Archäologischer Anzeiger: Heft 3/1966 [Reprint 2020 ed.]
 9783112320181

Table of contents :
Inhalt
Archäologischer Anzeiger
Bericht über die XXIII. und XXIV. Grabungskampagne in Warka. Mit 9 Abbildungen und 1 Plan
Αλασισ Νοτ Ταμασισ Οr Τεμεση In The Odyssey α 184. Mit 3 Abbildungen
Recent Discoveries at Salamis (Cyprus). Mit 71 Abbildungen
Archäologische Grabungen und Funde im Bereich der Superintendenzen von Apulien, Lucanien, Calabrien und Salerno von 1956 bis 1965. Mit 146 Abbildungen
Etruskische Bronzestatuette in Göttingen. Mit 12 Abbildungen
Ein neues Werk des Damophon. Mit 6 Abbildungen
Ein Beitrag zur Ikonographie des Zenon. Mit 11 Abbildungen
Leontinische Φυγαδεσ in Chalkis? Ein Hortfund sizilischer Bronzemünzen des 5. Jahrhunderts v. Chr. aus Euboia. Mit 2 Abbildungen
Salz Zum Würzen?
A Byzantine Inscription Relating To Dyrrhachium. Mit 1 Abbildung

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INHALT Seite

D e s p i n i s G . J., Ein neues Werk des Damophon. Mit 6 Abbildungen

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Franke, P. R., Leontinische Abb. 98 und 99), das andere Mal vorwärts drängend (H 0,12 m, Abb. 100 und 101) mit zum Schlag ausholendem rechten Arm dar. Sowohl die Keule als auch der Gegenstand in der Linken ist bei beiden Stücken abgebrochen. An der bewegten Statuette ist vielleicht eine Hydra zu ergänzen, ähnlich einer Statuette aus Vaglio (Abb. 102). Allen drei Statuetten ist gemeinsam die Barbarisierung der Formen und die Umdeutung der Einzelheiten. Sie sind interessante Beispiele der lukanischen Bronzeplastik des 5.—3-Jhs. N u o v a S i r i S c a l o (Prov. Matera) Bei der Bahnstation von Nuova Siri bezeugen Thermen und Häuser eine römische Siedlung, die von der frühen Kaiserzeit bis in die Spätantike bestand. Aus einem kürzlich aufgedeckten Fossagrab stammt ein römisches Kurzschwert, das auf dem Griff die punktierte Inschrift G R U M E N T I trägt.

A b b . 93. Bronzestatuette eines Lammträgers. Metapont, Antiquarium

P i s t i c c i (Prov. Matera) Im Jahre 1965 wurden bei Bauarbeiten vier Gräber freigelegt, von denen zwei dem 6. und zwei dem späten 5. Jh. angehören. Eines davon enthielt einen Krater und eine Amphora aus der Frühzeit des Pisticcimalers. A b b . 94. K a m m e r g r a b bei Metapont 22*

116

Sestieri—Bertarelli, ArchCl. 10, 1958, 267—272.

324

W E R N E R

H E R M A N N

Abb. 95. Italiotische Hydria. Metapont, Antiquarium

R u o t i di P o t e n z a (Prov. Potenza) In der Gegend 'Fontana Buona 1 wurden bei einer Schürfung Votivterrakotten geborgen, die vom 5. Jh. bis zum 4. J h . v. Chr. reichen 117 . S a n B i a g i o d e l l a V e n e l l a (Prov. Matera) 12 km nordwestlich Metapont wurden bei Landarbeiten antike Reste gefunden, die sich bei einer Grabung (1964—65) als Teile eines antiken Heiligtums offenbarten. Dachterrakotten, vom Ende des 6. Jhs. bis zum Ende des 4. Jhs. datierbar, sind reliefiert und bemalt. Eine dreifach unterteilte Krene wurde freigelegt, ferner ein Oikos. Aus einem Votivdepot aus und neben der Krene stammen Statuetten und Fragmente, die vom 7. bis 3. J h . reichen (Abb. 103) 1 1 8 . Eine Inschrift auf einem Horosstein ergibt die Zuweisung an Zeus Aglaios (Abb. 104). 117

M. Napoli in Metropoli e Colonie 187.

118

Adamesteanu, B d ' A . 49, 1964, 360—361.

G R A B U N G E N U N D F U N D E I N A P U L I E N , L U C A N I E N . . . VON 1956 B I S 1965

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Abb. 96. Goldenes Ohrgehänge. Metapont, Antiquarium

Abb. 97. Bronzeständer aus Monte Torretta. Potenza, Museo Provinciale

S. M a r i a di A n g l o n a (Prov.Matera) Auf einem etwa 10 km westlich HeracleaPolicoro sich erhebenden Hügel, der die Kirche S. Maria di Anglona trägt, wird seit langem die im Text der Tafeln von Heraclea erwähnte Stadt Pandosia vermutet 119 . Dort fand 1965 unter der Leitung von H. Schläger eine Grabung statt, die eine Überprüfung dieser Hypothese zum Ziel hatte. Eine Reihe von Schnitten an verschiedenen Stellen des Stadtgebiets ergab bisher Mauern aus großen Flußkieseln mit eingelegten Dachziegelfragmenten, in der gleichen Technik wie an kürzlich in Heraclea freigelegten Bauten. Die aus meist gestörten Schichten kommende Keramik ist hauptsächlich bronzezeitlich, früheisenzeitlich-geometrisch ('japygisch'), schwarzgefirnißt und mittelalterlich. Am Ostfuße des Stadtberges wurden in einem trockenen Bachbett etwa 180 Terrakottastatuetten eines Votivdepots geborgen. 119

H. Nissen, Ital. Landeskunde I I 916.

Abb. 98 und 99. Herakles-Statuette aus Monte Torretta. Potenza, Museo Provinciale

Abb. 100 und 1 0 1 . Herakles-Statuette aus Monte Torretta. Potenza, Museo Provinciale

GRABUNGEN

UND FUNDE

IN A P U L I E N ,

LUCANIEN

. . . V O N 1956 B I S 1965

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Sie stellen zumeist Artemis Bendis in der auch in Unteritalien und sogar im nahen Heraclea bekannten Gestalt 120 mit phrygischer Mütze, langem Chiton, Hirsch, Bogen und Hund dar (Abb. 105). S e r r a di V a g l i o (Prov. Potenza) 1958 von Ranaldi begonnene Ausgrabungen förderten eine aus gleichmäßigen Blökken errichtete Stadtmauer zutage, innerhalb derselben Gebäudereste, archaische Architektur- und Votivterrakotten, italiotische Münzen und prähistorische Funde. In der Gemarkung Braida, südöstlich der Stadt, fand Ranaldi Architekturterrakotten und einen Gebäuderest, in der Gemarkung Ciscarella, am Südhang der Serra, etwa 100 m unter dem Plateau, prähistorische Keramik

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Unter den von Ranaldi gefundenen Terrakotten fällt ein Gorgonenantefix (H 0,16; Br 0,21 m) auf, bei dem Haare, Augen, Mund A b b - i o 2 - Herakles-Statuette aus Vaglio. und Nase in primitiven geometrisierenden Potenza' Museo Provmcialc Formen gestaltet sind. Das Stück darf als typisches Beispiel lukanischer Auffassungsweise gelten 122 . Eine 1961 unter der Stadtmauer gefundene Sandsteinplatte mit der Inschrift Efil T H Z Ü Y M M E A O Y A P X H Z bezeugt einen für eine so weit im Inland gelegene lukanische Stadt erstaunlichen Grad der Hellenisierung. V e n o s a (Prov. Potenza) 1956 wurde am Ostrande der Stadt südlich des Amphitheaters mit der Freilegung einer römischen Thermenanlage begonnen. Es kamen mehrere um einen quadratischen Saal gruppierte Räume zutage. Die Böden sind mit Schwarz-Weiß-Mosaiken ausgelegt. — Nach mehrjähriger Unterbrechung, die den Mosaiken sehr geschadet hat, wird seit 1964 die Grabung und Restaurierung fortgesetzt. SOPRINTENDENZA A L L E A N T I C H I T À D E L L A C A L A B R I A

Superintendent war bis 1961 A. De Franciscis, seitdem ist es G. Foti. C a l a n n a (Prov. Reggio Calabria) Bei Calanna, etwa 30 km nordöstlich Reggio, wurden 1953/54 an zwei Stellen 'Grotticella'Gräber ausgegraben. Die noch mehr oder weniger intakten Gräber waren in die Flanken 120 121

L o Porto, B d ' A . 46, 1961, 1 3 8 — 1 3 9 A b b . 13. Ranaldi, Ricerche Archeologiche 1 5 — 2 7 ; G. 122

Salinardi, L a Ricerca Archeologica nell'Italia Meridionale 88—90. Terrosi Zanco, P P . 19, 1964, 3 6 5 — 3 7 2 .

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H E R M A N N

Abb. 103. Archaische Weihterrakotten aus S. Biagio. Metapont, Antiquarium

eines künstlichen Grabens gehöhlt und die Öffnungen mit dreieckigen Steinplatten verschlossen. Sie enthielten Hockerbestattungen und früheisenzeitliche, vorgriechische Keramik 1 2 3 . C a p o C o l o n n e — L a c i n i u m P r o m o n t o r i u m (Prov. Catanzaro) Eine i960 vom Centro Sperimentale di Archeologia Sottomarina vorgenommene Untersuchung des Meeresbodens um Capo Colonne ergab, daß dort keine Bauteile, insbesondere Säulen, des Hera-Tempels zu finden sind, wie von einigen vermutet worden war. Fünf Meilen weiter südlich, beim Capo Cimiti, wurden auf dem Meeresboden fünf Säulen aus grünem Granit ausfindig gemacht, die von einem gescheiterten Frachtschiff stammen dürften 124 . Während der Grabungen der letzten Jahre wurde eine früher schon an einigen Stellen sichtbare Befestigungsmauer freigelegt, die wohl dem Schutz des Heiligtums vor räuberischen Überfällen diente. Sie umfaßt ein großes Areal und ist z. T. aus Kalksteinquadern, 123

Procopio, Klearchos 4, 1962, 2 1 — 3 1 .

124

Roghi, Klearchos 3, 1961, 5 5 — 6 1 .

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z. T. aus Opus reticulatum errichtet, einer der wenigen Fälle, daß diese aus Latium und Campanien stammende Mauertechnik in Süditalien eingeführt wurde, (sonst z. B. in Grumentum und Ordona). Durch einen befestigten Torbau an der nördlichen Mauer konnte der wohl einzige Landausgang zum Heiligtum gesperrt werden. Zwischen dem Tor und dem Tempel ist der Weg von Portiken und anderen Zweckbauten gesäumt (Abb. 106—iog) 12B .

Abb. 105. Artemis Bendis aus S. Maria di Anglona. M e t a p o n t , A n t i q u a r i u m

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Abb. 104. Horos-Stein aus dem Zeusheiligtum von S. Biagio. M e t a p o n t , A n t i q u a r i u m

C a s i g n a n a (Prov. Reggio/Cal.) Seit 1964 wird in der Gemarkung »Palazzi« eine römische Villa ausgegraben, deren Böden mit Marmorplatten und bunten Mosaiken ausgestaltet sind 126 . C a s s a n o (Prov. Reggio/Cal.) 1962 wurden drei, 1964 eine vierte Grotte gefunden. Sie enthielten neolithische, bronzezeitliche und eisenzeitliche Keramik 127 . C a s t r o v i l l a r i (Prov. Cosenza) 1958 wurde ein Antiquarium Civico eröffnet. 1963 wurden in der durch moderne Bautätigkeit beschädigten Ruine Grabungen 125 (jg Franciscis, F a Ricerca Arch. nell 'Italia Merid. 183 Taf. 36; ders., FA. 10, 1957 Nr. 1855 u n d 14, 1959 Nr. 1819. 126 127

Foti, Klearchos 6, 1964, 106. S. Tinè, AttiMGrecia, N. S. 5, 1964, 11 ff.

A b b . 106. B l i c k auf den Westteil des Heiligtums der H e r a L a c i n i a von Westen

A b b . 107. Heiligtum der H e r a L a c i n i a von Norden

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Abb. 108. Heiligtum der H e r a Lacinia, Temenos von W e s t e n

Abb. 109. Heiligtum der H e r a Lacinia, Blick d u r c h die T o r ö f f n u n g

durchgeführt, die Grundriß und Anlage einer typischen Villa rustica ergaben. Die Kleinfunde, vor allem Keramik, erweisen eine lange Benutzung des Baues vom 1. J h . v. Chr. bis in tetrarchische Zeit 128 . Caulonia Die Anwendung der Luftphotographie hat im Falle von Caulonia die Existenz des von P. Orsi nur vermuteten rechtwinkligen Straßennetzes in der Unterstadt klar erwiesen 129 . 1961 von B. Chiartano und 1962—63 von G. Foti durchgeführte Probegrabungen im Bezirk des Tempels förderten zum Heiligtum gehörende Gebäudereste des frühen 5. Jhs. v. Chr. südlich des Tempels zutage, wo auch ein Gorgonenantefix gefunden wurde. Vor dem Tempel machte Foti den bemerkenswerten Fund von Fragmenten eines Oberarmpanzers, der wohl als Weihgabe in das Heiligtum gelangt sein dürfte (Abb. 110). 128 F Tinè—Bertocchi, Klearchos 5, 1963,

I35—I52-

129

Chevallier—Schmiedt, RA., i960, 1, 11—14.

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HERMANN

Das inzwischen restaurierte Stück ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Es ist etwa 0,30 m lang und ist aus gehämmertem Bronzeblech hergestellt. Es wurde wohl nur zusammen mit einer Beinschiene benutzt, da es kaum mehr als das Knie schützte. Über der Ausbuchtung für die Kniescheibe ragt seitlich schräg nach vorn schauend ein Gorgoneion drohend empor. Aus der Schrägstellung schließt Foti wohl zurecht auf die Bestimmung für das rechte Knie eines Reiters. Das seltene Denkmal dürfte im 5. J h . entstanden sein 130 . Nördlich des Tempels wurde ein römisches Haus gefunden, darin ein Mosaikfußboden mit Darstellung eines Meeresungeheuers (Abb. i n ) Von verschiedenen Zufallsfunden sind bemerkenswert eine hocharchaische Tonsima aus der Gemarkung »Garretto« (Abb. 1 1 2 ) und fünf archaische Ton-Arulae aus der Gemarkung »Castellone« mit den für Caulonia typischen Reliefs von Ketos, Silen oder dem Löwen, der einen Hirsch oder einen Stier reißt (Abb. 1 1 3 ) 1 3 1 . Ciro — Tempel des Apollon Alaios (Prov. Catanzaro) Die seit Orsis Ausgrabung vom Sand wieder bedeckten Reste des Apollotempels wurden 1963 erneut freigelegt und umfriedet. Abb. 110. Oberarmpanzer aus Caulonia.



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Reggio Cai., Musco Nazionale

C r o t o n e (Prov. Catanzaro)

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1

Der Neubau des Antiquanum Nazionale ^

ist abgeschlossen, so daß demnächst der Umzug des Materials beginnen kann.

D i a m a n t e (Prov. Cosenza) Beim Straßenbau wurden im Jahre i960 nahe der Frazione Cirella 39 Gräber entdeckt, meist gemauerte Kastengräber; sie enthielten römische Terrakottakrüge, Lampen und Münzen des 2. Jhs. n. Chr. Die Nekropole gehört zum antiken Cerillae oder Cerilli. Im Jahre 1964 wurde ein römisches Mausoleum nahe dem Bahnhof von Cirella restauriert 132 . 130

G. Foti, Klearchos 3, 1961, 136; 6, 1964, 111 Abb. 4; de Franciscis, FA. 15, i960, Nr. 2455.

131

132

de Franciscis, NSc. 1957, 184—190; FA. 10, 1955 Nr. 1831; 12, 1957 Nr. 2001. Ders., NSc. i960, 421—426.

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Abb. i n . Bodenmosaik in einem römischen Hause in Caulonia

F r a n c a v i l l a M a r i t t i m a (Prov. Cosenza) Bei Francavilla im Hügelgebiet am Westrande der Ebene von Sybaris begannen im Jahre 1963 P. Zancani-Montuoro und Piet Stoop mit Grabungen an zwei Stellen. 1. Auf dem »Timpone della Motta« ließen Fragmente archaischer Dachziegel und Verkleidungsplatten auf die Existenz von Sakralbauten schließen. Die Grabungen ergaben zwei hintereinander liegende, ungefähr orientierte, rechteckige Gebäudereste aus großen, runden Feldsteinen, die wahrscheinlich als Tempel zu deuten sind. In dem einen vor 500 v. Chr. errichteten Bau fand man ein Bronzetäfelchen aus der 1. Hälfte des 6. Jhs. mit der Inschrift der Zehntenweihung eines Olympioniken an Athena 133 . In einem Brothros nahe diesen Bauten wurden Tausende von einheimischen 'ionisierenden 1 Hydrien und einige Kernoi sowie die Athena darstellende Terrakotten gefunden. Protokorinthische und korinthische Keramik sowie Kleinbronzen verschiedener Art bezeugen die Besiedlung des »Timpone« im 7. und 6. Jh. v. Chr. 134 . All diese Funde lassen auf die Akropolis und das Stadtgebiet einer griechischen oder zumindest stark hellenisierten Stadt schließen. Die hypothetische Identifizierung mit Lagaria hat bisher keine entscheidende Bestätigung erhalten. 2. In der Gegend »Macchiabate«, wo schon seit Jahren Gelegenheitsfunde gemacht wurden, deckte Zancani-Montuoro nach und nach eine einheimische Nekropole auf. Die älteren Gräber gehören der frühen Eisenzeit, hauptsächlich dem 8. Jh., an. Den unter Stein133

Foti—Zancani Montuoro—Stoop—Pugliesc, Carratelli, AttiMGrecia 6, 1965, 3 — 1 7 .

131

G. Foti in Metropoli c Colonie 1 7 7 — 1 8 1 .

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HERMANN

Abb. 112. Simenfragmente aus Caulonia. Reggio Cai., Museo Nazionale

Abb. 113. Tonarula aus Caulonia. Reggio Cai., Museo Nazionale

tumuli Bestatteten waren undekorierte, bikonische Töpfe und Näpfe beigegeben. In den Gräbern des 7. und 6. Jhs. erscheinen erst sporadisch, dann allgemein neben den einheimischen, griechische keramische Erzeugnisse, vor allem jonische Kylikes und korinthische Vasen. G r i s o l i a — S.Maria (Prov. Cosenza) 1959 gefundene Ziegelgräber enthielten mittelmäßige, meist schwarzgefirnißte Keramik des 3. Jhs. v. Chr. 135 . Im September 1955 wurden bei Landarbeiten in der Località 135 c j e Franciscis, NSc. i960, 419—420.

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Abb. 1 1 4 . Locri, Heiligtum Marasä. Altäre von Süden

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Abb. 1 1 5 . Locri, Heiligtum Marasä. Hauptaltar von Südwesten

Marcellina drei Gräber geöffnet und ausgeraubt, die dem 4. J h . v. Chr. angehören dürften. Aus einem dieser Gräber kam ein goldener Fingerring in das Museo Nazionale von Reggio Calabria. Auf der runden Siegelfläche ist dargestellt eine stehende Frau, wahrscheinlich Aphrodite, die auf einer Waage zwei Eroten wiegt. De Franciscis hält den Ring für tarentinisch, aus dem späten 4. Jh 1 3 f i . G r o t t e r i a (Prov. Reggio/Cal.) Über ein Dutzend 1962 bei S. Stefano di Grotteria entdeckte 'Grotticella'-Gräber mit Bestattungen weisen außer der spätbronzezeitlichen Impasto-Keramik auch italo-geometrische Ware und protokorinthische Aryballoi auf. Auch finden sich mehr Eisengeräte als etwa in der weiter östlich nahe der Küste gelegenen Nekropole von S. Onofrio di Roccella Jonica (s. d.). Die Nekropole reicht bis ins 6. Jh. v. Chr. hinab 137 . L o c r i (Prov. Reggio/Cal.) Im Jahre 1954 begann de Franciscis mit einer neuen Grabung am Tempel Marasä, der schon von Orsi partiell freigelegt, inzwischen wieder überwachsen war 138 . Vor der Ostseite des Tempels kam der längliche, aus Quadern errichtete Hauptaltar zutage, südlich davon ein kleiner archaischer Erdaltar, dahinter ein Depot von Schafsschädeln, die auf einer Ziegelschicht aufgereiht lagen (Abb. 1 1 4 und 115). Die Entdeckung dieser wohl von Opfertieren stammenden Schädel ist wegen der Seltenheit solcher Beobachtungen wichtig. Nördlich des Tempels wurden Dachterrakotten der 1. Hälfte des 6. Jhs. gefunden, die wohl zum älteren Tempel gehören, dessen Fundamente in der Cella des großen Tempels stecken 139 . 136 137

Ders., Klearchos 1, 1959, 76—84. Foti, Klearchos 4, 1962, 36.

