„Demilitarisierung" in der Sowjetunion? Ansätze zu einer Neuordnung der Beziehung von Politik und Militär in der UdSSR (1987 -1990)

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„Demilitarisierung" in der Sowjetunion? Ansätze zu einer Neuordnung der Beziehung von Politik und Militär in der UdSSR (1987 -1990)

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Berichte des Bundesinstituts für ostvvissenschaftliche und internationale Studien „Demilitarisierung" in der Sowjetunion? Ansätze zu einer Neuordnung der Beziehung von Politik und Militär in der UdSSR (1987 -1990) Hans-Henning Schröder

49-1990

Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR OSTWISSENSCHAFTLICME UND INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auflassung der Autoren wieder. © 1990 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln Abdruck und sonstige publizistische Nutzung - auch auszugsweise nur mit vorheriger Zustimmung des Bundesinstituts sowie mit Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Lindenbornstraße 22, D-5000 Köln 30, Telefon 0221/5747-0

INHALT Seite Kurzfassung

1

1. Das Militär und die Politik der "perestrojka" im Jahre 1990

5

2. Militär und Gesellschaft: Die Hypothek der Vergangenheit

7

3. Militär und Gesellschaft im Übergang 3.1 3.2

16

"Neues Denken" und die Rolle des militärischen Instruments in der Außenpolitik

16

Armee und öffentliche Meinung: Verlust der Akzeptanz

19

3.3

Der Rüstungssektor in der Marktwirtschaft: Verlust des Vorrangs für Verteidigung? 26

3.4

Ansätze zur Einbindung des Militärs in ein reformiertes politische System

30

Von der "Streitkräftereform" zur "Militärreform"

35

3.5

4. Ist politische Reform ohne Demilitarisierung möglich?

48

Summary

51 August 1990

Hans-Henning Schröder "Demilitarisierung" in der Sowjetunion? Ansätze zu einer Neuordnung der Beziehung von Politik und Militär in der UdSSR {1987 - 1990) Bericht des BlOst Nr. 49/1990

Kurzfassung

Vorbemerkung "Demilita.riza.cija" - Demilitarisierung - dieser Begriff steht für eine Politik, die durch Umgestaltung von Militär und Rüstungskomplex die grundlegende Reform von Wirtschaft und Gesellschaft begleiten und absichern will. Ohne Verringerung der Rüstungslast, ohne Beschränkung der Einflußmöglichkeiten der militärischen Führung in der Außen- und Sicherheitspolitik, ohne Einbindung der Streitkräfte in demokratisch legitimierte Kontrollstrukturen ist die radikale Veränderung von Wirtschaft und politischem System kaum zu verwirklichen. So flankiert die Gorbacev-Administration die Politik der Reformen durch Schritte, die auf Beschränkung militärischer Einflußnahme abzielen und eine Neuordnung des Verhältnisses von Politik und Militär anstreben. Auf Basis sowjetischer Publikationen der letzten Monate soll im folgenden versucht werden, die Ansätze einer solchen "Demilitarisierungs"-Politik zusammenzustellen und die dabei entstehenden Konflikte erkennbar zu machen.1

Die Studie wurde im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts "Gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen sicherheitspolitischer Konzeptionen in der UdSSR" erstellt; der Verfasser konnte

2

Ergebnisse 1.

Seit den dreißiger Jahren wurde außen- und sicherheitspolitisches Denken der sowjetischen Führung von militärischen Überlegungen beherrscht. Die bitteren Erfahrungen des "Großen Vaterländischen Krieges" (1941-1945) prägten die Vorstellungen der Politikergeneration in der Chruscev- und der Breznev-Ära. Bei Wahrung des "Primats der Politik" gegenüber der militärischen Führung dachten die zivilen Politiker in diesen Jahren jedoch vielfach in militärischen Kategorien. Dies gründete auch in der "Eindimensionalität" der Supermacht UdSSR: da die Sowjetunion weder technologisch, noch wirtschaftliche Weltgeltung beanspruchen konnte, stützte sich ihre Weltmachtrolle allein auf das militärische Instrument. Dafür mußte sie eine extrem hohe Rüstungslast - nach unterschiedlichen Schätzungen 8%, 15-18% oder 20-25% des Bruttosozialprodukts - in Kauf nehmen. Die privilegierte Stellung des Rüstungssektors, der bevorzugt mit Ressourcen versorgt wurde, die Zusammenfassung des technologisch fortgeschrittensten Teils der Volkswirtschaft unter einer Sonderverwaltung - der Militärisch-industriellen Kommission - waren mitursächlich für die Wachstumskrise, in die die sowjetische Wirtschaft Ende der siebziger Jahre geriet. Die enge Verflechtung von Militär, Rüstungskomplex und Politik behinderte über Jahre hinweg eine Reform von Wirtschaft und Gesellschaft.

2.

"Demilitarisierung" des politischen Denkens ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung für weitergehende Reformschritte. Reduzierung der Rüstungslast und Beseitigung der Vorrechte des Rüstungssektors sind im Zusammenhang mit dem Übergang zur Marktwirtschaft unabdingbar. Die Schaffung eines Arbeitsparlamentes, Übergang zum Mehrparteiensystem und Einrichtung eines Präsidentenamtes erfordern eine andere Einbindung der Streitkräfte in das politische System als bisher. Im Bereich außenpolitischer Konzeptbildung war die Distanzierung von früheren - auf das militärische Instrument orientierten - Vorstellungen früh erkennbar. Das "neue Denken" ging davon aus, daß die Zivilisation eine nukleare Katastrophe nicht überleben werde. Globale Probleme könnten nur in weltweiter Zusammenarbeit gelöst werden. Sicherheit sei einseitig nicht erreichbar, nur Kooperation und Anerkennung der gegenseitigen Sicherheitsbedürfnisse gewährleiste sie tatsächlich. Hier zeichnete sich ein außenpolitisches Konzept ab, das auf politische Aktion und internationale Zusammenarbeit setzte - unter Hintansetzung des militärischen Instruments. Die Demilitarisierung außen- und sicherheitspolitischen Denkens, die sich mit dem INF-Vertrag und der einseitigen Truppenreduzierung auch praktisch niederschlug, schuf Spielraum für eine Entmilitarisierung von Gesellschaft und Volkswirtschaft.

3.

4.

In der sowjetischen Gesellschaft verloren die Streitkräfte seit 1987/88 zunehmend an Rückhalt. Die Bedrohungsvorstellung schwand mit den Fortschritten der Gorbacevschen Abrüstungspolitik. Die ersten Veröffentlichungen von Rüstungsdaten illusich auf die Literaturdatenbank "SOWSK" stützen, die seit 1988 in Zusammenarbeit mit G. Duda, B. Meinicke und T. Sauer aufgebaut wird.

3 strierten erstmals für das sowjetische Publikum das Ausmaß der Rüstung, die bisher betrieben worden war. Angesichts der leeren Regale in den Läden nahm die öffentliche Kritik an der hohen Rüstungslast zu. Umfragen aus dem Jahr 1989 zeigen deutlich, daß es eine große Mehrheit für die Kürzung der Rüstungsausgaben gab. Das Prestige der Streitkräfte wurde auch durch Veröffentlichungen über ihre inneren Probleme - vor allem über die weit verbreitete Kameradenschinderei - geschädigt. Der Einsatz von Militär im Inneren - u.a. in Tbilissi und Baku - schürt insbesondere in Republiken mit starken Nationalbewegungen das Mißtrauen gegenüber der militärischen Führung. 1988/89 liefen in der UdSSR denn auch Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch um, die von der militärischen Führung öffentlich dementiert wurden. In der sowjetischen Presse nahmen militärkritische Veröffentlichung in einem Maße zu, daß der ehemalige Generalstabschef Achromeev davon sprach, man baue die Armee zum Schreckgespenst auf. Die Akzeptanzkrise der Streitkäfte hatte ihr Gegenstück im fehlenden öffentlichen Rückhalt für eine exzessive Rüstungspolitik. In dem Maße, in dem deutlich wurde, daß die zaghaften Reformschritte der Jahre 1985-1987 nicht zu einer Besserung der Versorgung geführt hatten, mehrten sich die Stimmen, die eine Offenlegung und dann weiter eine Reduzierung der Rüstungsausgaben forderten. Anfang 1989 kündigte Gorbacev eine Verringerung der Militäraufwendungen um 14,2% an. Die Rüstungsproduktion wollte er um 19,5 reduzieren. Der Rückgang der Rüstungsaufträge stellte jedoch die Betriebe des Militärisch-industriellen Komplexes vor erhebliche Probleme. Ein Konversionsprogramm, das die Überleitung militärischer Produktion in zivile begleiten und soziale Härten finanziell abfangen sollte, wurde im Februar 1990 vorgelegt, stieß aber auf Widerstand, da der Rüstungskomplex zusätzliche Finanzmittel forderte und keine Kompetenzen abtreten wollte. Der Übergang zum Markt, der jetzt angestrebt wird, schafft weitere Probleme. Eine tiefgreifende Umgestaltung der Rüstungsfinanzierung und der Struktur des Verteidigungskomplexes scheint notwendig zu sein, stößt aber im Rüstungsestablishment auf starken Widerstand. Der Wandel des politischen Systems hatte notwendig Folgen für die Einbindung der Streitkräfte. Im Präsidenten, dessen Amt mit großen Vollmachten ausgestattet wurde, erhielt das Militär einen neuen Oberkommandieren. Der Verteidigungsrat, bisher eigentliches sicherheitspolitisches Entscheidungszentrum, wurde offenbar neu besetzt und dem Präsidenten bzw. dem Präsidialrat zugeordnet. Als Organ demokratischer rechtsstaatlicher Kontrolle wählte das im Frühjahr 1989 neugeschaffene Arbeitsparlament ein Komitee für Verteidigung und Staatssicherheit, das ähnliche Aufgaben wahrnehmen soll wie ein Verteidigungsausschuß in einem westlichen Parlament. Die neue Institution muß ihre Kontrollrechte gegen Verteidigungsministerium und Generalstab durchsetzen. Dies geschieht im Konflikt. Wie sich das Verhältnis von Verteidigungsausschuß und Präsident bzw. Verteidigungsrat gestalten wird, müssen die nächsten Monate zeigen. Entmilitarisierung des außenpolitischen Denkens, Abbau des RCH stungsvorrangs in der Wirtschaftspolitik und Wandel der Einbin-

4 dung der Streitkräfte in das politische System - all das ist letztlich ohne eine grundlegende Veränderung der Streitkräfte selbst dauerhaft nicht realisierbar. Erste Ansätze zu einer Umstrukturierung wurden durch die Neubestimmung der Militärdoktrin im Jahre 1987 notwendig. Die militärische Führung war nun gehalten, Streitkräftestrukturen zu konzipieren, die eher defensiven Charakter tragen sollten. Durch die Entscheidung für eine einseitige Streitkräftereduzierung trieb die politische Führung diese Entwicklung bewußt voran. Es zeigte sich jedoch im Laufe des Jahres 1989, daß es mit einer rein militärischtechnischen Reform nicht getan war. Wachsende soziale und nationale Probleme innerhalb der Sowjetunion wirkten sich auf die Streitkräfte aus. Unruhe innerhalb der Armee, Schwierigkeiten mit der Einberufung, Widerstand in den Republiken führten dazu, daß jüngere Offiziere über eine Umgestaltung der Wehrverfasssung nachzudenken begannen. Parallel dazu begannen politische Gruppen innerhalb der Republiken, die Aufstellung nationaler oder territorialer Verbände zu fordern. Die Abschaffung des Monopols der KPdSU stellte auch die Rolle der Politleitung innerhalb der Armee in Frage. Im Dezember 1989 entwickelte eine Gruppe jüngerer Offiziere das Konzept einer umfassenden Militärreform, deren Kernstück der Übergang zur Berufsarmee war. Gegen den Widerstand des Verteidigungsministeriums griff das Zentralkomitee diese Vorstellungen in der Plattform für den 28. Parteitag auf. In Reaktion entwickelte die militärische Führung eine eigenes, eher technisches Reformkonzept, das nun konkurrierend neben dem Vorschlag der Offiziersgruppe steht. 8.

Demilitarisierung der sowjetischen Gesellschaft - im Sinne einer radikalen Verkleinerung von Militärapparat und Rüstungskomplex - und Einbindung der verbleibenden bewaffneten Macht mit Hilfe demokratischer, rechtsstaatlicher Kontrollinstanzen ist daher konstitutiver Bestandteil einer Politik, die auf demokratische Reformen abzielt. Dies kann jedoch nur im Konflikt gegen die Mehrheit von militärischer Führung und Rüstungsbürokratie durchgesetzt werden. Eine Reihe von Schritten ist unternommen worden und die Gruppe um Gorbacev und Sevardnadze ist offenbar gewillt, die Demilitarisierung weiter voranzutreiben. Der Übergang zur Marktwirtschaft, die Ausdehnung der Rechte des Parlaments unterstützt die Entwicklung ebenso wie ein erfolgreicher Abschluß der Abrüstungsverhandlungen in Wien und Genf.

1 . Das M i l i t ä r und d i e P o l i t i k d e r "perestrojka" im J a h r e 1990 Auf dem G r ü n d u n g s p a r t e i t a g der Russischen Kommunistischen P a r t e i im J u n i 1990 l i e ß G e n e r a l o b e r s t Makasov, der Oberbefehlshaber des U r a l - V o l g a - W e h r k r e i s e s , seinem Zorn über d i e p o l i t i s c h e Führung f r e i e n Lauf: "Wer den Staat bis zum Grund zerstören will, der beginnt mit der Entehrung von Streitkräften, Innenministerium und KGB. [...] In jedem Staat wird man für die Untergrabung der Wehrbereitschaft der Streitkräfte zur Verantwortung gezogen. Und wenn2 das nicht die Regierung tut, dann kann das Volk die Verräter steinigen." Wenige Tage s p ä t e r - auf dem 28. P a r t e i t a g der KPdSU - nahm der f r ü h e r e G e n e r a l s t a b s c h e f und j e t z i g e V o r s i t z e n d e des A l l u n i o n s r a t s d e r Veteranen Ogarkov den B a l l auf: "Mehr noch, heute kann man meiner Meinung nach schon nicht mehr die Augen davor verschließen, daß im Lande eine zielgerichtete, sorgfältig koordinierte und - ich würde sagen - gelenkte Kampagne der totalen Abwertung und Diskreditierung dessen im Gange i s t , wofür die ältere Generation gekämpft hat. Und der Oktober i s t sozusagen schon nicht mehr der Oktober, und den Enthusiasmus der Vorkriegsfünfjahrpläne hat es gewissermaßen nicht gegeben."3 Diese h e f t i g e n A n g r i f f e , d i e V e r t r e t e r der G e n e r a l i t ä t an d i e p o l i t i s c h e Führung r i c h t e t e n , l a s s e n erkennen, daß e i n T e i l des Off i z i e r s k o r p s - vor allem d i e ä l t e r e G e n e r a t i o n - mit der g e s e l l s c h a f t l i c h e n und p o l i t i s c h e n Entwicklung der l e t z t e n J a h r e zut i e f s t u n z u f r i e d e n i s t . Dabei g e h t es den Generälen n i c h t a l l e i n um Fragen d e r M i l i t ä r - und S i c h e r h e i t s p o l i t i k . Offenbar b e g r e i f t d i e s e G e n e r a t i o n von M i l i t ä r s d i e Erosion t r a d i t i o n e l l p r o p a g i e r t e r Werte - S o w j e t p a t r i o t i s m u s , S t o l z auf d i e s o w j e t i s c h e Vergang e n h e i t , d e r Kanon dogmatischer S o z i a l i s m u s v o r s t e l l u n g e n insgesamt a l s Gefahr für d i e L e g i t i m a t i o n der Armee und des p o l i t i s c h e n Systems. Die V o r s t e l l u n g der I d e n t i t ä t von S t a a t und S t r e i t k r ä f t e n , d i e i n den Äußerungen d e r m i l i t ä r i s c h e n F ü h r u n g s s c h i c h t erkennbar w i r d . Redebeitrag Makasovs auf dem Parteitag der RKP, in: Sovetskaja Rossija 21.6.1990, S.3-4, hier S.3. Vystuplenie predsedatelja Vsesojuznogo soveta veteranov vojny, truda i Vooruzennych Sil Marsala Sovetskogo Sojuza N.V. Ogarkova na XXVIII s-ezde KPSS, in: Veteran 1990, Nr.29, S.3.

a

ist bezeichnend für das Verhältnis von Politik und Militär in den Jahren Breznevs. Die Politik, die jetzt unter dem Etikett "perestrojka" betrieben wird, und die letztlich eine Ablösung des bestehenden politischen und sozialen Systems anstrebt, stellt diese Auffassung im Kern in Frage. Der Widerstand führender Militärs versteift sich denn auch in dem Maße, in dem alternative Konzepte sozialer und ökonomischer Organisation erkennbar werden. Die Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Systems sind aber 1990 nicht mehr zu übersehen. Und diese Veränderungen haben gravierende Folgen für die Armee. Die Errichtung eines Präsidialsystems, die Schaffung parlamentarischer Strukturen und der schrittweise Übergang zu einem Mehrparteiensystem macht die politische Bindung der Streitkräfte an die Kommunistische Partei sinnwidrig, neue Formen demokratischer Einbindung und rechtsstaatlicher Kontrolle müssen gefunden werden. Der Übergang zur Marktwirtschaft bedroht die prioritäre Stellung des Rüstungskomplexes, der bisher von der übrigen Wirtschaft abgeschirmt war. Eine gesunde Finanzpolitik muß die Senkung der staatlichen Ausgaben anstreben, d.h. Kürzung der Militärausgaben. Das hat für Unterhalt und Ausrüstung der Streitkräfte erhebliche Folgen. Militärischen Konzepte müssen auf die zur Verfügung stehenden Mittel abgestimmt und daher von Grund auf überdacht werden. Dies wird auch durch einen Wandel der Außenpolitik notwendig gemacht, die nicht mehr - wie früher an militärischen Kategorien orientiert ist. Dieser Veränderungsprozeß - die Politik der "Demilitarizacija", der "Demilitarisierung"4 -, bedroht die Stellung von Militär- und Rüstungsbürokratie. Nur wenn es gelingt, den Widerstand, der sich in dieser Gruppe formiert, zu überwinden und das Verhältnis Militär und Politik im Rahmen des Übergangs zu Marktwirtschaft und Mehrparteiensystem neu zu bestimmen, haben weitergehende Konzepte von "perestrojka" eine Durchsetzungschance.

So bezeichnet von Gorbacev in seiner Rede im Wehrkreis Odessa: Dostojno proiti pereval v istorii strany, in: Pravda 19.8.1990. S. 1-2, hier S.2; die Militarisierung der Gesellschaft und die Notwendigkeit, sie rückgängig zu machen, wird bereits vorher u.a. von G. Arbatov angesprochen: Armija dlja strany ili strana dlja armii?, in: Ogonek, 1990, Nr.5, S.4.

7

2. Militär und Gesellschaft: Die Hypothek der Vergangenheit Im März 1985 leitete der Amtsantritt Gorbacevs eine Periode politischer Reformen ein, die zunächst auf den Konzepten Andropovs aufbauten und lediglich eine Effektivierung des bestehenden Systems anstrebten, dann jedoch zunehmend an Radikalität gewannen. Zu Beginn dieser Phase wurden weite Bereiche der Außen- und Innenpolitik noch von militärische Denkweisen beherrscht, wie sie sich seit Ende der zwanziger Jahre und insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion dominant herausgebildet hatten. Seit Beginn der dreißiger Jahre war ein Wirtschaftssystem aufgebaut worden, das stark mit Elementen von Kriegswirtschaft durchsetzt war. Die Sicherheitspolitik war von der Vorstellung geprägt, die Sowjetunion sei durch kapitalistische Einkreisung bedroht. Innenpolitisch trug diese Vorstellung zu jener paranoiden Säuberungspolitik bei, die 1937/38 zur Vernichtung der militärischen Kader und damit zu einer gravierenden Schwächung des sowjetischen Verteidigungspotentials führte und so für die militärische Katastrophe des Jahres 1941 mitverantwortlich war. Auf der anderen Seite schuf der Sieg über Hitlerdeutschland, der 1945 nach großen Opfern errungen wurde, in den Folgejähren eine Legitimation für die Vorherrschaft militärischen Denkens in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Die Ausrichtung der Wirtschaft auf Schwer- und Rüstungsindustrie und die hohe Belastung durch Rüstungsausgaben hatten ihre Begründung in den bitteren Erfahrungen des "Großen Vaterländischen Krieges". Allerdings bedeutete die Vorherrschaft militärischer Denkweise nicht Dominanz der militärischen Führung in der Politik. Parteiund Staatsspitze - repräsentiert im Politbüro der KPdSU und im Verteidigungsrat, dem höchsten sicherheitspolitischen Entscheidungsgremium - wahrten das Primat der Politik. Westliche Autoren stimmen in dieser Einschätzung grundsätzlich überein, sie haben allerdings unterschiedliche Vorstellungen, wie sich das Verhältnis von politischer und militärischer Führung im einzelnen gestaltete,3 5

Mit diesem Thema haben sich vor allem Kolkowicz, Odom und Colton auseinandergesetzt, in letzter Zeit D. Herspring: vgl. u.a. Kolkowicz, R.: The So-

a Kolkowicz ging davon a u s , daß das M i l i t ä r e i n e durch S o z i a l i s a t i o n und O r g a n i s a t i o n g e s c h l o s s e n e Gruppe d a r s t e l l e , d i e d e r P a r t e i a l s V e r t r e t e r e i g e n e r I n t e r e s s e n g e g e n ü b e r t r e t e . Die zunehmende Komp l e x i t ä t von Waffentechnologie und der Bedarf an m i l i t ä r i s c h e m Sachverstand i n s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e n Entscheidungen habe d i e Rolle des M i l i t ä r s i n dem i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e n K o n f l i k t mit der P a r t e i g e s t ä r k t . 6 Demgegenüber v e r t r a t Odom d i e A n s i c h t , daß M i l i t ä r und P a r t e i i n g l e i c h e r Weise an A u f r e c h t e r h a l t u n g des Systems und der ihm zugrundeliegenden I d e o l o g i e i n t e r e s s i e r t s e i e n . Zwar handele es s i c h b e i P a r t e i und M i l i t ä r um zwei u n t e r s c h i e d l i c h e B ü r o k r a t i e n , doch v e r l i e f e n Konfliktlinien nicht entlang der 7 T r e n n l i n i e zwischen den H i e r a r c h i e n , sondern quer zu d i e s e r . Tim Colton e n t w i c k e l t e i n s e i n e r S t u d i e , d i e das V e r h ä l t n i s von P o l i t i k und M i l i t ä r über den gesamten Zeitraum s e i t 1917 u n t e r s u c h t e , e i n e d i f f e r e n z i e r t e P o s i t i o n . 8 Er ging ä h n l i c h wie Kolkowicz davon a u s , daß Armee und P a r t e i zwar zwei B ü r o k r a t i e n u n t e r s c h i e d l i c h e n C h a r a k t e r s s e i e n , hob aber h e r v o r , daß es zu e c h t e n K o n f l i k t e n b i s h e r n i c h t gekommen s e i , da den I n t e r e s s e n d e r M i l i t ä r s i n d e r Regel weitgehend durch d i e P o l i t i k e n t s p r o c h e n worden s e i . A l l e r d i n g s h i e l t Colton Auseinandersetzungen zwischen P o l i t i k und M i l i t ä r im F a l l e e i n e r g r a v i e r e n d e n p o l i t i s c h e n Wende für möglich, wenn nämlich S c h l ü s s e l i n t e r e s s e n des M i l i t ä r s durch D e s t a b i l i s i e viet Military and the Communist Party, Princeton, N.J. 1967; u.a. Aufsätze desselben Autors; Odom, W.E.: Who Controls Whom in Moscow, in: Foreign Policy, Summer 1975, S.109-123; Odom, W.E.: The Soviet Military in Transition, in: Problems of Communism, Bd. XXXIX. May-June 1990, No.3, S.51-71; Colton, T.J.: Commissars, Commanders and Civilian Authority, Cambridge/Mass. 1979; Colton, T.J.: The Impact of the Military on Soviet Society, in: Bialer, S., The Domestic Context of Soviet Foreign Policy, Boulder, Col. 1981, S.119138; Herspring, D. R.: The Soviet High Command, 1967-1989. Personalities and Politics, Princeton, N.J. 1990; vgl. auch: Lewytzkyj, B.: Die Marschälle und die Politik. Eine Untersuchung über den Stellenwert des Militärs innerhalb des sowjetischen Systems seit dem Sturz Chruschtschews, Köln 1971; Wagenlehner, G.: Die Rolle der Militärs im sowjetischen Entscheidungsprozeß, in: Meissner, Boris; Brunner, Georg: Gruppeninteressen und Entscheidungsprozeß in der Sowjetunion, 1975, S.79-90; Simes, D.K.: The Military and Militarism in Soviet Society, in: International Security, Winter 1981/1982 , No.3, S.123-143; 6 7

Kolkowicz 1967, S.10, 35; vgl. auch Herspring 1990, S. 13. Vgl. z.B. Odom, W.: The Soviet Military: The Party Connection, i n : Problems of Communism, 1973, No.5, S.12-26, hier S. 12, 16 f., 23 f.; d e r s . : The Party-Military-Connection, a Critique, in: Herspring, D.R.; Volgyes, I . (Eds.): Civil-Military Relations in Soviet Systems, Boulder, Col. 1978, h i e r : S.28; vgl. auch Herspring 1990, S. 13.

