Bausteine zu einer Narratologie der Dinge: Der 'Eneasroman' Heinrichs von Veldeke, der 'Roman d'Eneas' und Vergils 'Aeneis' im Vergleich 3110400588, 9783110400588, 9783110403305, 9783110403381

In mittelalterlichen Erzählungen treten unzählige Dinge auf, die über den Status als bloß ‚Zuhandenes‘ weit hinausreiche

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Bausteine zu einer Narratologie der Dinge: Der 'Eneasroman' Heinrichs von Veldeke, der 'Roman d'Eneas' und Vergils 'Aeneis' im Vergleich
 3110400588, 9783110400588, 9783110403305, 9783110403381

Table of contents :
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Vorwort
1 Einleitung
2 Kulturwissenschaftliche Dimensionierungen
2.1 Der Gabendiskurs und Macht-Gegenstände
2.2 Was ist ein Ding?
3 Erzähltheoretische Verortung von Dingen
3.1 Aktueller Stand der Narratologie
3.2 Neue Tendenzen
3.3 Das Zwei-Ebenen-Modell
3.4 existents: Figur und Raum
3.5 events: Handlungsrelevanz von Dingen
3.6 Handlungsfortschritt vs. Paradigmatik: Motivationaler Eigenwert von Dingen
3.6.1 Kausale, finale und ästhetische Motivation
3.6.2 Paradigmatische Motive
3.7 Strukturspezifika älterer Texte
3.7.1 Mythische Erzählstruktur und Kontingenz
3.7.2 Figurenintention, erzählerische Lenkung und Anziehungskraft von Dingen
4 Dinge als Erzählkonstituenten im ‚Eneasroman‘
4.1 Geschenke
4.1.1 Vorboten des Verfalls? – Gaben für Dido
4.1.2 comencemenz de mort et de destruction: Verborgene Mitspieler?
4.1.3 Fazit zu den Geschenken
4.2 Mythischer Raum, mythische Ding-Funktionen? Die Unterwelt
4.2.1 Der goldene Zweig
4.2.1.1 si te fata vocant: Das Zeichen des Auserwählten
4.2.1.2 at ramum agnoscas: Die Autorität des Zweigs
4.2.2 Exkurs: Der wunsch im ‚Nibelungenlied‘
4.2.3 frustra ferro: Eneas’ Schwert
4.2.4 Fazit zur Unterwelt
4.3 Waffen und Schutzgegenstände
4.3.1 Die Rüstung des Eneas
4.3.1.1 nimmer sigilôs: Eingewirkte Übermacht und Wohlfühlfaktor
4.3.1.2 Mehrdimensionale Verstärkung: Der erste Kampfeingriff
4.3.1.3 Mangelnder Schutz: Der Pfeilschuss auf Eneas
4.3.1.4 at perfidus ensis: Turnus’ Schwert bei Vergil
4.3.1.5 wander gewâfent wole was: Eigenwirkung von Eneas’ Rüstung
4.3.1.6 Fazit zur göttlichen Rüstung
4.3.2 Zwei Helme
4.3.2.1 Der Verführer: Chloreus’ Helm
4.3.2.2 Der Verräter: Messapus’ Helm
4.3.2.3 Fazit zu den Helmen
4.3.3 Figurenwissen, Ding-Geschichte und narrative Rechtfertigung: Turnus’ Ende
4.3.3.1 Pallas’ Wehrgehänge: Alternative(n) ‚im Ding‘
4.3.3.2 se il seüst: Der fatale Ring?
4.3.3.3 Fazit zum Wehrgehänge und zum Ring des Pallas
5 Zusammenfassung
6 Literatur
6.1 Quellen
6.2 Forschungsliteratur
7 Register

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Valentin Christ Bausteine zu einer Narratologie der Dinge

Hermaea

Germanistische Forschungen Neue Folge

Herausgegeben von Christine Lubkoll und Stephan Müller

Band 137

Valentin Christ

Bausteine zu einer Narratologie der Dinge Der ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke, der ‚Roman d’Eneas‘ und Vergils ‚Aeneis‘ im Vergleich

DE GRUYTER

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Zugl. Diss. Universität Tübingen.

ISBN 978-3-11-040058-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040330-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040338-1 ISSN 0440-7164 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Abbildungsverzeichnis Vorwort

VII

IX

1

Einleitung

2 2.1 2.2

Kulturwissenschaftliche Dimensionierungen 9 9 Der Gabendiskurs und Macht-Gegenstände 13 Was ist ein Ding?

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6

19 Erzähltheoretische Verortung von Dingen 20 Aktueller Stand der Narratologie 24 Neue Tendenzen 25 Das Zwei-Ebenen-Modell 27 existents: Figur und Raum 34 events: Handlungsrelevanz von Dingen Handlungsfortschritt vs. Paradigmatik: Motivationaler Eigenwert 38 von Dingen 38 Kausale, finale und ästhetische Motivation 45 Paradigmatische Motive 49 Strukturspezifika älterer Texte 49 Mythische Erzählstruktur und Kontingenz Figurenintention, erzählerische Lenkung und Anziehungskraft von 53 Dingen

3.6.1 3.6.2 3.7 3.7.1 3.7.2

1

57 Dinge als Erzählkonstituenten im ‚Eneasroman‘ 59 Geschenke 60 Vorboten des Verfalls? – Gaben für Dido comencemenz de mort et de destruction: Verborgene 66 Mitspieler? 75 4.1.3 Fazit zu den Geschenken 4.2 Mythischer Raum, mythische Ding-Funktionen? Die 75 Unterwelt 77 4.2.1 Der goldene Zweig 77 4.2.1.1 si te fata vocant: Das Zeichen des Auserwählten 83 4.2.1.2 at ramum agnoscas: Die Autorität des Zweigs 94 4.2.2 Exkurs: Der wunsch im ‚Nibelungenlied‘ 95 4.2.3 frustra ferro: Eneas’ Schwert

4 4.1 4.1.1 4.1.2

VI 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.1.4 4.3.1.5 4.3.1.6 4.3.2 4.3.2.1 4.3.2.2 4.3.2.3 4.3.3 4.3.3.1 4.3.3.2 4.3.3.3

Inhalt

Fazit zur Unterwelt 105 Waffen und Schutzgegenstände 106 107 Die Rüstung des Eneas nimmer sigilôs: Eingewirkte Übermacht und 108 Wohlfühlfaktor 113 Mehrdimensionale Verstärkung: Der erste Kampfeingriff 118 Mangelnder Schutz: Der Pfeilschuss auf Eneas 120 at perfidus ensis: Turnus’ Schwert bei Vergil wander gewâfent wole was: Eigenwirkung von Eneas’ 123 Rüstung 129 Fazit zur göttlichen Rüstung 131 Zwei Helme 132 Der Verführer: Chloreus’ Helm 138 Der Verräter: Messapus’ Helm 146 Fazit zu den Helmen Figurenwissen, Ding-Geschichte und narrative Rechtfertigung: 147 Turnus’ Ende 148 Pallas’ Wehrgehänge: Alternative(n) ‚im Ding‘ 151 se il seüst: Der fatale Ring? 157 Fazit zum Wehrgehänge und zum Ring des Pallas

5

Zusammenfassung

6 6.1 6.2

Literatur 169 169 Quellen Forschungsliteratur

7

Register

181

159

169

Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3:

Zwei-Ebenen-Modell nach Chatman Literarische Räume Narrative Motivierungsarten

S. 26 S. 30 S. 40

Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner im April 2013 am Deutschen Seminar der Eberhard Karls Universität Tübingen eingereichten Dissertation dar. An deren Ausgangspunkt steht ein Hauptseminar im Sommersemester 2006 mit dem Titel Die Kraft von Dingen in mittelalterlichen Texten unter der Leitung von Anna Mühlherr und Christoph Huber. Dass sich daraus meine Doktorarbeit ergeben würde, hätte damals wohl niemand gedacht. Umso mehr geht an dieser Stelle mein Dank an die beiden Seminarleiter. Bedanken möchte ich mich insbesondere bei Anna Mühlherr, die mich zu dieser Arbeit ermutigt und sie betreut hat. Ihre hervorragende fachliche wie persönliche Betreuung und ihre Begeisterung für mittelalterliche Literatur haben mich nachhaltig beeindruckt. Ganz gleich, wohin mein Weg zukünftig führen wird – unschätzbar wertvoll bleibt die Erfahrung, wie fruchtbar und gewinnbringend kritisches, unkonventionelles Denken und das Infragestellen vermeintlich unumstößlicher Gewissheiten bei jeglicher Art der Problemlösung sind. Für die Aufnahme in die Reihe Hermaea danke ich Stephan Müller, so wie ich mich auch beim Verlag für die freundliche Betreuung und Drucklegung bedanke. Ebenso gilt mein Dank dem Promotionskolloquium. Für das gründliche Korrekturlesen danke ich Ann-Kathrin Olbert sowie vor allem meinem Bruder Rüdiger und meiner Mutter Brunhilde Christ. Bei der Konrad-AdenauerStiftung bedanke ich mich für die ideelle und großzügige materielle Unterstützung, vor allem aber für die Freundschaften, die ich dort schließen durfte. Für intensive Unterstützung danke ich meiner Verwandtschaft, stellvertretend seien Theresia Frick, Hedwig Joas, Ulrich und Alfons Christ genannt. Weiter danke ich meinen Freunden, ganz besonders Benjamin Waldmüller. Gewidmet ist die Arbeit meinem Vater Josef Christ, der das Projekt mit großer Freude verfolgte, die erfolgreiche Fertigstellung aber nicht mehr miterleben durfte.

1 Einleitung Ist es nicht mindestens etwas exzentrisch, mithilfe von Begriffen und Konzepten, die doch zur Beschreibung und Erklärung menschlichen Verhaltens und Erlebens entwickelt wurden, ausgerechnet über ‚tote‘ Dinge Aussagen machen zu wollen? […] Man wird sehen. Friedrich W. Heubach1

Marion Oswald beleuchtet in ihrer Studie ‚Gabe und Gewalt‘ unterschiedliche Spielarten von „gewaltbesetzten oder Gewalt generierenden, von ‚gefährlichen‘ oder zerstörerischen Gaben“ in mittelalterlichen Erzählungen – Dinge, denen „Störungs- und Zerstörungspotentiale regelrecht eingraviert sind“ 2. Wenngleich sie das reziproke Austauschverhältnis zwischen Geber und Empfänger ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt, richtet sie ihren Blick gleichzeitig auch auf besondere Gegenstände, denen etwas inhärent ist, das dem Handlungspersonal bisweilen antagonistisch gegenübersteht, das verführerisch scheint und die Figuren in ihren Bann zieht, sie aber auch in den Abgrund reißen kann. Abseits ihrer funktionalen Einbettung in die erzählte Welt sind solche Dinge, die sie als „stigmatisiert“ bezeichnet, häufig auch für die Strukturierung der Geschichte funktionalisiert, indem mit ihnen „sinnkonstituierende Informationen in den Text hineingeholt werden“ 3, Leser und Hörer also (Rück-)Bezüge knüpfen können oder Vorausdeutungen erhalten. Einer der zentral von ihr untersuchten Texte ist der ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke.4 Hier scheint ein destruktives Potential von Dingen besonders auf Karthago deutlich zu werden, wo Eneas bei seiner Ankunft Dido verschiedene Gegenstände überbringen lässt. Unter anderem heißt es:

1 Heubach, Friedrich W.: Das bedingte Leben. Theorie der psycho-logischen Gegenständlichkeit der Dinge. München 1987. 2 Oswald, Marion: Gabe und Gewalt. Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur. Göttingen 2004, S. 22–23. Den Mechanismus des Gabentauschs begreift sie als „für die Kultur des Mittelalters zentrale Erscheinung und Kategorie“ (S. 16). 3 Oswald (s. Anm. 2), S. 139 und 142. 4 Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mhd./Nhd. Nach d. Text v. Ludwig Ettmüller ins Nhd. übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke. Stuttgart 1997. Im Folgenden abgekürzt als ER.

2

Einleitung

sînen kamerâre hiez er schiere brengen […] einen koph von golde, […] und einen mantel gûten harmîn wîz alse ein swane. […] dar zû her ime brengen bat zwêne bouge und ein vingerlîn und ein nusken guldîn, […] und einer rîchen frowen gewant. (ER 36,24–37,7)

Für die Figur innerhalb der erzählten Welt – für Dido – ist die Geschenkübergabe eine hohe Ehre. Für den Rezipienten erweisen sich die überreichten Gegenstände jedoch alsbald als höchst problematisch. Denn was die Beschenkte nicht weiß: Insbesondere das gewant fungiert nicht nur als Symbolisierung und Manifestation ihrer exponierten Stellung innerhalb der erzählten Welt. Der Erzähler lässt nämlich zudem wissen: Es entstammt dem Besitz der kunegin Êcubâ (ER 37,12) – der letzten Herrscherin des zerstörten Troja. Damit ist in den überreichten Gaben ein zukünftiges Parallelszenarium angelegt, und der Fortlauf des Geschehens bekräftigt die Annahme eines negativen Potentials dieser Dinge: Auch Didos Herrschaft wird zugrunde gehen, damit erfährt sie das gleiche Schicksal wie die frühere Trägerin des Krönungsgewandes. Mit den Gaben aus Troja hat es also nichts Gutes auf sich. Das bedarf freilich der Konkretion – was ist genau damit gemeint, dass es mit bestimmten Dingen ‚nichts Gutes auf sich‘ habe? Im Kern versucht Oswald, eine Beziehung zwischen der Überreichung von Gegenständen und dem jeweiligen Folgegeschehen herzustellen. Sie beschränkt sich dabei nicht nur auf den materiellen Aspekt, sondern bezieht auch andere zwischenmenschliche Faktoren wie Gestik, familiäre Bindung und Weiteres mit ein. Diese sollen im Folgenden weitgehend ausgeklammert werden, vielmehr sind für mich die Dinge als solche interessant. Ein Ausgangspunkt der Argumentation Oswalds ist das bekannte Trojanische Pferd: ein Ding, das nach der Überreichung eine zerstörerische Wirkung entfaltet. Allerdings liegen die Zusammenhänge bei diesem Beispiel vergleichsweise klar auf der Hand, denn der von dem Holzpferd ausgehenden Verwüstung Trojas liegt eine geplante Aktion der gegnerischen Partei zugrunde: Das Annehmen des Geschenks von den Trojanern, die Befüllung mit feindlichen Kriegern, der nächtliche Ausstieg und letztlich die Verheerung Trojas wurden von den Grie-

Einleitung

3

chen im Vorfeld ins Kalkül gezogen und dann in die Tat umgesetzt. Insofern ist der hölzerne Gegenstand nicht viel mehr als ein Mittel zum Zweck; das Irritierende bleibt die Arglosigkeit, mit der das Objekt von Priamus’ Leuten in die Stadt geholt wird. Oswald untersucht noch weitere Gegenstände, bei denen die Zusammenhänge weniger klar sind, bei denen aber letztlich der Befund der gleiche ist: Die Überreichung eines Gegenstands zieht eine (zumeist) fatale Konsequenz nach sich. Gemäß Oswalds Argumentation ist diese tödliche Kraft – das Beispiel des Trojanischen Pferds dient hier als Paradigma – im Gegenstand selbst zu finden, und das belegt sie auch an zahlreichen Beispielen. Allerdings ist keiner dieser Fälle so durchsichtig wie die Aktion der Griechen, wo das, was aus dem Ding heraus wirkt, ja letztlich eine geplante menschliche Handlung ist. Hier setzt meine Argumentation an. Bezeichnend für solche Gegenstände ist nämlich, dass sich – anders als bei dezidiert magisch wirksamen Objekten – zumeist kein manifester Kausalnexus im Text festmachen lässt, die angelegte Wirksamkeit also wesentlich subtiler zum Vorschein kommt. Genau genommen tritt sie auf verschiedenen Ebenen an die Oberfläche, die Oswald zumeist nicht ausreichend klar voneinander unterscheidet. Und gerade hier zeigt sich, wie wesentlich die in der Literaturwissenschaft grundlegende kategoriale Trennung zwischen der erzählten Welt und der Ebene der narratio, d. h. der metafiktionalen, auf den Rezipienten ausgerichteten Strukturierung der Geschichte durch eine Erzählinstanz, ist. Eine Fatalität eines Dings mag im Text angelegt sein, es ist jedoch genau zu untersuchen, wem dieser skizzierte Zusammenhang überhaupt zugänglich ist – dem Leser, den Figuren, oder beiden? Und in welchem Verhältnis stehen diese Lektüreangebote zueinander? Diese Differenzierung von erzählter Welt und dem Wissen des Rezipienten führt hin zur umfassenden Frage nach den unterschiedlichen Möglichkeiten erzählerischer Einbettung von Dingen, der ich in Kapitel 3 – vor allem anhand der sogenannten Motivierungsarten – näher auf den Grund gehe. Die dort entwickelten kategorialen Einordnungen sollen helfen, die unterschiedlichen Spielarten und Erscheinungsformen narrativer Funktionalisierung von Dingen mit mehr Trennschärfe fassen zu können, und damit dazu beizutragen, dem Facettenreichtum angemessen(er) zu begegnen. Zurück zu den Geschenken für Dido: Auf der Ebene der narratio – d. h. für Leser und Hörer – liegen die beschriebenen Zusammenhänge dadurch, dass sie mit dem durch den Erzähler vermittelten Hintergrundwissen Verbindungen zwischen der Herkunft der Dinge und dem zukünftigen Schicksal der karthagischen Herrscherin knüpfen können, zunächst verhältnisweise offen. Denn auf dieser Verständnisebene wird mehr oder weniger klar signalisiert, dass die Dinge den Untergang mit sich bringen. Im Prinzip handelt es sich dabei um einen

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Einleitung

symbolischen Verweis in Form einer Korrespondenz zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ganz so klar sind die Verhältnisse aber dennoch nicht, denn: Wenngleich Didos Ende dem der trojanischen Herrscherin vergleichbar ist und zwischen beiden Figuren durch die Geschenke Verbindungen hergestellt werden können, ist damit die Frage nach der tatsächlichen, d. h. nach der aktiven Rolle der Gegenstände innerhalb der erzählten Welt, die Oswald anhand des Beispiels des Trojanischen Pferds ins Feld führt, nicht beantwortet. Zu bestimmen wäre dabei, ob der Text eine Agenshaftigkeit von Dingen impliziert – oder gar expliziert. Hier befindet man sich nicht selten in Zonen der Unbestimmbarkeit, in Bereichen des ‚könnte sein‘. Innerhalb der erzählten Welt – für Dido als auch für Eneas – ist der geschilderte (Kausal-)Zusammenhang eben gerade nicht zweifelsfrei zu erschließen. Dennoch bilden die Geschenke – und genau darin scheint ja der Reiz solcher Gegenstände zu liegen – auch hier zumindest temporär den „Mittelpunkt eines semantischen Gravitationsfeldes“ 5, d. h. es bietet sich eine Lektüre an, die ein Verständnis von den Dingen als fatale Objekte erlaubt. Allerdings kann zwischen dem, was sich für den Rezipienten zeigt und dem, was den Figuren zugänglich ist, ein Spannungsfeld bestehen, dem in dieser Arbeit ein spezifisches Augenmerk gelten soll. Das besondere Verdienst Oswalds ist es, den Blick geschärft zu haben für die vielfältigen Möglichkeiten, wie Dinge in erzählerische Zusammenhänge eingebunden sein können. Allerdings legt die folgende Untersuchung auch offen, dass Oswalds Annahme einer stringenten Verbindung zwischen den Dingen und dem Fall der karthagischen Königin einer (durchgängigen) Manifestation innerhalb des Epos (innerhalb der erzählten Welt wie auf der Ebene der narratio) letztlich doch entbehrt. Gleichwohl wird deutlich, wie der genaue Blick auf erzählte Gegenstände alternative Lesarten zur klassischen figurenzentrierten Lektüre parat halten kann und damit neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnet: Dinge können ihre eigene(n) Geschichte(n) erzählen. Damit stellt sich gleichzeitig die Frage, wie sich solchen Phänomenen auf erzähltheoretischer Ebene begegnen lässt. Eine neuere Arbeit, die Gegenstände ins Zentrum der Analyse stellt, stammt von Anna Mühlherr, die tarnhût und hort im ‚Nibelungenlied‘ untersucht.6 Davon ausgehend, dass „Wahrnehmungsweisen von Dingen radikal zu

5 Bulkowski, Hansjürgen: Liebe zur Sache. Über Dinge. Merkur 59 (2005), S. 988–997, hier: S. 991. 6 Das Nibelungenlied. Mhd./Nhd. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor. Ins Nhd. übers. und komment. von Siegfried Grosse. Stuttgart 2002. Im Folgenden abgekürzt als NL.

Einleitung

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historisieren“ 7 seien, macht sie einen essentiellen Konnex zwischen Ding und Besitzer respektive Herkunfts- und Herstellungsort fest. Das Lösen solcher Bindungen kann katastrophale Folgen nach sich ziehen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Hagen am Ende durch genau das Schwert zu Tode kommt, dessen Besitzer – Siegfried – er einst getötet hatte. Weiter stellt Mühlherr fest, dass in diesem Epos offenbar nicht jeder Gegenstand an jeden Ort passt bzw. gehört. Ein grundlegendes Problem besteht ihrer Ansicht nach bereits darin, dass die tarnhût aus dem Nibelungenland überhaupt entfernt wurde. Darauf macht auch Alberich selbst beim Abtransport des Horts nach Worms aufmerksam: „Doch wurdez nimmer“, | sprach Albrîch, „getân, niwan daz wir übele | dâ verlorn hân mit samt Sîfrîde | die guoten tarnhût, want die truoc alle zîte | der schœnen Kriemhilde trût. Nu ist ez Sîfrîde | leider übel komen, daz uns die tarnkappen | het der helt benomen unt daz im muose dienen | allez ditze lant.“ (NL 1119,1–1120,3)

Wäre also der Tarnmantel besser in den Händen der Nibelungen bzw. in deren Land geblieben und wenn ja, weshalb? Letztlich lässt sich die Bewandtnis des Motivs nicht völlig befriedigend aufschlüsseln, es bleibt narratologisch widerständig. Entgegen Ansätzen, die im Tarnmantel lediglich ein stoffgeschichtliches Relikt sehen, zeigt Mühlherr für ausgesuchte Passagen, dass dort „das Handeln der menschlichen Akteure […] unter bestimmten mit dem besonderen Ding gegebenen Voraussetzungen [steht], die diesem Handeln bestimmte Grenzen setzen und eine bestimmte Logik aufzwingen“ 8. Eine solche Eigen-Logik der Dinge kann in älteren Texten zum Teil deutlich narratives Potential entfalten, das sich erst im Blick auf den konkreten Gegenstand, auf seine Herkunft und Geschichte, seine ‚Identität‘, seine Zugehörigkeiten und Wirkungsweisen abzeichnet. Mittelalterliche Literatur beherbergt ein ganzes Arsenal an erzählten Objekten, von denen sicher nicht alle die Prägnanz der aufgezeigten Beispiele haben. Dennoch gehen einige von ihnen über einen bloßen Requisitenstatus hinaus. Man könnte nun im Hinblick aufs ‚Nibelungenlied‘ ja für eine mangelhaft verknüpfte, stark an mündlicher Tradierung

7 Mühlherr, Anna: Nicht mit rechten Dingen, nicht mit dem rechten Ding, nicht am rechten Ort. Zur ‚tarnkappe‘ und zum ‚hort‘ im Nibelungenlied. Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 131 (2009), S. 461–492, hier: S. 461. 8 Mühlherr (s. Anm. 7), S. 463.

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Einleitung

orientierte Erzählweise argumentieren. Für den ‚Eneasroman‘ kann das jedoch kaum gelten. Gleichwohl spielen auch hier Dinge bisweilen in vielerlei Hinsicht bedeutsame Rollen. In erzähltheoretischen Entwürfen findet das bislang noch keinen ausreichenden Niederschlag. Das Untersuchungsfeld dieser Arbeit ist also der mittelalterliche ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke, der als eines der ersten Großwerke deutscher Literatur gelten darf. Hier soll in komparatistischer Perspektive der Frage nachgegangen werden, was für unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen Dinge speziell in älteren Erzählungen gewinnen können und welche alternativen Interpretationsmöglichkeiten sich daraus ableiten lassen. Zwei weitere Erzählungen werden parallel zum Vergleich herangezogen. Zum einen Veldekes Hauptquelle, der wenige Jahre zuvor entstandene ‚Roman d’Eneas‘,9 und zum anderen der antike lateinische Text, der dem französischen Anonymus als Grundlage diente und auf den wohl auch Heinrich von Veldeke selbst Bezug nimmt: Vergils ‚Aeneis‘.10 Basis ist die Anbindung an narratologische Konzepte. Hier wäre nicht nur grundsätzlich zu fragen, wo Dinge erzähltheoretisch angemessen verortet werden können. Auch bieten aktuelle Handlungsmodelle kaum Positionierungsoptionen für die eingangs in den Raum gestellte Wirkung oder Aktantenförmigkeit von Dingen, ganz abgesehen davon, dass moderne Konzepte bei bestimmten Spezifika älterer Texte möglicherweise (generell) zu modifizieren wären. Eine Lektüre von den Dingen her soll indes nicht bedeuten, dass die handelnden Figuren in den Hintergrund treten. Vielmehr soll diese Lesart den Stellenwert von Dingen für Handlungssequenzen wie für die narratio verdeutlichen und alternative Textzugänge bieten, die in der (bloßen) Konzentration auf das Figurengefüge außer Acht geraten können. Dass dabei interessante Spannungsfelder und Irritationsmomente zutage treten können, wird die folgende Untersuchung zeigen, die den Blick für die literarische Relevanz von

9 Le Roman d’Eneas. Übers. und eingel. von Monica Schöler-Beinhauer. In: Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben. Hrsg. von Hans Robert Jauss/Erich Köhler. München 1972. Im Folgenden abgekürzt als RdE. Seine Entstehungszeit wird um 1160 datiert, die des ‚Eneasromans‘ auf ca. 1170–1190. Zur Chronologie von Roman d’Eneas und Veldekes Adaption vgl. Kartschokes Nachwort in dessen ER-Ausgabe, v. a. S. 851–857. 10 Vergil: Aeneis. Übers. und hrsg. von Edith Binder/Gerhard Binder. Stuttgart 1994. Mittlerweile gilt es in der Forschung zum ‚Eneasroman‘ als Konsens, dass Veldeke nicht nur auf Vergil selbst Bezug nimmt, sondern sich auch weiterer antiker Quellen wie Servius’ Kommentar der ‚Aeneis‘ und Ovid bedient hat, vgl. hierzu u. a. Lienert, Elisabeth: Deutsche Antikenromane des Mittelalters. Berlin 2001, S. 72–102.

Einleitung

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Dingen in älteren Erzählungen schärfen und hierfür ein möglichst differenziertes Analyseinstrumentarium vorschlagen möchte. Für ein solches Vorgehen liegt eine komparatistische Lektüre von Texten als Ausgangspunkt auf der Hand. Manche Gegenstände erfahren in den mittelalterlichen Adaptionen eine im Vergleich zur lateinischen Vorlage divergierende Zeichnung. Bestimmte Dinge treten deutlich hervor, andere wiederum verlieren an Prägnanz. Auch zwischen dem ‚Roman d’Eneas‘ und Veldekes Erzählung lassen sich teilweise deutliche Unterschiede konstatieren, sodass im Vergleich der drei Werke ein besonders differenzierter Blick auf das literarische Potential von Dingen gewonnen werden kann.

2 Kulturwissenschaftliche Dimensionierungen 2.1 Der Gabendiskurs und Macht-Gegenstände In den letzten Jahren haben Dinge eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Den Ausgangspunkt stellen kultur- und sozialwissenschaftliche Arbeiten dar,11 die Literaturwissenschaft hat sich dem Thema erst später zugewandt.12 Karl-Heinz Kohl spricht in seiner wegweisenden kulturhistorischen Studie programmatisch von der „Macht“ bestimmter Gegenstände.13 Ein vielbeachteter Beitrag stammt von Hartmut Böhme, der sich in kulturwissenschaftlicher Ausrichtung gegen eine Belegung bzw. Abwertung menschlichen Objektbezugs als ‚fetischistisch‘ ausspricht, im Gegensatz dazu für eine differenzierte Sicht plädiert und Dingen ein Maximum an Dignität zubilligt.14 Und auch Michael Niehaus verweist in seiner breit angelegten Studie auf den eigenständigen Status, den ‚wandernde‘ Dinge Personen gegenüber gewinnen können.15

11 Vgl. beispielsweise Ecker, Gisela/Breger, Claudia (Hg.): Dinge. Medien der Aneignung, Grenzen der Verfügung. Königstein/Taunus 2002. Frank, Michael C. u. a. (Hg.): Fremde Dinge. ZfK I (2007). Manche Arbeiten betrachten Dinge kritisch vor dem Hintergrund sich ausweitender Technologisierung, so Baudrillard, Jean: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt, New York 1991. Andere untersuchen die Zugänglichkeit als solche, so z. B. Flusser, Vilém: Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen. München, Wien 1993. Die auf den Überlegungen Bruno Latours basierende Akteur-NetzwerkTheorie beleuchtet die Verwobenheit von Menschen und Dingen in modernen Gesellschaften: „Außer zu ‚determinieren‘ und als bloßer ‚Hintergrund für menschliches Handeln‘ zu dienen, könnten Dinge vielleicht ermächtigen, ermöglichen, anbieten, ermutigen, erlauben, nahelegen, beeinflussen, verhindern, autorisieren, ausschließen und so fort.“ Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Frankfurt a. M. 2007, S. 124. Der Begriff der Dingkultur versucht, die Vielschichtigkeit des Phänomens zu erfassen und berücksichtigt eine „eigene Dinghaftigkeit, die die konkrete, zumeist handgreifliche Beziehung zwischen Subjekt und Ding strukturiert. Diese geht […] nicht in der Subjekt-Objekt-Relation auf, vielmehr wird dem Ding unabhängig von seinen kulturell festgelegten Funktionen eine obdurate objecthood […], eine semiotischen Vereinnahmungen nicht restlos gefügige Materialität und Präsenz […] sowie eine spezifische agency […] zugesprochen.“ Holm, Christiane: Dingkultur. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze, Personen, Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart, Weimar 2008, S. 132–133. 12 Material Culture und New Materialism richteten den Blick stärker auf Alltagsgegenstände, vgl. z. B. Kimmich, Dorothee: Alltägliche Dinge. Plurale 7 (2008): Alltag, S. 23–44. 13 Kohl, Karl-Heinz: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München 2003. 14 Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Reinbek bei Hamburg 2006. 15 Niehaus, Michael: Das Buch der wandernden Dinge. Vom Ring des Polykrates bis zum entwendeten Brief. München 2009.

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Kulturwissenschaftliche Dimensionierungen

Im Rahmen von Modernitätsdebatten rückten materielle Gegenstände insbesondere durch die Wahrnehmung einer wachsenden gesellschaftlichen Abhängigkeit von ihnen in den Fokus. Damit verbunden waren grundlegende Reflexionen über das vermeintlich asymmetrische Verhältnis von Subjekt und Objekt: „Erst wenn Dinge streiken, fallen oder klemmen, kommen sie in den Verdacht, ein Eigenleben zu führen – ein Eigenleben, das über ihre vom Subjekt intendierte Funktion hinausgeht.“ 16 Besonders stark wurde die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Dingen durch den Gabendiskurs im Anschluss an Marcel Mauss befördert, so auch bei der bereits erwähnten Untersuchung von Marion Oswald, die den Mechanismus des Gabentauschs als „für die Kultur des Mittelalters zentrale Erscheinung und Kategorie“ 17 beschreibt. Wenngleich es an dieser Stelle nicht möglich ist, die damit zusammenhängenden Forschungsimplikationen umfassend wiederzugeben,18 soll doch auf einige Gesichtspunkte eingegangen werden, die im Rahmen der literaturwissenschaftlichen Analyse speziell älterer Texte von Bedeutung sein können. Mauss erkennt in der Gabe in vormodernen Gesellschaften die gemeinschaftskonsolidierende Wirksamkeit dreier Verpflichtungen: zu geben, zu empfangen und zu erwidern. Die Ursache des Zwangs zur Reziprozität verortet er im sog. hau, einem aus einer Maori-Sprache entlehnten Begriff, der eine den Dingen innewohnende „Kraft“ bezeichnet, „die sie zwingt, zu zirkulieren, gegeben und erwidert zu werden“ 19. Gemäß dieses Denkschemas ist „die empfangene Sache nicht leblos“, vielmehr steht sie in einer unauflöslichen „SeelenBindung“ zu ihrem Eigentümer und Herkunftsort (man erinnere sich an die erwähnten Dinge im ‚Nibelungenlied‘); sie nicht zurückzugeben wäre „gefährlich und tödlich“, weil die Gegenstände „magische und religiöse Macht über den Empfänger haben“ 20. Im Potlatsch weist er auf das agonale Moment dieses Kreislaufs hin, indem die Erwiderung der Gabe die prekäre Spannung der Überbietung birgt. Diese Überlegungen wurden u. a. von Maurice Godelier aufgegriffen. Wie Mauss macht auch er eine „doppelte Beziehung“ zwischen Geber

16 Tischleder, Bärbel: Objekttücke, Sachzwänge und die fremde Welt amerikanischer Dinge. Zu Dingtheorie und Literatur. ZfK 1 (2007), S. 61–71, hier: S. 65. 17 Oswald (s. Anm. 2), S. 16. 18 Vgl. z. B. Algazi, Gadi u. a. (Hg.): Negotiating the Gift. Premodern Figurations of Exchange. Göttingen 2003. Einen Überblick bietet Haselstein, Ulla: Poetik der Gabe: Mauss, Bourdieu, Derrida und der New Historicism. In: Poststrukturalismus. Hrsg. von Gerhard Neumann. Stuttgart, Weimar 1997, S. 272–289. 19 Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. 1. Aufl. [Nachdr.]. Frankfurt a. M. 2009, S. 103. 20 Mauss (s. Anm. 19), S. 33–36.

Der Gabendiskurs und Macht-Gegenstände

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und Nehmer aus: Die der „Solidarität“, die auf dem Teilen basiert, und die der „Superiorität“, die den Beschenkten in Bringschuld setzt.21 Die Spannung aus diesem Wechselspiel erzeugt eine vitale Bindung zwischen beiden Parteien. Allerdings beschränkt sich dieses (vermeintlich) symmetrische Verhältnis – und hier geht Godelier über Mauss hinaus – auf Gemeinschaften, deren Mitglieder mehr oder minder gleich sind. In hierarchisch gegliederten Gesellschaften kann die Gabe auch ein Abhängigkeitsverhältnis begründen oder manifestieren zwischen dem Geber und einem Nehmer, der mit Anerkennung oder Unterordnung reagiert. Daraus erklärt sich ein Unbehagen bei der Annahme bestimmter Dinge. Neben diesen zirkulierenden Gaben macht Godelier aber insbesondere noch eine weitere Kategorie aus, womit er Mauss’ Überlegungen um eine strukturelle Differenzierung erweitert: Dinge, die diesem Kreislauf ausdrücklich entzogen sind, da sie der jeweiligen Gemeinschaft heilig sind, weil diese fundamentale Vorstellungen von Kraft daran knüpft und nicht zuletzt ihr Selbstverständnis daraus generiert. Solch heiligen Dingen hat sich insbesondere KarlHeinz Kohl eingehend gewidmet. Er beschreibt die höchst exponierte Rolle dieser sacra innerhalb bestimmter Gruppen wie folgt: In der Ordnung der Dinge den höchsten Rang einnehmend, sind sie dem ökonomischen Kreislauf entzogen, mit Tabus umgeben und in einem rein pragmatischen Sinn nutzlose Gegenstände. Man verehrt sie und fürchtet sie zugleich. Man schreibt ihnen eine geheimnisvolle Wirkmächtigkeit zu, da sie nicht nur den Zugang zum Heiligen vermitteln, sondern auch selbst an dessen Eigenschaften partizipieren.22

Solche Gegenstände besitzen also fast schon Personen-Status, mit ihnen hängen fundamentale Vorstellungen von Souveränität, Handlungsfähigkeit und Macht zusammen. Die Aura, die von solchen Objekten ausgeht, ist evident: Nahezu alle menschlichen Gemeinschaften besitzen besondere, eben diese Gemeinschaft konstituierende und sichernde Dinge, die entsprechend geschützt

21 Godelier, Maurice: Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte. Aus d. Franz. übers. v. Martin Pfeiffer. München 1999, S. 21–22. Geschenk und Gabe werden meist synonym gebraucht, hier sei eine Unterscheidung versucht: Der Begriff der Gabe beinhaltet Gegenstand wie Geste, wohingegen im Geschenk der Akt des Schenkens selbst m. E. weniger deutlich wird. Zudem scheint Geschenk eher ein freundschaftlich-familiäres Moment und damit Zweckentbundenheit zu implizieren, die es laut Godelier nicht gibt: „[W]as die Gabe zwischen Nahestehenden […] kennzeichnet, das ist nicht das Fehlen von Verpflichtungen, das ist das Fehlen von ‚Berechnung‘“ (S. 14). 22 Kohl, Karl-Heinz: Kulthöhlen verschiedener Art. Eine Geschichte von heiligen Dingen. Neue Rundschau 1 (2004), S. 9–24, hier: S. 10.

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werden23 – man denke an die Kronjuwelen des englischen Königshauses oder die mittelalterlichen Reichsinsignien. Die interne Kohäsion und kollektive Identifikation, ja die ganze Existenz dieser Gemeinschaft hängt fundamental mit solchen Dingen zusammen. Nicht zuletzt aus diesem Grund können diese freilich auch für andere, möglicherweise konkurrierende Gruppierungen reizvoll sein. In diesem Punkt wiederum besitzt das heilige Objekt Überschneidungspunkte zur Trophäe. Diese wird hier verstanden als ein Gegenstand, der einem (mächtigeren) Gegner abgenommen wird in Form einer gewaltsamen Aneignung bzw. im Anschluss an eine siegreiche Auseinandersetzung. Im sacrum wie in der Trophäe manifestiert sich also Macht, Kraft, power etc. als etwas Substantielles; diese immateriellen Vorstellungskomplexe werden hier nämlich als im Gegenstand liegend aufgefasst. Gleichzeitig wohnt diesen Dingen damit per se ein mehr oder weniger kompetitives, d. h. wechselseitige Begehrlichkeiten weckendes Element inne. Bereits hier wird grundlegend deutlich, dass rationalistische Herangehensweisen, die diese skizzierten Phänomene als irrationale mentale Besetzungen unbelebter Gegenstände werten, psychologischen Realitäten nicht gerecht werden. Zwar definiert sich die Moderne gerade durch die Fähigkeit zur rationalen Handlung. Dabei ist der programatische Ausschluss von Unvernunft (wie schwierig diese definitorisch auch zu greifen sein mag) ein wesentliches selbstkonstitutives Element. Ein solcher Gegensatz von Vernunft und Unvernunft wird in den Dingen indes kontinuierlich unterlaufen – und gerade mit Bezug auf diesen Grundsachverhalt werden ausschließlich rationale Gegenstandskonzepte auch für moderne Gesellschaften stark in Zweifel gezogen.24 Es ist jedenfalls festzuhalten, dass von bestimmten (Macht-)Gegenständen eigene Kräfte ausgehen. Und die Verbindungen solcher Dinge zu Personen sind gerade nicht beliebig. Das wird besonders im Konzept der Trophäe deutlich, das so gefasst wird, dass bestimmte Dinge sich ihres Besitzers „erinnern“ können, sodass sie im Falle der (gewaltsamen) Entwendung „einem gestohlenen Hund vergleichbar“ bleiben, „der aus Treue gegen seinen alten Besitzer sich gegen den neuen wenden könnte“ 25. Durch diese Bindung an den (Vor-)Besitzer kann eine öffentliche Demonstration problematisch werden. Dies zeigt sich

23 Vgl. auch Weiner, Annette: Inalienable Possessions. The Paradox of Keeping-while-Giving. Berkeley u. a. 1992. 24 Vgl. Latour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Berlin 1995. 25 Fenichel, Otto: Über Trophäe und Triumph. Eine klinische Studie. In: Fenichel: Aufsätze. Band II. Hrsg. von Klaus Laermann. Olten und Freiburg i. Br. 1981, S. 159–182, hier: S. 170.

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im ‚Eneasroman‘ bei Pallas’ Ring, „[d]enn soweit die Trophäe noch auf ihren ursprünglichen Besitzer verweist […], bedeutet sie immer auch die mögliche Rache des Beraubten“ 26. Allerdings macht gerade dieser Fall auch deutlich, dass die Zusammenhänge im Rahmen einer solchen ‚Logik der Trophäe‘ stets auch einer kritischen Prüfung zu unterziehen sind. Das zeigt sich beispielhaft an der schlussendlichen Tötung von Turnus durch Eneas (vgl. S. 151–157). Zusammenfassend ist festzuhalten: Im Gabendiskurs, wie auch in den weiteren kultur- und religionswissenschaftlichen Diskursen, scheint zweifellos eine Vielzahl interessanter Aspekte von Dingen auf. Die Kategorien, die sich daraus ableiten lassen (z. B. die Gabe, das heilige Objekt, die Trophäe), können sicher auch für Interpretationen von Erzähltexten äußerst fruchtbar sein. Gleichwohl kann eine solche literaturwissenschaftliche Anwendung27 – das macht nicht zuletzt Oswalds Untersuchung deutlich – auch von den Dingen wegführen, z. B. indem der Begriff der Gabe so weit gefasst wird, dass darunter nicht nur materielle Gegenstände, sondern auch immaterielle Zuwendungen wie z. B. Gesten, Erinnerungen u. ä. verstanden werden. Die aufgezeigten Dimensionen sollen daher lediglich als Horizont möglicher Bedeutungen betrachtet werden. Die literarische Verhandlung übersteigt oder unterläuft starre Einordnungen, und so wären mit einer strikten (sei es kultur- und religionswissenschaftlich, sei es psychologisch perspektivierten) kategorialen Zuordnung die Gegenstände gerade ihrer im Erzählzusammenhang je individuellen Argumentationsstruktur beraubt.

2.2 Was ist ein Ding? Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist ein dezidiert literaturwissenschaftliches. Dinge, so die Grundannahme, sind in Erzähltexten inhaltlich wie strukturell von hoher Bedeutung. Wenngleich bei der folgenden Untersuchung ein Text des 12. Jahrhunderts und dessen Vorlagen im Zentrum stehen, kann die Relevanz materieller Gegenstände auch in neueren Erzählungen kaum geleugnet werden.28 Besonders hier wird häufig auch ein grundlegendes Problem 26 Habermas, Tilmann: Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsbildung. Berlin, New York 1996, S. 339. 27 Neben Oswald (s. Anm. 2) sei verwiesen auf Cowell, Andrew: The Medieval Warrior Aristocracy. Gifts, Violence, Performance and the Sacred. Cambridge u. a. 2007. Einen ähnlichen Ansatz, allerdings nicht aufs Mittelalter perspektiviert, verfolgt Ecker, Gisela: ‚Giftige‘ Gaben. Über Tauschprozesse in der Literatur. München 2008. 28 Für das 19. Jahrhundert kann als Beispiel gelten: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. In: Stifter: Werke und Briefe. Hist.-krit. Gesamtausgabe. Hrsg. von Alfred Doppler/Wolfgang Frühwald. Stuttgart u. a. 1982. Vor allem Naturgegenstände sind hier bedeutungsvoll. Ein zeitgenössi-

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sichbar, das sich wie ein roter Faden durch nahezu sämtliche literaturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Dingen zieht, nämlich die Frage, was überhaupt als Ding zu bezeichnen ist. Die meisten Arbeiten umgehen diese Schwierigkeit dadurch, dass sie sie schlicht ausklammern und damit eine stillschweigende Übereinkunft vorauszusetzen scheinen. An dieser Stelle seien zumindest grundlegende Eingrenzungen vorgenommen in der Gewissheit, dass diese der spezifischen Komplexität erzählter Dinge wohl nie völlig gerecht werden. Letztendlich scheint mir jede Auseinandersetzung mit erzählten Gegenständen eine spezifische Verständigung darüber zu erfordern, was sie jeweils als Ding verstanden wissen will und was nicht. Aus diesem Grunde diskutiere ich das für die spätere Textanalyse zugrundegelegte Verständnis von Ding in aller Kürze an dieser Stelle. Damit behandle ich diese Ausführungen also bewusst getrennt von den weitgehend Allgemeingültigkeit beanspruchenden erzähltheoretischen Überlegungen des folgenden Kapitels. Das Ding im hier verhandelten Kontext ist kein Erkenntnisproblem im philosophischen Sinne. Ich gehe also davon aus, dass es innerhalb fiktionaler Erzählungen eine erzählte Welt gibt, in der erzählte Gegenstände ‚real‘ sind. Auch für Dinge, die der Figurenebene enthoben sind und lediglich vom Erzähler – z. B. in Form von intertextuellen Bezugnahmen, Symbolen, Vergleichen o. ä. – eingeflochten sind, gilt die Realitätsmaxime in Form des Minimalkriteriums der Benanntheit: Real heißt, dass es die Dinge ‚gibt‘, dass sie also denotiert sind. Mit der Denotation in direktem Zusammenhang steht die Möglichkeit der Konnotation, die sowohl textintern wie textextern realisiert sein kann. Was mit Dingen verbunden werden kann, ist in starkem Maße historisch und kulturell determiniert. Diese beiden genannten Kriterien (Denotation, Konnotation) stellen die Basis einer narrativen Funktionalisierung dar, die im folgenden Kapitel diskutiert wird. Dinge sind nicht menschlich. Diese Bestimmung stellt eine Grundlage der folgenden Ausführungen dar und gilt auch für unsere moderne Wirklichkeit gemeinhin als Minimalkonsens.29 In psychologischer Hinsicht ist die Trennung von Person und Objekt aber keine Konstante. Kleinkinder etwa können materi-

sches Beispiel, das eine problematische Ausrichtung auf Dinge zeigt, da insbesondere Kleidung Substitutionsfunktion für zwischenmenschliche Kommunikation und Empathie erhält, ist Kracht, Christian: Faserland. 8. Ausgabe. München 2008. Auf den spezifischen Stellenwert bestimmter Dinge in neueren Erzähltexten verweist Kimmich, Dorothee: Lebendige Dinge in der Moderne. Konstanz, Paderborn 2011. 29 Auch hier ließen sich Texte finden, die das unterlaufen – wer oder was ist beispielsweise Odradek? Vgl. Kafka, Franz: Die Sorge des Hausvaters. In: Kafka: Sämtliche Erzählungen. Hrsg. von Paul Raabe. Frankfurt a. M. 1982, S. 139–140. Derartige Probleme sollen hier gleichwohl nicht im Fokus stehen.

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elle Gegenstände nämlich durchaus als menschlich wahrnehmen (paradigmatisch im sog. Übergangsobjekt), und auch in späteren Entwicklungsstadien scheint die rigorose Differenzierung von Ding (‚tot‘) und Mensch oder Tier (‚lebendig‘) eher eine kulturelle Konvention als psychologische Realität zu sein.30 Gerade in fiktionaler Literatur kann die Trennung von Mensch und Ding verfremdet oder problematisch erscheinen.31 Dennoch muss Dingen (zumindest im hier verwendeten Kontext) jegliche Form von Subjekthaftigkeit und Intentionalität abgesprochen werden, d. h. es soll ihnen kein wie auch immer gearteter Wille unterstellt werden. Faktoren wie die genannten werden denn auch von der Forschung als Definitions- bzw. Abgrenzungskriterium verwendet in Gestalt der „Annahme, dass Menschen sich von unbelebten Objekten unterscheiden, weil sie mentale Zustände haben, insbesondere Überzeugungen, Wünsche, Absichten und Emotionen“ 32. Dinge verfügen (zumindest gemäß des für die Arbeit zugrundegelegten Ding-Verständnisses) über keine solchen mentalen Zustände. Dies soll aber gerade nicht bedeuten, dass erzählte Gegenstände nicht als eigenständige Aktanten (vgl. S. 21–23) erscheinen und (das gilt speziell für mythische Erzählformen) eine Form von agency besitzen können. In besonderem Maße ist das in der ‚Aeneis‘ zu beobachten, wo bestimmte Gegenstände wie Waffen oder Kleidung „oft gleichsam zu Mithandelnden werden“ 33. Eine solche ‚Eigentätigkeit‘ lässt sich aber auch (wenngleich z. T. in anderer Form) in den mittelalterlichen Adaptionen erkennen, und so bewegt sich die folgende Untersuchung häufig genau im Spannungsfeld von bloßem Zuhandensein und eigener Wirkung von Gegenständen: Beispielsweise erweist sich Messapus’ Helm (trotz dessen, dass eine intentionale Handlung zweifelsfrei nicht anzunehmen ist) für Euryalus als hinterhältiger Verräter (vgl. S. 138–146). In diesem Sinne können Dinge so unberechenbar sein wie Menschen. Die Beschaffenheiten und Wirkungen von Dingen können also in auffällig konfrontativen Beziehungen zu den Figuren stehen. Dinge können den Figuren aber auch helfen. In dieser Hinsicht ist das Kriterium der Belebtheit sicher grundlegend zu problematisieren, denn speziell in älteren Texten sind nicht

30 Vgl. hierzu eingehend Heubach (s. Anm. 1). 31 Solche Phänomene lassen sich mitunter als kafkaesk bezeichnen: „Ich war steif und kalt, ich war eine Brücke, über einem Abgrund lag ich.“ Kafka, Franz: Die Brücke. In: Kafka: Sämtliche Erzählungen. Hrsg. von Paul Raabe. Frankfurt a. M. 1982, S. 284. 32 Jannidis, Fotis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Berlin, New York 2004, S. 188. 33 Albrecht, Michael von: Vergil. Bucolica, Georgica, Aeneis. Eine Einführung. 2. Aufl. Heidelberg 2007, S. 111.

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selten „Konfigurationen von Mensch, Tier und Technik“ 34 zu beobachten, in denen bestimmte Figuren mit ihrem Pferd, ihrer Kleidung, dem Schwert oder besonderen Statussymbolen ‚verschmolzen‘ erscheinen. Es lässt sich nicht immer klar feststellen, wer nun tatsächlich handelt. Die neuzeitliche Vorstellung vom Ding als reinem Instrument wird in solchen Erzähllogiken konsequent unterlaufen, wie Anna Mühlherr für bestimmte Schwerter in Heldenepen zeigt: Die Durchschlagskraft des Helden, so scheint es, hängt nicht nur an seiner Waffe, sondern vor allem auch an der Durchschlagskraft ihres Vorbesitzers, der in ihr noch immer präsent ist. […] Sieg oder Niederlage entscheiden sich in manchen heldenepischen Nahaufnahmen allein daran, wie sich Dingliches ‚verhält‘.35

Solche Mensch-Ding-Ensembles finden sich auch im ‚Eneasroman‘, beispielsweise beim Helden und seiner Rüstung, wo sich mitunter eben die Frage stellt, wem denn nun das Geschehene zuzuschreiben ist. Kommen wir nochmals zurück zur theoretischen Bestimmung des Dings. Dinge besitzen Eigenschaften, anhand derer sie sich kategorisieren und bestimmten Sorten oder Arten zuordnen lassen. Hiermit sind unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen verbunden, dabei stellen Gebrauchsgegenstand und Symbol die Enden zweier potentiell ineinander übergehender Polaritäten dar. Ein wesentliches Charakteristikum von Dingen ist, dass mit ihnen persönliche Einstellungen, aber auch Zugehörigkeiten zu bestimmten Gruppierungen zum Ausdruck gebracht werden können. Die öffentliche Komponente ist für vormoderne Gesellschaften von elementarer Bedeutung, besonders deutlich wird das in mittelalterlichen Erzählungen anhand der Kleidung,36 aber auch bei Waffen oder Geschenken. Die Bedeutung solcher Dinge kann indes in älteren Texten (hierin mag eine Alterität gegenüber neuen Erzählungen liegen) das Symbolische übersteigen, sodass das sichtbare Äußere den Primat gegenüber einem Inneren besitzt und damit der handelnde Akteur tatsächlich „‚ist‘, was seine Oberfläche zeigt“ 37. Möglicherweise ist die (moderne) Trennung von

34 Friedrich, Udo: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter. Göttingen 2009, S. 230–249. 35 Mühlherr, Anna: Helden und Schwerter – Durchschlagskraft und agency in heldenepischem Zusammenhang. In: Narration and Hero. Recounting the Deeds of Heroes in Literature and Art of the Early Medieval Period (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde). Hrsg. von Victor Millet/Heike Sahm. Berlin 2014, S. 259–275, hier: S. 259. 36 So bietet sich der ‚vestimentäre Code‘ der Stilisierung, aber auch Problematisierung und Verfremdung von Identität an, hierzu eingehend Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen, Basel 2006. 37 Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes. Tübingen 1998, S. 243.

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Identität und äußerer Erscheinung von Figuren für manche älteren Texte gar nicht zulässig, jedenfalls muss das Verhältnis zwischen Figuren(-Identität) und Dingen stets einer genauen Prüfung unterzogen werden. Im Kontext dieses Spannungsfelds zwischen Figur und Ding wären auch Gegenstände zu verorten, die metonymisch für die mit ihnen in Verbindung stehenden Figuren stehen. Denn dieses metonymische Verhältnis kann innerhalb der erzählten Welt als durchaus real erscheinen in dem Sinne, dass Figuren bzw. deren Wesen in Dingen quasi materiell inkorporiert erscheinen wie beim Ärmel der Geliebten und Ähnlichem. Hier wird die zeichentheoretische Differenzierung von Signifikant und Signifikat insoweit unterlaufen, als „das Signifikat sogar als unmittelbar, beinahe magisch präsent gedacht werden [kann]“ 38. Eine starre Opposition zwischen Menschen und Dingen lässt sich (auch) aus psychologisch-kommunikativen Gesichtspunkten in Frage stellen, wenngleich das für meine Arbeit nicht im Zentrum des Interesses steht. So kann die Kommunikation mit einem Gegenstand zwischenmenschlichen Kontakt substituieren. Das gilt für Dinge, denen menschliche Eigenschaften zuerkannt werden (Anthropomorphisierung), wie für solche, die eine tatsächliche Person verkörpern (Personifizierung). Die Grenzen zum Fetisch können hier fließend sein. Dinge können also psychologisch als eigenständige Gegenüber fungieren. Ein Indiz hierfür ist das Verleihen eines Namens, wie beispielsweise im Falle von Siegfrieds Schwert Balmunc (s. u.). Nicht selten sind Dinge in mittelalterlicher Literatur als magisch gezeichnet, wie etwa Lunetes unsichtbar machender Ring im ‚Iwein‘. Magische Gegenstände können dabei auch als Symbol für psychische Veränderungen oder Zustände dienen, man denke an das ‚wirkungslose‘ phlaster im ‚Erec‘. Spannender ist aber die Frage nach der Wirksamkeit von Dingen, selbst wenn oder besser: gerade wenn sie nicht in magischem Kontext stehen. In mittelalterlicher Literatur sind häufig Waffen mit solch spezifischem Mehrwert gezeichnet und gewinnen bisweilen eine eigene ‚Identität‘ und Autonomie gegenüber dem Träger. So benennt Hagen das guote swerte[ ] Balmunc und Sîvrit (NL 93,3 und 95,1) als je eigenständige Größen, wenn er berichtet, wie Siegfried das Nibelungenland unterwirft – die Figur scheint dem Ding sogar nachgeordnet: durch die starken vorhte | vil manec recke junc die si zem swerte heten | und an den küenen man, daz lant zuo den bürgen | si im tâten undertân. (NL 95,2–4)

38 Schulz, Armin: Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive. Berlin u. a. 2012, S. 63.

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Dass sich diese Macht des Schwertes am Ende gegen Hagen selber richtet, wurde bereits erwähnt: Nachdem Kriemhild vergeblich auf die Rückgabe des Hortes gehofft hat, nimmt sie Balmunc kurzerhand an sich und vollstreckt damit – um wiederum auf die Logik der Trophäe Bezug zu nehmen – die Rache des früheren Besitzers. Si sprach „sô habt ir übele | geltes mich gewert. sô will ich doch behalten | daz Sîfrides swert. daz truoc mîn holder vriedel, | dô ich in jungest sach, an dem mir herzeleide | von iuwern schulden geschach.“ Si zôh iz von der scheiden, | daz kunde er niht erwern. dô dâhte si den recken | des lîbes wol behern. si huob ez mit ir handen, | daz houbt si im ab sluoc. (NL 2372,1–2373,3)

3 Erzähltheoretische Verortung von Dingen In literarischen Texten, so lautet die Prämisse der vorliegenden Arbeit, erlaubt der genaue Blick auf Dinge alternative, nicht selten überraschende Lesarten gegenüber der herkömmlichen figurenorientierten Lektüre. Dies beginnt beim Blick auf Handlungsoptionen, indem eine Handlung ohne den Gegenstand nicht vollzogen werden kann. Auch das Gegenteil kann der Fall sein: Dinge können sich der Bezugnahme sperren, indem sie nicht oder anders funktionieren als von den Beteiligten intendiert.39 Speziell in älteren Texten spielt, wie bereits angedeutet wurde, der Herkunftskontext und die ‚Vita‘ oft eine entscheidende Rolle. Damit gewinnt gleichzeitig das Wissen um die Beschaffenheit, Funktionsweise oder Herkunft eines Gegenstands an Bedeutung. Aber nicht nur innerhalb der erzählten Welt spielen Dinge eine Rolle. Auch für die narratio stellen sie wichtige Strukturelemente dar, so können unterschiedliche (z. B. symbolische, erinnernde oder vorausdeutende) Verweisstrukturen an sie gebunden sein.40 Im Folgenden werden unterschiedliche erzähltheoretische Ansätze hinsichtlich der möglichen Verortung von Dingen beleuchtet. Zunächst skizziere ich den aktuellen Stand samt seiner (speziell in der deutschsprachigen Forschung stark wirksamen) Herkunftslinien. Anschließend wende ich mich neueren Entwicklungen zu, die alternative Zugänge präsentieren, Dinge als Erzähl-

39 Eindrucksvoll zu beobachten in Vischer, Friedrich Theodor: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. In: Vischer: Ausgewählte Werke in acht Teilen. Hrsg. u. eingel. von Theodor Kappstein. Leipzig 1919. „[H]aben Sie denn auch nur schon beobachtet, wie das fallende Papierblatt uns verhöhnt? Sind sie nicht wahrhaft graziös, diese Spottbewegungen, womit es hin und her flattert? Sagt nicht jeder Zug mit blasiert eleganter Frivolität: doch noch gewonnen? Oh, das Objekt lauert […]“ (S. 29). 40 Mit den zum erzähltheoretischen Grundrepertoire zählenden Kategorien von Genette lässt sich m. E. nur unzureichend präzise darstellen, dass sich hinsichtlich möglicher Bedeutungen bzw. ‚Wirkungen‘ von Dingen sowohl zwischen als auch innerhalb der beiden erwähnten Ebenen – erzählte Welt und narratio – interessante Spannungsmomente zeigen können. Die primäre Erzählinstanz bezeichnet Genette als extradiegetisch, die erzählte Geschichte als diegetisch (bzw. intradiegetisch). Innerhalb dieser ließen sich ggf. weitere ‚Erzählungen innerhalb der Erzählung(en)‘ herausarbeiten, die er metadiegetisch nennt, vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. 2. Aufl. München 1998. Diese Ebenen lassen sich aber weniger konkurrenzlos zueinander betrachten, als seine Ausführungen das auf den ersten Blick glauben machen. Speziell die Informationslenkung der Erzählinstanz (die bei ihm doch unterkomplex verhandelt wird) kann in Konkurrenz treten zu dem, was die Figuren innerhalb der erzählten Welt wissen – oder eben auch nicht. Hier sind insbesondere die Aussagen und Handlungen der Protagonisten genau zu prüfen und in Bezug zu setzen zu dem, was der Erzähler darlegt.

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komponenten aber teilweise noch stärker aus dem Auge verlieren als die klassischen narratologischen Ansätze. Dass moderne Modelle und Kategorien der Erzähltheorie historisch differente Texte nur unzulänglich erfassen, ist keine neue Einsicht. Schon länger existieren Bestrebungen, der Alterität mittelalterlicher Erzählungen mittels einer Historischen Narratologie zu begegnen.41 Ein wichtiges Augenmerk liegt auf strukturellen Differenzen im Vergleich zu (vermeintlich) kohärenten modernen Texten. Hier ergeben sich Ansätze für eine historische Lesart von Dingen, die ich aktuellen Erzähl- und Handlungstheorien gegenüberstelle. Auf Basis dieser Darstellungen plädiere ich nicht für eine grundlegende Verwerfung der klassischen Modelle, sondern für punktuelle Erweiterungen und eine „Verfeinerung der analytischen Mittel“ 42, für die ich bei Seymour Chatman die vielversprechendsten Ansatzpunkte finde. Diese theoretischen Überlegungen stellen den Horizont dar, unter dem ich den ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke und seine Vorgänger einer komparatistischen Lektüre unterziehe. Dabei werde ich der Frage nachgehen, inwieweit sich zwischen lateinischer, französischer und deutscher Fassung Unterschiede in der Verhandlung von Dingen, in deren Beschaffenheit, Wirkung und in der jeweiligen Auseinandersetzung der Figuren mit bestimmten Gegenständen erkennen lassen, welche erzähltheoretischen Überlegungen sich daraus ableiten lassen und was das über die Spezifika der drei Texte aussagt.

3.1 Aktueller Stand der Narratologie Wer sich mit narratologischen Entwürfen auseinandersetzt, sieht sich rasch mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Ein erstes ist die schier unübersichtli41 Vgl. neben Schulz (s. Anm. 38) auch Haferland, Harald/Meyer, Matthias (Hg.): Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Berlin 2010. Fludernik, Monika: The Diachronization of Narratology. Narrative 11/3 (2003), S. 331–348. Die Historische Narratologie thematisiert mehrere Problemfelder, beispielsweise das Spannungsfeld der medialen Umbruchsituation Mündlichkeit/Schriftlichkeit. Auch das spezifische Verhältnis Autor/Erzähler, Text und Rezipient ist ein Thema. Dabei geht es auch um komplexe Prozesse von Perspektive und Stimme; dass strukturalistische Herangehensweisen hier wertvolle Erkenntnisse liefern können, zeigt Hübner, Gert: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im ‚Eneas‘, im ‚Iwein‘ und im ‚Tristan‘. Tübingen, Basel 2003. Weitere Arbeiten versuchen, die Genese moderner Konzepte und die Grenzen ihrer Applizierbarkeit auf ältere Texte herauszuarbeiten, so z. B. Gerok-Reiter, Annette: Individualität: Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik. Tübingen 2006. 42 Kocher, Ursula: ‚Schreib nie einen Roman aus der Perspektive einer Türklinke!‘ In: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Hrsg. von Harald Haferland/Matthias Meyer. Berlin 2010, S. 415–427, hier: S. 427.

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che Menge an Einführungen und Sammelwerken. Es ist schwierig, ein universal akzeptiertes Standardwerk auszumachen, wenngleich im universitären Kontext die ‚Einführung in die Erzähltheorie‘ von Martínez/Scheffel als einschlägig bezeichnet werden darf. Die Untersuchung erforderte daher zunächst einmal notwendigerweise die Konzentration auf eine eingrenzbare Menge an Arbeiten.43 Die neueren Entwicklungen der Narratologie sind weitgehend vor dem Hintergrund der Abkehr von universalformalistischen Modellen zu betrachten, deren Ausgangspunkt Vladimir Propps Untersuchung russischer Volksmärchen war. Propp stellte dabei heraus, dass die einzelnen Märchen zwar hinsichtlich der Oberflächenstruktur (d. h. des erzählten Geschehens) divergieren, jedoch gleichen ‚tiefenstrukturellen Mustern‘ (wie z. B. der Sieg des Guten über das Böse) folgen, also Varianten gleichbleibender Funktionskategorien darstellen.44 Sein Ansatz war früh Kritik ausgesetzt,45 ein literaturwissenschaftlicher Nutzen über sein (auf einen bestimmten Märchentyp beschränktes) Analysekorpus hinaus wurde in Zweifel gezogen, da „die konkrete Ausgestaltung von Figuren und Funktionen, in denen sich historische, kulturelle und ästhetische Differenzen ausdrücken“, in der Annahme äquivalenter Tiefenstrukturen „zum Verschwinden gebracht“ werde.46 Ein weiterer Ansatz, der universale Handlungsstrukturen zu eruieren suchte, stammt von Algirdas Greimas. Sein Aktantenmodell sieht, ähnlich der Herangehensweise Claude Bremonds, sechs abstrakte Handlungsrollen vor.47 Der

43 Martínez, Matías/Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 4. Aufl. München 2003. Weiter beziehe ich mich im Folgenden auf Schmid, Wolf: Elemente der Narratologie. 2., verb. Aufl. Berlin, New York 2008. Sehr praktikabel ist auch Wenzel, Peter (Hg.): Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme. Trier 2004. Weitere Zusammenstellungen sind: Nünning, Ansgar (Hg.): Literaturwissenschaftliche Theorien, Modelle und Methoden. 4., erw. Aufl. Trier 2004. Lahn, Silke/Meister, Jan Christoph: Einführung in die Erzähltextanalyse. Stuttgart, Weimar 2009. Bal, Mieke: Narratology. Introduction to the Theory of Narrative. 2. ed. Toronto u. a. 2007 [1997]. 44 Propp, Vladimir: Morphology of the Folktale. 2. Ausg. Austin u. a. 1968. 45 So von Bremond, Claude: Logique du récit. Paris 1973. Er grenzt sich von der Vielzahl der Propp’schen Funktionskategorien ab und legt allgemeinere Handlungskonstellationen zugrunde. 46 Vogt, Jochen: Grundlagen narrativer Texte. In: Grundzüge der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold/Heinrich Detering. München 1996, S. 287–307, hier: S. 292. 47 Greimas, Algirdas Julien: Strukturale Semantik. Braunschweig 1971. Er differenziert zwischen Subjekt (dem Protagonisten), Objekt (des Begehrens), Adressant, Adressat, Adjuvant (Helfer) und Opponent (Widersacher). Die einzelnen Rollen sind dabei nicht auf jeweils eine Erzählfigur begrenzt, diese kann mehrere Rollen einnehmen, gleichzeitig kann ein Aktant (z. B. Helfer) auf mehrere Entitäten ‚verteilt‘ sein (vgl. S. 162–163). Damit wird klar, dass die Anwendung

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Aktant ist demzufolge nichts anderes als die Verkörperung einer Rolle (z. B. der Helfer, der Widersacher etc.). Wie bei Propp und Bremond treten inhaltliche Spezifika zugunsten solch metastruktureller Rollen(-oppositionen) in den Hintergrund, dabei bleiben die Handlungsrollen aber statische Konzepte, die der jeweils spezifischen erzählerischen Ausgestaltung wenig bis keine Beachtung schenken. Für eine literaturwissenschaftliche Analyse eignet sich Greimas’ Modell aufgrund der formal-semantischen Ausrichtung daher nur sehr eingeschränkt. Es bietet aber Anregungen, Dingen einen Aktantenstatus zuzuweisen, was in der Erzähltheorie bislang offenbar nicht in Betracht gezogen wird.48 Das Schwert, das Turnus im Zweikampf mit Eneas ‚die Unterstützung verweigert‘, wäre ein prototypisches Aktanten-Beispiel: Es ist Opponent von Turnus und damit zugleich Adjuvant des Helden. Damit könnte eine begriffliche Differenzierung verbunden werden: Wo der Begriff Akteur das handlungsmächtige Subjekt, d. h. die (anthropomorphe) Figur bezeichnet, können Dinge nichtmenschliche Aktanten darstellen. Dabei geht es – wie bereits erwähnt – keinesfalls darum, Dingen eine wie auch immer geartete Subjektivität zuzuschreiben oder sie zu anthropomorphisieren. Vielmehr soll damit ein figurenähnlicher Status bezeichnet sein, der sich aus einem Wirken ableitet, das Handlungen von Figuren auffallend nahe kommt. Die grundlegende Problematik einer Anwendung der genannten Modelle liegt freilich auf der Hand. In der Reduktion der inhaltlichen Dimension auf strukturale Beziehungen wird der Erzählung ihr individueller Gehalt genommen. Zwar lässt sich bei bestimmten Genres für universale Handlungsmuster argumentieren, wie z. B. beim klassischen Artusroman oder beim Bildungsroman des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Beispiele zeigen aber zugleich die Grenzen auf: Entweder sind die beschriebenen Modelle nur für ein bestimmtes, eingegrenztes Korpus praktikabel (Propp) oder so universal, dass die Anwendung

dieser Kategorien nur für mehr oder weniger abgegrenzte Erzähleinheiten sinnvoll ist, der Fortlauf der Erzählung kann bereits eine veränderte Verteilung der Handlungsrollen zeigen. 48 Beispielhaft Schulz (s. Anm. 38), S. 16: „Auf der Ebene der Textoberfläche […] erscheinen sie [gemeint sind die Aktanten; VC] als Figuren.“ Auch Greimas selbst scheint hinsichtlich der Aktanten nur menschliches Handlungspersonal in Betracht zu ziehen, z. B. das Subjekt als „jemand, der eine Handlung ausführt“, Objekt als „jemand, der von einer Handlung betroffen ist“. Greimas (s. Anm. 47), S. 158. In der Relation des Begehrens (vgl. S. 161–162) eröffnet er aber auch Raum für Dinge, die Objekte des Begehrens sein können, aber auch Adjuvanten, indem sie Handlungen ermöglichen oder (z. B. durch Nicht-Funktionieren) behindern (Opponent). Die Zuweisung eines aktantiellen Status’ setzt allerdings voraus, dass eine solche Funktion, z. B. helfen oder behindern, im Text (mehr oder weniger eindeutig) festzumachen ist. Manche Dinge – man denke an den Hort im ‚Nibelungenlied‘ oder auch die Geschenke im ‚Eneasroman‘ – entziehen sich aber solchen Festlegungen.

