Archäologischer Anzeiger: Heft 3/1965 [Reprint 2020 ed.]
 9783112320136

Table of contents :
Inhalt
ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER
Etruskische Zweifigurengruppe nach Tarentiner Vorbild. Mit 8 Abbildungen
Die Verfolgung des Troilos. Zu einem Vasenfragment. Mit 1 Abbildung
Eine Tastung in der Cella des Parthenon. Mit 9 Abbildungen
Samos 1964. Mit 15 Abbildungen
Drei Inschriften aus Kyme. Mit 5 Abbildungen
Zur Steinbruchgeschichte des Rosengranits von Assuan. Mit 49 Abbildungen
Auge oder Lampe
Alexandria und Tarent. Eine tarentinische Fundgruppe des frühen Hellenismus. Mit 19 Abbildungen
Hinweis auf G. Neumann, Gesten und Gebärden in der griechischen Kunst

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INHALT Spalte B r o m m e r , F., Auge oder Lampe Dohm,

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T., Etruskische Zweifigurengruppe nach Tarentiner Vorbild. Mit 8 Ab-

bildungen H o m a n n - W e d e k i n g , E., Samos 1964. Mit 15 Abbildungen

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K u n i s c h , N . , Die Verfolgung des Troilos. Z u einem Vasenfragment. Mit 1 A b bildung R ö d e r , J., Zur Steinbruchgeschichte des Rosengranits von Assuan. Mit 49 Abbildungen

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S e g a l l , B., Alexandria und Tarent. Eine tarentinische F u n d g r u p p e des frühen Hellenismus. Mit 19 Abbildungen

5 53

T s c h i r a , A., Eine Tastung in der Cella des Parthenon. Mit 9 Abbildungen

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W e i d e m a n n , U., Drei Inschriften aus Kyme. Mit 5 Abbildungen

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H i n w e i s auf G . N e u m a n n , Gesten u n d Gebärden in der griechischen Kunst (Corrigenda)

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ARCHÄOLOGISCHER ANZEIGER 1965 • H E F T 3

ETRUSKISCHE ZWEIFIGURENG R U P P E NACH T A R E N T I N E R VORBILD Im zweiten Saal der Villa Giulia in Rom stand unbeachtet ein Denkmal, das als Rest einer weiblichen Figur galt (Abb. 1—5). Die Beschäftigung mit ihm schien wenig lohnend, handelte es sich doch um eine jener Skulpturen aus Vulci, die wegen des unansehnlichen Materials, aus dem sie bestehen, die Aufmerksamkeit des Betrachters in der Regel nicht auf sich lenken, es sei denn, sie wären archaisch wie der Kentaur oder der Hippokampenreiter im ersten Saal dieses Museums 1 . Aber statt dessen gehört das Denkmal in jenes schwer bestimmbare, lang währende Zeitalter, das in Etrurien auf die klar definierte archaische Epoche folgt und eine eindringende Beschäftigung erfordert, um es historisch und kunsthistorisch zu fixieren. Das Denkmal ist aus gelbbraunem, körnigem Nenfro gearbeitet, der eine ungleichmäßige, vernarbte Oberfläche hat. Diese Oberfläche, die im Altertum durch Bemalung verdeckt war, ist heute abgesehen davon, daß die Farbe fehlt, auch noch durch Bestoßung, Abschürfungen und Verwitterungsspuren entstellt. Während die alten Wunden den gelbbraunen Farbton der Oberfläche angenommen haben, schwanken die neueren Verletzungen je nach dem Grad ihrer Tiefe von einem dunklen Grau bis zu einem schiefrigen Blau. Durch solche Verletzungen und Verfärbungen büßt das Denkmal viel von seiner Wirkung ein, da der schon an und für sich wenig bildsame Werkstoff stellenweise einen fast amorphen Charakter angenommen hat. Es setzt 1 G. Q. Giglioli, Arte Etr. (1935) Taf. 68; A . Hus, Recherches Sur la Statuaire en Pierre E t r . Arch. (1961) 44 t. Nr. 5 Taf. 4. 21 u. Nr. 17 Taf. 23. 39; M. Moretti, N a t . Mus. of Villa Giulia (1963) 22 f. A b b . 7 u. 8. 14

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sich in seinem heutigen Zustand aus zwei Fragmenten zusammen, aus dem Block mit dem größten Teil des Frauenkörpers auf der Vorder- und dem Rundschild auf der Rückseite und aus dem Oberkörper der Frau (Abb. 1—5). Bei der Wiedervereinigung beider Teile miteinander mußte wegen der Bestoßungen an den Rändern ein Streifen ringsum, etwa in Gürtelhöhe, ergänzt werden; er ist ca. 0,01 m zu hoch. Das verfälscht den Eindruck insofern, als die Zusammengehörigkeit der Faltenzüge, die von oben herabfallend, über den Gürtel überhängen und unter ihm wieder hervordrängen, nicht überall evident ist. Im übrigen wurden nur an der Halsgrube der Frau und hinten an ihrem Schild geringe Partien modern mit getöntem Gips verschmiert. Schwerer wiegt der Verlust des größeren Teils des Denkmals, der sich links anschloß. Dennoch verdient es eine angemessene Veröffentlichung, weil es in Zusammenhänge von Kunstschulen auf dem Boden Italiens Einblick gewährt. Mein Dank gilt daher Mario Moretti, Soprintendente von Roma II, und seinem Ispettore Mario Torelli, die meine Arbeiten in jeder Weise unterstützt haben, nicht zuletzt dadurch, daß sie meinem Wunsch, dem Denkmal einen besseren Platz in gutem Licht zu geben, entsprochen haben. Außerdem habe ich dem Deutschen Archäologischen Institut in Rom für die Aufnahmen, die den Abbildungen 1. 2. 4. 5 und 8 zugrunde liegen, zu danken. Auf einer flachen Basis ist eine Frau in Schrittstellung in die Knie gebrochen. Das rechte Knie ist zurückgesetzt, der Unterschenkel kaum zur Hälfte erhalten, während das linke Knie vorgestellt, ein wenig über die Basis hinausragt, die nur auf dieser rechten Flanke ihre ursprüngliche Außenkante besitzt. Der Schrittstellung folgend, wendet die Frau in natürlicher Drehung ihren Oberkörper etwas zur Seite.

