Überseering - Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung: Eine Untersuchung zum Wettbewerb der Gesetzgeber im Europäischen Gesellschaftsrecht [1 ed.] 9783428513307, 9783428113309

Wie kaum eine andere Entscheidung des EuGH vor ihm wurde in der deutschen Rechtswissenschaft das Urteil in der Sache Übe

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Überseering - Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung: Eine Untersuchung zum Wettbewerb der Gesetzgeber im Europäischen Gesellschaftsrecht [1 ed.]
 9783428513307, 9783428113309

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Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Band 26

Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung Eine Untersuchung zum Wettbewerb der Gesetzgeber im Europäischen Gesellschaftsrecht

Von

Konrad Kern

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

KONRAD KERN

Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung

Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht Herausgegeben im Auftrag des Instituts für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Erlangen-Nürnberg durch die Professoren Dr. Dr. Stefan Grundmann und Dr. Karl Albrecht Schachtschneider

Band 26

Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung Eine Untersuchung zum Wettbewerb der Gesetzgeber im Europäischen Gesellschaftsrecht

Von

Konrad Kern

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0947-2452 ISBN 3-428-11330-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg im Wintersemester 2002/2003 als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung habe ich das Manuskript aktualisiert und an einigen Stellen überarbeitet. Literatur und Rechtsprechung, insbesondere auch die am 30. September 2003 ergangene „Inspire Art“-Entscheidung des EuGH konnten noch bis September 2003 berücksichtigt werden. Großer Dank gebührt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Wolf Heintschel von Heinegg, der die Arbeit betreut hat. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Volker Behr für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Beiträge zum Europäischen Wirtschaftsrecht“. Herr Rechtsanwalt Dr. Oliver Behler LL.M. war mir ein wertvoller Diskussionspartner, ohne den diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Am Gelingen dieser Arbeit beteiligt waren auch Herr Rechtsanwalt Dr. Klaus Leuthe sowie Herr Rechtsanwalt Dr. Karl J. T. Wach, die mir neben meiner beruflichen Tätigkeit die Zeit eingeräumt haben, diese Arbeit abzuschließen. Meinen Eltern, Frau Monika Lang und allen anderen, die auf die eine oder andere Weise zu dieser Dissertation beigetragen haben, möchte ich auf diese Weise ebenfalls Dank sagen für ihre Geduld, Unterstützung und vieles mehr. München, im September 2003

Konrad Kern

Inhaltsverzeichnis Einleitung I.

Die Europäische Einigung als Geschichte der Rechtsangleichung. . . . . . . 13

II. Die Krise der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Perspektivenwechsel auf der Ebene der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturelle Defizite der Rechtsangleichung in Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wechselwirkung der Krisensymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Ziel der Abhandlung und Gang der Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Erster Teil Die Methoden der Harmonisierung I.

Zwingende Regelungen – Verordnung und Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Die Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Die Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

II. Rahmenregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Zielbestimmungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 IV. Mindeststandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 V.

Unverbindliche Vorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

VI. Von der Rechtsangleichung zur gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . 1. Die neue Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem der Inländerdiskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Teil Probleme der Rechtsangleichung – Vorteile der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen I.

Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Law and Economics“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ökonomik als Analyseinstrument des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ökonomische Bewertung der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 35 36 37

8

Inhaltsverzeichnis a) Begriff und Bedeutung des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wohlfahrtsökonomischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Systemtheoretischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung und Synthese der wettbewerbstheoretischen Ansätze . b) Übertragbarkeit der ökonomischen Wettbewerbsfunktionen in einem Markt der Rechtssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ökonomische Analyse der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Einbeziehung von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik am Wettbewerb der Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der „Delaware-Effekt“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Übertragbarkeit des „Delaware-Effektes“ auf den Europäischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsangleichung als Akt der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Demokratische Legitimation der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Staatsvolk als Basis demokratischer Legitimation?. . . . . b) Inhaltliche Repräsentation der Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schlussfolgerungen für den Vergleich von Rechtsangleichung und gegenseitiger Anerkennung nationaler Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Wettbewerb der Systeme als zusätzliche demokratische Kontrolle von nationaler Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Europäisches Staatsvolk durch europaweiten Systemwettbewerb . . . . . . . .

38 38 39 39 41 43 43 43 44 45 47 50 55 55 56 57 60 64 65 66

III. Rechtsangleichung und Subsidiaritätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Verankerung im EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufweichungserscheinungen des Prinzips. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Subsidiaritätsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begrifflichkeit und Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung für die Gemeinschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Praktische Anwendbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung des Subsidiaritätsgrundsatzes für die Anwendung der Harmonisierungsinstrumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Geltung bei ausschließlicher Zuständigkeit der Gemeinschaft . b) Anwendbarkeit auf die Rechtsangleichung im Binnenmarkt . . . . . . . . .

75 75 76

IV. Rechtsangleichung und Praktikabilität – Das Beispiel der Societas Europaea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Existenzberechtigung und Funktion der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erste Ansätze zur Schaffung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Rechtsgrundlage der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Verzicht auf Rechtseinheit als neues Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

9

5. Das verabschiedete SE-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundlage der deutschen Mitbestimmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitbestimmung im europäischen Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Europäische Ansätze zur Vereinheitlichung der Mitbestimmungsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Davignon-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Vorschlag der englischen Präsidentschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die verabschiedete Regelung der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gegenentwurf zu dem verabschiedeten SE-Statut. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dritter Teil Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel des internationalen Gesellschaftsrechts I.

Der Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsrechtsordnungen – ein kollisionsrechtliches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Schutzgedanke der Sitztheorie im Spannungsfeld zwischen prozeduraler und materieller Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Prozedurale Gerechtigkeit und Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Konzeptionierte Gerechtigkeit als vorgegebene Verteilung von Pflichten und Rechten – die materielle Gerechtigkeitstheorie . . . . (3) Sitz- und Gründungstheorie als Epigonen von prozeduraler und materieller Gerechtigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Schutzgedanke der Sitztheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutz öffentlicher Interessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schutz der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Schutz der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Nichtigkeitssanktion als Methode der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Sitztheorie und Subsidiaritätsgedanke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Kollisionsrecht und Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Kollisionsrecht und Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgangspunkt der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des Art. 48 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von der Inländergleichbehandlung zum Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . a) Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 4. Unterschiedliche Reichweite der Beschränkungsverbote von Warenverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtfertigung von Eingriffen in die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 6. Verstoß der Sitztheorie gegen das Diskriminierungsverbot. . . . . . . . . . . . . . 7. Verstoß der Sitztheorie gegen das Beschränkungsverbot. . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorliegen einer Beschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtfertigung der Beschränkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Meinung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Die „Daily Mail“-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt und Inhalt des „Daily Mail“-Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kritik an der Entscheidung des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die „Centros“-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand und Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen für die Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Differenzierung zwischen sekundärer und primärer Niederlassungsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Differenzierung zwischen Zu- und Wegzug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen der „Centros“-Entscheidung auf das Kollisionsrecht . . 3. Entwicklungstendenzen nach „Centros“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V.

VI. Die „Überseering“-Entscheidung des EuGH. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reaktionen in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten auf die „Centros“-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorlage durch den BGH in der Sache „Überseering“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die „Überseering“-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Ende der Sitztheorie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freiheit der Entscheidung als Basis eines Systemwettbewerbs . . . . . . . . . . 2. Sitztheorie als Ausprägung der allgemeinen Rechtsscheinhaftung . . . . . . . a) Selbstverständnis der Sitztheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Scheintatbestand – Die Scheininlandsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die These von der Scheininlandsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Lehre von der Scheinauslandsgesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zurechenbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verschuldensvorwurf der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zumindest Vorliegen von Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kausalität des Scheintatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Rechtsfolge der Sitztheorie als Rechtsfolge einer Rechtsscheinhaftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Schutzwürdige Vertrauensdisposition eines Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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3. Maßnahmen zur Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit der Marktakteure und des unverfälschten Wettbewerbs der Rechtsordnungen . . . . . . a) Gründungsgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Minderheitsgesellschafter bzw. Anleger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Arbeitnehmerschutz durch Publizität und Transparenz? . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

Einleitung „Und mag doch alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen – kann! Manches Haus gibt es noch zu bauen!“ Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra

I. Die Europäische Einigung als Geschichte der Rechtsangleichung Der Vorstellung, die Ziele der Friedenssicherung, der Verbesserung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse und der Machterhaltung durch Integration zu verwirklichen, ist schon seit dem Mittelalter immer wieder Ausdruck verliehen worden1. Die Europäische Union schreibt sich dieses alte Ziel der Integration auf ihre Fahnen, wenn es in der Präambel des EU-Vertrages heißt: „Entschlossen, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben, [. . .] haben [die Oberhäupter der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft] beschlossen, eine Europäische Union zu gründen.“

Seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch die Römischen Verträge 1958 war deren Entwicklung tatsächlich vom schrittweisen Vortasten auf den Weg hin zu einer umfassenden gesamtwirtschaftlichen2 Integration geprägt. Der Erfolg dieser Integration ist erstaunlich, misst man ihn an der blutigen Geschichte Europas. Auch in einem weltweiten Vergleich ist die Integration Europas ohne Beispiel: Niemals zuvor haben sich Völker und Staaten freiwillig und nicht unter dem Diktat eines Eroberers zusammengeschlossen und Teile ihrer Souveränität aus eigenem Entschluss aufgegeben3. Diese Integration erfolgte weitgehend durch die so genannte Rechtsangleichung. Bevorzugtes Mittel zu dem Zweck der Rechtsangleichung war 1

Vgl. etwa Streinz, Europarecht, Rdnr. 7 f.; Dreher, JZ 1999, 105. Ob nunmehr auch die politische Integration der Mitgliedstaaten der EG eine Vision für die Zukunft darstellt, bedarf noch eingehender Diskussion. 3 Schmidt, Die Zeit Nr. 47, 23, 24. 2

14

Einleitung

insoweit das „legislatorische“ Instrument der Richtlinie gem. Art. 249 Abs. 3 EGV4 im Rahmen des sekundären Gemeinschaftsrechts. Die Rechtsangleichung in Europa mit Hilfe der Richtlinie wurde bislang meist als erfolgreich und unverzichtbar betrachtet 5. Insbesondere im Bereich des Gesellschaftsrechts, dem die Gemeinschaft stets besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat6, sind tatsächlich bedeutende Rechtssetzungsakte zu verzeichnen gewesen: So ist die Publizitätsrichtlinie7 wie auch die Bilanzrichtlinie8 zweifellos als ein großer Schritt hin zu einer Vereinheitlichung dieses, für die Wirtschaft und damit den Prozess der wirtschaftlichen Integration immens wichtigen Rechtsgebietes. Mit Hopt ist zu konstatieren, dass das Gesellschaftsrecht der Bereich des Privatrechts ist, der durch europäisches Recht am meisten beeinflusst ist9. Wie viele rechtsvereinheitlichende Maßnahmen bereits auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts getroffen wurden, macht nicht zuletzt das Erscheinen von Büchern mit dem Titel „Europäisches Gesellschaftsrecht“10 deutlich, die diese Rechtssetzungsakte zusammenfassen.

II. Die Krise der Rechtsangleichung Betrachtet man dieses scheinbar eindrucksvolle Bild eines „Europäischen Gesellschaftsrechts“ jedoch aus der Nähe, wird deutlich, dass die anfangs dynamische Entwicklung in diesem Bereich seit langem stagniert. Seit den aus den siebziger und achtziger Jahren stammenden weitreichenden Rechtssetzungsakten konnte kein vergleichbares Projekt mehr auf europäischer 4 Nach Art. 12 des Vertrages von Amsterdam vom 02.10.1997 wurden gemäß den Übereinstimmungstabellen die Vorschriften des EGV zur besseren Klarheit und Übersichtlichkeit neu geordnet und neu nummeriert. Die vorliegende Arbeit zitiert nur die neue Nummerierung. 5 Vgl. nur Timmermans, RabelsZ 48 (1984), 1, 3; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1064; aus politischer Sicht etwa Schmidt, Die Zeit Nr. 47, 23, 24: „Ein gewaltiger Erfolg“. 6 So meint Habersack, das Gesellschaftsrecht sei wie kaum ein anderer Bereich des Privatrechts durch Vorschriften des europäischen Sekundärrechts beeinflusst, vgl. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 1. 7 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 8 Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315. 9 Hopt, ZIP 1998, 96. 10 Vgl. etwa Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Lutter, Europ. Unternehmensrecht sowie Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht; bislang sind neun Richtlinien auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts verabschiedet worden, hinzukommen sechs Richtlinienvorschläge, vgl. die Übersicht bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 46 f.

II. Die Krise der Rechtsangleichung

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Ebene durchgesetzt werden11. Obwohl es an Vorstößen der Kommission nicht gefehlt hat, hat sich bei der europäischen Gesellschaftsrechtsangleichung wenig bewegt12. Die hohe Zeit der Rechtsangleichung scheint vorerst passé13. Mit Behrens kann man insofern von einer „Krise der Gesellschaftsrechtsangleichung“ sprechen14. 1. Perspektivenwechsel auf der Ebene der Mitgliedstaaten Diese „Krise“ mag sicher auch mit spezifisch gesellschaftsrechtlichen Problematiken zusammenhängen, auf die noch näher einzugehen sein wird. Jedoch hat in den letzten Jahren eine grundlegende Umorientierung der Einstellung der Mitgliedstaaten zu der Frage der Integration sowohl bezüglich deren Geschwindigkeit und Reichweite als auch der Sinnhaftigkeit dieses bislang weitgehend unangefochtenen Gründungsmythos der EG stattgefunden. Gerade in der deutschen Politik wurde die europäische Integration durch die Rechtsangleichung von Vorschriften sehr lange nur als positives Element wahrgenommen, zumal sie die Grundlage für die Wiedererrichtung eines deutschen Staates nach 1945 bildete15. Erst die Einheitliche Europäische Akte von 1986 und die Beschlüsse der Regierungskonferenz von Maastricht 1992 haben diesen Zustand geändert. Insbesondere die Zielset11 Zu den „großen“ Harmonisierungsleistungen zählen neben der Publizitäts- und Bilanzrichtlinie (vgl. Fn. 5 und 6) die Richtlinie 77/91/EWG (Kapitalrichtlinie) ABlEG 1976, Nr. L 26, 1; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 206, die Richtlinie 78/885/EWG (Verschmelzungsrichtlinie) ABlEG 1978, Nr. L 295, 36; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 258 und die Richtlinie 83/349/EWG (Richtlinie über den konsolidierten Abschluss) ABlEG 1983, Nr. L 193, 1; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 316. Diese nach der zweiten Dekade des Bestehens der Gemeinschaft getroffenen Maßnahmen haben ganz überwiegend nur ergänzenden oder punktuellen Charakter, vgl. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 72. 12 Ebke, Festschrift für Großfeld, 189, 191; vgl. auch Lutter, ZGR 2000, 1, 4: Aus der heutigen Sicht großer rechtspolitischer Schwierigkeiten könne man über die Verabschiedung früherer Richtlinien im Bereich des Gesellschaftsrechts nur staunen. 13 So Klinke, ZGR 2002, 163, 165 mit treffendem Verweis auf das jüngste Scheitern der Übernahmerichtlinie, vgl. hierzu Vorschlag einer 13. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über Übernahmeangebote, ABlEG 1997, Nr. C 378, 10 (abgedruckt in ZIP 1997, 2172). 14 Behrens, EuZW 1996, 193; vgl. auch Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 76: „Man wird sich deshalb von der Hoffnung auf eine umfassende Harmonisierung [. . .] verabschieden müssen [. . .] Vorbehaltlich eines Durchbruchs in der Mitbestimmungsdebatte gehört die Zukunft punktuellen Angleichungsmaßnahmen.“. 15 Weiler, Festschrift für Everling, 1651, 1669.

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Einleitung

zung einer Wirtschafts- und Währungsunion im Vertrag von Maastricht löste eine lebhafte öffentliche Debatte aus, denn die Vergemeinschaftung der Währungshoheit bedeutet die Abgabe eines klassischen Bestandteils der staatlichen Souveränität16. Nicht zuletzt aufgrund der plakativen Vereinheitlichung der Währung gelangte die Tatsache, dass die Gemeinschaft mehr und mehr von den staatlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten an sich zieht, ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. In Folge dieser Umorientierung haben sich die Mitgliedstaaten bemüht, Regulative zu dem fortschreitenden Prozess der Harmonisierung im Primärrecht der Gesellschaft zu verankern. Prominentestes Beispiel ist das mit dem Vertrag von Maastricht eingeführte so genannte Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 2 EGV17, das neben den schon bisher bestehenden – wenngleich von den Institutionen der Gemeinschaft oft wenig beachteten18 – Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und die daran anschließende Prüfung der Erforderlichkeit der Rechtsangleichung tritt bzw. diese ergänzt. Damit nicht genug: Im Hinblick auf die alltägliche Praxis des Rechtssetzungsprozesses in der EU ist zu beobachten, dass eine Einigung unter der größer gewordenen Zahl von Mitgliedstaaten über einschneidende Projekte nur mehr schleppend oder unter völliger Aufgabe der – namensgebenden – Angleichungsfunktion der Rechtsangleichung zustande kommt. In fast jedem neueren Kommissionsentwurf finden sich Options- und Einschränkungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten. Obwohl man insoweit von einer Vereinheitlichung des Rechts kaum mehr sprechen mag und vielmehr bestenfalls ein gewisses Maß an Reduzierung der Rechtszersplitterung erreicht wird, scheint selbst dieser kleinste gemeinsame Nenner für die nationalen Befindlichkeiten der Mitgliedstaaten oftmals inakzeptabel19. 16

Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 47. Die Vorschrift formuliert allgemeine Grundsätze einer Kompetenzabgenzung und will damit der Verfassungsdiskussion Rechnung tragen, die angesichts der in der Rechtssetzungspraxis der Gemeinschaft festzustellenden Zentralisierungstendenz vor allem von den deutschen Ländern geführt wird, vgl. die Entschließung der Teilnehmer der Konferenz „Europa der Regionen“ vom 19.10.1989, abgedruckt bei Knemeyer, ZPR 1990, 173, 174. 18 So stellt etwa Geiger fest, dass die Praxis der Kommission, die in der Angleichung an sich schon einen Integrationsfortschritt sieht, verbunden mit einer großen Detailgenauigkeit der getroffenen Gemeinschaftsregelung, jede Rücksichtnahme auf die Rechtssetzungskompetenzen der Mitgliedstaaten vermissen lässt, vgl. Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 94 EGV Rdnr. 9. 19 Vgl. hierzu ausführlich die Entwicklung bzgl. des Statuts einer Europäischen Aktiengesellschaft, IV., Seite 78 ff.; auch der Vorschlag einer 13. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie über Übernahmeangebote, ABlEG 1997, Nr. C 378, 10 (abgedruckt auch in ZIP 1997, 2172) bestätigt, dass derzeit nur mehr eine „Scheinhar17

II. Die Krise der Rechtsangleichung

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Des Weiteren ist zu konstatieren, dass bereits wirksam erlassene Angleichungsmaßnahmen von den Mitgliedstaaten häufig durch Verweigerung der Umsetzung torpediert werden. Deutschland ist insoweit keineswegs mehr ein „Musterknabe“. Es sei nur an die letztlich vom EuGH erzwungene Umsetzung der Einbeziehung der GmbH & Co. KG in die Bilanzrichtlinie20 erinnert. 2. Strukturelle Defizite der Rechtsangleichung in Europa Nicht zuletzt werden auch Stimmen laut21, die grundsätzlich Kritik am Prozess der europäischen Integration üben. Gestützt wird dieses Unbehagen meist auf ein vorgeblich bestehendes „Demokratiedefizit“ der EU und der daraus folgenden mangelhaften Legitimität der Rechtssetzungsakte der Gemeinschaft. In der bekannten „Maastricht“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts22 wurde diese Kritik eingehend behandelt und zum Teil auch aufgegriffen.

monisierung“ durchgesetzt werden kann: Das noch im ersten Vorschlag, ABlEG 1989, Nr. C 64, 8, vorgesehene Pflichtangebot an sämtliche außenstehende Aktionäre kann nunmehr von den Mitgliedstaaten durch „andere geeignete und mindestens gleichwertige Vorkehrungen“ und damit möglicherweise auch durch den – konzeptionell grundverschiedenen – Minderheitenschutz des deutschen Aktienkonzernrechts ersetzt werden, vgl. auch Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 380 f. 20 Die Umsetzung der (Änderungs-)Richtlinie 90/605/EWG; ABlEG 1990, Nr. L 317, 60, die die GmbH & Co. KG in den Geltungsbereich der Bilanzrichtlinie einbezieht (vgl. Fn. 6), hätte eigentlich schon am 1.1.1993 erfolgen sollen. Der deutsche Gesetzgeber ist dieser Vorgabe erst durch das Kapitalgesellschaften- und CoRichtlinie-Gesetz (KapCoRiLiG) vom 24.02.2000 aufgrund eines Urteils des EuGH nachgekommen. Im Vertragsverletzungsverfahren C-191/95 war durch den EuGH, ZIP 1998, 1716, am 29.09.1998 festgestellt worden, dass die Bundesrepublik gegen ihre Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie 68/151/EWG und 78/660/EWG verstößt, weil die Offenlegungspflicht deutscher Kapitalgesellschaften nicht ausreichend sanktioniert ist. Den bisherigen § 335 Satz 2 HGB, der bei Missachtung der Publizitätsvorschriften die Verhängung eines Zwangsgeldes nur auf Antrag der Gesellschafter, Gläubiger oder des Betriebsrats vorsieht, hatte das Gericht nicht als ausreichend empfunden, vgl. auch EuGH Slg. 1997, I 6858, 6858 „Daihatsu“. In einem weiteren Verfahren hatte der EuGH EuZW, 1999, 446, festgestellt, dass die Richtlinie 90/605/EWG überhaupt noch nicht umgesetzt war, vgl. zum Ganzen auch Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 90, 315. 21 So hat etwa der Beschwerdeführer Schachtschneider seine Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht insbesondere auf die mangelnde demokratische Legitimation der Gemeinschaften gestützt, vgl. Schachtschneider u. a., JZ 1993, 751 ff. 22 BVerfGE 89, 155, 193; zum Problem der demokratischen Legitimation ausführlich unten II., Seite 55 ff.

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Einleitung

3. Wechselwirkung der Krisensymptome Dieses Konglomerat an Krisensymptomen steht in vielfacher Wechselwirkung. So fördert die mangelhafte Umsetzung von Angleichungsakten durch die Mitgliedstaaten sicher die Bereitschaft der Kommission, bei ihren Vorschlägen mehr Wahlmöglichkeiten zuzulassen. Auf die Rechtsangleichung als Garantie zumindest gleichwertiger Regelungen in der Gemeinschaft kann man sich aber nicht mehr verlassen, wenn eine Richtlinie selbst den Mitgliedstaaten nationale Wahlrechte einräumt, also eine alternative Umsetzung gestattet23. Die sich der mangelhaften Umsetzung von Richtlinien entgegensetzende Rechtsprechung des EuGH tut ein Übriges. Wer Richtlinien zulässt, die so detailgenau sind, dass den einzelnen Mitgliedstaaten keinerlei Umsetzungsspielraum mehr verbleibt24, und andererseits gerade in solchen Fällen25 eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie postuliert26, die noch mit einem Schadensersatzanspruch gegen den Mitgliedstaat bei Nichtumsetzung flankiert wird27, fördert zwar sicherlich die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. Zutreffend verdient ja vom Standpunkt des „effet utile“ aus, ein Mitgliedstaat, der den Eintritt der mit der Richtlinie beabsichtigten Rechtswirkung vereitelt oder verzögert, eine Sanktion. Wird die Richtlinie aber von ihrer Ausgestaltung als zweistufiger Rechtsakt, der dem Mitgliedstaat Raum für die Berücksichtigung eigener nationaler Besonderheiten lässt, zu einer Art zweiter Verordnung transformiert28, provoziert dies eine Kompromissunfähigkeit bei den Beratungen über die Richtlinie. Jetzt muss der Mitgliedstaat nämlich bereits auf dieser Ebene alle Eventualitäten bedenken und kann nicht mehr auf eine „weiche“ Umsetzung der Beschlussvorlage hoffen. So gut gemeint und berechtigt die Begründung der Rechtsprechung des EuGH in diesem Bereich ist, im Ergebnis scheint hier der „Motor der Integration“ überdreht zu haben. 23

Vgl. Goerdeler, Festschrift für Steindorff, 1211, 1219. Vgl. hierzu etwa Pagenkopf, NVwZ 1993, 216, 222 m. w. N. 25 Bekanntlich ist die inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Bestimmtheit der Richtlinie Voraussetzung für die Annahme einer unmittelbaren Wirkung. 26 St. Rspr. vgl. etwa EuGH, NJW 1982, 499 „Becker“ sowie EuGH, NJW 1986, 2178 „Marshall“. 27 EuGH, NJW 1992, 165 „Francovich“, nähere Präzisierungen: EuGH, NJW 1996, 3141 „Dillenkofer u. a., MP Travel Line“ und zuletzt allgemein EuGH, NJW 1997, 123 „Brasserie du Pècheur“. 28 Geiger spricht insoweit von einer wesentlichen, im EGV nicht vorgesehenen Einbruchstelle zu Lasten mitgliedstaatlicher Rechtssetzungskompetenzen, vgl. Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 249 Rdnr. 10 a. E. 24

II. Die Krise der Rechtsangleichung

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In Folge dieser strikten Rechtsprechung kombiniert mit dem scheinbar immer weitergehenden Einfluss Europas auf die nationale Rechtssetzung sehen sich die Mitgliedstaaten nunmehr zunehmend als Objekt „Brüsseler Willkür“. Einzelne Politiker nutzen diesen Umstand, um in populistischer Weise dem kaum fassbaren „Europa“ die Schuld an unbequemen Maßnahmen zu geben29. Auch in den Völkern der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft scheint die Furcht vor einem übermächtigen „Europa“ größer geworden zu sein30. Dies auch deshalb, weil die Bevölkerung ohnehin bislang kaum zu dem fortschreitenden Integrationsprozess gehört worden ist. Je nach nationaler Gefühlslage wird mit dem daraus entstehenden Unmut Politik gemacht und der Verlust eigenstaatlicher Identität beschworen31. Zusammenfassend scheint der Wunsch zumindest nach einer „Pause“ im Integrationsprozess groß. Mit der Schaffung des EURO als gemeinsamer Währung im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion ist ein so großer Schritt getan worden, dass auch dem letzten klar wurde, welches Maß an Einfluss die EU bereits gewonnen hat. Andererseits verlangt eine gemeinsame Währung nach einer einheitlichen Wirtschaftspolitik und entsprechenden Rechtsstrukturen, die europaweit Gültigkeit beanspruchen. Gleichzeitig stellen sich aktuelle politische Probleme wie etwa die globale Vernetzung der Wirtschaft, die Regelung von Zuwanderung oder Umweltfragen, die nur mit Hilfe grenzüberschreitender Zusammenarbeit lösbar scheinen. Damit kollidiert ein Bestreben nach einer Konsolidierung der Rechtsangleichung mit der Notwendigkeit einer Forcierung derselben. Dieses Dilemma verlangt nach einem neuen Instrumentarium oder zumindest nach einer anderen Gewichtung der bisherigen Harmonisierungsmethoden. Auch der EuGH scheint sich mit einem Stillstand der Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts nicht abfinden zu wollen. Mit zwei Paukenschlägen, der „Centros“- und der „Überseering“-Entscheidung, hat der EuGH das bisherige Verständnis des Zusammenspiels zwischen Euro29 So wurden in nahezu allen Staaten der Gemeinschaft die in den letzten Jahren erfolgten Haushaltskonsolidierungen stets mit dem Verweis auf den europäischen Stabilitätspakt gerechtfertigt. 30 Erinnert sei nur an die im Zuge des Vertrags von Maastricht abgehaltenen Referenden in einzelnen Mitgliedstaaten, die sämtlich äußerst knapp ausfielen und zum Teil Nachverhandlungen erzwungen haben. 31 Dies geschieht parteiübergreifend. So gilt etwa Edmund Stoiber genauso als Euroskeptiker wie Gerhard Schröder. Berühmtes Beispiel für die „Regelungswut der Brüsseler Bürokratie“ ist die knapp 80 Seiten (sic!) umfassende Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über vor dem Führersitz montierte Umsturzschutzvorrichtungen mit zwei Pfosten für Schmalspurzugmaschinen mit Luftbereifung, ABl.EG 1987 Nr. L 220/1. Die diese Detailharmonisierung kritisierenden Politiker müssen sich allerdings fragen lassen, warum die nationalen Regierungsvertreter im Rat solchen Vorhaben zustimmen.

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Einleitung

parecht und nationalem Gesellschaftsrecht neu geordnet und neben neuen Chancen für einen „Wettbewerb der Gesetzgeber“ auch neue Unsicherheiten ausgelöst.

III. Ziel der Abhandlung und Gang der Darstellung Damit ist das Ziel dieser Arbeit abgesteckt. Es geht zunächst darum, einen umfassenden Überblick über die einzelnen Gründe für die vorstehend geschilderte Krise der Rechtsangleichung zu geben. Gleichzeitig soll die Alternative der Vertiefung der Harmonisierung mittels des Instruments der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen der problembehafteten Rechtsangleichung gegenübergestellt werden. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt hierbei im Bereich des europäischen – und damit internationalen – Gesellschaftsrechts. Das europäische Gesellschaftsrecht ist insoweit aber als Paradigma auch für andere Rechtsbereiche zu verstehen. Denn im Bereich des Gesellschaftsrechts ist die Integration schon relativ weit fortgeschritten. Trotzdem oder gerade deshalb tritt die Krise der Integration hier besonders deutlich zu Tage32. Ausgangspunkt für den Gang der Darstellung ist eine Gegenüberstellung der bestehenden Methoden der Harmonisierung33, wobei bereits hier eine erste Bewertung erfolgen soll. Auf Basis dieser Bewertung wird im ersten Teil der Abhandlung der Rechtsangleichung die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen gegenübergestellt und die Entstehungsgeschichte dieser neuen Harmonisierungsstrategie kurz beleuchtet. Sodann wird in einem zweiten Teil der Abhandlung im Rahmen einer detaillierten Problemanalyse der Rechtsangleichung gezeigt werden, dass der bisher so erfolgreiche Weg in eine Sackgasse geraten ist. In diesem Zusammenhang gilt es, neben der Erörterung der beiden Harmonisierungsmethoden auf Grundlage einer ökonomischen Analyse insbesondere, eine Gegenüberstellung anhand grundlegender primärrechtlicher Prinzipien der EU vorzunehmen. Dieser zweite Teil der Arbeit wird mit einer Untersuchung der Praktikabilität der Rechtsangleichung abgeschlossen. Paradebeispiel für das Scheitern 32

Hopt, ZIP 1998, 96, spricht insoweit vom Gesellschaftsrecht als Testfall für ein europäisches Privatrecht. 33 Der EGV enthält die Worte Rechtsangleichung, Harmonisierung und Koordinierung nebeneinander, ohne dass damit ein inhaltlicher Unterschied verbunden wäre, vgl. Bleckmann/Eiden, Europarecht Rdnr. 2106. Vorliegend soll der Begriff „Harmonisierung“ weit verstanden werden und ist nicht mit Rechtsangleichung gleichzusetzen. Vielmehr intendiert er auch die Harmonisierung durch die gegenseitige Anwendung nationaler Rechtsvorschriften.

III. Ziel der Abhandlung und Gang der Darstellung

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der Rechtsangleichung ist in diesem Bereich – trotz oder gerade aufgrund der nunmehr erfolgten Verabschiedung eines entsprechenden Statuts durch den Europäischen Rat – das Projekt der Europäischen Aktiengesellschaft. Im dritten Teil der Arbeit sollen neben dieser Status quo-Analyse mögliche Auswege aus der Krise der Rechtsangleichung aufgezeigt werden. Die bereits im zweiten Teil gewonnen Erkenntnisse hinsichtlich der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen unter den Mitgliedstaaten, wie sie in der Warenverkehrsfreiheit bereits praktiziert wird und zu einem erfreulichen Mehr an Wettbewerb geführt hat, gilt es insoweit zu verwerten. Wie belebend sich die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen auf die weiteren Bemühungen zur Harmonisierung in der EU auswirken kann, soll deshalb am Beispiel der höchst umstrittenen Thematik der Vereinbarkeit der so genannten Sitztheorie im internationalen Gesellschaftsrechts mit der Niederlassungsfreiheit des EGV gezeigt werden. Dies erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des EuGH zu diesem Problem, an der sich bereits ein Wandel von der Rechtsangleichung hin zur gegenseitigen Anerkennung ablesen lässt.

Erster Teil

Die Methoden der Harmonisierung Gem. Art. 3 Abs. 1 h EGV ist die Angleichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften Aufgabe der Gemeinschaft, „soweit dies für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist.“

Unter Rechtsangleichung bzw. Harmonisierung wird dabei die Beseitigung der für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes abträglichen Unterschiedlichkeit in bestimmten Rechtsgebieten der nationalen Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten verstanden1. Der in Art. 3 Abs. 1 h EGV weiter aufgeführte Begriff des „Gemeinsamen Marktes“ wird nach der Rechtsprechung des EuGH von drei Merkmalen geprägt, nämlich der Freiheit nach innen und der Einheitlichkeit nach außen, der Markt- und Wettbewerbsgleichheit seiner Teilnehmer sowie dem System eines unverfälschten Wettbewerbs2. Der in Art. 14 Abs. 2 EGV legal definierte Begriff des „Binnenmarktes“ ist Teil des Gemeinsamen Marktes3. Aus dieser Anbindung an das Ziel des Gemeinsamen Marktes folgt, dass die Harmonisierung kein Selbstzweck ist, sondern nur ein Instrument darstellt, das zur Errichtung und zum reibungslosen Ablauf des Binnenmarktes beitragen soll4. Entsprechend dieser Zielsetzung, die auf die jeweiligen Ge1 Etwa Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1063; weitergehend die sog. gemeinschaftsoptimale Harmonisierungslösung, die auch eine grundsätzliche Neugestaltung des betreffenden Rechtsbereichs nach gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Grundsätzen als Ziel des Gemeinsamen Marktes zulässt, vgl. Grabitz/Hilf/Langeheine, Art. 100, Rdnr. 1; Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 94 EGV Rdnr. 4. 2 Grundlegend EuGH Slg. 1966, 457, 483 „Italien/Rat und Kommission“; EuGH Slg. 1982, 1409, 1431 f. „Gaston Schul“. 3 Zu dieser umstrittenen Frage, die hier offen bleiben kann, vgl. Eyles, Niederlassungsfreiheit, 15 ff., Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 1066 ff.; Streinz, Europarecht, Rdnr. 909 ff., jeweils m. w. N. 4 Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 1226; vgl. auch Grundmann, ZGR 2001, 783, 801: „Harmonisierung ist nur ein zweitrangiges Ziel. Sie ist ein Instrument für die Integration von Märkten, die selbst das erstrangige Ziel bildet.“; umstritten ist allerdings, ob sich die Rechtsangleichung nur förderlich auf das Funktionieren des gemeinsamen Marktes auswirken muss, so GTE/Taschner, Art. 100, Rdnr. 35 oder ob die Rechtsangleichung nur hinsichtlich solcher nationalen Rechtsvorschriften erforderlich ist, die die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes be-

I. Zwingende Regelungen – Verordnung und Richtlinie

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gebenheiten des Marktes wie der nationalen Rechtsordnungen abhebt, gibt es eine differenzierte Methodik der Harmonisierung. Eine Klassifizierung der verschiedenen Instrumente zur Harmonisierung von Recht ist nach den unterschiedlichsten Aspekten denkbar5. So kann etwa zwischen den jeweiligen Anwendern der Instrumente – Zentralstaat, Gliedstaat, unabhängige Gerichte – differenziert werden oder dem Anwendungsbereich einer Angleichungsmaßnahme. Im Rahmen der EG böte es sich aber auch an, eine Unterscheidung nach den im EGV verankerten Instrumenten, mithin der Verordnung, der Entscheidung und der – praktisch bedeutsamsten – Richtlinie zu treffen sowie nach den übrigen, nicht kodifizierten Instrumenten. Für den Zweck der vorliegenden Untersuchung soll eine Einordnung nach dem Maß der Verbindlichkeit der jeweiligen Harmonisierungsmethode vorgenommen werden. Dies scheint angesichts der Zielsetzung und Begrenzung der Harmonisierung durch das „Funktionieren des Gemeinsamen Marktes“ sachgerecht, da das „Funktionieren“ eine unterschiedliche Eingriffstiefe in die nationalen Rechtsordnungen impliziert, die mit dem Maß der Verbindlichkeit der jeweiligen Harmonisierungsmethode korreliert. Die „Verbindlichkeitsskala“ reicht dabei von einer Harmonisierung durch zwingendes Recht bis hin zu Harmonisierungsinstrumenten, die sich lediglich auf die Überzeugungskraft ihrer Beispielhaftigkeit stützen können.

I. Zwingende Regelungen – Verordnung und Richtlinie 1. Die Verordnung Die Verordnung nach Art. 249 Abs. 2 EGV hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Diese unmittelbare Geltung macht die Verordnung zum Prototypen einer zwingenden, generell-abstrakten Regelung. Sie bedarf keiner Transformation in das mitgliedstaatliche Recht. Die Wirkung der Verordnung umfasst in Konsequenz ihrer umfassenden Geltungskraft grundsätzlich gleichermaßen die Gemeinschaft, die Mitgliedstaaten und alle natürlichen und juristischen Personen innerhalb der Gemeinschaft6. Sie entspricht damit einem Gesetz oder einer Rechtsverordnung auf nationaler Ebene.

hindern. Beide Ansichten dürften jedoch in der Regel zu ähnlichen Ergebnissen kommen, vgl. auch Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 94 EGV Rdnr. 9. 5 Grundlegend: Cappelletti/Seccombe/Weiler, Integration through Law, Vol. 1, 36 ff. 6 Vgl. EuGH, Slg. 1978, 99 „Zerbone“, Slg. 1970, 459 „Krohn“.

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1. Teil: Die Methoden der Harmonisierung

2. Die Richtlinie Nach Art. 249 Abs. 3 EGV ist die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, zunächst nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Den Mitgliedstaaten muss im Unterschied zur Verordnung eine gewisse Autonomie bei der Umsetzung des verbindlichen Ziels hinsichtlich der Wahl der Form und der Mittel verbleiben. Die Richtlinie hat damit zunächst einmal nur die Mitgliedstaaten zum Ziel, die innerhalb einer in ihr vorgegebenen Frist nationale Vorschriften erlassen müssen, die die Zielsetzung der Richtlinie verwirklichen. Sie ist die erste (gemeinschaftsrechtliche) Stufe eines zweistufigen Rechtssetzungsverfahrens7. Der Form nach ist die Richtlinie somit eine bloße Zielbestimmung, die der Umsetzung in nationales Recht bedarf und im Gegensatz zur Verordnung keine unmittelbare Wirkung hat. Bekanntlich wird aber auch die Zulässigkeit detailgenauer Richtlinien bejaht, wenn dies der Zweck der Regelung erfordert. In diesem Fall reduziert sich der Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten auf Null8. Zudem erlangt eine Richtlinie nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH9 in Ausnahmefällen auch unmittelbare Wirkung im Verhältnis des von der Richtlinie begünstigten Betroffenen gegenüber dem Mitgliedstaat, um die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftrechts nach dem Grundsatz des „effet utile“ sicherzustellen. Eine solche unmittelbare Wirkung soll dann bestehen, wenn die Richtlinie innerhalb der Umsetzungsfrist nicht oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde und die Bestimmungen der Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind10. Flankiert wird diese unmittelbare Wirkung noch zusätzlich durch die Statuierung eines Entschädigungsanspruches seit dem „Francovich“-Urteil des EuGH11, wenn zusätzlich der Gemeinschaftsrechtsverstoß hinreichend schwer und offenkundig ist (was bei einer nicht fristgemäßen Umsetzung von Richtlinien allerdings immer der Fall sein soll12) und ein Kausalzusammenhang zwischen Verstoß 7

Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdnr. 8. Vgl. etwa Pagenkopf, NVwZ 1993, 216, 222 m. w. N. 9 Vgl. EuGH, NJW 1982, 499 „Becker“; EuGH, NJW 1986, 2178 „Marshall“; vgl. auch Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdnr. 15; das BVerfG folgt dieser Rechtsfortbildung des EuGH, vgl. BVerfGE 73, 339. 10 Vgl. EuGH, NJW 1982, 499 „Becker“; EuGH, NJW 1986, 2178 „Marshall“. 11 EuGH, Slg. 1991 I, 5357 = NJW 1992, 165 „Francovich“; vgl. auch EuGH, NJW 1996, 3141 „MP Travel Line“ und zuletzt allgemein bei Gemeinschaftsrechtsverstößen: EuGH, Slg. 1996 I, 1029 = NJW 1996, 1267 „Brasserie du Pècheur“ sowie EuGH, NJW 1997, 123 „Reinheitsgebot“; zu den Anspruchsvoraussetzungen vgl. auch Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 10 Rdnr. 48 ff. 8

II. Rahmenregelung

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gegen die dem Mitgliedstaat obliegende Umsetzungspflicht und dem entstandenen Schaden besteht. Zwar ist diese unmittelbare Wirkung dergestalt beschränkt, dass sie nur im Verhältnis des Einzelnen zum Mitgliedstaat – also vertikal – Wirkung entfaltet, dagegen nicht horizontal hinsichtlich der Rechtsbeziehung der Unionsbürger untereinander. Aus der Sicht des Mitgliedstaates ist aber durch die Kombination der sehr weiten Auslegung der möglichen Regelungsdichte einer Richtlinie mit den drastischen Sanktionsmitteln des EuGH bei Nichtumsetzung faktisch dieselbe Verbindlichkeit erreicht wie bei einer Verordnung13. Dies zumal nach der Rechtsprechung des EuGH14 neben den Gerichten alle nationalen Träger der Verwaltung einschließlich der Gemeinden und der sonstigen Gebietskörperschaften von Amts wegen verpflichtet sein sollen, die unmittelbar geltenden Bestimmungen einer Richtlinie anzuwenden. Die Richtlinie wird daher hier ebenfalls als eine verbindliche Harmonisierungsregelung behandelt15.

II. Rahmenregelung Im Gegensatz zu den soeben geschilderten verbindlichen Regelungen sind auch Regelungen denkbar, die einen bloßen Rahmen abstecken, innerhalb desselben sich die Mitgliedstaaten frei entfalten können. Nicht damit gemeint ist allerdings die Möglichkeit des Art. 202 i.V. m. 211, 4. Spiegelstrich EGV die es dem Ministerrat erlaubt, sich auf den Erlass einer Rahmenregelung zu beschränken und die Kommission mit dem Erlass der Durchführungsbestimmungen zu betrauen16. Ein solches Verfahren bewirkt nicht notwendigerweise einen größeren Spielraum für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Harmonisierungsregelung, da sie gerade nicht die Kompetenz für die Art der Durchführung innehaben, wenngleich nach der Entscheidung des Rates vom 13.07.198717 die Einrichtung von Ausschüssen vorgesehen ist, in denen die Mitgliedstaaten vertreten sind und wo ihrerseits – freilich unverbindliche – Anregungen zur Durchführung gemacht werden können. Mit einer Rahmenregelung soll dagegen hier eine Anglei12

EuGH, Slg. 1996 I, 4845 „Dillenkofer“. Die Richtlinien sind in der Praxis oft so detailgenau, dass dem nationalen Gesetzgeber nur die Möglichkeit der wortgleichen Umsetzung des Richtlinientextes in nationales Recht ohne eigene Gestaltungsbefugnis verbleibt. Diesem Mangel an Beachtung mitgliedstaatlicher Eigenständigkeit tritt der EuGH bislang nicht entgegen, vgl. Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdnr. 10. 14 EuGH, NVwZ 1990, 649 „Constanzo“. 15 Entsprechend differenziert Bleckmann/Eiden, Europarecht, Rdnr. 2162 zwischen einer totalen und einer optionellen Harmonisierung, ohne auf die unterschiedlichen Instrumente einzugehen. 16 Vgl. Bleckmann/Eiden, Europarecht, Rdnr. 2167. 17 Entscheidung des Rates Nr. 87/373/EWG, ABlEG 1987 Nr. L 197, 33 ff. 13

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1. Teil: Die Methoden der Harmonisierung

chungsmethode gemeint sein, die für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich der bei der Umsetzung einzuhaltenden Grenzen Verbindlichkeit entfaltet, ansonsten aber keine Vorgaben stellt. Durch die Festsetzung eines bloßen Rahmens kann es jedoch zu erheblichen Unsicherheiten über die Reichweite der dort vorgezeichneten Maßgaben kommen. Verstärkt wird dieses grundsätzliche Anwendungsproblem einer bloßen Teilharmonisierung durch das Fehlen einer einheitlichen europäischen Rechtssprache. Dies kann zu Formulierungs-, Inhalts- und Umsetzungsproblemen führen.

III. Zielbestimmungen Bei der Zielbestimmung wird in einem Rechtsakt nur das zu erreichende Ergebnis festgelegt und den Mitgliedstaaten damit ein sehr weiter Gestaltungsspielraum belassen. Die Richtlinie ist von der Gesetzesform her die hierfür prädestinierte Handlungsform der Gemeinschaft. Allerdings wurden bloße Zielbestimmungen von den Mitgliedstaaten in der Vergangenheit oftmals mit mangelnder Disziplin umgesetzt, was letztlich zu der dargestellten Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien18 geführt hat.

IV. Mindeststandards Die Festlegung eines Mindeststandards entspricht einer Rahmenregelung, bei der die obere Rahmengrenze fehlt. Ein Mindeststandard setzt den Mitgliedstaaten nur eine untere Grenze bei der Regelung einer Materie, lässt ihnen aber ansonsten völlige Freiheit. Zwar hat sich die Vereinbarung von Mindeststandards etwa durch eine Richtlinie als durchaus praktikable Maßnahme erwiesen, Wettbewerbsverzerrungen weitgehend einzuschränken und gleichzeitig nationalen Interessen Rechnung zu tragen19. Gegen eine solche Teilharmonisierung spricht aber wie schon bei der Rahmenregelung, dass hierdurch die Grenzen zwischen der europäischen und nationalen Rechtssetzungsebene verschwimmen20.

V. Unverbindliche Vorschläge Schließlich sind auch Maßnahmen denkbar, die überhaupt keine Verbindlichkeit beanspruchen. In Art. 249 Abs. 5 EGV sind insoweit Empfehlungen und Stellungnahmen vorgesehen, die gegenüber ihren Adressaten weder 18 19 20

Vgl. oben I.2., Seite 24. Eiden, Die Rechtsangleichung gem. Art. 100 EWGV, 65 f. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 351.

VI. Von der Rechtsangleichung zur gegenseitigen Anerkennung

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Pflichten noch Rechte begründen können. Dennoch können auch sie gewisse indirekte Rechtswirkungen erzeugen. Der EuGH verpflichtet nämlich die nationalen Gerichte, Empfehlungen bei der Entscheidung von anhängigen Rechtsstreiten zu berücksichtigen, wenn sie geeignet sind, Aufschluss über die Auslegung anderer nationaler oder gemeinschaftlicher Bestimmungen zu geben21.

VI. Von der Rechtsangleichung zur gegenseitigen Anerkennung Die unverbindlichen Harmonisierungsinstrumente wurden in der Vergangenheit von der Kommission und dem Rat nur höchst selten bemüht und erwiesen sich gerade aufgrund ihrer Unverbindlichkeit nur in Einzelfällen als geeignetes Harmonisierungsinstrument. Problematisch bei den vorgestellten verbindlichen Harmonisierungsregelungen hat sich aber erwiesen, dass die Mitgliedstaaten mit der zunehmenden Bedeutung der EG immer weniger Bereitschaft zeigten, sich auf einheitliche Verordnungs- oder Richtlinienentwürfe zu einigen und von den liebgewordenen nationalen Vorschriften Abschied zu nehmen. Gerade die Verbindlichkeit der Harmonisierung bedeutet ja einen Kompetenzverzicht der Mitgliedstaaten. Art. 249 Abs. 3 EGV verbietet eine Abänderung des nationalen Rechts, das in Widerspruch zu den Zielen und dem Inhalt der erlassenen Richtlinie steht. Hinsichtlich der per se geltenden Verordnung versteht sich dies von selbst. Die Gesetzgebungskompetenz der Mitgliedstaaten wird daher durch jeden verbindlichen Rechtsangleichungsakt eingeengt, wobei sich die Kompetenzen der Gemeinschaft im selben Maß erweitern22. Mit der Ausweitung der Gemeinschaft werden diese praktischen Probleme noch zunehmen. Selbst die Vereinbarung von bloßen Mindeststandards erwies sich in manchen Bereichen als nicht mehr kompromissfähig. Dem wurde zum einen durch die Einführung des Art. 100a EGV a. F. (Art. 95 EGV) im Rahmen der Einheitlichen Europäischen Akte zu begegnen versucht, der ein Beschlussverfahren vorsieht, das nicht der mühsamen und zeitraubenden Einstimmigkeit bedarf23. In dem wichtigen Bereich der Verwirklichung des Niederlassungsrechts von Kapitalgesellschaften24 brachte dies jedoch keine Verbesserung, da insoweit das qualifizierte Mehr21 EuGH, Slg. 1989, 4407, 4416 „Grimaldi“; Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdnr. 23. 22 Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1095. 23 Lenz/Röttinger, EG Vertrag, Art. 100a Rdnr. 1. 24 Vgl. hierzu ausführlich Dritter Teil, Seite 95 ff.

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1. Teil: Die Methoden der Harmonisierung

heitsprinzip des eingeführten Art. 100a EGV a. F. (Art. 95 EGV) bereits auf Grundlage des Art. 54 Abs. 2, 8 Abs. 1 S. 2 EGV a. F. (vgl. nunmehr Art. 44 Abs. 1 i.V. m. 251 EGV) galt. In anderen wichtigen Bereichen, wie etwa dem Steuerrecht, bestehen ausdrückliche Ausnahmen vom qualifizierten Mehrheitsprinzip, vgl. Art. 95 Abs. 2 EGV. 1. Die neue Strategie Zuvor schon allerdings hatte die Kommission in ihrem Weißbuch an den Europäischen Rat über die „Vollendung des Binnenmarktes“25 eine neue Strategie zur Verwirklichung der Integrationsziele vorgeschlagen. Danach sollten Vorschriften der Mitgliedstaaten regelmäßig als gleichwertig anerkannt werden, was gleichzeitig die Offenheit der nationalen Märkte für Erzeugnisse aus dem Binnenmarktgebiet sichert26. Diese wechselseitige Bestätigung der Gleichwertigkeit von Rechtsvorschriften unabhängig von deren konkreten Inhalten bezeichnet man als gegenseitige Anerkennung nationaler Normen27. Nur wo die gegenseitige Anerkennung aus besonderen Gründen nicht ausreiche, sollte nach dem Willen der Kommission noch eine Rechtsangleichung – vorrangig im Wege horizontal wirkender Vorschriften – erfolgen28. Damit folgte die Kommission der Rechtsprechung des EuGH zur Wirkung der Vorschriften des EGV auf die Mitgliedstaaten bei Fehlen gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in den Urteilen „Dassonville“ und „Cassis de Dijon“29. Danach verlangt die Warenverkehrsfreiheit, dass grundsätzlich die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Erzeugnisse in anderen Mitgliedstaaten ungehindert eingeführt werden können, sofern nicht zwingende Gründe des Gemeinwohls, die sich etwa 25 Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes“, Dok. KOM (1985), 310 endg., Rdnr. 61 ff. 26 Dies wird von Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1065, als „bloßer Zustand zueinander geöffneter nationaler Märkte“ und nicht als ein unter gemeinsamen Regeln lebender Binnenmarkt diskreditiert. Eine solche Auffassung verkennt allerdings, dass für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes eine Offenheit der nationalen Märkte ausreicht. Darüber hinaus besteht aber schon gar keine Kompetenz der Gemeinschaft zur Rechtsangleichung mehr. Im Übrigen wohnen der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen auch Angleichungsautomatismen inne, die freilich nur von Marktkräften und nicht von den Organen der Gemeinschaft gesteuert werden. 27 Vgl. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 352 ff.; Streinz, Europarecht, Rdnr. 934 ff. 28 Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes“, Dok. KOM (1985), 310 endg., Rdnr. 61 ff. 29 EuGH, Slg. 1974, 837 „Dassonville“; EuGH, Slg. 1979, 649 „Cassis de Dijon“.

VI. Von der Rechtsangleichung zur gegenseitigen Anerkennung

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aus Art. 30 EGV, aber auch aus ungeschriebenen Erfordernissen30 ergeben können, entgegenstehen. Ansonsten ist eine die Warenverkehrsfreiheit beschränkende nationale Maßnahme unzulässig. Als Folge der „Cassis“Rechtsprechung gilt somit ein Vertrauensprinzip31 zwischen den Mitgliedstaaten: Die Mitgliedstaaten sollen darauf vertrauen, dass die dringenden Gemeinwohlinteressen, die eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen können, bereits in dem Herkunftsstaat der jeweiligen Ware berücksichtigt worden sind (sog. Herkunftsstaatsprinzip32). Damit bleibt für die Rechtsangleichung eigentlich nur Raum dort, wo eine entsprechende Abwägung ergibt, dass zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen33. Obwohl die „Cassis“-Rechtsprechung nur die Warenverkehrsfreiheit unmittelbar betrifft, hat die „Neue Strategie“ nach Ansicht der Kommission auch auf Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs, der Freizügigkeit und des Niederlassungsrechts sowie des Kapitalverkehrs Einfluss34. Entsprechend ist eine Reduktion der von der Kommission eingebrachten Rechtsvereinheitlichungsvorschläge zu beobachten: Waren von 1980 bis 1984 noch über 6.499 Verordnungen und 350 Richtlinien erlassen worden35, so enthält das Weißbuch nur noch 279 Vorschläge, nachdem einige nicht länger als notwendig erachtet wurden und nur wenige Vorschläge hinzugekommen waren36. 2. Das Problem der Inländerdiskriminierung Mit der gegenseitigen Anerkennung wird versucht, die trennende Wirkung unterschiedlicher nationaler Standards zu beseitigen, ohne diese harmonisie30 Die in dem Urteil EuGH, Slg. 1979, 649 „Cassis de Dijon“ angegebenen Gründe sind nicht abschließend, vgl. zu den einzelnen Rechtfertigungsgründen Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 28 EGV Rdnr. 17; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1302 ff.; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 1129. 31 Schliezky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 32. 32 Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 28 EGV Rdnr. 16. 33 Grabitz/Hilf/Langeheine, Art. 100, Rdnr. 76 und Bleckmann/Eiden, Europarecht, Rdnr. 2180, halten auch darüber hinausgehend eine Rechtsangleichung für zulässig. Dies scheint angesichts der klaren Begrenzung der Zwecksetzung der Rechtsangleichung auf das Funktionieren des gemeinsamen Marktes sowie des Subsidiaritätsgrundsatzes nur dann richtig, wenn die Rechtsangleichung im Vergleich zur gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen die weniger einschneidende Maßnahme darstellt. 34 Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes“, Dok. KOM (1985), 310 endg., Rdnr. 13. 35 Vgl. Bruha, ZaöRV 46 (1986), 1, 4 f. Fn. 19. 36 Lorenz, BABl. 2, 1989, 19.

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1. Teil: Die Methoden der Harmonisierung

ren zu müssen37. Durch das nach der Neuen Strategie anzustrebende Vertrauensverhältnis zwischen den Mitgliedstaaten kann es dazu kommen, dass von Angehörigen eines Mitgliedstaates nach nationalem Recht deutlich mehr verlangt wird, als von Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Gemeinschaft, denen aber aufgrund der gegenseitigen Anerkennung ein gleichwertiger Marktzugang wie Inländern gewährt wird. Es kann somit zu einer scheinbaren Benachteiligung der Inländer kommen, die dem strengen nationalen Recht nach wie vor unterworfen sind, während dieses für EU-Ausländer nach der „Cassis“-Rechtsprechung nicht anwendbar ist. Diese Konstellation wird mit dem Begriff der Inländerdiskriminierung umschrieben38. Europarechtlich ist eine solche Inländerdiskriminierung nicht zu beanstanden. Das Gemeinschaftsrecht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die von den Angehörigen dieses Mitgliedstaates eine besondere Qualifikation fordert39. Es fehlt insoweit schon an einem gemeinschaftlichen Bezug der Regelung, da sie allein auf Angehörige des eigenen Staates beschränkt ist und nicht über die Grenzen dieses Staates hinaus weist40. Der EuGH folgt damit richtigerweise nicht der Auffassung, dass jede Ungleichbehandlung des Inländers schon deshalb als eine Störung des Gemeinsamen Marktes zu betrachten sei, weil dieser die absolute wirtschaftliche Chancengleichheit erfordere41. Eine Inländerdiskriminierung kann aber gegen nationales Verfassungsrecht, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen42. 3. Stellungnahme Die neue Strategie der Kommission trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die in der Vergangenheit angewandten Verfahren der Harmonisierung als nicht mehr praktikabel genug herausgestellt haben. Angesichts der verschiedenen Rechtstraditionen43 der Mitgliedstaaten würde eine Totalharmonisierung kaum durchsetzbar sein, jedenfalls aber 37

Streinz, Europarecht, Rdnr. 934. Vgl. Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 12 EGV Rdnr. 11. 39 Vgl. EuGH, Slg. 1995, I 311 ff. sowie BVerwG, GewArch. 1999, 108 f. zu dem nur für Inländer geltenden Erfordernis der Meisterprüfung. 40 Vgl. EuGH, Slg. 1992, I 353 ff. „Stehen“; EuGH, Slg. 1995, I 301 ff. „Aubertin“. 41 So aber Grabitz/Hilf/von Bogdandy, Art. 6 Rdnr. 53. 42 Hierzu etwa Weis, NJW 1983, 2721; vgl. auch BVerwG, GewArch. 1998, 470. 43 In der gegenwärtigen EU kann man zumindest vier Rechtskreise unterscheiden: den römisch/deutschen, den romanischen, das common law sowie den skandi38

VI. Von der Rechtsangleichung zur gegenseitigen Anerkennung

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eine unangemessen lange Zeit in Anspruch nehmen. Auch erzeugt eine verbindliche Harmonisierung im Wege der Richtlinie oder Verordnung durch das Erfordernis der Abänderung nicht auf Ebene des Mitgliedstaates, sondern auf Ebene der Gemeinschaft (sog. Sperrwirkung)44 eine gewisse Starrheit und Inflexibilität der Rechtssetzung: War der ursprüngliche Kompromiss schon schwer zu erreichen gewesen, scheint eine Abänderung des Status quo und damit eine Revision des oft unter Mühen erreichten Konsenses kaum denkbar. Die Kommission spricht deshalb zutreffend von der Totalharmonisierung als einer Überregulierung, die Inflexibilität erzeugt und Innovationen behindert45. Es geht also nicht nur um eine quantitative Reduzierung der Normenflut, sondern auch um die verstärkte Vermeidung einer Übersteuerung des Wirtschaftssystems durch die Mittel regulatorischen Rechts46. Allerdings darf diese Erkenntnis nicht auf den Bereich der Warenverkehrsfreiheit beschränkt bleiben. Die bahnbrechende Entscheidung in den Urteilen „Dassonville“ und „Cassis de Dijon“47 enthält den allgemein verwertbaren Lösungsvorschlag einer faktischen Anerkennung ausländischer Rechtsvorschriften, ohne eine rechtliche Anerkennung vorauszusetzen. Kilian charakterisiert dies als „scheinbar geniale Lösung einer Harmonisierung trotz Nichtharmonisierung“48. Diese Methode kann auch auf andere Grundfreiheiten des EGV, insbesondere die vorliegend im Mittelpunkt der Untersuchung stehende Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften gem. Art. 43 EGV, übertragen werden. Dies wurde schon durch Art. 100b Abs. 1 EGV a. F.49 impliziert, der ganz allgemein die Möglichkeit vorsah, dass der Rat Vorschriften eines Mitgliedstaates als gleichwertig anerkennt50. navischen Rechtskreis. Durch die geplante Erweiterung der EU auf Osteuropa werden weitere Rechtstraditionen hinzukommen. Die Bildung eines gemeinsamen Nenners bei der Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen wird dadurch nicht einfacher, vgl. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1065. 44 Vgl. EuGH Slg. 1990 I, 4459 „Kommission/Dänemark“; Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 249 EGV, Rdnr. 11. 45 Weißbuch „Vollendung des Binnenmarktes“, Dok. KOM (1985) 310 endg., Rdnr. 64. 46 Eyles, Niederlassungsfreiheit, 26. 47 EuGH, Slg. 1974, 837 „Dassonville“; EuGH, Slg. 1979, 649 „Cassis de Dijon“. 48 Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 353. 49 Die Aufhebung dieses Artikels durch den Vertrag von Amsterdam ändert hieran nichts. 50 Art. 100b Abs. 1 Unterabs. 2 EGV ist als Vorschrift an sich weitgehend bedeutungslos geblieben. Bereits in einer Mitteilung vom 15.12.1993, KOM(93), 669 endg., kam die Kommission zu dem Schluss, dass es zurzeit keinen Bedarf an Maßnahmen zur Durchsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung gebe. Richti-

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1. Teil: Die Methoden der Harmonisierung

Die so genannte Inländerdiskriminierung wirft lediglich Fragen der Gleichbehandlung auf, die mit dem bekannten verfassungsrechtlichen Instrumentarium bewältigt werden können51. Darüber hinaus steht es dem Inländer grundsätzlich offen, sich durch einen Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat dem vermeintlich „diskriminierenden“ nationalen Recht zu entziehen52. Das Problem der Inländerdiskriminierung beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen daher nicht wesentlich. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen ein überlegenes Instrument zur Harmonisierung. Klinke ist zuzustimmen, wenn er meint, sei Angleichung gewollt, sei der Wettbewerb der Rechtsordnungen angesagt53. Diese These von der Überlegenheit der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen über die Harmonisierungsbemühungen mittels Rechtsangleichung wird erhärtet, wenn man sich die Probleme der Rechtsangleichung im Einzelnen betrachtet.

gerweise scheint eher das vorgesehene Verfahren eines Ratsbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit einer Anwendung der Vorschrift im Wege zu stehen. Die gegenseitige Anerkennung wird damit an dieselben Anforderungen gebunden wie die Rechtsangleichung selbst. 51 Entsprechend soll dieser Problemkreis im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden. 52 Zu der aus dieser Umgehungsmöglichkeit folgenden Diskussion hinsichtlich eines Wettbewerbs der Rechtssysteme siehe unten I.4.b), Seite 44 ff. 53 Klinke, ZGR 2002, 163, 165.

Zweiter Teil

Probleme der Rechtsangleichung – Vorteile der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen Bevor im Dritten Teil dieser Arbeit die Möglichkeit einer Übertragung der „Neuen Strategie“ – also der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen – auf das seit langem kontrovers diskutierte Problemfeld der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit für Kapitalgesellschaften innerhalb der EU abgeklärt werden kann, bedarf es zunächst einer detaillierten Analyse der momentanen Schwierigkeiten der Rechtsangleichung. Nur wenn die Grundlagen der bestehenden Krise offen zu Tage liegen, kann eine Gegenstrategie Erfolg haben. Dabei soll zunächst danach gefragt werden, ob die Rechtsangleichung aus ökonomischer Sicht tatsächlich die Verwirklichung des Binnenmarktes fördert oder ob eine ökonomische Analyse vielmehr die Vorteilhaftigkeit der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen vor einer „Gleichmacherei“ ergibt. Die Rechtsangleichung hat daneben mit mehreren strukturellen Problemen zu kämpfen, die mit der Gesamtverfassung der EU zu tun haben. Hier sollen insbesondere das Demokratieprinzip und das Subsidiaritätsprinzip erörtert werden, die beide einem Fortschreiten der Rechtsangleichung jedenfalls dann entgegenstehen könnten, wenn diese bereits ein gewisses Maß an Tiefe gewonnen hat. Als letzter und vielleicht wichtigster Punkt drängt sich die Frage nach der Praktikabilität der bisher praktizierten Rechtsangleichung in einem immer weiter ausgreifenden Europa auf. Als Paradigma der praktischen Probleme wird hierzu die Geschichte der Europäischen Aktiengesellschaft erörtert und damit gleichzeitig ein Übergang zum Dritten Teil dieser Abhandlung geschaffen, der sich mit speziell gesellschaftsrechtlichen Problematiken beschäftigt.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

I. Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse Abgesehen von primär rechtlichen Bedenken gegen eine zunehmende Rechtsangleichung und ihre praktischen Probleme darf die Funktion der Rechtsangleichung nicht unberücksichtigt bleiben. Die Rechtsangleichung ist nach Art. 3 Abs. 1 h EGV zunächst ein Instrument zur Verwirklichung des einheitlichen europäischen Binnenmarktes. Sie ist kein Selbstzweck, sondern dient der Errichtung und dem reibungslosen Funktionieren dieses Marktes1. Vom Binnenmarkt wiederum wird eine beträchtliche Wohlstandsmehrung für die Bürger der EU erwartet2. Die noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nahezu einhellig und unbestritten vertretene Ansicht, dass der Weg nach Europa zugleich ein solcher der Rechtsangleichung aller für diese Verträge wichtigen Gebiete sei, wird heute intensiv hinterfragt3. Der Rechtsangleichung wird ein neues Modell von Harmonisierung gegenübergestellt, das die Vielfalt der nationalen Rechtsordnungen erhalten möchte und auf der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Rechtsnormen basiert. Die Diskussion darüber, wie weit die Rechtsangleichung voranschreiten sollte und inwiefern sie entbehrlich, ja für die Bildung eines gemeinsamen europäischen Marktes sogar kontraproduktiv ist, ist in nicht unerheblichem Maße auch von wirtschaftswissenschaftlicher Seite in Gang gebracht worden. Geht man von der vom europäischen Binnenmarkt erwarteten Wohlstandsmehrung aus, die gleichzeitig Ziel allen Wirtschaftens ist, kommt den wirtschaftlichen Auswirkungen der Rechtsangleichung erhöhte Bedeutung zu. Um die Beschränkungen des Marktes zu beseitigen und grenzüberschreitenden Wettbewerb zwischen Unternehmen zu ermöglichen, bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an: Entweder man vereinheitlicht sämtliche marktrelevanten Normen (Rechtsangleichung) oder man erklärt die jeweiligen nationalen Normen in der Weise für gleichwertig, dass wenn eine Norm in einem Land erfüllt wird, der Normzweck auch in allen anderen Mitgliedstaaten als gewahrt angesehen wird (gegenseitige Anerkennung nationaler Rechtsnormen). Insoweit ist festzustellen, dass aus wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Sicht überwiegend ein so genannter „Wettbewerb der Systeme“ gegenüber der Rechtsangleichung präferiert wird4. 1

Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rdnr. 1226. Der Cecchini-Report schätzt die zu erwartende Wohlstandssteigerung durch die Einführung des europäischen Binnenmarktes auf 174 bis 258 Mrd. ECU, vgl. Cecchini, Europa’92, 122. 3 Hopt, ZIP 1998, 96, 98. 4 Nachweise bei Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 382. 2

I. Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse

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1. „Law and Economics“ Angesichts der mit dem Binnenmarkt verbundenen Erwartungen kommt dem Ziel der Wohlstandsmehrung juristische Bedeutung zu. Die Auswirkungen auf das so verstandene Ziel des Binnenmarktes sind als Richtschnur für rechtliche Entscheidungen zu beachten. Auch wenn es für den europäischen Juristen befremdlich erscheinen mag: Das Recht selbst ist nur Mittel zum Zweck. Eine Rechtsordnung ist daran zu messen, welche Vorteile sie für das Zusammenleben der unter ihr lebenden Menschen zeitigt. Eine unter dem Namen „Law and Economics“ von Richard Posner begründete5 und vor allem im Bereich des Gesellschaftsrechts in den USA populäre Denkweise legt dementsprechend ihren Schwerpunkt weniger auf abstrakte Begriffe als Ziel des Rechts denn auf handfeste Effizienzkriterien6. Die ökonomische Analyse des Rechts geht von der Marktwirtschaft und ihren spezifischen Leistungen aus und fragt danach, wie man das Recht gestalten muss, um das Funktionieren des Marktes zu sichern. Weiter fragt sie danach, welche ökonomischen Funktionen einzelne Rechtsinstitute haben, d.h. wie sie sich wirtschaftlich auswirken und ob man diese Auswirkung verbessern oder umgestalten kann7. Es geht bei diesem Rechtsverständnis zwar letztlich immer noch um das Gerechtigkeitsideal, das vom Recht bezweckt und geschützt wird, jedoch liegt der Schwerpunkt auf der Verteilungsgerechtigkeit des Wohlstandes nach wirtschaftlichen Kriterien. Auch wenn eine Reduzierung des Rechts auf eine rein materialistische Sichtweise als allumfassender Bewertungsansatz sicher zu weit geht8, ist eine ökonomische Analyse des Rechts immer dort sinnvoll, wo ein bestimmtes ökonomisches Ziel erreicht werden soll. Ziel des Binnenmarktes ist aber, wie bereits dargestellt, in erster Linie Wohlstandsmehrung. Dieses „Wohlstandsvolumen“ wird durch die rechtlichen Mittel zur Verwirklichung des Binnenmarktes beeinflusst. Bevor die aus der differierenden rechtlichen Konstruktion der Rechtsangleichung einerseits und der gegenseitigen Anerkennung von Normen andererseits resultierenden Unterschiede und Bewertungen unter einem rein juristischen Blickwinkel näher untersucht werden, soll daher zunächst ein kurzer Blick auf die jeweiligen wohlfahrtsökonomischen Auswirkungen geworfen werden9. 5 Vgl. grundlegend Posner, Economic Analysis of Law; aus dem deutschen Schrifttum Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip und jüngst ders., JZ 2001, 1041 ff. 6 Vgl. hierzu Reimann, Einführung in das US-Recht, 247 ff. 7 Grundlegend Horn, AcP 176 (1976), 307 ff. 8 Insoweit kritisch auch Reimann, Einführung in das US-Recht, 251.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

2. Ökonomik als Analyseinstrument des Rechts Die moderne Ökonomik ist ein geeignetes Instrument zu dieser Analyse. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie als Theorie menschlicher Interaktionen auf alles menschliche Verhalten anwendbar ist10. Ihr Maßstab ist eine Vorteils-/Nachteilskalkulation, die nach der ökonomischen Theorie von jedem Individuum, dem homo oeconomicus, vorgenommen wird, und die auf die Gesellschaft bezogen ein zuverlässiges Bild von den Auswirkungen einer bestimmten makroökonomischen Struktur gibt. Vorteile sind dabei nicht nur mit materiellem Nutzen gleichzusetzen, sie hängen vielmehr von den individuellen Präferenzen eines jeden Einzelnen ab11. So kann etwa auch ein gutes Verhältnis eines Unternehmensleiters zu seinen Angestellten ein Vorteil im Sinne der Ökonomik sein, ganz abgesehen davon, dass ein solches Verhältnis auch zur Vermeidung von Streiks und damit zur Vermeidung von sehr realen materiellen Nachteilen führen kann. Zwar setzt das Modell des homo oeconomicus eine Rationalität der Entscheidungsfindung voraus, die im Einzelfall nicht immer gegeben sein dürfte, als Erklärungsmodell ist es jedoch auch dann nützlich, wenn sich eine Gruppenminderheit aus ökonomischer Sicht irrational und damit nicht modellkonform verhält12. Zu analysieren sind nach der ökonomischen Theorie die Nachteile oder auch Kosten bzw. Vorteile oder auch der Nutzen, die durch die Rechtsangleichung einerseits und durch die gegenseitige Anerkennung nationaler Rechtsnormen andererseits für die Akteure auf dem EU-Binnenmarkt entstehen. Grundproblem eines Marktes mit unterschiedlichen Rechtsordnungen ist, dass grenzüberschreitende Akteure – im Wesentlichen also Unternehmen – sich an jeweils unterschiedliche Rahmenordnungen anpassen müssen. Mag auch jede der verschieden ausgestalteten Rechtsordnungen für sich zu dem gleichen positiven Ergebnis führen, dass auf nationaler Ebene die wirtschaftlichen Akteure innerhalb des durch die nationale Rechtsordnung gesetzten Rahmens minimale Kosten für ihre Interaktionen tragen, so ist eine grenzüberschreitende Transaktion gleichwohl kostenerhöhend, da hier von den Akteuren zwei unterschiedliche Rechtsordnungen zu berücksichtigen sind. Bilden mehrere Staaten wie in der EU einen gemeinsamen Markt, werden diese so genannten Transaktionskosten zu einem zentralen Problem, weil sie die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Voraussetzung für 9 Eine umfassende Bewältigung dieser Fragestellung kann und soll hier freilich nicht geleistet werden. Dennoch scheint es sinnvoll, die Grundargumentationen nachzuzeichnen. 10 Grundlegend Becker, Ökonomik, 7. 11 Vgl. Homann/Suchanek, Ökonomik, Kap. 1.2.1. 12 Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1042; kritisch Schön, ZHR 160 (1996), 221, 238.

I. Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse

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das Funktionieren des Marktes ist, behindern. Die Transaktionskosten verändern das Entscheidungsverhalten der Produzenten, Exporteure, Importeure und Verbraucher und erschweren damit die Zusammenarbeit im Binnenmarkt13. Eine der wichtigsten Komponenten einer am Wettbewerb orientierten Wirtschaftspolitik besteht darin, diese Hemmnisse zu beseitigen. Hierzu zählen neben Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen auch Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen wirken sich diese Transaktionskosten in Bezug auf eine grenzüberschreitende Tätigkeit sehr abschreckend aus, da die Höhe der Kosten im Verhältnis zu den zu erwartenden Umsätzen aus der Transaktion für sie ungleich höher sein wird als bei Großunternehmen14. Bei der Entscheidung, ob die Rechtsangleichung oder die gegenseitige Anerkennung aus ökonomischer Sicht den Vorzug verdient, geht es somit darum, zu bestimmen, welche der beiden Methoden für die Marktteilnehmer weniger Transaktionskosten verursacht. 3. Ökonomische Bewertung der Rechtsangleichung Eine völlige Harmonisierung der in der EU geltenden Rechtsordnungen würde dazu führen, dass keine Transaktionskosten bei grenzüberschreitenden Interaktionen der Binnenmarktakteure mehr anfallen15. Im Ergebnis gäbe es nur noch eine Rechtsordnung. Auf den ersten Blick scheint dies eine optimale Lösung. Allerdings gilt dies nur bei einer statischen Betrachtungsweise. Behält man im Auge, dass die Probleme einer Gesellschaft hauptsächlich Probleme der raschen Anpassung an die Veränderungen von Zeit und Ort sind16, besteht bei einer statischen Lösung der Harmonisierungsaufgabe durch die Rechtsangleichung die Gefahr der Erstarrung. Es fragt sich, ob nicht flexiblere Methoden zur Verfügung stehen, um auf neue Herausforderungen zu reagieren, als der schwerfällige Prozess der Rechtsangleichung. In der Ökonomie ist der Wettbewerb das zentrale Steuerungselement des Marktes. Von ihm wird erwartet, dass er quasi von selbst optimale Ergebnisse erzeugt und dabei auf Veränderungen schnell reagiert. Zwar kann der Markt nicht das gnadenbringende Allheilmittel sein, wie es nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme teilweise beschworen wurde; dieser Zusammenbruch zeigt aber doch deutlich und nunmehr unbestritten die 13 14 15 16

Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 340. Holzgräbe, HFR 1999/6, 6, Fn. 23. Vgl. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 349. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 111.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

Überlegenheit eines mittels Wettbewerb gesteuerten Marktes gegenüber einer Planwirtschaft. Auf die vorliegend relevante Aufgabenstellung übertragen, stellt sich die Frage, ob ein durch Wettbewerb gekennzeichneter Markt der Rechtssysteme (regulatory competition) die gleichen positiven Wirkungen zeitigen kann wie der ökonomische Wettbewerb und ob auch insoweit sich die Überlegenheit eines Marktsystems über ein Plansystem, wie es das System der Rechtsangleichung ist, beweisen kann. a) Begriff und Bedeutung des Wettbewerbs Will man die Bedeutung des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Rechtssystemen vom ökonomischen Ansatzpunkt her darstellen und begreifbar machen, müssen zunächst die Aufgaben des Wettbewerbs in der Ökonomie erläutert werden. Dabei gibt es zwei grundlegende Positionen, den wohlfahrtsökonomischen Ansatz und den systemtheoretischen Ansatz. (1) Wohlfahrtsökonomischer Ansatz Im wohlfahrtsökonomischen Ansatz stellt sich der Wettbewerb lediglich als Mittel dar, um eine Wohlstandssteigerung zu erzielen. Wettbewerb ist somit nur Mittel zum Zweck, nicht Wert an sich. Markttheoretisch gründet sich der wohlfahrtsökonomische Ansatz auf dem Struktur-Verhalten-Ergebnis Schema. Eine bestimmte Struktur führt zu einem bestimmten Verhalten und dieses zum entsprechenden Ergebnis, das wiederum die Struktur verändert. Der wohlfahrtsökonomische Ansatz versucht aus dem Studium des Struktur-Verhalten-Ergebnis-Schemas Rückschlüsse zu ziehen und dadurch bestimmte Ergebnisse planbar zu machen, indem die Struktur verändert wird. Man spricht daher von einem mechanistischen, deterministischen und geschlossenen Ansatz17. Als gewünschte Ergebnisse des Wettbewerbs werden die optimale Verteilung der Produktionsfaktoren (sog. Allokationsfunktion), die Einführung kostengünstigerer Produktionsverfahren, die zur Entwicklung neuer Güter führen (Innovationsfunktion) und die Verhinderung der Entstehung dauerhafter wirtschaftlicher Machtpositionen (Kontrollfunktion) diskutiert18. Idealistische Funktionen, wie die Sicherung von Freiheit durch Wettbewerb, werden in diese rein ökonomische Sichtweise nicht einbezogen. 17 18

Herdzina, Wettbewerbspolitik, 108. Berg, Vahlens Kompendium, 241.

I. Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse

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(2) Systemtheoretischer Ansatz Der systemtheoretische Ansatz stellt die Freiheitsfunktion ins Zentrum der wettbewerbspolitischen Analyse. Dabei soll gelten, dass bei freiem Wettbewerb die ökonomischen Wettbewerbsfunktionen automatisch miterfüllt werden19. Eine harmonische Beziehung zwischen den Freiheitszielen und den ökonomischen Wettbewerbszielen ist damit die Grundthese des systemtheoretischen Ansatzes. Welche ökonomischen Ergebnisse letztlich genau erzielt werden, bleibt ungewiss. Als sicher gilt nur, dass der Wettbewerb, als ein sich selbst steuerndes System die Funktionsfähigkeit von Märkten sicherstellt und somit zwar unbestimmbare, aber jedenfalls positive Ergebnisse liefert. Insoweit spricht man von einem nichtdeterministischen, offenen Ansatz20. Im Sinne des systemtheoretischen Ansatzes sind Wettbewerbsbeschränkungen und Freiheitsbeschränkungen gleichzusetzen, da ja Wettbewerb Handlungsfreiheiten schützen soll. Im Gegensatz zum wohlfahrtsökonomischen Ansatz müssen auch keine optimalen Wettbewerbsbedingungen beschrieben werden, da die einzige Bedingung für gute Marktergebnisse die Freiheit der Marktteilnehmer ist. Eine Überprüfung dieser Ergebnisse oder ihre Bewertung, etwa durch Skalieren unterschiedlicher Wettbewerbsintensitäten, findet ebenfalls nicht statt, da erstens Wettbewerb nicht messbar ist und zweitens die Ergebnisse eines freien Wettbewerbs immer als gut postuliert werden. Der Wettbewerb führt also per se zu einer gerechten und leistungsbezogenen Gewinnverteilung (Verteilungsfunktion). (3) Bewertung und Synthese der wettbewerbstheoretischen Ansätze Der wohlfahrtsökonomische Ansatz steht vor dem Problem, die wechselseitigen Interdependenzen Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis zu definieren und zu bewerten. Es ist nahezu unmöglich, aus der, für sich allein wegen Operationalisierungs- und Ermittlungsproblemen etwa im Hinblick auf eine genaue Abgrenzung des Marktes, schon schwierigen Analyse der Marktstruktur zu gesicherten Aussagen darüber zu gelangen, ob der Wettbewerb auf dem betrachteten Markt wirksam funktioniert. Zum einen sind die Dependenzen zwischen Marktstruktur und wirksamem Wettbewerb nicht so stark, um sichere Schlüsse ziehen zu können, zum anderen ist stets eine Beeinflussung durch verschiedenste Mikro- und Makrodaten (z. B. Rechtsform, gesetzliche Vorschriften zur Mitbestimmung, Organisations19 Damit wird die von Hoppmann als „Dilemma-These“ bezeichnete Möglichkeit negiert, dass zwischen den Zielen „Wettbewerbsfreiheit“ und „gute ökonomische Marktergebnisse“ ein Konflikt bestehen könne, vgl. Berg, Vahlens Kompendium, 257. 20 Herdzina, Wettbewerbspolitik, 111.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

struktur bzw. Konjunkturzyklus, Struktur- und Wachstumspolitik, Gewerkschaftsverhalten) vorhanden21. Ein weiteres Problem dieses Ansatzes ist es, die optimalen Marktergebnisse a priori zu bestimmen. Dies fällt zwar – zumal den politisch Verantwortlichen – leicht, wissenschaftlich betrachtet widerspricht es aber der Marktwirtschaft als einem offenem System, Ergebnisse vorzuformulieren. Folglich kann dadurch die wettbewerbliche Dynamik der Märkte nachhaltig beeinträchtigt werden22. Aber auch beim systemtheoretischen Ansatz, der ja die optimalen Marktergebnisse wie die Strukturen gar nicht ermitteln will, treten Operationalisierungs- und Ermittlungsprobleme auf. Zumindest der Begriff freiheitsbeschränkenden Verhaltens bedarf aber der Konkretisierung durch eine Definition. Außerdem erweist sich die Grundthese dieses Ansatzes, d.h. die wirtschaftliche Freiheit immer als Wettbewerbsfunktion zu verstehen, als widersprüchlich, da wettbewerbliche Marktprozesse nicht in jedem Einzelfall den Handlungsspielraum und die Wahlmöglichkeiten der Beteiligten erweitern: So ist das Kartellverbot für den einzelnen Unternehmer zwar eine Beschneidung seiner Handlungsfähigkeit und damit Freiheit, jedoch dient es gleichzeitig der Sicherung der Handlungsfreiheit der am Kartell Nichtbeteiligten, etwa der Verbraucher. Auch wird die aus bestimmten marktstrukturellen Konstellationen und nicht nur aus Marktverhalten erwachsende Freiheitsgefährdung nicht ernst genug genommen23. Mit Schliesky scheint der Blick in die Wirtschaftswissenschaften daher geradewegs in ein Dilemma zu weisen24. Ein unbestreitbarer Vorteil des systemtheoretische Ansatzes ist aber die Hypothese, dass bei einem Fehlen von Freiheitsbeschränkungen bessere ökonomische Ergebnisse zu erwarten sind, die eine sicherere theoretische Basis bilden als der Struktur-Verhaltens-Ergebnis-Schluss des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes. Um die einseitige Verhaltensorientiertheit des systemtheoretischen Ansatzes zu vermeiden, ist er um eine zentrale Position des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes, nämlich die Möglichkeit der Existenz freiheitsgefährdender Marktstrukturen, zu erweitern25. Fasst man die Aussagen des wohlfahrtsökonomischen und des systemtheoretischen Ansatzes in einer dementsprechenden Synthese zusammen, ist Wettbewerb ein dynamisches Ausleseverfahren, bei dem die Wettbewerber ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und außenstehende 21

Berg, Vahlens Kompendium, 244. Herdzina, Wettbewerbspolitik, 115. 23 Herdzina, Wettbewerbspolitik, 116. 24 Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 142; vgl. auch Berg, Vahlens Kompendium, 261, nach dem es an genügend bewährten Hypothesen mangle, die auch im Detail hinreichend gehaltvoll sind, um für die Rechtsprechung eine wettbewerbstheoretisch fundierte Entscheidungsgrundlage zu gewährleisten. 25 Herdzina, Wettbewerbspolitik, 116 f. m. w. N. 22

I. Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse

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Dritte – die Marktakteure – darüber entscheiden, welcher Wettbewerber das Ziel in welchem Umfang erreicht26. Der Wettbewerb hat die Aufgabe, die knappen Produktionsverfahren der Volkswirtschaft in die von den Nachfragern gewünschte Richtung zu lenken und dafür zu sorgen, dass die Produktionsfaktoren möglichst sparsam verwendet werden (sog. Allokationsfunktion). Ferner soll der Wettbewerb zur Einführung kostengünstigerer Produktionsverfahren und zur Entwicklung neuer Güter führen (Innovationsfunktion). Schließlich verhindert der Wettbewerb die Entstehung dauerhafter wirtschaftlicher Machtpositionen (Kontrollfunktion). Neben diesen Systemeffekten gewährleistet der Wettbewerb auch die ökonomischen Freiheitsrechte der Marktteilnehmer27. Zentrale Bedeutung dafür haben offene Märkte, da wirksamer Wettbewerb nur dann erhalten bleibt, wenn für neue Anbieter die Möglichkeit des Marktzutritts besteht28. Die Offenhaltung dieses Zugangs ist daher Aufgabe jeder rationalen Wettbewerbspolitik. b) Übertragbarkeit der ökonomischen Wettbewerbsfunktionen in einem Markt der Rechtssysteme Die dargestellten positiven Effekte des Wettbewerbs zwischen Unternehmen können entsprechend auch von einem Wettbewerb zwischen Rechtsordnungen erwartet werden. Die Allokationsfunktion bedeutet im Rahmen eines Wettbewerbs der Rechtssysteme, dass die „Produktionsfaktoren“ eines Rechtssystems, Legislative und Exekutive, ihre Personal- und Kompetenzressourcen effektiv und bürgergerecht einsetzen müssen, um im Wettbewerb mit anderen Staaten zu bestehen. Kontrolle durch Bürokratie wird nur dort wettbewerbsgerecht sein, wo sie auch erforderlich ist. So kann der Gesetzgeber etwa eigene Ressourcen schonen, indem er Vorschriften kopiert, die in anderen Rechtsordnungen erfolgreich sind29. Wie bereits jetzt im so genannten „Standortwettbewerb“ zu beobachten ist, bei dem um die Investitionsentscheidungen der Großunternehmen für Produktionsstandorte zwischen Regionen und Staaten gebuhlt wird, führt ein Wettbewerb der Rechtssysteme zu einer Verkürzung von Genehmi26

Baßeler/Heinrich, Grundlagen und Probleme der VWL, 220. Vgl. zum Ganzen Baßeler/Heinrich, Grundlagen und Probleme der VWL, 220 ff.; die Freiheitsfunktion des Wettbewerbs betonen auch Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 142 f. und Isensee, HdStR Band V, § 115 Rdnr. 253. 28 Baßeler/Heinrich, Grundlagen und Probleme der VWL, 224. 29 Vgl. Wymeersch, ZGR 2001, 294, 307, der auf das luxemburgische Gesellschaftsrecht von 1913 verweist, das eine fast wortgleiche Kopie des belgischen darstellt. Gerade für die geplante Erweiterung der Union nach Osteuropa können solche Beispiele aus den Anfängen der Kodifizierung modellhaft sein. 27

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

gungsverfahren und zu einer Absenkung von Kontrollschwellen. Dies ist freilich nur dann zu begrüßen, wenn dabei keine zu hohen Risiken in Kauf genommen und Dritte nicht mit diesen Risiken belastet werden. Gerade der Wettbewerb sorgt aber jedenfalls theoretisch dafür, dass sich hier nahezu automatisch ein optimales Gleichgewicht einstellt. Dementsprechend sind die im Standortwettbewerb gemachten Erfahrungen, etwa mit abgekürzten Genehmigungsverfahren im Baurecht, insgesamt positiv. Die Innovationsfunktion des Wettbewerbs ist das wichtigste Argument für die Bejahung eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen30. Der Akteur erhält durch den Wettbewerb die Möglichkeit zwischen verschiedenen Systemen zu wählen. Dabei wird er sich von seiner persönlichen Kosten-/Nutzenanalyse leiten lassen. Dies zwingt wiederum den Systemverfasser, also die unterschiedlichen nationalen Gesetzgeber dazu, sich an die Wünsche der Marktakteure anzupassen, sobald eine nennenswerte Zahl von ihnen ein anderes System wählt. Die unterschiedlichen Rechtsordnungen stehen damit in ständigem Wettbewerb und werden von den Systemanwendern, den Marktakteuren, auf ihre Effizienz kontrolliert. Damit wird eine relativ rasche und effiziente Anpassung an veränderte Umstände gewährleistet. Welche Richtung der Gesetzgeber einschlägt, wird in erster Linie von den Rechtsanwendern, also den Bürgern, bestimmt. Der Staatsbürger als Souverän erhält damit eine ganz neue und unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die Gesetzgebungsorgane, die nicht an feste Wahltermine gebunden ist, wenn er nicht der Bürokratie wie einem Monopolisten gegenübersteht, sondern ihr ausweichen kann. Durch die Auswahlmöglichkeiten, die durch unterschiedliche Rechtsordnungen geschaffen werden, wird die Macht des Staates relativiert. Lässt der Staat Wettbewerb zwischen Rechtsordnungen zu, so muss er sich mit den Wünschen und Bedürfnissen der Unternehmer, also seinen „Kunden“, stärker auseinandersetzen, als dies der Fall wäre, wenn er nicht um eine Abwanderung der Unternehmen fürchten muss. Dies mag zunächst als erschreckende Ausweitung wirtschaftlicher Macht zu Lasten des Staates erscheinen. Ruft man sich aber ins Gedächtnis, dass der Staat als Gemeinwesen die Aufgabe hat, bestmögliche Lebensbedingungen für seine Bürger zu schaffen, ist jede Freiheitserweiternde Maßnahme positiv zu werten, solange sie nicht anderen schadet. Nur die Verhinderung eines solchen Schadens legitimiert die Macht des Staates. Wo diese Aufgabe bereits durch den Wettbewerb erfüllt wird, besteht kein Bedürfnis mehr für die Staatsmacht. Insoweit hat auch die Freiheitsfunktion und die Kontrollfunktion des ökonomischen Wettbewerbs eine Entsprechung bezüglich des Wettbewerbs der Rechtsordnungen.

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Vgl. auch Grundmann, ZGR 2001, 783, 806.

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c) Zusammenfassende Bewertung Diese nach der ökonomischen Theorie wichtigen Vorteile und Funktionen des Wettbewerbs gehen bei der Rechtsangleichung verloren. Die Kosten der Rechtsangleichung können daher ihren Nutzen übersteigen. Denn nur dort, wo Rechtsvielfalt erlaubt ist, können sich unterschiedliche Lösungen entwickeln, die miteinander in Wettbewerb treten und so eine flexible Anpassung der Rechtsrahmen ermöglichen. 4. Ökonomische Analyse der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen Dagegen kämen die soeben gezeigten Vorteile des Wettbewerbs zwischen Rechtssystemen bei einer gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen durch die Mitgliedstaaten der EU voll zum Tragen: Die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen würde für den grenzüberschreitend tätigen Akteur dazu führen, dass er sich nicht an eine neue Rechtsordnung anpassen muss, vielmehr die einmal auf nationaler Ebene erlangte Rechtsstellung auch in einer fremden Rechtsordnung erhalten bleibt. Da er sich nicht umstellen muss, sind seine Kosten insoweit minimiert. a) Notwendigkeit der Einbeziehung von Drittinteressen Allerdings würde dies dazu führen, dass sich die Vertragspartner der grenzüberschreitend tätigen Akteure mit einem für sie ungewohnten anderen Recht auseinandersetzen müssen. Diese Personengruppen dürfen bei einer ökonomischen Analyse nicht außer Betracht bleiben. Wirtschaftliche Prozesse beruhen auf Interaktionen zwischen Gruppen. D.h. beispielsweise, dass neben den Kosten von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen auch die Kostenauswirkungen auf mit diesen Unternehmen verbundenen Personen – im wesentlichen Aktionäre, Arbeitnehmer und Gläubiger – zu berücksichtigen sind31. Nur wenn deren zusätzliche Kosten aufgrund der Konfrontation mit einer fremden Rechtsordnung berücksichtigt werden, ist die ökonomische Analyse der Auswirkungen einer gegenseitigen Anerkennung von nationalen Rechtsnormen vollständig. Geht man von derzeit 15 Mitgliedsstaaten der EU aus, so müssen sich die Geschäftspartner von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen mit bis zu 15 unterschiedlichen Rechtsordnungen ausei31

Holzgräbe, HFR 1999/6, 7.

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nandersetzen. Ein Unternehmensgläubiger müsste daher zur Sicherung seines Zahlungsanspruches gegen ein ausländisches Unternehmen Rechtsberatung in diesem fremden Recht in Anspruch nehmen oder zumindest dessen Anwendbarkeit prüfen lassen. Selbiges gilt für Marktteilnehmer, die sich an einem ausländischen Unternehmen beteiligen wollen. Auch sie werden sich zunächst über die entsprechenden rechtlichen Maßgaben informieren müssen. Denkbar sind auch Ausgestaltungen, bei denen Arbeitnehmer Rechtsberatung hinsichtlich eines für sie fremden Arbeitsrechtssystems benötigen. Dies erhöht die Kosten dieser Personengruppen, so dass sie, falls diese Kosten den zu erwartenden Gewinn aus der Beziehung zu dem ausländischen Unternehmen übersteigen, von einer Interaktion mit diesem absehen werden. Damit nimmt aber auch die Gewinnmöglichkeit für grenzüberschreitend tätige Marktakteure ab. Dies gilt allerdings nur dann, wenn, um beim Beispiel des grenzüberschreitend tätigen Unternehmens zu bleiben, der Zahlungsanspruch des Unternehmensgläubigers durch die für das Unternehmen gültige Rechtsordnung nicht gleich gut geschützt wird wie durch die Rechtsordnung des Gläubigers. Nur in diesem Fall wird der Gläubiger sich über Sicherungsmöglichkeiten rechtlich beraten oder das höhere Risiko in seine Kalkulation einfließen lassen. Das Ausmaß der Kosten für die Interakteure des grenzüberschreitend tätigen Marktteilnehmers hängt damit wesentlich vom Schutzniveau von dessen Rechtsordnung ab. b) Kritik am Wettbewerb der Rechtsordnungen Hier nun setzt die Kritik am Wettbewerb der Rechtsordnungen ein. Es wird eingewandt, dass der bei der gegenseitigen Anerkennung nationaler Rechtsnormen verschärfte Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen zu einem Wettlauf um das niedrigste Schutzniveau führen werde, damit der eigene Staat möglichst attraktiv für die Unternehmensleiter bleibt. Dies zwänge die anderen Rechtsordnungen wiederum zu einer Anpassung auf diesem niedrigstem Niveau und so würde sich eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die nicht zu stoppen sei. Das Wettbewerbsprinzip könne kein sachgerechter Maßstab für den Gesetzgeber sein32. Deshalb wurde es etwa geradezu als Ziel der Europäischen Gesetzgebung gesehen, den Wettbewerb zwischen den mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechtsordnungen zu verhindern33. Diese Argumentation stützt sich auf das 32 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 783; aus der Rechtsprechung z. B. OLG Düsseldorf, JuS 1995, 1037; zu dem im Bereich des Gesellschaftsrechts immer wieder beschworenen „Delaware Effekt“, der diese Argumentation aus einem Vergleich mit den USA herleitet, siehe sogleich.

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Beispiel der USA, wo das Gesellschaftsrecht Sache der Einzelstaaten ist und wo der dadurch verursachte Wettbewerb zu einer Konzentration der Gesellschaften im Kleinstaat Delaware geführt hat34. Es soll deshalb an dieser Stelle die für die gesellschaftsrechtliche Argumentation von beiden Seiten herangezogene Entwicklung in den USA kurz nachgezeichnet werden. c) Der „Delaware-Effekt“ Der kleine US-Bundesstaat Delaware an der Ostküste der Vereinigten Staaten hat als Sitzstandort für Gesellschaften eine beispiellose Karriere gemacht, die in keinem Verhältnis zur Bevölkerungszahl und industriellen Produktion steht. Mehr als 40 % der größten 500 Kapitalgesellschaften und aller an der New York Stock Exchange notierten Gesellschaften sind Corporations nach dem Recht des Staates Delaware. Von den Gesellschaften, die in den vergangenen Jahrzehnten ihren Sitz verlegt haben, emigrierten über 80 % nach Delaware35. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Delaware das aus Unternehmersicht liberalste Gesellschaftsrecht der Vereinigten Staaten hat. Seit der Entscheidung des Supreme Court Paul v. Virginia36 von 1868, nach der ein Einzelstaat eine zwischenstaatliche Geschäftstätigkeit nicht behindern dürfe, war es möglich, eine Gesellschaft ungeachtet ihres tatsächlichen Geschäftsschwerpunktes zu gründen. Dies nutzten die an der Ostküste nahe dem damaligen Wirtschaftszentrum der Vereinigten Staaten gelegenen Kleinstaaten, um durch eine Deregulierung ihres Gesellschaftsrechts die Konzerne dazu zu bewegen, sich in ihrem Staat niederzulassen. Neben Delaware traten insbesondere die Staaten Maine und New Jersey in dieses „race for laxity“37 oder bildlich „race to the bottom“38 ein. Sie erhofften sich hieraus vor allem finanzielle Vorteile, da in den USA für jede Anmeldung eine so genannte Inkorporationsgebühr (Incorporation fee) entrichtet werden muss und für jede Gesellschaft mit Sitz in einem 33

Lutter, Europ. Unternehmensrecht, 4 ff.; Charney, Harvard Int. L.J. 32 (1991), 423 ff. m. w. N. 34 Allenfalls das föderale Rechtssystem der USA weist eine gewisse Parallele zu dem in Europa entstehenden Rechtssystem auf, vgl. Jakobs/Karst in: Cappelletti/ Seccombe/Weiler, Integration through Law, Vol. 1, 169 ff.; zu den Unterschieden sogleich unter I.3.b), Seite 41 ff. 35 Hierzu und zum weiteren Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 549. 36 75 U.S. 168 (1868). 37 Die Bezeichnung stammt aus einem Minderheitsvotum des Richters Brandeis in dem Verfahren Louis K. Liggett Co. V. Lee, 288 U.S. 517, 559 (1933). 38 So etwa Cary, 83 Yale L.J. (1974) 663, 666; vgl. auch Charney, Harvard Int. L.J. 32 (1991), 423 ff.

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Staat diesem eine periodische Konzessionssteuer (franchise tax) zusteht. In Delaware machen diese Einnahmen im langjährigen Mittel mehr als 15 % des Staatshaushalts aus39. Die Deregulierung des Gesellschaftsrechts konzentrierte sich, eingedenk der Tatsache, dass das Management über die Gründung oder die Verlegung einer Gesellschaft entscheidet, auf die Beseitigung aller dem Management lästigen und beschwerlichen Vorschriften. Jedenfalls in Einzelfällen hat dies zu Benachteiligungen der Gläubiger und Minderheitsaktionäre der Gesellschaften geführt40. Schon bald wurde von Seiten des Bundesstaates versucht, dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Insbesondere mit Hilfe des Kapitalmarktrechts wurde versucht, die Interessen der Aktionäre und Anleger besser zu schützen. In der Rechtsprechung wurden zudem richterrechtlich die Treuepflichten (fiduciary duties) des Managements und der Mehrheitsgesellschafter weiterentwickelt41. Daneben wurden für die Gläubiger neue vertragliche Instrumente zur Kreditsicherung, eine zwangsweise Haftpflichtversicherung und das in Einzelfällen anwendbare Institut der Durchgriffshaftung geschaffen42. Heute versucht deshalb niemand mehr, das Rad zurück zu drehen und das Gesellschaftsrecht zu verschärfen. Man ist sich darüber einig mit dem bestehenden Schutzniveau leben zu können, zumal dies durch wesentlich flexiblere Instrumente gewährleistet wird als etwa durch die Festlegung eines bestimmten Stammkapitals. Der Vorzug von Delaware liegt deshalb heute nicht mehr so sehr in dem Vorhandensein eines weitgehend deregulierten Gesellschaftsrechts, sondern vielmehr in der Tatsache, dass sich in dem Staat im Laufe der Zeit die Anwaltschaft wie die Justiz häufig und intensiv mit Gesellschaftsrecht befasst hat und über ein dementsprechendes Expertenwissen verfügt, das wiederum der Rechtssicherheit zuträglich ist43. Die amerikanische Einschätzung hat sich maßgeblich verändert: Es überwiegt die Auffassung, dass der Gesetzgebungswettbewerb, zumindest in vielen Bereichen, einem „race to the top“ entspricht44.

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Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 551. Vgl. Cary, 83 Yale L.J. (1974) 663 ff. 41 Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 553. 42 Kübler, KritVJ 1994, 79, 86. 43 So Kübler, KritVJ 1994, 79, 87; auf die durch das gesteigerte Verständnis der Juristenschaft für Unternehmensbelange ausgelöste Eigendynamik der Gesellschaftsrechtsentwicklung in Delaware verweist auch Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 566 f. 44 Romano, Cardozo L.Rev. 8 (1987), 709 ff.; dies., The Genius of American Corporate Law, 148 ff.; zur Entwicklung der Auffassung in den USA, vgl. auch Grundmann, ZGR 2001, 783, 786 ff. m. w. N. 40

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d) Übertragbarkeit des „Delaware-Effektes“ auf den Europäischen Bereich Egal, ob man diese US-amerikanische Entwicklung nun mit Sorge oder mit Hoffnung im Hinblick auf Europa betrachtet, muss man sich zunächst fragen, ob der geschilderte „Delaware-Effekt“ sich so überhaupt innerhalb der Staaten der Europäischen Union abspielen kann. Hiergegen sind Bedenken geäußert worden45: Grundsätzlich unterscheide sich die amerikanische Unternehmensphilosophie von der europäischen durch ihren eindimensionalen Ansatz. Während in den USA allein die Interessen der Anleger und Gesellschafter das Unternehmensmanagement leiten soll und darf46, verfolgen in Europa die Gesellschaftsrechte der einzelnen Mitgliedstaaten und auch die Rechtssetzungsakte der Kommission durchaus auch die Ziele und Interessen anderer Gruppen, wie etwa der Arbeitnehmer und Gläubiger47. Einer reinen Konzentration auf die Anlegerinteressen stehe auch entgegen, dass in Europa der Fremdkapitalanteil bei der Unternehmensfinanzierung deutlich höher sei als der Eigenkapitalanteil, mit anderen Worten die Banken in der Regel weit größeren Einfluss auf die Unternehmensleitung hätten als die Anteilseigner. Auch gebe es keine mit der amerikanischen Konzessionssteuer vergleichbaren finanziellen Anreize für die Staaten, die durch die Ansiedlung von Gesellschaften ausgelöst würden. Schließlich stehe einem Wettbewerb der Rechtsordnungen in Europa die politische, kulturelle und wirtschaftliche Zersplitterung des Kontinents entgegen, während in den USA die diesbezügliche Homogenität den Umzug von Gesellschaften erheblich erleichtere48. Allein aus diesen zu Recht aufgezeigten Unterschieden zu den USA kann nun aber nicht der Schluss gezogen werden, dass ein innereuropäischer Gesetzgebungswettbewerb in absehbarer Zeit nicht stattfinden kann und wird49. 45 Vgl. hierzu und im Folgenden insb. Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 554 ff.; auch Dreher, JZ 1999, 105, 109, hält ein Funktionieren des Systemwettbewerbs für fraglich, da eine Mobilität durch zahlreiche Umstände behindert werde und es keine Bewertungsmaßstäbe für Rechtsordnungen gäbe. Dem ist entgegenzuhalten, dass es im Systemwettbewerb gerade keiner abstrakten Bewertungen bedarf, sondern der Wettbewerb selbst eine solche Bewertung vornimmt. 46 Insoweit beispielhaft sei die Entscheidung Dodge v. Ford Motor Co., 170 N.W. 668 (Mich. 1919) angeführt, in der der Supreme Court of Michigan befunden hat, dass es dem Management grundsätzlich verwehrt sei, andere Interessen als die der Anteilseigner zu vertreten. Altruistische Motive seien ohne Belang, vgl. a. a. O., 684. 47 Der Gegensatz wird häufig mit der Gegenüberstellung von shareholder value und stakeholder value umschrieben. 48 Vgl. Hopt, Company Law in the European Union, 8.

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Zum einen ist festzustellen, dass auch in Europa bereits Rechtsordnungen, die eine hohe Flexibilität aufweisen, einen deutlichen Zulauf vorweisen können. Gerade der Erfolg des niederländischen Gesellschaftsrechts zeigt, dass die Marktteilnehmer ganz einfach aus einem Rechtssystem fliehen, wenn dieses nicht über die geeigneten Instrumente verfügt50. Zum anderen führt die Tatsache, dass neben den Interessen des Managements und der Anteilseigner in Europa auch andere Interessengruppen, wie namentlich Arbeitnehmer und Gläubiger, von den Unternehmensleitern bei der Wahl des passenden Gesellschaftsrechts in ihre Überlegungen eingestellt werden, nicht zu einer Verhinderung von Wettbewerb um das „beste“ Gesellschaftsrecht, sondern nur zur Vermeidung der Qualifizierung des liberalsten als des „besten“ Gesellschaftsrechts. Der mehrdimensionale Ansatz, der Interessen Dritter am Unternehmen berücksichtigt und der sich in Europa nach den Erfahrungen des „Manchester-Kapitalismus“ herausgebildet hat51, wird vielmehr dazu führen, dass ein Wettbewerb darüber entsteht, welches Gesellschaftsrecht den Zielkonflikt zwischen den Interessen der Kapitalgeber und Arbeitnehmer bzw. der Investoren und Gläubiger im Interesse des Unternehmens am optimalsten gestaltet. Im Übrigen scheint es naiv, wenn behauptet wird, amerikanische Unternehmen, die sich nur an den Investoreninteressen orientieren, würden die Interessen Dritter ausblenden. Wer gegenüber Gläubigern, d.h. Geschäftspartnern und Arbeitnehmern, d.h. einem wichtigen Produktionsfaktor, völlig rücksichtslos agiert, wird den Lohn in Form von Umsatzrückgängen und Streiks ernten. Dies verursacht Kosten, die wiederum auf die Investoren und Gesellschafter durchschlagen. Ein gewisses Maß an Schutz der Interessen Dritter liegt daher auch im Interesse der Anleger und des Managements. Insoweit gibt es keinen „eindimensionalen Ansatz“. Entscheidend ist, wie hoch das Schutzniveau gesetzt werden muss. Hier ein optimales Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu finden, ist ein hehres Ziel. Es lohnt sich, die Zielfindung nicht nur in die Hand eines nationalen Gesetzgebers zu legen, sondern dem Wettbewerb der verschiedenen Rechtsordnungen auszusetzen. Dass die Marktwirtschaft die Interessen aller eher in eine praktische Konkordanz zu versetzen mag als die Planwirt49 So auch Eidenmüller, ZIP 2003, 2233, 2237; a.A. wohl Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 568. 50 Vgl. hierzu Wymeersch, ZGR 2001, 294, 306; damit ist auch der Behauptung von Dreher, JZ 1999, 105, 109, es fehle schon an einem Wettbewerb der Regulierer, der Boden entzogen. 51 Inwieweit diese Entwicklung durch die so genannte Globalisierung und die zunehmende Fixierung auch der europäischen Unternehmen auf den shareholder value wieder revidiert werden wird, bleibt abzuwarten.

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schaft, dürfte sich aus der politischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts bewiesen haben. Es wird in Europa deshalb zwar einen an anderen Werten als in den USA orientierten Wettbewerb geben; an den positiven Effekten des Wettbewerbs der Rechtsordnungen als dynamischstes Mittel zur Anpassung und Erneuerung des rechtlichen Rahmens ändert sich dadurch nichts. Vielmehr ist die europäische Herangehensweise an die Frage, welche Interessen und Ziele ein Unternehmen leiten sollten, weniger anfällig für extreme Auswüchse des Wettbewerbs und wird daher zu akzeptablen Ergebnissen für alle führen. Zu Recht weist Grundmann darauf hin, dass in Europa im Gegensatz zu den USA die Möglichkeit besteht, in Fällen von Marktversagen den Wettbewerb der Rechtsordnungen zielgerichtet zu beschränken52. Das von den Gegnern des Wettbewerbsgedankens ins Feld geführte „race to the bottom“ nach amerikanischem Vorbild wird aber unter dem Blickwinkel der spezifisch europäischen Verhältnisse zur bloßen Chimäre. Die Verfechter der Harmonisierung und Rechtsvereinheitlichung können sich nicht mehr damit rechtfertigen, es gelte in Europa einen „Delaware-Effekt“ zu verhindern53. Was schließlich die Tatsache der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Unterschiede Europas im Vergleich zu den USA anbelangt, so ist nicht zu leugnen, dass diese Unterschiede die Bereitschaft eines Unternehmens, seinen Sitz in ein anderes Land zu verlagern, hemmen können. Dass durch diese wohl eher psychologisch motivierte Hemmung die Effektivität des Wettbewerbs erheblich beeinträchtigt werden wird, scheint aber unwahrscheinlich. Schon heute lassen sich Unternehmen – zu Recht – nicht von nationalen Affinitäten bei der Neuansiedlung eines Betriebs leiten, sondern nur von wirtschaftlichen Interessen54. Jedenfalls aber werden durch die Tatsache des Wettbewerbs der Rechtssysteme längerfristig die nationalen Unterschiede, wenn schon nicht beseitigt, so doch nicht mehr als unüberwindbare Hindernisse betrachtet werden. Auch birgt die Vielfalt Europas eine weitaus höher als dieses Risiko zu veranschlagende Chance für den Wettbewerb der Rechtsordnungen. Je unterschiedlicher die konkurrierenden Rechtsordnungen nämlich von Haus aus sind, desto eher wird der Wettbe52 Grundmann, ZGR 2001, 783, 804; die Aufgabe einer neutralen und unabhängigen Prüfung eines „Staatsversagens“ durch Überregulierung fällt dem EuGH zu. 53 Insoweit zutreffend Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 568; plakativ Sandrock, BB 2002, 1601: „Wenn jemand dies nicht sehen will, so ist ihm nicht mehr zu helfen“. 54 Insoweit weisen Siebert/Koop, WiSt 1994, 611, 613 zu Recht darauf hin, dass Europa sich selbst in einem globalen Standortwettbewerb befindet und eine Harmonisierung in Europa auf hohem (Schutz-)Niveau lediglich zu einer Benachteiligung des Standorts Europa im Ganzen führen würde.

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werb zu neuen Kreationen fähig sein und umso mehr verschiedene Modelle stehen den Rechtsanwendern zur Wahl. Noch mehr als in den USA, wo die Rechtsordnungen der Einzelstaaten zumindest auf derselben Dogmatik beruhen, stellt die völlige Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme in Europa ein schier unerschöpfliches Reservoir an rechtlichen Ideen zur Verfügung. Damit wird die Wahrscheinlichkeit noch größer, durch einen Wettbewerb der Rechtssysteme immer rasch genug auf Veränderungen des Umfelds reagieren zu können bzw. ein optimales System zu finden, das in einer – möglicherweise noch weit entfernt liegenden – Zukunft als einheitliche Ordnung akzeptiert werden wird. e) Eigene Stellungnahme Geht man von einer grundsätzlichen Übertragbarkeit des „Delaware-Effektes“ auf Europa aus und berücksichtigt die dargestellten Besonderheiten, so erscheinen die Gefahren eines Wettbewerbs der Rechtssysteme gering. Aus ökonomischer Sicht ist die Rechtsordnung mit dem niedrigsten Schutzniveau nicht automatisch die für die Marktakteure wirtschaftlich sinnvollste. Gläubiger, Aktionäre und Arbeitnehmer werden nur dann dauerhaft mit einem Unternehmen kooperieren, wenn die für sie entstehenden Vorteile die Nachteile überwiegen. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Gewinnchancen der am Markt auftretenden Unternehmen. Ein Unternehmen wird daher langfristig nicht eine Rechtsordnung wählen, die ihm scheinbar enorme Vorteile und Freiheiten bietet, seinen Partnern jedoch keinen Schutz gewährt. Man muss insoweit den Marktakteuren auch kein besonders hohes Maß an Rationalität und Flexibilität unterstellen55, sondern nur Eigeninteresse und Egoismus, mithin Eigenschaften, die schon Adam Smith als einzige Triebkraft für das Funktionieren des Marktmechanismus gesehen hat56. 55 So aber Schön, ZHR 160 (1996), 221, 238, der solche Anforderungen für praxisfern hält; insoweit ist zu fragen, was außer Rationalität denn sonst einer wissenschaftliche Analyse des zu erwartenden Marktverhaltens zugrunde gelegt werden soll. Auch der Gesetzgeber stellt bei der Formulierung dispositiver Gesetzesregeln auf die Typisierung des mutmaßlichen Willens redlicher und vernünftiger Parteien ab, vgl. Canaris, AcP 2000, 276, 285. 56 So Adam Smith in seinem Standardwerk „The Wealth of nations“ von 1789, (deutscher Nachdruck: Smith, Wohlstand der Nationen); Im Übrigen ist das Verhaltensmodell des homo oeconomicus als Modell für das Verhalten einer Gruppe auch dann nützlich, wenn sich eine Minderheit dieser Gruppe aus ökonomischer Sicht irrational und damit nicht modellkonform verhält, vgl. Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1042.

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Für diese These gibt es auch Beispiele aus der Praxis: So war beim Zusammenschluss der Daimler Benz AG mit der Chrysler Corp. ein wichtiger Grund für die Beibehaltung des deutschen Aktienrechts die Tatsache, dass durch das dort verankerte Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer Arbeitsniederlegungen weitgehend verhindert wurden und innerbetriebliche Entscheidungen in Kooperation statt in Konfrontation mit den Arbeitnehmern verabschiedet wurden57. Dagegen hat die DaimlerChrysler AG darauf verzichtet, ihre Jahresabschlüsse nach deutschem Recht zu fertigen, sondern wählte insoweit die strengeren amerikanischen Anlegerschutz- und Rechnungslegungsvorschriften58. Diese strengen Vorschriften werden gerade wegen ihrer hohen Qualität immer stärker auch von nicht-amerikanischen Unternehmen angewandt, weil dies die Unternehmen für internationale Anleger attraktiver macht, so dass sie über einen Wettbewerbsvorteil bei der Finanzierung verfügen59. Soweit Unternehmen daher ausländische Kapitalmärkte zu ihrer Finanzierung in Anspruch nehmen wollen, werden die maßgeblichen Rechnungslegungsgrundsätze ersichtlich nicht mehr vom Kollisionsrecht bestimmt, sondern vom Kapitalmarkt selbst vorgegeben60. Auch der deutsche Gesetzgeber hat dies erkannt und lässt seit dem Inkrafttreten des KonTraG Abschlüsse nach den US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principles) oder den IAS (International Accounting Standards)61 als gleichwertig 57

Bruns, WPK-Mitt., Sonderheft Juni 1997, 31. Die US-GAAP (Generally Accepted Accounting Principels) sind die am meisten verbreitete Rechnungslegungsmethode in den USA und gilt als strenger als die deutschen HGB Vorschriften. An diesem Befund für die amerikanischen Kapitalmarktregeln ändern auch die jüngsten Bilanzfälschungs-Skandale etwa bei dem amerikanischen Energieversorgungsunternehmen Enron (vgl. hierzu etwa den Leitartikel in der NZZ vom 09. Februar 2002) nichts. Gegen kriminelle Energie hilft kein noch so strenges Gesetz, sondern nur dessen konsequente Durchsetzung. 59 Die US-amerikanische Securities and Exchange Commission akzeptiert die deutschen und europäischen Unternehmensabschlüsse nicht als ausreichende Grundlage für eine Börseneinführung an der Wall Street. Schön, ZHR 160 (1996), 221, 237 sieht darin einen Beleg für einen Wettbewerbsnachteil, der durch die Uneinigkeit der europäischen Gesetzgeber bedingt sei und warnt deshalb vor einem Wettbewerb der Gesetzgeber. Dabei verkennt er, dass durch die Bilanzrichtlinie (Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315) bereits eine europäische Standardisierung der Jahresabschlüsse stattgefunden hat. Die unnachgiebige Haltung der US-Börsen hängt also nicht mit einer unzureichenden „Marktstellung“ zusammen, sondern mit der geringeren Qualität der europäischen Abschlüsse, die den strengen Schutzvorstellungen in den USA nicht genügen; a. A. offenbar Dreher, JZ 1999, 105, 110, der nicht Qualitätsunterschiede, sondern bloße Größenvorteile als insoweit ausschlaggebend erachtet. 60 Ebke, Festschrift für Großfeld, 189, 201 Fn. 65. 61 Die IAS sind die unter den großen europäischen Firmen inzwischen meist verbreitete Rechnungslegungsmethode, um die Bilanz zu erstellen. 58

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zu62. Dies ist ein eindrucksvoller Beleg für das Funktionieren des Marktmechanismus. Langfristig gesehen wird sich das Niveau der verschiedenen Rechtsordnungen daher nicht auf dem niedrigsten Niveau, sondern auf dem marktgerechtesten Niveau angleichen, wobei dieser Prozess – abhängig von Veränderungen – dynamisch erfolgt und nicht stringent auf eine bestimmte Form von Rechtsordnung zusteuert63. Eine Rechtsordnung, die Unternehmen bessere Standortbedingungen bietet, liegt daneben im Interesse der Kunden, da im Wettbewerb stehende Unternehmen Vorteile von besseren Standortbedingungen an ihre Kunden weitergeben werden64. Steht dagegen nur eine Rechtsordnung als System zur Verfügung, ist es für die Anwender dieser Rechtsordnung in der Regel sehr viel schwerer, den nötigen Veränderungsdruck aufzubauen, da der Gesetzgeber – wie aus den nationalen Rechtsordnungen, insbesondere der deutschen Steuerrechtsdiskussion, leidvoll bekannt ist – meist nur sehr zögerlich agiert, wenn der einzelne Rechtsanwender sich nicht einfach durch Abwanderung der Rechtsordnung entziehen kann. Im Gegensatz zum traditionell schwerfälligen und immobilen politischen Prozess kann der Wettbewerb der Rechtsordnungen notwendige Erneuerungsbewegungen im Recht daher eher anstoßen oder zumindest akzelerieren65. So verzichten die Gesetzgeber der Bundesstaaten der USA gerade im Bereich des Gesellschaftsrechtes auf eine Vereinheitlichung. Damit verzichten sie auf die Realisierung von Synergieeffekten durch eine Abstimmung und Harmonisierung der verschiedenen Gesellschaftsrechte, weil sie offenbar der Meinung sind, dass eine dezentrale Regelbildung auf konkrete lo62 Vgl. § 292 a HGB. Inzwischen hat auch der Europäische Gesetzgeber eine Verordnung verabschiedet, nach der kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen ab 2005 verpflichtet werden, ihre Konzernabschlüsse nach den IAS aufzustellen. Darüber hinaus stellt die Verordnung den Mitgliedstaaten frei, vorzuschreiben oder zu gestatten, dass diese Gesellschaften ihre Jahresabschlüsse sowie andere Gesellschaften ihre Konzern- und Einzelabschlüsse nach den IAS aufstellen, vgl. Verordnung (EG) des Europ. Parlaments und des Rates betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, PE-CONS 3626/02 vom 27.05.2002. Damit wird das Ziel der Harmonisierung der Rechnungslegung der Kapitalgesellschaft aufgegeben. 63 Vorsichtiger Everling, Festschrift für Steindorff, 1155, 1172, der es für fraglich hält, ob sich im Wettbewerb der Systeme stets das „bessere“ durchsetze, da die im Wettbewerb stehenden Unternehmen und die hinter ihnen stehenden Politiker nicht immer leicht zu überzeugen sein dürften, dass der kurzfristige Nachteil oft hinzunehmen sei, weil er langfristig ein Vorteil sein kann. Die Kurzfristigkeit politischer Planung ist allerdings ein generelles Problem. 64 Vgl. auch Holzgräbe, HFR 1999/6, 8, Fn. 32. 65 Kübler, KritVJ 1994, 79, 87; vgl. auch Dreher, JZ 1999, 105, 110.

I. Rechtsangleichung und die Ökonomische Analyse

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kale und regionale Probleme besser reagieren kann und dezentrale Regeln flexibler an sich wandelnde Verhältnisse anzupassen sind66. Die Rechtsangleichung ist demgegenüber in Bezug auf Veränderungen schwerfällig und kann in einer sich verändernden Umwelt als statisches Problemlösungsinstrument nicht so wirksam sein wie die gegenseitige Anerkennung. Eine zentralisierte Rechtsangleichung in der Europäischen Gemeinschaft macht die Anpassung an veränderte wirtschaftliche Bedürfnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten nahezu unmöglich. Hat sich die Gemeinschaft endlich zu einer Richtlinie durchgerungen, fällt es dem einzelnen Mitgliedstaat sehr schwer, nachträglich Änderungen von unpraktikablem Richtlinienrecht durchzusetzen. Als Beispiel hierfür genügt es, auf die vergeblichen Versuche Deutschlands zu verweisen, die Pflicht auch kleiner GmbHs zur Offenlegung ihrer Abschlüsse im Handelsregister nach der Bilanzrichtlinie67 zu revidieren68. Zwar ist es zutreffend, dass dem nationalen Gesetzgeber eine nicht minder resistente Haltung in Bezug auf Veränderungen angelastet werden muss und insoweit kein Unterschied zur Europäischen Gemeinschaft besteht69, jedoch zwingt der durch die gegenseitige Anerkennung von nationalen Normen ausgelöste Wettbewerbsdruck den Gesetzgeber zu mehr Flexibilität und Rationalität, als er sonst, im nationalen Elfenbeinturm sitzend, entfalten würde. Neben der systembedingten Schwerfälligkeit in Bezug auf Veränderungen ist eine einheitliche Rechtsordnung auch nur dann die beste Lösung, wenn diese Rechtsordnung bereits eine optimale Rahmenbedingung darstellt. In der Praxis erweisen sich Konstruktionen auf dem Reißbrett oftmals als untauglich. Auch für Rechtsordnungen gilt, dass ein in der Theorie perfektes System immer Lücken aufweisen wird, die erst die tägliche Erprobung durch die Rechtsanwender aufdeckt70. Selbst das BGB von 1900, das mit seinem hohen Abstraktionsgrad gerade die Vermeidung von Gesetzeslücken beabsichtigt und in seiner Systematik bis heute beispielhaft ist, weist zahlreiche Unstimmigkeiten und Lücken auf, die durch so unverzichtbare und nicht mehr wegdenkbare Institute wie die positive Forderungsverletzung 66

Ebke, Festschrift für Großfeld, 189, 198. Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315. 68 Vgl. Schön, ZHR 160 (1996), 221, 236. 69 Hierauf sowie auf den (fraglichen) Umstand, dass die Mitgliedstaaten nicht selten über den Europäischen Gesetzgeber versuchen würden, eine an unüberbrückbaren nationalen Interessen gescheiterte Veränderung doch noch zu verwirklichen, weist Schön, ZHR 160 (1996), 221, 237, hin. 70 Vgl. Wymeersch, ZGR 2001, 294, 307, der zutreffend auf den Vertrauensvorschuss verweist, den eine Rechtsvorschrift bei den Rechtsunterworfenen hat, wenn diese von anderen, insbesondere erfahreneren Gesetzgebern anderer Länder verabschiedet wurde und in diesen konkurrierenden Rechtsordnungen erfolgreich ist. 67

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

oder die culpa in contrahendo geschlossen werden mussten. Die Erkenntnis notwendiger Veränderungen und die Fähigkeit zu ihrer Umsetzungen in das Recht wird aber durch einmal fest gefügte Grundsätze und Einrichtungen erschwert. Bestehen diese eine längere Zeit, erscheint das Gewohnte als das allein Richtige und störende Faktoren werden verdrängt71. Diese Realitätsverdrängung hat ihren Preis, der ökonomisch zu berücksichtigen ist. Durch den Wettbewerb der Rechtsordnungen werden wertvolle Informationen darüber gewonnen, welche Rechtsordnung in der Praxis am leistungsfähigsten ist. Ohne den Wettbewerb würden diese Erkenntnisse ungenutzt bleiben. Zudem bildet das nationale Recht eine wichtige Informationsquelle und Experimentiermöglichkeit für das europäische Recht. Rechtsvielfalt heißt Lösungsvielfalt. Derer bedarf aber gerade der Einheitsgesetzgeber, wenn eines Tages wirklich ein Bedürfnis nach einem einheitlichen Recht bestehen sollte72. Ein Wettbewerb der Normen und Regelungen, der Standorte und der Wirtschaftsrechtssysteme stellt letztendlich das Harmonisierungsziel des Binnenmarktes über den Markt her und zwar als „race to the top“73, das zu einer optimalen Faktorallokation bei einem gleichzeitig effizienten, flexiblen und sachgerechten Recht führt74. Langfristig ist also die Harmonisierung die Folge des Wettbewerbs75. Die potentiellen Nachteile der gegenseitigen Anerkennung, wie die kostenträchtige Auseinandersetzung mit verschiedenen Rechtsordnungen, werden daher durch die dem Wettbewerb der Systeme immanente ex-post-Harmonisierung langfristig beseitigt werden76. Die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen ist damit der Rechtsangleichung bezüglich des Ziels der Verwirklichung des Binnenmarktes aus ökonomischer Sicht überlegen. Die gegenseitige Anerkennung führt zu Wettbewerb zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen und ermöglicht das Experimentieren mit und das Entdecken von verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten. Dies erlaubt die schnelle Anpassung an sich verändernde Variablen des Binnenmarktes und führt langfristig zu optimalen Lösungen. Soweit hiergegen eingewandt wird, es sei nicht bewiesen, dass der System71

So zutreffend Kübler, KritVJ 1994, 79. Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1, 12. 73 Vgl. für Amerika Romano, Cardozo L.Rev. 8 (1987), 709 ff.; dies., The Genius of American Corporate Law, 148 ff. 74 Zweifelnd Schön ZHR 160 (1996), 221, 235: „theoretisch keineswegs geklärt“. 75 Dreher, JZ 1999, 105, 110, spricht insoweit von einer Rechtsvereinheitlichung von unten. 76 Vgl. Wymeersch, ZGR 2001, 294, 311, nach dem ein Wettbewerb der Rechtsordnungen die Transaktionskosten reduziert, weil sich die Systeme immer mehr einander angleichen und lokale Besonderheiten entfallen, während die Rechtsanwender die aus ihrer Sicht effizientesten Rechtsformen wählen. 72

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip

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wettbewerb diese Erfolge in der Praxis tatsächlich verzeichnen könne77, ist dem zuzugeben, dass es bislang tatsächlich an einer eingehenden Untersuchung zumindest für Europa fehlt. Die Entwicklung in den USA kann aber mutatis mutandis beispielgebend sein. Im Übrigen schränkt ein dirigistisches System einer Rechtsangleichung mit zwingenden Normen Freiheit ein. Ausgehend von dem Grundgedanken des systemtheoretischen Ansatzes78 tragen die „Darlegungs- und Beweislast“ für die Notwendigkeit der Angleichung einer bestimmten Materie daher deren Befürworter79. Damit ist der Systemwettbewerb die Regel, die Rechtsangleichung die zu begründende Ausnahme80. Nicht verkannt werden darf aber, dass in einigen Ausnahmebereichen der Markt nicht optimal funktioniert. Mangelnde Transparenz der durch ein bestimmtes System ausgelösten Kosten sowie die Gefährdung des Wettbewerbs durch dessen Akteure selbst, können zu Fällen so genannten Marktversagens führen81. Zentrales Anliegen einer Rechtspolitik, die sich die Verwirklichung des Binnenmarktes zum Ziel setzt, muss daher die Gewährleistung des Wettbewerbs der Rechtsordnungen sein. Hierzu gehört namentlich ein maximales Maß an Transparenz der Folgen und Gestaltungen der in Konkurrenz stehenden Rechtsordnungen für alle Marktteilnehmer. Hierauf wird im Dritten Teil der Arbeit zurückzukommen sein.

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip 1. Rechtsangleichung als Akt der Gesetzgebung Neben der funktionellen Bestimmung der Rechtsangleichung als Mittel der Integration ist die Angleichung immer auch ein Akt der Gesetzgebung. Sobald die Notwendigkeit der Angleichung aus integrationspolitischer Sicht einmal als gegeben erachtet wird, stehen die Organe der Gemeinschaft vor der Aufgabe, die bestmögliche Lösung für die ins Auge gefasste Regelungsmaterie zu finden. Wie auch der nationale Gesetzgeber haben sie 77

Etwa Schön ZHR 160 (1996), 221, 235; Dreher, JZ 1999, 105, 109. Vgl. oben I.3.a)(2), Seite 39. Nach dem systemtheoretischen Ansatz bedarf es keiner Definition idealer Marktbedingungen, da das optimale Ergebnis erst durch den Wettbewerb ermittelt werden kann. 79 Kübler, AG 1994, 141, 147. 80 Diese letztlich aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG herrührende Verteilung der Argumentationslast sowie die Ergebnisoffenheit des systemtheoretischen Ansatzes verkennt Dreher, JZ 1999, 105, 110, wenn er das Funktionieren des Systemwettbewerbs für den Regelfall verneint. 81 Baßeler/Heinrich, Grundlagen und Probleme der VWL, 609. 78

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

dabei die verschiedensten sozialen und ökonomischen Interessen abzuwägen und einem Konsens zuzuführen82. Die Rechtsangleichung ist damit keine rein exekutive Aufgabe, bei der systematisch Störfaktoren für das Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarktes aufgespürt und beseitigt werden. Es wäre ein Irrtum, die Organe der EG als unabhängige, kraft Sachverstandes ausgewiesene Sachwalter unpolitischer Aufgaben zu verstehen, die keines Zusammenhalts von Politik und Recht bedürfen, wie ihn der Staat kennt, sondern das Recht nur als eine Logik einer abgestuften, funktionsgebundenen Verbindlichkeitsordnung benutzen83. Vielmehr agieren die für die Rechtsangleichung zuständigen Organe der Gemeinschaft auf dem im nationalen Rahmen für die Legislative, also die Parlamente, reservierten Tableau. Gleichzeitig bewirkt die Rechtsangleichung einen Verlust der gesetzgebenden Befugnis der Mitgliedstaaten zugunsten der Gemeinschaft. Ist erst einmal eine bestimmte Materie angeglichen, so ist damit auch ein Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich der nationale Gesetzgeber in Zukunft bewegen muss. Jegliche Änderung der Regelung dieser Materie ist in Zukunft nur noch in Abstimmung mit der Gemeinschaft und damit mit den übrigen Mitgliedstaaten möglich. Insoweit wird von einem Kompetenzübergang von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft durch die Rechtsangleichung gesprochen84. Hält man sich die gesetzgeberische Funktion der Rechtsangleichung vor Augen und bedenkt man gleichzeitig den weitgehenden Entzug der angeglichenen Materien aus dem Einflussbereich der nationalen Parlamente, so muss man die Frage stellen, inwieweit die Rechtsangleichung als europäische Gesetzgebung demokratisch legitimiert ist. Damit ist das vieldiskutierte Problem des Demokratiedefizits der EU angesprochen. 2. Demokratische Legitimation der Rechtsangleichung Ursprünglich erfolgte die demokratische Fundierung der Gemeinschaft – wenn auch überaus mittelbar – allein über die parlamentarische Zustimmung zu den Gründungs- und Folgeverträgen der Gemeinschaft nach Art. 24, Art. 59 GG und heute Art. 23 GG. Neben diesem „Urgrund der demokratischen Legitimation“85 besteht eine organisatorisch-personelle demokratische Legitimation durch eine ununterbrochene, auf das Volk zurück82 83 84 85

198.

Timmermans, RabelsZ 48 (1984), 1, 6. Kirchhof, FCE 2/98, 3 f. Vgl. etwa Everling, Festschrift Reimer Schmidt, 165, 175. Stellungnahme I der Bundesregierung, in: Winkelmann, Das Maastricht-Urteil,

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip

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führbare Legitimationskette zu den für die Wahrnehmung hoheitlicher Angelegenheiten betrauten Amtswaltern im Rat wie in der Kommission. Angesichts des ständigen Kompetenzzuwachses der Gemeinschaft und der Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat reichte diese einfache Legitimation nicht mehr aus. Daher genießt die EU inzwischen die doppelte Legitimation durch den von den Regierungen der Mitgliedstaaten beschickten Rat und das von den Völkern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament. Ganz abgesehen davon, dass dem Europäischen Parlament nach wie vor das Recht zur Gesetzesinitiative, anders als den nationalen Parlamenten, nicht zusteht, müssten neben einer rein formalen Aufwertung des Europäischen Parlaments auch die materiellen demokratischen Verhältnisse in Europa erst geschaffen werden. Demokratie ist zuvörderst eine Sache des Volkes. In Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG wie im Verfassungsrecht der übrigen Mitgliedstaaten der EU erscheint Demokratie durchweg als ein auf Volkssouveränität bzw. der Souveränität der Nation aufbauendes Prinzip86. Der Versuch, die europäische Rechtsgemeinschaft ohne Rückbindung an ein demokratisches Staatsvolk zu erklären, ist deshalb per se undemokratisch und steht außerhalb der europäischen Rechtstradition87. Die EU als politisch agierende Macht bedarf daher der Anbindung an ein Staatsvolk, um dem selbst gesteckten Ziel der demokratischen Legitimierung zu entsprechen. Dies wirft die grundlegende Frage auf, ob in der Gegenwart von einem europäischen Volk gesprochen werden kann. a) Europäisches Staatsvolk als Basis demokratischer Legitimation? Der Begriff des Volkes knüpft im staatsrechtlichen Zusammenhang ausschließlich und formal an die Staatsangehörigkeit und den status activus an88. Die durch den Vertrag von Maastricht gem. Art. 17 Abs. 1 EGV begründete Unionsbürgerschaft könnte eine der Staatsbürgerschaft vergleichbare Beziehung zwischen Bürger und europäischer Gemeinschaft vermitteln. So erhält der Unionsbürger das aktive und passive Europa- und Kommunalwahlrecht am aktuellen Aufenthaltsort gem. Art. 19 EGV. Angesichts der Tatsache, dass das Wahlrecht auf kommunaler Ebene als Ausübung nationaler Staatsgewalt89 zu begreifen ist, zeigt dessen Vermittlung durch die Unionsbürgerschaft zumindest eine Auflockerung der vollständigen Media86 87 88 89

Kluth, Die demokratische Legitimation der EU, 33 m. w. N. Kirchhof, FCE 2/98, 4. Böckenförde, HdStR Band I, § 22 Rdnr. 26. BVerfGE 83, 37, 53.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

tisierung des Marktbürgers durch seinen Heimatstaat in seinem Verhältnis zur Europäischen Union90. Das Bemühen um die Herstellung eines Näheverhältnisses des Bürgers zur Europäischen Union zeigt sich auch in Art. 21 EGV, wo dem Unionsbürger ein Petitionsrecht eingeräumt wird, was ein Stück direkter Partizipation darstellt und seiner Betroffenheit vom Gemeinschaftshandeln Rechnung trägt91. Allerdings bleibt die mit Staatsangehörigkeit zu bezeichnende Beziehung des Bürgers zum Mitgliedstaat erhalten, ist sogar Entstehungsvoraussetzung für die Unionsbürgerschaft. Denn die Unionsbürgerschaft knüpft nicht an die Union, sondern an die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates an, vgl. Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGV. Dementsprechend wird in Art. 18 Abs. 1 EGV bei der Gewährleistung von Freizügigkeit auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten und nicht auf ein etwaiges Hoheitsgebiet der Union abgestellt. Auch formulierte der Europäische Rat auf der Tagung in Edinburgh unmissverständlich, dass die betreffenden Bestimmungen in keiner Weise an die Stelle der nationalen Staatsbürgerschaft treten92. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass durch die Unionsbürgerschaft zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und der Union ein auf Dauer angelegtes rechtliches Band geknüpft wird, aber wegen des fehlenden originären Rechtserwerbes keine der Staatsbürgerschaft vergleichbare Beziehung begründet wird93. Das Bundesverfassungsgericht hat dies im „Maastricht“-Urteil, welches sich dezidiert mit der Frage des Demokratiedefizits in der EU befasst, ebenso klar ausgedrückt, wenn es von der einer gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem Staat nicht vergleichbaren Dichte spricht94. Es kann daher nicht von einer Staatsangehörigkeit zu einem europäischen Staat und folgerichtig auch nicht von einem europäischen Staatsvolk als Legitimationssubjekt gesprochen werden95. Kirchhof hat daraus die Theorie entwickelt, dass ohne ein Staatsvolk (demos) keine demokratische Legitimierung auf europäischer Ebene erfolgen kann96. Nach dieser von Weiler als „No Demos“-These bezeichneten Auffassung setzt der Begriff des Volkes in subjektiver Hinsicht das Bewusstsein eines sozialen Zusammenhalts, eines geteilten Schicksals und einer Loyalität gegenüber dem Staat, als Verkörperung dieser gemeinsamen Identität, voraus. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl geht aus den objek90 91 92 93 94 95 96

Hobe, Der Staat 1993, 245, 255. Pernice, Die Verwaltung 1993, 449, 476. Bulletin der EG, Nr. 12/1992, 26. Pernice, Die Verwaltung 1993, 449, 476. BVerfGE 89, 155, 184. BVerfGE 89, 155, 188. Kirchhof, HdStR, Band VII, § 183 Rdnr. 12, 52.

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip

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tiven Bedingungen einer gemeinsamen Sprache, einer gemeinsamen Geschichte, gemeinsamer kultureller Gewohnheiten und Empfindlichkeiten, sowie einem gemeinsamen ethnischen Ursprung hervor97. Dieses ethnischkulturell verstandene Volk ist seinerseits die Basis eines modernen, demokratischen Staates. Nur in einem Volk, dass sich trotz aller politischen Unterschiede seiner ethnisch-kulturellen Zusammengehörigkeit bewusst ist, sei das demokratische Prinzip der Mehrheitsentscheidung anwendbar. Nur aufgrund der Tatsache, dass Minderheit und Mehrheit Teile des gleichen Volkes sind, könne die Minderheit mit den Mehrheitsentscheidungen in der Demokratie leben98. So verstanden ist ein Parlament nicht nur ein Mechanismus zur Abbildung von Wahlergebnissen, sondern repräsentiert das Volk, die Nation, den demos von dem die Autorität und Legitimität seiner Entscheidungen ausgeht. Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die gegenwärtige Situation in Europa, muss konstatiert werden, dass ein europäisches Volk in einem ethnisch-kulturellen Sinn nicht besteht und sich auch mittelfristig nicht entwickeln wird99. Folgte man der „No demos“-These, wäre eine demokratische Legitimation auf europäischer Ebene definitionsgemäß ausgeschlossen, Demokratie setzt nämlich die Vergemeinschaftung im Staatsvolk voraus100. In der Folge wird die Auffassung vertreten, dass, mangels Wahl durch ein einheitliches Volk, das Europäische Parlament nur eine Versammlung der Völker, vgl. Art. 189 EGV, und nicht demokratisch legitimiert sei101. Aber auch wenn man die Möglichkeit einer Trennung der Begriffe der Volkszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit, oder anders ausgedrückt von ethnos und demos102 bejahen wollte, wofür im Zeitalter des Habermas’schen Verfassungspatriotismus103 und angesichts des Beispiels der USA, wo es gute amerikanische Patrioten gibt, die ebenso stolz auf ihre verschiedene ethnisch-nationale Herkunft als Italo-, Afro-, oder jüdische Amerikaner sind, gute Gründe sprechen, so reicht dies noch nicht zur Bejahung der Voraussetzungen für eine demokratische Legitimation auf Basis eines europäischen Volkes aus. Demokratische Repräsentation kann sich auf einen rein formalen, von den Handlungsinhalten abgetrennten Repräsentationsbegriff, der auf die nackte Willensübertragung hinausliefe, nicht beschränken104. Für eine realisierte Demokratie ist somit neben der formalen auch eine inhaltliche Repräsentation nötig. 97

Weiler, Festschrift für Everling, 1651, 1657. Weiler, Festschrift für Everling, 1651, 1659. 99 Weiler, Festschrift für Everling, 1651, 1661. 100 Kirchhof, HdStR, Band VII, § 183 Rdnr. 33. 101 Schachtschneider u. a., JZ 1993, 751, 755. 102 Weiler, Festschrift für Everling, 1651, 1673. 103 Habermas, Faktizität und Geltung, 632 ff. 98

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

b) Inhaltliche Repräsentation der Unionsbürger Inhaltliche Repräsentation besteht darin, dass das Handeln der Vertretungsorgane so beschaffen ist, dass die Einzelnen und das Volk insgesamt sich in diesem Handeln wieder finden können. Dazu gehört, dass die Unionsbürger – als Repräsentierte – die alle gemeinsam angehenden Fragen des Zusammenlebens durch die Repräsentanten in einer Weise verhandelt und ausgetragen sehen, die eine Identifikation mit der Art der Behandlung und Entscheidung ermöglicht105. Die demokratische Legitimationskraft der Handlungsweise repräsentativer Organe, wie des Europäischen Parlaments, hängt also entscheidend davon ab, ob diese inhaltliche Repräsentation verwirklicht wird. Dies aber ist wiederum vom Vorliegen bestimmter, unausgesprochener vorverfassungsrechtlicher Gegebenheiten abhängig106. Die von den Unionsbürgern ausgehende Einflussnahme kann in dem Maße in demokratische Legitimation der europäischen Institutionen münden, in dem bei den Völkern der EU die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind107. So haben demokratische Formen der Willensbildung nur dann eine Chance, die erforderliche Integration und den Friedenszustand des politischen Gemeinwesens zu bewirken und zu erhalten, wenn ihnen eine relative Homogenität der Gesellschaft zugrunde liegt. Diese auf Heller zurückgehende Erkenntnis nimmt auch das Bundesverfassungsgericht auf, wenn es den Begriff relative Homogenität in Zusammenhang mit dem Staatsbegriff verwendet108. Relative Homogenität zeigt sich als ein sozial-psychologischer Zustand, in dem die vorhandenen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Gegensätzlichkeiten und Interessen durch ein gemeinsames Wir-Bewusstsein gebunden erscheinen109. Im System der Mehrheitsentscheidungen, als demokratische Form der Willensbildung in Art. 198 EGV für das Europäische Parlament vorgesehen, zeigt sich die Bedeutung der relativen Homogenität besonders deutlich. Mehrheitsentscheidungen setzen nämlich voraus, dass in einer politischen Gemeinschaft die Bereitschaft vorhanden ist, sich in Einzelfragen überstimmen zu lassen und diese Entscheidungen gleichwohl als verbindlich zu akzeptieren, ohne die Gesamtordnung in Frage zu stellen.