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auf einen Text abseits der Formalsemantik kaum brauchbare Interpretationsergebnisse bereitstellen kann (Greimas), und auch die Zuweisung eines bestimmten aktantiellen Statusʼ lässt letztlich noch keine Rückschlüsse auf die konkrete Verhandlung eines erzählten Gegenstands zu. Die genannten Beispiele weisen zudem deutlich auf die grundlegende Notwendigkeit der Differenzierung verschiedener Analyseebenen hin. Das wird auch für die folgende Untersuchung des ‚Eneasromans‘ essentiell sein. Grundlage der aktuellen Modelle ist (größtenteils) die auf die französischen Strukturalisten zurückgehende Aufteilung der Erzählung in histoire und discours, der Dichotomie von Was und Wie.49 Um Dingen als Erzählkonstituenten Relevanz zuweisen und ihre Rolle für strukturelle Prozesse untersuchen zu können,50 müssen sie zunächst auf der Ebene der histoire angemessen greifbar sein, was gegenwärtig nur unzureichend der Fall ist.51 Als maßgebliche Konstituenten der Geschichte betrachtet die aktuelle Erzähltheorie die drei Bestandteile Handlung, Figuren und Raum.52 Im Fokus steht die handelnde Figur; Dinge werden

49 Der klassische Strukturalismus bietet für eine Verortung von Dingen auf der Erzählebene kaum Anknüpfungspunkte. Im Blick auf „pertinent distinctions and relations between elements as well as the rules governing their possibility of combination“ treten inhaltliche Aspekte in den Hintergrund, Dinge werden allenfalls semiotisiert, vgl. Culler, Jonathan: Structuralist Poetics. Structuralism, Linguistics and the Study of Literature. London, New York 2002 [1975], S. 35. Trotz Infragestellens des Konzepts Subjekt bleibt die Figur „als Funktionsstelle der Handlung bestimmt“, vgl. Jannidis, Fotis: Literarische Figur. In: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart, Weimar 2008, S. 179. Das zeigt sich auch an den Genette’schen Kategorien Zeit, Modus und Stimme: Speziell die beiden letzten sind an anthropomorphe Figuren gebunden. Für eine Zusammenstellung der zentralen Arbeiten vgl. Culler, Jonathan (Hg.): Structuralism. Critical concepts in literary and cultural studies. London u. a. 2006. 50 Hierzu vgl. auch Dannenberg, Hilary P.: Die Entwicklung von Theorien der Erzählstruktur und des Plot-Begriffs. In: Literaturwissenschaftliche Theorien, Modelle und Methoden. Hrsg. von Ansgar Nünning. Trier 2004, S. 51–68. 51 Paradigmatisch bei Lahn/Meister: „Zu dem eigentlichen ‚Was‘, also zur Ebene der ‚Geschichte‘, rechnen wir […] die Erzählgegenstände: die Handlungen und Ereignisse, die Figuren mit ihrem Denken, Fühlen, Wollen, Handeln und mit ihren personalen Beziehungen sowie den Schauplatz und die Zeit des erzählten Geschehens − also die erzählte Welt.“ Lahn/Meister (s. Anm. 43), S. 199. An dieser Stelle sei nochmals auf die Artifizialität der (für die literaturwissenschaftliche Analyse zweifellos nützlichen) Trennung von Was und Wie hingewiesen, denn in der konkreten Lektüre lassen sich diese Bereiche kaum trennen. Jedes Was ist irgendwie vermittelt, genauso kann sich ein Wie niemals ohne irgendwas, d. h. substanzlos, artikulieren, hierzu vgl. auch Meincke, Anne Sophie: Finalität und Erzählstruktur. Gefährdet Didos Liebe zu Eneas die narrative Kohärenz der ‚Eneide‘ Heinrichs von Veldeke? Stuttgart 2007, S. 43–48. 52 Ich beziehe mich auf Wenzel, Peter: Zu den übergreifenden Modellen des Erzähltextes. In: Einführung in die Erzähltextanalyse. Hrsg. von P. W. Trier 2004, S. 5–22, hier: S. 8. Begrifflich herrscht keine Einigkeit: Wo z. B. Lahn/Meister „erzählte Welt“, „Figuren“ und „Handlung“

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

der Figur und dem Raum zugeordnet und auf diese Weise in die Handlung involviert. Bevor ich diese Bereiche näher diskutiere, beleuchte ich neueste narratologische Ansätze hinsichtlich einer Positionierung von Dingen.

3.2 Neue Tendenzen Der strukturalistische Anspruch, Texte universal erschließen zu können, wurde ab den 80er Jahren sukzessive in Frage gestellt. Dabei rückte auch das Problem der Standortgebundenheit ins Bewusstsein.53 Nicht nur konnten die aufgezeigten Herangehensweisen die Komplexität vieler moderner Erzählungen nicht im Ansatz erfassen, auch stand die grundlegendere Frage im Raum, inwieweit die Betrachtung des Textes als abgeschlossenes Gebilde überhaupt zulässig sei. Beachtenswert ist dabei die Diskrepanz zwischen dem Stand erzähltheoretischer Forschung im deutschsprachigen Raum im Verhältnis zu den Entwicklungen im amerikanischen. Während die deutschsprachigen Arbeiten großteils den klassischen Erzählmodellen verhaftet waren und erst in den letzten Jahren neue Ansätze integrativ verarbeiten,54 finden in der amerikanischen Forschung bereits seit Ende der 80er Jahre unterschiedlichste Erkenntnisse aus anderen Fachbereichen Eingang.55 Denn im Fokus auf interne Textrelationen wurden entscheidende Instanzen von der klassischen Erzähltheorie grob vernachläs-

trennen (s. Anm. 43, S. 59), unterscheidet Schmid zwischen „Situationen“, „Figuren“ und „Handlung“ (s. Anm. 43, S. 251). 53 Viele Arbeiten wurden auf der Basis eines klar umrissenen und gezielt ausgesuchten Untersuchungskorpus entwickelt, sodass der jeweilige Nutzen oft nicht über die Analyse der jeweiligen Werke hinausging, beispielhaft zu erkennen bei Stierle, Karlheinz: Die Struktur narrativer Texte. In: Funkkolleg Literatur I. Hrsg. von Helmut Brackert/Jörn Stückrath. Frankfurt a. M. 1977, S. 210–233. Man gewinnt beinahe den Eindruck, als sei Hebels ‚Unverhofftes Wiedersehen‘ für Stierles Analyse geschrieben worden und nicht anders herum. 54 Vgl. Nünning, Vera/Nünning, Ansgar (Hg.): Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse: Ansätze, Grundlagen, Modellanalysen. Stuttgart, Weimar 2010. Eine Ausnahme im deutschsprachigen Raum war daher Nünning, Ansgar/Nünning, Vera (Hg.): Neue Ansätze in der Erzähltheorie. Trier 2002. 55 Das Feld ist breit – Dekonstruktivismus, Geschichtswissenschaft, Rhetorik, Filmtheorie, Neurobiologie, Psychologie, Feminismus und viele Bereiche mehr; zu Recht wird daher von Erzähltheorie im Plural gesprochen: Herman, David (Hg.): Narratologies: New Perspectives on Narrative Analysis. Columbus 1999. Sämtliche Strömungen im Detail wiederzugeben ist fast unmöglich, ich verweise auf die einschlägige Literatur, z. B. Richardson, Brian (Hg.): Narrative Dynamics. Essays on Time, Plot, Closure, and Frames. Columbus 2002. Phelan, James (Hg.): A Companion to Narrative Theory. Mulden, Mass. 2006. Eine gute Zusammenfassung bietet Petry, Mike: ‚Post-klassische‘ Erzähltheorie: Ein Ausblick. In: Einführung in die Erzähltextanalyse. Hrsg. von Peter Wenzel. Trier 2004, S. 223–232.

Das Zwei-Ebenen-Modell

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sigt: Leser und Kontext.56 Hier versuchen neue narratologische Modelle, den Leser und dessen jeweiligen Verständnishorizont in der Auseinandersetzung mit dem Text stärker miteinzubeziehen. Gleichwohl können diese neuen Strömungen (stellvertretend sei auf die Arbeiten von Herman oder Phelan verwiesen)57 keine weiteren bzw. deutlicheren Anhaltspunkte für eine narratologische Standortbestimmung von Dingen bieten. Ihnen ist gemein, dass es sich um diskursanalytische Innovationen handelt, weniger um strukturelle. In der Fokussierung auf den „dynamic complex of relations between authors, texts and readers“ 58 gerät die konkrete Textoberfläche kaum weniger aus dem Blickfeld als bei den frühen Strukturalisten. Eine innerhalb der von diesen Strukturalisten geprägten Grundlagen zu bewerkstelligende Verständigung über die basale erzähltheoretische Verortung von Dingen stellt jedoch erst das Ausgangsmoment dar, um diese als Kategorie für weitere Forschungen fruchtbar zu machen. Die schon älteren Überlegungen von Seymour Chatman bieten in dieser Hinsicht die erfolgversprechendsten Anknüpfungspunkte.

3.3 Das Zwei-Ebenen-Modell Die besondere Leistung Chatmans besteht darin, dass er eine gelungene Synthese der „most influential Anglo-American, Russian and French approaches“ 59 erarbeitet hat und diese zudem übersichtlich darzustellen vermag. Ich 56 Hier weitet die nachklassische Narratologie den Gegenstandsbereich aus und berücksichtigt die „complex rhetorical transactions between authors, narrators, and various kinds of audiences“ (Herman, s. Anm. 55, S. 2). Für den Prozess der individuellen und vom jeweiligen historisch-kulturellen Kontext abhängigen Rezeption steht das Konzept der Naturalisierung, vgl. Fludernik, Monika: Towards a ‚Natural‘ Narratology. London, New York 1996. Die Bestandteile der Erzählung werden mit frames abgeglichen – sozio-kulturell geprägten Verständnismustern der außerliterarischen Wirklichkeit (real-world-frames) sowie dem Bewusstsein literarischer Konventionen (literary frames), z. B. beim Märchen. Diese Perspektivenerweiterung steht in Verbindung mit dem sog. cognitive turn, bei dem kognitionspsychologische Aufnahmeund Verständnismuster narratologisch genutzt werden, hierzu Zerweck, Bruno: Der ‚Cognitive Turn‘ in der Erzähltheorie: Kognitive und ‚Natürliche‘ Narratologie. In: Neue Ansätze in der Erzähltheorie. Hrsg. von Ansgar Nünning/Vera Nünning. Trier 2002, S. 219–242. 57 Neue narratologische Ansätze befassen sich beispielsweise mit ethnicity, ideology and critique oder digital media, im Bereich der elements der Erzählung sind indes keine wesentlichen Neuerungen zu verzeichnen, vgl. z. B. Herman, David u. a. (Hg.): Teaching Narrative Theory. New York 2010. 58 Herman (s. Anm. 55), S. 14. 59 Meister, Jan Christoph (Hg.): Narratology beyond Literary Criticism. Mediality, Disciplinarity. Berlin, New York 2005, hier: Introduction, S. X.

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

Actions Events Happenings

Story (histoire)

Characters Existents Setting

Erzählung (narration)

Discourse (discours)

– Order – Duration – Frequency – Characterization – Narrator – Mode – Style

Abb. 1: Zwei-Ebenen-Modell, eigene Darstellung nach Chatman (s. Anm. 60).

stelle zunächst die theoretische Positionsverortung von Dingen vor, die sich von Chatmans Entwurf aus ergibt. Diese ist im Anschluss auf die Erzählhandlung zu beziehen. Zunächst trennt Chatman auf der Ebene der histoire (bei ihm story) zwischen events und existents. Diese beiden Komponenten werden auf der discourse-Ebene als prozessuale oder statische Darstellungen verknüpft und erzählerisch vermittelt „according to whether someone did something or something happened; or whether something simply existed in the story“.60 Existents sind entweder Figuren (characters) oder Elemente des Erzählraums (items of setting). Diese beiden Komponenten Figur und Raum diskutiere ich zunächst für eine Verortung von Dingen, bevor ich sie mit der Untersuchung der events in Handlungsmodelle integriere, wobei auch auf Überlegungen von Roland Barthes zurückzugreifen sein wird.61

60 Chatman, Seymour: Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film. Ithaca und London 1989, S. 19 ff. Zur Verbindung von histoire und discours: „What is communicated is story, the formal content element of narrative; and it is communicated by discourse, the formal expression element“ (S. 31, Kursivierung i. Original). Zum Zwei-Ebenen-Modell vgl. ebenso Chatman, Seymour: Introduction to Story and Discourse. In: Structuralism. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies. Hrsg. von Jonathan Culler. London u. a. 2006, S. 42–63. 61 Barthes, Roland: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt a. M. 1988. Der maßgebliche Unterschied zwischen den strukturalistischen Konzepten französischer Herkunft im Vergleich zu den angloamerikanischen (hier Chatman) ist (neben dem Einfluss der zeitgenössischen literaturphilosophischen Denker französischsprachiger Provenienz) insbesondere in der dezidiert

existents: Figur und Raum

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3.4 existents: Figur und Raum Chatman beschreibt das setting lediglich in Abgrenzung zu den characters, für die der Raum nicht mehr als die Bühne für ihre Handlungen zu sein scheint.62 Darin wird ein grundsätzliches Spannungsfeld der erzählerischen Verortung von Gegenständen deutlich: Diese werden der Figurenhandlung zu- bzw. untergeordnet oder dienen als Raumelemente und erfüllen in dieser Weise hauptsächlich eine symbolische Funktion. In dieser Polarität wird ein weiteres zentrales Spannungsfeld erkennbar, das bereits angesprochen wurde, nämlich das Spannungsfeld zwischen der Funktion und Signifikanz von Dingen innerhalb der erzählten Welt und ihrer Bedeutung für die Rezipienten. Wenngleich sich diese vier Pole (Raum vs. Figur, handlungsfunktionale vs. symbolische Einbettung von Dingen) nicht klar zueinander ausrichten lassen, scheint der Raum eher für symbolische – und damit meist rezeptionsorientierte63 – Verhandlungen von Dingen prädestiniert. Chatmans Überlegungen bieten Anknüpfungspunkte für eine narratologische Aufwertung von Dingen gegenüber den Figuren, ein tragfähiges Raum-Konzept liefert er indes nicht. Darin stimmt er mit dem Gros der erzähltheoretischen Modelle überein: „[E]ine echte Narratologie des Raumes ist noch zu schreiben.“ 64 Als einer der immer noch differenziertesten Ansätze kann die Arbeit von Gerhard Hoffmann65 gelten, die ich nach den Überlegungen Chatmans zum Status von Dingen zwischen Figur und Raum beleuchte. Anschließend wende ich mich dezidiert mediävistischen Raumkonzepten zu. Zunächst also zu Chatman: Völlig eindeutig ist die Trennung von (Haupt-)Figuren und dem Raum zugeordneten Personal für ihn nicht. Er entwirft drei Kriterien der Abgrenzung: biology, identity (nomination) und importance (S. 139); keines ist allein hinreichend.66

linguistischen Herangehensweise zu finden. Chatmans Ansätze sind demgegenüber anwendungsorientierter. 62 Das lassen folgende Ausführungen erkennen: „Characters exist and move in space […]. Abstract narrative space contains, in clear polarity, a figure and a ground“. Chatman (s. Anm. 60), S. 138, Kursivierung VC. 63 Natürlich kann auch das Personal innerhalb der erzählten Welt selbst Raumelemente als symbolisch aufgeladen wahrnehmen, das dürfte aber im Vergleich zur Ausrichtung dieser Elemente auf Leser und Hörer weniger häufig der Fall sein, bei den Figuren scheinen mir Dinge vornehmlich der Handlung zugeordnet. 64 Frank, Michael C. u. a. (Hg.): Räume. ZfK 2 (2008), hier: Einführung, S. 14. 65 Hoffmann, Gerhard: Raum, Situation, erzählte Wirklichkeit. Poetologische und historische Studien zum englischen und amerikanischen Roman. Stuttgart 1978. 66 Die folgenden Zitate beziehen sich alle (wenn nicht anders angegeben) auf Chatman (s. Anm. 60).

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

Biology: Ohne Zweifel implizieren characters „anthropomorphic action“ (S. 25), dennoch muss es sich, zumal in fiktionalen Erzählungen, nicht zwangsläufig um Menschen handeln: In Märchen oder Fabeln agieren Tiere; sogar „primal forces, like fires, winds and storms, the sun and the moon“ können mit menschlichen Zügen versehen sein, „[t]hus, it is not clear that characters need be anthropomorphic (although in most cases they are)“ (S. 139). Auch füllen in manchen Texten einzelne Menschen bloße – weitgehend identitätslose – Statistenrollen aus und sind insofern eher als Raumelemente zu betrachten. Das Identitätskriterium wirft eigentlich mehr Fragen auf, als dass es zur Abgrenzung von Figur und Raum nützlich wäre. Ist jede Figur, die einen Namen aufweisen kann, bereits Hauptfigur oder zumindest wichtig? Viele Erzählungen könnten das Gegenteil zeigen, ebenso wie die Darstellung eines rätselhaften Namenlosen als Hauptfigur. Die „mysterious property of having a name“ (S. 139) ist insbesondere in mittelalterlicher Literatur gerade bei speziellen Dingen zu beobachten, man denke an Balmunc oder Olifant. Als Kriterium für die (menschliche) Figur67 taugt Nominierung also nur bedingt, im Gegenteil trägt diese Kategorisierungsoption dazu bei, dass auch nicht-menschlichen Aktanten Personenstatus zugewiesen werden kann. Das importance-Kriterium – obwohl Chatman es als „most fruitful“ (S. 140) erachtet – ist für eine konstitutive Abgrenzung der characters zu (vermeintlich) belanglosen Raumelementen höchst problematisch. Es bietet jedoch maßgebliche Anhaltspunkte für eine narratologische Aufwertung von Dingen. Chatman definiert dieses Kriterium der Bedeutung bzw. Wichtigkeit als „degree to which the existent takes or is affected by plot-significant action“ (S. 140). Unter Wichtigkeit subsumiert Chatman damit sowohl die aktive Figurenhandlung („the existent takes plot-significant action“) als auch eine wie auch immer geartete Beeinflussung („affected by“). Eine solche Definition führt aber nicht nur dazu, wichtiges von unwichtigem Personal zu trennen, sie erlaubt vielmehr auch eine integrative und gleichberechtigte Verhandlung von Dingen. Das bemerkt Chatman offenbar selbst, wenn er einwendet: „Objects can be absolutely cruci-

67 Zur literarischen Figur eingehend Margolin, Uri: Character. In: The Cambridge Companion to Narrative. Hrsg. von David Herman. Cambridge 2007, S. 66–79. In mediävistischer Perspektive sei neben Jannidis (s. Anm. 32) verwiesen auf Stock, Markus: Figur. Zu einem Kernproblem historischer Narratologie. In: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Hrsg. von Harald Haferland/Matthias Meyer. Berlin 2010, S. 187–203. Stock bezieht außerliterarische Verständnismuster mit ein, insofern als die (Haupt-)Figuren „auf ein dem jeweiligen historischen Verständnisrahmen angepasstes anthropomorphes bestes Exemplar hin entworfen“ seien (S. 193). Auf Dinge lässt sich das nur schwerlich übertragen.

existents: Figur und Raum

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al to a plot and clearly remain props, even gimmicks.“ 68 Damit wird aber die Novellierung narratologischer Klassifizierungen notwendig, die für bestimmte Fälle die hierarchisierende Differenz von Figur und Raumelement zu unterlaufen erlaubt. Die Basis dafür ist ein wesentlich eigenständigerer Status erzählter Gegenstände. Die dargelegten Kategorisierungen Chatmans lassen „Characterhood“ nicht als rein anthropomorphes Phänomen erscheinen – Akteurstatus wird zur „question of degree“: „[A] human being who is named, present and important is more likely to be a character […] than an object that is named, present and important“ (S. 141, Kursivierung VC). In Betracht zu ziehen wären (neben dem bereits erwähnten Aktant) Begriffe wie Mitspieler oder Handlungsfaktor.69 Kommen wir zur Verortung von Dingen im Erzählraum: Neben Jurij Lotman, der darauf aufmerksam macht, dass sich kulturelle Deutungsmuster in räumlicher Metaphorik niederschlagen können und literarische Raumdarstellung kulturell oder ethisch semantisiert sein kann,70 hat sich insbesondere Gerhard Hoffmann um die eingehende erzähltheoretische Untersuchung des Raums verdient gemacht und dabei auch Dinge in seine Überlegungen miteinbezogen.71 Sein Ansatz erscheint für moderne und ältere Texte gleichermaßen praktikabel, wenngleich dezidiert mediävistische Ansätze eine spezielle Andersartigkeit zu berücksichtigen suchen. Hoffmann differenziert zwischen gestimmtem Raum, Aktionsraum und Anschauungsraum. Diese Unterscheidung trägt der unterschiedlichen „Erlebnisstruktur“ Rechnung, die er als „Auffassungsweise und Perspektivierung durch ein erlebendes Ich“ (Figur oder Erzähler) begreift, deren Aneignung der erzählten Welt „vom Anschauen, Handeln oder Erleben bestimmt sein kann“ 72.

68 Chatman (s. Anm. 60), S. 140. Er führt sog. „MacGuffins“ in Hitchcockfilmen an; damit sind Dinge gemeint, die die Aufmerksamkeit des Handlungspersonals in besonderer Weise auf sich lenken, oftmals eine mysteriöse Bewandtnis haben und mit hoher Bedeutsamkeit für den folgenden Handlungsverlauf sind, wie der von ihm beispielhaft beschriebene „poisoned coffee-cup“ (ebd.). 69 Diese Anregungen stammen von Böhme (s. Anm. 14), S. 78. 70 Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. 4., unv. Aufl. München 1993. Er sieht bei der Kategorisierung der Räume binäre Oppositionspaare wirksam (oben/unten, hoch/tief, weit/begrenzt usw.; vgl. S. 311–314). 71 Eine prägnante Zusammenfassung liefert Haupt, Birgit: Analyse des Raums. In: Einführung in die Erzähltextanalyse. Hrsg. von Peter Wenzel. Berlin 2010, S. 69–87. 72 Hoffmann (s. Anm. 65), S. 47. Er unterscheidet je nach spezifischer Ausprägung der genannten Kategorien (die sich oft nicht klar abgrenzen lassen und ineinander übergehen können) verschiedene Raumtypen, z. B. kurioser, unheimlicher oder mythischer Raum.

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

empfindendes Subjekt Verweis auf psychische Dispositionen und Beeinflussung der Figuren

Atmosphäre als ,Sinnträgerʻ

Ineinanderübergehen, Überlappung der Raumdarstellung

gestimmter Raum

außerliterarische vs. binnenfiktionale Wirkung

Anschauungsraum

sehendes Subjekt ,Ding mit all seinen Eigenschaftenʻ Handlungsentkopplung

Aktionsraum

Handlungsoptionen vs. Grenzen

handelndes Subjekt Subjekt handelt im Raum

Abb. 2: Literarische Räume; eig. Darstellung in Anlehnung an Haupt (s. Anm. 71).

Der gestimmte Raum zeichnet sich durch die in ihm vorherrschende Atmosphäre aus, die zum „Sinnträger im epischen Kunstwerk“ werden kann, gleichzeitig kann er auf psychische Dispositionen der handelnden Figur(en) verweisen. Von wesentlicher Bedeutung (neben Tönen, Klängen, Helligkeit usw.) sind Dinge; sie sind, wie auch weitere Lebewesen im Raum, „Ausdrucksträger, die eine geschlossene Ausdruckseinheit bilden“ 73. Wie von Menschen kann also auch von Dingen eine Aura ausgehen, können diese einem Raum eine spezifische Prägung verleihen. In Hoffmanns Aktionsraum sind Dinge „als etwas Greif- und Nutzbares“ von funktionaler Bedeutung für die Figurenhandlung und stehen zu ihr in stringenter Relation. In der Charakterisierung als „etwas Zuhandenes, Nützliches“ und den „Zwecken“ der Protagonisten „Dienliches“ impliziert er, dass Dinge stets ihre konventionelle Funktion erfüllen und Handlungen ermöglichen. Lediglich bei Gegenständen, deren Funktion in räumlicher Separierung liegt, „wie etwa im Schauerroman die Falltüren, Türschlösser oder die vergitterten Fenster“, macht er eine Möglichkeit der Grenzsetzung aus, hier kommen

73 Hoffmann (s. Anm. 65), S. 55. Dabei kommt ihren Eigenschaften „allein expressive[r] Charakter“ zu, diese lassen sie „traurig oder heiter, sanft oder streng erscheinen, rufen das Erlebnis des Gewaltigen und Erhabenen oder des Zarten und Anmutigen hervor“ (ebd.).

existents: Figur und Raum

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auch topographische Gegebenheiten (Flüsse, Mauern) in Betracht. An dieser Stelle wären Hoffmanns Ausführungen zu erweitern: Alternativhandlungen können Figuren auch dadurch aufgezwungen werden, dass Dinge nicht (oder zumindest nicht so wie von diesen intendiert) funktionieren. Der Fokus liegt dann nicht „auf dem einzelnen Ding und seinem Nützlichkeitswert“ 74, sondern in dessen Negativfolie. Im ‚Eneasroman‘ wird das im finalen Zweikampf deutlich: Wo Eneas in der von Vulkanus gefertigten Rüstung einen entscheidenden Vorteil besitzt, ‚versagt‘ Turnus dessen Schwert die Unterstützung. Der Fokus auf das Agieren der Protagonisten greift hier zu kurz: Das Geschehen wird angereichert um eine Relevanz von Dingen als maßgebliche Handlungsfaktoren. Offenbar begreift die Erzähltheorie Funktionalität von Dingen nur als etwas Absolutes – Funktionieren oder (seltener) Nicht-Funktionieren. Dass Dinge ‚nur ein bißchen‘, anders als erwartet oder ‚eigenwillig‘ funktionieren könnten, scheint bislang kaum in Erwägung gezogen. Zu Hoffmanns drittem Raumtypus: Die funktionale Relation von Raum und Figuren ist im Anschauungsraum völlig gelöst. Im Fokus steht „das Ding mit all seinen Eigenschaften“ 75. Damit kann sich die Beschreibung von der Handlung abkoppeln, indem beispielsweise der Erzähler abschweift oder ein bestimmtes Raumelement fokussiert. Das zeigt sich in mittelalterlichen Erzählungen vor allem im Phänomen der descriptiones, zu dem bereits umfangreiche Forschung vorliegt.76 Diese übersteigen die erzählte Welt programmatisch, indem sie auf die Meisterschaft des Textproduzenten rückverweisen und ein Ding dem Rezipienten plastisch zur Anschauung bringen. Gleichzeitig können sie (wie im ‚Eneasroman‘ bei den Grabmälern von Camilla und Pallas) in übergreifende Verweisstrukturen eingebunden sein und damit zu sog. paradigmatischen Motiven werden (vgl. hierzu S. 45–49). Wie Hoffmann selbst anmerkt, können sich die geschilderten Raumtypen überlappen; in der konkreten Lektüre ist eine analytische Klassifizierung nicht immer eindeutig zu treffen. Wie man bei der Typisierung bestimmter Raumarten graduelle Bereiche erkennen kann, so lässt sich auch im Hinblick auf die dort vorhandenen Gegenstände bisweilen eine Spannung ausmachen zwischen funktionalem Nutzen (das Ding im Aktionsraum) und symbolischem Wert (das

74 Hoffmann (s. Anm. 65), S. 79–80. Haupt konstatiert pauschal: „Die im Raum vorhandenen Dinge können das Handeln des Subjekts ermöglichen oder verhindern“ (s. Anm. 71, S. 75). 75 Hoffmann (s. Anm. 65), S. 92. Er differenziert zwei Wirkungsweisen im Anschauungsraum: Detaillierte Schilderung zur Demonstration von Autor-/Erzählerwissen, oder die Verrätselung des Raums, die vom Rezipienten (oder der Erzählfigur) Detektion verlangt (ebd., S. 92–93). 76 Vgl. neben vielen weiteren Wandhoff, Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters. Berlin u. a. 2003.

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

Ding als Determinativum des gestimmten Raums). Dass dabei Inkohärenzen entstehen können, wird beispielsweise bei Eneas’ swert in der Unterwelt ersichtlich. Eine Spannung zwischen der handlungstechnischen und der rezeptionsorientierten Funktionalisierung zeigt sich auch bei „der Verbindung zwischen den Dingen und einzelnen Stellen im Raum – […] den Wegen“ 77. Diese „Verbindungslinien“ lassen sich dem Aktionsraum zuordnen („Flucht, […] Weg ins Abenteuer oder […] Heimkehr“), gleichzeitig werden sie übergeordnete Sinnträger in Bezug auf die Figur, deren „positive oder negative Erlebnisqualitäten“ 78 sich auf den Gegensatz von Ferne und Nähe, Vertrautheit und Fremdheit, Auszug und Rückkehr beziehen lassen. In älteren Texten ist diese Wegestruktur oft semantisch aufgeladen, wie Wolfgang Harms speziell am Phänomen der Wegegabelung verdeutlicht.79 Wie erzählte Gegenstände einer semantisch aufgeladenen Wegestruktur bei- bzw. zugeordnet sein können, wird auch im ‚Eneasroman‘ deutlich, und zwar bei der Verhandlung des Zweigs während der Rückkehr des Helden aus der Unterwelt, bei der der deutsche Text sich klar von seinen Vorlagen abhebt. Mit dem Verhältnis von erzählten Gegenständen im Spannungsfeld von Figur und Raum hat sich die mediävistische Forschung bislang nur wenig befasst. Eine Ausnahme stellt die Untersuchung von Uta Störmer-Caysa dar. Allerdings fallen ihre Überlegungen zu Dingen mitunter recht undifferenziert aus. So beschreibt sie im Kontext von Erzählräumen – genauer bei Grenzüberschreitungen – außergewöhnliche bzw. magische Dinge, die die Besonderheit eines räumlichen Übertritts markieren. Dazu stellt sie fest: „Die magischen Gegenstände […] wirken offenbar nicht nur am Ort eines zauberischen Ursprungs […], sondern überall und bei jedem.“ 80 Für den rîs im ‚Eneasroman‘, der den

77 Hoffmann (s. Anm. 65), S. 80. 78 Hoffmann (s. Anm. 65), S. 90. 79 Harms, Wolfgang: homo viator in bivio. Studien zur Bildlichkeit des Weges. München 1970. Dabei stellt er den Buchstaben Y als „signifikative Form“ (S. 29) heraus, der zum Bedeutungsträger „für die Wahl zwischen rechtem guten und linkem schlechten Weg“ (S. 43) – der Wegegabelung – wird und beschreibt weiter eine „Tendenz zur Verdinglichung dieses Zeichens“ (S. 49), paradigmatisch am Baum oder Zweig. 80 Störmer-Caysa, Uta: Grundstrukturen mittelalterlicher Erzählungen. Raum und Zeit im höfischen Roman. Berlin 2007, S. 201. In Bezug auf Bachtins ‚Chronotopos‘ beschreibt sie mediävistische Darstellungen von Raum und Zeit und deren Zusammenhänge im Fokus auf den höfischen Roman. Ähnlich der modernen Narratologie ist ihr Raumkonzept an den Figuren und deren Handlungen orientiert (vgl. S. 34–39), Dinge rücken nur im markierten Fall in den Blickpunkt. Die Ausrichtung auf den Protagonisten ist bereits bei Rubergs Arbeit zum ProsaLancelot zu erkennen: Ruberg, Uwe: Raum und Zeit im Prosa-Lancelot. München 1965. Dinge sind fast gar nicht im Blick, was insofern bemerkenswert ist, als manche Landschaftstypen,

existents: Figur und Raum

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Zugang zur Unterwelt ermöglicht, gilt das aber offenbar gerade nicht; ihre auf den höfischen Roman ausgerichtete Argumentation kann also keine universale Gültigkeit beanspruchen. Hilfreich hingegen sind Störmer-Caysas Ausführungen im Hinblick auf spezifisch symbolische Determinationen besonderer Räume (aber auch des Handlungspersonals) durch die „Technik des räumlichen Arrangements von Charakteristika, die zu Attributen der Figur werden können“. Neben der Möglichkeit der Auszeichnung besonderer Räume oder Figuren durch bestimmte Gegenstände zeigt sich auch, dass Funktionalität von Dingen innerhalb verschiedener Räume divergieren kann. Im ‚Eneasroman‘ wird das in der Unterwelt nicht nur bei dem zum Leuchtkörper umfunktionalisierten Schwert des Helden deutlich, sondern auch beim Fährmann Charon, der diejenigen, die der Überfahrt zum anderen Ufer (die dem Eintritt ins Totenreich gleichkommt) noch nicht würdig sind, mit einem Ruder aus glühendem Stahl zurückstößt. Die aus christlichen Vorstellungskomplexen der Hölle gespeiste besondere Schrecklichkeit der Unterwelt manifestiert sich bei Veldeke also auch in Charons schaltboum, der insofern „in konsequente Zeichenhaftigkeit“ 81 erhoben scheint, als das altfranzösische Pendant Caro für die gleiche Handlung keinen (besonderen) Gegenstand gebraucht. Wie bei den Ausführungen zu Hoffmanns Raumkonzept dargelegt wurde, sind solche Dinge aber nicht zwangsläufig nur symbolisch in die Erzählung eingeflochten, sondern können auch funktional relevant sein. Dabei ist deren Auftauchen keinesfalls stets so unproblematisch, wie Störmer-Caysa annimmt.82 Mit anderen Worten: Eine semiotisierende Lektüre sollte nicht vom Blick auf die konkreten Motivationszusammenhänge innerhalb der erzählten

die er skizziert, elementar durch Gegenstände determiniert sind wie bei der ‚symbolischen Landschaft‘. Dezidiert auf den Artusroman ausgerichtet ist die Arbeit von Glaser, Andrea: Der Held und sein Raum. Die Konstruktion der erzählten Welt im mittelhochdeutschen Artusroman des 12. und 13. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. u. a. 2005. Hinsichtlich ihrer theoretischen Fundierung birgt die Differenzierung von Raum- und Bewegungsstrukturen (vgl. S. 19–21) zu wenig Trennschärfe. Hoffmann (s. Anm. 65) scheint sie überhaupt nicht berücksichtigt zu haben. 81 Störmer-Caysa (s. Anm. 80), S. 48. 82 Störmer-Caysa spricht von speziellen Gegenständen als „bewegliche[n] Inseln des Zauberischen und Magischen in der Topographie der fiktionalen Welt“; schleierhaft bleibt, woher sie die Gewissheit nimmt, dass diese „weder an dort definierte Plätze […] noch an besondere Personen gebunden“ seien. Störmer-Caysa (s. Anm. 80), S. 201. Sie fokussiert den höfischen Roman, speziell den ‚Iwein‘, die Feststellungen scheinen mir aber auch für Hartmanns Erzählung ungenau. Problematisch ist zudem die konsequente Reduktion auf einen magischen Gehalt. Im ‚Nibelungenlied‘ entstammen Tarnkappe und Hort einem mythischen, der binnenfiktionalen Alltagswelt weitgehend enthobenen Bereich, die Integration dieser Dinge in die erzählte Welt bringt erhebliche Spannungen mit sich.

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

Welt entbinden. Denn gerade dabei können interessante Brüche und Irritationsmomente auftreten. Die aktuellen erzähltheoretischen Modelle gehen implizit von einer konsistenten Funktionalität von erzählten Gegenständen aus. Für ältere Texte scheint das nicht immer angemessen, so changiert Eneas’ Schwert in der Unterwelt, speziell im ‚Roman d’Eneas‘, zwischen funktionaler Zuordnung zum Helden und symbolischem Raumdeterminativum. Dabei ‚ist‘ es nicht immer gleich: Konsistenz scheint nachrangig – wichtig ist die situative Anforderung. In den dargelegten Überlegungen Störmer-Caysas wird aber noch ein weiteres bedeutendes Problem sichtbar: Sie implizieren, dass ein Wirken besonderer Gegenstände überhaupt hinreichend funktional bestimmbar ist. Das mag für den höfischen Roman (mehr oder minder) gelten, mythische Motive wie Vergils ramus aureus entziehen sich jedoch einer solchen Festlegung ebenso wie die Geschenke, die Dido erhält. Dies wird noch genauer zu betrachten sein.

3.5 events: Handlungsrelevanz von Dingen Den existents stehen in Chatmans Modell analytisch die events gegenüber. Beide Bereiche sind insofern aufeinander bezogen, als events auf existents zurückzuführen sind: Events are either actions (acts) or happenings. Both are changes of state. An action is a change of state brought about by an agent or one that affects a patient. […] A happening entails a predication of which the character of the focused existent is narrative object.83

Das tragende Kriterium der Trennung zwischen action und happening ist die aktive Urheberschaft eines agents. Der patient kann sowohl durch eine solche Handlung betroffen sein als auch durch ein happening, das ihn als narratives Objekt setzt, für das aber selbst kein Subjekt der Handlung zu identifizieren ist. Für actions kommen prinzipiell Figuren in Betracht.84 Dies macht die zitierte Feststellung Chatmans deutlich: „An action is a change of state brought about by an agent or one that affects a patient“ (S. 44). Wer oder was könnte mit „one that affects a patient“ gemeint sein? Dieser Frage kann man sich bei genauerer

83 Chatman (s. Anm. 60), S. 44–45. Kursivierung i. Org. 84 Chatman führt weiter aus: „If the action is plot-significant, the agent or patient is called a character. Thus the character is narrative – though not necessarily grammatical – subject of the narrative predicate“. Chatman (s. Anm. 60), S. 44. Diese Darstellung bietet Anlass für mehrere Problematisierungen. So bliebe insbesondere zu fragen, wie agent oder patient bezeichnet würden, wenn die action nicht „plot-significant“ ist.

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Untersuchung der „principal kinds of actions“ 85 nähern. Hier unterscheidet Chatman zwischen „nonverbal physical acts […], speeches […], thoughts […] and feelings, perceptions and sensations“ (S. 45). Ohne Zweifel sind sowohl physische Handlungen als auch gedankliche Ausdrucksformen und deren sprachliche Vermittlung (primär) anthropomorphe Phänomene, es wäre aber prinzipiell mitzureflektieren, dass die erzählten Figuren hinsichtlich ihrer Handlungen keineswegs (immer) so autonom sind, wie die theoretische Darstellung glauben macht. Die Tatsache, dass Dinge maßgebliche Faktoren der Bezugnahme, Ausrichtung, Ermöglichung, Sperrung oder Beeinflussung darstellen können, findet narratologisch keine angemessene Würdigung. Ein wesentliches Kriterium scheint eine mit der Kategorie Figur untrennbar in Verbindung stehende Subjekthaftigkeit zu sein. Nicht selten ist dieser Status in Erzählungen aber gerade in Frage gestellt, so dass eine Figur zum „narrative object“ wird. Chatman verdeutlicht das beispielhaft anhand des happenings „The storm cast Peter adrift“.86 Während mit dem Sturm etwas Amorphes zum ‚Urheber der Beeinflussung‘ wird, sehen wir im folgenden Beispiel bereits verschiedene Dinge, die zu Verschiebungen im Subjekt-Objekt-Verhältnis führen; Chatman weist dabei auf mögliche Diskrepanzen zwischen grammatikalischsyntaktischer Darstellung und ‚tieferer Schicht‘ der Erzählung hin: Thus, in ‚Peter tried to pull down the sails, but felt the mast give way and the boat caught up by an enormous wave,‘ Peter is the subject of a series of actions at the surface, manifestational level. At the deeper story level he is narrative object, the affected not the effector.87

Beim Versuch, die Segel einzuholen, gibt der Mast nach und das Boot wird von einer Welle ergriffen. Offenbar ‚verhält‘ sich weder das Segel noch speziell der Mast gemäß der vom menschlichen Subjekt intendierten Art und Weise. Die Figur muss sich dieser ‚Sperrung‘ beugen, sieht sich anschließend den Gewal-

85 Wie oben bleibt er vage, wenn er diese prinzipiellen action-Muster einem „character or other existent“ (Chatman (s. Anm. 60), S. 45. Kursivierung VC) zuordnet. Anders gefragt: Wer außer der (anthropomorphen) Figur wäre zu aktiven Handlungen fähig bzw. könnte sie zum Ausdruck bringen? Martínez/Scheffel sind hinsichtlich der actions („Handlungen“) deutlicher und binden diese explizit an die Figuren, „wenn nämlich die Situationsveränderung durch die Realisierung von Handlungsabsichten menschlicher oder anthropomorpher Agenten zustande kommt“. Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 109. 86 Chatman (s. Anm. 60), S. 45. Auch Martínez/Scheffel scheinen hinsichtlich des happenings („Geschehnis“), das sie als „nichtintendierte Zustandsveränderung“ definieren, lediglich Katastrophen oder Krankheiten, nicht jedoch Dinge in Erwägung zu ziehen. Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 109. 87 Chatman (s. Anm. 60), S. 45.

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ten des Meeres ausgesetzt und damit zum Objekt gemacht; im ‚Eneasroman‘ ist Turnus im Übrigen mit einem fast identischen Geschehen konfrontiert (vgl. ER 208,24–36). Zusammenfassend lässt sich festhalten: Characters können entscheidend durch setting-Elemente beeinflusst werden. Damit steht die rigorose analytische Trennung dieser beiden Kategorien zur Disposition. Neben der Problematik der Urheberschaft von Handlung taucht in der Erzähltheorie häufig die Frage nach der Relevanz von Erzählmotiven für die Handlung auf. Das ist im Hinblick auf Dinge insofern von Bedeutung, als diese primär dem Raum zugeordnet scheinen und insofern – im Gegensatz zu den erzählten Figuren – für das Vorantreiben der Handlung bislang kaum in Betracht gezogen werden. Diese Problematik lässt sich im Folgenden vor allem anhand der Darstellungen von Martínez/Scheffel diskutieren, mit einbezogen werden auch Überlegungen von Chatman und Roland Barthes. Martínez/Scheffel fassen den Begriff des Motivs als „[d]ie elementare Einheit eines narrativen Textes im Bereich der Handlung“ 88. Zur Differenzierung von dynamischen und statischen Motiven kommt die Unterscheidung von gebundenen und freien: Gebundene Motive sind unentbehrlich für die Handlung, freie nicht.89 Zentral ist die Unterscheidung von dynamischen und statischen Erzählmotiven, „je nachdem, ob sie die Situation verändern oder nicht“. Dynamische Motive bewirken eine Situationsveränderung, statische nicht. Als zentrale Handlungselemente werden dynamische Motive betrachtet, die Geschehnisse (happenings) und vor allem Handlungen (actions) „im engeren Sinne von Figurenhandlungen“ 90 darstellen. Statische Motive sind demgegenüber Zustände oder Eigenschaften. Zugrunde gelegt wird ein Modell intentionaler menschlicher Handlung. Auch Chatman versucht, mit der Differenzierung von kernels91 und sattelites zentrale Erzählmotive von tendenziell unwichtigeren Motiven zu trennen.92

88 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 25. Sie verwenden Motiv synonym zu Ereignis. 89 Im Kern steht die Frage, ob ein Motiv „für den Fortgang der Haupthandlung unmittelbar kausal notwendig“ ist. Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 109. 90 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 109. 91 Diese sind nicht mit dem von Jan-Dirk Müller ins Spiel gebrachten Konzept der Erzählkerne zu verwechseln, wenngleich gewisse Übereinstimmungen (vor allem hinsichtlich der schwierigen Greifbarkeit) bestehen, vgl. Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik. Tübingen 2007. Er fasst den genannten Terminus als „regelhafte Verknüpfung eines Themas bzw. einer bestimmten thematischen Konstellation (die ihrerseits ihre Wurzel in übergreifenden kulturellen Konstellationen hat) mit einem narrativen Potential, aus dem verschiedene narrative Konfigurationen generiert werden können“ (S. 22). 92 Vgl. Chatman (s. Anm. 60), S. 53–56.

events: Handlungsrelevanz von Dingen

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Eine ähnliche Kategorisierung findet sich auch bei Barthes, der zwischen eigentlichen Funktionsträgern der Handlung (‚Funktionen‘) und ‚Indizien‘ unterscheidet. Wo sich die Handlung konsekutiv aus den Funktionen zusammensetzt (er führt den Kauf eines Revolvers an, der im weiteren Verlauf zur Anwendung kommt), geben Indizien „Hinweise auf den Charakter der Protagonisten, Informationen über ihre Identität, Anmerkungen zur ‚Atmosphäre‘ usw.“, was für den „Sinn der Geschichte“ nicht minder notwendig sein kann.93 Bei den Funktionen stellen für Barthes die Kardinalfunktionen bzw. Kerne die zentralen Handlungseinheiten dar. Sie sind als „Risikomomente der Erzählung“ Eckpunkte, deren maßgebliches Moment darin besteht, dass „die Handlung, auf die sie sich beziehen, eine für den Fortgang der Geschichte folgentragende Alternative eröffnet (aufrechterhält oder beschließt)“. Daneben stehen Katalysen, die auf diese „Scharniere“ hin ausgerichtet sind und zwischen diesen „Alternativpunkten […] Sicherheitszonen, Ruhepausen, Luxus an[legen]“. Nach Barthes ist die Bedeutung der Katalyse vor allem in ihrer phatischen Mittlerfunktion zu sehen.94 Hinsichtlich der Indizien trennt er Indizien i. e. S. – damit sind (metaphorische bzw. metonymische) Verweise auf die Umstände der Handlung gemeint – von Informanten als zeitlich-räumlichen Orientierungsmustern. Der Unterschied zwischen beiden liegt in der „Aktivität des Entzifferns“: Wo die Indizien implizite Hinweise auf Kommendes darstellen und damit komplex und interpretationsbedürftig sind, sind Informanten eindeutig und dienen als „Gewähr für die Realität des Berichteten“.95 Wo lassen sich im Rahmen der dargelegten Kategorien Dinge erzähltheoretisch verorten? Zum einen können mit ihnen zentrale Handlungen vollführt werden, nicht selten stehen sie in fiktionaler Literatur im Zentrum des Interesses, können in Kardinalfunktionen eingeflochten sein wie die Rüstung des Helden im ‚Eneasroman‘. Zum anderen können Dinge auch Indizien sein, wichtige Funktionen im Rahmen der narratio wahrnehmen, eine semantische Spannung hal-

93 Barthes (s. Anm. 61), S. 111. Der „Funktionalität des Tuns“ (Funktionen) steht die „Funktionalität des Seins“ (Indizien) gegenüber (S. 112), beide Momente können in einem Erzählmotiv auch simultan aufscheinen. 94 „[V]om Standpunkt der Geschichte […] kann die Funktion einer Katalyse gering, aber keineswegs null sein: […] [E]ine scheinbar expletive Bemerkung besitzt immer eine diskursive Funktion; sie beschleunigt, verzögert, bringt den Diskurs in Schwung, sie resümiert, nimmt vorweg, verunsichert bisweilen sogar. Da das Notierte immer notierenswert erscheint, weckt die Katalyse ständig die semantische Spannung des Diskurses, sagt ständig: es gab, es wird Sinn geben […]; Sie hält den Kontakt zwischen dem Erzähler und dem Empfänger der Erzählung aufrecht.“ Barthes (s. Anm. 61), S. 112–114. 95 Barthes (s. Anm. 61), S. 114–115.

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ten oder erzeugen. Interessant ist darüber hinaus die katalytische Funktion, die bei erzählten Gegenständen in einem Spannungsfeld mit indexikalischen bzw. symbolischen Bedeutungen steht. Einschränkend ist festzuhalten, dass die Differenzierung von Kardinalfunktion, Katalyse und Indizien eine hierarchisierende Setzung darstellt, die nicht allen Erzählungen gerecht zu werden scheint.96 Zudem impliziert speziell die Unterscheidung von Katalyse und Indiz, dass sich Beziehungen zwischen einzelnen Erzählelementen eindeutig entschlüsseln ließen. Das ist aber gerade bei älteren Texten nicht immer der Fall.

3.6 Handlungsfortschritt vs. Paradigmatik: Motivationaler Eigenwert von Dingen Die moderne Erzähltextanalyse stellt, wie wir bereits gesehen haben, die Figur, d. h. das handelnde Subjekt, in den Mittelpunkt und legt damit, gewissermaßen als erzählerischen Archetypus, eine narrative Sukzession durch intentionale Handlungen des Figurenpersonals fest. Insbesondere für ältere Texte ist das eine nicht unproblematische Herangehensweise. Denn hier lassen sich nicht nur binnenfiktionale Geschehensmomente teilweise ‚anders‘ herleiten. Manche Geschehnisse lassen sich sogar überhaupt nicht aus den vorgeführten Handlungen ableiten, sondern ‚passieren‘ einfach. Im Folgenden werde ich zunächst aktuelle Handlungsmodelle diskutieren. Diesen stelle ich anschließend Ansätze gegenüber, die nicht den sukzessiven Handlungsfortschritt in den Blick nehmen, sondern anhand von Motivrekurrenzen alternative Sinnangebote auf einer paradigmatischen Ebene suchen.

3.6.1 Kausale, finale und ästhetische Motivation Moderne erzählanalytische Modelle setzen grundlegend ein gewisses Maß an Kohärenz bezüglich der einzelnen Geschehensmomente voraus: „Dass der Zu96 Kategorien, die auf subjektiven Einordnungen basieren, sind prinzipiell kritisch zu betrachten. Wichtigkeit liegt zu weiten Teilen im Auge des Betrachters, und die Relevanz eines Erzählelements kann nicht nur am aktiven Fortgang der Handlung festgemacht werden: In Erzählungen des Realismus beispielsweise sind mitunter kapitelweise Beschreibungen von Natur und/oder Dingen zu finden, die im eigentlichen Sinne keine Handlung voranbringen. Zu Recht wird auf dieses „frappante[ ] narrative[ ] Ungleichgewicht“ zwischen „Handlung im Sinne von historischer Ereignishaftigkeit“ und einem „lustvoll geschilderten oder mit aktuarischer Pedanterie verzeichneten Tableaux toter Dinge“ hingewiesen, vgl. Schneider, Sabine: Vergessene Dinge. Plunder und Trödel in der Erzählliteratur des Realismus. In: Die Dinge und die Zeichen. Hrsg. von S. S./Barbara Hunfeld. Würzburg 2008, S. 157–174, hier: S. 157.

Handlungsfortschritt vs. Paradigmatik: Motivationaler Eigenwert von Dingen

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sammenhang einer Geschichte durch die motivationale Verkettung der dargestellten Ereignisse hergestellt wird, ist ein allgemeines Merkmal narrativer Texte.“ 97 Die Handlungen der Protagonisten sind dabei ein zentrales Moment. Wie bereits dargelegt, wird bei der Erzählhandlung zwischen action und happening differenziert. Hier konnte gezeigt werden, dass die analytische Trennung von Figur und Raum nicht (immer) unproblematisch ist. Das hat auch Auswirkungen auf die Untersuchung bzw. Bewertung der Handlung. Moderne Erzählmodelle nehmen (implizit oder explizit) als Normalfall einer Erzählung eine Verknüpfung der Erzählmotive „nach einer Regel oder Gesetzmäßigkeit auseinander folgen[d]“ an, diese wird als als Motivierung oder Motivation bezeichnet.98 Die Handlungen der Protagonisten sind dabei offenbar wesentlich. Für die genannte Verknüpfung steht der Begriff Plot, der mit dem häufig zitierten (scheinbaren) Gegensatz zwischen ‚The king died and then the queen died‘ (story) und ‚The king died and then the queen died of grief‘ (plot) zum Ausdruck gebracht werden soll.99 Schon früh wurde ein solch formalistisch-explizites Verständnis von Kausalzusammenhang und Plot verworfen. Das Beispiel taugt insofern nicht zur Demonstration des Gegensatzes von schlicht zusammengefügten Erzählmotiven und kausaler Verbindung, als Leser und Hörer stets automatisch im mentalen Rezeptionsprozess (kausale) Verknüpfungen herstellen.100 Vielmehr macht

97 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 118. 98 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 109–110. Auseinander [Kursivierung i. Org., VC] soll die kausallogische Folge und damit den Gegensatz zur aufeinander folgenden Aneinanderreihung kennzeichnen. Barthes (s. Anm. 61, S. 144–164) unterscheidet für die Handlungsfolgen sechs Merkmale, die er als „bestimmte[ ] rationale[ ] Gangart der klassischen Erzählung“ fasst: konsekutiv; konsequentiell als „klassische Beziehung zwischen zwei Handlungen“; volitiv (dem Willen einer Figur zugrundeliegend); reaktiv; durativ und äquipollent (eine bereits auf der morphologischen Ebene implizierte Reaktion wie Frage-Antwort). 99 Forster, E.M.: Aspects of the Novel. London 1974, S. 93. 100 Hierzu Chatman: „[T]he interesting thing is, that our minds inveterately seek structure, and they will provide it if necessary“. Chatman (s. Anm. 60), S. 45. Die Linguistik kann das bestätigen. So weist das ‚then‘ im Forster’schen Beispiel zwar zunächst eine temporale Abfolge aus, pragmatisch kann der Leser (z. B. durch die Annahme einer starken emotionalen Nähe von Königin und König) aber problemlos auch einen kausalen Zusammenhang erschließen. Fehlen solche Formalindikatoren (wenn, dann, weil, da) gänzlich, wird eine mögliche Kausalrelation zweier Einheiten – z. B. She screamed at him and he hit her – durch Bezugnahme auf allgemeine menschliche, d. h. kognitive und pragmatische Verarbeitungsprinzipien hergeleitet, vgl. Carston, Robyn: Conjunction, Explanation and Relevance. Lingua 90 (1993), S. 27–48. Erst wenn ein möglicher Kausalzusammenhang unserem mentalen Skript völlig zuwiderläuft, werden beide Einheiten als zusammenhangslos betrachtet, wobei dann aus pragmatischer Sicht die Maxime der Relevanz verletzt wäre: Wieso sollte ein Sprecher zwei miteinander in keinem

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dieses Beispiel deutlich: Eine bloße Aneinanderreihung von Ereignissen ist kaum möglich und für eine Erzählung auch wenig sinnvoll, genauso wenig wie eine kausale Relation zwischen Handlungselementen stets explizit würde oder werden müsste. Mit Martínez/Scheffel lassen sich verschiedene Formen von Handlungsmotivierung, also der Ergründung oder Erklärung literarischer Geschehenszusammenhänge oder erzählerischer Darstellung, unterscheiden: kausale, finale und kompositorische bzw. ästhetische Motivierung.101 Diese werden in der folgenden Untersuchung des ‚Eneasromans‘ zentrale Kategorien der erzähltechnischen Verortung von Dingen darstellen. Wo die kausale Motivierung die Geschehensbegründung innerhalb der erzählten Welt (zumeist in Form intentionaler Figurenhandlung) sucht, versucht die ästhetische, das Dargestellte anhand des Produktionsprozesses zu ergründen und dabei eine Verständnisleistung des Rezipienten miteinzubeziehen: Ein Beispiel wäre der doppelte Kursus des Artusromans als genretypisches Strukturmerkmal, das in der Forschung mitunter als eine symbolische Explikation der Erzählung als Gesamtes gedeutet wurde. Ein weiteres in mittelalterlichen Texten häufig zu beobachtendes Beispiel für ästhetische Motivierung ist das bereits angesprochene Phänomen der descriptiones. Die finale Motivation als interpretative Plausibilisierung eines innerhalb der erzählten Welt (möglicherweise) kausal nicht völlig aufzuschlüsselnden Geschehens bewegt sich in einem Zwischenbereich. Sie sucht Geschehenszusammenhänge von einem Ergebnis her zu begründen, das durch eine numinose Instanz – ein göttlicher Plan wie das Fatum in der ‚Aeneis‘ – festgelegt ist. Dabei kann, was das Geschehen innerhalb der erzählten Welt betrifft, ein prekäres Spannungsmoment zwischen mikro- und makrostruktureller Geschehensbegründung entstehen. Die folgende Darstellung soll das schematisch verdeutlichen. Betrachten wir die einzelnen Kategorien im Detail: Kausale Motivierung liegt vor, wenn ein Ereignis „als Wirkung in einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang eingebettet“ erscheint, „der als empirisch wahrscheinlich oder zumindest möglich gilt“ 102. Ein solcher Zusammenhang stellt den Gegensatz zu einer wunder-

Zusammenhang stehenden Sachverhalte in einer Aussage zusammenführen? Hierzu Grice, H. Paul: Logik und Konversation. In: Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Hrsg. von Georg Meggle. 1. Aufl. Frankfurt a. M. 1993, S. 243–265. Die Feststellung „[o]hne die vermittelnde Erklärung (‚of grief‘) wäre der Übergang vom Tod des Königs zum Tod der Königin ein bloßer Wechsel von Zuständen“ (Martínez/Scheffel, s. Anm. 43, S. 110), ist insofern unzutreffend. 101 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 111–119. Vgl. ebenso Nünning/Nünning (s. Anm. 54, Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse), S. 97. 102 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 111.

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Autor(-Erzähler)

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Rezipient (final) / kompositorisch

binnenfiktionaler Sinnhorizont final

,Ursacheʻ

X

,Wirkungʻ kausal

Geschehen / Ereignis

X Geschehen / Ereignis

Erzählte Welt Abb. 3: Narrative Motivierungsarten, eig. Darstellung nach Martínez/Scheffel (s. Anm. 43).

baren Konstellation dar, bei der etwas wie aus heiterem Himmel, d. h. ohne erkennbare Ursache geschieht. Damit hängt auch das Problemfeld Rationalität zusammen, auf das im Folgenden noch genauer eingegangen wird: Der Konnex von Ursache und Wirkung macht Ereignisse rational erklärbar. Zumeist kommt intentionaler Figurenhandlung hier der maßgebliche Aspekt zu: Eine Figur will etwas erreichen und vollzieht eine Handlung, die das Gewünschte bewirken soll. Das ist häufig bei funktionalen Ding-Bezugnahmen (gemäß einem Zweck-Wirkungs-Schema) zu erkennen. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass Dinge über keinen ‚Eigen-Sinn‘ 103 verfügen, was in fiktionaler Literatur durchaus nicht immer der Fall ist. Dass eine kausallogische Erklärung bei nicht-intentionalem, also auf kein menschliches Subjekt zurückzuführendem Geschehen und bei Zufällen an ihre Grenzen geraten kann, liegt auf der Hand; man denke an Dorian Grays Bildnis, das sich unwillkürlich zu seinem ‚Gegenspieler‘ entwickelt 104. Die Kategorie der kausalen Motivierung wird hier problematisch.105 103 Vgl. Mühlherr, Anna: Eigen-Sinn von Dingen in älterer Erzählliteratur. In: Vielheit und Einheit der Germanistik weltweit (Akten des XII. Internationalen Germanistenkongresses Warschau 2010). Hrsg. von Franciszek Grucza u. a. Frankfurt a. M. 2012, S. 235–239. 104 Wilde, Oscar: Das Bildnis des Dorian Gray. Stuttgart u. a. o. J. Das Portrait altert nicht nur anstatt seiner, sondern lässt auch den moralischen Verfall sichtbar werden: „In dem schwachen, gedämpften Licht […] erschien ihm das Gesicht ein wenig verändert. Der Ausdruck war anders geworden. Man hätte sagen können, ein Anflug von Grausamkeit umgebe den Mund. […] Er erhob sich aus seinem Sessel und schob einen großen Wandschirm vor das Portrait, bei dessen Anblick er erschauerte“ (S. 99–100). 105 Was bei Martínez/Scheffel bei „nicht-intentionale[m] Geschehen“ (s. Anm. 43, S. 111) außer der angeführten Krankheit in Frage käme, bleibt unklar. Das Beispiel des ‚sich sperrenden‘ Masten ließe sich kaum befriedigend kausallogisch aufschlüsseln, charakteristisch an vielen

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Erzähltheoretische Verortung von Dingen

Das wird auch deutlich bei den Ausführungen von Fotis Jannidis, wenn er anhand der Differenzierung von intentionalem und nicht-intentionalem Verhalten eine Positionsbestimmung der literarischen Figur vornehmen will: Nicht-intentionales Verhalten wird mit Ursachen erklärt (‚Sie ist am Steuer eingeschlafen, weil sie müde war.‘, ‚Er fiel die Treppen hinab, weil sie rutschig waren.‘). Intentionales Verhalten wird […] dadurch erklärt, dass es Ergebnis einer Intention ist, so zu handeln.106

Insbesondere in mittelalterlichen Texten liegen die Verhältnisse längst nicht immer so klar wie in den beiden genannten Beispielen. Daher scheint es mir lohnenswert, bei solchen „Ursachen“, die Jannidis nicht weiter erläutert, die Rolle der dabei beteiligten Dinge stets genau auszuloten. Mit Nachdruck muss in diesem Zusammenhang auf die kategorische Trennung von wirklichen und binnenliterarischen Erklärungszusammenhängen hingewiesen werden, derzufolge es „für unser ästhetisches Urteil irrelevant ist, ob eine Ursache auch diesweltlich-real oder nur anderweltlich, also nur in der fiktionalen Welt der Literatur möglich ist“ 107. Bei finaler Motivierung findet die Handlung „vor dem mythischen Sinnhorizont einer Welt statt, die von einer numinosen Instanz beherrscht wird“ 108. Darunter wird im Prinzip göttliche Fügung verstanden – entsprechend kann das Fatum der ‚Aeneis‘ hier als das Paradebeispiel gelten. Innerhalb einer sol-

Ding-Wirkungen ist ja gerade, dass sie einen Bereich des Unsicheren beinhalten. Problematisch scheint die Erläuterung der Autoren zum Zufall, der nicht „wie ein Wunder – kausal unmotiviert“ sondern „retrospektiv empirisch-kausal“ erklärbar werde, „sobald man die zunächst unbekannten Beweggründe kennengelernt hat“ (ebd.). Zwischen Wunder und Zufall bestehen zweifellos Unterschiede, Kausalität als Abgrenzungsmerkmal scheint mir gleichwohl inadäquat. 106 Jannidis (s. Anm. 32), S. 191. 107 Horn, András: Mythisches Denken und Literatur. Würzburg 1995, S. 115. Horn weiter: „Wenn literarische Illusion bedeutet, dass das Unwirkliche literarisch für wirklich gehalten wird; wenn in der Literatur das real Unmögliche für möglich gehalten werden kann, – so lässt sich parallel dazu auch behaupten, dass auf dem Gebiet der kausalen Begründung dessen, was in Epik und Drama geschieht, das real Unbegründete literarisch für begründet, für kausal notwendig gehalten werden kann […]. In der Literatur akzeptieren wir mehr als notwendig Geschehendes denn im Alltag.“ Dies gilt auch für mittelalterliche literarische Texte, selbst wenn wir hier unterschiedliche kulturelle Verständnismuster einer ‚Wirksamkeit‘ von Dingen (in Opposition zu neuzeitlich-rationalistischen Gegenstandskonzepten) zugrundelegen wollen. Problematisch sind daher Ansätze, die Kausalität mit vraisemblance-Konzepten zu erklären suchen wie z. B. bei Meincke (s. Anm. 51, S. 72–84 u. w.). Hierbei wird, ähnlich den naturalization-Konzepten, literarisches Geschehen mit Alltagserfahrungen des Rezipienten verknüpft, was m. E. fiktionaler Literatur häufig nicht gerecht wird. 108 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 111.

