Kritik des Transhumanismus: Über eine Ideologie der Optimierungsgesellschaft 9783839442876

Trans-humanism is a social theory that states the moral duty of humans to transgress. Within the context of changing val

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Kritik des Transhumanismus: Über eine Ideologie der Optimierungsgesellschaft
 9783839442876

Table of contents :
Inhalt
Warum eine Kritik des Transhumanismus?
Politische Ökonomie nach dem Menschen
Die Rückkehr der Magier
Stelarcs Ver- und Entkörperung
Ist das Körper oder kann das weg?
Zu den Autoren

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Dierk Spreen, Bernd Flessner, Herbert M. Hurka, Johannes Rüster Kritik des Transhumanismus

Kulturen der Gesellschaft  | Band 32

Dierk Spreen, Bernd Flessner, Herbert M. Hurka, Johannes Rüster

Kritik des Transhumanismus Über eine Ideologie der Optimierungsgesellschaft

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Zentralinstituts für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg.

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Inhalt

Warum eine Kritik des Transhumanismus? Zur Einleitung

Dierk Spreen, Bernd Flessner | 7 Politische Ökonomie nach dem Menschen Die transhumane Herausforderung

Dierk Spreen | 15 Die Rückkehr der Magier Die KI als Lapis philosophorum des 21. Jahrhunderts

Bernd Flessner | 63 Stelarcs Ver- und Entkörperung Kunst und Transhumanismus

Herbert M. Hurka | 107 Ist das Körper oder kann das weg? Transhumanismus zwischen Literatur, Mythos und Religion – und die didaktischen Konsequenzen

Johannes Rüster | 143 Zu den Autoren | 175

Warum eine Kritik des Transhumanismus? Zur Einleitung D IERK S PREEN , B ERND F LESSNER It seemed to really encapsulate the essence of what my goal is: always to improve, never to be static. I was going to get better at everything, become smarter, fitter, and healthier. It would be a constant reminder to keep moving forward. Max More, zit. n. Regis 1994

Die Selbstbeschreibung des Transhumanisten Max O’Connor, mit der er die Änderung seines Namens in Max More begründet (Regis 1994), könnte gut als das Motto der Optimierungsgesellschaft gelten. Der Name »Max More« ist Programm. Er ist ein Abbild der Ansprüche, die heute viele Menschen an sich selber stellen und die das Set der sozialen Normen durchdringen. Aber wieso ist das so? Warum haben die Menschen immer mehr das Gefühl, dass es nicht genügt, »bloß« seine erworbenen Fähigkeiten ins Spiel zu bringen? Woher kommen die Ansprüche, sich immer weiter zu bilden und weiter zu verbessern? Die neuere kritische Sozialtheorie geht davon aus, dass wir in einer Wettbewerbsgesellschaft leben. Einkommen oder Sicherheit können demnach immer weniger auf individuelle Leistung zurückgeführt werden, sondern gründen immer häufiger auf Wettbewerbserfolgen. Beispielhaft zeige sich dies an der Bedeutung des Finanzmarkts, der eine Wertschöpfung jenseits von Leistung oder Arbeit ermögliche. Auch die zunehmende Bedeutung leistungsloser Einkommen aus Erbschaften oder Immobilienvermögen oder die entkoppelten Gehälter und Abfindungen von Spitzenmanagern werden als Anzeichen eines solchen Strukturwandels gedeutet (Neckel 2013). »Status, Einkommen und Erfolg müssen gar nicht mehr erst als Folgen erbrachter Leistungen legitimiert werden, sondern sie gelten als Ergebnis von Erfolgen in Wettbewerben auch normativ als gerechtfertigt« (Wagner 2017: 126).

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Tatsache ist, dass es in »vielen Bereichen des Soziallebens zur alltäglichen Praxis geworden ist, einander im Modus des Wettbewerbs zu begegnen« (Wagner 2017: 126). Dass Verbesserungsimperative zwecks Erhöhung der eigenen Konkurrenzfähigkeit mit einem solchen Wandel verbunden sind, liegt auf der Hand. Die zunehmende Bedeutung kompetitiver Strukturen in der Gegenwartsgesellschaft kann mit dem großen soziokulturellen Wandel der letzten fünf oder sechs Jahrzehnte in Zusammenhang gebracht werden, der unter dem Label »Individualisierung« verhandelt wird (Spreen 2015: 105-120). Individualisierung bedeutet, dass der oder die Einzelne »zur lebensweltlichen Reproduktionseinheit des Sozialen« wird (Beck 1986: 119). Ursache der Individualisierung sind mannigfaltige Freisetzungs-, Entzauberungs- und Entbettungsprozesse, die die Einzelnen aus begrenzten lebensweltlichen Solidarformen herauslösen und zugleich auf gesamtgesellschaftliche Institutionen verweisen, insbesondere auf den Arbeitsmarkt. Das Individuum der Individualisierungsgesellschaft ist vor allem ein Markt-Individuum. »Die Bezugseinheit […] ist nicht mehr die Gruppe, die Klasse, die Schicht, sondern das Markt-Individuum.« (Beck 1986: 144) Das bedeutet allerdings nicht, dass Schichtdifferenzen nicht weiter messbar wären, sondern nur, dass Individualisierungsphänomene in allen Schichten und Bereichen der Gesellschaft erhebliche und vorherrschende Bedeutung erlangen. Überall kommt es darauf an, individuelle Interessen zu entwickeln, Motivation aufzubauen, aktiv zu werden, an sich selbst zu arbeiten, seine Fähigkeiten und Kompetenzen, letztlich das gesamte Selbst zu verbessern. Wer Pierre Bourdieu zur Kenntnis genommen hat, wird vermuten, dass solche Phänomene schichtspezifische Formen annehmen können. Auch ist davon auszugehen, dass die Risikoverteilung für die Markt-Individuen mit sozialen Schichtdifferenzen korreliert (Geißler 2014: 81). Wie der Erfolg wird aber auch das Scheitern den Individuen zugerechnet. Arbeitslosigkeit wird »unter den Bedingungen der Individualisierung den Menschen als persönliches Schicksal aufgebürdet. […] Die Betroffenen müssen mit sich selbst austragen, wofür armutserfahrene, klassengeprägte Lebenszusammenhänge entlastende Gegendeutungen, Abwehr und Unterstützungsformen bereithielten und tradierten« (Beck 1986: 144). Wenn soziale und traditionale Solidarformen wegbrechen, dann bleibt eigentlich nur noch der »konkurrierende soziale Vergleich« als Vergesellschaftungsmodus zurück (Spreen 2015: 113). Dieser Vergleich vollzieht sich im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Institutionen, insbesondere dem Arbeitsmarkt. Insgesamt ist die Individualisierung durch die Paradoxie gekennzeichnet, dass gerade vor ihrem Hintergrund die Abhängigkeit des Einzelnen von gesamtgesellschaftlichen Institutionen besonders hervortritt. Unterhaltung und andere Medi-

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enangebote dienen der Orientierung über anschlussfähiges, sozialkompatibles bzw. »gemeinwohldienliches« (Lessenich 2009: 162) Verhalten und zur Identitätsbildung. Soziale Sicherungssysteme müssen die Risiken abfedern, denen die Individuen gegenüberstehen. Konstruktionsfehler in diesen Sicherungssystemen schlagen unmittelbar in die Lebenswelten durch und beunruhigen notorisch erhebliche Teile der Gesellschaft; ein Faktum, dass die bundesdeutsche Politik bis heute im Großen und Ganzen nicht verstanden hat. Die kompetitive normative Logik der Individualisierungsgesellschaft ist eine, die nach dem Winner-takes-all-Prinzip funktioniert. Schon der zweite Sieger schaut in die Röhre. Wettbewerbe produzieren daher vor allem Verlierer. Normalleistungen wird die Anerkennung entzogen, außergewöhnlichen Erfolgen gilt die allgemeine Achtung. Insbesondere die Überwindung der Schranken des eigenen Körpers findet Anerkennung. Die Teilnehmer der Paralympics etwa werden als »Superhumans« verehrt, weil sie sich kraft ihres Willens und ihrer außerordentlichen Motivation über die Grenzen ihres Körpers hinwegsetzen (Harrasser 2013: 35 f.). Wenn sozialer Anschluss, also Integration, letztlich Ausdruck von Wettbewerbserfolgen wird, dann wird die permanente Verbesserung der eigenen Fähigkeiten als auch des Selbst zu einem allgemeinen Imperativ. Das gilt umso mehr, als dass die Bedingung sozialer Integration, nämlich die Teilhabe am Arbeitsmarkt, für einen erheblichen Teil der Gesellschaft nur in zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnissen möglich ist. Man hangelt sich von Projekt zu Projekt, weshalb die Gegenwartsgesellschaft auch als »projektbasierte Polis« bezeichnet wird (Boltanski/Chiapello 2006: 156). Gesellschaftliche Integration ist heute für viele Menschen daher nur ein vorübergehender Effekt von Wettbewerberfolg. Dieser Erfolg lässt sich innerhalb der Projektlogik prinzipiell nicht verstetigen, weshalb soziale Sicherheit problematisch wird. Optimierung des Selbst ist dann der einzige Weg, individuell mit der Lage umzugehen. Insofern kann von einer »Optimierungsgesellschaft« oder »Upgradekultur« gesprochen werden. Die Optimierungsgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die Normalität zum Gegenstand von verbessernden Eingriffen wird. In der Optimierungsgesellschaft und ihrer Upgradekultur gibt es »nur noch ein Kontinuum verbesserungsfähiger und verbesserungswürdiger Körper, die prothetisch mit ihren Umwelten verschaltet sind« (Harrasser 2013: 95). Der »Handlungshorizont der Heilung und Wiederherstellung [wird] sukzessive durch denjenigen der Verbesserung und Optimierung der menschlichen Natur überlagert« (Wehling et. al. 2007: 550). Vor dem Hintergrund solcher Zeitdiagnostik liegt es nahe, den Ideenkosmos des Transhumanismus auf den Prüfstand zu stellen. Der Transhumanismus formuliert eine ausgesprochen technik- und fortschrittsaffine Zukunftsvision, die

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die Limitationen des Menschen prinzipiell zu überschreiten empfiehlt – »going to get better at everything, become smarter, fitter, and healthier« (Max More, zit. n. Regis 1994). Die Erweiterung oder Steigerung bestehender menschlicher Möglichkeiten wird dabei in den Gesamtkontext des Überschreitens der Grenzen des Menschen überhaupt gestellt. Deshalb heißt es »Trans-Humanismus«. Der neuere Transhumanismus stellt insbesondere den Upload des Selbst in smarte Maschinen in Aussicht. Transhumanistische Vordenker vertreten zudem die These, dass diese Überschreitung das anzustrebende Ziel der menschlichen Zivilisation sei. Ihre mit technologischen und weltimmanenten Erlösungsversprechen aller Art angereicherte Geschichtsphilosophie zeigt daher die Tendenz, alle Entwicklungen, Sozialtheorien oder Utopien zu vereinnahmen, die mit Enhancement, Augmentierung, Cyborgisierung, der Erschließung des Weltraums oder anderen Zukunftstechnologien (z. B. Nanotechnologie, KI, virtual reality) zu tun haben (vgl. Bostrom 2011). Diese Entdeckungen und Entwicklungen sollen quasi die geschichtsphilosophische Grundthese des Transhumanismus stützen. Dass naturwissenschaftlich-technologische Entdeckungen und Entwicklungen in den transhumanistischen Kontext des Abschieds des Menschen vom Menschen gerückt werden, ist allerdings keineswegs zwingend, denn aus anthropologischer Sicht ist die Manipulation sowohl der äußeren als auch der inneren Natur, also der Leiblichkeit einschließlich des Geistes, ebenso wenig ein »transhumanes« Merkmal wie die Erschließung neuer Lebensräume oder Verkehrsmedien (Spreen 2014). Wenn Menschen sich technologisch augmentieren, Cyborgs werden, mittels Neuroenhancement ihre Konzentrationsfähigkeit oder Motivation verbessern oder in Weltraumhabitaten leben, dann werden sie nicht plötzlich »transhumane« Wesen, die all die Probleme und Fragen hinter sich lassen, die ihre leibliche Existenz und ihr Zusammenleben begleiten. Vielmehr liegt umgekehrt die These nahe, dass die Anziehungskraft des Transhumanismus mit dem Strukturwandel zu einer individualisierten Wettbewerbsgesellschaft zu tun hat, in der der permanenten Optimierung des Selbst das Wort geredet wird. Dass der naturwissenschaftlich-technologische Fortschritt in den Kontext einer »großen Erzählung«, die von der weltlichen Erlösung der Menschheit spricht, gestellt wird, ist keine neue Idee – was allerdings transhumanistische Vordenker auch nicht abstreiten würden. Die Vorstellung einer permanenten Entgrenzung findet sich schon bei dem Junghegelianer Ludwig Feuerbach: »Die Geschichte der Menschheit besteht in nichts anderem als in einer fortgehenden Überwindung von Schranken, – Schranken, die immer der vorangegangenen Zeit für Schranken der Menschheit, und darum für absolute, unübersteigliche Schranken galten.« (Feuerbach 1841: 201)

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Dieser Gedanke taucht dann bei einem anderen Junghegelianer, materialistisch gewendet, wieder auf. Karl Marx deutete die Entwicklung der Produktivkräfte – worunter auch Technologie und Wissenschaft fallen – als »determinierende Funktion« (Reichelt 1983: 42) der Gesellschaftsentwicklung, die letztlich zur Aufhebung der Klassengegensätze führe. Was die Deutung von neuen technologischen Möglichkeiten angeht, sollte man sich aber vor allzu schnellen und generalisierenden Schlussfolgerungen hüten. In ihrem kürzlich erschienenen Buch über Selbstoptimierung zeigt die Soziologin Greta Wagner am Beispiel des Neuroenhancements überzeugend, dass die Praktiken der Steigerung und Erweiterung der Konzentration und Motivation durch Ritalin oder verwandte Stimulanzien in sehr verschiedene Deutungshorizonte eingestellt sind. Avantgardistischer Konsum, der die Einnahme von Ritalin in den Kontext der »Erweiterung menschlicher Fähigkeiten durch biotechnologische Anwendungen« stellt, ist nur eine Möglichkeit von vielen. Wagner sieht Bezüge zwischen Enhancement-Praktiken bzw. Enhancement-Diskursen und der »Sorge, nicht mehr mithalten zu können« (Wagner 2017: 315), aber sie kann zeigen, dass diese Bezüge durch vielfach gebrochene Deutungsweisen vermittelt sind. Die Sorge zurückzubleiben kann sich ebenso gut mit einer generellen Kritik von Enhancement-Angeboten verbinden wie mit einer positiven Einstellung zur Verbesserung des Selbst. Um diese Vermitteltheit von Vergesellschaftungsmodus und Deutungshorizonten zu berücksichtigen, erscheint es uns notwendig, transhumanistische Vorstellungen nur als eine Ideologie der Optimierungsgesellschaft zu verstehen. Alles andere würde heißen, dass man dem Anspruch des Transhumanismus, die zur technischen Zivilisation passende Sozialtheorie zu sein, auf den Leim geht. Es kommt aber darauf an, Diskurse, Ideenwelten und Deutungssysteme offen zu halten, die Vielfalt der Möglichkeitshorizonte erkennbar zu machen und Determinismen aufzubrechen. Human Enhancement verändert soziale Beziehungen, Selbstverhältnisse und das Verhältnis zur (inneren wie äußeren) Natur. Aber die Veränderung zur Cyborggesellschaft ist schon jetzt vielschichtig und widersprüchlich und keineswegs zureichend als bloßer Vollzug eines innerweltlichtranshumanen Erlösungsprozesses interpretierbar. Die hier versammelten Texte plädieren dafür, dem Transhumanismus die technologiegeprägte Zukunft der Gesellschaft nicht zu überlassen. Im ersten Beitrag rekonstruiert Dierk Spreen aus einer zugleich soziologischen und an der Kritik der Politischen Ökonomie orientierten Perspektive die Grundlagen der Optimierungsgesellschaft. Insbesondere geht er darauf ein, wie ein asymmetrischer Arbeitsmarkt, die Zunahme prekärer und befristeter Beschäftigungsverhältnisse und die Individualisierungsdynamik ineinandergreifen. Die-

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ses Ineinandergreifen mündet in einem letztlich entfremdeten, weil heteronom erzwungenen Druck zur Selbstoptimierung und motiviert damit Praktiken und Diskurse der Verbesserung sowohl der Menschen als auch des Menschen. Die Orchestrierung dieses Optimierungsdispositivs übernimmt der Transhumanismus, der beschrieben und einer Kritik unterzogen wird. In ihren Publikationen und Programmen betonen Transhumanisten immer wieder den streng wissenschaftlichen und rationalen Charakter ihrer Ideologie. Bernd Flessner dekuvriert diese Legitimation als moderne Phantasmagorie, denn Ziele wie Unsterblichkeit, Allwissenheit, Allmacht oder die totale Herrschaft über das Universum sind eng verflochten mit den Zielen und Vorstellungen von Magie und Alchemie, auf die sich Vertreter des Transhumanismus zudem selbst berufen. Darüber hinaus stützt der Transhumanismus verschiedene alte und neue Mythen der Wissenschaft, ohne die seine Ziele gar nicht erreichbar wären. Diese Verstrickung in den Mythos, in die Ideenwelten von Antike und Mittelalter widerspricht der proklamierten Rationalität und lässt die Transhumanisten teilhaben an einer Wiederverzauberung der Welt; ihr Zauber ist lediglich zum »Computerzauber« transmutiert (Kurzweil 1993: 463). Aus einer kunst- und medientheoretischen Perspektive befasst sich Herbert M. Hurka mit dem australischen Performancekünstler Stelarc. Stelarc erweitert seinen Körper mit technischen Prothesen und Bioimplantaten, um dessen physische Grenzen zu überwinden. Auch wenn die Kunst der Moderne, mehr noch die der Postmoderne, eventuelle Ansprüche an künstlerische Virtuosität zurück weist und stattdessen mit allen möglichen Strategien der Entgrenzung experimentiert – sei es hinsichtlich traditioneller Formen, sei es hinsichtlich kultureller Codes – so zeigt sich inzwischen, dass trotz deren Brisanz transhumanistische Themen höchstens am Rand gestreift werden. Diesem Mangel stellt sich der Australier Stelarc entgegen, indem er explizit an die Philosophie des Transhumanismus anschließt. Dementsprechend konstruiert er mit seinem Nervensystem verschaltete Exoskelette oder integriert Bioimplantate in seinen Körper. Aus der Analyse dieser Performances lässt sich eine Kritik des Transhumanismus ableiten, die über den Kunstkontext insofern hinausgeht, als es sich bei Stelarc um Praktiken handelt, die sich anders als in der Theorie und den einschlägigen Phantasien als ein Paradigma dafür lesen lassen, wie ein transhumanistisch überwundener Körper in concreto aussehen könnte. Johannes Rüster erschließt den Transhumanismus für eine wertorientierte Didaktik. Transhumanistische Denkfiguren werden dazu aus literaturwissenschaftlichen, mythologischen sowie religionswissenschaftlichen Blickwinkeln betrachtet. Dabei zeigt sich, dass transhumanistische Denkfiguren, gerade weil sie aus literaturtheoretischer Sicht gegenüber ihren Wurzeln in der Science-Fic-

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tion defizitär sind, mythologische und religionsförmige Qualität annehmen können. Das daraus entstehende pädagogische Potenzial wird sowohl theoretisch als auch an zwei konkreten Beispielen ausgeführt: Kryonik und Scientology. Die hier versammelten, interdisziplinären Beiträge reden keinem Biokonservativismus das Wort. Fortschrittsfeindlichkeit und Technologieaversion sind nicht die einzigen Alternativen zum Transhumanismus. Es ist aber schlicht nicht einzusehen, weshalb die Transformation des Menschen in eine smarte Maschine eine humanistische Idee sein soll. Vielmehr kommt es darauf an, eine Zukunft für die Menschen zu gestalten und nicht gegen oder ohne sie. Unser besonderer Dank gilt Dr. Michael Jungert vom Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der Friedrich-Alexander-Universitär Erlangen-Nürnberg für seine Unterstützung.

LITERATUR Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2006): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK. Bostrom, Nick (2011): »A History of Transhumanist Thought«, in: Michael Rectenwald, Lisa Carl (Hg): Academic Writing Across the Disciplines. New York: Pearson Longman. Online: nickbostrom.com/papers/history.pdf Feuerbach, Ludwig (1841): Das Wesen des Christenthums. Leipzig: Otto Wigand. Geißler, Rainer (2014): »Facetten der modernen Sozialstruktur«, in: Informationen zur politischen Bildung 4, S. 74-81. Harrasser, Karin (2013): Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen. Bielefeld: transcript. Kurzweil, Raymond (1993): Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München/ Wien: Hanser. Lessenich, Stephan (2009): »Mobilität und Kontrolle. Zur Dialektik der Aktivgesellschaft«, in: Klaus Dörre, Stephan Lessenich, Hartmut Rosa: Soziologie – Kapitalismus – Kritik. Eine Debatte. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 126177. Neckel, Sighard (2013): »›Refeudalisierung‹ – Systematik und Aktualität eines Begriffs der Habermas’schen Gesellschaftsanalyse«, in: Leviathan 1, S. 3956.

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Regis, Ed (1994): »Meet the Extropians«, in: Wired 10, S. 102-108. Online: www.wired.com/1994/10/extropians Reichelt, Helmut (1983): »Zur Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen«, in: Helmut Reichelt, Reinhold Zech (Hg.): Karl Marx. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse. Entstehung, Funktion und Wandel eines Theorems der materialistischen Geschichtsauffassung. Frankfurt am Main: Ullstein, S. 7-59. Spreen, Dierk (2014): »Weltraum, Körper und Moderne. Eine soziologische Annäherung an den astronautischen Menschen und die Cyborggesellschaft«, in: Joachim Fischer, Dierk Spreen: Soziologie der Weltraumfahrt. Bielefeld: transcript, S. 41-88. Spreen, Dierk (2015): Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft. Bielefeld: transcript. Wagner, Greta (2017): Selbstoptimierung. Praxis und Kritik von Neuroenhancement. Frankfurt am Main: Campus. Wehling, Peter/Viehöver, Willy/Keller, Reiner/Lau, Christoph (2007): »Zwischen Biologisierung des Sozialen und neuer Biosozialität: Dynamiken biopolitischer Grenzüberschreitung«, in: Berliner Journal für Soziologie 4, S. 547-567.

Politische Ökonomie nach dem Menschen Die transhumane Herausforderung D IERK S PREEN Von den Maschinen fortlaufen und auf den Acker zurückkehren, ist unmöglich. Sie geben uns nicht frei und wir geben sie nicht frei. Mit rätselhafter Gewalt sind sie in uns, wir in ihnen. Helmuth Plessner 1985/1924: 38

EINLEITUNG Viele Beobachter kulturellen und sozialen Wandels sind sich darin einig, dass in der Gegenwart die Werte einer Optimierungskultur herrschen, die sich an die Einzelnen wendet und sie dazu aufruft, ihre Kompetenzen sowie ihren Körper und ihr Leben insgesamt kontinuierlich zu verbessern. Die Generalisierung der Optimierung zu einer umfassenden »Upgradekultur« lässt sich, wie ich an anderer Stelle ausführlich dargelegt habe, als ein struktureller Effekt der Individualisierungsgesellschaft begreifen (Spreen 2015). Die Theorie der Individualisierung geht davon aus, dass die Menschen im Verlauf der Moderne durch Freisetzungs- und Entzauberungsprozesse aus vorgegebenen kollektiven Solidarbezügen herausgelöst werden. Ständisch geprägte soziale Milieus büßen ihre Bedeutung für die Identitätsbildung ebenso ein wie traditionelle Wertsysteme und generationenübergreifende Familienzusammenhänge. Das Individuum wird zur sozialen Bezugsgröße. Dieser Prozess bezeichnet keineswegs eine Atomisierung oder Auflösung der Gesellschaft, sondern kennzeichnet einen neuen Vergesellschaftungsprozess. Wiedereingliederungsprozesse fangen die freien »Atome« wieder ein, bevor sie sich »radikalisieren«. Institutionen, Medien, Werte und Kultur sind solche Kontrollwerkzeuge. Ihre institutionelle Kontrolle wirkt aber keineswegs nach der Art und Weise von »Gussformen« (Durk-

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heim 1984: 126) oder »stahlharter Gehäuse« (Weber 1988: 203), wie die Soziologie im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch dachte, sondern sie setzt eine dynamische Stabilisierung in Gang, die auf dem konkurrierenden sozialen Vergleich beruht und die die ständige Arbeit am Selbst und dessen Optimierung fordert. Die Upgradekultur ist daher jener neue Wertkontext, in den sich das dekontextualisierte Individuum wiederfindet. Dabei geht es um die permanente Mobilmachung der Individuen als solcher auf Basis eines verallgemeinerten sozialen Wettbewerbs. Konkurriert wird um sichere (und ggf. bessere) soziale Positionen. Soziale Sicherheit ist in der zeitgenössischen Individualisierungs- und Risikogesellschaft keine allgemeine sozialpolitische Wertidee mehr, sondern eine individuelle Errungenschaft, fragil und jederzeit gefährdet. Zahlreiche Sozialtheoretiker kommen zu diesem Schluss. Etwa sprach Ulrich Beck von einer Risikogesellschaft (Beck 1986). Oder Robert Castel: Er konstatiert einen Strukturwandel der sozialen Frage. Es geht nicht mehr allein um unterschiedliche Positionierungen in einer »Gesellschaft der Gleichen« (Castel 2011: 140). Vielmehr werden eine ganze Menge Menschen »links liegengelassen«. Im Verlauf ihrer riskanten Befahrung der hohen See des Sozialen sind sie praktisch »auf Grund gelaufen« (Castel 2000: 19). Hinzu kommen Phänomene zunehmender Verunsicherung, die darauf zurückgehen, dass atypische oder, wie Castel es nennt, »prekäre« Beschäftigungsverhältnisse immer normaler werden. Er spricht daher von der »Institutionalisierung der Prekarität« (Castel 2011: 141). Soziale Sicherheit ist heutzutage sehr ungleich verteilt, wobei die Zonen der Unsicherheit, Verwundbarkeit, Prekarisierung, Entkoppelung und Exklusion mit den vergleichsweise sicheren sozialen Positionen in einem Wechselverhältnis stehen. Die unsicheren Positionen fangen Risiken ab, bevor sie die Komfort- und Integrationszone erreichen. Sichtbar wird diese soziale Asymmetrie, wenn man den Arbeitsmarkt aus einer segmentationstheoretischen Perspektive beschreibt. Soziale Sicherheit erweist sich dabei für sehr viele Menschen als ein knappes Gut, dessen Erlangung und Erhalt aus Sicht der Betroffenen ständiges SelbstUpgrade verlangt. Die Digitalisierung der Arbeitswelt und das Vordringen der künstlichen Intelligenz speisen in dieses mit erheblichen latenten sozialen Spannungen aufgeladene System weitere Risikoenergien ein. 2015 arbeiteten in Deutschland 1,15 Millionen Menschen als Kassierer/in, 57 Prozent davon in Teilzeit.1 Wie es um die Zukunft dieser Jobs bestellt ist, kann man schon heute in der Ikea-Kassenzone beobachten. Bislang sichere Berufe und Tätigkeiten drohen von intelligenten Systemen oder Robotern übernommen zu werden, so dass aus

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Die Daten stammen aus der BERUFENET-Datenbank der Bundesagentur für Arbeit.

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Gewinnern Verlierer werden können. Soziale Verunsicherung ist bis weit in die Mittelschichten hinein zu spüren, ohne dass sie von der Politik ernst genommen würde. Man könnte sagen, dass der Autonomiegewinn droht, durch die politischökonomische Entwicklung wieder eingezogen zu werden. Dies ist im Großen und Ganzen die Lage, in der der Transhumanismus seine Versprechen an den Mann und an die Frau zu bringen versucht. Der Trans- oder auch Posthumanismus ist nicht einfach eine skurrile Science-Fiction-Theorie, sondern vielmehr eine Sozialtheorie, welche die moralische Pflicht zur Optimierung des Menschen, d. h. der Gattung homo sapiens, und der Menschen, d. h. der Individuen, formuliert. Der Transhumanismus erhebt den Anspruch auf die politische Gestaltung dieser Entgrenzung, wobei er den Natur- und Technowissenschaften besondere Bedeutung beimisst, da es ihm um eine Optimierung durch Technik geht, die letztlich in einer »Migration in die digitale Welt« (Bostrom 2014: 234) mündet. Der politische Gestaltungsanspruch zeigt sich auch darin, dass es inzwischen eine Transhumane Partei Deutschland gibt, die sich die »Verpflichtung zum Fortschritt« auf ihre Fahnen schreibt (TPD 2018: 15). Der Transhumanismus adressiert damit die gegenwärtige Optimierungsdynamik. Nun wären die Theoriearbeiten einiger Digitaleuphoriker für sich genommen noch keine Herausforderung. Denn diese entsteht erst, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse in eine posthumane Entwicklung einzutreten drohen. In der Tat lassen die erhebliche Expansion atypischer oder prekärer Beschäftigung sowie des Niedriglohndienstleistungssektors, die Einführung eines »aktivierenden« sozialen Sicherungsnetzes (»Hartz IV«) und die zunehmend in eine Zwangsveranstaltung umschlagende Optimierungskultur an eine solche Entwicklung denken. Die posthumane Herausforderung heißt nicht Ray Kurzweil, sondern sie besteht in desintegrierenden gesellschaftlichen Entwicklungen, die den Rückzug in die virtuelle Noosphäre überhaupt erst als Erlösung erscheinen lassen. »Wenn es immer mehr von uns gibt und das Durchschnittseinkommen weiter sinkt, dann könnten wir zu dem geringsten Zustand degenerieren, der uns immer noch als Empfänger einer Rente qualifiziert: Vielleicht werden wir zu gerade noch bewussten Gehirnen in Tanks, von Maschinen mit Sauerstoff und Nahrung versorgt, langsam Geld für die Reproduktion ansparend, für die ein Roboter einen Klon von uns heranzüchtet.« (Bostrom 2014: 234)

Der transhumane Übergang des Menschen in die Maschinen, die Weitergabe des Stabs an die kybernetischen Systeme, darf nicht mit der Erweiterung des Menschen zum Cyborg verwechselt werden, zu der Transhumanisten ohnehin eine gespaltene Haltung haben. Nick Bostrom etwa hält von dieser Entwicklungsop-

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tion wenig – zu viel Wetware (Bostrom 2014: 71-75). Anthropologisch gesehen aber spricht nichts gegen eine Verbesserung des Menschen; mehr Gesundheit und deutlich verlängerte Lebensspannen sind durchaus wünschenswert. Das gilt auch für die Erweiterung des Menschen zum Cyborg, wenn sich dadurch Lebensmöglichkeiten, Arbeitsfähigkeiten, Erfahrungswelten verbessern lassen. Die Cyborggesellschaft ist nicht das Ende des Menschen (Fischer 2002, Spreen 2014). Aber das alles sollte nicht durch die Angst vor sozialem Abstieg, vor Exklusion oder gar vor Überflüssigkeit motiviert werden. Eine Angstgesellschaft ist keine gute Gesellschaft. Um sich der transhumanen Herausforderung kritisch anzunähern, werde ich daher etwas weiter ausholen und zunächst die sozialstrukturellen und politischökonomischen Grundlagen der Optimierungsgesellschaft rekonstruieren. 2 Das sind Individualisierungsdynamik und konkurrierender sozialer Vergleich sowie ein asymmetrisch segmentierter und digitalisierter Arbeitsmarkt. Diese Aspekte drängen zur Selbstoptimierung und motivieren damit Praktiken und Diskurse der Verbesserung sowohl der Menschen als auch des Menschen. Anschließend werde ich ein paar klärende Ausblicke in die Zukunft versuchen, um Vergleichsfolien zu geben. Die Orchestrierung dieses Optimierungsdispositivs übernimmt der Transhumanismus, der abschließend beschrieben und einer Kritik unterzogen wird. Was im transhumanen Denken als Sachzwang oder quasi natürliches Telos der Menschheitsgeschichte erscheint – nämlich die Unausweichlichkeit der digitalen und optimierenden Transformation des Menschen –, ist ideologischer Ausdruck der politischen Ökonomie und des sozialstrukturellen Wandels unserer Zeit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, weshalb dieses sozialtheoretische Deutungs- und Handlungsangebot ernst genommen werden muss.

INDIVIDUALISIERUNG UND OPTIMIERUNG Die Upgradekultur ist die Kultur des dynamischen und flexiblen Individualisierungsprozesses. Alle Individuen haben sich sowohl in körperlicher als auch in geistiger Hinsicht ständig zu optimieren. Nichts ist gut genug. Selbstzweifel, Selbstabwertungen, Unzufriedenheit sind Dauermotive der Verbesserung. Der Mensch von heute fühlt sich, mit Johann Gottfried Herder und Arnold Gehlen, als ein »Mängelwesen« (Gehlen 1986: 83). Er ist prinzipiell ungenügend, denn

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Politische Ökonomie wird hier verstanden als die Summe der Wechselwirkungen zwischen der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit einerseits und Politik bzw. Diskursen mit gesellschaftlichem Gestaltungsanspruch andererseits.

Politische Ökonomie nach dem Menschen

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stabile Kriterien gibt es nicht. Vielmehr kreist alles um Kompetenzen oder Möglichkeiten – mithin um Kategorien, die unbestimmt und nach oben offen sind. Die Upgradekultur ist somit eine Kultur der optimierenden Entgrenzung. Optimierung wird zu einem Wert an sich. Soziologisch lässt sich diese Generalisierung des Upgradings als die kulturelle Begleiterscheinung des Individualisierungsprozesses verstehen. Im Laufe dieses Prozesses tritt die Verantwortung des Einzelnen für sein Leben und sein persönliches Lebensrisiko an die Stelle des Standes-, Gruppen- oder Klassenschicksals (Beck 1986). Dieser Wandel wird von dem Verlust der Einbindung in traditionale Orientierungssysteme und Rollenidentitäten und in hergebrachte schichtspezifische Solidargruppen und -kulturen begleitet. Anthony Giddens (1996) spricht auch von der Entbettung des Individuums. Als Voraussetzung für die Entbettungs- und Individualisierungsprozesse identifizierte Beck den sogenannten »Fahrstuhleffekt«, d. h. das Anheben des Lebensstandards der gesamten Gesellschaft (Beck 1986: 124 f.). Bereits während der Industrialisierung erhöhte sich in Deutschland fühlbar das Realeinkommen der breiten Bevölkerung. Vor allem nach 1950 »begann in Deutschland eine rasante Wohlstandssteigerung. Bis Ende der 1980er Jahre hat sich das durchschnittliche reale Volkseinkommen versechsfacht« (Hradil 2001: 188). Ab Mitte der 1970er flachte dieser Trend ab, kam teilweise zum Erliegen und zeigte sich sogar als rückläufig. »Dies ändert aber nichts an der Wohlstandsvermehrung insgesamt.« (Hradil 2001: 189) Politisch wurde der Fahrstuhleffekt durch den umfassenden Ausbau des Sozialstaats flankiert, welcher »das Recht auf soziale Sicherheit« durchsetzte und generalisierte (Wehler 2008: 267). Die Folgen dieser gesamtgesellschaftlichen Wohlstandsvermehrung durch den Fahrstuhl-Effekt liegen vor allem in der Ausweitung der Freizeit, in der Erhöhung der finanziellen Ressourcen der Einzelhaushalte, in einer stärkeren Bedeutung des Konsums und in den Möglichkeiten, individuelle Glücksvorstellungen in Freizeit und Beruf zu verfolgen. Der Fahrstuhl-Effekt impliziert aber zugleich, dass das sozialstrukturelle Schichtungsverhältnis im Wesentlichen konstant bleibt (Beck 1986: 139-143). Somit stellen sich schichtenübergreifend neue Fragen bezüglich der eigenen Lebensführung, d. h. in allen sozialen Lagen wird das Individuum zur Adresse neuer Lebensführungs- und Lebensstildiskurse. In allen Schichten stellen sich nunmehr Fragen, die sich auf die individuelle Biographie und Identität beziehen. Insgesamt handelt es sich um eine Entwicklung, die die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten erheblich erweitert. In einer individualisierten Gesellschaft gibt es letztlich keine überkommenen Antworten auf Fragen danach, wer man sein soll, welche soziale Position man einnehmen soll und was man tun soll. Tradierte Rollenbilder für die Identitäts-

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bildung, vorgefertigte soziale Platzanweisungen, sichere Biographiepfade und a priori verbindliche Muster für die Handlungs- und Wertorientierung verlieren ihre Bedeutung. Es scheint, dass die Individualisierung aus einer inneren Dialektik heraus über die Selbsteinordnung in vorgegebene soziale und normative Standards hinausdrängt (Castel 2011: insbes. 351). Gerade die mit der Entbettung des Individuums aus traditionellen und kollektiven Verbindlichkeiten einhergehende Orientierungsunsicherheit ist für das Aufkommen eines neuen normativen Modus verantwortlich zu machen, welcher der Risiko- und Individualisierungsgesellschaft entspricht. Dabei handelt es sich nicht um einen Werteverfall, sondern um einen neuen Weg, Werte und Orientierung zu generieren. Während man im Anschluss an Robert Castel einen Verfall der Gesellschaft durch überzogene Individualisierung vermuten könnte, handelt es sich eher um einen Formwandel der Vergesellschaftung, der auf »neosoziale« Integrationsmechanismen setzt (Lessenich 2009).3 Soziale Verantwortung gilt als moralische Orientierungsnorm. In der aktuelleren Sozialtheorie wird dieser neue Modus auch unter dem Stichwort »Normalisierung« verhandelt. Im Rahmen des Beck’schen Theorieangebots ist sie der Kontroll- und Reintegrationsdimension zuzuordnen, da sie die Vergesellschaftung der freigestellten Individuen organisiert. Normalisierung heißt, dass die offenen Fragen nach Identität, sozialer Karriere und Werten nicht einem überlieferten und festgelegten Repertoire entnommen werden können, sondern in einem gesellschaftsumspannenden kybernetischen Regelkreis aus Beobachtung, Handeln und Rückmeldung erst erzeugt werden. Die zur Orientierung und Selbstausrichtung notwendigen Informationen fließen den Menschen dabei durch Medien zu. Informationsorientierte Medien, Unterhaltungsformate und soziale Medien beobachten die Gesellschaft. Die Menschen wiederum beobachten diese Medien, wodurch sie normale Identitäten, Verhaltensformen, Konsumgewohnheiten etc. generieren können. Aber warum beinhaltet dieser von den Individuen permanent und aktiv vollzogene Normalisierungs- und Vergesellschaftungsprozess eine Selbstoptimierung? In der Tat ging die Sozialtheorie lange Zeit davon aus, dass Normalisierungsprozesse eine Orientierung hin auf die Mitte und den Durchschnittsmenschen zur Folge haben: »Nivellierte Mittelstandsgesellschaft« (Helmut Schelsky), »Standardpaket« (David Riesman), »soziale Bürgerschaft« (Robert Castel) oder »Standardisierung« (Ulrich Beck) sind einige Schlagworte aus der entsprechenden Debatte. Heute kann allerdings nicht mehr von einer standardisierenden Normalisierung gesprochen werden. Dass es sich um eine optimierende Norma-

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Castel (2011: 346 ff.) spricht vom »Individuum im Übermaß«.

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lisierung handelt, die zugleich eine Normalisierung der Optimierung beinhaltet, ist offensichtlich. Eine Erklärung für dieses Phänomen lässt sich eben in der Entfaltung des Individualisierungsprozesses selbst finden. Wo es keine Stoppregeln mehr gibt, kommt das Gebot der Steigerung zur Wirkung: »Wie bisher beschrieben, gehört die Emanzipation von überlieferten Lebensordnungen zu den wesentlichen Kennzeichen der Moderne. Entscheidend ist nun, dass dieser Vorgang prinzipiell keine Grenzen mehr kennt, deshalb einen ›Drang zur Expansion‹, ja eine permanente ›Veränderungsmoral‹ auslöst. Denn die Schranken, die dem menschlichen Handeln früher gesetzt waren – die Gebote von Gott und Natur, Herkunft und Stand –, werden immer weiter zerrieben. Die Folge ist, dass bei der Definition von Zielen keine Unterbrecher, keine Stoppregeln mehr eingebaut sind. Was stattdessen zur Handlungsnorm wird, ist das Gebot der Steigerung: Noch schneller! Noch größer! Noch schöner!« (BeckGernsheim 1990: 124)

Wenn Solidaritätsformen, Stand oder Klasse im Zuge des fortschreitenden Modernisierungsprozesses aufgehoben werden, dann bleibt nur der allgemeine konkurrierende soziale Vergleich als Vergesellschaftungsmodell. Die Möglichkeitsbedingung dafür ist eine umfassend medialisierte Gesellschaft. Die Medien geben dem Publikum die Möglichkeit, sich in jedweder Hinsicht und mit allen möglichen Vorbildern zu vergleichen. Sie versorgen somit das Publikum mit Wissen über Möglichkeiten zur Gestaltung des Selbst. In diese Vorbilder sind Aufforderungen zur Selbststeigerung und Optimierung vielfach eingeschrieben. Inzwischen werden die Menschen mit Leistungsappellen, Optimierungsaufrufen und entsprechenden medialen Vorbildern nachgerade bombardiert. Waren die Superhelden des amerikanischen Comics noch gewöhnliche Leute mit einem geheimen zweiten Leben, so sind solche Helden heute Identifikationsfiguren für den Alltag der neuen Powerfrau und deren männlichem Äquivalent – dem Performer (Spreen 2015: 102 f., 114-116). Wie tief die Werte der Upgradekultur in die Lebenswelt heute hineinwirken, kann man etwa daraus ersehen, dass der Trend zur Verbesserung nicht einmal vor ästhetischen Intim-Optimierungen zurückschreckt (Unterdorfer 2009). Die Upgradekultur fällt nicht vom Himmel. Vielmehr haben eine ganze Reihe kultureller Phänomene und diskursiver Zwischenrufe ihren Teil zur Erosion von Klassenkulturen (darunter auch die Kultur des Bürgertums) einerseits und zum Abbau von Standardisierungen andererseits beigetragen. Beck verwies auf die »kulturelle Evolution neuer Lebensformen« (Beck 1986: 122). Ins Auge fallen auch die zahlreichen Diskurse, die eine technologische Verbesserung resp. Überwindung des Menschen beispielsweise im Kontext der Raumfahrt oder des

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Krieges empfehlen (Spreen 2015). Ästhetische Bewegungen wie die Romantik, die künstlerische Avantgarde oder die counter culture haben über zwei Jahrhunderte hinweg an der Formung eines neuen Subjekttypus gearbeitet, der für Überschreitungserfahrungen aller Art offen ist und sich auf die Suche nach ihnen macht (Reckwitz 2006). Man könnte sagen: In diesen Phänomenen spiegelt sich die innere Dialektik der Individualisierung, die die Individuen aus sozialen Gussformen a priori herausführt und in eine kulturelle und normative Vergesellschaftung a posteriori führt (Spreen 2015: 111 f.) Bildungspolitik und Pädagogik spielen bei der Durchsetzung der Upgradekultur als normativem Modus der Individualisierung ebenfalls eine Rolle. Zu diesem Schluss kam nicht erst Beck (1986: 127-130). Michel Foucault hatte zuvor schon die »Lenkung durch Individualisierung« in den Blick genommen. Ihm ging es um »alle Formen von Macht, die in Zusammenhang mit Wissen, Kompetenz und Qualifikation stehen« (Foucault 2005: 274). Aber während Foucault Anfang der 1980er Jahre noch an die Kritik der »Privilegien des Wissens« dachte, d. h. an solche exklusive Wissensregimes, die von Experten oder bestimmten Berufsgruppen ausgehen, hat man es nun mit einer Informationsgesellschaft zu tun, welche Qualifikationen und Kompetenzen zu Maßstäben erhoben hat, die über die Verteilung von sozialer Sicherheit entscheiden sollen. Bildungspolitische Topoi wie »Chancengleichheit« oder »Bildungsgerechtigkeit« drücken aus, dass es darum geht, jeden Einzelnen als Individuum umfassend zu aktivieren. Das neue Bildungs- und Wissensregime ruft die Individuen zur Selbstentfaltung auf und meint damit, dass sie sich selbst kontinuierlich verbessern und entsprechend an sich arbeiten, dass sie flexibel bleiben und sich niemals irgendwo einrichten (Masschelein/Simons 2005). Dieses Regime ist also nicht exklusiv, aber es lädt die Verantwortung für die soziale Lage bei den Einzelnen ab. Die Neuausrichtung der Pädagogik als Hilfe und Anleitung zur ökonomisch konformen Selbstführung spielt eine wichtige Rolle für die Generalisierung der Upgradekultur, aber auch sie ist nur ein Aspekt des Optimierungsdispositivs. Entscheidend für die Durchsetzung und vor allem kulturelle Festsetzung der wechselseitigen Optimierung der einander ständig beobachtenden Individualitäten scheinen mir nicht isolierte kulturelle Prozesse oder eine für sich genommene innere Dialektik der Individualisierung zu sein, sondern das Zusammenspiel zwischen sozialstrukturellem Individualisierungsprozess, kulturellen Entgrenzungsdiskursen, neuen Medien- und Wissensregimes und einer handfesten politischen Ökonomie, welche die Konkurrenz als Prinzip der Lebenswelt durchsetzt und damit über den Markt hinaus ausweitet.

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ASYMMETRISCHER ARBEITSMARKT Der Fahrstuhl-Effekt, der trotz Erhalt der Schichtungshierarchien eine umfassende Individualisierung inklusive sozialer Gesamtintegration ermöglichte (»Wirtschaftswunder«), hätte für sich genommen vielleicht tatsächlich zu einer auf Dauer gestellten Mittelstandsgesellschaft führen können. Aus heutiger Sicht stellt das Zeitalter integrierter Individualisierung, das sich in den Nachkriegsjahrzehnten tatsächlich zu verwirklichen schien, je nach Blickwinkel entweder eine Übergangsphase zur Optimierungsgesellschaft oder ein »goldenes Zeitalter« dar. Robert Castel beschreibt dieses Zeitalter verallgemeinerter Individualisierung folgendermaßen: »Für den Status des Individuums bedeutet [das], dass nun all diejenigen Gesellschaftsmitglieder als vollständige Individuen existieren und gelten können, die […] über diesen Grundbestand von Ressourcen und Rechten verfügen, die sie aus ihrer Arbeit beziehen. […] Nehmen wir als Beispiel […] die Situation eines durchschnittlichen Lohnabhängigen in den 1960er oder 1970er Jahren […]. Seine Gegenwart ist stabil, er hat alle Möglichkeiten, in seiner Laufbahn voranzukommen, und seine Zukunft scheint gesichert, auch dann, wenn er nicht mehr arbeiten kann.« (Castel 2011: 342)

Bei dieser Form der integrierten Individualisierung, die auf einem Anheben des Wohlstands der ganzen Gesellschaft und der Verallgemeinerung sozialer Sicherheit basierte, ist es nun nicht geblieben. Vielmehr wurde das fordistische Modell der politischen Ökonomie aufgegeben, das auf allgemeiner Lohnarbeit, Massenproduktion, Massenkonsum und kollektiver Gesamtintegration beruhte. Der postfordistische oder postindustrielle Kapitalismus zielt dagegen auf die Maximierung der Profitraten und der Renditen an den Finanzmärkten. Damit eng verwoben ist die Absenkung der Lohnkosten sowie Begleitphänomene wie Standortkonkurrenz, Deregulierung und Neoliberalismus, Abbau sozialer Sicherheit, ökonomische »Landnahme« der Lebenswelt (Dörre 2009), Verschlankung des Staates, Auslagerung von Jobs, interne und externe Flexibilisierung, Digitalisierung, Arbeitszeitverlängerungen und Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse als Teil der Profitstrategie (Anhorn/Balzereit 2016: 82-95, Dörre 2009, Dörre/Brinkmann 2005, Fuchs 2001: 77-151). Diese Entwicklung trägt das Prinzip des konkurrierenden Vergleichs auf höchst wirksame Art in die Lebenswelten und in die Selbstbilder hinein, weil sie die Gesellschaft in sichere und unsichere Arbeitsmärkte spaltet und Ungleichheit vergrößert bzw. auf hohem Niveau zementiert. Der integrative Modus des fordistischen Kapitalismus wird aufgehoben. An die Stelle von Integration allgemeiner

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sozialer Sicherheit tritt vielmehr die konstante Drohung der »Exklusion«4 oder der Prekarisierung. Die Angst vor sozialem und wirtschaftlichem Abstieg ist ein starker Motor der Optimierung und ihrer Veralltäglichung (Spreen 2015: 118 f.). Um diesen wichtigen Motor der Upgradekultur zu illustrieren, wird auf das segmentationstheoretische Modell des Arbeitsmarktes zurückgegriffen, das Werner Sengenberger (1978, 1987) entwickelt hat. Zusätzlich wird dieses Modell mit der zonentheoretischen Sichtweise Robert Castels kombiniert (Castel 2000, 2011; Oschmiansky/Oschmiansky 2003). Nach Sengenberger teilt sich der Arbeitsmarkt in vier Bereiche, von denen nur zwei mit sozialer Sicherheit verbunden sind. Die anderen beiden basieren auf atypischen oder prekären Arbeitsverhältnissen und generieren soziale Unsicherheit. Insofern sichere und unsichere Beschäftigung inzwischen zwei durchaus vergleichbare Volumen am Beschäftigungsmarkt ausmachen, kann von einer asymmetrischen Grundstruktur des Gesamtarbeitsmarktes gesprochen werden. Das Verhältnis beträgt in etwa drei zu zwei: Die etwas größere Hälfte der Beschäftigten (sog. »Normalarbeitsverhältnisse«) kommt in den Genuss sozialer Sicherheit, für die etwas kleinere Hälfte (sog. »atypische Beschäftigung«) trifft genau das Gegenteil zu. Die Rede von »atypischer Beschäftigung« suggeriert, dass Prekarisierung ein Randphänomen des Arbeitsmarktes sei und verschleiert daher die fundamentale Asymmetrie in den Arbeits- und Lebensverhältnissen der Beschäftigten insgesamt. Was tatsächlich der Fall ist, ist eine »gespaltene Arbeitsgesellschaft« (Dörre 2005: 254). Soziale Sicherheit generieren lediglich der berufsfachliche und der betriebsinterne Teilarbeitsmarkt. Ersterer setzt relativ breite Qualifikationen voraus und bietet vor allem gute interbetriebliche Aufstiegschancen, letzterer qualifiziert vor allem betriebsspezifisch und bietet daher geringe interbetriebliche Mobilitätschancen. Gute innerbetriebliche Karrieremöglichkeiten machen das wieder wett. Bei Neueinstellungen werden Insider oder Abgänger von abhängigen Fachhochschulen oder Führungsakademien klar bevorzugt. Klassische Beispiele sind Behörden und Ämter sowie das Militär. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es in diese Arbeitsmärkte geschafft haben, genießen gesellschaftliche Teilhabe und soziale Sicherheit. Für die beiden weiteren Arbeitsmärkte gilt das gerade nicht. Der unstrukturierte Teilarbeitsmarkt richtet sich an Arbeitskräften mit Allgemeinkenntnissen, denen jedoch fachliche oder betriebsspezifische Qualifikationen fehlen (»Jedermann-Arbeitsmarkt«). Die Bindungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-

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Streng genommen kann es kein Außersoziales innerhalb der Gesellschaft geben. »Exklusion« ist daher ein relativer Begriff und bezeichnet Prozesse der Minderung sozialer Teilhabe (Castel 2011: 276-293).

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mern sind locker, Befristungsverhältnisse und hohe Fluktuation häufig. Für die Beschäftigten in diesem Arbeitsmarkt gibt es nur geringe Möglichkeiten in sichere Arbeitsverhältnisse hineinzukommen oder Vermögen für eine Altersabsicherung aufzubauen. Abbildung 1: Schematische Struktur des Arbeitsmarktes, die soziale (Des-) Integration sichtbar macht. Die Bereiche sozialer Sicherheit sind grau unterlegt.

Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis von Sengenberger 1987, S. 212

Das trifft auch auf die abhängigen Puffermärkte zu. Sie »dienen der Abwälzung von Kosten und Risiken und stabilisieren damit andere Beschäftigungsverhältnisse. Der Anlass kann in Nachfrageschwankungen, in der Entwicklung neuer Techniken und Verfahren, aber auch in bestimmten Kosten und Risiken der Arbeitskräftenutzung bestehen. Die ›Abpufferung‹ kann innerbetrieblich organisiert werden; bestimmte Arbeitskräfte sind dann von Beschäftigungsrisiken betroffen. Oder im Rahmen zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung werden bestimmten Betrieben oder Betriebstypen die Beschäftigungsrisiken aufgebürdet« (Oschmiansky/Oschmiansky 2003: 7). Beispiele sind Leiharbeit, befristete Einstellungen oder Scheinselbstständigkeit. Es ist offensichtlich, dass atypische bzw. prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die durch geringe Löhne und Beschäftigungsunsicherheit gekennzeichnet

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sind (Dörre 2005: 252), dem Jedermann- und den Pufferteilarbeitsmärkten zuzuordnen sind. Befristete Beschäftigung, Mini- und Gelegenheitsjobs, Leih- und Zeitarbeit, Scheinselbstständigkeit ebenso wie manche Formen von Teilzeitarbeit und Beschäftigungsverhältnisse mit tarifierten Niedrig- oder Armutslöhnen sind typische Formen prekärer Tätigkeit. Daher bietet es sich an, die von Castel definierten Zonen der Integration, der Verwundbarkeit bzw. Prekarisierung und der Entkopplung bzw. »Exklusion« entsprechend zuzuordnen (Oschmiansky/ Oschmiansky 2003). Die Zone der Integration umfasst demnach die berufsfachlichen und betriebsinternen Arbeitsmärkte. Jedermannsarbeitsmarkt und die Puffermärkte sind dagegen konstitutiv für die Zone der Prekarisierung. Die Zone der Entkoppelung wird durch Formen paternalistischer Zuwendungssysteme wie Hartz IV, Grundsicherung oder Sozialhilfe gebildet. Arbeitslosengelder, die aus den Sozialversicherungssystemen stammen, bilden einen Übergang, da sie noch an soziale Anerkennung gekoppelt sind und auf eigenen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung basieren. Die Grundsicherungssysteme dagegen bieten staatliche Almosen und verknüpfen diese zugleich mit Leistungen, die gegenüber dem aktivierenden Sozialstaat zu erbringen sind. Die Kunden der Jobcenter erscheinen als Schuldner der Gesellschaft. Daher meint die neue Sozialpolitik auch, für sich das Recht auf die »Invasion des Privaten« (Goffman 1967: 26) beanspruchen zu dürfen. Gestützt auf der Rechtsfiktion sogenannter »Bedarfsgemeinschaften« infiltriert der Sozialstaat die Privatsphären. Zugleich hat er sich daran gemacht, seine Bürger umzuerziehen. In solchen Phänomenen kommt eine in Sozialhilfe und Hartz IV angelegte Logik »totaler« Staatlichkeit im Sinne Carl Schmitts zum Ausdruck. Das Gerechtigkeits- und Teilhabemanagement der Jobcenter verabschiedet sich damit tendenziell von der Recht- und Gleichmäßigkeit des Verwaltungshandelns und droht »grundlegende Freiheitsrechte des Einzelnen […] systematisch aufzuheben« (Vogel 2007: 75, vgl. Segbers 2016: 692). Zu der ökonomischen und sozialen Unsicherheitslage kommt also noch die Erfahrung der partiellen Aussetzung der Grundrechte hinzu. Prekarität und soziale Sicherheit verhalten sich zueinander umgekehrt proportional. Im Dienstleistungssektor sind niedrige Löhne und prekäre Beschäftigung besonders verbreitet, da dieser im Mittel eine stärkere Rationalisierungsresistenz aufweist als der Industriesektor. Insbesondere personenbezogene Dienstleistungen sind arbeits- und daher kostenintensiv, wenn ein mittleres Lohnniveau angenommen wird. Um diese »Kostenkrankheit« des Dienstleistungssektors zu umgehen und das Risiko der Massenarbeitslosigkeit zu dämpfen, wird auch in Deutschland inzwischen eine Wirtschafts- und Sozialpolitik präferiert, die gezielt den Ausbau des Dienstleistungsniedriglohnsektors und prekärer Beschäfti-

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gungsverhältnisse fördert (Bosch/Weinkopf 2011: 439 f., Bosch/Wagner 2003: 476-480, Butterwegge 2012, Oschmiansky/Oschmiansky 2003: 53). Der Anteil atypischer Beschäftigung an der Gesamtbeschäftigung lag 2011 bei ca. 40 Prozent (IAB 2011). Das gilt auch gegenwärtig: »Vier von zehn arbeiten atypisch.«5 Zudem landen vermittelte Hartz-IV-Empfänger bevorzugt in einem prekären Arbeitsverhältnis. Von den neu aufgenommenen Vollzeitjobs liegen etwa 80 Prozent im Niedriglohnsektor. Bei den Teilzeitkräften ist der Anteil noch höher. Fast die Hälfte der vermittelten Beschäftigungen dauert weniger als sechs Monate. Vierzig Prozent dieser Jobs sind Helfertätigkeiten (Bruckmeier/Hohmeyer 2018). Prekärer Arbeitsmarkt und staatliche organisierte Sozialunterstützung verhalten sich wie kommunizierende Röhren. Oder mit Jean Baudrillard: Arbeitsvermittlung wird vor allem simuliert. Die Jobcenter aber meinen es ernst. Insbesondere die Puffersektoren stehen mit Normalarbeitsverhältnissen in einem Austauschverhältnis. »Denn ohne die Existenz atypischer Erwerbsformen wäre es […] zu einer stärkeren ›internen‹ Flexibilisierung der Normalarbeitsverhältnisse gekommen infolge der Flexibilisierungsforderungen und -bedürfnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.« (Oschmiansky/Oschmiansky 2003: 29) Diese Sektoren federn Risiken in den beiden oberen Arbeitsmarksektoren ab. Normalarbeitsverhältnisse werden durch prekäre Arbeitsverhältnisse stabilisiert und sicherer gemacht. Solches Outsourcing von Risiken dient nicht nur dem Flexibilitätsgewinn der Unternehmen und der Kostensenkung, sondern nützt auch jenen Arbeitnehmern, die sich in einem Normalarbeitsverhältnis befinden. Ihr Arbeitsverhältnis bleibt erhalten und wird vor Flexibilisierungsbestrebungen geschützt (Dörre 2005: 254). Die soziale Sicherheit der Festangestellten und Stammbelegschaften wird tendenziell mit der Unsicherheit prekärer Beschäftigung in Puffermärkten erkauft. Der Wohlstand in der Integrationszone der Gesellschaft hat einen Preis – und das sind Prekarisierung und Exklusion. Auf die desintegrativen Folgen der Ausweitung prekärer Beschäftigung wird immer wieder hingewiesen (Gundert/Hohendanner 2011, Dörre 2005). Es gehört aber nicht viel dazu, in Anbetracht der erheblichen Bedeutung prekärer Beschäftigung auch einen latenten Klassenkampf zwischen den beiden Gruppen der privilegierten und der prekären Arbeitsmarktteilnehmer zu vermuten. Dieser ist auch ein Klassenkampf von oben, weil die Sicherheit des Einen zugleich die Unsicherheit des Anderen ist. Geht es wirklich »nur« um Ungleichheit in der Teilhabe oder die »soziale Schere«? Oder geht es nicht möglicherweise darum, dass das Prekariat den Inhabern der sicheren Arbeitsplätze in den berufsfachlichen

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Böckler Impuls 2/2017: 4. Ein Überblick findet sich bei Seifert 2017: 7, Tabelle 1.

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und betriebsinternen Teilarbeitsmärkten schlicht die Risiken des postfordistischen Finanzkapitalismus bzw. der Risikogesellschaft abnimmt? Soziale Sicherheit ist nicht einfach nur ungleich verteilt, sondern sie ist eine seltene Ressource, um die konkurriert wird. Diese Konkurrenz gestaltet sich zumindest teilweise als ein Nullsummenspiel. Hier desintegrative Wirkungen auf die Gesamtgesellschaft zu vermuten, liegt nicht fern. Unter solchen Bedingungen droht die Rede von einem sozialen Zusammenhalt zu einer bloßen Beschwörung zu verkommen, während Diskurse exklusiver Solidarität und ethnischer Priorisierung ihre politische Chance erhalten. Was man zudem nicht unterschätzen sollte, sind die Disziplinierungseffekte, die von der Ausweitung prekärer Beschäftigung ausgehen (Dörre 2005: 254 f.). Prekarisierung und Hartz IV wirken sowohl auf die nachwachsenden Generationen wie auch auf die Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen motivierend ein: Es ist die schlichte Angst vor Prekarisierung oder Exklusion, die sie in die Selbstoptimierung treibt, während unter den »Abgehängten« die Resignation um sich greift und Selbstoptimierung allenfalls als Simulation betrieben wird, weil sie wesentlich auf Sanktionsdrohungen der Jobcenter zurückzuführen ist, welche selbst Arbeitsvermittlung nur simulieren. Diese Simulation muss aber aufrechterhalten werden, weil ansonsten das Optimierungsdispositiv in Frage gestellt werden könnte. Die asymmetrische Struktur des Arbeitsmarktes motiviert also mittels ins System eingebauter Prekarisierungs- und Exklusionsängste bereits die Selbstoptimierung der Einzelnen. Sie wirkt disziplinierend. Dies ist die dunkle Seite des Optimierungsdispositivs, die aber vermutlich sein derzeit wirksamster Motor ist. Klaus Dörre geht sogar so weit, hierin das neue Prinzip der Vergesellschaftung zu erkennen. Die Synthesis durch Arbeit ist demnach von einer Synthesis durch Drohungen abgelöst worden. Die Angst vor Abstieg oder sogar Ausgrenzung treibe die Menschen zu einer Gesellschaft zusammen (Dörre 2005: 254 f.).

DIGITALISIERUNG Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die zunehmende Digitalisierung haben wird. Das ist eine häufig aufgeworfene Frage, die nicht leicht und eindeutig zu beantworten ist. Aus der Sicht der Lohnarbeitsgesellschaft, die sich allerdings ohnehin auf einem desintegrativen Pfad befindet (Castel 2000), lautet das Horrorszenario selbstverständlich: umfangreiche Verdrängung der menschlichen Arbeitskraft. Der Transhumanist Nick Bostrom ver-

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gleicht die menschliche Arbeitskraft mit der von Pferden. So wie diese heute nur noch ein Nischendasein führen, könnte es auch den Menschen ergehen: »Als man die Arbeitskraft von Pferden nicht mehr benötigte, wurden viele von ihnen an Schlachthöfe verkauft, wo sie zu Hundefutter, Knochenmehl, Leder und Leim verarbeitet wurden, da es keinen anderen Bedarf mehr für sie gab. In den Vereinigten Staaten lebten im Jahr 1915 etwa 26 Millionen Pferde; Anfang der 1950er Jahre waren noch zwei Millionen übrig.« (Bostrom 2014: 227)

Abbildung 2: Ein Human Support Robot (HSR) der Firma Toyota.

Quelle: www.toyota-global.com

Jenseits solch apokalyptischer Visionen ist die ernsthafte prognostische Einschätzung schwierig. Dies nicht nur, weil das Problem extrem vielschichtig ist, sondern auch, weil wiederum unsicher ist, wie rasch und bis zu welchem Maße die Entwicklung künstlicher Intelligenz voranschreitet. Von einem möglichen zeitnahen Impact des Quantencomputers ganz zu schweigen. Zudem unterliegt die Implementierung neuer Technologien in den Betrieben deutlichen Verzögerungseffekten.

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Illustrieren lässt sich das Problem der prognostischen Einschätzung an einem Beispiel: Die umfangreiche Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung (IAB) kommt zu dem Schluss, dass Servicekräfte im Gastronomiesektor eine hohe Substituierbarkeitsresistenz aufweisen, weil sie zu einem großen Teil Nicht-Routine-Tätigkeiten ausüben. »Oder ist es wahrscheinlich, dass demnächst die menschlichen Servierer durch Roboter ersetzt werden?« (Dengler/Matthes 2015: 17) Allerdings ist die Frage bei weitem nicht so rhetorisch, wie die Verfasserinnen der Studie sie meinen. In der Science-Fiction sind Serviceroboter eine Selbstverständlichkeit und das mit gutem Grund, denn die Vorstellung spezialisierter Dienstleistungsautomaten liegt innerhalb des Bereichs wahrscheinlicher technischer Neuerungen. Toyota stellte bereits 2012 den Prototyp eines Human Support Robot (HSR) vor (Abb.2). In der Tat geht die IABStudie von einem Substituierbarkeitspotenzial im Hinblick auf den technologischen Stand von 2013 aus (Dengler/Matthes 2015: 11). Sie kritisiert zwar, dass amerikanische Studien auf den Einschätzungen von Computerexperten beruhen und daher dazu neigen, die Technologieentwicklung zu überschätzen (Dengler/Matthes 2015: 9). In den gewählten, quasi zukunftslosen Zugang ist die Unterschätzung dieser Entwicklung aber bereits eingeschrieben. Wenn man sich einen Überblick über entsprechende Ergebnisse verschafft, entfaltet sich jedenfalls ein weitaus komplexeres Bild als es so manch schnelle Meldung in den Medien suggeriert. Zentral für die gesamte Debatte ist der Begriff des »Substituierbarkeitspotenzials«. Dieser Begriff stammt aus der amerikanischen Diskussion, in der von »labour substitution« und »potential job automatability« die Rede ist (Frey/Osborne 2013). Er meint, dass eine Tätigkeit oder Aufgabe (task) zukünftig durch technisch-kybernetische Systeme ersetzt werden kann. Ein hohes Substituierbarkeitspotenzial liegt vor, wenn die Automatisierungswahrscheinlichkeit einer task größer als 70 Prozent ist. Die vielfach als Angstszenario zitierte sogenannte Oxford-Studie verwendet diesen Ansatz. Für die USA prognostiziert sie eine hohe Substituierbarkeitswahrscheinlichkeit für 47 Prozent der Beschäftigten (Frey/Osborne 2013). Vergleichbar angelegte und auf Deutschland bezogene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass zwischen 42 Prozent und 59 Prozent der Beschäftigten zukünftig durch Computer ersetzt werden könnten (Dengler/ Matthes 2015: 9). Allerdings wird durchaus bezweifelt, ob eine solche Übertragung aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsmarktstrukturen und Bildungssysteme überhaupt möglich ist (Dengler/Matthes 2015: 10). Die bereits angesprochene Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung entwickelt einen entsprechend differenzierten Zugang und kommt zu dem weniger dramatischen Schluss, dass »etwa 15 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in

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Deutschland [...] im Jahr 2013 einem sehr hohen Substituierbarkeitspotenzial ausgesetzt [sind], also in einem Beruf beschäftigt [sind], bei dem mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten heute schon durch Computer ersetzt werden könnten« (Dengler/Matthes 2015: 7). Wie erwähnt, ist dieses Ergebnis wiederum kritisch zu sehen, weil es sich auf den technologischen Ist-Zustand bezieht.6 Interessant ist die allen diesen Studien zugrundeliegende Perspektive. In dem Begriff des »Substituierbarkeitspotenzials« ist bereits eine strukturell transhumane Blickrichtung enthalten. Das transhumane Denken kreist um die Ersetzbarkeit des Menschen oder einzelner Funktionen seines Körpers durch intelligente kybernetische Systeme. Letztlich geht es ihm allerdings um die vollständige Übertragung der biologischen Gattung auf ein technologisches Medium. Die zahlreichen Studien zu den sozialen und ökonomischen Auswirkungen künstlicher Intelligenz messen die Substituierbarkeit eines Menschen anhand des Vergleichs mit den Fähigkeiten von Computern und suggerieren damit Objektivität. Das zeigt einen Wandel im Menschenbild an: Menschen werden auf ihren instrumentellen Wert für die Wertschöpfung reduziert. Wer diesen Wert verliert, gilt als »ersetzbar«. Künstliche Intelligenzen – letztlich Maschinen – werden dabei zum Maßstab, an dem der Wert eines Menschen sich bemisst. Die IABStudie von Katharina Dengler und Britta Matthes folgt dieser Perspektive ebenso, wie ihre deutlich dramatischer daherkommenden amerikanischen Vorgänger. Allerdings darf diese kritische Überlegung nicht davon abhalten, die Ergebnisse und Prognosen zur Kenntnis zu nehmen. Zudem werden sie medial verbreitet und kommen so auch den potenziell Betroffenen zu Bewusstsein. Im Ergebnis bleiben die Wirkungen der Digitalisierung keineswegs auf atypische oder prekäre Arbeitsverhältnisse beschränkt. Vielmehr gibt es eine ganze Reihe von bislang sicheren und qualifizierten Berufen, denen ein hohes Automatisierungsund Substituierungspotenzial zugewiesen werden kann. Sie enthalten einen hohen Anteil an Routinetätigkeiten, und dieser Anteil gilt als Maß für die Ersetzbarkeit eines Berufs. Die IAB-Studie weist hier vor allem Fachkraftberufe als gefährdet aus, während Berufe, die ein Spezialisten- oder Expertenniveau voraussetzen, ein geringes Substituierbarkeitspotenzial besitzen. Aber es gibt auch Helferberufe, die viel Interaktivität und Kreativität voraussetzen, so dass hier nur ein geringes Substituierungsrisiko bestehe (Dengler/Matthes 2015: 12 f.). Die Wirkungen der Digitalisierung werden sich also keineswegs auf die Jedermanns- und Puffermärkte beschränken lassen, sondern so manchen Arbeitnehmer aus der sicheren Integrationszone der berufsfachlichen und der betriebsinternen Teilarbeitsmärkte herausdrängen. Das wiederum kann zu Verdrän-

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Zudem werden selbständige oder honorarbasierte Tätigkeiten ausgespart.

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gungseffekten auf den beiden unstrukturierten Teilarbeitsmärkten führen, weil aus der Integrationszone vertriebene Besserqualifizierte in diese Märkte abwandern (Möller 2015: 12). Die Auswirkungen der Digitalisierung lassen sich auch nicht auf den Agraroder Industriesektor begrenzen, sondern werden wegen der zunehmenden Bedeutung künstlicher Intelligenz auch den Dienstleistungssektor betreffen, wobei das Substituierbarkeitspotenzial je nach Berufssegment unterschiedlich eingeschätzt wird. Während soziale und kulturelle Dienstleistungen ein geringes Substituierbarkeitspotenzial aufweisen, sieht das bei den unternehmensbezogenen und bei den IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungen ganz anders aus. Auch für Beschäftigte in den Dienstleistungsbereichen Lagerlogistik sowie Verkehr und Transport sind die Zukunftsaussichten düster (Dengler/Matthes 2015: 12-20). Die digitale Rationalisierungswelle im Dienstleistungssektor könnte einerseits dessen »Kostenkrankheit« ausgleichen, wird aber andererseits auch hier zu beruflichen Veränderungen und zur Einsparung menschlicher Arbeitskraft führen. Man kann auch nicht pauschal sagen, dass das Substituierbarkeitspotenzial eine entsprechende Erhöhung der Arbeitslosenquote bedeutet, da es zu beruflichen Umstrukturierungen inklusive der Entstehung neuer Berufsbilder kommen kann, so dass über möglichst präventive Qualifikation die substituierten Arbeitnehmer in andere Arbeitsplätze verschoben werden könnten. Außerdem können technologieinduzierte Rationalisierungseffekte zu einer Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit führen und vermittelt über gesamtwirtschaftliches Wachstum die Folgen der Substituierbarkeit auffangen. Genau zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde (Arntz et al. 2018). Diese Studie konstatiert im Zusammenhang mit dem bereits erfolgten Technologiewandel insgesamt schwach positive Beschäftigungseffekte und erwartet einen solchen Beschäftigungszuwachs auch mittelfristig (d. h. bis zum Jahr 2021). Für die positive Beschäftigungsentwicklung werden trotz nachweisbarer Substituierung vor allem Rationalisierungseffekte, gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit und ein zunehmender Fachkräftebedarf während der Übergangsphase zur Industrie 4.0 verantwortlich gemacht. Die Studie beruht auf einer telefonischen Betriebsbefragung und hat den Vorteil, dass sie die mittelfristigen Zukunftserwartungen der Betriebe abfragt. Szenarien, die die Digitalisierung mit massiven Jobverlusten verbunden sehen, »scheinen somit übertrieben« (Arntz et al. 2018: 104). Allerdings wenden die Autoren selbst ein, dass längerfristig gesehen tatsächlich Substituierungseffekte in den Vordergrund rücken könnten, weil der mit der Implementierung der Industrie 4.0 verbundene Mehrbedarf an Fachkräften ent-

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fällt. Festgehalten wird zudem, dass die Technologisierung die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt bereits gegenwärtig verstärkt. Hochlohnberufe legen an Beschäftigung zu, »während Berufe im mittleren und niedrigen Lohnbereich stagnieren« (Arntz et al. 2018: 95). Durch die Abfrage der betrieblichen Umsetzungserwartungen kann die ZEW-Studie die Zukunftslosigkeit der IAB-Studie zumindest ein wenig ausgleichen. Eine direkte Vergleichbarkeit mit der Oxford-Studie ist aber nicht gegeben, da sich diese auf einen nicht genau spezifizierten, auf jeden Fall aber sehr viel größeren Zukunftshorizont bezieht (bis zu 20 Jahre und mehr) und außerdem für Technologien interessiert, die sich zum Zeitpunkt der Erstellung der Studie erst in einem frühen Entwicklungsstadium befinden bzw. deren Entwicklung von Experten als sehr wahrscheinlich angesehen wird (Frey/Osborne 2013: 36-38). Außerdem macht die ZEW-Studie keinerlei Aussagen zur zukünftigen Rolle prekärer oder atypischer Beschäftigungsverhältnisse. Aussagen zu positiven Beschäftigungseffekten des technologischen Wandels, die wesentlich auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit fokussieren (Arntz et al. 2018: 107), sind aber im Hinblick auf den Strukturwandel des Arbeitsmarktes und die Erosion sozialer Sicherheit nicht sonderlich aussagekräftig.7 Beobachter befürchten aber, dass im Kontext der Digitalisierung das Normalarbeitsverhältnis weiter erodieren könnte. Derzeit sind solche anormalen Beschäftigungsverhältnisse insbesondere in der Kreativwirtschaft üblich, die somit ein Modell für die Arbeit der Zukunft sein könnte (Meil 2016: 103). Kulturberufe zeichnen sich durch einen deutlich höheren Bildungsgrad, einen deutlich erhöhten Anteil der Selbstständigen sowie eine erhöhte Teilzeitquote aus. Etwa die Hälfte der in Kulturberufen Tätigen verdient 1.100 Euro Netto oder weniger. Hartz-IV-Zwischenphasen sind normal (Liersch/Asef 2015: 22-29, Manske/Merkel 2009: 298). Mit der Digitalisierung könnte somit durchaus ein neuer Deregulierungsschub verbunden sein, der die Ungleichheits-, Prekarisierungs- und Entsicherungstendenzen erheblich verstärkt. Die große mediale Aufmerksamkeit für apokalyptisch anmutende Digitalisierungsprognosen befeuert jedenfalls die in der Gesellschaft ohnehin verbreiteten Abstiegsängste. Diese betreffen nicht nur Menschen »ganz unten«, sondern in erheblichem Ausmaß auch die Mittelschicht und sogar die oberen sozialen Positionen (Kohlrausch 2018: 15-17). Die politisch gewollte Expansion von Niedriglohnarbeitsmärkten sowie die Logik eines paternalistischen Almosen- und Sanktionssystems als letzter sozialer Sicherungslinie, lösen schon für sich genommen erhebliche Unsicherheitsgefühle aus (Vogel 2007: 73-76). Die Digitali-

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Zum Beispiel ist die Hartz-IV-Quote in der Regel höher als die Arbeitslosenquote.

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sierung schüttet nun zusätzliches Öl ins Feuer. Sie verbindet sich in den Köpfen mit erheblichen Ängsten, die »Kontrolle über die Gestaltung des eigenen Lebens« zu verlieren (Kohlrausch 2018: 18). Wenn die Nürnberger Studie oder die ZEW-Studie als politische Beruhigungspillen gedacht gewesen sein sollten, so verfehlen diese Pillen ihre Wirkung. Einer Aktualisierung der IAB-Studie zufolge ist der Anteil von Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial allein bis zum Jahr 2016 auf 25 Prozent gestiegen (IAB-Kurzbericht 4/2018: 7).

AUSBLICKE IN DIE ZUKUNFT Vor diesem Hintergrund sollen drei zukunftsbezogene Hypothesen formuliert werden. Auch wenn solche Hypothesen gerne methodologisch verdächtig erscheinen, so können sie doch auch das Potenzial haben, den Blick zu klären. Weil sie bestimmte Trends idealtypisch zuspitzen, ermöglichen sie es, die Konsequenzen gegenwärtiger politischer Weichenstellungen abzuwägen. In diesem Sinne sind sie hier zu verstehen. Die aufgestellten Hypothesen erheben nicht den Anspruch, den Möglichkeitshorizont vollständig auszuloten. Sie verzichten darauf, die Option einer paradigmatischen technischen Neuerung (z. B. die Entwicklung einer maschinellen Superintelligenz) systematisch auszudiskutieren. Und sie setzen den politisch-ökonomischen Rahmen konstant.

Hypothese 1: Individualisierung von Digitalisierungsrisiken Das Wissen um die Folgen der Digitalisierung wird die Logik der Upgradekultur nur verstärken, denn »das Risikowissen erhöht die Motivation zur normalistischen Selbstoptimierung« (Spreen 2015: 118 f.). Sollte es nicht zu einer sozialpolitischen Trendwende kommen, die gesellschaftsumspannende Sicherheit zum Ziel hat, dann steht zu erwarten, dass auch die Risiken der Digitalisierung ungebremst individualisiert werden. Schon jetzt kann man auf einer Webseite des IAB den »Job-Futuromat« befragen. Dort wird versprochen: »Finden Sie heraus, welche Tätigkeiten in Ihrem Job heute schon ein Roboter erledigen könnte.« Der Futuromat passt auch sehr gut in die Logik der »Subjektivierung und Individualisierung gesellschaftlich-institutionell erzeugter Risiken und Widersprüche« (Beck 1986: 218). Denn wenn man den Menschen Informationsangebote vorlegt, können sie im Falle des Scheiterns auch persönlich verantwortlich gemacht werden. Dennoch ist es besser, sich auf die Informationen dieses Futuromaten nicht zu verlassen. Zum Beispiel wird dem Beruf »Taxifahrer/in« ein nullprozentiges

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Automatisierungsrisiko zugewiesen (Abb. 3). Eine Information, auf die man in Anbetracht der sich anbahnenden Entwicklung von selbstfahrenden Autos und der bereits recht konkreten Geschäftsideen zu automatisierten Mobilitätsdienstleistungen besser nicht bauen sollte (Hage 2018). Abbildung 3: Der Job-Futuromat der Bundesanstalt für Arbeit hält den Beruf des Taxifahrers noch für sicher.

Quelle: job-futuromat.iab.de, aufgerufen am 20.2.2018. Der Screenshot wurde zwecks besserer Erkennbarkeit bearbeitet.

Schon heute erlaubt es die Digitalisierung, dass Gelegenheitsfahrer und Fahrgäste situativ zusammengebracht werden. Der heiß diskutierte Fahrdienst Uber etwa bietet einen solchen Service. Das zugrundeliegende Modell webbasierter situativer Auftragsvermittlung aktiviert einen neuen Anbietermarkt. Kompetente Laien können sehr viel leichter einen Zusatzverdienst erwirtschaften. Dieser Verdienst kann durchaus mit anderen, sicheren Tätigkeiten verbunden sein, aber er wird auf jeden Fall feste Anstellungsverhältnisse gefährden und zugleich Marktrisiken direkt an die Arbeitnehmer weiterreichen. Sichtbar wird ein neues, eng mit der Digitalisierung verbundenes Modell der Beschäftigung, nämlich das des selbstständigen Arbeitnehmers, der »prinzipiell überall verfügbar« ist. »Flexible Arbeitszeitmodelle mit Gleitzeit, Arbeitszeitguthaben, Heimarbeit und variablen Zeitplanungen werden zum Standard« (Rinne/Zimmermann 2016: 7, vgl. Meil

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2016: 102 f.). Dieser neue Selbstständige ist nachgerade ein Paradebeispiel für die Übertragung von Flexibilisierungs- und Marktrisiken von den Unternehmen auf die Arbeitnehmer. Es ist unschwer zu erkennen, dass solche Modelle den Puffermärkten zuzuordnen sind und wenig soziale Sicherheit bieten.

Hypothese 2: Cyborgisierung der Arbeitskraft Dass der Vergleich einer von Menschen ausgeübten Tätigkeit mit den Fähigkeiten intelligenter künstlicher Systeme letztlich über den Status von Menschen in der Gesellschaft mitentscheidet, macht deutlich, dass die Maschinen in die Gesellschaft eingetreten sind. Da diese Systeme selbst einer rasanten quantitativen und qualitativen Verbesserungsdynamik unterliegen und in Bereiche menschlicher Fähigkeiten und menschlicher Arbeit vordringen, sind sie ernsthafte Konkurrenten für die Bio-Arbeitnehmer. Dazu müssen sie keine human-level machine intelligence (HLMI) sein, sondern es genügt, wenn sie spezifische Problemstellungen schnell, zuverlässig und lernend bewältigen. Solche Systeme sind bereits heute allgegenwärtig (Bostrom 2014: 27-36). HLMI gibt es noch nicht, aber das Meinungsbild unter Experten deutet darauf hin, »dass man durchaus damit rechnen darf, bis zur Mitte dieses Jahrhunderts eine maschinelle Intelligenz auf menschlichem Niveau zu sehen; dass aber auch eine nicht zu vernachlässigende Chance besteht, dass sie deutlich früher oder erst sehr viel später entwickelt werden wird« (Bostrom 2014: 40). Eine HLMI oder gar eine darüber weit hinausreichende maschinelle »Superintelligenz« ist jedoch keine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Maschinen unmittelbar in das Feld des konkurrierenden sozialen Vergleichs eintreten. Dafür genügt schon ein Substituierbarkeitspotenzial. Auch schon diesseits der HLMI sind androide Maschinen denkbar, die spezialisierte interaktive Dienstleistungen ersetzen könnten, z. B. in der Altenpflege oder im Sex-Gewerbe. Dem Optimierungsdruck durch unmittelbare Maschinenkonkurrenz können Menschen sich auf Dauer nicht nur dadurch erwehren, dass sie Kompetenzen ausbauen, die die Maschinen noch nicht oder nur unzureichend beherrschen. Genannt werden hier in der Oxford-Studie: Wahrnehmung und Feinmotorik (»manipulation tasks«), womit etwa das koordinierte Bewegen von einzelnen Fingern gemeint ist, um kleine Objekte zu fertigen, kreative Intelligenz (Kunst, Problemlösen) und soziale Intelligenz, die z. B. beim Verhandeln oder Überzeugen eine wichtige Rolle spielt (Frey/Osborne 2013: 23 f.). Es ist keineswegs unmöglich, dass auch diese Bastionen des Humanum nach und nach geschleift werden; sicher jedoch werden die Nischen rein menschlicher Überlegenheit immer kleiner

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werden (Flessner 2016). Im Übrigen berücksichtigen Frey und Osborne im Unterschied zur Nürnberger Studie von Dengler und Matthes durchaus die Automatisierbarkeit von Nicht-Routine-Tätigkeiten. Die beiden Deutschen sind verglichen mit ihren amerikanischen Kollegen sehr konservativ, was auch ein Grund ist, warum ihre Prognose zu weniger alarmierenden Werten kommt. Ein Ausweg für den Menschen ist es, sich auf einer mit den Maschinen vergleichbaren Ebene zu halten oder sie auf einigen ihrer eigenen Felder doch wieder zu übertreffen. In der Tat wird eifrig daran gearbeitet, den Menschen entsprechend zu erweitern und binnenleibliche (körperintegrierte Prothesen, Implantate) sowie nahleibliche (Exo-Skelette oder -handschuhe, Datenbrillen etc.) technische Systeme zu entwickeln, die ihn mit den Robotern wieder auf Augenhöhe bringen (Spreen 2015: 27-47, Krützfeldt 2015). »Augmentierte Menschen« – eine treffende Bezeichnung, die der australische SF-Autor Joel Shepherd (2017) verwendet – können sich mit den Robotern messen und vor allem gut mit ihnen zusammenarbeiten. Als Cyborgs bleiben Menschen einem Roboter, Automaten und Androiden einschließenden konkurrierenden sozialen Vergleich gewachsen, weil sie dem technologischen Enhancement und ihren Algorithmen noch ihre natürliche Intelligenz, ihre Kreativität und ihr Vorstellungsvermögen hinzufügen. Für natürlich-künstliche Lebewesen wie Menschen ist es dabei prinzipiell kein Problem, sich in Cyborgs zu verwandeln (Fischer 2002). Auch der Transhumanist Verner Vinge sieht in der vertieften Mensch-Maschine-Interaktion die beste Option. Sie hält die Menschen im Spiel und macht sie und die Maschinen schlauer (Vinge 1993: 16-19). Man könnte das kombinierte verstärkte Intelligenz nennen; Vigne spricht von »Intelligence Amplification« (IA). Die zweite Zukunftshypothese lautet also, dass die Menschen sich technologisch augmentieren werden, um mit den künstlichen Intelligenzen mitzuhalten. Die Upgradekultur wird zu einer Kultur der Cyborgs, d. h. der engen MenschMaschine-Interaktion und der systemischen Integration von High-Tech in den Körper. Die Strategie, sich mit den Maschinen auf Augenhöhe zu bringen bzw. sie zu überflügeln ist die klassische Strategie, die die Gesellschaft seit Beginn der ersten industriellen Revolution (Dampfmaschine) immer gewählt hat (Bregman 2017: 194). Allerdings reichten für die ersten drei industriellen Revolutionen (Dampfkraft, Fließband, Computer) Bildungsoffensiven bis hin zum »Massenkonsum höherer Bildung« (Beck 1986: 128). Und auch die Cyborggesellschaft wird eine Wissensgesellschaft sein, denn der tägliche Umgang mit intelligenten Systemen wird den Menschen ein generelles Kompetenz-Enhancement abverlangen. Aber Bildung allein macht die Gesellschaft 4.0 nicht zukunftsfest, weil die KI auch in die Bereiche qualifizierter Tätigkeiten vordringt – und damit in

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die Bereiche derer, die eine Menge zu verlieren haben. Digitalisierung und vierte industrielle Revolution drohen auch die mittelständischen und bislang durch Risikoexport in die prekären Beschäftigungsverhältnisse gesicherten Bereiche des Arbeitsmarktes zu affizieren. Wer in der Sicherheitszone der Gesellschaft bleiben will, wird noch eine Schippe drauflegen und körperliche Leistungsfähigkeit, Wahrnehmung sowie Informationsverarbeitung durch technische Unterstützungssysteme erweitern müssen. Dennoch ist es nicht ganz einfach, ein Bild der sich abzeichnenden Cyborggesellschaft zu zeichnen, weil schwer einzuschätzen ist, wie Verdrängung durch KIs und Verbesserung durch Augmentierung oder Anhebung der Intelligenz sich ausgleichen und wie sich diese Trends zur Struktur des Arbeitsmarktes verhalten. Für den Fall, dass die Abstimmung der Sozialsysteme auf die Logik des postfordistischen Kapitalismus beibehalten wird und weiterhin eine Politik des Risiko-Outsourcings in die prekären Arbeitsmärkte verfolgt wird, werden Digitalisierung und Upgrading vermutlich keine strukturelle Verbesserung herbeiführen, sondern den bereits gegenwärtig bestehenden Zustand fixieren. Die Anhebung der Integrationsbedingungen auf hohe und höchste Bildungsniveaus sowie die Technisierung des Körpers wird aller Wahrscheinlichkeit nach Möglichkeiten für soziale Mobilität von unten nach oben weiter erschweren, wenn nicht sogar verunmöglichen. Dafür genügt es, Augmentierung oder Wissens- und Kompetenzerwerb von öffentlichen Versorgungssystemen zu entkoppeln, also von privaten Finanzressourcen abhängig zu machen. Die Integrierten würden dann kompetente Cyborgs sein, weil sie die Erweiterung ihres Körpers und das Upgrade ihrer Bildung bezahlen könnten. Das Prekariat dagegen bliebe als bloße Wetware »nacktes Leben« (Agamben 2001).

Hypothese 3: Bildungsoffensiven sind unzureichend Hohe bzw. höchste Bildungsniveaus sind nicht für jeden zu erreichen, weshalb die Anhebung der Bildungsvoraussetzungen für den Eintritt in die Integrationszone automatisch die Spaltung der Gesellschaft in Inkludierte und Prekarisierte verschärft. Dieses Problem wurde politisch erkannt und zugleich verkannt. Denn Bildungsoffensiven können diesen Effekt bestenfalls teilweise auffangen, weil es nicht möglich ist, die ganze Gesellschaft über die Kompetenzschwelle und in die sicheren Arbeitsmärkte zu hieven. Erstens erhöht sich diese Kompetenzschwelle im Zuge der Digitalisierung. Zweitens weist natürliche Intelligenz eine Gaußverteilung auf (nicht jeder ist schlau genug). Drittens sind Bildungsniveaus sozialstrukturell konservativ, d. h. sie werden innerhalb der sozialen Lagen quasi ver-

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erbt (Bourdieu 1992: 55-59). Und viertens droht mit der Digitalisierung eher eine Verknappung der Integrationszone durch Rationalisierungseffekte. Letzteres könnte durch beschleunigtes Wirtschaftswachstum begrenzt, evtl. sogar umgekehrt werden. Aber selbst im günstigsten Fall ließe sich die Integrationszone der Gesellschaft bestenfalls ein wenig ausdehnen. Eine Gesamtintegration wird nicht wiederkehren, solange die politisch-ökonomische Grundordnung auf dem Outsourcing sozialer Risiken mittels eines asymmetrischen und polarisierten Arbeitsmarktes basiert und nicht gezielt Instrumentarien eingesetzt werden, die der Spaltung der Gesellschaft in die beiden Zonen Sicherheit und Unsicherheit entgegenwirken. Jeder Einzelne kann durch die Beteiligung an Bildungs- und Qualifikationsangeboten einer prekären Lebenslage entkommen, aber nicht alle gemeinsam. Die Bildungsoffensiven lösen nicht das Problem der asymmetrischen Spaltung des Arbeitsmarktes und damit der Gesellschaft, »denn durch den beruflichen Aufstieg höher Gebildeter bleibt dieser anderen Stellenbewerber(inne)n verwehrt. Selbst wenn neue Arbeitsplätze entstehen, hört der Verdrängungswettbewerb zwischen Inhaber(inne)n unterschiedlicher Bildungstitel nicht auf« (Butterwegge 2012: 282). Zudem darf der demokratische Bildungsimperativ »ein neuartiges und ernstes Problem nicht verschleiern: die mögliche mangelnde Beschäftigungsfähigkeit der Qualifizierten« (Castel 2000: 353). Mit anderen Worten: Die bereits derzeit betriebene offensive Bildungspolitik wird an der grundsätzlichen Exklusionsstruktur der Gesellschaft nichts ändern können. Vielmehr ist sie eine Erscheinungsform der Upgradekultur, die zwar nicht prinzipiell, wohl aber unter den zur Zeit gegebenen politisch-ökonomischen Bedingungen in eine Logik der Prekarisierung und Exklusion verstrickt ist. Transhumanistische Autoren diskutieren vor diesem Hintergrund die Möglichkeit einer generellen Anhebung der biologischen Intelligenz etwa durch gezielte Zuchtwahl, Embryonenselektion, somatisches genetisches Enhancement oder Eingriffe in die Keimbahn. Solche Strategien zielen auf die künstliche Evolution biologischer Superintelligenz, d. h. sie visieren nicht die Steigerung des Gesamt-IQ bei Aufrechterhaltung der Verteilungskurve an, sondern sie propagieren eine Verallgemeinerung der Hochbegabung. »Stellen wir uns«, so Nick Bostrom, eine »Welt vor, in der Max Mustermann genauso schlau [ist] wie Alan Turing oder John von Neumann und in der Millionen von Menschen alle Geistesgrößen der Vergangenheit weit überragen« (Bostrom 2014: 70). In diesem Fall wäre es vielleicht tatsächlich denkbar, dass sich die Menschheit insgesamt über die Kompetenzschwelle der Integrationszone hebt. Die prekären Arbeitsmärkte könnten dagegen mit Androiden und Automaten bevölkert werden. Aber weiterhin bliebe offen, ob die Integrationszone genug Arbeitsbedarf für alle generieren kann (Problem der mangelnden Beschäftigungsfähigkeit der Qualifizier-

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ten). Außerdem würde eine solche biologische Strategie der Intelligenzanhebung bedeuten, dass eine hemmungslose Biopolitik der Embryonenperfektion ermöglicht und zugleich eine Sklavenrasse aus HLMIs erzeugt würde. Nick Bostrom beschreibt diesen Entwicklungspfad »zur Erzeugung einer sehr großen Zahl perfektionierter Embryonen« mittels In-vitro-Fertilisation und Präimplantationsdiagnostik wie folgt: »Die Wirkung dieser Technologie wird durch mehrere Faktoren gedämpft und verzögert werden. Erstens müssen aus den selektierten Embryonen auch Erwachsene werden: Es dauert mindestens 20 Jahre, bis diese Kinder ihre volle Produktivität erreichen, und noch länger, bis sich das auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Außerdem wird wohl auch die perfektionierte Technologie zunächst kritisch gesehen werden. Einige Länder könnten ihre Verwendung aus moralischen oder religiösen Gründen ganz verbieten, und viele Paare dürften sowieso eine natürliche Empfängnis vorziehen. Die Bereitschaft zu einer solchen In-vitro-Fertilisation würde jedoch steigen, wenn diese klare Vorteile hätte, etwa eine Garantie, dass das Kind sich als hochbegabt und kerngesund herausstellt; niedrigere Kosten für Gesundheitsfürsorge und ein höheres zu erwartendes Lebenseinkommen sprächen ebenfalls dafür. Ist das Verfahren erst gesellschaftsfähig, könnte es bald als das einzig richtige erscheinen, als etwas, das aufgeklärte und verantwortungsbewusste Paare tun. Viele anfänglich zurückhaltende Menschen würden auf den Zug aufspringen, um ihr Kind gegenüber den verbesserten Kindern ihrer Freunde und Kollegen nicht zu benachteiligen. Einige Länder könnten ihren Bürgern die genetische Selektion schmackhaft machen, um ihr Humankapital zu steigern oder um die langfristige soziale Stabilität des Staates zu erhöhen, indem Eigenschaften wie Sanftmut, Gehorsam, Unterordnung, Konformität, Vorsicht oder Feigheit (außerhalb der herrschenden Klasse) selektiert werden.« (Bostrom 2014: 63 f.)

Die drei Ausblicke erwarten weder von der individualisierten Optimierung (Bildung, Cyborgisierung), noch von der Digitalisierung eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Eher sind eine Verschärfung der generalisierten sozialen Konkurrenz, Beschränkungen der Aufwärtsmobilität, die Stagnation prekärer Beschäftigung auf hohem Niveau oder deren weitere Zunahme sowie ein erneuter Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit nach Abschluss der Transformationsphase zu erwarten. Forciertes Wirtschaftswachstum kann diese Tendenzen mildern. An dem grundsätzlichen Problem einer entsicherten Gesellschaft wird das aber wenig ändern.

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DAS TRANSHUMANE ERLÖSUNGSVERSPRECHEN Die ökonomische Struktur der postindustriellen Gesellschaft und der ihr korrespondierende asymmetrische Arbeitsmarkt lassen Menschen ersetzbar erscheinen, stempeln sie zu »Überzähligen« (Castel 2000: 348-364). Automatisierung, Digitalisierung und der Vormarsch künstlicher Intelligenz inklusive spezialisierter Dienstleistungsroboter verstärken diesen Trend, insofern sie ein »Substituierbarkeitspotenzial« mit sich bringen, das je nach Anlage der Prognose zwischen 10 bis 60 Prozent der bislang menschlichen Tätigkeiten ersetzt. Aus der Perspektive des einzelnen Individuums zwingt das zu erhöhtem Kompetenzerwerb, zu Bildung und generell zur Optimierung des Selbst. Die Ressource »soziale Sicherheit« ist knapp und die Konkurrenz schläft nicht. Insofern verspricht die Technisierung des menschlichen Körpers, im Kompetenzwettbewerb mithalten zu können. An der Spaltung der Gesellschaft entlang der Grenze zwischen sozialer Sicherheit und sozialer Unsicherheit ändert das aber nichts – jedenfalls so lange nicht, wie die Sozialpolitik den Trend zur Konkurrenz um Sicherheit nicht bricht. Der Transhumanismus, der diese Bezeichnung nicht zu Unrecht trägt, zielt nun genau darauf ab, das bisherige Leben des Menschen zu überwinden. Das ist in Anbetracht der Gegenwartsperspektive einer neoliberalen Angstgesellschaft mit zunehmenden Sympathien für Formen der Exklusion und des Rassismus ja nicht unbedingt eine schlechte Idee. Das Medium dieser Überwindung ist Technologie. Der neuere Transhumanismus sieht die Chancen für eine solche Überwindung vor allem im Fortschritt der kybernetischen Informationsverarbeitung und der Computertechnologie, wobei die Vorstellungen, die in diesem Kontext entwickelt werden, durchaus unterschiedlich sein können. Eingeführt wurde der Begriff Transhumanismus von dem britischen Biologen und Humanisten Julian Huxley. Er verwendet ihn erstmalig in der Schrift »Religion without Revelation« (Hughes 2004: 158). Unter Transhumanismus versteht Huxley den Glauben an die Verbesserung des Menschen und die Überschreitung der körperlichen und biologischen Schranken humaner Existenz (Huxley 1957: 13-17). An anderer Stelle spricht er auch vom »neuen Humanismus« oder vom »Evolutionärem Humanismus«. Ihm geht es dabei um »die Vergöttlichung der Existenz« (Huxley 1964: 66), womit die gesteuerte Weiterentwicklung der Möglichkeiten des Menschen als Gattungs- und Einzelwesen gemeint ist. Der neue Humanismus soll es den Menschen ermöglichen, ihre Entwicklung zu steuern und zu optimieren. Obwohl Huxley immer wieder Anleihen bei religiösen Kategorien und bei Autoren mit religiösem Hintergrund macht – insbesondere bei Teilhard de Chardin –, handelt es sich im Kern um ein inner-

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weltliches Erlösungsprogramm. Die »Erfüllung und Bereicherung des Lebens«, die »als vordringlichste Ziele des Daseins angesehen« werden, sollen »durch die Verwirklichung der dem Leben innewohnenden Möglichkeiten erreicht werden« (Huxley 1964: 66). Transhumanismus meint so gesehen nicht weniger als die Überwindung der biologischen und gesellschaftlichen Beschränkungen des menschlichen Lebens durch eine gelenkte Evolution. Dabei bestimmt Huxley die Entwicklung der Psyche und des Geistes als die wesentlichen Mittel dieser Selbstüberschreitung. Die Evolution der Psyche (mind) gebe die Möglichkeit an die Hand, die weitere Evolution des Menschen durch »vernünftige, wissenschaftliche und zweckdienliche Planung« zu steuern (Huxley 1965: 263). Und da der evolutionäre Humanismus die Möglichkeit der Weiterentwicklung als imperativen Aufruf zur Weiterentwicklung interpretiert, ergibt sich daraus die Vorstellung der Selbstüberschreitung des Menschen als Selbstverwirklichung des Menschen mittels der »Macht der Ideen« (Kurzweil 2014: 9). Huxley geht es im Wesentlichen um biologische Strategien zur genetischen Optimierung des Menschen, denn der Mensch, »schleppt eine schwere Last genetischer Mängel und Unzulänglichkeiten mit sich herum. Als psychosozialer Organismus hat er kaum irgendwelche Verbesserungen erfahren. So stellt der Mensch einen sehr unvollendeten Typ dar [...]. Dazu kommt, dass seine soziale Organisation wahrscheinlich zu einer genetischen Wertminderung geführt hat« (Huxley 1965: 251). Die Gattung muss aber verbessert werden: »Der Hauptzweck des menschlichen Daseins kann nur in der qualitativen Verbesserung liegen – Verbesserung der Persönlichkeit, der Leistungen, der Kunstwerke, der handwerklichen Fähigkeiten, der inneren Erfahrungen, des Zustandes des Lebens im allgemeinen.« (Huxley 1965: 246)

Als Beispiele »genetischer Wertminderung« führt Huxley die Verseuchung des Erbmaterials durch Atombombenversuche auf. Wesentlich dringender erscheinen ihm aber die »sogenannten sozial labilen Gruppen«. Gemeint sind »damit solche Leute, die der Sozialfürsorge in Großstädten nur allzu bekannt sind, denen jeder Sinn für ein geordnetes Leben fehlt, die ihren Beschäftigungen nachgehen, um gerade in äußerster Armut und Schmutz dahinzuvegetieren. Nur allzu oft fließen ihnen aus öffentlichen Mitteln Unterstützungen zu, so dass sie eine Last für die Gemeinschaft darstellen. Leider halten sie ihre elenden Lebensbedingungen in keiner Weise davon ab, Kinder zu zeugen. Ihr Nachwuchs ist zahlreich, zahlreicher als der des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung« (Huxley 1965: 269).

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Der Biologe und Nobelpreisträger Hermann Joseph Muller schlägt am Ende eines von Huxley herausgegebenen Sammelbandes in dieselbe Kerbe, wenn er anregt, dass »soziale Verantwortung« auch darin bestehe, dass »wir die Kinder, ehe sie in die Welt gesetzt werden, mit den besten genetischen Anlagen, die verfügbar sind, ausstatten« (Muller 1964: 253). So mündet die genetische Optimierung in eine genetische Sozialpolitik, deren problematischer biopolitischer Charakter ins Auge sticht. Der neuere Transhumanismus, der von dem Philosophen Nick Bostrom, dem Google-Mitarbeiter Ray Kurzweil, dem Robotologen Hans Moravec und anderen vertreten wird, setzt aber weniger auf genetisch-soziale Zuchtphantasien, sondern er betont vor allem den Gedanken eines Übergangs der biologisch-geistigen Evolution in eine technisch-geistige Evolution (Bostrom 2011). Dieser Übergang fokussiert sich insbesondere in der Idee einer nahen »Singularität«, die zuerst von dem Mathematiker und Science-Fiction-Autor Venor Vinge (1993) in einem NASA-Kontext explizit formuliert und aktuell vor allem von Ray Kurzweil vertreten wird. Vinge versteht die Singularität als den Moment, in dem der Fortschritt der Computertechnologie zur Entwicklung einer »greater than human intelligence« führt (Vinge 1993: 12). Er kommt damit Bostroms Vorstellung einer »Intelligenzexplosion« durch die Entstehung der ersten Maschinen-Superintelligenz nahe. Diese Idee hat ihre Vorläufer, denn der Gedanke einer ultraintelligenten Maschine ist in der Science-Fiction und in dadurch inspirierten Debatten über die Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wahrlich kein Fremdkörper. In der deutschen Perry-Rhodan-Serie etwa taucht die Vorstellung einer »Superintelligenz« als Ergebnis der Evolution von Zivilisationen bereits Anfang der 1960er Jahre auf. Das Gleiche gilt für die Vorstellung eines »Robotregenten«, der eine ganze Zivilisation regiert und verwaltet. In der Kosmologie ist eine Singularität eine unendlich verdichtete Masse, deren Anziehungskraft so stark ist, dass die Fluchtgeschwindigkeit über der des Lichts liegt, so dass dieser Masse kein Lichtstrahl mehr entkommt (sog. »Schwarzes Loch«). Für Kurzweil ist die Singularität mehr ein historischer Zeitpunkt, und zwar genau der, an dem der technische und wissenschaftliche Fortschritt quasi unendlich schnell wird. Dieser Zeitpunkt wird seiner Prognose nach im 21. Jahrhundert eintreten. Er stützt diese Aussage auf eine Analyse des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts über die Gattungsgeschichte hinweg. Dieser Fortschritt verlaufe nicht linear, sondern exponentiell. Er beschleunige sich selbst und erreiche damit irgendwann einen Punkt, wo er beinahe unendlich schnell wird (Kurzweil 2014: 17-34).

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Zusätzlich nimmt Kurzweil an, dass es möglich sein wird, Geist und Computer zu verbinden und schließlich ersteren in letzteren zu transformieren. Kombiniert man beide Gedanken, kommt heraus: Der Mensch optimiert sich selbst durch Selbstüberwindung, indem er sich in eine Maschine einspeist, die nun aber er selbst sein soll und damit »menschlich« wäre. Das ist die Dialektik des 21. Jahrhunderts: These (Mensch), Antithese (Maschine), Synthese (Menschmaschine). Kurzweil formuliert damit einen Grundgedanken des zeitgenössischen Transhumanismus, der »eine nach wie vor menschliche Welt, allerdings jenseits unserer biologischen Wurzeln«, antizipiert (Kurzweil 2014: 10). Moravec ist sogar noch radikaler. Er beschreibt ebenfalls einen dialektischen Dreischritt. Das Ergebnis ist die Transformation der Menschen in künstliche Intelligenzen. Zunächst wird der Körper immer weiter durch künstliche Systeme ersetzt. Übrig bleibt ein Gehirn im Tank, das über einen Avatar gebietet. Anschließend wird dieses Gehirn »Stück für Stück durch elektronische Äquivalente ersetzt« (Moravec 1993b: 84), so dass die Menschen dann nur noch als Software existieren. Aber auch dann, so Moravec, »sind wir noch nicht wirklich Geist ohne Körper«, weil »wir selbst dann noch glauben einen Körper zu besitzen. […] Unser Geist ist grundsätzlich auf einen physischen Körper und den entsprechenden Input zugeschnitten« (Moravec 1993b: 85). Zum Zwecke der Verbesserung der Funktionsfähigkeit bietet sich in einem dritten Schritt an, »auch einige unserer innersten mentalen Prozesse durch Programme zu ersetzten, die besser an den kybernetischen Raum angepasst sind. Diese Programme wären vermutlich von künstlichen Intelligenzen käuflich zu erwerben, die sich auf ihre Entwicklung spezialisiert haben. Auf diese Weise würden wir diesen Intelligenzen Stück um Stück ähnlicher. Schließlich und endlich könnte unser Denken vollständig von jeder Spur unseres ursprünglichen Körpers und überhaupt irgendeines Körpers befreit werden. Der so entstehende körperlose Geist wäre zwar etwas Wunderbares im Hinblick auf die Klarheit seiner Gedanken und die Tiefe seiner Einsicht, aber er wäre keineswegs menschlich.« (Moravec 1993b: 88 f.)