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E T R U S K I S C H E Z W E I F I G U R E N G R U P P E NACH T A R E N T I N E R V O R B I L D

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Abb. 3 und 4. Rückansichten der Amazone Abb. 1 und 1

Obwohl ihr Oberkörper, wie erwähnt, nirgends Bruch auf Bruch auf dem Unterkörper aufsitzt, kann das Ausmaß der Drehung dennoch genau bestimmt werden. Denn ein Teil des in Falten gelegten Stoffs von dem gegürteten Chiton, den die Frau trägt, zieht sich von ihrer linken Schulter diagonal unter dem heute fehlenden Gürtel hindurch und überschneidet auf der rechten Hüfte etwa waagerecht die senkrecht laufenden Falten (Abb. 1. 3 u. 4)2. Auch wenn die linke Brust der Frau abgeschlagen ist, so zeigt doch die Richtung der Falten vorn und hinten auf dem Rücken (Abb. 2— 5), daß sie vom Gewand bedeckt war, wogegen die rechte Brust, die wenigstens zu einem Bruchteil erhalten blieb, freigelassen ist. E s ist also eine Amazone, die zusammenbricht, den Kopf nach ihrer rechten Schulter zum Betrachter hin kehrt und den linken Arm erhoben hatte; das läßt sich aus den Ansätzen von Hals und 2

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Abb. 3 u. 7 nach Aufnahmen des Verfassers.

Oberarm erschließen (Abb. 1. 2 u. 5). Da die ganze rechte Schulter abgestoßen ist, müßte die Haltung ihres rechten Arms hypothetisch bleiben, fände sich nicht auf der rechten Hüfte ein Ansatz mit einer dreieckigen Bruchfläche (Abb. 3 u. 4). Danach war der rechte Arm gesenkt — die Hand in der Hüfte — und bildete kompositionell das Gegengewicht gegen den erhobenen linken Arm. Eine auf die Knie gestürzte Amazone vor einem großen Rundschild als Hintergrund auf einer Basis, die noch um einen guten Teil ihrer Länge nach links erweitert werden muß, um rechtes Bein und rechten Fuß der Gestalt zu tragen, ergäbe mit dem steil aufsteigenden Kontur rechts und dem schräg abfallenden links eine unbefriedigende Gesamtform. Schon daraus ergibt sich, daß sie nicht für sich allein bestanden haben wird. Unsere Amazone bedarf eines Gegners. E r war ursprünglich vorhanden, ist aber bis auf einen Fuß hinter der Amazone verlorengegangen (Abb. 3 u. 4). Um so wichtiger

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Abb. 5. Linke Seite der Amazone Abb. 1 und 2

ist dieser Fuß, der mit der Spitze zum Betrachter hinweist, und das daran anschließende Stück des Unterschenkels. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handele sich um den rechten Fuß. Der Gegner der Amazone habe folglich auf dem rechten Bein gestanden und sein linkes Knie in ihren Rücken, dort wo das Loch klafft, gestemmt, wie wir es von den Sirisbronzen und verwandten Denkmälern kennen3. Aber in einer solchen Gruppe genügt der zur Verfügung stehende Raum nicht für die Entfaltung der Gestalt in dieser Stellung. Außerdem erweitern sich die vergleichbaren Gruppen im Relief kelchartig nach 3

S i r i s b r o n z e n : Brit. Mus. Cat., Walters, Bronzes Nr. 285 Taf. 8; ders., Selected Bronzes in the Brit. Mus. (1915) Taf. 2 1 ; Rumpf, RM. 38/39, 1923/24, 4 6 8 ! Abb. 14. 1 5 ; P. Wuilleumier, L e Trésor de Tarente (1930) 120 Taf. 15, 3. 4. — P a l e s t r i n a b r o n z e : A. Deila Seta, Mus. di Villa Giulia (1918) 452 Taf. 58; Rumpf a. O. 470 Abb. 16; Wuilleumier a. O. 1 1 9 Taf. 15, 2. — M a r m o r r e l i e f in V i l l a B o r g h e s e : Rumpf a. O. 44Öff. Taf. 10.

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oben4. Dem widerspricht jedoch schon die Haltung unserer Amazone. Es kann sich daher nur um den linken Fuß handeln, auch wenn die Wiedergabe von Fuß, Knöchel, Fußgelenk und Unterschenkel so wenig präzise ist, daß eine Untersuchung der anatomischen Einzelheiten nicht zum Ziel führt. Aber die linke Seite des Fußes ist aus dem darüber anstehenden Stein offensichtlich in einer Wölbung ausgehauen worden (Abb. 3), die darauf schließen läßt, daß es der linke Fuß sein soll. Unter dieser Voraussetzung muß die Basis zur Verankerung vom rechten Fuß des Gegners um mehr als ein Drittel nach links ausgedehnt werden, damit seine Ausfallbewegung gegen die Amazone wirksam zum Ausdruck gebracht wird. Auf Grund solcher Erwägungen wurde die Ergänzung der Gruppe in einer Skizze durchgeführt (Abb. 6), die dem Zeichner des Vatikans F. Dati durch gütige Vermittlung von Hermine Speier verdankt wird. Sie beruht auf der Reliefgruppe von Grieche und Amazone auf der ovalen Bronzeciste im Vatikan, die unserer Gruppe sehr ähnlich sieht und die dem Zeichner im Original zugänglich war; sie wird hier nach einer alten Zeichnung aus dem Museum Gregorianum von 1842 5 vorgelegt (Abb. 8). Unsere Rekonstruktionszeichnung baut auf den Proportionen auf, die den Maßen des Denkmals entnommen wurden 6 . In der größten Höhe von 0,766 m des Erhaltenen ist lediglich der geringe Fehler von ca. 0,01 m enthalten, der aus der schon erwähnten Ergänzung zwischen Oberund Unterkörper der Amazone herrührt. Die Länge der Basis von 0,35 m wurde aus den bereits genannten Gründen in unserer Rekonstruktion auf 0,60 m ergänzt. Die Maße des Gegners sind ebenso hypothetisch wie seine Haltung, Drehung oder Wendung und seine Gebärde, wie die Kopfhaltung 4 s. Anm. 3 u. B . Andreae, Motivgeschichtl. Untersuch, z. d. röm. Schlachtsark. (1956) I04ff. 6 Museum Gregorianum (1842) A I Taf. 87. 88; Heibig 4 I 720; Giglioli, Arte Etr. Taf. 284; Camporeale, S t E t r . 27, 1959, l o y f f . Taf. 16. 6 Gr. H 0,766 m; gr. H d. Amazone 0,681 m; H d. Basis 0,085 m; L d. Basis 0,35 m; B r d. Basis ca. 0,23 m ; H d. Rundschildes 0,53 m; L v. Fuß d. Gegners 0,18 m ; erhalt. H v. Bein d. Gegners 0 , 1 5 m-