104 105 106 107 108 109

Böckenförde, HdStR, Band II, § 30, Rdnr. 18. Böckenförde, HdStR, Band II, § 30, Rdnr. 18. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 41. BVerfGE 89, 155, 184/185. BVerfGE 89, 155, 186. Heller, Politische Demokratie und Homogenität, 428.

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip

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Damit eng zusammenhängend ist der Begriff des gemeinsamen Grundoder Fundamentalkonsenses im Sinne einer Übereinstimmung der politischen Überzeugungen, der auch wesentliche Verfahrensregeln einbezieht 110. Es stellt sich daher die Frage, ob in der EU bereits ein ausreichend gefestigter politischer Grundkonsens vorhanden ist, der die Anwendung des Mehrheitsprinzips ermöglicht. Schon dies dürfte in einem Europa, das im sprachlichen und kulturellen Bereich von starken regionalen Differenzen geprägt ist, zweifelhaft erscheinen. Zwar waren Europa und die europäische Kultur schon immer durch das Miteinander verschiedener Völker und Kulturen auf engem Raum geprägt111. Auch sind bestimmte Überzeugungen, die aus der gemeinsamen christlich-abendländischen Tradition resultieren, tief im Bewusstsein der Europäer verwurzelt. Dies manifestiert sich insbesondere in dem Bekenntnis zu unveräußerlichen Menschenrechten112. Überragende Bedeutung hat die europäische Friedensordnung als Ziel und Leistung des Integrationsprozesses. Der wohl wichtigste Beweggrund für die Europäische Integration ist die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Völker, Nationen und Kulturen113, sie ist das stärkste Argument dafür, dass im Bereich der politischen Ordnung eine relativ homogene Gesellschaft die von der Mehrheit getroffenen Entscheidungen als verbindlich akzeptieren kann114. Allein schon die allgemeine Akzeptanz dieser Tatsache kann die einvernehmliche Lösung politischer Streitfragen ermöglichen und ist damit die Grundvoraussetzung einer tragfähigen demokratischen Ordnung. Jedoch gelten diese Erwägungen vornehmlich für den westlichen Teil Europas, aus dem die bisherige Union hervorgegangen ist. Die angestrebte Osterweiterung der EU führt dazu, dass eine große Gruppe von Menschen mit einer vollkommen anderen Vergangenheit und mit anderen Problemen integriert werden muss. Und auch der Zusammenbruch des Kommunismus und damit der östlichen Bedrohung relativiert das Argument der Friedenssicherung in ihrer Aktualität, so dass insoweit selbst die derzeitige relative Homogenität in Europa in Frage steht. Neben der grundsätzlichen Bereitschaft zum Kompromiss auf Gemeinschaftsebene, muss weiter auch die Möglichkeit von europaweiter Information und Kommunikation hinzutreten, damit demokratische politische Willensbildung realiter möglich wird. Ein breiter, ungehinderter Fluss von Informationen, die vielstimmige und differenzierte Artikulation von Mei110 111 112 113 114

Heun, Das Mehrheitsprinzip, 178. Isensee, Europa als politische Idee, 131. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 59. Angelucci, in: Die europäische Option, 303, 316. Isensee, HdStR, Band I, § 13 Rdnr. 74 ff.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

nungen in der Öffentlichkeit geben den Entscheidungsträgern erst das Material in die Hand, aufgrund dessen sie sich selbst ihre eigene Meinung bilden können115. Erst dann sind die Unionsbürger in der Lage das politische Selbstbestimmungsrecht, das ihnen die Demokratie verleiht, auch umzusetzen und aktiv wahrzunehmen. Dies bedeutet in erster Linie die Notwendigkeit eines freien, öffentlichen Meinungsbildungsprozesses. Dieser hat somit die Funktion einer Vorklärung der staatlichen Interessenabwägung116. Eine breite, freie und offene Erörterung der verschiedenen Alternativen unter allen möglichen Aspekten ist nämlich Grundlage eines adäquaten, vernünftigen und gemeinwohlbezogenen Inhalts der Mehrheitsentscheidungen117. Damit der öffentliche Meinungsbildungsprozess diese Funktion erfüllen kann ist eine offen gehaltene Information über Geschehnisse, Vorschläge und Programme, sowie ein Austausch von Ansichten und Meinungen erforderlich. Information und Kommunikation ist deshalb unabdingbare Voraussetzung von Demokratie118. Eine europäische politische Kommunikation verlangt also, dass die Bürger sich in ihrer Sprache über die entsprechenden Themen der Europapolitik aus den Medien informieren können119. Dafür sind die Voraussetzungen in einem Europa mit einer Bevölkerung von derzeit 370 Millionen, die sich auf 15 Mitgliedstaaten verteilt und 11 unterschiedliche Sprachen spricht, von denen jede einzelne Minderheitssprache ist und keine, auch nicht das Englische, dem Gros der Bevölkerung eine ausreichende Verständigung über die Grenzen hinweg erlaubt, denkbar schlecht. Auf die Frage hin, wie gut sich die Unionsbürger über europäische Themen informiert fühlen, antworteten 64% der Befragten denn auch mit „nicht sehr gut“ oder „überhaupt nicht gut“120. Da sich dieser Personenkreis zudem mehr Informationen über die Europäische Union wünscht121, scheint sowohl die Qualität, wie die Quantität der Informationsmöglichkeiten nicht ausreichend zu sein. Dieser subjektive Eindruck der Bürger mag damit zusammenhängen, dass, soweit Rechtsakte der EU überhaupt in der nationalen Presse dargestellt werden, meist nur Argumente Berücksichtigung finden, die im nationalen Raum im Hinblick auf die nationalen Interessen entwickelt wurden122. Eine umfassende Abwägung aller Interessen findet hier also nicht statt. Es gibt keine europäische öffentliche Meinung123. Nicht einmal die 115 116 117 118 119 120 121 122

Heun, Das Mehrheitsprinzip, 191. Bleckmann, JZ 1990, 301, 303. Heun, Das Mehrheitsprinzip, 192. Böckenförde, HdStR Band I, § 22 Rdnr. 68. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 62. Eurobarometer, Herbst 1995, 59, 60. Eurobarometer, Herbst 1995, 59, 60. Bleckmann, JZ 1990, 301, 303.

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Mindestbedingungen einer funktionierenden politischen Kommunikation über Themen der europäischen Politik scheinen durch den Einsatz nationaler Medien gesichert124. Neben der Presse und dem Rundfunk kommt auch den Parteien eine tragende Rolle als Medium und Faktor dafür zu, dass Ziele und Entscheidungen der Gemeinschaft vermittelt werden125. Für die inhaltliche Repräsentation des Willens aller Unionsbürger durch das Europäische Parlament ist es daher von großer Bedeutung, dass sich die Abgeordneten und auch die Parteien als Repräsentanten aller Unionsbürger verstehen und nicht lediglich als Interessenvertreter einer Region126. Denn Repräsentant der Wähler, also der Unionsbürger, kann nur derjenige Abgeordnete genannt werden, der im Europäischen Parlament das Wohl der Gemeinschaft den Interessen seines Staates überordnet127. Die Entwicklungsbestimmung des Art. 191 S. 2 EGV greift diesen Gedanken auf, wenn sie den politischen Parteien aufgibt, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen. Hierfür muss sich eine Partei auf europäischer Ebene betätigen, da sie sonst nicht zu einer europäischen Konsensbildung innerhalb ihrer eigenen Struktur fähig ist und damit die entscheidende (Vor-) Integrationsleistung nicht erbringen kann128. Dabei ist einerseits zu konstatieren, dass in zahlreichen Staaten innerhalb der EU regionale Schwerpunktparteien existieren, andererseits aber, dass zwischen den national organisierten Parteien seit Jahren eine europäische Zusammenarbeit praktiziert wird. So sind zwar die einzelnen Parteien im Europäischen Parlament nicht nach Nationen sondern nach ihren politischen Richtungen organisiert. In der Praxis allerdings werden auch auf dieser Ebene nur Kompromisse zwischen Positionen geschlossen, die in den Parteien unter Berücksichtigung nur nationaler Interessen entwickelt worden sind. Wenn man bedenkt, dass für 55% der Wähler der Europawahl 1994 nur nationale Themen den Ausschlag gaben129, lässt sich ein solches Verhalten leicht erklären. Als Folge bestimmen nationale Parteiinteressen die Kandidatur für das Mandat und die Chance für eine Wiederwahl des Abgeordneten130. Die „europäischen Parteien“ stellen damit nichts anderes dar 123 124 125 126 127 128 129 130

Ipsen, Festschrift für Lerche, 425, 436. Jacqué, Integration 1989, 61, 63. BVerfGE 89, 155, 185. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 63. Ipsen, Festschrift für Lerche, 425, 436. Kluth, Die demokratische Legitimation der Europäischen Union, 64. Eurobarometer, Juli 1994, 6. Ipsen, Festschrift für Lerche, 425, 436.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

als lockere Assoziationen der weiterhin starken nationalen Parteien131. Eine Repräsentation der Unionsbürger wird zugunsten der nationalen öffentlichen Meinung gar nicht angestrebt. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass eine inhaltliche Repräsentation des Willens aller Unionsbürger im Europäischen Parlament gegenwärtig noch nicht verwirklicht wird. Heute und wohl auch für die mittelfristige Zukunft kommt dem Europäischen Parlament deshalb lediglich eine stützende Legitimationsfunktion zu132. 3. Schlussfolgerungen für den Vergleich von Rechtsangleichung und gegenseitiger Anerkennung nationaler Normen Die demokratische Legitimation der Rechtsangleichungsakte der Gemeinschaft steht nach dem Vorstehenden jetzt und für die nähere Zukunft vor allem auf der Grundlage der Vermittlung von Legitimation durch die einzelnen nationalen Parlamente. Diese Legitimation ist aber nur mittelbar. Einer wünschenswerten Ergänzung durch eine direktere Legitimation über das Europäische Parlament stehen grundsätzliche Erwägungen entgegen, die sich an das Fehlen eines europäischen Staatsvolkes, einer europäischen Öffentlichkeit und an das Fehlen von europäischen Parteien knüpfen. Hinzu kommt, dass trotz der Verbesserungen, die die Verträge von Maastricht und Amsterdam gebracht haben, das Europäische Parlament nach wie vor nicht das Recht zur Gesetzesinitiative besitzt und letztlich auch deshalb die Transparenz der Entscheidungsverfahren in der EU mangelhaft ist. Inwieweit auf europäischer Ebene ein für jegliches demokratische Gesetzgebungsverfahren unabdingbares diskursives Abwägen von differierenden Interessen und Ansichten stattfindet bzw. angesichts der fehlenden europäischen Öffentlichkeit überhaupt stattfinden kann, oder ob nach wie vor alles dem Fortschreiten der Integration untergeordnet wird, ist deshalb nur schwer zu beantworten. Gemeint ist dabei nicht die Durchsetzung nationaler Interessen, diese findet – in meist wenig konstruktiver Weise – in den Beratungen des Ministerrates durchaus statt. Hier wird oft nicht nach einer adäquaten Lösung im europäischen Interesse gesucht, sondern vielmehr wird mit allen Mitteln versucht, nationale Eigenheiten durchzusetzen. Im Extremfall kommt bei einem solchen „Basar-ähnlichen Handeln“ zwischen den Vertretern der Mitgliedstaaten nicht einmal mehr ein kleinster gemeinsamer Nenner heraus, sondern einfach eine Aufzählung von sehr verschiedenen, untereinander 131 132

Bleckmann, JZ 1990, 301, 303. BVerfGE 89, 155, 186.

II. Rechtsangleichung und Demokratieprinzip

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nicht vergleichbaren nationalen Ansätzen – patchwork133. Mit demokratischer Meinungsbildung auf europäischer Ebene hat dies nichts zu tun. Gegenüber diesem Prozess der Rechtsangleichung auf europäischer Ebene werden nationale Normen im Einklang mit demokratischen Grundsätzen und nach Meinungsbildung in der nationalen Öffentlichkeit erlassen. Für den jeweiligen Rahmen des nationalen Staates ist ihnen deshalb eine höhere Qualität an demokratischer Legitimation zuzusprechen. Dies gilt auch, soweit eine ausländische nationale Norm im Inland Anwendung findet, wie dies bei der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen der Fall ist. Zwar mag die eigene nationale Vorstellung der Art der Problemlösung von der „importierten“ abweichen, jedoch wird insoweit die eigene nationale, im Wege der inländischen demokratischen Meinungsbildung gefundene Rechtssetzung nicht beseitigt. Diese bleibt neben der ausländischen Art und Weise der Problemlösung – nichts anderes ist ein Rechtssatz – weiterhin bestehen und kann auf die inländische Diskussion befruchtend wirken. 4. Der Wettbewerb der Systeme als zusätzliche demokratische Kontrolle von nationaler Staatsgewalt Nicht übersehen werden darf auch, dass ein mit der Umstellung der Harmonisierungsbestrebungen von der Rechtsangleichung134 auf die gegenseitige Anerkennung nationaler Normen notwendig verbundener Wettbewerb der einzelnen Rechtssysteme zu neuartigen Einflussnahmemöglichkeiten der Staatsbürger führen kann. Der Wettbewerb der Rechtssysteme wirkt damit nicht nur ökonomisch135, sondern auch demokratisch. Die Möglichkeit des Rechtsanwenders, zwischen verschiedenen Systemen zu wählen, gibt ihm nicht nur eine zusätzliche Freiheit in seinen Entscheidungen, sondern erlaubt ihm auch, durch seine Wahl die Richtung der Politik im eigenen Land zu beeinflussen. Diese Abstimmungen über das vermeintlich beste Rechtssystem durch die, die damit umgehen müssen, findet im Gegensatz zu regulären Wahlentscheidungen nicht alle vier oder fünf Jahre statt, sondern täglich136. Dies setzt die Politik unter erheblichen Zwang, die verfochtene und durchgesetzte Gesetzgebung ständig zu recht133

Timmermans, RabelsZ 48 (1984), 1, 26. Auf die Demokratieferne der europäischen Rechtssetzung als Problem der Rechtsangleichung weist Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, Rdnr. 349 hin. 135 Vgl. bereits oben I.3., Seite 37 ff. 136 Siebert/Koop, WiSt 1994, 611, 612 sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Abstimmung mit den Füßen“, die verhindert, dass sich Regierungen allzu weit von den Präferenzen ihrer Wähler entfernen. 134

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

fertigen und zu erklären. Bereits heute ist diese Entwicklung durch die weltweite Öffnung der Finanzmärkte zu beobachten. Diese sind als „fünfte Gewalt“ neben den Medien inzwischen die wirkungsvollste Kontrollinstanz staatlichen Handelns im Bereich der Wirtschaft137. So prüfen freie Märkte nicht nur ständig, wie konsistent eine Politik in sich ist, sondern erzwingen auch in einem positiven Sinn einen Entscheidungsdruck hinsichtlich der Auswahl der wirtschaftlichen Ziele und Instrumente. Offene Märkte sind konstituierendes Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung und Grundlage von Wohlstand und Wachstum. Öffnet man – in einem begrenzten Bereich und unter Gewährleistung der für einen wirklichen Wettbewerb unerlässlichen Transparenz unter den verschiedenen angebotenen Modellen – auch den Markt für Rechtsordnungen, so darf man davon ausgehen, dass dies die aufgezeigte positive Entwicklung weiter beschleunigt. 5. Europäisches Staatsvolk durch europaweiten Systemwettbewerb Verschiebt man den Blickwinkel wieder auf die Europäische Ebene, so scheinen sich auch hier für die weitere demokratische Fundierung der europäischen Rechtssetzung dem Wettbewerb zwischen den Rechtssystemen positive Aspekte abgewinnen zu lassen. Setzt sich nämlich innerhalb der die Gemeinschaft bildenden Staaten eine bestimmte Rechtsordnung mit ihrem System in der Weise „am Markt“ durch, dass die anderen Staaten dieses System übernehmen, so kann man von einer europaweiten Legitimierung der entsprechenden Normen über die einzelnen Staatsvölker sprechen. Erfolgt nun eine Vereinheitlichung mittels einer Richtlinie oder Verordnung auf Basis des Systems, das ohnehin aufgrund seines Erfolges bei den Rechtsanwendern von der überwiegenden Mehrzahl der Mitgliedstaaten angewandt wird, so ist dieser europäische Rechtssetzungsakt nicht nur der gegenwärtig zu beobachtenden Schwierigkeiten enthoben, die aus dem Erfordernis der Zustimmung aller oder zumindest der Mehrheit der Mitgliedstaaten resultieren; diese haben sich ja zum Teil bereits auf ein System geeinigt bzw. können sich der Argumentation auf Basis des Erfolgs des Systems im Markt nicht verweigern. Des Weiteren kann man einem Rechtssetzungsakt, der nur das auf die europäische Ebene hievt, was ohnehin auf Ebene der Mitgliedstaaten bereits geltendes Recht ist und worüber alle Rechtsanwender in Europa und nicht nur in einem Mitgliedsstaat angesichts des Markterfolges des Normensystems offenbar einig sind, nur schwerlich die demokratische Absolution ver137

Vgl. hierzu Breuer, Die Zeit Nr. 18, 21 ff.

III. Rechtsangleichung und Subsidiaritätsprinzip

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weigern. Das Problem des Legitimationsdefizits hätte sich damit insoweit erledigt: Der Gesetzgebungswettbewerb belässt die legislatorische Verantwortung bei den demokratisch legitimierten Parlamenten der Mitgliedstaaten und gewährleistet zugleich, dass den übergreifenden Harmonisierungsbedürfnissen der Gemeinschaft langfristig entsprochen wird138. Zudem wird durch einen europaweiten Wettbewerb der Rechtssysteme die Diskussion über die einzelnen Vor- und Nachteile der europäischen Rechtsordnungen bestärkt. Wobei bei einem wirklichen Wettbewerb die Kommunikation zwischen den Rechtsordnungen nicht auf den doch recht engen Zirkel der Rechtsvergleicher beschränkt bleiben dürfte. Vielmehr sind Artikel in überregionalen Wirtschaftszeitungen über andere Wirtschaftsrechtssysteme und über die Erfahrungen, die damit in den anderen Mitgliedstaaten gemacht wurden, zu erwarten, da diese Themen ungleich bedeutungsschwerer sind, wenn etwa auf einmal ein ausländisches Gesellschaftsstatut auch ohne weiteres auf ein inländisches Unternehmen anwendbar wird. Da bei einem Wettbewerb der Rechtsordnungen rechtliche Regelungen verglichen werden müssen, wird sich eine eigene Gruppe von „Informationsintermediären“ entwickeln, die wie Fondgesellschaften die wirtschaftlichen Daten von Unternehmen für die Öffentlichkeit aufbereiten, die Eigenheiten konkurrierender Rechtsordnung allgemeinverständlich herausarbeiten139. Daneben dürfte sich auch der Kreis der Rechtsberater noch stärker als bisher internationalisieren. Gemeinsam können und werden all diese Faktoren letztlich die Keimzelle bilden, aus der langfristig tatsächlich eine europäische Öffentlichkeit und mit ihr ein europäisches Staatsvolk hervorgeht.

III. Rechtsangleichung und Subsidiaritätsprinzip Der Vertrag von Maastricht vom 07.02.1992140 hat eine grundlegende Änderung und Neuordung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten gebracht. Durch den Vertrag wurden die Kompetenzen der Europäischen Union in einem bislang noch nicht bekannten Umfang ausgeweitet. So wurde nicht nur die Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart, sondern es wurden auch Elemente einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf den Weg gebracht. Damit waren zentrale Elemente der Nationalstaatlichkeit auf die Europäische Ebene verlagert worden. 138 139 140

Kübler, KritVJ 1994, 79, 89. Vgl. Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1046. In Kraft getreten am 01.11.1993.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

Gleichzeitig und wohl nicht unabhängig von diesem weitgehenden Souveränitätsverlust haben die Vertragsstaaten versucht, einer weiteren Entwicklung hin zu einem zentralisierten Europa, das die nationalen Kompetenzen wie ein Magnet an sich zieht, einen Riegel vorzuschieben. Schon vor dem Abschluss des Maastricht-Vertrages war man sich weitgehend einig, dass die Europäische Gemeinschaft als Wirkungseinheit von mehr als 320 Millionen Menschen nicht zentralistisch regiert werden kann. So bezeichnete sich der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors – also ein von der zentralistischen Verfassung Frankreichs geprägter Mann – schon 1988 selbst als einen Verfechter des Subsidiaritätsprinzips in dem Sinne, dass auf europäischem Niveau nur das geregelt werden soll, was besser und sinnvoller auf diesem Niveau geregelt werden kann141. Dieser Meinungsumschwung in der bislang von der Tradition zentralistischer Mitgliedstaaten beeinflussten Gemeinschaft hatte sicher auch mit der Stimmung in der Bevölkerung der meisten EU-Staaten zu tun, von der große Teile der Meinung waren, dass die Zentralisierungstendenzen der Union schon vor dem Vertrag von Maastricht zu weit fortgeschritten seien142. Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, wurde in Art. 5 EGV ein Schrankensystem für die zukünftige Ausübung der gesetzgeberischen Befugnisse der Gemeinschaft verankert, das in drei Absätzen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit postuliert. 1. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Anders als in einem Staat, dessen Legislative grundsätzlich jede Materie im Zuge ihrer Organ- und Verbandskompetenz regeln kann, ist die Europäische Gemeinschaft hinsichtlich ihrer Rechtssetzungsakte an das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gebunden. Danach kann ein Rechtssetzungsorgan der Gemeinschaft nur dann tätig werden, wenn ihm die Kompetenz hierzu in den Gründungsverträgen ausdrücklich zugewiesen wurde. Anders als Staaten verfügt die Gemeinschaft also nicht über die so genannte Kompetenzkompetenz. a) Inhalt und Verankerung im EGV Dieses Prinzip folgte bislang schon aus Art. 3, 7, 202, 211 und 249 Abs. 1 EGV, wonach Rat, Kommission und Europäisches Parlament nur 141 Rede vor den Ministerpräsidenten der Bundesländer vom 19.05.1988, EuropaArchiv 1988, D 340, 341. 142 Gulmann, Europa der Zukunft, 45.

III. Rechtsangleichung und Subsidiaritätsprinzip

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„nach Maßgabe dieses Vertrages“ Rechtsakte erlassen können. Es ergibt sich aber auch grundsätzlich aus den Strukturprinzipien der Gemeinschaft, die eben kein souveräner Staat mit unbegrenzter Rechtssetzungsgewalt ist143. Zusätzlich legt nunmehr nach Ansicht des Europäischen Rates die mit dem Maastricht-Vertrag neu eingeführte Grundsatznorm des Art. 5 Abs. 1 EGV eine strikte Grenze für das Tätigwerden der Gemeinschaft fest. Die Befugnis der einzelnen Staaten ist danach die Regel, die der Gemeinschaft die Ausnahme144. Die Gemeinschaft muss deshalb zunächst ihre vertragliche Einzelkompetenz begründen und sodann prüfen, ob das Gemeinschaftsziel durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden und daher besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden kann. Der Hang zu einer höheren Instanz wird umgekehrt. b) Aufweichungserscheinungen des Prinzips Allerdings hat das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ein Einfallstor für zentralistische Bestrebungen, das durch den Vertrag von Maastricht nicht tangiert wurde. In Art. 308 EGV wird für die Gemeinschaft die Möglichkeit eröffnet, über die im Vertrag gegenständlich-bereichsmäßig umschriebenen Zuständigkeiten hinaus auch lediglich normativ-funktional zugewiesene Aufgaben wahrzunehmen145. Wie alles Normative hängt damit die Zuständigkeit der Gemeinschaft im Lichte des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung oftmals vom Standpunkt des Betrachters ab und ist der Auslegung zugänglich. Über die Auslegung der begrenzten Einzelermächtigungen der Gemeinschaftsorgane entscheidet gemäß Art. 220 EGV der EuGH. Daher mündet die Notwendigkeit einer Begrenzung der Ermächtigung zwingend in das Problem der Grenzen der Auslegungs- und Rechtsfortbildungskompetenz des EuGH ein146. Dieser hatte sich bislang als „Motor der Integration“ verstanden und nach der Theorie des „effet utile“ bei jeder Auslegung einer europäischen Rechtsnorm die Ausweitung der Zuständigkeit der Gemeinschaft bezweckt. Sinnfälliges Beispiel für dieses Selbstverständnis ist die Ausweitung der vertraglichen Einzelermächtigung durch die „Implied powers“-Lehre des EuGH. Danach stehen der Gemeinschaft neben den geschriebenen auch alle jene Kompetenzen zu, die sie zur Erfüllung 143 144 145 146

Vgl. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 513 ff. Vgl. BVerfGE 89, 155, 193. Möschel, NJW 1993, 3025. Götz, JZ 1993, 1081, 1083.

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der ihr gestellten Aufgaben benötigt, selbst wenn diese Kompetenzen nicht ausdrücklich in den Gemeinschaftsverträgen enthalten sind. Dem hat das Bundesverfassungsgericht im „Maastricht“-Urteil entgegengehalten, dass bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften zu beachten sei, dass der Unionsvertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen dürfe. Und es setzt hinzu, dass eine solche Auslegung für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten würde147. Diese Feststellung ist vom Ansatz des Gerichts her, nach dem die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nur aufgrund des im Zustimmungsgesetz erteilten Rechtsanwendungsbefehls in Deutschland Rechtsgeltung beanspruchen können, folgerichtig148. Der Zusatz, dass widrigenfalls keine Bindungswirkung entfaltet würde, der mit Recht als dramatisch bezeichnet werden kann, ist letztlich nur als protestative und vorsorgliche Inanspruchnahme eines Interpretationsmonopols auf deutscher Seite zu verstehen149. Auf die problematischen Konsequenzen, die das in Anspruch genommene Letztentscheidungrecht für das Spannungsverhältnis von Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht hat, soll hier nicht eingegangen werden. Diese hängen letztlich davon ab, ob und wieweit der EuGH seine Rechtsprechung im Bereich der Kompetenznormen ändern wird. Es genügt an dieser Stelle festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht der dynamischen Vertragsauslegung des EuGH eine Grenze aufgezeigt hat und dessen Selbstverständnis als „Motor der Integration“ kritisch in Frage gestellt hat. Es ist anzunehmen, dass es mit der Inanspruchnahme eines Interpretationsmonopols seiner Forderung nach einer strikteren Auslegung und Handhabung von Kompetenzvorschriften Nachdruck verleihen wollte, um so das Prinzip der begrenzten Ermächtigung zu wahren. 2. Das Subsidiaritätsprinzip a) Begrifflichkeit und Herleitung Begrifflich stammt der Subsidiaritätsgrundsatz aus der katholischen Soziallehre. Seine klassische Formulierung als soziale Ordnungsvorschrift findet sich in der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo Anno“. 147 148 149

BVerfGE 89, 155, 6. Leitsatz. König, ZaöRV 1994, 17, 45. Ipsen, EuR 1994, 1, 11.

III. Rechtsangleichung und Subsidiaritätsprinzip

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Nach ihr „verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen“150.

Ob in dieser Aussage der Gedanke des Staatsaufbaus von unten nach oben und damit eine Präferenz für eine föderalistische Organisation des Staatswesens ausgedrückt wird oder ob nur eine Abgrenzung zwischen der Privatsphäre und der öffentlichen Gewalt gemeint war, ist strittig151. Soviel lässt sich aber sagen: Der einzelne Mensch bedarf bei der Bewältigung seiner Probleme der Hilfe, des subsidium, einer organisierten Form des Kollektivs und somit des Staates. Der Staat soll diese Lebenshilfe in einer Weise erbringen, die auf den Dienst am Einzelnen auszurichten ist. Das gelingt ihm aber nur durch die Diversifizierung seiner Handlungsmacht auf kleinere Ebenen. Nur diese sind fähig, den Einzelnen in seiner Individualität wahrzunehmen und nur diese sind umgekehrt für den Einzelnen noch überschaubar. Der ursprünglich mit dem Subsidiaritätsgedanken verfolgte Ansatz warnt damit vor einer Überforderung des Staates, der bei einem Fehlen von kleineren Zwischeneinheiten sich unmittelbar und ausschließlich dem Individuum gegenüber sieht und diesem allein nicht gerecht werden kann152. Die Subsidiarität setzt also insbesondere voraus, dass zwischen dem Einzelnen und dem Staat Zwischenformen der Handlungsmacht eingerichtet und gestärkt werden. b) Bedeutung für die Gemeinschaft Für die europäische Gemeinschaft, die kein Staat ist und in absehbarer Zeit keine Staatsform erlangen wird, kann das Subsidiaritätsprinzip zwar nicht als Organisationsrichtlinie für den europäischen Verfassungsgeber Wirkung entfalten. Gleichwohl lässt sich das Subsidiaritätsprinzip, überträgt man es auf das Verhältnis von Europäischer Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, als Appell an die Organe der Gemeinschaft verstehen, von ihren Befugnissen zurückhaltenden Gebrauch zu machen153: Was die kleinere Einheit vermag, darf die größere nicht entziehen. Das bisher schon für die Umweltpolitik in Art. 174 Abs. 2 EGV normierte Subsidiaritätsprinzip wurde durch den Vertrag von Maastricht in Art. 5 Abs. 2 EGV als allgemeiner Grundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung verankert. 150

Quadragesimo Anno, Nr. 79, 1931, zitiert nach Herzog, Der Staat 1963, 399,

400. 151 152 153

Blanke, ZG 1991, 133, 134. Kirchhof, FCE 2/98, 8. Pipkorn, EuZW 1992, 697, 698.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

Anlass für die Einführung des Subsidiaritätsprinzips war die Furcht vor einem unkontrollierten Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten. Dem könnte zwar über einen Kompetenzkatalog hinsichtlich der Zuständigkeiten der Gemeinschaft abgeholfen werden, was aber einen weiteren Schritt in Richtung auf eine europäische Verfassung und einen europäischen Bundesstaat bedeuten würde. Gerade dies wollen aber die diejenigen verhindern, die den schleichenden Verfall der nationalen Souveränität beklagen. Als Ansatzpunkt für eine Begrenzung der Kompetenzen der Gemeinschaft bietet sich deshalb der tätigkeitsbezogene Impetus des Subsidiaritätsgedankens an. Dies im Auge behaltend heißt es in Art. 5 Abs. 2 EGV folgerichtig: „In den Bereichen, die nicht in ihre ausdrückliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“.

Geht es beim Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung noch um das „kann“ einer Zuständigkeit, stellt Art. 5 Abs. 2 EGV die „Soll“-Frage154. Dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dem Subsidiaritätsgrundsatz vorgelagert ist, zeigt sich auch daran, dass letzterer im Falle einer nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu bestimmenden ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft nicht greift. Durch das Subsidiaritätsprinzip werden somit alle in Art. 7 EGV genannten Gemeinschaftsorgane, für die nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung ein Handlungsspielraum besteht, zur doppelten Prüfung verpflichtet, ob die Gemeinschaft überhaupt tätig werden soll und wie sie tätig wird155. c) Praktische Anwendbarkeit Durch das Subsidiaritätsprinzip wird ein durchgreifender Wandel bei der künftigen Ausübung der Gemeinschaftskompetenzen, vor allem auch im Hinblick auf die Wahrung von Regelungsspielräumen für die jeweiligen nationalen Gesetzgeber, erwartet. Der bisherigen, regelmäßig großzügigen Interpretation und Fortentwicklung von Gemeinschaftskompetenzen durch den EuGH, an den die Vorschrift des Art. 5 EGV gem. Art. 7 Abs. 1 EGV selbstverständlich auch gerichtet ist, dürfte nunmehr die Basis entzogen sein. Das Subsidiaritätsprinzip ist als Kompetenzausübungsschranke zu interpretieren. Dies entspricht dem im Amsterdamer Vertrag enthaltenen Protokoll Nr. 30 zum EGV über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiari154 155

So Möschel, NJW 1993, 3025, 3026. Vgl. Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, 720.

III. Rechtsangleichung und Subsidiaritätsprinzip

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tät und der Verhältnismäßigkeit. Geht auch der Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips aus diesem Protokoll wie aus der Formulierung in Art. 5 Abs. 2 EGV deutlich hervor, so ist allerdings die materielle Bedeutung dieser von den Mitgliedstaaten als zentral verstandenen156 Berufung auf das Subsidiaritätsgebot fraglich. Kann man die Geeignetheit und Erforderlichkeit, die das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als Kriterien voraussetzt, noch als einer Beurteilung durch Rechtsanwendungsorgane zugänglich ansehen, so ist die „Soll“-Frage des Subsidiaritätsprinzips eher eine politische. Hieran ändern auch die in Nr. 5 des Protokolls Nr. 30 genannten Leitlinien für die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips erfüllt sind, nichts. Insbesondere die Erwägung, ob „Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile mit sich bringen“,

zeigt, welche Spielräume hier noch verbleiben. Der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament kommt auf Grund dieser generalklauselartigen Weite der Formulierung des Art. 5 Abs. 2 EGV ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Blickt man rechtsvergleichend auf das deutsche Grundgesetz, so findet sich in Art. 72 GG eine ähnlich abstrakt formulierte Klausel, die für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung das Tätigwerden des Bundes davon abhängig macht, dass eine Angelegenheit nicht von den Ländern wirksam und effektiv geregelt werden kann. Tatsächlich laufen die als Schranke gedachten qualitativen Anforderungsmaßstäbe des Art. 72 Abs. 2 GG faktisch leer. Es ist eine nahezu ausschließliche Tätigkeit des Bundes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung festzustellen, die das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Verfassungsgebers umkehrt. Hieraus wird zum Teil der Schluss gezogen, dass das Subsidiaritätsgebot auch auf europäischer Ebene eine vergleichbar folgenlose Entwicklung nehmen wird157. Die Wirkungslosigkeit des Art. 72 GG dürfte aber vor allem auf den Begriff der „einheitlichen Lebensverhältnisse“ zurückzuführen sein. Diesen Rechtfertigungsgrund für ein Tätigwerden des Bundes hatte das Bundesverfassungsgericht vor der Änderung des Art. 72 GG im Ermessen des Bundesgesetzgebers gesehen und dessen Entscheidungen nur auf Ermessensfehlgebrauch überprüft, der faktisch nie festgestellt wurde158. Auch nach der Änderung des Art. 72 GG159, nach der eine bundesgesetzliche Regelung im 156 Vgl. Pipkorn, EuZW 1992, 697,698; in Deutschland ist in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG die Subsidiarität sogar als eine Bedingung für die Mitwirkung bei der Entwicklung der EU festgehalten. 157 Blanke, ZG 1991, 133, 138. 158 Vgl. etwa BVerfGE 2, 224; 34, 39.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein muss und die der aufgezeigten Entwicklung Rechnung tragen sowie zu einer Konzentrierung und Präzisierung beitragen sollte, wird nach wie vor ein politischer Ermessensspielraum des Bundesgesetzgebers hinsichtlich der Voraussetzungen der Erforderlichkeit bejaht160. Ob die Tragweite des Subsidiaritätsprinzips in der Fassung des Art. 5 Abs. 2 EGV aber ähnlich eng zu sehen ist, scheint noch nicht ausgemacht. Nach dem Wortlaut der Regelung müssen sich die Ziele der angestrebten Maßnahme wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Ebene der europäischen Gemeinschaft erreichen lassen. Dies setzt aber eine potentielle Unwirksamkeit des Handelns der Mitgliedstaaten voraus161, was im deutschen Verfassungsrecht, das auch dann ein Bedürfnis für eine bundesgesetzliche Regelung bejaht, soweit dies die Wahrung der Rechtseinheit erfordert, gerade nicht der Fall ist. Letztlich hängt die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips aber davon ab, inwieweit der EuGH eine Nachprüfbarkeit und Justiziabilität des Prinzips bejaht. Einen Anreiz hierzu könnte die für die Durchsetzung der Rechtsprechung des EuGH benötigte Akzeptanz durch die obersten Gerichte der Mitgliedstaaten bilden162. Das Bundesverfassungsgericht versteht das Prinzip der Subsidiarität in der Form des Maastricht-Vertrages ebenso wie das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung als Kompetenzausübungschranke163. Obwohl diese Interpretation der beiden Prinzipien für die übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH nicht bindend ist, setzt sie für die künftige Rechtsprechung des EuGH ein unübersehbares Zeichen164, das mit der angedrohten Letztentscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts165 noch eine warnende Unterstreichung erhält. Nicht nur ein Zeichen, sondern eine Verpflichtung ist diese Interpretation für die Bundesregierung hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens im Rat. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat sie ihren Einfluss zugunsten einer strikten Handhabung des Art. 5 Abs. 2 EGV geltend zu machen und damit ihre in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auferlegte Verfassungspflicht zu erfüllen166. Darüber hinaus sind auch der Bundestag und Bundesrat verpflichtet, durch ihre Mitwirkungsrechte an der internen deutschen Willensbildung nach Art. 23 Abs. 3 und Abs. 4 GG die Ratspraxis im Sinne des Subsidiaritätsprinzips zu beeinflus159 160 161 162 163 164 165 166

ÄndG vom 15.11.1994, BGBl. 1994 I, 3146. Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 109. Pipkorn, EuZW 1992, 697, 699. Pipkorn, EuZW 1992, 697, 700. BVerfGE 89, 155, 193. So König, ZaöRV 1994, 17, 43. BVerfGE 89, 155, 6. Leitsatz. BVerfGE 89, 155, 211.

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sen167. Die Effektivität des Subsidiaritätsprinzips erscheint damit gewahrt. Der EuGH wird daher zumindest bei deutlichen Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip den entsprechenden Rechtsakt der Gemeinschaft für nichtig erklären. Auch im Hinblick auf die Begründungspflicht des Art. 253 EGV und der sich aus dem Protokoll Nr. 30 zum Amsterdamer Vertrag ergebenden Rechtfertigungslast der Gemeinschaftsorgane ist ein Bedeutungsgewinn des Subsidiaritätsprinzips zu erwarten. 3. Bedeutung des Subsidiaritätsgrundsatzes für die Anwendung der Harmonisierungsinstrumente Ob der Grundsatz der Subsidiarität für die Art und Weise der Rechtsangleichung Bedeutung entfalten kann, ist nach dem Vorstehenden nicht gesichert. a) Keine Geltung bei ausschließlicher Zuständigkeit der Gemeinschaft Misst man dem Subsidiaritätsgrundsatz überhaupt eigenständige Bedeutung bei, so kann der Grundsatz jedenfalls dann nicht eingreifen, wenn eine ausschließliche Zuständigkeit der EU besteht168. In diesem Fall werden die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten nicht tangiert und es besteht dementsprechend auch kein Bedürfnis die Rechte der Mitgliedstaaten vor einer ausufernden Gesetzgebung der Gemeinschaft zu schützen. Entsprechend wird schon nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EGV der Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Gemeinschaft von der Subsidiaritätsschranke ausgenommen. Hier gilt lediglich Art. 5 Abs. 3 EGV, nach dem die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über „das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrages erforderliche Maß“ hinausgehen dürfen. Da im Gegensatz zur deutschen Verfassung auf europäischer Ebene bislang kein Kompetenzkatalog von Zuständigkeiten besteht, sind diese nach Sinn und Zweck der einzelnen Ermächtigungsnormen des EGV zu bestimmen. Die Kommission nimmt eine ausschließliche Zuständigkeit für das europäische Beamtenrecht, die allgemeinen Wettbewerbsregeln, die gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik sowie für wesentliche Elemente der Verkehrspolitik für sich in Anspruch169. Insbesondere ist sie auch der Auffassung, 167 168 169

BVerfGE 89, 155, 212. Vgl. so ausdrücklich Nr. 3 S. 2 des Protokoll Nr. 30 zum Amsterdamer Vertrag. Möschel, NJW 1993, 3025, 3026.

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dass die Rechtsangleichung zur Vervollständigung des Binnenmarktes – also auch Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich des Gesellschaftsrechts – in die ausschließliche Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft fallen170. Daher würde das Subsidiaritätsprinzip insoweit nicht greifen. b) Anwendbarkeit auf die Rechtsangleichung im Binnenmarkt Zwar war bisher der Begriff der ausschließlichen Zuständigkeit auf die Außenkompetenzen der Europäischen Gemeinschaft ausgerichtet, etwa die gemeinsame Handels- und Fischereipolitik. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass eine ausschließliche Zuständigkeit im Innenbereich der Gemeinschaft nicht existieren kann. Tatsächlich scheint es nur schwer begründbar, dass die Herstellung eines Binnenmarktes Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten sein kann171. Gerade wenn man bedenkt, dass die Herstellung des Binnenmarktes eine ebenso zentrale Aufgabe der Gemeinschaft ist wie der Schutz dieses Marktes nach außen durch eine gemeinsame Handelspolitik, lässt sich eine Differenzierung nicht rechtfertigen172. So zählt in der föderal strukturierten Bundesrepublik Deutschland die „Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und der Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland“ – also die zentralen Merkmale des (nationalen) Binnenmarktes nach innen und außen – gemäß Art. 73 Nr. 5 GG nicht ohne Grund zu den Gegenständen der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes. Allerdings muss man bei der Frage, ob eine ausschließliche Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft gegeben ist oder nicht, richtigerweise das Augenmerk nicht auf das Ziel einer gesetzgeberischen Maßnahme der Europäischen Gemeinschaft richten, sondern auf das betroffene Sachgebiet173. Ferner sind nach Art. 10 EGV die Mitgliedstaaten zur Mithilfe bei der Verwirklichung der Vertragsziele verpflichtet, sodass eine Arbeitsteilung nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten auch für den Binnenmarkt nach dem EGV nicht ausgeschlossen scheint174. Entsprechend ist zwischen der ausschließlichen Kompetenz für 170 Vgl. Kommission der EG, Das Subsidiaritätsprinzip, Dok. SEK (1992), 1990, Bull. EG 10/1992, 118, 122 ff. sowie Subsidiaritätsbericht KOM (1993) 545, 2 und Kommission, Bericht an den Europäischen Rat über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1994, KOM (1994) 533, 4. 171 Vgl. Hopt, Company Law in the European Union, 6. 172 Pipkorn, EuZW 1992, 697, 699. 173 Vgl. Schön, ZHR 160 (1996), 221, 229 sowie ders., ZGR 1995, 1, 21. 174 Schön, ZGR 1995, 1, 21; vgl. auch die Ansicht des Bundesrates, Beschlüsse des Ausschusses für Fragen der EU (u. a.), BR Drucks. 83/1/94 Tz. 5–8.

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den Bereich des Binnenmarktes und der konkurrierenden Kompetenz zur Gewährleistung gleicher Bedingungen im Binnenmarkt zu unterscheiden. Damit wäre das Subsidiaritätsprinzip auf die Rechtsangleichung im Binnenmarkt anwendbar175. So wird denn das Subsidiaritätsprinzip teilweise als Auftrag zu einem „Wettbewerb der Systeme“ verstanden, der anstelle der zentralistisch gesteuerten Rechtsharmonisierung die Konkurrenz der nationalen Rechtssysteme setzt176. Die vom Subsidiaritätsprinzip gestellte Frage, ob ein Ziel auf Ebene der Gemeinschaft besser erreicht werden soll, als auf Ebene der Mitgliedstaaten, sei am ehesten nach den Folgen für die gesamtwirtschaftliche Effizienz zu beurteilen177. Zu einer ökonomischen Optimierung dürfte aber ein Wettbewerb der Rechtssysteme eher geeignet sein, als eine von oben geplante Harmonisierung178. Auch das in Art. 5 Abs. 3 EGV verankerte Verhältnismäßigkeitsprinzip könnte zu einer neuen Ausrichtung bei den verschiedenen Formen europäischer Rechtssetzung führen. So ist etwa eine Richtlinie weniger einschneidend als eine Verordnung179. Aber auch weitere Abstufungen sind denkbar. Als Option wird im Sutherland-Bericht etwa auch die Selbstregulierung der Beteiligten genannt180. Statt einer Richtlinie könnten daher im Einzelfall auch bloße Mustergesetze im Zusammenwirken mit einem freien Spiel der Marktkräfte ausreichen, um die gewünschte Standardisierung gleichermaßen effizient zu bewerkstelligen. Solche „milderen Mittel“ dürften nach Effizienzgesichtspunkten umso mehr an Gewicht gewinnen, als die gegenseitigen Blockaden der Mitgliedstaaten im Ministerrat dazu führen, dass Richtlinienvorschläge nicht umgesetzt oder stark aufgeweicht werden.

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So ausdrücklich Dreher, JZ 1999, 105, 108. Siebert/Knoop, WiSt 1994, 611; Kübler, AG 1994, 141, 145; Grundmann, ZGR 2001, 783, 801; vgl. auch Everling, Festschrift für Steindorff, 1155, 1172: „Hinter dem Schlagwort vom Wettbewerb der Systeme steht der beherzigenswerte Gedanke, die Vereinheitlichung sollte in der von der Vielfalt der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Spannungen lebenden Gemeinschaft nicht weiter gehen, als es zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich ist“; a. A. dagegen Schön, ZGR 1995, 1, 31: Ein Wettbewerb der Systeme sei durch das Subsidiaritätsprinzip nicht programmiert. 177 So Möschel, NJW 1993, 3025, 3027, der allerdings die Leistungsfähigkeit des Subsidiaritätsprinzips mit großer Zurückhaltung beurteilt. 178 Hierzu bereits oben I., Seite 34 ff. 179 Entsprechend wird in Nr. 6, S. 2, 3 des Protokolls Nr. 30 zum Amsterdamer Vertrag explizit ausgeführt: „Die Rechtssetzungstätigkeit der Gemeinschaft sollte über das erforderliche Maß nicht hinausgehen. Dementsprechend wäre unter sonst gleichen Gegebenheiten eine Richtlinie einer Verordnung und eine Rahmenrichtlinie einer detaillierten Maßnahme vorzuziehen.“ 180 Der Binnenmarkt nach 1992, 8. 176

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

IV. Rechtsangleichung und Praktikabilität – Das Beispiel der Societas Europaea Neben der Vorzugswürdigkeit der gegenseitigen Anerkennung von nationalen Rechtsnormen gegenüber der Rechtsangleichung auf Grundlage des Demokratie- und Subsidiaritätsprinzips spricht inzwischen ganz wesentlich das praktische Problem der Durchsetzbarkeit der Rechtsangleichung in einer größer werdenden Gemeinschaft für eine Neuorientierung. Die Rechtsangleichung in der Gemeinschaft ist mühsam und langwierig181. Das Recht der Mitgliedstaaten hat unterschiedliche Wurzeln und beruht auf verschiedenen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Jede Rechtsänderung greift in Interessen und Besitzstände ein und erfordert Wertungen, über die eine Einigung schwierig und manchmal unmöglich ist182. Diese Notwendigkeit, von dem Streben nach Rechtsvereinheitlichung zugunsten einer gegenseitigen Anerkennung von nationalen Normen abzurücken, zeigt sich nirgends eindrucksvoller als bei einem Blick auf die Geschichte des Projekts der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, im Folgenden SE). Dies mag überraschen, geht es insoweit doch nicht um die Angleichung nationaler Normen, sondern um die Schaffung genuinen europäischen Rechts. Dass die Mitgliedstaaten selbst bei einem solchen Vorhaben, das ihre Rechtsordnungen jedenfalls nicht unmittelbar berührt, nicht in der Lage sind, Fähigkeit und Willen zu einer einheitlichen Lösung aufzubringen, macht die Geschichte der SE für die hier vertretenen Thesen nur exemplarischer. 1. Existenzberechtigung und Funktion der SE Die SE soll Unternehmen, die im europäischen Binnenmarkt grenzüberschreitend agieren, eine supranationale Rechtsform an die Hand geben, die es ermöglicht, europaweit mit einer einzigen Gesellschaft zu agieren. Bislang sind solche Unternehmen zwar schon in den einzelnen Mitgliedstaaten vertreten, jedoch meist in der Form einer Tochtergesellschaft, die nach dem in dem einzelnen Mitgliedstaat geltenden Gesellschaftsrecht organisiert ist183. Für die Kommission ist die Schaffung einer europäischen Unternehmensrechtsform daher eine wesentliche Voraussetzung für die Vollendung des europäischen Binnenmarktes184. Die Erfahrungen mit missglückten Partnerschaften zwischen europäischen Unternehmen zeigt nach der Kommission im Übrigen, dass ein starker rechtlicher Rahmen erforderlich sei, 181 182 183

Vgl. etwa Everling, Festschrift Reimer Schmidt, 165 ff. Everling, Festschrift für Steindorff, 1155, 1164. Vgl. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 396.

IV. Rechtsangleichung und Praktikabilität

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um den Zusammenhalt auch in einer wirtschaftlich schwierigen Situation zu gewährleisten. Immer wieder wird auch das Airbus-Konsortium als Paradebeispiel eines Anwendungsfalls für die SE genannt185. Es scheint allerdings recht fraglich, ob tatsächlich ein Bedürfnis nach einer solchen supranationalen Rechtsform von Seiten der Wirtschaft besteht. Es gibt durchaus gelungene Beispiele für eine transnationale Zusammenarbeit von europäischen Unternehmen, es sei nur die Royal Dutch ShellGruppe oder die Unilever genannt186. Auch bieten einzelne nationale Rechte, wie z. B. das französische Recht inzwischen Unternehmensformen an, die den Erfordernissen transnationaler Unternehmungen Rechnung tragen. So soll das bislang als „Groupement d’intérêt économique“ (GIE) – eine einem Verein vergleichbare Vermarktungsgesellschaft französischen Rechts187 – organisierte Airbus-Konsortium nunmehr in eine Kapitalgesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Toulouse umgewandelt werden. Das hierfür vorgesehene Gesellschaftsstatut einer „Société par actions simplifiées“ (SAS) ist im engeren Sinne ein Aktionärspakt, der auf die Bedürfnisse multinational operierender Firmen zugeschnitten ist. Er lässt diesen insbesondere bei der Verwaltung von gemeinsam betriebenen Tochterfirmen relativ freie Hand. Dies zeigt, dass in Zeiten der Globalisierung nationale Rivalitäten und Eifersüchteleien gegenüber wirtschaftlichen Erfordernissen zurücktreten. Nicht verschwiegen werden soll allerdings, dass die Entwicklung bei Airbus nur dadurch möglich wurde, dass die europäischen Luft- und Raumfahrthersteller privatisiert sind und sich ihrerseits in der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) mit Sitz in Amsterdam zusammengeschlossen haben. Die nationalen Rechte bieten damit genügend Organisationsformen für Unternehmen, so dass daneben europäische, supranationale Unternehmensformen überflüssig erscheinen. Nichtsdestotrotz wird auch von Unternehmensseite das Bedürfnis nach einer europäischen Unternehmensform artikuliert. Insbesondere bei kleinen 184 EG-Kommission, Vollendung des Binnenmarktes, Weißbuch an den Europäischen Rat vom 28./29.06.1985 in Mailand, Dok. KOM (1985), 310 endg. vom 14.06.1985, Rdnr. 137. 185 Etwa Kohlhepp, RIW 1989, 88, 89. 186 Zweifelnd auch Rasner, ZGR 1992, 314, 316. 187 Die im Jahr 1967 geschaffene GIE diente der bislang einzigen supranationalen Unternehmensform, der EWIV, als Vorbild. Anders als die GIE hat die EWIV bislang keine allzu große Verbreitung gefunden und wurde auch als Unternehmensform für das europäische Airbus Projekt nicht genutzt. Dies wird überwiegend auf die im Gegensatz zur GIE weiterreichenden Offenlegungspflichten und die unbeschränkte und unabdingbare Haftung der Mitglieder der EWIV zurückgeführt, vgl. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 358 m. w. N.

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und mittleren Unternehmen, die zwar inzwischen ebenfalls grenzüberschreitend agieren, aber nicht über den juristischen Apparat von Großkonzernen verfügen, ist der Wunsch nach einer überschaubaren und einfach zu handhabenden europäischen Gesellschaftsform ausgeprägt, die es ermöglicht, transnational tätig zu werden, ohne sich aufwendig mit ausländischem Recht auseinandersetzen zu müssen. Nicht zuletzt deshalb haben die europäischen Handelskammern und Arbeitgeberverbände einen eigenen Vorschlag für das Statut einer „europäischen Privatgesellschaft“ unterbreitet188. Schlagendes Argument für die SE war aber bislang die Notwendigkeit einer Regelung der Sitzverlegung von einem Mitgliedstaat in einen anderen, welcher bislang unter Geltung der so genannten Sitztheorie189 nur mittels Auflösung und Neugründung möglich war. Der SE dagegen soll es möglich sein, ihren Sitz innerhalb der Gemeinschaft ohne weiteres zu verlegen. Angesichts der „Centros“-Entscheidung des EuGH und der dadurch ausgelösten, nachfolgend noch besprochenen Entwicklungen190, scheint sich in diesem Bereich eine dramatische Veränderung anzubahnen. Zudem wurde das Problem der Sitzverlegung im Rahmen des Entwurfs einer vierzehnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie von der Gemeinschaft in Angriff genommen191. Zusammenfassend ist damit wohl eher der Wunsch eines europäischen Symbols die Triebfeder für das Streben nach der SE, weniger wirtschaftliche Notwendigkeiten. Dies heißt aber nicht, dass eine supranationale Unternehmensform wie die SE nicht im Einzelfall durchaus Berechtigung und Sinn haben mag. 2. Erste Ansätze zur Schaffung einer SE Die ersten Ansätze zur Schaffung einer europäischen Rechtsform für Unternehmen, mithin der SE, stammen vom Holländer Sanders192 und dem Franzosen Thibièrge193. Beide formulierten unabhängig voneinander be188 Deutscher Text im Internet über die IHK Paris abrufbar unter www.ccip.fr/ etudes/spe/de/spede.htm. 189 Die Sitztheorie besagt, dass der tatsächliche und statuarische Sitz einer Gesellschaft nicht auseinander fallen dürfen. Eine bloße Verlagerung des tatsächlichen Sitzes in einen Drittstaat hätte nach der Sitztheorie die Versagung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft zur Folge. Die Sitzverlegung bedarf daher zu ihrer Wirksamkeit der Neugründung der Gesellschaft im Drittstaat, vgl. ausführlich unten Dritter Teil, I.1., Seite 96 ff. 190 Hierzu ausführlich im Dritten Teil, Seite 95 ff. 191 Vgl. ZIP 1997, 1721 ff.; zu dieser Richtlinie vgl. etwa Schmidt, ZGR 1999,20 ff. 192 Sanders, RIW 1960, 1 ff., Antrittsvorlesung in Rotterdam.

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reits um das Jahr 1960 den Wunsch nach einer europaweiten Unternehmensrechtsform, quasi als Kronjuwel der Bemühungen um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Die skeptischen Fragen nach dem tatsächlichen Bedarf an einer solchen Unternehmensform spielten damals noch keine Rolle. Vielmehr war der Wunsch nach der symbolträchtigen SE gekennzeichnet von der damaligen Aufbruchsstimmung und Europa-Begeisterung. Entsprechend wurde der Gedanke gerne von der damaligen EWG-Kommission im Dezember 1966 aufgenommen und Sanders als Gutachter in eine Sachverständigengruppe berufen, die einen ersten Vorentwurf für ein Statut einer SE194 entwickeln sollte. Dieser Vorentwurf wurde im Jahr 1970 als Kommissionsvorschlag195 dem Ministerrat vorgelegt, nachdem die zwischenzeitlich abgeflauten Anstrengungen, insbesondere auf französisches Drängen hin, unter dem Einfluss einiger Unternehmensübernahmen durch amerikanische Gesellschaften neu entfacht worden waren. Dieser Entwurf von 1970 und die nach zahlreichen kritischen Stellungnahmen196 geänderte Fassung von 1975197 gingen von der Idee einer sehr weitgehenden und inhaltlich bestimmten Rechtsgrundlage aus. Es sollte eine Kodifikation entstehen, die in Bezug auf Regelungstiefe und -gegenstand nicht hinter den jeweiligen nationalen Vorschriften zurückbleiben sollte. So waren in die über 400 Artikel des ersten Entwurfs neben einem vollständigen Gesellschaftsstatut auch Rechnungslegungsvorschriften, ein Konzernrecht und sogar ein weitreichendes Betriebsverfassungsrecht implementiert worden. Gerade die detaillierte Regelung der Entwürfe von 1970/75 führte aber zu deren Scheitern. So war hinsichtlich der Leitungsorganisation der SE ein dualistisches Verwaltungssystem, d.h. ein Vorstand mit einem Aufsichtsrat als Kontrollgremium, vorgesehen worden. Dies stieß auf den Widerstand von Ländern mit einem monistischem Boardsystem, das keinerlei institutionelle Aufteilung zwischen Überwachung und Unternehmensleitung kennt. Auch das im Entwurf geregelte Konzernrecht, welches andere europäische Staaten nicht kennen, wurde im Ausland mit Misstrauen aufgenommen. Hauptproblempunkt war die Frage der Mitbestimmung, in der konträre politische Positionen in den einzelnen Mitgliedstaaten aufeinander trafen. 193

Thibièrge, Le statut des sociétés étrangères, 270 ff., 352, 360 ff. Vgl. hierzu Sanders, AG 1967, 344 ff. 195 ABlEG Nr. C 124/1 vom 10.10.1970. 196 Siehe hierzu etwa die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum ursprünglichen Vorschlag, ABlEG Nr. C 93 vom 7.8.1974, 17 ff. 197 Geänderter Vorschlag vom 30.4.1975, Dok. KOM (1975), 150, abgedruckt als BT-Drucks. 7/3713. 194

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Es mag überraschen, dass die Einführung einer neuen europaweiten Unternehmensrechtsform, die nicht an die Stelle, sondern neben die nationalen Unternehmensstatute tritt und nur eine zusätzliche Wahlmöglichkeit bietet, Gegenstand von solch harten Kontroversen wurde. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass es bei der SE schon immer um einen hohen symbolischen Wert ging, der nationale Empfindlichkeiten herausforderte. Auch kann die SE – je nach Standpunkt – einerseits als Fluchtweg aus strengeren nationalen Regelungen verstanden werden oder andererseits als trojanisches Pferd, mit dem unversehens völlig fremde gesellschaftsrechtliche Konzepte ins Land geholt werden, die einen durch weitgehende Liberalität errungenen Wettbewerbsvorteil gefährden. Dies wird an der Mitbestimmung deutlich, bei der Deutschland in jedem Fall vermeiden wollte, dass seine Unternehmen sich dieser sozialen Errungenschaft verweigern, während etwa Spanien fürchtete, mit der SE die strengen deutschen Regeln zu importieren und damit an Attraktivität als Investitionsstandort einzubüßen198. 3. Die Rechtsgrundlage der SE Die Entwürfe von 1970/1975 waren von der Kommission auf Art. 308 EGV gestützt worden. Nach dieser „Vorschrift für unvorhergesehene Fälle“199 erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments geeignete Vorschriften für den Fall, dass ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des gemeinsamen Marktes ein Ziel der Gemeinschaft zu verwirklichen, und in dem EGV die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Diese Rechtsgrundlage wurde ursprünglich zur Schaffung der SE herangezogen, da man damals der Auffassung war, dass der EGV keine besonderen Befugnisse für die Verwirklichung des SE Projektes bereitstelle. Allerdings war die Heranziehung des Art. 308 EGV nicht unumstritten. So war man bis zum Erscheinen des ursprünglichen Verordnungsentwurfs von 1970 der Meinung, dass der EGV überhaupt keine für die Schaffung der SE erforderlichen Gesetzgebungskompetenzen beinhalte und deshalb das Recht der SE nur durch einen neben dem EGV bestehenden und diesen ergänzenden Staatsvertrag geschaffen werde könne200. Auch unter Berufung auf das Problem des Demokratiedefizits wurde die Heranziehung der Norm, die den Rat als nur mittelbar demokratisch legitimiertes Organ zur Rechtssetzung 198

Vgl. FAZ Nr. 118 vom 25.5.1999, 24. So die nicht amtliche Überschrift der Norm in: Der Vertrag von Amsterdam, Sonderbeilage zu NJW, EuZW, NVwZ und JuS, 1998. 200 Wahlers, AG 1990, 448, 457. 199

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ermächtigt, für ein so bedeutendes und weitreichendes Projekt wie die SE kritisiert201. Unabhängig von dieser Kritik stützte die Kommission bei ihrem neuerlichen Vorschlag eines Verordnungsentwurfs von 1989 – hierzu sogleich – diesen auf den durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) vom 28.02. 1986 neu eingefügten Art. 95 EGV. Grund hierfür war ohne Zweifel, dass sich die Kommission dadurch eine leichtere Durchsetzbarkeit des Verordnungsentwurfes erhoffte. Art. 95 EGV lässt nämlich im Unterschied zu Art. 308 EGV eine Entscheidung des Rates mit qualifizierter Mehrheit zu. Da Art. 95 Abs. 2 EGV aber den Anwendungsbereich der Norm auf Maßnahmen begrenzt, die nicht die Themenkomplexe, Steuern, Freizügigkeit sowie die Rechte und Interessen von Arbeitnehmern berühren, wurde die Frage der Mitbestimmung vom Verordnungsentwurf für die SE getrennt. Um im Bereich der Arbeitnehmermitbestimmung ebenfalls das Erfordernis einer nur qualifizierten Mehrheit im Rat zu erlangen, hat die Kommission insoweit das Instrument der Richtlinie nach Art. 44 Abs. 2 g EGV gewählt. Dieses allein um der Erhöhung der Chancen für eine Verabschiedung im Rat willen von der Kommission entwickelte Konzept ist auf harsche Kritik gestoßen202: Bei der Verordnung über die SE könne man nicht von einer Rechtsangleichungsmaßnahme im Sinne des Art. 95 EGV sprechen. Von einer Angleichung von Rechtsvorschriften könne nur dann die Rede sein, wenn der materielle Inhalt der die Angleichung gestaltenden Verordnung auch Inhalt jeweils eines nationalen Gesetzes der Mitgliedstaaten sein kann. Ein SE-Statut sei aber als supranationales Recht nur neben dem fortbestehenden nationalen Recht denkbar und bewirke keinesfalls eine die Rechtsangleichung auszeichnende Veränderung bzw. Ersetzung des nationalen Rechts. Die Verordnung über die SE könne deshalb nicht auf Art. 95 EGV gestützt werden203. Auch sei die Abspaltung der Mitbestimmungsfrage eine unzulässige Umgehung von Art. 95 Abs. 2 EGV. Dies ergebe sich aus der auch von der Kommission anerkannten und in den Art. 135 f des Verordnungsvorschlags normierten untrennbaren Verknüpfung zwischen der Verordnung und der Richtlinie. Weiter wurde argumentiert, dass sich Mitbestimmungsvorschriften für eine SE schon generell nicht auf Art. 44 Abs. 2 g EGV stützen ließen, weil dieser sich nur auf Gesellschaften im Sinne des Art. 48 EGV, also nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaften, bezieht. Die SE als supranationale Rechtsform könne hierunter nicht subsumiert werden204. 201 202 203 204

So insb. Steindorff, FS für Kastner, 475, 485. Insb. Wahlers, AG 1990, 448, 454; Lutter, AG 1990, 442, 445. Vgl. Wahlers, AG 1990, 448, 454. So Wahlers, AG 1990, 448, 455.

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Dieser zutreffenden Kritik an der vorgeschlagenen Rechtsgrundlage ist die Kommission auch im Verordnungsentwurf von 1991 nicht entgegengekommen, sondern hat an der Aufspaltung in Verordnung und Richtlinie festgehalten. Dies erscheint umso fraglicher, als der EuGH in der „Titandioxid“-Entscheidung entschieden hatte, dass Art. 95 EGV, der die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Thema habe, eine lex specialis zu anderen Normen sei, die als solche diesem Ziel nicht dienten205. Da der Binnenmarkt bei Inkrafttreten des Art. 44 Abs. 2 g EGV im Jahr 1957 noch keine Rolle spielte, wird sich auch von Art. 44 Abs. 2 g EGV kaum sagen lassen können, er diene der Verwirklichung des Binnenmarktes206. Demnach wäre Art. 95 EGV für die Schaffung der eng mit dem Ziel des Binnenmarktes verknüpften SE eine Spezialnorm zu Art. 44 Abs. 2 g EGV. Dieser stünde somit als Rechtsgrundlage für die SE nicht zur Verfügung. Auf die Kritik an der Anwendbarkeit des Art. 95 EGV braucht jedoch hier nicht näher eingegangen werden, hat sich doch durch den Vertrag von Maastricht die praktische Auswirkung der Konstruktion der Rechtsgrundlage nivelliert207. In Art. 2 Abs. 3 der Zusatzvereinbarung zur Sozialpolitik im EUV ist nämlich geregelt, dass Mitbestimmungsregelungen unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage der Einstimmigkeit im Ministerrat bedürfen. Damit ist der eigentliche Grund für die Trennung in eine Verordnung und eine Richtlinie entfallen. Zwar hält die Kommission bislang an den von ihr herangezogenen Rechtsgrundlagen fest, ein „Verfassungskonflikt“, wie ihn die Kritiker dieser Vorgehensweise erwarteten208, droht aber nicht mehr, da solange das Erfordernis der Einstimmigkeit besteht, die gewählte Rechtsgrundlage keine praktischen Auswirkungen mehr hat209. 4. Der Verzicht auf Rechtseinheit als neues Konzept Nach einem dreizehnjährigem Dornröschenschlaf erhielt die Idee der SE – wiederum auf einen französischem Vorstoß hin – einen neuen Schub durch ein Memorandum der Kommission aus dem Jahre 1988210. 205 EuGH, EuZW 1991, 473 ff., hier ging es um das Verhältnis von Art. 95 EGV und Art. 175 EGV. 206 So auch Hauschka, EuZW 1991, 147, 148. 207 So auch Schön, ZHR 160 (1996), 221, 227. 208 Wahlers, AG 1990, 448, 458. 209 Der Präsident des Europäische Parlaments hat am 1.2.2002 darauf verzichtet, gegen das verabschiedete Statut der SE Klage wegen der gewählten Rechtsgrundlage zu erheben. Vgl. hierzu Neye, ZGR 2002, 377 ff., der die Ursache dafür darin sieht, dass man den gefundenen Kompromiss wohl nicht wieder aufs Spiel setzen wollte.

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Angesichts der Schwierigkeiten mit nationalen Sonderinteressen versuchte die Kommission ihr Konzept einer SE nicht nur durch die Aufspaltung in eine Verordnung und eine Richtlinie und den damit verbundenen Wechsel vom Einstimmigkeitsprinzip zur bloß qualifizierten Mehrheit211 leichter durchsetzbar zu machen. Auch inhaltlich sollte das Konzept der SE flexibler und offener für nationale Eigenheiten gestaltet werden. Ein erheblich entschlackter Vorschlag, der zunächst im August 1989212 und in erneut geänderter Fassung im Mai 1991213 vorgelegt wurde, war die Folge. Der ursprüngliche Entwurf aus den siebziger Jahren schrumpfte auf einen Torso zusammen, der vom Umfang weit weniger als die Hälfte beträgt214 und in allen streitigen, aber auch in einigen schon geklärt geglaubten Fragen auf das nationale Recht am Sitz der SE rückverweist. Erreicht wurde diese Kürze neben der Verweisung auf nationales Recht auch durch Verweisung auf Rechtsvorschriften bereits erlassener Richtlinien sowie durch den generellen Verzicht auf eine Regelung besonders problematischer Bereiche, wie dem Konzernrecht, dem Steuerrecht und dem Betriebsverfassungsrecht. So sieht das SE-Statut beispielsweise hinsichtlich der Organisationsform in Titel V (Art. 61 bis 100) grundsätzlich zwei verschiedene Verfassungssysteme vor, nämlich ein monistisches und ein dualistisches. Im Entwurf 1991 wurde in Artikel 61 zusätzlich den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, entweder nur das eine oder das andere Verwaltungssystem für eine SE mit Sitz in ihrem Staatsgebiet zuzulassen. Dies führt dazu, dass schon allein im Hinblick auf die Organisationsstruktur völlig verschiedene Arten einer SE denkbar sind215. Bei anderen gesellschaftsrechtlichen Regelungsbereichen verhält es sich ähnlich. Was verbleibt, ist ein Gerüst von Vorschriften, die die Gründung der SE ermöglichen und unter Zuhilfenahme der gesellschaftsrechtlichen SE-Richtlinien und deren Umsetzung in die nationalen Rechte einigermaßen gleichmäßig die Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und den Jahresabschluss regeln. Der Rest wird dem stark differierenden nationalen Recht überlassen. 210

Dok. KOM (1988), 320 endg., abgedruckt im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Beilage 3/88. 211 Dies galt jedenfalls bis zum Vertrag von Maastricht, vgl. oben IV.3., Seite 82 ff. 212 ABlEG Nr. C 263/41 vom 16.10.1989. 213 ABlEG Nr. C 176/1 vom 8.7.1991. 214 Bestand der Entwurf 1975 noch aus 284 Artikeln nebst 4 Anhängen, so wurde der Entwurf 1989 auf 137 Artikel reduziert. Gegenüber diesem wurden 1991 nochmals 120 bezifferte Absätze gestrichen (allerdings auch 50 neue eingefügt). 215 Zu der theoretisch denkbaren Spannweite der Spitzen- und Leitungsorganisation nach den einschlägigen Kommissionsvorschlägen für das Statut der SE vgl. von Werder, RIW 1997, 304 ff.