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chen Konstellation haben wir es dann nach Clemens Lugowski mit einer Struktur des ‚mythischen Analogons‘ zu tun (vgl. hierzu eingehend S. 49–53): Die Geschehensmomente sind auf das festgelegte Telos der Erzählung hin zugeordnet, insofern sind actions wie happenings ‚von hinten‘ motiviert.109 Die Frage ist nicht mehr ob, sondern nur noch wie ein Ergebnis zustande kommt. In einem solchen Rahmen können „Ereignisse überhaupt nicht, bloß ‚irgendwie‘ oder mehrfach und dann widersprüchlich begründet [werden]“ 110. In diesem Kontext lässt sich auch die Funktionalität bestimmter Gegenstände betrachten; wie der goldene Zweig in der ‚Aeneis‘ (und auch in den mittelalterlichen Adaptionen) zeigt, lohnt aber auch hier eine kritische Lektüre. Schwierig wird es zumal, wenn – wie beim ‚Eneasroman‘ – die im antiken Werk noch durchgängig präsente finale Sinnstruktur (d. h. die Gewissheit, dass das Geschehen in Einklang steht mit dem Plan des göttlichen Personals) unterminiert wird und sich, zumindest auf der Mikroebene der Figurenhandlung, alternative Motivationsmuster einlagern. So skizziert Gert Hübner die mittelalterliche Bearbeitungstendenz, Geschehen „durch die Angabe von Handlungsgründen und -zielen plausibel“ zu machen.111 Damit kann eine finale Motivationsstruktur um kausale Motivierungen angereichert bzw. gar durch diese überlagert werden. Die rationalisierende Umgestaltung kann indes auch zu Problemen bei der Übernahme von Stoffen führen, die anderen, älteren Stofftraditionen entstammen und mit solchen kausalen Motivierungen inkongruent sein können. Hübners Feststellungen weisen jedoch nicht nur auf ein mögliches Spannungsfeld zwischen der finalen Motivation (die eben nur vergleichsweise selten in Reinform wie in der ‚Aeneis‘ zu beobachten ist) und der kausalen hin. Seine Überlegungen bezüglich der Rolle der Autor-/Erzählerinstanz lassen auch bei der Abgrenzung zwischen finaler und ästhetischer Motivierung ein solches Spannungsmoment aufscheinen, nämlich zwischen dem innerhalb der erzählten Welt (mehr oder minder) erkennbaren Lenker in Form einer Gottheit und der ästhetischen Komposition durch die Erzählerinstanz, die ein Geschehen innerhalb der erzählten Welt (kausal) zu begründen versucht.

109 Lugowski, Clemens: Die Form der Individualität im Roman [1932]. Neuauflage m. e. Einl. von Heinz Schlaffer. Frankfurt a. M. 1976. 110 Schulz, Armin: Poetik des Hybriden. Schema, Variation und intertextuelle Kombinatorik in der Minne- und Aventiureepik. Berlin 2000, S. 33. Im Verhältnis zwischen kausaler und finaler Motivation lässt sich also die „grundlegende logische Unterscheidung […] zwischen Begründung und Rechtfertigung“ (Meincke, s. Anm. 51, S. 103) erkennen. 111 Hübner, Gert: evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen. In: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Hrsg. von Harald Haferland/Matthias Meyer. Berlin 2010, S. 119– 147, hier: S. 142.

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Damit wären wir bei der dritten Motivierungs-Kategorie. Bei der kompositorischen oder ästhetischen Motivierung werden die Erzählelemente unter „künstlerischen Kriterien“ 112, d. h. unter rezeptions- und/oder produktionsästhetischen Gesichtspunkten betrachtet. Besonders zwei Erklärungs- bzw. Verständnismuster für das erzählte Geschehen werden hierbei angeführt. Zum einen sind dies gattungs- bzw. genretypische Strukturspezifika, wie z. B. der doppelte Kursus beim Artusroman. So läge – um das an einem Beispiel zu demonstrieren – der Grund für Erecs Kampf gegen Cadocs Peiniger nicht im Mitleid des Helden begründet, sondern darin, dass dieser Kampf gegen die Riesen das strukturelle Pendant zur anfänglichen Auseinandersetzung mit den Räubern darstellt. Zum anderen ist dies die narrative Funktionalisierung in Form der Ausrichtung der Erzählinhalte auf den außerliterarischen Verständnishorizont der Rezipienten: Erzählmotive als Bedeutungsträger. Insgesamt ist dieser zweite Punkt im Vergleich zu den Strukturspezifika von höherer Relevanz. An dieser Stelle bringen Martínez/Scheffel (die Beispiele machen es deutlich) auch Dinge in Form von Symbolen mit ins Spiel.113 Ohne Zweifel ist – gerade in älteren Texten – die symbolische Verhandlung erzählter Gegenstände (d. h. in Form von Metaphorik oder Metonymie) ein häufig genutzes, prominentes Strukturprinzip.114 Dabei stellt sich bisweilen die Frage, inwieweit solche Dinge überhaupt in die Erzählhandlung integriert sind. Das zeigt sich insbesondere bei den z. T. höchst ausschweifenden Beschreibungen von Orten, Gegenständen oder Figuren – Ekphrasis bzw. descriptio. Häufig sind diese abgekoppelt von der eigentlichen Erzählhandlung und fungieren auf einer metadiegetischen Ebene als Symbolträger. Entsprechend skizziert Nikolaus Henkel einen Spannungszustand zwischen rezeptionsorientierter Wirkungsästhetik und einem „argumentativen Charakter innerhalb der Handlungsstruktur“ 115. Und auch

112 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 111. 113 So wird beispielsweise die Schaukel bei ‚Effi Briest‘ „zum Zeichen für das Risiko, das sie mit dem Offizier Crampas eingegangen ist“. Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 115. 114 Dabei können nicht nur Dinge, sondern auch Figureneigenschaften, Wetterbeschreibungen usw. Symbolgehalt aufweisen. Allgemein dürfte das setting speziell für ältere Texte häufig übertragene Bedeutung besitzen, vgl. für den ‚Eneasroman‘ Stebbins, Sara: Studien zur Tradition und Rezeption der Bildlichkeit in der ‚Eneide‘ Heinrichs von Veldeke. Frankfurt a. M./Bern 1977. Sie stellt fest, dass „jedes Ding […] oder [jede, VC] Eigenschaft […] ein potentieller Bedeutungsträger sein kann; d. h. daß es auf ein Weiteres, Unausgesprochenes hinweist“ (S. 11). 115 Henkel, Nikolaus: ‚Fortschritt‘ in der Poetik des höfischen Romans. Das Verfahren der Descriptio im „Roman d’Eneas“ und in Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“. Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur (Sonderheft der ZfdPh 124, 2005), S. 96–116, hier: S. 98 und 103.

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Max Grosse geht der Frage nach, ob die Beschreibungen im Text handlungsleitende Funktionen bekleiden oder nicht auch ‚nur‘ dekorativ sein können116 – ob es sich also um dynamische oder um statische Motive handelt. Wir fassen zusammen: Im Rahmen aller dieser drei Kategorien können Dinge auf spezifische Weise von Bedeutung sein. Bei der kausalen Motivation als Vollzugselemente der Handlung, bei der finalen Motivation als Bausteine für den vorgezeichneten Zielpunkt, bei der kompositorischen Motivierung als Bedeutungsträger für den Rezipienten oder aus strukturellen Gründen. Die Ausführungen haben jedoch auch gezeigt, dass die Abgrenzung zwischen den Motivierungsarten nicht immer eindeutig sein muss. So kann ein Ding funktional in die Erzählhandlung eingebettet sein und gleichzeitig als rezeptionsorientierter Symbolträger dienen. Unter diesem Gesichtspunkt werde ich im Folgenden auch die bereits thematisierten Geschenke für Dido beleuchten. Auf eine spezifische Wirksamkeit symbolisch hindeuten kann auch die Farbe eines Dings, die speziell bei der Kleidung „als episches Vehikel mit Verweischarakter auf psychologische oder metaphysische Sinnkomplexe“ 117 fungieren kann. In diesem Zusammenhang wäre wiederum das Verhältnis von Innen und Außen, „Hülle und Kern“ 118, Selbst- und Fremdbestimmung genau zu analysieren. Hinsichtlich der Dinge ist besonders die Frage spannend nach einer Wirksamkeit, die sich an der Textoberfläche nicht eindeutig festmachen lässt, aber dennoch latent vorhanden scheint. Das macht ein close reading lohnenswert und lässt die Analyse zur Spurensuche werden.

3.6.2 Paradigmatische Motive Wenden wir uns noch einmal näher der Bedeutung von Dingen für den narrativen Vermittlungsprozess zu. Wie wir gesehen haben, sind insbesondere die kausale und die finale Motivation Kategorien, die die syntagmatische Sukzessi-

116 Grosse, Max: Die Ekphrasis im altfranzösischen Antikenroman. Magie und Darstellung statt Kunst und Beschreibung. In: Die poetische Ekphrasis von Kunstwerken. Hrsg. von Christine Ratkowitsch. Wien 2006, S. 97–132. 117 Raudszus, Gabriele: Die Zeichensprache der Kleidung. Untersuchungen zur Symbolik des Gewandes in der deutschen Epik des Mittelalters. Hildesheim u. a. 1985, S. 225. Das Thema Farbe ist in letzter Zeit von der mediävistischen Forschung verstärkt in den Fokus genommen worden: Bennewitz, Ingrid/Schindler, Andrea (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. 2 Bd. Berlin 2011. Schausten, Monika (Hg.): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin 2012. 118 Müller (s. Anm. 91), S. 233.

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on der einzelnen Geschehensmomente fokussieren. Dinge würden hier also auf ihre Rolle innerhalb der Erzählhandlung hin beleuchtet. Wie bereits die Ausführungen zur kompositorischen Motivierung deutlich machten, erschöpft sich die Relevanz von Dingen für Erzählungen jedoch nicht in der handlungsfunktionalen Einbettung. In älteren Texten lässt sich das insbesondere am Phänomen der descriptiones verdeutlichen, hiervon wird später noch die Rede sein. Grundlegend zeigt sich daran, dass nicht nur die beiden Fragen relevant sind, was erzählt und wie es erzählt wird, sondern auch für wen (und von wem) etwas erzählt wird. In den letzten Jahren ergänzen zahlreiche erzähltheoretische Arbeiten die klassischen narrativen Analysedimensionen histoire und discours um den Prozess der Vermittlung (narration), d. h. um das Verhältnis zwischen (Autor-)Erzähler und Publikum. Hier bieten Dinge interessante Möglichkeiten: [A]ls ‚wissens-trächtige‘ Objekte [weisen sie] aus der jetzt und hier erzählten Welt hinaus, bieten […] dem Erzähler die Möglichkeit, auf Vergangenes sowie Zukünftiges aus der erzählten Welt selbst vor- und zurückzugreifen oder vielmehr noch […] zusätzliches Wissen, welches in irgendeinem Zusammenhang zur erzählten Geschichte stehen kann oder als solches inszeniert wird, für den Rezipienten einzubringen oder nachzureichen.119

Auf mögliche symbolische, rezeptionsorientierte Bedeutungen von erzählten Dingen wurde im Rahmen der ästhetischen Motivierung bereits hingewiesen. Solch symbolische Funktionalisierung wurde in Kontrast gesetzt zur handlungslogischen, d. h. auf einer syntagmatischen Achse angesiedelten Einbettung von Geschehensmomenten. Einen ähnlich symbolhaften Bedeutungsgehalt kann auch das wiederholende Arrangement von Erzählgegenständen haben. Denn es ist auffällig, dass manche Elemente in Erzählungen mehrfach oder variiert auftauchen. In bestimmten Aspekten gleichen sie sich, in anderen sind sie gerade gegensätzlich. Dabei stehen sie in keinem unmittelbaren handlungsfunktionalen Zusammenhang, mitunter sind sie (wie bei den descriptiones) der eigentlichen Erzählhandlung sogar ganz oder teilweise entzogen. Ihre erzähltechnische Relevanz speist sich also gerade nicht aus der handlungsfunktionalen Einbettung. Vielmehr werden hier durch die Äquivalenz der Erzählgegenstände, die in Form von Similarität wie von Opposition erscheinen kann, Sinnangebote in paradigmatischen Zusammenhängen gestiftet. In der deutschsprachigen Forschung hat sich insbesondere Wolf Schmid dieser „unzeitliche[n] Verknüpfung“ von Erzählelementen gewidmet.120 Zwar werden Dinge nicht explizit erwähnt, seine Überlegungen stellen jedoch eine sinnvolle

119 Oswald (s. Anm. 2), S. 142. 120 Schmid (s. Anm. 43), S. 22.

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Ergänzung zu den drei genannten Motivierungstypen (kausal, final, ästhetisch) dar. Wolf macht zwei grundlegende Äquivalenzformen aus: Eine formale, sowie die aus seiner Sicht für Prosa maßgebliche thematische Äquivalenz. In ihr werden „die Elemente der Geschichte (Situationen, Figuren und Handlungen) verknüpft“ und auf Similaritäten und Oppositionen hin beleuchtet. Da es davon prinzipiell äußerst viele geben kann, „entscheidet […] allein der Ort, den die entsprechenden Merkmale in der Hierarchie der Geschichte einnehmen“. Damit stellt die thematische Äquivalenz „die Grundrelation im Bedeutungsaufbau dar, die Kristallisationsachse, an der sich alle weiteren, nicht-thematischen Äquivalenzen semantisch niederschlagen“. Die Einbettung äquivalenter Motive weist über das mikrostrukturelle Textgeschehen (d. h. die erzählte Welt) hinaus und bietet die Möglichkeit, übergreifende Verständnislinien zu konstruieren. Speziell in älteren Erzählungen wird auffällig oft mit einer Äquivalenz-Motivik gearbeitet.121 Diese Paradigmatik steht für Schmid in einem letztlich unauflösbaren Konkurrenzverhältnis zur Handlungslogik.122 Im Rezeptionsvorgang wird für gewöhnlich zunächst eine zeitlich-kausale Verknüpfung der Erzählelemente im Sinne eines Abgleichs zwischen Ausgangs- und Endzustand aktualisiert, verbunden mit dem Versuch der Identifizierung der Logik, die dieser Veränderung zugrunde liegt.123 Wie schon bei der kausalen Motivation deutlich wurde, sind diese Zusammenhänge „nur selten explizit und zuverlässig beschrieben und müssen deshalb meist rekonstruiert werden“. An dieser Stelle führt Schmid den Mehrwert des Blicks auf die Paradigmatik des Erzählens an, indem der Leser „bei ihrer Rekonstruktion […] auf Äquivalenzen rekurrieren“ werde, „[d]enn die unzeitliche Verklammerung bringt die zeitliche Ver-

121 Zur Paradigmatik für die mediävistische Forschung vgl. Schulz (s. Anm. 38), S. 322–325. Grundlegend hierzu Warning, Rainer: Erzählen im Paradigma. Kontingenzbewältigung und Kontingenzexposition. Romanistisches Jahrbuch 52 (2001), S. 176–209. 122 „Die Äquivalenz stellt gegen die Sukzessivität der Geschichte eine Simultaneität von Elementen her, die nicht nur auf der syntagmatischen Achse des Textes, sondern auch auf der Zeitachse der Geschichte oft weit voneinander entfernt sind. Insofern konkurriert die Äquivalenz mit den zeitlichen Verknüpfungen wie Sukzession und Kausalität. Diese lassen sich nicht in Äquivalenz auflösen. Vorher- oder Nachher-Sein, Ursache- oder Folge-Sein sind ontologische Bestimmungen ganz anderer Art als Äquivalent-Sein. Die kategoriale Differenz zwischen der zeitlichen und unzeitlichen Verknüpfung ist unaufhebbar.“ Schmid (s. Anm. 43), S. 25. 123 Hierzu Schmid (s. Anm. 43), S. 25: „Der Leser wird sich bei jeder Geschichte zunächst auf die zeitlichen Verknüpfungen und ihre Logik einstellen. Sinngebung in der Lektüre narrativer Texte zielt darauf ab, die Veränderungen des Ausgangszustands und die ihnen zugrunde liegende Logik zu identifizieren.“

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änderung und ihre Logik in vielen Fällen allererst zur Erscheinung. So wird das Ereignis in vielen Geschichten nicht in seinen einzelnen Schritten explizit entfaltet, sondern nur durch den Kontrast von Ausgangs- und Endzustand suggeriert“ 124. Das Offenlegen von Äquivalenzstrukturen kann zweifellos ergänzende Sinnangebote stiften, die sich im alleinigen Fokus auf die Handlungsabfolge nicht erschließen. Als Paradebeispiel seien hier wiederum die descriptiones angeführt, wie im ‚Eneasroman‘ bei den Grabmalen von Camilla und Pallas, die in keinerlei Handlungszusammenhang stehen (genau betrachtet sind beide der eigentlichen Erzählhandlung komplett enthoben), die aber von so offensichtlicher thematischer Ähnlichkeit sowohl zueinander als auch in der Zugehörigkeit zu bestimmten Figuren sind, dass sich hier vergleichende Interpretationen aufdrängen. Damit stellt diese paradigmatische Motivierung eine zusätzliche Sinn-Schicht dar; allerdings ist das eine „Leistung, die der Leser zu erbringen hat“, denn prinzipiell gibt es eine Vielzahl an „im Werk enthaltenen Äquivalenzpotentiale[n]“ mit einer „multiplen Relationierbarkeit, die in unterschiedlichen Sinnperspektivierungen einen immer neuen Sinn bereithält“ 125. An dieser Stelle wäre insbesondere die Frage zu stellen, auf welchen unterschiedlichen Ebenen der Leser denn im Hinblick auf Dinge überhaupt Sinn suchen kann: In Bezug auf sich selbst (z. B. durch auf außerliterarische Verständnismuster ausgerichtetete symbolische Verweise) oder auf die handlungsfunktionale Einbettung? Letztlich scheint mir die Beantwortung dieser Frage zentral verbunden mit der zeitlichen Nähe sowie der Rekonstruierbarkeit bzw. Plausibilisierung von Geschehenszusammenhängen. Schmid scheint hier vor allen Dingen einen Makro-Ansatz zu fokussieren, der sich (ähnlich den schon dargelegten formalistischen Ansätzen Propps, vgl. S. 19–22) erst im Vergleich innerhalb eines gewissen literarischen Fundus offenbart.126 Das ähnelt stark dem, was Martínez/Scheffel mit den Strukturspezifika bei der ästhetischen Motivierung ins Feld führen. Hinsichtlich der Dinge könnte der Blick auf äquivalente Kontexte und die Rolle, die die Dinge dabei einnehmen, aber auch die Frage nach einer wie auch immer gearteten Wirksamkeit erhellen (sei es innerhalb einer Erzählung oder einer intertextuell verwandten Reihe): Wenn beispielsweise ein auf den ersten Blick schwer erklärbares Phänomen (z. B. ein Krankheitszustand einer Figur) häufig in einem Zusammenhang mit einem bestimmten Gegenstand

124 Schmid (s. Anm. 43), S. 25. 125 Schmid (s. Anm. 43), S. 23. 126 Als Beispiel führt er „jene späten Erzählungen Čechovs“ an, „die die Lebensgeschichte ihrer Titelhelden als Kette äquivalenter Episoden modellieren“ und die eine Interpretation erst auf der Grundlage der vergleichenden Lektüre erlauben (Schmid, s. Anm. 43, S. 27).

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erzählt wird, selbst oder gerade wenn der Erzähler keine Kausalverbindung expliziert. In diesem Fall eröffnet das Feststellen von Äquivalenzstrukturen neue Interpretationsräume hinsichtlich der Handlungslogik und der Geschehenszusammenhänge. Dies leitet über zum Themenfeld der mythischen Kausalität.

3.7 Strukturspezifika älterer Texte Die aktuellen erzähltheoretischen Modelle bieten derzeit lediglich punktuell Ansatzmomente für eine kategoriale Verortung von Gegenständen. Diese Überlegungen sollen nun noch eingehender auf spezifische Besonderheiten historisch entfernter Texte hin perspektiviert werden. Insbesondere die mythische Kausalität stellt für die Analyse der Relevanz erzählter Dinge eine wichtige Kategorie dar. Eine solche Form der Kausalität lässt die Handlungsautonomie der Figuren z. T. fragwürdig erscheinen, speziell wenn diese mit besonderen Gegenständen konfrontiert sind.

3.7.1 Mythische Erzählstruktur und Kontingenz In den bisherigen Überlegungen war bereits von strukturellen Spezifika vormoderner Texte die Rede, die einem neuzeitlichen Verständnis eines normalen Geschehensverlaufs – d. h. einer sukzessive auseinander ableitbaren Handlungsabfolge – zuwider läuft. So spricht Schulz vom „Widerstreit konkurrierender Prinzipien“ innerhalb mittelalterlicher Erzählungen, der uns „zunächst als dysfunktional und als Verstoß gegen jede erzählerische Ökonomie“ 127 erscheine. Etwas ‚geschieht einfach‘, der Leser wird mit einem bestimmten Ergebnis konfrontiert, wobei eine schlüssige Herleitung nicht selten auf der Strecke bleibt. Dieses ‚Sich-einfach-so-zusammenfügen‘ wird in der medivistischen Forschung auch als mythisches Analogon verhandelt: In älteren Texten werde häufig „narrative Kohärenz […] zugunsten einer Kohärenz der dargestellten Welt im Sinne des mythischen Analogons [suspendiert]“, wodurch es zu einer „thematischen Überfremdung durch das Ergebnis einer Handlung“ 128 kommt. Das mythische Analogon meint hier die Äquivalenz der dichterisch-strukturellen Gestaltung mit einer Vorstellung eines ganzheitlichen Zusammenhangs,

127 Schulz (s. Anm. 38), S. 348. 128 Schulz (s. Anm. 110), S. 33. Im Original z. T. hervorgehoben.

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wie er in antiken Stoffen – beispielsweise im Zusammenspiel von Göttern und Menschen – thematisch ausgebreitet wird.129 Insbesondere die im Rahmen der finalen Motivation (vgl. S. 40–43) beschriebene ‚Motivation von hinten‘ ist ein solches strukturelles Verfahren. Innerhalb derartiger Erzählformen können Dinge besonders exponiert sein. Das Mythische wird in älteren Texten jedoch nicht nur als gesamtstrukturelles Phänomen realisiert (mythisches Analogon), sondern ist teilweise auch unmittelbar thematisch präsent in Form von besonderen Figuren oder Gegenständen. In antiken Erzählungen sind solche mythischen Elemente teilweise noch weitaus häufiger anzutreffen als in mittelalterlichen. Als Paradebeispiel kann der ramus aureus der ‚Aeneis‘ gelten. Ohne ihn kann der Held die Fahrt nicht auf sich nehmen, er öffnet die Pforten zur Unterwelt. Wie das genau vonstatten geht, weshalb das so ist – Fragen, denen sich die Erzählung nur bis zu einem bestimmten Grad öffnet. Eine schlüssige Auflösung solch mythischwunderbarer Motive scheint wohl auch gar nicht angezeigt: „Der Prozeß ist irrelevant, alleine das Ergebnis zählt.“ 130 Die (mittelalterliche) Adaption solcher Stoffe kann, wie beim ‚Roman d’Eneas‘ und dem ‚Eneasroman‘ zu beobachten sein wird, Veränderungen oder Spannungsfelder hinsichtlich des Status’ von Dingen erzeugen, das gilt auch für ein Nebeneinander unterschiedlicher Stofftraditionen wie im ‚Nibelungenlied‘. Mythische und rationale Erzählelemente können sich hier wechselseitig überlagern, widersprechen, ergänzen – und Dinge befinden sich oftmals am Schnittpunkt dieser Auseinandersetzung. Vielen älteren Texten, die „anders [funktionieren] als die großen Erzählungen seit der Aufklärung und seit dem Triumph der neuzeitlichen Wissenschaft“ 131, liegt zumindest partiell eine mythische Erzählstruktur zugrunde. Entsprechend rege ist das jüngere mediävistische Interesse an diesem Bereich.132 Eine inhaltliche Eingrenzung ist wenig sinnvoll, praktikabel ist vielmehr ein offenes, strukturelles Verständnis als „bestimmte Denkform mit bestimmten Wirklichkeitsmodellen, Auffassungen von Zeit, von Raum [und] von

129 Vgl. Martínez, Matías: Formaler Mythos. Skizze einer ästhetischen Theorie. In: Formaler Mythos. Beiträge zu einer Theorie ästhetischer Formen. Hrsg. von M. M. Paderborn u. a. 1996, S. 7–24, hier: S. 18. 130 Schulz (s. Anm. 110), S. 33. 131 Müller-Funk, Wolfgang: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. 2., überarb. und erw. Auflage. Wien u. a. 2008, S. 53. 132 Einen umfassenden Überblick zum gegenwärtigen Stand der Forschung bieten Friedrich, Udo/Quast, Bruno: Mediävistische Mythosforschung. In: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von U. F./B. Q. Berlin, New York 2009, S. 9–37.

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Kausalität“, die zwar „ursprünglich mit einem ‚mythischen Zeitalter‘ verbunden, jedoch keineswegs auf dieses beschränkt [ist]“ 133. Gerade der mythische Kausalbegriff lässt sich für eine Wirksamkeit erzählter Gegenstände fruchtbar machen. Denn nicht selten verschwimmt in älteren Texten die Grenze zwischen bloßer Koinzidenz zweier Erzählmotive und deren kausaler Verbindung. Hinsichtlich einer Wirksamkeit von Dingen bewegt man sich damit schnell in Bereichen, die man aus der Sicht moderner Erzähltheorie als sympathetisch-magische Zusammenhänge beschreiben würde. Wenngleich jedoch in vielen mittelalterlichen Texten häufig magische Gegenstände zu finden sind (man denke vor allem an die nacharthurischen Erzählungen), so ist der Zugriff auf eine agency erzählter Gegenstände anhand der Kategorie der Magie dennoch klar verkürzt. Denn viele Dinge – das wird auch später im ‚Eneasroman‘ deutlich – wirken ja irgendwie bzw. besitzen „das Potential, im weitesten Sinne im Narrativ ‚mitzumischen‘“ 134, ohne dass sie dabei als explizit magisch oder zaubertätig gezeichnet wären. Der mythische Kausalbegriff kann helfen, solchen Phänomenen Rechnung zu tragen: Anders als etwa für das analytische Denken gelten hier keine empirisch beobachtbaren und zu abstrahierenden Gesetze von Ursache und Wirkung, allein die bloße Nähe zweier Zustände, räumlich oder zeitlich, lässt die (eigentliche) Kontiguität in eine (mythische) Kausalität umschlagen. […]. [I]m mythischen Denken [kann] noch frei über die ‚Ursachen‘ verfügt werden […]. Maßgeblich ist […] allein die Erzählfolge, in der die einzelnen Relationsglieder einander zugeordnet werden.135

Motivationale und kausale Grauzonen, die sich durch Inkonsistenz oder (partielle) Abwesenheit motivationaler Rationalität auszeichnen, können für ältere Erzählungen konstitutive Strukturmerkmale sein. Diese „Unbestimmtheitsstellen“ 136 werden keinesfalls durchgängig aufgelöst, sondern können rätselhaft bleiben – und sind damit der Imagination von Hörern und Lesern anheimgestellt. Hierin findet sich eine maßgebliche Unvereinbarkeit mit weiten Teilen moderner Erzähltextanalyse, die kausale Verknüpfung und Kohärenz als basale Prinzipien von Erzählungen explizit oder implizit festschreibt. Dabei kann angenommen werden, dass der historisch-kulturelle Kontext, dem die hier fokussierten Erzählungen entstammen, anders als heute nicht durch eine starre

133 Müller (s. Anm. 91), S. 27. Insofern ist mythisches Denken in weiten Teilen auch magisches: Im Vordergrund steht dabei weniger die Frage, was das Mythische ist, sondern wie es funktioniert, vgl. Friedrich/Quast (s. Anm. 132), S. 35. 134 Mühlherr (s. Anm. 35), S. 261. 135 Hoffmann, Ulrich: Arbeit an der Literatur. Zur Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue. Berlin 2012, S. 77. 136 Martínez/Scheffel (s. Anm. 43), S. 112.

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Opposition von Mensch (autonom, Subjekt) und Ding (tot, verfügbar, Objekt) gekennzeichnet sein muss. So stellt Matías Martínez fest, dass „[f]ür das Mittelalter die […] Merkmale mythischen Denkens […] über den Bereich der Literatur hinaus als allgemeine mentalitätsgeschichtliche Kennzeichen bei der Erfassung und Beschreibung von Geschehen angesehen werden [können]“ 137. Damit einher geht eine größtmögliche Offenheit des Deutungshorizonts: Dinge müssen in fiktionalen Erzählungen nicht durchgängig die Rolle als ‚Zuhandene‘ erfüllen, sondern können insbesondere in älteren Texten mit Kräften versehen sein und die Handlung – direkt oder indirekt – beeinflussen, sich als verrätselte (oder verrätselnde) Motive aber auch sperren. So können sie zu „Instrument[en] einer verborgenen Absicht“ werden, „ohne dass der ungewisse Status dieser Suggestionen im Text zugunsten einer eindeutigen, sei es kausalen, sei es finalen Erklärung des Geschehens aufzulösen wäre“ 138. Andere, punktuell herausgehobene Dinge bewirken einen noch radikaleren Gegenentwurf zum erzähltheoretischen Primat kausaler Handlungsmotivation, indem „das Handeln der menschlichen Akteure […] unter bestimmten mit dem besonderen Ding gegebenen Voraussetzungen [steht], die diesem Handeln bestimmte Grenzen setzen und eine bestimmte Logik aufzwingen“ 139. Damit stehen Dinge häufig im Kontext von Phänomenen, die in der Forschung unter dem Begriff der Kontingenz verhandelt werden. Der ‚Eneasroman‘ ist für eine diesbezügliche Untersuchung geradezu prädestiniert,140 denn obgleich Veldeke anstelle des mythischen Götterhimmels der ‚Aeneis‘ auf der Makroebene der Erzählung eine weitgehend christianisierte Sinnstruktur setzt, die in ihrer finalen Positionierung als Bestandteil der Heilsgeschichte prinzipiell wenig Raum für kontingente Phänomene lässt, zeigen sich im Rahmen dieser Umgestaltung Brüche, die sich als „Blankostellen oder zumindest Irritationsstellen“ bemerkbar machen: Dort, wo die Erzählung motivatorische Lücken

137 Martínez (s. Anm. 129), S. 19. 138 Martínez, Matías: Doppelte Welten. Struktur und Sinn zweideutigen Erzählens. Göttingen, Zürich 1996, S. 32. Er bezieht hier seine Feststellungen auf den Kahn in Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘, der „andeutungsweise als selbständig handelnde[r] Agent[ ]“ erscheine, indem er „durch seine Handlungen verborgene Wünsche der Protagonisten freisetzt oder deren expliziten Handlungsabsichten katastrophal zuwiderläuft“ (S. 56). 139 Mühlherr (s. Anm. 7), S. 463. 140 Indem die göttliche Handlungsinstanz der ‚Aeneis‘ depotenziert wird, bietet sich den handelnden Figuren mehr individueller Wirkungsspielraum, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad, so dass „[d]as konkurrierende Nebeneinander von himmlischer und irdischer Handlungsmotivation […] zu interessanten Spannungen in der Figurenzeichnung [führt].“ Kasten, Ingrid: Heinrich von Veldeke: Eneasroman. In: Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Hrsg. von Horst Brunner. Bibl. erg. Ausgabe. Stuttgart 2007, S. 75–96, hier: S. 82.

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und damit „Einschussstellen des Kontingenten“ aufscheinen lässt, können Dinge die so entstandene „Aktantenleerstelle“ partiell besetzen.141 Das lässt sich im ‚Eneasroman‘ anhand eines Pfeils erkennen, mit dem Turnus beschossen wird (vgl. ER 207,37–208,14): Dieser Pfeil substituiert eine menschliche Schattenfigur des antiken Epos.142

3.7.2 Figurenintention, erzählerische Lenkung und Anziehungskraft von Dingen Wie gezeigt werden konnte, ist eine Trennung zwischen actions und happenings nicht immer eindeutig zu ziehen. Als Abgrenzungskriterium dient die Handlungsintention des Subjekts. Diese ist aber schwieriger zu bestimmen als die Theorien implizieren. Handlungen können meist unterschiedlich interpretiert werden, ein genauer Blick auf alle beteiligten Elemente ist unerlässlich. Sicher ist die Relevanz der Figurenhandlung für viele Erzählungen – für ältere Texte mag das in besonderem Maße gelten – hinsichtlich des Fortgangs der Geschichte grundsätzlich fragwürdig. Evelyn Vitz beschreibt das folgendermaßen: „Men are responsible for their actions […], but their actions are not responsible for what occurs.“ 143 Legt man zumindest in Teilen eine solche ‚strukturelle Un-Macht‘ der Figuren zugrunde, kann die Anwendung moderner Handlungskonzepte grundlegend zur Disposition stehen. Vitz bezieht ihre Überlegungen auf göttliches Wirken, das im Rahmen der Überlegungen zur finalen Motivation bereits diskutiert wurde. Für eine solche Struktur lässt sich jedoch nur argumentieren, wenn eine übergeordnete Leitungsinstanz im Text zumindest hinreichend festzumachen ist. Kausalität und Intentionalität sind innerhalb von Erzähltexten grundsätzlich keine unproblematischen Katego-

141 Gerok-Reiter, Annette: Die Figur denkt – der Erzähler lenkt? Sedimente von Kontingenz in Veldekes ‚Eneasroman‘. In: Kein Zufall. Konzeptionen von Kontingenz in mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Cornelia Herberichs/Susanne Reichlin. Göttingen 2010, S. 131–153, hier: S. 136 und 149–150. Eine Rolle von Dingen im Rahmen von Kontingenz-Phänomenen scheint sie allerdings nicht in Erwägung zu ziehen, sie erwähnt lediglich „Naturkräfte […] bzw. unbestimmte Handlungsträger innerhalb von Passivkonstruktionen“ (S. 142–143) als Zufallselemente. 142 Vgl. Christ, Valentin: vile dikke dâ flogen schefte unde phîle. Pfeile im Eneasroman und in der Aeneis. Tagungsbeitrag zum Internationalen Kongress der Universität Tübingen vom 26. bis 29. 09. 2012 in Freudenstadt, Schwarzwald: Dingkulturen. Verhandlungen des Materiellen in Kunst und Kultur der Vormoderne. [im Druck] 143 Vitz, Evelyn B.: Medieval Narrative and Modern Narratology. Subjects and Objects of Desire. New York und London 1989. S. 187.

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rien, gerade wenn göttliche Providenz (oder andere übergeordnete Instanzen) abwesend sind, die Erzählung aber dennoch bestimmten ‚Spielregeln‘ folgt, über die sich Erzählfiguren und/oder Rezipienten durchaus nicht (immer) im Klaren sein müssen.144 Solchen Schwierigkeiten hinsichtlich der Geschehensbegründung versuchen u. a. alternative, sog. paradigmatische Erklärungsansätze zu begegnen.145 Dabei wird gar nicht mehr versucht, die Handlungsmotivation aus den Figuren heraus erklärbar zu machen, sondern vielmehr das Geschehen in vergleichbare Kontexte zu setzen und aus diesem „kollektiven Bezugsrahmen“ 146 Verhaltensmuster abzuleiten. Generell legt die moderne Erzähltextanalyse eine weitgehende Kohärenz der Geschehenszusammenhänge zugrunde. Gerade in älteren Texten erscheint die Geschehensmotivierung aber nicht selten (zumindest partiell) verunklärt, fehlend, widersprüchlich oder redundant; das „Vorantreiben der Handlung“, das „durch einen Überschuss an Ursachen gesichert wird“, kann hier „gegenüber dem empirisch-stichhaltigen Begründen einer Ursache-Wirkungs-Kette Priorität“ haben.147 Zu diesem Überschuss an Ursachen wären gegebenenfalls auch Dinge zu rechnen, beispielsweise indem sie durch ihre Herkunft oder den Besitzer Bindungen und Kräfte inkorporieren und damit eine individuelle Wirksamkeit besitzen. An dieser Stelle werden wiederum mythische Kausallogiken aktualisiert. Damit zeigt sich ein wesentlich stärkeres Spannungsfeld zwischen Figur und Ding, als neuzeitliche Vorstellungen von Rationalität und Beherrschbar-

144 Für das ‚Nibelungenlied‘ fasst Jan-Dirk Müller die Spielregeln gerade als Abwesenheit festgelegter Handlungs- und Deutungsmuster, indem „der Text nicht einem einzigen in sich stimmigen Regelsystem gehorcht, sondern Schnittpunkt konfligierender Regeln ist, die ihrer Herkunft und Geltung nach ‚ungleichzeitig‘ sind“ (s. Anm. 37, S. 46). Damit einher geht ein interpretatorischer (und narratologischer) Paradigmenwechsel, bei dem „Heterogenität weder als bloßer Ausgangspunkt für die Herstellung eines (homogenen) angeblich Ursprünglichen benutzt wird noch als Ergebnis einer nicht voll gelungenen zeitgenössischen Integration abgewertet, sondern […] als Grundvoraussetzung für das spannungsreiche Gefüge des Epos verstanden wird, das Widersprüche auf prekäre Weise figuriert und zu bewältigen sucht“ (S. 25). 145 Grundlegend hierzu: Müller, Jan-Dirk: Motivationsstrukturen und personale Identität im ‚Nibelungenlied‘. Zur Gattungsdiskussion um ‚Epos‘ oder ‚Roman‘. In: Nibelungenlied und Klage. Passauer Nibelungengespräche 1985. Hrsg. von Fritz Knapp. Heidelberg 1987, S. 221–256. Paradigmatische Interpretationsansätze müssen unterschieden werden von paradigmatischen Motiven (vgl. die Ausführungen S. 45–49): Wo erstere die Handlung anhand eines kontextuellen Rahmens zu erklären suchen, zielen zweitere auf äquivalente Erzählelemente ab. 146 Toepfer, Regina: Enterbung und Gotteskindschaft. Zur Problematik der Handlungsmotivierung im ‚Willehalm‘ Wolframs von Eschenbach. ZfdPh 129 (2010), S. 63–81. 147 Martínez (s. Anm. 129), S. 14–17.

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keit der Dinge glauben machen wollen. Das Primat der Figur wird so in Zweifel gezogen, stattdessen entsteht nicht selten ein höchst vitales und komplexes Wechselspiel zwischen Dingen und den Figuren. Mit der Trophäe (vgl. die Ausführungen S. 9–13) wurde die Problematik eines (gewaltsamen) Besitzerwechsels bereits angesprochen. Aus dieser Perspektive fragwürdig ist die Ansicht von Störmer-Caysa, die (bezogen auf den höfischen Roman) feststellt: „Die Trennung von Besitzer und Ding bleibt immer im Bereich des Denk- und Erzählmöglichen.“ 148 Die entscheidende Frage hierbei ist, welche Konsequenzen diese Trennung nach sich zieht – Konsequenzen, die eben z. T. von den Dingen ausgehen, wie sich im ‚Eneasroman‘ beim Raub von Messapus’ Helm zeigt (vgl. S. 138–146). Solche faszinierenden und Begehrlichkeiten weckenden Gegenstände und deren (gewaltsame) Aneignung erscheinen in der Forschungsdebatte meist eingesenkt in eine Debatte über Rationalität und Emotionalität.149 Ähnlich der modernen Erzähltextanalyse wird dabei aber fast nur das handelnde Subjekt in den Fokus genommen, so bei Diana Lemke und Klaus Ridder. Hier erscheint Habgier als „Unfähigkeit der praktischen Vernunft, sich gegenüber dem Begehren durchzusetzen“. Die gewaltsame Besitzaneignung sei insofern irrational, als „die Übermacht des Triebes selbstschädigende Handlungen evoziert“ 150. Das Ziel der Aneignung – das Objekt der Begierde – gerät so völlig aus dem Blick. Auch wird zwischen Quantität und Qualität offenbar überhaupt nicht differenziert. Dabei dürfte es (ganz abgesehen davon, dass offenbar ein recht striktes bzw. idealisiertes Verständnis von rationaler Beherrschung im Hinblick auf Dinge zugrundegelegt wird) aber doch ein Unterschied sein, ob jemand nur viel will, oder ob jemand nach einem besonderen Gegenstand verlangt, der ihm beispielsweise Ansehen, Ruhm oder Macht verspricht. Solche speziellen

148 Störmer-Caysa (s. Anm. 80), S. 202. 149 Vgl. z. B. Kasten, Ingrid: Rationalität und Emotionalität in der Literatur des Mittelalters. Wolframstudien XX (2008), S. 253–271. Ridder, Klaus: Rationalisierungsprozesse und höfischer Roman im 12. Jahrhundert. DVjs 78 (2004), S. 175–199. Er macht deutlich, dass „unterschiedliche Rationalitätsformen (Zweckrationalität, kommunikative Rationalität, Systemrationalität)“ (S. 177–178) zu differenzieren seien. Speziell dem Feld der kommunikativen Rationalität widmet sich Hübner, der für mittelalterliche Erzählungen auf die Einflüsse der Rhetorik hinweist in der Form, dass die „antiken Rationalitätsstandards“ zur „habituell mehr oder weniger stark verfestigte[n] Neigung“ des mittelalterlichen Autors geführt haben, „das Handeln seiner Figuren durch Affekte und Kalküle, Gründe und Intentionen kausal zu motivieren“ (s. Anm. 111, S. 143). Dass mittelalterliche Erzähler diese Tendenz auch gerade unterlaufen können, zeigt Stock (s. Anm. 57) für Hartmanns ‚Erec‘. 150 Ridder, Klaus/Lemke, Diana: Die Irrationalität der Habgier im Eneasroman Heinrichs von Veldeke. In: Impulse und Resonanzen. FS Walter Haug. Hrsg. von Gisela Vollmann-Profe u. a. Tübingen 2007, S. 101–114, hier: S. 102.

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Dinge werden in mittelalterlichen Erzählungen nicht selten inszeniert, hier sei nur an die Gralsthematik erinnert. Wenn also Gegenstände mit einer solchen Anziehungskraft gezeichnet sind, dann stellt sich eben (wie bei den stigmatisierten Geschenken an Dido) gerade die Frage, welche Einflussmöglichkeiten das Handlungspersonal hier überhaupt besitzt. Auch an dieser Stelle scheint das erzähltextanalytische Primat der Figur ergänzungsbedürftig. Möglicherweise lassen sich darin Verbindungslinien zur possible-worlds-theory ziehen, derzufolge sich der Gehalt von Erzählungen nicht nur durch die aktualisierte Handlungsstruktur konstituiert, sondern auch maßgeblich durch die möglichen Alternativen, die der Rezipient vergleichend in Erwägung zieht.151

151 Vgl. hierzu z. B. Busse, Jan-Philipp: Zur Analyse der Handlung. In: Einführung in die Erzähltextanalyse. Hrsg. von Peter Wenzel. Berlin 2010, S. 23–49.

4 Dinge als Erzählkonstituenten im ‚Eneasroman‘ Als systematische Analysekategorie des ‚Eneasromans‘,152 das gilt auch für die altfranzösische153 wie die lateinische154 Vorlage, sind Dinge bislang kaum in Erscheinung getreten. Zumeist bleiben sie außen vor, werden semiotisiert oder lediglich als Werkzeuge in Zuordnung zum Protagonisten aufgefasst. Neben umfassenden Interpretationen kreist der überwiegende Teil der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen um mehr oder weniger eingegrenzte Themenfelder, wobei Dinge zumeist nur punktuell ins Blickfeld rücken. In Ansätzen, die sich mit übergreifenden Erzählkonzepten befassen, sind sie ebenfalls kaum von größerem Interesse.155 Stärker im Analysefokus stehen sie in Untersuchungen zur descriptio, hier sind für den ‚Eneasroman‘ vor allem die Grabmäler von Camilla und Pallas zu erwähnen, die bereits Bestandteil

152 Anknüpfungspunkte für eine systematische Weiterentwicklung von Dingen als Erzählkonstituenten bietet Oswald (s. Anm. 2) sowie die schon ältere Arbeit von Stebbins (s. Anm. 114), die versucht, anhand der ‚literarischen Bilder‘ (worunter sie Gegenstände, Gesten und Handlungen begreift) Rückschlüsse auf mittelalterliche Denkmuster zu ziehen, aber auch deren Funktion im Handlungsverlauf zu eruieren, wobei sie primär den symbolischen Gehalt fokussiert. Instruktiv ist die Untersuchung zu narrativen Verweisstrukturen, die auch an Dinge gebunden sein können: Vögel, Herfried: Das Gedächtnis des Lesers und das Kalkül des Erzählens. Zum ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke. In: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Hrsg. von Dietmar Peil u. a. Tübingen 1998, S. 57–85. Als bislang einziger Ansatz, der Dinge allgemein in den Fokus rückt, steht Wittkopp, Wilhelm: Die Eneide Heinrichs von Veldeke und der Roman d’Eneas. Borna-Leipzig 1929. Er macht als Charakteristikum Veldekes dessen „Bestreben“ aus, „bis ins kleinste alles anzugeben“ (S. 14), damit einher gehe eine deutlich stärkere Exponiertheit bestimmter Gegenstände, die er „mit Leben“ erfülle. Besonders bei Eneas’ göttlichen Waffen darf indes ein höherer Wirklichkeitsgrad (vgl. S. 22–25) bezweifelt werden. 153 Dem Verhältnis von Providenz und innerweltlichen Geschehenszusammenhängen widmet sich Blask, Dirk Jürgen: Geschehen und Geschick im altfranzösischen Eneas-Roman. Tübingen 1984. Die wohl immer noch umfassendste komparatistische Arbeit ist Cormier, Raymond J.: One heart one mind: The rebirth of Virgil’s hero in medieval french romance. Mississippi 1973. Interessante Ansätze zu Dingen finden sich vor allem in Kap. II,7 (‚Objects, Treasure and Arms‘, S. 98–105). 154 Die Arbeiten zur ‚Aeneis‘ sind so zahlreich, dass ein systematischer Überblick fast schon nicht mehr möglich ist. Zum Stand der Forschung umfassend Suerbaum, Werner: Vergils Aeneis. Epos zwischen Geschichte und Gegenwart. Stuttgart 1999. 155 Beispielhaft Hübner: „Alle Räume und Figuren der Geschichte sind auf den Protagonisten hingeordnet und treten in Relation zu ihm in sie ein“ (s. Anm. 41, S. 207). Ähnlich Schmitz, Silvia: Die Poetik der Adaption: literarische inventio im ‚Eneas‘ Heinrichs von Veldeke. Tübingen 2007. Sie betrachtet die Veränderungen der mittelalterlichen Eneasromane im Vergleich zur ‚Aeneis‘ und konstatiert, dass „Veldeke seine französische Quelle in Lobdichtung umwandelt“, was mit „Harmonisierungen in der Figurengestaltung“ (S. 320) einhergehe.

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zahlreicher Forschungsansätze sind, die aber aufgrund der Tatsache, dass sie dem eigentlichen Handlungsverlauf weitgehend enthoben sind und primär semiotisierende Bezüge erlauben, im Rahmen der vorliegenden Arbeit nur am Rande Beachtung finden.156 Daneben zeigen sich im breiten Feld der Kleidung sowie der dem Protagonisten zugehörigen ‚Gefährten‘ 157 Verbindungspunkte zu einer systematischen Aufwertung von Dingen. Weiter sind materielle Gegenstände in mediengeschichtliche Auseinandersetzungen eingebettet, für den ‚Eneasroman‘ ist hier speziell an die Liebeskommunikation zwischen Lavinia und Eneas zu denken.158 Die Relevanz von Dingen wird im Folgenden im Vergleich von Veldekes Erzählung mit seinen Vorlagen159 anhand ausgesuchter Beispiele herausge-

156 Vgl. z. B. Henkel (s. Anm. 115) sowie Hamm, Joachim: Camillas Grabmal. Zur Poetik der ‚dilatatio materiae‘ im deutschen Eneasroman. Literaturwissenschaftliches Jahrbuch im Auftrag der Görres-Gesellschaft 45 (2004), S. 29–56. 157 Hier lassen sich Bezüge zu Identitätskonzepten (vgl. Kraß, s. Anm. 36) ziehen, für den ‚Eneasroman‘ ist diesbezüglich Didos Jagdgewand von der Forschung beleuchtet worden. So bemerkt Raudszus, Didos „prunkvolle Garderobe“ korrespondiere „ganz individuell mit der Person und Persönlichkeit des Trägers“ und gebe Hinweise auf ihre „psychische Disposition“ (s. Anm. 117, S. 63–64). Zur spezifischen Farbsymbolik siehe Stebbins (s. Anm. 114), S. 172–175. 158 Zwei Gegenstände treten hier besonders hervor: Lavinias Brief und ein Pfeil, der sowohl real als auch in allegorisierter Form erscheint, hierzu vgl. u. a.: Quast, Bruno/Schausten, Monika: Amors Pfeil. Liebe zwischen Medialisierung und Mythisierung in Heinrichs von Veldeke ‚Eneasroman‘. In: Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters (Trends in Medieval Philology 13). Hrsg. von Mireille Schnyder. Berlin, New York 2008, S. 63–82. Wuth, Henning: was, strâle unde permint. Mediengeschichtliches zum Eneasroman Heinrichs von Veldeke. In: Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Hrsg. von Horst Wenzel. Berlin 1997, S. 63–76. Hierzu siehe ebenfalls Christ (s. Anm. 142). 159 Der Umgestaltung durch den französischen Anonymus kommt die maßgebliche Leistung zu, auf dieser Basis versieht Veldeke seine Arbeit mit spezifischen Nuancen. Wichtigste inhaltliche Differenz zum lateinischen Epos ist zum ersten die Reduktion der Götterwelt: „Was bei Vergil die Götter lenken oder selbst verursachen, wird entweder eliminiert, auf ‚natürliche‘ Weise erklärt oder in das Innere der Figuren verlagert.“ Kasten (s. Anm. 140), S. 80. Die zweite wesentliche Neuerung ist die Laviniahandlung, die bei Vergil fehlt. Der ‚Roman‘ und Veldeke ‚medievalisieren‘ und schaffen einen Konnex von militia und amor, der für den höfischen Roman paradigmatisch wird. Eine gute Zusammenfassung bietet Lienert (s. Anm. 10). Ich zitiere folgendermaßen: Für den ‚Eneasroman‘ (ER) verwende ich die Ettmüller’sche Zählweise nach Seiten und Versen. Dabei greife ich vergleichend auf die Ausgabe Fromms mit dessen nützlichem Stellenkommentar zurück, vgl. Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Die Berliner Bilderhandschrift mit Übersetzung und Kommentar. Hrsg. von Hans Fromm. Frankfurt am Main 1992. Ebenso berücksichtige ich – besonders auch hinsichtlich der Differenzen zwischen den Handschriften – ‚Eneide‘. Mit Einleitung und Anmerkungen hrsg. von Otto Behaghel. Heilbronn 1882. Im ‚Roman d’Eneas‘ (RdE) verwende ich die durchlaufende Verszählung und folge (wenn nicht anders angegeben) der Übersetzung Schöler-Beinhauers. Vergils ‚Aeneis‘ zitiere

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stellt. Die Diskussion vollzieht sich hierbei im Rekurs auf die jeweils spezifisch relevanten Forschungskontexte. Dabei erhebt die Untersuchung keinen Anspruch auf die Erwähnung aller erzählten Gegenstände im Stile eines Katalogs. Es geht nicht um eine vollständige Abbildung der Dinge innerhalb der drei Erzählungen, sondern um das exemplarische Verdeutlichen von Interpretations- und Forschungsoptionen. Ein besonderes Augenmerk soll der Relation von Figuren und Dingen sowie der Funktion von Dingen für den Handlungsverlauf zukommen. Beginnen werde ich mit dem Geschenkaustausch bei Dido.

4.1 Geschenke Wie eingangs beschrieben, hat der Gabendiskurs der Auseinandersetzung mit erzählten Gegenständen fruchtbare Impulse geliefert. Dieser Diskurs bedient sowohl kulturhistorische Anliegen160 als auch erzähltextanalytische. Die narratologische Perspektive soll hier im Vordergrund stehen. Im höfischen Kontext dienen Gaben allgemein der Sicherung von Gefolgschaft, verweisen auf das eigene Selbstverständnis und bezeugen Respekt. Sie lassen Schlüsse auf Geber oder Herkunftskontext zu und können (dadurch) mit Verweisstrukturen versehen sein, die durchaus nicht immer unproblematisch sind. Im ‚Eneasroman‘ gibt es mehrere Szenen, in denen Geschenke dargebracht werden. Besonders deutlich tritt eine subtile Wirksamkeit bei den Dingen zutage, die Dido überreicht werden. Diese werden eingehend von Marion Oswald untersucht, an deren Ergebnisse ich anknüpfen kann. Ihre Überlegungen sind jedoch in Teilen einer kritischen Revision zu unterziehen. Denn wo sie in Bezug auf Mauss’ Gabentheorie das reziproke Austauschverhältnis und dessen potentiell agonales Moment zum Untersuchungsgegenstand erhebt, werden Unterschiede zwischen den drei Werken bisweilen zugunsten einer makrostrukturellen Lesart geglättet: Wenngleich es nämlich richtig ist, dass speziell mit den überreichten Gewändern „für den Rezipienten […] das Schicksal Didos erahnbar, wenn nicht schon gar besiegelt“ 161 wird, fällt doch auf, dass sich die einzelnen Bestandteile der Geschenke zwischen den Fassungen keineswegs gleichen. Um diese Differenzen und mögliche Folgerungen daraus geht es nun zunächst.

ich unter Angabe des jeweiligen Buchs und der jeweiligen Verse. Ich folge (wenn nicht anders angegeben) der Übersetzung Binders. 160 Vgl. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 12. Aufl. München 2008, hier besonders Kap. 3: Sachkultur und Gesellschaftsstil (S. 137–274). 161 Oswald (s. Anm. 2), S. 159.

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4.1.1 Vorboten des Verfalls? – Gaben für Dido Eneas versieht, wie bereits erwähnt, die karthagische Königin bei seiner Ankunft mit Geschenken, die das Zeremoniell zu konterkarieren scheinen, denn „Dido […] übernimmt mit den Gaben […] eine auf sie tödlich wirkende Kraft“ 162. Wie aber lässt sich das (erzähltheoretisch) fassen? Lässt es sich überhaupt auf der Textebene festmachen? In der ‚Aeneis‘ tritt der Held nach der Ankunft und dem Vorsprechen der Boten aus der verhüllenden Wolke. Den ersten Schritt macht die karthagische Königin. Zuerst bereitet sie ein Dankopfer, anschließend gibt sie Geschenke in Form von Tieren, die sie zu Aeneas’ Gefährten senden lässt (Aeneis I, 631–636).163 Die Erwiderung von Seiten des Helden fällt wesentlich prunkvoller aus, er lässt Ascanius von den Schiffen holen, im gleichen Zug sollen Geschenke für Dido mitgebracht werden.164 An dieser Stelle greift Aeneas’ göttliche Mutter in die Handlung ein, von ihr werden – was der Held allerdings nicht weiß – die Geschenke für die Liebesentfachung ‚aufgeladen‘. Aeneas’ Geschenke implizieren Verschiedenes; unklar bleibt, wie er an die Dinge gelangt ist.165 Mantel und Schleier sind wunderschön (und nur dieser

162 Oswald (s. Anm. 2), S. 153. 163 Später zeigt sich, dass sie Aeneas offenbar noch weitere Dinge schenkt: Mehrere edle Mäntel (einer dient als Indikator seiner Vereinnahmung (Aeneis IV, 261–264), ein weiterer (vgl. Aeneis XI, 72–79) wird später Pallas’ Totenkleid) sowie Gegenstände, die Ascanius als Belohnungen für Nisus und Euryalus auslobt (Aeneis IX, 257–266). 164 munera praeterea Iliacis erepta ruinis / ferre iubet, pallam signis auroque rigentem / et circumtextum croceo velamen acantho, / ornatus Argivae Helenae, quos illa Mycenis, / Pergama cum peteret inconcessosque hymemaeos, / extulerat, matris Ledae mirabile donum; / praeterea sceptrum, Ilione quod gesserat olim, / maxima natarum Priami, colloque monile / bacatum, et duplicem gemmis auroque coronam. (Aeneis I, 647–655: ‚Außerdem befiehlt er, aus dem Untergang Iliums gerettete Kostbarkeiten als Geschenke zu bringen, einen Mantel, steif von den mit Goldfäden eingestickten Figuren, und einen Schleier, mit safrangelbem Akanthus umsäumt, Schmuckstücke der Argiverin Helena, die sie aus Mykene auf den Weg nach Pergamum und in eine unerlaubte Ehe mitgenommen hatte, ein wunderbares Geschenk ihrer Mutter Leda; außerdem ein Szepter, das Ilione einst getragen, die älteste Tochter des Priamus, einen mit Perlen verzierten Halsschmuck und eine Doppelkrone aus Gold und Edelsteinen.‘) 165 In seinem späteren Bericht von der Erstürmung der trojanischen Königsgemächer sind es vor allem die Griechen, die ‚die aus den brennenden Tempeln geraubten Kleinodien Troias, Opfertische der Götter, Krüge aus massivem Gold und erbeutete Gewänder‘ zusammentragen (vgl. Aeneis II, 763–766). Aeneas lässt seinen Vater auf der Flucht heilige Geräte und Götterbilder mitnehmen (Aeneis II, 717–729), dass es sich dabei um Teile der Geschenke für Dido handeln könnte, ist fragwürdig. Befand sich Aeneas schon länger im Besitz dieser Herrscherutensilien oder hat er sich diese erst in den Kriegswirren angeeignet?

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Aspekt scheint Dido zugänglich), durch die Verbindungen zur femme fatale Helena sind diese für den Rezipienten aber bereits deutlich negativ besetzt, obwohl Helena trotz ihrer abgewerteten Rolle (vgl. Aeneis II, 567–588) nicht ums Leben kommt. Insbesondere mit Szepter und Krone, die Ilione, der Tochter des früheren Troja-Königs Priamus zugeordnet sind, schenkt der Held Dinge, die die Anerkennung und Manifestation von Didos Herrschaft öffentlich untermauern. Gleichzeitig sind die Gaben strukturell funktionalisiert und untergraben dabei die Bedeutung, die innerhalb der erzählten Welt etabliert scheint, denn der Herkunftskontext – den Dido im Gegensatz zum Rezipienten nicht in der Form mitgeliefert bekommt – lässt eine Parallelität der Untergangsszenarien aufscheinen: Dem Untergang des Priamus-Reichs (selbst wenn vom Tod seiner Tochter nicht im Detail berichtet wird) infolge des Helena-Raubs korrespondiert Didos Fall aufgrund ihrer gegen das Fatum gerichteten (also in diesem Sinn gleichsam unrechtmäßigen) Verbindung zu Aeneas. Wohlgemerkt: Eine Korrespondenz macht noch keinen tatsächlichen Zusammenhang und schon gar keine kausale Verknüpfung. Aus narratologischer Perspektive ist wichtig, dass die Geschichte der Dinge ein Zukunftsszenario subtil vorzeichnet und gerade nicht expliziert. Dadurch entsteht eine Spannung zwischen diesem anzunehmenden zukünftigen Schicksal Didos und der (möglicherweise) darauf zulaufenden Erzählhandlung. Diese Spannung beruht aber auf einer interpretatorischen Leistung, denn innerhalb der erzählten Welt wird weder von Seiten Didos Skepsis deutlich, noch scheint Eneas einen (erneuten) Untergang ‚überreichen‘ zu wollen. Ähnlich wie in der ‚Aeneis‘ erbittet auch im ‚Roman d’Eneas‘ Ilioneus Sicherheit und Zeit zur Reparatur der Schiffe. Didos Antwort beinhaltet ein Hilfsangebot, das noch wesentlich weiter geht: Sie stellt Eneas die Übernahme von Stadt und Besitz in Aussicht (vgl. RdE 612–614) und wäre dafür gar bereit, ihren toten Gatten zu vergessen. Wenig später hält Eneas selbst in Karthago Einzug. Die Motivation des Herbeibringens der Gaben, das sich recht unvermittelt angliedert, liest sich mehrschichtig: Quant il li ot tot aconté, son chambellenc a apelé, ariere l’enveia as nes por son fil ki la ert remés; molt tost li rova amener et comanda a aporter treis guarnemenz que il aveit; porpensa sei qu’il les donreit a la reïne de Cartage, ki molt li faiseit bel ostage.

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(RdE 729–738: ‚Als er ihr alles erzählt hatte, hat er seinen Kämmerer gerufen, er sandte ihn zurück zu den Schiffen wegen seines Sohnes, der dort geblieben war; er bat darum, ihn sehr geschwind herbeizuführen und befahl, drei Gewänder mitzubringen, die er besaß; er überlegte sich, dass er sie der Königin von Karthago schenken würde, die ihm sehr schöne Gastfreundschaft erwies.‘)

Der vordergründige Auftrag ist das Herbeirufen von Ascanius; die Geschenke wirken, stärker als bei Vergil, dem untergeordnet. Der Erzähler lässt nun wissen, dass der Umfang der Gaben offenbar weiter ist als vom Held kurz zuvor in Auftrag gegeben, Eneas hatte ja lediglich von drei Gewändern gesprochen: Une nosche i ot merveillose, / onkes ne fu plus preciose, / et un mantel ki molt fu chiers; (RdE 739–741: ‚Eine wunderbare Spange war dabei, niemals gab es eine kostbarere, und ein Mantel, der sehr teuer war.‘)166 Die vom Erzähler eingebrachte Herkunftsgeschichte bezieht sich auf die Gesamtheit der geschenkten Dinge: li reis Prianz en son tresor / faiseit cez guarnemenz guarder, / quant il se deveit coroner; / sa femme Ecuba les aveit / le jor que coronee esteit. (RdE 756–760: ‚[A]ls König Priamus sich krönen lassen wollte, ließ er diese kostbaren Kleidungsstücke in seinem Schatz verwahren; seine Frau Hekuba bekam sie am Tage, als sie gekrönt wurde.‘) Von Priamus’ Tochter wird an dieser Stelle nichts erzählt,167 Besitztümer der Helena sind nicht zu finden, insofern ist die Vielschichtigkeit der lateini166 Die Stilisierung des Mantels (vgl. RdE 742–755) reicht in den Bereich des Wunderbaren, so ist sein Pelz ‚von einigen hundertfarbigen Rehen‘, was durch den Saum noch übertroffen wird. Auch das Futter ist sehr wertvoll, speziell jedoch die Außenseite: ‚er war außen gänzlich mit goldenen Blättern bedeckt.‘ Die zugehörigen Accessoires sind von höchstem Wert: ‚Allein die Bänder und die Schließe, die Knöpfe und die Fransen waren wertvoller als drei Schlösser.‘ Der Erzähler fährt fort: ‚Das Gewand war ein solches, wie es einer Königin ziemte; es war aus Purpur, mit goldenen Sternen geschmückt.‘ Ausführlich beschreibt er einen Mantel, den er als mantel und als vestiment bezeichnet, der Gesamtumfang umfasst trei guarnemenz (drei Gewänder). Die Abgrenzung der Bezüge ist nicht völlig eindeutig, das vestiment in RdE 753 scheint ein separates Kleidungsstück zu bezeichnen, was die öffentliche Vorführung auch nahelegt (vgl. RdE 795–798). Die abschließende Darstellung ‚Der Kämmerer […] hat alles in kurzer Zeit ausgeführt, so wie sein Herr es ihm gesagt hatte‘ (RdE 761–763) ist also bei genauer Betrachtung nicht ganz korrekt. Es ist davon auszugehen, dass Eneas die weiteren Dinge wie die noche merveillose als den Gewändern beigehörig betrachtet, eine explizite Erwähnung ist von ihm im Text aber nicht zu finden. Insofern ist Oswalds Ansicht, dass Eneas „der Königin drei erlesene Kleider, eine Spange und einen kostbaren Mantel überreichen [möchte]“ (s. Anm. 2, S. 158, Kursivierung VC), problematisch. Cormier erkennt fälschlicherweise nur drei Gegenstände (Mantel, Gewand, Brosche) und hält die (im Vergleich zur ‚Aeneis‘) „interesting reduction“ für „mysterious“ (s. Anm. 153, S. 99–100). RdE 735 und 739 machen deutlich, dass es sich um mindestens vier Dinge handelt. 167 Der weitere Verlauf zeigt, dass der Held sich aber auch im Besitz eines Gegenstandes der Priamus-Tochter befindet, nämlich einer Decke, in die der gefallene Pallas eingewickelt wird (vgl. RdE 6127–6129). Veldeke übernimmt diese Darstellung nicht.

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schen Verweisstruktur reduziert und vereindeutigt: Der Held verschenkt die Krönungsgewänder der Frau des letzten trojanischen Königs. Hierauf richtet Oswald ihre Argumentation aus: „[P]ars pro toto stehen die Gewänder nicht nur für die einstige Größe und den Glanz Trojas, sondern erinnern auch an das brennende Troja und Hecubas Schicksal.“ 168 Diese Darstellung ist nicht unproblematisch. Denn zum einen muss auch hier zunächst gefragt werden, wem sich diese Verweisstruktur offenbart. Zum zweiten werden die Unterschiede in der Art der Gegenstände schlicht eingeebnet („pars pro toto“). Es fällt aber doch auf, dass im Gegensatz zur ‚Aeneis‘ keine originären Herrschaftsinsignien (Szepter, Krone) den Besitzer wechseln, sondern Kleider, die zwar durch ihre Außergewöhnlichkeit exponiert sind, zumindest aber eines gewissen Deutungskontexts bedürfen, und (als auffälligste Neueinführung) eine Spange, die kostbar ist, als Herrschaftsinsignie aber nur bedingt taugt. Die deutsche Fassung nähert sich bei der Gestaltung der Kontaktaufnahme dem ‚Roman‘ an. Obwohl Ilioneus Bereitschaft zur Unterordnung signalisiert hatte, will Dido sich ihrerseits âne nôt (ER 30,37) der Verfügungsmacht des Helden unterwerfen. Der Empfang in Karthago ist ein Idealbild höfischen Zeremoniells. Eneas lässt Ascanius holen, anders als in der ‚Aeneis‘ und vor allem im ‚Roman‘ ist aber sein Auftrag, Geschenke für Dido mitzubringen, wesentlich eigenständiger geführt, wirkt nicht unter-, sondern beigeordnet: sîne boten her dô sande von der borch hin nidere zû den schiffen widere nâch Ascânjô sîme sun. dannoch hiez er mêre tûn Ênêas der mâre: sînen kamerâre hiez er schiere brengen […] einen koph von golde, […] und einen mantel gûten harmîn wîz alse ein swane. […] dar zû her ime brengen bat zwêne bouge und ein vingerlîn und ein nusken guldîn, […] und einer rîchen frowen gewant (ER 36,18–37,9)

168 Oswald (s. Anm. 2), S. 158–159.

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Der ‚Eneasroman‘ misst den Geschenken zumindest quantitativ stärkere Bedeutung bei als die Vorgängerversionen. Wie im ‚Roman‘ schenkt Eneas wertvolle Kleidungsstücke: Einen mantel aus Hermelin, der genauer beschrieben wird,169 der sich jedoch nicht auf einen Besitzer zurückführen lässt; man erfährt lediglich, Eneas habe ihn uber mere [braht] (ER 36,34). Zudem lässt er das Kleid einer edlen Dame, spezifiziert als pheller dalmaticâ (ER 37,11), holen. Beim Herkunftskontext des Seidengewands orientiert sich Veldeke an der französischen Fassung: in hete diu kunegin Êcubâ / ane, sô si die krône trûch (ER 37,12–13). Somit scheint speziell den Kleidern eins gemein: Obwohl diese Gaben aufgrund ihrer materiellen und symbolischen Qualitäten der karthagischen Königin würdig sind, handelt es sich zweifelsohne um Trägerinnen einer Untergangsgeschichte. Untrennbar mit den Objekten verschmolzen, wechselt nämlich auch deren unsichtbares historisches Stigma auf die neue Besitzerin.170

Zweifellos argumentiert Oswald aus dem sicheren Standpunkt des Wissens um den weiteren Verlauf heraus, und in der Tat lässt sich bereits hier für den Rezipienten eine Verbindung zwischen der Herkunft der Dinge und Didos (kommendem) Schicksal ziehen, zumal die Gewänder beim Anonymus wie bei Veldeke (anders als bei Vergil) der Herrscherin des untergegangenen Troja zugeordnet sind. Im makrostrukturellen Fokus auf diese symbolische Korrespondenz gerät jedoch die Frage, welche Rolle diese Gegenstände tatsächlich innerhalb der erzählten Welt spielen, weitgehend außer Acht. Diese Überlegung liegt aber insofern nahe, als Veldeke seine im Vergleich zur ‚Aeneis‘ schon deutlich veränderte französische Vorlage nochmals umgestaltet und signifikant ausbaut. Denn eine solch spezifische Verhandlung scheint mir mit einer rein semiotisierenden Lektüre nicht vollständig erfasst zu sein. Zurück zum Text: Außer den Kleidungsstücken fügt Veldeke der Erzählung noch weitere besondere Gegenstände mit ein. Zunächst einen goldenen Becher.171 Der Erzähler berichtet von dessen Herkunft: ein sîn holde hatte diesen

169 Er verfügt über einen Zobelbesatz und ist mit rotem samît gefüttert, laut Erzähler handelt es sich um den besten Mantel weit und breit (vgl. ER 36,30–37,1). Zur Farbsymbolik eingehend Bußmann, Britta: wîz alse ein swane – brûn alse ein bere – rôt. Zur Funktion farblicher Parallelisierungen in Heinrichs von Veldeke ‚Eneasroman‘. In: Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik. Hrsg. von Ingrid Bennewitz/Andrea Schindler. Berlin 2011, S. 479–492. 170 Oswald (s. Anm. 2), S. 150. 171 Dass sich hier Anklänge an die Gralsthematik finden, ist mehr als fragwürdig. So ist Wolframs ‚Parzival‘ nicht nur nach Veldekes Erzählung entstanden, auch wird bei ihm der Gral als Stein aufgefasst; aufgrund der Entstehungszeit ebenso unwahrscheinlich sind Bezüge zu Chrétiens ‚Conte du Graal‘.