E T R U S K I S C H E Z W E I F I G U R E N G R U P P E NACH T A R E N T I N E R V O R B I L D

Abb. 6. Zeichnerische Rekonstruktion der Gruppe Abb. i — 5

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der Amazone, die Aktion ihres linken Arms und ihrer linken Hand. Aus Etrurien und Unteritalien bieten sich zwar vom 4. J h . v. Chr. an verwandte Gruppen zum Vergleich dar 7 . E s brauchen nicht immer Grieche und Amazone zu sein, sondern es begegnen auch andere mythische Gestalten 8 . Die Gruppen setzen sich in der römischen Kunst fort 9 . Aber es handelt sich stets um Darstellungen der Flächenkunst, um Reliefs oder Gemälde, die bekanntlich ihre eigene Bildordnung haben und nicht unmittelbar für rundplastische Schöpfungen verbindlich sind. Es kann also weder entschieden werden, ob der zu ergänzende Grieche die Amazone am Schopf gepackt hatte und mit der Rechten zum Todesstoß gegen sie ausholte, obwohl das nach Aussage der Reliefbilder zu vermuten ist. Noch läßt sich die Frage beantworten, ob die Amazone versuchte, sich von dem Griff ihres Gegners zu befreien, oder, ob sie die Linke wie auf der Ciste Gnade erflehend gehoben hatte, wenn auch aus ihrer untätig gesenkten Rechten eher eine Gebärde des GnadeErbittens zu erwarten wäre. Wie dem auch 7 E t r u r i e n : bemalter Alabastersark. Florenz: Monlnst. ) Taf. 60 Mitte (gute Zeichnung) ; Giglioli, Arte Etr. Taf. 238, 1 ; R . Herbig, Jüngeretr. Steinsark. (1952) Nr. 27 Taf. 35a. — Ehepaarsark. Boston: Giglioli a. O. Taf. 263, 2; Herbig a. O. Nr. 6 Taf. 38a. — Sark. aus Torre S. Severo : Giglioli a. O. Taf. 347. 348 ; Herbig a. O. Nr. 73 Taf. 36 b. — Nenfrosark. aus Tuscania: Giglioli a. O. Taf. 353; Herbig a. O. Nr. 85 Taf. 3 1 . — Amazonensark. aus Vulci, Tomba delle Iscrizioni: Moretti, Nat. Mus. of Villa Giulia 24 Abb. 10. — Ferner ovale Ciste Vatikan, s. hier Anm. 5. — U n t e r i t a l i e n : Kalksteinrel. Budapest: A. Hekler, Slg. ant. Skulpt. Budapest (1929) 42 Nr. 3 1 m. Abb. ; H. Klumbach Tarentiner Grabkunst (Diss. Tübingen 1937) Nr. 57 Taf. 1 2 ; BernabòBrea, R I A . N. S. 1, 1952, 124 Abb. 85. 8 Polyxena : Sark. aus Torre S. Severo s. Anm.7. — Hiketiden: Nenfrosark. aus Tuscania s. Anm. 7. — Aias-Kassandra : Marmorrel. in Villa Borghese s. Anm. 3. 9 A m a z o n e n s a r k o p h a g e : Vatikan, Belvedere: R . Redlich, Amazonensark. d. 2. u. 3. Jhs. n. Chr. (1942) Taf. 3; Andreae, RM. 63, 1956, 3 1 t . Taf. 12. — Mazzara: Redlich a. O. Taf. 4. — Att. Sark. Saloniki: Redlich a. O. Taf. 4. — Pai. Rospigliosi: Redlich a. O. Taf. 8. — Ehem. J a n dolo: Lugli, B d ' A . 2. Ser. 6, 1926, 2 1 3 Abb. 17. — Aias-Kassandra, Gemälde, Pompeji: A. Maiuri, L a Casa del Menandro e il suo Tesoro di Argenteria (1933) 49 f. Abb. 19 Taf. 6.

