Beruf und Ideologie der Angestellten [1 ed.] 9783428578542, 9783428178544

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Beruf und Ideologie der Angestellten [1 ed.]
 9783428578542, 9783428178544

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Beruf und Ideologie der Angestellten Von

Carl Dreyfuss

Duncker & Humblot reprints

CARL DREYFUSS

Beruf und Ideologie der Angestellten

M Ü N C H E N VERLAG

VON

UND

LEIPZIG

DUNCKER

&

1933

HUMBLOT

I

Plerersdie Hofbuchdruckerei Stephan Gelbel & Co., Altenburg, Thür.

Inhaltsübersicht Einleitung D i e Angestellten im Betrieb

Seite

1 9

Der kaufmännische Betrieb D i e Betriebshierardiie Interessen des Unternehmers S. 12. - Interessen der Angestellten S. 13. Unternehmerisdie Einflußnahme S. 15. - Gruppierung im Angestelltentarif S. 10. - Psychologische Beobachtungen S. 17. - Die „Bürokratisierung" des Geschäftsbetriebes S. 18. - Die Stellung des Betriebsrates S. 24. Ideologische Wirkungen S. 25.

11

D e r Betriebsraum

28

Rationalisierung im kaufmännischen Betrieb Mechanisierung und Sdiematisierung i m Büro

36

Rationalisierung der Arbeitskraft Arbeitstempo S. 41. - Die praktische Psychologie im Dienste der Rationalisierung S. 42. - Die psychotedinische Eignungsprüfung S. 43· Auswechselbarkeit der Angestellten S. 45. - „Menschenbehandlung im Betriebe" S. 49-

40

M o n o t o n i e und „Arbeitsfreude" Das Problem der Arbeitsfreude S. 52. - Die monotone Arbeit S. 56. Ideologische Äußerungen zum Monotonieproblem S. 57.

52

Stufen der Betriebshierardiie D e r leitende Angestellte Die arbeitsfunktionelle Position S. 64. - Die betriebssoziale Position S. 67. - Spezielle Ideologien S. 69. - Zerstörung der Ideologien S. 71.

64

Vertrauenspersonen u n d Sekretärinnen Vertrauenspersonen S. 74. - Privatsekretärinnen S. 74. - Spezielle Ideologien S. 75. - Sexuelle Beziehungen im Geschäftsbetrieb S. 77.

73

Angestellte im Außendienst 80 Vorbereitung der Verkaufstätigkeit durch Reklame S. 8l. - Die Tätigkeit des Reisenden S. 83. - Das Bestechungswesen S. 86. - Die innerbetriebliche Stellung des Reisenden S. 89. - Spezielle Ideologien S.91· — Soziale und psychologische Voraussetzungen für den Reisendenberuf S. 93· Der Vertreter S. 93. - Der Versicherungsagent S. 96. Angestellte in medianischer und sdiematisdier Tätigkeit Stenotypistinnen: Ihre Tätigkeit S. 98. - Spezielle Ideologien S. 102. Bankangestellte S. 109. - Historischer Rückblick S. 110. - Die aktuelle Lage S. 112.

96

Angestellte im Einzelhandel 116 Die Hierarchie im Einzelhandelsbetrieb S. 116. - Die Sozialsphäre des Einzelhandelsbetriebes S. 118. - Psychologische Anforderungen an die Verkäuferin S. 121. - Persönliche Ausnutzung der Verkäuferin S. 12Ó. Bezahlung und Tätigkeit der Verkäuferin S. 129. - Spezielle Ideologien S. 133.

Lehrlinge J38 Tätigkeit in der Lehre S. 138. - Betriebssoziale Folgen S. 141. - Spezielle Ideologien S. 142. - Beeinflussung vor der Berufsausübung. S 142. - Beeinflussung im Beruf S. 144. - Beeinflussung durch Ausbildung, in Scheinfirmen S. 147·

Auslese Berufswahl

152

Soziale Herkunft

154

Schulbildung u n d Bereditigungswesen

156

Zeugnisse und Referenzen

159

Anstellung b e i einem Konkurrenzunternehmen

161

Stellenvermittlung 163 öffentliche Arbeitsnachweise S. 163. - Nachweise durch Angestelltenverbände S. 163. - Stellenvermittlung durch Inserat S. 164. Psychologische Auslesemethoden 166 Die psychotechnische Eignungsprüfung S. 166. - Die graphologische Prüfung S. 169. - Andere Methoden: Psychoanalyse S. 172. - Astrologie

s. 173. A l t e r , Aussehen und Auftreten Alter S. 174. - Aussehen und Gesundheit S. 177. - Auftreten S. 179.

174

Ideologische Beeinflussung

183

Unternehmerische Beeinflussung

185

Betriebspolitische Bemühungen 185 Auszeichnungen und Ehrungen S. 185. - Prämien, Gratifikationen und Vergünstigungen S. 187. - Betriebswohlfahrt S. 188. - Firmenvereine S. 193. - Firmenfestlichkeiten S. 198. - Hauszeitungen S. 203. Aufstiegsmöglichkeit als Ideologie 209 Beispiele für die Verbreitung der Aufstiegsideologie S. 210. - Die reale Aufstiegsmöglichkeit S. 218. Werkgemeinschaft 220 Psychologische Unterbauung S. 221. - Philosophische Unterbauung S. 224. - ökonomische Unterbauung S. 225. - Die Werkgemeinschaftsbewegung S. 228. D i e Dinta-Bewegung

229

Religiöse Beeinflussung

231

Katholizismus S. 231. - Protestantismus S. 235·

Beeinflussung durch Film und Literatur

242

Film S. 242. - Literatur S. 250.

Neuer Mittelstand?

253

. . . .

264

Literarische Nachweise

265

Abkürzungen

EINLEITUNG

1 D r e y f u s , Beruf und Ideologie der Angestellten

Die Zahl der Angestellten ist in den letzten Jahrzehnten ununterbrochen gewachsen; heute beträgt sie in Deutschland etwa vier Millionen, das sind 11—12 o/o aller Erwerbstätigen. Das unaufhaltsam steigende Bedürfnis der Wirtschaft nach Angestellten veranlaßte immer wieder neue Massen, sich diesem Berufe zuzuwenden, und es hatte den Anschein, als ob für sie alle dauernde Arbeitsmöglichkeit bestehe. Verursachte doch die Überproduktion in der hochkapitalistischen Wirtschaft erhebliche Schwierigkeiten im Verteilungsprozeß, war doch für den modernen Unternehmer die Erschließung neuen Konsums und die Ebnung des Warenabsatzes eine Existenzfrage geworden. Der Konkurrenzkampf wurde von Jahr zu Jahr heftiger, der Verteilungsapparat mußte in ungeahnten Ausmaßen vergrößert werden. Große Truppen von Reisenden und Verkäufern wurden in Industrie und Einzelhandel nötig, die Vertriebspropaganda erheischte zahlreiche Hilfskräfte, und die buchhalterische Verarbeitung dieser Verkaufstätigkeit schrieb die Neueinstellung vieler Angestellten vor. Auch die durch Entwicklung der Technik in weit rascherem Tempo fortschreitende Rationalisierung, die später die Aufnahmefähigkeit der Wirtschaft für Angestellte verringern sollte und heute die Arbeitsmarktverhältnisse wesentlich verändert bat, war anfänglich ein Grund für die Aufnahme neuer Angestellter. Die Rationalisierungsmaßnahmen im Werk, die denen im kaufmännischen Betrieb vorausgingen, hatten eine weitgehende Verlegung von Arbeitsfunktionen aus der Fabrik in das Büro zur Folge. Durch sie verschwand der Werkmeister, wurde zum Aufsichtsbeamten, Antreiber oder zum Vorarbeiter, alle Vorbereitungen des Arbeitsprozesses aber fielen im durchrationalisierten Betrieb ebenso dem Büro zu wie die Fabrikationskontrolle. Diese Entwicklung wurde zum Anlaß für wissenschaftliche und politische Diskussionen, in deren Mittelpunkt die Angestellten standen. Zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Jahre beschäftigen sich mit der wirtschaftlichen Lage der Angestellten, mit ihrer Lebenshaltung oder mit sozialpolitischen Fragen. Ihre berufliche Tätigkeit aber fand keine eingehende Darstellung, eine um so erstaunlichere Tatsache, als die Berufsarbeit bei den Angestellten von entscheidender Bedeutung für die Bewußtseinsbildung ist. Bei einer Mehrzahl der Angestellten herrscht heute noch die Meinung vor, daß gerade der Beruf sie von anderen sozialen Gruppen, vor allen Dingen von den Arbeitern, wesentlich unter-

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scheide. Auf die berufliche Stellung beziehen sich die Theorien, die entweder die Angestellten als noch dem Bürgertum zugehörig und in ihrer sozialen Lage keineswegs verändert ansehen wollen oder sie als Kern einer neuen gesellschaftlichen Schicht, des „neuen Mittelstandes", betrachten 1. Nur S. Kracauer hat in seiner aufschlußreichen Arbeit 2 Ausschnitte aus dem Berufsleben der Angestellten gezeigt, wobei er allerdings dem Charakter seiner Publikation entsprechend auf eine eingehende und systematische Darstellung verzichtete. Seine Ausführungen sind aber um so wichtiger und beachtlicher, als sie den ersten Vorstoß in das Gebiet der Berufstätigkeit und ihrer sozialen Zusammenhänge bedeuten und so einen grundlegenden Beitrag zur Klärung der Bewußtseinsbildung der Angestellten liefern. Auch auf den Sammelband über Berufsfragen von v. d. Gablentz und Mennicke 3 sei in diesem Zusammenhang hingewiesen. In dem durch den Rahmen des Gesamtwerks beschränkten Raum wird hier ein lebendiges, objektives Bild von den einzelnen wirtschaftlichen Berufsgruppen gegeben, das in weitgehendem Maße den realen Verhältnissen entspricht, ganz im Gegensatz zu anderer entweder durch theoretische Betrachtungen wirklichkeitsfremden oder durch allzu enge Schilderungen in der Wirtschaft stehender Fachleute oft einseitigen und befangenen Berufsliteratur. Die meisten Publikationen behandeln, wenn überhaupt, die Probleme des beruflichen Seins und Bewußtseins der Angestellten in der oberflächlichsten Weise; als Beispiel sei eine Dissertation von Heinz Hamm genannt4, in der auf drei Druckseiten über das Berufsbewußtsein des kaufmännischen Angestellten und des Unternehmers berichtet wird. Die vorliegende Arbeit will den Beruf der Angestellten betrachten und ihre Berufsideologien untersuchen, die sozialen Beziehungen innerhalb des Geschäftsbetriebes darstellen und durch Analyse deuten. Sie sieht die Probleme weder vom Standpunkt des Unternehmers noch von dem des Angestellten; freilich wird sie fortgesetzt unter dem Zwang der Tatbestände darauf hinzuweisen haben, daß in der Gegenwart die Energien der Angestellten weitgehend gefesselt, ihre Leistungsfähigkeit und Arbeitskraft zum Teil gehemmt sind. In vielen Punkten muß die Wirkung der gesellschaftlichen außerbetrieblichen Beziehungen auf den Betrieb Berücksichtigung finden, ohne daß aber diese Einflüsse bis zu ihrer Quelle zurückverfolgt werden sollen. Ebensowenig liegt es im Rahmen der Untersuchung, dem ausstrahlenden Einfluß der sozialen Beziehungen im Betrieb auf das gesellschaftliche Leben außerhalb des Betriebes nachzugehen, wenn auch durch die Untersuchung die Voraussetzungen für diesen Einfluß aufgedeckt werden. Der kaufmännische Betrieb ist das Zentrum des Daseins der Angestellten, die Verankerung ihrer Existenz. Er ist für sie nicht nur die ökonomische Lebensgrundlage, sondern auch durch die in ihm entstandene Anhäufung von Abhängigkeits- und Unterordnungsbeziehungen bestimmend für ihren sozialen Standort.

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Die Untersuchung beschränkt sich auf den kaufmännischen Teil des privatwirtschaftlichen kapitalistischen Betriebes, also mit dem, was man in der Umgangssprache „Geschäftsbetrieb" nennt. Unter diesen Begriff fällt jede betriebliche Kooperation innerhalb der kaufmännischen Organisation der Privatwirtschaft: der Bürobetrieb von industriellen Unternehmungen, Groß- und Kleinhandelsfirmen, Banken, Versicherungsund Verkehrsgesellschaften und der Verkaufsapparat des Einzelhandels. Die Beschränkung auf den kaufmännischen Betrieb geschieht deshalb, weil er das wichtigste Berufsfeld der Angestellten darstellt. Wohl zählen technische Angestellte mit zur Angestelltenkategorie, sie unterscheiden sich aber durch ihre Tätigkeit in der Fabrik und durch ihr berufliches Bewußtsein, das von den Arbeitsverhältnissen im Werk bedingt ist, wesentlich von den kaufmännischen Angestellten. Bei einer Einbeziehung dieses Problemkreises in unsere Betrachtungen müßte der Fabrikbetrieb und der in ihm tätige Arbeiter eingehend behandelt werden, wobei eine starke Akzentverschiebung für die ganze Untersuchung unvermeidlich wäre; nur an einzelnen Punkten sind die technischen Angestellten vergleichsweise herangezogen worden. Auf eine Darstellung der sozialen Verhältnisse im Fabrikbetrieb kann um so leichter verzichtet werden, als über dieses Problem bereits mehrere umfangreiche Untersuchungen vorliegen 5. Die betriebliche Werkspolitik ist überall berücksichtigt worden, wo die „Arbeitnehmerschaft" als geschlossene soziale Gruppe angesehen und behandelt wird, wo also soziale Betriebspolitik sich gleichermaßen mit Arbeitern und Angestellten befaßt oder wo die unternehmerische Bewußtseinshaltung die Arbeiter und die Angestellten als homogene Masse betrachtet. Es ist unmöglich, bei unseren Betrachtungen von einem Idealtypus „Betrieb" auszugehen, da die privatwirtschaftlichen Betriebe die mannig1fachste Größe und Form haben. Neben den mammuthaften Bürobetrieben von Konzernen und Trustunternehmungen bestehen zahlreiche mittlere, kleinere und kleinste Geschäftsbetriebe. Wir wollen aus verschiedenen Gründen hauptsächlich den Großbetrieb untersuchen: bei der trustkapitalistischen Entwicklungstendenz der Wirtschaft wird er in der ferneren Zukunft die fast ausschließlich existente Betriebsform sein, denn kleine und mittlere Betriebe müssen immer mehr verschwinden oder sich zu Großbetrieben zusammenschließen; schon heute hat aber der Großbetrieb nicht nur in ökonomischer Beziehung dominierende Bedeutung, sondern auch als Faktor sozialer und psychologischer Beeinflussung der Angestellten als Berufsgemeinschaft (Einen Hinweis mag die gewerbliche Betriebszählung aus dem Jahre 1925 geben, nach der in 205909 Mittelbetrieben, das sind Betriebe, in denen insgesamt 60—70 Arbeiter und Angestellte beschäftigt sind, insgesamt 2898609 Personen tätig waren, während die Zahl für 32759 Großbetriebe 6968220 Personen beträgt, rund 7 Millionen in Großbetrieben Tätigen also nur 2,9 Millionen in Mittelbetrieben gegenüberstanden) ; auch haben mittlere

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kaufmännische Betriebe heute in vielen Merkmalen schon größte Ähnlichkeit mit dem Großbetrieb, der für sie gerade in betriebsorganisatorl·· sehen Fragen und in ihrer sozialen Struktur und Einflußnahme vorbildlich geworden ist. Gesellschaftliche und psychologische Voraussetzungen für die Berufsarbeit und die Bewußtseinsbildung der Angestellten in kleineren Betrieben stimmen weitgehend mit denen der im Großbetrieb Tätigen überein; ihre ökonomische Situation ist fast immer gleich, soweit es sich um Angestellte auf gleicher Stufe handelt. Nur ist die Zahl der unteren Angestellten mit schematischer oder mechanischer Tätigkeit im Großbetrieb auch relativ weit erheblicher als im kleinen Büro. Der Kleinbetrieb ist als Rudiment aus früheren Epochen für unsere Betrachtungen wichtig als heute noch erhaltener historischer Vorgänger des aktuellen Mittel- und Großbetriebes; er ist der Arbeitsraum, aus dem heraus zahlreiche heute im Großbetrieb Tätige ihre Berufslaufbahn begonnen haben. Zusammenfassend ist zu sagen, daß weitgehende Übereinstimmung in vielen hier zu behandelnden Fragen zwischen den kaufmännischen Betrieben verschiedener Größe besteht, daß aber in der Hauptsache der Großbetrieb behandelt werden soll. Endlich sei bemerkt, daß die Fülle der zu klärenden Probleme eine Beschränkung auf das deutsche Wirtschaftsgebiet fordert, so aufschlußreich vielleicht auch die Einbeziehung des Auslandes, insbesondere Amerikas, gewesen wäre. Methodisch kann sich die Untersuchung nicht bei der Darstellung und der Analyse der gesellschaftlichen Beziehungen bescheiden, sondern sie muß sich neben der Berücksichtigung ökonomischer Voraussetzungen für die sozialen Verhältnisse vor allem auch der Psychologie als Hilfswissenschaft bedienen. Allerdings ermöglicht die Psychologie, auch in ihrer fortgeschrittensten Form, heute noch nicht eine sehr entfaltete Anwendung in der Sozialforschung; so müssen wir uns damit begnügen, die Punkte anzudeuten, an denen die gründliche psychologische Untersuchung anzusetzen hätte. Die Entwicklung der Psychologie, insbesondere der Psychoanalyse, wird aber sicher für zukünftige Arbeiten immer brauchbarere Hilfsmittel liefern. Bei der Erforschung menschlicher Bewußtseinsbildung und der Aufdeckung gesellschaftlicher Beziehungen können keinesfalls psychologische Erwägungen und Deutungen ausgeschlossen werden. So bedarf es auch in der vorliegenden Arbeit nicht nur zur Aufklärung der innerbetrieblichen Beziehungen der psychologischen Methode, sondern auch zur Erhellung der Hintergründe des gesellschaftlichen Verhaltens bestimmter Berufsgruppen. Was die Stellung im Geschäftsbetrieb für den Angestellten als Quelle sozialer Bestätigung oder sozialer Unterdrückung bedeutet, wie sich umgekehrt die gesellschaftliche Basis im einzelnen Menschen reproduziert, wie die unbewußten Triebregungen im Beruf Befriedigung finden, wie die betrieblichen Sozialbeziehungen über den Weg dieser Triebbefriedigung gestaltend auf das Bewußtsein des Angestellten wirken, das alles sind psychologische Fragen. Die Aufklärung der Bildung von Berufs- und

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Standesideologien u n d des Einflusses solcher I d e o l o g i e n auf den A n gestellten ist ohne p s y c h o l o g i s c h e E r w ä g u n g e n u n d e n k b a r . U n t e r I d e o logie verstehen w i r d e n B e w u B t s e i n s i n h a l t v o n M e n s c h e n , dessen P r o d u k t i o n d u r c h die soziale u n d ö k o n o m i s c h e S i t u a t i o n dieser p r o d u z i e renden M e n s c h e n u n d d u r c h d i e i n i h n e n m ä c h t i g e n T r i e b r e g u n g e n u n d das B e f r i e d i g u n g s b e d ü r f n i s b e s t i m m t w i r d , u n d der die F u n k t i o n hat, die Klassengegensätze zu v e r h ü l l e n u n d eine scheinbare soziale H a r m o n i e vorzutäuschen. A u f eine umfassende historische D a r s t e l l u n g m u ß b e i d e r P r o b l e m s t e l l u n g verzichtet w e r d e n ; sie l i e g t a u ß e r h a l b der U n t e r s u c h u n g . D o c h sind d o r t historische E x k u r s e eingefügt, w o f ü r d i e B e t r a c h t u n g der I d e o l o g i e n b i l d u n g die E r k e n n t n i s der geschichtlichen E n t w i c k l u n g bes t i m m t e r Berufe u n d B e r u f s g r u p p e n zur A u f k l ä r u n g b e i t r a g e n kann.

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DIE ANGESTELLTEN IM BETRIEB

D e r kaufmännische Betrieb Der Betrieb ist die organisierte Kooperation von Menschen, die in einem einheitlichen Arbeitssystem die vom Unternehmer gestellte wirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen hat. Der kaufmännische Betrieb ist der Betrieb, der sich mit der Ausführung der Aufgaben der Verteilung und des Einkaufs beschäftigt und einen Teil der Leitung der Produktion innehat.

Die Betriebshierarchie Die Grundlage für unsere Untersuchung der betrieblichen Sozialbeziehungen der Angestellten muß die Darstellung und Analyse der Betriebshierarchie sein; sie liefert uns das dominierende Einteilungsprinzip für unsere Betrachtungen, denn in ihr verkörpern sich die sozialen Einflüsse und sozialen Beziehungen, und von ihr gehen die gesellschaftlichen Ausstrahlungen aus. Im Betrieb ist die Grenze zwischen Geschäftsleitung und Angestellten keineswegs klar gezogen. Die Hierarchie ist ein äußerst differenzierter Organismus, dessen Rangstufung durch verschiedene Merkmale gekennzeichnet wird: erstens durch die wirkliche oder angemaßte Befehlsgewalt, die Befugnis, Anordnungen zu erteilen und Gehorsam zu verlangen; zweitens durch die Verantwortlichkeit, die der Einzelne hat oder zu haben glaubt, also durch seine Selbständigkeit oder durch die Größe der Abhängigkeit von einem vorgesetzten Dienstanweiser; drittens durch seine tatsächliche oder fiktive Zugehörigkeit zur Unternehmungsleitung oder Abteilungsleitung; viertens durch die Vertretungsmöglichkeit der Firma nach außen hin, sei es durch Einkaufsverhandlungen mit Lieferanten, sei es durch Verkaufstätigkeit bei der Kundschaft, sei es auch nur durch Unterzeichnung von Briefen oder Schriftstücken. Große Anordnungsbefugnis zieht auch immer erhebliche Verantwortlichkeit mit sich, während es umgekehrt möglich ist, daß ein Angestellter einen verantwortlichen Posten, ζ. B. eine Vertrauensstellung, innehat, an dem er nicht mit Befehlsgewalt ausgestattet ist, sich aber als der Geschäftsleitung zugeordnet betrachten kann. Briefs nennt in seiner Beschreibung der Betriebshierarchie nur die hier an erster und dritter Stelle angeführten Merkmale: „Die Rangstufung erfolgt nach der Berechtigung, anzuordnen und anzuweisen, Disziplin zu erwarten und zu verlangen; der Umfang der Anordnungs- und Anweisungsmacht und ihre Nähe zum zentralen Zweck der Betriebsführung ist das Prinzip der hierarchischen

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Gliederung." 6 Gegen diese Definition sind grundlegende Bedenken anzumelden, die über das der Unvollständigkeit hinausgehen. Vor allem fehlt ein Hinweis darauf, daß nicht nur die reale Anordnungsmacht als Merkmal in Frage kommt, sondern auch die angemaßte, nicht nur die wirkliche Nähe zum zentralen Zweck der Betriebsführung, sondern auch die illusorische. So ist es auch nicht angängig, von diesen Merkmalen als dem „Prinzip der hierarchischen Gliederung" zu sprechen. Es sind Kennzeichen 'der Rangstufung. Auf Grund welcher Einflüsse aber die Hierarchie entsteht, soll in den folgenden Ausführungen dargestellt werden. „Die Betriebshierarchie ist die auf der Grundlage der Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigung hervorgegangene Stufenordnung der mit verschiedenartigen Funktionen und verschiedenen Tätigkeiten in einem Betrieb zusammenwirkenden Menschen." 7 So definiert Geck die Betriebshierarchie; nach seiner Meinung ist sie also durch betriebstechnische Voraussetzungen bedingt, nämlich durch Arbeitsteilung, Arbeitsvereinigung und Tätigkeit. Man könnte solcher Definition zustimmen, wenn nicht soziale und psychische Einflüsse in erheblichem Umfang für die Hierarchiebildung maßgebend wären. Nicht nur durch die von den einzelnen Arbeitsfunktionen und der Aufgabe ihrer arbeitstechnischen Bewältigung abhängigen, organisatorischen Notwendigkeiten des Betriebes wird die Entstehung der Hierarchie bestimmt; es sind mächtige Kräfte am Werk: die sozialen und psychischen Ansprüche sowohl des Unternehmers als auch der Angestellten. Interessen des U n t e r n e h m e r s

Der Unternehmer hat ein fundamentales Interesse daran, daß ihm die Angestellten seines Betriebes nicht als homogene Masse in geschlossener Front gegenüberstehen. Durch eine möglichst feine Unterteilung und Differenzierung zersplittern sich ihre gegen ihn anwendbaren Kräfte. Auch sein erhebliches gesellschaftliches Geltungsbedürfnis wirkt sich gestaltend auf die Betriebshierarchie aus. Wird doch nicht nur der äußere Aufbau der Unternehmung von diesem Trieb stärkstens beeinflußt, sondern auch die Bildung der inneren Struktur; möglichst viele Abteilungen, Unterabteilungen und Stufungen bestärken das unternehmerische Bewußtsein, einer bedeutsamen Organisation vorzustehen. Vor allem aber bietet die weit über die betriebstechnische Notwendigkeit hinausgehende Stufung innerhalb der Hierarchie einen sozialen und psychischen Ausgleich für die ökonomische Ausbeutung der Angestellten. Die Abhängigkeit gerät durch die übermäßige Differenzierung eher in Vergessenheit, die Aufstiegsillusion wird durch sie genährt, und die Machtbefugnis, wenn sie auch nur illusorisch ist, läßt andere Härten ertragen. So erhält die Rangstufung eine mächtige ideologische Funktion, über die wir in den folgenden Untersuchungen zahlreiche Aufschlüsse erhalten werden.