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in grôzer hûte (ER 36,28–29). Die Bedeutung, die sein Vertrauter dem Becher offenbar beigemessen hat, macht ihn für Eneas zu einem persönlichen Gegenstand. Wenn der Held ihn verschenkt, lässt dies (trotz des Deutungsspielraums, den die Bezeichnung holde172 bietet) persönliche Wertschätzung über höfisches Zeremoniell hinaus erkennen. Weiter lässt er zwei Armreife, einen Ring und (wie beim Anonymus) eine goldene Spange herbeibringen.173 Eneas’ Geschenke sind zahlreicher und exponierter als im ‚Roman‘.174 Dennoch handelt es sich nicht um originäre Herrschaftsinsignien wie in der ‚Aeneis‘; ebenso sind moralische Verweise, die bei Vergil in den Besitztümern Helenas impliziert sind, getilgt. Der ‚Eneasroman‘ versieht die Gaben mit offenerem Status, Eneas bringt, so legt die Darstellung nahe, Gastgeschenke, die weniger eine Herrschaftskomponente beinhalten als vielmehr ein zwischenmenschliches Moment transportieren. Die persönliche Akzentuierung lässt sich auch anhand von Didos Reaktion plausibel machen: Sie erwidert sie umgehend, was sie in beiden anderen Fassungen nicht tut. Zudem steht jedes Geschenk im expliziten Kontext der Beauftragung durch den Helden (im ‚Roman‘ war das ja nicht der Fall). Und auch die Übergabe kann dem deutschen Eneas offenbar gar nicht schnell genug gehen kann: ern woldez niht lengen (ER 36,26). Das liest sich deutlich anders als beim französischen Pendant, wo der Held die Gaben weniger als ‚Chefsache‘ zu betrachten scheint. Man kann im Hinblick auf die untersuchten Passagen verschiedene Verständnisebenen festmachen: Wir haben zum einen die (belastete) Herkunft der Gegenstände, über die der Erzähler uns aufklärt. Zum anderen haben wir die erzählte Welt, wo das (zunächst) nicht zum Problem wird. Es wird zu prüfen sein, in welchem Verhältnis diese beiden Ebenen im weiteren Verlauf zueinander stehen.

172 Die einschränkende Spezifizierung einen lässt sich als Bedeutungsreduktion lesen, hiermit korrespondiert die Tatsache, dass der holde namentlich ungenannt bleibt. Entgegen dem ‚Roman‘ führt Veldeke die Geschenke nicht nur auf weibliche Besitzer zurück, eine geschlechtlich konnotierte Freundschaftsbeziehung wird darin zu gewissen Teilen neutralisiert, was Dido aber wohl nicht weiß. 173 Je nach Lesart bezieht sich die Beschreibung meisterlich gewieret / mit golde wol gezieret (ER 37,5–6) entweder lediglich auf die Spange (separat bereits als guldîn charakterisiert) oder auf alle vier Schmuckstücke, ich plädiere für letztere Lesart. Anders als beim ‚Roman‘ ist die Spange nicht einem Kleidungsstück zugeordnet, sondern steht als Schmuckstück für sich selbst, wie auch Armreife und Ring. 174 Wie Schmitz zur Einschätzung gelangt, Veldeke verleihe „den Gaben, die Eneas Dido darbietet, weniger Gewicht als der Anonymus“ (s. Anm. 155, S. 130), ist mir insofern völlig unklar.

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4.1.2 comencemenz de mort et de destruction: Verborgene Mitspieler? Im Unterschied zu den mittelalterlichen Werken ist der Gabenüberreichung in der ‚Aeneis‘ ein göttlicher Eingriff vorgelagert: Venus, besorgt um adäquate Aufnahme des Sohnes, zieht Ascanius heimlich aus dem Verkehr und lässt Amor dessen Gestalt annehmen. Zum ersten sind nun die Dinge mythisch aufgeladen, indem dieser ‚die Königin durch die Geschenke zu leidenschaftlicher Liebe entflammen und ihr Feuer in Mark und Bein jagen [soll]‘ (Aeneis I, 659– 660). Wie das genau vor sich zu gehen hat, bleibt freilich unklar. Genauso erhält Ascanius selbst die Weisung, Dido ‚heimlich Feuer einzuhauchen und sie durch [s]ein Gift zu betören‘ (Aeneis I, 683–688). Diese beiden mythischen Handlungsfaktoren (Geschenke und Ascanius-Amor) verstärken sich dann wechselseitig.175 Die Geschenke rufen Begeisterung hervor, wie auch der vermeintliche Ascanius. Enthusiastisch herzt sie ihn, dabei entfaltet sich sukzessive die göttliche Verzauberung. Dem Knaben kommt damit die Hauptverantwortlichkeit zu, die Dinge scheinen dem vorbereitend zugeordnet. Zweifellos stellt die Liebe zu Aeneas die Basis ihres Verfalls dar. Insofern scheint sich (schon) hier das Fatale der trojanischen Gegenstände abzuzeichnen. Allerdings muss zwischen narratio und Erzählwelt unterschieden werden. Für die erzählten Figuren, speziell für Dido, scheinen die Geschenke am Punkt ihrer ‚Infizierung‘ nämlich völlig unproblematisch, sie werden nicht einmal einzeln erwähnt. Nachdem ihre Zuneigung in Gang gesetzt ist, haben die Dinge ihre Schuldigkeit getan und verschwinden für lange Zeit von der Erzähloberfläche. Man kann erkennen, dass die Vorgeschichte der Gegenstände primär rezeptionsorientierte Bedeutung besitzt. Für Dido sind sie zwar insofern funktionalisiert, als sie der Liebesentfachung Vorschub leisten; das scheint aber nichts mit deren Herkunft zu tun zu haben, sondern mit Venus’ göttlicher Kraft. Nach der sexuellen Vereinigung eilt die Fama durchs Land; Juppiter lässt Aeneas nachdrücklich an seinen Auftrag erinnern, Dido bekommt die Vorbereitungen zum Aufbruch mit und versucht vergeblich, ihn umzustimmen. Daraufhin lässt sie einen Scheiterhaufen errichten und alle Gegenstände, die eine

175 ‚Man bewundert die Geschenke des Aeneas, man bewundert Iulus, sein göttlich leuchtendes Gesicht und die täuschend echt vorgetragenen Worte, das Gewand und den mit safranfarbenem Akanthus bestickten Schleier. Allen voran kann die unglückselige Phönikerin, künftigem Verderben bestimmt, ihr Herz nicht sättigen und gerät beim Anschauen in Entzücken, ist zugleich von dem Knaben und den Geschenken begeistert. […] Sie, Dido, hängt mit ihren Blicken, ja mit ihrem ganzen Herzen an ihm; ab und zu drückt sie ihn an sich, nicht ahnend, welch starker Gott sich ihrer, der Armen, bemächtigt‘ (Aeneis I, 709–719).

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Verbindung zu Aeneas aufweisen, darauflegen. Der Erzähler nennt hierbei seine Waffen, das Bett sowie „alle Kleidung“ (omnis exuvias) (vgl. Aeneis IV, 494– 497). Diese Bezeichnung macht nicht klar ersichtlich, ob es sich um Aeneas’ Kleider, ihre eigenen oder die Kleider von beiden handelt.176 Das scheint mir aber für die eingangs dargelegte Argumentation von entscheidender Bedeutung. Wenn bei den Gaben die Wirksamkeit „zerstörerische[r] Kräfte“ 177 erkennbar sein soll, dann sollte zumindest sichergestellt sein, dass diese während der kritischen Situationen überhaupt definitiv zugegen sind. Das ist hier jedoch gerade nicht der Fall, denn eine eindeutige Identifizierung und damit eine stringente Verbindung zu den früheren Geschenken ist durch die pluralische Wendung sowie das Fehlen jeglichen spezifizierenden Bezugs nicht möglich. Die Überreichung der Gaben zeigte einen Mantel (palla; Aeneis I, 648) und einen Schleier (velamen; Aeneis I, 649), beide Begriffe werden hier nicht mehr erwähnt. Diese Tatsache ignoriert Oswald, wenn sie von „Helenas Kleider[n]“ spricht, „die Aeneas an sie [Dido] weitergegeben hatte“ 178, denn es herrscht eben keine Eindeutigkeit darüber, ob es sich tatsächlich um die geschenkten Kleidungsstücke handelt, und auch in der folgenden Beschreibung, wie Dido den Scheiterhaufen mit den Gegenständen belegt, ist (neben Schwert und Aeneas’ Bild) lediglich unspezifisch die Rede von exuvia(e) (Aeneis IV, 507). Zum weiteren Verlauf: Dido zieht das Schwert,179 legt sich aufs Bett und wendet sich den Kleidern zu, an die sie unerfüllbare Erlösungsphantasien knüpft, zuletzt setzt sie ihrem Leben ein Ende. Hier nun ist in der Bezeichnung Iliacas vestis180 (Aeneis IV, 648: ‚Gewänder aus Ilium‘) zumindest ein eindeuti-

176 So besitzt Aeneas einen von Dido hergestellten golddurchwirkten Mantel (Aeneis IV, 261– 264), sie selbst wird auch in einem prächtigen Jagdgewand gezeigt, das explizit aus Karthago stammt (sidoniam chlamydem, vgl. Aeneis IV, 136–139). 177 Oswald (s. Anm. 2), S. 151. 178 Oswald (s. Anm. 2), S. 176. 179 Wörtlich heißt es, sie ‚entblößt das Dardanerschwert, ein Geschenk, das sie nicht zu diesem Zweck sich erbeten‘ (Aeneis IV, 646–647). Diese Darstellung widerspricht sowohl der Aussage Didos, derzufolge Aeneas seine Waffen aus Unachtsamkeit zurückgelassen hat (vgl. Aeneis IV, 494–498), als auch der früheren ähnlich lautenden Darstellung des Erzählers (ensem relictum; Aeneis IV, 507). 180 Vestis kann singularische wie pluralische Bedeutung haben (‚Kleider, Kleidung, Kleid, Gewand‘), der Akk. Pl. (Iliacas) sowie das weitere Textumfeld deuten aber eindeutig auf eine Mehrzahl hin (für äußerst erhellende und differenzierte Anregungen zu den genannten Textstellen danke ich Adolf Vogt-Ladner). Selbst wenn hier aber nur ein Kleidungsstück bezeichnet sein sollte, ließe sich damit dessen Identität nicht eindeutig festmachen. Die Übersetzungen der ‚Aeneis‘ lassen dieses Problem deutlich aufscheinen: Neben der zitierten Übersetzung von Binder („Gewänder aus Ilium“) finden sich u. a. die Versionen „des Troers Gewand“ (Scheffer,

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ger Herkunftsbezug erkennbar, es handelt sich also in der Tat um „Gewänder […], welche Aeneas aus Troja gerettet hatte“ 181. Auch darin lässt sich aber nicht mit Sicherheit feststellen, ob es sich um die anfänglichen Gaben handelt,182 wie auch Dido selbst im Anschluss – und dies ist auch die letzte Erwähnung der Gewänder – nur unspezifisch von ‚dulces exuviae‘ (Aeneis IV, 651) spricht. Wir fassen zusammen: Das Fatale, das den Dingen bei der Beschreibung der Übergabe durch ihre stigmatisierte Herkunft zueigen schien, wird im Verlauf der Erzählung bis zu Didos Tod sukzessive unterminiert. Die Herrschaftsinsignien Krone und Szepter tauchen überhaupt nicht mehr auf, genausowenig wie der Halsschmuck, und auch Mantel und Schleier werden nicht mehr eigens erwähnt. In den Vordergrund rückt Aeneas’ Schwert, bei dem sich in der metonymischen Projektion auf den Helden eine symbolische Lektüre anbietet – in diesem Ding ist Aeneas ganz unmittelbar am Tod Didos beteiligt. Hinsichtlich palla und velamen sind die Inkongruenzen und damit der Grad der Depotenzierung am höchsten. Die Einschätzung von Marion Oswald, dass „die Kleider Helenas […] sowohl auf der Handlungsebene für die Protagonistin als auch für den Rezipienten des Epos […] als Medium der Erinnerung [fungieren]“ 183, muss insofern deutlich relativiert werden. Ohne Zweifel werden für Leser und Hörer bei der Geschenkübergabe in Buch I sowohl durch den Bezug zum untergegangenen Troja als auch zur Helena-Figur entsprechend negative Assoziationen geweckt. Ein sicherer Konnex zwischen den Dingen und der Aktualisierung ihres destruktiven Potentials ist aber weder für den Rezipienten eindeutig zu ziehen (denn dieser sieht sich mit Kleidungsstücken konfrontiert, die sich nicht klar identifizieren lassen), noch scheint die Herrscherin Karthagos selbst in den Gewändern mehr zu sehen als das, was diese öffentlich signalisierten: Repräsentationsobjekte einer Herrscher-Ehe, deren göttliche Billigung sie nicht erlangen durfte. Wie verhandelt der ‚Roman‘ die Geschenke im weiteren Verlauf? Bei der Überreichung gilt Didos Freude offenbar mehr dem Überbringer Ascanius als den Gegenständen als solchen, die mythische Funktionalisierung der Gaben in der

Thassilo v., Bremen o. J.), „das Ilierkleid“ (Vezin, August, Münster 1952) sowie „des Aeneas Gewänder“ (Fink, Gerhard, Düsseldorf, Zürich 2005). 181 Oswald (s. Anm. 2), S. 177. 182 Oswald redet hierbei wie selbstverständlich von Kleidung, die Aeneas aus Troja mitgebracht habe, „um sie später ihr zum Geschenk zu machen“ (s. Anm. 2, S. 177), d. h. es müsste Helenas Mantel bezeichnet sein. Eine solche eindeutige Zuweisung lässt der Textbefund nicht zu. 183 Oswald (s. Anm. 2), S. 178.

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‚Aeneis‘ ist zurückgenommen zugunsten der persönlich-emotionalen Disposition.184 Als die einzelnen Bestandteile öffentlich vorgeführt werden und hinsichtlich der allgemeinen Wertschätzung einer Steigerung unterliegen, die beinahe agonale Züge annimmt (RdE 793–794: ‚sie können sich alle untereinander nicht einig werden, was man am höchsten schätzen müsse‘), lässt sie sich aber offenbar auch in den Bann der Geschenke ziehen: Quant ont le mantel esguardé, a grant merveille l’ont loé, et reveient le vestement, le mantel tindrent a neient, et quant la noche vint apruef, tot l’altre ne prisent un oef. (RdE 795–800: ‚Als sie den Mantel betrachtet haben, haben sie ihn über die Maßen gelobt, und als sie hinwiederum das Gewand sehen, hielten sie den Mantel für nichts, und als danach die Spange kam, erachteten sie alles andere als nicht so viel wert wie ein Ei.‘)185

Die Geschenke rufen plötzlich allgemeine Begeisterung hervor. Die nachhaltigste Faszination bewirkt merkwürdigerweise genau der Gegenstand, den Eneas nicht expressis verbis in Auftrag gegeben hatte. Der Fokus richtet sich bald auf die Interaktion zwischen Dido, Ascanius und Eneas, die Geschenke rücken in den Hintergrund, jedoch anders als in der Vorlage. Die französische Version trennt deutlich stärker zwischen Geschenken und Liebesverzauberung. Entscheidend kommt hinzu, dass die Dinge nicht einfach von der Bildfläche verschwinden, sondern Dido sie aktiv der Öffentlichkeit entzieht.186 Kann man daran bereits eine Form von Fetischisierung erkennen in der Form, dass Dido den in den Dingen präsenten Geliebten nur für sich allein haben will? Darauf wird beim deutschen Text zurückzukommen sein. Mit dem Wegschaffen der Geschenke kann sich ihre Konzentration jedenfalls allein auf Ascanius richten, der jedoch ‚kontaminiert‘ ist. Anders als bei Vergil spielen die Gaben für die eigentliche Liebesentfachung keine Rolle, ja sie sind nicht einmal zugegen.187 184 ‚Mit großer Huld hat es die Königin, der es sehr willkommen war, in Empfang genommen; sie schätzte es nicht so sehr wegen seines Wertes, als um dessentwillen, der es ihr schenkte‘ (RdE 785–788). 185 Anmerkung: Schöler-Beinhauer übersetzt noche (RdE 799) mit ‚Agraffe‘, ich folge der in RdE 739 gebrauchten Übersetzung ‚Spange‘. 186 La reïne les enveia / en sa chambre, puis apela / l’enfant ki a son pere vint; (RdE 801–803: ‚Die Königin schickte sie auf ihr Zimmer, dann rief sie das Kind, das zu seinem Vater kam.‘) 187 Auch bei den nächtlichen Liebesqualen wird als Ursache nur Ascanius aufgeführt: ‚Sie weiß nicht, wer sie überrascht hat: tödliches Gift hatte sie getrunken; sie wusste nicht, wer das Kind war, das sie gehalten und umarmt hatte, und das ihr die Raserei eingegeben hatte‘

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Nach dem Festmahl 188 bittet Dido Eneas, vom Fall Trojas zu berichten. Nachts kreisen ihre Gedanken nur um ihn. Obwohl sich die Geschenke nun in unmittelbarer Nähe befinden, scheinen sie keinerlei Rolle zu spielen. Auch im ‚Roman‘ schläft Eneas im weiteren Verlauf mit Dido, die aus ihrer Sicht damit implizit vollzogene Vermählung erweist sich in der Einseitigkeit als faktisch inexistent, der Selbstmord wird bald zum einzigen Ausweg. Wie bei Vergil kommen die Gegenstände, die mit Eneas in Verbindung stehen, auf den Scheiterhaufen. Konkret erwähnt werden ‚die Gewänder‘, ‚sein Schwert‘ und ‚das Bett‘ (vgl. RdE 1931–1936). Anders als die ‚Aeneis‘ lässt der Anonymus keine Zweifel daran, dass es sich um die geschenkten Kleider handelt (‚toz cels dont il me fist presenz‘; RdE: „alle diejenigen, die er mir geschenkt hat“). Fast wahnsinnig begibt sich Dido in das Zimmer, das komplett ausgeräumt wurde, sie ist tot seulement (RdE 2025), niemand kann sie nunmehr von ihrem Plan abbringen. Ein Detail erscheint besonders bemerkenswert: Die noche merveillose findet, obwohl Dido bekräftigt, ‚nichts von dem Seinigen zurückbehalten‘ zu wollen (RdE 1947), keine explizite Erwähnung mehr. Das verwundert umso mehr, als dieser Gegenstand zu Beginn erzählerisch besonders stark in den Mittelpunkt gerückt wurde. Wie schon im lateinischen Text drängt sich auch hier eine symbolische Lektüre auf: Vom strahlendsten und faszinierendsten Gegenstand, den ihr Eneas geschenkt hatte, wird nun nichts mehr erzählt. Insofern lässt sich dieser Gegenstand und seine Pracht auf Didos Herrschaft und ihre Hoffnungen auf eine Zukunft mit dem Helden übertragen. Am Ende steht die Asche des Scheiterhaufens – Didos Glanz verlischt in der Weise, wie sich die Spur der wunderbaren Brosche im Text verliert. Der Suizid ähnelt der Darstellung in der ‚Aeneis‘, sie stößt sich Eneas’ Schwert – das er ihr hier eindeutig bewusst überlassen hat – in die Brust (RdE 2028–2037), in ihren letzten Worten wird die subjektive Wertigkeit der geschenkten Kleider nochmals deutlich. Gleichzeitig, und in diesem Punkt geht der ‚Roman‘ hinsichtlich der Wirkung der Gewänder klar über Vergil hinaus, billigt Dido selbst ihnen eine schicksalhafte Fatalität zu:

(RdE 1258–1262). Insofern kann kaum (oder nur um den Preis einer ausschließlich metaphorischen Lesart) die Rede davon sein, dass „[d]ie Geschenke, welche Ascanius überreicht, [ ] für Dido im Moment der Übergabe – mit Ascanius’ Kuß – zum ‚Gift‘ […] [werden]“, wie Oswald (s. Anm. 2, S. 159) behauptet. Im Moment der Geschenküberreichung (RdE 781–786) passiert mit Dido noch weitgehend gar nichts. 188 Betont wird die Helligkeit des Palastes (vgl. RdE 836–838), diese scheint mir in Kontrast zu stehen zum Entzug der Gaben aus dem ‚Licht der Öffentlichkeit‘. Erst nachdem sie der öffentlichen Bühne fern sind, kann das Liebesfeuer entfacht werden. Man kann hier zumindest in Ansätzen Parallelen zum ‚Nibelungenlied‘ ziehen, wo fehlende Sichtbarkeit stets mit zerstörerischen Folgen verbunden ist, vgl. Müller (s. Anm. 37), S. 249–295.

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‚Cez guarnemenz ai molt amez, tant com de plot les ai guardez, ne puis avant ma vie estendre; […] Mar vi onkes cez guarnemenz, il me furent comencemenz de mort et de destrucion;‘ (RdE 2039–2045: „Diese Gewänder habe ich sehr geliebt, so lange es Gott gefiel, habe ich sie bewahrt, ich kann nicht länger weiterleben; […] Zu meinem Unheil erblickte ich je diese Gewänder, sie bedeuteten für mich den Beginn von Tod und Vernichtung.“)

Anders als bei Vergil ist hier eindeutig, dass Eneas’ Geschenke, nämlich die guarnemenz von Hekuba (vgl. RdE 735), verbrannt werden, deren fatale Valenz sich damit zu bestätigen scheint: Die Gewänder Hecubas […] bedeuteten – so Dido – von Anfang an drohendes Unheil. Das Stigma einer untergegangenen Herrschaft, welches den Gaben anhaftete, wurde im Moment der Übergabe und Annahme für die karthagische Herrscherin zur unabwendbaren Bestimmung.189

Trotz der Entsprechung zwischen der Herkunft der Dinge und Didos Schicksal, die anscheinend durch deren eigene Worte unterstrichen wird, ist Oswalds Aussage in zweierlei Hinsicht zu problematisieren: Zunächst einmal passierte, wie gezeigt wurde, mit Dido im Augenblick der Geschenkeübergabe und -annahme überhaupt nichts – zumindest nichts, was sich mit den Dingen in Verbindung bringen ließe. Zum anderen ist die Korrespondenz von erzählter Welt und dem Sinnbildungsprozess von Hörern und Lesern weitaus weniger stringent, als Oswald darlegt. Ohne Zweifel sind die Geschenke ein Erzählelement, das für den Rezipienten auf Kommendes hindeutet, und auch Dido selbst verweist auf eine fatale Rolle der Gegenstände. Jedoch ist an keiner Stelle ersichtlich, dass sie ‚Unheil‘‚ ‚Tod und Vernichtung‘ dezidiert mit der Herkunft oder Vorbesitzerin der Kleider in Verbindung bringen würde. Die destruktive Valenz von Hekubas Gewändern behält so das Moment des Subtilen – Dinge als Mitspieler im Verborgenen. Zum deutschen Text: Wo der ‚Roman‘ Geschenke und Liebesverzauberung entkoppelt, trennt Veldeke beide Bereiche grundlegend: Die Gaben scheinen mit der Entstehung der minne nichts zu tun zu haben.190 Neu ist, dass sie widerlôn 189 Oswald (s. Anm. 2), S. 181. 190 Es heißt schlicht dô man ez ime brahte, / dô sand erz frouwen Dîdôn (ER 37,18–19). Es folgt der Bericht von Ascanius’ Verzauberung und Didos Liebesentzündung, die Dinge finden über fünfhundert Zeilen lang (ER 37,20–50,7) keine Erwähnung mehr.

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finden, und zwar sô harde ûz der mâzen, dass er bezer wâre verlâzen (ER 37,20– 22). Worum es sich genau handelt, bleibt im Dunklen, der Fokus liegt auf ihrer Handlung, nicht auf den Gegenständen: Die Fatalität der Dinge wird weitgehend auf den Bereich menschlichen Tuns verlagert. Anders als in der französischen Fassung verschwinden Eneas’ Geschenke im Kontrast zur exponierten Schilderung zuvor abrupt von der Bildfläche. Unterliegen sie beim Anonymus breiter öffentlicher Wertschätzung, so scheinen bei Veldeke weder der Erzähler noch die handelnden Figuren den Gaben an dieser Stelle Bedeutung beizumessen. Als Dido Eneas in die Gemächer bringt, tauchen die Dinge plötzlich wieder auf, und zwar in dem Moment, als sie sich wohl am liebsten zu Eneas gelegt hätte. Veldeke führt hier wohl das aus, was im ‚Roman‘ angelegt scheint, nämlich dass Dido in den Gegenständen den Geliebten substituiert. Ihre Zuwendung changiert zwischen dem Helden und den Dingen; zum jetzigen Zeitpunkt kann sie jedoch nur die Dinge liebkosen.191 In Erkenntnis der aktuellen Unerfüllbarkeit ihrer Neigung gewinnen die so ‚fetischisierten‘ Gaben psychologische Bedeutung, so auch während der weitgehend schlaflosen Nacht. Die emotionale Relevanz der Dinge ist größer als in den Vorlagen.192 Beim Aufbruch des Helden rekurriert Dido mehrfach auf das, was der Erzähler mit widerlôn andeutete und bedauert ihre Zuwendungen an Eneas. Aus ihrer Sicht scheinen diese verpflichtenden Charakter gehabt zu haben, die erhoffte Gegenleistung kann ihr Eneas nicht geben. Aber auch Eneas hatte ihr in den Geschenken etwas versprochen, was er nicht halten konnte. Diese Dissonanz scheint bei Veldeke besonders deutlich und gebündelt speziell im Ring als triuwe-Symbol.193 Schon im ‚Roman‘ erschien ein Ring in einer ähnlichen Weise funktionalisiert. Dabei war es gerade umgekehrt wie in der deutschen Fassung: Dido hatte Eneas offenbar einen Ring geschenkt. Dies wird dem Leser aber erst nach der Karthago-Episode mitgeteilt, nämlich bei der Ankunft auf Laurentum. Hier lässt Eneas mehrere Gaben an Latinus senden, darunter un

191 vil dicke sie in ane sach / mit fruntlîchen ougen. / die nosken und die bougen, / die her ir hete gegeben, / die wâren ir lieb alse ir leben (ER 50,6–10). Später heißt es: Sie bestreich ir ougen / mit den lieben bougen / unde kuste ir vingerlîn (ER 51,21–23). 192 Eine solche symbolische Aufladung der Dinge zeigt Veldeke auch in der Figur der Lavinia, wenn diese vor Eneas’ Kampf gegen Turnus beklagt, ihm keine persönlichen Gegenstände (Haarband, Schleier, Ärmel, Ring, Gürtel) gegeben zu haben, sich dann aber mit der Gewissheit tröstet, dass er ihren ‚brief‘ hat und ‚deste sterker sîn [sal] / und deste kûner sibenwarf‘, vgl. ER 322,8–324,13. Der Gürtel als Symbol der Jungfräulichkeit ließe entsprechende weitere Interpretationsansätze zu, man denke auch an Brünhilds Gürtel im ‚Nibelungenlied‘. 193 Das erinnert an Hartmanns ‚Iwein‘: Der Held fasst Laudines vingerlîn als Symbol der Zuneigung auf, erkennt aber nicht die daran gekoppelten Herrscherpflichten. Hierzu Mertens, Volker: Laudine. Soziale Problematik im ‚Iwein‘ Hartmanns von Aue. Berlin 1978.

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anel / qui li dona par druërie / Dido, quant el devint s’amie (RdE 3136–3138: ‚einen Ring, den ihm Dido aus Liebe gab, als sie seine Geliebte wurde‘). Er überreicht den Ring in Verbindung mit weiteren Gegenständen, entwertet ihn damit individuell und beraubt ihn der Bedeutung, den Dido diesem beigemessen haben muss.194 Bei Veldeke ist es Eneas, der Dido einen Ring schenkt. Und dass der Held sich durchaus darüber im Klaren hätte sein können, dass diese den Gegenstand als Zeichen persönlicher Bindung auffasst, lässt sich ebenfalls mit dem weiteren Verlauf deutlich machen: Nach dem siegreichen Kampf gegen Turnus und der Hochzeit mit Lavinia verschenkt er abermals einen Ring – in einem expliziten Kontext: her gab ir ein goldîn vingerlîn und bat si frôhes mûtes sîn her kuste si wol drîstunt an ir minnechlîchen munt von liebe und dorch minne. (ER 340,25–29)

Kommen wir damit zurück zum Geschehen auf Karthago. Wie in den Vorlagen wird ein Scheiterhaufen errichtet: Annen si dô sande / nâch allen Ênêases geben. / si sprach, sin wolde niht leben, / sine hetez allez verbrant (ER 75,20–23). Zunächst scheint alles sehr plötzlich zu gehen (ER 75,32–35). Dann wird der Erzähler ausführlicher, zusätzlich sollen offenbar noch weitere mit dem Helden in Verbindung stehende Dinge zu Asche werden: dô hete Ênêas ein horn / dâ verlâzen unde ein swert, / daz was maneges phundes wert, / dar ane erkûlde sie ir mût (ER 76,2–4). Dass Eneas ein Schwert bei sich hatte, verwundert kaum, aber wo kommt plötzlich das Horn her? Leser und Hörer werden diesbezüglich im Ungewissen gelassen, die augenfällige Herkunftslosigkeit sowie die weitgehende Unverbundenheit mit der weiteren Erzählung legen eine rein semiotisierende Lesart nahe, was hinsichtlich der Verhandlung innerhalb der erzählten Welt mit Brüchen einhergeht. Von diesen Gegenständen war davor nie die Rede, nun scheinen sie metonymisch auf den Helden ausgerichtet und in der Form als „Repräsentanten seiner Männlichkeit“ 195 für Dido als Brandopfer geeigneter zu sein als beispielsweise der Goldbecher. Narrative Kohärenz rückt zugunsten der situativen Verwendung der Gegenstände in den Hintergrund. Nach dem todbringenden Stich (ER 77,38–39) begründet sie den Suizid. Im ‚Roman‘ legt Dido eine Fatalität der geschenkten Gewänder offen und bindet

194 Im deutschen Text schenkt Eneas an dieser Stelle zwar prinzipiell die gleichen Gegenstände (vgl. ER 113,30–35), der Ring steht aber in keinerlei Verbindung mit Dido. 195 Müller (s. Anm. 91), S. 394.

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diese (und das Bett) in ihre Versöhnungsgeste ein. Davon ist im ‚Eneasroman‘ nichts zu erkennen, ihre Gedanken von Schuld und Vergebung gelten nur ihr selbst und Eneas (vgl. ER 78,16–21). Dieser Konzentration auf zwischenmenschliche Verantwortlichkeit scheinen die Geschenke bei Veldeke generell zu- bzw. untergeordnet. Das wird auch in der spezifischen Verhandlung des Ring-Motivs deutlich, bei dem der deutsche Held besonders wenig Fingerspitzengefühl erkennen lässt.196 Generell ist im deutschen Text zwischen dem Erhalt der Geschenke und Didos Ende kaum eine nachvollziehbare Linie zu ziehen. Der Großteil der Gaben ist ohnehin ohne erkennbares Stigma gezeichnet, und wenngleich der Mantel durch seine Herkunft negativ beladen ist, wird dieses Motiv im anschließenden Verlauf überhaupt nicht weiter verfolgt. Die Gegenstände, die beim Brandopfer Erwähnung finden, erlauben kaum noch Bezüge zu den Geschenken, vielmehr lassen sie sich metonymisch auf Eneas (Schwert und Horn) wie Dido selbst (ir gebende und ir gewant; ER 78,12) beziehen, was letztlich konsequent erscheint, denn die karthagische Herrscherin im deutschen Text bindet (abseits der Götter) kaum jemand anderes in ihre Gedanken bezüglich Schuld und Vergebung ein als den trojanischen Helden und sich selber. Im Vergleich zu den Vorgängerfassungen, bei denen die Gaben noch (irgendwie) mitzuspielen scheinen, lässt Veldekes Fassung hierin eine klare Rationalisierung erkennen. Welche Schlüsse erlauben nun die unterschiedlichen Darstellungen der Geschenke auf Karthago? Eine durchgängige Linie von der Übergabe bis zu Didos Tod lässt sich wohl für keines der Dinge eindeutig ziehen. Im ‚Roman‘ fällt vor allem die wunderbare Spange auf. So wie sie keine Erwähnung mehr findet, geht auch Didos prächtige Herrschaft zugrunde. Und wenngleich Dido am Schluss den Gewändern eine gewisse Form von agency zuschreibt, wird das in keinen Zusammenhang gestellt mit deren fataler Herkunft, sondern primär mit Eneas. Auch im ‚Eneasroman‘ erscheinen die erzählten Gegenstände

196 Eine aktive Verfehlung des Helden würde ich daher entgegen weiter Teile der Forschung – Lienert spricht von einer „Affäre, [die] wie gerahmt [ist] durch Heimlichkeit und Täuschung“ (s. Anm. 10, S. 99), Kasten von „bewusste[r] Täuschung“ (s. Anm. 140, S. 89) – nicht im defizienten Informationsverhalten erkennen, schließlich muss Dido bereits nach Ilioneus’ Bericht um die Pläne zur Weiterfahrt wissen, und Eneas sichert zumindest nichts Gegenteiliges zu. Schwerer wiegt m. E. die Bedeutungsoffenheit speziell des Rings, der Bindung erwarten lassen kann (man denke an das Geschenk an Lavinia), die das Fatum nicht zulassen darf. Eindeutige Zuweisungen von Verantwortlichkeit und Schuld sind letztlich kaum möglich. Dennoch muss die Ansicht von Silvia Schmitz, dass Veldeke die Eneasfigur „vervollkommnet, wo immer ihm die Quelle dazu Gelegenheit bietet“ (s. Anm. 155, S. 135), offensichtlich revidiert werden.

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mit fortschreitendem Verlauf der Episode zunehmend nur noch metonymisch auf die Figuren bezogen. Sind die Geschenke in der lateinischen Vorlage komplett an das untergegangene Troja gebunden, so löst die deutsche Fassung sie noch stärker als der ‚Roman‘ aus historischen Verweisstrukturen und akzentuiert stattdessen die Qualität des Gastgeschenks (Eneas) und der persönlichen Bindung (Dido). Gleichwohl ist auch hier der dem Rezipienten zugängliche Verweis auf das vergangene Herkunftsreich präsent, dieses Moment wird aber erzählerisch kaum mehr ausgespielt. Sowohl die lateinische als auch die französische Fassung lassen den Aspekt der stigmatisierten Gaben in Didos finale Betrachtungen mit einfließen. Bei Veldeke ist das nicht der Fall, was aber nichts daran ändert, dass auch im ‚Eneasroman‘ die Träger der Erinnerung vernichtet werden.

4.1.3 Fazit zu den Geschenken Die Polysemantik von Geschenken wird im ‚Eneasroman‘ an mehreren Stellen deutlich, in denen diese „weitaus mehr als nur Requisiten eines Empfangs oder einer Festbeschreibung [sind]“ 197. Narratologisch zeigt sich darin, dass Dinge über eine eigene Historie verfügen können, was Lektüren eröffnen kann, die aktuelle erzähltheoretische Modelle im Rekurs auf den Handlungsfortschritt der Protagonisten und die kausale Verknüpfung der einzelnen Ereignisse wenig berücksichtigen: Dinge, die einem untergegangenen Herrschaftsbereich entstammen, sind prinzipiell kritisch zu betrachten. Diese Konnotationen sind indes primär auf einen Sinnbildungsprozess des Rezipienten ausgerichtet, eine tatsächliche Wirksamkeit der Gaben ist weniger eindeutig zu erkennen, als Oswald nahelegt. Vielmehr speist sich der literarische Reiz solcher Gegenstände gerade daraus, dass sie sich einer manifesten Ursache-Wirkungs-Kette entziehen, was die Suche nach ‚Sinn-Spuren‘ reizvoll macht. Dabei handelt es sich um subtile Mechanismen, die an der Textoberfläche wenig greifbar werden, wenngleich sie in Didos Tod literarische Bestätigung finden.

4.2 Mythischer Raum, mythische Ding-Funktionen? Die Unterwelt Mit den Geschenken an Dido wurden Gegenstände untersucht, die innerhalb der erzählten Welt allenfalls ‚im Hintergrund‘ wirksam zu sein schienen. Das

197 Oswald (s. Anm. 2), S. 136.

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ist bei den folgenden zwei Motiven ganz anders. Bei der Untersuchung von Zweig und Schwert in der Unterwelt möchte ich vor allem der im Theorieteil (vgl. besonders S. 49–53) eingehend diskutierten mythischen Kausalität nachgehen. Ein weiterer Schwerpunkt wird sich um die Frage drehen, ob und wie sich die Besonderheit des Raums auch auf die dort erscheinenden Gegenstände auswirkt. Die Unterweltepisode ist in allen drei Erzählungen eine zentrale Passage. Mit der Katabasis muss der Held nicht nur die Grenzen seiner ihm bisher bekannten Welt überschreiten, auch wird ihm durch Anchises seine Fahrt in einen höheren Zusammenhang gestellt: „[A]us dem Erinnernden wird er zum Hoffenden, die rückgewandte Sehnsucht nach Ilion macht der vorausschauenden nach Rom Platz.“ 198 Es fällt auf, dass in der Unterwelt verschiedene Gegenstände Verwendung finden, die in irgendeiner Form besonders sind. Der Anonymus und Veldeke weiten gar das Arrangement an Dingen, die der Held benötigt, noch aus, ein deutliches Indiz für die Außergewöhnlichkeit des Ortes.199 Er erhält von der Sibylle eine salben (ER 88,34) und (nur bei Veldeke) ein krût (ER 88,22) gegen die Unbilden der Hölle.200 Am deutlichsten hervor treten indes 198 Pöschl, Viktor: Die Dichtkunst Virgils: Bild und Symbol in der Äneis. 3., überarb. u. erw. Aufl. Berlin u. a. 1977. Dass die Räumlichkeit zwischen den drei Werken nicht (völlig) identisch ist und speziell Veldeke seine Schilderung an christliche Vorstellungen anpasst, ist hinlänglich bekannt, vgl. Fromm, Hans: Die Unterwelt des Eneas. Topographie und Seelenvorstellung. In: Philologie als Kulturwissenschaft. Hrsg. von Ludger Grenzmann u. a. Göttingen 1978, S. 71–89. Der grobe Ablauf bleibt indes weitgehend gleich: Eneas erscheint sein verstorbener Vater im Traum, der trägt ihm auf, zur Sibylle zu fahren, um ihn dort in der Unterwelt zu treffen. Sie sagt ihre Unterstützung zu, zunächst muss er jedoch einen wunderbaren Zweig besorgen, den nur der Auserwählte zu pflücken imstande ist. Während der Mission steht sie ihm hilfreich zur Seite, sie überqueren mit dem Fährmann Charon den Unterweltfluss, passieren die von Cerberus bewachte Höllenpforte und gelangen an eine Weggabelung: Zu ihrer Linken sehen sie die Leiden der Hölle, sie selber folgen dem rechten Pfad hin zum Elysium, wo Anchises Eneas über die zukünftige Ahnenschaft, deren Errungenschaften und damit über den Sinn und Zweck der Mission aufklärt. 199 Auch nicht-dingliche Entitäten wie der brennende Fluss weisen auf die Besonderheit des Raums hin, Wesen wie Cerberus bewegen sich fast schon an der Grenze zum Ding. Dass Gegenstände hier nicht an die Gegebenheiten der ‚Oberwelt‘ gebunden sind und dem Raum eine spezifische Note geben (vgl. hierzu auch die erzähltheoretischen Ausführungen, S. 27–34), zeigt sich beim schaltboum aus glûjende[m] stahelîn (ER 92,36–37), das Charon (aber nur bei Veldeke) mit sich führt. 200 Beim Anonymus soll die Salbe immun gegen den Höllengestank machen (vgl. RdE 2393– 2396). Dafür gibt die Sibylle im ‚Eneasroman‘ das Kraut (ER 88,22–29), die salbe soll nun gegen das hellefûre (ER 88,36) helfen. Veldeke zeigt also mehrere Gefahrenquellen. Wo es bei Ettmüller (nach Hss. B,M) heißt daz in niht dâ ne snite (ER 88,37), lesen Behaghel und Frings/Schieb dat hen dat niet enderde bzw. dat heme dat nine derde, eine interessante Rationalisierung.

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zwei Dinge, die nicht durchgängig, aber doch punktuell wechselseitig funktionale Bezüge erlauben und dabei in ein komplexes Verhältnis zum Helden und seiner Führerin treten: Zweig und Schwert.

4.2.1 Der goldene Zweig Sicherlich ist der ramus aureus eines der markantesten Motive im ganzen Epos.201 Die Unterweltepisode stellt im Gesamten eine Erzählpassage mit hohem Symbolcharakter dar, entsprechend wurde der wunderbare Zweig – eine Innovation Vergils – in der Forschung bislang fast ausschließlich semiotisiert, beispielsweise folgendermaßen: „Der Zweig als Zeichen göttlicher Sendung ist […] für Eneas gleichsam Wegweiser zum zeitlichen, irdischen Glück.“ 202 Insofern stellt sich die Frage, ob ein close reading an dieser Stelle überhaupt angemessen, ja berechtigt ist. Mit anderen Worten: Soll, darf man hier nach der konkreten Funktionalität des Zweigs fragen? Die vergleichende Lektüre legt nahe: Man sollte nicht nur, man muss sogar, denn: In allen drei Fassungen markiert der Zweig die Auserwähltheit des Helden und zeigt sich dabei auf der Handlungsebene einem hermeneutischen Befragen als widerspenstig (was freilich den mythischen Charakter dieses Motivs ausmacht). Dennoch bestehen zwischen ‚Aeneis‘, ‚Roman‘ und der deutschen Erzählung so gravierende Differenzen, dass man sich fragen muss, wieviel der ramet d’or und Veldekes rîs noch mit Vergils ramus gemein haben.

4.2.1.1 si te fata vocant: Das Zeichen des Auserwählten Die Grundkoordinaten liefert die ‚Aeneis‘: Der Held bittet die Sibylle um Unterstützung, dabei verweist er auf seine Herkunft sowie auf weitere antike Helden, die lebendig den Weg in die Unterwelt bestritten haben.203 Die Seherin nennt ihm darauf die Bedingungen, die er im Vorfeld zu erfüllen hat (Bestattung von

201 Nicht umsonst liefert ‚The Golden Bough‘ den Titel für Frazers monumentale kulturanthropologische Studie: Frazer, James-George: Der goldene Zweig. Eine Studie über Magie und Religion. 2. Bd. Frankfurt a. M. u. a. 1977. 202 Vögel (s. Anm. 152), S. 60. Harms beschreibt den Zweig als „Zeichen der sapientia“, der „Aeneas in die rechte Richtung weist“ (s. Anm. 79, S. 210); er stelle „eine Sonderform des pythagoreischen Y“ (S. 57) dar, das den Gegensatz und die Wahl zwischen Gut und Böse verkörpere. Ähnlich argumentiert Stebbins, die den „Zauberzweig“ als „Zeichen eines glücklichen Schicksals“ fasst (s. Anm. 114, S. 45). 203 Im Einzelnen erwähnt er Orpheus, Pollux, Theseus und Herkules (vgl. Aeneis VI, 103– 123), später wird der Fährmann Charon auf diese Besucher verweisen, vgl. Aeneis VI, 392–397.

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Misenus, Tieropfer); zuvorderst trägt sie ihm jedoch auf, ein besonderes Gewächs zu besorgen: ‚latet arbore opaca aureus et foliis et lento vimine ramus, Iunoni infernae dictus sacer; hunc tegit omnis lucus et obscuris claudunt convallibus umbrae. sed non ante datur telluris operta subire auricomos quam quis decerpserit arbore fetus. hoc sibi pulchra suum ferri Proserpina munus instituit. primo avulso non deficit alter aureus, et simili frondescit virga metallo. ergo alte vestiga oculis et rite repertum carpe manu; namque ipse volens facilisque sequetur, si te fata vocant; aliter non viribus ullis vincere nec duro poteris convellere ferro.‘ (Aeneis VI, 136–143: „An einem schattigen Baum harrt verborgen ein Zweig, von Gold sind Blätter und biegsamer Stengel, heilig heißt er Iuno, der Unterweltsherrin; ihn schützt der ganze Wald, und im dunklen Talkessel schließen ihn ein die Schatten. Doch wird es keinem erlaubt, in die Tiefen der Erde hinabzusteigen, bevor er das goldbelaubte Reis vom Baum gepflückt. Dass dies ihr als Geschenk überbracht werde, hat die schöne Proserpina bestimmt. Ist der erste Zweig gebrochen, wächst ein neuer nach, wieder aus Gold, und der Stengel treibt Blätter vom gleichen Metall. Such also in der Höhe mit den Augen den Zweig und, hast du ihn gefunden, so pflück ihn, wie sich’s gebührt, mit der Hand; denn von selbst wird willig und leicht er sich fügen, wenn das Schicksal dich ruft; wenn nicht, wirst du mit keiner erdenklichen Kraft ihn bezwingen noch mit der Härte deines Schwertes abtrennen können.“)

Dem Zweig wohnen unterschiedliche Funktionen und Bedeutungen inne, die sich nicht gänzlich voneinander trennen lassen. Er scheint der ‚Türöffner zur Unterwelt‘ zu sein, ohne ihn ist der Zutritt verwehrt. Wie das nun genauer funktioniert, erfährt der Leser nicht. Seltsam sind in diesem Zusammenhang die vorherigen Worte der Sibylle, die den stringenten Konnex zwischen dem Erwerb des „die Pforten zum Totenreich […] öffnenden Zweiges“ 204 und dem Abstieg zu unterminieren scheinen; schenkt man diesen Worten Glauben, so ist ja gerade der Weg hinunter leicht und die Rückkehr das Hauptproblem (facilis descensus [...] sed revocare gradum [...] labor est; Aeneis VI, 126–129).205 Mit der Wiederkehr – also der eigentlichen Herausforderung – wird der Zweig

204 Aeneis VI, Anmerkungen Binder, S. 201. 205 Eduard Norden glaubt hier eine Diskrepanz zwischen einem „allgemeine[n] […] Teile ihrer Rede“ und der spezifischen Adressierung an Aeneas zu erkennen, der „als Lebender den Hades betreten und aus ihm zurückkehren will“, was mir aber nicht ganz ersichtlich ist. Norden, Eduard: P. Vergilius Maro. Aeneis Buch VI. 3. Aufl. Leipzig, Berlin 1926, S. 161.

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hier aber nicht in Verbindung gebracht. Weiß die Seherin um die spätere Bedeutung des Zweigs in der Unterwelt und will den Helden daher ohne ihn nicht geleiten? Dann wäre dieser nur mittelbar der Schlüssel zur Hölle. Wozu der Zweig primär zu dienen hat, macht sie anschließend deutlich: Proserpina, die Herrscherin der Unterwelt, verlangt ihn als Geschenk. Ihr ist er geweiht, damit ist seine Bestimmung grundlegend festgemacht. Die Beschaffenheit des Zweigs verweist auf die exponierte Stellung des Auserwählten: Aus purem Gold soll er sein. Seine Gewinnung stellt eine besondere Hürde dar, steht er doch unter dem Schutz des dunklen Waldes. Neben diesem bedrohlichen Faktor stellt die Fähigkeit, ihn abzureißen, das entscheidende Ausschlusskriterium dar: Nur der Berufene (si te fata vocant) kann ihn pflücken, anderweitige Versuche sind zwecklos. Dass dies allein Aeneas sein kann, ist damit aber nicht gesagt, denn: Der Goldzweig sprießt in identischer Form wieder nach (vgl. Aeneis VI, 143–144). Wozu soll das nötig sein? Die ihn als Auserwählten deklarierende Tat wird dadurch ja umgehend relativiert. Völlig einzigartig ist der Goldzweig also nicht. Haben ihn schon andere vor Aeneas gepflückt? Wird im Nachwachsen des Zweiges kommenden Helden Raum geschaffen? Zurück zum Text: Aeneas nimmt die Worte der Seherin mit Bedrückung auf. Dann entdeckt er den gefallenen Misenus, der umgehend bestattet wird, sein Tatendrang kann indes nicht über die Unsicherheit hinwegtäuschen: Er findet keinen Anhaltspunkt, wo sich die erforderliche Pflanze befindet. Plötzlich erscheint ein Taubenpaar, er erkennt darin ‚die Vögel seiner Mutter‘ (Aeneis VI, 193), folgt ihrem Flug, bis sie sich auf dem ‚Baum von zweifacher Natur‘ (Aeneis VI, 203) niederlassen, an dem der gesuchte Zweig (das Klirren des Metalls ist gar akustisch vernehmbar) hervorsticht.206 Nun manifestiert sich seine göttliche Bestimmung: Mühelos kann er ihn abbrechen (Aeneis VI, 210–211). Unsicherheit und Besorgnis kennzeichnen Aeneas’ Weg in den düsteren Wald, der als „Ort der lauernden Laster und […] als Zeichen der Gefahren des Lebensweges“ 207 an sich schon bedeutungsvoll erscheint. Hier überlagern sich menschliche und göttliche Sphäre. Wenngleich der ramus zweifelsohne ein

206 Vergil vergleicht ihn mit der Mistel: ‚Wie gewöhnlich in den Wäldern bei winterlicher Kälte die Mistel in jungem Laub ergrünt, […] so sah das goldene Laub auf der düsteren Steineiche aus, so klirrte das Goldblech im sanften Wind‘ (Aeneis VI, 205–209). Frazer verweist auf einen „Volksaberglauben, daß die Mistel zu gewissen Zeiten in übernatürlichem, goldenen Glanze erglühte“ (s. Anm. 201, S. 1021). Folkloristische Vorstellungen bemüht auch Norden, der den ramum wohl am ausführlichsten diskutiert und in der immergrünen Mistel das symbolische Verbindungsglied zwischen Leben und Tod, Göttern und Erde erkennt, aber auch „Grenzen der Erkenntnismöglichkeit“ ausmacht, vgl. Norden (s. Anm. 205), S. 164–168. 207 Harms (s. Anm. 79), S. 204.

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wunderbares Motiv darstellt, entsteht dabei kein übernatürlicher Erzählraum: „[E]ven the mystery of the Golden Bough does not lessen the impression of a hard reality, a serious pilgrimage, a journey that is no fairy-tale.“ 208 Im ‚Roman‘ ist die Ausgangssituation zunächst prinzipiell die gleiche: Eneas sucht die Sibylle auf, sie nennt die Bedingungen für sein Vorhaben, den pere en enfer parler (RdE 2280). Wie bei Vergil macht sie deutlich, dass der Abstieg einfach, le revenir (RdE 2303) aber sehr schwer und ohne gute Führung kaum zu schaffen sei. Auch hier erlegt sie dem Helden eine Aufgabe auf: ‚Mais se tu vuels deus feiz passer l’eue d’enfer et retorner […] un ramet d’or t’estuet donc querre, en cest bois est tot seulement; del rain t’estuet faire present et don la reïne d’enfer. A lui trenchier mar querras fer ne nul trenchant ki seit d’acier, il se laira bien arachier, se Jupiter vuelt et otreie que tu enpreignes ceste veie‘ (RdE 2309–2324: „Aber wenn du zweimal das Wasser der Hölle überschreiten und […] zurückkehren willst, dann musst du einen goldenen Zweig suchen, einzig in diesem Wald ist er zu finden; den Zweig musst du der Königin der Hölle zum Geschenk machen und ihr als Gabe überreichen. Um ihn abzuschneiden wirst du vergeblich ein Eisen suchen, noch irgendeine schneidende Waffe aus Stahl, er wird sich gut abreißen lassen, wenn Jupiter will und gewährt, dass du diesen Weg beschreitest.“)

Hier lässt sich eine feine, aber doch erhebliche Umgestaltung erkennen: Das Problem der Rückkehr, auf das die Sibylle bei Vergil schon hinweist (vgl. Aeneis VI, 126–129), bringt der Anonymus nun dezidiert mit dem Zweig in Verbindung: ‚Senz icel rain n’est pas legier / çai sus d’enfer a repairir‘ (RdE 2327–2328: „Ohne diesen Zweig ist es nicht leicht, aus der Hölle nach hier oben zurückzukehren“). Das ist in der Vorlage anders, wo er laut den Worten der Seherin als Bedingung für den Abstieg dient (Aeneis VI, 140–141). Die weitere Beschaffenheit übernimmt der ‚Roman‘ nahezu identisch, er wächst nach dem Pflücken in gleicher Form nach (RdE 2325–2326). Deutlich reduziert ist hingegen die Suche, schlicht heißt es: en la forest en est entrez /

208 Maronis, P. Vergili: Aeneidos. Liber Sextus. Mit einem Kommentar von R. G. Austin. Oxford 1977, S. 78.

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par le bois vait le rain querant / et toz le deus vait reclamant (RdE 2334–2336: ‚er ist in den Wald getreten, er geht durch den Wald und sucht den Zweig, und alle Götter ruft er an‘). Die mystische Atmosphäre ist nahezu vollständig verschwunden, ebenso wie die unsichere Nachdenklichkeit des Helden. Das Resultat bleibt indes fast gleich: Ihm erscheint durch Venus ‚ein gewaltiges göttliches Zeichen‘ (RdE 2340) – worin das besteht, bleibt unklar –, das ihn auf den arbre o li rains ere (RdE 2338) hinweist. Der Held pflückt ihn, ein gleich gearteter Zweig wächst augenblicklich nach – ‚Eneas war froh und vergnügt, geradenwegs zu Sibylle ist er zurückgekehrt, den goldenen Zweig hat er ihr gezeigt‘ (RdE 2345–2347). Zur deutschen Fassung. Eneas begibt sich an den Ort, dâ frouwe Sibille was (ER 84,22), eine wörtliche Ansprache seinerseits fehlt,209 eine Bezugnahme auf antike Helden ist nirgends zu erkennen. Der längeren Beschreibung der (hier beängstigend hässlichen) Seherin folgt ihre Rede. Umgehend macht sie ihm klar, dass die geplante Fahrt ‚ein angestlîch dink‘ (ER 86,14), sie aber bereit sei, ihn zu begleiten und zurückzuführen (vgl. ER 86,21–26). Wie in den Vorlagen ist ihre Hilfe an Bedingungen geknüpft: ‚ich sage dir waz dû haben mûst, des dû enberen niht ne maht. […] dar zû hôret ein rîs: mahtû daz gewinnen, sô vare ich sament dir hinnen zû der helle hin nider und bringe dich aber her wider.‘ (ER 86,36–87,4)

Veldeke entfernt sich bei genauem Blick recht deutlich von den Vorlagen. In der ‚Aeneis‘ ist der ramus Bedingung für den Zutritt zur Unterwelt (vgl. Aeneis VI, 140–141), dort ist er rituell erforderliches Geschenk für Proserpina, seine Relevanz im Rahmen des problematischen Rückwegs bleibt aber rätselhaft. Hier vereindeutigt der ‚Roman‘, der ramet ist auch Gabe für die Unterweltsherrin, stellt jedoch auch explizit die Basis der Rückkehr dar (vgl. RdE 2327–2328). Wie das genau funktioniert, bleibt indes auch hier unklar. Diese Momente verlagert Veldeke nun fast vollständig auf die Sibylle. Zwar ist diese Figur auch in beiden Vorlagen von großer Wichtigkeit, dort ist der Zweig hingegen mit

209 Der Erzähler fasst zusammen: dô sagete her ir rehte / sînen namen und sîn geslehte / und war her varen solde / und dorch welhe scholde / her zû zir dare quam (ER 86,5–9).

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wesentlich deutlicherem Eigengewicht gezeichnet. Mit keinem Wort wird im deutschen Text die ursprüngliche Hauptbedeutung erwähnt: Veldekes Zweig ist nicht mehr Geschenk für Proserpina, das rîs erscheint lediglich als Bedingung für die Unterstützung der Sibylle – und damit rationalisiert und in seiner Eigenwirkung depotenziert. Das ist erstaunlich, denn anders als bei Vergil und dem Anonymus scheint der Zweig zunächst wirklich absolut einzigartig: ‚ir nis en ertrîche / niewan daz eine‘ (ER 87,10–11). Auch hier kann ihn nur der Gesandte finden und abe gewinnen (ER 87,15), Waffengewalt ist nutzlos, sollten ihm die Götter gewogen sein, kann er ihn ‚ûz der erden / geziehen vile lîhte‘ (ER 87,30–31). Es handelt sich also um kein Baumgewächs (wodurch auch die symbolische Mistel-Konnotation relativiert wird), sondern der Zweig sprießt aus dem Boden. Auch hier wächst er aber dann unmittelbar nach: ‚sô sal enalgerihte / rehte ein alsô getân / an der selben stat stân‘ (ER 87,32–35). Die angedeutete Depotenzierung des rîs im Vergleich zu beiden Vorgängerfassungen lässt sich durch ein weiteres, offenbar leicht zu überlesendes Detail stützen. Obgleich die Merkmale von Veldekes Zweig – abgesehen von der fehlenden Bestimmung als Geschenk – den Vorlagen stark ähneln, fehlt doch ein maßgebliches Charakteristikum: Mit keinem Wort wird erwähnt, dass dieser Zweig golden wäre. Die Prägnanz des Motivs erscheint dadurch deutlich verringert.210 Die Suche gerät wie im ‚Roman‘ zur Selbstverständlichkeit, Eneas verlässt sich ganz auf göttliche Hilfe – mit Erfolg: dô sanden sie in an die stat / rehte dâ her ez vant. / dô zôch herz ûz mit der hant (ER 88,4–6). Sofort bewahrheitet sich die Ankündigung der Seherin: Ein anderz wächst nach, daz dem al gelîch was (ER 88,8–9). Nun kann der Weg nach unten beginnen. Die vergleichsweise deutlich problemlosere Suche deckt sich auch mit der Art des Gewächses: Im lateinischen Epos muss der Held den Zweig suchen und vom Baum pflücken, bei Veldeke scheint ihm der Bodensprößling im wahrsten Sinne des Wortes schon zu Füßen zu liegen.

210 Nicht zuletzt erklärt Norden, dass bei Vergils ramus „die Symbolik des Goldes offenkundig“ sei, dabei zieht er Bezüge zum Leuchten der Sonne: Mit dem Goldzweig gelange „das Symbol des Lebens und des Lichtes“ zur Herrscherin der Unterwelt (s. Anm. 205, S. 172). Dass sich bei Veldeke nichts von einer goldenen Beschaffenheit des rîs findet, wird in der Forschung bislang offenbar ignoriert, so bei Lienert: „Ausgerüstet wird Eneas mit einem wundersamen goldenen Zweig“ (s. Anm. 10, S. 83). Ebenso falsch liegt Kartschoke in dessen ER-Ausgabe mit seiner Seitenüberschrift („Eneas holt den goldenen Zweig“, S. 163). Stebbins, die den Zweig ansonsten näher diskutiert (s. Anm. 114, S. 44–47), geht darauf nicht ein.

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Ein erstes Resumée: Bei Vergil ist der ramus aureus als rituelle Gabe bestimmt und steht in mythisch-undurchsichtigem Zusammenhang vor allem mit dem Abstieg. Auch in der französischen Fassung muss der ramet d’or der Unterweltsherrin überbracht werden, der Anonymus bindet ihn dezidiert an die Rückkehr aus der Unterwelt. Veldeke knüpft die erfolgreiche Mission fast ausschließlich an die Sibylle, für die der Zweig nicht mehr zu sein scheint als die Basis ihrer Hilfe. Wenngleich das Erlangen des rîs auch hier die Manifestation der Auserwähltheit darstellt, ist seine Exponiertheit doch deutlich geringer: Er wächst am Boden, ist nicht aus Gold und auch kein Geschenk für Proserpina.

4.2.1.2 at ramum agnoscas: Die Autorität des Zweigs Nachdem Aeneas bei Vergil mit dem rituellen Tieropfer vor dem Zugang zum Höllenschlund die praecepta Sibyllae (Aeneis VI, 236) erfüllt hat, stürmt die Seherin in die sich öffnende Höhle, der Held folgt ihr. Sie durchwandern die ‚Vorhalle‘ (Aeneis VI, 273) und gelangen zu den Flüssen, die die Grenze zur eigentlichen Unterwelt bilden, mit dem schrecklich anzusehenden portitor Charon (Aeneis VI, 298–299), der die Überzusetzenden auswählt. Charon brüllt sie sofort an. Lebende darf er nicht überführen und will es auch nicht, zu schlecht sind seine einschlägigen Erfahrungen.211 Die Seherin beschwichtigt den Fährmann, von ihnen gehe keine derartige Bedrohung aus. Dann erläutert sie ihm das Anliegen des Trojaners, dem sie unmittelbar Nachdruck verleiht: ‚si te nulla movet tantae pietatis imago, at ramum hunc‘ (aperit ramum qui veste latebat) ‚agnoscas.‘ (Aeneis VI, 405–407: „Wenn dich schon das Bild so starker Sohnesliebe nicht rührt, so müsstest du doch diesen Zweig“ (und dabei enthüllt sie den Zweig, der bisher im Gewand verborgen war) „erkennen.“)

Ihre Strategie, den grausigen Fährmann zur Überfahrt zu bewegen, ist bemerkenswert: Zwar führt sie den ramum die ganze Zeit versteckt bei sich, schüttelt ihn aber erst am Ende ihrer Ausführungen als Trumpf aus dem Ärmel und verleiht ihm damit maximales Gewicht. Ihr stichhaltigstes Argument ist dieses Ding, weitere Worte sind nun überflüssig. Dem kann sich Charon nicht entziehen:

211 Charon erwähnt hier Herkules, der als letzte seiner zwölf Aufgaben den Cerberus aus der Unterwelt bringen musste, sowie Theseus und Pirithous, letzterer wollte, am Ende erfolglos, mit Theseus’ Hilfe Proserpina rauben, vgl. Aeneis VI, 392–397.

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tumida ex ira tum corda residunt; nec plura his. ille admirans venerabile donum fatalis virgae longo post tempore visum caeruleam advertit puppim ripaeque propinquat. (Aeneis VI, 407–410: ‚Da legte sich in Charons Gemüt die Aufwallung des Zorns, und die Prophetin verzichtete auf weitere Worte. Er bestaunt die Ehrfurcht gebietende Gabe, den schicksalsträchtigen Ast, den er nach langer Zeit zu sehen bekam, wendet das dunkel schimmernde Heck und fährt auf das Ufer zu.‘)

An dieser Stelle lassen sich die angestellten Überlegungen, wie Greimas’ Aktanten-Konzept auf Dinge auszuweiten wäre (vgl. S. 20–24), gut veranschaulichen: Im Wechselspiel des menschlichen Akteurs und des dinglichen Aktanten kommt letzterem maßgebliches Gewicht zu – der Gegenstand wirkt sofort: Bedingungslos erkennt Charon die „authority of the Bough“ 212 an. Ihm ist der ramus bekannt, woher, bleibt im Dunklen: „[I]t is pointless to speculate on the existence of some earlier legendary occasion.“ 213 Bezüge zu den genannten früheren Unterweltbesuchern wären hier kaum vertretbar214, solche würden den Gehalt des wunderbaren Motivs wohl auch klar verfehlen. Der Zweig ist der „einzig wirksame[ ] Schlüssel[ ] zur Unterwelt“ 215 – dort kennt man ihn und hat sich ihm zu beugen. Wir haben es hier mit einer mythischen Kausalitätsstruktur par excellence zu tun. Am anderen Ufer wartet schon der Höllenhund Cerberus, der den eigentlichen Eingang ins Hadesreich bewacht, ein schlangenbedecktes Mischwesen mit drei Mäulern. Ihn betäubt die Sibylle mit einem in Honig und Zauberkräutern getränkten Kloß (melle soporatam et medicatis frugibus offam; Aeneis VI, 420), Aeneas nutzt die Gelegenheit und tritt am schlafenden Wächter vorbei ins Totenreich ein (Aeneis VI, 424). An dieser Stelle kommt der ramus nicht zum Einsatz, vielmehr bedient sich die Sibylle eines Narkotikums. Offenbar ist die Autorität des Zweigs, so unergründlich diese sein mag, an anthropomor-

212 Aeneis VI, Kommentar R. G. Austin, S. 149. 213 Aeneis VI, Kommentar R. G. Austin, S. 149. So sieht es auch Binder: „Bei welcher Gelegenheit ihn Charon früher schon einmal gesehen haben mag, bleibt Vergils Geheimnis.“ Aeneis VI, Anmerkungen, S. 213. 214 Theseus und Herkules hatten sich ja gewaltsam Zutritt verschafft, auch für die Katabasis von Orpheus ist die Verwendung des Zweig-Motivs kaum anzunehmen, wie Norden eindrücklich zeigt (s. Anm. 205, S. 170–171). Seine Erläuterung, dass „Vergil sich durch die Situation zu jenem Zusatz longo post tempore visum gezwungen sah, weil Charon, wenn er die Zauberkraft des Zweigs nicht schon von früher her gekannt hätte, ihn jetzt in der Hand der Sibylle nicht hätte wiedererkennen […] und daher den Aeneas nicht hätte übersetzen können“, nimmt dem Zweig aber auch nichts von seiner Rätselhaftigkeit. 215 Aeneis VI, Anmerkungen Binder, S. 213.