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sei, die zusammenbrechende Amazone und der Fuß des Gegners hinter ihr ermöglichen es, eine Gruppe von Grieche und Amazone wiederzugewinnen. Beide Gestalten waren durch die Kampfhandlung, durch die Verklammerung ihrer Beine und Arme und dadurch, daß der Chiton der Amazone sich bis zum linken Fuß des Gegners hinüberzog, eng miteinander verbunden. Die Gruppe war bunt bemalt, wovon die roten Farbspuren in den Faltentälern vor und besonders hinter dem rechten Schenkel der Amazone zeugen. So fragwürdig unsere Rekonstruktionszeichnung (Abb. 6) sein mag, sie gibt eine Vorstellung von der Zweifigurengruppe des Griechen und der Amazone in der Rundskulptur und erweitert unsere Kenntnisse, die sich bisher auf Flächenbilder solcher vor- und frühhellenistischen Gruppen beschränkten. Flächig im Aufbau ist allerdings auch unsere freiplastische Gruppe. Denn wie der Grieche auch gedreht oder gewendet war, er folgte der Amazone wie in einem Reliefband, dessen Grund durch den großen Rundschild hinten nachdrücklich betont wird. Die Gruppe ist auf reine Vorderansicht angelegt, in der sie sich als steile Pyramide mit relativ kurzer Basis vor dem Betrachter entfaltet. Das ergibt auch folgende Beobachtung. Die Frontalansicht der Amazone, nämlich die Ansicht der Gruppe von rechts (Abb. 2) klärt diese Gestalt nicht nur nicht, sondern bringt die grob angelegten Falten zwischen Schenkel und Rundschild zum Vorschein, die zweifellos nicht für die Ansicht bestimmt waren. Außerdem wäre die Gestalt des Griechen in unschöner Verkürzung hinter der der Amazone herausgekommen. Unsere Gruppe folgt also in der Beschränkung auf die Vorderansicht den strengen Maßstäben der klassischen griechischen Kunst. Die bereits genannten Denkmäler etruskischer Flächenkunst gehören einem Zeitraum an, der sich von der zweiten Hälfte des 4. bis ins 3. J h . v. Chr. erstreckt 10 . Die ovale Bronzeciste im Vatikan, die uns für die Rekonstruktionszeichnung gute Dienste leistete (Abb. 8), und der Bostoner Ama10

s. Anm. 7.

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ETRUSKISCHE ZWEIFIGURENGRUPPE

Abb. 7.

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Nenfrogruppe aus Vulci. Rom, Villa Giulia

zonensarkophag mit dem Ehepaar darauf 1 1 dürften um die Wende vom 4. zum 3. J h . v. Chr. entstanden sein 12 . Dem Gewandstil der Amazonen auf diesen beiden Denkmälern ist der unserer Amazone nun darin vergleichbar, daß er die Gestaltungsweise des Mausoleumsfrieses in derselben Weise fortführt. Einerseits hat unsere Gruppe also in Erstarrung geratene Formen des 4. Jhs. v. Chr. zur Voraussetzung. Andererseits ist sie völlig frei von hochhellenistischen, pergamenischen Zügen, die seit 180/170 v. Chr. von den Etruskern mit wachsender Bereitschaft aufgenommen wurden. Wegen der Flächenbildung der Figuren und wegen der betonten Abhängigkeit von Formen des 4. Jhs. v. Chr., die innerlich schon verblaßt, formelhaft geworden sind, wird sie am ehesten um 300 v. Chr. oder bald danach entstanden sein. E s ist bemerkenswert, daß in einem Rückzugsgebiet 11

NACH T A R E N T I N E R V O R B I L D

s. Anm. 7: Etrurien, Ehepaarsark. Boston. s. Anm. 5 u. T. Dohm in Heibig 4 I 720. G. H. Chase, Greek and Roman Antiquities. A Guide (1950) 1 2 6 : »about 300 B . C.«.

griechischer Kunst, nämlich in Etrurien, eine solche vorderansichtige klassische Gruppe etwa zur gleichen Zeit gefertigt wurde, als im griechischen Osten der Lysippschüler Eutychides seine hellenistisch-vielansichtige Tychegruppe 13 schuf. Unsere Amazone wurde außer zu Figuren etruskischer auch zu solchen großgriechischer Flächenkunst in Beziehung gesetzt. Vor allem ist hervorgehoben worden, wie nah die Reliefgruppe auf der ovalen Bronzeciste im Vatikan (Abb. 8) unserer rundplastischen Gruppe steht. Ist diese Bronzeciste auch als Ganzes etruskisch, so läßt sich doch eine großgriechische, vermutlich eine Tarentiner Vorlage, für den Stempel mit den Amazonenkämpfen nicht bezweifeln 14 . Damit tut sich die Frage nach dem Grad der Verwandtschaft auf, in dem sich unsere Amazone zu den schon genannten großgriechischen Relieffiguren befindet. Sie läßt sich durch folgende Beobachtungen beantworten. Der eigentüm-

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13 14

T. Dohm, Die Tyche von Antiochia (i960). s. Heibig 4 I 720.

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T. D O H R N ,

ETRUSKISCHE

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ZWEIFIGURENGRUPPE

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;-,

m/m

Abb. 8.

Ovale Bronzeciste. Rom, Vatikan

liehe Lauf der Chitonfalten um Leib und Beine unserer Amazone, die wellenartige Bildung der Faltenenden in ihrem Rücken und die auffällige Tatsache, daß sich die Säume vor ihren Schenkeln bogenförmig nach oben umschlagen, das alles sind Stilphänomene, die sich auf tarentinischen und sonstigen großgriechischen Reliefs schon relativ früh im 4. J h . v. Chr. an Amazonen und anderen Gestalten ausgeprägt finden 15 . Der Verwandtschaftsgrad ist demnach sehr groß. Während sich die geschilderten Faltenbewegungen hier aber meist als Ausdruck lebhaft flatternder Gewänder zu verstehen geben, sind sie bei unserer Amazone, wie erwähnt, schon zur Formel erstarrt. Die Abhängigkeit unserer Gruppe von einer tarentinischen Vorlage 16 Sirisbronzen u. Palestrinabronze s. Anm. 3. — Kalksteinrel. Budapest s. Anm. 7. — Ferner Klumbach, Tarentiner Grabkunst Taf. 1, 1 u. Taf. 24, 148 oder Bernabö-Brea, R I A . N. S. 1 , 1952, 61 ff. Abb. 41 ff.