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Angesichts der Variationsbreite der nationalen Gesellschaftsrechte – und zwar nicht nur in Grundsatzfragen wie dem System der Verwaltung, sondern in allen möglichen Einzelfragen – wird damit die SE mit Sitz in einem Land in weiten Bereichen nicht mehr mit der SE mit Sitz in einem anderen Land vergleichbar sein216. Hinzu kommt noch ein nicht unerhebliches Maß an Gestaltungsfreiheit für die SE selbst, insbesondere im Hinblick auf die Bilanzierung und die Satzungshoheit. Bildlich kann man mit Rasner deshalb von der SE als einem Fachwerkhaus sprechen, bei dem man, nachdem 1975 noch das komplette Fachwerk sichtbar war, jetzt nur noch die vier Eckbalken und die oberen Querbalken, die das Dach tragen sollen, vor sich sieht217. Ähnlich plastisch spricht Lutter von den unterschiedlichen SE als Schiffen, deren Bug stets in blauer Farbe gestrichen ist, aber mitnichten im selben Blau, deren Heck natürlich die jeweiligen Nationalfarben trägt und deren Brücke in den Farben der Reederei leuchtet218. In der Tat fühlt man sich bei der Lektüre des vorgeschlagen SE-Statutes an ein leeres Fotoalbum erinnert, das die Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen, national geprägten Bildern von einer „europäischen“ Gesellschaft genauso unterschiedlich ausgestalten wie zwei Familien, von denen die eine ihren Urlaub in Afrika und die andere in Asien verbracht hat. 5. Das verabschiedete SE-Statut War der Versuch der Bundesregierung, während der deutschen Ratspräsidentschaft eine Einigung über das Statut der SE auf Basis des Optionsmodells herbeizuführen, noch am Widerstand Spaniens in der Frage der Mitbestimmung gescheitert219, so konnte auf dem Gipfel von Nizza, nach 40 Jahren des Disputierens über die SE, doch noch eine Einigung über das Statut erzielt werden220. 216

Rasner, ZGR 1992, 314, 319. Rasner, ZGR 1992, 314, 318. 218 Lutter, AG 1990, 413, 420; vgl. auch ders., ZGR 1992, 435, 446: „Eine SE, die keine SE ist, sondern nur so tut, ist nützlich als Etikett und Marketing, aber als Gegenstand der Ordnung des Rechts eigentlich unseriös.“. 219 Vgl. FAZ Nr. 119 vom 26.5.1999, 19, 31; Grund für den Widerstand Spaniens war im Wesentlichen auch, dass Spanien als Agrarland seine Besitzstände gegenüber der drohenden EU-Osterweiterung und dem Reformprojekt der „Agenda 2000“ wahren wollte. Dies war bereits bei der Abstimmung im Sozialrat 1998 der wahre Grund für das Scheitern der SE, vgl. hierzu Hasselbach, NZG 1999, 291. Durch die politische Verknüpfung inhaltlich völlig unterschiedlicher Projekte, die man durchaus als Erpressungsversuch deklarieren kann, fand auch ein noch so flexibles und für nationale Bestimmungen offenes SE-Konzept letztlich keinen Erfolg. Auf dessen inhaltliche Ausgestaltung kam es nämlich gar nicht mehr an. 217

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Die nunmehr vom Rat verabschiedete Kompromiss-Ansammlung221 stellt allerdings ein höchst unrühmliches Ende dar. Die Brauchbarkeit des nunmehr verabschiedeten SE-Statuts in der Praxis soll und kann an dieser Stelle nicht erörtert werden222. Eingegangen werden soll jedoch auf die Ursache des langjährigen Streits über die SE, die Mitbestimmungsfrage. Da es sich hierbei um ein auch für andere Bereiche der Rechtsangleichung im Gesellschaftsrecht relevantes Kernproblem handelt, soll dessen Inhalt zunächst kurz geschildert werden. Die Mitbestimmungsfrage war der größte Stolperstein auf dem Weg zu einer einheitlichen Regelung über die SE, ebenso wie zu einer Regelung über die Sitzverlegung von Gesellschaften. Zugleich kann die Art ihrer Behandlung auf nationaler wie europäischer Ebene als Paradigma für den Zusammenprall von ideologischen Gegensätzen gelten. Die unterschiedlichen Positionen der Mitgliedstaaten zu dieser Frage führten zu Kompromissvorschlägen der EU-Kommission, die den Sinn einer vorgeblich einheitlichen Regelung angesichts vielfacher Wahlmöglichkeiten als zweifelhaft erscheinen lassen. Dabei ist die nunmehr, insbesondere von Deutschland vertretene Position, die keinerlei Verwässerung der eigenen Mitbestimmungsgesetze zulassen will, nicht selbstverständlich, hatte sich diese Position doch erst nach harten Auseinandersetzungen im eigenen Land entwickelt.

220

Vgl. Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABlEG 2001, Nr. L 294, 1 sowie Richtlinie 2001/86/ EG vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ABlEG 2001 Nr. L 294, 22 ff. Der deutsche Gesetzgeber ist damit aufgerufen bis zum 8.10.2004 die Rahmenbedingungen für die SE zu schaffen. Entscheidend für das „Wunder von Nizza“ war, dass Spanien in der Frage der unternehmerischen Mitbestimmung gegen die Zusage finanzieller Hilfen für seine Fischereiflotte nachgegeben hat und damit mit seiner Erpressung Erfolg hatte, vgl. Handelsblatt vom 11.12.2000, 4. 221 Die SE-Verordnung enthält Regelungsaufträge und Wahlmöglichkeiten für den nationalen Gesetzgeber in Art. 2 Abs. 5, Art. 7 Satz 2, Art. 8 Abs. 5 und Abs. 14, Art. 19, Art. 31 Abs. 2 Satz 2, Art. 34, Art. 37 Abs. 8, Art. 39 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5, Art. 39 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 und 5, Art. 40 Abs. 3 Satz 2, Art. 43 Abs. 2 Satz 2, Art. 43 Abs. 4, Art. 48 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, Art. 59 Abs. 2, Art. 64 Abs. 2 und 3, Art. 68 Abs. 2. 222 Zu dem verabschiedeten SE-Statut sind zahlreiche Veröffentlichungen erschienen, vgl. etwa Teichmann, ZGR 2002, 383 ff., ders., ZIP 2002, 1109 ff. (zur Ausgestaltung des nationalen Ausführungsgesetzes), Blanquet, ZGR 2002, 20 ff., Hirte, NZG 2002, 1 ff., Heinze, ZGR 2002, 66 ff., an der Bedeutung der SE in der Praxis eher zweifelnd: Lutter, BB 2002, 1 ff., Brandt/Scheifele, DStR 2002, 547 ff. Die Reaktion in der Wirtschaftspresse ist verhalten bis ablehnend, vgl. FAZ vom 11.12.2000 „Fragwürdiger Durchbruch“.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

a) Grundlage der deutschen Mitbestimmung Tatsächlich verdankt die Mitbestimmung in Deutschland ihre Entstehung der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, in dem auch viele deutsche Unternehmen jegliche moralische Autorität verloren hatten. Die „Kriegsindustrie“ zu schwächen war denn auch ein Ziel der Reformbestrebungen der Alliierten. Diesem Ansatz kam der Mitbestimmungsgedanke zupass. Die Forderungen der Gewerkschaften nach Mitbestimmung stammten bereits aus der Weimarer Zeit. Die Weimarer Demokratie war nach Auffassung der Gewerkschaften auch daran gescheitert, dass die politische nicht durch die wirtschaftliche Demokratie ergänzt worden war223. Eine solche wirtschaftliche Demokratisierung sollte den Raum der menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten von Arbeitern und Angestellten vergrößern, indem sie der Herrschaftsmacht der Unternehmer nicht mehr unterworfen, sondern an ihr beteiligt sind224. In der Anfangszeit der Bundesrepublik bestand noch weitgehend Einigkeit über dieses Ziel. Dies wurde dadurch begünstigt, dass die Arbeitgeber in der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften eine Möglichkeit sahen, den Maßnahmen der Alliierten zur Entflechtung der deutschen Industrie entgegenzuwirken. Zwischen den gesellschaftlichen Gruppen herrschte Einigkeit über das Ziel des primär anzustrebenden Wiederaufbaus der deutschen Wirtschaft. Angesichts der Nöte der Nachkriegszeit war wenig Platz für große ideologische Auseinandersetzungen. Symptomatisch dafür mag eine Stellungnahme der katholischen Kirche zur Mitbestimmung auf dem 73. Deutschen Katholikentag 1949 sein, in dessen Gesamtentschließung das Mitbestimmungsrecht als „natürliches Recht in gottgewollter Ordnung“ bezeichnet wird225. In diesem Umfeld, zu dem insbesondere das Tauziehen um die Neuordnung der Montanindustrie und die laufenden Verhandlungen zum Schuhmann-Plan zählten, ließ sich der Gedanke der Mitbestimmung im Montanmitbestimmungsgesetz von 1951 bislang am weitestgehenden verwirklichen. Schon 1952, bei der Regelung des Betriebsverfassungsgesetzes, hatte sich die wirtschaftliche Position der Unternehmungen in der Bundesrepublik und auch die Stellung der bürgerlichen Regierungsparteien so weit gefestigt, dass eine paritätische Mitbestimmung trotz vereinzelter Streiks nicht mehr durchsetzbar war. Dennoch bildete das Montanmitbestimmungsgesetz die Plattform für die weitere Ausdehnung der Mitbestimmung226. 223

Müller-List, Aus Politik und Zeitgeschichte 1985, B18, 15, 16. Naßmacher, Demokratisierung der Europäischen Gemeinschaften, 169. 225 Gerechtigkeit schafft Frieden, Bericht über den 73. Deutschen Katholikentag Paderborn 1949, 114 f. 226 Einen über diese kursorische Darstellung hinausgehenden Überblick der Geschichte der Mitbestimmung bietet Raiser, Komm. zum MitbestG, Einl. Rdnr. 1 ff. 224

IV. Rechtsangleichung und Praktikabilität

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b) Mitbestimmung im europäischen Ausland Im europäischen Ausland wird der Gedanke der Mitbestimmung dagegen auch von Gewerkschaftsseite misstrauisch betrachtet. So gehört die grundsätzliche Kritik an der Mitbestimmung in Deutschland als „Eingliederung der Arbeiter in das kapitalistische System“ zum ständigen Repertoire von engagierten Linken des Europäischen Auslands227. Die Gewerkschaften in Großbritannien, aber auch Belgien und Italien befürchten nach wie vor, dass jede Form der Integration in den Entscheidungsmechanismus der Unternehmen ihre Kampfkraft bei Tarifverhandlungen schwächen könnte. Nach ihrer Vorstellung von wirtschaftlicher Demokratie beruht diese wesentlich auf der Unabhängigkeit der Gewerkschaften nicht nur vom Staat, sondern auch von der Unternehmensleitung. Nicht zuletzt wegen dieser Vorbehalte im Arbeitnehmerlager besitzt lediglich ein Drittel der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft eine gesetzliche Regelung zur überbetrieblichen Mitbestimmung, die von der Struktur – nicht vom Umfang – her dem entspricht, was in Deutschland darunter verstanden wird. Dazu kommt, dass in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ein monistisches System der Unternehmensleitung gilt, demzufolge es nur ein einziges Organ der Unternehmensleitung gibt, das den Rahmen für eine überbetriebliche Mitbestimmung bilden könnte. Eine Vergleichbarkeit von Form und Inhalt der überbetrieblichen Mitbestimmung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist somit in keiner Weise gegeben228. c) Europäische Ansätze zur Vereinheitlichung der Mitbestimmungsregelung Trotz dieser großen Differenzen hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Mitbestimmung229 gemeinschaftsweit einheitlich zu regeln. Speziell für die SE als gemeinschaftsrechtliche Unternehmensform wurde von der Kommission grundsätzlich immer eine Regelung zur Mitbestimmung als wünschenswert erachtet. Aus der über dreißigjährigen Diskussion sollen hier nur die jüngsten Vorschläge Erwähnung finden.

227

Naßmacher, Demokratisierung der Europäischen Gemeinschaften, 172. Vgl. Berié/Hofmann, BABl. 2/1992, 5, 16 f. 229 Unter Mitbestimmung soll hier die Repräsentation der Arbeitnehmerseite in den Unternehmensorganen zu verstehen sein. Die Mitbestimmung im weiteren Sinn, also vor allem die betriebliche Mitbestimmung, soll dagegen außer Betracht bleiben. 228

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

(1) Der Davignon-Bericht Unter dem Blickwinkel der Schaffung der SE hat sich eine Gruppe von Sachverständigen unter dem früheren Vizepräsidenten der Kommission Etienne Davignon mit dem Problem der Mitbestimmung beschäftigt. Nach dem im Mai 1997 vorgelegten Abschlussbericht230 soll bei der Bildung einer SE zunächst eine Verhandlung zwischen der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmern über die zu verwirklichende Form der Mitbestimmung stattfinden, die unabhängig von jeglichen nationalen Mindeststandards ist231. Kommt innerhalb einer bestimmten Frist keine Einigung zustande, so finden Auffangregeln Anwendung. Nach diesen subsidiär geltenden Regeln sollen den Arbeitnehmervertretern sowohl Informations- und Konsultationsrechte, als auch Sitz und Stimme im Leitungs- bzw. Aufsichtsorgan zukommen232. Weiter sieht der Davignon-Bericht vor, dass eines dieser Organe zwingend zu einem Fünftel mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist, mindestens aber zwei Mitglieder Arbeitnehmervertreter sein müssten233. Trotz der Tatsache, dass dieser Vorschlag sowohl von den europäischen Gewerkschaften als auch durch die europäischen Arbeitgeberverbände uneingeschränkt begrüßt wurde, hat der Davignon-Bericht in Deutschland keinen Anklang gefunden, da die dort getroffene Mitbestimmungsregelung hinter dem in Deutschland bereits Erreichten zurückbleibt. Anderseits ging diese Lösung der Mehrzahl der Mitgliedstaaten mit einem schwächer ausgeprägtem Mitbestimmungssystem viel zu weit234. Aufgrund dieser Frontpositionen hatte der Vorschlag keine Chance sich durchzusetzen.

(2) Der Vorschlag der englischen Präsidentschaft Von der englischen Ratspräsidentschaft wurde, nachdem sich abzeichnete, dass das Ergebnis des Davignon-Berichts nicht mehrheitsfähig sein würde, 1999 ein neuer Lösungsvorschlag235 zur Frage der Mitbestimmung innerhalb einer SE gemacht, nach dem – im Gegensatz zum Davignon-Bericht – nicht in jedem Fall ein Mitbestimmungsmodell zur Anwendung kommen 230 Abschlussbericht der Sachverständigengruppe „European systems of worker involvement“, unveröffentlicht, vgl. ausführlich hierzu Heinze, AG 1997, 289 ff. 231 Vgl. Abschlussbericht, S. 18 (Ziff. 80), zitiert nach Heinze, ZGR 1999, 54, 62. 232 Vgl. Abschlussbericht, S. 17 f. (Ziff. 75), zitiert nach Heinze, ZGR 1999, 54, 62. 233 Vgl. Abschlussbericht, S. 19 (Ziff. 83 f.), zitiert nach Heinze, ZGR 1999, 54, 62. 234 So Neye, ZGR 1999, 13, 17. 235 Mitgeteilt in EuroAS 1998, 43.

IV. Rechtsangleichung und Praktikabilität

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muss. Dabei hält der englische Vorschlag an einer primären Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern fest. Scheitern diese Gespräche, so soll die Mitbestimmung jedoch davon abhängen, ob es in den betreffenden Gesellschaften schon zuvor irgendeine Art Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensleitung gegeben hat. Gab es keine, so bleibt es auch für die SE dabei. Wird die SE dagegen aus Gesellschaften gebildet, von denen zumindest eine den Arbeitnehmern nach nationalen Vorschriften Mitbestimmungsrechte eingeräumt hat, so soll das „fortschrittlichste“ Mitbestimmungssystem Anwendung finden. Die Entscheidung darüber, welches System das fortschrittlichste ist, treffen die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften durch Abstimmung, bei der eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist. (3) Die verabschiedete Regelung der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE Nach der nunmehr verabschiedeten Richtlinie über die Stellung der Arbeitnehmer in der SE setzt die Gründung einer SE Verhandlungen über die Mitwirkung der Arbeitnehmer mit einem Gremium voraus, das alle Arbeitnehmer der betroffenen Gesellschaft vertritt. Kommt keine alle Seiten zufrieden stellende Einigung zustande, gelten die Standardvorschriften im Anhang der Richtlinie. Sofern es bei den Gründungsgesellschaften vor Schaffung der SE kein Mitbestimmungsmodell gab, beziehen sich diese Auffangregelungen ausschließlich auf Informations- und Konsultationsverfahren. Danach ist die Geschäftsleitung der SE insbesondere verpflichtet, regelmäßig über Unternehmensvorgänge zu berichten und die Arbeitnehmervertretung auf Grundlage dieser Berichte zu unterrichten und zu konsultieren. Diese Berichte müssen die aktuellen und künftigen Geschäftspläne enthalten, die Produktions- und Verkaufszahlen sowie deren Auswirkungen auf die Belegschaft, Änderungen in der Geschäftsleitung, Zusammenschlüsse, Veräußerungen von Unternehmen oder Unternehmensteilen, mögliche Schließungen und Entlassungen. Wenn es der Geschäftsleitung und der Arbeitnehmervertretung nicht gelungen ist, eine für alle Seiten zufrieden stellende Vereinbarung auszuhandeln und die an der Gründung der SE beteiligten Unternehmen zuvor der Mitbestimmung unterlagen, ist die SE verpflichtet, zusätzlich die Standardvorschriften über die Arbeitnehmermitbestimmung anzuwenden, die denen des Davignon-Berichtes entsprechen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die SE als Holdinggesellschaft oder Gemeinschaftsunternehmen gegründet worden ist und die Mehrzahl der Arbeitnehmer vor der Gründung der SE ein Mitspracherecht bei Unternehmensbeschlüssen hatte.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

Bei einer SE, die im Wege der Verschmelzung gegründet worden ist, sind die Standardvorschriften über die Arbeitnehmermitbestimmung anzuwenden, wenn die Mitbestimmung vor dem Zusammenschluss zumindest für 25% der Arbeitnehmer galt. Daran ist bis zum Gipfel von Nizza im Dezember 2000 eine Einigung stets gescheitert. Der Kompromiss, den die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat jetzt erzielt haben, sieht – abweichend vom Davignon-Bericht – vor, dass ein Mitgliedstaat die Mitbestimmungsrichtlinie bei einer durch Verschmelzung gegründeten SE nicht anzuwenden braucht. In diesem Fall kann die SE in diesem Mitgliedstaat nur dann eingetragen werden, wenn sich Geschäftsleitung und Arbeitnehmer auf ein Mitbestimmungsmodell verständigen oder wenn die Arbeitnehmer vor Gründung der SE keine Mitbestimmungsrechte hatten. Mit anderen Worten: Der größte Vorteil der SE, eine Verlegung des Satzungssitzes zu ermöglichen, ohne eine Auflösung und Neugründung der Gesellschaft zu verlangen, wird durch diesen Mitbestimmungs-Kompromiss zunichte gemacht. 6. Gegenentwurf zu dem verabschiedeten SE-Statut Festzuhalten ist somit, dass die jetzt verabschiedete Konzeption auf den Anspruch einer einheitlichen Rechtsform zugunsten von vielfältigen Optionsmöglichkeiten verzichtet. Es sind die nationalen Rechte, die ihr Eigenleben in die SE hineintragen. Das eigentlich angestrebte Ziel eines einheitlichen Rechtsrahmens wurde durch das jetzt verabschiedete Statut nicht erreicht236. Theoretisch wird dieses Konzept – neben dem wohl ursprünglich auslösendem Bedürfnis nach leichterer Durchsetzbarkeit im Ministerrat – darauf gestützt, dass die neue Flexibilität des SE-Statuts begrüßenswerterweise einen Systemwettbewerb zulasse, der die letztlich marktgerechteste Form einer SE schon herauskristallisieren werde. Zum ersten Mal ist damit ein Wettbewerb der nationalen Rechtsordnungen eröffnet237. Damit mündet die Entwicklung der SE in die hier vertretene Argumentation ein, dass im Gegensatz zur Rechtsangleichung das wettbewerbliche Nebeneinander von nationalen Vorschriften praktisch leichter durchsetzbar und 236

Vgl. schon Goerdeler, Festschrift für Steindorff, 1211, 1224; kritisch auch Lutter, AG 1990, 113 ff., ders., ZGR 1992, 435, 446 sowie Rasner, ZGR 1992, 314 ff., auch Hopt, EuZW 2002, 1, merkt an, dass der Rechtsverkehr es entgegen dem Namen SE mit 15 unterschiedlichen Typen von SE zu tun haben wird. 237 Etwa von Werder, RIW 1997, 304, 310; Chmielewicz, ZfbF, 1991, 15, 17 sowie Lutter, ZGR 2000, 1, 16, ders. BB 2002, 1, 3.

IV. Rechtsangleichung und Praktikabilität

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theoretisch vorzugswürdig ist, da es zu besseren Ergebnissen führt als jede Planung. Dennoch mischt sich ein beträchtlicher Schuss Wasser in diesen Wein der Erkenntnis, geht es bei der SE doch gerade nicht um Angleichung oder Vereinheitlichung von nationalem Recht, sondern um die Schaffung von neuem, europäischem Recht. So richtig das Wettbewerbsargument gegenüber dem Streben nach Vereinheitlichung ist, es trifft die Sachlage der SE nicht, deren Ziel die Schaffung einer einheitlichen Rechtsform zumindest einmal war. Auch die Hoffnung, dass das noch zu konsultierende Europäische Parlament Änderungen vorschlagen würde, die zu einer stärkeren Einheitlichkeit des SE-Statutes bzw. zu einer Beschränkung von dessen Beliebigkeit führen238, schlug fehl. Das „Centros“-Urteil des EuGH – auf das noch ausführlich eingegangen werden soll239 – könnte jedenfalls für die Zukunft eine Entwicklung einleiten, in der die europäischen Unternehmen tatsächlich die Möglichkeit erhalten, zwischen sehr vielen nationalen Gesellschaftsstatuten zu wählen. Ein Statut für eine SE, dass seinerseits in allen wesentlichen Punkten auf nationales Recht zurückgreift, scheint da überflüssig. Stattdessen könnte die SE aber als europäisches „Musterstatut“ eine Renaissance erleben. Der Notwendigkeit enthoben, ein für alle Mitgliedstaaten zustimmungsfähiges Statut zu entwerfen, könnte die Kommission Rückgriff nehmen auf das bereits in den Entwürfen von 1970/75 entwickelte Konzept einer Gesellschaftsrechtsform. Passt man diese Entwürfe sachverständig an die neueren Entwicklungen im Gesellschaftsrecht an, könnte die Kommission relativ kurzfristig ihre Version eines modernen Gesellschaftsstatuts präsentieren. Zwar hätte ein solcher Entwurf keinerlei obligatorischen Anspruch auf Umsetzung in den Mitgliedstaaten, jedoch könnte er – frei von politischen Zwängen und auf rein wissenschaftlicher Grundlage errichtet – wichtige Impulse für die Entwicklung der nationalen Gesellschaftsrechte liefern und den – noch zu verwirklichenden – Wettbewerb der Systeme unter den nationalen Gesellschaftsrechten beeinflussen und neu anstoßen240. Dass dies gut funktionieren kann, zeigt das Beispiel der USA. Dort diente der „Model Business Corporation Act“ der American Bar Associa238 Das Europäische Parlament musste erneut konsultiert werden, weil die Texte, insbesondere die Bestimmungen über die Arbeitnehmermitbestimmung, seit der letzten Stellungnahme des Parlamentes im Jahr 1991 geändert worden sind. Da es sich um ein Verfahren der Mitentscheidung handelte, konnte das Europäische Parlament allerdings kein Veto einlegen, sondern mit Stellungnahme vom 4. September 2001 nur Änderungen vorschlagen. Diese Vorschläge wurden freilich abgelehnt. 239 Vgl. unten Dritter Teil, V., Seite 139 ff. 240 Lutter, ZGR 2000, 1, 9, spricht insoweit von „soft law“.

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2. Teil: Probleme der Rechtsangleichung

tion in den fünfziger und sechziger Jahren als Basis für zahlreiche Reformen des Gesellschaftsrechts in den einzelnen Bundesstaaten241. Ferner wird in den USA bundeseinheitliches Recht häufig mit Hilfe der so genannten „Uniform Acts“ geschaffen. Diese werden von der „National Conference of Commissioners on Uniform State Laws“ ausgearbeitet und den Parlamenten der einzelnen Bundesstaaten zur möglichst unveränderten Annahme vorgelegt242. Dem nationalen Gesetzgeber bleibt es bei einem solchen Vorgehen überlassen, die Zielvorgaben des Modellgesetzes freiwillig in das jeweilig historisch gewachsene Gefüge des eigenen Rechtssystems einzufügen. Auch dies dürfte die Akzeptanz eines Modellgesetzes positiv beeinflussen243. Das Beispiel der SE zeigt somit zusammenfassend, dass die Kompromissbereitschaft der Mitgliedstaaten inzwischen soweit abgenommen hat, dass bereits ein Sammelsurium von Optionsmöglichkeiten als großer Erfolg der Rechtsangleichung gefeiert werden muss. Die ins Auge gefasste Erweiterung der EU um diverse osteuropäische Staaten wird diese Entwicklung noch verfestigen. Die Rechtsangleichung selbst kann, wie die SE zeigt, nicht mehr eine Angleichung erreichen. Wenn diese – namensgebende – Funktion aber von der Rechtsangleichung nicht mehr geleistet werden kann, hat sie sich selbst überflüssig gemacht.

241

Merkt, RabelsZ 95, 545, 551. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 292 f. 243 Nach Ebke, Festschrift für Großfeld, 196, 212 ff., sowie ders., JZ 2000, 203, 205, erscheinen ebenfalls Modellgesetze statt einer Mixtur aus Teilen des Rechts wichtiger Mitgliedstaaten zukunftsträchtig. 242

Dritter Teil

Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse am Beispiel des internationalen Gesellschaftsrechts I. Der Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsrechtsordnungen – ein kollisionsrechtliches Problem Die gegenseitige Anerkennung nationaler Rechtsnormen hat, wie gezeigt, Vorteile aus ökonomischer, rechtspolitischer, rechtssystematischer und praktischer Hinsicht gegenüber der Rechtsangleichung. Voraussetzung für das Wirksamwerden dieser positiven Auswirkungen der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen ist aber die Gewährleistung echten Wettbewerbes zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten. Im Bereich des Gesellschaftsrechts, der hier näher untersucht werden soll, wird die Frage, ob Wettbewerb zwischen den nationalen Rechtsordnungen herrschen soll und darf, schon auf der Ebene des anzuwendenden Rechts entschieden. Da es in Deutschland keine Kollisionsnormen für juristische Personen gibt, muss die Frage, welche Rechtsordnung für die Verhältnisse der juristischen Person mit internationalem Bezug maßgeblich ist, durch Rechtsprechung und Rechtslehre entschieden werden1. Es geht somit um den über 100-jährigen Disput im internationalen Gesellschaftsrecht zwischen der Sitztheorie und der Gründungstheorie. Im Folgenden soll am Beispiel des Problems der Sitztheorie im internationalen Gesellschaftsrecht untersucht werden, inwieweit die vorliegend generell für den Harmonisierungsprozess in der EU gewonnenen Ergebnisse sich auf dieses für die Verwirklichung des Binnenmarktes zentrale Rechtsgebiet übertragen lassen und inwieweit ein Wettbewerb der Systeme dort über eine ex-post-Harmonisierung das verwirklichen kann, was bislang nicht über die Rechtsangleichung erreicht werden konnte. Insbesondere wird auch die Möglichkeit des Marktversagens zu untersuchen sein.

1

BayObLGZ 1992, 113.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

1. Die Sitztheorie Nach der Sitztheorie ist das Gesellschaftsstatut, also das auf die Gesellschaft anwendbare Recht, von dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung (auch kurz Verwaltungssitz) abhängig. Das Recht des Staates, in dem der Verwaltungssitz liegt, bestimmt das Außen- und Innenverhältnis der Gesellschaft. Auf den in der Satzung angegebenen Sitz kommt es nach der Sitztheorie dagegen nicht an2. Ist eine Gesellschaft nicht nach dem Recht des Staates, in dem ihr Verwaltungssitz liegt gegründet, so wird das Sachrecht des Verwaltungssitzstaates auf die Gesellschaft angewandt. Wenn die Gesellschaft nach dem Recht des Verwaltungssitzstaates nicht rechtsfähig ist, bedeutet dies, dass der Gesellschaft im Staat des Verwaltungssitzes die Rechtsfähigkeit überhaupt versagt wird3. Die Sitztheorie kann sich auf einzelne Wertungen im deutschen Recht der juristischen Personen stützen, die als Auslegungsregel den Verwaltungssitz als Satzungssitz vorsehen4. Sie war bislang in Deutschland in der Rechtsprechung5 herrschend und wird auch in der Literatur6 vielfach unterstützt. Die Sitztheorie ist in Analogie zum Wohnsitz der natürlichen Person entwickelt worden7 und stellt entgegen der sonst im Internationalen Vertragsrecht üblichen Anknüpfung aufgrund der freien Entscheidung der Parteien (Privatautonomie) auf den Schwerpunkt der Tätigkeit der juristischen Person, mithin den Verwaltungssitz, ab. Sie ist eine Schutztheorie8, die angesichts der „Unsterblichkeit“ von juristischen Personen und der damit verbundenen Konzentration von wirtschaftlicher Macht9 vor allem in Großunternehmen die Kontrolle dieser Gebilde dem Recht des Staates überlässt, dessen wirtschaftliche und politische Belange am stärksten berührt werden. Neben dem Schutz öffentlicher Interessen stehen heute zunehmend der Schutz der Anteilseigner, Gesellschaftsgläubiger und Mitarbeiter im Focus 2

Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 22. BGHZ 97, 269, 271; OLG Hamm, RIW 1997, 875; siehe ferner statt aller Erman/Hohloch, Art. 37 EGBGB Anh. II Rdnr. 28 m. w. N. 4 Etwa § 5 Abs. 2 AktG: „Die Satzung hat als Sitz in der Regel den Ort, wo die Gesellschaft einen Betrieb hat, oder den Ort zu bestimmen, wo sich die Geschäftsleitung befindet oder die Verwaltung geführt wird“ siehe auch § 24 BGB (Verein), § 80 Satz 3 BGB (Stiftung). 5 Exemplarisch RGZ 77, 19; 117, 215, 217; BGHZ 97, 269; BFH BStBl. II 1992, 263 und 720; zuletzt BayObLG, IPRax 1999, 364; weitere Nachweise bei Erman/ Hohloch, Art. 37 EGBGB Anh. II Rdnr. 25. 6 Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 25; MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 264; Ebke, ZGR 1987, 245 jeweils m. w. N. 7 RGZ 77, 19, 22. 8 So ausdrücklich BayObLGZ 1992, 113, 115 und IPRax 1999, 364, 365. 9 Betont von Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 34. 3

I. Der Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsrechtsordnungen

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der Sitztheorie. Diese mit der Gesellschaft in wirtschaftlichem Kontakt stehenden Personen sollen sich auf den Schutz der sachnächsten Rechtsordnung verlassen können, in der die Gesellschaft tatsächlich „lebt“ und auch sie selbst agieren. Verfolgt man diesen Gedanken strikt zu Ende, so führt das dazu, dass eine nach deutschem Recht – also mit Satzungssitz in Deutschland – gegründete Gesellschaft mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Ausland ebenso wenig anerkannt wird wie eine nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaft mit Verwaltungssitz im Inland10. Dem ausländischen Verwaltungssitzstaat wird dasselbe Recht zuerkannt, das in Deutschland die Sitztheorie für sich beansprucht. Teilweise wird demgegenüber eine eingeschränkte Form der Sitztheorie vertreten, die den Schutz der deutschen Interessen in den Vordergrund stellt, der durch die Anwendung deutschen Rechts gewahrt sei und demzufolge eine nach deutschem Recht gegründete Gesellschaft auch dann deutschem Recht unterliegt, wenn sie ihren Verwaltungssitz im Ausland hat11. Diese Frage stellt sich dann nicht, wenn der ausländische Staat der Gründungstheorie folgt und für die Frage des Gesellschaftsstatutes auf die Anwendung deutschen Rechts rückverweist. Neben dieser Ausnahme von der Sitztheorie ergeben sich weitere Einschränkungen der Entziehung der Rechtsfähigkeit als zentraler Rechtsfolge der Sitztheorie aus dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge. So hat Deutschland mit mehreren Staaten, insbesondere den USA, Staatsverträge geschlossen, die die gegenseitige Anerkennung aller im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten wirksam gegründeten Gesellschaften vorsehen12. 2. Die Gründungstheorie Die Gründungstheorie knüpft das Gesellschaftsstatut an die Rechtsordnung, nach welcher die Gesellschaft gegründet worden ist. Damit obliegt es dem freien Willen der Gesellschaftsgründer, welche Rechtsordnung sie für die Innen- und Außenbeziehungen der Gesellschaft am zweckmäßigsten erachten. Die Gründungstheorie stammt aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis und wird in Deutschland in der Literatur in zunehmendem Maße vertreten13. 10

Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 82 ff.; OLG Hamburg IPRspr 1977, Nr. 5. Vgl. Wiedemann, IntGesR, 188, 199 f. und die Rechtslage in Italien nach der in Italien gegründete Gesellschaften auch dann italienischem Recht unterworfen sind, wenn ihr Tätigkeitsschwerpunkt außerhalb Italiens liegt (hierzu Staudinger/ Großfeld, IntGesR, Rdnr. 147). 12 Vgl. BGBl. II 1956, 448, 763; ebenso besteht ein Übereinkommen mit Spanien vgl. BGBl. 1972, 1041, 1557; weitere Nachweise bei Soergel/Lüderitz, vor Art. 7 EGBGB, Rdnr. 207 ff. 11

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Im Gegensatz zur Sitztheorie, die eine Schutztheorie ist, stellt die Gründungstheorie in ihrer reinen Form die Freizügigkeit der Gesellschaften und ihrer Gründer als primäres Ziel in den Vordergrund. Neben diesem zunächst wertungsfreien Anknüpfungspunkt wird, um dem angeblichen Schutzbedürfnis der mit der Gesellschaft in Kontakt stehenden Personengruppen Rechnung zu tragen, zum Teil eine Ergänzung des Gründungsstatutes der Gesellschaft als notwendig angesehen. Hierdurch soll ein „race to the bottom“14 vermieden werden. Die Schwäche der Gründungstheorie wird darin gesehen, dass ein Wettlauf der Gesellschaften hin zu dem Gesellschaftsrecht mit dem geringsten Schutzniveau in Gang gesetzt wird. Beispiel hierfür sei die Entwicklung in den USA, wo die Gründungstheorie gilt und sich die Gesellschaften in dem Bundesstaat Delaware konzentrieren, der ein äußerst liberales Gesellschaftsrecht aufweist15. Um diesem „Delaware-Effekt“ entgegenzuwirken, werden zahlreiche Modifikationen der Gründungstheorie vertreten16. So soll nach der Differenzierungslehre17 für die Innenbeziehung der Gesellschaft die Gründungstheorie und damit das Gründerrecht Anwendung finden, für die Außenbeziehungen der Gesellschaft, bei denen der Kontakt zu den als schutzbedürftig angesehenen Personengruppen erst relevant wird, das Vornahme-, Wirkungs- oder Gründungsstatut. Nach der so genannten Überlagerungstheorie18 besteht zwar die freie Wahl des Gründungsrechts, dieses wird aber außer der Frage der Rechtsfähigkeit von den zwingenden Normen des Rechtes, in dem der Verwaltungssitz liegt, überlagert, sofern dieses Recht für die mit der Gesellschaft in Kontakt stehenden Personengruppen günstiger ist als das Recht des Gründungsstaats. Daneben wird vertreten, dass die Gründungstheorie durch Sonderanknüpfungen an das Recht des Verwaltungssitzstaates aus Schutzgesichtspunkten zu korrigieren sei19. 13 Beitzke, Kollisionsrecht, 94 ff.; Drobnig, ZHR 129 (1967), 93; Hachenburg/Behrens, Einl Rdnr. 126 m. w. N. 14 Zu diesem Begriff und dem „Delaware Effekt“ vgl. bereits ausführlich oben Zweiter Teil, I.4.c), Seite 45 ff. 15 Vgl. statt vieler Sack, JuS 1990, 352. 16 Hier sollen nur die wichtigsten erwähnt werden. Einen umfassenden Überblick über die vertretenen Modifikationslehren gibt von Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung, 34 ff., der allein zehn unterschiedliche Lehren gezählt hat. 17 Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, Rdnr. 470–613. 18 Sandrock, BerGesVR 18 (1978), 169 ff.; ders., Festschrift für Beitzke, 669 ff.; ders., RIW 1989, 505 ff. 19 Etwa Hachenburg/Behrens, Einl Rdnr. 128; jüngst auch von Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung, 230 ff., 258 ff. sowie ders. EWS 2002 107, 115.

I. Der Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsrechtsordnungen

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3. Stellungnahme Sowohl die Sitztheorie als auch die Gründungstheorie werden durch zahlreiche Variationen verkompliziert, die letztlich auf die Anwendung unterschiedlichen Rechts innerhalb einer Gesellschaft hinauslaufen. Sämtliche Modifikationslehren können deshalb nicht überzeugen. Als Mischtheorien erzeugen sie notwendigerweise Abgrenzungsprobleme und Rechtsunsicherheit. Die Mischung von Normen aus verschiedenen Rechtsordnungen kann zu erheblichen Anpassungsproblemen führen und ist in der Strukturierung einer Gesellschaft nicht praktikabel20. Die Versuche, Sitz- und Gründungstheorie zu kombinieren, sind damit nicht praxistauglich. Festzuhalten bleibt der grundsätzliche Gegensatz zwischen der Sitztheorie, die bereits auf Ebene der Rechtsfähigkeit, also vorbeugend-repressiv21, einsetzt, und der Gründungstheorie, die zunächst einmal den Gründern die Wahl zwischen den einzelnen zur Verfügung stehenden Rechtsordnungen lässt. Die Gründungstheorie hat damit bedeutende Auswirkungen auf die Möglichkeit, den Wettbewerb der Rechtsordnungen zu verstärken, da sie es den Gründern einer Gesellschaft gleichsam wie bei einem „Einkaufsbummel“22 erlaubt, sich das effizienteste und zweckmäßigste Rechtssystem zu besorgen. Die Sitztheorie, die in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gilt23, behindert daher durch ihren absoluten Ansatz den Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen. Zwar besteht bei Geltung der Sitztheorie immer noch die Konkurrenz der Gesellschaftsrechtssysteme im Rahmen der allgemeinen Standortkonkurrenz der Mitgliedstaaten24, jedoch gestaltet sich der Wettbewerb der Rechtsordnungen unter der Geltung der Gründungstheorie ungleich schärfer und damit effizienter. Hier können die Unternehmen das Angebot an in- und ausländischen Rechtsformen freier und flexibler ausnutzen als bei Geltung der Sitztheorie und so den positiven Effekten des Systemwettbewerbs erst zum Durchbruch verhelfen. Anders als in den USA, in denen die Gründungstheorie gilt25, wird deshalb in Europa durch 20 Insoweit überzeugend BGH, EuZW 2000, 412, 413; Palandt/Heldrich, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rdnr. 2. 21 Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 43. 22 So Wymeersch, ZGR 2001, 294, 308. 23 Neben Deutschland auch Frankreich, Belgien, Luxemburg, Griechenland, Portugal, Spanien und Österreich mit einzelnen Unterschieden, vgl. Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 146 m. w. N.; die Gründungstheorie gilt dagegen innerhalb der EU in Dänemark, den Niederlanden, Irland und Großbritannien, vgl. Hachenburg/ Behrens, Einl Rdnr. 126 sowie Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 365. 24 Schön, ZHR 160 (1996), 221, 234. 25 Vgl. etwa Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 560.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

die Sitztheorie ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Gesellschaftsrechtssystemen verhindert, was von ihren Vertretern durchaus gewollt ist und als Hauptargument gegen die Gründungstheorie gilt26. Aus diesem Befund ist nun aber nicht der resignierende Schluss zu ziehen, dass in diesem Bereich des Rechts die Integration allein auf die Rechtsangleichung verwiesen ist27. Vielmehr ist zu untersuchen, ob die Sitztheorie die durch sie bewirkte Behinderung eines Systemwettbewerbs mit dem von ihr vertretenen Schutzgedanken rechtfertigen kann und ob die Sitztheorie angesichts der im EGV verankerten Niederlassungsfreiheit mit dem Ziel der Integration vereinbar ist. Der Streit zwischen der Sitztheorie und der Gründungstheorie ist alt. Er setzt schon bei der Herkunft der jeweiligen Theorien ein, aus der auf die Antiquiertheit der jeweils anderen Theorie geschlossen wird, die heute obsolet sei28. Maßgeblich für die hier vorzunehmende Bewertung kann aber letztlich nicht die ideengeschichtliche Herkunft einer Theorie sein, sondern nur die Berechtigung der durch sie verfolgten Ziele und der Erfolg der bei der Erreichung dieser Ziele jeweils vorgesehenen Methoden. a) Der Schutzgedanke der Sitztheorie im Spannungsfeld zwischen prozeduraler und materieller Gerechtigkeit Gerade weil der Streit zwischen Sitz- und Gründungstheorie sehr alt ist, sollen zunächst einige grundsätzliche rechtssystematische Aussagen über beide Ansichten getroffen werden. Der hinter der Sitztheorie stehende Anspruch, bestimmte inländische Verkehrskreise vor der Verwässerung gewisser, ihnen durch die inländische Rechtsordnung eingeräumter Positionen zu schützen, steht in einem Spannungsverhältnis zu der den Gründern einer Gesellschaft grundsätzlich zustehenden Freiheit, ihre Rechtsverhältnisse zu ordnen bzw. ein schon vorhandenes – ausländisches – Modell für die Ordnung dieser Rechtsverhältnisse zu adaptieren. Letztlich führt dieses Spannungsverhältnis auf den grundlegenden Konflikt zwischen der Privatautonomie auf der einen Seite und den aus Grün26 Zuletzt BGH, RIW 2000, 555 ff. in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH; hierzu ausführlich unten VI.1., Seite 155 ff. 27 So aber Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 17. 28 So wird von Sandrock betont, Sitztheorie sei ein Kind des Nationalstaats und fremdenfeindlich, vgl. RIW 1989, 505, 507, während demgegenüber Großfeld hervorhebt, die Gründungstheorie sei im 18. Jahrhundert in England entwickelt worden, um der englischen Kapitalmacht in Übersee Rückhalt zu verleihen, vgl. Staudinger/ Großfeld, IntGesR, Rdnr. 27.

I. Der Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsrechtsordnungen

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den der sozialen Gerechtigkeit erforderlichen Einschränkungen derselben zurück. Schlagwortartig formuliert: Hier die liberale Weltanschauung einerseits, dort Sozialstaatsdenken andererseits. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob sich auch bezüglich der Sitztheorie der – wenn auch in anderem Zusammenhang ausgesprochene – Satz von Wieacker bewahrheitet, dass nämlich die Rechtsprechung „die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt“

hat29. (1) Prozedurale Gerechtigkeit und Vertragsfreiheit Die formale Freiheitsethik, von der Wieacker spricht, ist insoweit im Lichte der Philosophie Kants zu betrachten. Danach geht es in erster Linie darum, die Voraussetzungen zu bestimmen, unter denen ethisch richtiges Handeln zustande kommen kann bzw. unter denen das Recht seine Aufgabe erfüllt30. Mit anderen Worten: Es werden bestimmte Verfahren zur Ermittlung der maßgeblichen Handlungsmaximen formuliert, die als solche noch keine inhaltlichen Vorgaben enthalten. Als Beispiel mag der wohl bekannteste Lehrsatz von Kant dienen, der Kategorische Imperativ, nach dem jedermann so handeln solle, „dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“31.

Damit ist nicht vorgeschrieben, was man konkret tun soll und was nicht. Aber durch die Einhaltung eines gewissen Verfahrens – hier dem Kontrollvergleich mit der allgemeinen Gesetzgebung – scheiden von vornherein Handlungsmöglichkeiten aus, so dass durch das Verfahren allein das Ergebnis gesteuert wird, hier Gerechtigkeit gesichert wird. Eine solchermaßen aufgebaute Gerechtigkeitstheorie wird in der Philosophie heutzutage als prozedural bezeichnet 32. In den europäischen Rechtsordnungen, die sämtlich auf dem Prinzip der Vertragsfreiheit aufbauen, steht dieser prozedurale Weg zur Vertragsgerechtigkeit naturgemäß im Vordergrund. In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der sich die Staaten der EU sämtlich gem. Art. 6 Abs. 2 EUV (Art. F Abs. 2 EUV a. F.) i.V. m. der EMRK verpflichtet haben, ist dem Menschen, als einem selbstbestimmten Subjekt, zuzugestehen, für sich 29 30 31 32

Wieacker, Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzbücher, 18. Vgl. Canaris, AcP 2000, 276, 282 m. w. N. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 38. Canaris, AcP 2000, 276, 283.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

selbst die richtigen Entscheidungen in moralischer Verantwortung zu treffen. Diese Autonomie zu achten gebietet das Verständnis von der Würde des Menschen, welches wiederum auf Kant zurückgeht. Im Vertragsrecht ist als Ausfluss dieser Maxime anerkannt, dass das, was von den Vertragsparteien beiderseits akzeptiert wird, für keine von beiden ungerecht sein kann, auch wenn der Vertrag objektiv unausgewogen sein mag – volenti non fit iniuria33. (2) Konzeptionierte Gerechtigkeit als vorgegebene Verteilung von Pflichten und Rechten – die materielle Gerechtigkeitstheorie Neben den Versuchen, durch ein bestimmtes Verfahren zu einer ausgewogenen Lösung widerstreitender Interessen zu gelangen, ist die Problematik der Vertragsgerechtigkeit natürlich auch immer durch vorgegebene Konzepte geprägt worden, die den angestrebten Interessenausgleich inhaltlich mehr oder weniger detailliert ausgestalten. Diese Bestrebungen sollen hier mit dem Begriff der materiellen Gerechtigkeitstheorie bezeichnet werden. Dabei wird durch zwingendes Recht vorgeschrieben, was der Gesetzgeber als seiner Meinung nach gerecht und ausgewogen erkannt hat. Die Problematik einer solchen Vorgehensweise liegt auf der Hand: Wodurch wird bestimmt, was gerecht und ausgewogen ist, und welche Kriterien liegen einer solchen inhaltlichen Regelung zugrunde? Ein Weg, diese Frage zu beantworten, kann sein, sich an dem mutmaßlichen Willen von redlichen und vernünftigen Vertragsparteien zu orientieren. Nichts anderes versinnbildlicht auch das dispositive Recht, welches dem Rechtsanwender vor Augen führt, was im Regelfall als ein Ergebnis eines solchen Verhandlungsprozesses zu erwarten ist. Bereits an dieser Stelle schlägt also das Bemühen durch bestimmte Verfahrensweisen zu einem befriedigenden Interessenausgleich zu gelangen auf die Formulierung inhaltlicher Kriterien durch. Gerade dies zeigt die Schwierigkeit, verbindliche Maßgaben für die inhaltliche Richtigkeit von vorgegebenen Gerechtigkeitskonzeptionen zu formulieren34.

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Dem korrespondiert interessanter Weise in der Ökonomie die nach Vifredo Pareto benannte Pareto-Effizienz. Danach gilt, dass, wenn zwei oder mehr Akteure freiwillig eine Vereinbarung treffen, sich alle Beteiligten davon offenbar Vorteile erwarten. Keiner der Beteiligten steht daher schlechter und mindestens einer besser als vor der Transaktion, vgl. hierzu Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1043. 34 Canaris, AcP 2000, 276, 286.

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(3) Sitz- und Gründungstheorie als Epigonen von prozeduraler und materieller Gerechtigkeitstheorie Vor diesem Hintergrund ist nunmehr eine Zuordnung der kollisionsrechtlichen Theorien zu den dargestellten zwei Wegen zu dem Ziel eines gerechten Interessenausgleichs zwischen verschiedenen Personen, seien es zwei Vertragsparteien, seien es Teilnehmer am Markt einer Volkswirtschaft, zu treffen. Sowohl Gründungstheorie als auch Sitztheorie gehen beide zunächst davon aus, dass es dem einzelnen Rechtsanwender obliegt, die Wahl zu treffen, welche Rechtsform für seine Unternehmung die passende ist. Diese Freiheit steht aber immer in Gefahr, einseitig genutzt zu werden, um durch die entsprechende Wahl der Rechtsform Risiken auf andere Marktteilnehmer abzuwälzen. Paradigmatisch ist die Gründung einer Gesellschaft, die nahezu vermögenslos ist, bei der aber gleichzeitig durch die entsprechende Statutenwahl gewährleistet ist, dass die hinter der Gesellschaft stehenden Personen nicht in die Haftung genommen werden können. Hier würde das Risiko eines unternehmerischen Versagens am Markt mit der Folge der Insolvenz auf die Gläubiger der Gesellschaft abgewälzt. Die Freiheit der Rechtsformwahl bedarf daher grundsätzlich einer Einschränkung, um die Interessen der übrigen Marktteilnehmer zu schützen und eine gerechten Ausgleich zwischen den Interessen zu gewährleisten. Ganz im Sinne der prozeduralen Gerechtigkeitstheorie verwirklicht die Gründungstheorie dies dadurch, dass sie der Auswahlfreiheit den Wettbewerb der Rechtsordnungen flankierend an die Seite stellt. Der durch die Gründungstheorie implementierte Wettbewerb der Gesellschaftsrechtssysteme tendiert zu einer Angleichung der Rechtsvorschriften in eine weniger belastende, liberale Richtung35. Der Wettbewerb ist dabei ein Musterbeispiel für die Verwirklichung von Gerechtigkeit durch Verfahren, da er seine „Richtigkeitsgewähr“ nicht über seine Ergebnisse – diese stehen ja in einem Wettbewerb gerade noch nicht fest36 – sondern in den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen seiner Durchführung findet37. Wichtigste Wettbewerbsvoraussetzung ist aber die Teilnahme möglichst vieler Wettbewerber38. Auch ein Wettbewerb der Gesetzgeber muss, um ef35

Everling, Festschrift für Steindorff, 1155, 1172. Vgl. hierzu insbesondere den systemtheoretischen Ansatz der offen und nicht deterministisch ist, oben I.3.a)(2), Seite 39. 37 Canaris, AcP 2000, 276, 294. 38 Der volkswirtschaftliche Streit über das – wohl zu weitgehende – Konzept der vollständigen Konkurrenz einerseits und dem Bestehen von Oligopolen andererseits als jeweils im Sinne des Wettbewerbs vorzugswürdige Marktsituation kann an dieser Stelle nicht vertieft werden (vgl. hierzu etwa Baßeler/Heinrich, Grundlagen und 36

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fizient sein zu können, möglichst viele Alternativen und Wahlmöglichkeiten eröffnen. Es ist daher nicht Resultat, sondern Voraussetzung einer wirklichen Freiheit der Rechtsformwahl, dass diese nicht auf den nationalen numerus clausus der Gesellschaftsstatute beschränkt wird. Dadurch, dass nach der Gründungstheorie nicht nur inländische, sondern auch ausländische Gesellschaftsstatute für diese Wahl zur Verfügung stehen, ist die Auswahlfreiheit für den Rechtsanwender nahezu unbegrenzt. Erst dadurch wird die Ausübung einer tatsächlichen Entscheidungsfreiheit in wettbewerblich ausreichendem Maße sichergestellt. Die Sitztheorie verfolgt demgegenüber einen von inhaltlichen Vorgaben geprägten Weg, um den angestrebten gerechten Interessenausgleich zu gewährleisten. Als Schutztheorie verfolgt sie das Ziel, die im nationalen Rahmen vom Gesetzgeber als angemessen empfundenen und daher für Inländer verbindlich festgelegten Konzeptionen eines Interessenausgleichs vor einer Umgehung über ausländische Rechtsformen zu schützen. Den bereits oben erwähnten Widerstreit zwischen dem Unternehmensgründer, der eine Haftung seines Privatvermögens im Fall der Insolvenz seines Unternehmens möglichst vermeiden möchte, und dem Gläubiger, der eine weitestgehende Sicherheit für seinen Zahlungsanspruch anstrebt, löst der deutsche Gesetzgeber beispielsweise dadurch auf, dass er ein bestimmtes Mindestkapital bei der Gründung der Gesellschaft vorschreibt. Nur wenn dieses unbedingt eingebracht ist und zur freien Verfügung der Gesellschaft steht, wird der oder die Gesellschafter aus der Haftung für die Schulden der Gesellschaft entlassen, vgl. § 13 Abs. 2 GmbHG. Die Höhe des Mindestkapitals ist dabei eine inhaltliche Vorgabe, die materielle Gerechtigkeit absichern soll. Aber welche Höhe ist richtig? Wieso sind bei einer GmbH A 25.000 ausreichend und nicht A 10.000 oder A 40.000? Es wird sich kaum bestreiten lassen, dass das Mindestkapital reichlich willkürlich festgelegt ist und in manchen Fällen zu hoch, in anderen zu niedrig ist, was wesentlich von der Art der vom Unternehmen durchgeführten Geschäfte abhängt39. Diese somit schnell als relativ entlarvten Gerechtigkeitspostulate werden zwar durch die Sitztheorie geschützt, gleichzeitig ist mit diesem Schutz aber eine Einschränkung der Auswahlfreiheit verbunden. Während die Gründungstheorie das Ziel eines gerechten Interessenausgleichs eher durch ein Mehr an Wahlfreiheit zu erreichen sucht, schränkt die Sitztheorie Freiheit ein. Probleme der VWL, 221). Festzuhalten ist jedenfalls, dass Wettbewerb möglichst viel Auswahl voraussetzt, mag die hierzu erforderliche Anbieterzahl auch diskutabel sein. 39 In der Praxis spielt denn auch die Höhe des Mindestkapitals eine untergeordnete Bedeutung. Vgl. Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 337; Hemeling, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 217, 226 sowie Kübler AG 1994, 141 146.

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Geht man davon aus, dass Freiheit ein Wert an sich ist40 und die Freiheit, zwischen verschiedenen Gesellschaftsstatuten wählen zu können, also primär um ihrer selbst willen und nicht etwa lediglich als ein Mittel zur Erreichung bestimmter materieller Konzeptionen wie einer spezifisch ausgeprägten Unternehmensstruktur gewährt wird, so muss man angesichts der Unschärfe und inhaltlichen Unsicherheit materieller Gerechtigkeitspostulate grundsätzlich der prozeduralen Gerechtigkeitstheorie den Vorrang einräumen. Bezogen auf das Internationale Gesellschaftsrecht heißt das, dass der Gründungstheorie grundsätzlich der Vorzug vor der Sitztheorie einzuräumen ist, soweit sie nicht zu – materiell – untragbaren Ergebnissen führt41. b) Der Schutzgedanke der Sitztheorie Solche materiell untragbaren Ergebnisse bestehen allerdings nicht. (1) Schutz öffentlicher Interessen Soweit die Sitztheorie dem Schutz der öffentlichen Interessen dienen soll, ist zu sagen, dass dieses Schutzziel vom deutschen Gesetzgeber selbst offenbar nicht als überragend angesehen wird. Schließlich hat Deutschland neben den bereits erwähnten zwischenstaatlichen Übereinkommen auch das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft42 ratifiziert. Jedenfalls innerhalb der EU kann ein öffentliches Interesse Deutschlands an der Verhinderung grenzüberschreitender Sitzverlegungen von Gesellschaften daher kaum noch begründet werden43. Überhaupt dürfte dem Phänomen des Machtzuwachses von Großunternehmen gegenüber der Politik nicht mit den Mitteln der Sitztheorie beizukommen zu sein. Was die Großunternehmen betrifft, so können sich diese dem Zugriff des nationalen Gesetzgebers schon lange durch eine breite Streuung ihrer Betriebe in verschiedenen Ländern entziehen. Dies ist angesichts der so genannten Globalisierung der Wirtschaft auch für ein erfolgreiches Bestehen am Markt inzwischen unerlässlich. Wo der Verwaltungssitz bei solchen Großunternehmen liegt, ist nebensächlich44. Mit ihrer wirt40

So etwa Hesse, Verfassungsrecht, 36 f. Darauf, dass insoweit die Begründungslast die Vertreter der freiheitsbeschränkenden Sitztheorie haben, wurde bereits oben I.4.e), Seite 50 ff. hingewiesen. 42 BGBl. 1972, 370, dieses Abkommen ist allerdings wegen der fehlenden Ratifizierung durch die Niederlande nicht in Kraft getreten, vgl. hierzu ausführlich unten II.1., Seite 115 ff. 43 Ähnlich Schümann, EuZW 1994, 269, 273. 41

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schaftlichen Macht muss jedes Land, in dem sich ein Betrieb des Unternehmens befindet, unmittelbar rechnen, und mittelbar trifft dies auch für ein Land zu, das von dem Unternehmen im Standortwettbewerb ignoriert wird. In einer offenen Volkswirtschaft, die in den Weltmarkt integriert ist, kann eben nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Staat, in dem die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat, am meisten vom unternehmerischen Handeln der Gesellschaft betroffen und damit am sachnächsten ist45. Wie dieser Entwicklung im öffentlichen Interesse entgegengetreten werden kann, ist noch unklar. Dass die Sitztheorie mit ihrem Anknüpfungspunkt an den immer unwichtiger werdenden tatsächlichen Verwaltungssitz hierfür kein geeignetes Instrument darstellt, dürfte aber auf der Hand liegen. Hauptziel der Sitztheorie ist denn auch der Schutz der mit der ausländischen Gesellschaft in Kontakt tretenden inländischen Personengruppen – wobei diese zahlenmäßig so umfangreich sind, dass auch insoweit ein öffentliches Interesse zu bejahen ist. Solche Personengruppen sind im Wesentlichen die Minderheitsgesellschafter, die Gläubiger und die Arbeitnehmer. (2) Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter Die Sitztheorie will die Gesellschafter vor dem Verlust ihrer Rechte durch die Verlagerung der Gesellschaft ins Ausland schützen. Das scheint schon deshalb unverständlich, weil es den Gesellschaftern prima facie eher Nutzen bringt, wenn sie scharfen Bestimmungen des bisherigen Gesellschaftsrechts entfliehen können. Zum Teil wird sogar gefolgert, dass ein möglichst liberales Gesellschaftsrecht die Gesellschafter nicht schutzlos stelle, sondern das Interesse der Gesellschafter nach Gewinnmaximierung erst verwirkliche46. Doch sind, abgesehen von einem möglichst hohen Profit, selbstverständlich auch andere Ziele von Minderheitsgesellschaftern – wie etwa die Wahrung eines Einflusses auf die Gestaltung der Unternehmensrichtung – denkbar. Durch die Anwendung neuen Rechts könnte aber der Verlust der Sperrminorität drohen, die die Durchsetzbarkeit der Ziele der Minderheitsgesellschafter gewährleistet. Die Sitztheorie ist hier allerdings nur die scheinbare Lösung für die von ihr selbst geschaffenen Probleme. Folgt man nämlich der Gründungstheorie, so wird bei der Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland an das Recht des Gründungsstaates ange44 Zu den Schwierigkeiten der Feststellung des tatsächlichen Verwaltungssitzes bei transnationalen Unternehmen vgl. OLG Frankfurt a. M., RIW 1999, 783 und Borges, RIW 2000, 167, 170 ff. 45 Vgl. Hachenburg/Behrens, Einl.; Rdnr. 118. 46 Vgl. Fischel, 76 Nw. U. L. Rev., 913, 920 (1982); kritisch dazu Ebke ZGR 1987, 245, 259 ff.

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knüpft. Die Gesellschafter verlieren daher keine Rechte, sondern behalten diejenigen, auf die sie sich eingelassen haben47. Der Schutzgedanke der Sitztheorie bezüglich der Gesellschafter erscheint aber auch bei der Verlegung des Verwaltungssitzes einer ausländischen Gesellschaft ins Inland befremdlich, schützt man doch die inländischen Gesellschafter, die freiwillig der Gesellschaft beigetreten sind, vor ihrer eigenen privatautonomen Entscheidung48. Statt diese Entscheidung zu respektieren, werden die Gesellschafter nach der Sitztheorie mit einem Recht konfrontiert, das die Gesellschafter gerade nicht auf ihre Verhältnisse anwenden wollten und das nicht ihr Zusammenleben in der Gesellschaft regelt, sondern infolge der durch die Sitztheorie ausgesprochenen Nichtigkeitssanktion ihre Auseinandersetzung reglementiert. Die Gesellschafter werden also vor sich selbst geschützt49. Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, in der Praxis dächten jedenfalls die Minderheitsgesellschafter – zumal bei der Beteiligung an Großunternehmen – kaum an die Rechtsordnung, unter die sie sich unterwerfen. Tatsache ist zwar, dass sich kaum ein Aktionär um die Satzung, geschweige denn die einzelnen anwendbaren aktienrechtlichen Bestimmungen der Gesellschaft, an der er sich beteiligt, kümmert. Insoweit ist aber die freie, privatautonome Entscheidung für eine bestimmte rechtliche Ordnung keine Illusion. Zunächst ist diesem Argument, das auch im übrigen Bereich des Zivilrechts immer wieder zur Rechtfertigung des „Verbraucherschutzes“ wiederkehrt, grundsätzlich entgegenzuhalten, dass Freiheit immer mit Eigenverantwortung korrespondiert. Sich nicht zu informieren ist aber auch ein Gebrauch der individuellen Freiheit. Diese Freiheit und Eigenverantwortung würde missachtet, wollte man sich zum Vormund der vorgeblich „Unmündigen“ machen. Dementsprechend wird auch niemand ernsthaft vertreten, die Beteiligung an einem Unternehmen sei nur dann wirksam, wenn der Investor sich zuvor die Satzung durchgelesen hat. Dies wäre zwar durchaus ratsam, aber es ist das Risiko des Anlegers, ob er die Informationsquellen nutzt oder nicht. Entscheidend ist, dass sie bestehen. Und innerhalb der EU bestehen diese Informationsmöglichkeiten schon seit 1968 aufgrund der Publizitätsrichtlinie50, die die Offenlegungspflichten der Gesellschaften regelt. 47

Schümann, EuZW 1994, 269, 274. Ähnlich Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 346; Behrens, IPRax 1999, 323, 328; Zimmer, IntGesR, 387 ff. 49 Lutter, ZGR 1992, 435, 440, unterscheidet zwischen unternehmerischer Beteiligung und dem „normalen“ Anleger. Letzterer bedürfe zwar des Schutzes durch das Gesetz, dieser Schutz könne aber über das Börsenrecht eher und besser gewährleistet werden. 50 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 48

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Zum anderen werden die Interessen der Minderheitsgesellschafter nicht nur durch das Gesellschaftsrecht geschützt. So wird etwa durch Anlegerund Kapitalschutznormen ebenfalls ein Schutzniveau im Interesse der Minderheitsgesellschafter gewährleistet, auch falls diese in ihrer Beteiligung nur eine Kapitalanlage sehen. Durch eine Verschärfung des Börsenrechts kann der Minderheitenschutz zumindest genauso gut, wenn nicht besser, erreicht werden51 wie durch die Sitztheorie. Insoweit ist bemerkenswert, dass die Anlegerschutz- und Rechnungslegungsvorschriften des US-amerikanischen Rechts auch in Deutschland immer mehr Verbreitung finden52. Die Tatsache, dass die Anwendung dieser im Vergleich zum deutschen Recht weit strengeren Vorschriften offenbar als Qualitätsmerkmal gesehen werden, das bei der Beschaffung von Kapital Vorteile bringt, führt die Mär vom unmündigen Minderheitsgesellschafter und Kapitalanleger ad absurdum53. (3) Schutz der Gläubiger Obig Gesagtes gilt im Prinzip auch für das Bestreben der Sitztheorie, die Gläubiger vor einem Geschäft mit einer ausländischen Gesellschaft zu bewahren. Wer ein Geschäft mit einer Gesellschaft abschließt, die einer fremden Rechtsordnung angehört, muss wissen, dass er nicht notwendig auf die gewohnten inländischen Vorschriften zur Bildung eines Mindeststammkapitals und zur Kapitalerhaltung vertrauen darf. Schließt er trotzdem das Geschäft ab, so muss er sich an dieser freien Entscheidung festhalten lassen. Für ihn kann nichts anderes gelten als für einen Geschäftsmann, der ein Darlehen an eine deutsche GmbH gibt und dieses nicht entsprechend absichert. Die einmal erfolgte Aufbringung des Mindestkapitals von A 25.000 gem. § 5 Abs. 1 GmbH wird kaum ausreichen, um den Kreditgeber zu überzeugen, auf eine Sicherheit zu verzichten54. 51 Lutter, ZGR 1992, 435, 440; vgl. auch Wymeersch, ZGR 2001, 249, 309, nach dem im Bereich der börsennotierten Unternehmen ohnehin der Einfluss der Wertpapiermärkte die treibende Kraft bildet, auf der ein Wettbewerb der Rechtssysteme beruht, und weniger der Satzungswettbewerb. 52 Entsprechend ist gem. § 292a HGB nunmehr eine entsprechende Bilanzierung grundsätzlich als gleichwertig anerkannt. 53 Im Ergebnis auch Eidenmüller, ZIP 2003, 2233, 2236: „Die These, ein Wettbewerb der Gesellschaftsrechte habe zur Folge, dass es keine oder nur noch unzureichende Formen des Schutzes abhängiger Gesellschaften und ihrer Minderheitsgesellschafter geben würde, ist unbegründet.“ 54 So überzeugend Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 337; Hemeling, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 217, 226; nach Kübler, AG 1994, 141 146, ist der im Handelsregister eingetragene Kapitalbetrag für die Kreditpraxis irrelevant, vielmehr werde sich an anderen Größen wie dem cash flow orientiert.

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Entscheidend ist vielmehr die finanzielle Lage der Gesellschaft im Zeitpunkt der geplanten Vornahme des Geschäfts. Über diese kann sich der Geschäftspartner anhand der Bilanz der Gesellschaft informieren. Diese Informationsmöglichkeit ist seit 1978 durch die Bilanzrichtlinie55 innerhalb der EU für alle Kapitalgesellschaften gewährleistet. Noch aktueller als die Bilanz wäre eine Bankauskunft mit Zustimmung der Gesellschaft. Verzichtet ein Kreditgeber, der einer ausländischen Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz im Inland hat, ein Darlehen gibt, auf die Inanspruchnahme dieser Informationsquellen, ist ein Schutzbedürfnis für ihn deshalb genauso wenig erkennbar, wie bei einem Geschäftspartner einer deutschen GmbH, der dieser ein Darlehen ohne Sicherheit gibt, obwohl aus ihrer Bilanz ersichtlich ist, dass die GmbH in einer finanziellen Schieflage steckt. Die offene Information über eine schlechte Kapitalausstattung baut eine psychologische Barriere auf, die sich als äußerst wirksames Instrument zum Schutz der Gläubiger erweisen kann56. Zudem werden die Gläubiger einer Gesellschaft auch nach ausländischen Rechtsordnungen nicht völlig schutzlos gestellt. Häufig wird ein dem deutschen Recht vergleichbarer Schutz der Gläubigerinteressen gewährleistet sein, mag dies auch auf anderen Wegen erfolgen57. Im Bereich der Aktiengesellschaften ist dies innerhalb der EU durch die zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 13.12.1976 (Kapitalrichtlinie 77/91), die die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung behandelt, sogar sichergestellt58. Die Richtlinie regelt nicht nur den Mindestbetrag des Kapitals, sondern auch die Leistung von Bar- bzw. Sacheinlagen, den Erwerb eigener Aktien, die Einziehung von Aktien sowie die Kapitalerhöhung und -herabsetzung. Letzteres ausdrücklich auch im Interesse und zum Schutz der Aktionäre59. Für deutsche Personengesellschaften bringt die Sitztheorie ohnehin keine Vorteile. Hier besteht per se die Möglichkeit der persönlichen Inanspruch55 Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315. 56 Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 127. 57 Problematisch ist dies im wesentlichen nur bei der britischen privat limited company (Ldt.), bei der so gut wie keine Eigenkapitalerstattung vorgesehen ist und der in Großbritannien durch öffentlich rechtliche Normen sichergestellte Gläubigerschutz nicht auf das Territorium eines anderen Staates übertragen werden kann, vgl. hierzu den informativen Überblick bei Fleischer, DStR 2000, 1015 ff. Auch hier ist m. E. aber auf die privatautonome Entscheidung des Gläubigers, mit dieser Gesellschaft Geschäfte zu machen, abzustellen. 58 Richtlinie 77/91/EWG; ABlEG Nr. L 26, 1; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 206; generell gilt, dass das auf die Aktiengesellschaft anwendbare Recht in seinen nach außen wirkenden Teilen sehr weitgehend harmonisiert ist, vgl. Lutter ZGR 2000, 1, 7. 59 Vgl. zweiter und fünfter Erwägungsgrund der Richtlinie 77/91/EWG; ABlEG Nr. L 26, 1.