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phes Erkennen, an Urteilskraft gebunden – Fähigkeiten, derer das animalische Geschöpf nicht mächtig ist. Aeneas und die Seherin wandern an verschiedenen Gruppen Verstorbener vorbei, schließlich gemahnt sie ihn zur Eile.216 Der Blick nach links zeigt die Tartarusfestung, die Sibylle beschreibt die Leiden der dort Festgehaltenen, anschließend drängt sie wiederum zum raschen Weitergehen und ruft dem Helden seinen Auftrag ins Gedächtnis, Proserpinas Palast ist schon in Reichweite: ‚sed iam age, carpe viam et susceptum perfice munus; acceleremus […]; Cyclopum educta caminis moenia conspicio atque adverso fornice portas, haec ubi nos praecepta iubent deponere dona.‘ (Aeneis VI, 629–632: „Aber voran jetzt, beschleunige deinen Schritt und vollende den übernommenen Auftrag; lass uns eilen! Ich sehe schon die in den Zyklopenessen geschmiedeten Mauern und das Tor mit dem Bogen vorn, wo wir nach der Vorschrift diese Gabe niederlegen sollen.“)

Aeneas tut wie ihm geheißen und ‚tritt entschlossen an den Eingang, besprengt seinen Körper mit frischem Wasser und befestigt den Zweig vorne an der Schwelle‘ (Aeneis VI, 635–636). Nachdem das Ritual vollzogen ist, ‚gelangen sie zu den Orten der Freude und den anmutigen Auen in den Hainen des Glücks‘ (Aeneis VI, 638–639). Der Held hat die ihm auferlegte Aufgabe also erfolgreich bewältigt. Dennoch entzieht sich das mythische Motiv einer funktionalen Festlegung, denn ein explizites Ursache-Wirkungs-Schema wird nicht gezeigt. Man erfährt beispielsweise nichts von einer Reaktion Proserpinas; was genau nach dem Ablegen des Zweigs passiert, bleibt im Ungewissen. Weitere Informationen sind auch nicht notwendig, denn die Grundkoordinaten waren ja sowohl für Aeneas als auch den Rezipienten durch die anfängliche Ansprache der Sibylle bekannt („Dass dies ihr als Geschenk überbracht werde, hat die schöne Proserpina bestimmt“; Aeneis VI, 142–143). Ohne den Zweig ist ein Zutritt schlicht unmöglich – wie und weshalb muss nicht näher beleuchtet werden. Zwar könnte man die Hintergrund-Geschichte von Proserpina als die von Pluto geraubte Tochter der Demeter als Kenntnisstand beim Publikum voraussetzen und insofern dafür argumentieren, dass der Zweig ihr Bedürfnis nach etwas Natürlichem aus der Welt der Lebenden befriedigen soll.217 Eine solche Lektüre schließt der Text

216 „Hier ist die Stelle, wo sich der Weg in zwei Richtungen gabelt: Der rechte Weg führt zum Palast des mächtigen Dis, auf ihm gelangen wir ins Elysium; doch der linke bringt Strafen über die Bösen und schickt sie zum verruchten Tartarus“ (Aeneis VI, 540–543). 217 Eduard Norden argumentiert in eine diese Richtung, wenn er, wie bereits erwähnt, im Zweig „das Symbol des Lebens und des Lichtes“ ausmacht (s. Anm. 205, S. 172).

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zwar nicht aus, legt sie aber auch an keiner Stelle wirklich nahe. Im Gegenteil scheint mir das Gewicht dieses Motivs gerade durch die Tatsache verstärkt, dass man keine schlüssige Begründung geliefert bekommt, weshalb ausgerechnet dieser Gegenstand in die Unterwelt gebracht werden muss. In jedem Fall handelt Aeneas richtig und erreicht sein Ziel. Er bekommt von Anchises sein weiteres Schicksal aufgezeigt und wird durch ‚das Tor aus Elfenbein‘ (porta eburna; Aeneis VI, 898) aus der Unterwelt hinausgeleitet. Der goldene Zweig verbleibt offenbar im Totenreich, ohne dass der Held damit noch einmal in Berührung kommen würde. Wie verfährt der Anonymus mit dem ramet d’or weiter? Wie bei Vergil tritt das Motiv innerhalb der Unterwelt zum ersten Mal an der Stelle auf, wo die Sibylle und Eneas auf den Fährmann Charon treffen, der ähnlich der Vorlage auf frühere Besuche von ‚Sterbliche[n]‘ verweist (vgl. RdE 2511–2534) und von der Seherin beschwichtigt wird. Ihre Ausführungen erhalten auch hier einen finalen Impetus, dabei rückt aber der Held wesentlich stärker ins Blickfeld als bei Vergil: ‚Li nostre deu l’i ont tramis, par els i vient, gel te plevis: de ce ne t’estuet pas doter, les enseignes t’en puet mostrer.‘ (RdE 2543–2546: „Unsere Götter haben ihn hergeschickt, in ihrem Auftrag kommt er hierher, ich versichere es dir: davon hast du nichts zu fürchten, die Zeichen dafür kann er dir zeigen.“)

Im Vergleich zur Vorlage wird der Zweig einer rationalisierenden Semiose unterzogen, insofern er explizit der Verifikation des Gesagten zu dienen hat. Dennoch bleibt etwas Mythisches erhalten, denn weshalb er überhaupt als Symbol dienen kann und als solches akzeptiert wird, bleibt unklar. Wo Aeneas im antiken Epos in Passivität verharrt, billigt ihm die Sibylle im ‚Roman‘ eine zentrale Rolle in diesem dramatischen Akt zu, sein Einsatz kommt punktgenau im Anschluss an ihre Worte: Eneas trait le rameissel que il avait soz son mantel. Quant cil le vit, si s’apaisa, li nacele li atorna, […] en son batel le recoilleit et la dame quil conduiseit.

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(RdE 2547–2554: ‚Eneas zieht den Zweig hervor, den er unter seinem Mantel trug. Als jener ihn sah, beruhigte er sich, er drehte ihm den Nachen zu, […] er nahm ihn und die Herrin, die ihn führte, in seinen Kahn auf.‘)

In dem Maße, wie man den Eindruck gewinnt, dass die Sibylle hier ein genau durchdachtes Schauspiel vollführen lässt, dem im Vergleich zur ‚Aeneis‘ ein weiterer Beteiligter – nämlich Eneas – angehört, verliert der Zweig als singuläres Motiv an Eigengewicht. Der Fokus verlagert sich auf den Helden und den Zweig. Weiter fällt auf, dass hier Eneas den Zweig bei sich trägt. Das verwundert, wo doch die Sibylle wie bei Vergil die Fäden weitgehend in der Hand hat. In der ‚Aeneis‘ war bis zur rituellen Übergabe an Proserpinas Schwelle der Umgang mit dem goldenen Zweig offenbar ‚Chefsache‘, beim Anonymus ist das nicht so. Ist der Zweig hier nicht so wichtig? Oder wirkt er nur in Verbindung mit dem Auserwählten? Jedenfalls macht le rameissel Eindruck auf Charon. Sobald er ihn erblickt, ist sein Zorn verflogen. Auch hier greift die Frage, woher das genau rührt, ins Leere. Die mythische Dimension des Motivs ist also keinesfalls aufgehoben. Am Ufer treffen die Sibylle und Eneas auf Cerberus, krasser als in der Vorlage gezeichnet bewegt sich der Höllenpförtner an der Grenze von Mensch, Tier und Ding. Sein Bellen lässt den Helden erstarren. Wo Vergils Sibylle einen Honigkloß gebraucht, spricht sie nun un charme et un enchantement (RdE 2600). Wie in der ‚Aeneis‘ schreiten die beiden an den verschiedenen Gruppen von Verstorbenen vorbei und gelangen an die Weggabelung, an der Eneas zu seiner Linken ‚die Hauptwohnstatt der Hölle‘ (RdE 2701) erblickt, schließlich wenden sie sich dem rechten Pfad zu, der ins Elysium führt. Hier nun müsste der Zweig seiner Bestimmung zukommen („den Zweig musst du der Königin der Hölle zum Geschenk machen und ihr als Gabe überreichen“; RdE 2314– 2315). Wo der Held der lateinischen Fassung mit der Zweigniederlegung an Proserpinas Palast das Schwellenritual klar vollzieht, liest sich das hier aber merkwürdig anders: Eneas a le raim laissié, el forc des veies l’a fichié; iluec les soleient laissier cil ki erent venu premier, ki en enfer suelent desendre; la reïne les fait la prendre (RdE 2785–2790: ‚Eneas hat den Zweig zurückgelassen, an der Gabelung der Wege hat er ihn aufgepflanzt; dort pflegten diejenigen sie zu lassen, die zuerst gekommen waren, die in die Hölle hinabzusteigen pflegen; die Königin lässt sie von dort wegnehmen.‘)

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Im Vergleich zur Vorlage haben wir es hier mit einer deutlichen Umgestaltung zu tun. Zwar scheint ein grober Ritual-Kontext gewahrt: Eneas hält sich an das, was frühere Besucher aus der ‚Oberwelt‘ offenbar auch getan hatten. Der Charakter der die Pforten ins Hadesreich öffnenden Gabe ist indes weitgehend verlorengegangen. Zunächst einmal fällt auf, dass von Proserpinas Palast gar nicht mehr erzählt wird, entsprechend fehlt auch eine Schwelle, wo Eneas den ramet niederlegen könnte.218 Der wird nun wie eine Markierung in den Boden gesteckt. Abgesehen von der Symbolträchtigkeit der Doppel-Motivik der „vom Y-Signum bezeichnete[n] Situation der Wahl zwischen Tugend und Lasterweg“ 219 fragt man sich, weshalb. Irritierend wirkt die folgende Darstellung, die der beschriebenen zu widersprechen scheint: An der Wegscheide, so der Erzähler, hat der Held ihn ‚zurückgelassen‘ (laissié). Im Vergleich zur lateinischen Vorlage ist die Handlung – und das am vermeintlich wichtigsten Punkt der ganzen Fahrt – mehr von Passivität denn von entschlossener Aktivität geprägt. Ein rituelles Geschenk, das einfach liegengelassen wird? Wie wichtig ist denn dem Helden, dass Proserpina den Zweig erhält? Diese Schilderung wirft erst recht in Kombination mit RdE 2787 und 2790 Fragen auf. Die Handlung des Helden wie auch der dabei entscheidende Gegenstand werden hier in einen ‚allgemeinen‘ Vergleichskontext gestellt und damit in ihrer Einzigartigkeit relativiert. Dieser Eindruck wird dadurch noch verstärkt, dass von Zweigen (les) die Rede ist (‚dort pflegten diejenigen sie zu lassen […]‚ die Königin lässt sie von dort wegnehmen‘). Denn damit schließt der Text an dieser Stelle eine Lesart nicht aus, nach der innerhalb dieser in den Raum gestellten Vergleichskonstellationen mehrere Zweige gleichzeitig im Spiel gewesen sein könnten. Bei einer solchen Lektüre wäre dann natürlich auch fraglich, ob Proserpina den Zweig jeweils überhaupt zuordnen könnte. Bereits durch die allgemeine Kontextualisierung von Eneas’ Handeln scheint mir der ramet seines einzigartigen Charakters und damit des Kerns sei-

218 Die Ungereimtheiten werden schon in Anchises’ nächtlicher Erscheinung deutlich. Der Anonymus trennt offenbar kaum zwischen dem Opfer vor und der Gabe während der Unterweltfahrt. Der Vater teilt Eneas lediglich mit, er müsse „[z]uvor […] dem Höllenkönig ein Opfer bringen“ (‚Un sacrefise t’estuet faire / devant ce a l’enfernal rei‘, RdE 2210–2211). Dabei ist nicht völlig klar, ob sich devant ce auf den Abstieg als solchen oder den Eintritt zum Elysium bezieht. In der ‚Aeneis‘ hatte Anchises deutlich zwischen dem Opfer vor dem descensus und der ‚unterirdische[n] Behausung des Dis‘ differenziert (vgl. Aeneis V, 731–736), das ist im ‚Roman‘ nicht mehr der Fall: Vor dem Abstieg vollzieht der französische Held ein Opfer für den ‚Gott der Hölle‘ (vgl. RdE 2348–2350). Ob damit für den Anonymus Eneas’ rituelle Schuldigkeit weitgehend erledigt ist? In dem Maße, wie die antiken Unterweltgötter an Gewicht verlieren, reduziert sich auch die Relevanz des Zweigs als rituelles Geschenk. Bei Veldeke wird das noch deutlicher. 219 Harms (s. Anm. 79), S. 58.

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nes mythischen Gehalts weitgehend enthoben. Irritierend wirkt auch die Darstellung, dass Proserpina die Zweige ‚von dort‘, also an der Weggabelung, ‚wegnehmen lässt‘ (les fait la prendre). Der Gabencharakter ist dadurch, dass sie sich die Zweige selbst holen lassen muss, in weiten Teilen ad absurdum geführt – ein Geschenk für eine Königin, das diese in Holschuld setzt? Auch Vergil zeigt keinen persönlichen Kontakt, durch die Lokalisierung an Proserpinas Eingang (in limine) ist eine Übergabe aber hinreichend angedeutet. Zwar war auch in der ‚Aeneis‘ seitens der ‚Beschenkten‘ keine Reaktion erkennbar. Dies akzentuiert in gewisser Weise das Numinose, das in dieser Passage greifbar wird, und erscheint weitaus weniger irritierend als in der französischen Erzählung, wo eine solche Reaktion bereits durch die situative Komposition (fast) vollständig ausgeschlossen ist. Indem der Anonymus Proserpinas Palast gänzlich tilgt, kann man sogar grundlegend bezweifeln, ob er als tatsächlich existent gedacht wird. In dem Maße, wie der Rezipient diesbezüglich in Unsicherheit gesetzt wird, verliert auch das Geschenk an Bedeutung. Vergils Sibylle ergreift im entscheidenden Moment die Initiative: ‚carpe viam et susceptum perfice munus.‘ Damit bündelt sie Aeneas’ Konzentration auf den zentralen Auftrag: „the ‚duty‘ ist the bringing of the Bough as a ritual gift […] to Proserpina“ 220. Aeneis VI, 637 nimmt darauf direkt Bezug (‚Nachdem nun dieses verrichtet und der Dienst zu Ehren der Göttin vollzogen‘), von alldem ist im ‚Roman‘ nichts ersichtlich. Gleichwohl gelangt Eneas zu den chans Elisiëns (RdE 2792) und erhält Einblicke in das zukünftige Geschehen, bis Anchises ihn und die Sibylle schließlich wie in der Vorlage durch die ‚Pforte aus Elfenbein‘ (vgl. RdE 2997–3006) hinausgeleitet. Auch dabei ist eine gewisse Inkonsistenz zu erkennen, denn der Zweig spielt offenbar beim Ausstieg aus der Unterwelt keine Rolle, was angesichts der früheren Worte der Seherin (‚Senz icel rain n’est pas legier / çai sus d’enfer a repairir‘; RdE 2327–2328) verwundern muss. Zur deutschen Fassung: Man konnte erkennen, dass Veldekes rîs im Vergleich zu den Vorlagen einer grundlegenden Depotenzierung unterliegt und dass dabei die Sibylle eine gewichtigere Rolle gewinnt. Wie setzt der ‚Eneasroman‘ das Motiv im weiteren Verlauf ein? Eneas und die Sibylle gelangen zu der helle învart (ER 89,16; 90,11) und durchqueren die Vorhölle221 bis zum Totenfluss mit dem egeslîchen Fährmann Chârô, der (der deutsche Text geht hier über die Vorlagen hinaus) diejenigen,

220 Aeneis VI, Kommentar R. G. Austin, S. 200–201. 221 Für die Unterschiede der einzelnen Personengruppen (z. B. die Verhandlung der Suizidopfer) sei wiederum auf Fromm (s. Anm. 198) verwiesen.

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die für die Überfahrt noch nicht reif sind, mit seinem grôz[en] schaltboum aus glûjendem stahelîn zurückstößt (vgl ER 92,5–93,5), ein deutlicher Verweis auf den spezifischen ‚Höllen-Charakter‘ von Veldekes Unterwelt. Die exorbitante Schrecklichkeit des Seelenschiffers versetzt den Helden in Angst. Dennoch ist klar, dass es keine Alternative zur Überfahrt gibt. Dô sprach der Trojân ‚soln wir an daz schif gân?‘ ‚jâ wir‘, sprach Sibille, ‚swîch dû aber stille unde ensprich neheine wîs. gib mir daz rîs, daz ich dich wîse, daz tû!‘ (ER 94,11–17)

Veldeke zeigt eine andere Situation im Vergleich zum ‚Roman‘. Der Held muss den Zweig abgeben. Damit macht die Führerin deutlich, dass das rîs offenbar von hoher Bedeutung für das kommende Geschehen ist. Wenn sie ihn an diesem kritischen Punkt an sich nimmt, etabliert sie ein asymmetrisches Verhältnis zwischen sich und Eneas, das dadurch besonders unterstrichen wird, dass der Held den Mund zu halten und sich nach ihren Anweisungen zu richten hat. Gleichzeitig ist eine universale Kraft des Zweigs dadurch fragwürdig: Traut sie Eneas den angemessenen Umgang mit dem Ding nicht zu (so wie sie sich auch als die einzige zum Reden befugte Person positioniert)? Erfordert der Zweig spezifische Kenntnisse, ‚funktioniert‘ er nur in ihren Händen? Das wäre gerade gegenteilig zum ‚Roman‘. Jedenfalls scheint es hier eben nicht so zu sein, dass „[d]ie magischen Gegenstände […] überall und bei jedem [wirken]“ 222. Der mythische Charakter des Zweigs wird durch die herausgehobene Übergabe von einem für den Rezipienten und die handelnden Figuren nicht einsehbaren Wissen der Sibylle überlagert. Zurück zum Text: Sie geht deme stade zû, gefolgt von Eneas, der von Charon sofort (wie in den Vorlagen mit Verweis auf frühere Vorfälle) ubillîche in Empfang genommen wird (ER 94,18–95,10). Obwohl er Eneas anspricht, ergreift die Sibylle das Wort, erklärt Herkunft und Bestimmung des Helden und macht deutlich: her mûz wol in daz schif gân (ER 95,14). Der Aufbau ihrer Rede lässt auf gezieltes Kalkül schließen, dabei ist der Zweig wie in den Vorlagen das zentrale Moment, auf das die Rede zusteuert:

222 Störmer-Caysa (s. Anm. 80), S. 201.

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‚fûre uns uber unde swîch!‘ dô liez sin sehen daz zwîch, daz rehte warzeichen. dô begonder smeichen, dô her des zwîges wart gewar, dô kêrde her daz schif dar, beidiu her si dran nam. (ER 95,24–29)

Sie ist sich offenbar vollkommen sicher, dass das Ding ‚wirkt‘, und das vermittelt sie ganz direkt. Eine ähnlich barsche Anrede war schon zu Beginn zu erkennen (‚nû swîch stille, / lâ dîn ubil rede stân‘; ER 95,12–13), in den Vorlagen findet sich nichts Entsprechendes. Charon beugt sich sofort der Macht des Zweigs, der vom Erzähler als warzeichen, als ‚Erkennungszeichen‘ oder ‚Beweis‘ deklariert wird, er spezifiziert es sogar als daz rehte Erkennungszeichen. Auf den ersten Blick erscheint die Beschreibung daz rehte warzeichen als Pendant zur französischen Semiose (enseignes). Beim Anonymus hatte der ramet d’or explizit als Bestätigung ihrer Worte (der Held als von göttlicher Macht Gesandter) zu dienen. Das ist bei Veldeke dennoch anders. Indem nämlich der Ausdruck warzeichen nicht aus dem Mund der Sibylle stammt, erscheint der mythische Gehalt des Zweiges auf der Handlungsebene wieder stärker ins Recht gesetzt: Ihre Worte erläutern, daz zwîch ist das krönende Schlussargument, sie selbst zieht aber verbal keine semiotisierende Verbindung. Damit nähert sich Veldeke handlungstechnisch der ‚Aeneis‘ an. Auf der Ebene der narratio hingegen wird eine ‚Eigen-Macht‘ des Zweigs unterminiert, indem der Erzähler ihn als warzeichen223 beschreibt, das auf etwas (nämlich den Wahrheitsgehalt der Worte der Seherin) verweist und damit weniger individuelle Argumentationsstruktur innehat. Auch hier ist das Mythische aber spürbar präsent, denn weshalb der Zweig überhaupt als rehte[r] Beweis gelten kann, ist wie in beiden Vorgängerwerken schleierhaft. Man erfährt nicht, woher ihn Charon kennen könnte, weshalb er seinetwegen zu smeichen beginnt; klar ist nur, dass er ihn als Autorität achtet. Dass die Sibylle darauf insistiert, das rîs eigens in ihren Händen zu halten, verweist auf ihre exponiertere Rolle bei Veldeke, restituiert aber auch den mythischen Gehalt des Motivs. Hier darf daran erinnert werden (das gilt auch für beide Vorlagen), dass Charon den ramus immer nur sehen, aber nie berühren darf.

223 Hs. B liest wortzeichen, was zwar auch als ‚Beweis‘ oder ‚Erkennungszeichen‘ gedeutet werden kann, den Zweig aber etymologisch noch deutlicher als Verifikationszeichen von Sibylles wort[en] erscheinen lässt.

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Zum weiteren Verlauf: Sie gelangen zu Cerberus, Veldeke übernimmt die französische Darstellung, derzufolge die Sibylle ihn mit wundersamen Flüsterworten in Tiefschlaf versetzt (vgl. ER 98,32–99,1). Schließlich erblickt Eneas zu seiner Linken eine grôze borch (ER 101,9), von der Sibylle als diu rehte helle (ER 101,38) beschrieben. Wie in der französischen Vorlage kommt der Zweig hier an der Weggabelung zum Elysium wieder ins Spiel. War in Veldekes anfänglicher Beschreibung der Charakter des Geschenks für Proserpina gänzlich getilgt, so verwundert es kaum, dass er auch nun eine vollkommen andere Funktion zu erfüllen hat, die im französischen Epos schon angelegt ist. Sibille gebôt ime daz, daz herz rîs dâ lieze und tâte als sin hieze. als diu frouwe daz gesprach, daz rîs her in die erde stach, an die wegescheide. dô volgeten sie beide der zesewen strâzen. daz rîs hiez sin dâ lâzen, daz her sich dâ bekande, alser wider wande undez dâ nâme, sô her wider quâme, als alle die heten getân, die dâ solden vore gân. her tet alse sie in bat. (ER 106,10–25)

Wo der Anonymus eine Ambivalenz von Gabe und Wegweiser zeichnet, vereindeutigt Veldeke: Der Zweig ist Orientierungshilfe für die Rückkehr, die offenbar vor Eneas schon weitere Personen unternommen haben. Zwar hatte die Sibylle eingangs den Weg zurück mit dem Zweig verknüpft, aber nur insofern, als er Bedingung für ihre Hilfe sein sollte. Was bei Vergil als mythischer Schwellenöffner angelegt ist, erscheint nun seltsam rationalisiert und auf den Helden ausgerichtet. Diese Umgestaltung wirft Fragen auf. Ins Elysium kann Eneas offenbar problemlos gelangen, aber für den Rückweg benötigt er eine Navigationshilfe? Weshalb muss er sich dabei überhaupt bekennen, schließlich hatte er sich ja während der ganzen Fahrt der Hilfe der Sibylle überantwortet und tut das auch hier. Und dass angesichts der schon von weitem sichtbaren Schrecklichkeit der Tartarusfestung (vgl. ER 101,8 ff.) beim Weg zurück überhaupt die Gefahr besteht, dass Eneas den falschen Pfad einschlagen könnte, erscheint doch unwahrscheinlich.

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Die Irritationen bleiben. Obwohl der Zweig klar mit dem Rückweg in Verbindung gebracht wird 224, findet das Motiv nach dem Besuch der Elysîî gevilde (ER 106,35) und Anchises’ Prophezeiung gerade keine Erwähnung mehr. Man erfährt nicht, ob Eneas ihn in irgendeiner Form benötigt oder nutzt, ob er ihn mitnimmt oder in der Unterwelt lässt. Plötzlich sind er und die Sibylle wieder in der ‚Oberwelt‘.225 Es bleibt die Überlegung, was die Anlage des Motivs bedeuten könnte. Wie auch die Untersuchung der Geschenke an Dido aufscheinen ließ, ist der Held nach der Karthago-Episode mit einem gewissen Makel belegt, der durch seine ambivalent zu wertende Flucht aus Troja nur noch verstärkt wird. Speziell letzterer Bereich kann hier nicht vertieft behandelt werden.226 Dennoch fällt auf, dass Eneas in der Unterwelt der Begegnung sowohl mit Dido als auch den gefallenen Trojanern ausgesetzt ist.227 Der im Motiv des Zweigs angelegte Rückweg an diesen Personen vorbei bedeutet also, sich nochmals mit der schamvollen, schmerzhaften Vergangenheit auseinandersetzen zu müssen. Dazu kommt es aber nun wohl doch nicht. Den Grund dafür sehe ich in Anchises’ Ansprache, die Veldeke zwar grundsätzlich von seinen Vorgängern übernimmt (und auf die hier nicht im Detail eingegangen werden soll), die für den deutschen Helden aber offenbar mit noch stärkerer Bestätigungsund Weisungsfunktion beladen ist als in der ‚Aeneis‘ und im ‚Roman‘.228 Das

224 Zur Erinnerung: In den Vorlagen war das dadurch wenig sinnvoll, dass Eneas und Sibylle die Unterwelt durch das Tor aus Elfenbein verlassen (Aeneis VI, 893–901; RdE 2997–3007). Zwar war (auch) hier vom zweimaligen Überqueren des Totenflusses (vgl. RdE 2309–2310; Aeneis VI, 133–135) die Rede, was aber wohl nur so zu verstehen ist, dass der Held nach seinem wirklichen Tod den Weg noch einmal wird gehen müssen. 225 schiere sie dô quâmen / ûz der helle hine wider / dannen si wârn gevaren nider (ER 110,22– 24). Der genaue Ablauf bleibt unerwähnt, man erfährt nur, dass ihn die Sibylle hin wider brahte (ER 110,26), nach ER 110,24 befinden sie sich am Ende wieder dort, wo sie eingestiegen waren. Dass sie dorthin schiere gelangen, impliziert m. E. gerade nicht den mühevollen Rückweg durch die Unterwelt (anders sieht das Fromm, Stellenkommentar, S. 819), sondern den Ausgang nach dem Elysium und den oberirdischen Weg zur Ausgangsposition, wenngleich Veldeke Vergils Motiv der zwei Pforten tilgt, das der ‚Roman‘ noch übernimmt. 226 Eingehend hierzu Fromm, Hans: Eneas der Verräter. FS W. Haug u. B. Wachinger. Bd. 1. Hrsg. von Johannes Janota/Paul Sappler. Tübingen 1992, S. 139–163. 227 Schon die Begegnung mit Dido, diu sich sô jâmerlîchen / dorch sînen willen hete erslagen (ER 99,32–33), ist wenig angenehm, entsprechend trûrechlîche (ER 99,35) blickt er sie an. Noch schlimmer scheint die Begegnung mit den in Troja gefallenen Verwandten und Kameraden: dô si Ênêas gesach, / dô schamete her sich sêre: / ez dûhtin unêre / daz her von in gescheiden was, / […] / von frunden und von mâgen, / die dâ erslagen lâgen / in Troie der wîten (ER 100,24–31). 228 Zwar erhält Eneas auch in den Vorlagen Auskunft über sein zukünftiges Geschick und seine Nachkommen (Aeneis VI, 756–892; RdE 2879–2984), aber der Charakter der Unterwelt als Prüfung scheint mir bei Veldeke besonders akzentuiert, wenn Anchises versichert: ‚daz dû

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zur Wegmarke rationalisierte Motiv des Zweigs wird hier abermals depotenziert und überlagert von der zwischenmenschlichen Komponente: Zum Weisenden wird nun der Vater, dessen Worte die kommende Richtung für den Sohn vorgeben. Und wie Eneas Karthago und seine trojanische Vergangenheit, so lässt Veldeke mit dem Zweig die mythische Anderwelt schiere hinter sich.

4.2.2 Exkurs: Der wunsch im ‚Nibelungenlied‘ Der Goldzweig bei Vergil und seinen mittelalterlichen Wiedererzählungen legt einen Vergleich mit einem ähnlichen Motiv im wohl bekanntesten mittelalterlichen Heldenepos nahe, das dort seltsam isoliert erscheint und den Interpreten ebenfalls mit Grenzen hermeneutischer Erkenntnismöglichkeit konfrontiert. Die Einbettung in den Erzählverlauf ist folgende: Nach Siegfrieds Tod lässt sich Kriemhild überreden, den Hort vom Nibelungenland, wo er unter Alberichs Obhut stand, nach Worms bringen zu lassen. Neben einer schieren Unmenge von gesteine und golt (NL 1123,1) befindet sich offenbar noch ein weiterer Gegenstand darunter: Der wunsch der lac darunder, | von golde ein rüetelîn. der daz het erkunnet, | der möhte meister sîn wol in aller werlde | über ietslîchen man. (NL 1124,1–3)

Einer befriedigenden interpretatorischen Annäherung sperrt sich das rüetelîn weitgehend; Helmut de Boor bemerkt lapidar: „Die sonst in dem Gedicht bewusst zurückgedrängte Freude an Märchenwundern bricht hier einmal durch.“ 229 Anders als beim Zweig im ‚Eneasroman‘ findet die Wünschelrute überhaupt keine funktionale Einbettung innerhalb des Epos, keine der auftretenden Figuren geht in irgendeiner Weise damit um. Zunächst einmal ist bemerkenswert, dass das goldene rüetelîn als wunsch bezeichnet wird. Worin dieser Inbegriff der Vollkommenheit genau liegt, wird nicht vollständig explizit, in den folgenden zwei Strophen aber angedeutet: Die Möglichkeit allumfassender Herrschaft, nämlich meister sein zu können in aller werlde über ietslîchen man. Diese Macht ist aber ans erkunnen gebunden,

dise arbeit / dorch mînen willen hâst getân, / des sal ez dir vil wole ergân / beidiu zêren und ze fromen, / daz dû here bist komen / von unser meister gebote. / ez habent dir die gote / dorch fruntschaft gegunnen, / dû hâst der mite gewunnen / ir aller holde‘ (ER 107,4–13). 229 Das Nibelungenlied. Nach der Ausgabe von Karl Bartsch. Hrsg. von Helmut de Boor. 17. Aufl. Wiesbaden 1963, Anmerkungen S. 184.

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an die Erforschung und eingehende Auseinandersetzung mit dem Ding und seinen Wirkungsweisen. Und genau hier lässt sich eine entscheidende Diskrepanz zum ramus aureus ausmachen: Während dieser nur dem Auserwählten zugeordnet ist, scheint für das Erkennen und die daraus resultierende Verwendung der goldenen Rute im ‚Nibelungenlied‘ potentiell jeder in Frage zu kommen – viel, zuviel Macht in den Händen eines Einzelnen? Wo Eneas von den Göttern zum goldenen Zweig geführt wird, soll der wunsch möglicherweise gar nicht entdeckt werden: Er liegt darunder, bleibt unaufgefunden – und gibt weiterhin Rätsel auf.

4.2.3 frustra ferro: Eneas’ Schwert Wie beim wunderbaren Zweig zu sehen war, können sich literarische Räume durch besondere Dinge auszeichnen. Das wird auch beim Schwert deutlich, das in der Unterwelt seiner originären Funktion weitgehend enthoben und auf den Helden situativ zugeschnitten ist. Das geschieht indes nicht durchgängig widerspruchsfrei, bisweilen wird gar ein konsistenter Status des Gegenstands fragwürdig. Wie schon geschildert, ist in der ‚Aeneis‘ der Beginn der Katabasis von einer mystischen und bedrohlichen Atmosphäre gekennzeichnet. In diesen Kontext ist auch das Schwert des Helden eingesenkt. Am rauchenden Höllenschlund werden die rituellen Vorgaben erfüllt, die Erde gerät in Bewegung und öffnet sich (vgl. Aeneis VI, 236–258), die Sibylle lässt das Unternehmen beginnen: ‚procul, o procul este, profani‘ conclamat vates ‚totoque absistite luco; tuque invade viam vaginaque eripe ferrum: nunc animis opus, Aenea, nunc pectore firmo.‘ tantum effata furens antro se immisit aperto; ille ducem haud timidis vadentem passibus aequat. (Aeneis VI, 258–261: ‚‚Bleibt fern, bleibt ja fern, Uneingeweihte‘, ruft die Prophetin, ‚zieht euch aus dem ganzen Wald zurück. Du aber tritt den Weg an und zieh das Schwert aus der Scheide: Nun ist Mut vonnöten, Aeneas, nun ein festes Herz.‘ So viel nur sprach sie und stürzte außer sich in die Öffnung der Höhle; jener hält furchtlos Schritt mit der forteilenden Führerin.‘)

Sie macht deutlich, dass es sich um ein spezielles Unterfangen handelt, das Tapferkeit erfordert. Der Appell geht einher mit dem Befehl, das Schwert zu zücken. Das lässt unmittelbare Gefahren vermuten, gegen die der Held gewappnet sein muss.

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Und in der Tat herrscht unten keine angenehme Atmosphäre, der Eintritt in die ‚Vorhalle‘ ist von Finsternis geprägt, die düstere Gestimmtheit wird dadurch verstärkt, dass Vergil hier die personal gedachten Übel positioniert.230 Dem Baum der Träume folgen die mythischen Ungeheuer.231 Das übersteigt die mentale Belastbarkeit des Helden: corripit hic subita trepidus formidine ferrum / Aeneas strictamque aciem venientibus offert (Aeneis VI, 290–291: ‚Hier packt in plötzlicher Angst hastig sein Schwert Aeneas und richtet den gezückten Stahl auf die Herankommenden‘). Seine Reaktion ist nachvollziehbar, denn weshalb sollte die Seherin ihn sonst zum Ziehen des Schwertes angewiesen haben? Nun muss er aber erkennen, dass das hier völlig nutzlos ist: et ni docta comes tenuis sine corpora vitas admoneat volitare cava sub imagine formae, inruat et frustra ferro diverberet umbras. (Aeneis VI, 292–294: ‚und erinnerte die kundige Begleiterin ihn nicht daran, dass nur luftige Wesen ohne Körper umherschweben unter dem Trugbild einer Gestalt, stürzte er wohl auf die Schatten ein und zerteilte umsonst sie mit dem Schwert.‘)

Die Waffe kann den Unterweltswesen nichts anhaben, sie verfügen über keinen wirklichen Leib. Bemerkenswert ist die Dramaturgie der Szene: Offenbar kommen sie auf Aeneas zu. Diese bedrohliche Konstellation wird jedoch nach seinen zwecklosen Anstalten, sich zum Kampf zu bereiten, und der darauffolgenden Erläuterung durch die Sibylle nicht weiter austariert. Die Gefahr ist plötzlich beseitigt. Wie das genau vonstattengeht, bleibt unklar. Relativ unvermittelt befinden sich die beiden auf dem ‚Weg, der zu den Wassern des Unterweltflusses Acheron führt‘ (Aeneis VI, 295). Wir fassen zusammen: Aeneas soll beim Abstieg in die Unterwelt sein Schwert ziehen, das dann aber dort völlig wirkungslos ist.232 Warum, fragt man sich, erfolgte dann dieser Auftrag? Denn selbst wenn das Schwert, wie Norden darlegt, aufgrund der „geistervertreibende[n] Kraft des Eisens und Erzes […]

230 Am Anfang stehen Trauer und Gewissensqualen, dann Krankheit, Alter, Hunger, Not bis hin zu Zwietracht, Krieg und Tod, vgl. Aeneis VI, 268–281. 231 Im Einzelnen werden erwähnt: Die ‚Centauren, die zweigestaltigen Scyllae, der hundertarmige Briareus und das Ungeheuer von Lerna […], die mit Flammen gewappnete Chimaera, Gorgonen und Harpyien und eine dreileibige Schattengestalt‘ (Aeneis VI, 285–289). 232 Norden weist auf die „Kontamination zweier aus verschiedenen Quellen entlehnte[r] Motive“ hin: In Homers ‚Odyssee‘ bekommt Odysseus von der Circe den gleichen Befehl, benutzt das Schwert dann aber auch erfolgreich. Der Hadesfahrt des Herakles bei Apollodor entstammt das Motiv des vergeblichen Waffengebrauchs, dem Schattenwesen Gorgo kann sein Schwert nichts anhaben, vgl. Norden (s. Anm. 205), S. 206–207; ebenso Aeneis VI, Anmerkungen Binder, S. 206 und 209.

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bloß gezückt werden braucht, um die Gespenster zu schrecken“ 233, fällt doch auf, dass dies im Text überhaupt nicht zum Tragen kommt, denn in den Vordergrund gerückt ist ja weniger das Vertreiben der Schatten als vielmehr der zwecklose Versuch. Aeneas ist sich der magischen Materialwirksamkeit augenscheinlich nicht bewusst (weshalb sonst hätte er es auf einen tatsächlichen Kampf angelegt?), und die Sibylle klärt ihn auch erst anschließend und kaum umfassend über den Sachverhalt auf. Das legt nahe, dass der demonstrativen Wehrhaftigkeit mehr ein psychologisches denn ein funktionales Moment zugrundeliegt: Die Anweisungen sind kaum zu etwas anderem angetan als „to enable Aeneas to feel protected on his frightening journey“ 234. Der Weg durch die Unterwelt bleibt zunächst auch „frightening“ für Aeneas, denn er sieht sich unmittelbar darauf Charon gegenüber (Aeneis VI, 298– 301). Der ist von dessen Anblick wenig angetan, Grund hierfür sind die erwähnten Besuche aus der Oberwelt. Ein Dorn im Auge ist ihm vor allem, dass Aeneas gerüstet erscheint: ‚quisquis es, armatus qui nostra ad flumina tendis, / fare age, quid venias, iam istinc et comprime gressum.‘ (Aeneis VI, 388–389: „Wer immer du bist, der da in Waffen unseren Strömen zustrebt, sag schnell, gleich von der Stelle aus, was dich hierhin führt, und bleib stehen!“). Die aus der Oberwelt mitgebrachten Waffen – unter denen das Schwert ein zentraler Bestandteil sein dürfte – bergen also für Charon (anders als bei den Schattenwesen) durchaus eine potentielle Gefahr, was sein harsches Auftreten klar signalisiert. Dass seine Bedenken unbegründet sind, macht die Sibylle umgehend deutlich: ‚nullae hic insidiae tales (absiste moveri), / nec vim tela ferunt‘ (Aeneis VI, 399–400: „Anschläge wie diese drohen hier nicht (errege dich also nicht weiter!), und diese Waffen sind nicht auf Gewalt aus“). Das Schwert scheint also zumindest eine Drohkulisse zu erzeugen; gleichzeitig muss festgehalten werden, dass das singuläre ferrum nach Aeneas’ Beinahe-Angriff auf die Schatten nicht mehr konkret, sondern nur noch implizit im Verbund mit den Waffen als Gesamtes Erwähnung findet. Die Wertigkeit als Kampfinstrument ist der als ‚Beruhigungspflaster‘ also klar nachgeordnet. Diese Unterminierung geht einher mit dem weitgehenden Außerkraftsetzen der konventionellen Funktion, die das Schwert innerhalb der gewöhnlichen Welt innehat: Wie wir gesehen haben, können die Schatten mit ihm nicht verletzt werden. Aber auch bei Charon wird keine körperliche Gewalt angewendet – er beugt sich der Macht des goldenen Zweiges. Dass profane Waffe und mythischer Zweig im Rahmen der Unterweltfahrt asymmetrisch aufeinander bezogen sind, hatte sich schon vor der Katabasis angedeutet, denn den golde-

233 Norden (s. Anm. 205), S. 206–207. 234 Aeneis VI, Kommentar R. G. Austin, S. 114.

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nen Zweig hatte er ja manuell abzureißen (carpe manu), auch hier war das ferrum explizit nutzlos (vgl. Aeneis VI, 145–148). Im Laufe der Fahrt wird genau dieser ramus aureus zum ultimativen Türöffner, er ist hier die wirksamere ‚Waffe‘. So scheint es nur konsequent, dass dem Gegenstand im weiteren Verlauf der Handlung keine gesteigerte Rolle mehr zukommt und er aus der Erzählung verschwindet.235 Wie setzt der Anonymus die Vorlage um? Die Rahmenbedingungen ähneln stark denen der ‚Aeneis‘, der Held erfüllt den Auftrag der Sibylle, sie brechen auf und erreichen den finsteren entree (RdE 2351–2370). Wie bei Vergil spricht sie Eneas vor dem bedrohlichen Abstieg Mut zu: ‚c’est l’infernal descendement, / pro t’estuet estre et vasal‘ (RdE 2376–2377: „das ist der höllische Abstieg, du musst tapfer und mannhaft sein“). Genau in jenem Kontext hatte der Held im lateinischen Epos das Schwert zu zücken. Das ist nun nicht mehr der Fall. Zwar bereitet die Sibylle ihn auch hier auf das Bevorstehende vor, die Waffe hat hingegen eine gänzlich andere Funktion zu verkörpern: ‚En enfer a poi de veüe; t’espee porte tote nue. Siu mei si com ge te menrai, la veie avant te mosterrai.‘ (RdE 2389–2390: „In der Hölle gibt es wenig Licht; trage dein Schwert völlig blank. Folge mir so wie ich dich führen werde, ich werde dir den Weg vorwärts zeigen.“)

Wo die antike Sibylle den Helden in Wehrbereitschaft versetzt (dass das wenig Sinn macht, wird ja erst später klar), bringt sie nun das Ziehen des Schwerts, so scheint es, mit der Dunkelheit des Raums in Verbindung. Lässt sich aber diese Folgerung tatsächlich aus dem Zitat ableiten, oder handelt es sich dabei nur um eine inhaltlich unverbundene syntaktische Aneinanderreihung? Völlig durchsichtig werden die Zusammenhänge schließlich nicht: Soll das blanke Eisen als leuchtende Orientierungshilfe dienen? Weshalb macht dann die Sibylle so stark auf ihre Rolle als Wegweiserin aufmerksam? Oder soll Eneas das

235 Nur noch einmal wird auf die arma des Helden allgemein Bezug genommen, als Aeneas an den einst siegreichen Griechen vorbeikommt: ‚Doch sobald die Danaerfürsten und die Heerscharen Agamemnons den Helden gesehen und die zwischen den Schatten blinkenden Waffen, erzittern sie in ungeheurer Furcht‘ (Aeneis VI, 489–491). Auch diese Gestorbenen darf man sich als geisterhaft vorstellen (der Angstschrei scheitert an der fehlenden Körperhaftigkeit; vgl. Aeneis VI, 492–493), insofern stellen die Waffen auch weniger tatsächliche Kampfinstrumente dar, sondern symbolisieren den Wechsel der Verhältnisse.

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Schwert schon gezogen halten, um potentiellen Gefahren in der Dunkelheit sofort begegnen zu können? Die Unklarheiten bleiben zunächst bestehen. Zurück zur Erzählung: Eneas erhält eine Salbe gegen den Höllengestank, dann vollziehen sie den Einstieg: S’espee trait, ne targe mais, el vait avant et il aprés, par l’oscurté tienent lor rote, ainz onkes n’i veeient gote. (RdE 2397–2400: ‚Er zieht sein Schwert, er säumt nicht länger, sie geht voraus und er hinterdrein, in der Dunkelheit halten sie ihren Weg ein, jedoch sahen sie dort nicht das geringste.‘)

Der Held tut also wie ihm geheißen. Eine aufhellende Wirkung ist jedoch gerade nicht zu erkennen, sondern das Gegenteil: Es ist stockfinster, der Weg ist nicht zu sehen (was der voranschreitenden Sibylle allerdings nichts auszumachen scheint). War der Zusammenhang zwischen dem Zücken des Schwerts und der Betonung des fehlenden Lichts also doch eine interpretatorische Fehlleistung? Hat das Schwert gar nichts mit der Höllenfinsternis zu tun? Darauf wird im weiteren Verlauf zurückzukommen sein. Abgesehen von dieser Unklarheit orientiert sich der ‚Roman‘ hier ansonsten recht stark an der Vorlage. In der Vorhalle warten die mannigfachen Übel, auch den Baum der Träume übernimmt er, dem folgen die mostres orribles (vgl. RdE 2401–2422). Von denen geht offenbar wie bei Vergil eine beängstigende Drohkulisse aus: a s’espee fait cil esme, / que il en cuide alcun ocire (RdE 2424–2425: ‚jener greift nach seinem Schwert, denn er gedenkt eines davon zu töten‘).236 Bei genauer Lektüre fällt auf, dass Eneas nach seinem Schwert erst greifen muss. Hat er die Anweisung der Seherin nicht befolgt, derzufolge er es schon gezückt in den Händen halten sollte? Von ihr wird er dafür jedenfalls nicht gerügt. Dennoch richtet sie das Wort an ihn und macht ihn, wie in der ‚Aeneis‘, auf die Zwecklosigkeit seines Vorhabens aufmerksam. Dabei wird der Bedeutungshorizont seiner Waffe nun (vermeintlich) klargestellt: ‚De ce‘, fait ele, ‚n’est mestier, ja n’en porras un atochier: ce sont trestot vies senz cors, mar iert por els t’espee fors. Ce sacheiz bien, por cest afaire ne la rovai ge mie traire,

236 Genaugenommen fürchtet sich Eneas schon vor dem Anblick der Ungeheuer (vgl. RdE 2419), diese verstärken seine Furcht nur noch.

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mais por veeir de sa clarté errer parmi ceste oscurté.‘ (RdE 2427–2434: ‚‚Das‘, sagt sie, ‚ist nicht notwendig, niemals wirst du eins damit berühren können: das sind alles körperlose Wesen, vergeblich wird um ihretwillen dein Schwert gezogen sein. Dies mögt ihr wohl wissen, um dieser Angelegenheit willen bat ich euch nicht, es zu ziehen, sondern um bei seinem Schein den Weg zu sehen in dieser Dunkelheit.‘‘)

Wie in der ‚Aeneis‘ sind die Bestrebungen, das Schwert konventionell zu benutzen, nicht von Erfolg gekrönt. Auch hier scheint ein psychologisches Moment akzentuiert: In der Gefahrensituation greift der Held zur Waffe, die hier aber nicht funktioniert, was die Sibylle schon vorher gewusst hat. Dass sie ihn darüber im Vorfeld aber gerade nicht in Kenntnis setzt, scheint wohlbedacht: Wie groß wäre wohl seine Furcht gewesen, wäre er sich die ganze Zeit darüber im Klaren gewesen, dass sein Schwert zu keinem Angriff taugt? In der zitierten Passage macht sie jedenfalls explizit deutlich, was sie mit dem Zücken des Schwerts intendiert hatte: Die glänzende Waffe sollte also doch als Lichtquelle dienen. Die Unklarheiten lösen sich damit aber trotzdem nicht ganz auf, denn es war ja klar zu erkennen, dass das Schwert an der Dunkelheit des Raums gerade nichts zu ändern vermochte (vgl. RdE 2397– 2400). Die Sinnhaftigkeit dieser Umgestaltung wird damit jedenfalls zweifelhaft. Festzuhalten bleibt, dass die Dysfunktionalität des Schwerts auf mehreren Ebenen verortet ist: Weder vermag man die körperlosen Wesen damit zu verwunden, noch wird eine Leuchtwirkung manifest.237 Auch der französische Erzähler präsentiert anschließend das Gedränge bei Charon, der die Bestatteten übersetzt (vgl. RdE 2437–2504). Deutlicher als bei Vergil ist das (konkret denotierte) Schwert hier auf die Aufmerksamkeit des Fährmanns bezogen: Caro les vit et aperçut, / entre les altres les conut, / l’espee vit reflanbeier (RdE 2507–2509: ‚Charon sah und bemerkte sie, unter den anderen kannte er sie heraus, er sah das Schwert blitzen‘). Die Spannung zwischen Kampf- und Leuchtkraft ist hier noch stärker als in der ‚Aeneis‘. Das Glänzen, das möglicherweise als Kontrast zum fehlenden Leuchten beim Eintritt in die Unterwelt gesehen werden kann, lenkt den Blick auf die Sibylle und Eneas, das Charakteristikum der Waffe weckt dann Ressentiments: ‚Di va‘, fait il, ‚ki estes vos, / ki en cest regne tenebros / armé vos estes enbatu?‘ (RdE 2511–2513: ‚‚Heda‘, sagt er, ‚wer seid ihr, die ihr bewaffnet in dieses finstere Reich hinabgeeilt seid?‘‘)

237 Dass Eneas und Sibylle anschließend auf Gestalten treffen und diese auch ‚sehen‘ (RdE 2423), steht erzählerisch in keinem Zusammenhang mit dem espee, vgl. RdE 2401 ff.

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Wie im lateinischen Epos sucht die Sibylle alle Bedenken zu zerstreuen, als Verifikation dient der goldene Zweig (vgl. RdE 2537–2546). In ihrer Rede nimmt sie allerdings überhaupt nicht mehr Bezug auf das Schwert oder auf Waffen allgemein. Stattdessen wird mit der Präsentation des Zweigs in der französischen Fassung noch wesentlich deutlicher die Wertigkeit der beiden Gegenstände in der Unterwelt aufeinander bezogen. Eneas demonstriert nämlich nicht nur schlicht den offenbar bekannten Zweig. Die Geste des Entblößens erinnert vielmehr an das Zücken eines Schwerts, was insofern bemerkenswert ist, als er sein eigenes ja schon gezückt zu halten hatte, das kann also kaum mehr als ‚Pointe‘ dienen. Das wunderbare Gewächs hingegen schon: Eneas trait le rameissel / que il aveit soz son mantel (RdE 2547–2548: ‚Eneas zieht den Zweig hervor, den er unter seinem Mantel trug‘). Charon bekommt sofort Respekt, er reagiert auf goldenen Zweig wie auf den plötzlichen Anblick einer überlegenen Waffe. Gleichwohl lässt sich der rameissel freilich nicht für die Herstellung einer entsprechenden Kausalrelation vereinnahmen. Ein Zwischenfazit: Das Schwert ist sicher nicht von der Exponiertheit des ramet d’or. Es entzieht sich einer konsistenten Festlegung. Scheinbar ‚ist‘ das Ding jeweils genau so, wie es die Erzählung situativ verlangt. Es soll als Leuchtmittel dienen, das tut es aber – zunächst – gerade nicht. Über seine Funktion klärt die Sibylle den Helden auch erst auf, als dieser im Ziehen der vermeintlichen Waffe zumindest einen gewissen Grad an Sicherheit erlangen durfte. Vor Caro hingegen blinkt es, dabei scheint es aber eher symbolisch für Gefahren aus der Oberwelt zu stehen. Der wirkliche ‚Durchbruch‘ gelingt nämlich gerade nicht mit einer Waffe, sondern mit dem geheimnisvollen Zweig, und eine Leuchte ist im Elysium ja nicht notwendig, dort herrscht ja schon Helligkeit (vgl. RdE 2791–2798). Konsequenterweise verschwindet auch in der französischen Fassung das Schwert ohne weitere Erwähnung aus der Erzählung. Die Grundkonstellation im ‚Eneasroman‘ ähnelt prinzipiell den Vorlagen. Auch hier soll der Held die Waffe zur Hand nehmen. Eine direkte Rede der Sibylle fehlt, der Erzähler berichtet: daz swert daz hiez sie in bare / nemen under sîn gewant, / daz herz trûge an sîner hant (ER 89,2–4).238 Das ist offenbar wohlbedacht (si weste wole umbe waz; ER 89,5), der Erzähler erläutert:

238 Zudem lässt ihn die Sibylle davor ein krût gegen den helleschen stank und den rouch essen, dazu bekommt er eine salben gegen das hellefûre (ER 88,22–38). Im ‚Roman‘ kriegt er nur eine Salbe, Veldekes helle scheint ein noch höheres Maß an ‚Schutzmitteln‘ erforderlich zu machen.

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diu frouwe hiez ez umbe daz, daz herz mit im nâme, so er in die helle quâme in die vinsternisse, daz her ime gewisse dâ mite lûhten solde. (ER 89,6–11)

Der in der ‚Aeneis‘ angelegte Kontext der Wehrhaftigkeit ist komplett getilgt, stattdessen expliziert Veldeke das, was im ‚Roman‘ zunächst nicht eindeutig war: Das Schwert ist als Leuchtmittel gedacht. Die Betonung der vinsternisse vor dem Eintritt in die Unterwelt unterstreicht noch das Bedürfnis nach zuverlässiger (gewisse) Beleuchtung und damit die Wichtigkeit des Gegenstands. Das Schwert ist damit erzählerisch klar darauf ausgerichtet, „den Eindruck von Höllenfinsternis zu steigern“ 239. Wie wird aber nun bei Veldeke dieses deutlichere Maß an symbolischer Aufladung des Leuchtens mit seiner Einbettung in die erzählte Welt relationiert? Die Darstellung wirft mehrere Fragen auf: Zunächst einmal wird nicht ersichtlich, ob Eneas selbst über die intendierte Funktion in Kenntnis gesetzt wird, im ‚Roman‘ ist das ja weniger der Fall. Die Leuchtwirkung ist offenbar rein auf ihn (ime) ausgerichtet. Braucht die Sibylle kein Licht? Das zumindest ließe sich auch aus der Darstellung im ‚Roman‘ schließen (vgl. RdE 2389– 2400), ein anderes Detail irritiert jedoch besonders: Wie soll das swert als Fackel dienen und Eneas lûhten, wenn er es verborgen unter seinem Mantel tragen soll? Wie hat man sich das vorzustellen, und warum diese Anweisung? Soll es noch versteckt gehalten und erst in der Unterwelt entblößt werden? Wo der lateinische Held mit gezogener Waffe mutig voranschreiten soll, bekommt Veldekes Eneas einen Leuchtkörper zur Hand, den er dann selbst ‚unsichtbar‘ machen soll. Das verwundert stark angesichts der entschiedenen Umfunktionalisierung, denn der Charakter der Fackel würde ja gerade die Vorgehensweise nahelegen, die in den Vorlagen zu erkennen ist, nämlich das Vorangehen mit gezücktem Schwert. Ist der Gegenstand auch im ‚Eneasroman‘ nur dazu gedacht, dem Helden Sicherheit zu suggerieren? Diese Unklarheiten lassen sich nicht erhellen, denn das Schwert taucht in der Erzählung zunächst ab. Unten angekommen gesagen si lûte âne zal (ER 90,36) – plötzlich ist also die erwünschte Sichtbarkeit da. Man erfährt aber nicht, ob oder wie Eneas seine ‚Fackel‘ nutzt, von Dunkelheit wird nichts erzählt.240 Indem die freie Sicht 239 Stebbins (s. Anm. 114), S. 49. 240 Der Erzähler berichtet zwar von Kreaturen in dem vinstern walde (ER 91,5), diese Region ist aber vom Standort des Eneas und der Sibylle zu unterscheiden, denn sie betrachten die Gestalten aus der Entfernung.

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selbstverständlich wirkt, relativiert sich die Relevanz des Schwerts, Notwendigkeit und Nutzwert der Instruktionen der Seherin werden fragwürdig.241 Dennoch fällt die Differenz zum ‚Roman‘ auf, wo Eneas und die Sibylle anfangs gar nichts sehen können (RdE 2400). Sie passieren die Vorhalle, die Personengruppen sind zwar mit den Vorlagen nicht völlig identisch, dennoch handelt es sich um Untote (vgl. ER 90,35– 92,4), bei denen der Einsatz einer Waffe (wohl) zwecklos wäre: sine mohten niht ersterben / dorch deheiner slahte nôt / wande si wâren zer werlde tôt (ER 91,20–22). Weiter ausgehandelt oder auf einen versuchten Angriff des Helden bezogen wird das aber nicht. Es bleibt beim Betrachten, dass die Gestalten Eneas zu Leibe rücken würden, ist nicht ersichtlich. So findet auch das Schwert hier keine Erwähnung, genauso wie bei Charon, der zwar auf frühere Besuche aus der Oberwelt rekurriert, einen Verweis auf Eneas’ Waffen aber unterlässt. Man kann daher festhalten: Veldekes swert ist überhaupt nicht mehr Waffe, sondern nur noch Fackel. Noch eindeutiger als im ‚Roman‘ ist der Gegenstand ein auf die Spezifik von Veldekes christlich konnotierter Unterwelt (die vinsternisse der helle) ausgerichteter Symbolträger, der (beinahe im Stile des Kreuzes bei einer Fronleichnamsprozession) als heraldisches Zeichen fungiert. Die erzählerische Einbettung beschränkt sich dabei auf die rezipientenorientierte Anlage des Motivs, denn innerhalb der erzählten Welt wird es so gut wie gar nicht gebraucht und gerät beinahe zum Fremdkörper. Auch die weitere Erzählung vermag den merkwürdigen Gegenstand kaum zufriedenstellend zu integrieren: Am Ufer angekommen, erblickt Eneas den Fluss des Vergessens. Hier weist die Sibylle den Helden explizit auf die Dunkelheit des Ortes hin. ‚dune quâme nie in dirre vart in sô grôze vinsternisse […] dar dû nû schiere komen salt. Ênêas helt balt, dâ nis deheiner slahte lieht.‘ (ER 96,28–33)

241 Das gilt auch für die salben, die (anders als im ‚Roman‘) vor dem Höllenfeuer schützen soll. Eneas trägt sie auf (vgl. ER 88,39), das ändert aber nichts daran, dass er und Sibylle sich am fûre des Cerberus brûten (ER 97,25–31). Im ‚Roman‘ ist das gerade nicht so: Hier beschreibt der Erzähler den (tödlichen) Geruch vor dem Eingang (2351–2370), anschließend gibt sie ihm die Salbe: ‚nachdem er ihren Duft gerochen hatte, konnte ihm der üble Gestank nichts mehr anhaben‘ (RdE 2395–2396).

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Nun wird der Zweck des anfänglichen Auftrags deutlich: ‚zûch her vore dîn swert und merke, wie ich vore vare, unde trach dîn swert al bare unde lûhte dir dâ mite. ich weiz wol allen den site von diseme hellerîche. volge mir wîslîche, wande des is dir nôt.‘ dô tete her als si ime gebôt. (ER 96,38–97,5)

Ihre Rede markiert eine Zäsur, die in beiden Vorgängerwerken nicht erkennbar ist. Sie schwört den Helden, bevor es in Richtung des Cerberus und des Eingangs zur rehten helle geht, eingehend auf das Bevorstehende ein. Diese Neueinführung scheint dem weiteren Verlauf von Veldekes Unterweltschilderung eine spezifische Bedrohlichkeit zu verleihen. Gerade hier, so müsste man meinen, könnte das Leuchtschwert seine ‚Existenzberechtigung‘ innerhalb der erzählten Welt unter Beweis stellen. Das ist jedoch nicht der Fall. Über das symbolische (d. h. auf Leser und Hörer ausgerichtete) Moment hinaus gewinnt das Motiv kaum Kontur, denn funktional (d. h. innerhalb der erzählten Welt) ist das Zücken des Schwerts weitgehend unverbunden mit dem weiteren Geschehen. Obgleich Cerberus zweifellos deutlich bedrohlicher wirkt als in den Vorlagen, wird weder erwähnt, dass das Schwert dem Helden in irgendeiner Weise nutzte (er bekommt Angst und muss von der Sibylle beruhigt werden, sie setzt Cerberus außer Gefecht, vgl. ER 98,30–99,6), noch dass in dieser Unterweltregion besondere Dunkelheit herrschte; über die Lichtverhältnisse wird gar nichts mehr berichtet. Das mag in Ansätzen an den Einstieg in die Unterwelt bei Vergil erinnern. Auch hier hatte der Held das Schwert zu zücken; das war zwar nutzlos, darauf wird Aeneas aber erst gestoßen, als er die Schatten angreifen will, insofern ist das Motiv auf die mentale Disposition des Helden ausgerichtet. Das kann man bei Veldeke aber kaum erkennen – Eneas wirkt nicht in Ansätzen kampfbereit, womit die bereits skizzierte rein symbolische Lesart unterstrichen wird.242

242 Das Schwert spielt gar keine Rolle mehr. Die Sibylle und Eneas durchschreiten die porte (ER 99,9), passieren die Gestorbenen, nirgendwo scheint es ‚besonders‘ finster zu sein, bei den gefallenen Griechen findet kein Rekurs auf Eneas’ Waffen statt (vgl. ER 100,32–101,7). In der rehte[n] helle ist es zwar immer inne naht, allerdings bekommt Eneas die Schrecklichkeit des Ortes von der Sibylle lediglich detailliert mitgeteilt (vgl. ER 101,35–106,2), selbst erleben tut er es nicht. Und in den Elysîî gefilde[n] (ER 106,35) scheint er ohnehin keine Wegbeleuchtung zu benötigen, anders als in der ‚echten Hölle‘ ist es hier nicht dunkel: Er erkennt alles, was sein

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4.2.4 Fazit zur Unterwelt In der Unterwelt laufen die Dinge anders als in der gewöhnlichen Erzählwelt. Das zeigt sich am Schwert und am wunderbaren Zweig. Das Schwert erfüllt in allen drei Fassungen nicht die konventionelle Funktion wie in der gewöhnlichen Welt der Sterblichen. Die ‚Aeneis‘ zeigt eine Spannung zwischen Waffe und mentalem Hilfsgegenstand; das ferrum nimmt eine komplexe Stellung zwischen der Sibylle und Aeneas ein, trotz seiner Dysfunktionalität gibt es die Seherin ihm aus gutem Grund. In Ansätzen wird das vom ‚Roman‘ übernommen. Zusätzlich führt der Anonymus den Aspekt des Leuchtkörpers ein, eine Funktion, die in der besonderen Dunkelheit der mittelalterlichen Hölle begründet liegen mag, die aber von der Erzählung nicht durchgängig getragen wird. Die Bedeutung des espee wird dann sukzessive vom goldenen Zweig überlagert, was dadurch deutlich wird, dass an dem Punkt, wo der Zweig wie eine Waffe gezückt wird, das Schwert unmarkiert aus der Erzählung verschwindet. Die deutsche Fassung übernimmt nur noch dessen Bedeutung als Lichtquelle, was aber insofern handlungstechnisch zu hinterfragen bleibt, als Eneas das swert kaum als Fackel benutzt, genaugenommen gebraucht er es nämlich gar nicht. Damit gerät das Ding im ‚Eneasroman‘ zum bloßen Raumdeterminativum, das symbolisch auf die spezifische Finsternis der helle bezogen werden kann, innerhalb der erzählten (Unter-)Welt als Hilfsobjekt gegen das Dunkel aber überhaupt nicht zur Geltung geracht wird. Das mythische Motiv par excellence stellt Vergils ramus aureus dar. Die Figur kann ihn nicht willkürlich pflücken, sondern muss dazu befähigt sein. Innerhalb der Unterwelt wird seine Autorität anerkannt, niedergelegt an Proserpinas Schwelle erlaubt nur er den Eintritt ins Elysium. Dies vollständig zu ergründen, stößt an hermeneutische Grenzen: „[T]he Bough remains an enigma.“ 243 Ebenso problematisch wird die Zuordnung zu erzähltheoretischen Kategorien: Zwar ist der Zweig kausal in den Fortlauf des Geschehens eingebunden, ohne ihn würde der Held zweifellos nicht vorankommen. Weshalb das indes überhaupt so sein kann und wie es funktioniert, bleibt rätselhaft. Es bleibt Unbestimmtheit. Die (folgliche) Einordnung des ramus in den Rahmen der finalen Motivierung kann jedoch letztlich auch kaum mehr sein als eine Kapitulation vor der Unzugänglichkeit seiner Funktionsweise innerhalb der erzählten Welt.

Vater ihn gesehen lässt, vgl. ER 107,28 ff. Dass die Sichtbarkeit hier mit seinem Schwert verknüpft wäre, ist nirgends ersichtlich. 243 Aeneis VI, Kommentar R. G. Austin, S. 83.

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Dem Anonymus gelingt keine bruchlose Übertragung der mythischen Kausalitätsstruktur. Anfangs ist der ramet d’or dem antiken ramus aureus noch annähernd gleich gestaltet. Speziell vor dem Elysium wirft jedoch die Art und Weise, wie ihn der Held seiner eigentlichen Bestimmung (nämlich der als Gabe für Proserpina) zukommen lässt, Fragen auf. Der Wert des Geschenks, das nun gleichzeitig Wegmarke ist, ist deutlich unterminiert: Was bei Vergil als legitimierendes Schwellenritual gezeichnet ist, verkommt zur (banalen) Überlassung. Das ist bei Veldeke noch stärker der Fall. Zunächst haben wir es auch hier mit einem Zweig zu tun, allerdings mit keinem goldenen. Die Depotenzierung des Mythischen wird besonders mit dem Wegfall von Proserpinas Palast deutlich, der (das war schon im ‚Roman‘ zu erkennen) den Erzähler vor das Problem stellt, eine alternative Zweckhaftigkeit zu etablieren. Diese kommt aber der antik-mythischen kaum gleich, möglicherweise deshalb erfährt der Leser nicht mehr, ob Eneas tatsächlich das rîs auf dem Rückweg an sich nimmt; eine Neueinführung Veldekes, deren Sinnhaftigkeit man sich nur mit Mühe nähern kann. Fragen wirft auch die Verhandlung bei Charon auf, wo Eneas den Zweig aus den Händen geben muss. Hier geht die stärkere Rolle der Sibylle mit einer Verrätselung des Motivs einher; gleichzeitig tritt der Aspekt des singulären Figurenwissens hervor, offenbar weiß hier nur sie, wie daz zwîch seine maximale Wirkung entfaltet. Damit stellt sie Leser und Hörer wohl vor das gleiche Rätsel wie Eneas, der ihr zu vertrauen und das Spiel mitzuspielen hat.

4.3 Waffen und Schutzgegenstände Eneas eignet sich die Herrschaft über Italien nicht einvernehmlich an, vielmehr sind dazu harte Auseinandersetzungen erforderlich, die mit zum Teil exorbitanter Gewalt geführt werden. Allein dadurch genießen Rüstungsgegenstände verschiedener Art hohe Prominenz in allen drei Werken. Sie werden genutzt, um den Gegner zu verwunden oder zu töten (Pfeile, Armbruste, Speere, Schwerter), gleichzeitig gibt es Schutzmittel (Schilde, Rüstung, Helm), die Angriffe abwehren sollen. Nicht alle dieser Gegenstände erschöpfen sich in ihrer konventionellen Verwendungsweise.244 Im Folgenden sollen drei Ding-Komplexe näher beleuchtet werden: Die Rüstung des Helden, zwei Helme sowie der Ring des Pallas. Bei der Rüstung scheinen grundlegende Interpretationsfragen nach der jeweils spezifischen Zeichnung des Helden auf. Hier kann der

244 So unterliegt gerade das Motiv des Pfeils höchst unterschiedlicher literarischer Funktionalisierung im Spannungsfeld von Waffe und Nachrichtenträger, vgl. hierzu Anm. 158 sowie Christ (s. Anm. 142).