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rung des bestehenden Systems gefährdet würden.9 Herspring seinerseits nahm zwar den Ansatz Coltons auf, legte jedoch stärkeres Gewicht auf die Entscheidungsträger, die Inhalte von Auseinandersetzung traten bei ihm demgegenüber in den Hintergrund.18 Die Auseinandersetzung mit dem Verhalten von Personen macht im Kontext der Untersuchung des Verhältnisses von Politik und Militär nach dem Kriege durchaus Sinn. Eine ganze Generation von politischen Führern, die in der Chruscev- und der Breznev-Ära Schlüsselpositionen einnahm, war durch die Ereignisse der dreißiger und vierziger Jahren geprägt. Die an Formen der Kriegswirtschaft orientierten Vorstellungen von zentraler Planung und die Rolle, die militärische Stärke für Überleben und für das internationale Gewicht der Sowjetunion spielte, formten das politische Weltbild dieser Generation. Die Tendenz sowjetischer Politiker in der Außenpolitik bei aller Vorsicht stark auf das militärische Instrument zu setzen und dabei eine hohe Belastung der Volkswirtschaft durch Rüstungsausagaben in Kauf zu nehmen, nahm einem möglichen Konflikt mit der militärischen Führung von Anfang an die Schärfe. Die "Militarisierung" politischen Denkens ging also nicht auf Einwirkungen der Militärbürokratie zurück, sondern ergab sich aus der Vorstellungswelt der zivilen Politiker. Erst die Generationsablösung, die mit dem Amtsantritt Gorbacev vollzogen wurde, gefährdet jetzt den traditionellen Konsens. Damit gewinnen die Interessengegensätze, wie sie bei Colton und Kolkowicz angesprochen wurden, für die Zukunft an Gewicht. Die historischen Erfahrungen der Kriegsgeneration trugen gewiß zur "Militarisierung" politischen Denkens bei. Diese ergab sich aber auch aus der Situation, in der sich die sowjetische Führung in den NachkriegsJahren befand. In Konkurrenz mit den USA suchte sie die eigene Position in der internationalen Politik zu sichern. Dabei forderte sie, als mit den USA gleichberechtigte Supermacht akzeptiert zu werden: "Als Ergebnis der historischen Sieges, den das sowjetische Volk im Großen Vaterländischen Krieg errungen hat, wurde der Sowjetunion in glo8 9

Vgl. vor allem Colton 1979, S.280 ff.; vgl.Herspring 1990, S.14. Colton 1979, S. 285 ff.

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balen Angelegenheiten der Status einer Weltgroßmacht zuerkannt, ohne die kein einziges Problem - gleichgültig wie umfangreich - gelöst werden kann."11 Bei der Durchsetzung d i e s e s Anspruchs konnte s i c h d i e UdSSR n i c h t auf w i r t s c h a f t l i c h e oder t e c h n o l o g i s c h e Weltgeltung b e r u f e n . I h r Forderung nach Anerkennung a l s mit den USA g l e i c h b e r e c h t i g t e Supermacht s t ü t z t e s i c h a l l e i n auf d i e m i l i t ä r i s c h e S t ä r k e der Sow j e t u n i o n . Doch der M i l i t ä r m a c h t UdSSR f e h l t e das w i r t s c h a f t l i c h e U n t e r f u t t e r . Diese Beobachtung v e r a n l a ß t e den amerikanischen P o l i t o l o g e n und P o l i t i k b e r a t e r Z. B r z e z i n s k i , d i e UdSSR 1984 im Rückb l i c k a l s e i n e " e i n d i m e n s i o n a l e Weltmacht" zu b e z e i c h n e n : "The Soviet Union is a new type of world power in that i t s might is onedimensional; thus i t is essentially incapable of sustaining effective global dominance. The fact of the matter is that the Soviet Union is a global power only in the military dimension. It is neither a genuine economic rival to the United States nor - as once was12 the case - a source of a globally interesting ideological experiment." Diese B e s o n d e r h e i t der Supermacht UdSSR macht p l a u s i b e l , warum d i e p o l i t i s c h e Führung v o r r a n g i g auf Entwicklung des m i l i t ä r i s c h e n I n s t r u m e n t s s e t z t e . Den Abschluß des SALT-Abkommens i n t e r p r e t i e r e n k o n s e r v a t i v e s o w j e t i s c h e P o l i t i k e r und M i l i t ä r s noch h e u t e a l s Bes t ä t i g u n g i h r e r P o l i t i k s t r a t e g i s c h e r Rüstung, da man so durch H e r s t e l l u n g n u k l e a r e r P a r i t ä t d i e USA gezwungen habe, d i e UdSSR als gleichberechtigte Großmacht zu akzeptieren.13 Die " M i l i t a r i s i e r u n g " a u ß e n p o l i t i s c h e n Denkens h a t t e eben d a r i n , daß d i e Sowjetunion über w i r t s c h a f t s - oder t e c h n o l o g i e p o l i t i s c h e Mitt e l n i c h t i n ausreichendem Maße v e r f ü g t e , e i n e i h r e r w i c h t i g s t e n Ursachen. 18 11

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Herspring 1990, S.16. Gromyko, A.A.: Leninskie principy vnesnej p o l i t i k i sovetskogo gosudarstva, in: d e r s . : Leninskim kursom mira, Moskva 1984, S. 5-27, hier S. 8; die Rede wurde im April 1970 gehalten; vgl. dazu Gromykos ähnlich lautende Äußerung auf dem XXIV. Parteitag im April 1971, Pravda, 4.4.1971; vgl. dazu den Kommentar von V.V. Aspaturian: Soviet Global Power and the Correlation of Force, i n : Problems of Communism, 1980, No.3, S. 1-8, hier S. 1. Brzezinski, Zbigniew: The Soviet Union: World Power of a New Type, in: Hoffmann, Erik P. (Hrsg.): The Soviet Union in the 1980s, New York 1984, S. 147159, hier S. 151. Vgl. zuletzt etwa noch den sowjetischen Generalstabschef M.A. Moiseev auf dem 28. P a r t e i t a g : Moiseev, M.A.: Na nacalach razumnoj i nadeznoj dostatocnosti dlja oborony, i n : Krasnaja Zvezda, 6.7.1990, S.2.

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Um m i l i t ä r s t r a t e g i s c h e P a r i t ä t mit den USA zu erreichen, nahm die sowjetische Führung eine erhebliche Belastung der Volkswirtschaft in Kauf. Nach Schätzungen westlicher Regierungsstellen machten die Rüstungsausgaben 1988 15-18% des Bruttosozialprodukts (BSP) aus um die 150 Mrd. Rbl. 1 4 Sowjetische Sprecher gehen unter Zugrundelegung der o f f i z i e l l e n Angaben für die Rüstungsaufwendungen von 71,3 Mrd. Rbl. für 1989 von 8% des BSP aus. 1 3 Generalsekretär Gorbacev s e l b s t sprach für die achtziger Jahre von einer Rüstungslast in Höhe von 18% des Nationaleinkommens (das wäre etwa 12% des BSP oder 117 Mrd. R b l . ) . 1 6 Sowjetische WissenschafIter nennen inzwischen für 1989 die Zahl von 200 Mrd. Rbl. (20-25% des BSP). 17 Welche Angabe auch immer zutreffen mag, im Vergleich mit der Belastung westlicher Volkswirtschaften durch Rüstung - in den USA bet r ä g t s i e etwa 6-7%, in der Bundesrepublik etwa 3% - i s t die Bürde, die die Sowjetunion sich aufgeladen hat, in jedem Fall extrem hoch. Der Rüstungssektor nimmt dabei in der sowjetischen Wirtschaft eine Sonderstellung e i n . Organisatorisch sind die neun Ministerien, die Rüstungsgüter erzeugen, unter Leitung der M i l i t ä r i s c h - i n d u s t r i e l len Kommission (VPK) zusammengefaßt. Rüstungsabteilungen im Appar a t des ZK, im Apparat des M i n i s t e r r a t e s und in der Staatlichen Planungsbehörde bürgen dafür, daß der Rüstungskomplex vorrangig mit Energie, Rohstoffen und q u a l i f i z i e r t e m Personal versorgt wird. 1 8 Ein großer Teil der sowjetischen I n d u s t r i e s t e h t damit un14 15 16 17 18

Vgl. z.B. Wilkinson, C : Die Rolle des Verteidigungssektors für die Per e s t r o j k a , i n : NATO-Brief, Januar/Februar 1990, No.l, S.22-27, hier S. 22. Dividendy mira i konversija, in: Pravda, 30.7.1990, S.5. Na u r a l ' c e v mozho p o l o z i t ' s j a : Vystuplenie M.S. Gorbaceva, i n : Pravda, 29.4.1990, S.l-2, hier S. 2. Dividendy mira i konversija, i n : Pravda, 30.7.1990, S.5. Vgl. dazu: Oborona: Vzvesennost' i vernost' r e s e n i j , i n : Pravitel'stvennyj Vestnik, Dekabr' 1989, No.25, S.6-7; Oborona v mirnom n a s t u p l e n i i . 0 problemych oboronnych o t r a s l e j , putjach konversii c a s t i voennogo proizvodstva rasskazyvaet s e k r e t a r ' CK KPSS O.D. Baklanov, in: Pravitel'stvennyj Vestnik, Avgust 1989, No.17, S.6-7; allgemein zum sowjetischen Rüstungssektor vgl. ferner: Albrecht, U.; Nikutta, R.: Die sowjetische Rüstungsindustrie, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1989; Deutch, S.: The Soviet Weapons Industry. An Overview, i n : Gorbachev's Economic Plans. Volume 1. Study Papers Submitted to the Joint Economic Committeee, Congress of the United S t a t e s , Washington 1987, S.405-430; Nikutta, R. (Bearbeiter): Rüstungswirtschaft in der Sowjetunion, i n : M i l i t ä r p o l i t i k . Dokumentation, 1986, No.47/48/49; U.S. Cen-

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t e r e i n e r S o n d e r v e r w a l t u n g . Nach s o w j e t i s c h e n A u s s a g e n a u s dem J a h r 1989 waren e i n V i e r t e l d e r Moskauer A r b e i t n e h m e r im R ü s t u n g s b e r e i c h a n g e s t e l l t , e i n D r i t t e l d e r I n d u s t r i e p r o d u k t i o n und d i e Hälfte der Forschungsarbeiten f i e l d o r t in die Verantwortung der VPK. 19 L a n d e s w e i t m a c h t e R ü s t u n g etwa e i n D r i t t e l d e r g e s a m t e n P r o d u k t i o n d e s M a s c h i n e n b a u s a u s 2 8 . Vor a l l e m f ü r I n n o v a t i o n u n a b d i n g b a r e H o c h t e c h n o l o g i e b e r e i c h e wie M i k r o e l e k t r o n i k , moderne Kommunik a t i o n s - und I n f o r m a t i o n s v e r a r b e i t u n g s s y s t e m e , neue Werkstoffe, H o c h v e r e d e l u n g s - und E n e r g i e s p a r t e c h n o l o g i e n s i n d im R ü s t u n g s k o m p l e x k o n z e n t r i e r t und f ü r den z i v i l e n S e k t o r n u r u n t e r S c h w i e r i g k e i t e n z u g ä n g l i c h . Bei M i k r o s c h a l t k r e i s e n z . B . v e r f ü g t das M i n i s t e r i u m f ü r E l e k t r o n i k i n d u s t r i e - e i n s d e r neun R ü s t u n g s m i n i s t e r i e n - ü b e r e i n Monopol. Der V e r s u c h z i v i l e r B e t r i e b e , d i e Comput e r h e r s t e l l u n g a u s z u w e i t e n , s c h e i t e r t e 1988 an d e r Weigerung d e s M i n i s t e r i u m s , d i e L i e f e r u n g d e r n o t w e n d i g e n B a u t e i l e zu s t e i g e r n . Noch g e g e n Ende d e r a c h t z i g e r J a h r e h a t t e R ü s t u n g s p r o d u k t i o n P r i o r i t ä t g e g e n ü b e r d e r z i v i l e n . Die hohe R ü s t u n g s l a s t und d i e Abschottung innovationsträchtiger I n d u s t r i e n g e g e n den R e s t der V o l k s w i r t s c h a f t - Symptome d e s V o r r a n g s m i l i t ä r i s c h e n Denkens g e g e n ü b e r ökonomischem - w i r k t e n s i c h n e g a t i v auf d i e L e i s t u n g s f ä h i g k e i t der s o w j e t i s c h e n W i r t s c h a f t a u s . Beide F a k t o r e n s i n d für d i e t i e f g r e i f e n d e ökonomische K r i s e m i t v e r a n t w o r t l i c h , i n d e r s i c h d i e UdSSR h e u t e b e f i n d e t . Die M i l i t a r i s i e r u n g d e s a u ß e n p o l i t i s c h e n Denkens und d e r V o r r a n g m i l i t ä r i s c h e r Ü b e r l e g u n g e n i n d e r W i r t s c h a f t s p l a n u n g wurde e r g ä n z t d u r c h Bemühungen, w e i t e T e i l e d e r G e s e l l s c h a f t i n m i l i t ä r i s c h e

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t r a l Intelligence Agency: The Soviet Weapons Industry: An Overview, Washington, D.C. 1986. Konversija: moskovskij radius d e j s t v i j a . Sovescanie partijno-chozjajstvennogo aktiva s t o l i c y , i n : Moskovskaja Pravda, 24.10.1989, S.l-2; vgl. auch die Kurzberichte der Beratung in den zentralen Zeitungen: Konversija: vzgljad iz s t o l i c y , in: Pravda, 24.10.1989, S.4; Oboronnye o t r a s l i - narodnomu chozjajstu, i n : Socialisticeskaja I n d u s t r i j a , 24.10.1989, S.2. So westliche Schätzungen: U.S. Central Intelligence Agency: The Soviet Weapons Industry, S.2; sowjetische Angaben aus dem Jahr 1989 scheinen die Größenordnung zu bestätigen: vgl. Ligacevs Äußerung in: Po-novomu osmyslit' funkcii i r o l ' p a r t i i v obscestve, i n : Pravda 21.7.1989, S.l-4, hier S.3; sowie: Goskomstat SSSR: P r o m y s l e n n o s t ' SSSR. S t a t i s t i c e s k i j S b o r n i k , Moskva 1989, S.34, 114, 170; vgl. aber Jaremenko, J . : Skonomika chanzestva, i n : Pravda, 1.9.1990, S.l, 4, hier S.4, der auf Basis von Welt-

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S t r u k t u r e n e i n z u b i n d e n . Dazu g e h ö r t e zum e i n e n d e r o b l i g a t o r i s c h e W e h r u n t e r r i c h t i n den S c h u l e n , d i e v o r m i l i t ä r i s c h e A u s b i l d u n g im Rahmen d e r F r e i w i l l i g e n G e s e l l s c h a f t z u r Z u s a m m e n a r b e i t m i t Armee, L u f t s t r e i t k r ä f t e n und F l o t t e (DOSAAF) und d i e E x i s t e n z von Z i v i l v e r t e i d i g u n g s o r g a n i s a t i o n e n i n a l l e n B e t r i e b e n und B e h ö r d e n . S o w e i t d i e s s i c h von außen b e u r t e i l e n l ä ß t , i s t d i e A r b e i t i n d i e s e n Bereichen jedoch wenig effektiv.21 Diese Einschätzung wurde l e t z t h i n auch von M. M o i s e e v , dem Chef d e s G e n e r a l s t a b s , b e s t ä t i g t . 2 2 Die Wirkung von W e h r p r o p a g a n d a i s t a n g e s i c h t s d e s Abbaus w e l t w e i t e r Spannung i n den l e t z t e n J a h r e n n u r g e r i n g g e w e s e n . Imm e r h i n war d a s M i l i t ä r i n S c h u l e , H o c h s c h u l e und Medien s t ä n d i g präsent. Während m i l i t ä r i s c h e s Denken P o l i t i k und W i r t s c h a f t s t a r k b e e i n f l u ß t e , waren d i e S t r e i t k r ä f t e s e l b s t s t r i k t i n p a r t e i p o l i t i s c h e S t r u k t u r e n e i n g e b u n d e n . E i n e H i e r a r c h i e von P o l i t o f f i z i e r e n , die z u g l e i c h ü b e r d i e P a r t e i o r g a n i s a t i o n e n i n den S t r e i t k r ä f t e n v e r f ü g t e n , war auf j e d e r Kommandoebene p r ä s e n t . Die P o l i t i s c h e H a u p t v e r w a l t u n g von Armee und F l o t t e war g l e i c h z e i t i g A b t e i l u n g d e s V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m s und d e s Z K - A p p a r a t s . Auf d i e s e Weise war d i e E i n w i r k u n g d e r KPdSU im g e s a m t e n M i l i t ä r b e r e i c h i n s t i t u t i o n e l l

marktpreisen den Anteil der Rüstungsproduktion am Maschinenbau auf ca. 60% berechnet. Vgl. dazu u . a . : Odom, W.E.: The Soviet Volunteers, Princeton (Princeton Univ e r s i t y Press) 1973; Odom, W.E.: The "Militarization" of Soviet Society, in: Problems of Communism, 1976, No.5, S.34-51; Revesz, L.: Die paramilitärische Organisation und die vormilitärische Erziehung in der UdSSR, in: Gosztony, Peter (Hg.): Paramilitärische Organisationen im Sowjetblock, Bonn-Bad Godesberg (Hohwacht) 1977, S.239-292; Gary, C D . : M a r t i a l - P a t r i o t i c Themes in Soviet School Textbooks, i n : Soviet Union - Union Sovibtique, Bd. 6. 1979, No.l, S.81-98; Colton, T . J . : The Impact of the Military on Soviet Society, in: Bialer, S. (Hg.): The Domestic Context of Soviet Foreign Policy, Boulder, Col. 1981, S.119-138; Simes, D.K.: The Military and Militarism in Soviet Society, i n : International Security, Bd. 6. Winter 1981/1982 1982, No.3, S.123-143; Oja, M.F.: The Peacetime Functions of Soviet Civil Defense, i n : Journal of Strategic Studies, Bd. 8. 1985, No.2, S.163-179; Zimmermann, W.: Mobilized P a r t i z i p a t i o n and the Nature of the Soviet Dictatorship, i n : Soviet Interview Project. University of I l l i n o i s at Urbana-Champaign. Working Paper, April 1986, No.19; Galeotti, M.: Soviet Pre-Draft Training Crisis or Transition, i n : Jane's Soviet Intelligence Review, May 1990, S.233-235. Sluz"ba ratnaja - sluzba otecestvu, i n : Voennye Znanija, 1990, Nr.4, S.2-3, 6-7, hier S. 6 f.