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nahme der Gesellschafter60. Damit ist auch ohne die Sitztheorie aufgrund der erlassenen Richtlinien, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar gelten61, ein hinreichender Gläubigerschutz in der EU gewährleistet. (4) Schutz der Arbeitnehmer Letztes Schutzobjekt im Fadenkreuz der Sitztheorie sind die Arbeitnehmer der ausländischen Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz im Inland hat. Schutz der Arbeitnehmer auf der Ebene des Gesellschaftsrechts meint dabei allein die Garantie des deutschen Sonderwegs der paritätischen Mitbestimmung. Denn nur das Mitbestimmungsgesetz 1976 knüpft – im Gegensatz zur Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz – an die Organe der Kapitalgesellschaften deutschen Rechts und damit an das Gesellschaftsstatut an. Nachdem die beiden anderen Schutzziele von der Sitztheorie klar verfehlt worden sind, ist bezüglich der Mitbestimmungsfrage festzustellen, dass hier nicht auf privatautonome Entscheidungen der Partner der Gesellschaft rekurriert werden kann. Ein Arbeitnehmer ist gemeinhin nicht in der Lage, sich eine unternehmerische Mitbestimmung in der Weise zu sichern, dass er nur bei solchen Unternehmen Arbeit sucht, die nach deutschem Recht organisiert sind und demzufolge eine Mitbestimmung vorsehen. Die Freiheit der Entscheidung ist hier durch den existentiellen Zwang, einen Arbeitsplatz als Lebensgrundlage zu finden, stark eingeschränkt. Auch kann hinsichtlich der Frage der Mitbestimmung nicht auf einen vergleichbaren Schutz durch die Rechtsordnungen anderer Staaten verwiesen werden. Zwar gibt es in zahlreichen Mitgliedstaaten eine gesetzlich verankerte Form der Mitbestimmung, so etwa in Italien, Österreich, Finnland, Schweden und den Niederlanden, die für Betriebe ab einer bestimmten Größenordnung Arbeitnehmervertretungen mit Auskunfts-, Informations- und Beratungsrechten vorsehen. In Frankreich ist eine Arbeitnehmervertretung immerhin optional möglich. Lediglich in Großbritannien und Irland finden sich keine nationalen Mitbestimmungsregelungen62. Die deutsche Mitbestimmung ist und bleibt in ihrer Ausgestaltung aber ein Unikum im internationalen Vergleich. Die Vorstöße der EU-Kommission zur Regelung der Mitbestimmung auf der Gemeinschaftsebene63 sind ebenfalls weitgehend ergebnislos verlaufen. 60

Für die GmbH & Co. KG als Mischform gilt diese Aussage nicht. St. Rspr. des EuGH, vgl. etwa Slg. 1974, 1337, 1348. 62 Vgl. zu den einzelnen Ländern Niedenhoff, Mitbestimmung, 1 ff. 63 Die sog. Strukturrichtlinie beruhend auf dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 09.10.1972, ABlEG 1972 Nr. C 49 geändert am 19.08.1983, ABlEG 1983 Nr. C 240, 2, ist bis heute nicht verabschiedet, mittlerweile wurden zwei weitere Vorschläge gemacht, vgl. ABlEG 1991, Nr. C 7, 4 und Nr. C 321, 9; zu den 61

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Insoweit ist zuzugeben, dass die Sitztheorie in der Frage der Mitbestimmung zumindest ein Ziel hat, dass nicht schon nicht schutzwürdig ist oder anderweitig bereits erreicht ist. Entsprechend berufen sich die Vertreter der Sitztheorie zunehmend auf das Argument der Mitbestimmung; deren Bewahrung sei das stärkste Argument für die Sitztheorie64. Ob jedoch die Mitbestimmung tatsächlich dem Schutz der Arbeitnehmer dient, ist eine andere Frage, die hier nicht beantwortet werden soll, zumal die typischen Briefkastengesellschaften, die die Sitztheorie verhindern will, in aller Regel nicht mitbestimmungsrelevante Größenordnungen erreichen65. c) Die Nichtigkeitssanktion als Methode der Sitztheorie Neben den Schutzzielen, die die Sitztheorie verfolgt und die wie gezeigt sehr fragwürdig sind, ist weiter zu untersuchen, ob die Mittel, die die Sitztheorie zur Erreichung dieser Ziele einsetzt, geeignet hierfür sind. Als Methode, um den angestrebten Schutz der mit der ausländischen Kapitalgesellschaft in Kontakt stehenden Personengruppen zu gewährleisten, sieht die Sitztheorie die Nichtigkeit66 der Gesellschaft im Inland vor. Hinsichtlich des Schutzes der Minderheitsgesellschafter ist die Verhängung der Nichtigkeitssanktion kontraproduktiv. Das Interesse des Minderheitsgesellschafters ist nicht auf die zwangsweise Auflösung gerichtet, sondern auf die Teilhabe an der Gesellschaft. Auch die Gläubiger einer für nichtig erklärten Gesellschaft dürften daran keine große Freude haben. Es ist nämlich eine von den Vertretern der Sitztheorie kontrovers diskutierte Frage, wie eine nach der Sitztheorie nichtige Gesellschaft richtig zu behandeln ist. Erörtert wird unter anderem die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft, der Vor-GmbH, der Behandlung der nicht existenten juristischen Person als BGB-Gesellschaft bzw. OHG sowie die Anwendung von Rechtsscheingrundsätzen67. Neben dieser der Rechtssicherheit nicht besonders förderlichen Gemengelage von möglichen Auswirkungen Bestrebungen einer einheitlichen Regelung der Mitbestimmung im Rahmen der SE bereits oben IV.5.c), Seite 89 ff. 64 Vgl. etwa Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52, 56. 65 So Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 143; Ulmer, JZ 1999, 662, 663; Eidenmüller, ZIP 2003, 2233, 2236 f.; kritisch zur Berechtigung der unternehmerischen Mitbestimmung jüngst Sandrock, BB 2002, 1601, 1602, sowie Ulmer, ZHR 166 (2002), 271 ff. 66 Nichtigkeit meint insoweit nur die Ungültigkeit der von den Gesellschaftsgründern gewählten Rechtsform. Die Gesellschaft als solche besteht auch nach der Sitztheorie nach wohl überwiegender Ansicht als oHG oder GbR fort, vgl. auch Schmidt, ZGR 1999, 22 ff. 67 Vgl. Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 331 ff.; im Ergebnis freilich kommen alle Auffassungen zu einer persönlichen Haftung der Gesellschafter.

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der Nichtigkeit kann sich durch die Nichtigkeitssanktion der eigentlich bezweckte Schutz der Gläubiger auch in sein Gegenteil verkehren. So hatte der BGH68 darüber zu entscheiden, ob ein Kläger, der einer liechtensteinischen Anstalt mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland auf seinem Grundstück eine Grundschuld bestellt hatte, gegenüber einem Geschäftspartner der Anstalt, dem die Grundschuld von dieser abgetreten worden war, einen Anspruch auf Löschung hat. Der BGH hat dies auf Basis der Sitztheorie bejaht, die liechtensteinische Anstalt sei wegen des tatsächlichen Verwaltungssitzes in Deutschland von Anfang an nichtig. Sie konnte daher die Grundschuld nicht erwerben und abtreten. Dem Geschäftspartner der Anstalt, den die Sitztheorie doch schützen will, wurde die Sicherheit entzogen, er stand mit leeren Händen da. Die Sitztheorie führt zur Nichtigkeit der Gesellschaft, diese zum Erlöschen der Hauptschuld und damit zum Untergang aller akzessorischen Sicherheiten des Gläubigers. Die von der Sitztheorie gewährten Haftungsansprüche gegen die Gesellschaftsgründer bzw. die für die Gesellschaft auftretenden Personen (Handelndenhaftung) ist dagegen häufig kein adäquater Ersatz. Im Einzelfall kann es durchaus zweifelhaft sein, welchen Inhalt diese Ansprüche haben, gegen wen sie sich richten und inwieweit sie realisierbar sind. Die Nichtigkeit der Gesellschaft führt daher auch zu unabsehbaren Problemen für den Geschäftspartner dieser Gesellschaft69. Die Sanktion der Nichtanerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft trifft diese nicht einseitig, sondern auch deren Geschäftspartner im Inland und führt so zu einer Belastung des Rechtsverkehrs im Ganzen70. Wenig verwunderlich ist da, wenn sich der schweizerische Gesetzgeber bei der Fassung eines IPR-Gesetzes zugunsten der Gründungstheorie entschieden hat, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Folge der Sitztheorie, eine ausländische juristische Person für nichtig zu erklären, keine geeignete Sanktion sei, weil sie „dem Gläubiger den Schuldner, dem Richter den Angeklagten, dem Fiskus den Steuerhinterzieher und der Aufsichtsbehörde den Rechtsbrecher“

entzieht71. Gegen diesen Befund wird eingewandt, das Charakteristikum der Sitztheorie sei gerade die scharfe Sanktion der Nichtigkeit. Weil diese Wirkung so einschneidend sei, komme es infolge der effektiven Abschreckung nur in 68

BGHZ 53, 181. Vgl. umfassend zu den problematischen Rechtsfolgen der Sitztheorie für den deutschen Rechtsverkehr Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 ff. 70 So Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 113. 71 Stenograph. Bulletin des Nationalrates 1979, 944, 946 zitiert nach Heini, IPRax 1984, 166, 168. 69

I. Der Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsrechtsordnungen

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Einzelfällen zu einer tatsächlichen Relevanz der Rechtsfolge. Die präventive Wirkung der Sitztheorie habe sich als äußerst wirksam erwiesen72. Belegen lässt sich dies allerdings nicht73. Vielmehr ist infolge der zunehmende Internationalität auch im Bereich des Mittelstands mit einer Verschärfung der Problematik zu rechnen. Auch hinsichtlich der Mitbestimmung ist mit der Versagung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft für den Schutz der Arbeitnehmer nichts erreicht74. Was soll es dem Arbeitnehmer nützen, wenn sein Arbeitgeber – als Rechtsform – nicht mehr existent ist? Zudem ist der Sitztheorie gerade in diesem Punkt – wie im Übrigen auch sonst – vorzuwerfen, dass sie nicht begründen kann, wieso ein ausländisches Unternehmen mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Ausland und einer Zweigniederlassung im Inland sich ohne weiteres nach der ausländischen Rechtsordnung organisieren kann und geduldet wird, während eine ausländische Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz im Inland hat, als rechtlich inexistent behandelt wird. Gerade aus der Sicht der Arbeitnehmer dürfte es vom Schutzgedanken her hier keine Unterschiede geben, ist doch für den Arbeitnehmer der Ort der Betriebsstätte und nicht der Verwaltungssitz der zentrale Anknüpfungspunkt für seine Belange. Wenn die Mitbestimmung wirklich ein so zentrales Anliegen ist, dann sollte wie beim Betriebsverfassungsgesetz schon der Fall, auch die unternehmerische Mitbestimmung an den Betrieb anknüpfen und nicht an ein Gesellschaftsstatut. Dies hätte zudem den Vorteil, dass die Mitbestimmung dann auch auf solche ausländische Unternehmen anwendbar wäre, die eine monistische Führungsstruktur haben, d.h. nur ein Führungsgremium (sog. board system) anstatt der in Deutschland bei der AG üblichen Trennung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand. Ganz in diesem Sinne hatte die Kommission einen neuen Anlauf zur Lösung der Mitbestimmungsfrage unternommen, die wesentliche Projekte der geplanten Rechtsangleichung blockiert. Nach dem „neuen Gemeinschaftsansatz“75 sollte die Mitbestimmung von den aktienrechtlichen Strukturen abgekoppelt werden und durch ein betriebsverfassungsrechtliches Informations- und Konsultationsverfahren nach dem Vorbild der „Euro-Betriebsräte-Richtlinie“76 ersetzt werden. Dieser Ansatz scheiterte aber, wie erwartet, an dem massiven Widerstand Deutschlands77. 72

Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 43. So Zimmer, IntGesR, 188; Behrens, IPRax 1999, 323, 328. 74 So zutreffend Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 348. 75 Vgl. Europäische Kommission „Zur Information und Konsultation der Arbeitnehmer“, Mitteilung vom 14.11.1995, KOM (1995), 457. 76 Abl.EG Nr. L 254, 64 vom 30.09.1994. 77 Kritisch hierzu Hopt, ZIP 1998, 96, 101. 73

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Zudem ist es nicht einsehbar, warum überhaupt ein Zwang zur einheitlichen Mitbestimmung erstrebenswert sein soll. Zwar gibt es in den anderen europäischen Staaten nicht die speziell ausgeprägte Form der Mitbestimmung, aber ansatzweise ist sie auch im europäischen Ausland vorhanden. Daneben gibt es überall in Europa Vorschriften und Regeln zum Schutz der Arbeitnehmer außerhalb des Gesellschaftsrechts. Das deutsche Modell der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat bis hin zur Quasiparität funktioniert zwar besser, als viele Unternehmenspraktiker und Gesellschaftsrechtler sich das 1976 vorstellen konnten. Kapital und Arbeiterschaft haben sich aneinander gewöhnt. Im Extremfall entscheidet ja doch die Anteilseignerseite mit der Stimme des von ihr gestellten Vorsitzenden. Zudem hat die Mitbestimmung auch ganz unbeabsichtigte positive Effekte. So dürfte die deutsche Mitbestimmung ein ganz entscheidendes strukturelles Hemmnis gegen feindliche Übernahmeversuche sein78. Lutter79 ist aber zuzustimmen, wenn er meint, dass Europa durchaus mit unterschiedlichen Systemen der kollektiven Arbeitsbeziehungen leben könne. Möglicherweise führt der Wettbewerb der Systeme insoweit zu Aussagen, die ganz anders ausfallen, als von den Propheten des „race to the bottom“ befürchtet. In der internationalen Diskussion um die Mitbestimmung sollten deshalb mehr die Vorzüge der eigenen Lösung betont werden und weniger deren Schutzbedürftigkeit vor äußeren Einflüssen. Ein Mauer-Denken führt dagegen zur Abwehr von außen und zur Schwäche nach innen80. Die Sitztheorie kann daher zusammenfassend ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen. Zum einen sind schon die Ziele, die sie zu schützen vorgibt, bis auf die Frage der Mitbestimmung gar nicht schutzwürdig, zum anderen ist die Methode der Sitztheorie, mit der sie diese Schutzziele erreichen will, ungeeignet. Die von der Sitztheorie bewusst angestrebte Verhinderung von Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen ist somit nicht zu rechtfertigen. Ein „race to the bottom“ ist bei einem einsetzenden Wettbewerb der Rechtssysteme nicht in dem Ausmaß zu befürchten, wie er immer wieder beschworen wird. Nach der Marktlogik wird sich vielmehr langfristig das Rechtssystem durchsetzen, das allen Marktteilnehmern in summa die größten Vorteile bringt, wobei dies als dynamischer Prozess zu verstehen ist, der auf sich ändernde Marktvariablen flexibel reagieren kann. Schließlich erlaubt der Systemwettbewerb auch eine Differenzierung zwischen den Bedürfnissen verschiedener Unternehmensarten und Größen. So 78

Hopt, ZGR 1992, 265, 276; Kübler, AG 1994, 141, 142. Lutter, ZGR 1992, 435, 440. 80 Lutter, ZGR 1992, 435, 440; vgl. auch ders., ZGR 2000, 1, 17, wo die berechtigte Frage aufgeworfen wird, ob die deutschen Gewerkschaften selbst nicht an die Vorteile der Mitbestimmung glauben würden. 79

II. Sitztheorie und Subsidiaritätsgedanke

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ist etwa in den USA, wo zwischen den einzelnen Bundesstaaten ein Systemwettbewerb herrscht, zu beobachten, dass kleinere und mittlere Unternehmen mit einer vergleichsweise homogenen Aktienbesitzstruktur es vorziehen, sich in Bundesstaaten mit einem strengeren Gesellschaftsrecht niederzulassen, während Großunternehmen mit weit gestreutem Aktienbesitz vor allem in Delaware, dem Bundesstaat mit dem bis dato liberalsten Gesellschaftsrecht der USA, anzutreffen sind81. Auch dies belegt, dass es keineswegs automatisch dazu kommen muss, dass alle Unternehmen sich Lemmingen gleich bei einer gegenseitigen Anerkennung nationaler Gesellschaftsrechtsstatute auf das System mit dem niedrigsten Schutzniveau stürzen werden.

II. Sitztheorie und Subsidiaritätsgedanke Im Bereich des Gesellschaftsrechts spricht nach dem obig Gesagten82 viel für einen vom Subsidiaritätsprinzip motivierten Wandel der Harmonisierungsprojekte der Gemeinschaft hin zu einer gegenseitigen Anwendbarkeit nationaler Normen und dem damit verbundenen „Wettbewerb der Systeme“. Ergebnis wäre eine völlige Freizügigkeit unter den europäischen Unternehmensformen. Die kollisionsrechtlichen Beschränkungen der Sitztheorie wären als Wettbewerbshindernis insoweit auszuräumen. 1. Kollisionsrecht und Subsidiaritätsprinzip Andererseits wird vertreten, das Subsidiaritätsprinzip verbiete ein Tätigwerden der Gemeinschaft im Bereich des Internationalen Gesellschaftsrechts83. Dies wird mit Art. 293 EGV begründet. Das dort vorgesehene zwischenstaatliche Übereinkommen über die Anerkennung von Gesellschaften, die Sitzverlegung innerhalb der Gemeinschaft sowie die Möglichkeit einer Verschmelzung zeige, dass einer mitgliedstaatlichen Regelung in diesem Bereich des EGV nach dem Subsidiaritätsprinzip der Vorrang vor einer Regelung auf Ebene der Gemeinschaft zukomme84. Als Beleg hierfür wird der Rechtsstandpunkt der Kommission herangezogen, die ausweislich der Begründung zum Vorentwurf einer Vierzehnten gesellschaftlichen Richtlinie davon ausgeht, dass eine Angleichung auf Ebene des Sachrechts im Ver81

Ebke, ZGR 1987, 245, 260, unter Berufung auf Baysinger/Butler, 28 J. Law & Econ. 179 (1985). 82 Vgl. bereits oben III., Seite 67 ff. 83 MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 46 ff.; sowie ders., NJW 1999, 1993, 1997; Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 87, 104; vgl. auch Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151, 164. 84 MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 50.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

gleich zu einer Harmonisierung der Anknüpfungskriterien die weniger einschneidende Maßnahme darstellt, deren Wirkung stärker begrenzt ist85. Ziel dieser Instrumentalisierung des Subsidiaritätsprinzips86 ist die Verhinderung einer Einflussnahme auf die kollisionsrechtliche Sitztheorie, die einem Wettbewerb der Rechtsordnungen im Bereich des Gesellschaftsrechts gerade entgegensteht. Vom Ergebnis her gedacht, mutet es allerdings befremdlich an, wenn das Subsidiaritätsprinzip letztlich zu einer Begrenzung nationaler Handlungsspielräume führen soll. Dieses fordert im Gegenteil zu einer möglichst weitgehenden Freiheit für die Mitgliedstaaten – freilich unter Wahrung des Ziels eines einheitlichen Binnenmarktes – auf. Entsprechend heißt es in Nr. 7 des Protokolls Nr. 30 zum Amsterdamer Vertrag: „Was Art und Umfang des Handelns der Gemeinschaft betrifft, so sollte bei Maßnahmen der Gemeinschaft so viel Raum für nationale Entscheidungen bleiben, wie dies im Einklang mit dem Ziel der Maßnahme und den Anforderungen des Vertrags möglich ist. Unter Einhaltung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften sollten bewährte nationale Regelungen sowie Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten geachtet werden.“

Neben dieser ergebnisorientierten Wertung vermag aber auch die dogmatische Begründung der Ansicht, die Vereinheitlichung des Kollisionsrechtes sei durch das Subsidiaritätsprinzip untersagt, nicht zu überzeugen. Nach dem Wortlaut des Art. 293 EGV können die Mitgliedstaaten die dort vorgesehenen zwischenstaatlichen Übereinkommen nur dann treffen, wenn diese erforderlich sind. Diese Erforderlichkeit ist aber nicht mehr gegeben. Nach Art. 44 Abs. 2 g EGV besteht nämlich bereits eine Rechtsgrundlage für die Harmonisierung des Gemeinschaftsrechts, die umfassend ist und – notfalls in Verbindung mit Art. 94 EGV – eine ausreichende Grundlage auch für Angleichungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Internationalen Gesellschaftsrechts bietet87. Art. 293 EGV ist also selbst subsidiär und kann nicht für die Subsidiarität eines Gemeinschaftshandelns herangezogen werden. Schließlich haben die Mitgliedstaaten auch kein einziges der in Art. 293 EGV vorgesehenen Übereinkommen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechtes in den letzten vierzig Jahren verwirklicht. Auch deshalb kann man einem kollektiven Handeln der Mitgliedstaaten auf diesem Weg keinen 85

Begr. vom. 22.04.1997, ZIP 1997, 1721, 1722. Der Hinweis von Möschel, NJW 1995, 281, bei dem Subsidiaritätsprinzip verhalte es sich wie mit dem Sex bei Sigmund Freud, man versuche alles damit zu begründen, trifft auch insoweit zu. 87 Etwa Dauses HB/Behrens, Absch. E III, Rdnr. 12; vgl. auch Schön, ZGR 1995, 1, 14, der den Zweck des Art. 44 Abs. 2 g EGV in der Annäherung der rechtlichen Wettbewerbsbedingungen für Kapitalgesellschaften im Binnenmarkt unter Aufrechterhaltung eines hinreichenden Schutzniveaus für Gesellschafter und Dritte als Bedingung für die Verwirklichung ihrer Grundfreiheiten sieht. 86

II. Sitztheorie und Subsidiaritätsgedanke

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Vorrang gegenüber einer Tätigkeit der Gemeinschaft einräumen88. Das auf Art. 220 3. Unterabs. EGV a. F. gestützte „Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen“ vom 29. Februar 196889 wurde zwar von Belgien, der BRD, Frankreich, Italien und Luxemburg, nicht aber von den Niederlanden ratifiziert. Grund hierfür war und ist die Tatsache, dass das Übereinkommen zwar formell vom Gründungsstatut ausgeht90, die Mitgliedstaaten aber zugleich ermächtigt werden91, weitgehende Vorbehalte anzubringen und das Gründungsstatut so im Ergebnis auf das auch nach der Sitztheorie mögliche (oder unmögliche) Maß einzuengen. Die Niederlande, die der Gründungstheorie in ihrer fast reinen Form folgen, waren der Ansicht, dass gegenüber dieser Regelung der status quo noch liberaler sei und ratifizierten deshalb das Abkommen nicht. Wer den Sitz seiner Gesellschaft in die Niederlande verlegen will, sollte dies so wie bisher tun können, ohne sein gewohntes Heimatrecht aufzugeben92. Angesichts der Tatsache, dass statt den ursprünglichen sechs Mitgliedern der Gemeinschaft nunmehr fünfzehn existieren, von denen zumindest Großbritannien ähnlich liberal eingestellt ist wie die Niederlande, und eine zusätzliche Erweiterungsrunde vor der Tür steht, ist mit einer Ratifizierung nicht mehr zu rechnen. Zu Recht ist der Weg über Art. 293 EGV zur Vereinheitlichung des Internationalen Gesellschaftsrechts als eine Sackgasse bezeichnet worden, deren Ende wir längst erreicht haben93. Das Subsidiaritätsprinzip verlangt, dass das Ziel einer Maßnahme besser durch die Gemeinschaft erreicht werden kann als durch die Mitgliedstaaten selbst. Das Ziel des Übereinkommens, also insbesondere die Ermöglichung des Sitzwechsels innerhalb der Gemeinschaft, kann wie die Entwicklung gezeigt hat, auf diesem Weg nicht erreicht werden94. Der europäische Regelungsgeber wäre also nach dem Subsidiaritätsprinzip durchaus gefordert.

88

Zutreffend Schön, ZHR 160 (1996), 221, 230. BGBl 1972 II, 370 ff.; abgedruckt bei Lutter, Europ. Unternehmensrecht, 339 ff. 90 Vgl. etwa Art. 1 des Übereinkommens vom 29.02.1968, Lutter, Europ. Unternehmensrecht, 339. 91 Vgl. Art. 3 des Übereinkommens vom 29.02.1968, Lutter, Europ. Unternehmensrecht, 339. 92 Knobbe-Keuck, ZHR 154 (1990), 325, 330; Sandrock, RIW 1989, 249, 252; vgl. auch Eyles, Niederlassungsrecht, 251 f.: „Etikettenschwindel“. 93 Sandrock, RIW 1989, 249, 252. 94 Vgl. Schön ZGR 1995, 1, 37, der kollektiven Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Vergleich zu der gemeinschaftlichen Rechtsangleichung selten die ausreichende Effektivität einräumt. 89

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

2. Kollisionsrecht und Verhältnismäßigkeitsprinzip Fraglich ist aber, ob der in Art. 5 Abs. 3 EGV verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechtes erlaubt. Tatsächlich geht das Bemühen der Kommission dahin, statt einer Vereinheitlichung des Kollisionsrechtes eine auch für die Staaten, in denen die Sitztheorie gilt, akzeptable Lösung zu finden. Der Vorschlag für eine Vierzehnte Richtlinie über die Sitzverlegung95 – die auf Art. 44 Abs. 2 g EGV gestützt werden soll96 – stellt denn auch einen Versuch dar, diesem Auftrag nachzukommen. Dieser Vorschlag zielt nicht auf die Angleichung des Kollisionsrechts ab, sondern lässt Sitz- und Gründungstheorie nebeneinander bestehen. Nach wie vor muss daher eine Gesellschaft, die ihren Sitz in ein Land verlegen will, das der Sitztheorie folgt, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegen, bevor sie sich eintragen lassen kann. Zudem soll eine wegziehende Gesellschaft durch gewisse Garantien zugunsten ihrer Gesellschafter und Gläubiger sicherstellen müssen, dass sie sich ihren Verpflichtungen nicht entzieht97. Es scheint jedoch schwer vorstellbar, dass Mitgliedstaaten, die wie die Niederlande oder Großbritannien einem liberalen Kollisionsrecht folgen, mit einem europäischen Vorschlag leben wollen, der für sie Einengung bedeutet. Dies hat schon bei dem Übereinkommen von 1968 zu einer Ablehnung der Ratifikation geführt. Es ist zu erwarten, dass dies wieder der Fall ist. Wichtiger ist allerdings noch, dass der Vorschlag die Frage der Mitbestimmung und damit ein zentrales Problem der Sitzverlegung ausklammert. Es werden schon allein deshalb dem Vorschlag keine großen Realisierungschancen eingeräumt98. Damit scheint ein Vorgehen der Gemeinschaft auf dem Weg der Rechtsangleichung wiederum fehlzuschlagen. Wenn das Subsidiaritätsprinzip ein Tätigwerden der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Internationalen Gesellschaftsrechts aber gestattet und andere Wege, die dieses den Mitgliedstaaten überlassen, sich als undurchführbar erweisen, so gibt es effektiv keine andere Lösung, als dass die Gemeinschaft das Kollisionsrecht vereinheitlicht 99. Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass es zur Erreichung der Vertragsziele genügt, die durch das zur Anwendung berufene Sachrecht hervorgerufenen 95

Abgedruckt in ZIP 1997, 1721. Von dem in der Zielsetzung ähnlichen Übereinkommen vom 29. Februar 1968 ist bezeichnenderweise nicht mehr die Rede. 97 Vgl. Abdruck in ZIP 1997, 1721, 1723. 98 Vgl. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 65. 99 Nach Dreher, JZ 1999, 105, 111, sollte grundsätzlich die Rechtsangleichung bei der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts statt des Sachrechts ansetzen. 96

II. Sitztheorie und Subsidiaritätsgedanke

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Integrationshindernisse zu beseitigen100. Eine Notwendigkeit zur Angleichung des Kollisionsrechts besteht daher eigentlich nicht. Allerdings muss bei der nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzunehmenden Güterabwägung berücksichtigt werden, welchen Stellenwert das anzugleichende Sachrecht für die Mitgliedstaaten hat. Ist es etwa für die Bundesrepublik eine einschneidendere Maßnahme, von der – noch nicht einmal gesetzlich verfassten – Sitz- zur Gründungstheorie überzugehen oder sich einer Angleichung des materiellen Gesellschaftsrechts in weiten Bereichen, so der Mitbestimmung, zu unterwerfen? Ist es umgekehrt für ein Land wie Großbritannien nicht ähnlich schwerwiegend, wenn die deutschen Vorstellungen zu Grundkapital und Haftung einer GmbH gemäß einer europäischen Richtlinie vereinheitlicht würden? Wie immer gibt das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Möglichkeit und das Recht zu werten. Geht man vom Ziel der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Gesellschaften aus, wie es der Binnenmarkt und die Niederlassungsfreiheit fordern, so dürfte dies durch eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechtes leichter und mit weniger Eingriffen in die nationalen Rechtssysteme zu erreichen sein als durch eine Rechtsangleichung des materiellen Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten. Dabei wird nicht verkannt, dass etwa die Aufgabe der Sitztheorie für Staaten wie Deutschland und Frankreich erhebliche Einschnitte mit sich brächte. Denkbar ist jedenfalls, dass die Angleichung des materiellen Rechts einschneidender gesehen wird als die bloße Angleichung des Kollisionsrechts. Scheitert die Vierzehnte Richtlinie über die Sitzverlegung101 an der Frage der Mitbestimmung, so ist dies nur ein weiterer Beleg für diese These. Vom Gedanken der Subsidiarität ermöglicht die bloße Angleichung des Kollisionsrechts einen großen Spielraum für die gesetzgeberische Tätigkeit der Mitgliedstaaten. Gibt man den Wettbewerb der Rechtsordnungen frei, so findet im Bereich des materiellen Gesellschaftsrechts keine Angleichung durch die höhere Ebene mehr statt, und die Niederlassungsfreiheit wird gewahrt. Dies bewahrt den Mitgliedstaaten mehr Souveränität als eine Zielsetzung, die die Niederlassungsfreiheit als Forderung des EGV zwar anerkennt, aber sie erst gestatten will, wenn die Gesellschaftsrechte der Mitgliedstaaten weitgehend angeglichen sind. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass bei einer Angleichung des Kollisionsrechts auch integrationsindifferente oder weniger integrationsrelevante Ausschnitte des Gesellschaftsstatuts betroffen würden102. Das Kolli100 101 102

Vgl. MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 51. Vgl. ZIP 1997, 1721 ff. So aber MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 51.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

sionsrecht bildet nur den Anknüpfungspunkt für das anzuwendende Gesellschaftsstatut. Es bestimmt dieses zwar, belässt aber, soweit man der Gründungstheorie folgt, die Wahl, welches Recht Anwendung findet, den Gesellschaftern. Wenn diese eine Wahlmöglichkeit ausnutzen, so mag das zwar faktisch zu einer Unterminierung des national gesetzten Rechtes führen und als Folge dessen eine Veränderung des nationalen Rechts hin zu einem liberaleren Vorbild – auch in nicht integrationsrelevanten Bereichen – nach sich ziehen, jedoch beruht eine solche Angleichung des Sachrechts nicht auf dem europäischen Rechtssetzungsakt der Vereinheitlichung des Kollisionsrechts, sondern auf einer freien Entscheidung von Staatsbürgern, die durch den Rechtssetzungsakt nur ermöglicht wurde. Mit der Frage der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zur Vereinheitlichung des Internationalen Gesellschaftsrechts kann diese Feststellung, die auf der bloßen Annahme eines „race to the bottom“103 beruht, nicht verquickt werden. In seinem traditionellem Verständnis als Kompetenzausübungsregel zwischen zwei Gesetzgebungshierarchien gibt das Subsidiaritätsprinzip für diese gleichsam mittelbar über die zusätzlichen Freiheiten der Rechtsanwender erreichte Beschneidung nationaler Souveränität somit keine Gegenbegründung. Versteht man die dem Art. 5 EGV innewohnenden Prinzipien jedoch einem neuerem Vorschlag104 folgend als Pflicht einer Verhältnismäßigkeitskontrolle auch gegenüber den betroffenen Wirtschaftssubjekten, so fordert Art. 5 EGV geradezu die Angleichung des Kollisionsrechts und schließt eine Angleichung des materiellen Sachrechts aus. Es wäre dann nämlich jeder Akt der Rechtsangleichung danach zu untersuchen, ob er zum Abbau eines wettbewerbsbeschränkenden Normbestandes in den Mitgliedstaaten beiträgt oder lediglich die Zahl der von einem Unternehmen zu beachtenden Vorschriften vermehrt105. Die Angleichung des Kollisionsrechts gibt den Unternehmen erst die uneingeschränkte Wahlmöglichkeit zwischen den verschiedenen Gesellschaftsrechten, wirkt also freiheitsfördernd, während eine Angleichung des Sachrechts für die Unternehmen, die zuvor einer liberaleren Rechtsordnung unterlagen, stets einen Eingriff in ihre europäisch und nationalrechtlich garantierte Grundrechte, insbesondere ihre Privatautonomie, darstellt. Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung, die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit sprechen daher allesamt für eine Angleichung des Internationalen Gesellschaftsrechts im Sinne der Gründungstheorie. Diese Forderung wird von den Mitgliedstaaten, die der Sitztheorie folgen, aber wohl nicht gehört werden. Es wird daher dem EuGH überlassen bleiben, als unabhängiges europäisches Organ die Verwirklichung dieser Aufgabe zu übernehmen. 103 104 105

Hierzu ausführlich bereits oben I.4.b), Seite 44 ff. Schön ZGR 1995, 1, 30 f. Schön ZHR 160 (1996), 221, 231.

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

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III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht In neuerer Zeit wird gegen die Sitztheorie nicht nur deren mangelnde Funktionalität und ihre kontraproduktive Auswirkung auf den Wettbewerb der Rechtssysteme ins Feld geführt, sondern auch ihr angeblicher Verstoß gegen europäisches Recht. 1. Der Ausgangspunkt der Diskussion Ansatzpunkt für die europarechtliche Diskussion der Sitztheorie sind die Art. 43, 48 EGV die das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV konkretisieren. Nach Art. 43 Abs. 2 EGV umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeit sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen. Gem. Art. 48 Abs. 1 EGV stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen im Sinne des Art. 43 EGV gleich. Fraglich und strittig ist, ob in dem Dogma der Sitztheorie, einer Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz in ein anderes Land verlegt, die Rechtsfähigkeit zu entziehen, ein Verstoß gegen die in Art. 43, 48 EGV niedergelegte primäre Niederlassungsfreiheit zu sehen ist. 2. Bedeutung des Art. 48 EGV Zunächst könnte man der Auffassung sein, bereits in der Formulierung des Art. 48 EGV lasse sich eine Präferenz für die Gründungstheorie erkennen. Gemäß Art. 48 Abs. 1 EGV stehen die Voraussetzungen für die Gewährung der Niederlassungsfreiheit, nämlich satzungsmäßiger Sitz, Hauptverwaltung bzw. Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft, in einem Eventualverhältnis nebeneinander106. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 48 Abs. EGV reicht es für die Gewährung der Niederlassungsfreiheit an eine Gesellschaft also aus, dass neben der Gründung innerhalb der EU auch ein nur statuarischer Sitz in einem beliebigen Mitgliedsland vorhanden ist. Satzungssitz, Hauptverwaltung und Hauptniederlassung sind gleichberechtigte Voraussetzungen für die Gewährung der Niederlassungsfreiheit. Es 106 A.A. Audinet, Clunet 86 (1959), 982, 1016 der ein Redaktionsversehen annimmt und daraus folgert, Art. 48 Abs. 1 EGV sei so zu lesen, dass die Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben müsse.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

wird also von Art. 48 EGV gerade nicht gefordert, dass die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz und ihren statuarischen Sitz in demselben Mitgliedsstaat hat. Hieraus wird zum Teil gefolgert, es handele sich bei Art. 48 Abs. EGV um eine Kollisionsnorm, mit der die Sitztheorie, die ja das Recht des Gründungsstaates nur dann anerkennt, wenn auch der tatsächliche Verwaltungssitz dort liegt, nicht im Einklang stehe107. Nach anderer Ansicht soll dagegen in der Angabe scheinbar gleichwertiger Sitzvarianten nur zum Ausdruck kommen, dass in einem Mitgliedstaat, der kollisionsrechtlich der Gründungstheorie folgt, der Satzungssitz dem Hauptverwaltungs- oder Hauptniederlassungssitz als gleichwertig zu erachten sei und an seine Stelle treten könne, während in einem kollisionsrechtlich auf dem Boden der Sitztheorie stehenden Staat eine solche Gleichwertigkeit gerade nicht besteht108. Die Auffassung, bereits Art. 48 EGV enthalte eine europarechtliche Kollisionsnorm, überzeugt nicht. Wäre von Art. 48 EGV die Gründungstheorie als europäische Kollisionsnorm eingesetzt, so wäre der Hinweis auf den Hauptverwaltungs- bzw. Hauptniederlassungssitz überflüssig. Die Gründungstheorie knüpft ja gerade nur an den satzungsmäßigen Sitz an. Zudem wäre es unverständlich, dass in Art. 44 Abs. 2 g EGV eine Koordinierung der Schutzbestimmungen der einzelnen Mitgliedsstaaten und damit auch der Erlass einer Richtlinie zur Frage der Kollisionsnormen vorgesehen ist, wenn bereits Art. 48 EGV eine solche Kollisionsnorm enthalten sollte109. Wird nämlich durch das primäre Gemeinschaftsrecht die Anwendung einer bestimmten kollisionsrechtlichen Theorie schon präjudiziert, so bleibt für Maßnahmen der Rechtsangleichung auf diesem Gebiet eigentlich kein Raum mehr110. Nach richtiger Auffassung verweist Art. 48 EGV lediglich auf die nationalen Kollisionsnormen mit ihren unterschiedlichen Anknüpfungspunkten, ohne eine der kollisionsrechtlichen Theorien zu bevorzugen. Eine kollisionsrechtliche Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechtsordnung ist nach der Formulierung des Art. 48 EGV ohne Rückgriff auf das nationale Recht nicht möglich111. Die denkbaren Anknüpfungspunkte für 107 Deville RIW 1986, 298, 299; Grothe, Die ausländische Kapitalgesellschaft, 178 ff.; Grabitz/Hilf/Randelzhofer, Art. 58 Rdnr. 11, zuletzt Behrens, IPRax 1999, 323, 325 unter Berufung auf die „Centros“-Entscheidung des EuGH (vgl. unten V., Seite 139 ff.), der aber verkennt, dass diese im Verhältnis zwischen zwei der Gründungstheorie folgenden Staaten ergangen ist. 108 Eyles, Niederlassungsfreiheit, 357 und Ebenroth/Eyles, DB 1989, 413, 415. 109 Schümann, EuZW 1994, 269, 273. 110 Dauses HB/Behrens, Abschnitt E III, Rdnr. 113.

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

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die anzuwendende Rechtsordnung, satzungsmäßiger Sitz, Hauptniederlassung und Hauptverwaltungssitz, stehen nach dem Wortlaut gleichberechtigt nebeneinander. Wären satzungsmäßiger Sitz, Hauptverwaltungs- und Hauptniederlassungssitz auf verschiedene Länder verteilt, so gelangte man bei der Bewertung des Art. 48 EGV als Kollisionsnorm zu mehreren anwendbaren Rechtsordnungen. Aufgabe einer Kollisionsnorm ist aber gerade die eindeutige Ermittlung der für eine bestimmte Frage anzuwendenden Rechtsordnung. Genauso wenig wie es bei natürlichen Personen eine Aufgabe des Gemeinschaftsrechts ist, zu entscheiden welche Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaats ein EU-Bürger hat, sondern dies selbstverständlich den nationalen Rechtsordnungen überlassen bleibt, die hier ebenfalls erhebliche Unterschiede aufweisen112, kann aus Art. 48 EGV die Anwendbarkeit einer bestimmten Rechtsordnung auf eine Gesellschaft, also deren Gesellschaftsstatut, gefolgert werden. Die nationale Rechtsordnung und deren kollisionsrechtliche Auffassung ist danach dafür allein entscheidend, ob eine Gesellschaft wirksam gegründet ist oder nicht und ob sie rechtsfähig ist oder nicht. Von der vorstehend untersuchten Betrachtung des Art. 48 EGV als Kollisionsnorm zu trennen ist der Gedanke, ob Art. 48 EGV nicht insoweit für die nationalen kollisionsrechtlichen Vorschriften und Regeln Bedeutung entfaltet, als diese Nachteile für in anderen Mitgliedstaaten wirksam gegründete Gesellschaften zeitigen. Hier geht es nicht um die nach kollisionsrechtlichen Vorschriften und Regeln anzuwendende Rechtsordnung sondern um die Beschneidung der Niederlassungsfreiheit durch die nationalen kollisionsrechtlichen Vorschriften und Regeln113. Dies leitet über zur Frage der Bestimmung der Reichweite des in Art. 48 EGV enthaltenen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbotes. 3. Von der Inländergleichbehandlung zum Beschränkungsverbot Um die Sitztheorie an den Vorgaben der Art. 43, 48 EGV messen zu können, empfiehlt es sich zunächst, die Entwicklung der Reichweite der Niederlassungsfreiheit kurz nachzuzeichnen.

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Ebenroth/Eyles, DB 1989, 413, 416. Erinnert sei nur an die grundlegende Unterscheidung des ius sanguinis und des ius soli. 113 A.A. wohl Behrens, IPRax 1999, 323, 325 f. 112

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

a) Diskriminierungsverbot Die Autoren des Art. 43 EGV haben dessen Formulierung zunächst lediglich als Gewährung der Inländergleichbehandlung verstanden. Die EU-Ausländer sollten bei ihren grenzüberschreitenden Aktivitäten denselben Regeln unterworfen sein, wie die Inländer. Das wurde so interpretiert, dass die EUAusländer nicht mehr, aber auch nicht weniger Beschränkungen unterliegen sollten als ein Inländer114. Dieses Verständnis spiegelte sich zunächst auch in der Rechtsprechung des EuGH nieder: Im grundlegenden Urteil „Reyners“115 ist die Niederlassungsfreiheit – trotz der relativ weiten und unbestimmten Formulierung des Art. 43 EGV – vom EuGH als unmittelbar geltendes Diskriminierungsverbot gedeutet worden. Der Grundsatz der Inländergleichbehandlung sei seinem Wesen nach geeignet, von den Angehörigen aller übrigen Mitgliedsstaaten geltend gemacht zu werden116. Damit handelt es sich bei Art. 43 EGV nicht um einen bloßen Programmsatz. Vielmehr ist Art. 43 EGV als unmittelbar anwendbare Vorschrift des primären Gemeinschaftsrechts vorrangig gegenüber dem nationalen Recht117. Unzulässig sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH118 nicht nur Benachteiligungen, die an die Eigenschaft als EU-Ausländer direkt anknüpfen, sondern auch versteckte Diskriminierungen, also Benachteiligungen, die sich an Tatsachen knüpfen, die regelmäßig nur bei EU-Ausländern anzutreffen sind119. Durch diese lediglich für natürliche Personen ergangenen Entscheidungen war aber noch nicht die Frage entschieden, ob die unmittelbare Anwendbarkeit des weit verstandenen Diskriminierungsverbots auch zugunsten von Gesellschaften zutrifft. Hierzu müsste Art. 48 EGV ebenfalls unmittelbar anwendbar sein120. Nachdem lange Zeit das Niederlassungsrecht der Gesellschaften in der Rechtsprechung des EuGH nahezu keine Rolle gespielt hatte121, ergingen ab 1984 eine Reihe von Entscheidungen, die sich mit die-

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Vgl. Everling, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 607, 609. EuGH, Slg. 1974, 631. 116 EuGH, Slg. 1974, 631, 652 Tz. 25. 117 Zum Vorrangprinzip vgl. grundlegend EuGH, Slg. 1964, 125. 118 Vgl. schon EuGH, Slg. 1974, 631 Tz. 24 ff „Reyners“. 119 Grabitz/Hilf/Randelzhofer, Art. 52 Rdnr. 38. 120 Bezweifelt von Ebke, ZGR 1987, 245, 250, unter Bezugnahme auf BayObLG, NJW 1986, 3029, 3032 „Landshuter Druckhaus“. 121 Vor 1984 erging nur eine Entscheidung zu Art. 43 EGV, vgl. EuGH Slg. 1974, 1201. Die Entscheidung befasst sich inhaltlich aber nur mit der Auslegung der 1. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie, Abl.EG 1968, Nr. L 65/8, abgedruckt bei Lutter, Europ. Unternehmensrecht, 85 ff. 115

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

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ser Materie befassten. In diesen Entscheidungen hat der EuGH die unmittelbare Geltung auch des Art. 48 EGV stets bejaht122. Auch im Fall „Daily Mail“ bestätigt der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 48 EGV: Die Niederlassungsfreiheit als eine der zentralsten Prinzipien der EG und die Bestimmungen des EGV, die diese Freiheit gewährleisten, haben unmittelbare Wirkung, was auch für die in Art. 48 EGV genannten Gesellschaften gelte123. Die Sitztheorie ist daher an dem gem. Art. 43, 48 EGV bestehenden Diskriminierungsverbot zu messen. b) Beschränkungsverbot Würde sich das Ziel der Niederlassungsfreiheit aber in der Gewährleistung der Inländergleichbehandlung erschöpfen, so wäre ein wichtiges Ziel des Binnenmarktes, nämlich den freien Marktzugang für die Marktteilnehmer zu sichern, nicht notwendig gewährleistet. Bloße Inländergleichbehandlung verhindert nämlich nicht, dass nationale Regelungen, die die Niederlassungsfreiheit behindern, sowohl auf Inländer wie Ausländer in gleicher Weise angewandt werden können und damit im Ergebnis die Niederlassungsfreiheit Makulatur wird124. In der „Daily Mail“-Entscheidung wird dieses Verständnis angedeutet, wenn der EuGH ausführt, die in Art. 43 ff. EGV gegenüber dem Gastland gewährleisteten Rechte würden sich als weitgehend inhaltsleer erweisen, wenn der Heimatstaat auswanderungswilligen Unternehmen den Wegzug verbieten könnte125. 4. Unterschiedliche Reichweite der Beschränkungsverbote von Warenverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit Der EuGH hat sich in der Frage der Qualifizierung des Niederlassungsrechts als Beschränkungsverbot in einem langsamen „reasoning from case to case“ immer weiter vom Wortlaut des Art. 43 EGV entfernt, der eigentlich nur die Inländergleichbehandlung umfasst. Dies ist nicht verwunderlich, da die Abgrenzung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, bei der sich unterschiedslos für Inländer und Ausländer geltende Normen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht am Maßstab der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen lassen müssen, von den soeben dargestellten versteckten Diskriminierungen nicht immer leicht ist. Die einzelnen Stationen 122 Vgl. insb. „Kommission/Frankreich“, EuGH Slg. 1986, 273 Tz. 18 und „Segers“, EuGH Rs. 79/85, Slg. 1986, 2375 Tz. 12–14 und 16. 123 EuGH, Slg. 1988, 5483 Tz. 15; vgl. näher unter IV., Seite 134 ff. 124 Roth, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 729, 737. 125 EuGH Slg. 1988, 5483 Tz. 16.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

dieser Entwicklung können im Rahmen dieser Darstellung nicht nochmals beleuchtet werden126. Nunmehr bekennt sich der EuGH jedenfalls seit dem Urteil „Gebhart“127 klar zu einem Verständnis der Niederlassungsfreiheit als Beschränkungsverbot128, indem er die so genannte „Dassonville“-Formel129 auch für die Niederlassungsfreiheit anwendet. Danach müssen behindernde Maßnahmen neben der Tatsache, dass sie in nichtdiskriminierender Weise anzuwenden sind, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und zur Gewährleistung der Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles geeignet sein. Weiter dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist130. Im Urteil „Bosman“131, nach dem Transferregeln nationaler Fußballverbände Beeinträchtigungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstellen, die grundsätzlich verboten seien, wird diese Formulierung unter Verweis auf das Urteil „Gebhart“ ebenfalls verwendet. Ferner wird im Urteil „Bosman“132 die Anwendung des Urteils „Keck“133 erörtert, nach dem die Anwendung des Art. 28 EGV auf Maßnahmen ausgeschlossen ist, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, sofern sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Die im Bereich der Warenverkehrsfreiheit entwickelte Dogmatik zum Beschränkungsverbot ist damit vom EuGH vollständig, d.h. inklusive aller Ausnahmen und Einschränkungen, auf die Niederlassungsfreiheit übertragen worden. Gegen die Sinnhaftigkeit einer solchen einheitlichen Dogmatik der Grundfreiheiten spricht nicht das bislang von den Gegnern einer Übertragung dieser Grundsätze auf die Niederlassungsfreiheit134 vertretene Argu126 Vgl. insbesondere EuGH Slg. 1984, 2971 „Klopp“, zur weiteren Entwicklung vgl. Everling, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 607, 610 ff. 127 EuGH Slg. 1995, 4165; vgl. auch Geiger, Komm. zum EUV/EGV, Art. 43 EGV Rdnr. 15. 128 Dies ist im Schrifttum ganz überwiegend gebilligt worden, vgl. etwa GTE/ Troberg, Art. 52 Rdnr. 46 ff., 58; Everling, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 607, 607 ff.; Roth, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 729, 731 ff.; Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 115 ff. 129 EuGH Slg. 1974, 857 zur Warenverkehrsfreiheit. 130 EuGH Slg. 1995, 4165, 4197, Tz. 37. 131 EuGH NJW 1996, 505, 510 Tz. 104. 132 EuGH NJW 1996, 505, 510 Tz. 102 f. 133 EuGH Slg. I 1993, 6097 Tz. 16. 134 Diese Argumentation wurde im Übrigen auch hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 39 ff. EGV geäußert und im bekannten Fall „Bosman“, EuGH, Slg. 1995 I, 4921, nicht anerkannt.

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

127

ment, es bestehe ein wesentlicher Unterschied zwischen einer bloß punktuellen Berührung mit einer fremden Rechtsordnung wie bei der Warenverkehrsfreiheit und einer dauerhaften Eingliederung in ein fremdes Rechts-system wie bei der Niederlassungsfreiheit135. Diese zutreffend erkannte unterschiedliche Interessenlage ist nicht notwendigerweise durch die Leugnung eines in Art. 43 EGV enthaltenen Beschränkungsverbotes zu gewährleisten, sondern vielmehr im Rahmen der Prüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer einschränkenden Maßnahme gem. der „Dassonville“-Formel zu berücksichtigen. Dies kommt auch in der neueren Rechtsprechung des EuGH zum Ausdruck, die gegenüber Beschränkungen des Zuzugs im Sinne einer freien Standortwahl deutlich strengere Anforderungen stellt als bei reinen Ausübungsregeln136. Wer sich durch die Gründung einer Niederlassung in einem Mitgliedstaat dessen Rechtsordnung dauerhaft unterwirft, an den können durchaus strengere Anforderungen hinsichtlich der Anpassung an das jeweilige nationale Recht gestellt werden als an den Exporteur von Waren in einen Mitgliedstaat, von dem die Beachtung aller nationalen Rechtsvorschriften nicht verlangt werden kann137. Jedoch muss der Zugang – und nach dem „Daily Mail“-Urteil auch der Wegzug138 – in den Mitgliedstaat in jedem Fall gewährleistet werden, da die Niederlassungsfreiheit sich erst bei Gewährleistung des Zugangs überhaupt entfalten kann. Teilweise wird vertreten, insoweit liege keine solche Mobilitätsbeschränkung vor. Es verbleibe bei einem bloßen Diskriminierungsverbot139. Dem kann nicht gefolgt werden. Bei der Frage, ob eine Mobilitätsbeschränkung vorliegt oder eine bloße Ausübungsvorschrift, handelt es sich um eine unterschiedliche Intensität des Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit. Dass auch bei Ausübungsregeln tatbestandlich ein Eingriff vorliegt, zeigt schon das Beispiel von generellen Ausübungsbeschränkungen, etwa durch Quotenregelungen. Diese sind, obgleich bloße Ausübungsregeln, in ihrer Wirkung einem Verbot des Marktzugangs durchaus ähnlich. 5. Rechtfertigung von Eingriffen in die Niederlassungsfreiheit Um die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu strukturieren, bietet es sich an, eine Abstufung der verschiedenen Eingriffsarten vorzunehmen. Eine sol135 136 137 138 139

Für eine solche differenzierende Betrachtung Classen, EWS 1995, 97 ff. Vgl. in diesem Sinne Streinz, Europarecht, Rdnr. 708d, 708f m. w. N. So auch Everling, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 607, 617. EuGH Slg. 1988, 5483 Tz. 16. So wohl Streinz, Europarecht, Rdnr. 708 f.

128

3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

che Abstufung wurde bereits im nationalen Verfassungsrecht bezüglich der Berufsfreiheit entwickelt und ist dort seit langem anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht140 hat zur Konkretisierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 12 Abs. 1 GG besondere Anforderungen entwickelt, die zusammengefasst als sog. Drei-Stufen-Lehre bezeichnet werden. Grundlage der Drei-Stufen-Lehre ist der Gedanke, dass die Form der Ausübung der Berufsfreiheit bedeutsam für die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung und damit für die Rechtfertigungsanforderungen ist141. Das Bundesverfassungsgericht differenziert dabei zwischen Berufsausübungsregeln, subjektiven Berufszulassungsregelungen und objektiven Berufszulassungsschranken142. Überträgt man dieses Argumentationsmuster auf die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43 EGV könnte man – geordnet nach zunehmender Intensität des Eingriffs – bei Eingriffen in die Niederlassungsfreiheit zwischen – bloßen Ausübungsregeln, – subjektiven Zugangsbeschränkungen, die an persönliche Eigenschaften des Niederlassungswilligen anknüpfen, und – Mobilitätsbeschränkungen und objektiven Zugangsbeschränkungen unterscheiden. Bei der Anwendung dieses dreistufigen Prüfungsaufbaus sollte freilich nicht aus den Augen verloren werden, dass die Stufentheorie nichts anderes ist als das Ergebnis einer strikten Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit143. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der „Dassonville“-Formel wäre dann eine entsprechende Abstufung dahingehend vorzunehmen, dass der Zweck, dem der Eingriff in die Niederlassungsfreiheit dient, um so wertvoller sein muss, je intensiver der Eingriff ist. So wären Eingriffe, die einen Marktzutritt für Niederlassungswillige verhindern, – wiederum entsprechend der Drei-Stufen-Lehre144 – nur gerechtfertigt, wenn sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut eines Mitgliedstaates notwendig sind. Solche überragend wichtigen Gemein140

Vgl. BVerfGE 7, 377 „Apothekenurteil“; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rdnr.

911. 141

Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 73 f. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 911. 143 Vgl. BVerfGE 13, 97, 104. 144 Vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 920 sowie BVerfGE 86, 28 ff. hinsichtlich objektiver Berufswahlschranken, BVerfG NJW 1998, 1776 ff. hinsichtlich subjektiver Berufszulassungsregelungen und BVerfGE 7, 377, 405 f. hinsichtlich einer Berufsausübungsregel. 142

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

129

schaftsgüter nennt Art. 46 EGV in dem ordre public-Vorbehalt hinsichtlich der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. Subjektive Zugangsvoraussetzungen wären nur gerechtfertigt, wenn die Ausübung der Niederlassungsfreiheit ohne Erfüllung der Voraussetzungen unsachgemäß oder unmöglich wäre, d.h. bei Nichterfüllung Gefahren für die Allgemeinheit bzw. für wichtige Gemeinschaftsgüter eines Mitgliedstaates drohen. Bei bloßen Ausübungsbeschränkungen ist dem Mitgliedstaat ein weiter Entscheidungsspielraum zu gewähren, solange nur Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit für die Ausübungsregel sprechen. Zusammenfassend gilt somit auch für den Bereich der Niederlassungsfreiheit ein Beschränkungsverbot. Bei dessen Anwendung sind gegenüber der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit allerdings weitergehende Einschränkungen möglich. Angelehnt an die vom Bundesverfassungsgericht für die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG vertretene Drei-Stufen-Lehre kann auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit zwischen Eingriffen unterschiedlicher Intensität unterschieden werden, bei denen jeweils unterschiedliche Anforderungen bezüglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung gelten. Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für juristische Personen und Gesellschaften, Art. 48 EGV. In der Frage, ob es sich bei Art. 43 EGV um ein Beschränkungsverbot handelt oder nicht, anders entscheiden zu wollen, wenn nicht eine natürliche Person sondern eine Gesellschaft betroffen ist, wäre widersinnig145. Der Adressatenkreis einer Norm kann für deren inhaltliche Reichweite nicht entscheidend sein. Insoweit besteht kein Anhaltspunkt, die in Art. 48 EGV vorgesehene Gleichstellung zu korrigieren. Davon geht geradezu selbstverständlich das „Centros“-Urteil146 des EuGH aus, in dem im Rahmen der Überprüfung des Rechtes einer Gesellschaft zur Gründung einer Zweigniederlassung eingehend die Anforderungen an ein wirksames Beschränkungsverbot geprüft werden147. Die Sitztheorie ist daher auch anhand der Anforderungen eines Beschränkungsverbots zu überprüfen, d.h. insbesondere einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen. Die Überprüfung der Sitztheorie auf einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und das Beschränkungsverbot soll zunächst anhand der soeben gewonnenen Erkenntnisse nachvollzogen werden. Erst sodann sollen 145

Schümann, EuZW 1994, 269, 272. EuGH, IPRax 1999, 360; vgl. näher unter V., Seite 139 ff. 147 Vgl. EuGH IPRax, 1999, 360, 363 Tz. 32: „zwingende Gründe des Allgemeinwohls“; Tz. 35: „nicht geeignet, das mit ihm verfolgte Ziel [. . .] zu erreichen“; Tz. 37 „mildere Maßnahmen“. 146

130

3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

die sich mit dieser Frage beschäftigenden Judizien des EuGH näher untersucht werden. 6. Verstoß der Sitztheorie gegen das Diskriminierungsverbot Die Sitztheorie verstößt gegen das Diskriminierungsverbot, wenn ausländische Gesellschaften gegenüber inländischen Gesellschaften durch sie ungleich behandelt würden. Zunächst könnte eine solche Diskriminierung nur als versteckte Diskriminierung bestehen. Die Sitztheorie als Kollisionsnorm macht grundsätzlich keine Unterschiede zwischen in- und ausländischen Gesellschaften. Entsprechend der obig getroffenen Definition der versteckten Diskriminierung, könnte die Sitztheorie aber deshalb diskriminierend wirken, weil sie hauptsächlich EU-Ausländer betrifft. Das Vorliegen einer solchen Diskriminierung wird überwiegend abgelehnt148. Zwar wird von einer nach Deutschland zuziehenden Gesellschaft aufgrund des nach der Sitztheorie anwendbaren deutschen Sachrechts verlangt, dass diese Gesellschaft sich nach deutschem Recht neu gründet. Jedoch stellt dies keine Diskriminierung im Vergleich zu anderen ausländischen Gesellschaften dar. Da die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft aus der nationalen Rechtsordnung folgt, verbietet sich insoweit ein Vergleich mit dem Umzug einer inländischen Gesellschaft im Inland. Auch wenn man den Wechsel der Gesellschaft aus dem Blickwinkel des Wegzugstaates betrachtet, liegt keine Diskriminierung vor. Vielmehr rühren sämtliche Probleme aus der Unterschiedlichkeit der Kollisionsrechte von Weg- und Zuzugsstaat her. Aus einem Vergleich mit der Rechtslage bei natürlichen Personen ergibt sich nichts anderes. Zwar wird von diesen – anders, als es die Sitztheorie bei Gesellschaften verlangt – nicht gefordert, dass die natürliche Person, die in einen anderen Mitgliedstaat der EU umzieht, ihre Nationalität aufgibt und die Staatsangehörigkeit des Aufnahmestaates annimmt, um dort die Rechtsfähigkeit zu erlangen. Dieses Ergebnis folgt aber aus der Unterschiedlichkeit der zugrunde liegenden Sachverhalte: Eine natürliche Person kann ihre Rechtsfähigkeit niemals einbüßen. Die Rechtsfähigkeit wird bei der natürlichen Person durch Geburt erlangt, nicht durch staatliche Verleihung. Die Rechtsfähigkeit besteht damit unabhängig von der Rechtsordnung, in der sich die natürliche Person aufhält. Dies gilt zumindest für alle 148

Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 149 m. w. N.

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

131

Staaten, die Mitglied der EU sind, aufgrund der Normen der europäischen Menschenrechtskonvention. Dagegen ist die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person völlig anders strukturiert. Die juristische Person leitet ihre Rechtsfähigkeit immer von einer Rechtsordnung ab. Sei es durch eine staatliche Konzession, sei es durch ein System von Normativbestimmungen, wie in Deutschland. Da die juristische Person somit in besonderen Maße von der nationalen Rechtsordnung abhängig ist, von der sie sich ableitet, ist die Situation eines Umzugs einer juristischen Person ins Ausland nicht mit dem Umzug einer natürlichen Person ins Ausland vergleichbar. 7. Verstoß der Sitztheorie gegen das Beschränkungsverbot Weiter ist zu prüfen, ob die Sitztheorie nach dem vorstehend dargestellten Prüfungsmuster eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. a) Vorliegen einer Beschränkung Durch die Sitztheorie wird eine in ein Land, wo die Sitztheorie Geltung beansprucht, umziehende Gesellschaft gezwungen, ihre Rechtsform zu ändern, sobald sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz verlegt. Geschieht dies nicht, wird die Gesellschaft zwar nicht rechtlos. Allerdings verliert sie die Vorteile ihrer bisherigen Gesellschaftsform und es kommt zur persönlichen Haftung der Gesellschafter. Um dies zu vermeiden, muss sich die Gesellschaft in dem Sitztheoriestaat neu gründen. Allein schon durch diesen Umstand wird die Mobilität der Gesellschaft behindert. Die Niederlassungsfreiheit wird somit durch die Sitztheorie beschränkt. Dagegen lässt sich nicht sagen, die Sitztheorie führe zu keinerlei Beschränkung oder Behinderung, dies sei vielmehr die Folge des nach der Sitztheorie anwendbaren Sachrechts. Für den Tatbestand einer Beschränkung kommt es nicht darauf an, ob die Beschränkung direkt durch eine Rechtsregel verursacht wird oder ob die Beschränkung in Verbindung mit anderen Rechtsregeln wirksam wird. Entscheidend ist lediglich das Vorliegen der Beschränkung. Ob man die Sitztheorie selbst oder die mit ihr verknüpfte sachrechtliche Sanktion als Beschränkung qualifiziert spielt im Ergebnis keine Rolle, da die Sitztheorie ohne sachrechtliche Sanktionen nach ihrem eigenen Verständnis als präventive Schutztheorie funktionslos wäre.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

b) Rechtfertigung der Beschränkung Allerdings könnte diese Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Sitztheorie bzw. durch die mit ihr verknüpften sachrechtlichen Sanktionen möglicherweise zu rechtfertigen sein. Die sachrechtliche Konsequenz der Sitztheorie zwingt die umziehende Gesellschaft zur Aufgabe ihrer bisherigen Identität und zur Begründung einer neuen, was im Regelfall mit Nachteilen, jedenfalls aber mit Verwaltungsaufwand verbunden ist. Damit wird der Umzug der Gesellschaft als solcher, d.h. in ihrer ursprünglichen Identität unmöglich gemacht. Diese Beschränkung des Marktzuganges stellt – folgt man dem unter 3. Teil, III.5. entwickelten Prüfungsmuster für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs – eine Mobilitätsbeschränkung dar, die allein an das objektive Zugangskriterium des Ortes des tatsächlichen Verwaltungssitzes anknüpft149. Subjektive Zugangskriterien, wie etwa die Bonität der Gesellschaft im Einzelfall oder ähnliches, werden von der Sitztheorie nicht berücksichtigt. Eine bloße Charakterisierung als Ausübungsregel scheidet aufgrund der einschneidenden Rechtsfolgen der Sitztheorie ebenfalls aus. Wie bereits ausführlich bei der Darstellung der Inhalte der Sitztheorie ausgeführt, versteht sich die Sitztheorie als präventive Schutzmaßnahme gegenüber Gefahren für Gläubiger, Gesellschafter und Arbeitnehmer der umzugswilligen Gesellschaft. Auch dieses Selbstverständnis als Präventionsmaßnahme bestätigt die Schlussfolgerung, dass es sich bei der Sitztheorie um eine Mobilitätsbeschränkung handelt: Der Umzug soll als solcher unmöglich gemacht werden, um möglichst jede Gefahr für das in Deutschland bestehende Schutzniveau zu vermeiden. Somit spielt sich die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach der hier vertretenen Auffassung150 auf der ersten und schwersten Eingriffsstufe ab. Eine Rechtfertigung würde daher erfordern, dass die Mobilitätsbeschränkung zur Abwehr nachweisbarer oder höchst wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut eines Mitgliedstaates notwendig ist. Folgt man der hier geäußerten Kritik an der Sitztheorie151, liegt eine solche Notwendigkeit nicht vor. Vielmehr sind die angestrebten Schutzzwecke auch durch mildere Mittel als die Verhinderung der Mobilität erreichbar: 149 Auch Kruse, EWS 1998, 444, 446, ordnet die Rechtsfolgen der Sitztheorie als eine Marktzugangsbeschränkung ein, die – zumindest wenn das umzugswillige Unternehmen nicht der Mitbestimmung unterfalle – unverhältnismäßig sei. 150 Vgl. oben III.5., Seite 127 ff. 151 Eingehend oben I.3.b), Seite 105 ff.

III. Verstoß der Sitztheorie gegen Europarecht

133

Hinsichtlich der Gläubiger reicht eine bloße Publizität152 der Tatsache, dass es sich um eine ausländische Gesellschaft handelt, aus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Publizität sich auch auf das zur Verfügung stehende Haftungskapital erstreckt153. Selbiges gilt für die Minderheitsgesellschafter. Publizitätsvorschriften stellen insoweit lediglich eine Ausübungsregel der Niederlassungsfreiheit dar, da sie lediglich die Art und Weise des Auftretens am Markt beeinflussen, nicht aber den Marktzugang überhaupt154. Kann man den angestrebten Schutzzweck aber bereits auf einer niedrigeren Eingriffsstufe erreichen, so ist die Erforderlichkeit des Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit durch die Sitztheorie nicht gewahrt155. Hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes bzw. der Gewährleistung der Mitbestimmung erweist sich die Sitztheorie schon als nicht geeignet, dieses Schutzziel zu erreichen. Die Versagung des Marktzugangs durch die Sitztheorie führt in keiner Weise zu einem Mehr an Mitbestimmung für die Arbeitnehmer. Selbst wenn man dies mit dem Hinweis auf die Präventionswirkung der Sitztheorie übergehen wollte, so ist als nächstes die Erforderlichkeit des Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit fraglich. Die in der Literatur156 diskutierte Anknüpfung der Mitbestimmung an den Betrieb und nicht an die Rechtsform des Unternehmens würde ebenfalls nur als Ausübungsregelung einzuordnen sein. Nimmt man angesichts der dogmatischen Unklarheiten einer solchen Anknüpfung trotzdem eine Erforderlichkeit an, so müsste die Mitbestimmung als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zu qualifizieren sein, da durch die Sitztheorie als objektive Marktzugangsschranke auf höchster Stufe in die Niederlassungsfreiheit eingegriffen wird. Dies mag man für Deutschland diskutieren157. Allerdings müssten die Gefahren für die Mitbestim152

Hiergegen kritisch Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151,

167. 153

Vgl. hierzu unten VII.3.c), Seite 187. Vgl. dazu BVerfGE 95, 173 ff., wo die Verpflichtung der Hersteller von Tabakerzeugnissen, bestimmte Warnhinweise auf ihre Produkte zu drucken, als bloße Berufsausübungsregelung qualifiziert wird. Auch insoweit ging es um eine bestimmte Erscheinungsform im (Werbe-)Markt. Einem Werbeverbot wäre als schärferem Mittel dagegen die Erforderlichkeit zu versagen gewesen, vgl. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 75. 155 Denkbar wäre auch, bereits eine Geeignetheit der Sitztheorie zu verneinen, da ausländische Gesellschaften, die eine bloße Zweigniederlassung in Deutschland eröffnen, die hier herrschenden Schutzvorschriften ohne weiteres umgehen dürfen. 156 Insbesondere Zimmer, IntGesR, 172 f. 157 Das Grundgesetz nimmt zur Mitbestimmung allerdings selbst nicht Stellung und garantiert diese erst recht nicht. Allerdings kann sich die Mitbestimmung auf den Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), das Grundrecht der indivi154

134

3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

mung durch die Möglichkeit ihrer Umgehung auch nachweisbar oder höchst wahrscheinlich sein158. Da die Mitbestimmung erst ab einer gewissen Unternehmensgröße relevant wird159, eine Verlagerung des statuarischen Sitzes ins Ausland, d.h. die Gründung einer Briefkastenfirma, aber kaum von solchen Großunternehmen ins Kalkül gezogen werden dürfte160, scheint die Gefahr einer Umgehung der Mitbestimmung zumindest nicht gesichert. Die Frage der Mitbestimmung kann daher die Mobilitätsbeschränkung durch die Sitztheorie nicht rechtfertigen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist somit die Sitztheorie in ihrem derzeitigen Verständnis europarechtswidrig. c) Die Meinung des EuGH Ob der EuGH diese Conclusio bereits ebenfalls gezogen hat, oder ob eine solche Entscheidung bislang nicht vorliegt, ist heftig umstritten. Wesentlich hierfür sind vor allem die Entscheidungen „Daily Mail“, „Centros“ und „Überseering“, die im Folgenden detailliert dargestellt werden sollen.

IV. Die „Daily Mail“-Entscheidung des EuGH In der „Daily Mail“-Entscheidung vom 27.09.1988161 hatte sich der EuGH erstmals mit der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit befasst. 1. Sachverhalt und Inhalt des „Daily Mail“-Urteils Die Aktiengesellschaft britischen Rechts „Daily Mail and General Trust (Plc.)“ wollte ihre Geschäftsleitung in die Niederlande verlegen, um dort Teile ihres Vermögens zu veräußern. Die geplante Verlegung diente dazu, duellen Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) stützen, vgl. BVerfGE 50, 290 „Mitbestimmungsurteil“ sowie Raiser, Komm. zum MitbestG, Einl. Rdnr. 41. 158 Vgl. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 76 hinsichtlich Art. 12 GG. 159 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG 1976 ist eine Beschäftigung von in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmern erforderlich. 1997 fand das MitbestG 1976 auf lediglich 740 Unternehmen Anwendung, vgl. Raiser, Komm. zum MitbestG, Einl. Rdnr. 72. 160 So auch Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 143; Ulmer, JZ 1999, 662, 663. 161 EuGH Rs. 81/87 Slg. 1988, 5483 = DB 1989, 269 = RIW 1989, 304 = NJW 1989, 2186 = JZ 1989, 354.