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Interessen d e r A n g e s t e l l t e n

Dem Angestellten bringt die hierarchische Rangstufung nicht nur die Fixierung seiner betriebsorganisatorischen Stellung, die ihm in arbeitstechnischer Beziehung Rechte einräumt, Pflichten auferlegt und seine Arbeitsfunktion bestimmt, sondern sie entscheidet auch über die Möglichkeit für ihn, sich in der beruflichen Tätigkeit Befriedigung seines im Lebensraum meist unbefriedigten sozialen Geltungsbedürfnisses und seiner dort ungestillten Triebregungen zu verschaffen. Diese Möglichkeit findet er bei der „künstlichen" Differenzierung — so wollen wir die durch soziale und psychische Faktoren hervorgerufene Unterteilung der Hierarchie im Gegensatz zu der durch arbeitstechnische Notwendigkeiten bedingten „echten" nennen — weit eher als bei einer durch Ausschaltung dieser Einflüsse organisations-adäquaten Rangstufung. Er kann sich innerbetrieblich soziale Geltung zum Ausgleich für ökonomisches Elend und außerbetriebliche soziale Unterdrückung verschaffen, indem er eine Stellung innehat, die wenigstens die Illusion der Gehobenheit gegenüber einigen Kollegen zuläßt. Diese scheinbar bessere und in dem feinen Organismus der Hierarchie auch wirklich etwas unterschiedene Position wirkt sich in sozialer Beziehung nach außen hin aus, während sie auch nicht selten umgekehrt durch Beeinflussung außerbetrieblicher sozialer Unterschiede mitgeschaffen ist. Vor allem sind es aber psychische Motive, die die Angestellten dazu bewegen, auf solche durch keine arbeitstechnischen Notwendigkeiten bedingte Differenzierung der Betriebshierarchie einzugehen und daran mitzuwirken. Auf Stufung und Unterstufung haben Triebregungen und Triebziele weitgehenden Einfluß. Die in vielen Menschen vorhandene sadistische Veranlagung findet in der Betriebshierarchie leicht überall dort Befriedigung, wo Machtbefugnis wirklich oder scheinbar ausgeübt werden kann. Fast jeder Angestellte hat dazu Gelegenheit, denn selbst in der untersten hierarchischen Sphäre besteht noch die Möglichkeit der Illusion einer Befehlsgewalt, wenn sie sich auch nur an Lehrlingen, Bürodienern oder Laufburschen versuchen kann. Sadistische Triebregungen, gepaart mit dem oft erheblichen Geltungsbedürfnis, machen einen Angestellten häufig zum unleidlichen Kollegen und Vorgesetzten, beflissen, seine Befehlsgewalt auszunutzen und zu überschreiten, seine Mitarbeiter zu quälen und zu schikanieren. Anerkennung und Schaffung der künstlichen Stufungen wird weiterhin durch die mächtige Triebregung des Narzißmus gefördert, die in mehr oder weniger ausgesprochener Form in jedem Menschen lebendig ist. Sie verlangt um so gebieterischer Befriedigung in der beruflichen Stellung, als ihr in der Berufsarbeit, in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Position des Angestellten nicht genügt wird. Narzißtische Menschen begrüßen also die künstliche Differenzierung und Kompli-

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zierung der hierarchischen Stufung freudig, greifen begierig nach der Erteilung jeder, auch der kleinsten Anordnungsbefugnis, selbst dann, wenn sie ihm nur scheinbare Macht verleiht. Die Beförderung zum Unterabteilungsleiter, die Betrauung mit einem beschränkt selbständigen Posten oder gar die Verleihung der Handlungsvollmacht sind Ereignisse, die weit über ihre betriebsorganisatorische und über ihre ökonomische Bedeutung hinaus tiefgehende Befriedigung und größten Stolz auslösen. Eine Tätigkeit, die nach außen hin in Erscheinung tritt, ist die willkommenste Bestätigung. Der Reisende, die Verkäuferin und der Einkäufer sind, wie wir noch im einzelnen betrachten werden, Berufe, deren Beliebtheit vorwiegend auf die Möglichkeit zur Befriedigung narzißtischer Regungen zurückzuführen ist. Oft reichen auch schon äußerlichste Vorgänge aus, um dem Verlangen des narzißtischen Menschen zu genügen, eine patriarchalische Äußerung des Unternehmers, ein Lob des Vorgesetzten, eine Verbesserung der Zimmereinrichtung, die den Arbeitsplatz von dem des Kollegen unterscheidet. Verstärkt wird der narzißtische Geltungswunsch durch ein erhebliches Ressentiment in allen den Fällen, in denen durch Pauperisierung und Deklassierung früher selbständige Unternehmer, Offiziere oder Beamte Angestellte geworden sind. Eifersucht und Neid zwischen gleichgestellten oder unmittelbar überund untergeordneten Angestellten werden durch den von unternehmerischen Ideologien stets von neuem geschürten Kampf um den Aufstieg geweckt und angefacht, und die Angst um die Stellung, um die Existenzmöglichkeit verschärft diesen Wettbewerb. Dann entstehen die Typen von Angestellten, die man als „Radfahrer" oder „Betriebsunteroff iziere" zu bezeichnen pflegt; bei ihnen findet eine weitgehende Identifikation mit der Betriebsgewalt statt, mit dem Vorgesetzten und dem Unternehmer: sie fühlen sich trotz Einordnung in die Organisation als machtvolle Repräsentanten des herrschenden Systems. Die differenzierte Gliederung der Betriebshierarchie erfährt durch Einflüsse aus der privaten Sphäre noch weitere erhebliche Komplikationen; insbesondere sind es erotische Beziehungen und Spannungen, die die hierarchischen Trennungen überbrücken oder vertiefen. Von der harmlosen Freundschaft zwischen männlichen und weiblichen Angestellten geht die Skala der Beziehungen über den Flirt und die Schwärmerei bis zum sexuellen Verhältnis. Besonders häufig treten Vorgesetzte mit ihnen unterstellten weiblichen Angestellten in Beziehung; sind sie doch nicht nur durch ihre gehobenere Betriebsstellung in helleres Licht gerückt, sondern auch ihre oft höhere soziale Herkunft und ihre bessere ökonomische Situation mit ihren Folgen, sicheres Auftreten und gepflegtere Kleidung, machen sie begehrenswert. Kommt hinzu, daß der Vorgesetzte ein noch junger Mensch ist, der dem von Filmen und Magazinen propagierten Zeittypus entspricht, so sind zumindest die jüngeren weiblichen Angestellten ausnahmslos in einer mehr oder weniger aus-

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gesprochenen Weise an ihn fixiert. Sie werden dabei von den verschiedensten Motiven bestimmt: die jüngeren Mädchen von pubertà tshafter Neugierde und jugendlicher Schwärmerei; die älteren von einer beruflichen oder ökonomischen Interessiertheit oder vom Wunsch nach Aufstieg in sozial höhere Schichten. Durch solche Verhältnisse entstehen Eifersüchteleien und neidische Feindseligkeiten zwischen Kollegen, und ihr Vorkommen ist einem solidarischen Zusammenhalt aller Angestellten eines Betriebes wenig zuträglich. So klagt eine Stenotypistin: „Die Berührungspunkte mit den männlichen Angestellten sind nur individueller Art. Sehr stark spielen erotische Momente mit. Die gemeinsame Arbeitslage hat hier noch kaum eine Neutralität, eine neue Kameradschaftsbildung zwischen männlichen und weiblichen Angestellten geschaffen, wie sie sich zum Beispiel in der Jugendbewegung auf Grund gemeinsamer geistiger Arbeit herausgebildet hat." 8 Unternehmerisdie Einflußnahme

Diese Störungen der Angestelltensolidarität werden noch intensiviert durch unternehmerische Bestrebungen, das Aufkommen kollegialer Beziehungen zu unterdrücken. In vielen Betrieben besteht zum Beispiel die Vorschrift, daß befreundete Angestellte sich nicht duzen dürfen und daß möglichst freundschaftliche Beziehungen unter den Angestellten zu vermeiden sind, weil diese den Geschäftsverkehr stören. Hier liegt ein ergänzendes Korrelat zu der Bemühung vor, durch möglichst viele hierarchische Stufungen die Angestelltensolidarität zu stören. Die Argumente, die zur Deckung solcher Vorschriften und Wünsche vorgebracht werden, sind wenig einleuchtend. Ein Aufsatz in der Hauszeitung eines Warenhauses, der sich mit dieser Frage befaßt, führt dazu aus: „Sehr notwendig erscheint mir auch die Vermeidung des allzu vertraulichen Du im Hinblick darauf, daß einer der Kollegen befördert, zum Vorgesetzten seiner bisherigen Kollegen wird. Ohne daß man nun gleich an Großmannsucht, Überheblichkeit oder dergleichen zu denken braucht, ist der neue Vorgesetzte — vielleicht erst recht, weil er vorher Kollege war — gezwungen, einen gewissen Abstand zu wahren. Und es wird ihm gewiß bedeutend schwerer werden, sich Autorität zu verschaffen, wenn er weiter zu allen „Du" sagt. Geht er aber andererseits in diesem Augenblick vom Du zum Sie über, so verliert er unzweifelhaft einen Teil der Sympathien, und die Zusammenarbeit wird erschwert . . . Abgesehen von allem wirkt die Duzerei aber auf viele Kunden geradezu abstoßend. Das Niveau des Geschäftes und damit des Personals wird zweifellos auch ein wenig herabgedrückt dadurch; denn es läßt sich nun einmal nicht leugnen: Menschen mit guter Erziehung bewahren im allgemeinen einen gewissen Abstand und verleihen die Anrede ,Du* nur an solche, mit denen sie wirklich engere Bande der Sympathie verknüpfen." 9 Selbst in dem Ratgeber für gutes Benehmen wird den Angestellten angeraten: „Bei aller Freundlichkeit und Zuvor-

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kommenheit ist ein zu gemütlicher Ton unter den Kollegen nicht immer am Platz. Vor allem ist im Amt und an der Arbeitsstätte von einem allgemeinen Duzen abzuraten." 10 Eine österreichische Provinzbank hat in der Betriebsordnung folgenden Absatz: „§ 28. Es ist unerwünscht, daß die Angestellten außerhalb der Bank privat miteinander verkehren." 11 Unternehmer und Vorgesetzte sind stets bemüht, sich möglichst gut über die privaten Verhältnisse der Angestellten zu unterrichten. In größeren Betrieben gibt es „Vertrauensleute", das heißt Spitzel, die von der Geschäftsleitung ausdrücklich mit der Berichterstattung über die Kollegen beauftragt werden; in kleineren Betrieben fällt den Sekretärinnen der leitenden Herren diese Aufgabe zu. Die Psychologin Franziska Baumgarten berichtet hierüber: „Es finden sich viel zu viele Vorgesetzte, die sich um das Privatleben des Angestellten kümmern, an den Türen horchen, was die Angestellten unter sich nach Feierabend sprechen, um Anhaltspunkte für Vorwürfe oder Rechtfertigungen für Verdächtigungen zu haben; die jeden willig anhören, der über den Kameraden Schlechtes oder Intimes erzählt, die sich sogar spezieller Angestellter, Aushorcher zu diesem Zweck bedienen." 12 Durch solche Bespitzelungen wird nicht nur eine Kontrolle der Einhaltung von Betriebsvorschriften gegen Duzen und freundschaftliche Beziehungen ausgeübt, sondern wieder eine neue Quelle für Reibereien und Komplikationen geschaffen. Daß Vorgesetzte mit den untergebenen Angestellten außerbetrieblich verkehren, wird in jedem Betrieb, wenn nicht offiziell verboten, so doch stets stillschweigend als unzulässig beurteilt. Eine Überbrückung der hierarchischen Differenzierungen soll auf alle Fälle vermieden werden. Jeder Unternehmer warnt seine leitenden Herren davor, sich in freundschaftlichen Verkehr mit den Angestellten einzulassen, und wird dabei von Fachpsychologen und Organisationsberatern unterstützt: „Mancher Vorgesetzte, zumal unter den Angestellten, hat es sehr bereut, sich in den gesellschaftlichen Verkehr mit den Untergebenen eingelassen zu haben. Dieser nimmt in den weitaus meisten Fällen ein schlechtes Ende." 1 3 Und der Organisator gibt den Angestellten folgenden Ratschlag: „Hier müssen nun einige Worte über das sogenannte ,Distanzhalten4 gesagt werden. Jeder vernünftige und gut erzogene, taktvolle Beamte wird jederzeit zwischen sich und seinen Vorgesetzten die notwendige natürliche Distanz halten." 14 Gruppierung im Angestelltentarif

Symptomatisch für die künstliche Gliederung innerhalb der Betriebshierarchie sind die Einteilungsprinzipien des offiziellen Angestelltentarifs. Hier sind Differenzierungen eingeführt, wie sie im praktischen Betrieb schon lange nicht mehr vorkommen; die genannten Beschäftigungs- und Berufsgruppen sind zum Teil durch Rationalisierung und Mechanisierung längst beseitigt. Aber auch für diese theoretischen Stu-

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fungen ist der Wunsch nach mannigfaltigster Differenzierung maßgebend, die Illusionen von gehobeneren Posten und von Aufstiegsmöglichkeiten zu ihnen sind von weit größerer Bedeutung als die realen Betriebsverhältnisse. „Selbständige Buchhalter", „selbständige mehrsprachige Korrespondentinnen", „selbständige Einkäufer", alle diese Posten finden im Tarif Erwähnung und ökonomische Berücksichtigung durch gesonderte Klassifizierung, obwohl sie im durchrationalisierten Großbetrieb in dieser Form schon lange verschwunden sind. So wie selbst in der Unternehmungsleitung die Anordnungsfunktionen bereits spezialisiert sind, ist in der einzelnen Betriebsabteilung die Arbeit völlig aufgeteilt. Die in mehreren Fremdsprachen beschäftigte „selbständige Stenotypistin" ist im modernen Großbetrieb ebensowenig mehr anzutreffen wie der „selbständige Buchhalter"; hat eine Angestellte fremdsprachige Post zu schreiben, so ist sie Spezialistin für eine Sprache, in der sie das Diktat aufnimmt und auf die Maschine ohne alle Selbständigkeit überträgt; der die Buchungsmaschine bedienende oder in einer speziellen Sparte beschäftigte Buchhalter ist ein in mechanischer oder schematischer Tätigkeit eingespannter Arbeiter geworden. Wohl ist die Zahl der hierarchischen Stufungen im Großbetrieb viel größer als die Tarifstufen, aber auch diese übertreffen die Zahl der realen, durch arbeitstechnische Voraussetzungen bedingten Gruppen bei weitem. Für diese Tatsachen liefert eine Bemerkung über die Tarifpolitik des größten deutschen Verlagshauses einen aufschlußreichen Beweis: „Auch bei den kaufmännischen Angestellten ist die Regelung des Arbeitsverhältnisses durch Tarifvertrag nicht von Dauer gewesen. Schon die Tatsache, daß der Tarif nicht weniger als 54 Angestelltengruppen verzeichnete, bewies, daß die Arbeitsverhältnisse der Angestellten einer kollektiven Regelung widerstrebten; es kam aber hinzu, daß auch diese 54 Gruppen nicht zur Klassifizierung aller Angestellten ausreichten. Gerade dieser Versuch, das Tarifschema über eine große Zahl von verschiedenen Einzelleistungen zu stülpen, ergab, daß dadurch eine Mehrzahl selbständig arbeitender Angestellter geschädigt und eingeengt wurde, während nur eine Minderzahl untergeordneter Arbeitskräfte auf Kosten der anderen Vorteil zog." 1 5 Psychologische B e o b a c h t u n g e n

Eine interessante Bestätigung für den Tatbestand der künstlichen Differenzierung in der Betriebshierarchie gibt der psychologische Fachmann. Von Experimentalpsychologen in einem großen Berliner Büro der Elektro-Industrie vorgenommene psychotechnische Prüfungen zeigten, daß die vom Personalbüro für die Tätigkeit der Angestellten durchgeführte Differenzierung jeder Berechtigung entbehrte. Die etwa fünfundzwanzig von der Betriebsleitung als letzte Einheit im arbeitsfunktionellen Sinn nachgewiesenen Gruppen wurden bei näherer Betrach2 D r e y f u ß , Beruf und Ideologie der Angestellten

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tung durch den Psychologen auf drei Gruppen reduziert. Die erste Gruppe umfaßte das große Heer der mit rein mechanischer oder schematischer Arbeit beschäftigten Angestellten, der Expedienten, Stenotypisten, Registratoren, Kontoristen usw., die alle, sei es an der Maschine, sei es bei schriftlicher Tätigkeit, stets von morgens bis abends die gleiche mechanisierte oder schematisierte Aufgabe zu erfüllen hatten. Hierbei wurde kein Unterschied gemacht zwischen dem die HollerithMaschine Bedienenden, der täglich dieselben Schemabriefe anfertigenden Stenotypistin und dem auf Grund genau vorgegebener Unterlagen stets die gleichen Formulare in gleicher Weise ausfüllenden Expedienten. Die zweite Gruppe der Buchhalter wurde nur deshalb festgestellt, weil die buchhalterische Tätigkeit in experimentalpsychologischer Hinsicht wegen der dauernden Beschäftigung mit Zahlen und der einfachen Rechnungen abgetrennt werden mußte. Die prüfenden Psychologen bestätigten, daß diese Trennung nur geschah, um spezifische Buchhaltungs-Tests aufzustellen, daß diese Gruppe aber im allgemeinen psychologischen Sinn genau so gut hätte aufgeteilt werden können durch Zuordnung des weitaus größten Teiles an die erste Gruppe und des Restes an die dritte. Diese umfaßte Angestellte, die in ihrer Tätigkeit beschränkte Verantwortung hatten und begrenzt selbständig handeln mußten; gehobene Korrespondenten, gehobene Buchhalter und Reiserevisoren fielen unter diese Gruppe. Der Korrespondent, der zum Beispiel in der Reklamationsabteilung Beanstandungen der Kundschaft zu erledigen hatte, mußte bis zu einem gewissen Grad selbständig und verantwortlich vorgehen. Allerdings konnte man hier nur in einem sehr eingeengten Sinn von individueller Arbeit sprechen; denn bei der im Verfolg der Rationalisierung bis ins kleinste durchgeführten Unterteilung der Arbeitsfunktionen wiederholten sich auch für einen solchen Korrespondenten die gleichen wenigen Fälle immer wieder, so daß auch diese Tätigkeit als weitgehend schematisch angesehen werden konnte. Für die anderen zu dieser Gruppe gehörenden Angestellten ließen sich parallele Betrachtungen anstellen. Dieser Exkurs in die Experimentalpsychologie kann uns einen symptomatischen Beitrag zu unseren Untersuchungen liefern, wenn sich auch die als Vorbereitung für die psychotechnische Eignungsprüfung vorgenommene Analyse der Arbeitsfunktion und der von ihr bedingten Stellung im Betrieb durch ihre Zielsetzung in manchem von unserer Untersuchung unterscheidet. D i e „ E t ì r o t r a t i s i e r u n g " des Geschäftsbetriebes

Die künstliche Komplizierung der hierarchischen Gliederung, durch die sich zahlreiche Angestellte als in gehobeneren Positionen befindlich und bis zum gewissen Grad selbständig wähnen können, mit ihren in der Organisation keineswegs begründeten Differenzierungen, Verschachtelungen und Abzweigungen steht in diametralem Gegensatz zu den Rationalisierungsbestrebungen. Illusorische Machtbefugnis und fik-

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tive Verantwortlichkeit behindern die Teilung der Arbeitsfunktionen, die Verwissenschaftlichung, Mechanisierung und Schematisierung der Betriebsführung. Der Konflikt zwischen der ökonomischen Macht der Rationalisierungsnotwendigkeit und den gesellschaftlichen und psychischen Kräften im Betrieb ist in jeder betrieblichen Organisation in größerer oder minderer Heftigkeit anzutreffen. In steter Wechselwirkung wird das hierarchische System von der Rationalisierung und ihren die Arbeit entpersönlichenden und versachlichenden Konsequenzen ausgehöhlt, während die von betriebsinadäquaten Faktoren beeinflußte Rangstufung der Hierarchie weitgehend Rationalisierungsmaßnahmen durchkreuzt und so den Vorgang hervorruft, den man in betriebswissenschaftlichen Kreisen als „Bürokratisierung" zu bezeichnen und zu bekämpfen pflegt. Nur wird die Genese des mißlichen Zustandes falsch geschildert. Nicht die Rationalisierung, die durch sie bedingte Teilung der Arbeitsfunktionen und die von ihr aus arbeitstechnischen Gründen verlangte Gliederung des Betriebes, sind die Ursachen der „bürokratischen" Starrheit, die auf Rentabilität gerichtete Rationalisierungsmaßnahmen in Unrentabilität umschlagen läßt; vielmehr ist es die weit über die durch arbeitstechnische Erfordernisse hervorgerufene Rangstufung hinausgehende Differenzierung der Hierarchie. Der Mechanismus der kapitalistischen Gesellschaft wirkt sich hier in heftigem Rückschlag als dem kapitalistischen Profitinteresse fundamental widerstrebend aus; die unternehmerische Bemühung, die durch die Rationalisierung hervorgerufenen organisatorischen Notwendigkeiten aus gesellschaftlichen und psychologischen Gründen weiterzutreiben, gereicht dem Urheber nun zum Schaden. Dem Unternehmer, der als Spitze der Hierarchie seine Aufgabe darin erblicken sollte, zwischen den wirtschaftlichen, von Konjunkturschwankungen abhängigen Erfordernissen und den arbeitstechnischen, durch die Maximalgrenze des Möglichen und die Minimalgrenze des Notwendigen bestimmten Betriebsverhältnissen abzuwägen, werden durch die künstliche Differenzierung der Hierarchie zweckgerechte Entscheidungen erschwert. Ob allein schon die durch die Rationalisierung bedingte Aufteilung der Arbeit, die die Ausschaltung der Initiative und die Einengung der individuellen Betätigungsmöglichkeit in eine durch den Gesamtapparat genau vorgeschriebene und limitierte, den Angestellten zur stumpf,mechanischen Tätigkeit verdammende Teilfunktion zur Folge hat, ob diese bis zum heterogensten Partikularismus durchgeführte Teilung der Arbeitsfunktionen, die dem unternehmerischen Machtwillen um so mehr entspricht, als sie die Herrschaft über den Betrieb erleichtert, eine der Rentabilität widersprechende Betriebsdifferenzierung hervorrufen müßte, läßt sich nicht entscheiden. Denn es gibt keinen Betrieb, an dem die Beeinflussung der Prosperität der Unternehmung durch die arbeitstechnischen Rationalisierungskonsequenzen in reiner Form zu untersuchen wären, der frei sein könnte von den mächtigen sozialen und psychischen 2*

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Einflüssen. Jedenfalls wird die „Bürokratisierung" durch diese Faktoren ungeheuer gefördert. Das verzweigte Labyrinth der Betriebshierarchie mit seinen zahlreichen Abteilungen und Instanzen, die unübersehbare Stufenleiter von scheinbar verantwortlichen und selbständigen Posten machen den Betriebsapparat unbeweglich, und es wird fast unmöglich, ihn in reibungslosem Gang zu halten. Die scheinbare Selbständigkeit und Verantwortlichkeit steht im Gegensatz zu der durch die Differenzierung für jeden Angestellten geschaffenen Möglichkeit, die Verantwortung abzuschieben, sie anderen aufzuhalsen. Der Zustand, der den Untergebenen ängstlich nach oben schielen und nur die unmittelbaren Anweisungen in genauer Befolgung des Wortlautes ausführen läßt, versetzt ihn in die Lage, die Befehle nach unten weiterzugeben und sich so um eine selbständige Entscheidung herumzudrücken. Dann tritt im Großbetrieb an Stelle ursprünglicher Initiative der Wunsch, eine Sache zwar so ordentlich wie möglich zu erledigen, ohne aber nach oben hin aufzufallen oder nach unten etwas von dem winzigen Bereich an Machtbefugnis, Ansehen und Geltung aufzugeben. Über die gekennzeichneten Mißstände kann man nicht nur in jedem Großbetrieb täglich Klage hören, sondern es finden sich bereits in der Literatur zahlreiche Hinweise darauf. So schildert zum Beispiel Tramm in einem Aufsatz über „Die Psychologie des Vorgesetzten" den Kampf um die Machtbefugnis: „,An der Zahl meiner Befugnisse darf nicht gerüttelt werden V Das ist etwa die Einstellung der Machthaber. Eine Verminderung der Untergebenen oder eine Einschränkung des Betriebes wird daher nur selten vom direkten Vorgesetzten, sondern immer von anderen Stellen veranlaßt. Er versucht, trotz Statistik und schlechter Beschäftigung, seinen Betrieb möglichst groß zu halten, weil es seinem unterbewußten Machtgefühl entspricht. Jeder Vorgesetzte kämpft deshalb für die Erhaltung seines Machtbereichs. Eine Minderung des Machtbereichs ist daher für jeden Leitenden gleichbedeutend mit einer Niederlage." 16 V. d. Gablentz hat in einer interessanten Abhandlung die Betriebsschwierigkeiten im kaufmännischen Großbetrieb auf Grund eigener Anschauung dargestellt: „Jede Gruppe wahrt ihre Rechte mit Eifersucht. Der Techniker, der bestellt, möchte auch bestimmen, wo bestellt wird. Der Kaufmann, dessen Stolz es ist, billig einzukaufen, möchte auch bestimmen, was zu kaufen ist. In einem sehr bekannten Werk hat sich so folgender Zustand herausgebildet: Der technischen Betriebsleitung untersteht ein Bestellbüro. Es sammelt die Bestellungen der Betriebsingenieure, überträgt sie auf besondere Karten, die dem Einkaufsbüro zugehen. Dieses untersteht der kaufmännischen Leitung und hat sich des direkten Verkehrs mit dem Betriebsingenieur zu enthalten. Fordert der Kaufmann genaue Angaben, was er besorgen soll, so erhält er sie aus zweiter Hand. In der Kalkulation aber saß ein Mann, der zu dem Zweck eingestellt war, eine Nachkalkulation einzurichten; seine Vor-