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a b g e s i c h e r t . 2 3 An d e r S p i t z e d e r g e s a m t e n S t r e i t k r ä f t e s t a n d e i n z i v i l e s Gremium, d e r V e r t e i d i g u n g s r a t . Der V e r t e i d i g u n g s r a t , n o m i n e l l e i n Organ d e s P r ä s i d i u m d e s O b e r s t e n S o w j e t s , e n t s c h i e d ü b e r s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e F r a g e n . Dem V e r t e i d i g u n g s r a t g e h ö r t e n , s o weit bekannt, M i t g l i e d e r des P o l i t b ü r o s an, M i l i t ä r s l e i s t e t e n l e d i g l i c h E n t s c h e i d u n g s h i l f e n . Auf d i e s e Weise wurde d a s P r i m a t d e r P o l i t i k in s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e n Fragen g e w ä h r l e i s t e t . 2 4 M i l i t ä r i s c h e s Oberkommando und l e t z t e s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e E n t s c h e i d u n g e n l a g e n a l s o i n Händen z i v i l e r P o l i t i k e r . Das M i l i t ä r v e r f ü g t e a l l e r d i n g s über ein Beratungsmonopol, s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e Fragen wurden b i s w e i t i n d i e a c h t z i g e r J a h r e h i n e i n n i c h t i n z i v i l e m K o n t e x t e r ö r t e r t . Die p o l i t i s c h e Führung war im ü b r i g e n - d i e Gründe s i n d oben a n g e s p r o c h e n - o h n e h i n g e n e i g t , a u ß e n - und s i cherheitspolitische Schritte stark unter militärischen Gesichtsp u n k t e n zu a n a l y s i e r e n . Eine i n s t i t u t i o n a l i s i e r t e demokratische K o n t r o l l e - wie s i e etwa i n w e s t l i c h e n S t a a t e n d u r c h P a r l a m e n t s a u s s c h ü s s e a n g e s t r e b t w i r d - g a b e s b i s 1989 n i c h t . Die Überwachung d e s M i l i t ä r s l a g beim V e r t e i d i g u n g s r a t , b e i d e r H i e r a r c h i e d e r p o l i t i s c h e O f f i z i e r e , d i e an den ZK-Apparat a n g e b u n d e n w a r e n , und s c h l i e ß l i c h beim KGB, d e r o f f e n b a r auch i n d e r Armee p r ä s e n t war. B i s i n d i e j ü n g s t e Z e i t d o m i n i e r t e m i l i t ä r i s c h e s Denken a l s o w e i t e B e r e i c h e von G e s e l l s c h a f t und P o l i t i k . P o l i t i s c h e s System und Mil i t ä r waren eng m i t e i n a n d e r v e r f l o c h t e n . D i e s war e i n e r d e r F a k t o ren, der über lange Jahre grundlegende Reformschritte b e h i n d e r t e . W i e w e i t d i e s e r S a c h v e r h a l t m i t B e g r i f f e n wie " R o t e r M i l i t a r i s m u s " , M i l i t ä r i s c h - i n d u s t r i e l l e r Komplex o d e r Militärisch-bürokratischer 23

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Vgl. Sobolev, M.G. ( R e d a k c i j a ) : P a r t i j n o - p o l i t i c e s k a j a r a b o t a v Sovetskoj Armii i F l ö t e . Ucebnoe posobie d l j a v y s s i c h voennych u c i l i s c e j , Moskva 2 1984; P e t r o v , J . P . : S t r o i t e l ' s t v o p o i i t o r g a n o v , p a r t i j n y c h i komsomol'skich o r g a n i z a c i j a r m i i i f l o t a (1918-1968), Moskva 1968; P o l i t o r g a n y s o v e t s k i c h Voorusennych S i l . I s t o r i k o - t e o r e t i c e s k i j ocerk, Moskva 1984. Vgl. etwa: Weeks, A . L . : The Soviet Defense C o u n c i l : The C r e m l i n ' s Top Economic, M i l i t a r y - I n d u s t r i a l and War-Fighting Organ, i n : Defense & Diplomacy, 1990, S.42-47; R e o r g a n i s a t i o n des sowjetischen V e r t e i d i g u n g s r a t s , i n : Neue Zürcher Z e i t u n g , 18.12.1989; Na Sovete Oborony Clen P o l i t b j u r o CK KPSS, S e k r e t ä r ' CK KPSS L.N.ZAJKOV o t v e c a e t na voprosy voennogo o t d e l a "Pravdy", i n : Pravda, 27.11.1989, S.2; Rahr, A.: Gorbachev D i s c l o s e s D e t a i l s of Defense Council, i n : Radio L i b e r t y . Report on the USSR, Bd. 1. 1989, No.37, S.11-12.

15

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gestellt

werden.

Adomeit, H.: Gorbacevs "Umgestaltung" und der " M i l i t ä r i s c h - I n d u s t r i e l l e Komp l e x " der UdSSR, i n : S t i f t u n g Wissenschaft und P o l i t i k Ebenhausen. A r b e i t s p a p i e r e , Ebenhausen (SWP-AP 2609 F o . P l . I . 2 a / 8 9 ) Mai 1989; Adomeit, H.; Agursky, M.: The Soviet M i l i t a r y - I n d u s t r i a l Complex and i t s I n t e r n a l Mechanism, i n : N a t i o n a l S e c u r i t y S e r i e s , 1978, N o . l ; Agursky, M.: The Soviet Mil i t a r y - I n d u s t r i a l Complex, i n : Jerusalem Papers on Peace Problems, Jerusalem Bd. 3 1 . 1980; Agursky, M.; Adomeit, H.: The Soviet M i l i t a r y - I n d u s t r i a l Complex, i n : Survey, Bd. 24. 1979, No.2, S.106-124; A l b r e c h t , U.: Red M i l i t a r i s m , i n : J o u r n a l of Peace Research, Bd. XVII. 1980, No.2, S.135-149; A s p a t u r i a n , V.V.: The Soviet M i l i t a r y - I n d u s t r i a l Complex: Does i t E x i s t ? , i n : Rosen, Steven ( H g . ) : T e s t i n g t h e Theory of the M i l i t a r y - I n d u s t r i a l Comp l e x , 1973, S.103-133; A s p a t u r i a n , V.V.: The Soviet M i l i t a r y - I n d u s t r i a l Comp l e x : Does i t E x i s t ? , i n : Rosen, Steven ( H g . ) : T e s t i n g t h e Theory of the Mil i t a r y - I n d u s t r i a l Complex, 1973, S.103-133; Holloway, D . : War, M i l i t a r i s m and the Soviet S t a t e , i n : Thompson, E.P. und D. Smith (Hg.), P r o t e s t and S u r v i v e , , Harmondsworth 1980, S.129-168; Jahn, E . : Rüstung und B ü r o k r a t i e in der S o w j e t g e s e l l s c h a f t , i n : HSFK: Europäische S i c h e r h e i t und der Rüstungsw e t t l a u f , Frankfurt/M, New York (Campus) 1979, S.138-147; L e i t e n b e r g , M.: The Counterpart of Defense I n d u s t r y Conversion in the United S t a t e s : The USSR Economy, Defense I n d u s t r y , and M i l i t a r y E x p e n d i t u r e . An I n t r o d u c t i o n and Guide t o s o u r c e s , i n : J o u r n a l of Peace Research, 1979, No.3, S.263-277; N o l t e , H.H.: M i l i t a r i s m u s in der sowjetischen G e s e l l s c h a f t und i n t e r n a t i o n a l e r Rüstungswettlauf, i n : Das Argument, 1982, No.131, S.75-90; P f e i l e r , W.: Funktionen s o w j e t i s c h e r R ü s t u n g s p o l i t i k , i n : Z e i t s c h r i f t für P o l i t i k , Bd. 33. 1986, No.3, S.291-305; Simes, D.K.: The M i l i t a r y and M i l i t a r i s m in Sov i e t S o c i e t y , i n : I n t e r n a t i o n a l S e c u r i t y , Bd. 6. Winter 1981/1982 1982, No.3, S.123-143; T i e d t k e , S . : M i l i t ä r - und G e s e l l s c h a f t s p o l i t i k in der Sowjetunion, i n : Das Argument, Bd. 24. 1982, No.133, S.363-374; Weickhardt, G.G.: The Soviet M i l i t a r y - I n d u s t r i a l Complex and Economic Reform, i n : Soviet Economy, Bd. 2 . 1986, No.3, S.193-220; Wesson, R.G.: The M i l i t a r y in Soviet S o c i e t y , i n : The Russian Review, 1971, No.2, S.139-145; Wesson, R.G.: The M i l i t a r y in Soviet S o c i e t y , i n : The Russian Review, 1971, No.2, S.139-145; auch in der Sowjetunion h a t d i e Diskussion d i e s e r Themen j e t z t begonnen; v g l . z . B . P o r a z e n i e m i l i t a r i z o v a n n o j ekonomikoj. Beseda s akademikom V.Avduevskim, predsedatelem Sovetskoj n a c i o n a l ' n o j k o m i s s i i s o d e j s t v i j a konv e r s i j a , i n : I z v e s t i j a , 7 . 2 . 1 9 9 0 , S.2; Bykov, O.N.; Cugrov, S . : Novoe rays'l e n i e i s t a r y e s t e r e o t i p y , i n : I z v e s t i j a , 7 . 5 . 1 9 8 8 , S.6; O s t a l ' s k i j , A.: E s t ' l i v SSSR voenno-promyslennyj kompleks?, i n : I z v e s t i j a , 16.10.1988, S . 7 ; P o r t n o v , A . : M i l i t a r i z m , i n : Daugava, 1989, No.9, S.83-88.

16

3. Militär und Gesellschaft im Übergang Der Wandel des politischen und des Wirtschaftssystems, der jetzt in der Sowjetunion allmählich in Gang kommt, geht notwendig mit einer Neubestimmung des Verhältnisses von Politik und Militär einher. Die "Demilitarisierung" des außenpolitischen Denkens war eine der wesentlichen Voraussetzungen für Reformschritte im Innern, die Reduzierung der Rüstungslast und die Beseitigung der Vorrechte des Rüstungssektors sind im Zusammenhang mit dem Übergang zur Marktwirtschaft unabdingbar. Die Verlagerung politischer Macht vom Parteiapparat zu Präsident und Parlament, die Neugestaltung der Beziehungen zwischen Union und Einzelrepubliken, aber auch der angestrebte Übergang zu einem Mehrparteiensystem machen es erforderlich, die Einbindung der Streitkräfte in das politische System zu überdenken. Mehr noch, Wehrverfassung und Struktur der Streitkräfte selbst stehen zur Disposition.

3.1

"Neues Denken" und die Rolle des militärischen Instruments in der Außenpolitik

Die Durchsetzung eines neuen außenpolitischen Konzepts war konstitutiver Bestandteil der politischen Reformansätze, mit denen die sowjetische Führung seit 1985 vorsichtig experimentierte. Bereits zur Zeit Andropovs von Wissenschaftlern und Diplomaten vorgedacht, wurden die Grundzüge dieses "neuen Denkens" nach dem Amtsantritt Gorbacevs Leitlinien für die Außen- und Sicherheitspolitik. In den Grundzügen skizzierte Gorbacev das neue Konzept in seinem politischen Bericht auf dem 27. Parteitag 1986. Der Generalsekretär erklärte, daß die Zivilisation eine "nukleare Katastrophe" - d.h. einen atomaren Krieg - nicht überstehen werde.26 Daher sei ein grundlegendes Umdenken im Bereich der internationalen Beziehungen notwendig.27 Man müsse davon ausgehen, daß globale, allgemeinmenschliche Probleme existierten, die nur in weltweiter Zusammenarbeit gelöst werden könnten.28 Für die Sicherheitspolitik leitete der Generalsekretär daraus vier Grundsätze ab, die in der 26 27

Vgl. Materialy XXVII s-ezda KPSS, Moskva 1986, S.20. Ebd. S.4.

17

Folge Grundlage e i n e r f l e x i b l e n Außen- und S i c h e r h e i t s p o l i t i k den:

wur-

1. Verteidigung i s t allein mit militärischen Mitteln heute nicht möglich. Sicherheit ist eine Frage der Politik, die mit politischen Mitteln gelöst werden muß. 2. In den Beziehungen UdSSR-USA kann Sicherheit nur gegenseitig sein. Es gibt keine einseitige Sicherheit. 3. Die nationalen Interessen der USA sind nicht identisch mit denen des amerikanischen Militärisch-industriellen Komplexes: Zusammenarbeit mit den USA i s t möglich und erforderlich. 2 9 4. Die internationalen Beziehungen müssen ungeachtet aller sozialen, politischen und ideologischen Widersprüche "zivilisiert" sein. Dazu i s t breite Zusammenarbeit nötig und ein umfassendes System wirtschaftlicher Sicherheit. 38 Hier z e i c h n e t e s i c h das Konzept e i n e r S i c h e r h e i t s p o l i t i k ab, d i e auf p o l i t i s c h e Aktion und i n t e r n a t i o n a l e Zusammenarbeit s e t z t e u n t e r H i n t a n s e t z u n g des " m i l i t ä r i s c h e n I n s t r u m e n t s " . Vor und während d e r XIX. P a r t e i k o n f e r e n z im J u n i 1988 wurde d i e s o w j e t i s c h e A u ß e n p o l i t i k e r s t m a l s ö f f e n t l i c h der K r i t i k u n t e r z o gen. Es hieß nun, s i e habe v i e l zu s t a r k auf das m i l i t ä r i s c h e I n s t r u m e n t g e s e t z t , d i e UdSSR habe s i c h i n den Rüstungswettlauf h i n e i n z i e h e n l a s s e n , und man habe n i c h t abgewogen, was d i e e i n e oder andere H a n d l u n g s v a r i a n t e das Volk g e k o s t e t h ä t t e . Nunmehr s e t z e man mehr auf das p o l i t i s c h e I n s t r u m e n t und gehe im Rahmen der Dial e k t i k von K l a s s e n - und allgemeinmenschlichen I n t e r e s s e n von d e r P r i o r i t ä t allgemeinmenschlicher Interessen aus.31

28

Ebd. S.19.

29

Damit rückte Gorbacev deutlich von der traditionellen Feindbildpropaganda ab; er unterstrich diesen Punkt noch einmal in seiner Rede zum 70.Jahrestag der Oktoberrevolution, als er die Frage stellte, ob die Gesetzmäßigkeiten der ganzheitlichen Welt die zerstörerische Wirkung der eng klassenmäßigen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus eingrenzen könnten, ob der Kapitalismus nicht ohne Militarismus funktionieren könne; Gorbacev, M.S.: Oktjabr' i perestrojka: Revoljucija prodolzaetsja, in: Pravda 3.11.1987, S.2-5, hier S.5; Gorbacevs Antwort lautete, daß dies praktisch erprobt werden müsse das eben tue man. Diese vier Punkte führt Gorbacev in seiner Parteitagsrede auf, Materialy 1986,S.64 f.; vgl. Glickham, in: Radio Liberty Research. Supplement 2/86, September 6, 1986, S.4. Gorbacev, M.S. 0 chode realizacii resenii XXVII s-ezda KPSS i zadacach po uglubleniju perestrojki, in: Pravda 29.6.1988, S.2-7, hier S.3.

38

31

18

Vier Wochen nach der XIX.Konferenz v e r a n s t a l t e t e das sowjetische Außenministerium eine "wissenschaftlich-praktische Konferenz" 32 , auf der die Perspektiven der sowjetischen Außenpolitik im Rahmen der Beschlüsse der XIX. Parteikonferenz ausführlich e r ö r t e r t wurden. Sevardnadze machte h i e r die P r i o r i t ä t e n d e u t l i c h - den Vorrang der P o l i t i k und die Einordnung der Streitkräfteentwicklung in den Gesamtrahmen der Außen- und S i c h e r h e i t s p o l i t i k , wie s i e in seinem Ministerium konzipiert wurde. Der Außenminister hob hervor, daß die m i l i t ä r i s c h e Stärke eines Staates nicht in der Anhäufung von Waffen bestehe, sondern in der Fähigkeit, " p r i n z i p i e l l neue Gefechtssysteme, q u a l i t a t i v effektivere Waffen-, Kommunikationsund Leitungssysteme" zu schaffen. 3 3 Damit s p i e l t e er d e u t l i c h auf das Dilemma an, vor dem die sowjetische Führung spätestens s e i t Mitte der siebziger Jahre stand: Die f o r t g e s e t z t e Hochrüstung führte zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und einem Absinken der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, das wiederum l a n g f r i s t i g das Rüstungspotential schwächte. 34 Abhilfe sah Sevardnadze in einer Begrenzung des q u a n t i t a t i v e n Rüstungswachstums, dem Übergang zu "nichtoffensiver Verteidigung" und einer S i c h e r h e i t s und M i l i t ä r p o l i t i k , die sich am Prinzip der "vernünftigen Hinlängl i c h k e i t " [razumnaja d o s t a t o c n o s t ' ] o r i e n t i e r t e . Die neue Administration t r a t 1985 also mit einem neuartigen Grundverständnis von Außen- und S i c h e r h e i t s p o l i t i k an, das dem i h r e r Vorgänger diametral entgegengesetzt war. P o l i t i k e r und Wissens c h a f t l e r um Gorbacev, Jakovlev und Sevardnadze s t r e b t e n eine Dem i l i t a r i s i e r u n g außenpolitischen Denkens an. Dies war jedoch nicht einfach zu e r r e i c h e n . Im eigenen Land konnten s i e diese P o l i t i k gegen Konservative nur s c h r i t t w e i s e durchsetzen, die Skepsis im 32

33 34

Vgl. dazu die Notizen in der Pravda: Vnesnjaja p o l i t i k a i diplomatija, i n : Pravda 26.7.1988, S.4; Diplomatija novogo myslenija, i n : Pravda 28.7.1988; v g l . ferner das Grundsatzreferat Sevardnadzes, in: Vestnik Ministerstva Inostrannych Del SSSR 15.1.1988, No.15, S.27-46, sowie die Berichte aus den Sektionen und die einzelenen Diskussionsbeiträge, soweit in den No.9 ff. der Z e i t s c h r i f t Mezdunarodnaja Zizn' veröffentlicht. Vestnik Ministerstva Inostrannych Del SSSR 15.1.1988, No.15, S.35. So wurde die Entwicklung auch von sowjetischen Militärökonomen i n t e r p r e t i e r t : vgl. Pozarov, A . I . : Ekonomiceskie osnovy oboronnogo moguscestva soc i a l i s t i c e s k o g o gosudarstva, Moskva 1981, S.115 f.; vgl.Raev, V.M.: Za ekonomiju i b e r e z l i v o s t ' v vojskovom chozjajstve, Moskva 1985,S.U.

19

Westen überwanden sie erst allmählich durch einseitige und asymmetrische Abrüstungsschritte. In dem Maße aber, in dem sich die Gorbacev-Administration bei der Demilitarisierung der Außenpolitik durchsetzte - und der Rückzug aus Afgahnistan, der Beitrag zur Friedensregelung in Südafrika, der INF-Vertrag und der einseitige Truppenabzug aus Ostmitteleuropa resultierten daraus -, schuf sie sich Spielraum für die Demilitarisierung von Gesellschaft und Volkswirtschaft.

3.2

Armee und öffentliche Meinung: Verlust der Akzeptanz

Tatsächlich haben die sowjetischen Streitkräfte in der Öffentlichkeit seit 1987 rasch an Rückhalt verloren. Die Fortschritte der Abrüstungspolitik ließen eine Bedrohung durch den Westen als wenig wahrscheinlich erscheinen. Zeitgleich begannen die Medien die Zustände innerhalb der Armee zu kritisieren, insbesondere die notorische Schinderei jüngerer Soldaten durch ältere. Zudem begannen politische Bewegungen in den Unionsrepubliken zunehmend die Wehrverfassung zu kritisieren und die Aufstellung nationaler oder territorialer Streitkräfte zu fordern. Jüngere Offiziere verlangten den Übergang zu einer Berufsarmee. Die traditionelle Formel von der Einheit von Volk und Armee löste sich in kurzer Zeit in Luft auf. Der rapide Prestigeverfall der Streitkräfte ist an den veröffentlichten Umfrageergebnissen ablesbar. Noch 1988 rangierte das Militär in der öffentlichen Wertschätzung relativ hoch. In einer Umfrage, die die Zeitschrift "Moskovskie Novosti" durchführen ließ und die sich mit der Einstellung der Moskauer Bevölkerung zu Privilegien befaßte, schnitten die Militärs positiv ab. Sie hätten, so der Durchschnitt der Befragten, ihre Sonderrechte im Grundsatz verdient. Das Militär rangierte damit unmittelbar hinter der politischen Führung und vor Diplomaten, Abgeordneten, Künstlern und Wirtschaftsleitern. Parteifunktionäre rangierten weit hinten ihre Privilegien galten als unverdient.33 Der positive Sozialisati*» 35 Tret'jakov, V.: Social'naja spravedlivost' i privilegii: kak sovmescajutsja eti ponjatija, in: Moskovskie Novosti, 3.7.1988, Nr.27, S.10-11, hier S.10;

20

o n s e f f e k t d e s W e h r d i e n s t e s wurde i n d e r P r e s s e h e r v o r g e h o b e n . Die A r m e e z e i t u n g " K r a s n a j a Zvezda" v e r ö f f e n t l i c h t e e i n e Umfrage u n t e r g e d i e n t e n S t u d e n t e n d e s A g r a r i n s t i t u t s voon G o r ' k i j , i n d e r d i e überwiegende Mehrheit der Befragten d i e p e r s ö n l i c h e Entwicklung 36 d u r c h den M i l i t ä r d i e n s t p o s i t i v b e e i n f l u ß t s a h e n . Wenngleich es s i c h i n b e i d e n F ä l l e n gewiß n i c h t um r e p r ä s e n t a t i v e Befragungen h a n d e l t , s o i s t doch s y m p t o m a t i s c h , daß d i e Medien 1988 e i n r e l a t i v p o s i t i v e s B i l d vom M i l i t ä r z e i c h n e t e n , und daß s i e d a f ü r d a s g e r a d e n e u e n t d e c k t e I n s t r u m e n t d e r ö f f e n t l i c h e n Umfrage b e n u t z t e n . Die v e r g l e i c h s w e i s e hohe W e r t s c h ä t z u n g d e s M i l i t ä r s w i r d a b e r a u c h d u r c h E m i g r a n t e n b e f r a g u n g e n b e s t ä t i g t . Nach Angaben d e s "Soviet I n t e r v i e w P r o j e c t " r a n g i e r t e n O f f i z i e r e u n t e r Emigranten ä h n l i c h wie b e i i n d e r S o w j e t u n i o n d u r c h g e f ü h r t e n Umfragen i n d e r o b e r e n Hälfte der