IV. Die „Daily Mail‘‘-Entscheidung des EuGH

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der in Großbritannien höheren Besteuerung des Veräußerungsgewinns zu entgehen, die nach damaligem britischem Recht an den Ort der Geschäftsleitung anknüpfte. Eine solche Verlegung bedurfte nach einer mittlerweile aufgehobenen Regelung162 des britischen Steuerrechts der Genehmigung der Finanzverwaltung. Die britische Finanzverwaltung verweigerte diese Genehmigung. Hierin sah die Daily Mail eine Verletzung ihrer Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43, 48 EGV und klagte dagegen. Der High Court of Justice hatte die Entscheidung ausgesetzt und dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit der Genehmigungsverweigerung mit der Niederlassungsfreiheit vorgelegt. Der EuGH entschied, dass das Genehmigungserfordernis als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43, 48 EGV vereinbar sei. Beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts gewähren die Art. 43, 48 EGV einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Die angegriffene Regelung beschränke sich darauf, eine Verlegung der Geschäftsleitung aus Großbritannien unter gleichzeitiger Beibehaltung des Status einer Gesellschaft britischen Rechts zu behindern163. Existenzgrundlage für juristische Personen seien beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten, die im Hinblick auf die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts und die rechtlichen Folgen einer Sitzverlegung noch erheblich voneinander abwichen164. Die in dem EGV verankerten Möglichkeiten eines zwischenstaatlichen Übereinkommens nach Art. 293 3. Spiegelstrich EGV und des Erlasses einer Harmonisierungsrichtlinie nach Art. 44 Abs. 2 g EGV, die beide noch nicht ausgenutzt worden seien, zeigten, dass der EGV die Verlegung des Gesellschaftssitzes als Problem ansehe, das nicht de lege lata durch die Regeln über das Niederlassungsrecht gelöst sei, sondern de lege ferenda zum Gegenstand einer Harmonisierungsrichtlinie oder eines Übereinkommens nach Art. 293 EGV gemacht werden müsse165. Der EuGH argumentiert also auf Basis der Sitztheorie, die er, solange die Harmonisierung des Gesellschaftsrechts nicht weiter fortgeschritten ist, für mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar hält. 162 Section 482 (1) (a) des Income and Corporation Taxes Act 1970, mit Inkrafttreten des Finance Act im Jahr 1988 abgeschafft und durch eine zusätzliche unbeschränkte Steuer bei Wegzug aus Großbritannien ersetzt. 163 EuGH Slg. 1988, 5483 Tz. 17, 18. 164 EuGH Slg. 1988, 5483 Tz. 19, 20. 165 EuGH Slg. 1988, 5483 Tz. 23.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

2. Die Kritik an der Entscheidung des EuGH Die Entscheidung ist bei den Vertretern der Gründungstheorie auf Kritik gestoßen166. Der EuGH habe die Geltung der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften zum jetzigen Zeitpunkt abgelehnt. Dies führe zu der unannehmbaren Konsequenz167, dass die Niederlassungsfreiheit praktisch bis zum „Nimmerleinstag“168 von der Sitztheorie verhindert werde. Mit einer Rechtsvereinheitlichung durch die Kommission und den Ministerrat könne nämlich auf lange Sicht nicht gerechnet werden. Die Begründung des EuGH bedeute im Vergleich zu den Entscheidungen „Reyners“169 und „Kommission gegen Frankreich“170, bei denen der EuGH klargestellt hat, dass die Niederlassungsfreiheit nicht davon abhängen könne, ob bereits alle in Art. 44 Abs. 2 g EGV vorgesehenen Harmonisierungsrichtlinien verwirklicht seien, einen integrationsfeindlichen Rückschritt171. Auch die nach Art. 293 EGV vorgesehenen Abkommen hätten nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH172 keinen Vorrang vor den Grundfreiheiten des Vertrages gehabt. Der EuGH hat jüngst wieder bestätigt, dass Art. 293 EGV keinen Einfluss auf den Inhalt des Niederlassungsrechts hat173.

3. Eigene Stellungnahme Überraschend ist, dass der EuGH zur Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit Stellung nimmt, obwohl es sich bei den beiden tangierten Ländern Großbritannien und den Niederlanden um zwei Staaten handelt, die der Gründungstheorie folgen. Dass eine Auseinandersetzung mit den beiden kollisionsrechtlichen Theorien also gar nicht notwendig war, zeigt deutlich, wie wichtig es dem EuGH war, hier eine Aussage zu treffen. 166

Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249; Sandrock, RIW 1989, 505; Behrens IPRax, 1989, 354; umfassend Knobbe-Keuk, ZHR 154, 325; zustimmend dagegen Ebenroth/Eyles DB 1989, 363 und 413. 167 Sandrock, RIW 1989, 505, 511. 168 Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249, 252. 169 EuGH, Slg. 1974, 631. 170 EuGH, Slg. 1986, 273, Tz. 74. 171 Knobbe-Keuk, ZHR 154, 325, 333; vgl. auch GTE/Schwartz, Art. 220 Rdnr. 6, 44; Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 161 ff.; zuletzt Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151, 182, der „Daily Mail“ als einen Ausrutscher ohne Bedeutung für die künftige Rechtsprechung wertet. 172 EuGH Slg. 1974, 631, 652; EuGH Slg. 1985, 2687; auf diesen Umstand weist auch Kruse, EWS 1998, 444, 445, zutreffend hin. 173 EuGH, Rs. C 307/97„Compagnie de Saint-Gobain“, EuZW 2000, 16, 20 Tz. 56, 57.

IV. Die „Daily Mail‘‘-Entscheidung des EuGH

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Ob die getroffene Aussage allerdings in dieser Form richtig ist, ist zweifelhaft. Der EuGH gibt in der Entscheidung „Daily Mail“ der Rechtsangleichung eindeutig den Vorzug vor dem Gedanken der gegenseitigen Anerkennung nationaler Rechtsnormen, wie er der Gründungstheorie innewohnt. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass sich der EuGH immer als Motor der Integration verstanden hat. Maßgebliches Instrument der Integration ist aber nach dem Verständnis des EuGH – gerade durch die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Geltung forciert – der Erlass von Richtlinien. Trotz der Tatsache, dass die Kommission im Weißbuch an den Europäischen Rat zur Vollendung des Binnenmarktes bereits 1985 das Bestreben erkennen lässt, das Gewicht bei der Beseitigung technischer Hindernisse vom Ansatz der Rechtsangleichung auf die gegenseitige Anerkennung zu verlagern174, hatte sich dieser Strategiewandel in der Rechtsprechung des EuGH im Bereich des Gesellschaftsrechts offenbar noch nicht vollzogen. Zudem musste der EuGH konstatieren, dass im Anschluss an seine „Reyners“-Entscheidung175, betreffend die Niederlassungsfreiheit von Freiberuflern und selbständigen Gewerbetreibenden, die die gegenseitige Anerkennung von unterschiedlichen Rechtsstandards als Mittel der Rechtsangleichung im Nachhinein verstand, die Kommission zahlreiche Richtlinienvorhaben zum Abbau individueller Niederlassungsschranken zurückgezogen hat176. Auch dies mag von einem Standpunkt, der die Rechtsangleichung als einziges Mittel der Integration sieht, dazu beigetragen haben, dass in der „Daily Mail“-Entscheidung der Harmonisierung so große Bedeutung beigemessen wurde. Die Erwartung, wenn erst einmal die Mitgliedstaaten gezwungen seien, die Normen anderer Mitgliedstaaten anzuerkennen, würde eine Harmonisierung auf einem gemeinsamen Niveau rasch nachfolgen, täuscht. Eine solche Kausalkette setzt nämlich voraus, dass die nationalen Belange durch die gegenseitige Anerkennung massiv beeinträchtigt werden und deshalb der Druck zur Angleichung des Rechts übermächtig wird. Die Probleme der gegenseitigen Anerkennung von Rechtsnormen werden damit als Anschubfaktor für die Rechtsangleichung gesehen, die nach wie vor das eigentliche Mittel zur Integration darstellt. Eine solche Betrachtungsweise blendet aber gerade die Vorteile aus, die die gegenseitige Anerkennung auf längere Zeit birgt. So ist der Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen mit all seinen Vorzügen im Hinblick auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auf sich ändernde Rahmenbedingungen nur dann effektiv, wenn die gewährte Freiheit 174

Dok. KOM (1985), 310 Rdnr. 13, vgl. auch oben VI.1., Seite 28 ff. EuGH Slg. 1974, 631. 176 Vgl. Grabitz/Hilf/Randelzhofer, Art. 54 EGV Rz. 9; Eyles, Niederlassungsrecht, 354. 175

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

nicht gleich wieder von einer Rechtsvereinheitlichung erstickt wird. Die Verschiebung des Schwerpunktes von einer Vorabharmonisierung zu einer Standardisierung im Nachhinein ist also nur dann ein zweischneidiges Schwert177, wenn man die Rechtsangleichung nicht als Mittel sondern als Ziel der Integration überbewertet. Im übrigen ist die Tatsache, dass bei einer gegenseitigen Anerkennung von nationalen Normen nicht automatisch die Rechtsangleichung nachfolgt, nur Beleg dafür, dass die Nachteile der gegenseitige Anerkennung nicht so schwer wiegen, wie die Gegner dieser Integrationsstrategie immer wieder betonen. Der oftmals beschworene „race to the bottom“-Effekt178 einer gegenseitigen Anerkennung von Rechtsnormen findet jedenfalls nicht in dem Ausmaß statt, wie er erforderlich wäre, damit eine Angleichung der Rechtsvorschriften aus Sicht der betroffenen Mitgliedstaaten unvermeidlich würde. Zudem wird vom EuGH unter Berufung auf die notwendige Harmonisierung eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit verneint, obwohl es sich bei den betroffenen Staaten um solche handelte, die der Gründungstheorie folgten, welche an die Verlagerung des Verwaltungssitzes grundsätzlich keine Sanktionen knüpfen. Die Kommission hat in ihrer Stellungnahme179 daher die Position vertreten, in Fällen, in denen die Verlegung der Geschäftsleitung nach nationalem Recht zulässig sei – also in Staaten in denen die Gründungstheorie gilt –, stelle das Recht zur Verlagerung des Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat ein nach Art. 43, 58 EGV geschütztes Recht dar. Folgt man dem, hätte vom EuGH in der „Daily Mail“-Entscheidung lediglich untersucht werden müssen, inwieweit die Genehmigungsbedürftigkeit gegenüber der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen war. Diese rechtspolitischen Gesichtspunkte sollten bei der Betrachtung der Rechtsprechung des EuGH aufgrund dessen Selbstverständnisses als Motor der Integration nicht unterschätzt werden180. Gewichtiger sprechen rechtliche Gründe gegen die Ausführungen des EuGH zur Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem Niederlassungsrecht der Gesellschaften, da die Sitztheorie zu einer Mobilitätsbeschränkung der umzugswilligen Gesellschaft führt, die – wie gezeigt – nicht zu rechtfertigen ist. 177

So Eyles, Niederlassungsrecht, 353. Zuletzt wieder Neye, EwiR Art. 52 EGV 1/99, 259 zur nachfolgend unter V., Seite 138 ff. ausführlich dargestellten „Centros“-Entscheidung. 179 EuGH Rs. 81/87, Tz. 14. 180 Kruse, EWS 1998, 444, 445, führt hierzu aus, dass die Abweichungen in „Daily Mail“ von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen den Grundfreiheiten und Art. 293, 44 EGV einzig durch rechtspolitische Erwägungen erklärt werden könnten, vgl. auch Everling, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 607, 613. 178

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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V. Die „Centros“-Entscheidung des EuGH Die mit der „Daily Mail“-Entscheidung scheinbar abgeschlossene Diskussion um die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43, 48 EGV hat der EuGH mit der „Centros“-Entscheidung vom 09.03.1999181, Rs. C-212/97, neu entfacht. Insbesondere das Verhältnis dieser Entscheidung zum „Daily Mail“-Urteil ist Gegenstand der Diskussion. 1. Gegenstand und Inhalt der Entscheidung Gegenstand der Entscheidung war die Vorlage eines dänischen Gerichtes, das über die Ablehnung der Eintragung einer Zweigniederlassung einer britischen Gesellschaft zu entscheiden hatte. Das dänisches Ehepaar Bryde hatte in Großbritannien die Centros Ldt. als eine „private limited company“182 gegründet und dort registrieren lassen. Zweck dieser Gründung war, was in dem Rechtsstreit unstrittig gestellt worden war183, allein die Vermeidung der Einzahlung des nach dänischen Vorschriften für eine vergleichbare Gesellschaft wesentlich höheren Stammkapitals184. In Großbritannien hatte die Gesellschaft seit ihrer Errichtung keine Geschäftstätigkeit entfaltet. Die dänischen Behörden hatten eine Eintragung einer dänischen Zweigniederlassung der Centros deshalb verweigert, weil die Centros beabsichtigte, unter Umgehung der dänischen Vorschriften – insbesondere über die Einzahlung eines Mindeststammkapitals – in Dänemark in Wirklichkeit nicht eine Zweigniederlassung, sondern einen Hauptsitz zu errichten. Dies stelle eine missbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts dar. Hiergegen hatte die Centros geklagt. Der mit der Entscheidung befasste Højesteret hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es mit den Art. 43 i.V. m. 48 EGV vereinbar sei, die Eintragung wegen der beabsichtigten Umgehung zu verweigern. Der EuGH hat dies verneint. Für sich alleine könne es keine missbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechtes darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtlichen Vor181

EuGH, Slg. 1999, I 1459 = EuZW 1999, 216 = ZIP 1999, 438 = NJW 1999, 2027 = JZ 1999, 669 = EWS 1999, 140 = RIW 1999, 447 = EuR 1999, 274 = IPRax 1999, 360 = NZG 1999, 298 = JuS 1999, 810. 182 Die „private limited company“ (Ldt.) weist nahezu kein Stammkapital auf (meist nur 1 oder 2 GBP). Sie ist nicht zu verwechseln mit der „public limited company“ (Plc), die weit strengeren Auflagen unterliegt. 183 Vgl. EuGH, IPRax 1999, 360 Tz. 3. 184 Es wurde sogar auf die Einzahlung des Gesellschaftskapitals von £ 100 verzichtet, was nach britischem Recht möglich ist.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

schriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet. Anders als noch in der „Daily Mail“-Entscheidung, bei der die mangelnde Harmonisierung des Gesellschaftsrechts noch die entscheidende Argumentationslinie für die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit, war führt der EuGH nunmehr aus, dass es unerheblich sei, dass das Gesellschaftsrecht in der Gemeinschaft nicht voll harmonisiert worden sei. Es stehe dem Rat jederzeit frei, diese Harmonisierung zu vervollständigen185. Der EuGH schließt jedoch aus der Unzulässigkeit der Eintragungsverweigerung nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht „alle geeigneten Maßnahmen“186 treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Welche Maßnahmen konkret gemeint sind, bleibt allerdings unklar. Nach deutscher Rechtslage musste man bisher zu demselben Ergebnis kommen wie die dänischen Behörden und die Eintragung der Zweigniederlassung verweigern. Das deutsche Recht, das der Sitztheorie folgt, müsste einer Gesellschaft, die ausschließlich in Deutschland tätig ist, ihren satzungsmäßigen Sitz aber in Großbritannien hat, die Anerkennung versagen. Da tatsächlicher Verwaltungssitz und satzungsmäßiger Sitz auseinander fallen, existiert die Gesellschaft mangels wirksamer Gründung nach deutschem Internationalen Gesellschaftsrecht nicht. Eine nicht existierende Gesellschaft kann aber auch keine Zweigniederlassung gründen, da § 13 e Abs. 2 S. 2 HGB das „Bestehen“ der Kapitalgesellschaft voraussetzt. Entsprechend hatte jüngst das BayObLG in einem vergleichbaren Fall die Eintragung einer Zweigniederlassung einer private limited company (Ldt.) verweigert, da diese in Großbritannien keine Geschäftstätigkeit ausübte187. Unter Hinweis auf Das „Daily Mail“-Urteil des EuGH hatte das BayObLG eine Vorlagepflicht an den EuGH ausdrücklich verneint. Die Frage der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit Art. 43, 44 EGV sei dort bejaht worden188. 2. Folgen für die Sitztheorie Das Urteil hat heftigen Widerhall in der – vornehmlich deutschen – Literatur gefunden. Eine Unzahl von Stellungnahmen hat sich mit der Deutung der „Centros“-Entscheidung befasst189. Die Ergebnisse könnten unterschiedlicher nicht sein. 185

EuGH, IPRax 1999, 360, 363 Tz. 27, 28. EuGH, IPRax 1999, 360, 363 Tz. 38. 187 BayObLGZ 1998, 195; BayObLG, IPRax 1999, 364. 188 BayObLG, IPRax 1999, 364, 365. 189 Eine Übersicht über das kaum mehr zu überschauende Schrifttum findet sich bei Palandt/Heldrich, Anh. Zu Art. 12 EGBGB, Rdnr. 2, sowie Erman/Hohloch, Art. 37 EGBGB Anh. II Rdnr. 25. 186

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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So ist die „Centros“-Entscheidung teilweise bereits als Abkehr von der Sitztheorie interpretiert worden190. Was „Cassis de Dijon“ für den freien Warenverkehr gewesen sei, werde „Centros“ für das Niederlassungsrecht von Gesellschaften werden191. Der EuGH habe entschieden, dass Zweigniederlassungen von Gesellschaften aus anderen EU Staaten auch dann in nationalen Handelsregistern einzutragen seien, wenn diese nach der Sitztheorie gar nicht anerkannt werden würden. Die in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaften seien in der Konsequenz deshalb unabhängig davon anzuerkennen, wo sie innerhalb der EU ihren Verwaltungssitz haben192. Allerdings überrascht es, wenn man eine solche radikale Abkehr des EuGH von seiner bisherigen Rechtsprechung annehmen will, dass der EuGH die „Daily Mail“-Entscheidung nicht einmal erwähnt hat, geschweige denn den Streit zwischen Sitz- und Gründungstheorie193. Bereits am 16.07.1998 waren die Schlussanträge des Generalanwalts gestellt. Erst am 09.03.1999 erging das Urteil. Aus dieser langen Zeitspanne aber auf eine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu schließen194, erscheint angesichts der Begründung des EuGH kaum vertretbar. Dies zumal deshalb, weil es sonst nicht die Art des EuGH ist, über einen Paradigmenwechsel in seiner Rechtsprechung ohne weiteres hinwegzugehen195. Angesichts des durchaus umstrittenen Gehalts der „Daily Mail“190 So Neye, EWiR Art. 52 EGV 1/99, 259; Meilicke, DB 1999, 627; Sedemund/ Hausmann, BB 1999, 809; Werlauff, ZIP 1999, 867, Behrens, IPRax 1999, 323; Geyrhalter, EWS 1999, 201; Risse, MDR 1999, 752; Cascante, RIW 1999, 450; differenzierend Freitag, EuZW 1999, 267; Hoor, NZG 1999, 984; Göttsche, DStR 1999, 1403; unentschieden Roth, ZIP 1999, 861; aus steuerlicher Sicht vgl. Koblenzer, EWS 1999, 418; Schmidt/Sedemund, DStR 1999, 2057. 191 Werlauff ZIP 1999, 867. 192 Behrens, IPRax 1999, 323, 331; so auch Klinke, ZGR 2002, 163, 168. 193 So auch Roth, ZIP 1999, 861, 862; Streinz, JuS 1999, 810, 811; Kindler, NJW 1999, 1993, 1998. 194 Vgl. aber Werlauff ZIP 1999, 867, 871; Cascante, RIW 1999, 450; Sandrock, BB 1999, 1337, 1341. 195 So ist etwa in EuGH Slg. 1993, I-6094, „Keck“, Tz. 16, vom EuGH die bisherige sehr weit verstandene Auslegung der Warenverkehrsfreiheit gem. Art. 28 EGV ausdrücklich „entgegen der bisherigen Rechtsprechung“ eingeschränkt worden. Darauf weisen auch Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 31 sowie Kindler, NJW 1999, 1993, 1998 zutreffend hin. Dessen weiteres Argument, dass der EuGH aufgrund des Subsidiaritätsprotokolls zum Vertrag von Amsterdam (BGBl II 1998, 387, 434) zu einer ausdrücklichen Stellungnahme sogar verpflichtet gewesen wäre, geht allerdings fehl. Die Kommission ist der Meinung, dass eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft in Fragen der Rechtsangleichung zur Errichtung des Binnenmarktes besteht, vgl. Kommission der EG, Das Subsidiaritätsprinzip, Bull. EG 10/1992, 118, 122 ff. Das Subsidiaritätsprinzip ist damit für den Streit zwischen Sitz- und Gründungstheorie nicht (direkt) relevant. Gerade dies zeigt die ausdrückliche Ein-

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Entscheidung wäre es für den EuGH problemlos möglich gewesen, von den dort getroffenen Aussagen, die noch dazu unter dem Vorbehalt des derzeitigen Standes des Gemeinschaftsrechts stehen, abzurücken196. Wenn der EuGH aber keinen Widerspruch zu „Daily Mail“ gesehen hat, so ist zu fragen, welche grundlegenden Unterschiede in den den beiden Urteilen unterliegenden Sachverhalten die unterschiedlichen Ergebnisse von „Centros“ und „Daily Mail“ rechtfertigen. a) Differenzierung zwischen sekundärer und primärer Niederlassungsfreiheit? Einige Stimmen in der Literatur erklären den scheinbaren Widerspruch zwischen „Daily Mail“ und „Centros“ dadurch, dass der wesentliche Unterschied darin liege, dass es in „Daily Mail“ um die primäre Niederlassungsfreiheit, in „Centros“ lediglich um die sekundäre Niederlassungsfreiheit ging197. Die Freiheit zur Errichtung einer Zweigniederlassung reiche eben weiter als diejenige zur Verlegung der Geschäftsleitung. Tatsächlich betrifft das „Centros“-Urteil im Gegensatz zur „Daily Mail“Entscheidung nur eine Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft und damit im Kernbereich nur die sekundäre Niederlassungsfreiheit. Denkbar wäre, hieraus zu folgern, dass der EuGH in „Centros“ lediglich das Recht auf Geschäftstätigkeit durch Errichtung einer Zweigniederlassung verankern wollte, darüber hinaus aber die Geltung des ausländischen Gesellschaftsstatuts nach wie vor im Sinne von „Daily Mail“ dem nationalen Kollisionsrecht und nicht der (primären) Niederlassungsfreiheit unterwirft198. Dies wird zum einen an dem Tenor der „Centros“-Entscheidung festgemacht, nach dem räumung einer Richtlinienbefugnis auf diesem Gebiet durch Art. 44 Abs. 2 g EGV. Wieso Kindler hieraus einen gegenteiligen Schluss zieht, vgl. NJW 1999, 1993, 1997 sowie Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 87, 103, bleibt unklar. vgl. zum Ganzen ausführlich oben II., Seite 96 ff. 196 Vgl. Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 31. 197 So Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 33; Kieninger, ZGR 1999, 724, 728 ff.; Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151, 155; Schwarz, NZG 613, 614; vgl. auch OLG Hamm, NZG 2001, 562; von der Vorlagefrage des LG Salzburg, NZG 2001, 459, ist insoweit eine Klärung zu erwarten, vgl. hierzu Lurger, IPRax 2001, 346 ff. 198 Ein solches Verständnis deutet auch Roth, ZIP 1999, 861, 862, an; vgl. ferner Kieninger, ZGR 1999, 724, 728 ff., Puszkajler, IPRax 2000, 79, 80, sowie Thorn, IPRax 2001, 102, 104.

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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„ein Mitgliedstaat, der die Eintragung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist“199,

gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Diese dem reinen Wortlaut verhaftete Argumentation übersieht aber, dass sich der Tenor auf die Vorlagefrage eines dänischen Gerichts bezieht, dessen Kollisionsrecht der Gründungstheorie folgt200. Mit Roth kann man den Tenor für nichtdänische Gerichte – bzw. besser für Adressaten, die von der Sitztheorie ausgehen – daher wie folgt ergänzen: „Ein Mitgliedstaat, der der Gründungstheorie folgt, . . .“201.

Ein weiteres Argument für eine Differenzierung zwischen der Reichweite der primären bzw. sekundären Niederlassungsfreiheit soll in den unterschiedlichen Auswirkungen auf die „Heimatstaaten“ der jeweiligen Gesellschaften zu sehen sein. Es sei sachgerecht, zwischen primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit zu unterscheiden, da die Ausübung der primären Niederlassungsfreiheit die Mitgliedstaaten in der Regel stärker betreffe als diejenige der sekundären Niederlassungsfreiheit. In den Fällen der Errichtung einer bloßen Zweigniederlassung bestehe nämlich – zumindest theoretisch – noch die Überwachung der Muttergesellschaft durch die für den Satzungssitz gültige Rechtsordnung202. Aber auch das in „Centros“ zugestandene Recht zur Errichtung von Zweigniederlassungen würde im praktischen Ergebnis ebenfalls zu einer Aufweichung der Kontrollmaßnahmen durch die Rechtsordnung des Satzungssitzes führen. Der in „Centros“ entschiedene Sachverhalt ist ja gerade ein schlagendes Beispiel für eine solche Vorgehensweise, war es doch offensichtlich, dass mit der Gründung der Hauptniederlassung in Großbritannien als bloßer Briefkastengesellschaft und der anschließenden Errichtung einer Zweigniederlassung in Dänemark die dortigen Gründungsvorschriften umgangen werden sollten. Selbst die Vertreter der Differenzierungsansicht räumen insoweit ein, dass die „Centros“-Entscheidung nur vordergründig einen Fall der sekundären Niederlassungsfreiheit betroffen hat203. Im Ergebnis haben sich die Gründer der „Centros“ nämlich nur einer umständlichen rechtlichen Konstruktion bedient, um das zu erreichen, was 199

Hervorhebung durch den Verfasser. Vgl. etwa MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 266. 201 Roth, ZGR 2000, 311, 327; vgl. auch Görk, GmbHR 1999, 793, 796. 202 So Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 33 f, der freilich selbst die Effektivität einer solchen Kontrolle, bei tatsächlicher Verwaltung vom Ort der Zweigniederlassung aus, in Frage stellt. 203 Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 39; vgl. auch Leible, NZG 1999, 300, 301. 200

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

sie wollten: eine britische Gesellschaftsrechtsform für ihr Unternehmen, mit dem sie ausschließlich von Dänemark aus agieren. Zum selben Ergebnis würde man aber auch kommen, wenn Centros sich in England gegründet hätte und nicht nur eine Zweigniederlassung gegründet, sondern ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Dänemark gewählt hätte. Ein solcher Vorgang fiele in den Anwendungsbereich der primären Niederlassungsfreiheit. Der den Niederlassungsregeln zugrunde liegende Normzweck verbietet es, beide Sachverhalte verschieden zu behandeln204. Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass andernfalls die Rechtspraxis die Begründung einer Zweigniederlassung als bloßes Vehikel benutzen würde, um die ansonsten unzulässige Sitzverlagerung zu erreichen205. Der Sache nach liegt daher ein Problem der primären Niederlassungsfreiheit vor206. Neben diesen tatsächlichen Erwägungen spricht auch der Schlussantrag des italienischen Generalanwalts gegen ein bloß auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit beschränktes Verständnis der „Centros“-Entscheidung. So ist in Nr. 20 des Schlussantrags des Generalanwalts Antonio la Pergola207 ausdrücklich formuliert, eine Gesellschaft habe gemäß der primären Niederlassungsfreiheit das Recht, sich innerhalb der Gemeinschaft niederzulassen, wo sie will208. Die Begrenztheit des zu beurteilenden Sachverhalts spricht daher nicht für eine Unterscheidung zwischen sekundärer und primärer Niederlassungsfreiheit b) Differenzierung zwischen Zu- und Wegzug? Teilweise wird argumentiert, dass zwar von einer Abkehr von den Grundsätzen des „Daily Mail“-Urteils keine Rede sein könne, dies jedoch allein darin begründet sei, dass es im Fall „Daily Mail“ um den Wegzug 204

Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151, 179. Forsthoff, DB 2000, 1109, 1112; nach Lutter, ZGR 2000, 1, 13 ist damit die faktische Sitzverlegung innerhalb Europas ohne Wechsel des auf die Gesellschaft anwendbaren Rechts akzeptiert. Sein weiterer Schluss, dies erfordere die Ausweitung der Kapitalrichtlinie, erscheint freilich nicht zwingend. 206 So ausdrücklich Kindler, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 87, 100, 109; Kieninger, ZGR 1999, 724, 728 ff.; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 723; Leible, NZG 1999, 300, 301. 207 Auf dem EU-Server sind die Anträge des Generalanwalts in französischer, italienischer, dänischer und portugiesischer Sprache abrufbar unter http://europa. eu.int/eur-lex/de. 208 In Nr. 20 heißt es in der französischen Fassung „Autrement dit: la société nouvellement constitué a le droit de s’établir – à titre principal et, éventuellement, également sècondaire – là où elle le préfère dans le cadre communautaire.“ (Hervorhebung im Original). 205

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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einer Gesellschaft ins Ausland ging, im Fall „Centros“ dagegen der Zuzug (der Zweigniederlassung) einer ausländischen Gesellschaft im Mittelpunkt stand209. Bei einer Wegzugsbeschränkung handele es sich nicht um eine Diskriminierung nach Art. 12 EGV, sondern um einen klassischen Fall der Inländerdiskriminierung, die gemeinschaftsrechtlich zulässig sei210. Demgegenüber habe der EuGH in „Centros“ festgestellt, dass die gemeinschaftsrechtliche Niederlassung nicht vom Stand und Inhalt des jeweiligen nationalen Rechts abhängig sei, sondern für sämtliche Gesellschaftsgründungen innerhalb der EU eine unbeschränkte Zuzugsfreiheit – zumindest in Form von Zweigniederlassungen – bestehe. Eine solche Differenzierung scheint aber nicht mit dem Urteil „Daily Mail“ vereinbar. Dort hatte sich der EuGH in einer recht ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex des Internationalen Gesellschaftsrechts dahingehend geäußert, dass die Verlegung des tatsächlichen oder des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen ein Problem darstellt, das nicht durch die Regeln über die Niederlassungsfreiheit gelöst ist211. Von einer Differenzierung zwischen Zuund Wegzug einer Gesellschaft ist keine Rede. Stattdessen hat das Gericht in „Daily Mail“ ausdrücklich festgestellt, dass die „Wegzugsfreiheit“ – wie bei natürlichen Personen auch – grundsätzlich für Gesellschaften von Art. 43 EGV verbürgt werde212. Wenn nach dieser Feststellung dann der gesamte Vorgang der Sitzverlegung, also Zu- und Wegzug, als nicht von der Niederlassungsfreiheit gelöster Bereich betrachtet wird und dies noch dazu in einem obiter dictum geschieht, ist es fraglich, ob der EuGH seine damaligen Ausführungen nur auf den Fall des Wegzugs einer Gesellschaft beschränken wollte. Zudem zeigt gerade das Beispiel „Centros“, dass praktisch eine Differenzierung zwischen Weg- und Zuzug kaum durchzuhalten sein wird. Könnten doch wegzugswillige deutsche Gesellschafter ungehindert im Ausland pro forma eine Briefkastenfirma gründen, die dann eine Zweigniederlassung in Deutschland eröffnet, wo sich auch der tatsächliche Verwaltungssitz befindet – wogegen nach der dargestellten differenzierenden Ansicht nichts unternommen werden könnte. Diese Zweigniederlassung könnte dann das Geschäft der deutschen Gesellschaft übernehmen, sei es durch das langsame Zurückfahren der Aktivitäten der deutschen Gesellschaft zugunsten 209 So insbesondere Göttsche, DStR 1999, 1403, 1405; vgl. auch Koblenzer, EWS 1999, 418, 419 sowie Schwarz, NZG 2001, 613, 615. 210 Vgl. Freitag, EuZW 1999, 267, 269; Göttsche, DStR 1999, 1403, 1405. 211 EuGH, RIW 1989, 304 ff, Tz. 19. 212 EuGH, RIW 1989, 304 ff, Tz. 16.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

der Zweigniederlassung in Deutschland bis hin zur Liquidation, sei es durch die Übernahme der deutschen Gesellschaft durch die ausländische Briefkastenfirma und ihre nachfolgende Eingliederung in die Zweigniederlassung oder auch durch Verschmelzung einer deutschen Muttergesellschaft auf die ausländische Tochtergesellschaft213. Angesichts der dargestellten Möglichkeiten, die Wegzugsbeschränkungen der Sitztheorie zu unterlaufen, scheint es nicht plausibel, dass der EuGH in „Daily Mail“ den Wegzug einer Gesellschaft restriktiv und in „Centros“ den (Quasi-)Zuzug einer Gesellschaft liberal behandeln wollte. c) Auswirkungen der „Centros“-Entscheidung auf das Kollisionsrecht Trotz der dargestellten Umgehungsmöglichkeiten ist festzuhalten, dass jedenfalls für die Frage des Wegzugs einer Gesellschaft mit „Centros“ keine ausdrückliche Abkehr von der Sitztheorie erfolgt ist. Hinsichtlich der weiteren Schlussfolgerung, es bestehe nunmehr aber eine unbeschränkte Zuzugsfreiheit für Gesellschaften innerhalb der Gemeinschaft, ist Zurückhaltung geboten. So finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass sich der EuGH in „Centros“ überhaupt mit der kollisionsrechtlichen Problematik des Zu- und Wegzugs von Gesellschaften befasst hat214. Vielmehr knüpft der EuGH ausdrücklich215 an die Entscheidungen „Kommission gegen Frankreich“216 und „Segers“217 an. In dem Fall „Kommission gegen Frankreich“ ging es um die steuerliche Benachteiligung von Zweigniederlassungen ausländischer Versicherungsunternehmen in Frankreich, wobei allerdings die Rechtsfähigkeit der ausländischen Muttergesellschaften wie der Zweigniederlassungen nicht in Frage stand, sondern nach französischem Recht anerkannt wurde. Der EuGH formulierte hier, dass die sekundären Ausübungsformen gem. Art. 43, 44 EGV grundsätzlich gleichwertig nebeneinander stehen und gegen Diskriminierungen geschützt sind218. Hierauf nahm der EuGH in der „Segers“-Entscheidung, deren Sachverhalt der „Centros“ recht ähnlich ist, Bezug. Im Fall „Segers“ hatte ein 213

Zu der Verschmelzungslösung vgl. Kallmeyer, DB 2002, 2521, 2522 m. w. N. Auch in den Anträgen des Generalanwalts, vgl. oben Fn. 207, finden sich hierzu keine Ausführungen. 215 EuGH, IPRax 1999, 360, 362 Tz. 20. Die daneben zitierten Urteile EuGH Slg. 1993, I-4017 „Commerzbank“ und EuGH Slg. 1998, I-4698 „ICI“ wiederholen wörtlich die vom EuGH in „Segers“ und „Kommission/Frankreich“ gemachten Ausführungen. 216 EuGH Slg. 1986, 273. 217 EuGH Slg. 1986, 2375. 218 EuGH Slg. 1986, 273, 304 ff., Tz. 18–28. 214

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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Niederländer in London mit seiner Frau eine Ldt. gegründet, nur um sein in den Niederlanden bestehendes Unternehmen zukünftig als Zweigniederlassung der Ldt. zu betreiben. Diese übte keine eigenständige Geschäftstätigkeit aus. Der Antrag des niederländischen Unternehmers auf Leistungen nach dem Krankenversicherungsgesetz der Niederlande wurde von der zuständigen Behörde mit der Begründung abgelehnt, dass Voraussetzung hierfür sei, dass er kein Geschäftsführer einer Gesellschaft mit (Satzungs-)Sitz in den Niederlanden sei. Der Centrale Raad van Beroep (Berufungsinstanz gegen die Entscheidungen niederländischer Verwaltungsgerichte) hatte dem EuGH hierauf die Frage vorgelegt, ob eine Differenzierung zwischen Geschäftsführern einer Gesellschaft niederländischen Rechts und solchen einer aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Gesellschaft auch dann verwehrt sei, wenn die ausländische Gesellschaft offenkundig nicht in dem fremden Staat, sondern ausschließlich in den Niederlanden Geschäftstätigkeiten entfalte. Zwar kam es hier nicht unmittelbar auf die Anerkennung der vorgeblichen Zweigniederlassung in den Niederlanden an, weil Streitgegenstand eben nur die Frage war, ob der Unternehmer als Geschäftsführer einer formell ausländischen Gesellschaft Leistungen aus der niederländischen Krankenversicherung in Anspruch nehmen konnte, die nur Geschäftsführern inländischer Gesellschaften gewährt wurden. Doch hatte der EuGH bereits im Fall „Segers“ darüber zu entscheiden, ob sich aus der Gründung einer Ldt. in Großbritannien mit einer Zweigniederlassung in den Niederlanden und der Tatsache, dass die Gesellschaft in Großbritannien keinen Geschäftsbetrieb entfaltet, Rechtfertigungen für eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit herleiten lassen. Der EuGH hat dies in der Entscheidung „Segers“ – wie nunmehr in der Entscheidung „Centros“ – verneint219. Der Umstand, dass die Gesellschaft britischen Rechts in Großbritannien keine Geschäftstätigkeit entfalte, schließe einen Verstoß gegen Art. 43, 44 EGV nicht aus. Diese Vorschrift verlange von Gesellschaften nur, dass sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet seien und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft hätten220. Die Entscheidung „Segers“ wurde teilweise so gewertet, dass zumindest qualitativ ein sanktionsloser Rechtsformwechsel aufgrund der Niederlas219 Auf die Vergleichbarkeit von „Centros“ und „Segers“ weist insbesondere Roth, ZGR 2000, 311, 314 ff. hin; vgl. auch Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151, 154, nach dem der EuGH in „Centros“ nicht anders entscheiden konnte, ohne sich mit „Segers“ in Widerspruch zu setzen. 220 EuGH, Slg. 1986, 2375, 2388 Tz. 16.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

sungsfreiheit möglich sei, ohne dass gleichzeitig eine Veränderung des örtlichen Bezugs erfolgt221. Schließlich kommt die in „Segers“ vom EuGH als zulässig anerkannte Umfunktionierung eines niederländischen Unternehmens zur unselbständigen Zweigniederlassung einer britischen Ldt. wirtschaftlich einer grenzüberschreitenden Umwandlung recht nahe. Insoweit spielte sich die „Segers“-Entscheidung im Grauzonenbereich zwischen primärer und sekundärer Niederlassungsfreiheit ab222. Die Sitztheorie ist jedoch einem solchen Statutenwechsel in einem noch viel höheren Maße hinderlich, weil, soweit man ihr folgt, die Rechtsfähigkeit einer solchen Gesellschaft verneint wird. Der Schritt zur Verwerfung der Sitztheorie war daher eigentlich nicht mehr weit. So ist die Unvereinbarkeit der Sitztheorie mit Art. 43, 44 EGV auch nach Ansicht ihrer Befürworter zu keinem Zeitpunkt besser begründbar gewesen als nach dem Erlass der „Segers“-Entscheidung223. Dennoch hat sich der EuGH nicht gehindert gesehen, wenig später in der „Daily Mail“-Entscheidung ausdrücklich für die Sitztheorie Stellung zu beziehen. Entscheidend dürfte dafür gewesen sein, dass es sich in der „Segers“Entscheidung bei den Beteiligten mit Großbritannien und den Niederlanden um zwei Staaten handelte, die der Gründungstheorie folgen224. Gesellschaftsrechtliche Probleme standen damit bei der „Segers“-Entscheidung ebenso wenig im Vordergrund wie bei der „Centros“-Entscheidung, denn auch Dänemark folgt wie Großbritannien der Gründungstheorie. In Dänemark werden alle Gesellschaften, die nach ihrem Gesellschaftsstatut wirksam gegründet sind, automatisch anerkannt225. Nach dieser so genannten Registrierungstheorie richtet sich das Personalstatut nach dem Recht des Staates, in dem die Gesellschaft im Handelsregister eingetragen ist. Damit gilt in Dänemark die Gründungstheorie226. Demzufolge haben sich die dänischen Behörden der Gründungstheorie folgend nicht darauf berufen, dass die britische Gesellschaft nach der Sitztheorie gar nicht existent sei und deshalb auch keine Zweigniederlassung gründen könne. Vielmehr haben sie 221

Eyles, Niederlassungsrecht, 346. Die Parallele zu „Centros“ drängt sich auch hier wieder auf: In beiden Fällen behandelte der EuGH ausdrücklich nur die sekundäre Niederlassungsfreiheit, obwohl wirtschaftlich betrachtet ein Fall der primären Niederlassungsfreiheit vorlag. 223 So Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363, 371. 224 Vgl. etwa MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 266; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 27, 157; auf diesen Umstand weist zutreffend auch Freitag, EuZW 1999, 267, 269 hin, ohne jedoch die nahe liegende Parallele zu „Centros“ zu ziehen. 225 Carsten, Die GmbH im int. und europ. Recht, Rdnr. DK 49. 226 So Soergel/Lüderitz, Anh. Art. 10 EGBGB Rdnr. 5, Werlauff ZIP 1999, 867, 874, Ebenroth/Eyles DB 1989, 363, 366; a. A. offenbar Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 154, Sedemund/Hausmann, BB 1999, 809, 810 sowie Meilicke, DB 1999, 627. 222

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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die Registrierung nur wegen des Missbrauchs des Niederlassungsrechts verweigert. Aufgrund der Vorlagefrage der dänischen Behörden, nach der diese selbst von der Existenz der Zweigniederlassung ausgehen, bestand für den EuGH kein Anlass, die Existenz der Ldt. wie der Zweigniederlassung in Frage zu stellen227. Der EuGH hat damit also nur über die Frage entschieden, ob ein Staat, der der Gründungstheorie folgt, also die Existenz der ausländischen Gesellschaft ausdrücklich anerkennt, die Eintragung einer Zweigniederlassung unter Hinweis auf eine Umgehung nationaler Vorschriften verweigern kann. Noch nicht angesprochen ist damit die Frage, ob ein bislang der Sitztheorie folgender Staat in anderen Mitgliedstaaten gegründete „Briefkastenfirmen“ anerkennen muss228. Nur wenn man sich diese Begrenzung der Fragestellung bewusst macht, ist es verständlich, dass der EuGH nicht auf seine im „Daily Mail“-Urteil aufgestellten Prämissen eingegangen ist. Dort hatte der EuGH entschieden, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch eine Gesellschaft von ihrer Anerkennung nach dem Internationalen Gesellschaftsrechts des Aufnahmestaates abhängt229. Man kann dies auf die Formel „Gesellschaftsrecht geht vor Niederlassungsfreiheit“ bringen230. Das nationale Kollisionsrecht bestimmt somit den – um einen Begriff der deutschen Grundrechtsdogmatik zu verwenden – Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit. Die Grundaussage der Sitztheorie, nach der die Rechtsordnung Anwendung findet, in deren Geltungsbereich der tatsächliche Verwaltungssitz einer Gesellschaft liegt, wäre daher von der Niederlassungsfreiheit nicht beeinflussbar, sondern beeinflusste vielmehr diese selbst. Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem vom EuGH in „Centros“ zu entscheidenden Sachverhalt und der Lage, die das BayObLG231 zu beurteilen hatte. Durch die Sitztheorie ist für Gesellschaf227 Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 723; Ebke, JZ 1999, 656, 658; von Halen, Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung, 105 ff., 116, geht dagegen davon aus, dass die Annahme, der EuGH habe seiner Entscheidung ein wirksames Bestehen der Centros Ldt. zugrunde gelegt, falsch ist. Die Vorlagefrage wie die Entscheidung sei diesbezüglich offen. Dies gilt aber auch für die Entscheidung Segers, der Daily Mail mit seiner klaren Aussage vom Vorrang des Internationalen Gesellschaftsrecht gegenüber der Niederlassungsfreiheit nachfolgte. 228 So auch Timme/Hülk, JuS 1999, 1055, 1058. 229 Vgl. oben IV., Seite 134 ff. 230 Kindler, NJW 1999, 1993, 1997; ähnlich Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 726; vgl. auch Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 180 sowie ders., NZG 2001, 613, 614; kritisch zu einem solchen Verständnis Grothe, der zutreffend bemerkt, dass die Reichweite der Niederlassungsfreiheit bei einem solchen Verständnis in das wirtschaftspolitische Belieben der Mitgliedstaaten gestellt sei, vgl. Grothe, Die ausländische Kapitalgesellschaft, 141 ff. 231 BayObLG, NJW-RR 1999, 401.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

ten mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland, anders als bei Staaten, die der Gründungstheorie folgen, der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erst gar nicht eröffnet. Die Wertungen des „Centros“-Urteils, die sich auf Ebene der Eingriffsrechtfertigung abspielen, dürften damit keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Sitztheorie haben232. Der Urteilstenor der „Centros“-Entscheidung ist insoweit einschränkend zu verstehen, als er sich nur auf solche Gesellschaften bezieht, deren Rechtsfähigkeit nicht in Zweifel steht233. Die Auffassung der Vertreter der Gründungstheorie, die Sitztheorie als solche sei europarechtswidrig, der bereits in „Daily Mail“ vom EuGH eine Absage erteilt wurde234, hat durch die „Centros“-Entscheidung (noch) keine Bestätigung gefunden. Die Grundsätze der „Daily Mail“-Entscheidung, die ebenfalls im Spannungsfeld zweier der Gründungstheorie folgenden Rechte und als bloßes obiter dictum ohne jede Notwendigkeit aufgestellt wurden, sind, jedenfalls für die Mitgliedsstaaten, die der Sitztheorie folgen, weiterhin gültig235. 3. Entwicklungstendenzen nach „Centros“ Allerdings war nach dem „Centros“-Urteil durchaus fraglich, ob die Prämisse der „Daily Mail“-Entscheidung „Internationales Gesellschaftsrecht geht vor Niederlassungsfreiheit“ auch für die Zukunft gelten sollte. Diese Aussage erfuhr durch das „Centros“-Urteil für den Bereich der Gründungstheorie eine erhebliche Einschränkung. Versucht nämlich eine Gesellschaft inländische Gesetze zu umgehen, indem sie die nach der Gründungstheorie 232 Das BrandenburgOLG, NJW-RR 2001, 29, 30, hat dem folgend die Parteifähigkeit einer nach irischem Recht gegründeten Gesellschaft mangels tatsächlichem Sitz in Irland abgelehnt, da „Centros“ allein Implikationen für Rechtsordnungen habe, die der Gründungstheorie folgen. Ebenso bereits LG Potsdam, RIW 2000, 145. 233 Vgl. Görk, GmbHR 1999, 793, 796; a. A. ohne nähere Begründung Schmidt/ Sedemund, DStR 1999, 2057, 2061. 234 Behrens, IPRax 1989, 354, 361 spricht von einer Sackgasse, in die der EuGH die Diskussion über die Niederlassungsfreiheit mit seiner „Daily Mail“-Entscheidung hineinmanövriert habe. Everling, JZ 2000, 217, 224, ist darin zuzustimmen, dass den durch „Daily Mail“ entstandenen Rätseln über die Sitzverlegung von Gesellschaften durch „Centros“ nur neue hinzugefügt wurden. 235 Im Ergebnis ebenso BrandenburgOLG, NJW-RR 2001, 29, 30; LG Potsdam, RIW 2000, 145; Palandt/Heldrich, Anh. zu Art. 12 EGBGB, Rdnr. 2; Erman/Hohloch; Art. 37 EGBGB, Anh. II Rdnr. 25a; Kindler, NJW 1999, 1993, 1996; Timme/ Hülk, JuS 1999, 1055, 1058; Ebke, JZ 1999, 656, 660; Sonnenberger/Großerichter, RIW 721, 726; Görk, GmbHR 1999, 93, 796 f.; unverständlich Geyrhalter, EWS 1999, 201, 203, der in „Centros“ eine Bestätigung von „Daily Mail“ sieht, gleichzeitig aber von einem „Aus“ für die Sitztheorie spricht.

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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bestehenden Möglichkeiten ausnutzt, so wird die Anknüpfung, die die Gründungstheorie gewährt, in Dänemark auf kollisionsrechtlicher Ebene korrigiert. Was eine Umgehung ist und was für Folgen sie hat, fällt also in den Bereich des nationalen Kollisionsrechts236. Im Fall „Centros“ wäre also nach dänischem Kollisionsrecht dänisches Recht anzuwenden gewesen. Dies setzt die Argumentation der dänischen Zentralverwaltung voraus, wonach die Eintragung der „Centros“ wegen Umgehung der nationalen Vorschriften abzulehnen sei237. Dem hat der EuGH in seiner Entscheidung widersprochen und damit den Vorrang des nationalen Kollisionsrechts vor der Niederlassungsfreiheit im Bereich der Gründungstheorie beschnitten. Insoweit ist die „Daily Mail“-Entscheidung tatsächlich überholt238. Dem kann nicht entgegengehalten werden, der EuGH habe noch in dem Urteil „TV 10 SA“239 das „Daily Mail“-Urteil bestätigt240. In der Entscheidung „TV 10 SA“ hatte der EuGH die Behandlung einer an sich ausländischen Sendeanstalt nach inländischem (Rundfunk-)Recht für zulässig und mit der Dienstleistungsfreiheit für vereinbar erachtet, wenn diese Gesellschaft im Inland eine Niederlassung unterhält. In dieser Entscheidung wurde das Kriterium des jeweiligen Hauptsitzes einer Gesellschaft als zulässiger Anknüpfungspunkt für eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit angesehen. Dies besagt für die vorliegend interessierende Frage des Verhältnisses zwischen dem nationalen Internationalen Gemeinschaftsrecht und der Niederlassungsfreiheit aber nichts241. Letzteres ist – der hier vertretenen Prüfung der Grundfreiheiten in Anlehnung an die Prüfung von Grundrechten folgend – eine Frage des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit und nicht der Eingriffsrechtfertigung. In der Entscheidung „TV 10 SA“ ist aber nicht der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit thematisiert worden, sondern die Berechtigung der Beschränkung. Und insoweit wurde festgestellt, dass nur zwingende Allgemeininteressen dem Bestimmungsland Schutznormen erlauben können, welche die Freiheit beschränken. Gerade nach „TV 10 SA“ lag es daher nahe, dass der EuGH einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit prüft und nicht deren Anwendung ausschließt242. 236 Vgl. etwa MüKo/Sonnenberger, Einl. IPR, Rdnr. 686 ff.; Kindler, NJW 1999, 1993, 1999. 237 Vgl. EuGH, IPRax 1999, 360, 361 Tz. 7. 238 Vgl. Kindler, NJW 1999, 1993, 1999. 239 EuGH, Slg. 1994, I-4824, Tz. 20, 21; der EuGH nimmt auf dieses Urteil in der „Centros“-Entscheidung ausdrücklich Bezug, vgl. EuGH, IPRax 1999, 360, 362 Tz. 24. 240 So aber Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 563 und Kindler, NJW 1999, 1993, 1997. 241 Ebenso, wenn auch zurückhaltender Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 728. 242 Vgl. Steindorff, JZ 1999, 1140, 1141.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Ferner überzeugt ein Ergebnis, dass die liberaleren, der Gründungstheorie folgenden Mitgliedstaaten ihre Schutzstandards nicht unter Hinweis auf Umgehungsversuche durchsetzen können, nicht, wenn gleichzeitig die Staaten, die der Sitztheorie folgen, dies unter Hinweis darauf, es bestehe gar keine wirksame Gesellschaft, sehr wohl tun können243. Die Reichweite der Niederlassungsfreiheit wäre damit höchst unterschiedlich, je nachdem, ob in dem Mitgliedstaat die Sitztheorie gilt oder nicht244. Wie bereits hinsichtlich der Entscheidung „Segers“ wird vertreten, dass wenn ein Staat nicht einmal in klaren Umgehungsfällen seine Gesellschaftsgesetzgebung gegenüber ausländischen Gesellschaften in Anwendung bringen kann, er dies dann um so mehr auch nicht aufgrund eines automatischen Prozesses gem. der Sitztheorie tun kann245. Die Frage, ob eine ausländische Gesellschaft nach der Sitztheorie im Inland als rechtsfähig anerkannt werden kann, ist jedoch eine andere als die Frage, ob eine (nach der Gründungstheorie) rechtsfähige ausländische Gesellschaft Beschränkungen bei dem Tätigwerden im Inland unterworfen werden kann. Die erste Frage ist nach bisheriger Ansicht des EuGH vom nationalen Kollisionsrecht zu entscheiden. Dieses wird nach den Grundsätzen der „Daily Mail“-Entscheidung von der Niederlassungsfreiheit nicht festgelegt, sondern steht in nationaler Verantwortung. Dies ist jedoch von der Rechtsfolge her gedacht schwer nachvollziehbar: Einerseits soll das nationale Kollisionsrecht der Gewährung der Niederlassungsfreiheit in jedem Fall vorangehen246. Sobald aber das nationale Kollisionsrecht einer Anwendung der Niederlassungsfreiheit nicht im Wege steht, soll nicht einmal die Korrektur eines offensichtlichen Umgehungstatbestandes mehr möglich sein247. Ob dies im Sinne des Niederlassungsrechts des EG-Vertrages wäre, darf bezweifelt werden248. Zusätzlich ist zu bedenken, dass der klare Vorrang des nationalen Internationalen Gesellschaftsrechts vor der Niederlassungsfreiheit in der „Daily Mail“-Entscheidung unter dem Vorbehalt des gegenwärtigen Standes der 243

Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 726, bringen diesen Gedanken auf die Formel: „Der liberale Gesetzgeber wird bestraft, der reglementierende dagegen belohnt“; vgl. auch Leible, NZG 2001, 4495, 461 und Koppensteiner, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 151, 169. 244 Hierauf weist schon Grothe, Die ausländische Kapitalgesellschaft, 148, hin. 245 So Werlauff ZIP 1999, 867, 874. 246 Nach Grothe, Die ausländische Kapitalgesellschaft, 147, kommt aufgrund einer Interpretation im Lichte des Grundsatzes „in dubio pro libertate“ dem Art. 48 EGV sehr wohl kollisionsrechtliche Bedeutung zu. Die Niederlassungsfreiheit dürfe nicht durch das Kollisionsrecht eingeschränkt werden. 247 Vgl. Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 727. 248 So Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 32.

V. Die „Centros‘‘-Entscheidung des EuGH

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Harmonisierung des materiellen Gesellschaftsrechts249 in der Gemeinschaft stand. Als wesentlicher Gesichtspunkt der „Centros“-Entscheidung ist demgegenüber festzustellen, dass der EuGH offenbar nicht mehr länger gewillt ist, das in der „Daily Mail“-Entscheidung noch ausschlaggebende Harmonisierungsargument weiter zu bemühen. Es sei „unerheblich“, dass das Gesellschaftsrecht in der Gemeinschaft „nicht voll harmonisiert ist“250. Der Generalanwalt geht noch einen Schritt weiter: Wo keine Harmonisierung des Gesellschaftsrechts gelungen sei, herrsche ein Wettbewerb der Rechtsordnungen innerhalb des Binnenmarkts251, der sich frei entfalten müsse. Zutreffend folgert Merkt hieraus eine Präferenz des EuGH für eine marktorientierte Konzeption der Gesellschaftsrechte in der EU nach dem Beispiel der USA252. Damit würde auch im Bereich der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaften der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen Anwendung finden: Eine im Herkunftsland wirksam errichtete Gesellschaft muss im Ankunftsland als solche anerkannt werden253. Dies fordert das Vertrauensprinzip zwischen den Mitgliedstaaten. Im Bereich des Gesellschaftsrechts scheint der EuGH damit von der Rechtsangleichung als alleinigem Instrument zur Förderung und Verwirklichung der Integration abzurücken. Dies kann man als eine Reaktion auf die Krise bei der Rechtsangleichung gerade auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts verstehen254. Seit der Entscheidung „Daily Mail“ sind bei der Angleichung des Gesellschafts- und Unternehmensrechts keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden255. Zum Teil wird sogar gefolgert, die „Cen249 A.A. Roth, ZGR 2000, 311, 324, der den Verweis nur auf die Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts – nicht des materiellen Rechts – verstanden wissen will; wie hier: Ebenroth/Eyles, DB 1989, 413, 417; Sack, JuS 1990, 352, 356; Zimmer, IntGesR, 205. 250 EuGH, IPRax 1999, 360, 363 Tz. 28. 251 Nr. 20 des Schlussantrags, vgl. oben Fn. 207: „. . . la liberté commercial de se servir des instruments prévus à cette fin dans les ordres juridiques des États membres.“ (Hervorhebung im Original). 252 Vgl. Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 120, der zudem auf das Zitat des Beitrags von Charney, Harv. Int.l.J. 32 (1991), 423 ff. durch den EuGH hinweist. Charney setzt sich in diesem Beitrag mit dem „Delaware Effekt“ auseinander. 253 Darauf weist Lutter, ZGR 2000, 1, 14 explizit hin; vgl. auch Behrens, IPRax 1999, 323, 325. 254 Vgl. Neye, EWiR Art. 52 EGV 1/99, 259; auch Puszkajler, IPRax 2000, 79, 80 spekuliert in diese Richtung; insoweit prophetisch bereits Lutter, ZGR 1992, 435, 449: „. . . kann man sicher sein, dass die Frage [der Sitzverlegung] dann, wenn es zu keiner Lösung durch die EG-Organe kommen sollte, eines gar nicht fernen Tages vom EuGH unter Rückgriff auf Art. 58 EWGV (= Art. 48 EGV n. F.) und seine dann unmittelbare Anwendbarkeit gelöst werden wird.“ 255 Ebke, JZ 1999, 656, 660; a. A. offenbar Lutter, ZGR 1992, 435, 449.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

tros“-Entscheidung sei der Versuch, den „außerordentlichen“ Versäumnissen der Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorgane bei der Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften abzuhelfen256. Die Rechtsangleichung hat gegenüber der gegenseitigen Anerkennung von nationalen Normen nicht nur praktische Probleme, sondern rechtliche Grenzen. Die möglicherweise hinter der Entscheidung des EuGH stehende Krise der Rechtsangleichung lässt sich daher nicht durch neue Anstrengungen auf diesem Gebiet beseitigen257. Die Erfolgsaussichten einer weiteren Harmonisierung des Gesellschaftsrechts werden vom EuGH – jedenfalls soviel ist aus seinem Hinweis auf die Unerheblichkeit der Harmonisierung zu entnehmen – skeptisch eingeschätzt. Ist eine Harmonisierung aber nicht zu erwarten, so kann dies nicht bedeuten, dass die Niederlassungsfreiheit nicht gewährt wird. Es war daher bereits nach „Centros“ zu erwarten, dass der EuGH in dubio pro libertate den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit auch auf Staaten, die der Sitztheorie folgen, ausweitet und damit den logischen Vorrang des nationalen Kollisionsrechts vor der Niederlassungsfreiheit beiseite räumt258. Dennoch schien der EuGH eine letzte Schonfrist259 für die Rechtsangleichung zu gewähren, wenn er im Urteil ausdrücklich darauf hinweist, dass es „dem Rat jederzeit überlassen bleibe, auf Grund der ihm in Art. 44 Abs. 2 g EGV übertragenen Befugnisse diese Harmonisierung zu vervollständigen“260. Denkbar ist, hierin einen Hinweis zu sehen, dass der EuGH die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften auf der Grundlage von Art. 43, 48 EGV – auch gegenüber der Sitztheorie – weiter ausbauen wird, wenn sich die Mitgliedstaaten nicht bald auf gemeinsame Standards wie die geplante Sitzverlegungsrichtlinie261 oder auch die Schaffung einer europäischen Gesellschaftsform einigen können262. Will man die kürzlich erfolgte Einigung in 256

So ausdrücklich Sandrock, BB 1999, 1337, 1340. Lutter, ZGR 2000, 1, 13, der die entstehenden Probleme mit einer Ausweitung insbesondere der Kapitalrichtlinie lösen will, ist daher zu widersprechen. 258 A.A. Ebke, JZ 1999, 656, 660, der darauf hinweist, dass im Bereich der sekundären Niederlassungsfreiheit, um die es in „Centros“ geht, das Harmonisierungsargument bislang zur Begründung von Einschränkungen weder von Rechtsprechung noch Literatur herangezogen wurde. Dann scheint der deutliche Hinweis des EuGH aber überflüssig. 259 So auch Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 42; Jaeger, NZG 2000, 918, 921. 260 EuGH, IPRax 1999, 360, 363 Tz. 28. 261 Vgl. den Vorentwurf in ZIP 1997, 157 ff. 262 Diese Möglichkeit steht dem EuGH nach Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 41 auch noch offen, wenn man sich der Auffassung anschließt, der EuGH habe in „Centros“ trotz des eindeutigen Umgehungstatbestandes bewusst nur die sekundäre 257

VI. Die „Überseering‘‘-Entscheidung des EuGH

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der Frage der SE263 als Reaktion der Mitgliedstaaten auf die Entscheidung des EuGH verstehen, dürfte dieser bei der Schaffung gemeinsamer Standards jedoch anderes im Sinn gehabt haben, als eine Ansammlung von Optionsmöglichkeiten unter einem gemeinsamen Dach. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die „Centros“-Entscheidung noch nicht notwendig das Ende der Sitztheorie bedeutete. In dem zu entscheidenden Fall kam es auf die Vereinbarkeit der Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit nicht an, da beide beteiligten Mitgliedstaaten der Gründungstheorie folgten. Das Urteil spricht damit nicht gegen die Sitztheorie. Es spricht allerdings auch nicht für sie. Vielmehr deuteten einige Passagen, insbesondere die Aufgabe des Harmonisierungsargumentes daraufhin, dass der EuGH die Behinderung des Integrationsfortschrittes durch die stockenden Bemühungen um eine Rechtsvereinheitlichung schon bald nicht mehr tolerieren würde.

VI. Die „Überseering“-Entscheidung des EuGH 1. Reaktionen in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten auf die „Centros“-Entscheidung Da die Begründung der „Centros“-Entscheidung durch den EuGH jedenfalls ausreichend Spielraum für unterschiedliche Deutungen lies264, kam es auch in der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zu unterschiedlichen Bewertungen: So hat der OGH für Österreich entschieden, dass die dort gem. § 10 öIPRG geltende Sitztheorie mit der durch die Art. 43, 48 EGV gewährleisteten sekundären Niederlassungsfreiheit im Widerspruch steht265. So klar der Leitsatz dieses Urteils formuliert ist, so kritisch ist die Begründung dieser Entscheidung zu bewerten266. Der OGH wiederholt in den entscheidenNiederlassungsfreiheit behandelt, um sich die Frage nach der primären Niederlassungsfreiheit und die Auseinandersetzung mit „Daily Mail“ noch ein letztes Mal zu ersparen. 263 Vgl. hierzu bereits IV.5., Seite 86. 264 Puszkajler, IPRax 2000, 79, 80 spricht überspitzt von der „luxemburgischen Pythia“, Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 ff. vom Mysterium „Centros“; zur oftmaligen Unvorhersehbarkeit der Entscheidungen des EuGH vgl. etwa Everling, DB 1990, 1853. 265 OGH, Beschluss vom 15.07.1999 – 6 Ob 123/99b (OLG Graz) sowie Beschluss vom 15.07.1999 – 6 Ob 124/99z, NZG 2000, 36 mit Anmerkung Kieninger. 266 Was der OGH versäumte, hat nunmehr das LG Salzburg, NZG 2001, 459, durch seinen Vorlageantrag an den EuGH nachgeholt. Insbesondere wird EuGH durch die Vorlage aufgefordert, klar zu dem Problem der Anwendbarkeit der sekun-

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

den Passagen seines Urteils lediglich die Ausführungen des EuGH und schließt – ohne auf zweifelnde Stimmen in der Literatur einzugehen – daraus, dass die Sitztheorie gegen die sekundäre Niederlassungsfreiheit verstoße. Entscheidend dafür dürfte gewesen sein, dass der OGH von einer völligen Vergleichbarkeit des von ihm zu entscheidenden Falles mit dem der „Centros“-Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ausging267. Tatsächlich ging es in dem vom OGH zu entscheidenden Fall ebenfalls um die Eintragung einer Zweigniederlassung einer britischen Gesellschaft, einer „A Ltd.“, und auch hier bestand der dringende Verdacht, dass die Konstruktion von den sämtlich in Österreich wohnhaften Gründern nur deshalb gewählt worden war, um die im Vergleich zu Großbritannien strengeren österreichischen Kapitalaufbringungsvorschriften268 zu umgehen. Den zentralen Unterschied zwischen der „Centros“-Entscheidung und dem vom OGH entschiedenen Fall hat dieser jedoch verkannt. Der OGH ging nämlich ausweislich seiner Urteilsbegründung davon aus, dass Dänemark ebenso wie Österreich der Sitztheorie folgt269. Diese unrichtige Gleichsetzung des dänischen mit dem österreichischen Recht hat zur Folge, dass der OGH die oben aufgeworfenen Fragen weder selbst erörtert270 noch dem EuGH zur endgültigen Klärung vorgelegt hat. Eine solche Vorlage wäre aber in jedem Fall notwendig gewesen. Ein nationales Gericht ist nur dann nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, wenn die zu entscheidende Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall vom EuGH behandelt worden ist, wenn eine gesicherte Rechtsprechung im Hinblick auf die Vorlagefrage besteht oder wenn die richtige Anwendung europäischen Rechts derart offensichtlich ist, dass keine vernünftigen Zweifel an der gestellten Frage bleiben271. Diese Voraussetzungen waren aber in dem vom OGH zu entscheidenden Fall sämtlich nicht gegeben. Insbesondere hat sich noch keineswegs eine einheitliche Auffassung der Bedeutung des „Centros“-Urteils in der wissenschaftlichen Diskussion herauskristallisiert. Zu deren Klärung hat die Entscheidung des OGH aufgrund ihrer falschen Ausgangslage entsprechend nichts beigetragen272. dären Niederlassungsfreiheit Stellung zu nehmen, wenn im Gründungsstaat keinerlei Geschäftsaktivität entwickelt wird. 267 OGH, NZG 2000, 36, 39. 268 Im Fall einer der „A Ltd.“ vergleichbaren österreichischen GmbH hätten die Gründer statt £ 100 öS 500.000 aufbringen müssen, vgl. hierzu näher Behrens, Die GmbH im int. und europ. Recht, Rdnr. A 14. 269 Vgl. OGH, NZG 2000, 36, 37. 270 A.A. Höfling, die davon ausgeht, dass der OGH der Ansicht ist, dass die Sitztheorie kein legitimes Mittel zur Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei und es insoweit unerheblich ist, ob der Zuzugsstaat der Sitz- oder Gründungstheorie folgt, vgl. Höfling, EuZW 2000, 145, 146. 271 Vgl. EuGH, Slg. 1982, 3415, Tz. 13 ff „CILFIT“.

VI. Die „Überseering‘‘-Entscheidung des EuGH

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Das niederländische Kantonengericht Amsterdam hat dagegen infolge der „Centros“-Entscheidung Klärungsbedarf hinsichtlich der Vereinbarkeit des dortigen Gesetzes für formal ausländische Gesellschaften mit der Niederlassungsfreiheit (Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen WFBV) angemeldet273. Mit dieser spezialgesetzlichen Sonderanknüpfung verfolgt der niederländische Gesetzgeber das Ziel, die Umgehungsmöglichkeiten einzudämmen, die das von der Gründungstheorie ausgehende Internationale Privatrecht der Niederlande bietet274. Hier steht insbesondere der Zwang für ausländische Gesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in den Niederlanden, ein dem niederländischen Gesellschaftsrecht entsprechendes Mindestkapital vorzuhalten, auf dem Prüfstand. Die ersten Reaktionen der Rechtsprechung in Deutschland275 waren entsprechend der in der Literatur herrschenden Meinungsvielfalt sehr different. So wurde die „Centros“-Entscheidung einerseits im Sinne einer Anerkennungspflicht für „fremde Gesellschaften im Inland“ interpretiert276, andererseits wurde ihm keinerlei Bedeutung für die Bestimmung der Parteifähigkeit einer ausländischen Gesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland beigemessen277. 2. Vorlage durch den BGH in der Sache „Überseering“ Angesichts dieser Situation hat sich der – an sich für das Gesellschaftsrecht nicht zuständige – VII. Zivilsenat des BGH zu einer Vorlage an den EuGH zur Frage der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem Europarecht richtigerweise278 entschlossen279. 272

Insoweit ebenfalls kritisch Kieninger, NZG 2000, 39, 41; Jaeger, NZG 2000, 918, 919. 273 Rs. C-167/01. Der Vorlagebeschluss vom 27.10.1999 ist abgedruckt in EWS 2000, 280, die Schlussanträge des Generalanwalts Siegbert Alber vom 30.01.2003 in DB 2003, 377 ff. Das am 30. September 2003 ergangene Urteil des EuGH ist im Internet unter www.curia.eu.int veröffentlicht. Vgl. jetzt auch NJW 2003, 3331 ff. 274 Jaeger, NZG 2000, 918, 919. 275 Vgl. hierzu die Übersicht von Thorn, IPRax 2001, 102 ff. 276 LG München I, ZIP 1999, 1680. 277 OLG Hamm, NZG 2001, 562; vgl. hierzu Schwarz, NZG 2001, 613 ff.; BrandenburgOLG, NJW-RR 2001, 29, 30; LG Potsdam, RIW 2000, 167; in der Entscheidung des OLG Frankfurt, RIW 1999, 783, die für den Fall, dass ein tatsächlicher Verwaltungssitz nicht feststellbar ist, von der Unanwendbarkeit der Sitztheorie ausgeht, wurde das „Centros“-Urteil gänzlich übersehen, vgl. hierzu Haack, RIW 2000, 56 f. und Borges, RIW 2000, 167 ff. Die Vorlage des AG Heidelberg, DB 2000, 1274, wurde vom EuGH mangels Rechtsprechungscharakters des AG, das hier wie eine das Handelsregister führende Behörde agierte, als offensichtlich unzulässig zurückgewiesen, vgl. EuGH, DB 2001, 1824.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit hat die in den Niederlanden gegründete „Überseering BV“ (Besloten Vennootschap met beperkte aansprakelijkheid) Gewährleistungsansprüche aus einem Bauvertrag über ein Objekt in Deutschland geltend gemacht. Nach Vertragsschluss und Klageerhebung hatte die BV ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Die Vorinstanzen hatten die Klage unter Berufung auf die Sitztheorie als unzulässig abgewiesen, weil die BV in Deutschland nicht rechts- und somit auch nicht parteifähig sei280. Im konkreten Fall diente die Sitztheorie also nicht dem Schutz inländischer Gläubiger, sondern ermöglichte es einem inländischen Schuldner, sich seinen Verpflichtungen dadurch zu entziehen, dass er die mangelnde Rechtsfähigkeit seines Gläubigers geltend machte281. Trotz dieser praktischen Auswirkungen wollte der BGH, beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts und des Gesellschaftsrechts innerhalb der EU, an der Sitztheorie als Schutztheorie festhalten282. Er sah sich aber durch die „Centros“-Entscheidung und die diesbezüglichen Äußerungen in der Literatur veranlasst, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Der BGH hat dem EuGH deshalb erstens die Frage vorgelegt, ob eine Vernei278 A.A. Kindler, NJW 1999, 1993, 1999, der – wohl weil er sich der für die Sitztheorie bestehenden Gefahr bewusst war – gegen eine Vorlage an den EuGH plädierte; anders dagegen Ebke, JZ 1999, 656, 661, Behrens, EuZW 2000, 325 sowie Jaeger, NZG 2000, 918, 919. 279 BGH VII ZR 370/98, Beschluss vom 30.03.2000, DStR 2000, 1064 ff. = EuZW 2000, 412 ff. = RIW 2000, 555 ff. 280 Altmeppen, DStR 2000, 1061, 1063, und Roth, IPRax 2003, 117, 119 kritisieren zutreffend, dass zunächst von den Vorinstanzen wie vom BGH hätte untersucht werden müssen, ob die gemäß der Sitztheorie nach deutschem Recht zu beurteilende BV nicht wie eine OHG bzw. unternehmenstragende GbR zu behandeln ist. Dies hätte zur Folge, dass eine Parteifähigkeit zu bejahen wäre und sich eine Vorlage an den EuGH erübrigen würde. Entsprechend bejahte der BGH jüngst die Rechts- und Parteifähigkeit jedenfalls als GbR einer nach ausländischem Recht wirksam gegründeten Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegte, vgl. BGH, WM 2002, 1929 f. sowie OLG München, ZIP 2002, 2132. Wegen der Entscheidungsunerheblichkeit der Vorlagefrage käme somit eine Klarstellung durch den EuGH nicht in Betracht. Ferner haben sich die Parteien des Verfahrens verglichen, so dass auch aus diesem Gesichtspunkt eine Entscheidung des EuGH über den Vorlagebeschluss unsicher schien, vgl. IPRax 2001, Heft 2, VII. Angesichts der durch die „Centros“-Entscheidung ausgelösten Unsicherheiten war aber eine Vorlage in jedem Fall zu begrüßen, auch wenn der Einzelfall hier auch anders lösbar war. In diesem Sinne auch Forsthoff, DB 2000, 1109 f. und Bous, NZG 2000, 1025. 281 Zutreffend weist Halbhuber darauf hin, dass nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass gerade dieser Fall, der die Mängel der Sitztheorie offenkundig macht, Anlass für die Vorlagefrage des BGH war, ZEuP 2003, 418, 424. 282 BGH, DStR 2000, 1064; kritisch zur Begründung vgl. Meilicke, GmbHR 2000, 693 ff.