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schläge waren aber mehrmals als zu teuer abgelehnt worden, und man hatte ihn schließlich mit einem untergeordneten Posten abgefunden. Grund: die neue Abteilung gönnte die Buchhaltung nicht der Kalkulation, die Kalkulation nicht der Buchhaltung, der technische Direktor nicht dem Kaufmann und der Kaufmann nicht dem Techniker. Und das geschah in einem Werk, das Unsummen für Laboratorien, für soziale Einrichtungen, für Repräsentationszwecke auszugeben gewöhnt und in der L a g e . . . Ihr Ziel wird nicht so sehr sein, an die richtige Stelle den tüchtigen Menschen zu bringen, der den Betrieb weiterbringt, sondern zunächst einmal Menschen zu fördern, die ,keine Unruhe in den Betrieb bringen'. Disziplin halten wird zum Selbstzweck. Es muß aber dafür gesorgt werden, daß hier bei keinem Willkür einreißt. Und so bekommen wir neben den Buchhaltungs-, Kalkulations- usw. Spezialisten auch die Kategorie der Disziplinspezialisten, und es ist kein Zufall, daß man in diesen Stellen öfters frühere Offiziere — nicht die lebendigsten, aber die durchschnittlichsten ihres Standes — findet. Den Betrieb können sie nicht kennen, die Tätigkeit des Angestellten, der ihnen disziplinarisch unterstellt ist, können sie nicht beurteilen; um so unvoreingenommener können sie also über die Innehaltung der Bestimmungen wachen." 17 Zu allen geschilderten Schwierigkeiten kommt hinzu, daß die Organisation des Großbetriebes selbst durch ihre organisatorischen Aufgaben immer wieder neue Arbeit bringt und daß ihre Schwerfälligkeit durch solche äußere Hemmungen gesteigert wird. Die unter dem Schlagwort „Bürokratisierung" zusammengefaßten, hier dargestellten Kräfte, die den Rationalisierungsbestrebungen mächtig entgegenwirken, werden aber niemals, wie so oft behauptet wird, eine Rückentwicklung der trustkapitalistischen Tendenz innerhalb der Privatwirtschaft hervorrufen können. Das von ökonomischen Interessen ausgeübte Diktat verlangt gebieterisch eine immer fortschreitende Vertrustung, und die immanenten wirtschaftlichen Vorteile übersteigen bei weitem alle Nachteile des Großbetriebes; Ausschaltung der Konkurrenz, Konzentration in kapitalistischer und wirtschaftlicher Beziehung, bessere Beherrschung des Marktes, Verhütung von Leerlauf, Produktionsverbilligung durch Zusammenlegung der Fabrikation und durch Verkaufskostenersparnis sind weit schwerwiegendere Vorteile als der Nachteil der „Bürokratisierung". Fast scheint es so, als ob die lauten Klagen darüber sich zu einer Theorie mit ideologischen Funktionen verdichten. Welche gute Ablenkungsmöglichkeit von den realen Ursachen bildet zum Beispiel die Behauptung, daß an einem Versagen des kapitalistischen Wirtschaftsmechanismus, wie dem in der Krise von 1930—1933 eingetretenen, die Bürokratisierung, die „Verbeamtung" der Wirtschaft, die Unbeweglichkeit ihres Apparats die Schuld tragen. „Wenn der Kapitalismus heute in ein kritisches Stadium eingetreten ist, so nicht deshalb, weil wir zu viel Sozialisten und zu wenig Kapital haben, sondern weil wir zu viel ,Verbeamtete' und zu wenig Kapitalisten haben." 18

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Derartige Behauptungen sind um so absurder, als keineswegs nur in dem von ihnen verpönten Trustbetrieb die beklagten Mißstände anzutreffen sind, sondern sich auch im Mittelbetrieb die Inkongruenz zwischen den arbeitstechnischen Bedingungen und der künstlichen Differenzierung der Hierarchie, wenn auch in kleinerem Maßstab, belastend auswirkt. Oerade hier zeigt es sich, daß nicht die Rationalisierung selbst mit ihren organisatorischen Folgen der Grund für die Schwierigkeiten ist. Als Beispiel wollen wir hier die konkreten organisatorischen Zustände in einer mittleren Firma untersuchen, die in ihrem Büro etwa 60 Angestellte beschäftigt. Die einzelnen Abteilungen, die wir nachstehend mit ihren Leitern zusammenstellen, werden innerbetrieblich und nach außen hin stets getrennt geführt; sie erscheinen mit ihren Benennungen in Buchstaben- und Zahlen-Hieroglyphen auf allen Briefbogen, Eingangs- und Ablagestempeln, Kartothekkarten usw.: 1. Buchhaltung und Kasse. Das ist eine mit voller sachlicher Berechtigung vom übrigen Betrieb abgetrennte, von einem Prokuristen gesondert geführte Abteilung. 2. und 3. Zwei nach den Hauptfabrikationsgruppen umrissene Abteilungen, die wir hier A und Β nennen wollen. Auch diese Unterteilung hat sachliche Berechtigung, organisatorisch sind die beiden Fabrikationszweige getrennt zu führen. Leiter der Abteilung A ist Prokurist X, der Abteilung Β Prokurist Y. 4. Abteilung A: Inland. Leiter: Prokurist X, Personal: das gleiche wie in Abteilung A, ein Expedient als Unterabteilungsleiter. 5. Abteilung A: Skandinavien, Danzig, Randstaaten, Polen, Tschechoslowakei, England, Holland, Schweiz. Leiter: Prokurist X, Personal: das gleiche wie in Abteilung A, ein Fakturist als Unterabteilungsleiter. 6. Abteilung A: Romanische Länder (Frankreich, Belgien, Italien, Spanien). Leiter: Prokurist X, Personal: das gleiche wie in Abteilung A nebst einer französischen Stenotypistin, die als Unterabteilungsleiterin fungiert. 7. Abteilung B: Inland. Leiter: Prokurist Y, Personal: das gleiche wie in der Abteilung B, eine Korrespondentin als Unterabteilungsleiterin. 8. Abteilung B: Ausland. Leiter: Prokurist Y, Personal: das gleiche wie in Abteilung B, für französische Korrespondenz die Stenotypistin aus Abteilung 6, ein Fakturist als Unterabteilungsleiter. 9. Abteilung Fabrikation. Leiter: Prokurist Y, Personal: aus Abteilungen A und B. 10. Abteilung Einkauf. Leiter: Prokurist Y, Personal: aus Abteilung B, Unterabteilungsleiter: ein junger Gehilfe. 11. Abteilung Statistik. Leiter: Prokurist Y, Personal: aus den Abteilungen Buchhaltung und B, Unterabteilungsleiter: ein junger Buchhalter.

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12. Abteilung Kalkulation. Leiter: Prokuristen X und Y, Personal: aus den Abteilungen Α, Β und Buchhaltung, Unterabteilungsleiter: ein älterer Buchhalter. 13. Abteilung Reklame und Propaganda. Leiter: Prokuristen X und Y, Personal: aus den Abteilungen A und B, Unterabteilungsleiterin: eine Stenotypistin. 14. Abteilung Sekretariat. Unter dieser Abteilungs-Spitzmarke erledigt jeder Chef und jeder Prokurist jeweils die vertraulich zu behandelnden Angelegenheiten. Die Schriftstücke werden in einer besonderen Registratur aufbewahrt. Die hier beschriebene Organisation stellt keineswegs einen Ausnahme fall dar, bei zahllosen mittleren Betrieben ließen sich ähnliche Zustände aufzeigen. Wir finden hier die gleichen Hauptmerkmale, wie wir sie bei der Betrachtung des Großbetriebes feststellen konnten: ein weit über jede betriebstechnische Notwendigkeit hinaus komplizierter Apparat ist geschaffen oder zum Teil beibehalten worden, obwohl die heterogensten Funktionen aus arbeitstechnischen Gründen an zwei durch Personalunion gebildeten Stellen zusammengefaßt sind. Von sechzig Angestellten sind drei Prokuristen wirklich als leitende Personen anzusehen, während die neun genannten Unterabteilungsleiter ihrer Arbeits funktion und ihrem Einkommen nach nichts anderes wie die untergeordneten Angestellten sind, als die sie in der Aufstellung Bezeichnung gefunden haben. Des Scheines ihrer Machtbefugnis und Selbständigkeit wegen treten sie als Unterabteilungsleiter der ohnehin nicht selbständig arbeitenden und völlig unter der Führung des jeweils genannten Prokuristen stehenden Unterabteilungen auf. So bestehen hierarchische Betriebsstufungen, die durch keinerlei organisatorische Notwendigkeit bedingt sind. Dieser Modus widerspricht aufs schärfste den auch bei dieser Firma ununterbrochen lebendigen Rationalisierungsbestrebungen. Wieviel unnütze Arbeit würde gespart, wenn dieser Betrieb nach innen und nach außen in drei Abteilungen gegliedert wäre, nämlich: erste Abteilung: Buchhaltung und Kasse, zweite Abteilung: unter Prokurist X, dritte Abteilung: unter Prokurist Y. Der unnötige erhebliche Aufwand an Arbeit und Zeit bei Eingang und Sortierung der Post, beim Abstempeln derselben, beim Diktat und Schreiben der ausgehenden Briefe, beim Ausfertigen und Buchen der Fakturen, beim Ausstellen der Versand-Dispositionen und -Avise, in der Statistik, bei der Ablage in der Registratur und beim Eintragen in die Kartothek würde vermieden. Im übrigen verursacht die unsinnige Einteilung zahllose Fehler und damit Mehrarbeit und Mehrkosten; immer wieder schreiben ζ. B. Stenotypistinnen Briefe auf falschem Bogen mit einer dem Abteilungsleiter nicht genehmen Abteilungsangabe, immer wieder werden Schriftstücke falsch abgestempelt, falsch eingetragen oder abgelegt und dadurch erst nach langem Suchen und größerer Zeitversäumnis wieder aufgefunden.

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D i e S t e l l u n g des Betriebsrates

Die geringe Eintracht der Angestellten innerhalb des Bürobetriebes entzieht häufig dem Betriebsrat die Basis und macht ihn aktionsunfähig, wenn er überhaupt vorhanden ist; in vielen Fällen aber verzichten die Angestellten freiwillig auf seine Wahl. Dafür ist nicht nur die mangelnde Solidarität der Grund, sondern auch das Bestreben, sich vom Arbeiter durch Ablehnung seiner betriebspolitischen Institution zu unterscheiden. Die politische Gesinnung der meisten Angestellten und ihre ideologische Befangenheit hindert sie an der Anerkennung eines Betriebsrates, den sie als Symbol des Sozialismus ansehen. Das Ergebnis einer Umfrage 19 bei etwa 100 Angestellten der verschiedensten kaufmännischen Betriebe gibt eine Illustration für diese Einstellung. Nur in etwa 70% der Fälle war ein Betriebsrat vorhanden, während 30% der befragten Angestellten in Bürobetrieben ohne Betriebsrat arbeiteten. In den 70% des Vorhandenseins bejahten nur 66% die Frage nach der Zufriedenheit mit der Wahrnehmung der Interessen. 33% gaben ihrer Unzufriedenheit Ausdruck, zum Teil mit der Begründung, daß der Betriebsrat sich als zu abhängig vom Unternehmer und deshalb als zu nachgiebig erwiesen habe. Diese Andeutung ist insofern symptomatisch, als die Betriebsratswahl im kaufmännischen Betrieb häufig vom Unternehmer stark beeinflußt wird. Die Geschäftsleitung bedeutet den Angestellten durch Vertrauenspersonen, leitende Angestellte, Privatsekretärinnen oder ergebene Betriebsveteranen, wen sie als Betriebsratsmitglied bevorzugt, und agitiert so für ihr genehme Kandidaten. Sie hat ein um so größeres Interesse an den Mitgliedern des Betriebsrats, weil diese als Angestellte unkündbar sind. Naturgemäß hat die Betriebsleitung auf die Angestellten einen weit größeren Einfluß als auf die Arbeiterschaft und kann mit einigen Druckmitteln entweder den Betriebsrat in der von ihr gewünschten Form wählen lassen, oder auch die Wahlen unterdrücken. „Die Neuwahlen unterblieben bei den Angestellten, die Arbeiter sind darin wieder allein gelassen. Die Einrichtung ist von innen heraus unterhöhlt, weil ein großer Teil der Angestellten wieder devote Diener sind und einen krummen Rücken machen." 29 So berichtet ein Kontorgehilfe über den Betriebsrat. Wird mit Unterstützung der Geschäftsleitung ein genehmer Betriebsrat gewählt, so begrüßt sie ihn häufig als brauchbares Instrument zur Durchführung von gegen die Angestellten gerichteten Maßnahmen; sie bedient sich seiner, um in der Krise Kurzarbeit oder bei Hochkonjunktur Überarbeit durchzudrücken, um mißliebige Angestellte zu entlassen oder eine größere Anzahl abzubauen. Der willfährige Betriebsrat ist dann eine genehme Zwischeninstanz, der die Differenzen mit dem Angestellten für den Unternehmer regeln kann. Durch ihn werden Komplikationen vermieden; er bildet eklen widerstandsfähigen Prellbock zwischen den fordernden Angestellten und dem seine Interessen vertretenden Unternehmer.

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Ideologische W i r t u n g e n

Die künstliche hierarchische Differenzierung der Rangstufung hat weitgehende ideologische Auswirkungen, sowohl in der innerbetrieblichen Sozialsphäre wie in der außerbetrieblichen. Nicht die Tatsache der Hierarchie selbst, sondern ihre betriebsinadäquate Komplizierung übt einen folgenschweren Einfluß aus. Durch diese Verhältnisse wird häufig im Angestellten, der schon als Lehrling zur gläubigen Anerkennung der Hierarchie als prästabilierte Harmonie des Betriebes erzogen wurde, die Entstehung des Klassenbewußtseins im Keime erstickt. Fängt doch diese Apparatur leicht eine aufkommende Gegnerschaft gegen den Unternehmer ab. Das durch ökonomische Not, durch ungerechte Behandlung im Betrieb, durch soziale Unterdrückung und durch die Aussichtslosigkeit auf Aufstieg geschaffene Ressentiment der Angestellten richtet sich weniger gegen den Unternehmer, sondern in den meisten Fällen gegen die übergeordneten Kollegen, vor allem gegen den unmittelbaren Vorgesetzten. Eine Ausnahme hiervon bildet die relativ geringe Anzahl der freigewerkschaftlich oder kommunistisch organisierten Angestellten. Es dürften 10 bis höchstens I50/0 sein, die durch Parteierziehung antikapitalistisch eingestellt sind und sich in ihrem sozialen Bewußtsein gegen die Ausbeutung auflehnen; für sie ist der Unternehmer der Feind im Klassenkampf. Für alle anderen Angestellten aber wird fast stets der unmittelbare Vorgesetzte, mit dem sie dauernd in Arbeitsberührung sind, der verhaßte Feind, der persönliche Gegner, nicht aber der Vertreter des Systems, dessen Folgen in seiner Person zur Auswirkung kommen. Durch die Empörung gegen den nächst faßbaren Vorgesetzten wird das Ressentiment abreagiert und die System-Kritik verdrängt. Das kollegiale Empfinden setzt diesem Dienstanweiser gegenüber aus; er wird, obwohl er selbst Angestellter ist, als Antreiber angesehen. Mit der unsichtbaren Geschäftsleitung und dem Unternehmer, der die hohe, vom Angestellten in Wunschträumen ersehnte gesellschaftliche Schicht repräsentiert, ist man duldsam. Die Begierde nach sozialem Aufstieg verhüllt den klaren Blick. In der komplizierten Hierarchie kann der einzelne nicht mehr als den im Verhältnis zur organisatorischen Ausdehnung des Großbetriebes nur winzigen Sektor des engsten Umkreises überblicken. Greifbar sind die nächsten Vorgesetzten, die in täglicher Anweisung zu mächtigen Befehlshabern werden und die von dem von Aufstiegsillusionen Besessenen erheischten Posten innehaben. Wenn noch gar zwischen sich naheliegenden Stufen soziale Gegensätze vorliegen, der unmittelbare Vorgesetzte also einer höheren Gesellschaftsschicht entstammt und gerade deshalb den scheinbar gehobeneren Posten gewonnen hat, dann wird die Diskrepanz um so evidenter. Im militaristischen Betrieb mit streng durchgeführter Disziplin entstehen oft die schwersten Konflikte, so wie im alten Heer Unteroffizier und Feldwebel die verhaßtesten Vor-

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gesetzten waren, während der Oberst als höheres Wesen angesehen wurde. Diese Folge der künstlichen Differenzierung ist für den Unternehmer begrüßenswert und bildet sicher häufig einen wichtigen Grund mehr zu ihrer Aufrechterhaltung und Förderung; er kann sie noch intensivieren, indem er den mit scheinbaren Anweisungsbefugnissen ausgestatteten Vorgesetzten zur strammsten Disziplin anhält. Der Unternehmer bleibt im Großbetrieb unsichtbar, und auch im mittleren Betrieb werden die Angestellten den Chef nur in den seltensten Fällen einmal erblicken. Schon durch die Unübersehbarkeit der weitverzweigten Organisation ist die Geschäftsleitung für den untergeordneten Angestellten eine im fernen Glanz verhüllte Macht geworden. Zwischen ihn und das Haupt der Hierarchie schieben sich immer wieder neue Instanzen; Unterabteilungsleiter, Abteilungsleiter, Ressortdirektoren repräsentieren für ihren Bereich den jeweils höchsten Gipfel und vergeben so partikularisierte Arbeiten, daß selbst von einem Überblick über die Gesamtarbeit dieses Sektors bei mittleren und unteren Angestellten nicht mehr die Rede sein kann. So wird der Betriebsmechanismus mit der fortschreitenden Rationalisierung und der unaufhaltsamen, durch die Vertrustungsbewegung bedingten Entwicklung zum Großbetrieb zu einer grausamen Apparatur, die ihre Opfer versklavt und jede Bemühung des Vorgesetzten um humane Behandlung der Unterstellten im Keime erstickt. Die Organisation, die Teilung der Arbeitsfunktionen, schafft ungeheure Abstände zwischen der großen Masse der unteren Angestellten und den wenigen zur Geschäftsleitung gehörigen Herren. In allen Fällen, in denen einmal ein unterer Angestellter mit einem Anliegen sachlicher oder persönlicher Natur zum Unternehmer oder Abteilungschef kommt, wird die völlige Entfremdung offenbar. Er steht ihm im Großbetrieb nicht anders mehr gegenüber als der brave Untertan dem hohen Staatsbeamten, der gemeine Soldat dem General. Ist der Angestellte zu einer Unterredung gezwungen, so versucht er alles, um einen Konnex mit dem hohen Chef herzustellen, und bemüht sich oft durch unwürdige Schmeicheleien um Gehör. Ein Angestellter des größten deutschen Verlagsunternehmens berichtet über die Beziehungen zur Geschäftsleitung: „Es ist sehr schwer, auch woanders, Vorgesetzte zu einer Träne des Mitleids zu bringen. Aber der Vorgesetzte lacht gern. Das ist die Atmosphäre des Hauses. Also sind wir sachlich mit Heiterkeit. Denn wir wissen: der hier vor seinem Chef steht und griesgrämigen Antlitzes einfach sagt, um was es sich handelt, wird kaum angehört. Denn der Chef hat vor sich ein Dutzend Briefe: öde, griesgrämige, korrekte. Er ist befangen in der Aufgabe, sie zu beantworten. Er hat eine unsichtbare, aber sehr deutliche Wand um sich. Sprichst du ihm im Ton der Briefe, die vor ihm liegen, so hört er dies nicht, auch wenn er den besten Willen hat. Aber schlägst du einen Purzelbaum, einen geistigen, so wird er lachen. Die Wand ist verschwunden.

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Nun kannst du das Ernsteste bereden. Das ist der Geist des Hauses. Trittst du vor deinen Chef — verhehle ihm eines: daß du dich wichtig nimmst." 21 „Sich nicht wichtig nehmen", so lautet das prinzipielle Rezept für die Behandlung des Vorgesetzten. Es gilt zu zeigen, daß man sich den ehernen Gesetzen der hierarchischen Stufung bedingungslos unterordnet, daß man in Tun und Haltung dem Prominenteren seine Anordnungsbefugnis bestätigt, ihm die ersehnte narzißtische Genugtuung verschafft. Soll er über die Kluft zwischen seiner Gipfelhöhe und den Niederungen der unteren Angestelltenschaft hinweg sein Augenmerk auf den Bittsteller richten, so muß sich dieser sogar zum „Purzelbaum" entschließen, dem vor dem Throne des Gebieters um Gnade flehenden Hofnarr gleich. Hierarchie ist in jedem kooperativen Betrieb notwendig, nicht nur in dem der kapitalistischen Privatwirtschaft; bei einer organisierten Zusammenarbeit von Menschen ist die Einteilung in Vorgesetzte und Untergebene unerläßlich. Nicht also die Tatsache des Bestehens der Hierarchie unterscheidet den privatkapitalistischen Betrieb von anderen kooperativen Organisationen, sondern der Umstand der weit über die arbeitstechnischen Erfordernisse hinausgehenden künstlichen Differenzierung und, in seiner Konsequenz, das Bewußtsein, von dem die einzelnen Glieder der Hierarchie erfüllt sind. Im Geschäftsbetrieb waltet eine Arbeitsgemeinschaft von Menschen, die zwar durch das Gesamtziel ihrer gemeinschaftlichen Tätigkeit, den Dienst am unternehmerischen Profitinteresse, verbunden, als soziales Gebilde aber in eine amorphe Masse zerfallen sind, getrennt durch Rangstufungen aller Art, durch Unterordnungszwang und Abhängigkeit. Und diese schon in sich zerfallene menschliche Gemeinschaft wird noch weiter zerrissen durch die Triebregungen ihrer Mitglieder und ihr mächtiges Befriedigungsbedürfnis. Der echte und scheinbare Vorgesetzte quält in Ausübung seiner Machtbefugnis den Untergebenen mit Befehlen, die Eitelkeit ringt nach Bestätigung und Anerkennung; Neid und Mißgunst, Eifersucht und Schadenfreude vergiften die Atmosphäre. „Die Konstrukteure behandelten die Verkäufer mit Geringschätzung, und ebenso machten es die Kassenbeamten mit den Buchhaltern, die Buchhalter mit den Korrespondenten, die im Hauptverwaltungsgebäude Beschäftigten mit den in Nebengebäuden Beschäftigten. Selbst die Bürodiener im Hauptverwaltungsgebäude erhoben sich über ihre Kollegen... Die Lehrlinge standen unter der Fuchtel der Stenotypisten, die Stenotypisten unter der Fuchtel der Abteilungsvorsteher, die Abteilungsvorsteher unter der Fuchtel der Gruppenvorstände, und alle zusammen standen unter der Fuchtel der Hausmeister, welche die Hauspolizei ausübten." 22 So schildert der Romanschriftsteller die Atmosphäre im Kruppschen Betrieb. Die Betriebshierarchie, von ökonomischen und arbeitstechnischen Faktoren ursprünglich bedingt, von gesellschaftlichen und ideologischen Mächten beeinflußt, von psychischen Spannungen und Reaktionen

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erfüllt, strahlt in explosiver Entladung ihre Wirkung in die soziale Umwelt aus. Eduard Heimann kommt auf dieses Problem in seinem Werk über „Die sittliche Idee des Klassenkampfes" zu sprechen. Auch er weist darauf hin, daß Betriebshierarchie selbst notwendig ist, und sagt: „In der Betriebshierarchie also liegt kein Unglück und noch weniger ein Vorwurf. Wohl aber besteht die Gefahr, daß sie unabhängig von den sachlichen Notwendigkeiten und weit über deren Grenzen hinaus dazu mißbraucht wird, einem Menschen das Gefühl menschlicher Erhöhung zu verleihen und die Mitarbeiter des Betriebs zum Schemel seiner Füße zu erniedrigen. Und diese Gefahr wird furchtbare Wirklichkeit in einer geistigen Umwelt, welche das Gefühl der eigenen Geltung und Würde nur in der Ausübung von Macht kennt." 23 Hier liegt die Hauptwurzel des ungeheuren Unterschiedes zwischen der relativen Homogenität der klassenbewußten Arbeiterschaft und der mangelnden Solidarität der Angestellten. In solcher Atmosphäre kann kein echter Kollektivismus aufkommen, obwohl in der wirtschaftlichen und sozialen Lage die Voraussetzungen dafür geschaffen sind.

Der Betriebsraum Der Arbeitsraum des Geschäftsbetriebes ist von der künstlichen hierarchischen Differenzierung ebenso gestaltet wie von den arbeitstechnischen Notwendigkeiten. Bei einer Betrachtung des Büros stoßen wir auf zahlreiche symptomatische Merkmale für die betriebliche Sozialsphäre; in ihm finden nicht nur die Haltung des Unternehmers, seine Repräsentationsbemühung, seine Beziehung zu den Untergebenen ihren Ausdruck, sondern auch die Rangstufung innerhalb der Angestelltenschaft. So ist der Arbeitsraum eines Geschäftsbetriebes weit symptomatischer für die Sozialbeziehungen als der des Werks, der fast ausschließlich von technischen Faktoren beeinflußt wird. Schon das Äußere der Bürogebäude zeigt, welcher große Wert vom kapitalistischen Unternehmertum auf glanzvolle Repräsentation gelegt wird. Selbst in einer Zeit, in der der Stil der Architektur auf Zweckmäßigkeit gerichtet ist, sind die Repräsentationsgelüste nicht geschwunden. Ein Beispiel dafür bietet das Verwaltungsgebäude des Farbentrusts, das erst vor kurzem mit einem Aufwand von vielen Millionen errichtet worden ist. Bei aller äußerlich betonten Sachlichkeit ist der Bau in verschwenderischer Großzügigkeit aufgeführt, weite Gartenanlagen, die der Zierde und nicht etwa der Erholung der Angestellten dienen, umgeben den Gebäudekomplex. Die Eingangshalle, im Mittelpunkt des Baus hinter dem Haupteingang gelegen, gleicht in Ausmaß und Ausstattung einer gewaltigen Moschee. In der Vorkriegszeit errichtete Verwaltungsgebäude großer Unternehmungen sind noch prunkvoller ausgestattet, gerade im äußeren Aufbau, in den Empfangshallen und Treppenhäusern.

