mit den Ketzern, gesammelt von Paul Fredericq: Corpus documentorum Inquisitionis Haereticae Pravitatis Neerlandicae, Bd. I. Gent-’s Gravenhage 1889. 2) Vgl. den Brief des Bischofs Theobuin von Lüttich an den König von Frankreich ca. 1050, in dem er die Vorwürfe gegen Berengar mit denen gegen die Katharer verbindet, bei Fredericq I, Nr. 5.

Menschwerdung Christi begründeten. Trotz mancher Einzelerfolge konnte man auf diesem Wege der Ketzerei nicht Herr werden. Man versteht daher, daß der Plan aufkommen konnte, die Rechtshilfe des Staates in Anspruch zu nehmen. In der Verteidigung des sakramentalen Ketzerrechts schrieb da­ mals 9 Bischof Wazo von Lüttich jenen berühmten Brief an seinen Amts­ genossen von Chalons, in dem er das bisherige Verfahren als genügend er­ achtete und die Todesstrafe gegen die Ketzer ablehnte. — Und doch war auf die Dauer auf diesem Wege nicht weiterzukommcn. 1077 hatte der Bischof von Cambrai einen Mann zu prüfen*2), der als Ketzer verschrien war, der sich aber in Leben und Lehre als rechtgläubig auöweiscn konnte. Ob seine Behauptung zutraf oder ob er nicht doch ein Lästerer des in den Sakramenten wirksamen Heiligen Geistes war, das konnte nur dieser selbst ausmachen. Eö wurde also zur Sakramentsprobe ge­ schritten. Da zeigte sich nun, daß der Angeklagte den Bischof und die Diözcsangeistlichkeit als Simonisten ablehntc und sich weigerte, aus ihrer Hand das Sakrament zu empfangen. Trotz Unantastbarkeit in Lehre und Leben war er ein Ketzer, denn er hatte seiner Kirche die sakramentale Gemeinschaft aufgesagt. Wütend stürzte die fanatisierte Menge auf den „Häresiarchen" los; in tumultuarischem Verfahren wurde er verbrannt. Wir haben hier einen echten Fall von Rechtsprechung auf Grund des sakramentalen Ketzerrechteö. In ihm wirkt Gotteö Geist unmittelbar durch das Sakrament und überführt den Ungläubigen, der sich heuchlerisch noch in der kirchlichen Gemeinschaft hat behaupten wollen. Und doch war es nicht ohne Grund, daß Papst Gregor VII. mit dieser Behandlung des Falles nicht einverstanden war3).4 Denn eö war dabei doch zu einer Überschreitung des alten Rechtes gekommen. Was die Bischöfe nicht über sich gebracht hatten, weil eö nicht rechtens war, das hatte das Volk in seiner Leidenschaft getan. Es hatte aus der Tatsache, daß sich der Ketzer aus der Sakraments­ gemeinschaft gelöst hatte, die rechtliche Folgerung gezogen: die Erde hatte keinen Raum mehr für einen solchen Lästerer des göttlichen Gnadenge­ heimnisses. Er mußte völlig ausgestoßen werden aus jeder Gemeinschaft mit der Christenheit. Das reinigende Feuer mußte seinen Leib verzehren, damit der Schandfleck ausgetilgt würde. Nicht die Strafgewalt deö Staates, sondern die Erbitterung, die aus dem sakramentalen Empfinden des Volkes hervorbrach, hat den Flammentod als Strafe für die Ketzerei festgesetzt *). Das Volk hat damit auf seine Weise die Folgerung aus dem sakramentalen Ketzerrecht gezogen; es hat ihm die Exekutive gegeben, die ihm bis dahin fehlte. Wohl 1048 ober kurz vorher; Frebericq I, Nr. 3; M. G. Script. VII, 227f. 2) Frebericq I, Nr. 7. 3) Vgl. Jaffe I, 622, Nr. 5030. 4) Über die ftaatl. Maßnahmen zur Ketzerbekämpfung vgl. unten S. 110 ff.

68 Derartige Eingriffe der Volksjustiz in die Ketzergerichtsbarkeit der Kirche sind uns auch sonst bekannt. Schon ein Jahrhundert vorher war man in Oberitalien mit Feuer und Schwert gegen die Ungläubigen vorge­ gangen i). Abt Guibcrt von Nogent erzählt uns in seiner Selbstbiogra­ phie Ähnliches-). Die Ketzer, mit denen er zusammengetroffen ist, be­ streiten sämtliche kirchlichen Sakramente und haben ihre eigenen teuflischen an die Stelle gesetzt. Unter Verwerfung des Ehesakramentö treiben sie widernatürliche Unzucht. Ihre eigene eucharistische Speise besteht in der Asche eines verbrannten Knaben. Wie sehr diese Vorwürfe der volkstüm­ lichen Ketzerpsychologie, wie wenig sie der Wirklichkeit entsprechen, zeigt der Ausgang des Verhörs, das die Angeklagten vor dem Bischof von Soissons zu bestehen haben. Abgesehen von ihren Konventikeln lassen sich ihnen weder verbotene Lehren noch Handlungen nachweisen. Trotzdem müssen sie sich einem Gottesurteil unterziehen, der Wasserprobe. Vorher empfangen sie das Sakrament und bezeugen eidlich ihre Rechtgläubigkeit. Aber das Faß, in das der erste von ihnen gesteckt wird, sinkt nicht unter. Damit sind er und seine Genossen unter dem Jubel des Volkes des Bundes mit dem Teufel überführt. Sie werden alle in den Kerker geführt, vom Volke aber gewaltsam herauögeholt und außerhalb der Stadt verbrannt H. Der Vorwurf, daß die Ketzer wegen ihrer Ablehnung des kirchlichen EhesakramentS bestialisch leben, ist auch sonst bezeugt^). Sogar den Walden­ sern hat man später den gleichen Vorwurf gemacht. Und wo das Verbrechen der Bestialität späterhin wirklich nachgewiesen werden konnte, wurde die Strafe nach den Grundsätzen des Ketzerrechts vollzogen. Der Satz, daß mit dem Sakrament auch die natürliche Ordnung zerstört sei, galt auch in seiner Umkehrung als richtig. Für den mittelalterlichen Menschen deckt sich eben die sakramentale Gemeinschaft mit der bürgerlichen und mit der natürlichen. Andrerseits richten auch die Ketzer durch ihre eigenen Sakramente eine Scheidewand gegen die übrige Welt auf. Was auch die Sonderlehren eines Ketzerführers wie Tanchelm (j- wohl 1115) gewesen sein mögen, entschei­ dend ist dies, daß er den Gliedern der Kirche die Möglichkeit absprach, selig zu werden, und daß er eine sakramentale Praxis ausübte, die nur als Sa­ krileg empfunden werden konnte6). Ähnlich verhält es sich mit dem Tan*) Raoul Gl ab er: Les cinq livres de ses histoires (900—1044)/ Hrsg. v. M. Prou, Paris 1886, Lib. IV, cap. 2, S. 94 ff. 2) MSL 156, 951 ff. 3) Ein ähnliches Gottesurteil gegen einen sakrilegischen Priester aus späterer Zeit bei Fredericq I Nr.46. 4) Gegen die in Köln um 1140 entdeckten Katharer DuPlessisd'Argentre, Collectio iudiciorum I, 1728, S. 9. Beschluß der Synode von Reims 1157, Mansi 21, 843 AB, Die Schilderung der Kölner Katharer a. b. Jahre 1163 in den Hirsauer Annalen bei Fredericq I Nr. 41. 5) Vgl. den Bries der Kanoniker von Utrecht an den Erzbischof von Köln vom Mai 1112 bei Fredericq I, Nr. 11.

chelm nach Zeit und Wirkungsweise nahe stehenden Peter von Bruis. Daß er die Wiedertaufe durchführte, genügte schon, um ihn zum Ketzer zu stempeln. Denn sie bedeutet, wie Abaelard im Hinblick auf ihn ganz richtig hervorhebt *), die völlige Verwerfung aller kirchlichen Handlungen und Lehren und zieht die Verkehrung aller übrigen kirchlichen Sakramente nach sich. So finden wir das sakramentale Denken auf beiden Seiten ausgeprägt; und erst dadurch wurde der Gegensatz unüberbrückbar, das gewaltsame Ein­ greifen des Volkes aber erklärlich. Denn wenn sich zweierlei Sakramente gegenüberstehen und das eine ist von Gott, so ist das andere von: Teufel. So erzählt uns denn Raoul G la der zur Erklärung der tumultuarischen Vor­ fälle in Oberitalien -), die Ketzer hätten einen Bund mit dem bösen Feind gemacht. Somit sind alle ihre Zeichen und Wunder teuflische Vorspiege­ lungen, das Volk an sich zu locken. Sic, die die heilsamen Sakramente der Kirche ablehnen, üben durch ihre Kult- und Jauberhandlungen, ja auch durch ihre Gebets- und Grußformeln Tcufelssakramente auö. Solche SatanSdiencr aber müssen ausgcrottet werden. Wie das Volk trotz offiziellen Verbots Zauberer und Hexen dem sühnenden Feuer übergab^), das die Mächte der Finsternis überwand, so verfuhr cs jetzt auch mit der Ketzerei H. Indem das Volk die Werke des Teufels gewaltsam zerstörte, ergaben sich aus dem sakramentalen Ketzcrrccht der Kirche Folgerungen, die dieser selbst zu ziehen unmöglich war. Der Kirche war das Sakrament nur ge­ geben, um das Heil dadurch zu spenden. Ihr Recht hatte nur die Möglich­ keit, innerhalb ihrer Gemeinschaft die heilsame Wirkung der Sakramente zu sichern, deren Heiligkeit zu wahren. Es konnte wohl den Satan im Hause Gottes entlarven, aber ihn nicht mit zwingender Gewalt daraus ent­ fernen; es konnte noch viel weniger Schutz gewähren, wenn er von außen zum Angriffe vorging. Das alte Sakramentörecht ließ der Kirche nur die Aussicht, geduldig auf den Tag zu warten, da ihr Herr wiederkommen und die Werke des Teufels endgültig zerstören würde. Solche Geduld aber konnte von einem Christenvolk nicht aufgebracht werden, dessen Frömmigkeit dieser eschatologischen Spannung entbehrte. Glaubte es doch das ganze Heil im Sakrament unmittelbar gegenwärtig zu haben und war gelehrt worden, sich selbst als das sakramental geheiligte Gottesvolk, sein irdisches Reich als das sichtbare Reich Gottes auf Erden zu betrachten. Und auch den in der Mysterientheologie groß gewordenen r) Introductio ad theologiam II, 4, MSL 178, 1056. Ähnlich Petruö Venerabilis, Abt von Cluny, gegen die Petrobrusianer über die Wiedertaufe MSL 189, 729. 2) Vgl. S. 68 zu Anm. 1. 3) Schröder-Künßberg: Lehrbuch der deutschen Rechtögeschichte 19226, S. 386. 4) Der Zusammenhang von Ketzerei und Zauberei im kirchlichen Recht bedarf einer be­ sonderen Darstellung.

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Führern der Kirche war jene Spannung verloren gegangen. Indem sie das Sakrament vom Mysterium der Inkarnation aus verstanden, war ihnen das Wunder der Wiederkunft Christi auf das jenes doch immer hindeutet, aus der unmittelbaren Betrachtung gekommen. So hatten sie jener volkstümlichen Entartung der sakramentalen Fröm­ migkeit wohl ihre stets schwächer werdenden Proteste, wohl eine in der Pra­ xis hin und her schwankende Haltung, aber keine echte und theologisch be­ gründete Überzeugung entgegenzustellen. Nicht jede Synode war so ver­ nünftig wie die von Reims 1148 0- Obwohl sie den halbwahnsinnigen Ketzersührer Eudo von Stella für einen vom Teufel Besessenen hielt, begnügte sie sich damit, ihn auszulachen und bis zu seinem Tode gefangen zu halten. Freilich wurden die hartnäckigsten seiner Anhänger verbrannt -). Ein besonderes Beispiel für die Inkonsequenz maßgeblicher kirchlicher Stellen bietet die Behandlung der Ketzer in England. 1160 hatte sich eine Synode in Oxford mit dreißig von ifmen zu befassen, die, um Proselyten zu machen, vom Festland herübergekommen waren. Einen Einblick in die Er­ wägungen hoher Kirchenfürsten über die Ketzerbestrafung gewinnen wir aus dem damit im Zusammenhang stehenden Briefe des Bischofs von London Gilbert Foliot an seinen Amtsgenossen von WorcesterH. Foliot erweist sich darin als ein moderner Mann. Er kennt die Bestimmung des Römischen Rechts, die gegen den Ketzer als Lästerer der göttlichen Majestät wie jeden andern Majestätsbeleidiger die Todesstrafe vorsah. Aber er will sie nicht angewandt wissen, noch weniger den so volkstümlichen Feuertod. Zwar er­ scheint ihm Zwang als ganz heilsam; aber er begnügt sich mit den Ruten­ streichen, die das kirchliche Bußverfahren auch sonst zur Sühne verwandte. Im ganzen will er nicht über die Maßnahmen hinausgehen, die Augustin ursprünglich gegen die Donatisten hatte angewandt wissen wollen. Aber die Oxforder Synode ist weit darüber hinausgegangen. Sie be­ fand die Gefangenen in der Lehre untadelig; aber die gottgeschenkten Heils­ mittel in Taufe, Ehesakrament und Abendmahl verwarfen sie. Damit hatten sie sich frevlerisch von der katholischen Einheit getrennt. Sie wurden gebrandmarkt, mit Ruten geschlagen und halbnackt in die Winterkälte hinaus­ gejagt, wo sie elendig umkamen. Aus der vorgeschlagenen Besserungsstrafe im Rahmen des Bußsakramentes war eine Vertilgungöstrafe geworden. In dieser Verkehrung des sakramentalen Ketzerrechts liegt seine eigent­ liche Krise, die in latenter Form weit über das Mittelalter hinausgeht. Sie hängt zusammen mit der Krise des Sakramentsglaubens selbst. Er ver2) Du Plessis d'Argentre I, 36. 2) Vgl. dagegen die Schilderung der 1160 in Alemannien einfallenden Ketzer nach der Chronik des Alberich, a. a. O. S. 64: die Ketzer erscheinen als Inkarnationen teuflischer Luftdamonen. Mit Exorzismus und mit brutaler Vernichtung sucht man ihnen bcizukommen. 3) MSL 190, 935 f.

dirbt überall da zur Magie, wo die Ausrichtung auf das Ende fehlt. Ein magischer Dualismus zwischen Gottes- und Teufelssakramenten') glaubt nicht mehr an den alleinigen Sieg Christi über den Satan, sondern meint, ihm mit rechtlichen Mitteln zu Hilfe kommen zu müssen. Daraus ergibt sich nicht nur eine Verkehrung des Glaubens, sondern auch des kirchlichen Rechts. Wo immer uns das sakramentale Bekenntnisrecht von jetzt ab be­ gegnet, tritt es in dieser verderbten Form auf. Darum ist es auch nicht gefeit gegen das Eindringen des weltlichen Rechts in seinen eigenen Bereich. Wenn Papst Gregor VII. gegen jenes Verfahren von Cambrai-) Einspruch einlegte, tat er das deshalb, weil hier unordentliche Willkür zum Prinzip erhoben worden war. Wie konnte es auch anders sein, wo der Ketzer als Teufclsdicncr von vornherein außerhalb der menschlichen Gesellschaft gestellt wurde? Da mußten die festen Formen weltlichen Rechts als eine Wohltat empfunden werden, sowohl für einen verantwortungsbewußten Richter alö auch für den Angeklagten selber. So bahnt sich allmählich eine Wandlung des Ketzerrechtes an. Es ist in der alten sakramentalen Form nicht mehr fähig, seine Aufgaben zu erfüllen. Aber wohlgcmerkt, es sind zunächst nur die Formen, die aus der weltlichen Rechtswissenschaft eindringen und dem Ketzerrccht eine Handhabe zur Straf­ exekution geben. Es bleibt insofern geistlich-sakramentales Recht, als aucb weiterhin Kriterium für Ketzerei der Bruch mit dem kirchlichen Sa­ kramenten ist.