138 ¿[e Franciscis, F A . 9, 1954 Nr. 2048. 139

Ders. a. O. 10, 1955 Nr. 1926; 1 1 , 1956 Nr2048.

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Abb. 1 1 6 . Linker Dioskur der Giebelgruppe von Locri nach Aufsetzung des Kopfes. Reggio Cai., Museo Nazionale

Dem neuen Superintendenten für Calabrien, G. Foti, gelang 1964 die Durchsetzung eines berechtigten Wunsches, die Überführung der 1889—90 vor der Westseite des Tempels Marasà gefundenen Dioskuren-Tritonen-Gruppen nach Reggio, wo seitdem die Reinigung und Neuzusammensetzung im Gange ist 140 . Besonders erfreulich ist Fotis Entdeckung, daß der von de Franciscis im Jahre 1955 auf der Südseite des Tempels gefundene K o p f 1 4 1 der des linken Dioskuren ist, auf dessen Hals er Bruch auf Bruch aufsitzt (Abb. 116). de Franciscis hatte vorher alle alten und neuen Fragmente untersucht und sich für die schon von S. Ferri vorgeschlagene Deutung als Mittelakrotergruppe des Westgiebels entschieden 142 . Dabei benutzte er ebenfalls als Mittelfigur zwischen den Dioskuren den im 19. J h . nördlich des Tempels gefundenen weiblichen Torso 1 4 3 . Die aus parischem Marmor gearbeiteten Skulpturen weist er einer unter dem Einfluß der Parthenonskulpturen wirkenden lokalen Werkstatt zu. Der Fund eines Pferdekopfes (1955) südlich und anderer kleiner Fragmente östlich des Tempels führte ihn zur Annahme einer der Westseite entsprechenden Akrotergruppe über dem Ostgiebel 144 . Damit ist allerdings das Problem noch nicht endgültig gelöst, denn erstens ist die Zugehörigkeit der 'Nereide' durch nichts erwiesen, zweitens ist eine so ausgedehnte 140 141

Foti, Klearchos 6, 1964, 21—26. de Franciscis, RM. 67, i960, 1 1 Taf. 6; ders. F A . 10, 1955 Nr. 1926.

142 143 144

Dcrs., RM. 67, i960, i—28. 'Torso Scaglione', ebenda 4 Taf. 2—3. Ebenda 9 ff.

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Firstakrotergruppe (etwa 4 m Länge) bisher ohne Beispiel und ästhetisch unbefriedigend. Die Tatsache, daß die Rückseite der Skulpturen voll ausgearbeitet ist, spricht bekanntlich nicht unbedingt gegen eine Aufstellung im Giebel. Im Nordosten des Heiligtums von Marasä wurde 1964 ein Votivdepot gefunden, unter dessen Terrakotten sich eine bärtige, blitzschwingende Gestalt wiederholt, die sehr wahrscheinlich Zeus darstellt und vielleicht den Besitzer des Heiligtums Marasä anzeigt 145 . Nächst dem Heiligtum Marasä war die Stadtmauer von Locri Gegenstand von Grabungen und Restaurierungen. Der Mauerverlauf dicht neben dem Heiligtum (Nordostmauer) wurde geklärt. Dabei fand Foti ein Stadttor neben einem runden Turm (»Torre Parapezza«), der eigenartigerweise mit Hilfe einer kurzen Verbindungsmauer um einige Meter vor die Flucht der Stadtmauer geschoben ist 146 . Im Westtrakt der Stadtmauer entdeckte Foti ein weiteres Stadttor mit Resten eines Turmes. Der im Nordwesten der Stadt in der Gemarkung

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Abb. 1 1 7 . Silensmaske (Stirnziegel) aus dem Theater von Locri. Reggio Cai., Museo Nazionale

Marzano gelegene Stadtmauerturm wurde restauriert und zum Schutz gegen die Witterung mit einem gewölbten Zementdach überbaut (Abb. 118) 1 4 7 . Das am Fuße der Hügelkette im Norden der Stadt gelegene Theater wurde völlig ausgegraben. Leider erwies es sich als sehr zerstört (Abb. 119). Bemerkenswert sind einige in der Nähe der Skene gefundene Dachterrakotten des 4.—3.Jhs., vor allem Silensmasken (Abb. 117). Ferner wurde eine stark beschädigte Bronzepatera mit griechischer Inschrift gefunden 148 . In der schon lange bekannten Lucifero-Nekropole nördlich der Stadt wurden etwa 40 Gräber verschiedener Art gefunden. Sie enthielten Keramik von der 1. Hälfte des 5. Jhs. bis zum 3. Jh. v. Chr., darunter auch Tonarulae 149 . Eines der drei nahe der Bahnstation aufgedeckten Gräber enthielt zwei schwarzgefirnißte Terrakotta-Pateren 150 . Die im Jahre 1950 von der Scuola Nazionale di Archeologia in der Gemarkung »Cento Camere« begonnenen Grabungen wurden 1956 abgeschlossen 151 . Parallel zur schon bekannten Seemauer im Südosten der Stadt wurde eine zweite Mauer entdeckt, die wahrscheinlich einen Teil der ältesten Stadtmauer von Locri darstellt. Hinter ihr wurden Häuser freigelegt

145 146 147 148

Foti, Klearchos 6, 1964, 106—107 Abb. 2. Foti, Klearchos 6, 1964, 91 Abb. 9. de Franciscis, F A . 14, 1959 Nr. 249. de Franciscis, F A . 13, 1958 Nr. 2327; Foti, Klearchos 3, 1961, 136.

2} AA. 1966

149 150 151

de Franciscis, F A . 1 1 , 1956 Nr. 2049. F A . 1 1 , 1956 Nr. 2753. AA. 1956, 3 1 7 — 3 1 8 ; Lissi, AttiCIAC. 2, 1961, 109—115.

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A b b . i i 8 . T u r m der S t a d t m a u e r v a n Locri mit Schutzdach

A b b . 1 1 9 . R e s t e des T h e a t e r s von Locri

GRABUNGEN

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die vom 6. bis 3. Jh. zu datieren sind, sowie fünf Töpferöfen, die auf die Existenz eines Töpferviertels schließen lassen. Weiter nordöstlich beschreibt die Stadtmauer einen Knick, um einen Platz aus der Ummauerung auszuschließen, der an drei Seiten von Portiken umgeben ist. Auf dem Platze wurde außer einem Töpferofen reiches archaisches bis spätklassisches Terrakotta-Material geborgen, das die Ausgräber als Inhalt von 3 7 i B o t h r o i gedeutet haben. Trifft die Deutung zu, was wahrscheinlich ist, so hat man es dort mit einem heiligen Bezirk zu tun. Ende 1958 fand ein Bauer im oberen Teil von Locri (Gemarkung Cappella dellTdria) dicht unter der Erde einen mächtigen steinernen Behälter von zylindrischer Gestalt (Abb. 120), der von einem mit vier eisernen Hebeösen versehenen schweren Deckel bedeckt war (H mit Deckel 1,10; Dm 1,45 m). Er enthielt zahlreiche Bronzetäfelchen mit griechischen Texten, von denen 37 Stück geborgen werden konnten (Abb. 121) 152 . Die in lokalem, stark dorisch bestimmtem Dialekt abgefaßten Inschriften bezeugen finanzielle Transaktionen zwischen dem Demos von Lokroi und dem Tempelschatz des Zeus 153 . Die mehrmals erwähnte TTupyoTroiia, für welche aus dem Tempelschatz Geld entliehen wurde, mag mit einer Erneuerung der Stadtmauern im frühen 3. Jh. v. Chr. zusammenhängen. Bei der Torre Parapezza unterscheidet sich in der Tat ein älterer Teil aus grauem Kalkstein von der späteren Sandsteinmauer 154 . Die Erwähnungen von lokrischen Beamten sind aufschlußreich für die politische Ordnung der Stadt im frühen Hellenismus. Auf Täfelchen 8 ist nach der Interpretation von de Franciscis ein Kabirenpriester erwähnt 155 , wodurch auf den mit Kabirenmalereien verzierten, 1913 in der Lucifero-Nekropole von Locri gefundenen Schweineaskos, der neuerdings von N. Bonacasa behandelt wurde, neues Licht fällt 156 . P. Zancani hat durch akkurate Beobachtung des Geländes und Überlegungen zu den Fundumständen der 'locrischen Reliefs' plausibel machen können, daß das PersephoneHeiligtum von Locri, dessen in der Tat unwahrscheinlich geringe Reste Orsi in der Schlucht zwischen den Hügeln Mannella und Abbadessa gefunden zu haben glaubte, hauptsächlich auf dem Hügel Mannella lag, von wo die Pinakes durch einen Erdrutsch in die Schlucht geraten sein können 157 . Der Bau eines Antiquarium zwischen dem Tempel Marasä und der Strada Jonica ist im Gange. Es soll den Inhalt des alten Antiquarium in Neu-Locri sowie Neufunde beherbergen. Eine zusammenfassende Übersicht des jetzigen Wissensstandes gibt P. Zancani-Montuoro 158 ; de Franciscis gab einen kurzen Führer heraus 159 , Luftaufnahme und Plan findet man konfrontiert bei G. Schmiedt 160 . M e t a u r o s — Gioia Tauro (Prov. Reggio) E t w a einen halben Kilometer westlich Gioia Tauro hat de Franciscis in zwei Kampagnen (1956 und 1959) eine Nekropole erforscht, die zur wahrscheinlich rheginischen Pflanzstadt Metauros gehörte 161 . Die älteren Gräber, um die Mitte des 7. Jhs. beginnend, sind Brandgräber mit Hydrien (dabei kykladische) und Amphoren als Aschenbehälter und

152 153 154 155

156 157

de Franciscis, F A . 16, 1961 Nr. 2600. Ders., Klearchos 3, 1961, 1 7 — 4 1 . Ders., Klearchos 4, 1962, 66—83. Ders., Klearchos 6, 1964, 73—95, Kabirenpriester 78 ff. ArchCl. 10, 1958, 50—54. RendLinc. 14, 1959, 225—232.

158 159 160

161

E A A . I V s. v. Locri Epizefiri. Locri A n t i c a (1957). Contributo della Foto-Interpretazione alla Ricostruzione della Situazione GeograficoTopografica degli Insediamenti Antichi scomparsi in Italia (1964) 26f. de Franciscis, AttiMGrecia N. S. 3, i960, 2 1 — 6 7 .

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A b b . 120. Steinerner Behälter in Locri

A b b . 121. Bronzetäfeichen aus Locri

starken Brandspuren. Bemerkenswert ist ein chalkidischer Skyphos der Mitte des 6. Jhs. mit der Darstellung der Polyphemblendung 162 . Ebenfalls der archaischen Zeit gehören einfache, mit Dachziegeln abgedeckte Bestattungsgräber an. Auf einen langen Hiatus folgen verschiedenartige Gräber der Kaiserzeit, hauptsächlich der antoninischen Zeit, wie die beigegebenen Münzen bezeugen. 162

a. O. 3 6 — 3 8 c und d.

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Etwa einen halben Kilometer weiter südwestlich fand man einen nicht näher bestimmbaren Wohnbau der Kaiserzeit, der vielleicht bereits zur Stadt Metauros gehörte, die de Franciscis mit guten Gründen auf dem rechten Ufer nahe der Mündung des Flusses Pe trace vermutet. P i e t r a p a o l a (Prov. Cosenza) Im Innern der Siedlung, die von einer aus grob behauenen Polygonalsteinen errichteten Stadtmauer umgeben ist (Gemarkung 'Le Muraglie') wurden Reste von Wohnstätten, wohl Hütten, gefunden. Ein Novum sind die dort entdeckten dreieckigen Ziegel, deren Verwendung noch unklar ist. Aufgrund der Kleinfunde aus den Behausungen und aus einigen Gräbern wird die Siedlung ins 4. J h . und später datiert 163 . R e g g i o di C a l a b r i a 1956/57 kam bei Bauarbeiten in Via Vollaro ein Stück der Nordmauer der Stadt ans Licht. Erhalten sind drei Lagen Sandsteinblöcke, fast alle als Binder verlegt, an der Außenseite jede Lage gegenüber der darunter befindlichen etwas zurücktretend, so daß ein Stufenglacis entsteht, etwa wie an der Stadtmauer von Selinunt. Einige Blöcke sind mit den Steinmetzzeichen A und E versehen. Die innere Schale der Mauer fehlt; die Füllung zwischen beiden besteht aus großen Flußkieseln. Die Bauweise der Mauer stimmt mit der an der Seeseite (Via Marina) überein. Ein dort gefundener Ziegelstempel »TEIXEQN« läßt vielleicht darauf schließen, daß der Oberteil der Mauern aus Ziegelwerk errichtet war. Die Datierung bleibt ungewiß. De Franciscis neigt aus historischen Erwägungen zur Datierung 360—340 v. Chr. 164 . Ein i960 im Corso Garibaldi aufgedecktes kurzes Stück einer griechischen Mauer steht vielleicht in Zusammenhang mit dem Odeon oder Theater, welches Orsi 1921 fand. Im gleichen Jahre wurden an verschiedenen Stellen in der Nähe des Museo Nazionale außerhalb der nördlichen Stadtmauer Gräber der Nord-Nekropole gefunden. Die meisten Gräber sind in verschiedener Weise aus Ziegeln erbaut. Besonders bemerkenswert sind zwei neue Exemplare eines in Reggio schon bekannten Typs von Gräbern, der ganz aus dicken, vermörtelten Ziegeln besteht und von einem Tonnengewölbe aus keilförmigen Ziegeln eingedeckt ist. Unter den nicht sehr reichen Grabbeigaben fanden sich kleine TerrakottaKapitelle (als Turibula benutzt?) sowie kleine Scheiben aus Goldfolie im Munde des Verstorbenen als Ersatz des Charon-Obolos. Die Gräber sind ins 3. J h . v. Chr. datierbar. Auffällig ist ein tönerner Sarkophag in Form eines beschuhten Fußes (Krepis oder Kothurn), der, nach den Knöchelchen im Innern und seiner Länge (1,21 m) zu urteilen, einem Kinde gehörte (Abb. 122). De Franciscis datiert ihn ans Ende des 4. oder den Anfang des 3. Jhs. und sieht in der Form eine Ableitung von anthropoiden oder Wannensarkophagen oder eine Anspielung auf das Schuhmachergewerbe oder das Theater 165 . Im Stadtgebiet von Reggio wurden zwei Zisternen gefunden, von denen eine verschiedene Terrakotten enthielt 166 . Im Gebiet des schon lange bekannten heiligen Bezirks Griso-Laboccetta zwischen Via Torrione und Aschenez kamen die Fundamente eines Tempelchens zutage. Ringsherum 163 procopio, F A . 12, 1957 Nr. 2883; I Cantieri di 164

Lavoro al Servizio dell'Archeologia 163. de Franciscis, NSc. 1957, 3 7 1 — 3 8 1 ; NSc. i960,

415—416. 165 166

Ders., NSc. 1957, 381—396. Ders., NSc. 1957, 396—399.

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Abb. 122. Sarkophag in Form eines Schuhes. Reggio Cai., Museo Nazionale

kam Votivmaterial des 6. Jhs., Miniaturgefäße, weibliche Masken, sitzende Gottheiten und Gorgonen-Antefixe zum Vorschein 167 . Das im Jahre 1955 eröffnete Museo Nazionale di Reggio Calabria 168 wird seit 1963 einer Neuordnung unterzogen, nachdem es dem jetzigen Superintendenten Foti gelang, neue Räume für das Museum zu gewinnen. Dadurch wird die Ausstellung von Antiken möglich werden, die bisher im Dunkel der Magazine schlummerten. R o c c e l l a I o n i c a (Prov. Reggio/Cal.) B. Chiartano grub 1961 in der Gegend S. Onofrio auf einem etwa 500—600 m vom Meere entfernten Hügel 34 Gräber der frühen Eisenzeit aus 169 . 32 Fossagräber mit Bestattungen und 2 Brandgräber enthielten Impasto-Keramik verschiedener Formen, Fibeln und Waffen, die in die späte Bronzezeit und frühe Eisenzeit vor der Ankunft der Griechen zu datieren sind (8. Jh.) R o s a r n o (Prov. Reggio/Cal.) 1964 wurden in der Gemarkung Calderazzo, dem Herkunftsort der Terrakotten von »Medma« Untersuchungen zum Zwecke der Klärung der bisher unbekannten Zusammenhänge, aus denen die Terrakotten stammen, sowie der genauen Lage der Stadt Medma 167 168

Ders., F A . 14, 1959 Nr. 1986. Ders., II Museo Nazionale di Reggio Calabria 1

169

(1959) ; 2 (1961). Foti, Klearchos 3, 1961, 136; 4, 1962, 33—34.

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durchgeführt. Die bisherigen Ergebnisse, eine frühkaiserzeitliche Villa rustica über Resten einer Villa der frühhellenistischen Zeit, an anderer Stelle ein Depot archaischer Zeit u. a., haben allerdings die gewünschten Auskünfte noch nicht gegeben 170 . S e l l i a M a r i n a (Prov. Catanzaro) Diverse Kleinfunde, besonders Terrakotten, darunter ein Goigonen-Antefix, kamen in der Gegend Uria, unterhalb der Strada Nazionale Ionica (km 197) zutage. Wahrscheinlich handelt es sich um die Reste einer kaiserzeitlichen Villa rustica. S y b a r i s (Prov. Cosenza) Das Problem der Lage von Sybaris beschäftigt die Archäologie und allgemein die Altertumskunde seit den Grabungen Cavallaris im Jahre 1879 1 7 1 . Die Auffindung der achäischen Kolonie und ihrer Nachfolger, der panhellenischen Kolonie Thourioi und der römischen Copia Thurii ist allmächlich zu einer aktuellen Aufgabe der Archäologie geworden, da die einstige Bedeutung der Stadt immer klarer erkannt oder doch erahnt wird. Auch die schnelle Wiederbelebung des Gebiets im Zuge der staatlichen Förderung Süditaliens mit all ihren Folgen drängt zu einer endgültigen und sicheren Lokalisierung von Sybaris, Thourioi und Copia. Nachdem im Jahre 1932 Zanotti-Bianco im unteren Lauf des Crati etwa 3—4 km westlich der Mündung auf dem linken Ufer in der Gemarkung »Parco del Cavallo« eine römische halbkreisförmige Portikus und außer anderen Kleinfunden, die vom 6. J h . bis in die Kaiserzeit reichen, ein spätarchaisches Relieffragment mit einem Kopf entdeckt hatte 172 , ist die Forschung bis in die fünfziger Jahre nicht weiter vorangekommen. De Franciscis' topographische Erwägungen 173 aufgrund von Beobachtungen im Gelände und älterer Funde, besonders von archaischen Dachterrakotten mit der Fundangabe S. Mauro im Museum von Cosenza, haben in der Frage der Lokalisierung der Stadt nicht weitergeführt. Er erwägt die Lage auf den Anhöhen südlich der Crati-Ebene. Mit der Einführung geologischer und mineralogischer Forschungsgeräte eröffneten sich der Erforschung von Sybaris neue Möglichkeiten. Als erster begann D. F. Brown 1950 mit Bohrungen im Gebiet Casa Bianca auf dem linken Ufer des Crati etwa 1 km nordöstlich der Grabungsstelle Parco del Cavallo 174 . Der Rohrinhalt bestand aus arretinischer, hellenistischer, attischer und zuunterst aus jonischer Keramik des 6. Jhs. 1952 und 1953 setzte Brown seine Bohrungen fort, diesmal beiderseits des Crati nahe dem Ponte Bruscate. Der Bohrzylinder förderte auch hier den gleichen Inhalt wie im Gebiet Casa Bianca zutage. Außerdem wurde klar, daß die griechische Schicht sich unter dem heutigen Meeresspiegel befindet 175 . i960 begann die Fondazione Lerici des Politecnico di Milano ihre Forschungen in der gesamten Mündungsebene des Crati. Mit Hilfe eines Magnetometers, der magnetische Anomalien im Erdreich aufzeigt, konnte im Gebiet Casa Bianca eine ungefähr ostwestlich verlaufende Mauer auf eine Strecke von 150 m festgestellt werden. In weiteren Kampagnen, an denen 1961 und 1962 das Applied Science Center des University Museum of Pennsyl1,0 171

172

Ders., Klearchos 6, 1964, 106. Sartori, WaG. 2 1 , 1961, i g s f i . ; de Santis, Sibaritide a Ritroso nel Tempo (i960) ; A. Miglio, L a Polis Sybaris (i960). Zanotti-Bianco, AttiMGrecia N. S. 3, i960,

173 174

175

7 - 2 0 mit Plan; Zancani Montuoro, AttiMGrecia 4, 1961, 7—63. RendAccNapoli 36, 1961, 63—84. s. Karte in AttiMGrecia N. S. 3, i960 gegenüber 5. 2 1 . Brown, Expedition 5, 2, 1963, 40—47.