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Ein genauer Kenner der Firma Krupp, der Schriftsteller Erik Reger, beschreibt das Büro dieser Gesellschaft anläßlich der Schilderung eines Besuches der Witwe Alfred Krupps: „Wie ein Triumphator betritt sie das Gebäude, schreitet durch einen dämmerigen Kreuzgang zur Marmortreppe, die sonst mit einer gedrehten Schnur abgesperrt ist, denn sie ist nur für auserwählte Anlässe und auserwählte Personen. Auf dem Treppenabsatz erhebt sich eine Statue aus Eisenkunstguß, den Segen der Arbeit darstellend: eine weibliche Figur in griechischen Gewändern, die auf den Fingerspitzen einen Korb mit Früchten balanciert. Rote Plüschläufer dämpfen die Schritte. Es ist auch ein Fahrstuhl d a ; . . . er ist nur den oberen Beamten zugänglich, vom Handlungsbevollmächtigten aufwärts; für die anderen gibt es Paternosterzüge... Im ersten Stock laufen Arkaden um einen Lichthof herum, Arkaden mit dorischen Säulen, gotischen Bogen und zwölfflächigen Renaissance-Ampeln; der Baumeister hat es sich angelegen sein lassen, alle Stile aus einem Handbuch der Kunstgeschichte hier anzusammeln. Von den Arkaden laufen Gänge nach allen Richtungen, vielfach gekrümmte Gänge mit hellbraunen Wänden, stumme, trügerische, bei jedem Schritt aufhorchende und vom Weg ablenkende Gänge, in denen man sich verirren muß, und in die jeden Augenblick eine schwarze Tür hineinspringt, als ginge es in die Sargkammern einer Leichenhalle. Auf jeder Tür ist ein Messingplättchen mit dem Namen dessen, der dahinter vergraben ist. Ab und zu steht eine schwarze Bank da, damit man warten kann, bis er aufsteht und Audienz erteilt." 24 Neben den industriellen Großunternehmungen legen vor allem die Banken und Versicherungsgesellschaften auf prunkvolle Verwaltungsgebäude großen Wert, die im Stil italienischer Renaissancepaläste erbaut sind; Säulen und Karyatiden schmücken die Granitfassade, große Empfangshallen und breite Marmorfreitreppen begrüßen den Eintretenden. Aber auch kleinere Unternehmungen bevorzugen oft Baulichkeiten, die das Firmenansehen durch Repräsentationswirkung erhöhen können. Frühere Herrschaftsvillen sind als Bürogebäude besonders beliebt; die luxuriösen Wohnhäuser des alten Berliner Westens, in der Gründerzeit in überladenem Prunk errichtet, beherbergen heute Schreibmaschinen und Registraturen. Verstaubte Talmipracht des Neoklassizismus, gräuliches Stuckwerk der Jugendstilzeit, Rokoko-Putten aus dem Jahre 1900 geben die Kulissen für geschäftliche Konferenzen und Beratungen im „Chef-Kabinet" ab. Die Sucht nach sichtbarem Ausdruck des Reichtums, die Begierde nach jeder Möglichkeit der Repräsentation sind stärker als auf Zweckmäßigkeit gerichtete Bestrebungen. Was zahlreichen Menschen heute ein unerträglicher Anblick geworden ist, wird von vielen Unternehmern noch als willkommene Umgebung für ihre geschäftliche Tätigkeit begrüßt. Der Eintritt in ein Büro gleicht dem Besuch einer wohlbewachten uneinnehmbaren Festung. Durch das „Entree", die Festungspforte,

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kommt kein Ungebetener oder Unerwarteter in das Innere. Nur wer die Losung kennt, kann sich Eintritt verschaffen. Der Torwächter, in großen Büros würdige Portiers in Uniform mit blanken Knöpfen, in kleineren ein Schalterbeamter, befinden sich ununterbrochen in der Defensive. Sie wird durch strenge Anweisungen der Qeschäftsleitung und durch drakonische Strafbestimmungen bei Nichtbeachtung geschürt. Der Eindringling wird äußerst mißtrauisch nach seinem Begehren gefragt, wenn nicht sein Auftreten — das Auto, in dem er vorfuhr, seine Kleidung oder das Trinkgeld für den Portier — ihn ausreichend legitimiert. Der Zerberus wittert hinter jedem einen abzuwehrenden Feind. Ist die Antwort auf die Vorfragen zur Zufriedenheit des Examinierenden ausgefallen, so legt er dem Besucher ein Formular vor, in das Name und Firma des Fremden, Zweck des Besuchs und Name des gewünschten Herrn einzutragen sind; besonders diese letzte Eintragung ist ein Prüfstein für die Wichtigkeit des Besuchs. Weiß der Fremde den Namen des zuständigen Angestellten nicht, dann beweist er damit die Unkenntnis der Betriebsverhältnisse und macht sich verdächtig. Falls der Portier nicht auf Grund eigener Kenntnisse sich hinter die Vorschrift der Geschäftsleitung verschanzt und Besucher abweist, befragt er die verlangte Stelle, die dann über den Einlaß zu entscheiden hat. Bei vielen Firmen sind die besonders gefürchteten Besuche von Verkäufern schon durch Vorschriftsmaßregeln aufs äußerste eingeschränkt. Große Schilder am Eingang verkünden, daß nur an bestimmten Tagen, meist ein- oder zweimal in der Woche und nur zu bestimmten Vormittagsstunden die Abgabe von Angeboten möglich ist. Eine der größten Brauereien bedient sich folgenden scherzhaften Abwehrsystems: Am Büroeingang trägt eine Tafel die verlockende Aufschrift „Verkäufer von Hopfen und Malz —> hier —*". Ein Pfeil weist nach einem langen, schmalen Korridor, an dessen Ende den hoffnungsvollen Besucher eine Tafel mit der gleichen Aufschrift empfängt; hier deutet aber der Pfeil auf eine Tür, die wieder ins Freie führt. Ist ein erfolgreicher Besucher durch das Entree eingedrungen, so muß er entweder im Warteraum Platz nehmen oder er wird in das Empfangszimmer gebeten, je nachdem, welche Bedeutung seinem Besuch beigelegt wird. Diese Räume sind die neutrale Zone zwischen Außenwelt und Betrieb; sie sind in dem für die Einrichtung aller Außenstehenden zugänglichen Büroräume gültigen Stil ausgestattet, einem Gemisch aus „vornehmer Einfachheit" und „repräsentativer Wohlhabenheit". Auf Zweckmäßigkeit wird dabei weniger Rücksicht genommen, denn die Repräsentation ist ein vor Rationalisierungsmaßnahmen geschütztes Gebiet. Die Zimmereinrichtung besteht aus Velourteppich, Samtvorhängen, einer Klubgarnitur und einem runden eichenen Tisch, auf dem zur Unterhaltung des Wartenden die Jubiläumsschrift der Unternehmung, ein in Leder gebundenes Prachtwerk „Geschichte des Deutschen Kaiserreichs" und ein reichillustrierter Band über die Entwicklung

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der Stadt aufliegen. An den Wänden hängen Abbildungen des Werks und des Bürogebäudes, obwohl ja der Besucher den Gegenstand der Photographien, der Lithographien oder des Gemäldes vor Eintritt betrachten konnte, Bilder der verstorbenen Direktoren und Diplome von Handelskammern oder von Ausstellungsleitungen. Bei großen Unternehmungen sind in diesen Zimmern noch Glaskästen untergebracht mit Glückwunschadressen und von prominenten Organisationen und Persönlichkeiten anläßlich der Jubiläumsfeier überreichten Geschenken, silbernen Pokalen und Bronzen mit allegorischen Figuren. In kleineren Büros findet man statt der Glasvitrine einen fast leeren Bücherschrank, der die veraltete Ausgabe eines Konversationslexikons aus der früheren Privatbibliothek des Seniorchefs birgt. Die Sitzungszimmer, bei großen Firmen Konferenzsäle genannt, bilden den Brennpunkt der Repräsentationsbestrebungen in der Büroeinrichtung; kostbare Teppiche liegen hier auf, schwere gepolsterte Sessel umgeben den Tisch. Beispiele für den spielerischen Luxus der Einrichtung solcher Repräsentationsräume bieten die Verwaltungsgebäude des Farbentrusts. Der große Sitzungssaal ist von einer in Holzintarsienarbeit in die Wand eingelegten Weltkarte geschmückt, bei der für jedes Land die für dieses typische Edelholzart verwendet wurde. Der Festsaal des Ludwigshafener Werkes ist eine Kopie des Prunksaales im Versailler Schloß. Reger gibt folgende Beschreibung des Sitzungssaales der Firma Krupp: „Seit dem frühen Morgen steht die Tür zum Konferenzzimmer offen, im Vorbeigehen blicken die Angestellten neugierig scheu hinein. Sie erblicken das große Wandgemälde, auf dem der Akademieprofessor die Weihe des Hauses verewigt hat; der Freiherr steht auf dem Podium, in einem Hain von Lorbeer und Palmen, die zur Feier des Tages tiefer als üblich ergrünen, und spricht edel gesetzte Worte in ein Auditorium von markant geschnittenen Köpfen... Vorn sitzt der Kaiser in der Uniform des Chefs eines Dragonerregiments, die Bordüren glitzern, daneben die Kaiserin in einem rosa Kleid voller Rüschen und Spitzen, dann Frau Ella und Frau Alice und viele Militärs und Ehrengäste, die Spitzen der Behörden, viele Kleider, viele Fräcke und viele Litzen und Streifen auf funkelnden Waffenröcken, ein buntes, ein festliches, ein malerisches Bild. Dies alles erblicken die Angestellten, sie erblicken auch die breiten Fenster mit den grünen Vorhängen und den langen, grüngedeckten Tisch und die hohen geschnitzten Lehnen der Eichenstühle und den Stuhl des Vorsitzenden, der die höchste Lehne hat und außerdem noch Armstützen. Die Angestellten erblicken es und haben eine leichte Gänsehaut, denn es sieht erhaben aus und dabei ein wenig geisterhaft." 25 Die „Privatbüros" — das sind die Arbeitszimmer des Unternehmers, der Direktoren und übrigen Herren der Geschäftsleitung — stehen in ihrem Luxus den Konferenzsälen wenig nach; Schreibtisch und Stühle aus schwerem dunklem Eichenholz, mit Leder bezogene Polstermöbel,

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eine Safe oder Kassenschrank zur persönlichen Benutzung. Sie unterscheiden sich in der Kostbarkeit ihrer Ausstattung je nach der Stellung des Benutzenden. Die Variationen liegen zwischen echtem, unechtem Perserteppich und Velour, zwischen Ölgemälden, Stichen und Farbdrucken, zwischen Bronzen oder Blumenvasen. In dem Verwaltungsgebäude des Farbentrusts hat jedes Mitglied des Vorstands, auch wenn es in einem auswärtigen Werk beschäftigt ist, sein modern-sachliches und doch luxuriöses Privatbüro. Ein eingebauter Tresor und ein privater Waschraum fehlen in keinem dieser Zimmer; prominente Mitglieder der Direktion haben ganze Appartements zu ihrer Verfügung, bestehend aus Arbeits-, Wohn-, Umkleide- und Badezimmer. Auf der für diese Räume reservierten Etage stehen ganze Zimmerfluchten leer, denn ihre Bewohner benutzen sie oft nur ein paar Tage im Jahr. Die Privatbüros sind nicht nur gegen fremden Besuch verschanzt, sondern ihre Ruhe muß auch gegen Eindringlinge aus dem Büro geschützt werden. Das „Privatsekretariat", ein Vorzimmer, in dem sich die Sekretärin aufhält, bildet zumeist den Wall nach außen. In kleinen Büros wird seine Funktion durch Signaltafeln an der Tür erfüllt, auf denen, vom Schreibtisch bedient, Lichtzeichen erscheinen. Fast immer leuchtet das gebieterische „Nicht eintreten"; ist eine Empfangsmöglichkeit in Aussicht, so lautet der Trost „Bitte warten"; nur an wenigen Tagen der Woche ist während einer Vormittagsstunde das Signal „Sprechzeit" eingeschaltet. Um einer ungebührlichen Nichtachtung des Lichtsignals oder einem Versagen der Kontrolle durch das Sekretariat zu begegnen, hat die Tür zum Privatbüro auf der Außenseite keine Klinke, sie ist durch einen Druck auf den am Schreibtisch versteckten Knopf elektrisch zu öffnen. So ist auch betriebsräumlich die hierarchische Abgeschlossenheit der Geschäftsleitung gewährleistet. Signalapparate, Vorzimmer, Lichtzeichen und andere technische Vorrichtungen verschanzen den unsichtbaren Unternehmer und die Direktion gegen die Angestelltenschaft. Symptomatisch für die weit über die arbeitstechnischen Notwendigkeiten hinausgehende, von betriebssozialen Faktoren bedingte Abgeschlossenheit der Betriebsleitung und der Persönlichkeit des Chefs selbst ist der immer mehr in Aufnahme kommende Diktierapparat, der ein Ansagen der Korrespondenz ohne persönliche Berührung mit der Sekretärin ermöglicht. Hinter verschlossenen Türen waltet anonym das Haupt des Betriebes, nicht einmal die früher üblichen Kontrollgänge des Unternehmers und der Direktoren durch das Büro werden noch ausgeführt. Die Rationalisierung der Arbeitskraft und die Mechanisierung des Betriebs bieten Aufsichtsmöglichkeiten genug, um die persönliche Besichtigung auszuschalten. Ungebührliches oder betriebswidriges Benehmen der Angestellten kann durch eine neuerfundene Apparatur ebenfalls vom verschlossenen Direktionsbüro aus kontrolliert werden. Auf Büroausstellungen und in Zeitungsinseraten wird diese Erfindung

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angeboten, die unter dem Namen „Detektophon" auf den Markt kommt und nach dem Wortlaut der Anpreisung dazu geschaffen ist, „vom Schreibtisch des Chefs aus alle Vorgänge im Betrieb unauffällig zu überwachen und zu kontrollieren und jedes Gespräch ungesehen mit anzuhören". Aufschlußreich für die bezweckte Funktion dieses Horchapparates ist der Hinweis im Inserat, daß „nur eigenhändig unterzeichnete Anfragen maßgebendster Persönlichkeiten" berücksichtigt werden. Wenn auch den Angestellten und den meisten Außenstehenden die Privatbüros nicht zugänglich sind, so sollen sie doch ihrer repräsentativen Wirksamkeit auf diese Kreise nicht verlustig gehen. In Jubiläumsschriften und Firmenchroniken werden sie im Bild vorgeführt. Eine große chemische Fabrik zeigt in dem Prachtwerk anläßlich des fünfzigjährigen Bestehens Photographien der Arbeitszimmer des Seniorchefs und seiner beiden Söhne sowie ein Bild des großen Konferenzsaales. 26 Eine große Maschinenfabrik bringt Abbildungen des „Zimmers des Chefs" und des Sitzungssaales.27 Auch der stellvertretende Direktor, der Prokurist und der gehobene Abteilungsleiter verfügen über Privatbüros, wenn auch die Rangstufung in exakter Parallelität in der Einrichtung zum Ausdruck kommt. In einer Berliner Aktiengesellschaft haben die ordentlichen Vorstandsmitglieder in ihren Zimmern Teppiche, stellvertretende Direktoren und Prokuristen aber Strohvorlagen und Abteilungsleiter schon keinen Bodenbelag mehr; dieses Prinzip wird streng eingehalten und bei jeder Beförderung berücksichtigt. Der bekannte Journalist Sling erzählt in seiner Schilderung des Büros des größten deutschen Verlagsunternehmens folgendes: „Wir tragen keine Uniformen, keine Abzeichen, keine Sternchen am Kragen. Aber wir unterscheiden uns sehr. Es gibt Herren, deren Zimmer man nur durch ihr Sekretariat betreten kann. Einige davon haben drei, andere zwei, andere nur eine Sekretärin. Es gibt Herren mit fünf, vier, drei, zwei, einem Telephon. Es gibt Herren mit echten Teppichen, Herren mit deutschen Teppichen. Es gibt Herren mit Kokosmatten. Es gibt Herren mit Bettvorlegern. Es gibt Herren mit direkten Klingeln zu allen ihren Untergebenen. Es gibt Herren mit direkten Klingeln zu allen ihren Vorgesetzten... Wer nur ein Telephon, eine Klingel, einen Bettvorleger hat, wird wenigstens bestrebt sein, einen grünen Vorhang für seine Glastür zu bekommen, was ihm ein gewisses Air gibt. Wer keinen grünen Vorhang bewilligt erhält, darf überzeugt sein, keine sehr einflußreiche Persönlichkeit zu sein." 28 So wandeln sich Telephonapparate und Schreibtische vom Gebrauchsgegenstand zum Symbol. Wichtiger als die Annehmlichkeit der Telephonbenutzung im betriebsorganisatorischen Interesse, wichtiger als die Zweckgemäßheit des Schreibtisches als Arbeitsinstrument wird für den Angestellten der Symbolcharakter, die Tatsache, daß seine hierarchische Stellung durch den nach außen hin sichtbaren Ausdruck dokumentiert wird. Ja, die Privatsekretärin, der Mensch wird zum Symbol. 3 D r e y f u ß , ' Beruf und Ideologie der Angestellten

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Für diese Symbolisierung von Gebrauchsgegenständen im Büro gibt es noch andere Beispiele. So berichtet Otto Suhr in seinem Vortrag über „Die Angestellten in der deutschen Wirtschaft" : „In einem der größten deutschen Industrieunternehmen hat man die Einrichtung getroffen, daß nur der Direktor ein Arbeitszimmer mit fließendem Wasser hat, während die übrigen Bevollmächtigten und Prokuristen lediglich einen Waschtisch mit einer Waschschüssel zur Verfügung haben. Als eines Tages ein Direktorzimmer von einem Prokuristen bezogen wurde, hielt man es für notwendig, das fließende Wasser herauszureißen, damit ja nicht der Prokurist die Hände am fließenden Wasser waschen konnte." 29 In dem Bürobetrieb eines bedeutenden Unternehmens der Filmindustrie erhalten alle Angestellten nach dem Essen für ein paar Pfennige eine Tasse Kaffee in ihre Arbeitsräume serviert. Sogar solche Anlässe werden zur äußerlichen Dokumentierung der hierarchischen Stufungen benutzt. Die große Masse der unteren Angestellten, Kontoristen, Stenotypistinnen usw. bekommen den Kaffee in bunten Steinguttassen, der Zucker ist bereits im Kaffee aufgelöst. Bei Abteilungsleitern und gehobeneren Angestellten werden weiße Porzellantassen verwendet, der Zucker liegt auf dem Rande der Untertasse. Prokuristen und Direktoren werden durch ein kleines Holztablett ausgezeichnet, das ein weißes Service mit Gold, bestehend aus Tasse, Untertasse, Zuckerteller und Milchkanne, trägt. Die Bequemlichkeit und Geräumigkeit des Arbeitsraumes nimmt proportional zur hierarchischen Stufung ab. Unterabteilungsleiter arbeiten in kleinen Zimmern, in denen zwei bis fünf Personen untergebracht sind, dem großen Heer der unteren Angestellten werden in den modernen Bürogebäuden große Arbeitssäle für fünfzig bis hundert Personen angewiesen. Stufungen und hierarchische Differenzierungen finden hier ihren Ausdruck in feinen Nuancen am Arbeitsplatz und Arbeitsgerät. Der Fensterplatz, der bessere Schreibtisch, der gepolsterte Stuhl, der Telephonapparat werden zum auszeichnenden Symbol. In den Arbeitssälen herrscht ein ohrenbetäubender Lärm, denn auf den in Reihen angeordneten Maschinen wird von morgens bis abends herumgehämmert; die Luft ist durch die Ansammlung der vielen Personen, vor allen Dingen im Sommer, unerträglich. Bei der strengen Kontrolle kann der Angestellte, wenn er sich eine kurze Ruhepause gönnen will, nur in die Registratur, in die Ausgabestelle für Büromaterial oder in den Waschraum flüchten. Hier kann er sich kurze Zeit von dem Lärm erholen oder ein paar Worte mit einem Kollegen wechseln. „Als allgemeine Zufluchtstätte wird in vielen Fällen die Garderobe oder der Abort aufgesucht, wo oftmals lange beraten und konferiert wird, was unter Kontrollaugen unmöglich wäre", so berichtet eine Stenotypistin. 30 Auch Garderoberäume, Toilette und Kantine sind in Größe und Ausstattung parallel der hierarchischen Rangordnung abgestuft. Die großen

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Kasinos der Konzerne sind eingeteilt in einige hundert Angestellte fassende Speisesäle, in mittelgroße Speisezimmer für die gehobenere Angestelltenschaft und luxuriös ausgestattete größere und kleinere Räume für die Direktion und ihre Gäste. Giese versagt in seiner „Wirtschaftspsychologie" solcher Haltung nicht die Anerkennung und bezeichnet den Bildungsunterschied der Menschen als Grund für die verschiedene Behandlung im Büro: „Daß der gebildete und der minder gebildete Mensch verschieden behandelt werden müssen, versteht sich von selbst. Dies kommt weniger bei den Eignungsauslesen und Anlernmethoden zum Ausdruck als bei der Reklame und der betrieblichen Organisation als solcher. Schon die Trennung der Fabrikanlagen in Kantinen, Wasch- und Toilettenräume für diese oder jene Schicht kennzeichnet vielfach den soziologischen Bildungsbefund." 31 Der Betriebsraum der unteren Angestellten ist mit einigen lebensräumlichen Elementen durchsetzt. Um die trostlose Umgebung, in der man den größten Teil seines Lebens verbringt, erträglicher zu gestalten, werden armselige Requisiten beigeschleppt: kleine Blumenvasen, Aschenbecher — in der verschiedensten Ausführung, vom Glücksschweinchen bis zum Ornament aus Zigarrenbanderolen unter Glas —, Photographien von Ausflügen, Ansichtskarten von der letzten Urlaubsreise, kleine anspruchslose Radierungen und aus illustrierten Zeitschriften und Magazinen ausgeschnittene Bilder, vornehmlich von Filmstars und von Landschaften aus fernen Ländern. Die Tolerierung der lebensräumlichen Ausschmückung des Büros durch die Geschäftsleitung widerspricht der steten Bemühung um Versachlichung und Rationalisierung des Betriebsraums. Hier liegt, wie in manchen anderen Fällen, ein rückschlagendes Funktionieren des kapitalistischen Mechanismus vor, eine unbewußte automatische Abwehrmaßnahme, bei der die antirationale Einstellung der Angestellten als Schutz einer Radikalisierung des Bewußtseins entgegenwirkt. Der historischen Entwicklung gemäß müßte jedes lebensräumliche Merkmal aus dem Betrieb entfernt werden. Während in der Manufaktur und im Handwerksbetrieb Lebens- und Arbeitsraum der gleiche waren, ging mit beginnender Industrialisierung die Entwicklung auf immer mehr fortschreitende Trennung dieser beiden Räume aus. Mit Einsetzen des Hochkapitalismus wurde der Arbeitsraum als Büro für die Angestellten völlig vom Lebensraum getrennt, auch vom unternehmerischen Lebensraum, der nur bei kleinen Fabrikbetrieben mit dem Arbeitsraum zusammenfloß. Eine Identität von Lebens- und Arbeitsraum findet sich in der heutigen Wirtschaft noch beim Kleinkaufmann, beim subalternen Vertreter einer Firma am fremden Platz und dem Inhaber einer Verkaufsniederlage, die häufig die Wohnung für ihre Tätigkeit benutzen. Die Duldung der lebensräumlichen Ausstattung des Büros durch den Unternehmer ist um so erklärlicher, als sie nur eine geringe Ablenkung von der Arbeit bedeutet, aber auf eine Bindung des Angestellten an den Betrieb hoffen läßt.

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Rationalisierung im kaufmännischen Betrieb Die Rationalisierung im Bürobetrieb unterscheidet sich wesentlich von der im Werk; ihr wirken die mächtigen Tendenzen sozialer und psychischer Natur entgegen, die wir in den Betrachtungen der Hierarchie bereits darstellten. Die stark von Ideologien beeinflußte Bewußtseinshaltung der Büroangestellten durchkreuzt an zahlreichen Stellen die Rationalisierungsbestrebungen.