Jin Jnvestiturstrcit ist jene Verweltlichung des Kirchenrechtes gewaltig gefördert worden, obwohl dessen Verteidiger das entgegengesetzte Ziel ver­ fochten und auch, auf den ersten Blick gesehen, erreichten. Auch das sakra­ mentale Ketzerrecht ist dabei in jenen Prozeß der Verweltlichung hineinge­ zogen worden. Air sich standen ja die im Jnvestiturstrcit verhandelten Fragen zum Ketzerrccht in enger Beziehung. Denn die Gültigkeit der Ordination — da­ rum handelte es sich ja bei der ganzen Auseinandersetzung — wurde seit alters verneint, wenn sie durch einen Ketzer vollzogen warH; ja, der Emp­ fang eines ketzerischen Sakrainentes machte den damit „Geweihten" selbst zum Ketzer H. Ium mindesten seit Gregor I.5) galten diese Grundsätze auch für die an einem und von einem Simonisten vollzogenen Weihen. In dem ’) Der — psychologisch gesehen — von dem kosmologischen Dualismus der Manichäer gar nicht so weit entfernt ist. 2) Vgl. oben S. 67. 3) Sohm: Decr. Grat. 409 ff. 4) A. a. O. S. 428 f. 5) Sohm: Kirchenrecht II S. 355.

72 Maße aber, da im 10. und 11. Jahrhundert die Vergebung kirchlicher Stellen in Laienhände übergegangen war, und andrerseits die kirchliche Re­ formbewegung die strengen Maßstäbe des überlieferten sakralen Rechtes geltend zu machen versuchte, mußte der Anschein erweckt werden, als ob die Häresie bis in den innersten Kern der Kirche vorgedrungen sei. Die Ketzerei in der Kirche! Und zwar nicht nur unter dem ungebildeten Haufen, sondern unter den höchsten Amtsträgern! Wie sollte da daö sakramentale Ketzerrecht, dessen Unfähigkeit zu exekutiven Handlungen wir kennen, eine Reinigung der Kirche durchzuführcn imstande sein! So ergibt sich die eigen­ tümliche Zwangslage, daß gerade die, die die Reinheit deö Sakramentes wahren wollten, daö nicht mehr mit den Mitteln des aus ihm herauögewachsenen Rechtes zu vollbringen vermochten.

Sohm hat uns eindrücklich die Verwirrung der sakramentalen Praxis geschildert, die unter der Herrschaft jener Grundsätze eingetreten ist. Schließ­ lich gab es überhaupt keine Sicherheit über die Gültigkeit irgend eines Sa­ kramentes mehr. Denn bei allen war sic ja abhängig von der Weihcgetvalt ihres Spenders. Und unter den wechselnden Kampfsituationen konnte schließlich niemand mehr richtig wissen, ob die einzelnen Weihen auf ein­ wandfreie Weise zustande gekommen waren. Da konnte nur eine äußere rechtliche Autorität, eben die des römischen Papstes, Gewißheit geben. Da­ mit hatte das sakramentale Recht, das mit der Frage der Ordination stand und fiel, sich selbst ad absurdum geführt; der Weg für ein neues „Ordnungsrccht" war frei.

In dieser Situation bewährte sich die dem scholastischen Denken eigen­ tümliche Kunst der Differenzierung. Wollte man nicht einen großen Teil der Kirche als dem Teufel verfallen erklären, so mußte man zu Abstufungen kommen. Das konnte so geschehen, daß man die Identifizierung von Simonisten und Häretikern aufhob, erstere wie Schismatiker behandelte und sie damit näher an die sakramentale Gemeinschaft der Kirche heranzog. Man konnte es auch so versuchen, daß man den scharfen Gegensatz zwischen den Sakramenten, die außerhalb der Kirche vollzogen worden waren, und de­ nen innerhalb der Kirche zu überbrücken versuchte. In beiden Fällen aber mußte man mit den Grundsätzen des sakramentalen KirchenrcchteS in Wi­ derspruch geraten. Freilich war ein solches Verfahren nicht völlig neu in der Kirche. Im Ketzertaufstreit und dann im Kampf mit den Donatisten hatte sie ähnliche Probleme zu lösen gehabt. Und in diesem letzteren Falle hatte Augustin einen mechanisierten Sakramentsbegriff entwickelt, der es erlaubte, die äußerliche sakramentale Handlung für sich und als gültig zu betrachten und die Heilsbedeutung davon abzulösen. Die Zeit, in der wir stehen, hat in der Abendmahlsfrage die Sakramentslehre Augustins zum Siege kommen

lassen i); sie hat auch in der Ordinationsfragc seine Autorität als maßge­ bend anerkannt. Ium dritten Male-) gewahren wir an dieser Stelle die revolutionäre Wirkung des großen Afrikaners auf die mittelalterliche Kirche. Sein Grundsatz, daß formgcrecht vollzogene Sakramente überall wirksam feien3*), 4 25 war bisher zwar nicht vergessen, aber auch nicht angewandt worden; jetzt aber begann er sich durchzusetzen und gab damit dem sakra­ mentalen Ketzerrecht den Todesstoß. Im Rückgriff auf Augustin sehen wir nunmehr Theologen und Juristen an der Arbeit, die Ordnungen der Kirche wiederherzustellen und dabei nach den Regeln der Billigkeit den rechten Ausgleich von Strenge und Milde zu schaffen. — Die Theologen suchen sich dabei natürlich auf die Tradition zu berufen. Wie schwierig das war, zeigt gleich zu Anfang des Streites der Vermitt­ lungsversuch, den Petrus Damiani ') machte und der zunächst allseitig abgelehnt wurde. Er stellt das Bekenntnis zu einer Lehre, zum rechten Trinitätsglauben, in den Mittelpunkt einer Betrachtung, die von der Wirk­ samkeit der Sakramente handelt. Wer an jener festhält, steht in geistlicher Verbindung mit der Kirche, auch wenn er äußerlich von ihr exkommuniziert ist. Ium ersten Male haben wir hier ein Beispiel dafür, daß die Einheit der Kirche in der gemeinsamen WahrheitSübcrzeugung und nicht in der sakra­ mentalen Gemeinschaft gesucht wird. Ja, diese soll sogar, wenn sic äußer­ lich-rechtlich zerbrochen ist, durch jene wiederhergcstellt werden können: Wer im rechten Trinitätsglauben steht, kann auch als Exkommunizierter wirkungskräftig das Sakrament spenden3)! Dabei wird als selbstverständ­ lich vorausgesetzt, daß auch die Heilstatsachen, die der christliche Offenba­ rungsglaube bekennt, „Sakramente" seien. Das durchs Wort vermittelte richtige Trinitätsbekenntnis soll die Richtigkeit der sakramentalen Handlung — u. U. trotz kirchenrechtlicher Konstatierung des Gegenteils — teils be­ weisen, teils ersetzen. Und doch bedeutet das den grundsätzlichen Bruch mit dem sakramentalen Ketzerrecht. Für Damiani gibt es noch die Vorstellung, daß der außerhalb der Sakramentsgemeinschaft stehende Gebannte der Ketzer sei; aber er nimmt sie nicht mehr ernst, insofern er ihm das Recht zubilligt, wirksam die Sakramente zu verwalten, wenn er nur dabei die kanonisch festgesetzten Formen innehält. Und daneben ist ihm der eigentliche Ketzer der Jrrlehrer, der den Trinitätsglauben leugnet. *) Vgl. oben S. 50 ff. 2) Vgl. S. 33 ff*/ S. 50 ff. 3) sacramenta ubicumque sunt, ipsa sunt; sacramenta si eadem sunt, Integra sunt, vgl. Sohrn, Decr. Grat. 102 ff., 436 ff. 4) Sein über gratissimus war 1052 versaßt; vgl. Karl Mirbt: Die Publizistik im Zeit­ alter Gregors VII. 1894, S. 7ff., 386ff. und vor allem Sohm, Decr. Grat. S. 498—519. 5) Damit wird ein Ergebnis des Ketzertaufftreites auf die übrigen Sakramente ange­ wandt, bei denen die Beziehung zur Trinitätslehre längst nicht so offenkundig war wie bei der Taufe.

74 Es ist interessant zu sehen, wieviel sich von diesem zuerst leidenschaftlich abgelehnten Versuche bis zum Ende des Jnvestiturstreites durchgesetzt hat. Noch vor 1121 schreibt Alger von Lüttich sein Buch „von der Barm­ herzigkeit und von der Gerechtigkeit"'). Im dritten Teil dieses Werkes, in dem er jene Fragen behandelt, scheint es zunächst so, als gäbe es für ihn außer der sakramentalen keine andere Gemeinschaft. Für verdammlich hält er eS, an den Sakramenten Exkommunizierter, seien cS nun Schismatiker oder Häretiker, teilzunehmen. Unter Berufung auf Augustin wird dann ausgeführt, daß solche Handlungen zwar befleckende und sakrilegische Wir­ kungen ausüben; aber an sich könnten sie doch heilige und wahre Sa­ kramente darstellen, sofern sie nur im Namen der Heiligen Dreieinigkeit vollzogen worden seien. Wie Christus nur da Wunder tun konnte, wo er Glauben fand, so vollzieht sich das Wunder des heilsamen Sakramentes immer nur da, wo der rechte Trinitätöglaubc vorhanden ist. Und wie es bei denen, die außerhalb der Kirche stehen, ein abgestuftes Maß dieses Glaubens gibt, so auch eine abgestufte Gültigkeit ihrer Sakramente. Aber damit war Alger weit davon entfernt, deren HeilSwirksamkcit an­ zuerkennen. In direkter Polemik gegen Petrus Damiani -) sieht er in ihnen vielmehr bloß eine leere Form, schädlich für den, der in böser Absicht sie handhabt oder an sich vollziehen läßt, wirkungslos für den Gutgläubigen. Der damit erzielte Fortschritt war immerhin groß genug. Die Verteufelung der ketzerischen Sakramente war, grundsätzlich wenigstens, aufgehoben °). Und jene Stufenfolge in der Wertung sakramentaler Handlungen weiter auszubauen, sollte der neuerblühten systematisierenden Wissenschaft weiter keine Schwierigkeiten mac.,en! Aber dieser Fortschritt war nur erreicht unter Preisgabe wichtiger Grundlagen des sakramentalen Kctzerrechtes. Was konnten die Kirchcnrechtslehrer der Folgezeit, die den Ertrag des Jnvestiturstreites zu verar­ beiten hatten, mit jenem Restbestand noch anfangen? Der Bologneser Kirchenrechtslehrer Rufin unterscheidet in seiner zwi­ schen 1157/59 geschriebenen Summa zum Dekret Gratians') Sakramente, die eine besondere geistliche Würde verleihen, wie die Ordination, solche, deren Empfang heilsnotwendig ist, wie die Taufe und schließlich solche, bei denen beide Gesichtspunkte Zusammentreffen wie etwa das Altarsakrament. Die MSL 180/ 857ff.; Mirbt a. a. O. S. 77 hebt den zusammenfaffenden Charakter des Werkes besonders hervor. 2) A. a. O. 954 C: Eant ergo ad Petrum Damianum et in die iudicii habeant patronum, qui commendant sacramenta Simoniacorum. 3) Wie stark sie praktisch noch vorhanden war, zeigen die Begründungen für die Gewalt­ anwendung gegen die Ketzer, die der Änvestiturstreit hcrvorgebracht hat, bei Mirbt a. a. O S. 456ff. Sie bieten ein Beispiel, wie sehr jener aus der Volköfrömmigkeit hervorgewachsene Gegensatz auch die Gemüter der Gebildeten bestrickt hatte. 4) Hemrick Singer: Die Summa Decretorum des Mag. Rufinus. 1902, S. 209ff.

beiden reinen Formen von Sakramenten sind gültig, einerlei ob ein katho­ lischer oder ein ketzerischer Priester sic spendet, wenn sie nur unter Anrufung der Trinität, also im rechten Glauben der Kirche vollzogen werden und wenn der Empfänger den Spender für einen rechtgläubigen Priester hält. Die Mischform dagegen entbehrt der Gültigkeit, besonders im Falle der Eucharistie. Denn diese ist daö eigentliche Einheitssakrament der Kirche, kann also außerhalb von deren Gemeinschaft überhaupt nicht gespendet werden *) -). Man muß zugeben, daß durch diese Unterscheidungen das praktische Problem gelöst, die Objektivität der Institutionen und Heilömittel der Kirche, damit aber auch die sakramentale Einheit der von ihr beherrschten Welt behauptet und zugleich gegen einen profanisierenden Mißbrauch von feiten der Ketzer geschützt war. Und das alles war geschehen mit dem Anspruch, daß der sakramentale Charakter deS Ketzerrcchtes gewahrt sei. Zwar galt alö Vorbedingung für Gültigkeit und Wirkung des Sakraments stets der rechte trinirarische Glaube. Aber noch war man weit davon ent­ fernt, dabei auf die subjektive Gläubigkeit von Spender oder Empfänger zu reflektieren. Der Glaube ist vielmehr selbst eine sakramentale Größe, die hinter allem kultischen Geschehen steht und greifbar wird an den Formeln des überlieferten Bekenntnisses. An dem richtigen Vollzug dieser Formeln hängt die Kraft des Sakraincntcs — damit bildet die absterbende Mystcrientheologie noch einmal die Grundlage für die Theorien der Juristen. So versteht cs auch Rufin, wenn er I den Griechen die rechten Sakramente abspricht, weil sie gegen das Mysterium der Heiligen Dreieinigkeit sündigen. In seinem sakrosankten Wortlaut erscheint also hier das trinitarische Bekenntnis als das Sakrament aller Sakramente. Im Zusammenhang der exorzistischen Handlungen, die der Taufe vorhergehen, und dann wieder in der Tauffeier selbst hat es seine Stätte; cs ist also ein Teil des Sakra­ ments. Gerade die Tatsache, daß es im Zusammenhang mit der Kindertaufc gesprochen wird, wo doch von einem subjektiven Glauben keine Rede sein kann, legt Zeugnis davon ab, daß es sich bei dem Trinitätsglauben um ein sakramentales Fluidum handelt, daö die ganze Kirche belebt und im Zu­ sammenhang der sakramentalen Handlung vom einen zum andern über­ springt, wenn die heiligen Worte laut werden. *) Da, wo Gandulph den gleichen Gedanken von der Einheitsbedcutung der Eucharistie auöführt, redet er bezeichnend genug von der „societas ecclesiastica“; Johs. von Walter: Mag. Gandulphi Bononiensis sententiarum libri quatuor. 1924/ S. 443. 2) Die Fülle des Materials—besonders aus Augustin—, daö diese differenzierende Be­ handlung ermöglicht, bietet Decr. Grat. II, c. I, q. 1. Vgl. besonders das ausführliche dictum im Anschluß an cap. 97, bas in der Ordinationsfrage mit der Unterscheidung zwischen der Weihevollmacht und ihrer Ausübung den Ertrag beö Jnvesiiturstreites zusammenfaßt und das Muster für die Lösung ähnlich gelagerter Streitfälle bietet. 3) A. a. O. S. 570.