Sowohl Kurzweil als auch Moravec folgen einer Logik der Substituierung. Körper und Geist werden nach und nach durch kybernetische Systeme ersetzt und dadurch zugleich verbessert. Im Ergebnis werden die Menschen schlicht durch künstliche Systeme substituiert. Nach Kurzweils Prognose von 2008 soll die für die Gehirnemulation nötige Hardware um 2020 für tausend Dollar erhältlich sein. Für die Entwicklung der notwendigen Software wären noch einmal zehn Jahre zu veranschlagen (Kurzweil 2014: 126. 200 f.). Anno Domini 2030 also – dann dürfen die Menschen

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vielleicht schon darüber entscheiden, ob sie in das transhumanistische Maschinenhimmelreich eintreten möchten, indem sie sich auf eine unsterbliche Hardware übertragen. Derart selbstmaschinisiert und nun unsterblich sind dem Menschen keine Grenzen mehr gesetzt. Nach der Singularität tritt er seinen Siegeszug durch das Universum an: »Sobald ein Planet eine Technik schaffende Spezies hervorbringt, und diese Spezies Computertechnik entwickelt (wie auf der Erde geschehen), ist es nur eine Frage weniger Jahrhunderte, bevor ihre Intelligenz die Materie und Energie in der näheren Umgebung gesättigt hat und beginnt, sich mindestens mit Lichtgeschwindigkeit (und eventuell schneller) auszubreiten. Eine solche Zivilisation wird schließlich (durch ihre hervorragende Technik) die Gravitation und andere kosmische Kräfte überwinden – oder, genauer gesagt, völlig ihrer Kontrolle unterwerfen – und das Universum nach ihrem Willen gestalten. Dies ist das Ziel der Singularität.« (Kurzweil 2014: 372)

Bei Bostrom heißt es ganz ähnlich: Ein »superintelligenter Akteur« kann »sämtliche Technologien entwickeln, die seinen Zielen dienlich sind, er kann zum Beispiel Von-Neumann-Sonden bauen und entsenden ‒ Maschinen, die interstellare Entfernungen überwinden und Ressourcen wie Asteroiden, Planeten und Sterne dazu verwenden, um sich zu vervielfältigen. Durch das Starten einer einzigen Von-Neumann-Sonde könnte der Akteur so einen unbegrenzten Prozess der Kolonisierung des Weltraums in Gang setzen. Die sich mit relativistischen Geschwindigkeiten bewegenden Nachkommen der Sonde würden schließlich einen bedeutenden Teil des Hubble-Volumens besiedeln, also denjenigen Teil des expandierenden Universums, der von uns hier und heute theoretisch erreichbar ist.« (Bostrom 2014: 143)

Die gemeinsam geteilte Grundannahme zeitgenössischer Transhumanisten ist, dass künstliche Systeme das Niveau menschlicher Intelligenz nicht nur erreichen, sondern sogar weit übertreffen werden (»Superintelligenz«). Damit stellt sich das Substituierungsproblem in Bezug auf die gerade anlaufende digitale Revolution auf einer qualitativ neuen Ebene. Einfache Vergleiche mit der ersten, zweiten und dritten industriellen Revolution werden problematisch. Substituierbarkeitspotenzial setzt jede industrielle Revolution frei, dennoch haben alle industriellen Revolutionen bislang zur Bevölkerungsexplosion und zum Gesamtreichtum beigetragen, denn von eher spekulativen, intellektuellen oder explorativ-künstlerischen Überlegungen abgesehen, stand außer Zweifel, dass die Maschinen den Menschen nur bei sehr spezialisierten Tätigkeiten über-

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treffen können. Sie erwiesen sich vielfach als eine Prothese des Menschen – eine Theorie, deren Anhänger von Ernst Kapp (1877), der Technologien als »Organprojection« fasste, bis Marshall McLuhan, der technische Medien als »extensions of man« verstand (McLuhan 1964), reichen. Selbst heute bleibt fraglich, ob KIs jemals in irgendeiner Weise über Qualitäten verfügen können, welche als »Verursachung durch Freiheit« (Immanuel Kant), »exzentrische Positionalität« (Helmuth Plessner) oder »intrinsische Intentionalität« (John R. Searle) bezeichnet werden können. Aber die digitale Revolution hat den zahlreichen Prognosen zufolge das Potenzial, menschliche Arbeitskraft in ganz neuen Größenordnungen zu substituieren. Dieses Potenzial lässt sich nicht auf einfache Routinetätigkeiten eingrenzen, sondern reicht in die Bereiche geistiger, interaktiver und kreativer Tätigkeiten hinein. »We will see automation replacing higher and higher level jobs. We have tools right now (symbolic math programs, cad/cam) that release us from most low-level drudgery. Or put another way: The work that is truly productive is the domain of a steadily smaller and more elite fraction of humanity. In the coming of the Singularity, we are seeing the predictions of true technological unemployment finally come true.« (Vinge 1993: 14)

Der Kern der transhumanistischen Sichtweisen besteht nun zum einen darin, dieses Potenzial radikal auszuleuchten. Die diversen, oben diskutierten Studien zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt folgen exakt dieser transhumanen Problemstellung – lediglich ist ihr Zukunftshorizont stark verkleinert. Zum anderen aber erwarten Transhumanisten von dem Substituierungsprozess nachgerade eine weltliche Erlösung der Gattung aus ihrem biologischsozialen Jammertal, wobei die Klassiker des Leidens an der Welt auch hier ihre Rolle bekommen: Arbeit, Armut, Alter, Ableben.8 Schon Julian Huxley brachte diese innerweltliche Erlösungsperspektive auf den Punkt: »Up to now human life has generally been, as Hobbes described it, ›nasty, brutish and short‹; the great majority of human beings (if they have not already died young) have been afflicted with misery in one form or another – poverty, disease, ill-health, over-work, cruelty, or oppression. […] Already, we can justifiably hold the belief that […] the present limitations and miserable frustrations of our existence could be in large measure surmounted. […] [H]uman life as we know it in history […] could be transcended by a state of existence based on the illumination of knowledge and comprehension, just as our mod-

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Zu den mythologischen und religiösen Hintergründen des Transhumanismus vgl. die Beiträge von Bernd Flessner und Johannes Rüster in diesem Band.

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ern control of physical nature based on science transcends the tentative fumblings of our ancestors, that were rooted in superstition and professional secrecy. […] The human species can, if it wishes, transcend itself […]. We need a name for this new belief. Perhaps transhumanism will serve: man remaining man, but transcending himself, by realizing new possibilities of and for his human nature. ›I believe in transhumanism‹: once there are enough people who can truly say that, the human species will be on the threshold of a new kind of existence, as different from ours as ours is from that of Pekin man. It will at last be consciously fulfilling its real destiny.« (Huxley 1957: 16 f.)

Arbeit lasse sich an Androiden bzw. HLMIs delegieren, um so den »Wunsch nach einer Sklaverei ohne Schuld« zu befriedigen. »Programmiert zu gehorchen ohne zu fragen, wird das künstliche Leben mit seinem unterwürfigen Status immer zufrieden sein. Kein Spartakus oder Toussaint L’Ouverture wird jemals die Annehmlichkeiten dieser Herren von Robotersklaven bedrohen.« (Barbrook 2007: 486) Um Armut zu verhindern, die aus der Heraussubstituierung der Menschen aus der Lohnarbeitsgesellschaft folge, sei ein Umverteilungsmechanismus nötig. Es ist kein Zufall, dass die Anhänger eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) die Digitalisierung der Arbeitskraft und die Virtualisierung der Wertschöpfung als Argument anführen. Rutger Bregman etwa fordert einen »Mechanismus der Umverteilung des Reichtums«, um »auch die Verlierer des Fortschritts« zu entschädigen (Bregman 2017: 193). Diese Idee findet unter Transhumanisten ihre Anhänger. Nick Bostrom etwa diskutiert neben generalisierten Kapitaleinkünften auch ein BGE und verlangt darüber hinaus, dass die Wertschöpfung, die künstliche Superintelligenz erwirtschaftet, umverteilt wird, sobald sie eine bestimmte Obergrenze überschreitet (Bostrom 2014: 228 f., 356 f.). Moravec fordert, das Rentenalter bis zur Geburt herabzusetzen (Moravec 1996: 99). Ewige Jugend könne man sich durch Kauf eines künstlichen Körpers sichern. Der in den Computer hochgeladene Geist werde »an den glänzenden neuen Körper angeschlossen, dessen Form und Farbe Sie selbst ausgesucht haben. Diese Kinder unseres Geistes werden ihre eigenen Nachfolger bauen, sich ständig selbst verbessern und so die Evolution vorantreiben« (Moravec 1993a). Gipfelpunkt ist zweifellos die Erlösung von der Sterblichkeit durch die Übertragung des menschlichen Geistes in maschinelle Systeme: »Wir können den menschlichen Geist aus seinem vergänglichen Körper befreien und in einem Computer weiterleben lassen. [...] Ein Roboterchirurg legt seine Sensorhand auf das

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noch bewusste Gehirn im geöffneten Schädel, erzeugt für die oberste Hirnschicht ein Simulationsprogramm und lädt dieses in den Computer eines Roboterkörpers. Dann trägt er Hirnschicht für Hirnschicht mechanisch ab. Am Ende stirbt der Körper, die ›Gehirnsülze‹ wird von einem Absaugapparat geschluckt.« (Moravec 1993a)

Dass eine solche Digitalisierung des Menschen leicht als Erlösung von der körperlichen Welt interpretiert werden kann, wird nicht zuletzt bei dem Kulturphilosophen Vilém Flusser deutlich: »Wie kann ein derart alles Körperlichen (aller Arbeit und allen Leidens, aller Aktivität und aller Positivität) enthobener Mensch, ein sich nur auf ›reine Information‹ konzentrierender Mensch leben, und ist dies noch Leben zu nennen? – Überhaupt erst dies ist ein menschliches Leben zu nennen, und alle vorangegangenen Lebensformen sind im Vergleich dazu nicht mehr als vormenschliche Annäherungsversuche.« (Flusser 1992: 185)

Der transhumanistische Diskurs ist allerdings in sich vielfältig. So bleibt letztlich offen, ob die transhumanistische Substituierungsperspektive eine weitere Koexistenz zwischen einem irgendwie noch biologisch basierten Menschenwesen und Maschinenintelligenzen vorsieht oder schlicht zur Totalersetzung des BioWesens »Mensch« qua Gehirnemulation führt. Ebenfalls offen bleibt, wer in der postsingulären Welt den Finger am Drücker hat. Denkbar wäre beispielsweise, dass die maschinelle Superintelligenz die Erzeugung von Büroklammern als ihr höchstes Ziel ansieht (»Büroklammern-KI«) und dabei alles aus dem Weg räumt, was diesem Zweck im Wege steht (Bostrom 2014: 175). Genau deshalb diskutiert Nick Bostrom so ausführlich das Kontrollproblem. Er hat eine Koexistenz im Auge und fürchtet die Machtübernahme der Maschinen. »Eine maschinelle Superintelligenz dürfte ein äußerst mächtiger Akteur sein, der sich erfolgreich gegen seine Schöpfer, wie auch gegen den Rest der Welt durchsetzen kann.« (Bostrom 2014: 137) Die zukünftige Verfassung der posthumanen Gesellschaft solle aber »dem Wohl der ganzen Menschheit dienen und im Einklang mit weit verbreiteten moralischen Idealen stehen – und nicht etwa nur derjenigen [Menschheit] nützen, die als erste eine Superintelligenz entwickelt hat« (Bostrom 2014: 438). Aus der Perspektive Moravec’scher KIs machen solche normativen Einhegungsversuche dagegen wenig Sinn, da es sich um eine völlig nachmenschliche Welt handeln würde. Superintelligente Rechenmaschinen seien keineswegs ein neues »Verfahren für menschliche Belange« (Moravec 1993b: 90).

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ZUR KRITIK DES TRANSHUMANISMUS Aus einer sozial- und kulturtheoretischen Perspektive lässt sich eine ganze Reihe von Kritikpunkten am Transhumanismus nennen. Ich unterscheide im Folgenden Kritikpunkte, welche die theoretischen Grundannahmen betreffen, von ideologischen Aspekte im engeren Sinne. Dabei ist aber im Auge zu behalten, dass diese Aspekte miteinander zusammenhängen. Abschließend komme ich zu einer Bewertung und Einordnung des Transhumanismus. Zunächst zu den problematischen Grundannahmen: Technisch-mediales Apriori: Im Kern basiert der Transhumanismus auf der Unterstellung eines technisch-medialen Aprioris der historischen und gesellschaftlichen Entwicklung, d. h. die Kulturgeschichte erscheint als Ausdruck und Anhängsel einer Logik technischer Paradigmenwechsel und zwar insbesondere in der Kommunikations- und Informationstechnologie. Die transhumanistische Sozialtheorie reduziert sich auf eine deterministische Medientheorie, deren Eindimensionalität der historischen und soziokulturellen Komplexität nicht gerecht wird. Singularität: Ray Kurzweils Behauptung eines sich exponentiell entwickelnden Technologisierungsprozesses bis hin zur Singularität ist letztlich eine abstrakte Konstruktion. Sie resultiert ebenfalls aus der Unterstellung eines technischmedialen Aprioris und ignoriert die komplexen Wechselwirkungen zwischen Technologie, Diskursordnungen, Betriebs- und Sozialstrukturen. Etwa bemerkt Heinrich Popitz in seinem techniksoziologischen Klassiker: »Die grundlegenden Artefakte und die grundlegenden Institutionen sind in gleichen Atemzügen entstanden.« (Popitz 1995: 80) Die artifizielle Gesellschaft ist nicht einfach das Ergebnis eines eigendynamischen technologischen Evolutionsprozesses. Überhistorische Optimierungsnorm: Die Verwirklichung von Möglichkeiten zur technologischen Verbesserung ist kulturell keineswegs selbstverständlich, sondern vielmehr erklärungsbedürftig. Der Schritt von der Möglichkeit zur Wirklichkeit erscheint erst im Kontext sehr spezifischer ökonomischer, sozialer und kultureller Verhältnisse zwingend. Hierzu zählen insbesondere wirtschaftliche Rationalisierungsdynamik, gesellschaftsbezogene Gestaltungsdiskurse sowie Individualisierung und Upgradekultur. Die Umsetzung von Verbesserungsmöglichkeiten als Prinzip der menschlichen Evolution zu behaupten, setzt das als Erklärung voraus, was erst erklärt werden soll – nämlich die Optimierung des Menschen.

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Informationstheoretisches Modell des Lebens: Der Transhumanismus unterstellt ein rein informationstheoretisches Modell des Menschen. Leben und personale Identität werden als Informationsschemata konzipiert. Moravec und Kurzweil sprechen vom Upload des Gehirns in Informationsnetzwerke (Moravec 1996, Kurzweil 2014: 199-204). Norbert Wiener begreift die »Individualität des Körpers« als »Schema« aus Nachrichten (Wiener 1964: insbes. 100). Ganz ähnlich sieht Kurzweil einen Menschen als Informations-»Pattern« (Kurzweil 2014: 5 und weitere). »Damit haben wir die Möglichkeit, eine Persönlichkeit mit Lichtgeschwindigkeit von Ort zu Ort zu faxen.« (Moravec 1993b: 85) Was sich hier manifestiert, ist die Idee »eines kontrollierten, technisch transformierten Selbst« (Becker 2000: 55). Dabei wird übersehen, dass es sich bei dem informationstheoretischen Modell des Körpers lediglich um eine Theorie über den Körper handelt. Der leiblichen Gebundenheit sinnhaften menschlichen Handels wird dieses Modell nicht gerecht. Technologische Evolution als Fortsetzung der biologischen Evolution: Kurzweil beschreibt die Sozial- und Kulturgeschichte als Fortsetzung des auf Variation und Selektion beruhenden biologischen Evolutionsprozesses mit anderen, kulturellen und technologischen Mitteln. Aus Perspektive der Philosophischen Anthropologie muss man dagegen einwenden: Technologie sowie Sprache im engeren Sinne kommen in der Tierwelt nicht vor; Vorläufer gibt es höchstens im Tier-Mensch-Übergangsfeld. Das besondere Verhältnis des Lebewesens Mensch zur Welt, zu sich selbst und zu den Artgenossen hebt ihn aus dem Tierreich heraus: Der Mensch ist eine »exzentrische Gestalt des Lebens« (Plessner 1983: 162). Damit ist auch Kultur streng genommen keine ›Umwelt‹, sondern Menschen sind über ihren Kulturkreis immer schon hinaus. Man kann also in Bezug auf das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt nicht von einem geschlossenen Funktionskreis im Sinne Jakob von Uexkülls ausgehen (Uexküll 1956: 27). Kultur und Gesellschaft lassen sich folglich nicht zureichend »als Fortführung der biologischen Vorgeschichte des Menschen« verstehen (Plessner 1983: 141).9 Entsicherung: Zwar diskutiert Kurzweil ausführlich GNR-Risiken (GNR = Gentechnologie, Nanotechnologie, Robotik). Am Ende fällt ihm aber nicht mehr ein als der Werteappell an die nichtbiologische Intelligenz: »Unsere primäre Strategie sollte daher sein, dass zukünftige nichtbiologische Intelligenz unsere Werte reflektiert: Freiheit, Toleranz und Respekt vor Wissen und Vielfalt.« (Kurzweil 2014: 438) Warum etwa eine Gesellschaft aus beliebig austauschbaren Körper-

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Vgl. auch Plessners Kritik an Herbert Spencer (Plessner 1983: 151 f.).

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panzern Werte wie Toleranz und Respekt verinnerlichen sollte, bleibt offen. Viel eher scheint die Vision einer Migration des Menschen in die digitale Sphäre kompatibel mit einer Lebensphilosophie des Krieges aller gegen alle. Denn was sollte nach der vollständigen technischen Reproduzierbarkeit des Menschen einem Verhalten entgegenstehen, das dem Tun in zeitgenössischen OnlineWargames entspricht? Schließlich gibt es keinen Grund, sich bei der Wahl der Mittel zurückzuhalten, weil man jederzeit durch erneutes Upload des Ego-Backups wiederauferstehen kann. Als ideologisch im engeren Sinne erweisen sich folgende Aspekte: Flucht aus dem Körper: Mit der Technowissenschaftlerin Donna Haraway lassen sich die transhumanistischen Konzepte auch als »Informatik der Herrschaft« fassen. Aus der Perspektive der Manager und der neuen kreativen Elite muss das Universum möglicher Objekte als kommunikationstheoretisches Problem formuliert werden. »Jedes beliebige Objekt und jede Person kann auf angemessene Weise unter der Perspektive von Zerlegung und Rekombination betrachtet werden, keine ›natürlichen‹ Architekturen beschränken die mögliche Gestaltung des Systems.« (Haraway 1995: 50) Die Perspektive der Zerlegung und Rekombination stellt demnach eine Herrschaftsperspektive dar, die keine Rücksicht auf Materialität mehr zu nehmen gedenkt. Die Flucht aus dem Körper, welche die kybernetische Informationstheorie auszeichnet, erscheint dabei als ideologischer Ausdruck der globalen, durchökonomisierten und digitalisierten Informationsgesellschaft, die vom Prekaritäts- und Exklusionsbereich der Gesellschaft nichts wissen möchte (Rötzer 1998: 611 f.). Stattdessen wird die Zwischenlagerung der überzähligen Gehirne in Tanks empfohlen und ein zukünftiger Upload in Aussicht gestellt. Der Fairness halber sei hinzugefügt, dass man den Vorwurf der Ignoranz gegenüber der Krise sozialer Sicherheit nicht allein dem Transhumanismus machen kann. Auch in der politischen Elite ist die Anschauung verbreitet, dass man nur aufhören müsse, über Prekarisierung, soziale Entsicherung oder Hartz IV zu sprechen. Ohne mediale Repräsentation kein sozialpolitisches »Problem«. Diese banalisierte Alltagsvariante der Informationstheorie läuft ebenfalls darauf hinaus, Unsicherheitserfahrungen zu ignorieren, ja abzuwerten. Unterwerfung des Lebens: In den transhumanistischen Vorstellungen manifestiert sich immer wieder der Wunsch, »Körperlichkeit […] dem Subjekt vollständig zu unterwerfen und die Spannung zwischen Geist und Körper aufzuheben« (Spreen 2000: 68). Vermittlung, Hybridität, eingeschränkte Autonomie haben in

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dem sozialtheoretischen Rahmen des Transhumanismus keinen Raum, denn es geht darum, ein (scheinbar) vollsouveränes Subjekt zu konstruieren. Der Transhumanismus folgt dem »Traum einer beliebigen Gestaltbarkeit des [...] materiellen Substrats« (Becker 2000: 55). Der Zusammenhang mit der Informatik der Herrschaft ist offensichtlich. Neoliberale Ideologie: Die Ausblendung des Körpers und des prekären Lebens korrespondiert mit letztlich neoliberalen Techniken der Selbstperzeption und der Selbstführung. Der Transhumanismus propagiert ein Menschenbild, in dem mittels technologischer Erweiterungsmöglichkeiten ein souveränes Subjekt die Verantwortung für sein Leben und seinen Körper vollständig übernehmen kann. Es kann sich den Zumutungen der Leiblichkeit wie Krankheit, Behinderung, Alter oder Tod ebenso selbstverantwortlich entziehen, wie sozialen Verortungen nach Klasse, Schicht, Herkunft oder Geschlecht. Der Transhumanismus reiht sich ein in die große neoliberale Erzählung, die empfiehlt, »an sich zu ›arbeiten‹ und Verantwortung für sein Leben zu übernehmen«. Auch er »versucht, das Selbst mit einer Reihe von Werkzeugen für die Bewältigung seiner Angelegenheiten auszustatten, so dass es Kontrolle über seine Unternehmungen gewinnen […] und die Erreichung seiner Bedürfnisse durch seine eigenen Kräfte planen kann« (Rose 2000: 16 f.). Was den Transhumanismus auszeichnet, ist, dass er diese Erzählung um das explizit technologische Moment erweitert. Der Umkehrschluss liegt auf der Hand: Wer sich im integrierten Schaltkreis des Niedriglohnsektors verfängt oder nach einer Abwärtsspirale durch die prekären Arbeitsmärkte ganz im Abseits landet, hat seinen Anspruch auf Subjektivität quasi verwirkt und wird zum Adressaten paternalistischer Sozialstrategien. Während aber die Jobcenter mit mehr oder weniger hilflosen »Aktivierungsstrategien« reagieren, hält der Transhumanismus darüber hinaus noch die Huxley’sche Lösung parat. Diese möchte der »genetischen Wertminderung« entgegenwirken, die in solchen abhängigen Gruppen zum Ausdruck komme. Gemeinsam ist diesen beiden Varianten neoliberaler Sozialpolitik, dass die Betroffenen zum Objekt degradiert werden. Sie gelten nur noch als »bloßes Leben« und nicht mehr als Diskurspartner. Sozialdarwinismus: Dass sozialdarwinistische Obertöne dem transhumanen Optimierungsdiskurs nicht fremd sind, passt durchaus ins Bild. »Einige Variationen«, so liest man etwa bei Moravec in Bezug auf die Eigenschaften nachbiologischer Wesen, »werden sich als effektiver erweisen, und Entitäten, die diese besitzen, werden langsam zahlreicher und verbreitet. Einige werden so uneffektiv, dass die verschwinden« (Moravec 1996: 107). Überträgt man das auf die

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Gegenwart, dann würde das heißen, dass die »Überflüssigen« aus dem »Subprekariat« (Langzeitarbeitslose, arme Rentner etc.), am besten spurlos »verschwinden« sollten. Und bereits Huxley hat ja einen Vorschlag gemacht, wie man das erreichen kann. Dass historisch sensible Kritiker auch Vergleiche zwischen transhumanistischer und nationalsozialistischer Ideologie ziehen, darf daher kaum verwundern.10 Identifikation mit dem Aggressor: Die Schlussfolgerung, den Transhumanismus als ideologischen Ausdruck der aktuellen neoliberalen Verwertungsschleife des Kapitalismus zu begreifen, der sich die Körper quasi vollständig einzuverleiben trachtet, lässt aber eine Erklärungslücke offen. Denn die transhumanistische Identifikation mit der Technologie geht über das hinaus, was aus der ökonomischen Logik ableitbar wäre, zielt diese doch vornehmlich auf Automatisierung und Rationalisierung der Produktion. Die Erzählung von der selbstständigen Bedürfnisbefriedigung mittels Identifikation mit der Technologie gewinnt dagegen an Plausibilität, wenn man sie psychologisch als Angstbewältigung und Identifikation mit dem Aggressor liest. Ob nun atomarer Overkill oder eine NanobotPlage (»Graue-Schmiere-Szenario«11) – neue Technologien ermöglichen die vollständige Auslöschung des Lebens auf der Erde. Identifikation mit dem Aggressor heißt, dass man eine stetige Bedrohung bewältigt, indem man den Aggressor zu einem Teil seiner selbst macht, sich mit ihm identifiziert. »Die Tatsache, dass postatomare Technologie sich der sozialen Erfahrung zuallererst als Destruktionsmittel offenbart, wird verdrängt. Stattdessen wird eben diese Technologie als Medium neuer Humanität verehrt.« (Spreen 2000: 96) Imperialer Imperativ: Im Vorfeld seiner Überlegungen zur kosmischen Ausbreitung der Computerzivilisation gibt sich Kurzweil alle Mühe, um zu beweisen, dass das Universum kein weiteres intelligentes Leben hervorgebracht hat (Kurzweil 2014: 349 ff.). Diese Anschauung teilt etwa auch der dem transhumanistischen Gedankengut sehr nahestehende Physiker Frank Tipler (1994). Dass es »im Wilden Westen des Sonnensystems« (Moravec 1996: 105) und darüber hinaus keine vergleichbar Anderen geben soll, ist aber die Voraussetzung dafür, den »technisch-imperialen Imperativ« (Neswald 1997) moralisch unbedenklich erscheinen zu lassen. »Der Weltraum mag so ›leer‹ erscheinen wie Amerika vor

10 So etwa Joseph Weizenbaum (Pörksen 2000). 11 Selbstreplikative Nanobots transformieren Kohlenstoff, einen wichtigen Baustein des Lebens. Eine außer Kontrolle geratene Nanobot-Plage könnte innerhalb kurzer Zeit die Biomasse auf der Erde in »graue Schmiere« verwandeln (Kurzweil 2014: 411 f.).

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der Ankunft der Pilgerväter. Die Annahme, dass alles einem selbst zusteht, weil sich niemand sonst dort befindet – zumindest niemand von Bedeutung –, ist fester Bestandteil aller Imperialismen.« (Neswald 1997: 82)

SCHLUSS Alles in allem führen diese Kritikpunkte und die zum Teil krude Theoriekonstruktion des Transhumanismus zu dem Schluss, dass die transhumanistische Sozialtheorie kein hinreichendes Modell für die realen »transhumanen« Herausforderungen der Gegenwartsgesellschaft darstellt, welche da wären: ein asymmetrisch polarisierter Arbeitsmarkt, Prekarisierung und Exklusionsdynamik, eine dadurch befeuerte Upgrade- und Leistungskultur, die Individualisierung von Digitalisierungsrisiken sowie die Augmentierung des Menschen unter strukturellen Ungleichheitsbedingungen. Weiterhin ignoriert das transhumanistische Denken die komplexen Wechselwirkungen zwischen technologischer und wissenschaftlicher Entwicklung einerseits und soziokulturellen Prozessen andererseits. Die normative und politische Dimension des Transhumanismus steht damit auf schwachen Beinen; die Unterstellung eines geschichtsübergreifenden Optimierungszwangs bis hin zur Selbstüberwindung kann schwerlich ernst genommen werden. Das zugrunde gelegte informationstheoretische Körpermodell ist schlicht Ideologie. Die soziale Realität der Cyborgerfahrungen wird ausgeblendet, insofern die Flucht aus dem Körper eben die neoliberale Weigerung ausdrückt, sich mit der Realität des prekären Lebens zu befassen. Das Wissen um existenzielle technologische Risiken schlägt vielmehr um in die Identifikation mit der Technologie und den Traum eines Körperpanzers. Vor diesem Hintergrund ist der Transhumanismus als eine Ideologie der bedingungslosen Optimierung zu sehen. Die Verbesserung des Menschen und seiner Lebensmöglichkeiten steht unter gesellschaftlichen und politisch-ökonomischen Bedingungen, die anthropologisch gesehen durchaus begründbare oder sogar wünschenswerte Upgrades des Humanum zur Verdinglichung verkommen lassen. Zunehmend geht es nur darum, beim rat race überhaupt noch ein sicheres Ziel zu erreichen. Soziale Sicherheit ist zu einem exklusiven Bereich der Gesellschaft gemacht worden. Zwar sollen alle die gleichen Startbedingungen erhalten, aber nicht alle können ins Ziel – das ist inzwischen der Sinn der Bildungs- und Chancengleichheitsdiskurse. Im Prinzip muss in etwa jeder zweite auf der Strecke bleiben. Für die verbreitete »Sorge, nicht mehr mithalten zu können« (Wagner 2017: 315) gibt es daher handfeste Gründe. Und damit man nicht selbst zum Prekariat oder gar zu den Überzähligen gehört, die am Wegesrand liegen blei-

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ben, optimiert man sich. Der Transhumanismus gibt zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung ordentlich Weihrauch hinzu. Allerdings weisen Transhumanisten zu Recht auf die Bedeutung des technologischen Fortschritts hin, auch wenn die Annahme einer »Singularität« auf verengten theoretischen Prämissen beruht. Es ist aber leider keineswegs selbstverständlich, dass politische Planung mit einem beschleunigten Fortschritt rechnet. Das lässt sich insbesondere anhand der oben diskutierten IAB-Studie zur Einwirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt illustrieren. Aber auch die ZEW-Studie zeigt sich hinsichtlich der Vorwegnahme des technologischen Fortschritts eher konservativ. Soll die Botschaft sein, dass es so schlimm schon nicht kommen wird? Beschwichtigung ist im Angesicht von Selbstauflösungstendenzen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die durch die Digitalisierung forciert zu werden drohen, aber kaum ein guter Ratschlag. Es gibt gute Gründe, die transhumanistischen Prognosen zumindest als Warnung und Weckruf zu verstehen. Es ist an der Zeit, sozialpolitisch neu zu denken und insbesondere über eine gerechte Verteilung von nicht-prekärer Arbeit in Kombination mit sozialer Sicherheit nachzusinnen. Vor Umverteilungen, die eine Regeneralisierung von »guter« Arbeit und sozialer Sicherheit finanzieren, sollte man daher weniger Angst haben, als vor dem, was eine sozial zutiefst gespaltene Gesellschaft ansonsten politisch hervorbringen könnte. Die Vorboten in Gestalt des Rechtspopulismus sind bereits da und der Zusammenhang mit der politisch-ökonomischen Entsicherung der Gesellschaft liegt auf der Hand (Hilmer et al. 2017). Die transhumanistischen Texte selbst zeichnen die Dystopie einer Vollsubstituierung des Menschen, deren digitale Schatten vielleicht noch auf Festplatten zwischengelagert werden bis sie nach und nach vergehen oder getreu dem Prinzip des survival of the fittest von KIs verdrängt werden. Insgesamt gesehen ist der Transhumanismus daher keine zeitgemäße Erscheinungsweise des Humanismus, wie er es behauptet. Vielmehr bleibt sein Versprechen, die zukünftige Gesellschaft mithilfe des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts menschlich zu gestalten, gewissermaßen leer. Aus der hier eingenommenen Perspektive kommt es dagegen weniger darauf an, über die Ersetzbarkeit des Menschen zu debattieren und zu spekulieren, ob die Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt zur Überflüssigkeit des Menschen oder zu seiner digitalen Wiedergeburt führt. Vielmehr muss es darum gehen, die gravierenden Transformationsprozesse in den Blick zu nehmen, die bereits im Gange sind. Diese betreffen einerseits die Frage der sozialen Sicherheit. Das in Deutschland derzeit verfolgte Modell eines zweigleisigen Systems aus abgespeckter Arbeitslosenversicherung und ausgeweiteter Sozialhilfe ist keine

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zureichende Antwort auf die asymmetrische Polarisierung des Arbeitsmarktes, die bereits in der Gegenwart erhebliche strukturelle Irritationen im gesellschaftlichen Zusammenhang zur Folge hat und die sich mit der Digitalisierung weiter verstärken kann. Weil dieses zu Beginn des 21. Jahrhunderts eingeführte »Sicherungssystem« mit einer Arbeitsmarktpolitik, die in der Förderung des Niedriglohnsektors und atypischer Beschäftigungsformen ein probates Mittel gegen Massenarbeitslosigkeit erkannte, zutiefst verwoben ist, kann es auf diese Frage gar nicht angemessen antworten. Es ist Teil des Problems. Ansätze einer Lösung könnte der kürzlich eingebrachte Vorschlag zu einem Solidarischen Grundeinkommen (SGE) bieten. Der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), schlägt vor, einen neuen Arbeitsmarkt einzurichten, auf dem »gesellschaftliche« Dienstleistungen erbracht werden können. Die Arbeitsplätze sollen unbefristet sein und entweder tarifgebunden oder auf Basis des Mindestlohns entlohnt werden; die Übernahme der Arbeit ist freiwillig, kann also nicht von Jobcentern erzwungen werden (Müller 2018, Bach/Schupp 2018). Außerdem wird darüber nachgedacht, die Grundsicherung (»Hartz IV«) von Sanktionen zu befreien, sie faktisch also in ein unbürokratisch gewährtes Grundeinkommen zur gesellschaftlichen Teilhabe umzuwandeln. Das SGE sieht somit die Einrichtung eines sicheren Arbeitsmarktes in der Zone der Verwundbarkeit (also ergänzend zum Jedermanns-Arbeitsmarkt und zu den Puffermärkten) vor. Damit wird die Zone sozialer Sicherheit erheblich ausgedehnt, tendenziell sogar regeneralisiert, weil ein solcher Arbeitsmarkt auch das Potenzial hat, die fatale Verstrickung der Jobcenter und Arbeitsagenturen in die Logik sozialer Verunsicherung und Deklassierung aufzuheben. Andererseits betreffen diese Transformationsprozesse das Verhältnis zwischen Körper und Technik. Die strikte Trennung zwischen Natur und Technik wird im Rahmen des Optimierungsdispositivs unterwandert. Hier kommt es aber ganz wesentlich darauf an, die mit der Technisierung des Körpers selbstverständlich drohenden Autonomieeinbußen zu thematisieren und diesen Wandel im Sinne der Verbesserung der individuellen Lebensqualität zu gestalten. Denn ansonsten droht in der Gesellschaft eine entfremdete Selbstoptimierung um sich zu greifen, die subjektiv schlicht dadurch motiviert wird, irgendwie nicht abgehängt zu werden. Mit Autonomie und individueller Selbstbestimmung hat das nichts zu tun. Was das heißt? – Die technologischen und sozialen Chancen der Cyborggesellschaft erkennen und ihre Risiken mindern, denn zurück geht es nicht.

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Die Rückkehr der Magier Die KI als Lapis philosophorum des 21. Jahrhunderts B ERND F LESSNER Verkehre und verändere die Naturen, so wirst du dasjenige finden, was du suchest. […] Unser Werk ist eine Conversion oder Verkehrung der Leiber, von einer Wesenheit zu der anderen, von einem Ding in ein anderes; Aus Schwachheit in Macht und Stärke […], bis der vollkommene Mensch formiret ist […] Nicolas Flamel 1771: 134 f.

ERFOLGE DER KI-ENTWICKLUNG BEFLÜGELN DEN TRANSHUMANISMUS Der fortschreitende, digitale Transformationsprozess hat zur Rettung der optimistischen Prognosen jener Informatiker und Technophilen beigetragen, die nach der gerne als legendär bezeichneten Konferenz am Dartmouth-College 1956 in Hanover, New Hamshire, eine baldige Realisierung Künstlicher Intelligenz verkündeten. Sah es jahrzehntelang nach einem leeren Versprechen aus, so deutet die Entwicklung im 21. Jahrhundert auf ein tatsächliches Einlösen zumindest einiger der gewagten Prognosen hin (Jungk/Mundt 1969; Harari 2017). Smarte Algorithmen übernehmen inzwischen sogar Aufgaben und Funktionen, die bislang nur Akademikern vorbehalten waren. Unter dem Kürzel Legal Tech lösen Algorithmen juristische Probleme, während andere Algorithmen als Fin Tech oder Insur Tech Banken und Versicherungen tendenziell überflüssig machen. In verschiedenen Medien finden sich zunehmend Texte, die von Algorithmen stammen und als Roboterjournalismus selbst für Schlagzeilen sorgen. Sogar

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als Drehbuchautoren sind Algorithmen inzwischen aktiv (Heller 2016). Ein Vorstoß in andere Felder der Kreativität zeichnet sich längst ab, so dass auch die Kreativität nicht mehr länger als menschliches Alleinstellungsmerkmal betrachtet werden kann (Flessner 2016). Und selbstverständlich sind der digitale Transformationsprozess selbst, das Internet der Dinge sowie das Projekt einer Industrie 4.0 ohne künstliche neuronale Netzwerke und smarte Algorithmen kaum vorstellbar. Es spricht viel dafür, dass es sich bei der vierten Kränkung der Menschheit (nach jenen von Kopernikus, Darwin und Freud) tatsächlich um die kybernetische handelt, wie schon länger vermutet wurde (Heßler 2012: 159). Die aus ihr sowie dem digitalen Transformationsprozess resultierenden Ängste vieler Bürger prägen auch die aktuelle Modernisierungskrise mit (Lanier 2014; Harari 2017: 377 ff.). Der digitale Transformationsprozess und die jüngsten Erfolge der KIEntwickler haben nicht nur zu einem entsprechenden, medial forcierten Hype geführt, sondern auch die Aufmerksamkeit für eine eng mit der Künstlichen Intelligenz verbundenen Bewegung erhöht, dem Transhumanismus. Deren Vertreter, darunter Raymond Kurzweil (Kurzweil 2016) und Nick Bostrom (Bostrom 2014), haben den Hype genutzt, um in neuen Publikationen die bereits bekannten Thesen zu modifizieren, zu aktualisieren und vor allem zu unterstreichen. Bostrom schreibt zufrieden: »Die KI-Forschung hat etwas von ihrem alten Glanz zurückgewonnen.« (Bostrom 2014: 36) Zuletzt hatte es eine derartige publizistische Offensive in den 1990er Jahren gegeben (Vinge 1993; Moravec 1990). Eine Untergruppe innerhalb der transhumanistischen Bewegung nennt sich Extropianer, verfolgt jedoch ebenfalls klare transhumanistische bzw. posthumanistische Ziele. Selbst eine knappe Skizzierung der Thesen und Visionen der führenden Transhumanisten würde indes den gesetzten Rahmen sprengen, ganz zu schweigen von einer kritischen Diskussion der Gemeinsamkeiten und Widersprüche der exemplarisch genannten Autoren. So lehnen beispielsweise Transhumanisten wie Nick Bostrom Nietzsches Konzept des Übermenschen ab, während andere sich auf dieses Konzept berufen. Vielmehr soll anhand einiger grundlegender Prämissen gezeigt werden, wie sich der Transhumanismus an einer Wiederverzauberung der Welt beteiligt und diesen Zauber für die Verbreitung seiner Ziele nutzt. Ziele, die zudem aus der Magie und Alchemie bekannt sind.

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WISSENSCHAFTLICHKEIT ALS LEGITIMATION In einem Interview mit dem Medienwissenschaftler Gundolf S. Freyermuth, betonte Max More, der eigentlich Max T. O’Conner heißt und einer der Gründerväter der transhumanistischen Bewegung ist, explizit die Bedeutung der Aufklärung für den Transhumanismus: »Wir sind die neue Aufklärung. […] Wir bauen auf den klassischen Ideen der Aufklärung auf und versuchen, aus ihnen Ideen für die Zukunft zu gewinnen« (zit. n. Freyermuth 1996: 253). Ähnlich lautende Verweise und Bezüge finden sich auch bei anderen Vertretern des Transhumanismus, etwa bei Nick Bostrom (Bostrom 2011: 2) oder Ray Kurzweil (Kurzweil 1993: 28). Laut Stefan Lorenz Sorgner, Philosoph und selbst Anhänger des Transhumanismus, »versteht sich der Transhumanismus als zugehörig zur Tradition der Aufklärung« (Sorgner 2016: 101). Diese immer wieder bemühte Legitimation transhumanistischer Vorstellungen und Visionen ist nicht schwer nachvollziehbar, denn der Aufklärung verdankt die Computertechnologie schließlich ihre wissenschaftlich-technischen, kulturellen wie ökonomischen Grundlagen. Nicht weniger häufig wird auf die Rationalität in ihren verschiedenen Varianten verweisen. »Transhumanism has roots in rational humanism«, betont denn auch Nick Bostrom (Bostrom 2011: 3), während Max More explizit versichert, der Transhumanismus sei durch »rational thinking« geprägt (More/Vita-More 2013: 5). Auch Sorgner (Sorgner 2016: 66) und Kurzweil (Kurzweil 1993: 31) nennen immer wieder die Rationalität als eine der tragenden Wurzeln des Transhumanismus. So unterschiedlich sich die jeweiligen Anhänger trans- und posthumaner Ideen bisweilen in Detailfragen auch äußern, in Bezug auf die Aufklärung und die von ihnen ins Feld geführte Rationalität herrscht Einigkeit. Auf keinen Fall, so wird regelmäßig argumentiert, basiere der Transhumanismus auf irrationalen Vorstellungen oder Traditionen. Exemplarisch ist das Statement des amerikanischen Computerwissenschaftlers und Kryonik-Experten Mike Perry, der in einem Interview des Magazins Wired größten Wert darauf legt, die avisierte, technologisch realisierte Unsterblichkeit von anderen, nichtrationalen Vorstellungen klar zu unterscheiden: »Immortality is mathematical, not mystical.« (Zit. n. Regis 1994) Perry nennt hier einen weiteren Grundpfeiler transhumanistischen Denkens, die auf Logik basierende Mathematik, die mit Unlogischem nun einmal nicht vereinbar sei. Es versteht sich von selbst, dass Pioniere der Binärarithmetik wie Gottfried Wilhelm von Leibniz und George Boole zu den Ikonen des Transhumanismus zählen. Deren »Theorie der binären Logik und Arithmetik [ist] noch immer die Grundlage des modernen Rechnens mit dem Computer«, konstatiert Kurzweil zu Recht (Kurzweil 1993: 164). Als weitere Ikone nennt er den briti-

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schen Mathematiker Alan Turing und hebt dessen Theorie der Berechenbarkeit hervor. Alle als entscheidbar definierten Aufgaben bzw. Probleme können dank Turing gelöst werden, wobei Kurzweil auch eingesteht, dass es unentscheidbare Probleme gibt, die durch einen Algorithmus nicht gelöst werden können (Kurzweil 1993: 109). Auch folgt er Turing in der Interpretation des menschlichen Gehirns als denkende Maschine. Diese Mensch=Maschine-Analogie verweist wiederum auf die Aufklärung. Der bretonische Arzt und radikale Aufklärer Julien Offray de La Mettrie hatte in seiner Schrift L’homme machine (1848) den Menschen als rein mechanisches Uhrwerk beschrieben, was ihn für Bostrom ebenfalls zum Vordenker des Transhumanismus macht (Bostrom 2011: 3). Die Metapher wurde im 20. Jahrhundert modernisiert und den informationstechnologischen Konzepten angepasst: Aus dem Uhrwerk wurde so ein biochemischer Mechanismus, ein organischer Algorithmus, aus dem Menschen eine datenverarbeitende Maschine (Kurzweil 1993: 119 ff.; Bächle 2015: 32 ff.; Harari 2017: 442 ff.). Das Konzept der Berechenbarkeit der Welt, auf dem unser wissenschaftlichtechnisches Zeitalter und auch der Transhumanismus basieren, ist indes ebenfalls im Kontext der Aufklärung entstanden. In ihrer Dialektik der Aufklärung konstatieren Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zu Recht: »Die Zahl wurde zum Kanon der Aufklärung.« (Horkheimer/Adorno 1971: 10) Die Zahl symbolisiert die »Sehnsucht aller Entmythologisierung«, steht für die Abkehr von mythologischen, tradierten, narrativen Erklärungsmodellen und für die Hinwendung zu rationalen, verifizierbaren, vergleichbaren, säkularen, formalisierbaren Erklärungsmodellen (Horkheimer/Adorno 1971: 10). Ohne die Karriere der Zahl sind die Verwissenschaftlichung und Digitalisierung unserer Welt gar nicht denkbar, wäre die Erfolgsgeschichte des Algorithmus nicht möglich gewesen (Bächle 2015: 50 f.). Hinter dem Konzept der Berechenbarkeit der Welt verbirgt sich bekanntlich ein Konzept der Herrschaft, das schon sehr früh von dem englischen Philosophen Francis Bacon dargelegt worden ist, nicht zuletzt in seiner posthum veröffentlichten Utopie Nova Atlantis. Dort heißt es in Bezug auf das Haus Salomons, der Forschungseinrichtung der fiktiven Staates: »Der Zweck unserer Gründung ist die Erkenntnis der Ursachen und Bewegungen sowie der verborgenen Kräfte in der Natur und die Erweiterung der menschlichen Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen.« (Bacon 1960: 205) Selbstverständlich ist in der Forschungseinrichtung auch ein »Haus der Mathematik« zu finden, ohne die das Ziel, die Erweiterung der menschlichen Herrschaft, nicht realisierbar ist (Bacon 1960: 212). Um dieses Ziel zu erreichen, setzen die Neuatlantiden auf eine zwei-

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te Erschaffung der Welt, auf »künstliche Menschen« und »durch Gleichmaß und Feinheit ausgezeichnete Automaten« (Bacon 1960: 212). Früh identifizierte Bacon in der Wissenschaft und der Mathematik die neuen Schlüssel zur Herrschaft über Welt und Natur. Die alten Schlüssel, eingebettet in die großen Erzählungen, in Mythen, Magie und Alchemie, antiquieren zusehends und verlieren an Kraft (Lyotard 1986: 175) Der Soziologe Max Weber verwendet in diesem Kontext den Begriff des Zaubers, der in Folge der Aufklärung der Mathematik, der Berechnung, weichen muss: »Wer von uns auf der Straßenbahn fährt, hat – wenn er nicht Fachphysiker ist – keine Ahnung, wie sie das macht, sich in Bewegung zu setzen. Er braucht auch nichts davon zu wissen. […] Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also nicht eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten. Sondern technische Mittel und Berechnung leisten das.« (Weber 1985: 593)

Ein weiterer Name darf nicht fehlen, wenn es um die Legitimation transhumanistischer Vorstellungen geht. Diesmal ist es kein Aufklärungsphilosoph oder Mathematiker, sondern der Naturforscher Charles Darwin. Seine Evolutionstheorie dient als Basis, um den Menschen als eine Art Missing Link einer bis in ferne Zukünfte reichenden Big History zu interpretieren. Darwins Theorie wird in der Regel zwar zugestimmt, gleichzeitig aber deren Begrenztheit bemängelt, da sie aus der Entdeckung der evolutionären Prozesse keine Konsequenzen für die Zukunft ziehe. Dieser Herausforderung sehen sich die Transhumanisten gewachsen: »Für uns stellt die Menschheit nur ein Übergangsstadium im Prozess der Evolution von Intelligenz dar und wir befürworten den Einsatz von Technik, um unseren Übergang vom menschlichen zum transhumanen oder posthumanen Zustand zu beschleunigen.« (More 1998) Der Prozess der natürlichen Evolution wird dabei gerne personifiziert, wobei der Anthropomorphismus soweit reicht, der Evolution mangelnde Intelligenz zu unterstellen, als sei sie eine denkende und handelnde Person. So behauptet etwa Kurzweil, »dass ihr Intelligenzquotient nur wenig über Null liegt« (Kurzweil 1993: 21). Auch in jüngeren Publikationen behält er den Anthropomorphismus bei, wenn er formuliert: »Die Evolution hat glanzvolle Errungenschaften vorzu-

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weisen«, die zu vergleichen seien mit den »Errungenschaften des Menschen« (Kurzweil 2016: 82 f.). Beide, Evolution und Mensch, werden als konkurrierende Schöpfer interpretiert und nach sportiven Kriterien verglichen. Wer ist schneller? Wer ist intelligenter? Wer kann mehr Daten verarbeiten? Als Sieger, als Deus ex machina, wird dann die Maschine selbst präsentiert, während Evolution und Mensch an den von Transhumanisten definierten Fortschrittszielen scheitern (Kurzweil 2016: 83). Als Schwachstellen oder, wie Kurzweil es formuliert, »Schönheitsfehler« der personifizierten Evolution wurden schon von den Erfindern der Künstlichen Intelligenz die beiden korrespondierenden Faktoren Zufall und Zeit ausgemacht (Kurzweil 2016: 81). So konstatiert Marvin Minsky bereits 1969: »Die Maschinen haben in den letzten hundert Jahren in ihrer Arbeitsweise einen Fortschritt erzielt, für den die Biologie und das Verhalten der Lebewesen eine Milliarde Jahre gebraucht haben. […] Die Geschwindigkeit der Maschinenentwicklung ist millionenmal größer, weil wir verschiedene Verbesserungen einfach miteinander verbinden können, während die Natur vom zufälligen Zusammentreffen von Verbesserungen abhängt.« (Minsky 1969: 12)

Erklärtes Ziel der Transhumanisten ist es, sich von dieser Abhängigkeit zu emanzipieren oder sie komplett zu eliminieren, denn jegliche Form von Kontingenz widerspricht der Idee eines der Evolution immanenten, teleologischen Plans. Diesen aber glauben die Transhumanisten entdeckt zu haben. Demnach lässt sich die Evolution in drei Phasen unterteilen, die natürliche, die technologische, von Menschen gesteuerte, und die posthumane, autonome, reine Technoevolution, die alles Natürliche inklusive des Menschen überwunden hat. Vor allem Kurzweil thematisiert regelmäßig diese drei Phasen: »Wenn wir die Geschwindigkeit des menschlichen Fortschritts mit der Evolution vergleichen, so spricht vieles dafür, dass wir weit intelligenter sind als der überaus langsame Prozess, der uns geschaffen hat. […] Vermutlich verfügen unsere Maschinen in einigen tausend Jahren über eine vergleichbar hohe oder sogar noch höhere Intelligenz als wir. Die Menschen werden dann eindeutig der Evolution überlegen sein und in Jahrtausenden mehr erreicht haben als die Evolution in Milliarden von Jahren.« (Kurzweil 1993: 21)

Als dritte Phase folgt dann die Herrschaft der intelligenten Maschinen, die Herrschaft der »Superintelligenz« als Krone und Vollendung des evolutionären Prozesses (Vinge 1993; Bostrom 2014: 131 f.). Kurzweil spricht von einer »Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln« und nennt die Abfolge der drei Phasen

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»zwangsläufig«, da sie im evolutionären Prozess fest verankert sei und von diesem selbst hervorgebracht werde (Kurzweil 2016: 37 ff.). Als Agens aller Phasen, auch der ersten, natürlichen, identifiziert er primär die Rechenleistung, also die Anwendung mathematischer Prinzipien und Regeln, um bestimmte Resultate zu erzielen: »Die Fähigkeit, Probleme zu erkennen und sie zu lösen – Rechenleistung zu erbringen –, wurde zu einer Triebfeder bei der Entwicklung mehrzelliger Organismen.« (Kurzweil 2016: 47) Wieder wird die Metapher vom Leben als organischer Algorithmus bemüht und stützt so die These vom dreistufigen Plan der Evolution, die auf klaren, mathematischen, determinierten Funktionen basiere. Ja, sogar das Leben selbst basiere auf mathematischen Strukturen und Information und ist laut Craig Venter, einem der führenden Biochemiker, daher auch berechen- und beherrschbar: »Wir haben herausgefunden, dass wir ganz eindeutig durch DNA-Software betriebene Informationsmaschinen sind.« (Zit. n. Mejias 2010) Konsequent wird »der genetische Code […] zum exklusiven Informationsträger stilisiert – als DNASoftware, die auf einer Hardware ablaufen kann« (Bächle 2015: 153). Venter sieht im Resultat der bisherigen Evolution eine Art Baukasten, dessen Bricks die Synthetische Biologie nach Belieben zu neuen Spezies zusammensetzen kann. Die Kriterien für die neuen Kunstwesen glauben Transhumanisten schon lange zu kennen und sehen sich daher, wie More es formuliert, als »Avantgarde der Evolution«. Er fügt hinzu: »Wir beschleunigen die Fortentwicklung der menschlichen Rasse.« (Zit. n. Freyermuth 1996: 254) Dieses Vorhaben aber bedeutet, dass wir »die genetische Evolution beenden« und durch eine artifizielle ersetzen (zit. n. Freyermuth 1996: 254). Die Legitimation leiten die Transhumanisten wiederum aus Darwins Evolutionstheorie im Besonderen und moderner Kosmologie im Allgemeinen ab (Kurzweil 2016: 47 ff.). Der Transhumanismus setzt also lediglich eine säkulare Entelechie um, einen immanenten Plan, den das Universum und die Evolution vorgegeben haben, einen Plan, der auf den Naturgesetzen basiert und eine heute noch unvorstellbare »Intelligenzdichte« sowie eine entsprechende »Datenverarbeitungsdichte« zum Ziel hat, mit der sich sogar die Entropie am Ende des Universums, auch als Big Chill bekannt, beherrschen lässt (Kurzweil 2016: 399). Diese finale Intelligenz- und Datenverarbeitungsdichte symbolisieren zugleich das Erreichen der von den Trans- und Posthumanisten avisierten und als determiniert interpretierten Vollkommenheit (vgl. Flessner 2001: 145 ff.): Sämtliche »Schönheitsfehler« der Evolution sind korrigiert, Sterblichkeit inklusive; das Universum wird von einer posthumanen Superintelligenz beherrscht. Allerdings stehen der Big Chill, der Big Crunch, der Big Rip, der Big Bounce oder ein anderes Finis Mundi erst in vielen Billionen Jahren an.