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vania teilnahm, wurde diese Mauer über eine Strecke von iioo m verfolgt, wobei auch neue Geräte (z. B. Ultraschallsonden) ausprobiert wurden. Sodann wurde das ganze indizierte Gebiet (Gemarkung Lattughella, Parco del Cavallo, Casa Bianca und südlich des Crati Gemarkung Ministalla) mit einem dichten Netz von über 400 Bohrungen überzogen. Diese bestätigten die magnetischen Indikationen und förderten an den positiven Stellen die bekannte Keramikabfolge zutage; dazu kam nun auch in der untersten Schicht korinthische Keramik. Mit Hilfe von Baggern und Wasserpumpen, die das zwischen 1 m und 1,50 m unter der Erdoberfläche erscheinende Grundwasser absaugten, wurden dann an vier Stellen (drei im Gebiet Casa Bianca, eine im Parco del Cavallo) schnelle Tiefengrabungen durchgeführt. Dabei wurde an zwei Stellen die erwähnte Mauer freigelegt. Etwa 5,50 m unter der Erdoberfläche liegt auf einer Erdschicht, in der jonische Keramikfragmente gefunden wurden, die Sohle einer vier Schichten hohen Quadermauer. Auf dieser sitzt eine über 3 m hohe Mauer aus Opus incertum. An der Grabungsstelle im Parco del Cavallo stieß man auf eine römische Mauer aus Opus caementicium und Opus reticulatum 176 . Die Ausgräber datieren den Oberteil der langen Mauer in die römische (Copia), den Sockel aus Opus quadratum in die klassische (Thourioi), die Schicht mit jonischer Keramik in die archaische Zeit, die von Sybaris. Damit ist allerdings Sybaris noch nicht gefunden, denn die Streuung der archaischen Keramik ist natürlich in der Ebene in weitem Umkreis um die zerstörte Stadt anzunehmen. Erst wenn zusammenhängende, eindeutig archaische Baureste sichtbar werden, ist die Auffindung der Stadt Sybaris gelungen. Dasselbe gilt für Thourioi. Eine weitere Annahme der Ausgräber bleibt vorläufig hypothetisch: Der Quaderteil der langen Mauer ist nicht sicher mit Thourioi in Zusammenhang zu bringen. Er kann schließlich auch nur Sockel der Mauer in Opus incertum gewesen sein. Diese scheint allerdings römisch zu sein und mag im Gebiet von Copia liegen, wofür auch der Aquädukt in der Gemarkung Ministalla spräche. Doch sicher ist selbst das nicht, ebensowenig wie die Zweckbestimmung der Mauer. Eine Klärung können weitere »Blitzgrabungen« bringen, die allerdings wegen des hohen Grundwasserspiegels schwierig und kostspielig sind. Die hypothetische Lokalisierung von Sybaris einige Kilometer weiter westlich mit dem flachen Hügel der Serra Pollinara als Akropolis und von Thourioi gegenüber auf dem rechten Ufer des Crati 177 ist bereits durch das negative Ergebnis von Untersuchungen mit den genannten Geräten als hinfällig erwiesen worden. V e r b i c a r o (Prov. Cosenza) 1963 durchgeführte Versuchsgrabungen in der Gegend des Bahnhofs von Verbicaro förderten weitere Baureste der schon von E. Galli identifizierten römischen Stadt Lavinium zutage. Außerdem stieß man auf lukanische Gräber, außer drei fundarmen Kastengräbern ein Kammergrab mit lukanischer Keramik und einer vollen Bronzerüstung 178 . 1964 wurden weitere Steinkistengräber des 4.—3. Jhs. und ein weiteres Kammergrab gefunden. Dieses enthielt tarentinische ajourierte Terrakotta-Reliefs von der Verzierung des Sarkophags 179 und eine zusammengerollte Bleiplatte mit noch unentzifferter Inschrift 180 . 176

Ders., a. O.; Lerici, Expedition 4, 3, 1962, 4—6; Cavagnaro, Archeologia (Rom), 3, 1965, 1 7 8 — 1 8 2 ; eine monographische Veröffentlichung der zusammen mit dem University Museum von Pennsylvania durchgeführten Grabung von Seiten der Fondazione Lerici ist in Vorbereitung.

177

178 179

180

E . Aletti, Sibari, Turio, Copia, (i960, Suppl. 1962). Foti, Klearchos 5, 1963, 1 5 6 — 1 5 7 . Sie sind dem Katalog von R . Lullies, Vergoldete Terrakotta-Appliken aus Tarent, RM. Erg.-H. 7, 19 hinzuzufügen: Reggio Cal., Mus. Naz. Foti, Klearchos 6, 1944, 107 und Abb. 3.

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SOPRINTENDENZA ALLE ANTICHITÀ DI SALERNO, BENEVENTO ED AVELLINO

Superintendent war bis i960 C. P. Sestieri, seitdem ist es M. Napoli. Im Jahre 1964 erfolgte im Zusammenhang mit der Schaffung der neuen Superintendenz der Basilicata eine Neufestsetzung der Grenzen. Die Provinz Potenza wurde an die neuzubildende Superintendenz der Basilicata abgetreten, dafür kamen die Provinzen Benevent und Avellino, die vorher zur Superintendenz Campanien (Neapel) gehört hatten zu Salerno. Diese beiden Provinzen bleiben in diesem Fundbericht unberücksichtigt, da sie außerhalb der traditionellen Grenzen des Fundberichts für Süditalien liegen. C a p a c c i o (Prov. Salerno) 200 m vom Santuario della Madonna del Melograno wurde kürzlich eine Grotte entdeckt, in der außer subappennischer ein Fragment lukanischer Keramik mit Zeltmusterdekoration und schwarzgefirnißter Keramik gefunden wurde. C a p o d i f i u m e bei Paestum (Prov. Salerno) Im Jahre 1954 erfolgte der Zufallsfund von vier Tumulus- und zwei Fossagräbern in der Nähe der Quelle des Flüßchens Salso, 6 km nordöstlich Paestum mit relativ ärmlicher villanovianischer Keramik des 7. Jhs 181 . F o c e d e l S e l e (Prov. Salerno) E t w a 80 m östlich des Tempels wurde 1958 ein quadratischer Bau von etwa 12 m Seitenlänge mit Eingang und Prothyron an der Südseite aufgedeckt, dessen Fundamente in einer Grube von etwa 14 x 1 6 m Länge verlegt sind, in der zugleich Votivgegenstände vom 2. Viertel des 6. Jhs. bis zum 3. Viertel des 5. Jhs. deponiert wurden. Daraus und aus der Wiederverwendung älteren Baumaterials ergibt sich die Datierung des Baues in die Zeit nach der lukanischen Eroberung. Nach der offenbar bald erfolgten Zerstörung wurde der Bau nicht wiederhergestellt, sondern diente zur Deponierung von Votivmaterial, das sich zeitlich über ein Jahrhundert bis zur Gründung der römischen Kolonie (im Jahre 273) erstreckt. So muß der Bau am Beginn des 4. Jhs. v. Chr. errichtet worden sein. Nach dem Gesagten ist klar, daß es sich um einen Sakralbau handelt, die Ausgräberin denkt auch an einen Tempel lukanischer Fassung 182 . In der Fundamentierung wurden drei weitere Metopen mit Triglyphen gefunden, die von der Ausgräberin dem sogenannten c i . Thesauros 1 zugeschrieben wurden. Auf ihnen sind dargestellt Sisyphos in der Unterwelt, bemerkenswert wegen des geflügelten Unterweltdämons, welcher Sisyphos peinigt, der Selbstmord des Aiax und die Tötung des Alkyoneus durch Herakles. Damit erhöht sich die Zahl der Metopen auf 38 und eine Erweiterung des hypothetischen Grundrisses des kleinen Tempels f i . Thesauros') dort, wo sie möglich ist, nämlich an der Ostseite, wird unvermeidlich. Nach einer neuen Untersuchung der betreffenden Blöcke des Heratempels kommt M. W . Stoop 183 zu einer neuen hypothetischen Ergänzung des Aufgangs nicht wie bisher als Rampe, sondern als langgestreckte Treppe mit Parapettflankierung. Im Jahre 1957 fand Zancani-Montuoro bei der behutsam weitergeführten Erforschung des Heiligtums südöstlich des Hera-Tempels Bruchstücke von sechs weiteren Metopen, von 181 182

Sestieri, StEtr. 28, i960, 73—91. Zancani Montuoro, AttMGrecia N. S. 5, 1964,

183

57—95. AttMGrecia 5, 1964, 97—108.

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denen allerdings nur zwei Exemplare einigermaßen vollständig restauriert werden konnten. Sie gehören zur Gruppe der bereits bekannten sechs Metopen, die dem großen Tempel ('Hera-Temper) zugewiesen wurden. Wie auf jenen sind wiederum fliehende weibliche Gestalten, von Zancani hypothetisch als Nereiden benannt, dargestellt 184 . Auf einer 1956 gefundenen Metope, die weder zum großen noch zum kleinen Tempel gehören kann, ist ein Kampf dargestellt 185 . Etwa 530 m ostsüdöstlich der Fassade des großen Tempels fand Zancani weitere antike Baureste ('Zona C'), die sie für unmittelbar zum Heiligtum gehörend ansieht, womit dieses allerdings eine bisher einmalige Ausdehnung erhalten würde. F r a t t e di S a l e r n o (Salerno) Am Ostabhang der Akropolis legte V. Panebianco eine frühhellenistische Nekropole frei, die aus gebauten Kasten- und Kammergräbern mit Stucküberzug und Giebeldach besteht. Unter den Beigaben sind bronzene Panzergürtel und rf. Keramik mit apulischen Anklängen bemerkenswert 186 . Die nach dem bedeutenden Fund von 1947 im Jahre 1955 begonnenen Grabungen auf der antiken Akropolis förderten einen rechteckigen Bau, eine Straße, Fundamente eines Tempels, eine Zisterne von langem schmalem Grundriß mit zwei seitlichen Schöpf stellen, eine Reihe nebeneinander liegender Räume u. a. zutage 187 . M o n t e

( P r 0 V ' Salerno) Auf einem der Berge im Massiv der Monti Alburni, dem Monte Pruno, fand de la Genière bei einer Feldbegehung Fragmente von Dachziegeln und Verkleidungen sowie von Keramik, die auf eine Siedlung am Hang des Berges im 6. und 5. Jh. schließen lassen. Diese Siedlung dürfte die Existenz eines direkten, Abb. 123. Athena-Statue aus Nocera Superiore. Salerno, Museo Provinciale

184

185

Zancani—Montuoro, AttiMGrecia N. S. 2, 1958, 7—29 Taf. i—6. Ebenda 24—26 Taf. 7.

186 187

P r u n 0

Panebianco, F A . 1 1 , 1956 Nr. 2721. Ders., F . A. 10, 1955, Nr. 2 5 4 1 ; ders., L a Provincia di Salerno nel Quadriennio 1956—1960,16.

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bisher unbekannten Verbindungsweges zwischen dem Vallo di Diano und Poseidonia über den Paß von S. Rufo beweisen188. Eine weitere Verbindung des Vallo di Diano mit dem Meere bei Palinuro und Pyxus ist nicht ausgeschlossen189. N o c e r a (Prov. Salerno) Im Verlaufe seiner im Jahre 1957 begonnenen Ausgrabungen in der Gemarkung »Pareti« oder »Oschito« konnte in Nocera Superiore, das auf der Stelle von Nuceria Alfaterra liegt190, Panebianco trotz der beträchtlichen äußeren Schwierigkeiten ein Stück der mächtigen in Opus quadratum errichteten südlichen Stadtmauer von Nuceria freilegen. Die Außenschale wurde zweimal erneuert. Auf der Innenseite wurde der Agger an der ausgegrabenen Stelle von einer mit Opus quasi-reticulatum bekleideten Nischenmauer abgestützt, die von Ziegelpfeilern verstärkt wurde. Diese tragen eine Kryptoportikus, die auf diese Weise an die Stadtmauer angelehnt war. In einer nach Norden verlaufenden Mauer, die die östliche Begrenzung des Bauwerks bildete, beherbergte eine Exedra eine Athena-Statue (jetzt im Museo Provinciale von Salerno, hier Abb. 123). Sie entspricht keinem der bisher bekannten Typen und dürfte, wie so manche Athena der römischen Zeit, eine Neuschöpfung sein. Der auf der Plinthe erhaltene Inschriftenrest S OTHO mag bei der Seltenheit dieses Cognomens auf eine Weihung des Kaisers vom Jahre 69 zurückgehen, wie Panebianco annimmt. In der außerhalb der Stadtmauer gelegenen Nekropole hat Panebianco bisher 120 Gräber ausgegraben, die vom 6. bis zum 3. Jh. v. Chr. reichen (Abb. 124) 191 . Im Jahre 1965 wurde im Kloster von S. Antonio in Nocera Inferiore ein von der Provinz Salerno verwaltetes Museo dell'Agro Nocerino eröffnet, das außer der Privatsammlung Pisani die Funde aus der Grabung in der Nekropole von Nocera und Zufallsfunde aus der Umgebung beherbergt. O l i v e t o C i t r a (Prov. Salerno) Bei einer 1961 erfolgten Ausgrabung nördlich Oliveto Citra im oberen Sele-Tal wurden 27 Fossa-Gräber einer eisenzeitlichen Nekropole erforscht. Die vor allem zu Füßen der Toten aufgehäuften Beigaben, Keramik und Bronzen, erlauben eine Datierung ins 7. und 6. Jh. v. Chr. Sie weisen abgesehen von generischen Ähnlichkeiten zu den Beigaben der Fossa-Kulturen Mittelcampaniens in vielen Fällen, ähnlich anderen Funden des hirpinischen Gebietes zwischen dem oberen Sele und Ofanto, unverkennbare Beziehungen zu den Fossa-Kulturen des mittleren Donaugebiets und Mazedoniens auf. Die Beziehungen zu Latium und zur Villanova-Kultur scheinen minimal gewesen zu sein. Diese beiden Ergebnisse sind von großem Wert für die Frage der Herkunft der eisenzeitlichen Kulturen auf italischem Boden192.

188 189 190

s. auch AttMGrecia N. S. 5, 1964, 1 2 9 — 1 3 5 . Ebenda 1 3 5 — 1 3 9 . Panebianco, F A . 12, 1957 Nr. 5329 Abb. 127 (Athenastatue) ; 13, 1958 Nr. 2352 Abb. 35; ders., L a Provincia di Salerno nel Quadriennio r 956—60, 1 7 — 1 8 ; zur Lage der Stadt s. M. u.

191

193

A. Fresa, RendAccNapoli 33, 1958, 177—202, bes. Taf. 2 und Abb. 1. L a Provincia di Salerno nel Quadriennio 1961 bis 1964, 12, Taf. nach S. 10. d'Agostino, NSc. 1964, 40—99; s. a. Mostra Preist. Protost. Salerno (1962), 1 6 3 — 1 9 1 .

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P a d u l a (Prov. Salerno) Im Jahre 1957 wurde in der restaurierten Kartause von Padula das Museo Archeologico della Lucania Occidentale eröffnet. Es beherbergt die reichen Funde aus den Nekropolen von Sala Consilina und Padula 193 . Die in der Gemarkung Valle Pupina bei Padula, der Nachfolgerin des antiken Consilinum, entdeckte Nekropole hat bisher (Beginn der Grabung im Jahre 1955) im Gegensatz zu denen von Sala Consilina nur Gräber des 6. bis 3. Jhs. ergeben, unter deren Beigaben allerdings außer Bronzegeräten alle in jenen Jahrhunderten in der Gegend bekannten Vasengattungen vertreten sind 194 . Ein Teil der Vasenfunde ist inzwischen publiziert worden, und zwar lukanische Vasen mit Darstellung eines Frauenkopfes 195 und attisch rf. Vasen 196 . Im Museum von Padula befinden sich mehrere römische Grabstelen und Fragmente aus Zufallsfunden der Umgebung 197 . Trotz ihres schlechten Erhaltungszustandes ist offenbar, daß es sich um provinzielle Stücke spätrepublikanischer bis flavischer Zeit handelt. Das Interesse dieser Grabstelen liegt in der Seltenheit dieser Denkmälergattung in Süditalien. P a e s t u m (Prov. Salerno) Nach den aufsehenerregenden Grabungen der frühen und mittleren fünfziger Jahre ist die Erforschung Paestums in etwas ruhigere Bahnen gelangt. Andererseits nehmen die Auswertung der Funde, die Untersuchungen der Stadtanlage, der Tempel und gezielte Teilgrabungen die Aufmerksamkeit mehr in Anspruch 198 . Sestieri setzte die Ausgrabungen der Nekropolen bis zum Ende seiner Tätigkeit in der Superintendenz Salerno fort. Auch die Publikation der Funde, älterer und neuerer, konnte er fördern 199 . Unter den etwa 400 Gräbern der griechischen, lukanischen und römischen Periode, die bis 1955 in den Gemarkungen »Andriuolo« und »Laghetto« nördlich der Stadt ausgegraben wurden, kommen alle in Paestum bisher bekannten Typen vor 200 . Die bemalten Gräber sind der lukanischen Periode Paestums, d. h. dem 4. J h . zuzuweisen. Dies geht aus dem Stil der Malerei hervor und wird durch die Grabbeigaben bestätigt. Ein im Jahre 1955 zusammen mit 15 anderen Vasen in dem bemalten Steinkistengrab Nr. 64 der »Laghetto«-Nekropole gefundener Kelchkrater wurde vom Ausgräber dem paestanischen Vasenmaler Python zugeschrieben und um 330 v. Chr. datiert 201 . Ein im Jahre 1957 in der »Gaudo«-Nekropole nördlich Paestum ausgegrabenes Kammergrab ist aus Kalksteinquadern errichtet und mit einem Giebeldach versehen. In dem Türsturz des an der östlichen Schmalseite des Grabes gelegenen Einganges ist ein flacher Bogen eingeschnitten. Auf den verstuckten Innenwänden sind Frescomalereien mit den in Paestum üblichen Themen, Zweikampf, Fahrt ins Jenseits (?), Heimkehr des berittenen Kriegers, angebracht, die Sestieri aufgrund des Stils um 400 v. Chr. datiert und einem griechischen Maler zuschreibt. 193

194

195 196

Panebianco, Apollo 1, 1961, 1 1 0 — 1 1 4 ; ders., L a Provincia di Salerno nel Quadriennio 1956 bis i960 S. 1 1 — 1 3 . Ders., F A . 1 1 , 1956 Nr. 2 7 0 1 ; F A 13, 1958 Nr. 2283 Abb. 30; ders., L a Provincia di Salerno nel Quadriennio 1961—64, 13. Trendall, Apollo 2, 1962, 1 1 — 3 4 . Beazley, Apollo 1, 1961, 2 1 — 2 6 ; 2, 1962, 1 1 — 3 4 .