76 Das alles waren längst bekannte augustimsche Gedanken. Aber wenn wir sie in auffälliger Fülle aus dem augustinischen Schrifttum gesammelt finden, etwa im Dekret Ivos von Chartres (i M17)1)2 oder noch besser in der systematischen Anordnung bei Gratian-), wissen wir, was sie dem Zeitalter des ausgehenden Jnvestiturstreiteö sagen sollten. Eine Zeit, die ihre sakramentale Einheit durch die widerstreitenden kultischen Handlungen ihrer kirchlichen Führer zu verlieren drohte will sie wiederfinden in dem ge­ meinsamen Glaubensbesitz, über den kein Streit besteht. Und sie sieht diesen Glauben an als eine objektive sakramentale Machte in die der Mensch hinein­ getauft ist und die als Lebenselement hinter den Heilsmittlerischen Hand­ lungen der Kirche steht 3). Aber ließ sich der Glaube wirklich so ansehen? Das ist die Frage, mit der das Mittelalter nicht fertig geworden ist, auf die dann die Reformation die verneinende Antwort gegeben hat. Aber daß jene Auffassung vom Glauben nicht die allein mögliche sei, das hat auch das Mittelalter gewußt. Der Versuch einer einseitigen Berobjektivierung, d. h. Versakramentalisicrung des Glaubens mußte mißlingen. Immer verlangte das Moment persönlicher Willensentscheidung, das jedem Glaubensakt innewohnt, seine Anerkennung. Auch für das Ketzerrecht mußte es sich geltend machen. Schon immer hatte nmn ihm Rechnung getragen, wenn man bei der Fest­ stellung, wer Ketzer sei, auf die Hartnäckigkeit in der Ablehnung des christlichen Glaubens Wert gelegt hatte. Erst recht war das jetzt der Fall, wenn man ein Sakrament für ungültig erklärte, dessen Empfänger sich mit Wissen und Willen an einen außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft ste­ henden Priester gewandt hatte. Hier war doch nicht nur die eigene Willens­ richtung, sondern auch die Beurteilung eines andern Menschen zum Krite­ rium für die Wirksamkeit des Sakraments gemacht. Wo blieben da die x) MSL 161/ 59 ff.; üßl. z. V. I cap. 90z 127, 187—189 (über die Kindertaufe) cap. 211 (über die Märtyrertaufe)/ cap. 233 (über die Ketzertaufe); vgl. auch die Vorschriften über die bischöfl. Provinzialkonzilien und die Glaubenöprüfung der Priefterkandibaten IV, cap. 246 bis 257. 2) Vgl. die 156 Kapitel deö 3. Teils deö Dekrets in dist. IV. — Bezeichnend ist, wie Paucapalea (Ioh. Fr. v. Schulte: Die Summa deö P. über das Decr. Grat., 1890/ S. 53) den durch Prosper von Aquitanien überlieferten Auguftinsatz: Extra catholicam ccclesiam non est locus veri sacrificii (II. c. 1, q. 1, cap. 71) interpretiert: nullum opus bonum est absque fide. 3) Vgl. die entsprechenden Ausführungen des Lombarden über die Taufe, lib. IV., dist. III. und IV. (Auög. Quaraechi 1916, S. 734ff.). Hier S. 769 die Begründung, inwiefern die sofort nach der Taufe sterbenden Kinder „gläubig" genannt werden können: ,,Fideles igitur non sunt propter virtutem,. sed fidei Sacramentum“: daö Taufsakrament schließt cm in die Gemeinschaft deö rechten Glaubens. — Die verschiedenen Abstufungsversuche in der Frage der Gültigkeit der Kctzersakramente zählt der Lombarde auf lib. IV., dist. XXV., cap. 1 (a. a. O. S. 907ff.). — Vgl. die entsprechenden Ausführungen Gandulphs über die Taufe bei v. Walter a. a. O. S. 429 f.

festen Normen für daö Ketzerrecht? Hieß das nicht völlige Auflösung seines sakramentalen Charakters? Die Verwirrung ist offenkundig. Die außerhalb der Kirche vollzogenen Sakramente gelten nicht mehr unter allen Umständen als sakrilegisch; viel­ mehr soll der rechte trinitarische Glaube grundlegend sein für den richtigen Vollzug. Wie soll man dann noch mit Sicherheit den als Häretiker be­ handeln, der sich aus der Gemeinschaft gelöst hat und dennoch draußen fortfährt, Sakramente zu spenden oder zu empfangen? Tut er es im Zu­ sammenhang wenigstens mit dem rechten Glauben der Kirche oder nicht? Wer diese Frage sich stellt, verurteilt einen Ketzer nicht mehr auf Grund einer außerkirchlichen sakramentalen Handlung, sondern wartet auf eine Erklärung der Kirche, die, ausgehend von ihrer bekenntnismäßig festge­ legten Tradition und die GlaubenSübcrzeugung des Beschuldigten prüfens, jenen Zusammenhang bejaht oder verneint. Daö Ketzerrecht wird positive Satzung einer durch feste Normen verbundenen Genossenschaft, bestimmt zur Anwendung auf persönliche Willenörichtung und Glaubenöüberzeugung Les einzelnen ihrer Glieder. Gewiß sind diese Normen nicht ohne jeden Zu­ sammenhang mit ihrem Selbstverständnis als einer sakramentalen Gemein­ schaft zustande gekommen. Aber entscheidend ist doch nicht diese ihre mehr oder weniger klar erfaßte verstandene Begründung, sondern ihr Charakter als statutarische Satzung. Daö Urteil im Ketzerprozeß vollzieht nicht mehr der von Fall zu Fall in den Synoden der Amröträger oder im Volke wirk­ same Gotteögeist. Maßgebend sind vielmehr die ein für allemal festgelegten Entscheidungen der Gesamtkirche, die um der Einheitlichkeit willen von einer zentralen Stelle aus gefällt werden müssen. — Das pästliche Ketzerrecht rückt heran. Noch ist es dem überkommenen Sakramentsrecht nicht völlig entwachsen. Aber eS drängt darauf hin, sich mit den neuen Elementen, die die Rechtswissenschaft der Zeit bestimmten, zu verbinden. Es braucht feste Kriterien, die dem Moment persönlicher Glaubensentscheidung, von dem wir sprachen, Rechnung tragen, die elastisch genug sind, die Grade der Hartnäckigkeit des Unglaubens festzustellen. Daö sakramentale Ketzerrecht bot sie nicht. Und die tumultuarischen Ausbrüche der Volksleidenschaft, die es begünstigte, mußten vom Standpunkte der kirchlichen Ordnung aus als Greuel erscheinen. Jenes Recht mochte bleiben, um einen Ketzer, der sich im Glaubensverhör heuchlerisch der kirchlichen Lehre anpaßte, durch Tatsachen davon zu überführen, daß er sich außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft gestellt hatte. Aber es bot keine Möglichkeit, die kirchliche Strafgewalt einheitlich zu begründen. Es gab kein Mittel an die Hand, ein abgestuftes System von Besserungsstrafen bis hin zur Vertilgungöstrafe zu schaffen. Es war überhaupt kein Ordnungselement in ihm enthalten; darum war es unzureichend. Es durfte nicht ersetzt werden; so mußte es ergänzt werden durch daö neue Recht. Unter dieser Übertage-

78 rung aber verändert sich das alte sakramentale Ketzerrccht. Diese Wand­ lungen zu erfassen und zu begreifen ist von ausschlaggebender Wichtigkeit nicht nur für daS Verständnis des abendländischen Mittelalters, sondern auch der Konfessionsbildungen, die sich aus ihm entwickelt haben.

Zunächst sehen wir nun die Kanonisten an der Arbeit, jener Ergänzungs­ bedürftigkeit des SakramentSreehts Rechnung zu tragen. Das Römische Recht bietet dazu die Begriffe; die Schule von Bologna leistet die Arbeit. So hat nach einem Mann wie dem Bologneser Magister Rufin (f vor 1192), dem Schüler Gratians, auch auf dem Gebiete des Ketzerrechtes das von den Römischen Kaisern kodifizierte Gewohnheitsrecht maßgebende Gültigfeit1). Und dabei bricht es alles, was an mittelalterlichen Gebräuchen gewohnheitörechtlich vorhanden ist. In sich selbst aber ist es ein Bestandteil der Rechtsordnung der Römischen Kirche. Damit ist ein Dreifaches erreicht: in die Willkür des bisherigen sakramentalen Ketzerrechts ist Ordnung ge­ bracht; diese Ordnung ist durch die Gesetzgebung der christlichen Kaiser des Altertums sanktioniert und darum auch für die gegenwärtigen politischen Gewalthaber verbindlich; oberste Richtschnur aber ist der Wille der durch den Papst repräsentierten Römischen Kirche. Daö Ketzerrecht, nach den Nor­ men des Römischen Rechtes gestaltet, ist päpstliches Recht. Aber damit ist seine sakramentale Grundlage nicht beseitigt. Die bürger­ liche Gemeinschaft bleibt auf die Teilnahme an den Sakramenten gegründet. Darum haben ja die Römischen Kaiser richtig gehandelt, als sie den Ketzern die durch den christlichen Staat garantierte vermögensrechtliche Sicherheit nahmen und sie in dieser Beziehung rechtlos machten2). Aus dem sakramen­ talen Gemeinschaftscharakter der Christenheit hatte also schon das christliche Altertum zivilrechtliche und strafrechtliche Folgerungen gezogen. Wie sollte jener Charakter gestört werden können, wenn die Kirche jetzt in ihrem Recht dieselben Grundsätze wieder aufnahm? Machte sie nicht im Gegenteil Ernst mit der allumfassenden Weite jener Gemeinschaft — entsprechend dem einen Heil, das die eine Kirche mit ihren Sakramenten allen vermittelte — wenn sie die Ordnungen einheitlich gestaltete, nach denen sie die von ihr abtrünnig Gewordenen, die doch kraft empfangener Sakramentsgnadc immer ihre Glieder blieben, rechtlich behandelte? In der Tat, die Männer, die in Anlehnung an das Römische Recht die kirchliche Ordnung systematisch neu begründeten, setzten daö sakramentale Recht nicht nur grundsätzlich vor­ aus, sie mußten sich auch als seine Vollender vorkommen. Tatsächlich freilich bauen sie auf der alten Grundlage in einem neuen Stile weiter. An der Stelle, wo Rufin die Ausführungen des gratiani*) Heinrich Singer: Die Summa Decretorum deö Magister Rufinuö. 1902. S. 21. 2) Rufin a. a. O. ... Ut quicunque preter communionem ecclesie usurparent sibi nomen Christianum, nichil nomine ecclesie possiderent.

schen Dekrets über die Simonie kommentiert'), bestimmt er freilich das Wesen der simonistischen Ketzerei vom Sakrament aus. Aber der Nachdruck liegt für ihn nicht mehr auf der kultischen Praxis; daß da Irrtümer vor­ kommen können, findet er durchaus entschuldbar. Wer dagegen über die Sa­ kramente falsch lehrt, ist ein Ketzer. Damit ist der entscheidende Bruch vollzogen. Bisher verfiel der Häresie, wer die Heilswirksamkeit der kirchlichen Sakramente dadurch leugnete, daß er andere außerhalb der Kirche an ihre Stelle setzte. Damit hatte er sich tat­ sächlich von der Kirche geschieden; mit ihrem Ketzerrecht stellte die Kirche das nachträglich fest und bestätigte auch ihrerseits die Trennung. Jetzt da­ gegen war der Lehrirrtum des Spenders oder Empfängers der Sakamente entscheidend. An die Stelle einer eindeutig feststellbaren Handlung trat end­ gültig die persönliche Glaubenshaltung des einzelnen als Kriterium der Ketzerei, mochte er sich selbst auch als Glied der kirchlichen Gemeinschaft fühlen, mochten die Sakramente, an denen er beteiligt war, auch im Zu­ sammenhang der kirchlichen Gemeinschaft vollzogen sein oder nicht. In den meisten Fällen mochte der Verdächtigte wohl der guten Meinung sein, mit seiner Sondermeinung noch ganz auf dem Boden der kirchlichen Tradition zu stehen. Wer sollte den Irrtum nachweisen? Es bedurfte dazu eines Lehrverfahrens und einer Lehrautorität, die — um der Einheitlichkeit willen — nur vom Papste ausgeübt werden konnte. Der Papst wird Schiedsrichter über die Lehre und Strafrichter gegen die Irrlehre in einer Person.

Inwieweit ist damit das Ketzerrecht noch Sakramentsrecht? Es ist es nicht mehr in dem Sinne, daß im kirchlichen Gerichtsverfahren irgendwo in der Christenheit der in den Sakramenten wirksame Gottesgeist durch un­ mittelbares Zeugnis den Selbstausschluß eines Ungläubigen aus der kirch­ lichen Gemeinschaft bestätigte. Es ist eö nur insofern, als die zentrale kirch­ liche Stelle die Reinheit der Lehre über die Sakramente sichert und den, der davon abweicht, bestraft*2).

Selbstverständlich können auch andere Lehrirrtümer als Ketzerei gewer­ tet werden. Der Scharfsinn der Theologen brauchte nur ihren Zusammen­ hang mit der Sakramentslehre zu konstruieren. Daö konnte um so weniger schwer fallen, als ja der alte Grundsatz der Mysterientheologie immer noch nachwirkte, nach dem alle christlichen Grundwahrheiten „Sakramente" sind. So bleibt die sakramentale Überlieferung Grundlage der späteren Rechts­ bildung. Sie wird „aufgehoben", d. h. aber nicht vernichtet, sondern im Sinne der Hegelschen Dialektik „bewahrt". Aber sie dient nicht nur als 1_> A.a. O. e. 196 ff. 2) dem Verfall des alten Rechts verliert auch die bischöfliche Ketzergerichtöbarkeit ihre Grundlage; die päpstliche Änauisttion tritt an ihre Stelle.