Prestigeskala.37

A l l e r d i n g s s i g n a l i s i e r e n Z a h l e n e i n e r T e l e p h o n u m f r a g e im O k t o b e r 1988 a u c h , daß e i n e M e h r h e i t d e r b e f r a g t e n Moskauer den I N F - V e r t r a g u n t e r s t ü t z t e , obwohl d i e UdSSR d a b e i e r h e b l i c h mehr R a k e t e n v e r n i c h t e n mußte a l s d i e USA. Die ü b e r w i e g e n d e M e h r z a h l h i e l t den V e r t r a g f ü r v o r t e i l h a f t , w e i t mehr a l s d i e H ä l f t e b e g r ü ß t e d i e e r s t m a l s v e r e i n b a r t e n g e g e n s e i t i g e n I n s p e k t i o n e n v o r O r t . 3 8 Obwohl die Umfrage wurde per Telephon durchgeführt und erfaßte 584 erwachsenen Moskauer; da nur ein kleiner Prozentsatz der Sowjetbürger über ein Telephon verfügen, kann die Umfrage nicht als repräsentativ angesehen werden, am ehesten gibt sie die Einschätzung eines p r i v i l e g i e r t e n Bevölkerungsteils wieder. Marenkov, A.: Ne emocii - fakty, i n : Krasnaja Zvezda, 1.6.1988; Veröffentlichungsort und Durchführung der Umfrage weisen darauf hin, daß diese Umfrage bewußt durchgeführt wurde, um Argumente für Beibehaltung der Wehrpflicht für Studenten zu erlangen, die zu dieser Zeit zur Diskussion stand und in der Folge aufgehoben wurde; daher i s t diese Befragung keinesfalls als repräsent a t i v anzusprechen. Swafford, M.: Perceptions of Social Status in the USSR, in: Soviet Interview Project. University of I l l i n o i s at Urbana-Champaign. Working Paper, March 1986, Nr.12, Table 2, 3; die Einstellung der befragten Emigranten zu den Streitkräften i s t aber durchaus gebrochen: so geben ca. 19,7% der Befragten an, sie hätten während ihres Lebens in der Sowjetunion versucht, den Wehrdienst zu vermeiden; Zimmermann, W.: Mobilized P a r t i z i p a t i o n and the Nature of the Soviet Dictatorship, i n : Soviet Interview Project. University of I l l i n o i s at Urbana-Champaign. Working Paper, April 1986, Nr.19, Table 11. 0 r e z u l ' t a t a c h oprosa sovetskogo obscestvennogo mnenija po probleme jadernogo razoruzenija, in: Vestnik Ministerstva Inostrannych Del SSSR, 15.12.1988, Nr.23, S.20-21; auch diese Umfrage - in Auftrag gegeben von e i ner i n t e r e s s i e r t e n Instanz und durchgeführt per Telephon - kann keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben; sie gehört in den Zusammenhang der An-

21

diese Umfrage vom Außenministerium in Auftrag gegeben wurde, das wohl im Sinne h a t t e , sich gegen Angriffe aus dem M i l i t ä r abzusichern, und s i e daher nicht a l s r e p r ä s e n t a t i v verstanden werden kann, wird h i e r schon erkennbar, welche Faktoren in Zukunft die Einschätzung des M i l i t ä r s beeinflussen konnten - vor allem eine erfolgreiche Abrüstungsund Entspannungspolitik entzog den S t r e i t k r ä f t e n die Legitimation. Der Wandel der öffentlichen Meinung wurde im Jahre 1989 rasch s i c h t b a r . Nachdem die Vernichtung der Mittelstreckenraketen gemäß INF-Vertrag angelaufen war, h a t t e Gorbacev vor der UNO am 7.12.1988 die e i n s e i t i g e Reduzierung der konventionellen Truppen in Europa und die Reduzierung der Militärausgaben angekündigt. Zugleich h a t t e der S t r e i t k r ä f t e v e r g l e i c h , den die Warschauer Vert r a g s o r g a n i s a t i o n im Januar 1989 auch in sowjetischen Medien pub l i z i e r t e , s i c h t b a r gemacht, daß die Sowjetunion große Mengen von Panzern und A r t i l l e r i e angehäuft h a t t e und der NATO h i e r weit überlegen war. 39 Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Versorgungskrise - etwa zur gleichen Zeit wurde in Moskau der Verkauf von Zucker und Butter eingeschränkt - mußte dies einem möglichen Widerstand von M i l i t ä r s und Rüstungsmanagern gegen die Kürzungen den Boden entziehen. 1988 und 1989 wurden zunehmend Berichte verö f f e n t l i c h t über die Schinderei jüngerer Soldaten durch ä l t e r e . Diese Erscheinung, die sogenannte "dedovscina" 48 , war offenbar in zahlreichen Einheiten der S t r e i t k r ä f t e a l l t ä g l i c h . Die Unfähigkeit der m i l i t ä r i s c h e n Führung, dieses Problem in den Griff zu bekommen, schädigte das Prestige des sowjetischen M i l i t ä r s empfindlich.

39

strengungen des Außenministeriums, öffentliche Unterstützung für die Politik der Demilitarisierung der Außenpolitik einzuwerben; immerhin informiert der Artikel über Durchführung der Umfrage und über das sample. Zajavlenie Komiteta ministrov oborony gosudarstv-ucastnikov Varsavskogo Dogovora "0 sootnosenii c i s l e n n o s t i vooruzennych s i l i vooruzenij Organizacii Varsavskogo Dogovora i Severoatlanticeskogo sojuza v Evrope i prilegajuscich akvatorijach", i n : Pravda, 30.1.1989, S.5; Varsavskij dogovor i NATO: sootnosenie s i l v Evrope, Moskva 1989; Press-konferencija Zamestitelja Ministra Inostrannych Del SSSR V.P. Karpova i Pervogo Zamestitelja Nacal'nika Genstaba VS SSSR B.A. Omeliceva 31 janvarja na temu: Zajavlenie Komiteta ministrov oborony gosudarstv-ucastnikov Varsavskogo Dogovora "0 sootnosenii c i s l e n n o s t i vooruzennych s i l i vooruzenij Organizacii Varsavskogo Dogovora i Severoatlanticeskogo sojuza v Evrope i prilegajuscich akvatorijach", i n : Vestnik Ministerstva Inostrannych Del SSSR, 1 marta 1989, Nr.4 (38), S.39-42.

22

Nur noch eine Minderheit der sowjetischen Bürger war 1989 b e r e i t , die Sonderstellung von M i l i t ä r und Rüstungskomplex unwidersprochen hizunehmen. Dies z e i g t eine Leserbefragung, die die "Literaturnaja Gazeta" im Frühjahr 1989 durchführte. 4 1 Etwa 200 000 Fragebogen wurden zurückgesandt. Die Auswertung z e i g t e , so die für die Durchführung der Umfrage verantwortliche Arbeitsgruppe des Meinungsforschungsinstit u t s VCIOM, daß das "oboronnoe soznanie" ("Verteidigungsdenken") auf dem Rückzug s e i . Auf die Frage nach Möglichkeiten, die a k t u e l len Wirtschaftsprobleme zu lösen (12 Antworten vorgegeben, Mehrfachnennungen möglich), entschied sich die Mehrheit der Einsender (71,2%) für die deutliche Reduzierung von S t r e i t k r ä f t e n und Rüstungsausgaben. Damit korrespondiert, daß bei der Frage nach künftigen Entwicklungen 36% Krieg für v ö l l i g ausgeschlossen und weit e r e 41% für wenig wahrscheinlich h i e l t e n . Nur 4,6% gingen davon aus, daß Krieg eine r e a l e Möglichkeit d a r s t e l l e . 55% der Einsender verlangten b r e i t e r e Behandlung der inneren Probleme der Armee in der Presse - vor allem mit Bezug auf die "dedovscina". Nach Ans i c h t der Auswertungsgruppe nahm das Moment der " d e m i l i t a r i z a c i j a " (Demilitarisierung) unter den Motiven der Einsender den wichtigsten Platz ein. 4 2 Dem M i l i t ä r gelang es in der Folge n i c h t , den Akzeptanzverlust aufzufangen. Eine weitere Umfrage des VCIOM im Frühjahr 1990 zeigte d e u t l i c h e Skepsis gegenüber dem M i l i t ä r und der bestehenden Wehr Verfassung: 43 48 41

42 43

Von "ded" - Großvater, Soldatenjargon für die Soldaten, die im lezten Halbjahr ihres Wehrdienstes stehen. Cto my dumaem. Pervye i t o g i oprosa nasich c i t a t e l e j po ankete "Obscestvo-88 - Obscestvo-89", in: Literaturnaja Gazeta, 29.3.1989, Nr.13, S.12; der Fragebogen war abgedruckt ebd. 1.2.89, Nr. 5, S.12; die " L i t e r a t u r n a j a G a z e t a " i s t die Zeitschrift des Schriftstellerverbandes und wendet sich vor allem an die russichsprachige Intelligenz mit einer Auflage von 6,277 Mio. (1.1.89) bzw. 6,2426 Mio. (1.7.89); vgl. I z v e s t i j a CK KPSS 1989, No.7, S.98; die Leserumfrage i s t also nicht repräsentativ für die gesamte UdSSR, gibt aber wohl einen recht guten Eindruck von der Stimmungslage der "opinion l e a ders" im russischsprachigen Bereich. Literaturnaja Gazeta, 29.3.1989, Nr.13, S.12. Grazdankin, A.: Obscestvo i armija, in: I z v e s t i j a , 15.6.1990, S.3; der A r t i kel enthält keine Angaben über sample und Befragungsverfahren.

23

Vertrauen gegenüber: Armee Ministerrat Oberster Sowjet Presse, Radio, Fernsehen

voll 35% 23% 34% 37%

teilweise

Rest44

29% k.A. k.A. k.A.

36% k.A. k.A. k.A. Rest

dafür

dagegen

Umformierung der Inneren Truppen45 als Freiwilligenstatt als Wehrpflichttruppe

74%

15%

11%

Freiwilligenarmee statt Wehrpflicht

59%

29%

12%

Einführung eines zivilen Ersatzdienstes

54%

35%

11%

Ableistung des Wehrdienstes auf dem Territorium der eigenen Republik

63%

29%

9%

Einführung nationaler Verbände

26%

55%

19%

Die Erhebung, die leider unzureichend dokumentiert ist, läßt Rückschlüsse darauf zu, daß die Mehrheit der Befragten eine grundlegende Reform der Streitkräfte und der Wehrverfassung befürworten. Abschaffung der Wehrpflicht oder - wenn dies nicht durchzusetzen ist - Einführung eines zivilen Ersatzdienstes und Ableistung des Wehrdienstes auf dem Territorium der Heimatrepublik sind Punkte, die von der Mehrzahl unterstützt werden. Vertrauen zu den Streitkräften ist bei einer starken Minderheit nicht mehr gegeben. Allerdings wird aus den Vergleichszahlen deutlich, daß die Legitimationskrise der Streitkräfte zusammenfällt mit einer Legitimationskrise des politischen Systems insgesamt. Das VCIOM, eine wissenschaftlich ernstzunehmende Institution, an deren Spitze die Soziologin T. Zaslavskaja steht, hat offenbar wiederholt Befragungen dieser Art durchgeführt. Aus seinen Angaben geht hervor, daß das Vertrauen zu Oberstem Sowjet und Ministerrat seit Herbst 1989 um

44 43

Im Artikel nicht erklärtes Residuum. Vnutrennye Vojska (Innere Truppen) unterstehen dem Innenministerium der UdSSR und sind für den Einsatz im Inneren des Landes (Demonstrationen, bürgerkriegsähnliche Konflikte) bestimmt.

24

7, das zu Medien und Miliz um 3 und zur Armee um 1,5 Prozentpunkte zurückgegangen ist.46 Waren es zunächst Verlust der Bedrohungsvorstellungen und Berichte über unhaltbare Zustände innerhalb der Armee, die das Prestige des Militärs in der Öffentlichkeit beschädigt hatten, kamen in der Folge mit Versorgungskrise und Kritik der Rüstungslast ökonomische Motive hinzu. Der Einsatz regulärer Streitkräfte im Innern - in Tbilissi und in Aserbeidshan - schürte dann insbesondere unter der nichtslavischen Bevölkerung das Mißtrauen. Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch verbreiteten sich in einem Maße, daß die Armeeführung sich gezwungen sah, diese öffentlich zurückzuweisen.47 Der Stimmungsumschwung zuungunsten der Streitkräfte wurde von einer zunehmend militärkritischen Haltung eines Teils der Medien unterstützt. Die Auseinandersetzung kulminierte vorläufig in einem Schlagabtausch zwischen Georgij Arbatov und Marschall Achromeev.48 Arbatov, Direktor des Instituts für Amerikastudien, über lange Jahre hinweg ein außenpolitischer Experte von Gewicht sprach für eine große Gruppe von militärkritischer Wissenschaftlern. Achromeev, bis Ende 1988 Chef des sowjetischen Generalstabs, heute Deputierter des Obersten Sowjets und sicherheitspolitischer Berater Gorbacevs, setzte sich für die Interessen der militärischen Führung ein. 46 47

48

Izvestija, 15.6.1990, S.3. Vgl. Ovcinnikov, A.: Otvetstvennost' za slovo, in: Krasnaja Zvezda, 24.12.1989, S.2; Achromeev, S.: Kakie vooruzennye sily nuzny Sovetskomu Sojuzu. Otkrytoe pis'mo glavnomu redaktoru zurnala "Ogonek" KOROTICU V.A., in: Ogonek, 1989, Nr.50, S.6-8, 30; Armija i politika, in: Argumenty i fakty, 24.-30.3.1990, Nr.12, S.4; XXVIII s-ezd Kommunisticeskoj Partii Sovetskogo Sojuza. N.I. Sljaga, in: Pravda, 7.7.1990, S.2; Makasov, A.; Adrianov, J.: Voennyj perevorot? Polnote..., in: Krasnaja Zvezda, 12.7.1990, S.4. Vgl. My dol'zny borot'sja za pravdu, in: Krasnaja Zvezda, 24.4.1990, S.l-2; Achromeev, S.F.: Kto ze krivit dusoj? Po povodu stat'i akademika G.Arbatova "A esli bez lukavstva?", in: Sovetskaja Rossija, 12.5.1990, S-5-6; Achromeev, S.F.: Armija nuzdaetsja v zascite, in: Krasnaja Zvezda, 28.6.1990, S.2; Arbatov, G.: Zacem pisat' nepravdu?, in: Ogonek, maj 1990, Nr.22, S.45; Arbatov, in: Ogonek, 1990, Nr.5, S.4; Armija nuzdaetsja v zascite. Ot kogo? Svoju tocku zrenija po etomu povodu vyskaszvajut politiki, voennye i ucenye v pis'me rukovodstvu strany, in: Komsomol'skaja Pravda, 4.7.1990; Tak li nado "zasciscat"" armiju?, in: Krasnaja Zvezda, 12.7.1990, S.4.

25

Arbatov warf Militär und Rüstungsindustrie vor, eine Politik der Überrüstung betrieben zu haben, die sich negativ auf Lebensstandard und Wirtschaftsleistung in der Sowjetunion auswirke. Man habe, so Arbatov, eine für die sozialistische Gesellschaft ungebührliche Militarisierung von Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung und anderer Sphären des gesellschaftlichen Lebens zugelassen. Die Zeit sei reif für eine offene und ehrliche Erörterung der Probleme der Streitkräfte und der Militärpolitik.49 Arbatov warf den Mili"tärs vor, sie betrieben eine Desinformation der Öffentlichkeit und verheimlichten die phantastische Höhe der Rüstungsausgaben. Achromeev seinerseits wies auf die fortdauernde Bedrohung durch die USA hin und vewahrte sich gegen das Auftreten antisozialistischer Kräfte und der Versuche, das Ansehen der Armee zu beschmutzen.58 In einem dramatischen Auftritt vor der Redaktion der Armeezeitung sprach der Marschall vor einer Krise der Streitkräfte, die von allen Seiten Angriffen ausgesetzt seien. Man stelle die Armee als Schreckgespenst hin und schaffe eine armeefeindliche Psychose.51 Dieser publizistische Schlagabtausch war vorläufiger Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen zivilen Reformern und militärischer Führung. Er war bezeichnend für die Prestigeeinbußen, die die Streitkräfte innerhalb weniger Jahre erlitten hatten. Die "Demilitarisierung" des gesellschaftlichen Lebens zeitigte hier Folgen. In einem gewandelten politischen System ist der Stimmungswandel in der Öffentlichkeit aber eine der notwendigen Voraussetzungen für weitere Einschränkungen militärischen Einflusses. Die Beschneidung der Rüstungswirtschaft und die grundlegende Reform der Streitkräfte selbst bedürfen politischen Rückhalts, zumal die Generäle innerhalb des Partei- und Staatsapparates noch auf starke konservative Unterstützer rechnen können.

49 58

51

Arbatov, in: Ogonek, 1990, Nr.5, S.4. Achromeev, in: Sovetskaja Rossija, 12.5.1990, S.5 f.; ders., in: Krasnaja Zvezda 24.4.1990, S.2. Ders., in: Krasnaja Zvezda, 28.6.1990, S.2.

26 3.3

Der R ü s t u n g s s e k t o r i n d e r rangs für Verteidigung?

Marktwirtschaft:

Verlust

des

Vor-

Die N o t w e n d i g k e i t einer radikalen Wirtschaftsreform war von G o r b a c e v und r e f o r m o r i e n t i e r t e n Ökonomen s e i t 1985 immer w i e d e r h e r v o r g e h o b e n w o r d e n . Die z a g h a f t e n R e f o r m s c h r i t t e d e r J a h r e 1 9 8 5 1987 h a t t e n j e d o c h n i c h t zu V e r b e s s e r u n g e n d e r W i r t s c h a f t s l a g e g e f ü h r t . A n g e s i c h t s d e r w a c h s e n d e n V e r s o r g u n g s s c h w i e r i g k e i t e n nimmt e s n i c h t w u n d e r , daß d i e Reformer auf d e r Suche n a c h R e s e r v e n z u r S t a b i l i s i e r u n g d e r S i t u a t i o n s e i t 1 9 8 7 / 8 8 auch den R ü s t u n g s s e k t o r i n s V i s i e r nahmen. I n den e r s t e n J a h r e n d e r " p e r e s t r o j k a " - P o l i t i k war d i e s e r ungehemmt w e i t e r g e w a c h s e n . M i t t e 1988 b e g a n n e n s o w j e t i s c h e W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t l e r und Pub l i z i s t e n , d i e Belastung der V o l k s w i r t s c h a f t durch Rüstung ö f f e n t l i c h zu k r i t i s i e r e n und d i e O f f e n l e g u n g d e r M i l i t ä r a u s g a b e n e i n z u f o r d e r n . S i e m a c h t e n d a b e i m i t R e c h t g e l t e n d , daß e s kaum m ö g l i c h s e i , e i n e umfassende W i r t s c h a f t s r e f o r m zu k o n z i p i e r e n , wenn e i n großer Teil des gesamten Wirtschaftsaufkommens, dessen Umfang n i c h t b e k a n n t s e i , d e r Verfügung d e r Reformer e n t z o g e n s e i : Das reale Potential von Wirtschaft und Gesellschaft kann man unmöglich bewerten, ohne zu wissen, welche Bürde die Verteidigungsausgaben ausmachen, welcher Teil (der beste Teil!) der Ressourcen gezwungenermaßen in dieser Sphäre verwandt wird. Wenn Sie mit einem Gewicht am Fuß am Start eines Wettlaufs stehen, dann i s t Ihnen wahrscheinlich nicht gleichgült i g , wie schwer es i s t . " 5 2 Den s o w j e t i s c h e n

Ökonomen i s t

klar,

daß d i e R ü s t u n g s l a s t

im V e r g l e i c h m i t d e r d e s Westens e x o r b i t a n t stellvertretende Leiter "Kommunist",

der Redaktion Außenpolitik

gab im März 1989 d e r s o w j e t i s c h e n

s t u n g d i e M i t s c h u l d am B u d g e t d e f i z i t

52

53

hoch i s t .

und

53

der

Politik

d e r UdSSR

Saskov,

der

Zeitschrift der

Überrü-

Inflation:

Zamkov, 0 . 0 . : 0t kogo i zacem s k r y v a e t s j a s t a t i s t i k a ? , i n : Ekonomika i o r g a n i z a c i j a promyslennogo p r o i z v o d s t v o [EKO], 1988, No.11, S.34-43, h i e r S.42; v g l . zu dem gesamten Komplex auch: Schröder, H.H.: V e r s o r g u n g s k r i s e , Rüstungsabbau und Konversion in der UdSSR. T e i l I : Versorgungskrise und Rüs t u n g s l a s t d e b a t t e . B e r i c h t e des B u n d e s i n s t i t u t e s für o s t w i s s e n s c h a f t l i c h e und i n t e r n a t i o n a l e Studien 56.1989. Der L e i t e r des I n s t i t u t s für d i e Ökonomie des s o z i a l i s t i s c h e n Weltsystems, Bogomolov, s c h ä t z t e s i e Mitte 1988 auf 10-15%; v g l . 0 t b a l a n s a s i l - k balansu i n t e r e s o v , i n : L i t e r a t u r n a j a Gazeta, 2 9 . 6 . 1 9 8 8 , S.14.

21

Doch bei 'unserer' Inflation gibt es noch einen Mitwirkenden - die aufwendige außenpolitische und m i l i t ä r s t r a t e g i s c h e Planung, die sich besonders in den Jahren der 'Stagnation' in der verschwenderischen Tätigkeit des Verteidigungskomplexes der UdSSR z e i g t e . " 5 4 Die K r i t i k an d e r " M i l i t a r i s i e r u n g " d e r W i r t s c h a f t s p o l i t i k fand auf d e r XIX. P a r t e i k o n f e r e n z im J u n i 1988 i h r e n W i d e r h a l l . Die Konferenz beschloß e i n e Verlagerung der P r i o r i t ä t e n in Richtung auf e i n e S t e i g e r u n g d e s Konsums. G e n e r a l s e k r e t ä r G o r b a c e v erklärte : Die s o z i a l e R e o r i e n t i e r u n g d e r w i r t s c h a f t l i c h e n E n t w i c k l u n g und d i e V e r g r ö ß e r u n g d e s K o n s u m a n t e i l s am N a t i o n a l e i n k o m m e n müssen Achse d e r g e s a m t e n S t r u k t u r und I n v e s t i t i o n s p o l i t i k w e r d e n , d e r E c k s t e i n d e r F o r m i e r u n g von Tempo und P r o p o r t i o nen d e r Ökonomie. H e u t e i s t k l a r , daß t i e f g r e i f e n d e Ä n d e r u n gen n ö t i g s i n d , d i e d i e V o l k s w i r t s c h a f t a l s ganze e r f a s s e n - b e g i n n e n d m i t d e r D i e n s t l e i s t u n g s s p h ä r e und endend m i t S c h w e r - und R ü s t u n g s i n d u s t r i e . 5 5 Der p o l i t i s c h e n W i l l e n s e r k l ä r u n g l i e ß d i e G o r b a c e v s c h e Führung e i n h a l b e s J a h r s p ä t e r d i e e r s t e n p r a k t i s c h e n S c h r i t t e f o l g e n . Im J a n u a r 1 9 8 9 , w e n i g e Wochen n a c h s e i n e r Ankündigung e i n s e i t i g e r T r u p p e n r e d u z i e r u n g , e r k l ä r t e d e r G e n e r a l s e k r e t ä r d e r KPdSU, man werde noch im J a h r 1989 d i e M i l i t ä r a u s g a b e n um 14,2% und d i e R ü s t u n g s p r o d u k t i o n um 19,5% v e r r i n g e r n . 5 6 D i e s war d e r e r s t e A n s a t z zu e i n e r D e m i l i t a r i s i e r u n g d e r W i r t s c h a f t . Mit d e r Ankündigung von K ü r z u n g e n a l l e i n war e s a l l e r d i n g s n i c h t g e t a n . Es mußte e i n Programm e n t w i c k e l t werden, mit dessen H i l f e d i e freiwerdenden Rüstungskap a z i t ä t e n f ü r z i v i l e P r o d u k t i o n n u t z b a r gemacht werden k o n n t e n . D i e s e s K o n v e r s i o n s p r o g r a m m war f ü r Ende 1989 a n g e k ü n d i g t . Ein E n t -

34

35

56

Saskov, E.V.: S k o l ' k o s t o i t b e z o p a s n o s t ' , i n : Kommunist, 1989, No.4, S.110117, h i e r S.110 f.; auch der ' G e l e h r t e S e k r e t ä r des I n s t i t u t s für Amerikaund Kanadastudien der Akademie der Wissenschaften' I . E . Malasenko u n t e r s t e l l t e , der Verteidigungskomplex habe in der t y p i s c h e n Manier des " a l l m ä c h t i g e n A d m i n i s t r a t i v e n Systems" Geld zum F e n s t e r hinausgeworfen; v g l . Malasenko, I . : Bezopasnost' i z a t r a t n y j podchod, i n : Kommunist, 1988, No.18, S.115-199, h i e r vor allem S.116 f., 119. XIX Vsesojuznaja k o n f e r e n c i j a Kommunisticeskoj P a r t i i Sovetskogo Sojuza. 28 i j u n j a - 1 i j u l j a 1988 goda. S t e n o g r a f i c e s k i j o t c e t . V dvuch tomach. Tom 1, Moskva 1988, S.34 V s t r e c a M.S.Gorbaceva s p r e d s t a v i t e l j a m i "Trechstoronnej k o m i s s i i " , i n : I z v e s t i j a , 1 9 . 1 . 1 9 8 9 , S . l - 2 , h i e r S.2.