Mechanisierung und Sdbematisierung im Büro Die Rationalisierung der Arbeitsmittel im Bürobetrieb zerfällt in zwei Gruppen: in die Mechanisierung und die Schematisierung. Es wird häufig der Fehler gemacht, bei der Behandlung der Frage der Rationalisierung von Büroarbeit in Analogie zur Rationalisierung in der Fabrik nur an Mechanisierung zu denken. Eine Reihe neuerer Einrichtungen im Bürobetrieb sind zweifellos als Rationalisierungsmaßnahmen im Sinne der Schematisierung anzusehen: das Durchschreibesystem in der Buchhaltung, das Loseblatt-System, das heißt die Verwendung von losen, auswechselbaren Bogen und Karten anstatt von Büchern, die im Durchschreibesystem zur gleichzeitigen Buchung auf mehrere Konten verwendet werden, die Einführung von Vordrucken und Formularen an allen nur möglichen Stellen des Geschäftsbetriebes und schließlich der Kontenplan. Selbstverständlich hat die Mechanisierung im Bürobetrieb viel einschneidendere Umwälzungen hervorgerufen. An allen nur möglichen Stellen des Arbeitsvorgangs wurden menschliche Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzt. An einfacheren Hilfsmaschinen sind zu verzeichnen: die Brieföffnungsmaschine zum Öffnen der eingehenden Post; die Briefverschlußmaschine; die Frankiermaschine, die entweder durch Aufkleben von Freimarken oder durch Abstempeln die ausgehenden Briefe frankiert; die Loch- und Klebmaschine, die die abzulegenden Schriftstücke locht und mit einem Klebstreifen zur Vermeidung des Einreißens der Löcher versieht; die Stempelmaschine, die die gesamte eingehende Post mit Datum und genauer Stunde des Eintreffens bezeichnet; die zahllosen Variationen von Vervielfältigungsmaschinen, die auf Matrizen geschriebene Werbebriefe, Rundschreiben usw. in beliebiger Anzahl in einer der Schreib-

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maschinenschrift täuschend nachgeahmten Weise vervielfältigt. Eine schon differenziertere Apparatur ist die moderne Adressiermaschine mit elektrischem Antrieb, die Rundschreiben und Briefumschläge mit Adressen versieht und bei der die auf Blechmatrizen gestanzten Adressen der festen Abnehmer, in Gruppen geordnet aufbewahrt, zum Teil die Kundenkartothek ersetzen können. Weit komplizierter noch sind die zahlreichen, täglich mit anderen Neuerungen auf dem Markt erscheinenden Rechen- und Buchhaltungsmaschinen. Die Reihe beginnt mit der relativ einfachen Addiermaschine, dann folgen die Multiplizierund Dividiermaschinen. Die Buchungsmaschinen sind außerordentlich feinkonstruierte Apparate, die in einem Vorgang die verschiedenen Buchungen der doppelten Buchführung auf lose, entsprechend vorgedruckte Kontenblätter buchen und automatisch addieren, subtrahieren und saldieren. Die technisch vollkommenste und vielseitigste Büromaschine ist schließlich die (Jer amerikanischen Hollerithgesellschaft, die gleichzeitig bucht und statistische Zusammenstellungen ausführt. Alle Buchungen und überhaupt alle zahlenmäßig erfaßbaren Geschäftsvorgänge werden durch Lochen von Spezialkarten an bestimmten Stellen jeweils festgehalten. Die Unterlagen kommen aus den einzelnen Abteilungen in die Hände untergeordneter weiblicher Hilfskräfte, die sie so auf die Maschinenkarten übertragen. Die gelochten Karten laufen dann durch die eigentliche Maschine, die alle in die Karten eingestanzten Daten, also die Zahlen jeder Rechnung, jeder Gutschrift, jeder Belastung ebenso registrieren wie die Daten der Fälligkeit oder andere gewünschte Einzelheiten, wie das Empfangsland einer Sendung, das bestimmte Gebiet eines Kundenkreises usw. Von dieser Maschine wird ein vollkommen umfassendes statistisches Material in jeder gewünschten Zusammenstellung geliefert, so daß täglich der Stand der Unternehmung mit allen Einzelheiten des Umsatzes, der Preisgestaltung und der Produktion ermittelt werden kann. Die Büromaschinen haben ohne allen Zweifel eine ungeheure Arbeitsersparnis gebracht; zum Beispiel werden buchhalterische oder statistische Arbeiten, die früher nur in einigen Tagen bewältigt werden konnten, jetzt in wenigen Minuten erledigt. Aber es ist ebenso zweifellos, daß in sehr vielen Betrieben der Maschinenaufwand in keiner Weise dem Arbeitspensum entspricht. Die Geschäftsleitungen der privatwirtschaftlichen Groß- und Mittelbetriebe stürzten sich, als die unter dem Schlagwort der Rationalisierung angepriesenen Maschinen auf den Markt kamen, mit Emphase auf diese modernsten Errungenschaften der Technik; wenn wirtschaftlich irgendwie die Möglichkeit bestand, wurden trotz der hohen Preise diese Maschinen angeschafft, ohne daß man sich in vielen Fällen über Ausnutzungsmöglichkeiten und Rentabilität Rechenschaft ablegte. So kommt es, daß heute oft die infolge unrationeller Rationalisierungsmaßnahmen angeschafften Maschinen den größten Teil des Tages unbenutzt herumstehen, und nicht selten über-

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schreitet der Betrag für Verzinsung des investierten Kapitals und Amortisation des Anschaffungswertes wesentlich die Summe der für frei gewordene Angestellte ersparten Gehälter. Speziell der Mittelbetrieb hat in vielen Fällen zu spät einsehen müssen, daß er bei seiner Kapazität nicht in der Lage war, sich die technischen Fortschritte zunutze zu machen; nach dem Rausch über die Großartigkeit der Erfindung ist eine peinliche Ernüchterung eingetreten. In vielen Fällen wurden diese Mißstände auch durch den Mangel an geeigneten Bedienungskräften hervorgerufen. Der Unternehmer wollte nach Anschaffung der teuren Maschinen nicht noch Kapital in die Ausbildung solcher Angestellter investieren. Kalveram schreibt hierüber in seiner grundlegenden Arbeit über die Rationalisierung im Bürobetrieb: „Aber Mechanisierung und Maschinisierung sind durchaus nicht gleichbedeutend mit Rationalisierung. Die schädlichen Experimente unorganischer Maschineneinführung haben in vielen Betrieben eine Erschwerung der Übersichtlichkeit, eine bedenkliche Verringerung des Liquiditätsgrades, eine Steigerung der Unkosten und eine Senkung der Rendite hervorgerufen und zu einer schnellen Wiederaussonderung der mit so großen Hoffnungen beschafften neuen Bürohilfsmittel geführt. Es muß eben die ratio Art und Maß der Maschinisierung, die nur eines unter vielen Mitteln der Rationalisierung ist, bestimmen." 32 Und ein Fachmann für Büroorganisation führt Klage über die gleichen Mißstände: „Leider wurde bei der Einführung von Büromaschinen viel gesündigt. Während in den Fertigungsbetrieben geeignete Fachleute die Eignung der Kräfte und Arbeitsmaschinen prüfen und die Rentabilität berechnen — Enttäuschungen sind auch da unvermeidlich —, fehlen hierfür in fast allen Bürobetrieben geschulte Kräfte. So kaufte man oft große Büromaschinen, wo kleine ausgereicht hätten, übersah bei der Auswahl die besonderen Erfordernisse des betreffenden Betriebs. Manchmal stehen die Büromaschinen auch in der Ecke, weil es an geeignetem Bedienungspersonal fehlt oder weil m a n . . . einfach versäumt hat, die vorhandenen Kräfte für die Maschinenarbeit ausbilden zu lassen." 33 Solchen Fehlschlägen der Bürorationalisierung steht in zahlreichen Betrieben — und zwar auch hier wieder in den mittleren und kleineren — ein erheblicher Konservativismus gegenüber. Der Unternehmer, insbesondere der patriarchalischer und feudaler Haltung, ist traditionell und verbindet seinen politischen und kulturellen Konservativismus häufig mit dem beruflichen. Er sträubt sich nicht nur gegen die Mechanisierung des Betriebes, sondern auch gegen die einfachsten Verbesserungen durch Schematisierung. Wenn auch veraltete Bürobetriebe in relativ geringer Anzahl vorkommen, so darf man doch nicht glauben, daß sie seltene Ausnahmen darstellen. Man findet immer noch Büros, in denen in der umständlichsten, altmodischsten Weise überflüssige und unzweckmäßige Arbeit geleistet wird, in deren Buchhaltungsabteilungen mächtige Folianten herumgeschleppt und mit kalligraphischen Eintragungen ver-

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sehen werden, in deren Expeditions- und Verkaufsabteilungen eine Schematisierung des Geschäftsverlaufs unbekannt geblieben ist, ja, in denen sogar Schemabriefe einzeln auf der Maschine geschrieben werden. Daß die Mechanisierung des Burobetriebes zahlreiche Angestellte um ihre Stellen gebracht hat und mit ein Grund für die Arbeitslosigkeit ist, bedarf kaum der Erwähnung, denn „als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten des Arbeiters selbst" 34 . Wenn die Arbeitslosigkeit der Angestellten heute zum Teil strukturell bedingt ist, wenn große Massen sogar in einer Periode der Hochkonjunktur keine Beschäftigungsmöglichkeit finden können, so trägt in großem Umfang die Mechanisierung Schuld daran. Die Prophezeiung von Karl Marx, daß „das Arbeitsmittel den Arbeiter erschlägt" 35 , hat sich auch heute im Bürobetrieb erfüllt. In welchen Ausmaßen und in welchem Tempo sich der Personalabbau bei Einführung von Maschinen vollzieht, zeigt am krassesten das Beispiel des weitgehend mechanisierten Bankbetriebes, über den wir noch ausführlich berichten werden. In fast allen Betrieben sind die Angestellten nach Einführung der Maschinenarbeit scharenweise entlassen worden. Als Illustration sei hier nur ein Fall mit zahlenmäßigen Angaben aus einem großen Verlagsunternehmen mitgeteilt, bei dem in der Hauptbuchhaltung für die Postscheck-, Kasse-, Scheck- und Wechselkonten, für die Verbuchung der eingehenden Rechnungen auf die Lieferantenkontokorrente und in der Lohn- und Gehaltsbuchhaltung Maschinen zur Aufstellung kamen. Nach halbjähriger Laufzeit war eine Personalkostenersparnis von 32 o/o erzielt worden, die sich dann weiter auf 51,5% gesteigert hat. Damit war wohl die Grenze des Möglichen erreicht; die Versicherung in einer Publikation der Firma, daß „aus sozialen Gründen eine weitere Ausdehnung zunächst zurückgestellt wurde, da neue Arbeitsgelegenheiten für die dadurch frei werdenden Kräfte noch nicht erschlossen werden konnten", klingt nicht sehr glaubwürdig 36 . Es ist nicht erstaunlich, daß die Rationalisierung eine moderne maschinenstürmerische Bewegung ausgelöst hat; die in ihrer sinnentleerten, monotonen, nervenaufreibenden und schlechtbezahlten Tätigkeit verzweifelnden und die infolge der Mechanisierung erwerbslos gewordenen Angestellten lehnen sich auf gegen die zwangsläufige Wirtschaftsentwicklung, die seit Beginn des Industrialismus eine auf Rationalisierung gerichtete Tendenz hat. Symptomatisch für diese Reaktion ist die Gründung eines „Kampfbundes gegen unsoziale Maschinen", der seit Anfang des Jahres 1932 eine eigene Zeitschrift „Mensch und Maschine" herausgibt. Einsichtigere Schichten, die darum wissen, daß die Entwicklung der Technik, gefördert durch die kapitalistische Entfesselung der Produktivkräfte, zu einer Notwendigkeit geworden ist, reagieren auf die unerträglichen Folgen der Mechanisierung im klassenkämpferischen Sinne.

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Sie sehen, daß aller technischer Fortschritt, der sich als Besserung der Arbeitsverhältnisse der in der Wirtschaft beschäftigten Menschen auswirken könnte, zu ihrem Nachteil und ihrer Belastung umschlägt, daß alle Früchte der Rationalisierungsbestrebungen dem Unternehmer zugute kommen oder durch den Konkurrenzkampf aufgezehrt werden. Das Beispiel der Sowjetunion hat in dieser Hinsicht auf viele aufklärend gewirkt. Im übrigen darf nicht verkannt werden, daß keineswegs die so viel behandelte und viel bekämpfte Mechanisierung der Bürobetriebe der alleinige, ja nicht einmal der Hauptgrund für die Not der Angestellten ist. Von den konjunkturellen Schwankungen und der schweren Wirtschaftskrise der Jahre 1930—1932 abgesehen, ist es die Entwicklung zum Trustkapitalismus, die eine immer größere Arbeitslosigkeit für Angestellte wie für Arbeiter nach sich zieht. Die Verschmelzung von Firmen, die Bildung eines Trusts macht oft mit einem Schlage Hunderte von Angestellten erwerbslos. Fusionierte Firmen suchen dann durch Inserate für ihre gesamte Angestelltenschaft Stellung. In einem Fall der Fusion zweier Textilunternehmungen bot zum Beispiel die eine ihr gesamtes Personal, bestehend aus Prokuristen, Lagervorstehern, Kassierern, Buchhaltern, Stenotypistinnen bis hinab zum Portier, an 3 7 .

Rationalisierung der Arbeitskraft Neben den Rationalisierungsmaßnahmen der Mechanisierung und Schematisierung von Büro hilf smitteln ist gerade in den letzten Jahren in der Privatwirtschaft das Bestreben wach geworden, auch die menschliche Arbeitskraft weit intensiver und systematischer als bisher durch Rationalisierungsmaßnahmen zu erfassen. So widmet sich das Dinta (Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung), über das später noch eingehender zu sprechen sein wird, vornehmlich der Frage der Menschenrationalisierung im Betrieb. Die Intention dieser Bestrebungen wird durch die Behauptung verhüllt, daß man gerade durch Beachtung und Ausnutzung des „Faktors Mensch" im Betrieb gegen die Mechanisierung und ihre Folgen angehen wolle. „Dem Dinta fällt die große Aufgabe zu, den Anstoß zum zweiten noch unvollendeten Teil der Rationalisierung zu geben: den für allen Arbeitserfolg entscheidenden Faktor Mensch zur höchsten Leistungsfähigkeit zu entwickeln, mit höchstem Leistungswillen zu fassen und ihm dadurch den Vorrang vor der Maschine und der Betriebsorganisation zurückzuerobern", so verkündete Arnhold, der Leiter dieses Instituts, programmatisch auf der Tagung für Werkspolitik in Frankfurt am Main. Das „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit" hat im Februar 1931 in Berlin eine Tagung veranstaltet mit dem Thema „Der Mensch und die Rationalisierung". Die Förderung der technischen Maßnahmen zur „Arbeitsbestgestaltung" und die Erzielung der optimalen Arbeitsleistung bei minimalem

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Personalbestand waren Inhalt der Beratungen. Dabei wurden keineswegs die psychischen Folgen und die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Rationalisierung für die Angestellten behandelt. Sich auf die Arbeitskraft erstreckende Rationalisierungsbemühungen sind schon seit langer Zeit in Form der Ausnutzung und Überlastung der Angestellten, der Forderung von Überstunden und der strengen Kontrolle ihrer Erfüllung in mehr oder weniger ausgesprochener Weise im Geschäftsbetrieb am Werk. Die bewußte Verfolgung dieser Bestrebungen aber und ihre Systematisierung sind eine neue Erscheinung. Arbeitstempo

Die Angestellten haben heute im Bürobetrieb in angespannter Arbeit ihr Pensum zu vollenden, das ihnen durch seinen Umfang ein ungeheuer rasches Arbeitstempo vorschreibt. Dabei ist die Tätigkeit durch die Unübersichtlichkeit des Gesamtbetriebes und ihre Einschränkung auf engste Teilfunktionen weit ermüdender und nervenaufreibender als in früheren Zeiten. Die umfangreiches Material liefernde Erhebung des Gewerkschaftsbundes der Angestellten ergibt, daß von der großen Anzahl der befragten Angestellten etwa 75 % eine eineinhalb- bis zweistündige Mittagspause hatten, daß Frühstücks- oder Nachmittagspausen aber so gut wie gar nicht vorkommen; etwa 25o/o arbeiteten ohne jede Pause durch 38 . Selbst wenn das aufgebürdete Arbeitspensum etwas rascher bewältigt werden könnte, ist die Einschaltung einer kurzen Ruhepause durch die Kontrollmaßnahmen mannigfaltigster Art unmöglich gemacht; abgesehen von der genauen statistischen Erfassung jeder Arbeitsleistung, wird in den meisten Betrieben durch leitende Angestellte oder Aufseher eine ununterbrochene persönliche Kontrolle ausgeübt. In vielen Büros ist man dazu übergegangen, alle Arbeitsräume der unteren Angestellten, vor allem die der Stenotypistinnen und der die Büromaschinen Bedienenden, mit Glaswänden zu versehen. Der Prokurist, der häufig durch den Mittelgang zwischen den Arbeitssälen geht, kann diese so mit einem Blick überschauen und darauf achten, daß sich kein Angestellter eine Ruhepause gönnt, daß er während der Arbeitszeit kein privates Wort mit einem Kollegen wechselt oder vielleicht frühstückt, daß keine Stenotypistin einmal in ihren Taschenspiegel schaut. Die Glaswände ermöglichen durch besondere Präparierung, von außen den Raum zur Kontrolle zu überschauen, ohne daß man von innen nach dem Gang sehen kann. Den Angestellten bleibt, wenn sie sich ein wenig ausruhen wollen und das Arbeitstempo zu unerträglich wird, nur die Zuflucht nach dem Garderoberaum oder der Toilette; aber selbst bis hierhin dehnt sich die Betriebskontrolle schon aus. Über Beispiele für solche Auswüchse berichtet Giese: „Man hat gelegentlich besondere Korridore für einen Expreßverkehr nach den Wasch- und Ankleide-

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räumen eingerichtet, die nur diesem Zweck dienen, aber keinerlei Zusammenkommen mit anderen Abteilungen ermöglichen. Auch die Zahl der Toiletten kann so berechnet sein, daß jede Abteilung für sich berücksichtigt und zudem Oberfrequenz (das will sagen unproduktive Wartezeit) vermieden ist. Ein sehr drastisches und rigoroses Mittel wurde mir einmal in einem östlichen Werk bekannt. Der Unternehmer ließ dort die Klosettsitze durch kleine Dampfstrahlanlagen ausstatten und intermittierend in gemessenen Zwischenräumen mit Dampfstrom beschicken. Es versteht sich von selbst, daß der Aufenthalt auf einem solchen Ruhesitz nicht ideal lange dauern konnte." 39 Das Gespenst der Arbeitslosigkeit aber treibt die Angestellten mehr als alle Betriebsvorschriften zur Einhaltung des zermürbenden Arbeitstempos an. Wenn sie einmal mit angesehen haben, daß ein Kollege wegen zu geringer Arbeitsleistung entlassen worden ist, so setzen sie angstvoll alles daran, um bei den Kontrollierenden nicht aufzufallen und den unternehmerischen Anforderungen in jeder Weise zu genügen. D i e p r a k t i s d i e Psychologie i m D i e n s t e d e r R a t i o n a l i s i e r u n g

Die Experimentalpsychologie hat sich der Rationalisierung der menschlichen Arbeitskraft in verschiedenster Hinsicht angenommen. Zuerst widmete sie sich den Untersuchungen über die besten Möglichkeiten der reibungslosen Arbeitsabwicklung. So wurde in „Arbeitsplatzstudien" die für die jeweils in Frage kommende Tätigkeit nützlichste und adäquateste Einrichtung des Arbeitsplatzes eruiert 40 . Wenn auch Maßnahmen wie Regulierung der Beleuchtung und sinngemäße Anordnung des Arbeitsmaterials gleichzeitig Verbesserungen und Annehmlichkeiten für den Angestellten gebracht haben, so ist ihre dominierende Intention doch die der intensiveren Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft. Giese berichtet über einen Betrieb, in dem „die weiblichen Angestellten samt Pult auf Rollschienen saßen und mit ihrem Schreibtisch an den Karteikästen entlang fuhren, was Hebebückarbeit und Zeitverlust vermeidet. In demselben Betriebe war es nicht nur möglich, zum Beispiel die Maschinistin an einen Sondertisch mit Kreislaufbewegungen der Hand zum Fertigmachen von — zugleich kopierbaren — Postanweisungsformularen zu setzen, sondern sogar das ältere mittlere Personal an Schreibtische zu gewöhnen, die in jeder Form bis auf Tintenfaßlage, Notizblockversenkung und schräg-vertieft eingelassene Rillen für griffbereite Bleistifte rationalisiert waren" 4 1 . Solche Maßnahmen bedeuten nicht nur eine letzte Ausnutzung der Arbeitskraft und eine Überanstrengung des Angestellten, der sich nicht einmal mehr die kleine Erholung einer nicht zweckbetonten Bewegung erlauben darf, sondern auch eine starke psychische Belastung des Betroffenen, der sich so durch sichtbare apparative Einrichtungen als im Betrieb gefangen fühlt. Auch die Anwendung des von der Experimentalpsychologie im Fabrik-

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betrieb durchgeführten Verfahrens der „Zeitstudien" auf das Büro fällt unter diese Kategorie der Rationalisierung. Eine besondere Abart dieses Prinzips ist das in Deutschland durch die Deutsche Bedaux-Gesellschaft propagierte System, das darauf ausgeht, den Energieverbrauch bei der Arbeitsleistung und den Aufwand an Zeit genauestens rechnerisch zu erfassen und auf Grund dieser Analyse die sparsamste Arbeitsmethode herauszufinden. D i e psydbotechnisdie E i g n u n g s p r ü f u n g

Die im Bürobetrieb erst in neuester Zeit angewandte Methode der psychotechnischen Eignungsprüfung ist für die Frage der Rationalisierung der Arbeitskraft von weit größerer Bedeutung als für die Auslese kaufmännischer Angestellter. Ist sie doch besonders geeignet, bei der Zuweisung einer ganz bestimmten partiellen Arbeitsfunktion an den einzelnen Büroangestellten — sei es, daß er neu angestellt ist, sei es, daß er schon längere Zeit im Betrieb eine Tätigkeit ausübt — grundlegende Hilfsdienste zu leisten. Es ist deshalb wichtig, in diesem Zusammenhang das Problem der psychotechnischen Prüfung näher zu beleuchten. Schon die Personalfrage des Prüfenden bietet eine erhebliche Schwierigkeit, weil solche Examina nicht nur durch den dazu prädestinierten, wissenschaftlich vorgebildeten, möglichst noch medizinisch geschulten Psychologen vorgenommen werden, sondern häufiger durch Betriebsfachleute oder halbgebildete Laien, die nicht einmal die selbstverständlichsten Voraussetzungen für die Durchführung der Prüfung besitzen. Aber auch gegen den wissenschaftlichen Psychologen bestehen Bedenken. Ihm fehlen die Vorkenntnisse auf soziologischem und ökonomischem Gebiet, die die genaue Orientierung über die spezielle Sozialsphäre und die arbeitstechnische Organisation des in Frage kommenden Betriebes nur notdürftig ersetzen kann. Nach der üblichen Vororientierung bei der Geschäftsleitung wird die Prüfung durch den Psychologen etwa folgendermaßen vorgenommen: Der Examinator teilt auf Grund der Personalien und der Tätigkeitsdaten, also der Art und Dauer der Beschäftigung, die zu prüfenden Angestellten in durch die Arbeitsleistung bestimmte Gruppen ein, für deren jede möglichst den Bedürfnissen des Betriebes angepaßte Tests aufgestellt werden. Die Gruppierung richtet sich nicht nach der äußerlichen Verschiedenheit der Beschäftigung, sondern nach der Ähnlichkeit der Arbeitsfunktionen im experimentalpsychologischen Sinne; der völlig mechanischen Tätigkeit des untergeordneten Maschinenbuchhalters wird zum Beispiel die Bedienung der Büromaschinen oder die Arbeit der durchschnittlichen Stenotypistin gleichgestellt. In den Aufgaben der Tests sind hauptsächlich Zusammenstellungen, einfache Rechnungen, Auslese- und Zuordnungsarbeiten durchzuführen. Dabei wird

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von dem Prüfenden nicht nur die quantitative und qualitative Erledigung der Fragen und Aufgaben, sondern auch Tempo und Methodik der Beantwortung berücksichtigt. Fehler finden eine eingehende analytische Deutung, da nicht nur ihre Anzahl, sondern auch ihre Art aufschlußreich für ihre Ursachen und damit für die Folgen einer gewissen Veranlagung sein kann; die Examensnervosität soll nach den Aussagen wissenschaftlicher Psychologen vom Prüfenden erkannt und abstrahiert werden können. Das gesamte Prüfungsergebnis wird auf Grund von Arbeitsdiagrammen unter Beachtung aller erwähnten analytischen Betrachtungen zusammengestellt. Eine umfangreiche Eignungsprüfung für Angestellte wurde im Jahre 1927 von der „Gesellschaft zur Förderung der praktischen Psychologie" und dem ihr nahestehenden Psychologischen Institut der Universität Hamburg in einem Großbetrieb der Berliner Elektroindustrie durchgeführt. Die über ein halbes Jahr währende Untersuchung der gesamten Angestelltenschaft ergab Resultate, die eine bis ins letzte Detail durchgeführte Rationalisierung des Menschenmaterials ermöglichten. Nuancen im psychologischen Habitus wurden aufgedeckt, durch genaue Berücksichtigung bei Zuteilung einer bestimmten engen Arbeitsfunktion wurde letzte Ausnutzung erzielt. Eine Reihe von Angestellten konnte auf Grund der Prüfungsergebnisse und der gleichzeitigen allgemein psychologischen Beurteilung mit Hilfe der Graphologie dem Personalbüro zur Beförderung und Beschäftigung an gehobeneren Posten empfohlen werden. So kann theoretisch die psychotechnische Eignungsprüfung ein für den Angestellten nützliches, den Aufstieg des Begabten förderndes Mittel werden, praktisch aber wird sie bei der mangelnden Aufstiegsmöglichkeit im modernen Betrieb und der völligen Aufteilung der Arbeitsfunktionen immer nur einen Beitrag zur Menschenrationalisierung bedeuten. Selbst Giese gibt zu, daß die psychotechnische Eignungsprüfung „oft nur einen gewissen Hokuspokus darstellt, während tatsächlich ganz andere betriebliche Vorteile gegenüber den Arbeitnehmern erschlichen werden sollten" 42 , und an anderer Stelle sagt er über die Eignungsprüfung: „Der Faktor Mensch, was Auslese belangt, ist von erheblicherer Bedeutungslosigkeit als der Mensch in der Behandlung oder vor dem Arbeitsplatz als Gegenstand der objektpsychotechnischen Mithilfe." 4 3 Zu welchen abwegigen und den Angestellten schwer schädigenden Konsequenzen die Anwendung der psychotechnischen Methode bei den Bestrebungen nach Menschenrationalisierung führen kann, zeigt der Vorschlag von Hans Hahn, „geeignete psychotechnische Ausleseverfahren ausfindig zu machen, auf Grund deren eindeutig diejenigen Individuen ausgewählt werden können, die sich stärker, und diejenigen, die sich weniger oder überhaupt nicht für die Verrichtung monotoner Arbeit eignen". Das sind nach seiner Darstellung Personen, die infolge „ihrer geringen Allgemeinintelligenz und wenig anderer Interessen im allge-

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meinen von einer solchen gleichförmigen und also von den intelligenteren Arbeitern als monoton empfundenen Tätigkeit viel mehr befriedigt waren. Außer diesen Arbeitern mit weniger Allgemeinintelligenz zeigt sich aber vielfach noch, daß es höchst intelligente Menschen mit der Fähigkeit zum sogenannten ,Tagträumen' gibt, die sich während ihrer Arbeitsverrichtung so intensiv mit anderen Gedanken, mit Träumen usw. befassen können, daß sie von der Empfindung der Langeweile bei ihrer Arbeit völlig verschont bleiben und auch die von anderen als außerordentlich monoton empfundene Arbeit ihnen geradezu wie im Fluge vergeht" 44 . Hier wird also nicht mehr und nicht weniger empfohlen, als auf dem Wege der psychotechnischen Eignungsprüfung dumme und träumerische Menschen auszusuchen, die die monotone Arbeit besser ertragen, während andere für ihre nüchterne Intelligenz mit Arbeitslosigkeit bestraft werden sollen. Gegen die Rationalisierung der Arbeitskraft, vor allem gegen die psychotechnische Prüfung, lehnen sich zahlreiche der betroffenen Angestellten mit all ihren narzißtischen Triebregungen und allem Sehnen nach Wertung ihrer Individualität auf. Sie fühlen sich durch die Einreihung in ein experimentalpsychologisches Wertsystem versachlicht und rationalisiert. Die immer wieder von unternehmerischer Seite aufgestellte Behauptung, daß die Eignungsprüfung allein dem Menschen im Betrieb diene und nur in seinem Interesse eine psychische Disposition für die ihm zugewiesene Arbeit eruieren wolle, wird von ihnen nicht ernst genommen; sie erkennen die psychotechnische Methode als einen Teil der Rationalisierung der menschlichen Arbeitskraft, als Glied der sie in ihrem Frondienst umklammernden Kette. So kann die Durchführung der Eignungsprüfung der Anstoß zur Erweckung des Klassenbewußtseins im betroffenen Angestellten werden, in dem durch den beim Examen erlittenen Chok die Feindschaft gegen den Unternehmer entfacht wird. Wird die Chokwirkung nicht auf diesem Wege verdrängt, so kann sie erhebliche psychische Störungen und die Bildung von Minderwertigkeitskomplexen zur Folge haben. Auswediselbarkeit der Angestellten