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Somit konzentrieren sich die Transhumanisten auf die aktuell und in naher Zukunft realisierbaren Upgrade- bzw. Enhancement-Maßnahmen, die den Menschen zunächst in einem etwas kleineren Rahmen vervollkommnen sollen, um wenigstens für eine gewisse Zeit mit den Resultaten und Produkten einer beschleunigten Technoevolution konkurrieren zu können. Im Angebot sind Cyborgisierung ebenso wie gentechnische Konzepte. Prämisse ist immer die diagnostizierte Unvollkommenheit des Menschen in Relation zu seiner Technik, die mithilfe eben dieser Technik behoben werden soll. Die Technik, die Maschine, der Algorithmus dienen dabei als Referenz. Für die zweite Phase, also die transhumane Phase, lautet daher die Devise: »Imitatio machinae« (Flessner 2001). Sie garantiert zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Menschen in der aktuellen Wettbewerbsökonomie und ihrer Upgradekultur (Spreen 2015). In diesem Kontext kann der Transhumanismus auch als (ökonomische) Heilslehre angesehen werden, die Rettung in einer Welt verspricht, die von digitaler Transformation und Dataismus geprägt wird (Noble 1997: 143 ff.; Harari 2017: 497 ff.). Als Heilslehre hat sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber alten, traditionellen Erzählungen, nämlich jenen, auf die Moderne als Legitimation verweisen zu können, auf den Humanismus, die Aufklärung, die Mathematik, die Rationalität, die Logik, auf Darwin und Turing, auf die modernen Naturwissenschaften. Der Transhumanismus sowie dessen Spielart, der Extropianismus, sind nach eigenem Bekunden neu und distanzieren sich von den alten Erzählungen. »Der Extropianismus ist die erste Philosophie nach dem Scheitern der traditionellen Denksysteme am Ende dieses Jahrhunderts [des 20. Jahrhunderts, B.F.]. Wir entwickeln die erste systematische Philosophie für das nächste Millennium«, versichert Max More (zit. n. Freyermuth 1996: 252).

DIE VERVOLLKOMMNUNGS-DOKTRIN Bei dem bereits zitierten Interview, das Gundolf Freyermuth 1996 mit Max More führte, fielen ihm auch Widersprüche zwischen den ambitionierten philosophischen Proklamationen und der soziokulturellen Atmosphäre auf; ihm fiel etwa auf, »wie sehr das extropianische Menschenbild von den Obsessionen des südkalifornischen Lifestyles geprägt ist« (Freyermuth 1996: 252). Einen Lifestyle, den Freyermuth wie folgt beschreibt: »Fitness- und Gesundheitswahn, Jugendlichkeitskult inklusive der Verdrängung von Alter und Tod, Sucht nach Selbsthilfe und Umgestaltung des Selbst, das unentwegte Verlangen nach Stärkung der eigenen Person, ob nun durch Selbstverteidigungstechniken oder durch

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Ruhm und Reichtum, ungebrochene Faszination von Technik und Psychotechnik.« (Freyermuth 1996: 252)

Noch dazu kommt ihm »der Extropianismus eher romantisch als aufklärerisch vor, mehr phantastisch als materialistisch« (Freyermuth 1996: 253). Zwar handelt es sich hier lediglich um persönliche Eindrücke eines journalistisch aktiven Medienwissenschaftlers, dennoch reflektieren, sie den Zeitgeist wie den Genius loci, die die Entstehung der transhumanistischen Idee zumindest beeinflusst haben. Sie reflektieren auch die Orientierungskrise, die nach dem Verschwinden der globalpolitischen Bipolarität am Ende des 20. Jahrhunderts immer evidenter geworden ist. Der Neoliberalismus war nicht mehr länger bloßes wirtschaftspolitisches Paradigma, sondern durchdrang als ideologisches Konzept zusehends alle Bereiche der Gesellschaft und ebnete der Upgradekultur den Weg (Brown 2015; Spreen 2015). Die permanente Vervollkommnung, die fortwährende Selbstoptimierung ist denn auch konstitutives Element des Transhumanismus, dass die Philosophie ausdrücklich impliziert, wie More versichert: »Extropianismus ist halt ein Denksystem, das unentwegt im Fluss ist und sich entwickelt wie die Evolution selbst. Wir sind auf der Höhe der Zeit, und da bleiben wir.« (Zit. n. Freyermuth 1996: 252) Optimierung von Körper und Geist, Anpassung an die »beschleunigte Schnelligkeit des modernen Wirklichkeitswandels«, wie es Odo Marquard nennt, an die sich permanent ändernden Konditionen des Marktes ist durch bisherige Vervollkommnungskonzepte und -strategien nicht mehr zu realisieren (Marquard 1986: 82). Die tradierten Erzählungen und Konzepte versagten angesichts der Anpassungsleistungen, die das wissenschaftlich-technische Zeitalter und dessen Ökonomie nun verstärkt erforderte. Tradierte Ideale unterschiedlicher Provenienz, die Vollkommenheit von Göttern, pädagogische Konzepte und andere Wege der Vervollkommnung hatten keine Chance mehr gegenüber dem neuen Paradigma der Maschine (Flessner 2001; Flessner 2006). Wer sich deren repetitiven Mustern, deren Logik, deren Regeln, deren Effizienz, deren rationaler Sequenzierung von Prozessen nicht beugt, wird, wie Chaplins Tramp in Modern Times, zum Modernisierungsverlierer oder sogar zum Ludditen, selbst wenn kein bewusster Akt vorliegt. Im Falle von Chaplins Tramp reicht es aus, vom Tempo der Maschine überfordert zu sein. Das wissenschaftlich-technische Zeitalter erforderte Verbesserungskonzepte, die den Konditionen dieses Zeitalters selbst entstammten, nämlich einer »Vervollkommnung des Menschen durch wissenschaftlichen Fortschritt« (Passmore 1975: 197). Als eines der Resultate dieser Entwicklung hat Günther Anders das »promethische Gefälle« beschrieben, die zunehmende Dichotomie von maschineller

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Vollkommenheit und menschlicher Unvollkommenheit, die wiederum zur »promethischen Scham« führt, zu einem Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber der Maschine (Anders 1980: 23). Doch Anders kennt auch eine mögliche Therapie, die promethische Scham zu überwinden, nämlich einen simplen Seitenwechsel: »Der Mensch desertiert ins Lager seiner Geräte«, was zugleich die »Bejahung der eigenen Verdinglichung« impliziert (Anders 1980: 30 f.). Doch während andere Menschen diesen Weg unreflektiert und gezwungenermaßen einschlagen, haben sich More, Minsky, Kurzweil, Moravec und andere Vertreter des Transhumanismus explizit für diese »Therapieform« entschieden (Flessner 2006). Eine Therapieform, die ausgezeichnet in das von Freyermuth beschriebene, kulturelle Klima Südkaliforniens am Ende des 20. Jahrhunderts passt: Imitatio machinae. Nur die Orientierung an der Maschine ermöglicht jene permanente Optimierung von Körper und Geist, den die neoliberale Ideologie verlangt. Mithalten im Wettrüsten der Maschinen, indem man selbst zur Maschine wird. Überleben, indem man letztendlich das Leben überwindet. Plötzlich verliert die Modernisierungskrise ihren Schrecken, ist die Suche nach Orientierung beendet, wird sie vielmehr als Chance begriffen, die im Kontext der Modernisierungskrise verloren geglaubte Herrschaft über die Natur und die Dinge zurückzuerlangen. Verloren geglaubt, weil der Mensch sie als unvollkommener Mensch verloren hat. Als transhumanistisches, digitalisiertes Superwesen jedoch, als Upgradeversion des alten, viel zu langsamen, antiquierten Homo sapiens sapiens, steigen die Chancen, auf dem Markt der Superlative wieder mithalten zu können. »Reinventing man« haben Igor Aleksander und Piers Burnett dieses Konzept betitelt, dass den Menschen auf der erreichte Level der (denkenden) Maschinen transportiert und zum Übermenschen macht (Aleksander/Burnett 1983). Wissenschaftlichtechnisch vervollkommnet, kann der Mensch das Wettrüsten der Maschinen noch lange durchhalten. Bevor dann die dritte, die posthumane Phase beginnt, die den Menschen nicht mehr impliziert. Oder vielleicht doch? Bereits 1946 hatte der amerikanische Wissenschaftsjournalist und Scientific-American-Mitarbeiter Waldemar Kaempffert als mögliches Ziel einer zukünftigen Wissenschaft eine »Entkörperlichung des Lebens« ausgemacht (Kaempffert 1946: 161). Erst wenn der Wissenschaft dies gelänge, so seine Vermutung, wird sie »ihren höchsten Triumph erreicht haben« (Kaempffert 1946: 161). Noch vor Günther Anders, Vilém Flusser und den Transhumanisten hatte Kaempffert den menschlichen Körper als eine Art Fortschrittsbremse ausgemacht. Eine Lösung hatte er nicht parat, war aber, aus der Perspektive des Transhumanismus, auf der richtigen Spur. Denn selbst an einer posthumanen Zukunft könnte der Mensch noch partizipieren, wenn es gelänge, sich seines Körpers komplett zu entledigen, ohne jedoch zu sterben. Der Ausweg aus

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der transhumanen Falle, das jedes Enhancement, jede Cyborgisierung irgendwann auch an Grenzen stößt, geht auf den amerikanischen Gerontologen George M. Martin zurück, der 1971 nach Möglichkeiten gesucht hat, den menschlichen Geist nach dem Tod zu retten. Seine Idee ist einfach: Sobald der wissenschaftlich-technische Fortschritt die nötigen Instrumente bereitstellt, wird der Geist von der alten Hardware – dem Gehirn – auf die neue – den Computerchip – transferiert. Er folgt dabei dem bekannten Dualismus von Körper und Geist und bereitet ihn für den Transhumanismus auf. Das Mind-Uploading ist die wohl radikalste Utopie des Trans- bzw. Posthumanismus: »We shall assume that developments in neurobiology, bioengineering and related disciplines […] will ultimately provide suitable techniques of ›read-out‹ of the stored information from cryobiologically preserved brains into nth generation computers capable of vastly outdoing the dynamic patterning of operation of our cerebral neurones. We would then join a family of humanoid ›post-somatic‹ bio-electrical hybrids capable of contributing to cultural evolution at rates far exceeding anything now imaginable.« (Martin 1971: 339)

Nicht viel anders beschreibt Kurzweil fast 30 Jahre später den Vorgang, der fester Bestandteil transhumanistischer Vorstellungen ist. Radikaler kann die von Anders konstatierte Desertion kaum gedacht werden: »Human and machine have already begun to meld. It starts with uploading, or scanning the brain into a computer. One scenario is invasive: One very thin slice at a time, scientists input a brain of choice-having been frozen just slightly before it was going to die-at an extremely high speed. This way, they can easily see every neuron, every connection and every neurotransmitter concentration represented in each synapse-thin layer.« (Kurzweil 2000)

Nach der transhumanen Phase, in der Körper und Geist – soweit möglich – technisch vervollkommnet wurden, lässt der Mensch in der dritten posthumanen Phase den Körper zurück, den der Medienphilosoph Vilém Flusser als »Spielverderber« eben jener Desertion bezeichnet hat (Flusser 1992: 144). Anders spricht von der »Sturheit des Leibes«, dem die Deserteure mit »Human Engeneering« auf denselben rücken wollen (Anders 1980: 35). Das »Lebendige«, so seine These, werde zunehmend als »starr und unfrei« empfunden, »die toten Dinge« dagegen als »dynamisch und frei« (Anders 1980: 34). Beim Neid auf die Maschinen spielt der menschliche Körper also eine zentrale Rolle. Während die Transhumanisten hoffen, den Geist durch ein Mind-

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Uploading retten zu können, sehen sie den Körper als letztendlich ungeeignet für eine posthumane Zukunft an. Als wesentlichen Grund nennt der Roboterpionier Hans Moravec einen Hauptbestandteil des Körpers. Denn seiner Überzeugung nach »[…] ist Protein ein ungeeignetes Material. Es ist nur in einem schmalen Temperatur- und Druckbereich stabil, reagiert sehr empfindlich auf Strahlung, lässt viele Herstellungsweisen nicht zu und ist mit einer großen Zahl von Bauelementen inkompatibel.« (Moravec 1990: 151)

Die Verdinglichung bedarf keiner weiteren Erläuterung, allein die Verwendung des Begriffs »Material« und technischer Parameter lassen keinen Zweifel daran, dass hier die Mensch=Maschine-Analogie zur Kritik am Körper geführt hat. Auch Kurzweil verweist auf den »gravierenden Nachteil« des Proteins und beruft sich genau auf jene oben zitierten Sätze von Hans Moravec (Kurzweil 2016: 221). Und er folgt ihm auch in der Argumentation gegen eine transhumanistische Beibehaltung des Körpers, der den Übergang in eine posthumane Ära nur verzögern würde: »Zu diesem Zeitpunkt werden gentechnisch hergestellte Übermenschen nur eine Roboterart zweiter Klasse sein, deren Konstruktion von vornherein unter dem Handikap leidet, daß sie auf die DNA-gesteuerte Proteinsynthese angewiesen ist.« (Moravec 1990: 152)

Mit dem wie auch immer manipulierten Körper, so die Konsequenz, kann der Mensch in Zukunft nicht zur dominanten, posthumanen Spezies aufschließen, sondern bleibt zweitklassig. Allein anhand dieser Argumentation lässt sich erkennen, dass die transhumane Phase nur als Phase des Übergangs angesehen wird. Kurzweil will indes den überaus verletzlichen und unvollkommenen Körper nicht ganz aufgeben, sondern sieht in der Nanotechnologie eine Möglichkeit, ihn durch ein synthetisches Konstrukt zu ersetzen und so zu retten (Kurzweil 2016: 222 ff.). Doch auch das ist nur eine Übergangslösung, denn die finale Utopie ist eine reine, körperlose Datenexistenz, die zudem die avisierte Unsterblichkeit garantiert: »Wir werden dann keine Hardware mehr sein, sondern Software.« (Kurzweil 2016: 211) Deren Möglichkeiten sind wortwörtlich unbegrenzt. Die superintelligente Software »kann zum Beispiel Von-NeumannSonden bauen und entsenden – Maschinen, die interstellare Entfernungen überwinden und Ressourcen wie Asteroiden, Planeten und Sterne dazu verwenden, um sich zu vervielfältigen« (Bostrom 2014: 143). Doch selbst das ist erst der

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Anfang, denn die Von-Neumann-Sonden sollen letztendlich das ganze Universum erobern und komplett umgestalten: »All diese Materie und Energie könnte dann in diejenigen Wertstrukturen transformiert werden, die die Nutzenfunktion des ursprünglichen Akteurs über kosmische Zeitskalen hinweg maximieren. Wir reden hier […] von Billionen von Jahren«. (Bostrom 2014: 143)

Die posthumane Software, die dank Myriaden von Nanorobotern das Universum erobern soll, wird dann am Ende auch noch dessen Zukunft bestimmen: »Vielmehr ist das Schicksal des Universums etwas, worüber erst noch entschieden werden muss, eine Entscheidung, die wir, wenn die Zeit gekommen ist, mit sehr viel mehr Wissen und Intelligenz, als uns heute zur Verfügung stehen, angehen werden.« (Kurzweil 2016: 399) Wer oder was sich hinter dem »Wir« dann in einigen Billionen von Jahren verbirgt, lässt Kurzweil allerdings offen. Mit heutigen Definitionen hat dieses »Wir« indes nichts mehr gemein. Folgt man den Vorstellungen von Trans- und Posthumanisten, handelt es sich um eine kollektive, allmächtige Superintelligenz, eine Art universaler Geist, der sogar dazu in der Lage sein soll, das wie auch immer geartete Ende des Universums zu überstehen bzw. neu zu gestalten. Jean-François Lyotard scheint sich demnach geirrt zu haben mit seiner These vom Ende der großen Erzählungen, denn die Big History der Transhumanisten und Posthumanisten erfüllt bequem die Bedingungen einer großen Erzählung und ist zugleich als letzte ihrer Art gedacht. Noch dazu betonen Kurzweil, Moravec, More und andere unter Berufung auf die absolute Wissenschaftlichkeit ihrer Big Historie die Zwangsläufigkeit eben jener Entwicklung und ihrer kosmologischen Dimension (Moravec 1990: 105; Kurzweil 2016: 43). Kurzweil spricht von einer »unabwendbaren Entwicklung« (Kurzweil 2016: 21). Der Behauptung der Transhumanisten, das finale Telos endlich ermittelt zu haben, verleiht ihrem Konzept natürlich einen apodiktischen und quasireligiösen Charakter (Noble 1997: 143 ff.). Wer andere Zukunftsvisionen hat, andere Entwicklungen präferiert, andere Zukunftsszenarien für möglich hält, wird auf die transhumanistisch aufbereitete Evolutions- und Wissenschaftsgeschichte verwiesen (Harari 2017: 524 ff.). Kritiker der trans- und posthumanistischen Big History finden sich schnell auf der Seite der Gegenaufklärung wieder, stellen sich gegen die Evolution, gegen eine »unaufhaltsame Entwicklung«, argumentieren unwissenschaftlich (Kurzweil 2016: 47; Flessner 2006).

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MAGISCHE REFERENZEN Jede richtige Geschichte hat auch eine Vorgeschichte, so auch die Geschichte des Transhumanismus. Vielleicht hat deshalb Raymond Kurzweil seinem Buch Die Intelligenz der Evolution ein bekanntes Zitat der amerikanischen Schriftstellerin Muriel Rukeyser vorangestellt: »Das Universum besteht aus Geschichten, nicht aus Atomen.« (Kurzweil 2016: 29) Das Zitat verweist natürlich auf die wirklich große Erzählung der Transhumanisten, die Kurzweil konsequent mit dem Big Bang beginnen lässt. Andererseits offenbart sich Kurzweil schon nach wenigen Sätzen als ein Wissenschaftler, für den das Universum explizit aus Atomen besteht, deren Geschichte er als die einer sich beschleunigenden Datenverarbeitung interpretiert, als eine Art kosmologischer Variante von Moore’ s Law, ganz ähnlich, wie sie auch Yuval N. Harari erzählt, der jedoch eine andere Interpretation dieser Entwicklung anbietet (Harari 2017: 511 ff.). Für Kurzweil ist auch die natürliche Evolution letztendlich nur als noch unvollkommene Form der Technoevolution zu verstehen. Mit entsprechender Konsequenz wird sie von ihm als solche beschrieben (Kurzweil 2016: 29 ff.). Mit jenen Geschichten, aus denen das Universum laut Rukeyser besteht, befasst sich auch Nick Bostrom, um die »kulturelle und philosophische Vorgeschichte« des Transhumanismus zu erzählen. Auch bei Bostrom erwartet man eine auf die zunehmende Geschwindigkeit der Datenverarbeitung reduzierte Geschichte (Bostrom 2011), liegt jedoch falsch. Denn seine Geschichte beginnt nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, mit dem Big Bang oder der Aufklärung, sondern mit dem Gilgamesch-Epos und dem Versuch des Protagonisten, Unsterblichkeit zu erlangen (Bostrom 2011). Sein Ziel will denn auch Gilgamesch keineswegs mit rationalen oder wissenschaftlichen Methoden erreichen, die ihm ja auch nicht bekannt waren, sondern er erfährt, dass »das ewige Leben an den Genuss einer märchenhaft-magischen Pflanze gebunden ist« (Müller 1991: 130). Diese Methode war für die Entstehungszeit des Epos, also etwa 1800 v. Chr., nichts Ungewöhnliches und gehörte fest zur babylonische Vorstellungswelt, die wiederum auf Erzählungen und Mythen basierte. Die Unsterblichkeit wiederum war in dieser Welt eine Eigenschaft der Götter und Element ihrer Macht über die Welt und die sterblichen Menschen. Einer Macht, die im Gilgamesch-Epos auch in der Entfesselung der Sintflut zum Ausdruck kommt. Gilgamesch aber rebelliert als junger Mensch gegen diese Macht und wird dadurch zum Helden. »Das Aufbegehren gegen die Götter bedeutet somit, den sicheren Kulturraum zu verlassen und sich den äußeren Mächten, den Urgewalten zu stellen«, erläutert Marco Shateri (Shateri 2011: 101). Gilgameschs Rebellion zielt auf die Macht der Götter und deren Eigenschaft der Unsterblichkeit.

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Diese aber ist kein Faktum, sondern existiert lediglich in der Vorstellungswelt der Menschen, die sie gedanklich konstruiert haben: »Die Götter und Fabelwesen sind aus der Kultur entstandene Projektionen des menschlichen Macht- und Ohnmachtsverständnisses.« (Shateri 2011: 101) Gilgameschs Rebellion soll also, in der babylonischen Vorstellungswelt, die empfundenen Machtverhältnisse korrigieren und auch dem Helden die göttliche Eigenschaft der Unsterblichkeit verleihen. Hat er zuvor Gewalt eingesetzt, die Götter beleidigt, Humbaba, den Wächter des Zedernwaldes, getötet und den Himmelsstier erschlagen, so muss er nun einen anderen Weg wählen. Durch einen Zweikampf ist Unsterblichkeit nicht zu erreichen, sondern nur mithilfe eines Mittels, das ebenfalls den »Projektionen des menschlichen Macht- und Ohnmachtsverständnisses« entstammt: Magie. In seinem Fall ist es eben jenes magische Kraut, das die Gesetze des menschlichen Lebens aufgrund seiner Wirkung unwirksam machen kann. Ein Antidot gegen die Sterblichkeit. Im Kern zielen seine Bemühungen darauf ab, »Macht über die Dinge« und »Macht über sich selbst« zu erlangen, denn diese beiden Mächte sind »das Wesentliche seiner Kräfte«, erklärt der französische Soziologe Marcel Mauss in Bezug auf die Kräfte des Magiers (Mauss 1974: 67). Indem Gilgamesch gegen die Macht der Götter aufbegehrt und ihnen diese streitig machen will, wendet er sich »von dem kulturell gefestigten Gefüge ab« und somit auch von der in diesem Gefüge fest verankerten Religion, die, wie bei Religionen allgemein üblich, keine Rebellionen gegen Götter vorsehen und in diesem Ansinnen schlicht einen Akt der Blasphemie sehen (Shateri 2011: 101). Die Magie als Mittel, Macht zu erlangen, steht von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zur Religion, die zwar durchaus magische Praktiken enthalten kann, jedoch nicht die Macht ihrer Götter infrage stellt oder gar gegen diese aufbegehrt (Bellmann 2011: 150). Laut Mauss besteht die Differenz zwischen Magie und Religion primär in der Form der Einflussnahme auf die Welt. Während die Magie einen unmittelbaren und sofortigen Einfluss anstrebt, wählt die Religion den Umweg über Götter und deren »Verehrung, das heißt durch Opfer und Gebet« (Mauss 1974: 47). Die Magie will die Macht der Götter ausschließen, um selbst »Herr der Dinge zu sein«, will also selbst gottgleiche Macht erlangen (Mauss 1974: 47). Der Konflikt mit der Religion, auch wenn es, wie gesagt, Interferenzen gibt, liegt natürlich auf der Hand und führte zur Verfolgung von Magiern, Mystikern, Alchemisten und anderen Häretikern, die der Ausübung von Magie bezichtigt wurden. Als exemplarisch für diesen Konflikt kann die Auseinandersetzung zwischen Simon Magus bzw. Simon dem Magier und dem Apostel Simon Petrus angesehen werden, von dem die um 200 n. Chr. entstandenen Petrusakten berichten.

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Zugetragen haben soll sich der Streit um 60 n. Chr. in Rom. Die in verschiedenen Fassungen fragmentarisch erhaltene Legende erzählt von Simon Magus, einem bekannten Magier, der in Rom seine Macht öffentlich demonstriert, die er mit der Macht Gottes gleichsetzt. Er beeindruckt die Bürger derart, dass der Apostel Paulus nach Rom reist, um seinem Treiben Einhalt zu gebieten. Da Simon Magus öffentlich Wunder bewirkt, fordert ihn Petrus zum Wettstreit heraus. Während der Magier mit Zaubersprüchen agiert und sich als »Kraft Gottes« ausgibt, bezeichnet sich Petrus als Diener Gottes und bittet Jesus um Hilfe. Petrus geht als Sieger aus dem Wettstreit hervor, kann ebenfalls Tote zum Leben erwecken, einen Hund sprechen lassen und andere Wunder vollbringen. Am Ende lässt er Simon Magus aus großer Höhe abstürzen, als dieser vor den Augen der Römer in den Himmel fliegt (Zwierlein 2009: 43 ff.). Natürlich soll die Legende belegen, dass der Glaube sowie der Umweg über Gott den Zaubersprüchen und Zaubergesängen des Magiers überlegen sind. Die Magie wird als Irrglaube dekuvriert, da sie Gott übergeht, da sich Simon Magus direkten Zugang zu den verborgenen, der Welt immanenten Kräften und Strukturen verschafft hat, die den Menschen in der Regel nicht zugänglich sind. Im Prinzip verhält sich Simon Magus, der gerne als erster Häretiker der christlichen Kirche bezeichnet wird, wie Gilgamesch. Beide revoltieren gegen die Götter, beide neiden ihnen die Unsterblichkeit als eines der Insignien ihrer Macht. Bei seiner Vorgeschichte des Transhumanismus bleibt Bostrom der Geschichte der Magie treu und verweist auf die Suche der Alchemisten nach dem Lebenselixier und somit der mittels Magie realisierbaren Unsterblichkeit (Bostrom 2011: 1). Auch asiatische Magier »strove for physical immortality by way of control over or harmony with the forces of nature« (Bostrom 2011: 1). Auf eben jene magische Tradition beruft sich auch Max More, der die Alchemisten explizit als Vorläufer der transhumanistischen Bewegung bezeichnet: »For instance, we can easily regard the European alchemists of the thirteenth to eighteenth centuries as proto-transhumanists. Their search for the Philosopher’s Stone or the Elixir of Life looks like the search for a magical form of technology capable of transmuting elements, curing all disease, and granting immortality.« (More/Vita-More 2013)

Im Fokus dieser Vorgeschichte steht immer wieder der Mythos vom Stein der Weisen, vom Lapis philosophorum, dessen historischer Ursprung unbekannt ist. Erstmals erwähnt wird er in den hermetischen Schriften aus der Spätantike, die dem fiktiven Autor Hermes Trismegistos zugeschrieben werden, der zugleich als einer der Begründer der Alchemie gilt (Coudert 1982: 30). In der Vorstellungswelt der Alchemie kommt dem Stein der Weisen eine zentrale Bedeutung zu.

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Der Chemiker und Wissenschaftshistoriker Helmut Gebelein konstatiert: »Das Hauptziel der alchemistischen Arbeit war und ist das ›Große Werk‹, die Herstellung des Steins der Weisen.« (Gebelein 2000: 45) Die Faszination dieses ebenso mythologischen wie fiktiven Objektes der Begierde basiert auf dessen Eigenschaft, seinem Besitzer eine nahezu gottgleiche Macht zu verleihen. Fasst man diese von vielen Autoren beschrieben Eigenschaften zusammen, so stechen zwei von ihnen deutlich hervor: Der Stein der Weisen kann »unedle Metalle in das perfekte Gold verwandeln«, ein als Transmutation bekannter Prozess, er kann, als »Aurum potabile« verabreicht, sämtliche Krankheiten heilen und macht den Anwender zugleich unsterblich (Gebelein 2000: 45, 54 f.). Vor allem die letzte Eigenschaft hatte es den Alchemisten angetan und findet daher in nicht wenigen Schriften Erwähnung, wobei Artephius exemplarisch für weitere, angebliche Anwender steht: »Wie ernst die Vorstellung einer Lebensverlängerung genommen wurde, zeigt die Behauptung von Artephius, einem Alchemisten des 12. Jahrhunderts, der in seinem Buch Tractatus der vita poroganda (Von der Verlängerung des menschlichen Lebens) behauptet, er habe mit Hilfe des Aurum potabile schon 1025 Jahre gelebt.« (Gebelein 2000: 55)

Wie bei anderen alchemistischen Vorstellungen auch, geht es beim Lapis philosophorum im Kern um eine magische Methode, Autochthones, Unvollkommenes, Unreines, Ausgangsmaterie (Prima materia) durch verschiedene Prozesse (Transmutation, Läuterung, Sublimation, Fermentierung, Putrefaktion etc.) schrittweise in Höherwertiges, Besseres, Reines, Vollkommenes zu überführen (Haage 1996: 15 f.; Schütt 2000: 438). Der Alchemist sieht sich als eine elitäre Instanz, die auf die Natur einwirkt, um diese auf eine höhere, vollkommene Stufe zu heben. Der Alchemist beschleunigt und vollendet vorgefundene Entwicklungen, macht aus dem unvollkommenen Blei das vollkommene Gold, macht aus dem sterblichen Menschen einen unsterblichen Übermenschen. Ohne den Stein der Weisen ist dieser Prozess gar nicht vorstellbar, der Stein der Weisen ist der Schlüssel zur Macht, er symbolisiert das ersehnte Allwissen der Alchemisten: »Alchemists viewed the philosopher’s stone as the key to all knowledge« (Fanning 2009: 3). Oder, wie Hans-Werner Schütt erläutert: »Es ist ein Allwissen, denn wer, und sei es nur durch Nachvollzug, weiß, wie die Schöpfung der Welt, wie das Schicksal der Menschheit ge-schaffen und be-schaffen sind, und wer zudem das Agens des erlösenden Welten-Wandels in Form des Lapis philosophorm im wahrsten Sinne des Wortes in Händen hält, der weiß und kann im Prinzip alles.« (Schütt 2000: 343 f.)

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Der Erfolg der magisch-alchemistischen Methoden basiert wiederum auf der als Animismus bekannten Vorstellung, dass die Welt von einem universellen und allgegenwärtigen Geist durchdrungen ist, der Form und Qualität der Materie bestimmt. Gelingt es dem Magier bzw. Alchemisten Einfluss auf diesen Geist zu erlangen, Macht über ihn zu gewinnen, erlangt er auch Einfluss auf Form und Qualität. Jetzt kann er das Unvollkommene vervollkommnen. Das Vorgefundene – die Natur – »muss allerdings durch den Alchemisten erst zur Vollendung gebracht werden« (Gebelein 2000: 9). Hier wird der Unterschied zur modernen Chemie deutlich, denn »der Chemiker betrachtet sie [die Natur] als ›Steinbruch‹, dessen Rohmaterial beliebig verwertbar und ausbeutbar ist« (Gebelein 2000: 9). Der Chemiker, der Wissenschaftler, ist eben kein Anhänger des Animismus, sondern der Aufklärung, die in der Natur vor allem einen Rohstoff sieht, der ökonomisch und industriell verwertbar ist. »Die Entzauberung der Welt ist die Ausrottung des Animismus«, erklären Horkheimer und Adorno kurz und bündig (Horkheimer/Adorno 1971: 8). Denn die Aufklärung »wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen« (Horkheimer/Adorno 1971: 7). Ein langwieriger Prozess, an dem sich zudem die Alchemisten selbst beteiligten, indem sie der Chemie den Weg bereiteten und ihre magische Vorstellungswelt langsam, aber kontinuierlich abschafften. Die auf animistischen Vorstellungen basierende Magie erwies sich als ungeeignete Methode, während die naturwissenschaftlich fundierte Chemie zu reproduzierbaren und verlässlichen Resultaten führte. Aus der Alchemistenküche wurde das Chemielabor, während der Stein der Weisen als das begriffen wurde, was er ist, nämlich als Mythos. In der Vorgeschichte des Transhumanismus sticht noch ein weiteres Telos der Alchemie hervor, nämlich die Erschaffung künstlichen Lebens in Gestalt von Golems oder »homunculi in test tubes« (Bostrom 2011: 2). Die Begeisterung der Transhumanisten ist ein weiteres Mal nachvollziehbar, emanzipiert sich hier der Mensch doch bewusst von der vorgefundenen Schöpfung bzw. den bisherigen Resultaten der Evolution und macht sich selbst zum Schöpfer. Um etwa einen Golem zu erschaffen, muss der menschliche Schöpfer jedoch bestimmte Eigenschaften besitzen, eigentlich muss er bereits eine Art Übermensch sein, »who was able to share some of God’s wisdom and power« (Bostrom 2011: 7). Bostrom liegt mit seiner Einschätzung richtig, denn in der Kabbala und ihren Kommentaren wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass menschliche Kraft nicht ausreicht, den in der Genesis beschrieben Schöpfungsakt Adams zu wiederholen. In einem der Kommentare des Buches Sefer Jetzira (Buch der Schöpfung), dessen Ursprung vor dem 10. Jahrhundert vermutet wird, geht es genau um diese Frage. Das Ziel der Mystiker und Magier des Mittelalters war demzufolge »die Kraft des Schöpfers, ein Geschöpf zu machen« (zit. n. Völker 1971: 215).

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Ebenso wie sich die historischen Spuren des Golem-Mythos’ in der Geschichte verlieren, ist auch der Ursprung des christlichen Pendants, des Homunculus, nicht mehr zurückzuverfolgen. Zur Legende des bereits erwähnten Magiers und Häretikers Simon Magus gehört auch die Erschaffung eines Homunculus. In der alchemistischen Tradition stehend, soll er angeblich »einen Menschen aus Luft, die er erst in Wasser, danach in Blut und schließlich in Fleisch verwandelte, erschaffen haben« (Völker 1971: 238). Über zahlreiche Mystiker, Magier und Alchemisten, darunter auch Zosimos und Paracelsus, der auf andere Zutaten setzte als Simon Magus, wurde die Legende bis in die Neuzeit überliefert. Seinen wohl prominentesten Auftritt erlebt der Homunkulus im Drama Faust II von Johann Wolfgang von Goethe, der den Famulus Wagner konsequent als größenwahnsinnigen Alchemisten charakterisiert. Wagner wäre, dem Verständnis der Transhumanisten folgend, wohl als Proto-Transhumanist zu bezeichnen, als ein Schöpfer, der die Natur für antiquiert und obsolet hält. »Wie sonst das Zeugen Mode war erklären wir für eitel Possen«, prahlt er vor Mephistopheles und fügt hinzu: »So muss der Mensch mit seinen großen Gaben doch künftig höhern, höhern Ursprung haben.« (Goethe, Faust II: 6838, 6846) Die Natur hat ausgedient, der Mensch übernimmt.

DIE PRÄSENZ MAGISCHER VORSTELLUNGEN UND ZIELE Der Widerspruch ist, jedenfalls auf den ersten Blick, evident. Zum einen der Verweis auf die Aufklärung, die Wissenschaftlichkeit und die Rationalität, zum anderen die Traditionalisierung, der Hinweis auf eine spezifische, historische Dimension mithilfe von mitunter Jahrtausende alten Mythen und Erzählungen aus gänzlich anderen kulturellen Kontexten und Vorstellungswelten. Statt sich an der Auflösung von Mythen zu beteiligen, wie dies die Aufklärung verlangt, werden ausgerechnet diese als Referenzen präsentiert. Gilgamesch, Simon Magus, jüdische Kabbalisten, christliche Mystiker und Alchemisten als Wegbereiter der von Vernor Vinge, Nick Bostrom, Hans Moravec und anderen avisierten Superintelligenz, deren wissenschaftlich-technologische Provenienz permanent betont wird. Dabei fußt insbesondere das Telos der Unsterblichkeit, wie bereits dargelegt, auf den »Projektionen des menschlichen Macht- und Ohnmachtsverständnisses«, hervorgebracht von frühen Hochkulturen. Sie beneideten die von ihnen ebenfalls projizierten und als vollkommen imaginierten Götter um deren Unsterblichkeit. Die Idee der Unsterblichkeit orientiert sich an jener der Vollkommenheit, wäh-

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rend die Sterblichkeit die Unvollkommenheit des Menschen kennzeichnet. Die Vollkommenheit hat jedoch ein Manko, denn auch sie ist nur eine Vorstellung: »Der Begriff ›Vollkommenheit‹ ist eine absolute Metapher, die sich einer exakten Definition entzieht und einen unermesslichen Bedeutungsüberschuss impliziert. Vollkommenheit ist ein seit Jahrtausenden tradiertes Postulat, eine gleichfalls betagte wie aktuelle Utopie, eine Konstruktion des menschlichen Geistes, die uns ebenso zu beflügeln wie zu terrorisieren vermag, ein faszinierendes Telos, von Religionen, Philosophien und Ideologien immer wieder bemüht und immer wieder anders definiert, so dass sich im Laufe der Zeit ein weit gefächertes Angebot unterschiedlichster Vollkommenheiten angesammelt hat.« (Flessner 2001: 146)

Vollkommenheit und deren spezifische Form der Unsterblichkeit sind Konstruktionen des menschlichen Geistes, bestenfalls Wünsche, Utopien, Fiktionen, Glaubensinhalte, schlimmstenfalls Phantasmagorien und Dystopien, jedoch keine objektiven, wissenschaftlich verifizierbaren Phänomene, die sich im Labor oder freier Wildbahn untersuchen lassen (Passmore 1975: 13 ff.). Unsterblichkeit ist eine Idee und wird insofern auch dem Idealismus zugeschrieben (Lier 2010: 1 ff.). Nicht einmal die Evolution hat Unsterblichkeit hervorgebracht, sondern basiert ausgerechnet auf Sterblichkeit, der Weitergabe von Erbgut, Mutationen, Selektion und Anpassung. Die von den Transhumanisten bemängelte Unvollkommenheit des Evolutionsprozesses ist sogar einer der Gründe für dessen propagierte Beendigung durch den Menschen. Das gilt auch für die Desoxyribonukleinsäure als Träger der Erbinformation, denn auch sie ist von Unsterblichkeit weit entfernt und stellt für den Transhumanismus lediglich eine Übergangslösung in Form einer bereits beschriebenen, biologischen Datenverarbeitung dar (Kurzweil 2016: 79 ff.). Gerade die Entmachtung der Evolution bei der Entwicklung möglicher Resultate und Ziele ist ein zentrales Anliegen des Transhumanismus, denn nur so kann der Mensch selbst und nach eigenen Kriterien die Ziele festlegen. Dass es die Evolution ist, die den Menschen in der Absicht hervorgebracht hat, um die von ihr begonnene Entwicklung auf höherem Niveau und exorbitant beschleunigt fortzusetzen und zu vollenden, ist Konstrukt und Mythos zugleich. Weder Bostrom noch Kurzweil legen für diese These konkrete Beweise vor, sondern beschränken sich auf ihre Interpretation der Erdgeschichte, der Big History. Dafür stellen sie heraus, dass es sich bei trans- bzw. posthumanen Geschöpfen um von ihnen avisierte und konzipierte Produkte handelt. Es geht um die »Konstruktion intelligenter Systeme«, um eine artifizielle Schöpfung, die allen anderen Schöpfungen überlegen ist, um die ultimative, vollkommene und somit unsterb-

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liche Schöpfung (Kurzweil 2016: 203). Dass es dazu einen überlegenen Schöpfer braucht, von More »Avantgarde der Evolution« genannt, versteht sich von selbst (zit. n. Freyermuth 1996: 254). Das Forcieren des sekundären Schöpfungsprozesses soll einer Elite vorbehalten sein, die Naturgeschichte entsprechend zu deuten weiß und über die geeigneten Mittel verfügt, den Auftrag der Evolution von dieser zu übernehmen und kontrolliert und zielgerichtet zu vollenden. Dieses hier nur kurz skizzierte Konzept des Trans- und Posthumanismus klingt vertraut, denn die Ähnlichkeit mit dem Konzept der Alchemie ist nicht zu übersehen: »Mit seinem Stein und den Elixieren glaubte der Alchemist, die gottgleiche Macht zu besitzen, Zeit und Schöpfung zu kontrollieren. Er […] glaubte, er könne die Natur mit seinen eigenen zwei Händen umformen und vollenden – eine mühselige und gefährliche Aufgabe, die, wenn überhaupt, nur wenigen Auserwählten gelingen konnte.« (Coudert 1982: 95)

Aber vielleicht ist der Widerspruch zwischen magischer Tradition und moderner, aufklärungsbasierter Technik doch gar nicht so ausgeprägt, wie es zunächst scheint. Bereits 1904 beschlich Marcel Mauss der Verdacht, dass Vorstellungen, Bilder und Begriffe der Magie – kognitiv wie semantisch – in der Moderne noch immer vorhanden sind. Mauss resümiert am Ende seiner Studie Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie: »So weit wir uns von der Magie entfernt glaubten, haben wir uns doch immer noch nicht ganz von ihr gelöst. […] Weder die Techniken, noch die Wissenschaften und nicht einmal die leitenden Prinzipien unserer Vernunft haben sich von ihrer ursprünglichen Aufgabe bisher ganz reinigen können. Der Gedanke ist nicht abwegig, was die Begriffe von Kraft, Ursache, Zweck und Substanz noch an Nicht-Positivem, an Geheimnisvollem und Poetischen haben, von den alten Gewohnheiten des Geistes herrührt, aus denen die Magie geboren wurde und von denen sich der menschliche Geist nur ganz schwerfällig befreit.« (Mauss 1974: 175)

Spätestens seit Max Webers These von der Entzauberung der Welt, erläutert 1917 in seinem Vortrag Wissenschaft als Beruf, ist das Verhältnis von Mythos und Aufklärung, von Magie und Technik immer wieder Gegenstand eines entsprechenden Diskurses (Weber 1985: 593). Der österreichische Wissenschaftstheoretiker Otto Neurath sah die Nähe von Magie und Technik wie Mauss als gegeben an: »So fremd uns die Magie auf den ersten Blick anmutet, sie ist doch in bestimmter Hinsicht der modernen Physik oder Biologie verwandter als das theologische Denken. Der Magier

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bewirkt im Allgemeinen durch Tradition festgelegte endliche Veränderungen, die wahrnehmbar und daher von jedermann kontrollierbar sind.« (Neurath 1930: 108)

Horkheimer und Adorno haben in der Dialektik der Aufklärung 1947 auf die Interferenzen und Wechselwirkungen von Aufklärung und Mythos hingewiesen und daran erinnert, dass die Aufklärung dem Mythos entstammt, diesen aber nicht einfach abgelöst oder eliminiert hat, sondern ihn weiterhin impliziert und sogar zur Konstruktion neuer Mythen in der Lage ist (Horkheimer/Adorno 1971). Existenz und Bedeutung moderner Mythen sind immer wieder Gegenstand des philosophischen Diskurses. Auf der konservativen Seite befasste sich Arnold Gehlen in Die Seele im technischen Zeitalter 1957 mit der Relation von Magie und Technik (Gehlen 1957). Neben zahlreichen anderen darf auch der Berliner Sozialwissenschaftler Otto Ullrich nicht vergessen werden, der in Technik und Herrschaft das Thema streift (Ullrich 1979). Im Rekurs auf Neurath erläutert auch Marco Brusotti 2011 die Nähe von Magie und Wissenschaft: »Die Wissenschaft knüpft an den diesseitigen Interpretationsrahmen der Magie wieder an: Mit Notwendigkeit wirkende Kräfte beherrschen die Welt. Magie (früher) und Wissenschaft (heute) auf der einen Seite, Religion auf der anderen […].« (Brusotti 2011: 340)

Der aktuelle Diskurs stellt u. a. die Entzauberung selbst zur Disposition. Vielleicht muss, wie Dagmar Bellmann fordert, die These, »dass die Welt tatsächlich entzaubert wurde, angezweifelt werden« (Bellmann 2011: 151). Sie verweist zu Recht auf die französische Soziologin Danièle Hervieu-Léger, die sich mit der Konstruktion von neuen Narrativen befasst hat, die sich aus verschiedenen Quellen eklektizistisch speisen. Bekannte Glaubensinhalte, esoterische Konzepte, New-Age-Überzeugungen, betagte Mythen aller Art und sogar literarisch oder medial aufbereitete Mythen, etwa Tolkiens Herr der Ringe, können in diese neuen Narrative einfließen und werden für viele Menschen zu einem Stabilisierungs- und Orientierungsfaktor in einer als sinnentleert interpretierten Spätmoderne. »Diese Narrative werden in Internetforen, internationalen Netzwerken und Populärwerken über Religion und Esoterik verbreitet« (Bellmann 2011: 151). Allein in Deutschland wird der jährliche Umsatz auf dem Esoterikmarkt auf bis zu 20 Milliarden Euro geschätzt, Tendenz steigend (Klaus 2017). Von einer tatsächlich vollzogenen und umfassenden Entzauberung der Welt kann also kaum die Rede sein, noch dazu sind die Übergänge zu einer wiederverzauberten Welt multipel und nicht in jedem Fall eindeutig zu bestimmen. Zu den Zukunftsversprechen des digitalen Transformationsprozesses zählt bekanntlich auch die Personalisierung von Dienstleistungen und Produkten. In diesem

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Kontext erscheinen die von Angela und Karlheinz Steinmüller für möglich gehaltenen »Designer-Religionen« durchaus plausibel (Steinmüller/Steinmüller 1999: 444). Auch von anderer Seite wird die Entzauberung in Frage gestellt, wie etwa der Wissenschaftshistoriker Helmut Gebelein zeigt. Gleich in der Einleitung seines Standardwerks zur Geschichte der Alchemie konstatiert er: »Die Alchemie ist nicht tot, auf verschiedene Weise hat sie überlebt.« (Gebelein 2000: 9) Gemeint ist nicht die Existenz von wo auch immer verborgenen, geheimen Alchemistenküchen, sondern die Vorstellungswelt, das Telos der Alchemie, die Natur zu beherrschen, um sie zu vollenden, und um Allmacht und Unsterblichkeit zu erlangen. Otto Ullrich hebt vor allem den Herrschaftscharakter hervor, der den Ambitionen der mittelalterlichen Magier und Alchemisten inhärent war, und der schließlich in der Neuzeit an die Wissenschaft weitergereicht wurde: »Das Haupterbe dieser Periode für die zweite, empirische Periode – die Natur durch Prinzipien zu erklären – ist unverkennbar von einem Herrschaftsmotiv geprägt. Es ist die schon rationalere Gestalt der ›Ursehnsucht‹ der Magie, die Natur durch eine ›Formel‹ zu beherrschen, durch das richtige Symbol die fremden Mächte in die eigenen Dienste zu zwingen. […] Die Herrschaftssehnsucht der Magier erhält durch die experimentelle Naturwissenschaft bezogen auf die Natur erstmals eine reale Potenz. Die Beherrschung der Natur, auch eines komplexen zusammengesetzten Prozesses, durch symbolisches Wissen aus der Distanz, ohne Einschaltung des eigenen Körpers, ist nun prinzipiell möglich.« (Ullrich 1979: 100 f.)

Die von Francis Bacon am Beginn des 17. Jahrhunderts formulierte Forderung einer »Erweiterung der menschlichen Herrschaft bis an die Grenzen des überhaupt Möglichen«, die der modernen Naturwissenschaft den Weg wies, war bereits in der Herrschaftssehnsucht der Magier angelegt. Während diese Sehnsucht also als implizites, sedimentiertes Wissen tradiert wurde, trennte sich die Wissenschaft in der Neuzeit von den animistischen Vorstellungen der Magie eines der Welt immanenten Geistes. Die Phase des Übergangs, der Differenzierung, war indes ein langwieriger und multipler Prozess, der mit einer »Christianisation of Alchemy« bereits im Mittelalter begann und es später auch Christen ermöglichte, als Alchemisten aktiv zu werden (Fanning 2009: 1 ff.). Selbst im 20. Jahrhundert finden sich, ganz im Sinne von Mauss, in wissenschaftlichen Arbeiten noch immer Relikte magischer, alchemistischer Ideen, etwa jener des Äthers. Bereits Aristoteles erwähnt den geheimnisvollen Stoff, den er als fünftes Element bezeichnet und somit die Vier-Elementenlehre erweiterte. Dieses fünfte Element ist ein »ewiger, altersloser, unveränderlicher und unver-

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letzlicher, in sich kreisbewegter und darum die Himmelsphäre bildender Körper« (Böhme/Böhme 2010: 147). In der Alchemie erlangte das fünfte Element unter der Bezeichnung Quintessenz (fünftes Seiendes) eine vielfältige Bedeutung, während im 19. Jahrhundert die bereits moderne Naturwissenschaft die »Etablierung des Äthers als physikalische Entität vollzog« (Böhme/Böhme 2010: 161). Selbst Albert Einstein hat sich umfassend mit dem Äther auseinandergesetzt, die klassische Äthertheorie dann aber verworfen, um anschließend im Kontext seiner Relativitätstheorien eine neue Äthertheorie zu entwerfen. Auf den geheimnisvollen Stoff als Medium der Übertragung von Fernwirkungen wollte er nicht ohne weiteres verzichten. Veröffentlichungen wie Äther und Relativitätstheorie (1920) oder Über den Äther (1924) zeugen von Einsteins Auseinandersetzung mit dem fünften Element, das er neu definiert. Doch selbst in dieser naturwissenschaftlichen Definition klingt die Vorstellung der Antike von der Existenz eines ewigen, unveränderlichen Elements nach: »Aber selbst wenn diese Möglichkeiten zu wirklichen Theorien heranreifen, werden wir des Äthers, d. h. des mit physikalischen Eigenschaften ausgestatteten Kontinuums, in der theoretischen Physik nicht entbehren können; denn die allgemeine Relativitätstheorie, an deren grundsätzlichen Gesichtspunkten die Physiker wohl stets festhalten werden, schließt eine unvermittelte Fernwirkung aus; jede Nahewirkungs-Theorie aber setzt kontinuierliche Felder voraus, also auch die Existenz eines ›Äthers‹.« (Einstein 1924: 93)

Die Vorstellung eines fünften Elements hat sich im Laufe der Geschichte zwar stark gewandelt und wurde mehrmals modifiziert, verlor aber erst im 20. Jahrhundert endgültig an Bedeutung. Das lässt sich von der Homöopathie nicht sagen, die von Teilen der Wissenschaft schon lange als spezifische Variante des Analogiezaubers angesehen und beschrieben wird, zumal die historischen Ursprünge bekannt sind. So heißt es im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: »Die Sympathetik (Homöopathie, Analogiezauber) ist diejenige Methode der Magie, die Gleiches mit Gleichem verhüten, abwehren oder herbeiführen will. Sie findet vor allem Verwendung in der Volksmedizin. […] Außer der Volksmedizin verwendet vor allem auch die Magie solche sympathetischen Mittel.« (Hoffmann-Krayer/Bächtold-Stäubli 1987: 833)

Andererseits hat sich die Homöopathie längst wieder als Subdisziplin an medizinischen Fakultäten an deutschen und europäischen Universitäten etabliert, auch wenn sie als Therapieform umstritten bleibt (Grill/Hackenbroch 2010).

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Die besagte Übergangsphase spiegelt sich natürlich auch in zahlreichen Biografien wider, allen voran in der von Isaac Newton, der heute gerne als einer der Väter der modernen Naturwissenschaften und einer der bedeutendsten Wissenschaftler aller Zeiten tituliert wird. Ebenso gut könnte man ihn den bedeutendsten Alchemisten aller Zeiten nennen. Das jedenfalls legen seine bis heute erhaltenen Schriften nahe, aus denen auch zu entnehmen ist, dass er, wie es sich für einen überzeugten Alchemisten gehörte, den Stein der Weisen suchte und über dessen Macht verfügen wollte (Coudert 1982; Schütt 2000; Fanning 2009). Newtons Formel zur Herstellung des Steins der Weisen wurde übrigens erst 2016 wiederentdeckt und sorgte für eine entsprechende Aufmerksamkeit (Sheikh 2016). Folgt man Ullrich, hat sich in der Übergangsphase von der Magie zur modernen Wissenschaft zwar der Weg zum Ziel geändert, nicht aber das Ziel, die Herrschaft über die Natur und »die Herrschaft von Menschen über Menschen« (Ullrich 1979: 100). Unbeschadet hat etwa die Idee einer zweiten Schöpfung den Übergang vom magischen zum naturwissenschaftlichen Verständnis der Welt überstanden, lediglich die Methode wurde geändert. Die Vorstellung, einen künstlichen Menschen aus Lehm zu erschaffen, einen Golem, und durch eine magische Formel, äußerlich oder oral verabreicht, zum Leben zu erwecken, hat sich also ebenso als undurchführbar erwiesen wie der Versuch, in einem Glaskolben aus Urin und Sperma einen Homunkulus zu züchten. Doch in Gestalt eines Roboters oder einer gentechnischen Kreation erscheint die alte Leitvision der Magier und Mystiker inzwischen nicht nur tendenziell realisierbar, während die Materialtechnologie die alchemistischen Vorstellungen der Transmutation erfüllt.