gilt hiermit als erwiesen. Es ist ferner so gut wie sicher, daß unsere Vulcenter Gruppe aus einheimischem Nenfro von einem etruskischen Handwerker gearbeitet wurde. Dieser Etrusker stammte daher entweder von einem unteritalischen Griechen, wahrscheinlich von einem Tarentiner ab, oder er hat bei einem solchen gelernt. So eng ist die Beziehung seiner Schöpfung zu unteritalischen Vorbildern 16 . Seit dem Ende des 5. Jhs. v. Chr. geriet die etruskische Kunst in fortschreitendem Maß unter großgriechischen Einfluß 17 . Griechen aus Unteritalien sind im Lauf des 4. Jhs. v. Chr. nach Etrurien gewandert, haben dort Werkstätten gegründet und 16 Die Grundordnung unserer Zweikampfgruppe von Grieche und Amazone läßt sich über den Mausoleumsfries (Pfuhl, J d l . 43, 1928, Beil. 2 Mitte zu S. 46ff.; E . Buschor, Maussolos und Alexander [1950] Abb. 31) vermutlich auf eine phidiasische Schöpfung zurückführen: E . Langlotz, Phidiasprobleme (1947) Taf. 15. 17 T. Dohm, Grundzüge etr. Kunst (1958) 2of.

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N. K ü N I S C H ,

D I E VERFOLGUNG DES TROILOS

einheimischen Nachwuchs herangebildet. Aus Vulci stammt eine weitere rundplastische Nenfrogruppe, die wiederum ein großgriechisches Werk zum Vorbild hatte; sie ist auch in die Villa Giulia gelangt und unveröffentlicht 18 . Die Erlaubnis, sie abzubilden, danke ich ebenfalls der Soprintendenza Roma II (Abb. 7). Vor einem Roß als Hintergrund bemächtigt sich der abgesessene Reiter einer Frau, die sich seinem Zugriff geschmeidig zu entziehen sucht. E r trägt den Reitermantel über linker Schulter und Rücken, während sie mit der Rechten — der Arm ist weggebrochen — ihr herabgleitendes Gewand hält. Es ist ein Dioskur, der eine Leukippide raubt und sie auf seinem Roß entführen will; das Roß erfüllt also inhaltlich und künstlerisch seine Aufgabe. Die Gruppe wurde in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. geschaffen. Denn die Leukippide setzt in ihrer Torsion die Dresdner Mänade des Skopas 19 , der Dioskur Gestalten wie etwa den Herakles Lansdowne im J . Paul Getty Museum in Malibu Beach 20 voraus; das Roß ist dem Gespann vom Mausoleum 21 nachgebildet. In der tarentinischen Relieffassung 22 haben Entführer und Entführte zwar die Plätze getauscht. Tarentinische Vermittlung ist aber auch hier im Spiele, selbst wenn die Tarentiner Gruppe etwas anders aussieht, vielleicht sogar erst später entstanden ist, und wenn die Vulcenter Fassung der entsprechenden Szene auf der Londoner Meidiashydria 23 näher steht. Aus diesem und anderen Vasenbildern hatte G. Lippold ein Gemälde gleichen Gegenstandes um 425/20 v. Chr. erschlossen24.

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Unsere Zweikampfgruppe eines Griechen mit einer Amazone vor einem Rundschild als Hintergrund ist von einer Geschlossenheit und Strenge der Bildordnung, die die gestaltende Hand und die plastischen Erfahrungen eines griechischen Meisters voraussetzt. Wegen der erörterten Abhängigkeit unserer Gruppe von großgriechischer, von Tarentiner Kunst, liegt der Schluß nah, in Tarent habe es bereits ein solches rundplastisches Werk gegeben. Bei der üblichen Verzögerung, mit der etruskische Denkmäler vom 4. J h . v. Chr. an der griechischen Entwicklung folgen, ist es dann später in Etrurien in Nenfro nachgebildet worden. In der Tarentiner Gruppe müßte man wegen des griechischen Prinzips der auserwählten Vorkämpfer den Griechen als Achill und die Amazone als Penthesilea bezeichnen. Anders steht es bei der etruskischen Gruppe. Diese kann nicht in einem Giebel gestanden haben, da der große Rundschild auf der nach hinten gekehrten Außenseite ausgearbeitet ist (Abb. 5). Sie wird daher als Akroter oder Schmuckaufsatz eines Bauwerks, am ehesten eines Grabbaues, gedient haben. Trifft das zu, so ist hier der Kampf eines Griechen mit einer Amazone dargestellt, der, ähnlich wie die Amazonenkampfgruppen auf dem bemalten Alabastersarkophag in Florenz, dem Ehepaarsarkophag in Boston oder auf dem neu gefundenen Sarkophag aus der Tomba delle Iscrizioni zu Vulci in der Villa Giulia 25 , eschatologischen Charakter hat. Köln

Tobias D o h m

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Größe 0,70 X 0,80 m. K . A. Neugebauer, Stud. über Skopas (1913) Taf. 3. 4; Rodenwaldt, KdA. 4 Taf. 412. 4 1 3 ; P. E . Arias, Skopas (1952) Taf. 10. 20 B r B r . 691. 692; Rodenwaldt, KdA. 4 Taf. 408. 409; Lippold, HdArch. I I I 1 , 2 5 1 Taf. 91, 1 ; P. Wescher — W. R . Valentiner, The J . Paul Getty Museum. Guidebook (1956) Nr. 10 m Tafelabb. 21 Brit. Mus. Cat., Smith, Sculpture I I Taf. 16; Buschor, Maussolos und Alexander Abb. 34. 22 Mus. Tarent. Inv. 1 2 3 ; Bernabö-Brea, R I A . N. S. 1. 1952, 132 Abb. 87. 23 Brit. Mus. E 224; F R . Taf. 8; Pfuhl, MuZ. I I I (1923) Abb. 593; Beazley, A R V . 2 1 3 1 3 , 5. 24 Ant. Gemäldekopien (1951) 2gff. Taf. 4. 19

D I E V E R F O L G U N G D E S TROILOS ZU E I N E M

VASENFRAGMENT

Der Güte des Besitzers danke ich es, daß ich ein Fragment einer attischen Vase vorlegen darf, welches der Reihe der rotfigurigen Darstellungen der Verfolgung des 25

s. Anm. 7: Etrurien.