28

wurf

wurde im F e b r u a r

dem M i n i s t e r r a t

1990 war d a s K o n z e p t noch n i c h t

v o r g e l e g t , 5 7 doch b i s

August

verabschiedet.

Für d i e s e V e r z ö g e r u n g e n war wohl z u n ä c h s t d e r W i d e r s t a n d d e r Rüstungsmanager v e r a n t w o r t l i c h , die i h r e b i s h e r i g e p r i v i l e g i e r t e S i t u a t i o n n i c h t ohne u m f a n g r e i c h e Z u g e s t ä n d n i s s e a u f g e b e n w o l l t e n . Der f ü r R ü s t u n g z u s t ä n d i g e Z K - S e k r e t ä r B a k l a n o v f o r d e r t e z u s ä t z l i che M i t t e l i n Höhe von 1 0 - 1 1 Mrd. R b l . , L o h n g a r a n t i e n f ü r d i e A r b e i t s k r ä f t e und h ö h e r e R o h s t o f f l i e f e r u n g e n . Die p l a n l o s e K o n v e r s i o n , d i e 1989 b e t r i e b e n worden w a r , k r i t i s i e r t e e r s c h a r f : h o c h q u a l i f i z i e r t e R ü s t u n g s b e t r i e b e h ä t t e n s i m p l e Konsumgüter p r o d u z i e r e n müssen, w i s s e n s c h a f t l i c h e K o l l e k t i v e s e i e n z e r f a l l e n . 5 8 Doch auch d i e U n k l a r h e i t ü b e r d i e k ü n f t i g e Wirtschaftspolitik s p i e l t e wohl e i n e g r o ß e R o l l e . Im H e r b s t 1989 v e r a b s c h i e d e t d e r Volkskongreß e i n Regierungsprogramm für d i e n ä c h s t e n sechs J a h r e . Doch v i e r Monate s p ä t e r war e s s c h o n M a k u l a t u r , denn im F r ü h j a h r 1990 k ü n d i g t e M i n i s t e r p r ä s i d e n t Ryzkov a n , daß man den Übergang zur r e g u l i e r t e n M a r k t w i r t s c h a f t b e w e r k s t e l l i g e n w o l l e . Es s o l l t e e i n e " P l a n - M a r k t - Ö k o n o m i e " e n t s t e h e n , d i e n e b e n P l a n e l e m e n t e n auch Momente e i n e r v o l l w e r t i g e n M a r k t w i r t s c h a f t e n t h a l t e n s o l l t e . 5 9 Konv e r s i o n s o l l t e T e i l d e r Reform s e i n . 6 8 Im S e p t e m b e r 1990 war auch d i e s e s Konzept s c h o n w i e d e r ü b e r h o l t . Die W i r t s c h a f t s p o l i t i k , die s e i t h e r d i s k u t i e r t w i r d , war auf u n m i t t e l b a r e n und r a s c h e n Ü b e r gang zum Markt o r i e n t i e r t . Der r a s c h e Wechsel w i r t s c h a f t s p o l i t i scher Orientierungen e r l e i c h t e r t e i n e l a n g - und mittelfristige Konversionsplanung naturgemäß n i c h t . 37 58 59

Konovalov, B . : Programma " K o n v e r s i j a " , i n : I z v e s t i j a , 2 . 3 . 1 9 9 0 . V odinocku dorn ne p o s t r o i t ' , i n : Pravda, 2 9 . 6 . 1 9 9 0 , S.2, 6. Romanjuk, V.: Povorot k rynku. Pocemu p o t r e b o v a l a s ' r a d i k a l ' n a j a reforma ekonomiki, i n : I z v e s t i j a 1 0 . 4 . 1 9 9 9 ; v g l . das Konzept nach: K gumannomu, d e mokraticeskomu socializmu (Platforma CK KPSS k XXVIII s-ezdu p a r t i i ) : P r o e k t , odobrennyj f e v r a l ' s k i m (1990 g.) Plenumom CK KPSS, i n : Pravda, 13.2.1990, S . l - 2 ; v g l . zum Übergangsprogramm: Götz-Coenenberg, R.: Der " r e g u l i e r t e Markt" im U r t e i l s o w j e t i s c h e r W i r t s c h a f t s w i s s e n s c h a f t l e r , i n : B u n d e s i n s t i t u t für o s t w i s s e n s c h a f t l i c h e und i n t e r n a t i o n a l e S t u d i e n . Gelesen, k o m m e n t i e r t . . , 8 . 6 . 1 9 9 0 , N r . 6 ; d e r s . : Der s o w j e t i s c h e Weg zur M a r k t w i r t schaft ab 1986, i n : B u n d e s i n s t i t u t für o s t w i s s e n s c h a f t l i c h e und i n t e r n a t i o n a l e S t u d i e n . A k t u e l l e Analysen, 22.6.1990, Nr.39; d e r s . : Kommt nun d i e Marktwirtschaft in der Sowjetunion?, i n : B u n d e s i n s t i t u t für o s t w i s s e n s c h a f t l i c h e und i n t e r n a t i o n a l e S t u d i e n . A k t u e l l e Analysen, 2 9 . 5 . 1 9 9 0 , N r . 3 0 .

29

Die Reformen des Wirtschaftssystems bedrohen den bisher bevorzugt behandelten Rüstungskomplex. Dieser war bisher ein von der Militärisch-industriellen Kommission straff geführter Sektor der adminstrativen Kommandowirtschaft, der vorrangig mit Ressourcen versorgt wurde. In einer Marktwirtschaft wäre ein solches Gebilde ein Fremdkörper. Reformökonomen fordern denn auch kurzfristig die Herauslösung der konvertierten Betriebe aus dem Rüstungskomplex und langfristig die Auflösung des Komplexes selbst. Erst nach Beseitigung der Hindernisse, durch die die Rüstungsministerien von den zivilen Branchen getrennt sind, - so das Argument der Reformer stehen die Ressourcen und Technologien der gesamten Volkswirtschaft zur Verfügung. Nur auf dieser Basis sei eine Überwindung der Wirtschaftskrise zu erreichen, die dann auch der Produktion von Rüstungsgütern zugute komme.61 Die Militärs sehen dem Übergang zur Marktwirtschaft ebenfalls mit gemischten Gefühlen entgegen. Das bisherige System der Beschaffung wird obsolet, die Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums muß sich neu orientieren. Ein Militärökonom versuchte die Entwicklung in der Armeezeitung "Roter Stern" zu prognostizieren. Da die Effizienz der Rüstungsindustrie in etwa dem Landesdurchschnitt entspreche und damit weit unter dem internationalen Niveau liege, - so der sowjetische Autor - schaffe die Marktwirtschaft für die Rüstungsbetriebe erhebliche Probleme.62 Diese müßten mit höheren Rohstoff- und Energiepreisen rechnen. Das werde - sofern es nicht gelänge, die Effizienz des Ressourceneinsatzes kurzfristig zu steigern - zu höheren Waffenpreisen führen. Die Monopolstellung einer Reihe von Rüstungsbetrieben erlaube diesen wiederum, überhöhte Preise gegebenfalls auch gegen das Verteidigungsministerium durchzusetzen. Deshalb plädierte der Militärökonom, ein Oberst, 68 61

K gumannomu..., in: Pravda, 13.2.1990, S.l-2. Vgl. z.B. Izjumov, Ä.: Rozy i sipy konversii, in: Ekonomika i Zizn', janvar' 1990, Nr.3, S.8; ders.: Konversija? Konversija! Konversija— in: Literaturnaja Gazeta, 12.7.1989, Nr.28, S.ll; ders.: The National Experience of the USSR, Moscow (Paper Prepared for United Nations Conference on Conversion: Economic Adjustments in an Era of Arms Reductions, Moscow, 13 - 17 August 1990) August 1990; Jaremenko, J.; Rogovskij, E.: Kuda poskazet kentavr? Razdum'ja o programme konversii, in: Ekonomika i Zizn', sentjabr' 1990, Nr.36, S.U.

30

für eine Veränderung der Beschaffungsvorgänge und die Umstrukturierung

des

Rüstungskomplexes.

eine Zusammenfassung

Offenbar

vieler

Institutionen

streng

zusammengefaßten

verstreut

einerseits

-,

sind sie über die Budgets

zum andern

Rüstungskompiexes,

Verteidigungsministerium

verhandeln könne.

ihm

der gesamten Rüstungsausgaben im Budget des

Verteidigungsministeriums vor - bisher

das

schwebt

dann

mit

in

die

Auflösung des

der

Hoffnung,

konkurrierenden

daß

Anbietern

63

Eine solche Umgestaltung könnte zur Entmilitarisierung der sowjetischen Wirtschaft beitragen. Allerdings sind die Widerstände von selten der Rüstungsbürokratie erheblich. Die Reduzierung der Rüstungslast, die Beseitigung der Geheimhaltung von volkswirtschaftlich relevanten Rüstungsdaten, die Einbeziehung von Rüstungsbetrieben in die zivile Wirtschaft und ihre Herauslösung aus der Unterordnung unter die Militärisch-industrielle Kommission, all das sind Aufgaben, die nur unter Schwierigkeiten lösbar sind und für Manager und Belegschaften der Rüstungsbetriebe materielle und Prestigeeinbußen zur Folge haben.

3.4

Ansätze zur Einbindung des Militärs in ein reformiertes politische System

Die Streitkräfte müssen sich nicht nur mit sinkendem Prestige und den Gefahren des Übergangs zur Marktwirtschaft auseinandersetzen, auch der Wandel des politischen Systems hat für sie Folgen. Der Oberste Sowjet, der aus dem im Frühjahr 1989 neugewählten Volkskongress hervorging, schuf erstmals ein Gremium, das sich - durch das Parlament legitimiert - mit der Kontrolle der Streitkräfte befassen sollte. Anfang Juni 1989 beschloß der Oberste Sowjet die Bildung von 14 Komitees, darunter die eines Komitees des Obersten Sowjets der UdSSR für Fragen der Verteidigung und der Staatssicherheit (Komitet Verchovnogo Soveta SSSR po voprosam oborony i

62

63

Vgl. Aksenov, A.: Perechod k rynku: oboronnyj aspekt, in: Krasnaja Zvezda, 19.5.1990. Ebd.

31

gosudarstvennoj bezopasnost!).64 Dieser Verteidigungsausschuß bes t e h t a u s 43 M i t g l i e d e r n . Der O b e r s t e Sowjet e n t s a n d t e i n i h n u . a . 7 M i l i t ä r s 6 5 , 19 V e r t r e t e r von R ü s t u n g s b e t r i e b e n und 2 A n g e h ö r i g e d e s KGB. 66 W e n i g s t e n s 28 von 43 K o m i t e e m i t g l i e d e r n s i n d a l s o u n m i t t e l b a r m i t M i l i t ä r - und R ü s t u n g s b ü r o k r a t i e v e r b u n d e n . Zu d i e s e n z ä h l e n etwa p r o m i n e n t e P e r s o n e n wie Achromeev, d e r e h e m a l i g e Gener a l s t a b s c h e f und j e t z i g e s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e B e r a t e r G o r b a c e v s , Sabanov, s t e l l v e r t r e t e n d e r V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r und L e i t e r d e r R ü s t u n g s a b t e i l u n g im M i n i s t e r i u m , Novozilov, Generalkonstrukteur der Moskauer IIjusin-Werke, Simonov, Generalkonstrukteur der Suchoj-Werke und Ivanov, Oberkommandierender der Baltischen F l o t t e . Von den p r o f i l i e r t e n Reformern h a t s i c h k e i n e r i n den V e r t e i d i g u n g s a u s s c h u ß w ä h l e n l a s s e n . O f f e n s i c h t l i c h h a t t e man d i e B e deutung d i e s e r I n s t i t u t i o n u n t e r s c h ä t z t . Die Aufgaben d e s K o m i t e e s s i n d w e i t g e s p a n n t . Es i s t sowohl f ü r ä u ß e r e , wie f ü r i n n e r e S i c h e r h e i t z u s t ä n d i g , d . h . i n s e i n e n A r b e i t s b e r e i c h f a l l e n sowohl KGB wie S t r e i t k r ä f t e und R ü s t u n g s b e r e i c h . G r u n d s ä t z l i c h s o l l d a s Komitee ä h n l i c h e Aufgaben wahrnehmen wie e n t s p r e c h e n d e A u s s c h ü s s e i n w e s t l i c h e P a r l a m e n t e n . Es s o l l G e s e t zesvorlagen konzipieren, Personalentscheidungen bestätigen, Entw i c k l u n g s p l a n u n g d e r S t r e i t k r ä f t e und d a s Wehrbudget e r ö r t e r n , A r mee und KGB k o n t r o l l i e r e n und m i l i t ä r - und s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e E n t s c h e i d u n g e n d e s O b e r s t e n Sowjet v o r b e r e i t e n . Das Komitee v e r f ü g t ü b e r d a s R e c h t , G e s e t z e zu i n i t i i e r e n . 6 7 A n g e s i c h t s d e r a n s t e h e n d e n G r u n d s a t z e n t s c h e i d u n g ü b e r den C h a r a k t e r d e r W e h r v e r f a s s u n g , ü b e r d i e Kürzung d e r R ü s t u n g s a u s g a b e n und d i e K o n v e r s i o n d e r 64

65

66

Vgl. P o s t a n o v l e n i e Verchovnogo Soveta SSSR: 0 komitetach Verchovnogo Soveta SSSR, i n : Vedomosti S-ezda narodnych deputatov SSSR i Verchovnogo Soveta SSSR, 1989, N r . l , S t . 33, S.80; v g l . Krasnaja Zvezda, 8.6.1989, S.2. So G l a s n o s t ' i g o s u d a r s t v e n n a j a b e z o p a s n o s t ' , i n : I z v e s t i j a , 2 6 . 6 . 1 9 8 9 , S.2; S t u r u a , G.: Komitet po voprosam oborony i gosudarstvennoj b e z o p a s n o s t i : p e r vye mesjacy r a b o t y , i n : Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye O t n o s e n i j a , 1990, N r . l , S.79-85, h i e r S. 83 f., g i b t an: 6. P o s t a n o v l e n i e Verchovnogo Soveta SSSR: Ob i z b r a n i i Komiteta Verchovnogo Sov e t a SSSR po voprosam oborony i gozudarstvennoj b e z o p a s n o s t i , i n : Vedomosti S-ezda narodnych deputatov SSSR i Verchovnogo Soveta SSSR, B d . l . 1989, Nr.5 S t . 1 1 4 , S.165-167; v g l . I z v e s t i j a , 1 3 . 7 . 1 9 8 9 , S . 5 - 6 ; S t u r u a , i n : Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye O t n o s e n i j a , 1990, N r . l , S. 83 f.; I z v e s t i j a , 2 6 . 6 . 1 9 8 9 , S.2.

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Rüstungsproduktion verfügt der Ausschuß nominell über erhebliche Einwirkungsmöglichkeiten. Allerdings steht er vor der Aufgabe, seinen Anspruch auf Mitwirkung auch gegenüber den Apparaten von Staat und Wirtschaft durchzusetzen. Dabei gab es offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten. Bereits die Zusammensetzung des Komitees muß bedenklich stimmen. Von Soldaten und Rüstungsmanagern ist nicht unbedingt ein kritischer Umgang mit Militär und Rüstungskomplex zu erwarten. Immerhin konnte sich der Ausschuß formal soweit durchsetzen, daß Verteidigungsminister und Generalstabschef ihm in geheimer Sitzung über das Wehrbudget für 1990 Bericht erstatteten. Ein Konflikt entwickelte sich dann allerdings mit dem Komitee für Planung und Finanzen, da - so der Vorsitzende des Komitees für Sicherheit und Verteidigung - die Genossen die Rolle des Rüstungssektors und der Konversion nur unzureichend verstünden.68 Die Reformer wiederum sind von der Arbeit des Komitees enttäuscht. A. Kortunov und A. Izjumov, Mitarbeiter des Instituts für Amerikastudien und Experten für Sicherheitspolitik und Konversion, warnten ausdrücklich vor dem Verteidigungsausschuß, da dieser lediglich Gruppeninteressen verträte.69 Tatsächlich leidet die Arbeit des Komitees an einer Reihe von Mängeln. Es fehlt ein Statut, seine rechtliche Stellung gegenüber der Exekutive ist offenbar bisher noch nicht geregelt. Raumausstattung und Ausstattung mit Mitarbeitern sind unzureichend, die Parlamentarier selbst unerfahren. Das Verteidigungsministerium seinerseits behandelt - so Sturua - das Komitee nicht als gleichberechtigten Partner.78 Bisher wird der Ausschuß seiner Kontrollfunktion also anscheinend nicht gerecht und auch mit Gesetzesinitiativen und konzeptionellen Vorstellung zur Sicherheitspolitik ist er bisher nicht hervorgetreten. Die wachsende Unzufriedenheit wird u.a. darin deutlich, daß mit dem Komitee für Wissenschaft und Kultur 67

68 69

78

Vgl. S pozicii novogo myslenija, in: Krasnaja Zvezda, 22.6.1989, S.l-2; Izvestija, 26.6.1989, S.2; Sturua, in: Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye Otnosenija, 1990, Nr.l, S.79-85. Rassmatrivaetsja oboronnyj bjudzet, in: Krasnaja Zvezda, 5.10.1989. Kortunov, A.; Izjumov, A.: Cto ponimat' pod gosudarstvennymi interesami vo vnesnej politike, in: Literaturnaja Gazeta, 11.7.1990, Nr.28, S.14. Sturua, in: Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye Otnosenija, 1990, Nr.l, S.83, 85; Armija i voennaja reforma, in: Krasnaja Zvezda, 27.6.1990, S.2; Sturua,

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e i n a n d e r e r Ausschuß des Obersten Sowjet auf eigenen Faust begonnen h a t , d i e Höhe der V e r t e i d i g u n g s a u s g a b e n zu e r m i t t e l n und Überlegungen für e i n n a t i o n a l e s S i c h e r h e i t s k o n z e p t a n z u s t e l l e n . 7 1 Während d i e p a r l a m e n t a r i s c h e K o n t r o l l e von M i l i t ä r - und S i c h e r h e i t s p o l i t i k nur mühsam i n Gang kommt, schuf d i e Einführung e i n e s P r ä s i d i a l r e g i m e s neue M ö g l i c h k e i t e n , das M i l i t ä r p o l i t i s c h e i n z u b i n d e n . Im Gesetz über d i e Schaffung des P r ä s i d e n t e n a m t e s , das am 14. März 1990 vom Volkskongreß v e r a b s c h i e d e t wurde, e r h i e l t d e r P r ä s i d e n t weitgehende Verfügung über d i e S t r e i t k r ä f t e . Dort hieß es: "Artikel 127

3

Der Präsident der UdSSR:

10. koordiniert die Tätigkeit der staatlichen Organe zur Gewährleistung der Verteidigung des Landes, er i s t der Oberbefehlshaber der Streitkräfte der UdSSR, er ernennt das Oberkommando der Streitkräfte der UdSSR und löst es ab, verleiht höchste militärische Dienstgrade, . . . [...]