DIE WIEDERVERZAUBERUNG DER WELT Autoren wie Raymond Kurzweil verweisen nicht nur auf Magier und Alchemisten als Vorläufer und Vordenker des Transhumanismus, sie verweisen auch auf den bereits erwähnten Diskurs über die Entzauberung der Welt und die Möglichkeit einer Wiederverzauberung. Diese muss sich keineswegs ausschließlich auf neue Narrative stützen, sondern kann eine unmittelbare Folge des technischen Fortschritts selbst sein. Zurecht zitiert Kurzweil das dritte Gesetz des britischen Physiker und Science-Fiction-Autors Arthur C. Clarke aus dem Jahr 1973

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(Kurzweil 2016: 37): »Jede weit genug entwickelte Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.«1 Die Geschichte von Wissenschaft und Technik beginnt mit den Ambitionen der Magie – zumindest ist die Magie Teil dieser Geschichte – und ruft sich, wenn auch nur phänotypisch, am Ende dieser Geschichte erneut in Erinnerung und bietet sich als Orientierungsmuster, als Interpretationsmuster an. Das Ende ist erreicht, wenn die Technik derart fortgeschritten ist, dass sie sich von der Herrschaft des Menschen zu emanzipieren vermag. Doch bereits lange vor dieser Entwicklung, die Trans- und Posthumanisten so sehr herbeisehnen, wird Technik zunehmend zur Black Box (Lem 1981: 175 ff.). Der Philosoph Tom Poljanšek hat das Wissen, das zum Umgang und zur Nutzung von Technik erforderlich ist, in zwei Wissensbereiche unterteilt. Das als »Know-Why« definierte Wissen ist demnach das »Wissen darum, wie ein bestimmter Prozess technisch implementiert ist«, das »Know-How« ist hingegen das »Wissen darum, wie man angemessen mit einer bestimmten technischen Umgebung umgeht« (Poljanšek 2011: 173). Je fortgeschrittener und komplexer Technik wird, umso mehr schwindet das »Know-Why«, das nur mehr Experten vorbehalten ist. Doch auch sie laufen Gefahr, nur noch über partielles, fragmentarisches Wissen zu verfügen und übergeordnete Zusammenhänge nicht mehr zu verstehen. Laut Poljanšek wird die Bedienung unserer Technik vom »Know-How« bestimmt und, dem Phänomenologen Hermann Schmitz folgend, tendenziell zum »geregelten Zaubern« (Poljanšek 2011: 178). Hannah Fleßner spricht in einem vergleichbaren Kontext von moderner Technik als »säkularisierter Magie« (Fleßner 2015: 57). Die Herrschaftssehnsüchte der Magier und Alchemisten manifestieren sich in der Bedienung von Technik, die den Traum der Magier nach sofortiger Wunscherfüllung realisiert, wenn auch mit anderen Mitteln. »Magie ist eine primitive Technik der Wunscherfüllung«, erklärt Marco Brusotti, während uns die Wissenschaft eine moderne ermöglicht (Brusotti 2014: 170). Während auf der einen Seite magische Vorstellungen und Ziele das Projekt einer Moderne auf die eine oder andere Weise überdauert haben, so gleicht die Bedienung fortgeschrittener Technik magischen Handlungen, wie das dritte Gesetz von Clarke nahelegt. Ein wesentlicher Grund für die Ununterscheidbarkeit von fortgeschrittener Technik und Magie ist das Verschwinden, das UnsichtbarWerden der Technik, ist das Primat des »Know-How« im Umgang mit Technik.

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Im Original: »Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.« (Clarke 1973: 36)

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Clarkes Gesetz ist damit ein Indiz für die Wiederverzauberung der Welt und deckt sich mit der Analyse von Poljanšek: »Wenn es das Sichtbar-Werden der Funktionsmechanismen war, das den Gegenständen ihren Zauber nahm, so könnte ein Unsichtbar-Machen derselben diese möglicherweise auch wieder ›verzaubern‹.« (Poljanšek 2011: 172)

Wie sehr dies auch auf die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz zutrifft, erläutert Kurzweil, der, seiner transhumanistischen Überzeugung folgend, nicht von Formen oder Varianten spricht, sondern von Spezies: »Viele Spezies der Künstlichen Intelligenz haben sich an den Hightech-Dschungel unserer modernen Welt bis zur Unsichtbarkeit angepasst.« (Kurzweil 2016: 124) Eine weitere Form der Unsichtbarkeit wird durch die intransparente Funktion evoziert, wie der britische Informatiker und KI-Forscher Peter John Bentley erklärt: »Deep Learning zum Beispiel ist wie eine Black Box. Das Verfahren ist wirklich leistungsfähig, aber weil all seine Ergebnisse auf Zahlen basieren, sind sie für Menschen nicht nachvollziehbar. Bei kritischen Anwendungen wird man sich deshalb schwertun, ihm Vertrauen zu schenken.« (Mattke/Bentley 2018)

Nicht anders argumentiert Harari, der das Unsichtbar-Werden der Funktionsmechanismen der KI als möglichen Kontrollverlust beschreibt: »Überdies entwickeln sich mit dem Aufkommen des maschinellen Lernens und künstlicher neuronaler Netzwerke immer mehr Algorithmen unabhängig, indem sie sich selbst verbessern und aus ihren eigenen Fehlern lernen. Sie analysieren astronomische Datenmengen, die kein Mensch je bewältigen könnte, und lernen, Muster zu erkennen und Strategien anzuwenden, die dem menschlichen Geist entgehen. Der Ausgangsalgorithmus mag zunächst von Menschen entwickelt worden sein, aber wenn er heranwächst, verfolgt er seinen eigenen Weg und geht dorthin, wo noch nie zuvor ein Mensch war – und wohin ihm kein Mensch folgen kann.« (Harari 2017: 531)

Eine weitere Konsequenz des Maschine Learnings ist, dass mehrere identische Ausgangsalgorithmen bzw. künstliche neuronale Netze nicht auch identische Lösungswege beschreiten, sondern jeweils eigene und dabei auch zu unterschiedlichen Resultaten kommen können (Wolfangel 2016). Denn wie ein künstliches neuronales Netzwerk tatsächlich zu seinen Ergebnissen kommt, entzieht sich den Kenntnissen selbst der Entwickler, wie etwa Jeff Clune von der University of Wyoming in Laramie zugibt: »Wir verstehen diese Netze genauso wenig wie das

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menschliche Gehirn-« (Castelvecchi/Clune 2016) Sein Kollege Tommi Jaakkola, Professor für Deep Learning am MIT, pflichtet ihm bei: »If you had a very small neural network, you might be able to understand it. But once it becomes very large, and it has thousands of units per layer and maybe hundreds of layers, then it becomes quite un-understandable. […] It is a problem that is already relevant, and it’s going to be much more relevant in the future.« (Knight/Jaakkola: 2017)

Die KI-Forschung hat Kontroll- und Kontingenzprobleme, die keinen Platz in der Ideologie des Transhumanismus haben, geht diese doch von einer tendenziell deterministischen Entwicklung der biologischen wie technologischen Datenverarbeitung aus oder, wie Kurzweil es formuliert, von einer »Zwangsläufigkeit« (Kurzweil 2016: 43). Doch ausgerechnet die künstlichen neuronalen Netzwerke, die zu den großen Hoffnungsträgern der KI-Entwicklung zählen, entziehen sich menschlicher Kontrolle. Erfunden, um die Welt zu berechnen, erweisen sie selbst sich als unberechenbar, denn die internen Prozessabläufe sind intransparent. Auch die von der transhumanistischen Bewegung immer wieder ins Feld geführte Evolutionstheorie implementiert Kontingenz und Zufall ins wissenschaftliche Denken und macht sie zum Bestandteil der biologischen Kränkung, wie der Evolutionsbiologe Ernst Walter Mayr erklärt: »Keine andere Konsequenz der Darwinschen Theorie der natürlichen Auslese hat bei seinen Gegnern so große Bestürzung hervorgerufen wie die Ausschaltung der Planmäßigkeit aus der Natur.« (Mayr 1979: 14)

Auch wenn die Frage, wie groß der Anteil von Kontingenz und Zufall an der Evolution letztendlich ist, bis heute noch nicht befriedigend beantwortet werden konnte, so bleiben Kontingenz und Zufall dennoch fester Bestandteil der Evolutionstheorie und widersprechen der These einer vollständigen Berechenbarkeit der Welt. Das gilt natürlich ebenso für die Quantenphysik, die mit der »Unschärferelation eine physikalische Form von Ungewissheit registriert, die sich mit dem klassischen Determinismus nicht mehr verträgt« (Vogt 2011: 219). Je mehr das »Know-Why« in der Black Box verschwindet, umso stärker kann sich smarte Technik von der Herrschaft ihres Schöpfers emanzipieren. Es verschwinden aber nicht nur die verstandenen wie die unverstandenen Funktionsmechanismen, sondern auch die technischen Apparaturen selbst, die am Beginn der Computerentwicklung noch ganze Räume gefüllt haben. Inzwischen hat die zunehmende Miniaturisierung längst die Nanodimension erreicht und kann in verschiedenen Qualitäten gedruckt werden. Gedruckte Elektronik wiederum ist

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längst zum Massenprodukt geworden (Kuhlmann 2016). Eine der Visionen der Informationstechnologie wird somit eingelöst: »Die Vision des Ubiquitous Computing besagt, dass Computer allgegenwärtig, also ubiquitär, sein werden. Sie sind aber für den Anwender nicht wahrnehmbar, sondern vielmehr unsichtbar oder zumindest so klein, dass sie quasi unsichtbar sind. Computer erscheinen dem Anwender nicht mehr als einzelner, identifizierbarer Gegenstand, sondern verschmelzen mit der physischen Realität. Physische Dinge werden mit informationstechnischen Teilen kombiniert und werden so zu hybriden Objekten, die auch als smarte Dinge bezeichnet werden.« (Diekmann 2007: 10)

Die vierte industrielle Revolution, die auf cyberphysikalischen Systemen basiert, sowie das Entstehen eines Internet of Everything (IoE), das die Möglichkeiten des Internet of Things noch überbietet und den Menschen selbst involviert, ist im Begriff, eine smarte, von intelligenten, lernfähigen Algorithmen gesteuerte und kontrollierte Technosphäre zu bilden, deren zunehmend autonome und intransparente Entscheidungsprozesse im Unsichtbaren ablaufen (Di Martino/Tianruo Yang/Esposito/Li 2018). Der Zugang zu dieser synthetischen Umwelt erfolgt über Handlungen, die lediglich »Know-How« erfordern und phänotypisch magischen Handlungen und Ritualen gleichen. Wir geben Dingen sprachliche Befehle, wischen über Displays und betätigen reale oder virtuelle Drucktasten, ohne die Prozesse zu kennen oder zu verstehen, die wir durch diese Handlungen aktivieren. Das alltäglich gewordene, »geregelte Zaubern« erfolgt von einer kaum oder nicht reflektierten Position aus, die sich als »Zustand des permanenten Nichtverstehens« beschreiben lässt (Kowalski 1975: 23). Die Konditionierung erfolgt durch die Technik und deren Benutzeroberflächen selbst, die »dem Benutzer die Pfade möglicher Verwendung strukturierend« vorgibt (Poljanšek 2011: 173). Metaphorisch ist das permanente Nichtverstehen längst als »Wunder der Technik« in unserer Sprache verankert. Somit unterscheidet sich der Bewohner der smarten Technosphäre weniger vom Mitglied eines indigenen Indianerstamms am Amazonas, dessen Welt durch Mythen vermittelt ist, als er glaubt: »Der Bereich des Geheimnisvollen ist entgegen der Überzeugung unserer aufgeklärten Zeit gegenüber früher nicht kleiner geworden, sondern größer. Wir sind ständig von einer geheimnisvollen Sphäre der Automatik umgeben, nicht unähnlich dem Eingeborenen […], der einen Regentanz vollführt, wenn er den Regen herbeiwünscht, ohne zu fragen, warum es wohl auf Grund seiner Verrenkungen zur Wolkenbildung kommen sollte.« (Kowalski 1975: 22)

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Der Schweizer Experimentalphysiker Emil Kowalski weist auch noch auf eine weitere Folge unserer geregelten Zaubertätigkeit hin, die wiederum die Wiederverzauberung forciert: »Die Drucktaste simplifiziert die Welt. Wo man früher überlegen musste, dort drückt man, ohne zu überlegen, auf den Knopf. Die kompliziertesten Ketten von Ursache und Wirkung werden zu einfachen Tastensystemen.« (Kowalski 1975: 22)

Die Bedienung unserer zunehmend intelligenten Apparate ist zu einem »Ritual der Sofortreaktion« gediehen, analog zum Versprechen der Magie einer sofortigen Wunscherfüllung (Kowalski 1975: 26). In beiden Fällen stützt sich die erhoffte Herrschaft über die Welt auf die Kenntnis der Rituale und Formeln oder auch nur auf die Handhabung der Maus, die »Zaubern durch die gestaltete Oberfläche« ermöglicht (Poljanšek 2011: 173). Eine tiefergehende Herrschaft über die Funktionsmechanismen und Prozessabläufe in der Black Box ist durch die modernen Bedienungsrituale nicht vermittelt. Es bleibt nur der von Max Weber beschriebene »Glauben daran: dass man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte«, was sich in der Black Box abspielt (Weber 1985: 593). War dieser Glauben bei der Straßenbahn noch berechtigt, so gilt dies jedoch nicht für künstliche neuronale Netzwerke. Was bleibt, ist der pure Glaube, ist die Hoffnung, dass die smarten Algorithmen die ihnen übertragenen Aufgaben irgendwie wunschgemäß erfüllen werden. Das Unsichtbar-Werden von Technik, der Zustand des permanenten Nichtverstehens sowie die Bedienung von Technik als geregeltes Zaubern und pseudomagische Handlung forcieren die Wiederverzauberung der Welt. Gleichzeitig muss der Mensch in dieser Welt einen Autonomieverlust hinnehmen, in der er zunehmend zum subalternen Benutzer degradiert wird, wobei es sich bei dem Begriff »Benutzer« um einen Euphemismus handelt, da der Mensch von den ökonomischen und politischen Herrschern, die von der intelligenten Technosphäre profitieren, seinerseits benutzt wird, und sei es auch nur als Datenlieferant (Lanier 2014; Stadler 2016; Schirrmacher 2015). An dieser Entwicklung ist die Informatik, ist die KI-Forschung maßgeblich beteiligt, wobei zumindest das Unsichtbar-Machen von smarter Technologie zu den erklärten Zielen gehört.

TRANSHUMANISTISCHE MYTHENKONSTRUKTION Mythos und Aufklärung sind dank diverser Interferenzen nicht voneinander zu trennen. Selbst die Vorstellungen und Ziele der Magie sind in der Moderne wei-

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terhin präsent und in neue Narrative und moderne Mythen eingeflossen. Auch die Trans- und Posthumanisten sind von dieser Verschränkung nicht verschont geblieben, wie ihre eigenen Legitimationen, ihre eigenen Narrative zeigen. Das trifft sogar auf ihre Kernthesen zu, etwa auf die Annahme, das menschliche Denken sei tatsächlich und vollständig formalisierbar. Doch statt sich an der vom Programm der Aufklärung geforderten Entmythologisierung umfassend zu beteiligen, tragen sie gerade mit dieser Grundannahme zu Entstehung neuer Mythen bei, wie Bächle erläutert: »Intelligenz als quantifizierende Leistung […] wird gemessen durch den Grad der Fähigkeit, Symbolketten zu prozessieren, und somit gleichgesetzt mit linguistischer Kompetenz. Natürliche Sprachen wiederum werden in dieser Herangehensweise reduziert auf ein logisch widerspruchsfreies und eindeutiges System, wie es mit einer algorithmenbasierten Formalsprache vorliegt. Erst durch diese Modell-Konvergenz bei der Beobachtung menschlicher und technischer Recheneinheiten kann es zu der wirkmächtigen Illusion kommen, menschliches Denken und Intelligenz ließen sich nicht nur verlustfrei in formalisierten Repräsentationen abbilden, sondern auch künstlich erzeugen. Das formallogische Modell des Computers wird dem Gehirn als Phänomen übergestülpt.« (Bächle 2015: 290)

Das menschliche Denken wird auf einen formalisierbaren Prozess reduziert, um es anschließend als vollständig formalisierbar zu definieren. Die Formalisierbarkeit entpuppt sich als Formalisierungswunsch. Bächle spricht von einem »Mythos der Formalisierung«, der auch bei anderen Grundannahmen wissenschaftlicher Disziplinen zu finden ist (Bächle 2015: 218). Bächle weist zudem umfassend nach, wie sehr wissenschaftliches Denken, insbesondere im Bereich der KIForschung, der Biotechnologie, der Nanotechnologie und der Kognitionswissenschaft, mythologisch geprägt ist. Nicht wenige Grundannahmen, eidetische Vorstellungen und Modelle inklusive des legendären Turings-Tests erweisen sich bei näherer Betrachtung als fragwürdige Konstrukte, die einer kritischen Überprüfung nicht standhalten (Bächle 2015: 267). Selbst die Mathematik ist an der Mythenkonstruktion beteiligt, wie Bächle anhand von Leibnitz nachweist. Ausgerechnet die Ikone des Transhumanismus sorgt dafür, dass sich »das Kalkül und damit der Algorithmus mit dem Mythos verbindet« (Bächle 2015: 137): »In Leibniz’ Idee der Kalkülisierung geraten Rechnen und Denken in ein Analogieverhältnis: Eine universelle Kalkülsprache erlaubt die Berechnung neuer Erkenntnisse. Der Begriff der Wahrheit wird auf diese Weise umgedeutet. Es zählt nicht mehr in erster Linie die Referentialität der symbolisch durchgeführten Rechenschritte auf ein Außerhalb. Ein in der Formsprache regelgeleitet errechneter Ausdruck erhält den Stellenwert einer Wahr-

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heit. […] Dieser symbolische Ausdruck hat nur im Inneren der Formalsprache Bedeutung. […] Es kommt zu einer Loslösung des Sinnsystems von einem Referenzbereich. […] Wahrheit entsteht dann, wenn die Zeichenregeln eingehalten werden.« (Bächle 2015: 136 f.)

Die Formel triumphiert über das Reale, das Symbol über das Symbolisierte und emanzipiert sich bis zu einem gewissen Grade, dabei »bringt sich der Ausdruck quasi selbst als Objekt hervor« (Bächle 2015: 137) Im Kontext der Entstehung der modernen Physik kam es zu einem weiteren Emanzipationsschritt der Mathematik, verlor die Referentialität nochmals an Bedeutung, wurde »sehr sorgfältig zwischen dem mathematischen und physikalischen Raum und zwischen reiner und physikalischer Geometrie unterschieden« (Lier 2010: 78). Um den Herausforderungen der neuen physikalischen Modelle gewachsen zu sein, musste die Mathematik sich noch fundamentaler von der Realität lösen, »der mathematische Raum wurde als reines Konstrukt, als Produkt des menschlichen Geistes verstanden, das keinen Bezug zur tatsächlichen existierenden, realen Welt hatte« (Lier 2010: 79). Lier untermauert ihre Feststellung nicht zuletzt mit den detaillierten Ausführungen des amerikanischen Mathematikers und Wissenschaftshistorikers Morris Kline: »By 1900 mathematics had broken away from reality; it had clearly and irretrievably lost its claim to the truth about nature, and had become the pursuit of necessary consequences of arbitrary axioms about meaningless things.« (Kline 1972: 1035)

Diese Loslösung hat natürlich auch Konsequenzen. So kann die Mathematik auch Wahrheiten generieren, die auf Mythen basieren. Ein bekanntes Beispiel ist die sogenannte Hohlwelttheorie, die besagt, dass wir nicht auf der Oberfläche einer Vollkugel leben, also der Erde, sondern auf der Innenfläche einer Hohlkugel, in dessen Zentrum sich die Sonne befindet. Dieses auf einer Offenbarung des amerikanischen Arztes Cyrus Teed zurückgehende Weltbild widersetzt sich keinesfalls einer plausiblen Berechenbarkeit: »Durch eine einfache, mathematische Transformation, die ›Transformation durch reziproke Radien‹, kann man jede physikalische Formel der gewöhnlichen Physik in eine entsprechende Formel der Hohlwelt-Physik verwandeln, welche in der Regel komplizierter ist, aber die Phänomene genauso gut erklärt.« (Neidhart 2009: 23)

Wenn Wahrheit aus der Einhaltung der Zeichenregeln resultiert, dann kann die Hohlwelt-Theorie Anspruch auf Wahrheit erheben, denn rein mathematisch lässt

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sich diese widerspruchsfrei darstellen. Der Wiener Mathematiker Gerhard Kowol warnt in diesem Kontext sogar vor einer unkritischen Anwendung mathematischer Beweise, da sich mathematisch eben alles Mögliche und sogar sich widersprechende Modelle erklären lassen. In Bezug auf die Hohlwelttheorie, die sich ebenso mathematisch beweisen lässt wie die Kugelform der Erde, mahnt er: »Um zu klären, welcher Interpretation jeweils der Vorzug zu geben ist, muss man daher den Bereich der Geometrie verlassen und auf diejenige Wissenschaft zurückgreifen, aus der die Anwendung stammt. Gerade in der heutigen Zeit, in der der Wissenschaftsbetrieb dem Ausspruch Kants ›Ich behaupte, dass in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden kann, als darin Mathematik anzutreffen ist‹ geradezu verfallen zu sein scheint, kann dieser notwendige Rückgriff, der nicht bloß bei den Anwendungen der Geometrie, sondern der Mathematik allgemein gefordert ist, nicht genug betont werden. Mathematik als ein ›von aller Erfahrung unabhängiges Produkt des menschlichen Denkens‹ (Einstein) ist eben niemals konstitutiv für die Wirklichkeit.« (Kowol 2009: 4)

Transhumanisten tendieren indes dazu, mathematische Objektkonstrukte als reale Objekte zu betrachten. Der Glaube an die vollständige Formalisierbarkeit und Berechenbarkeit der Welt als Voraussetzung für die transhumanistischen und posthumanistischen Ziele erweist sich als moderner Aberglaube, die immer wieder betonte Distanz zum Mythos als narratives Element transhumanistischer Mythen, wie die bereits zitierte Äußerung des amerikanischen Computerwissenschaftlers und Kryonik-Experten Mike Perry über eine technisch realisierbare Unsterblichkeit verdeutlicht: »Immortality is mathematical, not mystical.« (Zit. n. Regis 1994) Im Gegenteil, die Vorstellung von Unsterblichkeit ist gleich mehrfach von sedimentierten Mythen durchsetzt. Folgt man Transhumanisten wie Raymond Kurzweil, sind Natur und Technik, sind Evolution und Technoevolution vollständig kompatible Entwicklungsschritte einer zielgerichteten Big History. Die Kompatibilität wiederum ist die Bedingung ihrer Konvergenz: »Die Evolution, die ein exponenziell wachsendes Tempo an den Tag legt, geht nahtlos in den technischen Fortschritt über.« (Kurzweil 2016: 37) Der Mensch ist zugleich Zeuge und Initiator dieser Konvergenz, die möglich ist, weil die Evolution den technischen Fortschritt bereits impliziert: »Mit der Erfindung der DNS hatte die Evolution eine Art Computersprache geschaffen.« (Kurzweil 2016: 36) Dass es sich bei der Desoxyribonukleinsäure um eine Art Computersprache handelt, ist jedoch eine Interpretation, ein Modell, ein weiteres Konstrukt, das auf dem »Mythos der Formalisierung« beruht. Kurzweil ist Opfer einer in der Wissenschaft immer wieder anzutreffenden

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Verwechselung geworden, denn mitunter wird schlicht vergessen, »dass nicht die Phänomene, sondern die Modelle konvergieren« (Bächle 2015: 119). Vor diesem Irrtum warnte der Berliner Informatiker Wolfgang Coy bereits in den 1980er Jahren: »Die Ideologie der Information hat sich durchgesetzt – die Details der Materie verschwinden hinter der logischen Funktion. Die Verwechselung von Informationsabbild und Original wird nicht nur in der Datenverarbeitung zum allseits akzeptierten Irrtum.« (Coy 1985: 142) Auch Coy thematisiert die Vorstellung von der vollständigen Berechenbarkeit der Welt, die somit auch vollständig beherrschbar wird. Es bedarf genau dieser Vorstellung, um alle Komponenten der kompatibel zu machen. Bächle fasst das Konstrukt zusammen: »Alles Materielle lässt sich verlustfrei repräsentieren, modellieren, berechnen, simulieren und schließlich kontrollieren, bis aufs letzte Molekül, das als entmaterialisierte informationelle Einheit entworfen wird. Materie ist in dieser Darstellung durchzogen von Information, die zum Scharnier der Disziplinen Nano-, Bio,- Informations- und Kognitionswissenschaft erklärt wird. Die durch die Autoren gemachte Annahme konvergierender Technologien wird erst durch diese – letztendlich ontologische, weil das menschliche Sein betreffende – Setzung überhaupt sinnvoll. Eng verbunden mit der Auflösung der Welt in Information ist eine Ermächtigungsphantasie über physikalische und chemische Prozesse, die sich universell formalisieren und schließlich kontrollieren lassen. Prozesse des Lebendigen sind algorithmisierbar, der Lebenscode kann gar Grundlage für DNA-gestützte Computersysteme sei.« (Bächle 2015: 80)

DIE KI WIRD ZUM STEIN DER WEISEN Ohne die »Mythologie der universellen Berechenbarkeit des Natürlichen und Menschlichen« ist das transhumanistische Narrativ gar nicht vorstellbar (Bächle 2015: 122). Sie führt auch zum zentralen Motiv der angestrebten Herrschaft über die Welt, eben jener Ermächtigungsphantasie, die der Herrschaftssehnsucht der Magier so verblüffend ähnelt. Denn auch die angestrebte Herrschaft der Magie und Alchemie war auf das Ganze ausgerichtet, auf Allwissenheit, auf die Materie, auf Leben und Tod. Mit Hilfe der richtigen Formel, des richtigen Symbols, der richtigen Rezeptur sollte der dem Universum immanente Geist den Befehlen des Magiers gehorchen. Zur Vorstellungswelt der Alchemie zählt auch der legendäre Urstoff, der »in allen Substanzen enthalten ist« (Gebelein 2000: 64). Der Urstoff definiert die Eigenschaften und die Form der Materie und ermöglicht so die Transmutation, den Umbau der Materie und sogar die »Umwandlung […] von Licht in Körper« (Gebelein 2000: 310).

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Rund 600 Synonyme lassen sich für diesen Urstoff nachweisen, von denen ein Synonym durchaus »Information« lauten könnte, denn der Urstoff der Alchemie teilt zahlreiche Eigenschaften mit der Information bzw. dem technologischen Informationsbegriff. Die Information ist der Urstoff der Transhumanisten und basiert auf der Zahl, die wiederum Ordnung erzeugt, »denn Ordnung braucht Information» (Kurzweil 2016: 61). Die technische Evolution wird als Prozess des Ordnens verstanden, der sich gegen die Unordnung richtet, wie sie das Rauschen oder das Chaos repräsentieren (Kurzweil 2016: 63). Am Ende des Universums triumphiert die informationsbasierte Ordnung sogar über die Entropie. Deshalb nennen sich zahlreiche Transhumanisten auch Extropianer, da sie das Kunstwort Extropie der Entropie entgegenstellen. Unter Extropie verstehen Transhumanisten wie Max More eine zunehmende Ordnung, die sie im gesamten Universum durchsetzen wollen (More 1998). Der Urstoff Information ist auch der Schlüssel zur Nanotechnologie, die den »Gestaltwandel in der realen Welt« ermöglichen soll (Kurzweil 2016: 227). Wer diesen Gestaltwandel beherrscht, ist Herrscher über die Materie und kann jeden beliebigen Wunsch erfüllen. Kaum eine Textstelle verdeutlicht den Begriff der Ermächtigungsphantasie des Transhumanismus besser: »Nahrung, Kleidung, Diamantringe, Gebäude könnten sich alle Molekül für Molekül selbst zusammensetzen. Jede Art von Produkt könnte sofort geschaffen werden, wann und wo wir es brauchen. Tatsächlich könnte sich die ganze Welt ständig neu zusammensetzen, um unsere wechselnden Bedürfnisse, Begierden und Fantasien zu befriedigen. Im späten 21. Jahrhundert wird es nanotechnisch möglich sein, dass Möbel, Gebäude, Kleidungsstücke, ja sogar Personen ihre äußere Erscheinung und ihre Eigenschaften in Sekundenbruchteilen ändern und sich praktisch in etwas anderes verwandeln.« (Kurzweil 2016: 227)

Kurzweils Vision einer vollständig wiederverzauberten Welt führt übrigens zurück in seine Kindheit und seine Begeisterung für Zaubertricks aller Art. Allerdings stellte er bald fest, »dass der Zauber verschwand und nur die gewöhnlichen Verfahren blieben, sobald diese aufgedeckt wurden« (Kurzweil 1993: 463). Im Sinne Webers wurde seine Welt entzaubert, um später wiederverzaubert zu werden: »Als ich älter wurde, entdeckte ich eine weit stärkere Form der Zauberei: den Computer. […] Und anders als bei gewöhnlicher Zauberei verfliegt das Entzücken über den Computerzauber nicht, wenn die zugrundeliegenden Verfahren aufgedeckt werden.« (Kurzweil 1993: 463)

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Die von der Magie herbeigesehnte, sofortige Wunscherfüllung, die beliebige Transmutation, ist jedenfalls in dieser Vision realisiert. Was Kurzweil hier skizziert, ist technisch realisiertes Zaubern oder eben »Computerzaubern«, das den Vorstellungen und Wünschen der Alchemie folgt. Kurzweil verspricht hier ein zweites Mal, was die Magie nicht zu erfüllen vermochte, da ihre Methoden nicht geeignet waren, da ihr Urstoff zwar 600 Namen besitzt, aber keine Macht über die Welt verschaffte. Diese Macht soll den Transhumanisten die Information liefern, mit der Materie und sogar die ganze Welt neu programmiert werden sollen. Die Nanotechnologie erscheint hier nur als konvergierte Hilfswissenschaft, die endlich die Transmutationswünsche der Alchemie realisiert. In dieser Vision ist die Wiederverzauberung der Welt vollendet, denn sollte sie je in Erfüllung gehen, werden die kybernetischen und nanotechnologischen Prozesse, die sie ermöglichen, von niemandem mehr verstanden werden, sofern sie auf künstlichen neuronalen Netzen bzw. KI aufbauen. Die Welt als Ganzes wird zur Black Box und ähnelt damit der animistischen Welt der ersten Menschen. Für diese Vision ist Clarkes drittes Gesetz maßgeschneidert, denn hier konvergieren Technik und Magie und werden ununterscheidbar. Der transhumanistische Traum, wie Raymond Kurzweil ihn träumt, ist der alte Traum der Magier und Alchemisten, durch Transmutation und andere Prozesse die vorgefundene, unvollkommene Welt zu vervollkommnen. Einer tatsächlichen Realisierung stehen allerdings zahlreiche Mythen entgegen, nicht zuletzt jener Mythos von der Berechenbarkeit der Welt. Eines Tages könnte sich die Interpretation von Technik als Überlistung der Natur, die auf Aristoteles zurückgeht und von Hegel, Bloch und anderen thematisiert wurde, selbst als Mythos erweisen, nämlich dann, wenn der bislang sehr erfolgreiche Überlistungsprozess nicht mehr gelingt, wenn die List versagt und an unüberwindbare Grenzen stößt (Müller/Nievergelt 1996: 170). Kurzweil, Bostrum und andere sind jedoch davon überzeugt, dass die menschliche List nicht limitiert ist. Ob sich Kurzweils Vision wissenschaftlich-technisch überhaupt erfüllen lässt, bleibt somit und auf multiple Weise höchst fraglich. Was bleibt, ist der Traum, in einer durch Information durchdrungenen Welt mittels geregeltem Zaubern »Bedürfnisse, Begierden und Fantasien zu befriedigen«. Doch ist dieser Traum letztendlich noch für Menschen gedacht, für Menschen des 21. Jahrhunderts. Die Big History der Trans- und Posthumanisten reicht aber viel weiter und deckt sich auch darin mit den Träumen der Magier, Unsterblichkeit zu erreichen und selbst zum Schöpfer zu werden. Für die Magier gab es, wie aufgezeigt wurde, nur eine Möglichkeit, diese und andere Ziele zu erreichen, nämlich den Stein der Weisen. Erst der Lapis philosophorum verleiht die erforderliche Macht, besagte Alchemistenträume auch tatsächlich zu erfüllen.

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Die Vorbild- und Modellfunktion des Steins der Weisen, die More betont, ist evident; die Suche nach dem Stein ist für ihn »like the search for a magical form of technology capable of transmuting elements, curing all disease, and granting immortality« (More/Vita-More 2013). Sein Vergleich unterstreicht die identischen Ziele von Transhumanisten und Magiern, die dadurch zu Vorläufern werden, obwohl sie mit ihren Methoden scheiterten. Die Suche jedoch nach der Macht, die der Stein der Weisen verspricht, ist für More nachvollziehbar und übertragbar auf die Suche der Transhumanisten nach entsprechenden Lösungen. Die Suche nach einem geeigneten Kandidaten für den Lapis philosophorum fällt nicht schwer, denn die Nominierung hat längst stattgefunden. Die Künstliche Intelligenz (KI) wurde ja bereits auf der Dartmouth-Konferenz 1956 als Kandidat präsentiert (Bostrom 2014: 18 ff). Seither verbringen die Transhumanisten laut Kurzweil die Zeit mit »Warten auf wirkliche Künstliche Intelligenz« (Kurzweil 2016: 122). Denn die KI ist unabdingbar notwendig »für die Umgestaltung der Außenwelt« (Bostrom 2014: 142). Nur mit Künstlicher Intelligenz, nur mit dem »Computerzauber« kann die Herrschaftssehnsucht auch erfüllt werden, kann der Mensch überwunden werden, können Von-Neumann-Sonden die »Kolonisierungsphase« einleiten und Ordnung ins Universum tragen (Bostrom 2014: 143). Nur mithilfe von KI ist das Mind-Uploading möglich, von Bostrom »Gehirnemulation« genannt (Bostrom 2014: 51). Die KI soll die erhoffte »Macht über die Dinge« garantieren und gleicht so dem Lapis philosophorum (Mauss 1974: 67). Und wie Formel und Rezeptur des Steins der Weisen unter Magiern und Alchemisten umstritten waren, so dass die Suche nach beidem das Streben bestimmte, so ist auch die KI-Forschung durch die Suche nach der Formel und der Rezeptur geprägt: »Künstliche Intelligenz definiert sich daher zu jedem Zeitpunkt als Suche nach den bislang ungelösten Problemen der Computerforschung.« (Kurzweil 2016: 125) Kein Wunder, denn trotz aller Hoffnungen und Visionen ist die reale Entwicklung weiterhin offen, wie auch Bostrom weiß: »Die Expertenmeinungen zur Zukunft der KI gehen weit auseinander. Es besteht überhaupt keine Einigkeit darüber, wohin sich die KI-Forschung entwickelt oder wie lange solche Entwicklungen dauern werden.« (Bostrom 2014: 37) Den Stein der Weisen und die »wirkliche Künstliche Intelligenz« verbinden die wahrlich fantastischen Hoffnungen und die langwierige, vielleicht sogar vergebliche Suche. Der Stein der Weisen und die KI teilen noch eine Gemeinsamkeit, nämlich die Chance auf Deifikation: »Mit dem Stein und den Elixieren glaubte der Alchemist, gottgleiche Macht zu besitzen, Zeit und Schöpfung zu kontrollieren.« (Coudert 1982: 95) Wer das Ziel hat, eines Tages das gesamte Universum neu zu gestalten, strebt ebenfalls eine Machtfülle an, für die sich nur göttliche Macht als

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Vergleich anbietet. Glaubte der Magier an ein animistisches Universum, so ist es das Ziel des Posthumanismus, dem gesamten Universum Geist einzuhauchen: »Auf lange Sicht wird diese explodierende Intelligenz eine Kraft sein, die sich mit den großen Kräften des Universums messen kann.« (Kurzweil 2016: 399) Das Ergebnis ist eine Art synthetischer Animismus. Der Posthumanismus sehnt sich einen Zustand herbei, an den die Magier fest geglaubt haben. Als weiteres gemeinsames Telos bleibt noch die Unsterblichkeit, die wiederum auf die Idee der Vervollkommnung des Menschen zurückgeht. Da nur Götter als unsterblich und somit vollkommen angesehen werden, ist das Streben nach Unsterblichkeit ebenfalls ein Akt der Deifikation. Wer künstliche Menschen, wer künstliches Leben, wer eine Superintelligenz schaffen kann, macht sich durch diesen Akt zum gottgleichen Schöpfer und zum Alchemisten 2.0, um einen adäquaten Jargon zu bemühen. Die transhumanistische Transmutation von Körper und Geist folgt indes nicht nur der alchemistischen Idee einer Vervollkommnung der Natur, sondern folgt zudem aktuellen ökonomischen Implikationen. Indem der Transhumanismus die Konkurrenzfähigkeit des Menschen gegenüber einer tendenziell intelligenten Technosphäre propagiert, forciert er gleichzeitig die Assimilation des Menschen an die ökonomischen, industriellen, kulturellen und sozialen Konditionen der neoliberal geprägten Spätmoderne. Die so leidenschaftlich herbeigesehnte Konvergenz von Mensch und Maschine »transmutiert« den unvollkommenen Menschen zur vollkommenen Maschine; der Mensch wird zum kompatiblen, konvergierbaren Biobrick der Technosphäre, deren Zweck vor allem ein ökonomischer ist: »Im Grundton der Machbarkeit und Beherrschbarkeit des Menschen als optimierbare Einheit rezitiert diese Form der Technikphilosophie bloße Stanzen einer kapitalistischen Optimierungs-, Fortschritts- und Produktionslogik« (Bächle 2015: 82). Transhumanisten feiern sich als Vollender der Evolution, als Homo Deus, als letzte Herrscher über Welt, Natur, Mensch und Technik, bevor diese das menschliche Erbe antritt, vergessen jedoch, dass der als »zwangläufig« beschriebene Prozess auf einen globalen Genozid an der Spezies Homo sapiens hinausläuft. Moravec schlägt immerhin vor, Menschen in Zoos zu halten, sobald die KI, sobald die Superintelligenz die Macht übernimmt (Moravec 1996). Einen relevanten Beitrag an Zukunftsdiskursen, die menschenwürdige Zukünfte entwerfen, die nach Lösungen einer Versöhnung von Ökonomie und Ökologie suchen, die Überlebensstrategien für die Spezies Mensch auf der Erde entwickeln, die die Dichotomie zwischen Armut und Reichtum überwinden wollen, leistet der Transhumanismus definitiv nicht. Die Modelle möglicher Zukünfte jenseits trans- und posthumanistischer Visionen müssen dabei keineswegs technikfeind-

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lich ausfallen, wie More gerne unterstellt, sondern verlangen nur nach einer anderen Technik. Nichts spricht gegen den Einsatz von KI und Algorithmen, sofern sich die intelligente Technik nicht gegen die Interessen der Menschen richtet und ihm Menschenwürde und Lebensgrundlage entzieht. Statt ein Ende der Geschichte herbeizusehnen, sollten die Risiken intelligenter Technologien ausgelotet werden – wie die Risiken jeglicher Technologien. Sofern Prothetik und Cyborgtechnologie helfen, gesundheitliche Defizite zu beheben, gehören sie unbedingt zu den medizinischen Therapieformen. Im Laufe des 21. Jahrhunderts muss somit die Frage beantwortet werden, ob die Menschheit ihre Zukunft tatsächlich den Magiern und Alchemisten unter den Wissenschaftlern überlassen will.

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GRENZEN Haut ist elastisch, darum genügten drei Haken. Wäre aber zu schmerzhaft. Mit diesem Argument begründet der australische Performance-Künstler Stelarc, dass er sich anstatt an nur drei an achtzehn durch die Haut seines Rückens gezogenen Stahlhaken aufhängen lässt. 60 Meter von einem Kran in die Höhe gezogen, aufgespannt zwischen zwei Hochhäusern in New York, meistens aber in kleinen Galerien und ohne Publikum führte Stelarc in den dreizehn Jahren von 1976 bis 1989 zahlreiche Aufhängeaktionen (»Suspensions«) durch. Der 1946 in Limassol als Stelios Aracadiou geborene Künstler setzt sich mit dem Verhältnis des Menschen zu äußeren Einwirkungen auseinander. In seinen Performances experimentiert er mit Prothetik, Robotik, Virtual-Reality-Systemen und dem Internet. Den Körper begreift er als offenes System, das, fusioniert mit der Technik, sukzessive zum Cyborg mutiert. Seine extremen Aktionen sollen den Beweis erbringen, dass die Voraussetzungen der körperlichen Integrität wie auch generell einer Identität, die sich auf Seele oder Geist gründet, kulturelle und deshalb obsolete Konstrukte sind. Obwohl die »Suspensions« auf einen ersten Eindruck sich von der späteren, eigentlichen Konzeption der technischen und biologischen Erweiterung des Körpers noch maßgebend zu unterscheiden scheinen, bilden diese Extremaktionen,

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bei denen die Haut zum künstlerischen Medium umfunktioniert ist, eine elementare Voraussetzung für die künftigen Performances. Allerdings scheint die Motivation der Hautaktionen eher in der Psychologie als in der Kunst zu suchen zu sein. Der Begriff der Grenzerfahrung, mit dem derartige Prozeduren üblicherweise bezeichnet werden, erscheint bei Stelarc in einer aufschlussreichen Doppeldeutigkeit. Grenzerfahrungen werden in Extremsituationen ausgelebt wie etwa bei Risikosportarten. In der Kunst hat sich seit Ende der 1960er die Body Art etabliert und in diesem Genre die seltenere Danger Art. Bei den »Suspensions« verlagert sich die Subjektivität in die Haut. Was er dabei wahrnimmt, protokolliert Stelarc wie folgt: »Es war auch eine einzigartige Erfahrung. Schon nach 10 oder 20 Metern konnte ich nichts mehr hören von der Stadt und vernahm nur noch die Geräusche des Windes und diese komischen Töne von der gespannten Haut mit den Haken im Fleisch«, als wäre die abstrakte Erfahrung einer »Konstruktion des Körpers ohne die Metaphysik des Bewusstseins« körperlich zu spüren (Landwehr 1998). Die Haut ist für den Psychoanalytiker Didier Anzieu ein besonderes Organ, das als ein eigenständiges psychologisches Teilgebiet zu erforschen ist. Seine Erkenntnisse über deren Multiplexität entfaltet er in dem Buch »Das Haut-Ich«. Eine verkürzte Übersicht über den Forschungsgegenstand liest sich so: »Die Haut ist durchlässig und undurchlässig, sie ist oberflächlich und tiefgründig, wahrhaftig trügerisch […] Sie wird libidinös, narzisstisch und sexuell besetzt. Sie ist Ort des Wohlbefindens und der Verführung. Sie verschafft uns gleichviel Schmerzen wie Lust. […] Die Haut ist widerstandsfähig und empfindlich zugleich […] Zum Wesen der Haut gehört die Reizvermittlung, ihre Funktion als Abgrenzung und ihre wechselnde Anpassungsfähigkeit.« (Anzieu 1992: 31)

Für die folgende Argumentation ist jedoch nur die nachstehende Funktion von Interesse: »Die Haut ist die Grenzfläche (interface); sie bildet die Grenze zur Außenwelt und sorgt dafür, dass diese draußen bleibt« (Anzieu 1992: 60). Mit dem Begriff »interface« greift Anzieu auf einen Anglizismus mit der Doppelbedeutung »Grenz-« und »Verbindungsfläche« zurück, sicher nicht allein aus dem Grund, dass es im Französischen keine genaue Entsprechung dafür gibt. Beim Thema Haut zwar ans Unmittelbar-Körperliche rückgebunden, reißen diese zwei Bedeutungen jedoch einen Kontext von unabsehbarer Tragweite an, dessen zunehmende Ausdifferenzierung spätestens mit Hegels berühmtem Einwand gegen Kant einsetzt, dass eine Grenze zu setzen, diese gleichzeitig zu überschreiten heißt, dass es das Diesseits einer Grenze nur dann geben kann, wenn es auch ein Jenseits davon gibt. Ausgehend von territorialen Grenzen löst sich der Be-

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griff mit seinen Metaphorisierungen in juristische, psychologische und soziologische Bedeutungsfelder auf, wodurch sein intuitiver Wert sukzessive zu einer Scheinevidenz zerbröselt. Genau genommen lässt sich kein bedeutsamer Kontext vorstellen, der nicht durch imaginäre Demarkationslinien kodiert ist. Rechtssystem, Religion, Wissenschaft, Sexualität, Kultur, Politik und so weiter: Grenzen erweisen sich als Invariablen des menschlichen Denkens und Handelns, lassen sich aber nicht zwingend positiv bestimmen, weil sie permanenten Veränderungsprozessen und Kontroversen ausgesetzte Übereinkünfte sind: Disponibel, volatil, unbeständig (Kleinschmidt 2011: 9 ff.). Zwar von einer elementaren Kraft und selbst als scharfer Einschnitt ist die Grenze ein Phänomen nahe dem Nichts und provoziert vor allem eins: Überschreitung: »In dieser Schmalheit der Linie, zeigt sie sich blitzartig als Übergang« (Foucault 2003: 68). Foucault geht weiter als Hegel, indem er eine Manie, ja, einen Wiederholungszwang der Überschreitung diagnostiziert: »Die Grenze und die Überschreitung verdanken einander die Dichte ihres Seins: Eine Grenze, die absolut nicht überquert werden könnte, wäre inexistent; umgekehrt wäre eine Überschreitung, die nur eine scheinbare oder schattenhafte Grenze durchbrechen würde, nichtig.« (Foucault 2003: 69)

MÄNGELEXEMPLAR MENSCH UND NEUER MENSCH Die Selbstabwertung des Menschen ist ein Motiv, das sich beispielsweise im biblischen Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies reflektiert und mit der Setzung einer ungreifbaren Macht in die Ursprünge aller Religionen inskribiert ist. Ganz unmetaphysisch und parallel dazu laufen die realen Machtverhältnisse, deren Genealogie sich aus gewaltsamen Unterwerfungsakten herleitet. Die Unterworfenen – ob Autochthone oder Fremde (insbesondere die Kriegsbeute Sklaven) sind Subjekte im strengen Wortsinn (lat. »subjectum« = »unterworfen«) und in festgeschriebenen Machtverhältnissen a priori eine entwertete gesellschaftliche Spezies. Zu erinnern wäre hierbei an Baudrillards These vom Ursprung der Sklaverei, der zufolge die Kriegssieger durch den Tötungsaufschub sich das Leben der Besiegten zur willkürlichen Nutzung aneignen. Als eine Grundvoraussetzung des Überlebens verlängert sich diese Konstellation in die kapitalistischen Abhängigkeitsverhältnisse (Baudrillard 1982). Eigentum von Produktionsmitteln, Staatsmacht, Akkumulation von Herrschaftswissen, Erziehungsinstitutionen und dergleichen erscheinen als die ewigen Stabilisatoren des dualistischen Macht-Dispositivs.

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Die Selbstabwertung des Menschen übersetzt sich in kollektive Kompensationsphantasien. Wiedergeburt, Gottwerdung und Erlösung bilden Narrative des Auswegs, in denen sich ein tiefverwurzeltes Bewusstsein von der Begrenztheit des Menschen artikuliert. Menschsein bedeutet Grenze und wird deshalb als ein vorläufiger Zustand aufgefasst. Obwohl im konstitutiven Bewusstsein des Mangels die vorzivilisatorische Erfahrung einer übermächtigen, gefährlichen Natur durchschlägt, änderten die zunehmende Naturbeherrschung und fortschreitende Zivilisation nichts an dieser Grundbefindlichkeit. Das Unterlegenheitsgefühl gegenüber der Natur verschob sich in Richtung Gesellschaft, wo die diffuse Angst vor der Bedrohung auf die Anderen projiziert wird: Homo homini lupus. Wie um diesen Pessimismus des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus zu bestätigen, gab die Geschichte bisher keinen Anlass, die alte Selbstabwertung zu revidieren. Sünde und Unsittlichkeit missbilligte bereits die Philosophie der Stoa als unethisch. Affektkontrolle, Steuerung des Begehrens, Zügelung der Leidenschaften und Begierden sind die Voraussetzungen für den Idealzustand eines Seelenfriedens, der den auf Lust und Genuss gepolten Körper unter die Herrschaft des Willens zwingt: Wenngleich diese Haltung sich aus einer Krise der Polis entwickelte, so sind darin auch generell frühe Maßnahmen der Selbstdisziplinierung im Zivilisationsprozess erkennen. Der Körper setzt sich selbst und aus sich heraus Grenzen. Allerdings kündigt sich in dieser endogenen Grenzziehung die Überschreitung bereits an. Der von der Stoa beeinflusste Apostel Paulus liefert den ersten Beleg dafür, dass die menschliche Mangelhaftigkeit nur ein vorläufiges und darum zu überwindendes Stadium sein darf: »Legt den alten Menschen ab […] und zieht den Neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.« (Epheser 4, 22-24, zit. n. Schröder 1999: 13) Aus diesem Bild des »Neuen Menschen« erwächst eine Utopie, die den schicksalsergebenen Determinismus aufkündigt, wie ihn noch die griechische Tragödie wiederspiegelt. Die Projektion des Neuen Menschen wird zum Projekt, differenziert sich aus mit den Naturwissenschaften in der Renaissance, treibt die Aufklärung voran, befeuert die Französische Revolution, wird mit Nietzsches Übermenschen zur Obsession, infiziert die Russischen Utopisten und Kosmisten über die Oktoberrevolution hinaus bis in die Stalindiktatur und pervertiert sich im Nationalsozialismus. Die Instrumentalisierung durch die modernen Diktaturen ist gebahnt durch die Ambivalenz, die bereits im Konzept angelegt ist. Einerseits beinhaltet der Appell zur Überwindung jenes Mangelzustands, der sich Mensch nennt, ein emphatisches Freiheitsversprechen für alle, andererseits erscheint es auch unter dieser Prämisse keineswegs als zwingend, die beglaubigte Ordnung aus Herrschen-

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den und Beherrschten anzufechten. Nietzsche dokumentiert das, indem er seinen Übermenschen als Machtbestie aus der Herrenmoral ableitet, die er gegen die Massen-, sprich: Sklavenmoral, ins Feld führt. Ebenso gut lässt sich das Konzept Neuer Mensch auch umwerten in eine negative Utopie gegen die Beherrschten wie in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts: »Nationalsozialismus und Stalinismus, die Realisierungen der Staatsideologien benötigen den Neuen Menschen als Synonym für ›Menschenökonomie‹, als Zugriff auf das Individuum im Sinne der verordneten Verfügbarkeit. Der durchschaubare, der züchtbare Mensch steht im Mittelpunkt staatlicher und wissenschaftlicher Doktrinen.« (Roth/Vogel 1999: 6)

Gleich in welche Richtung gedacht, bespielt der Neue Mensch ein Phantasma des Überstiegs und der Grenzüberschreitung. Lange Zeit nur ausgedacht und postuliert, konnte die Neuformatierung des Menschen mit der rasanten Entwicklung der Naturwissenschaften und Technik – eher schleichend als spektakulär – zur alltäglichen Praxis werden. Was sich immer klarer als ein Paradigmenwechsel abzeichnet, hat Dierk Spreen den Begriff der »Upgradekultur« (Spreen 2015) eingeführt, vor allem mit dem Ziel, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Philosophie des Transhumanismus beizutragen, unbesehen dessen, dass die utopistischen Ansätze, wie sie sich im Trans- oder Posthumanismus artikulieren, soziologisch längst fällig waren. Während das Präfix »trans-« eine räumlich konnotierte Transgression nahelegt, vermittelt das Präfix »post-« eine zeitliche Dimension. Gemeinsam ist beiden die Betonung der Grenzüberschreitung in eine neue Identität, die die bisherigen Konstituenten des Menschlichen hinter sich lässt. Ob der Neue Mensch nur postuliert oder als jenes transhumanistische Überwesen phantasiert wird – das zentrale Moment, an dem diese Vorstellungen sich orientieren, ist die Grenze. Als eingängiges, intuitives Vorstellungsbild, bietet sich diese als griffige utopistische Metapher an, die bei genauerem Hinsehen allerdings unter den Händen zerrinnt. Die Grenze nämlich zwischen einem menschlichen Zustand und einem anderen gibt es nicht. Im Unterschied zu den gesellschaftlichen Subsystemen, deren Grenzen permanent verhandelt werden müssen, erzielen die Technik und der Sport ihre Fortschritte allein durch offensive und geplante Grenzüberschreitungen. Die Gesetze des Profits und der Machbarkeit treiben die instrumentelle Vernunft voran, wozu der Sport das passende ideologische Paradigma liefert, weil sich da das kontinuierliche Hinausschieben von Grenzen messen, einfach nachvollziehen und durch exemplarische Körperbilder idealisieren lässt. Sinn hat ein Rekord nur dann,

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wenn er gleich vom nächsten marginalisiert wird und Vorwände liefert, die athletischen Körper ununterbrochen aufzurüsten durch wissenschaftliche Trainingsmethoden, Medikamente und technische Equipments. Seit der Moderne unterliegt besonders auch die Kunst einem ungemeinen Innovationsdruck. Die vordergründig gegen erstarrte Wahrnehmungsmuster geführten Attacken auf Genre-Grenzen richten sich desgleichen gegen die ethischen und moralischen Grenzen der gesellschaftlichen Übereinkünfte als solche, was die unzähligen staatlichen und religiösen Zensurmaßnahmen beweisen – inklusive Gerichtsprozesse, Gefängnis, Internetterror, Morddrohungen bis hin zu extremistischen Attentaten.