197

Neutsch, Apollo 2, 1962, 1 0 5 — 1 2 4 .

198

F. Kraus, Die Tempel von Paestum. Der Athenatempel (1959); zur Stadtanlage s. RM. 72, 1965, 188 ff. Anm. 1.

199

Sestieri, R I A . 5/6, 1956/57, 6 5 — 1 1 0 .

200

Ders., F A . 10, 1955 Nr. 2592 Abb. 66—73.

201

Ders., B d ' A . 41, 1956, 7 1 — 7 3 .

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Im Grabe fand man eine Rüstung bestehend aus Panzer, Helm, Schwert und Speer und mehrere Vasen, darunter eine große Lekythos und eine polychrome Schale, beide vielleicht von Asteas. Die zeitliche Diskrepanz erklärt der Ausgräber mit einer Nachbestattung, etwa der Gattin des Kriegers. Ein weiteres im Jahre 1955 in der 2 km südlich Paestum gelegenen »Fuscillo«-Nekropole aufgedecktes lukanisches Kriegergrab wurde von Sestieri bekanntgemacht. Das Steinplattengrab enthielt außer dem Bestatteten einen samnitischen Brustpanzer einen Helm und Gürtel. Eine paestaner und fünf etrusco-campanische Vasen datieren das Grab in die 2. Hälfte des 4. Jhs. 202 . Im Jahre 1964 stieß G. Voza in der Gemarkung Linora etwa 2—3 km südlich von Paestum auf eine Nekropole des 4. Jhs., von der bis jetzt 60 Steinplattengräber freigelegt wurden. Östlich der Nekropole fand er spätarchaische Terrakottastatuetten sowie einen Steinbruch. Auch zwei wegen der fehlenden Pflasterung wohl vorrömische Straßen wurden entdeckt 203 . Noch während Sestieris Amtszeit wurde mit der Freilegung des kaiserzeitlichen Wohnviertels westlich des Hera-Heiligtums begonnen204. Dort wurde 202

Ders., Bd'A. 43, 1958, 46—63; ders., A n t i q u i t y 12, 1959, 33—37; Sestieri Bertarelli, F A 12, 1957 N r - 2871. 203 Voza, B d A 49, 1964, 363—364.

Abb. 124a u n d b. K e r a m i k aus der Nekropole von Nocera. Noccra Superiore, Museo 204

Sestieri Bertarelli, FA. 12, 1957 Nr. 5343 Abb.

125-

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Abb. 125. Kopf der Livia. Paestum,

ein marmorner Porträtkopf gefunden, der ursprünglich zu einer Statue gehört haben m u ß - Er stellt eine mit Lorbeer bekränzte jugendliche Frau dar. Der Mantel ist über den Hinterkopf gezogen, das Haar mit einem Stirnknoten frisiert. Die Zugehörigkeit der Dargestellten zum julisch-claudischen Kaiserhause ist offenbar, die Ähnlichkeit mit Livia sehr groß. Die groß angelegte und zugleich kühle Formgebung ergibt trotz des 'Octavia'-Knotens eine Datierung in spätaugusteische bis tiberische Zeit (Abb. 125)205. Abgesehen von der Publikation einzelner Vasenfunde hat Sestieri noch die Deutung des von ihm zwischen Forum und AthenTempel aufgedeckten unterirdischen Baues als Heiligtum der 'Nymphe Hera' gegen die Deutung von S. Ferri 206 als 'Koitaterion' verteidigt 207 . Einen weiteren Vorschlag machte Neutsch 208 . So haben wir es mit vier Deutungen zu tun 1-

Heiligtum der Nymphe Hera (Sestieri) 2. Kenotaph des Is, des Gründers von Sybaris (Zancani-Montuoro)

3. I n k u b a t i o n s h e i l i g t u m (Ferri)

Museo Nazionale

Nymphenheiligtum (Neutsch). m. E. haben Deutung 1 und 4 die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Die Probleme der Stadtanlage, der Mauern des Straßennetzes, seines Verhältnisses zu den Toren und Pförtchen, der Lage und Art des Hafens sind im letzten Jahrzehnt besonders aktuell geworden. Die neueste Interpretation des bisherigen Befundes und kritische Auseinandersetzung mit den Meinungen von F. Castagnoli, G. Voza und anderer bietet H. Schläger 209 , der seine Ansichten durch mehrere Einzeluntersuchungen unterbaut hat 210 . Seit 1961 setzte er seine Forschungen an der Stadtmauer und den Toren fort. Er wandte sich zuerst besonders der östlichen Hälfte der Stadtbefestigung zu, die er für die ältere hält. In der Füllerde zwischen den beiden durch Quermauern unterteilten Schalen fand er zahlreiche Fragmente von lukanisch rf. und Gnathia-Keramik, die eine Datierung der Mauer in das 4. Jh., also in die lukanische Periode erlauben. Ferner stellte sich heraus, daß diese Mauer im Ostteil der Stadt (Nordseite) später durch Ummantelung von außen und innen verstärkt wurde 211 , während die Nordmauer im Westteil der Stadt, deren Mauertechnik mit der Verstärkungsschale im Ostteil übereinstimmt, 4

Sestieri, FA. 11, 1956 Nr. 4731 Abb. 101—102. PP. 10, 1955, 195 ff207 pp j j 25 27. 205

208

A A . 1956, 401—404; T A S N Y M P H A S H I A R O N (1957).

209

210

EMI 211

RM. 72, 1965, 182—197; dort Anm. 1 die neuere Literatur. RM. 69, 1962, 21—26; RM. 71, 1964, 1 0 4 — i n u. 245—250; Das Westtor von Paestum (1957). RM. 72, 1965, 184t

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ex novo ohne Vorgänger an jener Stelle errichtet wurde. Die jüngsten Keramikfragmente in der Erdfüllung der Mauer im Westteil sind um 300 v. Chr. zu datieren und bestätigen die etwas spätere Errichtung des westlichen Mauerteiles. Schläger bringt die westliche Hälfte der Stadtbefestigung mit einer Erweiterung der Stadt nach Westen zur Zeit der römischen Koloniegründung im Jahre 273 v. Chr. in Zusammenhang. Vor der Nord- und Ostseite der Stadtmauer hat Schläger mit Hilfe mehrerer Schnitte die Existenz eines etwa 20 m breiten und 6 m tiefen Graben nachgewiesen, der in etwa 6,5 m Abstand vor der Mauer lag und vielleicht mit Palisaden versehen war. Die Keramikfunde im Graben ergeben dessen Anlage im 4. Jh., der Erbauungszeit der lukanischen Mauer. P a l i n u r o (Prov. Salerno) Das Deutsche Archäologische Institut Abb. 126. Grabaltar beim Mausoleum von Polla Rom führte 1956 und 1957 unter der Leitung von R. Naumann Grabungen in Palinuro durch, die eine Fortsetzung und Ergänzung der Grabungen von Sestieri bildeten 212 . Hauptergebnisse der Grabungen waren die weitere Freilegung der Nekropole und die Auffindung einer Stadtmauer 213 . Von der Nekropole wurden 36 Gräber, fast alles Fossa-Gräber mit Steinumrandung, untersucht, so daß nunmehr 86 Gräber bekannt sind. Die Beigaben bestanden hauptsächlich aus einheimischer Keramik aus rosa-braunem Ton mit geometrischer Bemalung in Rot und Schwarz, die mit der Keramik der dritten Phase von Sala Consilina verwandt ist. Eine typische Gefäßform stellen die sog. 'Palinuro'-Krüge dar, die auch in Sala Consilina vorkommen. Außer der lukanischen Keramik, deren deutliches Überwiegen den einheimischen Charakter der Siedlung bezeugt, wurden hauptsächlich jonische Kylikes, attische Kylikes und Skyphoi gefunden. Aus all dem ergibt sich eine Datierung der anscheinend kurzlebigen Siedlung in das letzte Viertel des 6. Jhs. Auf dem Hügel, an dessen Nordwestfuß die Nekropole liegt, wurden einfache Häuser und ein Stück der Akropolismauer, am Nordosthang ein Trakt der Stadtmauer aufgefunden. Diese besteht aus einer Steinpackung, die Front aus kleinen grob behauenen Kalksteinen, dazwischen einzelne, große quaderartige Sandsteine. Ähnliche Mauertechniken mit Mischung großer und kleiner Bauelemente kommen auch anderorts in Italien und außerhalb vor. Die Mauer der Arx weist in ihrer Außenschale eine bisher in Italien unbekannte Vorrichtung auf: senkrechte Lücken in regelmäßigen Abständen von etwa einem Meter. 212 213

Sestieri, RendAccNapoli 24/25, 1949/50, 4 5 f r . R . Naumann—B. Neutsch, Palinuro. Ergebnisse der Ausgrabungen. I. Topographie und

Architektur, RM. Erg.-H. 3 (1958); I I . Nekropole, Terrassenzone und Einzelfunde, RM. Erg.-H. 4 (i960).

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Abb. 127. Urnendeckel aus Pontecagnano. Salerno, Museo Provinciale

Naumann ergänzt hier wohl zurecht in Analogie zu Beispielen der frühen Latene-Zeit Mitteleuropas Holzpfosten. Einige hundert Meter westlich der Nekropole bezeugen verschiedene Kleinfunde, vor allem Votivterrakotten, die von der archaischen bis in die hellenistische Zeit reichen, die Existenz eines ländlichen Heiligtums, das einer der weiblichen chthonischen Gottheiten gehört haben muß. P o l l a (Prov. Salerno) Die Reste des Mausoleums des C. Utianus Latinianus bei Polla, dem antiken Forum Popilii, wurden 1955 von V. Bracco einer erneuten Untersuchung unterzogen 214 . Vorgeschlagene Rekonstruktion: auf Stufenunterbau ein quadratischer Sockel, der einen auf zwei Stufen stehenden flachen Zylinder trägt, die Bekrönung vielleicht konisch (oder Kuppel bzw. Tumulus), umgeben von Girlanden-Parapett mit Bukranien-Zinnen. Überwölbte, längliche, unzugängliche Kammer mit konkaven Seiten und vier schrägen Luftschächten zur untersten Zylinderstufe. Nach der Inschrift kommt frühenstens eine claudische Datierung in Frage. Zwei Arae liegen neben der Ruine, sie sind wahrscheinlich bei der Ausgrabung zutage gefördert worden (Abb. 126). P o n t e c a g n a n o — P i c e n t i a (Prov. Salerno) Die Hauptmasse der seit i960 in und bei Pontecagnano aufgedeckten Gräber reicht vom 9. bis zum 6. J h . v. Chr. Die der frühen Eisenzeit befinden sich in drei Nekropolen, eine unterhalb Pontecagnano östlich des Flusses Picentino südlich der Strada Statale 18; eine 214

Bracco, ArchCl. 1 1 , 1959, 189—200.

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Abb. 128. Hausmodell aus Sala Consilina. Salerno, Museo Provinciale

weitere längs der Strada Provinciale, die von S. Antonio a Picenza nach Norden führt; die dritte in der Gemarkung Stucchiara (Pagliarone). Fossagräber mit Bestattung finden sich neben Tumulus-Schachtgräbern mit Verbrennung, außerdem kommen kleine Fornogräber mit Verbrennung vor. Die Verschiedenheit der Grabformen zeigt die Mittelstellung an, welche die früheisenzeitliche Kultur von Pontecagnano zwischen der Villanova- und der Fossakultur Süditaliens einnimmt 215 . In den Gräbern bei Pontecagnano gefundene Vasen des dritten Viertels des 4. Jhs. v. Chr. hat Trendall zusammen mit ähnlichen Gefäßen hauptsächlich campanischer Provenienz zu einer Gruppe von 50 Stück vereinigt, die er dem Maler B. M. F 63 zuschreibt 216 . Die Zugehörigkeit dieses Vasenmalers zur Paestaner oder campanischen Vasenmalerei bleibt ungewiß, doch für Trendall ist letztere wahrscheinlicher. Die Gräber der orientalisierenden Periode (7. J h . — erste Hälfte des 6. Jhs. v. Chr.) befinden sich unter und neben der Strada Statale 18 im Stadtgebiet von Pontecagnano und bei S. Antonio a Picenza südwestlich der früheisenzeitlichen Nekropole. Sie enthalten italo-geometrische Impasto- und mittelprotokorinthische bis korinthische sowie Buccherokeramik. Aus einem solchen Grabe kommt eine hochfüßige 'Fruchtschale', deren Rand mit zwei geometrischen Pferdchen geschmückt ist 217 . Gegen die Mitte des 6. Jhs. scheint die Stadt ihre Bedeutung verloren zu haben, um sie erst um die Mitte des 4. Jhs. noch einmal wiederzugewinnen 218 . Die Gräber des 4. Jhs. sind 215

Sestieri, R i v S c P r . 15, i960, 2 0 7 — 2 1 1 ; ders., StEtr. 28, i960, 9 1 — 1 0 7 ; ders., F A . 15, i960 Nr. 2593; d'Agostino, B d ' A . 49, 1964, 364—366.

24 A A . 1966

216 217 218

Trendall, Apollo 1, 1961, 29—52. Sestieri, F A . 15, i960 Nr. 2593. Mostra Preist. Protost. Salerno 1962, 105—160.

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aus fünf Steinplatten zusammengesetzt wie auch in Paestum, die Keramik ist paestanisch 219 . Ein 1962 in der früheisenzeitlichen Nekropole von Pontecagnano gefundener konischer Urnendeckel aus Impasto ist von einem Paar seltsamer sitzender Gestalten bekrönt 220 . D'Agostino deutet die bisher einzigartigen Figuren als Göttin und Verstorbener. Er datiert das Stück in das 8. J h . (drittes Viertel) und zieht die Parallele zu den jüngeren Gestalten, die auf Chiusiner Urnen stehen. S. Ferri sieht in den beiden Gestalten infernale Mischwesen mit Wolfscharakteristika (Abb. 127) 2 2 1 . R o c c a d a s p i d e (Prov. Salerno) In den Gemarkungen »Tempa rossa« und »Tempa bianca«, etwa 1 3 km nordöstlich von Paestum, wurden vor kurzem einige Kastengräber und ein Kammergrab entdeckt, die außer Metallgeräten rf. Paestaner Vasen enthielten ; darunter ein Volutenkrater mit Darstellung des Parisurteils. In der Nähe der Gräber wurden bei einer Quelle u. a. stark fragmentierte Votivterrakotten des 7. bis 4. Jhs. gefunden, die von einem Votivdepot herrühren müssen 222 . S a l a C o n s i l i n a (Prov. Salerno) Die Direktion der Provinzialmuseen von Salerno begann 1955 unter der Leitung von V. Panebianco mit der Ausgrabung der Nekropolen von Sala Consilina 223 , an der von 1958 bis 1962 Neutsch mit einer Gruppe von Heidelberger Studenten teilnahm. De la Genière hat einen Teil der Gräber zur Bearbeitung übernommen224. K. Kilian übernahm die Bearbeitung der Gräber der ältesten Phase, von denen er bereits einen Teil vorgelegt hat 225 . 219 220 221 222 223

Sestieri, ArchCl. 12, i960, 155—169. d'Agostino, P P . 18, 1963, 62—70. P P . 18, 1963, 228—236. Voza, B d ' A . 49, 1964, 366. Panebianco, F A . 10, 1955 Nr. 2 6 2 1 ; 1 1 , 1956 Nr. 2822; 12, 1957 Nr. 2916; 14, 1959 N r . 2 5 7 1 ; 16, 1961 Nr. 2503.

224

223

de la Genière, Mèi. 73, 1961, 7—67; dies., RendAccNapoli 35, i960, 1 1 9 — 1 4 7 . Apollo 1, 1961, 67—74; 2, 1962, 8 1 — 1 0 4 ; ders., Mostra della Preist, e Protost., Salerno 1962, 63—78 ; Untersuchungen zu früheisenzeitlichen Gräbern aus dem Vallo di Diano, RM. Erg.-H. 10 (1964).

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Abb. 130. Das neue Museo Prova in Salerno

Die Hauptnekropolen liegen im Nordwesten (S. Antonio, S. Nicola) und im Südosten (A-M und Gemarkung »Barra« von Sala Consilina)226. Bisher wurden über 1200 Gräber untersucht. Es sind Fossagräber mit rechteckiger Steinsetzung über dem Grab. Eine genaue statistische Auswertung der zusammengehörenden Grabbeigaben, vor allem Keramik, Fibeln und Waffen, gestattete die Aufstellung einer relativen Chronologie für die Gesamtnekropole und die Aufteilung des Materials in drei große Phasen mit Untergruppen. Vergleiche mit dem Material anderer italischer, früheisenzeitlicher Nekropolen sowie importierte korinthische, attische und andere Keramik ergaben die absolute Chronologie: Sala Consilina I, Ende 9. Jh. v. Chr. — 2. Hälfte 8. J h . : Impasto-Keramik Sala Consilina II, zweite Hälfte 8. Jh. — 7. J h . : protogeometrische Keramik (u. a. mit 'Zeltmotiv'-Dekoration) Sala Consilina I I I , 7. J h . — etwa 500 v.Chr.: oinotrisch-geometrische Keramik (die Beziehungen zur lukanischen und apulisch-geometrischen Keramik aufweist). Von den vielen Beigaben seien zwei Stücke erwähnt: In einem Brandgrab der Phase 1 der Nekropole S. Antonio wurde 1959 außer den üblichen Beigaben ein tönernes Hausmodell gefunden (Abb. 128). Seine Wände sind mit geometrischen Mustern dekoriert. An der linken Langseite ist eine Fensteröffnung angebracht. Über den Giebeln erheben sich volutenartige Akrotere, hinter denen auf dem First je ein Vogel sitzt 227 . Bemerkenswerterweise handelt es sich nicht um eine hausförmige Aschenurne, sondern um ein Modell wie die Votivmodelle aus griechischen Heiligtümern. Aus Grab 27 der Zone B, einem Männergrab der zweiten Hälfte des 6. Jhs., stammt eine faustgroße Kugel aus hellem Ton mit bräunlich-schwarzer Bemalung. In geometrisierendem 226

s. Kilian, RM. Erg.-H. 10, 1 4 — 1 6 .

227

F A . 14, 1959 Nr. 2 5 7 1 , Abb. 47; Apollo 2, 1962, 85 Abb. 2 Nr. 1 1 ; A J A , 64, i960, 360 Taf. 103,4.

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Stile sind auf ihr vier Szenen des Totenkults dargestellt, in denen griechische und italische Elemente gemischt erscheinen (Abb. 129 a. b)228. Salerno 1964 wurde das neue Museo Provinciale in Salerno eröffnet. Es befindet sich in einem wiederhergestellten Teil des mittelalterlichen Klosters Castelnuovo Reale di S. Benedetto (Abb. 130) 229 . Im Erdgeschoß sind die Funde der eisenzeitlichen Nekropolen von Sala Consilina, Pontecagnano, Oliveto Citra und anderen Orten aufgestellt. Sie umfassen vor allem villanovianische, lukanisch-geometrische, jonisierende und Impastokeramik. Im Obergeschoß sind ausgestellt die lukanische rf. Keramik aus Pontecagnano und anderen lukanischen Fundorten, Architektur- und Votivterrakotten sowie etruskische Buccherokeramik aus Fratte di Salerno, der Inhalt von Gräbern in Roscigno (Monte Pruno), dabei mehrere Bronzegefäße (4. J h . v. Chr.), ein bemaltes Sarkophaggrab vom Paestaner T y p aus Altavilla Silentina, hellenistische Terrakotten eines Bothros aus Postiglione, der bronzene späthellenistische Apollokopf 230 aus Salerno und attische sf. und rf. Keramik aus Fratte die Salerno. Die bemerkenswertesten Stücke sind: 1. 2. 3. 4. 5.