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NORBERT

KUNISCH

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Troilos 1 ein weiteres Bild anfügt. Das Fragment, in drei Teile zerbrochen, nun wieder zusammengesetzt, stammt von der Wandung eines Glockenkraters (Abb. 1). Ansätze der Henkel oder des Fußes sind nicht erhalten. Die größte Höhe des Fragmentes beträgt 15,7 cm, die größte Breite 14,7 cm. Der Ton hat eine hellziegelrote bis hellgraue Farbe. Innen ist das Gefäß mit tiefschwarzem, glänzendem Firnis bemalt. Nur am Ansatz der nach außen umbiegenden Randpartie ist ein bis zu 5 mm breiter Streifen tongrundig belassen. Das Bild der Außenseite wird oben von einem tongrundigen, in Resten erhaltenen Streifen eingefaßt, der die untere Begrenzung des Ornamentbandes, wohl eines Lorbeerstabes, bildet, das die Mündung dieser Art Vasen gewöhnlich schmückt, und unten von einem Mäanderband mit Diagonalkreuzplatte, einer an Glockenkrateren ebenfalls häufig vorkommenden Schmuckleiste. Der Raum unterhalb des Mäanderbandes ist mit verdünntem, der figurenlose Raum des Bildes mit dichtem, schwarzem Firnis bedeckt. Am Bild selbst ist Vorzeichnung mehrfach zu beobachten. Sie ist besonders auffällig an der Brust der Pferde — bis zu 5 mm weiter links als die endgültige Zeichnung —, an den Hinterbeinen der Pferde und am Zügel. Die Außenkonturen der Figuren sind häufig, nicht immer, durch Relieflinien gegeben. Einige Details wurden mit verdünntem Firnis gemalt: die Haare des Reiters, die Ornamente seiner Kleidung, die Schamhaare des Laufenden und die feine Innenzeichnung an Augen, Hals und Bauch der Pferde, an der Ellbogenbeuge und der Schulter, am oberen Bauch, am rechten Oberschenkel und an der Wade des Laufenden. Ein Reiter sprengt nach links, neben sich ein ebenfalls galoppierendes Beipferd. Seine Tracht ist ungriechisch. Auf dem Kopf trägt er die aAcoTrr|Kis, die gepunktete Fuchspelzmütze mit zwei in den Nacken fallenden Zipfeln, an den Beinen die mit Punkt- und Zickzackornamenten verzierte Reiterhose. Den Oberkörper bedeckt ein langer thra-

kischer Mantel, der aber nicht, wie auf vielen Darstellungen, etwa dem Bild der Pelike G 231 im Louvre 2 , steif von den Schultern schräg nach hinten fällt, dessen rockschoßartig geteiltes Unterteil vielmehr um die Arme gelegt ist und unter diesen heraus zu beiden Seiten nach hinten weht. Den davonreitenden Jüngling bedrängt ein Verfolger hart, er hat ihn schon fast erreicht. Die Rechte ist weit vorgestreckt, um den Reiter an der Schulter vom Pferde zu reißen. Der verfolgende Mann ist nackt, er hat wie der Reiter ein bartloses, jugendliches Gesicht. Um die rechte Schulter liegt ihm ein Schwertgurt; der Griff und ein Teil der Scheide des Schwertes sind noch sichtbar. Der wohl waffenlose linke Arm ist verloren, der hochgeschobene Helm bis auf einen geringen Rest.

1 Brommer, Vasenlisten2 267 f.; Beazley, A R V . 2 Index s. v. Troilos.

2 A R V . 2 581, 4; Painter of Louvre G 2 3 1 : CVA. Louvre (9) III I c Tai. 46, 5. 7. 8.

Aus einer viereckigen Basis ragt im Hintergrund des Bildes ein Pfosten mit einem daran befestigten Löwenkopf auf, als von der Seite gesehene Wand Kurzformel für eine Brunnenanlage mit ihrem Wasseraustritt. Ähnlich verkürzte Darstellungen kennen wir aus der schwarzfigurigen Vasenmalerei; auch die Säule im Bild der Pelike im Louvre hat die gleiche Funktion. Die Erzählung von der Verfolgung des Priamossohnes Troilos durch Achilleus ist uns aus der Vasenmalerei wohl bekannt. Die Vasenmaler des 6. Jhs. v. Chr. stellen sie immer wieder dar: im Bild der Auflauerung am Brunnen, dem der Verfolgung oder im Bild vom Tod des Troilos am Altar des Apollon. Die Maler des 5. Jhs. kennen nur noch das Thema der Verfolgung. Selten wird auf die Wiedergabe des Brunnens verzichtet. E r ist ja nicht bloß Hinweis auf den Ort des Geschehens, sondern, als Versteck des lauernden Achill, wichtiger Bestandteil der Szene. Von der antiken Gestaltung im Wort in Epos und Drama ist uns nichts oder nur wenig in Fragmenten erhalten. Auch die Hinweise Späterer auf diese Werke sind ärmlich. Jedoch lassen sich aus ihnen wie auch besonders aus den Bildern der Vasenmaler einige Bestandteile der Geschichte sicher erschließen.