STELARC Überschreitung, Körper, Fleisch, Technik, Digitalisierung, Prothetik, Implantat, Cyborgismus, Transhumanismus, Körperflucht, Kontrolle, Fremdbestimmung, Performance: Diese Termini vernetzen sich zu dem Aktionsfeld, in dem Stelarc sich bewegt, das er auslotet, erforscht und erweitert. Nachdem die Hängeaktionen die fleischliche Körperoberfläche thematisiert haben, springt er mit dem Begriff »Exoskeleton«, mit dem er eine hydraulisch gesteuerte Laufmaschine bezeichnet, zum entgegen gesetzten Pol der perforierten und gezerrten Haut. Exoskelett assoziiert den Körperbau von Gliederfüßlern wie Insekten oder Krebstieren, deren Lebensfunktionen anstatt von einem Innenskelett gestützt von einem Außenskelett in Form eines Chitinpanzers geschützt werden. Eine perfekte Haut, die Nervensystem, Blutbahnen und Organe einkapselt. »Exoskeleton« versteht sich als eine pneumatisch angetriebene Laufmaschine aus sechs insektenartig abgewinkelten Beinen. Der Körper steht aufrecht auf einem Drehtisch in der Mitte dieser Konstruktion aus glänzendem Stahl, als Steuereinheit dient ein gerüstartig verlängerter Arm mit einer PneumoAutomatik. Wie auch der menschliche Arm endet der prothetische in einer Hand mit Drehgelenk und beweglichen Fingern. Die Impulse werden vom Körperarm auf den Kunstarm und von da aus weiter auf die Beine übertragen, so dass die Maschinenaktionen als Bewegungen dritten Grades klassifizierbar sind. Keineswegs handelt es sich also um ein Exoskelett im zoologischen Sinn, sondern vielmehr um ein externalisiertes Skelett, eine monströse Prothese und das raffinierte Werkstück eines elaborierten Bricoleurs – oder wie konzipiert – um das technische Substrat einer Kunst-Performance. Da Ende der 1990er Jahre, als der Apparat konstruiert wurde, die medizinische Prothesen-Technik bereits viel fortgeschrittener war als das »Exoskeleton«, und Stelarc stets an der fortgeschrit-

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tensten Technologie interessiert ist, wird offensichtlich, dass diese Performance in erster Linie auf den künstlerischen Mehrwert abzielt ‒ insbesondere auf die Choreographie, durch die das dynamische Gerüst seinen Umraum definiert, sowie auf den von der Maschine gleichzeitig erzeugten Techno-Sound. Während sich über das Interface des »Exoskeletons« noch körperliche Bewegungsimpulse übertragen, und eine strikte Trennung zwischen steuerndem Subjekt und Maschine besteht, reduziert sich bei der »Dritten Hand« die Distanz zwischen Körper und Technik graduell. Aus dem System des »Exoskeletons« buchstäblich ausgegliedert, empfängt das prothetische Modell eines zusätzlichen Arms die Bewegungspulse von der Oberschenkel- und Bauchmuskulatur. Die angeschlossenen Elektroden leiten die Nervensignale in die Mechanik, deren Anlagen Stelarc wie folgt beschreibt: »Diese künstliche Hand – eher eine Addition denn ein prothetischer Ersatz – wird am rechten Arm befestigt. Sie ist unabhängiger Bewegungen fähig, verfügt über ein Druckund Greifsystem, eine 290° Gelenkrotation (im sowie gegen den Uhrzeigersinn) und besitzt über ein taktiles Feedback-System sogar einen rudimentären Tastsinn.« (Kuni 2002).

Die Konstruktion der dritten Hand geht auf das Jahr 1975 zurück, das heißt, sie wurde bereits vor den Hängeaktionen in Angriff genommen. Diese Tatsache verdeutlicht, dass die Entwicklung der Stelarc’schen Requisiten keinem linearen Plan nach dem Vorbild des üblichen technischen Fortschritts folgt. Im Gegensatz zu medizinischen Prothesen, die Handikaps ausgleichen und idealiter von den Betroffenen nicht als Fremdkörper empfunden werden, wie sie auch unsichtbar für Außenstehende sein sollen, verkompliziert die Bedienung von Stelarcs additiver Gliedmaße die Koordinationen außerordentlich. »Seine ›Third Hand‹ [gleicht] auf den ersten Blick einem gewöhnlichen Roboterarm, der die beiden anderen Extremitäten in ihren Funktionen unterstützt. Sie wird jedoch nicht nur – anders als die beiden anderen Arme – durch Impulse aus den unteren Extremitäten bewegt, was den Körper zu einem völlig neuen Bewegungsdenken zwingt. Zudem gibt sie auch ihrerseits Steuerungsimpulse an ihn zurück. Der organische Körper erweist sich als Wirtsorganismus für eine Apparatur, die mit ihm so weit verschmolzen ist, dass sie ihn auch ihrerseits lenken kann.« (Kuni 2002)

Eine solche Ergänzung strukturiert das gesamte Bewegungssystem um. Die ersten Hand-Performances erregten dadurch großes Aufsehen, dass die Kunsthand synchron mit den körpereigenen Händen Buchstaben schreiben konnte. So schreibt Stelarc mit drei Stiften gleichzeitig »EVOLUTION«. Was sonst! Wel-

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che andere Gliedmaße als die fünffingrige Greifhand nämlich wäre für die Evolution der Primaten zum Menschen von größerer Bedeutung? Wie schlüssig die Funktionen von Stelarcs Roboterhand die Naturgeschichte fortsetzen, lässt sich mit Leroi-Gourhan veranschaulichen: »Die ersten komplexen Operationen des Greifens, Drehens und der Translation, die für die Bewegung der Hand charakteristisch sind haben sich durch alle Zeiten unverändert erhalten.« (Leroi-Gourhan 1988: 303)

Im sich aufschaukelnden Evolutions-Ping-Pong von Gehirn und Hand entwickelten sich nicht nur die Hardware der Werkzeuge als Einstieg in die technische Revolution, sondern auch sanfte soziale Funktionen wie die Gestik als Vorstufe der Sprache, und diese wiederum in Kombination mit Werkzeugen zur Schrift. Im kollektiven Unbewussten entfalten diese gewaltigen Fortschritte eine Tiefenwirkung, die es plausibel macht, dass die Hand insbesondere dort hochgradig besetzt ist, wo sie fehlt – Beispiel: Die im Jahr 1502 so kunstvoll angefertigte Prothese des Götz von Berlichingen, ein feinmechanisches Meisterwerk, das Goethe würdigte, indem er seinen Götz reflektieren lässt: »Meine Rechte, obgleich im Kriege nicht unbrauchbar, ist gegen den Druck der Liebe unempfindlich; sie ist eins mit ihrem Handschuh; Ihr seht, er ist Eisen.« (Goethe 2015: 9) Das regressive und entsprechend unheimliche Gegenstück zu dieser meisterhaften Rüstungsschmiedekunst ist selbstredend der verwahrloste Piratenhaken. »EVOLUTION«: Neun Buchstaben, drei Hände, arbeitsteilig pro Hand drei je verschiedene Buchstaben, was ein ungemeines Koordinationstraining erfordert. Wenngleich diese Performance konzeptuell als »Amplified Body« läuft, kann von einer Erweiterung körperlicher Fähigkeiten kaum die Rede sein, denn im Gegenteil bringen die kognitiven und körperlichen Anforderungen, die eine bewusste Steuerung des Applikats gewährleisten, den Performer an die Grenze. Wie auch beim behäbigen »Exoskeleton« wirft die Technik »nur« die Erweiterung zu einer künstlerisch motivierten Varieté-Nummer ab. Dennoch eröffnet gerade diese Expansion ein anderes, ein überraschendes und unabsehbares Feld, indem der Künstler die endogene Fernsteuerung, die den Arm aus der entfernten Rumpf- und Beinmuskulatur bewegt, auf eine das Internet involvierende externe Fernsteuerung ausdehnt. Der Kopf steckt in einem Metallring, und zu den Elektroden, die an mehreren Stellen auf die Haut gepinnt sind, führt eine Masse von Kabeln, die den nackten Körper als ein lianenartiges Gewirr einhüllt. Dazwischen hängen Schaltkästen, darunter auch eine Box zur Verstärkung der Sounds. Mit der spektakulären Performance »Ping Body« trat Stelarc im November 1995 beim Tele-

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polis »Fractal Flesh« Event in Luxemburg auf. Für diese webbasierte Performance wurden die Städte Paris (Centre Pompidou), Helsinki (The Media Lab) und Amsterdam (Doors of Perception Conference) elektronisch verschaltet, so dass die beteiligten Akteure im Internet per Stelarcs »computer-interfacedmuscle-stimulation system« über elektrische Impulse Zugriff auf den Performer erhielten. »Ich konnte das Gesicht der Personen sehen, die meine Bewegungen steuerten. Das erzeugt eine intime Beziehung. Es entsteht eine Bewegung ohne Erinnerung und ohne Wunsch.« (Landwehr 1998) Während die soziale Komponente der »intimen Beziehung« und das regressive Moment der Ausschaltung konstitutiver psychischer Funktionen durchaus auf eine von den unberechenbaren Impulsen des Organischen befreite und dementsprechend transhumanistische Befindlichkeit hindeuten, so ist der optische Eindruck recht unkomplex. Stelarcs Körper zuckt und zappelt lediglich, während sich kaum bekannte Bewegungsschemata erkennen lassen, es sei denn elektroschockhafte Reflexe, die ihrerseits nicht mehr wären als systembedingt. Allerdings überlässt Stelarc die Kontrolle nie komplett den externen Akteuren, so dass willkürliche und unwillkürliche Bewegungen parallel ausgelöst werden und je nach dem auch miteinander konkurrieren dürften. So bleibt ihm als Hauptakteur auch im Chaos der Fremdimpulse die Möglichkeit erhalten, die applizierte Roboterhand zu steuern und die mitgefilmten Bilder auf der Website hochzuladen. Ein Youtube-Video zeigt den Performer exponiert wie in einer Bühnenszene beziehungsweise isoliert wie in einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung, so dass das unentbehrliche Personal aus Programmierern, Sounddesignern und Videospezialisten am elektronischen Equipment unsichtbar in die Dunkelheit des Studios zurück gesetzt ist und auf einem anderen technischen Niveau agiert als das Backstage-Personal eines Theaters. Nolens volens klinkt sich »Ping Body« mit der körpereigenen Elektrizität des Nervensystems und der extern zugeführten Energie in die Netzmetaphorik eines globalen Nervensystems des 21. Jahrhunderts ein, rückgebunden allerdings an einen realen Körper aus Fleisch und Blut. Da die Haut den Körper gegen die Umwelt abgrenzt, machen die Hängeaktionen diese Außengrenze physisch erfahr- und darstellbar. Sofern die Schmerzen als Intensivierung des Selbstgefühls erlebt werden, erweitern die »Suspensions« sich um einen Zustand, über den sich das transhumanistische Programm mit den Affekten des Individuums rückkoppelt. Gerade in transhumanistischen Phantasien ist das Moment der Selbsterregung nicht zu unterschätzen, unbesehen dessen, wie weit der Transhumanismus sich bemüht auszugreifen, wenn er Evolution, Mensch-Natur, Eschatologie und nicht zuletzt sogar Unsterblichkeit in seinem Menü auflistet. Angesichts des letzten Punktes erscheint es besonders plau-

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sibel, dass, allen anderen Zielen vorgelagert, das Subjekt mit seinen Ängsten und ähnlich prekären Grundbefindlichkeiten den heimlichen Mittelpunkt der transhumanistischen Überflüge bildet, auch wenn es nahe liegt, dass die aktuellen technischen Möglichkeiten dazu verlocken, sich die Unsterblichkeit als eine immer realistischere Option vorzustellen. »Selbsterregung« ist ein Fachterminus aus der Elektrophysik, der es verdient, im Zusammenhang mit der »Ping Body«-Performance unter die Lupe genommen zu werden, denn er trifft passgenau Stelarcs Psychologie und Neurophysiologie. Analog zum Experiment mit den Froschnerven, mit dem Galvani 1870 bewies, dass elektrische Impulse das Nervensystem erregen und den Muskeltonus bewirken, schließt Stelarc sich selbst an ein elektrifiziertes Reizsystem an. Während an die Bedeutung der Elektrizität für die Geschichte der Technifizierung nicht ausdrücklich erinnert zu werden braucht, interessieren Tristan Garcia in seiner Studie »Das intensive Leben« die Folgen der Erfindung des elektrischen Stroms für die Befindlichkeiten, das Denken und die Lebenskonzeptionen des modernen Menschen. Dass die Erfahrung einer total elektrifizierten Lebenswelt nicht nur die Bedürfnisstruktur des modernen Menschen verändert hat, sondern auch einen neuen Menschentypus hervorgebracht hat, bezeugt nach Garcia die Genealogie des Begriffs »Intensität«, insbesondere wie dieser alte philosophische Terminus sich durch die Entdeckung der Elektrizität buchstäblich neu auflädt: »Ohne jede Absprache ist das Bild der Elektrizität somit in die alte Idee der Intensität übergegangen, und die überholte Idee der Intensität verkörperte sich im modernen elektrischen Bild. Hieraus ergab sich eine neues Konzept, dessen erste Spuren man im Deutschen Idealismus bei Kant, Schelling und Hegel finden kann: dann in den modernen Metaphysiken von Nietzsche, Bergson, Whitehead oder Deleuze, wurde es zur Hauptperson auf der Bühne der Philosophie.« (Garcia 2017: 69)

Und wie des Weiteren diese neurophysiologischen Tatsachen sich mit der Idee und Vorstellung der Elektrizität in der Selbstwahrnehmung kontaminieren, liest sich so: »Die tierische Elektrizität oder der animalische Magnetismus, das heißt die Entdeckung der elektrischen Natur dessen, was in den Nerven der empfindungsfähigen Organismen zum Gehirn strömt, wird als trojanisches Pferd für die Intensität im Leben und Denken dienen. In dem Maße, wie das Leben empfindungsfähig ist, ist es von Nerven bedingt, und in dem Maße, wie es von Nerven bedingt ist, ist es elektrisch.« (Garcia 2017: 39)

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Ein neuer Menschentypus, geboren aus der Technik – damit ist zumindest avant la lettre das anthropologische Fundament des Transhumanismus gelegt, wobei sich am Bild Stelarcs auch zeigt, dass das transhumanistische Subjekt im Modus eines mit technischen Applikationen aufgerüsteten Cyborgs, a priori der elektrifizierte Mensch ist. Was nicht nur »Ping Body«, sondern auch den »Suspensions« eine zusätzliche Aktualität verleiht, ist der körperliche Extremismus, der Garcias These von der Intensität zuarbeitet. »Vielleicht können wir nur noch das empfinden, was intensiv ist, als das, was zunimmt, abnimmt, sich ändert. Vielleicht definiert uns das sogar« (Garcia 2017: 23). »Stimbod« – stimulated body: Unter diesem Titel läuft seit 1994 ein Muskelstimulationsprogramm, das Impulse von Computern sowie aus dem Internet aufnehmen und übertragen kann – im Gegensatz aber zu »Ping-Body« wird im weiteren Verlauf des Projekts die »Intimität« mit den Impulsgebern bis zu deren Anonymität zurück gefahren. In den Projekten »Parasite« und »Motavar« wird das Internet analog zu McLuhans und Garcias Bestimmung des Elektrizitätsnetzes als externalisiertes Nervensystem zum globalen Organ. Diese Anonymisierung der Agenten entspricht ziemlich genau Stelarcs Konzeption der zur Technik hin offenen Körpergrenzen.

Ohr Nach dem Metall das Fleisch, nach den Prothesen das Implantat. 1994 begann Stelarc das Projekt »Drittes Ohr«. Es hat fast 10 Jahre gedauert, ein Team aus Wissenschaftlern zu finden, das sich mit der Realisierung beschäftigen konnte. Aus menschlichen Spenderzellen baute man die Knorpelform der Ohrmuschel auf, bis es nach diversen Rückschlägen gelang, das Biopolymer-Gebilde in einen in die Haut implantierten Ballon einzusetzen. Innerhalb von sechs Monaten verwuchs das Bio-Implantat mit dem körpereigenen Gewebe, bildete Blutgefäße und Nerven aus, so dass es seither offenbar ohne störenden Rest in den Stelarc’schen Wirtsorganismus integriert ist und wenigstens der fleischlichen Form nach ein zusätzliches Organ simuliert. Jedoch mangelt es dem »Ohr«, das als vitales Fleischrelief aus dem Unterarm hervortritt, an einem biologischen Zweck: Es empfängt keine akustischen Umweltdaten, oder kurz und ohrspezifisch: Es kann nicht hören. Um den Mangel zu kompensieren, dreht Stelarc das akustische System »hören« um, was er wohl auch muss, um etwas damit anzustellen, das mit Akustik zu tun hat, weil sich allein auf Basis einer zellulären Modellierung, einer designten, konstruierten Körperform, die Hörfunktion nicht reproduzieren lässt wie et-

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wa beim dritten Arm, der sich durch künstlich erzeugte Nervenreize steuern ließ und immerhin schreiben konnte. Für ein taugliches Kunstohr bräuchte es an anatomischen Voraussetzungen zumindest eine komplette Innenohrausstattung. Anders aber als etwa ein Cochlea-Implantat zielt Stelarcs »Drittes Ohr« nicht auf die Wiederherstellung bzw. Erweiterung des Hörorgans. Damit dieses »Dritte Ohr« überhaupt mit dem Hören systemisch verbunden ist, sollte es von einem Übertragungsmedium in einen Sender umgepolt werden. 2015, fast 10 Jahre nach der ersten Präsentation scheint der Plan, das Bioimplantat um ein Mini-Mikrofon und einen GPS-Sender zu erweitern, noch nicht umsetzbar. Offensichtlich stößt das Körpergewebe das Fremdmaterial ab. Absicht war, den Sender rund um die Uhr wireless mit dem Internet zu verbinden, damit Beobachter überallhin folgen und hören können, was sich in dem Künstler und um ihn herum abspielt. Da bei den derzeitigen Überwachungspraktiken ein gewöhnliches Smartphone denselben Zweck erfüllte, ließe sich das Stelarc’sche Supplement vielleicht eher als eine fleischgewordene Metapher für das körpereigene akustische System charakterisieren. Dennoch eröffnen sich mit dem gezüchteten Implantat neue Kontexte. Im Interview mit Joanna Zylinska und Gary Hall bezeichnet Stelarc das Implantat als »soft prothesis« (Zylinska/Hall 2002: 125). Diese Definition wäre insofern anzuzweifeln, als das designte Ohr nicht mehr ist als die kosmetische Erweiterung des Unterarms, ohne die Funktion einer Prothese zu erfüllen, wenngleich der Künstler auf seiner Definition bestehend feststellt, dass seine Aktion über eine kosmetische Operation hinausgehe, weil das Bioimplantat für immer Teil seines Körpers bleiben wird, was es wiederum von den Prothesen-Performances der Vergangenheit unterscheide (Zylinska/Hall: 2002). Was fleischliche Veränderungen am Körper betrifft, gibt die französische Performance-Künstlerin Orlan ein noch spektakuläreres Beispiel, so dass es durchaus passt, wenn Stelarc seine Ohr-OP als »simularly to Orlan« einordnet (Zylinska/Hall 2002). Chloé, Hermès, Céline, Chanel, Guerlin, L’Oréal – »Orlan. Kein Vor-, kein Nachname, kein Hinweis auf das Geschlecht. Ein Markenname, der an Synthetiks und Kosmetik erinnert. Orlan ist bereits ein Konstrukt, eine Persona.« (Lindner 1994: 36) Unter diesem Pseudonym firmiert eine 1947 geborene französische Performance-Künstlerin mit dem bürgerlichen Namen Mireille Porte, die seit 1978 ihren Körper als Material für Kunstwerke benutzt. Sie unterzieht sich plastischen Eingriffen, um ihr Gesicht ausgewählten Kollektiv-Ikonen der Kunstgeschichte anzuähneln wie der Venus, Europa, Diana, Mona Lisa. Die Prozeduren zielen darauf, die zwingende Einheit von Subjekt und Körper aufzusprengen:

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»Sie zeigt das Gewaltsame der Verwandlung: Es wird aus dem OP gesendet, in Galerieräumen werden neben Modellvorlagen für die Eingriffe Fotos der postoperativen Einstellungen und überschüssiges organisches Material präsentiert. Sie inszeniert das Ereignis auf dem anatomischen Theater. Sie spielt auf der Klaviatur der Medien und verschaltet die Kanäle von Kunst und Medizin. Was nach ihrem Entwurf unter den Händen der Operateure entsteht, nennt sie Körperskulptur.« (Lindner 1994: 26)

Wie Stelarc stellt sie den konzeptionellen Anspruch, über die Zwecke der üblichen Schönheitsoperationen hinauszugehen. Ihre Gesichtsveränderungen intendieren nicht nur ein wechselndes äußerliches Bild, sondern verfolgen ebenso den Zweck, mit einem neuen Gesicht auch eine neue Identität zu erlangen. Während Stelarc sich dem transhumanistischen Programm verschreibt, bedient Orlan sich der kosmetischen Chirurgie mit genderpolitischen Absichten. Aus dem kulturellen Vorverständnis, dass das Bild der Frau immer schon als viel wandelbarer als das männliche akzeptiert ist, legitimiert sich der Spielraum, das Spektrum der Wandelbarkeit nach ihren Wünschen und so weit wie möglich auszuloten. Selbst wenn sie kunstgeschichtliche Leitbilder imitiert, distanziert sie sich von Image-Schablonen, arbeitet vielmehr an kreativen Neuschöpfungen nach Kunstkriterien. Sobald der Körper als manipulierbares Material für politisch motivierte Transgressionen aufgefasst wird, verschiebt das Subjekt sich in einen transhumanen Kontext. Historisch allerdings geht die Umcodierung des Körpers von der Maschine aus, nicht umgekehrt, und zwar gemäß des materialistischen Grundsatzes, dass die materielle Basis das Bewusstsein bestimmt, weil die als naturgegeben empfundenen Deutungsmuster und Narrative ideologische Reflexe gesellschaftlicher Bedingungen sind. Seit Déscartes in der Phase der aufkommenden Manufakturen den Menschen in mechanistische Metaphern einkleidete, lassen sich – auch hier avant la lettre – die ersten transhumanistischen Ideen extrahieren, sozusagen prototranshumanistisch. Die Disponibilität, Kombinierbarkeit und fortschreitende Anschlussfähigkeit technischer Elemente, Versatzstücke und Module organisieren sich zu einem Dispositiv, das auch die Perzeption des geborenen Körpers strukturiert, der nun selbst als Maschine und als ein ebenfalls technisches Artefakt definiert wird, anschließbar und kompatibel mit externen Artefakten. Als Resultat der beflügelten Technikentwicklung verschmelzen Geborenes und Gemachtes auf Dauer zum Cyborg. Zwar bedient die Künstlerin Orlan sich der technischen Mittel, die den Transhumanismus befördern, ihrem Projekt jedoch fehlt mit dem Zeitbezug die utopistische Perspektive, indem sie ihre Verwandlungen als »Reinkarnationen« ausweist und sich damit als religiös angehaucht und rückwärtsgewandt outet.

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Das historische Bildmaterial, das sie sich und dem sie sich anverwandelt, ist Zurückliegendes, Antiquarisches aus kollektiven Bilderarchiven. Ihre Verwandlungen progredieren nach einem seriellen Muster und bleiben dadurch stets auf ein und demselben Level, setzen sich zeitlich seitwärts fort anstatt sich vertikal in die Zukunft zu projizieren. Wenngleich mit brutalen Methoden, so unterliegt das Konzept letztlich dem Prinzip der Maskerade, das wie Cindy Shermans feministische Rollen-Performances ein narzisstisches Programm dekonstruiert. Auch das ist ein Punkt, in dem sich Orlans Intentionen von den transhumanistischen Zukunftsvisionen Stelarcs unterscheidet. Während dieser sich mit anderen Subjekten verschaltet und seine Identität kollektiviert, verwandelt ORLAN sich stets in ein Bild, so dass sie auch bei ihren Auftritten vor Publikum dem Spiegel verhaftet bleibt. Was dagegen beide Performer verbindet, ist der klinische Komplex. Es passt zu den Konnotationen des Pseudonyms ORLAN, dass der Kosmetikkonzern Estée Lauder unter seinen 30 Marken auch eine Serie unter dem Label »Clinique« vertreibt.

Carneologie Es passt ebenfalls, dass ORLAN in einem Manifest die »Art Charnel« als eine Variante der Body Art installiert und »nicht am Resultat der plastischen Chirurgie interessiert [ist], sondern am Prozess des chirurgischen Eingriffs als Performance« (Orlan o. J.). Der nicht von der Hand zu weisende Argwohn, das Fleisch könnte »einfach eine dunkle Materie« (Demuth 2016: 16) sein, veranlasst Volker Demuth dazu, den »Versuch einer Carneologie« zu unternehmen. Mit der mephistophelischen Sentenz, dass Blut ein ganz besonderer Saft ist, deklariert Volker Demuth das Fleisch zu einem »ganz besonderen Stoff […], der medizinisch, medial, religiös, künstlerisch, pornografisch und militärisch bewirtschaftet wird« (Demuth 2016: 262). Das verschiebt Stelarcs und Orlans Arbeitsmaterial auch gerade in der neuen Epoche des »tissue engineerings« in einen zusätzlichen Kontext. Gemeint ist »die Anwendung von Prinzipien und Methoden der Ingenieur-, Werkstoff- und Lebensmittelwissenschaften zur Gewinnung eines fundamentalen Verständnisses von Struktur-Funktions-Beziehungen in normalen und pathologischen Säugergeweben; und die Entwicklung von biologischem Ersatz, zur Erneuerung, Bewährung und Verbesserung der Gewebefunktion« (Gruss 2010: 263). Dass das Fleisch, wie Volker Demuth betont, »die Ikone der Moderne schlechthin« ist (Demuth 2016: 13), macht es nicht nur zu einer totalisierten Projektionsfläche, einem mächtigen Attraktor und verfügbaren Feld realer Proze-

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duren der Kompensation und Überstiege. Diese »biologische Mitgift« (Demuth 2016: 260) wird zum disponiblen Material, das aus der Erfahrung des wandernden Mangels in den offenen Zustand einer Umgestaltung überführt wird, bei der vom Fettabsaugen bis zum Genitaldesign keine Körperzone ausgenommen sein darf. Der Mangel erscheint als allumfassend, individuell wie gesellschaftlich, äußert sich im körperlichen Handikap, im narzisstisch gepolten Insuffizienzgefühl gegenüber körperlichen Idealschablonen bis hin zur kollektiven Tiefenpsychologie einer metaphysischen Unvollkommenheit als Menschenwesen, das nie sicher ist vor der unberechenbaren Resistenz des Fleisches, dem seine »verfluchte Obsolenz« (Demuth 2016: 274) nicht auszutreiben ist. Mit dem Phänomen Fleisch im Mittelpunkt der Analyse erscheint der Transhumanismus in einem prägnanteren Licht. Wo sonst nämlich als am Fleisch wird die Grenze augenfälliger, die durch die transhumanistischen Überstiege eingerissen werden soll: »Im Zuge der carneologischen Transformation […] löst sich die Grenze zwischen fleischlich und technisch, organisch und anorganisch, animalisch und menschlich, lebendig und automatisch auf. Der invasive Eingriff und extensionale Ausgriff finden als rechtmäßige Verfahren Anerkennung.« (Demuth 2016: 267)

Wenn dabei die Unklarheit wächst, was sich noch seriös als »Natur des Menschen« propagieren lässt, wird sich auch die Integration von Technik nicht mehr als unnatürlich zurückweisen lassen. Sofern auf die fleischliche Konstitution gegründet, zersetzt die technische Auf- und Umrüstung die Körperidentität und ruiniert die Parameter der menschlichen Selbstdefinition wie psychische Identität und physische Integrität. Ein zeitdiagnostisches Fazit liest sich dann folgendermaßen: »Wir befinden uns heute unverkennbar im Kraftfeld einer neuen, transhumanen Verzauberung des von der Moderne und ihrer carneologischen Wende desillusionierten Individuums. Und etwas von dieser verwandelnden Magie durchzieht heute auch fast jede Randkultur, von der aus ein Durchschlag in den gesellschaftlichen Alltag stattfindet.« (Demuth 2016: 267)

Inwieweit da auch die Kunst gemeint sein könnte, sei vorerst dahingestellt. Wenn Demuth im Folgenden von einem »modischen Spiel mit Körpermodifikationen« (Demuth 2016: 270) spricht, so trifft das auf Stelarcs und Orlans Aktionen jedoch nur sehr bedingt zu.

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Von der Introspektion zur Endoskopie In der Begriffsopposition Körper:Fleisch erkennt Demuth ein fundamentales Missverhältnis in der Zuweisung von bedeutungsstiftenden Zeichen und Diskursen zuungunsten des Fleisches. Während der Körper von einer dichten Zeichenschicht umgeben ist, die sich offen für methodische Untersuchungen zeigt, zerfällt die Zeichenhülle, die sich am Phänomen Fleisch anlagert. Zu tun hat diese Asymmetrie mit der Unmittelbarkeit der fleischlichen Erfahrung jedes Einzelsubjekts im Moment der Vergegenwärtigung der Tatsache, nicht nur aus Fleisch zu bestehen, sondern Fleisch zu sein. Da aufgrund der unübersichtlichen Subjekt-Objekt-Beziehung nicht nur die Sprache der Wissenschaft diesem obskuren Objekt nicht gerecht wird, sondern die Sprache überhaupt leerläuft, fehlt dem Subjekt in diesem konstitutiven Segment der Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis, die Möglichkeit ein logisches Verhältnis zu sich selbst zu entwickeln. Dieses grundlegende kulturbedingte Manko bestärkt Volker Demuth, die das Fleisch verdrängenden Diskurse um eine Carneologie zu ergänzen, um der zurecht beklagbaren Sprachlosigkeit entgegen zu wirken und aus dem Dilemma der Zerrissenheit des Subjekts zu entkommen, das sich in der Konsumund Medienkultur einem überrepräsentierten Fleisch konfrontiert sieht, welches aber gleichzeitig durch seine besagte Unaussprechlichkeit als absolut unterrepräsentiertes jeden gedanklichen und emotionalen Zugang blockiert (Demuth 2016: 16 ff.). Das Fleisch als inklusive Materie und latente Grundbefindlichkeit dem Bewusstsein zugänglich zu machen – damit verbindet der Autor nicht zuletzt die Hoffnung, dass ein carneologischer Diskurs die Einstellung gegenüber der instrumentellen Verfügung inklusive der sowohl menschen- als auch naturverachtenden Ausbeutung allen Fleisches sich verändern könnte. Während die Spuren der Eingriffe in den Körper wie Narben, ob medizinisch oder kosmetisch verursacht, als Makel gefürchtet sind und darum mit aller Macht verborgen werden, exponieren Stelarc und Orlan die operativen Eingriffe in ihre Körper und ziehen ein Gewohnt-Verdrängtes ins Bühnenlicht. Tatsächlich bilden sich in der exaltierten Künstlichkeit ihrer Inszenierungen die alltäglichsten Körpererfahrungen ab, mit denen jede(r) Einzelne klarkommen muss, vor allem aber in Widerspruch geratend zu der kosmetischen Körperindustrie und mit ihren Wundmalen nicht zuletzt auch zu den Wunschbildern und Utopien des Transhumanismus. Allein das Inkarnat, jene Farbmischung für die Darstellung von Haut und Fleisch, belegt, dass die Malerei sich viel ausführlicher mit dem Fleisch auseinandersetzt und ihre Mittel sich auch als den sprachlichen überlegen erweisen, indem sie viel unmittelbarer und deshalb deutlicher zu sehen geben, wozu Texte

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günstigstenfalls erst über den Umweg durch die Halluzinationen beim Lesen ihr Ziel erreichen. Bereits die zahllosen Kreuzigungsszenen der mittelalterlichen Altäre bis Velasquez, der den Corpus Christi aus den bekannten Figurensets isolierte, zeugen von der Absicht, am Paradigma des Fleisches und der Wunden die Gewalt gegen den Körper herauszustellen. Nach verschiedenen eher bizarr anmutenden Barock-Stillleben emanzipiert Rembrandt mit seinem Gemälde »Geschlachteter Ochse« von 1655, wenngleich noch mit Assoziationen an die kanonisierte Kreuzigungspose, die Darstellung des Fleisches aus der religiösen Tradition, bis dann Maler der Moderne wie Chaim Soutine oder Lovis Corinth das Thema zum selbstständigen Genre weiter entwickeln. Abbildung 1: Piotr Iwicki »Flesh / Hommage à Chaim Soutine« (2013)

Quelle: Piotr Iwicki

Es ist kein Zufall, dass der virtuoseste Maler des menschlichen Fleisches, Francis Bacon, auf Velazquez referiert, und sein Triptychon »Drei Studien zu Figuren am Fuß einer Kreuzigung« einen zentralen Platz in seinem Frühwerk einnimmt. Ebenso zwingend erscheint es, dass Stelarc sich in diesem Kontext verortet, indem er die Performance, in der er seinen Körper teleoperativen Impulsen von Netz-Usern aussetzte, mit »Fractal Flesh« betitelte. Das kann »gebrochenes Fleisch« bedeuten aber auch mit Benoît B. Mandelbrots »Fraktalen Dimensionen« zu tun haben, in denen sich unregelmäßige natürliche Formen mathematisch kategorisieren lassen. Wie dem auch sei, der Akzent liegt auf Fleisch. Nach den Eingriffen in die Haut als dessen Oberfläche, dann in das Nervensystem der Muskulatur folgt die künstlerische Annexion des Körperinneren. Analog dazu, wie Stelarc die Grenzen der Körperlichkeit unterläuft, erweitert und umdefiniert, dehnt er auch den Begriff der Skulptur. Als »Stomach Sculpture« bezeichnet er eine kapselförmige Sonde, die er 1993 für die fünfte australische Skulpturentriennale unter Beteiligung eines Juweliers, eines mikrochirurgischen Instrumentenbauers und eines Sounddesigners aus Gold, Silber und Edelstahl konstruieren lässt. Die Materia-

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lien sind so gewählt, dass sie weder Abstoßungsreaktionen auslösen noch von der Magensäure angegriffen werden. Die Aktion hat drei Komponenten: Die Skulptur in einer aufklappbaren Kapsel, eine externe Steuerbox mit Servomotor sowie eine endoskopische Kamera. Wenn Kunst-Performances, die sich ohne Aufzeichnungsmedien kaum durchgesetzt hätten, aber auch unabhängig von diesen allein schon durch die Präsenz von Künstler und Publikum – wie Theateraufführungen – eine Bedeutung hätten, so wäre die »Stomach Sculpture« ohne Aufzeichnungsgerät sinnlos, denn Ziel und »Installationsort« des Objekts war Stelarcs Magen. Mit einem Durchmesser von 15 mm wurde die Kapsel an einem 8-mm-Kabel durch die Speiseröhre in den zuvor mit Luft aufgepumpten Magen eingeführt, so dass bei diesen Maßen noch genug Platz für das 10 mm starke Endoskopie-Kabel blieb. Dass der Weg der Sonde in den Magen aufgezeichnet wurde und auf einem Monitor zu verfolgen war, erlaubte Stelarc, bei der Steuerung und Videodokumentation selbst Regie zu führen. Nachdem sich die Kapsel geöffnet hatte, um die Skulptur freizugeben, entstand aus circa sechs täglichen Einblendungen über zwei Tage hinweg ein fünfzehnminütiges Video. Auf zwei Minuten verkürzt, lässt sich der Film auf Stelarcs Website abrufen. Interessierte können sich mitnehmen lassen auf eine endoskopische Kamerafahrt durch die Schleimhauthöhlen bis in den Magen hinunter, wo hin und wieder die an einen metallischen Alienschädel erinnernde »Skulptur« aus einem weißlichen Schaum hervorblitzt. Am Ende des Films ist auf einem kleinen zweiten Display zu verfolgen, wie das medizinische Personal den 40 cm langen Schlauch aus Stelarcs Rachen zieht. Nach Körperhaltung und Mimik des Protagonisten zu schließen, eine Tortur. Ein Eingriff mit Risiken, was nicht nur daran zu erkennen ist, dass man für den Fall einer Verletzung der Magenwand in der Nähe einer Klinik operierte, sondern auch daran, dass der Endoskopist es vorzog, anonym zu bleiben. Für Stelarc eine neue Möglichkeit zu exemplifizieren, wie imaginär und kulturbedingt Körpergrenzen sind, und wie deren Durchlässigkeit mithilfe von Technik sichtbar gemacht werden kann. Als ausgewiesenes Kunstwerk unterscheidet sich das zur Skulptur aufgewertete Objekt von einem prothetischen Implantat auf medizinischer Basis. Mehr noch als bei den »Fractal Flesh«-Aktionen lösen sich die Grenzen zwischen Innen und Außen auf. Ein auf Hohlräume untersuchter Körper bietet Platz für alles Mögliche, so auch für künstlerische Inszenierungen. Was als Intimstes vertraut und geschützt war, wird öffentlich, doch auf eine luxurierende Weise anders als nützliche medizinische Diagnoseund Lehrdemonstrationen auf Bildschirmen. Der visuelle und akustische Zugang zu einem zentralen Organ durchkreuzt die Vorstellung vom Körper als Trägersubstanz der Seele.

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Stelarc und Transhumanismus: Interface, Körper als Materie Die nach Unendlich strebende technische Expansion folgt dem durchschaubaren Gesetz der progressiv zunehmenden Kombinierbarkeit der Tools, die der Mensch zur Erweiterung seines insuffizienten Körpers herstellt. Dazu braucht es zwei Voraussetzungen: erstens werden die technischen Artefakte immer anschlussfähiger sowohl an den Körper als auch untereinander. Für diese Anschlussfähigkeit bedarf es zweitens kompatibler Schnittstellen zwischen den Objekten, Modulen und Systemen. Mit der Computerisierung ist der Begriff der Schnittstelle beziehungsweise des Interfaces in die Alltagssprache eingewandert, wobei im Folgenden vor allem die Mensch-Maschine-Beziehung interessiert. Vermittelten bei früheren Computern Tastatur und Lochkarten die Kommunikation zwischen User und Computer, was sich noch als eine recht mechanisch anmutende Schnittstelle anließ, so arbeitete man von Anfang an daran, Interfaces abzubauen, auf Dauer mit dem Ergebnis der Touchscreen, die im Gegensatz zu den neuen Sprachverarbeitungsprogrammen wie Siri allenfalls noch zitatartig an den manuellen Zugriff erinnert. Bei der als »Assistent« bezeichneten Software, die auf den Anruf »Hey Siri« das Netz nach Antworten auf Fragen absucht, in gewünschte Sprachen übersetzt oder Systembefehle ausführt, ist das herkömmliche Interface tatsächlich aus der Oberfläche verschwunden und soweit in die Elektronik integriert wie eine Körperfunktion. Im extremen Vergleich mit der reduziertesten und archaischsten Schnittstelle, der zwischen Handfläche und Werkzeuggriff, schrumpft die Distanz zwischen dem Körper und einem Implantat praktisch auf ein Nichts. Dieses volatile Terrain erforscht Stelarc mit seiner wissenschaftsgestützten künstlerischen Praxis, für die er selbst mit dem Begriff operiert, wenn er beim Anschluss seiner Prothesen von »Alternate Interfaces« spricht. Damit hebt er hervor, dass es nicht ausschließlich die von ihm selbst als privilegiertes Organ aufgefasste Haut ist, die den Austausch zwischen Innen und Außen regelt, denn der Körper bietet ganz verschiedene Interfaces. Wie etwa bei »Fractal Flesh« wird sogar das Nervensystem zur Schnittstelle, so dass es potenziell allen freisteht, auf zentrale Körperfunktionen zuzugreifen. Genau das zu demonstrieren, ist ein philosophisches Hauptanliegen Stelarcs, womit er selbstredend die Vorstellungen vom autonomen Subjekt nachdrücklich attackiert. Einen derart forcierten Modus der Selbstaufgabe zelebriert kein zeitgenössischer Künstler so radikal wie Stelarc. Die Hervorkehrung des Faktums, dass der Körper Materie ist, beginnt spektakulär mit den Hängeaktionen, bei denen die Haut in ihrer Substanz und Eigenschaft als Grenze ausgereizt wird. Sie erweist sich als extrem widerstandsfähig, elastisch und als Außenhülle letztlich unüberwindbar, wenngleich verwundbar

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wie durch die Haken. Zwar angespannt bis zum Zerreißen und doch ungeheuer zäh. Das jedenfalls wird an diesem zirzensischen Spektakel überdeutlich, aber auch, dass es sich um einem extremen Gewaltakt handelt, wobei die ohne Blutvergießen gestochenen Wunden eher den Blicken verborgen bleiben, als zu Zeichen des Heroismus überhöht sind. Gleichwohl gibt es sie. Abbildung 2: Stelarcs »Third Hand«

Quelle: stelarc.org/projects.php

Nach dieser heftigen Dehnung und Ausdehnung, dieser Propädeutik und Trainingseinheit zur Überwindung der Körpergrenzen, die hier lediglich den Effekt hat, das natürliche Körpervolumen zu vergrößern, folgen die Erweiterungen durch die prothetischen Supplemente »Exoskeleton« und »Dritte Hand«. Während hierbei das Künstlergehirn als die Steuereinheit erhalten bleibt, aus der die Befehle von den Gliedmaßen in die Prothesen weiter geleitet werden, verbinden sich Körper und Prothesen, Organik und Technik zu einem holistischen System. Insofern als die Interfaces ganz konventionell die Kontaktstellen zwischen Prothesen und Gliedmaßen bleiben, wird die Integrität des Körpers wie bei jedem Gebrauch technischer Fortsetzungen nicht in Mitleidenschaft gezogen. Das ändert sich grundlegend, sobald die Steuerung ausgelagert wird bei »Fractal Flesh«. Mit dem Verlust der Herrschaft über seine Motorik begibt sich der Körper in Abhängigkeit von anonymen Netz-Usern und lässt es zu, dass die-

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se seine Integrität perforieren. Weniger als zum Experimentierfeld wird der Körper zum Kommunikationsmedium, wenn nicht von vornherein zu einem Spielzeug – auf alle Fälle aber öffnet und entgrenzt er sich in Richtung Gesellschaft und mutiert zu einem öffentlichen Ort. Von völlig anderer Qualität ist die Implantierung einer aus dem eigenen Zellpool gezüchteten Biomasse, die wie das zusätzliche »Ohr« mit dem Körper verwächst und den Zusatzeffekt auswirft, dass das Phänomen Schnittstelle sich schlichtweg auflöst. Post festum lässt sich diese Körpererweiterung nicht einfach abschnallen und bis zum nächsten Auftritt verstauen. Desgleichen negiert wird der Dualismus aus Körper und Prothese, wenngleich im Gegensatz zu einem prothetischen Applikat jenes »Ohr« als eine Art Fleischrelief keine Funktion erfüllt, sondern als genuines Kunstwerk eine aus der Nutzenrationalität befreite Form darstellt, die als eine ortsfremde Ausbuchtung das Bild der Gliedmaße Arm auf irritierende Weise ummodelt. Beim Konzept der »Stomach Sculpture« spielen Interfaces wiederum keine Rolle, denn da gilt der Körper als ein Organismus, der leere Hohlformen für die künstlerische Nutzung zur Verfügung stellt. Der Magen wird zu einem belebten Ausstellungsraum, was der Begriff »Skulptur« ratifiziert. Ob nun das Objekt, das Stelarc von einem Juwelier und Mikrochirurgen konstruieren ließ, den künstlerischen Ansprüchen an eine Skulptur genügt oder nicht eher als kunsthandwerkliche Bricolage zu beurteilen wäre, wird insofern zweitrangig, als es gerechtfertigt scheint, dem temporären Implantat eine symbolische Bedeutung zuzuweisen, um den Kontext als einen künstlerischen zu bestimmen und nicht, trotz einschlägiger Prozeduren, als einen medizinischen. Eine erste Stufe der Abstraktion erfährt der Körper, sobald er nicht mehr allein und solitär für sich agiert wie bei den Hängungen, sondern sich nach außen öffnet, um den Knotenpunkt eines sozialen Netzes zu bilden. Als Kommunikationsmedium nimmt er in einem Sender-Empfänger-Schema fremdgesteuerte Nervenimpulse auf oder er sendet mithilfe eines elektronischen Equipments. Was bei dem künstlichen Ohr noch unrealisierbar bleiben musste, lässt sich dagegen problemlos bei der endoskopischen Übertragung der Bewegungsabläufe der »Stomach Sculpture« verwirklichen. Um allerdings ein perfektes Kommunikationsverhältnis zu erreichen, mangelt es an direkten Feedbackschleifen, weil Stelarc entweder nur die Senderseite besetzt (»Ohr«, »Stomach Sculpture«) oder nur die Empfängerseite (»Fractal Flesh«). Zwar technisch durchaus ernst zu nehmen, verbinden sich diese Performances jedoch nur ansatzweise mit einem globalen Nervennetz und Kollektivgehirn im transhumanistischen Sinn, denn sie funktionieren schlichtweg zu einseitig, um soziale Emergenzeffekte zu erzeugen.

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Körper, Technik und Identitätsverlust Die Identität des Körpers, dieses imaginäre Konstrukt aus Lebensfähigkeit, Libido, Bindungsenergie, praktischen Fertigkeiten und so weiter verschiebt sich zugunsten der Konnektivität. Die Überbetonung der Konnektivität ist eine Reaktion auf die Mensch-Technik-Beziehung schlechthin. In einer unhintergehbaren Dialektik können Körper und technische Artefakte sich seit jeher nur aus ihrer a priorischen Konnektivität heraus entwickeln, das auch im McLuhan’schen Sinn, dass technische Artefakte Fortsetzungen des Körpers sind und darum beide, menschlicher Körper und technische Artefakte, ohne Interfaces unmöglich wären. Die von Stelarc im Kontext transhumanistischer Theorien intendierte Dekonstruktion der Identität des Körpers zugunsten von dessen Konnektivität – »What becomes important is not merely the body’s identity, but its connectivity« (Stelarc o. J.) – lässt sich aus genannten Gründen kaum so verabsolutieren, denn selbst bei einem ausgereiften Cyborg bliebe Konnektivität nur eine Eigenschaft unter vielen und wäre drum nicht mehr als ein Mittel zum Zweck technischer Erweiterungen. Was Stelarc indessen für sich reklamieren kann und worin ihm seine aufklärerische und kulturelle Bedeutung nicht abzusprechen ist, liegt in der besonderen Aufmerksamkeit auf die naturgegebenen – die offensichtlichen genauso wie die unbeachteten – Anschlussstellen des Körpers. Rücken diese erst einmal in den Mittelpunkt des Interesses, beflügelt das automatisch die Phantasie, womit ein organischer Körper sich technisch verbinden, ergänzen und aufrüsten lässt. In den hochtechnifizierten Umgebungen des Subjekts, dessen EnhancementPraktiken und schleichende Cyborgisierung, die sich unter dem kapitalistischen Profitgesetz in aller Unauffälligkeit beschleunigen, stellt Stelarc ostentativ seinen Körper zur Disposition und produziert eindrückliche Bilder einer höherstufig-artifiziellen Einheit. In einer dialektischen Wendung jedoch manifestiert sich gleichzeitig das Gegenteil in der Aufspaltung der körperlichen Identität in organisch und technisch, so dass nach, mit oder neben der pathologischen Symptomatik der endogenen Persönlichkeitsspaltung das Phänomen des physisch gespaltenen Körpers zutage tritt. Angesichts der technischen Angebote wachsen für einen Künstler, der sich wie Stelarc buchstäblich mit Haut und Haaren auf dieses Paradigma einlässt, die Möglichkeiten zu fusionieren progressiv. Komprimiert zeigt das die Videoproduktion »Parasit« (1997). Schon allein dessen filmische Qualität verdient eine besondere Würdigung. Alles beginnt mit einem Schaltplan. Die Eingangsgrafik zeigt auf, wo und an welche peripheren Geräte Stelarcs Körper angeschlossen ist. Eine bewegliche Kamera, deren Aufzeichnungen durch einen Video-Mixer zu einem Monitor für

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den Gebrauch des Künstlers, des Weiteren zu einem Projektor und einem Internetanschluss laufen, bilden das visuelle System, während die Audiodaten, die von Knie- und Handbewegungen ausgelöst werden, durch zwei Synthies und einen Mixer bis zur Endstufe aus zwei Boxen geleitet werden. Nach dieser allgemeinen Vorinformation beginnt das Video mit einem gezeichneten Körperschema, das ergänzt ist von der dynamischen Animation einer Art Gliederpuppe und der Liste aus den sechs Bezeichnungen der Muskeln, die während der Performance in Bewegung gesetzt werden. Wie eine Text-Intro erläutert, werden die optischen und elektrischen Muskelstimulationen kartographiert. Weiterhin ist zu erfahren, dass die Prothese der „Dritten Hand“ von der Prothese eines Codes aus einer Suchmaschine konterkariert wird. Angeschlossen an ein erweitertes, virtuelles Nervensystem wird der Körper zum Parasiten. Abbildung 3: Stelarcs »Parasite«

Quelle: stelarc.org/projects.php

Mit einem Techno-Soundtrack und dem aus halber Vogelperspektive aufgenommenen Performer laufen die bewegten Bilder an. Der Körper ist nackt und dicht verkabelt. Als weitere Hardware sind am Unterleib eine schwarze Box und vorm Gesicht ein Head-Mounted Display befestigt. Einen ersten Aufmerksamkeitskick bringt die auffällige Ganzumdrehung der über eine Unterarmmanschette montierten »Dritten Hand«, woraufhin mit merkwürdig anmutenden Ausschlägen des freien rechten Armes die Performance Fahrt aufnimmt. Auf schnell

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eingeschnittenen Grafiken zeigen Markierungen die Körperstellen an, deren Muskeln als nächstes stimuliert werden. Gezoomte Kabelbündel, scrollende Digitalcodes, Bilder von Gehirnen und Gesichtern sowie sich übereinander schichtende Menüfenster aller Größen verhindern unterdessen, dass sich aus den Bewegungsabläufen des Performers ein kontinuierliches Muster herauslesen ließe. Intentional, gestisch, tänzerisch, pathetisch, deiktisch: Es könnte alles sein, was sich mit einem nur in Bewegung gesetzten, funktionslosen, weil nichthandelnden Körper anstellen lässt. So ausschließlich somatisch und so sinnlos, wie diese Moves tatsächlich sind, entsprechen sie nicht einmal einem Bewegungsrepertoire. Obwohl zunehmend klarer wird, dass man es mit einer vollkommen willkürlichen Motorik zu tun hat, assoziiert das Gehirn diese zunächst und wider besseres Wissen mit bekannten Schemata. Dieser Eindruck ändert sich jedoch, sobald die graphischen Sehhilfen soweit verstanden sind, dass sie ein neues Sinnsystem ergeben. Parallel zu den Bildern kreieren die elektrischen Impulse auf die Gliedmaßen den Soundtrack einer imposanten Techno-Collage aus frei mäandernden Frequenzen und sich sukzessive rhythmisierenden Samples. Diese kongeniale Soundscape des australischen Komponisten und Elektronikmusikers Rainer Lienz überträgt die Bilder in den Hörraum. Switches auf ein universelleres Niveau relativieren die Absurdität von Stelarcs Elektro-Ballett. Wenn der Körper sich gelegentlich in Doppelgängerbildern repliziert, so weist das auf technische und biologische Reproduktionstechniken hin, oder wenn er wie schwerelos in einem coelinblauen Amorph zu kreisen beginnt, dann erscheint das wie der Wechsel in ein anderes Element. Der rundlichen pulsierenden Form nach durchaus eine uteral wirkende Umgebung oder im erweiterten Sinn eine Sphäre respektive Blase wie Sloterdijk sie in seiner sprachmächtigen Trilogie beschreibt: »Die Sphäre ist das innenhafte, erschlossene, geteilte Runde, das Menschen bewohnen, sofern es ihnen gelingt, Menschen zu werden.« (Sloterdijk 1998: 28) Und weiter: »In Sphären leben heißt, die Dimension erzeugen, in der Menschen enthalten sein können.« (Sloterdijk 1998: 28) Bedeutsam wird das Motiv der Menschwerdung, weil Stelarcs »Dimension« den Übertritt in ein neues Menschheitsstadium verheißt, was im Video explizit auch mit der Einblendung der Leonardo-Ikone des »Vitruvianischen Menschen« zitiert wird, jenes idealisierten Körperbauschemas, mit dem der Römische Architekt Vitruvius more geometrico die menschlichen – genauer gesagt: männlichen – Proportionen mit einem Umkreis und einem Quadrat erklärt. Wenn Günther Anders in den 1950er Jahren die »Antiquiertheit des Menschen« diagnostizierte, so untergrub er mit diesem Befund noch das klassischhumanistische Menschenbild. Stelarc hingegen karikiert jene Vitruv’sche Ideali-

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sierung aus der Perspektive des empirischen Körpers, der einer naturgegebenen Obsolenz unterliegt: abgenutzt, alt, außer Mode und abgewertet – obsolet eben, was im Video eine mittelalterliche Skelettskizze und zwei Darstellungen eines menschlichen Kadavers verbildlichen, woraus sich gleichzeitig der »übermenschliche« Anspruch auf eine Auferstehung ableitet. Für dieses neue Werden sollen sämtliche Optionen ausschöpft werden, um den gegenwärtigen Menschen solange aufzutunen, bis er als Transhumanoide ein erhabeneres anthropologisches Niveau erreicht. Und doch führt sich dieses überfliegende Programm von vornherein ad absurdum, indem der an ein Kabelsystem angehängte Performer die Unfreiheit einer Marionette evoziert – mit belebten Komponenten zwar, gleichwohl wie der Titel der Inszenierung bereits verrät, parasitär, und das wiederum ist insofern schlüssig, als die zugeführte Energie keine körpereigene ist, sondern aus der Steckdose kommt. Von einem technikbesessenen Künstler mit Zukunftsvisionen wäre erwartbar, einen ferngesteuerten Körper auch einem kritischen Blick zu unterziehen. Ein Cyborg wäre dann nicht mehr allein die Verkörperung einer transhumanistischen Befreiungsutopie, sondern auch deren Gegenteil, nämlich eine disponible Leerstelle in Machtgefällen. Es wäre leicht vorstellbar, dass die menschliche Physis mit differenzierteren Methoden als den simplen Stromstößen, von denen Stelarc sich in Bewegung setzen lässt, manipuliert würde, wie auch, dass sich mit ähnlichen Verfahren Gehirnfunktionen delegieren ließen, wie es bei Tierversuchen längst erfolgreich praktiziert wird. Solcherart belebte Roboter könnten in der Industrie von Nutzen sein, vorausgesetzt, es gäbe Arbeitsanforderungen, die es als vorteilhafter erschienen ließen, belebte Roboter zu verwenden. Parasitär wären dann nicht mehr – wie Stelarc das Verhältnis zwischen angeschlossenem Körpers und Impulsgeber(n) darstellt – die Fremdenergie verbrauchenden Körper, sondern die Unternehmen, die sich solcher Technologien bedienten. Die »Fractal Flesh«- und »Parasit«-Körper gehorchen dem Prinzip der Fernsteuerung. Einen Erweiterungsmodus stellt der »Movatar« dar, der unter der Versuchsanordnung »Motion Capture« zunächst als ein Avatar programmiert ist, der nicht von einem befehlsgebenden Eingabegerät wie einer Maus gesteuert wird, sondern auf den sich die Bewegungen von einem physischen Körper übertragen – von Körper zu Körper, von real zu virtuell, indem eine Kamera auf dem Körper angebrachte Markierungen abtastet, die abgegriffenen Daten dann vom Computer analysiert und zu dem Avatar weiter geleitet werden. In Stelarcs Phantasie läuft das Modell auf ein Feedback-System hinaus, in dem ein KI-begabter Avatar die Autonomie erlangte, um auf den physischen Körper zurückzuwirken, und dadurch den Status eines »Movatars« erreichte. Finales Stadium dieser

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Technologie wäre die Totalvernetzung von Realkörpern und Movataren (Stelarc 2018). Von den bisherigen Performances unterscheidet sich dieses elektronische System durch den Dualismus, in dem der Körper sich in ein virtuelles Spaltprodukt seiner selbst fortsetzt, so dass die Physis und deren Ergänzungen getrennt sind, Materielles und Virtuelles, Dingliches und Entstofflichtes voneinander geschieden. Selbst wenn die virtuelle Repräsentation als ein künftig autonomer Akteur konzipiert ist, so vollzieht sich mit der digitalen Verdopplung des Körpers ein entscheidender Schnitt, der Stelarcs Performances ihrer Singularität beraubt, die gerade aus der rückhaltlosen Verschmelzung von Körper und Technik zu einem realistischen Cyborg-Modell ihre Brisanz bezieht.