Die durch die Rationalisierung erzielte, völlig partikularisierte Aufteilung der Arbeitsfunktionen hat eine Folge, die einer kapitalistischen Grundintention in höchster Systemkongruenz entgegenkommt. Der stets nach Unabhängigkeit tendierenden kapitalistischen Wirtschaft ist die Bestrebung eigen, die dem Rentabilitätsinteresse dienenden Arbeiter und Angestellten jederzeit ersetzbar zu machen. Nur durch die Auswechselbarkeit der ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellenden Menschen kann eine ununterbrochene Aufrechterhaltung des Betriebes gewährleistet werden. Während im Werkbetrieb diese Bemühung schon seit langer Zeit in vollem Umfang Erfüllung gefunden hat und der Arbeiter, der in

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der rationalisierten Fabrik automatisierte Handgriffe verrichten muß, jederzeit durch einen anderen ersetzt werden konnte, hatte der große Teil der Angestellten, dem qualifizierte und selbständige Arbeit oblag, bis in die jüngste Zeit hinein eine gewisse Monopolstellung inne. Die Rationalisierung des Bürobetriebes hat aber heute bereits zu einer so weitgehenden Normierung der Angestelltentätigkeit geführt, daß die überwiegende Majorität der Angestellten in jedem Augenblick auswechselbar ist. So kann eine schlagbereite Reservearmee der Angestellten bei hochkonjunkturellen Bedürfnissen herangezogen werden, die außerdem streikverhindernd wirkt und im Einzelfall stets brauchbaren Ersatz zu stellen vermag. Bei Unterhaltungen mit Personalchefs von Großbetrieben kann man immer wieder Äußerungen des bewußten Willens hören, die Angestellten jederzeit auswechselbar zu machen. Auch Sombart berichtet über einen solchen Fall: „Nach der Aussage des Leiters einer der größten Handelsbetriebe Berlins wünscht man die Funktion so einfach, daß jeder Gehilfe, ob gelernt oder ungelernt, sie sofort sauber, korrekt und stets richtig erledigen könne, um eine leichte Ersetzbarkeit der Gehilfen herbeizuführen. Man wolle sich vom Personal unabhängig machen. In diesem Betrieb waren von insgesamt 450 Gehilfen nur noch 35—40 Gehilfen in verhältnismäßig selbständiger Stellung." 4 5 Die Aufteilung der Angestelltentätigkeit in enge Funktionen hat noch eine weitere den unternehmerischen Wünschen entsprechende Konsequenz. Im kleinen Bürobetrieb des beginnenden Industrialismus eignete sich der Angestellte automatisch eine weitgehende und umfassende Kenntnis von den Geschäftsvorgängen an. Der Unternehmer, der dies nicht verhindern konnte, mußte zur Vermeidung der Gefahr einer Bekanntmachung von Geschäftsgeheimnissen nach Austritt der Angestellten eine gewisse Rücksicht üben. Im heutigen Großbetrieb, in dem dem Einzelnen die Übersicht über die Gesamtvorgänge völlig entzogen worden ist, in dem er nicht einmal den speziellen Geschäftsvorfall in abgeschlossener Form vor sich hat, kann der Unternehmer risikolos den konjunkturellen und betriebshierarchischen Bedürfnissen entsprechend Angestellte abbauen und wiedereinstellen, sie jederzeit auswechsln. Bei der Mechanisierung und Schematisierung der Tätigkeit bedarf der Unternehmer auch gar nicht mehr der auf einen bestimmten Posten eingearbeiteten Angestellten, weil spezielle Fachkenntnisse und die Erinnerung an die vergangenen Perioden bei Abwicklung des Geschäftsvorgangs unnötig geworden sind. Auch wird die Abhängigkeit vom Unternehmer durch die Arbeitsteilung außerordentlich erhöht. Der auf die Teilfunktion eingearbeitete Angestellte findet natürlich weit schwerer eine neue Anstellung als der früher vielseitiger ausgebildete Kaufmann, der in der Lage war, verschiedenartige Posten anzunehmen. In Krisenzeiten verschärft sich die durch diese Umstände hervorgerufene Diskrepanz zwischen der leichten

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Möglichkeit für den Unternehmer* Arbeitskräfte auszuwechseln, und der geringen Aussicht für den Angestellten, bei Abbau rasch wieder eine neue Tätigkeit zu finden. Den Bedürfnissen des Unternehmers steht eine Reservearmee von Angestellten gegenüber, die in ihren Fähigkeiten und Kenntnissen bis zu den engsten Grenzen differenziert ist; für jedes Spezialbedürfnis ist bei solcher Auswahl eine Reihe geeigneter Anwärter vorhanden. Die arbeitslosen Angestellten aber müssen warten, bis gerade ein ihrer besonderen Ausbildung und ihrer beschränkten Fähigkeit entsprechender Posten frei wird. Nachdem so keine allgemeinwirtschaftlichen und speziellen betrieblichen Hinderungsgründe gegen den Abbau eines Angestellten mehr bestehen, können es höchstens noch psychische Hemmungen sein, die eine rigorose Kündigung in manchen Fällen hintanhalten. Um sie zu beseitigen, springen Fachpsychologen dem Unternehmer hilfsbereit zur Seite; kein geringerer als der Ordinarius für Psychologie an der Technischen Hochschule in Berlin ist es, der schildert, wie man mißliebige Angestellte am besten abschütteln kann 46 . Diese BehandlungsVorschrift soll ihrer prinzipiellen Bedeutung wegen in den wichtigsten Punkten hier wiedergegeben werden: „Die Maßnahmen der Förderung und der Erzielung von Arbeitsfreude sind von den verschiedensten Seiten behandelt worden. Weniger dagegen ist über Erfahrungen berichtet, die auf Grund eingehender Beobachtung und unter Anpassung an die jeweilige Beschaffenheit der Betriebsverhältnisse erfolgreich von der Betriebsleitung zur Entfernung oder Kaltstellung mißliebiger oder ungeeigneter Betriebsangehöriger benutzt werden. Gewiß ist die Entfernung mitunter bei geeigneten Verträgen reibungslos und schnell durchzuführen. Mitunter freilich soll gerade eine äußere Vertragslösung vermieden und der Betriebsangehörige zu eigener Einsicht der Unzweckmäßigkeit des weiteren Verbleibens im Betriebe geführt werden, so daß er es selbst vorzieht, zu gehen, auch unter der Voraussicht erheblicher persönlicher und wirtschaftlicher Schäden. Wir führen einige dieser Maßnahmen, die die Betriebsführung in der Regel als erfolgreich angeben wird, an: 1. Ferien. Die Ferien sind eine geeignete Zeit, um gegen einen mißliebigen Betriebsangehörigen bei seinen Kollegen, Vorgesetzten oder Untergebenen vorzugehen, teils um Material zu sammeln gegen ihn, teils um durch Stimmungsmache einen inneren Widerstand gegen seine Persönlichkeit zu züchten. Teilweise wird die Ferienzeit auch benutzt, um Umgruppierungen und Umstellungen vorzunehmen, so daß der aus den Ferien zurückkommende, gut erholte Betriebsangehörige sich vor eine völlig veränderte Sachlage gestellt sieht. Ferien sind zwar gesundheitsförderlich, mitunter freilich auch gefährlich. 2. Unerfüllbare Aufgaben. Die Leitung stellt unerfüllbare Aufgaben, die die Kräfte des Unterstellten übersteigen. Der Angestellte, durch die ehrenvolle Beauftragung angespornt, stellt gegebenenfalls bestimmte Termine in Aussicht, an denen er die Arbeit abgeben

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wird. Stellt es sich, wie erwartet, heraus, daß die Aufgaben in der gegebenen Zeit bei den zur Verfügung stehenden Mitteln unter Berücksichtigung der Veranlagung und Erfahrung des Bearbeiters in der angegebenen Zeit nicht ausführbar ist, so wird das Versagen des Angestellten objektiv belegbar, und alle Folgerungen auf dieser objektiven Grundlage sind leicht zu ziehen, die sonst unmöglich gewesen wären, wenn lediglich der Regelfall der Tagesarbeit Berücksichtigung gefunden hätte. 3. Abschaltung und Parallelschaltung. Dem Angestellten wird ein wichtiges Gebiet seiner Arbeit genommen unter dem Hinweis auf Überlastung sowie unter dem Hinweis darauf, daß seine wertvolle Arbeitskraft geschont und auf einem wertvolleren und wichtigeren, wenn auch etwas engeren Gebiet dem Betriebe nutzbringender zur Verfügung stehen müsse. Der eitle Angestellte fühlt sich durch diese Maßnahme gegebenenfalls geehrt, ohne die Minderung seiner Stellung sowie deren Beeinträchtigung zu merken. Wird der Abschaltungsprozeß fortgesetzt, so sieht sich der Betriebsangehörige, der vielleicht leitender Direktor des Großunternehmens war, plötzlich zu einer Puppe erniedrigt, und es pflegt sehr oft zu spät zu sein, wenn ihm die Augen aufgehen und er die Sachlage richtig erkennt... Eine Abart der Abschaltungen von Funktionen ist die Parallelschaltung eines anderen ehrgeizigen und energischen Bearbeiters, mit dem es bald Kompetenzkonflikte geben w i r d . . . Natürlich kann durch Zuschaltung neuer Funktionen und Überlastung ein Zermürben und ein Versagen beabsichtigt werden, so daß dieser Fall letzten Endes den bereits geschilderten Fällen der Aufgabenstellung, die unlösbar sind, gleichkommt. 4. Die Versuchung. Dem Vertreter der Auslandsfiliale, der verdächtig ist, wird eine Falle gestellt, die so maskiert ist, daß er gutgläubig hereingeht. Man bietet ihm Geschäfte an, die vertragswidrig sind, unter Verheißung eines erheblichen Nutzens. Dieses System der planmäßigen Versuchung durch Betriebsangestellte wird verschieden beurteilt. Die einen stellen es als unsittlich und unmoralisch hin, während die anderen es als durchaus richtig und angemessen bewerten, da es jedem nur lieb sein könne, seine sittliche und Charakterstärke gegen Anfechtungen aller Art zu erweisen. 5. Die Reizung. Der Unterstellte wird durch Vorhaltungen gereizt. Er wird unvorsichtig, läßt sich gehen und vielleicht zu ungehörigen Äußerungen gegen das Unternehmen oder den Vorgesetzten hinreißen, die vielleicht als Beleidigungen wirken und seine fristlose Entlassung nach sich ziehen. Die gelegentliche und wiederholte Verärgerung bildet die Vorstufe für die endgültige Auseinandersetzung. 6. Das Überlob. Schließlich wird auch eine übermäßige Anerkennung ein Sicherheitsgefühl erzeugen können, so daß der Belobte leichtsinnig wird und zu fahrlässigen Handlungen neigt. Selbstgefällig wiegt er sich in Sicherheit und ist der felsenfesten Überzeugung, daß Lob und Anerkennung seines Vorgesetzten derart fest begründet ist, daß es auch durch kleine gelegentliche Mängel nicht erschüttert werden kann

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Mit diesen Ausführungen erteilt der Psychologe dem Unternehmer Ratschläge und hilft ihm so bei seinem Kampf gegen die Angestellten um die letztmögliche Durchführung der Rationalisierung am Menschen. „Menschenbehandlung i m Betriebe"

Auch zahlreiche andere Fachgelehrte haben sich auf diesem neuen Betätigungsfeld der praktischen Psychologie versucht, das sich dem Ausbau der „Menschenbehandlung im Betrieb" widmet. Solche Bestrebungen fallen ohne Zweifel unter die Tendenz nach Rationalisierung der menschlichen Arbeitskraft. Das kapitalistische Unternehmertum und mit ihm ein bestimmter fachwissenschaftlicher Kreis bemühen sich, Möglichkeiten der psychischen Beeinflussung der Angestellten und der Beseitigung psychischer Hemmungen in ihnen ausfindig zu machen, um so die Arbeitskraft ohne alle Hindernisse ausnutzen und über sie in jeder Weise verfügen zu können. Besonders bedenklich werden diese Bemühungen in den häufigen Fällen, in denen die psychologischen Berater in oberflächlicher oder formaler Weise arbeiten und alle sozialen und ökonomischen Voraussetzungen für die Betriebsverhältnisse außer acht lassen. Dann schaffen sie im psychologisch ungeschulten Unternehmer eine völlig falsche Vorstellung von den Angestellten und vergiften so noch die Waffen, die sie ihm für seinen Kampf liefern. Giese hat in seinem grundlegenden Buch über die „Methoden der Wirtschaftspsychologie" eingehende Behandlungsvorschriften ausgearbeitet. Eine besonders markante Stelle sei hier wiedergegeben: „Sehr wirksam sind immer Gerüchte und die Behandlung der Massen durch ausgestreute Gerüchte. Entsprechend den in der Aussagepsychologie bekannten Gesetzen verbreitet sich nichts so sicher wie ein Gerücht. So kann man Wirkungen auf die Disziplin durch Ausstreuung des Abbauoder Stillegungsgerüchtes ausüben; Arbeitsspannung durch Gerüchte neuer großer Aufträge, je nachdem der Fall im Groß- oder Kleinbetrieb liegt (Aufträge pflegen bei Gehaltsstundungen auf Angestellte oft beruhigend zu wirken). Aber auch böswillig kann man durch Gerüchte neue Einrichtungen und andere als Störung empfundene Organisationen kreuzen oder hindern." 47 Die Psychologin Franziska Baumgarten hat eine umfassende Arbeit über „Psychologie der Menschenbehandlung im Betrieb" publiziert 48 . Ihre formalpsychologischen Ausführungen, die jeder soziologischen Fundierung entbehren, bezwecken eindeutig die Förderung der Arbeitskraftrationalisierung: „Wie kann der Vorgesetzte auf seine Angestellten einwirken, damit sie mit ihrer ganzen Kraft seine Interessen vertreten? Es handelt sich darum, daß der Angestellte 1. die Interessen des Arbeitgebers zu seinen eigenen macht, 2. seine Fähigkeiten bereitwillig in den Dienst dieser Interessen stellt" (S. 9). Die Darstellung der zu untersuchenden Probleme zeigt bereits, wie wenig die sozialen Betriebsver4 D r e y f u ß , Beruf und Ideologie der Angestellten

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hältnisse, die von einem Psychologen unter allen Umständen berücksichtigt werden müßten, erkannt sind. Der Vorgesetzte soll sich unter anderem über folgende Fragen Klarheit verschaffen: „1. Arbeitet er gerne, das heißt aus eigenem Antrieb, oder unter Z w a n g ? . . . 2. Fühlt er gegenüber seinen Vorgesetzten ein Ressentiment (Neid der besitzlosen Klasse)?..." (S. 28.) Die Beantwortung dieser Fragen bedarf wahrlich keiner psychologischen Beobachtung des Angestellten, sondern nur einer theoretischen Überlegung über die sozialen Verhältnisse im Betrieb. Daß ein untergeordneter Angestellter mit geringem Einkommen seine sozial gehobeneren Vorgesetzten beneidet, ist doch wohl ebenso selbstverständlich wie der Umstand, daß er unter Zwang arbeitet. „Auf Grund dieser Beobachtungen wird der Vorgesetzte bestimmte Typen unterscheiden können — der an ihrer Arbeit Interessierten oder Apathischen, der Flinken und Langsamen, der Intriganten und Aufwühler, der Ducker und Selbstbewußten, der Widersetzlichen und Gehorsamen, der Krakeeler und der ruhigen Personen usw." (S. 28/29). Solche formale Kategorien müssen zu einem schiefen Bild führen, Die charakterologische Situation im Sinne der psychoanalytischen Lehre bleibt bei dieser Typologie ebenso unberücksichtigt wie bei einer, die der Psychologe Schmitt gibt 4 9 . Er glaubt die Angestellten in fünf Typen einteilen zu können, wobei er allerdings den Vorbehalt macht, „damit die betriebliche Mannigfaltigkeit nicht erschöpft zu haben": 1. der Eitle, Selbstgefällige, der Eigendünkler und Geck, 2. der Choleriker, Sanguiniker und gewalttätige Draufgänger, 3. der Phlegmatische und Langweilige, 4. der Alkoholiker, 5. der Komiker und Komödiant. Mit derart oberflächlichen und falschen Einteilungen, die dem Unternehmer wahrlich nichts nützen können, erfüllt der Psychologe nicht einmal die ihm zufallende Aufgabe, am Prozeß der Rationalisierung der menschlichen Arbeitskraft mitzuarbeiten. Die von Stefanie Herz aufgestellte Typologie weiblicher Angestellter 50 begeht zwar nicht den Fehler, die wirtschaftliche und soziale Lage der Angestellten außer acht zu lassen, ist aber auch oberflächlich und wirklichkeitsfremd. Eine Einteilung der weiblichen Angestellten in die vier Typen der „Mütterlichen", „Berufstypen", „Genußsüchtigen" und „Ehrgeizigen" ist allzu äußerlich, als daß sie irgend etwas besagen könnte. Der Einfluß der Triebregungen bleibt bei dieser Typologie ebenso unberücksichtigt wie die mächtige Wirkung der sozialen Betriebssphäre auf die psychologische Haltung. Schließlich sei noch auf das Lehrbuch von Wilhelm Weber 5 1 verwiesen, das sich durch außergewöhnliche Naivität und einzigartige Unkenntnis der ökonomischen und sozialen Betriebsverhältnisse auszeichnet. Die Anregungen, die in der Literatur für spezielle Behandlungsmöglichkeiten der Angestellten gegeben werden, sind mannigfaltig. Wir wollen zur Kennzeichnung solcher Publikationen nur einige kurze Beispiele geben. Walter Jost empfiehlt eine besondere „Werkstonpflege"

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im Betrieb: „Der Begriff ,Werkston' bezieht sich... auf die Formen des Betriebsumganges: auf die Geschicklichkeit und Kunst, Befehle zu erteilen und Befehle entgegenzunehmen, Verhandlungen zu führen, Anordnungen zu treffen, Absagen zu erteilen, Zusagen zu erlangen, Differenzen beizulegen, Vereinbarungen zu schließen — auf die Kunst, mit Menschen umzugehen und Menschen zu behandeln. Es geht hier also um die Diplomatie, Strategie oder Taktik des betrieblichen Verkehrs . . . " Mit seltener Offenheit bekennt der Verfasser: „Werkstonpflege dient nicht irgendeiner sentimentalen Philanthropie, sie dient im Gegenteil einer vollkommeneren Einspannung des einzelnen in die Zwecke des Betriebes und der Volkswirtschaft" 52 , und spricht so ehrlich aus, was andere zu verschleiern suchen: daß die Psychologie der Menschenbehandlung zum Gebiet der Menschenrationalisierung gehört und keineswegs humane oder soziale Intentionen erfüllt. Auf die Umgangsformen und den Ton, in dem der Vorgesetzte mit dem untergeordneten Angestellten verkehren soll, weisen auch andere Psychologen hin. „Oft wird ein sehr befähigter und kenntnisreicher Vorgesetzter erfolglos, wenn er den Geltungswiüen der ihm Unterstellten nicht achtet. Es erregt Ärgernis, wenn er die Namen der Angehörigen seiner Abteilung nicht kennt und bei einer persönlichen Rücksprache mit einem Unterstellten sich nach dessen Namen erkundigen muß." 5 3 Und Franziska Baumgarten meint: „Ein Zeichen der Hochschätzung ist es, wenn der Vorgesetzte den Angestellten bei seinem Familiennamen nennt und sich Mühe gibt, das Spezielle und Besondere des Angestellten zu erfahren, damit dieser sieht, daß er nicht eine Nummer unter hundert anderen, sondern eine Person ist, die man aus der Masse heraushebt. Der Vorgesetzte muß daher auch die Geduld aufbringen, mitunter eine Bemerkung oder eine Äußerung des Angestellten anzuhören, um ihm wenigstens ein äußeres Zeichen der Aufmerksamkeit, der Beachtung zu geben oder um ihm zu zeigen, daß er die Unabhängigkeit seines Urteils anerkennt." 64 An einer anderen Stelle empfiehlt sie als Äußerungen des Wohlwollens „die freundliche Erwiderung des Grußes, das Grüßen beim Betreten oder Verlassen der Arbeitsräume, die Sprechweise (freundlicher, nicht befehlender Ton), volle Selbstbeherrschung, wie man sie auch sonst gegenüber allen achtbaren Personen gewohnt ist usw." 6 5 . Symptomatisch an diesen Ausführungen ist die Tatsache, daß der Unternehmer dazu angehalten werden muß, die Angestellten als Menschen zu behandeln, sie als „achtbare Personen" anzusehen. Das Verhalten der meisten Unternehmer und höheren Vorgesetzten gegenüber den Angestellten beweist die Notwendigkeit solcher Ratschläge. Es wird von Rücksichtslosigkeit, Mißtrauen und Inhumanität beherrscht. Der Ehrlichkeit der Angestellten wird heute in keinem Großbetrieb mehr vertraut: Von den strengen Kontrollmaßnahmen im Warenhaus abgesehen, sind auch im Büro bereits die schärfsten Vorsichtsmaßregeln getroffen. Bei Betrachtung von Prospekten der Büro4*

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rnaschinenfabriken und von Werbeschreiben der Versicherungsgesellschaften muß man zu der Auffassung kommen, daß ausnahmslos alle Angestellten Diebe und Betrüger sind, daß man im modernen Betrieb ohne Kontrollapparate und Versicherungen gegen Veruntreuungen und Diebstähle nicht mehr auskommen kann. Mißtrauische Bespitzelung der Angestellten durch Vertrauensleute zur Beobachtung des Berufs- und Privatlebens sind an der Tagesordnung; Trustbetriebe unterhalten eine eigene Hauspolizei. Ein Praktiker berichtet zum Beispiel über folgenden Fall: „Ein Prokurist einer großen Firma, bei der ich tätig war, erzählte mir kurz vor seinem Austritt, daß es ein von ihm angewandter Trick sei, bei Eintritt in eine neue leitende Stellung seine Mitarbeiter, namentlich die ihm unterstellten, besonders freundlich zu behandeln und sie in lange, im Privatton gehaltene Unterredungen zu verwickeln, um sie gehörig auszuhorchen und um festzustellen, was in ihnen steckt, wes Geistes Kind sie sind, um dann später wieder reserviert zu werden und sich dann dementsprechend zu ihnen einzustellen." 66 Wir fassen zusammen: Die als humanes Verhalten getarnten unternehmerischen Bestrebungen um geschickte Behandlung der Angestellten und ihre stimmungsmäßige Beeinflussung zur Vermeidung von die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Depressionszuständen sind ausschließlich den Bemühungen um Ausdehnung der Rationalisierung auf den Menschen zuzurechnen. Perioden der schlechten Konjunktur bestätigen das eklatant. Je größer das Überangebot an Arbeitskraft ist, je mehr die Erwerbslosigkeit um sich greift, um so rigoroser verhält sich der Unternehmer im Betrieb; er weiß, daß die wirtschaftliche Lage die Angestellten in ihrer Arbeit schon unter genügenden Druck setzt. Die Behauptungen und Veröffentlichungen über eine besonders menschliche Behandlungsweise, die auch in solchen Zeiten nicht verstummen, beweisen nur den ideologischen Charakter ihrer Entstehung. Es soll der Anschein erweckt werden, als ob der Unternehmer, geleitet von humanen Intentionen, alles daran setzt, den Angestellten ihre Tätigkeit so viel wie möglich zu erleichtern. Das reale Verhalten enthüllt solche Beteuerungen als leere Phrasen.