12. erklärte die allgemeine oder partielle Mobilisierung; erklärt den Kriegszustand im Falle eines Angriffs auf die Sowjetunion und legt diese Frage unverzüglich dem Obersten Sowjet zur Prüfung vor; .. 15. Im Interesse der Gewährleistung der Sicherheit der Bürger der UdSSR kündigt er72 die Verhängung des Ausnahmezustandes in einzelnen Regionen an, . . . " Das Gesetz räumte dem P r ä s i d e n t e n weitgehende E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t e n auf d i e S t r e i t k r ä f t e e i n . Die m i l i t ä r i s c h e Führung b e g r ü ß t e d i e s e Entscheidung - es s c h e i n t , daß s i e d i e s e Regelungen s e l b s t v o r b e r e i t e t h a t . J e d e n f a l l s u n t e r s t r i c h G e n e r a l s t a b s c h e f Moiseev, daß d i e s t a r k e P o s i t i o n des P r ä s i d e n t e n i n V e r t e i d i g u n g s f r a g e n gegenüber d e r f r ü h e r e n - k o l l e g i a l e n - Regelung nur V o r t e i l e habe. Im neuen Wehrgesetz s o l l e - so Moiseev - d i e Kompetenz des P r ä s i d e n t e n sogar noch e r w e i t e r t werden. U.a. h i e l t der G e n e r a l s t a b s c h e f

71 72

G.M.: Peripetii voennoj reformy, in: Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye Otnosenija, 1990, Nr.7, S.87-92, hier S.88. Vgl. Kosarev, V.; Ryzov, J.A.; Caldymov, N.A.: Diskussija o problemach nacional'noj bezopasnosti, in: Krasnaja Zvezda, 21.6.1990, S.l. Zakon Sojuza Sovetskich Socialistisceskich Respublik (Proekt): Ob ucrezdenii posta Prezidenta SSSR i vnesenii sootvetsvujuscich izmenenij i dopolnenij v Konstituciju (Osnovnoj Zakon) SSSR, in: Pravda, 6.3.1989, S.l-2; vgl. Gesetz

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es für s i n n v o l l , wenn der P r ä s i d e n t e n d i e Entscheidung über M i l i t ä r d o k t r i n , S t r a t e g i e , F r e i g a b e von Nuklearwaffen und über das Wehrbudget h a b e . 7 3 Hier d e u t e t s i c h b e r e i t s e i n möglicher K o n f l i k t zwischen den Verfassungsorganen P r ä s i d e n t und O b e r s t e r Sowjet an. Denn - s i e h t man von der Entscheidung zum E i n s a t z von Atomwaffen ab - so b e a n s p r u c h t auch das Parlament i n d i e s e n Punkten Verfüg u n g s r e c h t e . Der m i l i t ä r i s c h e n Führung l i e g t o f f e n b a r d a r a n , d i e Entscheidungskompetenz beim P r ä s i d e n t e n i n der S t a a t s s p i t z e zu k o n z e n t r i e r e n , s t a t t einem p a r l a m e n t a r i s c h e n Gremium Einflußmögl i c h k e i t e n einzuräumen. Wie d i e s i n der Folge g e l ö s t werden w i r d , i s t noch o f f e n . Die K o n z e n t r a t i o n der m i l i t ä r i s c h e n Verfugugnsgewalt i n den Händen des P r ä s i d e n t e n f ü h r t naturgemäß zu e i n e r Beschränkung der R o l l e des V e r t e i d i g u n g s r a t s - j e n e s k o l l e g i a l e n Gremiums, das b i s h e r s i c h e r h e i t s - und r ü s t u n g s p o l i t i s c h e Entscheidungen f ä l l t e . Seine neue R o l l e i s t noch n i c h t k l a r . Offenbar b e s t e h t d i e s Gremium w e i t e r , i s t jedoch dem P r ä s i d e n t e n u n t e r s t e l l t . 7 4 Wer d e r z e i t t a t s ä c h l i c h über d i e S t r e i t k r ä f t e v e r f ü g t , i s t schwer zu b e u r t e i l e n . Mil i t ä r r e f o r m e r wie z . B . Major Lopatin behaupten, f a k t i s c h l i e g e d i e Kommandogewalt nach wie vor b e i P o l i t b ü r o und ZK der KPdSU.75 Offenbar g i b t es aber b e r e i t s Überlegungen, beim P r ä s i d e n t e n S t r u k t u r e n zu s c h a f f e n , d i e ihm e i n e wirksame K o n t r o l l e von M i l i t ä r und S i c h e r h e i t s p o l i t i k e r l a u b e n . Der n e u g e b i l d e t e P r ä s i d i a l r a t i s t wohl s e i n e r Zusammensetzung und S t r u k t u r nach wenig g e e i g n e t , d i e s e R o l l e zu übernehmen, wenngleich ihm Außen- und V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r angehören. Doch g i b t es schon Überlegungen beim P r ä s i d e n t e n , einen " n a t i o n a l e n S i c h e r h e i t s r a t " zu s c h a f f e n , 7 6 d e r wohl a l s K o n t r o l l - und Planungsorgan dem P r ä s i d e n t e n und dem P r ä s i d i a l -

73 74

75 76

der UdSSR über die Einrichtung eines Präsidentenamtes in der UdSSR, BPA/Ostinformationen/16.3.90/Anh. II (TASS 15.3.90, Rohübersetzung). Vaznyj sag v voennom s t r o i t e l ' s t v e , in: Krasnaja Zvezda, 15.3.1990, S . l - 2 . So kann man jedenfalls die Äußerungen des bisherigen Vorsitzenden des Verteidigungsrates, Zajkov, vor dem 28. Parteitag deuten: XXVIII s-ezd Kommunisticeskoj P a r t i i Sovetskogo Sojuza. Otcety clenov i kandidatov v cleny Pol i t b j u r o , sekretarej CK KPSS. L.N. Zajkov (Clen Politbjuro CK KPSS, Sekret ä r ' CK KPSS), in: Pravda, 4.7.1990, S.3. " S l u z i f narodu, a ne partijam", i n : Nedelja. Voskresnoe prilozenie Izves t i j , 28.5.-3.6.1990, No.22, S.l, 3. Vremja vybora. "Kruglyj s t o l " redakcii zurnala "Kommunist Vooruzennych S i l " , in: Kommunist Vooruzennych S i l , ijun' 1990, Nr.11, S.23-32, hier S. 27.

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rat zuarbeiten könnte. Möglicherweise hat bereits ein umgestalteter Verteidigungsrat diese Funktion übernommen, dessen Rolle Gorbacev in seiner Rede vor dem Wehrkreis Odessa folgendermaßen beschrieb: "Wie ich schon sagte, ist beim Präsidenten eine Verteidigungsrat in erneuerter Form geschaffen worden, in dem alle Fragen militärischer Tätigkeit und des Streitkräfteaufbaus erörtert werden. Der Verteidigungsrat wird mit den entsprechenden Komitees des Obersten Sowjets zusammenwirken."77 Es existieren also erste Ansätze, Militär und Rüstungssektor in ein rechtsstaatliches System einzubinden. Doch bedarf es wohl noch erheblicher Anstrengungen, um Reformkonzepte gegen die Exekutive praktisch durchzusetzen. Die alten Institutionen - Generalstab und Verteidigungsministerium - bestehen bisher ohne weitergehende Veränderungen fort. Die Militärbürokratie hat sich bisher erfolgreich gegen Eingriffe von außen zur Wehr setzen können. Der Verteidigungsrat dagegen ist offenbar reorganisiert worden. Allerdings ist trotz der Erklärung noch offen, wie sich Einflußnahme des Parlaments und Verfügungsgewalt des Präsidenten in Zukunft praktisch zueinander verhalten werden. Hier ist ein Konflikt zwischen Verfassungsorganen angelegt.

3.5

Von der "Streitkräftereform" zur "Militärreform"

Die Entmilitarisierung des außenpolitischen Denkens, der Abbau des Rüstungsvorrangs in der Wirtschaftspolitik und der Wandel der Einbindung der Streitkräfte in das politische System - all das ist jedoch ohne eine grundlegende Veränderung der Streitkräfte selbst dauerhaft nicht realisierbar. Der ungefüge bürokratische Apparat, der die Masse der männlichen Bevölkerung erfaßt und sozialisiert, der mit Wehrerziehern in den Schulen und Hochschulen ebenso präsent ist78 wie mit Militärvertretern und Zivilverteidigung in den 77 78

Pravda 19.8.1990, S.2. Mit Wirkung vom 1.9.1990 wurde die Wehrerziehung umgestaltet; an die Stelle der "nacal'naja voennaja podgotovka" (Wehrgrunderziehung) tritt eine "doprizyvnaja podgotovka junosej" (etwa: Vorbereitung der Jugendlichen auf den Wehrdienst) mit verringerter Stundenzahl und verändertem Programm; Ziel ist es u.a., die Ablehnung, auf die die Wehrgrunderziehung bei vielen Lehren

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I n d u s t r i e e t r i e b e n und m i t M i l i t ä r k o m m i s s a r i a t e n i n den Kommunalbeh ö r d e n , muß e n e r g i s c h b e s c h n i t t e n und r e o r g a n i s i e r t w e r d e n . Zudem g i l t e s s i c h e r z u s t e l l e n , daß d e r M i l i t ä r a p p a r a t , d e r ü b e r d a s Gros d e r b e w a f f n e t e n K r ä f t e im Lande v e r f ü g t - G r e n z t r u p p e n d e s KGB und Truppen d e s I n n e n m i n i s t e r i u m s s i n d demgegenüber zu v e r n a c h l ä s s i g e n - , i n den s o z i a l e n und n a t i o n a l e n K o n f l i k t e n , d i e i n den n ä c h s t e n J a h r e n zu e r w a r t e n s i n d , z u s a m m e n h ä l t und z u v e r l ä s s i g auf s e l t e n d e r l e g i t i m e n R e g i e r u n g a u s h a r r t . Ohne e i n e d u r c h g r e i f e n d e Reform der S t r e i t k r ä f t e geht es daher n i c h t a b . Diese V o r s t e l l u n g h a t zwar e r s t im l e t z t e n h a l b e n J a h r ö f f e n t l i c h e U n t e r s t ü t z u n g gewonn e n , doch g i b t e s i n n e r h a l b d e r Armee Ü b e r l e g u n g e n zu e i n e r Umges t a l t u n g b e r e i t s s e i t 1987. Anregungen zu e i n e r D u r c h s e t z u n g d e r P o l i t i k d e s Wandels im M i l i t ä r gab das Januar-Plenum des J a h r e s 1987, a l s Gorbacev mit v o r s i c h t i g e n Worten u n t e r s t r i c h , daß auch d i e S t r e i t k r ä f t e in der 79 "perestrojka" lebten. Der e r s t e e r n s t h a f t e Anstoß g i n g j e d o c h von d e r E r k l ä r u n g z u r M i l i t ä r d o k t r i n a u s , d i e auf dem G i p f e l d e r M i t g l i e d e r s t a a t e n d e r W a r s c h a u e r V e r t r a g s o r g a n i s a t i o n i n B e r l i n im Mai 1987 v e r a b s c h i e d e t w u r d e . 8 8 Das P r i n z i p d e r " H i n l ä n g l i c h k e i t " , d a s d o r t f e s t g e s c h r i e b e n w u r d e , und ü b e r d e s s e n i n h a l t l i c h e F ü l l u n g e i n e h e f t i g e ö f f e n t l i c h e D e b a t t e g e f ü h r t w u r d e , 8 1 zwang G e n e r a l s t a b und V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m d a z u , ü b e r n e u e S t r e i t k r ä f -

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s t i e ß , zu überwinden; vgl. Burbyga, N.: Otmenena nacal'naja voennaja podgotovka, in: I z v e s t i j a 18.8.1990, S.3. Gorbacev, M.S.: Izbrannye reci i s t a t ' i , tom 4, Moskva 1987, S.351; Rede auf dem Januarplenum des ZK; vgl. für die Entwicklung innerhalb der S t r e i t kräfte: Recktenwald, M.: Perestrojka in den sowjetischen S t r e i t k r ä f t e n , in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Bd.10.1988. Vgl. 0 voennoj doktrine gosudarstv-ucastnikov Varsavskogo dogovora, i n : Sovescanie Politiceskogo Konsul'tativnogo Komiteta gosudarstv-ucastnikov Varsavskogo dogovora. Berlin 28-29 maja 1987 goda. Dokumenty i materialy, Moskva 1987, S.7-12; vgl. dazu ferner Schröder, H.H.: Strategiediskussion und S t r e i t k r ä f t e in der Ära des "neuen Denkens", in: H.Adomeit; H.H.Höhmann; G.Wagenlehner (Hrg.): Die Sowjetunion unter Gorbatschow. Stand, Probleme und Perspektiven der Perestrojka, Stuttgart usw. 1990, S.86-110, hier S. 86 ff. (erheblich erweitert a l s : Die Verteidigungspolitik der UdSSR 1987-1989. Ber i c h t e des Bundesinstitutes für ostwissenschaftliche und internationale Studien 14.1989, hier S.12 f f . ) . Vgl. dazu am besten: Weiß, G.: Suffizienz als s i c h e r h e i t s p o l i t i s c h e Leitvors t e l l u n g , überblick über den Stand der Diskussion in der Sowjetunion, in: Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale

ZI

t e s t r u k t u r e n nachzudenken. Die XIX. Parteikonferenz im Sommer 1988 machte d e u t l i c h , daß die Gorbacev-Administration von nun an nicht mehr die Rüstung, sondern s o z i a l e Belange in den Vordergrund zu s t e l l e n gedachte. Die s o z i a l e Reorientierung der W i r t s c h a f t s p o l i t i k u n t e r s t r i c h ebenso wie die e i n s e i t i g e n Reduzierungen, die Gorbacev im Dezember 1988 vor der UNO ankündigte, den Willen der p o l i t i s c h e n Führung, die Reform der S t r e i t k r ä f t e s t r u k t u r e n voranz u t r e i b e n . Die Vorgabe der XIX. Konferenz, Verteidigungsfähigkeit von nun an durch " q u a l i t a t i v e Parameter" 82 zu gewährleisten - und das bedeutete i m p l i z i t Verzicht auf q u a n t i t a t i v e n Ausbau - , wurde vom Generalstab noch im August 1988 aufgegriffen. 8 3 Praktisch hieß d i e s : Ausarbeitung neuer Einsatzgrundsätze, Erprobung und Einführung neuer Verbandsstrukturen, Ausarbeitung neuer Dienstvorschriften und Veränderungen in der Ausbildung der Truppe. Seit Mitte 1988 wurde i n t e n s i v an entsprechenen neuen Konzepten und deren Umsetzung g e a r b e i t e t . 8 4 Durchsetzung " q u a l i t a t i v e r Parameter" und Schaffung "defensiver Strukturen" standen dabei wenigstens r h e t o r i s c h im Mittelpunkt der R e o r g a n i s a t i o n s t ä t i g k e i t . Tatsächlich wurde auf t a k t i s c h e r Ebene "Verteidigung" sehr rasch zu einem Ausbildungsschwerpunkt gemacht. Die Umstrukturierung der Verbände und die Erarbeitung der damit verbundenen neuen Einsatzgrundsätze und Felddienstvorschriften dauert d e r z e i t offenbar noch an. Auf Basis Studien 29.1988; Garthoff, R.: New Thinking in Soviet Military Doctrine, in: Washington Quarterly 1988, No.3, S.131-158; Schröder (wie Fußnote 80). 82 83 84

Materialy XIX Vsesojuznoj konferencii Kommunisticeskoj p a r t i i Sovetskogo Sojuza 28 ijunja - 1 i j u l j a 1988 goda, Moskva 1988, S.116 f. Vgl. Sas, I . : Perestrojka trebuet d e l . Sobranie partijnogo aktiva Gener a l 'nogo staba Vooruzennych Sil SSSR, i n : Krasnaja Zvezda 13.8.1988, S.2. Vgl. dazu die Äußerungen von: Jazov, D.T.: Na osnove novogo myslenija, i n : Krasnaja Zvezda, 13.4.1989, S.l-2; Zasciscaja bezopasnost' naroda. Ministr oborony general armii D.T.Jazov otvecaet na voprosy voennogo otdela "Pravdy", in: Pravda, 23.2.1990, S.3; Jazov, D.: Novaja model' bezopasnosti i vooruzennye s i l y , i n : Kommunist, Dekabr' 1989, Nr.18, S.61-72, hier S.67; Tezisy vystuplenija M.A. Moiseeva o voennoj doktrine Sovetskogo Sojuza, Wien (Papier vorgelegt im Rahmen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen. Seminar über m i l i t ä r i s c h e Doktrin. Als Manuskript v e r v i e l f ä l t i g t ) 19.1.1990, S.12 ff.; Vooruzennye s i l y : perestrojka, problemy, zamysly, i n : VoennoI s t o r i c e s k i j Zurnal, 1990, Nr.2, S.3-10, hier S. 3 ff.; Zadaci u nas odni, i n : Krasnaja Zvezda, 10.2.1990, S . l ; Voennaja reforma: opyt, problemy, perspektivy, i n : Voennaja Mysl', Aprel' 1990, Nr.4, S.30-41, hier S.31; XXVIII s-ezd Kommunisticeskoj P a r t i i Sovetskogo Sojuza. Otcety clenov i kandidatov v cleny Politbjuro, sekretarej CK KPSS. D.T. Jazov, (Clen Politbjuro CK

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offener L i t e r a t u r l ä ß t s i c h über d i e Richtung d i e s e r U m s t r u k t u r i e r u n g wenig s a g e n . Es s c h e i n t j e d o c h , daß d i e P a n z e r d i c h t e i n den Verbänden d e u t l i c h r e d u z i e r t w i r d . F e r n e r w i r d a n s c h e i n e n d d a s b i s h e r i g e auf Armee und D i v i s i o n b a s i e r e n d e Gefüge d u r c h e i n n e u e s a b g e l ö s t , d a s von Korps und B r i g a d e n a u s g e h t . 8 5 Die s o g e n a n n t e n O p e r a t i v e n Manövergruppen wurden i n d i e s e m Zusammenhang a n s c h e i nend a u f g e l ö s t . Im Rahmen d e r R e o r g a n i s a t i o n d e r F ü h r u n g s s t r u k t u r e n wurden auch zwei W e h r k r e i s e und e i n e Anzahl von Armee- und D i visionsstäben liquidiert.86 Es z e i g t e s i c h j e d o c h r a s c h , daß e s m i t d i e s e r Reform d e r S t r e i t k r ä f t e - n o t w e n d i g geworden a l s F o l g e d e r N e u o r i e n t i e r u n g d e r Auß e n - und S i c h e r h e i t s p o l i t i k - n i c h t g e t a n w a r . Die w a c h s e n d e p o l i t i s c h e und s o z i a l e K r i s e e r z w a n g im Laufe d e r J a h r e 1989 und 1990 g e g e n den W i d e r s t a n d von V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m und G e n e r a l s t a b d i e Ausweitung der " S t r e i t k r ä f t e r e f o r m " i n e i n e "Militärreform". Die b e k a n n t w e r d e n d e n V o r f ä l l e von K a m e r a d e n s c h i n d e r e i ( d e d o v s c i n a ) alarmierten die Öffentlichkeit, d i e s i c h zunehmend f ü r d i e V o r g ä n g e i n n e r h a l b d e r Armee zu i n t e r e s s i e r e n b e g a n n . J ü n g e r e O f f i z i e r e , u n z u f r i e d e n m i t d e r V e t t e r n w i r t s c h a f t i n d e r Armee und b e d r ü c k t von s o z i a l e n P r o b l e m e n , m a c h t e n i h r e m Ä r g e r i n den Medien L u f t . Es wurde b e k a n n t , daß w e n i g s t e n s d i e j ü n g e r e n O f f i z i e r e k e i n e s f a l l s i n dem Maße p r i v i l e g i e r t w a r e n , wie d i e s s t e t s angenommen w u r d e . F e h l e n d e r Wohnraum, n i e d r i g e s G e h a l t , h a r t e r D i e n s t - o f t i n u n w i r t l i c h e n R e g i o n e n im hohen Norden o d e r i n M i t t e l a s i e n - und e i n e u n d u r c h s c h a u b a r e V e r s e t z u n g s - und B e f ö r d e r u n g s p r a x i s riefen w e i t h i n U n z u f r i e d e n h e i t h e r v o r . Die R ü c k f ü h r u n g von T r u p p e n a u s O s t m i t t e l e u r o p a f ü h r t e zu e i n e r V e r s c h l e c h t e r u n g d e r Wohn- und L e b e n s b e d i n g u n g e n i n e i n e r R e i h e von W e h r k r e i s e n . Die R e d u z i e r u n g KPSS, ministr oborony SSSR), in: Pravda, 5.7.1990, S.3; Jazov, D.T.: Voennaja reforma, i n : Krasnaja Zvezda, 3.6.1990, S.l-2; u . v . a . 85

86

Glantz, D.M.: Force S t r u c t u r e : Soviet Force S t r u c t u r e in an Era of Reform, i n : The J o u r n a l of Soviet M i l i t a r y S t u d i e s , Bd. 2. September 1989, N r . 3 , S.361-393, h i e r S.376 f f . ; Zur Neugliederung in Korps und Brigaden, i n : ö s t e r r e i c h i s c h e M i l i t ä r i s c h e Z e i t s c h r i f t , J u l i / A u g u s t 1989, N r . 4 , S.343-345. Vgl. d i e Ausführungen Moiseevs i n : Tezisy v y s t u p l e n i j a M.A. Moiseeva (Papier v o r g e l e g t im Rahmen der Konferenz über S i c h e r h e i t und Zusammenarbeit in Eur o p a . Verhandlungen über V e r t r a u e n s - und S i c h e r h e i t s b i l d e n d e Maßnahmen. Seminar über m i l i t ä r i s c h e Doktrin) Wien 1990, S.12; V o e n n o - I s t o r i c e s k i j Zurn a l , 1990, N r . 2 , S. 3 ff.

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der Truppenzahlen schränkte obendrein für viele junge Offiziere die beruflichen Perspektiven ein. So kann es nicht wunder nehmen, daß sich in ihren Reihen zunehmend Unruhe bemerkbar machte. Die Vorstellung von einer grundlegenden Änderung der Wehrverfassung hatte für diese Gruppe offenbar große Attraktivität. Auch aus einer anderen Richtung kam in dieser Zeit Kritik an der geltenden Wehrverfassung. Nationale Bewegungen erstarkten und begannen, sich politisch in "Volksfronten" zu formieren. Die Forderung nach Unabhängigkeit von der UdSSR, wie sie sie etwa die Organisationen im Baltikum erhoben, schloß auch das Postulat auf die Aufstellung nationaler Verbände ein.87 Die Wehrfrage spielte in den Programmen der baltischen Volksfronten eine überraschend große Rolle.88 Hier trafen wohl mehrere Motive zusammen. Zum einen empfanden die nationalen Bewegungen im Baltikum die sowjetische Armee nach wie vor als Besatzer, zum andern gingen sie davon aus, daß ein souveräner Staat auch über eigene Streitkräfte verfügen müsse.89 Schließlich stieß die Kritik an der geltenden Wehrverfassung bei großen Teilen der baltischen Jugendlichen auf Unterstützung, da diese angesichts von Kameradenschinderei und nationalen Vorurteilen innerhalb der Truppe ihrem Wehrdienst, nicht sonderlich freudig entgegensahen.98 Nach Vorstellung von Vertretern der litauischen Bewegung "Sajudis" sollte die nationale litauische Armee eine Berufsarmee und als solche Bestandteil der sowjetischen Streitkräfte sein. Die litauische Akademie der Wissenschaften hatte ein Konzept ausgearbeitet, nach dem die Wehrpflicht beibehalten werden sollte, Litauer diese aber in nationalen Verbänden auf dem Boden der Republik ableisten sollten. Für Kriegsdienstverweigerer sollte ein Ersatzdienst geschaffen werden.91 Ähnliche Vorstellungen wurden in Aserbeidshan, Estland und Lettland entwickelt

87

88 89 98 91

Vgl. etwa das Interview mit dem "Verantwortlichen Sekretär" der litauischen Bewegung "Sajudis": Cego dobivaetsja "Sajudis"?, in: Kommunist Vooruzennych Sil, ijun' 1989, Nr.12, S.18-24, hir S. 19. Vgl. ebd.; Zacharcuk, M.: Voprosy k voennym, in: Pravda, 19.4.1989, S.6. Kommunist Vooruzennych Sil, ijun' 1989, Nr.12, S.21. Zacharcuk, in: Pravda, 19.4.1989, S.6. Ebd.; Kommunist Vooruzennych Sil, ijun' 1989, Nr.12, S.18 f., 21 f.