Überwindung Die Überwindung des Menschen hieß Überwindung der Sterblichkeit. In der Hoffnung auf den technischen Fortschritt formulierte diese Utopie erstmals der Russische Kosmismus, eine geistes- und naturwissenschaftliche Strömung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zu der u. a. der Philosoph Nikolai Fedorov und der Astrophysiker Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski zählten, welcher wiederum in den 1920er Jahren zum Vordenker der Raumfahrt wurde. Man träumte von der Wiedererweckung der Toten. Diese aber, so prognostizierten die Kosmisten, erzeugten auf der Erde einen Platzmangel, dem gegenzusteuern, sie sich von einer Zukunft im Weltall versprachen. In dem russischen Konnex von Technik und Unsterblichkeit liefert der Transhumanismus eine zumindest theoretische Vorstufe. Die Selbstdefinition des Menschen ist über die Sterblichkeit kodiert, so dass die Überwindung des Todes gleichzusetzen ist mit der Überwindung des biologischen Körpers. Die archaischen Vorstellungen von der Seele als reiner, geistiger Entität setzen sich fort in die transhumanistische Philosophie, wo Hans Moravec den Cyberspace als Fluchtfeld aus dem Körper anpreist, wohin Komponenten des Geistes zu transplantieren wären, um als losgelöste geistige Entitäten zu »leben« (Moravec 1996: 115). Den Anfang bildet die Technifizierung des Körpers, der, je technischer er wird, desto organloser, weil durchsetzter von Maschinen. Stelarc sagt: »We are now being to replace to parts of our organs or organs all together [. . .] But there are other rather unexpected situations, like nano-technology. It’s going to be possible for machines to inhabit the human body.« (Miss M.: Interview)

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Ernstlich zu hinterfragen aber wäre, was bei einem überwundenen Körper mit dem Verlangen, dem Begehren, der Sinnlichkeit, der Libido, der Leidenschaft und anderen Intensitäten passiert. Ebenfalls verschwände in der technizistischen Revolte gegen die Obsolenz eine biologische Konstituente: »Was wichtig ist, ist nicht mehr der männlich-weibliche Geschlechtsverkehr, sondern die Zwischenfläche zwischen Mensch und Maschine. Der menschliche Körper ist veraltet.« (Stelarc 1991, zit. n. Stiegler 1994: 33) Da prinzipiell keine Notwendigkeit zu erkennen ist, das Projekt der Immortalität an die Überwindung des Begehrens zu koppeln, scheint es trotz Stelarcs Zurückweisung Freud’scher Kategorien angebracht, diesem lustfeindlichen Motiv zu folgen. Wie wichtig ihm insbesondere diese Überwindung ist, verdeutlicht er, indem er folgende rhetorischen Fragen gleich selbst beantwortet: »The next question is, can we talk of a body, if it has no memory and no desire, performing without any emotion? […] We are producing something that does not have to depend on memory, is not driven by desire. Is it possible to have a personal relationship with someone without being immersed in nostalgia, not driven by desire and expectation, not performing with emotion? […] Like the notion of free agency, an issue that’s touched upon here.« (Miss M.: Interview)

Was zur Ausmerzung frei gegeben ist, soll durch die totale Konnektivität mit anderen Subjekten kompensiert und ersetzt werden: »[A] lot of our philosophical problems evaporate, a lot of our personal hang-ups don’t have to exist anymore, what’s meaningful is interaction, exchange. Connectivity, collectivity and that makes the transition to function intelligently on the Internet.« (Miss M.: Interview)

Um connected zu sein, genügt offenbar allein die abstrakte Vorstellung, connected zu sein. Wozu sonst sollte es einen Sinn ergeben, Emotionen von vornherein wegzuprogrammieren? Bindungen, je mehr davon desto besser, werden zwar als Maximalziel angestrebt, was sie aber zu einem dominanten sozialen Affekt macht, darf nicht sein, als läge die Zukunft im gefühlsfreien Design menschlicher Beziehungen. Dementsprechend scheint weniger der Körper obsolet zu sein als das Programm der Entkörperlichung zugunsten transzendentaler Abstrakta, an denen sich im Kern auch dann kaum etwas ändert, wenn sie unter den Vorzeichen technischer Machbarkeit als immanent verwirklichbar dargestellt werden. Zuletzt basiert die Phantasie der Entkörperlichung auf demselben reaktionären Muster, das fundamentalistische Bewegungen durch die Jahrhunderte transpor-

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tieren, wenn sie zwar die bedingungslose Regression zu irgendwelchen Ursprüngen predigen, zur Verbreitung ihrer Ideologien aber gleichzeitig die fortgeschrittensten Medien und Technologien einsetzen. Abschließend drängt sich die Frage auf: Wozu Unsterblichkeit, wenn der Körper als Ort und Medium der Intensitäten »überwunden« ist? Dass das Wort »Fleisch geworden ist«, konnte das Fleisch auf Dauer nicht retten, denn es wurde, so zumindest steht es geschrieben im Galaterbrief des Apostels Paulus, mit Christus gekreuzigt und gerät seither in einen eklatanten Widerspruch zum Geist: »Offenkundig sind aber die Werke des Fleisches, als da sind: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifer, Zornausbrüche, Selbstsüchteleien, Zwietracht, Parteiungen, Neid, Trunkenheit und Schwelgereien und dergleichen, wovon ich euch voraussage, wie ich schon vorausgesagt habe: Die solches tun, werden das Gottesreich nicht erben. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Rechtschaffenheit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung. Gegen derartiges ist das Gesetz nicht. Die aber dem Christus Jesus angehören, haben das Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt.« (Paulus Gal: 19-24)

Der resolute Dualismus des Galaterbriefs bleibt resistent, wird zu Beginn der Neuzeit von Déscartes zementiert und bestimmt auch den postmodernen Transhumanismus. Seit der Moderne hat Gott zwar keinen Zugriff mehr auf das Fleisch, »[d]essen pure Dinglichkeit eine neuartige Reinheit von allen Qualitäten der Erlösung [bezeugt], [das] im Zeichen seiner selbst [erstrahlt], prunkt ohne überschüssigen Sinn in Auslagen und Ausstellungen, Kameraeinstellungen und Körpereinstülpungen« (Demuth 2016: 255). Gerade darum schwelt weiterhin die Sünde in ihm – eine profanisierte allerdings – in der Unfähigkeit, den Maßen angesagter Leitkörper zu entsprechen, sportive Höchstleistungen zu erbringen wie auch Alter und Krankheit zu widerstehen. »Nicht der Mensch als bewusstes Ich soll aber der Vergangenheit angehören. Was an ihm zur Disposition steht, ist das Unperfekte, Verfallende und Dysfunktionale, seine verfluchte Obsolenz: das Fleisch. Es geht darum, das Fleisch seiner Abwesenheit vom Menschen zuzuführen. Darin liegt die letzte Emanzipation des modernen Menschen, vielleicht die letzte denkbare Emanzipation überhaupt, diejenige von seiner biologischen Konstitution. Weil das Fleisch noch immer nicht vollständig in der Verfügungsgewalt des Subjekts aufgehen will, weil es noch immer die resistente Substanz des Anderen für sich behält, und weil es darum das Undurchsichtige, Sprachlose, Dunkle, Elende und sogar Böswillige (Maligne) geblieben ist, kommt das adoptierte und adaptierte Eigene von ganz anderswo her, aus den

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Räumen der technische Konstruktion. Das Versprechen, das darin liegt, das alte Fleisch abzuschütteln wie einen alten feindseligen Verfolger, verheißt größere Widerständigkeit gegen Zeit und Ansteckung.« (Demuth 2016: 274)

Plausible Gründe, das Fleisch zu überwinden in dieser paradoxen Unsterblichkeit jenseits aller Intensitäten. Es ist ein bemerkenswerter Missgriff, sich auf Nietzsche zu berufen wie die postmodernen Propagandisten des Immortalismus und dabei das Sinnzentrum der Philosophie des Umwerters aller Werte zu verdrängen, das in jenem wunderbar einfachen Vers zum Ausdruck kommt: »Doch alle Lust will Ewigkeit« – die historische Ironie des Transhumanismus!

Drittes Paradigma Der Gehapparat »Exoskeleton« ist eine behäbige Monsterprothese, die die Vorwärtsbewegungen verkompliziert und verlangsamt, die »Dritte Hand« lässt sich mit den zwei angeborenen Händen kaum koordinieren, die Bioatrappe des dritten, in den Unterarm modellierten Ohrs ist funktionslos und wirkte, würde es im Alltag erkannt, eher wie ein monströses Körperzeichen, und die Einführung der Magenskulptur verursacht Schmerzen, die es fraglich machen, ob sie den Effekt lohnen. Indem Prothesen und Implantate entweder dem Ausgleich von Handikaps oder als Enhancement der Verbesserung des Körpers dienen, lassen sie sich nicht vergleichen mit Stelarcs kreativer Prothesenpolitik. Insofern bildet diese neben dem medizinischen und kosmetischen ein drittes Paradigma, das sich künstlerisch definiert und auf einer Metaebene abspielt. Bisher galt die Aufmerksamkeit auf Stelarcs Performances dem Darstellerischen und Spektakulären. Indessen wurde die Frage nach der künstlerischen Bedeutung aufgeschoben und bietet vorerst die Gelegenheit, an den Ursprung der Performance-Kunst zu erinnern. Das initiierende Moment war die Forderung nach der Einheit von Kunst und Leben, wie sie die künstlerischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Gefolge des Dadaismus erhoben. Das für den Kunstprozess reklamierte »Leben« manifestiert sich am unmittelbarsten an einem Körper, der sich selbst als künstlerisches Medium entwirft und ohne Übersetzungen sich selbst als Kunstwerk inszeniert. Im Unterschied etwa zu Theateraufführungen, denen Text und Regie vorgeschaltet sind, oder zur bildenden Kunst, die vom Aufschub, der Abspaltung vom kreativen Subjekt durch Techniken, Materialien und Werkzeuge vermittelt ist, agiert in der Performance-Kunst ausschließlich der Körper, der seine Dominanz auch mit dem Einsatz von Requisiten nicht verliert.

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Die Konjunktion Kunst-Leben gewichtet Marion Leuthner zugunsten des zweiten Terms. Anstatt als eine von der Alltagsexistenz getrennte Praxis beschreibt sie die Performance als eine »Lebensform« (Leuthner 2016). Während in den meisten Diskursen über die Performance-Kunst deren Flüchtigkeit als wichtigstes Charakteristikum gilt, argumentiert die Autorin, dass die manifeste Aktion lediglich als Teilaspekt eines umfassenderen Zusammenhangs von Belang ist. »Die Performance-Kunst ermöglicht eine Verbindung von Theorie und Praxis, die über das einmalige Ereignis der Performance hinausweist und auf das Leben selbst ausgeweitete Formen annehmen kann.« (Leuthner 2016: 9) Was den Körper als künstlerisches Medium betrifft, wählt die Autorin in Stelarc ein überzeugendes Beispiel für ihre »Lebensform«-These. Mit seinem ganzheitlichen Körpereinsatz, der stetigen Suche nach neuen Optionen, Emergenzen aus dem biologischen Körper und seinen technischen Erweiterungen zu erzeugen, darauf hinzuwirken, dass der Körpers sich als lebensweltlicher Organismus qualitativ verändert und damit auch das Selbstbild des Subjekts: Diese rückhaltlose Arbeit an und für sich rechtfertigt es zweifellos, von einer »Lebensform« zu sprechen. Besonders mit Stelarcs theoretischem Background, der für Leuthner eine Grundvoraussetzung ist, dessen Performancekunst als eine Lebensform zu bestimmen – etwa im Unterschied zum Theater –, weist die Praxis des Australiers hinaus über die unreflektierten Selbstrepräsentationen und Selbstinszenierungen, die sich im Alltagsverhalten vieler Menschen durchgesetzt haben. Sich als Künstler mit einer Theorie zu verschalten, wie Stelarc mit dem Transhumanismus, ist in der Moderne und Postmoderne nichts Ungewöhnliches. Von den Manifesten des frühen 20. Jahrhunderts wie des Dadaismus, Futurismus und Surrealismus, später der Op-Art und des Fluxus Anfang der 1960er haben Künstlerinnen und Künstler sich immer wieder mit politischen und kulturpolitischen Aufrufen rückgekoppelt. Allerdings begriff man die einschlägigen Texte nur selten als zu illustrierende Bekenntnisse, sondern sie wurden von den Kunstschaffenden, sofern diese nicht selbst Autoren waren, als seismographische Aufzeichnung gesellschaftlicher Umbrüche rezipiert und als Inspirationsquellen genutzt. Die aktuellen Umwälzungen dröhnen nach im manifestativen Tonfall der transhumanistischen Statements. Wenn Stelarc daraus seine Inspirationen bezieht, so wertet das den Kunst-Charakter seiner Performances keineswegs ab, sondern reichert sie im Gegenteil mit jener gesellschaftliche Relevanz an, die sie selbst zu Manifestationen macht, die »die Bedeutung des Subjekts, dessen Grenzen und Transformationen« (Leuthner 2016: 24) thematisieren. Die Entgrenzungen, für die die Kunst sich generell als zuständig erklärt, durchlaufen in Stelarcs Fall das biologisch-technisch-evolutionäre Segment. Die

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Technik bietet die Möglichkeit, das Streben nach höheren Zielen (Leuthner 2016: 233), das in der Geschichte hauptsächlich die Religionen für sich beanspruchten, auf die Immanenz der Evolution rückzubrechen. Dass für diesen Konnex das Verhältnis zwischen Körper und Technik konstitutiv geworden ist, wirft die zunehmend sich radikalisierende Problematik der Autonomie auf: Mensch oder Maschine? Subjekt oder τέχνη? Wer oder was autonom oder supplementär ist, und worüber seit der Moderne ergebnislose Kontroversen laufen, das verkörpert Stelarc nicht nur in bahnbrechender Weise, sondern auch mit einer singulären Intensität. Dem humanistischen Anspruch, die Maschine zu beherrschen, widerspricht, sie in eine immer größerere Autonomie zu treiben, was sich vielleicht folgendermaßen in eine labile Synthese bringen ließe: »Technik und Mensch gehen eine Art Austauschverhältnis ein, das allerdings nicht nur dazu führt, dass die Maschine gegenüber dem Menschen als autonom, sondern der Mensch ihr gegenüber als Automatismus erscheint; denn wie Blumenberg feststellt […] geht der Mensch als Funktionselement in das Werk mit ein.« (Leuthner 2016: 237)

Ein eher unbeabsichtigtes Surplus, das Stelarcs Aktionen abwerfen, ist eine forcierte Aufmerksamkeit auf die unvermeidliche Gewalt bei Eingriffen in die körperliche Physis – am unverhülltesten bei den »Suspensions« oder unauffälliger bei der Einführung und Entfernung der Magensonde bei der »Stomach Sculpture«. Besonders diese Prozeduren machen deutlich, dass die Performance-Kunst sich ohne Aufzeichnungsmedien kaum verbreitet hätte. Fotos oder Videos von Performances haben prinzipiell kaum mehr als eine dokumentarische Bedeutung, es sei denn, sie sind künstlerisch auf dem Niveau dessen, was sie aufzeichnen. Diese Bedingungen erfüllen beispielsweise die komplexe Video-Ästhetik von »Parasit« und die digitale Animation »Movatar«. Soviel zumindest lässt sich nach künstlerischen Kriterien gegen den zirzensischen Anschein der Aufführungen und die Affirmation einer kritisierbaren Philosophie in Anschlag bringen, wenngleich bei den progressiv schrumpfenden Halbwertszeiten technischer Innovationen gerade für das Gebiet, auf dem Stelarc sich artikuliert, Adornos Postulat nach der Avanciertheit der künstlerischen Formen und Techniken kaum mehr einzulösen ist: Hirnimplantate aus Mikroelektroden, die neuronale Signale in Computerbefehle übersetzen, so dass der Roboterarm eines Schwerbehinderten sich allein mit Gedankenkraft bewegt, bald auch Gefühlsfeedbacks an das Gehirn zurücksendet, Nanotechnische Manipulationen auf Molekularebene, Industrieroboter, Mikroprozessoren produzierende Industrieroboter, staubsaugende Serviceroboter, Fickroboter, Nanoroboter im Blutkreislauf, elektronische Haustiere, Bildungsroboter und Kriegsroboter bilden

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ein volatiles Soziotop, für dessen Steuerung an einer künstlichen Superintelligenz geforscht wird, die, wenn es nach manchen Transhumanisten geht, mit ihrer umfassenden Überlegenheit die menschliche Intelligenz verdrängen wird. Stelarcs Strategie, die Schnittstellen zwischen biologischem Körper und Technik bloß zu legen, den eigenen biologischen Körper an eine Technik anzuschließen, die in den 1980er und 1990er Jahren noch weitgehend fortschrittlich aussah, wirkt inzwischen wie ein nostalgischer Rückblick in ein künstlerisches Technikmuseum, dessen Verdienst es jedoch sein könnte, ein Schlaglicht auf die unabsehbaren Entwicklungen zu werfen. Ikonographisch und kulturgeschichtlich bedeutsam bleibt Stelarc jedenfalls darin, dass er als mythisches Mischwesen aus Mensch und Maschine, das das humanistische Menschenbild als Auslaufmodell kennzeichnet, die Schwelle zu einem posthumanen Zeitalter einzeichnet und damit den Gegenpol zu jenen Schimären besetzt, die als bizarre Tier-MenschWesen die Abspaltung von der Natur und somit den Ursprung des Menschen illustrieren. Allerdings erweist sich Sterlarcs Verkörperung einer Zukunftsvision als äußerst ambivalent, sobald man, ohne den theoretischen Background zu berücksichtigen, die optische Erscheinung in ein anderes Blickfeld zieht. Die Kunst produziert immer Bilder, die, je gelungener und treffender sie sind, die Autorität von Ikonen entwickeln. Unter diesem Gesichtspunkt performt Stelarc nicht zuletzt den Körper eines Märtyrers. Dessen sakrale Aura ist die der Schmerzen und Wunden, die er freiwillig auf sich nimmt, eines hilflosen, sich in Kabelbündeln auflösenden, eines Elektroschocks und unsichtbaren Mächten ausgelieferten Subjekts. Gegen ihre affirmative Attitüde gekämmt, geraten die Performances zu einem übersteuernden Ritual der Selbstopferung als stimmiges Zeichen einer jener Krisen, die in der Geschichte stets neuen Epochen vorausgegangen sind und vorausgehen, wobei in diesem Fall der Einsatz kaum mehr zu überbieten ist, weil sich nicht nur eine neue Epoche ankündigt, sondern ein unabsehbarer posthumaner Daseinszustand.

TRANSHUMANISMUS IN DER KUNST 2.0 Auf die mit Stelarcs Körpereinsatz verbundenen Risiken lässt sich unter dem aktuellen technologischen Niveau nicht mehr eingehen. Darin mag der Grund liegen, weshalb der Australier mit dem griechischen Namen eine so singuläre Erscheinung im Kunstbetrieb darstellt, dass es in dem von ihm bearbeiteten Segment der Body Art zumindest bisher keinen Nachfolger gibt. Wenn jüngere Künstlerinnen und Künstler transhumanistische Tendenzen aufgreifen, dann

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vermittelter, impliziter, selbstverständlicher, vor allem aber weniger manifestativ. Der 1981 in Holland geborene Harm van den Dorpel designt als studierter KI-Spezialist Software-Programme, die nach dem Muster einer evolutionären Generationenabfolge autonome Kunstwerke auswerfen. Das Künstlersubjekt agiert lediglich selektierend, indem es die Bilder aussondert, die seinen ästhetischen Ansprüchen nicht genügen, alles andere besorgen Algorithmen. Der Künstler versteht sich als Akteur in einer symbiotischen Mensch-MaschineKunst-Kreation. Van den Dorpels abstrakte Bilder sind Output einer digitalen Kunstfabrik, in ihrer medialen Konsistenz zwar in zeitgemäßem ComputerDesign, formal hingegen konventionell in der Tradition des Konstruktivismus und, sobald sie geprinted sind, nicht anders als jedes gemalte Tafelbild museabel. Der Produktionsprozess selbst ist definitiv transhumanistisch, denn er läuft körperlos ab, jenseits eines auktorialen Künstlersubjekts und ist überdies soweit kollektiviert, dass von dieser Art der Kunstproduktion animierte User sich in das im Internet zugängliche Programm einloggen können. Abbildung 4: Pakui Hardware »Hesitent Hand«. Installation National Gallery, Vilnius (2017)

Foto: Andrej Vasilenko

Zu einem weiteren Beispiel eignet sich das litauische Künstlerduo Pakui Hardware alias Neringa Cerniauskaite und Ugnius Gelguda. Der Künstlername bezieht sich auf den Diener der hawaiianischen Fruchtbarkeitsgöttin Haumea,

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wodurch sich zumindest auf der Konnotationsebene eine gewisse Verbindung mit dem biologistischen Fortpflanzungsprogramm Van den Dorpels feststellen lässt. In der archaischen Fruchtbarkeitssymbolik und dem Terminus Hardware bildet sich die für das Künstlerduo feststehende Tatsache ab, dass die heutige von technischer und ökonomischer Rationalität bestimmte Welt dem Diktat mythischer Feedbacks unterliegt. Die Skulpturen und Installationen des Duos simulieren eine transparente Biomasse, die, wie ein Video zeigt, von einem Industrieroboter in einem keimfreien Labor in Plastikbehälter verpackt wird. In dieser biokapitalistischen Vision verlieren sich die Grenzen zwischen natürlich und künstlich, organisch und anorganisch, geboren und gemacht in einer Normalität, in der die transhumanistische Philosophie, ohne explizit bemüht zu werden, auf den Punkt gebracht ist. Ganz gleich welcher Provenienz und welche Substanz – Körperliches ist Industrieware. Beide Kunstkonzeptionen suggerieren, dass Biologie und Körperlichkeit algorithmischer Output sind, Resultate von Prozessen, die nicht nur vom Stelarc’schen Körper weit entfernt sind, sondern auch vom eigenen Körper wie dessen digitale Derivate im Rechner. Derartige Manifestationen zeigen sich (noch) in der Lage, künstlerische Übersetzungen und Metaphern der momentanen Technologien zu liefern. Allerdings sind sie denselben Verfallsfristen unterworfen wie die sich verselbstständigende Technik selbst, wobei Einflüsse von Stelarcs Performances sich nicht erkennen lassen.

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Ist das Körper oder kann das weg? Transhumanismus zwischen Literatur, Mythos und Religion – und die didaktischen Konsequenzen J OHANNES R ÜSTER

EINLEITUNG Wohl nichts beschreibt das ureigentliche Differenzkriterium des Menschen gegenüber dem Rest der Welt besser als die kleine lateinische Vorsilbe trans-. Ist es doch die Anerkennung dieser Grunddynamik hin zu einer Überschreitung der eigenen Grenzen, die letztlich im Zentrum aller Anthropologie steht: Die Fähigkeit, einerseits über sich selbst hinauszudenken, sich andererseits aber auch von dieser jenseitigen Warte aus selbst reflektieren zu können – und zu wollen. Ersteres findet Ausdruck in der Rede von der Transzendenz, also dem denkenden Überschreiten der eigenen körperlichen und/oder zeitlichen Endlichkeit. Ob klassisch philosophisch als Ideenwelt, ob im Religiösen als eschatologische Erlösung oder brahmanische Weltseele – die große Erzählung vom Mensch-Sein ist immer eingebettet in eine (und damit abgegrenzt von einer) Welt jenseits der eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Dies wird oft als Dependenzbeziehung gedacht, deutlich wird dies etwa in dem Schleiermacher’schen Diktum von der Religion als einem »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit«. Daneben gibt es aber auch eine eher aktivische Interpretation des trans-, eine solche findet sich etwa in Helmuth Plessners klassischem Ansatz philosophischer Anthropologie. Dieser sieht den Menschen durch exzentrische Positionalität bestimmt, die Fähigkeit, aus sich selbst heraustretend einen Standpunkt als Beobachter seiner selbst einnehmen zu können. Beides kommt aber wieder zusammen in der logischen Bedeutung des transfür das Verständnis des Menschen von sich selbst: Das, was sich selbst über-

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schreitbar und reflektierbar macht, muss zwangsläufig das sein, was über die Summe seiner Teile hinausgeht. Vereinfacht gesagt: Philosophische, mythische, religiöse Anthropologie geht in der Regel von einem nicht wegkürzbaren Rest an Menschlichkeit aus, ob nun als Geist, Verstand, Seele, nous oder Midichlorianer. Der kleinste gemeinsame Nenner der Phänomene, die im Diskurs als »transhumanistisch« bezeichnet werden, besteht in der Absicht, die Grenzen menschlicher Physis, Psyche oder des Intellekts durch den Einsatz technologischer Verfahren zu erweitern. Aber egal, wie sehr der Transhumanismus damit auch ein naturwissenschaftliches Selbstverständnis pflegt: Er ist auch deshalb überaus spannend, weil er genau an diesem Punkt als Ideologie funktioniert. In einer eigentümlichen und höchst widersprüchlichen Form von Metatranszendenz ist er eine extrem materiale und materialistische Weltanschauung, die doch von der nichtverifizierbaren Annahme eines menschlichen Geistes ausgeht, auch wenn sie ihn als neurobiologische Körperfunktion fasst. Die menschliche Physis wird folgerichtig einerseits als potenziell grenzenlos plastisch geringgeschätzt, andererseits aber als zu optimierendes und konservierendes Trägermedium der Humansoftware namens »Psyche« fetischisiert. Der Transhumanismus bleibt dabei dem Konjunktiv verhaftet, weil eben doch nie im Rahmen der technischen Möglichkeiten der Gegenwart realisierbar. Diese Erkenntnis wiederum macht den Transhumanismus als postmoderne Mythologie beschreibbar, zwischen Lebenskunst und Eskapismus, Utopie und Eschatologie changierend: Ist er damit, hinter all den theologischen Anthropologien, die den Menschen in seiner unabwendbaren Fragmentarität wertschätzen, die Religion 2.0 einer Menschheit, die sich am eigenen Zopf aus dem Morast ihrer Endlichkeit befreien will? In genau dieser Fragestellung erweist sich der Transhumanismus als didaktische Goldgrube für jene Fächergruppe, die die Wertevermittlung im Sinne einer lebensweltorientierten anthropologisch-ethischen Bildung im Blick hat: Religionslehre und Ethik in ihren mannigfaltigen Ausprägungen. Deshalb soll in der Folge gezeigt werden, wie unterschiedliche Perspektiven auf den Transhumanismus in diesem Punkt zusammenlaufen können. Die Betrachtung der literarischen Wurzeln des Transhumanismus zeigt ihn als tief in der Bildsprache der Science-Fiction verwurzelt, ohne deren (gesellschafts-)kritischen Gestus zu teilen. Vielmehr dienen diese Bilder zur Konstruktion von sinnstiftenden récits. Damit liegt eine Betrachtung transhumanistischer Ideologeme als postmoderne Mythologie nahe. Darüber hinaus aber verheißt der Transhumanismus innerhalb dieses mythischen Raumes ganz konkrete Erlösungsangebote. Auch wenn diese Angebote Transzendenz durch Technik erset-

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zen wollen, sind doch – gerade im Blick auf den Umgang mit Kontingenz – am Transhumanismus klar religiöse Züge erkennbar. Durch die dreischrittige Darstellung des Transhumanismus als Schnittmenge von Science-Fiction, Mythos und Religion wird der didaktische Wert des Phänomens deutlich: Seine Bildsprache ist den heutigen Jugendlichen lebensweltlich vertraut, ist sie doch Teil der Popkultur – man denke nur an die mediale Repräsentation von Selbstoptimierungstechniken oder die Debatte um Prothetik im Leistungssport, die bereits in schulische Abschlussprüfungen Eingang gefunden haben. Im fiktionalen Bereich sind quasimythische Übermenschen- bzw. Superheldenstoffe seit Jahren unverändert populär. Dazu tritt die Beobachtung, dass die Selbstzuordnung zu traditionellen religiösen oder ideologischen Mustern sinkt. Somit greift einerseits das Philosophieren und Theologisieren mit Jugendlichen auf genau diese lebensweltlichen Mythologeme zurück. Andererseits lassen sich transhumanistische Ideen in der Folge sowohl dekonstruieren, als auch mit traditionelleren Sinnstiftungsangeboten korrelieren – beides wird dazu beitragen, unterschiedliche Kompetenzen aufzubauen. Kurz gesagt: Die Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus wird so für Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild vom Menschen – und der eigenen Zukunft.

VERORTUNGEN Science-Fiction Science Fiction is no more written for scientists than ghost stories are written for ghosts. Brian W. Aldiss 1973: 1

Über Science-Fiction (SF) zu sprechen ist schwierig, laufen doch auch und gerade die Gebildeten unter ihren Verächtern immer wieder Gefahr, gewissen Grundmissverständnissen zu erliegen. Deshalb soll an dieser Stelle anstatt eines Definitionsversuches zunächst ein kurzer historischer Abriss stehen, bevor eine Reihe daraus abgeleiteter Gattungsmerkmale in Bezug zum Transhumanismus gesetzt wird.

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Eine (sehr) kurze Geschichte der Science-Fiction Wenigstens die Bezeichnung selbst ist einigermaßen eindeutig datierbar, taucht als »scientifiction« erstmals im Jahr 1926 auf. Was damit aber bezeichnet wird, war zuvor wie danach höchst unklar. Hugo Gernsback, der den obenstehenden Begriff im Editorial des bald maßgeblich stilprägenden pulp-Literaturmagazins Amazing Stories verwendete, verstand an dieser Stelle darunter »a charming romance intermingled with scientific fact and prophetic vision« (zit. nach Stableford et al. 1993: 311). Eine quasiepische Erzählung also, die Naturwissenschaft und Prophetie, Fakt und Vision miteinander verwebt. Zwar ist diese Definition aus heutiger Perspektive doch sehr defizitär, sie erlaubt es aber durchaus, Erzähltraditionen zu identifizieren, die bis heute die Science-Fiction prägen. Da ist zum einen die phantastische Reiseerzählung. Ein frühes Beispiel sind die Wahren Geschichten des Lukian von Samosata (ca. 120-180 n. Chr.). Schon Lukian entwickelt unter der verspielten Textoberfläche einen satirischen Tiefenzug. Noch deutlicher wird dies in den vier Büchern von Gullivers Travels, dem Meisterwerk des irischen Satirikers und Theologen Jonathan Swift (1667-1745). Auch diese sind bei aller oberflächlichen Komik äußerst vielschichtig satirisch aufgeladen, bieten gerade in der phantastischen Codierung ein scharfzüngig kommentiertes Sittenbild, das sogar heute noch im Blick auf den Transhumanismus fruchtbar ist (s. u.). Die zweite Grundströmung, das politisch-soziologische Gedankenexperiment, zeichnet sich im Vergleich zur Reisesatire durch einen fast konsequenten Verzicht auf äußere Handlung aus. Ursprünglich ein rhetorisches Instrument, konstruiert es ein Chronotop, in dem ethische, moralische, gesellschaftspolitische Anliegen des Autors in paradigmatischer Weise verwirklicht sind. Welche Wirkmacht dies entfalten kann, zeigt sich schon an dem Prototyp dieser Gattung, dem Inselstaat Atlantis, wie er von Plato (428-348 v. Chr.) in verschiedenen Dialogen konstruiert wird: Trotz dessen offensichtlicher Fiktionalität gab es seit der Antike zahlreiche Versuche, den Ort zu finden; die zweite Karriere von Atlantis als Sehnsuchtsort esoterischerer Kreise hält bis heute an. Den Ort, den es nicht gibt, der aber ein guter Ort ist: ou topos und eu topos fallen im Englischen phonetisch zu Utopia (lat. 1516/engl. 1551) zusammen. Der Schlüsseltext von Thomas Morus (1478-1535) führt seine antiken Vorbilder konsequent weiter, indem er ihr kritisches Spannungsverhältnis zur Realität betont. So wurde die Utopie als Blaupause einer anderen, besseren Welt zur Chiffre für das, was später als Science-Fiction bezeichnet werden sollte.

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Die Rückbesinnung der SF auf ihre poetologischen Wurzeln fällt nicht zufällig auf die Nachkriegszeit, als die klassischen technischen Fortschrittsbilder gründlich entzaubert wurden. Dass der erste Einsatz gerade der Atomkraft, deren zivile Nutzungsmöglichkeiten so viele Autoren zu fast schon elysischen Utopien inspiriert hatte, vieltausendfachen Tod und unendliches Leid bringen sollte, musste den Glauben an das im positiven Sinne gesellschaftsverändernde Potenzial von science ersticken. Aber in der Außenwahrnehmung war der Schaden schon angerichtet: Science-Fiction wurde nicht als Literatur gesehen, die Atomenergie als Chiffre in einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer außerliterarischen Umwelt verwendete, sondern als die Literatur der Strahlenkanonen. Stellvertretend für die Theoriebildung der Nachkriegszeit soll hier Darko Suvin (*1930) stehen. Er führt vor diesem Hintergrund im Rückgriff auf die Dramentheorie Bertolt Brechts den Begriff der Verfremdung ein und beschreibt die SF als »a literary genre whose necessary and sufficient conditions are the presence and interaction of estrangement and cognition, and whose main formal device is an imaginative framework alternative to the author’s empirical environment« (Suvin 1979: 7 f.). Was die SF von anderen satirischen Literaturformen abhebe, so Suvin, sei die Einführung eines novum, eines imaginären Elements, das nur innerhalb des literarischen Chronotops realisierbar sei und dort kritische Wirkung entfalte (Suvin 1979: 63). Kurz gesagt: Science-Fiction ist gleichzeitig visionär und subversiv. Und zeigt in beiden Aspekten hohe Anschlussfähigkeit an transhumanistische Rhetorik: Zum einen als Bildspender für technisierte Erlösungsvisionen, zum anderen als Strukturspender für die Auseinandersetzung mit einer als antiutopisch empfundenen Realität des Banalen. Aber schon dieser kurze Abriss macht deutlich, wie leicht es zu Missverständnissen im Blick auf die folgenden Gattungsmerkmale führen kann.

Populäre Missverständnisse – und ihre Konsequenzen auf ein Verständnis des Transhumanismus (1) SF ist nicht primär naturwissenschaftlich orientiert. Science-Fiction ist nur insofern in struktureller Analogie zu naturwissenschaftlichen Diskursformen zu begreifen, als dass sie sich als Versuchsanordnung begreift, als laborhaftes Gedankenexperiment. Natürlich kann dies biologisch-physikalisch-technisch motiviert sein: Was wäre, wenn …

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... der menschliche Körper prothetisch superoptimierbar wäre wie z. B. in Cyborg von Martin Caidin (1972) – der Roman trägt nicht umsonst auf Deutsch den schönen Titel Der korrigierte Mensch … … menschlicher Bewusstseinsinhalt sicherheitskopierbar wäre wie z. B. in Software von Rudy Rucker (1982) … … oder umgekehrt kybernetische Avatare Wachkomapatienten gesellschaftliche Teilhabe über drahtlose Standleitungen ermöglichen wie in Lock In von John Scalzi (2014)? Diese Fragen sind Kristallisationskeime für Weltexperimente. Die dazugehörigen binnenfiktionalen Technologien sind Teil des world building und innerhalb dessen Grenzen möglich, stehen überdies im Dienst der Narrative. Damit entsprechen sie passgenau dem Suvin’schen novum. Naturwissenschaft und Technik sind in der Regel aber nicht Gegenstand, sondern Mittel der Erzählung, im Zentrum ist und bleibt der Mensch in seiner Transformierbarkeit. Dies hat freilich tiefgreifende Konsequenzen auf die relative gegenseitige Verortung von Science-Fiction und Transhumanismus. Wo letzterer sich direkt der SF als literaler Ideenspender bedient, muss er sich einer gewissen Naivität analog zu dem Sucher von Atlantis zeihen lassen. Auf ein einfaches Beispiel reduziert: Einer der Schlüsselaufsätze des Transhumanismus, »Cyborgs and space« (Clynes/Kline 2007), steht ganz offensichtlich unter dem Eindruck literarischer Vorbilder wie der bis heute faszinierenden Kurzgeschichte »Scanners Live in Vain« (Cordwainer Smith, 1950) – ohne für deren elegische Pointe empfänglich zu sein, dass erst die kybernetische Modifikation die Kategorie des »Auslaufmodells« auf Menschen anwendbar macht. Allein dadurch wird transhumanistisches Gedankengut allerdings noch nicht zur bloßen Phantasterei. Extrapolation kann auf allen Ebenen inspirieren – und allein das Bemühen vieler SF-Texte um naturwissenschaftlich plausibilisierte Versuchsanordnungen führt zu verstärkenden Resonanzen mit tatsächlichen wissenschaftlich-technischen Entwicklungen. Allerdings korrespondiert die Tendenz, die SF ihres kritischen Potenzials zu entkleiden, mit dem Verständnis von SF-Szenarien als Blaupause für außerliterarisch zu realisierende Visionen. (2) SF beschäftigt sich nicht mit der Zukunft. Vielmehr befasst sie sich mit der Frage: »Was wäre, wenn?« Da die unmittelbare Anbindung an science fragwürdig ist, können die für die SF oft vorgeschlagenen Alternativbezeichnungen als spekulative oder extrapolative Literatur nur bedingt befriedigen. Die visionäre Kraft der SF liegt nicht in einem Vorhersagen der Zukunft, sondern in einem Ausloten der Gegenwart. Das Werk ist zuallererst ein Gegenentwurf zur außerfiktionalen Realität, der über die Resonanz zwischen Ist und Soll, im Modus der

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Utopie oder der Dystopie, Anstoß erregen und so positive Entwicklungen anstoßen will (Rüster 2007: 46 f.). Das gilt natürlich ebenso für die Texte, die an transhumanistisches Gedankengut anschlussfähig sind. Wenn etwa Olaf Stapledon in Last and First Men (1930) eine Jahrmilliarden währenden Abfolge von sich selbst stets technisch transformierenden Menschheiten bringt, liegt die Pointe weniger in einer tatsächlichen Imagination posthumanistischer Verhältnisse. Vielmehr wird in der Verfremdung deutlich, wie sehr der Prozess, in dem das Sonnensystem ohne Rücksicht auf indigene Kulturen kolonisiert wird, dem im zeitgenössischen Empire gleicht. Auch ist das quasisozialistische galaktische Utopia der Culture-Romane von Iain M. Banks sicher kein extrapolierender Entwurf von things to come, sondern eine sandbox für philosophische Gedankenexperimente aller Art. Wenn darin die völlige phänotypische Plastizität des Menschen verhandelt wird – mit am deutlichsten in den vielfachen Geschlechtswechseln in Excession (Banks 1996) –, werden transhumanistische Zukunftsträume à la Natasha Vita-More kritisch verarbeitet, die ihren Primo Posthuman mit modularisiert austauschbaren Geschlechtsteilen versehen hat – und damit einem konsumkapitalistischen Ideal huldigt: »What if your body was as sleek, as sexy, and felt as comfortable as your new automobile?« (Vita-More 2002) (3) SF ist nicht über ihre Topoi zu definieren: In der Außenwahrnehmung ist die Science-Fiction durch das geprägt, was sie am sichtbarsten von anderen Literaturformen unterscheidet: Den spezifischen Vehikeln, den Außerirdischen, Robotern und Raumschiffen. Dies verstellt allerdings leicht den Blick dafür, dass sie vor allem vehicles im metaphorischen Sinne sind. Damit tragen sie zwar immer eine gewisse Stereotypie in sich, um quasi als literarische Kurzschrift fungieren zu können. Aber sie bieten darüber hinaus die Möglichkeit, gerade durch ihre lose festgelegte Topik ebendiese narrativ verhandeln zu können. Sprich: Das phantastische Element, das den weiter oben angelegten Kriterien an ein novum entspricht, hat zwar metaphorische Qualität, muss aber, um konkretes kritisches Potenzial erfüllen zu können, darüber hinausgehen. Um erneut Darko Suvin (1988) zu folgen: Es muss Kohärenz zur außerliterarischen Welt aufweisen und reichhaltig sein, also eine gewisse Interpretationsoffenheit aufweisen. Auch wenn die Topoi der SF auf eine »Master-Deutung« verweisen, ist diese, im Gegensatz etwa zu allegorischen Formen, nicht konventionell fixiert: Die Interpretationssouveränität des Rezipienten bleibt im Rahmen der Textwelt unangetastet.

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Am Beispiel der Außerirdischen lässt sich dies gut verdeutlichen: Sie verkörpern zunächst das Fremde und Andere an sich. Diese grundlegende Alterität lässt sich in ein reichhaltiges, komplexes Bündel konkreter Lesarten verzweigen, von eher wörtlich-konkreten Transpositionen wie den »Besuchern« als halbfreiwilligen Einwanderern, deren Integration mal besser (Alien Nation, 1988), mal schlechter (District 9, 2009) funktioniert, über den tiefenpsychologisch multipel aufgeladenen Horror des unbegreiflich Anderen (Alien, 1979) bis hin zum Erstkontakt als Lackmustest für die Fähigkeit, eigene Perspektiven und Wertungen zu relativieren (The Sparrow, 1996). Dieselben Mechanismen greifen, wenn man auf diejenigen Topoi blickt, die bevorzugt von transhumanistischen Vordenkern aufgegriffen werden. So sind etwa kybernetische Überformungen menschlicher Organismen in der SFLiteratur vor allem Ausgangspunkt von Meditationen über technologisch induzierte Selbstentfremdung des Menschen, die überdies immer im Zeichen ihrer Zeit stehen. Die binnenfiktionalen Realia der Science-Fiction haben stets eine Funktion, die über sie selbst hinausweist und eine kritische Beziehung zur außerliterarischen Realität herstellt. Damit sind es aber eben nicht die Außerirdischen, Cyborgs etc. selbst, die die SF ausmachen, sondern ihr kritisches Potenzial – und diese Differenzierung bekommt im Blick auf transhumanistische Denkfiguren Bedeutung: Wer sich der Science-Fiction als literarische Blaupause für realweltliche Transformationsprozesse bedient, missversteht sie, insofern er das ihr eingeschriebene kritische Potenzial abscheidet. Wenn der Transhumanismus androide Ersatzkörper als Unsterblichkeitsprogramm postuliert, muss kritisch nachgefragt werden, inwieweit er damit Antworten auf die mit den kulturellen bzw. literarischen Vorbildern untrennbar verbundenen (moral-)philosophischen und anthropologischen Fragen verweigert. Damit ist Science-Fiction kein Genre, sondern eher ein Modus literarischparänetischen Erzählens in enger struktureller Analogie zu Satire und Metapher. Auch diese Erkenntnis hat zentrale Bedeutung für die Frage, inwieweit sich Science-Fiction und transhumanistische Ideologeme gegenseitig bespiegeln. Die bisherigen Abschnitte hatten als naheliegendes Beispiel den Cyborg zwischen Vision und Metapher im Blick, aber hier lassen sich leicht weitere Gesichtspunkte eintragen – verwandt mit dem Bild vom Cyborg ist etwa die grundsätzlichere Entkoppelung von Körper und Geist. Denn das mechanistisch-materialistische Weltbild des Transhumanismus ist von einem eigentümlichen Dualismus durchzogen, wenn es den menschlichen Körper primär als Trägermedium des Geistes begreift. Damit steht es in einer verschlungenen Traditionslinie, die sich von Platon über die Gnosis, Descartes

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und La Mettrie nachzeichnen lässt. Einerseits marginalisiert diese Denktradition den Körper. Andererseits rückt sie ihn durch den Wunsch, ihn im Zeichen des Geistes frei gestalten zu können, ins Zentrum aller Anstrengungen. Das im Transhumanismus zu Überwindende ist in der Regel nicht der Mensch an sich, sondern seine Leibhaftigkeit. So kann geflissentlich ignoriert werden, dass die literarischen bzw. popkulturellen einschlägigen Prätexte in der Regel genau dieser Dichotomie eine Absage erteilen, weil sie den Menschen – ganz nebenbei in Übereinstimmung mit christlichen bzw. biblischen Vorstellungen (s. u.) – als ganzheitlich in Interdependenz von physischen und metaphysischen Instanzen zu erkennen geben: Die Trennung von Körper und Bewusstsein hat nicht nur in der SF eine fundamentale Transformation des Transferierten zur Folge. Dies betrifft Texte, in denen der transhumanistische Traum eines Wechsels des Trägermediums durchgespielt wird, etwa durch eine technische Speicherung von Bewusstseinsinhalten (z. B. im Film Transcendence, 2014),1 aber auch solche, die den Austausch von Körpern zum Thema haben. Selbst eine so aus der Zeit gefallene Altherrenphantasie wie Robert A. Heinleins I Will Fear No Evil (1970), in dem das Gehirn eines greisen Multimilliardärs in den Körper seiner überaus attraktiven jungen Sekretärin verpflanzt wird, zieht dramatisches Potenzial aus der wechselseitigen Durchdringung von Leiblichkeit und Persönlichkeit. Von dieser Warte aus erweist sich die transhumanistische Vision, die menschliche Software sozusagen vollumfänglich portierbar zu gestalten, als Trugschluss im Nachgang des 18. Jahrhunderts. Der oben genannte Julien Offray de La Mettrie (1748) betrachtete den menschlichen Organismus als zwar hochkomplexe, im Endeffekt als aber umfassend beherrschbaren homme machine. Das wiederum machte den Geist zur Funktion des Körpers, ihm somit untrennbar eingeschrieben. Transhumanistisches Denken, etwa im Gefolge von Hans Moravecs Geist ohne Körper (1993) oder Ray Kurzweils Vorstellung von der Menschheit 2.0 (2014), der er nach dem »Gehirn-Upload« immerhin noch einen »virtuelle[n] Körper in komplett realistischen virtuellen Umgebungen« (Kurzweil 2014: 200) zugestehen will, kehrt diese Vorstellung naiv um, indem es den Körper zum subalternen Substrat des Geistes macht. Es bleibt der Science-Fiction überlassen, in

1

Augenscheinlich lässt sich Brian Javna, der postmortal digitalrekonstruierte Charakter aus John Scalzis Roman The Android’s Dream als positives Gegenbeispiel lesen; allerdings beruht seine (mangels eines besseren Begriffes) »mentale« Stabilität auf der Anerkennung seiner neuen Körperlichkeit.

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mannigfaltiger Variation der ihr eigenen literarischen Topoi beides kritisch zu hinterfragen. Deshalb die fast schon bange überleitende Frage: Ist der Transhumanismus damit nichts anderes als ein nachaufklärerischer Mythos, der seinen Bildervorrat, seine Meme der Science-Fiction entlehnt hat? Soviel vorweg: Nicht nur, aber auch.