Ein rf. Deinos mit Hochzeitszug von Peleus und Thetis. Sf. Amphora: Kampf des Herakles mit Triton; Apollon und Artemis. Sf. Amphora: Kriegers Auszug auf Quadriga; zwei reitende Amazonen. Sf. Amphora: Herakles und Eurystheus; Ausfahrt der Artemis (Priamos-Maler). Rf. Kolonnettenkrater: Tanzender und flötender Jüngling; Krieger (Leningrad-Maler, Neufund 1963). 6. Rf. Kolonnettenkrater: Theseus und Prokrustes, Theseus und Minotauros; drei Jünglinge beim Komos (Maler der Münchener Amphora). 7. Rf. Hydria: Herakles und Hippolyte (Syleus-Maler). 8. Rf. Hydria: Zwei Jünglinge beim Lyraspiel (Syriskos-Maler). 9. Rf. Hydria: Vier Jünglinge beim Komos; Satyrn rauben dem schlafenden Herakles die Waffen (Kleophrades-Maler). S. A n g e l o di O g l i a r a (Prov. Salerno)

Bei Erweiterung der Strada Provinciale No. 26 kamen drei hellenistische, aus bläulichgrauen Kalksteinquadern erbaute Kammergräber mit bemalten Stuckwänden (Reste pflanzlicher Dekoration) und geläufiger Keramik zutage (i960) 231 . S a r n o (Prov. Salerno) An der Quelle des Flusses Sarno (in der Gemarkung Foce nahe der Straße Nocera-Nola) wurden 1965 Reste eines italischen Heiligtums bekannt und, soweit noch möglich, erforscht. Man fand viele Fragmente von Terrakottastatuetten, die Athena, Aphrodite und Eros darstellen und aus einem Bothros stammen müssen. Nahe dabei fand man die Reste eines Theaters, dessen Szenengebäude, nach Münzfunden zu schließen, in der frühen Kaiserzeit (von Claudius) erneuert worden ist (Abb. 131). 228 229

Neutsch, Apollo 1, 1961, 53—66. Panebianco, RassStorSalerno 24/25, 1963/64, 197—203; ders., L a Provincia di Salerno nel Quadriennio 1961—64, 5—9; Napoli, B d ' A . 49,

230 231

1964, 366 —368. Mustilli, Apollo 1, 1961, 3—20. Panebianco, F A . 14, 1959 Nr. 2572 Abb. 48; A J A . 64, i960, 360.

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Abb. 1 3 1 . Theater bei Sarno während der Ausgrabung

Auf dem Proscenium sind ornamentale Malereien des 2./3- Stils erhalten. Das Pulpitum wurde von wiederverwendeten Säulen einer älteren Bauphase getragen. Die scenae frons weist eine axiale Türe auf. Die noch erhaltenen Sitze der Prohedrie aus grauem NoceraKalkstein mögen noch einer hellenistischen Bauphase angehören232. S c a f a t i (Prov. Salerno) In der Nähe des Bahnhofs der Ferrovia Vesuviana kamen 1964 Reste eines frühkaiserzeitlichen Grabbaues zutage. Der rechteckige verstuckte Ziegelbau erhob sich in einem dreieckigen Temenos auf einem fast quadratischen Podium. Die Ecken waren durch Dreiviertelsäulen akzentuiert. Vom Oberbau wurden einige Teile gerettet. Bemerkenswert, weil selten zu beobachten, sind zwei Details: 1. Der Bezirk war mit sechs symmetrisch angeordneten Bäumen bepflanzt. 2. Vor dem Grabbau fand man einen mit Brandasche und Knochenresten durchsetzten Erdhügel, der von einem elliptischen Graben umsäumt war. Die Ausgräberin hält diese Anlage für ein Ustrinum 233 . S e r r a d ' A r c e (Prov. Salerno) Das Dorf Serra d'Arce (13 km westlich Eboli) ist von vier z. T. schon näher bekannten Nekropolen umgeben234. 1962 wurde hauptsächlich in der Nekropole Petrolla gegraben. 232 233

Mitteilung von B . d'Agostino. d'Henry, B d ' A . 49, 1964, 368—369.

234

Sestieri, NSc. 1952, 47 ff. (Mitteilung von B . d'Agostino).

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Abb. 132 und 133. Männlicher Porträtkopf aus Velia. Paestum, Museo Nazionale

Man fand vor allem Kammergräber (bis zu 2,50 x 1,50 m), die ganz aus Ziegeln errichtet waren, mit flacher Eindeckung oder Giebeldach und allgemeiner Ost-West-Orientierung. Aus den Beigaben, schwarzgefirnißter, Gnathia-, rf. apulisch beeinflußter Keramik sowie Gefäßen und Geräten aus Bronze und Blei läßt sich die Datierung ins 4. Jh. erschließen. V e l i a (Prov. Salerno) In der Unterstadt hinter der Seemauer beendete Sestieri die Freilegung des großen Baues mit Kryptoportikus. Im höhergelegenen Ostteil des Baues befinden sich mehrere Räume, während die Kryptoportikus einen freien Hof umschließt, der vielleicht als Garten gestaltet war. Der Bau wird interessant durch einen außergewöhnlichen Fund von Skulpturen, die in der Kryptoportikus zutage kamen 235 . Es sind achtzehn Porträts von Angehörigen des julisch-claudischen Kaiserhauses, zwei Togastatuen ohne Kopf, zwei männliche Porträtköpfe mit Lorbeerkranz 236 , eine Porträtstatue mit Toga 237 , zwei kopflose Statuen mit Pallium, drei kopflose Hermen mit griechischen Namensinschriften, darunter eine des Parmenides, ein Kopf des Menander238, ein Philosophenporträt, eine Statue des Askle235 236 237

Sestieri, F A . 15, i960 Nr. 4542 Abb. 71—76. Ebenda Abb. 76. Ebener, RassStorSalerno 23, 1962, i f f . , Abb.3.

238

G. M. A. Richter, The Portraits of the Greeks II 230 Nr. 13.

G R A B U N G E N UND F U N D E IN A P U L I E N ,

LUCANIEN

VON 1956 B I S 1965

359

Abb. 134 und 135. Julisch-claudisches Prinzenporträt aus Velia. Paestum, Museo Nazionale

pios239, eine kopflose weibliche Gewandstatue, eine Replik eines klassischen Ephebenkopfes und ein weiblicher Idealkopf mit Mauerkrone240. Die mit griechischen Inschriften versehenen Porträtstatuen und Hermen von griechischen Ärzten, die Asklepiosstatue zusammen mit den Porträts der Angehörigen der Kaiserfamilie lassen mit Sicherheit auf das Amtslokal einer offiziellen Ärztevereinigung 241 oder gar den Sitz einer Ärzteschule 242 schließen. Die außerordentliche Bedeutung dieses ganzen Fundkomplexes wird erst nach der Publikation zu erfassen sein. Zu einer der kopflosen Togastatuen, vielleicht der des OYAI2 EYEEINOY, wird der mit einem Lorbeerkranz geschmückte Porträtkopf gehören, der in Abb. 132 und 133 wiedergegeben ist. Er gehört zu jener Porträt-Richtung der augusteischen Zeit, welche die aus der republikanischen Zeit übernommene realistische Auffassung beibehält, sie jedoch in strafferen und disziplinierteren Formen vorträgt. Einer der Knabenköpfe, ein Porträt eines julisch-claudischen Prinzen (Abb. 134 und 135), ist den Prinzenporträts in Tarragona 243 , in Toulouse aus Beziers 244 und in geringerem Maße 239 240

Ebener a. O. 1 ff., Abb. 7. Verf. kann die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit dieser Aufzählung nicht sicher bezeugen, da sich die Angaben von Sestieri, Napoli u. Ebener nicht völlig decken. Trotz wiederholter Bemühungen gelang es ihm nur, einen Teil der Skulpturen einmal flüchtig im Halbdunkel zu sehen.

241 2,2

243

244

Sestieri, F A . 15, 1960 Nr. 4542. Ebener, RassStorSalerno 23, 1962, i f f . u. 22, 1961, 196—198. A. Garcia y Bellido, Esculturas Romanas de España y Portugal 24 ff. Nr. 1 3 ; RM. 50, 1935 Taf. 5 1 . Ebenda Taf. 52.

36O

W E R N E R

H E R M A N N

dem der Togastatue aus Otricoli im Vatikan 246 verwandt und stellt offenbar dieselbe Person dar, die allerdings noch keine überzeugende Benennung erhalten hat. Von der in der Kryptoportikus gefundenen Idealplastik erwähnen wir eine etwas matte Replik des sogenannten 'phidiasischen Eros' (Abb. 136) 246 und einen weiblichen Kopf mit Mauerkrone, der, in der klassizistischen Art der frühen Kaiserzeit ausgeführt, Tyche oder Kybele darstellt (Abb. 137 und 138). Nördlich der 'Ärzteschule' deckte Sestieri eine mit Räumen verschiedener Perioden bebaute Insula auf. Die Fundamente des Tempels auf der Akropolis wurden völlig freigelegt. Östlich des Tempels am Ostrande der Akropolis wurde ein Trakt einer pseudoisodomen Sandsteinmauer ausgegraben, die wahrscheinlich ein Teil der Akropolismauer ist. Auf der Stadtseite dieser Mauer fand man eine von ursprünglich vier zylindrischen Statuenbasen: C. Julius Naso, wie aus der bilinguen Inschrift hervorgeht. Südlich davon kam ein Abb. 136. Replik des sog.'phidiasischen Eros-

aus Velia. Paestum, Museo Nazionale

archaisches

Terrakottaantefix

mit

weib-

lichem Kopf zutage. Westlich des Tempels

kam eine schöne Polygonalmauer zum Vorschein, die zu einer früheren Phase des Akropolisheiligtums zu gehören scheint247. M. Napoli setzte die Arbeiten Sestieris fort und wandte sich der Klärung der allgemeinen Fragen der Stadtanlage, Mauerverlauf, Lage der Häfen usw. zu. E r konnte durch Feldbeobachtungen und mit Hilfe von Luftaufnahmen bemerkenswerte Resultate erzielen. In der Ebene nördlich der Stadt in der Gemarkung 'Ponte di Ferro' erkannte er an den Mündungen der Flüßchen Alento 248 und Palistro die Lage eines Hafens. Eine weitere wichtige Beobachtung ist, daß die antike Küstenlinie soweit landeinwärts verlief, daß die Akropolis ursprünglich als Halbinsel aus dem Meere aufstieg 249 . Es gab also keinen Weg, der im Westen an der Stadt vorbeigeführt hätte, wie die heutige Straße. Aus dieser Erkenntnis ergab sich die Frage, auf welche Weise die südlich des durch die bekannte Mauer befestigten Höhenzuges gelegene Stadt (Abb. 139) mit dem nördlich davon gelegenen Hafen verbunden war.

245 246

247

Ebenda Taf. 53 und 54. s. E . Paribeni, Sculture Greche del V. Secolo, Mus. Naz. Rom., 3 1 Nr. 38. Sestieri, F A . 1 1 , 1956 Nr. 2174.

248

249

s. a. D. Adamesteanu in Metropoli e Colonie 284—285. s. a. G. Schmiedt, Contribution of PhotoInterpretation to the Reconstr. of Anc. Ports in Italy 13 Abb. 18.

G R A B U N G E N U N D F U N D E I N A P U L I E N , L U C A N I E N . . . VON 1956 B I S 1965

361

Abb. 137 und 138. Kopf einer Kybele oder Tyche aus Velia. Paestum, Museo Nazionale

Schon früher war ein Mauerarm bekannt, der von der auf dem Hügelkamm verlaufenden Stadtmauer nach Norden abzweigte. Diesen konnte Napoli über einen Kilometer bis zum Gebiet des Hafens verfolgen. Daraus folgt, daß die Stadt sich auch in die Ebene des Alento erstreckte. Dieses Nord- oder Hafenviertel hatte seine eigene Befestigung, die an die Hauptmauer auf dem Hügelkamm angeschlossen war (Abb. 140). An einer auffälligen Einsenkung dieses Kammes grub Napoli einen 'Torbau' aus, der die von der 'Agora' im Südviertel heraufführende, gepflasterte Straße, die nun völlig freigelegt wurde, unter der Stadtmauer auf dem Höhenrücken durchläßt. Die Straße wurde auch nördlich dieses Tores, 'Porta Rosa' genannt, ein gutes Stück freigelegt. Der weitere Verlauf bis zur Gegend des Hafens (Ponte di Ferro) konnte durch genaue Geländebeobachtung nachgewiesen werden. Damit war die Verbindung zwischen Nordviertel und Südviertel von Velia gefunden 250 . Daß dieses Tor zur Zeit seiner Errichtung nicht fortifikatorische Bedeutung gehabt haben kann, liegt auf der Hand, da es ja zwei gleichermaßen befestigte Stadtteile miteinander verband, also keine Innen- und Außenseite hatte, ferner keinerlei Verschlußvorrichtungen aufweist. Ein verschließbares Tor sperrte die Straße etwa 20 m südlich davon. Seine Funktion war ursprünglich nicht die eines Tores, sondern eines Stützbaues für die über der Straße auf der Höhe verlaufende Stadtmauer und die durch den Einschnitt der Straße noch steiler gewordenen Bergflanken des 'Passes'. Vor allem diente es ursprünglich als Tunnel für die Hauptarterie Velias, die auf diese Weise geringere Niveauunterschiede überwinden mußte. 250

Napoli in Metropoli e Colonie 188—194.

3Ö2

W E R N E R

H E R M A N N

Das Tor ist aus (sorgsam bearbeitetem) isodomem Mauerwerk errichtet, es ist etwa 6 m tief und etwa 5,50 m hoch (Abb. 141—145). Die zehn Schichten hohen Torwangen tragen den etwa 4 m tiefen, aus exakten Keilsteinen errichteten Torbogen, dessen Fronten völlig geglättet sind. Über dem Bogen erscheint auf beiden Fronten ein zweiter Bogen aus etwas kleineren Keilsteinen, aber von etwa gleicher Weite, der offensichtlich entlastende Funktion hatte, gleich ob es sich um ein Tonnengewölbe oder um zwei Bögen handelt. Das Mauerwerk unter und über den Entlastungsbögen ist aus ungleichen Schichten kleiner Quadern aufgeführt. Die Höhe des oberen Abschlusses ist nicht mit Sicherheit festzustellen; er dürfte aber nur wenige Meter über dem jetzt erhaltenen Rand gelegen haben, da ja auch vor der Errichtung des 'Tunnels' an dieser Stelle der Höhenrücken einen Einschnitt aufwies. Auf der Südseite des Tores wird der westliche Geländehang durch eine bollwerkartige Fortsetzung der linken Torflanke abgestützt. Auf der Anhöhe unmittelbar darüber fand Napoli ein Stadttor, welches die Stützung des Steilhanges darunter erforderlich machte. Vom Tor nach Südwesten bis in die Niederung bei der Agora verlief ein Mauerzug, der die Verbindung zwischen der Seemauer bei Porta Marina (Sud) und der Mauer auf dem Höhenrücken herstellte. Diese Mauer datiert Napoli aufgrund der H-Klammern ins frühe 5. Jh., ebenso wie das Tor südlich Porta Rosa. Daraus ergab sich die interessante Folgerung, daß die Akropolis mit ihrem Heiligtum außerhalb der Stadtmauern lag. In einer späteren Zeit, als das Straßenniveau um etwa einen Fuß angestiegen war, wurde der Durchgang mit einem gemischten Mauerwerk aus großen Quadern, Velia-Ziegeln und anderen Materialien zugesetzt. In der Hinterfüllung fand der Ausgräber Keramik hauptsächlich des 4. Jhs. v. Chr. Danach wäre die Schließung des Tores im Laufe des 3. Jhs. erfolgt und ein Rückschluß auf die wahrscheinliche Erbauungszeit desselben, nämlich im 4. Jh., gegeben. Dies tut auch mit Nachdruck Napoli. Akzeptiert man diese Datierung, so hat man hier das älteste Beispiel eines griechischen monumentalen Gewölbebaues vor Augen, dazu eines Gewölbes mit Entlastungsbögen oder -gewölbe. Wer vor dieser Sensation zurückschreckt, wird u. a. die Schwierigkeit der chronologischen Wertung der Keramikscherben in der Hinterfüllung ins Feld führen. Doch wird man schwerlich etwa bis ins 2. Jh. herabgehen können, um den Bogen als römisch erklären zu können. Vieles bleibt noch hypothetisch, besonders die Ummauerung der vorgriechischen Akropolis-Stadt und die Datierung der ganzen östlichen Ummauerung der phokäischen Südstadt. Die Beobachtungen der Mauerzusammenhänge werden dadurch erschwert, daß in zwei Fällen die Türme nachweislich mit der Außenseite der Stadtmauer fluchten und nach der Stadtseite vorkragen. So ist es nicht ausgeschlossen, daß die Feldseite des Mauertraktes auf dem Hügelkamm zwischen den Ansatzstellen der die Nordstadt schützenden Schenkelmauern ursprünglich die Südseite war, dann die Nordseite, bis schließlich in der dritten Phase durch den Anschluß der Nordstadt dieser Trakt ohne Funktion blieb bis zur Aufgabe der Nordstadt, wodurch wieder die Nordseite zur Feldseite wurde. Aus den voraufgehenden Beobachtungen ergibt sich folgender hypothetischer Ablauf der Siedlungsgeschichte: 1. Eine einheimische Siedlung auf der Westspitze des Bergkammes, der späteren Akropolis, mit Hafen an der Alento-Mündung; vielleicht gehört zu dieser Phase die Mauer im Westteil des Höhenrückens. 2 Die phokäische Stadtgründung südlich des Bergkammes mit bald versandendem Hafen: hierzu gehört die Stadtmauer westlich von Porta Rosa bis in die Nähe der Agora und die bis zum Castelluccio geführte und von da nach Süden verlaufende Stadtmauer, die in

Abb. 139. Velia, Blick auf die Bauten südlich des Höhenrückens ('Agora', Häuserviertel, 'Ärzteschule 1 )

Abb. 140. Velia, Blick von Osten auf den Ostteil der Stadtbefestigung und die Alento-Ebene im Hintergrund

364

W E R N E R

Abb. 1 4 1 . Velia, 'Porta Rosa', Straßentunnel, davor Mauertor und Straße von Süden

H E R M A N N

Abb. 142. Velia, Straßentunnel von Süden

einer späteren Zeit teils außen, teils innen verstärkt wurde, sowie das Tor südlich Porta Rosa. 3. Erweiterung der Stadt durch Hinzufügung des Alento-Hafens und des Hafenviertels nördlich des Hügelkammes. Ummauerung desselben durch zwei von der bereits existierenden Nordmauer ausgehende Mauerschenkel, der östliche etwa 400 m östlich der Porta Rosa, die sich an der noch unausgegrabenen Porta Marina Nord trafen. Verbindung von Süd- und Nordstadt durch eine Straße, die in den Kamm eingeschnitten und von der Porta Rosa überbrückt wird. 4. Aufgabe der Nordstadt, Zusetzung der 'Porta Rosa', vielleicht Erweiterung der Südstadt im Süden und eventuelle Ersetzung des Nordhafens durch einen Hafen an der Mündung der Fiumarella di S. Barbara im Süden der Stadt. Auf dem Sattel am westlichen Abfall des Hügelkammes wurde ein kleiner Naiskos mit Altar aus Kalkstein, leider ohne weitere Ausstattung, gefunden (Abb. 146). Nach den robusten Formen zu urteilen, gehört das Sacellum wenigstens noch ins 5. J h . v. Chr. Dieser gebaute Naiskos darf wohl als kostspieligere und solidere Ausführung jener archaischen, monolithischen Votivnaiskoi mit thronender Göttin angesehen werden, die vor allem in Marseille und Ostjonien, aber auch in einem Exemplar in Velia selbst gefunden wurden 261 . 251

Johannowsky, Klearchos 3, 1961, 1 1 8 — 1 2 8 .