VI. Die „Überseering‘‘-Entscheidung des EuGH

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nung der Parteifähigkeit der niederländischen BV gemäß dem Schutzgedanken der Sitztheorie der in Art. 43, 48 EGV garantierten Niederlassungsfreiheit entgegensteht. Zweitens hat der BGH angefragt, ob es die Niederlassungsfreiheit für die Frage der Parteifähigkeit gebiete, die in anderen Staaten vertretene Gründungstheorie auch in Deutschland anzuwenden283. 3. Die „Überseering“-Entscheidung des EuGH Mit Urteil vom 05. November 2002284 hat der EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchen des BGH über die Vereinbarkeit der im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht sowohl nach ständiger BGH-Rechtsprechung als auch herrschender Lehre geltenden Sitztheorie mit der Niederlassungsfreiheit über diese Vorlagefragen entschieden. Nach dem EuGH verstößt es gegen die Art. 43, 48 EGV, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist, in einem anderen Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird, weil die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in diesen Mitgliedstaat verlegt hat285. Zu der zweiten Vorlagefrage entschied der EuGH, dass falls eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, dieser andere Mitgliedstaat nach den Art. 43, 48 EGV verpflichtet ist, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt286. Der EuGH hatte sich mit seiner Entscheidung über die Vorlagefragen des BGH lange Zeit gelassen, obwohl die Schlussanträge des Generalanwalts Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer287 bereits am 13. Dezember 2001 vorgelegt wurden288. 283

BGH, DStR 2000, 1064. Rs. C-280/00 „Überseering BV/NCC Baumanagement GmbH“, ZIP 2002, 2037 ff. = DB 2002, 2425 ff. = BB 2002, 2402 ff. = NJW 2002, 3614 ff. = WM 2002, 2372 ff.; vgl. auch FAZ Nr. 264 vom 13.11.2002, 19. 285 Tz. 94 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2002, 2037, 2045. 286 Tz. 95 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2002, 2037, 2045. 287 Vgl. FAZ Nr. 289 vom 12.12.2001, 25; DB 2001, 2642 ff. = ZIP 2002, 75 ff. = NZG 2002, 16 ff. = BB 2002, 326. 284

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Diese Zögerlichkeit mag damit zusammenhängen, dass der EuGH in seiner Entscheidung vom 05. November 2002 bei der zweiten Vorlagefrage überraschenderweise im Widerspruch zu den Schlussanträgen des Generalanwalts entschied, der die Nichtbeantwortung, hilfsweise die Verneinung der zweiten Vorlagefrage aufgrund ihres abstrakten Charakters und deshalb mangelnden Relevanz in Bezug auf die vorgelegte Auslegungsproblematik beantragt hatte289. Der Generalanwalt schlug die Nichtbeantwortung, hilfweise die Verneinung die zweite Vorlagefrage vor, weil sich aus dem EGRecht keine zwingenden Vorgaben, nach welchen Kriterien die Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung zu beurteilen ist, ergäben. Insbesondere eine Präferenz für die Gründungstheorie bestehe nicht290. Die Sitztheorie als Kollisionsregel hätte damit nach dem Generalanwalt auch für die Frage der Beurteilung der Rechtsfähigkeit damit scheinbar aufrechterhalten werden können291. Die erste Frage hinsichtlich der Europarechtswidrigkeit einer Versagung der Parteifähigkeit als konkreter Folge der Sitztheorie in dem vorgelegten Fall wird vom Generalanwalt wie dem EuGH gleichermaßen bejaht. Ließ sich die „Centros“-Entscheidung noch so deuten, dass der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit vom anwendbaren Kollisionsrecht beeinflusst wird292, geht der Generalanwalt und ihm folgend der EuGH jetzt einen entscheidenden Schritt weiter: Obwohl das Kollisionsrecht als solches von den Mitgliedstaaten frei wählbar sei, müssten sich dessen Ergebnisse aber an den Beschränkungsverboten der Freiheiten messen lassen293. Insoweit fällt das Urteil über die an die Sitztheorie anknüpfenden Sanktionen des Sachrechts sehr klar aus: Einer Gesellschaft nach Verlegung ihres Verwaltungssitzes die Parteifähigkeit zu versagen, verstößt in gravierender Weise gegen das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz und steht einer Negierung der Niederlassungsfreiheit gleich294. Bei Anwendung der „Dassonville“-Formel hält der EuGH die von der deutschen Regierung vorgetragenen Argumente des Schutzes der Gläubiger, der Arbeitnehmer sowie des Fiskus im konkreten Fall schon für nicht geeignet, diese Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen295.

288 Dies ist ungewöhnlich, da normalerweise eine Entscheidung kurz nach Vorlage der Schlussanträge ergeht, vgl. Sandrock, BB 2002, 1601. 289 Vgl. Tz. 38 der Schlussanträge, ZIP 2002, 75, 78. 290 Vgl. Tz. 69 der Schlussanträge, ZIP 2002, 75, 82. 291 Kritisch hierzu Sandrock, BB 2002, 1601 ff. 292 Vgl. hierzu oben V.2.c), Seiten 146 ff. 293 Vgl. Tz. 43 der Schlussanträge, ZIP 2002, 75, 79. 294 Vgl. Tz. 56 f. der Schlussanträge, ZIP 2002, 75, 81; Tz. 81 f., 93 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2002, 2037, 2044.

VI. Die „Überseering‘‘-Entscheidung des EuGH

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Der EuGH sieht in dieser Beantwortung der Vorlagefragen keinen Widerspruch zu seiner „Daily Mail“-Entscheidung. Der Gerichtshof habe sich in dieser Entscheidung darauf beschränkt, festzustellen, dass sich die Möglichkeit für eine nach dem Recht des Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft, ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, ohne die Rechtsfähigkeit zu verlieren, nach dem nationalen Recht des Gründungsmitgliedstaates richtet. Dieser könne die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes deshalb sanktionieren296. Damit sei aber nicht über die Frage entschieden, ob ein Mitgliedstaat das Recht habe, einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit zu versagen. Dies sei Gegenstand der Niederlassungsfreiheit und zwar auch dann, wenn der tatsächliche Verwaltungssitz verlegt wurde297. Damit scheint der EuGH zwischen der Wegzugsfreiheit, die entsprechend „Daily Mail“ allein vom nationalen Recht abhängt, und der Zuzugsfreiheit, die von der Niederlassungsfreiheit geschützt ist, zu differenzieren. Eine solche künstliche Trennung ist abzulehnen298 und hat angesichts der Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis keine Funktion299. Für deutsche Gesellschaften dürfte der Wegzug, d.h. das Behalten des Satzungssitzes in Deutschland und lediglich die Verlegung der Hauptverwaltung ins Ausland, ohnehin keine Vorteile bieten300. Auch steht der EuGH hiermit in Widerspruch zu den Schlussanträgen des Generalanwalts. Dieser hatte eine solche Unterscheidung als „künstlich“ und ohne jede Stütze in dem Urteil „Daily Mail“ abgelehnt301. Die angesichts des Wortlauts der „Daily Mail“-Entscheidung tatsächlich kaum herleitbare Differenzierung, die der EuGH in der „Überseering“-Entscheidung vornimmt, mag damit zusammenhängen, dass der EuGH ungern mit seiner bisherigen Rechtsprechung brechen wollte302. Da die Differenzie295 Tz. 93 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2002, 2037, 2045; vgl. auch Tz. 54 der Schlussanträge des Generalanwalts, ZIP 2002, 75, 80. 296 Tz. 70 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2002, 2037, 2043. 297 Tz. 73 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2002, 2037, 2043. 298 Vgl. auch Roth, IPRax 2003, 117, 121, der die Differenzierung zwischen Zuund Wegzug für „alles andere als überzeugend“ hält sowie Behrens, IPRax 2003, 193, 205, der es für „schlechthin nicht ersichtlich“ hält, warum die Mitgliedstaaten verlangen können sollten, dass Gesellschaften ihr unternehmerisches Entscheidungszentrum im Inland behalten, wenn sie sich nach inländischem Gesellschaftsrecht organisiert haben. 299 Vgl. hierzu ausführlich bereits oben V.2.b), Seiten 144 ff.; vgl. auch Lutter, BB 2003, 7 f.: „Ob das nun alles mit Daily Mail harmoniert oder nicht, stehe dahin.“ sowie Wertenbruch, NZG 2003, 618, 620. 300 Vgl. Kallmeyer, DB 2002, 2521, 2522. 301 Tz. 37 der Schlussanträge, ZIP 2002, 75, 78.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

rung zwischen Zu- und Wegzug durch Gestaltungen zu umgehen ist, wird sich die Sitztheorie aber auch in Form einer „Inländerdiskriminierung“ für wegzugswillige inländische Gesellschaften nicht aufrechterhalten lassen303. 4. Das Ende der Sitztheorie? Durch die „Überseering“-Entscheidung des EuGH ist mit der Versagung der Rechtsfähigkeit die primäre Abschreckungssanktion der Sitztheorie für ausländische Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland aufgehoben worden304. Tatsächlich stellt diese Entscheidung damit einen Meilenstein in der Entwicklung des Internationalen Gesellschaftsrechts dar305. Allerdings hat der EuGH nur über die Rechts- und Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaft, nicht aber auch über die anderen sachrechtliche Sanktionen, die mittelbar durch die Sitztheorie verursacht werden, entschieden. Dies gilt insbesondere für die Versagung von Haftungsbeschränkungen für ausländische Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland. Nur soweit 302

So auch Zimmer, BB 2003, 1, 2. Lutter, BB 2003, 7, 10 verweist zutreffend auf die drastischen Wettbewerbsnachteile, die die deutschen Gesellschaften, die am Wegzug gehindert wären, sonst träfen. 304 Möglicherweise erging die Entscheidung des gesellschaftsrechtlichen Senats des BGH, WM 2002, 1929 f., in der die Partei- und Rechtsfähigkeit einer ausländischen Gesellschaft mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland nunmehr zumindest als GbR bejaht wird, unter dem Eindruck der Schlussanträge des Generalanwalts, wenngleich das Vorlageverfahren beim EuGH in der Entscheidung keine Erwähnung fand. Die Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit im Wege der Qualifizierung ausländischer Gesellschaften als GbR stellt sich jedoch ausweislich (auch) der Worte des BGH als Alternative zur Anwendung der Sitz- oder Gründungstheorie dar und ist daher der Sache nach nichts anderes als eine praktikable Methode, sich den in diesem Zusammenhang stellenden Fragen zu entziehen (dem BGH zustimmend dagegen Kindler, IPrax 2003, 41 ff.). Mit der nunmehr ausgesprochenen generellen Pflicht, „die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt“ rekurriert der EuGH auf die Gründungstheorie, derzufolge der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft das anzuwendende Gesellschaftsstatut bestimmt. Der Begründung der Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften in Deutschland im Wege der Qualifizierung als GbR ist damit der Boden entzogen. Dies hat nunmehr der vorlegende VII. Zivilsenat des BGH, der an die Auslegung des EuGH gebunden war, klargestellt, BB 2003, 915 ff. Maßgeblich für die Beurteilung ist in jedem Mitgliedstaat nunmehr ausschließlich das „Heimatrecht“ der Gesellschaft. Vgl. hierzu auch OLG München, ZIP 2002, 2131 f., wo eine Incorporated mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland unzutreffend als OHG behandelt wird und BayObLG, ZIP 2003, 398 ff., das auf Basis von „Überseering“ die Grundbuchfähigkeit einer Gesellschaft bejaht, die in England als plc gegründet worden ist, ihren faktischen Sitz aber immer in Deutschland hatte. 305 So Roth, IPRax 2003, 117, 119. 303

VI. Die „Überseering‘‘-Entscheidung des EuGH

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sich diese Haftungsbeschränkungen nach Maßgabe des Rechts des Satzungssitzes aus der Rechtsfähigkeit selbst ergeben, kommt eine Beachtung nach Sitzverlegung in jedem Falle in Betracht. Nach deutschem Recht beispielsweise folgt eine Haftungsbeschränkung aber weder aus der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft (akzessorische Gesellschafterhaftung bei den rechtsfähigen Personengesellschaften i. S. d. § 14 Abs. 2 BGB) noch nach h. M. aus der Natur der juristischen Person (Arg. e §§ 278 ff. AktG: persönliche Haftung des Komplementärs bei der KGaA). Ob es sich also bei der „Überseering“-Entscheidung des EuGH also um die lang erwartete endgültige Klärung des Konflikts zwischen Sitz- und Gründungstheorie handelt, bleibt abzuwarten. Wie bei vorangegangenen Entscheidungen (Daily Mail, Centros) sind die Urteilsinterpretationen zahlreich und haben nicht lange auf sich warten lassen306. Während erste Gerichtsentscheidungen noch kein endgültiges Ende der Sitztheorie307 durch „Überseering“ bejahten, gaben zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen die Sitztheorie ausdrücklich auf308. Der VII. Zivilsenat des BGH, von dem die Vorlage an den EuGH stammte, hat die „Überseering“-Entscheidung als bindend angesehen und durch Urteil vom 13. März 2003309 umgesetzt. Der BGH bliebt aber hierbei nicht stehen, sondern erklärte in seiner Entscheidung weiter, dass man die ausländische Gesellschaft nicht auf die Möglichkeit einer Anerkennung als deutscher Personengesellschaft verweisen könne, weil sie damit in eine andere Gesellschaftsform mit besonderen Risiken, wie z. B. Haftungsrisiken gedrängt wird. Auch eine solche Verweisung würde sich als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen310. Einige Autoren folgern aus diesem Hinweis des BGH auf die Haftungsrisiken, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft nicht nur hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit, sondern auch in Bezug auf ihre Haftungsverfassung nach dem Recht ihres Herkunftslandes zu beurteilen ist311. 306 Soweit erste Stellungnahmen hier berücksichtigt werden konnten, folgern sie aus der „Überseering“-Entscheidung die Sitztheorie gänzlich aufzugeben, vgl. Kallmeyer, DB 2521, 2522, Lutter BB 2003, 7 ff., Forsthoff, BB 2002, 318; Heidenhein, NZG 2002, 1141, 1143; Eidenmüller, ZIP 2003, 2233, 2241, wohl auch Zimmer, BB 2003, 1 ff. A.A. dagegen Neye, EWiR Art. 42 EG 1/02 1003, 1004 sowie Kindler, NJW 2003, 1073, 1077, der von einem Fortbestand der Sitztheorie ausgeht. 307 Vgl. LG Frankenthal, BB 2003, 542 m. abl. Anm. Leible/Hoffmann. Auch das Bundesministerium der Justiz geht in einem Schreiben an die Landesjustizverwaltungen vom 18.11.2002 davon aus, dass die Entscheidung des EuGH kein endgültiges Ende der Sitztheorie bedeute. 308 BayObLG, NZG 2003, 290, zustimmend Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259, 260; OLG Zweibrücken, BB 2003, 864 f.; OLG Celle, IPRax 20003, 245 m. Anm. Behrens; OLG Naumburg, GmbHR 2003, 533. 309 BGH, BB 2003, 915 ff. = ZIP 2003, 718 ff. 310 Vgl. BGH, BB 2003, 915, 916.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Tatsächlich dürfte angesichts der Begründung der „Centros“-Entscheidung des EuGH davon auszugehen sein, dass auch den anderen sachrechtlichen Folgen der Sitztheorie – wie der persönlichen Haftung der Gründer – künftig das Verdikt der Europarechtswidrigkeit droht312. Zwar ist es nach dem EuGH nicht auszuschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können313. Diese Beschränkung wird aber nach den Ausführungen hierzu in der „Centros“Entscheidung wie in den Schlussanträgen des Generalanwalts Colomber insbesondere nicht in einem vollständigen Verlust des Haftungsprivilegs liegen können, da dies angesichts milderer Mittel nicht zu rechtfertigen wäre314. Das bereits angesprochene315, vom Kantonengericht Amsterdam beim EuGH anhängig gemachte Vorabentscheidungsverfahren hat hier weitere Klarheit gebracht316. Der Generalanwalt Siegbert Albert hielt in seinen Schlussanträgen zu diesem Verfahren die Verpflichtung einer ausländischen Gesellschaft zur Aufbringung eines Mindestkapitals entsprechend inländischen Vorschriften für mit der Rechtsprechung des EuGH in den Fällen Centros und Überseering für unvereinbar. Denn eine solche Verpflichtung laufe im Ergebnis auf eine 311 So etwa Weller, IPRax 2003, 324, 326; Wertenbruch, NZG 2003, 618, 619; i. E. auch Meilicke, GmbHR 2003, 793, 805; a. A. dagegen Paefgen, EWiR Art. 48 EG 1/03, 571, 572 und Leible/Hoffman, ZIP 2003, 925, 929, die davon ausgehen, dass auch der BGH – wie schon der EuGH vor ihm – keine Aussage darüber gemacht hat, ob dem Gründungsstatut über die Frage der Rechts- und Parteifähigkeit hinaus Bedeutung zukommen soll. 312 Heidenhein, NZG 2002, 1141, 1142 hält diese Folgen für „schlechthin katastrophal“. 313 Tz. 92 des Urteils vom 05. November 2002, ZIP 2037, 2045. 314 So auch Forsthoff, BB 2002, 318, 321; von Halen, EWS 2002, 107, 114; Eidenmüller, ZIP 2003, 2233, 2241, sowie Zimmer, BB 2003, 1, 6. Anders dagegen AG Hamburg, BB 2003, 1457, 1458, das bereits die alleinige Tatsache der fehlenden tatsächlichen Kapitalausstattung einer Gesellschaft bei gleichzeitiger Haftungsbeschränkung der Gesellschafter eines ausschließlich in Deutschland operierenden, nach ausländischem Recht gegründeten Unternehmens als Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit wertet. Diese Argumentation ist abzulehnen, denn die Nutzung der Niederlassungsfreiheit durch eine Gesellschaft, deren Statut keine Mindestkapitalverpflichtung kennt, kann für sich alleine nicht rechtsmissbräuchlich sein. 315 Vgl. oben VI.1., S. 155 ff. 316 Rs. C-167/01 „Inspire Art“ vgl. NJW 2003, 3331 ff. Das gem. Neye, EWiR Art. 43 EG 1/02, 1003, 1004, von der Bundesregierung mit besonderem Interesse verfolgte Verfahren, ist vom EuGH am 30. September 2003 entschieden worden.

VI. Die „Überseering‘‘-Entscheidung des EuGH

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Versagung der Anerkennung der nach englischem Recht – und damit ohne Mindestkapitalanforderungen – gegründeten Gesellschaft hinaus317. Eine Rechtfertigung hierfür sei nicht erkennbar. Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit könnten nur wegen eines Missbrauchs derselben und bei konkreten Anhaltspunkten im Einzelfall, nicht aber aufgrund abstrakter Wertungen in einem Gesetz erfolgen318 Der EuGH ist diesen Anträgen gefolgt und hat auf die Vorlagefrage des niederländischen Gerichts geantwortet, dass die Art. 43 und 48 EGV einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweigniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich durch den EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen319. Bestrebungen, bei Briefkastengesellschaften durch eine Sonderanknüpfung der Haftung an das nationale Recht sicherzustellen320, dass ein dem deutschen Recht vergleichbares Mindestkapital besteht, sind damit der Boden entzogen. Weiter wurde vom EuGH nochmals klargestellt, dass Missbrauchshandlungen zwar eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich erlauben, die bloße Tatsache, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Tätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich oder hauptsächlich in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, aber noch kein missbräuchliches Verhalten darstellt321. Alle generalpräventiven Maßnahmen zum Schutz vor Missbrauch, die allein auf diesen Aspekt abstellen, verstoßen somit gegen die Niederlassungsfreiheit322.

317

Schlussanträge des Generalanwalts, Tz. 100 ff., DB 2003, 377, 379. Schlussanträge des Generalanwalts, Tz. 117, DB 2003, 377, 380. 319 EUGH, Rs. C 167/01, Tz. 143, vgl. NJW 2003, 3331, 3335. 320 Vgl. hierzu etwa Ulmer, JZ 1999, 662, 664 ff.; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242; einschränkend Roth, IPRax 2003, 117, 125. 321 Der EUGH geht unter Berufung auf die Urteile „Segers“ und „Centros“ insoweit von einer ständigen Rechtsprechung aus, Rs. C 167/01, Tz. 39, insoweit nicht abgedruckt in NJW 2003, 3331 ff. 322 So schon Behrens in IPrax 2003, 193, 203: „Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gestattet aber keine generalpräventiv wirkende allgemeine Anwendung inländischen Gesellschaftsrechts, sondern verlangt den Nachweis der Schutzbedürftigkeit im Ein318

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Ohne die wesentlichen sachrechtlichen Sanktionen macht die Sitztheorie als Schutztheorie allerdings keinen Sinn; eine Abschreckung vor der Verlegung des tatsächlichen Sitzes wäre nicht mehr gegeben. Da der EuGH hinsichtlich der sachrechtlichen Sanktionen, die an die Sitztheorie anknüpfen, die Grundsätze der „Centros“-Entscheidung über die Rechtfertigung von Beschränkungen voll anwendet323, ist die Sitztheorie funktionslos. Denn ihr Verständnis als Schutztheorie lässt sich ohne sachrechtliche Sanktionsfolgen nicht aufrechterhalten. Das Überleben der mit der Sitztheorie verknüpften sachrechtlichen Sanktionen und damit die Sitztheorie selbst hängt also vom EuGH ab324. Welche Entscheidung der EuGH hinsichtlich der einzelnen Folgen der Sitztheorie treffen wird, ist angesichts der immer noch unklaren Ausgangslage und der strikten Orientierung der Rechtsprechung des EuGH am Einzelfall325 freilich nicht eindeutig zu prognostizieren326. Erst die volle Akzeptanz der Gründungstheorie würde die für die internationale Beratungspraxis interessante Möglichkeit gesellschaftsrechtlich vollumfänglicher und damit wirtschaftlich sinnvoller Sitzverlegungen sinnvoll erscheinen lassen. Mittelfristig wird die Entwicklung mangels Alternativen jedoch hin zu mehr Liberalität gehen. Dies zumal die Urteile „Centros“, „Überseering“ und zuletzt „Inspire Art“ deutlich zeigen, dass der EuGH offenbar nicht mehr gewillt ist, mit der Gewährung der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften auf Rechtsangleichungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zu warten327. Es ist daher eingehend zu untersuchen, in welcher Form der mit der Sitztheorie verfolgte Schutzzweck, sollte der EuGH tatsächlich die Sitztheorie zelfall, wozu auch der Nachweis des nicht hinreichenden Schutzes nach dem Gründungsrecht der Gesellschaft gehört.“ 323 Hierauf sind Politik, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft nicht vorbereitet, Ebke, JZ 2000, 203, 204. Das OLG Nürnberg, NZG 2002, 874 f., geht etwa davon aus, dass die Klage einer liechtensteinischen AG mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland, die der deutschen Rechtsordnung unterliegt, die Verjährung nicht unterbricht. 324 Jaeger, NZG 2000, 918. 325 Forsthoff, BB 2002, 318, 320 und Grabitz/Hilf/Randelzhofer/Forsthoff, vor Art. 39–55 Rdnr. 169 ff. 326 So hatte der EuGH noch über keinen Fall zu entscheiden, bei dem ein Missbrauch der Niederlassungsfreiheit wirklich greifbar war. Die Spekulationen über die Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EuGH charakterisiert Ebke, JZ 2000, 203, 204, zutreffend als die Arbeit „juristischer Zukunftsforscher“. Auch Mankowski, EWiR Art. 43 EG 1/03, 273 f. betont die bestehende Rechtsunsicherheit und warnt vor englischen Limited als „Schrecken Europas“. 327 In diesem Sinn auch Zimmer, BB 2003, 1, 7; Generalanwalt Alber betont mehrfach in seinen Schlussanträgen zu der Rechtssache „Inspire Art“, Rs. C-167/ 01, dass die Mitgliedstaaten bislang eine Harmonisierung der Vorschriften über das Mindestkapital versäumt haben, Tz. 104, 139, DB 2003, 377, 379, 381.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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ihrer Sanktionen vollständig entkleiden, noch gewährleistet werden kann und muss. Die Sitztheorie in ihrer bisherigen Form als objektive Kollisionsregel kann die berechtigte Frage ihrer Kritiker, warum der von ihr eingeforderte Schutz nur erforderlich sein soll, wenn die nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaft ihre Hauptverwaltung nach Deutschland legt, nicht aber, wenn sie in sonstiger Weise, z. B. durch eine Zweigniederlassung, in Deutschland tätig ist328, nicht beantworten. Sie ist in ihrer derzeitigen Form als objektive Kollisionsregel329 mit einschneidenden sachrechtlichen Konsequenzen darüber hinaus europarechtswidrig. Ferner kann die Sitztheorie in ihrer derzeitigen Form den von ihr verfolgten Schutzzweck auf der Rechtsfolgenseite nicht gewährleisten. Im Einzelfall geht der gewährte Schutz zu weit und ignoriert eigenverantwortliche Entscheidungen. Die Gründungstheorie ist demgegenüber ebenfalls eine bloß objektive Anknüpfungsregel und verfolgt keinen darüber hinausgehenden Zweck. Als Kollisionsregelung ist die Gründungstheorie der Sitztheorie deshalb überlegen. Daraus folgt aber auch, dass sich nur durch die Gründungstheorie Schutzgesichtspunkte, soweit sie berechtigt sind, nicht verwirklichen lassen330. Vom EuGH sind keine Hinweise zu erwarten, wie die Schutzfunktion der Sitztheorie in einer europarechtskonformen Weise zu konservieren ist. Es ist nicht Aufgabe des EuGH, den Mitgliedstaaten Wege aufzuzeigen, wie sie zulässigerweise der missbräuchlichen oder missbrauchverdächtigen Ausübung der im EGV gewährten Rechte entgegentreten können331. Auf diesem Befund sind daher Funktion und Mechanismen einer neuen Schutztheorie de lege lata wie de lege ferenda zu entwickeln.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs Die bisherigen Vorschläge zur Durchsetzung der deutschen Schutzinteressen nach der „Überseering“-Entscheidung des EuGH versuchen vielfach über Deliktsansprüche oder kollisionsrechtlich über das Institut des ordre public die Anwendung deutschen Rechts und damit die Berücksichtigung 328

So wieder neuestens Meilicke, GmbHR 2000, 693, 697. Auf das angesichts der materiellrechtlichen Leere eine Kollisionsnorm dogmatisch „verbogene“ Argument von der Sitztheorie als Schutztheorie weist auch Halbhuber, ZEuP 2003, 418, 424 hin. 330 Zu der Kritik an der Überlagerungs- bzw. der Differenzierungstheorie, die dieses Problem der Gründungstheorie mit Hilfe von Sonderanknüpfungen lösen wollen, vgl. bereits oben I.2., Seite 97. 331 So zutreffend Generalanwalt Alber in den Schlussanträgen zu „Inspire Art“, Rs. C-167/01, Tz. 123, DB 2003, 377, 381. 329

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

der Schutzziele des deutschen Gesetzgebers sicherzustellen332. Freilich unterliegen alle diese Ansätze inhaltlich wiederum der Kontrolle durch den EuGH und müssen sich an der Niederlassungsfreiheit messen lassen333. Entgegen einigen Bestrebungen im Schrifttum334 kann es bei einer neuen Schutztheorie daher nicht darum gehen, die mit der Sitztheorie generalpräventiv verfolgten Schutzvorstellungen des deutschen Sachrechts auf einem anderen Weg ausländischen Gesellschaften aufzuzwingen. Nach der „Inspire Art“-Entscheidung des EuGH sind jedenfalls abstrakt generellen Sonderanknüpfungen an das nationale Recht in Bezug auf Auslandsgesellschaften verboten. Daher ist zunächst ein tragfähiger und mit der Niederlassungsfreiheit vereinbarer Konsens über die Notwendigkeit und Reichweite der mit der Sitztheorie verknüpften Schutzvorstellungen herzustellen. Nur wo der Wettbewerb der Rechtsordnungen versagt, kann nämlich für die Bewahrung dieser Schutzgesichtspunkte Raum bleiben und im Einzelfall auf die Auslandsgesellschaft inländisches Recht angewandt werden. Der Wettbewerb der Rechtsordnungen hat – wie bereits ausführlich dargelegt – für die Integration der Mitgliedstaaten der Europäischen Union segensreiche Auswirkungen. Diese positiven Folgen setzen aber voraus, dass der Wettbewerb effektiv und transparent ist. Eine neue Schutztheorie, die die Sitztheorie ersetzen könnte, muss deshalb zweierlei leisten: Zum einen muss sie dem Wettbewerb der Rechtsordnungen und damit der Privatautonomie der Marktteilnehmer einen möglichst breiten Spielraum geben. Zum anderen muss sie dafür sorgen, dass der Wettbewerb nicht verzerrt wird, sondern Vor- und Nachteile einzelner Gesellschaftsformen transparent macht.

1. Freiheit der Entscheidung als Basis eines Systemwettbewerbs Ein wesentliches Argument gegen die Sitztheorie ist, dass sie dem Teilnehmer am Rechtsverkehr abspricht, für seine freien Entscheidungen auch die Verantwortung zu tragen335. Sie ersetzt die Privatautonomie, die selbstverständlich mit Risiken verbunden ist, durch eine präventive Abschreckung, die für sich den Schutz der Gesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer in Anspruch nimmt. Dieser Schutzgedanke geht fehl, wo er sich gegen eine eigenverantwortliche Entscheidung richtet. Gleichzeitig setzt der Wettbewerb der Rechts332 333 334 335

Vgl. etwa Paefgen, DB 2003, 487, 492; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 34. Zutreffend Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 36. So etwa Kindler, NJW 2003, 1073, 1078 ff. Vgl. oben I.3.b), Seite 105 ff.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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ordnungen diese Entscheidungsfreiheit voraus. Nur mit ihr als Antrieb kann der Wettbewerb der Rechtsordnungen sachgerechte Ergebnisse erzielen. Das entscheidende Problem ist also die Sicherung der eigenverantwortlichen Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer am Rechtsverkehr. Nur wenn sie gegeben ist, erweist sich der Schutz durch die Sitztheorie als überflüssig und kann ein Wettbewerb der Rechtsordnungen funktionieren. Der Geschäftspartner einer Gesellschaft kann sich etwa nur dann bewusst zu einer Vergabe etwa eines Kredites an diese entscheiden, wenn er ihre Haftungsverhältnisse kennt oder diese zumindest ohne weiteres erkennen kann. Nur wenn er in Kenntnis dieser Verhältnisse das Geschäft tätigt, benötigt er keinen Schutz. Eine freie Entscheidung setzt daher die Kenntnis der Umstände, in der diese Entscheidung getroffen wird, voraus. Die Sitztheorie als Schutztheorie kann deshalb nur dann ersetzt werden, wenn sichergestellt ist, dass die eigenverantwortliche Entscheidung der Marktakteure für den wirtschaftlichen Kontakt mit der einen oder der anderen Gesellschaft wirklich frei und unbeeinflusst getroffen werden kann. Es geht damit um die Sicherung des Wettbewerbs durch Transparenz. 2. Sitztheorie als Ausprägung der allgemeinen Rechtsscheinhaftung Die vorstehende These von der Entbehrlichkeit der Sitztheorie im Fall eigenverantwortlicher Entscheidungsfreiheit und größtmöglicher Transparenz wie der Notwendigkeit der Sanktionen der Sitztheorie dort, wo diese Bedingungen nicht erfüllt sind, lässt sich dogmatisch mit der Fundierung des Schutzgedankens der Sitztheorie in der allgemeinen Rechtsscheinhaftung belegen. a) Selbstverständnis der Sitztheorie Die Sitztheorie versteht sich als Schutztheorie gegenüber den Interessen von (inländischen) Dritten, die mit einer ausländischen Gesellschaft kontrahieren, bei der Satzungs- und tatsächlicher Verwaltungssitz auseinander fallen. Dieser Schutzgedanke kann nun aber nicht bloße inländische ordnungspolitische Normen meinen, sondern er muss sich letztlich auf die dahinter stehenden Personengruppen beziehen. Diese sind schutzwürdig, soweit sie auf die Geltung der inländischen Normen vertrauen. Vertrauen kann man aber nur auf ein bestimmtes Verhalten der ausländischen Gesellschaft, die dieses Vertrauen rechtfertigt. Nimmt man also das Selbstverständnis der Sitztheorie als Schutztheorie ernst, so geht es bei ihr um Vertrauensschutz für die inländischen Verkehrskreise.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Nachfolgend soll gezeigt werden, dass die Sitztheorie in ihrer derzeitigen Form hinsichtlich der von ihr verlangten tatbestandlichen Voraussetzungen, wie von ihrer Rechtsfolge her, den Kategorien der allgemeinen Rechtsscheinhaftung entspricht und sich eine neue Schutztheorie auf Basis der Dogmatik der allgemeinen Rechtsscheinhaftung rechtfertigen lässt. Voraussetzungen für ein Eingreifen der allgemeinen Rechtsscheinhaftung336 sind ein Scheintatbestand, die Zurechenbarkeit des Scheintatbestandes, das gutgläubige Vertrauen eines Dritten in den Scheintatbestand und die Kausalität zwischen dem Scheintatbestand und einem bestimmten Verhalten des Dritten. Rechtsfolge der Rechtsscheinhaftung ist die Gleichstellung des Rechtsscheins mit der Wirklichkeit. b) Scheintatbestand – Die Scheininlandsgesellschaft Nach den allgemeinen Kriterien der Rechtsscheinhaftung kommt als Scheintatbestand ein objektiver Vertrauenstatbestand unterschiedlichster Art in Betracht. Dieser kann ausdrücklich oder konkludent gesetzt werden337. (1) Die These von der Scheininlandsgesellschaft Einen solchen Vertrauenstatbestand stellt das Auseinanderfallen von tatsächlichem Sitz und statuarischem Sitz dar: Eine Gesellschaft, die nur im Inland tätig ist und im Ausland lediglich ihren statuarischen Sitz hat, erweckt für die Verkehrskreise im Inland den Rechtsschein einer inländischen Gesellschaft. Eine solche „Briefkastengesellschaft“ kann man als Scheininlandsgesellschaft bezeichnen. Auch die Sitztheorie basiert auf dem Gedanken, dass der am meisten von dem Handeln einer Gesellschaft betroffene Staat derjenige ist, in dem der Verwaltungssitz der Gesellschaft liegt und dieser Staat daher das Recht hat, die Verhältnisse der Gesellschaft zu regeln338. Zentraler Ansatzpunkt für die Sitztheorie ist deshalb der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft. Dieser wird überwiegend als der Ort definiert, „wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäfte umgesetzt werden“ (Sandrocksche Formel)339. Entscheidend ist für den tatsächlichen Verwaltungssitz also nicht, wo ein Beschluss der Unternehmensleitung 336 Vgl. hierzu eingehend Canaris, Vertrauenshaftung, 139 ff. sowie ders., Handelsrecht, 114 ff., Rdnr. 68–82; Baumbach/Hopt, HGB, § 5 Rdnr. 9. 337 Statt aller Baumbach/Hopt, HGB, § 5 Rdnr. 10. 338 Statt aller Großfeld/König, RIW 1992, 433.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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gebildet wird – dies könnte auch das Urlaubsdomizil des Vorstandsvorsitzenden sein – sondern der Ort, wo ein solcher Beschluss nach außen erkennbar wird340. Durch diese Außenwirkung der Geschäftstätigkeit in Verbindung mit der Unternehmensleitung im Inland wird grundsätzlich ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der mit der tatsächlichen „Nationalität“ der Gesellschaft nicht übereinstimmt341. Eine Gesellschaft wird im Lauf ihrer Tätigkeit zu einem Kristallisationspunkt unterschiedlicher Interessen. Die Tätigkeit im Inland bildet damit eine Vertrauensgrundlage für Anteilseigner, Gläubiger, Arbeitnehmer, für die nahe und weite Öffentlichkeit342. Wenn die Vertreter einer Gesellschaft, die zwar formal ausländisch ist, aber nicht im Ausland, sondern nur im Inland unternehmerisch in Erscheinung tritt, insoweit den Eindruck erwecken, die von ihnen vertretene Gesellschaft sei inländischen Rechtsgrundsätzen unterworfen, schaffen sie einen Vertrauenstatbestand einer inländischen Gesellschaft343. Zumindest ist ein solches Vertrauen für den durchschnittlichen Teilnehmer am Rechtsverkehr zu bejahen, der mit der Gesellschaft in Kontakt kommt344. Der Einwand, in einer offenen Volkswirtschaft, die in den Weltmarkt integriert sei, könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der wirtschaftliche Schwerpunkt einer Gesellschaft durchweg dort liege, wo sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befinde345, mag für spezielle Verkehrskreise und für Großunternehmen zutreffen. Der durchschnittliche Gläubiger, Anteilseigner oder Arbeitnehmer eines mittelständischen Unternehmens wird 339

BGHZ 97, 269, 272, im Anschluss an Sandrock, Festschrift für Beitzke, 669,

683. 340

MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 316. Vgl. hierzu jetzt BGH, EWiR § 311 BGB 1/03, 13 ff. mit Anm. Pfeiffer, wo eine Eigenhaftung eines Vertreters diskutiert wird, der für eine ausländische Gesellschaft gehandelt hatte und dabei den unzutreffenden Anschein einer nach inländischem Recht verfassten Gesellschaft mit Sitz im Inland erweckt hat. Der BGH bejahte in diesem allerdings eindeutigem Fall (eine ungarische „KFT“ war als GmbH bezeichnet worden) insoweit eine Aufklärungspflicht. 342 So ausdrücklich Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 566 allerdings zur Begründung der Notwendigkeit des Wechsels des Personalstatuts im Wege der Auflösung und Neugründung. 343 Freilich ist dieser Vertrauenstatbestand dann ausgeschlossen, wenn die Scheininlandsgesellschaft ihre ausländische Herkunft deutlich macht. Das ändert aber nichts daran, dass ohne solche klarstellenden Angaben ein grundsätzliches Vertrauen der Verkehrskreise zu bejahen ist. 344 Auf dessen Verständnis kommt es analog §§ 133, 157 BGB an, vgl. Canaris, Handelsrecht, 114 Rdnr. 68. 345 So Hachenburg/Behrens, Einl. Rdnr. 118. 341

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

nach wie vor davon ausgehen, dass der Mittelpunkt der Geschäftstätigkeit dieses Unternehmens auch Rückschlüsse auf die „Nationalität“ der Gesellschaft zulässt. In der überwiegenden Zahl der Fälle und vom Blickwinkel eines durchschnittlichen Marktteilnehmers aus, kann der Sitztheorie daher gefolgt werden, wenn sie Gesellschaften, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland, ihren Satzungssitz aber im Ausland haben, vorhält, sie würden einen falschen Eindruck im Markt erwecken. Die von der Sitztheorie getroffene typisierende, nicht auf den Einzelfall abstellende Behandlung ist im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen346. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung ist somit festzuhalten, dass von einer ausländischen Gesellschaft, bei der satzungsmäßiger Sitz und tatsächlicher Verwaltungssitz nicht übereinstimmen, der Scheintatbestand einer inländischen Gesellschaft gesetzt wird. (2) Die Lehre von der Scheinauslandsgesellschaft Für die Sitztheorie in ihrem bisherigen Verständnis als objektive Anknüpfungsregel spielt der gesetzte Vertrauenstatbestand einer Scheininlandsgesellschaft keine Rolle. Legt man den Schwerpunkt der Betrachtung allerdings auf den von der Sitztheorie verfolgten Schutzzweck, kann die Wirkung einer Scheininlandsgesellschaft auf die betroffenen Verkehrskreise nicht ignoriert werden. Es wird denn auch von Vertretern der Sitztheorie argumentiert, dass die inländischen Verkehrskreise mit dem Tätigwerden einer Gesellschaft im Inland gewisse Erwartungen verknüpfen347. Hinsichtlich des verfolgten Schutzzweckes bedarf es daher durchaus einer subjektiven Komponente der Sitztheorie. Nichts mit einem solchen Verständnis der Sitztheorie zu tun hat es freilich, dass von einem Teil der Literatur und von einigen Gerichten348 die Auffassung vertreten wird, eine nach den Regeln der Sitztheorie nicht anerkannte ausländische Gesellschaft hafte nach der Lehre von der Scheingesellschaft gegebenenfalls für bestimmte Ansprüche des Geschäftsgegners. Ein ausländisches „Gebilde“ ohne Rechtsfähigkeit müsse sich dann als rechtsfähig behandeln lassen, wenn es im Inland wie eine ausländische juris346

Vgl. auch MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 313. Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 566. Soweit von dem „Schutzinteresse des am meisten betroffenen Staates“, vgl. MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 313, die Rede ist, dürfte nichts anderes gemeint sein, da sich die Betroffenheit durch die Außenwirkungen des tatsächlichen Verwaltungssitzes im Inland manifestiert. 348 Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 409 ff.; Michalski, NZG 1998, 762, 763 jeweils m. w. N. 347

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tische Person aufgetreten ist und Erfordernisse des redlichen Geschäftsverkehrs dies verlangen349. Es wird damit ein gegenüber der hier vertreten Auffassung „umgekehrter“ Rechtsschein bejaht, nämlich der, den die nicht anerkannte und deshalb unwirksame Scheingesellschaft durch ihr Auftreten als bestehende Gesellschaft ausländischen Rechts setzt. Der insoweit verwandte Begriff der Scheinauslandsgesellschaft350 (pseudo foreign corporation oder company) meint inhaltlich allerdings dasselbe wie der hier verwendeten Begriff der Scheininlandsgesellschaft. Beide Begriffe bezeichnen Gesellschaften ausländischer Rechtsform, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland haben. Allerdings basieren beide Begriffe auf einem konträren Rechtsschein: Die Scheininlandsgesellschaft ist eine ausländische Gesellschaft, die den Rechtsschein einer inländischen setzt. Die Scheinauslandsgesellschaft ist eine inländische Gesellschaft, die den Rechtsschein einer ausländischen Gesellschaft erweckt. (3) Eigene Stellungnahme Diesen scheinbaren Widerspruch gibt es bei näherer Betrachtung jedoch nicht: Zum einen trifft es nicht zu, dass eine Gesellschaft ausländischer Rechtsform, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland hat, den Rechtsschein einer ausländischen Gesellschaft setzt. Sie ist zunächst einmal eine ausländische Gesellschaft. Lediglich durch die Nichtanerkennungssanktion der Sitztheorie351 wird diese ausländische Gesellschaft als inländische behandelt. Mit dem Begriff der Scheinauslandsgesellschaft wird also nicht eine Rechtfertigung für die Sitztheorie auf Basis von Rechtsscheingrundsätzen gegeben, sondern lediglich ein Sonderproblem der Rechtsfolgenseite beschrieben. Der Begriff der Scheinauslandsgesellschaft ist damit für die Erklärung der Sitztheorie und die Behandlung der von ihr erfassten Gesellschaften wenig hilfreich. Auch ist der angeblich von der Scheinauslandsgesellschaft gesetzte Rechtsschein nur fingiert. Vielmehr wird durch ihr nahezu ausnahmsloses Auftreten im Inland bei den Verkehrskreisen der Eindruck erweckt, sie sei inländisch geprägt. Allein die ausländische Firmierung reicht nicht aus, um diesen Rechtsschein zu beseitigen und einen gegenteiligen zu begründen. Die Firmierung kann den zu schützenden Verkehrskreisen nicht entgegengehalten werden. So besteht bei den Vertretern der Sitztheorie Einigkeit, dass sich aus der ausländischen Firmierung keine Folgen für das Haftungsver349 350 351

BGH, NJW 1960, 1204, 1205. Statt aller MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 344. Hierzu sogleich.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

hältnis herleiten lassen352. Vom Standpunkt der Sitztheorie kann dies auch gar nicht anders gesehen werden. Wäre die Firmierung als ausländische Gesellschaft nämlich für die inländischen Verkehrskreise ein stärkerer Vertrauenstatbestand als der im Inland gelegene tatsächliche Verwaltungssitz, würde also eine Scheinauslandsgesellschaft tatsächlich den „Rechtsschein“ einer ausländischen Gesellschaft, die sie ja zunächst ist, hervorrufen, so entfällt das von der Sitztheorie als Legitimation benötigte Schutzbedürfnis der inländischen Marktteilnehmer: Eine im Ausland nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaft würde nämlich im Inland als ausländische auftreten und die Verkehrskreise, die mit ihr in Kontakt kommen, könnten aus ihrem Auftreten entnehmen, dass sie eine ausländische Gesellschaft ist (nichts anderes meint der Begriff „Rechtsschein einer ausländischen Gesellschaft“). Die „Scheinrechtslage“ entspricht also der wahren Rechtslage. Diese Feststellung stimmt nur deshalb nicht, weil die Sitztheorie die ausländische Gesellschaft als inländische behandelt. Grund hierfür ist der Schutz der Verkehrskreise vor der ausländischen Gesellschaft und deren den inländischen Vorschriften gegenüber meist liberalerem Gesellschaftsstatut. Da den Verkehrskreisen bei diesem Verständnis aber klar ist, dass sie es mit einer ausländischen Gesellschaft zu tun haben, die anderen Regeln folgt als eine inländische, ginge der Schutzgedanke fehl. Es ist nämlich dann kein Grund ersichtlich, warum eine Scheinauslandsgesellschaft nicht ebenso wie eine normale ausländische Gesellschaft behandelt werden sollte. Die Tatsache, dass die Scheinauslandsgesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland hat – was die Scheinauslandsgesellschaft einzig von einer „normalen“ Auslandsgesellschaft unterscheidet – entfaltet dann keine Bedeutung mehr. Eine im Hinblick auf die Rechtsfolge getroffene Behandlung der Scheinauslandsgesellschaft als wirksame Auslandsgesellschaft würde damit der Argumentation zur Berechtigung der Sitztheorie widersprechen. Von den Vertretern der Sitztheorie, die eben noch die ausländische Gesellschaft nicht anerkannt haben und als inländische behandeln, um die inländischen Marktteilnehmer zu schützen, wird dessen ungeachtet die nunmehr inländische Gesellschaft nach den Regeln der Scheingesellschaft als wirksame ausländische Gesellschaft behandelt, wenn auch nur im Verhältnis zu Dritten und nicht generell353. Grund dafür – und diese neuerliche Absur352 Etwa MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 352 f. m. w. N.; vgl. nunmehr auch BGH, NZG 1999, 1095 = WM 1999, 2071 = NJW 1999, 3483 = ZIP 1999, 1755 mit Anm. Altmeppen nach dem eine bloße Firmierung als „GbR mbH“ nicht mehr zu einer Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen führen kann. Gegen einen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert eines auf Haftungsbeschränkung hinweisenden Namenszusatzes generell Dauner-Lieb, Unternehmen in Sondervermögen, 535 ff.

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dität vermag nach dem Gesagten kaum noch zu überraschen – ist wiederum das Schutzbedürfnis der inländischen Verkehrskreise, die „von dem prozessund materiellrechtlichen Risiko entlastet werden müssten, dass der Rechtsschein der Existenz einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht zutrifft“354. Freilich wird stillschweigend übergangen, dass dieses Risiko erst durch die Sitztheorie hervorgerufen wird, da diese die Existenz der ausländischen Kapitalgesellschaft verneint355. Die Anwendung der Grundsätze der Scheingesellschaft soll also lediglich sicherstellen, dass die Folgen der Sitztheorie sich nicht negativ für die durch sie geschützten Personengruppen auswirken. Der Schutz von Dritten dient im Namen der Sitztheorie als Begründung für die Behandlung einer Scheinauslandsgesellschaft als inländische Gesellschaft und gleichzeitig für die Behandlung als ausländische Gesellschaft. So soll die Anerkennung der Scheinauslandsgesellschaft insbesondere dann erfolgen, wenn die Ermittlung der Hintermänner zu einer Rechtlosstellung der Geschäftspartner der Scheinauslandsgesellschaft führen würde356. Mit den Grundsätzen der Scheingesellschaft und der allgemeinen Rechtsscheinhaftung hat diese rein ergebnisorientierte, sich im Kreis drehende Argumentation nach Billigkeitsgesichtspunkten freilich nichts zu tun. Eine ausländische Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland hat, unterscheidet sich nach dem Gesagten nur dadurch von einer ausländischen Gesellschaft, bei der Satzungssitz und tatsächlicher Sitz vereint sind, dass bei ihr die wesentlichen Entscheidungen für das Unternehmen im Inland fallen und primär dort Außenwirkung entfalten. Dies ist normalerweise nur bei inländischen Gesellschaften der Fall. Lediglich dieser Unterschied kann eine Ungleichbehandlung der beiden ausländischen Gesellschaften rechtfertigen. Der Unterschied besteht also darin, dass die Scheinauslandsgesellschaft ein wesentliches Kennzeichen einer inländischen Gesellschaft verwirklicht. Die ausländische Gesellschaft soll und kann we353 Vgl. Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 92, Fn. 8: Diese Lehre beabsichtige nicht, tatsächlich eine rechtsfähige Gesellschaft, die selbständig Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen könnte, zu fingieren. Es gehe lediglich darum, dem Gläubiger eine weitere Haftungsmasse zu eröffnen, wenn sich die gegen Handelnde und Gesellschafter nach der Sitztheorie gegebenen Ansprüche nicht durchsetzen ließen. Dieses „Rosinenpicken“ mag wertungsmäßig im Einzelfall gerechtfertigt sein, zeigt aber deutlich, dass es der Sitztheorie bislang an einer wirklichen dogmatischen Basis mangelte, mit der sowohl ihre Berechtigung als auch ihre Rechtsfolge ohne Brüche erklärt werden können. 354 So Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 104. 355 Auf die „geradezu amüsanten“ Versuche der Sitztheorie ihre hausgemachten Problem in den Griff zu bekommen hat schon Knobbe-Keuck, ZHR 154 (1990), 325, 336 hingewiesen. 356 BGH, NJW 1960, 104, 105.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

gen dieses Umstandes wie eine inländische behandelt werden. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie zunächst eine ausländische Gesellschaft ist. Der Begriff „Scheinauslandsgesellschaft“ ist daher irreführend, soweit damit eine Gesellschaft bezeichnet werden soll, die lediglich den Rechtsschein einer ausländischen Gesellschaft setzt, in Wirklichkeit aber eine inländische ist. Es ist daher besser und zutreffender, von einer Scheininlandsgesellschaft zu sprechen. c) Zurechenbarkeit Die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins bedeutet Einstehenmüssen für einen gesetzten Rechtsschein. Zurechenbar ist der Rechtsschein dem, der ihn entweder durch Tun oder pflichtwidriges Unterlassen gesetzt hat, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt. Es genügt, dass es für den Handelnden vorhersehbar war, dass seine Handlung bei Dritten den entsprechenden Rechtsschein erwecken würde357. (1) Verschuldensvorwurf der Sitztheorie Eine so verstandene Zurechenbarkeit des Scheintatbestandes einer inländischen Gesellschaft an die Scheininlandsgesellschaft bzw. deren Gründer wird von der Sitztheorie stillschweigend vorausgesetzt und bejaht. Dies ist bei dem bisherigen Verständnis als objektive Anknüpfungsregel konsequent. Soweit die Sitztheorie beansprucht, sie wolle die inländischen Verkehrskreise vor einer Umgehung zwingender nationaler Normen schützen, wird damit aber implizit ein Vorwurf gegen diejenigen erhoben, die eine solche Umgehung betreiben. So wird den Gründern von ausländischen Gesellschaften, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland haben, von der Sitztheorie vorgeworfen, sie wollten nationale Ordnungsvorschriften wie etwa das Mitbestimmungsgesetz oder Schutzvorschriften für Gläubiger und Minderheitsaktionäre umgehen358. Die – unterstellte – Umgehungsabsicht dient der Sitztheorie maßgeblich dazu, die von ihr verhängte Sanktion der Nichtanerkennung der ausländischen Gesellschaft zu rechtfertigen. Ob eine solche generalisierte Umgehungsabsicht bei allen Gründern von Scheinauslandsgesellschaften gegeben ist, scheint allerdings fraglich. So kann das Bedürfnis, den tatsächlichen Verwaltungssitz von dem satzungsmäßigen Sitz zu trennen, auch von legitimen wirtschaftlichen Interessen be357 358

So BGH, NJW 1962, 2196. Statt vieler MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 269 f.

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stimmt sein, die sich aus der internationalen Aktivität der Gesellschaft ergeben oder rein tatsächlich durch eine allmähliche Verlagerung des Tätigkeitsschwerpunktes entstehen. (2) Zumindest Vorliegen von Zurechenbarkeit In der Mehrzahl der Fälle dürfte es zutreffen, dass die Absicht der Gesellschaftsgründer, sich eine ihren Zwecken besser entsprechende ausländische Gesellschaftsform zu wählen, durch nach ihrer Ansicht unpraktikable inländische Vorschriften motiviert wird. Der Vorwurf der vorsätzlichen Umgehung von Rechtsnormen und die bewusste Täuschungsabsicht der Gründer einer Scheininlandsgesellschaft sind aber für die Begründung der Zurechenbarkeit des gesetzten Scheintatbestandes nach allgemeinen Rechtsscheingesichtspunkten gar nicht nötig. Wird der Rechtsschein durch positives Tun gesetzt, so bestimmt sich die Zurechenbarkeit nach dem Veranlassungsprinzip359. Das bedeutet, für eine Zurechnung des Rechtsscheins einer inländischen Gesellschaft reicht es aus, dass die Gründer das schwerpunktmäßige Tätigwerden der Gesellschaft im Inland veranlasst haben. Durch die Trennung von tatsächlichem Verwaltungssitz und statuarischem Sitz liegt bei der Scheininlandsgesellschaft stets eine Veranlassung des Scheintatbestandes vor. d) Kausalität des Scheintatbestandes Nach den Kriterien der allgemeinen Rechtsscheinhaftung ist es weiter erforderlich, dass der Betroffene den Scheintatbestand kannte und sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat360. Das Tatbestandsmerkmal der Kausalität zwischen einem geschäftlichem Verhalten und dem Vertrauenstatbestand der inländischen Tätigkeit wird von der Sitztheorie, die auf Prävention ausgerichtet ist, – ebenso wie die Frage der Schutzbedürftigkeit – nicht diskutiert. „Funktioniert“ die Abschreckungswirkung der Sitztheorie, kommt es erst gar nicht zu einem geschäftlichen Kontakt mit Scheininlandsgesellschaften. Findet ein solcher wi359 Nur bei einem durch Unterlassen gesetzten Rechtsschein wird ein Verschulden gefordert, vgl. Canaris, Handelsrecht, 114, Rdnr. 69, sowie ders., Vertrauenshaftung, 473 ff., der selbst für eine Bestimmung der Zurechenbarkeit nach dem Risikoprinzip eintritt. Auch nach diesem dürfte freilich die Zurechenbarkeit des gesetzten Scheintatbestandes einer inländischen Gesellschaft an die Gründer der Scheinauslandsgesellschaft zu bejahen sein. 360 Vgl. etwa BGH, BB 1976, 902, WM 1981, 172; inwieweit die Kausalität konkret bei der Scheinauslandsgesellschaft vermutet werden kann, wird im Rahmen der Frage nach der Schutzbedürftigkeit diskutiert, vgl. VII.2.f), Seite 181.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

der Erwarten statt, wird – ausgehend vom Verständnis als einer objektiven Anknüpfungsregel – nach der Sitztheorie eine Kausalität zwischen dem jeweiligen geschäftlichen Verhalten und dem Vorliegen einer Trennung von tatsächlichem Verwaltungs- und statuarischem Sitz nicht geprüft. Der ebenso von der Sitztheorie beanspruchte Schutz inländischer Verkehrskreise wäre aber nur gerechtfertigt, wenn deren Verhalten auch auf dem Auftreten der Scheininlandsgesellschaft beruht. Der Nachweis der Kausalität wird jedoch auch im Rahmen der allgemeinen Rechtsscheinhaftung nur grundsätzlich gefordert. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, die sich vielfach im Einzelfall für den Vertrauenden ergeben, werden von der Rechtsprechung erhebliche Erleichterungen bis hin zur unwiderleglichen Vermutung der Kausalität gewährt361. Auch hinsichtlich des Kausalitätserfordernisses ließe sich deshalb eine neue Schutztheorie grundsätzlich als Ausprägung der Rechtsscheinhaftung rechtfertigen. e) Die Rechtsfolge der Sitztheorie als Rechtsfolge einer Rechtsscheinhaftung Die Rechtsscheinhaftung bewirkt, dass sich derjenige, der den Rechtschein zurechenbar gesetzt hat, dem Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann362. Diese Auswirkung einer Rechtsscheinhaftung entspricht den Rechtsfolgen der Sitztheorie: Die Folge der Sitztheorie wird gemeinhin als die Nichtanerkennung der Scheinauslandsgesellschaft bezeichnet363. Die Sitztheorie führt dabei nach zutreffender Auffassung nicht zu einer völligen „Auslöschung“ der Gesellschaft, was dem missverständlichen Begriff der Nichtanerkennung364 entnommen werden könnte, sondern zu einer Behandlung der an sich ausländischen Gesellschaft als inländische. Die ausländische Gesellschaft muss sich damit im Ergebnis an dem von ihr gesetzten Rechtsschein einer inländischen Gesellschaft festhalten lassen. An diesen Scheintatbestand knüpft die Sitztheorie den Vertrauensschutz der von ihr unter die Fittiche genommenen Marktakteure an. Diese sollen nämlich auf den durch den Verwaltungssitz 361

Einzelne Nachweise bei Baumbach/Hopt, HGB, § 5 Rdnr. 13. Baumbach/Hopt, HGB, § 5 Rdnr. 14. 363 Vgl. nur Palandt/Heldrich, Anh. zu EGBGB 12, Rdnr. 18. 364 Auf die Missverständlichkeit der „Nichtanerkennung“ hat jüngst Schmidt, ZGR 1999, 22 ff. hingewiesen. 362

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im Inland erwecktem Rechtsschein einer inländischen Gesellschaft vertrauen dürfen. Eine solche Gleichstellung des Rechtsscheins mit der Wirklichkeit ist, wie bereits ausgeführt, die typische Rechtsfolge der Rechtsscheinhaftung365. Auch in der Rechtsfolge erweist sich die Sitztheorie damit als vom Rechtsscheingedanken bestimmt: Es wird nicht einfach der Gründer einer Scheininlandsgesellschaft für seinen Umgehungsversuch des inländischen Rechts mit dem Postulat seiner persönlichen Haftung bestraft, sondern diese Rechtsfolge ergibt sich schrittweise erst aus der nachfolgend beschriebenen Behandlung der Scheininlandsgesellschaft als inländische. Denkbar – und vom Rechtsscheingedanken auch erforderlich – wäre eine kapitalgesellschaftlich organisierte Scheininlandsgesellschaft einer inländischen Kapitalgesellschaft gleichzustellen. Nach dem numerus clausus des deutschen Gesellschaftsrechts ist die Gesellschaft einem Gesellschaftstyp des deutschen Rechts zuzuordnen, dem sie nach objektiven Kriterien entspricht366. Dies kann aber nun nicht die der ausländischen Gesellschaft am ähnlichsten scheinende deutsche Gesellschaftsform sein. Für die Behandlung beispielsweise einer britischen Ldt. als deutscher GmbH fehlt es an der für alle deutschen Kapitalgesellschaften konstitutiven Eintragung in einem deutschen Handelsregister367. Da es der ausländischen Gesellschaft somit an einer wirksamen Gründung als deutscher Kapitalgesellschaft mangelt, bleibt deshalb nur übrig, sie als sonstige deutsche Gesellschaft zu behandeln. Auch die Erfassung der Scheininlandsgesellschaft durch die Figur der Vorgesellschaft einer deutschen Kapitalgesellschaft scheidet aus. Die Vorgesellschaft wird als Vereinigung eigener Art betrachtet, die, abgesehen von der Rechtsfähigkeit, bereits der zu gründenden Kapitalgesellschaft entspricht. Auf sie wären neben dem Gesellschaftsvertrag auch schon die Normen der Kapitalgesellschaft anzuwenden, soweit diese nicht die Rechtsfähigkeit voraussetzen – also auch die Regeln zur Haftungsbeschränkung368. Die Rechtsfigur ist aber ein bloßes Durchgangsstadium auf dem Weg zur Entstehung der inländischen Kapitalgesellschaft. Sie kann damit nur ange365

Vgl. Canaris, Handelsrecht, 118, Rdnr. 80. Vgl. BGHZ 10, 91, 96 f.; BGHZ 22, 240, 245; BGHZ 91, 148, 153; allerdings weisen diese Fälle keinen Auslandsbezug auf. Dennoch überträgt die h. L. diese Rechtsprechung auf die hier interessierende Konstellation, vgl. MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 348 ff.; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 440 f. 367 Vgl. etwa §§ 21 BGB (Verein), 41 Abs. 1 AktG (Aktiengesellschaft), 11 Abs. 1 GmbHG (GmbH), 13 GenG (Genossenschaft). 368 So der BGH in ständiger Rspr.: BGHZ 21, 242, 246; BGHZ 45, 338, 347; BGHZ 51, 30, 32; BGHZ 72, 45, 48 und im Folgenden die überwiegende Literatur, vgl. nur Hachenburg/Ulmer § 11 Rdnr. 7 ff. 366

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nommen werden, wenn von den Gesellschaftern die Eintragung in das Handelsregister – und zwar in das deutsche Handelsregister als deutsche Gesellschaft – aktiv und ernsthaft betrieben wird369. Da es hieran in der Regel naturgemäß fehlt, weil die Gründer einer Scheininlandsgesellschaft sich ja gerade nicht einem deutschen Gesellschaftsstatut unterwerfen wollen, entspricht die Rechtslage derjenigen bei einer so genannten unechten Vorgesellschaft370 im nationalen Rechtsverkehr371. Hieraus folgt, dass die Scheininlandsgesellschaft entweder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts372 oder, falls sie ein Handelsgewerbe i. S. d. § 1 Abs. 2 HGB betreibt, kraft der zwingenden Wirkung des § 105 HGB als Offene Handelsgesellschaft betrachtet werden muss373. Bei diesen Gesellschaften haften die Gründer der Gesellschaft neben dieser persönlich374. Der Schutzzweck der Sitztheorie, der durch die persönliche Haftung der Gründer einer Scheinhandelsgesellschaft – über die Nichtanerkennung der Rechtspersönlichkeit gemittelt – gegenüber den zu schützenden Personengruppen, d.h. Minderheitsgesellschaftern, Arbeitnehmern und Gläubigern, und die damit verbundene Abschreckung garantiert werden soll, stellt sich damit im Ergebnis als Rechtsscheinhaftung dar. Die Verursacher des Scheintatbestandes haften den auf diesen Rechtsschein Vertrauenden nach Maßgabe des gesetzten Rechtsscheins. Stellt man damit den Schutzzweck der Sitztheorie und nicht deren objektives Verständnis in den Vordergrund, ließe sich die bisherige Rechtsfolge der Sitztheorie durch eine neue Schutztheorie auf Basis von Vertrauensschutzgesichtspunkten erklären. 369 Vgl. BGHZ 80, 129, 142 f.; MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 347; Staudinger/ Großfeld, IntGesR, Rdnr. 434. 370 Vgl. hierzu Hachenburg/Ulmer, § 11 Rdnr. 18 f.; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 11 Rdnr. 28 ff.; Die Behandlung als Vorgesellschaft mit der damit verbundenen eingeschränkten Haftung ist allein im Hinblick auf die künftige Entstehung einer Kapitalgesellschaft gerechtfertigt, vgl. BGHZ 22, 240. 371 So zutreffend Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 91. 372 Nach §§ 2, 105 II HGB kann die GbR durch Eintragung ins Handelsregister zur OHG werden. 373 Diese Behandlung folgt bereits aus der Rechtsfigur der unechten Vorgesellschaft, die Gleichstellung mit einem nichtrechtsfähigen Verein ist deshalb m. E. überflüssig (so aber MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 350 ff.). 374 In der viel beachteten Entscheidung BGH, II ZR 331/00, DStR 2001, 310, hat der II. Senat der (Außen-)GbR nunmehr Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit zugesprochen und erklärt die Haftung der Gesellschafter einer GbR jetzt unter analoger Heranziehung des § 128 HGB. Auf die dadurch ausgelösten Diskussionen (vgl. dazu etwa Dauner-Lieb, DStR 2001, 356 ff. m. w. N.) soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Der BGH hat jüngst aus diesem Rechtsprechungswandel die Konsequenz gezogen, eine Scheininlandsgesellschaft zumindest als GbR und damit als rechts- und parteifähig zu behandeln, vgl. BGH, WM 2002, 1929 f.

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Nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsscheinhaftung ließe sich zudem auch dort eine Lösung aufzeigen, wo die Sitztheorie bisher an ihre Grenzen stieß. So lässt sich der bereits oben exemplarisch aufgeführte, vom BGH entschiedene Fall375, in dem ein Gläubiger einer liechtensteinischen Anstalt durch die Sanktion der Sitztheorie schlechter gestellt wurde als ohne sie, da er durch die Nichtanerkennungsfolge seine Grundbuchsicherheit verlor, nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung überraschend leicht lösen. Danach braucht der Dritte nämlich nicht nach den Rechtsscheinregeln vorzugehen, sondern er kann sich auch auf den Boden der wahren Rechtslage stellen. Durch dieses Wahlrecht wirkt die Rechtsscheinhaftung also immer nur zu Gunsten des Dritten, nie zu seinen Lasten376. In dem BGH-Fall könnte sich also der Gläubiger darauf berufen, dass für die Frage des Bestehens seiner Sicherheit von einer Anerkennung der Scheinauslandsgesellschaft in Deutschland auszugehen wäre. Nach der Rechtsprechung wäre sogar eine Kombination von Elementen der wahren und der scheinbaren Rechtslage möglich377. Dadurch wären alle Zweifelsfälle auf der Rechtsfolgenseite der Sitztheorie lösbar und ein wirklich optimaler Schutz für die gutgläubigen Dritten wäre gewährleistet. In diese Richtung geht auch eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M.378, nach der die Gründungstheorie dann Anwendung finden soll, wenn die im Ausland tätige Kapitalgesellschaft überhaupt keinen tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Dieses wohl von der „Centros“-Entscheidung mittelbar beeinflusste379 Urteil hält – wenngleich auch nur im Einzelfall – bei einem Versagen der Sitztheorie die Gründungstheorie für anwendbar. f) Schutzwürdige Vertrauensdisposition eines Dritten Die bislang dargelegte Übereinstimmung und problemlose Erklärung der Sitztheorie mit den (objektiven) Kriterien der Rechtsscheinhaftung findet ihre Grenze in dem für die Rechtsscheinhaftung grundlegenden Erfordernis der Schutzbedürftigkeit des auf den Rechtsschein Vertrauenden. Die objek375

BGHZ 53, 181, vgl. oben Seite 112. Vgl. Canaris, Handelsrecht, 118, Rdnr. 81; vgl. auch BGHZ 55, 266, 273 zum Wahlrecht im Rahmen von § 15 HGB. 377 Vgl. BGHZ 65, 309, so genannte „Rosinentheorie“; dazu kritisch die überwiegende Literatur, vgl. nur Canaris, Handelsrecht, 72, Rdnr. 26; MüKo HGB/Lieb, § 15 Rdnr. 37 jeweils m. w. N.; dem BGH zustimmend dagegen Schmidt, HGB § 14 II 4c. 378 Urteil vom 23.06.1999 – 22 U 219/97, RIW 1999, 783 = ZIP 1999, 1710; noch nicht rechtskräftig. 379 Das Urteil enthält in seiner Begründung allerdings keinen Hinweis auf „Centros“. Jedoch legt die Argumentation des Senats einen Einfluss nahe, vgl. hierzu Haack, RIW 2000, 56. 376

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

tiv verstandene Sitztheorie kennt eine Schutzbedürftigkeit als Tatbestandsmerkmal nicht. Eine neue, deren Schwerpunkt auf dem Schutz inländischer Verkehrskreise liegt und die nicht eine bloße Anknüpfungsregel sein will, kann auf die Schutzwürdigkeit als Tatbestandsmerkmal dagegen nicht verzichten. Es wäre rechtsmissbräuchlich, könnte sich derjenige, der die wahre Rechtslage positiv kennt, sich auf einen Rechtsschein berufen. Der Vertrauensschutz ist unter Rechtsscheinsgesichtspunkten dann überflüssig, wenn die Entscheidung der Anteilseigner und Gläubiger mit der Scheininlandsgesellschaft zu interagieren nicht von dem Vertrauen auf die Anwendbarkeit des inländischen Gesellschaftsstatuts getragen wird, sondern eine bewusste Entscheidung in Kenntnis der Anwendbarkeit einer ausländischen Rechtsordnung darstellt. Geht man von einer Fundierung einer neuen Schutztheorie in der allgemeinen Rechtsscheinhaftung aus, ist folglich zu überprüfen, ob der Arbeitnehmer, der Gläubiger oder der Minderheitsgesellschafter tatsächlich auf den Scheintatbestand vertraut haben und deshalb in Kontakt mit der Gesellschaft getreten sind. Dies wäre zu verneinen, wenn der Dritte hätte erkennen können, dass es sich bei der Scheinauslandsgesellschaft tatsächlich um eine ausländische Gesellschaft handelt, die anderen Regeln folgt als eine inländische Gesellschaft. Demgegenüber sind sich die Vertreter der Sitztheorie einig darüber, dass etwa das bloße Auftreten als Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts nicht dafür genügt, um eine (konkludente) Haftungsbeschränkungsabrede zwischen der Scheinauslandsgesellschaft und einem Gläubiger annehmen zu können380. Wenn überhaupt eine Begründung hierfür gegeben wird, so die, dass man eine unzutreffende und missbräuchliche Firmierung nicht mit dem Haftungsprivileg belohnen dürfe381. Die Frage, wie weit der gute Glaube des Dritten an den von der Scheinauslandsgesellschaft gesetzten Rechtsschein im Fall einer Firmierung als ausländischer Kapitalgesellschaft reichen kann, wird dagegen ausgeblendet. Dabei schadet dem Dritten auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung regelmäßig nur die Evidenz der wahren Rechtslage. Eine Nachforschungspflicht trifft den Vertrauenden grundsätzlich nicht382. Und beweisrechtlich spricht eine Vermutung für den guten Glauben des Dritten383. Aufgrund dieses strengen Maßstabs kann, auch wenn vom Bo380 Stellvertretend MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 352 f: „freilich“ genüge ein bloßes Auftreten als Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts hierfür nicht. 381 Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 93 Fn. 10 und Beuthien, ZIP 1996, 305, 317. 382 BGH, NJW 1987, 3126; WM 1992, 1392; MüKo/Schramm § 173 Rdnr. 3; Canaris, Vertrauenshaftung, 506.