Monotonie und „Arbeitsfreude" Das Problem der Arbeitsfreude

Vor Eintritt in eine materielle Untersuchung der durch die Mechanisierung und Schematisierung im Bürobetrieb hervorgerufenen Arbeitsmonotonie und ihrer psychischen und sozialen Folgen erscheint es notwendig, die Frage nach Vorhandensein und Weckungsmöglichkeit von „Arbeitsfreude" aufzuwerfen. In den letzten Jahren entbrannte eine heftige Diskussion über das Problem, ob bei monotoner Beschäftigung der Angestellte und auch der Arbeiter ebenso „arbeitsfreudig" wie früher

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seiner Tätigkeit nachgehen könne oder ob die Monotonie jede „Arbeits· freude" im Keim ersticke. Mir scheint, daß diese Fragestellung von ideologischen Voraussetzungen ausgeht und in solcher Formulierung gar nicht diskutiert werden kann. Der Angestellte in untergeordneter Position hat auch vor der Mechanisierung und Schematisierung niemals seine Tätigkeit mit wirklicher Freude ausgeübt. Der Unterschied zwischen dem Buchhalter vergangener Zeiten, der Zahlenkolonnen eintrug und aufaddierte, und dem, der heute die Additionsmaschine tippt, zwischen dem Kontoristen, der früher statistische Zahlen zu übertragen und zusammenzustellen hatte, und dem, der heute die Hollerith-Maschine bedient, liegt nur in der größeren Arbeitsbelastung und dem schnelleren Arbeitstempo des modernen Angestellten. Keineswegs kann aber von einer so prinzipiellen Differenz zwischen diesen Tätigkeiten die Rede sein, daß man von einer völligen Wandlung der Aufkommensmöglichkeit von Arbeitsfreude sprechen könnte. Auch körperliche Überanstrengung ist nicht nur eine Folge der modernen Rationalisierungsmaßnahmen. Theodor Geiger bemerkt mit Recht in einem wichtigen, grundsätzlichen Aufsatz über diese Fragen: „Die Arbeitstätigkeit war an sich nie eine Lust; die Handwerksromantiker hören über den Abstand der Zeit hinweg nur die frohen Gesänge, nicht die Seufzer aus den alten Handwerksstuben; Arbeit als solche wird nie eine Lust sein." 67 Das wollen jene ideologisch befangenen Menschen nicht einsehen, die sich in romantischen Träumereien nach mittelalterlichen Zuständen zurücksehnen und sich von der Rückkehr ständischen Lebens auch das Aufkommen einer wunderbaren Arbeitsfreude versprechen. Und sie vergessen, daß die Entwicklung der Technik auch jene Möglichkeit der Arbeitsbefriedigung für immer zerstört hat, die in früheren Zeiten dem Handwerker oder dem Manufakturarbeiter offenstand, wenn er selbst das Werkstück aus dem Rohstoff schuf und mit eigener Hand fertigstellte 68 . Daß heute das Problem der Arbeitsfreude eingehend diskutiert wird, hat andere Ursachen als die durch die Rationalisierung und ihre Folgen hervorgerufene Monotonisierung der Arbeit. Die die Arbeitskraft beeinträchtigenden Belastungen ökonomischer und sozialer Art erzeugen einen so großen psychischen Druck, daß der Angestellte ein Ventil zu seiner Erleichterung suchen muß. Nun wird durch ideologische Beeinflussung sein Blick von den sozialen Grundproblemen abgelenkt und fällt auf das nächstliegende Gebiet, auf das seiner täglichen Arbeit. Sie hat sich allerdings als soziales Phänomen stark gewandelt und läßt nicht mehr die Illusionen aufkommen, die die selbständige Tätigkeit in früheren Zeiten zuließ. Der mechanisch und schematisch beschäftigte Angestellte erblickt nun in der Wandlung seiner Arbeit den Grund für die Hoffnungslosigkeit seiner Situation, die doch vielmehr durch die Wandlung der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse so verzweifelt geworden ist. Er wendet sich gegen die Maschine, gegen das

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Formular als faßbare, verobjektivierte Ursachen seiner Not, wird zum Maschinenstürmer und drängt den kapitalistischen Unternehmer in eine Verteidigungsposition, die diesem nur genehm ist. Beteiligt sich der Unternehmer an der Diskussion über die Hebung der Arbeitsfreude und die Linderung der durch die Monotonie hervorgerufenen psychischen Beeinträchtigung, so lenkt er damit den Angestellten von den sozialen und ökonomischen Hintergründen seiner Not ab, er wird der Anwalt der modernen technischen Entwicklung und hat, um sich verständig und human zu zeigen, nichts anderes zu tun, als das Problem der Arbeitsfreude zu erörtern und Quellen zu erschließen, aus denen diese Freude gespeist werden kann. Eine Freude, die nicht vorhanden ist und dem Angestellten in dieser unmittelbaren Weise als freudige Genugtuung über die Arbeit selbst, frei von sozialen Geltungstrieben und ökonomischen Vorteilen, nie zu eigen war. An Stelle dieser fiktiven Freude an der Arbeit könnte eine echte Berufsfreude treten, die nicht nur durch die Erfüllung eines Sich-berufenFühlens geweckt werden kann, sondern auch durch das Bewußtsein der sinnvollen Arbeit für die menschliche Gemeinschaft, für eine Gesellschaft, der man sich zugehörig fühlt und die man anerkennt, nicht für einen Unternehmer, von dem man sich abhängig und ausgebeutet weiß. Nur vom sozialen Ethos her kann die Arbeit für die meisten Menschen sinnvoll, können die belastenden Folgen aufreibender, monotoner Beschäftigung erträglich gemacht werden. Nur in diesem Sinne kann die Arbeit für den gefühlsmäßig eingestellten Menschen „beseelt", für den bewußteren „vergeistigt" werden. „Fruchtbare Arbeitsgesinnung, Berufsethos schafft man nur, indem man den Menschen in eine Gesellschaft hineinstellt, die er mit seinem Willen wesentlich bejaht. Das Berufsethos wurzelt in der Gesellschaftsverbundenheit, nicht in der Arbeitstätigkeit. Wer sozial heimatlos ist, hat nur Arbeit und bestenfalls Brot, hat keinen Beruf, hat daher kein Berufsethos und eine ,rein materielle' Arbeitsgesinnung." 59 So formuliert Geiger das Problem, der als einziger in der umfangreichen Diskussion über die „Arbeitsfreude" auf diesen wichtigen Gesichtspunkt hingewiesen hat. Echtes Berufsethos entsteht unabhängig von der leichteren oder schwereren, abwechslungsreicheren oder monotoneren Arbeit. Es muß sozialen Ursprung haben. Aus keiner anderen Quelle kann die wahre Berufsfreude entspringen, das ist der tiefste Grund für die Berufskrise in der heutigen Zeit, in der die hochkapitalistische Wirtschaftsform den Massen des Proletariats schwerste soziale und ökonomische Belastungen bringt. Die speziellen Berufsideologien der einzelnen Angestelltengruppen, die mächtige allgemeine Ideologie des Standesbewußtseins können in vielen Fällen die Realität der beruflichen Tätigkeit verhüllen und dadurch vorübergehend Belastungen mildern; sie können aber niemals echte Berufsfreude wecken. Auch die unternehmerischen Be-

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mühungen in ihrer ganzen Skala von den allgemeinen Einflußbestrebungen — die in den Ideologien des Patriarchalismus, des Uberalistischen Dienstgedankens, der Werkgemeinschaft) der freien Aufstiegsmöglichkeit für jeden Tüchtigen ihren Ausdruck finden — bis zu den Versuchen der Bindung des Angestellten an den speziellen Betrieb — durch Schaffung freundlicherer, hellerer Arbeitsräume, durch Einführung von Pausen, durch Betriebswohlfahrt, durch Gründung von Firmenvereinen, durch Festlichkeiten und Hauszeitungen — sind dazu nicht imstande. Die von Unternehmerseite so heftig propagierte „Beseelung" der Arbeit und des Betriebes muß bei der Weiterentwicklung der kapitalistischen Wirtschaft zu immer stürmischer fortschreitender Rationalisierung ein erfolgloser Versuch bleiben, solange sich nicht die sozialen und ökonomischen Verhältnisse des Angestellten und des Arbeiters ändern. Wohl ist es möglich, Arbeitserleichterungen zu schaffen, innerhalb der unfreudigen Berufsatmosphäre lindernd einzugreifen und die schweren Belastungen der monotonen anstrengenden Arbeit zu mildern. Solche Arbeitserleichterung aber, die der einzelne Unternehmer in seinem Betrieb durchzuführen in der Lage ist, darf keineswegs, wie es so oft geschieht, als Weckung und Steigerung der Arbeitsfreude angesehen werden; im übrigen wird sie bei der fortschreitenden Steigerung der Rationalisierungsmaßnahmen durch die ihr folgenden Neubelastungen aufgezehrt. Auch Hendrik de Man hat in seinem Buch „Der Kampf um die Arbeitsfreude" 60 die „Arbeitsfreude", das ist die Arbeitserleichterung, mit der Berufsfreude identifiziert. Er stellt fest, daß auch der klassenbewußte marxistische Angestellte Arbeitsfreude finden kann und daß seine Ablehnung des heutigen Wirtschaftssystems keineswegs Unlust erwecken muß. Zur Begründung dieser Behauptung benutzt er das Ergebnis einer Enquête als Beweismaterial, gegen das prinzipielle Bedenken bestehen; 78 Äußerungen von Arbeitern und Angestellten sind noch keine genügende Grundlage für so weitgehende Schlußfolgerungen wie die de Mans, besonders nicht, wenn es sich um Äußerungen von Hörern der „Akademie der Arbeit" handelt, die, von den Gewerkschaftsleitungen ausgesucht, eine besondere Elite darstellen. De Man faßt das Ergebnis seiner Untersuchungen in den Feststellungen zusammen: „Leute, die die kapitalistische Weltordnung in Bausch und Bogen verdammen, denen dennoch die geringste Unterbrechung der Arbeitsmonotonie, die dürftigste Verschönerung ihrer Arbeitsumgebung, die gelindeste Milderung des betriebshierarchischen Drucks, die leiseste Andeutung eines menschlicheren freieren Vertrauensverhältnisses von Seiten ihrer Vorgesetzten genügt, damit dieser schwache Sonnenstrahl ihr ganzes inneres Leben mit den Farben des Glücks erleuchtet! Fanatiker des all-proletarischen Klassenbewußtseins, bei denen man zwischen den Zeilen eine nur gehemmte Neigung zum Berufsstolz herauslesen kann, die sich an die winzigsten Möglichkeiten klammern, ihren Beruf im Vergleich mit

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den anderen als nicht zu minderwertig und unqualifiziert erscheinen zu lassen! Unversöhnliche Klassenkämpfer, die sich nur danach sehnen, sich tüchtigen und gerechten Vorgesetzten unterordnen zu dürfen. Orthodoxe Anhänger des historischen Materialismus, die vor Glück aus dem Häuschen geraten, wenn ein freundliches Wort vom Unternehmer sie fühlen läßt, daß sie für ihn auch Menschen sind" (S. 287/88). Der Verfasser versichert, daß ihn diese Feststellungen „mit einem Gefühl echter Freude und liebevoller Hoffnung" erfüllen. Er sieht nicht die verzweifelte Stimmung der großen Massen des Proletariats, die eindeutige Berufsunlust der Mehrzahl der Angestellten, sozialpsychische Phänomene, deren Erkenntnis wahrlich „echte Freude und liebevolle Hoffnung" völlig zerstören müßte. De Mans Material beweist das Gegenteil seiner Schlußfolgerungen: Wie groß muß die Belastung eines Menschen bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit sein, wenn er trotz seiner Erkenntnis der sozialen Gegensätze und seiner Abhängigkeit vom kapitalistischen Unternehmer bereit ist, jedem ideologischen Einfluß nachzugeben, um sich mit dessen Hilfe die doppelte Illusion der freudigen Ausübung einer sinnvollen Berufsarbeit zu schaffen, wie verzweifelt muß seine Situation sein, wenn er trotz seines Klassenbewußtseins so gern an eine Verbesserung seiner Lage glauben möchte. Die Tätigkeit der großen Mehrzahl der Angestellten ist im modernen Bürobetrieb fast völlig mechanisiert und schematisiert. Schärfstes Arbeitstempo wird von dem antreibenden Vorgesetzten vorgeschrieben und seine Einhaltung auf das genaueste kontrolliert. Dazu kommt, daß der einzelne Angestellte im Großbetrieb die Übersicht über das Gesamtsystem und über den geschlossenen Geschäftsvorgang verloren hat; von der Tätigkeit der Stenotypistin oder des die Maschine bedienenden Buchhalters bis zum Absatz des fertigen Produktes an den Verbraucher ist ein unendlicher Weg. Die monotone Arbeit

Die monotone Arbeit im mechanisierten und schematisierten Großbetrieb, die bei dem vorgeschriebenen Tempo angespannteste Aufmerksamkeit verlangt, hat gesundheitliche Schädigungen zur Folge. Ein Berliner Berufsschularzt teilt zum Beispiel mit, daß der Gesundheitsstand der kaufmännischen Lehrlinge im Verlauf ihrer Lehrzeit nach den statistischen Aufzeichnungen hinter die Gruppe der ungelernten Arbeiter zurückfällt 61 . Eingehende ärztliche Untersuchungen von Lehrlingen haben gezeigt, daß das Maß der Arbeitsintensität durch die Rationalisierung im Betrieb um ein Vielfaches gesteigert worden ist. Durch die Tätigkeit an den Büromaschinen nimmt die Zahl der Erkrankungserscheinungen an Kreislauf und Nervensystem dauernd zu. Auf der Breslauer Tagung der „Deutschen Gesellschaft für GewerbeHygiene" im Jahre 1931 wurde ausführlich darüber berichtet, wie über-

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aus gesundheitsschädlich die dauernde Arbeit an den Büromaschinen ist 62 , besonders wegen der Notwendigkeit angespanntester Aufmerksamkeit zur Vermeidung eines Tippfehlers auf der Maschine. Die medizinischen Sachverständigen bestätigten, daß eine achtstündige Tätigkeit an Buchungs-, Büro- und Rechenmaschine auf die Dauer über jede Arbeitskraft hinausgehe und einen rücksichtslosen Raubbau an der Gesundheit der Angestellten bedeute. Die nervliche Belastung der in mechanischer Tätigkeit beschäftigten Angestellten wird noch dadurch vergrößert, daß sie durch keine Abwechslung von der dauernden Zeitbeobachtung abgelenkt werden. Es ist eine psychologisch bekannte Tatsache, daß bei konzentrierter Beobachtung die Zeit unendlich viel langsamer verstreicht als bei einer Ablenkung; so ist die subjektive Zeitüberschätzung bei monotoner Arbeit außerordentlich groß.

Ideologische Ä u ß e r u n g e n z u m M o n o t o n i e p r o b l e m

Im schärfsten Gegensatz zu diesen medizinischen und psychologischen Erkenntnissen und zu den realen Erfahrungen, die man im modernen kaufmännischen Großbetrieb macht, steht die große Masse der Äußerungen von Unternehmern, Fachgelehrten und Berufsberatern, die sich bemühen, nicht nur die ungeheure Belastung der Angestellten durch monotone Arbeit abzustreiten, sondern der mechanisierten Tätigkeit gar noch Vorteile gegenüber der früheren nichtmechanisierten Beschäftigung zuzusprechen. Es wird nichts versäumt, um die Angestellten über die trostlose Monotonie ihrer sinnentleerten Arbeit hinwegzutäuschen. Aus der Fülle solcher literarischer Bemühungen seien nur einige Beispiele wiedergegeben, die zwar zum Teil auf den Arbeiter zugeschnitten sind, aber selbstverständlich in gleicher Weise den Angestellten betreffen sollen. Ludwig Heyde führt aus: „Man darf nämlich nicht verkennen, daß durch die Monotonie einer immer gleichen Tätigkeit die Gedanken für andere Gegenstände frei werden. Der Arbeiter denkt dann an seine Klassenideale, rechnet vielleicht im stillen mit allen seinen Gegnern ab oder sorgt sich um Frau und Kinder; die Arbeit geht ihm inzwischen weiter von der Hand. Die Arbeiterin, besonders soweit sie noch als junges Mädchen glaubt, die Berufstätigkeit sei für sie nur eine vorübergehende Erscheinung, träumt während der monotonen Arbeit von Backfischromanen, Kinodramen oder vom Brautstand; sie ist fast noch weniger monotonieempfindlich als der M a n n / ' 6 3 Hans Hahn weist in einer Arbeit über die Monotonie im Bürobetrieb auf die Möglichkeit hin, sich während der mechanisierten Tätigkeit Tagträumen hinzugeben; er räumt zwar ein, daß diese Arbeit eine große Anspannung der Aufmerksamkeit verlangt, glaubt aber trotzdem, daß es möglich sei, sich m Träumereien zu verlieren: „An dieser Stelle könnte

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man vielleicht einwenden, daß dieses erprobte Linderungsmittel, nämlich das ,Tagträumen bei der Büroarbeit', die ja stets eine mehr oder minder größere Anspannung der Aufmerksamkeit verlangt als die mechanisierte Industriearbeit, praktisch nicht möglich sein wird. Doch ist auf diesen Einwand zu erwidern, daß es Menschen mit einer so ausgesprochenen Fähigkeit zum Tagträumen gibt, daß sie selbst bei den kompliziertesten Tätigkeiten, selbst bei anscheinend ständiger Anspannung der Aufmerksamkeit Gelegenheit finden, ihren anderen Gedanken nachzuhängen, sogar bei komplizierten Tätigkeiten, wie das Lenken eines Autos durch eine außerordentlich belebte Verkehrsstraße oder auch beim Vorspielen eines schwierigen Konzertstückes, das deswegen noch lange nicht durch ständiges Auswendiglernen mechanisiert worden zu sein braucht." 64 Solcher Auffassung stehen die zitierten Meinungen maßgeblicher Mediziner und Psychologen entgegen, die die Notwendigkeit angespanntester Aufmerksamkeit als wichtigstes Merkmal monotoner Arbeit bezeichnen. Wenn ein psychisches Phänomen wie das von Hahn geschilderte überhaupt möglich ist, so doch nur in den seltensten Ausnahmefällen außergewöhnlicher Veranlagung. Auch der bekannte Betriebswissenschaftler Kalveram kommt in seinen Ausführungen über das Monotonieproblem zu dem Ergebnis, daß die Möglichkeit, an andere Dinge zu denken, die mechanische Tätigkeit erleichtere 65 . Allerdings ist er vorsichtiger als die anderen Autoren; er behauptet zwar, daß man bei der monotonen Arbeit „seinen Gedanken freien Lauf lassen kann", fügt aber hinzu, daß „die Bedienung der Maschine volle geistige Mitarbeit des Menschen erfordere", daß zum Beispiel die Buchung auf einer komplizierten Buchungsmaschine „starke geistige Konzentration" verlangt. Es ist nicht ersichtlich, wie bei solcher Anspannung die Möglichkeit bestehen soll, arbeitsfremden Gedanken nachzuhängen. Daß, wie Kalveram annimmt, „der Zwang, nicht aufmerksam sein zu müssen, ein Wohlgefühl auslöst, daß man gleichzeitig ohne ermüdende Willensimpulse die gewohnte Arbeit sogar in angenehmem rhythmischem Tempo vollzieht", widerspricht seiner eigenen Auffassung der Notwendigkeit der Konzentration ebenso wie der allgemeinen medizinischen und psychologischen Erkenntnis der Notwendigkeit übergroßer Aufmerksamkeit. Gerade bei langweiliger und deshalb ermüdender Tätigkeit muß der Arbeitende um so aufmerksamer sein, wenn er einen falschen Handgriff vermeiden will; hat er doch nicht nur auf die Arbeit zu achten, sondern obendrein die schwere Aufgabe zu erfüllen, gegen die durch Nervenanspannung und Monotoniè eintretende Müdigkeit anzukämpfen. H . v. Beckerath 66 glaubt, daß sich „eine große Mehrzahl von Individuen bei Monotonie und Abhängigkeit der Arbeit sogar wohl fühlt und die Entlastung von persönlichen Entschließungen und persönlich bestimmten Anstrengungen schätzt"; eine solche Arbeitsauffassung dürfte nur bei ausgesprochen phlegmatischen Menschen vorherrschen,

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aber auch bei diesen bald vor der Erfahrung weichen, daß die monotone Arbeit anstrengender und ermüdender wirkt als die individuelle Tätigkeit. Sein zweites Argument für die Monotoniearbeit ist zwar treffend, aber es dürfte praktisch wenig Arbeitserleichterung bringen: er meint, daß „wachsendes Maschinenverständnis und Sinn für die technische Großartigkeit des maschinellen Produktionsprozesses die Maschinenarbeit reizvoller macht". Sicher ist ein die komplizierte Buchhaltungsmaschine bedienender Angestellter von einem gewissen „Maschinenstolz" erfüllt, aber dieses Bewußtsein hat eine verschwindend geringe Bedeutung gegenüber den vielen schweren Belastungen durch mechanisierte Tätigkeit. Der Sozialpolitiker Heinz Pothoff bringt zur Lösung des Monotonieproblems eine etwas verschwommene Gemeinschaftsideologie und verlangt von Arbeitern und Angestellten eine idealistische Berufsauffassung, wie sie keinem Unternehmer eigen ist: „Es ist aber auch unmöglich, daß der Teilarbeiter als Einzelner seine Arbeit begreifen und lieben lernt... Nur das Zusammenwirken mit den Arbeitsgenossen macht die Teilarbeit sinnvoll, wertvoll. Das Begreifen dieses Zusammenwirkens ist daher das Erste und Notwendigste zur Erweckung neuer Berufsfreude und Arbeitslust... Bloßes Geldverdienen adelt nicht, den Arbeiter so wenig wie den Börsenjobber. Der Mensch muß ,im inneren Herzen spüren, was er erschafft mit seiner Hand'. Voraussetzung dazu im heutigen Großbetriebe ist das Gefühl der Verbundenheit, das eben im Betriebsrätegesetz Ausdruck gefunden hat." 6 7 Daß schon das Betriebsrätegesetz imstande sein soll, im Arbeiter und Angestellten das Sozialethos auszulösen, das auch wir als wichtigste Voraussetzung für die Berufsfreude erkannt haben, ist unwahrscheinlich. Das Bewußtsein der Zusammenarbeit mit Kollegen kann keine Berufsfreude wecken, wenn es von der Erkenntnis erfüllt ist, daß die Gemeinschaft der Arbeiter und Angestellten vom Unternehmer abhängig ist und in ihrer Arbeitskraft ausgebeutet wird. R. L. Mehmke versteigt sich sogar zur Behauptung, daß es der Arbeiter und der Angestellte bei seiner mechanischen Arbeit weit besser habe als der Unternehmer: „Der Unternehmer denkt vielleicht gelegentlich aufseufzend dasselbe. Welcher geistige Arbeiter hat noch nie den Handarbeiter beneidet?! Jeden Tag sich für Stunden ganz verlieren können in einer den Kopf herrlich ausruhenden mechanischen Arbeit, jeden Tag einen Feierabend haben, mit so vollständigem Ausspannen des Kopfes wie ein Arbeiter oder Angestellter. Immer nur sein bestimmtes Pensum erledigen müssen; regelmäßig einen solch gesunden tiefen Schlaf haben wie der körperlich Müde. Einmal heraus können aus all dem geistigen Weitblick und Überblick, der einen viel zu tief in die Gefahren der Zeit, in alle menschlichen Mängel und Schwächen, die eigenen nicht ausgeschlossen, hineinsehen läßt." 6 8 Eine solch abwegige Auffassung ist nur erklärlich durch die von diesem Autor geschaffene

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Unternehmerideologie, die den Unternehmer als selbstlosen, den Angestellten Arbeit und Brot bietenden Diener seines Werkes darstellt. Endlich sei der Kuriosität halber eine Stelle aus dem Reisebericht eines Herrn Kleinschmidt wiedergegeben, der über die taylorisierte Arbeit bei Ford erzählt: „Ich habe in der Fordfabrik die Beobachtung gemacht, daß Leute mit jahrelang gleichen Arbeiten, die überaus einfach und nach unseren Begriffen sehr eintönig sind, einen zufriedenen, ja sogar behäbigen Eindruck machen. Fröhliche Gesichter, ja scherzhaften Streit und Unarten kann ich alle Nächte in Menge sehen und erleben. Als das Tempo in der Montagnacht immer schneller wurde, stießen einige Arbeiter von Zeit zu Zeit laute Schreie aus vor Übermut, Begeisterung und Stimmung. Es war gerade so, als ginge es zu einem Sturmangriff vor." 6 9 Daß die medizinischen Erkenntnisse über die Folgen der Monotoniearbeit in ideologisch gefärbter Berufsliteratur geradezu umgekehrt werden, zeigt ein Beispiel, in dem sogar von einem hygienischen Wert mechanisierter Tätigkeit gesprochen wird: „Die interessante Abwechslung in unserer Tagesarbeit, die so viele Menschen oft heiß ersehnen, würden sie in Wirklichkeit und besonders auf die Dauer niemals ertragen; denn eine gewisse Gewöhnung und Abspannung, die nach und nach gegenüber den Erlebnissen im Beruf eintritt, ist eine heilsame Maßnahme der Natur zur Schonung der stark begrenzten menschlichen Nervenkraft." 70 Nicht nur in der unternehmerischen Literatur werden solche unrichtigen Behauptungen über die Monotoniearbeit aufgestellt. Auch die Angestellten selbst und die rechtsstehenden Angestelltenverbände bemühen sich vielfach, trotz Mechanisierung die Illusion einer schwierigen individuellen Tätigkeit zu wecken, zu festigen und auszuweiten. Bildet sie doch eine wichtige Voraussetzung für die mächtige Ideologie des Standesbewußtseins. Die Maschinenarbeit erfordere, so argumentiert man, höchste Aufmerksamkeit und Konzentration und darum beste Auffassungsgabe und starke individuelle Intelligenz. Die Notwendigkeit höchster Konzentration und stärkster Aufmerksamkeit kann, wie wir bereits mehrfach ausführten, keineswegs abgestritten werden; außergewöhnlich große Auffassungsgabe und besonders individuelle Intelligenz sind aber ebenso sicher bei der Maschinenarbeit völlig unnötig. Ein weiteres Argument ist die häufig vertretene Auffassung, daß durch Mechanisierung und Schematisierung Arbeitskraft und Arbeitszeit in erheblichem Umfange erspart werde. Die Konsequenz dieses Gedankens wird aber nicht ausgesprochen : daß diese großen Vorteile der Rationalisierung keineswegs dem Angestellten zugute kommen, sondern nur den Profit der Unternehmer steigern. Die Wirkungen der Rationalisierung, die von den gleichen Angestellten verbänden wegen der damit verknüpften Abbaumaßnahmen und der folgenden Arbeitslosigkeit aufs heftigste bekämpft wird, müssen hier als Beitrag zur Konstruktion von

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Berufsfreude dienen. Der Angestellte, der heute an der Buchhaltungsmaschine in einem Tag das gleiche Arbeitspensum erledigt wie in früheren Zeiten in einem Monat, als er noch jeden einzelnen Posten mit der Hand ins Hauptbuch einzutragen, den Saldo zu errechnen und Kolonnen aufzuaddieren hatte, soll aus diesem Tatbestand Berufsfreude ziehen; er darf offenbar nicht daran denken, daß durch diese Maschine viele Kollegen brotlos geworden sind und auch ihn bei fortschreitender Mechanisierung das gleiche Schicksal treffen kann. Zumeist verlieren sich die Lobpreisungen der Büromaschine in höchst unklaren Phrasen, deren Sinn nicht recht verständlich wird. So wird die Behauptung aufgestellt, daß gerade die Büromaschine durch den Umfang ihrer Leistungen eine klare und vollständige Übersicht über die geleistete Arbeit gebe und „das Gefühl, Mitschöpfer an einem vielgestaltigen, oft weitverzweigten Werk zu sein. Für den, der die Vorteile der Maschine zu schätzen weiß, ist sie täglich eine neue Quelle der Freude... Jede Arbeit ist das, was der Mensch aus ihr macht, die interessanteste, vielseitigste Tätigkeit kann öde erscheinen, wenn die sie verrichtende Persönlichkeit ihr den Stempel der gewohnheitsmäßigen Langeweile aufdrückt, die einfachste und doch in irgendeiner Art wichtige Arbeit kann auch auf dem Umweg über die Maschine eine wertvolle Mithilfe im modernen Wirtschaftsleben sein und dem sie Verrichtenden restlose Befriedigung geben" 7 1 . Daß, wie in dieser Behauptung, nicht die Mechanisierung der Arbeit, sondern der Arbeitende selbst produziere die Langeweile, dem Angestellten die Schuld für einen Mangel an Berufsfreude zugeschoben wird, ist keine Seltenheit. Eine Berufsberaterin nimmt zum Beispiel Stellung gegen die „Berufspessimisten", die aus einem grundsätzlichen, in ihrer Charakterveranlagung begründeten Pessimismus, jede Möglichkeit einer Befriedigung durch den Beruf zerstörten, durch skeptische Kritik alles Schöne, Große und Edle der Berufsarbeit zersetzten 72. Als Parallelerscheinung wird auf die Zerstörung der Ehe durch „Ehepessimisten" hingewiesen. Über die ungeheure Verschiedenheit zwischen den Phänomenen Beruf und Ehe wird dabei ebenso hinweggesehen wie über die Tatsache der durch die Wirtschaftslage und durch die sozialen Verhältnisse hervorgerufenen Ehekrise. „Auch vom Beruf erhoffen sich viele Menschen, genau wie in der Ehe, ,ewige Flitterwochen'. Solange die Erlebnisse in der Berufsarbeit neu und überraschend sind, freut man sich ihrer, genießt sie intensiv und erhofft immer neue ,Sensationen', trotz das eigentliche Wesen der Berufsarbeit nichts anderes als der ,Alltag' ist, der in der Regel nur selten durch kleine Besonderheiten unterbrochen wird. Genau wie in der Ehe muß man dann auch die Folgerungen ziehen, die für beides, Beruf und Ehe, passen, nämlich, daß sich sowohl der Ehegatte als auch der Berufsträger mit diesem Alltag abzufinden hat." Mit diesem schiefen, oberflächlichen psychologischen Vergleich glaubt die Verfasserin ihre These des Berufs-