GRABUNGEN

UND FUNDE

IN A P U L I E N ,

LUCANIEN

. . . V O N 1 9 5 6 B I S 1965

365

Abb. 143. Velia, Straßentunnel v o n Norden mit R e s t der V e r m a u e r u n g und W a s s e r a b f l u ß

A b b . 144. Straßentunnel von Süden

A b b . 145. Velia, Straßentunnel von Norden

366

W. H E R M A N N ,

G R A B U N G E N U N D F U N D E IN A P U L I E N , L U C A N I E N

Abb. 146. Velia, Naiskos mit Altar

ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER BEHANDELTEN FUNDORTE

Acerenza 297 Apani 258 Azetium 259 Banzi 297 Barrata 297 Brindisi 259 Calanna 327 Cancellara 298 Cannae 260 Canosa 261 Capaccio 345 Capo Colonne 328 Capodifiume 345 Casignana 329 Cassano 329 Castelluccio dei Sauri 269 Castelluccio-Valmaggiore 269 Castiglione 269

Castrovillari 329 Caulonia 331 Cavallino 269 Ceglie Messapica 269 Cirella s. Diamante Ciro 332 Conversano 269 Copia s. Sybaris Crotone 332 Diamante 332 Egnatia 270 Elea s. Velia Foce del Sele 345 Francavilla Marittima 333 Fratte di Salerno 346 Gioia Tauro s. Metauros Gnathia s. Egnatia Grisolìa 334

W . S C H I E E I N G ,

E T R U S K I S C H E B R O N Z E S T A T U E T T E IN GÖTTINGEN

Gretteria 335 Heraclea 298 Herdoniae s. Ordona Hyele s. Velia Lacinium Promontorium s. Capo Colonne Lavello 307 Leporano s. Satyrion Locri 335 Lucerà 271 Manduria 273 Manfredonia s. Siponto Matera 307 Medma s. Rosarno Melfi 308 Metaponto 318 s. a. S. Biagio della Venella Metauros 339 Monte Pruno 346 Monte Sannace 273 Monte Saraceno 274 Monte Torretta 320 Nocera 347 Nuova Siri Scalo 323 Oliveto Citra 347 Ordona 275 Oria 277 Padula 348 Paestum 348 Palinuro 351 Pandosia s. S. Maria di Anglona Pietragalla s. Monte Torretta Pietrapaola 341 Pisticci 323 Policoro s. Heraclea Polla 352 Rom

367

Pontecagnano 352 Porto Perone s. Satyrion Porto Saturo s. Satyrion Posidonia s. Paestum Pulsano s. Satyrion Reggio 341 Roccavecchia 277 Roccadaspide 354 Roccella Jonica 342 Rosarno 342 Rudiae 277 Ruoti di Potenza 324 Rutigliano s. Azetium Sala Consilina 354 Salerno s. a. Fratte 356 San Biagio della Venella 324 Santa Caterina 281 Sant'Angelo di Ogliara 356 S. Maria di Anglona 325 Sarno 356 Satyrion 281 Scafati 357 Sellia Marina 343 Serra d'Arce 357 Serra di Vaglio 327 Siponto 282 Sybaris 343 Taranto 284 Thurii s. Sybaris Torre Castelluccia 293 Ugento 293 Velia 358 Venosa 327 Verbicaro 344 Werner Hermann

E T R U S K I S C H E B R O N Z E S T A T U E T T E IN GÖTTINGEN Die auf Abbildung 1—4 wiedergegebene Bronzestatuette einer Etruskerin, die sich seit der Jahrhundertwende in der Lehrsammlung des Archäologischen Instituts Göttingen befindet, wird hier nicht zum erstenmal bekanntgemacht 1 . Das Augenmerk einmal wieder auf diese Bronze zu lenken und die Frage nach ihrer stilistischen Eigenart und Zugehörigkeit zu stellen, dürfte dennoch gerechtfertigt sein. 1

G. Körte, Göttinger Bronzen, Abh. d. Kgl. Ges. d. Wiss. zu Göttingen, Phil.-Hist. Kl. N. F. X V I 4,

1 9 1 7 , 35f- mit Taf. 9. Unseren Abb. 1 — 4 liegen Neuaufnahmen von Frau G. Schneider zugrunde.

E T R U S K I S C H E B R O N Z E S T A T U E T T E IN

GÖTTINGEN

369

Die Figur ist samt dem Bleiverguß, mit dem sie in ihre Basis eingelassen war 2 , vollständig erhalten. Sie mißt ohne den Bleiverguß 14 cm in'der Höhe. Die schöne, grünliche Patina erscheint insgesamt gesund. An einigen Stellen* (Nasenspitze, Unterlippe, rechte Schulter, beide Ärmel hinten, linker Oberschenkel) ist^die Oberfläche unwesentlich beschädigt. Geringe Reste von Erde bzw. Sinter finden sich noch an vertieft liegenden Partien 3 . Der Guß (Vollguß) ist, von unauffälligen kleinen Gußblasen abgesehen, gut gelungen. Die Gravierungen (Gewand, Haar, Hände) sind ebenso wie die Punzierungen (Kreise) kalt, d. h. nachträglich ausgeführt worden. Die Wiedergabe der Hände, bzw. Finger, der Ohren und der Gewandfalten ist dementsprechend summarisch. Die etruskischen Schnabelschuhe unserer Statuette sind nur durch ihre typische Form, nicht auch durch angedeutete Laschen, Verschnürung etc. kenntlich gemacht. Das Gewand besteht aus einem bis auf die Knöchel und zu den Ellenbogen reichenden Chiton, über den ein Mantel gelegt ist. Auf der Rückseite fällt dieser Mantel als langgestreckte, die ganze Breite bedeckende Zunge bis zu den Waden herunter; vom Nacken her ist er über die Schultern wie ein Kragen vorn auf den Oberkörper gelegt, kommt dort in der Mitte dicht zusammen und reicht mit seinen spitzen Enden bis zur Hüfte 4 . In den Chiton hat der Künstler zur Angabe von Spannfalten vom sechs gleichartig schräg verlaufende, unregelmäßige Linien eingegraben. Der Chitonsaum ist über den Füßen und an den Ellenbogen als wulstiger, bzw. kantiger Abschluß betont. Dicht an dicht eingefügte, kleine Kerben beleben den nach außen spitz abstehenden Ärmelsaum noch besonders. In gleicher Weise wie beim Chiton sind auch beim Mantel die Falten wiedergegeben. Die nachträgliche Gravierung ist hier besonders gut zu erkennen. Der Saum des verhältnismäßig dick aufgelegten Mantels hebt sich ringsum entschieden vom Chiton, bzw. Körper ab. Allein im Nacken ist der Übergang nicht klar genug bezeichnet. Vor der Brust hat der Bildner den Mantelsaum durch eine Reihe eingepunzter Kreise und durch einen Gravierstrich noch eigens betont. Die gleichen gepunzten Kreise kehren in einer Doppelreihe auf dem Diadem wieder, während die Haarhaube zwischen den zum Schopf führenden Linien kleine Kreuze zeigt. Ein großer, scheibenförmiger Ohrschmuck mit eingepunztem Mittelkreis bedeckt das untere Ende der Ohren. Unsere Etruskerin zeigt die auf Vorder- und Rückseite deutlich durch das Gewand hindurch wiedergegebenen Beine in einer eigentümlich knappen Schrittstellung derart, daß es nicht ganz sicher erscheint, ob die Figur stehend oder schreitend gedacht ist. Das linke Bein ist von der Hüfte ab in ganzer Länge und ohne Andeutung des Kniegelenkes vor-, das rechte Bein entsprechend zurückgesetzt. Das Gesäß folgt dieser Bewegung und ist dabei auf der linken Seite etwas höher gerückt als auf der rechten. In der Vorderansicht der Statuette (Abb. 1) erscheinen die Füße, die mit ihren Spitzen beiderseits ein wenig nach außen weisen, so gestellt, daß sie nicht direkt auf den Betrachter, sondern etwas rechts an ihm vorbeiführen würden 5 . In die gleiche Richtung zeigt, durch eine leichte Wendung des etwas zu seiner rechten Seite geneigten Kopfes, auch das Gesicht. 2

Die Basis dürfte rund gewesen sein; vgl. unten S. 378. Der Bleiverguß ist 3,2 cm hoch. Einen entsprechenden Bleiverguß zeigen u. a. auch die Berliner Statuette Abb. 6. 7; J . Martha, L ' A r t Etrusque 320 Abb. 2 1 9 ; M. Santangelo, Museen u. Baudenkm. d. etruskischen Kunst (1961) 28; H. Hoffmann, Norbert Schimmel Coli. (1964) Nr. 42.

25 AA. 1966

3

4

5

Die Statuette wurde für die Neuaufnahme stellenweise noch etwas von den Erdresten gereinigt. Vgl. zu diesem Motiv die sorgfältige und reiche Ausgestaltung bei der Berliner Bronze Abb. 6. 7 und die vereinfachende Weiterbildung bei einer Statuette in Florenz, StEtr. 10, 1936, Taf. 30, 1. Zur Ansicht der etruskischen Statuetten s. unten S. 378 mit Anm. 27.

370

W O L F G A N G

S C H I E R I N G

Entsprechend uneinheitlich wirkt die Mittelachse der Figur. Von einer idealen Senkrechten, die man von der Nasenlinie über die Innenseite des vorgesetzten Beines bis zu dessen innerem Fußknöchel ziehen kann, weicht die Richtung der beiden Mantelzipfel auf der Brust und die Einziehung zwischen den Beinen ab — und zwar oben durch eine Verschiebung nach links, unten durch eine Gegenbewegung zur rechten Seite der Figur. Diese Verschiebungen verstehen sich im Unterkörper aus der Schrittstellung der Beine, im Oberkörper aber aus der für den Gesamteindruck der Figur so bestimmenden Haltung der Arme. Ist der linke Arm derart vom Körper abgewinkelt, daß sich erst die Hand wieder an den Oberschenkel preßt, so führt der rechte Arm zwar gleichweit vom Körper weg, sein Unterarm und seine Hand aber kommen nicht wieder zum Körper zurück, sondern sie weisen in zweifach gebrochener Bewegung nach vorn. Die rechte Hand erscheint in dieser Haltung formal wie eine Wiederholung der Füße und schafft dabei durch eine kaum merkliche Rechtsbewegung einen gewissen Ausgleich zur Linksrichtung von Füßen und Kopf. Durch die Armhaltung ist die linke Schultcr höher geschoben als die rechte. Beide Arme entfernen sich nicht nur nach links und rechts gleichweit vom Körper, sondern sie sind auch in entsprechender Weise von den Schultern her soweit zurückgenommen, daß von den Seiten her gesehen die zwischen Schulter und Gesäß einschwingende Rückenlinie unter der Armbeuge sichtbar wird 6 . Die wellenförmige Bewegung der Rückseite unserer Figur (Unter-, Oberschenkel, Gesäß, Rücken) endet über der Schulter und dem hier verschliffenen Mantelsaum mit der Einziehung des Nackens und der abschließenden, entschiedenen Auswärtsbewegung der Haarhaube. Eigentümlich an der Gestaltung des Kopfes ist der unnatürliche Absatz hinter dem Diadem, der den Hauptteil des Schädels im Verhältnis zum Gesicht zu klein erscheinen läßt. Das Besondere des wie eine Maske aufgesetzten Gesichtes selbst ergibt sich aus der betont breiten Stirn, den von den Schläfen aus sich rasch zum Kinn hin verjüngenden Wangen und den großen linsenförmigen Augen. Durch Kerben sind die unregelmäßig markierten Lider von den kantig wirkenden Brauen und von den flachen Augäpfeln (eingepunzter Kreis zur Angabe der Iris) abgesetzt. Die Nase ist gratig, ihr Rücken wiederholt die Wölbung der Stirn. Unter den fülligen Lippen stößt endlich das Kinn energisch nach vorn. Durch das Wenden und Neigen, Verschieben, Heben und Senken ihrer Teile, vor allem aber durch ein sonderbar sperriges Sichspreizen der Glieder hat unsere Figur einen Ausdruck erhalten, dessen künstlerische Aussage uns nun beschäftigen soll. Wir gehen zunächst von der Frage aus, ob die Darstellung ruhig oder bewegt ist. Trennen wir dabei die Absicht des Bildners von der Wirkung, die von der Statuette auf den heutigen Betrachter ausgeht, so sehen wir die Etruskerin mehr in einer — freilich merkwürdig gehemmten — Bewegung als in strenger Ruhe vor uns. Unabhängig davon, ob diese Wirkung vom Künstler beabsichtigt war, darf man weiterfragen: Wollte der Bildner in der wiedergegebenen Haltung den Ausschnitt aus einer bestimmten Bewegung, bzw. einen bestimmten ruhigen Moment darstellen, einen Augenblick also, der jedermann durchaus vertraut war und der damit auch einen benennbaren Bezug zu Leben oder Kult hergestellt hätte ? Dies zu bejahen, wird sich scheuen, wer das Motiv dazu nicht ausdrücklich genug findet. Erscheint für eine solche Erklärung doch vor allem die Haltung der beiden Arme, aber auch die Art der Schrittstellung viel zu undeutlich. Dem Künstler ist es also kaum auf die Wiedergabe eines bestimmten und gewichtigen Momentes angekommen. 6

Vgl. zu unseren A u f n a h m e n A b b . 2 und 4 auch die bei K ö r t e a. O. Taf. 9, 2.

E T R U S K I S C H E B R O N Z E S T A T U E T T E IN

Da das Motiv der Göttinger Etruskerin gewiß nicht von ihrem Bildner selbst erfunden worden ist, gilt es nun, nach den mögliehen Vorbildern zu suchen. Über den Einfluß, der von Werken der etruskischen Großplastik auf die Gestaltung unserer Statuette ausgegangen sein könnte, läßt sich auf Grund des Denkmälerbestandes nicht urteilen. Bevor wir aber zum Vergleich mit verwandten Darstellungen der etruskischen Kleinkunst kommen, wollen wir erst unter den g r i e c h i s c h e n Statuetten des gleichen Zeitraumes nach einem ähnlichen und evtl. vorbildlichen Motiv Umschau halten. Dabei wird sich freilich zeigen, daß solche Vergleiche nicht so sehr der Abhängigkeit des Etruskischen vom Griechischen als vielmehr der tiefgreifenden Unterschiede wegen interessant sind. Die peloponnesische Spiegelträgerin des Strengen Stiles, die auf Abb. 5 wiedergegeben ist 7 , stimmt mit unserer Etruskerin darin überein, daß sie bei annähernd gleicher Gesamthaltung den einen Arm nach vorn und den anderen, abgewinkelt, mit der Hand zur Hüfte führt. Doch wie ganz anders sind diese Armhaltungen bei dem griechischen Werk! Der Arm, dessen Hand vorgestreckt war, bleibt bis zum Ellenbogen dicht am Körper und durch das Gewand auch formal mit ihm verbunden; die jetzt fehlende Hand hat zweifellos einmal bedeutungsvoll etwas gehalten. Bei der Etruskerin dagegen ist der ganze Arm sperrig vom Körper gelöst, und die Hand, deren Rücken nach oben zeigt,

GÖTTINGEN

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371

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Abb. 5. Spiegelstütze in Berlin

konnte und sollte nichts halten. Die zweite Hand aber, die bei der etruskischen Statuette mit der Innenfläche fest an den Oberschenkel gepreßt ist, wird dort in einer organischen, von der Gesamthaltung der Spiegelträgerin bestimmten Weise mit dem Handrücken (also gerade anders herum) in die Hüfte gestützt 8 . Der sperrigen, von einer eigenwilligen Bewegung bestimmten Armhaltung der Etruskerin steht bei der griechischen Figur, die wir als Beispiel eines möglichen motivischen Vorbildes ausgewählt haben, eine gänzlich andere Auffassung vom Körper und von der körpergebundenen Bewegung aller Teile und Glied-

7

Berlin, C.Friederichs, Berlins antike Bildwerke II, Geräte und Broncen (1871) Nr. 1 1 ; E . Langlotz, Frühgr. Bildhauerschulen Tai. 33, 3; hier Abb. 5

8

mit freundlicher Erlaubnis von A. Greifenhagen. Zu diesem Motiv vgl. die 'Hestia Giustiniani' B r B r . 491.

372

W O L F G A N G

S C H I E R I N G

Abb. 6 und 7. Bronzestatuette in Berlin

maßen gegenüber. Von dieser griechischen Darstellungsweise, die schon bei den geometrischen Figuren deutlich im K ö r p e r Sitz und Mittelpunkt aller Bewegung erkennen läßt 9 , weiß die Göttinger Bronze nichts: Ihr Körper ist nicht Zentrum, sondern nur Durchgang einer in die sperrigen Glieder strömenden Bewegung. Nur aus einer solchen Auffassung erklärt es sich auch, daß die Figuren der etruskischen Kleinplastik beliebig gedehnt oder zusammengezogen, bzw. verdünnt werden konnten 10 . Überschaut man die bekannten weiblichen Bronzestatuetten der etruskischen Kunst des späten 6. und des früheren 5. Jhs. v. Chr., so findet man neben den griechischen Motiven mit körpergebundener Wiedergabe der Gliedmaßen häufig auch die eigenständiger erscheinende sperrige Gestaltung im Sinne der Göttinger Bronze. Am nächsten stehen den griechischen Vorbildern die Typen in ostionischem Geschmack, die beide Arme fest am Körper halten 11 . Doch auch diejenigen Figuren, bei denen die Oberarme am Körper liegen, die 9

10

Ein besonders schönes Beispiel aus der geometrischen Plastik ist die Statuette in Olympia, Olympiabericht V I I Taf. 60. 61. Vgl. dazu T. Dohm, Grundzüge etrusk. Kunst

11

(1958) 45 ffVgl. etwa G. Q. Giglioli, L'Arte Etrusca (1935) Taf. 1 2 1 , 3. 4; S t E t r . 25, 1957, 55^ Abb. 12. 1 3 und 564 Abb. 2 1 — 2 4 .

ETRUSKISCHE

BRONZESTATUETTE

IN

GÖTTINGEN

373

A b b . 8 und g. Bronzestatuette in Kassel

Unterarme (beide oder einer) aber nach vorn bzw. oben gehalten sind, unterscheiden sich von der ersten Gruppe nur unwesentlich 12 . Die sich vom Körper lösende Haltung der Unterarme wird hier deutlich vor allem von den in den Händen gehaltenen Gegenständen gelordert (Blüte, Granatapfel, Schale). Im Ganzen bleibt die Armhaltung dieser Figuren gleichfalls noch 'körpergebunden'. Wieviel selbständiger gegenüber der griechischen Darstellungsweise wirken auf uns dagegen diejenigen etruskischen Figuren, die auch beide Oberarme vom Körper gelöst zeigen. Die Hände können dann gleichfalls beide ganz von Körper und Gewand getrennt sein (Abb. 10. n ) , oder es führt nur die eine Hand wieder zum Körper zurück, um sich — wie in unserem Falle — senkrecht an den Oberschenkel zu pressen, bzw. um an der gleichen Stelle nach einem bekannten griechischen Motiv das Gewand zu raffen (Abb. 6. 7). Auf diese zwei zuletzt erwähnten Grundformen wollen wir uns im folgenden beschränken. 12

Beide Unterarme nach vorn: e t w a Giglioli a. O. Tat. 121, 1; 220, 3. 4; vgl. auch die Florentiner Statuette, H. Mühlestein, Die K u n s t d. Etrusker A b b . 178, die das T h e m a in einer rein italischen

Formensprache vorträgt. — Linker A r m anliegend (ins G e w a n d greifend), rechter Unterarm erhoben: etwa O.-W. v o n V a c a n o , Die Etrusker (1955) Taf. 69 oder Giglioli a. O. Taf. 126, 1.