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den der Rechtsscheinhaftung aus argumentiert wird, durchaus ein Bedürfnis für den von der Sitztheorie gewährten Schutz anerkannt werden. Das bloße Auftreten mit einem Rechtsformzusatz, aus dem sich ergibt, dass man es hier mit einer ausländischen Kapitalgesellschaft zu tun hat, reicht nicht aus, um den Scheintatbestand einer inländischen Gesellschaft merklich zu erschüttern. Zwar hat der BGH bereits eine persönliche Haftung verneint, wenn sich eine Personenvereinigung in der Satzung als Verein bezeichnet und im Rechtsverkehr auch so auftritt384. Inzwischen hat der BGH diese Rechtsprechung durch die Grundsatzentscheidung zur „GbR mbH“ jedoch wohl revidiert385. Die früher auch vom BGH für möglich gehaltene Haftungsbeschränkung durch einseitige Erklärung in Form eines erkennbaren Haftungshinweises wird zwar nicht unzulässig, führt aber nicht zu dem erhofften Zweck einer Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen. Zur Begründung rekurriert der BGH – wie bereits in seiner Entscheidung zur Haftung in der Vor-GmbH386 – auf den Grundsatz der unbeschränkten persönlichen Haftung für rechtsgeschäftliches Handeln, wonach derjenige, der als Einzelperson oder in Gemeinschaft mit anderen Geschäfte betreibe, für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem gesamten Vermögen haftet, solange sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt oder eine vertragliche Haftungsbeschränkung mit dem Gläubiger getroffen wird387. Dem ist zuzustimmen. Ein Haftungsausschluss kann allein aufgrund des ausländischen Rechtsformzusatzes nicht gewährt werden. Denn durch das bloße Auftreten als Kapitalgesellschaft muss dem Inländer zwar klar sein, dass er von einer Haftung der hinter der Scheinauslandsgesellschaft stehenden Personen nicht unbedingt ausgehen kann. Aber gemeinhin verbindet der inländische Rechtsverkehr mit dem Privileg der Haftungsbeschränkung388 gewisse Schutzvorschriften des inländischen Gesellschaftsrechts, wie z. B. das Vorhandensein eines bestimmten Mindestkapitals389. 383

Dies ergibt sich aus der tatbestandlichen Fassung der §§ 173, 405 BGB und der Parallelvorschriften über den gutgläubigen Erwerb wie z. B. § 932 Abs. 2 BGB, vgl. Canaris, Handelsrecht, 115, Rdnr. 72. 384 Vgl. BGH, NJW 1992, 3037, 3039; NJW 1979, 2304, 2306; demgegenüber hat der BGH in BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507, eine Beschränkung der Haftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH mit dem Argument der Firmierung als GmbH oder GmbH i.G. ausdrücklich abgelehnt, da es hier um eine gesetzliche Haftung gehe. 385 Vgl. BGH, NZG 1999, 1095, 1096 = NJW 1999, 3483 = WM 1999, 2071, 2072. 386 BGH NJW 1997, 1507; vgl. oben Fn. 384. 387 BGH, WM 1999, 2071, 2072. 388 Der Gesetzgeber hat bei allen Gesellschaften mit begrenztem Haftungsvolumen (Kapitalgesellschaften) Vorschriften über ein gesetzliches Mindestkapital sowie

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Auch diese Schutzvorschriften werden von dem gesetzten Rechtsschein mitumfasst. Der gutgläubige Dritte erwartet von einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer überwiegenden Tätigkeit im Inland den Rechtsschein einer inländischen Gesellschaft erweckt, dass die Bezeichnung „mit begrenzter Haftung“ oder aber „limited liability“ durch die Erfüllung bestimmter Gründungsvoraussetzungen von der Gesellschaft verdient wurde. Die pauschale Behauptung der Vertreter der Sitztheorie, dass nämlich die Firmierung als ausländische Kapitalgesellschaft allein die Rechtsfolge der Sitztheorie und damit ihre Abschreckungsfunktion nicht beseitigt, ließe sich vom Argumentationsstandpunkt der Rechtsscheinhaftung daher begründet vertreten. Dies gilt jedenfalls derzeit, wo die betroffenen Verkehrskreise – auch wegen der Abschreckungswirkung der Sitztheorie – noch relativ wenig Erfahrung mit Scheininlandsgesellschaften machen konnten. Auf einem anderen Blatt steht freilich die Berechtigung des durch die Sitztheorie gewährten Schutzes in praktischer Hinsicht. Kein vernünftiger Gläubiger vertraut bei einer ihm unbekannten GmbH auf deren Mindestkapital, sondern er wird sich anderweitig absichern390. Bei der Kontrahierung mit einer Scheininlandsgesellschaft mag er zwar auf das Vorhandensein von Mindestkapitalvorschriften rechnen, sein Sicherungsinteresse wird ihm aber raten, trotzdem eine Sicherheit zu verlangen oder sich das Eigentum an seiner Ware bis zur Bezahlung vorzubehalten. An der diesbezüglich geäußerten Kritik an der Sitztheorie391 ist daher vollumfänglich festzuhalten. Folgt man dem hier vorgeschlagenen Verständnis der Sitztheorie als spezieller Ausprägung der Rechtsscheinhaftung, so könnte eine Rechtsscheinhaftung an diesem Punkt an der Kausalität des Scheintatbestandes für das Verhalten des Dritten scheitern. Für den Vertrauenden ist der Rechtsschein eines vordessen effektive Aufbringung und Erhaltung vorgesehen (§§ 9, 27, 36a, 57, 62 AktG, 5, 9, 30 ff. GmbHG). Der Antrag auf Durchführung des Insolvenzverfahrens ist nicht erst bei Zahlungsunfähigkeit, sondern bereits bei Überschuldung – also Vorliegen einer Unterbilanz – zu stellen (§§ 130a I HGB, 92 II AktG, 64 I 2 GmbHG), denn in diesem Zeitpunkt ist das durch den Rechtsformzusatz signalisierte Mindesthaftkapital nicht mehr vorhanden. Dort, wo das Haftungskapital weder durch zwingende Kapitalsicherungsvorschriften noch durch Registereintragungen oder verschärfte Insolvenzantragspflichten gesichert ist, gilt der Grundsatz der persönlichen Haftung. Wer Geschäfte allein oder mit anderen betreibt, haftet für deren Erfüllung mit seinem gesamten Vermögen. Der Grundsatz der persönlichen Haftung ist mithin das Prinzip, die Haftungsbeschränkung mit flankierender Kapitalsicherung und -publizität die Ausnahme, vgl. Pfeifer, NZG 2001, 193, 196. 389 In diese Richtung auch Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89, 93 Fn. 10. 390 Kübler, AG 1994, 141, 146, hält es sogar im Fall des Aktienrechts deshalb für höchst zweifelhaft, ob der durch die Mindestkapitalvorschriften betriebene Aufwand durch einen hinreichenden Nutzen aufgewogen wird und plädiert mit einem Verweis auf die Entwicklung in den USA für eine Abschaffung de lege ferenda. 391 Vgl. oben I.3.b), Seite 105 ff.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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handenen Mindestkapitals meist nicht der ausschlaggebende Grund, ein Geschäft mit einer Gesellschaft zu machen oder nicht. Da im Fall der Scheininlandsgesellschaft durch die Trennung von tatsächlichem Verwaltungssitz und statuarischem Sitz ein genereller Rechtsschein an die Öffentlichkeit kundgetan wird und nicht lediglich durch ein Verhalten gegenüber dem Vertrauendem gegeben ist, müsste allerdings in diesem Fall kein gesonderter Nachweis der Kausalität durch den Vertrauenden erfolgen392. Es ist damit zu bedenken, dass im Interesse der Effizienz der Rechtsscheinhaftung die Beweislast für den inneren Vorgang der Entscheidungsmotivation für oder gegen einen Abschluss mit der Scheinauslandsgesellschaft zugunsten des Dritten umzukehren sein wird393. Wenn man dem folgend aufgrund der Beweislastumkehr davon ausgehen wollte, dass es faktisch nicht möglich sein wird, den Gegenbeweis für die mangelnde Kausalität des Vertrauens zu führen, so heißt dies aber noch nicht, dass eine neue Schutztheorie die Rechtsfolge der Sitztheorie beibehalten müsste. Die neue Schutztheorie knüpft daran an, dass die Gründer einer Scheinauslandsgesellschaft in der Mehrzahl der Fälle einen zurechenbaren Scheintatbestand gesetzt haben. Mag in seltenen Einzelfällen wie bei international agierenden Großunternehmen nicht mehr ohne weiteres erwartet werden können, dass wirtschaftlicher Schwerpunkt und tatsächlicher Verwaltungssitz übereinstimmen, so sind dies doch Einzelfälle. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann an den typischerweise gesetzten Rechtsschein bei jeder Scheininlandsgesellschaft eine Sanktion geknüpft werden. Allerdings sind ohne weiteres Maßnahmen denkbar, die bei den betroffenen Verkehrskreisen den gesetzten Scheintatbestand wirksam ausräumen und damit das Bedürfnis nach ihrem Schutz entfallen lassen. Ansatzpunkt für eine Schutztheorie sollte nicht die Verhinderung des Setzens des Scheintatbestandes durch das Sanktionieren des Auseinanderfallens von Satzungssitz und tatsächlichem Verwaltungssitz sein, sondern die Beseitigung des Scheintatbestandes durch eine möglichst umfassende und weitgehende Publizität der wahren Rechtslage. Durch diesen neuen Ansatz einer Schutztheorie würden unter Wahrung der Interessen der beteiligten Marktakteure einerseits die Vorteile des Wettbewerbs der Gesetzgeber ermöglicht und anderseits die Grundlage dieses Wettbewerbs – nämlich umfassende Transparenz der gesellschaftsrechtli392 BGHZ 22, 238 (Scheinkaufmann); 64, 11, 19 (Rechtsformzusatz bei GmbH); weitergehend Canaris, Handelsrecht, 116 Rdnr. 77, ders., Vertrauenshaftung, 516, der generell die Beweislast demjenigen auferlegen will, der die Kausalität bestreitet; zustimmend MüKo HGB/Lieb § 15 Rdnr. 82. 393 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 516; BGHZ 64, 11, 18 f.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

chen Verhältnisse – garantiert. Gleichzeitig wäre diese neue Schutztheorie im Rahmen der Niederlassungsfreiheit des EGV verwirklichbar, ohne dass die Niederlassungsfreiheit faktisch versagt wird. Im Folgenden sollen einige Maßnahmen dargestellt werden, die die Lösung des Streites, in den sich die Vertreter von Sitz- und Gründungstheorie inzwischen verstrickt haben, ermöglichen könnte. 3. Maßnahmen zur Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit der Marktakteure und des unverfälschten Wettbewerbs der Rechtsordnungen Wie kann die Transparenz des Marktes und die Publizität der wahren Rechtslage gewährleistet werden, und in welchem Ausmaß ist dies erforderlich?394 a) Gründungsgesellschafter Zunächst ist festzuhalten, dass für die Gesellschafter eines Unternehmens im Hinblick auf die Gewährleistung einer freien Entscheidung andere Maßstäbe zu gelten haben als für die Gläubiger desselben Unternehmens. Augenscheinlich ist dies bei den Gründern einer Scheininlandsgesellschaft. Wer ein Unternehmen gründet, tut dies bewusst und wird sich die einzelnen Gesellschaftsstatute und ihre zugrunde liegenden Rechtsordnungen bei der Wahl des Gründungsortes sehr genau betrachten. Eine besondere Sicherstellung der Transparenz der Entscheidung scheint hier aus Wettbewerbsgründen nicht geboten. Aus denselben Gründen haben die Gesellschafter positive Kenntnis von der wahren Rechtslage einer Scheininlandsgesellschaft und können sich deshalb nicht auf den Scheintatbestand einer Scheininlandsgesellschaft berufen. Der Gründer einen Scheininlandsgesellschaft setzt erst den Rechtsschein und kann sich deshalb nicht auf ihn berufen. Dies gilt auch für einen Minderheitsgesellschafter, der vielleicht ein anderes Gesellschaftsstatut bevorzugt hätte. Er muss in diesem Fall die Mitgründung der Gesellschaft eben verweigern. Es besteht deshalb hier für das Eingreifen einer Schutztheorie kein Grund. b) Minderheitsgesellschafter bzw. Anleger Die Lage ändert sich aber möglicherweise, wenn es nicht um die Gründer der Gesellschaft geht, sondern um Anleger, die der gegründeten Schein394

Vgl. hierzu auch Grundmann, ZGR 2001, 815 ff.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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gesellschaft später beitreten. Hier kann das Bedürfnis nach Transparenz und Publizität gerechtfertigt sein, weil diese Gruppe keinen Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft nehmen konnte und – bei Minderheitsgesellschaftern – auch in Zukunft nicht nehmen kann. Allerdings wird auch, wer einer Gesellschaft beitritt, sich über die interne Struktur der Gesellschaft informieren, bevor er sein Geld dort investiert. Dies kann er aufgrund der Bilanzrichtlinie395 zu gemeinschaftsweit gleichen Bedingungen tun. Bei großen Aktiengesellschaften wird der Anleger zudem durch spezielles Anlegerschutzrecht und durch die Kapitalrichtlinie396, die einen europaweit gültigen Standard von Minderheitenrechten sichert, geschützt397. Durch diese gemeinschaftsweite Gleichwertigkeit fehlt es schon am Bedürfnis einer Verbesserung von Transparenz und Publizität. Die wahre Rechtslage entspricht insoweit im Ergebnis der erwarteten inländischen Rechtslage. Bei anderen Kapitalgesellschaften, für die die Kapitalrichtlinie nicht gilt398, dürfte es ohne weiteres als grob fahrlässig zu qualifizieren sein, sich an solch einer Gesellschaft zu beteiligen, ohne deren Struktur und rechtliche Qualifikation zuvor zu untersuchen. Der Anleger bzw. Minderheitsgesellschafter geht bei diesen kleineren Gesellschaften nämlich, anders als bei großen Aktiengesellschaften, wo Dividende und Kursgewinn entscheidend sind und eine Verbindung zu dem Unternehmen nur in ganz abgeschwächtem Maße besteht, eine längerfristige Beziehung mit anderen Personen ein. Er muss sich daher in ungleich stärkerem Maße um die Regeln dieser Beziehung kümmern als jemand, der nur punktuell mit der Gesellschaft in Berührung kommt. Deshalb kann von ihm erwartet werden, dass er selbst um seinen Schutz bemüht ist. Auch bei später in eine Gesellschaft eintretenden Minderheitsgesellschaftern und Anlegern ist damit im Ergebnis das Bedürfnis nach Markttransparenz und Schutz durch Publizität vernachlässigbar. c) Gläubiger Anders verhält es sich mit den Gläubigern einer Gesellschaft: Wer sich auf Geschäfte mit einem anderen Unternehmer einlässt und diesem Unternehmer eine Leistung zur Verfügung stellt, tut dies häufig auf Kreditbasis. 395

Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315. 396 Richtlinie 71/91/EWG, ABlEG 1977, Nr. L 26, 1; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 206. 397 Vgl. Lutter, ZGR 2001, 1, 7: sehr weitgehende Harmonisierung. 398 Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 71/91/EWG sowie Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 136; nach Lutter, ZGR 2000, 1, 7, ist das Recht der GmbH in Europa heute disparater als vor Beginn der europäischen Harmonisierungsbemühungen.

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Die Zug-um-Zug-Leistung ist in der Praxis die Ausnahme. Zwar kann die Kreditwürdigkeit des Geschäftspartners überprüft werden, doch ist dieser Weg aufwändig und zeitraubend399. Auch werden Gesellschafter, soweit sie nicht in eine dauerhafte und langfristige Geschäftsbeziehung mit der Gesellschaft eintreten wollen, wenig Veranlassung haben, die Gesellschaft und das ihr zugrunde liegende Recht genau unter die Lupe zu nehmen. In jedem Fall aber müssen die Gläubiger die zur Verfügung stehende Haftungsmasse ermitteln können. Die Haftungs- und Vermögensstruktur des Geschäftspartners muss mithin transparent sein. Um die Entscheidungsfreiheit der Gläubiger einer Gesellschaft zu schützen, müssen diese ohne weiteres erkennen können, mit wem sie es zu tun haben. Auf diese, die Entscheidungsfreiheit aber auch die Eigenverantwortung begründende Publizität weist jetzt auch der EuGH hin, wenn er in der „Centros“-Entscheidung ausdrücklich betont, dass den Gläubigern bekannt sein müsse, dass die Gesellschaft nicht den eigenen nationalen Normen über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegt, wenn diese nicht als Gesellschaft nationalen Rechts auftritt400. Der EuGH sieht die Informationsmöglichkeiten der Gläubiger im speziellen Fall neben den Schutzvorschriften der Bilanzrichtlinie 401 insbesondere durch die der Zweigniederlassungs-Richtlinie 402 gewährleistet. Die ZweigniederlassungsRichtlinie steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Publizitätsrichtlinie403 und ergänzt die dort vorgesehenen Offenlegungspflichten. Sie soll die bis zu ihrem Erlass bestehende Lücke der Publizitäts-404 und Bilanzrichtlinie 405, die jeweils nur für eigenständige juristische Personen gelten, schließen und gewährleisten, dass sich Dritte ein zuverlässiges Bild von der Zweigniederlassung machen können406.

399 Vgl. Pfeifer, NZG 2001, 193, 196; aus Sicht der Banken wurde dagegen bei Auslandssachverhalten stets Wert auf die Einräumung werthaltiger und inländischem Recht unterliegender Sicherheiten gelegt, vgl. Hemeling, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 217, 230. 400 EuGH, IPRax 1999, 360, 363, Tz. 35. 401 Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315. 402 Richtlinie 89/666/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 395, 36; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 134. 403 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 404 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 405 Richtlinie 78/660/EWG; ABlEG 1978, Nr. L 222, 11; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 315. 406 Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 118, 119.

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Der Hinweis des EuGH auf die Zweigniederlassungs-Richtlinie, die nach seiner Meinung offenbar wesentlich dazu beiträgt, dass eine Schutzbedürftigkeit der Gläubiger durch Einschränkung der Niederlassungsfreiheit verneint werden kann, gewinnt besonderes Gewicht dadurch, dass nach vorherrschender Ansicht die Errichtung einer Zweigniederlassung eine Möglichkeit bietet, ein ausländisches Gesellschaftsrecht zu importieren. Auch im Rahmen der Sitztheorie gilt nach dem Internationalen Gesellschaftsrecht nämlich, dass – vorausgesetzt, das ausländische Unternehmen hat seinen Verwaltungssitz im Ausland – eine unselbständige Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens im Inland dem ausländischen Gesellschaftsstatut unterliegt407. Die Zweigniederlassung bildet also, egal, ob man der Gründungs- oder der Sitztheorie folgt, ein Einfallstor für ausländisches Recht. Nach Meinung des EuGH kann dieses Tor vor dem Hintergrund der Zweigniederlassungs-Richtlinie nicht wieder unter Hinweis auf den notwendigen Schutz der inländischen Gläubiger verbarrikadiert werden. Diese wissen schließlich aufgrund der Offenlegungspflichten, mit wem sie es zu tun haben. Dieses Argument lässt sich ohne weiteres auch auf ausländische Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland anwenden. Hier gewährleistet bereits die Publizitätsrichtlinie408 die notwendigen Informationsmöglichkeiten. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit der Informationseinholung nicht allein zur Gewährleistung einer bewussten und eigenverantwortlichen Geschäftsaufnahme zu einer ausländischen Gesellschaft aus. Solange der Anschein einer deutschen Gesellschaft besteht, hat der Gläubiger keinen Anlass, sich über die tatsächlichen Rechtsverhältnisse und den Inhalt des Gesellschaftsstatutes der ausländischen Gesellschaft Gedanken zu machen. Mit anderen Worten: Der Vertrauenstatbestand, der durch die wesentliche Tätigkeitsausübung im Inland geweckt wird, ist allein durch die Möglichkeit der Informationseinholung über die tatsächlichen Verhältnisse nicht beseitigt. Dieser Befund steht nicht im Widerspruch zu der eben aufgestellten These, dass die nach europäischem Recht bestehenden Offenlegungspflichten zum Schutz der Gläubiger vor nachteiligen Geschäften mit einer ausländischen Zweigniederlassung in der Regel ausreichen. Der Betrieb einer Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft setzt keinen so massiven Vertrauenstatbestand, wie die Begründung des tatsächlichen Verwaltungssitzes im Inland durch eine ausländische Gesellschaft. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die Sitztheorie hier keine Veranlas407

Vgl. etwa Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 217, 221; Staudinger/Großfeld, IntGesR, Rdnr. 569. 408 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133.

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sung sieht, mit ihren drakonischen Maßnahmen gegen diese Umgehungsmöglichkeit des inländischen Rechts vorzugehen. Nur wenn hinter der Zweigniederlassung keine tatsächlich ausgeübte Hauptniederlassung im Ausland steht, greift die Sitztheorie – vom Standpunkt des Vertrauensschutzes zunächst durchaus konsequent – ein. In diesem Fall wird der durch den inländischen Geschäftsbetrieb gesetzte Vertrauenstatbestand nicht mehr durch den (ungleich größeren) ausländischen Geschäftsbetrieb kompensiert. Im Kernanwendungsgebiet der Sitztheorie bedarf es daher einer stärkeren Publizität des Gesellschaftsstatutes, als sie durch die Publizitätsrichtlinie409 gewährleistet ist. Dies heißt aber nicht, dass nun wieder der europäische Richtliniengeber gefordert wäre. Die notwendige Publizität lässt sich ohne weiteres durch nationales Recht gewährleisten und ist in Deutschland bereits in hohem Maße verwirklicht410. Im Rahmen des Firmenrechts ist jede Gesellschaft verpflichtet, einen Rechtsformzusatz zu führen, der ihre Haftungsverhältnisse kennzeichnet, vgl. §§ 19 HGB, 4 GmbHG, 4 AktG. Dieser ist bei der – nach § 13d Abs. 2 HGB auch für Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften obligatorischen – Eintragung und im Rahmen des Geschäftsbetriebes von der jeweiligen Gesellschaft zu führen. Im Fall der Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in Deutschland ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass der Rechtsverkehr die Haftungslage ohne weiteres aus dem abgekürzten Rechtsformzusatz in der Weise entnehmen kann, wie es etwa bei der in Deutschland jedem bekannten GmbH der Fall ist. Deshalb wird hier verlangt, den Rechtsformzusatz ungekürzt in Originalsprache wiederzugeben. Falls die Sprache keinen eindeutigen Schluss auf das Herkunftsland zulässt, etwa weil sie in mehreren Staaten gesprochen wird, muss ferner ein Hinweis auf das Herkunftsland im Rechtsformzusatz enthalten sein. Diesen Hinweis verlangt schon der firmenrechtliche Grundsatz der Unterscheidbarkeit gem. § 18 Abs. 1 HGB411. Der korrekte Rechtsformzusatz einer inländischen Zweigniederlassung einer britischen Ldt. lautet daher „private limited company (beschränkt haftende Gesellschaft englischen Rechts)“412. Die Gläubiger einer solchen Zweigniederlassung dürfte schon durch diese Formulierung hinreichend gewarnt sein413. Entsprechend hat auch der 409 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 410 So etwa Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 127, der die Notwendigkeit der sachgerechten Anwendung des § 13 Abs. 2 HGB durch die Registergerichte hervorhebt. 411 Vgl. MüKo/Kindler, IntGesR, Rdnr. 145, 148. 412 So MüKo HGB/Bokelmann § 13 d Rdnr. 19; Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 127; ähnlich Ulmer, JZ 1999, 662, 663.

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EuGH in der „Inspire Art“-Entscheidung klargestellt, dass die Vorschriften der 11. Richtlinie für Offenlegungsmaßnahmen bei Zweigniederlassungen abschließend sind und darüber hinausgehende Offenlegungsverpflichtungen gegen diese Richtlinie verstoßen414. Anders verhält es sich bislang bei ausländischen Gesellschaften. Soweit diese in Deutschland nicht in Form einer Zweigniederlassung oder einer deutschen Tochtergesellschaft, sondern direkt tätig werden, unterliegen sie dem Firmenrecht ihres Gründungsstaates und werden von den Vorschriften des deutschen Firmenrechts nicht erfasst. Im Zuge der durch die Publizitätsrichtlinie415 erlangten Rechtsangleichung ist es zwar auch für eine ausländische Gesellschaft nach dem in jeweiliges nationales Recht umgesetzten Art. 4 der Publizitätsrichtlinie416 zwingend vorgeschrieben, einen Rechtsformzusatz auf Briefen und Bestellscheinen zu verwenden sowie den Sitz der Gesellschaft anzugeben, allerdings wird hier das ausländische Recht in der Regel im Ausland gebräuchliche Abkürzungen erlauben. Auch wird das ausländische Recht regelmäßig keinen Hinweis auf das anwendbare Gesellschaftsstatut verlangen. Unsere britische Ldt. kann damit in Deutschland ohne weiteres nur mit dem Zusatz „Ldt.“ auftreten. Um die Publizität ist es daher bei einer direkt in Deutschland tätigen Gesellschaft schlechter gestellt, als bei einer Zweigniederlassung einer solchen Gesellschaft im Inland. Diese unterschiedliche Behandlung mag angehen, solange durch die Haupttätigkeit bzw. den Verwaltungssitz der Gesellschaft im Ausland ein entsprechend gewichtiges Anzeichen für das anzuwendende ausländische Recht gesetzt ist und direkte Geschäfte der Gesellschaft im Inland zu vernachlässigen sind. Will man es aber zulassen, dass ausländische Gesellschaften bestehen können, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland haben und daher überwiegend oder ausschließlich im Inland tätig werden, so verlangt der dadurch gesetzte Rechtsschein nach einer stärkeren Kompensation als den nach ausländischem Recht zu führenden Rechtsformzusatz. Insbesondere kann der bloße Hinweis auf eine beschränkte Haftung nicht ausreichen. Das schutzwürdige Vertrauen erstreckt sich nämlich, wie bereits ausgeführt, auch auf die Voraussetzungen dieser Haftungsbeschränkung, die im Inland eben nur bei Erfüllung gewisser Mindestanforderungen, etwa an das Eigenkapital, gewährt wird417. 413

So auch Ulmer, JZ 1999, 662, 663. Vgl. EuGH, Rs. 167/01, Tz. 70 f., veröffentlicht unter www.curia.eu.int. 415 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 416 Richtlinie 68/151/EWG; ABlEG 1968 Nr. L 65, 8; Text abgedruckt bei Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rdnr. 133. 414

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

Ein Vorschlag, um dem abzuhelfen, wäre, die Regeln des deutschen Firmenrechts für die Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens auf eine ausländische Gesellschaft mit Sitz im Inland zu übertragen. Da das Firmen- und Registerrecht öffentliches Recht ist – und damit unabhängig vom Gesellschaftsstatut –, ist eine solche Verpflichtung auch gegenüber ausländischen Gesellschaften im Inland durchsetzbar. Anknüpfungspunkt für die neuen firmenrechtlichen Vorschriften kann der Verwaltungssitz sein, der von den Vertretern der Sitztheorie in hinreichender Bestimmtheit definiert worden ist, sodass sich hieraus keine praktischen Schwierigkeiten ergeben dürften – zumindest keine, die die bisher mit diesem von der Sitztheorie verwendeten Begriff verbundenen Schwierigkeiten überträfen. Über das Firmenrecht ließen sich auch weitergehende Hinweise als die vollständig aufzuführende Haftungsqualität und das anwendbare Recht geben. Um auch den Scheintatbestand einer Ausstattung mit einem Mindestkapital zu begegnen, könnte z. B. einer englischen Ldt. mit Verwaltungssitz in Deutschland auferlegt werden, sich „private company limited by shares (beschränkt haftende Gesellschaft englischen Rechts ohne Stammkapital)“ zu nennen. Der Zusatz könnte – dem abgewandelten Muster des auf Alkohol- und Zigarettenschachteln abgedruckten Textes folgend – möglicherweise sogar ausdrückliche Warnhinweise enthalten418. Allerdings wird zu berücksichtigen sein, dass auch solche Hinweise die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigen dürfen. Für diese Abwägung bietet die Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit419 Anhaltspunkte, wie weit die firmen417 Dies verkennt der Generalanwalt Siegbert Alber, wenn er in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „Inspire Art“ behauptet, eine über die Bezeichnung „Limited“ hinausgehende Kennzeichnung als formal ausländische Gesellschaft sei unverhältnismäßig, da sie weder für die Wahrung der Interessen der Gläubiger noch für die Lauterkeit des Handelsverkehrs erforderlich sei, vgl. Tz. 148 der Schlussanträge Rs. C-167/01, abgedruckt in DB 2003, 377, 382. 418 Denkbar wäre auch eine vorvertragliche Aufklärungspflicht des Vertreters der Scheininlandsgesellschaft hinsichtlich der Verhältnisse der Gesellschaft zu statuieren. Der BGH hat jüngst eine Pflicht zur Aufklärung darüber, dass es sich bei der Vertragspartnerin um eine in Budapest ansässige Gesellschaft ungarischen Rechts ohne eingetragene Niederlassung in Deutschland handelt, angenommen. Diese Information sei für den Gläubiger von wesentlicher Bedeutung, da hiervon abhänge, ob oder mit welcher Sicherheit ein Vertrag abgeschlossen werde, vgl. BGH, DStR 2002, 1275, 1277. Freilich lässt sich ein Anspruch aus einer solchen Aufklärungspflicht gegen den Vertreter (und nicht nur gegen die Scheininlandsgesellschaft) nur dann begründen, wenn darüber hinaus die Voraussetzungen der Sachwalter- oder Eigenhaftung vorliegen. Eine Eigenhaftung ist dann anzunehmen, wenn besonderes persönliches Vertrauen des Vertreters in Anspruch genommen wird oder wenn ein qualifiziertes Eigeninteresse des Vertreters gegeben ist, vgl. BGH, DStR 2002, 1275, 1275 m. w. N. Die bloße Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer reicht hierzu allerdings nicht aus, vgl. BGHZ 126, 181, 184 ff.

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rechtliche Verpflichtung getrieben werden darf. Nach den dort aufgestellten Grundsätzen ist es jedenfalls nicht unverhältnismäßig, ein Produkt korrekt und wahrheitsgemäß zu etikettieren, solange nicht eine Negativkennzeichnung vorgeschrieben wird420. Soweit die deutsche Rechtsprechung in anderem Zusammenhang auf Grund der Beeinflussung eines Rechtsverhältnisses durch für den anderen Teil nicht erkennbare Auslandsbezüge eine besondere Aufklärung gefordert hat, hat dies der EuGH bereits akzeptiert421. In der „Inspire Art“-Entscheidung hat der EuGH422 eine Verpflichtung einer Scheininlandsgesellschaft, sich als „formal ausländische Gesellschaft“ zu bezeichnen zwar abgelehnt, diese Entscheidung beruhte jedoch darauf, dass die 11. Richtline für Zweigniederlassungen bereits ausreichende und aus Sicht des EuGH auch abschließende Publizitätsregelungen enthält423. Wie gezeigt sind die firmenrechtlichen Vorschriften bei ausländischen Gesellschaften aber weniger streng als bein Zweigniederlassungen. M.E. ließe sich für eine zeitliche Übergangsfrist, während der sich der Rechtsverkehr im Inland mit den nach dem Fall der Sitztheorie möglichen Konstellationen vertraut machen kann, daher auch ein echter Warnhinweis als mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar begründen. Eine bloß korrekte Wiedergabe der durch das ausländische Gesellschaftsstatut gegebenen Risiken („ohne Stammkapital“) dürfte dagegen in jedem Fall mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein424. Mit diesem einfachen firmenrechtlichen Instrumentarium wäre jeglicher täuschende Rechtsschein durch den inländischen Verwaltungssitz einer ausländischen Gesellschaft beseitigt. Die Geschäftspartner der Gesellschaft wüssten genau, worauf sie sich einlassen. Ihr Schutz durch die protektionistische Anwendung nationalen Rechts wäre insoweit überflüssig. Gleichzeitig würde eine für den effektiven Wettbewerb der Rechtsordnungen notwendige Transparenz zwischen den unterschiedlichen nationalen Gesellschaftsstatuten geschaffen. Eine vollständige und korrekte Bezeichnung, die alle möglichen Risiken aufzeigt, ermöglicht dem Geschäftspartner, sich bewusst und eigenverantwortlich zu entscheiden. Wie diese Entscheidung ausfallen 419

Grundlegend EuGH Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 „Cassis de Dijon“. Vgl. Streinz, Europarecht, Rdnr. 691, 693 und EuGH, Rs. 178/84, Slg. 1987, 1227 „Reinheitsgebot“. 421 Vgl. EuGH, Rs. C 93/92, ZIP 1993, 1818, „CMC Motorrad Center“. 422 Rs. C 167/01 vgl. hierzu bereits oben VI.1., Seite 155 ff. 423 Vgl. EuGH, Rs. C 167/01, Tz. 65 ff. sowie zuvor die Schlussanträge des Generalanwalts Alber, DB 2003, 377, 380, Tz. 109, 148, DB 2003, 377, 380, 382. 424 Eine „Stigmatisierung“ der ausländischen Gesellschaft, wie von der britischen Regierung in der Rechtssache „Inspire Art“ befürchtet, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Alber, Tz. 107, DB 2003, 377, 380, kann allein aufgrund dieses inhaltlich zutreffenden Hinweises m. E. nicht behauptet werden. 420

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

wird, ist schwer zu prognostizieren. Die Erfahrung mit der Lebensmittelkennzeichnung zeigt, dass Verbraucher sich nicht automatisch für das billigste Produkt entscheiden, sondern genau darauf achten, ob etwa die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels gentechnisch verändert wurden. Es ist durchaus denkbar, dass sich die Geschäftspartner einer Gesellschaft ähnlich risikobewusst verhalten werden und damit das befürchtete „race to the bottom“ verhindern. Dieser Argumentation lässt sich nicht entgegenhalten, dass deliktische oder öffentlich-rechtliche Gläubiger nichts von dieser durch das Firmenrecht gewährleisteten Transparenz der Gesellschaftsstatute hätten425. Zwar kann nicht darüber hinweggegangen werden, dass ein deliktischer Gläubiger oder ein öffentlich-rechtlicher Gläubiger sich die ausländische Gesellschaft als Schuldner nicht aussuchen können, wenngleich durchaus Fälle denkbar sind, in denen die deliktische Haftung mit einer vertraglichen zusammentrifft. Doch gibt es grundsätzlich keine deliktische Haftung einer juristischen Person. Diese kann kein Delikt begehen, kann kein Verschulden auf sich laden. Erst über die Zurechnungsnorm des § 31 BGB wird ein Handeln und Verschulden der Organe der juristischen Person auf die Gesellschaft übertragen. Eine ähnliche Zurechnung kann im Rahmen der Haftung für Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB oder für Verrichtungsgehilfen gem. § 831 BGB begründet werden426. Festzuhalten ist, dass eine deliktische Haftung der Gesellschaft immer auf einem deliktischen Verhalten einer natürlichen Person beruht. Neben der Gesellschaft haftet daher auch immer eine natürliche Person427. Damit ist die Sachlage nicht schlechter als bei Anwendung der Sitztheorie. Diese kann bestenfalls ebenfalls einen Durchgriff auf die hinter der Gesellschaft stehenden Organe als Ersatz für die fehlende Haftungsmasse der ausländischen Gesellschaft gewähren. Im Übrigen – etwa im Fall der Gefährdungshaftung – könnten Opfer durch freiwillige oder Zwangshaftpflichtversicherungen geschützt werden428. Deliktischen Gläubigern entstehen daher keine unüberwindbaren Nachteile. Ebenso sind nach vielen öffentlich-rechtlichen Haftungsvorschriften neben der Gesellschaft auch deren Gesellschafter als Schuldner verpflichtet. Jedenfalls hat es der Gesetzgeber als öffentlich-rechtlicher Gläubiger selbst 425

So aber offenbar Ulmer, JZ 1999, 662, 663, hinsichtlich der firmenrechtlichen Vorschriften für Zweigniederlassungen. 426 Strittig ist, ob § 31 BGB lex specialis zu § 278 BGB ist oder ob beide nebeneinander anwendbar sind, vgl. hierzu etwa Palandt/Heinrichs, § 278 Rdnr. 6. 427 Palandt/Heinrichs, § 31 Rdnr. 2, 13. 428 Kübler, AG 1994, 141, 146; auch Grundmann, ZGR 783, 820 weist auf die Möglichkeit einer Pflichtversicherung hin, um angesichts der vergleichsweise geringen Bedeutung unfreiwilliger Gläubiger „das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten“.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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in der Hand, sich durch Änderung der Haftungsvorschriften zu schützen. Eine weitere Möglichkeit des Gläubigerschutzes, auf die der EuGH in der „Centros“-Entscheidung ausdrücklich hinweist429, besteht darin, dass die öffentlichen Gläubiger das Recht erhalten – oder wo dies bereits der Fall ist, es ausnutzen –, sich etwaig erforderliche Sicherheiten einräumen zu lassen. Ein Schutzbedürfnis des öffentlich-rechtlichen Gläubigers, das durch den öffentlich-rechtlichen Gesetzgeber zu verwirklichen wäre, ist daher zu verneinen. Zusammenfassend ist die Anwendung der Rechtsfolge der Sitztheorie nach der neuen Schutztheorie für den Bereich der Gesellschafter und der Gläubiger einer ausländischen Gesellschaft überflüssig, wenn durch eine korrekte und umfassende Kennzeichnung der ausländischen Gesellschaft der durch ihren Verwaltungssitz im Inland gesetzte Rechtsschein gegenüber Dritten beseitigt wird. Gleichzeitig ist diese Kennzeichnung erforderlich, um einen transparenten und effektiven Wettbewerb der nationalen Rechtsordnungen ohne Irreführung zu gewährleisten. Die Aufgabe, die im Bereich der Werbung und der Produkte durch das UWG erfüllt wird, lässt sich für das Gesellschaftsrecht von einem strengeren Firmenrecht leisten. Selbstverständlich kann aber auch die Scheininlandsgesellschaft selbst durch eine freiwillige Firmierung nach den dargestellten Grundsätzen den von ihr gesetzten Rechtsschein beseitigen und damit einer Sanktion durch die neue Schutztheorie entgehen430. 4. Arbeitnehmerschutz durch Publizität und Transparenz? Allerdings wird die bedeutende Frage des Schutzes der Arbeitnehmer im Rahmen der Mitbestimmung durch die Anstrengungen im Bereich der Publizität nicht beantwortet. Der Arbeitnehmer kann sich bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage nicht seinen Arbeitgeber aussuchen. Der firmenrechtliche Hinweis „Gesellschaft ohne Mitbestimmung“ mag den Arbeitnehmer aufklären, da sich jedoch keine reale Alternative für ihn bietet, wird er diesen Hinweis nur zur Kenntnis nehmen können. Der von der Scheininlandsgesellschaft gesetzte Vertrauenstatbestand hat aber ebenfalls keinen Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitnehmers. Der Eintritt in ein Unternehmen, nur weil in dessen Leitung der Gedanke der Mitbestimmung verankert ist, kann einem Arbeitnehmer wohl nicht unter429

EuGH, IPRax 1999, 360, 363 Tz. 37. Die Beachtung unterschiedlicher nationaler Firmenrechte und eine entsprechende Anpassung der Geschäftspapiere steht in keinem Verhältnis zu den Vorteilen, die eine Scheininlandsgesellschaft durch die Beseitigung der Sitztheorie in ihrer bisherigen Form erhält. 430

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3. Teil: Die Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse

stellt werden. Die Frage der Mitbestimmung hat weder positiven noch negativen Einfluss auf die Entscheidung eines Arbeitnehmers, einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen zu schließen. Folgt man dem vorgeschlagenen Verständnis der neuen Schutztheorie als Rechtsscheinhaftung, so fehlt es an der Kausalität des von der Scheinauslandsgesellschaft gesetzten Rechtsscheins einer inländischen Gesellschaft für das Verhalten des Dritten, also hier des Arbeitnehmers. Aus der Sicht der Rechtsscheinhaftung ist der Arbeitnehmer insoweit nicht schutzwürdig, da sich sein Vertrauen in einen Rechtsschein nicht in einem kausal darauf zurückzuführenden Verhalten manifestiert hat. Dies soll nicht bedeuten, dass die Mitbestimmungsregelungen in Deutschland nicht grundsätzlich schützenswert wären. Nur lässt sich das von der Sitztheorie vorausgesetzte Schutzbedürfnis nicht mit einem bestimmten Verhalten einer Scheininlandsgesellschaft in Verbindung bringen. Diese unterscheidet sich von anderen ausländischen Gesellschaften nur dadurch, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im deutschen Inland hat. Dieses Unterscheidungsmerkmal hat aber auf das Verhalten der betroffenen Arbeitnehmer gegenüber der Gesellschaft keinerlei Einfluss. Da der Unterschied zu einer ausländischen Gesellschaft, bei der Satzungssitz und tatsächlicher Verwaltungssitz vereint sind, in diesem Punkt nicht zum Tragen kommt, kann auch eine unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt werden. Entweder man wendet die Normen der überbetrieblichen Mitbestimmung deshalb auf alle ausländischen Gesellschaften an, die in Deutschland tätig werden oder man wendet sie nicht an, auch nicht auf „Scheinauslandsgesellschaften“. Mit anderen Worten: Die Arbeitnehmer sind in der Frage der Mitbestimmung genauso viel oder genauso wenig schutzwürdig, wenn sie für eine ausländische Gesellschaft in Deutschland arbeiten, die hier nur einen Betrieb hat, wie wenn sie für eine Gesellschaft arbeiten, die hier ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat. Will man alle Arbeitnehmer durch eine Verankerung der Mitbestimmung schützen, so kann das nicht über die Abschreckungsstrategie der Sitztheorie verwirklicht werden, sondern nur über eine Sonderanknüpfung, die alle ausländischen Gesellschaften erfasst431. Die Frage der Mitbestimmung ist daher getrennt von der Frage der Scheininlandsgesellschaft anzuknüpfen. Vom Boden der neuen Schutztheorie aus kann die Frage der Mitbestimmung deshalb unbeantwortet bleiben.

431 In diesem Sinne schon Knobbe-Keuck, ZHR 154 (1990), 325, 348 f. und neuerdings Zimmer, IntGesR, 172 f., der das Problem der internationalen Reichweite der unternehmerischen Mitbestimmung durch eine unternehmensrechtliche, auf den Tätigkeitsort der Arbeitnehmer abstellende Anknüpfung lösen will.

VII. Die neue Schutztheorie – Schutz des Wettbewerbs

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5. Zusammenfassung Damit lassen sich folgende zusammenfassende Thesen formulieren: – Die Sitztheorie versucht einerseits eine objektive Anknüpfungsregel des Kollisionsrechts ohne subjektive Elemente zu sein. Gleichzeitig will sie jedoch eine Schutztheorie für die inländischen Verkehrskreise sein. Letzteres ist ohne die Beantwortung der Frage nach der Schutzwürdigkeit dieser Verkehrskreise nicht gerechtfertigt. – Die hier vorgestellte neue Schutztheorie trennt die beiden Ansätze der Sitztheorie. Hinsichtlich des Kollisionsrechts bleibt es bei der einfach zu handhabenden und den Wettbewerb der Rechtsordnungen gewährleistenden Gründungstheorie. Auf Ebene des Sachrechts tritt an die Stelle der präventiven Abschreckung durch die Sitztheorie eine Einzelfallbetrachtung nach den Grundsätzen der Rechtsscheinshaftung. – Die hier vorgestellte neue Schutztheorie stellt damit ein in sich geschlossenes System dar, das auf der seit langem anerkannten Rechtsscheinhaftung basiert. – Sie gestattet gegenüber der bisherigen Auswirkung der Sitztheorie ein deutliches Mehr an Wettbewerb der Rechtsordnungen und an Privatautonomie der Marktteilnehmer. – Hinsichtlich der neuen Schutztheorie besteht auch keinerlei Gefahr einer Kollision mit europarechtlichen Vorschriften, insbesondere nicht der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften gem. Art. 43, 48 EGV. Die Mobilität der Gesellschaften wird durch die Anwendung der Gründungstheorie gewährleistet. – Soweit sich aus der neuen Schutztheorie im Einzelfall Sanktionen gegen Scheininlandsgesellschaften ergeben, beruhen diese auf einem zurechenbar gesetzten Rechtsschein. Die Scheininlandsgesellschaft hat es selbst in der Hand, diesen Rechtsschein durch eine entsprechende Firmierung zu zerstören. – Einzig problematisch scheint der Bereich der Mitbestimmung zu sein, die durch die Implementierung der neuen Schutztheorie gefährdet werden könnte. Hier bietet sich an, eine Lösung durch andere Mittel zu suchen, etwa über eine Sonderanknüpfung der Mitbestimmungsregeln an den bloßen Betrieb und nicht an den Gesellschaftssitz.

Schlussbemerkungen Die Rechtsangleichung kann ihrer Aufgabe als Integrationsfaktor in der Europäischen Union nicht mehr gerecht werden. Eine Erfolgsgeschichte geht zu Ende. Einheit um jeden Preis ist von Übel, führt zur Überforderung des Rechts und der Rechtsanwender und zum Misstrauen des Bürgers1. Dies wurde mit dieser Arbeit gezeigt. Die mangelhafte demokratische Legitimierung der EU verlangt derzeit eine Begrenzung der legislativen Institutionen der Gemeinschaft. Solange es kein europäisches Staatsvolk gibt, kann das Europäische Parlament eine Repräsentation der Bürger alleine nicht leisten. Die Beteiligung der nationalen Parlamente ist deshalb unabdingbar. Daneben leidet das Europäische Parlament immer noch unter mangelhaften Befugnissen, insbesondere dem Fehlen der Gesetzesinitiative. Dagegen legt ein Voranschreiten auf dem Weg der gegenseitigen Anerkennung nationaler Normen den Schwerpunkt der Gesetzgebung wieder zurück in die Hände der nationalen Parlamente. Dies fordert auch das Subsidiaritätsprinzip, soweit es bei der Vereinheitlichung des Binnenmarktes Anwendung finden kann. Allein die praktischen Schwierigkeiten der Kompromissfindung zeigen, dass die Rechtsangleichung durch die Gemeinschaft äußerst schwierig ist. Soweit aber auch ein Wettbewerb von Rechtsordnungen zu einer Vereinheitlichung des Binnenmarktes beiträgt, ist allein den Mitgliedstaaten die Kompetenz für den Regelungserlass zuzuweisen. Die ökonomische Analyse von Rechtsangleichung und gegenseitiger Anerkennung nationaler Normen untermauert diesen Befund. Der Wettbewerb ist effizienter und flexibler als dirigistische Systeme. Befürchtungen, damit würde einer völligen Liberalisierung und einer Nivellierung von Schutzvorschriften auf niedrigstem Niveau das Wort geredet, gehen fehl. Das Beispiel der USA zeigt, dass Auswüchse verhindert werden können. Im Übrigen steht einer vergleichbaren Entwicklung in Europa entgegen, dass hier ein wesentlich „sozialeres“ Klima herrscht als in den USA. Davon, dass die traditionellen sozialen Werte Europas – insbesondere der Arbeitnehmerschutz – auch bei einem Wettbewerb der Rechtsordnungen berücksichtigt werden, kann ausgegangen werden. Ein „race to the bottom“ scheint daher wenig wahrscheinlich. Vielmehr stellt es eine zulässige und gewollte Folge 1

So Lutter, ZGR 1992, 435, 447.

Schlussbemerkungen

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des Binnenmarktes dar, dass Rechtsordnungen, die ein Höchstmaß an Freiheit gewähren, attraktiver sind als solche, die zahlreiche Einschränkungen der Grundfreiheiten beinhalten2. Wie dringend notwendig eine Umorientierung in dem vorgenannten Sinn ist, hat das Beispiel der SE gezeigt. Die über 30-jährige Diskussion über diese supranationale Gesellschaftsform hat ihr unrühmliches Ende in einem Wirrwarr von Optionsmöglichkeiten gefunden, das jede klare Linie vermissen lässt und unter einem gemeinsamen Namen eine Vielzahl von Gesellschaftsformen vereinigt. Dieses Prestigeprojekt der Rechtsangleichung symbolisiert ihre heutigen Probleme in einem größeren Kreis von Mitgliedstaaten, die immer weniger bereit sind, ihre Vorstellungen und heimischen Konzepte auf den Prüfstand zu stellen. Die Einigung über das Statut der SE mag daher der letzte „Erfolg“ in diesem Bereich gewesen sein. Sollte es zu der Erweiterung der EU kommen, bedarf es keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, dass eine einheitliche Entscheidungsfindung oder selbst eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung stets vor großen Schwierigkeiten steht. Viel leichter als durch diplomatische Bemühungen und taktische Kompromisse lassen sich die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten durch den Druck bewegen, der in einem Wettbewerb der Rechtsordnungen durch eine Abstimmung mit den Füßen der entsprechenden Marktteilnehmer ausgelöst wird. Hat also der europäische Gesetzgeber bald keine Funktion mehr, nachdem er bislang doch immer Kompetenzen an sich gezogen hat und ausgesprochen großen Einfluss auf die Schaffung von Recht in den Mitgliedstaaten gewonnen hat? Soll alles wieder in die Hände der Nationalstaaten zurückgelegt werden? Welche Funktion hätte die Gemeinschaft in diesem Bereich dann noch? Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich aus der Aufgabe der Rechtsangleichung, nämlich der Vereinheitlichung des Binnenmarktes. Zunächst sollte eine kritische und keineswegs auf das Gesellschaftsrecht beschränkte Überprüfung vorgenommen werden, was der überregionalen Vereinheitlichung tatsächlich bedarf und was dem Gesetzgebungswettbewerb der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft überlassen bleiben sollte3. Das Beispiel der USA kann hierfür Anregungen liefern. 2

Vgl. Klinke, ZGR 2002, 163, 170, nach dem der EuGH die Gefahr eines „race to the bottom“ mit „Centros“ in eine von der Niederlassungsfreiheit eröffnete Chance umgedeutet hat. 3 Ansätze einer einschlägigen ökonomischen Theorie finden sich bei Heller/Pelkmans in: Cappelletti/Seccombe/Weiler, Integration through Law, Vol. 1, 245 ff. insbesondere 254 ff.

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Schlussbemerkungen

Der hier als vorzugswürdig beschriebene Wettbewerb der Systeme kann weiter nur dann funktionieren, wenn der Wettbewerb fair, das soll heißen transparent und ohne Schranken abläuft. Der Binnenmarkt garantiert seinen Teilnehmern, dass heißt jedem einzelnen Unionsbürger, Freiheiten, die nicht durch die einzelnen Mitgliedstaaten beschränkt werden dürfen. Der EuGH hat bei den Grundfreiheiten ein inzwischen weitgehend einheitliches System entwickelt, das solche Einschränkungen nur dann erlaubt, wenn sie gerechtfertigt werden können, notwendig und verhältnismäßig sind. Dieses System wurde in dieser Arbeit mit der Drei-Stufen-Prüfung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG verglichen und davon ausgehend gedeutet. Eine Aufgabe für den europäischen Gesetzgeber wäre es, hier weiter konkretisierend zu wirken und so mehr Transparenz zu schaffen. Daneben besteht die große Chance für die Kommission, frei von den Zwängen der Kompromissfindung eigene Problemlösungsmodelle und Gesetzesvorlagen zu erstellen, die anders als in den Mitgliedstaten nicht von nationalen Eitelkeiten und Interessensgruppierungen beeinflusst sind4. Solche „Mustergesetze“ haben, wie wiederum das Beispiel der USA zeigt, unter Umständen erheblichen Einfluss auf den Wettbewerb der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Ein Musterstatut einer Aktiengesellschaft aus einem Guss scheint wesentlich interessanter zu sein als die nunmehr beschlossene SE Gesellschaftsform, die lediglich konträre Optionsmöglichkeiten unter einem Dach vereint. Am Beispiel der Sitztheorie wurde gezeigt, dass das hier postulierte Erfordernis von einem Mehr an Wettbewerb der Rechtsordnungen und der damit verbundenen Durchlässigkeit der eigenen Grenzen für fremde Rechtskonstruktionen Auswirkungen auch auf das nationale Recht hat. Diese Auswirkungen sind jedoch bei entsprechendem Aufwand ohne systematische Brüche zu verarbeiten. Hierzu wurde ein Modell einer neuen, die Sitztheorie ersetzenden Schutztheorie entwickelt, das sich im Wesentlichen auf Rechtsscheinsgesichtspunkte stützt und sich mühelos in die bestehende Dogmatik einfügen lässt. Offen geblieben ist im Rahmen dieser Arbeit die Frage der Mitbestimmung. Gegen eine Wahlfreiheit auf diesem Gebiet wird immer wieder die Gefahr einer „Flucht aus der Mitbestimmung“5 beschworen. Der einzelne 4

Bei der künftigen Diskussion über die Schaffung eines Europäischen Vertragsrechts sollte ebenfalls ein Mustergesetz statt einer totalen Rechtsangleichung erwogen werden, vgl. hierzu Grundmann, NJW 2002, 393, 396. 5 Vgl. Hopt, ZGR 1992, 265, 278; dagegen zu Recht Lutter, 2000, 1, 17. Wer an die positiven Effekte der Mitbestimmung glaubt, braucht eine Emigration der mitbestimmten Unternehmen aus Deutschland nicht zu fürchten.

Schlussbemerkungen

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Arbeitnehmer kann einen etwaigen Wunsch nach Mitbestimmung nicht gegenüber seinem Arbeitgeber durchsetzen. Aber auch die Gewerkschaften als Interessenvertreter der Arbeitnehmer dürften in vielen europäischen Ländern nicht die Kraft haben, diesbezügliche Regelungen gegen die Arbeitgeber durchzusetzen, wenngleich in Deutschland etwaige Bestrebungen zur Aufweichung der Mitbestimmung wohl auf härtesten Widerstand der organisierten Arbeitgeberschaft treffen würden6. So reicht der Organisationsgrad der Gewerkschaften, die sich im Europäischen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossen haben, von 11 % in einem Mitgliedstaat bis zu 84 % in einem anderen7. Da die „Nachfrageseite“ hinsichtlich der Frage der Mitbestimmung schwach ausgeprägt ist, scheint hier ein Versagen des Marktes zu drohen. Wo keine Durchsetzungsmacht des Nachfragers besteht, verliert der Wettbewerb seine positive Funktion. Allerdings soll die Mitbestimmung von ihrem Anspruch her ja nicht nur den Arbeitnehmern nützen, sondern auch den Arbeitgebern Vorteile bieten. Dadurch könnte der Wettbewerb zwischen verschiedenen Mitbestimmungssystemen insoweit effektiv sein, als es um die Frage geht, ob tatsächlich ein Nutzen für die Arbeitgeber aus der Mitbestimmung resultiert, der eine Flucht aus der Mitbestimmung unwahrscheinlich erscheinen lässt. Ferner ist zu untersuchen, ob die Alternative zu einem Wettbewerb unterschiedlicher Mitbestimmungssysteme, die Vereinheitlichung der Mitbestimmung auf europäischer Ebene, tatsächlich besteht. Angesichts der völlig unterschiedlichen Ausgestaltung der Leitungsorgane der Gesellschaften in Europa – Aufsichtsrat und Vorstand einerseits, one-board-System andererseits – dürfte dies zu verneinen sein8. Insoweit wird ein tiefer liegendes Problem Europas relevant: Während in einem Teil der EU-Staaten die Sozialstaatsidee mit einem starken Staat dominiert, sind andere Länder eher an einem wettbewerblichen System orientiert, in dem der Staat Rahmenbedingungen setzt und Marktversagen korrigiert. Solange zwischen diesen beiden Polen keine Entscheidung getroffen wird, bleibt Europa auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Integration ohne klaren Kurs9. Diesen Fragen soll hier nicht weiter nachgegangen werden. An dem Befund, dass eine Reform der Harmonisierungsbemühungen in Europa notwendig ist, ändert sich dadurch nichts. Eine Vorstellung, die das Gewohnte für das allein Richtige hält, sperrt sich gegen die Wahrnehmung störender Faktoren und führt zwangsläufig in 6

Merkt, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 111, 143. So der statistische Befund von Berié/Hofmann, BABl. 2/1992, 5 f. 8 Vgl. Lutter, ZGR 2000, 1, 17: „Mit diesem Unterschied wird man in Europa also leben müssen.“ 9 Siebert/Koop, WiSt 1994, 611, 616. 7

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Schlussbemerkungen

die Krise10. Fortschritt war immer eine Frage des Findens von Kombinationen, in denen sich Bekanntes zu einer überlegenen Lösung zusammenfand11. Ein Wettbewerb der Rechtssysteme mag daher zur Änderung oder Aufhebung von Altbekanntem führen. Ein Festhalten an alten Traditionen um jeden Preis führt letztlich aber ebenso zu diesem Ergebnis. Der kreative Ersatz, den der Systemwettbewerb liefert, ist deshalb das Opfer der Tradition wert.

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Kübler, KritVJ 1994, 79. Grundmann, NJW 2002, 393, 396.

Literaturverzeichnis Hinweis: Soweit nachfolgend Fundstellen im Internet wiedergegeben sind, spiegelt dies die Situation im Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit wieder. Aufgrund der ständigen Veränderungen dieses Mediums kann nicht ausgeschlossen werden, dass die bezeichneten Internetseiten zwischenzeitlich nicht mehr zugänglich sind. Altmeppen, Holger: Parteifähigkeit, Sitztheorie und „Centros“, in DStR 2000, 1064 ff. Angelucci, Orietta: Die europäische Identität der Europäer, in: von Bogdandy, Armin (Hrsg.), Die europäische Option, 1993, Baden-Baden, 303 ff., zitiert: Angelucci, Die europäische Option Audinet, Jacques: Le droit d’etablissement dans la Communauté économique européenne, in: Clunet 86 (1959), 982 ff. Baßeler, Ulrich/Heinrich, Jürgen/Utecht, Burkhard: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft, 17. Aufl. 2002, Stuttgart; zitiert: Baßeler/Heinrich, Grundlagen und Probleme der VW Baumbach, Adolf/Hopt, Klaus J.: Kommentar zum HGB, 30. Auflage 2000, München; zitiert: Baumbach/Hopt, HGB Baumbach, Adolf/Hueck, Götz: Kommentar zum GmbH Gesetz, 26. Aufl. 2000, München; zitiert: Baumbach/Hueck, GmbHG Becker, Gary S.: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, Stuttgart, 2. Auflage, 1993, Tübingen; zitiert: Becker, Ökonomik Behrens, Peter: Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischem Recht, 2. Aufl. 1997, Berlin [u. a.]; zitiert: Bearbeiter, Die GmbH im int. und europ. Recht – Das Internationale Gesellschaftsrecht nach dem Centros Urteil, in: IPRax 1999, 323 ff. – Krisensymptome der Gesellschaftsrechtsangleichung, Editorial, in: EuZW 1996, 193 – EuGH entscheidet über Sitzverlegung von Gesellschaften, Editorial, in: EuZW 2000, 385 – Das Internationale Gesellschaftsrecht nach dem Überseering-Urteil des EuGH und den Schlussanträgen zu Inspire Art, in: IPRax 2003, 193 ff. Beitzke, Günther: Kollisionsrecht von Gesellschaften und juristischen Personen, in: Lauterbach, Wolfgang (Hrsg.) Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen- und Sachenrechts vorgelegt im Auftrag der 2. Kommission des dt. Rates für Internationales Privatrecht, 1972, Tübingen, 94 ff.; zitiert: Beitzke, Kollisionsrecht

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Sachwortverzeichnis Aktionäre 17, 43, 46, 50, 109 Anerkennung, gegenseitige 20–21, 28, 32, 34, 36–37, 43, 53–54, 65, 95, 97, 105, 117, 137–138 Anleger 46–48, 51, 108, 186 Arbeitnehmer 43–44, 47–48, 50–51, 87, 91–92, 106, 110, 113–114, 126, 132–133, 160, 164, 168, 171, 182, 195–196, 201 Arbeitnehmer, Schutz 110–111, 113– 114 Ausübungsvorschrift 127 Bankauskunft 109 begrenzte Ermächtigung 70, 120 Begründungspflicht 75 Beschränkungsverbot 125–126, 129 Beweislastumkehr 185 Bilanzrichtlinie 14, 17, 53, 109, 187– 188 Binnenmarkt 28, 34–37, 76, 78, 84, 119, 200 board system 113 Bosman-Entscheidung 126 Briefkastengesellschaft 170 Cassis-Rechtsprechung 29–30 Centros-Entscheidung 80, 93, 129, 134, 139–151, 153–158, 160, 164, 166, 181, 188, 195 culpa in contrahendo 54 Daily Mail-Entscheidung 125, 127, 134, 137–142, 144–146, 148–153, 161 Darlehen 108–109 Dassonville-Formel 126–128, 160 Davignon-Bericht 90, 92

Delaware-Effekt 47, 49–50, 98 Deliktsansprüche 167 Deliktshaftung 194 Demokratieprinzip 33, 55 demokratische Legitimation 56, 59– 60, 64 Dienstleistungsfreiheit 129, 151 – Beschränkung 151 Differenzierungslehre 98 Diskriminierungen, versteckte 124 Diskriminierungsverbot 121, 124–125, 127, 129–130 Drei-Stufen-Prüfung 200 Dualistisches Verwaltungssystem 81 Durchgriffshaftung 46 effet utile 18, 24, 69 Einzelermächtigung, begrenzte 16, 68–69, 72–74 Empfehlung 27 Entschädigungsanspruch 24 Entwicklungsbestimmung 63 Euro-Betriebsräte-Richtlinie 113 Europäische Aktiengesellschaft 21, 33, 78–87, 89–94, 155, 199–200 Europäisches Parlament 57, 63–64, 73 Firmierung 173, 182, 184, 195, 197 Francovich-Urteil 24 Freizügigkeit 29, 58, 76, 83, 98, 115, 126 Gebhart-Entscheidung 126 Gemeinsamer Markt 22–23, 30 Gemeinwohlinteressen 29 Gerechtigkeitstheorie 101–103 Gerechtigkeitstheorie, materielle 102

Sachwortverzeichnis Gerechtigkeitstheorie, prozedurale 100, 103, 105 Geschäftstätigkeit 45, 139–140, 142, 147, 171–172 Gesellschaftsgläubiger 43, 46–48, 50, 103–104, 106, 108–109, 111–112, 118, 132–133, 164, 168, 171, 176, 180–184, 186–190, 194–195 Gesellschaftsrecht 14, 45–46, 48, 78, 87, 93, 95, 98, 105–106, 108, 115, 140, 149–150, 153, 157, 159, 189, 195, 199 – Deregulierung 45–46 Gewerkschaften 88–90, 201 Gläubigerschutz 109, 112, 189 Gleichbehandlungsgrundsatz 30 Globalisierung 48, 79, 105 Großunternehmen 37, 41, 96, 105, 107, 115, 134, 171, 185 Grundbuchsicherheit 181 Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft 111 Grundschuld 112 Gründungstheorie 95, 97–100, 103– 106, 112, 117–122, 136–138, 141, 143, 148–150, 152, 155, 157, 159– 160, 163, 166–167, 181, 186, 197 Güterabwägung 119 Haftungsausschluss 183 Haftungsbeschränkung 163, 179, 191 Handelndenhaftung 112 Handelsregister 53, 108, 148, 179–180 Harmonisierungsinstrumente – unverbindliche 27 – verbindliche 27 Hauptniederlassung 121, 123, 147, 190 Hauptverwaltung 96, 121, 147, 167 Herkunftsstaatsprinzip 29 homo oeconomicus 36, 50

183,

157,

143, 161,

219

Inländerdiskriminierung 30, 32, 145, 162 Inländergleichbehandlung 124–125 Kapitalerhaltung 85, 108–109 Kapitalgesellschaft 52, 79, 111–112, 122, 140, 149, 152, 175, 179–184, 205–207 Kapitalrichtlinie 15, 109, 144, 154, 187 Kapitalverkehr 29 Kartellverbot 40 Kollisionsnorm 95, 122–123, 130 Kollisionsrecht 51, 115, 118–120, 142–143, 146, 149, 151–152, 154, 160, 197 Kompetenzübergang 56 Konzernrecht 81, 85 Kosten-/Nutzenanalyse 42 Law and Economics 35 Maastricht-Entscheidung 17 Mehrheitsprinzip, qualifiziertes 28 mengenmäßige Beschränkungen 37 Minderheitsgesellschafter 106–108, 111, 133, 164, 182, 186–187 Mindestkapital 104, 108, 157, 164, 183–184, 192 Mindeststammkapital 108, 139 Mindeststandard 26 Mitbestimmung 39, 81–83, 86–92, 110–111, 113–114, 118–119, 133– 134, 195–197, 200–201 Mobilitätsbeschränkung 127, 132, 134, 138 Nachforschungspflicht 182 Nichtigkeitssanktion 107, 111 Niederlassungsfreiheit 21, 31, 33, 37, 100, 119, 121, 123–129, 131–140, 142–143, 145, 147–152, 154–155, 157, 159–161, 164–166, 168, 186, 189, 192, 197

220

Sachwortverzeichnis

– Beschränkung 29, 93, 125, 131–132, 160, 164 – primäre 143–144, 148 – sekundäre 142–144, 148, 156 – Subjektive Zulassungskriterien 132 – unmittelbare Anwendbarkeit 124– 125 Offene Märkte 41 Offenlegungspflichten 79, 107, 188– 189 ökonomische Analyse 33, 35, 43, 198 ökonomischer Wettbewerb 38 ordre public 129, 167 Parteifähigkeit 157, 159–160, 162 Planwirtschaft 38, 49 positive Forderungsverletzung 53 Privatautonomie 96, 100, 120, 168, 197 Publizitätsrichtlinie 14, 107, 188–191 race to the bottom 45, 49, 98, 114, 194, 198 race to the top 46, 54 Rahmenregelung 25–26 Rechtfertigungslast 75 Rechtlosstellung 175 Rechtsangleichung 13, 15–16, 18–22, 28–29, 32–38, 43, 53–56, 65, 75–78, 83, 92, 94–95, 100, 113, 118–120, 122, 137–138, 153–154, 191, 198– 199 Rechtsangleichungsmaßnahme 83 Rechtsfähigkeit 80, 96–99, 113, 121, 130–131, 146, 148, 150, 159–163, 172, 179 Rechtsformwahl 103–104 Rechtsschein, Zurechenbarkeit 170, 176–177 Rechtsscheingrundsätze 111, 173 Rechtsscheinhaftung 169–170, 172, 175, 177–182, 184–185, 196–197 – Kausalität 177–178 – Rechtsfolge 179

Rechtsunsicherheit 99, 166 Registrierungstheorie 148 regulatory competition 38 Richtlinie 14, 18, 23–24, 26–27, 29, 31, 53, 66, 77, 80, 83–85, 110, 122, 137 – unmittelbare Wirkung 24 – vertikale Wirkung 25 Sachrecht 115, 120, 130–131, 160, 197 Satzungssitz 96–97, 121–122, 143, 172, 175, 185, 196 Scheinauslandsgesellschaft 173–175, 178, 181–183, 185, 196 Scheininlandsgesellschaft 170, 172– 173, 176–180, 182, 184–186, 195– 197 Schutz öffentlicher Interessen 105 Schutzniveau 44, 46, 48, 50, 98, 108, 115, 132 Schutztheorie 96, 98, 104, 131, 166, 169, 186, 197, 200 Schutztheorie, neue 167–168, 170, 178, 180, 182, 185–186, 195–197 Segers-Entscheidung 146–148, 152 Sitztheorie 21, 80, 96–101, 103–123, 125, 129–136, 138–141, 143, 146, 148–150, 152, 154–155, 157–160, 162–164, 166–170, 172–185, 189, 192–197, 200 Sitzverlegung 80, 87, 115, 118–119, 135, 145, 160, 163 Souveränität 13, 16, 57, 72, 119–120 Sperrminorität 106 Sperrwirkung 31 Standortwettbewerb 41, 106 Stellungnahme 27 Subsidiaritätsprinzip 16, 33, 71–72, 75–77, 115–118, 120, 198 Teilharmonisierung 26 Totalharmonisierung 31 Transaktionskosten 36–37

Sachwortverzeichnis Überlagerungstheorie 98 Überregulierung 31, 49 Überseering-Entscheidung 161–164, 166–167 Umsetzungsfrist 24, 110 Unionsbürger 25, 57, 60, 62–64, 200 Verbraucherschutz 107 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 118– 119 Verhältnismäßigkeitsprinzip 77, 119 Verordnung 18, 23–25, 27, 31, 66, 77, 83–85 – unmittelbare Geltung 23, 125 Verschmelzung 92, 115, 146 Vertragsgerechtigkeit 101–102 Vertrauensprinzip 29, 153 Verwaltungssitz 96–98, 105, 109–110, 112–113, 118, 121–122, 131, 140– 141, 144–145, 149–150, 157–159, 161–162, 169–178, 181, 185, 189, 191–193, 195–196 Volkssouveränität 57 Vor-GmbH 111 Vorgesellschaft 179–180, 204 Warenverkehrsfreiheit 21, 28–29, 31, 126–127, 192 Wegzug 125, 127, 144–146, 161–162

221

Wettbewerb 21, 92, 99, 114, 168, 195, 198, 202 – Allokationsfunktion 38, 41 – der Gesetzgeber 51, 103 – der Rechtsordnungen 32, 42, 44, 47, 49, 52, 54–55, 67, 99, 103, 116, 153, 168–169, 193, 197–200 – der Systeme 54, 77, 93, 95, 115 – Freiheitsfunktion 39, 41–42 – Innovationsfunktion 38, 41–42 – Kontrollfunktion 38, 41–42 – ökonomischer 42 – Systeme 34 – systemtheoretischer Ansatz 39 – Verteilungsfunktion 39 – wohlfahrtsökonomischer Ansatz 38–39 wirtschaftliche Freiheit 40 Wohlstandsmehrung 34–35 Zielbestimmung 24, 26 Zölle 37 Zuzug 145 Zweigniederlassung 113, 129, 133, 139–140, 142–145, 147–149, 156, 167, 188–192 Zweigniederlassungs-Richtlinie 189 zweistufiges Rechtssetzungsverfahren 24