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DIE VERFOLGUNG DES

TROILOS

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A b b . i. F r a g m e n t einer attischen Vase. Privatbesitz

So ist Polyxena als dritte an den Begebenheiten beteiligte Person anzunehmen. Sie wird von Troilos beim Wasserholen zum Brunnen begleitet, auch sie flieht beim Hervorstürmen des Achilleus davon, entkommt aber, während der Bruder auf seinem Pferd das Opfer des 'schnellfüßigen' Achilleus wird. Nicht immer ist Polyxena auf den Vasenbildern dargestellt 3 . In der Regel aber hat sie ihren festen Platz in den Darstellungen dieser Sage. Nach der Größe unseres Fragmentes zu urteilen, bot wohl auch dieses Gefäß in seiner ursprünglichen Gestalt Raum, die fliehende Polyxena wiederzugeben, und zwar entweder vor den Pferden, den Kopf zurückgewandt, nach links flie-

hend 4 oder hinter Achill in die andere Richtung laufend 5 . Fast immer auch ist die Hydria dargestellt, welche Polyxena bei ihrer plötzlichen Flucht fallen ließ, und die nun zerbrochen am Boden liegt. Den Vertikalhenkel dieses Wassergefäßes darf man wohl auf unserem Bild in der tongrundigen Schlaufe unter den Pferdeschwänzen erkennen. Die thrakische, fremdländische Tracht des Troilos hat unser Bild mit vielen rotfigurigen Darstellungen des Themas gemein. Während die Maler früher rotfiguriger Vasen, wie schon ihre Vorgänger in der schwarzfigurigen Vasenmalerei, Troilos nackt darstellten oder, wie der Brygos-Maler, ihn in das Reiter-

H y d r i a in Bieler P r i v a t b e s i t z : A R V . 2 1660; Münzen und Medaillen A G . A u k t i o n XXII Taf. 59, 170 — früher, unbestimmter Manierist; Nolanische Amphora, Florenz 4020: ARV.2 1192, 3; C V A . Florenz (2) I I I I Taf. 25, 7; 30, 3. 4 — Painter of Munich 2332.

4 Pelike, L o u v r e G 231 vgl. A n m . 2; Hydria, London 99, 7 — 2 1 , 4: A R V . 2 297, 15; C V A . Brit. Mus. (5) I I I I c T a f . 78, 4 — Troilos-Maler. 5 Schale, L o u v r e G 154: A R V . 2 369, 3; MonP i o t 16 Taf. 1 5 — 1 7 — Brygos-Maler; Stamnos, V a t i k a n : A R V . 2 1036, 8; Mus. Greg. I I Taf. 22, 1 — Hektor-Maler.

3

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N. K U N I S C H, D I E V E R F O L G U N G D E S

kostüm der athenischen Jugend kleideten, geht es den Vasenmalern der klassischen Zeit, von denen, wie auch unser Fragment, die meisten erhaltenen rotfigurigen Vasenbilder stammen, offensichtlich um die Darstellung eines ungriechischen Kostüms 6 . Deshalb wird der 'barbarische' Eindruck des Mantels durch Fellmütze und Stiefel und, im Falle unseres Bildes, auch durch die Reiterhosen ergänzt. Für die Einmütigkeit der Maler in diesem Detail mag mit aller Vorsicht daraufhin gewiesen werden, daß in einem der wenigen erhaltenen Fragmente des frühen 7 Sophokles-Dramas TpcoiAos von KarapßuÄoi

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Füße reichenden, wollenen Mänteln« die Rede ist. Könnte so nicht von der thrakischen, jedenfalls ungriechischen Tracht der Troer gesprochen worden sein? Sind nicht vielleicht so bekleidet die Troer und auch Troilos auf der Bühne aufgetreten ? Die Bilder der Vasenmaler, vom Drama zu ihrer Darstellungsweise angeregt, erlaubten es uns dann, in diesem kleinen Detail einen Abglanz der Tragödie des Sophokles zu gewinnen.

Es bleibt die Frage nach der Entstehungszeit des Bildes und nach der Meisterhand. Blättert man die Beazleyschen Meisterlisten durch, so ergibt sich, daß im Kreise der klassischen Vasenmaler der 'Maler der Kentauromachie Louvre G 367' eine Vorliebe für thrakische Trachten hat, daß gerade er häufiger stehende und reitende mit thrakischen Mänteln bekleidete Jünglinge zeichnete. Unter den Werken dieses Malers finden sich denn auch die engsten Parallelen zu unserem Fragment. Ein Vergleich der Pferde mit denen eines Glockenkraters in Warschau 9 zeigt deutlich die Ähnlichkeiten auf, vor allem in der Zeichnung der Beine und des Rumpfes. Die 6 Daß es sich bei dem mit Chlamys und Petasos bekleideten Jüngling des Kelchkraters Berlin V . J . 4497 ( A R V . 2 619, 9; G . v . L ü c k e n , Griech. Vasenbilder Taf. 54 — Villa Giulia-Maler) um Troilos handelt, ist doch recht zweifelhaft. 7 Vgl. hierzu: R E . V I I A 1, 609 s. v. Troilos (Lesky). 8 L. Pearson, Fragments of Sophocles Nr. 620. 9 A R V . 2 1091, 5 1 ; Beazley, Vases in Poland Taf. 26.

TROILOS

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Wiedergabe der Gelenke in unregelmäßigen Dreiecken findet sich nur hier wieder. Vollkommen identisch ist auf beiden Bildern die schwalbenschwanzförmige Zeichnung der Fußknöchel der Krieger. Sie findet sich auch auf anderen Gefäßen des Meisters10. Gleich ist auch die Zeichnung der Knie (an unserem Fragment lassen sich unten ein, oben zwei Schrägstriche erkennen). Die Hüftbeuge wird wie bei Achill so auch bei dem Silen einer Halsamphora in Leningrad und anderen Figuren des Meisters mit einem U-förmigen Haken angegeben; wie bei Achill läßt der Meister häufig die Brustwarzen fort. In der Ellbogenbeuge finden sich zwei Parallelstriche auch an einer Pelike in Laon 1 1 . In der Wiedergabe der Augen, der Flüchtigkeit der Zeichnung an den zur Faust geballten Händen, in der Art, wie die durch Relieflinien angedeuteten Falten die sonst als einheitliche Flächen bemalten Gewänder durchschneiden und im etwas kindlichen Ausdruck der Gesichter steht das neue Troilos-Fragment der Laoner Pelike besonders nahe. Der Geist der Klassik, welcher die Sagenbilder der großen Maler oder die kurz vorher entstandenen Skulpturen des Parthenon belebt, ist bei unserem Fragment zum Ausdruck eines Genrebildchens herabgesunken. Weder Schreck noch Wut zeichnen sich in den Gesichtern ab, noch auch jener Ernst der von den Göttern unter ihr Schicksal gestellten Gestalten eines Polygnotos oder Achilleus-Malers. Dennoch, in der Wahl des Augenblicks, in dem Auflauerung und Verfolgung ihren Höhepunkt erreichen und in welchem sich das Ende des Troilos andeutet, sowie im Stil der Zeichnung vor allem der Köpfe und Leiber der Pferde und der Bewegungen des Laufenden erweist sich der Maler als einer, der sein Handwerk sicher und schwungvoll beherrscht. Trotz offensichtlicher Fehler in der Perspektive, trotz mancher Flüchtigkeiten, gerade auch in der Skizzenhaftigkeit der Zeichnung, wird die Sicherheit des Striches deutlich, mit welcher dem Meister ein so sorgfältiges und 10 z. B . Halsamphora, Leningrad: A R V . 2 1093, 92; J H S . 48, 1928 Taf. 6a. 11 A R V . 2 1093, 87; CVA. Taf. 32, 6.