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Pessimismus zu beweisen, ohne einzusehen, daß der aktuelle Mangel an Berufsfreude und die berufliche Resignation der Angestellten etwas völlig anderes ist als unbefriedigte Sensationslust und Enttäuschungen infolge mangelnder Abwechslung. Ebenso absurd ist das Rezept, das den Angestellten zur Weckung der Berufsfreude gegeben wird: „Wo aber trotzdem in der Ehe — und auch in der Berufsarbeit — die feinen Nuancen und Abwechslungen auch noch im Alltag häufig zu sein pflegen, da ist es niemand anderes als der Mensch selbst, der das Einerlei, das im Wesen des Berufs oder auch im Wesen der Ehe an sich als Dauerzustand zu liegen scheint, als schöpferische Gestalter immer wieder neu zu verklären vermag." Als umfassende Illustration für die ideologische Haltung der rechtsstehenden Angestelltenverbände zum Problem der monotonen Arbeit und der Berufsfreude sei der Teil eines Aufsatzes wiedergegeben, der sich mit diesen Fragen befaßt: „,Aber alles gute Arbeiten ist ein Gestalten. Es trifft auch zu auf die Arbeit des Mannes im Büro, des Angestellten. Nicht nur der Künstler und der Handwerker gestalten/ Die ,Gestalt', die zum Beispiel das Ziel richtiger Buchhalterarbeit bildet, ist die vollkommene Ordnung in den Büchern. Will der Buchhalter wahre Freude in der Arbeit finden, so strebe er danach, ihr diese ,Gestalt' zu geben. Er schafft, indem er die feinsten Mittel dazu erfindet, einen Kreis, der keine Lücke hat, und er wird sich stets als Schöpfer fühlen. Der Korrespondent schreibe nicht schlechthin einen Brief, sondern er bemühe sich, den besten Brief zu schreiben, der für seinen Zweck geschrieben werden kann. Er fasse diesen Vorsatz nur mit ganzer Kraft und beginne ihn auszuführen. Es wird sich an den ersten gelungenen Satz mühelos der zweite reihen. Im Arbeitsrausch wird er Ort, Zeit und sich selbst vergessen und endlich den Schlußpunkt mit dem freudigen Hochgefühl hinsetzen, das eben nur ein gelungenes Werk erzeugt. Es ist Schöpferfreude, die er empfindet. Sie empfindet jeder, der, wie Fritz Reuter sagt, ,dauhn deiht, wat hei deiht*. Sie empfindet der Reisende, der in zäher Hartnäckigkeit ein Geschäft verfolgt und es schließlich — rund und richtig — zum Abschluß bringt. Sie empfindet das Schreibfräulein, das einen Brief nach dem anderen in makelloser Schrift neben ihre Maschine legt. Sie empfindet der Lagerverwalter, dessen Lager sauber ist wie eine Kirche, und der von sich sagen kann, daß er nie etwas falsch oder unpünktlich abgeliefert habe." 73 Die Arbeitsbefriedigung, die der Künstler bei der Vollendung des fertigen Werkstücks empfinden vermag, wird hier auf die Büroarbeit übertragen, auf eine Tätigkeit, die in die partikularisiertesten Funktionen aufgeteilt ist, die monoton ein und denselben Handgriff verrichtet und in der der Ausführende nicht einmal den geteilten Geschäftsvorgang zu überblicken vermag, zu dem diese abgetrennte Arbeitsleistung gehört. Der Buchhalter im Großbetrieb kann nicht mehr „die vollkommene Ordnung in den Büchern" überblicken, ganz abgesehen davon, daß eine

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solche Feststellung nicht vergleichbar ist mit der Befriedigung über ein vollendetes Werkstück. Der Korrespondent hat in den engen Grenzen seines Arbeitsgebietes schematisch stets die gleichen Briefe abzufassen, eine völlig monotone Tätigkeit, die durch keinerlei Abwechslung unterbrochen ist, und die Stenotypistin, die vom Diktaphon das Diktat abzuhören und zu übertragen hat, wird durch eine saubere Niederschrift des Briefes wirklich keinen AnlaB zu freudigem Empfinden haben.

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Stufen der Betriebshierardiie Nach der Untersuchung der die Betriebshierarchie formenden Faktoren sozialer und psychischer Natur und der bei ihrer Bildung mitwirkenden Probleme der Rationalisierung kommen wir nun zur Betrachtung der einzelnen Stufen der Betriebshierarchie. Sie sind die praktische strukturelle Grundlage für die sozialen Betriebsbeziehungen, denn die Stellung des einzelnen Angestellten im System der Hierarchie ist für die Bildung seines Berufsbewußtseins von größerer Bedeutung als seine fachlich-berufliche Tätigkeit, die allerdings spezielle Berufsideologien hervorruft. Bei der Darstellung muß also die Berufsgruppe, in der der Angestellte beschäftigt ist, jeweils der hierarchischen Stufe zugeordnet werden. Die Tätigkeit selbst, deren Deskription nicht fehlen darf, kann nicht der Ansatzpunkt für eine Analyse sein. Zwischen der Arbeit einer Verkäuferin im Warenhaus und eines Bankangestellten zum Beispiel besteht zwar zweifellos ein erheblicher Unterschied, in ihrer sozialen Betriebsstellung aber sind sie auf etwa gleicher Stufe, sie gehören zur großen Masse der unselbständigen, untergeordneten Angestellten. Abteilungsleiter, Stenotypistinnen, Prokuristen oder Lehrlinge bleiben sich untereinander in betriebssozialer Beziehung immer ähnlich, ob sie nun im Bankbetrieb, in einer Industrieunternehmung oder in einer Einzelhandelsfirma beschäftigt sind. Deshalb glauben wir durch eine Querschnittuntersuchung, die die jeweils auf gleicher betriebshierarchischer Stufe stehenden Berufsgruppen zusammenfaßt, zu fruchtbaren Erkenntnissen zu kommen. Für die Bildung speziellen Berufsbewußtseins besonders wichtige fachliche Berufsgruppen wie die der Bankangestellten oder der Verkäuferinnen im Einzelhandel sollen im Rahmen dieser Gesamtdarstellung einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden.

D e r leitende Angestellte D i e arbeitsfunktionelle Position

Im Geschäftsbetrieb Die Stellung des leitenden Angestellten, zumeist innerhalb der kaufmännischen Organisation kann sein. Der spezialisierte Fachmann wird der Leiter hat dann nur durch die Grenzen dieser Funktion

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Prokurist der Firma, sehr unterschiedlich einer Abteilung und beschränkte, relativ

enge Anordnungsbefugnisse; die größere oder geringere Wichtigkeit einer solchen Stellung wird jeweils durch den Umfang der Abteilung und ihre Bedeutung für das Unternehmen gekennzeichnet. So steht zum Beispiel der Leiter der Buchhaltung oder des Kalkulationsbüros an unwichtigerem Posten als der Vorstand des Einkaufsbüros, dem die Beschaffung der gesamten Rohwaren, der Betriebsmittel und oft auch der Produktionsmittel obliegt. In den von heftigen Konkurrenzkämpfen bewegten Epochen, in denen der Wettbewerb durch die schlechte Konjunktur noch verschärft ist, hat sich die Einkaufstätigkeit zu einem raffinierten strategischen System von Vorspiegelungen und Vortäuschungen entwickelt. Der Einkäufer muß in genauer Kenntnis der Mentalität jedes Lieferanten, die er sich nicht nur aus seiner Tätigkeit, sondern auch aus dem Studium der eigenen Verkaufsabteilung aneignet, jeden nur kleinsten Vorteil wahrnehmen, die im erbitterten Konkurrenzkampf stehenden Lieferfirmen gegeneinander ausspielen und den Verkäufern gegenüber bezüglich Preisen und Bedingungen Behauptungen aufstellen, die in keiner Weise der Wahrheit entsprechen. Den Abteilungsleitern gegenüber stehen die leitenden Angestellten, die als Stellvertreter oder Assistenten des Unternehmers tätig und der zentralen Betriebsleitung zugeordnet sind. Sie beschäftigen sich mit der Geschäftsführung selbst, mit der Kontrolle, mit Organisationsfragen, speziell mit Problemen der Rationalisierung und mit Personalangelegenheiten. Aber auch sie haben im heutigen durchrationalisierten Geschäftsbetrieb weitgehend an Selbständigkeit und Verantwortlichkeit verloren; oft kommen ihnen nicht mehr als die Erfüllung von Aufsichts- und Kontrollfunktionen zu. Die Initiative geht, soweit von ihr noch zu sprechen ist, von der zentralen Geschäftsführung des Unternehmers aus, dem Prokuristen bleibt an den meisten Posten nichts anderes übrig, als die Anweisungen in spezielle Anordnungen aufzuteilen und ihre Durchführung zu kontrollieren. Die leitenden Angestellten wollen sich, besonders wenn sie älter sind, nur ungern an diesen Zustand gewöhnen und kommen zu einer Gegnerschaft gegen die Rationalisierung oder die „Bürokratisierung"; sie klammern sich krampfhaft an die Illusion der Initiative und der völlig selbständigen Tätigkeit, befangen in antiquierten Vorstellungen aus vergangenen Perioden. „Wenn irgendwo organisiert oder rationalisiert wird, stehen am Ende Vorschriften über Vorschriften und fürchterlicher Schreibkram. Vor lauter Tabellen, Formularen, Statistiken usw. bleibt schließlich immer weniger Zeit für die eigentlich produktive Arbeit... Weniger Schema und mehr Initiative, weniger Vorschrift und mehr Verantwortlichkeit, weniger System und mehr Persönlichkeit", so fordert ein leitender Angestellter in einem Aufsatz über den modernen Bürobetrieb in völliger Verkennung der Konsequenzen durchgeführter Rationalisierung 74. 5 D r e y f u ß , Beruf und Ideologie der Angestellten

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Im Fabrikbetrieb Wir wollen an dieser Stelle eine kurze Betrachtung über die leitenden Angestellten im technischen Betrieb einschalten, bei denen zahlreiche Parallelen zu den kaufmännischen Angestellten aufzuweisen sind. Der leitende Angestellte in der Fabrik hat nicht nur in fast allen Fällen Prokura, sondern trägt auch oft den Direktortitel, ohne deshalb im handelsrechtlichen Sinne Vorstandsmitglied zu sein. Auch hier sind, wie bei dem kaufmännischen Prokuristen, zwei prinzipiell verschiedene Gruppen zu unterscheiden: der Spezialfachmann arbeitet im Forschungslaboratorium, im Konstruktionsbüro oder in einer spezialisierten Fabrikationsabteilung, während der Chef der Werkleitung, sein Stellvertreter und seine Assistenten mehr allgemeine organisatorische Fragen zu behandeln haben, ihnen die Betriebskontrolle und die Personalangelegenheiten obliegen. Die Fabrikleiter und ihre Stellvertreter haben überall die größere Selbständigkeit und Verantwortung sowie weitergehende Anordnungsbefugnisse, wo, ein häufiger Fall, der Unternehmer Kaufmann ist und sich in allen technischen Fragen auf die Werkdirektoren verlassen muß. Der leitende technische Angestellte ist seiner sozialen Herkunft nach großbürgerlich und hat oft seine Stellung durch gesellschaftliche Beziehungen oder Freundschaften auf Grund akademischer Korpsbrüderschaft erhalten. Seine Assistenten, die im Werk als Hilfsbetriebsleiter, Kontroll- und Aufsichtsbeamte, im Laboratorium als Laboranten oder im Konstruktionsbüro als Hilfskonstrukteure tätig sind, entstammen mehr dem Kleinbürgertum und sind zum kleinsten Teil auf der Hochschule ausgebildet, zumeist aber verfügen sie nur über die Mittelschulbildung eines Technikums, einer Bergwerks- oder höheren Fachschule. Die Beförderungsaussichten dieser mittleren technischen Angestellten sind völlig trostlos. Ein Aufstieg in die Werkleitung ist so gut wie ausgeschlossen, sie bleiben zumeist bis an ihr Lebensende auf der gleichen Stufe stehen. Typisch für die Resignation dieser Kreise ist das folgende von v. d. Gablentz zitierte Gedicht, das jeder neue technische Angestellte am Tag seines Antritts in den Berliner Großunternehmungen der Elektroindustrie von seinen Kollegen zugestellt bekommt: „Wer nie bei Siemens-Schuckert war, bei AEG. und Borsig, der kennt des Lebens Elend nicht, der hat das Glück noch vor sich. Da biste nischt, da wirste nischt bis an Dein Lebensende. Und willste was, so gibt man Dir 'ne kleine Titelspende. Da sitzte denn und schwitzte denn bis Dir der Magen kluckert So ist's bei Siemens, AEG., bei Borsig und bei Schlickert."76

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Die „Titelspende", auf die angespielt wird, ist die in den Großbetrieben übliche Entschädigung für die Unmöglichkeit des Aufstiegs und für die schlechte Entlohnung. Bei der Verleihung der Titel spielen wohl auch unternehmerische Wünsche des betriebssozialen Geltungswillens gegenüber den Arbeitern eine Rolle. Die Titelstufung erhält die Funktion der im technischen Betrieb unmöglichen künstlichen Differenzierung der 1 Hierarchie. D i e betriebssoziale P o s i t i o n

Der der zentralen Geschäftsleitung zugeordnete leitende Angestellte ist das Bindeglied zwischen Unternehmer und Angestellten. Schon in seiner äußeren Stellung wird er vom Unternehmer weit mehr als Gleichgestellter denn als Angestellter behandelt, so in der Einrichtung seines Privatbüros und der Zuteilung einer Privatsekretärin. Ist ein solcher wirklich leitender Angestellter doch auch durchaus arriviert, steht er doch in der Hierarchie dicht vor der Erklimmung des Gipfels, und wenn auch der letzte Aufstieg oft der beschwerlichste und in vielen Fällen unüberwindlich ist, so gibt es doch auch immer wieder Beispiele des Gelingens. Nicht selten wird der Prokurist in der Aktiengesellschaft oder der G. m. b. H. stellvertretendes oder gar ordentliches Vorstandsmitglied. Daß er in der offenen Handelsgesellschaft zum Teilhaber befördert wird, kommt allerdings nur in Ausnahmen vor, eine Tatsache, die mit dem Firmenfetischismus des Einzelunternehmers und der Gesellschafter von Familienunternehmungen zusammenhängt. Auch liegen hier handelsrechtliche Gründe vor: der Direktor einer Gesellschaft ist im juristischen Sinn Angestellter, kann also nach Ablauf seines Vertrags gekündigt werden, während der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft durch den Gesellschaftsvertrag mit seinen Teilhabern sehr eng, oft sogar unlösbar verknüpft ist· Der Geschäftsleitung zugeordnete Prokuristen kommen meist aus Kreisen der Großbourgeoisie, sind selbst Unternehmersöhne oder -verwandte, haben akademische Vorbildung und sind die prädestinierten Nachfolger des Unternehmers oder Konzernleiters, falls nicht deren eigene Familie den Nachfolger stellt. Im Gegensatz zu ihnen hat der als Abteilungsleiter tätige Prokurist fast nie Aussicht auf den letzten Aufstieg und wird auch schon seiner sozialen Herkunft wegen vom Unternehmer als ungeeignet angesehen; es ist der Sohn von Handwerkern und Angestellten oder von Angehörigen freier Berufe und des Beamtentums. Im Großbetrieb, in dem die Arbeitsfunktion des leitenden Angestellten weitgehend vorbestimmt ist und wenig Raum mehr für Initiative und individuelle Leistung bleibt, ist der Prokurist besonders stark versucht, sich durch sein innerbetriebliches Verhalten dem Unternehmer bemerkbar zu machen, durch eine besonders scharfe Stellung gegen die Angestellten um seine Gunst zu werben. Dieser Umstand ist für seine inner-

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betriebliche Haltung von wichtigstem Einfluß. Sein Auftreten schwankt je nach der Meinung, wie er am besten den Unternehmer gegenüber den Angestellten zu vertreten glaubt. Da gibt es den eindeutig und ausschließlich auf der Seite des Chefs stehenden Prokuristen, der sich stets und überall als dessen Stellvertreter und Anwalt aufspielt. Wenn Angestellte mit Klagen und Beschwerden zu ihm kommen, was natürlich häufiger geschieht als die unmittelbare Beschwerde beim für den Angestellten meist unsichtbaren Unternehmer, so versagt er in strenger Wahrung des einseitigen „arbeitgeberischen" Standpunktes jedes Entgegenkommen und läßt die Gelegenheit nicht vorübergehen, ohne auf die Gerechtigkeit und die Humanität der Geschäftsleitung ein Loblied zu singen. Trifft er zufällig auf eine der häufigen Aussprachen zwischen unzufriedenen Angestellten, so verweist er sie in ihre Schranken, beklagt sich über die Undankbarkeit gegenüber der Firma und ermahnt sie zürnend, wobei er sich in dem , Ton der Haltung des Chefs anzugleichen weiß, von dem der patriarchalischen Besorgnis bis zu dem militaristischer Wut. Eine andere Kategorie von Prokuristen glaubt ihrer Aufgabe der Vertretung des Unternehmers besser dadurch genügen zu können, daß sie den Untergebenen gegenüber die Maske der Kollegialität tragen. Sie beginnen ihre Ansprachen mit den Worten „Wir Arbeitnehmer" und wagen sogar manchmal eine aufrührerische Phrase, um den Angestellten eine Falle zu stellen; die von ihnen selbst provozierten Konfessionen geben sie dann an den Unternehmer weiter. Wesentlich anders verhält sich der Typus des „im Dienst ergrauten Angestellten", der nichts anderes als seine Firma und seine Arbeit kennt, sich von jeder eindeutigen Stellungnahme den Untergebenen gegenüber ängstlich zurückhält und am liebsten flieht, wenn irgendwo von der Beziehung zwischen Unternehmer und Angestellten gesprochen wird. Er richtet sich pedantisch nach den ihm gegebenen Dienstvorschriften und bemüht sich krampfhaft um die Wahrung seiner Kompetenzen. Gerade dieser Typus fördert die künstliche Differenzierung der Hierarchie, weil er auf den Umfang seiner Abteilung und die Stufungen in ihr außerordentliches Gewicht legt und sich verzweifelt gegen jeden Eingriff wehrt. Da er seine Laufbahn im noch kleinen und ruhigen Geschäftsbetrieb begann, fühlt er sich den Anforderungen des modernen rationalisierten Großbetriebs nicht mehr gewachsen. Ängstlich achtet er darauf, daß ihm kein jüngerer gehobener Angestellter seiner Abteilung den Posten strittig macht, und unterdrückt manchmal gerade die Begabten. Wichtigstes Gebot ist für ihn, seine Stellung zu halten, möglichst wenig aufzufallen und die Verantwortung abzuschieben. Er versucht seine Unsicherheit und Ängstlichkeit durch rücksichtslose Schikanen und ein oft geradezu sadistisches Verhalten gegenüber den Untergebenen überzukompensieren, besonders wenn seine Minderwertigkeitskomplexe durch eine „Kaltstellung" im Betrieb gesteigert werden. Als Leiter einer

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statistischen oder einer Kontrollabteilung ist er von der zentralen Betriebsorganisation abgeschlossen und weiß, daß keine Möglichkeiten für eine Beförderung mehr bestehen. Sein Wunsch nach Erweiterung der Befehlsgewalt, Selbständigkeit und Verantwortlichkeit hat keine Aussicht auf Erfüllung, zwischen seiner Tätigkeit und dem zentralen Zweck der Geschäftsleitung liegt eine unüberbrückbare Kluft» Spezielle Ideologien Die leitenden Angestellten beanspruchen für sich in jeder Beziehung eine Ausnahmestellung, die sie von der breiten Masse der Untergebenen abhebt. Das kommt schon in ihren korporativen Maßnahmen zum Ausdruck; die Aufnahmebestimmungen in den Satzungen der „Vereinigung der leitenden Angestellten" sagen aus, daß „jeder männliche oder weibliche Angestellte Mitglied werden kann, der eine leitende oder führende Tätigkeit ausübt oder zu selbständigen Lösungen von Aufgaben höherer Art herangezogen wird". Der Vorstand dieses Verbandes definiert die Stellung des leitenden Angestellten wie folgt: „Leitende Angestellte sind solche Arbeitnehmer, die im Dienste eines Wirtschaftsbetriebes gegen Entgelt eine Stellung einnehmen, in der sie in persönlicher Verantwortung für eigene oder für die Arbeit ausführend tätiger Arbeitnehmer eine führende, leitende, prüfende oder entwerfende, in der Hauptsache von eigenem Entschlüsse abhängige Tätigkeit ausüben, ohne auf Grund des Anstellungsverhältnisses ein Besitzrecht oder ein ähnliches Verfügungsrecht über die Produktionsmittel oder über den Gewinn der anstellenden Unternehmungen zu haben." 76 Ängstlich ist der Prokurist bemüht, die Grenzen gegenüber der großen Schar untergeordneter Angestellter zu ziehen, und er betont immer wieder, daß sich seine ganze Tätigkeit wesentlich von der des Durchschnittsangestellten unterscheide, daß gerade die Mechanisierung der Arbeit eine Steigerung der Produktion gedanklicher Leistung des leitenden Angestellten erfordere, der sich immer umfangreicheren organisatorischen Maßnahmen zu widmen habe. Wenn auch zwischen den wirklich leitenden Angestellten durch Selbständigkeit und Verantwortlichkeit ihrer betrieblichen Position, durch ihre größere Anordnungsbefugnis und ihre Nähe bei der Geschäftsleitung und allen übrigen Angestellten ein erheblicher Unterschied besteht, wenn sie sich auch an der Spitze der Hierarchie befinden, so ist doch gerade die Schematisierung der Arbeit nicht das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal. Der Rationalisierungsprozeß macht vor der Geschäftsleitung und den unmittelbaren Unternehmervertretern nicht halt, bei der von ihm diktierten Aufteilung der Arbeitsfunktionen wird auch ihre Tätigkeit erfaßt. Durch die Folgen der Rationalisierung wird die Angestelltenschaft bis hinauf in die Spitze arbeitstechnisch ein immer homogeneres Gebilde, wird die selbständige unternehmerische Tätigkeit immer mehr ein-

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geschränkt. Wenn die leitenden Angestellten für sich beanspruchen, daß sie in schöpferischer Weise wirken, daß ihnen im Gegensatz zur ausführenden Arbeit „die Produktion neuer Ideen und Vorstellungen durch Kombination oder Intuition" 77 zufalle, so vertreten sie eine durch die Funktion des leitenden Angestellten in vergangenen Zeiten geweckte Illusion, die sich heute in der betrieblichen Tätigkeit kaum mehr erfüllt. Völlig inadäquat den modernen Betriebsverhältnissen ist die oft geäußerte Auffassung, daß der leitende Angestellte durch seine schöpferische individuelle Tätigkeit unvertretbar sei; in durchrationalisierten Geschäftsbetrieben ist auch das Mitglied der Geschäftsleitung auswechselbar und vertretbar, ganz im Gegensatz zu früheren Verhältnissen. Trotzdem sich die Diskrepanz zwischen dem Wunschtraum der Unersetzbarkeit und der Wirklichkeit manchem leitenden Angestellten bei plötzlichen Änderungen der Organisation, bei Umstellungen, Abbaumaßnahmen und ähnlichen Vorgängen klar enthüllt, bleibt die Mehrzahl in ihren ideologischen Äußerungen nach wie vor wirklichkeitsfremd. Ein typisches Beispiel dafür ist der Aufsatz eines leitenden Angestellten im Organ des genannten Verbandes 78 . In diesem Traumbild unterhält sich der Verfasser mit dem Generaldirektor „eines unserer größten Konzerne". Dem allmächtigen Wirtschaftsführer werden alle die Worte in den Mund gelegt, die der leitende Angestellte so gern hören möchte und die ihm die Ausnahmestellung innerhalb des Geschäftsbetriebes, ja innerhalb „der menschlichen Gemeinschaft" bestätigen sollen. So äußert sich der Generaldirektor: „Die leitenden Angestellten bilden doch zweifelsohne eine bestimmte Schicht, und zwar eine der bedeutungsvollsten im Wirtschaftsleben... Man kann doch nicht den leitenden Angestellten, an deren Intelligenz und Leistungen man die höchsten Anforderungen stellt, die Rolle von Heloten zumuten, die nicht über ihr eigenes Geschick sollen bestimmen dürfen... Ich stehe auf dem Standpunkt: Der leitende Angestellte muß in seiner wirtschaftlichen Existenz vor allem frei von Sorgen und darüber hinaus nur von seiner eigenen Tüchtigkeit abhängig sein. Seine festen Bezüge müssen ihm entsprechend dem höheren Rang, den er in der menschlichen Gemeinschaft einnimmt, auch eine Erfüllung höherer Lebensbedürfnisse und kultureller Ansprüche ermöglichen. Seine veränderlichen Bezüge aber müssen ihn am Wohlergehen seiner Firma in einem Maße beteiligen, daß er selbst zum Unternehmer wird." Im Verfolg solcher Gedankengänge verlangt der leitende Angestellte auch in wirtschaftlicher Beziehung eine unterschiedliche Behandlung gegenüber allen anderen Angestellten. Die Versuche, ihn in den Tarif einzubeziehen, finden entrüstete Ablehnung, und der Verband polemisiert immer wieder gegen die Klausel des Angestelltentarifs, nach der Abteilungsleiter für ihre leitende Tätigkeit einen Zuschlag auf den Tarifgehalt, der bis zur Grenze von 20