80 Unterbau für ein neues HauS, sie wird zugleich in ihrer Struktur ver­

ändert. — Daß sie fortdauernd die unerläßliche Grundlage des Ketzerrechts bil­ det, zeigt sich auch bei der Beurteilung von Simonie und Ketzerei als einer Beleidigung der Majestät Gottes. Rufin hat diesen Grundgedanken des justinianischen Staatökirchenrechts, den der etwa gleichzeitig schreibende Fo­ lio t') noch abgelehnt hatte, und damit auch — in nicht ausgesprochener Konsequenz — die Todesstrafe für Ketzerei übernommen3*).4 2 Aber er kann ihn sachlich nur begründen vom Sakrament her und speziell vom Ordo aus. Alle andere Verbrechen machen den Übeltäter des Empfanges der Sakra­ mente unwürdig. Der Kauf der Ordination dagegen hat ja gerade ihren Empfang zum Ziel, schändet sie darum aufs höchste. Schändung der Sakra­ mente ist aber Beleidigung der göttlichen Majestät. Und wenn schon der Frevler an der irdischen Majestät sein Leben verwirkt hat, wieviel härter muß der bestraft werden, der der himmlischen zu nahe tritt. Diese An­ schauungen, die der Anwendung jenes römisch-rechtlichen Grundsatzes zu­ grunde liegen und damit in der Folgezeit das kirchliche Ketzcrrecht bestim­ men, sind unverständlich, wenn man sic loslöst von der sakramentalen Denkweise, auf der sie gewachsen sind. Stephan von Tournay (f 1203), der Schüler Rusins, schließt sich teilweise wörtlich an seinen Meister an. Auch für ihn sind Simonie und Ketzerei Majestätsbeleidigung. Mit dem Römischen Recht begründet er von daher, daß auch Frauen und Sklaven, die sonst nicht gerichtsfähig waren, in einem Ketzereiverfahren als Belastungszeugen vernommen werden dürfen3). Und er hat als erster die richtige Folgerung aus jenem Eindringen des weltlichen Rechtes in das kirchlich-sakramentale gezogen. In demselben Zusammenhänge, in dem er — als einer der ersten! — das Haus der Kirche auf die sieben Hauptsakramentc als auf sieben feste Säulen gründet, unter­ scheidet er im Kirchenrecht einen moralischen, einen judizialen und einen sa­ kramentalen Teil^). Das Sakramentsrecht ist also nur noch ein Teil des Kirchenrechts. Zwar bemüht sich Stephan um den Nachweis, daß er der wichtigste sei. Aber seine Dreiteilung läßt doch jenes Bild von den sieben Säulen der Kirche als nicht ganz zutreffend erscheinen. Wären sie wirklich ihr einziges Fundament, dann müßte ihr ja auch das alte Sakramentsrecht genügen. Freilich wäre das dann gegen früher sehr eingeschränkt; es hatte *) Vgl. eben S. 70. 2) A. a. O. S. 197. 3) Ioh. Frdr. v. Schulte: Die Summa des Stephanus Tornacensis über bas Decretum

Gratiani. 1891, S. 121. 4) A. a. O. S. 261. Die Stelle ist auch abgebruckt bei So hm, Decr. Grat. 49 f. Im Unter­ schied zu Sohm hebt die folgende Darstellung nicht den Zusammenhang Stephans mit Gratian, sondern seine eigene Anschauung hervor, deren rein äußerliche Verquickung mit dem gratianischen Gedankengang auch Sohm bestätigt.

von alters her mehr umfaßt als nur die Beziehung auf die sieben Hauptsa­ kramente. Nur in dieser Weite war es geeignet, die alleinige Rechtsgrund­ lage der Kirche zu bilden. In dem Augenblick, da es sie verlor, konnte es nicht mehr allein existieren. Man erkennt deutlich: nicht nur die Veränderung der Rechtsauffas­ sung, sondern auch die Einengung des Sakramentsbegriffes mußte zur Umgestaltung des Sakramentsrechtes führen. Wenn das Sakrament nicht mehr alle Lebensäußerungen der Kirche umfaßte, dann konnte auch das Recht, das sie doch alle zu schützen hatte, nicht mehr allein von ihm aus bestimmt sein. Die Entwicklung von Theologie und Jurisprudenz führte hier auf verschiedenen Wegen zu demselben Ziel.

Andrerseits aber gingen ihre Wege sofort auseinander, sobald sie das Ziel erreicht hatten. Sohm hat mit gutem Grund immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß erst der Bruch mit dem sakramentalen Recht und das Aufkommen genossenschaftlichen Denkens in der Kirche die Trennung der Rechtswissenschaft von der Theologie zur Folge gehabt hat. Schon bei Rusin können wir leise das Bestreben wahrnehmen, sich von der ArgumentaN'onsweise der Theologen zu distanzieren und sich auf die rein juristische Betrachtung zu beschränken. Das geschah in demselben Augenblick, da das Ketzerrecht nicht mehr die sakramentale Handlung, sondern den theologischen Irrtum zum Gegen­ stand seines Eingreifens gemacht hatte. Damit wurde es nun von der Tren­ nung der beiden Wissenschaften in Mitleidenschaft gezogen. Es hat die theo­ logische Feststellung des Lehrirrtumö zur Voraussetzung, die juristische Fest­ setzung des Strafmaßes zur Folge; denn natürlich lassen sowohl theolo­ gische wie juristische Systematik verschiedene Grade von Straffälligkeit zu. Dabei haben aber Theologe und geistlicher Richter, wenn auch in Perso­ nalunion verbunden, verschiedene Funktionen zu erfüllen. Das Ketzerrecht drängt zwar darauf, eine rein juristische Wissenschaft zu werden. Aber eö kann der Theologie nicht entbehren; seine Prinzipien greifen, mehr noch als das bei andern Zweigen der Kanonistik der Fall ist, auf ihr Gebiet hinüber. Und je mehr die Wissenschaft vom Kirchenrecht theologische Lehrsätze über­ nimmt, desto mehr ist die Lehre der Kirche in Gefahr, verrechtlicht zu werden.

Zunächst aber beherrscht der Zwiespalt zwischen Recht und Lehre das Feld. Auch Bernhard von Pavia (f 1213) ist in der Behandlung der Ketzerfrage davon bestimmt. Er kennt die ursprüngliche Anschauung vom Wesen der Häresie. Mit Juden und Sarazenen gehört der Ketzer zu denen, die durch falschen Kultus Gott verunehren'). Die Kirche ist sakramentale *) Summa Decretalium, ed. E. A. Th. Laspeyres, 1860, S. 210. Maurer, Bekenntnis und Sakrament.

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82 Kultusgemeinschaft. Darum wird auch der Schismatiker in dem Augen­ blicke zum Häretiker, wo er seine Splitterkirche als die wahre auögibt. Aber Bernhard vermag das Sakramentsrecht nicht mehr in den Mittelpunkt seiner Betrachtung zu stellen. Nicht die Verwerfung der kirchlichen Sakra­ mente an sich macht zum Ketzer, sondern der Widerspruch, in den man dadurch mit dem Satze des Apostolikums gerät: „Ich glaube an eine hei­ lige katholische Kirche"x)- Die Einheit der Kirche ist das Ursakrament. Bernhard beruft sich für seine These auf Gratian?); aber es ist höchst charakteristisch, daß dieser letzte Systematiker altkirchlichen Denkens im Mittelalter an der bezeichneten Stelle gerade nicht auf die bekenntnismäßige Lehre von der Kirche Bezug genommen, sondern ihren sakramentalen Heilscharakter hervorgehoben hatte. Seitdem wird indessen in der Ketzer­ bekämpfung zu ungezählten Malen der Gedanke wiederholt, daß daö Wesen der Häresie in der Verletzung des Glaubenssatzes von der Einheit der Kirche bestehe. Damit konnten alle Abweichungen von der kirchlichen sakramen­ talen Ordnung zu Lehrirrtümcrn gestempelt werden. So konnte man den Prozeß gegen die Häretiker als ein Jrrlehrcverfahrcn durchführen und dennoch die im Sakramentsrecht als strafbar vorausgesetzten Tatbestände der Urteilsfindung zugrunde legen. Das Sakramentsrecht bleibt weiterhin ein Bestandteil des Ketzerrechts. Dem entspricht es auch, daß Bernhard da, wo er grundsätzlich redet nur teilweise das Wesen der Ketzerei vom Sakrament her bestimmt. Er geht aus von Aussagen der Tradition, die die Irrlehre als Merkmal der Häresie beschreiben, die aber noch in dem Zusammenhang, den sie bei Gratian haben, auf die christliche Wahrheit als daö Ursakrament bezogen sindH. Bei Bernhard ist das alles verintellektualisiert. Für ihn steht der, „der in den Glaubensartikeln irrt", als Ketzer obenan; es folgt der, der die Schrift fälschlich auölegt. Erst dann kommen der hartnäckige Exkommuni­ zierte und der perversor sacramentorum. In der Hauptsache befaßt sich Bernhard nur mit dem Jrrlehrer. Gegen ihn setzt er eine abgestufte Reihe von Strafen fest5*),* 3die 4 von der einfachen Exkommunikation bis zur militäri­ schen Exekution fortschreiten. Die Begründung geht kaum noch auf Gra­ tian selbst zurück, sondern setzt schon das neue päpstliche Dekretalenrecht voraus und verbindet es mit den römisch-rechtlichen Überlieferungen. In­ dem der juristische Systematiker hier Differenzierungen vornimmt, die dem bisherigen Recht — Gratian eingeschlossen — gänzlich fernlagen, wird sein Bestreben offenkundig, die Frage des Bekenntnisses von der sakramcn*) ’) 3) 4) 5)

A. a. O. ©. 215. C 24 q 3 cap. 26. A. a. O. S. 213. Vgl. oben S. 48 ff. A. a. O. S. 213 f.

taten Praxis zu entfernen und sie losgelöst davon zu einer reinen Lehrfrage zu machen. Systematisierte Lehre, systematisiertes Recht — das sind die beiden Pole, zwischen denen das Bekenntnis fortan hin und her gezogen wird und die doch einander innerlich entsprechen. Damit gewinnt auch das Verhältnis von Bekenntnis und Recht ein neues Gepräge. Bisher standen beide auf derselben Grundlage, das Bekenntnis als Ausdruck der sakramentalen Wirk­ lichkeit hatte rechtliche Folgen. Jetzt haben sich beide vom Sakrament zu lösen begonnen; und sofort erhebt sich das Recht über das Bekenntnis, nimmt die Herrschaft darüber in Anspruch und ordnet es seinen Bereichen ein. Bisher war die Rechtsbedeutung deS Bekenntnisses eine Funktion seines eigenen, vom Sakrament bestimmten Wesens gewesen. Jetzt wird ihm diese Funktion erst von außen her, von der Jurisprudenz aus, zuerkannt und es selbst damit wesensfremden, d. h. juristischen Prinzipien unterworfen. In­ dem es sich ihnen unterwirft, ist es selbstverständlich, daß es von ihnen innerlich berührt und beeinflußt wird. Vorher war das Bekenntnis eins mit der sakramentalen Handlung der Kirche und zeugte so ihr Recht. Jetzt gewinnt das weltliche Recht, das sich der Kirche bemächtigt hat, auch Ein­ fluß auf ihr Bekenntnis. Indem die Mysterientheologie, in sich ohnmächtig geworden, das kirchliche Recht aus ihrem Zusammenhang entläßt, wird daS Bekenntnis einer Rechtswissenschaft überliefert, die eS nach kirchenfremden Prinzipien handhabt.

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Wenn wir von diesen Erkenntnissen aus, die als Ergebnis des Jnvestiturstreites etwa seit Mitte des 12. Jahrhunderts vorlagen, die Praxis der Ketzerbestreiter von da ab bis zum 4. Laterankonzil betrachten, so gewahren wir nur geringe Veränderungen. Die sakramentale Rechtsanschauung be­ herrscht noch ungebrochen das Feld. Für Hildegard von Bingen z. B., die 11.78 in einem offenen Briefe alle Könige und Fürsten zur Landesverwei­ sung — nicht Hinrichtung! — der Ketzer aufruft'), handelt es sich dabei um Menschen, die die Gegenwart Christi in Brot und Wein und darum auch das Geheimnis der Menschwerdung ableugnen und sich damit dem Teufel übergeben haben. Dem entspricht auch das stereotype Bild, das die kirchlichen Darsteller von den verschiedenen häretischen Richtungen entwerfen. Es ist nicht ganz richtig, wenn in diesem Zusammenhang immer von einer bestimmten Ketzer­ psychologie der Kirche geredet wird. Das formende Element liegt viel­ mehr in der sakramentalen Rechtsanschauung. An dem Ketzer interessieren ') MSL 197, riSff.

84 nicht seine Sonderlehren; vielmehr muß die Tatsache, daß er und wie er den kirchlichen Sakramenten widerstreitet, herausgehoben werden. Und dabei handelt es sich garnicht einmal so sehr immer um Verleum­ dungen von kirchlicher Seite. Sondern die Häretiker sind selbst im sakra­ mentalen Denken befangen. Gegenüber einer Kirche, die durch die Sakra­ mente wirkt, können sie sich nur behaupten, wenn sie deren Gültigkeit be­ streiten und andere an die Stelle setzen. Auch ihre Lehren tendieren darum immer auf das Sakrament. Das hat die Forschung vielfach übersehen und ist dadurch zu falschen Urteilen gekommen. Niemals hätte man sonst die mittelalterlichen häretischen Bewegungen so nahe an die Reformation her­ anrücken können, wie das gelegentlich geschehen ist. Die Lehre Amalrichs von Vienna (+ 1207) z. B. hat mit ihrem Pantheismus und Antinomismus sicherlich keine direkte Beziehung zu den kirchlichen Sakramenten. Trotzdem wird den Amalricanern vorgeworfen, sie entleerten die von Christus eingesetzten Sakramente, indem sie ein unmit­ telbares Wirken des Heiligen Geistes am Ende der Zeiten annähmen und damit der kirchlichen Heilsvermittlung die Existenzberechtigung entzögen^). Noch gröber bringt Cäsarius von Heisterbach in seiner historia miraculorum dieselben Vorwürfe heraus"). Er findet bei den Amalricanern die Lästerung des Abendmahles und des in der Kirche wirksamen Heiligen Geistes ausgesprochen: im Altarsakrament sei Christus für sie nicht anders gegenwärtig als überall sonst. Bilder-, Heiligen- und Märchrerverehrung hielten sie für Raserei und Götzendienst. Die schlimmsten Laster werden ihnen nachgesagt; in ihren sexuellen Ausschreitungen glauben sie Christus und den Heiligen Geist wirksam. Deutlich steht für Cäsarius die Anschauung dahinter, daß derartige Orgien den Satanskult der Häretiker auömachen. Für ihn sind sie schlimmer als Besessene; hier ist nur der Leib, dort auch die Seele dem Teufel verfallen. Ähnliche Vorwürfe werden auch jetzt noch unvermindert gegen die Ka­ tharer erhoben, die seit Ende des 12. Jahrhunderts — vornehmlich in Frankreich — zu einer tödlichen Gefahr für die Kirche zu werden drohten. Auch hier wieder geht es uns nicht darum, die Richtigkeit der gegen sie er­ hobenen Vorwürfe nachzuprüfen, sondern zu zeigen, welches Bild von Wesen und Rechtsstellung der Ketzer sich daraus ergibt. 1163 machen die Katharer von Flandern aus einen Vorstoß nach Köln und werden dort überführt und verbrannt. Die Erzählung der Hirsauer Annalen über diesen Vorfall^) hebt an ihnen vornehmlich den Stolz hervor, mit dem sie sich als die allein wahren Christen bezeichnen. Aus ihrem unmittelbaren Geistbesitz begründen sie nicht nur dies Urteil, sondern geben Du Plessiö b'Argentre: Collectio iudiciorum I, Paris 1728, S. 128f. 2) A.a.O. S. 130; in der Ausgabe von Strange I 304ff. 3) Frebericq: Corp. doc. I Nr.41.

von da aus auch der Kirche all die Vorwürfe zurück, mit denen sie sie tref­ fen will. Die kirchlichen Sakramente sind ihnen lächerlich und abscheulich. Deren Empfänger sind Häretiker, Schismatiker, Ungläubige, Gottesfeinde. Die katholischen Priester als ihre Spender sind Seelenverführer und Teu­ felsstricke. Man sieht: keine Partei bleibt der anderen etwas schuldig; jede weiß sich als Trägerin des Heiligen Geistes und als Kämpferin gegen die Macht des Teufels. Auf beiden Seiten herrscht das Sakramentsrecht1). Ein ähnliches Bild gewinnen wir aus Hugo von Amiens (f 1164). Seine Verteidigungsschrift gegen die Ketzer seiner Zeit2) ist vom ersten bis zum letzten Worte bestimmt durch das Bewußtsein, daß die Kirche mit ihren Sakramenten und Ämtern Stätte des Heiligen Geistes und darum Spen­ derin der Sündenvergebung und des ewigen Lebens sei. Der Glaube an die sakramentale Heilsanstalt der Kirche bildet den Mittelpunkt des Glaubens­ bekenntnisses 2). Das Kennzeichen ihrer Wahrheit ist ihre Einheit. Deren Grundlage ist der Glaube an die Einheit innerhalb der Trinität. Wie die Kirche die Verleiblichung des Heiligen Geistes ist, dieser aber mit dem Vater und dem Sohne eines Wesens ist, so ist sie in sich selbst eine untrennbare Einheit und steht in unlösbarer Verbindung mit Gott. Nur sie verleiht dar­ um den Zugang zum Heil; ja, durch das Band des Friedens und der Liebe mit ihr vereint zu sein, bedeutet hier schon die Seligkeit zu besitzen4). Gegen dies Mysterium der Kirche erhebt nun die Ketzerei ihr Haupt. Wie die demütige Einordnung in den Leib Christi die Zugehörigkeit zu ihm einschließt, so ist der Hochmut das Zeichen der Unterwerfung unter Satan. Wie bei Augustin, so stehen sich auch bei Hugo von Amiens Gottesreich und Satansreich unter dem Panier der humilitas bzw. der superbia gegenüber. Satans Ziel ist die Einführung des Götzendienstes. Darum machr er den wahren Gottesdienst in der Verehrung der Sakramente zu­ nichte. Hugo führt sie der Reihe nach auf und zeigt, wie sie sämtlich von den Häretikern abgelehnt werden. Vor allem ist daS priesterliche Amt der Träger des in den Sakramenten wirksamen Geistes. Der ganze Angriff der Ketzer richtet sich darum gegen die Würde des Amtes, zumal gegen die ihm von Gott gegebene Regiergewalt. Aber es wird diesen teuflischen Anschlägen nicht gelingen, das Mysterium der kirchlichen Einheit zu zer­ stören. Selbstverständlich betonten die Verteidiger der Kirche deren Einheit im bewußten Gegensatz gegen das dualistische Denken der Katharer. Diese T) An anderer Stelle hoffe ich einmal zeigen zu können, wie dieser vom Sakraments­ recht bestimmte Gegensatz zwischen Kirche und Häresie die Auseinandersetzung zwischen beiden bis zum Ausgang des Mittelalters festlegte. 2) MSL 192, 1255ff. 3) A. a. O. S. 1260. 4) A. a. O. S. 1295 s.