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Vergleich der drei Texte erhellende Impulse liefern, die auf ganz unterschiedliche Konzeptionen der Eneas-Figur hindeuten. Die Helme tauchen in der Forschung vor allem inmitten der Auseinandersetzung um das Motiv der Habgier auf. Hier werde ich zeigen, dass diese Lektüre zu kurz greift und vor allem die jeweiligen Besonderheiten und Unterschiede der beiden Helme nur unzureichend würdigt. Beim Ring des Pallas werde ich vor allem an die erzähltheoretischen Ausführungen anknüpfen und das Spannungsverhältnis zwischen den Geschehenszusammenhängen innerhalb der erzählen Welt und der Rezeptionslenkung in den Vordergrund stellen.

4.3.1 Die Rüstung des Eneas Ein besonders exponiertes Motiv stellt die von Vulkanus geschmiedete Rüstung dar, deren göttliche Wirkkraft zum entscheidenden Faktor im Zweikampf des Helden mit Turnus stilisiert wird. Speziell im ‚Eneasroman‘ kommt dabei die Komplexität des Heldenbildes zum Vorschein, sodass bisweilen ein Konkurrenz-Verhältnis zwischen Figur und Rüstung entsteht, das in dieser Form bislang noch nicht vergleichend untersucht wurde. Der Großteil der Forschung bewertet Eneas’ Sieg über Turnus als Konsequenz seiner eigenen Tapferkeit, der die göttlichen Waffen entsprechen. So behauptet beispielsweise Elisabeth Lienert, „der (in der Rüstung des Vulcanus materialisierten) göttlichen Hilfe korrespondier[e] seine Bewährung als exzeptioneller Krieger“ 245. Die Rüstung gerät dabei zum selbstverständlichen Attribut des Helden und wurde infolgedessen häufig einer weitgehend symbolischen Lesart unterzogen, beispielsweise als „epische Metapher“ für die Liebe.246 Betrachtet man jedoch die Unterschiede zwischen den drei Fassungen, so erlaubt ein close reading, Widersprüchlichkeiten der genannten Argumentation offenzulegen. Die Rüstung tritt dabei als eigenständiges Erzählelement – speziell im ‚Eneasroman‘ – wesentlich plastischer zutage.

245 Lienert (s. Anm. 10), S. 88. Ähnlich argumentiert Ingrid Kasten: „In den Kämpfen um Laurente und Lavine, um wîp unde lant, räumt Eneas alle Zweifel an seinem Mann-Sein, seinem Adel, seinen kämpferischen Fähigkeiten aus […] und legitimiert mit dem Sieg über Turnus den Anspruch auf Lavine und die Herrschaft in Laurente“ (s. Anm. 140, S. 93). Entsprechend muss der Kontrahent des Trojaners als Kontrastfolie herhalten, so bei McDonald, William C.: Turnus in Veldeke’s ‚Eneide‘: The Effects of Violence. In: Violence in Medieval Courtly Literature. Hrsg. von Albrecht Classen. New York 2004, S. 83–95. 246 Vögel (s. Anm. 152), S. 70. Dass die Rüstung ein ‚eigenständiger‘ Faktor von Eneas’ Sieg ist, ist indes nicht gänzlich unbeachtet geblieben, eine systematisch vergleichende Analyse ist jedoch bislang noch nicht unternommen worden.

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4.3.1.1 nimmer sigilôs: Eingewirkte Übermacht und Wohlfühlfaktor Zunächst zum lateinischen Text: Im Zeichen des drohenden Krieges weilt Aeneas auf der Suche nach Unterstützung in Pallanteum. Venus ist angesichts Turnus’ Truppenaufmarschs in Sorge, schmeichelnd tritt sie an ihren Gatten Volcanus heran (vgl. Aeneis VIII, 370–386), dieser erklärt sich für Liebeslohn zur Waffenherstellung bereit. Aeneas steht währenddessen die Betrübnis ins Gesicht geschrieben, die plötzlich am Himmel blinkenden Waffen – ein erstes signum (Aeneis VIII, 534) – ändern seine Stimmungslage. Der Ankunft bei Tarchon folgt die Übergabe, die Venus mit ermutigenden Worten verbindet – nun braucht ihr Sohn die Auseinandersetzung nicht mehr zu fürchten. Erfreut wandert dessen Blick über die einzelnen Rüstungsgegenstände (vgl. Aeneis VIII, 617–625); neben ‚Helm‘, ‚todbringende[m] Schwert‘, ‚Panzer‘, ‚Lanze‘ und ‚Beinschienen‘ besonders exponiert ist der ‚Schild‘, dessen Verzierungen für den Rezipienten eine Verbindung zwischen Erzählwelt und zeitgenössischer Gegenwart liefern. Dieser wurde bereits eingehender Forschung unterzogen.247 Auch in den mittelalterlichen Werken wird die Waffenherstellung mit dem gegnerischen Aufmarsch begründet.248 Dem amourösen Gegenlohn für die Leistung (RdE 4333–4348; ER 157,20–33) folgt die „Götterburleske“ 249. Die göttliche Werkstatt verliert an Plastizität, stattdessen nimmt die descriptio der Waffen wesentlich breiteren Raum ein. Diese werden nun mit Wirkkräften beschrieben, die die lateinische Vorlage sichtlich übertreffen. Die höhere Exponiertheit wird auch durch die veränderte Fokalisierung deutlich: Wo die ‚Aeneis‘ aus der Sicht des Helden schildert, erfolgt die Beschreibung in den mittelalterlichen Werken aus der Perspektive des Erzählers; zudem werden die Rüstungsgegenstände speziell bei Veldeke durch die öffentliche Demonstration beinahe zum ‚Allgemeingut‘.

247 Die darauf abgebildeten Geschehnisse (vgl. Aeneis VIII, 626–728) weisen über die Erzählhandlung hinaus bis in die augusteische Gegenwart, die so ihre mythologische Basis gewinnt, vgl. hierzu u. a. Suerbaum (s. Anm. 154), S. 234, 291 u.w. mit weiteren Literaturverweisen. 248 Im ‚Roman‘ akzentuiert Venus primär ein defensives Moment: „Er belagerte ihn in Montalban […], damit er ihm da gut Trotz bieten kann, brauchte er gute Waffen, sodass er, wenn Turnus ihn zum Kampf herausforderte, […] brauchbare Waffen hätte, mit denen er sich gut verteidigen könnte” (RdE 4323–4332). Veldeke tilgt die wörtliche Rede, neben der mütterlichen Sorge wird die Bedrängnis des Helden betont: Dô der hêre Ênêas / in solhen angesten was (ER 157,9–10). 249 Kottmann, Carsten: Gott und die Götter. Antike Traditionen und mittelalterliche Gegenwart im ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke. Studia Neophilologica 73 (2001), S. 71–85, hier: S. 76. Mit der Ehebruchs-Geschichte (RdE 4349–4393; ER 157,35–158,39) „wird die Situation aus ihrem genuin mythischen Kontext herausgehoben“, die Götter profanisiert und dem Verlachen preisgegeben.

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Der ‚Roman‘ erwähnt zunächst den Kettenpanzer aus Silber und Gold.250 Auch die Knieschienen sind aus Edelmetall, der ‚helle[ ] Helm aus den Rippen eines Meerfisches‘ (RdE 4427–4428) ist nicht nur stabil und glänzend, sondern auch extrem wertvoll. In Bereiche des Maritim-Wunderbaren geht auch der mit Rotgold umrandete und mit Edelsteinen geschmückte Schild. Vulkanus hat ihn ‚[a]us der Rippe eines großen Meeresungetüms‘ (RdE 4445–4446) gefertigt, neben Robustheit und geringem Gewicht wird die Undurchdringbarkeit betont: molt ert luisanz et molt ert dure, / que ne peüst estre entamee / ne par lance ne par espee (RdE 4452–4454: ‚er war sehr glänzend und sehr hart, sodass er weder durch eine Lanze noch durch ein Schwert hätte angeritzt werden können‘). Vergils Verweise auf seine außerliterarische Gegenwart sind getilgt. Zentrales Element ist das mehrfach gehärtete Schwert: fers ne aciers ne la tenist / ne marbre bis, ki l’i ferist (RdE 4477–4478: ‚weder Eisen noch Stahl hielten ihm stand, noch graubrauner Marmor, wenn man mit ihm draufschlüge‘), der goldene Griff und der mit einem Smaragd versehene Knauf verweisen auf die Außerordentlichkeit, die dadurch noch unterstrichen wird, dass Vulkanus das Schwert signiert. Als Urheber gebührt ihm auch der erste Hieb – es gleitet durch den riesigen Amboss wie durch Butter (vgl. RdE 4491–4506).251 Dem gesellt sich noch eine kostbare Schwertscheide samt -gehänge hinzu. Ähnlich unwiderstehliche Qualitäten wie das Schwert besitzt die lance (RdE 4515).252 Daran hängt Venus ‚ein Feldzeichen‘ (une enseigne; RdE 4523), an das der Erzähler einen mythologischen Hintergrund knüpft: Es stellt eine Liebesgabe von Mars an Venus dar (vgl. RdE 4523–4542). Die Bewandtnis dieses Motivs bleibt undurchsichtig. Soll damit auf die für die mittelalterlichen Romane prägende Verbindung von militia und amor verwiesen werden? In der nachfolgenden Handlung wird das Banner jedenfalls nicht mehr erwähnt.253

250 Er ist so robust wie leicht, n’i feïst rien fers ne aciers. / [...] / par colp que nus oem i donast, / ja une maille n’en falsast (RdE 4418–4424: ‚weder Eisen noch Stahl hätten ihm etwas anhaben können. […] [D]urch keinen Schlag, den irgendjemand darauf versetzte, zerbräche jemals eine Masche davon‘). 251 Hierzu Cormier: „[S]ince Vulcan’s anvil is described as being six feet wide and nine feet long […], one might indeed imagine Eneas’ sword and sheet as quite large also“ (s. Anm. 153, S. 105). 252 ne la tenist aciers ne fers, / ne nus escuz ne nus halbers (RdE 4519–4520: ‚weder Stahl noch Eisen hielten ihr stand, noch irgendein Schild, noch irgendein Panzerhemd‘). 253 Die Bedeutung der Neueinführung bleibt unklar. Ein grundlegender Kontext von militia und amor ist zwar durchaus gegeben: Herstellerin ist Pallas, Göttin der Künste und weise Kriegsgöttin, das Banner geht dann über zu Mars, ebenso Gott des Krieges, der es dann Venus ‚aus Liebe‘ (RdE 4525) gibt. Die symbolisierte Verknüpfung von Krieg und Liebe scheint jedoch durch die Ehebruchs-Geschichte (Mars und Venus werden in flagranti ertappt und – in einem Netz gefangen – öffentlich bloßgestellt; vgl. RdE 4349–4393) weitgehend konterkariert: Die

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Dinge als Erzählkonstituenten im ‚Eneasroman‘

Veldekes Darstellung orientiert sich grundlegend am ‚Roman‘. Zunächst beschreibt er den halsperch (ER 159,2–21), der ähnlich vast und scône ist wie der halbers (RdE 4415), der zudem ein hohes Maß an Tragekomfort bietet (man kann sich darin mit lîhter sterke bewegen wie in einem lîninen gewant) und dessen Schutzwirkung noch umfassender zu sein scheint.254 Dem folgen zwô hosen (ER 159,22–30) aus eisernen Ringen, die mit deheinen dingen zu dorchslahen oder dorchstechen sind. Eine stärkere Qualität lässt sich auch beim helm (ER 159,31–160,19) erkennen. Wo die französische Vorlage die Undurchdringbarkeit hervorhebt (RdE 4431–4434), macht der Helm hier sogar unbesiegbar: der in ûf hete gebunden, / in ne mohte niht verwunden, / hern worde ouch nimmer sigilôs.255 Anschließend beschreibt der Erzähler das prächtige swert (ER 160,20–31), dem sich kein Material der Welt widersetzen könne. Vulkanus’ Signatur und der ‚Testlauf‘ der französischen Fassung fehlen, stattdessen vergleicht Veldeke es mit weiteren berühmten Schwertern.256 Im Einzelnen erwähnt er Eckesas, Mîmink, Nagelrink, Haltecleir und Durendart. Die Bezugnahme auf Heldensagen, die Veldeke singulär zeigt, verankert Waffe und Träger in der Tradition bedeutender Heroen wie Dietrich von Bern oder Roland. Anders als diese Schwerter (man denke auch an Siegfrieds Balmunc) trägt Eneas’ Schwert aber keinen Namen; eine eigene Identität, die sich in den vergleichenden Bezugnahmen andeutet, wird dadurch wiederum relativiert.

Beziehung erscheint als illegitim, Mars und Venus werden ins Lächerliche gezogen. Damit gewinnt das Feldzeichen etwas Befremdliches, und das umso mehr, als es den Abschluss der Waffensequenz bildet. Es bliebe zu überlegen, ob der Erzähler damit auf die spätere (in der lateinischen Fassung ja nicht gegebene) Liebes-Beziehung zwischen Eneas und Lavinia verweisen möchte. Hier wird das Banner jedoch nicht mehr ins Spiel gebracht. 254 Der halsperch was des gût, / daz der man drinne was behût / vor aller slahte wunden / ze allen den stunden / daz hern an dem lîbe trûch (ER 159,5–9). Die Exponiertheit wird durch den vorausblickenden Erzählerkommentar (ER 159,16–19) unterstrichen (vil wol daz Turnûs bevant, / dô der hêre Ênêas / dâ mite gewâfent was, / dô her im sînen lîp nam), den Veldeke mit dem öffentlichen Lob der Rüstung neu einführt. 255 Veldeke tilgt die maritim-wunderbaren Elemente, stattdessen ziert den Helm bei ihm eine goldene blûme, in die ein rôter jachant eingelegt ist (ER 160,4–7). Aus edelsten Materialien sind auch, ähnlich wie im ‚Roman‘, diu lîste und daz halsbant (ER 160,8) sowie ringe und snûre (ER 160,14–17). 256 Mühlherr (s. Anm. 35) begreift Schwerter als „die am ehesten figurenanalog konzipierten Gegenstände“ (Anm. S. 260). Zum Motiv des Schwerts vgl. auch Sahm, Heike: Die Rolle Balmuncs im Nibelungenlied. In: Vielheit und Einheit der Germanistik weltweit (Akten des XII. Internationalen Germanistenkongresses Warschau 2010). Hrsg. von Franciszek Grucza u. a. Frankfurt a. M. 2012, S. 239–244. In kulturhistorischer Perspektive Grünzweig, Friedrich E.: Das Schwert bei den ‚Germanen‘. Kulturgeschichtliche Studien zu seinem ‚Wesen‘ vom Altertum bis ins Hochmittelalter. Wien 2009.

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Dem folgt – bei Veldeke stärker im Mittelpunkt 257 – der schilt von golde (ER 161,6–162,13), bei dem Vulkanus darauf achtgegeben hat, daz in nimmer dehein man / mit wâfen mohte enginnen. Voller Edelsteine ist der buckel, auf ihn ist ein rôt[er] lêwe gemalt.258 Neben dem edlen Material betont der Erzähler die Bedeutung, die der Schild für seinen Träger inkorporiert: swer sô in solde tragen, / der solde von rehte ein held wesen / [...] / daz was der hêre Ênêas. Er scheint also Eneas’ heroischer Disposition Vorschub zu leisten. Bemerkenswert ist dabei auch, dass Heldenhaftigkeit an ein defensives Requisit gebunden ist und nicht an eine Angriffswaffe. Deutlicher als in den Vorlagen ist Venus’ dezidierte Einflussnahme auf die Herstellung zu erkennen: Neben der Sicherheit soll es ihrem Sohn offenbar auch nicht an Komfort gebrechen: Die explizit auf sie zurückgehende (daz was der frouwen Vênûs rât) Gestaltung von gerieme und borde erfüllt ästhetische wie funktionale Ansprüche: swer den schilt fûrde, / daz in niht enrûrde / der borde noch daz leder, / unde daz in der deweder / an den hals niht enribe / und im diu hût ganz belibe. Die Stelle erinnert an die Beschreibung des brackenseils bei Dido: ezn mohte si niht gesnîden / an den arm noch an die hant (ER 61,32– 33). Das Heroische, das der Erzähler zuvor an den Schild bindet, wird dadurch zu weiten Teilen unterminiert, alles Archaische, das speziell die ‚Aeneis‘ in die Figur eingelagert hat, ist zurückgedrängt: Ein Held, bei dem die Mutter auf die Schonung der zarten Haut achtet? Wie in der französischen Vorlage werden die Waffen durch einen vanen259 von Venus komplettiert, die Lanze fehlt.

257 Die strukturelle Einbettung von Schwert und Schild differiert in den mittelalterlichen Werken. Der ‚Roman‘ beschreibt zuerst den Schild, um als Höhepunkt das Schwert folgen zu lassen. Die Gewichtung zeigt sich auch am Umfang, dem Schwert widmet er (Vulkanus’ Test, Schwertscheide und -gehänge mitgerechnet) 46 Zeilen (RdE 4469–4514), dem Schild 22 (RdE 4445–4468). Anders bei Veldeke: Der schilt (ER 161,6–162,13) folgt auf das swert (ER 160,20– 161,5), 48 Zeilen stehen 26 gegenüber. Wo der Anonymus die Angriffswaffe in den Vordergrund stellt, ist es bei Veldeke der Verteidigungsgegenstand. 258 Zu dieser Form der Heraldik Friedrich: „Das Wappen erfüllt gerade in Verbindung mit der Waffe eine zusätzliche mythische Funktion.“ Er vertritt dabei die These, dass „die Codierung der Waffen durch Tiere dem Adel eine überlegene Natur- und damit Herrscherqualität attestiert, die gewissermaßen das natürliche Pendant zur genealogischen Selbstvergewisserung bildet“ (s. Anm. 34, S. 206–207). Der rôte lêwe wäre demnach als Veldekes spezifisches Äquivalent zu Vergils Verweisstrukturen zu sehen, wenn es auch jene umfassende Dimension nicht erreicht. Im weiteren Verlauf taucht das Motiv völlig ab. 259 Zu den (Farb-)Implikationen von Schildschmuck und Fahne vgl. Stebbins (s. Anm. 114), S. 161–164. Sie setzt die Fahne in Bezug zum Schild, dessen roter Löwe ein Verweis auf den Kriegsgott Mars darstelle, der im ‚Roman‘ als früherer Besitzer in direktem Zusammenhang mit der Fahne steht. Für Veldekes Text scheint diese Argumentation wenig plausibel: Zum einen ist Mars bei der Fahnenbeschreibung (ER 162,17–38) gar nicht genannt (Veldeke übernimmt nur noch den Herstellungswettkampf zwischen Pallas und Arachne), damit erscheint hier eine

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Die Waffenübergabe ist in den mittelalterlichen Werken weit weniger spektakulär gestaltet als bei Vergil, der direkte Kontakt zwischen Götterhimmel und Erde fehlt. Bei Veldeke tritt, wie bei der Gestaltung des Schildes, Venus’ Rolle als ‚leitende Qualitätskontrolle‘ stärker in den Vordergrund: Sie erhält von Vulkanus die Waffen, diese werden von ihr beschouwe[t] und für lussam befunden (vgl. ER 162,39–163,7). Anschließend lässt sie einen Boten die Gegenstände überreichen, betont wird Eneas’ Freude wie auch die Notwendigkeit der Hilfslieferung.260 Ein Zwischenfazit: Vergil zeigt – speziell mit dem Schild – eine Aktualisierung des Fatums, was in Verbindung mit mütterlicher Zuwendung tapfere Siegesgewissheit hervorruft. Mit der Reduktion des Götterhimmels gewinnen die Rüstungsgegenstände in den mittelalterlichen Werken eine davon fast entkoppelte Eigenständigkeit. Sie haben extraordinäre Kräfte sowohl hinsichtlich Angriff als auch Verteidigung inkorporiert. Diese beiden Momente sind jedoch im ‚Roman‘ und bei Veldeke unterschiedlich gewichtet. Panzer, Schild und Helm sind im französischen Werk unzerstörbar. Im ‚Eneasroman‘ sind diese Qualitäten noch gesteigert, der Helm macht seinen Träger unbesiegbar, der schilt gar (erst) zum Helden. Das Schwert steht beim Anonymus im Zentrum, Vulkanus probiert es eigens aus und kennzeichnet sein Werk. Das fehlt im deutschen Text, hier versucht der Erzähler, Schwert und Träger in eine Reihe mit bedeutenden Heroen zu stellen, eine eigene Identität als Mitspieler des Helden gewinnt es indes nicht. Besonders ausführlich wird der Schild beschrieben – ein Verteidigungsinstrument, dem zudem noch der ‚mütterliche Wohlfühlfaktor‘ inhärent ist. Das erlaubt Rückschlüsse auf eine Verschiebung im Heldenbild: Wo Eneas im ‚Roman‘ das heroische Dispositiv Vergils noch stärker zu eigen scheint, wird das in der deutschen Fassung über vergleichende Bezugnahmen aktualisiert oder an die Rüstungsgegenstände gebunden. Veldekes Eneas ist demzufolge (noch) kein solcher Heros, sondern schutzbedürftiger Sohn. Entsprechend deutlicher steht ihm die Erleichterung und Freude ins Gesicht ge-

implizierte Assonanz von Krieg und Liebe mehr als fragwürdig. Zum anderen akzentuiert die Gestaltung der Rüstungsgegenstände, speziell die Fokussierung auf den Schild, eher ein defensives Moment. 260 Mitsamt der Botschaft, dass er bei Euander helfe unde trôst (ER 163,40) finde, daz gewâfen si dô sande / ir sune dâ her was. / des frowete sich Ênêas, / wandez was im vile nôt (ER 163,18– 21). Im ‚Roman‘ werden die Dinge wie selbstverständlich vom Gefolge begutachtet (vgl. RdE 4555–4558), schlicht heißt es: ‚Eneas hat die Waffen genommen, die seine Mutter ihm gesandt hatte; es ist nicht verwunderlich, wenn sie ihm gefielen‘ (RdE 4559–4561). Anders bei Veldeke: Die Rüstung wird zum Brennpunkt seiner Zuversicht (vgl. ER 164,10–11), die er mit der öffentlichen Begutachtung, die beinahe zur Pflichtveranstaltung wird, der Allgemeinheit zuteilwerden lässt: diu wâfen hiez her besehen / sîne lûte alle (ER 164,14–15).

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schrieben, als er mit dem vil liebe[n] mâre (ER 163,23) der Mutter in der Rüstung die materialisierte Hoffnung auf ein erfolgreiches Bestehen im Kampf erhält, die er auf sein Gefolge überträgt.

4.3.1.2 Mehrdimensionale Verstärkung: Der erste Kampfeingriff Venus’ Bedenken waren nicht unberechtigt; unmittelbar nach der Fahrt zu Euander, die Turnus zum mehrfachen Angriff auf Montalbane genutzt hat, wird Eneas mit dem Krieg konfrontiert. Die Rüstung ist dabei nicht nur mit Schutzwirkung versehen, vielmehr beeinflusst sie offenbar auch die mentale Verfassung des Helden. Speziell bei Veldeke wird indes deutlich, dass Eneas auch mit Rüstung keine konsequent unantastbare Position gewinnen kann, sondern auch noch seinem früheren Wesen verhaftet bleibt, das von Zurückhaltung, Besonnenheit sowie – man denke speziell an die Unterwelt – angest und vorhte gekennzeichnet war. Dennoch glaubt die Forschung, wie bereits dargelegt wurde, in der Rüstung ein Äquivalent seines Kampfesmuts zu erkennen: „Vulcanus’ Werk ist kein unverdientes Göttergeschenk, die Qualität der Rüstung entspricht der Tapferkeit des Helden.“ 261 Dieser Bezug von innerer Haltung und äußerlicher Manifestation ist indes insbesondere für den deutschen Text nicht fraglos anzunehmen, vielmehr scheint die Rüstung Eneas’ heldenhafte Tapferkeit erst hervorzubringen. Zur ‚Aeneis‘: Nach der Rückkehr aus Pallanteum werden die Ankömmlinge unmittelbar von Turnus angegriffen.262 Aeneas stürzt sich sofort in die Schlacht, schier unaufhaltsam tötet er zahlreiche Gegner. Der Grad seiner Kampfeswut ist bemerkenswert, ist es doch (abgesehen von den Geschehnissen in Troja) sein erster Auftritt als heroischer Krieger im gesamten Epos. Dabei zeigt sich, dass die göttliche Protektion anfangs über die Rüstung hinausgeht.263 Anschließend blendet der Erzähler auf das Kampfgetümmel und die Auseinandersetzung zwischen Turnus und Pallas. Auf dessen Tod folgt Aeneas’ blutrünstige Suche nach dem Täter. Der Kampf gegen Mezentius und Lausus264 bildet das vorgezeichnete Ende der Kampfhandlungen. 261 Lienert (s. Anm. 10), S. 86. 262 Die Rüstung ist in zeichenhafte Erkennungsprozesse eingebunden: Die Gefolgschaft identifiziert Aeneas anhand des Schildes, was Turnus’ Aufmerksamkeit aufs Meer lenkt, wo der Held anhand von Teilen der Rüstung eindeutig zu erkennen ist (vgl. Aeneis X, 260–275). 263 Der Erzähler berichtet vom Kampf gegen Phorcus’ Söhne: ‚Sieben sind sie an Zahl und schleudern sieben Speere; teils prallen diese wirkungslos von Helm und Schild zurück, teils lenkte sie die gütige Venus ab, wenn sie den Körper streiften‘ (Aeneis X, 329–331). 264 Die ‚gewaltige[ ] Rüstung‘ von Mezentius (Aeneis X, 768) scheint der göttlichen gegenübergestellt: An Aeneas’ Schild prallt der Speer gar ab und tötet einen Unbeteiligten, Mezenti-

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In seiner Rede vor den um Waffenstillstand bittenden Latinern bringt Aeneas seinen Rüstungsvorteil explizit zur Sprache: ‚si bellum finire manu, si pellere Teucros / apparat, his mecum decuit concurrere telis‘ (Aeneis XI, 116–117: „Wenn er den Krieg mit der Kraft seines Armes zu beenden, wenn er die Teucrer zu vertreiben sich anschickt, hätte er mit Waffen, wie ich sie trage, gegen mich antreten müssen“). Allerdings sind diese Worte wohl nicht nur auf die Rüstung als solche perspektiviert, sondern verdeutlichen Aeneas’ Gewissheit bezüglich der göttlichen Protektion im Gesamten – und damit der Unabwendbarkeit des Fatums. Auch in der französischen Adaption stellen die Kämpfe nach der Rückkehr von Euander Eneas’ erstes aktives Kriegshandeln dar. Der Enthusiasmus der Burginsassen lenkt den Blick auf die Ankömmlinge, der Angriff folgt, Turnus geht ‚mit der Lanze und mit dem Schwert‘ (RdE 5635) voran. Dann schwenkt der Erzähler auf Eneas, dessen Taten Vulkanus’ Praxistest des Schwerts gleichkommen.265 Wird in der Vorlage seitenweise von Aeneas’ Tötungen berichtet, richtet sich nun der Blick recht schnell auf Pallas. Wo der Held dessen Tod bei Vergil mit einer regelrechten Tötungsorgie vergilt, zeigt der Anonymus ihn zunächst als passiv Trauernden (vgl. RdE 5850–5856), dann macht auch er sich auf die Suche nach Turnus. Der exorbitante Rachefeldzug der ‚Aeneis‘ ist fast gänzlich getilgt, knapp heißt es ‚er trifft keinen, der es nicht büßte‘ (RdE 5860). Die folgende Auseinandersetzung mit Mesentiüs ist die erste konkret beschriebene Kampfhandlung des Helden im ‚Roman‘. Nun wird die besondere Wirkung der Rüstung deutlich, der Schild kann den gegnerischen Stoß problemlos ablenken (RdE 5866–5867). Wirkungsvoller ist Eneas’ Erwiderung (RdE 5870–5772). An die Stelle des verwundeten Vaters rückt Lausus. Eneas’ Schild bleibt unüberwindbar, nicht so die gegnerische Ausrüstung.266 Dann erschlägt

us’ Schild hingegen kann trotz stabilster Bauweise dem Wurf des Helden nicht standhalten (vgl. Aeneis X, 776–786). Lausus tritt an die Stelle seines Vaters, muss sich aber auch der Übermacht beugen. Als Mezentius erneut antritt, wird wieder die Kraft der Rüstung deutlich: Er schleudert Speer um Speer vergeblich auf den göttlichen Schild (sed sustinet aureus umbo; Aeneis X, 884), ungleich effektvoller ist Aeneas’ Schwert. 265 ‚Eneas schreitet durch den Kampf, er richtet dort eine große Zerstörung an, sein Schwert hat er dabei recht erprobt […]; wer einmal davon getroffen wird, braucht, wenn er recht davon erfasst wird, danach keine Hilfe mehr‘ (RdE 5647–5653). 266 Wobei nicht ganz klar wird, ob allein der Schild oder Lausus’ fehlende Präzision verantwortlich ist: ‚Lausus trifft ihn oben auf den Schild, auf die Spitze in der Mitte; wem macht das etwas aus? Mitnichten drang die Lanze dort ein […] und Eneas hat ihm mit großer Kraft auf den Schild geschlagen, sodass er ihn ihm zerbrochen und in Stücke geschlagen, den Kettenpanzer zerrissen und die Maschen zerfetzt hat‘ (RdE 5887–5894).

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Lausus das Pferd des Helden; das versetzt den so in Rage, dass er nun seinerseits vom Schwert Gebrauch macht – mit vernichtendem Resultat: ‚[E]r versetzte ihm einen solchen Schlag auf den Helm, dass das Schwert bis in die Zähne durchglitt‘ (RdE 5911–5912). Wie in der Vorlage will Mezentius den Sohn rächen, angesichts seiner Verwundung ein hoffnungsloses Unterfangen.267 Die Nacht setzt den Kämpfen ein Ende. Im ‚Eneasroman‘ startet Turnus den Angriff mit driu tûsent ritter[n] (ER 199,30). Wo der Held beim Anonymus zumindest kurz in die Auseinandersetzung eingreift, blendet der Erzähler in der deutschen Fassung sofort auf Pallas’ Kampf gegen Turnus. Von Eneas wird anfangs lediglich gesagt, dass er wol gewâfent was (ER 199,19), konkrete Erwähnung finden hingegen die Kampfhandlungen seines Kontrahenten, und zwar in einer Weise, die für Eneas wenig günstig ist und ihn ‚unter Zugzwang‘ zu setzen scheint: Turnûs liez dâ tôten / zweinzich stunt mêre / denne Ênêas der hêre (ER 202,2–4). Erst nach dieser auffälligen Kontrastierung, für die sich in den Vorlagen kein Vorbild findet, richtet sich der Blick auf Eneas, der die vîande [dorch] brach / dâ ez aller dickest was (ER 202,6–7). Die Ausrüstung kann offenbar zunächst mit dem Elan nicht mithalten: vil her ir dar nider stach, / unz daz im sîn spere brach (ER 202,11–12). Im Gegensatz zu den Vorlagen ist im deutschen Text bei der Beschreibung von Vulkanus’ Rüstungsgegenständen von einer Lanze nicht die Rede.268 Man muss daher davon ausgehen, dass Eneas an dieser Stelle eine profane Waffe nutzt, die dann zu Bruch geht, daraufhin greift er auf die wirkmächtigere göttliche zurück. Wir haben es also mit einer mehrfachen Steigerungslinie zu tun, an deren Ende der Gebrauch von Vulkanus’ Gaben steht – nun erst kommt die Epiphanie völlig zur Geltung: dô zôch der kûne Troiân daz swert, daz ime Volcân dorch minne hête gesant, daz fûrder bar an sîner hant, ez was lobelîch genûch.

267 Der Schild gewinnt bei weitem nicht die Relevanz wie in der ‚Aeneis‘, zwar schützt sich Eneas damit, angesichts der Schwäche des Schlages (zur Erinnerung: bei Vergil hat der Schild einen regelrechten Speerhagel auszuhalten) wirkt das aber beinahe überflüssig. Gleichwohl steht die Wirkungslosigkeit von Mezentius’ Schild dazu in Kontrast: Eneas’ Lanzenstoß dringt einfach durch (vgl. RdE 5981–5984). 268 Fromm findet das „eigentümlich“ (Stellenkommentar, S. 837), Veldeke scheint jedoch eine konsequente Erzählstrategie zu verfolgen, wenn er bei der Darstellung der göttlichen Waffen auf die Lanze verzichtet: Anders als bei den Vorlagen ist in allen wichtigen Kampfpassagen wie auch im Zweikampf gegen Turnus das göttliche Schwert Eneas’ zentrale Angriffswaffe.

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swen sô her dermite slûch, der ime ze rehtem slage quam, vil schiere er ime den lîp nam. (ER 202,13–20)

Zwar hatte er direkt zuvor schon zahlreiche Gegner getötet (vgl. ER 202,9–10); nun wohnt seinem Wirken aber beinahe etwas Übermenschliches inne: der helm ne was nie sô gût noch der îsenîne hût noch der halsberch nie sô vast, daz ez im holfe iht umb ein bast, wander hete vil grôze kraft. (ER 202,21–25)

Die vil grôze kraft ist offensichtlich an das Ziehen des Schwerts gekoppelt, dem damit ein zeichenhafter Charakter zukommt. Eneas scheint (zunächst) ganz in seiner neuen Rolle als heros aufzugehen: si wâren unzalehaft, / die vor im tôt lâgen (ER 202,26–27). Turnus’ Männer müssen erkennen, dass ihm nicht beizukommen ist, diejenigen, die am Leben bleiben, ergreifen dorch vorhte (ER 202,30) die Flucht. Die augenscheinliche Neuartigkeit seiner Erscheinung – auf einmal ist er kûne – wird besonders deutlich, wenn man sich vergangene Situationen ins Gedächtnis ruft. Vor dem Erhalt der Waffen war er nämlich mitunter durch genau die Haltung gekennzeichnet, die seine Kontrahenten nun an den Tag legen: angest und vorhte.269 Vor diesem Hintergrund wäre die Position von Annette Gerok-Reiter einer Revision zu unterziehen: „[D]er gewöhnliche, menschliche, verletzbare, also auch angsterfüllte Held gehört von vornherein nicht

269 Zwischen beiden Begriffen sind qualitative Differenzen zu ziehen: Wo vorhte sein nhd. Äquivalent findet, hat angest „im Mhd. nicht nur die nhd. Bedeutung Angst, Furcht, Besorgnis, sondern auch die der damit zusammenhängenden Bedrängnis“, vgl. Wolf, Beat: Vademecum medievale. Glossar zur höfischen Literatur des deutschsprachigen Mittelalters. Bern u. a. 2002, S. 9. Im Spannungsfeld von Angst und Bedrängnis ist auch Eneas’ emotionale Disposition zu verorten: In seiner Rede an die Gefährten in Troja redet er von angest (ER 19,23); Dido die Weiterfahrt mitzuteilen forhte[t] (ER 67,2) er. Anchises’ Erscheinung setzt den Rahmen für die Unterweltfahrt: ‚und engedenke niht an daz, / daz ez dir angestlîchen stêt‘ (ER 82,38–39). Der Auftrag scheint ihm vile freissam (ER 83,29) und ist ihm, wie der Anblick der Sibylle, ze angesten (ER 84,20). Der brennende Strom versetzt ihn mehrfach in vorhte (ER 89,29–90,5), ebenso wie der Anblick Charons (ER 94,8–10); vor Cerberus vorhte[t] er sich gar mehrfach (ER 97,14– 16; 98,30–31), und auch vor dem Zweikampf fällt er infolge der Verwundung wieder in diese Haltung zurück und ervorhte[t] sich (ER 313,36).

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zur interessierenden Personalausstattung mittelalterlicher Epik.“ 270 Betrachtet man speziell die wiederkehrende vorhte des Helden, scheint auch Kartschokes Einschätzung, dass „[e]inen Feigling auch die Kunst des Volcanus nicht [hätte] retten können“ (Stellenkommentar, S. 877), zumindest diskussionswürdig. Wenngleich Veldekes Eneas anfangs nicht direkt als Feigling erscheint 271, ist die diskrepante mentale Haltung mit und ohne Rüstung dennoch augenfällig und deutlich asymmetrischer als in den Vorlagen, und somit muss die bereits erwähnte – und die communis opinio der Forschung widerspiegelnde – Ansicht Lienerts, dass „die Qualität der Rüstung […] der Tapferkeit des Helden“ entspreche, ebenfalls relativiert werden, denn das als gerechtfertigte Auszeichnung Betrachtete bringt das scheinbar mit ihm Honorierte gerade erst hervor. Gleichzeitig ist der deutsche Held auch mit Rüstung nicht davor gefeit, in Bedrängnis zu geraten: Ascanius schickt seinem sich mit angesten (ER 202,34) auf dem Schlachtfeld befindenden Vater Verstärkungstruppen, davon war in den Vorlagen nichts zu erkennen. Kontrastiert wird die (antizipierte) Hilfsbedürftigkeit durch Pallas, der das fliehende troische here (ER 203,25) ermahnt und sich furchtlos gegen Turnus stellt, allerdings mit tödlichen Folgen. Ähnlich dem ‚Roman‘ schwankt Eneas darauf zwischen zorne und leide, auch hier folgt der Rachefeldzug, dem sich der Kampf gegen Mezentius anschließt. Ohne Zögern reitet Eneas ihn an, den ersten Stoß tut der Gegner, dessen sper zerbricht am göttlichen schilt (ER 211,35–39). Eneas erwidert den Treffer umgehend, das geschieht aber, obwohl der Erzähler die Aktion als harde ritterlîche (ER 212,1) bezeichnet, auf seltsame Art und Weise: sîn sper daz liez her senken nider, / wand ime der arm wunt was (ER 212,2–3). Anders als im französischen Text scheint es sich beinahe um eine Verlegenheitshandlung zu handeln, Eneas ist offenbar plötzlich mitgenommen – trotz Rüstung.272 Das ändert aber nichts daran, dass Mezentius verwundet das Feld räumen muss. An seine Stelle rückt der Sohn, auch dessen Speerstoß kann dem göttlichen Schild nichts anhaben, Eneas sticht Lausus vom Pferd, es folgt der Kampf zu Boden. Wo zuvor die Wirkung der Rüstung betont wurde, scheint nun der Erfolg auf Eneas’ eigene Fähigkeiten zurückzuführen zu sein, der baz vehten unde schirmen (ER

270 Gerok-Reiter, Annette: Die Angst des Helden und die Angst des Hörers. Stationen einer Umbewertung in mittelhochdeutscher Epik. Das Mittelalter 12 (2007), S. 127–143, hier: S. 129. 271 Insbesondere die Flucht aus Troja wird in der Forschung diesbezüglich kritisch betrachtet, vgl. v. a. Fromm (s. Anm. 226). 272 An dieser Stelle differieren die Handschriften, vgl. Behaghels Ausführungen (s. Anm. 159), S. 314: Während es bei Ettmüller (nach B,M,w) heißt, dass Eneas der Arm wunt gewesen sei (ER 212,3), lesen Behaghel und Frings/Schieb (nach G,H,h,E) want heme der arm mude (bzw. moede) was, was wohl die plausiblere Lesart ist, von einem Treffer war jedenfalls davor nichts zu erkennen.

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213,19) kann. Der Schwertschlag erzielt dennoch beinahe übermenschliche Wirkung.273 Mezentius will den Sohn rächen, angesichts der Verwundung eine tumbheit (ER 214,27). Er wird von Eneas getötet, die Dunkelheit beendet auch hier die Kämpfe. In allen drei Fassungen spielt die Rüstung in den ersten Kämpfen eine wesentliche Rolle. Bei Vergil ist speziell der Schild von herausragender Bedeutung, doch benötigt Aeneas anfangs noch Venus’ Unterstützung. Die mittelalterlichen Werke zeigen einen veränderten Heldentypus. Eneas ist kein rasender heros, sondern stärker auf ein menschliches Maß reduziert, das wird speziell bei Veldeke deutlich. In diesem Maße wird der göttliche Waffenvorteil umso notwendiger. Und gerade diese Form eines Abhängigkeitsverhältnisses – so meine These – macht auch erklärbar, warum die siegesgewisse Bezugnahme auf die Waffen, die Vergils Held klar zur Sprache bringt, in beiden mittelalterlichen Werken fehlt. Das Affektiv-Heroische, das dem lateinischen Helden zu eigen ist, scheint im ‚Roman‘ und bei Veldeke teilweise auf Pallas verlagert, der seinen forschen Eifer aber mit dem Leben bezahlt. Dennoch kann auch der mittelalterliche Eneas zur Furie werden, allerdings nicht so exorbitant wie bei Vergil. Speziell Veldeke führt einen Zusammenhang zwischen göttlichen Waffen und persönlicher Haltung vor Augen, was durch vorherige Kontrastperspektiven besonders akzentuiert erscheint. Die Rüstung korreliert dabei nicht durchgängig mit dem Heroischen – ein facettenreiches Heldenbild, das sich zwischen den Polen Stärke und Tapferkeit, Hilfsbedürftigkeit und Schwäche bewegt.

4.3.1.3 Mangelnder Schutz: Der Pfeilschuss auf Eneas Die handlungstechnische Bedeutung der Rüstung wird besonders durch eine Szene deutlich, die den Helden (weitgehend) schutzlos zeigt. Im ‚Eneasroman‘ wird diese Konstellation noch dadurch verstärkt, dass der Erzähler dem ungerüsteten Helden seinen Widersacher kontrastiv gegenüberstellt. Ich konzentriere mich daher im Folgenden primär auf Veldekes Text. Vor dem Zweikampf entbrennt zwischen den Lagern plötzlich Streit. Eneas will seine Leute zur Räson rufen und wird dabei von einem (im deutschen Werk vergifteten) Pfeil getroffen. Der Erzähler verknüpft das Unglück kausal mit der mangelhaften Ausrüstung:

273 mit dem scharphen swerde, / daz Ênêas an der hant trûch, / dorch den helm her in slûch / einen freislîchen slach, / daz her tôt vor ime lach (ER 213,24–29).

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Daz aber der hêre Ênêas dar ungewâfent komen was, des gewan her schaden vile grôz. ein schutze im dorch den arm schôz mit eime geluptem phîle. (ER 313,19–23)

Diesen expliziten Verweis auf unzureichenden Schutz zeigt ausschließlich Veldeke. Die Gründe für Eneas’ Versäumnis liegen mehr oder weniger klar in der Hektik der Situation begründet.274 Die Beschreibung ungewâfent ist unscharf, genaugenommen greift er nämlich nicht ganz ohne Ausrüstung ein, sondern trägt Vulkanus’ Schild bei sich.275 Der wird zwar in beiden Fassungen als undurchdringbar beschrieben (vgl. RdE 4452–4454; ER 161,10–11), Schutz kann er aber freilich nur dort gewährleisten, wo der Träger ihn dem Angriff entgegensetzt, das hauptsächliche Problem scheint daher das Fehlen des halsperch[s] zu sein.276 Das fahrlässige Unterlassen des Wappnens wird in der kontrastiven Schilderung des Kontrahenten bei Veldeke augenfällig akzentuiert. Als Turnus von Eneas’ Lage erfährt, freut er sich, sîn gemûte hô (ER 314,36) verleitet ihn aber nicht zur Nachlässigkeit: her wâfende sich sâ zehant, / sînen helm her ûf bant, / sîn îsenhosen leit her an (ER 314,37–39). Wie wichtig das ist, zeigt der Kampf gegen Neptanabus. Dessen Lanzenstich lässt Turnus ungerührt, wande sîn schilt der was vast (ER 317,10). Der adäquate Schutz ist Voraussetzung für den vernichtenden Gegenschlag mit einem wol geslihten spiez (ER 317,15). Bei genauer Betrachtung fällt auf: Die für Turnus’ Erfolg maßgeblichen Dinge entsprechen exakt der Ausrüstung, die Eneas bei sich führt: Schild und Lanze. Die weitere Ausstattung scheint den Kampf kaum weiter zu beeinflussen. Weshalb also siegt Turnus hier, während Eneas schwer verwundet wird?

274 Dass die Kontrahenten den Platz zunächst nicht in voller Montur betreten, wird bei Veldeke nicht so deutlich wie im ‚Roman‘ (vgl. RdE 9289–9295) und bei Vergil (vgl. Aeneis XII, 161–215). Dennoch gilt auch hier, dass Eneas beim Ausbruch der Kämpfe in höchster Eile reagieren muss, zum Anlegen der Rüstung bleibt offenbar keine Zeit (vgl. RdE 9449–9461; ER 312,25–313,15–19). 275 Im ‚Roman‘ hat er son escu (RdE 9452) bei sich, die Erzählerbeschreibung toz desarmez (RdE 9449) ist also auch hier nicht ganz korrekt. Bei Veldeke greift er sich zudem noch eine Lanze: Den schilt her an den hals hienk, / ein sper her in die hant gevienk (ER 313,5–6). 276 Der ‚Roman‘ schildert den halbers als undurchdringbar (vgl. RdE 4418–4424), bei Veldeke ist der Träger vor jeglicher Verwundung behût – aber eben nur zu den stunden, wo er ihn an dem lîbe trägt (vgl. ER 159,5–9). Auch der helm hätte, so lässt die Beschreibung schließen, universalen Schutz geboten (vgl. ER 159,33–35), Eneas hat ihn aber offenbar nicht auf.

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Insbesondere der deutsche Text, so meine These, legt nahe, dass der kommende Herrscher Italiens höchsten Anforderungen zu genügen hat: Während der Trojaner nur Schild und Speer bei sich führt, ist Turnus gewissenhaft um umfassenden Schutz bemüht, und das wird narrativ honoriert. Gleichzeitig wird damit die besondere Bedeutung der Rüstung unterstrichen. Das zeigt sich im Anschluss an die Heilung; für Turnus unerwartet kann Eneas nämlich gerettet werden – und zeigt sich lernfähig. Offenbar hat er die eindringliche Warnung verstanden, das muss auch sein Kontrahent erkennen: dâ widerreit in Ênêas, wol gewâfent her was, […] dô des Turnûs wart gewar, daz der hêre Ênêas gewâfent unde genesen was, don trouwete er sich niht erneren. (ER 318,25–31)

4.3.1.4 at perfidus ensis: Turnus’ Schwert bei Vergil Nach der Genesung des Helden und dem folgenden Vergeltungszug willigt Turnus in den Zweikampf ein. Wie zu erkennen war, ist die Rüstung des Helden bei Vergil weniger magisch-eigentätig gezeichnet als in den mittelalterlichen Werken. Das zeigt sich auch im finalen Zweikampf, wo bei Vergil der Sieg des Helden mit zunehmendem Verlauf kaum mehr zur Disposition steht. Dabei rückt jedoch das Schwert seines Kontrahenten in den Fokus, das unterschiedlichste Interpretationsangebote bereithält. In der ‚Aeneis‘ stellt der Zweikampf das Ende einer gegenseitigen Suche dar. Mit unvermittelter Heftigkeit dringen beide aufeinander ein. Turnus holt zu einem gewaltigen Schlag aus – da zersplittert die Klinge: at perfidus ensis frangitur in medioque ardentem deserit ictu, ni fuga subsidio subeat. (Aeneis XII, 731–733: ‚Doch die verräterische Klinge zerbricht und lässt den feurigen Kämpfer mitten unter dem Hieb im Stich: Nun kann ihm nur die Flucht helfen.‘)

Während Aeneas mit seiner Rüstung göttliche Hilfe erfährt, haftet seinem Kontrahenten hier das Verhängnis an: Das Schwert entzieht ihm unvermittelt die Unterstützung. Bemerkenswert ist dabei, wie der Text die Identität des Schwerts (zunächst) verunklärt und damit ein Spannungsfeld aufbaut zwi-

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schen göttlicher Lenkung und Zufall. Denn nicht nur Aeneas – das erfährt der Leser aber eher en passant – verfügt über göttliche Waffen, auch Turnus besitzt ein ‚Schwert, das der feuerbeherrschende Gott eigenhändig für seinen Vater Daunus geschmiedet hatte und noch glühend in die Wellen des Styx getaucht hatte‘ (Aeneis XII, 90–91). Allerdings, so der Erzähler, ‚geht die Sage‘, dass Turnus einer fatalen Verwechslung zum Opfer gefallen sei: Im Eifer des Gefechts – zwischen den Truppen war ja kurz vor dem Zweikampf urplötzlich wieder der Kampf entbrannt – habe er ‚das Schwert des Vaters vergessen und stattdessen hastig die Klinge seines Wagenlenkers Metiscus ergriffen‘ (vgl. Aeneis XII, 735–741). Was lässt sich aus diesen Informationen folgern? Geht man von der zweitgenannten Option aus, wäre der Verlauf mehr oder weniger konsequent auf die finale Erzählstruktur ausgerichtet: Die profane Waffe hat gegen Aeneas’ göttliche Rüstung, d. h. Vulkanus’ Helm, schlicht keine Chance. In Buch IX macht Turnus ja selbst deutlich, dass er sich hinsichtlich der Ausrüstung gerade in Opposition sieht zum göttlich protegierten Aeneas: ‚Non armis mihi Volcani est‘ (Aeneis IX 148–149: „Ich brauche keine Waffen des Vulkanus“). Auch beim Rüsten vor dem Zweikampf wird nicht erwähnt, dass sein Schwert göttlicher Herkunft wäre (vgl. Aeneis XI, 486–491). Diese Sachlage wird aber nun erzählerisch grundsätzlich im Unklaren belassen, da der Erzähler die Verwechslungsgeschichte offenbar nur vom Hörensagen kennt (fama est; Aeneis XII, 735) und nicht selbst verifizieren kann. Der Rezipient kann also zumindest annehmen, dass Turnus ebenfalls in göttlichen Waffen kämpft. Zunächst zurück zum Text: Die geschilderte Passage ist die entscheidende Stelle im Zweikampf, im Anschluss daran ist Turnus praktisch besiegt. Und hier erhellt sich auch die Identität des Schwerts bzw. der Schwerter, denn zurückweichend verlangt Turnus noch sein ‚berühmtes Schwert‘ (notum ensem; Aeneis XII, 759).277 Offenbar war das zerborstene also doch das des Wagenlenkers, erst jetzt hat er das göttliche Schwert in den Händen. Das spielt aber nun kaum noch eine Rolle. Ein letztes Mal greifen die Götter direkt ein und bewaffnen beide Kämpfer: Aeneas will seine im Boden steckende Lanze herausziehen, der Gott Faunus lässt das nicht zu. Turnus bekommt von Iuturna sein

277 Hier lassen sich Parallelen zum ‚Nibelungenlied‘ ziehen: Hagen schleudert Siegfried dessen gêr durch die markierte Stelle am Rücken, darauf sucht Siegfried wie von Sinnen seine Waffen (der fürste wânde vinden | bogen oder swert; NL 983,3), die hatte Hagen aber kurz zuvor davongetragen (vgl. NL 977,1–983,4), so bleibt ihm nichts anderes mehr übrig, als mit des schildes rant (NL 984,2) anzugreifen. Der Erzähler lässt keine Zweifel darüber, was dem Untergebenen Gunthers sonst geblüht hätte: het er daz swert enhende | sô wær’ ez Hagenen tôt (NL 986,3).

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Schwert, darauf löst Venus die Lanze (vgl. Aeneis XII, 766–790). Juppiter setzt dem Treiben schließlich ein Ende und sendet einen Dämon in Vogelgestalt, starr vor Entsetzen weiß Turnus nun endgültig um sein Schicksal. Aeneas zögert nicht und dringt auf seinen Gegner ein. Es ist bezeichnend, dass Turnus nun das ‚richtige‘ Schwert in den Händen hält, dieses aber nicht mehr zur Anwendung bringt bzw. bringen kann. Vor dem beschriebenen göttlichen Zeichen Juppiters hatte der Erzähler Turnus noch als ‚auf sein Schwert vertrauend‘ (Aeneis XII, 789) charakterisiert, das ist nach dieser göttlichen Intervention offenbar nicht mehr der Fall. In seiner Verzweiflung greift er sich stattdessen einen Felsbrocken, doch seine Kräfte versagen. Der Held schleudert darauf die ‚todbringende Lanze‘ (telum fatale; Aeneis XII, 919), die Turnus’ Schild durchschlägt und in den Oberschenkel dringt. Er will fast schon den flehenden Worten nachgeben, da erblickt er das Wehrgehänge, das einst Pallas gehört hatte, und tötet Turnus mit einem Stich in die Brust. Was lässt sich nun aus der Zeichnung von Turnus’ Schwert(ern) ableiten? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Aeneas’ Einzigartigkeit, die in den Waffen angelegt ist, in Teilen dadurch relativiert wird, dass Turnus – wenn auch (nur) durch den Übergang des Besitzes seines Vaters auf ihn – ebenso ein Schwert von Vulkanus besitzt bzw. besitzen darf. Denn damit bewegt sich der Text in einem letztlich kaum auflösbaren Dilemma: Die göttlichen Waffen sind ja eigentlich unbesiegbar, entsprechend würde sich eine Patt-Situation ergeben, denn indirekt würde Vulkanus ja gegen sich selbst kämpfen. In diesem Zusammenhang erscheint es bezeichnend, dass die beiden Schwerter des Vulkanus nach Juppiters schlussendlichem Machtwort 278 nicht direkt aufeinandertreffen, selbst in dem Moment nicht, als Turnus ‚sein‘ Schwert in der Hand hat. Zwar könnte man daraus folgern, dass es eben gerade dann auf die persönlichen Fähigkeiten jedes einzelnen der beiden Kämpfer ankäme, eine solche Lesart wird von der Erzählung – exemplarisch in der Szene des Schwert-Splitterns – aber konsequent unterlaufen. Setzt man in den Waffen ein noch stärkeres mythisches Eigengewicht an (d. h. ein unmittelbares Wirken der Götter), dann ist mit dem Zersplittern von Turnus’ Schwert das Fatum innerhalb der erzählten Welt manifestiert: Die Götter haben entschieden.

278 In einer längeren Passage wörtlicher Rede macht Juppiter gegenüber Iuno deutlich, dass der Sieger Aeneas feststeht, dabei findet auch Turnus’ Schwert nochmals Erwähnung: „Du selbst weißt und gibst zu, es zu wissen, dass Aeneas als schirmende Gottheit für den Himmel bestimmt ist und durch sein Fatum zu den Sternen erhoben wird. […] Gehörte sich’s denn, dass ein Gott von der Hand eines Menschen verwundet wurde? Oder dass Turnus das vermisste Schwert […] übergeben wurde und die Besiegten neue Kraft gewannen? […] Das Maß ist voll. […] Noch weiter zu gehen verbiete ich“ (Aeneis XI, 792–806).

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Und diese Handlungslenkung des Olymps, die insbesondere nach dem Zersplittern des Schwerts unmittelbar manifest wird, lässt sich durch ein weiteres bemerkenswertes Detail noch unterstreichen: Denn als Grund dafür, dass Turnus sich offenbar das falsche Schwert nimmt, wird die plötzliche Truppenauseinandersetzung angegeben. Dieser Tumult ist aber wiederum das Resultat göttlichen Eingriffs: Iuturna hatte auf Befehl der Iuno gezielt Zwietracht gesät (vgl. Aeneis XII, 134–160 und 216–237). Aus dieser Perspektive verfestigt sich der Eindruck, dass Turnus nicht mehr ist als ein Spielball der Götter, die letztlich alle (direkt oder indirekt) auf das festgelegte Ziel hin handeln. Wir haben es hier mit einem höchst komplexen Zusammenspiel von Dingen sowie menschlichen und göttlichen Erzählfiguren zu tun. In der Gleichzeitigkeit von mythischen Geschehensfaktoren (Götterwirken) und eher rationalen Begründungszusammenhängen (Zerbrechen des Schwerts als bloßer Zufall) werden dem Rezipienten mehrere Deutungsangebote gemacht. Entsprechend zeigt sich hier aus erzähltheoretischer Sicht ein Nebeneinander von kausaler, finaler und ästhetischer Motivierung. Denn das Zerbrechen des Schwerts steht zwar im Einklang mit dem Fatum, ein unmittelbarer Einfluss des Olymps ist in diesem Moment aber nicht erkennbar (dieser folgt erst kurz darauf und war auch im Vorfeld sichtbar). Im Gegenteil versucht die Erzählung, die offenkundige Kohärenz von Geschehen und göttlicher Lenkung (d. h. die Wirksamkeit des Fatums) mit einer subtilen Materialermüdung zumindest in Teilen plausibel zu machen. Dennoch wird dieses Ding zum Kollaborateur Juppiters und damit zu Turnus’ Opponent (vgl. S. 19–22), und auch das göttliche Schwert kann ihm letztendlich nicht mehr helfen.

4.3.1.5 wander gewâfent wole was: Eigenwirkung von Eneas’ Rüstung Gegenüber der ‚Aeneis‘ erscheint die finale Struktur in den mittelalterlichen Fassungen retardiert. Turnus’ Schwert hat nicht mehr die Polyvalenz wie in der antiken Erzählung. Stattdessen erscheint die ‚göttliche Lenkung‘ weitgehend auf eine besondere Wirksamkeit von Eneas’ Rüstung disponiert. Was im ‚Roman‘ mit der unantastbaren Stellung des Helden zu korrespondieren scheint, wird bei Veldeke problematisch. Die mittelalterlichen Fassungen tilgen die göttliche Einflussebene fast vollständig, womit zumindest in Teilen ein motivationales Vakuum eröffnet wird. Sie verleihen dem Zweikampf offizielleren Charakter und verknüpfen ihn mit der Liebeshandlung.279 Es beginnt mit Tjostieren, Turnus’ Lanzenstoß kann dem 279 Das zeigt sich im ‚Roman‘ bei Lavinias Monolog, in dem sie imaginierte Liebesgaben auf Eneas’ Rüstung und Kraft bezieht: Ihr ‚Ärmel‘ solle als Verstärkung der Lanze dienen, ihr

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halbers (RdE 9704) nichts anhaben, es folgt der Schwertkampf zu Boden. Den ersten Schlag führt auch hier wieder Eneas’ Gegner, er trifft ihn auf den göttlichen Schild, das Resultat steht in augenfälligem Kontrast zur Revanche: Onkes de cel colp n’i parut, in ne fendi ne il ne frut, et Eneas le referi desor l’elme del branc forbi; un quartier l’en a abatu; li cols descendi sor l’escu, de l’une part l’eschantela. (RdE 9715–9721: ‚Von jenem Schlag wurde darauf nicht das Geringste sichtbar, weder spaltete er ihn, noch zerbrach er ihn, und Eneas schlug ihm seinerseits mit dem blanken Schwert auf den Helm; ein Viertel davon hat er ihm heruntergeschlagen.‘)

Dass hier ein offensichtliches Mißverhältnis vorliegt, ist auch Turnus klar, der Schrecken steht ihm ins Gesicht geschrieben (vgl. RdE 9722–9726). Dennoch nimmt er alle Kraft zusammen und versetzt Eneas einen schweren Hieb: fiert Eneas en l’elme sus, onkes mie n’en esgruna, mais l’espee parmi brisa; a terre chiet une meitiez. (RdE 9732–9733: ‚er trifft Eneas oben auf den Helm, er wurde dadurch keineswegs schartig, aber das Schwert brach mittendurch; eine Hälfte fällt zu Boden.‘)

Wie in der lateinischen Fassung zerbricht das Schwert des Turnus. Das ist hier jedoch ganz anders begründet: Während bei Vergil das Schwert unter dem Schlag splittert, ist in der französischen Fassung die Härte des göttlichen Helms ursächlich. Der mythische ‚Eigensinn‘ des Dings wird so teilweise rationalisiert und verlagert auf die Festigkeit eines (allerdings auch mythisch beladenen) Gegenstands. Turnus ist nun der Verzweiflung nahe: Nicht nur zeigt sich Eneas völlig ungerührt, er selbst hat keine Angriffsmöglichkeit mehr. Drohend stellt sich der Trojaner mit der lance vor ihn, in seiner Not ergreift er ‚einen großen Stein‘ (RdE 9755–9757). Wo Turnus in der ‚Aeneis‘ des Wurfs

‚Kopfschmuck‘ als Verbesserung der Schwertschärfe (vgl. RdE 9329–9342). Veldeke baut das aus: Ihr hârbant solle sein houbet vor Verwundung schützen, ihr rîse die Lanze festigen, ihr Ärmel seine Stärke erhöhen, ihr vingerlîn seine Leistung und die seines Schwertes verbessern, ihr borden ihm mehr maht unde sin verleihen. Die Selbstvorwürfe, ihm diese talismanartigen bzw. gar fetischisierten Dinge nicht gegeben zu haben, münden in der Gewissheit: ‚her hât iedoch mînen brief und sal deste sterker sîn / und deste kûner sibenwarf‘ (vgl. ER 324,4 und 6–7).

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kaum noch mächtig ist, schleudert er ihn jetzt mit voller Wucht auf den Helden – umso stärker wird die Schutzwirkung des Schildes akzentuiert: ‚er zerbrach ihn nicht, noch spaltete er ihn, noch wurde von dem Schlag irgendeine Spur darauf sichtbar, noch wich Eneas um einen Fuß zurück‘ (RdE 9764–9766). Dem folgt als entscheidender Konter, fast identisch zur ‚Aeneis‘, der Lanzenwurf durch den Schild in den Oberschenkel von Turnus. Die Angst im Gesicht, erbittet der Geschlagene Gnade, der Held bekommt Mitleid, das beim Anblick von Pallas’ Ring in erbarmungslose Wut umschlägt: ‚[M]it dem Schwert, welches Vulkan schmiedete‘ (RdE 9813), enthauptet er Turnus. Wo Turnus im ‚Roman‘ völlig chancenlos ist, wird er im deutschen Text als dem Helden nahezu gleichwertig gezeichnet. Damit scheint in der Rüstung im ‚Eneasroman‘ nicht mehr nur die göttliche Festlegung auf, sondern auch ein salvatorisches Moment. Schon zu Beginn des Kampfes stellt der Erzähler weitgehende Übereinstimmungen zwischen beiden Kontrahenten heraus, die sich auch in der Rüstung widerspiegeln: ir beider wâfen wâren gût (ER 324,24). Den ersten Stich führt Turnus so kraftvoll, daz der schaft von dem stiche brach (ER 325,6), der Held erwidert den Angriff und sticht ihm dorch den schilt (ER 325,10). In einem Einschub verweist der Erzähler auf die Undurchdringbarkeit des göttlichen Schildes (ER 325,11–16) – um eine Unverwundbarkeit direkt im Anschluss zu relativieren: iedoch stach ir ietweder / den anderen dar neder, / daz ez vil lûte sâgen (ER 325,17–19). Zwar ist der Schild selbst nicht zu durchschlagen, Eneas ist dennoch nicht vor äußerer Gewalteinwirkung gefeit, was durch die betonte Öffentlichkeit besonders ins Auge fällt. Auch beim Bodenkampf versucht der Erzähler, eine prinzipielle Asymmetrie zu glätten. Beide Männer sind als degene gûte bezeichnet und greifen einander mit grimmigeme mûte (ER 325,27–28) an. Fast gleichzeitig greifen sie zu den Schwertern. Ein wesentlicher Vorteil ergibt sich für Eneas zunächst nicht, denn obgleich seine Waffe speziell als vil gût (ER 325,32) charakterisiert wird, ist der Kampf völlig ausgeglichen: si gâben unde nâmen / slege grimme unde grôz (ER 325,38–39). Es wird deutlich, dass der ‚Eneasroman‘ eine gänzlich andere Konzeption von Turnus – und damit auch von Eneas – verfolgt. Wo Turnus erhöht, ihm gleichgesetzt wird, wo seine Waffen (zunächst) mit den göttlichen mithalten können, wird die unantastbare Stellung des Helden auf ein Maß reduziert, das beiden Kämpfern ein Maximum an Ehre und Tapferkeit zugestehen kann. Anders als in beiden Vorlagen ist Veldekes Held mit einem Gegner auf Augenhöhe konfrontiert; unze vil nâch zû der naht (ER 326,13) lässt sich kein Sieger ermitteln, da Turnûs gnendechlîche vaht (ER 326,14). Allerdings sieht sich auch Veldeke stofflichen Zwängen gegenüber: Eneas muss siegen. Diese unvermeidliche Wendung scheint nun speziell in der deutschen Fassung nicht in den Figuren selbst zu suchen zu sein. Der Darstellung des tapfe-

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ren Turnus stellt der Erzähler einen Kommentar gegenüber, der beinahe als Entschuldigung wirkt: Dô het aber Ênêas ein gewâfen daz sô gût was, […] wandez ime den lîb behilt vor Turnô zû den stunden: hern moht sîn niht verwunden. (ER 326,15–22)

Was der ‚Roman‘ schlicht im Kampf vor Augen führt, wird hier erklärungsbedürftig: Turnus scheitert nicht an der Gewalt des Gegners, sondern an dessen göttlicher Rüstung, was der Erzähler seinem Publikum durch eine bemerkenswerte Strategie nahebringt. Denn er flicht die zitierte Erläuterung in genau dem Moment ein, in dem der Held an die Grenzen seiner Kraft gelangt. In dem Maße, wie beide Kämpfer einander angenähert werden, wird die im Stoffzwang begründete Überlegenheit des Helden noch stärker als im ‚Roman‘ auf die göttlichen Gegenstände übertragen, die dadurch (fast) eigenständigen Status gewinnen: Im ‚Eneasroman‘ kämpft kein Held in Rüstung, sondern Eneas und die Rüstung: Im Rekurs auf des Trojaners gewâfen weist der Erzähler auf die Aussichtslosigkeit von Turnus’ Bemühungen hin und bindet dessen Tod kausal daran: her noch dehein man, / der ie den lîb gewan, / ne mohtes niht zebrechen, / dorchslahen noch dorchstechen. / des verlôs Turnûs sîn leben (ER 326,23–27). Angesichts dieses Befunds muss der Einschätzung von William McDonald, „the narrator urges the reader to recognize that Turnus holds his fate in his own hands“ 280, entschieden widersprochen werden. Nun kann sich auch hier das Unvermeidliche vollziehen. Turnus holt mit grôzer gewalt (ER 327,2) zum Schwertstreich aus und versetzt Eneas einen slach wol ze lobene / ûf den helm obene (ER 327,9–10), der ist jedoch sô herde / daz her sich niene gebouch (ER 327,12–13). Wo der Anonymus eine unmittelbare Reaktion zeigt, fügt Veldeke ein psychologisches Moment ein: Turnus freut sich, Eneas ist das leit (ER 327,18); bevor er jedoch zum Gegenschlag ausholt, richtet sich sein Blick auf die Geliebte: dô gesach der helt balt […] Lavînen zû dem venster stân: des gewan der helt gût grimmigen hôhen mût,

280 McDonald (s. Anm. 245), S. 88.

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wand im diu maget lieb was. dô rach sich hêr Ênêas (ER 327,20–26)

Der Anblick der im Fenster wie in einen Bilderrahmen gefassten Lavinia281 verleiht ihm die nötige Aggressivität, auf Basis dieser emotionalen Aufladung schlägt er Turnus nun seinerseits einen freislîch[en] swank auf das houbet (ER 327,28–32) – mit ungleich heftigerem Resultat.282 Er ist nicht nur besser geschützt als sein Kontrahent, er kann (jetzt) auch wirkungsvollere Schläge erzielen, Angriffs- und Verteidigungsfähigkeit sind zwischen beiden Kämpfern in der Form eines kontrastiven Parallelismus angeordnet. Turnus wird angesichts der umfassenden Schlagwirkung angest, er will aber niht verzagen (ER 328,2–8). Der Erzähler bezeichnet ihn als helt gût (ER 328,9) – genauso hatte er kurz zuvor Eneas bezeichnet – und schreibt ihm eines lewen mût (ER 328,10) zu: Nochmals attackiert er mit slegen freislîchen, nochmals betont der Erzähler die Vorbestimmung, die dagegensteht (vgl. ER 328,12–17). Der folgende Hieb enebene an daz houbet des Helden verpufft aber nicht wie im ‚Roman‘, im Gegenteil wird Eneas stark in Mitleidenschaft gezogen, er [mohte] niht langer [ ] stân und ist so betoubet, dass er ûf die knie sinkt (ER 328,18–24). Der Helm ist überlebenswichtiges Requisit, ohne ihn, so betont der Erzähler, wâre [her] ouch des slages tôt (ER 328,26). Die Wirkung der Rüstung tritt hier besonders deutlich zutage: Turnus schlägt, trotz dessen, dass er kurz zuvor selbst heftig getroffen wurde, mit voller Kraft zu und erzielt eine deutliche Wirkung. Ruft man sich die Herstellungsbeschreibung ins Gedächtnis, muss das verwundern, wurden die Gegenstände doch mit solcher Valenz geschildert, dass am überlegenen Sieg des Helden kaum Zweifel bestehen

281 Diese Passage stellt das Pendant zur vorangegangenen Szene des Verliebens dar. Hierbei reitet Eneas vor der Burg, Lavinia richtet ihren Blick von dem venster dâ si lach (ER 276,9) auf ihn und ist sofort in Liebe entbrannt (ähnlich im ‚Roman‘, vgl. RdE 8047–8051). Lavinias Fenster fungiert in beiden mittelalterlichen Erzählungen als Verbindungsglied zweier Handlungsräume, dem geschützten Wohnbereich sowie dem prinzipiell unsicheren Raum außerhalb der Burg. Auf diese Weise werden zwei Herrschaftsbereiche (die alte Latinus-Herrschaft und Eneas’ kommende Herrschaft) miteinander verknüpft. Zudem ist das Fenster als Eingangstor der (zunächst weitgehend optisch motivierten) minne gezeichnet. Zum literarischen Motiv des Fensters vgl. Rutschky, Michael: Aus dem Fenster schauen. Merkur 59 (2005), S. 1007–1016. In mediävistischer Perspektive Jackson, Timothy R.: Zwischen Innenraum und Außenraum. Das Motiv des Fensters in der Literatur des deutschen Mittelalters. In: Innenräume in der Literatur des deutschen Mittelalters. Hrsg. von Burkhard Hasenbrink u. a. Tübingen 2008, S. 45–65. 282 des helmes her im abe schriet / vil nâch einer hende lank. / [...] / her verschriet im ouch die ringe / bî dem houbete ein teil. / [...] / von dem houbete gienk der slach / Turnô in sînes schildes rant, / den slûch im der wîgant / Ênêas halben hin dane (ER 327,30–328,1).