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- s i e g i n g e n auch i n d i e G e s e t z g e b u n g d e r R e p u b l i k e n e i n . 9 2 . Die Ablehnung der Wehrpflicht

wuchs

rufung

in

in

des

Armenien

Jahres

1990

erschienen

nur

i n einem Maße, daß

einer 7,5%

Reihe der

die

Herbsteinbe-

von R e p u b l i k e n Einberufenen,

scheiterte: in

28%, i n L i t a u e n 40,7%, i n E s t l a n d 4 2 , 1 % und i n L e t t l a n d

Gruzinien 55,3% 9 3

Die S p r e c h e r d e s s o w j e t i s c h e n V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m s k r i t i s i e r t e n d i e w e h r f e i n d l i c h e Stimmung i n e i n z e l n e n R e p u b l i k e n und w a r f e n den n e u g e w ä h l t e n S o w j e t s d e r j e n i g e n R e p u b l i k e n , d i e B e s t r e b u n g e n nach Wehrautonomie u n t e r s t ü t z t e n , V e r f a s s u n g s b r u c h v o r . Neben d e r Berufung auf d i e U n i o n s v e r f a s s u n g waren e s v o r a l l e m zwei A r g u m e n t e , d i e immer w i e d e r b e n u t z t w u r d e n : e i n e r s e i t s w i e s d a s V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m d a r a u f h i n , daß es n i c h t m ö g l i c h s e i , e i n e moderne Armee m i t s t r a t e g i s c h e n N u k l e a r w a f f e n und Atom-U-Booten nach G r u n d s ä t z e n n a t i o n a l e r R e p u b l i k s s o u v e r ä n i t ä t zu d i s l o z i e r e n , a n d e r e r s e i t s w a r n t e e s v o r d e r S c h a f f u n g n a t i o n a l e r V e r b ä n d e , da d i e s a n g e s i c h t s d e r Spannungen z w i s c h e n e i n z e l n e n R e p u b l i k e n r a s c h zu b e w a f f n e t e n K o n f l i k t e n f ü h r e n k ö n n t e . 9 4 Wenn d a s P r i n z i p n a t i o n a l e r o d e r t e r r i t o r i a l e r V e r b ä n d e auch u n i o n s w e i t u m s t r i t t e n war - im F r ü h j a h r 1990 s p r a c h e n s i c h i n e i n e r Umfrage 55% d e r B e f r a g t e n d a g e g e n a u s 9 5 - , so wurde d i e K r i t i k an d e r W e h r v e r f a s s u n g doch w e i t h i n g e t e i l t . Die D i s k u s s i o n drehte s i c h v o r a l l e m um d i e F r a g e , ob e s s i n n v o l l s e i , vom P r i n z i p d e r a l l g e m e i n e n W e h r p f l i c h t a b z u g e h e n und s t a t t d e s s e n e i n e B e r u f s a r m e e a u f z u b a u e n . Die I d e e , d i e s o w j e t i s c h e Armee i n e i n e B e r u f s a r m e e umzuwandeln, t a u c h t e ö f f e n t l i c h e r s t m a l s i n e i n e r D i s k u s s i o n am "Runden T i s c h " auf, d i e d i e Z e i t s c h r i f t d e s s o w j e t i s c h e n K o m i t e e s zum S c h u t z d e s F r i e d e n s im H e r b s t 1988 d u r c h f ü h r t e . Die T e i l n e h m e r - m i l i t ä r k r i t i s c h e W i s s e n s c h a f t i e r a u s I n s t i t u t e n d e r Akademie d e r 92

93

94

Z a s c i t a Ocestva ne t e r p i t m e s t n i c e s t v , egoizma, s v o e k o r y s t i j a . Kandidat v cleny P o l i t b j u r o CK KPSS, m i n i s t r oborony SSSR g e n e r a l armii D.T. JAZOV o t v e c a e t na voprosy voennogo o t d e l a "Pravdy", i n : Pravda, 1 3 . 1 1 . 1 9 8 9 . Vysokaja o t v e t s t v e n n o s t ' o f i c e r a . Vystuplenie clena Prezidentskogo s o v e t a , m i n i s t r a oborony SSSR, Marsal Sovetskogo Sojuza D.T.Jazova pered o f i c e r s k i m sostavom v rajone u c e n i j a 17 avgusta 1990 goda, i n : Krasnaja Zvezda, 19.8.1990, S.2. Ebd.; Jazov, i n : Kommunist, Dekabr' 1989, Nr.18, S.70; Krivoseev, G.: Voinskaja s l u z b a : Ravenstvo pered zakonom, i n : Kommunist Vooruzennych S i l , f e v r a l ' 1990, N r . 4 , S.18-24; Krasnaja Zvezda, 10.2.1990, S . l ; Sturua, i n : Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye O t n o s e n i j a , 1990, N r . 7 , S.90.

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W i s s e n s c h a f t e n und M i l i t ä r s , von d e n e n m e h r e r e s p ä t e r a l s U n t e r s t ü t z e r der M i l i t ä r r e f o r m h e r v o r t r a t e n - d i s k u t i e r t e n das V e r h ä l t n i s von Armee und G e s e l l s c h a f t und b e r ü h r t e n d a b e i u . a . d i e F r a g e d e r k ü n f t i g e n W e h r v e r f a s s u n g . Während e i n e r d e r Wissenschaftler s i c h für e i n e Berufsarmee e i n s e t z t e , t r a t ein Oberst Savinkin vehement f ü r e i n e K a d e r a r m e e e i n , d i e d u r c h M i l i z e i n h e i t e n e r g ä n z t w e r d e n s o l l t e , w i e e s s i e i n den z w a n z i g e r J a h r e n n a c h d e r M i l i t ä r r e f o r m 1924/25 in der Sowjetunion gegeben h a t t e . 9 6 In der M i l i t ä r p r e s s e wurden d i e s e V o r s t e l l u n g e n z u r ü c k g e w i e s e n 9 7 , doch g e g e n Ende d e s J a h r e s 1989 l e b t e d i e D i s k u s s i o n w i e d e r auf und gewann an S c h ä r f e . Achromeev, d e r o f f e n b a r f ü r v i e l e h ö h e r e M i l i t ä r s s p r a c h , nahm d i e F r a g e i n s e i n e m o f f e n e n B r i e f an den C h e f r e d a k t e u r d e r reformnahen Zeitschrift "Ogonek" auf. In einer Attacke auf " i n k o m p e t e n t e " , z i v i l e K r i t i k e r h i e l t e r den B e f ü r w o r t e r n einer B e r u f s a r m e e v o r , daß e i n e s o l c h e B e r u f s a r m e e v i e l zu t e u e r s e i und o b e n d r e i n n i c h t e r l a u b e , i n a u s r e i c h e n d e m Maße R e s e r v e n f ü r den M o b i l m a c h u n g s f a l l zu b i l d e n . E i n e Kürzung d e r S t r e i t k r ä f t e um 50% b e i g l e i c h z e i t i g e m Übergang z u r B e r u f s a r m e e , d i e e i n i g e j ü n g e r e W i s s e n s c h a f t l e r v o r g e s c h l a g e n h ä t t e n , s e i ganz u n m ö g l i c h . 9 8 Ä h n l i che Argumente b e n u t z t e n f ü h r e n d e s o w j e t i s c h e M i l i t ä r s , d i e s i c h s e i t Anfang 1990 v e r m e h r t zu Wort m e l d e t e n . G e n e r a l s t a b s c h e f Mois e e v mußte z u g e b e n , daß d i e I d e e e i n e r B e r u f s a r m e e b e i j u n g e n Off i z i e r e n b r e i t e U n t e r s t ü t z u n g f ä n d e , doch auch e r b e s t a n d d a r a u f , daß e i n e s o l c h e F r e i w i l l i g e n a r m e e f ü r d i e S o w j e t u n i o n v i e l zu t e u e r s e i . 9 9 Z i v i l e E x p e r t e n wie O f f i z i e r e , d i e s i c h f ü r e i n e R e -

95 98

97

98

99

Grazdankin, i n : I z v e s t i j a , 15.6.1990, S . 3 ; v g l . oben S. 23 Armija i o b s c e s t v o , i n : Vek XX i Mir. B j u l l e t e n ' i z d a e t s j a Sovetskim Komitetom Z a s c i t y Mira p r i S o d e j s t v i j a Sovetskogo Fonda Mira, 1988, N r . 9 , S.18-28, h i e r S. 22 f.; v g l . auch den A r t i k e l Savinkins in der Z e i t s c h r i t "Moskovskie N o v o s t i " : Savinkin, A.: Kakaja armija nam nuzna, i n : Moskovskie Novosti 6 . 1 1 . 1 9 8 8 , S.6. Vgl. S e r e b r j a n n i k o v , V.: Armija. Kakoj e j b y t ' ? 0 nekotorych podchodach k problemam voennogo s t r o i t e l ' s t v a , i n : Krasnaja Zvezda, 1 2 . 2 . 1 9 8 9 , S.2; an diesem A r t i k e l i s t besonders i n t e r e s s a n t , daß s e i n Verfasser in der Folge d i e S e i t e n wechselte und j e t z t e i n e r der vehementesten V e r t r e t e r e i n e r M i l i t ä r r e f o r m und des Übergangs zur Berufsarmee i s t . Achromeev, S . : Kakie vooruzennye s i l y nuzny Sovetskomu Sojuzu. Otkrytoe pis'mo glavnomu r e d a k t o r u z u r n a l a "Ogonek" KOROTICU V.A., i n : Ogonek, 1989, N r . 5 0 , S . 6 - 8 , 30, h i e r S. 7 f. Argumenty General'nogo s t a b a . S narodnym deputatom SSSR, nacal'nikom Gener a l 'nogo s t a b a Vooruzennych S i l SSSR - pervym zamestitelem m i n i s t r a oborony

42

form

der

Streitkräfte

einsetzten,

bestritten

nungen d e s V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m s Vorteile einer solchen

dagegen

und b e t o n t e n d i e

die

Berech-

ökonomischen

Berufsarmee.188

I n d e r e r s t e n H ä l f t e d e s J a h r e s 1990 begann d i e P o s i t i o n d e s V e r teidigungsministeriums abzubröckeln. Angesichts der Unterstützung d e r G o r b a c e v - A d m i n i s t r a t i o n f ü r d i e M i l i t ä r r e f o r m 1 8 1 und d e r b r e i t e n Zustimmung, d i e d i e I d e e d e r B e r u f s a r m e e o f f e n b a r im O f f i zierskorps findet, begannen Sprecher der S t r e i t k r ä f t e s i c h für e i n e n s c h r i t t w e i s e n Übergang z u r B e r u f s a r m e e zu e r w ä r m e n . G e n e r a l l e u t n a n t Karpov, A b t e i l u n g s l e i t e r im G e n e r a l s t a b , s p r a c h s i c h i n e i n e r D i s k u s s i o n , d i e von "Voennaja M y s l ' " , dem t h e o r e t i s c h e n O r gan d e s V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m s , v e r a n s t a l t e t w u r d e , f ü r eine s t u f e n w e i s e V e r g r ö ß e r u n g d e s A n t e i l s von B e r u f s s o l d a t e n b e i Manns c h a f t e n und U n t e r o f f i z i e r e n a u s . Die Z a h l d e r O f f i z i e r e sollte 182 g l e i c h z e i t i g v e r r i n g e r t werden. L u f t l a n d e t r u p p e n und M a r i n e p l a nen T r u p p e n v e r s u c h e m i t E i n h e i t e n , d i e n u r aus F r e i w i l l i g e n b e s t e h e n , bzw. m i t d e r Werbung von M a t r o s e n auf V e r t r a g s b a s i s . 1 8 3 Es s c h e i n t , daß G e n e r a l s t a b und V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m i h r e Ü b e r l e gung z u r U m s t r u k t u r i e r u n g d e r S t r e i t k r ä f t e j e t z t w e i t e r v o r a n t r e i b e n . Neben dem Druck a u s O f f i z i e r s k o r p s und G e s e l l s c h a f t w i r d h i e r gewiß auch d e r Gedanke e i n e R o l l e s p i e l e n , daß d i e Armee n a c h dem

188

181 182 193

SSSR generalom armii M.MOISEEVYM beseduet nas voennyj korrespondent V.Litovkin, in: I z v e s t i j a , 22.2.1990, S.3. Zur Diskussion um d i e Berufsarmee v g l . außer den genannten T i t e l n u . a . : P r o f e s s i o n a l ' n a j a a r m i j a : za i p r o t i v , i n : Trud, 27.3.1990, S . l - 2 ; Armija na poroge reformy, i n : L i t e r a t u r n a j a Gazeta, 7.3.1990, N r . 1 0 ; Kakoj b y t ' armii 90-ch?, i n : Argumenty i f a k t y , 2 4 . 2 . - 2 . 3 . 1 9 9 0 , N r . 8 , S.2; Z a s c i s c a j a b e z o p a s n o s t ' naroda. M i n i s t r oborony g e n e r a l armii D.T.Jazov o t v e c a e t na voprosy voennogo o t d e l a "Pravdy", i n : Pravda, 23.2.1990, S . 3 ; Jazov, D.T.: Na osnove novogo m y s l e n i j a , i n : Krasnaja Zvezda, 1 3 . 4 . 1 9 8 9 , S . l - 2 ; Proekt voennoj reformy, i n : I z v e s t i j a , 10.4.1990, S . 3 ; Turcinov, A.: Armija: p r o f e s s i o n a l ' n a j a i l i naemnaja?, i n : Pravda (Diskussionnyj l i s t o k No. 2 1 ) , 7 . 4 . 1 9 9 0 , S.4; Krivoseev, i n : Kommunist Vooruzennych S i l , f e v r a l ' 1990, N r . 4 , S.22 f f . ; Antoskin, Ä.: Naemnaja a r m i j a : doroze i l i d e s e v l e , i n : Kommunist Vooruzennych S i l , 1990, N r . 9 , S.38-43, h i r e S.40; Karasev, N . : Skol'ko s t o i t p r o f e s s i o n a l ? , i n : Morskoj Sbornik, 1990, N r . 6 , S.8-12; Kakaja armija nam nuzna, i n : Ogonek, 2 4 . 2 . - 3 . 3 . 1 9 9 0 , N r . 9 , S.28-30; Jazov, D.T.: Oboronnoe s t r o i t e l ' s t v o : novye podchody, Moskva 1989, S. 16 f; u . v . a . m . Vgl. unten S.45 Voennaja Mysl', 1990, Nr.5, S.41. Armija i politika, in: Argumenty i fakty, 24.-30.3.1990, Nr.12, S.4; V desantniki - po kontraktu?, in: Izvestija, 23.7.1990, S.6; Na voennyj flot - po

S3

Übergang auf Freiwilligenwerbung von einer ganzen Reihe gesellschaftlicher Probleme verschont bleiben wird. Nationale und soziale Widersprüche, die bisher durch das Wehrpflichtsystem notwendig in die Streitkräfte hineingetragen wurden, kann die militärische Führung dann besser unter Kontrolle halten. Darin liegt allerdings auch eine Gefahr für das künftige Verhältnis von Politik und Armee. r Das Verhältnis von Politik und Militär, das ja bisher nicht in einen rechtsstaatlichen Rahmen gefaßt worden ist184, wird jedoch durch die notwendige Reform der Politverwaltung zunächst noch weitere Belastungen erfahren. Die Aufgabe des Artikels 6 der Unionsverfassung von 1977, der das politische Monopol der Kommunistischen Partei festschrieb,185 warf die Frage nach der künftigen Rolle der Politorgane auf.186 Bisher war die Politische Hauptverwaltung, die an der Spitze der Politorgane in Armee und Flotte stand, zugleich Hauptverwaltung des Verteidigungsministeriums und Abteilung des Zentralkomitees. Die Parteiorganisationen in den Streitkräften waren mit den Politorganen eng verzahnt. Nach dem Übergang zu einem Mehrparteiensystem dürfte eine solche Verquikkung von Staat und Partei nicht mehr zulässig sein. In den Medien wird daher zunehmend die Abschaffung der Politoffiziere und die Depolitisierung der Streitkräfte gefordert. Kritiker warfen den Politorganen vor, sie seien konservativ. Obendrein würde das System der Politoffiziere in den Einheiten unsinnig die Zahl der Offiziersstellen aufblähen.187 Bei einer Abstimmung im Obersten Sowjet der RSFSR über das weitere Schicksal der Politorgane sprachen sich 462 Delegierte für ihre Auflösung aus, 378 stimmten dagegen

kontraktu, in: Izvestija, 12.4.1990, S.6; Armija na poroge reformy, in: Literaturnaja Gazeta, 7.3.1990, Nr.10. in« vgl.oben S.35 185

186

187

Vgl. Konstitucija SSSR i razvitie sovetskogo zakonodatel'stva, Moskva 1983, S.26 f. Vgl. etwa die Bemerkungen von Generalsstabschef Moiseev, in: Krasnaja Zvezda 10.2.1990, S.l; und vom stellvertretenden Chef der politischen Hauptverwaltung G.A.Stefanovskij: Ot formalizma - k realizmu zizni, in: Kommunist Vooruzennych Sil, ijun' 1990, Nr.12, S.10-18, hier S.18, die das problem formulieren, aber keine konzise Antwort geben. Vgl. etwa die Äußerungen während der Diskussion am Runden Tisch, in: Ogonek, 24.2.-3.3.1990, Nr.9, S.28-30.

44

und 61 e n t h i e l t e n s i c h d e r Stimme. 1 8 8 W e n n g l e i c h i n d e r Ö f f e n t l i c h k e i t d i e Stimmung e h e r i n R i c h t u n g auf A b s c h a f f u n g d e r P o l i t o f f i z i e r e zu n e i g e n s c h e i n t , b e h a r r t d i e m i l i t ä r i s c h e Führung auf dem F o r t b e s t a n d d i e s e r E i n r i c h t u n g . O f f e n s i c h t l i c h kann s i c h d i e G e n e r a l i t ä t e i n e Armee ohne p o l i t i s c h e Überwachung n i c h t v o r s t e l l e n . Der l e t z t e Oberkommandierende d e r 4 0 . Armee, Gromov, etwa s p r a c h s i c h d a f ü r a u s , daß a l l e s s o b l e i b e n s o l l e , wie e s s e i . N a t ü r l i c h müßten P o l i t o f f i z i e r e d i e L i n i e d e r f ü h r e n d e n P a r t e i v e r t r e t e n . 1 8 9 Ä h n l i c h ä u ß e r t e s i c h d e r n a c h dem 2 8 . P a r t e i t a g n e u e r n a n n t e Chef d e r P o l i t i s c h e n H a u p t v e r w a l t u n g , N . I . S l j a g a . Mehr a l s 25% d e r Mil i t ä r a n g e h ö r i g e n s e i e n P a r t e i m i t g l i e d e r , so S l j a g a , d i e R e a l i s i e r u n g d e s M e h r p a r t e i e n s y s t e m s i n d e r Armee würde n u r Unruhe h e r v o r r u f e n und d i e D i s z i p l i n b e e i n t r ä c h t i g e n . E i n e O p t i o n s e i , n a c h Einführung des Mehrparteiensystems a l l e p o l i t i s c h e n Gruppierungen - auch d i e KPdSU - a u s den S t r e i t k r ä f t e n zu v e r b a n n e n . 1 1 8 Am Appar a t d e r P o l i t l e i t u n g w o l l t e e r j e d o c h f e s t h a l t e n . Das i s t k e i n e E i n z e l s t i m m e - d i e M e h r z a h l d e r Äußerungen f ü h r e n d e r M i l i t ä r s g e h t i n d i e s e l b e R i c h t u n g . 1 1 1 O f f e n s i c h t l i c h kann s i c h d i e G e n e r a l i t ä t n i c h t v o r s t e l l e n , w e l c h e n P l a t z d i e S t r e i t k r ä f t e i n einem p o l i t i s c h r e f o r m i e r t e n S t a a t einnehmen s o l l e n und w e l c h e V e r ä n d e r u n g e n i n s Haus s t e h e n . Auch a u s d e r P a r t e i h e r a u s wurden b i s h e r k e i n e k l a r e n K o n z e p t e e n t w i c k e l t . Die R e s o l u t i o n , d i e d e r 2 8 . P a r t e i t a g z u r W e h r p o l i t i k v e r a b s c h i e d e t e , b e g n ü g t s i c h m i t dem H i n w e i s d a r auf, daß man n e u e Formen d e s P a r t e i e i n f l u s s e s i n den S t r e i t k r ä f t e n suchen müsse.112

188 189 118 111

112

Kto za c t o g o l o s o v a l , i n : Argumenty i f a k t y , 30.6.1990, N r . 2 6 , S . 4 - 6 , h i e r S.4. Armija i p o l i t i k a , i n : Argumenty i f a k t y , 2 4 . - 3 0 . 3 . 1 9 9 0 , N r . 1 2 , S.4. S l j a g a , N . I . : P o l i t o r g a n y : vremja r a d i k a l ' n o g o o b n o v l e n i j a , i n : Krasnaja Zvezda, 2 0 . 7 . 1 9 9 0 . Vgl. u . a . : Bojko, N . : "Armija - c a s t ' naroda i s l u z i t emu", i n : Krasnaja Zvezda, 22.6.1990, S.2; XXVIII s-ezd Kommunisticeskoj P a r t i i Sovetskogo Soj u z a . N . I . S l j a g a , i n : Pravda, 7 . 7 . 1 9 9 0 , S.2; N a c a l ' n i k Glavpura, i n : I z v e s t i j a , 1 8 . 7 . 1 9 9 0 , S.2; Na putjach r a d i k a l ' n o j p e r e s t r o j k i , i n : Krasnaja Zvezda, 3 1 . 7 . 1 9 9 0 , S . l , 3; Trevogi i nadezdy n a s i , i n : Kommunist Vooruzennych S i l , a p r e l ' 1990, N r . 7 , S.8-17, h i e r S.16 f.; Pravda, 5.7.1990, S . 3 ; Achromeev, i n : Ogonek, 1989, Nr.50, S.7 f.; Voennaja M y s l ' , 1990, N r . 5 , S. 47. R e z o l j u c i j a XXVIII s-ezda Kommunisticeskoj p a r t i i Sovetskogo Sojuza: Ob o s novnych n a p r a v l e n i j a c h voennoj p o l i t i k i p a r t i i na sovremennom e t a p e , i n : Krasnaja Zvezda, 11.7.1990, S . 3 .