Mythos Jede wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Mythos steht zunächst vor einer kaum zu überwindenden Schwierigkeit: Was Mythos ist, ist schwer zu fassen. Friedrich Beißer 2000/1994

Mythen sind Erzählungen, in denen sich »Menschen über ihre Herkunft, Identität und Bestimmung Rechenschaft ablegen« (Kuester 1998: 49), indem sie eine weitgehend kohärente Art der Welterfahrung in Form sinnstiftender Narrative vermitteln, die räumlich wie zeitlich vom empirischen Alltagserleben divergieren. Damit geht eine »eminente Wandelbarkeit« (Beißer 2000: 654) der Erzählungen einher. Die mythischen Bilder müssen eine Resonanz zwischen Welt und Mythos erzeugen, um Wirkmächtigkeit entfalten zu können. Diese Veränderlichkeit verbleibt jedoch (in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss) immer im Rahmen einer allen Mythen gemeinsamen Struktur. Deren Grammatik erlaubt es, Grundspannungen zu benennen, die den Menschen als handelndes Wesen seit jeher bestimmen. Nachdem im Folgenden geklärt wird, welche Rolle der Begriff des Mythos für eine Beschreibung menschlichen Strebens nach Selbstverständnis und Weltverortung in der Moderne spielen kann, ist der Frage nachzugehen, inwieweit die Lektüre transhumanistischer Ideen als Mythen geeignet ist, die menschlichen Grundspannungen zu beschreiben. Inwieweit sogar die Auflösung dieser Spannungen verhießen wird, also der Unterschied zu religiösen Strukturen geringer wird, zeigt sich dann im weiteren Verlauf. Die moderne Wertschätzung des Mythos ist – zumindest im angelsächsischen Raum – untrennbar mit dem Namen Joseph Campbell (1904-1987) verbunden. Dessen zentrale Studie, The Hero with a Thousand Faces (1949), gibt einen guten Überblick über die Mythentheorie. Campbell greift unter anderem die vergleichende Mythologie- und Religionswissenschaft von James Frazer

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(1977) auf, die weltweit verbreitete Mythologeme, religiöse und rituelle Strukturen in Beziehung setzt. Zu Recht wird Frazers zentrale Schlussfolgerung, die Entwicklung menschlicher Geistesgeschichte folge einem evolutionären Dreischritt von magischen über religiöse hin zu wissenschaftlichen Paradigmen, mittlerweile abgelehnt. Der Wert seiner Studien wird vielmehr in dem systematischen Vergleich mythologischer Strukturen und der Herausarbeitung ihrer psychologischen Relevanz gesehen. Gleichzeitig nimmt Campbell den Transzendenzbegriff der Religionspsychologie im Gefolge von Rudolf Otto (1917) auf, der religiöse Erfahrung als letztlich nicht rationalisier- und analysierbare Ambivalenzerfahrung begreift. Für das Individuum sei sie mysterium tremendum et fascinans, also ein unverfügbares Erleben, das zugleich erschauerndes Beben und unabwendbare Faszination auslöse. Da Otto diesen Affektzustand ins Zentrum stellt, haben Mythen für ihn bestenfalls sekundäre Bedeutung: Sie »gesellen sich lediglich als Phantasiebilder hinzu, ja sie sind gleichsam Abfallprodukte, die zudem zu einer Schale erstarren können, die verhindert, dass sich eine echte religiöse Haltung einstellt« (Sløk 1960: 1266 ff.). Demgegenüber weist Campbell, auch unter dem Einfluss von Carl Gustav Jungs tiefenpsychologischem Ansatz, darauf hin, dass der Wert von Mythen darin liege, individuelle und überpersönliche Lebenserfahrungen miteinander zu verflechten. Dies ermöglicht es, Mythen als Metronome und als Seismographen menschlicher Befindlichkeit zu verstehen. Campbell spürt beharrlich den narrativen Konsequenzen des kollektiven Unbewussten in den Mythen der Welt nach. Sein Postulat des monomyth als universaler Struktur, in die sich einerseits zahllose mythische Erzählungen eintragen lassen, die aber andererseits auch mit individualbiographischen Erfahrungen in Wechselwirkung tritt, hat sich als ausgesprochen wirkmächtig erwiesen. In diesem dreiteiligen monomythischen Schema aus Aufbruch, Initiation und Wiederkehr finden sich immer wiederkehrende Elemente. Diese können von Mythos zu Mythos in Details wie Reihenfolge und Unterteilung abweichen, im Grunde aber nehmen alle mythischen Helden in unterschiedlichen Ausformungen einen identischen Weg. So ist ein Aufbruch immer mit Zögern und Hindernissen verbunden, die auch mithilfe von Mentoren überwunden werden müssen, bis schließlich die Schwelle ins Unbekannte überschritten werden kann; ob sich nun Jesus von Johannes im Jordan taufen lässt (Mt 3,13 ff.) oder Luke Skywalker von Obi-Wan durch die Halbwelt von Mos Eisley ins All gelotst wird. In den Rahmen solcher mythischer Heldenreisen lässt sich auch das eigene Leben jederzeit eintragen und da-

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mit der Selbstreflexion zugänglich machen. Nicht umsonst findet sich die Heldenreise auch im Unterhaltungsfilm und in der Science-Fiction wieder. Mit Campbell lässt sich also Mythologie als tertium comparationis zwischen conditio humana und Individualerfahrung, zwischen Menschheit und Menschenleben begreifen, ist damit auch Bildgeber für die Desiderate des Individuums, für dessen Transzendenz bzw. Entgrenzung. Im Folgenden soll die Mythentheorie auf den transhumanistischen Diskurs angewandt werden, insofern dieser Diskurs sinnstiftende Narrative enthält, die überzeitliche Grundfragen des Menschlichen in kontemporär resonierende Bilder fassen, weil sie an tradierte mythologische Sinnstrukturen anschlussfähig sind.

Konsequenzen für das Verständnis des Transhumanismus In der 1998 veröffentlichten Essaysammlung The Dreams Our Stuff is Made of: How Science Fiction Conquered the World arbeitet der Science-Fiction-Autor und Theoretiker Thomas M. Disch in etlichen Detailanalysen heraus, dass die Topoi und Themen des Phantastischen gegenwärtige (Pop-)kultur durchdringen und die SF gleichzeitig Seismograph und Metronom der Gegenwart ist. SF changiert zwischen mahnender Allegorie und ihrer Rolle als Mythenspender in einer sich rasch modernisierenden und technisierenden Gesellschaft. Anhand einer Analyse der Entwicklung von Scientology lässt sich so zeigen, wie Phantastik eine Mythenbildung mit transhumanistischen Obertönen prägen kann.2 Disch stellt zunächst fest, dass viele Nischenkulturen (dazu zählt er so unterschiedliche Organisationsstrukturen wie Freikirchen oder das literarische Fandom) von einem Sendungs- und Überlegenheitsgefühl geprägt sind, das sich allerdings nur selten mit den alltäglichen Lebenserfahrungen vereinen lasse. Es gebe doch viele, »whose capabilities don’t gibe with their aspirations, whose chess game isn’t top-notch and whose grades, even with effort, are C’s and B’s. How is one to reconcile, in such cases, the discrepancy between a grandiose self-image and the steady encroachments of mundane reality? The answer has been religion in one form or another.« (Disch 1998: 141)

Im Zusammenhang mit der »vulnerability of the SF community [...] to [the] lure of transcendence« (Clute/Nicholls 1993: 593) ergeben sich eigenartige Synergieeffekte. Aus SF-typischen literarischen Versatzstücken entstehen religionsartige

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Die folgende Analyse baut auf Gedanken aus Rüster 2007: 49 ff. auf.

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Kulte, deren prominentestes Beispiel Scientology ist. Deren Gründer, L. Ron Hubbard, war ein mäßig erfolgreicher Science-Fiction-Autor, als er 1949 das Konzept von »Dianetics« entwickelte, einer an freudianischer Psychoanalyse orientierten mentalen Selbsthilfetechnik, die zum Ziel hatte, über einen »auditing« genannten Prozess Konflikte aus den Tiefen des Unterbewusstseins hervor zu fördern, die verantwortlich für die gegenwärtigen Probleme des Probanden waren. Dabei hilft das »E-Meter«, ein technisches Instrument für die Messung von Veränderungen des Hautwiderstands. Nach Veröffentlichung des grundlegenden Buches Dianetics: The Modern Science of Mental Health (1950) wurde diese Methode rasch populär, trotz teils recht heftiger Gegenreaktionen der etablierten Wissenschaften. Dies führte zum Umbau der Bewegung: »Dianetics, the science, morphed into Scientology, the religion. This had many advantages. Religions cannot be taxed; even better, they are exempt from criticism or hostile comment – at least in the United States.« (Disch 1998: 149)

Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch ein neuer Überbau entwickelt. Nun galten alle Menschen als beseelt von außerirdischen Geistwesen, den »Thetans«, angebunden an den Urgrund des Universums. Ziel war und ist nun, den »inneren Thetan« zu wecken, den Menschen zum »Operating Thetan« zu machen: »Operating Thetan (OT) ist ein spiritueller Seinszustand oberhalb von Clear. Mit Operating ist gemeint: ›fähig zu handeln und mit Dingen umzugehen‹. Und mit Thetan ist das geistige Wesen gemeint, das das grundlegende Selbst ist. Ein Operating Thetan ist demnach jemand, der mit Dingen umgehen kann, ohne einen Körper oder physische Mittel benutzen zu müssen. Man ist im Grunde man selbst, kann mit Dingen umgehen und ohne physische Unterstützung und Hilfe existieren. Es bedeutet nicht, dass man Gott wird. Es bedeutet, dass man ganz man selbst wird.« (www.scientology.de)

Dabei lässt sich nachzeichnen, wie sich in der subkulturellen Konstruktion der mythopoetische Dreischritt wieder finden lässt, wobei auch transhumanistische Meme erkennbar werden: Wie kommt der Mensch zu dem geistigen Wesen, das »das grundlegende Selbst ist«? Scientology erzählt einen anthropogonischen Mythos, der in vager struktureller Nähe zu Genesis 2 f. Rechenschaft über des Menschen »Herkunft, Identität und Bestimmung« in der Welt ablegt: Thetane sind Opfer eines Genozidversuchs, der vor 75 Millionen Jahren durch einen intergalaktischen Herrscher »Xenu« auf der Erde verübt wurde, und in dessen Folge hunderte von Milliarden entkörperter Seelen erst einer Gehirnwäsche unter-

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zogen wurden und sich in Schwärmen in den wenigen verbliebenen menschlichen Körpern anlagerten.3 Dieses Narrativ ist räumlich wie zeitlich vom empirischen Alltagserleben geschieden, es stiftet auch Sinn – menschliche Gebrechen und Unzulänglichkeiten erscheinen als Resultate dieses kosmischen Verbrechens. Ein Mitglied von Scientology kann seine geistige Kapazität durch Anzapfen der ihm innewohnenden außerirdischen Macht voll entfalten, indem Xenus Gehirnwäsche therapiert wird: So kann er/sie zu dem Überwesen mutieren, das er/sie eigentlich schon ist. Dieser Mythos ist in enger Verzahnung mit popkulturellen Diskursen entstanden. Er speist sich aus Hubbards literarischer Produktion sowie aus Geist und Technik der Zeit. Er greift nicht nur die in den USA in den 50ern und 60ern populäre Psychotherapie auf, sondern beschreibt die intergalaktische Raumschiffflotte in Analogie zu zeitgenössischen Flugzeugtypen. Das scientologische Narrativ bleibt dennoch ein überzeitlicher Mythos, weil es die Grundspannung zwischen dem Menschen, der ist, und dem Menschen, der er/sie gern wäre, beschreibt und die Auflösung oder zumindest Linderung dieser Spannung verheißt.4 Das macht anschlussfähig an den Transhumanismus. Technik wird in Form des von der Schulmedizin als völlig wirkungslos eingestuften E-Meters Teil des (Selbst-)Erlösungswegs. Science-Fiction-Topoi wie Präastronautik, Telepathie und Telekinese, kurz der ganze ESP-Bereich (extrasensory perception), werden mit einem quasignostischen Überbau kombiniert: Die Konzentration auf einen außerirdischen spirit ist einerseits materialistisch-detranszendierend (kein Engel, kein Dämon – sondern das Alien in uns), andererseits wird Körperlichkeit als zu überwindend betrachtet. Scientology gehört nicht nur ideengeschichtlich zum Nexus von Transhumanismus und Science-Fiction. Auch soziologisch lässt sich dies nachweisen; jedenfalls legen Zensusdaten aus Ländern, die eine qualifizierte Kontrastierung und Korrelation z. B. von Religionszugehörigkeit und Geschlecht erlauben, nahe, dass Erklärungsmuster für die männliche Dominanz der Science-FictionSubkultur analog auf Scientology angewandt werden können (vgl. Bårdsen Tøllefsen/Lewis 2017: 408). Ist das mythologische Potenzial damit erschöpft – oder weist die Selbstcharakterisierung von Scientology als Kirche auf ein darüber hinaus gehendes Strukturpotenzial auch für den Transhumanismus?

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Zur schwierigen Quellenlage in Bezug auf diesen Mythos siehe Urban 2017.

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Marco Frenschkowski (2017: 136) merkt zu Recht an: »Scientology’s flavour of modernity will look old-fashioned very soon if its 1950s and 1960s pattern is maintained. Hubbard often brought up Science Fiction ideas even in public lectures, but now these seem very dated and are avoided in presentations of Scientology to outsiders.«

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Religion Wir können also sagen, dass die neue menschliche Agenda in Wahrheit nur aus einem einzigen Projekt (mit vielen Verzweigungen) besteht: Göttlichkeit zu erlangen. Yuval Noah Harari 2017

Um die Frage zu diskutieren, inwieweit transhumanistische Meme religiös dimensioniert sind, soll zunächst auf die funktionalistische religionssoziologische Perspektive zurückgegriffen werden. Der Blick auf die Funktionen, die Religion für Gesellschaft und Individuum erfüllen kann, bildet einen Rahmen, innerhalb dessen dann religiöse, mythische und transhumanistische Paradigmen miteinander in Beziehung gesetzt werden können.

Funktionen von Religion Nach Feuerbachs und Marx’ fundamentalkritischer Analyse von Religion beantwortet Émile Durkheim die Frage, was »der menschliche Sinn der Religion« (Durkheim 1981: 15) sei, zu Beginn des 20. Jahrhunderts differenzierter. Religion sei ein »Grundzug der menschlichen Existenz« (Pickel 2011: 78), deren soziale Funktionen sich in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedlich realisieren und somit empirisch untersuchen lassen: »Weder ein spezieller Transzendenzbezug noch bestimmte Gottheiten sind entsprechend für die Bestimmung von Religion notwendig. Einzig die Bedeutung der Religion für die Gesellschaft – oder besser verschiedenste Gesellschaften – ist zu ergründen. Dies kann man gut aus den religiösen Praktiken ablesen.« (Pickel 2011: 80)

Der Blick in die Kulturgeschichte bietet zahllose Evidenzen für diese gesamtgesellschaftliche Funktion von Religion. Sie zeigt sich in altorientalischen Herrscherkulten wie im Kaiserkult der Antike, ebenso im spätestens in der Reformationszeit so formulierten Anspruch an Religion als »vinculum societatis«, als ein die zunehmend fragmentierte frühmoderne Gesellschaft einigendes Band. Nun hat aber gerade die organisierte Religion im letzten Jahrhundert einen starken Bedeutungswandel durchgemacht. Insbesondere ihre Befreiung von der Stützfunktion für säkulare Strukturen hat gesellschaftskritisches Potenzial freigesetzt.

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Auch wenn Religion immer eine soziale Dimension hat: Die Religionsausübung ist selbst fragmentiert und privatisiert, was sie paradoxerweise vor einem zunehmend säkularen Hintergrund erst sichtbar macht (Wilson 1988: 199). Im Weiteren sollen vor allem die Funktionen von Religion für den einzelnen Menschen herangezogen werden, die der praktische Theologe Dieter Stoodt in Anlehnung an Émile Durkheim herausgearbeitet hat. Zentral ist die Funktion der Angstbewältigung bzw. -reduktion. Religiöse Verkündigung resoniert mit menschlicher Emotion, Glaube kann im Umgang mit den großen und kleinen Ängsten des Lebens affektive Stabilität geben. Dies erfolgt einerseits über Weltdeutung: Religion bietet Deutungsmuster für die großen Sinnfragen, die zu stellen der Menschheit eingeschrieben ist. Andererseits erfolgt dies aber auch im Blick auf Wertmaßstäbe: Religion »liefert verhaltenssteuernde Traditionen und Orientierungen« (Stoodt 1970: 5), spendet grundlegende Wertzusammenhänge für das menschliche Miteinander, teils basal und kompakt in Form von Leitfäden: Religion bietet Orientierung in Kurzformeln, bietet kleinste gemeinsame Nenner von den Zehn Geboten bis zur Goldenen Regel. Persistenz und konkrete Wirkung erfahren beide durch Institutionalisierung: Religion reguliert und sichert einerseits die weltlichen Formen menschlichen Zusammenlebens von der Familie bis zur globale Menschheit. Andererseits sind Religionen selbst institutionell strukturiert und mehr oder weniger hierarchisiert. Dies wiederum legt die Grundlage für die liturgische Stabilisierung: Religion bietet eine ritualisierte und rhythmisierte Gruppenheimat. Begegnen diese Funktionen im transhumanistischen Diskurs? Sprich: Kann der Transhumanismus, so vielstimmig er auch erscheint, als »new religious body« im Sinne von Wilson fungieren?

Religionssoziologie des Transhumanismus Im Rückblick auf Scientology zeigen sich offensichtliche Analogien auf der funktionalen Ebene, die unter den Vorzeichen des Transhumanismus lesbar sind: Angstbewältigung erfolgt bei Scientology durch die immanente »Hilfe zur Selbsthilfe« in Richtung Übermensch. Die Institution ist über unterschiedliche Initiationsstufen des Thetan-Seins stark hierarchisiert. Liturgische Stabilisierung erfolgt zwar auch über Großversammlungen, aber doch primär über das formal setting therapeutischer Clearing-Sitzungen; ganz im Sinne der schon von Stoodt konstatierten Entwicklung hin zu »Kleingruppen mit intensiver Nachfrage nach Geborgenheit und bestimmten Aktionen« (Stoodt 1970: 6).

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Dennoch greift man zu kurz, wenn man bei solchen Strukturanalogien verharrt. Denn das spezifisch Religiöse scheint eigentlich erst da auf, wo es um Fragen geht, die Antworten im »binären Code der Religion« (Pickel 2011: 126) entlang der Leitdifferenz von Immanenz und Transzendenz nahelegen. Am Beispiel (nicht nur) des Christentums heißt dies: Die Spannung zwischen beobachtbarer, immanenter Existenz und verhießener, weil nicht zugänglicher, transzendenter Fortexistenz wird binnenreligiös in der Annahme Gottes als Chiffre, »welche Transzendenz besitzt, aber sich doch auch zugänglich macht und dadurch gleichzeitig die Immanenz einbezieht« (Pickel 2011: 126), harmonisiert. Auch im Transhumanismus ist die Verheißung einer Selbsttranszendierung der eigenen profanen Körperlichkeit zentral für die Bewältigung existenzieller Erfahrungen von Kontingenz und Fragmentarität. Auch der Transhumanismus tritt an, diese Spannung zu lösen. Hier wird allerdings der transzendente Pol geschickt camoufliert, indem er materialistisch bzw. technisch gefasst wird. Die Botschaft lautet: Unsterblichkeit ist im Hier machbar, wenn auch nicht im Jetzt.5 Im Gegensatz zu den vergleichsweise evolutionären Entwicklungen religiöser Narrative werden die des Transhumanismus daher jeweils an sehr zeitgebundene und rasch wechselnde Metaphern geknüpft: Der Space Cyborg des Raketenzeitalters wird schnell von Digitalisierungsphantasien des Cyberzeitalters abgelöst – die Deutungsmuster fluktuieren und oszillieren erheblich. 1960 steht Selbsttranszendierung noch unter dem eher handfesten Paradigma, »die menschlichen Körperfunktionen zu verändern […], [um sie] jedweder ausgewählten Umwelt anzupassen« (Clynes/Kline 2007: 467). Eine Generation später hat sich die Leitmetapher unter dem Einfluss des technologischen Fortschrittes gründlich virtualisiert, Hans Moravec beschwört »[g]eistige Entitäten in einem ausgereiften, wimmelnden und kompetitiven Cyberspace« herauf (Moravec 1996: 115). Die Spannung zwischen überzeitlicher Erlösungssehnsucht und augenscheinlich kurzfristig realisierbarem Vehikel fällt im Rahmen des Transhumanismus daher besonders deutlich ins Auge. Auch wenn der Transhumanismus innerweltlich-technologische Abhilfe für die raumzeitliche Endlichkeit des Menschen verspricht, so sind selbst die über die diversen Entgrenzungsphantasien hinausgehenden zaghaften Realisierungsversuche vor allem als Äquivalente zur religiösen Funktion der Angstbewältigung zu sehen. Die neue Qualität dieses Äquivalents besteht freilich gegenüber »klassischen« religiösen Strukturen darin, dass sie sich nicht in symbolischen Ritual-

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Es ließe sich durchaus argumentieren, dass die zentrale Chiffre des Transhumanismus im »technischen Fortschritt« liegt, einem Prozess, der das Transzendente und Immanente verschränkt und somit sakrale Bedeutung bekommt.

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handlungen ausdrücken, sondern die Verheißung in ein (innerhalb des Diskurses) quasi »materialistisches« liturgisches Geschehen kleiden. Um Kryonik6 als ein publikumswirksames, weil drastisches Beispiel zu bemühen: Nach dem biologischen Tod werden eschatologische Perspektiven nicht durch eine Aussegnungshandlung, sondern eine möglichst umgehende Schockfrostung eröffnet. Kontingenzbewältigung erfolgt in der religiösen Welt durch ritualisierten parakletischen Verweis auf Glaubensformeln, in Form von Textlesung, Gebet und Segen, der für die Hinterbliebenen »Unbestimmbares in Bestimmtes oder doch Bestimmbares transformiert« (Luhmann 1977: 33): »Wir dürfen trostlosen und verzweifelten Menschen die Botschaft des Gottes verkündigen, der uns durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten Leben zugesagt hat durch den Tod hindurch und der ein Gott der Barmherzigkeit und des Trostes ist. […] Als Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen wir Sprach- und Hilflosen die Worte sagen, die sie fähig machen, ihrer Trauer und Klage Ausdruck zu geben und Worte des Trostes zu vernehmen.« (Bergner 1993: 4)

Im Fall des Transhumanismus steht für die Hinterbliebenen ein ritueller Ersatz, der sich nicht als Übergangsritus versteht, sondern vielmehr als Konservierungsprozess. Dem »Unbestimmbaren« wird gewehrt, indem der status quo des Verstorbenen erhalten wird. Diese Eschatologie ist daher zugleich immanent und transzendent – letzteres, weil sie auf eine wiederum unbestimmbare Zukunft verweist: »Kryonik soll […] dazu dienen, den aktuellen Zustand des (verstorbenen) Menschen festzuhalten, um ihn anschließend durch die Zeit hindurch einer zukünftigen Medizin zu überbringen, in der er geheilt werden kann, weil der Tod eines Menschen als Krankheit betrachtet wird.« (Segenius o. J.)

Komprimiert und pointiert, aber nicht ganz unzutreffend ausgedrückt: Wir befinden uns hier in der Librationszone vom »neuen Himmel und neue[r] Erde« (Offb. 21,1) und »Schöner neuer Welt«. Und sehen im Rückblick, wie deutlich transhumanistisches Gedankengut innere Spannungen offenbart, wenn es von literarischer, mythologischer, religionssoziologischer Warte aus betrachtet wird.

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Darunter versteht man die Kältekonservierung möglichst kurz Verstorbener zum Zweck einer Reanimation in einer Zukunft, in der sowohl diese Wiederbelebung als auch die Therapie der ursprünglichen Todesursache möglich geworden ist.

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Etwas polemisch zugespitzt: Der Transhumanismus bedient sich der Science-Fiction als Bildspender, kappt sie aber um die gattungsspezifische Pointe, nämlich ihre metaphorische Qualität: Die Bilder werden ihrer binnenfiktionalen ureigenen kritischen Funktion beraubt. Das wiederum gibt ihnen mythologisches Potenzial, lässt die phantastischen Topoi zu zeitgenössischen récits, d. h. zu Erzählungen über Selbstüberwindung und -entgrenzung werden. Damit können transhumanistische Meme, wo ihre Verheißungen von Unsterblichkeit und Defragmentierung eine Art materialistisch verbrämten Transzendenzcharakter annehmen, quasi den Fortschritt vergotten, religiöse Funktionen übernehmen. Dieser Dreischritt hat sich am eben angeführten Beispiel der Kryonik aufzeigen lassen: Das literarische Motiv des kältekonservierten Körpers wird seines kritischen Potenzials beraubt – wie etwa in der zynischen Kurzgeschichte »Revival Meeting« von Dannie Plachta (1969), in der der Aufgetaute fast übergangslos zum Organspender wird. Vielmehr entwickelt sich daraus ein materialistisches Erlösungsnarrativ, dem man aufgrund bisheriger Forschungsergebnisse bestenfalls naturwissenschaftliche Verbrämung attestieren kann. Aber auch Scientology lässt sich so beschreiben: Hier werden ebenfalls Science-Fiction-Topoi in den Dienst eines Narrativs gestellt, das in seiner mythologischen Anlage einerseits »Schriftcharakter« im theologischen Sinne hat, andererseits aber wiederum pseudowissenschaftliche Praktiken wie das »auditing« legitimiert, die ebenfalls materialistische Selbsttranszendierung anpeilen. Die potenziell religionsförmige Tiefenstruktur des Transhumanismus zeigt sich in beiden Fällen in der Verbindung popkulturellen Bildguts mit (daraus abgeleiteten) existenzialen Angstbewältigungsstrategien bzw. Formen der Kontingenzbewältigung. Diese sind nur oberflächlich materialistisch, steht doch bei aller Innerweltlichkeit und Individualisierung ein Erlösungsmotiv im Zentrum. So erweist sich gerade der Transhumanismus als besonders interessant für die Didaktik der Fächergruppe, die anthropologisch-ethische Fragen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit verhandelt – Religionslehre/Ethik lebt schließlich davon, die unterschiedlichsten Spannungen spannend zu vermitteln. Weshalb sich die Frage stellt, welchen Beitrag eine Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus zu einer medialen, wertorientierten und sinnstiftenden Erziehung leisten kann.

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DIDAKTISCHE SYNTHESE Das Paradigma der Kompetenzorientierung in der Realisierung Kompetenz ist […] eine Disposition, die Personen befähigt, bestimmte Arten von Problemen erfolgreich zu lösen, also konkrete Anforderungssituationen eines bestimmten Typs zu bewältigen. BMBF 2003: 72

Infolge des »PISA-Schocks« wurden erhebliche bildungspolitische Anstrengungen unternommen, um das Bildungssystem wie die in ihm leistbaren Ergebnisse grundlegend zu verbessern. Eine zentrale Rolle kam der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards zu, in deren Folge sich Kompetenzorientierung als didaktisches Framework etablierte. Dadurch sollte erreicht werden, dass Unterricht nicht vom Anfang her, also von einem Katalog zu vermittelnder Inhalte ausgehend, sondern von seinem Ende her, also vom intendierten Bildungseffekt her, konzipiert wird. Es ging darum, »Bildungsstandards festzulegen, mit denen die fachlichen und fachübergreifenden Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern am Ende bestimmter Schullaufbahnphasen beschrieben werden« (Lenhard 2015). Lenhard weist zudem darauf hin, dass damit unter Anderem neben emotionalen und sozialen Kompetenzen auch eine ethische Dimension mitgedacht wird. Der didaktische »Wert« des Transhumanismus liegt erstens darin, dass Facetten immer wieder in der Lebenswirklichkeit der Schüler*innen aufscheinen, ob im unmittelbaren Alltagserleben (z. B. »Prüfungsdoping« als Selbstoptimierung), in der Nachrichtenwelt (z. B. Prothetik im Leistungssport) oder in den unterschiedlichsten populärkulturellen Medieninszenierungen. Zweitens lassen sich diese alltäglichen »Steine des Anstoßes« eben emotional, sozial, ethisch, anthropologisch etc. fassen und sind so gut geeignet, unterschiedlichste Teilkompetenzen zu vernetzen. Im Folgenden liegt der Fokus auf der gesellschaftswissenschaftlichen Fächergruppe, insbesondere auf dem Ethik- und Religionsunterricht. Dabei sind die bildungspolitischen Rahmenbedingungen föderal bedingt ausgesprochen unterschiedlich. Die zahlreichen Unterschiede in den bildungspolitischen Rahmenbedingungen werden allerdings durch große Gemeinsamkeiten in der tatsächlichen Ausgestaltung der unterrichtlichen Rahmenpläne überlagert. Trotz der föderalen Unterschiede in der Definition von Kompetenznormen lassen sich daher stets

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Segmente herauspräparieren, die eine didaktische Urbarmachung des Transhumanismus nahelegen. Auf der Ebene fachlicher Kompetenzstrukturmodelle findet sich Vergleichbares. Prozessbezogene Kompetenzen wie Wahrnehmen, Deuten, Kommunizieren oder Urteilen sind fächer- und länderübergreifend analog. Auch die einzelnen Fachinhalte weisen bei näherer Betrachtung wiederum erhebliche Schnittmengen auf: So ist beispielsweise die dem Transhumanismus ja so zentral eingeschriebene Frage nach der Endlichkeit der eigenen Biologie und der eigenen Verfügbarkeit über dessen Ende quer über alle Grenzen hinweg (sogar in der Engführung auf bestimmte Jahrgangsstufen) verortbar. Dieser differenzierte Befund lässt es praktikabel erscheinen, die transhumanistischen Themenkomplexe zu technisierter Selbstoptimierung bzw. Kontingenzüberwindung auf ihr didaktisches Potenzial abzuklopfen und sie unterrichtlichen Kontexten zu verorten.

Beispiele zwischen Theologie, Anthropologie und Ethik Poor Death, no match for the mighty altered carbon technologies of data storage and retrieval arrayed against him. Once we lived in terror of his arrival. Now we flirt outrageously with his somber dignity, and [those who can afford it] won’t even let him in the tradesman’s entrance. Richard K. Morgan 2002: 318

Richard K. Morgan beschreibt in seinem dystopischen Roman Altered Carbon (2002, dt. Das Unsterblichkeitsprogramm), der Elemente des Post-Cyberpunk innerhalb der Struktur einer amerikanischen hard-boiled detective novel der unmittelbaren Nachkriegszeit verbindet, wie eng die beiden in diesem Kapitel folgenden Gesichtspunkte im Grunde miteinander verwoben sind:7 Menschen, die sich durch die konsequente Nutzung technischer Entgrenzungsoptionen vom Tod befreit haben, haben sich gleichzeitig von ihrer Menschlichkeit entfernt und sind so zu Göttern geworden. Allerdings sollte man dabei »eher an griechische Götter oder an hinduistische Devas denken und weniger an den allmächtigen himmlischen Vater der Bibel. Unsere Nachfahren werden weiterhin ihre Eigenheiten,

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Wenig überraschend kommt diese moralphilosophische Dimension in der eher schauwertorientierten Fernsehverfilmung (Netflix 2018) etwas kurz.

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Marotten und Schwächen haben, so wie Zeus und Indra sie hatten. Aber sie werden in ganz anderen Dimensionen lieben, hassen, schaffen und zerstören können« (Harari 2017: 69).8 Damit sind die folgenden beiden Beispiele auch weniger separate Sphären innerhalb des transhumanistischen Paradigmas der Selbsttranszendierung, denn zwei Seiten einer Medaille.

Selbstoptimierung: Weck das Alien in dir! Eine Beschäftigung mit religionswissenschaftlichen Themen erfolgt im Unterricht oft nach wie vor im Rahmen relativ kompakter Einheiten (so ist etwa in den bayerischen Lehrplänen der Islam »Religion des Jahres« für Gymnasiasten der Jahrgangsstufe 7 in Ethik sowie Evangelischer und Katholischer Religionslehre, ähnlich in Real- und Wirtschaftsschule). So begrüßenswert die systematische Vermittlung von Basisinformationen ist, so sehr besteht die Gefahr einer Separierung dieser Glaubensinhalte und damit eine Betonung von Fremdheit. Sinnvoll scheint doch, darüber hinaus alternative philosophisch-theologische Ansätze in alle Fragestellungen einzutragen – im Zuge einer kompetenzorientierten Lebensweltorientierung bzw. der Berücksichtigung der undogmatischen Heterogenität der Sinnkonstrukte von Schüler*innen eine eigentlich unabdingbare Forderung. Dies gilt gleichermaßen für sogenannte »neureligiöse Bewegungen« wie eben Scientology: Natürlich ist eine exemplarische Betrachtung nötig. Dies geschieht auch unter Überschriften wie »Unterscheiden können: Vielfalt religiöser Angebote« (KR8.5), »Religiöse Sinnangebote« (ER8.5) oder »Sinnsuche« (Eth8.1 – alle Beispiele aus dem LehrplanPLUS Gymnasium Bayern). Aber auch hier führt eine Beschränkung auf deren »Exotenstatus« zu stark verengter Betrachtung. Vielmehr lässt sich über die Herausarbeitung von Differenzen etwa zwischen scientologischer Lehre und christlicher Botschaft am konkreten Beispiel ein Verständnis für beides schärfen – im besseren Verständnis des Gegenübers wird auch die eigene Haltung deutlicher. Genau dieses Beispiel bietet sich in der Tat an, lässt es sich doch über transhumanistische Meme didaktisch erschließen. Der zentrale anthropologische

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Bei Morgan entspricht diese Göttlichkeit der höchsten Stufe in einem raubtierkapitalistischen Gesellschaftssystem.

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Lernbereich der gymnasialen Oberstufe, »Der im-perfekte Mensch« (ER 11.3), formuliert unter anderem die folgende Kompetenzerwartung: »Die Schülerinnen und Schüler nehmen die Gebrochenheit und Fragmentarität menschlichen Lebens wahr und beschreiben die Bedeutung von Scheitern und Schuld für die persönliche Identität und Lebensgeschichte.« (ISB)

Dazu treten Inhalte wie Fragmentaritätserfahrungen »z. B. aufgrund eigener Begrenztheit oder gesellschaftlicher Bedingungen« oder »Erfahrungen von Schuld und Scheitern, z. B. in Beziehungen, als Zerbrechen von Lebensentwürfen; die Schwierigkeit, zu seinen Fehlern zu stehen und mit Schuld zu leben; Angewiesenheit auf Vergebung« (ISB). Dieses wahrnehmende Beschreiben eigener lebensweltlicher Erfahrungen mündet in eine Reflexion vor protestantisch-theologischem Hintergrund; die Schüler*innen »deuten die Fragmentarität und das problematische Verhalten des Menschen im Horizont der christlichen Rede von Sünde, Vergebung und Rechtfertigung« (ISB). Die spezifisch transhumanistische Dimension scientologischer Lehre kann hier einen grundlegend differenten Umgang mit demselben alltäglichen Ausgangsbefund einspielen. Brüche im Leben, eigenbiographisches Erleben von Schuld und Scheitern stehen auch hier am Anfang – der zu Recht viel kritisierte OCA-»Persönlichkeitstest« dient in erster Linie dazu, ein hohes Bewusstsein für genau diese Erfahrungen als Grundlage zukünftiger Beratungsbedürftigkeit zu schaffen.9 Das protestantische Christentum nimmt die Grundverfasstheit des Menschen als imperfektes Wesen an. Diese Imperfektion des Menschen wird perspektivisch in der bedingungslosen Annahme durch einen gnädigen Gott »ohne eigene Werke« (Luther 1520) aufgelöst. Theologisch gesprochen wird eine transzendente Entlastung vorgenommen, die zu ethisch verantwortlichem Handeln befreit, »um seinem Nächsten damit aus freier Liebe zu dienen« (Luther 1520). Dagegen steht bei Scientology ein Mandat zum Handeln, das eher in der Tradition der Werkgerechtigkeit steht und sich ganz auf den Handelnden fokussiert. Sinn des Handelns ist die Erarbeitung eigener Transzendenz im Diesseits, man muss sich

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Aus dem Fragenkatalog: »Machen Sie gedankenlose Bemerkungen oder Anschuldigungen, die Ihnen später leid tun?« (Frage 1), »Grübeln Sie oft über vergangene Mißgeschicke nach?« (78) »Denken Sie oft über Ihre eigene Unterlegenheit nach?« (181) bis schließlich: »Glauben Sie, daß Sie viele gute Freunde haben?« (200, zit. nach Scientology Kirche Düsseldorf e. V. o. J.)

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eben der geeigneten Werkzeuge bedienen, die dazu führen, »dass man ganz man selbst wird« (www.scientology.de, s. o.). Genau das ist Transhumanismus: Technologisch gestützte Entgrenzung und Optimierung auf dem Weg zum Übermenschen. Dass die tatsächlich physisch eingesetzte Technologie eher überschaubar bleibt ist hier keine Einschränkung – der Scientology-interne Fachbegriff »Tech«, der auch die mentalen Techniken etc. einschließt, verweist vielmehr auf den Anspruch einer potenziell empirisch verifizierbaren Selbstoptimierungsmethode. Damit ist der scientologische Weg, unter erheblichen persönlichen, zeitlichen und nicht zuletzt finanziellen Opfern (vgl. dazu Frenschkowski 2008: 209 f.) die eigene Weiterentwicklung auf technologischem Wege stemmen zu müssen, die transhumanistische Antithese zur Rechtfertigungslehre – und kann somit, je nach Perspektive und Unterrichtsfach, als werkgerechtigkeitliche Negativfolie oder doch recht spezielle mythisch-philosophische Alternative eingebracht werden. Auch diese komplexe theologisch-philosophische Gemengelage kann ihren Ausgang in einer lebensweltlichen Anforderungssituation nehmen, die dem unmittelbaren Alltagserleben entspringen. Hier ist z. B. an die Konfrontation mit einschlägigen Werbematerialien zu denken, die bereits den Konnex erkennbar machen: Fast schon ikonischen Status hat das Motiv des Kopfes von Albert Einstein, garniert mit dem ihm fälschlich zugeschriebenen Zitat: »Wir nutzen nur 10% unseres geistigen Potenzials.« Naheliegend wäre auch eine Auseinandersetzung mit dem erwähnten OCA-Test. Die Anforderung kann aber auch von der Nachrichtenwelt ausgehen – Scientology ist immer wieder Gegenstand von höchst unterschiedlichen dokumentarischen Medienberichten. Nicht minder lohnend ist eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten populärkulturellen Medieninszenierungen, ob es sich um Satiren wie die Folge »Trapped in the Closet« (2005) der Fernsehserie South Park handelt, um lebensbeichtende Selbstdarstellungen prominenter Scientologen von John Travolta bis Tom Cruise, oder – hier schließt sich ein Kreis – um eine dem Dunstkreis der Organisation entstammende Fiktion wie die Verfilmung des Hubbard’schen SF-Romans Battlefield Earth (2000).

Selbstentgrenzung: Cool bleiben! Auch an der Kryonik, dem zweiten weiter oben betrachteten Beispiel, entzünden sich die Phantasien und das öffentliche Interesse. Jedenfalls ist augenfällig, dass der Bekanntheitsgrad in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Implementierung steht: Das Journal of Medical Ethics nennt für 2014 weltweit etwa 250 Tiefge-

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frorene und 1.500 Anwärter (Moen 2015: 677), die Anzahl der tatsächlich (Wieder-)Belebten ist exakt null. Es drängen sich schon im Rahmen dieses Textes mehrere Teilerklärungen über den cheap thrill für warmblütige Winterfröstler hinaus auf: Zum einen dockt die Vorstellung an einen gut abgehangenen SF-Topos an. Suspendierte Animation hat als Begleiterscheinung interstellarer Exploration eine grundsätzlich positive Konnotation – sie ist tatsächlich Verheißung einer Himmelfahrt, neuer, besserer Welten etc. Ein sehr augenfälliges Beispiel ist etwa die Eingangssequenz von James Camerons Avatar, die darüber hinaus einen weiteren ikonographischen Trigger zitiert: Die Inszenierung des konservierten Körpers im Schneewittchensarg als idealisierte Schlafästhetik, die den Tod als temporär augenfällig macht10 – ein archetypisches Bild, das vielfach mythologischen Niederschlag gefunden hat. Diese Oberflächeninszenierung wird von semiprominenteren Vertretern der Zunft wie Ben Best, Präsident des Cryonics Institute, oder Max More, CEO der Alcor Life Extension Foundation, geschickt genutzt – sie sind die poster boys des Transhumanismus. Dabei werden freilich die eher ungustiösen Aspekte kryonischer Verfahren, wie etwa die ›Neuro-Präservation‹, also die Konservierung lediglich des Kopfes, ausgeblendet: »Wissenschaftlich sei das logisch, sagt Kowalski. Wenn man alle Probleme gelöst habe, um jemanden wiederzubeleben und von dem zu heilen, was ihn einst sterben ließ, dann könne man auch einen jungen, gesunden Körper aus der vorhandenen DNA klonen, anstatt den alten mühsam zu verjüngen. ›Aber es ist schwer genug, den Menschen Kryonik zu erklären. Wenn du dann noch mit Kopfabschneiden kommst, halten sie dich für Frankenstein. Insofern halte ich die Sache für einen PR-GAU.‹« (Berbner 2016)

Es wird deutlich, wie die »Auferstehung«, ein religiöser Topos, mit der auch fast alle journalistischen Beiträge zum Thema spielen, gelagert ist: Diesseitig statt jenseitig, letztlich den Körper abwertend, weil er als bloßes Trägermedium für den Intellekt betrachtet wird. Damit sitzt Kryonik im Grunde zwischen allen Stühlen, weil sie sich als sowohl theologisch wie philosophisch und biologisch unreflektiert erweist – in dieser handlungsorientierten Reduktion von Auferste-

10 Die Enttäuschung dieser Heilserwartungen sorgt dann für die entsprechende dramatische Spannung – man denke etwa an die vergleichbar angelegten (und von Avatar letztlich zitierten) Anfangsszenen von Alien (1979) bzw. dessen Fortsetzung Aliens (1986), letztere ebenfalls von James Cameron.

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hung sind weder ein unverfügbarer Mehrwert des Menschen einerseits noch ein ganzheitlicher Blick auf das Biosystem Mensch andererseits mitgedacht. Genau in dieser Widersprüchlichkeit liegt didaktisches Potenzial zur Werteerziehung, zunächst im Blick auf die eigene Endlichkeit. Entsprechende Dimensionen sind in allen hier beispielhaft betrachteten Lehrplänen enthalten. Die Frage nach dem Tod und Danach stellt sich beispielsweise in der Taxonomie des Berliner Ethikunterrichts auf drei Ebenen; individuell (»Möchte ich unsterblich sein?«), gesellschaftlich (»Wie gehen verschiedene Gesellschaften mit Sterben und Tod um?«) und ideengeschichtlich (»die Frage nach Sterben, Tod und dem Danach in Philosophie, Religionen und Weltanschauungen«; Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2017: 30). Vergleichbare Dimensionen finden sich ähnlich aber auch in allen anderen betrachteten Konzeptionen; im bayerischen Religionsunterricht natürlich unter Grundierung durch »christliche Perspektiven«, vgl. etwa ER10.4 »Mitten im Tod: Das Leben«. Unter all diesen Gesichtspunkten kann natürlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Kryonik erfolgen; als Wunschtraum immanent-materialistischer Unsterblichkeit, als Phänomen der Gegenwartskultur oder als vorläufiger Endpunkt einer postmodernen Denktradition. Allerdings ist hier schwerer eine unmittelbar lebensweltliche Anforderungssituation zu generieren, denn vieles der Faszination an Kryonik liegt auch in ihrer relativen Exotik (s. o.) begründet. Da eine verantwortliche Auseinandersetzung auch ihre (bis dato) überwältigende technische und methodische Unzulänglichkeit mitdenken muss, wird es vielversprechender sein, den Zugang über entsprechende populärkulturelle Inszenierungen zu wählen: Die Ikonographie der Kryostase, vom romantisierend-ästhetisierenden Schneewittchensarg bis zur drastischen Situationskomik der »sprechenden Köpfe« in der Zeichentrickserie Futurama, ermöglicht eine Erschließung dieser spannungsvollen immanenten Transzendenzhoffnung über ihre vornehmlich mythische Qualität. Kryonik wird somit als Narrativ konturiert, dem es weniger um die Realisierbarkeit, sondern den visionären Anspruch von Realisierbarkeit geht – womit es letztlich ein Update vertrauter archetypaler Mytheme darstellt. Wird so ausgerechnet die didaktische Näherung an den Transhumanismus zum Lackmustest für seine Natur als Ideologie zwischen Mythos und Religion, zwischen Lebensdeutung und quasieschatologischer Sinnstiftung?

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BÜNDELUNG: »WAS DER MENSCHLICHE WILLE ERSTREBT, DAS ERREICHT ER« – NICHT? Im letztgenannten Lernbereich wird schon deutlich, dass die Grundfrage selbst im Blick auf die Kryonik tiefer geht als bis zur Frage eines Lebens nach dem Tod. Vielmehr stellt sie pars pro toto für den Transhumanismus an sich die ureigentliche anthropologische Frage: Was ist der Mensch?11 Und in extenso die nicht weniger zentrale ethische Frage: Welche Handlungsspielräume werden (ihm) dadurch abgesteckt? Stellt man z. B. das biblisch-christliche Menschenbild, wie es ja letztlich auch unser säkulares Selbstbild sowie unsere westliche Gesellschaftsordnung mit grundiert, entsprechenden transhumanistischen Vorstellungen gegenüber, wird deutlich, dass das transhumanistische Menschenbild gleichzeitig strikt materialistisch ist (wo es den Menschen als perfekt kartier- und reproduzierbares Zellbzw. Nervenbündel betrachtet), dann aber doch wieder dualistisch verfährt (wo es z. B. den tiefgefrorenen Kopf als Gehirnsubstrat für hinlänglich hält, um den gesamten Menschen zu »sichern«). Beides geht konträr zur leiblich-geistlichseelischen Vorstellung eines ganzheitlichen Menschen, wie ihn die biblische Anthropologie beschreibt (vgl. etwa die kompakte Darstellung in Huizing 2000: 70 ff.) und spricht ihm zudem seine unverfügbare, geschöpfliche Würde ab. In einem mit religiösem Diskurs überlappenden Konsens lassen sich hier auch zahlreiche säkulare Anthropologien deutlich vom Transhumanismus abgrenzen. Im Transhumanismus wird einerseits der Mensch vollständig plastizierbar.12 Zumindest in der Theorie: Wer sich vor Augen führen will, wie sehr menschliche Realität den Idealvorstellungen hinterherhinkt, muss sich nur auf die zahlreichen prominenten Opfer plastischer Chirurgie besinnen – eine weitere didaktische Goldgrube. Die Verheißung ewiger Jugend, Schönheit und Gesundheit bleibt realiter unerreichbar. Andererseits geht diese Abwertung des Körpers zum bloßen »Menschenmaterial« mit einer Erhöhung des (Erfinder-)Geistes einher: In der Hybris, den Menschen in seiner räumlich-zeitlich-körperlichen Konstitution verändern zu wollen, macht sich der Geist gleichzeitig zum Herrn. Aber auch hier scheitert er, grausame Ironie, an der Materie – der Einschätzung des SF-

11 Nicht zu vergessen, die untrennbar verbundene biblisch-theologische Frage: »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?« (Ps 8,5) 12 Entlang dem Weg der Selbstüberschreitung, -optimierung und -perpetuierung ließen sich hier die wohlbekannten utilitaristischen Aufreger von Eugenik bis Euthanasie abschreiten, darauf wird bewusst verzichtet.

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Autors und Theoretikers Brian W. Aldiss im Blick auf Frankenstein ist wenig hinzuzufügen: »The Faustian theme is brought dramatically up to date, with science replacing supernatural machinery. Inside Mary Shelley’s novel lie the seeds of all later diseased creation myths.« (Aldiss 1973: 26)

Ein Doktor Faustus mit wissenschaftlichen Aspirationen auf dem Boden brüchiger Schöpfungsmythen: Das kann gleichermaßen als treffende Einschätzung des Transhumanismus an sich gelesen werden. Die Erkenntnisse dieses Aufsatzes widersprechen dem nicht unbedingt. In etwas pointierter Zusammenfassung: (1) Transhumanismus ist Science-Fiction weitgehend ohne satirische Paränese, vielmehr im naiv-wunscherfüllenden parakletischen Gestus der Fantasy, beinahe »far-off gleam or echo of evangelium« (Tolkien 1964: 62), das Trost verheißt, weitab von den sozialen Versuchsanordnungen der SF-Subgenres von Space Opera bis Cyberpunk, die dem Transhumanismus als Bildspender dienen. (2) Transhumanismus ist ein mythologisches Narrativ, das archetypale Erfahrungen des Menschseins von Endlichkeit und Fragmentarität, aber auch von (Selbst-)Überwindung und Weltgestaltung in zeitgenössische, zeitgemäße Bilder kleidet. Indem der Transhumanismus den allgegenwärtigen Bildervorrat der Phantastik plündert, wirkt er einerseits als Seismograph für die Befindlichkeiten der Gegenwartskultur, kann aber andererseits auch Akzente im gesellschaftlichen Diskurs setzen – beides wird am Beispiel Scientology deutlich: Der Mythos tangiert Sein und Bewusstsein. (3) Der Schritt von der mythischen zur religiösen Struktur ist klein – vom scientologischen »ganz man selbst« sein zu Hararis Homo Deus. Transhumanismus erfüllt einerseits die Funktionen von Religion, die ohne unmittelbaren Transzendenzbezug auskommen, das gilt für jede Ideologie. Andererseits steht er im Grunde unter einem eschatologischen Vorbehalt, der mit dem des Christentums strukturverwandt ist. Wo letzteres zwischen dem »schon« (mit Jesu Verkündigung) und »noch nicht« (letztgültig paradiesisch) angebrochenen Reich Gottes existiert, zeigt der Transhumanismus eine vergleichbare Spannung zwischen den realisierten Spurenelementen der materialistisch-technologischen Vision und ihrer hartnäckig dem Reich der Ideen anhaftenden Vollversion.

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(4) Diese Gemengelage macht den Transhumanismus zu einem reizvollen Gegenstand der Didaktik: Er kann alternative Perspektiven auf anthropologische wie ethische Fragestellungen eröffnen, die in unterschiedlichem Maß mit einer religiös oder humanistisch grundierten Werteerziehung korrelieren. Wenn die transhumanistischen Antworten auf die großen Fragen der Menschheit bis zu ihrem Ende durchdacht werden, so offenbaren sie die hier entfaltete Qualität als manchmal reichlich naiv erscheinende Wunscherfüllung und Weltbewältigungshilfe. Gepaart mit dem popkulturellen appeal (und teils der Drastik) ihrer Bilder können sie so zum Stein des Anstoßes werden, der Reflexion geradezu herausfordert. So offenbart der Transhumanismus seinen eigentlichen Wert im Zuge anthropologisch-ethischer Bildung: Nicht als Wertspender, sondern als kritisch zu hinterfragende »Ideologie der Optimierungsgesellschaft«.

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| Johannes Rüster

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Zu den Autoren

Bernd Flessner (Dr. phil.) arbeitet als Zukunftsforscher am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS) der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zudem ist er als wissenschaftlicher Beirat zuständig für das geplante Zukunftsmuseum in Nürnberg. Mitarbeit an zahlreichen Zukunftsstudien u. a. für DHL, Telekom, Imbus AG, Adolf-Grimme-Institut, Museum für Kommunikation, Stadt Nürnberg. Er schreibt u. a. für: Neue Zürcher Zeitung, Kursbuch, Kultur & Technik. Das Archiv – Magazin für Kommunikationsgeschichte, Nürnberger Nachrichten und den Bayerischen Rundfunk. Herbert M. Hurka lebt als freier Publizist in Freiburg im Breisgau. Der Autor medientheoretischer Bücher veröffentlicht regelmäßig in der Kulturzeitschrift »Ästhetik & Kommunikation« – hier als Redaktionsmitglied. Im bevorzugten essayistischen Genre beschäftigt er sich mit philosophischen, kunst- und medientheoretischen Themen. Außerdem ist er freier Mitarbeiter der Badischen Zeitung Freiburg und für Kunstkritiken zuständig. Nach Büchern über mediale Gewalt veröffentlichte er kürzlich die erste Biographie des Schweizer Surrealisten und Filmdesigners HR Giger (»HR Giger. Das Buch. Biografie. Kunst Medien«, Hamburg 2018). Johannes Rüster (Dr. phil.) ist Theologe, Anglist und Lehrer. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der FAU Erlangen-Nürnberg und Redaktionsleiter der Gymnasialpädagogischen Materialstelle der ELKB. Interessen: Wechselwirkungen von Phantastik und Religion, zunehmend im Blick auf didaktische Fragestellungen. Dazu zahlreiche journalistische und wissenschaftliche Arbeiten. Monographien zu Theologie bei Terry Pratchett (2003), Gottesbildern in Science-Fiction und Fantasy (2007), Science-Fiction und rechte Populärkultur (»Heute die Welt – morgen das ganze Universum«, Co-Autor, 2016).

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| Kritik des Transhumanismus

Dierk Spreen (PD Dr. phil.), ist Soziologe und Politologe. Er arbeitet als Büroleiter für den Berliner Landespolitiker Frank Jahnke (SPD). Schwerpunkte seines wissenschaftlichen Interesses sind Sicherheitssoziologie, Mediensoziologie und die Soziologie der artifiziellen Gesellschaft. Zuletzt erschien ein gemeinsam mit anderen geschriebener Band über Science-Fiction und rechte Populärkultur (»Heute die Welt – morgen das ganze Universum«, p.machinery, 2016). Bei transcript veröffentlichte er u. a. die Monographie »Upgradekultur. Der Körper in der Enhancement-Gesellschaft« (2015) sowie gemeinsam mit Joachim Fischer die »Soziologie der Weltraumfahrt« (2014).

Soziologie Sighard Neckel, Natalia Besedovsky, Moritz Boddenberg, Martina Hasenfratz, Sarah Miriam Pritz, Timo Wiegand

Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit Umrisse eines Forschungsprogramms Januar 2018, 150 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4194-3 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4194-7 EPUB: ISBN 978-3-7328-4194-3

Sabine Hark, Paula-Irene Villa

Unterscheiden und herrschen Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart 2017, 176 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3653-6 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3653-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3653-6

Anna Henkel (Hg.)

10 Minuten Soziologie: Materialität Juni 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4073-5

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Soziologie Robert Seyfert, Jonathan Roberge (Hg.)

Algorithmuskulturen Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit 2017, 242 S., kart., Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3800-4 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3800-8 EPUB: ISBN 978-3-7328-3800-4

Andreas Reckwitz

Kreativität und soziale Praxis Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie 2016, 314 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3345-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3345-4

Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)

movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9

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