86 mußten schließlich dahin kommen, alles sinnlich Faßbare als Träger gött­ licher Heilswirkungen abzulehnen. Weihe von Kirchen und Altären, Freude an kirchlichem Schmuck und kunstvollem Gesang, Verehrung von Reli­ quien — kurz, alle Äußerungen des kultischen Lebens mußten ihnen darum unerträglich sein. Ebenso aber die Verbindung von irdischem Element und himmlischer Gnade in den beiden Hauptsakramenten. Kirchliche Taufe und Abendmahl tvaren nichtig. An ihre Stelle trat die Handauflegung (consolamentum) von feiten der perfecti: damit hatten auch die Ketzer ihr Sa­ krament, an daö Besitz des Geistes und ewige Seligkeit gebunden waren. Sakramentskirche stand gegen Sakramentskirche. Aber in der einen war das Sakrament der Ausdruck für die Herablassung Gottes ins kreatür­ liche Fleisch, in der andern für die Aufhebung und Vernichtung der Natur durch eine höhere geistige Wirklichkeit'). Die eine Kirche beruhte auf dem Geheimnis der Inkarnation, die andere leugnete es und damit auch die Rea­ lität der kreatürlichen Welt-). Aber der Widerspruch der Häretiker gegen die kirchlichen Sakamcnte ist nicht immer so von der Wurzel her aufgefaßt worden. Es wirken sich in ihm teilweise auch die Gedanken und Zweifel aus, die seit dem Investitur­ streite die breiten Massen des Volkes bewegten: sind die Sakramente, die der Priester spendet, heilswirksam oder nicht? Durch solche Erwägungen ist offenbar Arnold von Brescia unter das Ketzerverdikt geraten. Otto von Freising berichtet von ihm^), er habe allen Besitz den Königen zugeschrieben und den Geistlichen entzogen wissen wollen, den besitzenden Klerikern aber die Seligkeit abgesprochen. Das be­ deutet vom Standpunkte sakramentalen Denkens aus, daß nicht bloß die Simonie, sondern schon der Besitz von Eigentum den sonst rite empfan­ genen Ordo sich zum Fluch für seinen Träger auöwirken lasse. Diese Ver­ kehrung des Ordinationssakramentes ist eö, die zur Verurteilung Arnolds wegen Ketzerei genügte4). Aber auch von feiten der Katharer wurde der Kirche die Wirkungskraft ihrer Sakramente unter Hinweis auf schlechte Priester bestritten. Eckex) Darum wird daö consolamentum auch im allg. nur den Sterbenden gespendet. 2) Darum richtet sich die Propaganda der Katharer vornehmlich gegen daö Jnkarnationödogma; vgl. die Schilderung des Matthaeuö von Pariö in seiner Historia Anglicana über die Verhältnisse in Spanien bei Du Plessiö d'Argentro a.a.O. S.77. — Dieser Gegensatz beherrscht die ganze Kontroversliteratur; vgl. die fragmentarisch erhaltene Schrift des Ermengauduö contra Haereticos (MSL 204, 1235ff.), die Guiraub, Histoire de 1’Inqui­ sition I, XX auf Ende des 12. Jahrhunderts ansetzt. Auch Petrus von Vaux-de-Cernay in seiner um 1210 verfaßten Historia Albigensium (Historiae Francorum Scriptores V, 5 54 ff.) geht davon auö. 3) Nach Mansi XXI, 536f. 4) Wenn Otto von Freising ihm auch in bezug auf Taufe und Abendmahl — reichlich unbestimmte — Vorwürfe macht, so entspricht daö wohl mehr vorgefaßter Meinung als der Wirklichkeit.

bert von Schönau (t 1184), der uns solche Einwürfe in seinen Predigten berichtet *), muß in der seit dem Jnvestiturstreit üblichen Weise mit dem antidonatistischen Grundsätze Augustins die Gültigkeit der Sakramente ab­ gesehen von der persönlichen Würdigkeit ihrer Spender verteidigen. Immer mehr stellte sich die Frage nach dem priesterlichen Amt als der Kernpunkt der Auseinandersetzungen heraus. Er trat dementsprechend in den Verhand­ lungen besonders hervor, die 1178 mit den südsranzösischen Katharer­ führern gepflogen wurden-): die Einheit der Kirche ist gesichert durch das Amt der Apostel und ihrer Nachfolger, der Bischöfe. Sie sind die lebendige Autorität, durch die der Heilige Geist heute spricht. Ist sie anerkannt, dann ist auch die Gültigkeit der Sakramente gesichert. Dann ist aber auch die Ge­ walt des Papstes zugegeben, auf den alle Wcihcgcwalt und seit dem Jnvestiturstrcit auch alle Rcchtsbildung in der Kirche zurückgeführt wird. Man sicht, wie die lebendige Auseinandersetzung im Geisteskampf der Zeit zu denselben Ergebnissen drängte, die auch die Wissenschaft gezeitigt hatte. Freilich, auf die Breite dieser Auseinandersetzungen gesehen, stand der Gesichtspunkt deü Teufelskampfes bei weitem im Vordergründe. Die grau­ sige Schilderung der Albigcnscrkricge, wie Cäsarius von Heisterbach sie liefert'), wird nur verständlich, wenn auch nicht erträglich, von der von dem rheinischen Mönch breit ausgeführten Voraussetzung aus, daß es sich um einen VcrnichtungSfeldzug gegen die Verächter der kirchlichen Sakra­ mente, gegen die Teufelsanbetcr handele. Auf die Schändung von Meßge­ räten durch die Katharer führt Matthäus von ParisH den Entschluß Innozenz' III. zum Albigenserkreuzzug zurück; mit der Entweihung der dortigen Meßbücher entschuldigt er die bei der Eroberung von BezierS vom Kreuzfahrerhccr begangenen Greuel. — Eine ganz besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Forde­ rung der Eidesleistung seitens der Kirche bzw. die Eidverweigerung von­ seiten der Ketzer. Das ursprüngliche mittelalterliche Wort für Eid ist sacramentum; die älteren theologischen Schriftsteller rechnen den Eid zu den kirchlichen Sa­ kramenten H. Inwiefern ist das möglich? Der Eid geschieht in besonders feierlicher Form im Zusammenhang mit der Feier des Sakraments, das zur Bekräftigung der Wahrheit empfangen wird. Zum mindesten aber wird er vor einer Kreuzpartikel oder sonstigen Reliquie oder vor einem Bilde des Gekreuzigten oder auf ein Meß- bzw. *) MSL 195ff.; sie sind zwischen 1159 und 1167 entstanden; vgl. besonders sermo III 2) Vgl. den Bericht darüber MSL 199, 1119/24. 3) Dialogus miraculorum, ed. Strange, I, 300ff. 4) Historia Anglicana, nach du Plessis d'Argentre a. a. O. S. 75. b) Vgl. oben S. 50 zu Anm. 1. Erst verhältnismäßig spät wird der Begriff durch den im Römischen Recht üblichen von iuramentum völlig ersetzt.

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Evangelienbuch abgelegt **). Handelt es sich mit alledem nur um Rechts­ sicherungen? Aber worin liegt denn ihre bindende Kraft? In der Gegenwart Gottes natürlich. Gott aber ist gegenwärtig in den von seinem Geist er­ füllten Sakramenten. Dazu gehören nicht nur die geweihten Elemente und die unmittelbar dem Kultus dienenden Gegenstände, sondern auch die Re­ liquien der Heiligen. Durch die körperliche Berührung mit ihnen schließt sich der Schwörende ein in die sakramentale Gemeinschaft der Christenheit; und insofern kann man solche Handlung wohl ein Sakrament nennen. Zugleich erklärt er sich damit bereit, im Falle daß er falsch geschworen hat, sich durch den im Sakramente gegenwärtigen Gottesgeist überführen zu lassen. Und der Geist vollbringt auch solche Krafttaten. So erzählt Kardinal Heinrich von Clairvaux (f 1189) aus seinen Erfahrungen mit den südfranzösischen Albigensern -). Er hat einen ihrer Führer zum Reinigungs­ eid gezwungen. Als die Reliquien der Heiligen, von den Priestern ehrfürch­ tig geleitet, herbeigebracht werden, bricht das christliche Volk in Freuden­ tränen aus, die Ketzer aber drücken sich verstört abseits. Die Hymnen, die die Gegenwart des Heiligen Geistes erbitten, werden angestimmt; unter­ dessen bricht der Ketzerführer zusammen. „Denn wie kann, wenn der Hei­ lige Geist kommt, bei seinen Gegnern ihr Geist bleiben", fügt Heinrich triumphierend hinzu. Während der Ketzer dann auf das Evangelienbuch den Eid leistet, er wolle in allem die volle Wahrheit sagen, ruht sein Finger, ohne daß er es weiß, auf der Stelle Mk. 1,24, wo der Dämonische Chri­ stus absagt. Und als er dann zur Bekräftigung seiner Zugehörigkeit zur Kirche das Altarsakrament empfangen soll, weigert er sich dessen. So wird sein Meineid und sein versteckter Unglaube durch den in den Sakramenten wirksamen Gottesgeist offenkundig gemacht. Daß der Eid ursprünglich eine sakramentale Beschwörung der Gottheit und damit ein Teil deö Sakramentörechteö ist, wird durch solche Ge­ schichten eindrücklich. Dieselbe Anschauung liegt schon den Bußbüchern des Frühmittelalters zugrunde 4). Sie setzen auf Eidbruch und leichtfertiges Schwören kirchliche Strafen, weil daö Sakrament dadurch geschändet wird. Und diese fallen um so härter auö, je schwerer die Verletzung der Sakramente ist. Ein Eid, der in die Hand eines Laien geschworen wird, wird anders , be­ urteilt als der vor einem geweihten Priester geleistete; der vor einem ge­ weihten Kreuze vollzogene wiegt schwerer als der vor einem ungeweihten; der in der Kirche geleistete ist wertvoller als der am profanen £)rt4). Weil *) Vgl. die Häufung der Zeremonien im Abschwörungöeid des Grafen Raimund von Toulouse im Albigenserkriege 1209; MSL 216, 89f. 2) MSL 204, 235ff. 3) H. I. Schmitz: Die Bußbücher und die Bußbisziplin der Kirche. I. 1883. *) A. a. O. S. 664: Si quis iuraverit in manu hominis, apud grecos nihil est. Si vero

in manu episcopi vel presbyteri aut diaconi seu in altari vel in cruce consecrata et mentitur, III annos paeniteat. Si vero in cruce non consecrata, I annuum paeniteat. Qui periurium fecerit in ecclesia, X annos paeniteat. — Ähnliche Abstufungen auch sonst.

der Eid die Einfügung in die sakramentale Gemeinschaft der Christenheit ausdrückt, ist es ein kirchlich zu ahndendes Vergehen, wenn einer schwört, friedlos zu leben, und damit trotzig der ganzen Christenheit ewige Fehde ansagt!)• Schlimmer aber ist es noch, wenn die Ketzer grundsätzlich den Eid ver­ weigern. Damit begehen sie nicht nur eine revolutionäre Handlung, die alle staatliche Rechtsordnung zerstören mußte. Damit ziehen sie vielmehr die letzte Konsequenz aus ihrer Ablehnung der kirchlichen Sakramente, aus ihrem kosmologischen Dualismus. Sie lehnen den Staat ab, weil er dieser unteren Welt angehört, von der sie sich geschieden wissen. Aber sie entziehen sich auch um deswillen der staatlichen Gemeinschaft, weil sie begründet ist auf die Teilnahme an den kirchlichen Sakramenten. Und sie verwerfen den Eid, weil er der Ausdruck dieser sakramentalen Bindung ist. Umgekehrt macht die Kirche ihr Sakramentörecht geltend, wenn sie jeden Eidverweigerer ipso facto als Ketzer betrachtet. Er ist es, nicht weil er über den Eid falsche Lehren ausgesprochen hätte, sondern weil er die sa­ kramentale Gemeinschaft der Christenheit verachtet. Es ist darum eine Nach­ wirkung des alten Rechts, wenn das Laterankonzil von 1215 jeden Eid­ verweigerer ohne weiteres als überführten Ketzer betrachtet wissen wollte. Und diese Nachwirkung dauert durch das ganze Mittelalter hindurch bis in die Reformationszeit hinein-). Eine Nachwirkung bloß, denn inzwischen hatte sich eine neue Anschau­ ung vom Wesen des Eides Bahn gebrochen. Sie entstammt dem Römischen Recht. Danach wird der Eid rein juristisch betrachtet als eine vom Staat ein­ gesetzte Zwangsmaßnahme zur Überführung des Schuldigen. Daß er im Namen Gottes geleistet wird, beruht auf bloßer Konvention. Es könnte einer auch bei seinem Haupte schwören. Nur den Namen der heidnischen Götter anzurufen verbietet der „christliche" Staat3*).2 Er fordert den christ­ lichen Eid, aber er versteht ihn nicht mehr im Sinne des sakramentalen Rechts. Er verlangt ihn, weil er mit der Scheu seiner Untertanen vor der sakramentalen Wirklichkeit rechnet ‘). Er kennt also die Bindung durch das A. a. O. S. 728: Qui sacramento se obligaverit, ut litigans in quolibet ad pacem nullo modo redeat, pro periurio uno anno a communione corporis et sanguinis domini segregetur. 2) Diese Anschauungen wirken nach bis zu den eidverweigernben Täufern der Reformationszeit. Deren bibliziftische Begründung aus Matth. 5, 33 ff. fteht nur im Vordergrund; entscheidend ist vielmehr das Gesühl für die sakramentale Seite der Eidesleistung und die Ablehnung der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche und des darauf beruhenden Staates. 3) Karl Groß: Incerti auctoris ordo iudiciarius, Innsbruck 1870 (entstanden zwischen

1177/80) S. 130: Iurare est enim aliquid affirmare vel negare deo adhibito inspectore. Hic habes, quia per deum semper iurandum est, et hoc ex canonibus et legibus. Semper enim ex legibus habes, quod per deum iurandum est, nisi aliter convenerint . . . *) A. a. O. S. 107: ... ut timore sacramenti contenciosa litigantium instantia conpescatur vel homines non facile calumniandi animo lites ingrediantur.