374

WOLFGANG

SCHIERING

Die Haltung des rechten Armes und der rechten Hand kehrt so oder ähnlich wie bei unserer Bronze (Abb. i — 4 ) oft wieder 13 , das Anpressen der linken Hand an den Oberschenkel aber vor allem noch bei männlichen — bekleideten wie unbekleideten — Figuren 1 4 . Zu den weiblichen Statuetten, die in jüngerer Zeit das Motiv noch ähnlich bewahrt haben, gehört die auf Abb. 8 — 9 wiedergegebene Bronze in Kassel 1 5 . B e i den Frauenstatuetten haben die einheimischen Künstler im übrigen aus einer Vorliebe für den manierierten Geschmack der spätarchaischen griechischen Mode und Kunst lieber das Motiv des Gewandraffens verwendet 1 6 . Diese Haltung, die mit den Kleinbronzen massenweise und bis ans E n d e der etruskischen Kunst verbreitet worden ist, hatte für den italischen Künstler und sein Stilempfinden ganz besondere und gern ausgekostete Reize. Das wird an der qualitätvollen, auf Abb. 6 — 7 wiedergegebenen Berliner Statuette, aber auch noch an späteren Arbeiten deutlich 1 7 . Das Straffen des Gewandes schafft nämlich nicht nur einen eigenwilligen ornamenthaften Umriß der linken Körperseite, sondern es gibt dem Künstler auch willkommene Gelegenheit, dieser Bewegung auf der anderen Seite und im Rücken mit einem feinen Spiel sorgsamer Oberflächenmodellierung zu antworten. Unter den Beispielen im Typus der Berliner S t a t u e t t e (Abb. 6—7) scheinen sich einige dennoch geradezu mit Gewalt von der Bindung der linken Hand 'befreien' zu wollen 18 . Auch die Göttinger S t a t u e t t e ließe sich als Stufe auf einem Weg zur 'Befreiung' der linken Hand vom Körper verstehen: Vom festen Anpressen bis zum Lösen der Hand scheint es nur ein kleiner Schritt. Eine derartige stufenweise Lösung von der Körperbindung der Glieder, die zur immer reineren Verwirklichung des eigenen Stilempfindens geführt hätte, dürfen wir dennoch nicht annehmen 1 9 . Die Haltung blieb vielmehr an das Motiv geknüpft. Eine 'freie' Haltung ergab sich etwa aus dem Motiv der Schreitenden oder Tanzenden 2 0 . Schönstes Beispiel scheint mir eine 'Tänzerin' in Boston zu sein (Abb. io) 2 1 . Trotz der

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Meist hält diese Hand freilich etwas : hier Abb. 6. 7 (der gehaltene Gegenstand verloren). 8. 9. Das Handmotiv unserer Bronze findet sich bei Tänzerinnen (Abb. 10. 11), beim Thymiaterionträger v. Vacano a. O. Taf. 97 oder auch bei der Statuette Giglioli a. O. Taf. 125, 2; vgl. weiterhin gelagerte männliche Figuren wie v. Vacano a. O. Taf. 68a. 73a. 76b. Etwa StEtr. 2, 1928 Taf. 4; v. Vacano a. O. Taf. 71. 78. M. Bieber, Die ant. Skulpturen u. Bronzen des Kgl. Museum Fridericianum in Cassel Nr. 126 Taf. 39. Hier mit freundlicher Erlaubnis von R. Lullies nach Neuaufnahme. Vgl. dazu StEtr. 21, 1950/51, 350 Abb. 3. 4.; älter: StEtr. 1 0 , 1 9 3 6 Taf. 40, 6. Vgl. auch das mit dem Gewandraffen vermischte Motiv v. Vacano a. O. Taf. 66 a. Eine Erklärung zur Aufgeschlossenheit der etruskischen gegenüber der archaisch-griechischen Kunst gibt T. Dohm a. O 35. Friederichs a. O. Nr. 2155. Hier mit freundlicher Erlaubnis von A. Greifenhagen. Vgl. auch die Schrägansicht bei v. Vacano a. O. Taf. 66 b. Auf diese Statuette machte bei der Veröffentli-

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chung unserer Bronze schon G. Körte aufmerksam, a. O. 36. Weitere Beispiele des Motivs bis in die Spätzeit: W. Lamb, Greek and Roman Bronzes Taf. 4 1 c ; v. Vacano a. O. Taf. 70; Giglioli a. O. Taf. 126, 4; StEtr. 10, 1936 Taf. 30, i ; 40, 2. 3; E . Berger, Kunstwerke d. Antike, Slg. Käppeli B 10; StEtr. 21, 1950/51, 349 Abb. 2; 16, 1942 Taf. 33, 5—7; 25, 1957, 495 Abb. 7. 8; Bieber a. O. Taf. 39, 124. 125. Etwa die Statuette im Louvre, Giglioli a. O. Taf. 126, 4. So wurden die Varianten etwa von Bieber, a. O. 55 verstanden: »In einem weiteren Stadium wird dann die linke Hand, die ursprünglich das Gewand emporzog, ganz vom Körper gelöst«. Vgl. außerdem die verschiedenen Kampfmotive: unter den weiblichen Statuetten also die Typen der Promachos wie Giglioli a.O. Taf. 124, 2 und r25; M. Santangelo, Museen u. Baudenkm. d. etrusk. Kunst 1 3 3 ; P. Ducati, Storia dell'Arte Etrusca Taf. 135 Abb. 347. 348. Unsere Abbildung mit freundlicher Erlaubnis des W. Kohlhammer Verlages nach v. Vacano a. O. Taf. 67. Andere etruskische Bronzen von Tänzerinnen: etwa E. Berger a. O. B 11;

E T R U S K I S C H E B R O N Z E S T A T U E T T E IN

GÖTTINGEN

375

Abb. 10. Bronzestatuette in Boston

etwas zu groß und grob geratenen Hände und Füße (Schuhe?) ist diese Bronzestatuette von einer so unmittelbaren Frische und von einer so eindrücklichen Wiedergabe der Bewegung, daß man in ihr ein besonders typisches Werk der etruskischen Kleinkunst erkennen möchte. Die Bostoner Tänzerin läßt sich nun aber mit den motivisch ruhigeren Statuetten in Göttingen und Berlin (Abb. i—4. 6—7) sehr viel besser verbinden, als es zunächst den Anschein haben mag. A l l e diese Figuren sind nämlich von derselben, den Körper und die Glieder gleichermaßen durchströmenden und nach außen drängenden Bewegung beherrscht. Auch das merkwürdig Sperrige, Gespannte der Haltung ist im Grunde hier und dort gleich; nur scheint es, als spräche uns diese Bewegung bei der Bostoner Statuette unmittelbarer an. Derartige stilformende Kräfte sind nicht aus dem Erlebnis »vegetativen Lebens« erwachsen; man sollte sie auch nicht als »rhythmisch« und schon gar nicht als »expressiv« und Giglioli a. O. Taf. 209, 1 ; S t E t r . 10, 1936 Taf. 13, 2. — Tänzer: etwa Giglioli a. O. Taf.

209, 3 und 210, 2 . — V g l . auch die Schreitende, Giglioli a. O. Taf. 125, 2.

376

W O L F G A N G

S C H I E R I N G

»von außen auferlegt« bezeichnen22. Vergleichbare Bewegungen kennen wir aus bestimmten spannungsreichen Ornamenten, wollen sie aber doch auch nicht »ornamental« nennen, weil dieser Begriff zu weit wäre. Es scheint viel besser, der hier Ausdruck und Stil gewordenen Bewegungskraft durch Vergleich mit der Eigenart der Flamme oder auch der Elektrizität (Bernstein) näherzukommen 23 : Zwei Erfahrungsbereichen, die im Hinblick auf das künstlerische Erleben m. E. denen aus dem vegetativen Leben durchaus gleichgestellt werden dürfen. Damit soll selbstverständlich keine bewußte Beziehung zwischen solchen Erfahrungen und der Gestaltungsweise unserer Bronzen postuliert werden. Kontrollieren wir den gewonnenen Vergleich an den betreffenden Statuetten: Ihre Körper haben keinen festen, sicheren Stand auf dem Boden, sie wachsen auch nicht auf, vor allem aber haben sie kein Zentrum, von dem die Bewegung der Glieder e n e r g i s c h — wie bei der griechischen Figur — ausgeht. Die Glieder bleiben deshalb auch nicht — wie dort — an den Körper gebunden, sondern sie suchen im Gegenteil wegzustreben, und wenn sie den Kontakt wieder aufnehmen, so geschieht es in einer gewaltsam wirkenden, gespannten Form. Die Bewegung dringt irgendwie und irgendwo in einen darauf vorbereiteten Körper ein und sie durchströmt ihn, um dann an allen möglichen Enden schnell wieder auszubrechen. Die Kräfte, die wie züngelnde Flammen aus den Fußspitzen, Fingern, der Haube und aus allen Zipfeln des Gewandes zu lodern scheinen, wirken sogar noch weiter — wegstrebend oder kreisend — in den umgebenden Raum. In solcher Art Bewegung also und nicht im Motiv an sich dürfen wir die stilistische Besonderheit auch unserer Göttinger Statuette erkennen. E s ist eine Bewegung, die sich in den plastischen Figuren merkwürdig gespreizte Wege gebahnt hat; sie ist ebensowenig körperlich oder vegetativ wie sie von außen auferlegt ist. Weil sie nicht an einen menschlichen oder tierischen Körper gebunden war, konnte sie sich ebenso in einer beliebigen Gerätform verwirklichen. Das zeigen besonders anschaulich jene Bronzegeräte, bei denen die menschliche Figur nur als ein Teil in das Gesamt der Formen und Bewegungen aufgenommen ist (Abb. Ii) 2 4 . Doch selbst das Gerät, das auf figürliche und pflanzliche Ausgestaltung ganz verzichtet, kann von der gleichen lodernden Bewegung und von den gleichen sperrigen Verhältnissen der Teile zum Ganzen sein. Dafür mag ein früher Tonleuchter in Tarquinia Zeugnis geben (Abb. 12) 25 . Wie begreiflich ist es unter derartigen Voraussetzungen, daß diese Kunst nicht zum eigenen Nacherleben und damit zur selbständigen Darstellung des K o n t r a p o s t e s in der

22

23

Vgl. Dohrn a.O. 290. und 4 5 ! — »Vegetatives Leben« ist den gleichen Ordnungen unterworfen wie das Organisch-Körperliche; es wächst von unten nach oben auf. »Rhythmus« ist nach einer Definition von A. Riegl »reihenweise Wiederholung gleicher Erscheinungen« (Spätröm. Kunstindustrie [1927] 389), also auch etwas durch und durch Gesetzmäßiges. »Expressiv« ist m. E . eine Kunstsprache, die einer Darstellung im wiedergegebenen Motiv zu größtmöglicher Klarheit verhilft. Die frühe sardinische Plastik kann man expressiv nennen (J. Thimme, Frühe Plastik aus Sardinien. InselBücherei Nr. 641). Gerade aus dem 7. und 6. J h . v. Chr. gibt es j a

zahlreiche Bernsteinfunde aus italisch-etruskischem Boden: s. etwa P. Marconi, L a cultura orientalizzante nel Piceno, MonAnt. 35, 1 9 3 5 ; vgl. L e x . d. Alten Welt s. v. Bernstein. 24

Thymiaterion Berlin, Friederichs a. O. Nr. 692. Abgebildet bei Giglioli a. O. Taf. 2 1 3 , 1 . Hier mit freundlicher Erlaubnis von A. Greifenhagen.

25

Hier nach v. Vacano a. O. Taf. 144. — Flammenartige Formen lassen sich gerade in der italischetruskischen Frühzeit sehr vielfältig aufzeigen: etwa bei dem Chiusiner Canopus, v. Vacano a. O. Taf. 25, aber auch in einer Gruppe von Bronzereliefs, Marconi a. O. Taf. 2ff. 22 und S. 3öof. mit Abb. 32; Mühlestein a. O. Abb. 150. 1 5 1 .

E T R U S K I S C H E B R O N Z E S T A T U E T T E IN G Ö T T I N G E N

Abb. 1 1 . Thymiaterion in Berlin

377

Abb. 12. Tonleuchter in Tarquinia

Haltung und Bewegung des menschlichen Körpers gefunden hat 26 . Gern ließ sie sich dagegen von den archaisch-griechischen Formen beeinflussen, die sie umgesetzt und dann zäh bewahrt hat (Anm. 16). Deshalb ist es so schwer, die betreffenden Arbeiten der etruskischen Kunst zeitlich zu bestimmen. Deutlich zeigt auch die Göttinger Bronze noch den Einfluß der archaischen Formen. Die Gewandung wie auch die Art und Weise des feinen Oberflächenspieles, das die organischen Formen nachahmt, erinnert von fern an die archaisch-griechische Gestaltungsweise. Daß unsere Statuette nicht mehr im 6., sondern in der ersten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. entstanden ist, geht indes aus den Gesichtsformen hervor, vor allem aber aus den in der obigen Beschreibung beobachteten Verschiebungen von Gesäß und Schultern. Hier drückt sich doch wohl bereits die Einwirkung griechischer Vorbilder des Strengen Stils aus. Solche Einzelzüge hat der Bildner bereitwillig den überall an unserer Figur aufgesuchten formalen 26

Dort, wo die Bewegung echten Ausdruck gefunden hat, wie etwa bei einem Berliner Tänzer aus Chiusi (L. Goldscheider, Etruscan Sculpture [ 1 9 4 1 ] Abb. 71) möchte man an

einen zugewanderten griechischen Künstler denken, der griechisches Körperempfinden mit etruskischem Stil verquickt hat.

378

G E O R G

J.

D E S P I N I S

Divergenzen hinzugefügt. Selbst diese Unregelmäßigkeiten sind nämlich nicht Teil einer äußerlich auferlegten Bewegung, sondern sie gehören, wie das ganze bewegte Oberflächenspiel, zu der aus der Grundbewegung heraus gestalteten Formensprache der betreffenden Künstler. Die freiplastische g r i e c h i s c h e Figur ist von Anfang an und bis in die klassische Zeit nicht auf eine bestimmte Ansicht hin geformt, weil sie aus sich heraus erlebt und gestaltet wurde. Die Frage nach dem richtigen Blickpunkt für eine solche Figur ist schon als Frage verfehlt. Dennoch findet der Betrachter — wie zu einem lebenden Wesen — stets von hier und dort Kontakt zu dem betreffenden Werk. Die Figur kann ihm nicht entgleiten. Bei den etruskischen Arbeiten aber, zu denen die hier betrachteten Bronzen gehören, ist das gänzlich anders. Die nicht aus Erfahrung am menschlichen Organismus gewonnene, 'gerätartige' Körperlichkeit dieser bezeichnenderweise meist auf einer runden oder dreieckigen Basis stehenden Statuetten läßt die Darstellung von keiner Seite her in einen wirklich greifbaren Bezug zum Betrachter treten, sie bleibt indifferent. Oft führt sie — wie sich zeigte — rechts oder auch links am Beschauer vorbei (Abb. i—4. 8—Ii) 2 7 . Haben wir die den Körper durchströmende Bewegung bis zum frühen Tonleuchter in Tarquinia (Abb. 12) zurückverfolgt, so wollen wir schließlich unter den Schöpfungen, die aus der reifen Zeit vom gleichen Ausdruck Zeugnis geben, die bedeutendste noch besonders hervorheben: die große, bronzene Chimaira aus Arezzo28. Sie kann als die vollkommenste Verwirklichung der unruhig flammenden, durchströmten und von außen nicht faßbaren Bewegung angesehen werden, die ein wesentliches Stilelement der hier herausgegriffenen und unzähliger anderer, kostbarer wie primitiver, vom 7. Jh. v. Chr. bis in die Spätzeit reichender italisch-etruskischer Werke ist. Göttingen

Wolfgang Schiering

E I N N E U E S W E R K D E S DAMOPHON Bei den Ausgrabungen des großen Baukomplexes im antiken Messene, die seit 1957 von A. K. Orlandos geleitet werden, wurde der Kopf Abb. 1 und 2 gefunden, dessen Veröffentlichung mir der Ausgräber 1963 gütigst erlaubte 1 . Mein erster Eindruck, daß dieser Kopf mit dem Werk des messenischen Bildhauers Damophon zusammenhängt, hat sich im Laufe meiner Untersuchungen erheblich verstärkt. Es sei daher erlaubt, hier bereits einige Vorüberlegungen zu einer von mir in Aussicht genommenen größeren Arbeit über dieses neue Werk des Damophon vorzulegen. 27

28

Vgl. zu den geläufigen Schreit-, Tanz- und Kampfmotiven auch die bizarre Bewegung eines Kriegers aus Brolio (Mühlestein a. O. Abb. 1 8 1 bis 183), der die grundverschiedene Auffassung gegenüber scheinbar ähnlichen Motiven der frühen griechischen Kunst, etwa den 'Ringhenkelhaltern', besonders auffällig zeigt. W. L . Brown, The Etruscan Lion (i960), 155 ff. mit Taf. 57 a. Auch den Münchner Satyr, M. Pallottino, Etruskische Kunst (1955) Abb. 102

möchte ich als ein etwas jüngeres Werk im Zusammenhang mit der Chimaira nennen. Das Italisch-Etruskische überwiegt hier gleichfalls die griechische Einwirkung; vgl. dagegen Dohm a. O. 8 mit Anm. 9. 1

Herrn Prof. A. K . Orlandos bin ich für die Erlaubnis zur Veröffentlichung des Kopfes zu Dank verpflichtet. Bei der Übersetzung des Manuskripts hat mir W. Fuchs freundlich geholEen.

EIN

NEUES

W E R K

DES

DAMOPHON

379

Der Kopf 2 besteht aus weißem, feinkörnigem Marmor und wurde im Zerstörungsschutt der Stoa vor dem Raum H vom Nordflügel des Baukomplexes 3 gefunden. Seine Höhe beträgt 0,33 m > e r gehörte also zu einer überlebensgroßen männlichen Statue. Zu ihr gehören nach Marmorart und Größenverhältnissen zwei Arme 4 , die von der Mitte des Oberarmes bis zu den Händen erhalten sind, und ein Stück der Plinthe mit dem linken Fuß 5 . Letztere wurden innerhalb des Raumes H gefunden. In diesem Raum H befindet sich auch die Basis, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu dieser Statue gehörte, von der bis jetzt nur die erwähnten vier Fragmente bekannt sind. Der Kopf ist bis zum Halsansatz erhalten. Er besteht aus einem Marmorblock bis auf ein gesondert gearbeitetes Stück am Hinterkopf, das mit einem Dübel und leichter Anathyrose angesetzt war. A m Kopf fehlen die Nase, Teile der Lippen, die Ohrränder und ein Stück von der linken Schläfenpartie. Kleinere Bestoßungen sind am Kinn, den Unterlidern der eingesetzten Augen, den Haarbüscheln über der Stirn und in der Stirnmitte zu verzeichnen. Zweifellos stammt der Kopf von einer jugendlichen männlichen und unbärtigen Gestalt. Charakteristisch dafür ist die Haartracht: Vom Scheitel aus gehen leicht gewellte Strähnen nach beiden Seiten, die vorn über der Stirn links und rechts zu je drei größeren Lockenbüscheln zusammengefaßt sind und hinten in einer Haarrolle enden. Dabei ist im Nacken ein großes Stück roher Marmormasse stehengeblieben, in das zwei senkrecht untereinander angeordnete große und tiefe Dübellöcher eingelassen sind; vielleicht dienten sie zum Einsatz von aus Metall gearbeiteten Haarlocken, die auf die Schultern fielen. Für eine solche Ergänzung spricht besonders die folgende Einzelheit der Haartracht: A m oberen Teil der Wangen und in Fortsetzung der letzten vor den Ohren befindlichen Haarbüschel gibt es ein kleines Loch, das schräg nach oben läuft. Es muß der Größe nach dem Einsatz kleiner Haarlocken aus Metall, wahrscheinlich aus Gold oder vergoldeter Bronze, gedient haben. Das Haar wird von einer Tänie zusammengehalten. Oberhalb dieses Bandes gibt es in regelmäßigen Abständen eine Reihe kleiner Löcher, die zur Befestigung eines Kranzes aus Gold oder vergoldeter Bronze bestimmt waren. Für einen goldenen Kranz spricht nicht nur die Eigenschaft der dargestellten Person (es handelt sich um eine Götterstatue, wie wir weiter unten sehen werden), sondern auch eine weitere Beobachtung. Als der Kranz nämlich in späterer Zeit geraubt wurde und das früher durch die Blätter des Kranzes bedeckte Band frei blieb, hat man versucht, mit vielen kleinen, schrägen und dicht nebeneinander roh eingeritzten Linien den Raub des Schmuckes zu verbergen und das Band dem Haar anzugleichen. Als weitere charakteristische Einzelheiten des Kopfes sind das unsorgfältig gearbeitete Haar am nicht sichtbaren Teil des Oberkopfes, die Glättung der Oberfläche des Gesichtes und die einfache malerische Behandlung des Haares zu bemerken. In der Mitte des Halsansatzes befindet sich auf der glatten Unterfläche ein Dübelloch, das zeigt, daß auch der

2

3

"Epyov 1962, 120 Abb. 143. Vgl. BCH. 87, 1963, 768 Abb. 3. JHS. 83, 1963, Arch. Reports 1962/3, 18. AEAT. 18, 1963, XpoviKa 95 Taf. 110 ß — y . TTpctKT. 1962 (erschienen 1966) 99 ff. Taf. 103 ß—S. Die hier veröffentlichten Abbildungen nach neuen Aufnahmen des DAI. Athen. Der bis jetzt vollständigste Grundriß der sog. Agora von Messene findet sich im "Epyov 1964, 91 ff. Abb. 110.