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konnten. So hieß es beipielsweise zum Helm: der in ûf hete gebunden, / in ne mohte niht verwunden, / hern worde ouch nimmer sigilôs (ER 159,33–35). Dies ist aber nun augenscheinlich nicht der Fall, zumindest ist die Unmöglichkeit der Verwundung deutlich relativiert. Es wird klar: Die Rüstung wirkt nicht proaktiv oder prophylaktisch, vielmehr muss Eneas – anders als in beiden Vorlagen – an die Grenzen seiner Belastbarkeit gehen. Auf dieser Basis ist die Rüstung dann aber ultima ratio: Wo in der ‚Aeneis‘ Venus helfend eingreift, ist das unterstützende Moment nun auf die göttlichen Dinge verschoben, die wie ein ‚großer Bruder‘ wirken. Eneas profitiert aber nicht nur von der Rüstung, sondern auch davon, dass Turnus gerade in dem Moment, wo er seinen Gegner offenbar entscheidend in Bedrängnis gebracht hat, wie in den Vorlagen das Schwert zu Bruch geht. Diese zwei Momente führt der ‚Eneasroman‘ nebeneinander (wan daz in generde / der veste helm und herde, / [...] / und ouch daz Turnô sîn swert brach; ER 328,30), die Materialermüdung wird also in keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Rüstung gebracht. Veldeke bindet hier wieder die mythischen Zusammenhänge der ‚Aeneis‘ ein, ohne die göttliche Kraft des Helms, wie sie in der französischen Fassung zu finden ist, gänzlich zurückzunehmen. Der Schwertbruch ist der Wendepunkt, Turnus’ vorhte (ER 328,32) ist wohlbegründet, denn [d]az was sîn ungelucke (ER 328,33). Urplötzlich – angesichts des unmittelbar zuvor Geschehenen muss das verwundern – erwachen die Kräfte wieder in Eneas: Nachdem die abgebrochene Klinge auf den Rasen fällt, springt er auf und rennt Turnus an, der muss wîchen hin dane (ER 328,38). Die herausfordernden Worte des Helden kontert Turnus geistesgegenwärtig. Er schleudert einen michelen stein (ER 329,9), der hinterlässt gänzlich andere Wirkung als in der Vorlage: Wo der Wurf im ‚Roman‘ komplett vom göttlichen escu absorbiert wird, strauchelt Veldekes Eneas und kann kûme gestân (vgl. ER 329,16). Dennoch ist er umgehend zum Widerschlag bereit, was erneut reichlich seltsam anmutet. Der Grund für die spontane Re-Vitalisierung verortet der Erzähler wiederum in der Rüstung: wander gewâfent wole was (ER 329,22). Hier scheint Vulkanus’ Werk nicht nur zu schützen, sondern auch frische Kräfte zu verleihen. Turnus ergreift daraufhin den halben schaft (ER 329,26) der Lanze, die an Eneas’ Schild zersplittert war (vgl. ER 325,6). Davon ist in den Vorgängerwerken nichts zu erkennen. Dass er sich trotz dieses eklatanten Waffennachteils weiter dem Kampf stellt, lässt in Veldekes Turnus ein Maximum an Heldenmut und Tapferkeit aufscheinen. Dennoch kann er so nicht konkurrieren, anders als sein Kontrahent verfügt er nämlich über keinen Schutz mehr. Eneas schlägt ihm daraufhin den diechschenkel abe (ER 330,2). Wo er in den Vorlagen die Lanze verwendet, benutzt er hier das Schwert. Dadurch, dass das Schwert im

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deutschen Text Eneas’ einzige göttliche (die Lanze entstammt ja offenbar nicht Vulkanus’ Werkstatt) und zentrale Angriffswaffe ist und zudem – das wird während des gesamten Kampfs mehr als deutlich – übernatürliche Wirkkräfte besitzt, wird der Eigenanteil des Trojaners auch beim entscheidenden Stoß relativiert. Turnus fällt zu Boden, ergibt sich und fleht um sein Leben. Seine Worte fallen auf fruchtbaren Boden, da erblickt Eneas Pallas’ Ring. Die Bereitschaft zu Gnade und Vergebung schlägt in Wut um: Turnus wird enthauptet.

4.3.1.6 Fazit zur göttlichen Rüstung Die göttliche Rüstung ist eines der herausragendsten Motive speziell in den mittelalterlichen Werken. Wo Vergil beim Herstellungsprozess den Schild mit realhistorischen Ereignissen verknüpft und damit einer Bekräftigung des Fatums Vorschub leistet, verleihen der Anonymus und Veldeke den Gegenständen wunderbar-mythisches Eigengewicht. Im ‚Roman‘ steht das Schwert im Mittelpunkt, Vulkanus führt dessen Kraft eigens vor Augen. Die deutsche Fassung positioniert die Waffe und damit den Träger in einer Reihe mit bedeutenden Heroen, eine eigene vita gewinnt es dabei aber nicht. Im Zentrum steht hier vielmehr der Schild, wobei die Gegenstände noch stärker mit Eneas’ weiterem Weg verknüpft werden. Beim Eingriff ins Kampfgeschehen ist der Held in den mittelalterlichen Adaptionen zwar nicht von solcher Härte wie bei Vergil, dennoch lässt sich ein deutlicher Wandel hin zum tapferen Krieger erkennen, was aber nicht bis zum Ende konsistent aufrechterhalten wird. Die Rolle des Heroisch-Agonalen ist insbesondere bei Veldeke auf den jungen Pallas übertragen, der dabei jedoch ums Leben kommt. Dass der bloße Besitz der Rüstung nicht genügt, macht die Verwundung durch einen Pfeil kurz vor dem Zweikampf deutlich, hier wird Turnus dem Trojaner kontrastiv gegenübergestellt. Im ‚Eneasroman‘ ist das Geschoss gar vergiftet, und Eneas reagiert nicht mehr nur mit blanker Wut wie in der ‚Aeneis‘, vielmehr gesellt sich auch Angst hinzu, entsprechend psychologisch differenziert ist auch die Heilung. Insbesondere für den Ausgang des Zweikampfs ist Vulkanus’ Werk von höchster Bedeutung. Bei Vergil lässt sich Aeneas’ Erfolg auf die Dysfunktionalität von Turnus’ Schwert und göttliche Einflussnahmen zurückführen. Bis zum Zersplittern der ‚verräterischen Klinge‘ ist der Kampf weitgehend ausgeglichen, schließlich stellen sich die Götter und das Ding gegen Aeneas’ Kontrahenten. Der Anonymus überträgt den Einfluss des Olymps nahezu vollständig auf Eneas’ Rüstung. Dem komplexen Spiel von göttlicher Unterstützung und Entzug derselben entspricht die Undurchdringbarkeit von Helm und Schild. Obgleich der Erzähler bemüht ist, keine Zweifel an der Würdigkeit des Helden aufkom-

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men zu lassen, entsteht doch bisweilen ein bizarres Missverhältnis zwischen den Handlungen der Protagonisten (vor allem Turnus’ gewaltigen Schlägen) und dem Resultat, das der ‚Roman‘ nicht völlig zu harmonisieren vermag. Veldekes Darstellung ist wesentlich komplexer, das wird auch an der Länge der Kampfschilderung im Vergleich zum ‚Roman‘ deutlich: Wo der Anonymus 117 Zeilen verwendet (RdE 9698–9814), benötigt Veldeke fast dreimal so viel (ER 324,15–331,38). Der Held im ‚Eneasroman‘ kann in Bedrängnis geraten, Turnus ist deutlich aufgewertet, und dieser Grad an Differenziertheit spiegelt sich auch in der Rüstung wider, die beinahe entschuldigend zur Erklärungsvariablen für den Kampfausgang wird. Das wirkt aber nicht durchgängig plausibel, denn trotz der eindrücklichen Betonung der Unschlagbarkeit von Vulkanus’ Werk283 kann Turnus den Helden bei Veldeke bisweilen in arge Verlegenheit bringen. Insofern ist Florian Kragl uneingeschränkt zuzustimmen: „Es wird kein Zweifel daran gelassen, dass unter ‚normalen‘ Umständen, sprich: ohne Eneas’ Rüstung, Turnus den Sieg davongetragen hätte.“ 284 Speziell die deutsche Fassung lässt daher die Einschätzung von Dieter Kartschoke, dass „[n]ur der beste Held [ ] die besten Waffen [verdient] und [ ] nicht erst durch sie zu dem [wird], der er ist“, fragwürdig erscheinen. Auch Kartschokes Einordnung der Wirkkraft als „besondere Abwandlung einer epischen Hyperbel“ 285 greift wohl zu kurz. Möglicherweise genau aus diesem Grund stellt Veldeke dieser Motivationslage ein psychologisches Moment hinzu: Eneas erhält zusätzlich ‚Hilfe von oben‘ durch den Blick zu Lavinia – was ihn indes auch nicht vor weiteren Schlägen schützt. Schließlich scheint der Erzähler (ähnlich wie Juppiter in der ‚Aeneis‘) das Kampfgeschehen in passende Bahnen lenken zu wollen. Turnus’ Positivzeichnung droht mit dem vorgezeichneten Ende zu kollidieren, da zerbricht sein Schwert. Hier hebt Veldeke

283 In der Beschreibung der Waffen wurde ja der Verlauf zumindest andeutungsweise vorweggenommen (z. B. ER 159,33–35); spätestens in dem Moment, wo Eneas fast bewusstlos zu Boden geht, wird der Glaube an eine unantastbare Stellung (man denke auch an die Beschreibung des Schildes; ER 161,16–19) aber deutlich erschüttert. Auch Gerok-Reiter weist darauf hin, dass die mittelalterliche Übertragung „narrationslogisch widerständig [bleibt]“, die weitgehende Substituierung der göttlichen Lenkung durch die Rüstung bezeichnet sie als „eher lapidare[n] Tausch, der einer Untermotivation gefährlich nahe“ komme (s. Anm. 141, S. 148). 284 Kragl, Florian: Lavinias Mutter und Lunete. Vom Lesen alter Texte am Beispiel der Herrschafts- und Heiratsproblematik bei Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue und anderen. Euphorion 99 (2005), S. 365–393, hier: S. 372. 285 Stellenkommentar, S. 877. Dass damit einer Erhöhung von Eneas Vorschub geleistet wird, erscheint nur bedingt plausibel. So argumentiert Kartschoke, „der Ruhm des Siegers im Kampf“ werde „gemessen an der Größe des Gegners“ (ebd.) – ist der Held bei Vergil und im ‚Roman‘ folglich weniger ruhmreich?

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die vereindeutigende Darstellung des französischen Werks auf, wo die Härte von Eneas’ Helm als Ursache angeführt wird, und führt die Kraft der göttlichen Rüstung und einen mythischen ‚Eigensinn‘ von Turnus’ Waffe nebeneinander. Mit dem Splittern des Schwerts scheint Eneas im wahrsten Sinne des Wortes wie ausgewechselt und greift mit frischen Kräften an. Die Begründung wander gewâfent wole was (ER 329,22) wird durch die Szenen zuvor konterkariert. Hier lassen sich beinahe wieder mythische Erklärungsvariablen finden, die aber nicht zuletzt durch die konsequente Reduktion dieser Elemente im Gesamtwerk nicht vollständig glaubhaft wirken. Die Vielschichtigkeit des Helden erlaubt bei Veldeke keine durchgängig stringente Verbindung mit der Rüstung. Man gewinnt bisweilen den Eindruck, als hätte es Turnus mit zwei Gegnern zu tun. Zwar gibt sich der Erzähler Mühe, ein konsistentes Verhältnis von Held und Gegenständen zu bewerkstelligen. Was beim Anonymus noch weitgehend funktioniert, wird jedoch in der deutschen Fassung durch mehrere Passagen, die einen ‚anfälligen‘ Eneas zeigen, in Kombination mit der betonten Tapferkeit des Kontrahenten, fragwürdig. Besonders beim betäubenden Hieb auf den Helm wird deutlich, dass die Rüstung keinen Freifahrtschein darstellt, sondern der Held an seine Belastungsgrenze gehen muss, wo er sich dann allerdings auf sie verlassen kann: Die Dinge stehen an seiner Seite, gerade im Gegensatz zu Turnus. Gleichzeitig präsentiert Veldeke ein realistischeres, menschlicheres Heldenbild, das neben der göttlichen Auserwähltheit und dem Heroisch-Agonalen auch Elemente von Schwäche, Furcht und Bedrängnis integriert – aber gerade in der Überwindung dieser Härten erweist sich Veldekes Eneas der Herrschaft des künftigen Weltreichs würdig.

4.3.2 Zwei Helme Der Schutz des Kopfes ist elementarer Teil der ritterlichen Ausrüstung. Der ‚Eneasroman‘ zeigt nun gleich zwei Helme, die dieser Funktion im Handlungszusammenhang weitgehend enthoben sind und zu Beutestücken werden: Camilla ist auf den Helm des Chloreus aus und tötet ihn deshalb; Euryalus eignet sich im Feindeslager einen Helm an, der Messapus zugeschrieben wird. Sowohl Camilla als auch Euryalus kommen im Anschluss ums Leben. Entsprechend erscheinen die beiden Helme in der Forschung bislang hauptsächlich in den Diskurs über die Zügelung von Affekten und Habgier eingelagert. Aus einer solchen Sicht heraus erscheint der Raub als „Kristallisationspunkt des Irrational-Triebhaften“ 286. Die Argumentation ist hierbei prinzipiell auf die Figuren 286 Ridder/Lemke (s. Anm. 150), S. 111.

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ausgerichtet (vgl. hierzu S. 54–56), was allerdings dazu führt, dass im bloßen Fokus auf den Konnex von Beutemachen und tödlichem Resultat die spezifische Valenz der beteiligten Gegenstände nicht angemessen erfasst wird. Denn bei genauem Hinsehen offenbaren sich zwischen den Helmen wesentlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten, zumal die lateinische Vorlage noch weitere zentral involvierte Gegenstände zeigt.

4.3.2.1 Der Verführer: Chloreus’ Helm Nach dem Waffenstillstand infolge von Pallas’ Tod ist der Kampf wieder entbrannt, Camilla mittendrin. Da erscheint Chloreus auf dem Feld. Seine extravagante Gesamtaufmachung287 zieht die Blicke der ganzen Umgebung auf sich: Er ‚strahlte […] weithin auffallend‘ (Aeneis XI, 768–770). Camilla geht ihm nach, denn urplötzlich ist sie wie gefesselt von den edelmetallenen Gegenständen, die er an sich trägt. Die Beweggründe schwanken offenbar zwischen dem Wunsch nach Erbeutung von Tempelschmuck und rein egoistischen Beweggründen, wofür der Erzähler stereotype Erklärungsmuster heranzieht.288 Indem ihre Motivation sich nicht auf einen konkreten Gegenstand richtet, rückt die undifferenzierte Gier in den Vordergrund, die sie unempfänglich für die Wahrnehmung des unmittelbaren Umfelds macht. Durch Camillas Geistesabwesenheit sieht der Trojaner Arruns die Gelegenheit gekommen und schleudert den tödlichen Speer (Aeneis XI, 783–784) – wohlgemerkt, ohne dass sie sich Chloreus’ Besitzes bemächtigt hätte, noch in direkte Auseinandersetzung geraten wäre. Blutüberströmt versucht sie, das Geschoss aus dem Brustkorb zu ziehen und sinkt mit heroischem Gestus zu Boden (vgl. Aeneis XI, 816–831). Ohne Zweifel lässt der Vorgang ihre Führungsqualitäten fragwürdig erscheinen. Nicht dass sie nach Gegenständen trachtet, ist hier problematisch – Beutemachen ist in der ‚Aeneis‘ nichts Ungewöhnliches289 –, sondern dass sie

287 ‚Dieser schoss im dunklen Glanz fremdländischen Purpurs gortynische Pfeile von lykischem Bogen; golden hing ihm der Köcher von der Schulter, und golden war auch der Helm des Sehers; ferner hatte er den safranfarbenen Mantel und die rauschenden Falten seines Leinengewandes zu einem Knoten gerafft mit goldgelber Fibel; bunt bestickt waren Tunika und das exotische Beinkleid‘ (Aeneis XI, 768–777). 288 ‚Ihm folgte Camilla, die Jungfrau, sei’s, um einen Tempel mit troischen Waffen zu schmücken, sei’s, um sich in erbeutetem Goldschmuck zu zeigen, wie auf der Jagd als einzigem aus dem weiten Schlachtgetümmel blindlings und eilte achtlos durch das ganze Heer, von einer weiblichen Begierde nach dem Raub dieser Beute entbrannt‘ (Aeneis XI, 778–782). 289 Camillas Interesse gilt augenscheinlich nur den Gegenständen, nicht dem Gegner, und diese Umkehrung agonaler Prinzipien scheint hier das Problem, zumal sie dadurch die Gesamtsituation aus den Augen verliert. Als Kontrast hierzu Arruns’ Worte: „Ich trachte nicht

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dadurch sämtliche Schutzmaßnahmen vernachlässigt. Sie lässt sich in den Bann der Goldes ziehen, was durch ihre Machtposition in den vorherigen Kämpfen besonders unverständlich wirkt: Die fehlende Selbstkontrolle wird ihr zum Verhängnis. Zur französischen Fassung: Auch hier trifft Camilla auf Chloreus, bei dessen Beschreibung der Anonymus die Darstellung Vergils aufnimmt, aber eigene Schwerpunkte setzt: il esteit trestoz dorez; a or ert tote s’armeüre et conoissance et coverture, et aveit un helme tant cler que nus nel poeit esguarder: contre soleil reflanbeot. Sus el pomel une pierre ot ki esteit bien de set colors; en fin or sist, taillié a flors; toz li cercles et li nasals ert a pierres et a esmals. (RdE 7166–7176: ‚[E]r war ganz und gar vergoldet; seine ganze Waffenrüstung war aus Gold, sowohl das Wappenschild als auch die Bedeckung, und er hatte einen so blanken Helm, dass niemand ihn ansehen konnte: er blitzte gegen die Sonne. Oben auf dem Knopf hatte er einen Stein, der wohl sieben Farben enthielt; er war in echtes Gold gefasst mit eingeritzten Blumen; der ganze Ring und das Nasenstück des Helmes bestand aus Steinen und aus emaillierten Metallplatten.‘)

Chloreus selbst gewinnt wenig Kontur. Dafür tritt insbesondere der goldverzierte und mit Edelsteinen besetzte Helm deutlich hervor. Trotz dessen, dass die Rüstung auch noch weitere Teile umfasst, weckt einzig dieser ihr Interesse: ‚Camilla hat den Helm des reichen Trojaners bemerkt, sie dachte, dass sie sich geringschätzen werde, wenn sie ihn nicht bekomme‘ (RdE 7177–7180). In Verbindung mit der Erzählerbeschreibung tant cler que nus nel poeit esguarder ergibt sich ein merkwürdiges Bild von Distanzierung bei gleichzeitiger Anziehung. Obwohl auch die anderen Gegenstände golden sind, scheint vom Helm eine solche Strahlkraft auszugehen, dass der bloße Anblick schon Schwierigkeiten bereitet. Dennoch hat Camilla nur Augen für ihn, er zieht sie in seinen Bann.

nach der Rüstung, nicht nach einer Trophäe der besiegten Jungfrau oder irgendwelcher Beute, Ruhm werden mir andere Taten bringen“ (Aeneis XI, 790–792).

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Von diesem Gesichtspunkt aus lässt sich in diesem Ding – ohne dass hier freilich intertextuelle Bezüge anzunehmen wären – ein Pendant zum antiken Sirenen-Mythos erkennen.290 Chloreus’ Helm stellt für Camilla die gleiche Verlockung dar wie der Gesang der Sirenen für Odysseus. Insofern kann man in dem Helm einen vergleichbaren aktantiellen Status erkennen. Der Amazone fehlt indes jegliche mahnende Instanz, auch erhält sie im Gegensatz zum homerischen Helden keinerlei Empfehlungen, wie sie der Gefahr zu begegnen habe.291 Billigt man dem helme eine ähnlich mythisch-fatale Anziehungskraft zu, dann ist die spätere Einschätzung des Erzählers ‚Sie hätte sich dessen wohl enthalten können‘ (RdE 7193) schlicht unzutreffend, genau das kann Camilla nämlich gerade nicht. Anders als bei Vergil kommt es zur direkten Auseinandersetzung: Camilla reitet Chloreus an und schlägt ihn tot, was nur einem Zweck dient: Ele a sa resne retenue, del buen cheval est descendue, vait la o cil gist en la place, l’elme saisist et sel deslace. (RdE 7185–7188: ‚Sie hat ihren Zügel angezogen, sie ist von dem guten Pferd abgestiegen, sie geht zu der Stelle, wo jener liegt, sie ergreift den Helm und bindet ihn los.‘)

Ist sie in der ‚Aeneis‘ von Chloreus’ Gesamterscheinung fasziniert, so gilt ihr Interesse im ‚Roman‘ einzig dem glänzenden Ding. Eine generelle ‚Anziehungskraft des Goldes‘ ist, wie bereits angedeutet, dabei nicht wirksam, denn obwohl beispielsweise der Schild aus dem gleichen Material ist (l’escu doré; RdE 7182), ist dieser für sie nicht von Belang. Sie fühlt sich allein zu diesem Helm hingezogen. Das ist eine entscheidende Neuerung gegenüber der Vorlage. Vor diesem Hintergrund scheint es auch bemerkenswert, dass der Gegenstand des Interesses bei der Tötung des Priesters offenbar nicht in Mitleidenschaft gezogen wird,

290 So warnt Kirke Odysseus: ‚Erstlich erreichet dein Schiff die Seirenen; die bezaubern alle sterblichen Menschen, wer immer ihnen sich nahet. Wer unwissenden Herzens hinkommt und der Seirenen Stimme hört, dem wird zuhause nimmer die Gattin und unmündige Kinder mit freudigem Gruße begegnen, denn es bezaubert ihn der helle Gesang der Seirenen.‘ Homer: Odyssee. Übertragung v. Anton Weiher. 6., unv. Aufl. München 1980, hier: 12. Gesang, V. 39– 44. Ich folge der Übersetzung von Voss, Johann Heinrich: Odyssee. Berlin o. J., S. 184. 291 Odysseus bekommt konkrete Anweisungen, um den Lockungen zu widerstehen: Er soll die Ohren seiner Gefährten mit Wachs verkleben und sich mit Seilen an den Schiffsmast binden lassen, was schließlich überlebenswichtig wird: „Also sangen jene mit süßester Stimme. Da wünschte mehr noch zu hören mein Herz, und ich befahl den Gefährten […], mich zu lösen.“ Odyssee, 12. Gesang, V. 192–193 (Übersetzung Voss, S. 188).

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denn Camillas Schläge treffen nur den ‚vergoldeten Schild‘ und zerstören ‚die Maschen des Kettenpanzers‘ (vgl. RdE 7181–7184). Wie in der ‚Aeneis‘ vollzieht sich die unvermeidliche Wendung, indem der Verfolger Arrons die Gunst der Stunde nutzt und Camilla tötet (RdE 7195–7202). Das bereits aufgezeigte Spannungsfeld von Anziehung und Grenzsetzung wird hier ins Maximum gesteigert: Camilla sieht sich am Ziel ihrer Wünsche und bindet den Helm los, dauerhaft in ihren Besitz bringt sie ihn aber nicht – der Moment der Aneignung ist praktisch identisch mit ihrem Tod. Damit ist die Episode weitgehend abgeschlossen, der Erzähler berichtet mit keinem Wort vom weiteren Verbleib des Gegenstands. Zwar eilen alle Kriegerinnen ihres Heeres sofort zu ihrer Leiche (RdE 7214–7216), der Helm findet aber keine Beachtung und das, obwohl (glaubt man der vorherigen Beschreibung) doch nun ein höchst auffälliges und wertvolles Ding auf dem Boden liegt. Dieser Helm, so legt die Darstellung nahe, war auschließlich für Camilla reizvoll, niemand anderes ist innerhalb der erzählten Welt für seine Verlockungen empfänglich; man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass dieser Helm nur für Camilla existierte.292 Diese Beobachtungen leiten hin zu der Überlegung, welche Bewandtnis das Motiv des Helms für die narratio hat. Dass Camilla sterben muss, ist eine in der Vorlage angelegte Notwendigkeit. Bei Vergil wird ihr Fall durch die vorgeschaltete Götterhandlung – es ist gar ein Pfeil zur Rächung ihres Todes bestimmt (vgl. Aeneis XI, 584–596) – für den Rezipienten klar absehbar. Durch diese offensichtliche Festgelegtheit kann sie zu gewissen Teilen von personaler Verantwortung entlastet werden. Es geht augenscheinlich nur noch darum, wie sie stirbt, nicht mehr warum. Diese finale Motivationsstruktur fehlt im ‚Roman‘ weitgehend. Die Kompensation dessen stellt die erzählerische Aufwertung des Helms dar. In dem Maße, wie dieser singuläre Ausstrahlung und beinahe mythische Anziehungskraft gewinnt, wird Camillas Eigenverantwortlichkeit, selbst wenn der Erzähler auf ihre Habsucht rekurriert (vgl. RdE 7189–7192), in den Hintergrund gedrängt. Diese Feststellung lässt sich durch eine weitere Neueinführung des Anonymus untermauern, die ebenfalls an die Exponiertheit des Helm-Motivs gekoppelt ist. Wo der Amazone in Vergils Epos göttliche Ehre zuteil wird, setzt ihr die französische Erzählung ein materielles Andenken in Form ihres Grabmals,

292 Wiederum lassen sich hierin Parallelen zur ‚Odyssee‘ ziehen: Die Kirke lässt den Helden die Ohren seiner Gefährten mit Wachs zukleben, „dass niemand von den andern sie hört.“ Ihm jedoch stellt sie frei, den Gesang zu erleben, ja legt sie es ihm geradezu nahe: „Doch willst du selber sie hören […]“. Odyssee, 12. Gesang, V. 49 (Übersetzung Voss, S. 184).

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das bei Vergil so nicht vorhanden ist 293 und das durch Material und Bauweise Assoziationen zum helme wecken kann.294 Der Text räumt dieser extraordinären Grabkammer letztlich größeres Gewicht ein als der handelnden Figur und dem Beutestück. Von dieser Tatsache ausgehend lässt sich auch erklären, weshalb der Helm die Erzählung so abrupt verlassen darf. Allerdings, und das ist aus narratologischer Perspektive wichtig, bleiben diese paradigmatischen Bezüge ein Verständnisangebot, denn weder stellen die Figuren innerhalb der erzählten Welt eine Verbindung zwischen Helm und Grabmal her, noch expliziert der Erzähler diese dem Rezipienten gegenüber. Der deutsche Text stellt den Helm des Priesters noch stärker ins Zentrum der Beschreibung,295 mit seiner exorbitanten Strahlkraft (her lûhte engegen deme tage; ER 244,8) wird Camillas fast schon unwillkürliches Begehren begründet: diu kuneginne Kamille dô was ie gût ir wille, daz sie den helm erworbe oder in der ger erstorbe, des geluste si vil harde. (ER 244,9–13)

Wie im ‚Roman‘ gilt ihr Interesse einzig diesem Ding, für das sie sogar zu sterben bereit wäre. Hier weisen die Handschriften interessante Differenzen auf.296 293 Die Göttin Diana kündigt lediglich an, sie nach dem Tod ‚zu ihrem Grab tragen und in heimatlicher Erde bestatten‘ zu wollen (Aeneis XI, 593–594). 294 So heißt es zur Gesamtkonstruktion: ‚Oben in das letzte Gewölbe […], welches mit mancherlei Farben ausgemalt war, mit Gold, mit Edelsteinen ringsherum verziert, dort hat man das Grab hineingelegt. […] [D]er ganze Sarg war aus gelbem Amber, darunter standen vier Figuren aus Gold, die an den vier Ecken als Stütze dienten. […] Darüber wurde der Deckel gelegt […], er war ganz aus einem Stück, aus Chalzedon, aus Hyazinthstein und Sardonyx‘ (RdE 7633–7654). 295 zû den selben stunden / heter ûf gebunden / einen hélm scône und sô lieht, / daz ne sagete man uns nieht, / daz her bezzer mohte sîn. / zoberst stunt ein rubîn, / unde alumbe an der lîste / smaragde unde amatîste / unde vorne an dem nasebant / ein gelwer adamant, / genûch grôz unde gût, / dorchlûhtet rôt sam ein blût (ER 243,35–244,6). Die Handschriften differieren bzgl. ER 244,4, vgl. Behaghels Anmerkungen (s. Anm. 159), S. 366: Wo Ettmüller (nach Hs. B) einen gelben Diamanten (gelwer adamant) zeigt, der (wie das?) blutrot funkelt, erwähnen Behaghel und Frings/Schieb (nach Hss. M,G,E,H,w) einen granat jachant (‚orientalischen Rubin‘), bzw. ein granat und ein jachant, FS streichen zudem 244,5 und 6. Fromm zusammenfassend: „Die Sache selbst ist schon durch den Roman […] klar und wird nur durch Veldekes Nennung der Edelsteine noch konkretisiert. Der Helm hat einen Rubin oben an der Helmspitze, vorne auf dem Nasenband einen Diamanten, und außerdem war die Helmleiste rundherum mit weiteren Edelsteinen besetzt“ (Stellenkommentar, S. 864). 296 Vgl. die Anmerkungen von Behaghel (s. Anm. 159), S. 366.

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Ettmüller liest (nach Hs. B) dô was ie gût ir wille, was ein bereits länger vorhandenes Aneignungsbedürfnis suggeriert. Das allerdings scheint hier eher fragwürdig, ansonsten müsste man davon ausgehen, dass sie den Helm schon einmal gesehen hatte oder zumindest kennt. Dafür liefert der Text aber keine Anhaltspunkte. Demgegenüber heißt es in Hss. M,d,w Do was ir wille (Behaghel selbst liest nach Hs. G(h) doe was dat her wille), was einen plötzlichen Entschluss nahelegt und m. E. auch die plausiblere Lesart ist. Jedenfalls scheint auch hier zunächst eine beinahe mythische Anziehungskraft wirksam. Das ist jedoch bei genauer Lektüre deutlich weniger der Fall als in der französischen Vorlage. Indem der helme beim Anonymus im Rahmen weiterer Rüstungsgegenstände wie dem Schild (l’escu doré) erwähnt wird, lässt sich in Camillas singulärer Fokussierung auf diesen eine spezielle Anziehungswirkung ableiten. Bei Veldeke ist das in der Form nicht zu beobachten, denn von anderen Rüstungsgegenständen wird nichts berichtet, es heißt schlicht, Chloreus sei gewâfenet baz gewesen als alle sonstigen Kämpfer (vgl. ER 243,30–34). Die vergleichsweise stärkere singuläre Exponiertheit des Gegenstands geht einher mit einer Depotenzierung dessen, was in der Vorlage spürbar war, nämlich einer besonderen Wirkung des Helms. Wie in der französischen Vorlage wird auch im ‚Eneasroman‘ der Besitzwunsch aktiv in die Tat umgesetzt. Die Grundkonstellation ist identisch: Camilla sticht Chloreus vom Pferd und steigt herab aufs Feld wan si des helmes gerde, / si wolde mit dem swerde / die snûre enzwei snîden (ER 244,19–21). Das ist bereits im ‚Roman‘ zu beobachten, und dort gelingt es auch (‚sie ergreift den Helm und bindet ihn los‘; RdE 7188), wenn auch Camilla unmittelbar darauf getötet wird. Die Darstellung Veldekes unterscheidet sich davon aber, denn es bleibt beim Vorhaben (si wolde). Mit keinem Wort wird erwähnt, dass sie den Gegenstand tatsächlich in ihren Besitz brächte – offenbar gelingt es ihr nämlich nicht, die seidenen Bänder zu durchtrennen. Diese beschreibt der Erzähler zwar als veste wol ze mâze (ER 244,23), aber es erscheint doch befremdlich, dass ein Metallschwert Schnüre aus Seide nicht durchschneiden kann: Wo die französische Fassung in der fatalen Anziehungskraft eine besondere Beziehung zwischen Helm und Camilla etabliert, scheint die zitierte Passage bei Veldeke eher eine mythische Beziehung zwischen dem Ding und seinem Besitzer zu implizieren: Dieser Helm lässt sich nicht von Chloreus trennen. Auch in der ‚Aeneis‘ wird dem Priester nichts weggenommen, eine besondere Beziehung Mensch-Ding lässt sich jedoch, da es zu keinem unmittelbaren Aneignungsversuch kommt, eher weniger ableiten. Insofern geht Veldeke mit dieser Darstellung über beide Vorlagen hinaus.297 297 Gleichzeitig könnte man in Camillas Scheitern auch den erzählerischen Versuch sehen, den rêroup gewissermaßen zu sanktionieren (vgl. hierzu auch den Erzählerkommentar si hetez

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Wie im ‚Roman‘ ist indes auch hier deutlich, wie stark das Motiv auf die narratio hin funktionalisiert ist: Auch bei Veldeke stellt der Helm die Basis eines erzählerisch notwendigen Todes dar, im Anschluss daran fehlt jeglicher weitere Verweis auf den Gegenstand, und auch der deutsche Text lässt Bezüge zum Grabmal aufscheinen.298 Als Diskrepanz zum ‚Roman‘ fällt jedoch auf, dass Camilla das Grab bî ir lebene in Auftrag gegeben hatte (vgl. ER 251,28–35). Was lässt sich daraus ableiten? Bei Vergil wird ihr Ende durch die Götterhandlung für Leser und Hörer vorweggenommen, Camilla selbst ist sich darüber nicht im Klaren. Anders die Darstellung bei Veldeke: Mit dem Grabmal erfährt der Rezipient im Nachhinein, dass sie für ihren Tod schon vorgesorgt hat, wovon im ‚Roman‘ nichts zu erkennen ist. Das Mausoleum im ‚Eneasroman‘ steht in engerer Verbindung zur Figur. Wie in der französischen Fassung korrespondiert es in Form und Material mit dem Ding, das ihr den Tod brachte, das sie aber (im Gegensatz zum Text des Anonymus) nicht in ihren Besitz bringen konnte. Die Strukturen, die in der französischen Vorlage angelegt sind, sind damit bei Veldeke noch differenzierter: Zum einen ist der Helm auch hier innerhalb des erzählten Geschehens die ‚Rechtfertigung‘ ihres Todes und damit in Teilen Ersatz für die antike Götterhandlung. Das Grabmal und der Helm sind nicht nur paradigmatisch aufeinander bezogen, das Grabmal lässt sich sogar als monumentale Kompensation für das ebenfalls goldene und edelsteinbesetzte Ding lesen, das Camilla nicht von seinem Besitzer trennen konnte. Aus erzähltheoretischer Perspektive wird dabei besonders deutlich, wie stark das Motiv des Helms in ein sich überlagerndes Spannungsfeld von kausaler, finaler und ästhetischer Motivierung eingebunden ist.

4.3.2.2 Der Verräter: Messapus’ Helm Bei einem weiteren Helm bestehen von der Einbettung ins Handlungsgefüge her frappierende Ähnlichkeiten zu dem oben besprochenen Schutzgegenstand: Euryalus raubt im gegnerischen Feldlager einen Helm und kommt wenig später

baz verlâzen, / wande ir tôt dar âne lach; ER 244,24–25), allerdings ist die dezidierte Abwertung der Totenberaubung auch schon im ‚Roman‘ zu finden. 298 Auch hier zeigt die Gesamtkonstruktion mit der vergoldeten Decke (ER 253,34–35) und den grôzen unde kleinen edelen steinen (ER 253,15–16) Parallelen zum helm, besonders deutlich wird das in den Edelsteinfenstern, die Veldeke der Vorlage hinzuzufügt (ER 253,24–29). Das Grabmal unterliegt bereits eingehender Forschung; neben dem schon erwähnten Hamm (s. Anm. 156) und Fromms Stellenkommentar (S. 865–870) sei verwiesen auf Vögel (s. Anm. 152) sowie Schieb, Gabriele: Veldekes Grabmalbeschreibungen. PBB 87 (1965), S. 201–243.

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ums Leben. Wenn das Schicksal der beiden Figuren auch insofern vergleichbar scheint, besitzt der hier beteiligte Gegenstand aber doch ein gänzlich anderes Gewicht. Vergil liefert die Grundkoordinaten: Während Aeneas’ Abwesenheit berennt Turnus die trojanische Burg. Abends nutzen seine Truppen die Gelegenheit, tüchtig dem Wein zuzusprechen. Die Trojaner sehen das von der Festung aus, unter ihnen Nisus und sein junger Gefährte Euryalus. Den Kampf vor Augen, wird Aeneas vermisst, unter diesen Vorzeichen beschließt Nisus, den Ausfall zu wagen, um ihn aus Pallanteum zurückzuholen. Den Motiven von Gefolgschaft und Hilfe für die Kameraden sind egoistische vorgelagert: Er brennt vor Tatendrang und Ruhmsucht, und auch Euryalus ist bald ‚von heftigem Verlangen nach Ruhm durchdrungen‘ (Aeneis IX, 197–198). Vor dem Führungsstab macht Nisus keinen Hehl daraus, dass sie auch ihre Mordlust und Beutegier befriedigen wollen.299 Das scheint keineswegs etwaige (ethisch-moralische) Vorbehalte auszulösen. Im Gegenteil werden beide für die geplanten ‚Ruhmestaten‘ (Aeneis IX, 253) – der alte Aletes ist zu Tränen gerührt – außerordentlich gelobt. Ascanius’ Resonanz verstärkt diesen Eindruck mit in Aussicht gestellten Geschenken, er macht jedoch zugleich deutlich, dass sein maßgebliches Interesse in der Rückkehr des Vaters liegt (vgl. Aeneis IX, 257–280). Im gegnerischen Lager ist Nisus’ anfängliche Vorsicht schnell vergessen. Die Betrunkenen und Schlafenden können keinen Widerstand leisten, das Töten steigert sich speziell bei Euryalus zum wahren Rausch. Nisus versucht schließlich, ihn zum Aufhören zu bewegen, zumal der Morgen anbricht. Dann richtet der Erzähler den Blick auf die Besitztümer der Toten (Silbergerät, Waffen, Krüge und Teppiche), besonders der Brustschmuck des getöteten Sehers erregt Aufmerksamkeit: Euryalus phaleras Rhamnetis et aurea bullis cingula, Tiburti Remulo ditissimus olim quae mittit dona, hospitio cum iungeret absens, Caedicus; ille suo moriens dat habere nepoti; post mortem bello Rutuli pugnaque potiti: haec rapit atque umeris nequiquam fortibus aptat. (Aeneis IX, 359–364: ‚Euryalus bemerkt den Brustschmuck des Rhamnes und seinen Gürtel mit Knöpfen von Gold, Geschenke, die einst dem Tiburtiner Remulus der schwerreiche

299 „Wenn ihr erlaubt, die günstige Gelegenheit zu nutzen […], werdet ihr bald nach einem schrecklichen Blutbad ihn und uns mit Beute hier wieder vor euch sehen“ (Aeneis IX, 240– 243).

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Caedicus schickte, als er aus der Ferne Freundschaft mit ihm schloss; der vermachte sie sterbend seinem Enkel; nach dessen Tod brachten die Rutuler sie gewaltsam durch Kampf in ihre Hand. Nach ihnen greift Euryalus hastig und macht sie an seinen starken Schultern fest, freilich umsonst.‘)

Die Hintergrundinformation des Erzählers erzeugt für den Rezipienten einen ambivalenten Eindruck. Auf der Ebene der narratio ist der Brustpanzer alles andere als positiv beladen: Nach Caedicus haben alle Personen, in deren Besitz er überging, den Tod gefunden (ob gewaltsam oder nicht). Man kann dabei eine sich ändernde Valenz des Gegenstands erkennen: Eine Freundschaftsgabe wird zur Kriegsbeute und nun zur Trophäe. Von all dem weiß Euryalus freilich nichts, innerhalb der erzählten Welt verkörpern die goldenen Dinge primär Pracht. Er legt den Brustschmuck an, im selben Zug bemächtigt er sich noch eines weiteren (offenbar daliegenden) Gegenstands: tum galeam Messapi habilem cristisque decoram / induit. (Aeneis IX, 365: ‚Dann setzt er den ihm gut passenden, mit einem Busch geschmückten Helm des Messapus aufs Haupt.‘). Auch hier ist kaum anzunehmen, dass er sich des Vorbesitzers bewusst ist, zudem handelt es sich – anders als bei dem Brustpanzer, bei dem der Besitzer Rhamnes zuvor getötet wurde – genaugenommen nicht um eine Trophäe, sondern um bloßes Diebesgut, von einem Lebendigen entwendet. Außerhalb des Lagers erscheint ein Reitertrupp – nun erweist sich das Anlegen des Helms als fatal: Er reflektiert den Mondschein, die beiden sind entdeckt: et galea Euryalum sublustri noctis in umbra / prodidit immemorem radiisque adversa refulsit. (Aeneis IX, 373–374: ‚Eben der Helm verriet Euryalus im Halbdunkel der Nacht, den unbedachten, warf dieser doch den Widerschein der Lichtstrahlen zurück.‘). Sie fliehen in den Wald, Euryalus kommt im Gegensatz zu Nisus wesentlich schlechter voran, denn ihn ‚behindern das Dunkel der Zweige und die Last der Beute, Furcht lässt ihn irren in der Richtung des Weges‘ (Aeneis IX, 384–385) – jetzt meint es also auch der Brustschmuck nicht gut mit ihm. Er wird gefasst und getötet, ebenso ergeht es wenig später dem älteren Freund (vgl. Aeneis IX, 386–445). Wir fassen zusammen: Im angelegten Zusammenhang zwischen Raubmord und Sühne300 erfolgt die narrative Bestrafung durch die Dinge: Primärer Grund der Entdeckung ist der den Mondschein reflektierende Helm, und beim Fliehen wird ein entscheidender Nachteil deutlich – Rhamnes’ Panzer ist zu schwer, was umso mehr ins Auge sticht, als mit der kontrastiven Gegenüberstellung

300 Speziell das Ausmaß des Mordens wird deutlich abgewertet (vgl. Aeneis IX, 314–350), Beutemachen ist ja ansonsten in der ‚Aeneis‘ nichts Ungewöhnliches oder grundlegend Problematisches. Vor allem Euryalus verliert aber das Primärziel, Aeneas zu holen, aus den Augen.

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von Nisus’ Flucht zumindest die Möglichkeit eines erfolgreichen Entkommens für Euryalus im Raum steht.301 Die Gegenstände werden in einer Form der linearen Steigerung zu Gegenspielern: Der Helm verrät ihn, der Brustpanzer ‚hält ihn fest‘. Die Unterscheidung von Trophäe (Brustpanzer) und Diebesgut (Helm) wird hierbei unterminiert. Dennoch folgt die Erzählung der Argumentationsstruktur, die in dem Brustpanzer angelegt ist: Die Aneignung dieses Gegenstands zieht den Tod nach sich. Dieser Umstand ist Turnus’ Männern freilich nicht zugänglich. Im Gegenteil werden die von Euryalus geraubten Dinge offenbar gezielt wieder in das Kollektiv überführt: ‚Die siegreichen Rutuler nahmen Beute und Rüstung an sich‘ (Aeneis IX, 450–451). Man fühlt sich beinah an die Rückkehr eines Feldherrn erinnert: ‚Sie erkennen miteinander die Beutestücke, den schimmernden Helm des Messapus und den mit viel Schweiß zurückgeholten Brustschmuck‘ (Aeneis IX, 457–458). Die Wiederkehr der Dinge ist keine Nebensächlichkeit, auch genießen sie augenscheinlich kollektive Bekanntheit. Es scheinen sich hier also durchaus Dimensionen abzuzeichnen, die in den Überlegungen zum Gabendiskurs (vgl. S. 9–13) diskutiert wurden: Innerhalb der erzählten Welt scheinen von diesen Dingen stark identitätskonstituierende Wirkungen auszugehen; die Art und Weise, wie diese zurück in die Gemeinschaft geholt werden, lässt sie beinahe zu heiligen Gegenständen werden. Diese potentielle Aufwertung der Dinge wird nun jedoch durch die Hintergrundinformationen des Erzählers kontrastiert. Denn der Rezipient weiß, dass die Gegenstände offenbar nicht so unproblematisch sind, und das kann er auch auf den weiteren Erzählverlauf projizieren. Entsprechend kann er zumindest ahnen, dass die Freude von Turnus’ Männern nicht von Dauer sein wird. Denn auch sie haben die Gegenstände gewaltsam an sich gebracht. Der Handlungsablauf der französischen Fassung orientiert sich an Vergil: Nisus und Euryalus wollen die Betrunkenheit von Turnus’ Männern zum Angriff nutzen.302 Nach dem Betreten des feindlichen Lagers geht das grant chaple (RdE 5051) unvermittelt los. Halt machen sie erst beim Zelt des Rhamnes, der von Nisus im Schlaf enthauptet wird. Anschließend fokussiert der Erzähler auf

301 ‚Nisus entfernt sich; und schon war er, unbekümmert um den Gefährten, den Feinden entkommen‘ (Aeneis IX, 386). 302 War in der ‚Aeneis‘ das Zurückbringen des Anführers der (bzw. ein) Beweggrund, steht nun (zunächst) allein das Umbringen der Gegner im Vordergrund: „Dort draußen im Heer sind sie eingeschlafen, sie sind alle berauscht und betäubt, […] wer ihnen jetzt Schaden zufügen wollte, würde gewiß sehr viel ausrichten können, ein einziger Mann würde tausend von ihnen töten“ (RdE 4927–4933).

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den jüngeren der beiden Gefährten: Euryalus ‚kam in ein Zelt, wo Messapus schlafend zwischen seinen Leuten lag‘ (RdE 5076–5077). Nun wird dem Älteren die Sache zu heiß, er drängt Euryalus zum Aufbruch. Der kann sich kaum lösen, denn er sieht plötzlich einen helme cler (RdE 5086), dieser glänzende Gegenstand erweckt sein Interesse: ‚[E]r sagt, dass er ohne diesen nicht gehen wird; er hat ihn ergriffen, er nahm ihn mit, und darauf hat er ihn auf seinem Kopf befestigt‘ (RdE 5087–5089).303 Bemerkenswert ist dabei die ambige Formulierung ‚er hat ihn ergriffen‘ (il l’a saisi; RdE 5088) – wer ergriffen wird und wer ergreift, lässt sich nicht eindeutig voneinander unterscheiden, im Gegenteil sind hier beide Beteiligten, Euryalus wie auch der Helm, sowohl agent als auch patient. Weitere geraubte Gegenstände sind nicht zu verzeichnen, speziell das Motiv des Brustschmucks und Gürtels mit ihrer problematischen Herkunftsstruktur ist getilgt. Das prekäre Moment der Trophäe rückt so in den Hintergrund, zumal der Helm ja bloßes Raubgut ist und der Besitzer Messapus nicht getötet wird. Auch im ‚Roman‘ genügt die bloße Aneignung nicht, der Helm wird auch hier umgehend aufgesetzt. Die Passage liest sich dennoch anders als bei Vergil: Die lateinische galea bestach durch Schönheit und Passform, von einem Blinken oder Glänzen war zunächst nichts zu erkennen, das passierte erst später und wurde so Euryalus zum Verhängnis. Dieses ‚Doppelbödig-Hinterhältige‘ kommt beim Anonymus nicht so stark zur Geltung. Dafür scheint beinahe ein Parallelszenarium aufgebaut: Der am Lagerfeuer blinkende Helm lenkt Euryalus’ Aufmerksamkeit auf sich, und genauso ‚verhält‘ sich der Helm nun beim Licht des Mondes, was wiederum die Blicke von Turnus’ Verbündetem auf sich zieht: cels ki s’en vont de loin choisi par le helme ki resplendi, contre la lune flanbeia. (RdE 5099–5101: ‚[J]ene die davongehen, erblickte er von weitem durch den Helm, der leuchtete und im Mondlicht funkelte.‘)

Die Freunde werden durch jene Qualität des Rüstungsgegenstands entdeckt, durch die Euryalus selbst angezogen wurde. Das Verräterische der Dinge, das bei Vergil zu beobachten war, erscheint so reduziert und auf menschliches Selbstverschulden transponiert. Konsequenterweise vermeidet der Anonymus

303 Wie im antiken Epos dürfte Euryalus nicht sicher wissen, wer der Eigentümer des Helms ist, und auch für Leser und Hörer wird das erst später klar, als Messapus seinen (verloren geglaubten) Helm wiedererkennt (vgl. RdE 5268–5271).

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die Formulierung Vergils (galea Euryalum prodidit), stattdessen bemängelt er, dass die Beiden keinen kühlen Kopf bewahren und wortlos die Flucht antreten (vgl. RdE 5102–5120). Volcens verfolgt sie, Nisus ist schneller als Euryalus. Anders als in der ‚Aeneis‘ wird diesem jedoch nicht das Gewicht des Raubguts zum Verhängnis, sondern der Helm. Dabei steht aber (wiederum) die eigene Unklugheit im Vordergrund, denn er trägt den hellglänzenden Gegenstand noch immer: ne li menbra del helme oster; cil le veeient luire cler, ne lor poeit tant esloignier qu’il nel veïssent flanbeier. En un espés buisson s’est mis, ne pot avant, iluec l’ont pris. (RdE 5131–5136: ‚[E]r dachte nicht daran, den Helm abzunehmen; jene sahen ihn hell leuchten, er vermochte sich nicht so weit von ihnen zu entfernen, dass sie ihn nicht hätten funkeln sehen. In ein dichtes Gebüsch hat er sich begeben, er konnte nicht weiter, dort haben sie ihn gefasst.‘)

Der Anonymus depotenziert das Moment des ‚hinterlistigen Dings‘, denn der Helm glänzt zwar verräterisch, das hatte er aber schon getan, als Euryalus ihn erblickt hatte. Das wird auch in der gleichen Wortwahl deutlich: Volcens Truppen sehen den helme cler (RdE 5086) luire cler (RdE 5132) – und es wäre, so der Erzähler, auch nichts passiert, hätten die beiden Trojaner nicht den Kopf verloren. Stattdessen flieht Euryalus, trägt dabei aber weiterhin den glänzenden Helm. So scheint das Fatale der Dinge, das Vergil speziell auch in Rhamnes’ Wehrgehänge (und hier sogar auf mehreren Ebenen) aufscheinen ließ, in der französischen Fassung lediglich zu Beginn der Szene in der unwiderstehlichen Anziehungskraft des Gegenstands präsent, die im weiteren Verlauf jedoch von der Torheit des Trägers überlagert wird. Von einer ‚triumphalen‘ Rückkehr des Helms wie in der antiken Fassung ist nichts zu erkennen. Genaugenommen ist nicht einmal wirklich klar, ob Messapus den Helm auch tatsächlich wieder an sich nimmt: Et Mesapus […] / a son helme reconeü / que il cuidot aveir perdu (RdE 5268–5269: ‚Und Mesapus […] hat seinen Helm wiedererkannt, den er glaubte, verloren zu haben‘) – von einer erfolgten Rücknahme wird nichts erzählt. Veldeke übernimmt die Anlage des Geschehens von der französischen Vorlage. Wie im ‚Roman‘ liegt den Überfallplänen nur ein Ziel zugrunde, nämlich so viele Gegner wie möglich zu töten (vgl. ER 181,17–182,4), was die beiden Gefährten auch unmittelbar nach Erreichen des Lagers in die Tat umsetzen. Dem schlafenden Rhamnes schlägt Nisus daz houbet (ER 183,38) ab, Euryalus ge-

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langt in Messapus’ Zelt. Angesichts der fortgeschrittenen Stunde will Nisus ihn zur Rückkehr bewegen, da sticht Euryalus plötzlich ein Gegenstand ins Auge: Eurîâlûs gesach einen helm vil wol getân: dô her dannen solde gân, her nam den helm an sîne hant, ûf sîn houbet her in bant (ER 184,14–18)

Euryalus ist von der schönen Machart fasziniert, mit dem bloßen Raub ist es auch hier nicht getan.304 Er legt ihn umgehend an, und dass das Konsequenzen haben wird, macht der Erzähler direkt deutlich: daz wart im sint ze leide (ER 184,19). Vor dem Lager kommt ihnen Volzân entgegen und sieht sie (vgl. ER 184,28– 29). Es fällt auf, dass vom Helm zunächst einmal, anders als in beiden Vorlagen, nicht die Rede ist. Stattdessen verlagert Veldeke das Verräterische der Dinge zunächst rein auf die mentale Disposition der beiden Trojaner, die ir sinne vergâzen (ER 184,35) und Reißaus nehmen.305 Auf dieser Flucht wird aber dann der Rüstungsgegenstand zum mehrfachen und entscheidenden Hindernis. Durch ihn, daran lässt der Erzähler keine Zweifel, ist Euryalus dem Freund gegenüber auf der Flucht in daz holz (ER 184,37) entscheidend im Nachteil: Eurîâlûs was ouch snel genûch, wan der helm den her ûf trûch, den sach man verre blîchen. hern mohte niht gewîchen, man ensâge wole war her gienk, dâ von quam daz man in vienk (ER 185,7–12)

Wie die französische Vorlage baut auch der ‚Eneasroman‘ ein Moment des Eigenverschuldens auf (vgl. ER 184,40–185,3), das aber nun von der Wirkkraft des Dings überlagert wird. Denn trotz des unbesonnenen Verhaltens wäre Euryalus davongekommen, hätte er nur den geraubten Gegenstand nicht aufgesetzt (sondern beispielsweise eingesteckt). Anders als beim Anonymus war von

304 Insofern wäre zu diskutieren, ob bei der untersuchten Stelle tatsächlich die „unerklärliche Gier“ zum Problem wird, wie Ridder/Lemke (s. Anm. 150, S. 107) argumentieren, oder nicht vielmehr die Tatsache, dass der Raubgegenstand sofort auf den Kopf gebunden und damit öffentlich sichtbar wird. 305 Der Erzähler führt noch weiter aus: niwan daz si verzageten, / unde fliehen begunden, / in ne wâre zû den stunden / niht ubiles getân (ER 184,40–185,3).

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einem Glänzen des Helms im Moment des Raubs nicht die Rede. Hierin nähert sich Veldeke zumindest in Teilen den Zusammenhängen bei Vergil an: Der Helm ist nicht nur schön, sondern offenbart jeden von Euryalus’ Schritten. Und das geschieht auf ganz eigenartige Weise. Im ‚Roman‘ reflektiert der Helm das Mondlicht, davon wird hier nichts berichtet, im Gegenteil: Das Blinken des Gegenstands ist von weitem zu erkennen, obwohl die beiden sich im Dickicht befinden. Diese aktive, beinahe schon autonome Leuchtkraft wird den beiden zum Verhängnis: Euryalus wird gefasst, auch Nisus kommt letztlich zu Tode. Auch bei Veldeke verschwindet der Helm damit noch nicht aus der Erzählung. Das geschieht indes gänzlich anders als beim Anonymus, wo er zwar nochmals betrachtet wird, wo aber nicht sicher ist, ob er tatsächlich in die Hände seines Besitzers zurückkehrt. Der ‚Eneasroman‘ rückt ihn nochmals dezidiert ins Zentrum, und dabei vollzieht sich für den Rezipienten eine merkwürdige Wende: den helm den Eurîâlûs nam in Messâpûs gezelde, der quam ze hôhem gelde, des man luzel gedahte. do in Volzân wider brahte, dô erkande in Messâpûs und der hêre Turnûs. (ER 187,24–30)

Der Helm kehrt ins Lager zurück, dort kommt er ze hôhem gelde. Was genau ist hiermit gemeint? Kartschoke übersetzt diese Stelle mit „teuer bezahlt worden“ (Eneasroman, S. 385). Könnte man die Wendung aber nicht auch wörtlich(er) begreifen im Sinne von ‚zu hoher Geltung‘ kommen? Man kann sich jedenfalls kaum des Eindrucks erwehren, dass es mit dem Ding etwas Spezielles auf sich hat. Wie nach erfolgreich ausgeführtem Auftrag kehrt es wieder heim. Liegt die offenbar reduzierte Erwartungshaltung (des man luzel gedahte) in der Schwierigkeit der Aufgabe begründet? Vieles bleibt spekulativ und vage. Dennoch drängt sich hier die Frage auf, ob dem Helm nicht eine viel stärkere Rolle für die Ergreifung von Euryalus und Nisus zugesprochen wird, als es bislang den Eindruck hatte. Damit wäre im Kern das angelegt, was im Theorieteil diskutiert wurde: ein besonderes Ding mit einer subtilen agency (vgl. besonders die Überlegungen zur mythischen Kausalität, S. 49–53). Die Nervosität der Räuber, von Veldeke als (erster) Grund für die Entdeckung angeführt, wäre dann überhaupt nicht mehr relevant. Stattdessen scheint der Helm als eigene Größe ins Recht gesetzt. Bemerkenswert ist aus diesem Blickwinkel auch, dass er sowohl von Messapus als auch von Turnus erkannt wird – ohne dass einer der beiden in einen Besitz-Zusammenhang oder eine andere frühere Verbindung mit ihm ge-

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bracht würde. Lediglich im lateinischen Text gehört der Helm eindeutig Messapus (galea Messapi). Zwar wird auch in den beiden mittelalterlichen Fassungen diese Besitzerstruktur aufgebaut, völlig unzweifelhaft ist es indes nicht. Veldeke nähert sich nun mit dieser merkwürdigen Zeichnung des Gegenstands wieder stärker den antiken Zusammenhängen an, wo der Erzähler eine Fatalität der Dinge etabliert (die allerdings vornehmlich auf den Brustschmuck bezogen wird). Welche Schlüsse erlauben die drei unterschiedlichen Entfaltungen des Motivs? Die komplexeste Darstellung zeigt Vergil: Er erzählt von zwei Gegenständen, die auf je eigene Weise dem Räuber ‚in den Rücken fallen‘, und damit bestätigen, was auf der Ebene der narratio vor allem an das Wehrgehänge gebunden ist. Der ‚Roman‘ verlagert die Verantwortlichkeit stärker auf die personale Ebene. Er erzählt nur noch von einem Helm, dem zwar auch etwas Verräterisches innewohnt, das dann jedoch von der Figurenhandlung in den Hintergrund gerückt wird. Veldeke orientiert sich anfangs an dieser Darstellung, was zunächst ebenso mit einer gewissen Depotenzierung des dinglichen Eigengewichts einhergeht. Genau dieses scheint aber zum Abschluss der Szene umso stärker prominent gemacht, als Leser und Hörer den Eindruck gewinnen können bzw. gar müssen, dass der Helm eine wesentlich bedeutendere Rolle beim Tod von Euryalus und Nisus gespielt hat, als es zuerst den Anschein hatte.

4.3.2.3 Fazit zu den Helmen Wir sahen zwei Aneignungsprozesse mit zwei (zumindest in den mittelalterlichen Fassungen) ‚gleichen‘ Raubgütern, die dennoch bei eingehender Betrachtung von vollkommen unterschiedlicher Qualität sind. Bei der Camilla-Szene handelt es sich um einen glänzenden, vor Edelsteinen prangenden Helm, der als Verführer im ‚Roman‘ wie auch bei Veldeke zum ‚Erfüllungsgehilfen‘ des vorgezeichneten Schicksals wird. Seine Anziehungskraft kommt besonders in der französischen Fassung zur Geltung, wo die Amazone den anderen goldenen Gegenständen des Priesters keinerlei Beachtung schenkt. Dass dieses Ding einzig dem Zweck dient, sie ins Verderben zu ziehen, lässt sich auch daran erkennen, dass es nach ihrem Tod innerhalb der erzählten Welt nicht mehr vorkommt. Mit deutlich stärkerer agency gezeichnet ist Messapus’ Helm, und das vor allem in der lateinischen und der deutschen Fassung.306 306 Das lässt sich bei Veldeke auch anhand unterschiedlicher Bezeichnungsweisen bezüglich des Leuchtverhaltens der beiden Helme deutlich machen: Wo Chloreus’ Helm lûhtet (ER 244,8), beginnt der Gegenstand, den Euryalus nimmt, zu blîchen (ER 185,9). Dieses Blinken scheint mir ein ‚aktiverer‘ Vorgang als ein (statisches) Leuchten. Dass eine solch penible Lektü-

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Vergil zeigt mit Rhamnes’ Wehrgehänge noch einen weiteren Gegenstand, der Euryalus’ Fluchtplänen entgegenwirkt. Dieses Detail tilgen die mittelalterlichen Autoren. Sie reichern ihre Darstellung um ethische Diskurse an, dabei zeigt sich besonders beim Anonymus das Fatale des Gegenstands verlagert auf das törichte Verhalten des Räubers. Im ‚Eneasroman‘ erscheint der Helm wieder stärker als ‚Handelnder‘, was sich aber erst im Verlauf der Szene entfaltet. Obwohl man über den Gegenstand wenig mehr erfährt, als dass er vil wol getân ist, verschwindet er nicht einfach von der Erzählebene. Damit stellt er das Gegenstück zu Chloreus’ Helm dar, der von unglaublicher Pracht ist, den aber nach Camillas Tod niemand mehr zu sehen scheint. Im Gegenteil lässt sich eine beinah triumphale Rückkehr beobachten: Das Ding genießt offenbar allgemeine Bekanntheit, und wie nach erfolgreich ausgeführtem Auftrag wird ihm breite Anerkennung zuteil. Das lässt den Eindruck entstehen, dass dieser Helm stärker in den Tod seiner Räuber verwickelt ist, als es zunächst den Anschein hatte. In dem Maße gewinnt das Ding Aktantenstatus und steht am Ende der Szene nahezu gleichberechtigt neben den Figuren Messapus und Turnus. Der Anlage nach scheint er auf dem Weg zum heiligen Gegenstand, in Ansätzen baut sich hier eine Ding-Geschichte auf. Veldeke nähert sich darin den antiken Zusammenhängen an, indem er eine dingliche Eigenwirkung nicht nur in den Bereich des Möglichen stellt, sondern sie beinah schon nahelegt. Allerdings wird diese punktuelle Aufwertung genauso abrupt vom Text wieder beendet, wie sie etabliert wurde, denn nach diesem seltsamen Ende verschwindet auch im ‚Eneasroman‘ der Helm komplett von der Bildfläche.

4.3.3 Figurenwissen, Ding-Geschichte und narrative Rechtfertigung: Turnus’ Ende Eneas’ Kontrahent nimmt dem gefallenen Pallas, den er zuvor im Kampf getötet hatte, den Ring ab. Diese Handlung wurde in der Forschung hauptsächlich unter der Perspektive des unvernünftigen Begehrens von Besitztümern eines Toten untersucht und dabei mit den Helmen von Messapus und Chloreus in Bezug gesetzt. Der Raub, so der Tenor, stelle in Turnus’ „Triebverfallenheit“ einen weiteren Mosaikstein mangelnder Herrschertugend dar, sein späterer Tod durch den ihm als Kontrastfolie gegenübergestellten Eneas sei daher die

re berechtigt ist, zeigt sich anhand der pauschalen Feststellung: „Der Glanz stellt ein wichtiges Merkmal fast aller in den mittelalterlichen Antikenromanen vorkommenden Artefakte dar, denn dadurch sticht der […] Gegenstand sofort aus seiner Umgebung heraus und fesselt den Betrachter.“ Grosse (s. Anm. 116), S. 121.