90 sakramentale Recht und benutzt sie für seine Zwecke. Aber er weiß sich selbst nicht mehr durch sie gebunden, sondern sprengt sie durch sein eigenes, auf anderem Grunde gewachsenes Recht. Damit ist für ihn die Eidverweigerung der Sektierer ein rein politisches Vergehen; für diese selbst aber ist es die Absage an die sakramentale Wirklichkeit, die praktisch, wenn auch nicht mehr in der juristischen Theorie, hinter diesem Staate steht. Und schließlich ist die neue Anschauung vom Eid, die in der antiken Sozialphilosophie verwurzelt war, auch in die kirchenrechtliche Praxis ein­ gedrungen. „Um des gemeinen Nutzens willen" *) muß jeder geforderte Eid geleistet werden, so lehrt in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Bologneser Kirchenrechtslehrer Ta ne red-). Und bei den Inquisitoren der nachinnozentianischen Zeit finden wir, wie in ihren Augen der Zwang zur Eidesleistung nur ein Mittel ist, um Verdächtige zu überführen. Man for­ dert sic auf, irgendwelche Glaubenssätze zu beschwören. Weigern sie sich grundsätzlich, einen solchen Eid zu leisten, so geht man nicht weiter auf den Inhalt jener Dogmen ein und erst recht nicht auf den eigentlichen Grund ihrer Ablehnung; diese selbst genügt, sie zu Ketzern zu stempelns. Die sa­ kramentale Rechtöanschauung, die hier bei den Häretikern noch im Hinter­ gründe steht, wird wohl dunkel gefühlt, ja sie bildet auch bei ihren Gegnern die eigentliche Ursache der Verurteilung. Aber sie bestimmt nicht mehr das konkrete Rechtsbcwußtsein; sondern sic ist zur Formel erstarrt, und ihre Anwendung ist eigentlich eine objektive Ungerechtigkeit. Solche Folgen zei­ tigt der Zusammenstoß zwischen der sakramentalen Anschauung vom Eid und der rein juristischen.

Dieser Zusammenstoß ist ja nur eine Tcilepisode in der seit 1215 in der Kirche immer stärker werdenden Auseinandersetzung zwischen geistlich-sa­ kramentalem und römisch-weltlichem Recht, die wir hier in ihrem inneren Zusammenhang in bezug auf das Bekenntnis- und Ketzerrecht verfolgen müssen. Wir suchen dabei einen Eindruck davon zu gewinnen, wie stark die Kräfte waren, die von der sakramentalen Praxis der Kirche aus sich dem „modernen" juristischen Denken in ihr zu widersetzen suchten. Diese Entwicklung ist entscheidend verknüpft mit dem Namen des *) Vgl. zu diesem Begriff meine Untersuchung über „Das Verhältnis des Staates zur Kirche nach humanistischer Anschauung, vornehmlich bei Erasmus", 1930, S. 14ff. 2) Pillii, Tancredi, Gratiae libri de iudiciorum ordine, ed.Fr. Bergmann, 1842, S. 206. 3) Vgl. das Gutachten des Dekans Carlier von Cambrai vom Nov. 1472 über die Not­ wendigkeit des Eides bei Glaubensprozeffen bei Fredericq a. a. O. Nr. 363. — Was Ludovicus Carerius in seinem Traktat de haereticis (tractatus celeberrimorum iurisconsultorum XI 2 43 b) ausführt, ist Gemeinüberzeugung: Ketzerei ist, „si quis noluerit iurare, putans iuramentum habere in se malum“.

großen Papstes Innozenz III. Er hat das Recht der Kirche zur Würde einer weltbeherrschenden Macht emporgeführt; er hat das erreicht, indem er ihm im Willen deö Papstes seine Quelle und zu seiner Durchführung den Mittelpunkt gab. Er hat damit auch die Verweltlichung des Ketzer­ rechtes zur Vollendung gebracht, freilich ohne seinen sakramentalen Unter­ grund völlig verdecken zu können. Für Innozenz bedeutete die Bekämpfung der Ketzerei in Frankreich und Italien eine seiner Lebensaufgaben. Er hat die rechtlichen Formen dafür festgelegt, die auch da maßgebend wurden, wo zunächst noch die bischöfliche Inquisition bestehen blieb')- Anderthalb Jahrzehnte hindurch hat er zunächst im einzelnen praktisch erprobt-), was er dann auf dem 4. Laterankonzil be­ schließen ließ. Maßgebend sind ihm dabei die Grundsätze des Römischen Rechts. Aus ihm stammt die Rechtlosmachung der Häretiker und das Kon­ fiskationsverfahren gegen ihre Güter. Die Schwierigkeit, die hier in der Eigentumsfrage aus dem Lehnswesen erwuchs, wird mehr dunkel gefühlt als wirklich gelöst; sie sollte noch auf Jahrzehnte hinaus — zumal in Deutschland — lebhaft empfunden werden. Der Widerstand gegen das Rö­ mische Recht geht nicht nur von dem bisherigen kirchlichen Recht aus; auch das volkstümliche Rechtsempfinden mußte sich, zumal in ursprünglich ger­ manischen Gebieten, dagegen auflehncn. AuS dem Römischen Recht stammt vor allem die Begründung, die Innozenz seinem Vorgehen gegen die Ketzer gab. Es erscheint ihm als ein viel größeres Verbrechen, die göttliche Majestät zu verletzen als die kaiserliche. Umsomehr mußte eS gerechtfertigt erscheinen, die Strafen, die für Majestätsbeleidigung festgesetzt waren, auch für Ketzerei zu verhängen. Wie milde mußte unter diesem Gesichtspunkte auch die grausamste Ver­ folgung noch erscheinen; wie stark mußte bei einem christlichen Fürsten der Appell wirken, die göttliche Ehre mindestens so gewissenhaft zu wahren wie die eigene. Der Papst wird nicht müde, diese Pflicht immer wieder einzu­ schärfen. Sein Gesetzgebungswerk gegen die Ketzer ist auf das Zusammen­ wirken von Kirche und Staat angelegt. Und in der Tat haben die weltlichen Fürsten, Kaiser Friedrich II. allen voran, die Grundsätze des innozentianischen Ketzerrechtes getreulich in die Praxis überführt ^). Ja, wir erleben später das seltsame Schauspiel, daß die Kurie wichtige Gesetze gegen die Häretiker erst nachträglich aus der staatlichen Gesetzgebung in ihre eigene übernahm. Auf dem Wege über das staatliche Kirchen- und Ketzerrecht jedenfalls ist das Römische Recht in die Gesetzgebung des modernen Staates *) Conc. Lateranense cap. 3: de haereticis, § 7; Karl Mirbt: Quellen zur Geschichte des Papsttums 19244, Nr. 330, S. 180. 2) Vgl. die beiden von Gregor IX. in das Dekretalenrecht aufgenommenen Gesetze von 1199 und 1205 bei Friedberg II 782ff. 3) Vgl. unten S. 116.

92 eingezogen. So ist der Schüler der Bologneser Rcchtöschule als Papst der Lehrer nicht nur seiner Nachfolger auf dem Stuhle Petri, sondern auch der weltlichen Fürsten geworden. Und doch ist der Vorkämpfer des neuen Römischen Rechtes nicht frei von der Bindung an das alte sakramentale. Zwar mag man es für eine Redensart halten, wenn er äußerliche Strafen nur so lange angewandt wissen will, bis sie die bußfertige Rückkehr des Sünders in den Schoß der Kirche bewirkt habens. Denn sollte auch der seelsorgerliche Ton ernst gemeint sein, so wäre in der Wahl der Mittel dennoch die alte Bahn ver­ lassen. Auch wenn er die Ketzer darum für besonders verwerflich hält, weil sie den durch die Taufe ihnen ausgeprägten Charakter verunehren3*),2 so sieht er die Verachtung des Sakramentes doch nur in ihrer Irrlehre, nicht in einer falschen sakramentalen Praxis begründet. Anders dagegen verhält es sich in dem berühmten Schreiben, das Innozenz an den Bischof von Metz richtete und in dem er daS Bibellesen der Laien verbot3). Da erscheinen die geheimen Konventikel, die die Ketzer feiern (celebrant), deutlich als sakramentale Handlungen, ihre Überheb­ lichkeit gegenüber dem priesterlichen Amt als Verachtung des Ordinations­ sakraments und sie selbst als Leute, „die die Worte des Evangeliums und die kirchlichen Sakramente nicht als gute Katholiken ehrfürchtig hinneh­ men, sondern sie vielmehr als Häretiker verabscheuen, schmähen und lästern"4). Wer abseits von der Kirche seine Erbauung sucht, ist schon um deswillen ein Ketzer, mag er auch keine besondere Irrlehre vertreten. Der Gottesdienst, der außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft gehalten wird, bezeugt die Verachtung vor den gottgegebenen Sakramenten und ist darum Ketzerei. Dieser Grundsatz, mit dem das sakramentale Ketzerrecht steht und fällt, bleibt fortdauernd in Kraft und bildet die Voraussetzung für die An­ wendung der dem Römischen Recht entnommenen Grundsätze des Ketzer­ rechts. — Papst Gregor IX. hat das Werk seines großen Oheims fortgeführt. Die Beschlüsse der 4. Lateransynode von 1215 bilden die Grundlage der Dekretalensammlung, die er angeregt und seit 1234 zur offiziellen Grund­ lage der Kanonistik gemacht hat. Ihre Einleitung bildet das Jnnozentianum, in dem vom trinitarischen Glauben aus die Ketzereien der Zeit abge­ wehrt werden. Auf dem Bekenntnis zum Dreieinigen Gott ruht fortan daö *) Konfiszierte Güter können Bußfertigen u. U. zurückgegeben werden, „ut temporalis saltem poena corripiat, quem spiritualis non corrigit disciplina“. Friedberg II, 783. 2) Vos — so redet er die Ketzer an —tanquam filii Effrem, intendentes arcum, Christi fuistis charactere insigniti, et adhuc in publico Christiana vultis professione censeri, corde tarnen abeuntes retrorsum ac recedentes a fide, conversi estis in arcum perversum1 haereticorum laqueis irretiti, ac eorum pravis dogmatibus deformati. 3) Vgl. die Literaturangaben bei Mirbt a. a. O. Nr. 320. 4) Friedberg II S. 785.

Recht der Kirche; es ist Bekenntniörecht. Es ist es auch in dem Sinne, daß man an jeder seiner Bestimmungen zum Ketzer werden kann, daß also jede bekenntnismäßig verpflichtend ist.

Dem entspricht die Auffassung, die Gregor IX. vom Wesen der Hä­ resie hegte: Ketzer sind Leute, die das Joch der kirchlichen Disziplin von sich abgeschüttelt haben. Niemals sind sie Schüler der göttlichen Wahrheit gewesen. Ihr Hochmut hat sie verleitet, trügerische Weisheit und falsche Lehre zu suchen. Durch Ungehorsam und Irrglauben sind sie zu Meistern des Verbrechens geworden. Satansdiener sind sie; die Pest des Todes geht von ihnen aus über die unglücklichen Länder, in denen sich ihr verderbliches Wesen ausbreiten konnte — so schildert der Papst dem Inquisitor Robert dem Bulgaren, als dieser Nordfrankreich zu verheeren sich anschickte, sein künftiges Arbeitsfeld x). Ungehorsam und Irrlehre sind für ihn also nicht die einzigen Kennzeichen der Häresie. Vielmehr liegt in der Art, wie er die bösen Früchte beschreibt, die in den „okkulten Konventikeln" ausgesät werden, ein Abscheu ausgesprochen, der nicht aus dem Widerspruch gegen gedanklichen Irrtum und willentliche Verkehrtheit, sondern aus dem Gegen­ satz zwischen den vom Heiligen Geist gewirkten Mysterien und den Teufels­ sakramenten erwachsen ist. Für Goffredo von Trani (f 1245), den ersten großen Glossator des Dekrctalenrechtö-), dient jene Begründung des Kanonischen Rechts auf die Trinitätslehre dazu, die Vollmacht des Römischen Stuhles zu erweisen. Das Bekenntnis zum Dreieinigen Gott als dem Prinzip des Universums kann nicht durch menschliche, sondern nur durch göttliche Rede erfolgen; darum ist es nur wahr, wenn die Römische Kirche es sanktioniert hat. Es darf über ein solches Geheimnis nicht disputationsweise, sondern nur autoritativ ge­ sprochen werden; darum vermag nur die Autorität des Papstes das Be­ kenntnis zu proklamieren3*).2

Die Ketzer aber, die von diesem so vorgezeichncten Wege abgewichen sind, haben sich damit gegen die göttliche Majestät selbst versündigt. Zunächst

rechnet Goffredo dazu die Jrrlehrer und ihre Nachbeter, kurz alle, die fälschlich die Schrift auslegen. Mögen sie auch nur in einer Einzelheit von der kirchlichen Wahrheit abweichen und sich selbst dabei als rechtgläubig vorkommen, gerade ihre hartnäckige Unbelehrbarkeit stempelt sie zu Häre­ tikern. Ketzerei ist eben nicht nur ein Verbrechen gegen die von der Kirche verwaltete Wahrheit, sondern ebenso gegen ihre Autorität. Darum ist auch jeder, der die Privilegien des römischen Stuhles antastet, ein Ungläubiger. Das Bekenntnis ist Ausdruck der Wahrheit und deö Rechtes in einem; eS *) Frebericq I, Nr. 90; 12.April 1233. 2) Ich benutze die von Joh.Bapt. Ziletto besorgte Ausgabe seiner Summa, Venedig 1564. 3) A. a. O. S. 4.