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A. T S C H I R A ,

E I N E TASTUNG IN D E R CELLA DES PARTHENON

ernstes Bild wie das des Warschauer Glockenkraters gelungen ist. Unter der schwungvollen Oberflächlichkeit dieses späten Werkes läßt sich die strenge Konzentration der Blütezeit des 'Malers der LouvreKentauromachie' ahnen 12 . Berlin

Norbert Kunisch

E I N E T A S T U N G IN D E R C E L L A D E S PARTHENON Der Parthenon ist seit der Befreiung Griechenlands Gegenstand archäologischer Forschung. Trotz vieler bedeutender Einzelarbeiten liegt aber bis heute noch keine umfassende und zuverlässige Aufmessung des Bauwerks vor, und viele Probleme, besonders der Architektur, sind noch ungelöst. Das wichtigste dieser Probleme ist doch wohl die Frage nach dem Aufbau des gewaltigen Porosfundaments. Mit dem Bau des Fundaments eng verbunden ist die Umgestaltung der alten Burg zur reinen Tempelstätte. Dann aber trägt es die Spuren und Reste von zwei unvollendeten älteren Tempeln, die als Vorläufer des perikleischen Baues in der Entwicklung der attischen Baukunst eine wichtige Rolle spielen, und mit denen der perikleische Baumeister sich bei seinem neuen Entwurf zunächst auseinanderzusetzen hatte. Die eigentliche Erforschung dieser älteren Tempel hat W. Dörpfeld 1892 mit einem Aufsatz eröffnet, in dem er auch die Uberzeugung vertrat, daß der ältere dieser Tempel (Parthenon I) kein durchgeschichtetes Fundament besitze, wie es E. Ziller angenommen hatte, sondern daß die Cellamauern und Stylobate einzeln fundiert seien 1 . Für den perikleischen Bau, der ja um etwa 4 Meter nach Norden verschoben ist, nimmt dann Dörpfeld an einigen Stellen 12

Meine Zuweisung ist inzwischen freundlicherweise von J . D. Beazley bestätigt worden (Brief vom 6. 3. 65). 1 Dörpfeld, AM. 17, 1892, 1 5 8 f f . ; Ziller, Zeitschrift für Bauwesen 15, 1865, 3 5 f f . bes. 37.

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Zusatzfundamente an. Da der ältere Tempel aber an allen wichtigen Stellen des Innern überdeckt ist, konnte Dörpfeld für seine These nur eine recht subjektive allgemeine Überlegung anführen — er kenne keinen Tempel, der ein durchgeschichtetes Fundament besitze — und nur eine Beobachtung am Bau selbst: »in dem n ö r d l i c h e n Seitenschiff der Parthenon-Cella« (ist) »eine so b e d e u t e n d e S e n k u n g des P l a t t e n f u ß b o d e n s (um 0,17 m) erf o l g t , daß d a r u n t e r u n m ö g l i c h ein bis zum F e l s reichendes Quaderf u n d a m e n t l i e g e n kann« 2 . Auch G. Kawerau entschied sich für Einzelfundamente, führte ganz allgemein und damit unverbindlich »gewichtige Gründe« und wieder die Senkungen im Plattenboden der Celia für seine Ansicht an 3 . Allerdings glaubte er, daß der Unterbau des perikleischen Tempels mindestens von Schicht —3 nach oben aus durchgehenden Quaderschichten bestehe4. Damit entwertet er seinen eigenen Gedankengang; denn gerade die Senkungen liegen in einem Bereich der Celia, wo dieser perikleische Unterbau unmittelbar auf dem Fels und nicht auf den Fundamenten des Älteren Parthe2 Dörpfeld a. O. 176. Dörpfelds Schnitt durch das Fundament ist allerdings ganz hypothetisch. Seine Annahme, daß der Stylobat von Parthenon I ganz selbständig fundiert sei, widerspricht dem Befund besonders an der Ostseite, den er selbst in seinem Grundriß richtig darstellt. Natürlich trifft es aber zu, daß ein durchgeschichtetes Fundament bei einem griechischen Tempel etwas ganz Ungewöhnliches wäre; aber schließlich ist auch die Lage des Parthenonfundaments auf einem steilen Felshang, in dessen K a m m es oben eingreift, während es sich im Süden 1 2 m über den Hang erhebt, so ungewöhnlich, daß hier eine Ausnahme von der Regel möglich wäre. Auch im Griechischen kommt j a das eigentümliche Wesen eines Bauwerkes erst durch die Verschmelzung des Allgemeinen, Regelhaften mit dem Besonderen zustande. 3 P. Kavvadias — G. Kawerau, Die Ausgrabung der Akropolis vom Jahre 1885 bis zum J a h r e 1890,

i04ff.

4 Über die Zählung der Fundamentschichten herrscht keine Übereinstimmung, da im allgemeinen von der Fundamentsohle nach oben gezählt wurde und die Fundamentsohle in verschiedenen Niveaus liegt. Wir zählen deshalb vom Stylobat des perikleischen Parthenon(=Schicht—1) nach unten.

ARNOLD

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