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folgerichtige „Vergeltung“ 307. Wie bei den Helmen kann auch hier die Konzentration auf den rêroup-Diskurs den Blick auf die spezifische Qualität des Gegenstands (bzw. der Gegenstände) verstellen. Das wird besonders daran ersichtlich, dass im antiken Epos ein gänzlich anderes Beutestück gezeigt ist. Im Folgenden sollen besonders zwei Aspekte im Mittelpunkt stehen, die im Theorieteil (vgl. besonders S. 53–56) diskutiert wurden: Zum einen – hier betrachte ich vor allem das Wehrgehänge bei Vergil – ein an das Ding gebundenes alternatives Verständnisangebot, das in Opposition tritt zu dem auf der Ebene der Figurenhandlung (scheinbar) etablierten Zusammenhang. Zum zweiten – hier beziehe ich mich speziell auf die beiden mittelalterlichen Erzählungen – diskutiere ich das Spannungsverhältnis zwischen Erzähler- und Figurenwissen vor dem Hintergrund der dargestellten Handlungszusammenhänge. Auf den Seiten 45–49 war die Rede von paradigmatisch aufeinander bezogenen Erzählmotiven, wo in Form von Äquivalenzstrukturen (Similarität vs. Opposition) Zusammenhänge und damit alternative Interpretationsangebote gestiftet werden. Bei den im Folgenden untersuchten Passagen ist bemerkenswert, dass sich diese paradigmatischen Bezüge zwischen der antiken Erzählung und den mittelalterlichen Werken deutlich unterscheiden. 4.3.3.1 Pallas’ Wehrgehänge: Alternative(n) ‚im Ding‘ Aeneas kehrt mit Hilfstruppen aus Pallanteum zurück, darunter auch Euanders Sohn Pallas. Sofort nach dem Anlegen am Ufer entwickelt sich der Kampf, Turnus tritt Pallas gegenüber und tötet ihn. Anschließend beugt er sich über den Toten und eignet sich in herabwürdigendem Gestus dessen verzierte Rüstung an: et laevo pressit pede talia fatus exanimem rapiens immania pondera baltei impressumque nefas: una sub nocte iugali caesa manus iuvenum foede thalamique cruenti, quae Clonus Eurytides multo caelaverat auro; quo nunc Turnus ovat spolio gaudetque potitus. (Aeneis X, 495–500: ‚Und nach diesen Worten trat er mit dem linken Fuß auf den Leichnam, riss ihm vom Leib das schwergewichtige Wehrgehänge mit dem abgebildeten Verbrechen: In einer einzigen Nacht, der Hochzeitsnacht, der schändliche Mord an einer Schar junger Männer und blutüberströmte Gemächer – diese Szene hatte Clonus, der Sohn des Eurytus, in massiver Goldarbeit ausgeführt; über dieses Beutestück frohlockt Turnus und freut sich seines Gewinns.‘)

Auf die auffällige Darstellung auf dem Wehrgehänge wird später zurückzukommen sein. Im Blickfeld steht zunächst Turnus’ Verhalten. Der Erzähler ta307 Ridder/Lemke (s. Anm. 150), S. 110.

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delt seine Maßlosigkeit und lässt kaum Zweifel, dass dieser einen verhängnisvollen Fehler begangen hat: ‚Nichts weiß der Menschen Herz von Fatum und künftigem Geschick, weiß nicht Maß zu halten, wenn es vom Glück emporgehoben‘ (Aeneis X, 501). Dabei ist zunächst nicht klar, worin der Mangel an Maßhalten konkret liegt, denn die Entwendung von Besitz eines Besiegten als solche ist ja in der ‚Aeneis‘ kaum anstößig; so hatte Pallas seinerseits angekündigt, Turnus im Falle des Sieges die Rüstung abzunehmen (vgl. Aeneis X, 449– 450). Ist es die herablassende Haltung (er tritt auf die Leiche), die generelle Überheblichkeit (vgl. Aeneis X, 514–515) – oder liegt sein Schicksal im Raubgegenstand? Der Vorausblick des Erzählers lässt diese Deutung jedenfalls zu: Es werde für Turnus ‚die Zeit kommen, […] wo er dies Beutestück und den Tag verflucht‘ (Aeneis X, 502). Hierin lassen sich Parallelen zum Beutezug von Nisus und Euryalus erkennen, wo dem Seher Rhamnes ein Waffengürtel geraubt wurde, dessen belastete Herkunft sich auch auf die beiden Figuren übertrug. Diese Verweisstruktur war den Handelnden indes nicht zugänglich. Das ist hier anders. Man erfährt zwar nichts von der Herkunft des Wehrgehänges, stattdessen erzählt der Gegenstand mittels der Verzierung aber selbst eine Geschichte (deren Sinn sich freilich hier noch nicht ganz erschließen will). Mit der Geschichte auf dem Waffengürtel wird ein Verständnisangebot bereitgestellt. Allerdings ist dieser Deutungsimpuls ausschließlich auf den Rezipienten ausgerichtet, denn innerhalb der erzählten Welt wird die Abbildung offenbar überhaupt nicht wahrgenommen. Die Folgen des Raubs machen sich für Turnus erst im finalen Zweikampf bemerkbar. Dabei wird in der ‚Aeneis‘ der göttliche Einfluss deutlich: Die fata müssen sich erfüllen, so muss sich Turnus letztlich, wie schon geschildert, der Übermacht des Helden beugen (Aeneis XII, 930–938). Offenbar ist Aeneas zunächst nicht unempfänglich für dessen Gnadengesuch. Dann fällt ihm jedoch das Raubgut ins Auge – seine Stimmung schlägt radikal um. In Kap. 2.1 (vgl. S. 9–13) wurde das ‚prekäre Moment‘ der Trophäe diskutiert: „[S]oweit die Trophäe noch auf ihren ursprünglichen Besitzer verweist, von dem sie ihre Macht bezieht, bedeutet sie immer auch die mögliche Rache des Beraubten.“ 308 Und so begründet Aeneas nun auch die Tötung: ‚‚Willst du mir etwa hier noch entrinnen, angetan mit den Beutestücken der Meinen? Pallas opfert dich mit diesem Hieb, ja Pallas, und lässt dich büßen mit deinem verruchten Blut‘‘ (Aeneis XII, 948–949). Insofern scheint hier im Rekurs auf das Wehrgehänge die konsequente Rache des Besitzers und damit exakt das Wesen der Trophäe zum tragen zu kommen.

308 Habermas (s. Anm. 26), S. 339.

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Eine kritische Lektüre lässt jedoch die Wirksamkeit einer solchen fatalen Kraft des Dings aus mehreren Blickwinkeln heraus fragwürdig werden. Zwar bezeugen Aeneas’ finale Worte, dass er es als Affront betrachtet, dass sein Kontrahent ihm ‚mit den Beutestücken der [S]einen‘ (Aeneis XII, 947) entgegentritt. Dazu ist jedoch Folgendes festzuhalten: Beutemachen ist in der ‚Aeneis‘ grundsätzlich kaum anstößig, und auch der Erzähler hatte bei genauer Betrachtung weniger die Beraubung von Pallas als solche kritisiert, sondern vielmehr die herablassende Art der Aneignung. Von dieser kann Aeneas aber auch durch den jetzigen plötzlichen Anblick der Gegenstände nichts wissen. Und ebenso zumindest fragwürdig scheint der etablierte Konnex vom Erblicken des Raubguts an Turnus’ Schulter und der Erinnerung des Helden ‚an seinen bitteren Schmerz‘ (Aeneis XII, 945), schließlich weiß Aeneas ja schon seit längerem, dass Turnus Pallas getötet hat. Vor allem das Ausmaß seines plötzlichen Sinneswandels – auf einmal ist er ‚schrecklich in seinem Zorn‘ (Aeneis XII, 946– 947) – irritiert doch verhältnisweise stark. Zwar ergänzt der Erzähler, dass der Held ‚von Furien entflammt‘ sei (Aeneis XII, 946–947), diese werden aber kaum als tatsächlich Handelnde ins Recht gesetzt, sondern vielmehr metaphorisch eingeflochten. Letztlich kann man sich daher des Eindrucks kaum erwehren, dass hier die Gegenstände lediglich in vorgeschobene Kausalzusammenhänge eines Geschehens eingelagert sind, das von vornherein festgelegt ist. Mit anderen Worten: Die scheinbar konsequente Rache des Beraubten korreliert doch auffällig deutlich mit dem durch das Fatum festgelegten Geschehen. Die ‚Aeneis‘ endet mit Turnus’ Tod, der Erzähler bewertet die Tat des Helden nicht. Auf der Ebene der narratio findet sich jedoch ein Element, das Aeneas’ Handeln implizit ein Korrektiv gegenüberstellt – und damit auch das eben kritisch beleuchtete Moment der Trophäe (die erwähnte Rache des Beraubten) zumindest in Ansätzen als weniger unvermeidlich darstellt, als die Erzählung im Moment der Tötung von Turnus glauben macht. Wir erinnern uns: Der Erzähler hatte die kunstvolle Verzierung des Wehrgehänges beschrieben (vgl. Aeneis X, 495–500), die die sogenannte ‚Bluthochzeit‘ der Danaustöchter zeigt. Im Danaidenmythos flieht König Danaus mit seinen fünfzig Töchtern vor seinem Bruder und dessen fünfzig Söhnen, kann aber eine Heirat der Töchter mit den ihnen folgenden Vettern nicht verhindern. Seinem Aufruf, die Gatten in der Hochzeitsnacht zu töten, kommen alle nach bis auf Hypermnestra, sie schont den jungen Lynceus.309 Die Erzählung liefert keine Verknüpfung zwischen dieser rezipientenorientierten Verweisstruktur und der erzählten Welt, die abgebildeten Zusammenhänge sind den Figuren nicht zugänglich. Dennoch erscheint es bemerkenswert, dass die auf der Ebene der Handlung auf-

309 Vgl. Suerbaum (s. Anm. 154), S. 349–352.

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scheinende Logik der Trophäe im selben Gegenstand zurückgenommen oder zumindest in Frage gestellt wird. Gleichzeitig ist die aufgezeigte Handlungsalternative auf dem Wehrgehänge auch für den Rezipienten lediglich ein Verständnisangebot, denn der Erzähler zieht weder eine explizite Verbindung zwischen Aeneas’ Handeln und der bildlichen Darstellung, noch ruft er diese hier nochmals in Erinnerung.

4.3.3.2 se il seüst: Der fatale Ring? Kommen wir damit zur Verhandlung der eben diskutierten Szene in den mittelalterlichen Erzählungen. Anders als bei Vergil agiert Turnus im ‚Roman‘ nicht mit roher Kraft, sondern mit Geschick und höchster Konzentration (vgl. RdE 5739–5748). Tödlich verwundet sinkt Pallas zu Boden, dabei entgleiten ihm auch Teile seiner Rüstung: gete l’espee, lait l’escu (RdE 5750: ‚er wirft das Schwert von sich, er lässt den Schild fahren‘). Im Gegensatz zur antiken Vorlage sind es nun allerdings keine Rüstungsgegenstände, die Turnus sich aneignet: Turnus le vit mort devant sei, un anel choisi en son dei que Eneas li ot doné; molt i ot bien encastoné un lioncel fait d’une jagonce; d’or i avait bien plus d’une once. Il s’abaissa, del dei li trait, en suen le met. (RdE 5763–5770: ‚Turnus sah ihn tot vor sich liegen, er erblickte einen Ring an seinem Finger, den Eneas ihm gegeben hatte; sehr gut war darin ein junger Löwe eingefasst, der aus einem Hyazinthstein gemacht war; viel mehr als eine Unze Gold war daran. Er bückte sich, er streift ihn ihm vom Finger, er steckt ihn an den seinigen.‘)

Es wird eine Alternativkonstellation aufgebaut: Turnus’ Interesse gilt gerade nicht dem vor ihm liegenden Schild und dem Schwert, was zwar auch Totenberaubung, vor dem Hintergrund der potentiellen Nutzung im Kampf aber vielleicht noch begreiflich gewesen wäre.310 Vielmehr hat er dafür gar keinen Blick, sondern ist (im Kontrast zur vorherigen Besonnenheit) nur gefesselt von

310 Diese These lässt sich mit einer Tat des Helden stützen: Nach dem Kampf gegen Lausus nimmt Eneas in den mittelalterlichen Erzählungen (bei Vergil ist das gerade nicht zu sehen) dem Getöteten das Pferd weg. Dieser rêroup scheint ‚situativ gerechtfertigt‘: Sein eigenes Pferd war kurz zuvor getötet worden, nun reitet er schnell zurück in die Schlacht; Veldeke verstärkt die Notwendigkeit der Aneignung dadurch, dass der Held den wütenden Gegnern entkommen muss (vgl. RdE 5914–5917; ER 213,30–36).

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dem goldenen Ring – einem symbolischen Gegenstand par excellence. Im Vergleich zur lateinischen Fassung ist die Neueinführung an dieser Stelle eine grundlegende Umgestaltung. Diese geht auch mit einem Wechsel der paradigmatischen Bezüge einher. Wo die ‚Aeneis‘ mit dem Wehrgehänge Parallelen zum Beutezug von Nisus und Euryalus (Rhamnes’ Waffengürtel) bietet, lassen sich beim Anonymus im Ring vor allem Verbindungen zum Helm von Chloreus ziehen – und zwar in Gestalt der in Form und Material ähnlichen Grabmale, die es erst im ‚Roman‘ (und dann auch bei Veldeke) gibt, nicht aber im antiken Epos. War bei Chloreus’ Helm das Grab für diejenige errichtet, die das Beutestück an sich nimmt (Camilla), so ist im vorliegenden Fall mit dem Ring eine Verbindung zum Beraubten selbst angelegt (Pallas). So prangt Pallas’ Totenbahre samt Federbett vor Gold, auch das Totengewand ist golddurchwirkt (vgl. RdE 6107–6122); in Pallanteum wird ihm eine goldene Tunika angelegt, golden sind die Sporen samt Riemen (RdE 6393–6398). Der deutlichste Anklang zeigt sich in den Standbeinen des Sargs, der ‚auf vier jungen Löwen [ruhte]; sie waren aus feinem Gold gegossen‘ (RdE 6456–6457). Das alles bleibt jedoch ein Deutungsangebot, der Text expliziert die Bezüge von Ring zu Grabmal nicht. Innerhalb der erzählten Welt zieht der goldene Ring Turnus in seinen Bann wie Chloreus’ Helm Camilla (vgl. S. 132–138). Der Unterschied ist die emotionale Bindungsstruktur: Der Ring ist ein Geschenk von Eneas. Das wissen aber zunächst nur Leser und Hörer, und der Erzähler lässt keinen Zweifel daran, dass der, der später dafür bezahlen muss, dieses Wissen nicht teilt: Por fol le fait: puis fu tels jors, se il seüst, que ja par lui bailliez ne fust, se il s’en peüst repentir, car par l’anel l’estut morir. (RdE 5770–5774: ‚Töricht tut er daran: später kam ein solcher Tag, da er, wenn er es gewusst hätte, ihn niemals genommen hätte, wenn er es hätte bereuen können, denn durch den Ring musste er sterben.‘)

Wie das Wehrgehänge bei Vergil wird der Ring als zentraler Faktor für den weiteren Verlauf positioniert, par l’anel muss Turnus sterben. Diese Feststellung erwächst aus der Gewissheit des Erzählers um die Wirkung, die er später auf Eneas haben wird. Zugleich hat diese Darstellung auch etwas Entlastendes für Turnus: Hätte er um die spezifische Qualität des Schmuckstücks gewusst, hätte er es nicht genommen. Dies könnte vermuten lassen, dass die Aneignung von Pallas’ Waffen weniger verhängnisvoll gewesen wäre, zumal die Fokussierung auf ein Schmuckstück die Unnötigkeit der Aneignung akzentuieren mag.

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Bei genauer Betrachtung erscheint aber auch das diskussionswürdig. Zwar handelt es sich bei den Waffen um keine Gaben von Eneas. Zumindest in Bezug auf das Schwert sollte man aber davon ausgehen können, dass auch dieses dem Helden bekannt gewesen sein müsste, schließlich hatte er es Pallas bei dessen Schwertleite eigens angelegt: ‚[D]er König ließ seinen Sohn bitten, er hat ihm Waffen bringen lassen; dort wurde Pallas bewaffnet, Eneas gürtet ihn mit dem Schwert‘ (RdE 4811–4814). Mit anderen Worten: Eneas hätte wohl so gut wie jedes Teil von Pallas’ Besitz als solches identifizieren können. Demzufolge hätte Turnus gar keinen Gegenstand entwenden dürfen – oder das Raubgut später zumindest nicht öffentlich sichtbar werden lassen. Jedenfalls ist aus dieser Sicht heraus die derartig in den Vordergrund gestellte Herkunft des Rings letztlich kaum mehr als die erzählerische Rechtfertigung des Unvermeidlichen und die Vorbereitung auf die Tötung von Turnus durch Eneas. Denn auch im französischen Text wehrt Turnus sich nach Kräften, bleibt letztlich aber chancenlos, muss sich unterwerfen und gibt alle Ansprüche auf. Als Zeichen dafür ‚nahm er seinen Helm und reicht ihn ihm‘ (RdE 9792). Zunächst scheint das auch zu fruchten, Eneas bekommt grant pitié (RdE 9793) und nimmt den Helm entgegen, dabei wird er plötzlich mit dem früheren Raub konfrontiert: Turnus li a l’elme baillié. Endementres qu’il li tendeit, en son dei l’anel Pallas veit, qu’il li toli, quant il l’ocist; tot son grant duel en refreschist, quant de Pallas li remembra. (RdE 9795–9799: ‚Turnus hat ihm den Helm gegeben. Während er ihn ihm reichte, erblickte er an seinem Finger den Ring des Pallas, den er ihm raubte, als er ihn tötete; sein ganzer großer Schmerz erwachte dadurch wieder, als er sich an Pallas erinnerte.‘)

In auffälliger Parallelität zur Beraubung ist eine Alternativkonstellation zu erkennen: Eneas sieht zunächst Turnus’ Helm, wie Turnus Schwert und Schild des toten Pallas sehen musste. Auch hier wird der Blick der Figur auf den Ring gelenkt. Das ändert die Stimmung des Helden grundlegend, Mitleid weicht dem Zorn. Wie bei Vergil begreift sich Eneas als Medium von Pallas’ Rache und tötet Turnus.311

311 „Ich hätte Mitleid mit dir […], aber durch diesen Ring erinnere ich mich an Pallas, den du tötetest; […] Nicht Eneas wird dich töten, sondern Pallas rächt sich an dir“ (RdE 9804– 9810).

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Der Ring erscheint erzählerisch aufgewertet, was schon daran ersichtlich wird, dass er allein aufgrund seiner Größe – im Gegensatz zum Wehrgehänge bei Vergil – Eneas prinzipiell wohl nicht ohne weiteres ins Auge hätte fallen müssen (ungeachtet des Umstands, dass der Held wohl auch die Waffen hätte identifizieren können). Zwar kann Turnus eine Mitschuld kaum abgesprochen werden, denn hätte er den Ring verwahrt anstatt zu tragen, wäre Eneas wohl nie auf die Tat aufmerksam geworden. Es ist also genau genommen nicht die bloße „Torheit des Raubes“ 312, die Turnus zu Fall bringt, sondern die Unklugheit der öffentlichen Demonstration des Beutestücks. Die ist aber zweifellos erzählerisch so vorgesehen. Denn man könnte zwar eine Logik des Gegenstands anführen – ein Ring ‚will‘ angelegt werden. Dem kann allerdings entgegengehalten werden, dass der ‚Roman‘ noch von weiteren Ringen berichtet (vgl. die Gaben bei Dido, S. 66–75), die auch den Besitzer wechseln, bei denen aber von einem Anlegen oder Tragen nichts erzählt wird. Die auffällige Änderung der Art des geraubten Gegenstands stellt insofern nichts anderes als das nachhaltige Bestreben dar, bei Turnus das Moment der Eigenverschuldung zu akzentuieren. In dem Maße, wie die antiken Götter an Relevanz und Handlungspotenz verlieren, gewinnen die Figuren an Eigenverantwortung für ihr Schicksal. In dieser Hinsicht soll der Ringraub das erzählerisch notwendige Ende plausibel machen, zumal Turnus sich ja offenbar gezielt gegen echte Rüstungsgegenstände entscheidet. Bei Vergil war der Raub des Wehrgehänges sicher auch nicht zwingend notwendig. Dennoch war hier gleichzeitig die tatsächliche Benutzung zu erkennen, wie provokativ diese auch gewesen sein mag. Das ist mit dem Raub eines Schmuckstücks völlig anders. Dies braucht Turnus im engeren Sinne keinesfalls. Und das wird noch durch den Umstand verschärft, dass der Symbolgegenstand ein Geschenk des Helden ist. Gleichzeitig betont der Erzähler, dass Turnus das nicht weiß. Hier lässt sich ein gewisses Unbehagen an einer eindeutigen Negativzeichnung von Eneas’ Kontrahent erkennen. Zugleich fällt auf, dass der Held fast gleich wie bei Vergil die Logik der Trophäe bemüht (die Rache des Beraubten), was hier jedoch viel eher als erzählerischer Versuch daherkommt, auch Eneas von einem Fehlverhalten zu entlasten. Denn angesichts der weitgehenden und teilweise grundlegenden Umgestaltungen im Vergleich zur antiken Erzählung muss die Frage letztlich erlaubt sein, ob der Tod von Turnus tatsächlich erzählerisch unausweichlich gewesen ist. Der ‚Eneasroman‘ orientiert sich an der französischen Fassung. Nach Pallas’ Tod sticht Turnus auch hier ein Gegenstand besonders ins Auge:

312 Ridder/Lemke (s. Anm. 150), S. 110.

Waffen und Schutzgegenstände

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ein vingerlîn heter an der hant der junkhêre Pallas, daz gab ime Ênêas dorch trouwe und dorch fruntschaft, dorch minne und dorch geselleschaft, daz was rôt goldîn; ezn dorfte niht bezzer sîn und enwas niht ze kleine, mit einem edilen steine, daz was ein smaragdûs grûne. (ER 207,12–21)

Veldeke weitet die Valenz des Dings aus. Neben der materiellen Beschaffenheit sind vor allem die persönlichen Bindungskräfte stark akzentuiert: Eneas scheint ein Höchstmaß an emotionaler Hinwendung in den Ring gelegt zu haben, der Aspekt der Freundschaftsgabe wird bei Veldeke noch deutlicher als bei seinem altfranzösischen Vorgängertext. Zugleich ist der Ring, wie im ‚Roman‘, auch dadurch hervorgehoben, dass das Pallas-Grab in auffälliger Weise die Beschaffenheit des Rings monumentalisiert. Die deutsche Erzählung setzt hier, wie beim Camilla-Grab, eigene Akzente: Bereits Pallas’ Totenbahre (vgl. ER 216,29–217,5) lässt im Rot der Samtdecke Bezüge zum rotgoldenen Ring erkennen. Bei der Bestattungszeremonie wird Pallas explizit in königlichem Ornat gezeigt, erhält ein zeptrum und eine goldîne krône, zudem wieder ein goldîn vingerlîn (vgl. ER 222,39–223,21). Die Grabkammer ist mit Gold verkleidet (ER 224,15–19), am deutlichsten werden im Sarg aus grünem Schmuckstein (prasîn grûne; ER 224,28) Verweise zum geraubten Ring sichtbar. Eine Alternativentscheidung wie beim Anonymus ist im ‚Eneasroman‘ nicht zu erkennen. Von Pallas’ Besitz wird einzig der Ring erwähnt, der Turnus so fesselt, dass er sîn selbes sêre drane [vergaz] (ER 207,23), was der Erzähler eindeutig bewertet und mit seinem kommenden Schicksal verknüpft.313 Diese Verknüpfung von rêroup und Vergeltung war zwar schon im ‚Roman‘ angelegt. Allerdings ließ der französische Text mit Pallas’ Waffen zumindest Raum für die Überlegung, ob ein anderes Beutestück weniger problematisch gewesen wäre – wenngleich das bei genauer Lektüre unwahrscheinlich erschien. Erwägungen dieser Art erlaubt Veldekes Schilderung nicht. Zwar weiß Turnus auch bei ihm offenbar nicht, dass das vingerlîn eine Freundschaftsgabe ist. Das findet aber keine Betonung mehr. Der Ring ist noch deutlicher auf die

313 ê danne er kêrde dane, / abe dem vinger herz im nam, / daz im sint zunstaden quam. / her tet ouch bôslîche / Turnûs der rîche / unde harde sînen gewalt, / des her sît sêre engalt, / dô der helt Ênêas / sîn sô gewaldich was, / daz her wol genesen mohte sîn, / niwan daz vingerlîn, / daz her in dar umbe slûch. / dâ mite engalders ouch genûch (ER 207,24–36).

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finale Erzählstruktur hin perspektiviert, was mit einer Komplexitätsreduktion einhergeht: Dass Turnus von der Geschichte des Dings nichts weiß, ob er mit der Aneignung der Waffen besser beraten gewesen wäre, ob Eneas diese später auch hätte identifizieren können, all das rückt völlig in den Hintergrund. Das Kommende wird zwar auch mit einer Fatalität des Gegenstands verknüpft (niwan daz vingerlîn), im Vordergrund steht jedoch Turnus’ bôslîche[s] Handeln. Auch im ‚Eneasroman‘ unterliegt Turnus, gibt alle Ansprüche auf und bittet um Gnade. Einem harmonischen Ausgang steht auch hier das unsâlich vingerlîn (ER 331,6) entgegen, bei dem das emotionale Moment durch die Erläuterung der Herkunftsgeschichte und des Raubs nochmals deutlich akzentuiert wird. daz vingerlîn het Ênêas dem jungen Pallante gegeben. dô im Turnûs nam daz leben, dô nam herm ouch daz vingerlîn: daz mûste dô sîn schade sîn, wander bleib dar umbe tôt. (ER 331,10–15)

Der Ring-Raub wird als Grund für Turnus’ Tod positioniert, dar umbe wird Eneas ihn töten. Nochmals – und wesentlich deutlicher als in der altfranzösischen Vorlage – in den Vordergrund gerückt ist der Aspekt der Freundschaftsgabe und der unwiederbringlichen Zerstörung dieser Bindung durch die Tötung. Von einem Helm ist nichts zu erkennen, Turnus streckt lediglich sîn hende (ER 331,16) aus. Eine Wahlmöglichkeit ist Eneas also kaum gegeben, vielmehr macht diese Geste der Unterwerfung – anders als beim Anonymus – geradezu wahrscheinlich, dass der Held daz goldîne vingerlîn (ER 331,21) sieht. Und das ändert seine Haltung: her sprach ‚ez mûz al anders sîn, hien mach sûne niht geschehen: ich hân daz vingerlîn ersehen, daz ich Pallante gab, den dû fromdest in daz grab und im tâte den tôt. des ne was dir nehein nôt, daz dû sîn vingerlîn trûge, […] ez was ein bôsiu girheit. des sage ich dir die wârheit, nû mûstû sîn engelden.‘ (ER 331,22–33)

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Diese Worte stellen, ähnlich den Vorgängerfassungen, den erzählerischen Versuch dar, die fehlende Nachsicht des Helden plausibel zu machen. Dass diese Behandlung des Unterlegenen und um Gnade Flehenden zumindest irritierend wirkt, hat die Forschung verschiedentlich festgehalten: „Es bleibt ein gewisses Mißbehagen.“ 314 Wer Eneas’ Worte genau betrachtet, kann erkennen, dass auch im ‚Eneasroman‘ die Verortung des Vergehens in der bloßen Beraubung – in Turnus’ girheit – zu kurz greift. Der Held hat den Ring ersehen und weiß daher nun um das Vergangene. Obgleich der Erzähler Turnus’ Verhalten dezidiert abwertet, wäre das Vergehen kaum an die Oberfläche gedrungen, wenn er den Ring verborgen hätte. Das wird hier noch akzentuiert, wenn Eneas betont, es habe für Turnus keine Veranlassung bestanden, dass er den Ring trûge. Wie im ‚Roman‘ stellt dies auch hier den Versuch dar, das Ende plausibel zu machen. Trotz dessen, dass der Text ohne Zweifel bereits den Raub an sich als maßgebliches Vergehen wertet, würde ohne die öffentliche Sichtbarmachung dem Helden innerhalb der erzählten Welt schlicht die Grundlage fehlen, mit seinem Kontrahenten – den besonders Veldeke auch mit einiger Sympathie zeichnet – in der gesehenen Weise zu verfahren. Insofern lässt sich hier besonders deutlich erkennen, wie stark der Gegenstand auf die narratio hin funktionalisiert ist, was sich auch daran ablesen lässt, dass das Ding nach dem Sieg des Helden, wie auch im ‚Roman‘, innerhalb der erzählten Welt überhaupt keine Rolle mehr spielt.315

4.3.3.3 Fazit zum Wehrgehänge und zum Ring des Pallas Aus narratologischer Sicht weist die ‚Aeneis‘ hinsichtlich der Raubgüter einen beträchtlich höheren Komplexitätsgrad auf als die mittelalterlichen Bearbeitungen. Turnus nimmt sich Pallas’ Gürtel und Wehrgehänge; neben seiner problematischen Haltung während der Aneignung ist das Anlegen der Gegenstände nicht nur unnötig, sondern vor allem unklug, da Aeneas sie wiedererkennen kann. So kann sich die Rache des früheren Besitzers Bahn schlagen. Gleichwohl – und das wird auch in den mittelalterlichen Fassungen deutlich – ist dieses fatale Moment der Gegenstände insofern depotenziert, als die Erzählung eindeutig und fraglos auf den Sieg des Helden zusteuert. Es stellt sich kaum die Frage, ob Turnus umkommt, sondern nur wie. Aus dieser Perspektive ist sowohl das Wehrgehänge als auch der Ring konsequent auf das finale

314 Lienert (s. Anm. 10), S. 92. 315 Zwar schenkt Eneas (aber nur in der deutschen Fassung) Lavinia im weiteren Verlauf ein goldîn vingerlîn (ER 340,25), von dessen Herkunft wird jedoch nichts gesagt, Bezüge zum Pallas-Ring scheinen daher kaum zulässig.

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Handlungsziel ausgerichtet und nicht mehr als eine Rechtfertigung für Turnus’ Tod, was die Dinge in deutlichem Maße eines Eigengewichts beraubt. Bei Vergil sticht besonders die rezeptionsorientierte Funktionalisierung des Wehrgehänges hervor. Aeneas’ Handeln bekommt ein implizites Korrektiv gegenübergestellt, und zwar in dem Gegenstand, der innerhalb der erzählten Welt als Auslöser für die gnadenlose Tötung gezeichnet ist (gerade weil diese irritieren mag). Hier wird deutlich, wie komplex die ‚Aeneis‘ vielschichte Verständnisangebote an Dinge knüpft, die auf diese Weise eine ‚eigene Stimme‘ gewinnen. Der Anonymus ergänzt die Rüstungsgegenstände um einen symbolischen Gegenstand, dem durch die zweifache Entscheidungskonstellation, die der anel jeweils ‚zu seinen Gunsten entscheidet‘, etwas Verhängnisvoll-Eigenmächtiges anzuhaften scheint. Indes hat die Lektüre gezeigt, dass der trojanische Held auch andere Gegenstände später hätte erkennen können. Das macht letztlich deutlich, wie stark auch hier das Ding im Rahmen der finalen Motivierung funktionalisiert ist, und das gilt auch für Veldekes Erzählung. Dass der Ring in den mittelalterlichen Erzählungen aber dennoch weitaus mehr als die (fadenscheinige) Begründung für den Tod von Turnus darstellt, lässt sich anhand der paradigmatischen Bezüge zu Pallas’ Grab erkennen, das bei Vergil fehlt. Hier lassen beide Texte eine Verbindung des Rings mit dem Tod erahnen, allerdings in je spezifisch ästhetisierter Art. Insofern kompensieren sie in gewisser Weise mit den Grabmalen die Komplexität und Subtilität, die beim Ende des Zweikampfs im Vergleich zu Vergil verlorengegangen ist. Innerhalb der Szene ist daz vingerlîn dennoch letztlich wenig mehr als die Begründung einer Tötung, die augenscheinlich vollzogen werden muss: Die Erzählung, so scheint es, gestattet keine Existenz des Unterlegenen, die Herrschaft über Italien geht mit der Vernichtung des Kontrahenten einher. Gleichzeitig lässt sich dabei m. E. der kritische Einwand nicht von der Hand weisen, inwiefern man angesichts z. T. völliger Neueinführungen (wie insbesondere der Lavinia-Handlung) tatsächlich für einen strikten Stoffzwang der mittelalterlichen Werke argumentieren kann. Die hier auftretenden Inkongruenzen zeigen sich exemplarisch an der Verhandlung des Rings und lassen sich nicht abschließend auflösen.

5 Zusammenfassung Die Erkenntnisse, die sich auf Basis der gezeigten Untersuchung gewinnen lassen, sind zum einen erzähltheoretischer Natur, zum anderen betreffen sie die Forschung zum ‚Eneasroman‘. Zunächst lässt sich als übergeordneter und zentraler Befund festhalten, dass eine Ding-Lektüre ‚funktioniert‘: Der Fokus auf die erzählten Gegenstände konnte neue Sichtweisen offenbaren und Interpretationsebenen eröffnen; diese Lesart stellt eine innovative Ergänzung zu herkömmlichen figurenzentrierten Ansätzen da und liefert neue VerständnisPotentiale. Ich werde nun nochmals auf die zentralen Punkte der vorliegenden Arbeit eingehen. Um die grundlegende Relevanz von Gegenständen für menschliche Gemeinschaften zu verdeutlichen, wurden zu Beginn unterschiedliche kulturund religionswissenschaftliche Kategorien des Materiellen diskutiert, die auch für die literaturwissenschaftliche Analyse von Erzähltexten fruchtbar gemacht werden können. Den Ausgangspunkt stellte Marion Oswalds Untersuchung zur Gabe im Anschluss an Marcel Mauss dar, darüber hinaus wurden die Kategorien des heiligen Objekts sowie der Trophäe erläutert. All diesen Kategorien ist gemein, dass sie eine spezifische Aura, einen Handlungsimperativ oder gar eine Selbsttätigkeit und Belebtheit von Gegenständen zugrunde legen, und damit eine essentielle Verbindung von Mensch und Ding. Die Auseinandersetzung mit materiellen Gegenständen weist daher auch eine (entwicklungs-)psychologische Dimension auf, die jedoch nicht im Mittelpunkt stand. Weiter habe ich mich um eine spezifische Verständigung dessen bemüht, was im Rahmen meiner Arbeit als Ding zu bezeichnen ist. Wenngleich ich deutlich gemacht habe, dass mein Interesse nicht erkenntnisphilosophischer Natur (‚das Ding an sich‘) ist und ich ‚tatsächliche‘ materielle Gegenstände untersuchen möchte, zeigten sich im Hinblick auf die literarische Verhandlung doch prekäre Grenzbereiche. Zwar sind Dinge per Definition nicht menschlich. Speziell in vormodernen Texten werden jedoch bestimmte Mensch-Ding-Ensembles aufgebaut, die für eine Form von agency argumentieren lassen: Unbelebt und doch höchst aktiv, sind Dinge in komplexe erzählerische Beziehungsgeflechte eingelagert, gehen verschiedenste Impulse von ihnen aus. Die Ausgangsposition der Arbeit war, dass dem Facettenreichtum, der mit Dingen in Erzähltexten einhergehen kann, narratologisch bislang nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde. Unter Berücksichtigung klassischer wie neuester Modelle konnten Ansatzpunkte für erzähltheoretische Positionierungen aufgezeigt werden. Vier Bereiche bzw. Modelle haben sich aus meiner Sicht als die für die weitere literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung fruchtbarsten erwiesen: Das Aktantenmodell von Greimas, Chatmans Zwei-Ebenen-

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Modell sowie die Auseinandersetzung mit narrativen Motivierungsarten, bei denen ich mich hauptsächlich auf die Überlegungen von Martínez/Scheffel konzentriert habe. Speziell auf ältere Texte hin perspektiviert ist die mediävistische Mythosforschung, die in diesem Zusammenhang als sinnvolle Ergänzung, ja als Korrektiv zu modernen Ansätzen herangezogen werden kann, ohne dass sie bisher jedoch Dinge dezidiert in den Fokus genommen hätte. Das Aktantenmodell bietet den Vorteil, dass auf ‚anthropomorphe Kategorien‘ wie vor allem die (schwer bestimmbaren) Felder Subjektivität und Intentionalität komplett verzichtet werden kann. Stattdessen können Gegenstände wie Figuren in ihrer reinen Funktion für den Handlungsverlauf betrachtet werden: Die starre Opposition von Mensch und Ding wird in der Zuweisung abstrakter Rollen unterlaufen. Dinge scheinen mir gemäß der Kategorien von Greimas vor allem für zwei Rollen prädestiniert: Der des Helfers (adjuvant) und der des Gegners (opponent). Mit der Kategorie Aktant könnte also eine Wirkung oder Bedeutung von Dingen erfasst werden, und dieser Aktanten-Begriff könnte zudem in Unterscheidung verwendet werden zum menschlichen Akteur. Gleichzeitig wurden auch Probleme bzw. Grenzen der Anwendung dieses Modells deutlich. Denn es setzt voraus, dass die jeweiligen Rollen überhaupt mit Bestimmtheit festzulegen sind. Einem solchen stringent-funktionalistischen Verständnis vom Handlungszusammenhang werden aber besonders vormoderne Texte häufig nicht gerecht. Anhand von Chatmans Zwei-Ebenen-Modell habe ich dann eine Zuordnung von Dingen zu den klassischen Hauptkonstituenten von Erzählungen (Figur, Raum, Handlung) vorgenommen. Dabei wurde ersichtlich, wie hilfreich und gleichzeitig komplex die grundlegende erzähltheoretische Differenzierung von histoire und discours in Bezug auf erzählte Gegenstände sein kann. Zunächst war festzustellen, dass Dinge bislang keine eigene, separate AnalyseKategorie darstellen, sondern (meist implizit) den existents (d. h. den characters oder dem setting) zugeordnet werden. Hier wurde deutlich, dass diese hierarchische Unterordnung von Dingen in bestimmten Konstellationen in Zweifel zu ziehen ist – eine Einsicht, die auch bei Chatman selbst an einigen Stellen anklingt. In der Folge habe ich verschiedene Ansatzpunkte für Modifikationen der genannten Modelle aufgezeigt. Einen fruchtbaren Boden für die kategoriale Berücksichtigung von Dingen bieten auch narratologische Raum-Konzepte. Besonders Hoffmanns Unterscheidung von Stimmungs-, Anschauungs- und Aktionsraum stellt ein tragfähiges Analysegerüst dar, allerdings bleibt hier sicher noch Forschungsarbeit zu leisten. Das dürfte nicht zuletzt die Untersuchung der Unterwelt im ‚Eneasroman‘ verdeutlicht haben, wo die Spezifik des Raums Auswirkungen auf die Dinge zu zeitigen scheint, der Raum selbst durch Dinge determiniert ist, und

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auch die Figuren in diesem komplexen Geflecht stets in Beziehung zu dem jeweiligen Gegenstand gesetzt werden müssen. Hier konnte gezeigt werden, dass eine Funktionalität von Dingen nicht universal sein muss, sondern auch situativ variabel sein kann. Auf Basis dieser verschiedenen Einordnungen konnte ich meine Überlegungen zur Einbettung von Dingen in die Handlung mit mehr Trennschärfe fassen. Hier boten die sog. Motivierungsarten ein hilfreiches Analyseinstrumentarium, um der Verhandlung von Dingen auf unterschiedlichen narratologischen Ebenen (histoire vs. discours, erzählte Welt vs. narratio) angemessen begegnen zu können. Die kausale Motivierung beschreibt eine logische Sukzession der Handlungselemente, d. h. ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis. Sie gilt gemeinhin als der Normalfall von Erzählungen. Dabei wird (wie auch bei Chatmans Überlegungen zu existents und setting) die Funktionalität erzählter Gegenstände im Rahmen von Handlungssequenzen absolut gesetzt gemäß eines starren Schwarz-Weiß-Schemas: funktionieren oder nicht funktionieren. Ein – wenngleich möglicherweise irritierendes – ‚Dazwischen‘ ist derzeit als Möglichkeit nicht vorgesehen. Aus den genannten Gründen sind magische Objekte, die zweifelsohne in mittelalterlichen Texten häufig zu beobachten sind, für meinen Ansatz von vergleichsweise geringem Interesse. Denn wenngleich deren Wirkungsweisen natürlichen Gesetzmäßigkeiten zuwiderlaufen, werden sie dennoch (zumeist) gemäß eines strikt kausalistischen Funktionsschemas inszeniert (z. B. der Ring, der unsichtbar macht). Mein Interesse gilt vielmehr den Dingen, deren Rolle innerhalb von Handlungsverläufen weniger klar bestimmbar ist, die aber dennoch ‚irgendwie mitspielen‘. In diesem Zusammenhang wäre insbesondere für ältere Texte in Anschlag zu bringen, dass im Hinblick auf Dinge unser neuzeitliches Verständnis von Kausalität mit vormodernen Verständnisweisen nicht deckungsgleich sein muss. Als Beispiel wurde eingangs der Nibelungenhort erwähnt; hierbei wurden gleichzeitig Grenzen der Erschließbarkeit deutlich. Die finale Motivation umgeht eine solche (oft schwer zu bestimmende) Festlegung von Kausalrelationen, indem das Geschehen vom Handlungsendpunkt her plausibilisiert wird. Bei Dingen, das wurde im Laufe meiner Untersuchung deutlich, kann eine Einordnung im Rahmen dieser finalen Motivation die Gefahr bergen, Zusammenhänge innerhalb der erzählten Welt (d. h. etwaige Wirkungen von Dingen) zugunsten makrostruktureller Lesarten zu glätten. Das genaue Wie gerät bei einer solchen Fokussierung des Endzustandes bisweilen nämlich aus dem Blick. Besonders die Funktionalität des goldenen Zweigs in der Unterwelt steht diesbezüglich in einem deutlichen Spannungsverhältnis zwischen den beiden genannten Motivierungsarten (und das heißt

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auch: Interpretationsansätzen); insbesondere beim ‚Eneasroman‘ wurde hierbei eine relative Entwertung des Motivs erkennbar. Die ästhetische bzw. kompositorische Motivation fokussiert den Produktions- und Rezeptionsprozess. Dinge können hier als Symbol- oder Erinnerungsträger eingesetzt sein, was gerade in älteren Erzählungen eine sehr prominente Verwendungsweise darstellt. In eine ähnliche Richtung zielt das Konzept der paradigmatischen Motivierung. Dabei werden mehrfach wiederkehrende Erzählelemente über Äquivalenzmuster (Similarität vs. Opposition) zueinander in Bezug gesetzt. Für den ‚Eneasroman‘ kommen diesbezüglich vor allem die Helme von Chloreus und Messapus sowie die Grabmale (Dido und Pallas) in Betracht. Diese unterschiedlichen Motivierungsarten habe ich für erzählte Gegenstände einer kritischen Revision unterzogen und unterschiedliche Spannungsmomente und Grenzen ausgemacht. Generell zieht die moderne Narratologie mögliche dingliche Eigenwirkungen bis dato kaum in Betracht. Hier kann die mediävistische Mythosforschung ansetzen und dazu beitragen, neuzeitliche Kategorien wie Rationalität, Subjektivität und (naturwissenschaftliche) Kausalität kritisch zu hinterfragen und eine spezifische Alterität historisch entfernter Erzählungen mit deren jeweiligen gesellschaftlich-kulturellen Kontexten stärker zu berücksichtigen. Themen wie mythische Kausalität rücken hier ins Blickfeld, aber auch die Einsicht, dass sich manche Zusammenhänge in älteren Texten, die durch motivationale und kausale Grauzonen gekennzeichnet sind, anhand neuzeitlicher Verständniskategorien wohl überhaupt nicht befriedigend erschließen lassen. Das aber stellt auch einen Befund dar: Dinge dürfen rätselhaft bleiben. Freilich sind längst nicht alle erzählten Gegenstände von der Bedeutung wie Siegfrieds Schwert im ‚Nibelungenlied‘ (in dem Zusammenhang wäre beispielsweise auch an Thors Hammer zu denken). Die Untersuchung des ‚Eneasromans‘ konnte aber deutlich machen, dass gerade der Blick auf vermeintlich weniger wichtige oder gar nebensächliche Objekte spannende Fragen aufwerfen kann. Wechselseitige Beeinflussungen zwischen Dingen und Figuren, eine Determination des Raums durch Dinge, die nicht immer bestimmbare Relevanz für die Handlung – ohne Zweifel ist vieles dabei eine Frage der argumentativen Plausibilität. Und wenngleich sich damit Interpretationsspielraum eröffnet, der auch vage sein kann, ist doch deutlich geworden, dass die derzeitige hierarchische Unterordnung von Gegenständen im erzähltheoretischen Diskurs deren häufig hervorgehobenem Status nicht gerecht wird. Die vorliegende Auseinandersetzung mit Dingen im ‚Eneasroman‘ soll dazu beitragen, diesen blinden Fleck der Forschung zu erhellen. Häufig werden Dinge in literaturwissenschaftlichen Studien als Träger von Verweiszusammenhängen behandelt; Zusammenhänge, die sich meist nur dem

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Rezipienten erschließen können. In diesem Kontext sind auch die Geschenke an Dido zu betrachten, mit der ich meine Textanalyse begonnen habe: Mit den Gegenständen wird in allen drei Erzählungen eine Verbindungslinie zwischen Vergangenheit und Zukunft gezogen, und zwar in Form korrespondierender Schicksale derjenigen Personen, die sich im Besitz dieser Gegenstände befanden bzw. befinden. Dabei ist diese Entsprechung innerhalb der erzählten Welt aber weitaus weniger präsent, als Marion Oswald (der gleichwohl der Dank gebührt, den wissenschaftlichen Fokus so stark auf die Dinge gerichtet zu haben) das glauben machen möchte. Jedenfalls zeigt sich an dieser Stelle deutlich das Spannungsfeld zwischen der Verhandlung von Dingen innerhalb der erzählten Welt und der Funktionalisierung von Dingen für Sinnbildungsangebote, die sich dem Rezipienten gegenüber eröffnen. Dies ist eine für die DingLektüre absolut wesentliche Differenzierung. Unter diesem Aspekt des kritischen Verhältnisses von Figuren-, Erzähler- und Publikumshorizont ist auch das jeweilige Wissen um ein Ding zu verorten. Damit komme ich zu einer abschließenden Betrachtung der Ergebnisse der Textuntersuchung. Grundlegend hat sich die komparatistische Vorgehensweise als äußerst gewinnbringend erwiesen. So konnten im Vergleich zwischen Vergils ‚Aeneis‘, dem altfranzösischen ‚Roman d’Eneas‘ und dem ‚Eneasroman‘ Heinrichs von Veldeke einige übereinstimmende, vor allem jedoch auch viele unterschiedliche Formen der literarischen Funktionalisierung von Dingen herausgestellt werden. Die bereits geläufigen Differenzen zwischen den Fassungen, speziell zwischen Veldeke und dem ‚Roman‘ (beispielsweise das EneasBild, die Zeichnung von Turnus oder von Dido), können damit um ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ergänzt werden: Die innerhalb der erzählten Welt unterschiedlich wirksamen und für die narratio spezifisch funktionalisierten Dinge. In der ‚Aeneis‘ sind zahlreiche Gegenstände (wie z. B. einige Pfeile) durch die Einflussnahme des Olymps schon an sich mythisch aufgeladen und leisten in zum Teil wunderbarer Weise einer Verbindung zwischen Figurenwelt und Götterhimmel Vorschub. Nicht zuletzt aufgrund dieser mythischen Durchdrungenheit lässt sich ein dinglicher Aktantenstatus bei Vergil besonders oft beobachten. Es hat sich auch gezeigt, dass die antike Fassung (stärker als die mittelalterlichen Adaptionen) eine erzählerische Polyphonie in den Dingen gestaltet. So beispielsweise in Pallas’ Wehrgehänge, das für die Figurenwelt und den Rezipienten eine jeweils eigene Geschichte erzählt. Auch beim ramus aureus als idealtypischem mythischem Motiv ist ein deutliches Eigengewicht zu beobachten: Nur mit diesem Gegenstand ist die Unterwelt-Episode für den Helden zu bewältigen, die genaue Funktionalität lässt sich jedoch nie gänzlich

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erschließen. Hermeneutische Grenzen sind auch bei den Geschenken sichtbar geworden, die Aeneas Dido überreicht. Der von Oswald konstatierte stringente Konnex von belasteter Herkunft und weiterem (tödlichem) Schicksal erwies sich bei genauer Lektüre als so nicht haltbar. Das wurde vor allem mit der differenzierten Betrachtung der ‚Gewänder aus Troja‘ deutlich. Der Leser kann letztlich bei den kritischen Textpassagen keine definitive Sicherheit über deren Identität (sprich die Herkunft) erlangen. Gleichwohl lässt sich besonders die literaturwissenschaftliche Anwendung des Gabendiskurses als wichtiger Impuls dafür betrachten, Dinge genauer unter die Lupe zu nehmen und Fragen zu stellen, die erst dieser ‚andere Blick‘ erlaubt. Wo die Geschenke aus der lateinischen Fassung, wenn auch nicht in identischer Form, in den mittelalterlichen Erzählungen ihre Entsprechung finden, zeigt sich doch bei vielen Dingen, dass diese im Vergleich zum antiken Werk ganz anders gezeichnet sind. Das hängt auch, aber nicht nur mit der weitgehenden Tilgung der göttlichen Handlungsebene zusammen, die in der Forschung bislang weitgehend unter Rationalisierungsaspekten betrachtet wurde. Veldeke und sein französischer Vorgänger gehen hier nicht selten ganz unterschiedliche Wege. Besonders deutlich wird das in der Unterwelt-Episode, wo der Status des (bei Veldeke noch nicht einmal mehr) goldenen Zweigs sukzessive ausgehöhlt wird. Wo der Anonymus trotz deutlicher Irritationsmomente noch in Ansätzen die antiken Zusammenhänge aufruft, ist davon im ‚Eneasroman‘ kaum mehr etwas zu erkennen. Stattdessen ist der Zweig nun eine Navigationshilfe, die (zumindest von der Anlage des Motivs her) die schmerzvolle Vergangenheit nochmals aktualisiert. Ein seltsames Element stellt auch das Schwert in der Unterwelt dar. Wenngleich hier ein psychologisches Motiv aufscheint (die Waffe zur Beruhigung des Helden) sind doch die Inkohärenzen der funktionalen Einbettung vor allem im deutschen Text unübersehbar. Gleichwohl scheinen auch hier Zweig und Schwert asymmetrisch aufeinander bezogen in dem Sinne, dass innerhalb dieses besonderen Raums der wundersame Zweig die wirksamere ‚Waffe‘ darstellt. Mit der skizzierten Neupositionierung von Dingen im Rahmen der mittelalterlichen Adaptionen gehen indes auch Darstellungen einher, die interessanterweise gerade das Gegenteil einer Rationalisierung darstellen. Besonders deutlich wird das bei Eneas’ Rüstung: Die ‚Aeneis‘ zeigt Waffen, die Vulcanus’ Werkstatt entstammen. Innerhalb der erzählten Welt bleibt dieses göttliche Moment der Gegenstände indes weitgehend Normalität. In der französischen und deutschen Fassung erhalten die Rüstungsgegenstände ein deutliches Eigengewicht, das allerdings auf jeweils spezifische Weise: Der ‚Roman‘ rückt das Schwert in den Vordergrund, im deutschen Text ist es der Schild, dem zudem ein ‚mütterlicher Wohlfühlfaktor‘ eingewirkt ist. Erst mit der Rüstung

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ist Eneas tapfer und kriegsmutig (aber auch nicht so mächtig-heroisch wie in den Vorgängerwerken). Das ist in der Forschung zum ‚Eneasroman‘ bislang so nicht gesehen worden. Entsprechende Rückschlüsse lassen sich auf das jeweilige Heldenbild der beiden Erzählungen ziehen. Der deutsche Held hat einen (nahezu) ebenbürtigen Gegner vor sich, und er darf auch Schwäche zeigen – ohne dass das an seiner Positivzeichnung etwas ändern würde. In beiden Texten wird die Rüstung als entscheidender Handlungsfaktor positioniert. Doch bei Veldeke gewinnt man bisweilen gar den Eindruck, als ob zwei ‚Kämpfer‘ aktiv seien. Hier wird zum einen deutlich, wie ein motivationales Vakuum (das Fehlen der Götterhandlung) durch Dinge bzw. deren stärkere Exponiertheit (man denke auch an Chloreus’ Helm, der Camilla zum Raub verführt) gefüllt werden kann. Zum anderen zeigt sich, wie die mittelalterlichen Erzählungen die spezifischen Figurenzeichnungen an die Funktionalisierung von Gegenständen binden können. Im ‚Roman‘ werden die Waffen in ihrer Schlagwirkung und Undurchdringbarkeit als Pendant zum (beinahe) unantastbaren Helden aufgebaut. Dass dabei durchaus z. T. fast groteske Irritationsmomente entstehen, wird nicht weiter zum Thema. Anders die Darstellung im ‚Eneasroman‘: Die Waffen sind noch wesentlich stärker als eigene Handlungsfaktoren ins Recht gesetzt. Veldekes Eneas braucht Hilfe (man denke an den vergifteten Pfeil), und er bekommt sie: Die Dinge stehen ihm als verlässliche Gefährten zur Seite. Das ändert aber nichts daran, dass auch er ein Held ist. Ein figurenähnlicher Aktanten-Status bestimmter Gegenstände ist auch abseits eines solchen göttlichen Kontexts zu beobachten. Am eindrücklichsten lässt sich das wohl bei Messapus’ Helm erkennen, der speziell bei Vergil und im ‚Roman d’Eneas‘ den Protagonisten auf der Flucht durch sein Blinken beinahe schon hinterhältig verrät. Was hier klar zutage tritt, nämlich eine ‚subtile Selbsttätigkeit‘ des Dings, wird bei anderen Gegenständen indes fragwürdig. Das gilt auch für den Ring von Pallas. Zwar wird dieser Gegenstand vom Text als Trophäe (und damit als fast eigenmächtig wirksamer Grund für die Tötung von Turnus) inszeniert, die genaue Lektüre zeigt jedoch, wie stark der Symbolgegenstand auf das Erzählziel ausgerichtet ist und damit gerade an Eigenwirkung einbüßt. Das gilt in Ansätzen auch für Chloreus’ Helm. Von ihm geht eine unwillkürliche Anziehungskraft aus, das wird insbesondere in der französischen Fassung deutlich, wo Camilla für die weiteren – auch goldenen – Gegenstände keinen Blick hat. Habgier-Konzepte allein greifen hier sicherlich zu kurz. Dennoch ist auch bei diesem Helm die finale Funktionalisierung unübersehbar, denn nach dem (handlungstechnisch notwendigen) Tod der Amazone ist der Helm innerhalb der erzählten Welt nicht mehr da: Narrative Funktionalisierung steht über erzählerischer Konsistenz. Die in diesem Zusamenhang

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von den mittelalterlichen Werken etablierten (wenngleich nicht explizierten) Bezüge zwischen den Grabmalen von Dido und Pallas und den zwei Raubgegenständen eröffnen dabei noch weitere an Dinge gekoppelte Verständnisund Interpretationsangebote. Die vorliegende Arbeit betrachtet sich als ein Schritt hin zu einer narratologischen Aufwertung von Dingen. Ihr Anliegen ist es, auf der Basis theoretischer Konzepte und Modelle mögliche Verhandlungsarten von Gegenständen aufzuzeigen. Dies wurde im Rahmen dieser Untersuchung auf ältere Erzähltexte hin perspektiviert. Die Analyse war notwendigerweise selektiv; sie erhebt keinen Anspruch auf die Darstellung eines umfassenden und vollständigen Spektrums möglicher Bedeutungen und Funktionalisierungen erzählter Dinge (sofern das überhaupt möglich ist). Gleichwohl kommt man nicht umhin, auch Grenzen dieses Ansatzes zu markieren. Denn wenngleich die hierarchische Zuordnung von Dingen zu Figur und Raum der besonderen Wertigkeit bestimmter Gegenstände nicht gerecht wird, ist die klassische Lektüre, die sich am Handlungsfortschritt der Protagonisten festmacht, wohl nach wie vor als die prominente Lesart zu betrachten. Denn letztlich muss eingeräumt werden, dass die Irritationsmomente, die ich aufzeigen konnte, eben zu weiten Teilen gerade daraus resultieren, dass die herkömmliche figurenzentrierte Lektüre eine Störung erfährt oder dass man als Leser in eine Unsicherheit bezüglich dessen gesetzt wird, welche Rolle einige Dinge (beispielsweise die untersuchten Helme) für den Handlungsverlauf – und damit für das Schicksal der Figuren – spielen. Die Herabsenkung bzw. Depotenzierung der menschlichen Handlungsfähigkeit und deren Überlagerung durch Dinge ist für den Leser wohl grundsätzlich besonders und spannend. Die Ding-Lektüre musste weitgehend punktuell bleiben. Ein durchgängiges ‚Mitwirken‘, wie es möglicherweise für Siegfrieds Schwert im ‚Nibelungenlied‘ angenommen werden kann, lässt sich im ‚Eneasroman‘ (das gilt für die beiden Vorgängerwerke gleichermaßen) an keinem Gegenstand plausibel machen. Dennoch hat die Arbeit für einzelne Handlungssequenzen zeigen können, dass der Blick auf die Gegenstände die Auseinandersetzung mit dem Text deutlich bereichern kann. Generell konnten einige Probleme nur angedeutet werden, so zum Beispiel die Frage nach einer gattungsspezifischen Positionierung und Wirksamkeit von Dingen, die ja auch im ‚Eneasroman‘ in der Überlagerung von antiken und höfischen Erzählelementen aufscheint. Ob und inwiefern sich also möglicherweise Heldenepik, Antikenroman, Artusepik usw. hinsichtlich der erzählerischen Darstellung und Funktionalisierung von Dingen unterscheiden, ob sich hierdurch Rückschlüsse auf bestimmte kulturspezifische Mentalitätsmuster

Zusammenfassung

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ziehen lassen, was das für die Analyse moderner Erzählungen bereithalten kann – all das müssen weitere Untersuchungen erhellen. Es wurde deutlich, dass und wie sich im Fokus auf die Dinge zusätzliche Sinn-Schichten und alternative Verständnisangebote freilegen lassen. Genau dies sollte mit der vorliegenden Arbeit gezeigt werden. Eine durchgängige und umfassende Interpretation, das muss zumindest für den ‚Eneasroman‘ und seine Vorlagen konstatiert werden, hat sich wohl nach wie vor in erster Linie an den Handlungen des Helden zu orientieren. Allerdings war es auch nie der Anspruch, diesbezüglich ein Konkurrenzverhältnis aufzustellen. Im Gegenteil werte ich es vielmehr als einen positiven Befund, dass die Ding-Lektüre sich weitgehend problemlos in den Interpretationshorizont der Texte integrieren lässt, und gleichzeitig diesem in bestimmten Bereichen kritische und gewinnbringende Impulse liefern kann. Am entschiedensten an den InterpretationsGrundfesten der aktuellen Forschung zum ‚Eneasroman‘ gerüttelt wurde sicherlich mit der Untersuchung von Eneas’ Rüstung. Hier wurden nicht nur eklatante Differenzen zwischen den drei Fassungen sichtbar, sondern es konnte für den deutschen Text zugleich auch ein spezifisches Heldenbild freigelegt werden, das in dieser Form bislang noch nicht herausgearbeitet wurde. Aber auch die Untersuchung der Geschenke für Dido und des Zweigs in der Unterwelt brachte neue Erkenntnisse. Bei den Helmen stachen vor allem die Differenzen zwischen den beiden Gegenständen hervor, zudem wurde deutlich, dass ein interpretativer Zugriff unter dem singulären Aspekt der Habgier zu kurz greift. Das gilt auch für Pallas’ Ring. Hier weist die lateinische Fassung (wie an weiteren Stellen auch) einen höheren Komplexitätsgrad auf als die mittelalterlichen Werke und changiert in einem bemerkenswerten Spannungsfeld zwischen der Handlungsmotivierung innerhalb der erzählten Welt und Verständnisangeboten für den Rezipienten. Insgesamt gesehen scheinen Dinge eine Präzisierungschance zu bieten. Wer auf sie achtet, kann die Regeln, die für die erzählte Welt gelten, genauer und damit komplexer erfassen als ohne die Dinge. Das ist nicht der geringste Grund, sich mit ihnen – auch in der Narratologie – genauer zu beschäftigen. Zum Schluss: Die Arbeit versteht sich als Ergänzung und Anreicherung zu klassischen Interpretations- und Verständnismustern. Sie möchte Fragen aufwerfen und zur kritischen Auseinandersetzung mit Texten anregen. Abschließend hoffe ich, den Blick für potentielle Ding-Bedeutungen auf der Figurenebene, aber auch für Leser und Hörer geschärft und der Forschung einen weiteren Impuls dafür geliefert zu haben, das breite Feld der Dinge noch eingehender zu verfolgen – und eine solche Lektüre auf weitere Texte auszudehnen.

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7 Register Begriffe/Dinge/Figuren/Werke/Autoren Adjuvant s. Aktant Agency s. Aktant Agent s. Handlung, literarische Aktant 6, 15, 21–23, 84, 123, 159–160, 163, 165 Akteur s. Figur, literarische Aktionsraum s. Raum, literarischer Anschauungsraum s. Raum, literarischer Barthes, Roland 26, 36–39 Böhme, Hartmut 9, 29 Camilla s. Helm des Chloreus Charon – Vergil 76, 83–84, 97 – ‚Roman d’Eneas‘ 33, 76, 86–87, 100–101 – Veldeke 33, 76, 90–91, 103, 106, 116 Chatman, Seymour 20, 25–29, 34–39, 159–161 Euryalus

s. Helm des Messapus

Fetisch, Fetischisierung 9, 17, 69, 72, 124 Figur, literarische 15–17, 23–24, 26–29, 160–161 Gabentheorie 10–13, 159 Genette, Gerard 19, 23 Geschenke an Dido – Vergil 60–61, 66–68, 75 – ‚Roman d’Eneas‘ 61–63, 68–71, 75 – Veldeke 1–4, 63–65, 71–75 Godelier, Maurice 10–12 Grabmal – Camilla – ‚Roman d’Eneas‘ 31, 48, 57–58, 135–136, 166 – Veldeke 31, 48, 57–58, 138, 162, 166 – Pallas – ‚Roman d’Eneas‘ 31, 48, 57, 152, 158, 166 – Veldeke 31, 48, 57, 155, 158, 162, 166 Greimas, Algirdas 21–23, 84, 159

Handlung, literarische 6, 19, 23–24, 34–45, 53–56 Hartmann von Aue – ‚Erec‘ 17, 55 – ‚Iwein‘ 17, 33, 72 heiliges Objekt, sacrum 11–13, 61, 141, 147, 159 Helm (bzw. Rüstung) – Chloreus – Vergil 132–133, 165 – ‚Roman d’Eneas‘ 133–136, 152, 162, 165 – Veldeke 136–138, 162, 165 – Messapus – Vergil 15, 131, 138–141, 146–147, 152, 165 – ‚Roman d’Eneas‘ 131, 138, 141–143, 146–147, 162, 165 – Veldeke 55, 131, 138, 143–147, 162, 165 Hoffmann, Gerhard 27, 29–32, 160 Jannidis, Fotis

15, 23, 28, 42

Kausalität, mythische s. Mythisches Erzählen, mythische Kausalität Kimmich, Dorothee 9, 14 Kohl, Karl-Heinz 9, 11, 22 Latour, Bruno

9, 12

Martínez, Matías 21, 35, 39–44, 48, 50–54, 160 Mauss, Marcel 10–11 Motivierung – kausale 40–42, 45, 123, 161 – finale 40, 42–43, 45, 105, 123, 135, 161, 165 – ästhetische 40, 44–45, 123, 162 Motivierung, paradigmatische s. Paradigmatische Bezüge/Motive Mühlherr, Anna 4–5, 16, 41, 51–52, 110

182

Register

Müller, Jan-Dirk 16–17, 36, 45, 50–51, 54, 70, 73 Mythisches Erzählen, mythische Kausalität 34, 49–53, 76, 85, 160, 162–164 ‚Nibelungenlied‘ 4–5, 10, 16–18, 22, 33, 50, 54, 70–72, 94–95, 110, 121, 161–162, 166 Nisus s. Helm des Messapus Opponent s. Aktant Oswald, Marion 1–4, 10, 13, 46, 57, 59–71, 159, 163–164 Pallas s. Ring des Pallas Paradigmatische Motive/Bezüge 45–49, 136–138, 148, 152, 158, 162 Patient s. Handlung, literarische Pfeil, vergifteter 118–120, 129, 165 Propp, Vladimir 21–22, 48 Raum, gestimmter s. Raum, literarischer Raum, literarischer 23–24, 26–34, 95, 160–161, 166 Ridder, Klaus Klaus 55, 131–132, 144, 148, 154 Ring (bzw. Wehrgehänge) – Pallas – Vergil 106–107, 147–151, 157–158, 163, 167 – ‚Roman d’Eneas‘ 106–107, 147, 151–154, 157–158, 165–167 – Veldeke 13, 106–107, 129, 147, 154–158, 165–167 – Dido s. Geschenke an Dido (Veldeke) – Lavinia (Veldeke) 73 Rüstung Aeneas/Eneas – Vergil 106–108, 112–114, 118, 120–122, 129, 164 – ‚Roman d’Eneas‘ 106–109, 112, 114–115, 118, 123–125, 129–130, 164 – Veldeke 16, 31, 37, 106–108, 110–113, 115–120, 123, 125–131, 164–165, 167

Schmid, Wolf 21, 24, 46–49 Schwert – Aeneas/Eneas s. Rüstung des Aeneas/ Eneas – Schwert Aeneas/Eneas in der Unterwelt – Vergil 34, 76, 95–98, 101, 105 – ‚Roman d’Eneas‘ 34, 76, 98–101, 105 – Veldeke 33–34, 76, 101–105, 164 – Schwert Turnus – Vergil 120–123, 129 – ‚Roman d’Eneas‘ 124 – Veldeke 31, 128–131 Sibylle s. Zweig, goldener; Schwert Aeneas/Eneas in der Unterwelt Störmer-Caysa, Uta 32–34, 55, 90 Symbol, symbolischer Verweis 2, 4, 14, 16–17, 19–20, 27, 33–34, 44–46, 48, 64, 70–72, 86, 102–105, 152–154, 162 Trophäe 12–13, 18, 55, 133, 140–143, 149–151, 154, 159, 165 Turnus – Vergil 22, 10–108, 113, 120–123, 139, 148–150, 157–158, 165 – ‚Roman d’Eneas‘ 22, 107, 113–114, 123–125, 131, 151–154, 157–158, 163, 165 – Veldeke 22, 36, 53, 107, 113, 115–120, 125–131, 145–148, 154–158, 163, 165 Venus s. Rüstung Aeneas/Eneas Verknüpfung, erzählerische s. Motivierung kausal/final/ästhetisch Verknüpfung, unzeitliche s. Paradigmatik Vulcanus/Vulkanus s. Rüstung Aeneas/ Eneas Zwei-Ebenen-Modell 25–27, 159–160 Zweig, goldener – Vergil 34, 43, 50, 77–80, 83–86, 97–98, 105–106, 163–164 – ‚Roman d’Eneas‘ 77, 80–81, 86–89, 101, 106–106, 164 – Veldeke 32–33, 77, 81–83, 89–94, 105–106, 164