4

Ein Arm wurde 1959 (vgl. "Epyov 1959, 114. BCH. 84, i960,696. TTpctKT. 1959,165 Taf. i 3 9 y ) , der andere im nächsten Jahr gefunden. Beide zusammen abgebildet "Epyov i960, 160 Abb. 174—175. BCH. 85, 1961, 697 Abb. 4—5. TTpocKT.

i960, 210ff. Taf. 163a.

5

"Epyov 1959, 114 Abb. 120. BCH. 84, i960, 696 Abb. 6. TTpaKT. 1959, 165 Taf. 139 ß.

38O

G E O R G

J.

D E S P I N I S

A b b . i und 2. Apollonkopf des Damophon

Hals der Statue, vielleicht auch der Torso, in Marmor gearbeitet und mit dem Kopf verdübelt war. Wenn wir nach Werken suchen, die stilistisch und chronologisch mit unserem Kopf in Zusammenhang stehen, so finden wir die Köpfe der Demeter (Abb. 3—4) und vor allem der Artemis (Abb. 5—6) aus der Lykosura-Gruppe 6 nächst verwandt 7 . Alle drei Köpfe 8 zeigen gleiche Umrisse sowie verwandte Einzelformen. Auch die Auffassung der Masse und der einzelnen Elemente des Kopfaufbaues sind gleich und führen uns dazu, den Kopf von Messene demselben Meister zuzuschreiben. Der Ausdruck dieses gemeinsamen plastischen Empfindens wird bei beiden Werken mit den gleichen Mitteln erreicht. Die Verbindung der Wangenflächen mit der Stirn- und Jochbeinpartie in ihrer scharfen Einziehung und knappen Rundung, die Form der Lippen und des Kinnes, die Stellung der kleinen, tief und nah beieinanderliegenden Augen und die Bestimmtheit der Komposition des Gesichtes durch einige betonte Elemente, denen die übrigen Einzelformen eingebunden sind, sprechen in voller Klarheit nicht nur für die zeitliche Verwandtschaft der Werke, sondern auch für die Hand des gleichen Meisters. Auch in der Seitenansicht zeigt der neue Kopf im

6

F ü r die L y k o s u r a - S k u l p t u r e n bleiben die A u f sätze v o n G. Dickins, B S A . 12, 1905/06, 109ff.; 13, 1906/07, 357ff.; 17, 1910/11, 80ff. grundsätzlich. A b b i l d u n g e n finden sich auch bei K . K u runiotis, KccTaAoyos TOÜ MOUCTEIOU AuKoaoOpas (1911). Über D a m o p h o n und sein W e r k s. die ältere sowie die neuere Literatur bei: A m e l u n g in Thieme-Becker V I I I 331 ff. s. v. Damophon. E . Meyer in R E . X I I I 2, 2 4 l 8 f f . s. v. L y k o s u r a . B e c a t t i , R I A . 7, 1940, 4off. Lippold, H d A r c h . I I I 1, 35off. L . Alscher, Griechische Plastik I V

79 ff. M. Bieber, The Sculpture of the Hellenistic Age 2 158 t. Mustilli in E A A . I I 999ff. s. v. Damophon. ' D a ß der Kopf v o n Messene mit dem W e r k des D a m o p h o n zusammenhängt, hatte auch der Direktor des A t h e n e r Nationalmuseums, Chr. K a rusos, unabhängig von mir angenommen, s. FlpccKT. 1 9 6 2 , 8

99

Anm.

1.

G u t e A b b i l d u n g e n der K ö p f e aus L y k o s u r a bei B r B r . 478 (Demeter), 479 (Artemis), 480 (Anytos).

EIN NEUES W E R K DES

DAMOPHON

381

Abb. 3 und 4. Demeterkopf des Damophon

Vergleich mit den Köpfen der Lykosura-Gruppe viele ähnliche Einzelheiten. Hier seien nur bemerkt: die Form und Stellung des Ohres, die Form der Kinnlade, die nicht ausgeprägt vom Ohr ab ausgeht, dann massiver geführt in der viereckigen Kinnstruktur zusammengefaßt wird, die Gestalt der Lippen und die tief und senkrecht unter den Augen eingezogenen Formen der Augenringe. Weitere technische Einzelheiten bestätigen diese Zuschreibung. Die Haarbehandlung ist ähnlich wie bei den Köpfen der Lykosura-Gruppe. Die weiche Masse des Haares hat der Künstler mit kleinen impressionistisch aufgelösten und verwirrenden Schlägen angegeben, die nicht wie mit dem Meißel, sondern eher wie mit dem Schnitzmesser gearbeitet scheinen. Die Augen des Kopfes aus Messene waren ebenso wie beim Anytos und der Artemis der Lykosura-Gruppe eingesetzt. Die weitere Frage nach der Datierung des Kopfes im Vergleich zur Lykosura-Gruppe, sowie die Probleme der absoluten Datierung des Damophon-Werkes im 2. J h . v. Chr. setzen eine ausführlichere Untersuchung voraus, die später nachgeholt werden wird. Zur Zeit scheint es sich so zu verhalten, daß der Kopf aus Messene schon stärker verhärtet und gegenüber den Köpfen der Lykosura-Gruppe in klassizistischer Weise vereinfacht ist, wonach er ein wenig später als die Lykosura-Gruppe datiert werden könnte. Für die Frage, wer in dieser Statue dargestellt war, hilft uns der ikonographische Charakter. Aus den Zügen, die wir oben ausführlich beschrieben haben, wird die Deutung auf eine Gestalt aus der Welt der Götter evident. Der Kopf des jugendlichen, unbärtigen Mannes mit dem goldenen Kranz und der charakteristischen Anordnung des Haares, mit den aus Metall eingesetzten Haarlocken, zeigt so betont die Züge, mit denen die klassische

382

G E O R G

J. D E S P I N

IS

Abb. 5 und 6. Artemiskopf des Damophon

Kunst von Anfang an die Gestalt des Apollon ausgezeichnet hat, daß man für den Kopf aus Messene sofort an diesen Gott denkt. Es gibt Parallelen aus dem Bereich der Großplastik, viele aber aus dem der Keramik und Kleinkunst (besonders auf Münzen), so daß eine Aufzählung an dieser Stelle nicht nötig scheint. Es genügt ein Vergleich mit dem Apollonkopf auf einer Münze von Leontinoi 9 , der unserem mit Lorbeerkranz und Haarlocken zu ergänzenden Kopf brüderlich verwandt scheint. Diese Benennung unterstützt auch das Motiv der Statue, die aus den oben erwähnten Fragmenten (Arme und linker Fuß) mit großer Wahrscheinlichkeit zu rekonstruieren ist. Danach stand der Gott auf dem rechten Bein, während das linke rückwärts geführt war und der Fuß nur mit Ballen und Zehen den Boden berührte. In der aufwärts geführten Hand des linken gebeugten Armes hielt er am wahrscheinlichsten einen großen Lorbeerstamm, die Rechte war seitlich nach vorn und abwärts mit der flachen Innenseite der Hand nach oben ausgestreckt. Sie hielt wahrscheinlich eine Spendeschale aus Metall. Die Rekonstruktion der Statue in Zusammenhang mit ihrer Basis, die von den anderen Basen der Werke des Damophon abweicht, kann hier nicht ausführlich behandelt werden. Demzufolge kann man diese Statue mit der des Apollon des Damophon, die Pausanias im Asklepieion von Messene gesehen hat, identifizieren: Paus. IV 3 1 , 10 XWP'S Y^P öeoö Kai T Ö V TraiScov s a r i v äyäAuorra, X ^ P ' S SE 'ATTÖÄACOVOS Kai Mouacov Kai 'HpaKÄeous, TTÖAIS TE F) Qrißaicov Kai 'E-rranEivobvSas 6 KAeomaiSos, T O / T I TE Kai "ApTEpas Ocoacpöpos. Die folgende Erklärung des Pausanias TCX HEV 8T) TOÜ Aiöou AanocpcSv-ros, 6s (oder Aanocpcov aÜTois) eipyäaaTO macht er zur Unterscheidung von der Porträtstatue des Epameinon9

K . Lange, Götter Griechenlands 1 1 8 (5) Tai. 5. Zur Haartracht vgl. H. Bulle, 99. BWPr. 1 1 .

E I N N E U E S W E R K D E S DAMOPHON

383

das, die EK aiSripou TÉ ecrri Kai Ipyov aAÄou. Also: der Künstler aller übrigen Statuen im Asklepieion von Messene war Damophon. Einige dieser Statuen sind uns durch spätere Münzen der Stadt wenigstens ihrem Typus nach überliefert, wie z. B. die Statue des Asklepios 10 und der Kopf der Tyche (Stadtgöttin) von Messene 11 . Die Stelle des Pausanias wurde bisher sehr verschieden erklärt 12 . In den meisten Fällen glaubt man, daß Pausanias mit dem Ausdruck 'ATTÓAACOVOS Kai Mouacov eine Gruppe des Gottes mit den Musen meint. Weil aber von allen männlichen Statuen, die Pausanias als Werke des Damophon in Messene nennt 13 , unser Kopf die charakteristischen Züge einer Apollon-Statue zeigt, glaube ich, daß die Identifizierung des Kopfes mit dem Apollon des Damophon im messenischen Asklepieion große Wahrscheinlichkeit für sich hat. Deshalb wird die Statue des Gottes getrennt von den Musen dargestellt gewesen sein: Nicht als Apollon Musagetes, sondern als Heilgott 14 und in naher Beziehung zu seinem bärtigen Sohne Asklepios, dem Besitzer des Heiligtums. Das wichtigste Ergebnis dieser Identifizierung ist die Erklärung des großen Baukomplexes in Messene als Asklepieion, wie bereits E. Kirsten 15 angenommen hat. Seine Annahme stützt er auf die Bauanlage, die mit der des Asklepieions von Pergamon sehr verwandt ist, sowie auf epigraphische Funde der Ausgrabung 16 . Seiner Meinung folgt N. Papachatzis 17 , der als erster auf die wichtige Nachricht der Inschrift IG. V 1, 1462 hingewiesen hat 18 . Daß es sich hier um das Heiligtum des Asklepios handeln muß, wird durch die folgenden summarischen Überlegungen bestätigt; es besteht dabei nicht die Absicht, die verschiedenen Räume des Heiligtums völlig zu erklären. Infolge dieser Identifizierung kann man noch weitere Fragmente von Werken des Damophon erkennen. Die knappe Beschreibung des Pausanias genügt für unsere Führung.

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F. Imhoof-Blumer—P. Gardner, Ancient Coins illustrating lost Masterpieces of Greek Art 66 Tai. P i. Vgl. Dickins, B S A . 13, 1906/07, 401 Abb. 28 G. Imhoof-Blumer—Gardner a. O. 66 Taf. Pii. Vgl. Dickins, B S A . 13, 1906/07, 402 Abb. 28 H. Zu den Schwierigkeiten der Deutung der Pausanias-Stelle durch ältere Forscher, die sich Größe und Anlage des Heiligtums nicht vorstellen konnten, vgl. Amelung a. O. 331 und M. Mayer in R E . X V I 1, 736 (TJ). Die meisten denken an eine Gruppe des Apollon mit den Musen und bringen die Herakles-Statue in keine Beziehung mit der Gruppe. Andere glauben, daß es sich hier um eine Gruppe mit Apollon, Musen und Herakles handelt. Einige stellen den Herakles neben die zunächst erwähnten Statuen der Stadt Theben und des Epameinondas. Das Wort x^P'S hat hier als Adverb eine lokale Bedeutung; es heißt also, daß diese Statuen (des Asklepios und seiner Kinder) an einer Stelle, die anderen (Apollon, Musen usw.) sich an anderer Stelle des Heiligtums befinden. Es sei hier bemerkt, daß wir mit dem Wort -rraiSss nicht nur die Söhne des Asklepios verstehen müssen (so z. B. N. Papachatzis in seiner neuen Ausgabe des Pausanias,

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'EAAaSos TTEpiriyriCTis [MsaaTivictKa Kai 'HAiaK&] 144). Eine Bedeutung traiSes = Kinder ist vielleicht richtiger, weil Hygieia wohl dabei dargestellt war; vgl. die Inschrift npccKT. 1962, 1 1 2 y Nr. 8 Abb. 1 1 . Man könnte auch an eine Statue eines Sohnes des Asklepios denken, den der klassizistische Bildhauer mit dem ikonographischen Charakter des Apollon dargestellt hätte. Aber die Statuen der Söhne des Asklepios werden von Pausanias in engster Beziehung mit der Statue des Gottes erwähnt. E s ist also sehr wahrscheinlich, daß sie eine Gruppe bildeten, und zwar innerhalb des Tempels, wie es uns aus Lykosura bekannt ist. S. M. Nilsson, Griechische Religion I 2 538 ff. E . Kirsten—W. Kraiker, Griechenlandkunde 4 424ff. 840; s. auch AA. 1964, 907!. Wie z. B. die Inschriften "Epyov 1958, 142; 1963, 89. TTpotKT. 1962, i i 2 y Nr. 8. Die letzte Inschrift unterstützt besonders die Annahme Kirstens, wie Orlandos, FTpccKT. 1962, 1 1 2 y Anm. 1 bemerkt. FTauaaviou "EAAaSos Trspir|yr|cns (MsCTOT|viaKC< K a i 'HAICCKCC) 1 4 3 A n m . 3 .

Für die Fundstelle der Inschrift vgl. fipaKT. 1895, 27.

3§4

G E O R G

J.

D E S P I N I S

Eines von diesen Fragmenten ist der rechte Fuß 1 9 einer überlebensgroßen Statue, der im Schutt des Raumes M der Westseite gefunden worden ist. Der Fuß trägt eine Sandale und zeigt das teilweise auf ihm liegende und auf den Boden heruntergleitende Gewand. Danach gehört das Fragment sicher zu einer sitzenden Statue, die am wahrscheinlichsten weiblich war. Für den Stil genügt ein Vergleich mit den erhaltenen Füßen der Statuen aus der Lykosura-Gruppe, sowie mit dem oben erwähnten Fuß der Apollon-Statue: Das Fragment stammt sicher von einer Statue des Damophon. Von den Werken, die Pausanias erwähnt, können eigentlich nur zwei in Beziehung zu diesem Fuß gesetzt werden: entweder die Statue der Stadt Theben oder die der Tyche von Messene. Nur diese beiden Statuen können im Typus der sitzenden hellenistischen Stadtgöttinnen vorgestellt werden. Wir glauben, daß das Fragment zur Statue der Tyche von Messene gehört und zwar aus folgenden Gründen: Nach der Statue der Tyche erwähnt Pausanias die Statue der Artemis Phosphoros. Die Ausgrabung hat gezeigt, daß der nördlich anschließende Raum K der Westseite des Heiligtums für den K u l t der Artemis bestimmt war 20 . Spätere Inschriften nennen sie Orthia. Ihre Kultstatue, ein Xoanon, kennen wir durch die Porträtstatuen der Priesterinnen, die es in der Hand halten 21 . Es war klein und wahrscheinlich aus Holz. Unterschieden von dieser Artemis-Orthia sind die Inschriften auf den älteren Basen in dem Raum, wie z. B. die Basis Nr. 17, wo einfach Artemis genannt wird. In der Mitte des Raumes und gegen seine Westwand angelehnt befindet sich die große, den Profilen nach hellenistische Basis Nr. 1; auf dieser muß eine überlebensgroße Statue der Göttin gestanden haben. Sie wird die Statue des Damophon gewesen sein. Später, als der Raum auch für den K u l t der Orthia benutzt wurde, hat man das kleine Xoanon der Orthia auf die vor dem großen Sockel befindliche kleine Basis Nr. 4 gestellt. Mit dieser Annahme werden alle architektonischen Eigentümlichkeiten 23 des Tempels erklärt: Der Raum K war am Anfang, wie andere Räume des Heiligtums zur Aufnahme der Damophon-Werke bestimmt. Durch die Anwesenheit zweier Statuen unter einem Dach und den K u l t der Orthia werden noch andere Einzelheiten des Raumes erklärt, wie z. B. der Opfertisch Nr. 2 und der Bothros für flüssige Opfer Nr. 3, der vor der Basis des Xoanon steht. Die Porträtstatuen der Priesterinnen der Artemis-Orthia fanden um das Xoanon der Göttin ihren Platz 2 4 , während die zwei älteren Statuenbasen Nr. 16 25 und 17, die man vielleicht vor der Zeit des aus Sparta kommenden Orthia-Kultes datieren muß, ihren Platz an der nordöstlichen Ecke des Raumes gefunden haben. 19

zu E h r e n der A r t e m i s : D e m T r a g e n des X o a n o n v o n der P r i e s t e r i n (teöv X 6 P' KpaTEUCTaCToev,

" E p y o v 1963, 94ff. A b b . 1 0 0 — 1 0 3 . B C H . 88, 1964, 739 A b b . 7. 10. 1 1 . V o n derselben S t a t u e sind a u c h viele kleine F r a g m e n t e g e f u n d e n w o r den, " E p y o v 1963, 94.

20

G r u n d r i ß v o n R a u m u n d B a s e n " E p y o v 1962, 125

21

G. D e s p i n i s in Xccpicrrripiov eiç A. K. ' O p A a v S o v I I 220ff. (als S o n d e r p u b l i k a t i o n erschienen 1964). V g l . Orlandos, TTpotKT. 1962, 1 1 2 Ç.

22

TTpccKT. 1 9 6 2 ,

1 1 2 N r . 3 T a f . 1 1 3 p.

23

ripccKT.

1 0 2 ff.

24

D a s E p i g r a m m auf der B a s i s der S t a t u e der P r i e s t e r i n Mego, " E p y o v 1962, 128. B C H . 87,

A b b . 1 4 8 u n d TTpotKT. 1 9 6 2 ,

1963,

1962,

773.

TTpctKT.

1962,

102 ff. B e i l .

110

1964, 169, b e r i c h t e t v o n z w e i

N r . 1.

"ApTEHi, ßpETas) u n d d e m A u s s t r e c k e n d e r F a c k e l

A.

REG.

77,

Kulthandlungen

25

v o r d e m A l t a r der G ö t t i n ( & v te Trpö ßco^cöv ctcöv eteivoc AaixiräSot). D a s erste g e h ö r t sicher z u m K u l t der O r t h i a , w i e s c h o n n a c h g e w i e s e n w u r d e (G. D e s p i n i s a. O. 237ff.). D a s z w e i t e k ö n n t e n u n v i e l l e i c h t a u s d e m K u l t der A r t e m i s P h o s phoros erklärt werden. D e r in der I n s c h r i f t der B a s i s N r . 16 g e n a n n t e Accno