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gibt keine Wahrheit ohne die Autorität des Rechtes, geschweige denn gegen sie. Aber diese Wahrheit ist keineswegs dermaßen in einem intellektualistischen und juristischen Formalismus erstarrt, daß sie ohne Beziehung auf die Wirklichkeit wäre, von der die Kirche lebt. Das sind auch für Goffredo die Sakramente. Darum hält er auch den für einen Ketzer, der außerhalb der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche steht, oder der wie ein Simonist die Würde der Sakramente durch sein praktisches Verhalten schändet. Das Bekenntnis ist das sakramentale Handeln der Kirche und die gläubige Teil­ nahme daran. Das ist bei einem so reichen und selbständigen Geiste nicht nur ein Stück unverarbeitet übernommener Tradition; sondern die sakra­ mentale Wertung des Bekenntnisses ist für ihn die Grundlage, auf der die lehrhafte und juristische erwächst. — Wir tun einem Theologen wie Alexander von Hales, der im glei­ chen Jahre T245 wie Goffredo verstorben ist, nicht Unrecht, wenn wir ihn hier in gleichem Atem mit Staatsmännern und Juristen nennen. Denn seine Auffassung von Bekenntnis und Ketzertum ist vorwiegend juristisch bejltntmt1). Glaube und Unglaube erwachsen teils aus dem Intellekt, teils aus dem Affekt. Dabei ist jedoch der Vorkämpfer des AugustiniSmus in der aristotelischen Scholastik des T3. Jh. vornehmlich am Willen interes­ siert. Ketzerei ist der Widerspruch gegen die Forderung des Heiligen Geistes, der durch die Kirche redet. Fleischliche Begehrlichkeit ist ihre Wurzel; an der hartnäckigen Verteidigung des Irrtums und am hartnäckigen Angriff auf die kirchliche Wahrheit wird sie offenbar. Sie ist Ungehorsam; darum unter­ liegt sie dem rechtlichen Zugriff von feiten der kirchlichen Gewalt. Indessen in der Art, wie Alexander die kirchliche Wahrheit faßt, ge­ wahrt man noch deutlich den Einfluß der frühmittelalterlichen Mysterien­ theologie. Trinität und Christologie sind die Grundgeheimnisse der Kirche. In ihnen ist die Einheit der Gottesoffenbarung ausgesprochen, die die Kirche mit ihren Sakramenten repräsentiert. Ketzerei ist Abfall von der Einheit der Kirche. Dabei stehen für Alexander Einheit in der Wahrheit und Einheit im Recht miteinander in unlösbarer Wechselwirkung. Auch Thomas von Aquino ist dieser Theologie des Mysteriums nicht grundsätzlich abgeneigt; er vermag vielmehr die ganze christliche Heils­ geschichte unter diesen Begriff zu fassen2). Aber er stellt ihn doch nicht mehr in den Mittelpunkt seiner Auffassung vom Bekenntnis. Sondern dafür ist maßgebend ein quantitatives Verständnis vom Glauben. Nicht das Chri­ stusmysterium als Ganzes wird bekannt, sondern jeder einzelne Artikel, den es umfaßt, muß geglaubt werden. Denn wer einen Teil der Wahrheit ver­ neint, hat sie ganz verleugnet. Zwar ist sie so unermeßlich groß, daß kein T) SummaTheologica I, Quaracchi 1924, II 2, inqu, III, tract, VIII, sect. I, q. I, tit. III a) Vgl. Summa Theologica II 2, q. II. art. 7 u. 8.

einzelner sie sich im ganzen vergegenwärtigen könnte. Aber der Kirche ist sie vollständig anvertraut und durch das Walten des Geistes gegenwärtig. Wer also hartnäckig einem Artikel der von ihr bekannten Wahrheit wider­ strebt, ist nicht bereit, ihr im ganzen zu folgen. Er ist ein Ketzer, weil er die Autorität der Kirche in Glaubenssachen bestreitet *). So besteht auch für Thomas das Hauptmerkmal der Ketzerei nicht in der Irrlehre, nicht in der falschen Auslegung der Schrift, sondern im willentlichen Widerspruch gegen die Kirche, die das rechte Schriftver­ ständnis lehrt, weil der Heilige Geist durch sie spricht*2). Gewiß kann man ganz allgemein den als Ketzer bezeichnen, „der falsche oder neue Meinungen vorbringt oder annimmt". Aber sein eigentliches Vergehen liegt doch darin, daß er unter dem Traditionsgut der Kirche eine Auswahl vornimmt, die ihm nicht zusteht, daß er sein eigenes Belieben an die Stelle der kirchlichen Autorität setzt3).4 5 Der 6 Häretiker ist ein Verbrecher aus freiem Willen. Darum muß er auch durch körperlichen Zwang angehalten werden, seine Verpflichtung gegen die christliche Gemeinschaft zu erfüllen H. Dabei wird dann an ihr nicht mehr der sakramentale Charakter hervorgehoben, an dem der einzelne durch seine Taufe Anteil hat — nur als Getaufter kann er ja Ketzer werden. Sondern die Taufe, die einer doch als Kind empfangen hat3), wird in erster Linie verstanden als ein Akt der Bekenntniöverpflichtung. So wird die sakramentale Gnadengabe zum Rechtstitcl, der es ermöglicht, ihren Verächter physisch zu vernichten. Eine grausige Ver­ kehrung des sakramentalen Rechts! Und eine erschreckende Veräußerlichung des Bekenntnisses zugleich! So kann es geschehen, daß nach der berühmten Begründung, die Thomas für die Todesstrafe gegeben hat°), der Verderber des Bekenntnisses rechtlich gesehen mit dem Falschmünzer in eine Linie rückt. Und die seelsorgerliche Milde der Kirche tritt dann darin in Erscheinung, daß sie nicht jeden Ketzer, sondern nur den rückfälligen dem Tode überant­ wortet. Das ist der Triumph einer Logik, die das Christusmysterium als eine abstrakte Wahrheit und die Kirche als deren Rechtsgarantin versteht. Wie in den Lehrbüchern der Scholastiker, so findet sich auch in den volks­ tümlichen Predigten ihrer Schüler die juristische Betrachtungsweise der Ketzerei. Greifen wir das Beispiel Bertholds von Regensburg (g,estorben 1272) heraus, des größten unter ihnen deutscher Zunge. Von ihm hat sein bester moderner Kenner7) mit Recht behauptet, der Kampf gegen !) II 2, q. 5, art. 3. 2) Das sakramentale Verständnis der Kirche bleibt also Grundlage des rechtlichen. 3) II 2, q. 11, art, 1. 4) II 2, q. 10z art. 8. 5) 2m selbstverständlichen Festhalten an der Kindertause wirkt das sakramentale Denken noch nach. 6) II 2, q. 11, art. 3. 7) Anton E. Schönbach. — Für das Folgende besonders dessen Studien zur Gesch. d.

96 den Irrglauben seiner Zeit habe ihn stärker in Anspruch genommen als irgend eine andere Aufgabe, die er als Volksredner behandelte. Berthold weiß, daß seine rechtgläubigen Hörer in der Beurteilung der Ketzerei milder find als er und seine Magister. Einfacher Leute Herz wird von Mitleid er­ griffen, wenn sie sehen, wie sich angebliche Ketzer noch auf dem Scheiter­ haufen das Sakrament reichen lassen, wenn sie durch den Rauch hindurch sie das Meßbekenntnis oder das Ave Maria anstimmen hören. Da muß der Prediger sich alle Mühe geben, die Überzeugung zu wecken, daß, wer an einem Punkte der kirchlichen Lehre widerstreitet, ein ganzer Ketzer sei*). Sein Verbrechen braucht gar nicht so offensichtlich zu sein, daß er einem Ar­ tikel des Apostolikums ausdrücklich widerstreitet. Es kann auch darin be­ stehen, daß er Schriftwahrheiten, die sich als Folge oder als Voraussetzung aus dem formulierten Bekenntnis ergeben, anders versteht als die Kirche. Wer ihrer Autorität, und sei eS auch nur in einem Punkte, sich entgegen­ stellt, ist ein Ketzer -). Aber nicht in solchen rechtlichen Deduktionen oder theologischen Spitz­ findigkeiten liegt die volkstümliche Wirkung des ketzerbestreitenden Pre­ digers. Will Berthold die Leidenschaft des Hasses gegen die Häretiker er­ regen, dann behandelt er seinen Gegenstand in der sakramentalen Ebene. Dann ist die schmutzigste Ketzerei die Leugnung der sieben Sakramente3*); 4 * * dann erscheinen die Ungläubigen als Teufelsanbeter. Natürlich kann man ihnen das nicht direkt nachweisen, ohne sich in gleicher Weise wie sie zu beflecken. Aber warum halten sie denn ihren eigenen Kultus im Finstern und km Winkel Aus welchem andern Grunde sonst bezeichnen sie Gottes heilige Kirche als Hure und halten allein ihr eigenes finsteres Tun für Gott wohlgefällig b)? Welcher Gott gibt ihnen das alles ein? Wer die Macht­ losigkeit der kirchlichen Sakramente behauptet, der lügt und wird dazu an­ gestiftet durch den Vater der Lüge6). Alle lehrhaften Unterschiede verblassen vor dem elementaren Gegensatze zwischen Kirche Christi und Satanskirche. Und die rechtlichen Konsequenzen, die man aus jenen Unterschieden künst­ lich abgeleitet hat, haben ihre eigentlichen Wurzeln in der sakramentalen Sphäre, in der dieser Gegensatz aufbricht. Freilich, je näher wir dem Ende des Mittelalters kommen, um so mehr bemühen sich theologischer und juristischer Scharfsinn, jenen volkstümlichen Abscheu, der an der sakramentalen Wirklichkeit orientiert ist, von der Gealtbtsch. Predigt II — SitzungSber. b. Ak., phil.-hist. Kl. 147, Wien 1904. Hier auch die fol­ genden Zitate aus Predigten, die in der Sammlung der lat. Schriften noch nicht enthalten sind. *) A. a. O. S. 16. 8) A.a.O. S. 76 f. S. 80. 3) A. a. O. S.6f. 4) A. a. O. S. ZI. 6) A. a. O. S. 58. «) A. a. O. S. 67.

staltung des Ketzer-rechtes auözrischalten. Besonders deutlich tritt dieses Streben zutage bei dem letzten großen Schulhaupt der Scholastik, bei Wilhelm Ockham. Er führt die beiden Grundlinien weiter, die seit Anfang der Hochscholastik klar hcrvortrcten: Ketzerei ist Irrtum im Intellekt und im Willen. Bei ihm finden wir die abschließende Formel, die das spät­ mittelalterliche Ketzerrecht am vollkommensten beschreibt: „Ketzer ist, wer wirklich getauft ist oder sich dafür hält und doch hartnäckig zweifelt oder irrt gegen die katholische Wahrheit" *)• Für Ockham liegt dabei der Hauptnachdruck auf dem Begriff der Hart­ näckigkeit. In kasuistischer Weise zählt er neunzehn verschiedene Fälle auf, in denen eine klare, willenömäßige Entscheidung gegen die kirchliche Wahr­ heit als endgültig gefällt anzunehmen ist-). Ihnen allen ist gemeinsam, daß cs sich hier um Taten handelt, durch die sich jemand in bewußten Gegensatz zur Kirche stellt. Es hat dabei manchmal den Anschein, als ob Ockham auf das alte sakramentale Kctzerrecht zurückkäme, in dem ja auch die kultische Handlung, durch die sich einer außerhalb der Kirche stellte, als entscheidend betrachtet wurde. Aber der Schein trügt. Nicht das widergött­ liche Sakrament macht zum Ketzer, sondern der Wille, der dem Willen Gottes durch die Tat widerstreitet und darum der durch seine Kirche repräsentterten Wahrheit sich zu beugen weigert. In dieser Betonung des Affekte bei Gott und dem Menschen liegt neben dem kirchlichen Positivis­ mus die Eigenart der gesamten Theologie Ockhams und damit auch seiner Auffassung von Bekenntnis und Ketzerrecht. Von diesem Standpunkt aus hat er den Bruch mit der Überlieferung be­ wußt und konsequent vollzogen. Schon die augustinische Formel vom Wesen der Ketzerei genügt ihm nicht, obwohl sie doch wie die seine vom Willen des Menschen auögeht und die Ketzerei als übermütige Begehrlichkeit charak-

terisiertH. Erst recht greift er die Reste der sakramentalen Auffassung an, die in der damaligen Kanonistik noch vorhanden waren. Es ist bezeichnend, daß der Bettelmönch dabei von der Predigt der Kirche ausgeht; denn deren kultischer Charakter ließ sich am leichtesten ins Lehrhafte umbiegen. Wenn Gratian, altkirchlichem Dorbilde folgendH, schon den für einen Ketzer­ erklärt, der öffentliche Irrlehre predigte, und ihm die Vollmacht der Weihe und Absetzung abgesprochen hatte, und wenn später noch Innozenz III. gelegentlich diese Meinung vertreten hatte, so hatten sie in der Predigt eine kultische Handlung und in dieser das Kennzeichen der Häresie gesehen, waren also vom sakramentalen Gemeinschaftögedanken ausgegangen. Ockham da­ gegen lehnt diese Erklärung als ungenügend ab und setzt die willentlich« DerDialogus I, Buch 3; Golbasi II, S. 437, Frankfurt 1614. 2) A. a. O. Buch IV S. 448 ff. 3) A. a. O. S. 444. 4) 24 q. 1, c. 35. Maurer, Bekenntnis und Sakrament.

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werfung der kirchlichen Wahrheit als Charakteristikum an die Stelle der öf­ fentlichen Predigt. Er ist dabei nur scheinbar milder und gerechter in seinem Urteil. In Wirklichkeit denkt er anders. Er geht nicht mehr von der sakra­ mentalen Gemeinschaft der Kirche, sondern von der persönlichen Überzeu­ gung und Willenshaltung des einzelnen aus. Und das war in der Tat kein Entgegenkommen dem Individualismus einer neuen Zeit gegenüber1).2 3Solche 4 subjektiven Kriterien mußten ja immer dem Gesamtinteresse der Kirche untergeordnet bleiben, sollte deren Einheit nicht zerbrechen. Das blieb die Sorge von Scholastikern und Kanonisten. Sie wußten eö zu verhindern, daß die neue Denkweise im Ketzerrecht zu einer Milderung der Beurteilung führte. Aber indem sie das Bekenntnis aus der sakramentalen Sphäre in die der persönlichen Entscheidung über­ führten-), haben sie selbst dazu beigetragen, daß die Wahrung jener Einheit als lähmender Iwang empfunden wurde, und die Kräfte entbunden, die sie sprengen mußten. —

Die weitere Entwicklung zeigt, wie die intellektualistische und die vo­ luntaristische Auffassung des Ketzerrechtes, einander ergänzend, dauernd nebeneinander herlausen, und daß der Nachdruck bald auf dieser, bald auf jener Seite liegt. Der 1395 verstorbene Jurist Jehan Boutillicr aus Tournay sieht in seiner Somme rurale, einer der ersten Rechtssammlungen in französischer Sprache, das Wesen der Ketzerei im lehrhaften Irrtum H. Ein Sammelwerk wie das Directorium Inquisitionis des Dominikaners Eymerich (f 1399), das .Handbuch der spätmittelalterlichen Inquisition, verbindet beide Gesichtspunkte mit dem sakramentalen, ohne in der Fülle des traditionellen Stoffes eine wertende Unterscheidung vorzunehmen1). Für den gelehrten Thomisten und Magister Palatii Silvester Prierias, der als Gegner Luthers nicht gerade rühmlich bekannt geworden ist, liegt die Häresie „wesentlich" im Intellekt; und er bemüht sich eifrig, für jede Ver*) Niemand hat die rein juristische Wertung der Ketzerei mehr gefördert als Ockham mit seiner Überbetonung des Moments der pertinacia.

2) Beachte in O ckhams Definition oben S. 97zuAnm. 1 die Gleichsetzung von wirklicher Taufe und der Überzeugung, getauft zu sein. Also nicht bloß die objektive, durch das Sakra­ ment bewirkte Zugehörigkeit des einzelnen zur Kirche ist konstitutiv für das Ketzerrecht, sondern schon seine subjektive Stellung zu diesem Geschehen. Die Einheit der Kirche wird nicht durch den im Sakrament wirksamen Gottesgcist, sondern durch die persönliche Ent­ scheidung des einzelnen geschaffen.