45

Die V o r s t e l l u n g e n von e i n e r Reform der S t r e i t k r ä f t e , d i e 1987/88 z u n ä c h s t r e i n t e c h n i s c h e r Natur waren und d i e m i l i t ä r i s c h e n S t r u k t u r e n der neuen M i l i t ä r d o k t r i n anpassen w o l l t e n , erwiesen s i c h ang e s i c h t s d i e s e r Entwicklung der m i l i t ä r p o l i t i s c h e n Diskussion a l s u n z u r e i c h e n d . 1990 standen n i c h t mehr V e r b a n d s s t r u k t u r e n und Panz e r d i c h t e zur D e b a t t e , j e t z t ging es um d i e Wehrverfassung und um das V e r h ä l t n i s von M i l i t ä r und P o l i t i k . S t a t t um e i n e Reform der S t r e i t k r ä f t e ging es nun um e i n e umfassende M i l i t ä r r e f o r m . Anges i c h t s e i n e r k o n s e r v a t i v e n m i l i t ä r i s c h e n Führung e r g r i f f eine Gruppe j u n g e r O f f i z i e r e d i e I n i t i a t i v e . Im Dezember 1989 l e g t e n mehrere O f f i z i e r e , Abgeordnete des Volkskongresses der UdSSR, e i n Konzept für e i n e grundlegende Wehrreform v o r . Sie s t i e ß e n dabei zwar im V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m auf Ablehnung, doch fanden s i e U n t e r s t ü t z u n g b e i M i n i s t e r p r ä s i d e n t Ryzkov und i n der Gorbacev-Adm i n i s t r a t i o n . 1 1 3 Das P r o j e k t der " P l a t t f o r m " für den 28. P a r t e i t a g , den das Plenum des ZK im Februar 1990 v e r a b s c h i e d e t e , l i e ß e r k e n nen, wie s t a r k s i c h d i e p o l i t i s c h e Führung auf d i e "Jungtürken" in d e r Armee s t ü t z t e . In der " P l a t t f o r m " hieß e s : "Verteidigung. breitert, die leisten. Doch flikte drohen,

Unser neues Denken hat die Möglichkeiten erheblich verSicherheit des Landes mit politischen Mitteln zu gewährsolange die Welt militarisiert ist und bewaffnete Konbenötigen wir eine verläßliche Verteidigungsfähigkeit.

Die Partei hält es für ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß unsere Armee und Flotte, die so große Verdienste vor dem Vaterland hat, die Aufgaben, die unter den gegenwärtigen Bedingungen vor ihnen stehen, erfolgreich lösen können. Dafür i s t es notwendig, zu einer Militärreform zu kommen auf der Grundlage der neuen Verteidigungsdoktrin und auf Basis des Prinzips der vernünftigen Hinlänglichkeit. Da der Streitkräfteaufbau auf qualitative Parameter orientiert i s t , i s t es notwendig, den Professionalismus des Kaderbestandes zu erhöhen und den Ehrenkodex derer, die ihr Schicksal mit unserer Armee verbunden haben, auf ein Niveau zu heben, das deren ruhmreicher Tradition würdig i s t . Die Partei wird eine Hebung des Prestiges des Militärdienstes erreichen, die Stärkung der sozialen Sicherung und eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Militärangehörigen und ihrer Familien. Der Rechtsstaat geht von einer wirklichen politischen Leitung der Verteidigungssphäre aus, von einer Kontrolle der militärischen Einrichtun-

113

Vgl. Armija na poroge reformy, i n : Literaturnaja Gazeta, 7.3.1990, Nr.10; Kakaja armija nam nuzna, i n : Ogonek, 24.2.-3.3.1990, Nr.9, S.28-30.

46

gen durch das höchste Organ der Macht bei maximaler Offenheit unter Rücksicht auf das zwischen den Staaten erreichte Vertrauensniveau." 1 1 4 Das

Plenum

des

"Militärreform" politischen

zu

schaffen.

machte

eigen,

Elements

Erhöhung d e s A n t e i l hob d i e

ZK für

es die

sich

unterstrich

hervor,

nur

auch

Soldaten

Terminus

Bedeutung

des

befürwortete

die

i n d e r Armee und und

rechtsstaatliche

Der Kommentar d e s G e n e r a l s t a b s c h e f s

den

die

Sicherheitspolitik,

professioneller

Notwendigkeit

nicht

Kontrollorgane

ließ

demgegenüber

zu an

D e u t l i c h k e i t wenig zu wünschen ü b r i g : "Im Rahmen der Erörterung [des Projekts der Plattform] kann ich nicht umhin zu sagen, daß darin meines Erachtens viele allgemeine Phrasen s t e hen, die nicht durch die notwendigen Maßnahmen erhärtet werden. Mein Eindruck i s t , daß sie vorbereitet wurde ohne Rücksicht auf die brennenden Prozesse, die j e t z t im ganzen Lande vor sich gehen, u . a . auch in den S t r e i t k r ä f t e n . [...] Insbesondere der Abschnitt, der der Verteidigung gewidmet i s t , spiegelt nicht in vollem Maße den Beitrag der sowjetischen S t r e i t k r ä f t e zur Verteidigung des Landes und zur Gewährleistung seiner Sicherheit wider. In gewissem Maße wird ihre Rolle niedrig angesetzt, es i s t das Bestreben zu beobachten, die Armee aus dem aktiven Leben der Gesellschaft auszuschließen, sie vom Volk zu trennen." 1 1 5 O f f e n b a r war d i e m i l i t ä r i s c h e Führung m i t den Vorgaben a u s d e r P o l i t i k d u r c h a u s n i c h t e i n v e r s t a n d e n . Dennoch waren V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m und G e n e r a l s t a b nun g e h a l t e n , s e l b s t e i n Konzept f ü r d i e M i l i t ä r r e f o r m zu e r s t e l l e n . So a r b e i t e n nun zwei ganz u n t e r s c h i e d l i c h e Gremien an K o n z e p t e n f ü r e i n e n e u e W e h r v e r f a s s u n g . Auf d e r e i n e n S e i t e s t e h t d i e Kommission d e s V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r i u m s , d i e s i c h v o r d r i n g l i c h mit der Ausarbeitung e i n e r Konzeption der Streitkräftestruktur 1 9 9 1 - 1 9 9 5 und b i s zum J a h r 2000 befassen 116 soll. Auf d e r a n d e r e n S e i t e a r b e i t e t e i n e von e i n e r U n t e r k o m m i s s i o n des V e r t e i d i g u n g s a u s s c h u s s e s des Obersten Sowjets e i n g e s e t z t e A r b e i t s g r u p p e , d e r Major L o p a t i n v o r s t e h t . 1 1 7 Über den I n h a l t b e i d e r K o n z e p t e i s t b i s h e r wenig b e k a n n t . Geht man von den Äußerungen V e r t e i d i g u n g s m i n i s t e r s J a z o v 1 1 8 a u s , s o b e f a ß t s i c h d e r Entwurf d e s Ministeriums vor allem mit t e c h n i s c h e n Aspekten der S t r e i t k r ä f 114

113 116 117

K gumannomu, demokraticeskomu socializmu (Platforma CK KPSS k XXVIII s-ezdu p a r t i i ) : P r o e k t , odobrennyj f e v r a l ' s k i m (1990 g.) Plenumom CK KPSS, i n : Pravda, 13.2.1990, S . l - 2 , h i e r S.2. Moiseev, i n : Krasnaja Zvezda, 1 0 . 2 . 1 9 9 0 , S . l . Vgl. Davydikov, V.: Kursom voennoj reformy, i n : Krasnaja Zvezda, 1 2 . 4 . 1 9 9 0 , S.l. Proekt voennoj reformy, i n : I z v e s t i j a , 10.4.1990, S . 3 .

47

testruktur, der Hebung der Qualität, den Möglichkeiten zur Verringerung der Militärausgaben und organisatorischen Verbesserungen. Die soziale Lage der Soldaten soll verbessert und der Anteil der Berufssoldaten schrittweise erhöht werden. Die Verkürzung des Wehrdienstes auf 18 Monate wird ins Auge gefaßt. Fragen des Verhältnisses von Armee und Politik bzw. der rechtsstaatlichen Kontrolle der Streitkräfte werden dagegen - geradezu penetrant - ausgeklammert. Demgegenüber scheint der Entwurf der Lopatin-Kommission erheblich weiter zu gehen. Soweit bekannt unterstreicht das Papier das Primat der politischen Führung und zielt darauf ab, die Streitkräfte in rechtsstaatliche Strukturen einzubinden. Vorgesehen ist offenbar ein Übergang zur Berufsarmee, mit Bindung der Verbände an bestimmte Territorien - ein Reflex der Forderungen der Republiken nach nationalen Verbänden. Die Arbeit der Kommission ging im übrigen unter großen Schwierigkeiten vor sich. Lopatin selber wurde aus der Partei ausgeschlossen und erst nach Intervention der Parteiführung wieder als Parteimitglied eingesetzt.119 Die Generalstabsakademie und die Frunze-Akademie verweigerten ihre Mitarbeit in der Kommission, das Verteidigungsministerium hielt Informationen zurück. Dennoch legte die Kommission einen Bericht von 2000 Schreibmaschinenseiten vor. Welches Schicksal diese Vorlage haben wird, ist jedoch noch unklar.128 Die Entwicklungsrichtung der Militärreform ist derzeit noch nicht klar zu erkennen. Viel hängt von der Durchsetzungsfähigkeit und der Konfliktbereitschaft der politischen Führung ab. Bisher verteidigen Generalstab und Verteidigungsministerium hartnäckig den "status quo" und geben nur schrittweise Positionen preis. Mit dem Wandel des politischen Systems, mit der Einführung eines Mehrparteiensystems, mit der Neuordnung des Verhältnisses von Union und Einzelrepubliken wird jedoch auch der Druck in Richtung auf eine 118 119

128

Jazov, D.T.: Voennaja reforma, in: Krasnaja Zvezda, 3.6.1990, S.l-2. Sazonov, G.: "Partija"... pri generale: Kak iskljucili iz rjadov KPSS narodnogo deputata SSSR V.N. Lopatina, in: Pravda, 2.5.1990; dem Vernehmen nach ist Lopatin mittlerweile selbst aus der Partei ausgetreten. Sturua, G.M.: Peripetii voennoj reformy, in: Mirovaja Ekonomika i Mezdunarodnye Otnosenija, 1990, Nr.7, S.87-92, vor allem S. 89 ff.

48

weitergehende Militärreform tung scheint

aber nur

wachsen. Eine

grundlegende Umgestal-

im Konflikt mit der

Generalität möglich.

Auch die Verrechtlichung der Militärreform - eine Reihe neuer Gesetze zu Wehrfragen, u.a. ein grundlegendes "Verteidigungsgesetz", sollen 1991 verabschiedet werden - wird nicht ohne

Kontroversen

abgehen.

4. Ist politische Reform ohne Demilitarisierung möglich? Die Fortentwicklung der Reform von Wirtschaft und Gesellschaft stößt innerhalb von Partei- und Staatsapparat auf zunehmenden Widerstand. Zu den Konservativen, die hergebrachte Strukturen und traditionelle Privilegien zu verteidigen suchen, gehört auch die Mehrheit der Generalität. Auf den Parteitagen der Russischen Partei und dem Unionsparteitag im Sommer 1990 ist es zu offenen Auseinandersetzungen gekommen. Die militärische Führung setzt sich gegen die Einschränkung ihres Einflusses in der Sicherheitspolitik, gegen die Demilitarisierung der Gesellschaft und die Beschneidung des Rüstungskomplexes zur Wehr. Das Verhalten der militärischen Führungsschicht ist kein Sonderfall. Als Teil der alten Machtelite droht ihr - wie auch anderen Gruppen - durch weitgehende Reformen wie der Schaffung demokratischer Kontrollen und der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Grundsätze in der Volkswirtschaft der Verlust ihrer bisherigen Privilegien und Sonderrechte. Der Widerstand im Militär gewinnt allerdings besonderes Gewicht, da diese Gruppe unmittelbaren Zugriff auf die bewaffnete Macht hat. Eine Reformpolitik, die diesen Namen verdient, muß gegen diese Gruppe durchgesetzt werden. Demilitarisierung der sowjetischen Gesellschaft - im Sinne einer radikalen Verkleinerung von Militärapparat und Rüstungskomplex - und Einbindung der verbleibenden bewaffneten Macht mit Hilfe demokratischer, rechtsstaatlicher Kontrollinstanzen ist daher konstitutiver Bestandteil einer Politik, die auf demokratische Reformen abzielt. Dies hat Gorbacev in seiner Rede vor Militärs im Wehrkreis Odessa sehr deutlich ausgesprochen: "Die Situation der Überrüstung hat uns dazu veranlaßt, entschieden den Weg der Demilitarisierung einzuschlagen. [...] Wir werden die Dinge

49 hartnäckig zur realen Rüstungsreduzierung drängen. Dieser Prozeß ist sehr schwierig, aber notwendig sowohl vom Standpunkt des Fortschritts der Menschheit zu einer gewaltlosen, atomwaffenfreien Welt, als auch vom Standpunkt unserer inneren Erfordernisse bei der Lösung der großen wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Probleme."121 Ohne neue Wehrstrukturen, ohne Umlenkung der Ressourcen aus dem Rüstungs- in den Zivilbereich, ohne Öffnung des Militärs in Richtung auf die Gesellschaft wird "perestrojka" keinen Bestand haben. Allerdings ist der Widerstand von Militärs und Rüstungskomplex stark. Zudem können auch die Konzepte, die von selten der Reformer bisher im Wehrbereich entwickelt worden sind, nicht überzeugen. Ob eine Berufsarmee tatsächlich eher als eine Wehrpflichtarmee neuen demokratischen und föderativen Strukturen angemessen ist, muß dahingestellt bleiben. Und welche Formen für die politische Einbindung der Streitkräfte am zweckmäßigsten sind - ein funktionierender Verteidigungsausschuß, ein Sicherheitsrat beim Präsidenten, ein zivil dominiertes Verteidigungsministerium -, darüber gibt es bisher kaum öffentliche Überlegungen. Doch hat sich die Diskussion in der Sowjetunion in den letzten Monaten so rasch entwicket, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch diese Fragen bald thematisiert werden. Welche Konzepte durchgesetzt werden, das ist jedoch letztlich eine Machtfrage. Die innenpolitische Entwicklung der nächsten Monate wird zeigen, wer sich durchsetzen wird und in welche Richtung Lösungen erwartet werden können.

121

Gorbacev, in: Pravda 19.8.1990, S.2.

)

I

- 51 Hans-Henning Schröder "Demilitarization" in the Soviet Union? Steps Towards Restructuring the Relationship Between Politics and the Military in the USSR (1987-1990) Bericht des BlOst Nr. 49/1990 Summary Preliminary Remarks "Demilitarizacija" - demilitarization - this term stands for a policy that seeks to accompany and secure fundamental economic and social reforms by restructuring the military and the military industrial complex. Unless the armaments burden is reduced, unless the military leadership's influence on security and foreign policy issues is restricted, and unless the armed forces are integrated into democratically legitimate control structures, change in the economic and political system is next to impossible. The Gorbachev administration is thus flanking its reform policies with steps towards restricting military influence and restructuring the relationship between politics and the military. On the basis auf Soviet publications appearing in recent months, the present report endeavours to identify initial developments of this "demilitarization" policy and to point up the conflicts it has entailed.1 1. The Soviet leadership's thinking on security and foreign policy issues has been dominated by military considerations ever since the 1930's. The views of Khrushchev and Brezhnev era politicians were formed by the bitter experiences of the "Great Patriotic War" (1941-1945). During these years civilian politicians often thought in military categories, despite their upholding of the "primacy of politics" over the military leadership. The "one dimensionality" of the Soviet superpower was also a factor: since the Soviet Union was incapable of claiming world class in either technological or economical terms, it based its role as a world power solely on military prowess, according to varying estimates, amounted to 8 % , 15-18% or 10-15 % of the gross national product. Both the privileged sta-

The study was prepared under the auspices of the Deutsche Forschungsgemeinschaft project "Social and economic conditions of security policy concepts in the USSR"; the author was able to consult "SOWSK", the literature data bank developed in cooperation with 6. Duda, B. Meinicke and T. Sauer since 1988.

- 52 tus of the armaments sector, which enjoyed first option on resources, and the consolidation of the most advanced technological section of the national economy under a special administration - the military-industrial commission - were at the root of the growth crisis experienced by the Soviet economy at the end of the 1970's. For years the intermeshing ot the military, the military-industrial complex, and politics hindered social and ecnomic reforms. 2. The "demilitarization" of political thinking is therefore one important prerequisite for further-reaching reform steps. The reduction of the armaments burden and the elimination of arms sector prerogatives are essential for the transition to a market economy. The creation of a working parliament, the transition to a multi-party system and the establishment of a presidial office all demand that the armed forces be integrated into the political system in a new way. 3. Foreign policy thinking was quick to set itself apart From earlier concepts oriented towards the military complex. The "new thinking" operted on the assumption that human civilization would not survive a nuclear catastrophe. Global problems were only to be resolved on the basis of international cooperation. Unilateral security was unobtainable, only cooperation and the recognition of mutual security requirements could provide security. Emerging was a foreign policy concept that relied on political action and international cooperation and disregarded the military-industrial complex. The demilitarization of security and foreign policy thinking, which found practical expression in the INF Treaty and unilateral troop reductions, has made room for a thorough demilitarization of society and the national economy. 4. The armed forces have increasingly lost support in Soviet society since 1987/88. The argument of an external threat disappeared as Gorbachev's disarmament policies advanced. The first publications of arms data illustrated to the Soviet public for the first time the extent to which military hardware had been eccumulated. Given the empty shelves in Soviet shops, public criticism of the excessive arms burden increased. Polls conducted in 1989 clearly indicated that a large majority was in favour of cutting arms expenditure. The prestige of the armed forces was also damaged by reports on internal troubles especially on the wide spread practice of soldier abuse. Especially in republics with strong national movements, the intervention of the military in domestic affairs - in Tbilissi Baku, and elsewhere - fomented distrust of the military leadership. Although publicly disclaimed by the military leadership, rumoure of an imminent coup d'etat spread throughout the USSR in 1988/89. The Soviet press became so increasingly critical that Achromeev, a former chief of staff, claimed that the army was being hyped into a spectre of terror.

- 53 5. The crisis of acceptance experienced by the armed forces was reinforced by the lack of public support for an overinflated arms policy. As cautious steps toward reform failed to improve the supply situation in the 1985-87 period, the number of voices grew demanding that arms expenditure be publicized and further reduced. At the beginning of 1989, Gorbachev announced a 14,2 % slash in military spending. He wanted to reduce arms production by 19,5 %. Fewer arms contracts, however, presented substantial problems for enterprises within the military-industrial complex. A conversion programme that was to accompany the transition from military to civilian production and financially cushion social repercussions was presented in February 1990. The military-industrial complex put up resistance, demanding additional funds and refusing to relinquish any of its authority. The transition to a market economy, as now envisaged, is creating further problems. A radical restructuring of arms industry funding and the organization of the defence industry would appear necessary but is encountering stiff resistance from the military establishment. 6. Change within the political system had necessary consequences for the integration of the armed forces. The military received a new supreme commander in the Soviet president, whose office was equipped with extensive powers. The defence council, until then the real decision centre for security policy issues, has apparently been restaffed and reassigned to the president or the presidential council. The working parliament, newly established in 1989, elected a defense and state security committee as a democratic and constitutional control body to perform tasks similar to those of a defence committee in a Western parliament. The new institution must assert its supervisory rights vis-a-vis the defence ministry and the general staff, which entails conflict. The coming months will show how the relationship between the defence committee and the president or defence council will take shape. 7. Demilitarizing foreign policy thinking, eliminating the economic policy priority for military goods, and changing the integration of the armed forces within the political system all this is impossible to achieve in any permanent way without affecting radical change within the armed forces themselves. The redefinition of military doctrine in 1987 entailed the implementation of initial steps towards restructuring. The military leadership was required to devise new structures of a principally defensive character for the armed forces. With its decision in favour of unilateral troop reductions, the political leadership pushed this development forwards. During 1989, however, it became clear that military and technological reform alone would not suffice. Growing social and national problems within the Soviet Union had taken their toll on the armed forces. Unrest within the army, difficulties with conscription, resistance in the republics induced young officers to think about restructuring the military constitution. At the same

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time, political groups within the republics began to promote the creation of national and territorial associations. Eliminating the monopoly of the CPSU put into question the role of the political leadership within the army. In December 1989 a group of young officers developed a concept of comprehensive military reform which centred on the transition to a professional army. Against the resistance of the defence ministry, the Central Committee included these ideas in its platform for the 28th Party Congress. The military leadership reacted by developing its own, more technical concept of reform, which is now competing with the proposal submitted by the officers' group. 8. The demilitarization of Soviet society - i.e. a radical reduction of the military apparatus and military-industrial complex - and the integration of the remaining forces with the aid of democratic, constitutional control bodies thus comprise formative components of a policy aiming to implement democratic reforms. This process can only be pursued in conflict with the majority of the military leadership and bureaucracy. A series of steps have been undertaken and the group surrounding Gorbachev and Shevardnaze is apparently prepared to continue pushing demilitarization forward. The transition to a market economy and the extension of paliamentary rights along with the successful conclusion of disarmament negotiations in Vienna and Geneva are supporting this development.

Neuere Arbeiten aus dem Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien

Sowjetunion 1988/89 Perestrojka in der Krise? Carl Hanser Verlag, München/Wien 1989, 359 S. The Soviet Union 1986/87 Events, Problems, Perspectives. Westview Press, Boulder/London 1989, 373 S. Christopher Davis/Hans-Hermann Höhmann/Hans-Henning Schröder (Hg.) Rüstung - Modernisierung - Reform Die sowjetische Verteidigungswirtschaft in der Perestrojka. Bund Verlag, Köln 1990, 274 S. Hans-Hermann Höhmann/Gertraud Seidenstecher (Hg.) Die Wirtschaft Osteuropas und der VR China 1980-1990. Bilanz und Perspektiven. Verlag Weltarchiv, Hamburg 1988, 648 S. Carsten Herrmann -Pillath China - Kultur und Wirtschaftsordnung. Eine system- und evolutionstheoretische Untersuchung. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart/New York 1989, 420 S. Osteuropa und der internationale Kommunismus: Band 18: Joachim Glaubitz/Dieter Heinzig (Hg.) Die Sowjetunion und Asien in den 80er Jahren. Ziele und Grenzen sowjetischer Politik zwischen Indischem Ozean und Pazifik. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1988, 370 S.