3) Frebericq II, Nr. 115. Hier S. 185 folgende Definition der Häresie: „sicomme de faire, croire et arguer de toutes choses qui sont ou seroient contre la sainte foy de notre seigneur de leglise et les commandemens dicelle et des sains canons et de tout ce soustenir“ ; vgl. die ähnliche Formulierung S. 187. 4) Vgl. die Sammlung der ketzerrcchtlichen Autoritäten im 2. Teil. Benutzt die von Franz Pegna besorgte Ausgabe Rom 1587.

urteilung eines Ketzers den Denkfehler aufzuweisen, der sie notwendig mache1). Und wenn wir diesen Überblick in der Zeit der Gegenformation abschlie­ ßen, so zeigt uns Conraduö Brunns (j- 1563), der Gegner des Flacius Illyriens, wie stark auch jetzt noch die sakramentale Bedeutung des Bekennt­ nisses nachwirkt und wie wenig sich alle Rationalisierungen hatten durch­ setzen können. In seinem Traktat von den Häretikern und Schismatikern3) verwirft er die Anschauung, die die Ketzerei als einen hartnäckigen Irrtum in bezug auf die Glaubensartikel oder die kirchlichen Sakramente ansieht. Die sakramentale Wirklichkeit wird hier rein unter den Gesichtspunkt der Lehre gestellt. BrunuS versucht ihr auch den Schein einer gewissen Selb­ ständigkeit zu nehmen und die Ketzerei rein als Widerspruch gegen abstrakt lehrhafte Formulierungen zu deuten. Aber merkwürdig, seine Gebundenheit an die Grundsätze des Römischen Rechtes läßt ihn auf der andern Seite wieder dem sakramentalen Denken Konzessionen machen, das er als Theologe verwirft. Bei den Juristen fand er, daß der Häretiker als Lästerer der gött­ lichen Majestät bestraft werden müsse. Solche Beleidigung aber erfolgte nicht nur durch falsche Lehren und deren hartnäckige Behauptung, sondern in erster Linie durch sakramentliche Handlungen. Darum weitet sich für Brunus der Begriff der Häresie. Jeder fällt darunter, der die Opferhandlungen, Sakramente und Zeremonien, kurz alles zerstört, was die Verehrung Gottes betrifft und die göttliche Glorie erhöht. Aber auch die Heilige Schrift ist für den Bekämpfer der Refor­ mation eine sakramentale Größe. Wie ein Standbild die unverletzliche Würde eines Fürsten repräsentiert, so die Bibel die Herrlichkeit Gottes. Wer sie falsch auslegt, vergeht sich darum an der göttlichen Majestät. So ist der Ketzer ein Christ, der der Fahne Christi abgeschworen hat, ein Deserteur, der dem Teufel dient und alle Frommen dessen Botmäßigkeit untertänig machen will3). Wie immer, so reißt auch jetzt wieder das sakramentale Denken die abgrundtiefe Kluft auf zwischen der Kirche Christi und der Teufelskirche. Wir können also zusammenfassend feststellen: Die sakramentale An­ schauung vom Bekenntnis hat das Mittelalter überdauert. Das Bekenntnis­ recht ist der „juristischen" Methode anheimgefallen; es wurde der scholasti­ schen Logik unterworfen. Aber es bleibt doch seiner Substanz nach sakramen­ tales Recht. Und gerade das Römische Recht, dessen Einbruch den Sieg der neuen Methode in der Kirche und damit deren Verweltlichung anzeigt, hat auf der andern Seite dazu mithelfen müssen, dem alten Recht in ihr Raum zu bewahren; zu stark waren die altkatholischen Gedanken, die auf die EntDe Strigimarum Daemonumque mirandis Libri tres S. 216ff. Die Vorrede ist unter­ zeichnet Rom I.März 1521. Ich benutze die Ausgabe 1575. 8) Tractatus celeberrimorum iuris consultorum XI 2, S. 271 ff. a) A. a. O. S. 272 a.

100 stehung seiner kirchenrechtlichen Partien eingewirkt hatten. Was immer sich alles an Theorien und Praktiken darübergelagert hatte, das Ergebnis bleibt bestehen: im Bekenntnis- und Ketzerrecht wirkt das altkatholische sakra­ mentale Recht geschwächt, aber nicht gebrochen weiter nach, hinüber in die Neuzeit. * *

* Mit der lehrhaften und juristischen Auffassung vom Bekenntnis hängen einige grundsätzliche Fragen zusammen, die im folgenden besprochen werden müssen. Die Bezogenheit des Bekenntnisses auf die Heilige Schrift bekommt da­ durch einen neuen Sinn. Daß es seinem Inhalt nach mit ihr übercinstimme, ja, das Wichtigste daraus zusammcnfassc, war auch in den Zeiten der Kirchengeschichte selbstverständliche Überzeugung gewesen, in denen man seine Entstehung noch nicht aus ihr abgeleitet hatte. Jetzt erscheint die Bibel nicht nur als die Quelle für das Bekenntnis; sondern es kommt auch ihren einzelnen Aussagen und Sprüchen der rechtlich verpflichtende Charakter zu, den das Bekenntnis errungen hatte. So erklärt schon eine vor dem gro­ ßen Umbruch von 1215 entstandene, aber nachgratianischc Rechtsanweisung populären Stils nicht nur alle Sätze des Kanonischen Rechtes für gleich­ artig mit der Bibel, sondern auch alle Aussagen des Alten und Neuen Testa­ ments für rechtsgültig, weil von der Kirche kanonisiert H. Und je weiter wir dem Ende des Mittelalters zuschreiten, um so nach­ drücklicher wird diese Gleichsetzung von Bibelaussage und kirchlichem Rechts­ satz hervorgehoben. Die Armutsbewcgung in ihrer kirchlichen und außer­ kirchlichen Prägung und dann die Wiclifie haben die Gemüter in zunehmen­ dem Maße mit Begeisterung für die reine Wahrheit der Schrift erfüllt. Die statistische und mehr noch die ockhamistische Theologie bemühen sich, sie zur Grundlage aller Wissenschaft zu machen. Ein formaler Biblizismus ver­ steht jede ihrer Aussagen als Glaubenssatz, ihren Buchstaben als Rechtösatzung. Wer hartnäckig leugnen wollte, daß Aaron einen Bart getragen und Tobias auf der Wanderschaft einen Hund bei sich gehabt hat, ist ein Ketzer, weil er die volle Wahrheit der Heiligen Schrift bestreitet*2). Wie verhält sich nun deren Autorität zu der der Kirche, die ihren Wahr­ heitsbesitz im Bekenntnis lehrhaft zusammengefaßt hat und rechtlich sichert? Ockham und mit ihr die spätmittelalterlichen Reformer stellen die Schrift an erste Stelle. Vor ihr werden alle anderen Autoritäten hinfällig, auch die der Kirchenväter und Päpste; Schriftwort bricht Kirchenrecht. Jede biblische *) Die Rhetorica ecclesiastica = Quellen zur Gesch. d. röm.-kan. Prozesses im MA, hög. von Ludwig Wahrmund, Bd. I, Heft IV. Innsbruck 1906. S. 16. 2) So Gerson im Kampfe gegen Jean Petit in der Frage des Tyrannenmorbes, Opera ed. Dupin Antwerpen 1706, II, 336.

Wahrheit und nur sie ist heilsnotwendig und darum katholisch '). In diesem Zusammenhänge polemisiert Ockham ausdrücklich gegen die Anschauung, die der Kirche die Fähigkeit zuschreibt, neue Offenbarungen unmittelbar vom Heiligen Geiste zu empfangen, ohne sie aus der Schrift begründen zu können. Daß die Väter der Kirche irren können, schließt ihre Heiligkeit nicht aus; nur dann würde das der Fall sein, wenn sie hartnäckig den Irrtum verteidigen würden*2). Eö gibt zwar katholische Wahrheiten außerhalb der Bibel — Ockham rechnet dazu die mündliche und schriftliche apostolische Tradition, die historisch sicher bezeugten Tatsachen der Kirchengeschichte, auch neue, unmittelbare Offenbarungen des Geistes —, aber sie können nicht im Gegensatz zu ihr stehen. Und ausdrücklich weigert er sich, kirchliche Lehr- oder Rechtöentscheidungen ohne weiteres als verpflichtend anzusehen; sie sind es nur, sofern sie aus der Schrift geschöpft sind oder doch ihre Über­ einstimmung mit ihr Nachweisen können3).4

Damit hat Ockham das lehrhaft-juristisch verstandene Bekennnis ganz der Schrift untergeordnet. Sie ist die einzige Quelle allen Rechts und aller Lehre. Nur in ihr hat das Bekenntnis den Grund seiner Eristenz. Das wurde früher bei aller Anerkennung der Beziehungen zwischen Schrift und Be­ kenntnis nicht mit solcher Ausschließlichkeit behauptet; erst der Gegensatz gegen die vom Papst beanspruchte Lehrgewalt hat diese Behauptung so scharf werden lassen. Aber diese grundsätzliche Verwurzelung des Bekenntnisses in der Bibel läßt ja immer noch zu, daß der Papst bei seiner wachstümlichcn Entfaltung eine Rolle spielen kann. Daher kommt cs, daß der Bruch mit den lehrhaften Ansprüchen des Papstes, den Ockham mit so kühnen Worten ankündigte, schließlich doch nicht vollzogen wurde. Mehr noch als der Meister selbst sind seine Schüler Peter d'Ailly und Gerson der Beweis dafür. In einer Jugendarbeit ') hat Peter d'Ailly in der Verteidigung der Bibelübersetzung des Hieronymus auch das Verhältnis von Schrift und Kirche behandelt. Beide Autoritäten können einander nicht widersprechen; denn sie haben beide ihre Würde und Vollmacht vom Heiligen Geiste. Im Unterschiede von Ockham nimmt also d'Ailly auch für die gegenwärtigen Entscheidungen der Kirche die unmittelbare Leitung des Heiligen Geistes in Anspruch. Und zwar kommt das bei ihm ausgesprochenermaßen daher, daß er sich der sakramentalen Anschauung vom Wesen der Kirche aus dem ersten Jahrtausend noch verpflichtet fühlte. Sie verbot eö, das Walten des Dialogus a. a. O. S. 410. 2) A.a.O. S.412ff. 3) A. a. O. S. 415 f. 4) Epistola ad novos Hebraeos, entstanden vor der Doktorpromotion 1380/ abgedruckt bei Paul Tschackert: Peter d'Ailly, 1877, Appendix S. 7ff.

102 Geistes auf die biblischen Schriftsteller zu beschränken; sic ermöglichte jenes Postulat der Gleichwertigkeit von biblischer und kirchlicher Autorität. In der Praxis wird dieser Grundsatz freilich erweicht durch die An­ nahme von Unterschieden der Autorität. Sic finden sich innerhalb der Bibel selbst, etwa zwischen Altem und Neuem Testament; sie sind auch vorhanden zwischen Schrift und Kirche. Beide beruhen auf göttlicher Inspiration. Aber daß die Kirche ihrer teilhaftig ist, weiß sie nur auf Grund des Zeugnisses der Schrift. Sie verfügt also nur über eine abgeleitete Autorität. Ketzer wird man nicht durch den Widerspruch zur Kirche, sondern zur Bibel'). Das Bekenntnis erwächst aus ihr und beruht nicht auf kirchlicher Autorität. Da­ mit ist der Standpunkt Ockhams trotz der Konzessionen an das sakramentale Selbstverständnis der Kirche wiedergewonnen. In ähnlicher Weise ist auch Gerson für die Würde der Bibel gegen alle menschlichen Rechtssatzungen cingetretcn. Kein Protestant könnte stär­ ker als er die Allgenugsamkeit der Schrift für alle Fragen des Glaubens und des Bekenntnisses hervorheben-). Und dabei will er den wörtlichen Schriftsinn allein zugrunde gelegt wissen und daran die Autorität des kirch­ lichen Rechtes messen. In deutlicher Polemik gegen allegorisierende Umdeu­ tungen der Bibel, wie sie sich so oft in päpstlichen Bullen finden, bemüht er sich um eine Ableitung des kirchlichen Rechts aus dem buchstäblichen Sinne der Schrift. Und die unangreifbarsten Kanones, an denen alle Ketzer zu­ schanden werden, sind ihm die, die wörtlich oder sinngemäß Bibclstellen wiedergeben. Er stellt sie als gleichwertig neben die altkirchlichen Bekennt­ nisse, in denen die Kirche ja auch den Schriftinhalt reproduziert habe3*).4 2 Aber dadurch, daß die Bibel vornehmlich als Quelle der Lehre und des Rechts, als Sammlung lehrhafter und juristischer Sentenzen verstanden wird, wird sie doch wieder auf einem Umwege von der kirchlichen Autorität abhängig gemacht. Ist diese es doch, die sie einst rezipiert hatte; ihrer An­ erkennung verdankt die Schrift ihre universale Bedeutung. Sie stellt als Trägerin deö Heiligen Geistes die Normen auf, nach denen die Schrift allein richtig ausgelegt werden kann. Sie legitimiert die Gcistmenschen, deren in­ spirierte Auslegung fortan in ihr maßgebend sein soll. Die Kirche als uni­ versale Schöpfung des Heiligen Geistes besitzt größere Vollmacht als jeder einzelne ihrer Ausleger, der sich zu ihr in Gegensatz stellen will H. In dem Maße, wie die Kirche sich selbst als Wirkungsstätte des Hei­ ligen Geistes, als sakramentale Größe versteht, stellt sie sich ebenbürtig

') A. a. O. S. io. 2) Contra haeresim de communione laicorum sub utraque specie, Dupin I 457 B: Scriptura sacra est fidei regula, contra quam bene intellectam non est admittenda auctoritas, ratio hominis cuiuscunque; nec aliqua consuetudo ncc constitutio nec observatio valet, si contra sacram scripturam militare convincatur. 3) De sensu literali sacrae scripturae, Dupin I, 3 DE. 4) Contra haeresim de communione laicorum sub utraque spccic, Dupin I, 459.

neben, ja über die Schrift. Sie hat sich auch jetzt noch, mitten in einer an­ ders gerichteten Zeit, das sakramentale Kirchenrecht gewahrt, das sie aus sich selber schöpft. Damit durchbricht sie einen formalen Biblizismuö. Sic setzt auch ihr Bekenntnis aus sich selbst heraus. Sie ist aber dabei der festen Zuversicht, daß eö der Bibel nicht widerspreche, weil es von demselben Geiste wie diese inspiriert ist. Mit souveräner Freiheit nimmt sie darum die ganze Wahrheit der Bibel für sich in Anspruch, zugleich aber die Vollmacht, sie in ihren Bekenntnissen auözulegen und sinngemäß zu ergänzen'). — Damit gewinnt aber der Grundsatz von der Wachstumsfähigkeit des kirchlichen Bekenntnisses, einst im Kampfe mit den Griechen erstritten'-), er­ höhte Bedeutung. Thomas von Aquino hat ihn klassisch begründet''): die Substanz des Bekenntnisses hat sich nicht vermehrt, sondern entfaltet und soll durch immer neue Darlegung weiter wachsen. Daß dabei die Heilige Schrift ebenso Glaubensregel ist '), setzt ihren Auslegungsmöglichkeiten keine Schranke, sondert fördert nur bereit Mannigfaltigkeit. Daß sie immer an jene Norin gebunden bleibe, dazu bedarf es der Lehrgewalt des Papstes in der Kirche. Als deren Haupt hat er von Christus die Vollmacht empfangen, neue Symbole zu bilden bzw. ein Gencralkonzil zu deren Abfas­ sung zu berufen'). Seitdem hört die Frage nach der Fortbildungsmöglichkeit des Bekennt­ nisses nicht auf, daü Mittelalter zu beunruhigen, und wirkt bis in die ReformationSzeit nach. Zwar fehlte cS nicht an neuen Formulierungen, in denen neue Lehrentscheidungen festgelcgt waren. Aber sie waren nicht in den Kul­ tus und damit in das Volk gedrungen. In den altkirchlichen Bekenntnissen aber, die dort ihre Stätte hatten, waren die neuen Lehren, das Sakrament betreffend, nicht ausgesprochenermaßen enthalten. Man mußte sie also in dieser Beziehung als ergänzungsbedürftig empfinden. So versuchte man in der praktischen Unterweisung, die Gläubigen anzuleiten, Lehren wie die Realpräsenz Christi oder die Transsubstantiation nachträglich aus den Ar­ tikeln des Apostolikums zu erschließen«). Ein vergebliches Unterfangen! Wer von den Laien konnte dieses theologische Kunststück fertigbringen? Daß man es verlangte, war ein Zeichen dafür, daß man wohl die Notwendigkeit einer Fortentwicklung des Bekenntnisses einsah, aber nicht die Kraft besaß, ihr Rechnung zu tragen. x) Johannes Breviscoxa (t 1423): De Fide, Ecclesia, Romano Pontifice et Concilio Generali, Dupin I, 829 A: Nullus enim tenetur scire totam Bibliam, omnes aut em veritates Bibliae sunt catholicae. а) Vgl. oben S. 37 ff. 3) Summa Theologica II 2, q. 1, art. VII: Utrum articuli fidei secundum successionem temporum creverint,